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Y art, . en... an .. = >> . sr HAT ee wRr “ ® 2 “. er. + er a DER DB une eh .. ar r. “ r 2 2. & > nr A BE [u * .... 3 » de Fu Le PFLÜGER® ARCHIV FÜR DIE GESAMTE FPHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE. HERAUSGEGEBEN VON MAX VERWORN PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE UND DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BONN _ UNTER MITWIRKUNG VON PROF. BERNHARD SCHÖNDORFF IN BONN. BAND HUNDERT UND ACHTUNDSECHZIG. MIT 3 TAFELN UND 66 TEXTFIGUREN. BONN, 1917. VERLAG VON MARTIN HAGER. Iohalt. Erstes, zweites, drittes und viertes Heft. Ausgegeben am 19. Juni 1917. Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels und des Eiweiss- umsatzes beim Warmblüter durch operative Eingriffe am Zentralnervensystem. I. Mitteilung. Von Dr. H. Freund und Prof. E, Grafe. (Hierzu Tafel I.) (Aus der medi- zinischen Klinik der Universität Heidelberg) . Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Goldscheider. (Mit 6 Textfiguren) Ah ER Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung und über die Möglichkeit des Ersatzes der Salzsäure durch Bromwasserstoffsäure im Magen. Von Dr. Viktor Batke. (Aus dem physiologischen Institute der k. und k. tierärztl. Hochschule in Wien) . Über den Einfluss der Körperbewegung auf die motorischen Leistungen des Magens bei Eiweiss-- und Kohlehydrat- fütterung. Von Dr. Stanislaus Jaros, k. und k. Militäruntertierarz. (Aus dem physiologischen Institute der k. und k. tierärztlichen Hochschule in Wien) Ein Beitrag zur Kenntnis der Magenentleerung und ihrer Be- ziehung zur Verdünnungssekretion des Magens. Von Dr. August Ortner, Veterinär-Inspektor der Stadt Wien. (Aus dem physiologischen Institut der k. und k. tierärztl. Hochschule in Wien) . Die Salzsäuresekretion und ihre Beziehung zum Abbau der Eiweisskörper im Magen, Versuche über die Regulation der Magensaftsekretion. Von Prof. Dr. Carl Schwarz. (Aus dem physiologischen Institut der k. und k. tierärztl. Kiocksehulerupe Wien). Bomann din Seite 124 IV Inhalt. Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskel- kontraktion. Von Leonhard Wacker. (Aus dem pathologischen Institut der Universität München) . . Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertäts- drüse. Von Dr. med. Alexander Lipschütz, Privat- dozent der Physiologie an der Universität Bern. (Mit 1 Textfigur.) (Aus der biolog. Versuchsanstalt der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien [Physiol. Abteilung]) Verfahren der objektiven Prüfung und Messung der Hörfähigkeit oder Hörschwelle.. Von Fritz Lux, zurzeit wissenschaftl. Hilfsarbeiter an der kgl. bakteriolog. Untersuchungsstation Landau (Pfalz). (Mit 8 Textfiguren) Bemerkungen zur Arbeit Dusser de Barenne’s: „Über die Innervation und den Tonus der quergestreiften Muskeln“. Von Professor Dr. G. Mansfeld (zurzeit als Regiments- arzt der Reserve bei der Armee im Felde) Seite 147 177 Fünftes, sechstes, siebentes und achtes Heft. Ausgegeben am 10. Angast 1917. Studien über physiologische Ähnlichkeit. Von August Pütter (Bonn). (Mit 6 Textfiguren) Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums, sowie der Hyper- trophie und Dilatation des Herzens und das Problem des . extrakardialen Blutkreislaufes.. Von K. Hasebroek in Hamburg. (Mit 23 Textfiguren) DRS Über die Verstäubungselektrizität der Riechstoffe. Von E. Louis Backman aus Upsala. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Utrecht) 5 5 Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. II. Mitteilung. Der Einfluss von Eiweiss und Lipeiden auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. Von Dr. J. Ouweleen. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Groningen) Neuntes, zehntes, elftes und zwölftes Heft. Ausgegeben am 28. August 1917. Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen im Innern lebender Zellen auf den Vorgang der vitalen Färbung. Von Karl Rohde, Assistent am Institut. (Mit 1 Textfigur ! 247 Inhalt. und Tafel II und Ill.) (Aus dem Institut für animalische Physiologie, Theodor Sternhaus, in Frankfurt am Main) Beiträge zur Physiologie des Sehens. VI. Mitteilung. Mono- kulare Beobachtung einer Glanzerscheinung. Reizwirkung von Schwarz. Von C. Baumann. (Mit 2 Textfiguren). Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. Von W. R. Hess. (Mit 12 Textfiguren.) (Aus dem ee, schen Institut der Universität Zürich) Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. Von N Pütter (Bonn). (Mit 7 Textfiguren) A Verhalten einiger organischer Stickstoftverbindungen in der lebenden Zelle. Verwendung derselben zur Ernährung. Von Dr. Th. Bokorny N En HE SR Vermag ein geringes Quantum Alkohol, in Gestalt von Bier aufgenommen, die Wahrnehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen? Von Hugo Schulz. (Aus dem pharma- kologischen Institut der Universität Greifswald) Beobachtungen der Blutbewegung im Auge. Von Prof. Dr. G. Abelsdorff, Berlin. 434 439 (Aus der medizinischen Klinik der Universität Heidelberg.) Uber die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels und des Eiweissumsatzes beim Warmblüter durch operative Eingriffe am Zentralnerven- system. I. Mitteilung. Von Dr. H. Freund und Prof. E. Grafe. (Hierzu Tafel 1.) Wie aus zahllosen Stoffwechselversuchen der Literatur hervor- geht, beträgt die Anteilnahme des Eiweisses am Gesamtstoffwechsel in den ersten Hungertagen beim Warmblüter (Meerschweinchen, Katze, Kaninchen, Hund, Vögel und Mensch) ca. 15/0 und schwankt um diesen Mittelwert nur um wenige Prozente nach unten und oben. Diese ziemlich konstante und relativ sehr niedrige Relation bei so ‚ausserordentlich verschiedenen Tierarten ist zweifellos eine auffallende Tatsache, zumal wenn man sie mit den entsprechenden Zahlen bei den niederen Wirbeltieren und den Wirbellosen vergleicht. Hier ist anscheinend ausnahmslos die Beteiligung des Eiweisses an der Wärmeproduktion eine enorm viel grössere. Nach Pütter?) wird zum Beispiel beim Blutegel bei 10—12°C. Aussentemperatur der ‚gesamte Stoffwechsel fast nur durch Eiweiss bestritten, während Kohle- hydrate und Fette keinen nachweisbaren (unter 1/0) Anteil daran haben. Aus den Lesser’schen?) Versuchen beim hungernden Regen- wurm lässt sich berechnen, dass hier 80 °/o der Wärme vom Eiweiss geliefert werden. Ähnlich liegen die Verhältnisse nach Bruno w’s?) Untersuchungen beim Flusskrebs (97,4 Cal. aus Eiweiss, 13,9 aus Kohlehydraten und 1,3 aus Fett). Auch bei den Fischen ist, wie 1) Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 6 S. 286. 1906. 2) Zeitschr. f. Biol. Bd. 50 S. 421. 3) Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 12. 1911. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 163. 1 9 H. Freund und E. Grafe: Zuntz und K. Knauthe!) fanden, der Anteil des Eiweisses ganz enorm. So ist zum Beispiel bei dem fettreichen Karpfen die Relation Eiweiss zu Fett am zweiten Huneertag 1:1,38, am siebenten 1:0,80. Als Grund könnte man an die Schwerverbrenn- lichkeit von Fett bei niedrigeren Temperaturen denken. Dies spielt aber gewiss nur zum Teil eine Rolle, denn mit wachsender Tem- peratur steigt nicht nur der Gesamtstoffweensel, sondern in annähernd gleicher Weise auch der Eiweissumsatz an, so beträgt zum Beispiel bei Fischen pro 1° C. Temperatur die Zunahme für beide Grössen 11—12°/?), nur bei Wirbellosen (Blutegel) scheint der Fettumsatz stärker anzusteigen wie die Eiweissverbrennung. Diese Beispiele zeigen aufs deutlichste, dass hier ein prinzipieller Unterschied zwischen Kalt- und Warmblüter besteht, und dass das Vermögen der Sparsamkeit mit dem wertvollsten Körpermaterial nur den Warmblütern zukommt, während zum Beispiel die Eiweiss- ersparnis durch Kohlehydratdarreichung nach Zuntz und Knauthe auch bei Fischen vorhanden ist. Woher kommt dies fundamental verschiedene Verhalten ? In welchen Beziehungen steht das Stoffwechsel- ‘rerulationsvermösen zur Wärmeregulation bei den Warmblütern? Diese Fragen sind unseres Wissens bisher noch nirgends aufgeworfen worden. Sie drängten sich uns auf gelegentlich gemeinsamer Unter- suchungen, die ganz andere Ziele im Auge hatten?). Zur Ent- scheidung der viel umstrittenen Frage des sogenannten toxogenen Eiweisszerfalls bei infektiösem Fieber beraubten wir hungernde Kaninchen und Hunde durch Halsmarkdurchschneidung oder Kom- bination von Brustmark- und Vagidurchtrennung der Wärmeregu- "lation und studierten den Einfluss einer schliesslich tödlichen Infek- tion auf Temperatur, Gesamtstoffwechsel und Eiweissumsatz. Diese drei Prozesse wurden durch die Infektion in keiner Weise beeinflusst, wohl aber fiel es auf, dass nach Ausschaltung der Wärmeregulation ‚die Werte für den Gesanıtstoffwechsel und vor allem für die Eiweiss- verbrennung ausserordentlich hoch lagen, im : Vergleich mit den "Kontrolltieren ohne den operativen Eingriff. Diese Beobachtung ‘schien uns von grosser Bedeutung, und es schien dringend notwendig, ‚sie zum Gegenstand besonderer Untersuchungen zu machen. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 73 S. 490. 1898. 2) Vgl. zum Beispiel F. Schütz, Über den Stickstoffumsatz hungernder Fische. Inaug.-Dissert. Berlin. Mediz. Fakult. 1912. Dort auch ältere Literatur. . +8) Deutsch. Arch. f. klin. Mediz. Bu. 21 S. 36 u. ff. 1916. Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 3 Da durch den Kriegsausbruch unsere Versuche auf unbestimmte ‚Zeit abgebrochen werden mussten, soll im folgenden das bisherige Tatsachenmaterial mitgeteilt werden. Trotz seiner Lückenhaftigkeit ist die Grundtatsache ausreichend gesichert und bildet die Grund- lage, von der unsere weiteren Untersuchungen ihren Ausgangspunkt nehmen müssen. Der Versuchsplan war ein sehr einfacher. Wie aus älteren Versuchen vor allem von Pflüger und seinen Schülern !) sowie aus eigenen neueren Versuchen ?) hervorgeht, kann man durch Halsmarkdurchschneidungen Warmblüter poikilotherm machen; wie der eine von uns zeigte®), tritt bei Kaninchen das gleiche ein, wenn man Brustmark- mit Vagidurchtrennung kombiniert. Bei derartig operierten Tieren wurde nun im Hungerzustand fortlaufend bei nor- maler Körpertemperatur der Gesamtstoffwechsel und die Stickstoff- ausscheidung untersucht und diese Werte entweder mit den Zahlen bei annähernd gleich schweren normalen Hungertieren verglichen oder mit dem Verhalten derselben Tiere vor der Operation. Uber die Technik der Versuche sei allgemein hier nur folgen- des bemerkt, während bezüglich aller Details auf frühere Mitteilungen verwiesen werden muss: Die Operation an den Kaninchen erfolgte in Äthernarkose, an den Hunden in Morphium-Chloroformnarkose. Zur Rückenmarkdurchschnei- dung wurden nach Präparation der Wirbelbögen die Dornfortsätze — meist drei — mit einer Zange abgeknickt; die Eröffnung des Wirbel- kanals erfolgte bei Hunden mit einem Trepan, bei Kaninchen meist mit feinen Knochenzängchen; nach Längsaufschlitzung der Dura wurde das Mark vorsichtig etwas angehoben und mit einem Scherchen oder einer Lanzette durchschnitten. Die Durchtrennurg der Vagi geschah nach Eröffnung des Bauches „und Vorziehung des Magens in der Weise, dass der Osophagus mög- lichst nach unten gezogen und dann Peritoneum und Serosa mit den Hauptstämmen der beiden Vagi von der Aussenbasis des Osophagus möglichst abpräpariert wurde. Wenn dann der Ösophagus als Muskel- schlauch herausgehoben werden konnte, wurde dicht am Zwerchfell das ganze umliegende Peritonealgewebe durchschnitten. Besondere Aufmerksamkeit musste den kleinen Ästchen zugewandt werden, die meist sehr hoch oben zur V. cava und zur Leber abgehen, Wie 1) Pflüger, Pflüger’s Arch. Bd. 12 S. 282 u. 333. — Finkler, Pflüger’s Arch. Bd. 15 S. 603. — Pflüger, Pflüger’s Arch. Bd. 18 S. 247, — Velten, Pflüger’s Arch. Bd. 21 S. 361. 2) Freund und Strassmann, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 69 S. 12. — Freund und Grafe, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 70 S. 135. 1912. 3) Freund, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol.. Bd. 72. 1913. 1 * 4 H. Freund und E. Grafe: früher !) schon geschildert, ist die Ausschaltung der Wärmeregulation beim Kaninchen nur dann vollständig, wenn neben der Brustmark- durchtrennung sicher alle Vagusästchen durchtrennt sind. In nicht seltenen Fällen erfolgt aber die Spaltung schon hoch über dem Zwerch- fell — meist sieht man dann die Ästchen über das Perikard zur V. cava verlaufen. Es ist klar, dass in diesen Fällen die Operation nicht den erwarteten Erfolg hat. Die Respirationsversuche wurden in dem von dem einen?) von uns nach Jaquet’s Prinzip der Teilstromabsaugung konstruierten Respirationsapparate vorgenommen. Bei jedem Tier war nach der Operation das Verhalten gegenüber wechselnder Aussentemperatur und vor allem die Temperatur festgestellt worden, bei der die Tiere normale Körpertemperatur hatten. Bei dieser Aussentemperatur wurde das Tier, meist in einer Thermostatenrespirationskammer?) mit grossem Wassermantel, während der Versuche gehalten, und die Körpertempe- ratur auf thermoelektrischem Wege durch im Mastdarm liegende Elektroden fortlaufend registriert ®). Sämtliche Tiere hungerten, bekamen aber meist zur Verhütung von N-Retentionen per Schlundsonde grössere Mengen physiol. Koch- salz- oder Ringer-Lösungen einverleibt oder tranken spontan Wasser. Der Urin wurde bei Kaninchen durch vollständiges Aus- drücken der Blase, bei Hunden durch Katheterismus und Blasen- spülung in 24stündigen Perioden gewonnen. Aus den Werten für N, CO, und O, wurde nach Zuntz’°) Vorgang die Gesamtkalorien- produktion sowie die Beteiligung des Eiweisses am Stoffwechsel berechnet. In einem grossen Teil der Versuche wurden die Tiere nur 2—3 Tage nach der Operation ohne weiteren Eingriff beobachtet und dann die Infektionsperiode angeschlossen, während der allerdings niemals bei gut operierten Tieren eine weitere Steigerung von Gesamt- stoffwechsel und Eiweissumsatz beobachtet wurde, so dass auch solche Versuche hier verwertet werden können. Bei der stets vorgenommenen genauen Sektion wurde vor allem das Augenmerk auf die Vollständig- 1) Vgl. Freund, a.a.0. 2) Grafe, Ein Respirationsapparat. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 65 8.1. -1910. — Grafe in Abderhalden’s Handb. d. biochem. Arbeitsmethoden Bd. 7 S. 452. 1913. 3) Grafe, Deutsch. Arch. f. klin. Mediz. Bd. 113 S.21u.ff. 1913. 4) Beschreibung bei Grafe und Denecke, Deutsch. Arch. f. klin. Mediz. Bd. 118 S. 253 u. ff. 1915. 5) Vgl. Zuntz-Loewy, Lehrb. d. Physiol., II. Aufl., S. 644. 1913. Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 5 keit der Durchschneidung des Rückenmarks bzw. der Vagi ge- richtet, zumal sich bald zeigte, dass wenn nicht überall eine voll- ständige Durchtrennung gelungen war, der Effekt einer vollständigen Ausschaltung der Wärmeregulation nicht eintrat. Wir verfügen im ganzen über 23 Versuche an Kaninchen und 7 an Hunden zu dieser Frage. Während sämtliche Hundeversuche brauchbar sind, fallen mehrere Kaninchenversuche wegen vorzeitigen Todes der Tiere aus. Als Beispiele seien drei Versuchsreihen mit Kontrollen beim Kaninchen und zwei bei Hunden mitgeteilt. Andere Beispiele lassen sich einzelnen Tabellen unserer Arbeit „Über das Verhalten von Gesamtstoffwechsel und Eiweissumsatz bei infizierten Tieren ohne Wärmeregulation“ !) leicht entnehmen. In den Tabellen des Anhanges dieser Arbeit sind in übersicht- licher Weise die wichtigsten Resultate und Daten der fünf Doppel- versuche mitgeteilt. Die Anordnung der Stäbe bedarf keiner weiteren Erläuterung. In manchen dieser Versuche wurden die Tiere mehrere Tage nach der Halsmarkdurchschneidung infiziert, gewöhnlich durch intra- venöse Injektion einer Reinkultur von Bac. suipestifer. Es geschah dies einmal zur Entscheidung der Frage nach dem Einflusse der Infektion auf den Stoffwechsel und dann zur Prüfung der Frage, ob wirklich die Wärmeregulation ganz ausgeschaltet war. Eine Änderung im Verhalten des Stoffwechsels war durch die Infektion, wenn kein Fieber auftrat, nie bedingt. I. Versuchsreihen an den Kaninchen Fkız; und Fkı2. (Vgl. Anhang Tab. Ia und Ib.) Fk}; stellt den Hauptversuch dar mit vollkommener Ausschaltung der Wärmeregulation, während Fk,, den Ablauf des Hungers beim nicht operierten Kontrolltier wiedergibt. Fk,, wurde am 18. August 1913 mit normaler Körpertemperatur und 4900 g Gewicht in Versuch genommen und bekam seit diesem Tage keine Nahrung mehr. Am 18. August Brustmarkdurchschnei- dung in Höhe etwa des dritten Rückenwirbels, am 19. August vor- mittags Durchschneidung beider Vagi unterhalb des Zwerchfells. Am Nachmittag des 19. August Temperatur des Tieres 36,8° C. bei 24° C. Temperatur des gut ventilierten Brutschrankes. Am 1) Deutsch. Arch. f. klin. Mediz. Bd. 121 S. 36. 1916. 6 H. Freund und E. Grafe 19. August konnte der Urin wegen der Operation nicht quantitativ gesammelt werden, Abgrenzung des Urins durch Ausdrücken der Blase am 20. August morgens 9%. Die Prüfung auf die Regulier- fähigkeit des Tieres ergab folgende Resultate: Am 20. August: Bei 23° C. Aussentemperatur 37,8°C. Körper- temperatur, bei 24°C. 38,2°C.; das Tier wird bei dieser Temperatur die Nacht über gehalten. Am 21. August bei 25° C. 385° C., bei 23°C. 38,1°C., bei 27°C. 39,4°C., bei 28°C. 40,2°C. Damit war die Regulationsunfähigkeit des Tieres bewiesen. Während der Respirationsversuche (vgl. Anh. Tab. Ib St.5 u.6) schwankte bei einer Aussentemperatur des Thermostatenrespirationsapparates von 21,1—22,5° C. die Körpertemperatur zwischen 38—38,3°C. Die N-Ausscheidung im Urin (vgl. Tab. Ia) zeigt auffallend hohe Werte, die vom fünften bis siebenten Versuchstage ziemlich konstant auf 3,4 g sich halten und nach Infektion mit Schweinepestbazillen am siebenten Tag nicht weiter ansteigen. Der niedrige Wert von 2,23 8 am letzten Versuchstage (Anh. Tab. Ib Stab 14) ist schon auf prä- mortale Einflüsse zurückzuführen. Bei dem Kontrolltier Fk,>, das bei Zimmertemperatur gehalten wurde und stets die gleichen Temperaturen hatte wie Fk,,, sind die Werte für den N-Verlust (Anh. Tab. Ia) nicht einmal halb so gross wie dort. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass das Kontrolltier um 25°/o leichter war, bestand ein enormer Unterschied. Über die Grösse der Wärmeproduktion und die Beziehungen zum Eiweissumsatz geben die Stäbe 15—17 der Tabelle Ib Auskunft: am fünften Versuchstag ein etwa normaler Wert (46,4 Cal. pro Kilo- gramm), an den folgenden Tagen zweifellos erheblich erhöhte Zahlen (58,8—65 Cal.). Die schon von dem einen von uns mit Strass- mann!) gemachte Beobachtung, dass die Intensität der Verbren- nungen nach der Operation nicht rasch, sondern langsam im Laufe von 3—4 Tagen ihr Maximum erreicht, trifft auch für diesen Fall zu. Für das Absinken der Verbrennungen am letzten Versuchstage gilt das gleiche wie für den niedrigen N-Wert dieses Tages. Enorm hoch ist die Beteiligung des Eiweisses an den Gesamtverbrennungen, sie schwankt zwischen 33,2—43 °/o, ist also 200—300°/o höher wie sonst bei grossen Hungerkaninchen. Beide Tiere erlagen ihrer schweren In- fektion am gleichen Tage (27. August 1913, dem zehnten Versuchstage). t) Freund und Strassmann,. c. Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 775 Sektionsbefund bei Fk)s: Brustmark am zweiten Segment total durchschnitten, ebenso beide Vagi unterhalb des Zwerchfells voll-' kommen durchtrennt, enorme Milzvergrösserung, auch Leber sehr: gross, Nieren sehr blutreich, am Rücken kleiner Nahtabszess, aus‘ dem Blute werde Bae. suipest. in massenhaften Kolonien gezüchtet. Sektionsbefund bei Fkjs: Milz erheblich, Leber mässig vergrössert, Herz in Diastole, Infiltrationsherd im linken Unterlappen, Nieren sehr blutreich. Auch hier im Blut massenhaft Bac. suipestifer. II. Versuchsreihen bei Kaninchen Fkıs und Fkıs. (Vgl. Anhang Tab. II.) Fk,, Versuchstier, Fk,s Kontrolle. Beeinn des Versuchs bei Fk,, am 9. Januar 1914. Normale Temperatur, Anfangsgewicht 5100 g, hungert seit diesem Tage. Mittags 1h Brustmark durchschnitten, am 10. Januar mittags Vagi unterhalb des Zwerchiells durchtrennt. Körpertemperatur un 35 bei 26° C. Aussentemperatur 36,2°C.; um 7h bei 26° C. 36,8°C. Über Nacht wurde diese Temperatur beibehalten. Am 11. Januar morgens bei 26,5°C. 38,3°C.; bei 27°C. 38,6°C.; 6h 45’ abends bei 27,5°C. 39,4°C. Am 12. Januar bei 27,5°C. 39,5 °.C., bei 26,5 °C. 39°C. Quantitative Sammlung des Urins vom 11. Januarfrühab. 11h 30’ abends bei 28,5°C. 39,7°C.; 15h 30’ nachts bei 29°C. 40,1°C. und starke Polypnöe. Dann wurde der Kasten niedriger gestellt. Bei 25°C. 39,1°C.; bei 23°C. 28,3°C. Bei Aussentemperaturen von 20—21° C. schwanken die Körpertemperaturen zwischen 33,5—37,6°C. Die N-Ausschei- dung ist auch in diesem Versuch auffallend hoch und konstant zwiscben 2,6—3,2 g. Die Diurese ist sehr gut, da das Tier spontan viel Wasser trinkt. Bezüglich der Respirationsversuche vergleiche die Texttabelle. Am 16. Januar Infektion mit Bae. suipestifer (1 Öse einer 24stündigen Kultur in 3 cem sterilisierter physiol. Kochsalz- lösung intravenös). Tod schon am folgenden Tag. Sektiousbefund: Brustmark am zweiten Segment und Vagi unter- halb des Zwerchfells vollständig durchtrennt, Magen und Därme noch auffallend gut gefüllt, Milz sehr gross. Im Ausstrichpräparat des Blutes vereinzelte Bazillen mit endständigen Sporen (Bac. suipestifer?). Fkjs (Kontrolle) mit Anfangsgewicht 4180 g hungert seit 10. Ja- nuar 1914. Es zeigt bei Zimmertemperatur normale Körpertemperatur. Die N-Verluste in den. ersten fünf Versuchstagen liegen zwischen 1,5—1,8 g pro die, also auch in Anbetracht des um 20°) geringeren 8 H. Freund und E. Grafe: Gewichts sehr erheblich niedriger als beim operierten Tier. Am sechsten Versuchstag geringer Anstieg, der auf Infektion mit Bae. suipestifer am 16. Januar bei Temperatur bis 40°C. erheblich bis 2,88 g zunimmt. Tod des Tieres am 18. Januar morgens. Bei der Sektion ausser grosser Milz und Leber und zahlreichen Suipestifer-Bazillen im Blut kein besonderer Befund. III. Versuchsreihen bei Fka3 und Fkaa (Kontrolle). (Vgl. Anhang Tab. IIIa und IIIb.) Diese Versuche sollen das Verhalten von Temperatur und Stoff- wechsel bei unvollständiger Ausschaltung der Wärmeregulation illu- strieren. Fk,,; wird am 11. März 1914 mit normaler Temperatur und 4300 g Gewicht in Versuch genommen, hungert seit diesem Tage. Am Nachmittag Durchschneidung des Brustmarks, am 12. März vor- mittags der Vagi. Abends bei 27°C. Aussentemperatur 38,8° C. Körpertemperatur. Am 13. März 10b bei 27°C. 38,8° C., Abgren- zung des Urins durch vollkommenes Ausdrücken der Blase. 15 30’ bei 29,50 C. 39,38 C., 5& bei 30,30 C. 40,5° C. und stärkste Dyspnöe. 11h pei 25°C. 37,9°C. Das Tier wird am 14. März bei 27°C. ge- halten und hält sich dabei auf einer konstanten Temperatur von 39,4 bis 39,5°C. Am 15. März morgens bei 26°C. 38,9°C., nach 10 Minuten Aufenthalt im Zimmer 38,3°C., nach s Stunde 37,58° C., dann kommt das Tier in den Thermostatenrespirations- apparat und zeigt bei einer sehr konstanten Aussentemperatur von 235—23,3°C. Temperaturen von 37,6—38,3°C. Der Ausfall dieser zahlreichen Prüfangsversuche sprach also durchaus für eine gelungene Ausschaltung der Wärmeregulation, trotzdem bekam das Tier bei der Infektion mit Bac. suipest. am achten Versuchstage Temperaturen bis 40°C., ein Beweis, dass die Vermutung einer vollkommen ge- lungenen Operation falsch war. Eine sichere Erklärung für das merkwürdige Verhalten ergab der Sektionsbefund. Wichtig ist, dass auch dieses Tier, trotzdem es auf Fieber machende Noxen reagieren kann, bezüglich der N-Ausscheidung sich genau so verhält wie die anderen Tiere ohne Wärmeregulation; nach anfänglich niedrigen Werten der zwei ersten Tage, die vielleicht durch schlechte Diurese zu erklären sind, schwanken die Zahlen zwischen 3,1—4,0 g pro die, sind also sogar noch erheblich grösser als bei dem an Gewicht kleineren Tiere Fk,, (Anh. Tab. II). Die Infektion führt zu keinem Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 9 Anstieg, doch ist zu bedenken, dass das Tier bereits am Ende des zweiten Infektionstages starb. Was für den Eiweissumsatz eilt, kehrt in gleicher Weise bei der Gesamtkalorienproduktion wieder (Anh. Tab. IIIb Stab 15—17), auch hier sehr erheblich gesteigerte Zahlen (58,3—72,6 Cal. pro 1 ke) des Gesamtstoffwechsels und eine enorme Beteiligung des Eiweisses (37—45 °/o) am Gesamtumsatz, also keinerlei Unterschiede gegenüber den gut operierten Tieren. Tod des Tieres am 20. März früh (Ende des neunten Versuchs- tages). Sehr interessant war der Sektionsbefund: Während das Brust- mark am dritten Segment vollkommen durchtrennt war, ergab sich, dass vom rechten Vagus zwei feine Ästehen oberhalb des Zwerchfells zur Vena cava abgingen, die natürlich nicht durchschnitten waren, ebenso war unterhalb des Zwerchfells ein kleiner Ast zur Vena cava nicht durchtrennt. Wir haben hier offenbar die anatomische Ursache für die unvollständige Ausschaltung der Wärmeregwlation vor uns. Ausserdem ergab die Sektion ein weites Herz, eine ziemlich kleine Milz und beginnende herdförmige Pneumonien in beiden Unterlappen. Das Kontrolltier Fkss hatte zu Anfang des Versuchs 4100 g Gewicht. Abgesehen vom dritten Versuchstag mit starker Diurese (200 eem) und höherem Wert (-— 2,0 g) liegt der N-Verlust der Tage vor der Infektion zwischen 1,7 und 1,0 g. Da dies Tier genau die- selbe Grösse und das gleiche Gewicht hat wie das operierte, sind die Zahlen für den N-Verlust unmittelbar vergleichbar; auch hier sind sie beim Versuchstier um 100—150°/o grösser. Auf die In- fektion reagiert Fk; mit einem Temperaturanstieg bis 40°C. am ersten und 40,6°C. am zweiten Infektionstag, gleichzeitig geht der N-Verlust auf 2,05 bzw. 2,31 g in die Höhe. Bei der Sektion ausser grosser Milzschwellung keine Besonder- heiten. IV. Versuchsreihe bei Hund HF}. (Vgl. Anhang Tab. IV.) Das gesunde grosse kräftige Tier von ca. 17500 g Gewicht wird am 7. Mai 1914 in Versuch genommen und hungert von da ab. Am Vormittag 11h Durchschneidung des Halsmark am 6.—7. Wirbel in Morphium-Äthernarkose, fast ohne jeden Blutverlust; das Tier kommt sofort nach der Operation in den Thermostaten von 27°C. Am Nach- 10 H. Freund und E. Grafe: mittag 55 30’ bei 27 °C. Aussentemperatur 36,4 C. Körpertemperatur, 7h bei 26,6°C. 36,7°C. Am 8. Mai 12h Katheterismus und Blasenspülung, Abgrenzung des Urins, bekommt 400 cem Ringer-Lösung mit der Sonde. Die Beugemuskulatur der Vorderbeine etwas spontan beweglich, Strecker und übrige Körpermuskulatur mit Ausnahme von Kopf und Hals voll- kommen gelähmt, auch völlige Blasenlähmung, Atmung normal. Um 125 30' Körpertemperatur 36° C., hinterher sogleich im Thermostaten- respirationsapparat; hier bei 26—27° C. Aussentemperatur eine Körpertemperatur von 37—38°C. (im Durchschnitt 37,9° C.). Die vom 8-9. Mai entleerte Urinmenge ist 210 cem mit 11,33 g N. Vom 9.—14. Mai fortlaufende Respirationsversuche (vgl. die Tabelle). Am dritten Versuchstag bei 27°C. Aussentemperatur 37,8° C. Körpertemperatur ein weiterer enorm hoher N-Verlust mit 11,32 g und eine geringe, wenn auch ganz deutliche Steigerung des Gesamt- stoffwechsels (53 Cal. pro 1 kg). Mit zunehmender Steigerung der sich allmählich weiter erholen- den Verbrennungen genügen am vierten Versuchstage 27—22°C., am fünften sogar 25—22 °C. Aussentemperatur, um das Tier auf 38° C. zu halten, bei höheren Temperaturen wäre Überhitzung eingetreten. Gleichzeitig steigt die Wärmeproduktion um 20°jo an, während der N-Verlust eher sinkende Tendenz hat. Bei dem niedrigen N-Wert von 8,136 g für den fünften Versuchstag ist zu bedenken, dass bei der schlechten Diurese ein Teil des N zweifellos retiniert wurde und in dem hohen Wert von 13,2 g für den folgenden Tag wahrschein- lich mit enthalten ist. Am sechsten bis siebenten Versuchstag wurde durch Steigerung der Kastentemperatur bis auf ca. 28°C. das Tier absichtlich überhitzt und bis auf 40 bzw. 40,4°C. Körpertemperatur gebracht. Wichtig ist, dass dabei keinerlei Steigerung des Stoffwechsels eintritt, am siebenten Versuchstag ist sogar ein deutliches Absinken bemerkbar, jedoch mögen hier schon prämortale Einflüsse mitgespielt haben, da das Tier 10 Stunden später starb. Auch in diesem Hundeversuch ist ähnlich, wenn auch nicht ganz so ausgesprochen, die Beteiligung des Eiweisses am Gesamtumsatz eine pathologisch grosse. Wenn man den letzten Tag mit seinen prämortalen Einflüssen fortlässt, beträgt sie im Durchschnitt 29 %o, liegt also mindestens 50—100°/o höher wie in der Norm. Das Tier starb am 14. Mai nachmittags 5 15°. Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 11 Sektionsbefund: An der Nahtstelle dicht unter der Haut etwas Muskelnekrose, darunter Muskulatur völlig verheilt. Halsmark am siebenten Segment ganz durchtrennt, geringe Erweichung des Marks naclı unten, etwas grössere nach oben. Lunge und Herz ohne Be- fund. Abdominalorgane sehr blutreich, starke Stauung von Leber, Milz und Nieren. Ziemlich starke Cystitis '). Ein Kontrollversuch wurde in diesem Falle nicht gemacht. V. Versuchsreihen an Hund V. (Vgl. Anhang Tab. Va und b, sowie die Textkurve.) In diesem Falle wurde das gleiche Tier im Hungerzustand vor und nach Halsmarkdurchschneidung untersucht. Der Versuch zerfiel demgemäss in drei Perioden: 1. eine neuntägige initiale Hunger- periode (Kontrollperiode), 2. eine elftägige Auffütterungsperiode, in der das Tier wieder auf sein ursprüngliches Gewicht von 16 kg ge- bracht wurde, und 3. die zehntägige Hauptperiode nach Durchschnei- dung des Halsmarks. Während der ersten Hungerperiode verlor das Tier 4 ke, also etwa 20/0 seines Körpergewichts, der N-Verlust (im Harn) war ca. 308, die tägliche N-Ausscheidung war maximal 3,5 g, das Tier wurde bei Kellertemperatur gehalten und zeigte ganz normale Körper- temperatur. Zur Auffütterung auf das ursprüngliche Gewicht waren 11 Tage nötig. Die Kost war vor allem in den letzten 5 Tagen überreichlich, bestand aus kondensierter Milch, Reis und Fleisch, also im wesent- lichen Kohlehydraten und Eiweiss. Leider war hierbei der Eiweiss- ansatz (+ 90,15 g N)?) erheblich grösser, als es für eine ganz klare Beurteilung der zweiten Hungerperiode vielleicht wünschenswert gewesen wäre. Am 21. Versuchstag (8. Mai 1914) wurde das Halsmark etwa am sechsten bis siebenten Segment durchschnitten (in Morphium-Äther- narkose).. Das Tier kam sofort hinterher in den Thermostaten- 1) N-Verluste konnten dadurch intra vitam nicht eintreten, da einmal infolge Blasenlähmung fast sämtlicher Urin durch Katheter gewonnen und hier in ver- dünnter Säure aufgefangen wurde. Ferner wurde die Blase stets mit 3/oiger Borsäure gespült und etwaige spontan abgehende Urinmengen im Respirations- apparat in verdünnter Schwefelsäure aufgefangen. 2) Diese Zahl ist unter Berücksichtigueg lediglich der N-Ausscheidung im Urin gewonnen, da Kotanalysen nicht vorgenommen wurden. 122": H. Freund und E. Grafe: respirationsapparat und hatte bei 25°C. Aussentemperatur 37°C. Körpertemperatur. In den nächsten Tagen nahm entsprechend dem analogen Verhalten bei Kaninchen die Verbrennung zu, so dass nach und nach mit der Aussentemperatur bis auf 13° ©. heruntergegangen werden konnte. Das war wohl etwas zu niedrig, denn am 26. Versuchs- tag kameszum Temperaturkollaps, so dass am 27. die Aussentemperatur wieder auf 25—24°C. erhöht werden musste. Am 28. Tage wurde zur Prüfung der Regulierungsfähigkeit die Temperatur noch weiter erhöht und so ausgesprochenes Fieber (40° C.) erzielt, am 29. Tage schwankten bei 21,5° C. die Temperaturen um 38°C. und erhöhten sich in den letzten Versuchstagen bei 25° C. auf 38,5—39° C. Am 31. Versuchstage (zwölften Hungertag) vormittags trat der Tod ein. Die Sektion ergab, dass das Halsmark in der Höhe des siebenten Segments bis auf einen ganz schmalen Strang rechts vorn durehtrennt war, starke Hyperämie der Bauchorgane, mittelstarke Cystitis. Zur klareren Übersicht ist das Verhalten der N-Ausscheidung und des Gesamtumsatzes im Hunger vor und nach der Operation auf Tafel I graphisch dargestellt. Die gekreuzten Rechtecke zeigen das quantitative Verhalten der N-Ausscheidung im Harn in den Ver- gleichsperioden an, während die Werte in der Auffütterungsperiode gestrichelt sind. Die Bedeutung der übrigen Kurven ergibt sich ohne weiteres aus den Erklärungen der Abbildung. Auf den ersten Blick fällt der ausserordentlich verschieden starke N-Verlust des Tieres in den beiden Hungerperioden auf. Es liegt das Niveau der Eiweiss- verbrennung nach der Operation um fast 250°/o höher wie in der Vergleichsperiode (7,3 g N-Verlust pro.die gegenüber 3 g). Für die ersten Tage könnte man zur Erklärung an eine Nachwirkung der vorhergehenden Auffütterungsperiode mit hohem Eiweissumsatz denken. Und sicherlich spielt dieser Faktor hier eine Rolle vor allem für die ersten beiden Tage. Statt dann aber rasch abzusinken, wie es sonst bei hungernden Tieren nach voraufgehender hoher Eiweisszersetzung und auch starkem N-Ansatz der Fall ist, steigt die Kurve erst recht an und fällt erst ganz allmählich ab, so dass sie sich selbst in den letzten Lebenstagen, wo vielleicht schon prämortale Einflüsse sich geltend machten, sehr erheblich über den höchsten Zahlen der Vergleichsperiode hält. Auch die Kalorienproduktion (vgl. Anh. Tab. Vb und die gekreuzte Linie [+++] auf Taf. I) ist nach der Operation ganz Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 13 erheblich viel höher wie vorher. Sie fällt in der Vorperiode, wie so oft, etwas rascher wie das Gewicht (von 40 Cal. auf 34 Cal. pro Kilogramm). Die Steigerung beträgt im Durchschnitt ca. 50/0 (56,6 Cal. gegenüber 37 Cal.), wenn man einzelne Tage herausgreift, sogar bis zu 100°%o. In der Hauptperiode zeigt die Kurve einen etwas unregelmässigen Verlauf, der im wesentlichen durch die Varia- tionen von Aussentemperatur und Körpertemperatur bedingt ist; vor allem gilt das auch für den niedrigen Wert des letzten Tages, bei dem ausserdem in Betracht zu ziehen ist, dass 24 Stunden später der Tod erfolgte. Entsprechend der viel stärkeren Steigerung des Eiweissumsatzes ist auch die Beteiligung des Eiweisses am Gesanit- stoffwechsel etwa doppelt so gross wie vor der Halsmarkdurch- schneidung. (Siehe die Haupttabellen I und II auf S. 14—21.) Ergebnisse. Sämtliche Versuche, die zur Entscheidung der Frage, ob und welchen Einfluss eine vollständige oder unvollständige Ausschaltung der Wärmeregulation bei normaler Körpertemperatur auf den Gesamt- umsatz und den Eiweissstoffwechsel haben, etwas beitragen können, sind mit ihren wichtigsten Resultaten und Daten in den beiden Haupt- tabellen registriert. Die erste umfasst neun Versuche beim Kaninchen, darunter sieben Doppelversuche, die zweite sechs Reihen am. Hunde mit fünf Doppelversuchen. Ausser den notwendigsten anderen Daten sind jedesmal die Werte für Aussentemperatur, Körpertemperatur, N-Verlust im Harn sowie Kalorienproduktion pro Kilogramm nebst prozentualer Beteiligung des Eiweisses am Gesamtstoffwechsel für den vierten bis neunten Hungertag aufgeführt. Es entspricht das dem zweiten bis siebenten Tage nach Ausschaltung der Wärmeregulation. Nur in einzelnen Hundeversuchen war es möglich, die Tiere noch länger am Leben zu erhalten. In mehreren Versuchen sind für die uns hier interessierende Frage nur die ersten Tage brauchbar, da später infolge nicht voll- ständiger Ausschaltung der Wärmeregulation bei der Infektion Fieber und damit natürlich meist auch eine Steigerung von Gesamtstoffwechsel und Eiweissverlust eintrat. Einzelne Versuche, die mehr oder weniger aus der Reihe fallen, bedürfen besonderer Besprechung. Haupttabelle I: 5. Hungertag 6. Hungertag - (3. Tag n. Operation) | (4. Tag n. Operation) gN pro die (Urin- menge in ccm) 1,615 (120) 14 H. Freund und E. Grafe: | 4. Hungertag (2. Tag n. Ausschaltung der Wärmeregulation) Körper- durch- | durch- gewicht Art des ee gN Cal. MiaDz , y iche iche Ver- Tier a BE Ver- | Körper-| pro die prolkg| Körper- such des dauer en 1 Gewicht a ir | (Urin- ratur | Ver- suchs | [durch- ["/o der liureh: suchs) | menge | ca, [ner Aussen- 1 Aussen- rs H" aus ne: yatur] ccm) Eiw.] ratur] Nr. Nr, g Tage °C. » I IKan.| 3200 I10 38,4 | 1,247 60,2 | 39,0 Fk, | -2035 2 22u102,2]| (0120,67 [272] durch- schnei- dung IIa | Kan.| 3300(?) | 10 do. 38,5 _ — 38,2 Fk, | -1770 [25,0] [25,0] III Kan.| 2700 ]10 | Kontrolle 382 | 1,158 — 38,0 Fk; | - 2) az | 50) [Z.-T.] 1) Il Kan.| 2600 8 ru 38,2 —_ _ 88,5 Fks | -1330 a] [25,5] [25,0] durch- schnei- dung IVa| Kan.| 4100 9 do. 38,7 _ _ 38,2 Fk, | -3145 [20,0] [21,0] IVb | Kan.| 2680 9 en 38,2 1,304 — 98,8 Fkg | -1820 ‚epäter ljz.T]| X50) ZT] : mit Trypano- somen) ValKan.| 4900 | 9! But h 38,5 — = 385 Fkıs| -3670 a3 [23.0] [22,5] durch- schnei- dung Vb| Kan.| 3900 | 9Ye| Kontrolle] 38,7 | 1,523 u 38,8 Fkıs| -2960 [ZT] [Z=T.] 1) Z.-T. = Zimmertemperatur (14—18° C.). durch- Cal. |schnitt- | liche prolkg | Körper- Gewicht| tempe- ratur [9/0 der | [durch- sehnitt- Cal. N USSen- aus tempe- Eiw.] | ratur] 63,8 [22,8] | [126,8] 38,6 38,2 [23,2] 38,8 zen] 76,0 [40,3] | 38,2 [24,8] 752 | 385 [25,8] | [20,3] 38,4 pasıhı 46,4 | 38,8 [43,0] | [231] pro die prolk] : Gewich Urin- (Urin | fo al menge | Goal] ın aus ccm) , Eiw.] 1,482 68,6 (35) | [22,9] 929 | 721 (70 | [37,8] 21 St.) 1,832 — (50) 2,198 90,7 (120) , [38,6] 3,929 | 67,0 (160) | [43,1 1,203 —_— (45) 3,454 | 64,0 (90) | [837 1,538 —_ (110) Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 1 Versuche an Kaninchen. 7. Hungertag 5. Tag n. Operation) 8. Hungertag (6. Tag n. Operation) 9. Hungertag (7. Tag n. Operation) urch- durch- | durch- a g 2 Cal. it gN Cal. De gN Cal. iche - rolk Körper- i mu Körper- ie,prolk . Memo rohr oma prtkeai moi BA] Sehnen | Vanerunen atur | (Urin- c ratur | (Urin- k ratur | (Urin- 5 | a ee Made ae Cal. | uche | ner | Cal. || one | mer]. Cal. en ın aus ee ın aus a ın aus tur] | ccm) | Eiw.] a ccm) | Eiw.) | ratur] | ccm) | Eiw.] EG, °C. oc | 39,1 | 1,762 | 66,1 | 39,7 | 1,847 | 63,4 | 40,0 | 1,629 | 80,5 zus am): Neruels an 6. Vera 26,5] | (80) | [29,41 |126,5]| 5) | [33,4] | [25,0]) (120) | [243] | 2%; Segment ganz | mt Nagana- | durchschnitten. trypanosomen | Vagi durchschnit- | ten (?) | | BL | 2,77 | 681 | 379 | 3,28 51,841.8:058, | 1569,33 u12d aulüsYorsnebe2 |} Ami2. Versuche 3,1] (125) [49,8] [23,0] | 166 3) [23,1] (100) [78,8] 2m 3.4, Segment on Hocinfas | durchschnitten, | Vagi ganz durch- | schnitten En ee | = Bi 1 | - [mamznze: »-T.] (60) [Z.-T.] loren ge- [Z.-T getrocknet, sonst gangen normaler Befund Dear leze-| 25530 | sl — | — — | Tod am 9. Versuchs- 5,0]| 120) | 32,0 | (220) | [51,1] ee [25,5] | ganz durchschnit- | ten. Vagi ganz durchschnitten 38,5 | 2838| 68,6 | 388 | 3,044 | 71,1 | 38,8 | 3,895 | 76,1 | Todam1o. Versuchs- | Am 7. Versuchs- 0,3]| 5) [31,0] | 120,5] | (120) 54 20,1]| (50) | [ar le | m durchschnit- trypanosomen en ee et re Tree -T.] (90) [Z.-T.] (50) [Z.-T.] (105) Eavior In Blubache mit Naguna- zahlreiche Trypa- trypanosomen nusomen 3,6 | 3,394 | 654 | 388 | 3,352 | 58,8 | 38,0 | 9,232 | 46,1 | Todam10, Versuchs: | Am 8. Yorsuchs, 1,2] (140) [33,2] [21,1] (130) [38, ] [21, 4] (90) [33,6] ae Segment und mit Bac. sui- Vagi total durch- pestifer schnitten, _ Milz sehr gross PR ler) ie a) — rum ren: | ns Tone -T.] [Z.-T.] (130) [Z.-T.] (120) und Lebertumor,, mit Bac, sur Infiltra{ion im lin- pestiter ; ken Unterlappen 16 H. Freund und E. Grafe: Haupttabelle I | 5 5 (2 en ni, 5. Hungertag 6. Hungertag .Tagn. Ausschaltung | : 2 der Wärmeregulation) (3. Tag n. Operation) ! (4. Tag n. Operatio | Körper- durch- durch- durch- gewicht Art des N g N Cal. ae gN Cal. uk g N Ca) Ver- I m: (Anfang | Ver- ae : rolk La a 1 ne - ol Tier) nn ae Inchsih Ser narner, pro die |PFOIK8 oz: pro die prolkg nocper pro die | Pro X) empe- : empe- empe- P such des dauer ratur | (Urin- Gewicht ratur | (Urin- Gewicht ratur | (Urin- ewi Ver- suchs Iduren [°/o der [dnaet: [‘/o der [cu 2 [9/0 d scıhn © ; schnltt- oO schnl oO 4 such:) ich) 80 | Cal, ılnene Inne N@a]. )| arme mes ee Aussen- in Aussen- in Aussen- in I I Bus tempe- aus tempe- auf ratur) ccm) | Eiw.] | ratur] | ccm) | Eiw.] | ratur] | ccm) | Eiw Nr. g Tage | ee. oc. oc. 388 | 1,596 | 51.7 | 38,2 | 1,800 | 59, [233]| 50) | [23,8] [22,9] | au1o) | 8 | Fkys | -2850 oe nad 940]: (BO) TE unvoll- ständige Vagi- durch- schnei- . Va Kan. | 37001?)] 8 Brust- | 38,5 ı 1,579 | 64,8 dung Kan.| 3040 | 9 |Kontroue] 38.6 | 0752| — | 386 | 0848| — | 386 | 0,964 | — Fk, | -2570 zu Fkıs ([7.-T.]| : (40) [Z.-T.]| (40) [Z.-T.]| (120) VIla| Kan.| 5100 | 7 | Brust- | 38,4 | 2,595 | e6,7 | 885 | 295 | — | 379 | 3,052 | 681 Fk | -4150 "rd [21,0]| (100) | [22,0] | 120,0] (150) [20,5] (130) | [261 ne | dung VIh|Kan.| 4180 | 8 |Kontrone| 38,6 | 15681 — | 388 | 1625| — [385 | 2157| — Fkss [-3000() zu Fk |[Z.-T.]] (80) [Z.-T.] (60) [z.-T] (70) Nla| Kan. |ca.3600| 8 | Brust- | 38,0 | 1,616 | 83.8 | 38,0 | 1,644 | 78,0 | 38,5 | 2,196 | 87. Fka, | -2610 a 1[234]|] @0 | [15,3] [f21,0]| (110) | [17,2] |[20,5]| (70) | [219 nt dung | vl | Kan.| 4100 | 8 |[Kontrottel 38,8 | 1521| — | 387 | 1592 | — | 394 | 1786| — Fka, | -3030 zu Fkzı |[7.-7]] (50) [z.-T.] (70) [Z.-T.]| (100) IXa|Kan.| ? 8 | Prust- | 307 | 3279 | 58,3 | 37,6 | 4,079 | 62.2 | 38,3 | 3,30 | 641 Fk; | -3160 von [[23,2]| (120) | [874] |[23,2]| (140) | [45,9] | [23,3] | (110) | [8%] ständige | Vagi- durch- schnei- dung IXb|Kan.| 4100 | 8 [Kontos] 38.6 | 1771| — | 387 | 1522| — | 388 | 1,558 | Fkz, | -3200 u Fkss |[Z.-T.]] (110) [z.-T.] (100) [zT] cc) |) | (Fortsetzung). Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 17 7. Hungertag (5. Tag n. Operation) 8. Hungertag (6. Tag n. Operation) 9. Hungertag (7. Tag n. Operation) ae an zn] a En at - pro die prolkg es pro die |prolkz Karen pro die BD . Gewicht 2 -1.|Gewichti eu. .s; . Gewicht tur 2 ratur Urin- atur a lurch- EL Tora der [dirch- Can oder (dureh. ORu | order ne ne ui Einen De Caly | ns) menee Cal Fo ln | in | ans ratur] | ccm) Ein] | nn ccm) | Eiw.] | ratur] | ccm) | Eiw.] dc. | oc. 89,8 | 1,78 63.12. 1.88,3 | 1.13 61,3 — — — 2,6] | (100) | [22,0] |[22,6]| 90). | [22,7] | 40,0 | 1,297 —_ 40,5 | 1,396 = 39,8 | 1,070 u .-T.]| (90) [Z.-T.]| (90) [Z.-T.] (90) 37,6 2,617 | 72,1 — — — _ u 20,8], 20) | 1227] * ' I 39,8 | 2884 Il — Iea.39,01 2,342 = — u. 7.-T.], (100) 2:82] 38,2 | 2,448 | 85,7 | 38,3 | 2,673 | 80,9 - — u 20,6] | (100) | [25,5] | [20,5] | (160) | [31,0] 205 1827| 1 398 | 0731 = — — 7-T.]| (60) [Z.-T.] (50) 88,2 | 3,111’) 72,6 | 40,0 | 2,571 | 45,4 E= — — 23,0] | (140) | [32,9] | -36,5 |(120 in | [42, 7] [23,0] | 21 St.) | er 6, 0,974 I — 40,0 | 2,053 -- 40,6 | 2,311 — ZT. ];; (60) [Z.-T.]| (150) [Z.-T.]| (140) Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. prolkg| sektionsbefund Tod am 9. Versuchs- tag. Bei der sek- tion: Dorsalmark am 2. Segment ganz durehschnitten,. Vagi bis auf 2 Ast- chen zur Cava und Leberj)forte durch- schnitten, Milz sehr gross Tod am 10. Versuchs- tag. Milz sehr gross, sonst ohne befund Starb amS8. Versuchs- tag. Brustmark am 2. Segment, Vazi ganz durchschnit- ten, grosse Milz Starb am 9.Versuchs- tag. Ausser grosser Milz kein abnormer Befund Starb am9. Versuchs- tag. bei der Sek- tion: vrus'mark am 2.—3. Segment und Vagi volkommen durensehnitten Starbam9. Versuchs- tag. Beı der Sek- tion: sehr grosse Miz und Hoden- abszesse Starb am Ende des 8. Versuchstages. Sektion: brust- mark am 3. Seg- ment durch -chn.t- ten. Vom rechten Vagus 2 Astchen oberhalb d.Zwerch- fells zur V. cava, ein weiterer unter- halb zur V. cava nicht durchschnit- ten Starbam9. Versuchs- tag. Bei der Sek- tion ausser grosser Milz nichts Patho- logisches 2 Bemerkungen Am 7. Versuchs- tar Infektiom mit bac.. sui- pestifer Am 7. Versuchs- tag Infektion mit Baec. sui- pestiler Am 7. Versuchs- t ıg Infektion mit bac. sui- pestifer Am 7. Versuchs- tag Infektior mit B.c. sui- pestifer Am T. Versuchs— tag Infektivır mit Bac. sui- pestifer Am 6. Versuchs- tag Infektion mit Bac. sui- pestifer Am 7. Versuchs- taz Inf.ktion mit Bac. sui- pestifer Am 7. Versuchs- tag Infektion mit Bac. sui- pestifer Haupttabelle II: 2. Hungertag 3. Hungertag 4. Hungertag (1. Tag n. Ausschaltung | (2. Tag n. Ausschaltung | (3. Tag n. Ausschaltur' der Wärmeregulation) | der Wärmeregulation) | der Wärmeregulatio) Körper- durch- durch | Ale 1: gewicht Art des schnitt- Cal. schnikt, Cal. |[schnitt- Cal ver-| mir | rn une Ver- [Home| 8° proikelkome, 8% Iproikelxume| &X proij ach des [dauer Tata, | PrO die IGewicht| Tan, | Pro die Gewicht] "2. pro di] Gen Ver- suchs Lausch- (Urin- | [Yo der [aueh (Urin- | [%o der en, (Urin- | [Vo d} suchs) liche menge Cal. f liche menge Cal. liche | menge Cal en aus en aus nn | aus. empe- - empe- ” tur] ccm) Eiw.] stur] ) Eiw.] er] can) Eiw.! Nr| Nr. g Tage uC IC. °C. J | l IIıHF,| ca. 8 gg 37,8 | 11,33 — 37,8 | 11,32 92,9 | 38,0 | 10,29 65,4 17 000 schnei- [| [26,5] | (770) [27,0]| (440) | [30,5] | [25,0] | (600) [26,1 -14 500 dung | j ah 1600| 7| ve | — | — | — |385| 3586| — | s85 | 2607| 208 -12 550 De [Z.-T.] (870) [22,0] | (550) | [11,8 : tro.le) Hunger ohne | Operation | Ib Hr, Haupt- | 38,4 | 6,811) 58,0 | 384 | 9,024| 569 | 385 | 9870| —® en [27-22]| (770) | [21,6] [121,8] | (710) | [27,1] |[ea.18] (710) ji Halsmark- 7. Tag n. Ausschaltung | 8. Tag n. Ausschaltung | 9. Tag n. Ausschaltaı i Are der Wärmeregulation |. der Wärmeregulation | der Wärmeregulaticf‘ sen dung) | 39,8 | 6,053) 43,8 | 379 | 4461| 62,1 | 38,5 | 4,461) 32 Ba [28,8] | (650) | [27,0] | [21,5] | 50) | [14,2] | [25,3] | (570) | [28, Illa | HF,| 12500] 7 Halmerk. ca. | 17,48 49,9 | 38.0 | 12,92 — 38,0 | 12,14 | [710500 schnei- ns (290) | [75,0] | [23,0] | (500) [22,0]. (800) Fr R ung ca. Hr 26,0] | Ib} HF,| 16500] 7 IKontrollel 38,0 | 8549| — 3833| 49371 — 38.2 | 3,0481 — -13 20u zu HE (7.0]| 0 (A70) [Z.-T.]| (650) [Z.-T.]| (760) 1Va| HF,| 16300] 6 HalEmarE 37,9 | 9592| 550 | 38,3 | 11.23 66,2 | 38,3 | 12,17 72,8: -14 000 schnei- 1126,0]| (850) | [28,3] [122,2] | (620) | [27,3] | [22,0] | (600) | [28,] Nele j dung IYb HF, 156001 5 [Kontrolle] 37,8 | 8783| — 330 | 3,751 — 379| 3900) ee [Z.-T.]| (640) [Z.-T.]| (720) [Z.-T.]| (820) ) Va| HF,| ca. 11 [Halsmark-| 38,0 | 6,92 53,1 | 88.1 | 5417| 584 | 37,9 | 5,660| 65 12.000 dureh" 126,0] | (430) | [28,2] | [25,0]| 680) | [20,3] | [244] | (560) | [19, -9350 dung j 1 8. Huugertag 9. Hungertag 10. Hungertag | 1885 | 5,0471 71,7 | 335 | 5.237| 69,0 | 375 | 6598l —i 1124,7] | (600) | [17,6] 124,7] (470) | [19,4] [[26,0] | (500) u Yp| HE,| 14400 | 10 [Kontrolle] 38,1 | 3,5771 —. | 380 | 3,2071 — 37,9 | 3,54 —E ZN ZEN] (700) ZT] (550) [7.-T.]| (630) 4 -11 00 Fe m eins nase | beeee Ener es 8. Hungertag 9. Hungertag 10. Hungertag | 4109| 6855| — | 4038| zaz| — | 400| 99058 [Z.-T.]| (580) [Z--T.]| (500) | [Z.-T.]| (730) | ‘Versuche an Hunden. 5. Hungertag 6. Hungertag 7. Hungertag Tag.n. Ausschaltung | (5. Tag n. Ausschaltung | (6. Tag n. Ausschaltung ır Wärmeregulation) der Wärmeregulation) der Wärmeregulation) ber u. Milz, leichte Cystitis 1 | | Er ee ei auch: durch- nitt-I a schnitt- ehnitt- N prolkg or syn ae en a Sek 5 B 1 die Gewicht| (e"Ppe- | pro de Gewicht| e!p®- | pro u en. 2sionsbetund? |, Bemerkungen Ken (Urin- | [/o der [durch | (Urin- | [/o der (auzenn] (Urin: [%/o der she | menge Cal. liche menge Cal. liche menge Cal. une aus anne: aus |danper aus | N rat Sl] C. °C. 0)| 8136| 61,3 | 40,0 | 13,2 61,4 | 40,4 | 6,905 | 55,1 | Starbam8. Versuchs- ;]| (200) | 121,8] | 123,07) (650) | 137,91 | Tea. | 450) | [2A | 3germent wanz 28,0] durchtrennt 9. Hungertag | 321) — | 3834| 3149| — | 382 | 2490| 33,9 Tier wird in oiner T.]| (560) [Z-T.]| (540) [2.-T.]) (400) | [14,6] en wieder auf das ursprüngliche N Gewicht aufge- | füttert = 9180| 57,3 Ica.37,0| 8221| 682 17387 | 7550|. 55,5 Sb, gm 11. Ver- ‚18] (710) [28,6] [17,5] (600) [22,5] [23,3] (620) [26,0] ren ‚Tag.n. Ausschaltung ale an 'r Wärmeregulation ständig, es steht noch eine kleine me en MG N: wn NE Brücke rechts vorn 37,9 8680| — ? 8,230 — starb am Hndo des am 5. ons NN (850 Halsmarkam 6.bis | mis Bac. sul- [31,0 | ın | 7. Segment glatt pestifer, daran -22,0] 17 St.) durchschnitten anschliessend E leicht. Collaps 402 | 2971| — | en Btazb) am Ends des Am 5. Herzuche AT [7.-T.] (410) oe ausser grosser Milz pestifer und Leber nichts Besonderes 9,63 73,1 38,0 | 11,66 78,9 an Ba Er Stirb am Ende des | Am 5. Nerzucne: ‚0 | (1000) | 122,3] |[21,7]| (540 | [25,5] A gen ın Cervicalmark am6. pestifer 131/2 St.) bis 7. Segmentglatt durchschnitten = — = — — — = Br Starb am Ende des | Am 5. Versuchs- 5. Versuchstages. tag Infektion Sektion ohne be- mit Bac. sui- sonderen Befund pestifer 3,2 6,130 | 70,1 38,3 6,573 | 66,6 38,7 4,857 | 67,8 | Starb am Anfang des | Am 6. Versuchs- 10]| (830) | [20,17)/[25,0]| (650) | [23,51 |125,0]| @&20) | iz] | 2 Verkseesı Se Bee car pestifer. Am 10. u. 11. Ver- 11. Hungertag suchstag sub- 4.539 | de ” „ 75 = — _— — — — VER) OIRE UN | vs A) | 3,442 — 395 9,045 it. 40,2 | 10,44 Sr SzDg au u, \Ge m 6. ee \ s 3 5 IX 0) 2i,Eı0 [ZT] (910) [2-7] (630) Sonate] = Ba vor pestifer 20 H. Freund und E. Grafe: Versuch I zeigt von allen operierten Tieren die niedrigsten Werte der N-Ausscheidung, die jedenfalls nicht nennenswert über die Zahlen bei gleich schweren Kontrolltieren sich erheben. Auch der Gesamt- umsatz ist im Vergleich mit den Zahlen, die zum Beispiel Rubner?!) bei hungernden Kaninchen fand, nicht sicher erhöht. Trotzdem anscheinend die Durchschneidung auch der Vagi eine vollständige war, fieberte das Tier nach Infektion mit Trypanosomen. Es besteht, wie oben gesagt, immer die Möglichkeit, dass bei der Operation ein kleiner Ast des Vagus nicht durchschnitten und bei der Sektion das Operationsgebiet auch oberhalb des Zwerchfells nicht genügend genau untersucht wurde. Im Versuch IIa sehen wir sehr hohe, progressiv von Tag zu Tag ansteigende N-Verluste in ähnlicher Weise, wie sie bei kleineren Tieren beobachtet werden. Da der Gesamtumsatz nur mässig gesteigert ist, nimmt die Beteiligung des Eiweisses am Stoffwechsel von 37,8 %o bis 78,8°/o zu. Auch bei der Kontrolle finden wir, wenn auch nicht so aus- gesprochen, den kontinuierlichen Anstieg der N-Ausscheidung. Fast auf gleicher Höhe wie bei Versuch IIa bewegt sich die N-Ausscheidung im Versuch Nr. III, jedoch ist hier auch der Gesamtumsatz enorm gesteigert. Eindeutisger sind natürlich die Versuche mit annähernd konstanter Kurve bei den folgenden Tieren (Versuch IVa, Va, Vla, VIla, VIlIa) von erheblich grösserem Gewicht. Im fünften Versuche ist der N-Verlust etwa doppelt so hoch wie bei dem allerdings etwas leichteren Kontrolltiere; der N-Verlust ist ziemlich konstant, auch am fünften Hungertag, wo die Verbrennungen noch nicht die volle Höhe erreicht haben. So kommt es, dass hier sogar 43 /o des Gesamtstoffwechsels von Eiweiss bestritten werden, an den anderen Tagen ist die Zahl ziem- lich konstant 33—34 /o. Die Gesamtwärmeproduktion ist zweifellos erhöht. Versuch VI ist darum beachtenswert, weil wir hier trotz unvoll- ständiger Durchschneidung der Vagi im Prinzip die gleichen Ver- änderungen im Stoffwechsel sehen wie bei den erfolgreich operierten Tieren, nur die Eiweissbeteiligung ist hier kaum erhöht, wenn auch gegenüber der Kontrolle der absolute N-Verlust doppelt vermehrt ist. Dass es sich hier um keinen prinzipiellen Unterschied handelt, zeigt Versuch VII mit sehr starker Steigerung des Gesamtstoffwechsels (bis 1) Gesetze des Energieverbrauchs bei der Ernährung. 8.273 u. fl. Franz Deuticke, Leipzig und Wien. 1902. Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. >31 72 Cal. pro Kilogramm) und einer mässigen Zunahme der Eiweiss- verbrennung. Versuch Nr. VIII unterscheidet sich in mehrfacher Weise von allen anderen Reihen. Die Höhe der Gesamtumsetzungen ist hier weitaus am grössten (bis 87,9 Cal. pro Kilogramm), während in den ersten Tagen ein Anstieg der Eiweissverbrennung kaum sicher zu erkennen ist, dann aber steigt kontinuierlich die N-Ausscheidung, vermutlich, weil wir auch hier ein relativ kleines Tier vor uns haben, also Verhältnisse wie bei den Versuchen I und II. Das Verhalten des Stoffwechsels im letzten Kaninchenversuch (deutliche Steigerung der Gesamtkalorienproduktion, Zunahme der Eiweissverbrennung von 100—150 °/o, prozentuale Beteiligung bis 46 9/o) lässt in keiner Weise vermuten, dass hier die Vaei nicht vollständig durchtrennt waren, und dass die Infektion mit Bae. suipestifer zu Fieber führte. SozeigendieKaninchenversuche übereinstimmend, dass bei normaler Körpertemperatur Kaninchen mit vollkommen ausgeschalteter Wärmeregulation eine mässige Steigerung des Gesamtstoffwechsels und eine meist ausserordentliche Zunahme der Eiweissver- brennung aufweisen. Die Intensität der Steigerung ist in den verschiedenen Versuchen verschieden. Der Effekt tritt auch dann ein, wenn, wie der Fieberversuch und der Sektionsbefundergaben, dieAusschaltungder Wärme- regulation keine vollständige war. Die Hundeversuche (Tab. I) bringen nichts prinzipiell Neues hinzu, nur sind hier die Veränderungen nach Halsmarkdurchschnei- dung vielleicht noch ausgeprägter. Die N-Verluste sind hier von enormen Dimensionen, so dass sie oft sehr erheblich über die N-Ver- luste erwachsener Menschen im Hunger hinausgehen. Auch hier ist der Gesamtstoffwechsel niemals in ähnlich starker Weise angestiegen. Die Beteiligung des Eiweisses am Gesamtstoffwechsel schwankt hier gewöhn- lich zwischen 25—30 P/o, ist also etwa doppelt so gross wie in der Norm. Einen zahlenmässigen Vergleich zwischen dem Verhalten vor und nach Ausschaltung der Wärmeregulation ermöglicht die zweite Ver- suchsreihe (vgl. die eingehende Besprechung und kurvenmässige Dar- stellung s. Tafel ]). Ungeheuer gross sind die N-Verluste im Versuch IIla (bis maximal 17,48 &) bei einem Hund von 12,5—10,5 kg: die Steige- 33 H. Freund und E. Grafe: rungen gegenüber der Kontrolle betragen hier bis zu 400°. Die Eiweissverbrennung ist hier dauernd von einer Intensität, die alles übertrifft, was in der Physiologie und Pathologie an hohen Zahlen auf diesem Gebiete beim Warmblüter vorliest. Im vierten Versuche ist auch die Steigerung des Gesamtstoff- wechsels (mit ca. 100°, bis 80 Cal. pro Kilogramm) ganz be- sonders gross, gleichzeitig liegt auch hier die Intensität der Eiweiss- verbrennung um 300 °/o höher wie bei dem ungefähr gleich schweren Kontrolltiere. Etwas geringer ist die Differenz im sechsten Versuch. Hier gelang es, beide Tiere 11 bzw. 10 Hungertage hindurch am Leben zu erhalten. Die N-Ausscheidung nach Ausschaltung der Wärmeregulation hielt sich ziemlich konstant (auch während der Infektion) zwischen 9—7g, während sie bei dem um ca. 2 kg schwereren Kontrolltier von 9,5 bis auf 2g sank, dann aber infolge der Infektion und zum Schluss wohl prämortaler Einflüsse sehr erheblich anstieg. Auch bei Va ist der Gesamtstoffwechsel um mindestens 50—60 °/o erhöht. So geben die 14 Versuchsreihen bei Kaninchen und Hunden ein in allen wesentlichen Punkten übereinstimmendes Bild von den ausserordentlich einschneidenden Veränderungen, welche die voll- kommene und partielle Ausschaltung der Wärmereeulation beim Warmblüter für Gesamtumsatz und KEiweissstoffwechsel mit sich bringt. Die dann eintretende Steigerung der Oxydationsintensität ist besonders. gross, wenn man bedenkt, dass die Tiere normale Körpertemperatur hatten und infolge fast vollständiger Ausschaltung der Körpermuskulatur sich kaum bewegen konnten. ' Diese merkwürdigen Befunde lassen sich unseres Erachtens nur befriedigend erklären durch die Annahme, dass durch unsere Untersuchungen ein bisher unbekannter, sehr wirk- samer zentral-nervöser Regulationsmechanismus im Warmblüterorganismus für die Intensität der Ver- brennungen in den Geweben aufgedeckt ist. Dieser wirkt offenbar im Sinne eines Dämpfers, denn nach seiner Ausschaltung infolge Halsmark- oder kombinierter Brustmark- und Vagidurchschneidung geht der Stoffwechsel, insbesondere der Eiweiss- umsatz, ausserordentlich stark in die Höhe, und letzterer nähert sich Werten, wie sie sonst nur beim Kaltblüter vorkommen. Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 23 Der Einfluss des Zentralnervensystems auf die intrazellulären "Umsätze im Warmblüterorganismus ist demnach viel eingreifender, als man es bisher allgemein angenommen hatte. Damit erhebt sich ‘ natürlich sofort eine Fülle neuer Fragen, von denen wenigstens einige hier angedeutet sein mögen, um so mehr, als wir zurzeit wegen des Krieges selbst nicht in der Lage sind, unsere im Juli 1914 ab- gebrochenen Versuche wieder von neuem aufzunehmen. Bewiesen ist der mächtige zentral-nervöse Einfluss natürlich zunächst nur für den Gesamtstoffwechsel und den Gesamtstickstoffumsatz. Wichtig wäre aber auch zu wissen, ob und in welcher Weise durch den gleichen Eingriff der Stoffwechsel von Kohlehydraten !), Purinkörpern, Kreatin, Kreatinin und anderen Stoffen, die in nächster Beziehung zum intermediären Zellumsatz stehen, alteriert wird. Denkbar wäre ferner eine Einwirkung auch auf die biologischen Funktionen der Zelle, zum Beispiel Immunkörperbildung unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen. Auch die vieldiskutierte Frage der Beziehungen zwischen Eiweissstoffwechsel und Antikörperbildung wäre auf diesem Wege zu entscheiden. Ferner muss versucht werden, diesen Regulationsmechanismus anatomisch näher zu lokalisieren und seine Beziehungen zu den schon bekannten Regulationszentren aufzudecken. Schliesslich gestattet der eingeschlagene methodische Weg über- haupt, generell zu untersuchen, welche Stoffwechselvorgänge sowohl in qualitativer wie in quantitativer Art vom Zentralnervensystem abhängig sind, und welche sich primär in der Zelle abspielen. Wir sind uns wohl bewusst, dass die mitgeteilten Untersuchungen nur einen ersten Schritt auf dem Gebiete der Beeinflussung zellulärer Vorgänge durch das Zentralnervensystem in der skizzierten Richtung bedeuten und in vielen Richtungen noch der Ergänzung bedürfen. Aber eine gesicherte Basis schien uns doch damit schon gegeben, und darum glaubten wir, sie jetzt schon mitteilen zu dürfen. 1) Vgl. dazu bisher Freund und Marchand, Über Blutzucker und Wärmeregulation. Arch f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 73 S. 276. 1913. — Freund und Schlagintweit, Über Zuckerstichwirkung und Wärmeregulation. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 76 S. 303. 1914. 24 H. Freund und E. Grafe: Anhang Tabelle Ia: Verhalten der N-Ausscheidung bei KFj; (ohne Wärme- regulation) und KFj2 (mit Wärmeregulation [Kontrolle]. Durch- Durch- mit Bac. sui- pestifer Ver- Kör- a schnittliche| \,4 ges | Nah- la suchs-] Datum | PeT- Aussen- rungs- | Urin Bemerkungen tag gewichij emperatuı Versuchs! _; 24 St. 5 gewic ag a temperatur aufnahme August j „Ne. | 9180 1 218, er] 25.1 et era ee 1913 GC, 2.119.-20.| 4300 24,0 1. Tag | Hunger, — |Am 18. Aug. der Wasser Brustmai k-, Wärme- nach am 19. Aug. regu- Bedarf Vagi durch- lations- schnitten. aus- 18. Aug. er- schaltung ster Hunger- ni tag 3. 120.-21. 23,5 do. do. 60 | 2,368 4. 121.-22. 23,0 do. do. Urin z. T. verloren- gegangen 3. 122.-23.| 4370 38,5 22,5 do. do. 80 I 3,406 -4190 |(38, 2-38 ‚ö) 6. [23.-24.| 4190 38,8 22,1 do. do. 90 | 3,454 -4010 | (37,8-39,7) 7. 124.-25.| 4010 38,6 21,2 do. do. 140 | 3,394 | Am 25. Aug. -3850 1(37, 7-38 )) Infektion mit Bac. sui- pestifer Gleichzeitiger Kontrollversuch bei KFis. 2. [| 19.-20.| 3600 38,5 Zimmer- | Normal- | Hunger, | 200 | 1,776 | 18. August -3390 | (88,5- 38 ‚Ö)Itemperatur| tier Wasser erster Hun- nach gertag Bedarf 3. [20.-21.| 3390 33,6 do. do. do. 170 | 1,741 -3240 4. ]21.-22.| 3240 38,7 do. do. do. 150 | 1,523 -3160 | (38,5- 38 ‚6) 5. 1 22.-23.| 3160 38,8 do. do. do. 120 | 1,615 -3040 |(38,7-38,8) | | 6. 1 23.-24.| 3040 38,5 do. do. do. 110 | 1,538 -2960 | (38,4-38,7) 7. 124.-25.| 2960 38,8 do.. do. do. 90 | 1,444 | Am 25. Aug. -2825 | Infektion ysndny Lo we ‚0 u8 $ "So 08) x 08987 DIL Rep por aTar |1Biee 0'991 | 882° | 06 [8690| FogILT'za| 2625 | 9108 | Fıg | 0'8€ seL '8 | 0298 | 22-9811 | '6 a Sunsor] -IIeN 'sÄyd ‘ILU10JS 09 8 ur aa7ysadıns eg U0A anynyy a .. punJs-g9e Aeuıd uadun 2 0) hl u Ä [4 ‘ ‘ [3 [3 [3 ‘ -seN 97) 0198” on „SP uoT uogegul| 88% | 088 JE TES | CE 8 | 05T [6120| Er|0T05| gler Isa | 1LIs 888 3eL 'ı | 0:88 | 93-2 | ""y | °8 2 nn 2 "so Pl 0588- = v<9 | des | 1‘esa |H688| orı [8020| Zar auge | zese | #61 | Fra | 988 seL 9 | 010F |'sa-ra|*"y | 2 3 3 (usduns = -SOW OT) 0TOP- 2 079 | zes |ycea |rere] 06 |892/0 |29'c< |99‘98 | 6027 | r1.08 | T'as | Biss | Ben '< | 0617 | Terez |" | ’9 oO aomyemadl 8 Seyıaduny -HULIBM on 9810 -Snv 'sI J9p Sun ei "uONTUgISWAanp -[egossny 2 Bey Isnöny (usduns | aodıpurys na TEN 61 | If 3 we ‘yrewgsnug : -SIW ZI) | 1104 yoeu | O6IF- E ysnany ‘ST wv| For | 087 |6'F6T |g0F‘E 1 08 ‚er0| gor |9L’63 | sSIE | 2a | S's3 g'88 SeL 7 | 028er | ea a3 |" | °< {eb} & = "189 O/a "189 3 ud T “ 7 IS :0%0 ‘Do 7) eI6T | "N [N = ar "78 77 yons yons Er one anyer ANYET av - SST ua -y0 -19 ’ 3 en a ie 48 78 oA | A | "san ee -odwag | dw} | opord 10H | gun 'D : ur JoSuow u ut wur (9% -UOSSNY -19d1oy YIIMOD -030.14 usdunyaowag a ET ee yegay | -urng Sa yoneıq]| Zunp ‘co ae oyal] 3gdı] =y2uE -19d.ıoy Usa -SUINS Sn Tod] -ey -oeH -N LIOFeI ah in u) BD yrugos| -PIUgOS 10 oA A U9OLIOL | OP 0/0 u -dsey 0 hp) u -syons oa -pDAnd -wy -H que | PA "8 galt Hl "GI Sa rale || all oT "6 8 L ) ;G 7 © KG a “(13ey pun yarwysnıg uoA Sumpruyssying Yaeu zyeswnssiaary pun [OSY99AFoISJuRsHH) UOA USNeyaoy) FTyy Uoypumuey Ioq AyloasyonsaoA :qI PJgeL Jueyuy Anhang Tabelle II: Verhalten der N-Ausscheidung bei FK;s (nach Aus- sehaltung der Wärmeregulation) und bei FKıs (normales Kontrolltier). 26 H. Freund und E. Grafe: Ver- suchs- tag Nr. 2. Datum Januar 1914 11.-12. 12.-13. 13.-14. 14.-15. 15.-16. 16.-17. 2 aa: 11.-12. 12.-13. 13.-14. 14.-15. 15.-16. Kör- per- gewicht ale De A 4900 4340 4260 4145 Gleichzeitiger Kontrollversuch bei FKıs (Normaltier). 4180 3960 3870 3750 3650 3540 -3490 Durch- Durch- h ittli ch Tee Slnareehnittichel arr 0 t in ee anerenr Versuchs 0 © 0x0, 38,5 27,0 1. Tag (37,9- 39 ‚4) | (26, 5-27 ‚d) Inach Aus- Einstel- schaltung lungsvers. der Wärme- regu- lation ca. 39,0 | ca. 26,0 | do. (38,1-40,1) ! (29,0-23,0) Einstel- lungsvers. 38,4 ca. 21,0 do. > 0-38,9) | (19,0- 93 ‚0) 20 Mess. 383,5 ca. 20,0 do. (37,8- 39 ‚8) I (15,0-25,0) 24 Mess. | 24 Mess. 81,9 20,5 do. (37,0- 38 ‚4) | (20,0- 20 ‚9) 19 Mess. 37,6 20,8 do. (37,1-37,8) | (20,5-21,5) 39,1 Zimmer- (39,0-39,1) [temperatur 38,6 do. (38,5- 38 2) 38,8 do. (38,7-38,9) 38,6 do. (38,5- 38 ‚8) 38,8 do. (38,7-38,9) 38,9 do. Kontroll- tier normal do. do. ‘do. do. do. Nah- rungs- aufnahme Hunger, Wasser nach Bedarf do. do. do. do. Hunger, Wasser nach Bedarf do. do. do. : do. do. Urin cem 200 100 150 130 120 120 80 80 80 60 70 Nin 24 St. Bemerkungen o oO 3,286 | 9. Jan. Brust- 10. Jan. Vagi durchschnit- ' ten, 10. Jan. erster voll-' ständiger Hungertag 2,952 2,595 Respirations- versuch 2,945 do. 3,052 do. 2,617 | Respirations- versuch. Infektionmit Bac. suipest. Starb am 17. Jan. vorm. 1,516 | 10. Jan. erster Hungertag- 1,762 | 1,646 1,563 | \ 1,625 | | 2,157 |Am 16. Jan Infektionmi Bac. suipest. Temperatur bis 40° ©. NimHarn= 2,88 g Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 37 Anhang Tabelle IIIa: Verhalten der N-Ausscheidung bei FKa;3 (Brustmark- und unvollständige Vagusdurchtrennung) und bei FKaa (Kontrolle). mit Bac. sui- pestifer. 1!/a Öse einer 48-stünd. Kult. in 5 ccm ster. physiol. NaCl- Lösung intrav. -3160 (37,9-40,0) (22,8-23,3) 19 Mess. | 18 Mess. Durch- Durch- | | | er Kör- en schnittliche] 4 ges | Nah- lin suchs-] Datum I! per- | Aussen- |. rungs- |! Urin „. | Bemerkungen 5 temperatur Versuchs " St. ag Me gewicht((min.-max.)|temperatur aufnahme Nr. 1914 g ec. 0C. ERDE ER ER A IE RE Lern Ewa en EN ecem 3. [13.-14. | 4000 39,0 25,0-30,0 | 1. Tag |(3.) Hun-| 65 Bu... - März Brust- (37,9-40,5) nach” gertag, mark, 12. März voll- Wasser Vagi durch- endeter nach trennt. Operation] Bedarf 10. März erster Hungertag 4. 114.-15.| — 39,4 26,0-27,0 | 2. Tag do. 50 [1,229 5. 115.-16.| 3850 | 37,7 232 3. Tag do. 120 | 3,270 -3640 1 (37,4-38,0) | (22,4-23 20 Mess. | 20 a 6. | 16.-17.| 3640 37,6 23,2 4. Tag do. 140 [4,079 -3490 | (37,4-38,0) | (23,0- 23, 5) 24 Mess. | 20 Mess. 110 | 3,302 18 Mess. | 18 Mess. 3910 38,2 23,0 6. Tag do. 140 |3,111 | Tag.d. Infektion 7. 117.-18.] 3490 38,3 DI 9. Tag do. -3370 1 (37,3-39,0) | (23,0- 54 ‚0) 8. | 18.-19. Gleichzeitiger Kontrollversuch bei FKaa. 3. 1 13.-14.] 3800 38,8 Zimmer- | Normal- | (3.) Hun- | 200 | 2,021] 10. März erster -3660 | (38,8-38,9) [temperatur tier gertag, Hungertag Wasser nach Bedarf 4. | 14.-15.| 3660 38,6 do. do. do. 110 [1,771 -3550 1(38,5-38,6) 5. 115.-16.| 3550 38,7 do. do. do. 100 | 1,522 -3490 | (38,7-38,8) 6. | 16.-17.| 3490 38,8 do. do. do. 120 | 1,553 -3410 | (38,7-38,9) 7. 117.-18.| 3410 38,6 do. do. do. 60 | 0,974 -3380 | (38,5-38,7) 8. | 18.-19.| 3380 40,0 do. do. do. 150 | 2,053 | Infektion mit -3200 | (38,9- 40 ‚5) Bac. suipesti- fer wie bei Ka 98 H. Freund und E. Grafe: Anhang Tabelle IIIb: Versuchsreihe bei Kaninchen FKaz nach Brustmark- und unvoll- 1 2. 02 | 4. 5 | 6. m. | 8. 9, en Durch- Durch- : Vera) oz En Stadium | schuittliche |sehnittliche Du Neaı suchs per- 7 des |lations- suchs Datum des Körper- Aussen- roto- ge- SSR Resp.-| grösse “as | Kon wicht | Versuchs | temperatur |temperatur| \.,., (ed) (min.—max.) |(min.-max.) j ; März Nr. | N. 1914 An SER rs al Ba re Be DL °C. 00. St. L. 5. | Kassa [15.-16.| 3850 | 4. Tag 37,7 232 21!/a | 4233 -3640|1 nach (37,4- 38 ‚0) 1(22,4-23,3) partieller | 20 Mess. 20 Mess. | | Aus- | schaltung der Wärme- regulation 6. | Ka, |16.-17.| 3640 | 5. Tag 37,6 232 173/4 | 3537 -3490 | (37,4- -38 ‚0) 1(23,0-23,5) | 94 Mess. 23 Mess. 7. I Ka; |17.-18.| 3490 | 6. Tag 38,3 23:8 16°/ı | 3219 -39710 (37,3-39,0) 1(23,0- 94 ‚0) | 15 Mess. 13 Mess. & | Kasse 1 18.-19.| 3370 | 7. Tag 38,2 23,0 22 4370 -3160 | (37, 9-40 ‚0) 1(22,8- 93 >) | 19 Mess. 18 Mess. 9. | Kasz [19.-20.| 3160 | 8. Tag |In den ersten 23,0 18?/4 | 3733 10 Stunden |(22, 8-23 ‚2) Tempera- 17 Mess. turen um 40° C., in den folgenden 6 Stunden nur 39° C., dann rascher Abfall bis 30,50 C, 17 Mess. Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 29 (Verhalten von Gesamtstoffwechsel und Eiweissumsatz ständiger Vagidurchschneidung). 10. 1% 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. C0O5- | O3- | Respi- N- [|Gesamt-| Yo der | Ka- Bil- | Ver- | ratori- | Urin- ! Gehalt| kalo- Ka- | lorien dung | brauch | scher menge im rien- | lorien |prolkg Bemerkungen im im Quo- Urin |[prod.in| aus Ei- |Körper- Vers. | Vers. | tient pro die| 24 St. | weiss | gewicht L. L. ] ccm g Cal. 0/0 Cal. 37,4 58,3 |11. März Brust- mark, 12. März Vagi durch- schnitten. 11. März erster Hungertag 31,23 | 42,41 | 0,736 | 120 | 3,279 | 218,6 26,90 | 36,4 0,739 | 140 | 4,079 | 222,0 25,13 | 33,8 | 0,743 | 110 | 3,30 | 220,0 venöse Injek- tion von 1a Öse einer 48- stündigen Kul- tur von Bac. suipestifer in 5 ccm physiol. steril. NaCl- Lösung 42,7 45,4 | Tier starb 7h 20’ früh, 5 Minuten nach Beendi- gung des Re- spirationsver- suchs. Sektion: unvollständige Durchschnei- dung der Vagi. 19,02 | 24,1 0,789 | 120 | 2,371 | 140,8 34,07 | 474 | 0,719 | 140 | 3,111 n 32,9 72,6. [10h 30’ intra- (21 St.) 30 H. Freund und E. Grafe: Anhang Tabelle IV: Versuchsreihe bei HF, (Beeinflussung Aussentemperaturen beim 1. 2. 9. 4. 5. 6. Ü. 8: 9. Durch- Durch- : ver], eo R V chs-!schnittliche| schnittliche au ae suchs.| hs | Datum Körper-j Y ersu Kae A R des | lations- tan Proc. gewicht] periode p ee ‚esp.-| grösse koll temperatur] temperatur V : ers. | (red.) f (min.-max.)| (min.—max.) Mai Nr. | Nr. 1914 g Dong! °C. St: L. 8. 1 Hass |: 9.-10.| 16 500 | Haupt- 37,8 27,0 19!/2. | 14 876 - ? periode |(36.9-38,2)] (25,6-27,8) 13 Mess. 13 Mess. 4. | Ba | 10.-11. ? do. 38.0 Anfangs 18° | 14452 (37,4-38,7) | 27° C., später 21 Mess. | mitsteigender Temperatur des Tieres allmähliches Herabgehen bis 22° C. 9. | Has | 11.-12 | 15 500 do. 38,0 Anfangs 14 | 13528 -14900 (37,5-38,8) zum 20 Mess. | Erwärmen des stark abgekühlten Tieres 25° C., nach 4 Stunden 225-230 C. 6. | Hass 1 12.-13.| 14 900 do. 40,0 In den ersten | 1834 | 19 306 -14780 (39,5-40,2)| 3 Stunden 26 Mess. | 28-29° C., später 27-28° C. 7. 1 Hasr | 13.-14. | 14 780 do. 40,4 In den ersten | 19 15 345 -14500 (39,9-40,8)]| 2 Stunden 21 Mess. |32° C., dann 27-28° C., in den letzten 3 Versuchs- stunden 26,3-26,7° C. Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 31 des Gaswechsels und des N-Umsatzes durch verschiedene poikilothermen Tier). 10. u 12. 13. 14. 15. 16. 17 18. CO, Sn > 3 as ve der Ra 4 . i ET= rTalorl- rin- @ h lt O- a- ro se brauch] scher menge E rien- |lorien | 1 kg Bemerkungen im | Quo- rod.inausEi-| Kör- Vers. 24 St. |P er- Vers. | tient 24 St. | weiss | PT gew, L. L. ccm g Cal. 0/0 Cal 114,84 | 154 | 0,746 440 11,32 | 872,3 | 30,5 | 52,9 |7. Mai erster (25'/2 St.) Hungertag, 11h vorm. Hals- mark durch- schnitten. Am 8.-9.Maill,33g N im Urin. 400 ccm Rin- ger per Schlundsonde 132,57 1 177 | 0,749 600 10,29 {1050,38 | 26,1 ] 65,7 |500ccemRinger (22'/2 St.) per Schlund- sonde 87,89 | 115 | 0,764 200 8,136] 931,5 | 21,8 | 61,3 |500cem Ringer (24/2 St.)]| « per Schlund- sonde 122,25 | 154 | 0,794 650 13,2 908,5 | 37,9 | 61,4 |1000ccmRinger (23 St.) per Schlund- sonde 105,35 | 136 | 0,775 450 6,905 | 806,2 | 21,4 | 55,1 [600 cem Ringer per Sonde. Tod am 14 Mai nachm, 5h 15’, 10 Stunden n. Beendigung des letzten Respira- tıonsversuches Anhang Tabelle Va: Verhalten der N-Ausscheidung bei FHz vor und nach B) 2 ad, H. Freund und E. Grafe: der Ausschaltung der Wärmeregulation. Durch- Durch- Ver- Kör- ne schnittliche| Stadium | x He Orin-| x ;n | suchs-| Datum | per- era Aussen- des Pe oe Bemerkungen | das gewicht (min.-max.) temperatur Versuchs | nahme ge 1; | N.| 1M4| & | oe. ‚L:2eVlalars Ver hen. ei 3. 1 21-22. | 14 800 38,5 Zimmer- Vor- Hunger, 870 | 3,586 | Anfangsgew. Mai temp. | periode I|500 ccm Was- 16000 g. (Hunger | ser per Sonde . Hungert seit vor Ope- 19. Mai 1914. ration) Respira- tionsversuch 4. 122.-23.| 14 000 38,6 22,0 do. do. 590 | 2,607 Mzi 3. 123.-24.| 13 oo0| 38,1 Zimmer- do. do. 560 | 3,241 Mai temp 6. 1 24.-25.| 13 | 38,4 do. | de. do. 540 | 3,149 Mai | 7. 1 25.-26.| 13 200 38,3 do. do. do. 570 | 2,878 Mai 8. 126.-27.| 12 900 38,1 do. do. do. 470! 2,831 Mai 9. 1 27.-28. | 12 740 38,6 20,6 do. do. 400 | 2,490 | Respirations- Mai versuch 10. | 28.-29.| 12 550 37,7 Keller- Vor- |100g Fleisch, | 890 | 3,995 Mai temp. |periode Il] 250g konden- (Auftütte-| sierte Milch, rung des |, 100 g Reis Tieresauf{mit 818 g N das alte |u. ca. 1'/a Li- Gewicht) | ter Wasser 11. | 29.-30.| 13 200 — do. do. do. 1400 | 4,560 Mai 12. | 30.-31.| 13 400 —_ do. do. do. 1450 | 4,445 Mai. 13. |31.Mai| 13 500 —_ do. do. do. 1290 | 4,079 -1. Juni 14. | 1.-2. | 13700 — do. do. do. 1310 | 4,412 Juni 15.| 2-3. | 1200| — do. do. do. 1370| 4,170 Juni 16. | 3.-4. | 14200 do. do. do. 1250 | 4,318 Juni 17. | 4.-5. | 14300 do. do. wie vorber, |1380 | 8,292 Juni jedoch 300 g Fleisch. Gesamt-N- | Einf. 17,14 8 Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 33 Fortsetzung von Anhang Tabelle Va. Durch- Durch- Ver- Kör- Beh nene nalen Stadium Nah- |Urin- en Datum | per- temder nn an des rungs- |men- 94 St Bemerkungen 25 un gewicht em 2 (min.-max.)| Versuchs | aufnahme | ge i un Nr. 1914 g 06% ur; g 18. 5.-6 6. I 14 soo| Keller- Vor- |wie vorher, | 19350 [11,33 temp. ıperiodell| jedoch (Auffütte- | 100 g Reis ; rung auf mehr, das alte Gewicht) | 18, 26 g 19. 1 6.-7. | 15400 do. do. do. 2150 110,27 a 7.-8. | 15 600 do. do. do. 2720| 9,786 21. | 8.-9. | 16 000 37,1 25,0 Haupt- Hunger | 410} 7,508 | Vormittags ei (36,9-37,5) | (24,2-25,2)| periode Halsmark- (Ausschal- durchschnei- tung. der dung am Wär me- sechsten regu- Segment lation) 22. | 9.-10.| 15 100 : 38,4 Anfangs do. Hunger, | 770| 6,811| Respirations - (37,8-38,9) 279 C, 500 bis versuch dapn Her- 700 ccm n abgehen Wasser bis 220 C. per Sonde 23. | 10.-11.| 14 700 38,4 21,8 do. do 710 | 9,024 do. N (38,0- 38 ‚6) 1(21,5- 22,0) 34. \11.-12.| 14 550 38,5 ca. 18,0 do, do 710 | 9,870 —_ (38,2-39,1) 25. |12.-13.| 14 200 38,3 18,0 do. do. 1030 | 9,180 | Respirations - (37,8-38,8) | (17,3-18,5) versuch 26. | 13.-14.| 13 700 Anfangs 17,5 do. do. 600 | 8,221 do. 330 C., dann (17,0-18,2) Temperatur- kollaps bis 35,6° C., die letzten 16 St. auf 33° C. 27. | 14.-15.| 13 150 38,7 23,3 do. do. 620 | 7,550 do. (38,2-39,1) |(23,2-24,3) 28. | 15.-16.| 12 950 | In den ersten 28,8 do. do. 650 | 6,053 do. 5 St. Anstieg | (28,0-29,1) bis 40° C., dann 39,3 C. 1 29. | 16.-17.| 12 650 37,9 21,5 do. do 350 | 3,857 do. (37,6-38,6) |(20,5-22,7) 30. [17.-18.| 12 250 38,5 25,3 do. do 570| 5,066 | Respirations - (37,8-39,2) versuch, am 18-19. Juni 4,960 & N., am 19. Juni vormittags Exitus letalis Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 3 H. Freund und E. Grafe: eo BEIETH 34 Anhang Tabelle Vb: Versuchsreihe bei HF, (Vergleich umsatz vor und nach $ 1. 72: 3. 4. 5. 6. %: 8. Se Durch- Durch- % * N Körper-| Versuchs- schnittliche schnittliche [wer $ suche [ch | Datum ; { Körper- Anssen- des tag pryt gewicht| periode temperatur temperatur Re: air :. Su (min.-max.) (min.-maz.) | er Fe x Nr. | Nr | 1914 at, | RER IR AR c. 0. St. x + Sr 3.1 Haso | 22.-23 | 14 000 Vor- 38,7-38,1 22,0 18'/a E Mai |-13600| periode I (21,5-22,5) RR R: (Hunger =: vor der \ R Operation) E 8. | Ha40 | 27.-28. | 12 750 do. 38,6-37,7 20, 6 19! +73 Mai |-12 550 (20, 2-20 ‚9) Phi 22. | Has | 9.-10.| 15 100 Haupt- 38,4 Anfangs27°C.,| 1712 Juni [-14700| periode (37,8-38,9) dann Herab- ER (Hunger 19 Messungen | gehen b.24°C,, pe x nach Hals- in den letzten 2 markdurch- 16 Stunden 2 schneidung) 3,9-22,0° % GR 23. | Hz, [| 10-11. | 14 700 do. 38,4 21,8 | 19% 3 Juni |-14 550 (38,0-38,6) 21,5-22,0) EL; 16 Messungen 2 25. | Haas | 12--13.] 14 200 do. 38,3 18,0 19 R Juni |-13 760 (37,8-38,8) (17,3-18,8) 5 5 Messungen 4 Messungen F 26. | Hays | 19--14. | 13 760 do. Zu Anfang 38° C., 17,5 Juni |-13 150 dannnach 4 Stun- | (17, -18,2) den leichter Tem- | 18 Messungen | peraturkollaps bis 35,6° C., dann Anstieg bis38° C., auf dieser Tem- “ peratur während d. letzten 19 St. 19 Messungen 27. | Haır | 14-15. | 13 150 do. 38,7 23,5 Juni |-12 950 (33.2-39,1) (23,2- 24, 3) 11 Messungen 28. | Haus | 15.-16.| 12 950 do. In den ersten 5 28,8 Juni |-12 650 Stunden Anstieg | (28,0-29,1) x bis 40° C., dann ; ca. 39,80 C. (39,5-40,4) 29. | Hass | 16.-17 | 12 650 do. 37.9 91, B) “Juni | -12 500 (37,6-38,6) (20, 5222 ,2) Sl 9 Messungen 30. 1 Haso | 17-18. | 12 250 do. IN, 25,3 eh Juai [-12 050 (37,8-39,2) (25,0- 95 ‚?) 11 Messungen | R Taf.I. Pflüger's Archiv f.d. ges. Physiologie. Bd.168. ._ .— ———— mer temperatur Calorien- Lelorienproduktion retten () Calorien- produktion pro die 2.Hungerperiaode (nach Ausschaltung der Wärmeregulation) Auffütterungsperiode 7 \ 7. Hungerperiode vor Operation) se — \ S 2 8 a S N -Einfuhr täglich N- Einfuhr N- Einfuhr Häglich ag kg Gewicht o tag Lith. Anst. v. F.Wirtz, Darmstadt bei Hund V. Juni 1914 Mai Verlag v.Martin Hager, Burn. ıon dukt ienpro ht, Temperatur, Eiweißzersetzung und Calori Orpergewic Darstellung des Verhaltens von K ässige Kurvenm ae NEL vormittags. Durchschneidung des Halsmarks nicht ganz voll- ständig Über die Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels usw. 35 zwischen Verhalten von Gesamtstoffwechsel und Eiweiss- Halsmarkdurchtrennung). 9: 10. ls 12= | 13.1 14. tor 16 Ku. 18. Venti- | CO | 05 [Respi- Nee re RR a lations- |Bildung| Ver- [ratorı-[Urin-(Gehalt| kal.- | Kal. | 1 ke u grösse si Ba? Se a in | Prod. | aus Kör- Bemerkungen (red.) | Vers. | Vers. | tient 24 St. |, 48 ; Eiw. Ve A. L. A. cem £ Cal 0/0 Cal. 14399 | 69,77 | 89 10,784 | 550 | 2,607 | 550,8 | 11,8] 40,0 | Seit 21. Mai Hun- ger. Täglich 500 cem Wasser .per Sonde 14 917 | 57,27 | 73 |0,783 |400 | 2,490 | 427,6 | 14,6 | 33,9 do. 14328 | 98,2 | 112 |0,804 | 770] 6,811 | 789,4 | 21,6 | 53,0}Am 8. Juni Hals- markdurchschnei- dung. Wasser wie vorher 14 987 | 113,58 | 145 | 0,783 | 710 | 9,024 | 830,3 | 27,1 | 56,9 13598 | 106,4 | 137 10,776 | 710 | 9,180° | 803,0 | 28,6 | 57,3 16675 [154,1 | 189,1 | 0,815 | 600 | 8,221 & 22,5 | 68,2 12919 | 83,3 | 113 [0,782 | 620 | 7,550 | 724,6 | 26,0 | 55,5 13202 | 67,3 88 10,765 1650| 6,053 | 560,9 | 27,0 | 43,8 10928 | 88,95 | 111 |0,794 |350| 4,461 1782,5 | 14,2] 62,1 5453 24,21 | 32 10,756 | 570] 4,461 E 28,6] 32,0| Starb am 19. Juni 3*# 36 Goldscheider: Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Goldscheider. (Mit 6 Textfiguren.) Im Anschluss an meine Mitteilungen über Irradiation und Hyperästhesie !) beschreibe ich im folgenden eine Reihe von Er- scheinungen aus dem Gebiete der Sinnesphysiologie der Haut, welche bisher nicht bemerkt bzw. beachtet worden sind und zu den in meiner zitierten Arbeit behandelten Phänomenen in enger Beziehung stehen. Über die einzelnen Phasen der taktilen Empfindnng. Wenn man eine an einem Nadelhalter fixierte feine Nadel oder gespitzte Borste vorsichtig senkrecht gegen die Hautoberfläche führt, bis Berührung eintritt, so nimmt man je nach dem berührten Punkt entweder eine matte Berührungsempfindung oder eine viel deutlichere „Körnige“, vibrierende („schwirrende* v. Frey) Druckempfindung (Druckpunkte) oder eine feine, stechende Schmerzempfindung (Schmerz- punkte) wahr. Endlich kommt es vor, dass bei sehr leiser Be- rührung nachgiebiger Hautstellen überhaupt keine Empfindung er- folgt, diese vielmehr erst bei einer gewissen, immerhin nach leichten Drucksteigerung als dumpfe Berührungsempfindung eintritt. Den senannten Sinneseindrücken, besonders an den Druck- und Schmerz- punkten, kann Kitzel beigesellt sein. Man bemerkt nun sehr gewöhnlich, dass die durch die Berührung erzeugte Empfindung sehr schnell, noch während jene andauert, eine Zunahme erfährt oder ihren Charakter verändert. An die matte Berührungsempfindung schliesst sich ein feines Stechen oder Drücken 1) Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 165. 1916. en er nn en -— Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 37 an, die körnige Empfindung wächst sich zu einer härteren, oft scharfen aus, das feine Stechen wird durchdringender, oft kräftiger. Sehr viel deutlicher tritt dies hervor, wenn man eine ganz kurz dauernde Berührung bzw. einen sehr leichten, kurzen Stoss gegen die Haut ausführt. Was vorher als Umwandlung der Empfindung erschien, tritt uns jetzt als eiue neue, von der ersten meist durch ein empfindungsloses Intervall gesonderte Empfindung entgegen, wenn dieses fehlt, so hebt sich doch die zweite Empfindung deutlich von der ersten verklingenden ab. Sie ist von verschiedener Qualität: schmerzhaft stechend, drückend, prickelnd, spannend, hauchartig, von Kitzel begleitet, scharf, quetschend, schneidend usw. Es ist dieser „zweiten Phase“ der Empfindung eigen, dass sie im Vergleich zur ersten von grösserer Intensität, längerer Dauer, oft langsam ver- klingend und weniger scharf lokalisiert, mehr ausgebreitet oder von innen her kommend erscheint. Eigenartige Ergebnisse zeitigt die punktförmige taktile Reizung, wenn man die Nadel oder gespitzte Borste nicht senkrecht, sondern möglichst flach, einen äusserst spitzen Winkel mit der Hautoberfläche bildend, gegen diese führt, gleichsam als wolle man nur die Epidermis streifen. Man muss da- bei das Abeleiten der Spitze vermeiden. Zweckmässig ist es, die zahllosen feinen Furchen der Haut als Ausgangspunkt zu benutzen und quer gegen dieselben die Haut zu treffen. Auch kann man die Hautoberfläche mittels eines dünnen Firnissüberzuges (z. B. durch Benetzen mit Schnurrbartwasser) leicht klebrig machen. Zunächst fällt bei diesem Vorgehen auf, dass viel häufiger als bei senkrechter Nadelführung eine feine, stechende Schmerzempfindung auftritt. Während man bei senkrechter Führung auf sogenannte Schmerz- punkte nicht allzu häufig stösst, hat man bei flacher Reizung den Eindruck, als ob die oberflächliche Schicht der Haut ausschliess- lich mit „Schmerznerven“ versehen sei. Ferner macht man bei dieser Art der Reizung die Beobachtung, dass der feine, stechende Schmerz häufig erst als zweite Empfindung auftritt. Dies wird man um so deutlicher wahrnehmen, je mehr man sich bemüht, die Berührung vorsichtig und sanft auszuführen. Auch bemerkt man mit zunehmender Übung immer sicherer, dass primär eine sehr schwache Berührungsempfindung auftritt. Nach meinen Wahrnehmungen ist dies nahezu regelmässig der Fall. Dass bei senkrechter Nadelführung der feine Schmerz seltener gefunden und die ihm vorangehende Berührungsempfindung oft ver- 38 Goldscheider: misst wird, liegt daran, dass die Haut ausweicht, indem sie sich trichterförmig einsenkt, während gegen die der Hautoberfläche nahezu parallel gerichtete Deformation der Widerstand des Gewebes viel bedeutender ist. Durch künstliche Spannung der Haut kann dem- gemäss die Prägnanz der Erscheinung noch verstärkt werden. Dies gilt auch für die senkrechte Nadelführung. Sobald man, etwa durch Veränderung der Gelenkstellungen, die Haut in einen grösseren Spannungszustand versetzt, wird der feine, stechende Schmerz als zweite Empfindung häufiger und das Fehlen einer primären Be- rührungsempfindung viel. seltener konstatiert. Auch dort, wo vorher nur eine matte, dumpfe Berührungsempfindung zustande kam, wird dieselbe bei gleichartiger Reizung jetzt deutlicher, punktförmig um- schrieben, spitz und zuweilen geradezu scharf). Die Deformation der Hautoberfläche, welche hinreicht, um eine merkliche Empfindung zu erzeugen, ist bei flacher Nadelführung, wie ich mich mittels der Lupe überzeugte, äusserst gering und viel un- bedeutender als bei senkrechter Nadelführung. Zuweilen kommt die Erscheinung besser zum Ausdruck, wenn man die Nadel oder Borste langsam gegen die Oberhaut drückt, zu- weilen wenn man einen äusserst leichten Stoss ausführt. Die primäre Berührungsempfindung kann bei letzterem Verfahren hier und da deutlicher werden, wo sie bei ersterem zu fehlen scheint. Dass sowohl die Berührungs- wie die Schmerzempfindung durch die flache Nadelführung gesteigert werden, konnte ich durch vergleichende Reizung bezeichneter Hautpunkte über jeden Zweifel sicherstellen. Auch verglich ich verschiedene mehr oder weniger spitze Winkel- stellungen der Nadel und fand, dass die der Hautfläche nahezu parallele Haltung allen anderen überlegen ist. Es wurde zu diesem Zweck mittels der Nadel eine flache Epidermisrinne ausgehoben; die Reizung geschah, wie meist bei diesen Untersuchungen, unter Beob- achtung mittels einer starken Konvexbrille. Bei schrägem Aufsetzen der Nadel ist die Empfindung stärker, aber mehr druckartig, breiter, von breiterem Schmerz gefolgt, während der feine, stechende, ober- flächliche Schmerz zurücktritt. Nicht alle Punkte der Haut reagieren auf die schwache und flache Reizung mit feinem Schmerz. Die verschiedenen Hautregionen 1) Die Schwellenwerte sind dabei für gespannte Haut höher, wie v. Frey nachgewiesen hat. Sat Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 39 E | differieren in der Häufigkeit der schmerzempfindenden Punkte. Letz- tere sind als konstant anzusehen; wo der feine oberflächliche Schmerz zustande kommt, da ist er jedesmal wieder nachzuweisen, wenn nicht durch die Reizung oder andere Umstände eine Ab- schwächung der Empfindlichkeit eingetreten ist (s. unten). Dort, wo der feine, stechende Schmerz vermisst wird, verspürt man, nachdem eine primäre Berührungsempfindung vorangegangen ist oder auch gefehlt hat, als zweite Phase der Empfindung eine schmerzlose, hauchartige, spannende, drückende oder prickelnde, je nachdem breitere oder spitzere Empfindung. Sowohl die schmerzliche wie die unterschmerzliche zweite Phase wird im Verhältnis zur primären Berührungsempfindung mehr als von innen her auftauchend oder nach innen durchzuckend, aber doch nahe der Oberfläche, nicht der Tiefe angehörend, und zugleich über den Reizpunkt verbreitet, wahr- genommen. Es kommen allerlei Übergänge und Abstufungen des Schmerzes vor, vom schwächsten Angedeutetsein bis zur scharfen Ausprägung als stechend-schneidender, ausstrahlender Schmerz. Was die Qualität des Schmerzes betrifft, so findet er sich als feines Stechen, welches aber nickt auf einen Punkt beschränkt ist, sondern lang ausstrahlt, oder als eine breitere schneidend-stechende, durch- zuckende Empfindung. Auch hier fehlt es nicht an Übergängen und Abstufungen: haarscharfes, feinstes Stechen bis zum neuralgiformen durehzuckenden Schmerz; leiseste hauchartige, breite, wehe Emp- findung bis zum breiten, schneidenden Wundgefühl. Mit der Intensi- tät wächst die Verbreitung. Wenn es auch Punkte gibt, an welchen selbst die schwächste Reizung stets einen zweitphasischen Schmerz erzeugt, so zeigt sich doch im übrigen, dass derselbe von der Stärke der Reizung abhängt. Man kann dureh Anwendung feinerer Borsten (Reiz- haare) und sorgfältige Abstufung der Berührung nachweisen, dass die zweitphasische, unterschmerzliche Empfindung auch an Punkten erzielt werden kann, welche sonst schmerzhaft reagierten, und dass anderer- seits an Punkten, welche bei der gewöhnlich angewendeten Reizung unterschmerzlich sind, durch leichte Steigerung der Reizung doch eine Schmerzreaktion herbeigeführt werden kann. | Bei weiterer Verstärkung des Reizes kann dann auch die erste Empfindung schmerzhaft werden, so zwar, dass die zweite ihr an Intensität noch überlegen. ist. L_ . Bei noch weiterer Steigerung des Reizes wird eine Umkehrung 40 Goldscheider: des bisherigen Verhältnisses erzielt: Die unmittelbare (erste) Emp- findung fällt jetzt schmerzhafter aus als die zweite (mittelbare), und schliesslich kann letztere so zurücktreten, dass sie unterschmerzlich wird, so dass der primäre Schmerz von einem Prickeln oder einer drückenden oder spannenden Empfindung gefolgt wird. Man kann an geeigneten Hautstellen diese Übergänge ganz präzis verfolgen. Manche Hautpunkte lassen auch bei den schwächsten, flachen Reizungen primär feinen Schmerz auftreten, welcher von einer prickelnden, spannenden oder hauchartigen, zweitphasischen (mittel- baren) Empfindung gefolet ist. Gewisse Körpergegenden zeichnen sich durch einen scheinbaren Reichtum an solchen äusserst empfindlichen Punkten aus, so dass man zweifelhaft werden könnte, ob dem Phänomen der zweitphasischen Schmerzempfindung wirklich eine allgemeine Gültigkeit zukommt. Wenn man jedoch die Reize durch Auswahl feiner, mit einem scharfen Messer abgeschrägter Borsten!) zweckmässig so bemisst, dass sie wirkliche Schwellenreize für die Berührungs- empfindung darstellen, so kann man auch an den empfindlichsten Gegenden der Haut die zweitphasische Schmerzempfin- dung deutlich nachweisen. Am schwierigsten sind die Verhältnisse im Gesicht, speziell an der Unterlippen-Kinngegend und der Nasolabial- furche. Aber auch hier tritt meist primär eine Berührungsempfindung auf, welehe sehr schnell von einer feinen Schmerzempfindung gefolgt wird. Man muss die Berührung ganz momentan ausführen, da sonst eine Verschmelzung der erst- und zweitphasischen Empfindung ein- tritt, welche die Beurteilung erschwert. Die Konstatierung des wahren Verhältnisses im Gesicht ist sehr schwierig und gelingt nur bei reichlicher Übung und gespanntester Aufmerksamkeit. Während an der oberen Extremität die zweite Phase der Empfindung der ersten etwa ’/s Sekunde, am Fuss und Unterschenkel etwa 1 Se- kunde nachfolet, ist das Zeitintervall beim Gesicht äusserst kurz, etwa !/;s Sekunde?). Auch dann, wenn die erste und zweite Emp- findung miteinander verschmelzen, vermag man doch das Anwachsen der Berührungsempfindung zum Schmerz zu erkennen. Besonders schön tritt die Erscheinung der unmittelbaren Be- rührungsempfindung und zweitphasischen Schmerzempfindung bei 1) Geeichte v. Frey’sche Reizhaare, welche für diese Untersuchung sehr zweckdienlich sein würden, standen mir nicht zur Verfügung. 2) Genauere Zeitmessungen auszuführen, war ich bisher nicht in der Lage. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 41 flacher Reizung an der Hand und dem Handgelenk hervor. Auch am Arm, dem Unterschenkel, Fussrücken, inneren Fussrand ist sie ohne weiteres deutlich. An der Fusssohle können zunächst Schwierig- keiten entstehen, aber bei sorgfältiger Prüfung gelangt man auch hier zu sicherem Ergebnis; die zweitphasische Empfindung tritt als stechender Schmerz oder Priekeln, leicht verbreitet und ein wenig in der Tiefe gefühlt, in Erscheinung. Am Oberschenkel ist die zweitphasische Empfindung hauchartig schmerzlich und sehr undeutlich begrenzt, was ihre Erkennung zu- nächst schwierig macht. Am Rumpf erscheint sie als eine diffuse, hauchartige oder drückend-spannend-schmerzliche, schwer erkennbare Empfindung. An den Fingerbeeren ist die feine, stechende Schmerz- empfindung nur selten — immerhin an einer Anzahl von Punkten — zu konstatieren; die zweitphasische Empfindung tritt vielmehr hier besonders als feines, oberflächliches Prickeln auf. Die Finger auf- wärtszehend findet man dann den feinen Schmerz mit zunehmender Häufiskeit. Hat man eine umschriebene Hautstelle eine gewisse Zeit hin- durch der Untersuchung unterworfen, so wird die feine Schmerz- empfindung undeutlicher und kann ganz verschwinden, bis man sie nach einer kurzen Ruhepause wiederhergestellt findet. Auch Reiben der Haut macht zeitweilig den feinen „Flachschmerz“ verschwinden. Diese Beeinträchtigungen beruhen auf einer Herabsetzung der Er- regbarkeit. Auch die Berührungsempfindung ist herabgesetzt, die Kitzelempfindung aufgehoben. Bei senkrechter Nadelführung verhält sich die zweite Phase der Empfindung ganz Ähnlich, nur dass die feine, oberflächliche Schmerz- empfindung nicht so rein und häufig und die primäre Berührungs- empfindung nicht so deutlich hervortritt. Auch stumpfe und flächen- hafte, kurzdauernde Berührungen, zum Beispiel leichte oder derbere Schläge mit dem Perkussionshammer, hinterlassen mit voller Deutlich- keit eine zweite Empfindung, sowie die weiteren, unten zu be- schreibenden Fortgänge der taktilen Empfindung. Das besondere Interesse, welches der flachen Reizung zukommt, besteht in folgendem: wir erkennen durch dieselbe, dass eine sehr oberflächlich gelegene, schmerzempfindliche Nervenschicht existiert — dass dieser eine besondere Qualität der Schmerzempfindung, näm- lieh der feine „Flachschmerz“ zukommt —, endlich, dass der Schmerz im allgemeinen als zweite Phase einer primären Berührungs- 42 Goldscheider: . empfindung auftritt, eine Beobachtung, welche auf das Wesen des Schmerzes überhaupt und auf die Frage der spezifischen Schmerz- nerven Licht wirft (s. unten). Irradiation. Es wurde bereits erwähnt, dass die zweitphasische Empfindung über den Reizpunkt hinaus verbreitet wahrgenommen wird. Dies gilt für die schmerzhafte wie die unterschmerzliche. Die Irradiation findet sich sowohl bei der flachen als auch bei der senkrechten punktförmigen, sowie endlich bei der stumpfen, flächenhaften Reizung. Sie bevorzugt die proximale Richtung des betreffenden Innervations- bezirkes. An den Extremitäten strahlt die Empfindung in der Rich- tung auf den Rumpf zu aus; an der Hand und dem Unterarm ist ausserdem eine auffällige Ausstrahlung nach der Mittellinie (Axial- linie) hin zu bemerken, so dass dieselbe in der ulnaren Hälfte radial- wärts, in der radialen Hälfte ulnarwärts sich erstreckt. Von der Axiallinie selbst kann man Ausstrahlungen nach beiden Seiten er- halten. Am Unterarm und Unterschenkel kann die subjektiv ge- fühlte Ausstrahlung in proximaler Richtung eine recht ansehnliche Strecke betragen. An der vorderen Fläche des Rumpfes geschieht. die Irradiation lateralwärts, am Rücken und in der Lendengegend medialwärts. Auch im Gesicht ist die proximale Verbreitung deutllich. - Das Erkennen der Richtung und Ausdehnung der Irradiation ist an Körpergegendeun mit gutem Ortssinn der Haut begreiflicher- weise am schärfsten. An solchen kann man feststellen, dass auch eine distale Ausstrahlung häufig angedeutet ist, aber gegenüber der proxi- malen zurücktritt. Ich habe in meiner schon zitierten Arbeit nach- gewiesen, dass die durch eine schmerzhafte Klemme hervorgerufene Hyperalgesie sich nach Spinalgebieten verbreitet. Auch die zweite Phase der taktilen Empfindung strahlt in das Spinal- gebiet hinein und zeigt wie die Klemm - Hyperalgesie eine vor- zugsweise proximale Verbreitung. Hand, Seitenflächen der Finger, Beugefläche des Unterarmes, Fuss, Unterschenkel lassen die Irradia- tion bei schwächsten wie bei stärkeren Reizen sehr deutlich erkennen, sei es, dass die zweite Empfindung als fein oder grob stechende, ‚oder als hauchartige, spannende, drückende auftritt. Im Gesicht muss man sich einer feinen Borste oder auch eines zu einer mittel- feinen Spitze ausgezogenen Watteröllchens bedienen. Die Irradiation geschieht hier so schnell , dass sich fast sofort nach der Berührung Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 43 um den gereizten Punkt ein Hof von hauchartiger, oft kitzelnder Empfindung ausbreitet, welcher gewisse, und zwar proximale, Rich- tungen bevorzust. Die Berührung muss ganz flüchtig erfolgen. Die Irradiation kann nach ihrem ersten Auftreten noch weiter zunehmen (s. unten). Die zweite Phase der Empfindung und die Irradiation derselben ist im allgemeinen von jedem Punkt der Haut aus zu erhalten, hier mehr, dort weniger ausgeprägt. Es macht auch nichts aus, ob man einen Druckpunkt oder druckpunktfreie Haut reizt, nur dass im ersteren Falle die zweite Empfindung und ihre Ausstrahlung härter und drückender erscheint). Die am Reizpunkt auftretende kommt mit der von hier aus- strahlenden zweiten Empfindung zu gleicher Zeit zur Entwicklung. Beide Bestandteile der zweitphasischen Empfindung, die örtliche und die irradiierende, nehmen einen an- und abschwellenden Verlauf. Dabei erreicht die örtliche Empfindung im allgemeinen eine grössere In- tensität als die ausstrahlende. Im Ausstrahlungsbezirk fällt die In- tensität der Empfindung vom Reizpunkt gegen die Grenzen des Be- zirkes hin ab. Durch diese Verteilung der Intensitäten kommt der Eindruck zustande, als ob sich die Empfindung von der Entfernung her zum Reizpunkte hin zusammenziehe oder auch von letzterem her sich in die Entfernung ausbreite. Eine solche zeitliche Folge ist aber tatsächlich nicht festzustellen. Ob die Ordinatenwerte der Empfindungsintensitäten im Irra- diationsbezirk der Entfernung proportional gleichmässig abfallen, steht dahin. Sicherlich ist dies unter gewissen Umständen nicht der Fall, nämlich wenn innerhalb desselben besonders erregbare Punkte oder Strecken vorhanden sind (s. unten), zum Beispiel durch wunde Stellen oder frühere Reizungen bedinst (vgl. Fig. 1). Das Zeitintervall, nach welchem die zweite Phase auftritt (s. oben), ist von der Intensität des Reizes und der primären Emp- findung, sowie von der Richtung der Nadelführung unabhängig. 1) Wenn man denselben Punkt wiederholt in kurzen zeitlichen Abständen taktil reizt, so verringert sich die Irradiation und verschwindet dann, um nach kurzer Ruhepause wieder aufzutreten; das gleiche gilt für die engste Umgebung des Punktes, während in der Entfernung einiger Millimeter die Irradiation der zweiten Phase erhalten bleibt. Man kann dies verschieden deuten. Ich begnüge mich vorläufig damit, die Erscheinung zu registrieren. @ 44 Goldscheider: Die Dauer der zweiten Phase beträgt etwas weniger als Y/a Se- “ kunde, so dass, vom Moment des Reizes an gerechnet, die zweite Empfindung an der oberen Extremität etwa nach ®/a—*/s Sekunde beendigt ist. Es macht für die Art und Verbreitung der Ausstrahlung der zweiten Phase nichts aus, ob man die Nadel in proximaler, distaler oder seitlicher Riehtung gegen die Hautoberfläche führt. Dagegen ist für die optimale Ausprägung der zweiten Phase (und auch der folgenden) eine gewisse, wenn auch immerhin kurze Dauer der Berührung erforderlich. Äusserst kurze, taktile Reizungen lassen das Phänomen weniger deutlich bzw. überhaupt nicht er- kennen. Dehnt man die Dauer des Kontaktes andererseits über eine gewisse Grenze hinaus c aus, so fliesst die zweite Phase mit der primären Empfindung zusammen, und man nimmt nur eine Anschwellung der Emp- a d ZA findungsintensität wahr. Fig. 1. a Reizpunkt, ab proximaler Irradiations- Diese Beziehungen, deren bezirk, ac Empfindungsintensität im Reizpunkt, zeitlicheMaasse nochnäher d Punkt mit gesteigerter Erregbarkeit, de Emp- : findungsintensität im Punkt d. zu erforschensind, sprechen für Summation (s. unten). Bei aufmerksamer Beobachtung nimmt man häufig nach dem Abklingen der zweiten Phase eine neue Anschwellung der taktilen Empfindung wahr. Diese dritte Phase stellt sich als eine schwächere Wiederholung der zweiten dar. Sie besteht, wie diese, aus einem örtlichen Anteil am Reizpunkt und einer gleichzeitig ein- setzenden Ausstrahlung. Letztere ist an manchen Hautstellen sehr deutlich, an anderen undeutlich oder fehlend. Sie nimmt die gleiche Richtung wie die zweite Phase und erweckt nicht selten den Ein- druck einer ihr nachlaufenden schwächeren Welle, welche meist nicht die gleiche Ausbreitung wie jene gewinnt; ausnahmsweise kann sie aber auch weiter als diese ausstrahlen. Im Reizpunkt pflegt die dritte Empfindungsphase sich deutlicher auszuprägen als im Irradia- tionsbereich. Die Intensität des dritten Empfindungsgipfels ist stets geringer als des zweiten und erreicht selten die Schmerzschwelle. Wenn bei flacher Nadelführung die zweite Phase schmerzhaft war, so tritt die Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 45 dritte als hauchartige oder als leichtdrückende Empfindung auf; ist sie schmerzhaft, so bleibt sie doch unter der Schmerzhöhe der zweiten Phase. Nur im. Gesicht kommt es vor, dass sich die dritte Phase zu einer stechenden Empfindung steigert. Die dritte Phase ist um so deutlicher, je stärker die zweite sich bemerkbar machte, und zeigt daher die gleichen regionären Ver- schiedenheiten wie diese. Am leichtesten ist sie nach den Enden der Extremitäten hin erkennbar, mit Ausnahme der Fingerbeeren und Zehenspitzen; an den Fingerbeeren ist freilich der dritte Emp- findungsgipfel am Reizpunkt sehr deutlich, aber. die Irradiation fehlt meist oder ist minimal. Bei den bekleideten Körperteilen ist auf Adaptierung nach der Entblössung zu achten, da die Abkühlung zu- nächst einen stark herabsetzenden Einfluss auf die in Rede stehenden Phänomene ausübt). An der Brust vermochte ich eine dritte Phase nicht wahrzunehmen, am Bauch selten und undeutlich, Auch die dritte Phase nimmt einen an- und abschwellenden, wellenartigen Verlauf; die Steilheit wechselt wie bei der zweiten mit der Intensität der Empficdung. Sie kann von der zweiten Phase durch ein empfindungsloses Intervall getrennt sein, aber auch ohne Unterbrechung aus derselben hervorgehen. Die Zeitfrist, welche zwischen dem Einsetzen .der zweiten "und der dritten Welle gelesen ist, beträgt ungefähr 1 Sekunde. Das Ende der dritten Phase zu bestimmen, kann sehr schwierig sein, weil sich gewöhnlich an sie de Nachempfindung an- schliesst. Aber bei grosser Aufmerksamkeit und Übung und sorg- fältiger Reizdosierung gelinet es doch, zahlreiche reine Beobach- tungen auszuführen, bei welchen das Abklingen der dritten Welle vor dem Einsetzen der Nachempfindung wahrgenommen wird. Ich fand (an der Hohlhand und der Volarfläche des Handgeleuks) das Ende der dritten Phase 2 Sekunden oder etwas weniger nach dem Reiz. Wenn man seine Aufmerksamkeit auf den gereizten Punkt be- schränkt, so nimmt man als Ausdruck der zweiten und dritten Phase ein zweimaliges Anschwellen der ersten punktförmigen Empfindung wahr; bei Anwendung einer feinen Borste erscheinen die drei Emp- findungen durch äusserst kurze, empfindungsleere Intervalle von- 1) Kälte im Untersuchungsraum beeinträchtigt auch an den unbekleidet ge- tragenen Körperteilen die Ergebnisse bedeutend. 46 - Goldscheider: einander getrennt. Man könnte geneigt sein, diese wellenförmigen Schwankungen der Empfindung für bedeutungslose Oszillationen oder als Ausdruck von Ermüdungsvorgängen oder Aufmerksamkeits- schwankungen anzusehen. Sobald man aber die Aufmerksamkeit dem Irradiationsgebiet zuwendet, so erkennt man, dass jeder Emp- findungswelle des Reizpunktes eine irradiierte Welle entspricht, welche kommt und geht, wie ich es oben beschrieben habe. Dies beweist, dass es sich um zentrale Vorgänge handelt (s. unten). Gelegentlich ist noch eine schwache vierte Phase zu kon- statieren. Meist aber setzt nach der dritten Phase die Nach- empfindung ein!). Sie ist von dieser gewöhnlich nicht durch ein empfindungsleeres Intervall, sondern nur durch eine Einsenkung der Welle getrennt und verläuft im allgemeinen zunächst leicht an- schwellend, dann gleiehförmig und schliesslich wieder abnehmend durch verschieden lange Zeiträume, oft minutenlang. Sie kann vor- übergehend eine Intensität erlangen, welche diejenige der dritten Phase übertrifft und gelegentlich nahezu die der zweiten Phase er- reicht. Während die Gipfel der zweiten und dritten Phase steil, die Maxima von sehr kurzer Dauer sind, kann sich das Empfindungs- maximum der Nachempfindung über einen längeren Zeitraum hinziehen. Auch können während der Dauer der Nachempfindung vereinzelte kurze Steigerungen der Empfindung, wie Stechen oder Prickeln, auftreten; auch Kitzel oder Jucken kann sich ihr bei- gesellen (örtlich oder flächenhaft ausstrahlend). Auch die Nach- empfindung irradiiert, bald mehr, bald weniger deutlich. Die Irra- diationswelle entwickelt sich oft schleppend, an Ausdehnung und Empfindungsintensität Jangsam zunehmend, zuweilen über das Gebiet der vorangegangenen Phasen hinausschreitend. Die Irradiation der Nachempfindung kann so in Erscheinung treten, dass die Aus- strahlungsempfindung der dritten Phase sich gleichsam verdichtet und festsetzt, eine kompaktere Form annimmt und langsam weiter- kriecht; eine hauchartice kann so zu einer spannenden Empfindung werden. Was die Qualität betrifft, so erscheint die örtliche Nach- empfindung am Reizpunkt, je nach der Intensität und Art des an- 1) Man könnte darüber streiten, ob es nicht richtiger wäre, die Nach- empfindung schon mit der zweiten Phase beginnen zu lassen und von ver- schiedenen Phasen der Nachempfindung zu sprechen. Jedoch kennzeichnet sich die von mir als Nachempfindung bezeichnete Phase durch ihre Kontinuität. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 47 gewendeten Reizes, als feines oder gröberes Stechen, feines oder gröberes Prickeln, Drücken; die ausstrahlende Empfindung als zarte, hauchartige oder spannende oder drückende, schwellungsartige, flächenhafte oder schneidend-stechende, wunde Empfindung. Überall kann sich Kitzel oder Jucken beigesellen. Die örtliche Empfindung (am Reizpunkt) überdauert die ausstrahlende. Die Nachempfindung kann einzelne wellenartige zarte An- und Abschwellungen erkennen lassen; eine solche Welle kann sich gelegentlich dadurch zu erkennen geben, dass eine scheinbar bereits erloschene Nachempfindung von neuem äusserst schwach wieder auftaucht. So kann, wie bereits er- wähnt, auch ein bereits verschwundenes Stechen ganz kurz wieder auftreten. Bei minimalen Reizen kommt es vor, dass die Irradiation bei der Nachempfindung viel deutlicher wird als bei der zweiten und dritten Phase. Wie bei der zweiten und dritten Phase ist auch bei der Nach- empfindung der Irradiationsbezirk um so grösser, je intensiver der Reiz war; jedoch entwickelt sich zum Unterschied gegen jene die ausstrahlende Empfindung hier mehr allmählich, indem sie an Inten- sität und Ausbreitung zunimmt. War der Reiz schwach, so pflegt die Nachempfiudung zunächst als feines Prickeln am Reizpunkt auf- zutreten und rückt die irradiierende Empfindung von hier aus den abgelaufenen Wellen der zweiten und dritten Phase langsam nach, um dann wieder nach dem noch prickelnden Reizpunkt hin einzu- schmeizen. Bei stärkerem Reiz schnellt die Ausstrahlung der Nach- empfindung akuter hinaus. War der Reiz stark und schmerzhaft, so hält die stechende Nachempfindung eine Zeitlang am Reizpunkt an, ehe die Irradiation merkbar wird, und kündigt sich diese zu- nächst in einer vom Reizpunkt entfernt gelegenen Spannungs- oder Schwellungsempfindung oder Prickeln an, welches nach diesem hin- zuwandern scheint, um schliesslich zu verschwinden, während die punktförmige Empfindung noch andauert. Stets wird die proxi- male Richtung bei dem Wandern der Irradiation bevorzugt. Eine sehr auffällige Erscheinung der Nachempfindung bilden gewisse oszillatorische rhythmische Schwankungen der Empfindungsstärke, welche mit dem Puls isochron sind. Sie können sofort mit dem Beginn der Nachempfindung, in anderen Fällen erst nach kurzer Dauer derselben, sich eiustellen. Mit dem Abklingen der Nachempfindung werden sie schwächer und 48 Goldscheider: undeutlich und pflegen früher als diese selbst zu verschwinden. Gelegentlich tritt noch eine zweite Reihe von Oszillationen auf, welche zwischen je zwei Pulse fallen und der Diastole entsprechen, Diese pulsatorischen Empfindungsschwaukungen können dureh künst- liche Spannung der Haut verstärkt werden. Die Spannung der Haut wirkt überhaupt verstärkend nicht bloss auf die erste Emp- findung (s. unten), sondern auch auf die Nachempfindung, selbst dann, wenn sie erst während derselben vorgenommen wird; jedoch darf sie ein gewisses Maass nicht übersteizen, da sonst das Gegenteil, nämlich Hemmung (durch die bei der Straffung ausgelösten Spannungs- reize) erzeugt werden kann!). Man nimmt den Versuch am besten in folgender Form vor: Im Handteller wird bei bequemer Handhaltung (Hand und Finger leicht gebeugt) mittels einer Borste eine leichte Druck- empfindung ausgelöst, welehe von einer verklingenden Nachempfindung gefolgt wird. Sobald dieselbe nicht mehr deutlich merklich ist, wird die Haut der Hohlhand durch energische Fingerstreckung gestrafft. Alsbald bemerkt man, wie die Empfindung von neuem auftritt und gewöhnlich pulsierende Schwankungen zeigt?). Durch Erhebung des Armes zur Vertikalen können die letzteren noch wesentlich deutlicher gemacht werden. Der systolische Empfindungsgipfel ist etwas stärker als der diastolische. Wenn die Oszillationen unrezelmässig erscheinen, so beruht dies gewöhnlich darauf, dass die diastolische Schwankung in der Empfindung ab und zu ausfällt. Es ist bekannt, dass man in den gestreckten Fingern der vertikal erhobenen Hand nicht selten pulsierende Spannungsempfindungen fühlt. Diesem Phänomen schliesst sich die pulsierende Nachempfindung an. Man kann die Volum- pulsationen des Fingers für die Empfindung in sehr einfacher Form kenntlich machen: eine Gefässklemme®) mit grosser Amplitude und 1) Der mit dem Puls isochrone Zuwachs der Nachempfindung ist durch die herzsystolische Zunahme des Gewebsdrucks bedingt. Die Spannung (der Haut wirkt entspannend auf die kleinen Arterienwände und bedingt eine Ver- grösserung der Oszillationen derselben. Der diastolische Empfindungsgipfel beruht auf dem Nachlass des Gewebsdrucks, da auch die Entlastung erregend auf die sensiblen Nerven wirkt. Die Erhebung der Hand wirkt durch Ver- minderung des mittleren arteriellen Ianendrucks bei nahezu gleichbieibendem Aussendruck. 2) Die Erscheinung ist an Druckpunkten besonders deutlich, aber auch an druckpunktfreier Haut nachzuweisen. 3) Vgl. meine zitierte Arbeit. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 4% geringem Federdruck wird quer gegen den Finger an die Finger- kuppe, dieselbe von den Seiten umfassend, angelegt und die Hand bei gleichzeitiger Fingerstreckung emporgehoben; man bemerkt eine systolische und diastolische Druckempfindung, erstere stärker als letztere. Es bedarf jedoch, um die pulsierende, namentlich die systo- lische Nachempfindungsschwankung wahrzunehmen, keineswegs der Straffung der Haut; vielmehr gelingt dies, besonders wenn die Empfindlichkeit der Haut noch nicht durch Prüfungen herabgesetzt ist, oft genug ohne weiteres und auch an anderen Körperteilen als der Hand. Das Zusammenfallen der oszillatorischen Empfindungserhebung mit der Systole bzw. Diastole!) stellte ich an mir selbst durch Auskultation meiner Herztöne mittels eines Phonendoskops_ fest. Bezüglich des systolischen Empfindungsgipfels genügt die Palpation der Radialis und noch besser der Carotis, da die Betastung in der Nähe der Hand die Beobachtung der an der Hand und am Arm ablaufenden Empfindungsvorgänge stört. Es liegt nun die Frage nahe, ob die zweite und dritte Phase der Empfindung etwa gleichfalls vom Pulse abhänet. Dies ist nicht der Fall. Die Beobachtung dieser Vorgänge bei gleichzeitiger Seibstauskultation meiner Herztöne zeiste mir, dass dieselben von der Herztätiekeit eänzlich unabhängig sind. Auch das gelegentliche Vorkommen einer vierten vom Pulse unabhängigen Phase vermochte. ich zu beobachten. Ferner konnte ich feststellen, dass die anschwellende Erhebung der Nachempfindung gleichfalls mit dem Pulse nichts zu tun hat. Erst während der bereits entwickelten Nach- empfindung treten die pulsatorischen Empfindungselevationen auf. Eine Bestätigung dieser Ergebnisse brachte die Untersuchung nach Kompression der Oberarmarterie mittels Riva-Rocei-Reckling- hausen ’scher Manschette sowie nach Digitalkompression der Cubitalis, welche bei mir sehr leicht ausführbar ist. Da ich einen sehr langsamen Puls von (morgens) meist nur 52—60 besitze, so vermag ich auch die systolisch-diastolische Empfindungsoszillation sehr genau zu beobachten und die beiden Kategorien voneinander zu sondern. Ich habe übrigens an einer anderen Versuchsperson (Assistenzarzt 1) Der Empfindungszuwachs wird durch das Absinken des Blutdrucks zum Minimum und die gleichlaufende Entspannung des Gewebes bedingt. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 4 50 Goldscheider: Ledig) die Beziehungen zur Arterienkompression mit dem gleichen Ergebnis nachgeprüft. Während bei vollständiger Kompression der Arterie die pulsa- torischen Oszillationen sofort vollständig verschwinden, werden sie gegen die Norm verstärkt bei derjenigen unvollständigen Kompression, bei welcher die grossen Arterienpulsationen aufzutreten pflegen, d. h. bei Gleichheit des Aussendruckes mit dem mittleren inneren Arteriendruck. Das Schwirren und Prickeln der Druckpunkte dauert auch bei vollständiger Schlagaderkompression an, hat somit mit dem Pulse nichts zu tun. Kitzel und Jucken. Es wurde bereits erwähnt, dass sich den beschriebenen Haut- empfindungen Kitzel bzw. Jucken beimischen kann. Ganz be- sonders fällt nun bei der flachen Nadelführung auf, dass die ausgelösten Empfindungen von Kitzel begleitet sind — in höherem Grade, als dies bei der senkrechten Reizapplikation der Fall ist. Bei sehr vorsichtiger, sanfter Berührung mit der zur Hautoberfläche möglichst parallel gehaltenen Nadel oder Borste ist der Kitzel am intensivsten: es entsteht entweder sofort Kitzel oder eine diffuse hauchartige, anschwellende, mit Kitzel vermischte Empfindung. An denselben Punkten führt eine minimale Steigerung des Nadeldrucks zum feinen Flachsehmerz. Nach mehrfachen derartigen Reizungen einer umschriebenen Hautstelle bleibt nicht selten eine Jangdauernde kitzelnde Nachempfindung zurück. Diese oberflächlich wahrgenommene und offen- bar durch oberflächlich gelegene Nerven ausgelöste Kitzelempfindung findet sich regionär dort am meisten ausgesprochen, wo es die feine Schmerzempfindung ist. Besonders lehrreich ist in dieser Beziehung das Verhalten der Tastflächen der Finger, an welchen sowohl der Kitzel wie die feine Schmerzempfindung weniger eut- wickelt ist; von den Fingerbeeren zur Hand aufwäıts gehend findet man beide Empfindungen mehr und mehr zunehmend. In der Hohl- hand und den den Köpfchen der Metacarpalknochen entsprechenden Tastballen II. Ordnung sind beide gut, in der Mitte des Daumen- und Kleinfingerbailens beide weniger gut ausgebildet usw. Stellen, welche durch oberfiächliche Kitzelempfindlichkeit ausgezeichnet sind (Ellbogenbeuge, Unterlippen-Kinneegend, Nasolabialfurche, Kniekehle u. a. m.), zeigen durchweg eine hervorragend feine oberflächliche Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 51 Schmerzempfindlichkeit. Der feine Flachschmerz selbst vermischt sich daher sehr oft mit Kitzel. So kommt es häufig vor, dass die flache Nadelreizung primär eine Berührungsempfindung und als zweite Phase feinen, stechenden oder verbreiteten, hauchartigen Schmerz mit diffusem Kitzel herbeiführt, welcher nach dem Ver- klingen des Schmerzes zurückbleibt, lange nachdauern und mit einem ausgesprochenen Unlustgefühlston verbunden sein kann. Auch kann primär Kitzel auftreten, welchem sich feiner Flachschmerz hinzugesellt. Es kommen allerlei Kombinationen von starkem Kitzel mit schwachem Schmerz und von schwachem Kitzel mit starkem Schmerz vor. Im allgemeinen wird jedoch durch stärkeren Schmerz die Kitzelempfindung zurückgedrängt. Der Kitzel findet sich wie der Schmerz teils am Punkte der Reizung, teils irradiierend und ebensowohl erst- wie zweitphasisch ; übrigens auch drittphasisch und ausgesprochen bei der Nach- empfindung. Unter den Beziehungen des Kitzels zum oberflächlichen Schmerz ist hervorzuheben, dass beide Hemmungseinflüssen leicht zu- gänglich sind. Durch kurzdauerndes Reiben der Haut werden beide, wie übrigens auch die zweitphasische feine, hauchartige Empfindung, für etwa 1 Minute aufgehoben. Ähnlich kann übermässige Spannung der Haut sowie Abkühlung wirken. Ausser dem an die oberflächliche Nervenschicht gebundenen Kitzel gibt es noch einen solchen, welcher zu tiefergelegenen sen- siblen Nerven Beziehungen hat. (Vel. Basler, Über den Fusssohlen- kitzel. Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 148.) Besonders auffällig und langdauernd ist der Kitzel und die kitzelnde Nachempfindung an der auch durch oberflächliche feine Schmerzhaftiekeit ausgezeichneten Kinn - Unterlippengegend und Nasen-Lippenfurche. Die kitzelnde Nachempfindung kann nach einem minimalen Reiz hier 5 Minuten und länger dauern und mit feinem, schmerzhaftem Stechen und hauchartigem Wehgefühl verbunden sein. Grössere Wellen sowie das oben erwähnte kurze Neuauftauchen der feinen, stechenden Schmerzempfindung findet sich gerade hier häufiger. Der Kitzel klingt meist zu hauchartigen oder Spannungs- bzw. Schwellungsempfindungen ab. Die Kitzelempfindung kommt durch leichteste Reizung der- jenigen Nerven zustande, welche bei etwas stärkerer Er- regung Schmerzempfindung entstehen lassen. Sie ist ganz 4* 59 Goldscheide:: besonders an die oberflächlichste Nervenschicht der Haut!) geknüpft, welche der Sitz des feinen, oberflächlichen Schmerzes ist, und erfordert zu ihrem Auftreten eine hohe Erregbarkeit der sensiblen Nerven. Sie steigert sich, wie dieSchmerzempfindung, durch Summation. Der Kitzel ist sicherlich nicht das Produkt spezifischer Nerven. Vielleicht ist die Kitzelempfindung mit der elementaren Berührungsempfindung ur- sprünglich fest verknüpft, so dass die eben merkliche Reizung einer die taktile Empfindung leitenden Nervenfaser eine mit Kitzel ge- mischte Berührungsempfindung ergibt, wobei die Qualität „Kitzel“ eben angedeutet bzw. noch unmerklich sein kann. Bei der gleich- zeitigen Reizung einer Mehrheit von Fasern — und um solche handelt es sich ja nahezu immer — bzw. bei der länger andauernden Reizung summieren sich die elementaren Kitzelempfindungen zu einer merk- lichen und übermerklichen Grösse. Diese Summation würde un- erträglich werden, wenn sie nieht dadurch eine Grenze fände, dass die Kitzelempfindung wie der feine Flachschmerz an eine hohe Erregbarkeit der Nerven gebunden ist und daher leicht durch stärkere Nervenerregungen gehemmt wird. Vielleicht wird die Kitzel- empfindung auch durch die, wie wir sehen werden, jedem taktilen Reiz folgende Hyperästhesie gesteigert. Die Empfindung des Juckens, welche mit dem Kitzel eine unzweifelhafte Ähnlichkeit hat, findet sich bei Zuständen von Hyper- algesie und Hyperästhesie. Ich habe schon früher darauf hingewiesen), .dass im hyperalgetischen Klemmbezirk unangenehmes Jucken auf- treten kann. Dagegen ist der Kitzel in demselben aufgehoben, und auch nach der Entfernung der Klemme dauert es oft geraume Zeit, ehe er wiederkehrt. Wenn man Hautstellen mit ausgesprochener Kitzelempfindlichkeit durch Anbringung einer Klemme hyperalgetisch macht, so geht der Kitzel in Jucken über. Senfpapier erzeugt Schmerz mit Jucken. Leise Berührung der Hohlhand ruft Kitzel, Nadelstich in dieselbe Schmerz mit Jucken hervor. An den oben bezeichneten Stellen des Gesichts, welche sich ebenso durch intensiven Kitzel wie Flachschmerz auszeichnen, kann der Kitzel schmerzlich und dem Jucken zum Verwechseln ähnlich sein. Schläge mit dem Perkussionshammer auf den Handteller hinterlassen beim Abklingen 1) Vgl. Basler, Experimentelle Untersuchungen über den Hautkitzel. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 147. 2) Loc. eit. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 53 der Nachempfindung Jucken mit feinem Schmerz und objektiv nach- weisbarer Hyperästhesie und Hyperalgesie der oberflächlichen Nerven- schicht. Auch der unmittelbare Eindruck lehrt, dass dem Jucken im Vergleich zum Kitzel ein schmerzhafter Empfindungsbestandteil (Stechen, Schauder, Wehgefühl) beigemischt ist. Ferner ist das Jucken im allgemeinen viel anhaltender als der Kitzel, welcher meist schnell abklingt, um einer hauchartigen Empfindung Platz zu machen; nur an einzelnen Körpergegenden (Gesicht, s. oben) ist die Kitzel- empfindung von ungewöhnlicher Dauer. Endlich ist das Jucken schwer, der Kitzel leicht durch andere Hautreize zu hemmen. Das Jucken kann daher als ein schmerzhaftes Kitzeln bezeichnet werden, welches neben dem schmerzlichen Element sich durch Stabili- tät und Dauer auszeichnet. Die Juckempfindung kann pulsatorische Oszillationen erkennen lassen. Eine schwach juckende Stelle zeigt ferner das Phänomen des Anklingens, das heisst durch einen distalen, nicht allzuweit entfernten leisen taktilen Reiz wird das Jucken zweitphasisch ver- stärkt (s. unten) oder, wenn es soeben abgeklungen war, neu hervor- gerufen. Endlich irradiiert das Jucken ganz ähnlich wie Schmerz-, Kälte- und .Wärmeempfindung. Eine juckende Quaddel erzeugt einen sich vorwiegend proximal erstreckenden, juckenden Irradiations- bezirk von ziemlicher Ausdehnung, innerhalb dessen jede Berührung ein Jucken erzeugt, also analog dem hyperalgetischen Klemmbezirk. Dureh erheblichen Schmerz wird das Jucken gehemmt, wie “auch durch starke taktile oder Kältereize. Es entspricht der leichten Reizung einer hyperalgetischen Haut und ist, wie es scheint, wie der Kitzel vorzugsweise an die oberflächliche Nervenschicht, das heisst diejenige, welche auch der Träger des feinen Flachschmerzes ist, geknüpft. Wie der Kitzel durch die leichteste Erregung dieser Nerven überhaupt erzeugt wird, so wird es das Jueken durch leichteste oderleichte Erregung derselben Nerven in dem Zustande erhöhter Schmerzempfindlichkeit!). 1) Durch meine Feststellung werden die mir im Original nicht bekannten Beobachtungen von F. Winckler, welche Unna in seinen „Kriegsaphorismen eines Dermatologen. Berliner klin. Wochenschr. 1915 Nr. 42—46“ erwähnt, über die Beziehungen des Juckens zum Schmerz und zur oberflächlichsten Nervenschicht bestätigt. 54 Goldscheider: Wesen der Empfindungsphasen. Es kann sich bei der zweiten und dritten (bzw. auch vierten) Phase der taktilen Empfindung, wie die Irradiation und die zum Teil besondere Qualität derselben zeigen, nur um Vorgänge in sensiblen (hauptsächlich spinalen) Kerngebieten handeln!), und zwar um autochthone, durch Summation peripherischer Reize ausgelöste Frreeungen von in die Leitungsbahn eingereihten Nervenzellen (s. unten). Die Entstehung dieser Empfindungswellen ist somit dort zu suchen, wo sich auch die von mir beschriebene Hyperalgesie nach Applikation der Hautklemme entwickelt, mit welcher jene auch in den zutage tretenden Erscheinungen gewisse Ähnlichkeiten zeigen: wie die Hyperalgesie, so irradiiert auch die zweite usw. Phase, und zwar in der gleichen Richtung, und die Steigerung der primären Be- rührungsempfindung zum zweitphasischen Schmerz lässt an eine Er- höhung des Erregungszustandes denken. Weiter mitzuteilende Be- obachtungen werden erkennen lassen, dass tatsächlich jedem taktilen Reiz eine der schmerzhaften Klemme ähnliche Wirkung, wenn auch in verkleinertem Maassstabe, zukommt. Auch bei der Nachempfindung müssen -Vorgänge in der grauen Substanz mitspielen. Es wird sich daher verlohnen, zu untersuchen, wie sich die Empfindungsphasen beim Hyperalgesieversuch gestalten. Wenn man mittels der schmerzerzeugenden Hautklemme ein hyperalgetisches Feld. hervorruft und innerhalb desselben taktile Reizungen punktförmiger Art ausführt, so zeigt sich folgendes: Der feine, oberflächliche, stechende Schmerz bei der zweiten Phase nach flacher Reizung ist verschwunden und durch einen stärkeren diffusen, mehr in die Tiefe gehenden Schmerz ersetzt. Sobald der Klemm- schmerz und damit die Hyperalgesie nachlässt, wird die zweit- phasische Schmerzempfindung der normalen ähnlicher, bleibt aber schmerzhafter und breiter als diese. Wenige Minuten nach der Entfernung der Klemme ist wieder der feine, stechende Flachschmerz in seiner normalen Form vorhanden. Es muss übrigens bemerkt werden, dass in der nächsten Umgebung der Klemme unmittelbar nach der Anlegung derselben und für kurze Zeit die zweite usw. 1) Es ist natürlich ganz ausgeschlossen, die Erklärung in der Verbreitung der durch den taktilen Reiz gesetzten Deformation der Haut auf benachbarte Nervenendigungen zu suchen. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 55 Phase der Empfindung ganz fehlt; es handelt sich hierbei wahr- scheinlich um Hemmungen infolge des starken Reizes. Wenn man mit der Klemme nicht die gesamte Cutis, sondern nur eine oberflächliche Schicht der Haut fasst, was an der Vola des Unterarmes gut gelingt, so dass nur ein oberflächlicher Schmerz entsteht, so erzeugt die leise, flache Reizung zweitphasisch eine oberflächlicher als beim vorigen Klemmensitz wahrgenommene, sehr schmerzhafte, durchzuckende, neuralgieähnliche Empfindung, welche gröber stechend ist als der feine Flachschmerz und oft mit einer flächenhaften, schneidenden Schmerzempfindung verbunden ist. Nach der Entfernung der Klemme besteht für kurze Zeit noch ein Stadium gesteigerter Schmerzhaftigkeit, in welchem das normale feine, ober- flächliche Stechen als zweite Phase vollkommen zurückgekehrt, aber noch von erhöhter Schmerzhaftigkeit ist. Die zweite Phase ist somit im hyperalgetischen Bezirk in er- höhter Ausprägung vorhanden. Reize, welche eine primäre, noch durchaus unterschmerzliche Empfindung setzen, erzeugen als zweite Phase einen oft ganz ausserordentlichen Schmerz. Derselbe nimmt dabei eine Form an, welche durch die Erregbarkeitsverhältnisse im spinalen hyperalgetischen Felde — denn ein solehes entspricht dem hyperalgetischen Hautbezirk — bedingt ist. Erstreckt sich nämlich die Hyperalgesie auf tiefere kutane Schichten, so verliert der Schmerz den Charakter des Flachschmerzes und wird zum Tiefschmerz; be- schränkt sie sich mehr auf die oberflächliche Schicht, so nähert er sich auch in seiner Steigerung mehr der normalen Qualität des Flachschmerzes. Eine Steigerung der oberflächlichen Schmerzempfindlichkeit erzielt man auch durch Auflegen eines Stückchens Senfpapier; die Hyperalgesie geht, wie es sich nach dem Klemmversuch erwarten lässt, über den bedeckten Bezirk besonders in proximaler Richtung hinaus. Leichteste Borstenreizungen proximal erzeugen abnorm schmerzhafte, oberflächlich wahrgenommene, fein- und gröberstechende und flächenhafte, schneidende, an Wundsein erinnernde Empfindungen von langer Dauer, hyperalgetische Verstärkungen des normalen feinen Flachschmerzes. Ein Gegenstück hierzu bildet die Herbeiführung des feinen Flachschmerzes durch künstliche Hyperalgesie an einer Region, in welcher derselbe normalerweise nicht vorhanden ist, nämlich an den Kuppen des Daumens und der Finger. Flache Nadelführung erzeugt 56 Goldscheider: hier an den meisten Punkten als zweite Phase eine unterschmerzliche, flächenhafte, fein-schwirrende Empfindung, höchst selten jenes sonst typische feine Stechen. Wenn man jedoch an der Fingerbeere oder überhaupt am Endgliede eine Klemme so ansetzt, dass eine möglichst dünne oberflächliche Hautfalte (Epidermis) gefasst wird, so erzeugt schon die leichteste Berührung mit der Nadelspitze, ja, sogar mit einer gespitzten mittelstarken Borste den feinen, ober- flächlichen zweitphasischen Schmerz, teils stechend, teils flächenartig, und zwar in recht heftiger Intensität. Diese Beobachtung wirkt geradezu überraschend und zeigt die Bedeutung der veränderlichen Erregbarkeitsverhältnisse für das Zustandekommen der Schmerz- empfindung. Nicht allein die zweite, auch die dritte und eventuell die vierte Phase sowie die Nachempfindung sind im hyperalgetischen Gebiet in erhöhtem Maasse ausgeprägt, desgleichen die Pulsationen. Oft wächst im Verlaufe der Nachempfindung die Schmerzhaftigkeit der- selben noch an. Wenn die Klemme so angelegt wird, dass sie keinen Schmerz, sondern nur eine drückende, leicht quetschende, an den Schmerz an- srenzende Empfindung erzeugt, was man durch Fassen einer besonders dicken Hautfalte erzielen kann, so findet sich die zweite Phase gleichfalls verstärkt, aber weniger in der Richtung des Schmerz- haften, vielmehr ist sie nur spannend, drückend, prickelnd. Auch eine kleine Klemme von schwachem Federdruck, ganz oberflächlich befestigt, verstärkt die zweite und dritte Phase und Nachempfindung. Die Zeitintervalle verhalten sich im hyperalgetischen Gebiet wie sonst). Die Nachempfindung ist nicht bloss verstärkt, sondern auch verlängert. Die pulsierenden Oszillationen können im Klemm- gebiet sofort so hervortreten, dass sie das Zustandekommen der zweiten und dritten Phase hemmen; diese Fehlerquelle ist zu be- achten. Das von den Reizungen im hyperalgetischen Gebiet zurück- bleibende Prickeln und Stechen erinnert an die Empfindungen beim Faradisieren mit einem Drahtpinsel; die an die Berührungen sich 1) Dicht an der Klemme kann der Eindruck einer Verlängerung des Inter- valls entstehen; es handelt sich aber nur darum, dass die zweite Empfindung zu einer grösseren Höhe anwächst. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 57 anschliessenden Sensationen entsprechen der bei pathologischen Zu- ständen von Hyperästhesie zu beobachtenden sogenannten Dysästhesie. Das Anklingen auf Fernreize. Zuweilen bemerkt man, dass im hyperalgetischen Felde die zweitphasische Empfindung nicht allein intensiver ist, sondern auch weiter als sonst, speziell in proximaler Richtung, ausstrahit. Man darf, um dies zu beobachten, nicht sofort nach dem Anlegen der Klemme reizen, sondern muss warten, bis die Hyperästhesie sich über ein grösseres Gebiet hin entwickelt hat. Hierbei macht sich nicht selten eine eigentümliche Erscheinung störend geltend, welche darin besteht, dass Punkte innerhalb des Gebietes, an welchen vorher Reizungen ausgeführt worden waren, oder sonst besonders erregbare Stellen, wie zum Beispiel kleine Wunden, bei der von der taktilen Reizung ausgelösten Ausstrahlung mit an- klingen. Dieser Wahrnehmung nachgehend, findet man alsbald, dass es sich um ein ganz regelmässiges Vorkommnis handelt, welches ebenso, wenn auch weniger intensiv ausgebildet, ohne Anwendung der Klemme jederzeit zu konstatieren ist. Hautstellen von ge- steigerter, aber latenter Empfindlichkeit oder solche, an welchen eine durch einen konstant wirkenden Reiz bedingte Empfindung besteht, klingen bei der Irradiation des taktilen Reizes mit einer Empfindung bzw. einer Steigerung der bereits bestehenden Empfindung oft auf weite Strecken an, so dass der Eindruck entsteht, als ob die durch den taktilen Reiz ausgelöste Empfindung auf jene Stelle überspringt. Das Anklingen findet sich besonders ausgesprochen, wenn die be- treffende Stelle demselben spinalen Innervationsbezirk angehört wie der Reizpunkt und hier wieder am auffälligsten, wenn sie proximal von demselben gelegen ist. Als konstant wirkenden Reiz kann man die Klemme selbst be- nutzen. Man lege dieselbe etwa an der Volarfläche des Unterarms so an, dass sie keinen Schmerz, sondern nur eine mässige Druck- empfindung hervorruft, und führe nun leichte Nadel- oder Borsten- berührungen in der Umgebung der Klemme aus. Man bemerkt dann, dass kurz nach der örtlichen Berührungsempfindung als zweite Phase eine Empfindung an der Anheftungsstelle der Klemme auftritt, welche je nach der Stärke des Reizes und der Stärke des Klemmendruckes hauchartig, spannend, drückend, priekelnd, schmerzlich sein kann. Der Hautbezirk, innerhalb dessen das „Echo“ der Klemmstelle aus- 58 Goldscheider: zulösen ist, ordnet sich im allgemeinen elliptisch um dieselbe an, wobei sich die grösste Ausdehnung distalwärts erstreckt (Fig. 2). Auch nach der Entfernung der Klemme, selbst nachdem jegliche Nachempfindung an der gedrückten Stelle verblasst ist, zeigt sich das Phänomen noch, nur dass die anklingende Empfindung schwächer ist. Man kann das „Echo“ noch bis zu einer halben Stunde nach der Entfernung der Klemme nach- weisen. Stets überragt die Rei- zung distalwärts von der Klemm. stelle die proximalwärts ausge- / führte, so dass bei gleicher Ent- fernung von der Stelle jene etwa eine leicht prickelnde, diese eine schwach hauchartige Emp- findung entstehen lässt. Ist die Klemme schmerz- haft, so kann Nadelreizung in der Umgebung eine Steigerung des Klemmschmerzes herbei- führen; aber auch Hemmung der Fernwirkung kommt häufig vor. Nach der Entfernung der Klemme reagiert die ge- quetschte Stelle noch lange Zeit mit schmerzhaftem Anklingen auf Fernreize. Man braucht nur eine Hautstelle zu kneifen oder zu stechen, um für kurze Zeit das Echo bemerkbar zu machen. Das Phänomen beweist, dass ein unter- merklicher Erregungszustand durch einen Reiz zu einer merklichen Empfirdung ge- steigert, „manifest“ gemacht werden kann, und dass der Reiz seine Wellen in die Entfernung ausbreitet, und zwar nach Maassgabe der Struktur der zentralen (spinalen) Innervation (s. unten). So werden erloschene Empfindungen wiederbelebt, latente Erregungszustände geoffenbart. Gewisse klinische Vorkommnisse wie die Manifestierung abzeklungener latenter krankhafter Erregungszustände durch äussere Reizeinwirkungen haben in dem Phänomen des Anklingens ihren physiologischen Prototyp. Wenn man will, kann man in demselben die elementarste Form der Erweckung von Erinnerungsbildern dureh assoziative Reize erblicken. X Klemme Fig. 2. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 59 Am besten wird das Anklingen auf Fernreize zur Darstellung gebracht, indem man schwache Klemmendrucke einerseits, schwache Reize andrerseits anwendet. Man bedeckt die zur Anheftung der Klemme ausgewählte Stelle der Haut mit einem Streifen Leukoplast und wählt eine Klemme von schwachem Federdruck (Fig. 5). Die Reizung wird mit einer ziemlich feinen Borste ausgeführt und soll nicht schmerzhaft sein. Mehrfache Reizungen in demselben Gebiet können zu störenden Nachempfindungen führen; auch ein Zurück- treten des Anklingens durch Ermüdung kommt vor. Auch ein erneutes An- klingen bei der dritten Phase konnte ich unter günstigen Umständen (äusserst schwache Reizung bei schwachem Klem- mendruck, Reizung nicht über 1,0 eım entfernt) beobachten. Wie schon bemerkt, kom- men für das Anklingen auf Fernreize die Grenzen der spinalen Innervationsgebiete in Betracht. Sobald der aus- lösende Reiz das Spinalgebiet, welchem die Klemme angehört, verlässt, erfährt das Anklingen eine auffällige Abschwächung und verliert sich mit dem wei- Fig. 3. Rechteckiger Hautbezirk. Die . Angriffsstelle der „schwachen“ Klemme teren Abwandern des Reizes ist mit Heftpflaster bedeckt. In der schnell. Gegend der distalen Punkte findet die Man kann dies sehr deut- schwache Reizung mittels feiner Borste { statt. lich erweisen, indem man die Klemme an der Volarfläche des Vorderarmes entweder in der ulnaren oder in der radialen Hälfte desselben befestigt und nun mit der Borste sich über die Axiallinie hinaus entfernt; jenseits derselben nimmt das Phänomen schnell ab; man beachte, dass eine gewisse Über- lagerung der spinalen Bezirke auch an den Axiallinien stattfindet. Das Anklingen in seitlicher Richtung, namentlich wenn’ der aus- lösende Reiz schief proximal-seitlich wirkt (d. h. zu der Klemme schief distal-seitlich orientiert ist), kann im übrigen auf recht er- 60 Goldscheider: hebliche Entfernungen geschehen; so fast um den halben Um- fang des Vorderarmes vom Dorsum desselben zur Vola. Das Zeit- intervall zwischen dem Reiz und dem Echo entspricht stets dem- jenigen der zweiten Empfindungsphase. Im hyperalgetischen Klemmgebiet macht sich das Anklingen in verstärktem Maasse geltend. Die schmerzhafte Klemme reagiert x Nlemme z X Klemme Fig. 5. auch auf proximale Reize oft mit einer gesteigerten örtlichen Schmerzempfindung. Erloschene Nachempfindungen von Nadelreizen treten bei einer neuen Reizung prickelnd-stechend hervor. Wenn man (vgl. Fie. 4) bei a reizt, so treten bei db, wo vorher Reizungen stattgefunden haben, starke Empfindungen auf, während die physiologische proximale Irradiation der zweiten Empfindungs- phase gehemmt erscheint. Es entsteht so der Eindruck, dass die Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 61 _Irradiation des Reizes umgekehrt wie sonst, nämlich zentrifugal anstatt vorwiegend zentripetal stattfinde. Wenn man (Fig. 5) in einem hyperalgetischen Bezirk weit entfernt von der Klemme in proximaler Richtung Nadelreizungen ausführt (db) und nach Abklingen der betreffenden Empfindungen in einem distaleren Anteil des Bezirks eine neue Reizung (a) setzt, so flammen jene selbst auf überraschend grosse Entfernungen hin auf. Der Versuch führt selbst dann zum Ziele, wenn die Klemme erst nach vorangegangenen Nadelreizungen angelegt wird. Sehr schöne Fernwirkungen erzielt man auch, wenn man im hyper- algetischen Gebiet proximalwärts eine Klemme mit schwachem Federdruck befestigt und nun in dem Raume zwischen der schmerz- haften und der schwachen Klemme Reizungen ausführt; unter Um- ständen klingen dabei beide Klemmstellen an. Zu grosse Schmerz- haftigkeit der Klemme kann auch hierbei hemmerd einwirken. Die Fernwirkung der zweiten Empfindungsphase wird, wie aus dem Vorhergehenden ersichtlieh ist, durch die von der schmerz- erzeugenden Klemme ausgehende Hpyperalgesie noch gesteigert. Letztere hat, wie ich früher gezeigt habe, eine stark irradiierende Neigung und verbreitet sich im zugehörigen spinalen Innervations- gebiet nach Maassgabe der Reizintensität. Sie entfaltet daher auch an sich Fernwirkungen von der Art, wie sie der zweiten Empfindungs- phase zukommen. In geradezu überraschender Form stellt sich diese Fernwirkung bei folgender Anordnung dar: Man setzt die „schwache“ Klemme (von geringem Federdruck) etwa in der Mitte des Vorder- armes an der Volarfläche an, die starke Klemme etwa am Hand- gelenk, und zwar so, dass sie einen lebhaften Schmerz erzeugt. Nach einiger Zeit beginnt die schwache Druckempfindung an der An- heftungsstelle der schwachen Klemme sich zu steigern. und nimmt schliesslich einen drückerd-kneifenden, leicht schmerzlichen Charakter an. Sobald die starke Klemme entfernt wird, blasst die Empfindung an der schwachen Klemme ab und verschwindet allmählich abnehmend nach einigen Sekunden (bis zu 20). Noch auffälliger wirkt die Er- scheinung, wenn man es so einrichtet, dass man die Druckempfindung an der schwachen Klemme zunächst vollständig abklingen lässt und ‘erst dann die schmerzerzeugende Klemme ansetzt. Es handelt sich hierbei nicht etwa um eine Verwechslung der an der schwachen Klemmstelle entstehenden Empfindung mit der von der starken Klemme örtlich erzeugten. Hiergegen schützt schon die gewählte 62 Goldscheider: Entfernung beider Klemmen; ich beobachtete ein Anklingen der schwachen Klemme noch bei der Anheftung derselben unter der Ellbogenbeuge, ja sogar am Oberarn (wo es dann freilich nur zu einer stärkeren Druckempfindung kam) bei gleichzeitiger Befestigung der starken Klemme dicht proximal vom Handgelenk (Entfernung 18 bzw. 26 em). Die Entwicklung der anklingenden Empfindung zur vollen Höhe nimmt etwa Y«s bis Y/s bis 1Y/s Minuten in Anspruch. Auch bei diesen Versuchen darf die starke Klemme nicht zu schmerzhaft sein, da sonst eine Hemmung der schwächeren Empfindung an der antwortenden Klemme eintritt. Man kann dies in folgender Weise veranschaulichen: Sobald an beiden Klemmsteilen eine schmerzliche Empfindung besteht, wobei die starke Klemme stets das Übergewicht hat, so genügt ein stärkeres Zusammenpressen der Blätter der starken Klemme bis zum intensiven Schmerz, um an der schwachen Klemme die Empfindung zu ver- dunkeln; vermindert man die Pressung, so steigt die letztere sofort, . übrigens oft nunmehr zu grösserer Höhe als vorher; es ist ein regel- rechtes Wechselspiel. Die Übertragung der Empfindung von der stärkeren auf die proximale schwächere Klemmstelle nimnit eine gewisse Zeit in An- spruch, welche nach meinen hierauf gerichteten Untersuchungen weniger von der Entfernung beider als vielmehr von der Reizwirkung der starken Klemme abhängt. Ich habe schon in meiner Mitteilung über die Klemm - Hyperalgesie bemerkt, dass dieselbe mit der Zeit räumlich fortschreitet, um .so schneller, je heftiger der Klemm- schmerz ist. Auch scheint mit wachsender Entfernung die Ge- schwindigkeit der Verbreitung abzunehmen. Das lineare Fortschreiten der Hyperalgesie ist jedoch nur ein scheinbares; in Wirklichkeit verhält sich die Sache so, dass der gesamte Bezirk gleichzeitig von der Hyperalgesie betroffen wird, aber mit einer von der Klemnistelle bis zu den Grenzen des Bezirks abfallenden Intensität. Indem die Erreebarkeitssteigerung nun zeitlich wächst, erreichen die der Klemme näher gelegenen Teile des Bezirks die Schmerzschwelle früher als die entfernter gelegenen. Dieser Tatbestand kann dadurch nach- gewiesen werden, dass sofort nach Anlegung der schmerzhaften Klenıme auch in den entfernten Anteilen des betreffenden spinalen Innervations- gebietes eine gewisse, jedoch noch unterschmerzliche Erhöhung der Empfindlichkeit deutlich erkennbar ist, wie ich mich vielfältig über- zeugt habe. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 63 Dass nicht bloss die zweite und dritte Phase, sondern auch die Nachempfindung das Phänomen des Anklingens erkennen lässt, bedarf nach dem vorher Gesagten nur einer kurzen Erwähnung. Abseklungene Reizpunkte oder die Klemmstelle antworten auf den neuen Reiz nicht bloss mit einer flüchtigen, sondern oft auch mit einer sich anschliessenden, länger andauernden und allmählich ver- klingenden Empfindung, welche nicht selten pulsatorische Oszillationen erkennen lässt. Phasen, Irradiation und Anklingen der Temperaturempfindungen. Auch die Temperaturreize setzen eine mehrphasische Emp- findung. Flüchtige Berührung mit luftkaltem Metall erzeugt nach der primären Kälteempfindung eine zweite, kalte oder kühle Empfindung, welche vorzugsweise proximal, aber auch distal und seitlich ausstrahlt wie die zweite Phase einer taktilen Emp- findung. Sie wird von einer hauchartigen Berührungsempfindung begleitet, welcher Kitzel beigesellt sein kann, und welche stärker hervortritt als nach einer gleich starken, flächenhaften Berührung mit einem nichtkalten Gegenstand. Das Intervall beträgt wie bei der zweiten Phase der taktilen Empfindung an der oberen Extremi- tät etwa 0,5 Sekunde. Die zweitphasische Kälteempfindung ist nicht so deutlich wie die entsprechende taktile durch ein empfindungs- leeres Intervall von der primären Kälteempfindung getrennt, welche nieht so schnell abklingt; jedoch ist ein Einschnitt zwischen beiden Empfindungseipfeln stets deutlich erkennbar und oft von bemerk- barer Tiefe. Es handelt sich nicht etwa um eine Verwechslung mit der zweiten Phase der Berührungsempfindung, welche bei dem Kön- takt des kalten Objekts mit ausgelöst werden musste; vielmehr ist die Kältequalität der zweiten Empfindungsphase vollkommen deutlich. Nicht selten kann auch eine dritte Phase der Kälteempfindung beobachtet werden, an welche sich dann eine oft lange anhaltende, allı,ählich verblassende Nachempfindung anschliesst, welche ge- lezentlich pulsatorische Oszillationen und auch sonst einzelne Steige- rungen erkennen lassen kann (s. unten). Die Phasen der Kälte- empfindung sind an den verschiedensten Körpergegenden erkennbar; am deutlichsten fand ich sie an der Hand und der Volarfläche des Vorderarmes. Die dritte Phase, bei welcher zuweilen ebenso, wie auch häufig bei der Nachempfindung, eine weitere Ausbreitung der 54 Goldscheider: Kälteempfindung proximal und seitlich wahrzunehmen ist, tritt an der oberen Extremität etwa 1,5 Sekunden nach dem Reiz auf. Bei Reizung einzelner Kältepunkte ist die zweite Phase und Irradiation gleichfalls deutlich. Die Beobachtung ist nicht leicht; der Kältepunkt muss kurz, aber dabei doch nur mit äusserst sanfter Berührung getroffen werden. Dann aber ist die der ersten nach- folgende zweite Kälteempfindung örtlich wie in ihrer proximalen Irradiation sehr deutlich und schön. Die Erscheinung des Anklingens und der Fernwirkung ist im Gebiete des Kältesinns sehr deutlich. Wenn man am Vorder- arm einen Streifen Leukoplast befestigt, darauf die schwache Klemme setzt und nunmehr distalwärts ein luftkaltes Metall an die Haut anlegt, so empfindet man nach einiger Zeit an der Klemmstelle Kälte. Wird die Klemme stärker zusammengedrückt, so glaubt man einen zunehmenden Druck mit einem kalten Gegenstand zu emp- finden. Dieser Sinneseindruck bleibt nach Absetzung der Kältequelle von der Haut noch kurze Zeit hindurch bestehen. Dieselbe Er- scheinung kann man durch irgendeinen anderen drückenden Gegen- stand, wie zum Beispiel durch ein kleines mittels Pflaster an die Haut angedrücktes Pflasterröllchen, erzeugen, Sie gehört der in meiner früheren Arbeit (l. e.) beschriebenen Kälteirradiation an. Das Anklingen bei der zweiten Phase der Kälteempfindung weist man in folgender Art nach: Man bedeckt eine Hautstelle, etwa wieder des Vorderarms, mit einem angefeuchteten Papierblättchen oder feuchtet sie einfach an (jedoch nicht mit zu kaltem, sondern mit nur wenig die Hauttemperatur unterschreitendem Wasser), wartet, bis die Kälteempfindung nahezu oder ganz abgeklungen ist und appliziert jetzt distal einen Kältereiz; man nimmt dann an der be- treffenden angefeuchteten Stelle, der zweiten Phase entsprechend, deutlich eine aufblitzende Kälteempfindung wahr. An der Dorsal- und Volarfläche des Unterarmes, besonders aber am Handrücken und der Seitenfläche der Finger, ist dies Phänomen recht deutlich. Man wähle zur Befeuchtung eine gut kälteempfindliche Stelle aus und reize, sobold die Kühleempfindung gerade im Abklingen ist. Der auslösende Kältereiz muss kurz und nur von mässiger Intensität sein, da sonst die örtlich erzeugte Kälteempfindung die anklingende überlagert. Ich fand die Erscheinung bis zu 6 cm Entfernung noch sehr deutlich. Wie bereits bemerkt, kann die Kältenachempfindung systoliseche Erhebungen erkennen lassen. Ich nehme sie am Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 65 Unterarm und an der Hand deutlich wahr und finde auch eine Ver- stärkung derselben, falls der Kältereiz an der Hohlhand appliziert war, bei Fingerstreckung und Emporheben der Hand. Die Os- zillationen der Kälteempfindung sind von solchen einer feinen, hauchartigen Druckempfindung begleitet, mit denen sie aber nicht zu verwechseln sind. Noch viel auffälliger ist die zweite Phase und ihre Irra- diation bei der Wärmeempfindung. Die proximale und seit- liche Richtung wird auch hier bevorzugt. Man nimmt die Irradiation oft auf weite Strecken unmittelbar wahr. Das Zeitintervall ist das bekannte. Sicherlich bilden wir unser Urteil über die Wärmeempfindungen hauptsächlich nach dem Sinneseindruck der zweiten Phase, welcher denjenigen der primären Empfindung überwiegt. Auch die Fernwirkung und das Anklingen sind im Gebiet des Wärmesinnes ganz besonders ausgesprochen. Setzt man die schwache Klemme an (auch ohne untergelegtes Pflaster) und ‚bringt distalwärts einen Wärmereiz in Dauerkontakt mit der Haut (er- wärmtes Metall), so scheint nach einiger Zeit die Haut zwischen den Armen der Klemme warm zu sein, und es entsteht der täuschende Eindruck, dass die letztere selbst warm sei. Diese Beobachtung steht mit meiner früheren Angabe, dass die Wärmeempfindung in besonders hohem Grade irradiiert, in Einklang. Wenn man auf eine gut wärmeempfindliche Hautstelle eine leicht angewärmte Münze legt und, während die Wärmeempfindung ab- klinst, distal an einer gleichfalls gut wärmeempfindlichen Stelle einen mässigen Wärmereiz einwirken lässt, so nimmt man an der Stelle der Münze ein Aufflackern der Wärmeempfindung als zweite Phase deutlich wahr. Diese Erscheinung ist noch sinnfälliger als die analoge im Gebiete des Kältesinnes und wirkt geradezu überraschend. Wie schon bemerkt, sind die Zeitintervalle der zweiten Phase bei taktilen Kälte- und Wärmereizen die gleichen. An die zweite Phase schliesst sich de Wärmenachemp- findung an. Eine dritte Phase sowie pulsatorische Oszillationen der Wärmeempfindung sind schwer zu bemerken); jedoch gelingt es, an der 1) Dies hängt vielleicht damit zusammen, dass, wie Basler nachgewiesen hat, rhythmische Wärmeempfindungen bei einer geringeren Reizfrequenz ver- schmelzen als Kälteempfindungen (Arch. f..d. ges. Physiol. Bd. 151). Pflüger’s Archiv für Pbysiologie. Bd. 168. B) 96 1 Goldscheider: Seitenfläche der Finger, besonders des vierten, sowie an der Volar- und Dorsalfläche des Handgelenks eine an der Grenze der Merklich- keit stehende drittphasische Wärmeempfindung zu beobachten. Die pulsatorischen Oszillationen sind an der Rücken- und Seitenfläche der Finger und am Handrücken bei erhobener Hand wahrnehmbar, aber nur von sehr kurzer Dauer. Auch kann man eine leichte Steigerung der Wärmeempfindung nach dem Erheben der Hand zuweilen bemerken. Kühle des Untersuchungsraumes- unterdrückt das Phänomen. An einzelnen Wärmepunkten ist die zweite Phase der Emp- findune örtlich und irradiierend deutlich und leichter wahrzunehmen als an den Kältepunkten. Einfluss des peripherischen Zustandes der Sensibilität. Die zweite Phase der Empfindung muss, wie bereits be- merkt, ihre Entstehung in grauen Kerngebieten haben. Sie ist aber auch von dem peripherischen Zustande der Sensibilität abhäneig, wie aus folgendem hervorgeht. Ich machte mir intrakutane Injektionen einer 0,5°/oigen Novocain-Suprarenin-Lösung (übrigens genügt auch Aqua destill.). Die dabei entstehende Schleich’sche Quaddel ist gegen leichten Druck unempfindlich; senkrechte wie flache Nadelreizung ergibt weder eine primäre noch eine zweite Empfindung. Bei dem Abklingen der Anästhesie nun stellt sich zu- nächst eine matte Berührungsempfindung für flache Nadelreizung ein, welcher als zweite Phase eine difiuse hauchartige Empfindung folgt. Schmerz fehlt hier noch. Bei weiterer Rückbildung der Anästhesie stellt sich zunächst (als zweite Phase) die diffuse hauchartige, leicht schmerzliche und erst weiterhin die fein-stechende Schmerzempfindung ein. Auch findet man diese Abstufungen nebeneinander, wenn man mit der Nadelreizung aus dem anästhetischen Gebiet allmählich in das normale vordrinst. Die fein-stechende zweite Empfindung entspricht somit einem höheren Erregbarkeitszustande als die hauch- artig-schmerzliche und diese einem höheren als die hauch- artig-unterschmerzliche. Ich werde auf den Umstand, dass die Schmerzhaftekeit der zweiten Phase offenbar von der Erregebarkeit und nicht von einer besonderen Nervenart abhängig ist, unten bei der Diskussion des Schmerzproblems zurückkommen. