ir . EEK HK RER NEE, een“ in" ehe ben “. are * „oo. £) N N EN RE ER urun e e x Ge ‚4 N * .. PRCHCH. %) es "4 U - - “ Dr Ds 7. CS “’. A ? “ -* PN N N EA RN eek Its e warn de ER BR Ki . PH ‘ TE BR" EHER, Aue, 7 hear, N R > er & en eR: Kar 2 Wehe Aeteherrtt ee ae { ; ur Pa r EEE STERNEN u. “. “=. 2 - ST . . een x ED RR KR RENE / j' or Maar ra x PLZ ec RACH PFLÜGER' ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE. HERAUSGEGEBEN VON MAX VERWORN PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE UND DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BONN UNTER MITWIRKUNG VON PROF. BERNHARD SCHÖNDORFF IN BONN. BAND HUNDERT UND NEUNUNDSECHZIG. MIT 2 TAFELN UND 136 TEXTFIGUREN. [4 BONN, 1917. VERLAG VON MARTIN HAGER. \ Ai Pierersche Hofbuchdruckerei \i N ER UN: Inhalt. Erstes, zweites, drittes und viertes Heft. Ausgegeben am 30. September 1917. Die lokale vasomotorische Reaktion (L.V.R.) der Haut und der inneren Organe. Von Dr. U. Ebbecke. (Mit 2 Text- figuren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Göttingen) . SER RATEN 5. Weiteres über die Lichtreaktion der Eiweisskörper. Von Dr. Fritz Schanz-Dresden. (Hierzu Tafel’ I). Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. I. Mitteilung. Die Wirkung des Methylenblaus auf die Atmung lebender und getöteter Staphylococcen nebst Bemerkungen über den Einfluss des Milieus, der Blausäure und Narkotika. Von Otto Meyerhof. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel) Über die restaurierende Wirkung der Radiumstrahlung auf das durch Kaliumentziehung in seiner Funktion beeinträchtigte isolierte Herz. Von H.Zwaardemaker in Utrecht. (Mit 1 Textfigur) . : Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. IV (Schluss). Weitere Faktoren, welche bei der Phagozytose von Kohle und Amylum im Serum eine Rolle spielen. Zusammenfassung der vier Abhandlungen. Von Dr. J. Ouweleen. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Groningen) . Re Beiträge zur Physiologie der Verdauung. VII. Mitteilung. Die Wasserstoffionen-Konzentration des Magensaftes. Von R. Rosemann. (Aus dem physiologischen Institut der west- fälischen Wilhelms-Universität Münster) . . .» .. Seite 82 87 122 129 188 16243 IV Inbalt. Fünftes, sechstes, siebentes, achtes und neuntes Heft. Ausgegeben am 24. November 1917. Über die Schichtung des Mageninhaltes nebst Bemerkungen über ihre Bedeutung für die Stärkeverdauung. Von Arthur Scheunert. (Mit 59 Textfiguren.) (Aus dem physio- logischen Institut der Tierärztlichen Hochschule zu Dresden) Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. Von J. van der Hoeve und A. de Kleijn. (Mit 18 Textfiguren.) (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht). Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säuge- tiermuskels. Von Wilhelm A. Hoyer aus Hannover. (Mit 32 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Göttingen) \ A ! Über die nach zentraler Reizung zur Störung des Kohlehydrat- stoffwechsels führenden Vorgänge. Eine kritische Studie zur Frage: Zuckerstich und Nebennieren. Von Prof. Dr. R.H. Kahn. (Mit 1 Textfigur.) (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag) -Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit von der Hautdurchblutung und von den Reflexzentren. Von Ulrich Ebbecke. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Göttingen) Zehntes, elftes und zwölftes Heft. i Ausgegeben am 30. Dezember 1917. Über Bau und Bedeutung der dehnbaren Bauchmuskelsehnen der Frösche als Geschlechtsmerkmal. Von Prof. Dr. R.H. Kahn. (Mit 3 Textfiguren und Tafel II.) (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag) Über einige Modelle zur Demonstration der Muskelkontraktion nach der Drucktheorie. Von Leonhard Wacker. (Mit 6 Textfiguren.) (Aus dem pathologischen Institut der Universität München) . . . . .. BR Untersuchungen über die Leistungen der Nervenzentren bei Dekapoden. Von J. Matula (Wien). (Mit 2 Textfiguren.) (Aus der physiologischen Abteilung der zoologischen Station in» Neapel)it u .un.u un a u Seite 201 241 263 326 395 463 492 503 Inhalt. Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. Von k. und k. Militär-Tierarzt Dr. Ernst Naumann. (Mit 4 Text- figuren.) (Aus dem pathologisch-anatomischen und dem physiologischen Institute der k. und k. Tierärztlichen Hoch- Brilon Wien). in. u. und rl ne ek “ Untersuchungen über den biologisch richtigen Verlauf des Lern- vorganges bei weissen Mäusen. Von J. S. Szymanski @Wien).. (Mit 4 "Fextfisuren) \.. 2.00% Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. Von Dr. H. Straub, Privatdozent. (Mit 4 Textfiguren.) (Aus der I. medizinischen Klinik der Universität München) . 517 564 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Göttingen.) Die lokale vasomotorische Reaktion (L.V.R.) der Haut und der inneren Organe. Von Dr. U, Ebbecke, (Mit 2 Textfiguren.) Inhaltsverzeichnis. dat I. Einleitung (klinische Vorbemerkungen und Methodik)... ..... 1 BB Schreibenderäkeil 2. Su N: er 7 7 Die L.V.R. der menschlichen Haut . .. !,.» I %}.1u%. 7 NE AN: I a) Die verschiedenen Formen der L.V.R.. ...2..2.... Re) BR Bmitiviss..deralemperatur & na N mes 20 Prrkimfluss der, Nervenlahmung 2.725.272. 2 1.2.0 20. 220. 8% 23 Faaieck. VB. derinneren Organen... a te pe ee ee sl III. Über das Zustandekommen der L.V.R. und die Regulierung der Blut- EEE RE EN NR, HN BR NEN RR er 39 1. Nervenreizung (Rückenmarksreflexe und periphere Reflexe)... . 36 2. Gefässreizung (Kontraktion von Arterien und von Kapillaren, Selb- Benthekeituilen Kapillaren) 22.0. „0.0.2. 2.0. van 45 EN BTEIZU NE har a ee ee ein 93. a) Die Kapillarerweiterung als funktionelle ea RM LANDE b) Gefässerweiternde Wirkung von Stoffwechselprodukten/. ... 57 c) Das lokale Reizödem als funktionelle Lymphorrhoe ,„.. .. 62 d) Umstimmung der Gewebsreaktion und „Zellerregbarkeit“ .. . 68 Anhang: Bemerkungen über Entzündung und vasodilatorische Nerven. .. 73 I. Einleitung. Der alte medizinische Satz: „Ubi stimulus, ibi affluxus“ ist auch das Thema der folgenden Untersuchungen, die von der bekannten Tat- sache ausgehen, dass eine Hautstelle, die man reibt, rot wird; eine Re- aktion, die dadurch an Bedeutung gewinnt, dass sie, wie diese Arbeit zeigen soll, nicht nur der Haut, sondern auch allerlei inneren Organen zukommt und weit mannigfaltiger ist, als es zunächst den Anschein hat. Physiologischerseits sind die kleinen Gefässerscheinungen, die nach Reizung der menschlichen Haut an oder.neben der Reizstelle ‚auftreten, teils unbekannt, teils unbeachtet, einmal wohl, weil ausser Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 1 9 U. Ebbecke: R der weissen aber dicken und unempfindlichen Haut des Schweines ein geeignetes tierisches Untersuchungsobjekt fehlte, und dann, weil die nächstliegende Erklärung oder mikroskopische: Beschreibung, dass durch den Reiz die Gefässwände erschlaffen und die Gefässe stärker gefüllt werden, unter Umständen bis zum Austritt von Blutfüssiekeit, so einfach und selbstverständlich ist, dass eine weitere Verfolgung dieses an sich kleinen und nebensächlichen Gegenstandes nicht ge- boten schien. Die Ursache der Erschlaffung oder grösseren Durch- lässiekeit der Gefässwände bleibt freilich im unklaren. Klinische Befunde. Ärztlicherseits ist die Reaktion unter verschiedenen Namen — mechanisches Nachröten, vasomotorische Erregbarkeit, Dermographie oder Dermographismus — ein Gegenstand täglicher klinischer Untersuchung bei Neurologen, inneren Medizinern und Dermatologen, denn sie zeigt auffallende, starke individuelle Ver- sehiedenheiten, die auf verschiedene Konstitution, Diathese, Habitus, Disposition, Idiosynkrasie hinzudeuten scheinen. Doch sind die Unter- schiede schwer zu beurteilen, auch fehlen für ihre diagnostische Ver- wertung die sicheren Grundlagen so sehr, dass einige Beobachter das Symptom für zu häufig und wechselnd und unregelmässig halten, als dass es bestimmte Schlüsse auf den Zustand des Individuums gestatte. Im allgemeinen geht die Meinung dahin, dass eine Steigerung des mechanischen Nachrötens, die zu messen freilich dem subjektiven Eindruck überlassen bleibt, ein Zeichen allgemein gesteigerter nervöser Erregbarkeit sei und besonders häufig und lebhaft bei neurasthenischen, hysterischen- oder epileptischen Personen angetroffen werde. In diesem Sinne findet die Reaktion zum Beispiel bei der Beurteilung trau- matischer Neurosen regelmässig Anwendung. Im Mittelalter galt sie als Hexenstigma. Am zutreffendsten erscheint die Abtrennung einer. Gruppe von Individuen als homines vasomotorici, bei denen das ge- steigerte Nachröten nur ein Sympton innerhalb eines grösseren Kom- plexes darstellt, zu dem als andere Teilerscheinungen die Neigung zu Herzklopfen, Pulsbeschleunigung, kalten Händen und Füssen, BHitz- wallungen, Schweissausbrüchen, Erröten und Erblassen, Kopfschmerzen : und Schwindel sowie eine allgemeine gesteigerte Reflex- und Affekt-- erregbarkeit gehören. Neben dieser nervös bedingten vasomotori- : schen Erregbarkeit steht aber eine andere Gruppe, in der das lebhafte: Nachröten nachweislich toxische Ursachen hat, die ganz! besonders deutlich werden, wenn die in nahem Zusammenhang stehenden Er-. scheinungen der Urtiecaria und Urtiearia faetitia, der spontanen und; Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 3 künstlichen Nesselsucht, in den Kreis der Betrachtung gezogen werden. Hier wirkt als auslösender Faktor der Genuss bestimmter Nahrungs- oder Arzneimittel bei disponierten Personen. Unter den Nährungsstoffen werden Muscheln (Austern), Hummer, Krebs, Fisch, Geräuchertes, Erdbeeren, unreines Trinkwasser am häufissten als Anlass einer Urticaria gefunden; von den Arzneimitteln sind es hauptsächlich die aromatischen Verbindungen und Antipyretika, wie 5 Antipyrin und Copaivabalsam. Auch Autintoxikationen, bei chroni- scher Obstipation, bei Schwangerschaft, kommen ursächlich in Betracht. Von maassgebender Bedeutung ist bei Intoxikationen die individuelle Empfänglichkeit, und die an diese Fälle anknüpfenden Erörterungen berühren sich mit den neuen Forschungen über Anaphylaxie. Ob nun eine toxische oder eine nervöse Ursache vorliegt und auf welche Weise diese Einflüsse an der Gefässwand angreifen, darüber wird unter dem Titel: „Angioneurose und hämatogene Hautentzündung“ von den Dermatologen ein prinzipieller, zum Teil sehr lebhafter und noch unentschiedener Streit geführt, als dessen Hauptvertreter auf der einen Seite Kreibich, auf der anderen Philippson, Török, Vas, Wolff-Eisner zu nennen wären. ' Für die verschiedenartigen neurologischen Erklärungsversuche seien hier zwei Beispiele aus neuer Zeit angeführt. Roudnew (Nouvelle Iconographie de la Salpetriere. 