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 67 Bei sehr oberflächlicher Injektion gelang es, eine Anästhesie zu erhalten, bei welcher einzelne Druckpunkte noch mit einer leisen Empfindung ansprachen. Auch konnte bei der Rückbildung anderer Injektionsstellen ein Stadium beobachtet werden, in welchem Druck- punkte gerade merklich wurden. Bei diesem an vollständige An- ästhesie (der oberen Schichten) angrenzenden Zustande wurde nun eine zweite Phase der Empfindung bei Reizung der Druck- punkte nicht bemerkt, obwohl bei normaler Sensibilität Druckpunkte eine ausgesprochene zweite Phase usw. erkennen lassen. Es kann also durch Beeinträchtigung der peripherischen Sensibilität ein Zu- stand erzeugt werden, bei welchem die Nervenerregung zwar noch ihren Durchgang zum empfindenden Zentrum findet, aber nicht mehr fähig ist, Summationsvorgänge im srauen Kerngebiet zu erzeugen. Man kann übrigens an der Peripherie der Quaddel auch an druckpunktfreier Haut die gleiche Beobachtung machen. Ein wenig weiter entfernt erscheint dann auf taktile Reize eine verläugerte Empfindung, und wieder ein wenig weiter tritt die zweite Phase auf. Objektiver Zustand der Erregbarkeit. Es ist für das Verständnis der verschiedenen Phasen der Emp- findung wichtig zu untersuchen, wie sich während des Ablaufs dieser Vorgänge die Erregbarkeit bei objektiver Prüfung verhält. Dies wurde so ausgeführt, dass unmittelbar nach Applikation eines leichten punktförmigen taktilen Reizes Berührungen des gereizten Punktes und seiner Umgebung mittels feinster Borsthaare vor- genommen wurden. Dabei zeigte sich, dass Reizhaare, welche sonst an der betreffenden Stelle unmerklich waren, nunmehr feine, stechende oder prickelnde Empfindungen erzeugten. Der Reiz hatte somit eine Hyperästhesie am Reizpunkt und in seiner Umgebung hervor- gebracht. Die weitere Untersuchung nach verschiedenartigen Reizungen zeigt, dass auch Herabsetzungen der Erregbarkeit eintreten können und sich unter Umständen recht komplizierte Verhältnisse finden. Am klarsten und eindeutigsten liegen die Dinge bei Einwirkung eines äusserst schwachen Reizes: hier ist gewöhnlich eine reine Hyperästhesie die Folge. Ja, auch untermerkliche Reize führen eine solche herbei: wenn man im Handteller mit einem feinen Borsthaar, welches bei einmaliger Berührung absolut keine Emp- findung erzeugt, dieselbe Stelle immer wieder berührt, so tritt nach 5%* 68 Goldscheider: einer Reihe von Reizungen schliesslich eine Empfindung auf, welche sich bei jeder Berührung wiederholt; es bleibt dann eine Nach- empfindung zurück, während deren die Hyperästhesie zunächst noch anhält, um dann vor dem Ende der Nachempfindung zu verschwinden. Leichte flache Stichreize erzeugen gleichfalls sofortige Hyperästhesie am Reizpunkt sowie proximal und seitlich. ‘Während des Ablaufes der zweiten Phase usw. mit ihren subjektiven irradiierenden Empfindungen besteht somit in dem betreffenden Ge- biet eine objektiv nachweisbare Hyperästhesie. Wir erkennen daraus, dass die wahrgenommene Irradiation nicht etwa bloss ein Vorstellungs- phänomen ist, sondern dass wirklich der Erregungsvorgang sich aus- breitet. Bei etwas stärkerer Reizung, besonders aber bei senk- rechter Nadelführung, tritt zunächst eine Hypästhesie auf: die Berührungsempfindung ist am Reizpunkt und in einer gewissen Um- gebung herabgesetzt. Aber eine Prüfung mittels stärkerer Drucke (stärkerer Borsten) lässt erkennen, dass zugleich eine gestei- gerte Empfindung besteht; hauptsächlich ist Hyperalgesie vorhanden, aber auch unterschmerzliche Empfindungen wie Prickeln und gesteigerte Druckempfindung sind zu er- zielen. Nach tiefem Stich ist mittels stumpfen Druckes (etwa mit dem Kopf eines Zündhölzchens) gleichfalls eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit nachzuweisen, während gegen leichte Berührungen eine deutliche Abstumpfung besteht. Es findet sich somit ein Zustand, wie er auch bei der Klemmhyperalgesie von ‚mir beobachtet wurde: eine Vereinigung von Hpyperästhesie bzw. Hyperalgesie mit Hypästhesie (sogenannte relative Hyperästhesie). Der weitere Verlauf ist nun so, dass die Hypästhesie ver- schwindet, während die Hyperästhesie noch für einige Zeit zurückbleibt und durch den Wegfall der ersteren stärker hervortritt. Dies geht selbst nach stärkeren Reizen ziemlich schnell vor sich. Borsthaare, welche vor der Reizung eben merklich waren, erzeugen jetzt eine gesteigerte Empfindung (Schwirren, Priekeln, scharfe Druckempfindung); auch für untermerkliche Reiz- 'haare kann dies oft konstatiert werden. Die Hyperästhesie betrifft stets nicht allein den Reizpunkt, sondern auch ein gewisses, nament- lich proximales Gebiet der Umgebung. Jedoch bleibt sie am Reiz- punkt am längsten bestehen und kann bier noch nachgewiesen werden, nachdem sie im Irradiationsgebiet bereits verschwunden ist. Man Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 69: kann zuweilen recht deutlich bemerken, wie die Hyperästhesie sich aus letzterem auf den Reizpunkt zurückzieht. Die Hyperästhesie läuft den subjektiven Empfindungen der zweiten und dritten Phase und der Nachempfindung parallel. Am eindeutigsten tritt dies wieder bei minimalen flachen Reizen hervor, wo in der Ausdehnung der fein-schmerzhaften, hauchenden oder fein-prickelnden Empfindung objektive Hyperästhesie besteht, welche sich sowohl durch verstärkte Empfindung auf Reize wie durch Er- niedrigsung der Schwellenwerte (untermerkliche Reizhaare!) als reine Hyperästhesie kundgibt. Nach stärkeren Reizen ist zwar die subjektive Empfindung gleichfalls stets von einer objektiven Hyperästhesie bzw. Hyperalgesie begleitet, aber es kann der Schwellenwert erhöht sein (Hypästhesie). Dies Missverhältnis tritt um so auffälliger hervor, je mehr der Reiz in die Tiefe ging. Man empfindet am Reizpunkt die stechende oder prickelnde zweite, dritte Phase und Nachempfindung, im Irra- diationsbezirk Spannungs- oder Schwellungsempfindung, während der Schwellenwert für Berührungsreize erhöht ist. Häufig, aber nicht immer, tritt dann ein Priekeln auf, welches zunächst vom Reizpunkt entfernt wahrgenommen wird und gegen denselben hinwandert (s. oben); zugleich pflegt dann sofort oder ein wenig später der Schwellen- wert sich zu erniedrigen, so dass die Hyperästhesie reiner hervor- tritt. Es kann dabei vorkommen, dass am Reizpunkt noch ein er- höhter Berührungsschwellenwert (Hypästhesie) besteht, während er in der näheren Umgebung, speziell proximal, bereits auf die Norm oder sogar unter dieselbe gesunken ist. Diese Vorgänge entwickeln sich schnell, so dass die Feststellungen schwierig sind und man erst aus zahlreichen Einzelversuchen ein Urteil gewinnen kann. Dazu kommt, dass die Prüfung selbst natürlich gleichfalls einen Einfluss auf die Erregbarkeit ausübt. Übrigens ist das Verhältnis von Hyperästhesie zu Hypästhesie an den einzelnen Hautstellen verschieden. Es kommt vor, dass selbst nach stärkeren Stichreizen sofort eine Erniedrigung der Schwellenwerte für Berührungsreize, also reine Hyperästhesie, zu finden ist, und umgekehrt, dass leichteste Reize in geringem Grade den Schwellenwert emporschnellen lassen. Die sofortige Entstehung von Hyperästhesie bzw. Hyperalgesie habe ich schon vor vielen Jahren als örtliche Wirkung überspringen- der elektrischer Funken beobachtet. 70 Goldscheider Die Erscheinungen bei Reizung eines Druckpunktes unter- scheiden sich nicht wesentlich von denjenigen bei Reizung druck- punktfreier Haut. Es entsteht bei der taktilen Reizung von Druck- punkten eine Hyperästhesie derselben mit Beteiligung eines Irradia- tionsbezirkes, welcher druckpunktfreie Haut sowie andere Druckpunkte umfasst!), wie es bei der Reizung druckpunktfreier Haut gleichfalls zu einer Hyperästhesie der dem Irradiationsbereich angehörenden Druckpunkte kommt; jedoch wirkt die Reizung des Druckpunktes allerdings stärker als die der Zwischenhaut. Die Hypästhesie (Er- höhung des taktilen Reizschwellenwertes), welche bei stärkeren wie schwächeren Reizen beobachtet wird, beteiligt auch die Druckpunkte. Sowohl die Hyperästhesie wie die Hypästhesie steigern sich mit der Intensität desReizes: Da letztere auch an zeit- licher Ausdehnung bei wachsender Reizintensität zunimmt, so ent- steht der Anschein, dass bei stärkeren Reizen die Hyperästhesie später eintritt. Auch die Irradiation ist bei grösserer Reiz- intensität umfangreicher (s. oben), was zur Folge hat, dass die Ausdehnung des objektiv hypästhetischen und hyperästhetischen Be- zirkes grösser ist. Die Erhöhung der Reizschwelle ist als Hemmungswirkung anzusehen. Die dem taktilen Reiz folgende Veränderung der Er- regbarkeit zeigt in anschaulicher Weise die Vereinigung bahnender und hemmender Einwirkung. In besonders hohem Grade scheint die Reizung der tieferen Sensibilität hemmend auf die oberflächliche zu wirken; vielleicht aber handelt es sich auch nur darum, dass die tiefer gehenden Reize auch die stärkeren sind; immerhin ist recht charakteristisch, dass gerade während des Bestehens der einem Schwellungsgefühl ähnlichen Nachempfindung, welche auf die tiefere kutane Sensibilität bezogen werden muss, die oberflächliche Emp- findlichkeit gehemmt erscheint. Die Erregbarkeitsveränderungen, welche selbst durch schwache taktile Reize ausgelöst werden, haben also eine unverkennbare Ähn- lichkeit mit denjenigen, welche man nach einer schmerzhaften Klemme eintreten sieht: Hyperästhesie mit gleichzeitigen Schwellenwertserhöhungensowielrradiation, undzwar vorwiegend in proximaler Richtung. Jeder Reiz wirkt 1) Mit dieser Erscheinung dürfte die von v. Frey beschriebene „simultane Induktion“ oder „nervöse Verstärkung“ der Druckpunkte identisch sein. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. TAN ähnlich, wenn auch in sehr verkleinertem Maassstabe, wie eine quet- ‘schende Hautklemme; diese Tatsache ist leicht erklärlich und eigentlich selbstverständlich, da die Klemme nur einen dauernden und sehr intensiven Hautreiz darstellt. Immerhin ist es nicht ohne Interesse, dass wir selbst im flüchtigsten schwachen Reiz die Bestandteile der Einwirkungen wiederfinden, welche der starke Dauerreiz zutage treten lässt. Inwieweit sich bei der Hyperästhesie und Hypästhesie die peri- pherischen Nervenendigungen beteiligen, ist zweifelhaft. Jedenfalls kann eine peripherisch lokalisierte Erregbarkeitsveränderung nur für den Reizpunkt, nicht für den Irradiationsbezirk angenommen werden. Es muss daher unbedingt auch eine zentrale, das heisst im sensiblen Kerngebiet gelegene Erregbarkeitsveränderung durch den Reiz ausgelöst werden. Zunächst kommt es in der Nerven- zelle, welche dem Reizpunkt der Haut entspricht, zu einer Übererregbarkeit, welche auf benachbarte Zellen, und zwar vorwiegend nach dem proximalen Teile des spinalen Feldes hin abfliesst, und zugleich zu Hemmungen, welche sich wahrscheinlich auf zuleitende Fasern erstrecken. Sind die Dauerfolgen des Reizes peripherisch oder zentral bedingt? Es ist jetzt weiter die Frage zu erörtern, wie es kommt, dass ein einmaliger, mechanischer Reiz eine so Jlangdauernde Reihe von Nervenerregungen zu Setzen vermöge, wie sie uns einerseits in der folgweisen Entwicklung, Ausbreitung und Ver- flüchtigung der hyper- und hypästhetischen Erregbarkeitsveränderungen, andererseits in dem Ablauf der, verschiedenen Empfindungsphasen entgegentritt. Es ist an sich schwer vorstellbar, dass die Dauer der Erregungs- vorgänge lediglich zentral zustande kommen sollte; man müsste eine ganz ausserordentliche Anhäufung labilen, zersetzlichen Materials in den Nervenzellen annehmen, um zu erklären, dass ein einmaliger Anstoss genügen würde, um im Zentrum einen so langdauernder Prozess in Gang zu bringen. Immerhin muss die Möglichkeit einer solchen Einrichtung zugegeben werden. Für die Bedeutung peripherischer Dauerfolgen des Reizes sprechen folgende Erscheinungen: 1. Der Einfluss der Straffung der Haut auf die Verstärkung bzw. das Wiedermerklichwerden der Nachempfindung. 72 Goldscheider: Jedoch kann man hiergegen einwenden, dass auch beim Be- stehen eines rein zentralen, manifesten oder latenten Erregungs- zustandes die mit der Straffung verbundene Reizung peripherischer Nerven imstande sein würde, jenen zu steigern. Die Tatsache, dass zuweilen das Verschwinden der Nach- empfindung durch brüske Straffung der Haut zu beobachten ist, könnte in demselben Sinne durch einen hemmenden Einfluss peri- pherisch ausgelöster Erregungen auf den zentralen Erregungszustand erklärt werden. 2. Der Einfluss der plötzlichen Erschlaffung der Haut auf den Nachlass einer bestehenden Nachempfindung. Wenn man bei gespannter Haut der inneren Handfläche eine spitze Berührung derselben ausführt, welche eine Nachempfindung von Dauer zur Folge hat, so ist sehr oft ein Erlöschen der Nach- empfindung zu’ beobachten, sobald man. durch Beugung der Hand und der Finger die Haut erschlaffen macht. Dies ist an solchen Hautstellen am meisten ausgesprochen, bei welchen eine merkliche Erschlaffung wirklich eintritt; am wenigsten in der Mitte des Hand- tellers, wo der Unterschied der Hautspannung am geringsten ist; auch hier erleidet zwar die Empfindung eine bedeutende Abschwächung, dauert aber fort. Die Nachempfindung kann von neuem auftreten, wenn die Finger bald wieder gestreckt werden; wenn man aber den erschlafften Zustand der Haut etwas länger bestehen lässt, so kehrt die Nachempfindung nicht wieder. Das gleiche Ergebnis kann man an der Haut des Handgelenks beobachten. Ein Einwand, wie er bei 1 erhoben wurde, wäre hier sehr sekünstelt; es dürfte daher diese Beobachtung doch für den ‚Einfluss peripherischer Bedingungen auf den Dauererfolg des einmaligen Reizes in Anspruch zu nehmen sein. 3. Der Einfluss des Pulses auf die Nachempfindung. Auch hier kann jedoch der Einwand zu 1 erhoben werden. Bei jeder systolischen Steigerung des Gewebsdruckes und dem diastolischen Nachlass desselben müssen, wenn auch untermerkliche Reizungen sensibler Nerven ausgelöst werden. Dieselben könnten beim Bestehen eines zentralen manifesten oder latenten Erregungs- zustandes eine verstärkende Wirkung auf denselben ausüben. Bei dieser Gelegenheit möge die Frage berührt werden, ob die lange Dauer des Erregungszustandes etwa überhaupt mit der Blut- zirkulation in Verbindung steht. In dieser Beziehung konnte ich Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 73 folgendes feststellen: Trotz vollständiger Kompression der Brachialis können langdauernde Nachempfindungen an der Hand und den Fingern bestehen (minutenlang). Jedoch ist ein gewisser Einfluss auf die Dauer der Nachempfindung sicher vorhanden, denn schwächere Nachempfindungen verschwinden bei der Kompression nicht selten !); nach der Aufhebung derselben können sie wiederkehren oder auch verschwunden bleiben. Ersteres hängt von der Intensität der Emp- findung, der Dauer der Kompression und von der zwischen Reiz und Kompression verflossenen Zeit in dem Sinne ab, dass Nach- empfindungen, welche sofort nach ihrem Beginn durch die Kom- pression vernichtet werden, in besonderem Maasse die Neigung ‚haben, nach der Aufhebung der Kompression wieder aufzutauchen. Sehr häufig wird beobachtet, dass die Nachempfindung durch die Kompression zwar nicht zum Erlöschen gebracht wird, aber doch an Intensität abnimmt, um nach Beendigung derselben wieder zuzu- nehmen, gelegentlich kann sie sogar eine schmerzliche Höhe zurück- gewinnen. Auch scheinen intensive Nachempfindungen durch die Kompression eine gewisse Verkürzung ihrer Dauer zu erleiden. Es handelt sich bei diesen Ergebnissen nicht etwa bloss um das Verschwinden und Auftreten von Pulsationen, sondern um die Nach- empfindung überhaupt, welche nicht immer pulsierend zu sein braucht. Auf die Kältenachempfindung scheint die Arterienkompression gar keinen Einfluss zu haben. Es wurden Kontrollversuche nach der Richtung hin ausgeführt, ob etwa der mit der Kompression verbundene Nervenreiz auf dem Wege der Hemmung die Nachempfindung aufhebe oder vermindere, indem anstatt der Arterienkompression starke Drucke auf Nerven- stämme des Oberarmes ausgeführt wurden. Das Resultat war, dass die eben mitgeteilten Veränderungen tatsächlich der Unterbrechung der Blutzufuhr zuzuschreiben sind. Man kann dem Pulse also höchstens einen gewissen Einfluss auf die Verstärkung und Verlängerung der Nachempfindung zu- schreiben. Dies beweist aber nichts für den peripherischen Ur- sprung derselben. Es möge übrigens darauf hingewiesen werden, dass die Nach- empfindung nach der Aufhebung der Kompression nicht sofort wieder 1) Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Sauerstoffmangel hierbei eine nennenswerte Rolle spielt. 74 Goldscheider: erscheint, sondern dass zunächst eine verbreitete Empfindung von Spannung, Klopfen uud Wärme auftritt, nach deren Verflüchtigung dann die Nachempfindung auftaucht. 4. Dämpfung der Nachempfindung durch Dauerberührung des Reizpunktes. Wenn man durch Reizung eines Druckpunktes eine langdauernde, prickelnde Empfindung erzeugt, so vermag man durch vorsichtige Dauerberührung des Punktes mittels eines Borsthaares die Empfindung zu vernichten, und zwar selbst dann, wenn man dasselbe so fein wählt, dass sein Kontakt eine Empfindung bzw. Verstärkung der Empfindung nicht hervorruft. Es ist erforderlich, genau den schwirrenden Punkt zu treffen und das Reizhaar allmählich anzudrücken und wieder allmählich von der Haut zu entfernen, da auch ein plötzliches Abheben von derselben eine erregende Wir- kung auf die Nervenendigungen ausüben kann!). Man hat beim Andrücken der Borste nicht selten den Eindruck, als ob eine schwirrende kleine Masse an dieselbe anschlägt. Die Berührung von hyperästhetischen Druckpunkten im Irradiationsbereich hat nicht jene ausgesprochene Wirkung auf die Vernichtung der Nachempfindung. Kurzdauernde Berührung beeinträchtigt die Nachempfindung nur, während bei etwas längerer Dauer dieselbe vollständig verschwindet, und zwar in viel kürzerer Zeit, als sie ohne die dämpfende Berührung zu verschwinden pflegt. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es sich in diesem Versuch um eine nervöse Hemmung der Empfindung handelt; vielmehr ist daran zu denken, dass ein peripherischer Erregungszustand (Schwin- gungen?) mechanisch beeinflusst (gedämpft) wird. 5. Die lange Dauer der Nachempfindung an den Druck- punkten, welche diejenige an der druckpunktfreien Haut sehr bedeutend übertrifft, spricht dafür, dass peripherische Einrichtungen mit in Betracht kommen. Man könnte freilich dem entgegenhalten, dass die Reizung des Druckpunktes eine stärkere zentrale Erregung setzen wird, sowie dass auch an druckpunktfreier Haut immerhin sehr langdauernde Nachempfindungen vorkommen, besonders im Bereich der oberflächlichen Sensibilität (seitliche Reizung). 1) Bereits von v. Frey festgestellt. — Dass Entlastung der Haut überhaupt eine Druckempfindung erzeugt, habe ich zuerst nachgewiesen (Goldscheider und Blecher, Versuche über die Empfindung des Widerstandes. Arch f. Anat. u. Physiol. 1893). Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 75 Es ist hiernach, alles in allem, sehr wahrscheinlich, dass der taktile Reiz bei dem Vorgang der Umsetzung in eine Nervenerregung peripherische Veränderungen bedingt, welehe nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen, im Einzelfall wechselnden Zeit zum Ausgleich ge- langen. Bei stärkeren Reizen könnte man daran denken, dass die Rückbildung der durch den mechanischen Eindruck gesetzten Deformation längere Zeit beansprucht — an der Hand und den Fingern ist dies bei stumpf-spitzen Drückungen deutlich sichtbar —, bei den schwächeren Reizungen werden vielleicht pendelartige Vor- gänge ausgelöst; auch der nervöse Erregungsprozess in den Nerven- endigungen selbst könnte bis zur Erreichung des Ruhezustandes Zeit beanspruchen. Der taktile Reiz ruft somit nicht eine einmalige Erregung, sondern eine Dauererregung bzw. eine folgweise Er- regungsreihe hervor, welche auf die zentralen, zunächst spinalen Nervenzellen tetanisierend wirken muss. Diese — denen die Fähig- keit, Erregungen aufzuspeichern, zugeschrieben werden muss — ge- raten durch Summation der Erregungsstösse in den Zu- stand der Übererregbarkeit, welcher zu Entladungen in zentripetaler Richtung und gleichzeitiger Irradiation, gleichfalls in vorwiegend zentripetaler Richtung führt. So kommt es zunächst zur zweiten Empfindungsphase. Indem weitere peripherische Erregungsstösse zugehen, setzt sich das Spiel fort; es entwickelt sich die dritte, eventuell vierte Phase und schliesslich die Nach- empfindung. Dass die Entladungen der Nervenzelle schwächer werden und schliesslich in der Nachempfindung als rhythmische ver- schwinden und in eine kontinuierliche Form übergehen, ist jeden- falls weniger in der Abschwächung des peripherischen Erregungs- zustandes als in einer Eigenschaft der Nervenzellen selbst begründet, da der Vorgang bei starken wie schwachen Reizen in ganz ähnlichem Typus und gleichen Zeitintervallen verläuft, ja bei schwachen Reizen oft mehr ausgesprochen ist als bei starken. Ebenso kann die Entladung selbst nicht von der Höhe der Übererregbarkeit der Nervenzelle oder von dem Maasse und Betrage der Reizauf- speicherung abhängig sein. Dass die zweite Phase bis zu einer ge- wissen Höhe des auslösenden Reizes die primäre Empfindung an Intensität übertrifft, weiter über diese Höhe hinaus aber schwächer ausfällt als die primäre Empfindung, kann durch die Vorstellung erklärt werden, dass bei der Entladung angehäuftes, dissimilations- 76 Goldscheider: bereites Material plötzlich gespalten wird, und dass bei starkem Reiz und entsprechender intensiver, primärer Empfiadung (Schmerz- empfindung) der in Betracht kommende Vorrat an dissimilations- fähiger Substanz bereits so stark verbraucht oder aufgespalten wird, dass für die zweite Phase ein für eine ebenso grosse oder grössere Erregung hinreichendes Quantum nicht mehr vorhanden ist. Es steht nichts im Wege, auch eine peripherische Er- resbarkeitserhöhung anzunehmen, aber die zentrale besteht unbedingt ausserdem. Es ist ferner nicht bloss möglich, sondern wahrscheinlich, dass der zentrale Reizzustand die periphe- rische Erregungsreihe überdauert. Die Pulsation bildet keine wesentliche Bedingung für die Dauer des Erregungsvorganges, vermag ihn aber zu verstärken und zu verlängern ?). Inwieweit bei den geschilderten Vorgängen die Nervenzellen des empfindenden Zentralorgans beteiligt sind (Hirnrinde), entzieht sich der Beurteilung vollständig. Es spricht nichts dafür, dass die Dauer der Nachempfindung etwa durch eine reaktive peripherische Hyperämie (oder Anämie) am Reizpunkt bedingt wäre. Gibt es Schmerznerven? Der Umstand, dass die zweite Phase der taktilen Empfindung schmerzhaft sein kann, und anderes mehr, was in den voraufgehenden Beobachtungen die Schmerzfrage berührte, nötigen zu einer Er- örterung des Problems der spezifischen Schmerznerven und der Bedingungen der Schmerzempfindung. Die Annahme spezifischer Schmerznerven wird durch das Vor- handensein der sogenannten Schmerzpunkte nahegelegt, an welchen selbst minimale Reize Schmerz erzeugen. Für diese An- nahme scheint auch die eingangs beschriebene Beobachtung zu sprechen, dass bei seitlicher, der Hautoberfläche nahezu paralleler punktförmiger Reizung nahezu regelmässig Schmerzempfindung mit äusserst niedriger Reizschweille nachzuweisen ist. Vertreter der Schmerznerventheorie könnten hierin einen Beweis dafür erblicken, 1) Es ist sehr wahrscheinlich, dass durch die pulsatorischen Schwankungen des Gewebsdrucks beständig rhythmische untermerkliche Erregungen des zentri- petalen Leitungssystems gesetzt werden, welche dazu beitragen, in demselben einen gewissen Tonus zu erhalten. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. rer dass die oberflächlichste Schieht der Haut mit solchen spezifischen Nerven durchsetzt sei. Aber es wurde gezeigt, dass diese- feine oberflächliche Schmerzempfindung als zweite Phase eiuer primären Berührungsempfindung auftritt. Wenn bei senk- rechter Nadel- oder Reizhaarführung diese sehr häufig vermisst wird, so liegt dies daran, dass die Haut ausweicht und die Entwicklung der Deformation derselben daher nicht diejenige Steilheit besitzt, welche erforderlich ist, um die primäre Berührungsempfindung über die Schwelle heben. Dass dieser zweitphasische Schmerz in Nerven- zellenkerngebieten zustande kommt, wird durch die gleichzeitige Irradiation bewiesen, welche als peripherischer Vorgang unverständlich wäre. Die entgegengesetzte Annahme, dass die Schmerzempfindung durch spezifische Nerven geleitet werde, aber eine längere Latenz- zeit besitze als die Berührungsempfindung, vermag nicht zu erklären, dass die Schmerzempfindung gleichzeitig mit dem Irradiationsvorgang auftritt, und setzt sich mit der Tatsache in Widerspruch, dass an Stelle der Schmerzempfindung auch eine unterschmerzliche, eine _ hauchartige, drückende, prickelnde usw. Empfindung mit gleicher Latenzzeit und gleicher Irradiation auftreten kann. Es steht nach meinen oben geschilderten Beobachtungen ausser allem Zweifel, dass diese Empfindung mit grösserer Latenzzeit, welche der ersten Emp- findung nachfolgt, nicht einer in der Peripherie anatomisch geson- derten Nervenbahn angehören kann, sondern in grauer Substanz ihren Ursprung nimmt. Hier liegt also in gesicherter Weise der Fall vor, dass Schmerzempfindung durch dieselben peripherischen Nerven geleitet wird wie Berührungs-, Prickelempfindung usw., und dass diese!be einem sehr wahrscheinlich in der grauen Kernsubstanz sich abspielenden Vorgange (Summation) ihre Entstehung verdankt. Dass hin und wieder Schmerz auch als primäre Empfindung auftritt, spricht nicht gegen meine Ansicht. Zunächst ist zu bemerken, dass die „Schmerzpunkte“ — worunter ich solche Punkte verstehe, welche bei senkrechter, punktförmiger, schwächster Reizhaarreizung die Empfinaung schmerzhaften Stechens anscheinend ohne primäre Berührungsempfindung entstehen lassen — sich bei künstlich gestraffter Haut vielfach als solehe herausstellen, welche tatsächlich eine primäre, vorher nicht bemerkte Berührungs- empfindung ergeben. Immerhin kommen auch an gespannter Haut einzelne Schmerzpunkte vor; aber ich finde sie bei Anwendung schwächster Reize nie anders als mit der Latenzzeit, 78 Goldscheider: welche der zweiten Empfindungsphase entspricht; es handelt sich offenbar um Punkte, deren primäre Empfindung untermerklich ist. Nur bei stärkerer Reizung (stärkeres Borsthaar, Nadel) kommen wirklich primäre Schmerzempfindungen vor; aber dies beweist nur, dass dem Schmerz eine höhere Reizschwelle zukommt, welche natürlich auch wenn der angewendete Reiz dieselbe erreicht, ohne Summationsvorgang, d. h. primär, die Entstehung der Schmerz- empfindung gewährleistet. Gegen spezifische Schmerznerven sprechen auch meine Mit- teillunsen über den Einfluss der Erregbarkeit auf das Zustande- kommen der Schmerzempfindung. Reiben der Haut usw. hemmt zugleich mit dem Kitzel auch den feinen Flachschmerz für einige Zeit; zugleich ist die Berührungsempfindung deutlich herabgesetzt. Die zweite Phase der Empfindung kommt zustande, ist aber nnter- schmerzlich (s. oben). Andererseits kann die feine, oberflächliche Schmerzempfindung an den Fingerbeeren durch künstliche Erregbarkeitssteigerung der oberflächlichen Nervenschicht hervorgerufen werden, während sie normalerweise dort kaum anzutreffen ist (vgl. S. 56). Hier ist doch kein Zweifel, dass es nicht die spezifischen Nerven sind, sondern die Verhältnisse der Erregbarkeit, welche die Schmerzempfindung bedingen. Auch die intrakutanen Injektionsversuche zeigen, dass Übergänge von der unterschmerzlichen zur schmerzhaften zweiten Empfindungs- phase bestehen, welche lediglich von der Nervenerregbarkeit abhängen. Für die spezifische Natur der schmerzleitenden Nerven ist geltend gemacht worden, dass die Druckpunkte keiner Schmerzempfindung fähig seien. Ich habe schon früher und neuerdings wieder diese Behauptung nachgeprüft und komme zu folgenden Ergebnissen : Es kommt vor, dass ein Druckpunkt auch bei tiefem, punkt- förmigem Eindruck keinen Schmerz, sondern nur zunehmende Druck- empfindung erkennen lässt. Aber dies Verhalten entspricht nicht der Regel. Häufig tritt bei stärkerem Druckreiz zur spezifischen Druck- empfindung ein quetschender Schmerz. Auch kann ein schnell vorübergehender Schmerz auftreten, während das weitere Eindrücken schmerzlos ist; in diesem Falle scheint der Druckpunkt ausgewichen zu sein, was bei schlaffer Haut leicht erklärlich ist, denn wenn man nun unmittelbar daneben eindrückt, so stösst man auf die zunehmende körnige Druckempfindung, welche schliesslich in Schmerz. übergeht. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 9 An gespannter Haut sind die Resultate viel sicherer. Die Druckpunkte erscheinen dann meist schmerzhaft; es entsteht eine quetschende, langdauernde, zuweilen verbreiterte Schmerzemp- findung, weniger stichartig als auf der druckpunktfreien Haut. Es ist erforderlich, die Druckpunkte sehr subtil zu bestimmen. Es sind feine, eng umschriebene Punkte, welche genau so liegen, wie ich es früher beschrieben habe — das heisst zu Reihen ge- ordnet, oft mehrere Punkte dicht beisammen, aber durch kleinste, lineare Abstände getrennt. Um die triehterförmige Einbuchtung der Haut beim Eindruck zu vermindern, wurde die oberste Schicht der Epidermis mit der Nadel abgehoben und abgezogen. Die schon vorher festgestellten Druckpunkte wurden, nachdem die Erregbarkeit der Hautnerven sich wieder hergestellt hatte, noch einmal mittels Borsthaare und bei Anwendung der Konvexbrille festgelegt und be- zeichnet. Die senkrecht geführte feine Nadel wurde genau auf die körnig-schwirrend empfindenden Punkte eingestellt. Beim Eindruck der Nadel nimmt die körnige Druckempfindung zu, wobei sich ge- legentlich eine noch nicht schmerzhafte, aber „wehe“ Empfindung beimischt; weiterhin aber, bei tieferem Eindruck, entsteht der quetschende Schmerz. Die Druckpunkte, welche übrigens eine un- gleiche Ausprägung ihrer spezifischen Sinnesempfindung zeigen — wie dies auch für die Kälte- und Wärmepunkte gilt —, sind auch von verschieden entwickelter Schmerzhaftigkeit. Häufig wurde be- merkt, dass auf der druckpunktfreien Haut, in der nächsten Um- gebung der Druckpunkte, eine stechende, zuweilen matt-stechende und schnell abklingende Empfindung, am Druckpunkt selbst aber eine stärkere, quetschend-breit-stechende und länger andauernde Schmerzempfindung zustande kommt. Die Beobachtung, dass der Schmerz am Druckpunkt stärker sein kann als in der nächsten Um- gebung, und dass er von eigenartiger Qualität ist, spricht da- gegen, dass es sich beim Druekpunktschmerz um eine Mit- reizung von benachbarten, aber dem Druckpunkt selbst nicht angehörenden Schmerzfasern handelt. Bemerkenswert ist endlich, dass die charakteristische körnig- schwirrende Druckempfindung bei taktiler Druckpunktreizung von einer zweitphasischen Schmerzempfindung gefolgt sein kann. Freilich nicht immer, es kann auch eine der primären Emp-. findung ähnliche, nachhallende Druckempfindung auftreten. Die zweitphasische Schmerzempfindung unterscheidet sich von derjenigen. 80 Goldscheider: auf druckpunktfreier Haut dadurch, dass sie weniger spitzig, vielmehr breiter und härter ist, gleichsam wie ein weher, schmerzlieher, harter Druck oder ein leichter Quetschschmerz erscheint. Im hyperalgetischen Klemmbezirk ergibt die taktile Reizung der Drucekpunkte einen Schmerz von anderer Qualität als an der druckpunktfreien Haut, nämlich einen quetschend- ziehenden, in die Tiefe gehenden, an den neuralgischen erinnernden Schmerz, während derselbe sonst mehr spitzig und oberflächlich ist. Es gelang mir mittels dieser eigentümlichen Schmerzempfindung Druckpunkte richtig herauszufinden, welche sich bei der späteren Kontrolle nach der Entfernung der Klemme als solche bestätigten. Diesem Befunde kommt freilich eine sonderliche Beweiskraft nicht zu, da der taktile Schmerz im hyperalgetischen Felde wahrschein- lich als eine zentral ausgelöste Mitempfindung anzusehen ist. Immerhin ist zuzugeben, dass auch an gespannter Haut ein Druckpunktschmerz fehlen kann, und dass durchgehends die Schmerz- schwelle an den Druckpunkten sehr hoch ist. Aber dies beweist nichts für die Existenz spezifischer Schmerz- nerven, das heisst soleher, welche ausschliesslich der Schmerz- empfindung dienen. Der. Druckpunkt gehört einem spezifischen, differenzierten Sinnesnerven an, dessen Schmerzerregbarkeit zugunsten seiner spezifischen Energie zurücktrttt. Auch das Vorhandensein analgetischer Punkte kann für die Schmerznerventheorie nicht ins Feld geführt werden. Vielfach be- ruht die Schmerzlosigkeit offenbar auf einem Ausweichen der Nerven- enden beim Nadeldruck. Hierfür spricht, dass sich bei gespannter Haut nicht bloss überhaupt sehr selten analgetische Punkte antreffen lassen, sondern dass auch vorher als solche bezeichnete nach herbei- geführter Hautspannung sich als schmerzhaft erweisen. Nur ganz vereinzelt bleibt die Analgesie bestehen. Zuweilen kommt es vor, dass beim senkrechten Eindrücken der Nadel zunächst ein ganz kurzer Schmerz oder eineihm nahe kommende, leicht stechende: Empfindung auftritt, welche bei tieferem Eindruck verschwindet. Hier ist offenbar ein Nervenende gestreift worden, welches entweder ausgewichen ist, oder bei welchem der Vorgang der Druckanpassung, wie ich ihn für die schmerzhafte Klemme be- schrieben habe, sehr schnell eingetreten ist!). 1) Ich trage hier nach, was mir zur Zeit der Abfassung meiner Arbeit über „Irradiation und Hyperästhesie usw.“ nicht gegenwärtig war, dass v. Frey für Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. sl Analgetische Punkte erweisen sich bei künstlich durch die Klemme erzeugter Hyperalgesie als schmerzhaft; jedoch ist diese Beobachtung für die Frage der Schmerznerven nicht sicher zu ver- werten. Das beigebrachte Material genügt, um die Halt- losigkeit der Schmerznerventheorie zu beweisen. Eine andere Frage ist es, ob zentrale Schmerzbahnen und Schmerzempfindungszentren bestehen, nach welchen in der grauen Substanz der Kerne (Hinterhorn usw.) eine Umleitung peripherischer Erregungen stattfindet. Es ist ohne weiteres ersicht- lich, dass diese Theorie nicht mit derjenigen von den peripheri- schen Schmerznerven identisch ist, und wenn man in diesem Sinne von Schmerzbahnen sprechen will, so dürfte sich bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse hiergegen kaum etwas ein- wenden lassen. Schlussbetrachtungen. Die als zweite Phase bezeichnete Empfindungswelle ist identisch mit der von mir 1890 beschriebenen’), in Gemeinschaft mit Gad näher untersuchten „sekundären“ Empfindung). In der betreffenden die Druckempfindung bereits die Erscheinung der Anpassung festgestellt hat und gleichfalls darauf hinweist, dass es sich nicht um Ermüdung handeln könne, da das Verschwinden der Belastungsempfindung die Wahrnehmurg der Entlastung nicht verhindert (Ergebn. d. Physiol. Bd. 13 S. 108. 1913). Bei der Klemme ‚ist die Anpassung der Schmerzempfindung selbst bei stärkster Kompression der Haut eine vollkommene. Sobald bei einem gewissen Kompressionszustand der Schmerz erloschen ist, kann durch stärkeres Anziehen der Schraube ein solcher aufs neue hervorgerufen werden, der dann immer wieder erlischt, bis schliesslich auch bei maximaler Zusammenquetschung kein Schmerz mehr vorhanden ist. "Trotzdem besteht an der betreffenden Stelle auf taktile Reizungen neben Hyp- ästhesie ausgesprochene Hyperalgesie. Hierdurch wird ein Phänomen hervor- gerufen, wie wir es klinisch als „verlangsamte“ oder „verspätete Schmerz- empfindung“ bezeichnen; der Schmerz tritt nach der oft abgeschwächten Berührungsempfindung ein und kann abnorm stark sein. Bei sehr starker Klemmenkompression beobachtete ich dies an der von der Klemme gefassten ‚Haut: abgeschwächte Berührungsempfindung, gefolgt von einer zu bedeutender Höhe anschwellenden Schmerzempfindung, ein nach meinen Darlegungen nunmehr leichtverständliches Phänomen. l) Sitzung der physiol. Gesellsch. zu Berlin, 31. Oktober 1390. Verhandl. d. physiol. Gesellsch. 2) J. Gad und Goldscheider, Über die Summation von Hautreizen. Zeitschr. f. klin. Med. 1891. Pflüger’s Ar.hiv für Physiologie. Bd. 168. 6 2 Goldscheider: Arbeit wurde darauf hingewiesen, dass ich die Erscheinung bereits 'in meiner Dissertation „Die Lehre von den spezifischen Energien der Sinnesorgane“ 1881 beschrieben habe. Ähnliche Angaben, aus denen hervorgeht, dass das Phänomen bereits von den betreffenden Autoren bemerkt worden ist, machen Burckhardt (Physiologische Diagnostik. Leipzig 1875), Beau, O. Rosenbach. Wir zeigten, dass die sekundäre Empfindung durch Reizreihen von einzelnen Induktionsschlägen erzeugt werden kann, während ein isolierter Öffnungsschlag nur eine primäre Empfindung hervorbringt; sie ist bei zweckmässiger Bemessung der Reizreihe durch ein empfindungsleeres Intervall von dem Ende der Reizreihe getrennt. Die Erscheinung wurde von uns dahin gedeutet, dass die Entstehung der sekundären Empfindung auf einem Summationsvorgange beruhe, welcher in ein aus zelligen Flementen bestehendes Schaltstück der Leitungsbahn zu verlegen sei, das heisst in die hintere graue Substanz des Rücken- marks. Ich setze wörtlich hierher, was wir damals nach Diskussion der verschiedenen Möglichkeiten resümierend sagten: „Wir nehmen also an: die Erregung läuft einmal in der langen Bahn dem Bewusstseinszentrum zu und trifft andererseits auf ein- gelagerte Zellen, welche die Erregung nicht einfach fortleiten, sondern welche zunächst nur in einen veränderten Erregbarkeitszustand ge- raten. Erst nachdem mehrere Erregungen hintereinander auf diese Art zur Zelle gelangt sind, wird die aufgespeicherte Energie in Arbeit umgesetzt; die Zelle sendet nunmehr selbst Erregungen aus, welche gleichfalls, aber auf der anderen Bahn, zum Zentrum ge- langen.“ Wir erörterten ferner, dass auch ein einfacher Reiz (einzelner 'Öffnungsschlag) bei hinreichender Intensität die „Summationsbahn“,; ‚als welche wir den Weg durch die graue Substanz ansehen, durch- brechen könne — wie nach Stirling auch starke, einfache Reize ‚Reflexe erzeugen können, obwohl diese nach den Untersuchungen ‚von Stirling (beiKronecker) im allgemeinen nur auf summierte Erregungen hin entstehen —, dass aber auch Reihen solcher Reize summiert werden können, indem die Nervenzelle, durch den starken Reiz sofort in leitende Erregung versetzt, doch noch ein ‚gewisses Maass von Zustandsveränderung zurückhält, welche summiert eine neue Entladung möglich macht. So ist es zu erklären, dass ‚ein schmerzhafter, taktiler Reiz eine unterschmerzliche zweite Phase bzw. eine Bund schmerzhafte Reizreihe eine schwächere Sekundär- Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 83 empfindung hinterlässt. Der mechanische Hautreiz, so folgerten wir, entspricht in seiner Wirkung niemals einem einfachen Reiz, sondern einer Reizreihe. „Die Vergleichbarkeit des mechanischen , Reizes mit der Reizreihe ging so weit, dass auch die Beziehungen des Aus- lösungswertes zum Zeitpunkt der sekundären Empfindung und zur Art und Dauer der Reizwirkung sich als ähnliche herausstellten.“ Die sekundäre Empfindung kann ebensowohl schmerzhaft wie unter- schmerzlich sein; die bemerkenswerte und für das Schmerzproblem grundlegende Tatsache aber, dass die primäre schmerzlose Emp- findung von einer sekundären schmerzhaften gefolgt werden kann, wurde von uns hinreichend hervorgehoben. Die Summationsbahn leitet die Schmerzempfindung, aber nicht jede summierte Erregung braucht schmerzhaft zu sein. Dass Schmerz durch Summation unterschmerzlicher Reize ent- stehen könne, hatte Naunyn unter pathologischen Bedingungen (bei Tabes usw.) festgestellt. Auf die Summation untermerklicher zu merklichen Empfindungen hatten Cruveilhier, Ch.Richet, de Watteville, ©. Rosenbach hingewiesen, und zwar mit Bezug auf elektrische Reize unter normalen Verhältnissen, auf taktile bei Rückenmarkskranken. Das Merklichwerden eines untermerklichen taktilen Reizes durch Wiederholung als normale Erscheinung, wie ich sie oben beschrieben habe, ist meines Wissens bisher nicht hervorgehoben werden. Ich halte an der von Gad und mir damals entwickelten -Vor- stellung auch jetzt fest und finde in den von mir jetzt mitgeteilten Beobachtungen durchaus eine Bestätigung derselben. Die Bezeich- nung „sekundäre“ Empfindung möchte ich jedoch fallen lassen, weil letztere nur eine, wenn auch die bemerkenswerteste, Phase in der Gesamtheit des durch den mechanischen Reiz ausgelösten Empfin- dungsablaufs darstellt, und weil der Ausdruck bereits für ein anderes sinnesphysiologisches Phänomen Anwendung gefunden hat. Dass der mechanische Reiz, wie oben bemerkt, nicht von ganz momentaner Dauer, andererseits aber auch nicht zu langdauernd sein darf, entspricht unseren bei elektrischen Reizreihen erhobenen Befunden und steht mit der Summationstheorie in bestem Einklang. Mein Befund einer oberflächlichen, fein-stechenden Schmerzempfindung (Flachschmerz), welche von einem in tieferen Schichten der Cutis zustande kommenden Tiefschmerz zu sondern ist, deckt sich mit den Feststellungen von v. Frey. 6* 84 Goldscheider: Wenn dieser Forscher für den oberflächlichen Schmerz die freien intraepithelialen Nervenenden in Anspruch nimmt, so scheint mir diese Vermutung sehr berechtigt. Dagegen kann ich der Lehre, dass es sich hier um spezifische Schmerznerven handle, nicht folgen und glaube gute Gründe für meinen Standpunkt beigebracht zu haben. Durch die Autorität v. Frey’s und seiner Schule beeinnt die Lehre von den „Schmerznerven“ auch in die Klinik einzudringen ; ich möchte wenigstens den Versuch, dieser bedenklichen Verwirrung entgegenzutreten, nicht unterlassen. Spricht doch v. Frey jetzt sogar von einem „Schmerzsinn“! Auch Thunberg sowie Alrutz machen mit Recht einen Unterschied zwischen einem in oberflächlicheren und in tieferen Schichten der Haut zustande kommenden Schmerz. Die von Head beschriebene von Trotter und Davies, Hacker, v. Frey bestätigte „referred sensation“, welche bei der Regeneration verletzter sensibler Hautnerven auftritt und iu der Ver- legung einer Hautsinnesempfindung nach einem falschen Ort besteht, ist ohne Zweifel auf die von mir als normale Erscheinung nach- gewiesene Irradiation und das aus ihr hervorgehende Phänomen des „Anklingens“ zurückzuführen. Recht charakteristisch ist in der Mit- teilung von Hacker!) das Auftreten von unlustbetontem Kriebeln in dem verletzten Hautgebiet beim leichten Streichen über die normale Haut (freilich proximal); die betreffende partiell anästhetische Stelle zeigte eine Vertiefung der Schwelle für Tiefenschmerz. v. Frey hat an der „referred sensation“ zwei Formen: die Missweisung und die Kuppelung, unterschieden?). Bei ersterer wird der gereizte Punkt überhaupt nicht nach dem ihm objektiv zukommenden Ort, sondern nur nach einem anderen Punkt verlegt (von diesem aber nicht nach dem ersteren); bei der letzteren wird der gereizte Punkt sowohl an seinem Orte wie an einem anderen Punkt wahrgenommen. Die Beispiele, welche v. Frey gibt, sind typisch. An den beiden von ihm gezeichneten Punkten mit Missweisung tritt diese in proximaler bzw. proximal-lateraler Richtung ein. Auch die Kuppelungsbeispiele sind zum Teil charakteristisch. v. Frey’s Vermutung, dass der 1) Beobachtungen an einer Hautstelle mit dissoziierter Empfindungslähmung. Zeitschr. f. Biol. Bd. 61. 1913. — Vgl. ferner Hacker, Ein Beitrag zum Studium der Regeneration von Hautnerven. Zeitschr. f. Biol. Bd. 65. 2) Beobachtungen an Hautflächen mit geschädigter Innervation. Zeitschr. f. Biol. Bd. 63. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 35 führende Punkt derjenige der niedrigsten Schwelle ist, entspricht durchaus meiner Feststellung, dass vom Phänomen des Anklingens durch Fernwirkung die Punkte erhöhter Erregbarkeit betroffen werden. v. Frey beobachtete diese Erscheinungen an seinem von einer Hypästhesie im Gebiet des N. eutaneus femoris lateralis (Roth- Bernhardt’sche Krankheit) befallenen Bein. Wenn er bezüglich der Erklärung derselben von einer Beziehung zur Überempfindlichkeit der Nerven absieht, weil eine solche nicht nachweisbar sei, so möchte ich doch hervorheben, dass v. Frey selbst die erkrankten Stellen als hyperalgetisch bezeichnet. Es würde zu weit führen, auf die FErörterungen, welche der Autor über die Natur dieser Hyperalgesie und über die Möslichkeit einer gleichzeitig bestehenden Steigerung der Reaktion der Drucknerven anstellt, einzugehen; jedenfalls scheinen mir Merkmale einer Hyperästhesie unverkennbar vorhanden zu sein. Wie aus meinen Beobachtungen über die Verstärkung des Anklingens im hyperalgetischen Gebiet hervorgeht, ist für die Ausprägung dieses ganz normalen Phänomens die Steigerung des Frregungszustandes massgebend. Auch die unter pathologischen Verhältnissen beob- achtete Missweisung dürfte daher als Folge der Hyperästhesie oder Hyperalgesie anzusehen sein; Trotter und Davies beziehen sie meines Erachtens richtig auf die von ihnen so genannte Intensi- fikation. Sie verstehen hierunter die Reaktion mit einer abnorm intensiven Empfindung ohne gleichzeitige Erniedrigung der Schwelle. Ich habe irn vorhergehenden diesen Zustand sowohl als Folge eines einzelnen Reizes wie der schmerzhaften Klemme beschrieben und gezeigt, dass die Schwelle sogar erhöht sein kann, was übrigens die genannten Autoren auch gesehen haben, so dass eine der in der Pathologie so genannten „relativen Hyperästhesie“ analoge Sensibilitäts- störung vorliegt, welche ich als Folge einer Hyperästhesie bzw. Hyperalgesie mit gleichzeitiger Hemmung gedeutet habe. Überhaupt spielt bei den Sensibilitätsstörungen, wie sie während der Regene- ration verletzter Hautnerven beobachtet und beschrieben worden sind, die Steigerung des Erregbarkeitszustandes neben dem Ausfall der Bahnen eine erhebliche Rolle, wobei mit der Möglichkeit, dass der letztere die erstere mitbedingt (v. Frey), zu rechnen ist. Die Ähnlichkeit mancher Erscheinungen mit der künstlichen Klemm- hyperalgesie ist unverkennbar, und der Schluss liegt nahe, dass der Sitz der Erregbarkeitsveränderung wie bei dieser im Rückenmarks- grau zu suchen ist. 86 Goldscheider: Die Untersuchungen an Stellen mit geschädister Hautinnervation haben v. Frey und Hacker auch Gelegenheit gegeben, sich über die Alrutz’sche Theorie der Hitzeempfindung als eines Produktes gleichzeitiger Reizung von Wärme- und Kältenerven aus- zusprechen!), Hacker findet an seiner partiell anästhetischen Stelle, welche Wärmepunkte enthält, aber der Kältepunkte ermangelt, keine Hitzeempfindung und sieht darin einen Beweis für die Alrutz- sche Lehre. Aber die Stelle ist auch analgetisch, bis auf drei Punkte, und an diesen erzeugt ein Temperaturreiz von 50°C. eine brennende Empfindung! v. Frey findet bei grossflächiger Temperaturreizung (20 qem), dass die Temperatur von 32°C. auch an normaler Haut gleichzeitig Kälte- und Wärmeempfindungen erzeugen könne, und dass man dann eine richtige Hitzeempfindung erhält, die sich von der gewöhnlichen nur durch ihre geringere Intensität unterscheidet. Bezüglich dieser Angabe ist mir nun nicht klar geworden, wie v. Frey eigentlich die gleichzeitige Erregung der Kälte- und Wärmenerven feststellt, wenn er die „unanalysierbare“ Hitzeempfindung vor sich hat, in welcher man ja nach Alrutz bekanntlich den Kälteanteil nicht mehr heraus erkennt! Offenbar empfindet v. Frey aber Kälte und Wärme gleichzeitig, wie man aus seinem Wortlaut schliessen muss; in diesem Falle kann er die Alrutz’sche Hitzeempfindung nicht haben; beides schliesst sich aus. Alrutz leitet übrigens die Hitze- empfindung davon ab, dass höhere Wärmegrade auf paradoxe Weise die Kältenerven erregen, was an sich richtig ist; v. Frey dagegen spricht von der gleichzeitigen Erregung beider Nervenarten in der Indifferenzbreite! Die Folge wäre, dass ein Reiz von 32°C. Hitzeempfindung, bei weiterer Steigerung Wärme- und bei noch weiterer Steigerung wieder Hitzeempfindung erzeugen würde. Ich wäre v. Frey für eine Aufklärung dieser etwas dunklen Angelegen- beit sehr dankbar. | Ganz sicher ist jedenfalls das eine, dass das gleichzeitige Vor- handensein einer Kälte- und Wärmeempfindung an derselben Stelle auch nicht den Schimmer einer Hitzeempfindung hervorbringt. Man kann diese Kombination sehr leicht bewirken, indem man eine sehr 1) Ich vermute, dass die von Alrutz als Hitzeempfindung bezeichnete „sekundäre“ „kräftigere thermische Empfindung“, welche der ersten als „zweite Welle“ folgt (VI. Kongr. f. exper. Psychol. Göttingen 1914), identisch ist mit der zweiten Phase der Wärmeempfindung. Weitere Mitteilungen zur Physiologie der Sinnesnerven der Haut. 87 gut kälte- und wärmeempfindliche Stelle aussucht, zunächst ganz kurz einen intensiven Kältereiz appliziert, welcher eine lebhafte Kältenachempfindung hinterlässt, und sodann einen Wärmereiz heran- bringt. Man nimmt dann oft ein Wechselspiel beider Empfindungen wahr, aber keine Hitzeempfindung. Andere Gründe gegen die Alrutz- sche Theorie habe ich ausser in meiner früheren Arbeit!) in der schon mehrfach zitierten Mitteilung über „Irradiation und Hyper- ästhesie usw.“ beigebracht. Was die Druckempfindung betrifft, so betrachte ich zwar die Druckpunkte als die Endigungen spezifischer, auf die Druck- empfindung eingestellter Nerven, muss es aber nach wie vor als un- zweifelhaft ansehen, dass auch an drucekpunktfreier Haut Berührungsempfindungen zustande kommen, welche man durch Fortleitung des Reizes auf Druckpunkte unmöglich erklären kann; ich glaube im vorstehenden hierfür neue Beweise erbracht zu haben. Dagegen stimme ich v. Frey darin zu, dass ein tiefer Drucksinn in der Art, wie ihn v. Strümpell behauptet, nicht existiert. Den von v. Frey angeführten Einwänden?) füge. ich nachfolgende hinzu. Wenn man mittels eines geeigneten Instruments (z. B. einer Arterienklemme) eine Hautfalte fasst und abhebt und nun an der Seitenfläche der Falte senkrecht gegen die letztere Drucke ausübt (s. Fig. 6), so werden dieselben und ihre Unterschiede deutlich als solehe wahrgenommen. Es ist ausgeschlossen, dass hierbei eine Übertragung auf die Tiefe stattfindet. Wenn man nach v. Strümpell mit den Fingern eine Haut- falte erhebt und dann gegen die erhobenen Flächen derselben eine Kompression ausführt, so entsteht zunächst eine Pressung des Sub- kutangewebes und weiterhin der Cutis, aber nicht diejenige von aussen nach innen gerichtete Deformation der letzteren, auf welche die druckempfindenden Nerven eingestellt sind; der Erfolg ist daher eine Schmerz-, aber keine Druckempfindung. 1) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 75 H.1 u. 2. 2) Beobachtungen an Hautflächen mit geschädigter Innervation. Zeitschr. f. Biol. Bd. 63. 28 Goldscheider: Weitere Mitteilungen zur Physiologie usw. Ich erzeugte ferner bei mir an verschiedenen Stellen des Unter- armes und der Streckfläche des Handgelenkes durch intrakutane Novocain- Suprarenin-Injektionen anästhetische Quaddeln von hin- reichendem Umfange. Der Druck wurde mittels eines Zündholz- kopfes ausgeübt. Der Erfolg war stets der gleiche: die eigentliche Druckempfindung ist verschwunden, der Eindruck erscheint weich, seine Zu- und Abnahme wird undeutlich empfunden, die Empfindung der Härte, des Festen fehlt vollkommen. Bei tieferem Eindruck gesellt sich die charakteristische Empfindung des Muskeldruckes hin- zu, welche leicht einen schmerzlichen Anfiuz erhält und nichts mit der natürlichen Druckempfindung zu tun hat. Es ist daher wohl kaum richtig, wenn v. Strümpell den Drucksinn dem tieferen Gewebe (Muskeln usw.) zuschreibt. Auch die pathologischen Vorkommnisse beweisen dies nicht. Wohl aber existieren ausser den spezifischen Drucksinnesnerven der Haut sowohl oberflächlich wie in der Tiefe und sicherlich auch im subkutanen Gewebe, sowie an Faszien, Periost usw. Nerven, welche, mechanisch gereizt, eine dumpfe, druckähnliche, bei höherer Reizung schmerzhafte Empfindung geben. Ich erzeugte an der Streckfläche des Metacarpo-Phalangeal- gelenkes meines linken Daumens durch intrakutane Novocaininjektion eine anästhetische Quaddel. Die Druckempfindung der Haut erschien aufgehoben, bei tieferem Eindruck jedoch kam die Empfindung des Festen und Harten, welche man beim Druck auf den Knochen hat, deutlich zustande, und ich vermochte auch Druckunterschiede wahr- zunehmen. In der Gesamtqualität wich die Empfindung freilich wegen des Fehlens der kutanen Komponente von derjenigen in der Um- gebung ab, und die Wahrnehm.ung der Härte erschien auch im Ver- gleich zu dieser etwas gemildert. Nach mehrfachen, tiefen Ein- drücken schwächte sich die Härteempfindung noch mehr ab, offenbar weil die anästhesierende Flüssigkeit mechanisch in das Periost ein- gepresst wurde; aber sie blieb immerhin merklich bestehen. Für das Vorhandensein tieferer Druckempfindungen, speziell am Periost, spricht auch die ausserordentliche Persistenz der Emp- findung des Knochendruckes. Vorstehende Untersuchungen wurden zur Zeit des grossen Krieges in meinem Standquartier Laon ausgeführt. 89 (Aus dem physiologischen Institute der k. und k. tierärztl. Hochschule in Wien.) Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung und über die Möglich- keit des Ersatzes der Salzsäure durch Brom- wasserstoflsäure im Magen. Von Dr. Viktor Batke. Als durch die Untersuchungen Voit’s!) die Wichtigkeit und Notwendiekeit der Salzzufuhr für den tierischen Organismus dar- gelegt worden war, hat die Frage nach der funktionellen Bedeutung der Salze eine vielfache Bearbeitung erfahren. So sind wir durch eine Reihe wertvoller Untersuchungen allmählich zur Kenntnis gelangt, dass bestimmte Organfunktionen an die Gegenwart ganz bestimmter Salze gebunden sind, ohne dass es jedoch bis heute gelungen ist, tiefer in den Mechanismus dieser Wirkungen ein- zudringen. Die Schwierigkeiten, die sich der Lösung dieser Probleme entgegenstellen, sind ganz besonders grosse, weil ein dauernder und vollständiger Entzug bestimmter Salze schwer durchzuführen ist, da der Organismus über die Fähigkeit ver- fügt, die ihm notwendigen Salze bei mangelhafter Zufuhr mit der grössten Zähigkeit festzuhalten. So ist es uns besonders aus den Untersuchungen über den Kochsalz- resp. Chlorhunger bekannt geworden, dass der Organismus die Zufuhr einer chlor- armen Nahrung sofort mit einer verminderten NaCl - Ausscheidung im Harne beantwortet, die bei fortgesetztem Chlorhunger so weit eingeschränkt werden kann, dass nur mehr Spuren von Chlor den Körper verlassen. Hinsichtlich der Beziehungen zwischen Chlorbestand des Körpers und Magentätigkeit kann wohl kein Zweifel darüber walten, dass das Kochsalz des Blutes die Muttersubstanz der im Magen sezer- nierten Salzsäure darstellt, und dass quantitative Beziehungen zwischen der Kochsalzkonzentration des Blutes und der ab- geschiedenen Salzsäuremenge bestehen müssen, da nur ein Teil 1) Voit, Sitzungsber. d. bayr. Akad. Bd. 2 S. 483. 1869. 90 Viktor Batke: des im Blute vorhandenen Kochsalzes zur Salzsäurebildung den Magendrüsen zur Verfügung stehen dürfte. Es wird deshalb jede Herabsetzung des Chlorbestandes des Organismus mit einer Ein- schränkung der HÜl- Sekretion beantwortet werden. Diesbezügliche Versuche sind von Forster!) und später von Rosemann?) angestellt worden, durch die gezeigt wurde, dass selbst lange an- dauernde chlorarme Ernährung oder Hunger niemals ein Versiegen der HCl-Sekretion hervorruft, ja dass unter diesen Bedingungen der relative HCi-Gehalt im Magensaft nur unbedeutend herabgesetzt wird und nur seine absolute Menge eine deutliche Verminderung erfährt. Entsprechend den Ergebnissen dieser Versuche muss die im Magen sezernierte Salzsäure nach ihrer Neutralisation im Darm resorbiert werden und als neuerliche Chlorquelle dem Organismus weiter zur Verfügung stehen. Da durch die gleichzeitige Einschränkung der NaCl-Ausfuhr durch den Harn der Chlorgehalt des Organismus sich nur unbedeutend vermindert, so wird durch den intermediären Kreis- lauf der Chloride die Magenverdauung lange Zeit fast unbeschränkt erhalten bleiben. Chlorarme Ernährung ist daher nicht der Weg, auf den der Chlorbestand des Organismus in absehbarer Zeit erheblich herabgesetzt werden kann, worauf auch Rosemann bereits hin- gewiesen hat; es muss vielmehr, um diesen Zweck zu erreichen, dem Körper erhebliche Mengen von Chlor auf andere Weise entzogen werden, was nur durch Entzug von Magensaft bzw. Mageninhalt zu erreichen ist. Da es sich bei meinen Versuchen in erster Linie darum handelt, festzustellen, ob im hochgradigen Chlorhunger das Chlor durch zu- geführtes Brom in funktioneller Hinsicht vertreten werden kann, war es notwendig, ein Kriterium zu finden, das, ohne das Tier zu schädigen, die systematische Untersuchung der aufgeworfenen Frage erlaubte. Dass die Magendrüsen unter gewissen Bedingungen neben HCl auch HBr sezernieren können, kann bis zu einem gewissen Grad als sicher angenommen werden; es wurde daher die Unter- suchung der funktionellen Vertretung des Chlors durch Brom bei der Magentätigkeit ins Auge gefasst. Zu diesem Zwecke wurde zuerst der Einfluss des hochgradigen Chlorhungers auf die Leistungen des Magens untersucht und dann in diesem chlorarmen Zustand der Einfluss der Bromzufuhr auf die Magentätigkeit studiert. Über den Einfluss des Chlorhungers auf die Verdauungstätigkeit liegen, 1) J. Forster, Zeitschr. f. Biol. Bd. 9 S. 297. 1873. 2) R. Rosemann, Pflüger’s Arch. Bd. 142 S. 208. 1911. Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. 91 soweit ich die Literatur überblicke, nur zwei Untersuchungen vor, von denen die im Jahre 1886 von Gahn!) ausgeführte von Rose- mann hinsichtlich ihrer Beweiskraft angezweifelt wurde, und die Arbeit von Rosemann?) selbst, der den HÜOl-Gehalt und die Mengenverhältnisse der Magensaftproduktion bei chlorarmer Er- nährung und im Hungerzustand untersucht hat. Da die verdauende Tätigkeit des Magens seiner motorischen Leistung parallel geht, war die Untersuchung der Motilität der Weg, um über die Gesamtleistungen des Magens Aufschluss zu bekommen. Nachdem auf diese Weise die Beziehungen zwischen Chlorentzug und darauf- folzender Chlorzufuhr zur Magentätiekeit festgelegt waren, wurde die "Möglichkeit des Ersatzes des Natriumchlorides durch Natriumbromid untersucht, wobei das Studium der Magenmotilität und der Azidität des Magensaftes den Maassstab für den geleisteten Ersatz bilden sollten. Dass das Natriumehlorid im Organismus durch Natriumbronid überhaupt substituiert werden kann, ist durch die Untersuchungen Bönniger’s?) bekannt geworden. Ich verweise dabei auf seine Untersuchungen, durch die gezeigt wurde, dass ein chlorfrei gefüt- terter Hund, der erst am 45. Versuchstage die ersten Zeichen des Chlorhungers darbot, durch kleine Bromnatriumgaben vollkommen wiederhergestellt wurde und monatelang unter denselben Bedingungen wohlbehalten blieb. Ferner auf Untersuchungen desselben Autors, dass bei kochsalzarmer Kost und konstanter Bromnatriumzufuhr sich im Blutserum und in den Blutkörperehen ein Gleichgewichts- zustand zwischen Chloriden und Bromiden herstellt, ohne dass die Gefrierpunkterniedrigung des Serums sich dabei änderte, also hin- sichtlich der osmotischen Wirkung das NaCl das NrBr vertreten kann. Derselbe Autor konnte auch zeigen, dass nach länger andauernder Bromnatriumzufuhr das Verhältnis Cl/’Br im Organismus ein kon- stantes wird und nur vom Chlorbestand des Organismus und von der zugeführten Brommenge abhängt, wie es seine Untersuchungen des Blutserums, des Harnes, des Magensaftes und des Schweisses ergeben haben. Dass die Magendrüsen bei reichlicher Bromzufuhr Brom- wasserstoffsäure sezernieren können, wurde mehrfach und mit 1) Cahn, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 10 S. 522. 1886. 2) Rosemann,|. c. 3) M. Bönniger, Zeitschr. f. exper. Pathol. Bd. 4 8. 414. 1907; Bd. 7 8.556. 1910; Bd. 14 S. 452. 1913. — Deutsche med. Wochenschr. Bd. 39 S. 710. 1913. 03 Viktor Batke: verschiedenem Resultat untersucht. Während Richet') eine BrH- Sekretion verneint, sind Külz?) im Jahre 1887 und 10 Jahre später Nencki und Schumow-Simanowsky°) zu positiven Resultaten gelangt, die durch meine Untersuchungen gleichfalls bestätigt werden. Wenn nun auch nach Bromnatriumzufuhr sich im Blute ein Gleich- gewichtszustand herstellt, der darauf beruhen dürfte, dass die gesunde Niere, wie Frey?) nachgewiesen hat, das Natriumbromid vom Natriumchlorid nicht zu unterscheiden vermae, sondern die Bromide und Chloride nach ihrem Verhältnis im Blute durch den Harn eliminiert, und auch die übrigen Drüsen kein Unterscheidungs- vermögen für Bromide und Chloride besitzen, da nach Bromzufuhr sich auch im Schweiss, im Magensaft und in Exsudatflüssigkeiten das Verhältnis Cl/Br das gleiche wie im Blute ist, so muss trotzdem das Brom das Chlor in allen seinen Funktionen nicht vollwertig vertreten können. Und gerade bei der Wirkung des Magensaftes auf die Nahrungsstoffe muss es ganz und gar nicht gleichgültig sein, ob HBr oder HCl sezerniert wird, weil diese beiden Säuren sich hinsichtlich der Aktivierung des Propepsins, der Quellung der Ei- weisskörper und bei ihrer Wirkung beim Pylorusmechanismus ver- schieden verhalten könnten. Im folgenden wird nun gezeigt werden, wie die motorischen Leistungen des Magens. im Chlorhunger ablaufen, und dann, sobald sich hochgradige Erscheinungen des Chlorhungers eingestellt haben, wie sich diese nach Zufuhr von NaCl bzw. NaBr verhalten. Da aus allen vorliegenden Literaturangaben es fast unmöglich erscheint, durch Verfütterung salzfreier bzw. salzarmer Kost den Chlorbestand des Organismus infolge Einschränkung der Cl-Ausfuhr innerhalb einer kürzeren Zeitperiode zu vermindern, so blieb nur der HCI-Entzug vom Magen aus als die einzige sichere Methode, die binnen kurzem zu dem gewünschten Ziele führte. Die Prüfung der motorischen Leistungen des Magens wurde in der Weise vorgenommen, dass bei Magenfistelhunden nach Verfütterung einer bestimmten salzarmen Versuchsfuttermenge einige Stunden später der Magen entleert wurde und aus seinem Inhalt die Menge des aus dem Magen entleerten 1) Richet, 2) FE. Külz, Zeitschr. f. Biol. Bd. 23 S. 460. 18837. 3) M. Nencki und Ed. Schoumow-Simanowsky, Arch. f. exper. Path. Bd. 34 S. 313. 1894. 4) E. Frey, Zeitschr. f. exper. Path. Bd. 10 S. 522. 1912. Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. 03 Futters berechnet wurde. Gleichzeitig war durch diese Methode die Möglichkeit gegeben, wenn täglich ein Versuch ausgeführt wurde, täglich mit dem Mageninhalt eine ganz erhebliche Chlormenge dem Tier zu entziehen, wodurch innerhalb weniger Tage die Erscheinungen ‚des Chlorhungers zutage traten. Das erste Zeichen dieses Zustandes war immer die verminderte Fresslust. Während das Versuchstier toch ohne weiteres das Versuchsfutter zu sich nahm, blieb das Nahrungsfutter in der ersten Zeit des Chlorhungers teilweise, später ganz unberührt. Auch trat eine von Tag zu Tag sich stei- zernde Mattigkeit und Schläfriskeit auf, so dass der Hund in diesem Zustande oft kaum zu bewegen war, auch nur einige Schritte zu machen. Wenn diese Erscheinungen so hochgradig wurden, dass ‚absolute Nahrungsverweigerung und Hinfälligkeit eintraten, wurden dem Versuchshunde einige Gramm Kochsalz in Wasser gelöst ge- reicht und dem Nahrungsfutter gleichzeitig eine kleine Menge NaCl zugesetzt, worauf die beschriebenen Erscheinungen innerhalb der nächsten 24 Stunden fast vollständig schwanden, der Hund wieder Futter zu sich nahm und wieder den Eindruck eines völlig gesunden Tieres erweckte. Wurde in dem Stadium des hochgradigen Chlor- hungers Bromnatrium statt Chlornatrium gereicht, so trat nur eine ganz vorübergehende, etwa 1 Tag währende Besserung des Gesundheits- zustandes des Versuchstieres ein, die in einem teilweisen Wiederauf- treten der Fresslust des Tieres bestand und die am folgenden Tage trotz neuerlicher Bromnatriumzufuhr wieder schwand. Das Tier kam hierbei zusehends immer mehr herab, so dass nach drei- bis viertägiger Bromzufuhr der Zustand des Tieres so bedenklich wurde, dass der Bromversuch abgebrochen werden musste und dafür Kochsalz gereicht wurde, worauf sich das Tier innerhalb 1—2 Tage vollständig erholte. Da nach den Versuchen Bönniger’s ein im Chlorhunger befindliches Tier durch kleine Bromgaben am Leben erhalten werden kann, so ergibt sich mit meinen Befunden ein Widerspruch, der dadurch seine Aufklärung finden dürfte, dass meinen Versuchstieren auch in diesem Stadium mit dem Mageninhalte relativ grosse Mengen von Chlor entzogen wurden, wodurch das Verhältnis von Chlor zu Brom im Organismus ein solches werden musste, das der Organismus nicht mehr ertragen konnte, da durch die Bromzufuhr auch die Chlor- ausscheidung im Harne, wie aus den Versuchen Frey’s hervorgeht, steigen muss. Diese Tatsache spricht bereits dafür, dass das Brom nicht imstande ist, das Chlor vollwertig zu vertreten. 94 Viktor Batke: Es wird nun in vorliegender Arbeit versucht, zwei Fragen zu beantworten: die eine dahin gehend, wie sich die Magenentleerung und damit auch die Magenverdauung bei fortschreitender Kochsalz- resp. Chlorarmut des Körpers verhält, und die zweite, ob diese Körperfunktion bei einem im Zustand hochgradiger Chlorarmut be- findlichen Tiere durch Zufuhr von Bromnatrium wieder normal wird, also das Brom in dieser Beziehung das Chlor funktionell vertreten kann. Als Versuchstiere dienten zwei Magenfistelhunde. Die Versuche wurden derart angestellt, dass den Hunden täglich zur bestimmten Zeit, während sie im Gestell standen, 250 & gehacktes und mehr- fach mit destilliertem Wasser ausgekochtes Pferdefleisch gereicht wurde, nach 2 Stunden der Magen entleert und wiederholt mit warmem Wasser ausgespült wurde. Der Mageninhalt wurde am Wasserbade zur Trockene gebracht, bei 110° C. vorsichtig getrocknet und sein Stickstoffgehalt nach Kjeldahl bestimmt. Dadurch konnte fest- gestellt werden, wieviel Mageninhalt 2 Stunden nach der Fütterung den Magen verlassen hat, wenn der Stickstoffgehalt der verfütterten Nahrung bekannt war. Dieser wurde aus einer Reihe von Fleisch- proben nach Kjeldahl bestimmt und der gleichfalls nach Kjel- dahl bestimmte Extraktivstickstoff in Abzug gebracht. | Zur Aziditätsbestimmung wurde ein Teil des unverdünnten Maeeninhaltes zentrifugiert, das Zentrifugat filtriert und mit Tin Natriumlauge titriert, wobei Phenolphthalein als Indikator diente. Für die weiter unten ausführlich geschilderten Brombestimmungen wurde ein Teil des Mageninhaltes zur Brombestimmung genommen und sein Stickstoffgehalt bei der Berechnung des gesamten Magen- inhaltes selbstverständlich in Rechnung gezogen. Das Nahrungsfutter für beide ziemlich gleich grosse (15 kg) Hunde war während einer Versuchsperiode immer dasselbe, es bestand pro die aus ®?/ı kg gehacktem und mehrfach mit destilliertem Wasser aus- gekochtem Pferdefleisch, dem in der Salzperiode 3 & NaCl bzw. NaBr zugesetzt wurde; ausserdem erhielten die Tiere während der Salzperioden immer gleich nach Beendigung des Versuches pro die 2 g des Salzes in Wasser gelöst, das sie immer gern aufnahmen. Die folgenden Tabellen und Kurven geben Aufschluss über die erhaltenen Resultate, und zwar beziehen sich die Tabellen I, H, II und VII auf den Versuchshund Box] und die Tabellen IV, V, VI und VIII auf den Versuchshund Schnauzi. 95 Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. zjesydoy AN = z[esyooy] auyg — ZIBSYOONL AU = | a | St = TE Er N | 0/9 %/o 0/0 | NS N3 AOYNJIUEN unz : peyqur zyenZ YEHPIZV ; a nepA9A nepaoA‘ ;6 8 L 9 G y cc, ee) BC EST cc, [14 7 ac), [14 :Q Sc ZIRN 'Z E62 6081 8E'9T LS'IE 0021 Sc ZIUN "LT cc u No ach), «u Werd Sc a, (et SA EROG cc), cc, ‘78 (etc) ac, g8's$ 0888 898 r1'98 LI’ IEı1 18°61 LPT 6806 denIgod "66 denigam "Ts —"LT 3 N3 y>stayopAoJd requt S9J400N98 wıngeq -UOOBN 3.098 :10nJ -STONSIOA ‘g G Sl (ee u nn nn, ‘Ja997Ju9 SIONMJSyonSsa9A Sep Sunyoroy eu uopung zZ uosem (soyonstoA sap Sansıpusag yoru yprajdos OKOJSAHNEIXT OUgo YosToyapıaJd SOID0N93 pun soyyoeyad IN 77; :3UNA9JIN A) ‘Punyjossyuasen ‘Ixoqg ESYPOY pun ogojsanyeyxy ougo ‘ysfoyapao7g waypoNa3 pun wegyoeyad 30cz Sue nu purjsoq 29JInJSsy9nSsı1aA TSNDSET Viktor Batke 96 zyesy9o] FIN 06 IE 69 12°8 dad EA ge, ZIEN 7% 0% 94 2% 188 rer 6r‘rE sc, rc prworg 08 99 v8 942 66% 01:27 se 08% -UNIGEN HN L9 L9 88 04% = 129 9 Lue suT 60°8 SL ZIUI "G %/o 0/0 %/o N 3 N 3 3 N 3 ydsi9gdpI9JT SINN eur pequt fequt s9Jy90Y38 wnyed VA FEHPIZV -U9dU N TERDA IUBPISA -UOICN -U9IeC 3 062 : 109907 -SYINSIOA 6 8 L ® '< 7 'g < 1 ‘I1997JU9 SIONFSTINSIOA SOP Funypray ydeu uopunyg z uasem (Soyonsıo‘ Sop Zundrpusog yaeu Y9IO]S0S ‘HYOISANNEIXT OUyo YOSITOYapıaJg SO}QD0N93 pun soypeyad 34 F/, Sunday gng) "ZIBSy90Y pun 9YOISANTEIX Hugo YOSTOFOPIOFT W903 pun waNpPega3 3 (cz sag anu purysoq 2oy7nzsyonsaay ‚punyjo)syuosen °[Txog "II OTISqEL D> 9 Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. i “ . 9 02°% 48% Ir’sL | Sc | "28 et urct| oor | 53 2 Ag 998 21:63 ac dv _*Iz ET N EI ER Eee: s 7) “) “ "06 OL 89 LF ıg'E 86‘8 1618 sg | a, prwoaq | 09 v< IF yg 1:2: sel = 0 -WLIEN IN | 0L v4 Ip v8 01'r I1'TE Sc | Be. 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Bd. 168. ktor Batke: Vi 98 001 ır gs s6E LGe 81'983 ach, mıdy ‘IL zyesq9oy] MW A n ; k 4 08 6F IS Bsich 7. ı9'8 0r12 cc ZIEH "IE zesypoy Juyo — = | = = | = = Er ZIEN 08,85 ( Der 0, 08 Fra rag 86'%8 Se 2 | 69 18 88 83% SAgstq sc 2.9 08 re) eg 81% LıF ss'cE cc erg zyesqdoy] auyo R : L « 06 122 94 357 ggg 19°%3 ec 7 | 001 Fr eG Ir LE 8 #1 ec, une oT 122 96 rer Ie‘E | 1108 ce, ZIUN 86 0 0/0 9/0 | N 3 N 3 3 N 3 ar yequr | yequf a ne umge sn, 2 ZV i 1ep.A9 | nepI9 2 m2o31 red ZEN VerpIzV -UOdeN IEBSN ZN EERA -uodeW -u9se 3 093 :1oınJ | -SYINSII A ‘6 8 “9 | de "Fr 'g s ar a99pJuO SIOommjsyonsaoy sap Funpray weu uopung z uodem (’sSOyonsıoA sop Zundıpusagg yo9eu YIO]Sos “oyoIsanyeryxt dugo WOSTOy>PpIaJT SOrD0N93 pun soyyorges 34 Fjg :3un19J7n,]) 'zJesydoy pun HFoJSANNEAINT Hugo Y9SIEYaP-AaJg WOIQI0N98 pun wojyPeyad 3 0%z Sue nu puwsoq A9JYNFSYINSIOA -punyjo4syguosen zneuyps "AT OTIOAEL 99 Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. | 00T e 19 LcH 86% ER oc, er ANREISE! {| OL 16 | 65 BL E asE #62 | Sc jndy °C] ( 08 89 LE 88% GL’v sT'sE EL en prwoaq 0F 09 0F 20'8 847 00.98 EN, ec -WNLIYENT JI 08 69 IF IT'E 1227 80.28 Sa 21 0F LS er 888 137 99°I8 Eon tady II Wil EEE N] WIBBERNSESERENEN DEREBEEÄNBERS 3 EREBESeem Eehn a RT DrS., 08 9 gg 87% L6F LE LE cc, u zespoy Auyg 08 9 Ge 89% 6% 6r'8$ ec), 6 08 X 7 228 67 18°93 cc Iady 'g ——— 10000 ET 5 6F IS 988 69°8 L'92 cc, wg -RSDON HN | LS | ep 2B°E | SE 31'9€ | cc, | udy ‘9 ra [ cz 69 IE v6 | 18% 08°98 < an zröse: 08 69 IE 38° 839 962€ ge, 7 DE 30 04 89 rd 173 a 39€ ac ig 06 S12 8 be 098 9°T8E cc mdy zZ I EN IE TEEEN ER Pa en 001 IF £4 sg | LgE 21'93 cc, adv I z[esyooy AM 001 6P 08 see L9'8 0F'L3 ey) ZEN IE — _ = weils — — ZIUN 08 "82 ————— 0 N 010 al Peer %o % 9% N 3 N 3 3 N» AONMLIUEN ypequr yyeyqur yjerur bed uneq umz zyesnz yeppızy E mepaoA aepI9A ä a SIITION9D 9 0CZ uose uade usse :1ONF-ONSAOA 6 ae ee) ‘Q 7 'g Xe Oi use (SOyansıoA Sop Sundtpuoag ydeu YDI9]SoS A997JU9 SAOynrSsyOnSsA9A SOp Sunydlayy ypeu uapunyg Z “OFOISANNENIRH 9ugo YosTogapaaFg SOJqDoyo8 pun soyyoeyad IN ve Tesypoy} pun 9yosanyenxf oUuyo *‘yosıoyopaajı WEID0NE8 pun weINDRyad yo ypstogop.Iejd 29020 7 A -punyjsjsyussen “zneugps "A OT[oqeL :3undoyyn Ay) 3 065 Sue mu puersoq doJynysyonsaoy 7* Viktor Batke: 100 zjesq904 JIA IF IE cc, judy eg an 06 09 0F e0‘E 364 oTLE ag, eig 04 19 68 6% 097 98‘IF ec, Indy '08 - 08 &L 18 0° 044 0057 ec, 26T zjesypoy auyg 08 99 179 09% cr 00,8 cc SET 08 08 09 rahkS g8'e 1218 ac, jady °ı1 zjesy9oy MN 001 68 19 IK 6% 913 se, lady '9L Fe en Be ee er Bee rer Fa %/o op 9 N 3 N 3 3 N 3 Sun LERIEHEIROIR | -IJeN unmz ypequt ; 5 eqyur ypequt S9Y490498 wnye(] yeypızy ee mepIoA mepaoA „use -uoge 3 062 :1o9ny -STINSIIA 6 8 a ‘9 Q 7 'G % AI use (SOyonsroA Sop Fundıpusog yoeu y9IO]Sos ‘yoIsayyenxg duo “yostoyapıojg SOPTeySS. pun s9}Q90N98 SH F/e -J199[Ju9 SIOJMJSYONSI9A SOp Sunyaroy ya9eu uopums Z :3und9In A) "zyesydoy pun HpOoJsATeNx auge “yostoyopısjg WEIONES pun woINpRgs8 8 0cz Sme an puejsogq TOFINJSTONSsIaA -punyfa)syuosen “Tzneuyas "IA OII94®EL 101 Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. == OST 68 89 ae 172 0981 cc, Zeh en | = | 08 e< | 85 | 298 | 26'8 | 0F°0R | < TUI '9T zjesyooyy auge) | —_ | 06 L8 | el | 86.0 | Lg'9 g1’°9 | ge | te 'SI | : Om ’9 Ge re N | alle ce an A OLI 19 & 967 667 | Rs SscL "gl le) : 007 SH | re RN Se) a (| Amısod 08 84 aa A 97 | 1188 sc, N II = 08 9% v2 r0'7 ICE 8618 EL 0 z[esyoo] — 0F ge any Ir‘E 11:98 sc 6 ug == 0L 127 94 | 85 see L9'SZ ‘gl ‘8 =. 06 98 ee 313 0912 cc EN 'L zyespooy] MN = 001 & VS eriie 98% | se, N ‘9. = 09 94 vr E8 er | 0988 | EL RG — 08 sr 84 107 vce 86.13 ce il == 08 Er LS Er 88 L9°° cc 'g = 06 v LS IE 7 738 07'88 sch 2 ei ee 001 8 ‚9 087 cu‘z 90'77 ce ww 7 = O1 98 iX) 08° 17 6918 ce 08 = OL 88 9 sLr 888 | 19 aypequr 0/0 io a & nn PEN eyur AuEN wı sıomgoeu | YEHPIZV 2 zyesnZ ; -woag, -UODE ‘or "6 ‘8 L ynepIoA ‘9 scy 208 09°87 sch tung 'T 885 85% 00°68 EL tem 'I8 69T | g8‘q 688 | sc | teIN '08 60°% | gp°C 64er EL eg 06.1 994 9817 Sc '8G 90° a2: yo'ch EL EI "La ea ee ae nn 6% 197 <0‘9E | sc „96 AR: SZ 18°<8 ce "cz Au, org or | ve v7 IE | ves 892 | sg IE "8% 18% | 89°r 988 sc 8 818 LET sTLE CL eg 868 398 vL’oE gel 08 187 ve LTE a "61 e = => = 1e '81 une ur ee a Eee ee ee N 3 N 3 3 N 3 y9stoy>apAoJg ypequn ypeyur s9JqJoN wnyed ae -UOSBN -uodent |? 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Die herabgesetzte Salzsäuresekretion findet gleichzeitig in einer starken Abnahme der Azidität ihren Ausdruck, die im Ver- laufe von wenigen Tagen oft auf ein Minimum herabging. Dabei ist zu bemerken, dass die beiden Hunde, ja selbst derselbe Hund, in verschiedenen Versuchen sich etwas verschieden verhielten, was zweifellos mit dem Ernährungszustand resp. mit dem Kochsalzbestand vor der Versuchsperiode, worauf Rosemann bereits aufmerksam gemacht hat, zusammenhängen dürfte. War nach einer Salzhunger- periode nur einmal 5 g Kochsalz gereicht worden, so schnellten plötzlich sowohl die Azidität als auch die motorischen Leistungen des Magens rasch in die Höhe, so dass bereits am ersten Versuchs- tage nach der ersten Kochsalzzufuhr dieselbe Leistung des Magens, ja oft sogar eine grössere beobachtet wurde als zu Beginn der sanzen Versuchsperiode. Verfütterte man Bromnatrium statt Kochsalz am Ende einer Chlorhungerperiode, so war allerdings auch in einzelnen Fällen eine geringe Zunahme der motorischen Leistungen des Magens gegenüber der salzfreien Periode zu beobachten; diese war jedoch niemals mit der Steigerung nach Zufuhr der gleichen Kochsalzmenge zu ver- gleichen. In einzelnen Fällen (siehe Tabelle II, VII und VIII) kam es sogar zu einer weiteren Einschränkung der Magenmotilität Bemerkenswert ist, dass hierbei die Azidität des Mageninhaltes nicht parallel den motorischen Magenleistungen sich änderte, sondern trotz Einschränkung der Motilität eine Steigerung erfuhr, die manchmal ganz bedeutend war, wenn auch niemals so hohe Werte erreicht wurden, wie sie auch nur nach einer einmaligen NaCl-Zufuhr im Chlorhunger auftraten. Diese Zunahme der Azidität deutete bereits darauf hin, dass durch die Bromnatriumzufuhr die Bedingungen zur Säuresekretion im Magen verbessert wurden, ohne dass jedoch damit schon ausgesprochen werden konnte, ob jetzt im Magen BrH sezerniert oder nur durch die Gegenwart von BrNa im Blute mehr NaCl für die HC]-Produktion zur Verfügung steht. Der zuerst ausgesprochene Gedanke hatte mehr Wahrscheinlichkeit, da die Einschränkung der Motilität trotz zunehmender Azidität für die Gegenwart einer anderen, die HCl nicht vollwertig zu vertretenden Säure sprach. Da sich 104 Viktor Batke: sanz bedeutende BrH-Mengen durch die unten angeführten Ver- suche nachweisen liessen, kann nur angenommen werden, dass durch die Sekretion von BrH bei ungenügender HCI-Abscheidung die Magen- verdauung erheblich verlangsamt wird. Da bei beiden Versuchstieren, wenn sie nach einer Chlorhungerperiode am ersten oder zweiten Tage der Bromzufuhr noch Nahrungsfutter zu sich genommen hatten, nach 20 Stunden immer der Magen leer gefunden wurde, so ist daraus zu schliessen, dass die Verdauungstätigkeit nicht aufgehoben, sondern, wie aus den Versuchsprotokollen hervorgeht, nur verzögert ist. Diese Tatsachen lassen auch den Schluss berechtigt erscheinen, dass das Brom das Chlor bei der Verdauungstätigkeit vertreten kann, und nur der Abbau und damit die Magenentleerung verzögert ist. Da jedoch die Versuchstiere bei exzessivem Chlorhunger nach Bromzufuhr nach einer kurzen Periode der Besserung immer hinfälliger werden, so ' sind wahrscheinlich durch den hohen Bromgehalt des Blutes, der ja entsprechend den Untersuchungen Bönniger’s auftreten muss, eine Reihe von zentralen Funktionen geschädigt, die nur bei Gegen- wart von Chlor ungefährdet erhalten werden können und die jetzt unter dem Einflusse der hohen Bromkonzentration des Blutes nicht mehr ablaufen können. Brombestimmungen. Das Brom wurde zunächst qualitativ, dann auch quantitativ nachgewiesen. Zu diesem Zwecke wurde ein Teil des Mageninhaltes r mit einer bestimmten Menge E -HCl und einer kleinen Menge Pepsin versetzt und bei 37° C. so lange verdaut, bis vollständige Lösung eingetreten ist. Die erhaltene Lösung wurde mit Na;C0O, schwach alkalisch gemacht und am Wasserbad zur Trockene gebracht. Der Trockenrückstand wurde bei etwa 100° C. vorsichtig getrocknet, ge- wogen und sein Stickstoffgehalt nach Kjeldahl bestimmt. Zur Bestimmung des Broms wurde 1 g des Trockenrückstandes mit der zwanzigfachen Menge KNO, und Na,;C0O, (im Verhältnisse 1:2) durch Schmelzen aufgeschlossen, die erhaltene Schmelze in verdünnter Salpetersäure gelöst und auf ein Volumen von 100 ccm gebracht. In abgemessenen Mengen wurden die Halogene (Chlor + Brom) durch Titration nach Volhard bestimmt. In einem anderen Teile der Lösung (50 cem = 0,5 Substanz) wurden entsprechend den Angaben Fehling’s die Halogene mit einer zur Gesamtfällung der Halogene Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. 105 1, -AeNO, - Lösung versetzt, der abgesetzte Niederschlag auf ein aschefreies Filter gebracht und nach Trocknung des Niederschlages dieser in einem Porzellantiegel mit einer kleinen Menge Na;CO, geschmolzen. Die Schmelze wurde in heissem Wasser gelöst, mit verdünnter Schwefelsäure angesäuert und das Brom quali- tativ, durch Zusatz von Chlorwasser und Ausschütteln mit Chloroform, nachgewiesen. Dieser Vorgang erwies sich als notwendig, weil der direkte Nachweis des Broms aus der Schmelze durch die grossen Salzmengen misslang. Der quantitative Nachweis des Broms wurde auf kolorimetrischem Wege durch Vergleich mit verschiedenen Mengen unzureichenden Menge einer .,, „Bromnatriumlösung erbracht, die mit derselben Menge Chlor- wasser versetzt und mit Chloroform ausgeschüttelt wurde. Zu diesem Zwecke wurden eine Anzahl gleicher Schöttelzylinder mit je 5 cem Wasser, verschiedene Menge der „_ - Natriumbromidlösung und mit je DD o - l ccm verdünnter Schwefelsäure und mit je 5 eem Chloroform ver- setzt und dann tropfenweise verdünntes Chlorwasser so lange zu- gesetzt, bis das Maximum der Braunfärbung des Chloroforms erreicht war. Mit einiger Übung liess sich die dazu nötige Chlorwassermenge leicht feststellen. In der zu-untersuchenden Lösung wurden zunächst durch einige Vorversuche das Maximum der Braunfärbung ermittelt, um dann bei der eigentlichen kolorimetrischen Bestimmung durch Zusatz derselben Chlorwassermenge zur Untersuchungsflüssigkeit und zur Vergleichslösung den gleichen Farbenton in beiden Lösungen so- rasch als möglich zu erreichen. Wenn auch diese Methode des quantitativen Bromnachweises keine sehr genaue ist, so ergeben sich bei dem Mangel an geeigneten Methoden, um so geringe Mengen von Brom nachzuweisen, zweifellos hinsichtlich der Grössenordnung richtige Werte, wie aus den folgenden Analysen zu ersehen ist. Die ı -AgNO,, 10 die zur vollständigen Fällung der Halogene notwendig war, ander- seits aus der Menge des gefundenen Broms. Die zur Verdauung zugesetzte HC]-Menge muss entsprechend dem Gewichte der ver- arbeiteten Substanz in Abzug gebracht werden. rechnerische Verwertung ergibt sich einerseits aus der Menge 106 Viktor Batke:;, 16 Magenfistelhund .„Boxl‘. Versuch vom 12. Mai 1916. Trockenrückstand des verdauten und neutralisierten Mageninhaltes — 367 g (1g = 0,048 g N) HOl-Zusatz = 50 cen ale 1 g Substanz geschmolzen, in 100 Wasser gelöst. 20 ccm nach Volhard titriert ergibt im Mittel 3,65 ccm n- AgNO;. 50 ccm kolorimetrisch bestimmt = 1,2 ccm > - NaBr — 0,004788 g Br = 0,006463 g Ag. N 50 cem nach Volhard — 9,125 5 AgN0; — 0,09844 Ag. Daraus ergibt sich die Gesamtmenge Ag0l als Ag gerechnet — 0,091977 g Ag. HCl-Zusatz zu 0,5 g Substanz (= 50 ccm Lösung N — 681 ccm 79 Ha — 0,07332 g Ag. Gesamt-AgCl (= 0,091977) — zugesetztes HCl (= 0,07332 g Ag) ist gleich 0,018657 g Ag, die der sezernierten HCl entsprechen. In 0,5 g Substanz wird demnach gefunden: als sezerniertes Brom 0,004788 —= 0,00484 g en) Cl als sezerniertes Chlor 0,006132 — 0,00625 g HCl f Br — 11124, Es werden demnach von der gesamten, im Magen sezernierten Säure 43°/o als HBr und 57°/o als HCl sezerniert. Versuch vom 13. Mai 1916. Trockenrückstand des verdauten und neutralisierten Magen- inhaltes — 4,94 g (1 g — 0,159 g N). N HCl-Zusatz — 50 ccm Hal. 1 g Substanz geschmolzen in 100 H,O gelöst. 20 cem nach Volhard titriert ergibt im Mittel 2,95 ccm m AgNO,,. N 50 ccm kolorimetrisch bestimmt = 1,07 cem —-NaBr = 0,00427 g Br = 0,005762 & Ag. 20 N 50 ccm nach Volhard = 7,37 cem 10 AsN0 — 0,07956 Ag. Daraus ergibt sich die Gesamtmenge AgÜCl als Ag gerechnet — 0,073798 g Ag. HOCl-Zusatz zu 0,5 g Substanz (— 50 ccm Lösung) TG — 5,06 ccm Ha — 0,054587 g As. Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. 107 Gesamt-AgCl (= 0,073 798) — zugesetzte HC1 (= 0,054487 Ag) ist gleich 0,019211 g Ag, die der sezernierenden HCl entsprechen. In 0,5 g Substanz wird demnach gefunden: als sezerniertes Brom 0,00430 — 0,00434 g BrH N Elan 14 als sezerniertes Chlor 0,006314 = 0,006437 g HClf Br Es werden demnach von der gesamten, im Magen sezernierten Säure 41°/o als HBr und 590/o als HCl sezerniert. Versuch vom 14. Mai 1916. Trockenrückstand des verdauten und neutralisierten Magen- inhaltes — 622 8 (1 g = 0,118 g N). N HC]-Zusatz = 50 ccm 70 2a. 1 g Substanz geschmolzen in 100 H,O gelöst. 20 ccm nach Volhard titriert ergibt im Mittel 2,7 ccm 10° AgNO.. N 50 cem kolorimetrisch bestimmt —= 1,37 ccm 5, NaBr — 0,00549 g Br = 0,00740 g Ag. z N 50 cem nach Volhard = 6,585 ccm 10 209% = 0,07282 Ag. Daraus ergibt sich die Gesamtmenge AgCl als Ag gerechnet —= 0,16542 & Ag. HCl-Zusatz zu 0,5 g Substanz (= 50 cem Lösung) — 4,00 cem 0 — 0,04315 Ag. Gesamt-AgCl1 (= 0,06542) — zugesetzte HCl (= 0,04315 Ag) ist gleich 0,02227 g Ag, die der sezernierenden HCl entsprechen. In 0,5 g Substanz wird demnach gefunden: als sezerniertes Brom 0,00549 — 0,00564 g BrH\ U als sezernierter Chlor 0,00730 — 0,00744 g CIH f Br Es werden demnach von der gesamten, im Magen sezernierten Säure 42°/o als HBr und 58° als HCl sezerniert. — 1,3. I: Magenfistelhund „Schnauzi“. Versuch vom 27. Mai 1916. Trockenrückstand des verdauten und neutralisierten Mageninhaltes — 809 8 (1 g = 0,079 g N). z HCI-Zusatz —= 100 ccm 1,-H0. 1 g Substanz geschmolzen wird in 100 ccm H,O gelöst. 20 cem nach Volhard titriert ergibt im Mittel 2,85 ccm 2- AgNO,. 0 108 _ Viktor Batke: N 50 ccm kolorimetrisch bestimmt = 0,2 cem 30 NaBr — 0,000798 g Br = 0,001077 g Ag. N 50 cem nach Volhard — 7,325 cem 15-AgNO, — 0,0791 g Ag. Daraus ergibt sich die Gesamtmenge AgCl als Ag gerechnet — 0,07802 g Ag. HCl-Zusatz zu 0,5 g Substanz (= 50 cem Lösung) —= : 6,18 ccm mau — 0,06674 g Ag. Gesamt-AgCl = (0,07802) — zugesetzte HCl (= 0,06674 Ag) — 0,01128 g Ag, die der sezernierten HCl entsprechen. In 0,5 g Substanz wird demnach gefunden: als sezerniertes Brom 0,0008 & = 0,00081 g BrH Cl als sezerniertes Chlor 0,003707 &g —= 0,00378 g a) Br Es werden demnach von der gesamten im Magen sezernierten Säure 18° als HBr und 82°/o als HCl sezerniert. — 4,6. Versuch vom 28. Mai 1916. Trockenrückstand des verdauten und neutralisierten Mageninhaltes — 0,982, (1 52 011 can), HCl-Zusatz 100 ccm n- HCl. 1 g Substanz geschmolzen wird in 100 cem H,O gelöst. 20 cem nach Volhard titriert ergibt im Mittel 3,2 cem er AgNO V - > 3° N 50 ccm kolorimetrisch bestimmt = 0,3 cem 10 NaBr = 0,001197 g Br = 0.001615 g Ag. 0 N 50 cem nach Volhard = 8,0 cem Ne AgNO, = 0,086304 g Ag. Daraus ergibt sich die Gesamtmenge AgCl als Ag gerechnet — 0,054689 g Ag. HCl-Zusatz zu 0,5 g Substanz (= 50 cem Lösung) —= 7,59 ccm "Hol — 0,08189 g Ag. Gesamt-AgCl (= 0,064689) — zugesetzte HCl (= 0,08189 Ag) — 0,002799 g Ag, die der sezernierten HCl entpsrechen. In 0,5 g Substanz wird demnach gefunden: als sezerniertes Brom 0,001197 g = 0,00121 g BrH 0 77 als sezerniertes Chlor 0,00092 g = 0,00094 g HCl [Br ° Es werden demnach von der gesamten im Magen sezernierten Säure 57°/ als HBr und 43 °/o als HCl sezerniert. Versuch vom 29. Mai 1916. Trockenrückstand des verdauten und neutralisierten Mageninhaltes — 4,352. (1 2 — 0:098 N). HCl-Zusatz = 75 ccm -HOL l g Substanz geschmolzen wird in 100 ccm H,O gelöst. Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. 109 g ; N 20 cem nach Volhard titriert ergibt im Mittel 4,0 ccm 10% AgNO,;. N 50 cem kolorimetrisch bestimmt = 1,0 ccm 30 NaBr = 0,00399 g Br — 0,00539 g Ag. N 50 ccm nach Volhard = 10,0 ccm 10 2800 — 0,10788 g Ag. Daraus ergibt sich die Gesamtmenge AgCl als Ag gerechnet — 0,10249 g Ag. HCl-Zusatz zu 0,5 g Substanz (—= 50 ecm Lösung) — 8,62 ccm na — 0,09301 g Ag. Gesamt-AgCl (= 0,10249) — zugesetzte HCl (= 0,09301 Ag) — 0,00948 g Ag, die der sezernierten HÜl entsprechen. In 0,5 g Substanz wird demnach gefunden: 5 als sezerniertes Brom 0,00399 g — 0,00403 g BrH U als sezerniertes Chlor 0,003116 g — 0,00318 g HCl f Br Es werden demnach von der gesamten im Magen sezernierten Säure 44 °/o als HBr und 56°/0o als HCl sezerniert. — 0,78. Nach den vorstehenden Bestimmungen wurden folgende Brom- mengen gefunden: Y h | Tage nach der ersten Bromnatrium-Reichung ersuchs- E SEHE ee > hund Am Am Am Am " 1. Tage 2. Tage | 3. Tage 4. Tage | | 5 Boxer ua” BrH —_ 43%0 ı 41% 429% Boxen... HCI — lo ln NE ee ehnanzi a all BrH 18 %0 57 of | 56 of | ı — ; Schnauzi. 2... . HCI 82% 3% | 4% | — Aus dieser Tabelle ist zu ersehen, dass vom zweiten Tage an nach der Bromdarreichung bei bestehendem Chlorhunger Brom wasser- ‚stoff- und Chlorwasserstoffsäure ungefähr in derselben Menge sezerniert werden, wenn einmal durch die eleichmässige Bromreichung ein Gleichgewichtszustand erreicht ist, denn wie die Brombestimmung beim Versuchstiere Schnauzi zeigt, wird am ersten Bromtag nur 18°/o BrH und 82°/o HCl sezerniert und vom zweiten Tage an erst der Gleichgewichtszustand erreicht. Berechnet man nun aus den gefundenen Brom- und Chlorwerten das Verhältnis zwischen Chlor und Brom, so ergeben sich vom zweiten Bromtage an für den Versuchshund Boxl die Zahlen 1,2, 1,4 und 1,3 und für den Versuchshund Schnauzi 0,77 und 0,78. Diese Zahlen lehren, dass sich vom zweiten Bromtag an ein konstantes 110 Viktor Batke: Verhältnis zwischen der BrH und der CIH im Magensafte hergestellt hat, was auf einen erreichten Gleichgewichtszustand zwischen Chloriden und Bromiden im Blute schliessen lässt. Dieses konstante Verhältnis zwischen Cl und Br spricht auch dafür, dass gleichwie die Nieren kein Unterscheidungsvermögen für Chloride und Bromide besitzen, dieses auch den Magendrüsenzellen fehlt, so dass sie entsprechend dem Verhältnis dieser Halogene im Blute HCl und HBr daraus frei- machen. Trotz alldem ist das Bromnatrium nicht imstande, das Chlor- natrium voll zu vertreten, denn einerseits wird im exzessiven Chlor- hunger trotz Bromgaben die Verdauungstätigkeit eine schlechtere, und anderseits kommen durch die zentrale Wirkung des Broms die Ver- suchstiere nach drei- bis viertägiger Bromzufuhr so herab, dass von einer weiteren Fortsetzung der Bromversuche abgesehen werden musste, während eine einmalige Kochsalzzufuhr, ca. 5 g, ein Versuchstier unter denselben Bedingungen vollständig wieder- herstellt. Fassen wir die Ergebnisse der Untersuchung zusammen, so ge- langen wir zu folgenden Schlusssätzen: 1. Im Chlorhunger nehmen die motorischen Leistungen, damit auch die Verdauungstätigkeit des Magens kontinuierlich ab, wobei gleichzeitig das allgemeine Befinden des Versuchstieres wie auch die Fresslust abnimmt. 2. Durch Verabreichung einer einmaligen Kochsalzmenge am Ende einer längeren Chlorhungerperiode steigen die Leistungen des Magens sofort an und erreichen spätestens am zweiten Tage ihre ursprüngliche Grösse. 3. Durch Verabreichung von Bromnatrium am Ende einer längeren Chlorhungerperiode zeigt sich oft keine, manchmal eine leichte Steigerung der Magenleistungen gegenüber der Chlorhunger- periode, ohne jedoch je dieselben Werte zu erreichen wie nach der Zufuhr der gleichen Kochsalzmenge. 4. Nach Zufuhr von Bromnatrium während einer Chlorhunger- periode wird im Magen des Hundes Bromwasserstoffsäure neben Chlor- wasserstoffsäure sezerniert. Das bestimmte Maximum der sezernierten HBr-Menge entspricht ungefähr der Menge der gleichzeitig sezernierten Salzsäure. Diese HBr-Sekretion wird vom zweiten Tage an bei gleich- mässiger Bromnatriumzufuhr konstant, wodurch auch das Verhältnis be 5 $ : i von . im Mageninhalt ein konstantes wird. Diese Tatsache weist Über den Einfluss des Kochsalzhungers auf die Magenverdauung usw. 111} darauf hin, dass die Magendrüsenzellen kein Unterscheidungsvermögen zwischen NaCl und NaBr besitzen, sondern entsprechend der im Blute gebotenen Chloride und Bromide HC] und HBr sezernieren. 5. Die Azidität des Mageninhaltes geht im Chlorhunger parallel der Herabsetzung der Magenleistungen. Nach einmaliger Kochsalz- zufuhr erreicht die Azidität sofort wieder ihren normalen Wert. Nach Bromnatriumzufuhr während einer Chlorhungerperiode steigt die Azidität viel stärker an als die motorischer Leistungen des Magens. 6. Da trotz steigender Azidität. nach Bromnatriumzufuhr in einer Chlorhungerperiode die Magenverdauung nur verlangsamt, jedoch nicht aufgehoben wird, kann die sezernierte BrH die Salzsäure hin- sichtlich der Magentätiekeit bis zu einem gewissen Grad vertreten. 7. Die schweren Störungen (Mattigkeit, Herabsetzung der Reflex- erregbarkeit, Nahrungsverweigerung), die im Chlorhunger trotz mehr- tägiger Bromnatriumzufuhr auftreten, müssen auf Störungen im Zentral- nervensystem zurückgeführt werden, bedingt entweder durch den zu geringen Chlorgehalt oder durch den zu hohen Bromgehalt des Blutes, woraus hervorgeht, dass das Brom das Chlor im tierischen Organis- mus nicht vollständig vertreten kann. Da die Nieren gleichwie die Magendrüsen kein Unterscheidungsvermögen für die Chloride und Bromide des Blutes besitzen, verfügt der Organismus über kein Mittel, die Bromionen, welche die Chlorionen hinsichtlich ihrer Funktion auf das Nervensystem nicht vertreten können, ohne gleichzeitige Chlor- ionenausscheidung aus dem Organismus zu entfernen. 112 Stanislaus Jaros: (Aus dem physiologischen Institute der k. und k. tierärztlichen Hochschule in Wien.) Über den Einfiuss der Körperbewegung auf die motorischen Leistungen des Magens bei Eiweiss- und Kohlehydratfütterung. Von Dr. Stanislaus Jaros., k. u.k. Militäruntertierarzt. Die Frage nach dem Einflusse der Körperbewegung resp. Muskel- arbeit auf die verschiedenen Funktionen des Magens hat seit Louis Villain!), der im Jahre 1849 die ersten diesbezüglichen Versuche angestellt hat, eine vielfache Bearbeitung erfahren. Trotzdem sind die Resultate, zu denen die einzelnen Autoren gekommen sind, recht verschieden und einander vielfach widersprechend. F. Tangl?) sieht sich daher veranlasst, in seiner diesbezüglichen Arbeit am Ende der Literaturübersicht zu bemerken: „Aus dieser Übersicht dürfte es zur Genüge hervorgehen, dass wir über den Einfluss der Körper- bewegung auf die Verdauung kaum etwas bestimmtes wissen, weder was die Gesamtausnützung der Nahrung noch was die verschiedenen Verdauungsvoreänge in den einzelnen Abteilungen des Magen-Darm- Kanales betrifft. Einerseits gelangten die verschiedenen Forscher bei derselben Tiergattung zu widersprechenden Resultaten, anderseits ist es ja noch gar nicht festgestellt, wie weit man in dieser Frage von einer Tierspezies auf eine andere folgern kann, da unsere dies- bezüglichen vergleichend physiologischen Kenntnisse noch ziemlich lückenhaft sind.“ Die Versuche Villain’s, die dieser an Hunden angestellt hatte, ergaben einen hemmenden Einfluss der Körperbewegung auf die verdauende Tätigkeit des Magens. | 1) Zitiert nach Tangl, Pflüger’s Arch. Bd. 63. 2) F. Tangl, Über den Einfluss der Körperbewegung auf die Magen- verdauung. Pflüger’s Arch. Bd. 63 S. 545. 1896. Über den Einfluss der Körperbewegung usw. 113 J. Forster!) hingegen sprieht der Bewegung jede Einwirkung auf die Verdauung ab, und zwar tut er dies auf Grund von Ver- suchen, die in seinem Laboratorium von C. Hestermann an ruhenden und arbeitenden Menschen gemacht wurden, wobei sowohl die Verdauungszeit als auch die Ausnützungsgrösse verschiedener Speisen in beiden Fällen sich als gleich erwiesen. | Grandeau und Lecelere?) experimentierten an Pferden und fanden Ähnlich wie Villain an seinen Hunden eine geringe Hemmung der Verdauung während der Arbeitsleistung. Dabei schien die Art der Bewegung die Grösse der Hemmung zu beeinflussen, da bei Schrittbewegung eine Verdauungshemmung von 1—2°o, im Trabe dagegen eine solche von 3—4°/o festzustellen war. Kurz darauf widerlegte S. Rosenberg°®) durch die Veröffent- lichung seiner Versuche die Anschauung der beiden genannten fran- zösischen Forscher. Rosenberg liess eine Hündin bei Fütterung mit magerem Pferdefleisch, Schweineschmalz und Reis auf der Zuntz- Lehmann’schen Tretmühle arbeiten und bestimmte dann den Stick- stoff- und Fettgehalt des Kotes. Das Resultat dieser Versuche ergab, dass die Ausnützung der Nahrung durch Arbeitsleistung während der Verdauung keine Abänderung erfahre. Auch E. Wolff), der seine Versuche an Pferden in ähnlicher Weise durchführt wie Grandeau und Leelere, kommt zu einem von den beiden genannten Autoren abweichenden Resultat; er ver- neint die konstante Beeinflussung der Verdauung nach einer be- stimmten Richtung hin durch eine Steigerung der Tagesarbeit. Colin?) richtete sein Augenmerk bei seinen Versuchen auf die Einwirkung der Körperbewegung auf die motorische Tätigkeit des Magens und fand, dass die Körperbewegung auf die Weiterbeförderung des Mageninhaltes einen beschleunigenden Einfluss ausübe. l) J. Forster, Ernährung und Nahrungsmittel in Pettenkofer’s und Voit’s Handb. d. Hygiene. Bd. 1 H.1 S. 113. 2) Grandeau und Leclerc, Etudes experimentales sur alimentation du cheval de trait. Berger Levrault, Paris 1882. Deuxieme memoire 1883. 3) S. Rosenberg, Über den Einfluss körperlicher Anstrengung auf die Ausnützung der Nahrung. Pflüger’s Arch. Bd. 52. 4) E. W olff, Grundlagen für die rationelle Fütterung des Pferdes. P. Parey, Berlin 1886, und Grunds. f. die rationelle Fütterung des Pferdes. Neue Zeitung. P. Parey, Berlin 1897. 5) Colin, Trait&E de physiologie comparee des animaux. T.1 p. 322. Paris 1886. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 8 114 Stanislaus Jaros: Im Jahre 1388 untersuchte J. Cohn!) den Einfluss mässiger Körperbewegung auf die Verdauung. Mit gleichen Futterportionen gefütterte Hunde wurden abwechselnd bewegt und ruhen gelassen. 2—5 Stunden nachher wurde der Magen durch eine Hebesonde mit 300 cem Wasser ausgespült und der verdünnte Magensaft untersucht; durch die Bewegung unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme hatte die verdauende Kraft des Magensaftes eine Verminderung erlitten. Ganz entgegengesetzte Resultate erhielt Streng?) bei seinen an Menschen sowohl als auch an Hunden vorgenommenen Experi- menten. Durch die chemische Analyse des unverdünnten, mit der Magenpumpe gewonnenen Mageninhaltes zeigte es sich, dass dieser in seiner Zusammensetzung durch die Muskelbewesung in keiner Weise beeinflusst wurde. Salvioli°?) verwendete zu seinen Versuchen zum Teil Magen- fistelhunde, zum Teil brachte er den Mageninhalt durch eine sub- kutane Apomorphininjektion durch Erbrechen zur Entleerung. Die chemische Untersuchung des Mageninhaltes liess eine quantitative und qualitative Veränderung des Magensaftes nach der Bewegung erkennen. Die Menge des Magensaftes war bedeutend herabgesetzt, wobei eine Verminderung seines Chlorgehaltes und seiner Azidität zu konstatieren war. Es kommt nach diesem Autor durch die Bewegung zu einer vorübergehenden Verdauungshemmung, da der Magensaft durch die genannten Veränderungen an Verdauungskraft eingebüsst hatte. Ausserdem machte Salvioli in zwei Versuchen die Beobachtung, dass infolge der Bewegung die Nahrung, wenn auch unverdaut, rascher aus dem Magen in den Darm befördert wurde. W.Spirig*) fand, in Übereinstimmung mit dem letztgenannten Autor, dass durch Körperbewegung neben einer Verminderung der Azidität des Mageninhaltes die Menge der gebildeten Peptone und 1) J. Coha, Über den Einfluss mässiger Körperbewegung auf die Ver- dauung. Deutsches Arch. f. klin. Mediz. Bd. 43 8. 239. 2) Streng, Über den Einfluss körperlicher Bewegung auf die Magen- verdauung. Deutsche mediz. Wochenschrift 1891 S. 54. 3) Salviolj, Influence de la fatigue sur la digestion stomacale. Arch. ital. de biol. t.17. 1892. 4) Spirig, Über den Einfluss von Ruhe, mässiger Bewegung und körper- licher Arbeit auf die normale Magenverdauung des Menschen. Inaug.-Diss. Bern. 1892. Über den Einfluss der Körperbewegung usw. 115 Propeptone herabgesetzt, dagegen die Magenmbotilität erhöht wurde; ausnahmsweise wurde sogar eine gänzliche Aufhebung der Magen- verdauung in der ersten Stunde nach der Futteraufnahme beobachtet. Abweichend davon sind die Angaben Surmont’s und Bru- nelle’s!), welche über eine Steigerung der Säureproduktion bei Körperbewegung berichten, während die Motilität überhaupt keine wesentliche Beeinflussung erfahren soll. Tangl?) macht seine Versuche an Pflanzenfressern und arbeitet nach der von Schmidt-Mülheim zuerst beim Hunde in Anwen- dung gebrachten und später von Ellenberger und Hofmeister ausgebildeten Methode. Die Tiere werden, nachdem sie einige Tage hindurch gleichmässig mit demselben Futter gefüttert worden waren, 24—-26 Stunden hungern gelassen, um den Verdauungstrakt von dem Vorfutter möglichst zu befreien. Hierauf wurde das analysierte Futter in genau abgewogener Menge verfüttert. Einige Stunden später wurden die Tiere getötet, die einzelnen Partien des Ver- dauungstraktes abgebunden und ihr Inhalt analysiert. Auf Grund dieser Versuche gelangt Tangl zu dem Resultat, „dass beim Pferde die Körperbewegungen die Entleerung des Magens in nicht unerheblichem Maasse verlangsamen, was ganz besonders bei der intensiveren Bewegung, im Trabe, in überzeugender Weise ersichtlich ist“, und glaubt, „dass die Verzögerung der Magenent- leerungen mit der Intensität der Körperbewegungen wächst*. Als Ursache dafür glaubt Tangl eine reflektorisch zustande kommende Hemmung der Kontraktionen der Magenmuskulatur an- nehmen zu dürfen oder eine gleichfalls reflektorisch entstehende stärkere Kontraktion des Pylorus. Ferner hat Tangl gefunden, dass durch die Körperbewegung in der ersten Stunde nach der Futteraufnahme beim Pferde eine Steigerung der Magenverdauung erzielt wird, was nach seinen Beobachtungen auf die intensivere Verdauung der Stärke während dieser Zeit zurückzuführen ist. Nach den Angaben von A. Loewy°) wird durch die Bewegung die Resorption im Dünndarm und damit die Ausnützung der Nahrung in jeder Weise gefördert. 1) Surmont und Brunelle, De liinfluence de l’exerceice sur la digestion gastrique. Compt. rend. soc. biol. 1894 p. 705. 2) Taugl, 1. c. 1396. 3) A. Loewy, Beiträge zum Stoff- und Energieumsatz des Menschen. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901 S. 299, 364. 3 + 116 . Stanislaus Jaros: A. Scheunert!) hat in einer umfassenden Untersuchung die Arbeit von Tangl nachgeprüft und ergänzt. Was die motorische Funktion des Magens betrifft, kommt Scheunert zu dem Schlusse, dass die während der Verdauung stattfindende Körperbewegung die Bewegungen des Magens in der Weise beeinflusst, dass die Beförderung des Mageninhaltes nach dem Dünndarm, also die Ent- leerung des Magens erheblich verzögert wird, so dass man demnach von einem die Magenbewegung hemmenden Einflusse der Körper- bewegungen sprechen kann. Diese Beeinflussung der Magenbewegungen ist auch bereits bei. Schrittbewegung des Tieres zu konstatieren. Bei einem bewegten Pferde, welches eine mässige Mahlzeit natur- semässer Nahrungsmittel zu sich genommen hat, gelangen in den ersten Verdauungsstunden nur ganz geringe Bruchteile des Magen- inhaltes in den Darm. In den späteren Verdauungsstunden tritt die hemmende Wirkung der Körperbewegungen auf die Magenmotilität nicht mehr so bedeutend in Erscheinung als in den ersten Verdauungs- stunden. Sie ist aber immerhin noch wahrnehmbar. Die Körverbewegung regt nach Scheunert auch die gesamte Magensaftsekretion an; die Verdauung der Kohlehydrate im Magen wird gesteigert, die Verdauung der stickstoffhaltigen Nahrung wird in den ersten Stunden herabgesetzt, erst in späteren Stunden gesteigert. Wenn wir demnach heute die gesamte vorliegende Literatur überblicken, so scheinen unsere Kenntnisse über den Einfluss der Körperbewegungen auf die motorischen Leistungen des Magens durch die Versuche Tangl’s und Scheunert’s gerade für das Pferd jetzt hinlänglich sichergestellt. Die von beiden Autoren beigebrachten Versuche erscheinen so beweisend, dass wir an dem hemmenden Einflusse der Körperbewegung auf die Magenentleerung bei diesem Pflanzenfresser nicht mehr zweifeln dürfen. Ganz unklar dagegen sind unsere Vorstellungen über die auf- geworfene Frage beim Menschen und beim Hund. Die Ursache dafür ist vielleicht darin zu finden, dass bei den zahlreichen vor- liegenden Untersuchungen am Hund die verdauende Tätigkeit des Magens von seiner motorischen Leistung nicht scharf auseinander- gehalten wurde. Es erschien daher zweckmässig, zunächst den Einfluss der Körperbewegung auf einen Teil der Magentätigkeit zu 1) A. Scheunert, Über den Einfluss der Körperbewegung auf die Ver- dauung und Nährstoffabsorption des Pferdes. Pflüger’s Arch. Bd. 109 S. 145. Über den Einfluss der Körperbewegung usw. 117 beschränken und zunächst am Hund zu versuchen, mit Hilfe einer möglichst einwandfreien Methode Licht in die aufgeworfene Frage zu bringen. Die nachstehenden Untersuchungen beschränken sich aus- sehliesslich darauf den Einfluss der Körperbewegung auf die motori- schen Leistungen des Magens beim Hund in der Weise zu unter- suchen, dass der Grad der Magenentleerung nach bestimmten Zeiten und nach Zufuhr verschiedener Futtermengen und Futterarten bei Körperruhe und Körperbewegung immer an zwei aufeinander- folgenden Tagen festgestellt wurde. Als Versuchstiere dienten zwei Magenfistelhunde, die seit vielen Monaten, mit einer Magenkanüle nach Pawlow-Dastre versehen, bereits bei zahlreichen anderen Versuchen sich durch eine ungemein gleichmässige Magentätigkeit ausgezeichnet hatten. Als Futter diente entweder rohes Pferdefleisch, das fein gehackt in verschiedenen Mengen gereicht wurde und dessen Stickstoffgehalt 3—4°/o betrug, oder Kakes deren Kohlehydratgehalt, als Zucker bestimmt, S4 g in 100 g Kakes betrug. Die Versuchshunde wurden stets 20—22 Stunden vor dem Ver- suche mit gehacktem, rohem Fleische zum letzten Male gefüttert. Bei den Ruheversuchen stand der Hund entweder in der Pawlow- schen Schwebe oder blieb ruhig im Laboratorium liegen. Die Körperbewegung führte der Hund in einer Tretmühle aus, die 10 bis 15 Grad geneigt war und bei den ersten Versuchen durch einen Motor betrieben wurde. In kurzer Zeit lernte der Hund die Tret- mühle selbst in Bewegung setzen. Die Geschwindigkeit der Bewegung betrug ca. 1m per Sekunde. Die Zeit der Bewegung, die sofor nach der Fütterung begann, war in der ersten Versuchsreihe 2 Stunden, wobei auf je 10 Minuten Bewegung eine Pause von 5 Minuten folgte. Bei 4 Stunden Bewegung wechselten 10 Minuten Bewegung mit 10 Minuten Ruhe. Die Bestimmung des Mageninhaltes geschah in der Weise, dass nach der in den einzelnen Versuchsreihen angegebenen Zeit der Magen entleert wurde, mit ca. 1—2 Liter lauem Wasser ausgespült und der Mageninhalt samt dem Spülwasser auf dem Wasserbade zur Trockene gebracht und dann im Trockenschrank bei 100° voll- ständig getrocknet wurde. Die Gesamtmenge des Trockenrückstandes wurde gewogen und in je zweimal 0,5 & der Substanz der Stickstoff nach Kjeldahl bestimmt. Bei den Versuchsreihen mit Kohlehydrat- fütterung erhielt der Hund die fein zerriebenen Kakes mit Wasser 118 Stanislaus Jaros: zu einem Brei gerührt in dem Verhältnis von 2:3, der von dem Hund gerne gefressen wurde. Der Trockenrückstand des Magen- inhaltes wurde ebenso wie bei Fleischfütterung erhalten. Von diesem wurden zweimal je 5g im Autoklaven mit 100 g Wasser 3 Stunden lang bei 3 Atmosphären Druck digeriert, hierauf mit 200 ecem 10 °/o Salzsäure 2 Stunden lang in einem Kolben mit Rückflusskühler am Wasserbad hydrolysiert und in einem aliquoten Teil der Lösung der Zucker nach Bertrand als Dextrose bestimmt. A. Versuche mit Fleischfütterung. Diese Versuche wurden nach zwei Seiten hin varliert; einerseits wurden verschiedene Fleischmengen, und zwar 100—500 g verfüttert, und anderseits wurde die Magenentleerung nach verschiedenen Zeiten (2—4 Stunden) vorgenommen. Mit der Bewegung wurde sofort nach der Futtereinnahme begonnen. Die übereinstimmenden Ergebnisse, die aus den folgenden Tabellen I, II und III zu entnehmen sind, führen zu dem Schlusse, dass keinerlei Einfluss der Bewegung auf die Magenentleerung zu konstatieren ist, wobei weder die Menge des verfütterten Fleisches noch die Dauer der Bewegung von irgendwelchem Einflusse ist. Immer scheinen jedoch die Verhältnisse nicht so einfach zu sein; denn nicht immer waren die Versuche von derselben Regelmässigkeit, wie sie aus den Tabellen I, II und III zu ersehen sind. Es konnten vielmehr bei den ersten Versuchen und nach längerem Aussetzen der Versuche bei ihrem Wiederbeginn die verschiedensten Befunde erhalten werden, wie zum Beispiel Tabelle IV zeigt, so dass die Überzeugung durchdrang, dass erst. mit der Gewöhnung des Tieres an die ganz erheblichen Muskelleistungen, also durch das Training, die Magentätigkeit unbeeinflusst blieb. Die Richtigkeit dieses Gedankens konnte dadurch erwiesen werden, dass nach einer 14 tägigen Ruhepause von neuem mit den Bewegungsversuchen begonnen wurde, als deren Resultat zunächst die verschiedensten Befunde, einmal Hemmung, dann wieder Förderung der Magen- entleerung erhalten wurden. Erst nach einigen Tagen der Übung war keinerlei Einfluss der Körperbewegung auf die motorischen Leistungen des Magens mehr zu erkennen. Die Ursache dürfte wohl in dem Einflusse der Körperbewegung auf die Blutzirkulation zu suchen sein, die im Stadium der ungeübten Bewegung sekundär die Magensaftsekretion beeinflussen dürfte. Über den Einfluss der Körperbewegung usw. 119 Tabelle I. Magenfistelhund .„Boxl“. Dauer des Versuches 2 Stunden. Mageninhalt Verfütterte a dem Fleisch- V h I|Trocken-| «.- agen Datum menge SIEUS e ann | Stickstoffgehalt nefördert g g Ne %o 27. Jan. 100 Ruhe 9,91 | 1,20 35,4 64,6 284, 100 Bewegung Sau 1.1509 Da 67,8 ER 200 Ruhe 23307 | 3:16 46,5 53,5 Sr, 200 Bewegung 22,45 3,07 45,2 54,8 20R.: 300 Ruhe 43.46 | 5,52 54,1 45,9 alt, 300 Bewegung 45,62 | 8,59 54,8 45,1 Tabelle II. Magenfistelhund „Boxl“. Dauer des Versuches 2 Stunden. Mageninhalt Verfütterte BITTEN Aus dem Fleisch- Ter Trocken- Mage cum menge Versuch Es Stickstoffgehalt et 8 SR 0 16. Febr 300 Rube 31,60 4,07 40,0 60,0 Ta; 300 Bewegung 33,20 4,18 41,0 59,0 22. Jan 400 Ruhe 72,16 9,02 66,0 34,0 23, 400 Bewegung 85,47 9,05 66,0 34,0 29.05 500 Ruhe 94,50 , 11,05 65,0 35,0 200% 900 Bewegung 94,558 |, 11,10 65,9 34,5 Tabelle III. Magenfistelhund „Boxl“. Dauer des Versuches 4 Stunden. M inhalt Verfütterte rer Aus dem Datum Fleisch- V h |Trocken- - Magen menge Ze ae Stickstoffgehalt | pefördert g g g 0/0 0/0 12. Febr 300 Ruhe 7,45 0,95 9,29 90,71 99.1, 300 Bewegung 6,15 0,75 7,42 92,58 Tresen 400 Ruhe 20,15 2,48 18,27 81,73 18. 7, 400 Bewegung 24,85 3,05 22,47 71,53 I, 500 Ruhe 32,62 4,36 25,68 74,32 20: 7, 500 Bewegung 30,75 3,76 22,14 77,86 120 Stanislaus Jaros: Tabelle IV. Magenfistelhund „Bubi“. Dauer des Versuches 2 Stunden. B Mageninhalt Verfütterte Ä i | Aus dem Datum Fleisch- Versuch jTrocken- | <,;: Magen menge Sobetanz Stickstoffgehalt | pefördert g g N 0/0 5. Mai 200 Kuhe 40,05 | 3,16 | 46,5 53,5 6. 200 Bewegung | 26,70 | 3,09 | 45,4 55,6 TS 300 Ruhe 41,55 | 4,56 | 44,3 55,7 8.5 300 Bewegung 3740 | 4,52 | 44,5 55,5 9.055 500 Ruhe 9,06 | 1,99 | 11,9 88,1 10: ; 500 Bewegung | 89,40 | 2,20 | 12,9 | 87,1 Tabelle V. Magenfistelhund „Boxl“. Dauer des Versuches 4 Stunden. Bewegung ohne Training. Mageninhalt Verfütterte ee Aus dem Fleisch- Versuch Trocken- ve ; Magen menge en | Stickstofigehalt befördert g g | g 0% 0/0 200 Ruhe 3 | 08 7,75 92,95 200 Bewegung 10,25 1:1 7140 20,80 79,20 300 Ruhe 2210 3 2,95 25,04 74,96 300 Bewegung 860 | bl 10,90 89,10 400 Ruhe 36,20 4,24 31,20 68,80 400 Bewegung 27,85 2,29 | 16,88 83,12 300 Ruhe 42,10 560 | 833,00 67,00 500 Bewegung 57,62 7,80 46,00 54,00 Dauer des Versuches 2 Stunden. 200 Ruhe 31,99 210 3:60 56,00 44,00 200 Bewegung 25,62 | 3.07% 0|..4520 54,80 B. Versuche mit Kohlehydratfütterung. Bei den ersten Versuchen dieser Reihe wurde zunächst reiner, mit etwas Zucker versetzter Stärkekleister als Futter verwendet. Die Unmöglichkeit, dieses Versuchsfutter durch eine längere Zeit den Hunden beizubringen , führte zur Kakesfütterung. Zu diesem Zwecke wurde eine grössere Quantität Kakes gemahlen und der Kohlehydratgehalt des gut durehmischten Pulvers als Zucker bestimmt, indem eine abgewogene Menge des Pulvers nach dreistündigem Auf- enthalt im Autoklaven bei 3 Atmosphären Druck mit 10° HCl Über den Einfluss der Körperbewegung usw. 121 unter Rückflusskühlung am Wasserbad hydrolysiert wurden und der Zucker durch Titration nach Bertrand bestimmt wurde Der Gehalt der Kakes an Kohlehydraten ergab aus einer grossen Anzahl miteinander übereinstimmender Bestimmungen, als Zucker bestimmt, 84 g Zucker in 100 g Kakes. Auch diese Versuche führten zu demselben Ergebnis wie die Versuche mit Fleisehfütterung. Ein an die erhebliche Körperbewe- gung gewohnter, also trainierter Hund liess keinen Einfluss der Körperbewegung auf die Magenentleerung erkennen. Die Unter- schiede von 1—2°/ können wohl richt als eine Beeinflussung der Magentätigkeit aufgefasst werden, sondern liegen innerhalb der Grenze der angewandten Methode. (Tabelle VI, VII, VIII, IX und X.) Aussetzen der Körperbewegung durch einige Zeit lässt bei ihrem Wiederbeginne die verschiedensten Einflüsse erkennen, (die aus den Tabellen VII und VIII zu ersehen sind. Sie weisen, wie bei den Versuchen mit Fleischkost, darauf hin, dass ein gewisses Training die motorischen Leistungen des Magens unbeeinflusst lässt. Tabelle VI. Magenfistelhund „Boxl“. Dauer des Versuches 2 Stunden. Mageninhalt Dat Verfütterte v ] 7 7 De FR MT ee a S BER atum = /ersuch rocken- 7 - Kakesmenge substanz | Zuckergehalt befördert g g g 0/0 9%o 30. März 100 Ruhe 36,50 28,25 | 33,63 66,37 3er, 100 Bewegung 34,10 27,11 | 32,27 67,73 2020, 150 Ruhe 72,52 | 60,63 | 48,16 51,84 DE Ds 150 Bewegung 73,80 61,54 | 49,08 50,92 DR BE 200 Ruhe 110,25 | 86,55 | 51,50 48,50 2a, 200 Bewegung | 10951 | 86,67 | 51,60 48,40 Tabelle VII. Magenfistelhund „Boxl“. Dauer des Versuches 4 Stunden. Mageninhalt 4 Da Verfütterte v ae Em Kakesmenge se ss 5 En | Zuckergehalt befördert g ER .SE aa To °/o 1. April. 150 Ruhe 12,50 37 | 7,28 92,72 Be 150 Bewegung 13,55 9,73 TUR 92,28 28. März 200 Ruhe 60,50 | 49,31 | 29,35 70,65 23 E, 200 | Bewegung 87,56 | 46,51 | 27,70 | 72,30 122 Stanislaus Jaros: Tabelle VIII. Magenfistelhund „Bubi“. Dauer des Versuches 2 Stunden. Mageninhalt Di Verfütterte v h T, RER an = ersuc rocken- rum Kakesmenge Substanz | Zuckergehalt befördert g g RER RN %/o 14. Mai 50 Ruhe 549 | 3,68 | 8,70 91,30 19,023 50 Bewegung 6,54 | 4,54 | 10,80 39,20 16. „ 100 Ruhe 3829 | 29,86 | 35,50 64,50 In 65 100 Bewegung 38,51 | 28.34 | 34,70 65.30 | Tabelle IX. Magenfistelhund „Bubi“. Dauer des Versuches 2 Stunden. Mageninhalt | h Aus dem Verfütterte Dat = Versuch | Trocken- Magen um Kakesmenge le nz | Zuckergehält befördert g g g 0/0 0/o 21. Mai 100 Ruhe 3829 | 29,34 | 34,80 | 65,20 22, 100 Bewegung 42,30 29,39 | 35,70 | 64,30 23. 5 150 Ruhe 57,08 | 41,66 | 33,06 67,90 2A... 150 Bewegung 59,87 | 43,50 | 834,50 65,50 29.20, 200 Ruhe 122,07 95,80 | 51,50 48,50 20 200 Bewegung | 122,51 | 85,70 | 51,00 49,00 Tabelle X. Magenfistelhund „Boxl“. Dauer des Versuches 2 Stunden. Bewegung ohne Training. | Mageninhalt | i Verfütterte a na Be ersuc 4,0 — b) 8,0 Da wir aus zahlreichen Versuchen wissen, dass sich normalerweise beim Hund freie Salzsäure im austretenden Mageninhalt nicht findet, so wurden dieselben Versuche auch mit Lösungen angestellt, die nur Zu diesem Zweck wurden Eier- albumin oder Peptonlösungen mit verschiedenen Mengen Normalsalz- säure versetzt und vor dem Eineiessen ihre Azidität bestimmt. Als Indikator für freie Salzsäure diente Kongopapier und Dimethylamido- gebundene Salzsäure enthielten. azobenzol. C. Versuche mit Eieralbumin. Tabelle IV. Azildität der ein- gegossenen Lösung (keine freie HÜI) 0 0 St 0,2% HCI 04%, 0,4 %/o ” Zeit in Sekunden | Zeit in Sekunden bis zur ersten bis zur Entleerung Pylorusöfnung | von 100 ccm 30 540 28 520 3 1200 60 —_ 65 — D. Versuche mit saurer Peptonlösung. Je 15 g Pepton Witte werden unter Zusatz von verschiedenen Mengen von Salzsäure in 100 g Wasser gelöst, mit einigen Tropfen Methylenblau gefärbt und ihre Gesamtazidität durch Titration gegen Phenolphthalein bestimmt. Tabelle V. Azidität der ein- gegossenen Lösung (keine freie HCl) 0,22 %/ HCl 0,30 °/o ee een; 0,36 %/0 0,50 %o 2,32 9/0 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. Zeit in Sekunden bis zur ersten Pylorusöffnung 130: August Ortner: Aus allen diesen Versuchen scheint unzweifelhaft hervorzugehen, dass alkalisches Wasser am raschesten, neutrale und saure Flüssig- keiten bis zu einem HCI-Gehalt von ca. 0,3 °/o ein wenig langsamer, stärker saure Flüssiekeiten von mehr als 0,3°/o HCl] aufwärts eine bedeutende Verzögerung der ersten Pylorusöffnung hervorrufen ; dabei scheint die gebundene Säure etwas weniger hemmend zu wirken als die freie. Jedenfalls spricht kein einziger Versuch im Sinne der Ansicht Cannon’s, dass Salzsäure resp. freie Salzsäure für die Öffnung des Pylorus verantwortlich zu machen ist. Diese Ergebnisse wurden auch weiterhin durch die Verfütterung ven stark sauren Nahrungsmitteln bestätigt. Zu diesem Zweck wurden in einer Versuchsreihe fein gehacktes Fleisch, in einer zweiten zu einem Brei angerührte Keks (die Flüssiekeitsmenge betrug immer 100 eem) mit verschiedenen Mengen von Salzsäure versetzt und gut vermenet und wieder die Zeit der ersten Pylorus- öffnung festgestellt. Die folgenden Tabellen geben über diese Ver- suchsergebnisse Aufschluss. E. Versuche mit Fleischfütterung. Tabelle VI. 1 r Zeit in Mi = | Datum Fleisch Zusatz Ende der Fütterungbis g zur ersten Pylorusöffnung 5. März 50 | = 3 Ve 50 20 cem „, HCI 1% Spitz } ER: 50 20 cem — HCI 15 105 50 20 cem n HÜI 3 5 50 20 com n HC1 30 re 50 20 com > HCI | 44 F. Versuche mit Kohlehydratfütterung. Tabelle v1. Kek Zeit in Minuten Datum | © Zusatz nen g Pylorusöffnung | ( 6. April 50 100 ccm H,O 11 I $ 50 100 ccm H,O 7 N ve SR 50 | 50cem — HCl + 50 ccm H,O 20 Spitz 10 & SE 50 100 cem — HCl 23 | | » 50 100 ecm „, HI | 18 Ein Beitrag zur Kenntnis der Magenentleerung usw. , 131 Nachdem auch durch diese Versuche der die Pylorusöffnung verzögernde Einfluss der Salzsäure festgestellt worden war, so wurde jetzt der Nachweis versucht, inwieweit die Verflüssigung des Magen- inhaltes für die Öffnung des Pylorus von Bedeutung sein könnte, Zur experimentellen Prüfung dieser Frage wurde der Versuch mit diekbreiigen Stoffen gemacht, die im Magen keiner chemischen Änderung unterliegen. Zu diesem Zweck wurden dicke Breie von Lindenkohle in Wasser oder in Gummilösung hergestellt, den Hunden verfüttert und einerseits die Zeit bis zur ersten Pylorusöffnung und andererseits der Wassergehalt des verfütterten Breies und des aus der Fistel herauskommenden Mageninhaltes bestimmt. Die Bestim- mung des Wassergehaltes geschah durch Trocknen einer gewogenen Menge des Breies zuerst bei 50°, dann bei 100° C. bis zur Gewichts- konstanz. G. Versuche mit Kohlenbrei. Tabelle VII. Wassergehalt | N Wassergehalt en des BED eLteN | ze nen | des ABl esenen re Pylorusöffnung | Zeles 0/9 | | %/o | 24. April 54 8 88 : AAN 92 4 87 m, | & : 58 4 88 DIET; 56 3 82 Die Reaktion des ausfliessenden Mageninhaltes war neutral, trotzdem liess sich durch Veraschuug mit dem Säuregemisch nach Neumann und Destillation in vorgelegte Silbernitratlösung Chlor nachweisen. Ein Zeichen dafür, dass Salzsäure von der Kohle adsorbiert worden war, und dass -die saure Reaktion zum Austritt aus dem Magen nicht notwendig ist. Kontrollversuche mit reiner Kohle ergaben, dass Chlor in der Kohle nicht vorhanden war. Diese Versuche sprechen wohl mit grösster Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Verflüssigung einer Substanz, ganz unabhängig von ihrer Reaktion und ihrer chemischen Beschaffenheit, den Reiz für die Öffnung des Pylorus abgeben dürfte. Die gefundene Tatsache, dass, je saurer die in den Magen ein- gebrachten Ingesta sind, um so später die erste Öffnung des Pylorus erfolgt, weist darauf hin, dass das längere Verweilen der Ingesta im Magen möglicherweise mit Veränderungen einhergeht, die sie für den 9* 132 ' August Ortner: Austritt aus dem Magen erst befähigen. Boldyreff hat in einer vor kurzem erschienenen Arbeit auf die Bedeutung des Rücktrittes der Duodenalsekrete für die Einstellung des Magens auf eine be- stimmte Säurekonzentration experimentelle Beweise erbracht. Da jedoch bei meinen Versuchshunden infolge der Lage der Fistel neben dem Pylorus ein derartiger Rücktritt von Duodenalsäften in den Magen unmöglich war, so suchte ich in der Richtung Versuche an- zustellen, ob nicht im Magen selbst durch eine Verdünnungssekretion eine Herabsetzung der Azidität des Mageninhalts stattfinden kann. Da die Versuche mit Flüssigkeiten nicht entsprechend einwandfreie Ergebnisse liefern können, da bei der Öffnung des Pylorus auch eine Menge noch nicht verdünnter Flüssigkeit nachströmen dürfte und ‚dadurch die Konzentration der in der Nähe des Pylorus befind- lichen und den Reiz auslösenden Flüssigkeitsschicht durch die nach- strömende Flüssigkeit verändert sein könnte, so habe ich Versuche mit Fleisch ausgeführt, dem verschiedene Mengen von Salzsäure zugesetzt worden war. Dass die Bestimmung der Gesamtazidität des aus einer hohen Duodenalfistel austretenden Mageninhaltes mit seinem Chlorgehalt gut übereinstimmt, kann aus den unten folgenden Kontrollversuchen entnommen werden. Hierbei wurde die Gesamt- azidität durch Titration mit 15 NaOH gegen Phenolphthalein und die Chlorbestimmung durch Veraschung nach Neumann und Titration nach Volhard ausgeführt. Tabelle IX. | Futter 5 ccm Mageninhalt | HCl in Gramm aus | HCl in Gramm | Bun Zu d.Chlorbestimmung | durch Titration 100 g Fleisch u 0,0176 0,0129 Treff 100#0% 2, — 0,0124 0,0117 Ze K00- RE), 3 ccm n HCl 0,0146 0,0144 0210058 2°, 10 ccm n HCl 0,0155 | 0,0151 Die nachfolgenden Versuche zeigen, wie durch Säurezusatz die Azidität des aus dem Magen tretenden Inhaltes bei Abwesenheit des Pylorusreflexes und der Unmöglichkeit des Rücktrittes von Duodenal- säften in den Magen beeinflusst wird. Der Gesamt-N-Gehalt wurde in je zweimal 5 cem nach Kjeldahl bestimmt. Ein Beitrag zur Kenntnis der Magenentleerung usw. 133 Tabelle X. Fe Azidität des ausgetre- uNNer tenen Mageninhaltes Menge Zusatz en HCl %o N 9% 100 gFleisch | 5 cem n HCl 0,183 0,278 0,50 100,075, 5 cem n HCl 0,183 0,320 0,47 reif... 100,895: 10 cem n HCl | 0,366 0,310 0.45 100,575 10 cem n HCl 0,366 0,381 0,47 10075 10 cem n HÜl 0,366 0,374 0,57 Ser =, ohne Zusatz [7 :— 0,367 0,46 Spitz... J| 508 „ |20cem „HCl |ca.01 0,374 0,56 507 7, 20 cem n HCl ca. 1,0 0,34 0,45 SE“ 7, 20 ccm 2 n HCl | ca. 2,0 0,40 0,48 Die Durchsieht vorstehender Tabelle ergibt, dass die Azidität des ausgetretenen Mageninhaltes ganz unabhängig ist von der zu- gesetzten Säuremenge; sie stellt Werte zwischen 0,5—0,4%o HCl dar, unabhängig, ob reines Fleisch oder selbst 2° HCl haltiges Fleisch verfüttert wurde. Der N-Gehalt des Mageninhaltes stellt gleich- falls eine ungemein konstante Zahl dar mit geringen Schwan- kungen zwischen 0,4—0,5°/o. Da der N-Gehalt des rohen Fleisches im Durchschnitt mit 3,4% gerechnet werden kann, so erfordert die Herabsetzung des N-Gehaltes des Verdauungsproduktes auf ca. 0,5 °/o eine Sekretion der ungefähr siebenfachen Menge an Flüssigkeit als dem Volumen des Fleisches entsprechen würde. Da der reine Magensaft nach zahlreichen Untersuchungen beim Hund auf die verschiedensten Reize ca. 0,5—0,6 °/o HCl beträgt, so kann durch die Sekretion eines solchen Magensaftes nach Fütterung mit stark an- gesäuertem Fleisch niemals eine. Azidität erreicht werden, die der gefundenen Azidität entspricht, es müsste denn die Verdünnung durch den geschluckten Speichel hervorgerufen sein. Da jedoch ein Hund 90 g Fleisch fast durch einen einzigen Bissen verschluckt und nachher bei Abwesenheit irgendwelcher psychischen Reize keine weiteren Kaubewegungen macht und Speichel nicht mehr in erheblicher Menge sezernieren dürfte, so sprechen die Befunde dafür, dass neben der Sekretion des sauren Magensaftes noch eine andere Sekretion im Magen bestehen muss, die wir als Verdünnungssekretion an- sprechen dürfen. Die Mengen verschluckten Speichels wie auch des im nüchternen Magen befindlichen alkalischen Magenschleims würden 1534 August Ortner: Ein Beitrag zur Kenntnis der Magenentleerung usw. nie ausreichen, wie aus den Befunden Boldyreff’s hervorgeht, um die gefundene Herabsetzung der Azidität zu bewirken. Da infolge der Lage der Fistel der Rücktritt von alkalischem Duodenalsekret ausgeschlossen war, so muss das Bestehen einer Verdünnungssekretion im Magen als eine feststehende Tatsache angesehen werden, die ganz wesentlich zur Erhaltung einer bestimmten Azidität des austretenden Mageninhalts beiträgt. Diese Tatsache schliesst selbstverständlich den von Boldyreff gefundenen Mechanismus durch Rücktritt des Duodenalsekretes in den Magen zur Erreichung desselben Eridzweckes nicht aus. Fassen wir die Ergebnisse dieser Untersuchuzg zusammen, so ergibt sich: 1. Die Öffnung des Pylorus wird nicht durch die saure Re- aktion des Mageninhaltes, auch nicht durch das Auftreten von freier Salzsäure im Antrum pylori bedingt; es scheint vielmehr ein be- stimmter Verflüssigungsgrad des Mageninhaltes den Reiz dafür abzugeben. 2. Salzsäure von einer Konzentration von mehr als 0,3—0,4 %/o hemmt die Öffnung des Pylorus vom Magen aus, wobei die freie HCl stärker hemmend wirkt als die gebundene Salzsäure. Es ist deshalb zur raschen Entleerung die Herabsetzung der Azidität des Magensaftes notwendig. 3. Der durch den Pylorus tretende Mageninhalt hat nach Fleisch- fütterung einen fast konstanten prozentuellen Gehalt an HC] und N. 4. Die Herstellung dieser Konzentration wird durch eine Ver- dünnungssekretion der Magenschleimhaut bedingt. Dieses Sekret dürfte HCl-frei sein. 5. Die erhobenen Befunde schliessen den von Boldyreff ge- fundenen Mechanismus der Konzentrationseinstellung des Magen- inhaltes dureh Rücktritt von Duodenalsekreten nicht aus. Es scheint vielmehr, dass beide Mechanismen an diesem Vorgang beteiligt sind. 135 (Aus dem physiologischen Institut der k. und k. tierärztl. Hochschule in Wien.) Die Salzsäuresekretion und ihre Beziehung zum Abbau der Eiweisskörper im Magen. Versuche über die Regulation der Magensaftsekretion'!). Von Prof. Dr. Carl Schwarz. Den Aussang für die folgenden Untersuchungen bildet einer- seits die Tatsache, dass nach den grundlegenden Untersuchungen Pawlow’s die Menge und der Fermentgehalt des sezernierten Magensaftes von der Art und Menge der verfütterten Nahrungs- stoffe abhängig ist, und anderseits die vielfach gemachte Beobachtung, dass im Maseninhalt des Hundes nach verschiedener Fütterung keine freie Salzsäure gefunden wird. Während die zuerst angeführte Tatsache eine Beziehung zwischen den verfütterten Nahrungsstoffen und - der Magensaftsekretion feststellte, ohne über den Mechanismus dieser Beziehung irgendwelchen Aufschluss zu geben, weist das Fehlen der freien Salzsäure im Mageninhalt auf das Bestehen eines Regulations- mechanismus hin, der möglicherweise in einer chemischen Beziehung zwischen den verfütterten Nahrungsstoffen bzw. ihrer Abbauprodukte und der Menge des sezernierten Magensaftes besteht, wodurch immer nur so viel Salzsäure von den Masendrüsen sezerniert wird, als durch die im Magen vorhandenen Stoffe gebunden werden kann, während bei der Abwesenheit Salzsäure bindender Stoffe die Salzsäuresekretion gehemmt wird. Diese hier ausgesprochene Ver- mutung hat durch die im folgenden mitgeteilten Versuche ihre Be- stätigung erhalten. Der hierbei eingehaltene Versuchsplan war folgender: Magen- fistelhunden wurden nach ca. 24stündigem Hungern verschiedene Eiweisskörper bzw. an Eiweiss reiche Nahrungsstoffe verfüttert und mehrere Stunden nach der Nahrungsaufnahme aus der nahe 1) Ein Teil der Versuchsergebnisse wurde als vorläufige Mitteilung bereits am internationalen physiologischen Kongress in Groningen 1913 veröffentlicht. 136 Carl Schwarz: dem Pylorus im Antrum pylori liegenden Fistel der von selbst ab- fliessende Mageninhalt entnommen. Dieser bestand im wesentlichen aus Abbauprodukten, aus dem die wenigen noch unveränderten Nahrunssstoffe dureh Zentrifugieren entfernt wurden; er reagierte stets stark sauer und gab niemals mit Kongopapier und Dimethyl- amidoazobenzol eine Reaktion auf freie Salzsäure. Nach den gegenwärtigen Vorstellungen geht der fermentative Abbau der Eiweisskörper in der Art vor sich, dass immer Molekül- gruppen mit endständigen Aminogruppen abgespalten werden; da nun ein HCI-Molekül nur mit einer NH,;-Gruppe nach dem Typus ‚NE, /NH;HCl R A RA + HC =R in Verbindung treten kann, müsste COOH COOH sich aus der Feststellung der Menge des NH;-Stiekstoffes und der Menge der gebundenen Salzsäure (freie HCl ist nicht vorhanden) eine quantitative Beziehung zwischen der sezernierten Salzsäure und der Menge der vorhandenen Abbauprodukte der Eiweisskörper fest- stellen lassen. Es wurden daher in dem verflüssigten Mageninhalt einerseits der Gesamt-N-Gehalt nach Kjeldahl, der Aminostickstoff durch Formol- titration und der Gesamtchlorgehalt durch Veraschung nach Neumann und anschliessender Destillation in vorgelegtes AeNO,, das nach Vol- hard zurücktitriert wurde, bestimmt. Wenn auch die Formoltitration, die hier zur Bestimmung des NH;-Stickstoffes angewandt wurde, nicht genauen Aufschluss über sämtliche vorhandere endständigen Aminogruppen gibt, so dürften mit Rücksicht darauf, dass die Pepsinverdauung im Magen nicht bis zu den Endprodukten des Eiweissabbaues führt, die Fehler nur un- ‚erhebliche sein. Die verfütterten Eiweisskörper waren natives und denaturiertes Muskeleiweiss, denaturiertes Eiereiweiss, Kasein bzw. Milch und Gliadin. Als natives Muskeleiweiss wurde frisches, fettfreies, fein gehacktes Pferdefleisch verfüttert; denaturiert wurde dieses entweder durch Kochen oder durch Alkohol-, Formalin- bzw. Säurebehandlung. Gekochtes Fleisch wurde entweder mit den Extraktivstoffen oder ohne diese verfüttert. Die Alkohol- bzw. Formolbehandlung des Fleisches geschah in der Weise, dass das gehackte rohe Fleisch in 95°/o Alkohol bzw. in 40° Formaldehyd eingetragen wurde und nach mehrstündigem Verweilen in der Lösung so lange in fliessendem Wasser gewaschen wurde, bis die Denaturierungsmittel vollständig Die Salzsäuresekretion und ihre Beziehung zum Abbau usw. 1layrı entfernt waren; verfüttert wurde es mit so viel Wasser, als dem Wassergehalt des frischen Fleisches entsprach. Die Säurebehandlung wurde durch Verreibung des fein gehackten Fleisches mit der ent- sprechenden Normalsäure in einer Reibschale vorgenommen und das Fleisch ohne Auswaschen verfüttert. Zweifellos wurde das Fleisch durch diese Art der Säurebehandlung niemals vollständig denaturiert. Es lag auch gar nicht in der Absicht, durch Säurezusatz vollständig denaturiertes Fleisch zu verfüttern, als vielmehr unter dieser Be- dingeung die HC]-Sekretion zu beobachten. Eiereiweiss wurde nur in gekochtem Zustand verfüttert, da natives Eiereiweiss den Magen ungemein rasch und fast unverändert verlässt und die hiebei gefundenen Mengen der Abbauprodukte zu gering waren, um die genannten Bestimmungen durchzuführen. Da die mit in Wasser aufgeschwemmtem Kasein angestellten Fütterungsversuche dieselben Resultate lieferten wie nach Milch- fütterung, wurde nur diese mehr gereicht, da die Versuchshunde die spontane Aufnahme des Kaseins zumeist verweigerten. Gliadin wurde aus Weizenmehl nach der üblichen Methode dargestellt und das trockene, gepulverte Produkt, in Wasser aufgeschwemmt, durch die Magenfistel den Versuchstieren eingeführt, ein Vorgang, der bei Magensaftsekretionsversuchen gewiss unerlaubt ist. Um daher die Bedingungen der Magensaftsekretion so normal als möglich zu er- halten, wurde von der Verfütterung reiner Nahrungsstoffe mit Aus- nahme von Gliadin, dessen freiwillige Aufnahme von den Versuchs- tieren verweigert wurde, abgesehen. Die erhaltenen Resultate wurden rechnerisch in der Art ver- HCI HCl Amino-N NN un Gem bestimmt . wertet, dass die Verhältnisse wurden; von diesen war das wichtigste das Verhältnis ı. weil ö 2 es darüber Aufschluss gab, ob die HCI-Moleküle noch mit einer an- deren Gruppe als einer endständigen NH,-Gruppe in Verbindung ge- treten waren; dieses musste der Fall sein,) wenn das Verhältnis Amino-N grösser als 1 gefunden wurde. Der Quotient IGEHmEN gibt NH, über die Grösse des Eiweissabbaues Aufschluss. Die folgenden Tabellen I bis IV enthalten die wesentlichsten Ergebnisse. 13 120 est | oro | 2scT0‘0 | 09600°0 rororo f ee \ oor | me 22 i Pas x i ‘0 | seo | ors1o | seroo | rarood| OH |} oor | mar °8z 820 ot | 2ro | 091200 | oseroo ererosof a son } oor | me +2 i f ; f f c 4191L1NJeU9p PÄyop , 13°0 FT 2Eo | OTELOO | 0TL00%0 oreeoof Teun1o Au WOSTeLT \ 001 mp 'I7 sTo 9 | ze | soTToo | sSO,, HNO,) zu dem verfütterten Eiweisskörper setzt die absolute sezernierte HCl-Menge wie auch 5. Der Abbaukoeffizient ist für jede Eiweissart bei N entsprechend der zugesetzten Säuremenge herab. Da hierbei keine freie HCl auftritt, kann die Salzsäuresekretion, da ein Teil der bindenden Gruppen durch die zugesetzte Säure bereits besetzt ist, nur von den freien säurebindenden Gruppen abhängig sein. 7. Der Regulationsmechanismus für die HC]-Sekretion scheint wahrscheinlich darin zu bestehen, dass das Auftreten von freier HCl überhaupt den Hemmungsreiz für jede weitere HC]-Sekretion abgibt. Allerdings erscheint unter Umständen noch ein zweiter Mechanismus bei der Unterdrückung der freien HCl im Magen des Hundes eine Rolle zu spielen, der Rückfluss der Duodenalsäfte. Dieser dürfte erst dann in Erscheinung treten, wenn der Sekretionsreiz so stark ist, dass der Hemmungsreiz wirkungslos bleibt. Die Bedeutung dieser Regulierung der HC]-Sekretion liegt wohl in ihrer Beeinflussung der Magenentleerung. den Quotienten a 147 (Aus dem pathologischen Institut der Universität München.) Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion !). Von Leonhard Wacker. Durch vorangegangene Untersuchungen über die chemischen Vorgänge im absterbenden Muskel wurde eine bestimmte Vorstellung über das Zustandekommen der Totenstarre gewonnen. Diese Ergeb- zisse und die Analogie der physiologischen Stoffwechselerscheinungen mit denjenigen im absterbeuden Muskel drängten unwillkürlich und Schritt für Schritt dazu, sich auch ein Bild über jene Geschehnisse zu machen, die zur Muskelkontraktion führen. Eine solche Theorie wird dann den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen, wenn sich die mannigfaltigen Eigenschaften des Muskels, die Stoffwechselvorgänge, der histologische Aufbau desselben und die Verwertung der zur Verfügung stehenden chemischen Energie mit ihr vereinbaren lassen. Auch der plötzlichen, explosionsartigen Wirkungsweise und physiologischen Funktion der Muskeln wird Rechnung getragen werden müssen. Während beispielsweise die Herzmuskeln dazu bestimmt sind, durch Verdiekung einen Druck auszuüben und wie eine Pumpe zu wirken, bewerkstelligen die Skelettmuskeln ihre Kraftäusserung durch Verkürzung und Zug. Diese vielseitigen Bedingungen erschweren das Problem. Da die verschiedenartigsten Gebiete der Naturwissenschaft berücksichtigt werden müssen und es unmöglich ist, alle zu beherrschen, ist eine einseitige Beurteilung der Verhältnisse leicht möglich und begreiflich. R. du Bois Reymond?) hat sich in dieser Hinsicht gelegent- lich eines Vortrages in der physiologischen Gesellschaft in Berlin 1) Vgl dazu: Chemodynamische Theorie der Muskelkontraktion. Berliner klin. Wochenschr. 1917 S. 153, 45. Jahrg. 2) R. du Bois-Reymond, Zur Theorie der Muskelkontraktion. Berliner klin. Wochenschr, BJ. 53 S. 392. 1916. 10,7 148 Leonhard Wacker: dahin ausgesprochen, dass die vorhandenen Hypothesen nicht ein- deutig ausgebaut seien und auf Einzelheiten nicht eingehen. Im An- schlusse daran hat er einige wichtige Bedingungen, welche eine Kontraktionstheorie erfüllen soll, zusammengestellt, die im vor- liegenden Falle Berücksichtigung gefunden haben. Die Anschauung du Bois Reymond'’s mag sich vielleicht auch auf die sogenannte Quellungstheorie!) im Sinne Engelmann's und M.H. Fischer’s?) beziehen, welche sich auf die Tatsache stützt, dass Eiweisskörper unter dem Einflusse von Milchsäure stark aufquellen. Nach meinen experimentellen Ergebnissen steht diese Theorie deshalb auf schwachen Füssen, weil die Milchsäure unter physiologischen Verhält- nissen im Muskel nur im statu nascendi existiert und sofort dureh die vorhandenen Alkalien neutralisiert wird. Freie Säure kommt somit überhaupt nicht in Betracht, und saure Salze, wie Monoalkaliphosphate, finden sich schon im ganz frischen Muskel, ohne zu Quellungeser- scheinungen zu führen. Die Restitution des Muskels soll nach Wo. Pauli durch Verbrennung der Milchsäure zu Kohlensäure und die durch das Verschwinden der Milchsäure bedingte Entquellung erfolgen. Diese Erklärungsweise der Rückkehr des Muskels in den Erschlaffungszustand steht, ganz abgesehen von den schon geäusserten Bedenken gegen das Wesen der Quellungstheorie, in Widerspruch zu der bei den Askariden und Taenien?) beobachteten Tatsache der anoxybiotischen Muskelarheit, denn die von Wo. Pauli angenommene Verbrennung der Milchsäure setzt die Anwesenheit von Sauerstoff voraus. Mit den chemischeu Vorgängen am besten vereinbar ist die Theorie, welche die osmotische Drucksteigerung als Kraftquelle zur Unterlage hat. Es dürfte wohl keine Zufallserscheinung sein, dass die in den Zellen gespeicherten Reservestoffe, wie Glykogen, Fett und Eiweiss, Kolloidnatur besitzen und an sich keinen osmotischen Druck auszuüben vermögen. Erst bei der Zertrümmerung der grossen Molekülkomplexe in kleinere Kristalloidmoleküle kommt es zu einer 1) Wo. Pauli, Kolloidchemie der Muskelkontraktion. Kolloidchem. Bei- hefte Bd.3 8.361. 1912. — J. Grober, Muskelkontraktion und Kolloidquellung. Münchener med. Wochenschr. Bd. 59 8. 2433. 1912. 2) Martin H. Fischer, Das Ödem. Verlag Th. Steinkopff, Dresden 1910. 3) E. Weinland, Stoffwechsel der Wirbellosen in Oppenheimer’s Handb. d. Biochem. Bd. 4 H.2 S. 446. 1911. Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 149 ergiebigen Drucksteigerung. Dieser Vorgang ist ein Naturgesetz und dürfte im tierischen Organismus, der zum Zwecke der Energie- gewinnung Dissimilationsprozesse ausführen muss, allgemein stattfinden. Bernstein!) und Wo. Pauli?) haben die osmotische Theorie, welche sich ausserdem an die Namen Mac Dousall?), N. Zuntz*) und Meigs°’) knüpft, kritisch besprochen. Am schwerwiegendsten ist der Einwand Bernstein’s, dass die zur Verfügung stehende Energie nicht zum Betriebe des Muskels ausreicht bzw. der von Zuntz vertretene Ausnutzungsmodus unbefriedigend ist. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Molekülzertrümmerung und der dadurch gewonnene osmotische Druck bloss ein Teil und der Anfang des Dissimilationsprozesses ist. Es ist kaum anzunehmen, dass bei der Ausbeutung der potentiellen Energie der Nahrungsmittel nur der anoxybiotische Abbau in kleinere Moleküle ausnutzbar ist, während die Verbrennungswärme verloren gehen soll. Eine unzureichende Erklärung über die Art der Ausnützung der Energie berechtigt noch nicht, die ganze Theorie zu verwerfen. .Ich halte vielmehr auf Grund meiner Untersuchungen die Erklärungsweise, dass im An- schluss an die osmotische Kraft eine Ausnützung der Wärme erfolgt, aus folgenden Überlegungen für die richtige: Das primäre Abbauprodukt des Reservestoffes Glykogen, welches im Muskel eine Rolle spielt, ist die Milchsäure. Sie enthält noch einen hohen Prozentsatz der verfügbaren Energie der Kohlehydrate. Man hat sie mit Recht als „causa movens“ der Muskelkontraktion angesehen, jedoch den Chemismus des Abbaues zu Kohlensäure un- berücksichtigt gelassen. Die Milchsäure ist in einem vorwiegend alkalischen Medium, wie es der Muskel ist, als solche nicht existenzfähig, sie wird neutra- lisiert, und es entsteht milchsaures Alkali. Das Endprodukt der Oxydation des milchsauren Alkalis ist Alkalibikarbonat. Um aus 1) J. Bernstein, Zur Theorie der Muskelkontraktion. Pflüger’s Arch. d. ges. Physiol. Bd. 109 S. 323. 1905; Bd. 162 S. 19. 1915. 2) Wo. Pauli, a. a. O. 3) W. MacDougall, A theory of muscular contraction. Journ. of Anat. and Physiol. vol. 31 p. 410. 1897; vol. 32 p. 187. 1898. 4) N. Zuntz, Über die Quellen der Muskelkraft. Oppenheimer’s Hand- buch d. Biochem. Bd. 4 S. 826. 1911. 5) Ed. B. Meigs, A mechanical theory of muscular contraction. Americ. Journ. of Physiol. vol. 14 p. 139. 1905. 150 Leonhard Wacker: letzterem Kohlensäure in Freiheit zu setzen, bedarf es wiederum der Einwirkung von Milchsäure. | Der bei diesem Prozess entstehende Kohlensäure- druck ist es, welcher, um das Zustandekommen der Muskelkontraktion zu ermöglichen, zum osmotischen Druck hinzukommen muss. Durch Wärmezufuhr wird dieser Kohlensäuredruck gesteigert, so dass auch der Weg zur Ausnutzung der Wärme erkennbar ist. Wenn ich in der Folge auszuführen versuche, inwieweit die an- gedeutete Theorie den chemischen Vorgängen gerecht wird, sich dem architektonischen Aufbau der Muskel, den optischen, elektrischen und allen anderen Eigenschaften desselben anpasst, so bin ich mir bewusst, dass ich dieses Thema nicht erschöpfend behandeln kann. Im Muskel finden .sich noch viele Chemikalien und Eiweisskörper, welche nicht berücksichtigt sind und denen eine Bedeutung bei der Regulation der Vorgänge des Energiehaushaltes zukommen mag. Die Histologie des Muskels ist nur ein Niederschlag der Beobach- tungen durch das Mikroskop, nachdem das Objekt vielfach Konser- vierungs- und Färbungsprozesse hinter sich hat. Viele wichtige Anhaltspunkte, die zur Aufklärung der Verhältnisse beitragen könnten, entziehen sich der mikroskopischen Beobachtung. Ähnlich ist es mit den optischen Eigenschaften. Die Meinungen der Autoren über die Ursache der Doppelbrechung sind sehr verschieden, die verschiedenen Helligkeitsgrade unter dem Polarisationsmikroskop könnten auch in anderer Weise als durch Doppelbrechung erklärt werden, zum Bei- spiel durch die optische Aktivität der Muskelchemikalien. | Mein Bestreben wird sein, den Beweis zu führen, dass die zu besprechende Theorie zum mindesten den feststehenden Eigenschaften des Muskels nicht zuwiderläuft. Ergebnisse aus den Untersuchungen der Vorgänge im absterbenden Muskel. Die Ergebnisse der Untersuchungen im absterbenden Mnskel sind die Unterlagen für diese Ausführungen; sie sollen daher kurz wiederholt werden: Nach dem Tode schwindet das Glvkogen!) im Muskel, und 1) Zur Kenntnis der Totenstarre und der physiologischen Vorgänge im Muskel. Münchener med. Wochenschr. Bd. 92 S. 874ff., S. 913ff. 1915. — Physikalische und chemische Vorgänge im überlebenden Muskel als Ursache der Totenstarre. Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 101ff. 1916. Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 151 zwar um so rascher, je näher die Temperatur der Körpertemperatur bleibt und je grösser die Alkaleszenz ist. Mit der Abnahme des Glykogens nehmen die sauren Bestandteile zu, und nach einiger Zeit tritt die Totenstarre ein. Bei Kachexie enthalten die Muskeln kein oder nur wenig Glykogen, in solchen Fällen treten auch keine oder nur vorübergehende Starreerscheinungen auf. Mit dem Ansteigen der sauren Bestandteile geht die Alkaleszenz zurück. Die Summe von Al- kaleszens plus Azidität in den verschiedenen Stadien, vom Moment des Todes bis zur Lösung der Totenstarre, ist annähernd konstant; daraus folgt, dass im Muskel ein Neutralisationsprozess stattfindet, an dem vorzugsweise Alkaliphosphate beteiligt sind. Der Beweis hierfür ist leicht zu erbringen: Gibt man zu einer Dikaliumphosphat- lösung von bekanntem Gehalt verschiedene Mengen einer Milchsäure- lösung von bekanntem Gehalt in der Weise, dass das Dialkaliphosphat im Überschuss bleibt, und ermittelt jedesmal nach der Vereinigung die Alkaleszenz und die Azidität. so findet man, dass die Summe beider eine konstante Zahl ist. Die Erklärung liegt in dem Über- gang des Diphosphats in Monophosphat unter dem Einfluss der Milehsäure. Eine kleine Abweichung von diesem Gesetz, bestehend in einem gewissen Säuredefizit bei der Titration und der Abnahme der Alkalialbuminate im wässerigen Muskelextrakte mit zunehmender Säurebildung, lassen darauf schliessen, dass an der Neutralisation im Muskel auch noch Alkalibikarbonate und Alkalialbuminate teil- nehmen. Die mikroskopisch erkennbare Anordnung der Substanzen, die optischen Eigenschaften des Muskels usw. deuten auf eine räumliche Scheidung der Muskelchemikalien. Erst auf den Nervenreiz hin treten die verschiedenen Stoffe in Reaktion. Bei der Extraktion mit heissem Wasser kann man demnach kein zuverlässiges Bild über die Ver- teilung von Alkaleszenz und Azidität über den Muskel erlangen, da beim Auskochen schon Neutralisationsprozesse vor sich gehen. Die Titration des Muskelextraktes gibt daher nur ein Bild über das Fortschreiten der Säurebildung im allgemeinen beim Absterben des Muskels. Alkalibikarbonat ist im Extrakt gar nicht nachzuweisen, da es schon vorher durch saure Phosphate usw. zerlegt wurde. Bei der Neutralisation der aus Glykogen gebildeten Milchsäure entsteht milchsaures Alkali. Bei geringer Muskelarbeit bleibt das- selbe im Muskel deponiert, bei schwerer Arbeit wird ein Teil des- selben in das Blut übergeführt. Es wird im Blute sowohl wie im 1523 Leonhard Wacker: Muskel zu Alkalibikarbonat oxydiert. Daraus folgt, dass der Muskel zum mindesten zeitweise Alkalibikarbonat enthält, auch die Anwesen- heit von Natriumbikarbonat im Blute wird dadurch erklärlich. Durch Einwirkung von Kohlensäure auf das im Muskel in grosser Menge vorhandene Dikaliumphosphat entsteht ebenfalls doppelkohlensaures Kalium. Zweierlei Prozesse führen also zur Anwesenheit von Alkali- bikarbonat im Muskel. Durch Verbrennung des milchsauren Alkalis *) zu Alkalibikarbonat wird die Alkaleszenz im Organismus immer wieder regeneriert. Mit der Neutralisation der Milchsäure durch das Alkalibikarbonat ist. eine Kohlensäureentwicklung verbunden. Geschieht die Kohlensäure- entbindung in einem geschlossenen Raum, beispielsweise einer Zelle, so kommt es zu einer Druckbildung. Der Druck kann bei Gegen- wart von Dialkaliphosphat unter Bildung von Alkalibikarbonat und Monoalkaliphosphat versehwinden. Entsteht ein Überschuss von Milch- säure im absterbenden Muskel, so wird sämtliches Dialkaliphosphat in Monophosphat übergeführt; der Kohlensäuredruck kann dann nicht mehr beseitigt werden, er bleibt in der Muskelfaser bestehen. Dieser Zeitpunkt ist das Stadium des Eintritts der Totenstarre. Erst durch langsames Entweichen der Kohlensäure löst sich die Starre wieder. Die Leichen geben an die Umgebung Kohlensäure in Gasform ab. Die Menge ist erheblich und kann nicht allein auf präexistierendes Alkalibikarbonat zurückgeführt werden. Bei Gegenwart von Sauerstoff, d. h. im Luftstrome, produziert der Muskel viel mekr Kohlensäure wie in Wasserstoff”). Dies deutet darauf hin, dass im absterbenden Muskel durch Sauerstoffaufnahme die Oxydation des milchsauren Alkalis zu Alkalibikarbonat weitergeht. Durch neuzebildete Milch- säure kann aus dem Bikarbonat noch eine grössere Menge Kohlen- säure in Freiheit gesetzt werden. Auch in einer Wasserstoffatmosphäre wird fortgesetzt Kohlensäure gebildet, selbst diese Menge ist innerhalb 24 Stunden noch grösser als die durch direktes Auskochen erhält- liche. Wahrscheinlich ist dieselbe bakteriellen Ursprungs, vielleicht kommen noch autolytische Prozesse in Frage. Von den chemisch-umkehrbaren Prozessen im Muskel wurde die Wechselwirkung zwischen Kohlensäure und Dikaliumphosphat bereits 1) Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung und Lösung der Totenstarre. Pflüger’s Arch. d. ges. Physiol. Bd. 165 S. 452. 1916. 2) Näheres darüber siehe Biochem. Zeitschrift Bd. 79 S. 118. 1917. Chemodynämische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 153 besprochen. Beim Kohlensäurestoffwechsel spielen aber noch zwei weitere Reaktionen eine Rolle, nämlich das Verhalten von Alkali- albuminaten gegen Monoalkaliphosphat und der reversible Vorgang zwischen der Eiweisskomponente der Albuminate und dem Alkali- bikarbonat. Auf ihre Bedeutung wird später eingegangen werden. Beim Abbau des kolloidalen Glykogenmoleküls zu 15 Kristalloid- molekülen der Milchsäure !) kommt es (sekundär durch das Freiwerden von Kohlensäurehydrat) zu eirer Steigerung des osmotischen Druckes. Der hydrolytisch-anoxybiotische Abbau des genannten Poly- saccharids zur Milchsäure und die Neutralisation der letzteren liefern etwa 8°/o der gesamten potentiellen Energie des Glykogens?). Etwa 4°o entfallen auf die Neutralisationswärme. Da der Muskel mit einem Wirkungsgrad bis zu 30°o arbeitet, kann die zum Betriebe erforderliche Energie nicht allein durch Anoxybiose geliefert werden. Dies führte zu der Annahme, dass die Verbrennungswärme des milch- sauren Natrons teilweise in Arbeit umgesetzt oder milchsaures Natron unter Wärmebindung zu Glykogen regeneriert wird. Für beide Mög- lichkeiten lassen sich Wahrscheinlichkeitsbeweise erbringen. Zwischen den chemischen Vorgängen beim Glykogenabbau und den physikalischen Erscheinungen bei der Muskelarbeit besteht eine Analogie. Muskelarbeit und Wärmebildung im Muskel sind untrennbare Begriffe; „ohne Arbeit keine Wärme- bildung, und umgekehrt“. Auch der Glykogenstoffwechsel ist zweiphasig. Der anoxybiotische Teil entspricht, mit der erwähnten Erweiterung, der Arbeitsleistung, der oxy- biotische der Wärmebildung. Die bei gleichmässiger Herz- und Atemtätigkeit geleistete Arbeit hat eine konstante Wärmeproduktion im Gefolge. Letztere dient zur Erhaltung der Körpertemperatur. 2. Kohlehydratabbau und Produktion von Kohlensäure aus Natriumbikarbonat und Milchsäure als Kraftquelle. Das Verschwinden von Glykogen aus dem Muskel bei Arbeit und Kälte, das Vorhandensein von Traubenzucker im Blute im Hunger- stadium, wenn der Organismus seinen Energiebedarf vom Depotfette 1) L. Wacker, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 71 S. 143. 1911. 2) Vgl. dazu: Anoxybiotische Vorgänge im Muskel. Pflüger’s Areh. d. ges. Physiol. Bd. 163 S. 491. 1916. 154 Leonhard Wacker: bestreitet, und andere Anzeichen sprechen dafür, dass zur Umsetzung der chemischen Energie in Arbeit lediglich Kohlehydrat zur Ver- wendung gelangt und die anderen energiespendenden Materialien, wie Fett und Eiweiss, vorher in die Kohlehydratform verwandelt werden müssen. Der Muskel gleicht in dieser Hinsicht einer Maschine, die nicht gleichzeitig mit Kohle, Öl oder Gas geheizt werden kann, ohne dass durch entsprechende Feuerungsanlagen der Qualität des Brennmaterials Rechnung getragen worden ist. Der architektonische Bau des Muskels lässt nur ein einheitliches Breunmaterial zu, und die vorhandenen Fermente sind nur auf die Zerlegung von Kohle- hydrat eingestellt. Das Heizmaterial wird durch das Blut in Form von Traubenzucker zugeführt und im Muskel als Glykogen gespeichert. Bei der Arbeit wird Glykogen unter Säurebildung verbraucht. Die gebildete Fleischmilchsäure kannals solche nicht existieren und wird durch Neutralisation unter Kohlensäurebildung in milchsaures Natron verwandelt. Letzteres verbrennt nachgewiesenermassen zu Na- triumbikarbonat. Das Natrium vermittelt also einerseits die Verbrennung der Milchsäure zu Natriumbikarbonat und schützt andererseits den Organismus vor Übersäuerung. Denkt man sich den Prozess in einem Muskelelement vollziehend, so muss es in demselben durch die frei gewordene, ge- löste Kohlensäure zu einer Drucksteigerung kommen, da dieselbe das Bestreben haben wird, in Gasform überzugehen und zu entweichen. Dieser Überdruck führt bei ungieichmässiger Beschaffenheit des Muskel- elementes zu Deformationen desselben, welche später besprochen werden sollen. Die Neutralisation der Milchsäure wird in jenem Raume erfolgen, wo sie entstanden ist, da die Membranen auf die Dauer der starken Säure nicht widerstehen würden. Daraus folgt, dass auch das milch- saure Natron und das aus ihm dureh Oxydation entstehende Natrium- bikarbonat dort deponiert wird, wo Neutralisation und Oxydation stattgefunden haben. Der Ort der Säurebildung und die Lagerstätte des Bikarbonats liegen hart nebeneinander, und es bedarf nur des Reizes bzw. Anstosses zur Säurebildung, um Kohlensäure in Freiheit zu Setzen. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, dass bei Ermüdung auch ein Überschuss von milchsaurem Natron in das Blut übergeführt Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 155 wird, um dort zu Bikarbonat verbrannt zu werden. In diesem Falle tritt letzteres wieder aus dem Blute in den Muskel über, und die Kohlensäureentwicklung findet gleichfalls wieder am Orte der Milch- säureproduktion statt. Ein prinzipieller Unterschied über die Art der Kraftproduktion würde sich daraus nicht ergeben, da es zur Be- urteilung der Verhältnisse nur auf die Lokalisation der Kohlensäure- entwicklung ankommt. 3. Kraftübertragung des Kohlensäure- und des osmotischen Druckes nach Massgabe des histologischen Muskelbaues. Der Übersicht wegen sei das histologische Bild!) des quer- gestreiften Muskels kurz wiedergegeben. Die Muskelfaser besitzt 11—17 u Durchmesser und ist 5,3 bis 9,8 cm lang. Bei 100 facher linearer Vergrösserung gleicht sie einem Bindfaden oder Schlauch von 5,3—9,5 m Länge und 1,1—1,7 mm Dicke. Innerhalb kurzer Muskeln verlaufen die Fasern durch die ganze Länge, in den längeren verjüngen sich die einzelnen Fasern zu- gespitzt und sind schräg an den spitz beginnenden, nächstfolgenden Fasern durch Kittsubstanz angeheftet. Jede Faser des quergestreiften Muskels ist von einer strukturlosen, glashellen Hülle, dem Sarkolemm, vollständig umschlossen und besteht der Hauptmasse nach aus einer grossen Anzahl von feinen Fäserchen, den Fibrillen, welche als die einzigen verkürzungsfähigen Körper erscheinen, und somit morpho- logisch wie physiologisch den wichtigsten Bestandteil des Muskels darstellen. Die Fibrillen, die prismatisch gegeneinander abgeflacht sind, bilden nicht ein durch die ganze Faser zusammenhängendes Bündel, sie liegen vielmehr in einer in ziemlicher Menge vorhandenen Zwischensubstanz, dem Sarkoplasma. Ihre Breite beträgt 1—1,7 u, sie besitzen Querstreifen und sind so in das Sarkoplasma eingebettet, dass die Streifen aller Fibrillen in einem Niveau liegen. Wie die Faser der Länge nach teilbar ist, so lässt sie sich auch der Quere nach in geldrollenartige Scheiben spalten. Aus dieser doppelten Teilvarkeit ergibt sich, dass eine Fibrille aus hintereinandergelagerten 1) Vgl. hierzu v. Frey in Nagel’s Handb. d. Physiol. d. Menschen Bd. 4 8.427. 1909. — Ph. Stöhr, Lehrbuch d. Histol., 16. Aufl., S. 96. 1915. — M. Heidenhain, Plasma und Zelle. 2. Lieferung S. 507. Jena 1911. (In Bardeleben’s Handbuch d. Anatomie Bd. S S. 2.) 156 Leonhard Wacker: kleinsten Teilen (Wabenstruktur des Muskels) besteht, die man als Muskelelemente oder Muskelkästchen bezeichnet hat. Jedes derselben zeigt für sich noch einen komplizierten Bau, es ist, entsprechend der Dicke der Fibrille, ein 1—1,7 « breiter und 2—2,8 u hoher prisma- tischer Körper mit ebenen Endflächen. Bei einer Länge der Fasern bzw. Fibrille von 53 mm und einer Höhe der Querstreifung bzw. der Muskelelemente von 2 u hesteht die Fibrille somit aus 26500 Muskelelementen, so dass die Anzahl der Muskelelemente einer ganzen Faser in die Hundertausende bis Millionen geht. Die trennende Zwischenwand zwischen zwei Muskelelementen derselben Fibrille hat man als Endscheibe bezeichnet. Denkt man sich jedes Muskelelement von einer dünnen Haut umgeben, so besteht die Endscheibe aus zwei aneinandergelagerten Membranen der benach- barten Elemente |Amieci-Krause’sche Linie!) ]. Bei der Kontraktion beobachtet man unter dem Mikroskop, dass die Muskelelemente niedriger und von grösserem Durchmesser werden, wodurch die Querstreifung aneinandergerückt erscheint. Ruhezustand Kontraktionszustand eines Muskelelementes eines Muskelelementes Nimmt man an, dass Glykogenabbau, Milchsäure- bildung und Neutralisation derletzteren durch Bikar- bonat innerhalb der Muskelelemente stattfinden, 1) Die von Bernstein „Experimentelles und Kritisches zur Theorie der Muskelkonstruktion“ (Pflüger’s Arch. d. ges. Physiol. Bd. 162 S. 20. 1915) gegen die Osmose als Quelle der Muskelkraft angeführten Argumerte ignorieren die Tatsache, dass von seiten der Morphologen die Existenz einer Wandung der Muskelelemente bereits diskutiert wurde. Membranen müssen bei vielen Strukturen angenommen werden, an Stellen, wo man sie histologisch-färberisch noch nicht darstellen kann. In seiner Theorie über die Entstehung der Phasengrenzkräfte (siehe später) nimmt Haber gleichfalls die Existenz einer Membran zwischen Fibrille und Sarkoplasma an. Auch R. du Bois-Reymond (a. a. O.) hält die Annahme einer feineren Struktur für zulässig, ganz abgesehen davon, dass die . chemischen Vorgänge mit der Zelltheorie eng verknüpft sind und eine chemische Theorie ohne Membran überhaupt nicht auskommen kann. — Vgl. dazu: M. Heidenhain, a. a. ©. S. 619. Hypothetische Längsverbindungen der Fibrillen. Chemodynamische oder Kohlennsäure-Theorie der Muskelkontraktion. 157 so wird sieh im Innern derselben ein Kohlensäure- druck geltend machen, durch die im flüssigen Inhalt des Elements als Hydrat (HsCO,) gelöste Kohlensäure. Auch der osmotische Druck wird durch die Vermehrung der Moleküle steigen. Ein mit gleichmässigen Seiten- wänden versehenes Muskelelement wird dann die Kugelgestalt anzunehmen trachten und an Höhe ab- nehmen. Mit der durch Annahme der Kugelgestalt bedingten Zusammenziehung liesse sich aber die Kon- traktion, welche 72°o und mehr der Länge des Muskels beträgt, noch nicht erklären. Anders liegen die Ver- hältnisse, wenn die als Endscheibe bezeichnete Basis der Muskelelemente diekwandiger als der übrige Teil der Hülle konstruiert ist, dann wird die Höhe des Muskelelementessärker abnehmen und ein flaches, presskuchenartiges Gebilde erscheinen. Nach dem mikroskopischen Bilde und der Widerstandsfähigkeit der Grundmembran stünde der Annahme einer ver- dieckten Basis nicht nur nichts im Wege!), sondern sie stünde den tat- ob ul sächlichen Verhältnissen am nächsten. ra Tatsächlich ist aber die Anordnung so, | | dass die Muskelelemente säulenförmig hinter- 4 7 einandergereiht sind und mit der als End- | | scheibe bezeichneten Basis aufeinandersitzen. | L 2 Tritt unter diesen Verhältnissen ein Druck auf, er | so wird jedes Element seine Form solange Eier verändern, bis der Druck nach allen Seiten aus- geglichen ist. Der axiale Druck auf die Basis > x g des benachbarten Muskelelementes pflanzt sich | durch die ganze Fibrille fort und wird vom + = endständigen Element auf die morphologische | Grenzmembran der Muskelfaser, welche sehr >—— wahrscheinlich mit dem Sarkolemm identisch Fig. b. ist, übertragen. Der seitliche Druck in den Mi Elementen teilt sich dem Sarkoplasma, viel- r 1) M. Heidenhain, Plasma und Zelle a. a. O. Ya = S. 614 und 615. Fig. 158 Leonhard Wacker: leicht auch den anstossenden Elementen benachbarter Fibrillen mit und wird durch diese weiter auf das Sarkolemin übertragen. Die Gesamtwirkung des Druckes der Muskelelemente ist gleich der- jenigen, welche die Grenzmembran erfahren würden, wenn sie einem inneren Überdruck von derselben Grösse durch eine Flüssigkeit allein ausgesetzt würde. Die zylinderförmige Muskelfaser geht in eine spindelförmige über, wodurch die Enden der Grenzmembran sich gegenseitig nähern und einen dem Druck entsprechenden Zug aus- üben. Die Muskelelemente werden dabei Fass- bzw. Tellerform annehmen (Fig. b und e)!). Da der Seitendruck viel grösser ist als der axiale, wird die Grenzmembran der Faser beim Zusammenziehen auf die Fibrillenköpfe drücken. Ihrem anatomischen Bau zufolge kann die Fibrille nicht dazu bestimmt sein, eine erhebliche Zugwirkung ausüben, weil sie sich sonst der Quere nach spalten und in Scheiben bzw. die einzelnen Elemente zerfallen würde. Dies ist nach dem Vorhergesagten auch nicht erforderlich. Das Sarkolemm, welches mit Hilfe von Kitt- substanz und Bindegewebe mit anderen Fasern zu Bündeln vereinigt. ist, gibt die Kraft weiter. Die Gesamtkontraktion des Muskels als Ganzes betrachtet, kommt aber nicht nur durch die so eben besprochene Verkürzung und Verdiekung von Fibrille und Fasern zustande, sondern sie ist dieKombination dieses Vorganges mit einer weiteren Erscheinung: Durch die An- und Übereinanderlagerung der zahl- reichen verdickten Fasern wird auch der Querschnitt des Bündels vergrössert und die äusseren Partien wölben sich vor. Mit derZunahme der Wölbung nähern sich die Faserenden und verkürzt sich der Gesamt- muskel erheblich. Beim Herzmuskel ?) ist das Vorhandensein einer Grenzmembran. 1) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen ist es gelungen, aus einem. Stückchen elastischen Gummischlauch und zwei Korken als Endscheiben die Nach- bildung eines Muskelelementes in vergrössertem Massstabe herzustellen, die sich bei Drucksteigerung im Innern durch Einblasen von Luft verkürzt, in obengeschilderter Weise unter Dickenzunahme seitlich auswölbt und Fassform annimmt. Wesent- lich für die Verkürzung ist, dass über dem Gummischlauch parallel der Längs- _ achse des Modells Bindfäden eingezogen sind. — Hierüber soll später an anderer Stelle nach Fertigstellung der Zeichnungen berichtet werden. 2) Vgl. M. Heidenhain, a. a. O. S. 531 und 540. — Ferner Stöhr, Lehrb. d. Histologie, 16. Aufl., S. 98 Anm. Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 159 » schwer nachweisbar, aber immerhin ist sie vorhanden. Die geringe Differenzierung derselben mag davon herrühren, dass sie nicht auf Zug beansprucht wird, weil die Kraftäusserung des Herzmuskels ausschliess- lieh in Druckwirkung zu suchen ist. Der histologische Bau des Herz- muskels steht demnach nicht im Widerspruch zum Mechanismus der Kon- traktion, sondern ist eher ein Beweis für die Richtigkeit des Gesagten. 4. Das optische Verhalten des quergestreiften Muskels, ver- glichen mit den optischen Eigenschaften der Muskelchemikalien im polarisierten Licht. Wenn man den quergestreiften Muskel im polarisierten Licht betrachtet, so erscheint bekanntlich die Mittelschichte des Muskel- elementes hell, sie ist doppeltbrecher.d (anisotrop), auf der oberen und unteren Fläche derselben liegt eine dunkle Schichte einfach- brechender (isotroper) Substanz!) Letztere sitzt somit direkt auf der Endscheibe und ist von der eleichen Substanz des nächsten Elementes durch diese getrennt. Bei der Kontraktion nimmt nach Engelmann die einfach lichtbrechende Substanz auf Kosten der doppeltbrechenden zu. Man gewinnt bei der mikroskopischen Be- obachtung den Eindruck, als ob sich die doppeltbrechende Schicht zusammenzieht, und hat sie daher auch in diesem besonderen Sinne als „kontraktile Substanz“ bezeichnet. Dieser Vorgang liesse sich auch auf andere Weise erklären: Es könnte beispielsweise die Substanz mit doppeltbrechenden Eigen- schaften bei der Kontraktion an Menge abnehmen und in einen ein- fach oder weniger stark brechenden Körper übergehen. Dem Be- obachter würde dieser Vorgang als eine Zusammenziehung der doppelt- brechenden Schicht erscheinen. Es frogt sich nur, inwieweit die optischen Eigenschaften der Muskelchemikalien eine solche Auffassung zulassen. Die Doppelbrechung oder die helleren Schichten unter dem Polarisationsmikroskop können verursacht sein durch eine Anhäufung durchsichtiger, richtig doppeltbrechender Kristalle oder durch amorphe Substanzen, wie Eiweisskörper oder Glykogen, die einem einseitigen Druck oder Zug?) ausgesetzt sind und dadurch doppeltbrechende 1) Die Existenz der anisotropen Schicht wird von manchen Autoren in Abrede gestellt. Es sollen nur verschiedene Grade von Helligkeit bestehen. Das Vorhandensein optisch aktiver Substanzen rechtfertigt diese Anschauung. Näheres hierzu bei W. Biedermann, Vergleichende Physiologie der irritablen Substanzen in Asher-Spiro’s Ergebn. d. Physiol. Bd. 85. 203 ff. 1909. 2) Kohlrausch, Leitfaden der prakt. Physik, 2. Aufl., S. 164 u. 168. 1907. 160 = Leonhard Wacker: Eigenschaften annehmen. Schliesslich können Helligkeitsunterschiede durch die Anwesenheit von optisch aktiven Substanzen, wie Milch- säure und Glykogen, erzeugt werden. Da anzunehmen ist, dass im Innern der Muskelelemente ein gleichmässiger Druck besteht, fällt die erste Möglichkeit weg. Die Drehung des polarisierten Lichtes durch optisch aktive Substanzen ist angesichts der in Betracht kommenden dünnen Schichten wahrscheinlich so gering, dass es fraglich ist, ob die dadurch bewirkten Aufhellungen beobachtet werden können. Als Erklärungsmöglichkeit bleibt somit nur noch die Abscheidung von feinen Kristallen, die nicht dem reeulären System angehören. Es müsste sich dann unter den Muskelchemi- kalien eine Substanz finden lassen, die schwer löslich ist und die sich in soleher Menge bilden kann, dass die Wahrscheinlichkeit einer kristallinischen Ausscheidung besteht. Wie die untenstehende Tabelle zeigt, lösen 100 Teile Wasser bei 10° C. nur 8 Teile doppeltkohlensaures Natron. Für die Verhältnisse im tierischen Organismus ist dies eine hohe Konzentration. Die Löslichkeit kann aber bedeutend herabgesetzt werden durch die Anwesenheit von Alkalichloriden und besonders von milchsaurem Natron. Aus einer gesättigten Bikarbonatlösung kann durch Zugabe von milchsaurem Natron Bikarbonat als feiner Niederschlag gefällt werden. Anderer- seits könnte beim Glykogenabbau zu Milchsäure und milchsaurem Natron letzteres in solcher Konzentration entstehen, dass nach der Oxydation eine Bikarbonatabscheidung möglich wäre. Wenn dem- nach die kontraktile, anisotrope Substanz im wesentlichen mit Al- K Ne RR Löslichkeit E Chemische Kristall- in Wasser, Licht- name Formel system | 100Eeils Wacser) Threchüung Chlornatrium . . . NaCl regulär | 35 Teile einfach Chlorkalium . . . KCl regulär 50 Teile einfach Dikaliumphosphat. Ks;HPO, unbekannt | sehr leicht doppelt löslich Monokaliumphos- phatıya su. KHs;PO, quadratisch | sehr leicht doppelt löslich Natriumbikarbonat NaHCO, monoklin. 8 Teile doppelt Kaliumbikarbonat. KHCO; mononklin. 25 Teile doppelt Natriumlaktat . . | CH;CHOHCOONa | unbekannt | sehr leicht | optisch aktiv (Sirup) löslich Natriumalbuminat. Alb. Na amorph. löslich einfach Albuminat-Eiweiss- körper... 8, Alb. H amorph. unlöslich einfach Milchsäure. . . . | CH;CHOHCOOH | unbekannt | sehr leicht | optisch aktiv (Sirup) löslich Glykogen .... (C;H1005),H30 amorph. löslich optisch aktiv Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 161 kalibikarbonat identisch wäre, so liessen sich die besprochenen Fr- scheinungen erklären. Die in der isotropen Schicht produzierte Milchsäure würde durch Auflösung die anisotrope Schicht des Bikarbonats verkleinern und selbst, unter gleichzeitigem Ansaugen von Wasser aus dem Sarkoplasma, an Volumen zunehmen). Bei der glatten Muskulatur liegen die Verhältnisse insofern anders, als über den feineren Bau derselben wenig bekannt ist. Aller Wahrscheiulichkeit nach ist die Architektur der des quer- gestreiften Muskels analog, denn das Vorhandensein einer Längs- streifung kann als sicher gelten. Für die Existenz einer Quer- streifung würde die leichte Brechbarkeit in der Querrichtung sprechen. Einzelne Forscher (Altmann, Mae Dougall)?) wollen auch eine Grenzmembran sowie Querstreifung und Sarkoplasma beobachtet haben. Eine definitive Stellungnahme ist daher abhängig vom Fort- schritte der Erkenntnis des mikroskopischen Baues des glatten Muskels. 5. Über die Entstehung des elektrischen Muskelstromes. Flüssigkeitsketten, welche sich aus nebeneinandergeschalteten Lösungen von Elektrolyten in verschiedenen Lösungsmitteln zu- sammensetzen, können die Ursache von erheblichen elektromotorischen Kräften sein. Dies erklärt sich aus den verschiedenen Verteilungs- koeffizienten der Ionen des Elektrolytes in den verschiedenen Lösungsmitteln und weiter aus den verschiedenen Geschwindigkeiten, mit der die Ionen in den verschiedenen Medien wandern. Auf solche Weise entstehende elektromotorische Kräfte wurden von Cremer?) als „di- oder poly-phasige elektromotorische Kräfte“, von Haber*) als „Phasenerenzkräfte“ bezeichnet. Haber und Klemensiewiez. haben die Verhältnisse an Ketten mit Benzol, Toluol, Xylol oder weichem Glas als der Schichten, 1) Während die Abnahme der Höhe der doppeltbrechenden Schicht sicher- gestellt ist, widersprechen sich die Angaben, insbesondere von Engelmann und Hürthle, bezüglich der Volumzunahme der isotropen Schicht. Die ver- schiedenartige Beobachtung erklärt »ich wahrscheinlich aus der Dickenzunahme auf Kosten der Höhe bei der Kontraktion. Vgl. W. Biedermann, a. a. 0. S. 207. 2) Vgl. M. Heidenhain, a. a. O. S. 509, 600—603. — Mac Dougall, Journ. of Anatomy vol. 32 S. 2089. 1898. 3) M. Cremer, Über die Ursache der eletromotorischen Eigenschaften der Gewebe usw. Zeitschr. f. Biol. Bl. 47 8. 562. 1906. 4) F.Haber und Z. Klemensiewicz, Über elektrische Phasergrenzkräfte. Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 67 5.385. 1909. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 11 162 Leonhard Wacker: die zwischen wässerigen Säuren und Laugelösungen eingeschaltet waren, studiert und die Ergebnisse auf eine Theorie des Muskel- stromes übertragen. Sie betrachten die an der Grenze zwichen Fibrille und Sarkoplasma enstehende Kohlensäure als Ursache der elektromotorischen Kraft. In den vorangegangenen Kapiteln wurden. Wahrscheinlichkeitsbeweise erbracht, dass Kohlensäure, aus Alkali- bikarbonat durch Einwirkung von Milchsäure entstehen, von den‘ Muskelelementen in das Sarkoplasma abwandert (vgl. dazu den. folgenden Abschnitt. Hierdurch sind die Verhältnisse, wie..sie Haber in. seiner. Theorie vorgesehen hat, nämlich eine starke Veränderlichkeit der Kohlen- säuretension an den Phasengrenzen, im vorliegenden Falle gegeben. 6. Rückkehr des Muskels in den Erschlaffungszustand (Restitution) durch Beseitigung des Kohlensäuredruckes im Sarkoplasma mit. Hilfe chemisch umkehrbarer Prozesse. Nach den Ausführungen in den Kapiteln 2, 3 und 4 ist die örtliche Verteilung der Chemikalien in der Muskelfaser grossenteils festgelegt. In etwas übersichtlicherer Form lassen sich die Vorgänge in dem beigegebenen Schema (S. 163) wiedergeben. Aus dieser: Darstellung gewinnt man gleichzeitig ein Bild über die physiologische Bedeutung der im Muskel in erheblicher Menge vorhandenen Kalium- phosphate und Kaliumalbuminate. Die Fig. 1—7 stellen ein Muskelelement in den verschiedenen Stadien der Kontraktion dar. Im Ruhezustand (Fig. 1) befindet sich beispielsweise in der anisotropen Mittelschicht !) das Natriumbikarbonat deponiert, in den darüber und darunter befindlichen isotropen Schichten ist die Milchsäurevorstufe und die Ursubstanz derselben, das Glykogen, oelagert. Das Muskelelement ist in das Sarkoplasma eingebettet, welch’ letzteres als wesentliche Bestandteile Dikaliumphosphat und Kaliumalbuminat gelöst enthält. Tritt der Muskel unter Milchsäure- bildung in Tätigkeit, so entsteht in bekannter Weise Kohlensäure- hydrat, das, in dem flüssigen Inhalt des Elementes gelöst, einen Druck ausübt und dadurch eine Deformation (Fig. 2) bewirkt. Da die Ver- 1) Wenn in der anisotropen Mittelschicht zuweilen bei manchen Muskeln eine helle Mittelschicht gefunden wurde, so erklärt sich dies vielleicht aus Dichtigkeitsunterschieden und aus dem ‚Vorhandensein der Mittelscheibe. Chemoäynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 163 Schema der chemischen Vorgänge bei der Kontraktion und Restitution des quergestreiften Muskels. GIykog. Milch- säure 3 K,H ( N: 00, Alb. K Ruhendes Muskelelement. Fig. 1. Alb. K 2 Milchs. Na C0, 60, CO, " Milchs. Na Fig. 3. Muskelelement in vollendeter Kontraktion. Fig. 5. Muskelelement nach Rückkehr in die Ruhelage, ermüdet. KH;»P0, Milchs. Na Alb. K PO, Dal A 4 K,;H PO, Alb.K Fig. 2. Muskelelement bei beginnender Kontraktion. „ KH Alb. K - t PO, Milchs, Na KH KH C0, C0, Milchs. Na KH, Alb. K PO, Fig. 4. Muskelelement im ersten Stadium der Rückkehr in die Ruhelage. Alb. K Fig. 6. Muskelelement nach Rückkehr in die Ruhelage, erholt. KH,PO, Milchs,K CO, CO, Milchs. Na Alb. H Fig 7. Muskelelement bei totaler Erschöpfung, Tetanus und Totenstarre. 21 164 Leonhard Wacker: diekung sich gleichzeitig an Millionen von Muskelelementen einer Faser vollzieht, kommt die Kraftübertragung in der früher bespro- chenen Weise zustande. Inzwischen beginnt aber die Kohlensäure aus dem Raume der Muskelelemente in die Sarkoplasma-Abteilung zu diffundieren (Fig. 2 und 3) und kommt in Kontakt mit dem Dikaliumphosphat, von welchem sie unter Bildung von Monokaliumphosphat und Kaliumbikarbonat aufgenommen wird: K;HPO, + H;C0, 27 KR;PO, + KHCO,. Dadurch wird der Kohlensäuredruck beseitigt (Fig. 4) und nun wären die Bedingungen für die Rückkehr der Muskelfaser in den Erschlaffungszustand gegeben, wenn nicht die Gefahr bestünde, dass der obige Prozess rückläufig wird. Jetzt greift ein zweiter chemischer Prozess ein (Fig. 5). Das unter dem Einfluss grösserer Menge von Kohlensäure entstandene Monoalkaliphosphat zerlegt das Kaliumalbuminat in die Einweisskom- ponente unter Regeneration von Dikaliumphosphat: KH,PO, + KAlb.?) Z7 K;HPO, + Alb.H. Die in fester Form oder als Suspensionskolloid ?2) abgeschiedene Ei- weisskomponente hat die Figenschaft, sich in Kaliumbikarbonat nur ganz allmählich unter Kohlensäureentwicklung aufzulösen: Alb.H + KHCO, = Alb.K + H,CO,. Dies geschieht so langsam, dass die entstandene Kohlensäure vom Blut aufgenommen und abtransportiert werden kann. Dadurch kommt es im Sarkoplasmaraum nur zu einem geringen Druck. Jetzt sind die Hindernisse, welehe der Rückkehr der Faser in den Ruhezustand im Wege waren (Fig. 5), beseitigt. Von der Richtigkeit der chemischen Vorgänge kann man sich durch folgende Reagenzglasexperimente überzeugen: Leitet man in eine verdünnte Dialkaliphosphatlösung längere Zeit Kohlensäuregas ein, so wird eine beträchtliche Menge desselben 1) Alb. = Eiweisskomponente des Albuminats. 2) Diese Anschauung wird durch die Beobachtung W. Biedermann’s, Ergebn. d. Physiol, Bd.8 S. 151. 1909, gestützt, wonach die Kontraktion von der Ausfällung gelöster Eiweisssubstanzen begleitet ist. Während die glatten Muskeln gewisser Würmer und Mollusken im Ruhezustande glashell und durch- sichtig sind, werden sie bei der Kontraktion weiss und trübe und verbleiben in diesem Zustand oft stundenlang, bis die Zusammenziehung aufgehört bat. Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 165 absorbiert). Der Nachweis hierfür lässt sich durch Salzsäurezusatz erbringen, wobei unter Aufbrausen wiederum Kohlensäure entweicht. Stellt man sich eine Natriumalbuminatlösung durch Auflösen der Eiweisskomponente der Muskelalbuminate in wenigen Kubik- zentimetern einer etwa 7 - Natriumbikarbonatlösung her und vertreibt die überschüssige Kohlensäure aus dieser Lösung durch kurzes Er- hitzen, so lässt sich, auf Zusatz von etwa 5 cem einer 1°,oigen Dinatriumphosphatlösung zu etwa 25 eem der wie oben bereiteten Lösung, die Wechselwirkung des Monoalkaliphosphates und Natrium- albuminates nachweisen. Zu diesem Zwecke teilt man das Gemisch der Lösungen von Natriumalbuminat und Dinatriumphosphat in zwei Teile. Der eine Teil dient als Kontrollösung, in den anderen Teil leitet man einige Zeit Kohlensäure ein. Dadurch erfährt die mit Kohlensäure behandelte Lösung gegenüber der Kontrollösung eine Trübung, die besonders im auffallenden Licht bemerkbar ist. Arbeitet man in etwas konzentrierteren Lösungen und setzt man von vorn- herein etwa Monoalkaliphosphat zu, so scheidet sich (nach dem Stehen) aus der mit Kohlensäure behandelten Flüssigkeit die Eiweiss- komponente als flockiger Niederschlag ab. Die Zugabe von Mono- alkaliphosphat entspricht den natürlichen Verhältnissen, weil die Analyse des Extraktes selbst ganz frischer Muskeln die Anwesenheit von Monoalkaliphosphat ergibt. Nach der Beseitigung des Kohlensäuredruckes im Sarkoplasma wären zwar die Erfordernisse zur Rückkehr des Muskels in die Ruhe- lage gegeben, aber es besteht kein Grund, weshalb der Muskel nicht in der während der Kontraktion angenommenen Form verharrer. sollte, wenn ihn zur Rückkehr in die frühere Ruhelage nicht neue Kräfte veranlassen. Bei den Skelettmuskeln könnte man an eine Zuekraft der Antagonisten denken, durch die die Einstellung in die Ruhelage besorgt wird. Eine solche Gegenwirkung fällt aber schon beim isolierten Muskel fort, und doch wissen wir, dass derselbe nach der Reaktion auf einen vorübergehenden Reiz sogleich wieder in die Ausgangsstellung zurückkehrt, ein Vorgang, den man bekanntlich als 1) J. Liebig, Ann. d. Chem. u. Pharmak. Bd. 50 S. 177. 1844. — Lothar Mayer und Heidenhain, Stud. d. physiol. Inst. II. Breslau 1863. Diese Mitteilung war mir leider unzugänglich. — Der umgekehrte Prozess tritt ein, wenn man festes Mononatriumphosphat und festes Natriumbikarbonat in einem Reagenz- glas mit Wasser versetzt. Unter heftigem Aufschäumen wird das Bikarbonat zerlegt. 166 Leonhard Wacker: Zuckung bezeichnet hat. Die elastische Kraft, welche die Rückkehr einleitet, muss also an einer anderen Stelle gesucht werden: Hierüber finden wir bei M. Heidenhain (a. a. O.) Anhalts- punkte, welcher auf S. 565 wörtlich sagt: „Wir wollen vielmehr darauf die Aufmerksamkeit lenken, dass in allen Weichteilen jene elastischen Kräfte, welche als Antagonisten auf- einander zu beziehen sind, in senkrecht sich über- kreuzenden Richtungen angeordnet sind, ein Struktur- prinzip, welches selbst noch in der Architektonik des Protoplasmas, besonders aber in der quergestreiften Muskelsubstanz, verfolgbar ist.“ In der Fibrille des quergestreiften Muskels ist eine derartige Einrichtung als eine in der anisotropen Mittelschicht nachweisbare Querscheibe (Mittelscheibe) angedeutet, von der auch Heidenhain (S. 567) annimmt, dass sie elastisch sei. Diese Mittelscheibe sitzt, wie schon die Bezeichnung sagt, in der Mitte des Muskelelementes. Wenn sich bei der Drucksteigerung letzteres verdickt und eine Fass- oder Tellerform (s. Kap. 3) annimmt, so muss notgedrungen diese elastische Masse angespannt werden. Beim Nachlassen des Druckes wird durch den Zug der gedehnten Mittelscheibe die ursprüngliche Form der Muskelelemente und damit des ganzen Muskels wieder- hergestellt werden. Die Restitution setzt sich somit aus zwei Aktionen zusammen. Mit der Aufhebung des Kohlensäuredruckes treten die vorhandenen elastischen Kräfte sogleich in Tätigkeit. Die Zweckdienlichkeit dieser Anordnung liest in der raschen Aufeinanderfolge der Vorgänge. Im Anschluss hieran seien noch einige mikroskopische Beobach- tungen erwähnt, welche als Stütze für die Richtigkeit obiger Aus- führungen sowohl wie für die ganze Kohlensäuretheorie angesehen werden können: Eine Reihe von Autoren!) haben auf die Analogie der Ver- änderungen gewisser isolierter Fibrillen unter dem Einflusse ver- dünnter Säuren mit den Erscheinungen bei stärkerer Kontraktion hingewiesen. Bei der Einwirkung der Säuren wölben sich die Muskel- elemente seitlich aus. Sie nehmen Fassform oder, bei weiterer Kon- traktion, ein presskuchenartiges Aussehen an (siehe die Fig. b und e 1) Literatur hierüber siehe bei Biedermann, a. a. O. S. 193/94 und 20708. Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 167 Kap. 3). Die gleichen Formänderungen beobachtet man bei der natür- lichen Kontraktion. Dieses Verhalten erklärt sich aus der Analogie - der Voreänge. Die zugeführte Säure dringt von aussen in das Muskelelement ein und setzt Kohlensäure in Freiheit, während bei der Reizung des Muskels durch den Nerv Milchsäure von innen produziert wird, die in derselben Weise wirkt. In beiden Fällen entsteht Kohlensäuredruck. Durch die Vorwölbung der Membran wird an der Stelle der Endscheibe eine ringförmige Einschnürung erzeugt. An der Mittelscheibe dagegen ist davon nur ganz ausnahms- weise etwas zu bemerken. Man kann daraus auf eine besonders grosse Dehnbarkeit der Mittelbänder schliessen. Erst wenn durch allzu grossen und raschen Kohlensäuredruck die Elastizitätsgrenze erreicht wird, werden am Platze der Mittelscheibe auch solche Ein- schnürungen sichtbar. Bei weiterer Säurewirkung kommt es zu einem geradezu explosionsartigen Quer- oder Scheibenzerfall der Fibrillen, wobei die Lösung des Verbandes an der anisotropen Mittelschicht auftritt. Vom Standpunkte der Kohlensäuretheorie erklärt sich dies ohne weiteres. Die Membran zwischen Sarkoplasma und Muskel- element wird durch den übermässig grossen und raschen Kohlensäure- druck so überdehnt, dass sie schliesslich platzt. 7. Ermüdung und Erholung. An der Hand des Schemas lassen sich die Begriffe Ermüdung und Erholung genau definieren: Die Ermüdung tritt ein (Fig. 4 u. 5), wenn durch wiederholte Kontraktion die Depots von Natriumbikarbonat und eventuell auch von Glykogen, aus welchem sich die Milchsäure bildet, erschöpft sind. Weiter trägt zur Ermüdung bei, wenn die Restitution nicht mehr prompt erfolgen kann, weil durch Vordringen der Milchsäure in das Sarkoplasma ein Teil des Dikaliumphosphates in die Monoverbindung übergeführt wurde, so dass die Aufhebung des Kohlensäuredruckes verzögert wird. Bei der Ermüdung ist an Stelle des Natriumbikarbonates milch- saures Natron getreten, das nur durch Sauerstoffzufuhr zu Bikarbonat oxydiert wird. Die Müdigkeit ist also verursacht durch das Über- wiegen der sauren Bestandteile im Muskelelement sowohl wie im Sarkoplasma, wodurch einerseits die Neuproduktion von Kohlensäure verhindert und anderer- seits dieRückkehr in den Ruhezustand verzögert wird. 168 Leonhard Wacker: Der Zustand ist charakterisiert durch Mangel an Sauerstoff behufs Regeneration der Alkaleszenz d.h. des Bikarbonats. Die Erholung stellt naturgemäss den umgekehrten Vorgang dar. Sie besteht in der Regeneration der Alkaleszenz (Fig. 5 u. 6) durch Verbrennung des milchsauren Natrons zu Natriumbikarbonats unter Sauerstoffaufnahme und Ergänzung des Glykogendepots. Die optischen Eigenschaften des Muskels stehen mit dieser Auf- fassung im Einklang. Durch Verbrennung des in der isotropen Schicht enthaltenen milchsauren Natrons entsteht eine Abscheidung von Natriumbikarbonat, wodurch die erfolgte Regeneration als ver- grösserte anisotrope Schicht wiederum mikroskopisch erkennbar wird. S. Tetanus, Wärme- und Totenstarre. Diese Zustände schliessen sich an die Erscheinung der Ermüdung an (Fig. 7). Bei der Ermüdung ist das vorhandene Alkalibikarbonat in den Muskelelementen durch die Milchsäure vollkommen verbraucht, und die Säure beginnt schon in das Sarkoplasma vorzudringen, so dass das Dialkaliphosphat teilweise schon zersetzt wurde und seiner Funktior, die Kohlensäure zu binden, nur mehr mangelhaft gerecht werden kann. Eine Folge davon ist, dass die Restitution des Mus- kels eine unvollständige wird, wie der langhingezogene Schenkel der Ermüdungskurve beweist. Folgen, wie beim Tetanus, die Reize sehr rasch aufeinander, so werden die Alkalien des Sarkoplasmas ganz sauer, sie versagen vollständig, der Kohlensäuredruck geht nicht mehr zurück und der Muskel verbleibt in dem Kontraktionszustande. Durch Aufhebung der Reize und Zufuhr von Sauerstoff bei der Blut” zirkulation lassen sich beim Tetanus normale Zustände wiederher- stellen. Im letzteren Punkte unterscheidet sich der Tetanus von der Wärme- und Totenstarre. Wärme- und Totenstarre sind im Prinzipe gleich. Sie werden verursacht durch die dauernde Verhinderung der Rückkehr in die Ruhelage infolge vollkommener Zersetzung des Dialkaliphosphats, des Alkaliumalbuminats und des Bikarbonats des Sarkoplasmas durch die Milchsäure. Die Kohlensäurebildung bei Wärme- und Toten- starre ist daher gleich gross (Fleteher). Der Unterschied zwischen Wärme- und Totenstarre liegt hauptsächlich im rascheren Ablauf der chemischen Vorgänge bei ersterer. Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 169 9. Lösung der Totenstarre. Wenn die in der Muskelfaser befindliche, die Dauerkontraktion verursachende Kohlensäure langsam durch das Sarkolemm entwichen ist und die Kohlensäureproduktion ganz aufgehört hat, dann ist auch der Druck beseitigt und die Lösung der Starre eingetreten. Eine Alkaleszenzzunahme ist, im Gegensatz zur Erholung, mit diesem Vorsange nicht verknüpft. Ist eine solche nachweisbar, so ist sie auf Fäulnisbasen zurückzuführen. Die Totenstarre tritt in der Regel erst nach 5—6 Stunden ein unz fällt zeitlich zusammen mit dem Verbrauch des grössten Teiles der Alkaleszenz. Die Verzögerung des Eintritts mag zurückzuführen sein auf die Regeneration von Alkaleszenz infolge der Anwesenheit von Sauerstoff in den Geweben und Gefässen und durch die lang- same Säurebildung überhaupt. Die Speicherung von Sauerstoff und sauerstoffabgebendem Material, welche zur Oxydation von milch- saurem Natron zu Bikarbonat führt, ist die Ursache des Defizits an Milehsäure im absterbenden Muskel gegenüber der aus dem ab- gebauten Glykogen berechneten Menge }). Der raschere Eintritt der Totenstarre nach vorangegangener starker Arbeit erklärt sich ohne Schwierigkeit aus der Säurebildung bei der Arbeit und dem Unvermögen, infolge von Sauerstoffmangel die Alkaleszenz zu regenerieren. 10. Steht die besprochene Kontraktionstheorie mit den Eigen- schaften des Muskels im Einklang? Wenn die geäusserten, auf zahlreiche Experimente gestützten Ansehauungen über die Vorgänge bei der Muskelkontraktion und den modus operandi zulässig sein sollen, so müssen alle anerkannten Eigen- schaften des Muskels mit der Theorie in Einklang zu bringen sein. Als Prüfstein mögen die von du Bois-Reymond (a. a. O.) angeführten Einzelheiten dienen. Sie lauten wie folgt: a) Der Muskel bietet ein histologisches Bild dar, mit dem die Theorie sich in Übereinstimmung halten muss. Sie darf aber darüber hinausgehen, indem sie einen noch feineren, mikroskopisch nicht wahrnehm- baren Bau annimmt. 1) Vgl. Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 129. 1916. 170 _ Leonhard Wacker: Diese Anforderung ist in weitestgehendem Masse erfüllt. denn es wurde nicht nur dem histologischen Bau, sondern auch den opti- schen Eigenschaften Rechnung getragen. Die Theorie geht noch weiter, sie sucht den Chemismus des Muskelstoffwechsels mit der Architektur des Muskels und der Entstehung der Aktionsströme in Einklang zu bringen. b) Der Muskel ändert bei der Kontraktion sein Volumen nicht. Die Kraftquelle des Muskelelementes ist, neben dem osmotischen, besonders der Kohlensäuredruck. Wie schon in Kapitel 2 ausgeführt, tritt die Kohlensäure nicht in Gasform auf, sondern sie ist in Form von Kohlensäurehydrat (H,CO,) im flüssigen Inhalt der Elemente gelöst. Nach dem Henry-Dalton’schen Absorptionsgesetze ist die absorbierte Gasmenge dem Drucke direkt proportional, voraus- gesetzt, dass in der Flüssigkeit keine Stoffe gelöst sind, die mit dem Gase chemische Verbindungen eingehen. Die letztere Einschränkung trifft nicht für die Muskelelemente, wohl aber für das Sarkoplasma zu. Bei der Steigerung der Kohlensäureproduktion in den Muskel- elementen durch grössere Reize wird sich bei gesteigertem Drucke eine grössere Kohlensäuremenge in Lösung befinden. Eine Erhöhung der Temperatur wird den Absorptionskoeffizienten verringern und den Druck steigern. Es fragt sich nun, ob der Inhalt des Muskelelementes in der Lage ist, die in Betracht kommenden Kohlensäuremengen mechanisch in Lösung zu halten, oder ob man mit dem Auftreten gasförmiger Kohlensäure zu rechnen hat? Der Absorptionskoeffizient für Kohlensäure in Wasser ist bei 15° 1,02, bei 40° 0,53, das heisst 100 Volumen Wasser vermögen bei den angegebenen Temperaturen und Atmosphärendruck 102 bzw. 53 Volumen Kohlensäure zu lösen. Da die absorbierte Menge dem Drucke direkt proportional ist, so löst sich beim doppelten Drucke die doppelte, beim dreifachen die dreifache Kohlensäuremenge. Der durch das Auskochen des Muskels ermittelte Kohlensäure- gehalt beträgt nicht mehr als höchstens 20 Volumprozente, dagegen können durch Überleiten von Luft über den Muskel im Laufe von 24 Stunden mehr als 100 Volumprozente an Kohlensäure ge- wonnen werden. Diese Kohlensäure muss neu gebildet werden, denn zu einer bestimmten Zeit präexistieren nicht mehr als 20 Volum- prozent. Letztere Menge bezieht sich auf das Gesamtvolumen des Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 171 Muskels. Wie gross der Gasgehalt der Muskelelemente oder das Sarkoplasma ist, ist daraus nicht ersichtlich. Die gegebene Über- sicht lässt aber erkennen, dass keine Missverhältnisse zwischen den nachgewiesenen Beobachtungen und den theoretischen Erfordernissen vorliegen und die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Kohlensäure gelöst und nicht in Gasforın auftritt. Eine Volumenvermehrung des Muskels durch gasförmige Kohlensäure kommt so- mit nicht in Betracht. Die Drucksteigerung in den Muskelelementen durch die in der Flüssigkeit gelöste Kohlensäure wird zu einer, wenn auch geringen, Volumvermehrung führen müssen. Eine Steigerung des osmotischen Druckes hat ein Ansaugen von Wasser aus dem Sarkoplasma zur Folge; auch dieser Vorgang ist nicht ohne Volum- zunahme denkbar. Wenn sieh auch der letztere Prozess nur innerhalb der Faser vollzieht, so stösst man doch auf einen Wider- spruch mit den angeblichen Eigenschaften des Muskels, im kon- trahierten Zustand keine Volumvermehrung zu zeigen, ein Gegensatz, der vom Standpunkte der Energetik nicht zu überbrücken ist, denn eine Kraft vermag, ohne den zugehörigen Wege, keine Arbeit zu leisten. Es ist daher fragiich, ob die These von der Kontraktion des Muskels ohne gleichzeitige Volumvermehrung einwandfrei ist. Bei den geringen Dimensionen einer Muskelfaser lag es nahe, an einen Irrtum zu denken, insofern als die Messungen an Muskel- bündeln inkl. Gefässsystem usw. vorgenommen sein konnten. Dies ist in der Tat der Fall!). Zur Beurteilung der vorliegenden Frage ist nur das Verhalten der morphologischen Einheit massgebend. Dass die Blutgefässe durch kontrahierte Muskeln zusammengepresst werden können, scheint sicher, weil bei Daueranstrengungen Erscheinungen auftreten, die einer Behinderung der Blutzufuhr ähnlich sind. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass der Zusammendrückbarkeit der Gefässe eine physiologische Bedeutung zukommt, die in dem Abpressen des venösen Blutes und der Lymphe nach dem Herzen liegt. Hieraus geht hervor, dass im vorliegenden Falle kein Wider- spruch mit den Eigenschaften des Muskels vorliegt, da die beob- achtete Tatsache einer anderen Erklärung zugänglich ist. I) R. Ewald, Pflüger’s Arch. d. ges. Physiol. Bd. 41 S. 215. 1387. 172 Leonhard Wacker: ec) Der Muskel zieht siehmiteinerKraftzusammen, dieim Maximum auf 10 kg pro Quadratzentimeter ver- anschlagt wird. Die Art der Entbindung der Kohlensäure aus Natriumbikarbonat und Milchsäure lässt wohl keinen Zweifel zu, dass die Kraft spontan zur Verfügung steht und jeder beliebige Druck, den komprimierte, in Wasser gelöste Kohlensäure überhaupt auszuüben vermag, theo- retisch zulässig ist. Die Höhe des osmotischen wie des Kohlensäure- druckes wird abhängig sein von der Menge des durch die Milch- säure zersetzten Bikarbonats, d. h. der Quantität der gebildeten Milch- säure und der Temperatur. Die durch die Muskelfaser ausgeübte Kraft ist das Resultat des Druckes von Millionen von Muskelementen und wird durch die Form des Sarkolemms und die Grösse des Innendruckes bedingt. Der Druck im einzelnen Muskelelement ist ebenso gross wie in der ganzen Muskelfaser, ja sogar im ganzen Muskelbündel, und beträgt, nach der Härte zu schliessen, wenn man den Muskel mit einem aufgeblasenen Fussball vergleicht, /»—1 Atmo- sphäre Überdruck. Die Membran eines Muskelelementes hat dem Druck nicht stand- zuhalten, sondern dehnt sich so lange, bis der Druck ausgeglichen 1St- Hiermit mag die geringe Differenzierung derselben im Zusammenhang stehen. Den Druck müssen diejenigen Häute und Bänder aushalten, welche den Zug auf die Muskelenden übertragen. d) Der Muskel liefert etwa 30% der in ihm um- gesetzten Energiealsmechanische Arbeit. Ein solcher Wirkungsgrad ist bei der Umsetzung der Wärme in Arbeit nur erreichbar, wenn ein Temperaturgefälle von mehreren hundert Graden besteht. Das ist im Muskel unmöglich, mithin entsteht auch die mecha- nische Arbeit nicht aus Wärme. Die Muskelmaschine kann mit bekannten Motoren, wie zum Beispiel den Wärmekraftmaschinen, deren Wirkungsgrad man kennt, nicht verglichen werden. Während bei letzteren die Volumvermehrung von Gasen bei erhöhter Temperatur zur Kraftübertragung benutzt wird, greifen bei dem Muskel verschiedene Faktoren zusammen. Der Überdruck in den Muskelelementen, welchem die Kraft- äusserung proportional ist, wird neben der Steigerung des osmotischen Druckes hervorgerufen durch das Expansionsbestreben des im Inhalt des Muskelelementes gelösten Kohlensäurehydrats. Die Höhe dieses Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 173 Druckes ist, nach dem Henry’schen Gesetze, proportional der in einer bestimmten Flüssigkeitsmenge gelösten Kohlensäure. Daraus folgt, dass der Druck um so höher wird, je mehr Kohlensäure produziert wird. Weiter wird der Druck noch beeinflusst und gesteigert durch erhöhte Tem- peratur und durch feste Stoffe, welche im flüssigen Inhalt der Elemente gelöst sein können. Bei der Arbeitsleistung steigert sich die Menge der Abbauprodukte des Kohlehydrats, speziell des milchsauren Natrons. Bei einer Anhäufung des letzteren in den Elementen wird sich, durch Herab- setzung des Absorptionskoeffizienten, der Kohlen- säuredruck erhöhen. Die Wärmeproduktion in den Muskelelementen kann entsprechend dem Glykogenabbau in zwei Phasen!) zerlegt werden: in die anoxy- biotische und oxybiotische. Mit dem hydrolytischen Glykogenabbau ist die Neutralisation verbunden, wobei etwas Wärme frei wird; die zweite und Hauptwärmequelle ist die Verbrennung des milchsauren Natrons. Auf den ersten Prozess entfallen ca. 4°/o des Gesamt- kalorienwertes des Glykogens, während auf die Oxydation des Lak- tats 92%/0 kommen. Die Neutralisationswärme wird zweifellos rasch gebildet, während die Verbrennungswärme des milchsauren Natrons, der Natur des Oxydationsprozesses zufolge, langsam anfällt. Wenn man also bei der Wärmebildung im Muskel zwei Typen?) nachgewiesen hat, und zwar eine schnell stattfindende von relativ geringem Betrag, die in wenigen Sekunden auftritt und etwa 0,001 Cal. pro Gramm Muskel aufweist, und eine langsam entstehende von beträchtlichem Umfang und bis 0,2 Cal. pro Gramm Muskel in der Stunde, so deckt sich dies mit den erwähnten chemischen Vorgängen. Hieraus ist ersichtlich, dass eine Umsetzung von Wärme in Druck bzw. Arbeit möglich ist, ohne dass ein Temperaturgefälle von mehreren hundert Graden erforderlich wäre. 1) Vgl. Münchener med. Wochenschr. a. a. OÖ. 1915. 2) Vgl. ©. Frank, Thermodynamik des Muskels in Asher-Spiro’s Ergebn. d. Physiol. Bd. 3 S. 2. 1904. — A. V. Hill, Beziehungen zwischen Wärmebildung und den im Muskel stattfindenden chem. Prozessen. Ergebn. d. Physiol. Bd. 15. 1916. 174 Leonhard Wacker: Über den Wirkungsgrad kann einstweilen nur so viel gesagt werden, dass er steigen muss, je höher die Temperatur im Muskel wird. Bei geringer Muskelarbeit wird im Muskel eine weniger hohe Temperatur herrschen als bei foreierter Arbeit, folglich wird im letzteren Fall ein höherer Wirkungsgrad erzielt werden wie im ersteren. Dies. stimmt auch mit den praktischen Erfahrungen überein. Zur Erklärung des erhöhten Wirkungsgrades bei gesteigerter Tätigkeit wurde an anderer Stelle!) noch eine weitere Möglichkeit besprochen und dafür Wahrscheinlichkeitsbeweise erbracht. Nämlich: Durch fortgesetzten Glykogenabbau zur Milchsäure bei anhaltender Arbeit wird ein Überschuss des milchsauren Natrons ins Blut übergeführt und in der Leber zu Kohlehydrat regeneriert. Dieser Prozess verläuft endothermisch, es wird Wärme gebunden. Im Muskel wird die regenerierte Substanz wieder abgebaut. Rech- nerisch äusserte sich dieser Vorgang in einer Steigerung des Wir- kungsgrades. e) Der Muskel kann sich unter günstigen Bedin- gungenauf einen sehrgeringen Bruchteil seiner Ruhe- länge, weniger als 5%, zusammenziehen. Die Theorie muss notwendig diesen äussersten Teil mit umfassen. Diese Eigenschaft des Muskels sowie auch die nächstfolgende unter f) besprochene, wird sich durch jede Theorie erklären lassen, welche auf einer Drucksteigerung im Innern der Muskelelemente basiert. Die Zusammenziehung ist durch zwei Vorgänge, nämlich die Abnahme der Höhe der Muskelelemente und die Verdickung des Gesamtmuskels, bedingt. Wie schon im Kapitel 3 eingehend besprochen wurde, verdicken sich die Muskelelemente und Fibrillen unter Abnahme der Höhe beim Eintritt der Drucksteigerunge. Die vielfach in der Literatur vertretene Meinung, dass die gesamte Kontraktion durch das Be- streben der Muskelelemente, die Kugelform anzunehmen, erklärt werden kann, ist nur theoretisch richtig, in Wirklichkeit liegen die Verhältnisse doch anders. Die Höhe der Muskelelemente verhält sich zur Breite und Tiefe wie etwa 2:1. Wenn ein Prisma von diesen Dimensionen die Kugelgestalt annimmt, so kommt noch lange keine 1) Münchener med. Wochenschr. a. a. ©. 1915. Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. 175 solche Höhenabnahme bzw. Verkürzung zustande, wie man sie beim Muskel beobachtet. Nur wenn die Basis der Muskelelemente ver- diekt ist, oder wie sich aus dem architektonischen Bau des Muskels ergibt, die Muskelelemente an der Basis, fest verkittet, aufeinander- gereiht sind, kann eine Zusammenziehung über die Kugelform hin- aus bis zur Tellerform stattfinden. Ein an Höhe abnehmendes Muskelelement nimmt, wie vielfach erwähnt, an Breite und Tiefe erheblich zu, dementsprechend wird auch die Fibrille dicker und viel kürzer. Das gleiche gilt für die Muskelfasern, die sich aus vielen Fibrillen zusammensetzen. Beim Bündel wiederholt sich der Vorgang, das Volumen verschiebt sich nach der Mitte. Bei der Betrachtung des Muskels als Ganzes findet man, dass sich die Enden der Fasern um so mehr nähern müssen, je grösser durch Diekenzunahme die Rundung geworden ist. An Stelle des langen Schlauches mit dem kleinen Querschnitt ist die kurze, dicke Walze mit dem grossen Querschnitt getreten. Bei Besprechung der Kontraktionsgerösse wird man also immer den Gesamtmuskel im Auge behalten müssen, weil nur dann das zweite Verkürzungsmoment erkennbar ist. f) Die Kontraktionskraft ist am mässig gedehnten Muskel grösser als in der Ruhelage, bei dieser grösser alsim kontrahierten Zustand. Diese Forderung erklärt sich leicht durch die Art der Über- tragung des Druckes in den Muskelelementen auf die Grenzmembran der Faser. Die Höhe der Muskelelemente ist etwa doppelt so gross als deren Breite und Tiefe. Bei einer Dehnung des Muskels wird die Höhe noch grösser werden. Umgekehrt wird sich bei Drucksteigerung die Höhe verringern, das heisst die Mantelfläche verkleinern. Durch \ nn Na 22 te.) Gedehnt. Normal. Beginn der Kontraktion. Kontrahiert. Dehnung der Endscheiben kann sogar die Basis vergrössert werden. Da sich der Druck in den Muskelelementen nach allen Seiten eleich- mässig fortpflanzt und sich am Boden durch den gleichen Druck des 176 NL. Wacker: Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie usw. Nachbarelementes aufhebt, wird, mit abnehmender Höhe, der Seiten- druck geringer. Da für die Kontraktionskraft lediglich der Seiten- druck massgebend ist, muss sich dieselbe mit abnehmender Seiten- oder Mantelfläche verringern. Auch durch die schlauchartige Beschaffenheit der Faser wird diese Muskeleigenschaft vollkommen klar. Je langgestreckter der Schlauch ist, desto grösser wird bei gleichbleibendem Innendruck die Kon- traktionskraft sein müssen. g) Die Erschlaffung des Muskels ist nicht eine Um- kehrung, auch nicht ein blosses Aufhören der Kon- traktion, sondern ein Vorgang besonderer Art. Gerade diesen wichtigen Punkt erklärt die vorliegende Theorie in schönster Weise, wie bereits in Kap. 6 besprochen. Durch den Kohlensäuredruck kommt die Kontraktion zustande. Nach Abwanderung der Kohlensäure aus den Muskelelementen in das Sarkoplasma wird diese von Dialkaliphosphaten unter Bildung von Alkalibikarbovat in besprochener Weise gebunden. Dadurch wird der bestehende Druck beseitiet und die Bedingung zum Ein- tritt der Erschlaffung geschaffen. Der Muskel schnellt dann infolge. der antagonistisch-elastischen Kräfte in die Ruhelage zurück. Bei der Muskelzuckung spielen sich also zwei voneinander ver- schiedene chemische Prozesse ab, die den schon von Fick erhobenen Forderungen entsprechen. Als Erregungsprozess im Sinne Fick’s ist die Kohlensäurebildung aufzufassen, während die Absorption der Kohlensäure durch das Phosphat im Sarkoplasma der Restitution entspricht. Die besprochene Vorstellung über das Zustandekommen der Muskelkontraktion durch Kohlensäuredruck innerhalb der Muskel- elemente bei der Neutralisation der Milchsäure steht nicht nur im Eiuklang mit der überaus raschen Wirkungsweise des Muskels, sondern sie entspricht allen bekannten Tatsachen bezüglich Stoff- wechsels und Eigenschaften des Muskels. 177 (Aus der biologischen Versuchsanstalt der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien [Physiol. Abteilung.) Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur | von der Pubertätsdrüse!). Von Dr. med. Alexander Lipschütz, Privatdozent der Physiologie an der Universität Bern, (Mit 1 Textfigur.) Inhaltsverzeichnis. Seite NsBBinleitunm ar ee ee 177 IisBhracestelluno ge ra en er De ler ehlpile 179 Ill. Ergebnisse der Messungen der Körpertemperatur . .. 22.2... 180 ISBEENIISEMEINESERS EEE RE Er et Res 180 1.: Einfluss der Körperbewegungen auf die Körpertemperatur „.. 181 2. Einfluss der sogenannten tierischen Hypnose auf die Körper- NEE re ee a eo ee 181 3. Örtliche Differenzen der Körpertemperatur . ». 2222 2.. 182 4. Einfluss des Aussenmediums auf die Körpertemperatur . . ss BSaSpezielles 235 2. ne ae ee ee a ee are 183 1. Die Körpertemperatur von Männchen und Weibchen .... 18 2. Die Körpertemperatur kastrierter Tiere...» 2. .... 186 & Die Körpertemperatur des feminierten Männchens und des maskuliertens Weibchenst „u 2.0, ale len eke arfe Yn 2 unene 187 NIE ZHSSmmertassun ee ee ee een 189 DEBeSchlüssensan en ana ee Re er en EEE 191 I. Einleitung. Eine Reihe von Messungen der Körpertemperatur, die bei ver- schiedenen Warmblütern ausgeführt wurden, haben ergeben, dass die Körpertemperatur beim weiblichen Geschlecht höher ist als beim männlichen. Roger?) fand bei Knaben im Durch- 1) Vgl. die vorläufige Mitteilung „Körpertemperatur als Geschlechtsmerkmal“ im: Anzeiger d. kaiserl. Akad. d. Wissensch. in Wien, 1916. Nr. 22. 2) Zitiert nach Lef&vre, Chaleur animale et bioenergetique. Paris 1911. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 12 178 Alexander Lipschütz: schnitt eine Körpertemperatur von 37,11° C., bei Mädchen 37,2° C. Martins!) fand beim Enterich im Durchschnitt aller seiner Messungen eine Temperatur von 41,95 ° C., bei der Ente 42,16° C. Simpson und Galbraith?) fanden bei Tauben die Temperatur der Weibchen höher als diejenige der Männchen. In jüngster Zeit haben Hans Przibram°®), Uhlenhuth und Kammerer eine grössere Reihe von Temperaturmessungen bei der Hausratte (Mus rattus) und bei der Wanderratte (Mus deeumanus) ausgeführt. Sie haben die älteren Befunde vollauf bestätigen können. Sie fanden bei den Weibchen die Körpertemperatur um 0,5° höher als bei den Männchen. In der Literatur findet sich nur einmal die Angabe, dass beim männlichen Geschlecht eine höhere Körpertemperatur beob- achtet wurde als beim weiblichen, und zwar fand Fe&r6&*) beim. Hahn eine höhere Temperatur als beim Huhn. Nach den vorliegenden Befunden darf es somit als vollkommen. sicher gelten, dass Männchen und Weibchen sich voneinander be- züglich ihrer Körpertemperatur unterscheiden, und wir werden im dritten Teil dieser Arbeit einen weiteren Beweis dafür an Hand sehr: zahlreicher Messungen beim Meerschweinchen erbringen. Die Körpertemperatur ist ein Geschlechtsmerkmal wie verschiedene andere somatische oder funktionelle Momente des. Organismus. Dabei muss es natürlich dahingestellt bleiben, wie diese Verschiedenheit der Körpertemperatur zustande kommt, ob es sich um eine Verschiedenheit im Gesamtstoffwechsel handelt oder nur um eine andere Verteilung der Wärme im Körper. Letztere Mög- lichkeit ist nicht ausgeschlossen, da ja alle Messungen der Körper- temperatur in Wirklichkeit nur die Messung der Temperatur einer eng begrenzten Körperregion sind. Man könnte daran denken, dass die beobachtete Verschiedenheit der Körpertemperatur beim männlichen und weiblichen Geschlecht daraus resultiere, dass die 1) Zitiert nach Lefevre, l. c. 2) Zitiert nach Robert Tigerstedt, Die Produktion von Wärme und der Wärmehaushalt. Winterstein’s Handb. d. vergl. Physiol. Bd. 3, 2. Hälfte. Jena 1910. 3) Hans Przibram, Die Umwelt des Keimplasmas. VI. Direkte Temperaturabhängigkeit der Körperwärme bei Ratten (Mus decumanus und Mus rattus). Akadem. Anz..d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien Nr. 26. 1915. 4) Zitiert-nach Tigerstedt, I. c. Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertätsdrüse. 179 Durchblutung der Haut- und Schleimhautdecke bei beiden Ge- sehlechtern verschieden sei, was wieder auf einer verschiedenen Pulsfrequenz bei den Geschlechtern beruhen könnte. II: Fragestellung. Zahlreiche Versuche haben ergeben, dass die Geschlechtsmerk- male in ihrer Gestaltung und Erhaltung von der Keimdrüse ab- häneig sind. Steinach!) hat gezeigt, dass es sich dabei um eine Wirkung allein des Zwischengewebes der Keimdrüsen handelt, um eine Wirkung der sogenannten Pubertätsdrüse. Steinach’) hat ferner gezeigt, dass die geschlechtsspezifische Wirkung der Pu- bertätsdrüse auch im Kastraten des anderen Geschlechts zum Aus- druck kommt. Das kastrierte Weibchen, dem man Hoden implantiert, wird maskuliert; das Männchen, dem man Övarien implantiert, wird feminiert. Die Maskulierung und Feminierung erstreckt sich nicht nur auf die meisten somatischen Geschlechtsmerkmale, sondern auch auf das psycho -sexuelle Verhalten der operierten Tiere. Das Nervensystem des feminierten Männchens ist in weiblicher Rich- tung erotisiert, dasjenige des maskulierten Weibchens ist in männlicher Richtung erotisiert. Es musste nun die Frage entstehen, ob auch die Körper- temperatur, die, wie wir gesehen haben, ebenfalls ein Geschlechtsmerkmal darstellt, von der Pubertäts- drüse abhängig ist. Der Weg, der zur Beantwortung dieser Frage führt, ist nichts anderes als eine Messung der Körpertemperatur bei Weibchen, Männchen, Kastraten, feminierten und maskulierten Tieren. Über das Ergebnis dieser Messungen sei im folgenden berichtet. Eine erste Serie der Messungen hat Steinach, eine zweite Serie Lip- sehütz ausgeführt. 1) Steinach, Geschlechtstrieb und echt sekundäre Geschlechtsmerkmale als Folge der innersekretorischen Funktion der Keimdrüsen. Zentralbl. £. Physiol. Bd. 24. 1910. 2) Steinach, Willkürliche Umwandlung von Säugetiermännchen in Tiere mit ausgeprägt weiblichen Geschlechtsmerkmalen und weiblicher Psyche. Pflüger’s Arch. Bd. 144. 1912. — Feminierung von Männchen und Maskulierung von Weibchen. Zentraibl. f. Physiol. Bd. 27. 1913. 12 * 180 Alexander Lipschütz: III. Ergebnisse der Messungen der Körper- temperatur. A. Allgemeines. Über die Körpertemperatur von Meerschweinchen liegen eine Reihe von Beobachtungen vor. Sie sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt: Tabelle l. Autor | Mittel | Minimum Maximum Bicheter ee, 31 37,8 40,5 Morgens, 2 a en. 38, 36,0 39,0 Eae { abends ae 38.66 378 .|.2,398 Simpson und Galbraith. ... 33,53 38,08 39,01 Golasantinss ee 37,1 — — Tigerstedt!) berechnet aus allen vorliegenden Werten ein Mittel von 38,6° C. für das Meerschweinchen. Von diesem Wert weichen die Befunde von Colasanti?) sehr ab. Wir wollen vor- greifend bemerken, dass die von uns ausgeführten Messungen im Durchschnitt einen Wert ergeben haben, der dem vou Colasanti gefundenen sehr ähnlich ist. Wie wir sehen, sind die Differenzen zwischen den Angaben der Autoren ausserordentlich gross. Allein die Mittelzahlen weichen um mehr als 2° voneinander ab, wie die Werte von Richet und Colasanti. Lefevre hebt ausdrücklich hervor, dass die Schwan- kungen der Körpertemperatur beim Meerschweinchen besonders auf- fallend sind. Die grosse Anzahl der von uns ausgeführten Messungen — ins- gesamt über 400 Messungen an 16 Tieren, stets zu derselben Tagesstunde, und zwar um 10 Uhr vormittags — gestattet uns, die Momente festzulegen, auf welche die beobachteten grossen Schwan- kungen zurückzuführen sind. Es sind zum Teil Momente, die auch schon früher bekannt waren, zum Teil solche, welche die früheren Untersucher nicht berücksichtigt haben. 1) Tigerstedt, te: 2) Zitiert nach Lefevre,l. c. Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertätsdrüse. 181 1. Einfluss der Körperbewegungen auf die Körpertemperatur, An erster Stelle ist der Einfluss der Körperbewe- gungen zu nennen. Je unruhiger das Tier bei der Messung, desto höher die Temperatur. Wir haben bei unseren Messungen das Thermometer für 5 Minuten im Rektum belassen. In der Regel ist der höchste Stand der Quecksilbersäule schon nach etwa 2 Mi- nuten erreicht. Wir haben nun häufig beobachtet, dass, nachdem schon das Quecksilber für 2—3 Minuten zum Stillstand gekommen war, die Temperatur wieder um mehrere Zehntel Grad stieg, wenn das Tier unruhig wurde und sich heftig sträubte. Es ist übrigens bekannt, dass schon allein das Aufbinden zu Versuchszwecken beim Kaninchen eine Temperatursteigerung hervorruft, wodurch die Arbeit der Tem- peraturmessung sehr erschwert und kompliziert wird. Wir haben die Meerschweinchen für die Messung niemals aufgebunden. In der Serie von Steinach hockten die Tiere während der Messung auf dem Tisch, in der Serie von Lipsehütz wurden sie in Rücken- lage auf dem Schoss genalten. Die meisten Tiere gewöhnen sich nach einigen Tagen an die Prozedur und halten sehr still. Andere Tiere lernen das Stillehalten nur nach längerer Zeit oder überhaupt nicht. Bei den letzteren beobachtet man denn auch die grössten Schwan- kungen der Körpertemperatur. Die „individuellen Schwan- kungen‘, welche die mittlere Temperatur von Tier zu Tier aufweist, sind wohl nichts anderes als der Ausdruck des verschiedenen Ver- haltens der Tiere bei der Messung. 2. Einfluss der sogenannten tierischen Hypnose auf die Körpertemperatur. Die Gewöhnung der Tiere an die täglich im Laufe eines Monats wiederholte Messung und das Stillehalten wird schliesslich zu einer zweiten Quelle von Schwankungen der Körpertemperatur, und zwar im Sinne einer Senkung derselben. Wir beobachteten bei unseren Tieren zuweilen ausserordentlich niedrige Temperaturen, bis 36,1°C. Ein näheres Zusehen und ausgeführte Prüfungen haben ergeben, dass manche Tiere — nicht alle —, wenn man sie in Rückenlage auf dem Schoss hält, sehr leicht in jenen Zustard ver- fielen, den man als tierische „Hypnose“ zu bezeichnen pflegt. In diesem Zustand, der nach Verworn durch einen tonisch ge- wordenen Reflex der Lagekorrektur bedingt wird, zeigten die Tiere die niedrigsten Temperaturen, die um mehr als 0,5° vom 182 Alexander Lipschütz: Mittel aller Messungen bei diesem Tiere abwichen. Das Wahr- scheinlichste ist, dass bei dem Lagekorrekturreflex eine Atonie der Muskulatur des Rektums vorhanden ist, so dass der Quecksilber- behälter des Thermometers nicht dicht genug von dem Darmrohr umschlossen werden kann. Die Neigung, in den Zustand der „Hypnose“ zu verfallen, kann schliesslich bei manchen Tieren so gross werden, dass es uns bei diesen Tieren tatsächlich nicht mehr gelang, durch etwas veränderte Haltung während der Messung dem Zustand vorzubeugen. 3. Örtliche Differenzen der Körpertemperatur. Ein drittes Moment, aus dem weitgehende Schwankungen der Körpertemperatur resultieren, ist die verschiedene Tiefe, in welche das Thermometer im Darme hinabreicht. Führt man dem Meerschweinchen ein dünnes Thermometer etwa 7 cm tief vom After aus ein, was bei richtiger Haltung des Tieres sehr leicht gelingt, so wird man fast stets Temperaturen finden, die um 40° C. gelegen sind. Dasselbe Tier kann bei Einführung des Thermometers auf eine Tiefe von etwa 3 cm eine Temperatur von 37—38° C. zeigen. Ein grosser Teil der Schwankungen der Körpertemperatur, die in der Literatur verzeichnet sind, dürfte wohl darauf zurück- zuführen sein, dass diese örtlichen Differenzen der Körpertemperatur keine genüsende Berücksichtigung erfahren haben. Worauf diese Differenzen beruhen, ist nieht leicht zu sagen. Wir halten es für wahrscheinlich, dass diese örtlichen Verschiedenheiten der Körper- temperatur darauf beruhen, dass die Gärungen im Darme in grösserer Entfernung vom After intensiver sind als in geringeren Entfernungen von demselben. Auf jeden Fall haben vergleichende Be- stimmungen der Körpertemperatur nur dann einen Wert, wenn das Thermometer stets aufein und die- selbe Tiefe eingeführt wird. Wir haben dieses Moment in unseren Versuchen berücksichtigt. Das Bequemste ist, etwa l cm über dem Quecksilberbehälter des Thermometers (Fieberthermometer) eine durchlöcherte Kautschukplatte oder Korkplatte anzubringen, die das weitere Hinabgleiten des Thermometers verhindert. Allerdings gewährt auch diese Anordnung nicht eine sich bei allen Tieren gleich- bleibende Tiefe, da die verschiedene Grösse der Tiere und die ver- schieden starke Ausbildung der den After umrahmenden Hautwülste die Tiefe mitbestimmt, in die das Thermometer hinabgleiten kann. Doch dürften die dadurch bedingten Differenzen kaum in Betracht kommen. Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertätsdrüse. 183 4. Einfluss der Aussenmediums auf die Körpertemperätur. Schliesslich ist viertens zu berücksichtigen, dass die Ver- änderungen des Aussenmediums für die Körpertem- peratur ‘nicht gleichgültig‘ sind. °H. Przibram!?) ‘hat jüngst gezeigt, dass die Veräuderungen der Aussentemperatur gleich- gerichtete Schwankungen der Körpertemperatur bei Ratten bedingen. Es ist auch bekannt, dass die Temperatur der Bewohner der Tropen etwas höher ist als der Bewohner der gemässigten Zonen. Dieser Unter- schied beruht nicht auf Rassenunterschieden, da auch der Europäer in den Tropen eine höhere Temperatur hat als in Europa. Wir haben die Beobachtung gemacht, dass die gelegentlichen Schwankungen der Körpertemperatur zuweilen bei mehreren gleichzeitig gemessenen Tieren gleichsinnig auftraten. Es ist möglich, dass diese gleich- sinnigen Schwankungen der Körpertemperatur bei mehreren gleich- zeitig gemessenen Tieren auf eine Wirkung des Aussenmediums zurückzuführen sind. Darum muss man sich bei vergleichenden Unter- suchungen über die Körpertemperatur stets an den Grundsatz halten, alle Messungen ungefähr gleichzeitig — an demselben Tage und zu ungefähr derselben Tagesstunde — auszuführen. Bei unseren Messungen ist dieser Grundsatz streng durchgeführt worden, und wir werden im folgenden Kapitel zunächst nur Messungen mit- einander vergleichen, die gleichzeitig ausgeführt wurden. B. Spezielles. 1. Die Körpertemperatur von Männchen und Weibchen. Zu einer ersten Serie von Tieren, die im März und April von Steinach gemessen wurden, gehörten zwei Männchen und zwei Weibchen, von denen jedes 34mal im Laufe von 6 Wochen ge- messen wurde, mit Ausnahme eines Männchens, dessen Temperatur bei der 18. Messung sehr hoch war, und das noch an demselben Tage starb. Sämtliche Tiere, die zu dieser Serie gehörten, stammten von zwei Schwestern, die von demselben Bock belegt wurden. Das Ergebnis dieser Messungen ist in der folgenden Tabelle dargestellt ?): l) Hans Przibram, Die Umwelt des Keimplasmas.. VI. Direkte Temperaturabhängigkeit der Körperwärme bei Ratten (Mus decumanus und Mus rattus). Akadem. Anz. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien Nr. 26. 1915. 2) Die 0,01° C. in den Tabellen sind das Ergebnis der Berechnung, nicht etwa der Messung, bei der nur Zehntel-Grade berücksichtigt wurden. 184 Alexander Lipschütz: Tabelle 2. EN Mittel Maximum Minimum Männchen I. ..... 34 236,71 36,7 36,8 5 er: 17 26,7 36,5 36,91) Weibchen. .... 34 321 37.0 374 5 I 34 37,7 37,6 37,8 Die Schwankungen um das Mittel waren in dieser. Serie nur gering, viel geringer als in der zweiten Serie, auf die wir gleich zu sprechen kommen. Die Temperaturkurven für die ganze Versuchs- dauer, die sich über 6 Wochen erstreckte, waren von einer ausser- ordentlichen Regelmässigkeit.e Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Regelmässigkeit darauf zurückzuführen ist, dass die Tiere bei diesen Messungen sich in ihrer natürlichen Lage, in Hockstellung, befanden. Die Mittelzahlen zeigen deutlich, dass die Temperatur der Weibehen höher ist als diejenige der Männchen. Die mittlere Differenz zwischen der Temperatur der Männchen und Weibchen beträgt, wenn wir sämtliche Messungen an Weibchen und Männchen miteinander vergleichen, 0,75° zugunsten der Weibchen. Einen übereinstimmenden Befund ergab eine zweite Serie, die im August und September gemessen wurde, und zu der ein Männchen und drei Weibchen gehörten: Tabelle 3. an Mittel | Minimum | Maximum Messungen | Männchen. u 2 3659 | 368 375 Weibchen I (trächtig). . . . . » » 16 37.31 36,4 38,3 „. 1 (Jungfrau, 1/2 Jahre alt) 24 37,28 36,5 38,2 „ I (Jungfrau, "/2 Jahr alt) 25 37,13 36,4 38,1 Die Temperaturen der drei Weibchen stimmen miteinander sehr gut überein, sowohl in den Mittelzahlen als in den Minimäl- und Maximalzahlen. Auch Weibchen I aus der ersten Serie stimmt mit der zweiten ‚Serie gut überein, in der sich aus den Messungen bei allen Weibchen ein Mittel von 37,23°C. ergibt. Die Differenz zwischen 1) Die prämortale Temperatursteigerung ist nicht mitgerechnet worden. Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertätsdrüse. 185 der mittleren Temperatur des Männchens und derjenigen der Weibchen in der zweiten Serie beträgt somit 0,64° zugunsten der Weibchen. Beide Serien haben somit in ganz übereinstimmmender Weise ergeben, dass die Temperatur der Männchen im grossen Durchschnitt um 0,6—0,7° niedriger ist als die Tempe- ratur der Weibchen. Diese Differenz beruht nicht etwa auf besonderen Umständen, die mit der Brunst oder der Gravidität zu- sammenhängen. In der zweiten Serie wurde sowohl ein gravides Weibchen als eine ältere und jugendliche Jungfrau gemessen, ohne dass sich nennenswerte Differenzen ergeben hätten. Das gravide Weibchen warf drei Junge einige Stunden nach der letzten Messung. Und die mittlere Temperatur dieses Tieres weicht von der mittleren Temperatur der alten Jungfrau überhaupt nicht, von der mittleren Temperatur der jugendlichen Jungfrau weniger als um 0,2° ab. Die Schwankungen waren in der zweiten Serie ziemlich be- trächtlich. Das grösste Ausmaass der Schwankungen betrug bei den Männchen 1,2°, bei den Weibchen 1,9%. Wir müssen jedoch ausdrücklich hervorheben, dass diesehr niedrigen und die sehrhohen Temperaturen nur ganz vereinzelt vor- kamen, ohne den Mittelwert beeinflussen zu können. Die sehr hohen Temperaturen wurden namentlich in den ersten Tagen festzestellt, wo die Tiere sich ziemlich sträubten, und wo auch nicht die Vorsicht geübt wurde, die Tiefe, in die das Thermometer hinabreichte, durch die am Thermometer angebrachte Arretierung zu kontrollieren. Die Minimaltemperaturen der Weib- chen, die unter dem Mittel des Männchens gelegen sind, kamen überhaupt nur viermal vor, während die Gesamtzahl der Messungen 65 betrug. Gegen den Schluss, dass eine ausgesprochene Differenz zwischen der Körper- temperatur der Männchen und Weibchen besteht, können auf Grund dieser vereinzelten Befunde irgendwelche Einwände nicht erhoben werden. Dass die Schwankungen in der zweiten Serie viel aus- gesprochener waren als in der ersten, dürfte zunächst darauf zurück- zuführen sein, dass die unnatürliche Rückenlage die Versuchstiere irritierte. Ferner kommt vielleicht in Betracht, dass die zweite Serie von Messungen während einer ungemein heissen und schwülen Witterung ausgeführt wurde. Das Gesamtergebnis der Messungen ist jedoch, wie wir gesehen haben, durch die Schwankungen nicht beeinflusst worden. 186 Alexander Lipschütz: Alles in allem: in unseren Versuchen, die sich über eine grosse Anzahl von Messungen erstreckt haben, ist die Differenz zwischen der Körpertemperatur des weiblichen und derjenigen desmännlichen Geschlechts in schärfster Form zum Ausdruck gekommen. 2. Die Körpertemperatur kastrierter Tiere. Zur ersten Serie gehörte ein kastriertes Männchen und ein kastriertes Weibehen, zur zweiten Serie zwei kastrierte Männchen und ein kastriertes Weibehen. Das Ergebnis dieser Messungen ent- hält die folgende Tabelle: Tabelle 4. | Zahl der | Mittel Minimum | Maximum Messungen | Erste Serie: Kastriertes Männchen. . . 34 36,7 36,3 37,0 2 Weibchen. . . 25 36,86 36,6 37,0 Männchen dieser Serie . . — 36,7 — Weibchen „ en — 37,45 — Zweite Serie: ee) Kastriertes Männchen I. . 13 37,1 36,9 37,7 R 5 Auer 12, 36,43 36,1 36,7 S Weibchen. . . 26 36,99 36,4 38,3 Männchen dieser Serie. . u 36,6 — _ Weibchen „, -= 31,23 _ — | | 87,13-37,3) In der ersten Serie fällt die Temperatur des kastrierten Männchens mit der des normalen Männchens zusammen; die Tem- peratur des kastrierten Weibchens ist zwar höher als die des kastrierten Männchens, aber auch deutlich riedriger nicht nur als das Mittel bei den normalen Weibchen, sondern auch als das Mittel bei dem Weibchen, dessen Temperatur unter dem Mittel dieser Serie lag und 37,2° C. betrug. In der zweiten Serie weichen die mittleren Temperaturen der beiden kastrierten Männchen sehr beträchtlich voneinander ab, beträchtlicher als bei irgendeinem anderen Vergleichspaar unter allen 16 gemessenen Tieren. Nimmt man das Mittel aus den Zahlen beider Tiere, so ergibt sich eine Temperatur von 36,72° C. Dieses Mittel fällt mit der mittlerer Temperatur des kastrierten Männchens der ersten Serie zusammen. Die Temperatur des ka- strierten Weibchens geht auch hier wieder, wie in der ersten Serie, Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertätsdrüse. 187 über das Mittel der beiden Männchen hinaus, ist aber auch deutlich niedriger als bei den Weibchen dieser Serie. Aus den Zahlen der Tabelle 4 ergibt sich semit, dass die Temperatur der Männchen durch die Kastration un- beeinflusst bleibt, während die Temperatur der Weib- chen infolge der Kastration deutlich absinkt. Auf Grund aller dieser Messungen wäre der Schluss zu ziehen, dass dureh die Wirkung der weiblichen Pubertätsdrüse die Körpertemperatur in die Höhe getrieben wird, dass dagegen die männliche Pubertätsdrüse die Körpertemperatur nicht merklich beeinflusst. Eine Bekräftigung dieses Schlusses ergeben die Messungen am feminierten und am maskulierten Tier. 3. Die Körpertemperatur des feminierten Männchens und des maskulierten Weibchens. Es wurde die Temperatur von zwei feminierten Männchen ge- messen, die zur ersten Serie gehörten, und bei einem maskulierten Weibchen, das zur zweiten Serie gehörte. Nach den Ergebnissen der Messungen bei kastrierten Weibehen muss erwartet werden, dass durch die Feminierung von kastrierten Männchen die Temperatur derselben auf die Höhe der Körpertemperatur von normalen Weib- chen gehoben werden wird. Dagegen erscheint auf Grund der Messungen an normalen und kastrierten Männchen zweierlei möglich. Man könnte erwarten, dass die Körpertemperatur sich bei der Maskulierung wie andere gut ausgesprochene Geschlechtsmerkmale verhalten würde, wie zum Bei- spiel das Skelett und das Haarkleid. Steinach!) hat gezeigt, dass die Dimensionen des Skeletts beim männlichen Kastraten sich von denjenigen des normalen Männchens nicht oder in kaum nennens- wertem Maasse unterscheiden. Ebenso bleibt das Haarkleid beim männlichen Kastraten männlich: die Haare des Männchens und des männlichen Kastraten sind länger und dicker als beim Weibchen. Aus den Kastrationsversuchen hätte man den Schluss ziehen können, dass diese Geschlechtsmerkmale von der männlichen Keimdrüse un- 1) Steinach, Willkürliche Umwandlung von Säugetiermännchen in Tiere mit ausgeprägt weiblichen Geschlechtsmerkmalen und weiblicher Psyche. Pflüger’s Arch. Bd. 144. 1912. 188 Alexander Lipschütz: abhängig sind. Steinach!) hat jedoch zeigen können, dass das Skelett und das Haarkleid des kastrierten Weibchens unter dem Einfluss von implantierten Hoden in männlicher Richtung trans- formiert werden. Das Skelett des maskulierten Weibchens weist ein mächtiges Wachstum auf, es werden Masse erreicht, die im günstigen Falle noch grösser sein können als beim normalen Männchen ?). Das Haarkleid des maskulierten Weibehens nimmt die charakteristischen Merkmale des männlichen Haarkleides an. Es wäre nun von vorn- herein anzunehmen, dass die Körpertemperatur des kastrierten Weib-. chens unter dem Einfluss des implantierten Hodens absinken wird, um den niedrigeren Stand der Körpertemperatur eines Männchens zu erreichen. Das ist die eine Möglichkeit. Aber es ist auch noch eine andere Möglichkeit in Erwägung zu ziehen: dass die Körper- temperatur sich anders verhält als die erwähnten Geschlechtsmerk- male, dass sie von der männlichen Keimdrüse nicht beeinflusst wird, und dass demgemäss die Körpertemperatur des maskulierten Weibchens nicht geringer sein wird als die Temperatur des kastrierten Weibchens. Die Erwartung bezüglich der Wirkungen der weiblichen Pubertätsdrüse auf die Körpertemperatur kastrierter Männchen ist vollauf bestätigt worden. Dagegen lassen sich bezüglich der Wirkungen der männlichen Pubertätsdrüse auf die Körpertempe- ratur des kastrierten Weibcehens auf Grund unserer Messungen noch keine endgültigen Schlüsse ziehen. Das Ergebnis der Messungen ist in der folgenden Tabelle enthalten: Tabelle 5. | Zahl der | Mittel Minimum | Maximum Messungen | Feminiertes Männchen I. . 34 37,24 37,0 37,6 A ® 3 EIS 34 | a 36,9 37,6 Maskuliertes Weibchen. . . 25 36,3 36,2 37,7 Die feminierten Tiere zeigen die Temperatur vou Weibchen. Das maskulierte Tier dagegen hat eine mittlere Tem- ]) Steinach, Feminierung von Männchen und Maskulierung von Weib- chen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 27. 1913. 2) Steinach und Holzknecht, Erhöhte Wirkungen der inneren Sekretion bei Hypertrophie der Pubertätsdrüsen. Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 42. 1916. Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertätsdrüse. 189 peratur, die zwar höher ist als der Durchschnitt bei den kastrierten Männchen, aber auch niedriger als bei den kastrierten Weibehen. Sie liegt zwischen beiden. Diese Befunde bekräftigen zunächst den Schluss, dass die weibliche Pubertätsdrüse die Körpertemperatur erhöht. Was die Wirkungen der männlichen Pubertätsdrüse betrifft, so fällt es schwer, die Entscheidung im Sinne der einen oder der anderen der beiden erwähnten Möglichkeiten zu treffen. Der Unter- schied gegenüber dem kastrierten Weibchen ist zu gering, um darauf- hin den Schluss zu wagen, dass eine Senkung der Körpertenmperatur des kastrierten Weibchens durch die Maskulierung stattgefunden hat. IV. Zusammenfassung. Zur Übersicht seien die Ergebnisse aller ausgeführten Messungen in der folgenden Tabelle zusammengestellt, in der alle Werte auf Zehntel-Grade abgerundet sind: Tabelle 6. Zahl der Gesamtzahl Mittlere gemessenen der Körper- Tiere Messungen temperatur 1. Normales Weibenen. .... . b) 133 37,3 2. Kastriertes Weibchen . ... . 2 51 339 3. Maskuliertes Weibchen. . . . . 1 25 36,8 4. Normales Männchen. ..... 3 13 36,7 9. Kastriertes Männchen . . . . . 3 59 36,7 6. Feminiertes Männchen... .. 2 68 31,2 ‘ Sehr klar sind die Verhältnisse aus der beifolgenden gra- phischen Darstellung zu ersehen. Die Kastration nähert Männchen und Weibchen bezüglich ihrer Temperatur (2—5). Aber diese Annäherung ist beinahe ganz bedingt durch eine Senkung der Temperatur bei dem kastrierten Weibehen. Bei der Feminierung bzw. Maskulierung gehen die Temperaturen wieder auseinander (3—6) Aber dieses Auseinandergehen ist wiederum hauptsächlich bedingt durch die Wirkung der weiblichen Pubertätsdrüse auf das kastrierte Männchen, weniger durch die Wirkung der männlichen Pubertätsdrüse auf das kastrierte Weibehen. Das mittlere Ausmass der Wirkung der weiblichen Pubertätsdrüse sind */ıo® Senkung durch Kastration 190 Alexander Lipschütz: (1-2), 310° Hebung durch Feminierung (5—6). Das mittlere Ausmass der Wirkung der männlichen Pubertätsdrüse liegt unter "/ıo ° Hebung durch Kastration (A—5) und entspricht "io Sen- kung durch Maskulierung (2—3). Der Schluss, dass die weibliche Pubertätsdrüse eine Steigerung der Körpertemperatur bedingt, ist somit vollauf begründet. Dagegen 37,2 1 36,9 36,6 normal kastriert feminiert bzw. maskuliert Fig. 1. Mittlere Temperaturen des normalen Weibchens (7), des normalen Männchens (4), des kastrieiten Weibchens (2), des kastrierten Männchens (5) des maskulierten Weibchens (3) und des feminierten Männchens (6). Weibchen, ---- Männchen. sind die zuletzt genannten Differenzen (A—5 und 2—3) so gering; dass sie innerhalb der Fehlergrenzen liegen könnten. Es ist eben- sowohl möglich, dass die männliehe Keimdrüse die Körpertemperatur unbeeinflusst lässt, als dass sie dieselbe herabdrückt. Soweit unsere Messungen eine Beeinflussung der Körpertempe- ratur durch die Keimdrüsen erwiesen haben, interessiert die Frage, ob wir berechtigt sind, für diese Wirkung der Keimdrüsen allein Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertätsdrüse. 191 die Pubertätsdrüse verantwortlich zu werden. Steinach!) hat gezeigt, dass im transplantierten Hoden und Ovarium das spermato- sene Gewebe bzw. die Eifollikel im Laufe von mehreren Monaten zugrunde gehen. Im transplantierten Hoden verfallen schliesslich auch die Sertoli’schen Zellen der Atrophie, die noch von den Samen- kanälchen allein übriggeblieben waren. Hoden und Ovarium bestehen nach einiger Zeit aus zerstreuten Nestern von Pubertätsdrüsenzellen und aus Bindegewebssträngen, die in mehr oder weniger auffallender Weise zur Entwicklung gelangen. Der transplantierte Hoden bzw. das transplantierte Ovarium ist zu einer isolierten Pubertäts- drüse geworden. Da nun die Messungen, über die wir berichtet. haben, an Tieren ausgeführt wurden, die vor 11/’e.—3 Jahren feminiert bzw. maskuliert wurden, so unterliegt es keinem Zweifel, dass die Transplantate bei diesen Tieren sich im Zustande einer isolierten Pubertätsdrüse befanden. Es ist klar, dass die beobachtete Wirkung der Keimdrüse nur eine Wirkung der Puber- tätsdrüse sein kann. V. Schlüsse. Es seien zum Schluss die Ergebnisse unserer Messungen und Erörterungen in folgenden Punkten kurz zusammengefasst: 1. Die Schwankungen der Körpertemperatur, die man bei den Versuchstieren beobachtet, beruhen darauf, dass die Körpertemperatur durch Körperbewegungen, durch den Zustand der sogenannten tierischen Hypnose und durch Veränderungen der Aussenbedingungen abgeändert wird. Eine bedeutsame Fehlerquelle ist darin gegeben, dass erhebliche örtliche Temperaturunterschiede im Darme vorhanden sind. Die maximale Schwankung bei ein und demselben Tier betrug 1,9 °. 2. Die Körpertemperatur von Weibchen ist höher als die Körpertemperatüur von Männchen. Die Diffe- renz betrug im Mittel 0,6—0,7°. 3. Die Körpertemperatur von Weibchen erfährt durch die Kastration eine Senkung, die im Mittel 0,4° betrug. 1) Steinach, Pubertätsdrüsen und Zwitterbildung. Arch. f. Entwicklungs- mechanik Bd. 42. 1916. 192 Alex. Lipschütz: Uber die Abhängigkeit der Körpertemperatur usw. 4. Die Körpertemperatur von Männchen erfährt durch die‘ Kastration keine Beeinflussung. 5. Die Körpertemperatur des kastrierten Männ- chens wird durch die Feminierung der Temperatur eines normalen Weibechens gleichgemacht. 6. Die Körpertemperatur des kastrierten Weib- chens scheint durch die Maskulierung nur wenig ver- ändert zu werden. 7. Dis höhere Körpertemperatur des Weibehensist jedensfalls eine Wirkung der weiblichen Keimdrüse.. 8. Da zur Zeit, zu der die Messungen ausgeführt wurden, das Transplantat erfahrungsgemäss schon eine isolierte Pubertätsdrüse darstellt, so ist die beobachtete Wirkung der Keimdrüse als eine geschlechtsspezifische Wirkung der Puber- tätsdrüse aufzufassen. 195 Verfahren der objektiven Prüfung und Messung der Hörfähigkeit oder Hörschwelle. Von Fritz Lux zurzeit wissenschaftl. Hilfsarbeiter an der kgl. bakteriolog. Untersuchungs- station Landau (Pfalz). (Mit 8 Textfiguren.) Wenn wir irgend eine Grösse Q@ messen wollen, so stellen wir sie in quantitativen Vergleich zu einer Einheitsgrösse E. Die Ein- heitsgrösse muss jedoch so beschaffen sein, dass sie uns zu jeder Zeit und an jedem Ort unveränderlich zur Verfügung steht. Nur dann können Messungen gleichmässig ausfallen. Unsere allgemein benutzten Maasse und Maasseinheiten lassen sich jeweils aus den sogenannten drei Urmaassen, nämlich: Zentimeter, Gramm und Sekunde bilden. Auf Grundlage dieser und mit Zuhilfe- nahme gewisser, jedoch genau definierbarer Hilfsmittel, wie zum Bei- spiel mechanischer Konstruktionen, Chemikalien usw., stellen wir uns dann gebrauchsfähige und leicht zu handhabende Maasseinheiten und Messinstrumente her. Als solche seien beispielsweise die „Atmo- sphäre“ als Einheit für Druck- und die „Hefner-Kerze“ als Ein- heit für Lichtmessungen genannt. Trotz vielfacher Bemühungen ist es nun aber bisher nicht oder nur unvollständig gelungen, eine handliche Maasseinheit oder ein auf einer solchen aufgebautes Messinstrument für den Gebrauch in der Akustik herzustellen. Erschwert wird dies besonders dadurch, dass die Definition eines bestimmten Tones von zwei Faktoren abhängig ist: nämlich von der Schwingungszahl und von der Schwingungsweite (Amplitude). Wir wüssen also eine Tonquelle besitzen, die uns konstant voll- kommen reine Töne von bestimmter Höhe und Stärke gibt, und ausserdem muss sie so beschaffen sein, dass ihre Teile genau aus- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168, 13 194 Fritz Lux: gemessen und ohne Unterschied hinsichtlich ihrer Wirkung jederzeit wieder hergestellt werden kann. Besonders wichtig für vergleichende Messungen unseres Gehörorgans ist auch, dass diese Tonquelle alle Töne und Tonstärken innerhalb unseres Hörvermögens zu liefern vermag. Bevor ich auf die Beschreibung meines neuen Verfahrens näher eingehe, sei kurz beschrieben, wie man bisher das erwähnte Ziel zu erreichen versucht und welcher Methoden man sich zur Gehörpriüfung bedient hat und noch bedient. Die am meisten. geübte und heute noch hauptsächlich in Be- nutzung stehende Methode ist diejenge unter Benutzung der Flüster- stimme. Der untersuchende Arzt spricht bestimmte Worte oder Zahlen in Flüsterstimme und stellt die Entfernung fest, in der sie von der zu untersuchenden Person noch verstanden werden. Diese primitive Methode enthält eine Unmenge von Fehlerquellen. Vor allem: Was versteht der einzelne unter Flüsterstimme? Der Militär- arzt zum Beispiel, der gewöhnt ist viel: zu kommandieren, wird noch als Flüsterstimme bezeichnen, was ein anderer schon eine recht laute Stimme nennt! Andererseits hat der eine Arzt eine tiefe und: der andere eine hohe Stimme. Dies ist aber keineswegs gleichgültig, da die Hörschärfe und Hörschwelle in den verschiedenen Tonlagen bei fast jedem Menschen verschieden sind. Es kommt aber bei dieser; Methode auch auf den Raum an, in dem die Prüfung vorgenommen wird. Es spielt sowohl die Grösse als auch dessen Akustik eine grosse Rolle. Erst kürzlich wurde in medizinischen Zeitschriften auf die Übelstände dieser Methode hingewiesen, wobei erwähnt wurde, dass sogar die krassen Fälle vorkamen, dass Leute, die effektiv schlecht hörten, als dienstfähig bezeichnet und guthörende entlassen wurden. Auch wird auf diese Weise mancher fälschlicherweise der: Simulation beschuldigt. Um die Missstände der genannten Methode zu vermeiden und eine Tonquelle zu schaffen, die die menschliche Stimme ersetzt, konstruierte Hughes folgenden Apparat (Fig. 1): E ist eine Stromquelle, die den Induktionsapparat ./ speist. Der Strom des Elementes E wird dabei von einem Selbstunterbrecher rhythmisch unterbrochen und durch diese Stromstösse wird in der Sekundärwickelung der Induktionsspule ein Wechselstrom erzeugt. Dieser Wechselstrom wird zu der Spule S und der entgegengesetzt gewickelten Spule S}, mit weniger Windungen als Spule S, geleitet. Verfahren der objektiven Prüfung und Messung der Hörfähigkeit usw. 195 Die Spule S, besitzt die gleiche Windungszahl wie die Spule S und ist mit einem Telephonhörer 7 verbunden. Die Spulen $ und $, induzieren also Ströme in der Spule $;. Da aber die Wickelungen der Spulen $ und $, einander entgegen- gesetzt sind, so heben sich ihre Wirkungen in einer bestimmten Entfernung voneinander auf. Bringt man die verschiebbare Spule S, an diese Stelle, so wird in ihr kein Strom induziert, und der Telephonhörer 7 gibt keinen Ton. Je mehr man aber die Spule $; der Spule $ nähert, desto stärker wird der induzierte Strom und damit auch der Ton des Telephonhörers. Vorausgesetzt, dass die Hi 3) Ar —— u il N (| Fig. 1. Spannung und Stromstärke der Stromquelle E, der Zustand der Kontakte des Selbstunterbrechers und die Spannung der Feder des letzteren konstant blieben, hätte man in der Entfernung der Spulen S und S, voneinander ein Maass für die Tonstärke des Telephon- hörers für einen Ton bestimmter Höhe. Dies ist jedoch in der Praxis niemals zu erreichen. Die nähere Erörterung der Gründe würde hier zu weit führen. Besonders intensiv hat sich Bezold mit der Messung der Hör- fähigkeit beschäftigt, der dabei in der Herstellung der nötigen In- 'strumente von Prof. Dr. M. Th. Edelmann in München unterstützt wurde. Bezold und Edelmann verwendeten zu ihrem Verfahren, das auch heute noch von den Ohrenärzten fast ausschliesslich be- nutzt wird, Stimmgabeln und die Galtonpfeifen. Bei diesem Ver- fahren liest von vornherein eine grosse Umständlichkeit darin, dass 13* 196 Fritz Lux: man fast für jeden Ton eine besondere Stimmgabel oder Pfeife braucht. Ferner liegt eine grosse Behinderung in der Anwendung dieses Verfahrens, dass man, besonders bei den Stimmgabeln, einen Ton nicht längere Zeit konstant erhalten kann. Und wenn man auch so Töne von bestimmter und genau bekannter Höhe erhält, so kann man das Maass ihrer Stärke nur indirekt ermitteln. Angeregt durch diese Arbeiten hat nun Edelmann versucht eine Normaltonquelle herzustellen, bei der Tonhöhe und Tonstärke messbar festzustellen sind. Und dies ist ihm in sehr vollkommener Fig: 2. Weise gelungen. Nur ist leider die Handhabung des Instrumentariums zu schwierig, als dass sich die Methode in der Hand des praktischen Ohrenarztes verwenden liesse. Da dieser Apparat aber gewissermaassen, wenn ich auch vorher ‚keine Kenntnis von ihm hatte, der Vorläufer meines Apparate: ist, so sei derselbe hier kurz beschrieben. Edelmann verwendet bei seiner Methode eine Sirene. Nach Überwindung grosser technischer Schwierigkeiten gelang es ihm, die n der Fig. 2 dargestellte Sirene herzustellen, die bei ihrem Lauf allein keinen Ton von sich gibt, d. h. völlig ton- und geräuschlos läuft. Auf der Achse D mit der Nabe N sitzen die drei Drahtspeichen (, die den Radkranz AR mit einer Reihe von Löchern tragen. Die Achse D wird mittels der Schnur d von einem Elektromotor an- getrieben. Ä ist eine Windlade mit drei Rohransätzen. Durch das Verfahren der objektiven Prüfung und Messung der Hörfähigkeit usw. 197 Rohr ? wird der Windlade X Luft unter Druck zugeführt. Das Rohr M führt zu einem Manometer und r ist das Blasrohr, das den Luftstrom gegen die Lochreihe des Radkranzes R führt. In gleicher Achse mit dem Blasrohr r, jedoch auf der anderen Seite des Radkranzes R befindet sich das Rohr 4 mit der trichter- artigen Erweiterung a. Über das Ende dieses Rohres wird ein Gummischlauch gesteckt, der in den äusseren Gehörgang des zu prüfenden Ohres eingeführt wird. Fig. 3. Wenn nun der Radkranz AR rotiert und zegen ihr aus dem Rohr r Luft geblasen wird, so entsteht ein Ton, der durch den Trichter a, das Rohr 7 und den Gummischlauch dem Ohr zugeführt wird. Die Höhe des Tones ist abhängig von der Umdrehungszahl des Rad- kranzes R, die durch ein Tachometer leicht festgestellt werden kann. Die Tonstärke jedoch ist abhängig von dem Druck, mit dem die Luft aus der Windlade X gegen die Lochreihe geblasen wird. Und wie wir im Folgenden sehen werden, ist gerade die genaue Bestimmung dieses Druckes mit grossen Schwierigkeiten verknüpft. Edelmann verwendete hierzu zunächst ein in der Fig. 3 und 4 dargestelltes Flüssigkeitsmanometer mit Fernrohrablesung. Ein U-förmiges Rohr @ ist mit einer Teilung M versehen und teilweise mit Wasser gefüllt. Der Schlauchansatz 5 ist durch einen Gummischlauch mit der Windlade X verbunden. Die durch den 198 Fritz Lux: Druck entstehende Verschiebung der Wassersäule wird durch einen Fernrohrapparat (Fig. 4) abgelesen. Mit diesem Apparat lässt sich der Luftdruck mit einer Genauigkeit von 0,02 mm bestimmen. Diese Genauigkeit ist jedoch zur Bestimmung des Hörvermögens bei der ausserordentlichen Empfindlichkeit unseres Ohres völlig un- genügend. Zu diesem Zweck müssen wir vielmehr Drucke von weniger als 0,01 mm Wassersäule mit einer Ge- nauigkeit von 0,0001 mm messen können. Zu diesem Zweck kon- struierte Edelmann das in der Fig. 5 dargestellte Luft- druckmikrometer. An einem Kokonfaden S ist ein Glim- merblättchen 5 befestigt. Steif mit diesem verbunden ist der Spiegel P und das zylindrische Kupferstück K, das als Dämpfung zwischen den Polen des Magneten 7 m. hängt. Das Glimmerblätt- An _ chen B befindet sich inner- il IM halb des Zylinders A aus Mi X Glas. Durch eine Bohrung dieses Zylinders führt das Rohr D, das mit einem Mundstück gegen das Glim- merblättchen gerichtet ist. Das Rohr D ist durch einen Schlauch mit der Windlade X (Fig. 2) verbunden. Die aus dem Mundstück des Rohres D ausströmende Luft verdreht das Glimmerblättehen entsprechend ihrem Druck und die Verdrehung wird durch den Spiegel ? mittels eines Lichtstrahles, wie bei einem Spiegelgalvanometer, an einer Teilung abgelesen. Dieses Instrument wird zunächst bei grösseren Drücken mit dem schon besehriebenen Flüssigkeitsmanometer geeicht. Zur Bestimmung der Hörschwelle eines Ohres verfährt man folgendermaassen: ) Verfahren der objektiven Prüfung und Messung der Hörfähigkeit usw. 199 Man lässt zunächst den Radkranz der Sirene mit einer be- stimmten Umdrehungszahl laufen, die einem bestimmten Ton ent- spricht. Sodann lässt mar die Luft aus dem Blasrohr r mit solchem Druck ausströmen, dass ein hörbarer Ton entsteht. Nun vermindert man den Druck so lange, bis der Ton für das zu prüfende Ohr er- lischt und liest in diesem Augenblick den Druck am Luftdruckmikro- meter ab. Dieser Wert wird zusammen mit der Schwingungszahl (Tonhöhe) des betreffenden Tones notiert. Auf gleiche Weise ver- fährt man durch die ganze Tonleiter hindurch. Es sei hier eine Messung an den Ohren Edelmann’s wieder- gegeben, wobei die Zahlen den Druck in Millimeter Wassersäule darstellen. (en (68 C C a & ER Linkes Ohr . ... 020 0,074 0,0309 0,0352 0,0342 0,12 0,18 0,2 Rechtes Ohr . . . 0,28 0,121 0,0402 0,0402 0,0360 0,095 0,12 0,30 Es ist wohl aus dem Vorstehenden ersichtlich, dass die Methode Edelmann’s an sich einwandfrei und zweckmässie ist, dass sie jedoch einer Messvorrichtung für den Luftdruck bedarf, die an einen Ohrenarzt zu grosse Ansprüche stellt; diese machen auch das ganze Instrumentarium ungeeignet, um an beliebigen Orten stets gleich gebrauchsfähig zu sein. Der Vollständigkeit halber seien hier noch die Methoden von Wien, Baltzmann, Töpler, Lord Rayleigh u. a. erwähnt, die jedoch alle mehr oder weniger nur rein wissenschaftliches Inter- esse haben. (Literatur: Edelmann, Leitfaden der Akustik für Ohrenärzte; Wundt, Physiologische Psychologie Bd. 1 S. 648 ff. und A. Winkel- mann, Handbuch der Physik Bd. 2 S. 246 ff.) Ich war nun bestrebt eine Methode der objektiven Messung der Hörfähigkeit zu ermitteln, die einerseits den wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird und andererseits auch leicht von jedem Öhrenarzt gehandhabt werden kann. Grundlegend verwende ich den schon von Hughes vor- geschlagenen und auch von Wien mit Erfolg benutzten Telephon- hörer als Tonquelle. Als solche hat der Telephonhörer den grossen Vorteil, dass er das Ohr gegen äussere Geräusche abschliesst und sich auch jeweils, praktisch gesprochen, in gleicher Entfernung vom Ohre befindet. In dem Telephonhörer wird eine Membrane (zum Beispiel dünnes Eiseublech) unter dem Einfluss eines Wechselstromes, 200 Fritz Lux: der einen Elektromagneten durchfliesst, zum Schwingen gebracht und dadurch ein Ton erzeugt. Die Höhe des Tones ist dabei durch die Wechselzahl des verwendeten Wechselstromes und, die Tonstärke durch die Stärke des Stromes bedingt. Wesentlich ist dabei aber noch, dass man Wechselstrom von reiner Sinusform anwendet, da ein reiner Ton nur durch sinusförmige Schwingungen hervorgerufen wird. Schnitt A-B * Fig. 6. Es war also in der Hauptsache die Aufgabe gestellt einen reinen sinusförmigen Wechselstrom zu erzeugen, der in der Wechsel- zahl und Stärke in weiten Grenzen veränderlich ist und bei dem sowohl Wechselzahl als auch Stromstärke genau messbar sind. Verfahren der objektiven Prüfung und Messung der Hörfähigkeit usw. 201 Ersteres ist analog der Edelmann’schen Sirene nicht schwierig, letzteres dagegen um so mehr, da wir für sehr schwache Wechsel- ströme, wie sie hier in Betracht kommen, keine genügend genaue und handliche Messinstrumente besitzen. Ich schlug daher folgenden Weg ein, der in der Fig. 6 schema- tisch dargestellt ist. a ist ein kleiner Elektromotor, der die Scheibe 5 in Umdrehung versetzt. Nahe ihrem Umfang sind eine Reihe von beispielsweise 20 Spulen aufgesetzt, die alle die gleiche Drahtwindungszahl besitzen und jeweils untereinander entgegengesetzt verbunden sind, so dass ein sie hintereinander durchfliessender Gleichstrom auf der einen Seite der Scheibe 5 abwechselnd Nord- und Südpole erzeugen würde. Die Stromzuführung zu diesen Spulen erfolgt durch die Schleifbürsten d und e. Ausserhalb der Scheibe 5b sind feststehend die Spulen ! und » angebracht, die unter sich ebenfalls gleiche Windungszahl besitzen. Zwischen diesen Spulen ! und m rotieren die Spulen e hindurch. Sämtliche Spulen sind völlig frei von Eisenteilen. Wird nun durch die Spulen Z und m ein Gleichstrom geleitet, so erzeugt dieser zwischen ihnen ein Magnetfeld von entsprechender Stärke. Sobald aber die Spulen c bei ihrer Uıindrehung dieses Magnetfeld schneiden, wird in ihnen jeweils ein Stromimpuls erzeugt, der sinusartig ansteigt und abfällt. Dies erfolgt bei jeder Spule und zwar besitzt jeder Impuls entgegengesetztes Vorzeichen, da die Spulen einander entgegengesetzt geschaltet sind. Wenn daher die Scheibe 5 eine Umdrehung in der Sekunde macht, so erhält man einen Wechselstrom von zwanzig Wechseln oder zehn Perioden in der Sekunde. (Eine Periode ist eine ganze Schwingung.) Die Wechselzahl des so erzeugten Wechselstromes lässt sich daher ohne weiteres durch die Messung der Umdrehungszahl der Scheibe mittels eines Tachometers feststellen, womit zugleich die Höhe des im Telephonhörer erzeugten Tones gegeben ist! Es kommt jetzt also nur noch darauf an, auch die Stärke des erzeugten Stromes festzustellen. Wovon ist dieser nun abhängig? Er ist abhängig von der Winkelgeschwindigkeit der Spulen c, der Windungszahl der Spulen c, ! und m, dem Abstand der Spulen ce von den Spulen / und m und von der Stärke des durch die Spulen ! und m erzeugten Magnet- feldes, das wieder von der Stärke des zugeführten Gleichstromes ab- hängig ist. Dies ist in der folgenden Formel ausgedrückt: 202 Fritz Lux: ISSN 1,80 Da oe N 1078 ts — Touren pro Sekunde, S— Kraftlinienzahl durch die Anker- spulen, N —= Windungszahl, » —= Winkelgeschwindigkeit. Von diesen Faktoren bleiben aber für jede bestimmte Wechsel- zahl des erzeugten Wechselstromes alle konstant bis auf eine. Es ist nämlich für jede bestimmte Wechselzahl die Winkelgeschwindigkeit der Spulen c gleich, ferner ist die Windungszahl aller Spulen und Big. 7. auch ihre Abstände voneinander unveränderlich. Als einziger ver- änderlicher Faktor bleibt daher die Stärke des den Spulen ! und m zugeführten Gleichstromes. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Formel ist daher die Stärke des auf diese Weise erzeugten Wechselstromes durch die Stärke des zugeführten Gleichstromes gegeben. Da wir aber selbst für die schwächsten hier in Betracht kommenden Gleichströme ohne weiteres leicht zu handhabende Präzisionsmessinstrumente (Despretz- d’Arsonval) besitzen, so ist es leicht, auf diese Weise die dem Telephonhörer zugeführten Wechselströme genau zu messen. Wir haben also in dem Maass des zugeführten Gleichstromes ein Maass für die Stärke des im Telephonhörer erzeugten Tones. Verfahren der objektiven Prüfung und Messung der Hörfähigkeit usw. 203 Die Fig. 7 zeigt nun den fertigen Apparat; «a ist der kleine Antriebselektromotor, 5 die rotierende Scheibe mit den aufgesetzten Spulen, e das Tachometer zur Messung der Umdrehuneszahl und damit der Tonhöhe. Das Tachometer zeigt hier zweckmässig anstelle der Umdrehungszahl gleich die Schwingungszahl des betreffenden Tones oder dessen musikalische Bezeichnung, also zum Beispiel C,, Orte ch c2) USW., ‚an. d ist eine Vorrichtung, die den dem TeJephonhörer zugeführten Strom von Zeit zu Zeit, etwa alle 5 Sekunden, auf die Dauer von oO [%) BR SE Ss 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 300 500 900 1300 1700 2100 @3 Ce, C CC c? e& 7° Schwingungen in der Sekunde. Fig. 8. = _ Druck in Millimeter Wassersäule bzw. Gleichstromstärke. u elle a 5 Sekunden unterbricht. Dies ist erforderlich, da unser Ohr für schwache, konstant dauernde Töne leicht ermüdet, wodurch die Genauigkeit der Messung beeinträchtigt werden würde. Unter Zugrundelegung des Schemas nach Fig. 6 verfährt man nun zur Bestimmung der Hörschwelle folgendermaassen: Man lässt .dureh Benutzung des Regulierwiderstandes % zunächst den Elektro- motor mit einer Geschwindigkeit laufen, die zum Beispiel dem Ton C, entspricht. Während der zu Prüfende den Telephonhörer am Ohre hat, schickt man nun unter Benutzung des zweiten Regulier- widerstandes % einen Gleichstrom durch die feststehenden Spulen. 204 Fritz Lux: Verfahren der objektiven Prüfung und Messung usw. Diesen verstärkt man so lange, bis der zu Prüfende den Ton hört; dann liest man die Stärke des Stromes ab. Auf die gleiche Weise verfährt man durch die ganze Tonleiter hindurch. Die erzielten Ergebnisse trägt man zweckmässig in ein Koordi- natensystem ein, wodurch man dann eine bestimmte Kurve erhält, wie dies beispielsweise die Fig. 3 zeigt. Um sich nun gleich ein richtiges Bild von der Hörfähigkeit des zu prüfenden Ohres machen zu können, wird es gut sein zum Eintragen der Kurven Vordrucke zu benutzen, in denen eine Kurve eingedruckt ist, die dem Mittel aus mehreren durchschnittlich so- genannten normalen Ohren entspricht. Es kann dann zum Beispiel die Kurve des zu prüfenden Ohres parallel mit der vorgedruckten Kurve verlaufen, aber unter oder über ihr liegen. Sogenannte „Gehörslücken“ oder Stellen der Tonskala, bei denen Gehördefekte oder herabgesetzte Gehörfähigkeit vorhanden, sind dann sofort ersichtlich. Eine Simulation bei der Gehörprüfung nach diesem Verfahren wird kaum möglich sein. Wenn man zum Beispiel auf diese Weise die Tonskala mehrere Male durchprüft, so müsste sich ein Simulant für jeden Ton dessen Stärke merken, bei dem er ihn angeblich vorher gehört hat. Und wenn man ausserdem die Töne nicht der Reihe nach benutzt, sondern willkürlich bald hohe, bald tiefe Töne nimmt, so dürfte es kaum einen Menschen geben, der hier eine Simulation zustande brächte. Derjenige aber, der wirklich Gehör- fehler besitzt, wird jeweils die gleichen oder doch nahezu die gleichen Angaben machen. Um aber den zu Prüfenden auch von unwillkür- lichen Einflüssen, wie die Bedienung der Regulierwiderstände, das Laufen des Motors usw., unabhängig zu machen, setzt man ihn am besten ganz getrennt von den eigentlichen Apparaten in einen be- sonderen Raum. Er bekommt nur den Telephonhörer an das Ohr und ausserdem den Druckknopf einer Klingelleitung, die zu dem prüfenden Arzte führt. Er hat dann jeweils, wenn er einen Ton hört, auf den Knopf zu drücken. Der Kontrolle wegen kann der prüfende Arzt ebenfalls einen Telephonhörer an sein Ohr nehmen, der mit dem anderen in Serie geschaltet ist. Auf diese Weise wird man zu einer einwandfreien Prüfung und Messung der Hörfähigkeit oder Hörschwelle gelangen. LV oO SU Bemerkungen zur Arbeit Dusser de Barenne’s: „Über die Innervation und den Tonus der quergestreiften Muskeln“. Von Professor Dr. &. Mansfeld (zurzeit als Regimentsarzt der Reserve bei der Armee im Felde) De Boer hatte im Jahre 1913 die wichtige Entdeckung ge- macht, dass der Tonus quergestreifter Muskeln durch das sympathische Nervensystem unterhalten wird!). Diese Tatsache veranlasste mich, die von den meisten Physiologen verneinte Existenz eines chemischen Tonus quergestreifter Muskeln einer neuen Untersuchung zu unter- ziehen. Bekanntlich führten die Untersuchungen von OÖ. Frank und v. Gebhard?), von OÖ. Frank und Fr. Voit?) und diejenigen von F. Tangl*) zu dem Ergebnis, dass der respiratorische Ruhe- stoffwechsel von Hunden durch Curare keine weitere Verminderung erfährt, woraus geschlossen wurde, dass der Stoffwechsel ruhenderMuskelnnichtunterdemEinflussdesNerven- systems steht, dass also ein chemischer Muskeltonus nicht existiert. Nachdem nun dureh die Entdeckung de Boer’s bekannt wurde, dass tonische Impulse auf dem Wege des Sympathicus geleitet werden, so erschien die gewählte Versuchsanordnung ge- nannter Autoren keineswegs geeignet, über die Existenz des chemischen Muskeltonus ein Urteil zu fällen. Erfährt nämlich während der Curarewirkuug der Ruhestoffwechsel keine Verminderung, so beweist das keineswegs, dass der Muskel auch vor der Vergiftung keine zentralen Impulse erhielt, welche seinen Stoffwechsel anregten, sondern lässt vielmehr die Möglichkeit offen, dass die Impulse auch nach der Curarevergiftung unbehindert den Muskel erreichen — auf dem Wege sympathischer Nerven, die von Curare nicht be- einflusst werden. 1) Folia Neuro-Biologica vol. 7 p. 378. 2) Ber. d. Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol. München 1901. 3) Zeitschr. f. Biol. Bd. 42 S. 309. 4) Orvosi hetilap 1914. 206 G. Mansfeld: ‚Um diese Möglichkeit auf ihre Richtigkeit zu prüfen, musste entschieden werden, ob der Stoffwechsel eurarisierter Muskeln eine Verminderung erfährt, wenn wir die Nerven des curarisierten Muskels durchtrennen. Eine Reihe von Stoffwechselversuchen, welche ich in Gemeinschaft mit Dr. Alexius Lukäes ausführte!), zeigte in der Tat, dass die Durchtrennung der durch Curare nicht gelähmten sympathischen Nerven jedesmal eine bedeutende Abnahme des respira- torischen Stoffwechsels zur Folge hatte, woraus wir den Schluss zogen, dass es einen chemischen Muskeltonus gibt, und dass dieser durch das sympathische Nervensystem vermittelt wird, ebenso wie es für den mechanischen Muskeltonus von de Boer nachgewiesen wurde. Vor kurzem veröffentlichte nun Dusser de Barenne unter obigem Titel einige Versuche in Pflüger’s Archiv Bd. 166 S. 145, durch welche er zwar die Entdeckung de Boer’s über den sym- pathischen Ursprung des Muskeltonus in wesentlichen Punkten be- stätiet, gleichzeitig aber auch die Behauptung aufstellt, dass nach Durchsehneidung der sympathischen Nerven der Tonus der betreffenden Muskeln nicht völlig, sondern nur zum Teil schwindet. Im Anschluss daran bespricht er die seit de Boer’s Entdeckung über diese Frage erschienenen Arbeiten und unterzieht unsere Versuche über den chemischen Muskeltonus einer eingehenden Kritik. Ich glaube auf seine Einwände um so mehr kurz eingehen zu müssen, weil sie mir geeignet erscheinen, in das kaum erst geklärte Gebiet neuer- dings Verwirrung zu schaffen. Nachdem unsere Versuche zeigten, dass am curarisierten Hund der Stoffwechsel sinkt, wenn wir die Muskeln der unteren Extremi- täten entnerven, glaubt Dusser de Barenne unsere Schluss- folgerungen durch den allerdings naheliegenden Einwand entkräften zu können, dass infolge der Nervendurchtrennung eine vasomotorische Störung in den unteren Extremitäten auftreten müsse, welche „grösstenteils für die Resultate dieser Untersucher verantwortlich gemacht werden kann“. Als Beweis für die wichtige Rolle von vasomotorischen Störungen bei Stoffwechselvorgängen führt er ein — auch von uns erwähntes und vollauf berücksichtigtes — Versuchsergebnis von Frank und 1) G. Mansfeld und A. Lukäcs, Untersuchungen über den chemischen Muskeltonus. I. Pflüger’s Arch. Bd. 161'S. 467. 1915. Bemerkungen zur Arbeit Dusser de Barenne’s usw. 207 Voit an, wonach in ihren Versuchen „nur dann eine Verminderung des Ruhestoffwechsels auftrat, wenn so grosse Curaremengen ein- geführt wurden, dass neben der Lähmung der willkürlichen Musku- latur auch eine Lähmung der Vasomotoren eingetreten war“. Ob- wohl Dusser de Barenne zugibt, dass wir bei unseren Stoff- wechselversuchen sorgfältig dafür Sorge getragen haben, dass unsere Versuchstiere nur so viel Curare erhielten, dass eine Vasomotoren- lähmung nicht auftrat, worüber wir uns durch fortwährende Be- obachtung des Blutdruckes Kontrolle verschafften, meint er, dass es klar sei, „dass dieselben noch eintreten können und werden, wenn der Sympathieus exstirpiert wird: Und, dass nach diesem Eingriff auch nach der Curarisation Änderungen im resp. Stoffwechsel der betreffenden Muskeln eintreten, kann — nach allem was oben be- sprochen worden ist — als sehr wahrscheinlich angenommen werden. ‘Jedenfalls ist dieser Einwand nicht widerlegt“. Sehen wir nun, inwieweit eine durch Entnervung der hinteren Extremitäten bedingte vasomotorische Störung die von uns festgestellte Änderung desresp. Stoffwechsels vortäuschen kann und somit den Einwand Dusser de Barenne’s berechtigt erscheinen lässt. Es unterliegt gewiss keinem Zweifel, dass nach Durchschneidung der Ischiadiei und Nn. femorales eine Änderung der Gefässweile in den unteren Extremitäten eintreten wird. Dass diese Änderung nur eine Vasodilatation sein kann, und dass infolge dieser (bei gleichbleibendem arteriellen Druck) eine verstärkte Durch- blutung der entnervten Muskeln eintritt, ist aus jedem Lehrbuch der Physiologie zu ersehen. Über den Zusammenhang von Durch- strömungsgeschwindigkeit und Sauerstoffverbrauch quergestreifter Muskeln sind wir nun hinlänglich unterrichtet; und behauptet Dusser de Barenne, dass nach Eutnervung der Muskeln, als Folge verstärkter Durchblutung, eine Abnahme des Stoffwechsels erfolgen könnte, so tut er dies in Unkenntnis des vor- liegenden experimentellen Materials. Es hat sich nämlich gerade am Muskel nachweisen lassen, dass die alte Pflüger’sche Lehre, wonach der Verbrauch unabhängig vom Angebot sei, unhalthar ist, denn es zeigte sich, dass der Sauerstoffverbrauch gerade der Muskeln mit dem O,-Druck im Blut gleichsinnig steigt und fällt. (Ludwig und Schmidt, Barcroft, Verzär.) Auf Grund dieser Erkenntnis sind uns die Ergebnisse älterer Autoren (Ludwig und Schmidt, ? \ ae 208 G. Mansfeld: Bemerkungen zur Arbeit Dusser de Barenne’s usw. Rubner, v. Frey), wonach der Muskelstoffwechsel mit zunehmender Durchblutungsgeschwindigkeit einen Anstieg erfährt, eben erst verständlich und glaubwürdig ge- worden. (Vgl. Verzär in Asher-Spiro, Ergeb. d. Physiol. Bd. 15 S. 34.) Nachdem in unseren Versuchen nach Durchschneidung der Nerven die einzig mögliche Änderung seitens der Blutgefässe eine Vasodilatation war, nachdem ferner der Blutdruck in allen Ver- suchen (wie in der Arbeit ausdrücklich betont wurde) konstant blieb, so konnte die Blutversorgung der Muskeln nur eine Steigerung er- fahren haben, was aber nach. unserem heutigen Wissen nur zu einer Steigerung des O,-Verbrauchs führen könnte. Wir haben jedoch in unseren Versuchen nach Durehtrernung der betreffenden Nerven stets eine Verminderung des O,-Verbrauchs und der CO,-Produktion nachweisen können, und So muss auch weiterhin daran festgehalten werden, dass diese Änderung nicht die Folge vasomotorischer Störungen sein konnte, dass diese vielmehr geeignet waren, einen Teil der durch Sympathieus-Durchtrennung bedingten Stoffwechselabnahme zu verdecken, und dass unsere Werte somit Minimalwerte darstellen. Den von uns begangenen Fehler, auf die eben ausgeführten Verhältnisse des Kreislaufes in unserer Arbeit nicht näher ein- gegangen zu Sein, wollen wir gern einsehen; dies geschah aber in der Annahme, dass jeder, der für unsere Ergebnisse Interesse be- kundet, mit den elementaren Begriffen der Kreislaufphysiologie ver- traut sei, jedenfalls aber vor der Veröflentlichung kritischer Be- merkungen sich darüber Klarheit verschaffen würde. D — Ne) Studien über physiologische Ähnlichkeit. Von August Pütter (Bonn). (Mit 6 Textfiguren.) I. Das Problem der physiologischen Ähnlichkeit. . Die Beziehung zweier oder mehrerer Dinge oder Eigenschaften zueinander, die man als „Ähnlichkeit“ bezeichnet, kann sehr ver- schiedener Art sein. Wie ich in meiner vergleichenden Physiologie !) auseinandergesetzt habe, können zum Beispiel: Unterschiede geringen Grades, oder Gleichheit einzelner Teile, oder gleiche Verhältnisse aller Teile, als Ähnlichkeit bezeichnet werden. Um den Begriff der physiologischen Ähnlichkeit klar heraus- zustellen, ist es nötig, mit einigen Worten auf die verschiedenen Arten der Ähnlichkeitsbetrachtung einzugehen. Wir unterscheiden zwischen der Ähnlichkeit von Zuständen — der statischen Ähnlichkeit — und der Ähnlichkeit von Zustands- änderungen — der kinetischen Ähnlichkeit. Bei der statischen wie bei der kinetischen Ähnlichkeitsbetrach- tung kann man physikalische und chemische Eigenschaften vergleichen, oder man kann Formen vergleichen. Für die statische Vergleichung von Formen gelten die Ähnlichkeitssätze der Geometrie. Die dyna- mische Vergleichung von Formen kann in zwei verschiedenen Rich- tungen gehen. Man kann einmal die Formen vergleichen in bezug auf die Bewegungen, die sie ausführen, oder man kann insofern „dynamisch“ vergleichen, als man die Form als den Ausdruck eines Gleichgewichtszustandes von Vorgängen betrachtet. Für die Formen von Schiffen, die sich mit bestimmter Ge- schwindigkeit bewegen, ist die erste Art dieser beiden möglichen Be- trachtungen die naturgemässe. Bei der Vergleichung von Organismen 1) A. Pütter, Vergleichende Physiologie S. 684 ff. G. Fischer, Jena 1911. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 14 210 August Pütter: ist auch die zweite Art der Betrachtung berechtigt, insofern die Formen lebender Systeme in der Tat der Ausdruck für ein dyna- misches Gleichgewicht zwischen Vorgängen sind, die einerseits ge- formte Materie erzeugen und sie andererseits wieder zerstören. Um die Erörterungen nicht zu sachfern werden zu lassen, möchte ich an einigen Beispielen diese Art der Ähn- lichkeitsbetrachtung zeigen. Der Körper der meisten Fische hat — wenn man von den Flossen absieht — die Ge- stalt eines Rotationskörpers, der. vorne gerundet endet, während er nach hinten in eine mehr oder weniger lange Spitze ausläuft (Fig. 1). Da- . bei ist das Verhältnis der Länge zur Breite etwa 3:1 bis 7:1. Der Körper ist ent- Fig. 1. Umrisse von Fischkörpern (schema- tisch). Der Umriss e entspricht der plumpen standen zu denken durch Körperform von Argyropelecus affinis. Rotation um die Längsachse. Die Zahlen geben das Verhältnis der Breite . zur Länge. Geometrisch betrachtet, 2 können wir nur solche Körper- formen als ähnlich ansehen, bei denen das Verhältnis der Länge zur Breite den gleichen Zahlenwert hat. Sobald wir aber daran denken, dass diese Formen in Beziehung zu der Bewegungsgeschwindigkeit der Fische stehen, verändert sich der Begriff der Ähnlichkeit. Wenn die Form eines Fisches derart beschaffen ist, dass sie bei der normalen Schwimmgeschwindiekeit dem Wasser einen mög- lichst geringen Widerstand bietet, und wenn wir als „ähnlich“ in bezug auf ihre Körperform Fische ansehen wollen, bei denen diese Beziehung der Körperform zur Schwimmgeschwindigkeit zutrifft, so dürfen die ähnlichen Formen nicht dasselbe Verhältnis von Länge und Breite bieten, sondern dies Verhältnis muss verschieden sein, und zwar in der Weise verschieden, dass die Form um so schlanker, das Verhältnis von Länge und Breite um so grösser wird, je rascher der Fisch schwimmt. Kennen wir das hydrodynamische Gesetz, nach dem sich die Form und das Verhältnis von Länge und Breite Mi 2,67 07 Studien über physiologische Ähnlichkeit. >11 als Funktion der Schwimmgeschwindigkeit ändert, so können wir zahlenmässig beurteilen, ob zwei Fische, die verschieden rasch schwimmen und ein verschiedenes Verhältnis von Länge zur Breite haben, einander „ähnlich“ sind, das heisst, ob bei beiden die Be- dingung gewahrt ist, dass der Wider- stand bei der normalen Schwimm- geschwindigkeit möglichst gering ist. In diesem einfachen Falle braucht die Ähnlichkeitsbetrachtung nur auf die Schwimmgesehwindigkeit Rücksicht « zu nehmen. Vergleichen wir nun die Körper- form der Vögel mit jener der Fische, so kommt ein neues Moment hinzu. Auch die Körper der Vögel stellen, wenn man von Kopf, Hals, Gliedern und Schwanz absieht, Rotationskörper dar (Fig. 2), und zwar sind sie viel plumper als die Körper der meisten Fische. Das Verhältnis von Länge und Breite ist 2:1 bis 3:1. Wollen wir ® die Vogelkörper nur untereinander ver- gleichen, so liegt die Sache genau so wie bei den Fischen. Der grösseren Flug- geschwindigkeit muss, wenn die Ähn- lichkeit gewahrt sein soll, die schlankere Körperform entsprechen. Wollen wir aber Fische und Vögel Fig. 2. Umrisse von Vogel- vergleichen, so muss bei der Ähnlich- Pomn .. nolibri, D Storch. keitsbetrachtung berücksichtigt werden, hältnis der Breite des Rotations- ı , y £ 2 körpers zur Länge. dass die beiden Tiergruppen sich in 7 Medien von ganz verschiedenen physikalischen Eigenschaften be- wegen. Für die Form des Körpers, der (als Stromlinienkörper) den geringsten Widerstand liefert, ist die dynamische Zähig- keit!) des Mediums maassgebend. Die dynamische Zähigkeit (Zähiekeit dividiert durch Dichte) ist für Luft von 15° C. etwa 15—1l4mal so gross, wie die Zähigkeit des Wassers. l) Lancester, Aerodynamik. 14 * 212 August Pütter: ‚Je zäher eine Flüssigkeit ist, um so plumper müssen bei gleicher Geschwindigkeit der Bewegung die Körper sein, die Stromlinienform haben, das heisst, die den geringsten Widerstand bieten. Da die Luft nun sehr viel zäher ist als das Wasser, müssen die Körper, die in ihr möglichst geringen Widerstand geben sollen, ein viel kleineres Verhältnis der Länge zur Breite haben als Körper, die im Wasser derselben Bedingung genügen sollen. Um zahlenmässig festzustellen, welche Formen von Vogel- und Fischkörpern einander ähnlich sind, müsste wieder das Gesetz bekannt sein, nach dem sich das Verhältnis von Länge zu Breite bei verschiedener: Zähigkeit ändert, wenn der Widerstand möglichst gering bleiben soll. Ausser auf das Verhältnis von Länge zu Breite ist auch auf die Lage des grössten Querschnitts (des „Hauptspannes“) zu achten, worauf hier nicht näher eingegangen werden soll. Es macht also einen grossen Unterschied, ob wir ruhende oder bewegte Formen vergleichen. Formen, die ruhend einander (geometrisch) unähnlich sind, können ähnlich sein, so- bald die Bewegung und das Medium, in dem sie erfolgt, be- rücksichtigt werden, und umgekehrt können geometrisch ähnliche Formen eirander unähnlich sein, wenn man sie in Beziehung zu ihrer Bewegung betrachtet. Da nun die Geschwindigkeit der Bewegung in einer Beziehung zur absoluten Grösse der Tiere steht, so legt diese Betrachtung ohne weiteres die Vermutung nahe, dass verschieden grosse Tiere in ihren Körperformen deshalb geometrisch unähnlich sein könnten, weil sie für verschiedene Geschwindigkeiten gebaut wären. Diese Beziehung einer Eigenschaft zur absoluten Grösse eines Tieres führt uns auf die Grundfrage der Lehre von der physio- logischen Ähnlichkeit. Betrachten wir eine physikalische Eigenschaft, zum Beispiel die Bruchfestigkeit eines Knochens, und finden wir, dass die absolute Festigkeit!) bei verschiedenen Tieren gleich ist, so hat diese ein- fachste Form der Vereleichung den höchsten Grad der Ähnlichkeit, eben die Gleichheit, ergeben. Eine physiologische Vergleiehung wird aber bei dieser Feststellung nicht haltmachen, sondern muss die Festickeit des ganzen Knochens im Vergleich zu seiner Belastung 1) D. h. die Festigkeit einer Säule vom Querschnitt 1 qmm aus dem Material des Knochens. Studien über physiologische Ähnlichkeit. 313 betrachten. Die Belastung eines (Bein-)Knochens wächst mit dem Gewicht des Tieres und wenn das Tier sich etwa springend fort- bewegt, auch noch entsprechend der Höhe der Sprünge, denn die Beschleunigung, mit der es den Boden erreicht, ist proportional der Wurzel aus der Sprunghöhe. Soll nun physiologische Ähnlichkeit zwischen zwei derartigen Knochen bestehen, so genügt es nicht, dass sie aus gleich festem Material aufgebaut sind, es muss vielmehr ihre Dicke in einem ganz bestimmten- gesetzmässigen Verhältnis. zu der Beanspruchung stehen. Es ergibt sich im groben für diesen Fall, dass die Dicke des Knochens rascher zunehmen muss als seine Länge, d. h. dass der Knochen mit zunehmender Grösse des Tieres plumper werden muss. Die geometrische Vergleichung grosser und kleiner Tiere von sleicner Bewegungsart zeigt nun in der Tat, dass die Knochen einander geometrisch unähnlich sind, und dass die grösseren Tiere die plumperen Knochen haben. Das ist aber gerade das, was die physiologische Ähnlichkeit erfordert. Würden die grossen und kleinen Tiere in ihren Proportionen einander gleich, d. h. also geometrisch ähnlich sein, so wären sie physiologisch un- ähnlich. Die physiologische Ähnlichkeit kann nur ge- wahrt werden, wenn die Grössenänderung mit einer Änderung der Proportionen verbunden ist. Die biochemische Forschung hat uns in bezug auf die Bestand- teile der Organismen mit einer unglaublichen Mannigfaltigkeit be- kannt gemacht. In jedem Organ jeder Tierart finden sich zum Beispiel Eiweisskörper, die spezifisch verschieden von denen anderer Tierarten und anderer Organe sind, und die Kombinationsrechnung zeigt uns, dass die Zahl der verschiedenen Eiweisskörper, die aus nur 20 verschiedenen Aminosäuren aufgebaut werden kann, zwar nicht im mathematischen Sinne unendlich, aber doch ganz unvorstell- bar gross ist, so dass wir von dieser Seite aus nicht einmal einen Einwand gegen die Annahme erheben könnten, das jedes Individuum durch spezifische „Individualstoffe“ ausgezeichnet sei, eine Annahme, die freilich aus anderen Gründen nicht stichhaltig erscheint, während schon für eine „reine Linie“, die kleine Unterabteilung einer Art, besondere Stoffe angenommen werden). Wird nun die Frage erhoben, weshalb diese oder jene Eigen- 1).Vgl. Correns. 214 August Pütter: schaft bei der einen Spezies so und bei der anderen anders sei, so ist die Antwort sehr einfach durch den Hinweis auf die qualitative Verschiedenheit der chemischen Grundlage des Lebensgeschehens bei den beiden Arten gegeben. Damit ist aber die Frage aus dem Be- reich einer Vergleichung hinausgerückt, denn was qualitativ ver- schieden ist, lässt sich eben nicht vergleichen. Letzten Endes liegt dem Unterschied der Tierarten, der Linien, der einzelnen Organe oder Zellarten ja sicherlich eine qualitative Verschiedenheit der Bestandteile zugrunde, aber man- braucht durch- aus nicht sogleich, wenn man Unterschiede findet, sie als qualitative anzusehen und damit auf die Vergleichung verzichten. Wir müssen das Wesen des Lebens in Vorgängen sehen, die an einem be- stimmten Substrat ablaufen, und es lässt sich sehr wohl die Frage erörtern, ob nicht viele Unterschiede der Organismen auch dann be- obachtet werden würden, wenn das Substrat bei verschiedenen Tieren ganz gleich wäre und nur Verschiedenheiten der Grösse der Tiere und ihrer Teile bestünden, wodurch das Verhältnis der Teil- vorgänge zueinander verschoben werden könnte. Vorgänge werden ja nach zwei Richtungen gekennzeichnet: erstens nach dem Material, an dem sie sich abspielen und zweitens nach den Gesetzen, nach denen sie verlaufen. Eskönnen an ganz verschiedenem Material Vorgänge nach denselben Gesetzen ablaufen: Eine Feder und ein Stein fallen nach demselben Gesetz. Zucker, Salz, Sauerstoff diffundieren nach demselben Gesetz, das Gesetz. einer monomolekularen Reaktion bleibt dasselbe, wie immer auch die Stoffe beschaffen sein mögen, an denen die Reaktion vor sich geht. Es ist also keine unzulässige Voraussetzung, einmal an die Be- trachtung der Organismen mit der Frage heranzutreten: Welche Unterschiede in den Lebensvorgängen sind unabhängig von der speziellen chemischen Eigenart der lebenden Systeme? Welche Unter- schiede in den Lebensvorgängen oder den Eigenschaften grosser und kleiner Tiere würden bestehen bleiben, wenn die Unterschiede der . chemischen Beschaffenheit fortfielen ? Wenn die Gesetze, nach denen die Lebensvorgänge ablaufen, überall dieselben sind (was wir annehmen), und wenn die chemische Grundlage der Lebensvorgänge bei allen Tieren und Pflanzen die- selbe wäre (was nicht der Fall ist): wie würden sich die Vorgänge bei verschieden grossen Organismen verhalten ? Studien über physiologische Ähnlichkeit. 215 Gelingt es, zu zeigen, dass Unterschiede, die tatsächlich bei ver- schieden srossen Tieren beobachtet werden, sich als Funktion der absoluten Grösse darstellen lassen, so brauchen wir zu ihrer Er- klärung nicht mehr mit dem unbefriedigenden Hinweis auf qualitative Unterschiede zu antworten: Wir haben dann scheinbar qualitative Uxterschiede auf quantitative zurückgeführt, wie es das Ziel jeder naturwissenschaftliehen Forschung ist. Das ist die eine Seite des Problems der physiologischen Ähn- lichkeit. Die Frage hat aber noch eine andere Seite: Zwei Organismen könnten nur deshalb als verschieden in ihren Lebensäusserungen er- scheinen, weil sie unter verschiedenen äusseren Bedingungen leben, während die ‚Beschaffenheit ihrer lebendigen Substanz und die Ge- setze, nach denen das Leben in ihnen abläuft, ganz gleich sind. Die physiologische Ähnliehkeitsbetrachtung hat dann die Aufgabe, die Gesetze der Einwirkung dieser äusseren Bedingung zu erforschen und die Lebensvorgänge der Organismen, die verglichen werden sollen, auf gleiche Aussenbedingungen umzurechnen. Erst dann er- kennen wir klar, was qualitativ verschieden an den Organismen ist, wenn wir mit Hilfe der Kenntnis der Gesetze, die die Vorgänge in den lebenden Systemen regeln, und der Gesetze, nach denen äussere Bedingungen einwirken, den Zustand eines Organismus, wie er wirklich beobachtet wird, umrechnen, so dass wir sagen können, wie sich die verglichenen Tiere oder Pflanzen verhalten würden, wennsieunter denselben äusseren Bedingungen lebten und gleich gross wären. Als Grundmaass für die Grösse eines Tieres setzen wir die Lineardimension, die im folgenden stets mit 4 bezeichnet werden soll. Wären alle Tiere einander seometrisch ähnlich, so würde Jede- homologe Strecke die Lineardimension darstellen können. Da aber die geometrische Ähnlichkeit durchaus nicht gewahrt ist, müssen wir als ideale Lineardimension im allgemeinen eine Grösse nehmen, die aus dem Gewicht der Tiere bzw. aus ihrem Volumen errechnet ist, und zwar ist die dritte Wurzel aus dem Volumen V, also v: als ideale Länge, als A zu bezeichnen. Wir haben also die erste begriffsbestimmende Gleichung: _ ER a ER) Jede Fläche hat die Dimension A?, jedes Volumen die Dimen- sion 43, g 216 August Pütter: s Wie die Lehre von der mechanischen Ähnlichkeit zeigt, stehen ähnliche Geschwindiekeiten im Verhältnis VA oder A?. Die Methode der physiologischen Ähnlichkeitsbetrachtung besteht nun darin, dass man für die Eigenschaft oder den Vorgang, der ver- sleichend betrachtet werden soll, die Formel aufstellt, die die Ab- hängigkeit der Eigenschaft oder des Vorganges von den Grössen dar-- stellt, die den Vorgang in der Art seines Ablaufes bestimmen und dann diese Gleichung dimensional schreibt, das heisst für die Grössen, die sich mit der Lineardimension ändern, die Potenz von A oder allgemeiner: die Funktion von 4 einsetzt, nach der sie sich bei veränderlicher Länge ändert. So erhält man eine Gleichung, die den zu betrachtenden Vor- sang als Funktion der Lineardimension darstellt. Wie sich solehe Betrachtungen gestalten, und zu welchen Re- sultaten sie führen, soll im folgenden an Beispielen gezeigt werden. Es sei schon hier darauf hingewiesen, dass solche Ähnlichkeits- betrachtungen gleichzeitig eine neue Methode zur Erforschung der Gesetze darstellen, naeh denen Lebensvorgänge ablaufen: Wenn wir über die Abhängigkeit eines Lebensvorganges von inneren oder äusseren Bedingungen bestimmte Annahmen machen, die noch nieht durch Versuche begründet sind, und dann finden, dass eine Vergleichung auf Grund dieser Annahmen, die in einer Formel zahlenmässig ausgedrückt sind, bei ihrer Anwendung auf eine grössere Anzahl von Tieren, die miteinander verwandt, aber sehr verschieden gross sind, zu dem Resultat führen, dass die Vor- sänge bei diesen Tieren einander physiologisch ähnlich wären, wenn mandie nochnicht bewiesenen Annahmen macht, so gewinnen diese dadurch seinen sehr hohen Grad von Wahrschein- lichkeit, ja ihre Richtigkeit wird fast zur Gewissheit. II. Die spezifische Schalendieke der Vogeleier. Eine Betrachtung über die ähnlichen Schalendicken der Vogel- eier eignet sich gut zur Einführung in die Methode der Ähnlichkeits- betrachtungen. Wir haben es mit einem verhältnismässig recht ein- fachen Fall zu tun, und in der Literatur ist ein sehr umfangreiches Zahlenmaterial vorhanden, an dem die Berechtigung der Ähnlichkeits- ansätze geprüft werden kann. Man findet in der Literatur über Studien über physiologische Ähnlichkeit. 2317 Vogeleier stets die Angaben über Länge und Breite der Eier und ausserdem das Gewicht der Eischale. Aus diesen Zahlen kann man alles berechnen, was zur Ähnlichkeitsbetrachtung nötig ist. Wir können zur Berechnung des Eiinhaltes und der Fläche der Eischale die Annahme machen, dass die Eier Rotationsellipsoide sind. Das scheint nicht für alle Eier mit der nötigen Genauigkeit zuzutreffen; für manche scheint es besser, sie sich aus einer Halb- kugel und einem halben Rotationsellipsoid zusammengesetzt zu denken. Wenn man aber die Rechnung unter diesen beiden Annahmen durch- führt, so zeigt sich, dass die Unterschiede sehr gering sind, und dass es tatsächlich für alle Fälle völlig hinreicht, das Rotations- ellipsoid der Rechnung zugrunde zu legen. u, ° Die Form des Eies ist entstanden zu ; ‘ denken durch Rotation um die Längsachse. Biel In der Literatur liegen die Zahlenwerte für die Länge Z und die Breite B vor. Wir bezeichnen die halbe Länge mit «a, die halbe Breite mit 5b (s. Fig. 3). Dann ist der Inhalt des Eies (V): = Sa-b8.r RE a u) und die Fläche (F') lässt sich nach der Formel berechnen: b | Swan ne F=2a-b- ee are - Sin Vase ey, (2) [44 Yy me == 2 [40 ’ Ver —p3 | bezeichnet man den Ausdruck —, so kann man die Fläche mit beliebiger Näherung herechnen nach der Formel: &® 3 DE ET NE een WERT hy (3) Um die Rechnung für die wirklich vorkommenden Fälle bequem zu machen, habe ich für die verschiedenen Werte von & den Zahlen- wert der unendlichen Reihe berechnet. Die folgende Tabelle 1 gibt für alle Werte von &, die zwischen 0,49 und 0,81 liegen, in Schritten von 0,01 fortschreitend, die fragliche Zahl, die wir mit r bezeichnen wollen. 1) Die Angabe dieser Formel verdanke ich Herrn Geheimrat Study. 218 August Pütter: 9 3 ; Va Wenn wir also Eat RE setzen und 2 4 , 6 ‚a: Iv.e 1 3. L so vereinfacht sich die Formel für die Fläche des Eies zu: F—2 na: bom.. De 20. 2..(4) und der Wert für r, der jedem Wert von & entspricht, ist aus der Tabelle zu entnehmen. Die Zahlen für Länge und Breite der Eier und Gewicht der Eischalen sind meist dem- grossen Werk von Georg Krause: Oologia universalis palaearetica, entnommen, das seit 1906 im Ver- lag von Fritz Lehmann (Stuttgart) erscheint, einige weitere Zahlen aus Eugene Rey: Die Eier der Vögel Mitteleuropas im. Verlag von Eugen Köhler (Gera-Untermhaus) 1905. >, Tabelle. N Be A \ : _ Var—p:. Werte der Reihe: e BT a, ....g Wenn E ist Bann i El = E = | 17 —= 0,49 1,91685 0,66 1,84329 0,50 1,91318 0,67 1,83827 0,51 1,90941 0,68 1,83360 0,52 1,90564 0,69 1,82766 0,53 1,90187 0,70 1,32260 0,54 1,89800 0,71 | 1,81665 0,55 1,89405 0,72 1,81068 .0,56 1,89010 0,73 j 1,80536 0,57 1,88615 0,74 1,79847 0,58 1,88132 0,75 1,79362 0,59 1,87647 0,76 1,78637 0,60 1,87266 0,77 1,78098 0,61 1,86818 0,78 1,77396 0,62 1,86365 0,79 1,76965 0,63 1,85873 0,80 1,76180 0,64 | 1,85367 0,81 1,75300 0,65 | 1,84911 | Er Als „ähnlich“ werden wir die Schalen von Vogeleiern bezeichnen, die dem Zerbrechen ähnliche Widerstände entgegensetzen, d. h. die “bei ihrer'normalen Beanspruchung gleich weit vom Zerbrechen ent- - fernt sind, oder mit anderen Worten, bei denen Zerbrechen statt- findet, wenn die normale Beanspruchung auf ein gewisses, kon- stantes Vielfaches gesteigert wird, also die zum Beispiel erst dann Studien über physiologische Ähnlichkeit. 219 zerbrechen, wenn die Beanspruchung das Dreifache der normalen Beanspruchung beträgt. Fallen zwei Eier verschiedener Grösse aus verschiedener Höhe auf eine Unterlage von gleicher Beschaffenheit, so lässt sich die Be- anspruchung der Festigkeit der Schale durch eine Formel darstellen. Die Geschwindigkeit, mit der das Ei die Unterlage erreicht, ist proportional der Wurzel aus der Fallhöhe H, also proportional VH. Je grösser das Ki ist, um so grösser wird die Belastung der Flächeneinheit der Schale. Nennen wir die Lineardimension des Eies /, so ist die Fläche proportional A?, das Gewicht proportional i 3 }2 und demnach die Flächenbelastung proportional ET 1. Die Dicke der Schalen ähnlicher Eier muss also proportional sein )-VH. Die Fallhöhe wird um so grösser sein, je grösser das Ei ist, und zwar stehen ähnliche Fallhöhen im Verhältnis }, so dass die Ähn- lichkeitsbedingung für die Dieke der Eischale lautet: A-YA —=4}- Wenn die verglichenen Eier aus qualitativ gleichem Material bestehen, so ist die Ähnlichkeit gewahrt, wenn die Gewichte pro Flächeneinheit der Schale sich verhalten wie A?- Statt 4? können wir schreiben YV oder V?, wenn V das Ei- volumen bedeutet, denn das Eivolumen hat die Dimension 2°, es ist also V* von der Dimension A°- Bei ähnlich dieken, ähnlich festen Eischalen ist also der Wert I ein konstanter Wert, wenn g das Gewicht pro 1 qem Eischale V: bedeutet. Die folgende Tabelle 2 gibt für 149 Vogeleier die Werte für Länge und Breite, daraus berechnet die Zahlen für Volumen und Fläche der Eier, ferner das Gewicht der Schale in Gramm, das Ge- 'wieht von 1 qem Schale in Milligramm und den Quotienten aus diesem Gewicht pro Flächeneinheit und der Grösse V®- Wir wollen diese Zahl als die „relative Schalendicke* bezeichnen. Sie gibt ein gutes Maass für die Festigkeit einer Ei- schale. Betrachten wir die Werte der relativen Schalendicke bei den untersuchten Vögeln, so ergibt sich, dass sie zwischen 5,45 (für den Albatross) und 48,2 (für das Frankolinhuhn), d. h. um das 8,Sfache schwanken. Die Häufigkeit der verschiedenen Zahlen der relativen Schalendicke ist sehr verschieden. Es kommen vor: August Pütter: Werte zwischen 5,0 und 6,0... 2mal \ 0602 m: 0, : ee \ lo or 30 j "01900 5,100...7. 85.5 : 00 10. 2, - 10 oe : See i 130.100, 01 , Mo 50.2, i 50, : über... 2% 16:0... 12%, Diese Zahlen verteilen,sich fast symmetrisch um einen Mittel- wert von 9—10. Stellen wir die Zahlen bildlich dar, so erhalten wir, wie Tabelle 2. | 58 | Fläche Gewicht) Gewicht Relative Länge: Breite n a et Schalen- (L:B) Nohumen| o der |fari cem | dicke (V) | Schale | Schale | Schale g cm ccm gem g mg yV Albatross .... . 13,00:7,70 | 405,0 | 278,0 | 30,85 1100 | 545 Mornell-Regenpfeifer 4,07: 2,82 17,0 | 832,8: | 0,80 24,9 3,95 Mantelmöwe. .. . 7,88:9,12 | 103,0: | 110,0). 2,10 64,5 6,40 Grosse Raubmöwe . 6,88: 5,16 97,0 | 102,0 6,40 62,8 6,45 Zwergmöwe . . 4,18: 3,05 20,4 36,3 | 1,06 29,0 6,40 Rosenmöwe . . . 4.,38:321 Da 40,8 1,22 30,0 | 6,20 Goldregenpfeifer . 5,18: 3,42 31,8 49,7 1,70 343 | 6,10 Südl. Silbermöwe. . 7,58:4,95 | 105,0 | 105,0 | 7,20 68,3 | 6,63 Misteldrossel. . . 3,13: 2,41 9,6 22,0 0,473 21.5 26,95 Kurzflügl. Spötter . 1,81: 1,35 1,74 7,15 0,06 8,4 | 6,40 Waldschnepte . . 4,40: 3,365 | 26, 43,0. | 1,39 32,4 6,36 Schlangenadler. . . 7,48:6,02 | 143,0 | 133,0 | 10,95 82,0 | 6,90 SchwarzeSeeschwalbe 3,41: 2,40 10.3 240 | 053 22,8 7,00 Ostl. Spiessflughuhn. 4,58: 3,20 24,6 41,3 1,44 34,4 7,00 Lachseeschwalbe . . 4,77 :93,46 30,0 41,9 1,85 39,0 7,10 Wespenbussard 9,02 : 4,25 47,9 64,0 3,25 51,0 7,40 Fischreiher . . 6,20 : 4,35 61,5 71,5 4,60 59,5 7,60 Purpurreiher 9,42:3,94 | 44,5 61,7 3,24 52,8 1,82 Alpendohle 3,85 : 2,57 13,4 23,2 0,79 28,0 7,70 Tannenhäher. . 3,43 : 2,39 10,3 23,2 0,572 24,8 7,80 Säbelschnäbler. . 4,75 : 3,98 31,0 41,2 2,06 43,6 7,80 Triel.s u u 5,28 :3,80 40,0 57,8 2,83 49,0 7,80 Dünnschnäbl. Möwe. 5,47: 3,76 40,3 57,7 2,81 49,0 7,80 Spechtmeise . . ... 1,98: 1,47 2,25 8,4 0,10 12,0 8,00 Rallenreiher.. . . . 3,88: 2,82 16 32,5 1,06 32,9 8,00 Flussregenpfeifer . . 3,00 : 2,26 8 19,5 0,44 ' 22,6 8,00 Kolkrabe.. 002...» 4,82: 3,28 27 44,8 1,89 42,3 8,10 Kleiner Schreiadler. 6,37 :5,12 87 96,2 7,25 75,0 8,10 Nordseetaucher 7,50: 4,43 a! 91,8 6,58 71,5 8,15 Studien über physiologische Äbnlichkeit. LO IV — Tabelle 2 (Fortsetzung). Ei- | Fläche | Gesicht Gewicht Relative Länge: Breite, F In g Schalen- dan en er | „Ser \füricem| dicke | (V) | Schale | Schale | Schale . op cm |. cem gem | g mg yvV Nordafrik. Steppen- | bussarden #22: 5,93 24,38 | 56,0 71,0 4314 17,61.051.7:8,15 Alpenkrähe . . . . I 8,98 :2,83. | 16,7 32,4 1922.) 34 8,20 Feldlerche. . ... . 244 21,68: 0. 8:01. 122 11.6 0,182 | 15,6 8,20 Bro le eh: 3,0. :2,06 6,58. 14,8 0,375 21,0 | 820 Europ. Laufhuhn. . | 2,61 :1,95: | 51. | 147 0,273 185 | 820 Birletuhn...:222 8,03. :8,04 | 836,0. 53,2 2,64 | 494 | 8,25 Waldkauz... .. . 4,62 :3,78 | 34,8 52,0 | 2,52 48,7 8,30 Sandflughuhn . .. | 47 :33 26,8 44,3 1,90 42,8 8,30 Waldohreule. . . . | 4,12 :3,24 | 22,7 39,3 1,56 40,0 8,40 Ringelgans . 7,12 :4,70 | 82,6 94,4 12 76,0 8,40 Rottussfalke . 8,10 2,961 17,0 32,3 1,13 35,0 | 8,45 Nachtreiher . ... . | 4,92 :3,49 | 31,8 49,0 2,33 47,8 8,5 Kornweihe. .. . . AS :3,58 | 32,0 50.0 2,41 48,3 ı 86 Krabbentaucher . 4,73 :3,35 | 28,1 45,5 2.08 45,8 | 8,60 Seidenreiher . . 4.12) 23,8 27,0 44,3 2,00 45,0 s61 Rauchschwalbe. . KRISE 3 N 2176 2 0,082 11,4 8,65 Kuttengeier . ; 9.05 :7,02 | 235,0 187,0 | 24,8 133,0 8,70 Schneeeule *. .. . 9,12 :4,48 | 61,0 755 | 5,14 68,0 8,70 Baumfalke. . . . . 4,28 :3,34 | 25,1 42,0 | 1,84 438 | 8,75 Danke es 2: DB, 122,98 107.2 32,3 1 a 8,80 Bisenmt >... 3,24 :2,40 9,8 22,3. | 0:62 27,6 8,80 Haselhnhn. ..,. ... 4.00 :2,95 | 18,2 34,0 1,28 31,8 8,86 Afrik. Kragentrappe | 6,07 :4,5 65,5 AI. RD, 0 8,90 Seeregenpfeifer. . . | 3,235:2,375 9,6 229: 0:61. | 27,5 8,90 Höckerschwan . . . I11.0 :7,5 320,0 299:.07 184,2 %1..160, 9,00 Kleines Sumpfhuhn. 3,05 :2,23 7,82 19,3 0492 | 25,5 9,10 Rötelfalke: . . ... 3,90 :2,99 | 15,5 30,0 1,08 | 36,0 9,16 Brauner Sichler . 5,38 :3,60 | 86,8 54,1 3,04 a 9,2 Rosenstar . 8% 2,80 :2,13 6.75 17.4 0427.10. 24.902.953 Eichelhäher . . . . | 3,06 :2,35 8,9 20.9 0,578 27,04.1. 89,9 Rohrweihe. .. . . 4,94 :3.9 39,3 57,0 SER, BSD NND Habichtsadler . . . | 6.83 :5.16 96,0 103.0 9,4 97:07 ,093 Waärstalkes), :". . 54 :4,16 | 49,5 65,5 4,34 | 66,0 | 9,86 Grosser Raubwürger | 2,66 :1.91 5.10 14,6 031.2,0021.97,1%99:35 Alpenschneehuhn. . 4,32 :3,07 | 21,5 38,0 1,65 43,4 | 9,38 Ringellumme. . . . | 8,68 :5,38 132.0 13,0, | 14,10. | 108,0: | :9,40 SSR Ay? 3,03 :2,13 7,25 18,6 0,472 25,4 | : 9,40 Kleiner Schwalben- | sturmvogel 2,13 :2,03 3,9 16.0 0,37 23.1 9,50 Dlassgans !\. 9.2 8. 7,27 29,24 113,0 116,0 |:11,8 101,0 |. 9,50 Steppenhuhn. . . . | 4,28 :2,80 | 17,6 33,7 1,34 | 40,0 | 9,59 Habicht... ..Q.-2 5,94 :4,43 | 61,5 76,0 5,70. |. 74,6 9,55 Auerhuhn“ . 2 4.. 9,62 :4,05 | 48,5 65.3 4,36 67,0 9,60 Singschwan . 11,1 7.372 83000 225,0 | 3740 | 166,0 | 9,60 Gänsegeier 2.8 5029,19740,9: 01 298,0, - 1-180:0. 126:0° | 145,0 9,60 Weisser Storch 7,28 :5,214 105,0 | 1080 | 10,576 97,5 9,60 Span. Kaiseradler 1,23: :5,18 |125,0- | 122,5 | 13,1 107,0 9,60 Weisser Löffler . . 6,37.:4,46 | 72,0 86,5 "| 7,20 | 88,0 9,70 Zwergohreule ... . 3,15 :2,75 | 12,4 26,0 | 0,89 34,2 9,70 Binsenrohrsänger. 1,07 2.289654. 1,675 | 651817 0,085: 12,9 9,70 Eleonorenfalke. . . | 4,22 :3,26 | 23,7 | 403 | 1,90 | 47,0 | 9,70 Steppenbussard 5,22 :4,10 | 46,3 | 63,0 4,15 | 66,0 9,70 Eisseetaucher . . 9,18 :5,7..1156,0 | 145,0. | 17,90 | 123,0 9,80 222 August Pütter: Tabelle 2 (Fortsetzung). | } ‘cht | Relative . 12: | Länge: Breite = an Sn nl Schalen- (DB) en el ectürlcem| „dicke (V) ı Schale | Schale Schale | g cm cm gem. 8 me." | YY | | | Eisenter. 20... 18 :&0l 83,1 1.813. 2,92 87,0. |2°,9,80 Grönländ. Jagdfalke. 6,21 :4,65 | 70,0 |. 84,0 | 6,82 818 | 9,80 Kaiseradler ... . 7,43 :5,62 |124,0 | 121,0. |13,4 110,0 | 9,80 Zwergadler . . . . 8,69 :4,41 | 58,0 738 590 74,2 9,80 Sumpfohreule 4.02.:3,12.212°20:6 3140. 1,06 45,0 | . 9,90 Schmutzgeier . . . 6,78. ::4,95 187,0. | 96,0: 8,92 92,2 | 9,95 Norweg. Jagdfalke . 3,98 :4,47 | 62,8. |. 77,0..6,02 18,93 9,95 Teichhuhn. ... . 4,34 :3,08 | 21,6 382 | 1,79 46,8 10,0 Schmalschnabel- | lummenil.. 2.2: 7.9. 22,03: 1.106,0: |..112:0% 511,6 104,0 10,0 Wiesenralle........ 1. 3,61 :2,575| 12,75 | 26,7 | .0,95 39,6 10,0 Roter Milan... . 5,68 :4,18.°1.:52,0,. 12.624,91. 4,98 74,0. |. 10,0 Isländ. Jagdfalke. . 5,62 :4,545 | 61,0 75,5. | 591 78,5 10,0 Steppenadier. . . . 6,9. :5,54 | 112,0 112,5 12,5 112,0 10,0 Seeadler. .... . 7,18. :5,68 | 121,0 120,0.2118,2 110,0 10,0 Adlerbussard 6,0°:%4,76 | 71,8 84,0 , 7,08 84,0 10,0 Kordalk N. 0.2, 7,18 :4,60 |, 80,0 92,0 | 824 90,0 10,1 Buchtink:. 2. 2... 1,97 :1,46 2,21 8,34 | 0,125 15,0 10,1 Singdrossel 2,62 :1,97 9,96 15,0 - 0,352 | 23,9 10,2 Rothals-Nacht- | | 2 schwalbe 3,14 :2,26 850 | 20,3 | 0,586 | 28,8 10,2 Saatkrähe 22... 3,76 :2,59. ; 18,2 282 ' 104 |. 370 10,2 Steinadler . . . . . 7,48 :5,70 | 128,0 123,0 14,4 116,0 10,3 Steppenweihe 4,4 :3,46 | 27,7 45,0 2,44 54,0 10,3 Zaunkönie.....2.°. 1,642:1,245| 1,37 6,12 | 0,0745 | 12,2 10,4 Spatelente. . .. . 6,38 :4,45 | 66,2 80,4 7,0 86,0 10,4 Grosstrappe . . - . 8,08 :5,43 | 126,0 124,0 | 14,60 118,0 10,5 Kleiner Singschwan. [10,0 :6,88 | 250,0 197,0 | 32,8 166,0 10,5 Syrische Spechtmeise | 2,08 :1,51 2,5 895 | 0,15 16,7 10,5 Einfarbiger Star . . 3,14 :2,20 8,0 19,7 0,582 29,6 10,5 Mäusebussard . . . 5,42 :4,31. | 58,0 69,0 5,30 77,0 10,5 Bartgeier ...... 8,38 :6,42 | 180.0 157,0 22,0 140,0 10,5 Kleiner Gimpel 5 1,87 :1,47 | 2,12 8,05 | 0,125 15°5 10,6 Wanderfalke. .. . 5,18 :3,94 | 42,0 59,0 | 410 69,5 | 10,6 Fischadler. . . . . 6,2 :46 1:69,0 82,3 1, 88,0 10,6 Graugansı. 2. 88 :5,88 166,0 | 145,0 |19,8 136,0 10,7 Grauer Würger 2,45 :1,73 3,89 | 12,2 0,26 22 10,7 Grosser Schreiadler . 6,42 :5,48. 102,0 | 107,0 |11,6 108,0 10,7 GrylI-Lumme . 6,02 :3,86 41,3. 1, 690 4,88 74,2 10,8 'Jungfernkranich . . 8,25 :5,255 120,0 |.122,0 |15,1 126,0 10,9 Sperber... ... 4.08:3.26,.1022,3. 10 0388 2,02 52,3 11,0 Kiebitz 2... 3,48 :3,12 | 177 | 34,0 1,59 46,8 11,1 Edelfasan. 4,52 :8,55 |. 29,8 | 47,0 2,868 61,2 11,2 Pelıkantu.. 2.0.2 9,195:5,989 | 172,0 | 152,0 | 22,49 147,5 11,2 Cettis- Rohrsänger . 1183 1,32 1,67 | 6,95 | 0,10 14,4 11,2 Mauersegler . . . 2,466:1,597 | 3,28 10,3 0,224 20,5 11,3 Steindrossel . . . . 2,6 :1,85| 458 .| 14,0 0,34 24.2 11,3 Wüstenstein- | | schmätzer . 5 1,99 :1,44 2,16. | 8,45 1..0,14 16,5 11,3 Nachtschwalbe. . . 3027 22 1,99 19,0 0,595 31,4 11,5 Feldesgsfalke. . . . 5,08 :4,32 | 80,0 93,9 4,48 81,6 11,5 Haubenmeise . . . 1,62 :1,23 1,24, 5,73 | 0,075 13,0 11,6 Feuerköpfiges Gold- } | hähnchen.... .. 1,30 :1,02 0,695 3,89 | 0,0375 9:65 |: 11:6 Studien über physiologische Ähnlichkeit. 3933 Tabelle 2 (Fortsetzung). Ä N u icht Relative Länge: Breite! Ei- Fläche Gewicht Ra Schalen 5 | volumen | der der 2. di GER EN fürlccm 325 @P2) Schale | Schale | Schale cm ECM gem | :g mg Fr Zaungrasmücke . . | 1,65 : 1,26 1,41 6,15 | 0,085 | 13,8 11,6 Wiesenweihe. . . . | 4,04 : 3,32 23,9 39,8 2,25 56,5 11,6 Baatgansı. „uera.:e.. 8,63 : 5,9 138,0 153,0 | 18,4 137,0 11,7 Schwarzer Milan. . | 5,24 : 4,09 46,0 63,0 | 5,00 80,0 11,8 Merlin an. u... 3,86 : 2,95 17,6 351 | 151 45,6 11,8 Bartmeise . ..... . 1,73 : 1,36 1,66 6,85 | 0,105 15,3 11,9 Haminzo, .. .... 8,673: 5,357) 131,0 129,0 | 17,77 137,5 12,1 Kekuka....ı..,. 2,22 : 1,68 3,3 10,8 | 0,24 22,1 12,2 Speulinm.. 1.0, |. 2,2 2, 1,96 2,81 3,807 | 0,207 |” 21,2 12,6 BNachtele > 2... 3,16 2 2,27 8,4 20,5 | 0,76 37,0 12,8 Rotrückiger Würger | 2,13 : 1,55 2,69 9,43 | 0,20 21,2 12,9 Turmfalke..... . 3,12 : 2,84 15,9 31,0 | .1,69 54,5 13,8 Cistensänger. . . . | 1,49 :10,6 0,88 4,55 | 0,06 13,2 14,1 Hausrotschwanz . . | 1,93 : 1,42 2,06 802 | 0,167 20,7 | 14,3 BRebhuhn, u). . + 301 : 2,64 12,9 27,0 | 1,48 59,0 15,4 Frankolinhuhn. . . | 3,7 : 2,98 ie 32,3 6,50 | 200,0 | 48,2 14,0 :11,0 | 880 457 \- ' ELEND 15,5 :12,7 190011090 580 520 | Aepyornis maximus. [33,5 :24,0 I600 2300 Fig. 4 zeigt das Bild einer Verteilung, die sehr an eine Variations- kurve erinnert. Die gestrichelte Linie ist eine Wahrscheinlichkeits- kurve, die der Formel y = 100 - e'175 =” foJgt, wenn y die Zahl ‚der Fälle bedeutet, in denen die relative Schalendicke den Wert & hat und x von 9,5 als Mittelwert aus gezählt wird. Von den 149 berechneten Fällen liegen 97 Schalendicken, also etwa zwei Drittel der ganzen Menge, zwischen den Werten 8,0 und 11,0. Betrachtet man die Tabelle etwas genauer, so fällt noch etwas auf: uuter den relativ dünnschaligen Eiern finden sich kaum Vertreter der ganz kleinen Vögel, diese sind: dagegen unter den relativ dickschaligen un- verhältnismässig stark vertreten.- Das fällt deswegen auf, weil die Art der Vergleichung ja gerade den Einfluss der absoluten Grösse ausschalten sollte, und legt die Vermutung nahe, . dass 224 August Pütter: der Einfluss der absoluten Grösse der Vögel, denen die Eier an- gehören, einen Einfluss auf die Schalendicke hat, der bisher noch unberücksichtigt geblieben ist. So ist es nun in der Tat: Um die erste Entwicklung einer ein- . fachen Ähnlichkeitsformel nicht zu sehr zu verwickeln, habe ich zu- nächst einen Ansatz gemacht, der nur annähernd richtig ist: Es wurde der Ansatz gemacht, dass die Fallhöhe der Eier proportional ihrer Lineardimension 4 wäre. Das ist.nieht richtige, denn die ähnlichen Fallhöhen sind offenbar proportional der Lineardimension der Vögel, die die Eier legen, nicht der Lineardimension der Eier! Wir wollen die Lineardimension der Vögel mit _7 bezeiehnen. Die Ähnlichkeit erfordert also, dass die Schalendieke proportional 4 - A: ist. Ich muss hier vorereifen, um die Ähnlichkeitsbetrachtung zu Ende führen zu können. Wie in der nächsten Abhandlung nach- gewiesen wird, besteht eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Eigrösse - und Tiergrösse. Die Dimension ähnlicher Eigrössen ist 4? (1—e-7"'). Daraus ergibt sich der Ausdruck für die Lineardimension der Eier, wenn man die dritte Wurzel zieht = A - |1— e="]%, In dieser Formel bedeutet A die Lineardimension des Vogels, weshalb wir dafür _/ setzen müssen, und wir erhalten die Gleichung: 2»— All .&]. Daraus folet 4 —A-[1—e- 4) Setzen wir in die Formel A:_4° diesen Wert für 4 ein, SO erhalten wir als Ähnliebkeitsausdruck A - At: [1 — e- 77] FE Der Ausdruck für die relative Schalendicke, den wir oben ent- wickelten, und der A? lautete, muss also noch multipliziert werden mit dem Faktor ne. 23° damit wir die „spezifische Schalendicke“ erhalten, das heisst den Ausdruck für die Dicke einer Eischale, in dem der Einfluss der absoluten Grösse, soweit er unter Wahrung der physiologischen Ähnlichkeit zur Geltung kommt, völlig eliminiert ist. Da nicht von allen Vögeln, für die die Dimensionen der Eier bekannt sind, Angaben über das Gewicht der Tiere vorliegen, so . wird das Vergleichsmaterial verkleinert. Die relative Schalendicke lässt sich für jedes Ei ableiten, auch wenn man nicht weiss, wie gross der Vogel ist, der es gelegt hat; die Berechnung der spezi- fischen Schalendicke erfordert die Kenntnis der Grösse des Vogels. Studien über physiologische Ähnlichkeit. 