1910) beschreibt einige Fälle als Seltenheit, in denen er zeitweise Dermographismus ruber (Rotwerden der gereizten Hautstelle) und zu anderen Zeiten Dermo- graphismus albus (Blasswerden) beobachtete, und führt dies auf eine Neurasthenie des vasomotorischen Zentrums in der Medulla oblongata zurück, dessen Erregbarkeit infolge von Ermüdung wechsele. Lapinski erklärt in einer ausführlichen Arbeit (Journal für die gesamte Psychiatrie und Neurologie. 1913) das Hautröten als eine Stauung in den kleinen Hautvenen, die durch Kontraktion der vom Sympathieus innervierten glatten Hautmuskeln verschlossen würden. Physiologische Fragestellung. Während also eine physiologische Literatur ‘über diesen Gegenstand fehlt?), ist die 1) Dort auch das Verzeichnis. der klinischen Literatur. 2) Vgl. die Bemerkungen in Tigerstedt, Physiologie des Kreislaufs S. 518. 1893, und F. B. Hofmann, Innervation der Gefässe. Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 1 8.308. Zur Übersicht dienen ferner: Marchand, Die Störungen der Blutverteilung in Krehl-Marchand, Handb. d. allg. Pathol. 1910 II, 1 und Meyer-Gottlieb, Experimentelle Pharmakologie, Kap. Kreislauf. 1914, S. 220. 1 * 4 U. Ebbecke: klinische Literatur hierüber zahlreich und widerspruchsreich, und sicherlich gehört es zu den Aufgaben der Physiologie, zu der Ent-. scheidung klinischer Streitfragen die physiologischen Grundlagen herbeizuschaffen, zumal die Erscheinung der L. V. R. durchaus ins Gebiet des Normalen fällt. Die Fragen, die der Physiologe sich hier stellt, werden lauten: Handelt es sich bei der auf einen Reiz hin eintretenden Erweiterung der Blutgefässe um eine Erregung oder Hemmung von Vasomotoren? Um einen Reflex oder eine direkte Nervenreizung? Ergibt die Untersuchung einen Aufschluss über die in mancher Beziehung problematische Gefässinnervation, oder sind diese Erscheinungen nicht nervös bedingt? Aber noch eine andere Erwägung kann die Aufmerksamkeit des Physiologen anziehen: Es muss sich bei der durch den Reiz bedingten lokalen Hyperämie der Haut um Vorgänge an den feinsten Gefässen des papillären Gefässnetzes, den Arteriolen und Kapillaren, handeln. Da prinzipiell feststeht, dass gerade in den kleinsten, der direkten ‚Beobachtung meist schlecht zugänglichen Gefässen der Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe stattfindet, und da ja der ganze grosse Kreislaufapparat letzten Endes die Aufgabe hat, die Versorgung der Gewebe mit einer nach Temperatur und Zusammensetzung konstanten Nährflüssigkeit zu sichern, den Gewebszellen ein konstantes „milieu interne“ zu gewährleisten, so wird zuzusehen sein, ob die Unter- suchung der Hautgefässreaktion vielleicht ein Licht auf die von Strieker, Rouget, S. Mayer, Steinach und Kahn hervor- gehobene Eigentätigkeit der Kapillaren werfen oder etwas über den Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe aussagen kann. Die erste Aufgabe aber wird sein, nur eine möglichst voraus- setzungslose und/genaue Aufsuchung und Sammlung der hierher- gehörigen Erscheinungen zu liefern und die gefundenen Tatsachen übersichtlich einzuordnen. | Dementsprechend beschäftigt sich der folgende Teil mit der Beschreibung der lokalen Veränderungen, hauptsächlich Farbände- rungen der Haut-nach verschiedenartiger Reizung. Methodik. DBei den klinischen Arbeiten über Dermographie werden meist aus der statistischen Zusammenstellung vieler Fälle die diagnostischen Schlüsse gezogen, und auch bei meiner Unter- suchung, die sich über mehrere Jahre erstreckte und zu der mir auch in den Göttinger Kliniken freundlicher- und dankenswerterweise die Fälle zur Verfügung gestellt wurden, kam zahlenmässig ein grosses. Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 5 - Material zusammen, doch kam es für die systematische Bearbeitung darauf an, einzelne Fälle unter möglichster Variation der Bedingungen "zu untersuchen und die Wirkungen verschiedener Reize miteinander zu vergleichen. So verwendete ich als mechanischen Reiz nicht nur das Streichen, wie es in den Kliniken als Bestreichen mit dem Fingernagel, dem Plessimeter oder irgendeinem Gegenstand mit ab- gerundeter Spitze üblich ist, sondern auch das sanfte Streichen und wiederholte Stricheln, ferner das Reiben, Drücken, Quetschen, Stechen, Sticheln und leichte Ritzen. Ausser den mechanischen Reizen wurden thermische, elektrische und chemische Reize an- gewandt, d. h. lokale und allgemeine Abkühlung und Erwärmung, lokale Faradisierung und Galvanisierung, Anbringung verschiedener hautreizender Flüssigkeiten auf die Haut, gelegentlich auch Injektionen. Latenzzeit und Dauer der Reaktion wurden gemessen. Da sich die Not- wendigßeit quantitativ abstufbarer mechanischer Reize herausstellte, liess ich einen einfachen, leicht zu handhaberden Apparat anfertigen, der nach dem Prinzip einer Federwage oder eines Ästhesiometers gebaut ist und einen messbaren und variierbaren Druck auszuüben gestattet. Druckapparat. Der Druckapparat, der durch E. Zimmermaun (Leipzig-Gohlis) und Mechaniker Bartels (Göttingen). hergestellt wurde, wird durch nachstehendes Schema in natürlicher Grösse veranschaulicht. In der zylindrischen, am unteren Ende verjüngten Metallhülse # steckt ein konisches Druckstück D, das ihre untere Öffnung verschliesst und in welches Ansatzstücke von verschiedener (Stift-, Scheiben- oder Spaten-) Form und Druckfläche eingeschraubt werden können. In die Hülse wird eine Drahtspirale Sp gesteckt und die obere Öffnung durch das hineingeschobene und mittels der Klemme Kl befestigte Kopfstück K verschlossen, das der Spiralfeder als Widerlager dient. Die Hülse trägt an einer Seite einen Schlitz 5, in dem der am Druckstück befestigte Zeiger Z entlang der Skala 8% gleiten kann. Die Stellung des Zeigers gibt dann die Druckstärke an, die sich ausser durch verschiedenes Zusammenpressen der Feder von unten her noch durch verschieden tiefes -Hineinschieben des Kopfstückes oder durch Auswechseln der Spi- rale variieren lässt. Bei gleichbleibender Federspannung ist ferner der Druck pro Flächeneinheit, auf den es wesentlich ankommt, umgekehrt proportional der Grösse der Druckfläche. Das Instrument ist auf einer einfachen Wage zu eichen, indem das Gewicht festgestellt wird, das einer bestimmten Spannung das Gleichgewicht hält. 6 ee U. Ebbecke: ‚Physikalische Wirkungen. Die ersten Wirkungen, die ein Druck auf die Haut ausübt, sind von physikalischer Natur und bestehen im Zusammenpressen des darunterliegenden Gewebes und im Auspressen der in den Gefässen oder (Gewebsmaschen enthaltenen Flüssig- keit. Erst bei hohen Graden wird eine Gewebs- und Gefässschädigung durch Quetschung und Kontinuitäts- trennung hinzutreten. Wird eine ebene Fläche unter gleichmässigem Druck auf die Haut gesetzt, so ist die Druck- wirkung ungleichmässig, an den Rän- dern am stärksten und von dort nach der Mitte abnehmend, ein scheinbarer Widerspruch, der von der Beschaffen- heit der Haut herrührt. Eine gleich- mässige Druckwirkung würde nur bei ganz weichem, nachgiebigem Material stattfinden, etwa bei weichem Wachs oder Lehm, nach dem Schema derFig. 2a. Annähernd gleichmässig ist sie, wenn die Haut straff gespannt und auch nach unten durch unmittelbar darunter liegenden Knochen sestützt ist, wie auf dem Handrücken bei geschlossener Faust. Im übrigen aber ist die Haut verschieblich, dehnbar und elastisch, weicht nach unten aus und übt nach den Seiten einen Zug aus. Daher werden die Ecken der mechanischen Eindellung abgerundet, und die Verteilung der Druckstärke entspricht etwa dem Schema der Fig. 2b, wo unterhalb der Kanten der Druck am stärksten, die Niveaulinien am diehtesten zusammengedrängt sind. Demgemäss sieht man beim Aufdrücken ‚einer stumpfen Spitze auf die Haut eine srubenförmige Eindellung, deren Umfang beträchtlich über den direkt gedrückten Bezirk hinausgeht und die nach den Seiten flach ausläuft. Setzt man ein Glasplättehen auf die Haut und beschwert es so. dass die. darunter gelegene Haut beobachtet werden kann, so sieht man sie zuerst an den Kanten: blutleer und blass % Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 7 werden, während die unter der Mitte des Plättchens gelegene Haut sich durch das mechanisch von der Kante verdränete Blut’ stärker rötet und erst bei etwas stärkerem Druck gleichfalls blutleer wird. Ebenso pflegen nach dem Abheben nur die Kanten des Plättchens einen einige Zeit bleibenden mechanischen Eindruck zu hinterlassen, welche Rinne sich durch Rückkehr der verdränsten Gewebsflüssiekeit allmählich wieder ausgleicht. Diese physikalischen Verhältnisse sind nach zwei Richtungen beachtenswert: Einmal empfiehlt es sich, zur Frzielung eines möglichst gleichmässigen Druckes die Kanten ab- zurunden, den Druckflächen eine leicht konvexe Form zu geben. Sodann ‚geht hieraus hervor, dass der Hautreiz nicht auf die unmittel- vom Druck betroffene Stelle beschränkt bleibt, sondern dass — um Fig. 2a. -einen in der Optik üblichen Ausdruck zu gebrauchen — infolge von Zug, Dehnung und Zerrung. eine „physikalische Irradiation“ des heizes zustande kommt. » “ II. Beschreibender Teil. Beobachtung von Blutdruck und Blutströmung in den Kapillaren. Als mechanische Folge des Druckes zeiet sieh also eine Verdrängung von Blut und Gewebsflüssigkeit aus der ge- drückten Stelle, worauf ja die von Kries’sche Methode zur Be- stimmung des kapillaren Blutdrucks beruht. Zu seiner Messung ist auch der hier angegebene Apparat gut geeignet, wenn als Druck- fläche ein leicht konvexes Glasplättehen eingesetzt wird. Wird die Haut in grösserer Ausdehnung, etwa durch Überstreichen mit den Plessimeter, anämisiert, so ist die Verdrängung des Blutes nach den Seiten als eine gleichzeitig mit dem Reiz erscheinende, sehr flüchtige, oft kaum merkliche Rötung der Umgebung zu sehen, die ebensowenig‘ wie die Druckanämie mit einer aktiven Reaktion verwechselt werden darf. Bei Gelegenheit der Anämisierung lässt sieh eine Beobachtung machen, die hier hervorgehoben werden soll, weil sie für ‘die Blut- strömung in den Kapillaren einen bisher nicht, verwerteten Anhalts- punkt gibt. Übt man, am besten an der über Knochen liegenden, 8 Mr U. Ebbecke: gewöhnlich etwas geröteten Haut des Handrückens mit der Finger- beere einen leichten Druck aus, so sieht man nach Abheben. des Fingers eine weisse Kreisfläche von der Umgebung abgegrenzt, die sich nunmehr von der Peripherie her konzentrisch einengt, bis all- mählich auch das Zentrum die normale Farbe wiedergewonnen hat; die passiv ausgepressten Gefässchen haben sich von den Seiten her gefüllt. Die Zeit aber, in der dies Wiedereinströmen des Blutes geschieht, ist sehr verschieden: einmal so kurz, dass der Augenblick sich fast der Beobachtung entzieht, ein andermal 5, ja 10 Sekunden. Dazwischen kommen alle Übergänge vor. Der erste Fall ereignet sich bei sehr warmer, der zweite bei sehr kalter Hand. In beiden Fällen pflegt die Hand stark gerötet zu sein; dass die Hyperämie dabei aber auf grundverschiedene Ursachen zurückgeht, zeigt diese Zeitbestimmung. Auch ob die Hand hoch oder tief gehalten wird, macht für die Strömungsgeschwindigekeit in den Kapillaren schon einen deutlichen Unterschied; beschleunigend wirkt eine vorher durch Kratzen oder Bürsten oder Reiben hervorgerufene Reizhyperämie. Passive Hyperämie nach Anlegen einer Stauungsbinde, die doch den Blutstrom verlangsamt, beschleunigt das Wiedereinströmen von Blut in die anämisierte Stelle, wahrscheinlich mit Hilfe des Rückstromes aus den stärker gefüllten und sespannten Venen. Diese verschiedenen Strömungsverhältnisse in den Kapillaren werden bei der L. V. R. zu berücksichtigen sein. Reizwirkungen. Mit dem Wiedereintritt von Blut oder Gewebsflüssigkeit, und der Rückkehr zu den alten Verhältnissen. nach Wegfall der Störung ist in vielen Fällen die Druckwirkung abgeschlossen, so dass nur mechanische Wirkung und Rückwirkung vorliegt. In anderen Fällen treten eine Anzahl aktiver Reaktionen, echter Reizwirkungen auf, von denen die vasomotorische die späteste und trägste, von längster Latenz und Dauer ist. Die Reihenfolge der lokalen Reaktionen, wie sie zum Beispiel bei Beklopfen einer Stelle der Brust mit dem Perkussionshammer beobachtet werden kann, ist folgende: Blitzartige Zuckung eines quer über die Brust verlaufenden Muskelbündels; unter Umständen, lokale Vorwölbung eines sich in einigen Sekunden rückbildenden „idiomuskulären“ Wulstes; dann 2—3 Sekunden nach dem Beklopfen, Kontraktion der arrectores pilorum (eutis anserina), die innerhalb 4—8 Sekunden verschwindet; schliesslich, nach 6—10 Sekunden auf-. tretend und viele Sekunden bis einige Minuten andauernd, eine die geklopfte Hautstelle überziehende Rötung. Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 9 Pilomotorische Reaktion. Die pilomotorische Reaktion der glatten Haarbalgmuskeln kommt häufig zusammen mit der vaso- motorischen zur Beobachtung, besonders die Haut der Brust, des Nackens und des Rückens nahe der Mitteilinie reagiert fast regel- mässig auf einen stärkeren Streichreiz mit deutlicher Gänsehautbildung, - die sich entweder über den direkt gereizten Streif und seine nächste Umgebung mit unscharfer Begrenzung erstreckt oder auch in selteneren Fällen sich über einen weiten Bezirk der Haut ausdehnt und dann mit der subjektiven Begleiterscheinung des „Erschauerns“ einhergeht. Sie lässt sich sowohl durch mechanischen Reiz wie durch lokalen Hitze- oder Kälte- oder Schmerzreiz hervorrufen. Dass durch Ab- kühlung und allerlei psychische Gemütsbewegungen „Gänsehaut“ ent- steht, ist bekannt. Über die lokale pilomotorische Reaktion liegen genaue Untersuchungen von Mackenzie!), Külbs?) und besonders Sobotka°®) vor. Durch die Arbeiten hauptsächlich von Langley%), der in Tierversuchen durch Reizung einzelner Nervenfasern Sträuben der Haare auf umschriebenem Bezirk erzielte, wurde die sympathische Innervation der Haut wesentlich geklärt. Da die pilomotorische Re- aktion Analogien zur vasomotorischen aufweist, wird später darauf zurückzukommen sein; hier ist zunächst hervorzuheben, dass die pilomotorische Reaktion eine zwar häufige, aber durchaus nicht er- forderliche Begleiterscheinung der vasomotorischen ist. Sie fehlt an der Haut des Gesichts und der Hand und meist an warmer Haut, und auch wo sie auf einen mechanischen Reiz aufgetreten war, pflegt sie schon vor Einsetzen der vasomotorischen Reaktion wieder zu ver- schwinden. Die L.V. R. der menschlichen Haut. a) Die verschiedenen Formen der L.V.R. L.V.R. Nachröten. In ihrer gewöhnlichen bekannten Form, wie sie etwa durch kräftiges Überstreichen der Haut mit dem Finger- nagel erhalten wird, stellt die L.V.R. einen roten Streifen dar, der nach einiger Zeit abblasst. Die genauere Betrachtung ereibt, dass der Streifen dem direkt gereizten Bezirk genau entspricht oder eine i 1) Mackenzie, The pilomotor- or goose-skin reflex. Brain 189. 2) Kulbs, Über lokale Hautreize und Hautreaktionen. Berliner klin. Wochenschr. 1909. 8) Sobotka, Zur Physiologie der pilomotorischen und der ihnen ver- wandten Erscheinungen beim Menschen. Arch. f. Derm. u. Syph. Bd. 105. 4) Langley, Journ. of Phys. 1893, 1894. 1901, 1904. 0: er RER U. Ebbecke: Spur breiter ist und scharf abgesetzte glatte Ränder hat; die Rötung ist von gleichmässiger arterieller Farbe. Nachdem sie in den ersten Sekunden ihres Entstehens an Intensität zugenommen hat, hält sie sich verschieden lange Zeit, wird dann schwächer und fleckig, be- kommt unregelmässige Grenzen, wird von der normalgefärbten Um- gebung eingeengt und überbrückt, von der sie schliesslich nicht mehr zu unterscheiden ist. Je nach dem Grade des Reizes und dem Zustand der Haut er- fährt die Reaktion über Erwarten zahlreiche Modifikätionen, von denen einige bisher in der Literatur nicht erwähnt, andere als Selten- heit oder pathologisch beschrieben sind, die sich aber bei Variation der Bedingungen fast sämtlich an normaler menschlicher Haut de- monstrieren lassen. Nachblassen. Die erste wesentliche Abweichung ist eine neben oder an Stelle der Röte auftretende Blässe. An einzelnen Fällen fällt ohne weiteres auf, dass der rote Streif von einem blassen Saum von "!ı—!e cm Breite umrandet ist, der zuweilen besonders den beiden Enden des Streifs wie eine weissliche Kappe aufsitzt und später als der rote Streif deutlich zu werden und vor ihm zu ver- schwinden pflegt. Ferner kommt vor, dass überhaupt keine Rötung, sondern nur eine Blässe entsteht, oder dass der rote Streif sich bald zurückbildet, aber nicht wie sonst die frühere Hautfärbung annimmt, sondern blasser wird als seine Umgebung, dass also ein Barben- umschlag, ein überraschender „Sukzessivkontrast“, auftritt. Sehr deutlich kommen solche Erscheinungen an der Haut des Unterarms jugendlicher, etwa zwanzigjähriger Individuen zum Vorschein, die gewöhnlich über den Knöcheln von vornherein etwas gerötet ist. Sucht man sich eine rötliche Stelle aus und streicht leicht unter ge- ringem Druck mit einem stumpfen Gegenstande darüber, wozu sich die Kuppe einer Sicherheitsnadel gut eignet, so sieht man zunächst, nachdem die Druckanämie vorübergegangen ist, keine Veränderung, und bemerkt erst nach vielen Sekunden, oft erst nach einer halben Minute, dass der Reiz doch nicht wirkungslos war, sondern dass ein anfangs undeutlicher blasser Streif entsteht, breiter als der direkt gereizte Bezirk, allmählich deutlicher werdend und von der um- gebenden Röte hell-und scharf abgehoben. Wird die Sicherheitsnadel etwas stärker aufgedrückt, so tritt zunächst eine flüchtige Röte auf, die von der Blässe abgelöst wird; bei noch stärkerem Druck hält sich die Reizröte noch, während ein blasser Saum sich ausbildet, der dann von den Seiten her die Röte verdrängt. Wurde ein kräftiger Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 11 Druck ausgeübt, so bleibt der rote Streif bestehen, wenn der blasse Saum sich innerhalb 1—2 Minuten schon wieder zurückgebildet hat. Dies Beispiel zeigt deutlieh, wie die Reaktion durch. den Grad der Reizstärke beeinflusst wird. Ist das Auge erst an die Beobachtung leichter Farbunterschiede der Haut gewöhnt, so wird diese reaktive Blässe immer häufiger gefunden, ganz zu fehlen scheint sie nach meiner Erfahrung nur an gelblicher, faltiger, welker Haut, wie sie besonders bei alten oder kachektischen Individuen angetroffen wird, nimmt aber an Deutlichkeit schon jenseits der 30er Jahre ab. Am leiehtesten ist die Blässe an Unterarm und Unterschenkel, oft auch an der Stirn- und Gesichtshaut hervorzurufen, nicht so regelmässig, wenn auch immer noch häufig, an Bauch und Brust. Mit Sicherheit lässt sich aussprechen, dass diese Art der Reaktion zu den normalen Erscheinungen gehört, im Gegensatz zu der klinischen Ansicht, die den „Dermographismus albus“ als Abnormität auffasst, so dass ich viele Ärzte in Erstaunen setzen konnte, indem ich ihnen nachwies, dass sie an Dermographismus albus „litten“. Ich ziehe daher vor, diese umständliche Bezeichnung durch das dem „Nachröten“ nach- gebildete Wort „Nachblassen“ zu ersetzen, und unterscheide so- mit ein primäres und sekundäres Nachblassen und, mit Bezug auf den blassen Saum, ein „Randblassen“. Der blasse Saum, der bisher zum Teil als optische Täuschung durch Kontrastwirkung, zum Teil als „kollaterale Anämie“ gedeutet wurde, erweist sich in diesem Zu- sammenhange als die Folge des leichten Dehnungsreizes, der bei dem Niederdrücken der Haut auf die Umgebung übergreift (vel. 8.6, 7): Die meist grössere Breite des Nachblassens im Vergleich zu dem erst auf stärkeren Reiz erfolgenden Nachröten ist aus demselben Grunde werständlich. Während das Nachröten, je nach der Stärke des Reizes, wenige Sekunden bis mehrere Stunden anhalten kann, dauert das Nachblassen &ewöhnlieh nieht länger als 2 Minuten, seine Latenzzeit beträgt 10, 20, ja 30 Sekunden gegenüber der durchsehnittlichen, von der Reizstärke unabhängigen Lätenzzeit des Nachrötens von 5—10 Sekunden. An der überraschend langen Latenz, infolge deren die Beobachtung meist schon unterbrochen ist, bevor die Erscheinung einsetzt, und daran, dass so schwache, eben noch wirksame Reize, wie sie zur Erzeugung des Nachblassens erforderlich sind, bei der üblichen klinischen Untersuchung nieht in Anwendung kommen, mag es liegen, dass diese Form der L.V.R. meist unbeachtet blieb. Von einigen Autoren ist das Nachblassen mit der mechanischen Blut- verdrängung, die ja-unter Umständen in der Kälte mehrere Sekunden 12 02. D, Ebbecke: anhalten kann, verwechselt worden oder mit dem gelbweisslich ge- färbten Quaddelwall („Urticaria porcellanea“); doch ist es von jener durch die Latenzzeit, von diesem durch das Fehlen einer Erhebung leicht zu unterscheiden. Bei Verwendung des Druckapparates lässt sich die geringe Druckstärke herausfinden, bei der ein einmaliges Überfahren der Haut ausreicht; als sehr geeigneter, praktisch leicht anwendbarer Reiz stellte sich mir das wiederholte sanfte, nicht kratzende Streichen (Stricheln) heraus, wozu, wie erwähnt, die Kuppe einer Sicherheitsnadel genügt und wobei die Zahl der Wiederholungen eine einfache Dosierung ermöglicht. Mit Hilfe dieser Reizsummation gelingt es oft, ein sonst schwer hervorzurufendes Nachblassen deut- lich zu machen. Für sein Zustandekommen ist ferner eine nicht zu kühle Hauttemperatur erforderlich, daher zeigen einige Menschen das Nachblassen nur zu Zeiten, wo sie erhitzt sind oder aus anderer Ursache, zum Beispiel infolge von Ermüdung, warme. Hände haben: Allgemein wirkt begünstigend, wenn von vornherein ein rötlicher Farbton besteht, von dem sich der blasse Streif um so schärfer ab- hebt. Das ist der Fall bei leichtem Erythema solare, aber auch bei Scharlaeh und hochfieberhaften Erkrankungen, bei Erysipel und ent- zündlicher Hautröte. Aus demselben Grunde ist bei Säuglingen und kleinen Kindern mit ihrer rosigen Haut das Nachblassen besonders deutlich. Wird durch längere lokale Erwärmung eine ausgesprochene Hautröte hervorgerufen, so bleibt ein Reiz für das Nachblassen un- wirksam. In seltenen Fällen konnte ich beobachten, dass auch eine thermisch oder chemisch entstandene Reizröte oder eine umschriebene, frisch entstandene Hautentzündung von einem blassen Saum eingefasst war, der sich aber von dem gewöhnlichen Nachblassen durch seine längere, stundenlange Dauer wesentlich unterschied. Zwei andere Formen lokaler Reizblässe werden später zu erwähnen sein. Arteriell hyperämisches Nachröten. Während bei den unteren Reizstärken die einfache Form der L.V.R. durch das kontrastierende Nachblassen modifiziert wird, die beiden antagonisti- schen Prozesse der Reizhyperämie und -anämie eleichsam in Kon- kurrenz treten, so erfährt bei den oberen Graden der Reizstärke das Nachröten weitere Komplikationen. Am reinsten mit deutlich heller arterieller Färbung kommt die einfache Rötung zum Vorschein unter Anwendung des Striehelreizes, wobei die Hautdeformation ge- ring ist und Hautschädigung vermieden wird, da schon ein weit niedrigerer Druck genügt als bei einmaligem Überstreichen. Sogar Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 13 ein Reiz, der für sich allein zu schwach ist, ein Nachblassen her- vorzubringen, kann durch mehrfache Wiederholung seine Wirkung bis zum Nachröten steigern, Besonders auffallend hebt sich der hellrote arterielle Farbton ab, wenn der Reizstrich über einen infolge von Stauung oder Läh- mung bläulich verfärbten Körperteil geführt wurde, zum ‚Beispiel am Arm nach Anlegen einer Stauungesbinde. Venös hyperämisches Nachröten. Bei stärkerem Druck dagegen nimmt der rote Streif einen bläulichen, violetten Farb- ton an. Zuweilen entwickelt sich diese Verfärbung erst im Verlauf der Rückbildung, besonders auf kühler, träg reagierender Haut; stets ‚ bläulichrot oder sogar anfänglich blauviolett ist der Hautstriemen, der durch einen kurzen Schlag hinterlassen wird, oder die sich langsam ausgleichende Delle und Rinne, die durch einen länger- dauernden tiefen, wenn auch nicht schmerzhaften Druck zustande- gekommen ist. Wird dagegen durch einen sanften, viele Sekunden bis Minuten lang anhaltenden Druck, etwa mit der Fingerbeere, nur die oberflächliche Haut anämisiert, so ist die danach auftretende Reizröte rein arteriell. Einen typischen blauroten Streifen erhält man bei Reizung der Haut vom Schwein !), wobei wegen der ge- ringen Empfindlickeit grössere Reizstärken angewendet werden müssen. Hier pflegt sich die Reaktion so abzuspielen, dass anfangs nach durchschnittlich 10—12 Sekunden eine starke Blässe des ge- reizten Streifens eintritt, die erst nach "/a—®/ı Minute einer dunkel bläuliehroten Verfärbung Platz macht, während schon vorher die Um- gebung sich mit zarter Röte überzogen hatte. Durch die nachfolgende Rötung ist diese Art von Anämie von dem Nachblassen deutlich unterschieden; beim Menschen kommt sie nicht ausgeprägt zur Er- scheinung, ist aber zuweilen angedeutet oder äussert sich darin, dass bei ähnlichen starken Reizwirkungen die Latenzzeit der zyanotischen Röte nicht nur nicht kürzer, sondern länger ist als beim einfachen Nachröten. 1) Die Untersuchungen am Schwein wurden wegen der grossen Unruhe dieser Tiere zum Teil in Narkose, zum Teil in der durch Herabhängen des “Tieres an den Hinterbeinen für 1—2 Minuten erzielten kataleptischen Bewegungs- losigkeit vorgenommen. Als Reizstelle wurde die Bauchhaut gewählt. Für die Ermöglichung und Erleichterung dieser Versuche bin ich Herrn Prof. Lehmann von der landwirtschaftlichen Versuchsstation in Göttingen zu bestem Dank verpflichtet. M . ann DE ibbecke:’ ‘Roter Hof. Bei allen mit lebhafter oder schmerzhäfter Emp- findung einhergehenden, sehädigenden oder „pathischen* Reizen tritt zum Nachröten als weiterer Reizerfolg eine diffuse Rötung hinzu, die entweder bei geringer Ausbildung den roten Streifen nur etwas verbreitert und; verschwommene, zuweilen auch in Zacken oder Flammenfiguren auslaufende Ränder macht oder bei grösserer Aus- dehnung mehrere Zentimeter weit über den direkt gereizten Bezirk hinausgreifen kann, unregelmässig begrenzt, fleckig gesprenkelt ist und sich innerhalb weniger Minuten von der Peripherie her einenst. Diese Art von Rötung soll als „roter Hof“ bezeichnet werden. Dass es sich hierbei um einen vom Nachröten verschiedenen Vor- sang handelt, geht aus mehreren Tatsachen hervor. In seiner Latenz- zeit stimmt er nicht mit dem direkten Nachröten überein, sondern tritt bald früher, bald später auf als das Nachröten, indem sich das eine Mal im Anfang 'eine unbestimmte flüchtige Röte der ganzen Hautgegend zeigt, aus der dann: die direkt gereizte Strecke deutlich rot hervortritt, und ein andermal der rote Streif erst allmählich breiter wird und sich innerhalb einer Minute immer mehr aus-' dehnt. Darin ist eine Beziehung zu der Reizempfindung erkennbar, die auch je nach der Reizart intensiv aber kurz sein kann oder ein . längere Zeit anhaltendes juckendes, priekelndes, brennendes Gefühl: hinterlässt. Während für den Grad des gewöhnlichen Nachrötens die Stärke der Empfindung gleichgültig ist, spielt sie für die Leb- haftigkeit und Ausdehnung der diffusen Röte eine wesentliche Rolle, insofern eine Überempfindliehkeit, sei es bei allgemein überempfind- lichen Personen, sei es lokal an einer hyperästhetischen Hautstelle, deutlich verstärkend wirkt. Zum Beispiel konnte ich durch leichte Verbrennung eines umsehriebenen Hautkreises eine Hyperästhesie der thermisch nicht gereizten Umgebung hervorrufen, die mehrere Stunden anhielt und während dieser Zeit ein besonders leichtes und lebhaftes Auftreten der diffusen Röte ergab. Dem entspricht, dass im Gegensatz zu dem gewöhnlichen Strichreiz, der nur bei einzelnen Menschen zum Zustandekommen des roten Hofs genügt, einSchmerz- reiz irgendwelcher Art mit Sicherheit die Erscheinung herbeiführt. Kommt bei dem üblichen Reiz durch starken, breiten Druck die. diffuse Rötung nur als eine quantitative Steigerung des Nachrötens zum Vorschein, so wird ihre Selbständigkeit dadurch bewiesen,, dass es gelingt, sie mit Hilfe eines punktförmigen Schmerzreizes fast rein für sich darzustellen. Die geeigneten Reize hierfür sind einfacher Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. ]5 oder wiederholter Nadelstich, Faradisieren mit einer dünnen Metall- elektrode, punktförmiges Brennen durch Berühren mit einer Glüh- nadel oder durch Bestrahlen mit einem Brennglas; sie alle, also auch die thermischen Reize, bei denen eine physikalische Irradiation durch Hautzerrung oder Stromschleifen ausgeschlossen werden kann, geben den gleiehen Erfolg, die indirekte Reizröte dominiert gegen- über der verschwindend kleinen direkt gereizten Stelle und ist an- nähernd kreisförmig ausgebreitet, wobei die Ausdehnung gar nicht von der Grösse des gereizten Bezirks, sondern