2395 Tabelle 3. | _: Relative | Spezif. | en A jd-275| ®° Schalen- | Schalen- | a | dicke | dicke | 14.0— 100 l | Goldregenpfeifer. . . 5,6 TEE a ee 59,4 Waldschnepfe . 6,77 1.392 Go 8,3 63,0 AUbatrossmr 2.00% 23,0 1,690 | 9,45 92 69,9 Lachseeschwalbe. 3,6 1,353 ji za 9,6 68,5 Rauchschwalbe ur 2,62 1,211 8,65 10,5 75.5 Tannenhäher . ... . 9,6 1,353 BR ET. 22191 0,6 76,0 Säbelschnäbler . . . 6,85 1,396 1.4.68 10,9 78.0 Grosser Raubwürger . | » 3,14 1,240 102 79:30 11,5 82,0 IBisehreiher. 0 7 5: 11,2 ® 506 7a. 1 DES 82,0 Waldohreule 6,34 1.380 8,4 11,6 33.0 Kolkrabe . ER 8,50 1,445 3,1 11,6 83,0 Bel ren ns 7,70 1,420 16758 11,9 84,5 SE ne ERDE SE 4,3 1,300 9,4 12,2 87,0 Nachtreiher. ... . 8,5 1,445 8.9... 12,2 37.0 Eichelhäher. . . . 5,0 1,33 9,3 12,3 88,0 Felsentaube.. . 7,04 1,40 8,8 12,3 88,0 Birkhuhn.. . ...2..% 10,6 1,485 8,25 12,3 88,0 HlaselBuhn:42/....u8 .. 7,20 1.406 8,86 12 HR NS) Baumfalke ..... 8,00 1.430 8,75 12,6 90,0 Maldkauz. li... 2. 1 1,532 8,30 12,7 91,0 Siagdrossel . . . .". 4,49 1,308 10,20 13,2 94,0 Kuttengeier . . . .. her, 1,521 S,7 13,2 94,0 Alpenschneehuhn 8,38 1,441 9,38 13,4 95, Beibicht. 14... > 8,40 1,442 9,55 13,7 98,0 Feuerk. Goldhähnchen 2,15 1,180 11,6 13,8 98,5 Haubenmeise . . ö 2,30 1,189 11,6 13,9 99,0 Mauersegler . : 3,21 1,242 11,3 14,0 100,0 Saatkrähe. . . . . 1.98 1,428 10,2 14,2 101,4 Teichhuhn . . . . 8,38 1,441 10,0 14,4 103,0 Nachtschwalbe 5 3,95 1,28 11,5 14,83 - 105,0 BEOECHW AL a; 1a,1 1,545 9,6 14,8 105,0 Auenhuln a... 13,8 1,556 9,6 15,0 107,0 Schmutzgeier . : 12,0 1,530 9,95 15,2 108,0 Sperber. 7. na. 6,3 1,378 .11,0 15,2 108,0 Kiebitz . A 6,0 1,368 11,1 15,3 110,0 Mäusebussard . . . . 9,26 1.465 10,5 15,4 111,0 Wanderfalke 8,35 1,440 10,6 | 15,4 111,0 Sperling % 2,9 1,226 12:67,21,.15:9 111,5 Gänsegeier . . .. . 19,6 1,641 9,6 15,7 112,0 Seeadler. a... de 16,7 1,582 10,0 15,8 113,0 SCHWAIL I N Wr 21,2 1,666 96 116,0 114,0 Graugans, 7 are 12,6 1.539 10,7 16,4 117,0 Fischadler 2 13,55 || 1,551 10,6 16,5 118,0 2Steinadler.. : .... .,. LP u] 1,607 10,3 16,6 119,0 Miachtel;r... 28. 0008 4,64 1,315 12,8 16,8 120,0 Grosstrappe. . . . . Tank. > 1,666 10.5 17,4 124,0 Turmfalke. . . . . . Ba 7er. 18,8 19,0 135,0 Bebhulm...r%, + .,.®. 7,04 1,400 ı 154 21,5 153,0 Die vorstehende Tabelle 3 gibt im zweiten Stabe die Lineardimen- sionen des Vogels -/, im dritten den Zahlenwert des Ausdruckes 1 ENT FON . d 2 > . MN |1—e--77] °, im vierten die relative Schalendicke und im fünften Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. . 15 226 August Pütter: die spezifische Schalendieke. Man erkennt, dass die Werte für die spezifische Schalendieke sich wieder um einen Wert kerum stark an- häufen, und zwar um den Wert 14,0. Setzen wir diese spezifische Schalendieke, wie sie etwa die Haubenmeise, der Mauersegler, die Saatkrähe und das Teichhuhn haben — 100, so erhält man eine neue Reihe von Zahlenwerten, die der letzte Stab der Tabelle 3 gibt; diese Zahlen ermöglichen in einfachster Weise die Vergleichung der Schalendieken. Von den 48 Eiern, auf die sich die Vergleichung stützt, haben vier eine spezifische Dieke von weniger als 70, drei eine solche zwischen 70 und 80, ® zwischen S0 und 90 liegen 11 Werte, een b) 100 » 110 ” 8 ) O2 10 „> und. über 120 gehen nur 3 Werte hinaus. Auffallend dünnschalig sind die Eier des Goldregenpieifers, der Waldschnepfe, des Albatros und der Lachseeschwalbe. Ziemlich dünnschalig auch noch die Eier der Rauchschwalbe, des Tannen- hähers und des Säbelschnäblers. Besonders diekschalig sind die Eier der Grosstrappe, des Turm- falken und des Rebhuhns. Für das Frankolinhuhn kenne ich das. (zewicht nicht, doch dürfte die spezifische Dieke etwa 480 betragen, das heisst, dies Ei ist fast 5mal so diek als ein normales Vogelei. Die grosse Mehrzahl der verglichenen Eier sind in bezug auf ihre Schalendicke sehr nahe physiologisch ähnlich. Es liegt nicht im Sinne dieser Vergleichungen, die biologischen Beziehungen der Dünnschaligkeit oder Dickschaliekeit aufzuzeigen. Wäre es möglich, Beziehungen dieser Eigenschaften zum Kalk- gehalt der Nahrung oder zu anderen physiologischen Grössen nachzuweisen, so wäre das vergleichend-physiologisch von wesent- ichem Interesse, denn die Physiologie fragt nach dem Mechanis- mus (oder Chemismus) des Geschehens in den lebenden Systemen und überlässt es der Biologie, die Bedeutung zu zeigen, die eine bestimmte Eigenschaft im Leben des Individuums und damit im Leben der Art hat. Für jede biologische Betrachtung aber gibt diese Untersuchung über die relativen und spezifischen Schalendicken die sichere Grund- Studien über physiologische Ähnlichkeit. 2937 lage. Wir sind nicht mehr darauf angewiesen, für ein Ei, dessen Dünn- oder Dickschaligkeit wir zeigen wollen, ein Vereleichsei von derselben Grösse zu suchen, das ein Vogel von bestimmter Grösse gelegt hat, sondern wir können auf Grund der Ähnlichkeitsformel nachweisen, ob und um wieviel die spezifische Dicke eines Eies von der Normaldieke abweicht, das heisst, wir können die Wirkung der absoluten Grösse auf die Schalendieke rechnerisch ausschalten und sind dann sicher, dass die Unterschiede, die noch bestehen bleiben, „spezifisch“ sind. III. Ähnliche Eigrössen bei Vögeln. Bei der Vergleichung der Eigrössen der Vögel kann man von den folgenden ‚Erwägungen ausgehen: Das Vogelei stellt seiner grossen Masse nach ein Sekret dar, das von bestimmten Drüsen be- reitet wird. Wenn diese Drüsen bei verschieden grossen Vöeeln einander „ähnlich“ sind, so müssen sich ihre sezernierenden Flächen wie die Quadrate der Lineardimensionen, also wie /?, verhalten, und die Sekretmengen, die pro Zeiteinheit von der Flächeneinheit ge- liefert werden, müssen unter gleichen Bedingungen konstant, das heisst bei allen Vögeln dieselben sein. Wenn diese Voraussetzungen zutreffen, so ist die Eierösse pro- portional 4°, proportional einer Konstanten «a, die angibt, wieviel Sekret pro Flächeneinheit in der Zeiteinheit geliefert wird, und pro- portional der Zeit ?, während welcher die Abscheidung der Stoffe erfolgt, die in einem Ei vereinigt werden. Soll die physiologische Ähnlichkeit gewahrt sein, so müssen sich diese Zeiten, während deren der Inhalt eines Eies produziert wird, wie die Lineardimensionen verhalten. Die Dimension des Eiinhaltes (#) ist also: N ehe una u Her en) und da ? von der Dimension / sein soll, ist ARE Ra EEE rl) Die Grösse a bedeutet die Sekretmenge, die pro Zeiteinheit von der Flächeneinheit der eibereitenden Organe geliefert wird. Diese Sekretmenge ist abhängig von der Konzentration der Stoffe, die zur Bereitung der Eisubstanz dienen, und die die ei- bereitenden Organe aus dem Blut entnehmen. Diese Stoffe stammen in letzter Linie aus der Nahrung, und die Höhe ihrer Konzentration 15* 228 August Pütter: im Blut hängt dementsprechend von der Menge der Nahrung ab, die in der Zeiteinheit zugeführt wird. Ähnliche Nahrungsmengen verhalten sich wie die (Juadrate der Lineardimensionen, also wie 4?. Sie werden im Blut verteilt. dessen Menge proportional A? ist, so dass ihre Konzentration von der Dimen- 92 sion ist. Die Ernährung zweier Tiere kann auf sehr verschiedenem Niveau „ähnlich“ eingestellt sein. Geben wir zwei Tieren nur eben die zum Grundumsatz hinreichenden -Futtermengen, so stehen diese bei ver- schieden grossen Tieren ebenso im Verhältnis 4? wie die grössten Mengen, die die Tiere überhaupt verarbeiten können, wenn man ihnen Nahrung im Überfluss bietet. Für die Geschwindigkeit der Eiproduktion muss die relative Menge der Nahrung von wesentlicher Bedeutung sein. In welcher Weise sie zum Ausdruck kommt, zeigt die folgende Überlegune. Bei einer gewissen — geringen — Futtermenge kann sich das Tier gerade erhalten, kann aber keine Eisubstanz produzieren. Die Menge des Futters, die bei diesem Zustande in der Zeiteinheit zu- seführt wird, wollen wir — 1 setzen. Wenn noch so viel Futter zur Verfügung steht, so kann das Tier doch nicht mehr als eine gewisse Menge, die physiologisch begrenzt ist, aufnehmen. Diese Menge sei mmal so gross als die des Erhaltungsfutters. Wird die Futter- menge m aufgenommen, so erfolet die Abgabe der Eisubstanz so schnell, wie es physiologisch überhaupt möglich ist. Beträgt die aufgenommene Futtermenge n, wo n>1| ' Eivolumen gewicht | 1 | E Me = g | come Feuerköpf. Goldhähnchen. . 0 00 915. 2200 Haubenmeise . :. . .. ... 13 2,30 1,24 | 2,00 Rauchschwalbe .,. ... ..; 18 | 2,62 | 1,76 | 2,17 Grosser Raubwürger . . . . 31 | 3,14 | 5.05 | 3,91 Mauersegler. ..... ...... 3 a SA 3,28 | 2,48 Nachtschwalbe . . ... .. 62 | 3.95 | 7,9 3,39 Studien über physiologische Ähnlichkeit. 2331 Tabelle 4 (Fortsetzung). Tier-- | Eivolumen | gewicht | 2. | E 1 - g | | ccm Staa Sl ! N 80 4,3 1,25 2,175 Simedrosseld. .... 2, 90 4,49 5,80 2,10 NMiachteläwee. u RN 100 4,64 3,48 2,78 Bichelhäher ..,... a2 0. 125 5,00 8,9 2,94 tannenhaheur. sa ee: 175 9,60 10,3 2,40 Goldregenpfeifer . . . . . . 175 5,60 31,8 7,3 Lachseeschwalbe. 175 3,60 30,0 6,7 Kiebitz . N RL ERIBE 215 | 6,00 17,7 32 Sperber may: 1 a an. S 250 | 6,30 22,7 3,55 Turmfalke BIRNEN 250, 1 6.30 15,9 2,64 Waldohreule STD EIBAR L 255 , 6,34 22,7 3,98 Wäldsehnepte 1.2.2... | 310 6,77 26,9 3,99 Sabelschnäbler.ı au 2.0 2: 325 | 6,85 31,2 4.00 Relsentaube 4 1 2.0.22... 350 - | 7,04 102 2,40 Rebhuhn . Ne RR 4 330. | 7.04 12,9 2,05 Haselhuhnt ra een 2 m 375 122 18,2 2,44 Mriell. ı. NEN LS CRR 460 ar 40,0 4,08 Saatkralen su es: 500 7,93 13,2 1,825 Baumfalke . NR 510 8.00 Zoll 2,63 Wanderfalke N u 580 8,35 42,0 3,63 Alpenschneehuhn . . .. . 590 8,38 21,4 2,16 Teichhuhn RL 390 3,38 21,6 2,25 Habicht Ba 600 8,40 61,0 4,95 Kolkrabensiie na m 615 S,50 27,4 2,95 Nachtreiher . El 615 8,50 31,8 2,83 Mäusebussard. Ki Mr, S00 9,26 53,0 395 Haushuhn. . N. Ss>0 9,5 44,0 3,04 Birkhuhn . a 1 200 10,6 36,0 2,22 Fischreiher . . 3 1410 11,2 61,5 3,00 Kuttengeier . 1600 07 235,0 10,2 Schmutzgeier 1705, 2002. 1220 87,0 3,49 Waldkauz. . Ta el 34.8 1,90 Graugans. . 2020 ° | 12,6 166,0 5,60 Storch . Be, 2.265 13,1 105,0 3312 Auerhuhngen en... 2650 | 13,8 48,5 1,96 Tuschadlen Armes u! 2500 13,55 69,0 23,46 Seeadleryr en. 4 700 16,7 121,0 2,65 Steinadler sms 3 000 17,1 128,0 2,68 Gänsegejen, ve a. 7500 19,6 228,0 2,22 Schwan Ku lSarn. 9 600 21,2 300,0 3,07 Grosstrappesar a ae 9600 | 21,2 126,0 2,06 STLAUSSEL FRE ER. .10010005° 558,0 1090,0 10 19,43 Wir können aus dieser Zusammenstellung ersehen, dass es Gruppen von Vögeln gibt, deren Eier sich in bezug auf ihre Grösse so verhalten, als ob sie Nahrungsmengen aufnähmen, die das gleiche Vielfache des Grundumsatzes betrügen, und als ob auch alle anderen Ähnlichkeitsbedingungen, die wir oben entwickelten, bei ihnen gewahrt wären. So sind bei einer Ernährung mit dem 2,0- bis 2,22fachen des Grundumsatzes in bezug auf die Eiproduktion \ 232 August Pütter: physiologisch ähnlich: Haubenmeise, Rebhuhn, Grosstrappe, Sing- drossel, Alpenschneehuhn, Rauchscehwalbe, Birkhuhn. Mit einer Ernährung = dem 2,4—2,55 fachen des Grundumsatzes produzieren ähnliche Eier: Tannenhäher, Felsentaube, Strauss, Hasel- hubn, Fischadler, Mauersegler, Eichelhäher, Kolkrabe. Dieser Gruppe stehen mit einer Nahrung von 2,63—2,68 sehr nahe: Baumfalke, Turmfalke, Seeadler, Steinadler. Ein Kostmaass von 3,2—3,6 erfordern zur physiologischen Ähnliehkeit: Kiebitz, Gänsegeier, Nachtschwalbe, Schmutzgeier, ‘Sperber, Mäusebussard, Waldschnepfe, Waldohreule. Und noch etwas grössere Nahrungsmengen erfordert die folgende Gruppe: Grosser Raubwürger, Storch, Säbelschnäbler, Triel. Bei dieser Vergleichung ist vorausgesetzt, dass sich die Zeiten, innerhalb deren ein Ei produziert wird, wie die Lineardimen- sionen verhalten. Wir setzen die Zeit der Produktion eines Eies beim Huhn mit 24 Stunden an. Es wären dann die Eier der ver- glichenen Vögel nur dann bei den angegebenen Futtermengen ein- ander ähnlich, wenn sie in Zeiten produziert würden, die die folgende Tabelle 5 für einige Beispiele gibt. Das Goldhähnchen müsste danach bei einem Futter, das dem 1,63fachen des Grundumsatzes entspricht, in 5,42 Stunden ein Ei von 0,695 ccm liefern, der Storch mit einer Futtermenge vom 3,72fachen in 33 Stunden ein Ei von 105 eem, der Strauss bei 2,43facher Nahrungsmenge in 134 Stunden ein Ei von 1090 cem. Dass der Strauss nicht in 134, sondern etwa in 43 Stunden ein Ei legt, wurde schon erwähnt. Tabelle >. 1 | Zeit für ein Ei Stunden Goldbähnchen. „um ns. n.: 2,15 9,42 Singdrossele. a. 2. 0. a an % 4,49 | 11,3 Belsentaubensar...s he 0 ee 7,00 | 17,70 Haushuhnsaae 2 2. en 9,50 | 24,00 Waldkauza run ae 12,10 31,0 SOLCHE SR ee 13,10 33,0 Steimadleratk an ee 17,10 49,2 Gänseoeie, an N 19,60 | 49,5 Grosstrappe N a 21,2 39,4 Schwan a N ee 21:2 39,4 STEAUSSES Re A ee 53,0 | 134,0 Wenn wir nunmehr den Fall betrachten, dass die Zeiten, inner- halb deren ein Ei produziert wird, nicht im Verhältnis 4 stehen, Studien über physiologische Ähnlichkeit. 233 ‘so müssen wir von der Gleichung (1) ausgehen, d. h. wir dürfen diese Zeiten nicht als / bezeichnen, sondern als t und erhalten als Ähnlichkeitsausdruck die Gleichung: Dre Ne Nu ar: Die Zahl b hat jetzt einen anderen Wert, sie ist—0,272-9,5 — 2,6. Diese Gleichung können wir nach zwei Riehtungen auswerten, wir können einmal n und einmal ? als konstant ansehen und dann jedesmal die andere Grösse berechnen. Wenn wir ? als konstant ansehen, d. h. wenn wir annehmen, dass bei allen verglichenen Vögeln die Zeit, die zur Bildung eines Eies nötig ist, einen Tag be- trüge, so können wir angeben, mit welchen Nahrungsmengen die verschiedenen Vögel diese Leistung vollbringen, soweit sie einander ähnlich sind. Wir berechnen den Wert der Nahrungsmenge n aus der Gleichung: DR dt Ze Andererseits können wir fragen, in welcher Zeit die verschiedenen Vögel ein Ei produzieren würden, wenn sie alle Futtermengen im Werte eines bestimmten Vielfachen des Grundumsatzes verzehren würden. Setzen wir die Nahrungsmenge zum Beispiel gleich 2,5 des Grundumsatzes, d.h. n—=2,5, so können wir die ‚ähnlichen Zeiten, die dann zur Bildung eines Eies nötig wären aus der Gleichung berechnen: E=36-42-t[1—e-18 47] In der folgenden Tabelle 6 sind die beiden Rechnungen durch- geführt. Im zweiten Stabe der Tabelle ist angegeben, bei welcher Futter- menge die Vögel Eier von ähnlicher Grösse liefern würden, wenn sie in 24 Stunden ein Ei legen. Im dritten Stabe ist die Zeit in Tagen angegeben, innerhalb deren Eier von ähnlicher Grösse ge- liefert werden würden, wenn die Nahrungsmenge bei allen ver- glichenen Vögeln das 2,5fache des Grundumsatzes betragen würde. Tabelle 6. = t in Ta- | tin Ta- en gen für | je gen für \t=konst. |, _ 9,5 \t=konst.|,, _ 95 "Goldhähnchen . . | 1,295 | 0114 | Starı. ... 169 10515 Haubenmeise. ... , 150 - | 0,190 Singdrossei . 1,47 0,355 Rauchschwalbe . . 1,274 0,230 Wachtel Eye AT! 0,550 Gr. Raubwürger . | 1% 0,520 Eichelhäher. .. ' 1,745 | 0,535 Manersegler ... . | 1,38 | 0,24 Tannenhäher g 1,18 0,545: Nachtschwalbe . . 1,82: 1.0580 Goldregenpfeiter . 3,15 1,68 234 August Pütter: Tabelle 6 (Fortsetzung). & t in Ta- a tn 2la- | nn gen für Bi ai gen für |t=konst. | ,, —_ 2,5 sonst: n— 25 Lachseeschwalbe . | 3,60 | 1,6 Nachtreiher.. . . | 3,28 1,44 Kiebitz DA] 085 Mäusebussard .. | 34 ı 158 Sperber)... 210% 222,90 1,03 Haushuhn.0° 2.100.3022..2129 “Eurmfalkei... 2.2.21 9,00 0,72 Birkhuhn . . . . 2,4 1.09% Waldohreule . . . 2,59 1,03 Fischreiher . . . Dar 152 Waldschnepfe . . , 2,66 1,12 Kuttengeier.... . 18.09 Säbelschnäbler . . 303.1: 21,31 Schmutzgeier . 40 .212,0 'Felsentaube 1,99 0,69 Waldkauz. . . . 2,15 0,19 Rebhuhn. . 1,13 0,515 | Graugans.. ... . 71,10.°2,%.3,98 Haselhuhn . 2,00 1,72 Storch 3. u. 445 | 2,15 Triel 5 3,93 1,46 Auerhuhn. . . . 2,4 0,97 Saatkrähe 2... 1,67 | 0,47 Fischadler 3,18 1,41 Baumfalke 2. O2 20,9 Seeadler . . 4,0 1,95 Wanderfalke . . . 3,18 1,41 Steinadier. . 4,0 3,00 Alpenschneehuhn . 2,00 0,72 Gänsegeier . 6,1... 340 Teichhuhn . 2.00,2::0,42 Schwan. Ze... 6,2 3,16 Habicht . . 4,0 22:03 Grosstrappe . - - 34 1,57 Kolkrabe 2,40 1,25 Strauss. 2a: 9,8 Sie Diese Betrachtungen zeigen, dass die Frage, ob die Eier ver- schiedener Vögel in bezug auf ihre Grösse einander ähnlich sind, nur dann eindeutig beantwortet werden kann, wenn die Zeiten- bekannt sind, innerhalb deren ein Ei bei einer bestimmten (be- kannten) Futtermenge produziert wird. Sind die Zeiten unbekannt, aber die Futtermengen be- kannt, so führt die Ähnlichkeitsbetrachtung nur zu einem bedingten Ergebnis, das die Form hat: wenn die Zeiten, in denen ein Ei produziert wird, in einem bestimmten Verhältnis stehen, das sieh aus der Ähnliehkeitsgleichung ergibt, dann sind die Eigrössen ähnlich. Sind die Zeiten bekannt, aber die Futtermengen unbekannt, so hat das Resultat der Ähnlichkeitsbetrachtung die Form: wenn die Futtermengen in einem bestimmten Verhältnis stehen, das sich aus der Ähnlichkeitsgleichung ergibt, dann sind die in den bekannten Zeiten produzierten Eier einander in der Grösse ähnlich. Sind die Zeiten und die Futtermengen unbekannt, so muss für eine dieser Grössen die Annahme der physiologischen Ähnlichkeit gemacht werden, und die Ähnlichkeitsgleiehung ergibt dann das Verhalten der anderen für den Fall, dass die Figrössen physiologisch ähnlich sind. Die Ähnlichkeitsannahme besteht für die Zeiten darin, dass man sie proportional A setzt und den absoluten ‘Wert aus der Zeit berechnet, in der das Vergleichstier ein Ei liefert. Studien über physiologische Ähnlichkeit. 335 Für die Futtermensen besteht der Ähnlichkeitsansatz in der An- nahme, dass die Futtermenee ein bestimmtes konstantes Vielfaches des Grundumsatzes sei, dessen Zahlenwert bei dem Versleichstier ermittelt ist. Unter der Annahme ähnlicher Zeiten sind die Werte für n in Tabelle 4 berechnet, unter der Annahme ähnlicher Futtermengen, die — 2,5 des Grundumsatzes sind, sind die Werte für # in Ta- belle 6 berechnet. Die Futtermengen, die während der Zeit der Eiproduktion ver- zehrt werden, sind vorläufig stets unbekannt. Wenn wir für die Zeit, in der ein Ei produziert wird, die An- gabe haben wie für den Strauss, der in 2 Tagen ein Ei von ca. 1090 cem Inhalt lest, so kann man daraus berechnen, dass die Grösse des Strausseneies dem einer Legehenne, die das Dreifache ihres Grundumsatzes an Futter bekommt und täglich ein Ei legt, ähnlich sein würde, wenn der Strauss täglich das 5,1fache seines Grund- umsatzes an Futter verbrauchte. Wird also nun durch direkte Be- stimmung ermittelt, dass der Strauss das 5.lfache seines Grund- umsatzes an Futter verarbeitet, so ist damit erwiesen, dass die Ei- erössen von Huhn und Strauss in der Tat einander ähnlich sind, das heisst, dass die Flächen ihrer eibereitenden Organe im Verhält- nis der Quadrate der Lineardimensionen stehen und bei gleicher Konzentration der Nahrungsstoffe im Blut pro Flächeneinheit gleich- viel Material zur Eiproduktion liefern. Dieses Beispiel mag Anregung geben zu weiteren Feststellungen über die Futtermengen, die die Vögel verarbeiten, und die Zeit, in der sie Eier produzieren, sowie zur Durchführung der Vergleichungen, die sich dann, wie ich gezeigt habe, durchführen lassen. In dem einfachsten Fall einer vollen physiologischen Ähnlichkeit ist die Dimension der absoluten Eigrösse gegeben durch den Aus- druck 48 (1 e, DA), Daraus ergibt sich ohne weiteres die Dimension der pro- zentualen Eigrösse, wenn man den Ausdruck durch die Dimension des Gewichtes, das heisst durch 4? dividiert. Die Dimension des Eigewichtes in Prozenten des Tiergewichtes hat dann den Wert (1—e-®R-DFT), Der Zahlenwert dieser Funktion für die ver- schiedenen Werte von A ist in Fig. 5 dargestellt für den Fall, dass n—1=1/9 ist. 256 is August Pütter: Da für Vögel, die dem Huhn streng ähnlich sind, b = 0,272 und n—1=2 sein muss, so ergibt sich, dass ein Vogel von 1 (Gewicht, dessen Lineardimension 1,0 ist, ein Ei produzieren muss, das 0,272 (1—e795) — 0,11 g oder 11°o des Tiergewichtes wiest, und dass es diese Leistung in 24:9,5 — 2,52 Stunden voll- bringt. Es sei hier nur darauf hingewiesen, dass diese Art der Ver- gleichung der Produktion von Eisubstanz durch die eibereitenden Organe der Vögel sich allgemein auf die Vergleichung von Sekret- mengen anwenden lässt, wodurch die Resultate dieses Falles ein all- semeines Interesse gewinnen, auch abgesehen von ihrem Wert als Beispiel einer Ähnlichkeitsbetrachtunge. 46 DEE EZ ER a ET a EN ET TE | IV. Ahnliche Brutdauern. Um den Begriff der ähnlichen Brutdauern zu bestimmen, das "heisst, um durch eine Formel auszudrücken, in welchem Maasse sich die Brutdauer mit‘der Lineardimension ändern muss, wenn die physio- logische Ähnlichkeit gewahrt bleiben soll, muss man zunächst die Vorgänge genau zereliedern, die bei irgendeinem Vogel während der Bebrütung des Eies vor sich gehen. Wenn es gelingt, die Gesetz- mässigkeit dieser Vorgänge bei einem Vogel aufzudecken, so kann man angeben, welehe Änderungen die Brutdauer erfährt, wenn sich die Lineardimension A des Vogels ändert, ohne dass dabei quali- tative Veränderungen der Eigenschaften seiner lebenden Substanz eintreten. . Nur für einen Vogel haben wir genügende Daten zu einer solchen Analyse. Es ist das Haushuhn, und unsere Ähnlichkeitsreihe knüpft dementsprechend an diesen bekannten Vogel an. Studien über physiologische Ähnlichkeit. 2337 "Über den Verlauf des Wachstums des Hühnchens im Ei haben wir genaue Angaben von Hasselbach!), die hinreichen, um das Gesetz des Wachstums im Ei, des Wachstums während der Be- brütung, aufzustellen. Die folgende Tabelle 7 enthält die beobachteten und berechneten Werte für das Gewicht des Hühnchens an den einzelnen Tagen der Bebrütung. Die Berechnung des letzten Stabes der Tabelle ist nach der Formel y = 31 (1 — e” 0,000009.1#) durchgeführt, in der y das Gewicht zu der Zeit t (in Tagen gemessen) bedeutet und die Zahl 0,000009 die Kennzahl der Kurve ist, von deren Grösse die Steil- heit der Kurve abhängt. Allgemein geschrieben hat diese Formel die Gestalt: 1 — Ball — ea aa sieh) B bedeutet das höchste Gewicht, das das Hühnchen im Ei über- haupt erreichen könnte, und die Kennzahl der Kurve % kommt ebenso wie die Zeit ? in der vierten Potenz vor. Der Wert für k* "ist 0,000009, das heisst die Kennzahl selbst ist # — 0,05477. Über den Grenzwert B ist noch einiges zu sagen. Das Hühnchen schlüpft aus dem Ei, bevor aller Dotter aufgebraucht ist. Würde es nicht ausschlüpfen, so könnte es noch den Rest des Dotters zu weiterem Wachstum aufbrauchen und könnte infolgedessen noch etwas schwerer werden, als es beim Auskriechen in der Tat ist. Tabelle 7. Wachstum des Hühnchens im Ei. Alter Gewicht Alter Gewicht des Embryo | pebbachtet | berechnet des Embryo | yeobachtet | berechnet in Tagen 8 g in Tagen g | & 3 0,004 1° 0,021 12 5,674 5,85 4 0,034 0,064 13 1,543 7,75 5 0,155 0,156 14 10,005 “10,00 6 0,373 0,36 15 12,285 12,40 7 0,615 ‚0,68 16 15,210 15,0 3 1,2007 7 103 17 17,500 13,2 9 2,040 1,93 18% 21,545 20,7 10 2890 |: 2% 21 28,0 28,0 11 | 4.306 10 AN 6) | [31,0] ' - BL0] Das Gewicht des Eiinhaltes unmittelbar nach dem Legen be- trägt 44 g, das Gewicht des ausschlüpfenden Hühnchens 28 g. 1) Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 10. 1900. 238 August Pütter: Während der Bebrütung sind 11,7 g veratmet worden. Es sind also noch 4,3 g Dotter vorhanden. Würden diese mit demselben Nutzeffekt ir Leibessubstanz des Hühnchens umgewandelt, wie dies während der Bebrütung geschieht, so könnten noch weitere 2,7 g produziert werden, und das Endgewicht würde 30,7 oder rund 31 & betragen. Die Formel für das Wachstum des Hühnchens im Ei, saet also aus: das Wachstum erfolgt so, dass es einem Grenzwerte zustrebt, der 31 g oder 70 °/o des Gewichtes des Eiinhaltes unmittel- bar nach dem Legen beträgt. Der Verlauf des Wachstums wird durch eine Exponentialkurve gegeben, die sowohl die Wachstums- zahl % wie die Zeit t in der vierten Potenz enthält. Eine theoretische Begründung dieser Formel werde ich an anderer Stelle geben, wenn ich die Wachstumskurven der Tiere analysiere. Hier sei nur folgendes betont: Die Gleichung des Wachs- tums im Ei, wie sie hier geschrieben ist, ist nicht 'ganz exakt. Die theoretische Ableitung führt auf eine Gleichung von der Form: ae e-W 349-3] AZ ahetenae — Bl. al, © \ we] Be: Deren — nn 2 nähert sich aber schon für kleine Werte von 4 dem Grenzwerte 1,00. NRechnet man nach dieser Formel die Gewichte des Hühnerembryo, so ergibt sick nur für den dritten Tag eine nennenswerte Abweichung von der Näherungsformel, und zwar ist der nach der genauen Formel berechnete Wert für den dritten Tag — 9,8 mg, während die Näherungsformel 21 mg und die direkte Beobachtung 4 mg gibt. Für den vierten Tag, an dem die Beobachtung 54 mg ergibt und die Näherungsformel 64 me, er- gibt die exakte Formel 58 mg. a.e— 98 Die Vereinfachung, die der Ähnliehkeitsausdruck dadurch ge- winnt, dass wir nur die Grösse %*1* im Exponenten berücksichtigen, kann sich höchstens bei den allerkleinsten Vögeln merkbar machen. Für das vorliegende Beobachtungsmaterial reicht die vereinfachte Betrachtung völlig aus. Versleicht man die beobachteten und berechneten Werte für die Gewichte an den einzelnen Bruttagen, so ergibt sich, dass nur am dritten Tage, dem ersten der Beobachtung, ein sehr grosser und am folgenden vierten Tage ein merklicher Unterschied zwischen Be- obachtunge und Rechnung besteht, was, wie gesagt, an der Verein- Studien über physiologische Ähnlichkeit. 239 fachung der Formel liegt. Für alle anderen Tage ist die Überein- stimmung zwischen Beobachtung und Rechnung sehr gut. Aus dieser Analyse des Verlaufs der Vorgänge im Hühnerei ergeben sich nun die Ansätze über die Ähnlichkeit der Brutdauern in folgender Weise: Wenn grössere oder kleinere Vögel dem Huhn in bezug auf die Vorgänge bei der Bebrütung physiologisch ähnlich sind, so müssen bei ihnen 1. das Wachstum im Ei nach demselben Gesetz erfolgen wie beim Huhn, das heisst, dies Wachstum muss darstellbar sein durch die Gleichung: y—= B(1— e*t), 2. es muss ferner das Gewicht des ausschlüpfenden Vögelchens den gleichen Prozentsatz des Eigewichtes darstellen wie-beim Huhn, das heisst, das Gewicht des auskriechenden Vogels muss 03 °/o des Eigewichts sein, und es muss endlich 3. das Grenzgewicht 5, dem das Wachstum im Ei zustrebt, ebenso wie beim Huhn —= 70°/o des Eigewichts sein. Wenn wir diese Bedingungen dadurch in einer Gleichung ver- einigen, dass wir den Wert £ in der obigen Gleichung als die Brut- dauer (in Tagen) bezeichnen, für y den Wert 63 °/o des Eigewichtes und für 5 70°/o des Eigewichtes setzen (das Eigewicht unmittelbar nach dem Legen soll mit @ bezeichnet werden), so bekommen wir eine Ähnlicehkeitsbedingung von der Form: 06 OLD ee ld) Die absolute Grösse des Eies @ hebt sich aus der Gleichung heraus, und wenn wir sie auflösen, so bekommen wir als Ähnlich- keitsbedingung: ek*t* — 10 Be 2 et — 1,28 N ee te (2) Wenn die Brutdauern zweier Vögel einander Ähnlich sein sollen, so muss das Produkt aus der Brutdauer (f) und der Wachstums- zahl (%) der Kurve des Wachstums im Ei gleich einem konstanten Wert sein, und wenn die Vögel dem Huhn ähnlich sein sollen, so muss dieser konstante Wert — 1,23 sein. Die Aufgabe, die ähnlichen Brutdauern der Vögel zu definieren, hat sich also schon zu der Aufgabe vereinfacht, die Grösse der Wachs- tumszahl % als Funktion der absoluten Grösse darzustellen. 240 August Pütter: Um den Ausdruck zu finden, der die Beziehung zwischen / und ‚der Lineardimension 4 ausdrückt, muss man von folgenden Über- lecungen ausgehen: 1. Die Zahl bezeichnet eine Geschwindigkeit, die Anfangs- geschwindigkeit, mit der das Wachstum im Ei beginnt. Ge- schwindigkeiten müssen in Ähnlichkeitsansätzen proportional der Wurzel aus der Lineardimension erscheinen, also von der Dimension VA oder A? sein. Die Geschwindickeitszahl 4 muss bei den kleinsten Tieren am grössten sein, sie muss hier einen physiologischen Grenz- wert erreichen, den wir mit ce bezeichnen wollen, und Ä muss sich zusammensetzen aus der Grösse ce und einem Ausdruck, der um so kleiner wird, je grösser 4 wird. 3. Die Form des Ausdruckes, mit dem c multipliziert werden muss, um k für jeden Wert von 4 zu bekommen, ist bestimmt durch die naheliegende Annahme, dass die Änderung von 7 um so langsamer erfolgt, je weiter man bereits von dem phy- siologischen Grenzwert für %, das heisst von der Grösse c ent- DD fernt ist. Durch die Vereinigung dieser Bedingungen kommt man für % auf die Gleichung: Bol ein) 0.8.2... 06) Für das Huhn kennen wir den Wert von %, er ist gleich /0,000909,, das heisst, er ist % — 0,05477. Da wir für einen ge- dachten Vogel von 1 g A=1 setzen, so ist für ein Huhn von 860 g die Grösse A — 9,5, und wir können daher die Zahl c aus der obigen Gleichung berechnen. 0,05477. Es ist’ ec ll -—- — (0,2, und wir haben also als weitere (1 EN or 9,572) ‚Ähnliehkeitsbedingung die Gleichung: i ke.) 2.2.0 Wir brauchen jetzt nur diesen Wert von 4 in die oben ent- wickelte Gleichung (4): kt 1.29 einzusetzen, um den Ähnlichkeitsausdruck für ? zu erhalten. Also: 02(1—e-%?)-t—=123 oder d En. ee) Wenn Vögel dem Huhn in bezug auf die Brutdauer £ ähnlich sind, so muss ihre Brutdauer durch diese Gleichung gemessen werden. Studien über physiologische Ähnlichkeit. 341 Tabelle 8. Brutdauer £ Gewicht a LI Tierart 2 beobachtet | berechnet g Tage |; Tage Feuerköpfiges Goldhähnchen 10 2,15 12 12,3 Haubenmeise 0.0.1. Bi) 2,3 13 12,8 Rauchschwalbe . ... .. 18 2,62 14 | 13,5 Grosser Raubwürger.. . . - Sl 3,14 15 14,9 Sinsdrasselie ......r 2... 90 4,49 16 16,5 Biarhtel, 3:22.27. BERNER 100 4,64 17,5 16,8 Eichelhäher. ....... 125 5,00 17 17,0 Mannenhäbere 2a... 175 3,60 18 18,0 Lachseeschwalbe. . . . . . 175 5,6 18 15,0 Sperber rt... 250 6,3 18,5 18,6 Säbelschnäbler. . ..... 325 6,85 20 19,5 Hebkukne. na cn, 350 7,04 21 19,7 Keiselhuhns = 2230.20. 500 1,93 20 20,5 Saatkrahe a ee 375 1,20 21 20,4 Batntalken 2 re | >10 5,00 21 20,7 Mteichhunn „neser ar. 390 8,38 21 21,2 HaBicht.n em le £ 600 S,40 22,5 21,3 IKolkrabeae 1.7 lt: 615 8,90 21 21,4 INgentreiber-äe rs 615 8,50 zu 21,4 Eanshuhn. us... san. 39, 360 9.5 19—24 22,2 iischreihers. 6%. .1..7, 1410 11,2 25,9 24,0 Bischadler ....... 1.7.2, NS» 2500 13,55 28 201 Aalen 2650 13,& 28 27,5 Stemadlen ze re > 000 17,1 30 28,7 Mransereier: I. en, 7500 19,6 3 30,5 IICHWATT.. ee! IRENTE 9 600 21,2 39,9 34,9 SITAUSSEH WE een 150 000 53,0 45—50 47,5 Tabelle 9. Gewicht Brutdauer Ab- ; ewic A Zu F mE e beobachtet berechnet Bo aung g Tage g 0/0 STArD SR a er: s0 4,3 13,3 16,0 — 16 Waldschnepte . . . . 310 6,77 17 19,2 — 12 Grosstrappe,- nr er 9600 21.2 28 34,5 — 20 Nachtschwalbe .. . 62 3,95 17 15,6 +9 IKebitz aa a 215 6,0 21 18,2 +15 urmtalkeı am: 250 6,3 21 18,6 +13 Felsentaube. . ... . 350 7,04 18 1957 +49 Alpenschneehuhn . . 590 8,38 23,9 21,2 + 10 NValdkauz.. one 1777 el 28 24,9 +13 Goldregenpteifer. . . le 5,6 275 | 180 +53 Waldohreule . .. . 255 6,34 28 lt + 47 ERrielier Senna er 460 1,7 28 20,2 + 88 Wanderfalke .. . . 380 8,35 28 21,0 +33 Mäusebussard . . . . 850 9,45 28 22,0 + 27 Birkhühn =: \.0. 2: 1200 10,6 28 23,9 + 18 Kuttengeier . . . . . 1600 ET >3 24,5 22 Schmutzgeier . . . . 1705 12,0 29 24,8 +17 Seeadler ap. Sun a 4700 167 41 28,3 143 Grausanst-z.... a... 2020 12,6 29,83 25,9 +15 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 16 242 August Pütter: Wie weit diese Formel eine Berechnung der tatsächlichen Brut- dauern gestattet, mögen die auf S. 241 abgedruckten Tabellen 8 und 9 zeigen. In Tabelle S sind 27 Fälle aufgeführt, in denen Beobachtung und Bereehnung sich in geradezu idealer Weise decken. Tabelle 9 gibt 19 Fälle, in denen die Abweichung zwischen Beobachtung und Berechnung 9°%o und mehr, bis zu 53 °/o beträgt. Nur drei Fälle davon zeigen eine kürzere Brutdauer, als der Ähnliehkeit entsprechen würde, in den 16 übrigen Fällen sind die beobachteten Brutdauern länger als die berechneten. In 9 von diesen 16 Fällen beträgt die Abweichung mehr als 15 %. Die Ähnliehkeit der Brutdauern erfordert, dass die Tempe- ratur der bebrüteten Eier bei allen verglichenen Vögeln dieselbe ist. Diese Anforderung trifft nicht streng zu, denn wir wissen, dass die Körpertemperatur der verschiedenen Vögel durchaus nicht ganz gleich ist, dass vielmehr Unterschiede von 2° C. und mehr vor- kommen. | . Ein Teil der Abweichungen der „ähnlichen“ Brutdauern von den wirklich beobachteten hängt sicher hiermit zusammen. Es ist auch zu bedenken, dass die täglichen Unterbrechungen, die das Brutgeschäft erfahren muss, um die Eier abkühlen zu lassen, wobei sie frische Luft einsaugen, nicht bei allen Vögeln in ähnlicher Weise zu erfolgen braucht, wodurch ‘wiederum die Dauer und der Grad der Abkühlung in etwas verschiedener Weise beeinflusst werden kann. Auch die Bauart des Nestes, der Schutz gegen Wärmeverlust, den es bietet, wird nicht überall der gleiche sein, so dass selbst bei gleicher Körpertemperatur zweier Vögel die. Temperatur der be- brüteten Eier etwas verschieden sein kann. Da nun ein Temperaturunterschied von 1° C. während der Be- brütung die Entwicklung um 10—15°/o beschleunigen oder verlang- samen kann, dürfen wir die Wirkung dieser verschiedenen äusseren Bedingungen, unter denen sich die Eier während der Bebrütung be- finden, nicht ganz gering veranschlagen. Wollen wir die Abweichungen der beobachteten Brutdauern von den berechneten ganz auf Rechnung verschiedener Temperatur setzen, so müssten wir annehmen, dass die Eier, bei denen das Ausschlüpfen früher erfolgt, als der Norm entspricht, bei einer um 1—1,5° C. höheren Temperatur bebrütet werden, die Eier mit zu langer Brut- dauer bei Temperaturen bebrütet werden, die bei Abweichungen bis Studien über physiologische Ähnlichkeit. 243 15° um höchstens 1° C. niedriger sind, als der Norm entspricht, bei einer Abweichung von 15° bis zu 32° um I—2°C. und bei Abweichungen von 32—53 oo um 2—3° C. Diese Annahmen haben nichts gegen sich, müssen aber erst dureh Beobachtungen gestützt werden. Jedenfalls zeigen diese Ausführungen, dass die Brutdauern der Mehrzahl der untersuchten Vögeleinanderin hohem Grade ähnlieh sind. | Wir können diese Einsicht noch etwas anders auswerten. In der Ähnlichkeitsbetrachtung machten wir die Voraussetzung, dass das Gesetz des Wachstums der Vögel im Ei für alle dieselbe Form habe, und dass die Kennzahl der Wachstumskurve von der Dimen- sıon ö =» sei. Das Ergebnis der Rechnung zeigt, dass sich die Mehrzahl der Vögel in der Tat so verhält, als ob diese Vor- aussetzung zutrifft. Wenn das der Fall ist, so können wir anderer- seits bei jedem bebrüteten Vogelei angeben, wie lange es bereits bebrütet ist, denn wir können ja aus der Ähnlichkeitsformel nicht nur die Zeit entnehmen, in der die Grösse von 63 °/o des Eigewichtes (nach dem Legen) erreicht wird, sondern auch die Zeiten, in denen jeder beliebige Teil der Eientwicklung durchlaufen ist. Hatten wir für die Zeit des Ausschlüpfens den Ähnlichkeits- ansatz, den Gleichung (3) gibt: MOSE OLE GA ee NR) so haben wir für die Zeiten, in denen das halbe Ausschlüpfgewicht erreicht ist, die Gleichung: 038.01. 1er Fi), 240,8) d. h. aufgelöst A*tt —= 0,6 Barth —N.STE: Die Zeiten, innerhalb deren die Vogelembryonen das halbe Ge- wicht des ausschlüpfenden Vögelchens erreichen, sind also bestimmt dureh die Gleichung: 4,36 t—: N ae ee 79) 1_e-} 2) ä Beim Huhn wird, wie Beobachtung und Reehnung überein- stimmend ergeben, des Gewicht nach 15,7 Tagen erreicht. Beim Goldhähnchen würde es nach 8,8 Tagen, beim Strauss nach 34 Tagen erreicht sein. In «der entsprechenden Weise kann man leicht berechnen, nach welcher Zeit ein beliebiger Bruchteil des Gewichts erreicht ist, den der Vogel beim Ausschlüpfen aus dem Ei hat. ‘ 16 * DAA August Pütter: Der Wert, der für die Änderung der Brutdauer mit der Linear- dimension bezeichnend ist, lautet a _ a oder (1 024.2). N OEU 3 Den Verlauf dieser Funktion stellt Fig. 6 bildlich dar. Wir haben in der vorigen Abhandlung die Eigrösse E als Funktion der Lineardimension dargestellt und fanden die Dimension von Ä BE ek). 22.0) Die Dimension der Brutdauer DB ist: Bord)... 2.2 (0) Wir sind danach unmittelbar imstande, die Brutdauer als Funktion der Eigrösse darzustellen. I\— Fig. 6. Form der Funktion ee) Wie sich aus den Gleichungen (10) und (11) ohne weiteres er- gibt, hat die Funktion die Form: & Blei B= ki 0 2] Se dl) Es Diese Gleichung bedeutet, dass die Brutdauer keine ein- fache Funktion der Eigrösse ist. Bei gleich grossen Eiern kann vielmehr die Brutdauer verschieden sein, je nach der Grösse des Vogels, der das Ei gelegt hat. Nur wenn zwei gleich grosse. Vögel gleich grosse Eier legen, müssen auch die Brutdauern gleich sein, wenn die Ähnlichkeit gewahrt bleiben soll. Sind die Eier zweier verschieden grosser Vögel von „ähnlicher“ Grösse, so müssen auch die Brutdauern „ähnlich“ sein. Einem Ei, das grösser ist, als der Ähnlichkeit entspricht, kommt eine längere Brutdauer zu; einem Ei, das kleiner ist, eine kürzere Brutdauer. Um wieviel länger oder kürzer die Brutzeit wird, wenn das Ei grösser oder Studien über physiologische Ähnlichkeit. 245 kleiner ist, als der Ähnlichkeit entsprieht, ergibt ®sich aus der Gleichung (12). Wir brauchen also nicht unbedingt anzunehmen, dass die Ab- weichungen zwischen beobachteter und berechneter Brutdauer durch eine Verschiedenheit der Temperatur während der Bebrütung be- dingt sind, sondern wir sehen, dass die berechnete Brutdauer auch in dem Falle von der beobachteten abweichen kann, wenn das Ei des betreffenden Vogels grösser oder kleiner ist, als die Ähnlichkeit es erfordert. Die genauere Betrachtung lehrt aber, dass dieser Einfluss der unähnlichen Eigrösse auf die Brutdauer nur sehr gering ist. Nehmen wir den Sperber als Vergleichstier, so ergibt die Gleichung (12) für ihn den Zahlenwert 2,9, denn 4 ist für ihn 6,3 und E = 22,7. Seine Brutdauer ist berechnet 18,6, beobachtet 18,5. Vergleichen wir hiermit die Graugans, den Goldregenpfeifer und die Waldohreule, deren Brutdauern wesentlich zu lang sind, so er- sibt sich folgendes: der Wert der Gleichung (12) ist für die Graugans. . . 4,15, das heisst die Brutdauer — 26,5 Tage, den Goldregenpfeifer 2,97, „ KR 5 — ; die Waldohreule . 2,855, . Mad == EN) Diese Zahlen sind gar nicht oder nur sehr wenig verschieden von den Werten, die oben berechnet wurden, wie folgende Zusammen- stellung zeigt: N Gold- a Grau- regen- Wald- gans | pfeifer ohreule Brutdauer berechnet nach voller Ähnlichkeit . . . 29,9...1.218,007,7190 Brutdauer berechnet unter Berücksichtigung der Ei- ESS U ET a 265 | 191 | 19,0 Brutdauen beobachtet nun a een DOSE ROTES 1E980 Wie gering der Einfluss der unähnlichen Eigrösse auf die Brut- dauer ist, zeigt vielleicht noch besser ein schematischer Fall. Nehmen wir an, eine Anzahl Vogelarten, deren Grösse durch 4 — 10 be- stimmt ist, habe sehr verschieden grosse Eier, es sei aber in bezug auf die Kennzahlen der Wachstumskurven bei der Entwicklung im Ei die Ähnliehkeit gewahrt, so können wir berechnen, wie lang die Brutdauern sein müssten, wenn die Eier einerseits nur halb so gross, andererseits doppelt so gross wären, wie der Norm entspricht. Setzen 246 August Pütter: Studien über physiologische Ähnlichkeit. wir ein Eivolumen von 40.cem als Mittelmaass, so ergeben sich für diese Eigrösse sowie für die Grössen 20 und 30 eem folgende Brut- dauern (5b): in Prozent in Tagen PB. —- 20 B— 09.5 20,3 2 — AU Bb = 100,0 22,0 Bo BB 1110 24,5 das heisst, wenn die Eigrössen um 100° schwanken, ändern sich die Brutdauern nur um 10 °/o. Wir können also den Einfluss der unähnlichen Eigrösse auf die Brutdauer vernachlässigen und kommen aus-dieser Erwägung doch wieder zu dem Ergebnis, dass es wesentlich die Verschiedenheiten der Temperatur während der Bebrütung sind, auf die die Abweichungen der Länge der Brutdauer von dem berechneten Ähnlichkeitswert zurückgeführt werden müssen. Die Entwieklungsmechanik des Herzwachstums, sowie der Hypertrophie und Dilatation des Herzens und das Problem des extrakardialen Blutkreislaufes. Von K. Hasebroek in Hamburg. (Mit 23 Textfiguren.) Inhaltsübersicht. I. Die Wirkung der Füllungsspannung auf den Herzmuskel . . . .. . 247 Il. Prüfung der Gesetzmässigkeit der Wirkung .der Füllungsspannung am kompensierten Klappenfehlerherzen. . .. .. 2... 22.2... 252 III. Die Massenverhältnisse des normalen Herzens nach Wilh. Müller in neuer Auffassung. . . .. ... TE Rn ge ER A RER N, Re 257 ve Was\schweretHerz.der"Vögely in... 1. 4.22. 0 ar, ERSTES. V. Die idiopathische Herzvergrösserung am Menschen. . ....... 305 VI. Die Frage nach der Arbeitsbypertrophie des Herzens beim gesunden INIERSCHETNME ER ae SB SS a ef a TE ER N Fey 323 VII. Die Herzvergrösserung des Neptritikers. . . .. . . ES EN 8 I. Die Wirkung der Füllungsspannung auf den Herzmuskel. An der Tatsache der Zunahme der quergestreiften Muskulatur unter Arbeit ist nach unseren geläufigen Naturbeobachtungen nicht zu zweifeln. Dies gilt auch für den Hohlmuskel des Herzens. Der Vorgang des Hypertrophierens hängt eng mit den Beziehungen der Funktion des Protoplasmas zum Lebensprinzip zusammen. Sowohl Eutrophie, die Erhaltung des jeweiligen Zustandes, als Hypertrophie sind unmittelbare Attribute des Lebens, die die lebendige Substanz von der toten scharf unterscheiden. Niemals vermag totes Material sich durch eigene innere Vorgänge zu erhalten oder zu vermehren. Leben bedeutet eben Selbsterhaltung und Selbstvermehrung. Eine 2348 K. Hasebroek: Deutung dieser Eigenschaften ist, soviel ich weiss, nur einmal von dem Pathologen Weigert versucht worden}. Weigert nimmt an, dass die bioplastische Energie ausser in kinetischer auch in potentieller Form im Gewebe vorhanden ist, die sich mindestens im Gleiehgewicht halten. Verschwindet durch Verbrauch eine Quote der Substanz, so verschwindet auch ein gewisser Widerstand gegenüber dem Wachs- tum, und letzteres geht ungehemmt vonstatten. Mit dieser Hypo- these können wir praktisch wenig anfangen, weil sie über greifbare Vorstellungen hinausgeht. Ich bin der Ansicht, dass man mit den Begriffen von Funktion und Funktionsreizen, die etwas Bestimmtes für uns bedeuten, auskommt. In dieser Beziehung kann man klar formulieren: In der lebendigen Substanz liefert die Funktion der Dissimilation zugleich die Funktionsreize zur Assimilation. Das Hyper- trophieren besteht darie, dass bei der Funktion die assimilatorischen Funktionsreize zu relativ höherer Intensität gesteigert werden. Für das Herz ist diese Vorstellung um so annehmbarer, als festgestellt ist, dass es sich beim Hypertrophieren viel mehr um eine Vergrösserung der einzelnen Zellen?) als um deren Vermehrung handelt. In diesem grundlegenden Bedingungskomplex für das Hyper- trophieren müssen wir den Schwerpunkt auf die Funktionsreize legen. Wir dürfen dies tun, da auch die moderne Stoffwechselmechanik sich zur Auslegung ihrer letzten Grundlagen dieses Begriffes für ein Ver- ständnis bedient. Rubner hat zwischen Funktionsreizen und der Wachstumszunahme gesetzmässige Beziehungen festgestellt. Man hat den Höhegrad des Wachstums unter Wahrung des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft auf bestimmte Höhegrade funktioneller Reize experimentell zurückführen können. Nun gibt das normale Wachstum des Muskels durch seinen ge- setzmässigen Stillstand nach einer gewissen Zeit, in puncto des Einflusses einer foreierten Funktion durch Arbeit aber doch sehr zu denken. Wo bleibt bei diesem phyletisch fixierten Stillstand die hypertrophierende Wirkung der keineswegs unterbrochenen Arbeit ? Man exemplifiziert so gern an dem enormen Biceps des Arbeiters und den starken Wadenmuskeln der Tänzerin. Man vergisst voll- ständig, dass es ebensoviel gegenteilige Beobachtungen gibt, wenn 1) Gesellsch. deutsch. Naturforscher und Ärzte. 1896. 2) Tangl, Hypertrophie und physiologisches Wachstum des Herzens. Virchoöw’s Arch. Bd. 116 S. 432. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 24% man darauf achtet. Auf wie viele Arbeiter, die keineswegs voluminöse- Arme haben, und die man als „sehnig“ bezeichnet, auf wie viele er- schreckend dünnbeinige Tänzerinnen stösst man nicht? Man achte im Zirkus auf jugendliche, besonders weibliche Artisten, wie sie oft mit geradezu auffallend dünnen Armen, zum Beispiel am Trapez, erösste Kraftleistungen ohne nennenswerte Vorwölbung der Biceps- muskeln exerzieren. Professionelle Läufer haben überwiegend dünne Beine. Ich habe Turnriegen untersucht: Die besten Turner sind keineswegs immer von aussergewöhnlicher Muskulatur, die sogenannten Gipfelturner erscheinen sogar häufig als hagere, schmächtige Personen.. An solchen Fällen nimmt man merk würdigerweise nie Anstoss, während man sich in demselben Zirkus von dem Paradebiceps des Athleten verblüffen lässt. Auf der anderen Seite: Es gelingt keineswegs regel- mässig durch gymnastische Arbeit eine Massenzunahme der Muskulatur zu erzielen. Ich erinnere an die fatale sogenannte reflektorische Atrophie des Quadriceps femoris, nach oft minimalem Stoss an das Knie auftretend; solehe Fälle habe ich wiederholt bei absolut normal erhaltener Kniegelenksmechanik über Monate ohne jeden Erfolg mit foreierter muskulärer Arbeit behandelt. Ich habe ferner zum Beispiel einen physiolocisch normalen zwölfjährigen Knaben, dessen linkes Bein ohne jede funktionelle Störung etwa 3 em dünner war als das rechte,. neun Monate lang mit täglicher, einseitiger, stärkster Widerstands- gymnastik traktiert, ohne dass die Differenz sich ausgeglichen hat. Alles dieses weist auf die Notwendigkeit hin, eine Einschränkung des geradezu legendär gewordenen Begriffes der Arbeitshypertrophie vorzunehmen: Nur unter ganz besonderen Bedingungen steigert die Arbeitsdissimilation die Intensität der Funktionsreize für die Wachstumsassimilation. Wir dürfen das Dogma von der Arbeits- hypertrophie nur in seiner Umkehrung bringen, indem wir sagen: Wo Hpypertrophie entstanden ist, war Mehrarbeit vorhanden. Und wir haben zu fragen: Welcher Art muss die Mehrarbeit sein, um ein Hypertrophieren zu veranlassen ? Im Jahre 1897 ist das bekannte Buch über die Herzhypertrophie von Horvath erschienen, das der Übersetzung!) durch keinen Ge- ringeren als Weichselbaum für würdig befunden ist, zugleich mit einem ehrenvollen Begleitwort. Horvath bekämpft auf das schärfste- 1) Horvath, Über die Hypertrophie des Herzens. Braunmüller, Leipzig 1397. 250 K. Hasebroek: ‚die Annahme einer Muskelhypertrophie durch jedwede Arheit. Er weist vielmehr nach, und zwar gerade für das Herz, dass die Arbeit an sich es nieht sein kann, die eine Hypertrophie erzeugt. Manches ist in den Buch vielleicht verfehlt. zum Teil weil eine viel zu alte Literatur benutzt wird, trotzdem aber ist der Kern der Horvath- schen Ausführungen genial und hält der Kritik stand. Horvath spricht als erster einen Gedanken aus, der aus den bisher unentwirr- baren Bedineungen für das Hypertrophieren eines Muskels unter Arbeit einen der wichtigsten Bedingungskomplexe herausschält: Nicht die Grösse der Arbeit, speziell nicht die der ‚Äusseren, ist das Ausschlaggebende, sondern darauf kommt es an, dass die Erregung zur Arbeit oder die Arbeit selbst den Muskel in einer grösseren als nor- malen Ausdehnung trifft (H.S. 65). Diese spezifische Arbeits- bedingung bezeichnet. Horvath wegen der von dem Physiologen Fick geschaffenen experimentellen Grundlagen über Spannung und Kontraktion als das „Fieck’sche Moment“. Es ist einer Entdeckung gleichzusetzen, „dass alle die ver- schiedenen und zahlreichen Fälle von Muskelhypertrophien, welche man von diesem neuen Gesichtspunkte aus einer genauen Analyse unterwirft, ohne Ausnahme das Vorhandensein des Fiek’schen Momentes ergeben“. Der in der Schwangerschaft stark hyper- trophierende Uterus liefert das eklatanteste Beispiel, um zu demon- -strieren, wie unter dem Fick’schen Moment bei einem Hohlmuskel die Grösse der Arbeit als erste Komponente gegenüber der zweiten Komponente einer ununterbrochen zunehmenden Füllungsspannung zurücktritt. Wenn der Kliniker Hirsch die Horvath'’sche An- schauung der Abhängiekeit der Entwicklung der Herzmuskulatur von ‚dem Fick’schen Moment als jeder tatsächlichen Begründung ent- behrend bezeichnet }), so hat er die Sache wohl missverstanden. Keineswegs soll, wie er meint, die Spannung an sich und für sich ‚allein, das Hypertropbieren bewirken; ich verstehe dieses Miss- verständnis nicht recht, denn Horvath lässt hierüber nicht den geringsten Zweifel. Um nur einiges anzuführen, so sagt dieser: „Ohne die Mitwirkung dieser beiden Bedingungen, d. h. ohne ver- stärkte Ausdehnung der Muskeln und ihre Erregung zur Kontraktion i) Hirsch, Über die Beziehungen zwischen Herzmuskel und Körpermus- ‘kulatur. Deutsch. Arch. f. klin Med. Bd. 64 S. 605. 1899. Die Enwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 351 während dieser verstärkten Ausdehnung findet auch das Fick ’sche Moment nicht statt“ (H. S. 65); ferner: „Für das Fick’sche Moment ist, wie schon früher gesagt, durchaus notwendig, dass die Erregung zur Kontraktion den Muskel bei grösserer als normaler Ausdehnung trifft“ (H. S. 107). Nur so ist überhaupt die Wirkung des Fick ’schen Momentes als gesteigertes Reizphänomen zu verstehen, wenn Fick z. B. demonstrieren konnte, dass ein Muskel bei gleicher Intensität der elektrischen Erregung ein Gewicht bald höher, bald niedriger wirft, also verschieden kräftig „arbeitet“, je nach dem Spannungs- grad, in welcher die Erregung zu seiner Kontraktion stattfindet. Jedenfalls fasse ich meinerseits — um Missverständnissen vorzu- beugen — den Horvath’schen Gedanken für meine ferneren Fr- örterungen dahin auf, dass für die Auslösung der Arbeitshyper- trophie das Zusammenfallen des Kontraktionsimpulses mit dem Moment einer gleichzeitigen optimalen Erhöhung der Spannung verknüpft sein muss. Diese Fassung des Horvath’schen Gedankens fällt für das Herz im Prinzip mit der modernen Herzdynamik zusammen. Die so frucht- baren Ergebnisse Frank’s basieren methodologisch auf der experimen- tellen Anwendung des Spannungsmomentes durch Variation der Füllungs- grade des Herzens. Die wichtigen isometrischen Spannungsmaxima hängen eng mit den Füllungsspannungen des Herzmuskels zusammen). Auch die Klinik identifiziert die eigentliche Kontraktionskraft desHerzens mit dem von der Füllung abhängigen isometrischen Spannungsmaxi- mum?). In diesem Sinne bewegtsich überhaupt in der neueren Klinik der Herzkrankheiten der Faktor der Füllungsspannung parallel mit der Grösse der vermehrten effektiven Herzarbeit, die zur Hypertrophie führt. Nun ist das Fiek-Horvath’sche Moment, wie ich es von jetzt an bezeichnen werde, beim Hohlmuskel des Herzens auf zweierlei Weise möglich: l. dadurch, dass es auf der Höhe der Diastole, in der An- spannungszeit, dureh Erhöhung der Füllung einsetzt. Ich definiere es als diastolisches Spannungsmoment. » Resultieren muss: _ eine Hypertrophie mit Tendeuz zur Dilatation. 2. dass es während der systolischen Kontraktion durch irgend- welche Beeinträchtigung des Abflusses einsetzt. Ich definiere es als l) Frank, Zeitschr. f. Biol. Bd. 32. 2) Moritz, in Marchand-Krehl, Allgem. Pathologie Bd. 2 H.2 S. 152. 2359 K. Hasebroek. systolisches Spannunesmoment. Resultieren muss: eine Hypertrophie ohne Tendenz zur Dilatation. Unter einer solchen Betrachtung löst sich das Verhältnis vom Widerstande zur reaktiven, zur Hypertrophie führenden Mehrarbeit der Herzwand in ein umschriebenes physiologisches Geschehen auf, das eine mechanische Aufdeckung der Vorgänge anstatt einer nur teleologischen Deutung — nämlich derjenigen, dass der Herz- muskel infolge eines nicht weiter definierbaren Anpassungsvermögens auf erhöhte Widerstände durch Mehrarbeit hypertrophieren muss — ermöglicht. Die von mir auch auf die Herzsystole erweiterte Anwendung ‘des Fieck-Horvath’scehen Momentes ist erlaubt, da die systolische Kontraktion nach allem, was wir jetzt wissen, keine wahre tetanische Kontraktion ist, sondern dass sie als eine Summation von einzelnen Zuckungen, mehr peristaltisch über die Muskulatur hinläuft!). Fasst man die Herzkontraktion als peristaltische Welle auf, so müssen trotz einer scheinbaren isotonischen Form der Zuekungskurve, der peristaltischen Welle Momente variierender Spannungen der Muskel- elemente folgen. Übrigens hat man physiologischerseits bereits darauf hingewiesen, dass eine peristaltische Welle über ein Hohl- organ weglaufen kann, ohne dass in der Zeit des Fortschreitens Druck und Volum sich ändern, während dennoch Länge und Spannung der einzelnen Muskelelemente sich dauernd ändern ’?). II. Prüfung der Gesetzmässigkeit der Wirkung des diastolischen und systolischen Spannungsmomentes am Klappenfehlerherzen. Das kompensierte Klappenfehlerherz gibt durch seine über- sichtliehen mechanisch bestimmten intrakardialen Blutverschiebungen Gelegenheit, den Einfluss der Füllungsspannungen unserer Definition auf Hypertrophie und Dilatation an den Tatsachen zu kontrollieren. Ohne weiteres erkennt man, dass die stärkste dilatative Hyper- trophie, die es überhaupt gibt, diejenige bei der Aorteninsuffizienz, mit einer stärksten diastolischen Füllungsspannung zusammen- fällt, und dass das Gegenteil, eine stärkste Atrophie des linken Ventrikels, sowohl bei Mitralistenose als weiter stromaufwärts ge- 1) 2) Nicolai, in Nagel’s Handbuch Bd. 1 S. 81819. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 253 OT legener Pulmonalisstenose einer herabgesetzten Füllungsspannung entspricht. Die Atrophie kann bekanntlich so bedeutend werden, dass der linke Ventrikel nur noch als Anhängsel zum rechten erscheint. Bei den Stenosen können wir scharf verfolgen, wie, entsprechend unserer Erwartung, die dilatative Hypertrophie des betreffenden Herzabschnittes gegenüber einer reinen Hypertrophie nur dann her- vortritt, wenn gleichzeitig die Möglichkeit eines energischen Zuflusses gewahrt bleibt: So erscheint zum Beispiel, weil hinter dem linken Vorhof der stärkere rechte Ventrikel liegt, dagegen hinter dem linken Ventrikel der schwächere linke Vorhof in Betracht kommt, bei der Mitralstenose eine dilatative Hypertrophie des Vorhofes mit %s Liter Kapazität und mehr, während bei der Aorten- stenose nach Bamberger’s!) genau darauf gerichteten Unter- suchungen es so gut wie stets bei einer Hypertrophie ohne Dilata- tion bleibt. Prüfen wir weiter die komplizierteren Verhältnisse systematisch. Wir werden sehen, dass hierbei die Prüfung zugleich manche neue Gesichtspunkte entstehen lässt, die auch sonst von Bedeutung sind. - Bei der Mitralisinsuffizienz lassen sich für den linken Ven- trikel und linken Vorhof die dilatative Hypertrophie durch das Hin- und Herpendeln des Luxusblutes auf erhöhte diastolische Spannungsmomente restlos zurückführen. Und weshalb zeigt sich am rechten Ventrikel hier nur Hypertrophie mit zurücktretender ?) Dilatation? Die landläufige Erklärung spricht schlechthin von einer rückwärts durch den Lungenkreislauf stattfindenden Stauung und Druckerhöhung als Ursache. Steht dies aber nicht in Widerspruch mit gewichtigen experimentellen Tatsachen? Man bedenke zunächst, dass es sich um »in relativ kleines Quantum Blut handelt, das gegen- über der ausserordentlich grossen Kapazität des Lungenkreislaufes ver- schwinden muss. Von einer nennenswerten Massenrückstauung. kann also unmöglich die Rede sein. Eine Druckerhöhung ist im Tier- versuch im linken Vorhof nicht oder nicht nennenswert gefunden worden. Moritz betont sehr richtig das Irrige der Auffassung, dass der Innendruck eines Raumes, aus dem bei einer Klappeninsuffizienz Blut regurgitiert, in dem Raum, in den der Rückstoss stattfindet, zur 1) Niemeyer, Pathol. u. Therap. 1855 S. 254. 2) Moritz, a. a. ©. S.97 und 102. Rosenbach, Die Krankheiten des Herzens S. 212ff. Wien und Leipzig 1897. 254 - ß K. Hasebroek: Geltung kommen könnte!). Auch für. eine Erhöhung der Wider- stände im Lungenkreislauf hat man keinen Anhalt: ich erinnere an die bekannten Versuche von Liechtheim und Welch unter Cohn- heim, die eine eminente Erweiterungsfähigkeit der Lunge beweisen; Liehtheim konnte über die Hälfte aller Abflussbahnen abklemmen, ohne dass der Druck in der restierenden Pulmonalarterie stieg. Auch der Druck in der Jugularis blieb so gut wie unverändert. Es erscheint mir wichtig genug, einen der Versuche von Welch hier in Erinnerung zu bringen: Kaninchen, künstliche Atmung. Druck in der Karotis 100—120 mm Hg, In der Pulmonalis 20 mm He. Zubindung von drei linken Lungenvenen bewirkt weder in der Karotis noch in der Pulmonalis Veränderung des Druckes. Auch Unterbindung der rechten Venen, welche vom oberen und mittleren - Lungenlappen kommen, ohne Einfluss auf die Karotis und nur £ mm Erhöhung in der Pulmonalis. Jetzt Unterbindung der letzten Vene vom rechten unteren Lappen: Karotisdruck auf Null; Pulmonalis: einen Moment Steigerung, dann Herzstillstand ?). Gegenüber so exorbitanten Abflussbehinderungen, um eine nur seringe Drucksteigerung in der Pulmonalis zu erzielen, muss man die Annahme einer nennenswerten Drucksteigerung im rechten Ventrikel bei Mitralisinsuffizienz dureh Rückstauung ablehnen. Auch für eine erhöhte Füllungsspannung von dem Körpervenensystem her liegt kein Grund vor. So bleibt nur übrig, bei der Mitralisinsuffizienz wellenartige kurz und momentan durch die Systole des linken Ventrikels wirkende Druckschwankungen heranzuziehen, die mehr in einer Form- als Massenbewegung vom linken Ventrikel aus durch die Lunge den rechten Ventrikel erreichen. Zeitlich werden diese kurzen Druckschwankungen aber den rechten Ventrikel während seiner synchronen Kontraktion treffen: wir erhalten also für den rechten Ventrikel ein typisches systolisches Spannungs- moment in unserem Sinne, womit die Bedingung für ein Hyper- trophieren ohne Tendenz zur Dilatation erfüllt ist. - Dass selbst hohe Druckschwankungen stromaufwärts sich in einem mit Klappen versehenen System bei erhaltener Strömung fortsetzen, ohne die Klappen zu schliessen — in unserem Fall also die Pulmonalis- klappen — habe ich im Verfolg meiner Versuche über die Venenströmung an einem Modellsystem als Gesetz gefunden?). Moritz, ara. ©: 8.99. 2) Welch, Zur Pathologie des Lungenödems. Virchow’s Arch. Bd. 72. 1878. 3) Hasebroek, Über die Bedeutung der Arterienpulsationen für die‘ Venenströmung usw. Pflüger’s Arch. Bd. 163. 1916. / Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 355- Für die Mitralisstenose lassen sich Hypertrophie und Dilatation des linken Vorhofes aus der Wirkung des erhöhten diastolischen Spannungsmomentes durch Restblut plus normalen Zufluss ableiten. Für den rechten Ventrikel liegen die Verhältnisse jedoch anders wie bei der Mitralisinsuffizienz, und zwar folgendermaassen : Der bekannte Befund der stärksten Erweiterung des linken Vorhofes weist schon darauf hin, dass in diesem Fall es zu einer beträchtlichen wahren Rückstauung der Massen kommt. Daher auch die schwereren Lungenstauungssymptome bei der Stenose als bei der Insuffizienz. Für die Mitralisstenose besteht also die landläufige Anschauung zu Recht, dass eine Stauung sich in den rechten Ventrikel fortsetzt: Das bedeutet aber die Entstehung eines diastolischen Spannungs- momentes, und damit resultiert im Gegensatz zur Mitralisinsuffi- zienz stets Hypertrophie mit Dilatation des rechten Ventrikels. Jedenfalls wird eine reine Hypertrophie nirgends betont. Meines Wissens hat man diese Differenz des Verhaltens des rechten Ventrikels bei Klappeninsuffizienz und Stenose des linken Ostiums noch niemals in der Weise analysieren können, wie es hier auf Grund des Fiek-Horvath’schen Momentes möglich geworden ist. Bei der Trieuspidalinsuffizienz und -stenose stehen für den rechten Ventrikel und rechten Vorhof Hypertrophie und Dilatation unter denselben Gesetzen der Spannungsmomente wie bei den ent- sprechenden Mitralisfehlern. Diesen gegenüber besteht jedoch der Unterschied, dass die Wirkung einer retrograden Druckschwankung über den Körperkreislauf bis zum linken Ventrikel nicht stattfinden kann. Dementsprechend wird hier eine Hypertrophie nicht angetroffen. Die Tricuspidalinsuffizienz liefert mir die Bestätigung der Richtig- keit meiner Hervorhebung des zeitlich kurzen ‚Charakters der Rück- schwankungen, denn nur so ist es zu erklären, dass selbst starke ventrikuläre Leberpulsationen eine ganz auffallend gute Kompensation, ohne Ascites und zwar über Jahre, zulassen. Volhard!) hat aus der Rigel’schen Klinik über solche erstaunlichen Kompensationen berichtet. Ubrigens habe ich von meiner Theorie des extrakardialen Kreislaufes aus noch die Mitwirkung von durch die Pulsationen aus- gelösten stromläufigen Wandungstriebkräften zur vollen Deutung der Kompensationen herangezogen ?). 1) Volhard, Über Leberpulse und über die Kompensation der Klappen-- fehler. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 20/21. 1904. 2) Hasebroek, FExtrakardialer Kreislauf usw. S. 215ff. Jena 1914. 256 KR. Hasebroek: Die Aorteninsuffizienz und -stenose habe ich hinsichtlich des linken Ventrikels schon eingangs besprochen. Es erübrigt noch, das Vorkommen von gleichzeitiger Hypertrophie und Dilatation des rechten Ventrikels zu kontrollieren. Romberg und Hasenfeld haben experimentell festgestellt, dass erst bei hochgradiger Insuffizienz es zur Vergrösserung des linken Vorhofes und des rechten Ventrikels kommt, und dass auch dann die Entwicklung der Hypertrophie des rechten Ventrikels weit hinter derjenigen des linken zurückbleibt !). Sie bringen die Beteiligung des rechten Ventrikels mit einer un- zureichenden diastolischen Erweiterung des linken Ventrikels in Zu- sammenhang, die zu einer Drucksteigerung im linken Vorhof und im kleinen Kreislauf führen soll. Sie sprechen von einem „unzureichenden ‚diastolischen Anpassvermögen“. Für uns bedeutet dieser Umstand folgendes: Je weniger Platz im linken Ventrikel ist, je mehr muss der linke Vorhof unter relativ sich erhöhende Zuflussfüllung gesetzt werden. Ein diastolisches Spannungsmoment lässt ihn dilatativ hyper- trophieren. Erst hierdurch kann auch für den rechten Ventrikel ein ‚erhöhtes diastolisches Spannungsmoment bei der Systole des rechten Vorhofes entstehen, und da dieser relativ schwach ist, so erreichen Hypertrophie und Dilatation des rechten Ventrikels keinen beträcht- ‘ lichen Grad. Dies entspricht den Tatsachen. Bei der Pulmonalinsuffizienz und -Stenose erlauben die Be- funde am rechten Ventrikel die gleiche Zurückführung auf das Ge- setz der Spannungsmomente wie bei der Aorta am linken Ventrikel. Besonders beweiskräftig ist der Faktor der Erhöhung einer Zufluss- . -füllung für die dilatative Hypertrophie bei den fötalen Fällen. Hier lässt sich zeigen, eine wie viel ausschlaggebendere Rolle praktisch die Füllungsgrösse gegenüber den Abflusswiderständen spielt. So demon- strierte Marchand in der Leipziger Medizinischen Gesellschaft ge- legentlich?) ein Präparat, bei welchem erstens eine enorme Hyper- trophie des rechten Ventrikels bei gleichzeitig einerseits grossem Defekt im Septum ventriculorum — also ungehemmter Überfüllung des rechten Ventrikels — und andererseits Ursprung der Aorta aus beiden Ventrikeln — also bei zugleich herabgesetztem Abfluss- widerstand für den Ventrikel bestand. Bei derselben Gelegenheit wurden l) Hasenfeid und Romberg, Arch. f. experiment. Pathol. Bd. 39 Ss. 04. 1897. 2) Münchener med. Wochenschr. Nr. 43 8. 2371. 1912. > Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstuns usw. 357 drei Fälle von umfangreichem Defekt des Septum atriorum vorgelegt, bei denen übereinstimmend sich eine sehr starke Hypertrophie und Dilatation des rechten Ventrikels bei sehr weiter Pulmonalis vorfand. Also auch hier ein höchst gesteigertes diastolisches Spannungsmoment bei herabgesetzten Abflusswiderständen. So ist es auch ein ganz allgemeiner Befund, dass Lücken in der Scheidewand der Atrien und ein damit regelmässig verbundenes Öffenbleiben des Ductus Botalli den rechten Ventrikel stark hypertrophieren und dilatieren lassen. Andererseits findet sich unter gleichen Umständen der rechte Ventrikel reduziert und atrophisch, wenn einerseits die Kammerscheidewand geschlossen, andererseits aber die des Pulmonalostiums obliteriert ist. Überblicken wir diese Ergebnisse, so finden wir, dass das kompensierte Klappenfehlerherz auf der ganzen Linie den einwandfreien Nachweis liefert, dass Hypertropbie und Dilatation von den Füllungs- spannungen unserer Definition beherrscht werden und inihrer Entwicklung den Gesetzen des Fick-Horvath- schen Momentes folgen. III. Die Massenverhältnisse des wachsenden Herzens nah Wilhelm Müller') in neuer Beleuchtung. Die Wäsungsmethode Müller’s ist maassgebend geworden. Die statistische Berechnung ist einwandfrei, so dass man den Re- sultaten grösste Sicherheit zusprechen darf. Müller hat seine Werte in Beziehung gebracht zu den funktionellen „Anforderungen‘, die an die Triebkraft der einzelnen Herzabschnitte gestellt werden. Die „Anforderungen“ werden von seiten der Körperorgane gestellt, sie liegen also stromabwärts vom Herzen und werden im wesent- lichen durch die Widerstände in den resp. Organblutbahnen, d. h. im landläufigen Sinne «durch die Variationen der Strombreite gesetzt. Die „Anforderungen“ werden aus dem Bedürfnis heraus konstruiert, also im teleologischen Sinne betrachtet. Über den Wee, den die Reaktion des Herzens nimmt, erfahren wir nichts. Nur für die Ventrikel wird eine erhöhte Arbeit des Herzens auf das Konto des verschieden erregbaren Herzsystems gebucht. Schon diese Umstände rechtfertigen meine Untersuchung, die Müller’sche schöne Statistik 1) Wilh. Müller, Die Massenverhältnisse des un ehlichen Herzens. Leopold Voss, Hamburg und Leipzig 1883. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 17 958 K. Hasebroek: \ auf die Basis des Fiek-Horvath’schen Momentes zu stellen, das, wie oben schon erwähnt, die Möglichkeit einer einheitlichen mecha- nischen Deutung der Einstellung des Kraftbetriebes des Herzens und damit seiner Masse durch die jeweilige Grösse der Füllungs- spannungen in sich schliesst. A. Das wachsende Herz während des Embryonallebens his kurz nach der Geburt. Position I. In der ersten Fötalperiode der Allantois nimmt das absolute und proportionale Gesamtgewicht des Herzens rascher zu als in den Perioden der Placenta.. Müller deutet folgendermaassen: Da nach den Wägungen die Allantois im Wachstum das Gewicht des Embryos und seiner Organe bedeutend überflügelt, so müssen in dieser Periode die Anforderungen an seine Triebkräfte rascher wachsen als in der placentaren Periode. (M. S. 75.) | Position II. Die Vorhöfe nehmen an Grewieht zeitlich weniger zu als die Ventrikel; der Index 2 fällt von ca. !/a auf '/s; Müller deutet dies dahin, dass „die Anforderungen, welche die Kammern an die Muskulatur der Vorhöfe stellen, während des Embryonal- lebens erst rascher, später langsamer abnehmen“. (M. S. 162/3.) Position III. Während der ganzen Embryonalzeit überwiegt lie Masse des rechten Vorhofes über die des linken. Müller sieht den Grund in der grösseren Blutmasse des Hohlvenensystems, welchem überdies der gesamte Lymphstrom zugute kommt. Er weist in dieser Beziehung auf die Rolle der Leber hin, die schon früh vorhanden ist. (M. 8. 168 ff.) Position IV. Während nach der erfolgten Scheidung der beiden Ventrikel der linke über den rechten an Muskelmasse überwiest, wird ım weiteren Verlauf des embryonalen Lebens immer mehr der rechte herangezogen, bis zur Zeit der Reife die ‚Massen ziemlich gleich sind. (M. S. 208.) Position V. Mit der Geburt setzt dann das bekannte rasche Wachstum des linken Ventrikels ein, das nach ca. 1 Monat mit dem muskulären Verhältnis eines funktionellen Index von 0,58 ab- schliesst, d. h. der linke Ventrikel stellt sich annähernd auf das Doppelte der Masse des rechten ein. (M. S. 208 ff.) In der Deutung von Position IV und V kommt Müller in Verlegenheit, da das menschliehe Herz sich dadurch von jenem Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 259 einiger Wiederkäuer unterscheiden soll, indem bei letzteren die Vor- herrschaft des linken Ventrikels schon in die Embryonalzeit fällt; Müller weist daher für die Wiederkäuer dem .linken Ventrikel schon während der ganzen Dauer des Embryonallebens die „grössere Arbeit“ zu. Den Grund sucht er in einem „temporären“ vaso- motorischen Verschluss des Ductus Botalli, der die „Anforderungen“ an den linken Ventrikel steigen lässt, während er für den Menschen diesen Verschluss erst nach der Geburt mit der bekannten Dauer- involution entstehen lässt. Bei den Wiederkäuern soll die Natur im voraus handeln, um den neugeborenen Tieren schon sofort nach der Geburt mit einem stärkeren linken Ventrikel auszustatten, da sie auf sofortige Körperbewegung angewiesen sind. Es handelt sich also gewissermaassen um einen Wechsel auf die Zukunft. Zur Deutung des beim Menschen erst nach der Geburt eintretenden Überwiegens der Masse des linken Ventrikels zieht Müller die zunehmende Be- lastung durch den Eintritt der Organe Haut, Darm, Niere, Nerven- system heran, nachdem zuvor eine Entlastung beider Ventrikel einerseits durch Fortfall des Placentarkreislaufes, anderseits durch die mit der Lungenentfaltung enstehende Aspiration des Thorax statt- gehabt haben soll. (M. S. 210.) Ich beginne mit der Position I, der Allantoiszeit. Müller sagt also: weil die Allantois so rasch wächst, deshalb muss das Herz, um den Anforderungen zu genügen, ebenfalls rasch wachsen. Ich meinerseits habe zu untersuchen, ob nicht die Allantois durch Erhöhung des Zuflusses zum Herzen und der Füllungsspan- nungen das Herz zum hypertrophierenden Wachsen und Mehrarbeit aut Grund des Fick-Horvath’scheu Moments mechanisch zwingt, Ich folge Preyer in seiner Monographie über den Embryo), der in seiner ersten Entwicklung bei Vögeln und Säugern übereinstimmt. Da ist es nun sofort von fundamentaler Wichtigkeit für uns, (dass die ersten Kontraktionen des Herzens, sobald es als geschlossener Schlauch vorhanden ist, überhaupt durch die Zuflussfüllungs- spannung zustande kommen: die Hauptsache ist die Präexistenz einer Flüssigkeit, die in das Herz einströmt. Schon Karl Ernst v. Baer hatte seinerzeit erkannt, dass die Aufnahme des Blutes in das Herz das Primäre, die Ausstossung das Sekundäre ist. Bei ganz jungen Herzen kann man verfolgen, dass erst wenn das Stadium 1) Preyer, Physiologie des Embryos. Leipzig 1885. 360 K. Hasebroek: der Anfüllung einen höheren Grad erreicht hat, eine Kontraktion mit Entleerung eintritt. Wernicke hat unter Prever die Not- wendigkeit eines Fluidums für die Auslösung der ersten Kontraktion begründet. Wurde in dieser Zeit die Blutzufuhr abgeschnitten. se zog sich das Herz gar nicht mehr zusammen. Preyer kommt durch zenauere Verfolgung der Strömungen, die vor der ersten Systole, also extrakardial, existieren. zu der Ansicht, dass diese „eordipetalen Strömungen beim Hühnchen bei der Bebrütung des Fies von der Peripherie“ aus zustande kommen. Nun kann es ja allerdings nicht zweifelhaft sein, dass mit der ersten Systole wieder cordifugale Triebkraft entsteht, aber deshalb hören die extrakardialen cordipetalen Strömungen sicher nicht auf. Ganz im Gegenteil, sie müssen auch, weiterhin perpetuierlich ein Plus von Zuströmung repräsentieren. das seinerseits nach seiner Ankunft im Herzen ebenso perpetuierlich ein Plus von Füllungs- spannung entwickelt. Auf dieses stetige Plus der Füllungs- spannung, das extrakardial geliefert wird, kommt es mir an. Bei den analogen intrauterinen Verhältnissen der Säuger können Temperaturdifferenzen wie bei der Bebrütung der Vogeleis nicht die Ursache der Strömung sein. Und da liegt nichts näher, als auf die elementaren Zellvorgänge des Stoffwechsels als das eigentlich Treibende zurückzugehen, mit denen eben das erste allgemeine Wachstum verknüpft ist. Es sind genügend physi- kalisch-chemische Unterlagen dafür vorhanden, dass es sich an den protoplasmatischen Grenzflächen um die erste Umprägung osmotischer Energien in mechanische Bewegungsenergie hardelt. Die Wachstums- entstehung der ungeheuren Anzahl der Allantoisgefässe liefert die lokalen Bedingungen für eine solche Umpräsung in Strömungsenergie. Ich habe ausführlich an anderer Stelle dargeleet, wie alles, aber auch alles für eine derartige Erzeugung wahrer Triebkräfte in proto- plasmatischen Zellverbänden durch den Stoffwechselbetrieb sprieht '). Die Allantoisgetässe entstehen aus mit Lymphe gefüllten Spalträumen. - Dadurch wird ein Massen- und Strömungszuwachs in der Blut- Hlüssigkeit geschaffen. Deutlich liegt diese Herausbildung eines an- wachsenden Zuflusses zum Herzen gegenüber dem Abflusse aus der primitiven Aorta bei den Dottersackgefässen zutage. Vom Hühnchen 1) Hasebroek, Über den extrakardialen Kreislauf des Blutes. Kapitel II und III. Auch Über extrakardiale Kreislauftriebkräfte usw. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 10. 1915. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 261 weiss man nämlich, dass je mehr das gelbe Dottermaterial vom Blut in diese fein verzweigten:Gefässe aufgesogen wird, um so mehr das jenen Gefässen zugängliche Areal sich verkleinert. Mit dem Sehwinden dieses Areals obliterieren die Gefässchen wieder. (Pr. S. 91.) Es ist klar, dass dies geschieht, nachdem die mechanische Mission, das Dottermaterial herzwärts zu treiben, erfüllt ist. Würde der In- halt nur durch eine mittlererweile vorhandene Herzkraft als vis a tergo getrieben, so würde schwerlich eine Obliteration eintreten. Hinzu kommt vollends die Rolle der Lymphe und des Lymph- stromes für den Zuwachs an cordipetaler Strömung. Hier haben wir sicher vom Herzen getrennte und unabhängige neue Triehkräfte, die mit dem Wachstum der Allantois entwickelt werden. Dass der Fötus frühestens Lymphe in seinen Lymphgefässen treibend führt, ist auch für den Menschen nicht zu bezweifeln. Wiener folgert aus seinen Versuchen, dass die Lymphbildung sogar eine lebhafte ist. Albrecht hat gezeigt, dass bei der Lymphströmung in der Allantois des Hühnehens Lymphherzen mitwirken. Er sah sie unabhängig vom BJutpuls pulsieren. Er wies nach, dass sie vom 10.—20. Tage an Grösse zunehmen, und dass die Allantoislymphe zum Teil direkt in die Beckenvenen selanet, während ein anderer Teil durch den Duetus thoracieus in die Jugularvenen fliesst. Preyer sagt, dass diese Funktion wesentlich für die Allantoiszirkulation sein könne, doch sei unabhängig von ihr eine permanente Lymphströmung im Körper des Embryo sichergestellt, welche früher beginnt als die Tätigkeit der Lymphherzen. (Pr. S. 303 ff.) Nun betrachte man nach den Gesagten die folgenden beiden Bilder des Grössenverhältnisses der Allantois zum Herzen (Fig. 1 und 2): Kann es einem Zweifel unterliegen, dass die Allantois- strömung zum Herzen eine selbständige Komponente ent- hält? Dass die Grösse des Abflusses aus ihr zum Herzen die Grössedes Abflussesausder Aortaindie Allantois übertrifft? Wo die grössere „Dicke“ der Venen besonders hervorgehoben wird? Das Umgekehrte wäre geradezu verwunderlich, auch wenn man das Stadium einer gewissen Herzgrösse in Rechnung setzen will (Fig 2). Immer bleibt für den Zufluss zum Herzen ein Plus, und dieses Plus ist der Antrieb zu einer Herzmehrarbeit und damit zum wachsenden Hypertrophieren durch das Fiek- Horvath’sche Moment, unter der Erhöhung der Füllungsspannune. | 262 K. Hasebroek: IQ, at Fig. 1. Allantoiszirkulation nach Bischoff. h Herz, a Aorta in zwei Endäste sich spaltend, davon abgehend zahlreiche Aste der Art. omphalo-mesaraicae., bei t übergehend in die diekeren Dotterblasenvenen, die in o sich vereinigen und zu einem kurzen in das Herz mündenden Truncus venosus © verschmelzen, a’ erstes Aortenbogenpaar. (Kaninchen.) 2.0 ST \ IS IIEAM Fig. 2. Gefässsystem des Dottersackes am Ende des dritten Brüttages beim Hühnchen (nach Balfour). Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 263 Man findet es bisher so rätselhaft, dass die ersten Kontraktionen des Herzens unregelmässig sind und erst mit der weiteren Entwicklung der regelmässige Rhythmus erscheint: Unter unserer Zuflussthese und zwar aus den Stoffwechselvorgängen heraus. die doch den primärsten Inhaltsbegriff erwachenden und wachsenden Zellebens bilden, wird es verständlich, dass anfangs noch die Herzkontraktionen wegen anfänglich unregelmässiger Zuflussvorgänge ebenfalls unregelmässig sind. Wir wissen ja genügend, wie sehr ‘gerade die Intensität des Stoft- wechselbetriebes elementarer Zellengebilde von variablen äusseren Reizen abhängig ist. Der feste Rhythmus des Herzens erscheint eben erst dann, wenn aus den ersten reaktiven Äusserungen der Herz- wandungen auf den Zufluss allmählich aus der Gewöhnung durch An- passung ein regelrechtes Reizsystem sich herausentwickelt hat. Dies wird der Fall sein, nachdem eine regelmässige kreisende Verbindung der vom Herzen auslaufenden und zum Herzen zurücklaufenden Blut- säulen in Verbindung mit der Herzkontraktion geschaffen ist. In diesem Stadium werden auch Zentrum und Peripherie aufeinander ab- gestimmt in den motorischen Kräften des Ab- una Zuflusses. Es liest der Vergleich mit dem ähnlichen Prinzip der Dynamomaschine nahe: Hier ist es der genial erfundene Gramme’sche Ring, der eine Entwicklung zur Höchstleistung durch gegenseitiges Verstärken von Zu- und Abfluss des Stromes ermöglicht. Der Allantoiskreislauf ist ein ursprünglicher Beweis dafür, dass das Herz zur Realisierung seiner Anpassung ebensosehr auf extrakardiale Triebkräfte angewiesen ist, wie das extrakärdiale System auf das Herz. | Die überragende Bedeutung des Zuflusses wird überzeusend klar durch den anatomischen Befund am Herzen selbst. In Fig. 3 fällt sofort die mächtige Zuflussöffuung mit der ampuilenartigen Erweiterung des venösen Endes auf. Es entsteht der weite Venenvorhofsinus als un- mittelbarstes mechanisches Produkt eines selbständig erhöhten Zuflusses. Mit einem Schlage wird es jetzt klar, dass gerade an dieser Örtlichkeit als Angriffspunkt des Herzantriebes dureh den Zufluss die Anlage der Reiz- zentren nicht allein entsteht, sondern in der ganzen weiteren Entwicklung Fig. 3. Herz eines menschlichen E 4 Be Embryos von 2,15 mm Länge (nach sich behauptet. Es könnte schon dieser His)” X Kammer, Ta Truncus eine Gesiehtspunkt für sich genügend ae sein, um darzutun, von welcher ‚fundamentalen Wichtickeit und wie ausschlaggebend eine extrakardial bestimmte Zuflussfüllung ist für die 264 K. Hasebroek: substanzielle Anlageeiner Reizmechanik unmittelbar vor den Vorhöfen. Ein Blick auf die Fig. 4 genügt, um auch bei weiterer Entwicklung diese überragende Mission der Vorhöfe unter einer mit dem Wachs- tum des Embryokörpers ein- hergehenden, stetig zunehmen- den Zuflussfüllungsspannung zu erkennen. Wir haben hier, soviel ich weiss, zum ersten Mal die Möslichkeit einer plausiblen Erklärung dafür, weshalb die Reizzentren des fertigen Her- zens im Venensinus und rech- ten Vorhof ihren Sitz erhalten mussten. Fig. 4. Herz eines Embryos von 10 mm Dass am ausgebildeten Länge. Hintere Hälfte des geöffneten Herzen der venöse Zufluss es Herzens (nach His). ks Kammerscheide- : ? wand, /k, rk linke, rechte Kammer, ok Ohr- ist, der auch die Frequenz “kanal, lv, vv linker, rechter Vorhof. des Herzens bei Tätigkeit der Körperorgane bestimmen kann, steht experimentell fest. Mares berücksichtigt diesen Punkt vom Ge- siehtspunkt einer Eigentätigkeit der Organgefässe eingehend). Ich sehe hierin eine wichtige Bestätigung meiner Darlegungen, indem sie imstande ist, auch nach der Seite der Reizentstehung und Reizleitung hin die Ent- wicklungsmechanik des Herzens, wie ich sie hier aufzeige, zu ergänzen. (Gegenüber den von mir unter der Position I und II gegebenen Müller’schen Deutungen (S. 258) gestaltet sich nunmehr. die meinige folgendermaassen: Es ist der mit dem Wachstumsdrange des Embryo- körpers inkl. seiner Adnexa verbundene zunehmende Stoffwechselbetrieb, der es mit sich bringt, dass dem gleich- zeitiz entstehenden Herzen durch den erhöhten Zufluss und zu- nehmende Füllungsspannung Reize zur steigenden Kontraktionsarbeit mit Hypertrophie zugeführt werden, und zwar für die Zeit der am raschesten wachsenden Allantois im höheren Maasse als für die Zeit der langsamer wachsenden Placenta. 1) Mares, Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blutdurch- strömung der Organe durch die Tätigkeit ihrer Gefässsysteme. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 115 ff. 1916. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 263 Vorhöfe und Ventrikel wachsen unmittelbar unter einem zu- nehmenden diastolischen Spannungsmoment, die Ventrikel stehen aber ausserdem unter einem zunehmenden systolischen Spannungs- moment, wie es der sich vergrössernde Widerstand der wachsenden extrakardialen Bezirke — deren Masse verdoppelt sich von der 4. bis zur 32. Woche 9—10 mal — mit sich bringt. Hier liegt der Grund, dass die Ventrikel in etwas rascherem Tempo an Masse zunehmen als die Vorhöfe, so dass der Index = fällt. Ganz dem diastolischen und dem systolischen Spannungsmoment entsprechend sehen wir ferner in Fie. £ anatomisch die gleichzeitig starke Dilatation der Vorhöfe gegenüber der weniger dilatativen Hypertrophie der Ventrikel. Für letzteren Unterschied kann nach der Müller’schen Deutung aus den „abnehmenden Anforderungen“, welche die Kammern an die Vorhöfe stellen, überhaupt keine Begründung entnommen werden. Ich komme zu der Position II. Schon Müller kommt für die Deutung des Überwiegens des rechten Vorhofs gegenüber dem linken auf die „grössere Belastung“ von seiten des Hohlvenensystems. Er fällt etwas aus der Rolle, in- _ dem er sich hier nicht auf „Anforderungen“ von stromabwärts her und speziell nicht mehr wie sonst auf die „Anforderungen, die der Ventrikel an den Vorhof stellt“ festlegt. Er zieht die Leber heran. Damit komme ich auf ein für mich und meine zanzen "ferneren Untersuchungen sehr wichtiges Organ. Die Leber steht nämlich im Dienste des dureh den Stoffwechselbetrieb hervor- serufenen erhöhten Zuflusses zum Herzen. Sie ist notorisch das Zentralsystem für die Verarbeitung der Stoffwechsel- produkte, das steht nach der neuesten experimentellen Physiologie und Pathologie fest. Sie hat von allen Organen den höchsten Funktions- koeffizienten, denn im Lebervenenblut finden wir seit Claude Bernard nicht allein die höchste Temperatur des Körpers, sondern auch bei der Funktion der Leber eine um mehrere Grade höhere Temperatur als in der Pfortader. Die Exstirpation der Leber kann den Stoffwechsel bis zu '/s der Norm sinken lassen, wie ich später belesen werde. Andererseits erscheint beim Fötus die Leber als erste, und zwar schon früh räumlich überaus grosse Organanlage beim Menschen in der vierten Woche. Preyer weist auf die früh vorhandene Galle als ein „Edukt der komplizierten im fötalen Leben 3565 K. Hasebroek: stattfindenden chemischen Prozesse“ hin (P. S. 314). Die Leber ist ausserdem eine Lymphbildungsstätte für sich. Alles wirkt zusammen, um an dieser Örtlichkeit einen besonders erhöhten Zuflussbetrieb zum Herzen zu schaffen Mit der Deutung des Überwiegens der Masse des rechten Vor- hofes über den linken durch CGava superior-Blut plus erhöhten Zu- fluss aus der Cava inferior befinden wir uns bereits auf dem Boden .der Position IV zur Erklärung des Verhältnisses der Masse des rechten zum linken Ventrikel. Man höre, mit welcher Klarheit das sanze Verhalten der beiden Ventrikel sich in den Rahmen unserer Zuflusstheorie einfügt. Preyer schreibt (S. 33) folgendes: „Schon Casp. Friedr. Wolff hatte gefunden, dass die untere Hohlvene -dureh die Verhältnisse der Eustachischen Klappe ihr Blut bis zum dritten Monat fast ganz in den linken Vorhof ereiesst, während dann durch die Entwicklung der Klappen des Foramen ovale mehr und mehr der rechte Vorhof bevorzugt bleibt, so dass im reifen Fötus schon der dritte Teil des Cavablutes in ihn gelangt.“ Da die Vor- hofsfüllungen die resp. Ventrikelfüllungen bestimmen, so werden bei vermehrtem Zufluss zum Herzen aus der Cava inferior bis zum dritten Monat der linke Ventrikel, von hier an der rechte unter dem Einfluss eines relativ sich erhöhenden diastolischen Spannungsmomentes stehen. Sie werden mit ihren Massen entsprechend reagieren. Um so mehr überwiest der rechte allmählich, weil zugleich von der ersten Hälfte des dritten Monats an beim menschlichen Embryo die Klappen des ovalen Loches so schnell wachsen, dass bereits im sechsten Monat nur ein relativ kleiner immer mehr sich verenzernder Kanal bleibt. Es ist also die wechselnde Zuflussquote, die bis zum dritten Monat den linken Ventrikel, von da an den rechten durch das Fick-Horvath’sche Moment. zum überwiegenden Wachstum mechanisch zwingt. Einen schlagenderen Beweis für die Gültigkeit des Fick-Horvath- schen Spannungsmomentes kann es nicht geben. Mit der Position V der Müller’schen Resultate gelangen wir zu einem der interessantesten entwicklungsmechanischen Probleme, die die Biologie kennt: zu dem eigentümlichen zweiten Wechsel in .der Vorherrschaft unter den Ventrikeln mit dem definitiven Sieg der Masse des linken über die des rechten nach der Geburt. Der ‘Grund kann nur in dem Einsetzen des Lungenkreislaufes in Ver- bindung mit dem Verschluss des Duetus arteriosus Botalli liegen. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 2367 Nach Müller wirken wieder die Mehranforderungen stromabwärts vom linken Ventrikel durch den Neueintritt der zum freien Leben nötigen Organe. Abgesehen davon, dass dies keine Erklärung ist, so ist diese Annahme höherer Widerstände nach der Geburt auch an sich bedenklich, da die Strombreite des extrauterinen grossen Kreislaufes sich zu dem embryonalen wie 4:5 verhält, und weil der Blutdruck in der Aorta nach der Geburt jedenfalls nicht nennens- wert steigt). Versuchen wie die Erklärung des postnatalen Hypertrophierens vom Standpunkt der Einführung erhöhter Spannungsmomente des Herzens. Beide Möglichkeiten einer Erhöhung kommen, wie eingangs dargelegt, für den linken Ventrikel jetzt in Betracht: einerseits vom kleinen Kreislauf her: das diastolische, andererseits aus dem Aorten- system her: das systolische Spannungsmoment. Mit der Annahme einer vermehrten diastolischen Füllung des linken gegenüber dem rechten Ventrikel kommen wir nicht weit: ein solcher Zustand lässt sich auf keine Weise für eine Jängere Zeit konstruieren. Ausserdem sehen wir eine gewisse Zeit nach der Geburt den Puls in der Nabelschnur bis zum Verschwinden sinken. Man hat diese Vorgänge am Hühnchen, das schon vor dem Verlassen der Eischale atmet, cenau beobachtet. Die Allantoisgefässe kolla- biren und veröden. . Und wenn sich der Kreislauf wieder hergestellt hat, so liest keine Veranlassung dafür vor, dass jetzt der linke Ventrikel ein grösseres Schlagvolumen haben sollte. Im Gegenteil, zur Aufrechterhaltung des Dauerkreislaufes müssen linker und rechter Ventrikel sich auf ein ungefähr gleiches Schlagvolumen einstellen. Die Hypertrophie des linken Ventrikels tritt beim Menschen aber erst im Lauf der ersten Lebensmonate ein. | Es bleibt somit nur unsere zweite Form der erhöhten Spannungs- momente zur Erklärung der definitiven Hypertrophie des linken Ventrikels übrig: das systolische, im Stadium der Kontraktion der Ventrikels. Hier liegt der Schwerpunkt bei dem sich allmählich vollziehenden Verschluss des Duetus Botalli: Es ist der systo- liseh pulsatorische Windkesselbetrieb der Aorta, der sieh bei dem allmählichen Schliessen des Ductus in steigendem Maasse als Rücksehwankung des Druckes 1) Cohnstein, 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte, Berlin 1586. K. Hasebroek: [0,8 26 immer mehr auf den linken Ventrikel allein beschränkt, anstatt wie vorher zum Teil auch in die Pulmonal- arterie und bis in den rechten Ventrikel sich fort- zusetzen. Dieser Vorgang der Duckrückschwankung, der sogar mit einer geringen Massenbewegung verknüpft sein kann, ist eine physio- loeische Tatsache, die am erwachsenen System von Frank!) an der Aortenkurve des Hundes und von Straub) herzplethysmographisch sichergestellt ist. Zeitlich fällt die Rückschwankung in die letzte Periode der linken Ventrikelsystole, wenn die Klappen noch geöffnet sind. In der Umkehrung der Differenz zwischen rechtem und linkem Ventrikelin ihrer Anteilnahme an dieser Rücksehwankungsspannung, die also die Ventrikel noch während der Systole treffen muss, kann nur der Grund gesucht werden, dass nach der Geburt unter dem Fick-Horvath’schen Moment der linke Ventrikel überwiegend zu hypertrophieren beginnt. Und zwar erklärt sich so sowohl das allmähliche Eintreten der Hypertrophie ohne eine absolute Erhöhung des Aortendruckes als der Stillstand der Zunahme der Rückschwankungsspannung für den linken Ventrikel mit dem völligen Verschluss des Duetus. Auf der anderen Seite muss ein Rückgang der Anteilnahme des rechten Ventrikels an der Rück- schwankungsspannung aus der Aorta mit dem allmähliehen Schliessen des Duetus eintreten und es bleibt schliesslich für den rechten Ven- trikel nur die viel schwächere analoge Rückschwankung aus der Pulmonalis®) bestehen. Damit ist ein stationärer Zustand geschaffen, der im Normalen für das weitere Leben sich annähernd konstant erhält. Unsere Einführung der Form des systolischen Spannungsmomentes ermöglicht uns zugleich die Erklärung dafür, dass die muskuläre Überlegenheit des linken Ventrikels sich ohne nennenswerte Beteiligung einer dilatatorischen Komponente ein- stellt: eben weil dieser Einfiuss in die Zeit der Kontraktion fällt. I) Frank, Der Puls in den Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 46 S. 490. 1905. 2) Straub, Das Tachogramm der Herzkammerbasis. Deutsch. Arch. £. klin. Med. Bd. 118. 1915. >) Straub hat gleiche charakteristische Erhebungen auf der Höhe der Pulmonaliskurve wie sie von Frank an der Aortenkurve festgestellt wurden, gefunden. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 116 H. 3/4. 1914. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 269 So wird zugleich die Hauptforderung eines geordneten Kreislaufes erfüllt, dass die Herzhöhlen des rechten und linken Ventrikels an- nähernd gleich sich erhalten. Was die Müller’sche Angabe über das Wiederkäuerherz anlangt, nach der bereits intrauterin der linke Ventrikel hypertrophiert. so könnte hier auch auf unseren Grundlagen des Fick-Horvath’schen Momentes nur ein frühzeitiger oder „temporärer“ Verschluss des Ductus Botalli eine Deutung vermitteln. Mir erscheint jedoch eine solehe Annahme ganz unmöglich. Ich habe Grund anzunehmen, dass hier irgendein Irrtum von seiten Müller’s vorliegt, denn ich habe trotz vieler Nachforschungen weder in den einschlägigen Lehrbüchern noch auf Anfragen bei Hamburger Veterinärkollegen einen Anhalt für die Differenz zwischen Mensch’ und Tier gefunden. Im Gegenteil. ‘in den Jahr@sberichten von Ellenberger und Schütz von 1911 wird ziemlich ausführlich über eine Arbeit!) berichtet, nach welcher die Gewichtsverhältnisse des rechten zum linken Ventrikel bei Rindern neugeborenen und Föten, vom siebenten Monat ab sich auf 109,8:100 stellen, während 6—23 Tage alte Kälber die Zahlen 72: 100 und ältere Rinder 67:100 aufweisen. Also im Prinzip ist alles ebenso wie beim Menschen. Ich wende mich jetzt dazu, auch zahlenmässig den Nachweis zu führen, wie sehr das Wachsen des embryonalen Herzens mit dem Zufluss aus den wachsenden Organmassen verbunden ist, und dass das normale Wachstunashypertrophieren im engeren Sinn, das heisst die Zunahme des sogenannten Proportionalgewichtes des Herzens zum Körper — wie es nach Position I der Fall ist — mehr von der Venenseite beherscht wird als von den „Anforderungen“ im absteigenden Gefässsystem durch sich vermehrende Organwider- stände. Die Müller’sehe Wägungsstatistik gibt genügend rechnerische Grundlagen, um die Beziehungen der wachsenden Massen zum Herzen getrennt nach den Einzelabschnitten der Ventrikel und Vor- höfe zu analysieren. Niemand hat bisher an ein solches Vorgehen gedacht: man gewinnt auf diese Weise Einblick in eine Bilanz, die darüber Auskunft gibt, ob der Wachstumsantrieb für das Herz auf dem Konto des Arterien- oder Venensystems gebucht ist. Meine Tabelle 1 ergibt die zahlenmässigen Beziehungen der Zunahme des Herzgewichtes zu der Zunahme des Gewichtes des wachsenden 1) P. Lech, Beiträge zur Anatomie des Herzens bei Haussäugetieren. Inaug.-Dissert. Lemberg 1910 (Polnisch). 270 K. Hasebroek: Embryokörpers. Männer- und Weiberwerte sind zusammengezogen, da in dieser Zeit nach Müller ein Geschlechtsunterschied nicht besteht. Es handelt sich um den rechten und linken Ventrikel ge- trennt für sich. Diese Werte sind Müller’s Tabelle, S. 209, ent- nommen. Ich habe alsdann berechnet, wie sich nach dem Verhältnis des wachsenden Embryogewichtes die resp. Ventrikelgewiehte bei parallelem Gang stellen müssten, und diese Gewichte als „berechnete Sollgewichte“ zum Vergleich neben die von Müller faktisch „gefundenen“ Werte registriert. Zur grösseren Sicherheit der Grundlagen habe ich mieh nicht damit begnügt, für die Embryonal- gewichte das Mittel aus den Müller’schen Angaben von 500 zu 500 8 zu benutzen, sondern die Mittelwerte derjenigen Körper- sewichte angesetzt, die wirklich zu den Ventrikelwerten Müller’s gehören. Ich habe sie aus den laufenden Nummern der Tabellen Müller’s S. 70ff., ausgezogen, die in dessen Ventrikeltabellen S. 175 wieder vorkommen. Ich erhalte dann bei der Rechnung die Reihen meiner Tabelle 1. Tabelle. ; Mittleres » Ventrik inker Ventrikel Anzahl Beide Rechter Ventrikel Linker Ventrikel ‚der Embryos gefunden | berechnetes | gefunden | berechnetes Indiyiduenz, g | g \ Sollgewicht g ‚ Sollgewicht 16 954 0 0,375 — 16 783 101.022 152 1,29 1,16 14 1292 230 0,501 2.16 1,91 Ba 1730 3,24 | 2,69 2,83 2,99 2 2953 415 3,50 411 3,37 3 2756 3,14 4,29 4,88 4,07 : 22 3448 7,43 3,96 3.07 3,09 Diese Tabelle ist überraschend: Es fällt sofort auf, dass der linke Ventrikel sich — nur mit einer einzigen weniger genauen Ausnahme — auf die berechneten Sollgewichte nach dem Embryo- körpergewicht einstellt, während die Gewichte des rechten Ventrikels, mit dem Beginn dessen spezifischen embryonalen Überwiegens zu- nehmend, bedeutend über die berechneten Werte überschiessen. Dies entspricht durchaus dem, dass’ das embryonale Überwiegen des rechten Ventrikels mit einem durch die anatomischen Verhältnisse bedingten bevorzugten Plus von diastolischer Zuflussfüllung gegenüber dem linken Ventrikel zusammenhängt, wie wir S. 266 gesehen haben. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 371 _ Nun muss aber die Wirkung dieses Plus schon an den Gewichten der Vorhöfe, aus denen die Ventrikel ihre Zuflussfüllung beziehen,. nachzuweisen sein, wobei es sich für die Vorhöfe nur um den Ge- samtzufluss zum Herzen handeln kann, wie er durch den Abfluss aus dem Embryo plus seiner Adnexa geliefert wird. Und in der Tat ergeben die Müller’schen Zahlen in meiner Tabelle 2 eine Tabelle 2%. Gewicht; N or höfe- inkl. Septum Rechter Vorhot Linker Vorhof von Embryo 2 Mi + Adnexa | gefunden berechnet.| gefunden berechnet.| gefunden | berechnet. © 8 Sollgew. @ Sollgew. 8 | Sollgew. m. 492 + 176) 10595 I 0,255, 2 021 RL (518 \ 1,665 1,66 Da 0,59 0,59 2504 195) } = | zei 1,21 1,14 0,94 0,94 (3448 era) |} 39 | 358 1,65 1,53 1,03 1,26 ganz scharfe Einstellung der Vorhofsgewichte auf die Proportionen der Gewichtszunahme von Embryo plus Adnexa unter einer geringen Vorherrschaft des rechten Vorhofes. Dies kann nur so gedeutet werden, dass die Quote des berezten Plus von Zuflussfüllung für die Vorhöfe auf dem stromläufieen Wege zwischen linkem Ventrikel und den Vorhöfen ent- steht, wie es durch die Mitwirkung von Betriebsfaktoren in den Adnexa aufgebracht wird. Unter solehen Umständen führt meine Tabelle 1 mit ihrem Parallelismus zwischen der Massenentwicklung nur des linken Ventrikels und dem Embryokörper zu dem Schluss, dass es un- möglich — wie Müller annimmt — die „steigenden Anforderungen“ aus dem Aortensystem sein können, die das Bestimmende für die hypertrophierende Zunahme des proportionalen Gesamtherz- gewichtes sind.- Es zwingt also die Tatsache der stärkeren Zu- nahme des rechten Ventrikels an sich zu der Aunahme, dass. es der Gesamtzufluss zum Herzen durch den Abfluss aus Embryo plus Adnexa in unserem Sinne ist, der überhaupt die Entstehung 1) Die Gewichte der Vorhöfe sind aus Müller’s Tabelle S. 169, diejenigen des Embryos und der Adnexa aus den resp. zusammengezogenen Mittelwerten: der Müller’schen Tabellen S. 70ff. entnommen. IRA K. Hasebroek: eines körperproportionalen Übergewichtes des Herzens in den Absehnitten der Vorhöfe und des rechten Ventrikels möglieh werden lässt. In diesem zahlenmässig nachweisbaren Festhalten des Gewichtes des linken Ventrikels an dem Reingewicht des embryonalen Körpers im Gegensatz zur Abhängiekeit des Gesamtvorhofsgewichtes von dem- jenigen des Embryo plus Allantois resp. Placenta ist zugleich der Hinweis gegeben, dass die Adnexa den linken Ventrikel kaum durch Anforderungen belasten. Das heisst aber nichts anderes, als dass in den Adnexa gewisse Eigenfaktoren für Abflussstrommenge und -stromintensität unabhängige vom Herzen angenommen werden müssen. Für beides sprieht durchaus, dass nach Cohnstein und Zuntz der Blutdrück in der Nabelarterie niedriger ist als der arterielle Blutdruck des Neugeborenen, wogegen der venöse Druck ganz in unserem Sinne höher ist). Der letzte Zweifel an dem entscheidenden Einfluss des Zu- flussbetriebes zum Herzen unter Beteiligung wahrer extrakardialer Stromtriebfaktoren für die Entwicklung der embryonalen Herzmassen wird genommen durch ein eigenes Experiment der Natur, das diese uns in der Herzhypertrophie bei den eineiigen Zwillingen (darbietet: In seiner gross angelegten, über Jahre durchgeführten Unter- suchung über die Gefsäsverbindungen der Placentarkreisläufe eineiiger Zwillinge und ihre Folgen kommt Schatz?) auf Grund eines Materiales von nicht weniger als 29 Placenten der Hyrtl’schen Sammlung und etwa 30 eigenen Präparaten zu höchst bemerkens- werten Resultaten auch hinsichtlich der Genese einer wahren Herz- hypertrophie bei dem grösseren Zwilling. An der Grenze der 1) Untersuchungen über den Blutkreislauf und die Atmung des Säugetier- fötus. Pflüger’s Arch. Bd. 34 S. 173. 1884, und Bd. 42 S. 342. 1888, zitiert nach MareS, Der allgemeine Blutstrom und die Förderung usw. Pflüger’s ‚Arch. Bd. 165 S. 55. 1916. 2) Schatz, Arch. f. Gynäkologie Bd. 24. 1884; Bd. 27. 1886; Bd. 30. 1887. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 273 aneinanderstossenden beiden Blutkreisläufe auf der gemeinsamen Placenta besteht ein Gefässsystem von Zottenbäumen, das beiden Kreisläufen gemeinsam ist, indem der eine dazu die Arterie, der andere die Vene liefert. Dadurch, dass ein Teil dieser Zottenbäume das in ihn eintretende Blut vom ersten Zwilling zum zweiten, der andere Teil aber rückwärts vom zweiten zum ersten transfundiert, besteht ein dritter Placentarkreislauf, der beiden Zwillingen gemeinsam ist und durch beide Herzen führt. Die Strombreite dieses dritten Kreislaufes ist gewöhnlich nur mässig gross und beträgt etwa den 5. bis 10. bis 20. Teil der Gesamtstrombreite eines Zwillings. Dadurch. dass diese Strombreite des dritten Kreislaufes, welche von dem ersten ‚Zwilling zum zweiten führt, nicht ganz gleich ist derjenigen, welche vom zweiten zum ersten führt, entsteht in den meisten Zwillings- placenten eine dynamische Asymmetrie des dritten Kreislaufes, welche zu entsprechenden Änderungen in den Körpern der Zwillinge not- wendie. führen muss. Mit anderen Worten: Es kommen auf der Placenta Verhältnisse vor, die durch Kommunikation der Arterie des einen Zwillines mit der Vene des anderen Zwillings eine Ein- strömung des Blutes des einen Zwillings in die Nabel- vene des anderen veranlassen. Solange dieser dritte Kreislauf in symmetrischer Anlage sich bis zur Geburt erhält, solange wird das eine Zwillingsherz in das Venen- system des anderen so viel hinüberpumpen, als der zweite dem ersten; es findet ein Ausgleich statt. Ganz anders jedoch, wenn es zu einer Asymmetrie des dritten Kreislaufes kommt. Bei einer solchen dynamischen Asymmetrie transfundiert der Zwilling /' beständig mehr Blut nach dem Zwilling Ft, als # von F"' zurückerhält. 7 wird vollkommener ernährt und entwickelt sich vollkommener. Die Fig. 5a und 5b — die ich der Sehatz’schen Arbeit ent- nehme — sind wohl ohne weiteres verständlich. Dadurch, dass: die Plus-Transfusion von / her den venösen Zu- fluss zum Herzen von F'! trifft, entsteht in F'! ein hypertrophisches Herz, d.h. ein Herz, das schwerer wird, als es normalerweise seinem zugehörigen Körpergewicht entspricht. Schatz weist zahlenmässig nach, dass diese wahre Hypertrophie nicht allein eine stärkere ist als die Plus-Entwicklung des Körpers von F", sondern dass es auch viel schwerer wird als das Durchschnittsgewicht des normalen Einlings- herzens. Die Richtigkeit dieser Differenzen hat volle Bestätigung erfahren. Schatz selbst kann in dem letzten Teil seiner Arbeit Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 13 274 K. Hasebroek. (1887) bereits folgendes anführen: Nieberding fand beim bevor- zusten F'!-Zwilling das Herz 25 mm lang, SO mm im Umfang gegen- über dem benachteiligten Zwilling F' mit 21 und 54 mm. Küstner teilt die Werte 35 mm Länge, 37 mm Breite gegen resp. 13 und 20 mm mit. Ahlfeld und Glitsch bestimmten das Gewicht eines F!-Zwillingsherzens mit 25 g gegenüber Se beim F-Zwilling. Schatz selbst ‘gibt eine statistische Tabelle, in der die Herzmassen auf die Körper bezogen werden: Das Proportionalgewicht der hypertrophischen Herzen steilt sich auf 14°oo. Wenn Fig. 5a. Keine Asymmetrie des Fig. 5b. Asymmetrie des III. Placentar- . III. Placentarkreislaufes. kreislaufes. man vollends bedenkt, dass bei den F"-Föten meistens ein Ödem des Körpers vorhanden ist — es wird dies Gegenstand späterer Er- örterungen werden —, so steist bei Zugrundelegung des üblichen Bezugssystems des normalen Körpergewebes das Prozentualgewicht sicher noch wesentlich höher. Wir erhalten Zahlen, die für das menschliche Herz ganz exorbitant sind. Überblieken wir diese unanfechtbaren Feststellungen, so haben wir in diesem Schatz’schen Resultat eine Entdeckung von grosser Tragweite. Wir haben geradezu experimentelle Versuchsbedingungen vor uns, wie sie methodoloeisch für unsere Zuflusstheorie nicht exakter denkbar sind. Es ist unverständlich, wie die Kliniker an diesen Resultaten vorbeigehen konnten, ohne sie für die ganze Lehre der Herzhypertrophie auszuwerten. Es ist dies um so unbegreiflicher, als hier im Prinzip eine induktive Beweisführung vorliegt, ohne welche doch sonst die moderne physiologische und klinische Forschung nichts mehr anzuerkennen gewillt ist: Vom Gesichtspunkt des Ex- perimentes aus, indem hier mit Sicherheit dem Zwilling Z! ein Plus au venösem Zutrieb ersteht, erhalten auch unsere für die normale Herzmassenentwicklung aus der Reehnung Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 375 gewonnenen Annahmen extrakardialer Triebkräfte eine Stütze, au der kaum gerüttelt werden kann. Schatz beschäftiet sich auch noch mit der Deutung des Über- wiegens des linken Herzventrikels nach der Geburt: beim normalen ‚Einling. Er hält nämlich den Weg der Entstehung über die erhöhten Widerstände im Aortensystem für unmöglich, weil eben die Strom- breite des extrauterinen ganzen Kreislaufes sich zu dem embryonalen wie 4:5 verhält. Er macht zudem darauf aufmerksam, dass nach der Geburt der linke Ventrikel als halbes Herz seine (halbe) Masse Blut durch die Strombreite 4 leichter treiben wird, als wenn vor der Geburt das ganze Herz seine (ganze) Masse durch die Strombreite 5 zu treiben hat. Schatz sucht nach Analogie seines einejigen Zwillings die alleinige Ursache der Hypertrophie des linken Ventrikels in der Fortsetzung des Zuflusses durch die Eröffnung der Lungenpassage zum linken Ventrikel. Nach ihm muss dieses Plus so lange vorhanden sein, bis die dadurch vermehrte Mehrarbeit des linken Ventrikels mit vergrössertem Schlagvolumen seinerseits wieder zu einer aus- gleichenden Mehrfüllung des rechten Ventrikels führt, womit nach einer gewissen Zeit und von einem gewissen Grade an ein gewisser Unterschied zwischen der Arbeit des rechten und linken Ventrikels stationär werden soll. Ich habe oben (S. 267) schon die Gründe dargelegt, weshalb ich dieser Auslegung nicht folgen kann; sie er- klärt niemals die Langsamkeit der wesentlichen Entwicklung der Hypertrophie des linken Ventrikels im Lauf erst eines Monates. B. Das wachsende Herz während des 2. bis 20. Lebensjahres. Schon Müller hat die Masse der Herzmuskulatur als Funktion der Oberfläche des Körpers in deren Eigenschaft als hauptsächlichste Abkühlungsfläche erkannt und untersucht. Für Müller handelte es sich um die Annahme, dass je grösser die Oberfläche als Ab- kühlungsfläche ist, um so grösser die „Anforderungen“ ‚sein müssen, welche der Körper an das Herz stellt. Die Formel, nach welcher er aus dem Gewicht P des Körpers die Oberfläche in Quadratzenti- metern auf 1 Kilo berechnete, ist O=12: 3123 P*. Müller findet, dass in der Tat das freilebende Herzgewicht des Menschen . vom dritten Lebensmonat an sich ausser.nach der Masse des Kör- pers auch nach dem Verhältnis der Oberfläche zur Masse richtet. (M. S. 110.) Den Grund dieser Abhängiskeit sucht er darin, dass beim Organismus als Wärmekraftmaschine vier Fünftel der gesamten ieye 276 K. Hasebroek: aktuellen Energie des Körpers zur Wärmeproduktion verwendet werden, und dass die Wärmeverluste hauptsächlich durch die äussere Haut vor sich gehen. Man sieht nun sofort, dass wir uns mit dieser Oberflächen- formel auf dem Gebiete des Stoffwechselbetriebes befinden, der für uns beim Embryo als der maassgebende Faktor für den Zufluss- betrieb zum Herzen angesprochen werden musste. Die Müller ’sche Formel enthält nämlich zugleich den Ausdruck für die Grösse des Stoffwechsels im Rubner’schen ÖOberflächengesetz; der Ausdruck wird jetzt allgemein mit Ky® — in der G das Körpergewicht und X eine bei verschiedenen Tierarten wechselnde Konstante bedeutet — als rechnerische Grösse für den ruhenden Menschen verwertet. Ich war somit in der Lage, die Müller’sche Statistik für das Herzgewicht des freilebenden Menschen auch in meinem Sinne auf den Einfluss des Stoffwechsels durch die Stoffwechselformel zu prüfen, und zwar rech- nerisch in ähnlicher Weise wie bei dem Embryo, d.h.an den Einzel- abschnitten der Ventrikel und Vorhöfe Es musste sich dann in der gleichen Weise eine Entscheidung der Frage nach dem eigentlich Treibenden für die Massenzunahme des Herzens herbei- führen lassen. Eine gewisse Fehlerquelle besteht freilich in dem Um- stande, dass bei dem freilebenden Menschen für den Stoffwechsel noch andere Intensitätsfaktoren vorhanden sind, besonders durch das körper- muskuläre Leben; dieser Fehler bleibt aber bei der oben schon erwähnten */5-Quote der Verwendung der Gesamtenergie für die Wärmeökonomie untergeordnet und ist ausserdem zum Teil zu übersehen und ungefähr einzuschätzen. Um mit möglichster Sicherheit vorzugehen, habe ich das Müller’sche Material der Körpergewichtswerte mit grösserer Ge- nauigkeit festgestellt, als Müller selbst es tut, indem ich "meine Körpermittelwerte nach der Tabelle Müller’s S. 124 aus den absoluten und proportionalen Herzgewichten zurückberechnet habe. Ferner habe ich bei Verwendung der Oberflächenformel in X /G? die Konstante X nach den von der neueren Physiologie festgestellten steigenden Daten für die Lebensjahre !) eingesetzt, und zwar für das 2. Lebensjahr mit 11,58 35 : olldd 6.210. ; = 19.03 11.35. \ - 1951 16.20. ® „19,85. 1) Tigerstedt, Nagel’s Handb. Bd.I S. 472. 277 Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 97 Ei de letz gEgL BG 1:20:9 99°7T 10°<1 3384 er 160 2 060 Go'ce v8 erg 688 90°6 2.08 Bo 8 16: g5L 0207 697% oc | 990 E 0‘9 - oT SIT | 968 9,8% Gall 9 «9 Sg'97 0621 gT‘o8 0 or IKyral 7621 EsE er are Fr0L | SE8 sc IE Ge rc 286 |. .886 882 69° ITE == 81 = 3 3 "MOS]TOS | 3 "M90|[08 JOyum | d07y091 ['Jouydaaogq UOPUnFoS ['PUuy99A1q| uopunyos [Youyaaaagq, JOWIo N‘ ne HFOLTOAJLUVSON) [DyWyu9A do SET GL’68 03:58 0°5% 0'361 00651 veer | 0891 er 809 L0'83 0.85 | 7201 0721 Ezil 0698 | SIT | 01 sETr 6r8T 66.08 0LOL s’gL 6681 Gast | 01-9 12 9058 PEST | 1997 ° | 609° | T'99 LLE9 gg. | S7 61 21 SET | E21 se | 2 1188 GE & 97 1:08 = “80T = | IF 16287 g9aL 2 27 "7 a) I I 9 q v Al, °*T9GTO AM. O1 LIT 19°EF r€69 SUrl 0'608 09981 gcar 1 06-91 & 01.29 6383 0'FE 96:66 06T 09T01 STEZ SCI S 260% 39TIe | 10:68 DEE 688 6GLL 0F°9T ° | 01-9 97 06 P8 Isım | 7291 | 8809 | 2789 1669 eLel | SH 91 alzE 661 SC 1877 | «ge FrLG 3801 & £I 023 = er cl = Lar | 1977 gg ö LI 3 "Moslfog 3 "MOSJLOS 122 34 uonp uapungod [Pu99aag uapunjos zo Yy LERUGE -1A1pup = ne = u) ur 1op [ONLIJUOA AOpoorT zıon xopup [Sean | oyıy qyzuy - Et Z a a E ae LEE ji En ZEK ) S 9] [94qr L -Tauue N 278 K. Hasebroek: Ich erhalte alsdann für die von Müller aus statistischen Gründen als zweckmässig angeführten Lebensjahresgruppentabellen (M. S. 209 und 162), meine Tabellen 3 und 4 (S. 277). nunmehr für Männer \ 12 © ne} = ES) & Re < iz = Siaee 9) Sa A en = un len) =) = es = ° ER = © = = = > a = & {) = N ONE 2 > =] a} = oO en — z N SS — in m < - S 1 1 j 1 ı ı S Dur) = S = oO dal —_ ERENED m © bh) ae SEK Nano a ER o = = = Dt _ Ha =) a > 2.09 oO D Bu) und Weiber getrennt. Die nach der Stoffwechselformel „berechneten Sollgewichte“ stehen wieder den „gefundenen“ zum Vergleich gegenüber. Die Eatwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 279 Sofort fällt wieder das Zusammengehen der Vor- hofsgewichte mit den Stoffwechselindices auf, und zwar bis zum 15. Lebensjahre so gut wie absolut genau. Das gleiche ‘ Verhalten bei Männern und Weibern lässt jeden Zufall ausschliessen. Die Gesetzmässigkeit ist so gross, dass man aus ihr einen wahr- scheinlichen Fehler in den Müller’scehen Zahlen nachweisen kann, indem gerade in der einzigsten aus der Reihe fallenden Ausnahme bei dem Vorhofswerte 8,58 der Männertabelle 3 die Summe der von Müller angegebenen Gewichte von Ventrikeln und Vorhöfen nicht mit demjenigen des Gesamtherzens übereinstimmt, was sonst stets der Fall ist. Fast ebensogut wie die Vorhöfe folgen die rechten Ventrikelder Stoffwechselformel, besonders bis zum 15. Lebensjahr und bei den Weibern, während die linken Ventrikel in ihren Gewichten überschiessen. Die Kurven 1 und 2 sind gewiss überzeugend, zumal wenn man in der Vorhofskurve der Männer den eben erwähnten Fehler ausmerzt. Niemand wird leugnen können, dass dieses so schlagende Ver- halten der Vorhöfe und des rechten Ventrikels, mit einem häufigen geringen Überwiegen des rechten Vorhofes über den linken (s. Tabelle 3 und 4) inder Hauptwachstumszeit, unmittel- bar für eine Ursache des Wachsens aus der Grösse der diastolischen Füllungsspannung auf dem Wege ‚des Zuflusses spricht, wie dieser in unserem Sinne durch die Höhe des Abflusses aus dem Gewebe durch den Gesamtstoffwechsel- betrieb bestimmt wird. Eine entsprechende Rechnung ergibt aber weiter, dass die stark abweichenden Gewichte des linken Ventrikels wieder viel besser mit den Körpergewichten selbst zusammengehen, wie die Tabelle 5 er- kennen lässt. Hieraus schliesse ich folgendes: Tabelle 5. Binked Gefunden. . . .... 1 32,15 | 34,20 | 50,92.| 67,10 | 117,0 Ventrikel der Er der Körpermasse | R ; berechnete Sollge- | anne wichte . . 2... [3148 | 37.02 147,72 67,38 123,9 Tinker Gefunden... .... | 27,24 | 33,26 | 44,32 | 60,8 | 111,1 Ventrikel der Nach der Körpermasse | | Weiber berechnete Sollge- | wichte . . =. 1 26,49 1 35,87 | 48,21: | 76,23 | 193,4 2380 K. Hasebroek: i Da, wie gesagt, das Gesamtvorhofsgewicht nach Müller sich eher zugunsten des rechten als des linken aufteilt, so dürfte, nach den Zuflussverhältnissen für die Ventrikel zu urteilen, der linke Ventrikel eigentlich nieht mehr über die Stcffwechselindices über- schiessen als der rechte. Es muss also für den linken noch ein anderer Einfluss hinzukommen, und das kann bei seiner Über- einstimmung mit den Körpergewichten selbst (Tab. 5),nur der durch die Organmassen gegebene arterielle Stromwiderstand sein. Wir kommen, genau wie bei der Analyse der postnatalen Hypertrophie des linken Ventrikels, auf die Ursache.einer Erhöhung des systo- lischen Spannungmomentes durch die Rückschwankung aus dem Aortensystem. Und dass das Überschiessen des Gewichtes des linken Ventrikels auf diesem Wege vor sich geht, das wird weiter dadurch wahrscheinlich, dass wir es in der Männerkurve Nr. 1 aus- geprägter finden als in der Weiberkurve Nr. 2. In dieser Beziehung haben wir einen genügenden Grund .in der Berücksichtigung des _ grössten Gebietes des Aortensystems als desjenigen der Körper- muskulatur, und in der Einschätzung der bei Männern stärkeren körpermuskulären Betätigung als bei den Weibern. Es ist das ein Faktor, den auch Müller am freilebenden Menschen für das Ge- samtherz in gleichem Sinne bewertet. Auf den Faktor der Muskel- arbeit ist auch vielleicht zurückzuführen, dass erst mit dem 3.—6. Lebensjahr, dem Beginn des schulpflichtigen Alters, wie Müller es auffasst, die Kurven für den linken Ventrikel zu divergieren beginnen. Eine grösste Sicherheit für die Richtigkeit alier dieser Resultate erhalte ich darin, dass sich auch an dem Material Thoma’s!) vom 2!/oe. Lebensjahr an die gleichen Erscheinungen des Wachsens nach den Stoffwechselwerten an den Vorhöfen zeigen. Thoma hat vor ‚und unabhängig von Müller eine schon recht genaue Wägungs- statistik aufgestellt. Leider hat er die Ventrikel nicht in rechte und linke getrennt, und von den Lebensjahren fellen 10—15. Ich habe, um die Altersbedingungen ähnlich zu gestalten, an den Thoma’schen Angaben eine möglichst gleiche Jahreseinteilung wie bei Müller vorgenommen, nach der ich die Körper- und Herz- gewiehtswerte gruppierte.e Die Konstante X in dem Ausdruck KG? stellt sich hier: 1) Thoma, Grösse und Gewicht der anatomischen Bestandteile des mensch- lichen Körpers S. 269/70. Vogel, Leipzig 1882. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 281 für 21/2 bis fast £ Jahre auf 11,276 5 4—6!/2 Jahre auf 11,736 „...16—22 R: „ 12,847. Kabelle,o Mittl. Ventrikel Vorhöfe Anzahl Ge Index; mai Eu ELENA REN RR der In- Alter icht 1 .?°55 | ge- berechn.| ge- berechn. dividuen Sr K)@G? | funden Soll- |funden | Soll- kg g gewicht g gewicht 5 0-36 Monate | 11,66 3954 49,72 —_ 9,28 — - 39-47 Monate | 12,32 6177 51,70 51,58 9,40 " 9,63 7 4-61/2 Jahre 14,53 6992 63,11 5838 | 11,46 10,90 5 314 | 24,60 | 24,55 16-22 Jahre 42,83 | 15740 | 164,7 1: Ich erhalte die Tabelle 6, die wieder ein so schlagendes Zusammengehen der Vorhöfe mit den Stoffwechsel- indicees — man beachte den Sprung vom 6. zum 16. Lebensjahre — gegenüber den überschiessenden Ge- wichten der Gesamtventrikel zeigt, dass sich eine Kurven- zeichnung erübriet. Da es sich um die Grundlage eines Materials von zwei unabhängig voneinander arbeitenden autoritativen For- schern handelt, so dürfen wir wohl von der Feststellung eines Ge- setzes sprechen, von dem man bisher nichts gewusst hat: Dass beim Wachstum des Herzens rechnerisch die Massen von Vorhöfen und rechtem Ventrikel sieh fast rein auf den Stoffwechselbetrieb einstellen, während die Masse des linken Ventrikels ausserdem noch von den Widerständen aus dem arteriellen Betrieb der wachsenden Körperorganmassen stark abhängig ist. C. Das ausgewachsene Herz während des 30.—70. Lebensjahres. Mit dem Ausgewachsensein des Körpers und seiner Organe erlangt das Herz seine typische grösste Schwere. Der grosse Umfang des statistischen Materials hat es Müller ermöglicht, trotz der Zunahme der pathologischen Zustände im weiteren Verlauf des Lebens für den erwachsenen Menschen die durehsehnittliche physio- logische Norm zu bestimmen. Auch an diesen Zahlen lässt sieh zeigen, welche überragende Rolle der Stoffwechsel für das Herz- gewicht spielt, Für die Erwachsenen bleibt die Konstante X des. 282 K. Hasebroek: Tabelle 7. Zahl | Mittl. Recht. Ventrikel | Link. Ventrikel Vorhöfe der In-| Ge- „ dex | en ee livi- | wicht verechn | ge- erechn.] ge- |berechn. a / G? funden Soll- | funden | Soll- |funden | Soll- kg g gewicht g | gewicht g _|gewicht Pre een | 91 | 35,52 | 1081 | 58,2 = 114,7 — 31.1. — Ns 154. | 45,12 | 1267 | 66,0 | 6823 | 128,8 | 1345 | 39,4 | aLı3 |1 2 121 54,60 | 1439 | 76,9 77,48 I 155,3 | 152,7 | 44,0 | 46,73 (3 56 er 1a 1613 | 86,9 | 86,86 | 1788 , 171,2 | 50,41 528g je: lan en TE em 122 | 45,30 | 1271 | 59,7 | 62,66 | 120,0 | 119,9 | 36,9 | 37,31 \3 48 | 55,20 I 1450--| 69,7 | 71,50 | 138,8 | 136,8 | 41,1 | 42,58 B= 24 | 64,35 | 1606 | 76,7 , 79,18 | 1580 | 151,5 | 44,9 | 47,14 ,F Männer. Weiber. 60 - 50 Vorhöfe so Vorhöfe \ PF- 5 10% 4o =) 0- 30° 90 = 90 - go PYendr korlenie 79° 0 = : &0 60 % Kurve 3. Kurve 4. gefundene Gewichte, ----- nach den Stoffwechselindices berechnete Gewichte. ‘Stoffwechselindex nach der Physiologie bis ins Alter ziemlich un- verändert die gleiche, nämlich 12,534. Wir können daher X als überall gleich bei der Rechnung entbehren. Die Körpergewichts- werte habe ich zur hen wieder präziser wie Müller nach dessen Tabellen S. S7”—104 aus absoluten und körperproportionalen ‚Herzgewichten re rechter und linker Ventrikel entstammen der Müller’schen Übersichtstabelle S. 214, die Vorhöfe dessen "Tabelle S. 165. Meine Zusammenstellung der nach den Stoffwechsel- indices „berechneten Sollgewichte“ für diese Zeit des erwachsenen Menschen ereibt die Tabelle 7 und die Kurven 3 und 4. Das Re- :sultat ist im Prinzip dasselbe wie früher: ein Parallelgehen der Gewichte der Vorhöfe und des rechten Ventrikels mit der Stoff- wechselformel. während der linke stärker überschiesst, bei den Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 283 Männern wieder mehr als bei den Weibern. Diese Kurven beim erwachsenen Menschen zeigen zugleich auch für das Gesamtgewicht des Herzens besonders gutes Zusammengehen mit dem Stoffwechsel. Es ergibt sich hieraus vielleicht, dass das normale Gesamtgewicht des Herzens rechnerisch dem Oberflächengesetz beim ausgewachsenen Individuum besser folgt, als wenn es noch im Wachsen begriften ist. Mau wird dies bei Vergleichen künftig zu berücksichtigen haben. Fasse ich die Hauptpunkte, auf die es mir in diesem Kapitel ankommt. zusammen, so ergibt sich folgendes: Aus dem Miüdller’schen Material über die Wachstumszunahme des normalen Herzens lässt sich ableiten, dass die Grösse des Herz- gewichtes in erster Linie unter dem Einfluss des -venösen Zufluss- betriebes steht. Die Grösse des Zuflussbetriebes ist, soweit es sich für die embryonale Zeit direkt aus den Massengewichten von Embryokörper und Adnexa, für den freibleibenden Menschen aus dem Ausdruck \& des Oberflächengesetzes ableiten lässt, auf das engste mit dem Ge- samtstoffwechsel verknüpft, und ist die Annahme berechtiat, dass unter dem Drange des Stoffwechsels, als der immanenten Betriebs- äusserung des Lebens, auch ein gewisses Plus’ von selbständigen Triebkräften für den Zufluss in Betracht koinmt. Dies gilt mit Sicherheit hinsichtlich eines Plus an Zufluss durch die Lymph- strömung. Aus der Analogie der Hypertrophie des Herzens beim bevorzugten eineüigen Zwilling durch einen extrakardialen Zufluss- betrieb darf man auch für die normalen Verhältnisse auf das Vor- handensein eines gewissen extrakardialen Strombetriebes als das Enischeidende_ schliessen. Mit Hilfe des Fiek-Horvath schen Momentes durch die Füllungsspannungen ist ‚eine mechanische Deutung der wachsenden Masseneinstellung des normalen Herzens nach folgender Fichtung hin. möglich: für die Vorhöfe ist es ausschliesslich die auf den venösen Zufluss eingestellte Grösse der diastolischen Füllungsspannung, für die Ventrikel ausser der entsprechenden, aus den Vorhöfen stammenden diastolischen Füllungsspannung auch die Grösse der auf die Stromwiderstände stromabwärts in den resp. Arteriensystemen eingestellten systolischen Rückschwankungsspannung, die die Aus- lösung adäquater assimilatorischer Reizgrössen für das Wachstum bedingen. Nicht die Ventrikel, wie man bisher annimmt, sondern 284 K. Hasebroek: _ ® die Vorhöfe sind die Pole, um die sich alles dreht, indem durch diese der Einfluss der Stoffwechselgrösse durch die Grösse des Ge- websabflusses auf das Herz zum Ausdruck kommt. Die Vorhöfe sind hierzu prädestiniert durch die dem rechten Vorhof am nächsten lokalisierten motorischen Reizzentren des Herzens. Beim freilebenden Menschen zeigt der rechte Ventrikel eine viel grössere Tendenz, sich nur dem (Gange des Stoffwechselbetriebes durch das diastolische Spannungsmoment unterzuordnen als der linke Ventrikel, weil letzterer in seiner Masse durch die gleichzeitig wirkenden grösseren Widerstände im Aortensystem von dem hinzu- tretenden systolischen Spanmmgsmoment mehr beeinflusst wird als der rechte vom geringen Widerstand im Pulmonalissystem. Die grössere Beeinflussung aus dem Aortensystem hängt hauptsächlich mit der jeweiligen Grösse der arteriellen Betriebe ım Körpermuskel- system und wahrscheinlich auch im Splanchnicusgebiet zusammen. Durch die Wirkung des von der Grösse des Stoffwechsels ab- hängigen Zuflussbetriebes wird ermöglicht, dass Herzarbeit und Herz- masse sich auf Dedürfnis und Anforderungen des Körpers durch den jeweiligen Stoffverbrauch mechanisch einstellen, das heisst, dass die Einstellung nicht final, sondern kausal vor sich geht. IV. Das schwere Herz der Vögel. Die Vögel haben von allen Tieren das grösste Herzgewicht. Parrot hat unter Bollinger die älteren Angaben Bergmann’s (1847) an einem grossen Material bestätiet. Das Proportionalgewicht zum Körper stellt sich ihm zwischen 7,09 und 26,31 pro Mille gegen- über 6 pro Mille beim Menschen. Selbst die schwersten pathologischen Gewichte beim Menschen werden von denen der Vögel weit über- troffen. Parrot!) verwendete meistens ausgewachsene, in der Freiheit geschossene Vögel und berücksichtiste die gröberen Fehler des Fett- gehaltes und des Mageninhaltes. Zu dem gleichen Resultat kommt Loer?). Obgleich dessen Arbeit an Gründlichkeit gegenüber Parrot zurücksteht, so sind dennoch einige vorkommende Zahlenwerte mit 50 pro Mille so exorbitant, dass sie nicht durch Fehler in der Wägung 4 1) Parrot, Über die Grössenverhältnisse des Herzens bei den Vögeln. Zool. Jahrb. 1394. 2) Löer, Vergleichende Untersuchungen über die Proportionalgewichte des Herzens usw. Pflüger’s Arch. Bd. 140. -— Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 285 zu erklären sind. Es entsteht der Verdacht auf pathologische Ver- hältnisse. Die bisherige Erklärung dieser grossen Differenzen zwischen Vögeln und Säugetieren aus starker und stärkster Flugarbeit kann höheren Ansprüchen an Gesetz und Regel nicht genügen. Ich habe in Verfoleung meiner bisherigen Erörterungen die Sachlage von der anderen Seite zu betrachten: indem ich wieder das eigentlich Treibende für das Hypertrophieren in erster Linie beim venösen Zuflussbetrieb zum Herzen suche. Zunächst bedarf es der anatomischen Orientierung, um die man sich merkwürdigerweise bisher kaum gekümmert hat. Ich folge hierin Gadow!), dem besten Vertreter der Vogelanatomie. Folgendes kommt für mich in Betracht: 1. Der rechte Vorhof ist geräumiger als der linke. Der rechte Vorhof hat eine beträchtliche Ausbuchtung, ein Herzohr, welches zahlreiche starke Muskelleisten enthält, die, kammförmig in Falten ausstrahlend, als Mm. pectinati tiefe Höhlen und unregel- mässige Zwischenräume umfassen. In den Vorhof münden drei Hauptvenenstämme, und zwar in den vorderen oberen Teil die V. cava sup. dextr., dorsalwärts und unten die V. cava sup. sin., rechts lateral die V. cava inferior. Letztere mündet zwischen zwei scharfen in das Atrium hineinragenden Falten. Dieser Klappenapparat scheidet die im oberen Atrialraum liegende Mündung der V. cava sup. dextr. von der sup. sin. Die Klappen werden durch die Wandungen des Vorhofes mit dem stärker entwickeltem .M. peetinatus gebildet. Die Mündung der V.eava sup. sin. wird durch eine kleine quergestellte, zum Teil muskulöse Klappe ge- schützt. Die Mündung der V. cava sup. dextr. hat ebenfalls ‘eine membranöse Klappe. Kommen ‚auch zahlreiche Variationen der Lage der Venenmündungen vor, so sind diese Klappenapparate (doch im Prinzip überall vertreten. 2. Der rechte Ventrikel ist von dem rechten Vorhof (durch eine eigentümliche, für alle Vögel charakteristische Klappe verbunden. Dies ist keine Trieuspidalis wie bei den Säugetieren. sondern sie stellt, wie Stannius sagt, gewissermaassen eine frei nach innen vorspringende Einkrempelung des dem Vorhof zugewandten I) Gadow, in Bronn’s Tierreich Bd. 6 Abt.4. Vögel. I. Anatomischer ‘Teil S. 762ff. 286 K. Hasebroek: Randes der äusseren Wand des Ventrikels selbst dar. Diese dicke Klappenfalte ist bei Vögeln stets muskulös, eben ein Teil der Muskel- wand selbst. ? 3. Der linke Vorhof verhält sich dem Inhalte nach zu dem rechten wie 3:5. Hier findet sich ein derber membranöser, teil- weise muskulöser Vorsprung, der von der oberen Wand in die Höhle hineinragt. Dieser klappenartige Vorsprung lenkt den Blutstrom gegen die linke Herzkammer aus den in einer Öffnung mündenden Lungenvenen.- 4. Der linke Ventrikel ist geräumiger als der rechte, seine Wandung drei- bis viermal dieker. Die Klappen sind ähnlich der Valvula mitralis der Säugetiere. Auch die Aortenklappen sind wie bei den Säugern. Was lehren uns diese Verhältnisse? Vor allen Dingen weist die grosse Geräumigkeit des rechten Vorhofes in Verbindung mit dem stark muskulösen Herzohr und dem gut entwickelten Klappen- apparat an den Mündungen der Zuflussvenen auf eine Einrichtung hin, die sowohl auf den Empfang eines starken Zuflusses als auf einen unmittelbar wirksamen Weitertrieb eingestellt ist. Andererseits sind bei den Vögeln im Gegensatz zu dem Menschen rechter Vorhof und rechter Ventrikel als Hohlraum fast eins zu nennen. In unserem Sinne wird der rechte Vorhof der Wirkung einer stärken diastolischen Zuflussfüllungsspannung unterstehen müssen. Ihm gegenüber erscheint der rechte Ventrikel durch die Eigentümlichkeit der Klappe fast nur als ein Durchflussorgan, um so mehr, als dessen Abfluss in das nach- giebige Lungengefässsystem auf geringe Widerstände trifft. Der linke Vorhof lässt durch den klappenförmigen Vorsprung ebenfalls an eine mehr direkt weiterführende Durchtriebsmission aus der Pulmonal- vene in das Ost. venosum sin. denken, bei geringerer absoluter Füllung als der rechte Vorhof; die Fig. 6 illustriert die Einmündungs- richtung der Pulmonalvene deutlich. Nun ist es klar, dass bei einer so grossen diastolischen Zufluss- füllung des rechten Vorhofes, wie es dessen überragende Geräumigkeit anzeigt, unter den obwaltenden anatomischen Verhältnissen des relativ wenig geräumigen rechten Ventrikels und linken Vorhofes für entsprechend grossen Abfluss aus dem Herzen gesorgt werden muss; daher muss der linke Ventrikel als letzter Herzabschnitt und un- mittelbares Auswurfsorgan- geräumiger als der rechte sein. Und dass er geräumiger sich einstellt, das kann nur durch die besonderer Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 987. Bedingungen der Lungenverhältnisse möglich gemacht worden sein: die Vogellunge ist mit ihrem grossen Raumvolumen gewissermaassen zu einem eingeschalteten Stauweiher auf dem Wege des- Gesamtgefälles vom rechten Vorhof zum linken Herzen geworden. In der Anpassung der Vögel an den Flug in den höheren Luft- resionen liegt offenbar die Notwendigkeit, dass die, Lunge auf zeit- weise wechselnde höchste Blutfüllung und -abgabe angewiesen ist.. Ich komme später noch näher auf diesen Punkt und seine physio- logischen Unterlagen. So kommt es für den linken Ventrikel zu tem- porär gesteigerten diastolischen Füllungsspannungen und schon damit zu erösserer Weite in Verbindung mit den viel stärkeren Wandungen als bei dem rechten Ventrikel. In der Mission der Lunge als Stauweiher sehe ich die Wahr-- scheinlichkeit, dass die Lunge als Gefässorgan auch mit gewissen Eigentriebkräften für die Strömung zum linken Ventrikel ausgestattet ist, die sich keineswegs nur in der Förderung durch die Atembewegungen erschöpfen, sondern auch bei den Gefässwandungen selbst liegen. Ein Zeichen hierfür erblicke ich darin, dass, wie wir später sehen werden,. bei den Vögeln das Lungenorgangewicht auffallend mit dem Gewicht des Herzens parallel läuft (S. 303). Man sehe sich nun die Bilder Fig. 6 und 7 an, die ich dem berühmten älteren Werk Neugebauer’s!), das bis heute für das Venensystem der Vögel grundlegend geblieben ist, entnommen habe; die Bilder entsprechen der Natur und sind nicht etwa schematisch. Kann es zweifelhaft sein, dass hier alles auf einen höchsten Zufluss- betrieb zum Herzen berechnet ist? Das unverhältnismässige Über- wiegen der Raumabmessungen des venösen Systems, speziell der V.cava inferior posterior mit Leber und Nieren, gegenüber den entsprechenden schmalen Ästen der Aorta und dieser selbst spricht mehr als Worte. Diese Örtlichkeiten von Leber und Niere gewinnen eine erhöhte Bedeutung, wenn man Sich der Stellung dieser Örganeim Haushalte des Stoffwechselserinnert, die ich für die Leber früher beim Embryo schon erör- tert habe. Die Quellen der gesamten Brustsanglymphe stehen in nächster Beziehung zur Leber. Das Pfortaderblut enthält bereits einen Massenzuwachs aus der Lymphe der Eingeweide, und die: Leber selbst als umfangreiches Organ liefert ihrerseits eine beträcht- 1) Neugebauer, System. venos. avium. Verhandl. d. Kgl. Carol.- Akad. Bd. 21. 2. 1845. 288 K. Hasebroek: liche Menge neu dazu. Nur durch einen derartigen Zuwachs venöser Strömung werden die grossen Dimensionen des zentralen venösen Systems des Vogels in Fig. 6 verständlich. Neuerdings haben exakte Untersuchungen !) an Gänsen und Hunden festgestellt, dass die Leber eine aktive Rolle für den Stoft- ‚wechsel spielt. Schon früher hatte Fischler bei der zirkulatorischen -Ausschaltung der Leber ein bis zu 70°/o betragendes Absinken der wa wit. s U. prul- N Mroruul. Fis. 6. Ven. cava und Pfortadersystem bei der Gans. (Nach Neugebauer.) ‘Verbrennungen konstatiert. Die neuen Autoren fanden während .des ganzen Versuches ein Herabgehen des Stoffwechsel bis auf ein Drittel der früheren Intensität. Die Ursache des schweren Darnieder- liegens des Stoffwechsels sehen sie sowohl in dem Fortfall der ent- giftenden Funktion der Leber für den Gesamtstoffwechsel als ausser- 1) Grafe und Deneke, Über den Einfluss der Leberexstirpation auf Temperatur und respiratorischen Gaswechsel. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 118. 1915. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 289 dem in der direkten Ausschaltung des Leberstofiwechsels an sich, den sie nieht unter 12° des Gesamtstoffwechsels, für den Hund wenigstens, schätzen. Zugleich sinkt die Körpertemperatur beträchtlich. Die Leberfunktion ist von Bedeutung für die Einstellung der nor- malen Temperatur; diese ist aber bei den Vögeln bekanntlich immer am einige Grade höher — 39,5—42° C. — als bei den Säugetieren. Fig.7. Ven. cava post. und Nierenvenensystem bei der Gans. Linke Niere entfernt. (Nach Neugebauer.) Die Leber ist bei den Vögeln also offenbar ein wichtigster Schauplatz des Stoffwechsels, von dem aus gebieterisch an eine Er- höhung der Herztätigkeit appelliert werden muss: und die Nöti- gung hierzu geschieht durch Öffnung der Schleusen und erhöhten Zufluss zum Herzen als Antrieb zu spezifisch hypertrophierender Arbeitsleistung. Aus der Stellung der Leberfunktion zum Stoffwechsel versteht man die Tatsache, dass die Vögel nach Gadow ein relativ bedeutendes Lebergewicht haben. Das Organ reicht einerseits über den Magen Pflüger’s Archiv für Physiologie. )d. 168. 19 290 K. Hasebroek: auf den Darm herab, andererseits weit in die Brusthöhle hinein und umfasst mit den Vorderrändern die dorsale Hälfte und die Spitze des Herzens. Das Herz ist bisweilen in einen Spalt der Leber eingebettet. Die Rolle der Leber für die Zuflussfüllung des Herzens und dessen Hypertrophie wirft ganz neues Licht auf die auffallend grossen Differenzen im Relativgewicht des Herzens hei einer und derselben Art. Sowohl die Art der Ernährung, als pathologische Momente rücken viel mehr in den Vordergrund, als man bisher ahnte. Nach Gadow stösst man bei den Vögeln einerseits bei keinem andern Organ so sehr Auf scheinbar regellose Schwankungen des Gewichtes. als bei der Leber, und andererseits sterben die Vögel in der Ge- fangenschaft überwiegend an Leberkrankheiten. Eine neue Perspektive entsteht aus der Stellung der Leber zum Zuflussbetrieb zum Herzen für die höchsten Herzgewichte, zum Beispiel bei den nur von Fischen lebenden Pinguinen, für die man keinesfalls eine grosse Flugarbeit zur Erklärung heranziehen kann: dass die Stoffe der Fischnahrung mit dem hohen Gehalt an Gua- nidinen usw. als nahe Verwandte der Harnsäure gerade in der Leber verarbeitet werden, dürfte sicher sein. Die Pinguine haben die schwerste Leber (S. 304). Nun ein Wort über die Eigentümliehkeiten der grossen Vogel- niere. Hier sehen wir an Fie.7 und dem Gadow’schen Bilde (Fig. 8) das Durchsetztwerden des Organes von zwei grosskalibrigen Venenrohren, die eine Anastomose mit der Pfortader vermitteln. Es ist interessant genug, um hier mitzuteilen, wie schon Volkmann seinerzeit diese Verhältnisse Kopfzerbrechen verursacht haben. Er reflektiert eingehend folgendermaassen über diese Verhältnisse !): „Die bei den Vögeln konstante Anastomose zwischen der Pfort- ader und der unteren Hohlvene, welche durch zwei auffallend weite, durch die Nieren hindurchsetzende Blutkanäle hergestellt wird, ist ihrem Zwecke nach durchaus dunkel. Gleichwohl sind die physikalischen Folgen dieser Einrichtung, bis zu einem gewissen Punkte wenigstens, nicht zweifelhaft. Es ist nämlich für das Blut der hinteren Körper- hälfte ein doppelter Weg gegeben: der eine führt durch die Pfort- ader und ihre Verzweigungen, der andere durch den einfachen und weiten Kanal der Hohlvene. Da letzterer Weg der bequemere ist, so muss der grössere Teil der Blutmasse eben diesen einschlagen. Die Anastomose in der Niere dient als Abzugskanal des Blutes aus 1) Volkmann, Hämodynamik S. 271. 1851. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 29] der Pfortader in die Hohlader und bewirkt, dass weniger Blut durch das Pfortadersystem dringt und folglich in diesem langsamer fliesst, als bei Abwesenheit einer Kanalverbindung hindurchgeflossen sein würde. So unantastbar diese Folgerung ist. so wenig trägt sie bei, die Absichten der Natur verständlich zu machen. Von der einen Seite könnte es scheinen, und viele Physiologen haben das Verhältnis so aufgefasst, als sollte bei den Vögeln mehr Blut zur Leber geführt werden als bei den Säugern, denn Venen, welche sich bei letzteren in die Hohlvenen ergiessen, wie die Venen der hinteren Extremitäten und des Schwanzes, treten bei den Öviparen in die Pfortader. Anderer- re. cau. post. RR \v iliaca Art .renat,/' R £f [A EEE ‘ N ; ff A IN [4 STRUiinent SPIPTITERELITEEEETETTT I - V.femorat _ s . Fig. 8.° Niere und Nierenvenen bei der Taube. (Nach Gadow.) seits lebıt aber die eben angestellte Betrachtung, dass die in den Nieren befindliche Anastomose den Zufluss des Blutes zur Leber ver- mindert, und indem zwei Einrichtungen gegeben sind, welche entgegen- gesetzte Folgen bedingen, entsteht der Schein des Widerspruchs, der vorläufig kaum lösbar ist.“ Nun, die Sache liegt unter allen Umständen so, dass eben eine enge Zusammengehörigkeit der Niere mit der Leber durch den Stoff- haushalt besteht. Beide sind zusammen der Organkomplex, der für Entgiftung einerseits und Ausscheidung andererseits bestimmt ist. Und aus diesem Grunde sind aus der Entwicklung des Organismus heraus diese Organe offenbar mit der 195 292 K. Hasebrock: weiteren Aufgabe betraut“ worden, durch die rein mechanischen Konsequenzen ihrer grossen Massen mit teilweise eigenen Triebkräften auf dem Wege gesteigerten Zuflusses zum Herzen einen erhöhten Umtrieb des Blutes, wenn es nötig wird, durch er- höhte Füllungsspannungen desHerzens here orzurufen und zu erzwingen. So sehen wir hier ganz dasselbe realisiert werden. was ich S. 261 für die erste Allantoiszirkulation dargelest hahe: Ein Ineinandergreifen und gegenseitiges Sichunter- stützen von Zentralmotor und Peripherie, in ihrem Spiel ausgelöst und ausbalanciert durch die Vor- sänge des primären Stoffwechselbetriebes. Mir scheint, dass die Eindeutigkeit dieser lokalen Verhältnisse ‘bei den Vögeln. einen wichtigen Fingerzeig für eine gleichgerichtete Annahme am Menschen abgibt. Wie sehr Leber und Niere bei den Vögeln zusammengehören, geht aus einer der vielen Teilarbeiten des Franzosen Magnan her- vor, der wie kein anderer Autor sich mit biologisch - statistischen Untersuchungen des Herzgewichtes auf. breitester Grundlage an einem ungeheuren Vogelmaterial beschäftigt hat. Der Wert dieser Statistik liegt darin, dass sie mit den Mittelwerten grosser Vogel- gruppen rechnet, wodurch die Unsicherheit der vielen sonstigen Variablen bei den Einzelindividuen eliminiert wird. Seine unter dem Gesichtspunkt der Ernährung für Leber und Niere zusammen- gestellte Tabelle!) zeigt für die Relativgewichte dieser Organe eine gleiche Reihenfolge. Er schliesst — und wohl mit Recht — für beide Organe auf die „Toxieit& du regime alimentaire“ als die ge- meinsam treibende Ursache für die Übereinstimmung ihrer relativen Massenentwicklung. Wir finden in meiner Tabelle 5 bei den Vögeln mit Fleisch- und Vegetabiliennahrung die kleineren Organe, bei den von Insekten, Fischen und Mollusken lebenden die grössere und bei den reinen Fischfressern die grösste Leber und Niere. Ich wende mich jetzt zum Stoffwechsel selbst und zu dem Nach: weis dessen Beziehungen zum Herzgewicht. Wenn meine am Ma- terial des menschlichen Herzens gleichermaassen durch die Zahlen gemachte Entdeckung, dass der Einfluss des Stoffwechsels über den l) Magnan, Le [oie et la variation en poids chez les oiseaux, und Le poids des reins etc. Bull. mus. hist. nat. p. 492. Paris 1911. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 293 Tabelle 8. | Mittleres | Leberauf | Nieren s ; Körper- | Gattung | Lebensweise a Be un 5 1000 & B 5 KOT Per = Körper- 8 gewicht | gewicht Grands Echassiers . . . . | ÖOmnicarnıvores . t, 1377,60 21,9 | 7,6 Gallinaces, Columbines . . Granivores . . . 358,50 22,8 U IPassereame a Baccivores . . . 50,70 232 _ Rapaces diures .. . .. Carnivores . . 398,10 | 234 | 8,3 Carnivores und In- | r Q n 18, } | ( Rapaces nocturnes . . . a eg, U } 274,40 2,0 | 9, BASsere ans a N Insectivores . . . DRS IE BAR NEE EO Petits Echassiers. . . . . Testacivores. . . 401,00 38,8 12,4 Palmipedes marins . . . . | Piseivores. . . . | 845,80. 174854" | 14,1 Zufluss zum Herzen und über das rechte Herz geht, richtig war, so musste sie sich’auch am Vogelherz bestätigen lassen. Dies ist der Fall: Auf die Abhäneigkeit des Gesamtherzgewichtes vom Stoffwechsel ‚nach der Oberflächengrösse ist in allgemeinen Umrissen schon von anderer Seite für einander verwandte Vögel hingewiesen worden. Hesse hat in einer Arbeit!) über Herzgewicht der Tiere die Bei- spiele meiner Tabelle 9 gegeben. Mit der Zunahme der Körpermasse nimmt bekanntlich die relative Oberflächengrösse ab. R Tabelle 9. n— == — 7, x Körper- Relat. Herz- Tierart A gewicht 0/00 Kriökente \. m...” | 400 Pfeifente NL 800 27 } Stockente | 100 81/2 Sperber. dk... ur: 125 Habicht . 1200 "32 Hohltauberg.rz =. 250 Ringeltaube 500 10% [ Ich selbst habe mir die Mühe genommen, viele der Parrot- schen Herzgewichte bei ein und derselben Vogelart genauer nach der Formel /@?"in der früher von mir durchgeführten Weise auf die „berechneten Sollgewichte“ zu prüfen und bin dabei allerdings auf vereinzelte überraschende Übereinstimmungen gestossen. Zwei Beispiele in der Tabelle 10 mögen genügen. 1) Hesse, Verein f. vaterländische Naturkunde in Württemberg Bd. 64. 1908. 2394 K. Hasebroek: Tabelle 10. Oberflächen- Absolutes ec Körper- $ Tierart gewicht 2 a A 5 berechnetes 10-4 @? 2 E Soll- g j funden gewicht Kulck 112 | 2416 1.6052 04) —_ Kukuk 2 kN: 149 29923 1,942 | 1,942 38,0 1175 0,755 | _ Alpenstrandläufer. 46,29 1341 0,820 0,861 61,03 1612 0,955 1,035 Trotz dieser hier vorhandenen Gesetzmässigkeit finden sich aber in dem Parrot’schen Material überwiegend so ungeheure Unstimmig- keiten, dass es gar nicht erst der Rechnung bedarf, um dies aus der Tabelle 11 nachzuweisen., Tabelle 11. Körper- | Relatives | : Körper- | ei Vogelart icht | Se Vogelart rich a > gewicht | gewicht = gewicht | gewicht g |" .79/00 g Oo Turmschwalbe { En se > Eichelhäher { an | De BR 198,0 9,09 % 46,0 21,27 Kıbitza 2 2: (| 195.0 14.28 Pirol . () 45,0 26,3 195.022 29,61 ee 25,8 17,85 Öhreule. ... {| 9180, 16.39. Sperling {| 89 12/65 | 1980 : 809 ae 17,0 13,33 Blister se... [ 200.0 | u Wellensittich { 20.0 en Also in der bisherigen Anwendung auf das Gesamtherzgewicht kann das Gesetz nicht richtig sein, jedenfalls nicht für das Einzel- individuum. Das ereibt auch schon die Überlegung, dass das Einzel- tier unter viel zu vielen Variablen der, Stoffwechselintensität steht. Ein interessantes Beispiel habe ich hierfür zufällig für eine und die- selbe Tierart, nämlich für die Fledermaus, die „bekanntlich durch ihr hohes Proportionalgewicht des Herzens an den Vogel erinnert, zur Verfügung. Man ersieht aus der Tabelle 12, deren Material ich einer Arbeit Strohl’s!), auf die ieh weiter unten noch kommen werde, 1) Strohl, Die Massenverhältnisse des Herzens im Hochgebirge usw. Zoolog. Jahrb. Bd. 30. 1910. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 295 ‚entnehme, dass bei allen einjährigen Fledermäusen eine so gut wie abso- lute Übereinstimmung der bereshneten Oberflächensollgewichte mit den gefundenen Herzgewichten vorhanden ist, im Gegensatz zu den hier gleichzeitig im vorletzten Stabe der Tabelle von mir berechneten Körpergewichtssollgewichten. Ein Zufall ist hier bei der Genauigkeit der Zahlen ausgeschlossen. Tabelle 12. Absolutes Ze nice De in Millieramm . Geschlecht Körper- | Index — ä - portional- und gewicht | 3, ı berechn. | berechn. geriet Alter \ @: ge- nach | nach dem H ges 2 funden 3 Körper- EerTZEeNS ‚& '@? gewicht 0/00 männl., ljähr. 9,85 4595 125 _ | — 12,69 männl., 1jähr. 1210 5271 143 143,4 153,6 11,81 männl., 1jähr. 14,25 5878 158 159,9 180,5 11,05 weibl., 1jähr. 14,55 5961 160 162,1 184,7 10,99 männl., Ljähr. 16,05 6364 172 173,1 203,7 10,71 Man ersieht aber andererseits aus. der nächsten Tabelle 13, dass bei den älteren weiblichen Tieren mit wesentlich schwererem, fast dem doppelten Körpergewicht das Herzgewicht über das berechnete überschiesst. Da es sich um nicht eben allzu grosse Differenzen handelt, so geht man wohl — wenn man nicht etwa schon etwas Pathologisches: annehmen will — nicht fehl, in diesen Differenzen zwischen jungen und älteren Tieren irgendwelche Einflüsse des Alters anzunehmen: das Geschlecht kann nicht die Ursache sein, da unter den einjährigen Tieren sich ebenfalls ein Weibchen befindet. Wir treffen hier auf ähnliche Erscheinungen wie bei unserer Berech- nung der wachsenden menschlichen Herzgewichte, wo erst vom vierten bis fünften Lebensjahr an das Gesamtgewicht über das be- rechnete stärker überzuschiessen begann. Tabelle 13. Absolutes Herzgewicht Pro: Geschlecht Bene Io ner in Milligramm u Portional: und gewicht | 3, berechn. berechn. ie : Alter - Ve: ge- nach nachdem| perzens funden 3 Körper- g le: gewicht 0/00 weibl., erwachsen 29,89 8744 270 —_ _ 10,44 weibl., erwachsen 25.90 8754 290 270,3 270,5 11,19 weibl., erwachsen 26,90 8978 325 277,3 |. 281,0 12,08 weibl., erwachsen 31,10 9890 320 305.4 | 324,9 10,28 296 K. Hasebroek: Ich bin nun in der Lage, in voller Übereinstimmung mit unserer Zuflusstheorie auch für den Vogel ein so schlagendes Zusammen- gehen des Gewichtes des rechten Ventrikels mit den Stoffwechsel- indiees nachweisen zu können, dass dies auch hier zu neuen Auf- klärungen führt. Grober!) hat in bekannten Arbeiten über Herz- hypertrophie bei Tieren vergleichende Gewichtsbestimmungen des rechten und des linken Ventrikels des Vogelherzens nach der Müller’schen Methode ausgeführt., Es fiel ihm dabei sofort eine Vorherrschaft des rechten Ventrikels auf. Grober geht zur Deutung der Herzhypertrophie von der muskulären Flugarbeit aus. Er muss jedoch gestehen, dass das Überwiegen des rechten Ventrikels sich hier ebensowenig wie bei einigen schnellläufigen ‚Säugetieren recht erklären lässt. Er meint freilich, dass man bei den Vögeln an eine Erschwerung der Atmung beim Flug denken könne Diese An- nahme ist, biologisch betrachtet, recht bedenklich: eine so sehr aus der Entwicklung heraus phyletisch fixierte Lebensgewohnheit wie das Fliegen kann unmöglich mit einer Erschwerung der Atmung verknüpft sein, um so weniger, als die grossen Luftsäcke der Lungen schon ayf eine Vorbeugung in dieser Richtung hinweisen. Für einen sonstigen erhöhten Widerstand in den Lungen, etwa nach Art der emphysematösen Ausweitung mit Abplattung der Gefässe nach Ana- logie ähnlieher Zustände beim Menschen mit Hypertrophie des rechten Ventrikels, findet Grober keinen Grund, da die Lungen bei den Vögeln nieht die Endteile der Atmungsorgane sind, sondern sich hinter ihnen noch die Luftsäcke befinden ’?). Was die Zahlenwerte anlangt, so findet Grober zum Beispiel bei dem grösseren relativen Herzgewicht der Wildente mit 11,02 %oo gegenüber dem der Hausente mit 6,98°/oo den rechten Ventrikel der Wildente zu 0,206, den der Hausente zu 0,151, während die entsprechenden Zahlen für die linken Ventrikel sich auf 0,372:0,36% stellen. Die Hypertrophie des Wildentenherzens kommt also ganz auf das Konto des rechten Herzens. Absolut findet Grober die Zunahme des rechten Ventrikels bis zum 2,29 fachen gegenüber dem linken Ventrikel mit nur dem. 1,1 fachen. 1) Grober, Über Massenverhältnisse am Vogelherzen. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1908. 2) Grober, Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 12 Nr. 28. 1913. Die Entwicklungsmecharik des Herzwachstums usw. 297 Gehen wir wieder vom Stoffwechsel aus: Ich habe an den Grober’schen Tabellen, und. zwar so wie sie sind (Pflüger’s Arch. Bd. 125), meine früheren Berechnungen für rechte und linke Ventrikel getrennt nach den .Stoffwechselindices vorgenommen und die „Sollgewichtswerte“ neben die von Grober „zefundenen* Werte oesetzt. Ich erhalte meine Tabellen 14, 15, 16 für Wild- ente, Hausente und Möwe. Wildente. Tabelle 14. 3 Herz Rechter Ventrikel Linker Ventrikel Körper-| Index I___ ae en gewicht| 3;,- ..ge- berechn. | _ ge- berechn. ge- berechn. = le? funden | Soll- funden Soll- funden Soll- g 8 | gewicht fe gewicht o gewicht | 650 7504 1,8 _— No — 24 — 375 9147 10,3 9.51 DNS 213 3,9 3.94 835 8861 9,7 9,22 2,15 2.07 3,85 3,43 912 9404 3,95. 9,78 175 2,19 3,30 3.68 93 9533 10,60 9,96 2,20 2.93 3.65 3,70 192 8561 3.05 8,90 1,45 1,99 3,0 3,31 Hansente. Tabelle 15. 1818 1490 3,0 — 1,35 — | 33 — 1595 1361 10.65 11,91 1,65 1,70 4,10 2,98 1881 1490 12,95 13.00 190 | 183 | 5,10 3,25 Möwe. Tabelle 16. 