nur von der Reiz- intensität abhängt. Der Durchmesser kann bis zu 10 em gross sein. In seiner Mitte zeigt der rote Hof eine ziemlich gleichmässige hell- rote Färbung, die im Unterschied zum Nachröten niemals einen bläulichen Farbton bekommt; nach den Rändern zu löst er sich in Flecken auf, die in der äussersten Peripherie unregelmässig in die, Umgebung verspritzt erscheinen, selten als scharlachähnliche Punkte, meist als masernähnliche Fleckung. Dazwischen treten zuweilen am Rande eine Anzahl weisslicher Flecken auf, die bei reichlichem Vor- handensein und Konfluieren eine, wenn auch niemals scharfe, saum- artige Begrenzung des roten Hofs abgeben können. Merkwürdiger- weise liest der Reizpunkt nicht immer im Mittelpunkt des roten Hofs, und zeigt der Hof so gut wie immer eine ausgesprochene Längs- richtung, die am Rumpf mehr quer-, an den Extremitäten mehr längs- gestellt ist, mit der Spaltrichtung der Haut oder der segmentalen Gliederung des Körpers zusammenfällt und zum Beispiel an der Haut des Rumpfes ungefähr dem Verlauf der Rippen parallel geht‘). Die Rüekbildung ‘eines ausgedehnten roten Hofs vollzieht sich durch Ein-' eneung von der Peripherie her innerhalb einiger Minuten, die direkt gereizte Stelle und ihre nächste Umgebung kann dagegen viele Stunden hindurch gerötet bleiben. Ha Ausser diesen vielen Besonderheiten, die die diffuse Röte charak- terisieren, kommt eine räumliche Trennung von direkter und in- direkter Reizröte vor. So in Fällen mit ausgeprägtem Nachblassen, wo ein kräftiger Strichreiz das Bild eines roten Streifs mit blassem Saum und rotem Hof ergibt; aus diesem Rot-Weiss-Rosa oder Bläulichrot-Weiss-Rötlich entsteht nach ungefähr zwei Minuten durch 1) In grosser Ausdehnung bei niedriger Reizschwelle zeigt sich der rote Hof bei Säuglingen und kleinen Kindern, wo er zum Beispiel den grösseren Teil des Unterschenkels nach Strichreiz überziehen kann. 16 U, Ebbecke; Verschwinden des Nachblassens und Zurückztehen des roten Hofs der breite‘rote Streif mit unscharfen Rändern. Die unscharfe Be- srenzung des Nachrötens, die auch auf gewöhnlichen Strichreiz eintreten kann, die den Kliniken bekannt zu sein und von ihnen als gesteigerte vasomotorische Erregbarkeit angesehen zu werden pflest, stellt sich also nunmehr als Verschmelzung zweier Reaktions- arten heraus. Ihre räumliche Trennung kann ferner in all den Fällen leicht erzielt werden, wo die diffuse Röte schon auf geringe Reizgrade anspricht. So konnte ich durch wiederholtes,- rasch aufeinanderfolgendes Aufsetzen eines flachen Ringes unter geringem Druck auf überempfindlicher Haut das Bild eines weissen Ringes im roten Felde hervorrufen, also Nachblassen eines kreis- förmigen Streifens zugleich mit indirekter Reizröte innen und aussen. Dies ist zwar eine Ausnahme, lehrt aber, dass ein roter Hof auch ohne Nachröten auftreten und dass unter Umständen der Schwellen- reiz für den roten Hof niedriger sein kann als für das Nachröten, Viel häufiger lässt sich ein Nachblassen mit rotem Hof auf folgende Weise demonstrieren: Man fährt mit einer spitzen Nadel vorsichtig, ohne die Haut zu verletzen, über die Brusthaut und macht etwa sechs Längs- und sechs Querstriche im Abstand von 1 cm; nach einer halben Minute hat man dann eine karrierte Fläche von ziemlich breiten weissen Streifen in einem lebhaft geröteten Hautbezirk; häufig tritt die allgemeine Rötung früher auf als das Nachblassen; in 2—5 Minuten pflest die Erscheinung verschwunden zu sein oder hinterlässt noch einige Zeit einige ganz feine, den Nadelstrichen entsprechende rote Linien. Während ein einmaliger Ritzstrich nur bei stärkerem Reiz zum Hervorrufen der Umgebungsröte genügt, summieren sich auf diese Weise die Reize von allen Seiten und bewirken vereint die Rötung. Solches Verhalten fand ich überein- stimmend bei allen jenen, meist jugendlichen Individuen, die durch häufigen Wechsel der Färbung, Blutfüllung und Wärme von Gesicht und Händen ohne weiteres ihre allgemeine lebhafte „vasomotorische Erregbarkeit“ erkennen liessen. ” - Quaddelbildung. Den Einfluss individueller Empfindlichkeit zeigt am auffallendsten jene Erscheinung, die den letzten und stärksten Grad der Reaktion darstellt, wo zu der Hyperämie die ödematöse Durchtränkung des Gewebes hinzutritt. Bei empfindlicher Haut und kräftigem Bestreichen ist der Verlauf folgender: Starke Gänsehaut- bildung innerhalb der ersten Sekunden in Bereich und Umgebung Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 17 der gereizten Strecke; Auftreten einer mehr oder weniger weit sich ausdehnenden lebhaften Rötung; Verschwinden der Gänsehaut; Ein- engung der diffusen Rötung und dunklere Färbung des Reizstriches; Erhebung einzelner kleiner Höcker an den Stellen der Haarfollikel. Bei besonders schneller Aufeinanderfolge bleiben die durch Arrektoren- _ kontraktion entstandenen Höcker bestehen und gehen unmerklich in die papillären Schwellungen über. Hiermit kann innerhalb 1 bis 2 Minuten die Entwicklung ihren Höhepunkt erreicht haben. Das häufigere ist, dass durch Verbreitern und Konfluieren der Einzel- höcker oder von vornherein eine gleichmässige wallförmige Erhebung innerhalb einer geröteten Umgebung zustande kommt. Die unteren Grade der Schwellung, bei deren schwächstem Auftreten der Niveau- unterschied besser durch Tasten gefühlt .als mit dem Auge wahr- genommen wird, zeigen eine tiefrote Färbung; je mehr die Schwellung ausgebildet ist, kommt eine rötlich-gelbe bis gelblich-weisse, matte Färbung zum Vorschein, worin sich die Menge der unter der Haut angesammelten Flüssigkeit ausdrückt; immer besteht ein im Lauf der Zeit sich einengender roter Hof. Solche lokalen Schwellungen oder Hautnesseln als Folgen mechanischer Reizung sind als patho- logisches Symptom unter dem Namen „Urticaria factitia“ bekannt. Was hier als neu und wesentlich hervorgehoben werden soll, ist das normale Vorkommen der Quaddelbildung, die unter geeigneten Reizbedingungen in allen Fällen zu beobachten ist, so dass wohl quantitative, aber keine qualitativen Unterschiede bestehen und das Krankhafte sich nur als Steigerung eines an sich normalen Vorgangs darstellt. Um auf nicht überempfindlicher Haut eine Quaddel hervor- “ zubringen, gibt es drei Arten mechanischer Reize: die Erzeugung starker passiver Hyperämie durch Stauung oder Ansaugung, die Ge- webspressung durch tiefen Druck und die Stichelung. Setzt man ein Glasröhrchen von stumpfen Rändern und einer lichten Weite von etwa !/z cm mit kräftigem Druck auf die Haut, zum Beispiel des Oberarms, so wird die Haut an den Rändern tief eingedrückt, und zugleich tritt durch Wegdrängen des Blutes nach der Mitte zu und durch Abklemmung des Abflusses eine starke Blut- überfüllung der Haut innerhalb der Röhrenränder ein, die so stark sein kann, dass nach Abheben des- Röhrchens das Zentrum des Kreises durch einen kleinen roten Punkt als Zeichen eines: Blut- austrittes markiert ist. Kleine Aknepusteln oder abgeheilte, aber Pflüger’s Archiv für Thysiologie. Bd. 169. 2 18 U. Ebbecke: noch gerötete Verletzungen können auf diese Weise leicht zum Bluten gebracht werden. Aber auch dann, wenn kein Blutaustritt ' stattgefunden hatte, genügt die Wirkung in vielen Fällen, und bildet sich an Stelle des anfänglich geröteten Kreises innerhalb der nächsten Minuten eine leichte quaddelige Vorwölbung. Eine besser dosier- bare und nicht mit Quetschung einhergehende Art der Stauung ist. das Aufsetzen eines kleinen Schröpfkopfes; ich benutzte dazu eine kleine Glaskuppel, die an ihrem oberen Ende eine durch einen luft- : dicht eingepassten Hahn verschliessbare Röhre trug. Wird durch Ansaugen die Luft im Innenraum des Glases verdünnt, so wird die daruntergelegene Haut durch den im Gewebe und in den Blut- gefässen herrschenden Druck vorgetrieben, wobei sie eine etwas- bläuliche Rötung annimmt. Es kommt auf den Grad der Luft- verdünnung und auf die Dauer der Einwirkung an, ob nach Ab- heben des Sauggläschens nur eine längere Zeit anhaltende Rötung zurückbleibt oder allmählich eine ödematöse Durchtränkung folst. Es ist aber 'auf diese Weise leicht, eine Quaddel ohne alle Be- schwerden für die Versuchsperson hervorzurufen. | Die zweite Art, die Gewebspressung, beruht auf der mechanischen Eindellung einer Hautstelle, wozu ein sanfter, aber längere Zeit (*/«—1 Minute) fortgesetzter oder ein kurzer tiefer, etwas schmerz- hafter Druck mit dem Fingernagel oder einem Stecknadelkopf ge- nügt; besser wird. der Druck mit Hilfe des kleinen Druckapparates ausgeübt, an dem als Reizfläche ein stumpfer Stift eingeschraubt ist. Die nach anfänglicher, mechanisch bedingter Blässe bald bläulich bis dunkelrot gefärbte Haut hebt sich allmählich unter lebhaft roter Färbung in etwa einer Minute wieder bis zum Niveau der übrigen Haut, um sich nach einer. weiteren Minute schon deutlich darüber hinaus vorzuwölben. Der Stichelreiz endlich ist der wirksamste und hat auch an wenig empfindlichen Individuen oder Körpergegenden mit Sicherheit Quaddelbildung zur Folge. Hierbei werden mit einer Nadelspitze leichte, schnelle Stösse, 20—30 an Zahl, gegen ein möglichst kleines: umschriebenes Hautfeld ausgeführt, Stiche, die weder ein Blutgefäss verletzen noch überhaupt die Haut durchdringen sollen, sondern zu- nächst nur eine feine Unebenheit des gestichelten Feldes hinter- lassen, auf dein sich nach ein bis mehreren Minuten dann die Quaddel erhebt. Allerdings wird das leichte Prickeln auf die Dauer durch Reizsummation als unangenehmes Jucken empfunden und regt zu m Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 19 halb unwillkürlichen Abwehrbewegungen an, ohne dass aber die Haut durch den Eingriff merklich geschädigt würde. Bei allen diesen Reizarten ist der Erfolg die Bildung einer Quaddel, die zu ihrer Entstehung eine beträchtliche Zeit, ein bis mehrere Minuten, in Anspruch nimmt, durch stärkere Reize beschleu- niet wird, aber auch bei raschem Entstehen in den folgenden Minuten noch an Höhe und Breite zuzunehmen pflegt. Ihre Rückbildung er- streckt sich über eine Zeit von einer halben bis zu mehreren Stunden. Danach bleibt noch einige Zeit eine einfache Rötung bestehen. Wesentlich besehleunigend wirkt auf die’ Rückbildung ein mässiger Grad von Hyperämie. Dies wird zuweilen sehr deutlich, wenn eine Quaddel in der regio interscapularis, eine andere in der regio del- - toidea angebracht wird. Dann ist bei jener die diffuse Reizrötung intensiv und ausgebreitet, bei dieser ist die Umgebung der Quaddel nur schwach und in geringem Umfang gerötet; die diffuse Röte hält in der resio interscapularis auch länger an, während umgekehrt die Quaddel selbst kleiner, weniger ausgeprägt und von kürzerer Dauer ist als in der regio deltoidea.. Es stehen also dabei die Stärke und Dauer des roten Hofs einerseits, der Quaddel andererseits in um- gekehrtem Verhältnis. Ähnlich liest der Fall, wenn nach Stiehelung zweier benachbarter Hautfelder über dem einen ein Saugglas mit mässiger Saugwirkung aufgesetzt wird; dann kann die auf die passive Hyperämie folgende arterielle Rötung die Entstehung einer Quaddel unter Umständen ganz verhindern, immer aber wird sie die Rück- bildung einer entstandenen Quaddel bedeutend fördern und beschleu- nigen.. So wird hier an einem einfachen experimentellen Beispiel die Heilwirkung der Bier’schen Hyperämie monstriert. Im vorhergehenden wurden als Haupttypen der L.V.R. auf mechanischen Reiz geschildert der blasse Streif, der rote Streif mitblassem Saum, der einfache rote Streif, der bläulichrote Streif, der rote Hof und der follikuläre oder generelle Quaddelwall mit rotem Hof und wurde hervorgehoben, dass diese verschie- denen Formen normal sind und nur quantitative Unter- schiede in ihrer Latenzzeit, Dauer und Intensität zeigen. DIE 30 U. Ebbecke: b) Einfluss der Temperatur. Über die Bedingungen der Reizbarkeitsunterschiede erhalten wir wichtigen Aufschluss, wenn wir den Einfluss der Temperatur auf die Reaktion in Betracht ziehen, worauf ich vor ‚Jahren während eines längeren Aufenthalts in den Tropen aufmerksam wurde. Dort fand ich eine gesteigerte vasomotorische Erregbarkeit als Regel, und während es zunächst nahe lag, dies mit einer in den Tropen allgemein gesteigerten Erregbarkeit (Affekterregbarkeit) in Zusammenhang zu ‚bringen, zeigte die Untersuchung von acht Fällen während der im Dezember geschehenden Durchfahrt durch den Suez- kanal ins Mittelmeer, dass bei der Rückkehr in den heimischen Winter die Reaktion zur Norm oder unter die Norm abgeschwächt wurde. Die Bedeutung des Temperatureinflusses liess sich dann durch systematische Untersuchungen leicht feststellen. Schon wenn eine kreisförmige Hautfläche durch Aufsetzen eines Temperators auf eine etwas höhere Temperatur gebracht ist, ohne noch dadurch gerötet zu sein, und dann ein langer Reizstrich durch den erwärmten Kreis und seine Umgebung geführt wird, ist die Latenzzeit in diesem Bezirk gegenüber der Nachbarschaft abgekürzt. Am auffallendsten wird der Unterschied, wenn die eine Hand mehrere Minuten in kaltes, die andere in warmes Wasser getaucht war. Dann hat auf jener der mechanische Reiz ausser der sich langsam ausgleichenden Blutverdrängung gar keinen Erfolg, auf dieser da- gegen wird er fast momentan von einer starken, aber schon nach 10—30 Sekunden wieder verschwundenen Rötung beantwortet. So- gar auf leichtes Aufsetzen der Fingerbeere, das sonst ausser seinen physikalischen Folgen wirkungslos bleibt oder mehrere Minuten anämisieren muss, um eine Reaktion hervorzurufen, reagiert die warme Haut mit einer deutlichen Reizröte schnell, kräftig und kurz. Durch Abstufen der Temperatur einer beliebigen Hautstelle kann somit die Latenzzeit des Nachrötens zwischen Bruchteilen einer Sekunde und zehn Sekunden willkürlich variiert und kann die Reaktion gesteigert oder unterdrückt werden. Wird dureh Abstufen _ der Reizstärke an gleichgelegenen, verschieden warmen Hautstellen derselbe Effekt erzielt, so zieht sieh die Rückbildung auf der kühleren Haut länger hin als auf der wärmeren. Auf einer künstlich ab- gekühlten Hautstelle hinterlässt zum Beispiel leichtes Ritzen mit einer Nadelspitze einen mehrere Stunden anhaltenden dünnen roten Strich, wenn die Wirkung eines gleichen Reizes auf warmer Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 21 Haut sich schon innerhalb !/a Stunde gänzlich zurückgebildet hatte. Auch hier begünstigt also die mit der Wärme verbundene Hyperämie die Restitution, und die nächstliegende Annahme, dass ein starker Grad der Reaktion auch einen langen Verlauf bedinge, gilt nur ceteris paribus. Entsprechend ist von klinischen Beobachtern an- gegeben, dass ein lebhaftes Nachröten sich zwar länger als deutliche Reaktion auf einem Höhepunkt erhalte, bis zu seinem endgültigen Verschwinden aber weniger Zeit brauche als die schwache, langsam eintretende Rötung, die zunächst bis auf einen sehr undeutlichen schwachroten Streif zurückgehe, von der aber der letzte, eben noch - erkennbare Rückstand nur sehr langsam ganz beseitigt werde. Es stehen sich hier gleichsam eine akute und eine chronische Verlaufs- form gegenüber. Als allgemeine Regel lässt sich nunmehr aus- sprechen, dass durch die Wärme der Grad der L.V.R. ge- steigert, die Latenz und Dauer abgekürzt wird. Aus diesem leicht festzustellenden erheblichen Einfluss der - Temperatur ergeben sich. ohne weiteres Folgerungen für den wech- selnden Ausfall der Reaktion bei verschiedenen Menschen oder an verschiedenen Körpergegenden desselben Menschen oder, was eben- falls beobachtet werden kann, an derselben Körpergegend desselben Menschen zu verschiedenen Zeiten. Wie bereits in der Literatur mehrfach angegeben, zeigen Brust, Rücken, Nacken, Bauch die grösste Intensität und kürzeste Latenz der Reaktion und nimmt die Reaktion ab, je weiter distal sie ge- prüft wird, so dass Hände und Füsse reaktionslos gefunden werden. Als Erklärungsmöglichkeiten hierfür sind Verschiedenheiten der Haut- oder Temperaturempfindlichkeit herangezogen; die Erklärung, die sich nun als fast selbstverständlich ergibt, ist, dass im selben Maasse das Verhältnis von Oberfläche zur Masse und damit die Mög- lichkeit der Abkühlung zunimmt, da, wie Erfahrung und Messung zeigen, bei gleicher Aussentemperatur die Haut des Rumpfes auf ein höheres Temperaturniveau eingestellt zu sein pflegt als die der Hände oder Füsse, die sich häufig kalt anfühlen. Daher ist die Haut der Hand meist so kühl, dass sie eine ganz schwache, träge oder gar keine Reaktion gibt; ist sie aber warm, so fallen eine Reihe von Unterschieden weg. Wenn auch an derselben Hautstelle eines Menschen zu ver- schiedenen Zeiten nicht die gleiche Reaktion angetroffen wird, so ässt sich, sobald darauf geachtet wird, die Regel bestätigen, dass 23 U. Ebbecke: . ” .ı»s f dieser Wechsel nur von der jeweiligen Hauttemperatur abhängt, die ihrerseits wiederum nicht allein durch Aussentemperatur, Oberfläche und Verdunstung bestimmt wird, sondern ebensosehr durch die je- weils vorhandene Weite der Hautgefässe und Menge der Blutzufuhr. Denn je reichlicher die Haut von Blut durehströmt wird, um so näher muss bei gleicher Luftwärme ihre Temperatur, die zwischen 17° und 36° schwankt, der Bluttemperatur kommen. Es ist nun, zum Beispiel aus den plethysmographischen Untersuchungen von Mosso, Alfred Lehmann und Ernst Weber, bekannt, von wie vielen Momenten die Blutversorgung der peripheren Gefässe beeinflusst wird, und wie verschieden stark das Gesamtgefässsystem bei den ein- zelnen Menschen reagiert. Je nachdem der Betreffende leicht für Frost- und Hitzegefühl empfindlich oder abgehärtet und temperatur- unempfindlich ist, wird sein Blutdruck, seine peripheren Gefässe und seine Hauttemperatur durch thermische Einflüsse, wie das Ablegen der Kleidung vor der Untersuchung oder der Übergang von Aussen- kälte in Zimmerwärme, mehr oder weniger verändert werden. Zu den Momenten der Abkühlung oder Erwärmung treten allerlei psychische Einflüsse hinzu, einerseits Erwartung, Spannung, Unlust- gefühle, Angst, Furcht, Schreck, die Verengerung der Hautgefässe mit sich bringen, andererseits als gefässerweiternd Scham, Zorn, manche Erregungen, Muskelarbeit, Ermüdung. Entsprechend der Beobachtung, dass in kleinen, am Morgen schmerzlosen Wunden am Abend Klopfen, Jucken oder Schmerz verspürt wird und allgemein die Haut abends stärker gerötet erscheint, wird der Befund ver- ständlich, dass die meisten Menschen am Abend eine lebhaftere L.V.R. haben als am Morgen oder Vormittag. So spielen die all- gemeinen Gefässreflexe in die L.V.R. hinein, indem sie den Boden vorbereiten und verändern, auf dem die lokale Reaktion erwächst. Denn alle die Momente, welche die peripheren Gefässe verengern, vermindern zugleich durch Herabsetzung der Hauttemperatur den Grad der L.V.R. Umgekehrt gelinst es, wenn von einem Menschen das durchschnittliche Verhalten seiner L.V.R. bekannt ist, den zu einer bestimmten Zeit erhobenen Befund wie einen Hautplethysmo- graphen zur Bestimmung der jeweiligen Hautdurchblutung zu ver- werten. Durch Berücksichtigung des Temperatureinflusses finden einige merkwürdige Angaben der klinischen Literatur ihre natürliche Er- klärung.. Wenn bei Epileptikern von gesteigerter vasomotorischer Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 93 L 7 Erregbarkeit nach dem Anfall die Reaktion negativ gefunden wurde, so liegt dies daran, dass die Untersuchung zu einer Zeit stattfand, wo der erschöpfte Kranke bleich mit blassblauen Lippen, allgemein kontrahierten Hautgefässen und kühler Haut daliest. Bei Apoplek- tischen wird für die gelähmten Glieder von den Autoren teils ein gesteigertes, teils ein herabgesetztes mechanisches Nachröten an- gegeben, teils wird