3837 5314 3,50 __ 0,75 — 1,15 — 372 za 3,30 ll 0,70 0,73 1,45 1,12 607 7170 3,20 4,46 0,95 1,01 2,45 1,55 879 9175 5,85 5,70' 1,20 1,29 2,75 1,99 948 I649 7,15 6,00 1,55 1,36 3,10 2,09 404 5465 3,90 3,40 0,80 0,77 1,65 1,18 434 37132 3,89 3,96 0,75 0,81 1,35 124 447 5847 4,05 3.63. | 0,70 0,83 1.45 1,27 Das Resultat entsprieht unseren Voraussetzungen: Man sieht bei allen Arten ein ausgesprochenes Zusammengehen des rechten Ventrikels mit den Proportionen der In- dices, während ganzes Herz und linker Ventrikel über- wiegend inihren Gewichten überschiessen. Noch deut- licher zeigen dies die Kurven 5, 6, 7, in denen die Übereinstimmung zwischen gefundenen und berechneten Werten durch ihre zum Teil überraschende Deckung beim rechten Ventrikel den besten Ausdruck findet.. Besonders die grosse Zahlenreihe der Möwe lässt den Zufall ausschliessen und weist auf eine absolute Gesetzmässigkeit hin. 298 K. Hasebroek: Wildente. ” Hausente, 110 - I . S _ 3.0 a 52 ».Vente, 10.0 - Ko IS IL.Q- Ei 15 - Sie NN 11.0 - 3.0 P.Vent a 1sl a no, Merz Kurve 5. gefundene Gewichte, Kurve 6. gefundene Ge- ----- nach dem Stoffwechselindex be- wichte, ----- nach dem Stoft- rechnete Gewichte. wechselindex berechnete Ge- wichte. Möwe. 5 7.9 2 1,5 Er ER 6.5 > 1.9 ee . > EG 6: er 5.5 = 50- Se h.S- i 1.5 - 4.0- 10 - 35 LS n er Herz Da 0 --"t.Ventr. = Fa Ba a ee ah! Kurve 7. gefundene Gewichte, --- -- nach dem Stoffwechselindex berechnete Gewichte. Einen weiteren Beweis für diese Gesetzmässigkeit liefern mir zwei sich sehr nahestehende Vogelarten, die von Strohl nach den verschiedenen Örtliehkeiten ihres Vorkommens auf ihre Herz- gewichte untersucht worden sind). Es handeit sich um das alpine Schneehuhn aus einer Höhe von 5000 m und das Moorschneehuhn aus 600 m. Diese Arten differieren im Bau kaum. Das Huhn der Ebene ist etwas grösser, Art des Fluges und der Stimme sind durch- aus ähnlich. Das Tier der Ebene ist aber lebhafter und fliegt mehr und weiter. - 1) Strohl, Die Massenverhältnisse des Herzens im Hochgebirge. Zool. „Jahrb. Abt. f. Alle. Zool. u. Physiol. Bd. 30. 1910. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 299 Die Wägungen zeigen eine Herzhypertrophie bei dem Alpentier. Strohl fand im Mittel ein relatives Herzgewicht von 16,30 %/oo gegenüber 11,08 °oo bei dem Tier der Ebene. Und zwar bestätigt sich hier die Beobachtung Grober’s, dass der rechte Ventrikel bedeutend mehr sich an dieser Herz- hypertrophie beteiligt als der linke: Beim Alpenschnee- huhn wog der rechte Ventrikel 3,90, der linke 7,01 gegenüber resp. 2,00 und 5, 5 g beim Moorschneehuhn. Der rechte Ventrikel nimmt also um das 1,9 fache, der linke nur um das 1,2fache zu. An extremen Werten findet Strohl einmal beim Alpenschneehuhn: rechter Ventrikel 4,5, linker Ventrikel 8,47 gegenüber dem Moor- schneehuhn mit 1,34 und 5,16, was einem hypertrophischen Plus bei ersterem um das 2,5 fache für den rechten Ventrikel, um das nur 0,6fache für den linken entspricht. Hinsichtlich der beiden Ventrikelgewichte zum Gesamtgewicht des Herzens (= 1 gesetzt) erhält man bei dem Alpentier für den rechten Ventrikel 0,238, für den linken 0,430, bei dem Tier der Ebene resp. 0,178 und 0,521.. Noch überzeugender wird das Überwiegen des rechten Ventrikels, wenn man mit Strohl den linken Ventrikel = 1 setzt und den Wert des rechten Ventrikels darauf bezieht: es resultiert 0,562 : 0,347. Auch hier beginnen für den Autor die Schwierigkeiten mit der Deutung der Vorherrschaft des rechten Ventrikels. Strohl kommt nach Kritik der Grober’schen Ansichten und . Ausschluss einer Reihe von sonstigen Möglichkeiten zu dem Ergebnis, dass eine Lösung der Frage der Höhenwirkung zurzeit nicht zu geben sei. Verstärkte Muskelarbeit kommt, wie er betont, nach der ruhigeren Lebensweise des Alpentieres nicht in Betracht. Strohl glaubt noch am besten die Hypertrophie des rechten Herzens mit der von Kronecker entwickelten Ansicht von der mechanischen Wirkung des herabgesetzten Luftdruckes in Einklang bringen zu können, die mit einer Blutstauung in den Lungenkapillaren rechnet. Höchst interessant ist es, dass Strohl Gelegenheit hatte, schon bei einem nur 1!/2 Monat alten Alpenschneehuhn das hohe Verhältnis des rechten zum linken Ventrikel mit 0,528 zu finden, obgleich das Proportionalgewicht des ganzen Herzens mit nur 10,29 gegenüber 16,30 des erwachsenen Tieres nicht erhöht war. Also ein weiteres Rätsel. ; Prüfen wir jetzt wieder die Gewichte des rechten und linken Herzens auf ihr Zusammengehen mit den Stofiwechselindices. Ich 300 K. Hasebroek: habe das grössere Material der Moorschneehühner, weil von ver- schiedener Provenienz und weil es manche die Übersicht störenden Unsicherheiten bei nahe zusammenliegenden Einzelgewichten erkennen lässt, in drei Gruppen aufgeteilt. Die Zusammensetzung kann aus den im ersten Stabe der Tabelle 17 gegebenen laufenden Nummern Strohl’s entnommen werden. Übrigens habe ich mich durch ' Rechnung davon überzeugt, dass auch bei Verwendung der Einzel- werte (nach dem Beispiel der Möwe, S. 297) im Grunde das gleiche Resultat nur weniger übersichtlich, zutage tritt. Das geringere Material der Alpenschneehühner mit ihrer Herzhypertrophie habe ich dagegen bis auf zwei Exemplare, die ich wegen des gleichen Gewichts von 410 & vereinigt habe, in den Einzelwerten benutzt. Ich habe die Serien nach zunehmenden Körpergewichten geordnet. Die Kurven S und 9 geben die bessere Übersicht. . Moorschneeliuhn. Tabelle 17. e Mittl. } { Rechter Linker a Körper- Index Herz Ventrikel Ventrikel Strohl’s Bei! Ve: oge- berechn. ge- |berechn. ge- \berechn. g funden 'Sollgew.| funden Sollgew. funden |Sollgew. K Q 197 | . ” 75.211208. ol ae |i5 - (2850, > re) N 551 ea ae | ae) a0 Don Y 679 725 | 694 | a2 | 129 2029 | 358 | 351 Alpenschneehuhn. Tabelle 18. 6 325.1 Ar sol eb 100 1 360. | 506E. N eo 558 | 1,620, 110, | 305 1. 205 4 400..| 5429, 1.6.10. 5.081 1750 121581 2:60... 28 2) 410 °| 5520.21 6,2032, 608 1550,15 2,85 2,22 6:66. 2| .698. 1771,60]. 1.60..1.03.19, 1,8999 | 3 430 | 5698 1 Beim Moorschneehuhn zeigt sich eine ziemlich gute allgemeine Stotfiwechselproportionalität des Gesamtherzgewichtes, aber am aus- gesprochensten und sich fast deckend wieder beim rechten Ven- trikel. Beim Alpenschneehuhn mit dem hypertrophischen Herzen ist trotz mancher Unregelmässigkeiten ebenfalis das Festhalten des rechten Ventrikels an der Stoffwechselkurve eklatant gegenüber dem linken Ventrikel, der im Gewicht sehr bedeutend überschiesst. Man Die Entwicklungsmechanik des Herzwächstums usw. 301 Moorschneehuhn. Alpenschneehuhn. 15 + Ai —_ (A) / .r.Ventr, Ba © r. Ventr, 2 ;, Herz a ee ’ 20 2 107 7 wo - i 15 N IN 2 n \ R ve ER ' an \ in ; 2, en 55 er 1 Ventura < Jo Et Kurve 8. sefundene Gewichte, --- - - nach den Stoffwecheslindices berechnete Gewichte. - wird für, das Alpenschneehuhn bei der körperproportional stärkeren Beteilieung des rechten Ventrikels an der Gesamthypertrophie für den rechten Ventrikel wieder an die mit dem Stoffwechselbetriebe zusammenhängende Erhöhung des venösen Zuflusses denken müssen, während das starke Überschiessen des linken Ventrikels noch auf ‚die Mitbeteiligunge von vom allgemeinen Stoffwechsel unabhängigen, also mechanischen Faktoren hinweist. Da aber in letzterer Beziehung erhöhte Muskelarbeit nicht in Frage kommt — das Tier lebt, wie erwähnt, ruhig —, so bleibt, hier nur übrig, für das Hyper- trophieren des linken Ventrikels auch die Lunge in ihrer Rolle als Stauweiher mit gewissen aktiven Strom- triebkräften, die zeitweise den Jinken Ventrikel unter verstärkte diastolische Zuflussspannung setzen, heranzuziehen. : Nun zum erhöhten Stoffwechsel des Alpenschneehuhknes selbst, dem eigentlich Treibenden für die Herzhypertrophie. Die Tatsache, dass der Stoffwechsel in der Höhe ein inten- siverer ist als in der Ebene, steht nach neuesten exakten Unter- suchungen fest!. Nur über das Wie der Voreänge ist man sich noch nicht einig. Aber alle Möglichkeiten, die in Betracht kommen, können beim Alpenschneehuhn wirksam sein. Fränkel und Gep- pert?) haben experimentell eine Steigerung. des Stickstoffumsatzes l) Graham Lusk, Ernährung und Stoffwechsel S. 233ff. Wiesbaden 1910. 2) Über den Einfluss der veränderten Sauerstoffzufuhr zum Gewebe auf ‚den Eiweisszerfall. Virchow’s Arch. Bu. 67. 1876. 302 K. Hasebroek: unter verminderter Sauerstoffzufuhr nachgewiesen. Miescher!) hat auf ganz anderem Wege durch seine bekannten Untersuchungen am Rheinlachs gezeigt, dass ein solcher Einfluss bei schlechter Lüftung der Zellen vorhanden ist: der Angriff erfolgt also direkt am ganzen Körperprotoplasma. Ein weiteres Moment ist der Ein- fluss der alpinen Kälte und ausserdem Wasserverdunstung, welch letztere bei gleichzeitiger Sonnenbestrahlung und bewegter Luft eine sehr gesteigerte sein kann. Beides erfordert Wärme und muss durch Erhöhung des Stofiwechsels ersetzt werden. Über die allgemeinen Beziehungen der Grösse der Wärmeabgabe zum Herzgewicht ist durch Wägungen bereits Positives festgestellt ?). So findet sich ausschliesslich durch den Fortfall der Wärmeabgabe bei den Kaltblütern und wechselwarmen Tieren bei verschiedenen. Grössen und Körpergewichten das auffallend niedrige und gleiche relative Herzgewicht. Es hatten zum Beispiel sieben Rochen zwischen 140 und 1100 g Gewicht durchweg nur ein Herzgewicht von 1 oo. Das Gewicht der Fische geht bis "/s und !/r°/oo hinab. Selbst kräftige Schwimmer, wie die Makrelen, bringen es trotz ihrer starken Muskel- arbeit nicht über 1!/a %/oo, während Pelamys sarda, der eine Binnen- temperatur von 10° C. über der Wassertemperatur hat, das Herz- gewicht wieder auf 2!/s°/oo ansteigen lässt. Die Amphibien haben durch ihren Wärmeverlust durch Verdunstung ein viel schwereres Herz: Bufo vulgaris mit 31/50/oo. Noch klarer liegt hinsichtlich der Verdunstungsgrösse die Sache beim Grasfrosch, der ausserhalb des Wassers lebt, und beim Wasserfrosch: der erste hat ein Herzgewicht von 23/4 oo, der letzte dagegen nur von 1?/e oo. Vielleicht spricht also in der Wasserverdunstung bei den Vögeln ein Moment mit, das die von uns vermutete aktive Rolle der Lunge bestimmt: der Vogel besitzt keine Schweissdrüsen zur physikalischen Reeulierung der Haut, und die Lunge muss dafür eintreten. Endlich steht beim Alpenschneehuhn die Lungenströmung des Blutes unter dem Einfluss des niedrigen Luftdruckes. Sowohl Zu- fluss zum Herzen und zur Lunge als auch Abfluss aus der Lunge werden begünstigt. Ich erinnere an die Versuche von Bruns — allerdings beim Hunde —, der bei Druckerniedrigung in der Pleura- höhle, beim Einsetzen der Atmung in verdünnter Luft regelmässig den Venendruck von SO em Wasser auf Null sinken und meistens den arteriellen Druck um 10—15 em steigen sah®). Auch dies bedeutet 1) Miescher, Beiträge zur Kenntnis des Lebens des Rheinlachses S. 210. 1880. 2) Hesse, Verein f. Vaterländ. Naturkunde in Württemberg BJ. 64. 1908. 3) Bruns, Die künstliche Luftdruckerniedrigung über den Lungen usw. Münchener med. Wochenschr. 1910 Nr. 42. ’ Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 303 für das rechte sowohl als das linke Herz eine Erhöhung der di- astolischen Füllungsspannung in unserem Sinne und Anregung zum ent- sprechenden Hypertrophieren. Lungen und Herz arbeiten zusammen. Tatsächlich gehen auch bei den Vögeln die Organgewichte von Lungen und Herz parallel. Dies geht aus einer der grossen Statistiken Magnan’s!) hervor. Es handelt sich um zwei Versuchsreihen, einer ersten mit 83 Vögeln in 57 Arten, bei der die Lungen blut- sefüllt gewogen wurden, und einer zweiten mit 70 Vögeln in 62 Arten, die durch Verbluten aus der Carotis blutleere Lungen geliefert hatten. Die Tabellen 19 und 20 erscheinen mir wichtig genug, um sie wiederzugeben. a) Lungen, blutgefült. Tabelle 19. Mittleres Herz | Lungen Gattung a gewicht Körpergew. | Körpergew. g s | 8 Rapaces nocturmes. . ...... 276.50 3,4 1,2 Rapaces diurues. un. .,0%:. 450,50 8,8, 9,4 Grands Echassiers. ...... 1503,50 9,1 10,7 Palmipedes marins. . ..... 740,20 9,5 11,5 MOnDdesu en len ae 173,50 10,1 12,0 Baal SEE a ee 658,40 12,0 157 Gallinacees et Columbines . . . 821,90 12,4 13,1 BetitsYEichassiers . are s. 146,80 37 15,0 BASSEREAUNE ee ae 32,80 14,4 12,7 b) Lungen, entblutet. Tabelle 20. Rapaces noctumes. . ..... 1030,50 6,4 7,0 Bapacesidiurnes- 2m. 0... 2285,10 7,8 1,8 Palmipedes marins. . . . . .. 433,170 u) 8,0 Grands»Richassiersee ea 2157,80 8,8 6,1 VOTUESER EN N ee er. 259,60 10,3 9,0 Gallinaces et Columbines. . . . 81,40 11.5 8,7 VAnardsm an Ra RE Erg 589,40 12,0 12,0 IBetitstBichassiers ner 178,50 13,2 11,6 IBASsereanza re men 25,00 13,3 1149 Man beachte, dass Tabelle 20 durch Eliminierung der Blut- füllung eine geringe Verschiebung der Reihenfolge zugunsten einer noch sichereren Gesetzmässigkeit mit sich gebracht hat. Für die Richtigkeit der Reihenfolge der Spezies spricht die Übereinstimmung der ersten und letzten Reihen mit den Parrot’schen Feststellungen für das Herzgewicht. Die Steigerung der Gesetzmässiekeit durch 1) Magnan, Rapports entre la puissance du vol et de developpement des poumons chez les oiseaux. Bull. hist. nat. p. 483. Paris 1912. 304 K. Hasebroek: die Entblutung weist darauf hin, dass es sich in dem Parallelismus von Lungen- und Herzgewichten um die wahren OÖrgangewichte der Lungen handelt. Dies scheint mir für die Richtiekeit meiner Annahme einer gewissen aktiven Mitwirkung der Lunge immerhin bedeutungsvoll zu sein. Dass das Zusammengehen von Lungen- und Herzgewicht mehr über den Zuflussbetrieb durch den Stoffwechsel als über körpermuskuläre Arbeit sich vollzieht, das geht aus einer ‚anderen Untersuchung Magnan’s hervor, nach der sich bei den ausschliesslichen Fischfressern unter den Vögeln, den flügelarmen Pinguinen, ausser der schwersten Leber auch die höchsten relativen Lungengewichte mit 13,0—17,5°/oo finden). Selbst die stark ar- beitenden Klatschflieger erreichen nicht so hohe Zahlen. Damit soll freilich nicht gesagt sein, dass die Muskelarbeit überhaupt und an sich nicht für diesen Punkt in Frage käme, denn bei den Vögeln, ‚die den Flug in der Gefangenschaft und in den Käfigen verloren haben, sinkt nach Magnan mit dem Gewicht des Herzens das der Lunge bis zu 6 und 9,5°%oo hinab. Der springende Punkt bleibt aber der Weg über das rechte Herz, und Mus- kelarbeit ist und bleibt an sich zugleich ein Intensi- tätsfaktor für den Stoffwechsel mit der Benötigung von einem Fünftel der Gesamtenergie des Körper- umsatzes. Ich werde dies später beim Kapitel über Muskelarbeit und Herzgewicht noch eingehend zu berücksichtigen haben. Um auf die Strohl’schen Schneehühner noch einmal zurück- zukommen: Alles spricht also dafür, dass diese einzigartige Herz- hypertrophie beim alpinen Huhn gegenüber dem Huhn der Ebene von der venösen Seite her am rechten Ventrikel unmittelbar ein- setzt nnd erst mittelbar durch die Mitwirkung der Lungen sich auf den linken Ventrikel erstreckt. Sg würde auch vielleicht die merk- würdige Beobachtung am 1!/a Monate alten Tier das Rätselhafte verlieren: denn die beregten Folgen des Höhenklimas müssen zum Teil sich schon bei der Entwicklung im Ei in intensiverem Stoffwechsel auf das Wachstum des rechten Ventrikels äussern — man erinnere sich der Allantoiszirkulation (S. 260) —, während erst im Verlauf des freien Lebens durch Potenzierung der Einflüsse auch der Lungen auf die Wärmeökonomie und weiter durch retrograde Einflüsse aus dem arteriellen System, der linke Ventrikel an die Reihe kommt. 1) Magnan, Sur les adaptations diverses des poumons chez les oiseaux. Bull. hist. nat. p. 530. Paris 1912. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 305 Fassen wir alles zusammen, was über. das schwere Herz der Vögel gesagt worden ist, so ist es dieses: Schon die anatomischen Verhältnisse des Herzens und des centralen Venensystems in Verbindung mit den Schwergewichten von Leber und Niere weisen für die Entstehung des schweren Voyelherzens auf den Weg über das Venensystem unter dem primären a eines hohen ‚Stoffwechselbetriebes hin. Die zahlenmässige Verfolgung der Stoffwechselindices nach dem Körpergewicht in ihren festgehaltenen Beziehungen zum rechten Ventrikel des Herzens bestätigen auf der ganzen Linie, dass die Herzhypertrophie mit einer erhöhten Fülhmgsspannung des rechten Herzens einsetzt und sich durch die Lunge auf das linke Herz foriselzt. Der bisher von den Autoren festgestellte Zusammenhang zwischen dem Grad der körpermuskulären Arbeit durch den Flug — Klatschflug, Schweberflug usw. — und dem Herzgewicht ist mehr ir die Muskelarbeit als Intensitätsfaklor des Stoffwechsels als auf eine Herzmehrarbeit gegen den arteriellen Druck zurückzuführen. Letzteres kommt eventuell nur für den linken Ventrikel als Einfluss für sich durch erhöhtes syslolisches Spannungsmoment in Betracht. | Von grösserer Bedeutung, als man bisher annehmen konnte, muss die Lebensweise der Vögel nach den klimatischen Verhältnissen, ferner nach der Art ihrer Ernährung für das hohe Herzgewicht verantwortlich gemacht werden. In der Verschiedenheit der Nahrung, in ihrem Einfluss auf die Tätigkeit der grossen Drüsen, speziell der Leber, sind wahrseheinlich die grossen individuellen Differenzen begründet, die man bei den Herzgewichten der Vögel antrifft. Viel- leicht liegt auf diesem Gebiet auch ein pathologisches Moment für die Entwicklung sonst nicht erklärbarer Herzhöchstgewichte. V. Die idiopathische Herzvergrösserung beim Menschen. | Im Jahre 1877 schrieb Cohnheim: „Es gibt Menschen, bei denen Herzbeutel und Klappen ganz in Ordnung sind, deren ganzes Gefässystem auch keinerlei Abnormität darbietet, die ferner keines- wegs sich hochgradig körperlich anzustrengen pflegen und die ein zuweilen kolossal vergrössertes dilatiertes und hypertrophisches Herz haben. Es sind dies die einzigen Fälle, in denen wir gegen- wärtig noch nicht in der Lage sind, das Zustandekommen der Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 20 306 e K. Hasebroek: Herzhypertrophie mechanisch zu erklären!)‘. Cohnheim muss sich auf die Annahme beschränken, dass bei diesen Zuständen eineı- seits eine vermehrte Dehnbarkeit der Wandung, andererseits ein starker Impuls, der sich bis in die Venen fortsetzt, im Spiel sind. Es ist klar, dass, wenn Cohnheim mit vermehrter Dehnbarkeit einen Schwächezustand bezeichnen wollte, seine Annahme eines gleichzeitigen starken Impulses in der Luft schwebt. Die Schwierigkeiten einer Deutung der idiopathischen „Bucardien“ ‚wachsen bei der eleichzeitigen Vergrösserung beider Herzhälften. Bald glaubt man das Befallenwerden des rechten Herzens aus dem- jenigen des linken ableiten zu müssen, bald verfährt man umgekehrt, ohne befriedigt werden zu können, denn hundertfältige eindeutige Erfahrungen weisen auf die Unabhängigkeit der beiden Kammern voneinander und ihrem pathologischen Wachstum hin. Die Unab- hängiekeit ist auch anatomisch von Krehl nachgewiesen worden. Die 'Unklarheit über die idiopathischen Herzvergrösserungen ist bis heute nicht beseitigt. Ein moderner Kliniker, wie Krehl, sagt einmal, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, „ein einigendes Band, eine klare Auffassung über die Nosologie und ätiologische Stellung dieser Zustände zu finden ?)*. - ,. Ich hoffe zeigen zu können, dass es mit Hilfe der in den vorher- sehenden Kapiteln dieser Arbeit gewonnenen Grundlagen des ätio- logischen Faktors der Füllungsspannungen einen gangbaren Weg gibt, die pathologischen idiopathischen Herzver- grösserungen durchaus einheitlich zu deuten. Bauer und Bollinger?®) haben das Verdienst, als die ersten durch Zusammenarbeiten von Klinik und pathologischer Anatomie für den verbreitetsten Typus der Affektion den Zusammenhang aus. der Lebensweise des Menschen einwandfrei festgestellt zu haben. Das 1877 beschriebene „Tübinger Herz“ bekam im „Münchener Herz“ einen Rivalen, ebenso wie das 1880 von Fraentzel auf- gestellte grosse Herz durch „Luxuskonsumpfion von Nahrungs- und Genussmitteln“. Die von Seitz (1873) hervorgehobene Bedeutung der körperlichen Überanstrengung für die idiopatkische Herzver- erösserung wurde von Bauer und Bollinger auf das Maass einer 1) Gohnheim, Allgem. Pathologie 1877 3. 50. 2) Krehl, Erkrankungen des Herzmuskels S. 311. Wien 1913. 3) Bauer und Bollinger, Festschrift Pettenkofer. München 1894 } Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 307 nur mitwirkenden Gelegenheitsursache eingeschränkt. Bauer machte mit Recht darauf aufmerksam — ebenso wie der kritische Cohn- heim es getan hatte —, dass bei einer alleinigen derartigen Ursache die Erkrankung bei unendlich vielen Individuen, die jahrzehntelang schwere Arbeit verrichten, eeradezu an der Tagesordnung sein müsste, was nicht der Fall sei. Bollinger hat dann weiter aus- führlich begründet, dass weniger der Alkohol als die grossen Flüssig- keitsmengen in Verbindung mit überreicher Nahrung in Betracht kommen: die Krankheitsursache wurde von ihm festgelegt auf eine plethorische Zunahme der Blutmenge. Die Münchener Forscher kommen andererseits zu dem Schluss, dass für eine herzmuskuläre Erkrankung ein Anhalt nicht zu finden sei. Das Mikroskop ergab keinen Aufschluss, und schon Bauer sah überdies derartige Personen bis zum hohen Alter schein- bar gesund bleiben, um dann erst innerhalb relativ kurzer Zeit zugrunde zu gehen. Klinisch sprach ferner für die muskuläre In- taktheit, dass „sowohl für den linken als namentlich den rechten Ventrikel auf das bestimmteste erhärtet werden“ konnte: der Rück- gang selbst höherer Grade von Dilatation, wenn die Einwirkung neuer Schädlichkeiten aufhört. Selbst Fälle mit weitgediehenem allgemeinen Hydrops, Leberschwellung, hämorrhagischen Infarkten in den Lungen erlangen vielfach ihr volles Wohlbefinden wieder. Wenn ich an die Betrachtung dieser Herzvergrösserungen vom Gesichtspunkt meiner früheren Resultate herangehe, so führt zunächst die von allen Forschern festgestellte mindestens. abdominale Plethora seraden Wegs auf das von mir S. 270 ff. angezogene Experimentum naturae am eineiigen Zwilling als eine sichere Grundlage, um eine Herzvergrösserung aus erhöhtem Zufluss abzuleiten. Es ist auffallend, dass Bollinger den Schatz’schen Gedanken nur „als ganz neuen Gesichtspunkt“ kurz erwähnt, ohne ihn weiter aufzunehmen. Der Grund kann nur darin gesucht werden, dass Bollinger einen Analogieschluss für unmöglich hielt, da es sich beim Zwilling um im Venensystem neu hinzukommende Triebkräfte handelt. Ich meinerseits habe aber gerade hier das Problem an- zugreifen, da die Einführung solcherart Einflüsse sich in den Rahmen meiner bisherigen Beweisführung glatt einfüst. Doch zuvor habe ich als dokumentarischen Beweis für die Gleichheit der Vorgänge mit den- jenigen der Herzvergrösserung des eineiigen Zwillings die Ähnlich- keit der pathologischen Befunde an den Körperorganen anzuführen. 20 * 308 K. Hasebroek: Es handelt sich hierbei um Bollinger’s „reine Fälle“ von idio- pathischer Herzvergrösserung ohne Arteriosklerose, Nephritis, Lungen- oder Pleuraerkrankungen. Die 14 -Sektionsfälle, denen Bollinger zur Bestätigung noch acht aus der Biemer’schen Klinik hinzufügt, zeigen ausser der plethorischen Zunahme der Blutmenge allemal allgemeinen Hydrops,. meistens auch der Körperhöhlen, fünfmal Lungenödem, siebenmal Leberbefund von. einfacher Schwellung an bis zur Muskatnussleber und Cirrhose, fünfmal Nierenschwellung und Niereniuduration. Man beachte nun die Übereinstimmung mit den pathologischen Befunden von Schatz am eineiigen Zwilling: Eine wahre Plethora ergibt sich nach Sehatz für den bevorzugten Zwilling F, sowohl aus der Sektion als aus dem physiologischen Gesamtbild der Plus- Transfusion in die Venen des Zwillings F, vom Zwilling F her, und zwar von hochwertiges Nährmaterial enthaltendem Blut der eigenen Art. Man kann sieh kein vollkommeneres Experiment einer künst- lichen abdominalen Plethora denken. Schon vor und unabhängig von Schatz hatte ein anderer Autor, Küstner, von anderen Ge- ‚sichtspunkten aus diese Plethora erkannt. Des weiteren wird kon- statiert: Ödem, nicht nur in der Haut und im subkutanen Gewebe, sondern auch in den Körperhöhlen. Aseites finden Küstner, Ahlfeld und Glitsch bis zu 150 cm. Schatz konnte für irgend- welehe Abflussbeförderung keinen Grund finden, es bleibt für ihn als alleiniger Grund der erhöhte Zufluss in das Venensystem. Spezi- fisch sind die Befunde in der Leber und der Niere. Schatz weist nach, dass je nach dem Alter des Fötus anfangs eine Vergrösserung, (dann eine Verkleinerung der Leber vorhanden ist. Er beruft sich auf die Bestätigung durch frühere Befunde Küstner’s, der bei einem jungen Fötus eine „Hypertrophie“, bei einem älteren eine „Sehrumpfung“ der Leber beschrieben hat. Die Bilder hatten so viel Ähnlichkeit mit der Cirrhose, dass Küstner sie bereits als Leber- eirrhose einschätzt. An der Niere findet Schatz ein Hypertrophie und weist nach, wie diese nur mit der vermehrten Beschleunigung der Nierenzirkulation zusammenhängen kann. Jeder wird zugeben, dass die Ähnlichkeit der Befunde mit den Bollinger’schen eine frappierende ist. Noch ein kurzes Wort über die Nieren: Bollinger und seine Schüler gehen von der Annahme aus, dass Biergenuss und Plethora zu einer Art „Stauungsschrumpfniere“ führen. Neuere Untersuchungen F Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 309 haben aber ergeben, dass die gewöhnlichen „Stauungsnieren“, wie Krehl sagt, „nicht so, jedenfalls nieht immer so aussehen“. Es seien vielmehr die von Volhard auf Grund der Darlegungen von Jores als grosse rote Granularniere bezeichneten Zustände, die sich volles Konzentrationsvermögen erhalten haben. Genau hierher gehören nach Krehl die Münchener Befunde!). Ist dies aber der Fall, so spricht das für eine spezifische Überfunktion der Nieren, die mit der Sehatz’schen Hervorhebung einer Hypertrophie der Zwillingsnieren noch genauer übereinstimmt. Eine solche Niere hat auch nach weiteren Untersuchungen nichts mit der gemeinen Sehrumpfniere zu tun. Zudem ist nach Bauer diese Niere schon da, wenn nur die Hypertrophie des rechten Ventrikels im wesent- lichen vorhanden ist. Die Leberbefunde interessieren uns am meisten, denn ich komme hiermit wieder zu den Vorgängen eines erhöhten Zuflusses zum Herzen als Ursache der Hypertrophie des Herzens. Beim Bierpotator handelt es sich um eine höchste Steigerung des intesti- nalen Betriebes im Pfortaderkreislauf und in der Leber als dem Hauptschauplatz der plethorischen Luxusernährung. Wir befinden, uns auf dem Gebiet der Erhöhung der herznahen venösen Zuströmung durch Lymphe und Lymphbahnen, die in unseren früheren Kapiteln für die Entwicklungsmechanik der normalen Herzmassen eine wichtige Rolle spielt. = Seit Heidenhain ist die Selbständigkeit der Lymph- bildung durch das Fehlen jeden Parallelismus, zwischen ihrer Sekre- tion und dem Aortendruck sichergestellt. Ihre Strömung ist unab- hängig vom Herzantrieb, denn sie fliesst noch I—2 Stunden, wenn der Aortendruck auf Null sinkt?). Die Menge der gebildeten Lymphe häugt nach Asher von der Intensität der Organarbeit ab. Speziell sind zwischen Leberarbeit und Lymphvermehrung direkte Beziehungen bekannt. Ausschlaggebend für den Grad der Lymphströmung ist der spezifische Stoffwechsel der Zellen auf dem Wege der Änderung der osmotischen Verhältnisse. Was alles dies für den Bierpotator be- deutet, liegt auf der Hand. Auch in der Fortbewegung ist die Lymphe selbständig. Der eıste Bewegungsantrieb für die Darmlymphe besteht in der Kon- 1) Kehl‘, 2.2.7028. 312. 2) Literatur bei Ellinger und Asher-Spiro, Ergebn. Bd. 1H.1. S.365 ff. 310 K. Hasebroek: traktion der Zottenmuskulatur. Die Lymphbahnen selbst haben Muskeln und Klappen. Heller sah regelrechte peristaltische Be- wegungen. In den Lymphdrüsen arbeiten in der Hülle sowohl als im Balken kontraktorische Kräfte. Endlich ist von den Lymph- _ herzen bekannt, dass deren Schlagen mit dem Füllunggrade zunimmt. Nach allem diesen kann es nicht zweifelhaft sein, dass, dem Zutrieb vieler Bächlein und Bäche zum vereinigten Strom vergleich- . bar, ein wesentliches Plus‘an Strommenge und Stromstärke dem venösen Zufluss zum Herzen hinzugefüst wird. Man wird geradezu an die Verhältnisse beim Vogel erinnert, wo die Vorherrschaft des venösen Systems so durehsichtig in Verbindung mit der hypertrophischen Grösse von Leber und Niere auftritt. Auch erinnere man sich wieder der Bilder, die ich von der Allantoiszirkulation gegeben habe (s. S. 262). Die nächste Konsequenz ist: eine erhöhte diastolische Füllungs- spannung und dilatative Hypertrophie des rechten Herzens. Solche Fälle mit vorwiegender Beteiligung des rechten Ventrikels gibt es, und sie sind, für Bollinger (S. 84) rätselhaft, für uns ein Hinweis auf die Entstehung von der Venenseite her. Für das Tübinger Herz finde ich bei Münzinger bezeiehnender Weise die präzise Angabe: rechter Ventrikel kolossal erweitert, seine Wand um die Hälfte verdickt, linker Ventrikel etwas erweitert, seine Wandung normal. Dieser Fall passt zugleich zu. dem charakteristischen Bilde des Sektionsbefundes: „Leber vergrössert, exquisites Bild der Muskat- nussleber. In Brust- und Bauchhöhle je 1!/s Liter Flüssigkeit.“ Es erscheint mir sehr wichtig, hervorzuheben, dass wie Bollinger (S. 85) aueh Münzinger aus klinischen Gründen zum Schluss kommt, dass die Hypertrophie des rechten Herzens nicht etwa in- folge „vermehrter Widerstände“ im Lungenkreislauf durch das gleich- zeitig oft beobachtete Emphysem bewirkt wird, sondern, dass vielmehr Herzhypertrophie und Emphysem sich nebeneinander entwickeln !). _ Mit diesem selbständigen Emphysem komme ich zugleich zur Frage der Beteiligung der Lungen an den Vorgängen. Man erinnere- ‚sich unserer Erörterungen bei den Vögeln, wo wir eine wahre Hyper- trophie der Lungen mit dem grossen Herzen verknüpft sahen. Die Lungen gaben uns beim Alpenschneehuhn durch ihren verstärkten 1) Münzinger, Das Tübinger Herz. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 19. 1877. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 311 Abfluss die Grundlage zur Mitableitung der Hypertrophie auch des linken Ventrikels. Sollte dieser Weg nicht auch bei der Münchener idiopathischen Herzhypertrophie eingeschlagen werden können? Bollinger’s Angaben über Lungeninfarkt und Lungenödem passen noch besser zu einem gleichzeitigen sehr verstärkten Zufluss vom rechten Ventrikel als allein auf behinderten Abfluss aus dem linken Ventrikel, “ wofür kein rechter Grund zu konstruieren ist. Die Versuche Weleh’s über Lungenödem haben zudem durch künstliche Schwächung des linken Ventrikels diesen Weg des Lungenödems aufgezeigt. Es gibt auf diesem Gebiet pathologisch-anatomisch höchst merk- ‚würdige und für mich vielleicht bedeutsame Vorkommnisse, die man in Beziehung zur plethorischen Hypertrophie des Potatorherzens bringt: nämlich die Kombination einer isolierten Sklerose der Pfortader mit einer ebensolchen der Pulmonalarterie unter einer Plethora vera und starker dilatativer Hypertrophie des rechten Ventrikels!). Muss man unter der modernsten Auffassung der Sklerose als Aufbraucherkrankung, also doch stattgehabter forcierter Funk- tion, nicht beim Potator sofort an unsere ganze Auffassung des durch die plethorische Ursache höchst gesteigerten Betriebes im Pfortaderkreislauf als etwas Primäres denken? Zumal wenn man die toxischen Ein- flüsse des intermediären Stoffwechsels hinzunimmt, die Pfortader und Lungen: gleichermaassen durch ein schlecht verarbeitetes venöses Blut. treffen? Wird nicht durch ein von uns angenommenes Plus von venösem Stromzutrieb und Stromvolumen sofort durch eine erhöhte dias- tolische Füllungsspannung die starke dilatative Hypertrophie des rechten Ventrikels einleuchtend ? Sollte es so ganz zufällig sein, dass ich in meiner Theorie des extrakardialen Kreislaufes so ausführlich in einem besonderen Kapitel die Arteriosklerose — die nach Hart und anderen Autoren mit der beregten Pulmonalissklerose absolut übereinstimmt — über eine Hypertrophie der Wandungen der Gefässe als Ausdruck eines stattgehabten Stadiums von Mehrarbeit ihren Weg nehmen lasse?) ? Sollte es weiter nur ein Zufall sein, dass Hart, um die Vergrösserung - des rechten Ventrikels zu deuten, besonders betont, „dass die mani- feste Sklerose der Pulmonalarterie keinesfalls so weit fortgeschritten war, auch nach dem histologischem Befund an den feinen Verzweigungen nicht, und in keinem rechten Verhältnis zu der Hochgradigkeit der Hypertrophie des Ventrikels zu stehen schien“, und weiter sagt: „Letztere lässt sich so wenig aus der Sklerose der Arterie erklären, dass ich am Sektionstisch die Bemerkung machte, man wäre versucht, an eine isolierte idiopathische Hypertrophie des rechten Herzens ayf angeborener Grundlage zu denken, was natürlich nicht augen „- 1) Hart, Über isolierte Sklerose der Pulmonalarterie. Berliner klin. Wochenschr. 1916 Nr. 12 S. 3043. 2) Hasebroek, Extrakardialer Kreislauf usw. Kap. XV. Sa K. Hasebroek: Dies erlaubt, so scheint mir, die Annahme von wirksamen rein funk- tionellen Geschehnissen zeitlich vor der anatomischen Sklerose der Pulmonalis, und dies wieder fügt sich ganz in den Rahmen unserer gewonnenen Anschauungen einer Mehrarbeit des gesamten Pulmonal- betriebes ein, wie er unter dem Prinzip der erhöhten Zuflussfüllung aus der gesteigerten Lebertätigkeit entsteht. Und wenn man bei diesen Fällen von isolierter Pulmonalsklerose eine Atrophie des linken Ven- trikels findet, so ist das nur. ein Zeichen dessen, dass der Weiter- - trieb durch die Pulmonalis schliesslich versagt hat: wodurch die dia- stolische Füllungsspannung für den linken Ventrikel gesunken sein muss. Ich brauche mich jedoch keineswegs für die Beteiligung des linken Ventrikels an der idiopathischen Herzvergrösserung auf den Weg durch die Lungen als den alleinigen festzulesen. Im Gegenteil, wir haben nach unseren früheren Erörterungen zugleich an das erhöhte systolische Spannungsmoment durch Rücksehwankung des Druckes aus der Aorta, schon durch die Überfunktion der Nieren (ähnlich der Nephritis — siehe später), zu denken. Dieses Rücksehwankungsblut kann zugleich eine gewisse Plusquote für die nachfolgende diastolische Füllung des Ventrikels er- zeugen. Ein grösseres Schlagvolumen, im Fall es durch erhöhten Zu- trieb vom rechten Herzen entstehen muss, wird ebenfalls die Rück- schwankungskomponente begünstigen. So entsteht ein Cireulus vitiosus, der in erhöhtem Aortendruck zum Ausdruck kommen muss. Tat- sächlich erscheint dieser höhere Druck bei der idiopathischen Herz- vergrösserung: für das Münchener Herz hat Fr. Müller neuer- dings dies als Regel hervorgehoben, d. h. es besteht nach ihm die sogenannte arterielle Hypertension. Dass eine Dilatation des Ventrikels nicht ohne weiteres durch Rück- stauung bei „hohen und höchsten Widerständen“ an sich im Aortensystem zustande kommt, wie man es bei den Hypertensionen so vielfach konstruiert, das lehren die Straub’schen plethysmo- tachographischen Kurven über Geschwindigkeit und Grösse der diastolischen Füllung des schlagenden Ventrikels unter Abklemmung der’ Aorta am Arcus, an der Pars thoraeica und bei freiem Aorten- system, die ich beifolgend in Fig. 9—11 wiedergebe!): Oben be- findet sich das Tachogramm, nach welchem die darunter befindlichen Volumkurven der beiden Ventrikel konstruiert sind. Bei e Schluss - 1) Nach Straub, Das Tachogramm der Herzkammerbasis. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 118. 1915. ; ” Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 313 der Semilunarklappen und Beginn der Diastole, die von e bis « währt. Bei / Beginn der Vorhofssystole. Man sieht beim Vergleich der drei Volumkurven deutlich, wie Geschwindigkeit und Grad der dia- stolischen Ventrikelfüllung von Fig. 9 nach Fig. 11 steigen, d. h. in um so mehr zunehmendem Maasse, als das Aortensystem unter ab- Fig. 9. Tachogramm und Volumkurve der Ventrikel nach Abklemmung des Arcus aortae. Systolischer Druck in der Aorta 190 mm Hg. I Tachorramm-W Abscisce Fig. 10. Tachogramm und Volumkurve Fig. 11. Tachogramm und Volum- der Ventrikel nach Abklemmung der kurve der Ventrikel bei freier Aorta thoracica. Systolischer Druck in Aorta. Systolischer Druck der Aorta 180 mm He. 170 mm He. nehmendem Druck eingeschaltet ist. Wäre das Entscheidende nur der Widerstand -an sich, so sollte man umgekehrt bei Abklemmung des Areus aortae in Fig. 9 die stärkste diastolische Füllung erwarten. Diese Kurven weisen jedenfalls darauf hin, dass es das extra- "kardiale .Aortensystem ist, das durch seine Windkessel- wirkung einerseits venenwärts einen Zuflussbetrieb zum Herzen mit 314 K. Hasebroek: ‚entsprechendem, über den rechten Ventrikel gehenden Zufluss zum ‘Herzen unterhält, andererseits ‘retrograd durch Rückschwankung des Druckes und eventuell eine gewisse Quote von Restblut im linken Ventrikel die diastolische Füllung in die Höhe treibt. Noch andere experimentelle Tatsachen sprechen für die gleiche Bedeutung des Aortensystems für die Intensität der diastolischen Füllungsspannung des linken Ventrikels: In bekannten Versuchen klemmte Lüderitz!) zum Studium der künstlichen Aortenstenose die Aorta fest hinter den Klappen ab. Es ging eine bemerkens- werte Änderung der Gestalt des systolischen Plateaus der Ventrikel- innendruckkurve vor sich: indem die normalen welligen oder zackigen Erhebungen in gleichzeitig sich abrundendem Gipfel niedriger wurden und verschwanden. Wurde aber anstatt durch Abklemmung der Widerstand für den Ventrikel durch vasomotorische Verengerung der peripheren Arterien in die Höhe getrieben, so bewegte sich das Plateau der intraventrikulären Kurve gegen das Ende der Systole in aufsteigender Linie. Da im ersten Fall die Aorta aus- geschaltet wird, im zweiten Fall eingeschaltet bleibt, sogar mit foreierter Kraft, so kann die aufsteigende Plateaulinie nur mit pressorischen Kräften im Aortensystem in Verbindung gebracht werden. Ich finde hier übrigens eine Sicherung der Richtigkeit meiner früher schon im ähnlichen Sinne versuchten Analyse der normalen intrakardialen Druckkurve?). Nur aus einer derartigen Mitwirkung des Aortensystems erklärt sich also, dass beim Ab- klemmen der Bauchaorta das Herz sich bekanntlich stark vergrössert, während man bei Lüderitz und seinen Abklemmungsversuchen dicht hinter den Aortenklappen, trotz einer sonst recht genauen und ‚detaillierten Beschreibung, nichts davon liest, dass hier das Herz ‚eine Vergrösserung gezeigt habe. Alles dieses weist doch offenbar darauf hin, dass auch eine erhöhte Energie von ausserhalb des Herzens dazu kommen muss, wenn das Jinke Herz dilatiert werden soll. _— [[0[..-. 1) Lüderitz, Über den Ablauf des Blutdruckes bei Aortenstenose. Zeitschr. £. klin. Med. Bd. 20. 1892. 2)Hasebroek, Die Blutdrucksteigerung in ätiologischer und thera- peutischer Beziehung S. 24, Wiesbaden 1910, ünd Extrakardialer Kreislauf - S. 108ff. Jena 1914. Die Entwieklungsmechanik des Herzwachstums usw. 315 Bei einer bestimmten Form von Herzvergrösserungen kann die Hypertrophie des linken Ventrikels nicht anders entstanden sein, als ‘ retrograd aus dem Aortensystem. Es sind das diejenigen Fälle, wo ‚die Bedingungen für eine Entwicklung der Erweiterung vom rechten Ventrikel her durch Hindernisse im Lungenkreislauf erschwert sind. Schon Cohnheim berichtet über einen solchen Fall: wo bei kolossalem peripleuritischen Exsudat mit schwerster Kompression einer Lunge und gleichzeitiger Schrumpfung der anderen nicht allein das rechte, sondern auch das linke Herz stark hypertrophiert war. Cohnheim macht die Annahme einer infolge der dyspnöischen Beschaffenheit des Blutes vorhandenen spastischen Verengerung der kleinen Arterien, d. h. also einer Entstehung aus dem Aortensystem!), Ähnliche Herzhypertrophien des linken Ventrikels sind die von Bäumler be- schriebenen Fälle mit stärkster Obliteration—-der Pleuraräume und Verlust der Lungenelastizität?). Da jede atheromatöse Erkrankung bei dem jugendlichen Alter der Patienten, ebenso eine Myocarditis- und Nierenerkrankung vermisst wurden, so meint Bäumler, dass ‚der Forttall der pulmonalen Hülfskräfte auch für den linken Ventrikel in Frage kommen könnte, weil die Begünstigung des venösen Rückflusses aufgehoben sei. Also eine teleologische Auffassung, dass der linke Ven- trikel dieses Minus decken muss und deckt. Mit Hülfe unseres aus dem Aortensystem retrograd entstehenden Spannungsmomentes ist eine solche linksseitige Mehrarbeitshypertrophie wenigstens mechanisch verständ- lich zu machen. Auch ein Sektionsbefund Bäumler’s weist auf eine der- artige Herkunft der Hypertrophie hin: es fanden sich. in dem Fall I starke dilatative Hypertrophie des rechten Vorhofs und rechten Ventrikels, ebenso des linken Ventrikels, während der linke Vorhof weder hyper- trophisch noch dilatiert war. Dieses eigentümliche Freibleiben nur ‚des linken Vorhofes macht es jedenfalls höchst wahrscheinlich, dass ‚das klappengesunde Herz von zwei entgegengesetzten Wegen aus zur Hypertrophie gebracht wurde, d. h. der linke Ventrikel vom Aorten- system her. Für unsere Deutung der Hypertrophie des linken Ventrikels der idiopathischen Herzvergrösserung durch mitwirkende Vorgänge bei der ‚arteriellen „HAypertension“ im Aortensystem kommt noch ein Weiteres in Betracht. Es ist bekannt, dass dieser arterielle Hochdruck unter hohem systolischen Maximum verläuft, während der Minimum- druck unverändert ist oder sogar fällt. Ich habe physikalisch nach- gewiesen, dass eine derartige systolische Drucksteigerung mit ver- . grösserter Druckamplitude am besten durch eine aktive pressorische Reaktion der Arterienwandungen auf die Herzpulswelle zu deuten ist. Ich konnte wenigstens an einem Modell die gleichen spezifischen Druckerscheinungen wie bei .der „Hypertension“ künstlich hervor- 1) Cohnheim, Allgem. Pathologie S. 64. 2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 19. 1877. 316 K. Hasebroek: rufen). Ich verstehe es gewiss, dass man bei dem bisherigen Mangel des direkten Nachweises der Annahme einer solehen presso- rischen Arterientätigkeit — wie er in neuester Zeit wieder von Hess vergeblich versucht worden ist?) — von. physiologischer Seite die Anerkennung noch versagen muss. Ich muss aber auch hier wieder darauf hinweisen, dass, soweit man sich in der vergleichenden Physio- logie umsieht, bei allen schlauchförmigen blutführenden Gebilden man auf die Erscheinung der Auslösung von rascher Wandungs- arbeit auf 'erhöhte Füllungsspannung stösst , vollends wenn ein ge- wisser Rhythmus herrscht. Ich kann diesen Einwand des noch fehlenden direkten Nachweises in einer so überaus wichtigen Frage nieht für stichhaltig hinnehmen, ganz abgesehen davon, dass man hier kaum beweisen kann, dass es nicht so ist. Ich komme zum Kapitel der körpermuskulären Arbeit als mitwirkenden Faktors bei der idiopathischen Herzvergrösserung. Hier ist wieder daran zu erinnern, dass unter gewöhnlichen Verhältnissen nur ein Fünftel der vom Gesamtkörper entwickelten Stoffwechselenergie, die nach unserer Anschauung ja den Zufluss zum Herzen primär bestimmt, auf die mechanische Arbeit ent- fällt: So wird es zunächst für uns durchaus erklärlich, dass Körper- arbeit allein, auch im Fall einer Steigerung, von untergeordneterer Bedeutung für den Zuflussbetrieb zum Herzen ist als der Faktor einer plethorischen Luxusernährung. Auf dem Boden unserer Zufluss- theorie kann man sich aber andererseits nicht wundern, dass der Einfluss von körperlicher Arbeit im Verein mit dem Bierpotatorium vereinzelt (Bollinger) in der Herzhypertrophie zum Ausdruck kommt. Für dieserart Mitwirkung der Körperarbeit muss schon . die erhöhte Lymphbildung und -strömung als Erhöhung des. Zuflusses zum Herzen von Bedeutung sein. Allein aus dem Gebiet. des Oberschenkels eines Menschen kann man in 24 Stunden nicht. weniger als 6 kg Lymphe sammeln®). Die Vermehrung der Lymphe bei Muskelarbeit ist bekannt *): aktive und passive Muskelbewegungen 1) Hasebroek, Physikalische Einwände gegen die arterielle Hypertension.. Pflüger’s Arch. Bd. 143. 1912. 2) Hess, Die Arterienmuskulatur als’ „peripheres Herz“? Pflüger’s Arch. Bd. 163. 1916. 3) Landois, Physiologie S. 403. 4) Ellinger, a. a. O. S. 39%. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 317 steigerten bei Pferden die Lymphmenge um das Fünffache. Selbst bei nüchternen Hunden gewann Lesser auf diese Weise bis über 300 cem!). | Die Annahme einer derartigen Mitwirkung der Muskelarbeit auf ‚das Herz von der Zuflussseite her ermöglicht eine Differenzierung zwischen Tübinger und Münchener Herzvergrösserung auch dann, wenn im wesentlichen nur der rechte Ventrikel beteiligt ist, wie in dem Münzinger’schen Fall. Beim Tübinger Arbeiter tritt der Massenkonsum des Weinpotatoriums gegenüber der anstrengenden Bergsteigarheit zurück, während bei dem Münchener die plethorische Luxusernährung quantitativ überragt und im Vordergrunde bleibt. . Ich wende mich jetzt dazu, zu zeigen, von wie grosser Be- deutung die Berufung auf das selbständige extrakardiale ‘Moment der Triebkräfte ist, wenn speziell die Dila- tation des Herzens bei erlahmendem Herzen enorme Dimensionen annimmt, wie wir es klinisch tagtäglich be- ‚obachten. Man ist. bisher viel zu leicht über die Deutung dieser Erscheinung hiuweggegangen. Man hält es für selbstverständlich, ‚dass die oft kolossale Bukardie sub finem vitae einfach auf das Nach- geben der schwachen Herzwandungen auf Innendruck zurückzuführen ist, Nur Cohnheim war so logisch, wie eingangs schon erwähnt, einen gleichzeitigen „verstärkten Impuls“ zu verlangen, denn zu einer Erweiterung gehört eben unter allen Umständen auch eine treibende Kraft, die erweitert: Woher sollen aber diese Triebkräfte kommen, so frage ich, wenn der erlahmende Herzmuskel zugleich der einzigste Triebmotor für den gesamten Unitrieb des Blutes ist? Dann müsste sich also ‘das schwachwandige Herz selbst aufblähen können. Die Kliniker scheinen das für möglich zu halten. Moritz erklärt es durch die „Veränderung-der dynamischen Koeffizienten“ ?). Nun hat aber Frank sezeigt, dass die grundlegenden Beziehungen zwischen isometrischem Spannungsmaximum und isotonischer Zuekungs- kurve am erschöpften Herzmuskel dieselben bleiben wie beim frischen Herzmuskel. Das widerspricht doch wohl der Veränderung der ‚dynamischen Koeffizienten. Moritz meint ferner, dass für den gesunden Herzmuskel die erhöhte Frequenz durch eine Verkleinerung 1) Landois, a. a. 0. 2) Moritz:in Krehl-Marchand, Allgem. Pathol. S. 69 ff. 318 K. Hasebroek: des diastolischen Herzvolumens einer Erweiterung entgegenstrebt : dann sollte man aber füglich bei der notorisch enormen Frequenz des erlahmenden Herzens eine Erweiterung noch weniger erwarten als beim gesunden. Wenn man aber auch die Möglichkeit einer Dilatation des Herzens aus dessen eigenen Druckkräften annehmen wollte, so wird man dies nur für den rechten Ventrikel durch die länger sich erhbaltende Mehrkraft des linken Ventrikels verteidigen können. In der Tat findet man terminal oft das rechte Herz mit Blut ausgedehnt, während der linke Ventrikel leer ist. Für die Dilatation des Jinken Ventrikels bleiben jedoch die Schwierigkeiten einer Deutung bestehen. Moritz konstruiert freilich, dass auch die Erweiterung der linken Herzhöhle bei sinkender Propulsivkraft dann eintreten wird, wenn der linke Ventrikel eine Schwächung erfahren hat, der rechte aber mit normaler Dynamik weiterarbeite. Diese Mög- lichkeit ist wieder recht problematisch nach den überwiegend entgegen- gesetzten Sektionsbefunden. Moritz scheint dies selbst zu emp- finden, denn er gibt zugleich einer weiteren Überlegung Raum, dass das Verhalten des Herzmuskels hinsichtlich seiner Ausdehnbar- keit in der Diastole könnte ein anderes sein als bei der Kontraktion. Wie wenig sicher endlich auch diese Annahme ihm ist, geht aus folgenden Worten hervor: „An sich steht nichts dem im Wege, sich das Verhalten der Dehnbarkeit des Herzmuskels in der Ruhe von dem bei der Kontraktion unabhängig vorzustellen. Andererseits. könnte es aber wohl auch sein und liegt der landläufigen Vor- stellung näher, dass hier immer Beziehungen derart bestehen, dass der geschwächte Muskel, dem ein steilerer Verlauf der Dehnungs- kurve bei der Kontraktion, also ein kleineres Schlagvolumen zukommt, auch in der Ruhe sich als dehnbarer erweisen wird als umgekehrt.“ Man ersieht aus allem diesen, dass, man mag die Sache drehen und wenden wie man will, bei Annahme des Herzens als Allein- motor für das Gesamtsystem die Annahme gemacht werden muss, dass ein erlahmendes Herz n wenn es dilatiert werden soll, seine Kontraktionskraft in höherem Grade sich erhält als seinen Widerstand gegen Überdehnung. Nun findet aber Bruns in Versuchen mit künstlichen intra- kardialen Drucksteigerungen am isolierten schlagenden Froschherzen — dessen Dynamik mit dem menschlichen übereinstimmt — bei einer grösseren Ausdehnbarkeit gleichzeitig eine Abnahme der systolischen Kraft. Ja, im terminalen Erschöpfungszustande — auf Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. “6319: den es uns hier ankommt — nimmt die Ausdehnbarkeit der Herz-- wand oft wieder ab, der Muskel zeigt eine. gewisse Starre, wie- wir sie auch am erschöpften Skelettmuskel kennen!). Hiernach er- scheint es mindestens sehr unwahrscheinlich, dass -das schwache: Herz sich durch seine eigene Kraft sollte erweitern können. Die historisch älteste Form der idiopathischen Herzvergrösserung, diejenige nach körperlichen her none an gibt mir wegen des akuteren Charakters der Brechopfunesschwäche Gelegen-- heit, noch schärfer auf die Notwendigkeit extrakardialer Kräfte hin- zuweisen; denn es steht nach allen klinischen Autoren jetzt so gut wie fest, dass diese akute Dilatation tatsächlich nur bei irgendwelchem. wirklichen Schwächezustand des Herzens vorkommt. Der jetzige Krieg hat Gelegenheit gegeben, röntgenologisch exakt diese „über- anstrensten“ Herzen zu untersuchen. Die Angaben sind sehr präzise folgende: Es findet ‚sich Dilatation des rechten Vorhofes und nicht selten deutlich Dilatation der Cava superior neben dem Aorten- schatten, sodass das Herz kugelig erscheint; ferner mit ebensolcher: Sicherheit Dilatation des linken Vorhofes, indem das linke Herzohr sich vorbuchtet, woran sich in manchen Fällen eine abnorme Dila- tation des Konus der Art. pulmonalis anschliesst, der sich unter dem- Herzohr herabbuckelt?). Diese so sichere Lokalisation der Er- ‘ weiterungen an den Vorhöfen, sogar an der Vena cava, spricht ohne weiteres für den Zusammenhang mit einem Zuflussbetrieb. Hinzu kommt, dass man durchweg bei diesen Fällen den arteriellen. Blutdruck niedrig und selbst bei älteren Individuen nur bis zu ‚140 mm Hg. fand. Für diese Fälle, also bei intakten Klappen, eine Rückwärtsstauung durch das erweiterungsfähige Lungensystem bis zur Vena cava anzunehmen, erscheint bei der relativ geringen Schwere: der funktionellen Störungen unmöglich. Auch Sektionsbefunde aus dem Felde können ein stärkstes isoliertes Befallenwerden des rechten Ventrikels aufweisen. Es heisst zum Beispiel bei Hässner: „I manchen Fällen trat die Dilatatioır des rechten Ventrikels allein in. den. Vordergrund ohne linksseitige Hypertrophie. Bei drei Fällen 1) Bruns, Experimentelle Untersuchungen über die Phänomene der Herz-- schwäche usw. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 113. 1913: 2) Rosin, Behandlung der Herzkrankheiten in den Heimatlazaretten.. - Sammelwerk von Adam S. 216. Jena 1916. ” 320 K. Hasebroek: war die Ventrikelwand papierdünn, so dass auffallendes Tageslicht ‚durehsehimmerte !).“ Man höre ferner, dass der Pathologe Rössle bei seinem Soldaten- : material aus dem jetzigen Kriege überhaupt feste Beziehungen zwischen ‚dem erhöhten Gesamtherzgewicht und einer gleichen Erhöhung ‚des Lebergewichtes entdeckt hat?). Rössle teilt bei dieser ‚Gelegenheit mit, dass allgemein bei arbeitsgewohnten Menschen die Leber etwas schwerer gefunden wird als normal. Und: nun erinnere man sich meiner sanzen früheren Beweisführung, welche die Leber in den Mittelpunkt der das Zuflussplus zum Herzen steigernden Organe stellt. Man wird kaum mehr an der Richtiekeit unserer Auffassung zweifeln können. Was die Dilatation des linken Ventrikels anlangt, so haben wir oben aus den Straub’schen Kurvenbildern gesehen, welche Rolle das Aortensystem als Windkessel für die Steigerung der zur Vergrösserung führenden diastelischen Füllungsspannungen spielt: wie sollte aber beischwachem Herzen nur ein elastisches oder tonisches Prinzip der Aorta, dessen Wirkungsgrösse immer nur sekundär’ von der Energie der systolischen Herzkraft bestimmt werden kann, zu ‚einer Dilatation des Ventrikels führen können? Dies würde doch gar zu sebr an Münchhausen, der sich am eigenen Zopfe aus dem Sumpf zog, erinnern. Die Sache kann eben nur so liegen, dass erst ‚ein aktives Überwiegen der rückwirkenden Kraft der Wandungen ‚des Aortensystems die Bedingungen zur Dilatation des linken Ven- trikels entstehen lässt. Nicht der Widerstand an sieh, sondern der ‘Grad einer relativ zu hohen Eigenenereie 'des Aortensystems kann ‚die Dilatation in der Weise, wie wir es oben auseinandergesetzt haben, herbeiführen. 4 o Nichts kann so gut diesen Gang der Ereignisse beleuchten alsı die akute Herzüberdehnung bei kurzwährender körperlicher Höchstleistung und Überanstrengung. Wo greift denn die Überan- ‚strengung durch den Willensimpuls zunächst und unmittelbar an? Doch direkt am peripheren System, denke ich. An einem primären Eingreifen der Vasomotoren au sich zweifeln weder Physiologen noch ‚Kliniker. Nehmen wir hierbei im Aortensystem nur ein Minimum von l) Virchow’s Arch. Bd. 221 S. 312. 1916. 2) Rössle, Kriegsärztl. Demonstrationen in München. Münchener med. “Wochenschr. Nr. 17 S. 610. 1916. $ Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 321 aktiver pressorischer Reaktion auf die Pulswelle an, so haben wir einer- seits venenwärts selbständige Druckkräfte für einen relativ erhöhten Zufluss zum Herzen und andererseits die verstärkte Rückschwankuag aus dem Aortensystem. Bei den leichteren Fällen wird daher das klinisch nachweisbare Bild der Erweiterung sich auf Vorhöfe und den rechten Ventrikel beschränken, weil in diesem Stadium für diese Ab- schnitte das diastolische Spannungsmoment wirksamer sein wird als das systolische für den linken Ventrikel. Für letzteren wird erst dann ein nennenswert erhöhtes diastolisches Spannungsmoment entstehen, wenn Restvolumen plus Vorhofszufluss genügend zusammenwirken. Nur das gesunde Herz widersteht durch entsprechende Reaktion seiner Kraft einer Erweiterung. So erklärt sich dann auch mühelos der stets festgestellte röntgenologische Befund, dass am Gesunden nicht nur keine deutliche Erweiterung, sondern eher eine geringe Ver- kleinerung des Herzens bei schwerer Muskelarbeit eintritt. Zwei klinische Beobachtungen bestätigen durchaus unsere An- schauungen. Erstens fand Schott in Versuchen unter Moritz, dass der Venendruck bei einer Muskelprobearbeit nur dann steigt, wenn irgendein Defizit am Herzen vorhanden ist!). Klemensiewiez hat aber in langjährigen Studien nachgewiesen, dass durch nichts der Venendruck so sehr bestimmt wird, als durch die Nichtweiter- beförderung des Venenblutes von seiten des rechten Herzen. Zweitens kommt de la Camp in genauen Beobachtungen an Skiwettfahrern zum Schluss, dass die Bestleistungen der Sieger mit dem vasomoto- rischen System erreicht wurden?); mit einer lediglich tonischen Erweiterung der peripheren Gefässe, wie man es landläufig wohl auffasst, kommt man hier aber keineswegs aus. Man mache es sich doch einmal klar: dass hiergesen die ganz enorme Zunahme der Gesamtzirkulation spricht, deren Umlaufszeit, nach der sicheren Gas- methode bestimmt, von 55 auf 5 Sekunden unter starker Arbeit hinabgehen kann®). Will man solche Geschwindigkeitszunahme bei grösster Erweiterung des Strombettes — nach Ranke befindet sich bis zu zwei Drittel des Gesamtblutes in den stark arbeitenden 1) Schott, Die Erhöhung des Druckes im Venensystem bei Anstrengung als Maass für die Funktionstüchtigkeit des Herzens. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 108. 1912. 2) Kongress für innere Medizin 1913. 3) Plesch, Sauerstoffversorsung und Zirkulation usw. Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. Wiesbaden 1909. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 21 322 K. Hasebroek: Muskeln — lediglich aus dem Herzen als alleinigem Betriebsmotor deuten, so kommt man auf eine so unmögliche Grösse der Schlag- volumina, wie sie z. B. von Bornstein mit 450 & — also mit dem rechten Ventrikel zusammen 900 g — gefunden worden ist). Man bedenke: dies bei einer Herzfrequenz bis zu 150 und mehr in der Minute! Da muss doch irgendwo ein Fehler stecken. Und der Fehler liegt darin, dass man für die hohe Geschwindigkeit des Ge- samtumlaufes, an dem an sieh nach den Gaswerten nicht zu zweifeln ist, nicht eine gewisse Quote extrakardialer Triebkräfte in Rechnung stellt. Übrigens ist kürzlich von neuem durch exakteste röntgenologische Metho- dik festgestellt worden ?), dass bei Gesunden auch während der Muskel- arbeit selbst, nur eine sehr geringe Vergrösserung des Herzens stattfindet. Eine bedeutende war bis dahin von Zuntz anderweitigen Röntgen- resultaten der Verkleinerung des Herzens entgegengehalten worden. Nach allem diesen wage ich es sogar, in Hinsicht auf die schlagenden Vorteile, die die Annahme extrakardialer Betriebskräfte für eine eindeutige Erklärung der idiopathischen Herzvergrösserung gegenüber den derzeitigen Verlegenheiten gewährt, auch den Venen- wandungen eine gewisse spezifische stromläufige Mitwirkung zuzu- sprechen, die man bisher kaum berücksiehtigt hat. Ich habe kürzlich in einer physikalisch - experimentalen Arbeit auf die Förderung des Venenstromes hingewiesen, die mit dem so ausgedehnten Zwillings- verlauf der pulsierenden Arterien verknüpft ist, und zwar gerade für den bei der Luxusernährung so wichtigen Bezirk in den kleinsten Darmvenen und im Portalkreislauf. Ich habe zu begründen versucht, dass auch hier eine, wenn auch noch so minimale reaktive Wandungs- reaktion auf die Wellenbewegung sehr wohl angenommen werden darf?). Dadurch würde der gesamte Intestinaltraktus inkl. Leberkreislauf ein nochselbständigeresGepräge erhalten und dadurch eine um so grössere Bedeutung für die Entwieklungsmechanik gewisser Formen der idiopathischen Herzvergrösserungen auf dem Zufluss- wege gewinnen. ’ 1) Bornstein, Neue Untersuchungen über die Herzarbeit beim gesunden Menschen. Fortschr. d. Med. 1912. 2) Zuntz und Nicolai, Berliner klin. Wochenschr. 1914 Nr. 51. 3) Hasebroek, Über die Bedeutung der Arterienpulsationen für die Strömung in den Venen und die Entstehung der Varicen. Pflüger’s Arch. Bd. 163. 1916. 0) Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 3233 Zusammenfassung des in diesem Kapitel Gesagten: Alles spricht dafür, dass für die Entstehung der ıdiopathischen Herzvergrösserung beim Menschen der erhöhte Zuflussbetrieb zum Herzen die Hauptrolle spielt. Auf diesem Wege wird jedenfalls die isoliertere Hypertrophie und Dilatation des rechten Herzens ohne weiteres erklärt. Durch Fortsetzung des erhöhten Zuflusses durch die Lungen kann auch mittelbar das linke Herz an der Ver- grösserung teilnehmen. Hinzu kommt dann für den linken Ventrikel der Faktor einer gesteigerten Rückschwankung des Blutes aus dem Aortensystem. Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass bei diesen Vorgängen wahre extrakardiale Triebkräfte mit im Spiel sind. Diese Annahme wird für eine Erklärung der akuteren Bukardie des schwachen Herzmuskels sogar notwendig. Das Treibende zur idiopathischen Hypertrophie und Dilatation sind die erhöhten Spannungsmomente der Herzabschnitte in unserem Sinne. Auf einer derartigen Grundlage fällt für den Begriff der Herzvergrösserung eine scharfe Grenze zwischen Physiologie und Pathologie fort. Die Hypertrophie ist an sich stets eine physio- logische Reaktion des Herzmuskels, bedingt durch das Fick-Hor- vath'’sche Moment. Sie wird erst pathologisch durch die gegenüber dem Normalen stark erhöhten lokalen Funktionen des grossen Kreis- laufes. Ähmliches gilt auch für das Verhältnis des Grades der Hypertrophie zu dem der Dilatation. In dieser Beziehung wird schon eine einfache funktionelle Herabsetzung der physiologischen Reaktion des Herzmuskels auf das Fick-Horvath’sche Moment die Dilatation ins Pathologische hinübergreifen lassen. Wir er- halten so zugleich ein mechanisches Verständnis für die „Reserve- kraft“ des Herzens, welche für uns nichts anderes bedeutet als das Vermögen der Herzmuskelwandungen, auf erhöhte Spannungsmomente physiologisch mit hypertrophierender Mehrarbeit zu reagieren. VI. Die Frage nach der Arbeitshypertrophie des Herzens beim gesunden Menschen. Diese Frage wird seit Jahren ventiliert: Hypertrophiert das Herz physiologisch, d. h. derartig, dass eine eventuell gleich- zeitig stattfindende Zunahme der Herzhöhlen keine pathologische Dilatation bedeutet? Für mich verändert sich die Fragestellung dahin: Ist Muskelarbeit allein und für sich imstande, am gesunden 21* 3243 K. Hasebroek: Körper die Bedingungen zu schaffen, die durch das Fiek-Horvath- sche Moment das Herz zu einer hypertrophierenden Mehrarbeit ver- anlassen? Und wenn dies der Fall ist: Auf welchen Wegen geht die Auslösung der Hypertrophie vor sich? Das Vorkommen einer wahren Arbeitshypertrophie des Herzens ist bei Tieren nicht zu bezweifeln. Bei Zugochsen, Jagdhunden, Renn- pferden hat man sicher noch physiologisch auffallend zu grosse Herzen gefunden. Berühmt geworden ist das 13!/ı Pfund schwere Herz Fig. 12. Links: Kontrollhund. Rechts: Arbeitshund. (Nach Külbs.) des englischen Vollbluthengstes Helenus. Die veterinären Lehr- bücher fertigen diese Arbeitshypertrophie des Herzens als etwas Selbstverständliches kurz ab: Die Kontraktion der Muskeln bei der Arbeitsleistung Soll zu einer Kontraktion der Muskelarterien und dadurch zu einem gesteigerten Blutdruck führen. Dieser wieder soll das Herz zu anstrengender Tätiekeit veranlassen, woraus wie bei anderen Muskeln eine Hypertrophie hervorgeht!). Diese rasche Erledigung eines höchst komplizierten biologischen Problems ist sehr 1) Friedberger und Fröhner, Spezielle Pathologie und Therapie der Haustiere, 4. Aufl. Stuttgart 1396. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 325 unüberlest; man übersieht dabei. dass gesteigerte Muskelleistung sich unmöglich mit Verengerung der Strombahn und Rückstauung des Blutes verträgt; man denke an den Renner! Zudem lässt man in dem Dogma eines keineswegs allgemein gültigen Gesetzes des Arbeits- hypertrophierens den Herzmuskel aus der Not eine Tugend machen. Zunächst steht fest, dass bei Hunden während der Zeit ihres körperlichen Wachstums durch Muskelarbeit eine Herzhypertrophie künstlich erzeugt werden kann. Die schönen Untersuchungen von Külbs an jungen Hunden von einem Wurf haben dies experimentell bewiesen !). Die Versuche sind einwandsfrei, Wägungswerte {und Abbildungen (s. Fig. 12) überzeugend für die Zunahme der Masse des Herzens. ME elle 97 Arbeitstier - Kontrolltier Linker Ventrikel . . . . 2,5—1l,2 cm 1,5—0,9 em Versuch I % Rechter Ventrikel. . . . 0,9—0,6 „ 0,6—0,2 „ | Septum N ea 1,7 —14 „. 1,5—1,2 Linker Ventrikel . . . . 2,6—1.4 cm 2,1—1,2 cm Versuch II 2 Rechter Ventrikel. . . . 10—04 „ 0,7—03 „ i | Septum ET 1,9—1,5 1,7—1,5 1, Aus den von Külbs mitgeteilten Diekenmaassen der Ventrikei- wände geht hervor, dass der rechte Ventrikel sich mehr beteiligt als der linke. Nach Tabelle 21 verdicken sich: \ In Versuch I: Die linke Herzwand um das !/«—!/z fache, die rechte Herzwand um das !/z — 3fache. In Versuch II: Die linke Herzwand um das Y/s—!s fache, die rechte Herzwand um das Y/s—!/s fache. Da nach Müller das Septum ventrieulorum anatomisch und funktionell dem rechten Ventrikel in grösserer Ausdehnung angehört als dem linken, so ist an der wesentlich stärkeren Zunahme des rechten Ventrikels vollends nicht zu zweifeln. Diese Verhältnisse weisen. nun schon ohne weiteres auf den Zusammenhang mit einer erhöhten diastolischen Füllungs- 1) Kü)bs, Experimentelles über Herzmuskel und Arbeit. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 55. 1906. 3926 K. Hasebroek: spannung durch gesteigerten Zufluss zum rechten Herzen hin. Und dass die Vorgänge tatsächlich dieserart sind, dafür spricht nach den Külb’schen Daten weiter folgendes: Bei einer jedesmaligen Zunahme des Herzgewichtes beim Arbeits- tier von ca. 50°/o finden wir in Versuch I die Zunahme von Leber und Lungen mit einem Plus von 28 und 31 /o, Pankreas 10 °/o, in Ver- such II Leber und Lungen mit einem Plus von 19 und 21/0 Niere 23°%o, Pankreas 16/0. Diesen Zunahmen steht gegenüber die Körpermusku- latur mit einer auffallend kleinen Zunahme von nur ca. 6 und sogar Abnahme von 4°/o. Was bedeutet dies für uns? Im Lichte unserer früheren Ergebnisse wirkt die körpermuskuläre Arbeit in zweierlei Weise auf das Hypertrophieren des Herzens: erstens und in der Hauptsache durch den gesteigerten Stoffwechselbetrieb auf dem Wege erhöhten Zuflusses auf das rechte Herz und zugleich durch den Weitertrieb des Blutes durch die Lungen auch auf das linke Herz, zweitens durch eine Erhöhung der Spannung des Aortensystems auf dem Wege arterieller Rückschwankung nur auf den linken Ven- trikel.. Ganz entsprechend dem wichtigeren Faktor des Stoffwechsel- betriebes finden sich eben bei den Arbeitshund zugleich die er- höhten Gewichte der grossen Drüsen, und zwar über- einstimmend bei Leber und Lungen, wozu beim zweiten Versuch auch noch ein hohes Gewicht der Niere hinzutritt. Erinnert dies nicht auffallend an die Verhältnisse bei den Vögeln mit ihren hohen Leber-, Nieren- und Lungengewichten ? Und nun höre man vollends, wie sehr die Leber bei den Arbeitshunden in den Vordergrund rückt! Külbs findet bei Aus- schluss von Differenzen in der Nahrung und Verdauung die histo- logische Struktur überall an sich gleich, aber beim Arbeitshund eine geringere Glykogenreaktion. Also hat die Leber sicher in ihrer spezifischen Funktion verstärkt gearbeitet. Külbs findet ferner Vermehrung der organischen Elemente, das bedeutet eine wahre Hypertrophie. Diese Tatsache in Verbindung mit der stärkeren Diekenzunahme des rechten Ventrikels als die des linken spricht seine deutliche Sprache dahin, dass bei den Hunden die Haupt- wirkung für das Hypertrophieren des Herzens über dieLeber alsdasZentralorgan des gesteigerten Stoff- wechsels geht, und dass der zweite Weg, nämlich der retrograde über das arterielle System, für den linken Ventrikel mindestens von untergeordneterer Bedeutung ist. | Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 227 Die Richtigkeit des letzten Schlusses wird dadurch gestützt, dass bei derartiger Tretradarbeit, wie Külbs sie wohl anwandte, nach Feststellungen von Zuntz der Aortendruck beim Hunde nur unerheblich steigt, wie überhaupt bei Tieren Muskelarbeit keines- wegs den Blutdruck so sehr erhöht, wie man es nach den Beob- achtungen beim Menschen stets anzunehmen gewöhnt ist. Bei Pferden sinkt sogar am Tretrade der Druck regelmässig. Ich habe dies durch die bei Tieren vorhandene grössere Automatie der Muskel- - arbeit, die vom Gehirneinfluss freier ist, gedeutet‘). Es entstehen somit beim Tier und speziell bei den Hunden unter Muskelarbeit keinesfalls forciert die Bedingungen im Aortensystem für die Er- höhung des systolischen Spannungsmomentes des linken Herzens. Auch hierin werden wir wieder an die Vögel erinnert, speziell an das, was ich für das Alpenschneehuhn gesagt habe (S. 299 ff.). Ein letztes Argument endlieb für die Ähnlichkeit der Vorgänge wie bei den Vögeln liefert die Külbs’sche Feststellung, dass bei den Arbeitshunden stets nach dem Tretradlaufen die Körpertemperatur um 1—2° stieg, um erst nach 20—30 Minuten zum Ruhewert zurück- zukehren; die hohe Temperatur hat der Vogel andauernd. In einer weiteren Arbeit hat Külbs festgestellt, dass Körper- arbeit bei Tieren auch im Rahmen der natürlichen Lebensweise einen Einfluss auf die Herzmasse hat. Er zeigte, dass das Wildkaninchen sein gegenüber dem Stallkaninchen höheres Herzgewicht verliert, wenn es durch längeres Einsperren dem Einfluss der Körperarbeit entzogen wird?). Grober hat dargetan, dass auch in Hinsicht auf die phyletisch fixierten schwereren Herzen bei den dem Stallkaninchen verwandten Wildkaninchen und Hasen der Faktor der Körperarbeit in Rechnung gesetzt werden muss. -Hierbei stiess er, so viel ich weiss, zuerst auf die Tatsache, dass an der Hypertrophie des Herzens der rechte Ventrikel sich wesentlich mehr beteilist als der linke, auch hier also die Erscheinung, die auf den überwiegenden Einfluss des venösen Zuflusses hinweist. Es wird aus den Grober’schen Zahlenwerten so recht klar, dass das Hypertrophieren selbst des linken Ventrikels jedenfalls nicht 1) Literatur bei Hasebroek, Extrakardialer Kreislauf S. 8Sff. und Wie haben wir uns die Wirkung der Gymnastik auf Zirkulationsstörungen zu denken ? Volkmann’s Samml. klin. Vorträge. N.F. Innere Med. Nr. 179. 1910. 2) Külbs, Kongress f. inn. Med. 1909. 328 K. Hasebroek: Tabelle 22. Ganzes Herz = 1 Stallkaninchen | Wildkaninchen | Hase Einkes Herz. . ... 0,412 0,372 | 0,367 Rechtes Herz. . : : 0,192 | 0,196 0,240 allein über die Anforderungen aus dem arteriellen System herrühren kann: Man sieht an den vorstehenden Zahlen der Tabelle 22, wie das linke Herz vom Stallkaninehen zum Hasen bei einer Zunahme des rechten abnimmt, wobei die Summe vom rechten und linken mit 0,604 — 0,568 — 0,607 annähernd gleich bleibt). Da mag man sich drehen wie man will: die Annahme, dass die Hypertrophie des Herzens bei gesteigerter. Körperarbeit nur über den Widerstands- faktor im Aortensystem sich vollziehen sollte, wird durch diese Zahlen ganz unmöglich. Von jeher habe ich in meinen Arbeiten zu beweisen versucht, wie gerade bei Muskelarbeit bis zu einer gewissen Höhe der arteriell vasomotorische Betrieb der Skelettmuskulatur selbst mitarbeitet, und dass hierdurch im Gegensatz zu den land- läufigen Anschauungen die Arbeit des linken Herzens relativ ver- mindert wird. Nach den Grober’schen Zahlen erscheint es fast als selbstverständlich, dass je mehr und je häufiger dieser periphere arterielle Betrieb vom Stallkaninchen zum Hasen hin in Anspruch - genommen wird, um so mehr durch selbständige periphere Abflussbeförderung vom linken Herzen dessen Arbeit gegenüber einer durch den gleichzeitigen erhöhten Zuflussbetrieb vermehrten Arbeit des rechten Herzens abnimmt. Dass der linke Ventrikel an sich absolut ebenfalls schwerer wird, kann eben im wesentlichen auf der Fortsetzung des erhöhten Zu- flusses aus dem rechten Herzen beruhen. Kommt aber die zweite Kom- ponente unseres systolischen Spannungsmomentes aus dem Aortensystem für den linken Ventrikel mit in Frage, was ich nach den früheren Erörterungen sehr wohl berücksichtige, so ist das erst von einem gewissen Grade der Körperarbeit an der Fall, dann nämlich, wenn der arterielle Blutdruck höhere Werte erreicht. Der linke Ventrikel ist immer die höchste Instanz für den arteriellen Betrieb, er bleibt also keineswegs ganz von einer Mehrleistung aus dem arteriellen System 1) Grober, Untersuchungen über die Hypertrophie des Herzens. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 91 S. 510. RL Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 399 heraus befreit, weil für ihn mit dem Faktor erhöhter und verstärkter arterieller Rückschwankung auch ein systolisches Spannungsmoment verknüpft ist. Ich habe nun wieder für die gesetzmässlgen Stoffwechsel- beziehungen der Körperarbeit zum bypertrophischen rechten Herzen auf dem Wege des verstärkten Zuflussbetriebes einen sicheren ‚rech- nerischen Anhalt, und zwar in einer Arbeit von Genner gefunden, die über den Einfluss von Muskelarbeit auf das Hundeherz nach der Resektion des N. depressor handelt. Die Untersuchung ist unter dem Kliniker Bruns in Marburg, dem ich die Zusendung der Arbeit verdanke, gemacht. Es sind nach der Müller’schen Methode die Herzabsehnitte getrennt gewogen. Als Vergleiehsmaterial diente das bisherige Hundematerial Bruns’. Es gelang nämlich, bei vier Hunden eine starke Hvpertrophie des Herzens von 0,369 °/o Propor- tionalgewicht künstlich zu erzielen, also mit einem Herzgewicht, das weit über das Mittel der 64 gesunden Vergleichsarbeitshunde und ebenso über die Werte von Külbs und Grober mit 0,55—0,6 %/o für den Hund hinausgeht. Ein Zweifel an der erzieiten Hypertrophie des Herzens ist also nicht wohl möglich. Stelle ich die von Genner „gefundenen“ Zahlenwerte !) für dieses Herz und seinen rechten und linken Ventrikel in der von mir früher geübten Weise mit den aus den Stoffwechselindicees der Körpergewichte /@? durch Rechnung gewonnenen „Sollgewichten“ zusammen, so erhalte ich die Tabelle 23 und die Kurve Nr. 9. Man sieht, dass auch hier sich bei dem sicher im Hypertrophieren befindlichen Herzen wieder ein deutliches Parallelgehen des rechten Ventrikels mit dem Stoff- wechsel zeigt, während der linke Ventrikel aus der Rolle fällt. Die Genner’sche Untersuchung bietet mir aber noch ein Weiteres: -nämlich in den gleichzeitig registrierten Körperorgan- gewichten. Es stellt sich nämlich die überraschende Tatsache heraus, dass bei entsprechender Rechnung die Gewichte des rechten Ventrikels auch zugleich mit grosser Treue den Proportionen der (sewichte von Leber und Nieren folgen, während der linke Ventrikel dies nicht tut. Die Berechnung ergibt sich aus den Tabellen 24 und 25 und den Kurven 10 und 11. Tabellen und Kurven weisen 1) Genner, Wie beeinflusst die Resektion des N. depressor Herzgrösse: und Gefässwand. Anhangstabelle. Inauguraldissertation. Job. Hamel, Mar- burg 1910. ‘ .330 K. Hasebroek: Tabelle 23. ji een: er “E ti IE Korper Index He Ventrikel Ventrikel Gericht gewicht | 3 u re le Ndes le: ef | ber. ef ber. f | ber. | Herzens ke S° Sollgew.| 8° Sollgew.| 3° Sollgew.] %/oo | Schäferhund 3,550 | 5669 | 95,5 | — 24,0 — 137,0 — 7,14 Bastard . 10,550 | 4811 | 92,5 | 80,8 1182| 20,3 ]39,1| 313 8,8 Spitz 7,050 | 3677 | 68,0 | 61,8 | 12,2| 15,5 [302 | 23,9 9,64 Pintscher. . | 6,700 | 3554 20 990 | 12.2:)..19,0:.1:22,202351 8,58 n.S 96 lo GR Ventr N g0— ı$ ou \ Ks= 10 - Ko u = ?7 46 p > 2% »o 60 is RE 26 Kurve 9. gefundene Gewichte, ---- - nach den Stoffwechselindices berechnete Gewichte. Tabelle 24. Ä Rechter Linker am. Herz Ventrikel Ventrikel er BER Rat RE] I Se Leber ıge- ber. ge- ber. ge- ber. funden | Sollgew. | funden | Sollgew. | funden | Soilgew. Schäferhund . | 419,5 95,9 — 24,0 — 37,0 — Bastard . . . | 326,5 92,5 74,34 18,2 18,68 39,1 28,50 -Spitz . 239,0 68,0 534,41 12,2 13,67 30,2 21,08 Pintscher . . 182,0 57,9 41,44 122 10,41 22,2 16,05 Tabelle 23. 3 8 Rechter Linker Nemich! Iz Ventrikel Ventrikel der KEANE RER RAT) 8 a Nieren ge- ber. se ber. ge- | ber. funden | Sollgew. | funden | Sollgew. funden | \ Sollgew. Schäferhund . 80,5 955 24,0 — | 37,0 | SE Bastard . . . 64,0 92,5 a) 18,2 19,1 39,1 | „4 Spitz . 495 | 68.0 58,7 12,2 14,7 30,2 | 29,9 Pintscher 41,1 57,9 48,8 12,2 12,3 22,2 |, 189 Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 331 Leber. Nieren. , r. Ventr. ss - rVentr 9 20 90 15 gS Herz 10.82 ü 80 ?5 40 20 32 65 Rh” 60 15 SE ic £ Jo - SELTEN NEE ET EDEN EN aa SEE REES WET AR Kurve 10. Herzgewichte, Kurve 11. —— Herzgewichte, --- -- Lebergewichte. ----- Nierengewichte. schlagend zahlenmässig auf die auffallend gleiche Zusammengehörigkeit auch der Organmassen von Leber und Niere mit den Massen des rechten Ventrikels hin. Die Verhältnisse sind nach unseren früheren Aus- führungen durchsichtig genug, um hierin einen sicheren Beleg für die Richtigkeit der ganzen Annahme zu sehen: dass der Haupt- weg zur Herzhypertrophie unter Muskelarbeit an den, durch den erhöhten Stoffweehselbetrieb bestimmten venösen Zufluss zum Herzen gebunden ist und zum rechten Ventrikel unmittelbar hinführt, so dass die Wirkung einer veranlassten erhöhten Füllungs- spannung hier fast rein zum Ausdruck kommt. Wir finden also am Säugetier eine Bestätigung der bei den Vögeln ge- fundenen gleichen Gesetzmässigkeit. Gehen wir mit diesen Unterlagen beim Tier an die Unter- suchung der menschlichen Verhältnisse heran. Die Frage der Mög- lichkeit einer wahren Arbeitshypertrophie muss hiernach mit einem strikten Ja beantwortet werden. Andererseits dürfen wir jedoch nicht übersehen, dass der Nachweis auf dem Sektionstisch bisher fehlt, obgleich man beim Gewohnheitsarbeiter sorgfältig darauf ge- achtet hat. Die Pathologie hätte sich es sicher nicht entgehen lassen, . auch nur annähernd positive Befunde zu registrieren. Ich erinnere 32 K. Hasebroek: [ o an die Zeit von Cohnheim, Traube, Fraentzel und Leyden u.a., in der man sich mit dieser Materie sehr eingehend beschäftigte. Auch die moderne Klinik — ganz abgesehen von den früher bereits an- gezogenen Forschern Bauer und Bollinger — betont immer von neuem, dass bei gesunden Arbeitern das Herzgewicht das annähernd gewöhnliche Relativverhältnis nicht überschreitet. Hirsch!) kommt in seiner Wägungsarbeit speziell zu dem Schluss, dass er weder in der Literatur noch unter den von ihm gewogenen Herzen einen Fall, bei dem das Herzgewicht grösser war, als es dem durch eine starke Körpermuskulatur bedingten hohen Körpergewicht entsprach, habe auffiinden können. Gerade dieses neue Kriterium, des Ver- gleiches mit der Körpermuskulatur, hätte eine Herzhypertrophie nie- mals entgehen lassen können; man denke in dieser Beziehung an die tatsächliche teilweise Unterbilanz der Skelettmuskeln bei den Külbs’schen Hunden (S. 326). Und wieviel Arbeitsmenschen trifft man nieht an, die trotz ihrer gewerbsmässigen hohen körperlichen Be- tätigung und sogar jahrelanger Kraftleistungen das Gegenteil einer voluminösen Muskulatur aufweisen. Ich betonte eingangs dieser Arbeit schon einmal diesen Punkt. Diese negativen Beobachtungen von Klinik und Pathologie lauten sämtlich so bestimmt, dass man sie nicht ignorieren darf. Wir haben uns daher nach den Gründen für das anatomische Nichtvorkommen der Arbeitshypertrophie des Herzens beim Menschen gegenüber den Tieren umzusehen. Einen wichtigen Anhaltspunkt habe ich nun darin, dass das sichere und positive tierexperimentelle Ergebnis in dieser Frage, das Resultat von Külbs, mit der Zeit des jugendlichen Alters und des physiologischen Allgemeinwachstums in Verbindung zu bringen ist. Bereits Bruns hat für die Külbs”’schen Hunde auf Grund eigener negativer Arbeitsversuchsresultate die Meinung aus- gesprochen, dass es sich in den positiven Befunden vielleicht um eine Jugendwachstumshypertrophie handeln könnte?). Und in der Tat finden wir in Berücksichtigung des Einflusses des Alters einen Teil der Lösung unserer Frage: Wenn nämlich die Arbeitshyper- trophie, wie wir annehmen, im wesentlichen über den erhöhten Stofi- 1) Hirsch, Über die Beziehungen zwischen Herzmuskel und Körper- muskulatur. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 64 S. 606. 1899. 2) Bruns, Welche Faktoren bestimmen die Herzgrösse? Münchener med. Wochenschr. 1909. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 333 [&%) wechselbetrieb von der Zuflussseite her geht, so ist der spezifische Intensitätsgrad des Stoffwechsels das Ausschlaggebende, Die Intensität ist aber in der Jugend eine ungemein viel grössere als beim Erwachsenen. Nach einem neuesten kalorimetrischen Resultat von E. F. du Bois wurde im Ruhezustand an Knaben von 12 bis 13 Jahren die Wärmeproduktion, bezogen auf die Oberflächeneinheit. um 32°/ höher gefunden als bei Erwachsenen'). Die menschliche Stoffwechselphysiologie ist sogar geneigt, den Grund dieser Differenz zwischen jugendlichem und erwachsenem Körper überhaupt in diesem spezifischen Einfluss der muskulären Betätigung, ja schon des Muskel- tonus zu suchen). Es ist also ganz klar, dass auch für den Menschen nur in den jungen Jahren die Quote des muskulären Arbeitseinflusses auf den Stoffwechsel eine so grosse sein kann und ist, dass eine Herzhypertrophie in nach- weisbarer Stärke erscheint. Die Verhältnisse gestalten sich dann derartig, wie wir es in den hohen Organgewichten der Külbs- schen Hunde gegenüber dem jedenfalls niedrigen Plusgewicht der Skelettmuskulatur bei den Arbeitshunden vor uns sehen. ‘Gerade in diesem geringen Plus der arbeitenden Skelettmuskulatur gegenüber den grossen Drüsen offenbart sich die ganze Bedeutung der Skelettmuskulatyur als Intensitätsfaktor für den Stoffwechsel. In dieser Art spezifischem Einfluss des Alters kann also sehr wohl der Grund liegen, dass man beim Menschen den Sektionsbefund der Herzhypertrophie vermisst hat; denn es liegt in der Natur der Sache, dass man als Sektionsmaterial bis jetzt so gut wie ausschliesslich Erwachsene geprüft hat. Jugendliche Schwer- und Dauerarbeiter gibt*es kaum. Und dass nun in der Tat die Sache sich so verhält, geht daraus hervor, dass man auch beim Menschen bei der Verfolgung der Einwirkung schwerer Sportanstrengungen gerade’ bei Jugendlichen ein dimensional grösseres Herz klinisch keines- wegs vermisst. Ich erinnere an die sicheren statistischen Resultate, die mit der röntgenologischen Untersuchung, zum Beispiel bei Rad- fahrern und Rekruten des zweiten Jahres, gewonnen sind und die auch wohl an einen gewissen Grad von wahrer Herzhypertrophie nieht zweifeln lassen. 1) Arch. of intern. med. vol. 2. Juniheft 1916. — Ref. Berliner klin. Wochenschr. 1916 Nr. 41 S. 1131. 2) Tigerstedt in Nagel’s Handb. Bd.1 S. 472 fi. 334 K. Hasebroek: Unter dem Gesichtspunkt der Altersbedingungen wird es jetzt auch verständlich, dass der erfahrene Bollinger bei seinem sicher nur ausgewachsene Menschen betreffenden Material feststellen musste, dass der Faktor der Muskelarbeit nur dann ins Gewicht fällt, wenn ‚gleichzeitig noch andere Register für Stoffwechsel und Zufluss gezogen worden sind. Der Unterschied der Jahre ist also ein gradueller: Daher ist bei den Erwachsenen nur der Grad der Herzhypertrophie ein so geringer, dass er sich dem Nachweis entzogenhat. Dass ein Einfluss an sich wahrscheinlich vorhanden ist, dafür möchte ich darauf hinweisen, dass nach dem Pathologen Rössle!), wie er ge- legentlich mitteilt, bei gewohnheitsmässig arbeitenden Menschen die Leber, also das Zentralorgan in unserem Sinne, durchweg etwas schwerer ist als in der Norm. Aus dem Unterschied zwischen jugendlichem und erwachsenem Alter geht übrigens auch das hervor, dass, wenn eine Arbeitshyper- trophie des Herzens erscheint, diese nicht über „erhöhte Wider- stände im Aortensystem“ sich entwickelt: denn in diesem Falle könnte ein solcher Unterschied des Alters kann bestehen. Eine neueste Arbeit von Külbs bringt interessante Sektions- ergebnisse an flandrischen Zieh-. und Arbeitshunden®). Ich muss hierauf näher eingehen, denn es kommt hierbei manches zutage, was für unsere ganze Frage wichtig ist, indem es in Hinsicht auf die übliche Ausdeutung der Gewichtswägungen manches zu denken gibt. Külbs findet an den flandrischen Hunden im allgemeinen eine Bestätigung der Befunde der Herzhypertrophie seiner früheren Arbeitshunde. Folgender Punkt ist zunächst für unsere neuen Anschauungen wiehtig: dass diese flandrischen Hunde „als junge Tiere angelernt und nach 9—12 Monaten angeschirrt werden, worauf sie bis zum zehnten Lebensjahr gebraucht werden“. Sie akquirieren also zweifellos das von Külbs gefundene grössere Herz- gewicht in der dazu disponierenden Jugend. Es fällt bei den Hunden das Verhältnisgewicht des Herzens zur Muskulatur auf, das überaus hoch ist und bis zu 1:32 hinaufgeht. 1) Rössle, Münchener med. Wochenschr. 1916 Nr. 17 S. 610. 2) Külbs, Weitere Beiträge zur Frage: Arbeitsleistung und Organentwick- lung? Münchener med. Wochenschr. 1915 Nr. 43. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 3935- Das veranlasst mich, hier einmal die Einschätzung der Fettgewichts- bilanz, für welche in der Külbs’schen Untersuchung sichere Unter- lagen vorhanden sind, einer näheren Betrachtung zu unterziehen.- Der Fettgehalt der Organe spielt bei den flandrischen Hunden ent- schieden eine Rolle. Es ist klar, dass rechnerisch ein relatives Plusgewicht des Herzens begünstigt wird, wenn Körpermuskulatur und Organe von einem Minusfaktor betroffen sind. Ein solches Minus kann auch her- rühren von niedrigem Fettgehalt infolge von muskulärer Arbeit und herabgesetzter Ernährung. Man weiss einerseits, dass beim Menschen an einem Arbeitstag der Fettstoffwechsel 2!/g mal so gross ist als an einem Ruhetage, indem das Fett eine Hauptenergiequelle für die- mechanische Arbeit bedeutet!). Andererseits weiss man ebenso sicher, dass das Skelettmuskelgewicht unter herabgesetzter Ernährung besonders nach dem Fettgehalt sich vermindert. So gehen zum Bei- spiel beim Rinde die relativen Zahlen für fettes, mittelfettes und mageres Muskelfleisch in den Fettprozenten von 34,6 auf 20,9 und 12,5 °/o herab gegenüber dem Steigen der Eiweissprozente von 15,7 auf 17,6 und 18,7 °%0?). Bei den flandrischen Hunden konstatiert Külbs ein auffallend geringes Gewicht der Skelettmuskulatur. Er schreibt: „Das intermuskuläre Fett war bei diesen Tieren nur mässig entwickelt, ebenso fanden sich nur geringe Mengen Fett in der Um- gebung der Niere im Mediastinum,“ und weiter: „Dass bestimmte Gruppen der Rückenmuskeln oder der hinteren Extremitäten be- sonders gut ausgebildet waren, liess sich weder durch Schätzung noch mit der Wage feststellen. Prozentual machte die Skelett- muskulatur 28° bei einem Weibchen, im übrigen 32—35 °/o aus.“ Indem er diesen Zahlen diejenigen seiner früheren Arbeitshunde- mit 34—97 °/o gegenüberstellt, schreibt er: „Es heisst das mit anderen Worten, dass die Muskulatur der flandrischen Hunde ziemlich gut entwickelt war, aber nicht besser, sondern im Durchschnitt geringer als die Muskulatur der Arbeitshunde. Da es sich um gut trainierte Tiere handelte, die jahreläng täglich grössere Arbeitsleistungen ge- macht hatten, so bestätigt das nur, dass vermehrte Leistungsfähig- keit der Skelettmuskulatur nicht immer mit einer Gewichtszunahme: einhergeht.“ 1) Lusk, Ernährung und Stoffwechsel S. 66. . Wiesbaden 1910. 2) Lusk, ebenda S. 335. 336 | K. Hasebroek: Ich finde hier zum erstenmal bei einem Autor die Bestätigung der aus meiner praktischen Erfahrung stets in meinen Arbeiten über die heilgymnastische Muskelarbeit vertretenen Ansicht, dass keines- wegs durch Arbeit eine Zunahme von Muskelmasse garantiert wird. Für Külbs muss dessen Schluss einen bedenklichen logischen Wider- spruch schaffen, denn er will ja ausgerechnet an demselben Tier für -das Herz das Gesetz der Massenzunahme aus höherer Leistung nach- weisen. Hier liegt überhaupt — darüber sollte man sich klar werden — eine logische Klippe für alle bisherigen Anschauungen, die eine Arbeitshypertrophie des Herzens ohne weiteres aus der Analogie der nicht ausnahmslos unter Arbeit hypertrophierenden ähnlichen Skelett- muskulatur konstruieren wollen! Aus den niedrigen Prozentwerten von Haut und subkutanem Fett geht hervor, dass die fiandrischen Ziehhunde relativ schlecht ernährt waren, was bei den Krieesverhältnissen für die auf dem Markt gekauften Tiere nicht gerade wundernimmt. Hierunter muss die Skelettmuskulatur besonders gelitten haben. Eine wie grosse Rolle aber alles dies für das prozentuale Herzgewicht spielt, das wird schon aus dem physiologischen Tierversuch klar, in dem bei längerem Fasten das Relativgewicht der Skelettmuskulatur von 59,77 auf 48,39°/o zurückgehen und an demselben Tier: das Herzgewicht von 0,54 auf 0,69 °/o steigen kann). Letztere Relativ- zahl reicht schon fast an den niedrigsten Herzwert des flandrischen Hundes mit 0,75°o heran. Das sind doch immerhin bedenkliche Differenzen. Aus ähnlichen Gründen kann ein individueller Fehler nach der anderen Seite beim Ruhetier sich einschleichen, indem jedes relative Herzgewicht sinken muss, wenn ein gewichtserhöhender Einfluss durch Fett und Eiweissmast auf die Muskeln stattfindet. Man er- innere sich der Arbeitsochsen Süddeutschlands mit ihrem kärglichen Fleischmaterial gegenüber den doch immerhin in Freiheit sich be- wegenden Marschochsen. Külbs gibt in seiner bekannten Tabelle?) für das wilde Herbstkaninchen ein Herzgewicht von 3,29 pro Mille an, das nach 6 Monaten Aufenthalt jm engen Stall auf 2,51 pro Mille sank, wobei, wie er sagt, sich keine Verminderung, sondern „auf- fälligerweise* eine geringe Vermehrung der Muskelmasse zeigte. Die Muskulatur enthielt aber 2,42% Fett gegenüber 1,760 beim ]) Lusk, a. a. O. S. 62. 2) Külbs, Über Herzgewichte bei Tieren. Kongr. f. innere Med. 1909, 'Verhandl. S. 198. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 337 - freien, wilden Tier. Ob dies nicht doch ins Gewicht fällt für die grossen Differenzen des Verhältnisses des Herzgewichtes zur Mus- kulatur, das nach dem Stallaufenthalt von !ıı auf !/ıs fiel? Es fällt nämlich in derselben Tabelle von Külbs auf, dass das zahme Stall- kaninchen in dieser Beziehung ein Verhältnis von !/ıo aufweisen kann. Übrigens bestätist die Angabe, dass das Lebergewicht bei dem freien wilden Kaninchen mit dem hypertrophischen Herzen wesent- lich höher ist als nach dem Stallzwang, auch hier wieder unsere gewonnenen Anschauungen über die Entwicklung der Hypertrophie von der Venenseite her. Um so mehr, als die weitere Angabe vor- liest, dass beim wilden Frühjahrskaninehen gegenüber dem wilden Herbstkaninchen bei einem Sinken des Relativherzgewichtes zum Körper von 3,29 pro Mille auf 2,94 pro Mille, zur Muskulatur von !ıı auf "ıs, ebenfalls das Lebergewicht wesentlich mit zurückgegangen sei. Man ersieht aus allem diesen, wie schwierig die sichere Ent- scheidung vollends die Abschätzung des Grades einer Arbeitshyper- trophie des Herzens ist. Und der Grund lieet eben darin, dass es sich in erster Linie um die vielen Variablen des Stoffwechsels und den Zufluss zum Herzen.handelt, die das eigent- lich Treibende sind. Dieses aber dürfte doch jetzt klar ge- worden sein, dass es mit der Hervorhebung nur von Körper- resp. Muskelarbeit: ohne weiteres nicht getan ist, um die grossen und schweren Herzen zu erklären. Zwei Beispiele mögen das demon- strieren: unter den Säugern das kleinste Herz beim Schwein und das grösste bei der Genise; beim Schwein muss zugleich das enorme wärmeschützende Fettpolster gewichtlich und biologisch das Herz- gewicht noch weiter herabdrücken, und bei der Gemse muss das Milieu des Hochgebirges, wie beim Alpenschneehuhn, ein an sich fraglos besonders muskelstarkes Herz — vergleiche das schnelläufige Reh — noch weiter in die Höhe treiben. . Zusammenfassung: Die Möglichkeit der Arbeitshypertrophie des Herzens beim normalen Menschen ist nach den vorliegenden Arbeitsversuchen und einwandfreien Beobachtungen am Säugetier gegeben. Der Grad der Hypertrophie ist jedoch, weil diese unter der am meisten sie auslösenden Bedingung des übernormalen Stoffwechselbetriebes mit erhöhtem venösen Zufluss zum Herzen und diastolischer Füllungsspannung steht, nur bei dem noch jugendlichen, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 22 3938 K. Hasebroek: physiologisch wachsenden Körper so bedeutend, dass sie praktisch in einer Herzvergrösserung nachgewresen werden kann. - Beim erwachsenen Menschen kommi die Arbeitshypertrophie nur unter der gleichzeitigen Mitwirkung anderer, Stoffwechsel und intestinalen Zufluss in die Höhe treibender Fakloren, in erster Linie einer Luxusernährung zur feststellbaren Erscheinung. VII. Die Herzvergrösserung des Nephritikers. Klinisch und nach Wägungsresultaten!) ist der wissen- schaftliche Stand der für die Nephritis charakteristischen Herz- vergrösserung gegenwärtig dieser: : 1. In der Mehrzahl der Fälle ist das Herz in allen Abschnitten beteiligt, doch ist alsdann stets ein Überwiegen des linken Ventrikels vorhanden. 2. In einzelnen Fällen und, wie es scheint, im Beginn der Fr- krankung kommt die isolierte Hypertrophie des linken Ventrikels vor. 3. Beim linken Ventrikel besteht die Tendenz zur Hypertrophie ohne Dilatation, jedenfalls ist die Hypertrophie relativ viel stärker als eine gleichzeitige Dilatation vorbanden. Auch das Vorkommen einer sogenannten konzentrischen Hypertrophie ist seit Senators ersten Untersuchungen höchst wahrscheinlich geworden. Viele Autoren zweifeln überhaupt nicht an diesem Befund. Persönlich erinnere ich mich eines Sektionsfalles, der kaum anders aufgefasst werden könnte. Nach diesen Unterlagen ist zunächst für uns folgendes klar: Wenn bei der Nephritis die Vorherrschaft des.linken Ventrikels stets vorhanden ist, und wenn dessen isolierte Hypertrophie vorkommt, so besteht die A öchste Wahrscheinlichkeit, dass die nephritische Herzvergrösserung zeitlich zuerst am linken Ventrikel : vom Aortensystem her durch ein erhöhtes systolisches Spannungs- moment in unserem Sinne ausgelöst wird, und dass erst in zweiter Linie die Hypertrophie der übrigen Abschnitte, speziell diejenige des rechten Ventrikels vom venösen System her durch erhöhte Zu- flussfüllungsspannung veranlasst werden. Inwieweit können wir diesen Werdegang, also auf zwei getrennten Wegen, nachweisen und ver- folgen’? 1) Hirsch, Über die Beziehung des Herzmuskels usw. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 68. 1900. ‘ Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 339 Vor allem entspricht es durchaus unseren früheren Feststellungen, dass der linke Ventrikel am unmittelbarsten betroffen wird, denn das früheste klinische Zeichen der Nephritis ist ein übernormaler Druck im Aortensystem. Damit befinden wir uns auf dem Gebiet der Bedingungen für eine verstärkte Rückschwankung des Aortenblutes’ durch erhöhten Windkesselbetrieb der Aortenwandungen als auslösende Ursache. Die Annahme dieser zeitlich in das Ende der Ventrikeisystole fallenden Einwirkung wird durch die bei Ne- phritis bestehende Tendenz des linken Ventrikels zu nicht dila- tierender Hypertrophie voll bestätigt. Wir haben die gleichen Verhältnisse vor uns wie bei der ausführlich (S. 267 ff.) erörterten post- natalen Herausbildung des dickeren linken Ventrikels an sich. Eine Hypertrophie ohne Dilatation, und vollends eine vorkommende konzen- trische Hypertrophie, kann nicht besser erklärt werden als aus einem Faktor, der den Ventrikel während seiner Kontraktion trifft und wie er einem erhöhten Widerstand gleichzusetzen ist. Man erinnere sich der unkomplizierten Aortenstenose, bei der nach Bamberger ebenfalls die Hypertrophie des linken Ventrikels ohne nennenswerte Dilatation angetroffen wird. Für die Zeit der initialen isolierten Hypertrophie des linken Ventrikels muss die Möglichkeit der Entstehung aus einem primär erhöhten venösen Zufluss zum Herzen ausgeschlossen werden: denn dieser Weg führt über den rechten Ventrikel; dieser könnte dann nicht frei bleiben. Auch fehlt bei der Nephritis ein anderes charakte- ristisches Zeichen für eine derartig primär vermehrte diastolische Zuflussfüllungsspannung, nämlich ein nennenswert vergrössertes Schlagvolumen, wie nach der Gasmethode wohl feststeht 1): ‘ Schatz hat in seiner oben von mir ausführlich angezogenen Arbeit nach Analogie der Zuflusshypertrophie des embryonalen Herzens beim eineiigen Zwilling (s. S. 272 ff.) versucht, die nephritische Hypertrophie nur von der Venenseite her zu erklären. Sein Argu- » ment einer durch verlangsamte Entwässerung des Blutes bestehenden vermehrten Blutmasse kann jedoch erstens nicht für die Schrumpf- niere mit ihrer verstärkten Diurese und der Herabsetzung ihres Konzentrationsvermögens aufrechterhalten werden, und zweitens würde, wie schon oben erwähnt, eine isolierte Hypertrophie des 1) Plesch, Hämodynamische Studien. Berlin 1909, uud Kongr. f. inn. Med. 1909. 227 340 K. Hasebroek: linken Ventrikels auf diesem Wege niemals ohne Veränderung des rechten möglich sein. Eine gewisse Dilatation des linken Ventrikels wird sich bei -Nephritis aber dann schon einstellen können, wenn durch irgend- welches Auftreten eines Restvolumens die an sich normale dia- stolisehe Zuflussfüllung des Ventrikels in die Höhe getrieben wird. Was die Herkunft und Herstellung des systolischen Spannungs- momentes für das Hypertrophieren des Imken Ventrikels anlangt, so muss ich auch bei der Nephritis meine Einwände gegen eine einfache elastische Rückwirkung oder eine stationäre Hypertension der Wan- dungen des Aortensystems wiederholen (S. 312#f.). Ich habe in früheren Arbeiten auf die auffallende Gleichheit der nephritischen Form der Blutdrucksteigerung mit derjenigen bei körperlicher Arbeit, nämlich in der wesentlichen Beteiligung der arteriellen Maximum- (systolischen) Druckwerte gegenüber den Minimum- (diastolischen) Werten hingewiesen. Ich habe hieraus auch für die Niere das biologische Prinzip eines aufsteigenden Instanzenweges im Aortensystem durch zunehmend er- höhte kinetische Wandungsarbeit während der nephritischen Funktions- steigerung aufgezeigt!). Es soll sich um eine Steigerung der Strömung handeln, die im Sinne einer kompensatorischen Regulation von der Niere selbst ausgelöst wird, damit der Ausfall an Nierengewebe durch erhöhte Stromgeschwindigkeit gedeckt wird, gleichermaassen wie er- höhte Skelettmuskelarbeit nur durch erhöhte Stromgeschwindigkeit möglich wird. Ich habe auseinandergesetzt, dass nur eine kinetische Reaktion des Gefässsystems der Niere etwas nützen kann. Die Nieren- diurese ist vom allgemeinen Blutdruck an sich unabhängig; der Schwer- punkt liegt seit Heidenhain und Ludwig bei der Geschwindig- keit der Zirkulation. Es erscheint mir wichtig genug, um in dieser Beziehung auch kurz auf die von mir vorgebrachten experimentellen Nachweise der Bedeutung des Adrenalins für die prinzipielle Er- höhung der Blutgeschwindiskeit hinzuweisen ?). Eben durch die Wahr- scheinlichkeit einer zirkulatorischen Kompensationsmission der Nephritis- drucksteigerung wird meine Annahme gestützt, dass die Niere in ihren Beziehungen zu einer kinetischen Reaktion des Aortensystems im Prinzip denselben Gesetzen folgt, wie es das System bei körperlicher Arbeit tut, wo Adrenalinmangel für Ermüdung experimentell feststeht. ; Ich schliesse also aus der Art des maximalen Blutdruckes auch für die Nephritis darauf, dass die gesteigerte Rückschwankungsenergie aus der Aorta, die zur Erhöhung des systolischen Spannungsmomentes und zur Hypertrophie des linken Ventrikels führt, im wesentlichen auf eine systolisch erhöhte Wandungsenergie des Aortensystems zurück- zuführen ist. Nur so erhalte ich zugleich den Vorteil einer mechanischen Deutung der linksseitigen Herzhypertrophie als eines letzten Endes 1) Hasebroek, Extrakardialer Kreislauf usw., XI. Kap., S. 242 #. 2) Hasebroek, Über extrakardiale Triebkräfte und ihre Beziehung zum Adrenalin. Berliner klin. Wochenschr. 1915 Nr. 10. Die Entwieklungsmechanik des Herzwachstums usw. 341 kompensatorischen Effektes, wofür auch die Klinik des langjährig relativ gesunden Nephritikers mit dem häufigen Einsetzen schwerer Erscheinungen bei Sinken des erhöhten Druckes spricht. Wie steht es nun mit dem rechten Herzen bei der Nephritis? Zunächst kann ich zahlenmässig zeigen, wie im Stadium der isolierten Hypertrophie des linken Ventrikels, wie bei allen unseren früheren Feststellungen der rechte Ventrikel dem Öberflächengesetz des allgemeinen Stoffwechselbetriebes, d. b. dem Faktor VG#, folst. Es ist das wohl ein biologischer Beweis dafür, dass in dem ersten Stadium der Nephritis nennenswerte Ände- rungen im normalen venösen Zutrieb zum Herzen nicht vorhanden sind: Hirseh führt in einer klinischen Wägungsarbeit unter seinen reinen Nephritisfällen die Nr. 1, 2, 3 mit anatomischer Intaktheit des rechten Ventrikels (nach den Müller’schen Normalgewichten) an!). Berechne ich hier in der früheren Weise nach: den Stoff- wechselindices- der Körpergewichte wieder die „Sollgewichtswerte“ für den rechten und den linken Ventrikel, so erhalte ich die Tabelle 26. Tabelle 26. -Kör Rechter Ventrikel ı Linker Ventrikel SOLpEIZ Index in Gramm in Gramm gewicht ea 2 SE IE En Mr 1 ' berechnetes berechnetes kg eeunten | Sollgewicht genden Sollgewicht 38,0 1130 36,5 — 87,0 Se 49,0 1339 44.0 43,25 130,0 103,1 65.0 1617 | 59,0 52,23 155,0 124,5 Man sieht, dass der rechte Ventrikel sich auffallend nach dem von uns früher gefundenen Gesetz der Stoffwechselproportionen richtet, während der linke mit seinem Gewicht weit überschiesst. Das gleiche Verhalten zeigt der rechte Ventrikel nach Müller- schem Material (M. S. 190ff.). Ich habe in der Tabelle 27 diejenigen Fälle Müller’s mit der Todesursache „interstitielle Nephritis“ heraus- gesucht, die ebenfalls anatomisch eine noch weit überwiegende Hyper- trophie des linken Ventrikels mit annäherndem Freibleiben des rechten aufweisen. Die eingeklammerten Zahlen zeigen die Müller’schen ‘ 1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 68 S. 84. 342 K. Hasebroek: Tabelle 27. Pro- | M ü ] 1 er ? Ss Alter Körper- portional- Rechter | Linker Itende 5 gewicht gewicht des Ventrikel | Ventrikel Nummer Jahren Herzens | u le) ee 18 0/00 g g ! n ea apa 748 95 31,1 9,75 { | (40.4) (75,7) € DR € B) 44,0 | 1 13,0 833 39 38,3 9,30 { (am) (668) & | er) 834 34 39,1 Mo) { (37,7) | (66,8) \ ie. SE 99,0 167,4 1075 63 41,9. 851 { 471) | (845) x 53,4 176,7 1243 66 | 52,6 1,77 I (49,7) | (92,7) 1 1 0885) 163,0 1295 | 51 | 59,2 | 6,44 { (856) | (103,4 Normalwerte an. Teile ich diese sechs Fälle in zwei Gruppen zu je drei, die sich sowohl nach dem Alter als nach den Körper- gewichten als gut zusammengehörig präsentieren, und berechne ich wieder die „Sollgewichtswerte“ des rechten und linken Ventrikels, so erhalte ich Tabelle 28, aus welcher ein fast absolutes Zusammen- gehen des rechten Ventrikels mit dem Stoffwechselindex hervorgeht. Die beträchtliche Unterbilanz des linken Ventrikelsin diesem Fall, gegen- über dem Verhalten in Tabelle 26, vermag vielleicht zu bestätigen, dass die Hypertrophie des linken Ventrikels ihren eigenen Weg geht und alsp von der arteriellen Seite her entschieden wird. Ich darf nämlich daran erinnern, dass die Höhe des das systolische Spannungsmoment veranlassenden Blutdruckes bei der Nephritis un- gemein verschieden gefunden wird. Tabelle 28. & Rechter Ventrikel Linker Ventrikel Körper- Index in Gramm in Gramm - gewicht er ER EB : Er 2 Z \ berechnetes ; | berechnetes I gefunden Sollgewicht | gefunden | Sallgewicht | i | 38,2 1134 en re 599 1414 53,9 | 52,5 1690 200 291 Wie entsteht nun aber die Hypertrophie des rechten Ventrikels, wenn sie erscheint? Beim Fehlen jeder Lungenkomplikation kann von ‘# Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 343 erhöhten Widerständen nicht die Rede sein. Wenn man zur Zeit geneigt ist, die Hypertrophie auf eine Rückstauung der Blutmassen zurückzuführen, so ist diese hier noch weniger annehmbar, als wie ich sie bei den Klappendefekten des linken Herzens als mit den Liehtheim-Welch’schen Feststellungen der eminenten Erwei- terungsfähigkeit der Lungen widersprechend dargelegt habe. Es bleibt also nur der We« von den Venen her übrig. Und dass tat- sächlich nur von der Venenseite her diese Hypertrophie des rechten Herzens erfolgt, das wird wahrscheinlich dureh den Hirsch’schen Fall13, bei dem unter einer schweren Arteriosklerose im Splanehnieusgebiet trotz enormer Hypertrophie des linken Ventrikels (322:110,1g normal) der rechte Ventrikel atrophisch (37:61,6g normal) gefunden wurde!). Dieser Fall ist gerade von unserem Standpunkt aus ungemein (urehsichtig: es wurde eben durchdie weit- gehende Sklerosierung die freie Zuflussstrasse zur Pfortader gesperrt, und das rechte Herz kam unter stark herabgesetzte diastolische Füllungsspannung. Ich habe jedoch vergebens mich bemüht, auch für das hypertro- phische Mehrgewicht des rechten Ventrikels feste Beziehungen zu den Steffwechselindiees-nach den Korpergewichten aufzufinden. Weder nach dem Müller’schen Material der Nephritis noch nach den übrigen Hirsch’schen Fällen (4—12) lässt sich ein Zusammen- hang durch Rechnung finden. Stets übersteigt der hypertrophische rechte Ventrikel des Nephritikers das „Sollgewicht“ des Stoffwechsel- index. Und nun ist es sehr bemerkenswert, dass dasselbe auch für die berechneten Vorhofsgewichte der Fall ist. Man kann hierin nur wieder ein Zeichen dafür sehen, wie sehr beim Hypertrophieren des Herzens der rechte Ventrikel mit den Vorhofsgewichten zusammengeht, und dass also der rechte Ventrikel nur über den rechten Vorhof den Anstoss zu Seiner Hypertrophie bekommt. Es entspricht dies durchaus den Ver- hältnissen, wie die embryonale Vorherrschaft des rechten Ventrikels auf die Zwischenstation des rechten Vorhofes zurückgeführt werden konnte (S. 266). Das Prinzip des Zusammengehens des rechten Ventrikels mit den Vorhofsgewichten kann man andererseits auch den genau bestimmten Fällen 2 und 3 von Hirsch, mit noch annähernd EHLESCch, aan 0. 885. 344 K. Hasebroek: normalem rechten Ventrikel bei gleichfalls normalen Vorhofs- gewichten, entnehmen. Mit dieser Annahme, dass die Hypertrophie des rechten Herzens über den rechten Vorhof durch ein erhöhtes diastolisches Spannungsmoment ihren Wege nimmt, stimmt die bereits Hirsch und Hasenfeld aufgefallene Tatsache des „geradezu konstanten Vorkommens einer Vorhofshypertrophie am Nephritiker- herzen“. Die Hypertrophie des rechten muss eben der des rechten Ventrikels vorangehen. Dasselbe finde ich übrigens mit einer Ausnahme auch an den Müller’schen Fällen, deren Vorhofsgewichte ich aus dessen Tabellen (S. 144 ff.) entnommen habe, und die ich in meiner Tabelle 29 mit den eingeklammerten Normalwerten zusammen mitteile. Tabelle 29.- ' Normalindex mare a > Nummer ke Mr R V V 673 33,6 { 2 ns \ 0,2188 0,2197 18, | Sul I > a \ 0,1125 | 0,1583 833 3 | ns ao \ 0,1400 | 0,1767 334 39,1 { os \ 0,0945 0,1767 995 43,9 I 2 ce N 0,1582 0,1645 1075 47,9 { Es a \ 0,1821 | 0,2243 1244 51,3 I 278) ide \ 0,1297 0,1767 1243 52,6 { en on \ 0,1815 0,2288 1295 51,0 { os an \ 0,1072 0,1932 1357 ° 43,0 { a a \ 0,1355 0,1893 | In dieser Tabelle 29 habe ich zugleich noch etwas anderes registriert: nämlich das ausnahmslose Fallen des Verbält- nisses der Vorhofsgewichte zu den Ventrikelgewichten, A } 5 S der Müller’schen Indices oz Das heisst mit anderen Worten: Bei der Nephritis nehmen die Ventrikelgesamtgewichte in stärkerem Maasse zu gecenüber den Vorhofsgewichten als in: der Norm. Da die Ventrikelschwergewichte bei weitem überwiegend auf das Konto % Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 345 des linken Ventrikels kommen, so spricht auch dies indirekt dafür, dass bei der Nephritis die Hypertrophie der Vorhöfe mitsamt dem rechten Ventrikel erst die zweite Etappe der Vorgänge darstellt.. Zugleich bedeutet vielleicht eine derartige Zunahme des schon am nor- mal wachsenden Herzen nach Müller vorhandenen Fallens des Index 7, einen Hinweis darauf, dass es sich bei der Nephritis um eine Steigerung prinzipiell physiologischer Einflüsse im kompensatorischen Sinne handelt. Aber mit allen diesen ‚Aufklärungen wird die Frage nach dem eigentlich Treibenden der Hypertrophie des rechten Herzens noch nicht erledigt. Es muss sich um irgendwelche Erhöhung der Zu- flussfüllungsspannung, die ausserhalb des normalen allgemeinen Stoffwechselbetriebes steht, handeln. Damit komme ich wieder auf die Leber als den Ort spezifischer Vorgänge bei der Nephritis. Freilich muss ich mich auf Vermutungen beschränken: Es ist wohl kein reiner Zufall, dass ich in meiner Theorie des extrakardialen Kreislaufes aus anderweitigen experimentell-physio- logischen und klinischen Gründen der Leber die Rolle eines regel- rechten Pumpwerks zusprechen musste!), und dass ich mich dabei gerade auf die nahen Beziehungen der Leber zur Niere’habe stützen müssen. In mechanischer Beziehung habe ich auf die Konsequenzen des bei der Nephritis erhöhten Aortendruckes aufmerksam gemacht: indem dadurch der Leber gesteigerte arterielle pulsatorische Reize zugehen. Es müssen auf diese Weise auch der die Leberarterie bis in ihre feinen Verzweisungen parallel begleitenden Pfortader erhöhte Betriebskräfte übermittelt werden ?), die schliesslich in einen verstärkten Strombetrieb bis in die Lebervenen ausklingen. Ein biologisches Moment mag nun vielleicht hinzukommen: Für die Nephritis ist schon in relativ frühen Stadien eine Stickstoff- retention charakteristisch. Nicht allein um den Harnstoff handelt es sich hierbei, sondern auch um dessen Vorstufen. der Harnsäure nahestehenden Stoffen, wie Xanthinbasen, ja vielleicht Alloxurkörper°). Sollte nieht in der Anwesenheit dieser Stoffe im Blut ein spezieller 1) Extrakardialer Kreislauf S. 21y. ‚ worauf ich hier nur verweisen kann. 2) Hasebroek, Über die Bedeutung der Arterienpulsationen für die , Strömung in den Venen usw. Pflüger’s Arch. Bd. 163. 1916. 3) Literatur bei Widal, Referat. Verhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1909 S. 74. Fe ““ 346 K. Hasebroek: Grund gegeben sein können, dass die Leber lokal zu einer erhöhten reaktiven Tätigkeit veranlasst wird? Haben wir nieht in diesen Stoffen chemische Anklänge an den spezifischen Stoffwechsel der Vögel, bei denen, wie wir 8. 289 ff. gesehen haben, ein hoher Leber- und Nieren- betrieb offenbar mit der Hypertrophie des rechten Herzens in Ver- bindung stehen ? | ‚Ich bin in der Lage, eine Erscheinung anzuführen, die für der- artig erhöhte Triebkräfte in der Leberzirkulation herzwärts spricht: es ist das der neuerdings mit exakter Methode festgestellte auf- fallend niedrige Druck in den Körperkapillaren des Nephritikers mit 10—14 mm Hg. gegenüber der Norm von 17—25.mm!). Man steht hier wegen des gleichzeitigen nephritischen arteriellen Hoch- druckes noch vor einem Rätsel. Nun ist es höchst bemerkenswert, ‚dass derselbe niedrige Kapillardruck sich auffallenderweise auch bei im übrigen gesunden Diabetikern findet. Dieser Umstand hat mich bereits früher?) veranlasst, den Tiefstand des Kapillardruckes -durch eine vorhandene lebhaftere Tätigkeit des Leberkreislaufes mit aspiratorischen Wirkungen von der venösen Seite her zu erklären. Sollte auch das nur ein Zufall sein, dass ich jetzt gerade für die Nephritis wieder eine gesteigerte Tätigkeit in der Leber vermuten muss? Mit Hilfe einer neuen Methodik mikrophotographischer Darstellung .der Hautkapillaren am lebenden Körper findet Weiss®) bei genuiner Schrumpfniere Erweiterung, bei arteriosklerotischer dagegen Ver- schmälerung der Kapillarschlingen, beim Diabetes besonders die venösen Einndpartien stark erweitert. Weiss erwähnt auch den niedrigen Kapillar- ‚druck bei Nephritis’ und ist geneigt, diesen wegen der Beobachtung von abwechselnd schlecht gefüllten, ja blutleeren Portionen und einer Dis- kontinuität der Blutsäule in den Kapillaren auf verminderten arteriellen Zufluss durch eine bei der Nephritis angenommene . ausgedehnte Kontraktion der peripheren Arterien zurückzuführen. Dann bleiht aber der niedrige Blutdruck in den doch stärker erweiterten Schlingen beim Diabetiker absolft unverständlich, Ausserdem be- obachtet Weiss bei der „genuinen“ Schrumpfniere ja ebenfalls eine Erweiterung. Mit einer Erweiterung lässt sich ein Tiefstand des 7 1) Landerer, Zur Frage des Kapillardruckes. Zeitschr. f, klin. Med. Bd. 78. 1913, und Krauss, Der Kapillardruck. Volkmann’s klin. Vorträge. Innere Medizin Nr. 237/39. 6 2) Extrakardialer Kreislauf S. 219. 3) Weiss, Beobachtung und mikroskopische Darstellung der Hautkapillaren. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 119. 1916, und Münchener med. Wochenschr. 1916 Nr. 26 S..925. Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 347 'Kapillardruckes nur dann gut vereinigen, wenn man zugleich tatkräftige ‚aspiratorische Vorgänge von der Venenseite her damit verbindet. Es würde dann aber nicht unmöglich sein, je nach dem Grade der er- folgten oder nicht erfolgten Abströmung aus der Körperperipherie auch wechselnd und schlecht gefüllte Kapillaren mit herabgesetztem Kaliber neben verstärkt gefüllten anzutreffen. Und steht nicht anderer- seits mit einer über die Körperperipherie verbreiteten arteriellen Ab- schnürung des Stromes in den Kapillaren, wie Weiss sie doch an- nehmen muss, unter allen Umständen die jahrelange Intaktheit des subjektiven Befindens des Nephritikers in Widerspruch ? Ist nicht bei Annahme einer derartigen allgemeinen tonischen Verengung der peri- phersten Gefässe der bei Nephritis nur systolisch hohe Blutdruck mit grösster Amplitude eine physikalische Unwahrscheinlichkeit 1)? Die von mir aufgezeigte Genese der Herzvergrösserung des Nephri- tikers unterscheidet sich durchaus von der für das Münchener Bier- herz und verwandte Zustände erhaltene. Während bei dem letzteren der erste Anstoss auf plethorisch venösem Zuflusswege am rechten Ventrikel erfogt, beginnen die Ereignisse beim Nephritiker aus dem arteriellen System heraus am linken Ventrikel, und der Einfluss ‚auf den rechten erfolgt von der venösen Seite her nach. Die Ansichten Bollingers und Bauers, dass ihre Münchener Herzvergrösserungen von denen bei Nephritis zu trennen sind, kann von unseren Gesichtspunkten aus jetzt mechanisch be- gründet werden. Hirsch schliesst allerdings aus seinen Wägungen, dass die Anschauungen der Münchener, dass im Gegensatz zur Schrumpfniere beim _Potatorherzen meistens die Hypertrophie beider Kammern gefunden werde, nicht zu Recht besteht, und dass das Herz des Bierpotators keine Sonderstellung einnähme. Soweit ich sehe, stützt er sich auf den Potatorfall 2 seiner Tabelle mit frei- gebliebenem rechten Ventrikel?®). Diesem Fall stehen aber seine Fälle 5 und S mit ebenfalls bemerktem Potatorium gegenüber, bei denen auch der rechte Ventrikel beteiligt ist. Weshalb sollte nicht ein Potator auch einmal eine echte Schrumpfniere bekommen können? Die praktische Erfahrung der Münchener an dem sehr grossen Sektionsmaterial wird wohl auch ohne Wäecungsmethode im Durehsehnitt das Richtige getroffen haben. Auch spricht der so häufige Befund der roten Granularniere unbedingt für andere zirku- 1) Hasebroek, Extrakardialer Kreislauf S. 95 ff. und 141 ff. oder Pflüger’s Arch. Bd. 143 S. 519 ff. 1912. 2) Eliesch, a. a. 0.3.82 348 K. Hasebroek: latorische Vorgänge als bei der Sehrumpfniere. Ich verweise auf das von mir S. 309 Gesagte. Mir scheint die von uns gegebene Analyse immerhin darzufun, dass das Nephritikerherz deshalb schon etwas für sich Bestehendes sein muss, weil ohne Frage der hohe Grad des, Hypertrophierens vom arteriellen System isoliert und hier zum Teil ohne Tendenz zur Dilatation be- herrseht wird. wi Zusammeniassung: Die Pathogenese des Nephritikerherzens stellt sich unter dem Wirken erhöhter Füllungsspannungen folgender- maassen dar: Zumächst entwickelt sich die Hypertrophie des linken Ventrikels im wesentlichen durch ein erhöhtes systolisches Spannungs- moment aus dem Aortensystem heraus, wobei, bei eventuell vorhandenem Restvolum es auch durch normalen Zufluss aus dem Lumgenkreislauf durch ein diastolisches Spannungsmoment zugleich zu einer gewissen Diatation kommen mag. Die Hypertrophie der Vorhöfe und des rechten Ventrikels ent- steht auf dem Wege des venösen. Zuflussbetriebes durch die Einstellung eines diastolischen Snannungsmomentes. Es spricht vieles dafür, dass hierbei irgendwelche bei der. Nephritis spezifisch veranlasste extra- kardiale Triebkräfte im Spiele sind, die durch die mechanischen und noch unbekannte biologisch-chemische Beziehungen zwischen Niere und Leber veranlasst werden. Die nachweisbar grosse Konstanz der Beteiligung der Vorhöfe am Hypertrophieren weist darauf hin, dass die sich anschliessende Hiypertrophie des rechten Herzens zeitlich schon früh sich derjenigen des linken Ventrikels hinzugesellt. Schlusswort. Die vorliegende Arbeit enthält zugleich ein Plädoyer zugunsten der Annahme extrakardialer Stromtriebkräfte, die durch Vermittlung des Fiek-Horvath’schen Momentes der Füllungsspannungen in Wechselwirkung mit der Herztriebkraft stehen. Es handelt sich in meiner Begründung einer Entwicklungsmechanik sowohl des normal wachsenden Herzens als der pathologischen Hypertrophie und Dila- tation um einen neuen Indizienbeweis für das Wirken einer extra- kardialen Förderung des Blutstromes. Ich halte es für kaum möglich, dass die Gegner einer derartigen Triebmechanik dem Schwergewicht dieser Beweisführung sich verschliesssen können. Ich würde zu- frieden ‘sein, wie ich es ebenso am Schluss meiner Monographie Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums usw. 3409 € über den extrakardialen Kreislauf hervorgehoben habe, wenn man wir die Notwendigkeit des Vorhandenseins wahrer Triebkräfte zu- gestehen wollte, anstatt das extrakardiale Problem mit nur vaso- motorischen Kalibereinstellungen, also Widerstandsfaktoren, abzutun. Die einfache Übertragung des gesetzmässigen Einflusses des von mir in dieser Arbeit systematisch am Herzen ‚verfolgten Momentes der Füllungsspannung auf die Gefässschläuche würde schon genügen, um sich für die Annahme einer gewissen selbständigen aktiven Arbeit auch im extrakardialen Gebiet entscheiden zu können. Enthält nicht einerseits die pulsatorische Wellenbeweeung des Blutes Moniente eines fortwährenden Spannungswechsels, und sehen wir andererseits nicht auch an den Gefässen gleichermaassen wie am Herzen das sanz, analoge Substrat der lokalen und allgemeinen Wandungshyper- trophien? Man hat erst kürzlich an den intakten (!) Gefässen der Tränenkanälchen unter direkter Reizung des sympathischen und para- sympathischen Nervensystems rasche wellenartige Bewegungen durch die Schwankungen des Iuhaltes des Tränenröhrehen photographisch feststellen können!): gewinnt hiernach nicht im Prinzip die Wahr- scheinlichkeit ganz 2< 10H em ne>t Ott Phenol ..... | 05% 20 30 | 1o8ı 15 171,4 Guajakol. ... .. | 1/4 ges. 1,6 1972) 22,811,9 ©) 1494,5 Kresol.. .».....- 1/10 „ 1,8 30-,.4:,..191,9 15 266,0 Xylenol.........1 1/10 1,6 32 169,6 ‚20 50,0 Phymole.:.2 01/2009 1,6 25 64,7 — 0 Garyaerol. ... ...1. 1/10/, 1,6 283° 3) 56,1 20 169,6 Benzaldehyd ... | 15 „ 1,8 20 |. 124,4 10 209,8 Anisaldehyd . . | 1/10, 1,8 39, 21476 15 | 395,3 Vanillin. 2. 101/28 ° 1,8 25 21% .100,5 | 0 Heliotropin. ... | 1/10, 2,0 20 43,9 20° | 147,6 Anılın). Ra. 10, 1,4 20° \ 47,6 15 187,9 Toluidin (0) . . | V/10 , 1,8 20 79,3 15 209,8 Xylidin 2%... 1/10, 1,8 30 792,1 15 | 327,0 Dimetylanilin. . | 15 „ 2,0 20 | 115,9 19° 164,7 Benzol... 12%, 2,0 40 75,0 25 | 32,3 Boluolr nl 2,0 3 51,2 | 0 Xylol u. 0,:% 12, 2,0 30 38,4 — 0 Pseudocumol . . | 12 „ 1,8 45 34,2 — | (Ü Nitrobenzol ... | 12 „ 1,8 25 96,4 19 266,0 Terpineob“.,. „|. 12), 1,6 10 890,6 10 1403,0 Athylacetat . . | N/640 2,0 25 35,4 20 73,2 Amylacetat. . . | 1/4 ges. 1,4 15 963,8 10 1354,2 Athylalkohol.. . | N/5 2,0 30 172,0 — 258,7 Äthyläther. . . | N/34,1 2,0 30 208,6 25%) 253,9 Kampfer. . .. . | 14 ges. 1,4 10 823,5 28% 1...1195:6 Capronsäure . . | 14 „ 2,0 13,5 81,5 ) 87,4 Eau de Cologne. | 1/2 „ 1,6 20 524,6 20 | 1250,5 Wie ersichtlich, ist die Einwirkung von 1°/oiger NaCl-Lösung ziemlich verschieden. In den allermeisten Fällen ist eine Steigerung der Verstäubungselektrizität eingetreten, in anderen Fällen eine Ver- minderung und endlich in einigen ist die Verstäubungselektrizität sogar bis Null gesunken. Für einige Substanzen, wie Carvacrol, Heliotropin, Anilin, Xylidin, Nitrobenzol, ist diese elektrische Ver- Über die Verstäubungselektrizität der Riechstoffe. 359 stäubungsladung drei- bis viermal so gross wie in reiner Wasser- lösung der betreffenden Riechstoffe.. Ohne weiteres könnte man vielleieht an die Lenard’sche Hypothese denken, dass das Vor- ‚, handensein des Salzes in der Lösung bei der Verstäubung eine Frei- gebung nicht nur von der oberflächlichen, negativ geladenen Flüssig- keitsschicht, sondern auch von Flüssigkeitsschichten mit positiven Salzionen verursachte. Deswegen könnten ja auch die Flüssigkeits- tröpfehen, welche an der Metallplatte zerquetscht werden, nicht nur positiv, sondern auch negativ (durch negative Salzionen) geladen sein. Eine solche Hypothese könnte daher sowohl die verminderte, wie auch die ganz aufgehobene Verstäubungselektrizität, ja sogar die Steigerung derselben erklären. Aber wenn die Verstäubungs- elektrizität gesteigert wird, dann muss sie auch von entgegengesetzten Vorzeichen, also negativ sein. Das ist aber tatsächlich nicht der Fall e. Die Elektrizität ist auch in diesem Falle von positiven Vorzeichen. Die Lenard’sche Hypothese scheint daher nicht für der Einwirkung der Salze auf die Verstäubungs- ‚elektrizität gut anwendbar zu sein. Ist dieser Effekt des Kochsalzes eine Salzwirkung? Ja, denn ganz ähnliche Resultate kann man auch mit anderen Salzen, ja auch mit Zucker erhalten. Xylidin, Anisaldehyd und Eau de Cologne in Wasserlösung zeigen bei Zumischung von Zuckerlösung eine be- deutend gesteigerte Verstäubungsladung. Die verschiedenen Re- sultate könnte man daher vor allem von einer Salzwirkung herleiten. Am ehesten könnte man geneigt sein anzunehmen, dass die Salze wie die Zuckerarten das Lösungsvermögen des Wassers für die frag- lichen flüchtigen Stoffe mehr oder weniger erniedrigten. Dies ist auch tatsächlich für eine Menge dieser Substanzen eine längst be- kannte Tatsache. Also wäre es nicht unwahrscheinlich, dass diese Verstäubungselektrizität vor allem mit der Abdunstung zusammen- hängt, also dass wir mit einerneuen Rlektrizitätsquelle mit einer Abdunstungselektrizität — wahrscheinlich eine Form der Friktionselektrizitätt — rechnen dürften. Von diesem Gesichtspunkte aus ist daher eine Verstäubung mittels dem Doppel- glassprayer von bestimmtem Interesse. Die Abdunstung wird ja dann bei der Mischung möglichst verhindert. (Siehe die auf S. 360 abgedruckte Tabelle.) Diese Versuche sprechen am meisten dafür, dass der Abdunstung in obengenannter Weise eine nicht unwesentliche Rolle zukommt, 360 le E. Louis Backman: Versuche mit Doppelsprayer. Salzmischungen. Verstäu- In Wasser In 1°/oiger NaCl-Lös. Konzen- | punes- RR : Substanz 5 85 Optim. | „Ladung in Ontim Ladung in onen | druck [anstann | gene pe Anetana | Cum une Be Atm. em Sol ns 1024 em n>< 10-1 Phenol . .....| 0,5%0 2 80.0, isst 15 168,4 Xylenol '.........1:1/5 ges. 2 25 | 1409 25 171,4 Thymol..'. ...; V2,„ 2 25 | 26,2 25 28,7 Vanillin.. v0... 1227, 2 28 | 12,8 15 <61 Cumarin.. .......: VE ;;; 2 39. 45,1 30 51,2 Benzol... 5.1.1122 5, 2 Auen 75,0 25 34,2 denn zum Beispiel gibt jetzt Thymol bei Vorhandensein von Salz eine gesteigerte Verstäubungsladung, vorher aber bei der Mischung von Riechstofflösung und Salzlösung in freier Luft eine bis Null ver- minderte Ladung! Ähnlich ist auch jetzt das Verhalten von Cumarin. Vanillin dagegen, welches in der ersten Versuchsreihe eine bis Null durch die Salzlösung verminderte Ladung zeigte, gibt jetzt eine, wenn auch verminderte, doch deutliche Ladune. Auch mit dem Doppel- sprayer erhält man sowohl Steigerung wie auch Verminderung der Verstäubungselektrizität bei Zumischung von Salz. Es ist daher an- zunehmen, dass die Konzentration des Stoffes wie auch dessen Leicht- flüchtigkeit aus Wasserlösung eine bestimmte Bedeutung: für die Art der Einwirkung des Salzes besitzt. Es liesse sieh dann viel- leicht ein Umschlagspunkt finden, an weichem bei kon- stanter Salzkonzentration die durch die Salzlösung vorher gesteigerte Verstäubungselektrizität jetzt bei Verminderung der Riechstoff- konzentration plötzlich unter den für die Wasserlösung des Riech- stoffes charakteristischen Wert verringert würde. Dies ist auch tat- _ sächlich der Fall. Für mehrere Substanzen habe ich einen solchen Umschlagspunkt nachgewiesen. Die Untersuchungen sind mittels einfachen Sprayers vorgenommen. Gleiche Mengen von Riechstoff- lösung und Salzlösung .wurde unmittelbar vor dem Versuch mit- einander vermischt und jedesmal 10 eem der Mischung unter 2—1,3 Atmosphären Druck verstäubt. Stets wurde erst der optimale Abstand bestimmt. Die folgende Tabelle auf S. 361 zeist eine ganz bedeutende Ein- wirkung der Konzentration des Riechstoffes auf den Salzeffekt. Eine immer mehr verminderte Riechstoffkonzentration gibt schliesslich An- lass zur Verminderung der Verstäubungselektrizität, die vorher bei Über die Verstäubungselektrizität der Riechstoffe. 361 Umschlagspunkt der elektrischen Verstäubungsladung bei Vorhandensein von Salz. In Wasser In 1°/oiger NaCl-Lös. Substanz on Ladungi N adung tration Ba ne A een Abstand Kupikzentimoter| Abstand | Kupikzentimeter em | n>< 10-41 em n>x< 10-11 0,50 % 30 153,1 Fa Phenol 0,25 0/o 30 | aka 20 45,1 0.06 %/o 30 20,7 BO 2. 1) 198 Xlenol 1/5 ges. 25 140,9 23 | 171,4 MenOn: 1/10 „ SE) 25 75,0 j j N/34,1 30 208,6 25 253,9 Athyläther. . . N/140 3 41,5 25 31,7 | 240 5% 25 153 n N/640 25 35,4 25 192 ae {| 37000 2% 150 _ 0 grösserer Riechstoffkonzentration gesteigert war. Ja diese Vermin- derung kann sogar bis Null getrieben werden (Äthylacetat). Wahrschein- liche Bedingungen des Vorhandenseins von einem solchen Umschlags- punkt sind vielleicht die Leichtflüchtigkeit der Substanz und der Grad der lösungsvermindernden Einwirkung des Salzes sowie eine geringe Konzentration des Riechstoffes. Aber daraus folgt, dass die Steige- rung der Verstäubungselektrizität bei Vorhandensein von Salz eine direkte Salzwirkung ist, die Verminderung oder sogar Aufhebung derselben nur eine indirekte: die Riechsubstanzen werden im letzteren Falle zu schnell hinausgetrieben. r Auch die Salzkonzentration ist natürlich von Bedeutung. Je geringer dieselbe ist, desto geringer ist auch der Effekt: erst eine 0,01 '/oige NaCl-Lösung ist ohne Effekt auf eine 1/2- gesättigte Benzollösung. Besonders möchte ich hier hervorheben, dass von 10 bis 0,01 °/o NaCl der Effekt auf die Benzollösung hinsichtlich der Verstäubungselektrizität stets denselben Charakter zeigt: eine Ver- minderung der elektrischen Ladung. In guter Übereinstimmung mit der Annahme einer grundlegen- den Bedeutung der Abdunstung für die Entstehung der Verstäubungs- elektrizität steht auch der Umstand, dass im allgemeinen der Salz- zusatz den optimalen Abstand für die maximale elektrische Ver- stäubungsladung vermindert. Diese Verminderung scheint mir am besten dadurch erklärt zu werden, dass der Salzzusatz die Ab- dunstungsgeschwindigkeit des im Wasser gelösten Stoffes vergrössert, und zwar durch Verminderung deren Wasserlöslichkeit. 3623 E. Louis Backman: ® Es fragt sich jetzt: Wie verhalten sich verschiedene Salze in eben genannter Hinsicht? Die Aussalzung ist ja eine längst be- kannte Tatsache. Salzzusatz zur Wasserlösung von z. B. Alkohol, Phenol, Äther, Äthylacetat usw. vermindert ihre Löslichkeit in Wasser. Rothmund!) hebt besonders hervor, dass „bei diesen Löslichkeitsänderungen durch Salze das wichtige Resultat sich ge- zeigt hat, dass der Vorgang, wenigstens der Hauptsache nach, von der Natur des aussalzenden indifferenten Stoffes nicht abhängt“. Die Salze vernindern im allgemeinen die Wasserlöslichkeit der Nicht- elektrolyten, und diese Verminderung ist beinahe proportional zur Salzkonzentration.e Die Wirkung der verschiedenen Salze ist doch ziemlich verschieden. Wenn man die Veränderung der Wasser- löslichkeit verschiedener Nichtelektrolyten durch Salzzusatz vergleicht, so findet man nach Rothmund u. a., „dass die Reihenfolge der Salze, wenn man sie nach der Stärke ihrer vermindernden Wirkung auf die Löslichkeit ordnet, für die verschiedenen Nichtelektrolyte sehr annähernd die gleiche ist“. Im allgemeinen scheint die aus- salzende Wirkung der Salze ein additiver Effekt der in der Salz- lösung eingehenden Ionen zu sein, doch unter Mitwirkung auch von den undissoziierten Molekülen. Nach Rothmund kann man fol- gende Ionenreihe aufstellen (mit dem stärksten aussalzenden Effekt beginnend): Na>K>Rb>Li>Cs>NH, und Ss0,>C0,;,>Cl>Br>I>NO,. Doch ist der Effekt der Anionen so viel stärker als der der Kationen, „so dass das Anion als maassgebend für die Frage nach der Einwirkung eines Salzes zu betrachten ist“. Doch gibt es Salze (wie z. B. Natriumnitrat und Jodkalium für Phenylthiokarbamid), welche die Löslichkeit einiger Stoffe in Wasser erhöhen. Im folgender will ich einige Versuche über die Einwirkung einiger isotonischer Salzlösungen auf die Verstäubungselektrizität einiger Riechstofflösungen in Wasser mitteilen. Diese isotonischen Lösungen sind so bereitet, dass das Molekulargewicht in Grammen durch die Dissoziationskonstante (i) dividiert per Liter Wasser gelöst wurde (> on *) ; für Rohrzucker wurde i gleich 1 gesetzt. Die Untersuchungen sind mit Isoton./2- oder Isoton.’4-Lösungen vor- genommen. Zuerst wurde für jede Salzlösung und jede Substanz der 1) Handb. f. angew. physik. Chemie von Bredig Bd.7. Leipzig 1907. Über die Verstäubungselektrizität der Riechstoffe. 363 optimale Abstand bestimmt, dann wurden drei bis vier Bestimmungen ausgeführt, die Mittelzahl berechnet und in Anzahl Coulombs per Kubik- zentimeter Flüssigkeit umgerechnet. Der Verstäubungsdruck war in sämtlichen Versuchen 2 Atmosphären. Die Temperatur (Zimmer- temperatur) kann für jede Reihe als im wesentlichen konstant betrachtet werden. Die Verstäubung wurde mit dem Doppelsprayer vorgenommen. 1/32 ges. Terpineollösung. ar oe Coulombs per N) \ Abstand sek Lösungsmittel cm ll l 3 50,0 Wasser 20 183,1 Isoton./2 NaCl 27 160,4 N KCl 20 163,5 i A LiCl 25 178,7 N NH,C1 30 136,0 R NaNO, 20 131,3 & N200; 25 126,3 Isoton./4 Na5S0O, 25 103,1 = N300, N/34,1- Äthylätherlösung. 30 126,9 Wasser 30 140,9 Isoton./4 NaÜl 30 151,3 * KCl 20 144,6 ei LiCl 20 161,7 5 NH,CI 17,5 130,4 > NaNO, 25 133,0 R N3500,; 25 109,2 „ Na,S0, N/640- Äthylacetatlösung. 25 35,4 Wasser 25 73,2 Isoton./2 NaÜl 20 94,6 R KCl 7 62,8 a LiCl 25 84,2 5 NH,CI 25 84,2 jr NaNO,; 25 19,3 " Na,C0, 25 13,2 Isoton./4 NasSO, 1/80 ges. Kampferlösung. 30 30,5 Wasser 25 13,2 Isoton./2 NaCl 25 89,7 EL KCl 25 719,3 i LiCl 20 8l,1 = NH,C1 25 70,8 en NaNO, 27 79,3 & Na;00, 33 65,9 Isoton./4 Na>S0, - N/62- Anilinlösung. 35 13,4 | Wasser’ 25 36,6 | Isoton./2 NaCl 20 52,5 5 KCl 40.9 72 NELCI 364 E. Louis Backman: N/2= Benzollösung. Optim. ei N Abstand |Rubikzenti na ar Lösungsmittel cm n>x< 10-11 40 75,0 Wasser 25 32,3 Isoton./2 NaCl 27 18,9 5 NH,Cl Wenn man versucht, mit Hinsicht auf die Einwirkung der Salze auf die Grösse der elektrischen Verstäubungsladung der Riechstoffe die Salzionen hintereinander zu vergleichen, so erhält man gewisse Reihen. Doch sind die Lösungen nicht ohne weiteres vergleichbar ; Natriumchorid oder Natriumnitrat zum Beispiel gibt auf ein Anion auch ein Kation, für Sulfate und Karbonate dagegen zwei Kationen auf ein Anion. Auch ist die Anzahl Anionen in den iso- tonischen Lösungen von Na-, K-, Li- und NH;-Salzen nicht dieselbe; am grössten ist sie für NaCl, am geringsten für Na,C0;. Effekt der Ionen auf die Verstäubungsladung. Für Terpineol, . NH,> (Li, K)>Na + S0,>C1>.(N0,, 00,) Äthyläther . NH,>K>(Li, Na) + C1l>(C0,, N0O,) > SO, „ Äthylacetat. K>NH,>Na>Li. + SO,>N0, > (C0,, CI) „Kampfer „.. K (NH, E)>=Na + SQ, >C09, > (ELINO,) »äAnllın. N. 9 KANN, Na)> Li „anBenzol.. ui» NH,=> Na Mit Rücksicht auf die grössere Anzahl von Anionen in der Kochsalzlösung im Vergleich zu isotonischer Natriumsulfat-, Karbonat- und Nitratlösung konnte man folgende Anionenreihe aufstellen: S0,>C0;>(NO,, C). Den aussalzenden Effekt gibt folgende Reihe an: Ss0,>C0,>C>NO.. Die Kationen können hinsichtlich ihres Effekts auf die Ver- stäubungselektrizität in folgender Reihe zusammengestellt werden: (K, NH,)> (Na, Li) . Die aussalzende Reihe der Kationen ist die folgende: Na>K>Li>NH. Während die Reihen der Anionen eine sehr grosse Über- einstimmung zeigen, scheint dies für die Kationen nicht der Fall zu sein. Wenn es richtig ist, dass der Abdunstung des Stoffes eine grosse Rolle für die Entstehung der Verstäubungselektrizität zu- kommt, so ist es deutlich, dass eine Steigerung oder Verminderung Über die Verstäubungselektrizität der Riechstofte. 305 dieser Abdunstung die Grösse der Verstäubungselektrizität ausser- ordentlich beeinflussen muss. Es ist aber auch wahrscheinlich, dass - diese Abdunstung bei der Gegenwart von Salz nicht nur erhöht wird, sondern sogar so ausserordentlich schnell, ganz in der Nähe der Spraymündung, stattfinden kann, dass keine Registrierung möglich ist, oder dass die Verstäubungselektrizität als vermindert registriert wird. Daher muss ich betonen, dass man nicht berechtigt ist, aus der Grösse der Verstäubungselektrizität bei Gegenwart von Salz quantitative Schlüsse über den aussalzenden Effekt der Salze zu ziehen. Noch an eine andere Eigenschaft der Salze muss man denken. So sind zum Beispiel die fraglichen Salze leicht löslich in Ammoniak, Methylalkohol usw., schwer löslich in Äthylalkohol, Aceton usw., unlöslich in Benzol, Äthyleter, Äthylacetat usw. (Rothmund). Es ist nicht undenkbar, dass diese Verhältnisse auch die Einwirkung der Salze auf die Verstäubungselektrizität komplizieren. Sicher scheint doch zu sein, dass die Ionen verschiedene Wirkung auf die Verstäubungselektrizität der Riechstoffe besitzen, ebenso wie die undissoziierten Salzmoleküle auch in gleicher Richtung wirken können. Hat denn die Flüchtigkeit der Riechstoffe in Gegenwart von Salz sich bedeutend vermehrt? Ich habe einige Versuche hierüber vorgenommen. 20 cem der Riechstofflösung mit oder ohne Zusatz von 1°/o NaCl (Mischung von gleichen Mengen resp. Wasserlösungen in doppelter Konzentration) wurden in ein Glassgefäss gegossen, und ein Luftstrom (1 Liter per Minute) perlte während längerer oder kürzerer Zeit durch die Lösung. Die Menge der Verstäubungs- elektrizität wurde vor und nach der Luftdurchströmung bestimmt. Jedes- mal wurden 10 cem an dem vorher gefundenen Abstand verstäubt. Die Flüchtigkeit des Riechstoffes in Gegenwart von Salz. Ladung in Coulombs per Dub But Beben meta ng, uajakal 1/4 ges. in; Wasser nn. er. ar 296,8 Nach 1 Minute Luftdurchströmung . .. ... 2... 296,8 Nach 3 Minuten Luftdurchströmung.. . » 2.2.2... 296,8 Guajakol 1/4 ges. in 1 Yoiger NaCl-Lösung. . -. ..... > 536,8 Nach 3 Minuten Luftdurchströmung. . . ....... > 536,8 Nach 7 Minuten Luftdurchströmung. . . .. 22... > 536,8 Riyienoli1/s ges. in Wassers wage a. 2 Sa sdn den 306,2 Nach 4 Minuten Luftdurchströmung. . . . ». 2.2... 261,8 Nach 12 Minuten Luftdurchströmung . » . ...... 234,2 - Xyleno! 1/5 ges. in 1 '/oiger NaCl-Lösung . ....... 398,6 Nach 10 Minuten Luftdurchströmung . . .». ...... 327.0 366 E. Louis Backman: Deutlich geht aus diesen zwei Versuchen hervor, dass die Flüchtigkeit des Stoffes aus Wasser bei Gegenwart von Salz gar nicht als besonders erhöht betrachtet werden kann, wenigstens nicht unter diesen experimentellen Bedingungen. Aber ein grosser Unter- schied liest doch in den Verhältnissen in diesem Falle und bei der Ver- stäubung. Die Abdunstungsfläche wird im letzteren Falle so überaus enorm vermehrt. Die Möglichkeit des Salzes, abdunstungsfördernd zu wirken, ist daher auch enorm gesteigert. Fin sehr wichtiges Faktum sehe ich in der von Gradenigo und Stefani entdeckten, von Zwaardemaker beStätigten Bedeutung des Salzes für die Be- ständigkeit des Nebels.. „Wanneer man de meest verschillende, niet-vluchtige stoffen, electrolyt of niet, in het water oplost, entstaat een prachtige, dichte nevel, die in een Tyndall’sch kastje uren achteren standhoudt.“ Und -im Gegensatz hierzu: „Wanneer men intusschen, in plaats van zout- of suiker-oplossingen, waterige oplossingen van reukstoffen, die uit den aard der zaak min of meer vluchtig zijn, neemt, is de nevel onbestendig. Hij verdwijnt in eenige minoten.“ Dass dieses ausserordentlich gesteigerte Andauern des Nebels in Gegenwart von Salz die grösste Bedeutung für das vorher konstatierte Phänomen der Steigerung der Intensität der Verstäubungselektrizität besitzt, ist wohl sehr wahrscheinlich. Dieses gesteigerte Andauern des Nebels bedeutet ja eine verlängerte Selb- ständigkeit der Tröpfehen und also eine grössere Dauerhaftigkeit der vergrösserten Flüssigkeitsoberfläche. Auch bedeutet sie ein ver- hindertes Zusammenfliessen der Tröpfchen. Diese Verhältnisse können die Abdunstung der flüchtigen Stoffe sehr erleichtern. Die Einwirkung der Temperatur auf die Verstäubungselektrizität. Nur einige qualitative Versuche sind über diese Frage vor- genommen worden. Der Fehlerquellen sind mehrere: Die Luft im Drucksystem konnte nicht erwärmt werden, daher kann nicht die wirkliche Temperatur: des Nebels angegeben werden. Auch wirkt die Abdunstung derart, dass bei höherer Temperatur eine grössere Temperaturerniedrigung, bei niedriger eine geringere hervorgerufen wird. In der folgenden Tabelle wird nur Rücksicht genommen auf die Temperatur der Flüssigkeit und. der Metallkiste. Der Abstand zwischen dem Sprayer und der Metaliplatte war 15 cm. % Über die Verstäubungselektrizität der Riechstoffe. 367 Temperatur und Verstäubungselektrizität. Ladung in Coulombs per Kubik- Substanz zentimeter n << 10-1! bei 5°C. bei 35° C. BarvaernlU ORTES EN me a een Re 13,4 81,8 Konnpierklin wes. u. 3 ee a elle 87,8 420,6 Anisäldehydll/siges? 20.0.0. 29. 13;4 420,6 FRerpiBenlall2 Bes. Se ri u! 300,0 147,3 Diese kleine Tabelle zeigt, dass die Verstäubungselektrizität der Riechstofflösungen in grosser Abhängigkeit steht zur Temperatur, so dass eine Steigerung der Temperatur auch eine Steigerung der Verstäubungselektrizität verursacht. Dieses Resultat spricht ja auch für die Bedeutung der Abdunstung für die Entstehung der Ver- stäubungselektrizität. Die Dielektrizitätskonstanten und die Verstäubungselektrizität der Riechstofflösungen. Nicht nur bei der Wasserfallselektrizität, sondern auch bei einigen anderen Elektrizitätsphänomenen scheint die Differenz der Dielektrizitätskonstanten der verschiedenen Stoffe in wichtigem Zu- sammenhang mit der Grösse der Elektrizitätsproduktion zu stehen. Je grösser diese Differenz, um so grösser auch die gebildete Elek- trizitätsmenge. Es ist daher von Interesse, auch bei dieser Ver- stäubungselektrizität einen ähnlichen Zusammenhang zu untersuchen. In diesen Fällen muss man natürlich äquimolekulare Lösungen ver- gleichen. Wie gewöhnlich, wurde erst der optimale Abstand be- stimmt und dann vier Bestimmunzen von demselben vorgenommen, stets mit 10 cem Lösung und unter 2 Atmosphären Verstäubungs- druck. Die Dissoziation der Essigsäure ist nicht berücksichtigt worden. (Siehe die S. 368 abgedruckte Tabelle.) Mit Äthylacetat und Amylalkohol konnte keine Bestimmung bei der Konzentration von N/42,3 gemacht werden, denn die Aus- schläge an dem Elektroskop wurden viel zu gross. Mit Essigsäure gab N/42,8 keine Ladung. Ein Zusammenhang zwischen der Di- elektrizitätskonstante und der Grösse der Verstäubungsladung kann nicht aus nachstehender Tabelle geschlossen werden. Wenigstens muss man sagen, dass andere Faktoren eine ausserordentlich grosse Rolle spielen können. Es gibt in der Tabelle zwei kleine Reihen 368 E. Louis Backman: Dielektrizitätskonstanten und Verstäubungselektrizität. Optim.| Ladung in Substanz Konzen- D Autor Ab. u Kunık. tration stan zentimeter em DD 10ZU Benzol . . . .| N/1200 2,288 (18%) | Turner 30 18,9 Toluol . . . . | N/1200 2,330 (16,5%)| Abegg 35 18,9 Xylol - . . .1 N/1200 2,350 (18,0%9)]| Turner 45 28,7 Pseudocumol . | N/4800 2,410 (17,0%)| Nernst 35 18,4 Durol . . . . | N/200000 — 35 18,0 Athyläther . . | N/42,8 4,368 (18,0%)| Turner 30 235,9 Äthylacetat. . | N/85,6 6,110 (20,0%| Löwe 40 235,1 Anilin. . . .] N/42,3 7,316 (18,0%| Turner 35 98,1 Essigsäure . . | N/10 9,700 (18,0°)| Francke 17,5 30,2 Amylakohol. . | N/85,6 16,670 (13,2%9)]| Landoltu. Jahn] 3 202,5 Athylalkohol . | N/42,3 26,800 (14,7%)| Turner 39 47,6 Methylalkohol. | N/42,8 35,360 (13,4°%)| Landolt u. Jahn 35 47,6 von Homologen: die Methylbenzolreihe und die Alkoholreihe. Gewiss zeigt diese erste Reihe eine Steigerung der Verstäubungselektrizität bei Vergrösserung der Dielektrizitätskonstante, aber die Steigerung dieser letzteren ist ausserordentlich gering (kaum die Fehlerquellen überschreitend), die Steigerung der Verstäubungselektrizität ist, auf die Konzentration der Lösung achtend, ganz enorm. Die Alkohol- reihe zeigt auch einen gewissen Parallelismus zwischen D und Elektrizitätsproduktion bei der Verstäubung. Amylalköhol mit D=15,9 gibt eine Verstäubungsladung per Kubikzentimeter von ca. 400-1071, bei einer Konzentration von N/42,3 und Methylalkohol (puriss. ohne Aceton) in derselben Konzentration mit D== 32,65 gibt eine Ver- stäubungsladung von 47,6-10!!. Die Differenz der D-Konstanten von gelöstem Stoff und Lösungsmittel( Wasser — 81) ist im ersteren Falle viel grösser als im letzteren und dasselbe Verhältnis zeigt auch die elektrische Ladung. Zwischen Methyl- und Äthylalkohol dagegen konnte keine Differenz hinsichtlich der elektrischen Ladung kon- statiert werden, trozdem, dass die Dielektrizitätskonstanten bedeutend verschieden sind. Es ist ja möglich, dass wenigstens in homologen Reihen die Dielektrizitätskonstanten eine gewisse Rolle spielen für die Entstehung der Verstäubungselektrizität; sicherlich gibt es auch andere Faktoren, denen eine noch grössere Bedeutung in dieser Beziehung zukommt. Die Oberflächenspannung und die Verstäubungselektrizität. Die flüchtigen Stoffe erniedrigen die Oberflächenspannung des Wassers. Nach Gibb’s Theorie gehen diese Substanzen nach der Über die Verstäubungselektrizität der Riechstoffe, 369 Oberfläche des Lösungsmittels, wo sie sich in einer grösseren Kon- zentration ansammeln als im Innern der Flüssigkeit. Je mehr die Substanz die Oberflächentension des Wässers erniedrigt, um so mehr konzentriert sie sich in der Oberflächenschicht, und um so weniger „haftet“ sie am Lösungsmittel, [Traube]!). Hieraus folgt vielleicht, dass solche Substanzen im allgemeinen auch leichter abdunsten. Daher könnte man einen Parallelismus zwischen der Oberflächen- tension der Lösung und der Grösse der Verstäubungselektrizität er- warten. Mittels der von Traube angegebenen stalagmometrischen Technik habe ich einige Bestimmungen der Oberflächentension für einige N/42,8-Lösungen vorgenommen. Die Ausflussgeschwindigkeit der Tröpfehen war etwa 15—20 pro Minute. Die Temperatur der austropfenden Flüssigkeit wurde gemessen und nötige Temperatur- korrektion vorgenommen (eine Temperatursteigerung von 5°C. ver- mehrt die Tropfenzahl um 1 per Minute). Dann habe ich folgenden Wert berechnet: D- - SPg.s, wo D, die Tropfenzahl des Stalagmometers für Wasser und D, die- selbe für die Lösung und Spg.; das spezifischen Gewicht der Lösung bedeutet. Die Oberflächenspannung des Wassers wird als 1 gesetzt. Das Stalagmometer gab mit Wasser eine Tropfenzahl von 49,5 bei 19° C. Für jede Lösung wurden zwei bis drei Bestimmungen vor- genommen und die Mittelzahl berechnet. Die Unterschiede der ein- zelnen Bestimmungen sind stets sehr gering gewesen. Oberfiächenspannung und Verstäubungsladung. Pro BR Ladung in ‚ Oberflächen- Coulombs per Substanz spannung Kubikzentim. n>< 10-11 IWVASSEr 7. HN ee ars 2:17000 0 RTDLTIN. CN 0 SE Re te: 0,982 BEA Athyläther.-::.: 2. Se Sr eo SEN e. 0,952 235,9 Methylalkohol ti. mn a ee) 2er. 0,939 47,6 FAlhylacetat';. N 5... er rt: 0,954 450,2 Athylalkoholk. "ar nr Ara eg ente 0,918 47,6 BESIIESÄULE... 20-0, Sc ER NR Fe 0,910 7,0 Aımylalkohol ;“\2) Rem netten. 0,801 405,0 1) Pflüger’s Arch. f. Physiol. Bd. 105. 1904; Bd. 123. 1908. — Biochem. Zeitschr. Bd. 24. 1910. 2 Tflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 24 370 E. Louis Backman: Auch in dieser Tabelle kann man kaum eine Parallele zwischen Oberflächenspannung und Verstäubungselektrizität ziehen. Essigsäure zum Beispiel gibt eine ganz geringe Ladung und verursacht eine ziemlich starke Erniedrigung der Oberflächenspannung. Aber es wäre doch denkbar, dass die Oberflächentension eine nicht unwesert- liche Bedeutung für die Entstehung der Verstäubungselektrizität, wenigstens für Stoffe von gemeinsamem, allgemeinem chemischem Charakter, ausübt. Man würde daher am besten Substanzen homo- loger Reihen untersuchen. Nun gibt es nur drei solcher Substanzen: Methyl-, Äthyl- und Amylalkohol. Die Tensionserniedrigung der beiden ersten ist nur eering, die der letzteren dagegen sehr gross; und in der Tat seken wir, dass auch der Amylalkohol eine ausser- ordentlich grosse Verstäubungsladung verursacht. Ich erinnere daran, dass Methyl-, Äthyl- und Propylalkohol in Wasser löslich sind, die höheren Glieder dagegen immer schwerlöslicher; eine vergleichende Untersuchung der Oberflächenspannung und der Verstäubungselektri- zität von Homologen wäre daher vielleicht nicht ohne Interesse. Die verschiedenen Untersuchungen sprechen also nicht für eine eventuelle unmittelbare Bedeutung der Dielektrizitätskonstanten für die Entstehung der Verstäubungselektrizität von Wasserlösungen flüchtiger Stoffe, besonders Riechstoffen. Alles sprieht dafür, dass diese von Zwaardemaker entdeckte Verstäubungselektrizität von anderer Natur ist als die gewöhnliche Wasserfallselektrizität. 1. Die Salze, dissoziierte oder undissoziierte, verursachen im allgemeinen eine sogar ausserordentlich grosse Steigerung der Ver- stäubungselektrizität. Die Elektrizität ist von demselben Vorzeichen. In einigen Fällen rufen die Salze eine Verminderung oder völlige Aufhebung der Elektrizität hervor: aber wie zum Beispiel bei Benzol ist schwache Salzlösung unwirksam, und eine immer mehr konzentrierte Lösung vermindert die Verstäubungsladung; oder wie bei anderen Riechstoffen: eine immer mehr verminderte Konzentration des Salzes verursacht, dass die anfängliche Steigerung der Verstäubungsladung. schliesslich in eine Verminderung derselben umschlägt, und da end- lich der optimale Abstand für den maximalen Elektrizitätseffekt bei der Anwesenheit von Salz im allgemeinen vermindert wird, so scheint es sehr wahrscheinlich zu sein, dass die Salzwirkung mit einer ver- minderten Löslichkeit der Riechstoffe im Wasser zusammenhängt. Über die Verstäubungseiektrizität der Riechstoffe. 371 Hierzu ne dass der Nebel bei Gegenwart von Salz viel be- ständiger ist als ein Nebel von reiner Wasserlösung. Es ist daher anzunehmen, dass die Abdunstung eine grosse Rolle bei der Ent- stehung der Verstäubungselektrizität ausübt. In jedem Falle muss hier betont werden, dass die Einwirkung der Salze auf die Ver- stäubungselektrizität von Wasserlösungen von flüchtigen Stoffen gerade die entgegengesetzte ist wie die Einwirkung derselben auf die Wasserfallselektrizität. 2. Die Steigerung der Temperatur verursacht eine Steigerung der Verstäubungselektrizität. ‘Dies spricht auch für die Bedeutung der Abdunstung. Auch hier muss betont werden, dass die Tem- peratur für die Verstäubungselektrizität eine entgegengesetzte Rolle spielt als für die Wasserfallselektrizität. 3. Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Verstäubungs- elektrizität und Dielektrizitätskonstanten der verschiedenen Stoffe konnte nicht konstatiert werden. Möglicherweise gibt es eine solche für Substanzen homologer Reihen, doch können anderen Faktoren eine wichtigere Bedeutung beim Hervorbringen der Verstäubungs- elektrizität zukommen. Auch in dieser Beziehung zeigt diese Form von Elektrizitätsproduktion ein anderes Verhältnis als die Produktion der Wasserfallselektrizität, oder richtiger: das Verhältnis der Steig- höhen der Lösungen in Kapillaren bei Gegenwart von einem elek- trischen Feld. 4. Eine sehr deutlicher Zusammenhang zwischen Oberflächen- spannung und Grösse der Verstäubungselektrizität wurde nicht ge- funden. Möglicherweise eibt es doch einen solchen für Substanzen einer homologen Reihe. Für die Erlaubnis, im hiesigen physiologischen Institut diese Untersuchung vorzunehmen, wie auch für grösstes, liebenswürdigstes Entgegenkommen spreche ich Herrn Professor H. Zwaardemaker meinen herzlichsten Dank aus. Zum aufrichtigsten Dank bin ich auch dem Herrn Assistenten am Institut M. N. van der Bijl für die gütige Hilfe bei vielen Versuchen verpflichtet. J. OQuweleen: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Groningen.) Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. IH. Mitteilune. Der Einfluss von Eiweiss und Lipoiden auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. Von Dr. 3. Ouweleen. “Inhaltsübersicht. Se A. Einfluss von Eiweiss auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. . 373 1. Einfluss von Eiweisszusatz zu physiologischer Kochsalzlösung auf die»Phagozytose«von. Kohler. Lara u ee 373 a)serumalbumin ande ne ee ze ne ee a ee 2 373 b)#Ovalbumin ws a N ee 375 2. Einfluss von Eiweisszusatz zu physiologischer Kochsalzlösung auf die Phagozytose von. Amylum .....02.2..... 22. 2a 2. 318 2) Serumalbumin! „720. oh N 378 b):Ovalbamin 2... 02 Sohn a ae De 379 ».2.Binfluss; der Bxpositionszeit. na a re ce 380 a) Bei der Kohlephagozytose ........ AENERR 380 b), Bei der Amylumphagozytose .. ». 2... .2.2.2.2.% Re Ber 4. Einfluss von Eiweisszusatz zu Serum auf die Amylumphagozytose . 385 a) Phagozytose in Serum mit vermehrtem Eiweissgehalte. . . . . 385 b) Wirkung der Erhitzung auf Serum mit vermehrtem Eiweissgehalte 389 B. Einfluss von Lipoiden auf die Phagozytose. .. .. 2.2.2.2... 389 1. Inwiefern sind die bisher erzielten Resultate über die Wirkung der Lipoide als richtig.zu betrachtend.. ... :.... 2.0.2. 390 2. Lezithin und Kohlephägozytose. . ........2....... 402 3. Lezithin und Amylumphagozytose . .... .-.... 2» ...... 403 a) Zusatz von Lezithin zu physiologischer Kochsalzlösung . . . . 403 b) Zusatz von Lezithin zu Serumalbumin-Lösung . .. ..... 404 c) "Zusatz von Lezithin zur Serum... 0.00... 0 a6 4. Schlusstolgerungen.. 20.0. ae 408 Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 373 A. Einfluss von Eiweiss auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. Die Untersuchungen über den Einfluss von eigenem Serum und dessen Verdünnungen auf die Phagozytose von Kohle eragben, dass sich darin fördernde und hemmende Stoffe befinden müssten. „Welchen Einfluss haben die Eiweissstoffe des Serums, fördern oder hemmen diese die Phagozytose von Kohle und zeigen solche dieselbe Wirkung auf die Phagozytose von Amylum?“ Kohle hesitzt ja ein sehr grosses Adsorptionsvermögen für Eiweiss; daher kann man sich schon im voraus denken, dass Kohle- teilehen ohne: oder mit Eiweiss beladen, in verschiedenem Grade phasozytiert werden. Bechhold!) fand, dass auf Staphylokokken, die in serumfreier Suspension nicht aufgenommen werden, durch Ovalbumin und Hämo- globin kein Einfluss ausgeübt wurde. Auf die Angabe von Stuber?), der bei Hefezellen eine Förderung durch eine wässerige, gesättigte ÖOvalbuminlösung feststellte, kommen wir später zurück. 1. Einfluss von Eiweisszusatz zu physiologischer Kochsalz- lösung auf die Phagozytose:von Kohle. a) Serumalbumin. Zuerst wurde der Einfluss einer gesättigten Lösung von Serum- albumin (+ £°/oe) und ihrer Verdünnung in 0,9°%0 NaCl untersucht. Statt Serum wurden also diese Lösungen hinzugefügt, und die Kohle wurde darin während ?/s Stunde bei 37° C. den Leukozyten zur Aufnahme ausgesetzt. \.Tabelle:l. Prozentgehalt der Leukozyten, welche Flüssigkeit ussigkeiten Kohle aufgenommen haben Do NaoL Te Se 160 100 — 26,0% 616 2 | 96,90 Ba A 100 — 27,80 1) Münchener med. Wochenschr. 1908 Nr. 34 S. 1777. 2) Biochem. Zeitschr. 1913 Bd. 51 S. 211. 374 J. OQuweleen: Tabelle I (Fortsetzung). Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Kohle aufgenommen haben NR N 102 Gesättigte Serumalbumin-Lösung I... . . 36° 100 = 18,7 %o N Ina 0/g 0 A 5 ER ERS 576 100 — — 16,3% 10,0 %/ Serumalbumin-Lösung in 0,900 NaCl I a ><100 = 13,4 %o 61 12,3 %o 10,0% 5 4 2 RE II Bor 0/ {) | 0, 544 >< 100 11, 2 0) 2000, 20000 Tl I op 30r 573 3,1% 14 : 2,0 = ” ” „ 0,9 % ” II Z: y f) 0 135 >< 100 32 %o 1,0 %/o ” ” ) 0,9 %/o ” I — x<100 — 4,3 0/o 15 3,65 %o 1,0% 5 i „ 0,9%: „U un v 0 ) ‚910 13°: 100 3,0 %0 02h, » 000, | 2 100 5,8% 138 6,0% 0,2%) 5 „2,09% 1) & _ 690 „o 1/0 ’ ’ ; % 150° > 100 6,2 %0 Ol, „0 20000, 1) U 00, 8700 543 | 9,20% 49 z 0,1% a x „0,9% „MI 2 0 y ’ 515 — x 100 9,5 910 0,0 ', » 0, 0900, | 2 100 > D2a00 | 251 Io 0fp 010, 0 0900 „| 00 2 25,200 553° Serumalbumin ergibt, wie aus obenstehender Tabelle hervorgeht, sogar bis zu einer Verdünnung 1:10000 einer gesättigten Lösung Hemmung der Phagozytose in physiologischer Kochsalzlösung. Diese nachteilige Wirkung nimmt jedoch nicht immer zu bei der Ver- mehrung der Eiweisskonzentration in der Lösung, wie man es er- warten sollte; während bei einer 50fachen Verdünnung die Aufnahme nur 3,1°/o beträgt, ist solche in einer Verdünnung 1:10 12,3°/o, ünd in einer gesättigten Lösung sogar 17,5°/o. Beide Flüssigkeiten hemmen also weniger als eine Verdünnung 1:50. In gesättigter Serumalbumin-Lösung ist die Verminderung gegenüber 0,9°%o NaCl nur 9,4 °/o und in einer Verdünnung 1:10 14,6 °/o. Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 375 Wird die gesättigte Eiweisslösung mehr als 50 mal verdünnt, dann nimmt die Hemmung ab, um so weniger Serumalbumin in der Lösung sich befindet; und in einer Verdünnung von 1:10000 ist solche wohl ganz verschwunden. Ungefähr dasselbe erhellt aus nachstehender Tabelle: Tabelle I. Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Kohle aufgenommen haben 88 Seal N IOPNACH Te ae es ee ——- x 100 —= 18,8% 468 E 99 16,75 %/o UT PR SE a REES 994° 100 —= 14,7 %/o [97% Gesättigte Serumalbumin-Lösung I... . . x 100 — 4,90 ’ a 4,3 %/o 5 % n end 399 ZN, — 4,7 %/o 22 10,0 %/0 Serumalbumin-Lösung in 0,90 NaCl 175° 100 = 4,6 %/o 2,0 %0 £ 0 7019,00 5 0,0% 1,0% ER RG 5% 100 — 1,4% 0,2 %0 E DET EIOGU EN. nn 100 — 1,0% 0,1% = n =20,9:0/0, 7, 34 =< 100 72,3%0 0,02% e 209%, a 100 = 13,8 % 52 ER 0,01 9/0 US YGHE IE 308° 100 = 17,3 %/o 13) Also auch hier beträgt die Aufnahme in einer gesättigten Lösung und in einer Verdünnung 1:10 dieser Flüssigkeit mehr als in einer Verdünnung 1:50 und den nächstfolgenden Verdünnungen. Jedoch entsteht bezüglich der Phagozytose in 0,9°/o NaCl eine starke Hemmung, sogar mehr als im vorigen Versuche, z. B. 11,95 /o und 12,15°0. In grösseren Verdünnungen behält, ebenso wie in der vorigen Tabelle, Serumalbumin eine hemmende Wirkung bis zu einer Verdünnung 1:10000. | b) Ovalbumin. Es könnte nun sein, dass bei der Darstellung von Serumalbumin "Phagozytose-fördernde Stoffe aus dem Serum mit auskristallisierten, = BE: J. Ouweleen: obwohl durch Erhitzung während zwei Stuuden keine Verminderung der Aufnahme in gesättigter Serumalbumin-Lösung entstand. Deshalb ist auch die Wirkung von gesättigter Ovalbumin-Lösung und Ver- dünnungen dieser Flüssigkeit mit physiologischer Kochsalzlösung untersucht. Weil Ovalalbumin weniger löslich ist, ist eine geringere Wirkung einer gesättigten Lösung zu erwarten. 2 Tabelle II. Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Kohle aufgenommen haben 0, h 88 x 0/ 09 Nach I 2. a ee 168° 100 = 18,8 %o r 33 Do ee 597 > 100 — 14,7% Gesättigte Ovalbumin-Lösung I. ..... . En 100 — 2,6 %0 i u LS 100 2,10 3 > Ba ER 107° — 2,7 lo 10,0 %/ Ovalbumin-Lösung in 0,9% NaCl. . ar >=<100 = 1,2%o 2,0% 2 a, 1 > 100 — 23% [5] 1,0. % D) » 0 0,0 %0 0,2 %/o 5 ROT 7 >< 100. —9,82/0 - 42 0,1 9/0 5 20,9 Yoral 165° 100. —..9,0.9/0 won ee 25100 19,0% Die obenstehende Tabelle zeigt, dass durch Ovalbumin in stärk- 'ster Konzentration ungefähr völlige Aufhebung der Phagozytose her- beigeführt wird. Auch in Verdünnungen der gesättieten Lösung finden wir eine Hemmung gegenüber 0,9°% NaCl, welche erst in einer Verdünnung 1:5000 verschwunden ist. Man hat nur bei Durchsicht dieser Tabelle deh Eindruck, dass die gesättigte Ovalbumin- Lösung weniger nachteilig als z. B. eine Verdünnung 1:100 ist. In der ersteren beträgt die Stärke der Aufnahme 2,6°0 und 2,7 lo, während in der letzteren keine Leukozyten phagozytiert haben. Die folgende Tabelle zeigt ungefähr dasselbe: Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 377 Tabelle IV. Flüssigkeiten STERN a oe R DIR ER ET N a ee je ae Gesättigte Ovalbumin-Lösung I ” b2) 10,0 % Ovalbumin-Lösung in 0,9% NaCl I. 10,0 %/o 5 Be »0:9!9/9 2,0% „0,9% 2,0% 5 205910 1,0 %0 } h ‚0,9% 1,0 %0 S = , 0,9% 0,2 %/o 3 ; „ 0,9 %o 0,2 %o - z ‚„ 0,9% 0,1% E ; 0,990 0,1% ; \ 1: 0,90/0 0,01 9% 5 i 0:949/0 0,02 %0 Bi „ 0,9% fneklfe? ‚05 :elnieiii.e einer el er ee Prozentgehalt der Leukozyten, welche Kohle aufgenommen haben > 100 = 30,7 %o 130 Io 0% 399 = 100 = 3,1 %/o 5x 100 = 61% a 4,95 %o 195 <100 = 3,8%o 21 3010 — 40% 6 4,4 °%/o z <100 = 48% 23 5710 — 3,9% 315 3,2% = <100 = 25% 10 — 3,0% a 3,9 %0 120 <100 = 48% En > 100 = 12,0% a5 1235 %0 =: > 100 — 13,7 %0 [3 741 2 2x 100 — 18,5% r ho 7 re 100 — 19,7 0% oO >10 = 270% 5100 — 30,7% Auch bier ist die Hemmung in einer Verdünnung 1:5000 fast nicht mehr festzustellen. Obwohl aus dieser Tabelle nicht so deutlich hervorgeht, dass eine gesättigte Ovalbumin-Lösung eine weniger nach- teilige Wirkung hat als ihre Verdünnungen, ereibt sich in jedem Falle, dass während die Konzentration des Eiweisses grösser geworden ist, deren Wirkung doch nicht schädlicher ist. Im allgemeinen zeigt also der Einfluss des Ei- weisses auf die Phagozytose von Kohle in physio- N 3783 J. Ouweleen: logischer Kochsalzlösung beieinerhalbstündigenEin- wirkungsdauer auch in kleinsten Mengen eine nach- teilige Wirkung. Diese Hemmung wird gesteigert durch die Menge des zugefügten Eiweisses; nur bei der stärksten Konzentration nimmt sie nicht mehr zu, sondern sogarab. 2. Einfluss von Eiweisszusatz zu physiologischer Kochsalz- lösung auf die Phagozytose von Amylum. a) Serumalbumin. „Verhalten sich diese Eiweisslösungen gegenüber der Aufnahme von Amylum ebenso wie gegenüber der von Kohle?“ Zuerst wurde wieder der Einfluss von Serumalbumin-Lösungen in physiologischer Kochsalzlösung bei einer Einwirkungsdauer von 15 Minuten untersucht. Tabelle V. N | Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben 32 0,9. %402Nacl Ti... ee See 487° 100 = 6,6% 49 8,0 %/o I SE ae ee 246° 100 = 9,4% or Re 147 Gesättigte Serumalbumin-Lösung I. . ... . 176° 100 = 30,3 /o 50,0 /o Serumalbumin-Lösung in 0,9 %/o NaCl. = > 100 = 31,7 %/o 93 20,0 %0 5 0,90 455° 100 = 20,5 10,0% s oe = 100 880% 27 5,0 %o n 0 168° 100 = 5,8% 6 2,0 9/0 ; RR UNI DEEBSRN 154° 100 = 1,4% 4 1,0. %0 5 RL LERUNG 398° 100 = 10% 12 0,1% n a A ÜBRUNSRES 26 100 = 2,6 %0 Wie Tabelle V zeigt, beträgt in 0,9°o NaCl dieses Mal die Phagozytose 8°o. Gesättigte Serumalbumin - Lösung zeigt eine Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 379 ziemlich starke Förderung, und zwar von 22,3°/o im Vergleich zu der Kochsalzlösung. Diese findet sich auch noch in einer 50 °/oigen Lösung, wird aber bereits geringer bei einer 20 °/oigen und ist bei einer 10fachen Verdünnung ganz verschwunden. Die folgenden Verdünnungen zeigten sogar einige Hemmung im Vergleich zu der physiologischen Kochsalzlösung. b) Ovalbumin. Durch konzentrierte Ovalbuminlösungen sehen wir ebenfalls diese Förderung entstehen, wie aus den folgenden Versuchen zu ersehen ist, wenn auch nicht so stark, weil Ovalbumin weniger lös- lieh ist. Tabelle VI. | Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben 9 VIE NaCI Er 5, AARBAREN, TIL FOR >=2100 — 7251 0/6 433° we, 6 [ 1,65 %/0 RED SE 22 a Be DEAN 194° 100-— 2 1,220/6 Gesättigte Ovalbumin-Lösung . ...... ken L x 100 = 10,3 Yo 50,0 °%0 Ovalbumin-Lösung in 0,9% NaCl. . a 100 = 10,3 %/o » f 38 RN: 20,0 %o 5 n 09a 198 x 100 = 7,6 %0 9 10,0 %0 5 BE 0,90 /O5R = re m > 100 — 2,10 5,0 %/0 0 [TEE 158 ><100 — 1,1% 30h N gale _ >10 = 16% 3 ' 1,0 9/0 “ RU 36° 100 = 0,7% Eine gesättigte Ovalbumin-Lösung gibt also eine Vermehrung der Aufnahme von 8,65 °/o, ebenso eine Verdünnung 1:2; in einer Ver- dünnung 1:5 ist schon die Förderung geringer, beträgt nur noch 5,95 °/0 und ist bei einer Verdünnung 1:10 wohl ganz verschwunden. Dieselben Resultate ergibt die folgende Tabelle: 380 J. Ouweleen: Tabelle VI. | Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben 27 20,90, ANSCh TE 599° 100 — 52%, : 49 6,3 %/0 0,9 %o „ IE: 22. sea 572 >< 100 = 7,4 %o Gesättigte Ovalbumin-Lösung . . ..... — > 100. = 13,290 20,0 °/0 Ovalbumin-Lösung in 0,9% NaCl. . 100 = 84% n 46 10,0 9/0 S EEE RU TUE RE 15 186 x<10 = 95% x Y 2,0% 5 2,000 nn 100 = 7,190 (3) Gesättigte Ovalbumin-Lösung gibt hier eine Förderung von 6,9 0/o im Vergleich zu physiologischer Kochsalzlösung. Aus diesen Versuchen muss man also schliessen, dass Eiweiss in konzentrierten Lösungen im Vergleich zu physio- logischer Kochsalzlösung einen günstigen Einfluss auf das Vermögen von Pferdeleukozyten, Amylunr- körnchen aufzunehmen, ausübt. | 3. Einfluss der Expositionszeit. Ebenso wie bei der Untersuchung von Serum und seinen Verdünnungen haben wir in diesem Falle geprüft, wie das Verhältnis der Aufnahme bei längerer Einwirkungs- dauer ist. a) Bei der Kohlephagozytose. Kohle wurde also zur Aufnahme den Leukozyten einer ge- sättigten Serumalbumin- und Ovalbumin-Lösung in verschieden langen Zeiten ausgesetzt. Tabelle VIII enthält die Resultate: Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 381 Tabelle VID. un E entschalt der Leuko- Ve Flüssigkeiten zyten, welche Kohle auf- Min. genommen haben Di A 42 0 20 Gesättigte Serumalbumin-Lösung 560 7,4 %/o 20 & Oyalbumin-Lösung . . . . = x<100 = 1,8% ON. 10 100 — 13,200 62 N 40 Gesättigte Serumalbumin-Lösung . . 38° 100 = 12,9 %0 40 nn Ovalbumin-Lösung . . . . — < 100 — 2,8% 40 | EEE PR ER RNe => <100 — 17,9% x i 122 60 Gesättigte Serumalbumin-Lösung 563 ><100 — 21,7 %o 2 60. 8 Oyalbuniin-Lösung 136° 100 — 48% 60 | DIBEENSCH re — <100 = 23,2% EP Be: 165 R 90 Gesättigte Serumalbumin-Lösung 181 x< 100 —= 34,3 % 9 90 3 Ovalbumin-Lösung . . . . le —#6:1,0/0 | VGSOHNSH IE N n x 100 —= 21,2 %% De: NER = * 142 _ 120 Gesättigte Serumalbumin-Lösung 219° x 100 = 33,9 % 120 eenlosang 7... = > 100 — 13,0% 120 VEIRENACH I — x< 100 = 20,8 %/ Ken AR) 293 180 Gesättigte Serumalbumin-Lösung . . 530° or 100 = 56,5 °/o 180 „ Oralbumin-Lösung . 2... | 354100 — 249% 180° | 08 Na 10 — 18,3% Obwohl aus der Tatsache, dass in physiologischer Kochsalzlösung die Aufnahme eine ziemlich geringe ist, zu ersehen ist, dass die 382 J. OQuweleen: OOo gebrauchten Leukozyten kein sehr gutes Material waren, können wir doch, weil stets dieselbe Suspension benutzt wurde, aus diesen Ver- suchen gewisse Folgerungen ziehen. Wir sehen, dass in 0,9% NaCl eine maximale Phagozytose von 23,2% erreicht wird, und zwar schon nach 60 Minuten. Um diese Stärke zu erlangen, braucht die Serumalbumin-Lösung, wiewohl auch bei einer Einwirkungs- dauer von 20 Minuten die Aufnahme darin geringer ist als in ‘der Kochsalzlösung, auch ungefähr 1 Stunde; bei noch längerer Dauer wird diese noch höher und erreicht sogar nach 3 Stunden einen Wert von 56,5 %)o. Die Ovalbumin-Lösung, in welcher nach 20 Minuten fast noch keine Phagozytose zustande gekommen ist, hat, um denselben maxi- malen Wert 0,9°0 NaCl zu erlangen, 3 Stunden nötige. Die Hemmung, welehe bei der Phagozytose von Kohle bei einer Einwirkungsdauer von 30 Minuten in konzentrierten Eiweisslösungen festgestellt ist, ist also nur von zeitlicher Art. Bei längerer Einwirkungs- dauer wird in diesen Lösungen ebenfalls die Stärke von 0,9 %/o NaCl erreicht; Serumalbumin-Lösung jedoch übt dabei noch einen sehr günstigen Einfluss aus, und es ist höchstwahrscheinlich, dass auch Ovalbumin-Lösungen, wenn die Expositionszeit vergrössert wird, eine sichere, günstige Wirkung geben werden, wenn auch nicht in so starkem Grade wie Serumalbumin, weil Ovalbumin weniger löslich ist. Eiweiss zeigt also in genügend starker Konzen- tration einen günstigen Einfluss auf die Phagozytose von Kehle in physiologischer Kochsalzlösung, wenn. die Expositionszeit nur lange genug ist. b) Bei der Amylumphagozytose. Das Verhalten der Amylum-Phagozytose in gesättister Serum- albumin-Lösung bei längerer Einwirkungsdauer ergibt sich aus Tabelle IX. Tabelle IX. a a Prozentgehalt der Leuko- Ne Flüssigkeiten zyten, welche Amylum auf- Stde. genommen haben 1 E EL 222 Ja Gesättigte Serumalbumin-Lösung I. . 609 x 100 =, 36,9 %o 1a 1... |. 008 100, 87.100 = ” ” n 552 Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 383 Tabelle IX (Fortsetzung). a i | | Prozentgehalt der Leukozyten, a Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen Stde. haben 32 1 Gesättigte Serumalbumin-Lösung I > n x 100 = 59,1% 243 ae 1 z } „ u [57100 — 57,7% Ye Gesättigte Serumalbumin-Lösung . no 100 = 62,1% 1 Norssee 1i/g \ 1 » + [359100 — 61,0% Mal 09a... 210 = 0,9% 447 ick. | Menge Be >10 = 0,4% P3}3) Die fördernde Wirkung von Serumalbumir auf die Aufnahme von Amylum durch die Leukozyten tritt also bei längerer Ein- wirkungsdauer noch mehr hervor; die Stärke derselben beträgt nach 1!/a Stunden sogar 61,55 lo. Auch in Ovalbumin-Lösung ist, je länger die Einwirkung dauert der günstige Einfluss deutlicher zu sehen, ebenso bei anderen Ei- weisspräparaten, zum Beispiel in 2°/o Hämoglobin-Lösung (Präparat von Merck). Tabelle X. ee Prozentgehalt der Leuko- Zeit Flüssigkeiten zyten, welche Amylum auf- Stde. genommen haben 24 ’ 1/a DRURANE LO ee RR 536 x<100 = 4,5% 1/a 2°/oige Hämoglobin-Lösung . . . . — x 100 = 10,5 %o ia u |: Gesattiere Gramm asine — x 100 — 23,2% 1 Re Se 100 — 3,90% 1 2°%oige Hämoglobin-Lösung . . . . = x 100 = 12,9 %o 1 Gesättigte Ovalbumin-Lösung . .„ . . en x 100 = 36,0 !/o 462 384 J. OQuweleen: Tabelle X (Fortsetzung). 2 ae EN Prozentgehalt der Leuko- am: Flüssigkeiten zyten, welche Amylum auf- flo a a genommen haben N 34 1/4 0,9 %/0 Nacıl RE RE nn U 7,6 0 1?/4 2°/oige Hämoglobin-Lösung . . . . u. x 100 = 21,4 % {3] 1?/a Gesättigte Ovalbumin-Lösung . | 1x 100 = 40,7 °%6 Den 13 2!la 0:9. H0-NaCh u er 303 x10 = 43% 22 2 %/o ige Hämoglobin- Töosung. u... Ja x<100 = 31,7% 382 2!/a Gesättigte Ovalbumin-Lösung . . . . > 100 = 50,1 °/o Aus Tabelle X sieht man wieder, dass in 0,9% NaCl die Phagozytose stets gering bleibt; in den Fiweisslösungen dagegen nimmt diese bei der Zunahme der Zeit zu und beträgt sogar die Aufnahme in Ovalbumin mehr als in Hämoglobin. Erstere erreicht selbst eine Stärke von 50,1°/o nach 2"/e Stunden, letztere nur von 31,700. Sogar Edestin, welches viel weniger löslich ist als Ovalbumin, zeigt bei längerer Einwirkungsdauer einen günstigeren Einfluss. Tabelle XI. a 2 Prozentgehalt der Leuko- Sa Flüssigkeiten zyten, welche Amylum auf- Stde. genommen haben 1 a a 76 ° la Gesättigte Edestin-Lösung . . . . . 50° 100 = 14,9 %/o 1 i ee In 100 — 23,8% 137 | | = 3,40 4 & 5 ER SEND 206° 100 —= 23,4 %0 21/a 5 2 ER BEER = x 100 = 31.8 % 21a 0,9 0MNaGlEne ee en 0,0 9/0 Jede Art von Eiweiss zeigt also in konzentrierten Lösungen eine deutliche günstige Wirkung auf die Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 385 Amylumphagozytose, und zwar tritt dieselbe um so mehr hervor, je länger die Einwirkung dauert. Zeigen nun noch andere kolloidale Stoffe dieselbe vorteilige Wirkung auf die Aufnahme von Kohlenpartikelehen oder Amylum- körnchen wie Eiweiss? Untersucht wurde zur Beantwortung dieser Frage der Einfluss von Gelatinelösungen. Diese ergaben jedoch, auch wenn die Gela- tine mehrere Tage lang ausgewaschen wurde, auch bei starken Ver- dünnungen einen nachteiligen Finfluss auf die Phagozytose von Kohle, während selbst in den stärksten Konzentrationen keine günstige Wirkung auf die Aufnahme von Amylum festzustellen war. 4. Einfluss von Eiweisszusatz zu Serum auf die Amylum- phagozytose. a) „Ergibt sich diese günstige Wirkung von Ei- weiss auf die Phagozytose von Amylum in physio- logischer Kochsalzlösung auch, wenn dieses Eiweiss dem Serum hinzugefügt wird?“ Zmr Lösung dieser Frage wurde gesättigte Ovalbumin - Lösung zu Serum in verschiedenen Konzentrationen hinzugefügt und die Wirkung in diesen Lösungen verelichen mit denen von Seris von derselben Stärke, nur mit Kochsalzlösung gemischt. Die folgende Tabelle enthält die Resultate. Die Einwirkungsdauer betrug 15 Minuten; genommen wurden wie gewöhnlich 0,5 cem Amylum-Suspension und 0,15 cem Leukozyten- Suspension. Tabelle XI. en ———n > — m — m ——— EL Prozentgehalt der Leuko- Flüssigkeiten zyten, welche Amylum auf- genommen haben 3,0.ccm 0,9 Yoiges NACHT Eur AA = >=< 10) —u 11 UM 022 220,9, 0/orear TE N N as Zen =< 100 — 0,7% 24 „ Ovalbumin-Lösung + 0,6 ccm Serum . . . —- 100 = 52,0 %/o 24 „ 09% NaCl +06 , EN Na nn 100 = 56,7 %/0 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 25 386 J. OQuweleen: Tabelle XH (Fortsetzung). Prozentgehalt der Leuko- Flüssigkeiten zyten, welche Amylum aut- genommen haben 2,4 ccm Ovalbumin-Lösung + 06 ccm Serum 1:2 2 x 100 = 47,10 a a 100 — 51,4% 2,4 „ Ovalbumin-Lösung + 0,6 „ash: m < 100 —= 25,1 /e 54. 0,9 %oiges NaOl 06 as 100 — 49,2% 94 , Oyalbumin Lösung 06, ,„ 1:5 a 100 — 10,5% DA. 209g Ne 06 = 100 — 46,3 % A Oval Bone 06 21x ol, 24, .09%oiges NaOl 706... 11:10 en 100 — 10,7% 24 , Ovalbumin-Lösung +06 „ „1:20 > 100 293, 1% 24 , 09%oiges Na 206 „— , 100 nn 100 — 0,0% DA, Sn lbununalyeung + = R „ 201: 90, 1 >= 100 = 5,8 %0 94, 00 ee Ne oe 4100 — 0,80 A Oyalbumn bonn to 0 0 2 100 _ 4,8% 24 „. 09%oiges NaCl +06 „ .„ 1:10 . 100 2 020% In einer Serumkonzentration von 20 °/o sieht man eine-Aufnahme von 56,7 %o zustande kommen. Wird nun der Eiweissgehalt durch Zusatz von Ovalbumin erhöht, so konstatiert man nur eine Aufnahme . von 52°. Durch diesen Zusatz entsteht also eine Verringerung von 4,7 °o. Ungefähr dieselbe Verminderung ist in einer Serum- verdünnung 1:10 festzustellen. In einer Verdünnung 1:15 ist diese grösser, beträgt dann 24,1°0. Das Maximum wird erreicht in einer Verdünnung 1:25, wo die Verminderung 35,8 % beträgt. Bei der folgenden Verdünnung 1:50 ist der Unterschied mit oder ohne Ovalbumin weniger gross, nur 6,3°c, weil in dieser Serum- verdünnung nur eine Aufnahme von 10,7 °o erfolgt. In den folgenden Verdünnungen sieht man gerade das Gegenteil; in Ovalbumin ist Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 387 eine geringe Phagozytose, während dieselbe in Serum ohne diese Stoffe fast vollständig verschwindet. Aus diesen Versuchen ergibt sich also, dass Zusatz von Ovalbumin zu Serum einen nachteiligen Einfluss ausübt, und zwaristderselbeumsogrösser,je weniger das Serum konzentriert ist, während man im Gegen- teil eine Förderung der Phagozytose erwarten sollte. Weil nun in Salzlösung die Aufnahme geringer ist als in Ovalbumin-Lösung, muss man wohl annehmen, dass im Serum das Ovalbumin soleh eine Wirkung ausübt, dass also die Phagozytose fördernden Stoffe des Serums ihren günstigen Einfluss nicht genügend entfalten können. Ob dieses geschieht, dadurch, dass Ovalbumin eine gewisse Menge dieser Stoffe absorbiert oder auf andere Weise sich mit diesen ver- bindet, oder durch Veränderung der Reaktion diese Stoffe verändert, oder ob mehrere dieser Ursachen zugleich wirksam sind, wird weiter untersucht werden müssen. Wieviel Ovalbumin braucht man, um die Aufnahme in einer bestimmten Serumkonzentration zu verringern ? Zur Beantwortung dieser Frage wurde Ovalbumin zu "25 Serum gefügt, und in dieser Flüssigkeit wurde die Stärke der Phagozytose untersucht. Tabelle XI. Prozentgehalt der Leuko- zyten, welche Amylum auf- genommen haben Flüssigkeiten 2,4 cem 0,9 oiges NaCl + 0,6 ccm Serum 1:5 >< 100 —= 50,0 %/o nn mm nn nn m ri DD DIA 24 „ Ovalbumin-Lösung + 0.6 „ A ERS, = =< 100 —= 14,7 %0 „ir 2,4. N 1/10 +06 „ Pe rt:rD ss > 100 —= 44,0 %/o | i 5Yko) er 202 ne 3 ZAHN. 7 Yo +06 , a 595 100 = 53,1 %Vo Wie Tabelle XIII zeigt, entsteht nur eine starke Verminderung durch gesättigte Ovalbumin-Lösung; auch durch eine Verdünnung 1:10 entsteht noch einigermaassen eine schwächere Aufnahme; eine 1:100 hat ganz und gar keinen Einfluss mehr. [80] or Un zu = WE 068 FE ER WEERTG II 8:ı « [7 « 90 ai « so8ı 0 a) [0 HZ 9 SE Ll | = N N) Ener een x “ go+ DEN 58810060 ° We 2 001 nn VEREINE I er “ « « 9.0 äj «“ m “ HZ 0 988 0% 1 = 001 nn N a ee I g:] umag soanyeun « 9:0 + w «“ ‚ « HZ 5 UM ce = 001 . eo “ sodı 9/60 “ 90 + « « « HZ e 0 5 : = 2 ar n (ee 66V RE EEE DIOR HTIORTON OEOLEIEO . 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Der Eiweissgehalt von !/ıs Serum wurde erhöht durch Zusatz von Ovalbumin; diese Lösung wurde während einer '/» Stunde bei 58° C. erhitzt und die Aufnahme in diesem verglichen mit der in derselben 'Serumverdünnung ohne Ovalbumin. Zur weiteren Ver- sleichung dienten die nieht erhitzten Serumverdünnungen. (Siehe Tabelle XIV auf S. 388.) Bei der Betrachtung der Tabelle XIV zeigt sich, dass Ovalbumin zu einer Verdünnung 1:15 von aktivem Serum eine Verminderung der Aufnahme von + 10°/o, d. h. von 52,1°/o und 58,6 °/o bis 46,5 %o und 44,6°/o verursacht. Die Erhitzung von verdünntem Serum ohne Albumin hat viel mehr Effekt, d. h. eine Verminderung von 55,35 °/o bis 17,55 °o, also 37,8 °/o, als die Erhitznng von Serum mit Ovalbumin, in welcher Mischung die Aufnahme 45,55 °/o bis zu 25,6% fällt, also im Mittel 19,95 °/o, d.h. ungefähr die Hälfte der Verringerung, die eintritt bei Anwendung von Serum ohne Ovalbumin. Dass Eiweiss hat also dabei eine schützende Wirkung ausgeübt oder hat durch Bindung von hemmenden Stoffen, die bei der Er- hitzung entstehen, diese dem Medium entzogen. Vermehrung des Eiweissgehaltes von Serum ver- ringert also die nachteilige Wirkung der Erhitzung auf die Förderung der Phagozytose von Amylum. % B. Einfluss der Lipoide auf die Phagozytose. Eine ganze Reihe von Untersuchungen ist angestellt worden über die Einwirkung der Lipoide, der. in Äther löslichen Bestand- teile von Geweben und Körperflüssigkeiten, auf verschiedene Immu- nitätsreaktionen; so hat man auch den Einfluss dieser Stoffe auf den Phagozytosenprozess untersucht; es ist jedoch bis jetzt noch nicht gelungen, im grossen Ganzen übereinstimmende Ergebnisse zu erzielen. 390 J. OQuweleen: Es war nun unser Ziel, folgendes zu untersuchen: Inwiefern kann man die Ergebnisse, die man bei der Phagozytose von Kohle und Amylum in Serum erhält, auf Rechnung der Anwesenheit von Lipoiden stellen? Zuerst haben wir uns hierbei mit der Frage beschäftigt, wie es möglich war, dass man beim Studium der Lipoide solche verschiedene Ergebnisse erhalten, und welche Fehler man dabei begangen hat. 1. Inwieweit sind die bisher erzielten Resultate über die Wirkung der Lipoide als richtig zu betrachten? Marbe&!) fand, dass die mit Äther extrahierte Schilddrüse einen viel stärker fördernden Einfluss auf die Aufnahme von Bakterien erwies als die normale Drüse; die Stoffe. welche sich im Ätherextrakt, ebenso in dem von Chloroform und Alkohol, befanden, hatten dagegen eine stark hemmende Wirkung. Er meint daher, dass im Serum den Lipoiden die hemmende Wirkung im Phagozytosenprozesse zukommt, während die typischen Thyreoidstoffe fördernd auf diesen Prozess wirken. Müller?) konnte dagegen mit Stoffen, welche durch Extraktion mit Äther aus einer grossen Menge Bakterien gewonnen wurden, weder eine hemmende noch eine fördernde Wirkung erweisen, ebensowenig zeigten Bakterien, auf diese Weise behandelt, einen anderen opsonischen Index als nicht behandelte; daraus schliesst er, dass Lipoide bei der Phagozytose gar keinen Einfluss ausüben. Milkowicz?°) gibt wieder andere Resultate; er fand, dass Lezi- thin und Cholesterin, trotz ihres verschiedenen Verhältnisses gegenüber Toxinen, eine stark fördernde Wirkung in Vivo aut die Aufnahme von Staphylokokken und Tuberkelbazillen ausübten sowohl bei gesunden ‚wie auch bei’ kranken Individuen. Ebenfalls konnte er in Vitro bei Vorhandensein von Opsonin enthaltendem Serum diese Verstärkung unter Einwirkung von Lipoiden finden. Strubell*) sah nach Gebrauch von Lezithin-Perdynamin, welches Lezithin und Eisen enthält, eine Steigerung des opsonischen Index für Streptokokken und Tuberkelbazillen, und zwar während einer langen Zeitdauer. Graham’) fand, dass Lezithin in physiologischer Salzlösung die Wirkung von Opsoninen nicht ausüben konnte und auch bei der Phagozytose von Bazillen keine ergänzende Wirkung hatte. Dagegen stellte er fest, dass die Verminderung, zustande gebracht sowohl durch 1) Compt. Rend. Soc. Biol. t. 69 p. 355 et 387. 1910. 2) Zeitschr. f. Immunit. f. Orie. Bd. 1 S. 61. 1909. 3) Zeitschr. {. Immunit. f. Refer. 1911 Nr. 1202. 4) Berliner klin. Wochenschr. 1915 Nr. 22. 5) Journ. of Infect. Dis. vol. 8 p. 147, 1911. Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 39] Äther in Vitro, als auch durch die Ätheranästhesie bei Menschen und | Kaninchen, aufgehoben wird durch das Hinzufügen von Lezithin zum Serum und durch subkutane Einspritzungen dieses Stoffes. Walbum!) bewies, dass Serum, ersetzt durch eine kolloidale Suspension von Cholerestin in einer Konzentrierung von !/eooo norm. (+ 0,2 g pro Liter), die phagozytäre Wirksamkeit gegenüber Koli- bazillen dreimal vermehrt; auch bei intravenöser Einspritzung dieser Suspension bei Kaninchen wurde der opsonische Index bis zum doppelten Betrag erhöht; zugleich gaben andere Cholesterinderivate in Vitro Ver- stärkung.. Walbum meint daher, dass die Wirkung nicht von der freien Hydroxylgruppe abhängig ist; es scheint eine spezifische Cholesterinwirkung zu sein und keine gewöhnliche Kolloidalerscheinung, weil Zetyl- und Methylalkohol, d. h. kolloidale Suspensionen der ali- phathischen Alkohole, nicht wirksam sind. Arkin?) erhielt wohl Vermehrung der Aufnahme der Strepto- kokken durch Zusatz einer Cholesterin-Suspension in derselben Stärke segenüber physiologischer Salzlösung: die Phagozytose jedoch war geringer als in Serum. Aber als er die Cholesterin-Suspension zu der- selben Menge Serum hinzufügte, war eine Verminderung festzustellen. Dieser Stoff würde also auf das Serum wirken und höchstwahrscheinlich in eine Verbindung mit demselben eintreten, die weniger aktiv als das Cholesterin selbst ist. Cholesterin sollte daher bis zu einem ge- wissen Grade imstande sein die Opsonine des Serums zu ersetzen, weil in einer Suspension dieses Stoffes ein höherer Index entsteht als in Salzlösung, wenn auch dies nicht vollständig möglich ist, da im Serum die Förderung der Aufnahme grösser ist. Stuber?) fand wieder andere Resultate; er gebrauchte eine andere Methode als die obengenannten Forscher, die nach der Methode von Wright arbeiteten. Als Objekt von Phagozytose dienten Hefe- zellen, und zwar in einer Konzentration von 50—60 000 per Kubikmilli- meter, suspendiert in künstlichem Serum (NaCl 7,4,.Natriumzitrat 6, aq. dest. 1000). Diese Suspension fügte er in einer Menge von 0,03 ccm zu 0,1 cem künstlichem Serum-und 0,1 ccm arteigenem Serum hinzu oder zu 0,1 een gesättigter wässeriger Ovalbumin-Lösung. Von dem zu unter- suchenden Blut, worin sich die Leukozyten befanden, wurden 0,03 cem genommen. Das Ganze wurde gut gemischt und während °®/sı Stunden bei 37°C. gehalten. Das Hinzufügen von arteigenem Serum oder Ovalbumin- Lösung sollte besonders den Zweck haben, die Mischung zu verdünnen, um eine eventuell sehr leicht vorkommende Verklebung der Leuko- zyten und der Hefezellen zu verhindern, Es ergab sich, dass statt Serum ebensogut eine gesättigte Ovalbumin-Lösung als Verdünnungs- mittel gebraucht werden konnte; in beiden waren die phagozytären Werte dieselben. ‘ Mit dieser Methode fand Stuber, dass das Hinzufügen von 0,05 cem 1°/oige Cholesterin-Suspension zu gesundem Menschenblut, welches durch einen Stich in den Finger entnommen war, die Phago- N 1) Zeitschr. f. Immunit. f. Orig. Bd. 7 S. 544. 1910. 2) Journ. of Infect. Dis. voi. 13 p. 408. 1913. 3) Biochem. Zeitschr. Bd. 51 S. 211. 1913, und Bd. 53 S. 493. 1913. 393 J. OQuweleen: zytose-Stärke um 40—70 °/o erniedriste; 0,05 cem von einer 1 /oigen Lezithin-Emulsion hatte dagegen keine nachteilige Wirkung. Wurden 0,05 ccm von 2°/oiger Lezithin-Emulsion und 0,05 cem von 1 Joiger Cholesterin-Emulsion zugefügt, dann war eine vollkommene Neutralisation der nachteiligen Wirkung festzustellen. Wurde jedoch eine 2 P/oige Lezithin-Emulsion !/ı Stunde lang auf 70° C, erhitzt und mit Chole- sterin gemengt, sodann der Blutmischung zugefügt, dann hatte dieselbe die Eigenschaft, die Cholesterinwirkung zu neutralisieren , verloren. Diese Inaktivierung des Lezithins war nicht mehr möglich, wenn ihm vor der Erhitzung Gelegenheit gegeben wurde, sich mit dem Cholesterin zu verbinden. Eine Erhitzung der Cholesterin-Suspension auf 70° C. war ohne Wirkung auf die Verminderung der Aufnahme. Liess Stuber Cholesterin eine kurze Zeit auf die Leukozyten einwirken und fügte dann erst Lezithin hinzu, so zeigte sich eine Erniedrigung des Index um 27—35.°o, das dann noch übrige Cholesterin würde also noch gebunden werden. In Vivo bei Katzen wurde dieselbe Wirkung beobachtet. Lezithin allein intravenös eingespritzt, gab eine leichte Steigerung von 7—15 Jo; Cholesterin allein eine nachteilige Wirkung, während bei einer Ein- spritzung eines Gemisches von Lezithin und Cholesterin im Verhältnis 2:1 dieser nachteilige Einfluss aufgehoben wurde. Wenn Lezithin Yı Stunde bei 70° C. erhitzt wurde, hatte.es das Vermögen verloren -die Wirkung von Cholesterin zu neutralisieren. Das letztere konnte sogar 24—60 Stunden nach der Einspritzung von Lezithin eingespritzt werden, ehe es seine hemmende Wirkung ausüben konnte. Die Ölsäure- und Palmitinsäure-Ester von Cholesterin gaben in Vitro ebenfalls Verminderung des opsonischen Index, jedoch verringerte ein Hinzufügen von Lezithin diese Wirkung nicht. Cholesterin-Azetat und -Benzonat übten gar keinen nachteiligen Einfluss aus. Cholesterin scheint also durch Substitution seiner Hydroxylgruppe seine Wirkung zu verlieren, die Hydroxylgruppe würde der Hauptfaktor für den Ein- fluss auf die Phagozytose der Leukozyten sein. Weil am sechsten Tage nach der Einspritzung eine Verringerung der Phagozytose von + 50 0/0 festzustellen ist, nimmt Stuber an, dass eine negativ inotrope Wirkung auf die weissen Blutkörperchen durch das Cholesterin aus- geübt wird. Durch alle diese Untersuchungen ist man also zu einem be- stimmten Ergebnis nicht gekommen, was vielleicht teilweise den verschiedenen Untersuchungsmethoden zuzuschreiben ist. Um nun doch Folgerungen aus der Wirkung von Äther, Chloro- form und Alkoholextrakten auf die der Lipoide ziehen zu können, muss man erst Sicherheit haben, dass andere Stoffe, welche die Phagozytose erschweren oder fördern können, nicht mit ausgezogen werden, weil auf diese Weise die Wirkung der Lipoide selbst ver- ınindert, verstärkt oder neutralisiert werden kann. Auf die Unteı- Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 393. suchungen von Marb& und von Müller ist daher, mit Bezug auf den Einfluss der Lipoide, nicht zu viel Wert zu legen. Auch eine orale Einführung eines Stoffes, so wie Strubell sie anwendete, gibt kein Recht auf Folgerungen über die direkte Wirkung auf die Phagozytose der Leukozyten in 0,9°%o NaCl oder Serum, denn bevor der Stoff im Blute ist, kann derselbe bereits lange ver- ändert sein. Betreffs Lezithin finden also Graham und Stuber keinen Einfluss, Milkowiez einen fördernden; betrefis Cholesterin Walbum und Arkin eine fördernde, Stuber, jedoch in viel stärkerer Kon- zentration, eine nachteilige Wirkung auf den Phagozytosenprozess. Aber auch die Ergebnisse der letzten drei Untersucher sind nicht einwandfrei. Sowohl Walbum wie Arkin gebrauchten eine Cholesterin-Suspension in Ag. dest., fügsten dazu gleiche Mengen Leukozyten und Streptokokken-Suspension in physiologischer Koch- salzlösung; sie liessen also die Leukozyten nieht in einem isotonischen, sondern in einem hypisotonischen Milieu einwirken, und zwar statt in 0,9°/o NaCl in 0,6 °/o NaCl. Stuber fügte 0,1 cem wässerige gesättigte Ovalbumin-Lösung hinzu, die Gesamtmenge der Mischung betrug 0,26 eem; er gebrauchte also eine Flüssigkeit, die einer + 0,55 ’oigen NaCl-Lösung gleich kommt. » Wie verhält sich die Phagozytose, wenn man diese in einem hypisotonischen, anstatt in einem isotonischen Medium vornimmt? Wright und Reid!) fanden, dass die Aufnahme von Tuberkel- bazillen durch Menschenleukozyten in hypisotonischen Lösungen bis zu einer Konzentrierung von 0,6°%o NaCl zunahm, während sie von hyperisotonischen Lösungen ausgingen ; bei geringeren Konzentrationen trat dagegen eine starke Verminderung ein. Hamburger und Hekma°) erhielten bei der Phagozytose von Kohle durch Pferdeleukozyten in Salzlösung andere Ergebnisse; sie fanden den höchsten Wert bei 0,9% NaCl, und bei Verminderung des Salzgehaltes war eine allmähliche Abnahme festzustellen, bis schliess- lich gar keine Aufnahme mehr stattfand. 1) Proc. Roy. Soc. vol. 77 p. 211. 1905. 2). Kon. Acad. v. Wetensch. Amsterdam Versi. Wis- en Natuurk. Afd.. 29. Juni 1907. 394 J. Ouweleen: Man hatı also auch hierbei verschiedene Resultate erhalten; es war daher notwendige, nochmals den Einfluss dieser Salzkonzentrationen ‚zu studieren. Stuber fügte in seinen Versuchen 0,03 cem Blut hinzu; nimmt man an, dass davon die Hälfte Serum ist, so hatte er in seiner Mischung 0,015 Serum, also + "ıs Teil der ganzen Menge des In- halts seiner Röhre. Daher haben wir zuerst untersucht, wie die Aufnahme von Kohle durch Pferdeleukozyten sich in Gegenwart von ‚etwas Serum verhält, jedoch verdünnten wir statt mit physiologischer Kochsalzlösung mit Kochsalzlösung von stärkerer oder minder starker Konzentration; ferner haben wir untersucht, wie sich die Aufnahme von Amylumkörnehen in hypisotonischen Lösungen verhielt. a) Phagozytose von Kohle in Serum, das mit NaCl - Lösung verschiedener Konzentration verdünnt war. Für die Versuche über den Einfluss von verschiedenen Salz- konzentrationen auf die Phagozytose von Serum wurde eine 10 %o ige Serumkonzentration genommen, und zwar bereitet durch Verdünnung von Serum mit verschiedenen Kocbsalzkonzentrationen; wir nahmen hiervon 3 cem und fügten hierzu 0.3 ccm Kohlensuspension, sowie ‘0,15 eem Leukozytensuspension. Tabelle XV. Prozentgehalt der Leukozyten, welche Bi selon Kohle aufgenommen haben 10% Serum in 13%o NaCl. —- 100 = 0,9% 410%, 10% ><100 —= 6,3%o 10:90 .2.2%..2.0,990 =<100, —%6,1.%0 10-40 2200.2 0,8.210 555 >100 8,890 0 5 0,9900 == ><100 — 16,0 0% 19/0 04 — x 100 = 22,3 Yo 1090. 7.00% 0:20 — 100 = 13,9 %/o SO WR N > 100 42,1% | = 100 290% 10%. 2,00% Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 395 Betrachtet man nun Tabelle XV, so kommt, wie wir bereits {früher fanden, in 10° Serum enthaltender 0,9 °/oiger NaCl-Lösung nur geringe Phagozytose, nämlich 6,1%, zustande; in Serum mit hyperisotonischen Lösungen verdünnt, statt mit physiologischer Koch- salzlösung, nehmen die Leukozyten in noch geringerem Grade Kohle auf; die Aufnahme ist schon bei 1,3°/o nahezu Null. Bei hypiso- tonischen Lösungen ist eine allmähliche Zunahme festzustellen; bereits eine Verdünnung mit 0,5 /oiger Kochsalzlösung gibt Vermehrung ; dieselbe beträgt bei 0,7 °/o- und 0,55 °/oiger NaCl-Lösung noch mehr und erreicht den Höhepunkt bei einer Verdünnung mit 0,4 /oiger Kochsalzlösung. Werden noch schwächere Kochsalzlösungen genommen, so entsteht ein schnelles Fallen der Phasozytose, Der Maximalwert der Phagozytose in 10° Serum zeigt sich also bei einer Verdünnung mit 0,4 °%/oiger Kochsalzlösung. Die Mischung selbst ist dann aber weniger hypisotonisch.. Ausser der 0,4 °/oigen Salzlösung, von der 2,7 ecem gebraucht wurden, wurden noch 0,3 ccm Serum senommen; sodann wurden 0,3 cam Kohlen- suspension und 0,15 cem Leukozytensuspension hinzugefügt, welche beide isotonisch waren; das Ganze hat deshalb eine Salzkonzentration, entsprechend einer + 0,5 '/oigen NaCl-Lösung. Wenn man also zu Serumin geringer Menge Salz- lösung von verschiedener Konzentration hinzufügt. wird die maximale Phagozytose vonKohle bei 0,5 'oiger SalzkonzentrationderMischungliegen, während solche ohre Serum bei 0,9°0 zu liegen scheint. Inwiefern die hemmenden Stoffe, welche wir annehmen mussten, dass sie in Serum vorkommen, gegenüber der Aufnahme von Kohle durch die Phagozyten, eine Rolle spielen, ist schwer zu sagen. Es wäre doch möglich, dass diese in hypisotonischem Milieu dureh Ver- minderung der Elektrolyten ihre Wirkung weniger ausüben könnten als in einer isotonischen Lösung. b) Phagozytose von Amylum in hypisotonischen Lösungen. Wir haben gesehen, dass in 0,9°o NaCl keine oder fast keine Phagozytose zustande kommt. Dass die Salzkonzentration hierbei wenig von Belang ist, beweist Tabelle XVI. 396 J. Ouweleen: Tabelle XVI. Prozentgehalt der Leukozyten, welche DL Be Amylum aufgenommen haben 0,9% NaCl I a 0 3,1% 0. NEO N et 56 19 \ j 17 SEN 0,9 %o » TA ee ee 450 =: 00° — Re) 0 S 0 | 18 20980 Be. 7 100 = 28 \ 5 20 RL SE 20 RS EEE RE ENT A 734° 100 1,8 %/o 0,7 °/0 I 20 ><100’= 3,6 %0 70, 109 sv) 0,7% I a — 100, — 1,920 j R N IE 768 ‚g.°, Sy ; Ne en 0,6 % E ea | re er A n 12 SH N 970% UM DE Re ee, oe 100°, 2,729 0,5 %/0 I & <10 = 3,4% s 5 Be re A78 ; \ Bee 2 10 32%) 46 9 ( . . 5 . er = 0! GA 10 6900 ; 0,4 9/0 ET ee a x<100 — 45 00) » 471 10 : Bo 7 100 = 28 N ee 100 11% 3 20 — = : Vo ee AR, 15° 100 1 10) (ee 0 %0J ON N ea Be ee 0 n Oo DE une RR 00/0 Man darf wohl annehmen, dass, da die Leukozyten ohne Ar- wesenheit von Serum zur Aufnahme von Amylumkörnchen nicht im- stande sind, es nichts ausmacht, wenn man die Kochsalzkonzentration vermindert. Hierdurch wird die Aufnahme bei nicht zu starker Ver- winderung des Kochsalzgehaltes sicher nicht vermindert, vielleicht etwas vermehrt, wird jedoch bei sehr geringer Konzentration ganz bis Null reduziert. [© Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 397 In Ovalbumin, in physiologischer Kochsalzlösung gelöst, kam wohl Phagozytose zustande; um nun doch zu erkennen, ob ein Einfluss der Verminderung der Kochsalzkonzentration festzustellen war, wurde Ovalbumin in Kochsalzlösungen von verschiedenen Kon- zentrationen gelöst und darin die Aufnahme bei einer Wirkungsdauer von 15 Minuten studiert. Die Resultate befinden sich in den Tabellen XVII und XVIII. Tabelle XVII. Prozentgehait der Leukozyten, welche Flüssigkeiten = Amylum aufgenommen haben 76 Ovalbumin-Lösung in 0,9% NaCl I. m 100 — 15,1% JUD 56 Iuaose, & N U: 757 100 — 13,0% 13) 86 ” ” ” 0,8 0/o b}) I . ag; 10 == 17.7 °o 65 ' 17,35 0/o 5 ER a ER 585 100 — 17,0% \ OT n > 100 = 22,3 % OR . er: 1” 100 — 21,1% 103 22,15 Vo > 056,900 7 IE. 127 ><10 = 32%) - 2 ES x 100 — 24,4 ") { 24,15 %0 ni; a 059.010... LRT. > 100 = 23,9 %o S RL ERONR Yard AT = > 100 — 312% ® DE AO RSITE, 107 > 100 — 30,2% . a RUE OT 19x 100 — 31,3% ® 11005 0/9 5 E 0er IE“ 35 100 —= 28,8 %o {3} 5 u U ZU E IE > 100 = 11,5 %/o 5 H1100 % RO] TER: — > 100 —= 12,3 %0 398 J. OQuweleen: Tabelle XVII. Prozentgehalt der Leukozyten, welche an elelien Amylum aufgenommen haben ER e } 40 Ovalbumin-Lösung in 0,9% NaCl I. 55° 100 = 7,8% 29 9,0 %6 & 3090/02 385 00 —10,2.0/0 en . 20:8 or sl: =: x 100 = 11,0 %0 s A 1 11,6 %o- ä = »2. 0,8 Yorat. 10% 243 << 100 — 12,2 %0 70 Al x a0 oa —= >= 100 —= 15,3 %o 442 65 16,3 6: ss R SEO er ar = 1002 16;8:9/0 386 \ 1 ” 5 a 0,6% 2: 387° 100 —= 20,9 %0 65 18,1 0: x 5 „0.6.9082 18: 15° 100 = 15,3 %0 i ee U on 21800 463 5 69 19,9 [0: 3: 5 0,979/0 0, 21 >55 x 100 = 18,0 %o 383 61 ae 0,490 E 100 = 14,0°%0 55 3 16,95 °/o 5 5 0,200 377 ><100: — 19,990 , In 2 0 25 = 100 — 10,4% 0) a 0/ & N 0,200 397 100 — 21,6.0/0 2) » El oe 0 0 In keiner der beiden letzten Tabellen erreicht die Phagozytose den höchsten Wert in dem isotonischen Medium. Wenn jedoch die Kochsalzkonzentration abnimmt, vermehrt sich die Aufnahme. Die Vermehrung erreicht ihr Maximum in der ersten Tabelle bei 0,4 /o-, in der zweiten bei 0,5 °/o-, durchschnittlich also bei 0,45 P/oiger NaCl- Lösung. Wird die Konzentration noch gerivger, dann ist Verminderung zu beachten. Die Aufnahme von: 0,3 ccm Amylum durch 0,15.cem Pferde- leukozyten erreicht deshalb bei Vorhandensein von Ovalbumin den höchsten Wert in 0,45 /oigen NaCl-Lösung, von der 3 cem gebraucht wurden. Die ganze Mischung umfasst eine Konzentration von 0,55 ?/o Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 399 NaCl, welche Stärke ungefähr mit derjenigen übereinstimmt, welche bei der Aufnahme von Kohle in verdünntem Serum gefunden wurde,. und ebenfalls mit der Zahl von Wright und Reid. Aus diesen Untersuchungen sieht man also, dass. die stärkste Phagozytose vonAmylumineinem Medium stattfindet, welcheseiner 0,55 /oigen Kochsalzkonzentration entspricht. Die Erhöhung der Phagozytose durch eine Cholesterinsuspension- gegenüber einer physiologischen Kochsalzlösung, welehe Arkin und Walbum gefunden, muss man deshalb der Tatsache wenigstens teilweise zuschreiben, dass diese 0,6 %/uiege NaCl-Lösungen benutzten. Dass Stuber durch Verdünnung seiner Mischung mit einer gleichen Menge gesättigter wässeriger Ovalbumin-Lösung darin eine gleiche Aufnahme feststellen konnte als bei Verdünnung mit Serum, ist auch sicher teilweise durch den Gebrauch eines hypisotonischen Mediums zu erklären. Hier ist jedoch die Sachlage verwickelter. Erst versuchte er die Wirkung von Cholesterin und Lezithin auf Leukozyten in physiologischer Kochsalzlösung, also von Serum voll- kommen befreit, zu studieren. Jedoch die Vorversuche ergaben keine befriedigenden Resultate; er fand eine deutliche Beschädigung der Phagozyten in isotonischen Kochsalzlösungen; er erhielt in physio- logischer Salzlösung durch Leukozyten des Menschen keine oder nahezu keine Aufnahme der Hefezellen. Dass nach Zurückbringen in das ursprüngliche Serum eine vollkommene Herstellung nicht eintrat, ist zu erwarten, da doch wiederholt festgestellt wurde, dass durch Zentrifugieren und weitere Behandlung der Leukozyten das leukozytäre Vermögen etwas verringert werden kann; erst wenn die Zentrifugierung verschiedene Male wiederholt wird, tritt eine starke Verminderung auf; ein- bis dreimaliges Waschen wird noch zanz gut ertragen; dieses beweist aber, dass in jedem Falle dieselben Leukozyten in Serum zum Phagozytieren gut imstande waren. Die Leukozyten des Menschen verhalten sich also Hefezellen gegenüber, wie Pferdeleukozyten den Amylumkörnchen gegenüber, d. h. in physio- logischer Kochsalzlösung. nicht oder wenig, in Serum hervorragend imstande zur Phagozytose. Die Beschädigung ist, wie Stuber dachte, nicht der Hauptfaktor. Nimmt man die Aufnahme in ge- sättigter, isotonischer Ovalbumin-Lösung vor, dann soll, wie für Amylum festgestellt ist, eine Förderung der Phagozytose zustande 400 J. Ouweleen: kommen, mehr noch sogar, wenn man eine hypisotonische Lösung von 0,6% NaCl gebraucht. Zu der Leukozyten-Ovalbumin-Lösung-Hefezellenmischung wird 0,03 eem Blut zugefügt, also ungefähr 0,015 cem Serum oder ungefähr !/ıs der ganzen Menge. Eine Serumverdünnung 1:18 gab bei der Aufnahme von Amylum nur eine wenig geringere Stärke als un- verdünntes Serum. Wurde jedoch Ovalbumin der Verdünnung zu- gefügt, dann wurde dadurch die Aufnahme vermindert; in Tabelle XII sieht man zum Beispiel, dass bei Serumverdünnung 1:15 der Prozent- satz von 49,2%/o auf 25,100 fiel. War also Ovalbumin in isotonischer Kochsalzlösung gebraucht, dann hätte auch Stuber eine Ver- minderung der Aufnahme gegenüber unverdünntem Serum gefunden haben müssen; durch den Gebrauch von hypisotonischen Lösungen ist es zu begreifen, dass er darin bei seiner Untersuchungsmethode dieselbe phagozytären Indices erhielt als in Serum. Die gefundene günstige Wirkung in den Ovalbumin-Lösungen ist also nicht, wie Stuber meinte, dem Eiweisse allein zuzuschreiben, ‚sondern entsteht durch Zusammenwirkung von drei Faktoren: der‘ Förderung durch das Eiweiss, durch die Hypisotonie und durch das Vorhandensein von Serum. Überdies war in der Mischung 0,300 Natr. eitr., und wenn ‚auch Wright keine Verminderung der Phagozytose, auch nicht durch ‚noch stärkere Konzentration, bei den Leukozyten des Menschen fest- stellen konnte, so findet Sauerbeck!) doch eine leichte quanti- tative Verminderung der Stärke von Aufnahme durch 0,5 °;,o Natr. eitr. Es ist deshalb sicher nicht zweckmässig, diesen Stoff in dem Gemische auch noch zu haben. Aus seinen Ergebnissen schloss Stuber, dass Cholesterin auf die Leukozyten selbst einwirkte und eine negativ-inotrope Wirkung ‚entfaltete. Er liess jedoch das ganze vorhandene Serum ausser Be- tracht und beachtete nicht, dass dieser Stoff einen nachteiligen Einfluss auf die phagozytosefördernden Stoffe des Serums haben könnte, wie es Arkin bereits fand. Ausserdem fehlen in seinen Untersuchungen Kontrollversuche mit erhitzten Lezithin-Emulsionen allein; bei Erhitzung bis zu 70° C. kann es sehr leicht möglich sein, ‚dass dadurch das Lezithin zersetzt wird und Stoffe entstehen, welche ‚auf die Phagozytose nachteilig wirken können. Wohl fand er, wenn 1) Zeitschr. f. Immunit. f. Orig. Bd. 3> 1909. 25 Über.den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 401 Cholesterin und Lezithin, bereits zusammengefügt, erhitzt werden, dass die nachteilige Wirkung von Cholesterin zwar aufgehoben wurde, aber dieses könnte dadurch erklärt werden, weil Cholesterin die nachteiligen Stoffe dem Gemische entzog. Diese Wirkung der Erhitzung bis 70° C. auf Lezithin macht er verantwortlich für die Inaktivierung der Serumopsonine. Jedoch ist eine Erhitzung bis 70° C. noch nicht so wie eine von 565—60 °C, wie sie für die Vernichtung des Komplementes gebraucht werden darf. Eigenartig ist weiter, dass bei der Äthernarkose von Katzen keine Verminderung des phagozytären Index festzustellen war. Um namentlich die Wirkung des Lezithins und Cholesterins in Vitro zu untersuchen, wurden bei Katzen in leichter Äthernarkose Vena jugularis und Carotis freigelegt und zur Bestimmung des Index Blut aus der Carotis entnommen; darauf wurde die Lezithin- oder Cholesterin- Emulsion in die Vena jugularis eingespritzt; im allgemeinen !/a Stunde nach der Einspritzung wurde wieder Blut aus der Carotis entnommen und im Vereleich mit der ersten Bestimmung die Wirkung der Emulsionen untersucht. In den Vorversuchen war festgestellt, dass die Äthernarkose, wenn sie nicht länger als 2 Stunden dauerte, keinen Einfluss auf die Phagozytose ausübte. Hierüber wurden jedoch keine Tabellen gegeben; ausserdem ist dieses Ergebnis im Widerspruch mit dem von anderen Untersuchern, die schon bald eine nachteilige Wirkung fanden. So konnte zum Beispiel Graham bei Äthernarkose von Kaninchen während nur "/s Stunde schon direkt nach 15 Minuten eine sehr starke Verminderung der Aufnahme gegenüber fünf Sorten Mikroorganismen feststellen. Überdies bewies dieser, wie bereits erwähnt ist, dass durch Zufügung von Lezithin die schädliche Wirkung von Äther aufgehoben wurde, sowohl in Vitro als auch bei sub- kutanen Einspritzungen bei Tieren. ER, Die Schlussfolgerung von Stuber, dass die Stärke der Phago- zytose den Lipoidentonus des Serums angibt, muss man wohl sicher verwerfen, weil den verschiedenen Faktoren gar keine Rechnung getragen wurde. Die Untersuehungen über die Wirkung der Lipoide sind also zum grössten Teile ganz und gar unvollständig; nur die von Mil- kowiez und Graham mögen vielleicht richtige Ergebnisse ge- liefert haben, dennoch sind diese gar nicht miteinander überein- stimmend. Wir können in keinem Falle hieraus ableiten, wie die Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 26 402 J. Ouweleen: Wirkung der Lipoide im Serum bei der Phagozytose von Kohle und Amylum ist. Wir mussten daher verschiedene Versuche über diese Wirkung selbst ausführen. 2. Lezithin und Kohlephagozytose. Lezithin (Merck’s Präparat) wurde in Äther gelöst, hierzu wurde eine bestimmte Menge physiologischer Kochsalzlösung hin- zugefügt, darauf der Äther durch Durchleiten von Luft vertrieben. Man erhielt sodann eine starke Lezithin-Emulsion, woraus durch Mischung mit 0,9% NaCl die verschiedenen Verdünnungen bereitet wurden. ; Wenn man Pferdeleukozyten eine !/s Stunde lang in solche Kochsalzlösung-Lezithinmischungen, welche letzteres in verschiedenen Konzentrationen enthielt, Kohle aufnehmen liess, dann erhielten wir die in Tabelle XIX und XX angegebenen Resultate. Tabelle XIX. Prozentgehalt der Leukozyten, welche en Kohle aufgenommen haben | 1,0°o Lezithin in 0,9% NaCl . . . 0 % 0,5 9/o “ 0,9 Mon ee 035%o, 7 h) fıy AS a 0 0,190 22,.2.0900 7952 100 = 1,7% 100 u a ee 158 x 100 = 20,5% ya 2100. 189% 395 Nele nl a 100 — 182 “ Ra be > 100 — 20,7% 363 In beiden Tabellen wird durch Lezithin (1% und 0,50) die Aufnahme von Kohle durch die Leukozyten ganz unterdrückt. 0,1 %/o iges Lezithin ist immer sehr nachteilig; die Phagozytose beträgt nur 1,7 /o und 3,1°o; die folgende Verdünnung ist im ersten Versuche nicht mehr schädlich, im zweiten noch ziemlich stark ; auch noch geringere Konzentrationen geben in der letzten Tabelle einen etwas niedrigeren Prozentgehalt als 0,9% NaCl. Jedoch eine Förderung der Auf- nahme sehen wir gar nicht zustande kommen. Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 403 Tabelle XX. Prozentgehalt der Leukozyten, welche Bel aen Kohle aufgenommen haben CET 14 U 0,1% Lezithin in 0,9%o NaCl ... . TE 100.— 3:31.90 60 1975 / 0,01 9/0 SU NEID 395 100 = 15,2 Io 87 rd 00030 00, ON ar, gg 100 — 421, 339/0 : 102 _ ; 00020/0223, .,.70:9:%/0 7, ANA? ee 100 = 24,7 %o 0,001 % 0,9% 29 100 — 29,7% ’ ” 2 ” ne Aa 3 136 0,90 >—— 5X = 30% BINDEND CL Tr ne ee. ren) 100 29,3 N 112 Be) 0,9 0/0 9 TR En che reale 384 <100 — 29,2 0/o Hieraus ergibt sich, dass Lezithin in jedem Falle biszueiner Konzentration von1:10000 eine nachteilige Wirkung auf die Phagozytose von Kohle durch Pferde- leukozyten in physiologischer Kochsalzlösung ausübt. 3. Lezithin und Amylumphagozytose/ a) Zusatz von Lezithin zu physiologischer Salzlösung. Bei der Phagozytose von Amylum in 0,9°o NaCl verhält sich Lezithin folgendermaassen: Tabelle XXI. Prozentgehalt der Leukozyten, welche NL Amylum aufgenommen haben 1,09% Bezithin in OOMINACL I. 2 080] > I OL 5 210 — 0,4% VOR EN 2 100 —_ 927% 0.001.965 °.,9.09ChR x 100 — 15% 21 en 20x10 — 44% 15 BR NaCL.T. re. 10-32 A BO LILN eeer 25100 — 3,70% 404 J. Ouweleen: Fügt man also Lezithin zu physiologischer Kochsalzlösung hinzu, so zeigt sich auch hierin ebenso wie in der reinen 0,9 °/oigen NaCl- Lösung keine oder nahezu keine Phagozytose. Lezithin fördert also in keinem Falle die Auf- nahme von Amylum; bei sehr starker Konzentration könnte vielleicht noch einige schädliche Wirkung be- merkbar sein. b) Zusatz von Lezithin zu Serumalbumin-Lösung. Um diese nachteilige Wirkung besser bemerkbar zu machen, fügten wir Lezithin in verschiedenen Konzentrationen der Serum- albumin-Lösung zu. Hierbei wirken nur die stärksten Konzen- trationen schädlich, wie die folgenden Versuche angeben. Tabelle XXM. Einwirkungsdauer 20 Minuten. & Ir En Konzen- T 5 Broziugelan Pike valon | der Kukonren, ai %o haben 2,5 ccm Serumalbumin-Lösung + 0,5 ccm 0,9°/oiges NaCl 1 . — = x100 = 15,5 lo 05. > 0.05 090 u > = 100 — 14,0% 15°, : 215%, 1.000iges Dezithin | + 0,5 > 100 —_ 99% 20, 410 10% |2088 x 100 — 11,9% 0, : +0 le no 100 — 11,8% 05. +05 Ollens 2:00 20,100 — 19,2% 5. - . 205, 0010 || 3.000 a 100 — 135% 05, ’ „+05 „ 0001%iges „ | + 0,0002 x 100 — 15,9% Tabelle XXI. Einwirkungsdauer 40 Minuten. 0,6 ccm Serumalbumin-Lösung + 2,4 cem 1,0 °/oiges Lezithin | 0,8 | = x10 = 53% 06 , ö „+24 , 09%iges NaCl... | — | 2510 — 155% 1 . 118, 1,00rees Lezithin | 06 10 > 100 —_ 21,4% 12 , : = 18 09OpigesNac. | | 00 300% 467 Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 405 Tabelle XXIII (Fortsetzung). Konzen- Prozentgehalt Hlüssiekeit tration v.| der Leukozyten, welche en Lezithin | Amylum aufgenommen 0/0 haben 145 yon . 1,8 ccm Serumalbumin-Lösung +1,2 ccm 1,0°/oiges Lezithin | 0,4 3 x 100 = 30,7% \ 61 1,3 „ „ br) tr 1,2 B)) 0,9 %g iges NaCl . . 532 — > 100 = 38,9 %/g J 24 .„ 5 »„ +06 „ 1,0%oiges Lezithin | 0,2 > 100 = 36,3 a 24 „ 5 »„.7+06 „ 0,9%oiges NaCl. . — 220 x 100 — 32,40 J N, h „+03 „ 1,0%iges Lezithin | 0,1 > 100 — 31,0% 24 ,„ a +0,6 „ 0,1Poiges 5 0,02 = x<100 = 30,5% 2} SE Pe Ne 0,002 | 22 = 100 — 34,90) Oo 24 5 i „+06 „ 0,001%oiges , 0,0002 | 352 >= 100 — 34,4 Aus den Tabellen XXII und XXIII darf man wohl schliessen, dass selbst 0,4°o Lezithin noch keine Wirkung ausübt. In der ersten Tabelle beträgt die Stärke der Phagozytose bei 0,33% Lezithin 11,9%, während ohne Lezithinzusatz, doch bei etwas grösserem Fiweissgehalt, eine Aufnahme von 14,75°/o zustande kommt; in der zweiten Tabelle beträgt diese bei 0,4°/o Lezithin 30,7 %o und ohne Lezithin 38,5 %/o; dieses ist wohl ein Unterschied von 7,8°/o, jedoch der zweite Prozentgehalt muss zu hoch sein, weil selbst bei einem höheren Eiweissgehalt, wie aus derselben Tabelle ersichtlich ist, eine geringere Aufnahme stattfindet. In stärkeren Konzentrationen wirkt Lezithin deut- lich nachteilig; bei 0,6°o Lezithin beträgt die Verminderung 11,8°/0, bei 0,8°/o Lezithin 10,2°/0; war jedoch der Versuch so ein- gerichtet, dass die Phagozytose bei diesen Konzentrationen studiert war beim Vorhandensein eines grösseren Eiweissgehaltes, dann konnte vielleicht durch die schützende Wirkung des Eiweisses dieser schäd- liche Einfluss weniger bemerkbar gewesen sein. 406 J. Ouweleen: c) Zusatz von Lezithin zu Serum. Zeigt Lezithin nun denselben Einfluss beim Vor- handensein von Serum? Dieses wurde untersucht durch Phagozytose der Leukozyten in einer Serumverdünnung 1:30 mit und ohne Lezithin; die Ein- wirkungsdauer betrug hierbei 15 Minuten. Tabelle XXIV. Konzen- \ Prozentgehalt ELDER tration von | der Leukozyten, welche blüssigkeiten Lezitbin | Amylum aufgenommen 0/0 haben 208 3:0&cem! Serum. 1300.40 4 „us es Be rer —_ 795° 100 = 48,7 %o 1153 15 oem 1 OYosee Lem 005 a 100 — 50,1% >20 .....01:004 10010008, | 088 5100 55h 250 0° 0 01:08 05°. 100oikee 000 1200 1,100 — 3,87%? a er an x 100 — 31% 2 a0 Volle | 2.000 10 >< 100 25300 95... 0.0,1:98205 8.0001 oiges 57 | 0.0002 a 100 — 31,8% 25,0, 1:94,05 , 0.0001 dogs „1.2 0.00009 x 100 — 47,7% Aus dieser Tabelle ersieht man, dass Zusatz von 0,5°/o und 0,33°/o Lezithin keinen nachteiligen Einfluss auf die Phagozytose in Serum 1:30 ausübt; geringere Konzentrationen haben einen starken nachteiligen Einfluss, so dass selbst eine Konzentration von 0,02 %/o die Phagozytose nahezu ganz aufhebt. Erst bei einer Konzentration von 0,00002 /o ist diese Hemmung wieder verschwunden. Dasselbe zeigt sich in Tabelle XXV (S. 407). Auch hier ist 0,6% und 0,4°/o Lezithin unschädlich, stärkere Konzentrationen zeigen einen stark nachteiligen Einfluss. 0,2 %0 Lezithin ist schon einigermaassen nachteilig, noch stärker tritt dies hervor bei geringeren Konzentrationen; so kann Serum 1:25 bei Vorhandensein von 0,02°/o Lezithin nur eine Phagozytose von 9,4°/o bewirken. Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 407 Tabelle XXV. Konzen- & Prozentgehalt = Flüssigkeiten BET, der Leukozyten, welche ezithin | Amylum aufgenommen 0% haben 2,9 ccm Lezithin 1%o + 0,1 ccm Serum. . . +10 = x< 100 = 7,5 %o 2,4 ccm 5 190 100.61ceme 2,1 11:5 + 0,8 = ><100 = 5,1% 1,3 cem > PIE ccm 5 ,1.21053%.2206 _ >x< 100 = 47,0% B 2 1,2 ccm 2 19/018 ccm 7 7,2.21:15.1. 3.04 = x 100 = 47,6 9 Do oem} 21.00.7202 us 100 — 35,8% Don oem oe > 100 — 31,2% Do oe dicem 1:20. & 0,02 _ 100 — 94% 95 Bllccmuserumel:2or I. 27.02... nr MBRT — = 100 — 48,4 ” TÜRE EIN a a — ee >x<100 = 53,7 %0 . 90r Ob diese schädliche Wirkung von geringeren Konzentrationen vom Lezithin selbst abhängig ist, ist sehr fraglich. Es ist sehr gut möglich, dass hierbei Verunreinigungen, Zersetzungsprodukte der Lezithinpräparate, welche niemals ganz rein sind und sich schnell zersetzen, eine Rolle spielen, wobei die Wirkung in stärkeren Kon- zentrationen nicht bemerkbar wird, weil diese durch das Lezithin gebunden werden. Beim Vorhandensein von Serumalbumin wurde diese nachteilige Wirkung nicht bemerkt; man muss daher annehmen, entweder, da diese schädlichen Stoffe auf die Leukozyten selbst wirken, dass Serumalbumin diese bindet und ihre Wirkung hemmt, oder dass sie auf die phagozysefördernden Serumstoffe wirken. Jedoch auch im zweiten Falle wird Eiweiss diese Lezithinprodukte binden können, wie aus folgendem Versuche zu ersehen ist, in welchemdie Wirkung von 0,01 °/o Lezithin auf die Phagozytose von Serum 1:20 beim Vor- handensein von Ovalbumin während einer. Einwirkungsdauer von 15 Minuten untersucht wurde. A408 > J. Ouweleen: $ Tabelle XXYL Prozentgehalt der Leukozyten, welche Flüssigkeiten Amylum aufgenommen haben Aa Wan er 2 We 1.8 cm Ovalb.-Lös. + 0,6 ccm 0,05%oiges Lezithin + 0,6ecm Serum 1:4 | 7, < 100 — 17,1% 1.8cem x -=1.9.ccm 0,9%oiges NaCl 3. 2.02. 2 2- 25 x 100 = 4,20 1,ö ccm R + 0,6 ccm 0,9 /oiges NaCl + 0,6 ccm Serum 1:4. . = > 100 — 30,2 9/o 1,3 ccm 5 -+ 0,6 ccm 0,05 %Joig. Lezith. + 0,6 ccm 0,9%/oig. NaCl nn 100 = 4,8% 24 ccm Serum 1:15 + 0,6 cem 0,05 %oiges Lezithin. . .... . = x10 — 73% . 209 3,0 ccm Pr 1 - 2 ER EN ee ie Nivea ter Te Nee kile Nee ee ee er ee 344 >=< 100 = 47,1 0/o 0,01 %o Lezithin erniedrigt also die Phagozytose in einer Serum- verdünnung 1:20 von 47,1°/o auf 7,3°/o; aber in Ovalbumin-Lösung ist keine nachteilige Wirkung durch diesen Stoff festzustellen. Durch Zusatz von Hühnereiweiss zu Serum 1: 20 fällt die Aufnahme von 47,1 °) auf 30,2 °%/0; Zusatz von 0,05 °/o Lezithin hierzu ergibt nur einen Wert von 17,1°/o, welcher jedoch 9,8°/o höher ist als ohne Albumin. Höchstwahrscheinlich ist also, dass 0,01 °o Lezithin einen nach- teiligen Einfluss auf die Serumstoffe hat, der jedoch durch Bindung mit Ovalbumin teilweise wieder aufgehoben wird. Wenn Lezithin nur die Tätigkeit der weissen Blutkörperchen selbst verminderte, so sollte man erwarten dürfen, dass auch in Serum durch Oval- bumin die nachteilige Wirkung ganz aufgehoben wurde. Natürlich ist nicht ganz auszuschliessen, dass dasselbe ebenfalls einen Einfluss auf die Leukozyten selbst gibt, und dieser durch das Ovalbumin nicht zum Ausdruck kommen kann. Dadurch würde dann auch eine höhere Phagozytose durch die Gegenwart dieses Stoffes entstehen, als wenn man kein Eiweiss hinzufügt. Auch sollte hierfür sprechen, dass bei der Phagozytose von Kohle in physiologischer Kochsalzlösung bei dieser Konzentration eine verminderte Aufnahme wahrgenommen wurde. 4. Schlussfolgerungen. Es zeigt sich daher, dass Lezithin bis zu einer Konzentration von 1:10000 einen nachteiligen Einfluss Über den Einfluss von Serum auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. 409 auf die Phagozytose von Kohle in physiologischer Salzlösung ausübt, während sogar Vorhandensein von 0,6% und 0,4°o Lezithin für die Phagozytose vonAmy- lum nicht schädlieh ist. Man kann doch nicht annehmen, dass diese weniger nachteilige Wirkung bei Amylum ganz und gar durch das Vorhandensein der Menge Serum bedingt ist, weil die Lezithin-Emulsion dafür zu stark und die Menge Serum zu gering war. Die verschiedene Wirkung muss daher wahrscheinlich nicht durch Einwirkung auf die Leuko- zyten, sondern durch die verschiedenen Eigenschaften des Objekts der Phagozytose erklärt werden. | Nur die sehr starken Konzentrationen, 0,80 und 1°o, üben vielleicht einen nachteiligen Einfluss auf die Leukozyten selbst aus. Untersuchen wir nun, wie bei dem Serum das darin befindliche Lezithin sich bezüglich der Phagozytose von Kohle und Amylum verhält, so können wir annehmen, dass bei Kohle dieser Serumstoff hemmend wirkt, höchstwahrscheinlich jedoch nur in grösseren Konzen- trationen; wir möchten doch wohl voraussetzen, dass auch hierbei das Serumalbumin teilweise die nachteilige Wirkung neutralisieren wird; - bei der Amylumaufnahme jedoch können wir wohl annehmen, dass Lezithin ganz ohne Wirkung ist, weil doch im Serum eines nor- malen Menschen niemals eine Stärke von 0,8 °/o Lezithin vorkommt. Sodann wurde versucht, den Einfluss von Cholesterin auf die Phagozytose von Kohle und Amylum zu studieren. Eine Emulsion nach der Methode Neubauer-Porges wurde angefertigt; Chole- sterin (Merck’s Präparat) wurde in Aceton gelöst; diesem wurde tropfenweise unter Rühren destilliertes Wasser zugefügt, bis eine milchweisse Emulsion entstand; darauf wurde das Aceton auf dem Wasserbade verdampft, sodann wieder ein wenig Cholesterin-Lösung hinzugefügt, das Aceton verdampft, und dieses mehrere Male wieder- holt, bis eine Emulsion einer 1°/oigen Konzentration erreicht war. Die Untersuchungen, die nur in geringer Anzahl ausgeführt wurden, weil nur eine kleine Menge des Präparates last war, ergaben noch keine gleichmässigen Ergebnisse. Beim Gebrauche eines anderen Merck ’schen Präparates zeigte sich, dass dieses sich noch viel weniger zum Anfertigen einer stärkeren Emulsion eignete als das oben erwähnte; wurde auch das 26 x*% 410 J. Ouweleen: Über den Einfluss ‚von. Serum auf. die Phagozytose usw.- Aceton und das. destillierte Wasser erhitzt, so war es unmöglich, eine stärkere Emulsion als eine Konzentration 1:2000 zu erhalten; durch Hinzufügen von mehr Cholesterin fiel dieses in. grösseren Flöckchen aus. | ..„. Infolge dieser, Verschiedenheit der Cholesterin-Präparate haben wir von weiteren Untersuchungen über den Einfluss von Cholesterin, auf die Phagozytose abgesehen. 411 (Aus dem Institut für animalische Physiologie, Theodor Sternhaus, in Frankfurt am Main.) Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen im Innern lebender Zellen auf den Vorgang der vitalen Färbung. Von Karl Rohde, Assistent am Institut. (Mit 1 Textfigur und Tafel II und III.) | Inhaltsübersicht. Seite VE THFEITUBONN NR re Keen: rk ee ae Tore all TERN Eh Ode Ne RN N FE ge ehe ln 416 BILL NVLELSUCHERR ET NEN TEN Be eg A 419 Ne MogellversucheW rin A RE 419 B 1. Gelatine von verschiedener Konzentration . » .».. 2... 419 2. Gelatine von gleicher Konzentration, aber von verschiedener OA EN Re Se Se ia Mer AL un 420 B}-Versncher ampflanzliehen Zellen. „1... 2 ra enae 421 1. Versuche an Zellen von neutraler Reaktion . .»....... 42] 2. Versuche an Zellen von saurer Reaktion. . ... 2 .... 422 3. Versuche an Zellen von teils saurer, teils neutraler Reaktion 423 4. Versuche an Zellen, deren Reaktionsverhältnisse künstlich verandektnworden sind“. 1. 2.0 a ge ae A400 GIS VETSUCHETanBuIHUERRIeU ns IN. a N ea ae 428 1. Infusorien aus dem Enddarm des Frosches. ........ 425 arme Korper des Bronches.-, u, nase Veen erden e 429 D)RAusserbalbades Broschkörpers +... 0.42 1.10. are ne 430 2. Infüsorien aus einem‘ Henaufguss . vr... 2 1./uNe „enn .. 31 IV. ZUSammENnTaS sun ya a Re ee ERNRN 432 Natelerklarungug m er ee ee ar 433 1. Einleitung. Seitdem man begonnen hat, den Vorgang der Vitalfärbung zur Erklärung der physiologischen Stoffaufnahme in der Zelle heranzu- ziehen, hat dieses Problem eine grosse Anzahl von Bearbeitern gefunden. Grundlegend waren die ausgedehnten Farbstudien Overton’s?!), der als erster die Behauptung aufstellte, dass die basischen Farbstoffe 1) Overton, Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik Bd. 34 S. 669. 1900; Pflüger’s Arch. Bd. 92 S. 115. 1902. Overton, Studien über Narkose. Jena 1901. Overton, Vierteljahrsschr. d. Naturforsch, Gesellsch. Zürich Bd. 40 8.1. 1895, und Bd. 44 S. 88. 1899. ‚Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. - ZEN 4]? Karl Rohde: vital färbten, die sauren dagegen nicht. Dies wurde von anderer Seite (Höber) bestätigt. Overton zog diese Tatsachen als Beweis für die Lipoidtheorie heran, indem er feststellen konnte, dass die allermeisten in die Zellen eindringenden, basischen Farbstoffe lipoid- löslich sind, wogegen die sauren Farbstoffe als lipoidunlöslich und nicht eindringend befunden wurden. Die oben ausgesprochene Regel, dass nur die basischen Farb- stoffe die Fähigkeit hätten, vital zu färben, die sauren dagegen nicht, wurde für tierische Zellen zuerst durch die Höber’schen!) Unter- suchungen durchbrochen, die den Nachweis brachten, dass gewisse Nierenepithelien auch saure Farbstoffe anreicherten. Etwa zu der gleichen Zeit konnte Goldmann?) dasselbe für eine bestimmte Art von Bindegewebszellen, die sogenannten Pyrrolzellen, und die Stern- zellen der Leber nachweisen. Für pflanzliche Objekte aber blieb der Satz noch längere Zeit zu Recht bestehen, bis die Untersuchungen Küster’s®) auch hier Wandel schufen. Küster legte nicht wie bisher mikroskopische Schnitte von Pflanzenteilen in Farblösungen ein, sondern stellte ganze Sprosse, die unten mit einer glatten Schnitt- fläche versehen waren, in die zu untersuchenden Farblösungen, und es gelang ihm auf diese Weise, durch Eindringen der Farbstoffe auf dem natürlichen Wege, auch saure Farbstoffe in pflanzliche Zellen imbibieren zu sehen. Auch in dem Punkte stimmten die Resultate von Höber, Goldmann und Küster überein, dass sich nur ganz bestimmte Zellen mit sauren Farbstoffen anfärben, während das Gros farblos bleibt. Mit diesen Befunden wurde die Lipoidtheorie, wenigstens soweit sie zur Erklärung der Vitalfärbung dienen sollte, hinfällig, zumal Ruhland*) nachwies, dass auch einzelne basische Farbstoffe, trotz guter Lipoidlöslichkeit, nicht in alle Zellen hineindringen und andere saure, lipoidunlösliche Farbstoffe unter günstigen Bedingungen in manche Pflanzenzellen ohne Schwierigkeiten einzudringen die Fähigkeit haben. Einen weiteren Gesichtspunkt brachte Höber°) zur Diskussion 1) R. Höber und A. Königsberg, Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 108 S. 323. 1905; ferner Höber, Biochem. Zeitschr. Bd. 20 S. 56. 1909. 2) E. Goldmann, Die äussere und innere Sekretion des Organismus im Lichte der vitalen Färbung. Tübingen 1909 und 1912. 3) E. Küster, Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik Bd. 50 S. 261. 1911. 4) W. Ruhland, Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik Bd. 46 S. 1. 1908. 5) R. Höber und O. Nast, Biochem. Zeitschr. Bd. 50 S. 418. 1913. . Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 413 durch seine Beobachtung, dass auch zwischen den, einzelne Nieren- epithelien färbenden, sauren Farbstoffen Unterschiede bestehen in der Richtung, dass Färbung nur mit feindispersen, nicht aber auch mit grobdispersen Farbstoffen eintritt. Dasselbe konnte W. Schulemann!) für die Goldmann’schen Bindegewebszellen nachweisen. Alle diese Erfahrungen hat Ruhland’) zu einer Ultrafilter- theorie vereinigt. Er bestreitet aber, dass es prinzipielle Unterschiede in der Aufnahmefähigkeit basischer und saurer Farbstoffe in die Zellen sibt. Alle Farbstoffe ohne Unterschied würden in allen Zellen ge- speichert, nur wäre manchmal die Menge des aufgenommenen Farb- stoffes so gering, dass sie unterhalb der Wahrnehmbarkeitsgrenze ‚bliebe. Die Menge des aufgenommenen Farbstoffes wäre abhängig von der Teilchengrösse desselben. Die Plasmahaut soll den Farb- stoffen gegenüber als Ultrafilter im Sinne Bechhold’s®) wirken, so dass den Farbstoffpartikelu oberhalb einer gewissen Teilchengrösse der Eintritt verwehrt wird, unterhalb derselben aber möglich ist, und zwar stösst der Durchtritt auf um so geringere Schwierigkeiten, je grösser die Dispersität ist. Die dieser Theorie widersprechenden Erscheinungen in der Speicherungsgrösse zweier gleich diffusibler basischer und saurer Farbstoffe erklärt Ruhland durch die leichtere Fällbarkeit des basischen Farbstoffes durch die der Zelle spezifischen Stoffe, zum Beispiel das Tannin, während die Speicherung des sauren Farbstoffes durch verschiedene komplizierte, nicht genauer erläuterte Kolloid- prozesse *) vor sich gehen soll. Ausser in diesem einen Punkte wurde lange Zeit der Chemismus der Zelle zur Erklärung vitaler Färbungsvorgänge völlig ausser acht gelassen, obwohl Höber°) schon vor mehreren Jahren darauf auf- merksam gemacht hatte, dass auch die Protoplasmakomponenten als einflussreich auf die vitale Farbspeicherung Berücksichtigung ver- dienten. Einzig und allein wurde die Plasmahaut für alle Er- scheinungen der vitalen Färbung oder Nichtfärbung verantwort- lich gemacht. Ich möchte dazu neigen, dass dieser Einfluss der 1) W. Schulemann, Arch. d. Pharm. Bd. 250 S. 252. 1912. 2) W. Ruhland, Berichte d. deutsch. botan. Gesellsch. Bd. 30 S. 139. 1912; ferner Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik Bd. 51 S. 376. 1912. 3) Bechhold, Zeitschr. f. physikal. Chemie Bd. 64 S. 328. 1908. 4) W, Ruhland, Berichte d. deutsch. botan. Gesellsch. Bd. 26 S. 772. 1908. 5) R. Höber, Biochem. Zeitschr. Bd. 20 S.'56. 1909. 27 * 414 Karl Rohde: Plasmahaut bei weitem überschätzt worden ist. Bei allen früheren Färbeversuchen hiess es einfach, die Plasmahaut ist für den be- treffenden Farbstoff durchlässig oder undurchlässig, je nachdem, ob uns die Zelle hinterher gefärbt oder ungefärbt erschien. Der Gedanke aber, dass der Farbstoff die Plasmahaut fast in jedem Fall durch- wandert, und der Grund für das Sichtbarwerden oder das Ausbleiben einer Färbung des Protoplasten aber in der Hauptsache in diesem selbst gelegen sei, ist bis auf jene Andeutungen unerörtert geblieben. Man wird deshalb in der Frage nach dem Mechanismus der Vitalfärbung ein sehr erhebliches Stück vorwärtskommen, wenn man ‚dieselbe nicht so einseitig vom Standpunkte der Permeabilität der Plasmahaut aus betrachtet, sondern auch dem physikochemischen Verhalten des Protoplasmas gegenüber den färbenden Substanzen genügend Rechnung tragen wird. In der Praxis des Färbens tierischer und pflanzlicher Textilstoffe war den Färbern schon seit langem der Umstand bekannt, dass basische Farbstoffe in alkalischer Lösung in erheblich höherem Masse gespeichert werden, als in neutraler oder gar saurer Lösung, während das Umgekehrte für die sauren Farbstoffe galt. Pelet-Jolivet!) hat hierüber systematische Versuche angestellt mit dem Ergebnis, dass die alte Erfahrung der Praktiker völlig zu Recht besteht. Es handelt sich hier nach Pelet-Jolivet um kom- plizierte Grenzflächenerscheinungen ?) derart, dass ein gut adsorbier- bares elektrisch geladenes Farbstoffion nicht adsorbiert werden kann, wenn das Adsorbens die gleiche Ladung hat. Durch Zuführung von Säure resp. Alkali müssen wir demselben erst eine entgegengesetzte Ladung erteilen, d. h. es aktivieren, um alsdann eine starke An- reicherung mit dem Farbstoff zu erhalten. Schon früher wurden Versuche ähnlicher Natur durch Hofmeister und nach ihm von Spiro mit dem gleichen Resultat an Gelatine- platten angestellt. Bethe°) hat diese Experimente auf eine Reihe 1) Pelet-Jolivet und Andersen, Kolloidzeitschrift Bd. 2 S. 225. 1909; siehe auch Pelet-Joiivet, Theorie des Färbeprozesses. Dresden 1910; dazu Pelet-Jolivet und Grand, Kolloidzeitschrift Bd.2 S.83. 1907; Pelet-Jolivet und Andersen, ebendort Bd. 2 S. 206. 1908. 2) Siehe dazu: Freundlich und Neumann, Zeitschr. f. physikal: Chemie Bd. 67 8. 538. 1909; Freundlich und v. Elissajoff, ebendort Bd. 79 S. 407. 1902; Bethe, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 Nr. 9. 1909. 8) Hofmeister’s Beiträge Bd. 5 8. 391. 1905. — Wiener mediziu. Wochenschr. Nr. 14. 1916. Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 415 anderer kolloidaler Substanzen, wie geronnenes Hühnereiweiss, Per- gamentblätter, Kollodiumhäute, histologische Präparate und Eiweiss- lösungen, welch letztere von der Farblösung durch Pergamentschläuche getrennt waren, ausgedehnt. Stets nimmt die Aufnahmefähigkeit des Kolloids für basische Farbstoffe in saurer Lösung in sehr erheblichem Masse ab, während sie in alkalischer Lösung ausserordentlich gross wird. Das Umgekehrte findet bei sauren Farbstoffen statt. Auf Grund dieser Beobachtungen glaubte Bethe die vielen bisher unerklärten Tatsachen auf dem Gebiete der Vitalfärbung richtig zu deuten, wenn er sie auf dieselben Prinzipien zurückführte ')?). Er seht dabei von der Voraussetzung aus, dass die Anwesenheit freier H*- oder OH-Ionen in der kolloidalen Protoplasmasubstanz des Zellinnern die Speicherung basischer und saurer Farbstoffe in der- selben Weise beeinflussen kann, wie es bei den Gelatinemodell- versuchen zu beobachten war, indem er voraussetzt, dass die Plasma- haut den Farbstoffen (ausser den hochkolloidalen) kein wesentliches Hindernis entgegensetzt. Auch Tıaube und Köhler?) suchten, wohl ohne Kenntnis der ersten, sehr kurzen Veröffentlichung von Bethe die an lebenden Zellen zu .beobachtenden Speicherungsvorgänge von Farbstoffen wenigstens teilweise auf Grund des Einflusses von Säure nnd Alkali auf die Färbbarkeit von Kolloiden zu erklären. Sie geben allerdings dem Einfluss von Säuren und Alkali eine andere Deutung, indem sie sie auf Veränderungen des (Quellungszustandes zurückführen. Zu- gleich treten sie der einseitigen Auffassung Ruhland'’s entgegen. Nach diesem Gesichtspunkte habe ich, auf Veranlassung von Herrn Professor Bethe, an verschiedenartigen Zellen Untersuchungen vorgenommen*). Die Ergebnisse der jetzt abgeschlossen vor- liegenden Versuche bestätigen die oben ausgesprochene Hypothese. . 1. a) Basische Farbstoffe werden von allen Zellen gespeichert. Zellen, deren Innenreaktion neutral oder sogar alkalisch ist, 1) Hofmeister’s Beiträge Bd. 5 S. 391. 1905. — Wiener medizin. Wochenschr. Nr. 14. 1916. 2) Bethe, Vortrag auf IX. internat. -physiol. Kongr. Groningen 1913. ‚Zentralbl. f. Physiol. Bd. 27, Ergänzungsheft S. 263. 1914. 3) Internat. Zeitschr. f. physik.-chem. Biol. Bd. 2 S. 197. 1915. 4) Die Hauptresultate sind in der Abhandlung von Professor Bethe in der Wiener medizin. Wochenschrift 1916: „Gewebspermeabilität und H-Ionen- konzentration“ bereits veröffentlicht worden. 416 3 "Karl Rohde: nehmen dieselben jedoch in sehr viel schnellerer Zeit und in erheblich grösserer Menge auf als saure Zellen. Die Menge des gespeicherten Farbstoffes nimmt in sauren Zellen um so mehr ab, je stärkere Säuregrade im Zellinnern erreicht werden. Sehr stark saure Zellen nehmen basische Farbstoffe in gerade noch wahrnehmbarer Menge auf. b) Saure Farbstoffe werden nur von sauren Zellen und von Neutralzellen gespeichert. Die Menge des aufgenommenen Farbstoffes und die Schnelligkeit, mit der derselbe gespeichert wird, nimmt mit wachsender Azidität im Zellinnern zu. Bei Zellen, deren Inhalt neutral oder alkalisch reagiert, bleibt die Menge des aufgenommenen sauren Farbstoffes unterhalb der Schwelle der Sichtbarkeit. II. Künstlich hervorgerufene Veränderungen der Reaktionsverhält- - nisse im Innern der Zellen nach der alkalischen oder sauren Seite beeinflussen 2leichsinnig die Speicherungsfähigkeit der Zelle für basische und saure Farbsalze und erhöhen oder ver- mindern die Geschwindigkeit, mit der dieselben aufgenommen werden !). III. Die Grösse der aufgenommenen Farbstoffmenge basischer oder saurer Farbstoffe ist auch abhängig von der Beschaffenheit des Zellprotoplasmas. Zellen und Zellteile von sehr dichter Be- schaffenheit nehmen mehr Farbstoff auf als wasserreiche Zellen und Zellteile.e. Auch der Dispersitätsgrad der Kolloide des Protoplasmas wird eine Rolle spielen. II. Methodik. Um das Tinktionsy ermögen der verschiedenen basischen und sauren Farbstoffe mit der H-Ionenkonzentration im Zellinnern vergleichen zu können, war es zuerst nötig, diese zu bestimmen. Die Säuregrade wurden sowohl mit der Gaskette, wie auch mit verschiedenen Indi- katoren bestimmt. Ei 1) Der Einfluss freier H- oder OH-Ionen in der Umgebungsflüssigkeit einer Zelle auf das Eindringen basischer Farbstoffe wurde schon von J. Endler untersucht. Er kommt zu dem Resultat, dass OH-Ionen in der Aussenflüssigkeit sowohl die aus der Zelle austretende Menge, wie auch die eintretende Menge eines basischen Farbstoffes vermehren, während H-Ionen den Eintritt des Farb- stoffes in die Zelle hemmen. Siehe dazu J. Endler, Biochem. Zeitschr. Bd. 42 S. 440. 1912; ferner J. Endler, ebendort Bd. 45 S. 359. 1912. Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 417 1. Für die Gaskettenmessung wurde eine 10 KU-Calomel-Elek- trode und die von Sörensen!) angegebene, von Bethe°) modifizierte Wasserstoffelektrode benutzt. Zur Untersuchung mit der Gaskette gelangten Filtrate von Pflanzenpresssäften, die in ausgekochten Quarzschälchen durch Zerstampfen ge- wonnen worden waren. Dieselben wurden ausserdem mit Indikatoren (siehe unten) geprüft. 2. Zur Untersuchung der Reaktion im Innern lebender Zellen kamen nur Indikatoren in Frage. Als Indikatoren dienten: ' Neutralrot, Methylrot, Methylorange. Die in der folgenden Tabelle angegebenen Umschlagskonzentrationen sind den Untersuchungen von P. L. Sörensen entnommen. 10-7 | 10-3 CH 1022 19710237 171028 €, 10-5 1023 Neutral- |Himbeer- — — | — | Rosen- | Orange Gelb rot role) | rot Methyl- |Kirschrot —. Rot- | Gelb- | Geb | — |. — rot | orange | orange | Methyl- Rosenrot | Rot- Orange | Gelb | —\ |. — _ orange | ‚orange | Die Indikatoren waren in Wasser gelöst. Als Ausgangslösungen dienten 0,5 °/o Lösungen, die zum Gebrauch alsdann noch 500 fach verdünnt wurden. Um Vergleichsfarben für die H-Ionenmessungen zu haben, wurden Standartlösungen von genau bekannter H-Ionenkonzentration angesetzt und mit den drei Indikatoren geprüft. Auf diese Weise konnten die Zellfärbungen direkt mit den Farbtönen der Standartlösungen ver- glichen und so Schlüsse auf die H-Ionenkonzentration im Zellinnern gezogen werden. Die durch Gegenwart von Salzen und Eiweiss entstehenden Fehlerquellen scheinen für Methylorange am grössten zu sein, dessen Angaben mit den Messungen der Gaskette und den Werten von Neutralrot und Methylrot in verschiedenen Fällen stark divergierten®). 1) P. L. Sörensen, Ergebn. d. Physiol. Bd. 12 S. 393. 1912. 2) A. Bethe und Theod. Toropoff, Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 59 8.605. 1915. 3) Vgl. hierzu R. Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, 4. Aufl., S.170 und 171: 1914. 418 Karl Rohde: Die Standartlösungen wurden nach den Angaben von L.Mich aelist!) durch Mischen von Essigsäure mit Natriumazetat und primären Natrium- phosphat mit sekundärem Natriumphosphat angesetzt. Es kamen Gemische von folgenden Mischungsquotienten und H-Ionenkonzentra- tionen zur Anwendung. Essigsäure: Na-Azetat Cr Pr. Na-Phosphat: Sek. Na-Phosphat | CH 32: 10 3:24 Sl 10522 Sl 107 4: 1 10.78:92 4:1 10-414 BT 1 10.2097 1:1 102% 1:02 110.59 12 1082 1: 4 eK ER 1:28 10,788 12:8 1210.92 1:32 10.79 1:16 ..10:72582 1:32 0 Auf ihr Eindringen wurden bei den meisten Objekten folgende Farbstoffe untersucht: 1. Saure Farbstoffe: Eriocyanin | Bordeaux R extra Cyanol | Trypanrot Liehterün ' Poneeau 4R \ hochkolloidal Guineagrün B | (Alizarinblau) 2. Basische Farbstoffe: Methylenblau Kapriblau Neutralrot ' Thionin Toluidinblau Safranin Methylgrün \ Baslerblau Ru. BB Kristallviolett ' ViktoriablauBu.4R Sn oc Fuchsin | Nachtblau ulm Als Ausganeslösungen dienten wässerige 0,5 %/oige Lösungen der Farbstoffe, die zum Gebrauch jedesmal noch 500—1000 fach verdünnt. wurden. Um auch sehr kleine. Mengen gespeicherten Farbstoffes sichtbar zu machen, bediente ich mich des von Höber angegebenen Kunstgriffes der Plasmolyse durch 10 oige Kaliumnitratlösung. Durch dieselbe wird — infolge von Wasserentziehung — das Volumen des Proto- plasten auf ein geringeres Mass reduziert und entsprechenderweise der jeweils gespeicherte Farbstoff im Innern konzentriert und deshalb 1) Leonor Michaelis, Wasserstoffionenkonzentration. Berlin 1914. x Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 419 dem Auge sichtbar gemacht, falls nicht hierbei durch Störung des Verteilungsgleichgewichts ein Austritt des Farbstoffes aus der Zelle hervorgerufen wird. Zugleich diente mir die Plasmolyse als Kriterium dafür, ob die benutzten Zellen noch als „lebend“ anzusehen sind, indem nämlich die Plasmahaut einer toten Zelle ihre semipermeablen Eigenschaften eingebüsst hat und infolgedessen eine Plasmolyse nicht mehr zustande kommen kann. Bei Zellen mit lebhafter Protoplasma- oder Flimmer- bewegung wurde auch dies als Beweis des Lebens herangezogen. III. Versuche. A. Modellversuche. 1. Gelatine von verschiedener Konzentration. Zu diesen Versuchen wurden Farbstoffe, ohne Rücksicht, ob basisch oder sauer, verwandt. Es sollte die Speicherungsgrösse an einem kolloidalen Medium untersucht werden, dessen Konsistenz willkürlich verändert werden kann. | Von der gewöhnlichen, käuflichen, weissen Gelatine wurden 20 g, 10 g und 5 g in je 100 cem destilliertem Wasser aufgelöst. Nach dem Erstarren der Lösungen wurde die 20°/o Gelatine in Quadratform, die 10 °/o in Kreisform ausgestanzt, und dieselben in die 5 %/o Gelatine ein- gebettet. Das Ganze wurde alsdann mit einer 1 cm hohen Farblösung überschichtet und 24 Stunden stehen gelassen. Die allgemeinen Prinzipien, nach denen die Speicherung vor sich geht, ergeben sich ohne weiteres aus dem Photogramm (Tafel II Fig. 4) eines Versuchsergebnisses. In diesem Falle war mit Methylenblau gefärbt worden. Die Gelatinestückchen haben entsprechend ihrer Konzentration den Farbstoff verschieden stark angereichert. Je höher die Konzentration, um so mehr Farbstoff ist gespeichert worden. — Dasselbe gilt für fast alle untersuchten sauren und basischen Farbstoffe, unter denen nach dieser Richtung keine prinzipiellen Unterschiede zu bestehen scheinen. Die sauren Farbstoffe Erioeyanin, Cyanol, Licht- grün, Bordeaux, Guineagrün und die basischen Methylenblau, Neutral- rot, Safranin, Toluidinblau, Methylgrün, Kristallviolett, Fuchsin, Kapri- blau und Thionin dringen ohne Schwierigkeit in die Gelatine ein und werden in der oben bezeichneten Weise verschieden stark gespeichert. Anders verhalten sich die hochkolloidalen sauren Farbstoffe Ponceau, Alizarinblau, Trypanrot und die basischen Baslerblau R und BB, Viktoriablau B und 4R und Nachtblau. Sie werden im 420° ! Karl Rohde: umgekehrten Sinne wie die erstgenannten Farbstoffe gespeichert, das heisst in der hochkonzentrierten Gelatine gar nicht, gerade sichtbar dagegen in der 5 °/o Gelatine. Offenbar ist dies umgekehrte Verhalten wohl so zu erklären, dass das Gefüge konzentrierter Gallerten zu dicht ist, um den Eintritt grosser Farbpartikel zu gestatten. 2. Gelatine von gleicher Konzentration, aber von ver- schiedener Reaktion. Die Versuche wurden auf zwei verschiedene Arten angestellt. n 10 dem Erstarren in Dreiecksform ausgestanzt; ferner wurden 10 g Gela- Einmal wurde 10°o Gelatine in 100 ccm NaOH gelöst und nach tine in 100 ccm Mn HCl und 10g Gelatine in 100 cem destiliertem Wasser gelöst. Nach Erstarren wurde der ersteren Kreisform, der letzteren Quadratform gegeben. Diese drei verschiedenen Arten von Gelatinestückchen wurden in 2°/o neutrale ‘Gelatine eingebettet und zur Färbung mit einer 1 cm hohen Farblösung überschichtet. In der zweiten Versuchsanordnung wurden auf eine 5 O/oige Gelatine n NaOH und 2 HCI aufgetropft. Nachdem die- selben einige Minuten eingewirkt haben, wird die überstehende Flüssig- keit abgesogen und das Ganze mit einer dünnen Schicht 5 Poiger Gela- tine übergossen. Nach dem Erstarren wird in derselben Weise, wie sonst, mit einer 1 cm hohen Farblösung überschichtet. je zwei Tropfen Als Beispiele, wie diese Versuche ausgefallen sind, sollen hier nur die Versuche mit dem basischen Farbstoff Methylenblau und dem sauren Farbstoff Erioeyanin nach dem ersten Verfahren besprochen werden. (Tafel II Fie.1, 2, 3.) Die saure Gelatine hat sich sehr stark mit dem sauren Erioeyanin (Fig. 1) und nur sehr wenig mit dem basischen Methylenblau (Fig. 2) angefärbt. Umgekehrt verhält sich die alkalische Gelatine. Die neutrale 10 v/o Gelatine hat sich in beiden Fällen fast gleich dunkel gefärbt. Die umgebende weniger konzentrierte 2 %/o Gelatine ist sehr viel heller geblieben und hat nicht einmal die Farb- nuance einer gleichhohen Schicht Farblösung angenommen. Für die_anderen sauren Farbstoffe Cyanol, Liehterün, Bordeaux, Guineagrün, Ponceau, Alizarinblau, Trypanrot und die basischen Farb- stoffe Neutralrot, Safranin, Toluidinblau, Methylgrün, Kristallviolett, Fuchsin, Kapriblau, Thionin, Baslerblau R und BB, Viktoriablau B und AR und Nachtblau kamen dieselben Erscheinungen zur Beobach- tung. Zu erwähnen ist aber, dass mit den niedriekolloidalen Farb- Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 421 stoffen eine viel grössere Kontrastwirkung erzielt wurde als mit den hochkolloidalen. Bei letzteren, soweit sie „sauer“ sind, wird vor- nehmlich der Eintritt in die saure Gelatine begünstigt; soweit sie „basisch“ sind, in die alkalische Gelatine. B. Versuche an pflanzlichen Zellen. Die Untersuchungen an pflanzlichen Objekten wurden zuerst nach der von Küster (siehe oben) angegebenen Methode angestellt, bei welcher ganze Pflanzensprosse in die Farblösungen eingestellt werden. Küster hat auf diese Weise gute Resultate erzielt. Mir schien diese Versuchsanordnung aber nicht so grosse Vorzüge zu besitzen, wie sie Küster und andere derselben zuschreiben. und ich bediente mich deshalb wieder der alten Methode, bei welcher Rasiermesserschnitte in die Farblösungen eingelegt werden. 1. Versuche an Zellen von neutraler Reaktion. Gelbe Rübe, Spargel, junge Sprosse der Saubohne und 8 pirog yren. Die Untersuchung dieser Pflanzen und Pflanzenteile mit den Indikatoren: Neutralrot, Methylrot und Methylorange zeigte, dass sie sich in bezug auf ihre Innenreaktionsverhältnisse sehr nahe stehen. Die Vergleichsfarbwerte ergaben etwa ein Cu —= 10 7" — 10 9, Die Resultate der Gaskettenmessung der Presssäfte ergaben meist etwas niedere Werte. Gelbepnubest ua 2. 2 CO Spareel en 2 O0 SBUNOhnERSNEN 1. 27 rer 2.0 — 10 SPIKO WER ee = 10 Entsprechend dieser um den Neutralpunkt schwankenden Innen- reaktion gestaltete sich auch die Anfärbung des Protoplasmas, des Zellsaftes und der Granula mit den verschiedenen Farbstoffen. Die sauren Farbstoffe Eriocyanin, Cyanol, Lichtgrün, Bordeaux R extra, Poneeau 4R, Guineagrün B, Alizarinblau, Trypanrot ergaben ganz allgemein keine nachweisbare Anreicherung, und die Zellen erschienen auch nach der Plasmolyse farblos. Dagegen trat mit den meisten untersuchten basischen Farbstoffen Methylenblau, Neutralrot, Safranin, Toluidinblau, Methylgrün, Kristallviolett, Fuchsin, Kapriblau, Thionin innerhalb weniger Sekunden bis Minuten eine sehr deutliche, zum Teil tiefdunkle Anfärbung ein, während die beiden Baslerblau, die beiden Viktoriablau und Nachtblau — alles hochkolloidale Farbstoffe — 4232 Karl Rohde: nicht sichtbar gespeichert wurden. Plasmolyse trat in allen Fällen bei Zusatz von 10 °'o KNO, fast ausnahmslos ohne Schwierigkeit ein. Eine Unregelmässigkeit ergab sich bei den Färbeversuchen mit Spirogyra. Wurden‘ die Versuche früh morgens angestellt, nachdem die Algen über Nacht im Eisschrank gestanden hatten, so färbten sie sich nur mit den basischen, Farbstoffen. Wurden dagegen Algen verwandt, die den Tag über im Tageslicht, im warmen Raum gestanden hatten, so trat nun auch Färbung mit einigen sauren Farbstoffen Erio- cyanin, Cyanol und Lichtgrün auf. Eine Messung der Presssäfte solcher „Nachtspirogyren“ und ,„Tagspirogyren“ ergab die eigenartige Er- scheinung, dass das Cm der „Tagspirogyren“ erheblich saurer ist als dasjenige der „Nachtspirogyren“. Für erstere fand sich ein Durch- schnittswert von Cn = 107°°—10 7°" im Gegensatz zu dem Cp der „Nachtspirogyren* von 107%, Kontrollversuche der Gasketten- messung mit den Indikatoren Methylrot und Neutralrot ergaben eine zwischen denselben Grenzen schwankende Cp.ı Ferner konnte beob- achtet werden, dass mit Methylrot und Neutralrot gefärbte „Nacht- spirogyren“, deren Farbton gelblich bzw. schwach rosa war, auch bei nachträglicher Sonnenbelichtung ihre Farbe nach der sauren Seite, d. h. also ins Rote bzw. schwach Blaurote veränderten. Die gleichen Erscheinungen konnten bei der Nelken- und bei der Tulpenblüten- epidermis verzeichnet werden. Plasmolyse tritt bei „Tagspirogyren“ wie bei „Nachtspirogyren“ nach der Färbung gleichmässig gut ein. 2. Versuche an Zellen von saurer Reaktion. Unreife Äpfel, unreife Stachelbeeren, Rhabarber- blätter und -stengel, Blütenblattepidermis der weissen Nelke!) und der weissen Tulpe. Indikatorfarbversuche ergaben eine Cn zwischen 10 =°° und 10-39, Messungen der Presssäfte ergaben für: _ Unreife Äpfel © 21. 2. .2....,0C: 10,22 Unreife Stachelbeeren. . - ..:. .. Go = 10. Rhabarberblätter und -stengel. . . . Ca= 10 7%% Blütenblattepidermis der weissen Nelke. Cu = 10 4%—10°» 5 » 5 Tulpe. Cu = 10-9210 7°» Basische Farbstoffe Methylenblau, Neutralrot, Safranin, Toluidin- blau, Methylgrün, Kristallviolett, Fuchsin, Kapriblau, Thionin färben verlangsamt, aber noch deutlich wahrnehmbar die Zellen der Tulpen- 1) Dasselbe Objekt hatten bereits Bethe und Schwartz in bisher un- veröffentlichten Versuchen als sehr brauchbar erkannt. Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 423 und Nelkenepidermis innerhalb einiger Minuten. Die Zellen der Äpfel und Stachelbeeren und des Rhabarbers blieben bei mittlerer Dar- bietungszeit von Y/a—2 Stunden meist farblos). Die hochkolloidalen basischen Farbstoffe BaslerblauR und BB, Viktoriablau B und 4R und Nachtblau rufen gar keine Anfärbung im Innern, auch nicht bei sehr langer Darreichungszeit von 2 und mehr Stunden, hervor. Im Gegensatz hierzu geht eine Farbspeicherung mit sauren Farb- stoffen sehr schnell vor sich. Die niedrigkolloidalen Farbstoffe Erio- cyanin, Cyanol, Liehtgrün, Bordeaux R extra färben alle verschiedenen Objekte in der Zeit von wenigen Sekunden bis Minuten gleich intensiv an. Die hochkolloidalen sauren Farbstoffe Ponceau 4R, Guineagrün B, Alizarinblau und Trypanrot färben die weniger sauren Objekte schwach, aber doch deutlich siehtbar, intensiver die stark sauren Zellen der Stachelbeere und des Apfels. Plasmolyse konnte nach der Färbung noch in allen Fällen gut hervorgerufen werden. 3. Versuche an Zeilen von teils saurer, teils neutraler Reaktion. In diese Gruppe gehören die Blüten zahlreicher weisser Blüten- pflanzen. Zur Untersuchung gelangten folgende Blüten: Die weisse Hyazinthe, die Gartennarzisse (Narzissus poeticus), Magnolia Yulan, Frillium grandiflorum, das Mai- glöckchen, das Marienblümcehen, die echte Kamille, die Hundskamille, Blüten vom Schneeglöckchen, vom Krokus, Kirsch-, Apfel- und Birnenblüten. Die Reaktion der Zellen konnte nur mit der Indikatormethode festgestellt werden. Es zeigte sich bei dieser Gelegenheit — ein Grund, weswegen die Gaskettenmessung der Presssäfte Fehlresultate ergab —, dass bei allen diesen Objekten neutrale oder schwach al- kalische Zellen direkt neben sauren Zellkomplexen gelegen sind. Die Anordnung der verschieden reagierenden Zellen ist häufig eine ähnliche. Die oberste Epidermisschicht ist meistens schwach alkalisch oder neutral. Unter ihr liest ein kleinzelliges, saures Parenchym, in das die sehr stark sauren Markstreifen und die sehr sauren Leitbündel- gefässe ausstrahlen. Zwischen den Markstreifen liegt ein grosszelliges, 1) Bei sehr langer Darbietungszeit niedrigkolloidaler basischer Farbstoffe färben sich auch noch stark saure Zellen wahrnehmbar an. 424 Karl Rohde: tiefes Parenchym, das in seiner Reaktion ‘den Verhältnissen der Epi- dermis nahe steht. Alle diese Objekte wurden mit den verschiedenen sauren und basischen Farbstoffen in Berührung gebracht, nachdem vorher durch Indikatoren festgestellt worden war, wo in dem einzelnen Falle die sauren und neutralen Zellen gelegen sind. Die hochkolloidalen sauren und basischen Farbstoffe wurden nach einigen vergeblichen Versuchen ausser Spiel gelassen, denn es hatte sich herausgestellt, dass die Aziditäts- resp. Alkaleszenzgrade in den Zellen nicht genügend hohe sind, um dieselben in beträchtlichem Masse zu speichern. Zur Anwendung gelangten deshalb vorzugsweise die sauren Farbstoffe Eriocyanin, Cyanol, Lichtgrün, Bordeaux R extra und die basischen Farbstoffe Methylenblau, Neutralrot, Safranin, Toluidinblau, Methylgrün, Kristallviolett, Fuchsin, Kapriblau, Thionin. Ganz übereinstimmend mit den früheren Versuchen färbten sich — bei Anwendung eines sauren Farbstoffes — die durch die Indikator- versuche als sauer erkannten Zellen, und zwar um so intensiver, je höher der Säuregrad in den Zellen ist, wogegen die neutralen oder alkalischen Zellen grösstenteils vollständig farblos blieben. Die basi- schen Farbstoffe färbten im Gegensatz hierzu sehr intensiv die al- kalischen Zellen, weniger stark die schwach sauren und sehr wenig: die stark sauren Zellen. Die weisse Hyazinthe ist ein besonders geeignetes Objekt, um: diese Vorgänge zu studieren. -Da alle untersuchten basischen und sauren Farbstoffe ähnliche Resultate ergaben, will ich hier wieder nur die Versuche mit Methylenblau und Eriocyanin eingehender besprechen. Die Untersuchungen wurden an aufeinanderfolgenden. Quer- schnitten durch die Blütenbasis vorgenommen. Untersuchen wir einen derartigen Schnitt mit dem Indikator Methylrot (Tafel III Fig. 5), so beobachten wir, dass sich die Zellen in der oben geschilderten. Weise färben. Es färben sich nämlich die Zellen stark saurer Reaktion. in verschieden starker Weise rot, während die RS sauren resp. neutralen Zellen gelb erscheinen. Färben wir den folgenden Schnitt mit dem basischen Farbstoff Methylenblau (Fig. 6), so sind diejenigen Partien, die auf dem Methylrotpräparat rot erschienen, nur sehr hell oder auch gar nicht tingiert, während die Epidermiszellen und das grosszellige Parenchym, die dort gelb erschienen, eine tiefe Blaufärbung angenommen haben. Untersuchungen über den Einfluss, der freien H-Ionen usw. 425 Der umgekehrte Erfolg tritt ein, wenn der Schnitt mit dem sauren Farbstoff Erioeyanin gefärbt wird (Fig. 7).- Färben wir schliesslich einen Schnitt mit einem Gemenge eines blauen sauren und eines roten basischen Farbstoffes, nämlich mit Eriocyanin-Neutralrot (Fig. 8), so sehen wir, dass sich anfangs eine streng in Rot und Blau getrennte Färbung einstellt. Erst nach längerer Darbietungszeit gehen die blauen Partien, durch eingedrungenen roten Farbstoff mitgefärbt, in Blauviolett über, wohingegen die alkalischen Zellen in ihrem Tone unverändert bleiben. Die Erklärung dieser ungleichmässigen Nachfär- bung der Zellen bei langer + An4L Darbietuneszeit des Farb- dunkel BrrEIDEer : N Bee gemisches ist in dem Um- mittel i stande zu suchen, dass da) | | BRNZE das Minimum der Färb- 797 DE Be | Dame barkeit ftr ein niedrig- Nur nach SIE kolloidales basisches Farb- "use Rn N salz erst bei etwa Un = & 10 2 liegt, während das Ga BI YEAR AS2 AIR MIR 602 SI KOT Ar Yu saure Farbsalz Eriocyanin EN sein Farbminimum schın ___ besscher Farbstoff bei einer Ca = 10 6 Fig. 19) annähernd erreicht hat. f Die Abhängiekeit der Anfärbung lebender Zellen von der H-Ionen- konzentration des Zellinnern lässt sich nach meinen Versuchen in kurzer Form etwa so darstellen, wie dies in Textfigur „l“ geschehen ist. Der Massstab der gefundenen Werte ist natürlich sehr subjektiv... 4. Versuche an Zellen, deren Reaktionsverhältnisse künstlich verändert worden sind. Aus der Chemie der Pflanzenfarbstoffe ist es seit langem bekannt, dass zahlreiche pflanzliche Farbstoffe gute Indikatoren sind, so zum. Beispiel der Farbstoff der roten Rübe, des Rotkohls, der Heidelbeere- und änderer mehr. Die Konstitution dieser Farbstoffe war jedoch vielfach noch ungeklärt. 1) Die Kurven sind so entstanden, dass die Mengen des aufgenommenen. Farbstoffes bei Zellen von verschiedener C, miteinander subjektiv verglichen. wurden. Auf diese Weise konnte das Speicherungsminimum für ein basisches Farbsalz etwa bei Ca= 10 -°° und für ein saures Farbsalz etwa bei Can = 10 "9°, also noch unter dem Neutralpunkt- gelegen, festgestellt werden. 426 Karl Rohde: Vor einigen Jahren nun gelang es Willstätter'), nachzuweisen, dass die Farbstoffe verschieden gefärbter Blüten verschiedener Pflanzen zum Teil chemisch miteinander identisch sind, mit der Einschrän- kung, dass es sich in dem einen Falle um das basische, im anderen Falle um das saure Salz des betreffenden Farbstoffes handelt. Die Untersuchungen Willstätter’s zeigten zum Beispiel, dass es sich in der roten Gartenrose um das saure Salz desselben Farbstoffes handelt, der in der Kornblume als basisches Salz vorhanden ist. Gaskettenmessungen der Presssäfte aus diesen beiden Blüten ergaben das erwartete Resultat, dass auch die Zellsaftreaktionen sich von einander unterscheiden. Für die rote Gartenrose ergab sich eine Cu von ungefähr 10° und für die Kornblume eine Cz von ungefähr 10%. Es zeigte sich also, dass auch physiologisch das saure Farbsalz in der sauren Zelle, das basische Farbsalz in der neutralen Zelle vorhanden ist. Wenn es nun möglich ist, die Zell- innenreaktion zu verändern ?), so muss es entweder durch Umsetzung des sauren Farbsalzes in das basische Farbsalz zu einem Farbum- schlag im Innern der Zelle kommen, oder es muss der Farbstoft nebenher infolge einer Störung des Verteilungsgleichgewichtes zum Teil aus der Zelle austreten. Legen wir also Epidermisstückchen der roten Rose in ein Phos- phatgemisch von einer Cu = 10 °"?, so geht in kurzer Zeit im Innern ein Farbumschlag in Blau vor sich, abgesehen von wenig Farbstoff, der aus der Zelle austritt und dann in der Umgebungsflüssigkeit sich blau zu färben beginnt. Den umgekehrten Vorgang kann man beobachten, wenn man bBlütenblattepidermis der Kornblume in ein Azetatgemisch von einer Cu —= 10%“ bringt, nämlich einen Farbumschlag von Blau in Rot. Beide Vorgänge sind reversibel, und beidemai kann man hinterher noch leicht Plasmolyse hervorrufen. Bei mehrfacher Wieder- holung leiden die Zellen. Dieselben Erscheinungen lassen sich auch an neutralen und sauren Pflanzenzellen beobachten. Bringt man die neutralen Objekte: “ 1) Willstätter, Farbstoffe der Kornblume. Liebig’s Annalen Bd. 401 S. 189-232. 1914. 2) Änderungen in der Innenreaktion der Zellen wurden dadurch hervor- gerufen, dass die Schnitte in die verschiedenen Standartlösungen von Michaelis (siehe oben) von einer bekannten Cn eingelest wurden. Die Lebensfunktion der Zellen wurde durch diese Lösungen nicht in wesentlicher Weise angegriffen, was sich durch die hinterher leicht hervorzurufende Plasmolyse dokumentierte. I Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 427 Gelbe Rübe, Saubohne und Spargel vor der Behandlung mit Farb- stoffen in ein Azetatgemisch von Cu = 10-5610 414, so tritt jetzt im Gegensatz zu den oben beschriebenen Versuchen eine stark ver- langsamte oder auch gar keine Färbung mehr mit den basischen Farb- stoffen Methylenblau, Neutralrot, Safranin, Toluidinblau ein, während die sauren Farbstoffe Erioeyanin, Cyanol, Lichtgrün, Bordeaux, Ponceau, Guineagrün und Alizarinblau in kurzer Zeit sehr intensive Färbung hervorrufen, und zwar um so mehr, je höher die in den Zellen er- reichten Aziditätsgrade sind. Der umgekehrte Fall tritt bei Vorbehandlung der sauren Objekte Stachelbeere, Rhabarberblattepidermis und Nelkenblütenepidermis mit. einem Phosphatgemisch Cu —= 10 - % ein. Hier ist nun die Speiche- rungsmöglichkeit für alle untersuchten sauren Farbstoffe aufgehoben, während die basischen Farbstoffe, und zwar auch hochkolloidale, ver- hältnismässig leicht um schnell färben. Plasmolyse trat regelmässig in wenigen Sekunden auf. Bringt man Schnitte von neutralen Objekten (Karotte und Sau-. bohne), welche mit basischen Farbstoffen (Methylenblau, Neutralrot usw.) gefärbt waren, in saure Azetatgemische von einer Cr von etwa 10 -°—10 = %7, so tritt sofort ein sehr starker Farbaustritt in die umgebende Flüssigkeit ein, und die Zellen blassen ab. In neutralen ‘ Wasser erfolgt der Farbaustritt sehr viel langsamer und erreicht viel geringere Grade. Der Farbaustritt findet auch dann statt, wenn denı Azetatgemisch ebensoviel oder sogar weit mehr von dem basischen Farbstoff zugefügt war, als die ursprüngliche Farbflotte enthielt! Das Umgekehrte tritt ein, wenn saure Objekte (zum Beispiel Nelken- blütenepithel), welche vorher mit sauren Farbstoffen gefärbt waren, in ‚basische Gemische übergeführt werden. Plasmolyse ist nach diesen Eingriffen noch gut möglich. Es geht auch aus diesen Versuchen hervor, dass eine Umstim- mung der Reaktion von Zellen mit unbeschädister Plasmahaut mög- lich ist, und dass bei dieser Umstimmung das Verteilungsgleichgewicht zwischen Farblösung und den Kolloiden der Zelle gestört wird. Interesse verdient auchrfolgende Beobachtung: Färbt man Spiro- gyrazellen, Schnitte von der Karotte, der Schneeglöckchen- oder Hyazinthenzwiebel oder Epidermis von Kirschblüten mit den Indi- katoren Methylrot oder Neutralrot, so färben sie sich in einem Farb- ton, welcher nahezu neutraler Reaktion entspricht. Wird nun eine starke Plasmolyse mit ganz neutraler Kaliumnitratlösung eingeleitet, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 28 * @) 428 Karl Rohde: ( so verändert sich der Farbton der stark verkleinerten Protoplasten in dem Sinne, als ob das Zellinnere sauer geworden wäre. Bei Methylrot zum Beispiel werden die vorher gelben Zellen deut- lich rosa. Bringt man die Zellen wieder in neutrales Wasser zurück, so tritt mit dem Zurückgehen der Plasmolyse wieder der alte Farbton auf. Diese Erscheinung könnte auf verschiedene Weise gedeutet werden: I. Durch die Plasmolyse könnte eine Änderung des Stoffwechsels mit vermehrter Säurebildung eintreten. : Il. Es ist die Möglichkeit vorhanden, dass die betreffenden Zellen bereits an und für sich sehr schwach saure Reaktion besitzen, und dass die vorhandene Säure durch Wasseraustritt angereichert wird. Da, wie wir vorher sahen, saure Aussengemische eine Umstimmung der Reaktion im Innern der Zellen bewirken, so. müsste entweder (a) das H-Ion nur in einer Richtung gegen Salz Kationen durch die Plasmahaut hindurch ausgetauscht werden können, oder aber (b) die Umstimmung durch saure Aussenmedien findet nicht durch Austausch von Ionen, sondern durch Einwanderung undissoziierter Säure- moleküle statt. Vielleicht spricht für die Richtigkeit der Deutung II die Tatsache, dass manche andere neutrale Objekte (Spargel und junge Sprossen der Saubohne) die beschriebene Erscheinung bei der Plasmolyse nicht zeigen. C. Versuche an Infusorien. Bei den Untersuchungen an pflanzlichen Objekten lagen stets grosse Zellhaufen vor, die in Gemeinschaft untersucht wurden. Es ist dabei immer daran zu denken, dass sich die Zellen gegenseitig irgendwie beeinflussen können. Wie sich aber eine einzelne selb- ständige Zelle gegenüber der diskutierten Frage verhält, lässt sich am leichtesten an einzelligen Lebewesen, an Infusorien, studieren. 1. Infusorien aus dem Enddarm des Frosches. Die am häufigsten im Enddarm des Frosches lebenden Infusorien sind die Opalinen und die Balantidien. Die Lebensbedingungen sind für beide Arten nicht die gleichen. Die Opalinen kommen am häufigsten in schwach alkalisch reagierenden Därmen vor und sind dementsprechend auch bei Anwesenheit von wenig Alkali ausser- halb des Körpers des Frosches am leichtesten am Leben zu erhalten, während die Balantidien am häufigsten in schwach sauren Darm- inhalten angetroffen und demnach ausserhalb des Darmes am zweck- mässigsten in schwach saurer Lösung gehalten werden. Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 429 Die Farbversuche wurden auf zweierlei Art angestellt. 1. Es wurden die Frösche mit Farbstoff gefüttert und die In- fusorien nach 2—4 Stunden untersucht. 2. Die Infusorien wurden ausserhalb des Darmes in die ver- schiedenen Farblösungen gebracht und nach verschieden langer Zeit untersucht. Als Kriterium für die noch bestehenden Lebensvorgänge diente die Eigenbewegung und deutlick wahrnehmbarer Flimmerschlag der Infusorien. War dieser nicht mehr zu erkennen, so wurden die Infusorien als abgestorben angesehen. a) Im Körper des Frosches. Wird einem Frosch, dessen Darminhalt hauptsächlich von Opa- linen bevölkert ist — dies konnte natürlich erst nach der Sektion der Frösche festgestellt werden —, eine Messerspitze eines basischen Farb- stoffes per os -verabfolgt, so sehen wir schon nach "/a—1 Stunde eine intensive Färbung der Opalinen eintreten, während die in ge- ringer Anzahl anwesenden Balantidien fast farblos bleiben. Dieses war der Fall, wenn niedrigkolloidale Farbstoffe, wie Methylenblau, Neutralrot, Safranin, Toluidinblau, Methbylgrün, Kristallviolett und andere mehr angewandt worden waren. Bei Verfütterung von Basler- blau, Viktoriablau und Nachtblau tritt eine Färbung der Opalinen erst nach Einwirkung von mehreren Stunden bis zu 2 Tagen auf. Die anwesenden Balantidien färben sich sehr viel langsamer als die ÖOpalinen mit Methylenblau, Neutralrot, Safranin usw. Baslerblau, Viktoriablau und Nachtblau dagegen wurden nicht nachweisbar von den Balantidien aufgenommen. Wird einem Frosch mit zahlreichen Balantidien saurer Farbstoff verfüttert, so tritt bei Eriocyanin, Cyanol, Lichtgrün, Ponceau und Bordeaux in kurzer Zeit Färbung in den Balantidien — teilweise auch Granulafärbung — auf. Die wenigen Opalinen färben sich sehr viel langsamer in der doppelten bis dreifachen Zeit, häufig bleiben sie sogar ganz farblos. / Die basischen Farbstoffe Methylenblau, Neutralrot, Safranin, 'Toluidinblau, Methylgrün, Kristallviolett, Fuchsin, Kapriblau an der- artige Frösche verfüttert, färben Opalinen und Balantidien in etwa gleich langer Zeit, aber stark verlangsamt gegen früher. Baslerblau, Viktoriablau und Nachtblau färben unter diesen Bedingungen auch bei langer Darreichungszeit die Opalinen gar nicht. Indikatorfarbversuche an Infusorien mit Methylrot und Neutral- rot klärten die verschiedenen Anfärbeeigenschaften dahin auf, dass die Innenreaktionsverhältnisse der Infusorien in denselben Grenzen 233* 430 Karl Rohde: schwanken wie die Reaktion ihrer Aufenthaltsmedien, des Darm- inhaltes. Die Opalinen sind demnach etwas alkalischer als die schwach sauren Balantidien. Die gefundenen Werte sind aber nicht konstant, sondern die Infusorien haben die Fähigkeit, ihre Innen- reaktion in weitem Umfange derjenigen des Umgebungsmediums anzupassen. b) Ausserhalb des Froscehkörpers!). Legt man ÖOpalinen und Balantidien in Leitungswasser oder Ringer-Lösung, die 0,0005 ®/o eines basischen oder sauren Farbstoffes enthalten, so tritt innerhalb einiger Minuten eine Anfärbung mit Methylenblau, Neutralrot, Safranin, Toluidinblau, Methylerün, Kristallviolett, Fuchsin, Kapriblau, Thionin ein, während die hoch- kolloidalen Farbstoffe Baslerblau, Viktoriablau, Nachtblau und die sauren Farbstoffe Eriocyanin, Cyanol, Liehtgrün, Bordeaux, Ponceau, Guineagrün, Alizarinblau und Trypanrot auch bei sehr langer Dar- bietungszeit gar keine Anfärbung_ hervorrufen. Die Verhältnisse erfuhren aber eine Veränderung, wenn der Farbstoff einmal in al- kalischen Natriumphosphatgemischen, das andere Mal in sauren Azetat- gemischen gelöst wurde. Opalinen in einem basischen Farbphosphatgemisch Ca = 10 - 12 färben sich sehr schnell mit allen untersuchten basischen Farbstoffen, auch den hochkolloidalen. Bei den Balantidien tritt nach längerer Zeit ebenfalls eine Anreicherung mit Farbstoff auf; doch sind in diesem Falle nur noch selten Eigenbewegung und Flimmerbewegung zu konstatieren. Die entgegengesetzte Erscheinung wird beobachtet, wenn Infusorien in ein saures Farbazetatgemisch Cr = 10 7 *"* gebracht werden. Hier ist in kurzer Zeit eine Färbung der Balantidien mit Friocyanin, Cyanol, Lichtgrün, Bordeaux extra, Ponceau, Guineagrün, Alizarin- blau, Trypanrot aufgetreten, während die Opalinen — soweit sie 1) Siehe hierzu R. Höber, Biochem. Zeitschr. Bd. 67 S. 420. 1914. Dr. Kozawa machte in Kiel unter Anleitung Höber’s, anlässlich von Unter- suchungen über den Zusammenhang zwischen Oberflächenspannung, Giftigkeit und vitalem Färbevermögen dieselben Beobachtungen, die auch ich kurze Zeit vor ihm im Kieler Instistut gemacht hatte, dass sich nämlich die Infusorien des Froschdickdarmes mit manchen sauren Farbstoffen ohne Schwierigkeit vital färben, sobald der Farbstoff dem Tiere verfüttert wird, während ausserhalb des Darmes keine Speicherung des Farbstoffes beobachtet wurde. Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 431 noch am Leben sind — sich in sehr viel längerer Zeit und auch nicht regelmässig anfärben. Die Speicherung von saurem und basischem Farbstoff ist um so grösser, je höhere Säure- resp. Alkaligrade erzielt werden. Dass derartige Veränderungen der Innenreaktion in der Tat vorliegen, und dass dieselben in Beziehung zu der Menge des aufgenommenen Farb- stoffes stehen, erscheint durch Indikatorkontrollversuche einwandfrei bewiesen. 2. Infusorien aus einem Heuaufguss. Das in einem Heuaufguss am häufigsten gefundene Infusorium ist Paramecium. Gaskettenmessungen des Aufgusses ergaben um den Neutralpunkt schwankende H-Ionenkonzentrationen. Indikatorfarb- versuche an Paramecium mit Methylrot und Neutralrot ergaben für sie eine Innenreaktion, die ebenfalls um den Neutralpunkt schwankt und manchmal schwach alkalisch, manchmal schwach sauer erscheint. Die günstigsten Lebensbedingungen sind für Paramecien daher in schwach "alkalischen Lösungen gegeben; doch zeigen dieselben auch in schwach sauren Lösungen noch deutlich wahrnehmbare Eigen- bewegungen. Die leichtdispersen basischen Farbstoffe Methylenblau, Neutral- rot, Safranin, Toluidinblau, Methylgrün, Kristallviolett, Fuchsin, Kapriblau, Thionin, in Lösungen von 0,0005 %o angewandt, färben die Parameecien in kurzer Zeit diffus dunkel an. Die hochkolloidalen basischen Farbstoffe Baslerblau R und BB, Viktoriablau B und 4R und Nachtblau färben unter normalen Bedingungen nur in sehr langer Zeit, häufig unter deutlicher Granulafärbung. Werden die Paramecien vor der Färbung in ein alkalisches Phosphatgemisch Cu — 10%? und höher gebracht, so färben auch Baslerblau, Viktoriablau und Nachtblau in kürzerer Zeit, wobei die Granulazeichnung ver- schwindet. Die Anreicherung mit basischen Farbstoffen erfolgt um so sehneller und intensiver, je höher die Alkaleszensgrade im Innern sind. Saure Farbstoffe färben Parameeien unter normalen Bedingungen nicht. Werden die sauren Farbstoffe aber in sauren Azetatgemischen von einer Cu — 10-5610 -5% gelöst, so tritt in verhältnis- mässig kurzer Zeit eine vitale Färbung der Paramecien mit Erio- eyanin, Cyanol, Liehtgrün, Bordeaux R extra und Trypanrot auf, wobei häufig ausgesprochene Granulafärbung zu beobachten ist. Die sauren Farbstoffe Ponceau 4R, Guineagrün und Alizarinblau färben erst in sauren Lösungen von Cn—= 10%" an. In diesem 432 Karl Rohde: Falle hörte aber die Flimmerbewegung der Paramecien schon nach kurzer Zeit auf. Die hohen Säuregrade wirkten offenbar abtötend. IV. Zusammenfassung. In der vorliegenden Arbeit wird der Beweis erbracht, dass für die Vitalfärbung nicht einzig die Teilchengrösse der Farbstoffmoleküle und ihr Verhältnis zu der Zellmembran ausschlaggebend ist, sondern dass der physikalisch-chemische Zustand des Protoplasmas einen sehr wichtigen Faktor bei dem komplizierten Vitalfärbungsvorgang aus- macht. Die gefundenen Resultate lassen sich kurz folgendermassen zusammenfassen: I. Saure und basische Farbstoffe dringen wahrscheinlich in alle Zellen ein, können jedoch nur von denselben gespeichert werden, wenn die Reaktionsverhältnisse im Innern der Zelle dem Farbstoff angepasst sind. Das heisst, saure Farb- stoffe werden sehr. intensiv von sauren Zellen, sehr wenig von neutralen Zellen und gar nicht von alkalischen Zellen ge- speichert; basische Farbstoffe werden sehr energisch von alka- liscben Zellen, weniger stark von neutralen Zellen und am wenigsten von schwach sauren Zellen aufgenommen. II. Zellen und Zellteile von sehr dichter Beschaffenheit nehmen mehr Farbstoff auf als wasserreiche Zellen und Zellteile. Dureh diese Beobachtung lässt sich möglicherweise die stärkere Anfärbung der Granula in sonst gleichmässig ge- färbten Zellen erklären, wobei jedoch auch die Geschwindig- keit, mit der die Anfärbung erfolgt, zu berücksichtigen ist. Ill. Zellen mit hochkolloidalem Inhalt vermögen wahrscheinlich reichlicher Farbstoff anfzunehmen als solche Zellen, deren Zell- inhalt mehr dispers ist. IV. Die Reaktion lebender Zellen kann durch Einlegen in saure bzw. basische Gemische im sauren oder alkalischen Sinne ver- ändert werden. Dementsprechend verändert sich auch die Auf- nahmefähigkeit für Farbstoffe. Bereits gefärbte Zellen geben bei der Umstimmung entsprechend einer verminderten Farb- aufnahmefähigkeit Farbe ab. V. Bei der Plasmolyse zeigen manche scheinbar neutrale Pflanzen- zellen eine Zunahme der Azidität. Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. 168. Tafel II. Figur 1. Figur 2. Figur 3. Figur 4. Verlag von Martin Hager, Bonn. Bu U (ae SCREEN ik a Erle Vz WFT ph, ENDAACH NG BL Ar ESEL G Da i.d. ges. Fhysiologie, Bd. 168. RI “ Fi a. J v: F-Wirlz, Varınstadt. Anst Lith Verlag v. Martin Hager, Bonn. Ion un > BT LER 2? 2) Untersuchungen über den Einfluss der freien H-Ionen usw. 433 Zum Schluss möchte ieh nicht versäumen, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. A. Bethe, für die Anregung zu der vor- liegenden Arbeit und für das grosse Interesse, das er derselben ent- segenbrachte, meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Tafelerklärungen. Tafel Il. Fig. 1 und 2 zeigen mit Eriocyanin (Fig. 1) und mit Methylenblau (Fig. 2) gefärbte 10 Yoige Gelatine verschiedener Aziditätsgrade. Die runden Gelatine- stückchen sind sauer, die quadratischen neutral, die dreieckigen alkalisch. Die- selben sind in 2 %oiger neutraler Gelatine eingebettet. Die sauren Stücke haben sich mit Eriocyanin sehr stark, die neutralen schwächer, die alkalischen fast gar nicht angefärbt. Mit Methylenblau das umgekehrte Bild. In dem viereckigen -Glasbehälter befindet sich eine Lösung des Farbstoffes in der Ausgangskonzen- tration, und zwar in gleicher Schichtdicke der Gelatine. n HCl (links) und Mn NaOH (rechts) auf 5°/oige Gelatine getropft und nach ihrem Eindringen mit einer dünnen Gelatine- schicht überdeckt. Alsdann wurden sie mit Eriocyanin (Z£) und Methylenblau (M) überschichtet. Auch hier haben die sauren Stellen den sauren, die alkalischen ‚dagegen den basischen Farbstoff angereichert. Fig. 4 stellt 20°%oige Gelatinestückchen (Quadratform) und 10°/oige Gelatine- stückehen (kreisförmig) eingebettet in 5 "/oiger Gelatine dar. Die Aufnahme des Farbstoffes ist um so grösser, je konzentrierter die Gelatine ist. Tafel II. Die Bilder stellen aufeinanderfolgende Schnitte durch die Basis einer weissen Hyazinthenblüte dar, die mit Methylrot (als Indikator), mit Methylenblau, mit Eriocyanin und mit Eriocyanin-Neutralrot gefärbt wurden. Wir sehen, dass diejenigen Partien, die sich mit Methylrot (Fig. 5) gelb färben, also fast neutrale resp. leicht saure Reaktion besitzen — mit Neutralrot färben sie sich rot bis rotorange, sind also nicht alkalisch —, das basische Farb- salz Methylenblau (Fig. 6) in bedeutender Menge speichern, wogegen die mit Methylrot rot gefärbten Partien sich nur schwach oder auch gar nicht anfärben. Das umgekehrte Bild sehen wir in Fig. 7, wo Eriocyanin zur Färbung ver- wandt wurde. Fig. 8 stellt eine Doppelfärbung mit Eriocyanin-Neutralrot dar. Die in Fig. 5 gelben Partien haben sich rot, die übrigen blau gefärbt. Fig. 3: Es sind je zwei Tropfen 494 C. Baumann: Beiträge zur Physiologie des Sehens. VI. Mitteilung. Monokulare Beobachtung einer Glanzerscheinung. Reizwirkung von ‚Schwarz. Von <. Baumann. (Mit 2 Textfiguren.) Durch eine Unpässlichkeit gezwungen, im Bett auszuhalten, und verhindert, eine Beschäftigung vorzunehmen, benutzte ich die Musse, auf dem mir gegenüberstehenden, matt polierten Schranke aus Nuss- baumholz die Linien und Figuren der Holzmaserung zu betrachten. Das im Zimmer wie im Freien herrschende zerstreute Licht gestattete die Betrachtung ohne Anstrengung, obwohl ich nur mit einem Auge, und zwar dem linken, sehen konnte, weil das rechte bei meiner seitlichen Lage vom Kissen bedeckt war. Ich konnte die Einzelheiten in den Figuren und Linien der Maserung sowie die verschiedenen Abstufungen der Farbtöne deutlich erkennen, da die Holzfläche ganz glatt und glanzlos war. Auch eine etwa 5 cm lange und !/.—2 mm breite, von links nach rechts schräg laufende bogenförmige Kratz- linie, die aber nur. leicht im Holz einsedrückt war, trat dabei in meinen Gesichtskreis, und ich war eben damit beschäftigt, diese Linie und ihren Verlauf in der Holzmaserung zu beobachten, da wurde ich in dieser Tätigkeit gestört. In meinem Beobachtungsfelde trat nämlich plötzlich eine GlJanzfläche von rechteckiger Form auf, in einer Breite von ca. 16 cm und einer Höhe von 26 em, und ver- änderte das Bild in meinem Gesichtsfelde vollständig. Innerhalb dieser Glanzfläche war von dem Holze, von den Maserlinien und Figuren nichts mehr zu sehen, das Bild der Holzfläche war ver- schwunden und durch unscharfe helle Flächen verdrängt. Nur die erwähnte Kratzlinie und ausserdem fünf oder sechs senkrechte, !/»—2 cm lange feine Haarrisse im Holze, welch letztere ich aber Beiträge zur Physiologie des Sehens. VI. 435 vorher ihrer Gerinefügigkeit wegen in der Entfernung nicht hatte wahrnehmen können, waren sichtbar und hoben sich von der hellen Glanzfläche ganz scharf und intensiv schwarz kräftig ab. Das Auge hatte bei diesem Vorgange seine Einstellung unverändert beibehalten. Grund der plötzlichen Veränderung war das Durehbrechen der Sonne durch die verhüllenden Wolken und die hierdurch bewirkte Er- leuchtung des hinter meinem Rücken befindlichen Fensters. Das Fenster ist mit gebuckeltem, farblosem Kathedralglase verglast, Fig. 1. welches nur zerstreutes Licht durchlässt. Ein unscharfes Abbild der Fensteröffnung fiel auf die Holzfläche und bewirkte auf letzterer das Auftreten des Glanzes. Innerhalb der Glanzfläche machten sich also zwei verschiedene Bilder: „das Bild der Holzfläche und das Fensterbild“, den Vorrang streitig und bewirkten dadurch die Seh- störung, den Glanz. : Betrachten wir zunächst den Vorgang der Glanzerscheinung für sich, ohne Rücksicht auf die schwarzen Linien. — Das Bild der Holzfläche innerhalb der Glanzfläche war durch das zwar unscharfe, aber hellere Fensterbild unsichtbar geworden, trotzdem die Ein-* stellung des Auges unverändert geblieben war, wie die an der 436 C. Baumann: Glanzstelle angrenzenden Linien, sowie die schwarzen Linien in der Glanzstelle zeigten. Die Entfernung vom Auge A zum Schrank, in der Fig. 1 AN, betrug 1,35 m; hingegen die mittlere Entfernung MN des Fensters FF" 5,10 m. Wir haben es also mit zweierlei Strahlen zu tun, mit solehen aus 1,35 und solchen aus 1,35 + 5,10 = 6,45 m. Entfernung, da die des Fensterbildes aus 5,10 m hinter der spiegelnden Fläche herkommen. Die Strahlen aus 1,35 m Ent- fernung bewirken aber eine stärkere Akkommodation als die Strahlen aus 6,45 m Entfernung. In der Fig. 2 ist dargestellt, wie die Ver- einigung der 6,45 m-Strahlen, der gestrichelte Pfeil, vor der Netz- haut eintritt und wie hierdurch das dahinter auf der Netzhaut sich Fig. 2. bildende scharfe Bild der 1,35 m-Strahlen überdeckt wird und daher dessen Sichtbarkeit verhindert wird, die schwarzen Linien aus- senommen. Das Fensterbild ist zwar infolge seiner Helligkeit im- stande, mit dem Holzflächenbild in Wettbewerb zu treten und die Sehstörung zu bewirken, aber eine Veränderung der Einstellung des Auges zu bewirken, vermochte es nicht. Meine frühere Wahr- nehmung; (Pflüger’s Arch. Bd. 95 S. 357 ff. 1903), dass das Auf- treten des Glanzes durch die gleichzeitige Einwirkung zweier ver- schieden starker Reizungen auf dieselben Netzhautteile hervorgebracht wird, erhält dadurch eine Bestätigung, aber das Auftreten der ‚schwarzen Linien bedingt eine zusätzliche Abänderung in dem Satze. Es muss für die Folge heissen: „dass das Auftreten des Glanzes durch die gleichzeitige Einwirkung zweier verschieden starker, jedoch qualitativ gleichartiger Reizungen auf dieselben Netzhautteile hervorgebracht wird‘. Beiträge zur Physiologie des Sehens. VI. 437 Die Tatsache, dass die schwarzen Linien in der Glanzstelle so deutlich hervortraten, war um so auffallender, da die unbedeutenden Haarrisse sichtbar wurden, die ihrer Geringfügigkeit wegen vor dem Auftreten des Glanzes nicht sichtbar waren. Durch ganz unbedeutende Randerhöhungen der Kratzlinie und der Haarrisse nach der Licht- seite hin bewirkte das seitlich wirkende Tageslicht eine Schatten- bildung in jenen Linien. Allein, das ist doch für die Erklärung dieser auffallenden Erscheinung nicht. ausreichend. Es erscheint da- her nötig, über die Reizwirkuug von Schwarz eine eingehendere Untersuchung anzustellen, denn ganz abgesehen von dem uns vor- liegenden Falle ist die Tatsache beachtenswert, dass sich Schwarz überall mit grosser Intensität zur Wahrnehmung bringt. Dies drängt zu der Überzeugung, dass eine starke Reizung der Netzhaut vorher- gegangen sein muss. Aber welcher Art! — Nun heisst es aber (Helmholtz, Physiol. Optik, S. 322): „Unterschiede der Licht- stärke werden von der Sprache nur, insofern dadurch eine Eigen- schaft von Körpern angegeben werden soll, als Farben bezeichnet. Mangel an Licht nennen wir Dunkelheit; einen Körper aber, der kein Licht zurückwirft, wenn solches auf ihn fällt, nennen wir schwarz; einen Körper, welcher alles auffallende Licht diffus reflek- tiert, nennen wir weiss. Ein Körper, der von allem auffallenden Licht einen gleichen Bruchteil zurückwirft, ist grau, und einer, der Licht gewisser Wellenlängen in stärkerem Verhältnis als das anderer zurückwirft, ist farbig.“ — An dieser Erläuterung müssen wir festhalten. Nun wissen wir, dass durch weisses, wie durch farbiges Lieht eine mehr oder minder starke Akkomodation hervor- gerufen wird. Grau wirkt am schwächsten, so dass dasselbe bei Vergrösserung des Abstandes vom Auge seine Wirkung bald verliert und dann ebensowenig sichtbar ist wie ein Körper, der nicht im Gesichtsbereiche liest. Die von den hellen Strahlen ausgehende Reizung der Netzhaut wirkt demnach erregend. — Da Schwarz kein Licht zurückwirft, kann es auch nicht so wirken wie Weiss. Die Annahme, dass es darum wirkungslos sein müsse, wäre verfehlt, da uns die Erfahrung vom Gegenteil über- zeugt. Die starke Reizwirkung, welche wir bei Schwarz annehmen ınüssen, zwingt uns zu dem Schlusse, dass die Beschaffenheit dieser Reizung, also ihre Qualität, eine andere sein muss als die der hellen und farbigen Strahlen, und zwar eine gegensätzliche. 438 C. Baumann: Beiträge zur Physiologie des Sehens. VI. Im Gegensatz zur Erregung steht aber die Hemmung. Wäre die Wirkung von Schwarz gleichartig mit der des weissen oder farbigen Lichtes, so hätten sich die schwarzen Striche inner- halb der Glanzstelle nicht zur Wahrnehmung bringen können, sondern wären von den stärker wirkenden übrigen Strahlen einfach unter- drückt worden. Da sie aber keine erregende, sondern eine hemmende Wirkung hervorgerufen haben, konnten sie neben den anderen Strahlen zur Wahrnehmung kommen. Der Unterschied in der Qualität der Reizung ist demnach die Veranlassung, dass die hemmende Wirkung des Schwarz überall neben der erregenden Wirkung der weissen und farbigen Strahlen zur Geltung kommt und nicht unterdrückt werden kann. Wenn wir aus dem Hellen ins Dunkle treten, dauert es eine Weile, bis wir wieder sehen können. Dieser Zeitverbrauch deutet auf eine stattfindende Umstellung der Tätiekeit des Gesichtssinnes hin. Treten wir umgekehrt aus dem Dunkeln unmittelbar ins Helle, so macht sich ausser«dem Zeitaufwand für die Umstellung der Tätig- keit auch noch ein Schmerzgefühl bemerkbar infolge der plötzlich eintretenden errezenden Reizwirkung auf die Netzhaut. In beiden Fällen hängt der Zeitaufwand offenbar mit der grösseren Arbeits- leistung zusammen, welche für die Umschaltung der Tätigkeit er- forderlich ist. Eine weitere Stütze für meine Annahme finde ich in den Er- sebnissen der Untersuchungen von Herrn Prof. Dr. Fröhlich in Bonn, die in dem Sitzungsberichte der Niederrheinischen Gesellschaft für. Natur- und Heilkunde in Bonn, Mediz. Abt. 1913, Verlag von Georg Thieme, Leipzig 1914, veröffentlicht sind und zusammen- gefasst lauten: „Die Lichter verschiedener Wellenlänge rufen in der Netzhaut Erregungen verschiedener Frequenz und Intensität hervor, und diese verschieden intensiven und frequenten Erregungen ver- anlassen im Zentralnervensystem antagonistische Prozesse, Erregung oder Hemmung. Die verschieden starken Erregungen bzw. Hem- mungen sind als die physiologische Grundlage der Licht- und Farbenempfindung aufzufassen.“ 439 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich.) Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. + Von W.R. Hess. (Mit 12 Textfiguren.) L Eine Eigenschaft ist es, welche die Funktionen des lebenden Blutgefässsystemes weit über die Leistungen eines jeden toten Leitungssystemes erhebt; es ist dies die Anpassungsfähigkeit an die wechselnden Ansprüche des Versorgungsgebietes in bezug auf die zuzuführende Blutmenge. Einen wesentlichen Anteil bei dieser Anpassung übernimmt das Herz durch eine verschiedene Einstellung seiner Druckleistung und seines sekundlichen Fördervolumens. Die Stellung des Herzens als zirkulatorisches Zentrum bringt es jedoch mit sich, dass es nicht ' den speziellen Bedürfnissen einzelner Regionen Rechnung tragen kann, sondern stets nur dem durehschnittlichen Bedarf aller Organe zusammen. Ein solcher Durchschnittsbedarf kann aber in sehr verschiedener Weise zustande kommen, d. h. unter wechseln- der Beteiligung der einzelnen Regionen. Unabhängig voneinander können sich lokale Ansprüche änderıt, hier steigen, dort. fallen, sich ganz oder teilweise kompensierend. An der vom Herzen gelieferten Sekundenmenge braucht in solchen Fällen nichts oder nur wenig geändert zu werden. Eine einschneidende Veränderung muss dagegen Platz greifen in bezug auf die Aufteilung des vom Zentrum gelieferten Blutstromes auf die einzelnen Regionen des Blutgefässnetzes. Die Veränderung sozubesorgenundimmerfortabzuändern, dassallerortsden lokalen Zirkulationsansprüchen und deren Schwankungen entsprochen wird, das ist die Aufgabe der peripheren Regulation der Blutzirkula- 8% . 440 W. R. Hess: tion. Ihr Wirkungsfeld erstreckt sich von derjenigen Stelle an, wo sich die einzelnen grossen Stromgebiete von der Aorta abtrennen bis hinaus in die äusserste Peripherie, wo es gilt, jedem kleinsten Gewebebezirk diejenige Blutmenge zuzuweisen, deren es zur Aufrecht- erhaltung seiner Leistungen bedarf. Wodurch diese periphere Regulierung bewirkt wird, darüber sind wir nicht im Zweifel; sie geschieht durch den aktiven Einfluss der Gefässmuskulatur. Offenkundig ist es auch, dass hierbei die Gefässnerven und Gefässnervenzentren eine koordinierende Funktion ausüben. Wie aber der spezielle Mechanismus gestaltet ist, welcher die Steuerung des Blutstromes besorgt, darüber sind wir noch sehr mangelhaft orientiert. Wie weit hierüber die Kenntnisse heute reichen, soli nun vorerst festgestellt werden. Wir beginnen damit, dass wir kurz an einige Beobachtungen erinnern, durch welche die tatsächliche Existenz einer peripheren Kreislaufregulierung nachgewiesen ist. Eine solche Beobachtung ist die Konstatierung von Chauveau und Kaufmann!). Diese Autoren haben das aus dem Musculus levator labii superior des Pferdes ausfliessende Venenblut in der Ruhe und während der Tätiekeit des Muskels gemessen und dabei gefunden, dass der Blutabfluss — somit auch der Blutzufluss — während der Betätigung des betreffenden Muskels /das Vier- bis Sechsfache des Ruhewertes beträgt. — Die Arbeitsleistung des auf seine Durchblutungsgrösse untersuchten Muskels geschah in diesen Experimenten unter dem Einfluss der physiologischen Innervation. Dass auch bei Muskelaktion, herbeigeführt durch künstliche Reizung der Muskelnerven, dieselbe Erscheinung eines Anschwellens der Durchblutung zustande kommt, zeigte zuerst Gaskell?) (loc. eit. Tafel IX Fig. 5) durch seine Versuche am Musculus graeilis des Hundes. Ganz analoge Verhältnisse wurden in bezug auf die Durchblutung von Drüsen gefunden. Es geht dies aus den Versuchen von Bar- eroft?) und anderen Autoren hervor, dass nämlich zum Beispiel die vermehrte Sekretion der Glandula submaxillaris (der Katze) bei 1) Chauveau und Kaufmann, Arch. de Physiol. 1892 p. 279. 2) The Journ. of Physiol. vol. 1 p. 276. 3) The Journ. of Physiol. vol. 36 p.liii. / Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 441 Chordareizung begleitet ist von einer starken Steigerung des Blut- stromes, der sich aus den Drüsenvenen ergiesst, und zwar geht, nach der Analyse der Blutproben zu schliessen, die Erhöhung des minutlichen Durchflussvolumens annähernd der Vermehrung des Stoff- umsatzes parallel. Weiterhin sind hier die Untersuchungen von Landergreen und Tigerstedt!) über die Blutversorgung der Niere bei Injektion von Kochsalz, Nitraten und Koffein anzuführen. Auch hier wieder dieselbe Erscheinung: Steigerung der Blutversorgung bei Zunahme der Tätigkeit eines Organes als Ausdruck der Stei- gerung seines Blutbedarfes. Soviel zur Frage der Existenz einer peripheren Durcehblutungs- regulierung. Zur Orientierung über unsere heutigen Kenutnisse der Wirkungs- weise des steuernden Mechanismus zitiere ich die Aus- führungen, welche Bayliss?) in einer zusammenfassenden Darstellung über diesen Gegenstand gegeben hat: „Wenn ein Organ infolge vermehrter Tätigkeit eine grössere Blutversorgung erfordert, gibt es mehrere Wege, auf welchen hier- für gesorgt werden kann. In manchen Organen ist eine dieser Methoden die hauptsächlichste, in anderen Organe jene Methode. Manchmal wirken mehr als eine gleichzeitig. Diese verschiedenen Methoden sind: 1. Erregung der gefässerweiternden Nerven vom Zentralnerven- system aus. 2. Hemmung der zentralen tonischen Erregung der Vaso- konstriktoren. Bei typischen Reflexen sind diese beiden Wirkungen gleichzeitig vorhanden. 3. Vasokonstriktion in anderen Organen, durch welche der all- gemeine arterielle Druck erhöht wird. Bei den Loven-Reflexen werden die drei ersten Wirkungen gemeinschaftlich hervorgerufen. 4, Durch die Produktion infolge Stoffwechseltätigkeit des Organs gewisser chemischer Substanzen, welche auf die Blutgefässe direkt wirken, indem sie Erweiterung hervorrufen. Diese Körper können derartig wie Kohlensäure sein, für welche, wie es scheint, die Arte- riolen ganz allgemein empfindlich sind. Aber wegen ihrer grösseren )) E. Landergreen und R. Tigerstedt, Die Blutzufuhr zur Niere. *Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd..4 S. 241. 189. 2) Ergebn. f. Physiol. Bd.5 S. 346 u. ff. 442 | W.R. Hess: \ Konzentration am Entstehungsorte wirken sie hauptsächlich daselbst. Anderseits können auch Körper erzeugt werden, für welche die Blut- gefässe eines besonderen Organes spezifisch empfindlich sind, wie beispielsweise das Pankreas für Substanzen, welche in der Schleim- haut des_Duodenums erzeugt werden, und möglicherweise der Darm selbst gegen seine eigenen Produkte. Wir sehen also, dass reichlich Vorkehrungen getroffen sind für die Regulation der Blutversorgung zu den Organen je nach deren erforderlichen Bedürfnissen.“ Die Orientierung, welche wir durch diese Zusammenfassung er- halten, beschränkt sich, wie wir sehen, im wesentlichen auf die Registrierung einer Anzahl Faktoren! Damit sind wir aber noch weit davon entfernt, uns ein einigermaassen klares Bild davon machen zu können, wie diese verschiedenartigen „Vorkehrungen“ zu einem wohlgeordneten Mechanismus koordiniert sind. Eine wesentliche Ergänzung erfährt unser Verständnis für die Frage, wenn wir dem Gedankengang folgen, den Roux!) über die Anpassung der Gefässweiten entwickelt hat: „Die Anpassungsfähigkeit der Gefässweite ist eine zweifache; eine ‚rein funktionelle, zu raschem Wechsel geeignete und eine dauerndere, wirklich gestaltliche. Die erstere wird durch Nerven vermittelt und beschränkt sieh ihrer Art nach rein auf die Dimensionen der Weite ohne Änderung der Länge. Diese Regulation ist durch physiologische und klinische Be- obachtungen sichergestellt. Dass sie für die Gehirnarterien fehle, halte ich für ausgeschlossen. Sie veranlasst Erweiterung der Ge- fässe durch nervös vermittelte Änderung des Tonus der Ringmuskeln, welche dabei wohl durch den Blutdruck passiv verlängert werden. Sie bewirkt normalerweise die funktionelle Hyperämie, also die Vermehrung der Blutzufuhr bei der Funktion der Organe, sicher wenigstens der aktiv tätigen Organe der Muskeln, Drüsen und Nerven- zentren. Ihre Wirkung ist so gross, dass sie den Blutgehalt eines Organes in wenigen Minuten fast verdoppeln kann. Sie kann offenbar in genau dem Verbrauche des er- nährten Parenchyms entsprechendem Maasse geleitet 1) Vgl. Oppel, Über die gestaltliche Anpassung der Blutgefässe. Vortr. u. Aufs. über Entwicklungsmech. H. 10 (mit Orig.-Beig. v. W. Roux). Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 443 werden, und diese Leitung muss vom verbrauchenden Parenchym selber ausgehen. Von einem anderen Ort aus ist diese Regulation in genügend feiner Weise nicht möglich, wenn wir auch wissen, dass bei Änderung des Bedarfes ganzer Organe und noch grösserer Be- zirke die einheitliche Vermittlung der nervösen Gefässzentren in Anspruch genommen wird. Anderseits ist anzunehmen, dass das Gehirn bei der von ihm selber veranlassten Tätigkeit der Organe, zum Beispiel der Muskeln, Augen, wohl auch gleich die zugehörigen Blut- bahnen, Arterien und Venen erweitern lässt, so dass von dem tätigen Organ nicht erst an das. Gefässzentrum telegraphiert und gleichsam um Nahrung gebettelt werden muss wie von einem unzureichend bezahlten Diätar. Aber diese vom Zentrum ausgehende Regulation kann unmöglich genau genug der verschieden starken Tätigkeit der Teile eines Muskels entsprechend lokalisiert und abgestuft werden. Dies Geschehen ist noch weniger möglich für die überhaupt nicht vom Gehirn ausgehende Tätigkeit der Verdauungsorgane; und sie ist ganz unmöglich für das vom Nervenzentrum unabhängige Wachs- tum der Organe und der Tumoren. Da aber auch für dieses Wachstum zureichende Regulation existiert, muss also auch eine direkte, vom Parenchym aus vermittelte Regulation der Gefässweite existieren. Diese Regulation muss bereits mit den ersten Blutgefässen im Tier- reich entstanden sein; und seitdem muss jede neue Arterie, eventuell auch Vene und Kapillare sowie das zugehörige Parenchym, sofort mit Anschluss an den Regulationsmechanismus der vorher vorhandenen Gefässe versehen worden sein. Bei gesteigertem Verbrauch wird von der Verbrauchsstelle aus zentral gegen das Herz "hin in den Nerven der Arterien der Reiz zur Erweiterung fortgeleitet; dies um so weiter zentral, je stärker die Erregung an der einzelnen Stelle ist, und je mehr Kapillaren zugleich vom Parenchym aus erweitert bzw. neugebildet sind.“ . Es genügt ein Hinweis darauf, dass sich die Roux’schen, auf theoretischer Grundlage entwickelten Vorstellungen den von Bayliss zusammengefassten Resultaten der experimentellen Forschung zunı Teil sehr gut und ohne Zwang anpassen. Hervorgehoben seien zum Beispiel die Ausführungen, welche Roux über- die Notwendigkeit einer Kombination der vom Zentrum ausgehenden Regulierungs- impulse mit einer Beeinflussung der Gefässe vom Parenchym aus gibt. Diese Forderung finden wir tatsächlich erfüllt im Sinne von Ziffer 1 und 4 der Bayliss’schen Ausführungen. (Vel. S. 441.) Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 29 444 W.R. Hess: Es möge hier noch die Gelegenheit wahrgenommen werden, auf die Arbeiten von Thoma!) und Fuchs?) hinzuweisen, welche Autoren sich eingehend mit der Frage der Querschnittsentwicklung der Blutgefässe beschäftigt haben. Dabei haben sie aber die Wachs- tumsentwicklung und nicht, wie wir, die regulatorische Quer- schnittsveränderung im Auge, deren Zweck die zirkulatorische Anpassung an den mit der Funktionsintensität wechselnden Blutbedarf der Organe ist. Da. zwischen den zwei Einstellmechanismen — wie schon Roux betont — wohl ein Zusammenhang besteht, sei immerhin das Wesentliche aus den zitierten Arbeiten Thoma’s erwähnt. Nach diesem ‘Autor ist der maassgebende Faktor, welcher den Querschnitt. eines Gefässes bestimmt und reguliert, die Strömungsgeschwindig- keit. Überschreitet sie einen bestimmten Betrag, so löst sie Quer- schnittszunahme aus; unterschreitet sie eben diese Grenze, so wird Reduktion des Querschnittes eingeleitet. — Wie sich der Einfluss der Geschwindigkeit auf die Gefässwand überträgt, darüber äussert sich Thoma nicht bestimmt. Dagegen findet er in der von ihm dargelegten Berechnung Beweiskraft für die Richtigkeit seiner Theorie. — Die Berechnungen basieren jedoch, so viel können wir nach eigenen Untersuchungen mit Bestimmtheit aussagen, auf einer durchaus irrtümlichen Interpretation der Beobach- tungen von Demning und Watson?) über das Strömen des Blutes in engen Röhren. Die darauf begründeten Ausführungen Thoma’s lassen sich deshalb unter keinen Umständen aufrechterhalten. Soviel zum heutigen Stand unserer Kenntnisse über den Mecha- nismus der peripheren Kreislaufregulierung. Wir gehen zu unseren eigenen Untersuchungen über: In den Vorgängen der peripheren Zirkulationsregulierung haben wir den Effekt einer gemeinschaftlichen Betätigung der Gefässmuskulatur und der Gefässnerven mit ihren Zentren vor uns. ]) Thoma, Histogenese und Histomechanik des Gefässsystems. Ferd. Enke, Stuttgart 1893. — Thoma, Die Viskosität des Blutes und seine Strömung im Arteriensystem. Deutsch. Arch. f, klin. Med. Bd. 99 H.5 und 6. 1910. 2) R. Fuchs, Zur Physiologie und Wachstumsmechanik des Blutgefäss- systems. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 2 S. 15. 1903. | 3) Vgl. Thoma, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 99 S. 581 H. 5 und 6. — W. R. Hess, Gehorcht das Blut dem allgemeinen Strömungsgesetz von Flüssig- keiten? Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 203. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 445 Dem Muskelapparat fällt die Aufgabe zu, durch einen oder verschiedene mechanische Akte die Strömungsbedingungen zu ver- ändern; dies geschieht auf dem Wege der Widerstandsänderung, herbeigeführt durch aktiven Querschnittswechsel. Der Gefässnerven- apparat besorgt die Aufgabe, die über die gesamte Peripherie zer- streute Muskulatur derart zu einem organischen System zusammen- zufassen, dass sie in Form assoziierter und dosierter Akte wirksam wird; in Form von Akten, deren Finfluss auf die Blutströmung im Einklang mit Änderungen im Blutbedarf des versorgten Ge- webes steht. Diesen Verhältnissen entsprechend bieten sich dem Studium der Kreislaufrezulierung zwei natürlich getrennte Untersuchungs- gebiete dar. Das erste umfasst die Untersuchung der mechanischen Vor- gänge, durch welche die Kreislaufregulierung in das Strömen des Blutes eingreift. Das zweite betrifft die koordinatorischen Leistungen des Gefäss- nervenapparates. Das Studium der Literatur lässt keinen Zweifel darüber be- stehen, dass in der bisherigen Forschung die zweite Frage ein ge- waltiges Übergewicht erhalten hat. Es ist möglich, dass dies so geschehen, weil die Gefässmuskelwirkung für vollständig abgeklärt gehalten wurde. Tatsache ist jedoch, dass dieses Kapitel noch manch unbeantwortete Frage birgt, deren Lösung für das Verständnis des zweiten Abschnittes nicht nur nützlich, sondern notwendig ist. Denn der Einfluss der Gefässmuskelaktion auf den Abiauf der Zirkulation ist der mechanische Faktor, auf dem sich dieganze periphere Kreislaufregulierung aufbaut. Die genaue Kenntnis dieser mechanischen Beziehung muss es auch sein, welche uns die Grund- lage zu bilden hat für Erforschung und Verständnis der Vorgänge, durch welche der Gefässmuskel seine stromregulierenden Funktionen erledigt. 1. Die Dynamik der Gefässmuskulatur. a) Die dynamischen Beziehungen zwischen der Muskulatur parallel geschalteter Gefässstrecken. In den eben ausgeführten Sätzen liegt die Begründung, weshalb wir als erstes die „Dynamik der Gefässmuskulatur* behandeln. Es 29 * 446 W. R. Hess: ist dabei unser Ziel, an Stelle der bisherigen sehr summarischen Vorstellungen exaktere, wenn möglich quantitativ präzisierte zu setzen. Die Vorstellungen, mit denen man heute zu rechnen ge- wohnt ist, lassen sich durch folgende Sätze umschreiben: 1. Erweiterung der Gefässe eines umgrenzten Zirkulationsgebietes führt zu einer Steigerung dessen Durchblutung. 2. Diese lokale Steigerung ist begleitet von einer Strom- verminderung in anderen Stromgebieten infolge der Ablenkung des Blutstromes’nach den Erweiterungsgebieten. 3. Als indirekte Konsequenz ist die Reaktion ferner begleitet von einer zentralen Blutdrucksenkung (soweit wir ausschliesslich Einfluss der Peripherie auf die Gestaltung des Blutdruckes im Auge behalten). 4, Gefässverengerung bewirkt in jeder Beziehung den um- sekehrten Effekt, nämlich auf direktem Wege: Verminderung der Durchblutung im Verengerungsgebiet; indirekt: Erhöhung der Durch- blutung anderer Stromgebiete und zentrale Blutdrucksteigerung. Den Inhalt dieser allgemein bekantiten hämodynamischen Regeln silt es nun schärfer zu differenzieren. Einen Ansatz in dieser Richtung hat Fuchs!) gemacht in Form einer mechanischen Analyse der Gefässkontraktion. Diese Analyse bezieht sich jedoch lediglich auf die Mechanik des Kontraktions- prozesses ohne Berücksichtigung der zirkulatorischen Kon- sequenzen. Dieseletzterensindesaber, welche für die Kreislaufregulierung das entscheidende Moment dar- stellen, und die wir deshalb studieren. Eine erste Frage, welche zu beantworten ist, lautet dahin, ob ein Eingreifen der Gefässwand in die Blutzirkulation dadurch zu- stande kommt, dass durch ‚sie das Blut einen Strömunesantrieb erhält. Bei einer solchen Funktion der Gefässmuskulatur wäre diese also in Parallele zu setzen mit der Herzmuskulatur, so dass man von der Summe aller Gefässmuskeln als sogenanntem peri- pheren Herzen sprechen könnte. Es liegt auf der Hand, dass ein aktives Förderungsvermögen der Gefässwände gerade bei der Kreis- laufregulierung ausgiebige Gelegenheit zur Betätigung finden würde und demgemäss die Regulationsmechanik tiefgreifend beeinflussen müsste. 1) Fuchs, 1. c. S. 444. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 447 Um dieser Frage eine eingehende Behandlung zuteil werden zu lassen, habe ich sie aus dieser Arbeit ausgesondert und ge- trennt behandelt!., Es genüge, hier das Resultat anzuführen, zu welchem wir gelangt sind. Es lautet dahin, dass wir den Arterien die Fähigkeit, den Blutstrom aktiv zu för- dern, absprechen, also die Existenz des sogenannten „peripheren Herzens“ verneinen müssen. TE Au € & d N )) | \V ZEN N EEE HERR IN S An diesem Schlusse halten wir auch fest, nachdem seit Er- scheinen der erwähnten Publikation von Mares?) die Begründung einer 1) W.R. Hess, Die Arterienmuskulatur als „peripheres Herz“? Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 555. 1916. 2) Franz MareS, Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blut- durchströmung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefässsystemes: I. Förderung des Blutstromes durch aktive Beteiligung der Gefässe am arteriellen Pulse. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 159. 1916, — II. Die Atembewegurgen des Gefäss- systemes. Pflüger‘s Arch. Bd. 165 S. 194. 1916. — III. Die Grundlagen der herrschenden vasomotorischen Theorien. — IV. Mechanismus des Eigenbetriebes der Blutdurchströmung in verschiedenen Organen. 