die Reaktion unverändert gefunden. Die Wider- sprüche lösen sich, wenn der Gefässzustand in Betracht gezogen wird. Denn da im ersten Stadium nach dem Schlaganfall die Haut des gelähmten Gliedes warm und gerötet, ist infolge Lähmung der Vasokonstriktoren durch Schock und später die Gefässe allmählich ihren Tonus zurückgewinnen, ja im Gegenteil enger werden als zu- vor und das gelähmte Glied blasser und kühler erscheint als das ungelähmte, so wird je nach der zwischen Lähmung und Unter- suchung verstrichenen Zeit das Resultat verschieden ausfallen. Das gleiche gilt für die akute Poliomyelitis und die peripheren Nerven- lähmungen. c) Einfluss der Nervenlähmunsg. Die Fälle von Nervenlähmung sind für die Frage des nervösen Einflusses auf die L.V.R. besonders wichtig. Aus den Beob- achtungen an Apoplektischen geht bereits hervor, dass die L.V.R. auch an unempfindlichen Hautstellen erhalten ist, dasselbe zeigt die Untersuchung von Narkotisierten. Um auch die Reflexzentren des Rückenmarks ausschliessen zu können, untersuchte ich hauptsächlich Fälle von peripherer Lähmung, die ich auch experimentell dureh Lokal- und Leitungsanäsihesie an mir und anderen herstellte. Bei Umspritzung eines ausgedehnten Bezirkes mit Novokainlösung, wobei das mittlere Hautfeld frei von mechanischem Stich- und Injektions- reiz blieb, fand sich sowohl Nachröten als Nachblassen, jenes etwas schwächer und flüchtiger, dieses etwas stärker und anhaltender als sonst. Dabei unterschied sich die Haut in ihrer Färbung nieht merklich von der Nachbarschaft, zuweilen in der Temperatur. Ein- mal wurde der Verlauf einer Lymphbahn als deutlich blasse, ge- schlängelte und verzweigte Linie beobachtet, hier war also an den Stellen der Resorption Gefässverengerung zustandegekommen. Die Stichstellen waren von einer deutlichen, aber auf ganz geringen Umfang beschränkten Rötung umgeben, eine ausgebreitete Rötung entstand nur dann, wenn durch den Einstich ein kleines Gefäss ver- letzt war, als Folge eines subkutanen Blutergusses. Die bei Ge- 24 Se UV. Ebbecke: legenheit des „follikulären Quaddelwalls“ schon erwähnten Haar- follikel nehmen auch hier insofern eine besondere Stellung ein, als sie bei der Resorption des Ergusses nach mehreren Stunden sich als. dunkelrote Punkte in hellblauem Felde abzeichneten. Bei Injektion der Novokainlösung in den N. ulnaris trat motorisch Parese des vierten und fünften Fingers, sensibel eine Unempfind- lichkeit des ulnaren Handbezirks und eines kleinen anschliessenden Teils vom Unterarm auf und vasomotorisch eine Konstriktoren- lähmung, die sich subjektiv in einer gleich nach dem anfänglichen. Kribbelgefühl den betreffenden Bezirk durchflutenden Hitzewelle äusserte. Danach blieb ein Wärmegefühl während einer halben Minute bestehen. Später hatte das gelähmte Hautgebiet zwar eine erhöhte Temperatur, aber erst nach 3—4 Stunden eine etwas ge- rötete Färbung, die mit grosser Deutlichkeit zum Vorschein kam, nachdem die Hand einige Male abgekühlt und erwärmt war. Nun war die Begrenzung der Anästhesie schon durch die Rötung ab- gezeichnet und wurde die anfangs fehlende L. V.R. entsprechend der reichlichen' Hautdurchblutung besonders rasch und lebhaft. Auch die Fälle, wo nach Nervendurchtrennung dauernde Lähmung zurückgeblieben war, zeigten die L.V.R. erhalten 1), Nachblassen und Nachröten waren sehr deutlich, ebenso war bei starkem Streichen. eine pilomotorische Reaktion von verlangsamter Entstehung und ver- längerter Dauer festzustellen. Das gelähmte Glied pflegt eine matt blaurote, eyanotische Hautfarbe und kühle Temperatur zu haben, wird aber warm und hellrot, wenn es einige Zeit in warmes Wasser . gehalten oder, wie es zu therapeutischen Zwecken geschieht, vorher massiert ist, und hat in diesem Zustand eine lebhafte L.V.R. Wesentlich verändert ist aber in diesen Fällen das Verhalten auf pathische Reize, es fehlt der ausgebreitete .„rote Hof“ oder, wie es L. R. Müller in seinen „Studien über den Dermographismus und dessen diagnostische Bedeutung“ ?), der weitaus besten klinischen Darstellung, nennt, das „irritative Reflexerythem®. So führt Müller 1) So konnte ich durch Vermittlung von Herrn Geheimrat Bier, dem ich auch an dieser Stelle meinen besten Dank auszusprechen mir gestatte, einen Fall von totaler, bereits 3 Monate bestehender Armlähmung nach Plexus- zerreissung auf dem Physiologentag 1914 demonstrieren; seitdem hat der Krieg: die Zahl der zur Untersuchung gelangenden peripheren Lähmungen vermehrt. 2) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. 47/48. 1913.. Mit photographischen. Abbildungen. ) | Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 25 % Fälle von Paraplegie nach ausgedehnter Rückenmarksquetschung an, in denen ein mit einer Stricknadel über die Haut gezogener Strich nur in der den zerstörten Rückenmarkssegmenten entsprechenden Zone nicht von breiter Rötung umgeben war, wohl aber ober- und unterhalb dieser Zone. Diese Beobachtung kann ich in einigen Punkten ereänzen: Bei Sensibilitätsausfall auf umschriebenem Haut- gebiet, wie er durch Verletzung eines einzelnen Nerven zustande- kommt, pfiegt der total unempfindliche Bezirk von einem 1—2 cm breiten Rand : umgeben zu sein, auf dem zwar Berührungs-, nicht aber Schmerz- und Temperaturempfindungen wahrgenommen werden. Auch in diesem Randgebiet. fehlt die diffuse Rötung, was einen weiteren wichtigen Anhaltspunkt für die Art der Innervation ergibt. - Ferner lässt sich auf unempfindlichen Hautstellen durch den Stichel- reiz eine indirekte Reizröte rein für sich darstellen, die sich von dem gewöhnlichen „roten Hof“ durch Umfang, Begrenzung, Latenz und Dauer unterscheidet. Es verbreitert sich nämlich sehr langsam innerhalb zwei Minuten die Rötung von der gestichelten Stelle gleich- mässig nach den Seiten bis zu einem Durchmesser von etwa einem halben Zentimeter. Diese sehr schmale Umgebungsröte ist nicht fleckig, gut kreisförmig begrenzt und engst sich erst nach -/2 bis 1 Stunde auf den direkt gereizten Bezirk ein, ihre Eigenschaften sind also wesentlich von den auf S. 14 und 15 beschriebenen verschieden. Von prinzipieller Wichtigkeit ist die Beobachtung, dass auch Quaddelbildung auf anästhetischer Haut hervorgerufen werden kann. Dies fand ich ausser an anderen Fällen peripherer Sensibilitäts- störung besonders an einem Fall, der ausser einem umschriebenen Sensibilitätsausfall nach Schulterwunde eine allgemeine hochgradig entwickelte „Urticaria factitia* zeigte. Die auch im anästhetischen Gebiet auf leichten Reiz auftretende Quaddel unterschied sich von den auf der übrigen Haut erzeugten hauptsächlich durch das Fehlen der ausgebreiteten Umgebungsröte. Wegen ihrer experimentellen Eindeutigkeit seien hier noch die Beobachtungen zitiert, die Trotter und Davies!) gelegentlich ihrer Hautnervendurchschneidungen zwecks Analyse der Hautsinnes- qualitäten auch über die vasomotorische Reaktion erhielten. „Nach 1) Trotter and Davies, Innervation of the skin. Journ. of Physiol. vol. 38. 1909. 26 U. Ebbecke: unserer Erfahrung enthalten alle Hautnerven dreierlei efferente Fasern, vasomotorische, pilomotorische und sudomotorische; die Durchschneidung solcher Nerven führt immer bestimmte Lähmungs- erscheinungen dieser drei Funktionen mit sich. ... Die Färbung ist röter als die der Umgebung, nicht sehr ausgesprochen, aber doch deutlich, in einer Ausdehnung, die der Anästhesie für die Kamel- haarbürste entspricht. ... Die Rötung ist deutlich wolkig (dusky) und zuweilen leicht gesprenkelt mit helleren Flecken. ... Die Hyperämie kommt durch Abkühlung deutlich zum Vorschein. .. Ungefähr drei "Wochen nach der Operation ist diese Konstriktoren- lähmung zurückgebildet. ... Die Temperatur ist mehr von der Um- gebung abhängig. ... Die Hautstelle ist, wenn das Ganze bedeckt gehalten wird, wärmer; wenn das Ganze längere Zeit abgekühlt wird, kälter als die Nachbarschaft. ... Wird normale Haut durch Kratzen gereizt, so erscheinen gewisse Farbänderungen innerhalb weniger Sekunden nach Aufhören des Reizes. Zuerst kommt auf der direkt gekratzten Linie ein roter Streif zum Vorschein und langsamer entwickelt sich ringsherum ein deutlicher weisser Saum von 5—15 mm Breite. ... Innerhalb der ersten drei Wochen zeigen sich Veränderungen der Kratzreaktion. Der rote Streif entwickelt sich schneller, ist schmaler und von hellerer Farbe, während der weisse Saum viel weniger deutlich ist und zur Fleckung neigt. ... Das ganze Verhalten deutet darauf hin, dass hier eine direkte Ge- fässwirkung ohne die modifizierende Beteiligung des normalen Nerven- mechanismus erzielt wird.