448 W. R. Hess: gegenteiligen Ansicht versucht worden ist. Die Diskussion zu diesem speziellen Thema soll an anderer Stelle weitergeführt werden. Die Grundlage aller folgenden Ausführungen ist die Voraussetzung, dasssich die Kreislaufregu- lierung auf dem Wege der Widerstandsveränderung vollzieht. Um zu dem gesuchten weiteren Ausbau der Dynamik der Ge- fässmuskulatur zu gelangen, halten wir uns am besten an die Be- sprechung eines konkreten Beispielsfalles. Fig. 1 stelle ein in der Kontinuität gedachtes Darmstück dar mit zugehörigem Gefässapparat. Wir denken diesen repräsentiert durch die arteriellen Bahnen, eingedenk der Tatsache, dass es diese sind, welche durch ihre Muskulatur den ausschlaggebenden Einfluss auf eine regulatorische Umgestaltung der Zirkulationsverhältnisse aus- üben. Das in Fig. 1 dargestellte Darmstück ist zur Betrachtung so ausgeschieden gedacht, dass seine Grenzen mit den Grenzen des Ver- sorgungsgebietes des Stammgefässes (S?) zusammenfallen. Was wir in dieser Abgrenzung nach der Blutversorgung durch ein gemein- schaftliches Muttergefäss vor ‘uns haben, nennen wir weiterhin ein Versorgungsgebiet oder Strom gebiet. Entsprechend der zirkulatorischen Zusammengehörigkeit unter- scheiden wir an ihm wieder Unterabschnitte, versorgt je durch einen Hauptast Ar und An. Diese Unterabschnitte nennen wir künftighin Versoreungs- bezirke oder Strom bezirke. Den Blutstrom, der sich in das ganze Stromgebiet ergiesst, markieren wir durch Eintragen von „Stromfäden* in den Verlauf der Gefässe (punktierte bzw. ausgezogene feine Linien in den Ge- fässen).. Wir tun dies im Anschluss an die Vorstellung, dass die Vorwärtsbewegung des Blutes in den Gefässen in sogenannter sleitender Bewegungsart geschieht, wobei die Bewegung aller Flüssigkeitsteilchen parallel der Gefässachse erfolgt. Ein Stromfaden ‘entspricht demnach dem Wege, auf dem ein einzelnes Blutteilchen peripherwärts zieht. Die Situation, in welcher wir das Darmstück bei Beginn unserer Betrachtung antreffen, sei die der vollkommenen Ruhe, d. h. ohne sekretorische, resorptorische oder motorische Funktion. Dieser Zustand der Ruhe werde nun dadurch unterbrochen, dass Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 449 von dem oralwärts angeschlossenen Darmabschnitt Speisebrei vor- geschoben wird, welcher vorerst nur in den Darmabschnitt / ein- tritt. Durch diese Veränderung der Situation ist Anlass gegeben, dass dieser Darmabschnitt beginnt, seine spezifische Funktion aus- zuüben. Die Funktion ihrerseits ist an eine vermehrte Blutzufuhr gebunden, welche herbeizuführen nun die Aufgabe der Kreislaufregulierung ist. Nochmals sei hervorgehoben, dass die Steigerung des Blut- bedarfes nur das Versorgungsgebiet des Astes A, betrifft, während ‚der Abschnitt // vorläufig in seinem ursprünglichen Funktionszustand verharrt und deshalb einer Vermehrung der Blutzufuhr nicht bedarf. Dass in Wirklichkeit der Funktionszustand zweier benachbarter Darmabschnitte nicht derart scharf abgegrenzt ist, wie wir sie zum Zwecke der Analyse annehmen, tut nichts zur Sache. . Es soll uns das konkrete Beispiel ledielich eine für die Betätigung der peripheren Regulierung typische Situation darstellen. Diese Situation charakterisiert sich durch die Notwendigkeit, in einem begrenzten Zirkulationsbezirk die Durchblutung zu ver- Ändern. Zu untersuchen ist jetzt, welehe Zustandsänderung Platz greifen muss, damit der bewirkte Zirkulationseffekt der geforderten Strömungsänderung entspricht. Zweifellos wirkt im angestrebten Sinne die Erweiterung sämt- licher Gefässe, durch welche hindurch diejenigen Stromfäden ihren Weg nehmen, die sich nach dem Darmabschnitt / hin aufsplittern. Diese Gefässe sind erstens der Hauptast A, und zweitens alle aus ihm hervorgehenden Zweige. Gleichsinnige Veränderung ihrer Quer- schnitte bewirkt gleichsinnige Veränderung der Strömung. Zwischen der Muskulatur, weleheentlang denselben Stromfäden angeordnet ist, besteht also ein synergistisches Ver- hältnis. Ob der Wirkungsgrad, mit welcher die Muskulatur die Strömung zu beeinflussen vermag, die gleiche ist) wenn sie in der Wandung ‚des Hauptastes oder der Tochteräste oder deren Zweigen gelegen ist, bleibe vorerst dahingestellt; es ist klar, dass in dieser Beziehung sehr wesentliche Unterschiede. bestehen können und unter Umständen auch bestehen. Auf die Untersuchung dieser Frage werden wir später zurückkommen. Vorher interessiert uns noch die Frage, ob mit der assoziierten 450 W. R. Hess: Betätigung !) der synergistischen Gefässmuskelgruppe die Möglichkeit erschöpft ist, dem regulierungsbedürftigen Darmabschnitt / den not- wendiegen Stromzuwachs zu bringen. ; Es ist naheliegend , an die Mitwirkung der Muskulatur des Stammgefässes (87) zu denken, weil ja dieselben Stromfäden, welche sich im regulierungsbedürftigen Bezirk aufteilen, auch durch das Stammgefäss hindurch ihren Weg nehmen. Tatsächlich ist auch die Zuflussmenge zum Bezirke / dem Einfluss der Muskulatur des Stamm- gefässes unterworfen und ausserdem noch der Muskulatur aller der- jenigen Gefässstrecken, welche sich zwischen Stammgefäss und dem Blut spendenden Zentrum einschalten. Doch liegen hier insofern besondere Verhältnisse vor, als Stammgefässe und seine zentralwärts gelegenen Vorläufer nicht ausschliesslich Stromfäden für den regulierungsbedürftigen Bezirk führen, sondern daneben noch solche, welche nach anderen Gebieten abzweigen, in unserem Beispielsfall nach dem Darmabschnitt 77. Für die Muskulatur des Stammes ($%) besteht keine Möglichkeit, die Blutversorgung des Abschnittes / und des Abschnittes Z7 getrennt zu beeinflussen. Der Erfolg ihres aktiven Eingreifen besteht vielmehr in einer Änderung der mittleren Zuflussmenge für beide Abschnitte zusammen. Funktionellstelltsich die MuskulaturdesStammesgleichsam zwischen die Muskulatur des zentralen und derjenigen des peripheren Zirku- lationsapparates. Es würde viel Interesse bieten, an dieser Stelle die Übergangsbeziehungen zwischen zentralem und peripherem Regu- lationsmechanismus näher zu erörtern.‘ Wir müssen aber diese Be- sprechung in eine spätere Arbeit verweisen, weil sie uns zu weit vom vorgenommenen Thema wegführen würde. Eine dritte Möglichkeit, dem Darmabschnitt Z/ die notwendige Steigerung der Blutzufuhr zu verschaffen, macht sich geltend, wenn sich die Querschnitte des Astes Aır, seiner Töchtergefässe und deren i) Unter aktiver Betätigung verstehen wir jede aktive Spannungsänderung der Gefässmuskulatur, gleichgültig, ob es sich um Spannungszunahme oder -abnahme handelt. Diese Bezeichnungsweise entspringt der Vorstellung, dass. der physiologische Wert der. Gefässmuskelwirkung nicht in der Produktion mechanischer Arbeit liegt, sondern in der Herbeiführung einer Zustandsänderung in den Strömungsbedingungen. Dementsprechend haben wir keinen Grund, ent- gegengesetzte Zustandsänderungen prinzipiell verschieden zu bewerten. Aktive Betätigung der Gefässmuskulatur ist also jede durch sie bewirkte Querschnitts- - änderung. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 451 Zweigen verengern. Der Einfluss dieser Veränderung vermag sich im Strombezirk I geltend zu machen, obgleich durch diese Gefässe überhaupt keine Stromfäden verlaufen, deren Bestimmungsort der regulierungsbedürftige Bezirk / ist. Die Wirkung ist eine indirekte; sie entfaltet sich dadurch, dass die Art der Aufteilung des vom Stamme (8?) zugeführten Blutstromes vom Verhältnis der Wider- stände in den Strombezirken 7 und I/ abhänet. Eine Änderung dieses Verhältnisses kann aber nicht nur durch einen Widerstands- wechsel im ersteren, sondern auch im letzteren herbeigeführt werden. Es erscheint die Stromvermehrung zu Darmabsehnitt Z als Kon- sequenz der Gefässerweiterung im Strombezirk Z, ferner als Konsequenz der Gefässverengerung im Strombezirk II. Bei gleichzeitiger Aktion findet die Muskulatur im ersten Bezirk Unter- stützung durch eine entgegengesetzt gerichtete Aktion der Muskulatur im letzteren Bezirk, gleichsinnige Aktion würde dagegen dem zirkulatorischen Effekt entgegenarbeiten. Wir finden also zwischen der Muskulatur der beiden Bezirke ein ganz analoges Ver- hältnis wie zwischen Antagonisten und Synergisten des Skelett- muskelsystems. Nur mit dem Unterschied, dass bei diesem letzteren unmittelbar die Muskelkraft antasonisiert, im Gefässmuskel- system dagegen der Strömungseffekt, der herbeigeführt wird durch die Querschnittsänderung. Wenn wir hier die in der Dynamik des Skelettmuskelapparates geläufigen Begriffe von Synergismus und Antagonismus auf das Gebiet des Gefässmuskelapparates übertragen, so geschieht es vom Standpunkt dessen Kreislauf regulierenden Funktionen. Von diesem Standpunkt gewinnen die genannten Be- griffe folgende Bedeutung: Synergismus besteht zwischen denjenigen Teilen der gesamten Gefässmuskulatur, welche dieselben Stromfäden umspannen — in anderen Worten —, welche hintereinander in das Gefässnetz eingeordnet sind. Antagonismus besteht. zwischen derjenigen Gefässmuskulatur, welche verschiedene Stromfäden umspannt — in anderen Worten —, welche nebeneinander in das Gefässnetz eingeordnet ist. Eingedenk der Bedeutung der Antagonisten für das Zustande- kommen koordinierter und dosierter Bewegungsakte der Skelett- muskelapparatur ist die Frage gegeben, welche Rolle wohl den Ant- agonisten im Spiele der Gefässmuskeln zukommt. 452 W. RR. Hess: b) Die Bedeutung der Antagonistenwirkung für die Ökonomie des Kreislaufes. Wir wollen nun versuchen, die zirkulatorischen Konsequenzen einer Assoziation der Antagonisten zur Funktion der Agisten fest- zustellen. Ein Urteil hierüber wird uns möglich, wenn wir uns in dem auf Seite 447 skizzierten Beispielsfall die Situation jetzt so ver- ändert denken, dass sowohl Abschnitt / als auch Abschnitt /I eine Steigerung der Blutzufuhr nötig haben. Erfolgt die Einstellung auf erhöhten Blutbedarf beider Abschnitte unter Mitwirkung der Antagonisten, so sehen wir sich folgendes Spiel entwickeln: 1. Die Gefässmuskulatur des Strombezirkes / erhält Impulse im Sinne der Querschnittserweiterung. Dies zum Zwecke der Steigerung der Blutzufuhr nach dem zugehörigen Darmabschvitt Z. Gleiehsinnigen Erfolg erwirken entgegengesetzte, d. h. verengernde Impulse zu den Antagonisten, welche im gegebenen Falle die Gefässe des Be- zirkes II sind. 2. Die Muskulatur des Bezirkes II erhält Erweiterungsimpulse, deren Zweck es ist, die für diesen Darmabschnitt 2/ nötige Steigerung der Blutzufuhr zu erwirken. Gleichsinnigen Erfolg soll herbeiführen die gleichzeitige entgegengesetzte Betätigung, der Antagonistengruppe, also im gegebenen Falle Verengerung der Gefässe des Bezirkes 7. So sehen wir die Muskulatur eines jeden Bezirkes in zwei ge- trennten Rollen in Funktion treten, nämlich als Agisten zugunsten der Blutversorgung des eigenen Bezirkes, als Antagonisten zugunsten der Versorgung des Nachbarbezirkes. Die beiden Funk- tionen widerstreiten sich; es kommt zu Rivalität zwischen zwei Interessen. Welchem der beiden die Muskulatur nun wirklich folgt, hängt davon ab, mit welcher Intensität die beiden antaeonistischen Interessen sich geltend machen. Sie gehorcht dem stärker dosierten Impulse, d. h. zugunsten desjenigen Bezirkes, welcher eine Erhöhung der Blutzufuhr dringender bedarf. Und das Endresultat dieser Rivalität muss derjenige Querschnittszustand sein, bei dem sich die Intensität der Impulse die Wage hält. Dies ist der Fall, wenn in keinem der beiden rivalisierenden Bezirke das Verlangen nach Steigerung der Blutzufuhr stärker ist als im Nachbargebiet, wenn sich also die Verteilung des vom gemeinschaftliehen Stamme zu- geführten Blutstromes im Verhältnis des Blutbedarfes vollzieht. Inwieweit es dabei zu einer vollkommenen oder eventuell Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 453 nur partiellen Deckung des Blutbedarfes beider Abschnitte kommt, hängt davon ab, ob der zur Aufteilung gelangte Blutstrom stark genug ist, beide Abschnitte zu sättigen. Hier nötigenfalls korrigierend einzugreifen, ist Sache der zentralen Regulierung, deren dynamisches Mittel das Herz ist und auch die Gefässmuskulatur, soweit sie die Stromfäden vom Zentrum her bis zu dem Punkte begleitet, wo die Stromfäden nach den beiden rivalisierenden Bezirken auseinandergehen. Wir wiederholen: Das Eingreifen der (zirkulatorischen) Ant- agonisten in die Steuerung des Blutstromes gewährleistet einen Verteilungsmodus, welcher den Bluthunger des Gewebes überall auf den gleichen Grad einstellt. Diese Nivellierung vollzieht sieh über den ganzen Organismus, weil sich dieselbe Rivalität, die wir an kleinen Strombezirken besprochen, auch zwischen grossen Gebieten abspielt, schliesslich auch zwischen den Stromgebieten der Hauptstämme, die aus der Aorta hervorgehen. Und der -Sinn einer solchen Nivellierung ? Sie ist der erste Schritt zur Erreichung eines für den Organismus sehr wichtigen Zieles: Sie teilt nämlich den vom Zentrum gelieferten Blutstrom so auf, dass die ausreichende Ernährung aller Gewebe des ganzen Organismus mit einem kleinst möglichen Gesamtstromvolumen möglich ist. Dass dem so ist, lässt sich leicht zeigen. Gesetzt den Fall, dass der Bluthunger des Gewebes nicht überall gleichmässig gestillt ist, so sind folgende zwei Fälle möglich: Entweder es ist die vom Zentrum gelieferte Gesamtblutmenge so gross, dass selbst die zir- kulatorisch schlechter gestellten Bezirke genügend Blut erhalten, um ausreichend ernährt zu sein. In diesem Falle erhalten natur- gemäss die günstiger gestellten Bezirke mehr Blut, als zu ihrer Ernährung unbedingt erforderlich. Es kommt in diesen Bezirken zu einem Durehblutungsüberschuss, und der sekundliche Gesamtverbrauch kann nicht das absolute Minimum sein. Die zweite Möglichkeit ist die, dass die vom Zentrum gelieferte Blutmenge eben ausreicht, den zirkulatorisch begünstigten Be- zirken diejenige Blutmenge zur Verfügung zu stellen, die den Bedarf eben deckt. Dann aber bekommen die relativ schlechter gestellten Bezirke weniger als unbedingt nötig; es kommt zu einer Insuffizienz der Durchblutung, welche nicht bestehen bleiben kann ohne Schaden für das Gewebe. Es muss eine zirkulatorische Korrektur ein- 454 I W. R. Hess: treten. Besteht sie darin, dass die Durchblutung überall gesteigert wird, so haben wir wieder in den anderen Gebieten Durchblutungs- überschuss, was dem Ökonomieprinzip widerspricht. Soll eine Kor- rektur stattfinden ohne jene überflüssige Blutabfuhr nach der Peri- pherie, so bleibt als einzige Möglichkeit die lokale Korrektur, welche den Blutstrom nur dort anwachsen lässt, wo das Gewebe an insuffizienter Durchblutung leidet, und welche den Blutstrom so lange anwachsen lässt, bis auch hier dem Blutbedarf eben entsprochen ist, d. h. Gleichstellung mit den übrigen Gewebebezirken erreicht ist. In der Einregulierung auf Gleichstellung in der Absättigung des Bluthungers sehen wir also das Mittel, welches überallausreiehende Durchblutung gewähr- leistet, ohne dass irgendwo im System ein unökonomischer Durch- blutungsüberschuss besteht. Damit ist die Vorbedingung erfüllt für die Einstellung des sekundlichen Gesamtverbrauches an Blut auf das absolute Volumminimum. Dass diese Vorbedingung ausgenützt wird, dafür zu sorgen, ist Sache der Zentralregulierung, auf die wir an dieser Stelle nicht eingehen. Worauf es hier ankommt, ist die Feststellung, dass das Eintreten der Antagonisten in die motorischen Akte der Kreislaufregulierung diese selbst dem Prinzipe der Ökonomie unterstellt. Auch hierin sei wieder auf eine Analogie zur Dynamik des Skelettmuskelapparates hin- gewiesen und ferner ein teilweiser Gegensatz der dargelegten Auffassung zu derjenigen festgestellt, welche die Vasokonstriktion in anderen Organen als einen Ausdruck der Druckregulierung an- sieht, wie sie zum Beispiel in folgenden Sätzen Tigerstedt’s!) zum Ausdruck kommt. „im allgemeinen kann man sagen, dass jeder Körperteil unter normalen Verhältnissen gerade die Blutmenge erhält, welche .er nötig hat, und dass der Körperteil durch Erweiterung seiner Gefässe um so mehr Blut erhält, je kräftiger die in ihm augenblicklich stattfindende Tätigkeit ist. Gleichzeitig werden die Blutgefässe in anderen Körperteilen verengert, und solcherart wird der für das Leben des Körpers notwendige Blutdruck durch ununterbrochene Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Gefässgebieten unter- halten.“ Nicht im Dienste der Blutdruckregulierung erfolgt die reziproke 1) R. Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Kreislaufes. Leipzig 1893. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 455 Iunervation in den Konkurrenzzebieten, sondern als Ausdruck eines Mechanismus, welcher die sekundliche Blutabgabe des arteriellen Systems auf ein Minimum beschränkt. c} Verschiedene mechanische Momente, welche die Kreislauf- regulierung beanspruchen. Die Aufgabe der Kreislaufregulierung ist es, dann korrigierend einzugreifen, wenn die Blutversorgung eines bestimmten Gewebe- bezirkes unter dessen Blutbedarf zurückbleibt. Als Ursache für das Zustandekommen eines solches Missverhält- nisses haben wir bis jetzt ausschliesslich die Zunahme der spezifischen Tätigkeit des Parenchyms und der durch sie bedingten Zunahme des Blutbedarfes’ins Auge gefasst. Es ist von prinzipieller Wichtigkeit für das Ver- ständnis der Kreislaufregulierung, dass ein solches Missverhältnis aber auch noch in anderer Weise ent- stehen kann, nämlich dadurch, dass bei gleichbleibendem Bedarf die Blutversorgung aus verschiedenen, rein mechanischen Gründen zurückgeht. Gelegenheit für das Eintreten dieser Situation ist reich- lich gegeben, und zwar infolge einer unvermeidlichen dynamischen Rückwirkung, welche jeder lokale Regulationsakt auf eine nähere und weitere Umgebung ausübt. Es lässt sich dies wieder am besten an Hand eines konkreten ‚Beispieles erörtern. Wir können uns an denselben Fall halten, den wir auf S. 447 skizzierten. Er ist dadurch charakterisiert, dass der Strombezirk Z/ sich auf grösseres Stromvolumen einreguliert. Ganz abgesehen von der eventuellen Aktion der Antagonisten macht sich diese Strömungsveränderung auch im Bezirk /I geltend. Es wird ihm durch die Widerstandsverminderung im Bezirk / ein Teil der normalen Blutzufuhr entzogen. Diese Erscheinung ist bekannt unter dem Namen der kollateralen Anämie. In ihrem Auftreten haben wir nun den Fall, dass in einem Gewebebezirk die Zirkulation insuffizient werden kann, ohne dass sich in der Tätigkeit des Parenchyms irgend etwas ge- ändert hat. Eine Korrektur ist gleichwohl vonnöten, soll der ein- getretene Durchblutungsmangel nicht seine schädlichen Folgen haben. Die Zahl der Fälle, in denen die Kreislaufregulierung infolge dieser rein mechanischen Rückwirkung in Anspruch genommen wird, braucht nicht selten zu sein. Im Gegenteil: wir gehen nicht fehl, \ 456 W. R. Hess: wenn wir sie als ebenso häufig ansehen wie die Regulierungsakte, die notwendig werden durch eine Veränderung im Funktionszustand des Parenchymes. Was noch besondere Betonung verdient, ist die Tatsache, dass diese dynamische Rückwirkung auch zwischen Strombezirken besteht, die funktionell voneinander total unabhängig sind. Es weist diese Tatsache darauf hin, dass die Regulierung der Blutversorgung un- möglich von der Innervation der spezifischen Organtätigkeit abhängig sein kann! Des wollen wir uns in einem der nachstehenden Ab- schnitte wieder erinnern. Und noch eine weitere mechanische Ursache existiert, welche die Forderung nach Selbständigkeit der Kreislaufregulierung unter- stützt: Ausser durch Spannungswechsel der Gefässmuskulatur können Querschnittswechsel an Gefässen auch dadurch herbeigeführt werden, dass der Innendruck steigt oder fällt, sei es der dynamisch erzeugte Blutdruck oder der hämostatische Druck.: Ein Beispiel zum letzt- genannten Fall: Bei aufrechter Körperhaltung lastet auf den Gefässen der unteren Extremitäten neben dem dynamisch erzeugten Blutdruck ein beträchtlicher hämostatischer Druck. Unter seiner Einwirkung wird die Gefässwand gedehnt. Wenn wir uns nun plötzlich in horizontale Lage begeben, so wird der hämostatische Druck auf einen viel kleineren Wert herabgesetzt, und es fällt eines der Gefäss dehnenden Momente weg. Die Folge muss sein, dass sich das Gefäss elastisch verengert, was nicht ohne Widerstands- änderungen und entsprechender zirkulatorischer Konsequenz geschehen ‚kann. War vorher die Blutversorgung gerade entsprechend dem Blutbedarf eingestellt, so wird sie jetzt insuffizient sein wegen der eingetretenen Verengerung. Für den Widerstand der Grefässbahn besteht kein Unterschied, ob sich die Gefässquerschnitte verengern, weil bei gleichbleibendem Innendruck die Wandspannung durch Muskelwirkung erhöht wird, oder ob sich die Gefässe ver- engern, weil bei gleichbleibender Wandmuskelspannung der Innen- druck plötzlich herabgesetzt wird. Soll die Durchblutung nach der Druckentlastung wieder in die richtigen Grenzen zurückgeführt werden, so muss die elastische Verengerung der Strombahn durch die entsprechende Veränderung der Gefässmuskelspannung kompensiert werden, das heisst die Regulierung in Aktion treten. Auch diese Fälle treten durchaus nicht selten auf. Wir sehen das ein, wenn wir daran denken, wie häufig wir zum Beispiel die Lage unserer ® Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 457 vorderen Extremitäten ändern. Dies kann nicht geschehen ohne eine tiefgreifende Beeinflussung der hämodynamischen Bedingungen in den zugehörigen Abschnitten des Zirkulationsapparates. Wir haben somit wieder ein mechanisches Moment kennen gelernt, welches die Kreislaufregulierung be- ansprucht, ohne dass dabei eine Steigerung des Blut- bedarfes im Versorgungsgebiete im Spiele wäre. d) Die Inkonstanz der Gefässmuskelwirkung. Im vorhergehenden Abschnitt haben wir gesehen, dass die Forderungen, welchen die Kreislaufregulierung zu genügen hat, viel manniefaltiger sind, als wir anzunehmen gewohnt waren. Denn sie hat nicht nur den Blutstrom bei Veränderung des Blutbedarfes richtig zu steuern, sondern auch die zirkulatorischen Konsequenzen verschiedener mechanischer Faktoren zu kompensieren. In diesem Abschnitt werden wir uns davon überzeugen müssen, dass auch die Erfüllung der Forderungen viel kompli- zierter ist, als man sich bei oberflächlichem Zusehen denkt. Die Herstellung des Gleichgewichtes zwischen Blutversorgung‘ und Blutbedarf ist nur denkbar, wenn die regulierenden Gefäss- muskelaktionen genau dosiert werden können. Mit dieser Dosierung hat es nun aber seine Schwierigkeit, und zwar deshalb, weil ein unıl derselbe aktive Spannungswechsel der Muskulatur durchaus nicht immer dieselben zirkulatorischen Konsequenzen im Gefolge hat. Ob die Gefässmuskulatur eine Gefässverengerung entgegen einem hohen oder niedrigen Blutdruck zu erwirken hat, ist durchaus nicht oleich- gültig. Je höher der Innendruck, um so grösser muss der aktive Spannungszuwachs sein, wenn eine bestimmte Querschnittsverringerunz herbeigeführt werden soll. Ein weiterer Faktor, welcher die Konstanz im Verhältnis zwischen Intensität der Gefässmuskelaktion und der durch sie be- wirkten Strömungsänderung stört, ist die von Fuchs!) bewiesene Tatsache, dass es für eine bestimmte Durchmesserveränderung eines Gefässes einer verschiedenen Kraft bedarf, je nach dem Grade der Längsspannung, der das Gefäss im Moment unterworfen ist. Da diese Längsspannung speziell bei den Gefässen der Extremitäten 1) Fuchs, 1. c. S. 44. 458 W.R. Hess: je nach den Gelenkstellungen verschieden ist,. so wird durch sie ein neuer variabler Faktor in die Querschnittsbestimmung durch die Ge- fässmuskelwirkung hineingetragen. Und eine dritte Ursache, welche den zirkulatorischen Erfolg zu einer höchst komplexen Funktion der Gefässmuskelwirkung macht: Sie besteht in der bereits aus anderen Gründen besprochenen mechanischen Rückwirkung der Rezulationsakte in Nachbargebieten. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ein begrenztes Zirkulations- gebiet für sich allein reguliert, oder ob gleichzeitig mit ihm auch Nachbargebiete die Blutversorgung auf ein höheres Niveau ein- stellen. Es bedarf nämlich einer stärker ausgeprägten Querschnitts- erweiterung, um eine bestimmte Stromvermehrung zu erwirken, wenn Nachbargebiete gleichzeitig in derselben Regu- lationsphase stehen als in der entgegengesetzten. e) Sensorische Kontrolle der Durchblutung des Gewebes? Die dargelegte Analyse der Beziehungen zwischen Gefässmuskel- aktion und zirkulatorischem Erfolg hat uns gelehrt, dass ein quantitativ festgelegtes Verhältnis zwischen beiden nicht besteht. Bei dieser Sachlage ist ein Zweifel sehr angebracht, ob über- haupt ein Regulationsmechanismus physikalisch möglich ist, der all diesen variablen Einflüssen zum Trotz eine genaue Dosierung der Blutzufuhr zustande bringt. So genau, dass im gegebenen Moment ein Gewebe um nichts zu wenig, aber auch um nichts zu viel von Blut erhält. So viel ist gewiss, dass das hierbei zu lösende mechanische Problem ungemein kompliziert ist, wenn nicht, wie gesagt, unlösbar, sofern dem Regulationsmechanismus nicht ein ganz spezielles Hilfsmittel zur Verfügung steht. Ein solches Hilfsmittel wäre ein sensorischer Apparat, der dieDurchblutung des Gewebes fortlaufend kontrolliert. Seine Funktion würde sich nach zwei Richtungen geltend machen: 1. Es würde durch ihn jeder motorische Akt aufseine zirkulatorische Konsequenz nachgeprüft. Dadurch, dass das Resultat der Nach- prüfung (auf dem Reflexwege) im weiteren Verlauf der motorischen Aktion zum Ausdruck gelangt, wäre die Grundlage für eine feinste Dosierung gegeben, unbekümmert um dasinkonstante Verhältnis zwischen motorischer Aktion und zirkula- torischer Konsequenz. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 459 2. Derselbe sensorische Apparat wäre nicht nur geeignet, die Regulationsakte zu dosieren, sondern überhaupt zu inszenieren, so- bald an irgendeiner Stelle die Durchblutung des Gewebes insuffizient wird. Diese Möglichkeit vermögen wir in ihrer Bedeutung richtig ein- zuschätzen, nachdem wir im vorletzten Abschnitt darauf hingewiesen haben, wie verschiedenartig die Ursachen sind, welche eine regulatorische Umsteuerung des Bluütstromes nötig machen. Ich er- . innere an die kollaterale Anämie und an die Querschnittsänderung durch Abnahme des Innendruckes. Bei diesen Vorgängen, die ganz unabhängig von der Gewebstätigkeit sind, ist — so scheint’ es ınir — die Einleitung einer Korrektur durch einen dosierten Regulations- akt überhaupt nicht anders denkbar als durch Vermittlung einer spezifischen Sensibilität, deren adäquater Reiz mangelhafte Durch- blutung ist. — Es ist dies speziell deshalb hervorzuheben, weil iu dieser Beziehung ein Gegensatz besteht zu den Regulationsakten, die durch vermehrte Gewebetätigkeit notwendig werden. Hier wäre wenigstens möglich, dass die Impulse zum Regulationsakt zentralen Ursprunges sind und parallel mit der Innervation des Parenchyms nach der Peripherie gelangen. Der Gedanke an eine spezifische Sensibilität, welche die Durch- blutung des Gewebes kontrolliert, ist durchaus nicht neu, Diese selbe Vorstellung ist es wohl, die den Ausführungen von Roux zu- grunde liest, wenn er von einer Regulation „vom Parenchym aus“ spricht. ‚ Ferner kann in diesem Sinne auch das gedeutet werden, was Bayliss in seiner Zusammenfassung unter Punkt 4!) ausführt. Er spricht dort von einer Regulationsmethode, bei welcher eine grössere Blutversorgung dureh die Wirkung der Dissimilationsprodukte im bluthungrigen Gewebe herbeigeführt wird. Immerhin stehen wir in einem entschiedenen Gegensatz zu Bayliss, wenn er eine direkte ‚Einwirkung der Dissimilationsprodukte auf die Gefässe annimmt, d. h. als bedingt durch eine Empfindlichkeit der Arteriolen auf CO;. Wir selbst halten die Inszenierung und Dosierung der Blutströmung an die Vermittlung‘ eines spezifischen sensorischen Apparates. gebunden. 1) Vgl. S. 441. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 30 460 W. R. Hess: Auch bei Bier finden wir die Annahme einer Durchblutungs- sensibilität deutlich ausgesprochen, wenn auch die dafür angewendete Bezeichnung „Blutgefühl“ im Nachtrag zurückgezogen wird; aber auch hier decken sich unsere Auffassungen in bezug auf die Bedeutung derselben nicht. Denn Bier weist dieser Sensibilität nur die Auf- gabe zu, bei Unterdrückung einer Blutbahn einen Kollateralkreislauf zu eröffnen, und zwar nur in den Körperabschnitten, in welchen die Blutbahnen häufig Verletzungen und anderen, die Strömung störenden mechanischen inneren Einflüssen ausgesetzt sind?). Für uns da- gegen ist die Durchblutungssensibilität in allen Gebieten des Gefäss- netzes eine conditio sine qua non für die restlose Lösung der Auf- gaben, die an die Kreislaufregulierung herantreten. A Selbstverständlich sind wir uns darüber; klar, dass unsere Durch- ‚blutungssensibilität bis jetzt nur ein Postulat darstellt, abgeleitet aus der Dynamik der Gefässmuskulatur. Es soll nicht Resultate experimenteller Untersuchungen ersetzen, sondere nur zur Direktive werden für Ordnung der in der Literatur bekanntgegebenen Beobachtungen nach neuen Gesichtspunkten, ferner die Direktive für ergänzende eigene Untersuchungen, über welche: wir in einer weiteren Arbeit zu diesem Thema berichten werden. Worauf wir jedoch hier schon kurz hinweisen wollen, ist wiederum die Analogie zur Dynamik der Skelettmuskulatur. Wenn wir die regulatorische Tätigkeit des Gefässmuskelapparates an die Mit- wirkung einer spezifischen Durchblutungssensibilität gebunden halten, so nehmen wir nichts weiter an, als was für die Funktion des Skelettmuskelapparates bereits als feststehende Tatsache erkannt ist. Auch hier ist bekanntlich eine feinere Dosierung der motorischen. ‚Akte ohne ständige sensorische Kontrolle der Bewegungen undenkbar. Wenn wir den Inhalt der letzten Abschnitte zusammenfassen, so kommen wir zur Vorstellung eines Mechanismus, welcher imstande ist, eine Teilaufgabe der peripheren Kreislaufregulierung restlos zu erfüllen: Die Regulierung der Blutverteilung auf die verschiedenen Be- zirke der zu durehblutenden Gewebe basiert auf der Funktion einer r 1) Aug. Bier, Die Entstehung des Kollateralkreislaufes. Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 147 S. 256 u. 444; ferner Bd. 153 S. 306 u. 434. 2) Vgl. 1. c. Bd. 153 S. 458. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 461° spezifischen Durchblutungssensibilität. Der adäquate Reiz für die- selbe sind Zustände, die infolge einer mangelhaften Durchblutung auftreten. Ob Anhäufung von Dissimilationsprodukten oder Produkte der Dissimilation bei Sauerstoffmangel bleibe dahingestellt. Durch die sensorische Erregung wird auf dem Reflexwege ein motorischer Akt ausgelöst, welcher die Korrektur der mangelhaften Durchblutung anstrebt. Die Verknüpfung des korrigierenden 'moto- rischen Aktes mit den Leistungen einer sensorischen Kontrolle sarantiert die zirkulatorische Korrektur nicht nur für den Fall, dass sie nötig wird infolge Zunahme der Gewebetätigkeit, sondern für jeden Fall. Solche Fälle sind zum Beispiel das Auftreten der kollateralen Anämie und elastischer Querschnittswechsel infolge von Druckveränderungen im System. Die Leistungen der sensorischen Kontrolle gestatten auch eine senaue Dosierung der Regulationsakte trotz der Inkonstanz des Wirkungssrades der Gefässmuskulatur. Durch die sensorische Kon- trolle wird nämlich der sukzessiv einsetzende Regulationsakt so lange weitergeführt, bis der richtige Durchblutungszustand erreicht ist. Der motorische Akt selbst besteht, soweit er die Aufgabe der peripheren Kreislaufregulierung erledigt, in einer assoziierten Betäti- sung zweier Gefässmuskelgruppen: 1. der Agisten. Diese befinden sich in der Wandung derjenigen Gefässe, weiche ausschliesslich Stromfäden nach dem regulierungs- bedürftigen Bezirke führen; 2 2. der Antagonisten. Diese befinden sich in den Wandungen der Gefässe, welche keine Stromfäden nach dem Regulierungsbezirk führen, die also ausschliesslich der Ernährung anderer Gewebebezirke dienen. Die Bedeutung der Assoziation der Antagonisten liegt in der Erreichung einer möglichst ökonomischen Verteilung des Blut- ‚ stromes, der von der Zentralregulierung der Peripherie insgesamt für die Aufteilung zur Verfügung gestellt wird. I. 1. Die dynamischen Beziehungen zwischen der Muskulatur hintereinander geschalteter Gefässstrecken. Wir.erinnern uns aus Abschnitt I, dass in bezug auf Veränderung des Stromvolumens zwischen der Muskulatur eines Stammgefässes 30*. 462 9 W.R. Hess: und derjenigen der Äste ein synergistisches Verhältnis besteht (gleich- sinnige Veränderung des Querschnittes hat gleichsinnigen Strömungs- effekt zur Folge). Der Synergismus erstreckt sich, wie auf Seite 451 ausgeführt, über die gesamte Muskulatur, welche entlang den Stromfäden liegt, die sich im. regulierungsbedürftigen Bezirk verteilen. Hier wollen wir nun die Frage aufwerfen, ob die Mus- kulatur der verschiedenen Teilstrecken in bezug auf ihren Einfluss auf das Strömen unter sieh nicht nur qualitativ, sondern auch Te re RS U nanane Mae TS N N quantitativ äquivalent ist oder nicht. Diese Fragestellung: lässt sich am konkreten Beispiel, wie es in Fig. 2 skizziert ist, näher erläutern. Die Skizze stellt das uns bereits von früher her bekannte Darm- stück dar, dessen Blutbedarf wegen zunehmender funktioneller Be- anspruchung im Anwachsen ist. Um die dadurch notwendig ge- wordene Vermehrung der Blutzufuhr herbeizuführen, muss (neben der Inszenierung der Antagonistenwirkung) eine Erweiterung der zuführenden Gefässe Platz greifen. Es sind dies -die sämtlichen Internodien, welche als direkte und indirekte Zweige aus dem Haupt- ast Ar hervorgehen. Es ist evident, dass der Einfluss der einzelnen Internodien auf e ‘ Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 463 die Strömung einen sehr verschiedenen Wirkungsgrad haben.kann. Es ist zum Beispiel denkbar, dass eine Querschnittsvermehrung der äussersten Peripherie, das ist in Zone £ unserer Figur, viel intensivere Wirkung auf die Strömung ausübt als einegenau gleich stark dosierte, das heisst proportionale Querschnittsver- änderung der Gefässe zentralwärts, zum Beispiel in Zone 3 oder 2. Anderseits ist es möglich, dass gerade das Gefäss der Zone 2 in seinem Einfluss auf die Dosierung des Blutstromes über- wiegt gegenüber den Internodien der Zonen 3 und Z. Weitere Möglichkeiten sind eine regulatorische Prävalenz, das heisst ein über- wiegender Einfluss der Gefässe irgendeines anderen Abschnittes, der _ zwischen äusserster Peripherie und dem Muttergefäss des betreffenden Bezirkes liest. Wie in Wirklichkeit die Verhältnisse liegen, darüber sind meines Wissens noch nie Untersuchungen angestellt worden. Meinungs- äusserungen, welche in dieses Kapitel fallen, sind allerdings ver- schiedentlich zu finden. Es scheint, dass die Auffassung verbreitet ist, dass der Haupteinfluss der Gefässmuskulatur auf die Strom- dosierung in den präkapillaren Arterien sitzt. Die Vermutung ist deshalb naheliegend, weil man dort den Hauptwiderstand der ganzen arteriellen Bahn vermutet. Die Stelle des Hauptwiderstandes mit der Stelle des grössten Wirkungsgrades der Gefässmuskulatur zu identifizieren, scheint eine logische Folgerung zu sein. Dass dieser Schluss nieht unbedingt richtig zu sein braucht, werden wir später erkennen. Jedenfalls sehen wir jetzt schon ein, dass es notwendig ist, unsere Analyse der Dynamik des Gefässmuskelapparates nun noch in quantitativer Beziehung auszubauen, damit wir in die Lage versetzt sind, die eben aufzeworfene Frage zu beantworten. 2. Die regulatorische Valenz. Die Aufgabe wird leichter, wenn wir uns zuerst an einen sche- matisch dargestellten einfachsten Fall halten,. wie ihn Fig. 3 darbietet. Wenn in diesem System eine Erhöhung des sekundlichen Strom- volumens bewirkt werden soll, so hat eine Widerstandsänderung Platz zu greifen, und zwar im Sinne einer Herabsetzung. An Stelle des Widerstandes W hat ein neuer Widerstand W, zu treten, wobei W, kleiner als W gedacht ist. Den Gesamtwiderstand W denken wir uns nun als Summe mehrerer hintereinandergeschalteter Teilwiderstände, wie dies in 464 W. R. Hess: “Fig. 4 ausgedrückt ist: Wat upon: Wir haben nun zu unter- suchen, ob die einzelnen Teilstücke (I, II und III) in bezug auf ihren Einfluss auf die Strömung sich gleichwertig sind oder nicht. Um dies entscheiden zu können, müssen wir die quantitativen Beziehungen kennen, welche zwischen Querschnitt zum Wider- | I! ; NN NINE] —- = —g#—_b Ge = I ZII = 7 III, I nn , r SIIOI € > stand bestehen. Wir finden diese Beziehungen festgelest im Poiseuille’schen Strömungsgesetz, dessen Interpretation allerdings nur unter der Voraussetzung zulässig ist, dass die Strömung in Form der sogenannten eleitenden Bewegung vor sich geht. — Wir WISTÄR NS ENEDRS N TERN TR Ben RT ER RE ARE N BR 2 0 Wr “ werden weiter unten eine Reihe von Gründen und auch direkte experimentelle Beobachtungen kennen lernen, welche uns zeigen, dass diese Voraussetzung im natürlichen Zirkulationssystem mit guter An- näherung zutrifft. Hierauf einzugehen, ist aber erst der Moment gegeben, wenn es sich darum handelt, die Resultate der allgemein gehaltenen physikalischen “Orientierung auf die speziellen Verhält- nisse des Blutkreislaufes zu übertragen. Für die Behandlung der aufgeworfenen Frage sei die Gültig- keit des erwähnten Gesetzes vorausgesetzt!). Aus ihm leiten sich z 1) Es schliesst dies die Annahme in sich, dass der Einfluss der Trägheit der bewegten Masse so gering ist, dass er vernachlässigt werden kann. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 465 wie im Anhang gezeigt, folgende Beziehungen zwischen Widerstand K und Querschnitt ab:- W = m -InK sind,. wie in der Ableitung der Formel erwähnt, alle diejenigen Faktoren zusammengefasst, welche für die Dynamik der Kreislauf- regulierung als invariabel anzusehen sind (Blutviskosität, Länge der Strombahn). Dementsprechend spielt X in der angeführten 72 N / / / Om 4 6 8 79 r in mm? Fig. 5. Formel die Rolle einer Konstanten. Für den Widerstand besteht somit lediglich Abhängigkeit vom Querschnitt, und zwar ist er um- gekehrt proportional zum Quadrat des Querschnittes. Der Inhalt der gegebenen Formel wird uns übersichtlicher, wenn wir ihn graphisch darstellen. (Siehe obenstehende Fig. 5.) Auf der Abszissenachse tragen wir die Querschnitte einer Serie von Röhren auf; die Querschnitte derselben betragen 1 qmm, 2 qmm, , 3 qmm:... 10 qmm. Zu jedem dieser Querschnitte gehört ein \ 466 W. R. Hess: Widerstand, den wir nach der eben abgeleiteten Formel nn berechnen. Die Maasszahl für die berechneten Widerstände tragen wir in das Koordinatensystem ein als Ordinate zu demjenigen Abszissenwert, zu dem der betreffende Widerstand berechnet: ist. Wir gewinnen dadurch ein Bild, wie es Fig. 5 darstellt. Der Widerstand, welcher einem Querschnitt von 1 qmm entspricht, ist dabei als relative Maasseinheit — 100 angenommen. s Aus der so erhaltenen Kurve gehen zwei Tatsachen hervor: 1. Die Ordinaten werden mit wachsender Abszisse kleiner, d. h. der Widerstand nimmt mit wachsendem Querschnitt ab. Es ist dies. die bekannte Tatsache, über die wir weiter kein Wort zu ver- lieren baben. 2. Die Ordinaten zu zwei benachbarten Abszissenpunkten unter- scheiden sich durch einen um so grösseren Betrag, je geringer der absolute Wert der verglichenen Querschnitte ist. Dies bedeutet, dass der Einfluss der Querschnittsgestaltung auf den Widerstand um so stärker ausgesprocheniist, je enger die Strombahn ist. Es geht dies besonders deutlich aus der Kurve Big: 6 hervor. Es ist dasselbe Kurvenbild wie Fig. 5. Ihr eingefügt sind aber noch die mit D;D,D, bezeichneten Strecken. Die Länge dieser Strecken. entspricht der Differenz der Ordinaten, welche zu zwei aufeinanderfolgenden Abszissenwerten gehören. Sie stellen somit eine Maassstrecke für die Widerstandsänderung dar, die mit der Querschnittsänderung um eine Einheit verbunden ist. D, ist zum Beispiel die relative Maassstrecke, .d. h. proportional dem Widerstandsunterschied zwischen einem Rohf von 3 qmm und einem Rohr von 4 qmm Querschnitt. D, ist die Maassstrecke für die Widerstandsänderung, welche statt hat, wenn wir vom Querschnitt. 7 qmm zu Querschnitt 8 gmm übergehen. Aus der graphischen Darstellung ist ersichtlich, wie sehr ver- schieden diese Widerstandsänderungen ausfallen, obgleich sie sich immer auf denselben absoluten Betrag der Querschnittsänderung be- ziehen, nämlich auf eine Änderung um eine Querschnittseinheit. Gross sind die Widerstandsunterschiede zwischen zwei um eine Querschnitts- 'einheit differierenden engen Röhren; klein sind die Unterschiede Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 467 zwischen zwei um die gleiche Einheit differierenden weiten Röhren. - ; Woessichalsodarumhandelt, durch Querschnitts- änderung eine Widerstandsänderung herbeizuführen, wird dies in erster Linie durch Querschnittswechsel der engsten Stellen geschehen können. Fig. 6. Enge Gefässe besitzen, wie wir uns ausdrücken wollen, eine grössere regulatorische. Wertigkeit, die grössere regulatorische Valenz. — Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, sei gleich hinzugefügt, dass der Satz in dieser Allgemeinheit nicht auf das Gefässsystem anwendbar ist. Denn er ist abgeleitet auf Grund der Voraussetzung, dass durch die engen Querschnitte das gleiche Sekundenvolumen getrieben wird wie durch die weiten. Diese Vor- aussetzung trifft nun für ein verzweigtes Röhrensystem nicht zu. Der Hinweis ist doppelt gerechtfertigt wegen der bereits erwähnten 468 W..R. Hess: Auffassung, dass die Arteriolen wegen ihrer geringen Querschnitte einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Widerstandsänderungen des Gefässnetzes besitzen müssten. — Ein Vergleich zwischen Ab- schnitten der Strombahn,, die unter Aufteilung des Stromvolumens auseinander hervorgehen, setzt voraus, dass wir diesen Faktor in unsere Analyse einbeziehen. Bevor wir hierzu übergehen, wollen wir zur deutlicheren Umschreibung den Becriff, den wir unter der Bezeichnung „regulatorische Valenz“ in die Dynamik der Kreislaufregulierung einführen, an nachstehenden Skizzen (Fig. 7—11) noch genauer erläutern. Fig. 7 veranschaulicht eine unverzweigte Strombahn, welche aus drei verschiedenen Teilstücken zusammengesetzt ist, deren jedes sich von den übrigen unabhängig im Querschnitt verändern lasse. Weil die Strombahn unverzweigt ist, passiert natürlich durch jeden Querschnitt das gleiche Sekundenvolumen. Es lässt sich somit der auf Seite 467 ausgesprochene Satz auf die hier dargebotenen Ver- hältnisse anwenden, d. h. es hat eine bestimmte Querschnitts- änderung einen um so ausgesprocheneren Einfluss auf den Widerstand der Strombahn, je kleiner der Quer- sehnitt ist,.an dem die Querschnittsänderung voll- zogen wird. In dem durch Fig. 7 skizzierten Fall zeichnet sich das Teil- stück ZI vor seinen Nachbarabschnitten dadurch aus, dass es enger ist. Wenn es gilt, den Gesamtwiderstand der ganzen Strom- bahn herabzusetzen, so ist nach dem Gesagten hierzu. in erster Linie eine Querschnittserweiterung geeignet, die am Teilstück /7 an- setzt; dieses Stück besitzt die grösste regulatorische Valenz. Ein bestimmter Querschnittszuwachs erwirkt hier in bezug auf Widerstands- verminderung den grösseren Effekt als an irgend einer anderen Stelle der Strombahn. | Setzt nun eine regulatorische Querschnittsvermehrung an Ab- schnitt /7 tatsächlich an, dann büsst er freilich mit dem Zustande- kommen der Erweiterung seine regulatorische Prävalenz ein. Sie ist vollends verloren gegangen in dem Moment, in welchem der Ab- schnitt II .gleich weit wie die übrigen Abschnitte geworden, weil mit dem Ausgleich des Querschnittes auch eine Nivel-. lierung, das heisst eine Gleichstellung in bezug auf die regulatorische Valenz erfolgt ist. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 469 Ein anderes Beispiel: Wir haben in Fig. 8 eine Strombahn vor uns, in welcher sich der Abschnitt Z/ vor den übrigen dadurch auszeichnet, dass er weiter ist als seine Nachbarabschnitte. Wenn von der so konfigurierten Strom- bahn eine Erhöhung der Sekundenleistunge verlangt wird, so sehen wir jetzt den Erfolg einer Querschnittszunahme des Teilstückes IT hinter dem Strömungseffekt einer gleich grosser Querschnittsänderung 1 1 4 2 Url T ZI Een - f — P/A € Fig. TAT. seiner Nachbarn zurückstehen. Der gleiche Zuwachs bei // angebracht, setzt den Gesamtwiderstand weniger herab, als wenn der Zuwachs dem Teilstück I oder III zugeteilt wird; denn engere Stellen be- ‚sitzen die grössere regulatorische Valenz. R Lassen wir nun die regulatorische Erweiterung wirklich in dem Abschnitt / und III Platz greifen, so büssen sie mit der Erweiterung ihre regulatorische Prävalenz ein; sobald sie dem Querschnitt von Abschnitt ZI erreicht haben, ist wieder mit dem Querschnitts- ausgleich Nivellierung der regulatorischen Valenz erfolgt. 470 W. R. Hess: Und nun noch ein drittes Beispiel: In Figur 9 haben wir eine zusammengesetzte Strombahn vor uns, in welcher alle Teilstücke gleichen Querschnitt besitzen. Die Gleichheit kann von vornherein bestanden haben, oder sie entstand unter dem Einfluss einer Regulierung, wie sie an Beispiel 1 und 2 erläutert ist (Fig. 7 und 3). x Wo wird hier ein neuer Reoulationsakt am besten angreifen ? Bei dieser Strombahn ist, weil Querschnittsgleichheit aller Abschnitte besteht, die regulatorische Valenz überall gleich. Wenn eine Ver- mehrung des Sekundenvolumens gefordert wird, so ist es auch, . ‚ quantitativ betrachtet, ohne Belang, an welchem der Abschnitte sich _ die regulierende Erweiterung vollzieht. Aber von dem Augenblick an, wo er sich an einem Abschnitt vollzogen hat, tritt das be- treffende Teilstück in bezug auf regulatorische Valenz gegenüber den Nachbarabsehnitten zurück, weil es jetzt diese an Querschnitt über- trifft. Die Fortsetzung der Regulation findet einen günstigeren Angriffspunkt in den zurückgebliebenen Teilen. Erst wenn auch diese um einen gleichen Betrag erweitert worden sind, besteht wieder regulatorische Gleichwertigkeit, und erst von jetzt ab kann auch der erst erweiterte Abschnitt wieder Ort einer Regulation sein. Ziehen wir nun das Fazit aus den An Beispielen, so sehen wir eine Tatsache hervortreten: | Wenn der Widerstand einer Strombahr herab- gesetzt werden soll, und wenn für die Durchführung | der hierzu nötigen Querschnittserhöhung diejenigen Stellen der ganzen Strombahn gewählt werden, die den grössten Einfluss auf den Gesamtwiderstand be- sitzen, so resultiert in jedem Falle eine Nivellierung aller Querschnitte aufdie gleiche regulatorische Valenz, Für die ungeteilte Strombahn ist diese Nivellierung erreicht, wenn überall Querschnittsgleichheit besteht. Dies ist nicht das einzige Resultat, zu welchem wir geführt werden. Für unser spezielles Thema nicht weniger wichtig sind folgende zwei Tatsachen: 1. Wenn zum Zwecke der Widerstandsverminderung die hierfür nötige Querscehnittserweiterung an der- jenigen Stelle ansetzt, wo der Einfluss der Quwer- schnittsgestaltung auf den Widerstand die grösste Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 471 Wirkung hat, so wird ein bestimmter Betrag einer Widerstandsänderungmitdemkleinstmöglichen Quer- scehnittszuwachs erreicht. i 2. Das Endresultat dieser Art Widerstandsregu- lierung ist diejenige Konfiguration der Strombahn, welehe für einen gegebenen mittleren Querschnitt den kleinstmöglichen Widerstand darbietet. Der erste dieser beiden Sätze ist die logische Folgerung aus der gemachten Annahme; denn wenn eine Querschnittserweiterung so vollzogen wird, dass auf eine bestimmte Querschnittszunahme die erösstmögliche Widerstandsverminderung einsetzt, so bedarf es ander- seits des kleinstmöglichen Querschnittszuwachses, um eine bestimmte Widerstandsverminderung zu bewirken. Die Richtigkeit des zweiten Satzes erkennen wir, wenn wir uns die Strombahn entstanden denken aus einer Strombahnanlage mit feinsten Querschnitten. Die Form, der wir im Moment der Prüfung gegenüberstehen, lassen wir dadurch zustande kommen, dass wir die Querschnitte der einzelnen Teilstücke sukzessive wachsen lassen. Dabei lokalisieren wir das Wachstum in jedem Moment an die Stelle, welche momentan die grösste regulatorische Valenz aufweist. Jeder Zuwachs um eine (Querschnittseinheit hat dementsprechend den grösstmöglichen widerstandsvermindernden Effekt im Gefolge. Dieses muss auch gelten für die Summe aller sich folgenden Quer- schnittszunahmen, d.h. mit dem Gesamtquerschnittszuwachs hat das System die grösstmögliche Verminderung des Gesamtwiderstandes er- fahren. Jede andere Querschnittsverteilung als die auf die Nivellierung der regulatorischen Valenz gerichtete ist mit einem „weniger stark herabgesetzten“, das heisst einem grösseren Widerstand behaftet! Im übrigen sei auf die Beweisführung im Anhang verwiesen (Ziffer 4). Inwiefern nun diese angeführten physikalischen Regeln für die Regulierung des Blutkreislaufes Bedeutung haben, davon werden wir noch eingehend sprechen. — Soviel wird uns schon jetzt deut- Jich, dass ein mit der kleinsten Querschnittsänderung reguliertes Strömungssystem der Forderung der Energieökonomie am besten entspricht! Bevor wir weiter auf diesen Punkt eingehen, haben wir unsere physikalische Analyse noch um einen Schritt weiterzuführen und die Verhältnisse zu untersuchen, welche eine verzweigte Strom- bahn darbieten. 472 WR. Hess: Die zu untersuchenden Verhältnisse werden dabei komplizierter; wir können aber einem Eingehen auf sie nicht ausweichen, wenn wir uns der vorgenommenen Aufgabe entledigen wollen und die physikalische Grundlage für die experimentelle Behandlung der Kreis- laufregulierung gewinnen wollen. Am einfachsten liegen die Verhältnisse bei symmetrischer Zwei- teilung der Strombahn, wo also die aus der Aufteilung des Stammes hervorgehenden Äste gleich sind; Fig. 10 skizziert den Fall (siehe Fig. 10 auf S. 469). Das „wesentliche“ Merkmal dieses Systems ist der Umstand, dass die Flüssigkeit in ihrem ersten Verlauf in einem einheitlichen Strombett geführt wird (dem Stamm); in einem zweiten Abschnitt des Systems wird das Strombett durch zwei getrennte Rohre dar- gestellt, von denen beide zusammen dieselbe Flüssigkeitsmenge wie der Stamm führen. Die verschiedene Verlaufsrichtung der ge- trennten Bahnen tut hier nichts zur Sache, wo es sich um die Unter- suchung der Beziehung. zwischen Widerstands- und Querschnitts- änderung handelt. Diese Art von Strombahn ist in Fig. 11 S. 469 schematisiert. Den Teil mit einheitlicher Strombahn bezeichnen wir mit Abschnitt Z (Stamm), den Teil mit getrennter Strombahn mit Abschnitt 11 (Äste). Wenn an die zirkulatorische Leistung dieses sich verzweigenden „Systems“ erhöhte Anforderungen gestellt werden, so frägt es sich nun wieder, ob zwischen den beiden Abschnitten Gleichwertigkeit be- steht in bezug auf ihren Einfluss auf die Strömung, oder ob den beiden Abschnitten eine verschiedene regulatorische Valenz zukommt. Man möchte vermuten, dass es die Äste sind, weiche den grösseren Einfluss auf den Widerstand des Systems besitzen, weil sie die kleineren Rohrquerschnitte aufweisen. Der Schluss in dieser Form ist falsch, weil wir dabei den Um- stand nicht berücksichtigen, dass mit der Teilüng der Strombahn auch eine Teilung des Stromvolumens einhergeht. Was dies für Folgen hat, müssen wir erst feststellen. Diese . Feststellung ist eine rein rechnerische Sache, welche in den Anhang (S. 488 Ziff. 3) ‚verwiesen ist. Die Rechnung führt zu dem Resultat, dass zwischen Stamm und Ästen dann Übereinstim- munginbezug aufregulatorische Valenz besteht, wenn die Summe der Astquerschnitte das 1,26fache des Stammquerschnittes (1,26 = 2) beträgt. 3 Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 473 Ist ihre Querschnittssumme kleiner, so haben die Äste die grössere regulatorische Valenz. Eine regulatorische Widerstands- verminderung hätte also an den Ästen anzugreifen, wenn die Regu- lation mit dem kleinsten Querschnittszuwachs vollzogen werden soll. Dies gilt so lange, als die regulatorische Erweiterung bis zum ge- nannten Verhältnis herangeführt hat. | Ist die Summe der Astquerschnitte grösser als das 1,26 fache des Stammquerschnittes;-so prävaliert der Stamm im Einfluss auf die Widerstandsgestaltung. Aber auch hier vermindert natürlich das Einsetzen der regnlierenden Erweiterung die Prävalenz, und auch hier ist sie vollends verschwunden im Moment, wo wieder das Ver- hältnis 1: 1,26 erreicht ist, weil eben bei diesem Verhältnis Gleieh- wertigkeit besteht. Die Fortsetzung regulatorischer Widerstands- änderung muss, wenn sie auch fernerhin mit der kleinsten Quer- schnittsänderung erfolgen soll, gleichzeitig an Stamm und Ästen angreifen. Und weiterhin ist es Erfordernis, dass der Querschnittszuwachs, den die beiden Äste zusammen erfahren, zum Querschnittszuwachs des Stammes selbst nach dem Verhältnis 1,26:1 dosiert sind,- weil nur so die Übereinstimmung der regulatorischen Valenz von Stamm und Ästen bestehen bleiben kann. Es sei betont, dass die aufgeführte Zahl 1.26 nur für einen symmetrischen Verzweigungsmodus Geltung hat. Für Aufteilung. eines Stammes in zwei ungleiche Äste würde sich ein anderer Verhältniswert berechnen. Auf die absolute Grösse dieses Quotienten soli es jetzt aber überhaupt nicht ankommen. Worauf wir Gewicht legen, ist die Konstatierung, dass einem ganz "bestimmten Querschnittsverhältnis zwischen Stamm und Ästen zugesteuert wird, wenn in der Strömungsregulierung die Tendenz herrscht, eine Widerstandsänderung durch die kleinst- mögliche (uerschnittsänderung herbeizuführen. Dies Ver- hältnis ist erreicht, wenn Stamm und Äste und auch die Zweige der Äste den gleichen Wirkungsgrad auf die Wider- standsgestaltung haben, d. h. wenn die regulatorische Valenz bei sämtlichen Teilstrecken entlang der Strombahn auf den- selben Wert nivelliert ist. Die mathematische Präzisierung eines Systems, das diese Be- dingung erfüllt, sind identische Differentialquotienten von Widerstand _ nach Querschnitt an allen sich folgenden Querschnitten der Strom- r 474 W.R. Hess: bahn. Gemäss den auf $. 471 gegebenen Ausführungen haben wir hierin gleichzeitig das Merkmal für ein Strömungssystem, welches bei gegebenem mittleren Querschnitt den kleinstmöglichen Wider- stand aufweist. Diese Beziehungen sind von fundamentaler Bedeutung für Bau - und Funktion des Blutgefässapparates, d. h. sofern sich die Resultate unserer mechanischen Analyse auf das lebende Blutgefässsystem an- wenden lassen. Es bleibt also die Frage zu eförtern, ob eine Übertragung der Resultate zulässig ist im Rahmen der Fehlergrenze, die für biologische Gesetze beansprucht werden kann. Entscheidend hierfür ist der Umstand, ob wir bei unseren Ableitungen Voraussetzungen gemacht, die für das lebende Gefässsystem stimmen oder nicht! 3. Die Prüfung unserer Voraussetzungen auf ihre Gültigkeit im Blutgefässsystem. Ausgegangen sind wir von folgenden Voraussetzungen: a) Der Gesamtwiderstand einer aus verschiedenen hintereinander- geschalteten Abschnitten zusammengesetzten Strombahn ist gleich der Summe einzelner Teilwiderstände: W = wı + wı+ wın .... b) Der Gesamtwiderstand einer aus parallelgeschalteten Ab- schnitten zusammengesetzten Strombahn berechnet sich nach der 1 1 wı wu c). Der Widerstand eines röhrenförmigen Gebildes steht im um- gekehrt proportionalen Verhältnis zum Quadrat des Querschnittes K | g Über die Anwendbarkeit der Voraussetzung a) und b) auf den Blutkreislauf kann kein Zweifel sein, da es sich um das bekannte Widerstandsgesetz handelt. x Nicht von vornherein sicher ist dagegen die Übertragbarkeit der Voraussetzung c). Sie hängt davon ab, ob das Strömen des Blutes im gesunden Gefässsystem nach der Poiseuille’ schen Regel erfolgt oder nicht. Die Ansichten hierüber gehen auseinander !). Formel: = (Teilinhalt der Poiseuille’schen Formel): WA 1) Vgl. Nagel, Handb. d. Physiol. Bd.1 8. 764; ferner Tigerstedt, Der arterielle Blutdruck. Ergebn. d. Physiol. Bd. 6 S. 29%. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 475 Ich selbst habe mich schon bei früherer Gelegenheit!) zu diesem Thema geäussert, die Ansicht vertretend, dass eine Entscheidung dieser Frage für die theoretische Hämodynamik dringend zu wünschen ist. Ich verweise auf die zitierten Ausführungen. Hier soll es genügen, wenn ich die hauptsächlichsten Punkte wiederhole: 1. Das Poiseuille’sche Gesetz ist durch Theorie und Experiment innerhalb sehr weiter Grenzen als für das Strömen von Flüssigkeit maassgebend festgestellt. Es ist eine direkte Kon- sequenz des Strömens in Form geradliniger Fort- bewegung derFlüssigkeitsteilchen, der sogenannten gleiten- den Bewegung. : „Gleitende“ Bewegung ist gegenüber der sogenannten „turbu- lenten“ diejenige Strömungsform, welche die kleinere Reibung be- dinst; vom Standpunkt der Energieökonomie ist sie günstiger. Die Grenze, ausserhalb welcher das Gesetz versagt, ist wiederum gesetzmässig fixiert, und zwar durch die Formel Reynold’s?). Der Grund für das Versagen des Gesetzes ist das Auftreten von Wirbeln. welche die Flüssigkeitsteilchen von der geradlinigen Bewegung ah- lenken. Die Reynold’sche Formel ist experimentel sichergestellt. Ihre Anwendung auf das Strömen des Blutes lehrt), dass es unter normalen Verhältnissen höchstens in den weiten Gefässen zu turbu- lenter Strömungsart kommen kann (vgl. Reynold’sche Formel im Anhang). Die Umstände, die in der Aorta und deren weitesten Ästen turbulente Strömung herbeiführen, sind niedrige Blutviskosität und beschleunigte Zirkulation. Irrtümlich ist die Beschränkung der Poiseuille’schen Formel auf Röhren von weniger als 3 mm Durch- messer. Die Untersuchungen Poiseuille’s, auf die Tigerstedt*) bei seinen diesbezüglichen Angaben verweist, sind durch die Unter- suchungen Reynold’s überholt und korrigiert. 1) W. R. Hess, Gehorcht das Blut dem allgemeinen Strömungsgesetz von Flüssigkeiten ? Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 157. 1915; ferner W. R. Hess, Reibungswiderstand des Blutes und Poiseuille’sches Gesetz. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 71 H.5 u. 6, Bd. 74 H.5 u. 6; ferner W. R. Hess, Der Strömungs- widerstand des Blutes gegenüber kleinen Druckwerten. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1912 S. 197. 2) Vgl. Kohlrausch, Lehrb. d. prakt. Physik, 12. Aufl., S. 266. 1914. 3) W. R. Hess, Viskosität des Blutes und Herzarbeit. Vierteljahrschr. d. Naturforsch. Gesellsch. Zürich 1916. 4) Tigerstedt, Der arterielle Blutdruck. - Ergebn. d. Physiol. Bd. 6 S. 299. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. Sl 476 | W.R. Hess: 3. Der Suspensionscharakter des Blutes ist nicht imstande, nennenswerte Abweichungen zu verursachen. In feinsten Gefässez freilich ist eine Störung des Gesetzes durch die korpuskulären Elemente zu erwarten. Zu beachten ist aber, dass das Experiment. an Glaskapillaren zeigt, dass Liehtweiten von O0,l mm noch in Bereich des Gesetzes fallen (bei Blut als strömende Flüssiekeit). Wegen der Störungen des Poiseuille’schen Gesetzes durch Kohäsionserscheinung verweise ich auf meine diesbezüglichen "Untersuchungen !). % 4. Verzweigungen und diskontinuierliches Strömen begünstigen das Zustandekommen von Wirbeln in weiten Gefässen und damit Abweichungen vom Poisseuille’schen Gesetz. Die Wirbelbildung findet aber anderseits in der hohen Viskosität eine sehr wirk- same Dämpfung, welcher Faktor überhaupt für die Aufrecht- erhaltung der gleitenden Strömungsform des zirkulierenden Blutes einen durchschlagenden Einfluss hat (vgl. Reynold’sche Formel im Anhang, Ziffer 6). Den aufgeführten theoretischen Gründen lassen sich nun noch direkte Beobachtungen an die Seite stellen. Wir kennen die Er- scheinung, dass ein von Wirbeln durchsetzter Flüssigkeitsstrom ein Geräusch wahrnehmen lässt. Sehr bemerkenswert ist bei dieser Sachlage die Tatsache, dass die Auskultation von Gefässen, zum Beispiel Arteria eruralis, am Mensch oder Hund keine Spur von Geräusch verrät. Ja selbst bei Auskultation einer freigelegten Aorta descendens thoracica eines ausgewachsenen Bernhardinerhundes ist, wie ich zu konstatieren Gelegenheit hatte, keine Spur von Strömungsgeräusch hörbar! Wenn Geräusche an Gefässen auftreten, so liegen immer besondere Umstände vor, zum Beispiel wenn wir das Gefäss durch Druck so weit deformieren, dass eine wesentliche Verengerung des Lumens eintritt und dadurch eine „Stromschnelle“. Oder wenn wir infolge künstlicher Erweiterung der peripheren Ge- fässe eine ungewöhnlich hohe Strömungsgeschwindigkeit im zuführen- den Stammgefäss haben (Bier). Auch ein Unterbruch des gleich- mässigen Querschnittes eines Gefässes durch abnorme Erweiterung (Aneurysma) lässt Wirbel entstehen. | In jedem Falle kündet sich das Auftreten von Wirbeln durch Strömungsgeräusche an. Damit ist der Schluss gegeben, dass das 1) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1912 S. 197. Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 477 Fehlen von Strömungsgeräuschen in normalen Gefässen der Ausdruck des Fehlens von Wirbeln ist. Nur bei gleitender Strömungsart bewegt sich die Flüssigkeit so geräuschlos, wie es im natürlichen Kreislauf der Fall ist. ‚Und eine weitere Beobachtung führt zu demselben Sehluss. ‚, . Verschiedenen Tieren (Hund, Katze, Kaninchen) habe ich durch die Karotis eine dünnwandige Glassonde bis zu der Aorta vor- geschoben. Durch die Kanüle liess ich mit mässigem Überdruck eine mit Methylenblau intensiv gefärbte Gummiarabikum-Lösung von der Viskosität 4,5 in die Blutbahn einströmen. Gleichzeitig war in die eine der beiden Kruralarterien eine lange Glaskanüle eingebunden, durch die das ausströmende Blut auf eine Glaskugel übergeleitet wurde. Auf der abfallenden Wölbung fliesst es in einem breiten Stromband auseinander, in dem Blut und Gummilösung zum Teil noch ge- trennt sichtbar sind. Bei turbulenter Strömungsform müsste eine vollständige Mischung beider Flüssigkeiten zustande gekommen sein. Theoretische Gründe also, wie auch direkte Be- obachtungen zeigen gleich deutlich, dass die Fort- bewegung des Blutes in den Gefässen in derjenigen Strömungsform geschieht, welche die geringsten Ver- luste an Reibung verursacht: es ist dies dieStrömung in parallelen Stromfäden, die „gleitende“ Bewegung, für welche das Poiseuille’sche Gesetz gilt. Damit finden wir auch die dritte unserer Vorraussetzung (vgl. S. 474) im lebenden Gefässsystem erfüllt. Es steht uns somit kein Grund entgegen, die Resultate unserer mechanischen Analyse für die Kreislaufregulierung auszuwerten. 4. Die Anwendung der Resultate auf das Blutgefässsystem. Durch die Erörterungen in Abschnitt I haben wir erfahren, dass zwischen der Muskulatur, welche entlang denselben Stromfäden liest, ein synergistisches Verhältnis besteht (vgl. S. 451). Eingangs dieses Abschnittes II haben wir dann die Frage aufgeworfen, ob die Muskulatur der verschiedenen aufeinanderfolgenden Teilstücken mit synergistischer Muskulatur sich im Einfluss auf das Strömen quanti- tativ äquivalent ist oder nicht. Wir haben diese Fragestellung erklärt an Hand einer schema- tischen Skizze, wie wir sie in Fig. 2 S. 462 gegeben haben. Bei dem 3] * 478 W.R. Hess: skizzierten konkreten Fall zielt die Fragestellung zum Beispiel dar- auf ab, zu erfahren, in welcher der eingetragenen Zonen I, II, III und IV die Gefässmuskulatur wirksamer den Widerstand zu ver- ändern mag. Wir sind nun in der Lage, auf diese Frage eine präzise Antwort zu geben. Der Wirkungsgrad der Muskulatur verschiedener aufeinanderfolgender Gefässstrecken hängt davon ab, ob und in welcher Weise die Breite der Strombahn peripher- wärts eine Veränderung erfährt. Ist die Strombahnbreite überall dieselbe, so überragt der Einfluss der peripheren Musku- latur bedeutend. Eine peripherwärts rasch zunehmende Ver- breiterung der Strombahn schiebt den Haupteinfluss dagegen der zentralwärts gelegenen Gefässmuskulatur zu. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten liegt ein Aufteilungsmodus, wo die Zunahme der Strombahnbreite in einer Proportion erfolgt, welehe der Muskulatur von Stamm, von Ästen und Zweigen der Äste denselben Wirkungs- orad verleiht. Wo immer wir einen Querschnitt durch die ganze Breite der Strombahn legen, finden wir zu einer gegebenen Änderung des Gesamtquerschnittes die gleiche Änderung des Gesamtwider- standes. Bei symmetrischer Aufteilung eines Stammes finden wir das Verhältnis, wenn die Summe der Astquerschnitte das 1,26 fache des Stammquerschnittes beträgt. Wir haben den Zustand „identischer regulatorischer Valenzen“ der hintereinandergeschalteten Strombahn- abschnitte. Diesen Aufteilungsmodus einzuhalten, hat für das lebende Ge- fässsystem ein hervorragendes Interesse; denn er entspricht der- jenigen Konfiguration, welche unter sonst gleichen Umständen dem strömenden Blute den kleinstmöglichen Widerstand dar- bietet. Dementsprechend verlangt ein derart gebautes Gelässsystem vom Herzen die kleinstmögliche Druckleistung. Wir sehen hierin eine notwendige Ereänzung zu der Durchführung des Ökonomie- prinzipes, wie wir sie im Abschnitt I besprochen haben. Dort hat es sich darum gehandelt, vom Herzen die kleinstmögliche Volum- leistung zu fordern. Jetzt gilt es, dieses kleinste Sekundenvolumen unter Aufwand des geringsten Widerstandes an seinen Bestimmungort gelangen zu lassen. Wenn auch dies erreicht ist, dann erst herrscht volle Ökonomie in bezug auf die Arbeitsbelastung des Herzens, d. h. soweit‘ sie eine Funktion der Gestaltung des Gefässnetzes ist. Die Bedingungen, unter welchen die Druckökonomie gewährleistet ist, Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation., 479 haben wir eben kennen gelernt. Es ist kaum zu erwarten, dass das lebende Gefässsystem in seinem Bau wesentliche Abweichungen von dieser ökonomischen Verteilung des Querschnittes auf Stamm und Äste und Zweige der Äste abweicht. Ob diese Erwartung tatsächlich zutrifft, müssen natürlich darauf gerichtete Untersuchungen erst zeigen. Einen günstigen Angriffspunkt für die Prüfung bietet die Kontrolle der Querschnittsverhältnisse bei symmetrischer Zweiteilung, für welche wir die optimale Stromverbreiterung berechnet haben. Untersuchungen hierüber sind, unter Anwendung einer neuen Methode der Quer- schnittsbestimmung, zurzeit im Gange. Wenn wir aus Gründen der Analogie geneigt sind, anzunehmen, dass der Organismus diese „Zweckmässickeit“ in der Gestaltung der Gefässe anderen Zweckmässigkeiten zur Seite stellt, zum Beispiel der Anordnung der Knochenspongiosa, so dürfen wir uns nicht ver- hehlen, dass damit der Kreislaufregulierung eine ebenso hohe als komplizierte Aufgabe zufällt. Die Druckökonomie stellt nämlich die Forderung, dass die optimale Querschnittsverteilung auf Stamm und Äste durch alle Regulationsphasen hindurch aufrechterhalten bleibt. Dies ist nur möglich, wenn die Querschnittszunahmen bei Regulierungs- akten nach einem ganz bestimmten Verhältnis auf Stamm und Aste dosiert sind. Die Beträge, um welche sich die Querschnitte der verschiedenen Gefässabschnitte erweitern, müssen unter sich genau dieselbe Proportion aufweisen wie die Querschnitte der Gefässstrecken selbst. Bei symmetrischer Zweiteilung müssen also die Äste auch das 1,26fache an Querschnittzuwachs erhalten wie der Stamm. Nur dann besteht nach der Regulation dasselbe optimale Verhältnis wie vor der Regulation. Eine derartig auf die verschiedenen Zonen genau dosierte Re- gulierung hat nun aber seine Schwierigkeit! Wir vermögen sie ein- zuschätzen, wenn wir uns daran, erinnern, dass die Angriffsfront des Gefässmuskels sehr veränderlich ist. Auf keinen Fall würde die differenzierte Querschnittsänderung gewährleistet sein durch ein kon- stantes Verhältnis der nervösen Impulse an Stamm einerseits und Äste anderseits. Verschiebungen der statischen Druckverhältnisse . haben zur Folge, dass ein und dieselbe Spannungsänderung der Gefässmuskulatur das eine Mal einen grösseren, das andere Mal einen kleineren Effekt hat. 480 W..R. Hess: 5. Sensorische Kontrolle der Querschnittsgestaltung der kefässe, Die Lösung der aus Gründen der Druckökonomie überaus wichtigen mechanischen Aufgabe erscheint ungemein kompliziert! Vielleicht ist sie überhaupt mechanisch unmöglich, wenn der Kreis- laufregulierung nicht ein bestimmtes Mittel zur Verfügung steht. Es ist dies einsensorischer Apparat, welcher die Quer- schnittsgestaltung der einzelnen hintereinanderge- schalteten Gefässstreeken fortlaufend kontrolliert. Wenn eine solehe sensorische Kontrolle (auf dem Reflexwege) Einfluss auf den Ablauf der motorischen Akte besitzt, dann sehen wir die Schwierigkeit mit einem Schlage überwunden. Auf welchem Wege, wird uns ein Beispiel zeigen: Wir betrachten dabei ein Gefässstück, welches wir uns aus drei Abschnitten zusammengesetzt denken, wie dies beispielsweise in Fig. 9 skizziert ist. Die Wandung dieses Gefässes denken wir uns begabt mit einer spezifischen Sensibilität, deren ädaquater Reiz die Wanddehnung ist. Die motorische Antwort auf das Auftreten eines Dehnungsreizes sei eine doppelte, nämlich ein reflektorischer Ver- engerungsimpuls im Bereiche des gedehnten Abschnittes selbst und ein Erweiterungsimpuls in den anderen Abschnitten. In diesem Falle steht die Querschnittsgestaltung des Ab- schnittes ZT unter dem Einfluss des Dehnungsreizes seiner eigenen Wand. Der Dehnungsreiz strebt eine Entdehnungsreaktion, d. h. eine Verengerung an. Gleichzeitig unterliegt aber die (uerschnitts- gestaltung des Abschnittes Z/7 dem Einfluss der Dehnungsreize in den übrigen Abschnitten entlang der Strombahn, also / und III. Der Einfluss ist ein entgegengesetzter. Es wird eine Reaktion veranlasst im Sinne zunehmender Erweiterung. So sehen wir im Verlaufe einer Erweiterung der ganzen Gefäss- strecke den Abschnitt ZT unter dem Widerspiel zweier antagonistischer Einflüsse. Übergewicht besitzen die Verengerungsimpulse, wenn die eicene Dehnung grösser ist als die der anderen Abschnitte. Über- gewicht besitzen die Erweiterungsimpulse, wenn die eigene Dehnung kleiner ist als die der rivalisierenden Abschnitte. Gleichgewicht zwischen Verengerungs- und Erweiterungsimpulsen besteht dann, wenn Dehnungsgleiehgewicht besteht. Mit anderen Worten: Die Querschnittsverteilung entlang der Strombahn stabilisiert sich bei diesem Mechanismus in solcher Weise, dass die Wand- Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 481 dehnungaller Teilstücke entlang der Strombahn gleich- mässig zunimmt. Wir haben eine automatische Nivellierung auf einen identischen Dehnungszustand der Gefässwände vor uns. Um die Wirkungsweise dieser Nivellierungsprozesse noch etwas leichter verständlich zu machen, sei eine Ausdrucksweise gestattet, welche nicht absolut wissenschaftlich klingt, aber die Verhältnisse sehr gut kennzeichnet. Wir halten dabei eine verzweigte Strombahn im Auge, deren Widerstand aus regulatorischen Gründen herabgesetzt werden soll. Die gesamte Muskulatur der Strombahn erhält einen Erweiterungs- impuls ohne feinere Differenzierung auf die einzelnen Abschnitte. Sowie die Erweiterung effektiv wird, setzt das Antagonistenspiel zwischen den verschiedenen hintereinandergeschalteten Gefässstrecken ein. Durch seine Vermittlung sucht jeder einzelne Abschnitt die von versorgten Parenchym erzwungene Erweiterung. mit entsprechender Wanddehnung von sich abzuwenden und den anderen Abschnitten mit synergistischer Muskulatur zuzuschieben. Anderseits erhält er von diesen ein gewisses Maass von Dehnungszuwachs aufgedrängt. Das sich automatisch einstellende Gleichgewicht ist erreicht im gleich- mässigeu Zuwachs der Wanddehnung bei den einzelnen hintereinander- geordneten Teilstücken, die unter sich um den kleinsten Dehnunges- zuwachs rivalisieren. j Der Gedanke an eine Sensibilität der Gefässwände ist nicht neu. Die Annahme einer solchen finden wir schon hier und dort angedeutet, wenn auch nicht in bezug auf Qualität und Funktion so charakterisiert, wie wir eben ausgeführt‘). Wir werden auf die Versuche und Anschauungen der zitierten Autoren in der nächsten Arbeit zu diesem Thema zu sprechen kommen, wo es gilt, die dargelegte Theorie durch Tatsachen zu erhärten. Nur so viel möge hier schon erwähnt sein, dass nach unserer Vorstellung der Depressor ein Stück dieses sensorischen Apparates ist, dass wir ferner den Dehnungs- reizen in der Funktion der Gefässmuskulatur eine ganz analoge 1) P. Heger, Einige Versuche über die Empfindlichkeit der Gefässe. Beitr. zur Physiol., C. Ludwig gewidmet, S. 193. Leipzig 1837; ferner Spalitta und Consiglio, I Nervi vasosensitivi. Palermo 1896; ferner Delecenne, Compt. rend. t. 124 p. 700. 1897; ferner Pagano, Arch. ital. de Biol. t. 33 p-1. 1900; ferner Siciliano, Arch. ital. de Biol. t. 33 p. 338. 1900. 482 W. R. Hess: Rolle zudenken, wie wir sie als sogenannte propriozeptive Reize, von Sehnen und Gelenken ausgehend, bei der Differenzierung und Dosierung der Skelettmuskelfunktion treffen '). 6. Theorie zur Regulierung der Blutdruck verteilung. In einem früheren Abschnitt haben wir die Theorie der Regu- lierung der Volumverteilung (Stromvolum) besprochen. Wir lernten einen Mechanismus kennen, welcher eine Teilaufgabe der peripheren Kreislaufregulierung zu erfüllen imstande ist: die nach dem Bedarf gerichtete und gleichzeitig ökonomische Verteilung .des vom Herzen geförderten Blutvolumens auf die verschiedenen Parenchymbezirke. Wir brauchen nur den Inhalt der letzten Abschnitte zusammen- zufassen, um nun auch zu einer konkreten Vorstellung über einen Mechanismus zu gelangen, welcher imstande ist, die zweite Teil- aufgabe der peripheren Kreislaufregulierung restlos zu erfüllen, nämlich die ökonomische Verteilung des vom Herzen aufgebrachten Druckes auf die verschiedenen, sich hintereinander anfügenden Ab- schnitte der Gefässbahn. Infolge der Überwindung von Widerständen beim Strömen des Blutes nimmt der Blutdruck vom Herzen nach der Peripherie hin ab. In weicher Form diese Abnahme vor sich geht, ob hauptsäch- lieh zu Beginn der Strombahn in den weiten Gefässen mit hoher Strömungsgeschwindigkeit oder aber vorwiegend den engen Gefässen mit langsamer Strömung, ist lediglich eine Frage der Querschnitts- verteilung entlang der Strombahn. Es kommt darauf an, in welchem Verhältnisse die Querschnitte stehen, die sich entlang den- selben Stromfäden aufeinanderfoleen; es hängt davon ab, wie sich die Breite der Strombahn verändert, wenn sich. die einheitliche Strombahn zum Zwecke der räumlichen Verteilung des Blutes in getrennte Gebiete aufsplittert. Die Fixierung bestimmter Querschnitts- beziehungen zwischen Stamm und Ästen ist gleichbedeutend mit der Fixierung einer bestimmten Druckverteilung entlang der Strombahn, d. h. eines bestimmt verlaufenden Druckgefälles. Ein Regulierungsmechanismus, welcher die Regu- lierung jener Quersechnittsbeziehungen besorst, er- ledigt eo ipso die Regulierung des Druckgefälles. 1) Sherrington, The integrative action of the nervous system. Constable, London 1911. (Vgl. p. 129 u. fi.: Proprioceptive reflexes.) — v. Monakow, Lokalisation im Grosshun. Bergmann, Wiesbaden 1914. (Vel. S. 173.) Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 483 Über die Funktionsweise dieses zweiten Mechanismus machen wir uns, entsprechend dem Gesagten, folgende Vorstellung: Die Verteilung der Strömungswiderstände und damit die Regu- lierung des Druckes entlang der Strombahn (Druckgefälle) basiert auf der Funktion einer spezifischen Dehnungsensibilität der Gefässe. Durch die sensorische Erregung wird auf dem Reflexwege eine Rivalität zwischen den einzelnen Gefässstrecken, welche synergistische Muskulatur tragen, eröffnet, eine Rivalität um den geringeren Dehnungszuwachs (bei regulatorischer Erweiterung). Das Re- sultat dieser Rivalität ist eine gleichmässige Verteilung der Dehnungszunahme, welche mit jeder Gefässerweiterung bzw. Widerstandsverminderung notwendigerweise verbunden ist. Eine dermaassen geleitete regulatorische Erweiterung von Ge- fässen lässt die Bedingungen in Erfüllung gehen, dass die Gefäss- muskelakte ihren regulatorischen Zweck mit der kleinstinöglichen Quer- schnittserweiterung erreichen. Ein Erfolg soleher Art Regulierung ist es ferner, dass ein aus engsten Gefässbahnen sich herausbildendes Gefässsystem sich automatisch auf diejenige Querschnittsverteilung - einstellt, die einen bestimmten Widerstand mit dem kleinstmöglichen (Querschnitt verbindet (vgl. S. 471). Zu diesem Ziele hin wird die Entwicklung der Strombahn dann geleitet, wenn sich die beschriebene Rivalität zwischen einzelnen Gefässabschnitten nicht nur bei Regu- lierungen auf temporären Mehrbedarf des Gewebes betätigt, son- dern auch auf dauernden Mehrbedarf, wie es durch Wachs- tum der Organe bedingt ist. Mit diesen Ausführungen über die Regulierung der Druck- verteilung haben wir unsere im Abschnitt I entwickelte Vorstellung in der Weise ergänzt, dass wir ein abgeschlossenes Bild der Funk- tionsweise der peripheren Kreislaufregulierung gezeichnet haben. Wenn wir in der dargelesten Theorie eine Auswertung unserer analytischen Resultate suchen, so geschieht es ausdrücklich nicht in der Absicht, theoretische Deduktionen an Stelle experimenteller Unter- suchungen treten zu lassen, sondern konkrete Angriffspunkte zu * schaffen für eine folgende experimentelle Behandlung des Problems, wobei wir nun von der Dynamik der Gefäss- muskulatur als Grundlage ausgehen. Bei einem solchen Vorgehen, das sich entgegen bisheriger Übung nicht über eine genauere Kenntnis der für den Mechanismus der Kreislaufregulierung maass- gebenden mechanischen Prinzipien hinwegsetzt, erwarten wir nicht 484 W. R. Hess: nur eine nützliche Wegleitung für die folgenden experimentellen Untersuchungen, sondern auch für das bessere Verständnis mancher heute schon bekannter Erscheinungen. 7. Die Regulierung von Volum- und Druckverteilung in vereinigter Funktion. Eine funktionstüchtige Kreislaufregulierung hat zwei vollständig differenten Aufgaben gerecht zu werden: 1. die Regulierung des Stromvolumens, bei dessen Verteilung an die einzelnen Parenchymbezirke; 2. Regulierung des Druckgefälles entlang der Strombahn. Die beiden Funktionen werden durch zwei verschiedenartige Mechanismen erledigt. Ad 1. Die Regulierung des Stromvolumens. Die Volumregulierung wird beherrscht von einer spezifischen Durcehblutungssensibilität im Parenchym, deren Erregung die den Blutstrom umsteuernden Gefässmuskelakte auslöst und dosiert. Das mechanische Mittel der Volumregulierung ist die Fixierung bestimmter Querschnittsverhältnisse zwischen parallelgeschalteten Abschnitten des Gefässnetzes (Strombezirken). Es wird durch innervatorische Beziehungen zwischen konkur- rierenden Gewebe- und Gefässbezirken in Wirksamkeit gesetzt. Die motorischen Akte, welche dabei zustande kommen, bestehen in einer assoziierten Betätigung von Agisten und Antagonisten. Die Konsequenz dieser Assoziation ist eine Rivalität zwischen den ver- schiedenen parallelgeschalteten Strombezirken um das vom gemein- schaftlichen Stamme zugeführte Blut. Der Erfolg dieser Rivalität ist eine derartige Aufteilung der vom Zentrum gelieferten Gesamtblut- menge, welche eine ausreichende Durchblutung sämtlicher Ge- webe mit der kleinstmöglichen Gesamtblutmenge ermöglicht. Ad 2. Regulierung des Druckgefälles. Die Regulierung des Druckgefälles wird beherrscht von einer Sensibilität in den Gefässwänden, deren Erregung die Gefässmuskel- aktion auslöst, welche die Druckverteilung entlang der Strombahn verschiebt. Das mechanische Mittel der Regulierung des Druckgefälles ist die Fixierung bestimmter Querschnittsverhältnisse zwischen hinter- Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. 485 einander geschalteten Abschnitten des Gefässnetzes (Zonen der Strombahnen). \ Es wird in Wirksamkeit gesetzt durch innervatorische Be- ziehungen zwischen den einzelnen aufeinanderfolsenden Gefäss- strecken. . Die motorischen Akte, welche dabei zustande kommen, entstehen unter dem Einfluss von Verengerungsimpulsen am Ort der Dehnung ausgelöst und Erweiterungsimpulsen, die von den synergisti- schen Internodien zugeleitet werden. Die Konsequenz dieser doppelten Innervation ist Rivalität . zwischen den verschiedenen synergistische Muskulatur tragenden Gefässstrecken, eine Rivalität, deren Erfolge eine solche Querschnitts- verteillung zwischen Stamm und Ästen und Zweigen der Äste ist, die den Strömungsablauf mit kleinstmöglichem Druckgefälle gewährleistet. Durch die Vereinigung der beiden Mechanismen, _ welche einerseits die Querschnittsverhältnisse zwischen parallel ge- schalteten, andererseits zwischen hintereinander geschalteten Gefäss- strecken regeln, sehen wir die Aufgabe der peripheren Kreislauf- :regulierung restlos gelöst und gleichzeitig unter die Herrschaft des Ökonomieprinzipes gestellt! Die Gegenüberstellung von der Regulierung des Stromvolumens und Regulierung des Druckgefälles sei noch durch die schematischen Skizzen ergänzt, wie sie Fie. 12a und 12b darstellen. Die erste gibt das Schema für die Regulierung der Volum- verteilung. Die Kreise bedeuten zwei getrennte Versorgungsgebiete, in der sich die Stromfäden je eines Astes aufteilen (angedeutet durch die ausgezogenen Pfeile). Aus jedem Strombezirk heraus gehen Erweiterungsimpulse (punk- tierte Pfeile mit +-Zeichen) zum eigenen Versorgungsgefäss, gleich- zeitige Verengerungsimpulse zum Versorgungsgefäss des Konkurenz- gebietes (ausgezogene Pfeile mit —-Zeichen). An jedem der beiden Gefässe entspinnt sich somit die Rivalität zweier antagonistischer Impulse (+ —). Die Frage, ob Gefässnervenzentren in jedem Falle ‚eine vermittelnde Rolle spielen, sei hier nicht berührt. Fig. 12b ist das Schema für die Regulierung des Druckgefälles: Von der Wandung eines jeden Internodiums nehmen sowohl Ver- engerungsimpulse (gestrichelte Pfeile mit —-Zeichen) und Er- weiterungsimpulse (punktierte Pfeile mit +-Zeichen) ihren Ursprung. Erstere gehen an die Muskulatur des Ursprungortes zurück, letztere an die synergistischen Internodien. 486 W. R. Hess: Infolge der wechselseitigen Beziehungen zwischen den ver- schiedenen Internodien entwickelt sich an jedem einzelnen , Inter- nodium die Rivalität antagonistischer Impulse (+ —). (Wieder bleibt die Frage nach Art nervöser Verbindung unberührt.) Fig. 12b. Mit den eben geschlossenen Ausführungen haben wir die An- griffspunkte für eine hier einsetzende experimentelle Behandlung der Frage gefunden. Als erstes werden wir nun zu entscheiden versuchen, ob die periphere Kreislaufregulierung tatsächlich über jene spezifischen Sensibilitäten verfügt, deren Existenz wir aus den dargelegten dynamischen Gründen für eine zweckentsprechende Be- tätigung des Gefässmuskelapparates als unentbehrlich erachten. Über d.e periphere Reguierung ver Blutzirkulatiun. 487 II. Anhang. 1. Die Beziehung zwischen Querschnitt und Widerstand einer ungeteilten Strombahn, welche durch ein einzelnes Rohr dar- gestellt wird. Der Widerstand einer Strombahn für Flüssigkeiten sei definiert durch die Gleichung Re y% == Ww rıle . . . . . (1) wobei V, das Sekundenvolumen , P die Druckdifferenz zwischen An- fang und Ende der Strombahn und W der Widerstand bedeutet. Die Faktoren, welche das Sekundenvolumen bestimmen, sind festgelegt in der Poiseuille’schen Formel: TU — - 2 EN £ St ERS (&) ! bedeutet die Länge der Strombahn, n die Viskosität der strömenden Flüssigkeit, q den kreisförmigen Querschnitt der die Strombahn bilden- den Röhre. Aus der Formel 1 und 2 ergibt sich Je De | warn Für die Verhältnisse, für welehe die Poiseuille’sche Formel von uns hier interpretiert wird, ist q die einzige Variable; die Länge der Strombahn sowie die Viskosität der Flüssigkeiten sind konstant. Wir fassen diese Grössen mit den anderen Konstanten im Faktor X zusammen. Als Beziehung zwischen Querschnitt und Widerstand ergibt sich somit für eine einfache röhrenförmige Strom- bahn mit kreisföormigem Querschnitt: we Nee) 2. Beziehung zwischen Widerstand und Querschnitt einer Strom- bahn, welche durch zwei parallelgeschaltete gleiche Röhren dar- gestellt wird. Unter der Voraussetzung, dass der Druck je zu Anfang und zu Ende der Strombahn in beiden Röhren ein übereinstimmender ist, lässt sich der Widerstand der aus zwei Röhren dargestellten Strom- 488 W. R. Hess: bahn aus den Einzelwiderständen der beiden Röhren nach der Formel berechnen: vVemnimwı na. wobei W, der Widerstand der einen Röhre, W, der Widerstand der parallelgeschalteten zweiten Röhre ist. W ist der Widerstand der beiden zu gemeinschaftlicher Strombahn vereinigten Röhren. Nach Gleichung 3 ist Sr 2 h oO nr — N“ Ww,— ne daraus folgt mE® KR ; 1, 28.957 WW, = ne’ daraus folgt Wer ü ı FRE _ 3) o 1 oA: Für w Ww, nn W, ergibt sich unter Benutzung von Gleichung 4: 1 209 Wi. .K K oder were 5 di” ar 4a” ( ) Wir setzen nun voraus, dass beide Röhren gleichen Quer- schnitt haben. RK = 1 ir Ta . A 9%, damit wird W 2? | 2 a 2K Zähler und Nenner mit 2 multipliziert ergibt W — era sh 2g, ist (weil 9 = 9) die Querschnittssumme beider parallelgeschalteten Röhren. Wir bezeichnen diese Summe mit R—2H—=NtR. Die Beziehung zwischen Widerstand und Querschnittssumme zweier parallelgeschalteter gleich weiter Röhren ist gegeben in der Gleichung: oK Mn nu? (6) . \ 3. Bestimmung des Querschnittsverhältnisses zweier hinter- einandergeschalteter Strecken einer ungeteilten Strombahn, bei denen der Differentialquotient von Widerstand nach Querschnitt gleich gross ist. Der Querschnitt der ersten Strecke betrage q. und ihr Wider- stand W.. Der Querschnitt einer anderen Strecke betrage q und ihr Widerstand W». Über die periphere Regulierung der Biutzirkulation. 489 Laut Voraussetzung sei dqa d Um > Unter Benutzung der Gleichung 3 ergibt sich hieraus INTERN STE 2 Km ar dd. len (3) du ae Resultat: Zwei hintereinandergeschaltete Strecken einer un- geteilten Strombahn mit gleichem Differentialquotient von Wider- stand nach Querschnitt sind unter sich querschnittsgleich. [) da == Gb. 4. Bestimmung des Verhältnisses von. Stammquerschnitt zur Summe der Astquerschnitte bei Gleichheit des Differential- quotienten in der Stamm- und der Astzone. Gleichheit der Differentialquotienten besteht, wenn ae (2 K £ 2: ( :) Be ( =) (aus Gleichung 3 und 6), dga da” dgn In —2K _=22K Da Resultat: Für eine Zusammengesetzte Strombahn mit g. als Stammaquerschnitt, mit g, als Querschnittssumme zweier gleicher Äste besteht Gleichheit des Differentialquotienten, wenn die Summe der Astquerschnitte das 1,26 fache (— J2) des Stammquerschnittes beträgt. 3 q > el |< 9 Au ) b) In ET J 2 Ga . 9 Gleichheit des Differentialquotienten von Widerstand nach Querschnitt bei allen aufeinanderfolgenden Strombahnabsehnitten ist das Merkmal einer Strombahn mit kleinstmöglichem Wider- stand. Beweis: Eine Strombahn von gegebener Länge aber beliebiger Querschnittskonfiguration soll ohne Veränderung der Länge und ohne Veränderung des mittleren Querschnittes (d. h. also auch bei gleichbleibendem Gesamtinhalt) derart eine Querschnittsverschiebung erfahren, dass der Gesamtwiderstand verringert wird. Die Erreichung dieses Zieles setzt voraus, dass irgendwo im System ein Abschnitt existiert, dessen Erweiterung den Widerstand stärker herabsetzt, als ihn eine gleich starke Verengerung irgend- eines anderen gleich langen Abschnittes erhöht. Eine solche Stelle ‚existiert nicht, sobald der Differentialquotient von Widerstand nach Querschnitt bei allen aufeinanderfolgenden Strombahnabschnitten 490 W. R. Hess: ‘Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. der gleiche ist. Unter diesen Bedingungen besteht also keine Mösglichkeit, bei der gegebenen Strombahn eine andere (uerschnitts- konfiguration herbeizuführen, welche durch einen kleineren Widerstand ausgezeichnet ist. Das Widerstandsminimum ist bereits er- reicht. sd 6. Reynold’sche Formel!): l mittlere Geschwindigkeit, = spezifisches Gewicht der strömenden Flüssigkeit, Durchmesser der Röhre, — Koeffizient der inneren Reibung. ISIS NTS | l) Aus Kohlrausch, Lehrb. d. prakt. Physik, 11. Aufl., S. 259. 491 Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. Von August Pütter (Bonn). (Mit 7 Textfiguren.) Inhaltsübersicht. E TSHBIBlEHINE a RE a are Kir ed hdehhern s 491 U. Die Prüfung der Formel y=B(il-—e*P)..: 2.22 .2..2.. 493 II. Die Prüfung der Formel y= Bll—e*"P-9 .... 2.2... 498 11V: ,Däs Verhalten dem Wizheltiexei. . „EN er 500 V.r-UngenügendipniersuelterRallen 0 vater ak 503 VErGenauererAnalyserder-Rormel: 1.20 506 VI. Interpolationsformel und rationelle Formel... .. . 2.2.2... 518 NAT Weitere, Rolgenmgente N re ee A gehe 524 1 CE AU TAROT Be RR I RE Pr Horn Er 529 3 I. Einleitung. Die Frage, in welcher Weise der Sauerstoffdruck die Grösse des Sauerstoffverbrauchs der Tiere und Pflanzen beeinflusst, wird heute noch allgemein im Sinne der grundlegenden Untersuchungen Pflüger’s beantwortet, d. h. die Antwort lautet: die Zelle reguliert ihren Sauer- stoffverbrauch selbst, der Sauerstoffverbrauch ist in weiten Grenzen unabhängig vom Sauerstoffdruck. Mit dem Ausdruck „in weiten Grenzen“ ist aber schon an- gedeutet, dass diese Unabhängigkeit des Sauerstoffverbrauchs vom Sauerstoffdruck nicht für alle Sauerstoffdrucke gilt. Es ist ja von vornherein nicht nur klar, dass die lebenden Zellen bei völliger Abwesenheit von Sauerstoff keinen Sauerstoffverbrauch haben können. sondern auch höchst wahrscheinlich, dass sie bei sehr niederem Sauer- stoffdruck einen geringeren Verbrauch haben werden, als bei einen Druck, der eine „genügende* Versorgung mit Sauerstoff ermöglicht. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass sich zwischen: den Zustand des Lebens ohne Sauerstoff .und den des Lebens mit überschüssigeni Sauerstoff ein Zustand einschiebt, in dem der Verbrauch mit dem Druck steigt und fällt. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 32 492 August Pütter: Ob dieser Zustand ungenügender Sauerstoffversorgung von einem Tier so Jange ohne mittelbare Schädigungen ertragen wird, dass er. mit genügender Genauigkeit erforscht werden kann, ist eine rein tatsächliche Frage und hat nichts mit der theoretischen Vor- stellung zu tun, die eine Abhängigkeit des Sauerstoffverbrauchs vom Sauerstoffdruck fordert. Für Säugetiere ist der Zustand der ungenügenden Sauerstoff- versorgeung in der Tat dem Versuch nicht leicht zugänglich. Sobald man aber die Versuchsobjekte aus anderen Klassen oder Stämmen des Tier- oder Pflanzenreiches entnimmt, findet man reichliche Gelegen- heit, diesen theoretisch interessantesten Zustand zu verfolgen. Es liegen für eine Anzahl von Tieren Untersuchungen vor, .die uns zeigen, dass bei genügender Herabsetzung des Sauerstoffdrucks auch der Sauerstoffverbrauch herabgesetzt wird, und dass er wieder zur Norm zurückkehrt, wenn der Sauerstoffdruck wieder „normal“ wird, d. h. wenn das Tier wieder unter Atmosphärendruck oder mit. anderen Worten bei einem Sauerstoffdruck von 160 mm Queck- silber atmet. Über die gesetzmässigen Beziehungen zwischen Sauerstoffdruck und Sauerstoffverbrauch sind wir bisher noch nicht unterrichtet, aber das vorliegende experimentelle Material reicht — wie im folgenden gezeigt werden soll — hin, um die Form des Gesetzes zu ermitteln. Wenn wir von der Grundvorstellung ausgehen, die Pflüger und in der Pflanzenphysiologie Pfeffer vertreten, von der Vorstellung, dass die grösste Sauerstoffmenge, die ein Organismus in der Zeiteinheit verbrauchen kann, in erster Linie von inneren Bedingungen abhängt, nämlich von der Geschwindigkeit der regulatorisch gelenkten Vorgänge in der lebendigen Substanz, so können wir eine einfache Vorstellung über die Abhängigkeit des jeweiligen, nicht maximalen Sauerstoffverbrauchs. vom Sauerstoffdruck entwickeln’ und mathematisch formulieren. Wir haben zwei Grenzfälle zu betrachten: den Fall eines beliebig hohen Sauerstoffdruckes und den Fall, dass der Sauerstoffdruck gleich Null ist. Ist der Sauerstoffdruck Null, so ist auch der Verbrauch gleich Null. Ist der Sauerstoffdruck sehr hoch, so erreicht der Verbrauch eine Grenze, die für jede Tier- und Pflanzenart und jede Kombination von Bedingungen der Ernährung, des Alters, der Temperatur usw. kenn- zeichnend ist. Wir wollen den Grenzwert des Verbrauches mit B be- zeichnen. Steigt der Sauerstoffdruck von Null auf einen sehr geringen “ Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 493 endlichen Wert, so ist anzunehmen, dass der Sauerstoffverbrauch zu- nächst proportional dem Sauerstoffdruck steigt, dass aber bei weiterem Anwachsen des Druckes die Zunahme des Verbrauchs immer langsamer wird; denn wir wissen ja schon, dass bei hohem Sauerstoff- druck die Zunahme des Verbrauchs bei einer noch weiteren Steige- rung unmerklich gering ist. Die Annahme ist also die: der Verbrauch bei einem beliebigen Sauerstoffdruck ist proportional dem Endwert (dessen Grösse in erster Linie durch innere Bedingungen festgelegt ist) und proportional einem Ausdruck, der um so kleiner wird, je höher der Sauerstoff- druck steigt. Die einfachste mathematische Formulierung, die man dieser Annahme geben kann, ist ausgedrückt durch die folgende Gleichung: y—=B(l-e-%»2). Hier bedeutet y den Sauerstoffverbrauch bei dem Sauerstoffdruck p, und k eine Konstante, die Kennzahl der Kurve. e ist die Basis der natürlichen Logarithmen, und der ganze Ausdruck stellt eine einfache Fxponentialfunktion dar, deren Zahlenwert von Null bis B steigt, wenn der Druck p von Null bis steigt. Wir wollen zunächst versuchen, ob sich: diese Annahme bewährt, ob sich in der Tat der Sauerstoffverbrauch als eine Exponential- funktion des Sauerstoffdrucks darstellen lässt. I. Die Prüfung der Formel y=B(l—e-k2). 1. Sipuneulus nudus. Die Zahlen sind einer Arbeit von Henze!) aus dem Jahre 1910 entnommen. In seiner Versuchsreihe 13 findet er bei normalem Sauerstoft- druck (160 mm Hg) einen Verbrauch von 3,9. Diesen Wert nehmen wir als willkürliche Einheit. Dann beträst der Verbrauch bei 52 mm Hg. 2,0, bei 240 mm 5,0 und bei 352 mm 5,3. Die Angaben Henze’s über den Sauerstoffgehalt, der durch willkürliche Zahlen ausgedrückt wird, sind auf Millimeter Quecksilber umgerechnet. An diese Beobachtungen kann man die Zahlen der Versuchs- reihen 14 und 34 anschliessen. In Nr. 34 findet sich zum Beispiel ein Versuch bei 54 mm Druck, in dem der Verbrauch 2,47 ist. Da 1) Martin Henze, Über der Einfluss des Sauerstoffdruckes auf den Gas- wechsel einiger Meerestiere. Biochem. Zeitschr. Bd. 26 S. 255—278. 1910. 32* 494 August Pütter: in der Reihe 13 einem Druck von 52 mm ein Verbrauch von 2,0 entspricht, müssen die Werte der Reihe 37 in diesem Verhältnis verkleinert werden. Auf diese Art erhält man eine ganze Reihe von Werten, die die folgende Tabelle 1 bringt. Tabelle 1. Sauerstofiverbrauch von Sipunculus nudus bei 20,5° C. und ver- schiedenem Sauerstoffdruck. Sauerstoffverbrauch beobachtet Sauerstoff- Sauerstoffdruck x verbrauch berechnet - inmm Hg — p in beliebigem in Prozenten des | in Prozenten des Maass Grenzwertes Grenzwertes Pr | 5 0,23 4,2 3,73 7 0,328 5,9 5,16 34 1,38 235,5 29,8 52 2,0 36,4 32,7 70 2,2 40,0 41,3 116 2,9 53,0 58,7 160 3,9 71,0 70,5 240 5,0 91,0 80,5 308 5,3 96,0 93,3 ® [55] [100,0] 100,0 Die Tabelle bedarf einer Erläuterung. Im zweiten Stabe steht an letzter Stelle ein eingeklammerter Wert, der nicht beobachtet ist. Das ist der Grenzwert, den der Sauerstoffverbrauch im höchsten Falle erreicht, der aber theoretisch erst bei unendlich hohem Sauerstoff- druck, d. h. also niemals wirklich erreicht wird. Es ist der Wert des Verbrauchs, dem sich der wirkliche Verbrauch asymptotisch nähert. Daraus, dass schon die Drucksteigerung von 240 mm auf 353 mm nur noch eine recht geringe Zunahme des Verbrauchs bewirkt, kann man schliessen, dass der Grenzwert nicht weit oberhalb des höchsten beobachteten Verbrauchs liegen kann. Der genaue Zahlen- wert dieses Grenzwertes lässt sich berechnen, wenn man in die. Gleichungen von der Form y= Bb (1-e-*'?) die verschiedenen beobachteten Werte für y und p emsetzt. Die Beobachtungen an Sip- uneulus lassen sich nun in sehr befriedigender Weise darstellen, wenn man den Grenzwert D — 9,9 ansetzt. Setzen wir diesen Wert gleich 100, so ergeben sich die Werte des Verbrauchs bei jedem Druck in Prozenten des Grenzwertes. Der dritte Stab der Tabelle 1 enthält diese Werte. Die zweite Zahl %, die aus der Formel zu bestimmen ist, kenn- zeichnet die Steilheit des Verlaufs der Kurve, die die Beziehung Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 495 zwischen Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck darstellt. Je grösser dieser Faktor %, desto steiler die Kurve. Für Sipuneulus hat die Zahl k den Wert k — 0,0076. Der letzte Stab der Tabelle 1 ist also be- rechnet nach der Gleichung: y = 100 (1 — e79.%%:»), Wie gut Be- obachtung und Rechnung übereinstimmen, zeigt der Vergleich des dritten und vierten Stabes der Tabelle 1. S 2. Limax. Die Zahlen sind einer Arbeit von Thunberg!') entnommen, in der er als erster im Jahre 1905 systematische Versuche über die Wirkung des Sauerstoffdrucks auf den Sauerstoffverbrauch bei Wirbel- losen angestellt hat. Thunberg setzt den Wert des Verbrauchs in Luft gleich 100 und gibt den Sauerstoffgehalt durch die gewählte Verdünnung der Luft an. Ich habe auf Sauerstoffdruck umgerechnet. Tabelle 2. Sauerstoffverbrauch von Limax in seiner Abhängigkeit vom Sauerstoffdruck. Sauerstoffverbrauch beobachtet Sauerstoff- Bauerstofkdrucke je re meer ORTE TEIENE verbrauch berechnet in mm Hg — p Wert in Luft in Prozenten des | in Prozenten des — 100 des Grenzwertes Grenzwertes 40 45,7 37,2 35,4 80 73,05 59,5 58,3 120 86,5 71,0 72,8 160 100,0 82,0 82,6 380 116,6 96,0 93,4 132 121,8 99,8 99,9 (0) [122,0] [100,0] 100,0 Die Stäbe der Tabelle 2 sind genau wie für Sipunculus an- geordnet. Der Grenzwert B ist mit 122, d. h. nur minimal höher als der höchste beobachtete Sauerstoffverbrauch, angesetzt. Die Zahl % ist für Limax % — 0,0109, so dass die Berechnung des letzten Stabes nach der Formel y —= 100 (1 — e 91%?) durchgeführt ist. 3. Suberites massa. Die Zahlen sind meiner?) Arbeit über den Stoffwechsel der Kieselschwämme entnommen. Die Tabelle 3 bedarf nach dem über 1) Torsten Thunberg, Der Gasaustausch niederer Tiere in seiner Ab- hängigkeit vom Sauerstoffpartiardruck. Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 17 Ss. 133—195. 1905. 2) A. Pütter, Der Stoffwechsel der Kieselschwämme. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 16 S. 65—114. 1914. 496 August Pütter: Tabelle 1 und 2 Gesagten keiner Erläuterung. Der Grenzwert 0,32 ist nur wenig höher als der höchste beobachtete Verbrauch von 0,51 mg. Setzt man 0,32 als Grenzwert gleich 100, so ist der Faktor % — 0,0114 und unterscheidet sich damit nur ganz wenig von dem Werte von %, den wir für Lim ax fanden. -Auch hier ist die Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Rechnung gut. Tabelle 3. Sauerstoffverbrauch von Suberites massa bei 10,1—10,9° C. in seiner Abhängigkeit vom Sauerstoffdruck. Sauerstoffverbrauch beobachtet Sauerstoff- Sauerstoffdruck 2 -| verbrauch berechnet in mm Hg — p | in Milligramm pro in Prozenten des | in Prozenten des Tier und Stunde | Grenzwertes Grenzwertes | 39,3 0,13 | 40,8 36,2 44,8 0,14 44,0 40,0 71,5 0,19 59,5 56,0 127,0 0,24 75,0 76,6 276,0 0,29 91,0 95,8 327,0 0,31 | 97,0 97,0 [6% [0,32] | [100,0] 100,0 | 4. Lumbrieus communis. Die Zahlen sind einer Arbeit von Konopacki!) entnommen, . und zwar sind sie aus der Figur entnommen, durch die das Ver- halten von Sauerstoffverbrauch und Kohlensäureproduktion bei ver- schiedenem Druck dargestellt wird. Tabelle 4. Sauerstoffverbrauch von Lumbricus communis in seiner. Abhängigkeit vom Sauerstoffdruck. ) ff Sauerstoff- Sauerstoffdruck |- Salem a beobachtet verbrauch berechnet in mm Hg = p in Kubikzenti- in Prozenten des | in Prozenten des i metern Grenzwertes Grenzwertes 19,2 0,375 al 32,0 36,0 0,600 50 52 76,5 1,050 37 78,6 153,0 1,100 92 95,4 [6 [1,200] [100] 100,0 Der Grenzwert ist nur 9°o höher als der höchste beobachtete Verbrauch. Die Zahl k ist k — 1) M. Konopacki, Über den Atmungsprozess bei Regenwürmern. Bulletin de ’Academie des Sciences de Cracovie p. 357—431. Mai 1907. 0,02. Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 497 3. Raupe von Tenebrio. Die Zahlen sind wieder der oben erwähnten Arbeit von Thunu- berg entnommen. Der Sauerstoffverbrauch bei 160 mm Sauerstoff- druck ist gleich 100 gesetzt und stellt gleichzeitig den Grenzwert des Verbrauchs dar, so dass in Tabelle 4 der Stab fortfällt, der in _ Tabelle 1-3 an dritter Stelle steht. Auch hier ist die Überein- stimmung zwischen Beobachtung und Rechnung recht befriedigend. Die Zahl % ist wesentlich höher als in den vorigen Beispielen, sie beträgt k — 0,07, d. h. die Kurve steigt bei niederen Drucken sehr steil an, so dass schon bei einem Druck von 30 mm, d.h. bei einem Druck, der nur halb so gross ist, wie der Sauerstoffdruck in der Luft, der Verbrauch nur noch wenige Prozente von dem Grenzwert entfernt ist. Tmeld Sauerstoffverbrauch der Raupe von Tenebrio in seiner Abhängigkeit vom Sauerstoffdruck. Sauerstoffdruck | auerstofiverbrauch | Syuerstoffverbrauch : H beobachtet ? h ın mm 485 — P | Wert in Luft = 100 berechnet 4 23,35 24,3 8 46,05 42,7 20 76,50 70,4 40. 82,60 93,8 80 93.15 992 160 | 100,00 | 99,9 6. Aplysia limacina. Die Zahlen sind der genannten Arbeit von Henze entnommen. Tabelle 6 ist ohne weiteres verständlich. Der Grenzwert 9,0 (in willkürlichem Maass) ist nur wenig höher als der Verbrauch von 8,6, der bei 361 mm Druck beobachtet wurde. Die Zahl % ist k — 0,00%. Tabelle 6, Sauerstofiverbrauch von Aplysia limacina bei 20° C. in seiner Ab- hängigkeit vom Sauerstoffdruck. Sauerstoffverbrauch beobachtet Sauerstofi- Sauerstoffdruck verbrauch berechnet in mm Hg — p | in willkürlichem | in Prozenten des | in Prozenten des Maass Grenzwertes Grenzwertes 498 August Pütter: - i. Eledone moschata. Anch diese Zahlen stammen aus der Arbeit von Henze. Als Grenzwert 7,7 (in willkürlichem Maass) ist der Verbrauch bei 390 mm Sauerstoffdruck gewählt. Die Zahl % ist k —= 0,008, also etwas kleiner als bei Aplysia. Tabelle 7. Sauerstoffverbrauch von Eledone moschata in seiner Abhängigkeit vom Sauerstofidruck. Sauerstoffverbrauch beobachtet Sauerstoffverbrauch Sauerstoffdruck - berechnet in inmm Hg —p | in willküılichem | in Prozenten des Prozenten Maass | Grenzwertes des Grenzwertes 55 2,85 | 38,0 35,7 157 5.40 | 7U8 712 245 5,50 In 82.0 86.0 390 7,50 100,0 95,5 II. Die Prüfung der Formel y=Bll—e kb-0), Wenn der Sauerstoff im Atmungsvorgange verbraucht wird, So ınuss auf alle Fälle, wie man sich den besonderen Mechanismus der physiologischen Verbrennung auch vorstellen mag, eine Verbindung des Sauerstoffs mit irgendwelchen Stoffen, die an der Atmung beteiligt sind, stattfinden. In dem ersten einfachen Ansatz, den wir zur Deutung der zahlenmässigen Beziehungen zwischen Sauerstoffdruck und Sauerstoffverbrauch wählten, lag stillschweigend die Voraus- setzung, dass sich diese Verbindung des Sauerstoffs mit dem Atmungsmaterial schon bei beliebig geringen Drucken bilden könne. Das ist ein Spezialfall. Im allgemeinen muss man annehmen, dass die Verbindung von Sauerstoff und Atmungsmaterial sich erst bei einem Sauerstoffdruck von bestimmter Höhe wird bilden können. Der Sauerstoffdruck, bei dem die Verbindung bestehen kann, ist be- erenzt durch die Dissoziationsspannung der Verbindung. In den bisher angeführten Beispielen war diese Spannung so niedrig, dass in den beobachteten Grössen des Verbrauchs bei verschiedenen Drucken ihr Einfluss nieht zu erkennen war. Es lässt sich leicht durch “eine kleine Erweiterung der Formel den Veränderungen Rechnung tragen, die eine merkliche Dissoziationsspannung der Verbindung des Sauerstoffs mit dem Atmungsmaterial im Verlauf der Kurve be- Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 499 wirken; man braucht nur anstatt des Sauerstoffdrucks p die Grösse (p — €) einzuführen, wo € die Dissoziationsspannung bedeutet, und erhält dann die Formel: no], deren Brauchbarkeit an zwei Beispielen erwiesen werden soll, die beide aus dem Zahlenmaterial der Arbeit von Henze entnommen sind. 1. Anemonia sulcata. Die Tabelle S gibt das Zahlenmaterial und seine Verarbeitung. Die Formel, die zur Berechnung des letzten Stabes diente, hat die Gestalt: y— 100 1 BR, N: Diese Formel sagt, dass erst oberhalb eines Sauerstoffdrucks von 15 mm Hg ein merklicher Sauerstoffverbrauch beginnt. Die Steilheit der Kurve wird durch die Zahl % = 0,007 gekennzeichnet. Der höchste wirklich beobachtete Wert des Sauerstoffverbrauchs beträgt schon 93,5 °/o des Grenzwertes. Tabelle 8. Sauerstoffiverbrauch von Anemonia sulcata bei 19° C. in Abhängigkeit vom Sauerstoffdruck. | Sauerstoffverbrauch beobachtet Sauerstoffverbrauch Sanexstoffdnuckuen pre tr an meer re au berechnet inmm Hg =p in willkürlichem | in Prozenten des in Prozenten Maass | Grenzwertes des Grenzwertes 37,9 1,55 14,7 14,6 81,0 4,50 3,0 37,0 160,0 6,70 64,0 63,9 282,0 9,20 88,0 84,5 440,0 EN 93,5 35,0 & [10,50] [100,0] 100,0 2. Actinia equina. Tabelle 9 enthält die Zahlen über diese Actinie. Die Werte sind berechnet nach der Formel: Y — 100 [i on e 90043 D-29], Ein merklicher Sauerstoffverbrauch beginnt also erst oberhalb eines Sauerstoffdrucks von 23 mm Hg, und die Steilheit der Kurve wird durch die, hier sehr kleine, Zahl % = 0,0043 gemessen. Der höchste beobachtete Sauerstoffverbrauch ist nicht ganz S0 °/o des Grenzwertes. 300 August Pütter: Tabelle 9. Sauerstoffverbrauch von Actinia equina in Abhängigkeit vom Sauer- stoffdruck. Sauerstoffverbrauch beobachtet Sauerstoff- Sauerstoffdruck | EEE werd ___| verbrauch berechnet inmm Hg —p | in willkürlichem | in Prozenten des | in Prozenten des Maass | Grenzwerten Grenzwertes 60 1,76 14,0 13,0 13 2,2 17,3 17,6 103 33 26,1 27,6 160 5,8 41,8 | 43,2 270 149 62,0 64,5 380 10,1 19,97 > 78,1 0) [12,7] [100,0] 100,0 VI. Das Verhalten der Wirbelticre. Nachdem durch eine ganze Anzahl von Beispielen aus. den ver- schiedensten Klassen der Wirbellosen der Nachweis erbracht ist, dass der Sauerstoffverbrauch eine Exponentialfunktion des Sauerstoffdruckesist, kann man an die Analyse der Beobachtungen, die über die Beziehungen von Sauerstoffverbrauch und -druck bei Wirbeltieren vorliegen, schon mit der Annahme herantreten, dass auch für sie dies Gesetz gilt. Wenn Henze!) behauptet: „Die Fische sind in ihrem Sauer- stoffkonsum völlig unabhängig vom äusseren Sauerstoffdruck“, so wider- legt er auf derselben Seite seiner Arbeit diese Behauptung durch Zahlen, denn die beiden Fische, die er untersucht, haben bei einem Sauerstoff- druck von etwa 76 mm einen Verbrauch, der nur etwa zwei Drittel bis drei Viertel des Verbrauchs bei 150—160 mm beträgt. Bei dem Druck von 76 mm ist vermerkt, dass die Tiere beginnende Dyspnöe zeigen, d. h. Vermehrung der Atembewegungen. wodurch der Sauerstoffverbrauch etwas höher erscheinen muss, als wenn unter beiden Bedingungen die gleiche Zahl von Atembewegungen mit gleich starker Leistung der Atemmuskeln vollbracht würde. Wenn andererseits bei erhöhtem Sauerstoffdruck trotz eintretender Apnöe, d. h. trotz verminderter Leistung der Atemmuskulatur, der Sauer- stoffverbrauch merklich der gleiche ist, wie bei normalem Druck, so würde das bedeuten, dass bei Ausschaltung dieses Momentes, das die 1) A. a. 0. 8. %7. Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 501 Gleichheit der Bedingungen beeinträchtigt, eine kleine Steigerung des Verbrauchs beobachtet werden würde. Wir wollen uns aber für die zahlenmässige Behandlung damit begnügen, darauf hingewiesen zu haben, dass die „Konstanz“ des Sauerstoffverbrauches bei ganz streng vergleichbaren Versuchsbedingungen noch nicht einmal so ausgesprochen sein würde wie in:-Henze’s Versuchen, und seine Zahlen unter den Gesichtspunkten analysieren, die in den vorigen Abschnitten entwickelt sind. 1. Coris. Für diesen Knochenfisch können wir die folgenden Zahlen der beiden ersten Stäbe der Tabelle 10 nach Henze angeben. Tabelle 10. "2 Sauerstoffverbrauch beobachtet Sauerstofi- Sauerstoffdruck — __________ | verbrauch berechnet in mm Hg — p in willküriichem | in Prozenten des | in Prozenten des Maass | Grenzwertes Grenzwertes ’ 77 4,75 74 74,0 147 6,4 100 ö 99,4 300 6,4 100 100,0 © [6,4] [100] 100,0 Es berechnet sich ohne weiteres der dritte Stab unter der not- wendigen Annahme, dass der Verbrauch, der bei Steigerung des Druckes von 147 auf 300 mm nicht mehr merklich zunimmt, auch im Grenz- werte — 100 ist. Der letzte Stab ist berechnet nach der Formel: = 100 1 — e0.05 Bar d. h. erst oberhalb 50 mm Druck fängt ein Sauerstoffverbrauch von merklicher Grösse an, und die Kennzahl der Kurve ist k = 0,05. 2. Sargus annularis. Für diesen Knochenfisch ergibt sich die folgende Tabelle 11. Tabelle 11. Sanerstofvert h beobachtet Sauerstoff- Sauerstoffdruck a rer a en Rt a N verbrauch berechnet inmm Hg — p in willkürlichem | in Prozenten des | in Prozenten des s Maass Grenzwertes Grenzwertes 76 4,3 | 65 64,5 160 6,99 100 98,8 318 6,55 100 100,0 © [6,55] | [100] 100,0 502 August Pütter: Der Grenzwert 6,55 bzw. 100 ist praktisch schon bei dem normalen Druck von 160 mm erreicht. Die Berechnung des letzten Stabes erfolgt nach der Formel: y— 100 1 —_ e— 0,04 50], d. h. auch hier wird der Sauerstoffverbrauch erst oberhalb eines Sauer- stoffdruckes von 50 mm merklich, und die Kennzahl der Kurve ist k = 0,04. 3. Der Einfluss des Sauerstoffdruckes auf die Hautatmung des Frosches. Die Zahlen über die Intensität der Hautatmung des Frosches sind meiner!) Arbeit über Temperaturkoeffizienten entnommen. Bei niederen Temperaturen (bis etwa 11° C.) ist ein Einfluss der Steigerung des Sauerstoffdruckes nicht erkennbar, den Einfluss der Herabsetzung habe ich damals nicht untersucht. Bei etwas höheren Temperaturen (13—18° C.) ist schon bei ge- ringer Erniedrigung des Druckes auf etwa 120 mm ein Absinken des Verbrauches zu bemerken. Genügende Zahlen kann ich für 21° C. angeben, sie sind in der folgenden Tabelle 12 zusammengestellt. Es ist dabei angenommen, dass der höchste Verbrauch nur 4°/o höher sein würde als der, ger bei 235 mm Druck beobachtet wurde. Der letzte Stab ist berechnet nach der Formel: y— 100 Henna 9]: Also auch hier würde erst oberhalb 50 mm Druck der Verbrauch merklich werden, und die Kennzahl hat den Wert k = 0,0135. Tabelle 12. Sauerstofiverbrauch bei der Hautatmung des Frosches bei 21° C. Sauerstoffverbrauch beobachtet Sauerstofi- Sauerstoffdruck verbrauch berechnet inmm Hg = p |in Milligramm pro | in Prozenten des | in Prozenten des = Quadratm./Stunde Grenzwertes Grenzwertes 97 135 43,5 43,7 119 170 | 59 60,7 155 242 | 78 75,1 235 298 \ | 96 92,1 [100] 100,0 02 [310] 1) A. Pütter, Temperaturkoeffizienten. S. 974—627. 1914. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 16 Sauerstofiverbrauch und Sauerstofldruck. 503 4. Sauerstoffaufnahme in der Kaninchenlunge bei verschiedenem Sauerstoffdruck. Durch einen Kunstgriff kann man auch bei Säugetieren die Ab- hängigkeit des Sauerstoffverbrauches bzw. der Sauerstoffaufnahme vom Sauerstoffdruck zeigen. Bohr) liess Kaninchen durch die rechte und linke Lunge verschiedene Sauerstoffgemische atmen und fand, dass unter diesen Bedingungen die Aufnahme in der einzelnen Lunge stark vom Sauerstoffdruck abhängt. Sank der Sauerstoffgehalt der Atmungs- luft unter 2°, so fand eine Ausscheidung von Sauerstoff in der Lunge statt, wahrscheinlich durch Diffusion aus dem sauerstoffreichen Blut. Bei 2,3 °/ Sauerstoff (21,5 mm Druck) ist die Sauerstoffaufnahme noch sehr geringe, erst bei 29 mm Druck wird der Verbrauch be- merkenswert. Tabelle 13 enthält die Zahlen. Tabelle 13. Sauerstoff- Sauerstoffverbrauch b ht Sauerstoffdruck I _- EHEN 2 = Er nackter verbrauch berechnet in mm Hg — p in in Prozenten des | in Prozenten des Kubikzentimetern (Grenzwertes Grenzwertes 21,5 4 | 2,2 0,76 29,0 11 | 6,0 4,44 160,0 88 | 45,4 FASO 459,0 171 94,0 88,5 700.0 183 | 100,0 96,7 © [183] [100,0] 100,0 Die Berechnung des letzten Stabes ist nach der Forme! durchgeführt: Me 100 1 — eg 0,005 ZT: d. h. also ein merklicher Sauerstoffverbrauch findet erst bei Sauer- stoffdrucken von mehr als 20 mm statt, urd die Kennzahl der Kurve ist ik —= 0,005. Als Grenzwert ist der Verbrauch bei 700 mm Druck angenommen. V. Ungenügend untersuchte Fälle. Der bezeichnendste Teil der Kurve, die die Beziehungen des Sauerstoffdruckes zun -verbrauch darstellt, ist der bei niederen Drucken. Je mehr wir uns dem Grenzwert des Verbrauchs nähern, um so geringer werden die Unterschiede im Verbrauch bei selbst bedeutenden Druckänderungen. Bei Tieren, die schon bei 160 mm Druck, d. h. in normaler Luft, nahezu den Grenzwert des Verbrauchs I) Christian Bohr in Nagei’s Handb. Bd. 1 S. 207, 1. Hälfte. 1905. 504 August Pütter: erreichen, haben nur die Zahlen für herabgesetzten Druck besonderes Interesse. Je grösser das Stück der Kurve ist, das durch Beobachtungen festgelegt ist, je zahlreicher die Punkte zwischen tiefstem und höchstem beobachtetenVerbrauch sind, um so sicherer ist die Entscheidung darüber, ob der Verlauf in der Tat einer Exponentialkurve von der angegebenen Art entspricht. In dieser Hinsieht sind die verschiedenen Beispiele, die bisher angeführt wurden, recht verschiedenwertig. In der folgenden Tabelle 14 sind sie nach ihrem ungefähren Werte geordnet. Die ersten Fälle der Reihe genügen recht hohen methodischen Anforderungen und lassen keinen Zweifel über die Natur der Kurve. Bis zu dem Fall der Froschhaut einschliesslich können wir die Fälle noch als hinreichend untersucht betrachten, dagegen «ehören Sargus und Coris zu den ungenügend untersuchten Fällen. Es wurde ja auch schon oben darauf hingewiesen, dass aus den Beobachtungen die Art der Kurve in diesen Fällen nicht ableitbar gewesen wäre. Wohl aber kann man zeigen, dass die Beobachtungen sich der Auffassung von der Beziehung zwischen Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck, die hier entwickelt ist, zwang- los einordnen. Man muss ja bei jeder theoretischen Ableitung unter- scheiden zwischen Fällen, die die Richtigkeit der Ableitung beweisen sollen, und Fällen, die mit Hilfe der anderweitig bewiesenen Auffassung erklärt werden sollen. Tabelle 14. Niedrigster Zahl Höchster beobachteter der beobachteter Verbrauch x Verbrauch in Prozenten Zwischen- in Prozenten des Grenzwertes punkte des Grenzwertes Sipuneulus, ee 4,20 7 96,00 Anemonlane ln. wen. ee 14,70 3 93,50 ACtnla 14,00 4 79,50 Kaninchen „u... 0 2,20 3 100,00 Tenebnio 2.9. Noch 23:25 3 93,15 Lumbrieuser.. a... 31,00 2 92,00 Aplysia, et... at: 33,20 2 95,00 SLIM EN N 37,20 4 99,80 Bledone a. 1... 0.2. 38,00 2 100,00 Suberitess.e ne. 40,80 4 97,00 Eroschhaut 2. 20 na ® 43,50 2 96,00 SArqUS.. er 66,00 0 100,00 GOISERN 74,00 0 100,00 Zu dieser letzten Gruppe gehören nun noch einige weitere Fälle, die Henze aufführt, um die Unabhängigkeit des Sauerstoffverbrauchs vom Sauerstoffdruck zu zeigen. Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 905 ' 1. Careinus moenas. Die Versuche zeigen, dass sowohl eine Steigerung des Druckes von 160 mm auf 375 mm wie eine Herabsetzung auf 87 mm nur einen geringen Einfluss auf den Verbrauch ausüben. Wir können die folgende Tabelle 15 aufstellen. Tabelle 15. Z Sauerstoff- Sauerstoffdruck Sayereloh erbrandl beohaehet verbrauch berechnet inmm Hg —=p in willkürlichem | in Prozenten des | in Prozenten des Maass Grenzwertes Grenzwertes 87 3,00 | 37,5 88,8 160 3,20 93,3 98,1 315 3.43 ; 100.0 100,0 | Danach würde bei 375 mm der Grenzwert praktisch erreicht sein, und die Kennzahl der Kurve wäre 0,025. Will man diesen Fall hin- reichend untersuchen, so muss man mit viel geringeren Drucken arbeiten. Nach der Formel, mit der sich die Beobachtungen darstellen lassen: y— 100 (l—e 005») ist erst bei 23 mm Druck eine Herabsetzung des Verbrauchs auf die Hälfte des Grenzwertes zu erwarten. Ein Verbrauch von ein Drittel des Grenzwertes würde bei 16,3 mm Druck zu erwarten sein. 2. Eier von Strongylocentrodus. Aus Henze’s Angaben kann man etwa die folgenden Zahlen als wahrscheinlich ableiten, die Tabelle 16 gibt. Tabelle 16. S toffverbrauch htet Sauerstoff- Sauerstoffdruck ALSO orange ‚beobacige verbrauch berechnet inmm Hg = p in willkürlichem | in Prozenten des | in Prozenten des Maass Grenzwertes Grenzwertes 87 40° 85,5 82,6 205 4,5 96,0 98,3 292 4,7 100,0 100,0 Die Berechnung des letzten Stabes geschah nach der Formel y—= 100 (1—e-%%r). Danach wäre ein Verbrauch von 50°/o des ‘ Grenzwertes bei 35 mm zu erwarten, ein soleher von 33 °/o bei 20 mm Druck. 506 August Pütter: 3 Pelagia noctiluca und Carmarina hastata. Durch die Versuche an den Quallen Pelagia und Carmarina sucht Henze zu zeigen, dass Meerestiere mit sehr zarten Geweben keine Steigerung des Sauerstoffverbrauchs bei Steigerung des Sauerstoff- druckes zeigen. Sein Beweis muss als völlig verfehlt bezeichnet werden. Wenn man der von Henze selbst betonten Tatsache Rechnung trägt, dass in einer Reihe aufeinanderfolgender Versuche der Verbrauch der Tiere rasch sinkt, d. h. wenn man sich den Mittelwert für eine Versuehsstunde bei hohem Sauerstoffdruck bildet, die von zwei Ver- suchen bei normalem Druck eingeschlossen ist, so erkennt man deutlich, dass der Verbrauch bei erhöhtem Druck grösser ist, als der gleichen Stunde bei normalem Druck entsprechen würde. Da diese Berechnung natürlich recht ungenau ist, verzichte ich auf eine Angabe der Zahlen und möchte nur feststellen, dass sich die Verhältnisse sehr gut so deuten lassen, dass bei Carmarina der Verbrauch der Formel folgt: y — 100.(1 —e >12), wobei als Grenzwert des Verbrauchs der beobachtete Verbrauch bei 346 mm zu setzen ist, und dass sich für Pelagia die Formel ergibt: y= 100 (1—e9:8P), wobei als Grenzwert der Verbrauch bei 285 mm gesetzt ist. Danach müsste ein Verbrauch von 50°/o des Grenzwertes bei 88 mm Druck stattfinden, was gut dazu stimmt, dass der eine Versuch mit herab- gesetztem Druck, den Henze mitteilt, bei 98 mm Druck einen Verbrauch von 52 °/o ergibt. VI. Genauere Analyse der Formel. Wir haben als allgemeinsten Ausdruck für die Abhängigkeit des Sauerstoffverbrauchs vom Sauerstoffdruck die Gleichung gefunden: yY—-B[fl er:%79]. Zur Übersicht mag die Fig. 1 dienen, die den Verlauf der Kurven für eine Reihe von Tieren zeigt. Dermathematische Ausdruck enthält die Beschreibung desV organges des Sauerstoffverbrauchs bei verschiedenem Druck vollständiger und kürzer, als Worte es tun könnten. Es sind ziemlich weitgehende Auseinandersetzungen notwendig, um alles das klarzumachen, was aus der Formel zu entnehmen ist. Zunächst ist zu ersehen, dass der höchste Sauerstoffverbrauch, dessen die Zellen unter bestimmten gegebenen Bedingungen fähig sind, Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 507 theoretisch erst bei unendlich hohem Sauerstoffdruck erreicht wird, denn erst für p = x wird eT''*—=( und damit y= B, d.h. der wirkliche Sauerstoffverbrauch gleich dem möglichen Grenzwerte des Verbrauchs. Für praktische Zwecke aber werden wir fragen, bei Ki UNE EIGENEN Balz al ze FHHHESEEEESH Ze der HE OEL e za NenEsas® Seenanee: Erefeletailtze kt EIEIBIEREEF ans ERERIRGE NE BL ENN a IOKENANERT re Pe EN ERS EERTERENERN EIENERERINNNS ERERSERRNKUN, IH SSEN er EN Atm : Sauerstoffdruck in der Luft. n ) e X Abhängigkeit des Sauerstofiverbrauches (y) vom Sauerstoffdruck (9) und der Dissoziations- - spannung (ec) für einige Tiere. Der Verlauf der Kurven entspricht der Gleichung y = 100 [1 — e "4 =] Fig. 1. Gr re 7] welchem Druck der Verbrauch mehr als 90°, mehr als 95% oder 99°/o des Grenzwertes beträgt, denn da die Genauigkeit physiolo- gischer Grössenbestimmungen nur selten Fehler von 1/o ausschliesst, da man meist sogar mit unvermeidlichen Fehlern von einigen Prozenten rechnen muss, so ist praktisch der Grenzwert erreicht, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 33 Pi 508 August Pütter: wenn die Kurve sich auf einige Prozente dem theoretischen Grenz- wert genähert hat. Es lässt sich aus der Formel sehr leicht be- rechnen, bei welehem Druck ein bestimmter Verbrauch in Prozenten des Grenzwertes erreicht ist. Um aber die Handhabung der Formel für diesen Zweck noch bequemer zu machen, kann man den Begriff des „Halbwertdruckes“ einführen, d. h. des Druckes, bei dem der Verbrauch 50/0 des Grenzwertes beträet. Für diesen Fall gilt die einfache Beziehung % (p — €) = 0,7 oder oo eh Hat man diesen Druck berechnet, der für die untersuchten Fälle aus dem Stabe 4 der Tabelle 17 zu entnehmen ist, so gibt eine einfache Überlegung leicht eine Reihe weiterer Punkte der Kurve. : Nennen wir den Druck, oberhalb dessen ein merklicher Ver- brauch beginnt, den physiologischen Nullpunkt des Druckes (er fällt ja in vielen Fällen mit dem physikalischen Nullpunkt praktisch zu- sammen), so steigt für jeden Halbwertdruck der Verbrauch um die Hälfte des Betrages, der noch zum Grenzwert fehlt. Also vom physiologischen Nullpunkt bis zum Halbwertdruck um _ — 50, vom are 100 — 50 Halbwertdruck biszum doppeltenHalbwertdruck um Si — 29 USW. Es werden also erreicht bei lfachem Halbwertdruck 50,00 %/’o des Gesamtwertes HS, 5 75,00% „ 2 es 5 817,90°/0. „ a ed 5 93,19%0 , n nn » 6,87% „ D) 0 2 98,44% „ „ N 2 99,22% „ 5 NOS h 99,61 lo „ e In Tabelle 17 ist im letzten Stabe angegeben, bei welchem Druck 99,22°/o des Grenzwertes erreicht werden. Bezeichnend für die Steilheit des Verlaufs der Kurve ist die Kennzahl %, deren Zahlenwerte für die betrachteten Beispiele im zweiten Stabe der Tabelle 17 nochmals zusammengestellt sind. Sn Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 509 Tabelle 17. \ Halbwert-. N Disso- druck, d.b. | Druck, bei Kennzahl ziations- | Druck, beid.| _dem der der spannung c |der Verbrauch Verbrauch Ä i 50% des | 9922°%/o des Kun nr zn Grenzwertes Grenzwertes mm Hg | ist, nmmHe erreicht Actinia equina. .... 0,0043 28 191,0 1168 Kaninchen 0: 0,0050 20 160,0 1000 Anemonia sulcata . . . 0.0070 15 115,0 715 Sipuneulus nudus . .. 0.0076 0 92,0 642 Pelagia noctiluca. . . . 0,0080 0) 87,0 610 Eledone moschata . . . 0,0080 0 87,0 610 IADIVSTAR ER EL este 0,0095 0 74,0 520 Carmarina hastata . . . 0,0100 0 70,0 490 Ian 0,0109 0 64,5 453 Suberitest... an. Er 0,0114 0) 61,8 43 IBiEoSschhapt me 0,0135 50 102,0 414 Strongylocentrodus . . . 0,0200 ) 35,0 245 Bumbricuser er. wa 0,0200 0 35,0 245, Careinus moenas. .. . 0,0250 0 28,0 196 SATEUSE N EIER Unen. 0,0400 50 67,5 173 COLISHeR ar DES Warn. 0,0500 50 64,0 148 Tenebrior 2.8 2er wa 0,0700 0 10,0 70 Mathematisch erscheint % als eine Konstante, die aber nur dann konstant ist, wenn alle anderen Bedingungen mit alleiniger Aus- nahme des Sauerstoffdrucks konstant sind. Tabelle 18. Werte der Funktion y= 100 (1—e*'?, p | k—=0,005 | k=0,01 k— 0,02 | k— 0,04 | k=0,1 0 0,0 0,0 0,0 0,0 0.0 20 9,5 18,1 32,9 55,3 86,5 40 18,1 32,9 55,3 80,0 98,2 60 25,9 45.1 70,0 91,1 99,8 s0 32,9 55,3 80,0 96,0 100 39,5 63,2 86,5 98,2 120 45,1 70,0 91,1 99,2 140 50,5 75,3 94,0 160 55,3 80,0 96,0 180 59,3 83,4 97,3 200 63,2 86,5 98,2 250 71,7 91,7 99,3 300 77,6 95,0 : 350 82,6 97,0 400 86,5 98,2 450 89,5 99,0 550 93,7 650 96,2 750 97,6 : 900 99,0 : ; e 1000 1 1000 | 109,0 100,0 | 100,0 510 August Pütter: Fs ist für das Verständnis der Bedeutung der Formel nötig, die Grösse % und ihre Abhängiskeit von verschiedenen Bedingungen näher zu betrachten. Den Einfluss, den verschiedene Werte von % auf. den Verlauf der Kurve haben, erläutert am besten die Tabelle 18, die die Werte der Funktion y = 100 (1 — e7*'?) für verschiedene Werte von % enthält. r Je kleiner %& ist, desto langsamer steigt die Kurve an, bei desto höheren Drucken überschreitet sie den Wert von 99°/o des Grenz- wertes. Hat % den Wert 0,1, so beträgt schon bei 40 mm Druck der Verbrauch 98,2°%/o des Grenzwertes; hat % den Wert 0,005, so wird erst bei 900 mm der Verbrauch gleich 99°/o des Grenzwertes. Je grösser k ist, desto enger istder Bezirk, inner- halb dessen die Abhängigkeit des Verbrauchs vom Druck in einem Umfange zum Ausdruck kommt, der die experimentelle Feststellung ermöglicht. Die Kennzahl % drückt ja die Geschwindigkeit aus, mit der die ersten Spuren Sauerstoff in den Umsatz der lebendigen Substanz gerissen werden. Diese Grenzgeschwindiekeit ist abhängig von der chemischen Beschaffenheit und von der Konzentration des Atmungsmaterials der Zellen bzw. des Anteils des Atmungsmaterials, der die erste Verbindung mit dem Sauerstoff eingeht. Man darf nicht den Schluss ziehen, dass das Atmungsmaterial gleich sei, wenn der Wert von % für zwei Tiere derselbe ist, und darf ebensowenig aus der Ungleichheit von X auf chemische Ungleich- heit des Atmungsmaterials schliessen. Ist das Atmungsmaterial zweier Tiere gleich, so kann % doch verschieden sein, : 1. weil die Konzentration, in der das Atmungsmaterial zur Wirkung kommt, verschieden sein kann, und 2. weil infolge verschiedener Temperatur oder anderer Neben- bedingungen die Reaktionsgeschwindickeit bei gleichem Material und gleicher Konzentration verschieden sein kann. Wir wollen zunächst die Abhängigkeit der Kennzahl %k von der Temperatur betrachten. Wir wissen, dass die Temperatur die Reaktionsgeschwindigkeit erhöht, dass sie den Sauer- stoffverbrauch erhöht, und zwar in der bekannten Weise, dass die Reaktionsgeschwindigkeit eine Exponentialfunktion der Temperatur Sauerstoffverbrauch und Sauerstoftdruck. 511 ist. Für den Frosch wissen wir, dass eine Temperaturerhöhung um 10° C. den Umsatz auf das 2,5fache steigert!). Es müssten also in zwei Formeln, die das Verhalten des Sauerstoffverbrauchs in seiner Abhängigkeit vom Druck bei zwei Temperaturen darstellen, die um 10° C. verschieden sind, die Werte für 5 sich verhalten wie 1: 2,5. Bei der Art der Schreibung der Formel, wie sie für Vergleichs- zwecke bequem ist, soll B immer den Wert 100 haben, und dann kommen alle Einflüsse, die sich an 5 geltend machen, nur in Ver- änderungen von % zum Ausdruck, und zwar in der Weise, dass einem Anwachsen von D eine Abnahme von % entspricht, und umgekehrt.. Wenn also durch eine Temperaturerhöhung von 10° C. der Wert von B auf Jas 2,5fache steigen würde, so muss der Wert von %& im Verhältnis 1: 2,5 abnehmen. Wir hatten für die Froschhaut den Wert %k bei 21°C. zu 0,0135 gefunden. Wenn Q, = 2.5 ist, müsste er dementsprechend bei 13° C. = 0,0255 und bei 10,5° C. = 0,0340 sein. Das ist nun tatsächlich der Fall. Bei 13° C. beträgt der Grenzwert des Verbrauchs 132 mg Sauerstoff pro Quadratmeter Froschhaut und Stunde, bei 144 mm Druck werden 130 mg verbraucht, bei 119 mm 106 mg, d.h. der Verbrauch beträgt in Prozenten des Grenzwertes: Mit k = 0,0255 7 Beobachtet 2 y berechnet Beisbl9’mm Drucken ae 80,5 82,6 Ra © Da EEE er > 98,7 91,0 LEO" NEBEN ET LA NR 4 100,0 94,0 Bei 10,5° C. soll k = 0,0540 sein. Der Verbrauch in Prozenten des Grenzwertes ist: Mit k = 0,0340 | Beobachtet berechnet Ber blAyam Druck 2. ar 87 88,5 »"2.1905 2, IE REN NER 100 97,0 Die Beobachtung, dass bei 10,5° C. bei 114 mm Druck schon 87°%/o des Grenzwertes erreicht sind, bei 13° C. bei 119 mm erst 1) Siehe Pütter, Temperaturkoeffizienten. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 16 S. 574—627. 1914. | 512 August Pütter: 80,5 %/o, findet ihre zahlenmässige Erklärung darin, dass die Kenn- zahl der Kurve mit steigender Temperatur fällt, und zwar für 10°C. im Verhältnis von 1: 2,5. Wir können also die Abhängigkeit der Hautatmung des Frosches vom Sauerstoffdruck bei verschiedenen Temperaturen so darstellen, dass wir sagen: der Wert % ist bei 0° C. = 0,091 und sinkt mit steigender Temperatur für je 10° C. im Verhältnis 1:2,5, d. h. er beträgt bei 0°C. 2... k= 0,0910 50 @&r... kb 0,05% 10°C 3.°....,%6 2.0036 1520 .,. 50.028 20°0. .7. . k= 0,0146 , 25.0. 2.3... 2.02 20.0092: 3— verbrauch. 0» > Nruck, Fig. 2. Abhängigkeit des Sauerstoffverbrauches der Froschhaut vom Sauerstoff- druck bei verschiedenen Temperaturen. Die gestrichelte Linie gibt die Grenze an, an der praktisch bereits der Grenzwert des Verbrauches erreicht ist. Der Wert e sei zunächst als unabhängig von der Temperatur angenommen. Er hat den Wert 50 mm Hg. Die Fig. 2 zeigt den Verlauf der Kurven bei verschiedenen Temperaturen. Bei niederen Temperaturen sehr steiler Anstieg, geringer Umfang des Bereichs merklicher Beeinflussung des Verbrauchs durch den Druck, bei höheren Temperaturen immer langsamerer Anstieg der Kurve, immer grössere Ausdehnung des Bereichs merklicher Abhängigkeit des Verbrauchs vom Druck. Die Steigerung der Temperatur ist eine äussere Bedingung, die die Grösse des höchsten möglichen Umsatzes steigert. Einen ganz Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 513 entsprechenden Einfluss können aber auch andere äussere und innere Bedingungen haben. Die Grösse des Grenzwertes des Sauerstoffver- brauchs hängt in hohem Maasse von der Ernährung ab. Bei gutem Ernähruneszustande bzw. reichlicher Nahrungszufuhr ist der Grenzwert des Verbrauchs höher als imsHunger. Wir wissen aus einer Reihe von Erfahrungen, dass der Umsatz im Hunger als "eine Exponentialfunktion der Zeit abnimmt. Unsere Formel lehrt, dass in demselben Maasse der Wert der Kennzahl /; wachsen muss, d. h. dass bei gut enährten Tieren die Kurve flacher verlaufen muss als bei hungernden Tieren, dass der Bereich des Druckes, in dem der Verbrauch in merklicher Weise mit dem Druck variiert, immer enger werden muss, je länger das Tier hungert, je niedriger sein maximaler Verbrauch wird. Die Vergleichbarkeit der Resultate der Versuche ist um so besser, je mehr sich die Tiere dem’ Zustande des Grundumsatzes, d. h. der völligen Muskelruhe nähern, denn wenn Bewegungen stattfinden, ist es schwer, sie in verschiedenen Versuchen gleich stark zu machen. Welchen Einfluss die Steigerung des Umsatzes, den Muskelbewegungen zur Folge haben, auf die Abhängigkeit des Sauerstoffverbrauchs vom Druck haben, ist wieder aus der Formel vorherzusagen. Jede Steige- rung des Umsatzes, mag sie durch Muskelbewegungen oder Drüsen- tätigkeit usw. hervorgerufen sein, muss, da sie den Grenzwert des Umsatzes erhöht, in unserer Formel die Kennzahl % verkleinern, d. h. bei gesteigertem Umsatz muss die Kurve flacher verlaufen, der Bereich des Druckes, innerhalb dessen der Verbrauch merklich vom Druck abhängt, muss grösser werden. Würden wir zum Beispiel nicht am ruhenden, sondern am arbeitenden Menschen oder Säuge- tier die Abhängigkeit des Sauerstoffverbrauchs vom Druck prüfen, so würden wir einen Zustand herstellen können, in dem auch der Verbrauch des Säugetiers bei einer Steigerung des Sauerstoffdruckes über 160 mm hinaus noch zunähme, in dem also die scheinbare Unabhängigkeit des Verbrauchs vom Druck aufgehoben wäre. Die zweite Grösse in der Formel, die bei verschiedenen Ver- suchsbedingungen variieren kann, ist die Zahl c, der Wert des Druckes, unterhalb dessen kein Sauerstoff mehr aufgenommen wird, die Zahl, die die Lage des physiologischen Nullpunktes bestimmt. Da wir c als die Dissoziationsspannung der Verbindung Sauer- stoff / Atmungsmaterial auffassen, so hängt ihr Wert einmal von der 514 August Pütter: chemischen Natur des Atmungsmaterials ab. Aber auch bei gleichem Atmungsmaterial kann ce verschiedene Werte annehmen. In erster Linie ist daran zu denken, ob auch c eine Funktion der Temperatur sei, und zwar ist es sehr wahrscheinlich, dass die Dissoziationsspannung einer gegebenen Verbindung mit steigender Temperatur höher wird. Da die Kurve, nach der die Spannung zunimmt, nicht bekannt ist, kann man nichts einzelnes über diesen Einfluss der Temperatur sagen. Sehr gross scheint er bei den niederen Temperaturen, die biologisch in Betracht kommen, nicht zu sein, sonst hätte er sich in dem Beispiel des Frosches wohl geltend machen müssen; doch würde eine genauere Untersuchung, die zahlreichere Punkte der einzelnen Kurven ermittelte, den Ein- fluss der Temperatur auf ce vielleicht erkennen lassen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird die Dissozrationsspannung c beeinflusst durch die Gegenwart anderer Stoffe. Als solehe kommen in erster Linie in Betracht: die H- und OH-Ionen, die Neutralsalze bzw. deren Ionen und endlich die Kohlensäure. Wir wissen ja, dass zum Beispiel die Kurve, die die Sauerstoffverbindung des Hämo- globins darstellt, durch die Gegenwart von CO, wesentlich beeinflusst wird, und dürfen wohl allgemein annehmen, dass eine Kohlensäure- anhäufung die Dissoziationsspannung verschieben wird. Als besonders interessant erscheint der Fall, dass sich Stoff- wechselprodukte anhäufen, die einerseits die Dissoziationsspannung erhöhen, andererseits aber selbst oxydierbar sind... Denken wir, um ein Beispiel zu nennen, etwa an Milchsäure oder an Alkohol. Es würde dann einerseits die Dissoziationsspannung erhöht, andererseits der Wert von % erniedrigt werden, da ja einem höheren Grenzwert des Umsatzes (BD in unserer Formel) ein kleinerer Wert von % entsprechen würde. Denken wir zum Beispiel einen Fall, der ohne Anhäufung von Stoffwechselprodukten der Formel folgt: y = 100 [1 —e=1P=D], und denken wir, dass durch Anhäufung von Stoffwechselprodukten ce won 1 auf 30 stiege, während % von 0,01 auf 0,0050 abnähme, dann würde die zweite Kurve viel flacher verlaufen und erst bei viel höherem Druck den gleichen Wert in Prozenten des Grenzwertes erreichen. Welches eigenartige Resultat sich hieraus ergibt, erkennt man besser, wenn man in diesem Falle die Werte des Verbrauchs in willkürlichem Maass und nicht in Prozenten des Grenzwertes setzt, d. h. wenn man für 5 die relativen Werte einsetzt, die den höchsten Verbrauch bei Anwesenheit und Abwesenheit von Stofl- S Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 515 wechselprodukten messen. Wir hätten dann in dem angenommenen Falle die beiden Gleichungen: Ne ED I ee) und ANNETTE Nee) Den Verlauf dieser Kurven gibt Fig. 3. Es würde dann also bei niederen Drucken der Sauerstoffverbrauch bei Anhäufung oxydationsfähiger Stoffwechselprodukte stark herabgesetzt, bei hohen Drucken bedeutend erhöht sein, und dazwischen würde ein Druck liegen — dem Schnittpunkt der Kurven entsprechend —, Bee Re Bu BEE ee. ee BE BIRRENEZ 7) 30 709 10 200 Fig. 3. Abhängigkeit des Sauerstofiverbrauches vom Druck. «a bei Abwesenheit von Stoffwechselprodukten, 5 bei Anhäufung von Stoffwechselprodukten, die die Dissoziationsspannung erhöhen und selbst oxydierbar sind. bei dem der Sauerstoffverbrauch bei Anhäufung von Stoffwechsel- produkten genau so gross wäre wie ohne die Anhäufunge. Dies seltsame Verhalten, das aus der Formel zu fordern ist, kommt in der Tat vor. Ich habe es, ohne seine Bedeutung damals verstehen zu können, bei dem Kieselschwamm Suberites massa gefunden. Die Versuche der Serien VII und VIII!), und zwar die kurz- dauernden (9—11 Stunden) bei normalem und herabgesetztem Druck und die langdauernden (23—24 Stunden) bei erhöhtem Druck, er- 1) Siehe Pütter, Der Stoffwechsel der Kieselschwämme. Zeitschr. t. allg.‘ i Physiol. Bd. 19 5. 83—89. 1914. » 516 August Pütter: geben folgende Resultate: Der höchste beobachtete Sauerstoffverbrauch bei hohem Druck und Anhäufung von Stoffwechselprodukten ist etwa 3,25 mal so hoch wie der Verbrauch der Schwämme bei normalem Sauerstoffdruck und ohne Anhäufunge von Stoffwechselprodukten. Setzen wir diesen letzten Wert gleich 83,8, d. h. so hoch, wie der Verbrauch unter normalem Sauerstoffdruck in Prozenten des normalen Grenzwertes ist (siehe oben, der Wert ist zu berechnen nach der Formel y = 100 (1 — e7911%:?) für p = 160), so würde der Grenz- wert des Verbrauchs bei Anhäufung von Stoffwechselprodukten 3,25 : 83,8 —= 270 sein. In Prozenten dieses Wertes ausgedrückt, beträgt bei etwa gleich starker Anhäufung von Stoffwechselprodukten der Verbrauch bei: 60-mm:Druck= 2... 2.2.0242 110, SO - 1302 ® 97 SU 5 186 a, i 270 Um die Gleichung in derselben Form schreiben zu können, wie es oben für alle Tiere geschehen ist, muss man den Grenzwert als 100 bezeichnen und erhält dann das folgende Resultat, das Tabelle 19 darstellt. Tabelle 19. Ö Beobachteter Ver- | Berechneter Ver- N brauch in Prozenten | brauchin Prozenten NN = des Grenzwertes des Grenzweıtes 60 15,6 16,0 110 29,6 30,0 130 36,0 836,5. 310 69,0 70,0 0) [100,0] 100 Der letzte Stab der Tabelle ist berechnet nach der Formel y— 100 [1 — e799#2-(»—20)], d. h. bei Anhäufung von Stoffwechsel- produkten beginnt ein merklicher Sauerstofiverbrauch erst bei >20 mm Druck, und die Kennzahl % der Kurve, mit der der Ver- brauch dem Grenzwerte zustrebt, ist 0,0042. Wenn diese Kurve dem Verhalten von Suberites massa unter normalen Bedingungen, d. h. ohne Anhäufung von Stoffwechsel- produkten, ähnlich sein soll, so müssen sich die Werte % für den Sauerstofiverbrauch und Sauerstofidruck. 517 Fall der Anhäufung von Stoffwechselprodukten und für. den Fall der Atmung in reinem Wasser umgekehrt wie die erreichten Grenzwerte des Umsatzes verhalten. Der Grenzwert des Um- satzes bei Anhäufung von Stoffwechselprodukten ist 2,7 mal so gross wie bei Abwesenheit von Stoffwechselprodukten, der Wert k muss also 1:2,7 des Wertes unter normalen Bedingungen sein, d. h. er muss betragen 0,0114: 2,7 = 0,00421. Tatsächlich . berechnet sich die Kennzahl % für den Fall der Anhäufung von Stoffwechselprodukten zu 0,0042, also genau so hoch, wie sie sein muss. Nachdem die grundsätzliche Wichtigkeit dieser Versuche erkannt ist, wird es nunmehr nötig sein, ausgedehntere Versuche über diese bemerkenswerten Verhältnisse zu machen, um möglichst genau die beiden Kurven und ihren Schnittpunkt festzulegen. Wir können aber schon auf Grund der vorliegenden Erfahrungen sagen, dass die Anhäufung oxydationsfähiger Stoffwechselprodukte bei Suberites so wirkt, wie wir es theoretisch auf Grund der Gleichung voraussetzen konnten, nämlich in der Weise, dass einer- seits die Dissoziationsspannung der Verbindung Sauerstoff/ Atmungs- material von einem Werte, der sehr nahe bei Null liegt, auf 20 mm erhöht wird, und andererseits der Grenzwert des Verbrauchs durch die Anwesenheit der oxydierbaren Stoffwechselprodukte auf das 2,7fache des Grenzwertes in reinem Wasser gesteigert wird, während die spezifischen Fähigkeiten des Schwammes in bezug auf Veratmung von Stoffen unverändert bleiben. Bei weiteren Versuchen wird übrigens besonders auf den Er- nährungszustand der Schwämme zu achten sein, denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass nach längerer Unterernährung der Umsatz keiner so bedeutenden Steigerung bei Anhäufung von Stoffwechsel- produkten mehr fähig sein wird wie bei Tieren, die noch nicht sehr lange, und zwar bei niederer Temperatur, im Aquarium gelebt haben; ja es ist nicht ausgeschlossen, dass bei höheren Temperaturen diese ganze paradoxe Erscheinung der Überkreuzung der Kurven nicht oder erst bei hohen Druckwerten zu beobachten ist, weil bei einem durch hohe Temperatur bereits stark beschleu- nigten Umsatz eine weitere Steigerung _ durch Anhäufung oxy- dationsfähiger Stoffwechselprodukte vielleicht überhaupt nicht mehr zu erzielen ist. 518 ,‚ August Pütter: VI. Interpolationsformel und rationelle Formel. Es ist bisher erst ein Versuch gemacht worden, die zahlen- mässigen Beziehungen von Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck durch eine Gleichung darzustellen. Konopacki!) fand, dass die beim Regenwurm beobachteten Zahlenwerte sich annähernd durch die Gleichung a—kYd dar- stellen lassen, wenn « den Verbrauch bei dem Sauerstoffdruck d und k eine Konstante bedeuten. In meiner Vergleichenden Physiologie?) habe ich diese Formel auf eine ganze Reihe anderer Fälle anzuwenden versucht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass sieh für einen gewissen Bereich des Sauerstoffdruckes, der bei einigen Tieren, zum Beispiel bei den Raupen von Tenebrio, sehr eng sein kann, in der Tat eine ganz befriedigende Übereinstimmung ‘zwischen Rechnung und Beobachtung ergibt, dass bei niederen und hohen Druckwerten die Beziehung aber nicht silt. 'Es ist von vornherein klar, dass es sich bei der Gleichung, die den Sauerstoffverbrauch direkt proportional der Wurzel aus dem SauerstoffdruCk setzt, nur um eine Interpolationsformel handelt. Die Zahlen eines gewissen Bereichs lassen sich durch sie mit genügender Annäherung darstellen, so dass man imstande ist, für einen Druck, bei dem man den Verbrauch nicht beobachtet hat, ihn aus den Werten zu berechnen, die bei höheren oder niederen Drucken beobachtet wurden. Eine Extrapolation über den Be- zirk hinaus, in dem man die hinreichende Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Rechnung festgestellt hat, gestattet die Formel nicht. Von den beiden Grenzbedingungen, die eine Gleichung er- geben muss, die die Abhängigkeit von Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck ihrem Wesen nach richtig beschreibt, ergibt die Wurzelformel die eine Grenze nicht, denn während der Sauerstoff- verbrauch jeder Art lebendiger Substanz mit steigendem Sauerstoff- druck einem Maximum zustrebt, wächst die Wurzelformel mit steigenden Werten des Druckes unbegrenzt weiter. Als Inter- polationsformel ist die Wurzelformel auch dadurch gekennzeichnet, 1) M. Konopacki, Über den Atmungsprozess bei Regenwürmern. Bull. de l’Acad. des Sciences de Cracovie p. 357—431, Mai 1907. 2) A. Pütter, Vergleichende Physiologie S. 195—200. G. Fischer, Jena 1911. Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 519 dass ihr gar keine theoretische Vorstellung über die Art des Sauer- stoffverbrauchs durch lebende Zellen zugrunde liegt. Ganz anders verhält es sich mit der Exponentialformel, die in dieser Arbeit aufgestellt und auf ihre Brauchbarkeit geprüft wurde. Diese Formel ist nichts weiter als der mathema- tische Ausdruck für die Beobachtungstatsachen und die einfachen physikalisch-chemischen Vorstellungen, die zuihrer Erklärung dienen können. Die Voraussetzungen der Gleichung, die sich auf unsere all- gemein-physiologischen Vorstellungen vom Vorgang des Sauerstoff- verbrauchs in der lebendigen Substanz gründen, sind die folgenden: 1. Der Sauerstoff geht eine Verbindung mit irgendeiner Sub- stanz in der Zelle ein, einer Substanz, die zum Atmungs- material gehört; . die Verbindung Sauerstoff/ Atmungsmaterial hat eine gewisse Dissoziationsspannung, die aber im Grenzfall Null werden kann; 3. die grösste Menge Sauerstoff, die überhaupt von einer Zelle aufgenommen werden kann, hängt von dem Zustande der Zelle selbst ab. Diese grösste Menge ist keine Konstante, sondern wechselt je nach den Bedingungen der Temperatur, der Ernährung, des Alters, des Zustandes der Tätigkeit oder. Ruhe der Zelle, wechselt auch je nach dem Medium, in dem die Zelle gerade lebt, aber für einen bestimmten Komplex dieser Bedingungen ist sie konstant; 4. der Sauerstoff wird mit um so grösserer Geschwindigkeit in den Umsatz der Zelle gerissen, je weiter entfernt die Zelle vom Zustande des grössten Sauerstoffverbrauchs ist; . der Verbrauch der ersten Spuren von Sauerstoff, die in den Umsatz einer Zelle eintreten, ist proportional dem Sauer- stoffdruck. In der Sprache der Mathematik ausgesprochen, sind alle diese Annahmen zusammengefasst in der Formel: y= B[l—-e”*%79], Diese Formel leistet nun ganz wesentlich mehr als eine Inter- polationsformel. Sind die Annahmen, die in ihr enthalten sind, richtig, dann stellt sie ja die vollständige Beschreibung aller Fälle dar, in denen Sauerstoff von verschiedenem Druck von Zellen in verschiedenem physiologischen Zustande verbraucht wird. ID OL 920 August Pütter: Sie gestattet nicht nur für den ganzen Bereich vom physiolo- gischen Nullpunkte des Druckes, d. h. von dem Druck der Dis- soziationsspannung der Verbindung Sauerstoff/ Atmungsmaterial an, bis zum Wert des höchsten Verbrauchs bei sonst konstauten Be- dingungen den Verbrauch als Funktion des Druckes darzustellen, sondern sie gestattet einen vollständigen, erschöpfenden Über- blick über alle Erscheinungen, die auftreten können, wenn durch irgendwelche Bedingungen eine oder mehrere der beteiligten Grössen verändert werden. Bevor ich die vier Kurvenscharen beschreibe, durch die alle möglichen Fälle erschöpft werden, muss ich noch eine Einsehränkung des eben Gesagten machen. Die Bedingungen, denen die Gleichung völlig genügt, und die in den fünf Voraussetzungen gegeben sind, enthalten nichts von einer Gruppe physiologischer Beobachtungs- tatsachen, die auch in die Lehre von den Wirkungen der Verände- rung des Sauerstoffdruckes gehören, von den Tatsachen, die sich auf die schädigende und schliesslich tötende Wirkung des Sauerstoffs von sehr hohem Druck beziehen. Das ist eine bewusste Unvoll- ständigkeit der Formel, mit der ihr Geltungsbereich eingeschränkt wird; sie bezieht sich also nur auf die Druckwerte des Sauerstofis, die für eine bestimmte Zellart unschädlich sind. Die Schwieriekeiten, die es machen würde, eine Formel zu entwickeln, die auch die Schädigung durch hohen Sauerstoffdruck mit umfasst, sind nicht un- überwindlich, ja ich glaube, grundsätzlich den Weg zu kennen, auf dem sie überwunden werden können, muss mir aber vorläufig noch versagen, darauf einzugehen. Es sei nur so viel bemerkt, dass die fragliche Formel nur eine Erweiterung, nicht eine grundsätzliche Umgestaltung der Gleichung bedeuten wird, mit der ich in dieser Abhandlung arbeite. Die folgende Darstellung umfasst also nur alle die Fälle, in denen der Sauerstoff keine Giftwirkungen entfaltet. Wir können vier Fälle unterscheiden. In der Gleichung y= B|1— e”-*-9] kann von den beiden Grössen c und %k 1. e konstant und nur % variabel sein; 2. k konstant und nur c variabel sein; 3. können ce und % variabel sein und sich beide in dem gleichen Sinne ändern, d. h. bei wachsendem ce auch % wachsen, bei ab- nehmendem c auch %k abnehmen; und endlich Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 521 Di FR dr: 4 CE 3 rekagse BNEIHERE ER ae ae ee EI ENESEREEENENERFIEERNER BREBEREn 2 aan BERSEREBSESESErGERBEBE-- = TER IErBErRErBERREFF TI En RP EBENEN en du Dre ARTS Dash BENENEES/AENENEENEEEENNEE "ZABELENvdEER SR A RR ae 2 eo Tess he] en Zn ee ee ee I A — a er ar en a BE BBENAEEEEERREEREHERENENE 4 4 I ° Tru ch. /00 130 200 250 Fig. 4. Die Abhängiekeit des Sauerstoffverbrauches vom Sanerstofänkek bei verschiedenen Grenzwerten des Verbrauches. lim. ce und lim. d bedeuten die | Grenzwerte, denen die Kurven e und d zustreben. Die Kurven « und b erreichen | h ihre Grenzwerte praktisch schon bei 100 bzw. 150 mm Druck. (Schema: Fall I.) ERELesee HH Sie SPP zarTErrrIme® 20 2 Er Re ae 1» —> 20 E77] , Druck. 299 139 Na% Fig. 5. Fall II der Abhängigkeit des Sauerstofiverbrauches vom Sauerstoffdruck- iR x Es ist nur die Dissoziationsspannung als variabel angenommen. (Schema.) 522 August Pütter: 4. können ce und % variabel sein und die beiden Grössen sich in ent- gegengesetztem Sinne ändern, so dass bei wachsendem Wert von c der Wert von % kleiner wird und umgekehrt. Eine isolierte Änderung von B gibt es nicht, B und % ändern sich stets gleichzeitig, und zwar in entgegengesetztem Sinne. Den ersten, einfachsten Fall haben wir schon oben behandelt, als die Aphängiekeit der Hautatmung des Frosches bei verschiedenem PrScEren Armee Bere BEEREaBELE. SER.» az An See EPananZUEREE az Fig.6. Schema Fall III der Abhängigkeit von Sauerstoffverbrauch und -druck. Dissoziationsspannung und Grenzwert variieren im gleichen Sinne. Sauerstoffdruck und verschiedener Temperatur besprochen wurde _ (Fig. 2). Es bleibt hier nur übrig, die Kurven zu zeichnen, die man erhält, wenn man den Verbrauch nieht in Prozenten des Grenz- wertes, sondern in willkürlichen, vergleichbaren Maassen angibt. Wir haben dann eine Kurvenschar, die von einem Punkt ausgeht und mit verschiedener Steilheit den verschieden hoch gelegenen Grenzwerten zustrebt. Das Bild dieser Kurvenschar (Fall I) lb: Fig. 4, die gleich- zeitig die Verhältnisse der Hautatmung des Frosches bei 0°, 10°, 20° und 25° C. darstellt, d. h. also dasselbe wie Fig. 2, nur nicht in prozentualen, sondern in absoluten Werten. Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 523 Den zweiten Fall, in dem nur eine der beiden Grössen e und k variabel ist, veranschaulicht Fig. 5. Hier ist % (und damit auch B) als konstant angenommen, e als variabel. Den dritten Fall stellt Fig. 6 dar. Hier variieren e und k im gleichen Sinne, d. h. den kleinsten Werten von c (Kurve a) ent- spricht auch der kleinste Wert von %& und damit der grösste Wert ‚FREE Izmir wann 72er Pa Eee! 2 0 lorrrereherren en ER A ARTE AED ERIR ARTEN CnrEenesDiRRNEERIDIRTERAN RIND IZEREERBR EITHER" ee — — Bar Deere ee ee EEEED=B484 DBENDASDERREREE.! AS SSR a Er: a re Fa [Ba DE ER BER PD Tester ariaaEbaBzERzZEzrggg 2>-—> 20 50 ih 70 100 150 200 250 ._ Fig. 7. Schema Fall IV der Abhängigkeit von Sauerstoffverbrauch und -druck. Dissoziationsspannung und Grenzwert variieren im entgegengesetzten Sinne. von B. Und umgekehrt, dem grössten Werte von e (Kurve d) ent- spricht auch der grösste Wert von 4 und damit der kleinste Wert von B. In dem vierten und interessantesten Falle endlich variieren c und % in entgegengesetztem Sinne. Dem kleinsten Werte von c (Kurve a in Fig. 7) entspricht der grösste Wert von k und damit der kleinste Wert von B. Dem grössten Werte von e (Kurve d in Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 34 524 August Pütter: Fig. 7) entspricht der kleinste Wert von % und damit der grösste Wert von B. Die Kurven, die den verschiedenen Wertepaaren von ce und % entsprechen, überkreuzen sich hier, so dass es für je zwei Kurven einen ausgezeichneten Druck gibt (in Fig. 7 mit P, bis P, bezeichnet), bei dem der Sauerstoffverbrauch für zwei Kom- binationen von Bedingungen der gleiche ist, obwohl bei allen anderen Werten des Sauerstoffdrucks die Verschiedenheit der Be- dingungen in Unterschieden des Sauerstoffsverbrauchs zutage tritt. in Unterschieden, die oberhalb des Schnittpunktes im entgegen-.. gesetzten Sinne liegen wie unterhalb des Schnittpunktes. VII. Weitere Folgerungen. Pfeffer setzt in seiner Pflanzenphysiologie!) die Beziehung des Sauerstoffs zur lebendigen Substanz in völlige Analogie mit den übrigen Nährstoffen und sagt: „Weil die eigene Tätigkeit den Konsum von Sauerstoff ebensogut wie den Konsum der Nährstoffe reguliert, hat auch nach voller Befriedieung des Bedürfnisses die fernere Zu- gabe von Sauerstoff eine analoge Bedeutung und keinen grösseren Einfluss als die übermässige Zuführung eines Nährstoffes..“ Der Grundgedanke dieser Auffassung hat sich als eine der Grenz- bedingungen für das Gesetz des Sauerstoffverbrauchs vollständig be- währt, und es liegt daher nahe, auf die Analogie zwischen Nährstoff- konzentration und Geschwindigkeit der Nährstoffaufnahme einer- seits und Sauerstoffdruck und Geschwindiekeit der Sauerstoffaufnahme andererseits hier noch mit einigen Worten einzugehen. Auf die Bearbeitung der ganzen Frage der Abhängigkeit der Greschwindigkeit des Nahrungsumsatzes von der Konzentration der Nahrungsstoffe kann ich zurzeit schon deshalb nicht eingehen, weil mir im Felde das grosse, für diese Frage vorliegende Material nicht zugänglich ist. Der Grundgedanke, dass eine Zurabe von Nahrungsstoffen 'einen um so geringeren Einfluss auf das Wachstum eines Organismus hat, je näher die vorhandene Nährstoffkonzentration schon dem Optimum ist, ist Ja schon früher ausgesprochen, auch schon mathematisch for- muliert worden?). Die Annahme führt auf dieselbe Formel, die wir 1) Bd. 1 (2. Aufl.) S. 547. 2) Riebesell, Die mathematische Behandlung der Ernährungsfragen in „Die Naturwissenschaften“, 4. Jahrg., 1916 8. 439. Sauerstofiverbrauch und Sauerstoffdruck. 525 für den Sauerstoffverbrauch aufgestellt haben. An einem Beispiel mag das erläutert werden. Raulin bestimmte die Menge der Troekensubstanz, die er als Ernte bekam, wenn er Aspergillus niger in Zuckerlösungen verschiedener Konzentration eine be- stimmte Zeitlang wachsen liess; seine Zahlen lassen sich sehr gut durch dieselbe Formel darstellen, durch die wir auch die Geschwindigkeit des Sauerstoffverbrauchs bei verschiedenem Sauerstoffdruck darstellen konnten. Auf die Analyse der Schädigung durch sehr hohe Zucker- konzentrationen verzichte ich aus demselben Grunde wie beim Sauerstoff. Es ist in der folgenden Tabelle 20 angenommen, dass der höchste beobachtete Wert der Pilzernte nur 5,5 °/o niedriger ist als der theoretische Grenzwert. Die Kennzahl der Kurve hat dann den Wert %, = 0,037, und die beobachteten und berechneten Werte stimmen sehr gut überein, wie ein Vergleich der beiden letzten Stäbe deutlich zeiet. Die Anordnung der Tabelle 20 ist genau dieselbe wie vorher beim Sauerstof. Die Konzentration des Zuckers, ausgedrückt in Gramm pro Liter, habe ich der Gleichförmigkeit wegen auch hier mit p} bezeichnet, doch ebenso wie die Kennzahl %, mit dem Index 1 versehen. Tabelle 20. Wachstum von Aspergillus niger bei verschiedenen Zuckerkonzentrationen. Konzentration | pP ee ebene RR 5 A E . des Zuckers in Gramm Trocken- in Prozenten in Prozenten in Promille = pı substanz , des Grenzwertes des Grenzwertes 3,63 3,9 | 1 a7 ilarz/ 7,26 %s | 24,3 23,6 14,51 13,0 | 43,2 41,4 21,77 16,9 | 56,0 55.4 29,02 19,9 | 66,0 66,0 58,00 234,5 81,6 88,5 116,00 28,2 93,3 98,7 232,00 28,4 | 94.5 99,9 Optimum [39,0] | [100,0] 100,0 | Der letzte Stab der Tabelle 20 ist also berechnet nach der Formel y„=100 (l—e7%:#": 7), | Wir können also ohne weiteres Pfeffer’s Standpunkt teilen, dass die Abhängigkeit des Nährstoffverbrauchs von der Nährstoff- konzentration vollständig analog der Abhängigkeit des Sauerstoff- verbrauchs vom Sauerstoffdruck ist. 34* 926 August Pütter: Es gelten dann die ganzen Erörterungen, die für den Sauer- stoff gemacht wurden, auch für irgendwelche andere Nährstoffe. In dem Falle des Zuckerverbrauchs durch Aspergillus niger verläuft tlie Kurve so, als ob das Wachstum schon bei den geringsten Zucker- konzentrationen merkbar wäre. Das ist einerseits dadurch bedingt, dass keine Versuche mit ganz grossen Verdünnungen vorliegen, in denen sich die Begrenzung durch eine endliche — wenn auch ge- ringe — Zuckerkonzentration geltend machen könnte, und anderer- seits dadurch, dass dieser Pilz in der Tat schon in sehr verdünnten Zuckerlösungen merklich wächst. Es liegt hier wieder ein Spezial- fall vor, und wir können schon allgemein sagen, dass dieser Spezial- fall sich bei allen den Organismen finden wird, die wir als Oligo- trophophile bezeichnen, d. h. die aus sehr verdünnten Lösungen die Nährstoffe mit merklicher Geschwindigkeit entnehmen können, Bei den Polytrophophilen dagegen, bei den Organismen, die erst bei hohen Konzentrationen der Nährstoffe merklich zu wachsen beginnen, müssen - wir wieder eine Grösse c, einführen, die der Dissoziations- spannung analog ist. Alle möglichen Einflüsse auf die Grössen c, und %, lassen sich dann auch bei beliebigen Nahrungsstoffen durch die vier Kurvenscharen darstellen, durch die wir alle Einflüsse auf den Sauerstoffiverbrauch in seiner Abhängigkeit vom Sauerstofidruck darstellen konnten. Es müsste sich dann also auch hier der Fall finden, dass, wenn <, und Ä, beide variieren, und zwar in entgegen- gesetztem Sinne, eine Überkreuzungder Kurven zustandekommen könnte. Besonderes Interesse gewinnt hier endlich der Fall, dass zwei verschiedene Nahrungsstoffe einem Organismus zugeführt werden, von denen der Verbrauch des einen durch eine Kurve dargestellt wird, die einen kleinen Wert von ce und einen grossen Wert von & hat, während umgekehrt der andere einen grossen Wert von c und einen kleinen Wert von % hat. Die Kurven, die die Abhängigkeit der Nahrungsaufnahme von der Konzentration der Nahrung für diese beiden Fälle darstellen, werden sich also bei einer bestimmten Kon- zentration kreuzen, und wir hätten dann das seltsame Resultat, dass zwei Nährstoffe bei einer einzigen ganz bestimmten Kon- zentration gleich rasch verarbeitet werden, während sie bei allen anderen Konzentrationen mit versehiedener Geschwindig- keit aufgenommen werden. Ob diese Vorhersagen bereits dureh Beobachtungen bestätigt sind, ist mir unbekannt. Wenn das nicht der Fall ist, so lohnt es wohl, danach zu suchen. Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 597 Im Zusammenhang dieser Arbeit ist aber eine weitere Frage von besonderem Interesse. Die Geschwindigkeit des Verbrauchs der Nährstoffe ist eine einfache Exponentialfunktion der Nährstoff- konzentration; die Geschwindigkeit des Sauerstoffverbrauchs ist ‚ eine ebensolche Exponentialfunktion des Sauerstoffdrucks: Welche Gesetzmässigkeiten ergeben sich nun, wenn gleichzeitig Sauerstoff- druck und Nährstoffkonzentration variieren? und welche Fälle können eintreten, wenn die Abhängiekeit der Aufnahme verschiedener Nähr- stoffe vom Sauerstoffdruck untersucht wird ? Beide Fragen werden formal in derselben Weise behandelt, denn die qualitative Änderung des Atmungsmaterials kann auch nur in einer Zunahme bzw. Abnahme der Grössen c, und k, zum Ausdruck kommen, genau wie die Änderung der Konzentration eines qualitativ unveränderten Atmungsmaterials. Nennen wir für diese Betrachtungen den höchsten Verbrauch, den eine Zelle bei beliebig hohem (unschädlichem) Sauerstoffdruck und beliebig hoher (unschädlieher) Nährstoffkonzentration haben kann, DB, so muss die Formel, die den jeweiligen Verbrauch y bei bestimmtem Sauerstoffdruck und bestimmter Nährstoffkonzentration angibt, die Forın haben: I Bil er SH), Ich schreibe der Einfachheit wegen deu Grenzfall, in dem e und c, gleich Null sind, ganz allgemein ist natürlich für p zu setzen (p— €), und für p, jst zu setzen (pı — Cı). Für Versuche mit konstantem Sauerstoffdruck, d. h. » — constans, geht die Gleichung in die einfache Formel für die Abhängigkeit des Nährstoffverbrauchs von der Nährstoffkonzentration über. Für einen Versuch mit konstanter Nährstoffkonzentration, d. h. p, —= constans, erhalten wir die Formel der Abhängigkeit des Sauerstoffverbrauchs vom Sauerstoffdruck. Wie der Verlauf der Kurve in dem allgemeinen Falle ist, dass p und p, variieren, soll an Beispielen gezeigt werden. Nehmen wir an, es sei für Aspergillus niger auch seine Ab- hängigkeit vom Sauerstoffdruck bekannt, und sie würde durch eine Gleiehung von der bekannten Form dargestellt, mit dem Werte k—= 0,01, also durch die Formel y= 100 (1 — e7'P), Wir erhalten dann als allgemeine Lösung der Aufgabe die Gleichung: y = 100 (1 — e7 99 :7-0,085-71), 928 August Pütter: Das ist der Ausdruck für eine Schar von Kurven, die man er- hält, wenn man die Zuckerkonzertration 9, alle Werte von O0 bis » annehmen lässt und für jeden Wert von », die Kurve berechnet, die den verschiedenen Werten des Sauerstoffdruckes p» entspricht. Für die Zuekerkonzentration p, = 3,63 erhält die Gleichung den Wert: y— 100 (1 er) Für die Zuekerkonzentration p, —= 116 ergibt sich die Gleichung: Yy.— 100 (EZ ee), Die Kurven gehen in diesem Falle alle vom Nullpunkt aus (da ja e und c, = 0 gesetzt waren) und streben um so steiler dem Grenzwert 100 zu, je grösser die Beizahl von p, d.h. je grösser das Produkt #- %, - 9, ist. Dieser Fall wird also durch die Kurvenschar in Fig. 4 dargestellt. Dies Resultat bedeutet: Der maximale Nahrungsverbrauch ist bei jedem Sauerstoffdruck durch genügende Steigerung der Nah- rungskonzentration zu erreichen, und umgekehrt ist der höchste Sauerstoffverbrauch bei jeder Nährstoffkonzentration durch genügende Steigerung des Sauerstoffdrucks zu erreichen. Das ist wieder eine nachprüfbare Vorhersage aus der Theorie. Wir können auch hier auf gar keine anderen Formen der Ab- hängizkeit des Umsatzes von der Nährkonzentration und vom Sauer- stoffdruck kommen, als wie wir sie schon in den früher dargestellten Kurvenscharen ausgedrückt sehen. Eine Prüfung dieser Theorie an möglichst reichlichem Material wird sicher die Bestätigung dieser Behauptung bringen. Es bleibt noch der Fall zu erörtern, dass das Verhalten zweier verschiedener Nährstoffe A und BD bei verschiedenem Sauerstoffdruck verglichen werden soll. Unterscheiden sich die beiden Stoffe in der Weise, dass der eine, A, erst bei höherer Konzentration überhaupt verarbeitet werden kann (hoher Wert von c,), aber bei hohen Sauerstoffdrucken einen höheren Verbrauch ermöglicht (kleiner Wert von k,), als der andere, während dieser, D, wieder bei niederem Druck gut verwertbar ist (kleiner Wert von c,, etwa gar c, —= (0), aber keinen so hohen maxi- maleu Verbrauch gestattet (hoher Wert von k,), so bekommen wir wieder einen Schnittpunkt der Kurven. Unterhalb dieses Punktes wird der Stoff A mit geringerer Geschwindigkeit verarbeitet als D, während er oberhalb rascher umgesetzt wird. Bei dem Sauerstoff- druck, der dem Schnittpunkt entspricht, werden beide gleich rasch verarbeitet. Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 529 Solche Fälle sind in der Tat bekannt! Was wir hier als möglichen Fall aus der Gleichung ableiten, ist genau das, was Chudjakow bei Bacillus subtilis beobachtet hat, wenn er ihn in Peptonwasser zog und ihm einmal Zucker (Dextrose), das andere Mal Glyzerin als Kohlenstoffquelle bot. In gewöhnlicher Luft gedeiht er mit Dextrose besser als mit Glyzerin. In reinem Sauer- stoff gedeiht er mit Dextrose und Glyzerin gleich gut, und in kom- primiertem Sauerstoff ist das Glyzerin dem Zucker als Nährstoff überlegen. Der Schnittpunkt der Kurven liegt also in diesem Falle bei einem Sauerstoffdruck von etwa 760 mm He. IX. Übersicht. Die Behandlung der Frage der Abhängiekeit des Sauerstofl- verbrauchs vom Sauerstoffdruck, wie sie in den vorstehenden Aus- führungen durchgeführt wurde, führt auf eine Gleichung, die einen sehr weiten Geltungsbereich hat. Die Gleichung bringt in erster Linie alle Erfahrungen, die bisher über den Sauerstoffverbrauch bei verschiedenem Sauerstoffdruck vor- liegen, in vollständiger und eindeutiger Form zur Darstellung. Sie bringt in ihrem Bau die theoretischen Anschauungen zum Ausdruck, die wir uns vom physiologischen Standpunkte aus über das Eingreifen des Sauerstoffs in die Umsetzungen in der lebenden Zelle machen müssen. ! Die Gleichung, die den Sauerstoffverbrauch als Exponential- funktion des Sauerstoffdrucks darstellt, lässt sich aber auch auf dıe Abhängigkeit der Verarbeitung jedes anderen Nahrungsstoffes von der Konzentration dieses Stoffes anwenden. . Diese formale Übereinstimmung zwischen der Art der Abhängig- keit des Sauerstoffverbrauchs vom Sauerstoffdruck einerseits und des Verbrauchs von Nährstoffen von ihrer Konzentration andererseits steht wieder in bester Übereinstimmung mit den theoretischen Auf- fassungen Pfeffer’s, unseres grössten Pflanzenphysiologen. Die Gleichung. gestattet, nicht nur unter konstanten Bedingungen die Abhängigkeit des Verbrauchs von der Konzentration für jeden Nährstoff (einschliesslich des Sauerstoffs) darzustellen, sondern auch bei variablen Bedingungen, und sie lässt schon ohne experimentelle Erfahrungen erkennen, welche Fälle zur Beobachtung kommen können, wenn bei verschiedener Temperatur und in Medien von verschiedener Zusammensetzung verschiedene Nährstoffe von ver- 390 August Pütter: schiedener Konzentration unter verschiedenem Sauerstoffdruck ver- atmet werden. Die Folgerungen, die sich aus der Formel ziehen lassen, konnten zum Teil bereits bestätigt werden. So hat sich die Folgerung durchaus bewährt, dass bei steigender Temperatur der Faktor %k der Formel y=10(1— eT*'P) kleiner werden muss, und zwar für je 10° C. im Verhältnis 1:2,5. (Objekt: Froschhaut.) Es hat sich ferner die Folgerung bestätigt, dass, wenn ein Stoff auf die lebende Zelle einwirkt, der die Dis- soziationsspannung der Verbindung Sauerstoff / Atmungsmaterial er- hökt und selber oxydierbar ist, sich die Kurven, die die Abhängig- keit des Sauerstoffverbrauchs vom Sauerstoffdruck einerseits in reinem Seewasser, andererseits bei Anhäufung dieses Stoffes im Seewasser darstellen, bei einem bestimmten Sauerstoffdruck schneiden müssen. (Objekt: Suberites massa.) In dem ganz entsprechenden Falle, dass bei variablem Sauer- stoffdruck zwei verschiedene Nahrungsstoffe von bestimmter, nicht. veränderlicher Konzentration geboten werden, die sieh durch die Werte e und %k der Formel 4. — 100 HB —e- 072] in der Weise unterscheiden, dass einem grösseren Werte von c ein. kleinerer von % entspricht, sagt die Formel ebenfalls einen Schnitt- punkt der Kurven voraus, und die Beobachtung bestätigt diese Be- hauptung. (Baeillus subtilis mit Dextrose und Glyzerin.) Wir dürfen uns aber nicht scheuen, über die Grenzen der Er- fahrung hinauszugehen und auch die Folgerungen aus der Formel zu ziehen, die bisher noch nicht experimentell bestätigt sind. Solche Folgerungen nehmen damit den Charakter von Vorhersagen an, und es scheint mir methodisch ein wesentlicher Fortschritt, wenn es einer Wissenschaft gelingt, zu derartigen Vorhersagen zu gelangen, denn sie sind geeignet, zu einer sinngemässen Auswahl unter der Unzahl möglicher Versuche zu führen und so mit möglichster Arbeits- ersparung die Erkenntnis zu fördern. Es ist wichtig, die Vorhersagen, die implizite in der Formel enthalten sind, ganz scharf auszusprechen, damit kein Zweifel darüber sein kann, durch welche Art von Versuchen die 'I'heorie gefördert werden kann, damit aber andererseits auch kein Zweifel darüber möglich ist, dass diese Folgerungen aus der Formel tatsächlich als Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. 531 Vorhersagen gezogen worden sind, und nieht erst nachträglich, nachdem die entsprechenden Fälle tatsächlich bekannt geworden sind, als notwendige Folgerungen der Theorie hingesteilt wurden. Es seien folgende Vorhersagen festgelegt: 1. Wenn die Abhängigkeit des Sauerstoffverbrauchs eines Tieres vom Sauerstoffdruck bei verschiedenen Ernährungszuständen unter- sucht wird, so muss das Intervall, innerhalb dessen eine Druck- änderung eine merkliche — experimentell erfassbare — Änderung des Verbrauchs zur Folge hat, um so enger werden, je schlechter der Ernähruneszustand ist. Die Kennzahl % der Kurve muss um so kleiner sein, je besser der Ernährungszustand ist. 2. Wenn ein Organismus bei Muskelruhe bei einem bestimmten Sauerstoffdruck das Maximum seines Sauerstoffverbrauchs praktisch, d. h. auf 1—2°o, erreicht hat, so dass weitere Steigerung des Druckes keine Steigerung des Verbrauchs zur Folge hat, so muss beim Übergang zur Muskelarbeit, allgemeiner: bei Zusatz eines Leistungsumsatzes zum Grundumsatz, nunmehr eine Steigerung des Sauerstoffdrucks eine Vermehrung des Sauerstoffverbrauchs zur Folge haben. 3. Die‘ Gegenwart bestimmter Stoffe, zum Beispiel der Hr- und OH--Ionen, der Neutralsalze oder ihrer Ionen, der Kohlen- säure usw., kann in folgender Weise auf die Kurve des Nährstoff- und Sauerstoffverbrauchs wirken: a) Haben die Stoffe nur eine Veränderung der Grösse ce zur Folge, so ist der Verlauf der Kurve unverändert, nur der Nullpunkt ist verschoben. b) Wird (allein oder ausser der Verschiebung von c) der Grenz- wert des möglichen Umsatzes erhöht, so muss % kleiner werden, d. h. die Kurve muss fiacher verlaufen, das Intervall, innerhalb dessen eine Änderung des Druckes oder der Konzentration der Nähr- stoffe eine merkliche Änderung des Verbrauchs zur Folge hat, muss grösser werden. e) Wird umgekehrt der Grenzwert b herabgesetzt, so muss die Kurve steiler verlaufen, das Intervall, in dem Abhängigkeit des Verbrauchs von der Konzentration nachweisbar ist, muss kleiner werden. 4. Wenn bei konstantem Sauerstoffdruck verschiedene Nähr- stoffe von verschiedener Konzentration in bezug auf die Geschwindig- keit ihrer Verarbeitung untersucht werden, so sind Fälle zu erwarten, 532 August Pütter: Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffdruck. bei denen sich die Kurven, die diese Abhängigkeit darstellen, sehneiden. Solch Fall ist zum Beispiel zu erwarten für Bacillus subtilis bei Verarbeitung von Dextrose und Glyzerin, denn der geforderte Fall stellt die volle Analogie zu dem oben erwähnten, beobachteten Fall dar, in dem die beiden Stoffe bei einer bestimmten Konzentration, aber verschiedenem Sauerstoffdruck untersucht wurden. Nur ein Umstand könnte das Eintreten der Überkreuzung der Kurven hindern: dass ein oder beide Nährstoffe schon schädlich wirken bei der Konzentration, bei der die Überkreuzung der Kurven erfolgen würde. Ja dieser Fall lässt sich sicher erzeugen, wenn man den (konstanten) Sauerstoffdruck niedrig wählt, denn bei hohem Druck muss die Überkreuzung bei niedereren Konzentrationen erfolgen als bei geringem Druck. Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen in der lebenden Zelle. Verwendung derselben zur Ernährung. Von Dr. Th. Bokorny. Hippursäure. Die- Hippursäure sei zunächst mit dem Harnstoff verglichen, da sie wie dieser im Harn der Säugetiere vorkommt. Beide sind Ausscheidungsprodukte, für welche der tierische Organismus keine Verwendung hat. Ist dieselbe nun in der lebenden Zelle überhaupt nicht ver- wendbar? Sie ist chemisch als Benzoylglykokoll aufzufassen, bildet also wie der Harnstoff einen Amidokörper. Hippursäure Harnstoff In der Hippursäure ist ein Wasserstoffatom der Amidogruppe durch den Benzoylrest ersetzt. Kocht man die Hippursäure mit verdünnter Schwefelsäure, so erleidet sie wie alle Säureamide eine Spalturg unter Wasser- aufnahme, nämlich in Glykokoll und Benzoesäure. CH, | GH CNHE co H | | +0 — CO,H + CH; NH H | | | CO;H n CO;H Hippursäure + Wasser — Benzoesäure + Glykokoll 534 Th. Bokorny: Eine ähnliche Spaltung kann die Hippursäure wohl auch durch das lebende Protoplasma erfahren, wenn die richtigen Zellen hierfür ausgesucht werden, die dann auch das Spaltungsprodukt Glykokoll zu verwenden wissen, wie z. B. manche Pilze; letztere ernähren sich von Glykokoll. Es kommt darauf an, die richtigen Mikroorganismen hierfür zu finden. | Jedenfalls kann die Hippursäure nicht ohne vorausgehende Spaltung zur Ernährung dienen. Beim Harnstoff ist die Verwendbarkeit zur Ernährung von Zellen bereits nachgewiesen. Er kann von der Hefe sehr gut als Stick- stoffquelle gebraucht werden. Hierbei findet jedenfalls auch eine Spaltung statt, vermutlich nach folgender Gleichung: 10/0) NH; NH3 Das Ammoniak kann nachgewiesenermaassen von Hefe wie auch von vielen anderen Pflanzen, nicht bloss Pilzen, zur Stickstoffernährung gebraucht werden. Die Kohlensäure, welche bei dieser Spaltung entsteht, kann freilich von den Pilzen nicht zur. Ernährung verwendet werden; denn sie haben nicht die Fähigkeit, Kohlensäure zu reduzieren (mit wenigen Ausnahmen). Dazu fehlt ihnen der Chlorophyllfarbstoff, mit dessen Hilfe die grünen Pflanzen bekanntlich die Kraft des Liehtes für die Bildung organischer Pflanzensubstanz durch Synthese einfacher Kohlenstoffverbindungen, namentlich der Kohlensäure, zu komplizierten Kohlehydraten und Eiweissstoffen benutzen. Dass die Benzoesäure, welche bei der Spaltung von Hippur- säure entsteht, in der lebenden Zelle irgendeine Verwendung finden könne, ist nicht wahrscheinlich. Denn die Erfahrungen, die mit Zugabe von Benzolderivaten zu Nährlösungen gemacht wurden, sprechen fast durchweg dafür, dass die Zelle den Benzolkern nicht oder nur schwer zu bewältigen vermag. In folgendem seien einige Belege hierfür angegeben: Pyrogallussäure, Pyrogallol, C,H; (OH),, 1, 2, 3. Eine 0,05 °/oige Lösung derselben nahm bei zehntägigem Stehen eine tiefbraune Färbung an, es stellte sich weder eine Schimmel- noch eine Spaltpilzvegetation ein. Dabei hatte die Lösung neu- trale Reaktion. Mineralsalze waren zugegeben. Verhalten einiger organischer Stickstoftverbindungen usw. 535 Als ich einen weiteren Versuch derselben Art aufstellte und von vorneherein eine Spur Presshefe zusetzte, unterblieb jedes Hefewachstum. . Die Lösung war nach S Tagen Aufenthalt im Brütofen noch steril. Die starke Sauerstoffabsorption durch die Lösung ist wahr- scheinlich zum Teil Schuld an dem negativen Ergebnis. Aber auch die Unangreifbarkeit des Benzolkerns dürfte eine Rolle spielen. Vergleichen wir damit einen anderen dreiwertigen Alkohol (aus der Fettreihe), das Glyzerin, so wird die Sache recht klar. Das Glyzerin ist, wie schon Naegeli festgestellt hat, ein vor- züglicher Nährstoff für viele Pilze. Dass auch grüne Pflanzen das Glyzerin als C-Quelle gebrauchen können, hat Verfasser vor 30 Jahren nachgewiesen an Algen, A. Meyer und.E. Laurent an grünen Blütenpflanzen. Dieselben setzen Stärke an, wenn sie in Glyzerinlösungen gebracht werden. Neuerdings hat Verfasser wiederum durch Begiessen von grünen Topfpflanzen mit Glyzerinlösungen, während dreier Monate, gezeigt, dass dieselben bedeutend mehr Trockensubstanz bilden als Kontroll- ' pflanzen ohne solche organische Nahrung. Obwohl auch das Pyrogallol drei Hydroxylgruppen im Molekül besitzt, kann es doch nicht zur Ernährung gebraucht werden, weil hierzu vermutlich die Abspaltung der CHÖH-Gruppe gehört, die bei Pyrogallussäure nicht gelingt. Als Ganzes kann weder das Pyro- gallol noch ein anderes kompliziertes organisches Molekül zur Er- nährung, das heisst zum Aufbau von Eiweiss und Kohlehydrat dienen. Der zweiwertige Alkohol Äthylenglykol, ebenfalls der Fett- reihe angehörig wie das Glyzerin, ist eine gute Kohlenstoffnahrung für Bakterien (in 0,2 %oiger Lösung). In 0,1— 0,2% iger Lösung setzen Spirogyren Stärke an bei Licht- zutritt und Kohlensäureausschluss. Von 0,5% an wirkt dieser Alkohol aber ungünstig auf Spirogyren ein. Der einwertige Äthylalkohol ernährt nach Naegeli Bak- terien nur schlecht (Hefe gar nicht, Verfasser). Bei Algen ist das Resultat zweifelhaft. Man sieht, dass die mehrwertigen Alköhole der Fettreihe günstiger sind. Aus der Benzolreihe können auch dreiwertige Alkohole «Phenole) häufig nicht zur Ernährung gebraucht werden. Der einwertige aromatische Alkohol Karbolsäure ist höchstens eine geringe C-Quelle für manche Pflanzen. 536 Th. Bokorny: Phenol [C,H,-OH] oder Karbolsäure. Naegeli rechnet das Phenol zu den schlechtesten Kohlenstoff- quellen. Aber es wirkt doch bei Spaltpilzen, als einzige Kohlen- stoffquelle geboten, wenigstens spärlich ernährend. In einer Nährlösung, welche 0,08°/o Phenol und etwa 0,2 °/o Ammoniak, ausserdem 0,2°/o mineralische Nährsalze enthielt, ganz schwach alkalisch reagierte, trat bei Zimmertemperatur Trübung ein; im ersten Versuch entstand eine Mierocoeccusform nebst spärlichen Sprosspilzen, im anderen derselbe Mieroeoceus in geringer Zahl mit vielen Sprosspilzen vermischt (a. a. O.). Ich stellte mir eine etwas andere Lösung her, nachdem ich aus O0. Loew’s Angaben den Grad der Giftigkeit ersehen hatte. Letzterer sagt darüber: In 1°/oiger Lösung sterben Algen nach 20—30 Minuten (Infusorien fast momentan). In 0,1°/o Phenol können Algen 3 Tage am Leben -bleiben; doch sind dann fein- körnige Ausscheidungen im Zellsaft sichtbar, welche sehr wahr- scheinlieh Verbindungen von Phenol mit dem gespeicherten aktiven Albumin sind; dieselben verschwinden beim Einsetzen der Algen in reines Quellwasser nicht wieder. Milzbrandbazillen sterben nach 2 Minuten in 1°o Phenol, Tetanusbazillen aber selbst binnen 24 Stunden nicht (Giftwirkungen S. 50): Ich ging auf Grund dieser Angaben auf 0,05°%oe zurück, um sicher eine Giftwirkung zu vermeiden. In eine Nährlösung, welche 0,05 '/oige Karboisäure als einzige Kohlenstoffquelle und ausserdem die nötigen Mineralstoffe enthielt, verbrachte ich zunächst keine Pilze, vielmehr verliess ich mich auf die, nie fehlenden Luft- und Wasserpilze. Nach achttägigem Ver- weilen des Versuches in einem 23° C. warmen Brütschrank hatte sich eine schwache Schimmelvegetation eingestellt, keine Bak- terien waren gewachsen. Die Lösung reagierte schwach sauer, was vielleicht das Auftreten der Bakterien verhinderte. Für Schimmel ist also die Karbolsäure bei diesem Versuch eine, wenn auch schlechte, Kohlenstoffquelle gewesen. Ein gleicher Versuch, dem aber eine Spur Hefe zugesetzt worden war, erzeugte binnen 8 Tagen keinerlei Pilzvegetation, weder Hefe noch Spaltpilze noch Schimmelpilze; dabei war aber das zur Lösung angewandte Wasser nicht sterilisiert und auch sonst keine Desinfektion vorgenommen worden. Die Hefe vermehrte sich nicht. Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 537 Für Hefe ist also Phenol keine Kohlenstoffquelle. Wenig verheissend schienen mir nach den an Pilzen gemachten Er- fahrungen Versuche mit Algen und anderen grünen Pflanzen zu sein. Ich stand zunächst davon ab, nachdem schon O. Loew an Spirogyra mit 0,1°/oiger Karbolsäurelösung keine Stärkebildung beobachten konnte. Die Algen blieben zwar noch am Leben, arbeiteten aber nicht. Später freilich fand ich, dass Spirogyren in 0,05 °/o binnen 5 Tagen deutlich Stärke ansetzen (bei Lichtzutritt und CO,-Ausschluss). OÖ-Kresol [C,H,- CH; -OH]. 1 2 Eine 0,1 °/o ige Lösung von Orthokresol, mit den nötigen Mineral- stoffen versetzt, behielt bei 3 Wochen langem Stehen im Brütofen den eigentümlichen Geruch unverändert bei und zeigte keinerlei Pilzvegetation (B. im Bakt. Zentral-Bl. Bd. 30). Das ist der einzige Versuch, den ich über O-Kresol als eventuelle Kohlenstoffquelle bei Pilzen in der Literatur vorfinde. Kein Wunder, da ja das Kresol als Gift gegen Mikroorganismen angewendet wird (z. B. im Lysol). Übrigens fand ich 0,01 nicht mehr giftig wirkend. Das dürfte nun allerdings eine zur Ernährung wenig taugliche Verdünnung sein. | Das O-Kresol versprach keinen Erfolg. Darum stand ich bei ihm von weiteren Ernährungsversuchen ab, wie auch beim P-Kresol [C,H,-CH,-OH], 1 4 das sich ebenso wie die O-Verbindung als giftig erwies (B. in Pflüger’s Archiv Bd. 64 S. 311, Ortho- und Para-Verbindungen). In einer 0,1°/oigen Lösung entstand keinerlei Pilz vegetation. Ähnlich verhält es sich auch mit den folgenden Stoffen: £ OH, Au upon [or] In Hydrochinonlösung von 0,1°/o starben nach meinen Beob- achtungen Algen, wie Cladophora, Spirogyra, Conferva, Vaucheria, Diatomeen (und Infusorien), binnen 24 Stunden ab. Mit 0,05 °/o erhielt ich keine entschiedene Bakterien vegetation. Nach zehntägigem Stehen zeigte die (nun braungefärbte) mit allen nötigen Nährsalzen versehene 0,05 °/o ige Lösung einen schwachen Niederschlag, der mir aber nicht aus Bakterien zu bestehen 538 Th. Bokorny: schien. Es. war anfangs eine Spur Bakterien zugesetzt worden (B. in Pflüger’s Archiv Bd. 66). Hingegen wuchs in einer 0,05 ’/oigen Lösung von Hydrochinon binnen 8 Tagen eine ziemlich kräftige Schimmelpilzvege- tation heran, aber keine Hefe (B. in Ding]. pol. J. Bd. 303). Resorein, C,H, (OH),, 1, 3. * Es scheint ebenfalls keine Kohlenstoffnahrung für Bakterien zu sein. Denn eine 0,5 /oige, mit allen Mineralsalzen versehene Auflösung desselben blieb bei zehntägigem Stehen im Brütofen frei von Bakterien. Hingegen war eine Anzahl kleiner Schimmelrasen gewachsen. Dieselben bestanden aus verzweigten, gegliederten Fäden und waren zum grössten Teil festgewachsen (B. im Bakt. Zentral-Bl. Bd. 30. 1911). Bei grösserer Verdünnung des Resoreins erhielt ich ein schwaches positives Resultat mit Bakterien. Denn bei achttägigem Stehen einer 0,05 '/oigen mit minerali- scher Nahrung versehenen Auflösung im Brütofen kam eine schwache Trübung zum Vorschein, die unter dem Mikroskop als Bakterien- trübung erkannt wurde. Hefevegetation wurde bei diesen Versuchen niemals erhalten (B. in Ding]. pol. J. Bd. 503). Brenzkatechin, C,H, (OH),, 1, 2. Infolge seiner ebenfalls giftigen Beschaffenheit erhält man mit Brenzkatechinlösungen (0,05 °/o) ebenfalls keine oder nur schwache Bakterientrübung (B. a. a. O.). Hefe wächst in solehen Lösungen nicht. Phlorogluein, C,H; (OH), 1, 3, 5. Eine Phloroglucinlösung von 0,05 °/o blieb bei meinen Versuchen innernalb 10 Tagen fast ganz steril, obwohl alle nötigen Mineral- stoffe und eine Spur Spaltpilze zugesetzt worden war (B. in Bakt. Zentralbl. Bd. 30. 1911). Gallussäure, C,H, (OH); - CO;H In einer Auflösung, welche 0.05 %Joige Gallussäure und die nötigen Mineralsalze enthielt, wuchs keine Hefe (trotz Impfung), dagegen in geringer Menge ein Schimmelpilz. Man darf nicht glauben, dass etwa die saure Reaktion der Flüssigkeit das Wachstum der Hefe verhindert habe. Denn bei der . Verdünnung 0,05 %/o ist die saure Reaktion der Gallussäure so Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 539 schwach, dass die Hefe dadurch nicht geschädigt wird. Die Gallus- säure ist keine Kohlenstoffnahrung für Hefe, Bei einem früheren Versuch (B. im Bakt. Zentral-Bl. Bd. 30. 1911) mit 0,05 Yoiger Gallussäure erhielt ich nach zehntägigem Stehen der Flüssigkeit eine tiefbraune Färbung und eine nicht un- erhebliche Pilzvegetation. Es war aber, wie die mikroskopische Untersuchung lehrte, ein Schimmelpilz, trotzdem die Reaktion der Flüssigkeit neutral war und absichtlich Bakterienspuren hineingebracht worden waren. Für Bakterien scheint die Gallussäure ebensowenig eine Nahrung zu sein wie für Hefe; dagegen nährt sich Schimmel davon. Taunın, Dioallussaure, .. .., Eine 0,05 °/oige Auflösung erzeugte eine ziemlich starke Schimmel vegetation. Nach zehntägigem Aufenthalt im Brütofen war die Lösung sehr dunkel gefärbt und mit Sehimmelpilzen angefüllt. Die Reaktion der Flüssigkeit war neutral. Trotzdem waren Schimmelpilze und keine Bakterien gewachsen. Bei einem anderen Versuch derselben Art wurde von vornherein eine Spur Presshefe zugesetzt. Die Lösung blieb im Brütofen 8 Tage lang steril, es wuchs keine Hefe. Für Hefe ist Tannin also keine Nahrung. Die Benzolverbindungen versagen meistens. Von der Benzoesäure ist also auch keine ernährende Wirkung zu erwarten. Eher ist zu befürchten, dass die Benzoesäure eine schädliche Wirkung äussert. Sie wirkt antiseptisch. Schon 0,1 °/o dieses Stoffes vermag die Entwicklung von Mikroorganismen hintanzuhalten. Hippursäure und Hefe. Es wurden Nährlösungen hergestellt, welche die Hippursäure als einzige N-Quelle, ferner solche, die sie als einzige C-Quelle enthielten: P flüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 35 540 Th. Bokorny: Versuch i. Hippursäure als einzige N-Quelle. Hippursäure vv. ..0..2... .. 222.7.2090%% Monokalıphosphat 2... 0... 0..22.2.005°8 Maenesiumsullat, es... er 2200 Zucker (reiner, grosskristallisierter Rohrzucker) 2,5 g Wasser (Brunnenwasser) . ... .22....000.8 Hefe (Brauereipresshefe)... . - Spur Die Lösung zeigte eine beträchtlich saure Reaktion auf Lackmus- papier, was das Hefewachstum ungünstig beeinflussen konnte. Darum wurde in einem folgenden Versuch (siehe unten) die Lösung mit Kalilauge möglichst genau neutralisiert. Nach dreitägigem Stehen im warmen Zimmer zeigte die saure ‚Flüssigkeit keine Trübung. Auch die mikroskopische Untersuchung lehrte, dass keine Hefe gewachsen war. Nach 5 Tagen derselbe Befund. Also ist die Hippursäure in der obengenannten Lösung keine Stickstoffquelle für die Hefe. Versuch 2. Hippursäure (neutralisiert) als einzige N-Quelle. Monokaliphosphat, Magnesiumsulfat, Zucker in grossen Kristallen, Wasser (Brunnenwasser), Hefe (Brauereipresshefe). Nach 48 Stunden war Gasentwicklung bemerkbar, die Lösung war schwach trüb. Nach Ablauf von 4 Tagen war die Trübung stark geworden.. Unter dem Mikroskop waren zahlreiche Sprossverbände zu er- kennen, die aber nur zum kleineren Teil aus Bierhefe bestanden. Meist waren es kleinere Hefezellen (wilde Hefen), welche gewachsen waren. Somit ist erwiesen, dass die Hippursäure in neutrali- sierter Lösung der Hefe zur N-Ernährung dienen kann. Freilich scheint die Bierhefe davon weniger gut Gebrauch machen zu können als gewisse kleinere Hefearten. Neben den Hefen waren auch zahlreiche feine Fadenpilze ge- wachsen, deren Natur nicht weiter erforscht wurde. Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 541 Die weitere Beobachtung des Versuches, der neben einem ana- logen Harnstoffversuch aufgestellt war, zeigte mir aber zweifellos, dass die Hippursäure bei weitem nicht so gut als N-Quelle taugt wie der Harnstoff. Denn die Pilzvermehrung blieb viel geringer. Offenbar übt die bei der Zerlerung des Harnstoffes frei werdende Benzoesäure einen schädlichen Einfluss aus. Dass die Benzoesäure giftig auf Pilze wirkt, geht schon aus deren Verwendung zu antiseptischen Zwecken hervor. Dieselbe verhindert bei einer Konzentration von 0,1% das Pilzwachstum. Man darf also wohl annehmen, dass bei dem Hippursäureversuch die Hefevermehrung nur so lange dauern konnte, bis die Benzoe- säure eine schädliche Konzentration erreicht hatte. Versuch 3. Hippursäure . . . 0,50 g als einzige N- und C-Quelle. Monokaliphosphat . . . 0,05 g Magnesiumsulfatt . . . 0,02 g Wasser (Brunnenwasser) 50,00 g Brauereipresshefe . . . Spur Nach 4 Tagen war keine Hefe gewachsen. Ebenso naeh 38 Tagen. Die Lösung blieb klar. Da die Reaktion der Lösung ziemlich stark sauer war, konnte die Schuld auf diesen Umstand geschoben werden. Denn die Hefe verträgt zwar schwach saure Reaktion, wie sie durch 0,1°o Monokaliphosphat hervorgerufen wird, nicht aber eine grössere Säuremenge. Frühere Versuche über die Einwirkung von freien Säuren auf die Hefe haben ergeben, dass zum Beispiel 0,1/oige freie Salz- säure einen schädlichen, ja tödlichen Einfluss auf die Hefe hat (B. in Pflüger’s Archiv Bd. 164). Freie Flusssäure schadet sogar schon bei 0,01 /o. Phosphorsäure verhindert bei 0,5°o die Vermehrung der Hefe. Weinsäure ebenfalls bei 0,5°/o; schon 0,25 0 schädigt die Hefe erheblich. Man darf also bei der 1°/o betragenden Konzentration der Hippur- säure wohl auch eine schädliche Wirkung voraussetzen. Darum wurde die Säure im folgenden Versuche neutralisiert. 35° 942 Th. Bokorny: Versuch 4. Hippursäure (neutralisiert) 0,50 « als einzige N- und C-Quelle. Monokaliphosphat . . . . 0,05 8 Magnesiumsulfat . . . . . 0,02 g Wasser (Brunnenwasser) . . 50,00 g Brauereipresshefe . . . . Spur. Nach 4 Tagen war keine Hefe gewachsen. Auch nach 8 Tagen war die Lösung noch klar. Es ist also erwiesen, dass die Hefe von der Hippursäure keinen Gebrauch zur C-Ernährung machen kann (wohl aber zur N-Ernährung, wie aus einem früheren Versuch (2) hervorgeht). Dass die Hippursäure keine C-Nahrung für Hefe ist, mag wohl so zu verstehen sein, dass von den beiden Spaltungsprodukten der- selben, dem Glykokoll und der Benzoesäure, keines sich als C-Quelle für Hefe eignet. 2 Das Glykokoll ist übrigens als C-Nahrung im Pilzreiche nicht, ganz untauglich. Manche Schamepılze können dasselbe als'C-Quelle verwenden. Algen wissen es ebenfalls zu verwenden. So bildet Spirogyra Stärke, wenn man siein wässerige Glykokolllösung verbringt. Manche Pflanzenzellen wissen also mit der Hippur- säure, diesem Auswurf der tierischen Zelle, noch etwas anzufangen, sie ernähren sich davon. Ähnlich verhält es sich nun, wie wir nachher sehen werden, auch mit dem Harnstoff. Er ist als Stickstoffquelle von vielen Pflanzen verwendbar. Für Hefe ist er sogar eine ausgezeichnete Stickstoffnahrung. Einige andere Amidolorner darunter auch solche, die in der Pflanzenzelle normal auftreten, mögen dann im Anschluss hieran geprüft werden. Harnstoff und andere Amidokörper. Harnstoff, NH,-CO-NH.. Schon 1837 (J. f. Ch.) wurde der Harnstoff von OÖ. Loew und Verfasser auf die Ernährungskraft als Kohlenstoffquelle bei Algen "geprüft. Es zeigte sich, dass in 0,2 Yo iger Lösung Spirogyren nicht gediehen. Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 543 Die Fäden waren nach fünftägiger Einwirkung der Harnstoff- lösung meist dem Tode nahe, die Chlorophyllbänder waren stärkeleer, ohne Zacken und zusammengeschrumpft, öfters zerrissen. Das farblose Plasma war meistens intakt, manchmal kontrahiert, ‘nur hier und da granuliert. Die Algen in 0,2°/oiger Lösung von Selfoharnstaff waren eben- falls meist dem Tode nahe, zeigten aber in vielen Zellen noch Stärkegehalt. Auch in 0,1°/oigem Harnstoff kränkelten die Algen schon nach einigen Tagen. Ich nahm daher die Lösung noch etwas verdünnter. Harnstoff wurde zu 0,05° in kaltem Wasser gelöst und die Lösung mit einigen Tropfen einer vorrätigen 10°/oigen Monokalium- phosphatlösung versetzt. - In dieser Lösung blieben die Spirogyren mehrere Tage lebend, am dritten Tage zeigte sich in allen Zellen erhebliche Stärkebildung, aber nicht so viel wie in einem gleichzeitig aufgestellten Versuche mit Tyrosin. Spaltpilze waren in der Lösung nicht aufgetreten. Der Versuchsraum war kohlensäurefrei (durch starke Kalilauge). Also hatte der Harnstoff die Stärkebildung hervorgerufen. Da der Harnstoff eine der Hauptverunreinigungen der Flüsse, in welche Siele eingeleitet wurde, darstellt, ist die Sache vom Stand- punkt-der Selbstreinigung der Flüsse von Interesse. Aber auch für Landwirtschaft und Gartenbau ist das wichtig, weil der Harnstoff ein beträchtlicher Bestandteil des Naturdüngers ist und im angebauten Boden sich vorfindet. Für Bakterien kann der Harnstoff nur schwierig als Kohlenstoffnahrung verwendet werden (B., Chem.-Ztg. 1896. Nr. 9). | Für Bacterium termo -ist nach Cohn (Beitr. z. Biol. d. Pfl. 187. Bd. 1) der Harnstoff als Nahrung nur dann tauglich, wenn noch eine andere Kohlenstoffquelle geboten wird. Auch Baeillus subtilis gedeiht nur bei gleichzeitiger Zufuhr von Zucker und Harnstoff. (A. Fischer, Jährb. wiss. Bot. 180. Bd. 249.) Dabei ist nun freilich fraglich, ob der Harnstoff nicht als Stick- stoffquelle dient. Versuche, welche E. Laurent (Ann. soe. belg. de mier. t. 16. 1890) mit Harnstoff als Kohlenstoffquelle für Hefe anstellte, führten zu einem negativen Resultat. 944 Th. Bokorny: Naegeli (a.a. ©. S. 429) erhielt mit Harnstoff 19/0, 2%0, 4 keine Pilz vegetation (bei Luftzutritt und Aschenzusatz). Harnstoff 1° + Zitronensäure 2° (+ Hefenasche) lieferte reichlich Schimmelbildune. Luft- Harnstoff 1/0 + reinster Rohrzucker 9° + Phosphor- zutritt säure 0,2 0/0 (+ Asche) ergab Sprosshefe und Gärung. Harnstoff 1°/o + Glyzerin 9°/o + Phosphorsäure 0,2 %o Ü (+ Asche) ergab reichliche Schimmelbildung. Aus den Versuchen geht hervor, dass der Harnstoff sowehl für Hefe wie auch für Schimmel als Stickstoffnahrung dienen kann. Vermutlieh ist das auch bei Bakterien der Fall. Die obigen Lösungen waren zu sauer für Bakterienwachstum. Faktisch finde ich unter Naegeli’s Versuchen auch solche, welche Bakterienvegetation ergaben. S. 432: Harnstoff 0,50’ + Äthylalkohol 2,3 + mineralische Nährsalze (Luftzutritt). — Ein Glas im Brutkasten zeigte mässige Spaltpilzbildung mit saurer Reaktion, nachher eine dicke Schimmeldecke. S. 440: Harnstoff 1°/o + Zucker 9° + Phosphorsäure 0,2%, neutralisierte Erbsenasche, ohne Luftzutritt. Reichliche Sprosspilze und Spaltpilze. | Der Harnstoff dient also auch Bakterien als Stickstoffquelle. Alles in allem kann man sagen, dass der Harnstoff den Pilzen nur schwierig als Kohlenstoffnahrung, leicht als Stiekstoffnahrung dient. Ein Versuch mit Algen ergab mir, dass der Harnstoff wahr- scheinlich auch für diese eine Stickstoffnahrung sei. In einer Nährlösung, welche 0,02% Harnstoff, ausserdem etwas Monokaliumphosphat, Caleiumsulfat, Chlorealeium und Magnesium- sulfat enthielt, blieben Spirogyren 4 Wochen lang durchaus gesund und zeigten kräftiges Wachstum, reichen Stärkevorrat. Da ein anderer stickstoffhaltiger Stoff als Harnstoff nicht an- wesend war, scheint die NH,-Gruppe des Harnstoffes verwendet worden zu sein (B., Chem.-Ztg. 1894. Nr. 2). Glykokoll, CH,-NH,-CO;H. In 0,1°/oiger mit Kalkwasser neutralisierter Lösung von Glykokoll, der etwas Monokaliumphosphat zugesetzt war, bildeten Spirogyren bei Lichtzutritt und Kohlensäureausschluss binnen 3 Tagen Stärke Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 545 in allen Fäden. (B., a.a. 0.) Glykokoll ist also eine C-Nahrung für Spirogyren. Was die Pilze anlangt, so ist, soweit meine Untersuchungen reichen, das Glykokoll.eine Kohlenstoffnahrung für Schimmel- pilze. (Chem.-Ztg. 1896. Nr. 9.) Als Stiekstoffnahrung habe ich das Glykokoll bei Spiro- gyra nitida versucht. (Chem. -Ztg. 1896. Nr. 2.) In einer Nährlösung, welche keine weitere Stickstoffquelle als Glykokoll 0,1°/o enthielt, blieb Spirogyra nitida 3 Wochen lang kräftig und wuchs sichtlich, während dieselbe Spirogyrenart mit 0,1°/o schwefelsaurem Ammon keine Massenzunahme zeigte. Bei einem zweiten Versuch ergab sich ein ähnliches Resultat. Ein weiteres Experiment ergab, dass in der glykokollhaltigen, sonst stickstofffreien Nährlösung binnen 18 Tagen eine beträchtliche Zunahme an aktivem Albumin erfolgte. Mit Coffeinlösung zeigte sich starke Protosomenausscheidung in Plasma und Zellsaft. Ein vierter Versuch bei Ausschluss des elementaren Stickstoffes, zu welchem das Lösungswasser ausgekocht und dann von Luft ab- geschlossen wurde, hatte ein ganz ähnliches Ergebnis. Dass Glykokoll auch für Hefe eine Stiekstoffnahrung sei, wurde durch folgenden Versuch konstatiert: Wassers a 20 23, 32..,7.2392:.55400,07g GIyYkOoRkOBE er Er 28 810.0 (0,292/0) Rohrzuckeie se anal 2220.08 (8.00) Monokaliphosphat. . . . 2» ....2..088 (0,2%) Bittersalze ng ven 2 02 20.040.480 (051.90) Hefe von 33,5 °/o Trockensubstanz . 1,08 Nach zweitägigem Stehen bei 25°C. war die Hefe bereits ab- gesetzt, während vorher starke Trübung der Flüssigkeit durch die suspendierte Hefe stattgefunden hatte. Die Trockensubstanz der Hefe betrug nun 0,40 g. Die Zunahme an Trockensubstanz betrug 19,4. (B., A. Br.- u. H.-Zte.) Wenn nicht N-Nahrung, geht die Trockensubstanz zurück; z. B. bei Anwendung von Albumose als N-Quelle (u. C-Quelle). Äthylendiamin, NH,-C,H,-NH,. Nach ©. Loew (Zentralbl. f. Bakt. 1892. Nr. 11/12) ist dieses untauglich als Kohlenstoffquelle für Pilze. Dasselbe wurde von diesem Forscher im Zusammenhang mit 546 Th. Bokorny: Tetramethylelykol geprüft, um die vermutete, mit der Konstitution des Moleküls verbundene Unfähigkeit zur Ernährung darzulegen: (CH,,C — OH H,C— NH, | IE (CH3))C — OH H;:0 — NH; Tetramethylglykol Äthylendiamin In 0,5°/oigen Lösungen dieser Stoffe, versetzt mit 0,05°/o PO,K;H und PO,(NH,);H und 0,01 °o Magnesiumsulfat wuchsen binnen 2 Wochen keine Bakterien. OÖ. Loew vermutet, dass aus diesen Stoffen schwierig die zur - Eiweisssynthese nötige Atomgruppe CHOH gebildet wird. Ähnlich verhielt es sich mit dem Diacetonamin, CH,;CO-CH,; — C(CH;),NH;3, welches ebenfalls lange Zeit keine Bakterientrübung aufkommen liess; erst spät stellte sich (nach 2 Wochen) eine kaum. bemerkbare, sehr schwäche Bakterientrübung ein. Die Reaktion wurde neutral gemacht (wie auch im vorigen Versuch). Bei dem verwandten Aceton war schon nach 4 Tagen Trübung zu bemerken. | EB; CH; — CO — CH; CH; — CO — CH — C-NB, Ä NCH; Aceton Diacetonamin Also auch hier Abnahme der Ernährungsfähigkeit mit dem Kompliziertwerden des Moleküls. Versuche an grünen Pflanzen fehlen. Acetamid, CH,-CO-NH.. s E. Laurent erhielt damit keine Hefeernährung; eben- sowenig mit Formamid, HCO-NR.. Dagegen ist Acetamid nach Naegeli (a.a. O.) eine gute Kohlenstoffquelle für Bakterien. Mit der Anhäufung von Methylgruppen an Stelle von Wasser- stoffatomen sinkt die Ernährungsfähigkeit, wie schon bei Aethylen- glykol und Tetramethylglykol zu ersehen war. Ersteres ist Pilz- nahrung, letzteres nicht. Aus demselben Grunde ist auch Methylamin eine bessere C-Nahrung als Trimethylamin. Nährlösungen, welche Methylamin, CH;-NH,, als einzige Kohlenstoffquelle enthalten und neutralisiert sind, ergeben nach Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 547 ©. Loew bei Infektion mit dem Bacillus methylieceus gutes Pilzwachstum. N.aegeli machte folgenden Versuch (a. a. ©. S. 432): Salzsaures Methylamin 0,5 °/o Mineralische Nährsalze. Es trat eine ziemlich reichliche Spaltpilzvegetation auf. Salmiak und freie Salzsäure traten bei diesem Versuche auf. Der Versuch blieb 2 Jahre stehen! Ein Versuch ähnlicher Art, aber mit 1,25 P-Säure, lehrte, dass Schimmel diesen Stoff nicht gebrauchen kann. (Naegeli, Versuch 59.) Einen Versuch an grünen Pflanzen finde ich nicht vor. Er würde wahrscheinlich positives Resultat ergeben haben. Denn sogar Trimethylamin, (CH,);N, ergab positives Resultat an Algen. In einer mit sehr verdünnter Schwefelsäure neutralisierten 0,05 /oigen Lösung von Trimethylamin blieben Spirogyren 3 Tage lang gesund, zeigten aber keinen Stärkeansatz. Erst nach 8 Tagen trat Stärke auf (keine Spaltpilze). (B., a. a. O.) Für Bakterien kann es nach OÖ. Loew nicht oder sehr schleeht zu Kohlenstoffnahrung dienen. Er bringt das wieder in Zusammenhang mit der Konstitution des Moleküls H CH: NH n/chH, CH; NCH; Methylamin | Trimethylamin. Propylamin, CH,-CH,-CH;NH.. Dasselbe ist nach E.Laurent keine Kohlenstoffnahrung für Hefe (a.a. O.). Nach Naegeli und Loew ist es eine (schlechte) Kohlenstoff- nahrung für Pilze. Ja, nach Naegeli können gewisse Bakterien daraus ihren Kohlenstof- und Stickstoffbedarf zugleich decken. (Naegeli, Versuch 60.) . WeISSenisn 222 „02 0220000 Salzsaures Propylamin. . 2,00 8 Dikaliumphosphat . . . . . 0508 Magnesiumsulfat . . . 2. 0048 Galesumehloride, =. 2 2° 2.228 20.08 gi 548 Th. Bokorny: Es bildete sich langsam eine Vegetation von rötlich gefärbten Spaltpilzen. Letztere können also aus Propylamin nicht nur ihren Bedarf an Kohlenstoff, sondern auch an Stickstoff decken. Ganz gleiche Versuche ergaben (zur selben Zeit und daneben) ein negatives Resultat bei Methyl- und Äthylamin. Spaltpilze konnten darin nieht aufkommen. Nur Baeillus methylieus konnte darin wachsen (siehe oben), oder andere bei sehr langem Stehen. Hingegen sind Methylamin und Äthylamin ebenfalls Stickstoff- quellen für Pilze, wie das Propylamin. „Der Stickstoff substituierter Ammoniake (Methyl- und Äthyl- amin) kann von Schimmel- und Spaltpilzen leicht assimiliert werden. Ja, ein Vergleich ergab, dass salzsaures Methylamin mit Zucker ein besseres Resultat lieferte als Salmiak mit Zucker. Sprosshefe scheint sich auch hier wieder abweichend zu ver- halten. Denn in einem Versuch verhielten sich die Zunahmen bei salz- saurem Äthylamin und Salmiak nahezu wie 1:2; bei ersterem traten auffallend rasch Spaltpilze auf.“ (Naegeli, a.a. 0. S. 452.) Auch Trimethylamin kann von Pilzen als Stickstoffquelle benutzt werden. Wegen des besonderen Interesses, welches dieses dreifach sub- stituierte Ammoniak darbietet, da es doch zuerst NH, liefern muss, um zur Eiweissbildung zu dienen, sei der Versuch Naegeli’s kurz angegeben: Wasser. . . ee 3) Essigsaures Trimethylamin. . 058 Zucker... 00 200 War 2000 Dikaliumphosphat . . . ...2.028 Magnesiumsulfat::. .. 2... .... .0.02&€ Galeiumehlorid =... 2..022.22..0,002:8 Eine solche Lösung wurde mit Spaltpilzen infiziert, während eine zweite, ganz gleiche noch 1°/o Phosphorsäure erhielt und mit Schimmelsporen besät wurde. Gleichzeitig wurden zwei Kontroll- flaschen aufgestellt. Im ersten Versuch trat bald reiche Spaltpilzvegetation ein, in- folgedessen Milchsäurebildung. Nun kamen Schimmelpilze. Nach 3 Monaten war ein Schimmelrasen von 1,080 & da. Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 549 Im zweiten Versuch entwickelte sich gleich anfangs Schimmel, der binnen 2 Monaten einen Rasen von 1,167 g bildete. Die beiden Kontrollversuche lieferten (infolge der Verunreinigung des Zuckers mit N-haltigen Stoffen) 0,042 bzw. 0,12 g Pilzvegetation. Also ‚hatte das Trimethylamin als Stickstoffnahrung für Bakterien und Schimmel gedient. Oxamid, CONH;-CONH,, ernährt nach Naegeli die Pilze nicht (a. a. ©. S. 315). Naegeli verwendete 0,5 °/o Oxamid und mineralische Nährsalze. Nach 2 Jahren war die Flüssigkeit noch unverändert (bei Luftzutritt). Asparagin, CO;H-CH,-CH(NB;)-CO(NRB;). Dass es sich ausgezeichnet zur Kohlenstoffernährung der Pilze eignet (Naegeli, a. a. O.), hat Naegeli schon vor 40 Jahren mitgeteilt. - Bei einem meiner Versuche mit Hefe, in welchem Asparagin als C- und N-Quelle zugleich funktionierte und folgende Substanzen zugegeben wurden: WASSERRE RE EEE IDEEN FAND TE ASpanasin » rue. 2 re are lLOrE dEL.-2,9:0 Monokalıphosphat ea are 2a di 10550/0 Biftersala a ae: A Ar 10; Presshefe von 0,31°/o Trockensubstanz 18 _ ergab die Trockensubstanzbestimmung nach zweitägigem Stehen des Versuches bei 25° C. 0,61 g. | Also hatte die Trockensubstanz um 96,8 °/o zugenommen binnen 2 Tagen. Dass das Asparagin auch grünen Pflanzen zur Nahrung dienen kann, geht schon aus der so häufigen Verwendung zur Eiweissbildung in den Zellen hervor. Das Asparagin findet sich unter den Zerfallsprodukten bei der Eiweisswanderung und wird dann beim Wiederaufbau des Eiweissmoleküls als Nährsubstanz gebraucht. Dass es auch Stickstoffnahrung für grüne Pflanzen sei, hat Bässler ausserdem durch Ernährungsversuche an Maispflanzen gezeigt (landw. Vers.-St. Bd. 33 S. 23). Dieselben gediehen besser, wenn der Stickstoff in Form von Asparagin als wenn er in Form von Kalisalpeter dargeboten wurde. Der Mehransatz von Stickstoff betrug 15,7 °/o, unter der Voraus- setzung, dass der Stickstoffgehalt der Pflanzen bei Beginn des Ver- suches gleich war. 550 Th. Bokorny: Eine Zersetzung des Asparagins durch Spaltpilze vor seiner Auf- nahme durch die Pflanzen war durch die Versuchsanordnung aus- geschlossen. Denn die frisch hergestellte Asparaginlösung wurde, getrennt von den Mineralsalzen, jeden Tag einige Stunden für sich den Pflanzen dargeboten. Asparaginsäure, CO,;H-CH,-CHNH; -CO,H. Auch sie ist eine Nahrung für Hefe. Doch wird sie von Hefe scheinbar weniger gut verwendet wie Asparagin: ©Wassers u ee san. 23.4000. 8 Asparacinsäurer... „2.0 0.21... ...1:0x220. 12. 0:2520 Rohrzucker. . .’... Be 220,0 2: 15:90 Dikaliphosphat (zur Nentralisatien) :20,8.:8.d-1. 02. %0 Bittersalz 0.0... 5 10,400 to Hefe von 33,5 %o Froekenisubstänz. 210.8 Nach zweitägigem Stehen bei 25°C. hatte die Hefe sichtlich zugenommen. Die Trockensubstanzbestimmung ergab 0,52 g. Also hatte sich die Trockensubstanz um 55,2 %/o vermehrt binnen 2 Tagen, das macht beträchtlich weniger als bei dem Asparagin- versuch. Freilich war hier die Menge der Asparaginsäure eine viel geringere als dort die des Asparagins. Dafür war aber eine vortreffliche Kohlenstoffnahrung noch eigens zugesetzt, so dass die Asparaginsäure hauptsächlich als Stickstoff- nahrung zu dienen hatte. Dass die Asparaginsäure auch eine Kohlenstoffquelle für Algen sei, wurde zuerst von O. Loew erkanzt (Journ. pr. Ch. 1887). Meine eigenen Versuche bestätigten dies (B., Chem. ae 1898. Bd. 18. Nr. 2). Spirogyren ergeben in 0,1°/oiger, mit Kalkwasser neutrali- sierter Lösung von Asparaginsäure binnen 2 Tagen erheblichen Stärkeansatz. Bei Versuchen mit diesem (Anwendung eines guten Pilznähr- stoffes) ist es sehr ratsam, die Versuchszeit kurz zu halten und bei niederer Temperatur zu experimentieren, da sonst bald Spalt- pilztrübung eintritt; die Asparaginsäure (wie auch das Asparagin, Tyrosin, Leuein usw.) ist eben auch ein sehr guter Nährstoff für Spaltpilze, die an ihm eine 'Kohlenstoff- und Stickstoffquelle zu- gleich finden. Verhalten einiger organischer Stickstoftverbindungen usw. 551 Leuein, CH,-(CH,);- CHNH;-CO;H. i Es ist eine gute Kohlenstoffnahrung für Bakterien (O.Loew, Zentralbl. f. Bakt. 1892. S. 361). Mit Algen erhielt ich ebenfalls ein positives Resultat. Sie setzen in einer 0,2°/oigen Auflösung vor Lenein bei Lichtzutritt und Kohlensäureausschluss Stärke an. (B., Chem.-Ztg. 1898. Bd. 18. Nr. 2 usw.). Ein Versuch mit Hefe ergab auch positives Resultat: Wasser... cap, A Rn ANNE Leucin ER DR ERSTER TEN. A215:-0,29.010 Kohrzucker 2.02. 2 ee 27 er 32010, 8 44.1...9,%/0 Monokaliphosphat . 7. 2......2..2..08 8 'd.1. 0,200 Bittersalz . 0,4 &.d.i. 0,10 Hefe von 33,5 °/o ocean ur Nach zweitägigem Stehen bei 25° C. hatte die Hefe deutlich zugenommen. Die Flüssigkeit war noch in Gärung, deutlich getrübt. "Nun wurde filtriert, die Hefe gesammelt, gewaschen, getrocknet. Trockensubstanz: 0,61 g Also war die Trockensubstanz um 82°/o vermehrt worden. Der Versuch beweist allerdings zunächst, dass das Leuein als Stickstoffnahrung für Hefe dienen könne, doch zweifle ich nicht daran, dass dasselbe auch als Kohlenstoffnahrung dienen könne und gedient habe. OH Tyrosin (Oxyphenylalanin 1,4), CH CH; CH(NH;3)-CO5H. Dass dasselbe den Algen (Spirosyren) als Kohlenstoffquelle dienen könne, zeigte mir ein Lichtversuch unter Kohlensäureaus- schluss. Schon nach 2 Tagen Stärkeansatz (bei 0,1°/o und weniger). Die Algen setzten Stärke an (B., Chem.-Ztg. 1894. Nr. 2 usw.). Ein Versuch mit Hefe, der allerdings auf Tauglichkeit des . Tyrosins als Stickstoffnahrung berechnet war, ergab positives Resultat: Wasser 4 Ser Sr. 20 Dyson ee Na rd, 1.:0,25°970 Rohrzucker tn 27720 20,0 dl Monokaliphosphata2 18°. ,212024:217,.0;8°8 .d.1.-0,2:%0 Bittersale 8 as & EEE de 180806 va oa m Hefe von 33,5 '/o rose fnsuhstann le) 992 Th. Bokorny: Nach 2 Tagen bei 25° C. ergab die Trockensubstanzbestimmung 0,52 g. — Also eine Zunahme von 54,4 °o. Jedenfalls hat das Tyrosin auch als Kohlenstoffnahrung gedient. Wo soll sonst die Oxyphenylgruppe hingekommen sein und die | Propionsäuregruppe ? Anilin, C;H;-NH,. Dasselbe ist nur in geringem Grade schädlich für niedere Pflanzen -(und Tiere). 0,1/oige Auflösung von Anilin reagiert ganz schwach alkalisch, so dass empfindliches Lackmuspapier kaum merklich damit reasiert. Vergleicht man 0,02 °/oige Anilinlösung mit 0,02 °/oiger Benzol- lösung, so findet man, dass Benzol etwas schädlicher wirkt als Anilin. Versuche über Ernährung der Hefe mit Anilin, welche E. Laurent anstellte, führten aber zu keinem positiven Resultat. Er erhielt keine Hefenvegetationen. Versuche mit grünen Pflanzen sind nicht gemacht worden. Toluidin, C,H,(CH;)- NH;. Dasselbe ist leicht zu lösen, wenn es mit etwas Schwefelsäure und dann mit einigen Kubikzentimetern heissen Wassers und mit kaltem Wasser verdünnt wird. Die Lösung ist dann mit Kali genau zu neutralisieren; dieselbe enthält dann Toluidinsulfat. So stellte ich mir eine 0,1°/oige Lösung von Ortho- und Para- toluidin her; also eigentlich von den schwefelsauren Salzen. Nach sechsstündigem Aufenthalt in den Lösungen zeigten sich bei der Paraverbindung schon viele Algen und Tiere geschädigt oder abgestorben, bei der Orthoverbindung nicht. Nach 24 Stunden waren in ersterer Lösung alle Pflanzen (und Tiere) abgestorben, in der letzteren fanden sich noch lebende Algen (und Tiere) vor, sogar nach 3 Tagen war noch nicht alles Leben erloschen. Die Para- verbindung ist also eiftiger als die Orthoverbindung, bei ersterer ist also am wenigsten ein positives Ernährungsresultat zu erwarten. Ich arbeitete mit O-Toluidin weiter. Aber auch meine Versuche mit neutralisierter 0,1 /o iger Lösung von O-Toluidin führten zu einem negativen Resultat. Toluidin (O-) kann von Hefe nur schwer als Stickstoff-, gar nicht als Kohlenstoffquelle ‘verwendet werden. Dagegen scheinen Schimmelpilze (Aspergillus) dasselbe gut als N-Quelle verwerten zu können, weniger aber doch ein wenig auch als C-Qüelle. “oc Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 553 Es wurden folgende Lösungen hergestellt: Die 0,1 °/oige Lösung des Stoffes wurde (nach Neutralisation) mit etwas schwefelsaurem Ammon, Maenesiumsulfat, Monokali- phosphat und Chlorkalzium versetzt. - Bei einer zweiten, ebenfalls 0,1°/oigen Lösung des Toluidins wurde das Ammonsalz weggelassen, dafür aber Rohrzucker in der Menge von 1°/o hinzugesetzt. Erstere Lösung enthielt ausser Toluidin keine kohlenstoffhaltige Substanz, konnte also zur Prüfung der Frage dienen, ob Toluidin für Hefepilze eine Kohlenstoffquelle sei. Letztere Lösung enthielt ausser dem Amidstickstoff des Toluidins keine Stickstoffquelle; es musste sich also ergeben, ob das Toluidin eine Stickstoffquelle sei. Bei dreiwöchigem Aufenthalt der beiden mit einer Spur Press- hefe versetzten Lösungen im Brutofen zeigte sich in ersterer Versuchsflüssigkeit kein Hefenwachstum, aber eine schwache Schimmel- vegetation. Die Pilze erwiesen sich unter dem Mikroskop als verzweigte gegliederte Fäden; sie fruktifizierten an der Oberfläche. In der ammoniakfreien Lösung hatte sich eine starke Pilz- vegetation eingestellt, welche zum grösseren Teile aus Schimmel- pilzen, zum kleineren aus Hefe bestand. Mit Algen wurden keine Versuche gemacht. Freies Toluidin in 0,1°oiger Lösung bewirkte schon binnen 2 Stunden eine Granulation im Plasma vieler Spirogyrenzellen, und zwar die Paraverbindung stärker als die Orthoverbindung. Nach 5 Stunden waren durch die Paraverbindung fast sämtliche Zellen getötet oder doch geschädigt, in der Auflösung der Ortho- verbindung fanden sich noch ungeschädigte Zellen vor; sogar nach 2 Tagen waren noch solche aufzufinden. Meine Versuche mit (nicht neutralisierter) 0,1 /oiger Lösung von O-Toluidin führten aber zu keinem positiven Resultat. O-CH; Anisidin, GH (Ortbo- und Para-). NH 2 u Die Orthoverbindung bildet eine gelbliche Flüssigkeit, die Para- verbindung grosse weisse Kristalle. Beide sind in Wasser ziemlich leicht auflöslich und verbreiten einen scharfen, gewürzhaften Geruch. 554 Th. Bokorny: Die 0,1 /oigen wässerigen Auflösungen reagieren schwach basisch auf Lackmus und erweisen sich als ziemlich unschädlich. Nach 12 Stunden langem Aufenthalt in denselben waren die eingesetzten Mutterorganismen noch vielfach ungeschädigt; tierische Bewegung war noch bemerkbar. Die Oogonien einer Vaucheria schienen durch die O-Ver- bindung geschädigt, durch die P-Verbindung nicht. In letzterer waren nach 48 Stunden noch lebende Spirogyren auffindbar, freilich meist mit Granulationserscheinungen im Zellsaft; in ersterer fast nicht mehr (Granulationen waren auch hier zu sehen). Die Paraverbindung scheint hier weniger schädlich zu sein als die Orthoverbindung. | Zu den Versuchen mit Hefe verwandte ich die unschädlichere von den beiden Isomeren, die Paraverbindung in 0,1 /o iger Auflösung. Sie wurden in gleicher Weise angestellt wie die bei Toluidin beschriebenen. Es ergab sich, dass das P-Anisidin eine Stickstoffquelle für Sacharomyces sei. Denn die Hefe hatte sich vermehrt. Ebenso zahlreich freilich hatten sich Spaltpilze eingestellt. Eine Kohlenstoffquelle scheint es für Hefe nicht zu sein; denn bei dem darauf gerichteten zweiten Versuche zeigte sich keine Ver- mehrung der Hefe, während ein Schimmelpilz, der in ziemlich starken Räschen sich eingefunden hatte, diesen Stoff als Kohlenstoff- quelle zu verwerten schien.‘ An grünen Pflanzen wurden mit Anisidin keine Versuche gemacht. Dimethyltoluidin, C,H,(CH;)-N(CH;3).. Die Paraverbiudung ist eine gelbliche, die Orthoverbindung eine farblose Flüssigkeit. Beide lösen sich zu 0,1°/o nur dann, wenn man etwas veronane Schwefelsäure zusetzt (ein Überschuss ist mit Kalilauge zu neutrali- sieren). Die Auflösungen verbreiten einen schwachen Geruch. Die 0,1°/oigen Lösungen der Sulfate sind schädlich. Binnen 12 Stunden waren an hereingebrachte Organismen abgetötet. In den 0,2°/oigen Lösungen blieben Tiere und Algen 24 Stunden am Leben. Verbalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 555 Ein Unterschied zwischen den beiden Substanzen war bei dieser Verdünnung nicht mehr zu bemerken. Da 0,1° schon giftig wirkt, so_stellte ich keine Ernährungs- versuche mit Hefe an. Vielleicht wäre mit 0,02 °/o noch etwas zu erreichen. Versuche mit grünen Pflanzen wurden nicht angestellt. Amidobenzoesäure, u In einer 0,05 °/oigen Auflösung von Amidobenzoesäure, welche durch Auflösen von 0,1 g der Säure in etwas Alkohol und Eingiessen dieser Lösung in 200 ecem Wasser hergestellt worden war, blieben Vaucherien, Conferven, Spirogyren und Infusorien 24 Stunden lan lebendig; Cladophora starb ab. Selbst nach 72 Stunden waren noch viele der eingesetzten Organismen lebendig (Benzoesäure ist giftiger, 0,1°/o wirkt binnen 24 Stunden tödlich, auch nach dem -Neutralisieren). Versuche mit Hefe und Amidobenzoesäure ergaben ein nega- tives Resultat.- An grünen Pflanzen wurden keine Versuche gemacht. p-Nitranilin, C,H,(N0,)-NH; (1,4). In einer 0,1°/oigen Auflösung von Paranitranilin, welcher die nötigen mineralischen Nährstoffe, aber keine weiteren organischen Substanzen . zugesetzt waren, wuchs Sacharomyces nicht. Die Spur Hefe, welche anfangs zugesetzt worden war, hatte sich binnen einer Zeit von 3 Wochen bei 27° C. kaum vermehrt. Das Nitranilin kann also nicht als Kohlenstoffquelle ür Hefe dienen, aber anscheinend auch nicht für andere Pilze; den. es zeigte sich bei diesem Versuch keinerlei Pilzvegetation, wiewohl andere Pilze auch Zutritt hatten. Hinzesen ist das Nitranilin eine gute Stickstoffquelle für Hefe wie auch für Schimmelpilze. Bei einem zweiten, gleichzeitig aufgestellten Versuch mit 0,1 °/oiger Lösung des Nitranilins, welche keine Stickstofftquelle ausser dem Nitranilin selbst, sonst aber alle nötigen Stoffe enthielt, stellte sich eine mächtige Pilzvegetation binnen 3 Wochen ein. Es hatte sich die Hefe stark vermehrt, ein Schimmelpilz hatte sich ausserdem angesetzt, dessen Fäden einen dichten Rasen bildeten und an der Oberfläche der Flüssigkeit zahlreiche Sporen abschnürten. Über grüne Pflanzen liegen keine Versuche vor. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 36 Th. Bokorny: Cr an (op) Ferrocyankalium, K,Fe(CN), +3 ag. Aus Cyanverbindungen vermögen Pilze nach Naegeli und Loew (a.a. O0. S.401) den Kohlenstoff nicht zu assi- milieren. Bei einem das Cyan betreffenden Versuch diente folgende Nähr- lösung: Wasser - ya 2 00572.22202.:2900,00.8 Zucker 22.28.00... 19000 Ferrocyankalium . 3008 Dikaliumphosphat . . . 0,508 Maenesiumsulfatt . . . 016g Caleinmehlorid . . . . 0,04 g Ausgesäte Schimmelsporen kamen hier nicht zur Entwicklung. Dagegen stellte sich bald eine Spaltpilzvegetation ein und infolgedessen Milchsäurebildung. Allmählich trat ein schwacher Blausäuregeruch auf. Das Nessler’sche Reagens deutete die Bildung von Ammoniak an, und am Boden zeigte sich ein schwach blau gefärbter Nieder- schlag. Offenbar hatte die gebildete Milchsäure Ferrocyanwasserstoffsäure in Freiheit gesetzt, welche letztere leicht zersetzlich ist. Bei rascherer Zersetzung der hierbei auftretenden Blausäure würde eine hinreichende Menge Ameisensäure entstanden sein, um die weitere Pilzvegetation ganz aufzuheben. Spaltpilze vermögen also mittels Milchsäurebildung das Ferro- eyankalium zu spalten. Ihre Vermehrung ist aber nach Naegeli und Loew auf den Zucker und dann auf die aus dem Zucker stammende Milchsäure- bildueg zurückzuführen. Freilich, der Stickstoff musste aus dem Ferroceyarkalium stammen, wenn nicht die Stickstoffverunreinigungen des Zuckers den Stickstoff geliefert hatten. Der auftretende Blausäuregeruch freilich macht das letztere wahrscheinlich, da die Blausäure als solche in dem Gemische verblieb. | Ebensowenig wie Schimmel vermag sich Sprosshefe in Ferro- eyankaliumlösungen zu entwickeln. Die Nährlösung war wie folgt zusammengesetzt: Verhalten einiger organischer Stickstofiverbindungen usw. 557 Wasser 2.500.000 8 Zucker‘. 2 #29. 30.2 .2°10:000: 8 Ferroeyankalium . . . 1,000 g Dikaliumphosphat. . . 1,000 g Masnesiumsulfat . . . 0,026 g Caleiumchloid. . . . 0,006 g Die gärende Mischung wurde bei 30° C. mit einem Luftstrom behandelt, allein die Zunahme der Hefe war nur unbedeutend; gleichzeitig hatten sich Spaltpilze gebildet und etwas Berlinerblau abgeschieden. Die Spaltpilze waren vermutlich wiederum durch den Zucker und seine stickstoffhaltigen Verunreinigungen entstanden. Blausäure und Cyankali sind wohl zu giftig, als dass davon eine ernährende Wirkung zu’ erwarten wäre. Hingegen ist Ferrocyankalium ein auffallend schwaches Gift. Lösungen des gelben Blutlaugensalzes in Quellwasser schädigen bei 0,01% ger Verdünnung Fadenalgen und Diatomeen nicht, wohl aber bei 0,5°0 (O0. Loew). Nach Knop wirkt eine 0,05 /oige Lösung schädlich auf Mais, nach OÖ. Loew auf Buchweizen. Schwefeleyankalium (Rhodankalium) ist ebenfalls nur schwach giftig, ebenso auch eyansaures Kali; beide dienen aber den Pilzen nicht als Kohlenstoffnahrung (B. in Pflüger’s Arch. Bd. 66 und Chem.-Ztg. 1896 Nr. 9). Dieyan, CN-CN. Es ist sehr giftig. > Über die Giftwirkung des Dieyans (verelichen mit der von Blausäure) hat OÖ. Loew (Forschungsber. über Lebensmittel, 1. Jahrg., H. 7) Mitteilung gemacht. Danach verhindert Dieyan in der Konzentration 1:5000 die Bakterienentwicklung, nicht aber Blausäure von 1:5000 (bei 1:1000 wirkt auch Blausäure tödlich). Auch bei Bierhefe ist Dieyan ein entschieden stärkeres Gift als Cyanwasserstoff. Denn ersteres führt bei einer Verdünnung 1:5000 binnen 24 Stunden ungefähr dieselbe Schädigung für Bierhefe herbei wie Blausäure in der Verdünnung 1:400. Werden Fäden von Spirogyra communis mit einer Lösung von 0,39°/o Dieyan betupft, so gewahrt man unter dem Mikroskop sofortige Kontraktion und Trübung des Plasmaschlauches. 36* 558 Th. Bokorny: In Lösungen von Dieyan resp. Cyanwasserstoff von 1: 1000 sah man bei der gleichen Algenart nach 30 Minuten noch keinen schädlichen Einfluss; nach 4 Stunden waren jedoch bei Dieyan die meisten, bei Cyanwasserstoff eine grosse Anzahl von Zellen tot; nach 15 Stunden waren alle Zellen in beiden Fällen abzestorben. Selbst Lösungen von 1: 10000 äusserten noch einen schädlichen Einfluss, welcher bei Dieyan jedoch weit bedeutender war als bei Cyanwasserstoft. In Lösungen von Dieyan 1:100000 führten Oseillarien noch nach 18 Stunden ihre Bewegungen, aus und Spirogyren waren nicht verändert. In Blausäurelösung von derselben Verdünnung konnte man nach dieser Zeit auch noch lebende Diatomeen erkennen. Für Phanerogamen, wie Gerste, Erbse, Rübe, Rettig ist sowohl Dieyan als Blausäure ein starkes Gift. - Unter solchen Umständen ist vom Dieyan in bezug auf Nähr- kraft weder für Pilze noch für grüne Pflanzen etwas zu erhoffen. Kreatin, NH,-NH:C-N(CH;)-CH;-CO;H. Diese Fleischbase kann nach O. Loew von Bakterien als Kohlenstoffquelle verwendet werden (0. Loew, Bakt. Zentralbl. 1892). Wohl zweifellos ist sie auch eine Stickstoffquelle für Pilze. Spirogyren vermögen bei Lichtzufuhr und Kohlensäure- ausschluss aus Kreatin Stärke zu bilden (B., Chem.-Zte. 1894 Nr. 2). Allantoin dient Bakterien als Kohlenstoffnahrung (0. Loew, Bakt. Zentralbl. 1892 Nr. 11/12). Grüne Pflanzen wurden nicht geprüft. Hydantoin. Auch dieser Stoff ist eine Kohlenstoffnahrung für Bakterien. Spirogyren setzen bei Lichtzutritt und Kohlensäureausschluss in Hydantoinlösungen (0,2—0,05 °/o) Stärke an (B., Chem.-Ztg.1894 Nr.2). Urethan ist eine Kohlenstoffnahrung für Spirogyren (B., Chem.-Ztg.1894 Nr.2). Hinsichtlich letzterer Stoffe ist eine Studie einschlägig, welche O. Loew und Verfasser im Journ. f. prakt. Chem. Bd. 36 publizierten: „Der schädliche Einfluss nimmt zu, wenn in einer Substanz durch Eintritt stickstofthaltiger Gruppen die Alkalizität zunimmt.“ Darum kränkeln Algen in Harnstofflösung (0,10) binnen einigen Tagen, in Guanidin sterben sie ab, bei Urethan nehmen sie nach Wochen nicht den geringsten Schaden. Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 559 „[reten in die Moleküle des Harnstoffes oder Guanidins Säure- gruppen ein, die den alkalischen Charakter abschwächen, so ver- schwindet auch wieder die schädliche Wirkung, wie Versuche mit Hydantoin und Kreatin lehren.“ | Die Algen in 0,2°/o Kreatin und Hydantoin nahmen bedeutend an Masse zu. Von sonstigen stickstoffhaltigen organischen Stoffen seien nur noch kurz das Pyeidin, Chinin, Stryehnin, Chinolin | erwähnt. Sie sind, wie zu erwarten, keine Nährstoffe für Pilze und Algen, da sie zu giftig sind. Nur das Stryehnin ist (als 0,5 ’oige Strychninsulfatlösung an- gewendet) eine sehr schlechte Kohlenstoffquelle für Pilze (Naegeli und Loew, a. a. 0.). Die Fäulnisprodukte Indol, Skatol können ebenfalls wegen Giftigkeit nicht zur Ernährung verwendet werden. Pikrinsäure, H,;H;(OH)(NO,);, als freie Pikrinsäure oder als pikrinsaures Kali geboten, dient Pilzen nicht zur Nahrung (Loew und B., Jahrb. prakt. Chem. 1837). Sie hat giftige Wirkung auf Pilze, noch mehr auf Algen. Folgende Lösungen wurden aufgestellt: a) Bikerinsäure.. 2%... 0,900 Galeiumeitrat 7... 22. 0. .0,02%0 Monokaliphosphat . . . 0,020 Magnesiumsulfatt . . . 0,02% b) Bikrinsaure... .....20,109o Valemmnitrat. = &. 1...12..0,029/0 Monokaliphosphat . . . 0,02% Magnesiumsulfatt . . . 0,0200 @# PRokrinsäure). „0:2 .220:05:Jo sonst wie a und b din Kikeensaure .9% ...4...008%/0 sonst wie vorhin. 960 Th. Bokorny: Mit einer kleinen Menge Fäulnisschlamm (mit Pilzen, Algen, Amöben, Infusorien) wurden die Lösungen infiziert. Nach 12 Tagen waren a und b völlig steril. In 0,0500 .waren nach 12 Tagen am Grunde einige Räschen von Fadenpilzen zu bemerken, welche nicht weiter bestimmt wurden. Sie waren vermutlich auf Kosten einiger in dem Fäulnisschlamm enthaltenen, nun abgestorbenen Algen, Infusorien und Amöben ge- wachsen. Immerhin wird dadurch bewiesen, dass 0,05 °/ das Wachstum der Pilze nicht völlig verhindert. 0,010 freie Pikrinsäure beliess sämtliche eingebrachte Organismen am Leben, nur die Spirogyren waren grossenteils abgestorben. Um das Verhalten der freien Pikrinsäure gegen Sprosspilze zu erproben, wurden die eleichen Lösungen wie vorhin nochmal hergestellt, aber diesmal ‘unter Zusatz von je 10° Rohrzucker und einer kleinen Menge schwefelsaurem Ammonium. Zu jeder Probe wurde ferner etwas Presshefe hinzugebracht, so dass eine ganz schwache Trübung der Flüssigkeit entstand. Nach 2 Tagen zeigte sich bei der 0,01 °/o Pikrinsäure enthaltenden Lösung eine Pilzvegetation am Grunde des Gefässes, nach weiteren 32 Tagen auch in den Lösungen mit 0,05 und 0,1%; nur die 0,2°/oige Lösung von Pikrinsäure war frei von Pilzvegetation. Jene bestand aus Fadenpilzen von der Dicke der Bierhefezellen ; sie schienen aus diesen hervorgegangen zu sein. Gärung war nicht eingetreten. Es scheint, dass die freie Pikrinsäure die Gärung verhinderte. Pikrinsaures Kalium und namentlich pikrinsaures Ammonium erwies sich als recht eiftig für niedere Organismen jeder Art. Schon in 0,1°/oiger Lösung wirkt pikrinsaures Kalium schädlich auf Spirogyren, Diatomeen und andere Algen usw. In 0,02°/oiger Lösung [freilich war sogar nach 24 Stunden alles ziemlich intakt. Pikrinsaures Ammonium von 0,1 /o tötet binnen 12 Stunden jene Organismen. Alles in allem genommen machten mir die Pikrinsäureversuche nicht den Eindruck, als ob die Pikrinsäure den Pilzen oder Algen als Nährsubstanz dienen könnte. Nitrobenzoesäure, (,H,:NO,-C0O;H(O—), neutralisiert mit Kali, somit als nitrobenzoesaures Kalium angewandt, Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 561 ist kein so starkes Gift für Algen und andere niedere Organismen (für höhere Pflanzen ist es nach Knop stärker giftig). Ernährungsversuche wurden damit nicht angestellt. Erwähnt sei nur noch, dass O. Loew die Schlussfolgerung ge- zogen hat, dass die Nitrogruppe in ihrer giftigen Wirkung abgeschwächt wird, wenn die Carboxyl- oder die Sulfogruppe (eine stark negative Gruppe) in das Molekül eintritt. Ernährungsversuche mit nitrobenzoesaurem Kalium wären somit nicht ganz aussichtslos. Nitrobenzol und Nitrophenol sind ja. ziemlich stark giftig. Proteinstoffe. Auf die Schwieriekeit, die genuinen Eiweisstoffe auf Nähr- fähigkeit zu prüfen, hat schon Naegeli (a. a. OÖ. S. 412) auf-' merksam gemacht: „Die ungleiche Fähigkeit zu diosmieren macht sich besonders ‘ fühlbar beim Zusammenhalt der Albuminate und der ihnen nahe- stehenden Stoffe mit den kristallisierenden Substanzen. Die Pilzzellen müssen die Albuminate, um sie aufzunehmen, zuerst in eine diosmierende Form verwandeln. Von Peptonen gibt es bekanntlich verschiedene Modifikationen, solche, die den Albuminaten näherstehen und weniger gut diosmieren, und solche, die mehr verändert sind und besser durch Membranen hindurchgehen.“ „Wenn es sich also um Vergleichung von Albuminaten mit anderen Nährsubstanzen handelt, so ist zu ‚berücksichtigen, welche Wahr- scheinlichkeit zur Peptonisierung unter den vorliegenden Umständen geboten sei, und wenn Peptone verglichen werden sollen, welche Beschaffenheit und besonders welche Fähiekeit zu diosmieren sie besitzen.“ Demgemäss wird man bei Proteinstoffen vorsichtig im Urteil sein müssen. An sich müssen ja in den Proteinstoffen die vorzüglichsten Nährstoffe vermutet werden. Sie sind es auch, wenn sie eindringen (eventuell in Pepton ver- wandelt wurden durch Enzyme). Im übrigen gibt es natürlich auch typische Unterschiede. Nach Beyerinck (Zentralbl. f. Bakt. 1893, Bd. 11) soll Baeillus perlibratus Amide den Peptonen vorziehen (als Stickstoffnahrung). Im allgemeinen aber dürften sogar „Amidbakterien“ bei Zufuhr v62 Th. Bokorny: von Peptozr recht gut gedeihen, ebensogut oder sogar noch besser als bei Amidernährung. Den Bacillus eyaneo-fuseus bezeichnet Beyerinck (Botan. Ztg. 1891 Bd. 49) als „Peptonbazillus“. Auch viele Parasiten werden zu den „Peptonpilzen“ gerechnet. Viele Pilze entwickeln sich gut, wenn man ihnen Pepton als. einzige Kohlenstoff- und Stickstoffquelle darbietet. Manche, wie B. Pflügeri, B. phosphorescens, B. Fischeri sollen dazu noch Zucker benötigen (Beyerinck). Nach Beyerinck (Botan. Zte. 1391) wächst B. eyanogenus als Peptonbazillus, bedarf aber zur Farbstoffbildung noch einer be- sonderen Kohlenstoffquelle. Man muss auch hier (wie bei den Amidokörpern) unterscheiden. zwischen Verwendung als C- und als N-Quelle. Die obige Bezeichnung „Peptonpilze“ wurde von Beyerinck auf N-Ernährung bezogen. In vielen Fällen wird Pepton wohl in beider Beziehung sich ° vortrefflich eignen. > Früher glaubte man, der Autorität Liebig’s folgend, dass bloss eiweissartige Stoffe den Pilzen als Nahrung dienen können. Demgegenüber hat Pasteur schon vor längerer Zeit gezeigt, dass die Sprosshefepilze durch weinsaures Ammoniak und Zucker, Penieillium-Arten durch weinsaures Ammoniak allein ernährt werden können. Inzwischen ist diese damals viel widersprochene Erkenntnis durck zahlreiche anderweitige Beobachtungen über die Ernährung der Pilze durch Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen erweitert worden. Dass Pepton (gewöhnliches Fleischpepton) auch den grünen Pflanzen zur C-Nahrung dienen könne, zeigte mir ein Versuch mit Spirogyren, welche in Peptonlösungen (0,2—0,05 °/o) bei Licht- zutritt und Kohlensäureausschluss bald Stärke ansetzten. Der Ernährung von Blütenpflanzen mit Pepton (an Wasser- kulturen oder Topfpflanzen ausgeführt) stellte sich immer die rasch eintretende Fäulnis und die darauffolgende Giftwirkung mancher: Fäulnisprodukte hinderlich in den Weg. Bei den nur 2 Tage dauernden Spirogyrenversuchen konnte ich dem durch ziemlich niedere Temperatur entgegenarbeiten. Nach 4 Tagen freilich stellten sich trotzdem Spaltpilze ein. Die Stärkebildung war aber schon nach 2 Tagen aufgetreten (B.‘ Chem. Ztg. 1894 Nr. 2). Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 563 Von Interesse dürfte hier ein Versuch sein, den ich von einiger Zeit mit Somatose und Hefe (Bierhefe) anstellte. Die Somatose ist ein bekanntes Eiweisspräparat, das seit einiger Zeit aus dem Fleischfuttermehl, dem Abfall der Liebig’schen Fleisch- extraktfabrikation, durch Kochen mit verdünnten Säuren hergestellt wird. Dasselbe ist chemisch als eine Albumose (oder ein Gemenge von solchen) anzusprechen. Durch kurzes Kochen und entsprechende Verdünnung der Säure geht die Peptonisierung nicht über die Propeptonstufe (Albumosen- stufe) hinaus. Nun haben die Propeptone ein viel grösseres Molekül als die eigentlichen Peptone; erstere gehen durch viele Hindernisse nicht durch, welche von Peptonen überwunden werden. An sich müsste die Somatose eine vortreffliche N- und C-Nahrung für Hefe- und andere Zellen sein. | Es kommt nur darauf an, dass sie in die Zellen eindriugt. Das ist aber — wenigstens bei Hefe — nicht der Fall. Ich verbrachte Hefe in eine Nährlösung, welche Somatose als einzige N- und C-Nahrung enthielt. Die Hefe war gewogen, sie nahm nicht im geringsten zu. Eine andere Hefeprobe von derselben Portion Brauereipress- hefe wurde in eine Nährlösung mit Pepton als einziger C- und N- (Quelle verbracht. Sie nahm in gleicher Zeit und unter gleichen Umständen beträchtlich an Gewicht zu. Die Somatose war also offenbar nicht in die lebenden Zellen eingedrungen. So kann ein guter Nährstoff völlig wertlos für die lebenden Zellen sein, indem er die Plasmamembran nicht passiert. Andererseits kann auch die Unlöslichkeit ein Grund für Un- tauglichkeit zur Ernährung sein. Das dürfte wohl für die Zellulose zutreffen, die erst weitgehender ehemischer Umwandlung bedarf, bis die Löslichkeit und die Fähig- keit einzudringen erreicht ist. Wenn die Zellulose trotzdem von manchen Pilzen zur Ernährung verwendet wird, so ist dies nur dadurch möglich, dass sie Fermente ausscheiden, welche die Zellulose in lösliche Produkte verwandeln. Aueh die hochmolekularen Eiweissstoffe können ja von der Zelle, wenn sie von aussen dargeboten werden, nicht direkt verwendet werden, sondern erst nach vorausgehender Spaltung. 564 Th. Bokorny: Auch die Somatose kann durch Spaltung in diffusible Stoffe verwandelt werden. Offenbar scheidet die Hefe keine spaltenden Fermente nach aussen aus. In ihrem Innern besitzt sie solche. Dieselben kommen auf aussen befindliche Proteinstoffe erst dann zur Einwirkung, wenn die Zelle z. B. durch Trocknen getötet wird; ılann gelangen diese Fermente nach aussen. .„ Verfasser hat vor einiger Zeit (Beihefte z. Bot. Zentralbl.) Fleisch, Erbsenmehl und andere eiweissshaltige Nahrungsmittel mit trockener Hefe (und etwas Phosphorsäure) gemischt. Nach mehr- tägigem Stehen, wobei die Fäulnis infolge des Säurezusatzes aus- blieb, war ein gewisser Teil des Eiweisses in Albumose, zum Teil ‚auch in Pepton, wenn länger gewartet wurde, umgewandelt. Die entstandene Albumose-Papton-Menge war recht beträchtlich. Auch innerhalb der Hefezelle kann bei Lebzeiten derselben etwas Papton aus dem Eiweiss der Hefezelle selbst entstehen. Das dürfte der Grund für das Vorkommen von Pepton in der Hefe, ‚das schon vor 40 Jahren von O. Loew konstatiert wurde, sein. Die Hefe enthält ein peptonisierendes, nicht bloss ein tryptisches Ferment. Einen Überbliek über die chemische Konstitution der geprüften ‘organischen Stickstoffkörper sowie einiger der erwähnten N-freien Benzolderivate, dürfte von Interesse sein: ihre physiologische Ver- wendung setzt meist eine Spaltung voraus, welche der durch Säuren oder Basen bewirkten wahrscheinlich ähnlich ist. H C | EN H6 CH N CH; | | a) cn ® un: HC CH n H; de 2 > \ x 2 | co SS CH; | CH; co A N | CR | ch | NH; Co CO;H Ne CH, NH; | ” NH NH 2 | CH:0H $ Harnstoff, Hippursäure, Glycocoll, beim Äthylen- . Di- Acetamid, beim Erhitzenmit wird durch Erhitzen mit Baryt diamin, aceton- wird beim Wasserüber 100° Kochen mit ver- zerfällt esin Kohlen- amin, Kochen mit oderbeimKochen dünnterSchwefel- säure u. Methylamin: Alkalien oder mit Alkalien oder säureinGlycocoll beim Schmelzen mit Säuren in Säuren wird erin und Benzoesäure Alkalien in Essig- Essigsäure U. Kohlensäure und gespalten. säureu. Ammoniak!). Ammoniak Ammonik ge- spalten. 1) Beim Kochen mit Alkalien werden sie nicht verändert. gespalten. Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 565 NH; NH; un | NH; | NB, CH; | (010) Dr N-CH; | CH» | CH, CH; | H 3 CH, | CH; CH; Formamid, Methyl- Trimethyl- Propyl- Äthyl- zerfällt in Ameisen- amin, amin, amin, amin, säure und Ammoniak ; beim Kochen mit Säuren oder Alkalien. NH, T | C=0 'IN NH, 3 oh | a | En N 0=0 ON NH, NE, S CN 00:H NH, Diamid, Ammoniak, Alanin, d.i. Oxamid, Dicyan, in wässe- gute Stick- Amidopropion- zerfällt beim riger RKalilösung stofinahrung säure, zerfällt Kochen mit löst es sich zu Cyan- für Pilze und mit Alkalien ge- Säuren oder kalium und isocyan- grüne schmolzen in Alkalien in saurem Kalium;) die Pflanzen. Propionsäure und Ammoniak wässerige Lösung Wird als Ammoniak, mit undOxalsäure zersetzt sich in oxal- solches ver- Baryt erhitzt saures und ameisen- wendet. in Athylamin und saures Ammon,Üyan- Kohlensäure. wasserstoffundHarn- stoff (neben Azulen- säure) C,H,N;0. O—C,sH3;0 @ NH; s CO,H Ms 5% C0;H H \ c=0 | 2 eG H CH x IN | / | H INH 0—C,,H510 X 4 CHs 1 CH, OH | NH, N | E N he ‘ CH; Aue CH, er er | CO;H | END C0;H CH, 0—CHs—CH;—N—CH;z CH; OH Asparagin, Asparagin- Leuecin Leeithin, durch Kochen mit entsteht säure, ent- (Amido- Säuren oder Barytwasser zerfällt es durch Ei- steht aus Ei- kapronsäure), in Cholin, Glyzerinphosphorsäure, weissspaltung, weisskörpern mit Kali ge- Stearinsäure, Palmitinsäure. Es ist dient vermut- durch Spal- schmolzen, eine esterartige Verbindung von Cholin lich direkt tung, kann zerfällt es in mit Glyzerinphosphorsäure, welche zum Eiweiss- wahrschein. Ammoniak u. mit Stearinsäure und Palmitinsäure aufbau. direkt zum Ei- baldrian- zu einem Glyzeride verbunden ist. weissaufbau saures dienen. Kalium. 566 Th. Bokorny: H CH; H ÖH C C C -C EN LEN IN, n nn HC 1 ur CH HC CH ae | | HC CH HC CH HC C-0O--CH, HC HH NZ NA N N/ Ö n T C | NH, NH3 NH, CH, CH-(NH3)-C0;H Anilin, Toluidin, Anisidin, Tyrosin, (Oxyphenyl- Amınoniak alanin 1,4), mit Kali ge- chemisch schwer schmolzen, zerfällt es in zuspalten. Paraoxybenzoesäure, Ammoniak und Essigsäure. H H ne C C C H ZN ZEN AN Ü HE. CH HC CH HC CH ZN: | | el | HC: CH HC C-CH, HC (C-C0:H HO CH | | Ca9Hs4N50,-+3H,0 N NV HC CH —r CH3-0-C;H,N Ö nn G C,H,.N(OH)-CH;-+3H,0 Ka | N N(CH,), NH, Dimethyl- o-Amido- p-Nitro- Pyridin, Chinin, toluidin, benzoesäure apnilin, (Anthranilsäure), zersetzt sich bei raschem Erhitzen in CO, und Anilin. OH \ HiH | : S A PNZN GL HC x CH N 0;,HC UNO, Cz,-H2N:0, | NOJHCZ ‚HNO, 24 HC2CH SCH C0O—CO HC CH RG N C C H | NO, (Dinitrochinon) Strychnin, Chinolin, Nitranilsäure, Pikrin- C;NH} verpufft bei 170° C. säure, ver- pufft beim Er- hitzen, ex- plodiert durch geeignete Zünd- mischungen, unter Bildung von 00, C, H30, Ns USW. b Verhalten einiger organischer, Stickstoffverbindungen usw. HN— “N(CH,) — CH, — 00,H (Methylglykocyamin) | Kreatin, beim Kochen mit Barytwasser geht es in Harnstoff und Sarkosin über: NH; HN= & NN(CH;) — CH, — C0,H + H,0 a NH(CH,) — 00% | 2 H> Vergleichsweise seie 967 NH; co N0-CH- (Ester der Carbamin- säure) Urethan, wird durch Alkalien in Kohlensäure, Ammoniak und Alkohol zerlegt. NH-CH-NH NH n „2 N \ co | (610) 0 NNH.CH, .\NH-CO-NH, (Glykolyl- (Diuroid der harnstoff) Glyoxalsäure) Hydantoin, Allantoin, wird beim beim Kochen mit Baryt- Kochen mit wasser zersetzt es sich Barytwasser in CO,. NH,, Oxalsäure in Glykolur- und Glykolyl-Harnstoff säure über- (Hydantoin). geführt. n hier noch einige stickstoff- freie Benzolverbindungen angeführt: H H H ne H C C Ü 6 Ü Hear CH HC CH HOCH rn HC; .CH= [rel ei] an 1 HC. CH BC CH HC CCH; HC CH HC CH NG N NV N NE (0; & (6 > Ü H H OH OH CH;0OH Benzol, Phenol 0O-Kresol, P-Kresol, Benzyl- Verwend- (Carbolsäure), zu giftig, nicht zu giftig, nicht alkohol, barkeit zur Er- in 0,08% er- ernährungs- ernährungs- ernährt weder nährung bis nähren sich kräftig. kräftig. Für Hefe- noch jetzt von keiner Bakterien Spirogyren ist Schimmel-noch Seite berichtet. schlecht; in 0,2%/o nicht Spaltpilze. 0,05°%/o wächst schädlich. Schimmel. Für Hefe ist es keine Ü-Quelle. H OH H H OH - Ü Ö C C C A N HC CH HC COH HC COH HC ie ee Mal I Kl HC Co HC CH HEICH HC COH HOC COH NG NA NV R ai NV [6 C C G: C OH OH OH OH H Brenz- Hydro- Resorein, Pyrogallol, Phloro- kachetin, chinon, für Hefe keine für Hefe und glucin, ernährt Hefe _für Schimmel C-Quelle. andere Pilze keine C-Quelle nicht. 0,1°/o C-Quelle. keine C-Quelle. für Pilze. wirkt giftig auf Fadenalgen, Diatomeen und Infusorien ein. 68 Th. Bokorny: CH en CO;H ZEN C C HOC C-—CO;H nn u dom CuHsch2H,0) ° HC OH Dee NY HO CH ne 0 NY Y OH. C (6) H H Gallussäure Digallussäure DBenzoesäure, Amido- (C-H.0;), (Tannin), keine Nahrung, benzoesäure, nur für Schimmel Nahrung für wirkt giftig. kann nicht zur etwas brauchbar. Schimmel. Ernährung der Nahrung für B.prodigiosus. f stark giftig. Hefe gebraucht werden. a OH CH, 5 c IN: AN N ! m N‘ ZEN a, ne on HC COH (eo ot C cH Jon NY 2 u \ | \ CO;H 00;H OH Salizylsäure, Chinasäure Para-Oxy- Dimethyl- ernährt (wahrscheinlich Tetra- benzoesäure, oxybenzoe- Bakterien. oxyhxahydrobenzolkarbon- ernährt säure (i-), säure), bei der Gärung Bakterien. wird von durch Spaltpilze zerfällt Peniecillium sie in Propionsäure, Essig- glaucum an- säure und Ameisensäure; gegriffen. ernährt B. prodigiosus, auch Schimmel. H CHs . C0;H H H C Ü C C AN EN AN AN a nn HC CH HC N n es all | HC C-—CH(OH)-00,H HC CH HC C—CH;'CH;CO,;,H HC C—CO;H SE N 2 N Ü Ö Ö C H H H HE Mandelsäure Phenylessig- Hydrozimtsäure, Phthalsäure, n (Phenylglykolsäure), keine säure, giftig. nährt Pilze nicht. re UT Ze Was die Wärme bei. dem Harnstoff vollbringt, wird ver- mutlich auch durch das lebende Hefeprotoplasma bewirkt. Es spaltet den Harnstoff’ in Kohlensäure und Ammoniak. Letzteres dient zum, Eiweissaufbau in der Hefezelle. Die Kohlensäure wird als unverwendbar ausgeschieden. en = ei Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 56% Hinsichtlich der Hippursäure wurde schon erwähnt, dass. die Spaltung in Glykokoll und Benzoesäure zu einer Verwendung des Glykokolis als N-Nahrung in der Hefezelle führt. Glykokoll ist nachgewiesenermaassen eine Stickstoffnahrung für Hefe. Äthylendiamin kann offenbar von Pilzen nicht gespalten werden. Sons# müsste es als C-Quelle dienen können, indem das ernährende Glykol gebildet wird. Ähnlich dürfte es sich mit den Diacetonamin verhalten. Bakterien vermögen das Acetamid zu spalten und dann das Ammoniak wie auch die Essigsäure als Nahrung zu verwenden. Formamid dient den Zellen nicht als Nahrung, vermutliel: weil die frei werdende Ameisensäure giftig wirkt. Indem der Baeillus methylieus das Methylamin zur Er- nährung verwendet, wird dasselbe jedenfalls in Ammoniak und Methyl-- alkohol gespalten, welche beide ernähren. Bei Äthylamin und Propylamin macht die Verwendung‘ zur C-Ernährung Schwierigkeiten, weil der entstehende Äthylalkohol bzw. Propylalkohol eine schlechte C-Nahrung für Pilezellen ist. Zur‘ Stickstoffernährung können sie beide dienen, weil Ammoniak ab-- gespalten wird. Diamid ist zu giftig. Alanin dient schwer als C-Nahrung, weil die Propionsäure,. die durch Spaltung desselben entsteht, schlecht ernährt. Oxamid ernährt nicht, weil die giftige Oxalsäure entsteht. Dieyan ist zu giftig. Asparagin und Asparaginsäure können vermutlich direkt. zur Eiweissbildung dienen. Leuein ist eine gute C-Nahrung für verschiedene Pflanzeu-- zellen. Der nähere Vorgang hierhei ist nicht bekannt. Bei Tyrosin ernährt wahrscheinlich die frei werdende Essir-- säure (neben dem Ammoniak). Die Oxybenzoesäure dürfte kaum eine C-Nahrung sein. ’ Leeithin ernährt durch seinen Gehalt an Glyzerin, das bei der Spaltung als Glyzerinphosphorsäure frei wird. Anilin wird von der Pflanzenzelle nicht verwendet. Vermut-- lich kann kein Ammoniak daraus abgespalten werden. Der Benzol- kern ist auch nicht verwendbar. Hingegen scheint beim Anisidin, welches NH, an den Benzol- 570 Th. Bokorny: kern gebunden enthält, wie das Anilin, die Bindung eine lockerere zu sein; denn Hefe verwendet Anisidin als N-Quelle. “ Dimethyltoluidin ist wiederum nicht verwendbar. Ebenso ergab Amidobenzoesäure ein negatives Resultat. Kann die Gruppe NH, nicht abgespalten werden, oder wirkt die frei werdende Benzoesäure ungünstig? Nitroanilin ist dagegen eine gute Stiekstoffnahrung für Hefe, also kann hier die Amidogruppe von dem Benzolkern losgelöst werden. Vielleicht ernährt auch die NO,Gruppe nach geschehener Abspaltung und Reduktion. ‘ Ferrocyan- und Rhodan-Verbindungen ernähren nicht, weil die Cyan-Gruppe hierzu unfähig ist. Wenn das Kreatin eine C-Nahrung ist, so ist das wahrscheinlich auf das abgespaltene Sarkosin zurückzuführen, zum Teil aber auch auf den Harnstoff bei den Bakterien, da einige der letzteren den Harnstoff als C-Quelle verwenden. Die grünen Pflanzen können auch den Harnstoff zur C-Ernährung gebrauchen. Urethan ernährt grüne Pflanzen wahrscheinlich, indem Kohlen- säure bei der Spaltung entsteht, ferner vielleicht auch durch den Alkohol; das Ammoniak dient zur N-Ernährung. Wie die Bakterien das Hydantoin zu ihrer Kohlenstoff- ernährung gebrauchen können, ist noch unklar. Jedenfalls geht eine Spaltung voraus. Ähnlich verhält sich es mit dem Allantoin, bei dessen Spaltung (neben CO,, NH; und Oxalsäure) Glykolylharnstoff, das ist Hydan- toin, entsteht. Die in vorstehendem angegebenen Zersetzungen der Nährstoffe vor ihrer Verwendung zum Zellenaufbau (zu Eiweiss, Kohlehydrat...). sind grossenteils noch hypothetisch. Es ist in den wenigsten Fällen bis jetzt versucht worden, diesen Spaltungsprodukten nachzugehen. Salizylsäure nährt Spaltpilze. Das ist einer der wenigen Fälle, in welchen Bakterien die Benzolverbindung gebrauchen können. Auch Phenol ist für Bakterien eine, wenn auch schlechte C-Nahrung. Ein weiterer Vergleich zwischen chemischer Konstitution und Nährkraft dürfte grosses Interesse bieten, doch kann hier nicht weiter darauf eingegangen werden. Toxikologische und ernährungsphysiologische Beobachtungen über Saecharin und Dulcin wurden an Mikroorganismen pflanzlicher und tierischer Natur angestellt: Verhalten einiger organischer Stickstofiverbindungen usw. 571 Das Dulein ist von folgender chemischer Konstitution: HH eo TISE NH: CO: <_ 20—- NH: 00 : NR, ec HH p-Phenetolearbamid (p-Äthoxyphenylharnstof:). CH; -0—C Das Saeeharin wird chemisch als | (1) SOz\ N "907 o-Sulfaminbenzoesäureanhydrid 6 bezeichnet. ‚Dulein ist ein weisses kristallinisches Pulver, das sich in 30 Teilen Wasser von 15°/o auflöst (kochend in 50 Teilen). In Alkohol ist es leicht löslich. Beim Kochen erleidet es keine nennenswerte Ver- änderung. Es ist 200 mal süsser als Rohrzucker, ohne „chemischen“ Geschmack. Kossel hat es bei Tierversuchen unschädlich gefunden, wenn es nicht in zu grossen Mengen gegeben wurde. ‘Freilich verhielten sich die Tiere nicht ganz gleich. Kaninchen (von 1800—2000 g Körper- gewicht) ertrugen einmalige Dosen von 2 g Dulein gut. 2 g Dulein entsprechen 400 & Rohrzucker! Bei Hunden hört nach 5 Tagen die Fresslust auf, wenn ihnen täglich 2 g Dulein verabreicht werden, nachher schwindet diese Erscheinung auch bei fortgesetzter Dar- reiehung von Dulein. Bei grösseren Dosen treten schon nach ein- maliger Eingabe Symptome des Übelbefindens ein, bei 4 g Dulein erbreehen die Tiere gewöhnlich. Wird zuerst 9 Tage lang 2 g Dulein, dann täglich 4 g gegeben, dann fressen die Tiere überhaupt nichts mehr, am 14. Fütterungstag tritt Gallenfarbstoff im Urin auf. Hört man nun auf, so erholen sich die Tiere rasch (Sitze. d. physiol. Ges. 7. April 1893). J. Stahl schliesst aus seinen Versuchen (Ber. d. pharm. Ges. 1893), dass irgendwelche Schädigungen im tierischen Organismus auch bei fortgesetzten beträchtlichen Gaben nicht entstehen. Ewald sact auf Grund seiner klinischen Versuche an Menschen, dass Dulein weniger widerlich süss schmeckt als Saccharin und des- wegen von Kranken lieber genommen wird. Ein an leicht dis- peptischen Erscheinungen leidender Kranker hat binnen 3 Wochen Sg Dulein genommen ohne jede Nebenerscheinung und ohne wider- willig zu werden (Physiolog. Ges. Berlin 1893, Nr. 11). Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 37 an | DD Th. Bokorny: Tiere (Hunde, Sperlinge) nehmen mit Dulein versüsste Nahrungs- mittel ohne Widerstand, während sie Saccharin meist zurückweisen (Dr. Siedler, Chem.-Ztg., 7. Oktober 1916). Dr. Sperling (Münch. med. Wochenschr. 1896, Nr. 50) hat das Präparat Dulein als völlig unschuldig befunden (z.B. bei Zuckerkranken). Wie man sieht, gehen die medizinischen Untersuchungen über Dulein auf 20 Jahre zurück. Verfasser suchte nun die eventuelle Giftigkeit des Dulein in der oft erprobten Weise an den lebenden Zellen niederer Organismen!), welche leicht mikroskopisch kontrolliert werden können, zu prüfen. Es wurden verschiedene lebende Mikroorganismen in Dulein- lösungen von bestimmter Konzentration und bestimmter Gesamtmenge des Duleins eingebracht und von Zeit zu Zeit mikroskopisch untersucht. Das gleiche geschah auch mit Saecharin an den Mikro- organismen derselben 'Kultur. Das Saecharin schmeckt noch etwas stärker süss als Data es ist 950 mal süsser als Rohrzucker. Es hat aber einen für viele unangenehmen Geschmack und ist nach der Meinung der Pharmakologen Schmiedeberg, Lewin usw. für die Gesundheit des Körpers nicht gleichgültig. Lässt sich nun die grössere Schädlichkeit des Saccharins auch an lebenden Zellen von Mikroorganismen nachweisen? Dieselben geben ja auch sonst in toxikologischen Fragen recht deutliche Auskunft. So in folgendem Fall: Freier Formaldehyd ist nicht bloss für Algen, Infusorien, Hefe, Phanerogamen usw., sondern auch für Säugetiere sehr schädlich; die tödliche Dosis für Kaninchen beträgt nach Zuntz 0,29 g pro Kilogramm. Die Verbindung des Formaldehyds mit saurem Natriumsulfit, das oxymethylsulfansaure Natron wirkt sowohl bei höheren Tieren als auch bei Pflanzen und niederen Organismen weit weniger giftig; ja grüne Pflanzen vermögen daraus sogar Stärkemehl zu bilden (Verfasser in Habil.-Schr. Erlangen 1888). In den nun zu beschreibenden Versuchen wurden Süss- wasseralgen, welche mit Infusorien und sonstigen 1) Man darf sich über solche Versuche nicht hinwegsetzen; denn die Über- einstimmung in der Wirkung von Giften auf Mikroorganismen und auf höhere Tiere und den Menschen ist oft frappierend, wie Verfasser im Laufe seirer zahl- reichen Untersuchungen über Giftwirkung bemerken konnte. Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 573 Schwärmern sowie mit Copepodenlarven reichlich vermengt waren, zur Anwendung gebracht. Mein Saecharin, das ich zu den Versuchen verwendete, war aus einer Münchener Apotheke bezogen. Es verhielt sich beim Auf- lösen in Wasser zunächst wie ein Brausepulver, indem es Kohlen- säure ausschied. Also war vermutlich kohlensaures Natron bei- gemischt!). Die Reaktion der 2°o igen Auflösung war deut- lich alkalisch. Dieselbe wirkte auf die Mikroorganismen sofort ungünstig ein. Alle Bewegung wurde eingestellt. Da aber diese ungünstige Beeinflussung auf das Alkali zurück- geführt werden kann und vielleicht auch die Konzentration 2°/o etwas zu hoch ist, so machte ich Versuche mit verdünnteren Lösungen sowohl wie auch mit neutralisierten. Saccharin, 0,5 °/oig (40 cem Lösung, d.i. 0,28 auf ca. 0,28 Algen). Nachdem die Mikroorganismen 20 Stunden in dieser Lösung verweilt hatten (unter Lichtzutritt und im temperierten Zimmer), war keine Bewegung an den vorhandenen Tieren, wie Infusorien, Copepodenlarven, mehr zu erkennen. Auch die zahlreichen, auf manchen Algenfäden aufsitzenden Diatomeen zeigten ihre eigen- tümlich ruckweise kriechende Bewegung nicht. Die Fadenalgen (Spirogyren, Cladophoren usw.) zeigten stellenweise unregelmässige Ablösung des Plasmaschlauches, also abnorme Beschaffenheit. Nach 48 Stunden ähnlicher Befund. Nach 3 Tagen die ge- samten Algen abgestorben, verfärbt, schlaff. Saecharin, 0,1°/oig (200 eem Lösung, d. 7 0,2 g Saccharin auf ca. 0,2 g Algen). Nach 20 Stunden waren die Fadenalsen intakt. Die Diatomeen schienen mir ebenfalls keinen Schaden gelitten zu haben. An einem der tierischen Mikroorganismen beobachtete ich eine pendelnde Be- wegung, wie sie solche oft zur Einfuhr der Nahrung in die Mund- höhle aufweisen. Nach 5 Tagen waren viele Algen noch am Leben, sie zeigten Gasausscheidung; es war also die Assimilationstätigkeit noch vor- handen. Bewegliche Infusorien und Schwärmer waren nicht auf- zufinden. Ähnlicher Befund auch nach 8 Tagen. 1) Einer Angabe in Bersch, Chem.-techn. Lexikon, entnehme ich, dass auf 1 Teil Saecharin 4 Teile doppeltkohlensaures Natron genommen werden, um dem Saccharin bessere Auflöslichkeit zu geben. 37 * 9174 Th. Bokorny: Saecharin, 0,02°%oig (1000 eem Lösung, d. i. ca. 0,2 8 Saccharin auf ca. 0,2 g Algen). Auch hier zeigte sich nach 24 Stunden keine schädliche Wirkung. Die Fadenalgen Spirogyra, Cladophora, Conferva wiesen völlig un- veränderte Zellbeschaffenheit auf, desgleichen die vorhandenen Diatoma-Arten. Mikroskopische kleine Tiere zeigten noch Leben, ndem sich einzelne Organe derselben bewegten. Nach 5 Tagen war etwas mehr schädliche Wirkung zu erkennen. Algen zwar noch lebendig, gasbildend, unverändert grün. Hingegen waren keine beweglichen Infusorien und sonstige Schwärmer mehr aufzufinden. Nach 3 Tagen bemerkte ich wieder einige wenige langsam bewegliche Infusorien. Die Algen entwickelten Sauerstoff. Saccharin, 0,005 /oig (1000° eem Lösung, d. i. 0,05 8 Saccharin auf ea. 0,2 g Algen). Nach 20stündigem Aufenthalt der Mikroorganismen in dieser Lösung bei Liehtzutritt und im geheizten Zimmer (am Fenster) zeigten die vorhandenen Fadenalgen, Cladophoren, Spirogyren und Conferven völlig unveränderte Beschaffenheit. Vorhandene Insekten- larven (Daphniden) zeigten noch Bewegung in ihren Gliedern, wenn auch nicht das lebhafte Umherschwimmen wie in der unbehandelten Mikroorganismenmasse. Nach 48stündigem Stehen des Versuches bemerkte ich zwischen noch unveränderten Fadenalgen lebhaft bewegliche Infusorien und Schwärmsporen. Nach 5 Tagen waren die vorhandenen niederen Tiere noch in lebhafter Bewegung begriffen, die Algen völlig: intakt. Nach S Tagen war der Befund derselbe. Das Saccharin wirkt also nicht bloss in 2%iger, sondern auch noch in 0,5%oiger Auflösung schädlich und binnen mehreren Tagen sogar tödlich auf die genannten Mikroorganismen ein. Sogar bei 0,1°/o war eine schädliche Wirkung auf die Infusorien und Copepoden-Larven zu erkennen. Das Dulcin, das ich zu den Versuchen verwendete, war ein ziemlich leichtlösliches, weisses Pulver. Die 2%Yoige Auflösung in Wasser reagierte neutral. Dulein, 2°%ig (10 ecem Lösung, d. i. 0,2 g Dulein auf ca. 0,2 g Algen). Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. - 575 Binnen '/ı Stunde trat keine merkbare Veränderung ein. Die Bewegung der Mikroorganismen wurde nicht eingestellt. Die Algen blieben ohne ersichtliche Schädigung. Auch nach 3 Tagen waren die Algen noch lebendig und grün, aber doch zum Teil etwas gestört, die dazwischen befindlichen Schwärmer pflanzlichen und tierischen Ursprungs waren aber nicht mehr aufzufinden. Ich sah, trotzdem die gesamte Algenmasse unter- sucht wurde, nicht einen Schwärmer. Also wirkt 2% Dulecin zwar nicht binnen !/« Stunde, aber doch binnen 3 Tagen etwas schädlich auf niedere Tiere. Dulein, 0,5°%/oig (40 eem Lösung, d. i. 0,2 g Dulein auf ca. 0,2 g Algen). Nach !/a Stunde war keine Veränderung eingetreten. Die Mikroorganismen mit Bewegungsorganen zeigten noch un- sehemmte Beweglichkeit. Ebenso sahen ‚die Algen nach 3 Tagen noch völlig unverändert aus. Dazwischen bewegten sich Schwärmer, wenn auch nicht so häufig und so rasch wie zuvor, lebhaft zappelnde Ostraeoden waren bemerkbar, ferner auch rasch fliehende Infusorien. Eine schädliche Wirkung war kaum zu bemerken. Also wirkt 085% Dulein nicht schädlich auf Mikroorganismen ein. Vergleichen wir das Resultat dieses und des vorausgehenden Versuches mit den Ergebnissen der entsprechenden Saccharinversuche, so ergibt sich ein deutlicher Unterschied zugunsten des Duleins. Dulein, 0,1%ig (200 cem Lösung, d. i. 0,2 g Dulein auf ca. 0,2 g Algen). Auch hier waren nach "/sstündigem Aufenthalt in der Lösung die beweslichen Mikroorganismen noch nicht in ihrem Bewegungs- vermögen geschmälert. Die gauze Algenmasse war Bach 3 Tagen noch frisch und lebendig, dazwischen bewegten sich zahlreiche Schwärmer recht lebhaft umher. Nachdem schon 0,5 °o sich als unschädlich erwiesen hatte, war dieses Resultat eigentlich selbstverständlich. 3 Wäre das Resultat des Versuches mit 0,5° Dulcin schon be- kannt gewesen, dann wäre jedenfalls dieser letzte Versuch mit 0,1% Dulein nicht aufgestellt worden. 576 Th. Bokorny: Dulein, 0,02%oig (1000 cem Lösung, d.i. 0,2 g Dulein auf ca. 0,2 g Algen). Die Bewegungsfähigkeit der Mikroorganismen war nach "/«stün- digem Aufenthalt dieser in der Lösung noch unverändert erhalten. Auch nach 3 Tagen sah ich noch Schwärmer und Infusorien lebhaft umherschwimmen. Die Insektenlarven waren noch lebendig und beweglich wie vor dem Versuch. Es hatte offenbar gar keine Schädigung der Mikrotiere statt- gefunden. Auch die Algen machten einen durchaus normalen Eindruck. Rohrzucker, 2°/oig (10 eem Lösung, d.i. 0,2 g Rohrzucker auf ca. 0,2 g Algen). Als die Mikroorganismen (Spirogyren, Cladophoren, Conferven, Infusorien, Diatomeen, Gliedertierlarven . ...) in diese Lösung ver- bracht wurden, zeiete sich keine Änderung. Die beweglichen unter denselben setzten ihre Bewegung ungehindert fort. Man sah In- fusorien, Schwärmsporen usw. lebhaft durcheinander schwimmen. Ebenso verhielt sich es noch nach 2 Tagen. Der Rohrzucker schädigt also sogar bei einer Konzentration von 2°/o die Mikroorganismen nicht im geringsten. Am schädlichsten ist das Saccharin. Dulein steht in der Mitte zwischen Rohrzucker und Saccharin. Bei den Verdünnungen, in welchen sie zum Ge- nusse angewendet werden, ist keiner der drei Süss- stoffe für Mikroorganismen schädlich. Die gewählten Gesamtmengen Süssstoff (0,2 g) wären, wenn giftig, immer weitaus senügend gewesen, um die gesamte Mikroorganismenmenge (0,2 g) zu töten. Da die genannten Stoffe, Dulein und Saecharin, in ge- wisser Verdünnung von den Zellen längere Zeit ertragen werden, so legte ich mir die Frage vor, ob sie vielleicht zur Ernährung jener Mikroorganismen, speziell von Algen, dienen können. Die Aussichten, positives Resultat zu erhalten, sind freilich ge- ring. Denn Benzolderivate eignen sich in der Regel nicht zur Fr- nährung. Weiter unten sollen einige Belege hierfür erbracht werden; die Benzolderivate erwiesen sich meist als giftig. a)’ Algen in 0,5 'loiger Saccharinlösung 14 Tagelang bei Liehtzutritt belassen. | Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 977. Nach Ablauf der l4tägigen Versuchszeit waren sämtliche Algen abgestorben, gebleicht, nur wenige Zellen waren noch grün, diese vollständig stärkeleer. s Also hatte keine Ernährung stattgefunden. b) Algen in 0,1%/oiger Saecharinlösung 14 Tage lang bei Lichtzutritt belassen. Nach 14 Tagen waren die Algen von gesunden: Aussehen, von frisch grüner Farbe, oben schwimmend. Die vorhandenen Infusorien schwammen munter hin und her. ; ; Eine angestellte Jodprobe ergab, dass reichlich Stärke in den Zellen aufgespeichert war, viel mehr als in den Kontrollalgen. ec) Algen in 00,2%oiger Saccharinlösung 14 Tage lang bei Lichtzutritt belassen. Ein ähnlicher Unterschied gegen die Kontrollalgen wurde auch hier konstatiert, nur in etwas schwächerem Masse. Offenbar hatte die grössere Verdünnung des Nährstoffes einen schwächeren Stärkeansatz zur Folge gehabt. Die Algen waren gesund, von lebhaft grüner Farbe, schwimmend, offenbar in Assimilation begriffen, also nicht geschädigt. Das Saccharin hatte hier ausserdem noch deutlich ernährend gewirkt. d) Algen in 0,005 °/oiger Saecharin-Lösung 14 Tage lang bei Lichtzutritt belassen. Auch hier waren die Algen nach 14 Tagen stätrkehaltie, aber noch etwas weniger als beim vorauszehenden Versuch. Das Aussehen der Algen war tadellos. Aus den sämtlichen Saecharinversuchen, mit Ausnahme des Versuches a, wo die Konzentration zu gross war, entnahm ich zu meiner Überraschung, dass das Saccharin ein Nährstoff für Algen ist. Es wurde zwar hier nicht der gewöhnliche Versuchsweg ein- geschlagen, welcher ein vorausgehendes Aushungern der Algen bis zur völligen Entstärkung erfordert. Aber trotzdem kann aus den Versuchen der Schiuss auf Er- nährungeskraft des Saccharins gezogen werden, da ja neben. jenen Versuchen ein Kontrollversuch mit denselben Algen und unter ganz gleichen Bedingungen — ausser Saccharinzusatz — stand. Es konnte also der Vergleich gemacht werden, und dieser fiel zugunsten des Saccharins aus, in dem Sinne also, dass Saccharin ein Nährstoff für Algen (C-Quelle) ist. 578 Th. Bokorny: Vermutlich vermag ihr Protoplasma hier — wie beim Phenol — den Benzolkern zu zertrümmern und kleinere Atomgruppen daraus zu bilden, welche dann zum Stärkeaufbau verwendet werden. Angesichts dieses Ergebnisses stellte ich nun auch noch Dulein- versuche an: 2 ae) Dulein, 2°o, und Algen. Nach 15 Tagen waren die Algen zum Teil ausgehungert, zum Teil in gutem Ernährungszustand mit reichlich Stärke, zum Teil auch in einem mittleren Ernährungszustand. AÄusserlich machten sie einen noch guten Eindruck. Die Algen waren grün und turgoszent. Offenbar hatte ein Teil der Algen die Einwirkung der 2°/oigen Duleinlösung nicht ertragen und war damit unfähig geworden, sich zu ernähren; die vorhandenen Kohlehydrate wurden veratmet. i Ein anderer Teil war nicht direkt geschädigt, vermochte aber nur die gewöhnliche Kohlensäureernährung zu vollbringen. Ein ‘ dritter Teil .ernährte sich von Kohlensäure und Dulein zugleich. 8) Dulein, 0,5%, und Algen. Auch hier war eine ernährende Wirkung des Duleins nicht zu verkennen. Die meisten Zeilen der Algen waren ziemlich reich an Stärke, manche überreich, wenige in stärkerem Zustande. Die ernährende Wirkung des Duleins war hier noch aus- gesprochener als bei dem vorigen Versuch mit 2°o Dulein. Offen- bar hatte hier jede schädliche Wirkung infolge der geringeren Kon- zentration aufgehört. | y) Dulein, 01o, und Algen. Nach 15 Tagen Algen meist in gutem oder auch in mittlerem Ernährungszustand. ! Die Ernährung durch Dulein war nicht zu verkennen. Denn das Aussehen der Duleinalgen war besser als das der Kontroll- algen. Der Stärkegehalt der Zellen war ein weit grösserer. Doch erreichte der Stärkegehalt nicht die Höhe wie bei 0,5 %o Dulein. Die geringe Konzentration hat das jedenfalls verschuldet. ö) Dulein, 0,02%, und Algen Nach 15 Tagen Aufenthalt in dieser Lösung waren die Algen meist dem Hunger nahe. Hier hatte offenbar infolge der zu geringen Konzentration keine Ernährung mehr stattgefunden. x Verhalten einiger organischer Stickstoffverbindungen usw. 579 &e) Brunnenwasser ohne jeden Zusatz (Kontrollversuch). Die Algen lebten weiter, hatten aber eine zu geringe Selbst- ernährung (aus Kohlensäure), weil die Beleuchtung (Ende November) zu schlecht war, zumal die Versuche wegen der herrschenden tiefen Temperatur im Zimmer aufgestellt werden mussten; infolgedessen war nach 15 Tagen ziemlich wenig Stärke mehr in ‘den Zellen ab- gelagert; die anfangs beim Einsammeln im Freien ziemlich stärke- reichen Zellen hatten ihre Stärke grossenteils verbraucht. Überblicken wir die Versuchsreihe @—-e, so können wir daraus entnehmen, dass die Algen Dulein zur Ernährung verwenden. Sie vermögen offenbar das Duleinmolekül in einfache, zum Eiweiss- oder Kohlehydrataufbau direkt verwendbare kleine Atom- gruppen zu zerspalten. Am nächsten liegt wohl der Gedanke, dass Harnstoff abgespalten wird, welcher (nach abermaliger Zerspaltung?) zur Synthese dient. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass von diesen chemisch so wirkungsvollen grünen Mikroorganismen der Benzolkern des Duleins gesprengt und damit synthetischen Zwecken zugänglich ge- macht wird. Pilzernährungsversuche über Saccharin: 2 Saecharın, 2%. DA SLaNaUEIR, 208.0 Taerar 308 2.202, 00'9/0 Ammonsulfat‘ "ine... a3. 0510 Plo Monokaliphosphat . . . . . 0,05 °/o Maenesiumsulfat . . . . 2... .0,01%o Brunnenwasser Spur Pilze (Hefe und Bakterien). Nach zweitägigem Stehen im warmen Zimmer war noch nicht die geringste Trübung eingetreten. Da möglicherweise eine Giftwirkung des Sacecharins (oder seines Natriumearbonates) vorliegen konnte, stellte ich noch Versuche mit grösseren Verdünnungen an. 2. Saceharin, 0,5%. SEIEN yo see 0:50.070 AMINOnSUllaB tee 00 Monokaliphosphat . . . . . 0,05 lo Masnesiumsulsat u. war er. 0,0800 Brunnenwasser Spur Pilze (Hefe und Bakterien). 580 Th. Bokorny: Verhalten einiger organ. Stickstoffverbindungen usw. Auch hier war nach 48 stündiger Versuchsdauer noch keine Spur von Pilzvermehrung zu erkennen. Die Flüssigkeit war noch so klar wie anfangs. 0,5 °/o liess bei Algen keine schädliche Wirkung erkennen. 3. Saccharin, 0,1. Saceharin. 2%... 20,10% Ammonsulfat:. „2 2....% :0,.10:%o Monokaliphosphat . . . 2 ..0,05o Magnesiumsulfat . . . 2 ....0,01%o Brunnenwasser Spur Pilze (Hefe und Bakterien). Hier war wiederum kein Wachstum der Pilze nach 48 Stunden zu erkennen. Es war hier nach meinen vorausgegangenen Versuchen jede Giftwirkung ausgeschlossen. 4. Saccharin, 0,020. Saccharın . 2 2e2..2....0.02%o Ammonsulfat .....2.:2....... 0.1096 Monokaliphosphat . . . 2... ..0,05%0 Magnesiumsulfat . . . » 2. 0,01%. Brunnenwasser ' Spur Pilze (Hefe und Bakterien). Auch bei diesem Versuch unterblieb die Trübung der Flüssig- keit. Ein Pilzwachstum trat binnen 48 Stunden im warmen Zimmer trotz reichlicher Infektion nicht ein. 5. Saccharin, 2°/o, ohne jeden weiteren Zusatz als Wasser. Nach 14 Tagen Aufenthalt im warmen Zimmer zeigte die Flüssigkeit noch keine Spur von Trübung. Alle diese Pilzversuche weisen demnach darauf hin, dass die Pilze das Saccharin nicht zu verarbeiten vermögen. Die Algen sind in diesem Falle den Pilzen über, eine Beobachtung, die gelegentlich auch schon bei anderen Stoffen gemacht wurden. Sal (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Greifswald.) Vermag ein geringes Quantum Alkohol, in Gestalt von Bier aufgenommen, die Wahr- nehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen ? Von Hugo Schulz. Die Untersuchung, deren Ergebnis hier mitgeteilt werden soll, hatte in erster Linie einen praktischen Zweck. DBei meinen Versuchen über die Alkoholwirkung gegenüber dem Unterscheidungs- vermögen von Hell und Dunkel bei Rot und Grün hatte es sich heraus- gestellt, dass dies sehr deutlich beeinträchtigt wird, wenn der Alkohol in Gestalt von leichtem Bier aufgenommen wurde !). Ich habe zur Erklärung dieser Erscheinung angenommen, dass das mit dem Al- kohol zusammen aufgenommene Hopfenbitter, dessen leicht nar- kotisierende Wirkung bekannt ist, einen gewissen Anteil an der Wirkung haben möchte. Am Schlusse derselben Arbeit betonte ich die Bedeutung, die ein solcher Einfluss von Bier haben kann, wenn es sich darum handelt, farbige Signale wahrzunehmen, wie sie zum Beispiel im Eisenbahnbetrieb eine grosse Rolle spielen. Der zu meinen früheren Untersuchungen benutzte Apparat arbeitet, genügende Übung des Beobachters vorausgesetzt, sehr fein und gestattet es, schon sehr geringe Abweichungen im Unterseheidungsvermögen des Beobachters unter passenden Bedingungen festzustellen. Die Frage lag nahe: Äussert sich der Einfiuss des Genusses von einer Flasche, also etwa !/a Liter, Bier auch dann schon, wenn derselbe mit einem Apparat kontrolliert wird, dessen Anwendung eine gewisse Annäherung an praktisch denkbare Verhältnisse und Möglichkeiten gestattet ? Es ist denkbar, dass der Führer einer Lokomotive bei schneller Fahrt und unsichtigem Wetter das rote Signal auf der Strecke vor sich erst so spät wahrnimmt, dass nur durch schleunigstes und energisches Bremsen ein Zusammenstoss mit dem letzten Wagen des 1) Pflüger’s Archiv Bd. 166 S. 217 ff. 1917. 4 582 Hugo Schulz: Vermag ein geringes Quantum Alkohol vor der Maschine befindlichen Zuges oder das Überfahren eines bestimmten Endzieles vermieden werden kann. Befindet sich in diesem kritischen Augenblicke der Lokomotivführer unter dem Ein- flusse irgendeiner denkbaren Möglichkeit, die einschränkend auf sein Erkennungsvermögen für das rote Licht wirken kann, so liegt darin selbstverständlich für den ihm anvertrauten Zug eine grosse Gefahr. Es handelte sich für meinen Fall also um die Frage, ob bei sonst gut sehenden Menschen der Genuss von /ı Liter hellen Bieres schon die Wahrscheinlichkeit ergeben kann; dass unter gleichzeitig obwaltenden äusseren, das Sehen erschwerenden Umständen ein Zuspätsehen oder gar Übersehen eines roten Sienals denkbar ist. Zur Lösung dieser Frage habe ich mich folgenden Apparates und Versuchsweges bedient: Der Apparat ist leicht herzustellen. In einem viereckigen, schwarz angestrichenen Holzkasten befindet sich eine Zehnkerzen-Glühlampe, die mit Hilfe der an ihr befindlichen Leitung an jeden Steckkontakt an der Wand des Arbeitszimmers angeschlossen werden kann. Die vordere Schmalseite des Kastens ist offen und nur mit einem Holzrahmen versehen, in den eine farbige Glasscheibe, in unserem Falle eine rote Scheibe, eingelassen werden kann. Vor dieser Glasscheibe ist dann eine Irisblende Jlichtdicht angebracht. Die Blende ist mit einem längeren Hebel versehen, der auf einer Skala spielt, die aussen an dem Kasten angebracht ist. Mit Hilfe des Hebels und der Skale kann man den Durchmesser der Öffnung in der Irisblende beliebig verstellen. Bei meinem Apparat ermöglichte sich die Einstellung des Durchmessers von 0,5 mm ab bis zu 4 mm in halben, von da ab in ganzen Millimetern. Vor der Irisblende befand sich dann noch ein Momentverschluss. Bei meinen Versuchen stellte ich ihn regelmässig auf grösste Schnelligkeit ein. Sie ist gleich "/ıoo Sekunde angegeben. Während der Moment- verschluss funktionierte, fiel also für diese Zeit durch die Blenden- öffnung ein. bestimmtes Quantum roten Lichtes nach aussen. Der Apparat stand in bequemer Sehhöhe im Dunkelzimmer. Seine Öffnung war gegen die Türe des Zimmers gerichtet. Der Raum vor dem Dunkelzimmer war durch Herablassen des Vorhanges am Fenster leicht verdunkelt, d. h. nur so, dass lediglich das direkte Tageslicht abgeblendet war und im übrigen die Beleuchtung voll- ständig genügte, um selbst feine Schrift deutlich lesen zu können. Der Beobachter sass mit'dem Rücken gegen das Fenster, hatte den Apparat in einer Entfernung von etwa 2 m vor sich stehen und sah die Wahrnehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen ? 533 also in das Dunkelzimmer hinein. In einigen wenigen Fällen musste der Abstand von 2 m etwas herabgesetzt werden, um deutliches Sehen des Signals zu ermöglichen. Um das Auffinden des Signals, des aufblitzenden runden, roten Scheibehens, für ungeübte Beobachter zu erleichtern, war auf der Vorderseite des Momentverschlusses ein grosses, weisses Kreuz angebracht. Seine Arme liessen die der Lage der Blende entsprechende Stelle frei. So konnten die beobachtenden Personen einfach darauf hingewiesen werden, anzugeben, was sie auf der schwarzen Scheibe des Momentverschlusses zwischen den Armen des Kreuzes zu sehen bekäınen. Durch eigene Versuche stellte ich zunächst fest, dass noch eine kleine Verbesserung an dem Apparate notwendig wurde, um für meinen Zweck brauchbar zu werden. Das durch die Blende, auch bei engster Öffnung, austretende Licht war doch noch so intensiv, dass es unmöglich wurde, eine etwaige, während des Versuches eintretende Steigerung der Erkennungsmöglichkeit feststellen zu können. Durch einfaches Vorschieben von einigen Blättern dünnen weissen Papiers gelang es leicht, das Licht so weit abzublenden, dass erst beim Ein- stellen auf grössere Skalenwerte die deutliche Wahrnehmung der kleinen roten Scheibe erreicht wurde. Die einzelnen, im ganzen an 100 Personen männlichen und weiblichen Geschlechtes vorgenommenen Versuche verliefen gleich- mässig wie folgt: | \ Zunächst wurde durch wiederholte Bestimmungen festgestellt, bei welcher Blendeuöffnung die rote Scheibe deutlich als solche erkannt wurde. Mit der engsten Öffnung der Blende, also 0,5 mm, wurde begonnen und dann langsam die Öffnung nach dem jeweiligen Be- dürfnis erweitert. Zwischen je zwei Beobachtungen lag jedesmal ein Zwischenraum von 2 Minuten. Die Angaben, welehe vor dem deut- lichen Erkennen gemacht wurden, lauteten in der Regel: Nichts, ein weisser Streifen, ein gelber Streifen, etwas rosa, gelb-rotes Licht, bis dann schliesslich die Angabe kam: deutlicher, roter Punkt oder Kreis. Selbstverständlich wechselten diese Angaben bei den einzelnen Per- sonen. Das deutliche Erkennen der kleinen roten Kreisfläche wurde nun festgehalten als Norm. Nachdem diese mit Sicherheit festgestellt war, bekam der Beobachter eine Flasche helles leichtes Bier zu trinken von derselben Qualität, wie ich sie zu meinen früheren Ver- suchen benutzt hatte. Dann wurde während !/s Stunde mit Pausen von je 2 Minuten die Erkennungsfähiekeit weiter geprüft. Je fünf 584 Hugo Schulz: Vermag ein geringes Quantum Alkohol Bestimmungen, entsprechend der Zeit von 10 Minuten, wurden als eine Serie angesehen. So erhielt ich also jedesmal nach Feststellung der Norm noch drei Serien zu je fünf Bestimmungen. Bei den Personen, welche gar nicht auf den Biergenuss reagierten oder gar besser sahen, habe ich von einer weiteren Prüfung Abstand senommen. Anders lag es bei denen, welche deutlich schlechter sahen, nachdem sie das Bier aufgenommen hatten. Mit einigen Ausnahmen, die ich leider nicht mehr für meine Versuche bekommen konnte, wurden alle Personen, die erheblich schlechter nach dem Biergenusse sahen, an einem anderen Tage nochmals geprüft ohne vorhergehenden Biergenuss. Es ergab sich während der Zeit, welche diese Versuche in An- spruch nahmen, dass bei mehreren Personen innerhalb der halben Stunde Beobachtungszeit doch schon Ermüdungserscheinungen auf- traten. Diese mussten selbstverständlich mit berücksichtigt werden, und dies ist denn in der später anzugebenden Berechnung der einzelnen Resultate auch geschehen. Auffallend war bei einigen, am Versuche beteiligten Damen, dass sie angaben, sie würden nach dem Biertrinken müde, ohne dass sich dies in ihrem Erkennungsver- mögen für das rote Lieht besonders deutlich aussprach. Alle am Versuch beteiligten Personen waren an Biergenuss gewöhnt. Sie gehörten, wie sich ergeben wird, den verschiedensten Berufskreisen an, und ebenso verschieden war auch das Lebensalter. Ich lasse zunächst hier die Ergebnisse der einzelnen Versuche folgen. Die Zahlen sind so zu verstehen, dass die erste den Durch- messer der Blendenöffnung angibt, bei welcher unter normalen Be- dingungen das rote Signal deutlich erkannt wurde. Die dann folgenden Zahlen entsprechen dem Öffnungsdurchmesser während der unter dem Einflusse des Bieres liegenden Zeit. Länger wie !/s Stunde liessen sich diese Versuche nicht durchführen, weil zu befürchten war, dass schliesslich eintretende Ermüdung, die sich auch bei reinen Normalversuchen, also ohne Biergenuss, herausgestellt hatte, das Endergebnis stören würde. Um die Ergebnisse der einzelnen Versuche untereinander ver- gleichbar zu machen, wurde jede Normalzahl gleich 100 gesetzt und darauf die Mittelwerte aus den einzelnen Serien umgerechnet. Die einfachen wie auch die umgerechmeten Mittelwerte-sind ebenfalls in der nachfolgenden Übersicht angegeben. Schliesslich ist dann noch das Gesamtmittel aus den drei um- die-Wahrnehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen ? 585 gerechneten Werten gezogen, die der unter dem Einfluss des Bier- genusses stehenden Zeit entsprechen. Die daraus sich ergebende Zahl ist durch stärkeren Druck kenntlich gemacht. Wenn es also zum Schluss des ersten Versuches zum Beispiel heisst: 100:41, so bedeutet das, dass einer normalen Beobachtung — 100 eine solche von 41 während der Wirkung des Bieres entspricht. Auf diese Weise berechnet, lassen sich die Endwerte aus allen 100 Versuchen unter- einander in Vergleich stellen und ermöglichen die Aufstellung eines grossen Gesamtergebnisses. Zur Erleichterung der Übersicht desselben ist von deren’ regel- mässiger Zeitfolge in den gleich mitzuteilenden Einzelangaben Ab- stand genommen. Die Versuce. 15 28. Okt. 1916. alt, Landarbeiter. D., 33 Jahre 4. 11. Nov. 1916. H., 23 Jahre alt, Kandidat der Medizin. 7,0 3,0 6,0 40 35 30 2,0 Mittel: 3,7 2,0,2,02°2107 2,0, 2,02 Mittel: 2,0 25 25 25 20 20 „28 210%.20. 20.20: 20° 020 25 20 30 80 25 6 20.:2.0.2.0..20.15°25.2019 1007255, Bono 100 67 67 6 100: 41. 100 : 66. >. 5r 30. Nov. 1916. :W., 36 Jahre 23. Okt. 1916. L., 22 Jahre alt, Krankenwärter. alt, Seminarist. 2,5 5,0 20 20 15 15 1,5 Mittel: 17 | 40 40 40 40 3,5 Mittel: 3,9 1515155215 1,5 SRANS 3:0°.3.51030..3,008,00, 4.7.0, 3,1 15 15 15.15.15 15 30 73.0 33.3030. ©, 31 100 68 60 60 100 78 62 62 100 : 68. 100 : 67. 3. 6. 17. Okt. 1916. S., 19 Jahre alt, Realschüler. 30. Okt. 1916. B., 41 Jahre alt, Glasermeister. 3,9 6,0 2,5. %.2:911 2:9..,2:0.,.20: Mittel>2,3 6,0 6,0 5.0 5,0 5,0 Mittel: 54 2025 2.0.2025 ri 4,0 40 40 35 39 MELE:S 2,9. 2,9:.2.072,02 2,0 ee 8.92.:9:.0%.2:97 8.0,8,0 al 100 66 65 6 100 90 63 50 100: 64. 100 : 68, 986 %s | 13. Dez. 1916. D., 25 Jahre alt, Maschinist. 30 30 235 25 2,0 23,0 20 15 15 100 3,0 2,0 2,0 Mittel: 2,5 20 15 2,0 15 15 1,6 83 67 53 ” ” 100: 68. 11. Dez. 1916. G., 40 Jahre‘ 5. alt, Schriftsetzer. 25 25 230 20 230 23,0 20 2,0 2,0 100 6. Dez. 1916. M., 30 Jahre | alt, Schlosser. 20.25 235 2,0 230 2,0 20 20 235 100 29. Nov. 1916. V., 23 Jahre | alt, Matrose. 15 15 15 15 15° 15° 3,0 2,0 2,0 Mittel: 20 25 2,2 21 ED . Hugo Schulz: Vermag ein geringes Quantum Alkohol 12. 19. Dez. 1916. H., 22 Jahre alt, Kandidat der Medizin. 2,9 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 Mittel: 2,0 20. 2.0..20.90 20 u. 920 20 15.20. 15 5,50. 01 100 S0 80 68 100 : 76. 13. 11. Nov. 1916. R., 25 Jahre alt, Kanditat der Medizin. 2,5 2,0 73 70 70 2,1 ” 100:71. 9. 3,0 2,5 2,5 Mittel: 2,0 2,0 2,5 23,0 80 67 9,4 2,0 22 „ ” 13 100 : 73. 10. 2,0 1,5 1,5 Mittel: 1,5 1,5.45 1,5 1,5.°41,5 1,5 5 5 9 ” ” 100 : 75. ee 15. Dez. 1916. W., 24 Jahre alt, Landarbeiter. 11. 3,0 2,0 2,0 3,0 2,5 3,0 Mittel: 2,5 20 25.20.90 25 929 25.25.00 15. 25... 29 | 100 ,83 73 73 | ; . 100:76. 14. 2 14. Nov. 1916. L., 45 Jahre ‚alt, Baurat. | 3,0 ' 30 25 30 230 2%0 Mittel: 2,3 30 25.20.20 2000 09 20 25 00 05 200... 202 1007270 7720218 100 : 76. 15. 19. Okt. 1916. B., 18 Jahre ‚alt, Mechaniker. 2,0 15 1,5 Mittel: 1,5 1,5 20 16 15.15 1,5 19. .80.225 100: 77. 16. 17. Okt. 1916. Seh., 22 Jahre alt, Dekorateur. 15.15 15 15 15.15 25. 15.415 100 ” ” 9,0 | 2,5 15 :15 15 15 15 Mittel:15 | 20:20 230 230 2,5 Mittel: 2,1 15 15 15.15. 1505.02.) 020 .20.15%20.20° 2.19 15.15 15, 65015. 2 15 0, 00 20 20.20 10557 | 100 84 76 76 100: 75. 100 : 79. die Wahrnehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen ? 42. 233. Okt. 1916. W., 26 Jahre alt, Lehrer. 2,9 23,0 2,0 2,0 2,0 2,0 Mittel: 2,0 a ae are 120 20:20 2072.0:72,0 el) 100 80 80 80 100: 80. 18. 5 I 2. Nov. 1916. B., 26 Jahre alt, Maschinenbauer. 2,0 15.:20°1,5 1,5 1,5 - Mittel: 1,6 39157 15.220% 15 7 TE ee - 100 80 85 75 100 : 80. 19. 11. Dez. 1916. E., 31 Jahre | alt, Buchhalter. 3,9 3,0. 2,5 3,0 30 3,0 Mittel: 2,9 25 25 30 30 235 2,7 25 3.0.:3,0, 25.30 = 2,8 100 83 77 80 100 : 80. %. I 6. Nov. 1916. P., 20 Jahre alt, Maurer. | 10,0 | 8,0 80 Mittel: 82 | 80 80 8,0 8,0 9,0 8,4 82 80 84 | 100: 82. 21. 24. Okt. 1916. J., 24 Jahre alt, Landwirt. 90 80 80 80 80 80 8,0 9,0 80 100 ” I 987 22. 8. Nov. 1916. Sch., 22 Jahre alt, Kandidatin der Medizin. 2,5 29 2,0 2,0 2,0 2,0 Mittel: 2,1 2:07.72.07:20,02:0.32.0 3 2,0 2,0. 20 20 2,3 2,0 " 21 100 84 80 84 100 : 88. 23. 16. Dez. 1916. L., 27 Jahre alt, Landwirt. 3,0 3,0 25 25 25 2,5 Mittel: 2,6 245%. 3:0,207 20W 3 O4 25 20 25 25 30 j 2,9 100 87 80 83 100 : 83. 24. 16. Dez. 1916. W., 19 Jahre alt, Maler. F 2,9 2,0. 2,0 2,0 2,0 2,0 Mittel: 2,0 207 25 25.209,20. .,, 20. 2.0 20.2.0720. =, 020 100 80 88 80 100: 83. 25. 19. Dez. 1916.. K., 20 Jahre alt, Fabrikarbeiter. 3,0 2,5 2,5 Mittel: 23,6 25 235 2,5 an 28 2,3 37 83 100: 84. 26. | 18. Okt. 1916. 8., 25 Jahre alt, Landwirt. ” ” 83 6,0 | 3,0 25 25 25 25 2,5 Mittel: 3,5 25.200258. 208. 3204 0.221,22 25 3013035 au 097 100 3 73 90 100: 82. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 168. 5,0 6,0 5,0 7,0 5,0 Mittel: 5;6 \ 26:0 ,6,045,0- 6,0%5,0% 25.3056 50.20 40.350 351 027540 100 93 93 67 100: 84. 38 88 27. 2. Nov. 1916. M., 23 Jahre alt, Bäcker. 2,9 2,5 2,0 2,0 2,0. 2,5 Mittel: 2,2 .. 20. 20 25: 20 20 BR 20.20 20°20.20:°, 20 100 88 84 80 100 : 84. ! 28. 9, Nov. 1916. Sch., 23 Jahre alt, Kandidat der Medizin. 2,5 2,0 2,0 Mittel: 2,1 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,2 84 80 100: 84. 29, 18. Okt. 1916. L., 32 Jahre alt, Schlosser. 9,0 25 20 23,0 20 20 23,0 25 25 2,0 100 ” ” 88 50 5,0 5,0 40 6,0 Mittel: 5,0 35 4.0240 8035 2,88 30 50 40 35 40 „. 839 100 100 76 78 100: 85. 30. 26. Okt. 1916. W., 28 Jahre alt, Landwirt. 13,0 12,0 11,0 11,0 12,0 12,0 Mittel: 11,6 12,0 11,0 11,0 11,0 11,0 11,2 10,0 11,0 11,0 11,0 11,0 10,8 100 89 86 8 100 : 86. 31. 18. Okt. 1916. M., 25 Jahre alt, Schlosser. B2] >] 2,5 25 2,0 23,0 2,0 2,5 Mittel: 2,2 20 25 25 20 230 2,2 20 25 20 20 230 2,1 100 83 88 84 100 : 87. ” ” Hugo Schulz: Vermag ein geringes Quantum Alkohol 32. 26. Okt. 1916. H., 39 Jahre alt, Friseur. 9,0 80 80 Mittel: 8,0 7,0 8,0 1,6 80 8,0 7,8 90 8 837 100: 87. 33. 28. Okt. 1916. N., 33 Jahre alt, Bierbrauer. 2,5 25 23,0 2,5 2,0 2,0. 2,0 8&4 88 88 100: 87. 34. 23. Okt. 1916. M., 24 Jahre alt, Landarbeiter. 3,9 35 3,5 Mittel: 3,3 2,5 3,0 2,8 3939 3,0 94 80 86 100 :87. 35. 13. Okt. 1916. Sch., 21 Jahre alt, Haustochter. 3,0 3,0 2,5 - Mittel: 2,8 25 35 2,6 25 235 2,5 3 8378 100: 88. 36. 19. Okt. 1916. K., 27 Jahre alt, Landarbeiter. 2,5 30 30 2,5 2,0 2,5 Mittel: 2,6 20 2,0 2,0 235 2,0 2,1 20 20 23,0 2,0 23,0 2,0 100 104 84 80 100: 89. 80 80 8,0 70 80 80 80 7,0 80 100 B2] ” Mittel: 2,1 2,2 2,2 15 230 35 20 230 235 25 25 2,0 100 ” ” 30 30 3,5 30 30 235 25 25 30 100 ” ” 25 3,0 3,0 25 25 3,0 2525 25 100 ” » ” b2] die Wahrnehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen ? 37. | 20. Okt. 1916. K., 15 Jahre, alt, Mechaniker. 3,0 30 2,0 2,5 2,5 2,5. Mittel: 2,5 35.30 25 a 0. 3.030.308 2008 1,2.,28 100 83 90 9 100: 89. 38. “ 3. Nov. 1916. P., 27. Jahre alt, Gärtner. 3,0 30 2,5 2,5 2,0 1,5 Mittel: 2,5 30 15 30 30 2,5 ER 35 35 30 2,0 4,0 782 100 77 87.107 100 : 90. 39. 17. Okt. 1916. F., 26 Jahre alt, Arzt. 2,5 25 35 2,0 2,0 2,5 Mittel: 3,5 2,0 2,1 20 25 235 2,2 100 100 84 88 100: 91. 40. 17. Nov. 1916. B., 19 Jahre alt, Schreiner. 25 2,5 2,5 23,0 2,0 23,0 ” n 3,0 25 25 2,5 Mittel: 3,5 30 30 3,0 2,8 3,0 25. 3,0 2,9 100 83 93 97, Ka 100: 91. 41. 8. Dez. 1916. F., 30 Jahre alt, Packer. 2,5 2,5 2,5 2,5 3,0 3,0 ” ” 2,5 2,5 2,5 2,0 2,0 2,0 Mittel: 2,2 20:20 20 230 2,5 21 25 25 30 20 235 2 100 88 84 100 100: 91. » ” 389 42. 25. Okt. 1916. L., 24 Jahre ‚alt, Maurer. 3,0 2,5 2,5 Mittel: 3,8 530 2,5 3,0 2,9 93.87 97 100 : 92. 43. 28. Okt. 1916. F., 21 Jahre 3,9 2,5 2,5 3,0 3,5 3,0 235 2,5 2,5 100 n ‚alt, Bergmann. 9,5 2,96.2.04 250230 2.0,2,09,2:07 2.052,59 2.0 2,0..3,0 73,0: 3,0 100 883 84 104 100 : 92. 44. 9. Nov. 1916. alt, Ehefrau. 2,0 Mittel: 2,2 2,1 2,6 ” n B., 41 Jahre 6,0 5,0 6,0 6,0 Mittel: 5,8 50 5,0 6,0 5,6 6,0 50 6,0 5,4 100 97 93 90 100: 98. 45. 6,0 6,0 6,0 6,0 5,0 5,0 ” n 28. Okt. 1916. N., 29 Jahre alt, Landwirt. 2,5 2,0 2,0 23,0 2,0 2,0 Mittel: 2,0 20 20 20 25 83,0 a2 30. 25.30.30 .2,5 IHRE ZE 100 80 92 112 100 : 95. 46. 6. Nov. 1916. Sch., 51 Jahre alt, Ehefrau. 7,0 6,0 70 60 70 6,0 Mittel: 6,4 70 60 70 60 7,0 6,6 2.077.0. 70.70.70 7,0 100 91 94 100 100:9. 35 * n „ 590 Hugo Schulz: Vermag ein geringes Quantum Alkohol 47. 17. Nov. 1916. F., 21 Jahre‘ alt, Kandidat der Medizin. ; 25 2,0 2,0 2,0 2,0 2,5 Mittel: 2,1 9,520. 2530005: 0 25.05.25 25.05. 0,2025 100 84 100 100 100 : 95. 48. 29. Nov. 1916 alt, Arbeiter. C., 22 Jahre 2,5 20 2,0 23,0 2,0 2,5 Mittel: 2,1 25 05°05.05.00,, 2.94 2.0.3.5. 2,5. :2.5:25 60.2,6 100 84 96 104 100: 95. 49, 13. Okt. 1916. v. M., 29 Jahre alt, Dozent. 2,5 2,0 2,0 2,5: 2,0 3,0 Mittel: 2,3 20 30520,.25 205°, 24 20 25 25.205:80...7.095 100 92 96 100 100: 96. 50. 21. Nov. 1916. N., 30 Jahre alt, Arzt. 2,0 2,0 2,0 2.0 2,0 2,0 Mittel: 2,0 20 20: 20.020 .200.02,.20 20.90.15 20 15 18 100 100 100 90 100 : 9. 51. 2. Dez. 1916. P., 20 Jahre alt, Arbeiter. ; 3,0 35 35 30 30 3,0 Mittel: 3,2 25 25 30.30.30.°,0 28 30 25 05 28.30. 1097 100 107% %0 32. 26. Okt. 1916. alt, Arbeiter. H., 30 Jahre 6,0 5,0 6,0 6,0 60 6,0 Mittel: 5,8 6,0. 70 50. 6,0: 50: 58 6.0 6,060 60 60 :, 60 100 97 97 100 100 : 98, 39. 9. Dez. 1916. alt, Maurer. V., 36 Jahre 3,0 25 25.25 25-935 Mittel: 2,5 3.0. 3,0. 2.025.080 = 380 ale Ba 100 83 100 113 -.100:99. 34. 2. Nov. 1916. B., 22 Jahre alt, Schlächter. 2,0 20 2,0 2,0 2,0 2,0 Mittel: 2,0 2:0..2:0.201,..2.0220 AN) 20.2.0. 2.0: 20.2.0620 790 100 100 100 100 100 :100. | 55. 30. Nov. 1916. @., 26 Jahre alt, Arbeiter. 1,5 15 15 15 15 15 Mittel: 1,5 7515 Is a5 2 15.15. 15.158. 158 03205 100 100 100 100 100 : 100. 6. alt, Knecht. 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 Mittel: 2,0 20.20 20: 20.20 ,..20. 50.2,0.20 207 20° 5.90 100 100 100 100 100:97. 100 : 100. 6. Dez. 1916. H., 20 Jahre. die Wahrnehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen ? 591 BY 62. 25. Okt. 1916. B., 24 Jahre 12. Dez. 1916. T., 29 Jahre alt, Kutscher. alt, Maurer. 2,5 | 3,0 2,5 2,0 30 30 25 Mittel: 26 | 25 30 2,5 3,0 2,5 Mittel: 2,7 20 25 300 30.05.: , 96 | 80 30.35 .80,35.%. , >32 2605 259 on 3,04 1080,35 85 40.85... 55 100 104 104 96 100 90 107 117 100: 101. 100 : 105. 58. 63. 11. Okt. 1916. Sch., 63 Jahre, 11. Okt. 1916. - M.. 26 Jahre alt, Professor. alt, Arzt. 3,0 2,9 3,0 30 3,0 2.0 3,0 Mittel: 2,8 2.0 30 2,5 230 2,5 Mittel: 2,4 30 35 35 85 35. 34 30. 25.300858 3002° ,.30 30 30 30 30 30 30°. 130°20,935.30 25 2026 100 9 113 100° | 100 96 120 104 100 : 102. | 100 : 107. 59. | 64. 16. Okt. 1916. €., Student 12. Okt. 1916. Sch., 58 Jahre der Medizin. ‚alt, Institutsdiener. 2,0 3,0 30 35 30 2,5 2,5 Mittel: 2,9 35 35 3.0 2 2,0 2,0 2,0 23,0 20 Mittel: 2,0 20 20 20 25 20, 21 f | 100 100 105 100 | 100 97 110 118 | 720.20. 20.2.0008 8.230 3,3. 8,07 40.1832.3,010 50.084 100 : 102. 100 : 107. 60. 65. 24. Okt. 1916. S., 27 Jahre) 20. Okt. 1916. G., 24 Jahre alt, Melker. alt, Maurer. 2,0 | 2,5 20 20 2,0 20 2,0 Mittel: 2,0 20 3,0 35 3,0 3,0 Mittel: 2,9 20 20 20 20 20,20 3.0 .30.25.25.20.. %..19,6 Du, Op eo 22} 05795802 100 100 100 110 100 116 104 100 100 : 103. : 100 : 107. Va 66. 2. Nov. 1916. B., 16 Jahre 18. Dez. 1916. B., 21 Jahre alt, Glaser. alt, Landarbeiter. 2,0 30, 25 2,0 20 2,0 2,0 Mittel: 2,1 35° 35 35 35 3,5 Mittel: 3,5 20 230 20 20 20 „230 35 35 30:30 80 „832 20 20 25 25 20 22 30 30 30 30 25.2 „u 99 100 105 100 110 100 117 107 97 109 :105. -.100:107. 592 67. 12. Okt. 1916. alt, Leutnant. Sch., 25 Jahre 3,0 35 30 3,0 3,0 Mittel: 33 85.25.30. |, 35 30 30 40 100 107 103 113 100 : 108. 68. 32 Ei 3,5 3,0 35 ” 16. Nov. 1916. L., 35 Jahre, alt, Schreiner. 3.8 3,0 3,035 40 3,5 Mittel: 34 4,0 40 40 40 4,0 4,0 40 40 40 40 40 „40 100 97 114 114 100 : 108. 69. 25. Okt. 1916. F., 41 Jahre alt, Professor. 3,0 30 30 30 2,5 25 25 30 35 40 40 35 40 40 40 „ 100 93 108 130 100 :109. 70. 30. Okt. 1916. alt, Kutscher. 2,5 Mittel: 2,8 3,1 3,9 ” E., 29 Jahre 5,0 | 5,0 50 5,0 5,0 5,0 Mittel: 5,0 50 50 50 60 6,0 54 6,0 60 60 60 60 6,0 100 100 108 120 100: 109. 71. 923. Dez. 1916. M., 50 Jahre alt, Professor. ” ” Ad, 50 40 30 5,0 4,0 Mittel: 4,2 50.40 5040.50 , 46 40.35 40 50.60... 45 100 105 115 100:111. 112 | alt, Laborantin. Hugo Schulz: Vermag ein geringes Quantum Alkohol | 72. \ 11. Okt. 1916. T., 23- Jahre | 4,0 ' 40 40 4,0 4,0 4,0 Mittel: 4,0 ı 40° 50 50.50 50 4,8 50 5,0. 40:40 50 4,6 100 100 120 115 100::112, 73. 3. Nov. 1916. Z., 22 Jahre alt, Knecht. ” ” 2,0 230 2,0 2,0 2,0 2,0 Mittel: 2,0 20.20 20,05.05. 50 DB. ab 0595 0095 100 100 110 125 100: 112. 74. 4. Dez. 1916. alt, Töpfer. H., 40 Jahre 3,0 30 35 35 35 83,5 Mittel: 3,4 3935883539 39 „39 35.30 35.30 3,0 Ban 100 113 117 107 100: 112. 75. | 19. Okt. 1916. ‚alt, Bodenleger. Z., 32 Jahre 4,0 ' 40 5,0 3,5 3,0 5,0 Mittel: 4,1 12.608 35. 4.0.50 50. 47 | 50.50 40.50 50:0, 28 | 100 102 117 120 100 : 113. | 76. | 2. Nov. 1916. Seh., 21 Jahre ‚alt, Former. | 15 15 15 15 15 20 Mittel: 1.6 20.15 20.115 15 200 20.0520 00. 1 100 107 113 120 100 :113. die Wahrnehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen ? 77. 14. Dez. 1916. St., 30 Jahre alt, Schneider. 2,0 3,0 2,0 30 230 2,5 Mittel: 21 20.250 20 9025, 28 | 5a ae 3 | 100 105 115 125 150:115. 78 24. Okt. 1916. 0., 25 Jahre, alt, Kaufmann. 4,0 5,0 40 5,0 5,0 4,0 Mittel: 4,6 50 50 40 40 5,0 4,6 50 50 50 50 5,0 5,0 100 115 115. 135 100: 118. 79. 27. Okt. 1916. K., 23 Jahre alt, Landwirt. ” ” 2,0 | | 2,0 2,0 230 2,0 2,0 Mittel: 2,0 05 25 22520, 24 9:5: °2.00.3.0. 3.023008 2° 07 100 100 120 135 100 : 118. s0. | 30. Okt. 1916. St., 27 Jahre | alt, Bildhauer. 3,0 4,0 3,0 2,0 3,0 3,0 Mittel: 3,0 3513.04: 3.5963,5. 3.0800, 0,8,5 3502.09#4.0.50:.150000,,043 100 100 110 145 100 : 118. 31. 25. Okt. 1916. @., 21 Jahre, alt, Müller: 393 32. 31. Okt. 1916. alt, Monteur. S., 34 Jahre 2,5 25 25 35 35 35 Mittel: 3,1 30 35 35 35 3,0 3,3 3:0 259301 3:02. 30., 3..29 100 124 132 116 100 : 124. 33. 6. Nov. 1916. M., 41 Jahre alt, Postschaffner. 4,0 35 70 50 40 40 Mittel: 47 60 40 60 5060,54 60 60 40 60 505. 54 100 117 135 100 :129. S4. : 19. Dez. 1916. G., 26 Jahre alt, Schuhmacher. 6,0 50 60 70 80 60 80 6,0 70 70 90 8,0 10,0 10,0 9,0 10,0 100 °107° 123 157 100:129. 35. 4. Nov. 1916. W. 30 Jahre alt, Bautechniker. 135 Mittel: 6,4 7,4 9,4 n 4.0 50 5,0 5.0 6,0 5,0 Mittel: 5,2 50 40 40 50 50 „46 50 50.70 60 60 „58 100 130 115 145 100 :130. 86. 27. Okt. 1916. N., 20 Jahre 'alt, Bildhauer. 5,0 5,0 40 6,0 6,0 7,0 Mittel: 5,6 60 60 60 60 6, 60 60 60 60 70 70 6,4 100 112 120 128 100 : 120. 1,5 1,5 2,0 2,0 20 2,0 Mittel: 1,9 15720. 20 20.05..002.20 20 20 20 20 20, 20 100 127 135 100: 131. 133 94 b) 37. 18. Dez. 1916. Sp., 20 Jahre alt, Studentin der Medizin. 3,0 35 30 40 40 4,0 Mittel: : 40 40.40 40.40 : ,„.&0 29 40. 40.40 50.70 502.48 100 123 133 140 100: 132. ss. 12. Dez: 1916. Z., 25 Jahre alt, Maurer. 20 40 5,0 5,0 4,0 5,0 Mittel: 4,6 50:50. 5.075.046.0. 20,1 59 | 6,0 - 6,0 5,0 6,0 7,0 200 100° 115 130 150 100 : 132. sg. 30. Okt. 1916. G., 34 Jahre alt, Drogist. 3,0 30 3,0. 3,0 3,5 3,5 Mittel: 3,2 8,040 40 50.40... 20 50 40.50 50 50: ,.048 100 107: 133 160 100 : 133. 9. 30. Okt. 1916. M., 26 Jahre | alt, Eisendreher. \ | alt, Heizer. | 2,0 20 25 2,0 25 2,5. Mittel: 2,3 20 95 30:30 850 00.02.08 90.35 30 350 30 0 31 100 115 140 155 100 : 137. 91. 2. Dez. 1916. P., 23 Jahre alt, Konditor. 39 40 40 40 40 5,0 Mittel: 42 50 40 50: 50 50. „48 50 50 60 60 60 ,.56 100 120 137 160 100 : 139 Hugo Schulz: Vermag ein geringes Quantum A)kokol 92. 25. Okt. 1910. alt, Eisenarbeiter. 5,0 W., 26 Jahre 6,0 6,0 6,0 70 7,0 Mittel: 6,4 7.0.70.80..80580% 02.76 80 80 80 80 80 8,0 ” 100 128 152 160 100 : 147. 33. 20. Okt. 1916. D., 25 Jahre alt, Landarbeiter. 2,0 25 30 25 2,0 3,0 Mittel: 2,6 80.25 808 5a 35 85 30.85. 500 0 8% 100 130 155 165 100: 150. 94, 14. Dez. 1916. Seh., 19 Jahre 2,0 2,5 2,0 2,5 30 3,0 Mittel: 2,6 3:0£8.0 3.083.035 & 3,1 33.30 80 385 55 1088 100 130 155 165 100 : 150. 95. 3. Nov. 1916. 8., 24 Jahre alt, Fabrikarbeiter. 3,0 30 25 30 35 3,0 Mittel: 3,0 3.0. 35 3550600 490 5.0..6,0. 70.8080. 2.008 100 100 140 227 100 : 156. 96. 24. Okt. 1916. alt, Zimmermann. 2,0 U., 22 Jahre 20 20 25 25 2,5 Mittel: 2,3 30 35540: 35.85: 0.095 35 35 3540. 20° 2,039 100 115 175 18 100 :158. die Wahrnehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen ? 5095 97. | 99; 15. Nov. 1916. B., 56 Jahre 8. Dez. 1916. W., 20 Jahre alt, Ingenieur. alt, Maurer. 3,5 4,0 35 35 40 40 4,0 Mittel: 3,8 6,0 6,0 6,0 7,0 7,0 Mittel: 6,4 4.0 6,0 7,0 6,0 5,0 „9:6 70 70 80 9,0 10,0 0 6,90 70 70 80 80 u 7,2 10,0 10,0 10,0 9,0 10,0 " 9,8 100 109 160 206 100 160 205 245 100 : 158. 100 : 208. 98. 100. 23. Okt. 1916. U., 25 Jahre 18. Okt. 1916. W., 44 Jahre alt, Friseur. alt, Mechaniker. 3,0 3,9 3,0 40 35.40 4,0 Mittel: 3,7 35 40 9,0 80 80 Mittel: 6,5 4,0 40 5,0. 6,0 5,0 PR Ko, 8.022.9:023:0210:0279:0 AN 6.0%5:014,6:0°°:6,02,6,04° 5° 58 9.02 9.02. 8:008.0..90°. 86 100 123 160 193 100 186 257 246 100 : 159. 100 : 230. Das Endergebnis aus allen Versuchen stellt sich zunächst so, dass von den 100 Personen, welche an dieser Untersuchung sich beteiligt haben, 56 unter dem Einflusse des Bieres besser oder ebengo- gut das rote Signal wahrgenommen haben wie vor der Aufnahme des Bieres. Diese alle würden uns zunächst nicht weiter interessieren. Es handelt sich in der vorliegenden Untersuchung, wie ich schon sagte, wesentlich darum, festzustellen, ob der Genuss von !/ı Liter leichten Bieres schon genügen kann, die Schärfe der Wahrnehmung in erheb- licher Weise zu beeinträchtigen. Es ist weiter daran zu denken, dass bei einer grossen Reihe von Personen, die an derartige Untersuchungen doch nicht gewöhnt sind, Ermüdungserscheinungen auftreten können, die nicht auf Rechnung des genossenen Bieres gesetzt werden dürfen. Hierfür spricht meines Erachtens auch schon die verhältnismässig grosse Anzahl von 44 Personen, die unter dem Einflusse des Bieres schlechter beobachteten wie vorher. Ich will aus diesem Grunde alle diejenigen Beobachter von der folgenden Überlegung ausschliessen, deren Endwert das Verhältnis 100:125 nicht erreicht. Es bleiben dann noch 18 Personen übrig. Von diesen habe ich leider 5 nicht nachprüfen können. Der noch verbleibende Rest von 13 muss aber noch besonders besprochen werden. Ich werde in der Folge unter derselben Nummer, wie sie die Angabe aller Versuche bringt, die Ergebnisse anführen, die die Nachuntersuchung geliefert hat, bei der also kein Bier aufgenommen worden ist. 396 33. Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des Bieres war: 100 : 129. 28. Nov. 1916. 4,0 40 40 40 40 4,0 Mittel: 4,0 40.40 40.4040 :, 40 40:40.40.40%40. , 40 100 100 100 100 100 : 100. S4. Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem. Einflusse des Bieres war: 100: 129. 21. Dez. 1916. 6,0 6,0 60 70 6,0 6,0 Mittel: 6,2 60 60 60 70 60 5.62 5.0: 60 7.080.710: 66 100 103 103 110 100 ::105. 5. Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des Bieres war: 100: 130. 6. Nov. 1916. 2,5 2,0 23,0 Mittel: 2,0 23,0 25 23,5 80 80 88 100: 83, 37. Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des Bieres war: 100 :132. 19. Dez. 1916. 3,5 35 35 35 3,5 83,5 Mittel: 3,5 35 35 40 30 85 3,5 40 35 40 40 35 3,8 100 100 100 109 100 : 103. 20 2,0 2,0 20 2,0 23,0 20 230 23,0 100 ” ” » ” Hugo Schulz: Vermag ein geringes Quantum Alkohol ss. Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des 'Bieres war: 100 ::132. 13. Dez. 1916. 3,0 25 20 2,5 2,0 2,5 Mittel: 2,3 1.25 202.020 25 1... 20 1.20.20225430 25, 24 | 100 77 73 80 | 100 : 77. 9. Das Verhältnis zwischen Nor- mal_.und unter dem Einflusse des Bieres war: 100 : 137. 31. Okt. 1916. 2,5 22 2,5 235 .2,0 2,0 Mittel: 2,3 30 2,5 25 2,9 2,9 2,6 25 25 30 30 3,0 2,8 100 92 104 112 100 : 103. 91. Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des Bieres war: 100 :: 139. ” ” | 4. Dez. 1916. j 4.0. ı 35 40 40 40 4,0 Mittel: 3,9 124,0 4,0 14,0.40.40: 2,240 35 35.40. 502 4.0 4,0 7 4 100 97 100 100 100: 99. 94. Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des . Bieres war: 100: 150. j 15. Dez. 1916. 2,5 I: 20.20.20 20 1,5. Mittel: 1,9 ı 20 20 20 2020.20 ı 20 20 20 20 20 ,„ 20 100 76 SO 80 100: 79. l die Wahrnehmung eines kurzfristigen Signals zu beeinflussen ? 95. Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des Bieres war: 100: 156. 4. Nov. 1916. SE 8,0 10,0 9,0 9,0 8,0 Mittel: 8,8 9,0 9,0 9,0 10,0 10,0 9,4 90.80 9,0 90 80 8,6 100 110 117 107 100:111. 96. » n Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des Bieres war: 100 : 158. 997 97. Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des Bieres war: 100.: 158, 12. Dez. 1916. 4.0 | 40 40 40 40 4,0 Mittel: 4,0 129,05 9,02, 4.03.5.0°°5:0 4,8 30 .209.502500.5.0.3..2.50 100 100 120 125 100 :115. 99, Das Verhältnis zwischen Nor- mal und unter dem Einflusse des Bieres war: 100 : 203. £2) 1. Nov. 1916. 9, Dez. 1916. 2,5 „m 30 25 25 30 80 Mittel: 38 | 40 5,0 3,5” 40 4,0 Mittel: 4,1 250919,29147280%,3.0.: 7 14:452:8/ 12 40°,5.0.50.90,5410 u... 46 30. 30735735 30. ...30 £0°°5,0..6,07 6.075,05 100 112 112 120 100 102 115 130 100 :115. 100 : 116. 100. Das Verhältnis zwischen Normal und unter dem Einflusse des Bieres war: 100: 230. 1. Nov. 1916. 5,0 50 50 60 50 5,0 Mittel: 5,2 60 60 50 60 6,0 ENT: 50 60 60 60 6,0 ET: 100 104 116 116 100 : 112. Bei diesen nachgeprüften 13 Personen hat sich mit aller Deut- lichkeit zeigen lassen, dass der Einfluss des Bieres nachteilig auf ihr Erkennungsvermögen gegenüber dem roten Signal eingewirkt hat. Es wären das also 13°/o aller unserer Beobachtungen! Dass weder das Alter noch das Geschlecht noch auch die per- sönliche Sehschärfe für Rot dabei eine Rolle gespielt hat, geht aus den Protokollen ebenfalls deutlich hervor. Auf Grund des vorhandenen Materials will ich zum Schlusse noch eine Aufstellung geben über die verschieden stark ausgesprochene Empfindlichkeit für Rot bei den einzelnen Personen unter normalen Verhältnissen. 598 Hugo Schulz: Vermag ein geringes Quantum Alkohol usw. ? Bei einer Blendenöffnung von 1,5 mm erkannten 3 a 2 „2,0 mm ke 15 ee y „ 29 mm h 22 as = „. 30 mm > 28 ne a „ 35 mm a 9 & h h „. 40 mm ä 8 ” ” ” » 5,0 mm ”» > De 5 „ 6,0 mm ne 3 ee h „ 0 mm, 7 2 ee 5 „.90 mm = 1 Sl 5 „ 10,0 mm s 1 13,0 mm 5 1 Personen deutlich die kleine rote Scheibe. Bei einer Blendenöffnung von 2,5—3,0 mm wurde bei der von mir gewählten Versuchsanordnung von 50 Beobachtern das rote Signal deutlich erkannt. Mit Ausnahme der Fälle, wo eine Blendenöffnung von 10 bzw. 13 mm notwendig wurde, konnten alle Beobachter in derselben Entfernung vom Apparat dessen Einzelheiten deutlich sehen In den eben genannten Fällen musste der Abstand zwischen Be- obachter und Apparat wegen starker Kurzsichtigkeit des Beob- achtenden auf die Hälfte verringert werden. Herabgesetzte Rot- empfindung bei Kurzsichtigkeit ist bekannt. Die Voraussetzung, dass bereits eine verhältnismässig geringe Menge Alkohol, in Gestalt von Bier aufgenommen, eine nachweisbare Verschlechterung des Erkennungsvermögens für ein kurzfristiges, rotes Signal werde herbeiführen können, hat sich in den hier mit- geteilten Beobachtungen in 13% der Fälle bestätigen lassen. 599 Beobachtungen der Blutbewegung im Auge. Von Prof. Dr. &. Abelsdorff, Berlin. Unter obigem Titel hat A. Bühler in diesem Archiv (Bd. 165 S. 150) die Erscheinung geschildert, dass beim Blick gegen den hellen Himmel kleine glänzende Gebilde sichtbar sind, die sich auf geschlängelten Bahnen durch das Gesichtsfeld bewegen. Er hat hierbei übersehen, dass ich gemeinsam mit dem verstorbenen Prof. Dr. W. A. Nagel!) das Phänomen in allen Einzelheiten ge- schildert und die Bedingungen seines Zustandekommens genau unter- sucht -habe. Wir konnten nachweisen, dass bei Verwendung von Lichtfiltern oder homogenen Spektrallichtern die Wahrnehmung des Zirkulationsphänomens nur dann zustande kommt, wenn es in Dlau, Violett oder Gelbgrün betrachtet wird, das heisst denjenigen Farben, in welchen die Absorptionswirkung des Hämoglobins am stärksten ist. Wir erklärten daher das bekannte Phänomen als eine Schatten- erscheinung durch Liehtabsorption in den roten Blutkörperchen der Netzhautkapillaren. Auch Bühler kommt zn dem Schluss, dass „die Lichtfunken den roten Blutkörperchen in den Retinakapillaren ihre Entstehung verdanken“. Er erklärt die Erscheinung ‚aber nicht durch Licht- absorption, sondern dureh Lichtbrechung, indem er annimmt, dass die durch die Netzhautkapillaren sich durchzwängenden bikonkaven roten Blufkörperehen in eine konkavkonvexe Linse umgewandelt werden und so ein Lichtbild auf die empfindlichen Schichten der Netzhaut entwerfen. Nach meiner Ansicht ist die von Nagel und mir gegebene Er- klärung zutreffender und durch in zahlreicher Weise variierte, ex- perimentelle Beobachtungen gestützt. Jedenfalls muss sie bei einer Analyse des Phänomens in Betracht gezogen werden. 1) G Abelsdorff und W. A. Nagel, Über die Wahrnehmung der Blut- bewegung in den Netzhautkapillaren. Zeitschr. f. Psychol. und Physiol. der Sinnesorgane Bd. 34 S. 291. 1904. iR $ N N. % “4 | : £ ‚Altenburg J \ Pierersthe Hofbuchdruckerei ‚Stephan Geibel & Co. x ; W “ \ n L Y N . \ ; J | ; HR 3 N u Y a \ ; r \ 7 | IM) IT li IITT TITTEN If Il I III) Ill III I I] | \\)))) I N| | m I l IN) I Il Il I] ul I F h ai un Ar rl RIESEN ET t eat ee ee) Fe Bo er EL Er ne ee 0 5 + w. Te # hr Ar #„ BR gr Kon DR Pl De ME RE EICH REIE HT. ee ie ee RE ö } ne X x Ki) ” E a Ri ces EHE Pre “ . #, Mn ” Be er DE RE BE 2} DR ER Tor ur nr »_® r-+ ‚r. we Be . ER e OR es GENE RAE ERE BO BER ne ws BER: aan eh, ie » * A » 6 DE, RR RR TE, PETE y e“ ‚4 nr f [> a ea me f ! ö CR £ he 6 wre 'W », ie Be “ RER ea eh REN EHE HR ER SR ; er E « x + ” ” >. er f I RER EG 5 et I EL VERLES FE ART, ei le ee a dm if he Me ie ie fi bh 5 ve er \ & * D ES “+ see "+ 5 . ze: N See Be ak et re ehe WATT RER IR NE RM * Ex er RS ve .> ie x . wre 2 N ” + ® #. gr N eier IL, ” Baer oa f EIER 2" eo * eu... er .« F * LEN KINN) x a NR . 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