“ Von ihren Befunden ist besonders die geringere Breite des roten Streifs zu erwähnen, die übrigen Modi- fikationen der Reaktion sind durch die infolge der frischen Kon- striktorenlähmung bestehende leichte Hyperämie bedingt. Nach der ausführlichen Beschreibung, die hier für die Reaktion nach mechanischer Reizung gegeben ist, soll nunmehr der Erfolg thermischer, elektrischer und chemischer Reize in kurzer Übersicht dargestellt werden. Thermische Reizung. Bei dem erheblichen Einfluss, den die Temperatur auf den Grad der mechanisch hervorgerufenen L.V.R. hat, ist der thermische Einfluss für sieh als besonders ge- eigneter Reiz zu erwarten, zumal bekannt ist, wie stark die Haut in der Wärme gerötet sein kann, und wie zuweilen schon ein leichter kühler Luftzug genügt, um die Haut unter allgemeinem Erschauern Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 27 mit Gänsehautbildung zum Erblassen zu bringen. Es besteht daher der altbekannte Satz, dass Wärme die Gefässe erweitert, Kälte sie verengt. Im Gegensatz zu den allgemeinen Hautreizen erstaunt es, bei der Untersuchung mit lokalen, kleinflächigen thermischen Reizen — Anbringung temperierter Gläser oder Metallplatten — sehr schwachen oder gar keinen Erfolg zu finden, wenn nicht die Ein- wirkungen von sehr langer Dauer oder die Temperaturdifferenzen sehr erheblich sind. Für hohe Wärmegrade sind die Wirkungen als „Verbrennung ersten, zweiten oder dritten Grades“, Erythem, Bläschen- bildung oder Nekrose, genügend bekannt. Innerhalb der noch nicht als schmerzhaft heiss empfundenen Grenze ist eine minutenlang fort- gesetzte Durchwärmung nötig, um eine deutliche Rötung zu be- wirken, die sich dann unter Einengung von den Seiten her in mehreren Minuten zurückbildet. Noch unsicherer ist die Wirkung lokaler Kälte. Wenn es schon von warmen Händen bekannt ist, dass sie häufig eher blass als rötlich sind, so gilt noch mehr von stark abgekühlten Händen, dass sie im Gegenteil lebhaft rot zu sein _ pflegen. Eine kalte Dusche mit ihrer Kombination von mechanischem und Kältereiz ruft allgemeine Hautrötung mit Wärmegefühl hervar; ein warmes Kohlensäurebad, bei dem der mechanische Reiz der auf- steigenden prickelnden Bläschen mit der Wärme verbunden ist, kann Kälte- oder Wärmegefühl unter fleckigerRosafärbung der Haut be- wirken. Die Verhältnisse liegen also verwickelter durch ein Widerspiel von schwer zu trennender Reaktion und Gegenreaktion. Auch wenn eine Hautstelle langsam durch Kältemischung bis zu lokaler Anäs- thesie abgekühlt ist, unterscheidet sie sich nach Entfernung des Kältereizes kaum von der Umgebung und nimmt dann in "e bis 1 Minute eine leichte mattrote Färbung an, die in wenigen Minuten verschwindet. Wird durch Chloraethylspray ein kreisförmiger Haut- bezirk rasch zum Gefrieren gebracht, so ist die Nachwirkung die eines pathischen Reizes, d.h. es entwickelt sich eine ausgebreitete indirekte Röte, und auch nach ihrem Verschwinden bleibt der direkt gereizte Bezirk noch !/.—1 Stunde gleichmässig rot gefärbt. Immer- hin zeigt schon die mikroskopische Betrachtung von Blutkreislaufs- präparaten, dass ein abgekühltes Objekt engere Gefässe hat als ein erwärmtes, und mit Einschränkung auf langsame und lange thermische Einwirkung hat die Regel von der Gefässerweiterung durch Wärme und Gefässverengerung durch Kälte auch für kleinflächige Reize Gültigkeit. 28 U. Ebbecke: Die deutlichen gefässerweiternden Wirkungen der Bestrahlung, wie sie uns aus der Wirkung der Sonne bekannt und von der Finsentherapie eingehend studiert sind, lassen sich mit diesen Ver- suchen deswegen nur indirekt in Beziehung setzen, weil die stunden- lange Latenz und tagelange Nachwirkung darauf hinweisen, dass sich ‚hier kompliziertere Vorgänge in der Haut abgespielt haben. In höherem Maasse trifft dies für die Röntgen- und Radiumstrahlen zu, bei denen die reaktive Rötung noch später einsetzt und unter Um- ständen nach einigen Tagen ein Zellzerfall verrät, dass sich infolge der Bestrahlung tiefgreifende chemische Umwandlungen vollzogen haben. Elektrische Reizung. Wird eine Hautstelle faradisiert mittels einer scheiben- oder knopfförmigen umwickelten differenten Elektrode, so entsteht auch bei einer Stärke, die schon als lebhaftes Prickeln empfunden wird, und -bei längerer Einwirkung keine oder nur eine geringe, unscharfe, fleckige, bald verschwindende Rötung. Wird dagegen als Elektrode eine Metallspitze genommen, so geht das Kribbeln in ein stechendes brennendes Gefühl über, und es tritt eine besonders weit ausgedehnte Umgebungsröte auf, die zuweilen schon mehrere Sekunden nach Aufhören des faradischen Reizes wie weggewischt verschwindet, während an und nahe bei der Reizstelle eine intensive und gleichmässige Rötung in den nächsten Minuten noch zunimmt und dann langsam zurückgeht. Wenn der gleich- zeitige Druck mit der feinen Elektrode vermieden wird, ist die direkte Reizwirkung auch bei lebhafter Reizempfindung oft minimal. Viel stärker ist die direkte vasomotorische Wirkung des gal- vanischen Reizes. Auch wenn die begleitende Empfindung dabei nur gering ist, kann durch genügend lang fortgesetztes unmerkliches Galvanisieren sowohl ausgesprochene gleichinässige, auf den direkt gereizten Bezirk beschränkte Rötung als auch typische Quaddel- bildung erzielt werden. Bei schwacher Galvanisierung erscheint die Rötung erst Ye—1 Minute nach Aussetzen des Reizes und verstärkt sich in den folgenden Minuten. Die Kathode wirkt stärker als die Anode und bewirkt besonders häufig Schwellung einzelner Follikel- höcker in rotem Felde. Irak Chemische Reizung. Einen ganz ähnlichen Reaktionsverlauf erhält man, wenn man Alkali (z. B. 10 /oige Natronlauge) mittels aufgestülpten Gläscbens für ein bis mehrere Minuten auf die Haut einwirken lässt. Doch hat dies Verfahren chemischer Reizung Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 29 den Nachteil, dass bei dem sehr langsamen Eindringen in die Haut eine genaue Dosierung und Zeitbestimmung nicht möglich ist. Ferner gilt für die ganze lange Reihe der pharmakologisch be- schriebenen „Hautexzitantien“, dass bei ihnen Reizwirkung und Schädigung, d. h. irreversible Hautveränderung, ohne scharfe Grenze ineinander übergehen. Durch subkutane und intrakutane Injektionen wird ebenfalls leicht von den verschiedenartigsten Flüssig- "keiten Rötung und Schwellung hervorgebracht, die Einzelheiten sind noch zu unübersichtlich, als dass ich auf sie eingehe; doch sei hier auf die Versuche von. Phillipson!) und Török und Hari?) - hingewiesen, die mittels Glaskapillaren allerlei Substanzen in die Bauchhaut des Hundes einimpften, und anderseits auf die im Anschluss an die Tuberkulinprobe neuerdings angewandten Kutan- reaktionen?). Als einwandfreies Impfexperiment lässt sich der Insektenbiss (Floh, Wanze) oder der Brennesselstich ansehen, von welch letzterem die Urtiearia ihren Namen hat, und hier ist Art und Verlauf der Reaktion (Rötung und Quaddelbildung) völlig derselbe wie nach’ mechanischer Reizung, es erscheint also ein genügend fein applizierter chemischer Reiz als dem mechanischen gleichwertig. Nachwirkungen vergangener Reize Als Nach- wirkung hinterlassen starke Reize jeder Art eine gewisse Über- empfindlichkeit der betroffenen Hautstelle, auch wenn der Erfolg der Reizung schon völlig rückgebildet scheint. Gelegentlich fällt bei kleinen abgeheilten Hautritzen, die sich schon kaum noch von der Umgebung unterscheiden lassen, auf, dass sie lebhaft rot her- vortreten, wenn die Haut des Körperteils aus irgendeinem Grunde warn und etwas röter geworden war; oder Akneknötchen werden "durch stärkere Rötung deutlich, wenn in der Umgebung ein roter Hof hervorgerufen wird. So kommt es auch vor, dass ein Reizstrich, der nach längerem Bestehen verschwunden oder höchstens durch leichte Rauhigkeit oder veränderten Glanz infolge Abschilferung der oberflächlichsten Schicht noch zu erkennen ist, unerwartet deutlich aufgefrischt zum Vorschein kommt, wenn in der Nähe ein neuer j 1) Philippson, Arch. f. Derm. 1900.u. 1903. 2) Török und Hari, Experimentelle Untersuchungen über die Patho- genese der Urticaria. Arch. f. Derm. Bd. 65. 1903. 3) Vgl. v. Pirquet, Über Kutanreaktionen. Münchener med. Wochenschr. 1914 8. 29. | i 20 U. Ebbecke: roter Streif entsteht. Am leichtesten wird eine Nachwirkung durch folgendes Experiment demonstriert: Es wird abgewartet, bis ein roter Streif von grösserer Intensität und Dauer vollkommen zurück- gegangen ist, und dann die ganze Hautgegend durch rauhes Tuch oder weiche Bürste rot gerieben. Nachdem nun diese Rötung ver- schwunden ist, bleibt der frühere rote Streif noch beträchtliche Zeit allein gerötet. In weniger genau bestimmbarer Weise zeigt sich eine Hautgegend, die mehrere Tage oder Wochen hindurch häufig verschiedenen Reizen ausgesetzt wurde, allmählich chronisch ver- ändert, es entsteht eine Neigung zu allerlei Ekzemen, und man erhält den Eindruck, dass die Heilung kleiner Hautverletzungen verzögert ist. Bei der grossen Anzahl deutlicher Farbänderungen, die sich bei Reizung der menschlichen Haut beobachten lassen, ist erstaunlich und nicht recht einzusehen, warum solche Gefässwirkungen so isoliert für sich dastehen. Zwar die Ansicht, dass das Nachröten an der Haut von Händen und Füssen und am Gesicht fehle, ist hier wider- legt, da es nur an der gewöhnlich zu niedrigen Temperatur liegt, wenn es nicht beobachtet wird. Aber an den zugänglichen Schleim- häuten des Gesichts ist die Reaktion wenig ausgesprochen; es ist bekannt, dass die Lippen durch Reiben sich lebhafter rot färben, eine gut umschriebene Rötung lässt sich jedoch durch mechanischen Reiz schwer erzielen, am ehesten durch den leicht schnürenden Druck eines dünnen Fadens. Bei der Konjunktiva überwiegt völlig die diffuse Hyperämie, wie sie bei der Empfindlichkeit der Bindehaut einen grossen Teil des inneren Augenlids zu überziehen pflegt, wenn irgendein ins Auge geratener Fremdkörper einen mechanischen Reiz an einer ganz kleinen Stelle setzt. Bemerkenswert ist, dass’ an Hautnarben die L.V.R. fehlt, mögen es nun frische, lebhaft ge- rötete oder alte, bläulich verfärbte, anästhetische, hyperästhetische oder normal empfindliche Narben sein. Trotzdem bei ihnen der Augenschein das reichliche Vorhandensein von Blutgefässen zeigt, bleibt das Bestreichen solcher Hautstellen wirkungslos. An tierischer Haut pflegen die Versuche negativ auszufallen, ausser wenn schmerzhafte oder schädigende Reizgrade oder Injektionen angewandt werden. Dies mag damit zusammenhängen, dass Tierhaut stark behaart und pigmentiert und verhornt ist und bei der grösseren Ausnutzung der Lungenverdunstung viel weniger in den Dienst der Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 3] Temperaturregulierung gestellt und weniger durchblutet ist. Aber auch das sonst für Gefässversuche am besten geeignete Kaninchenohr zeiet wohl eine allgemeine stärkere Durchblutung nach Reiben oder Erwärmen, nicht jedoch die genau umschriebene lokale Reaktion. 2. Die L.V.R. der inneren Organe. Nachdem ich aus theoretischen Erwägungen zu der Annahme gekommen war, dass die L.V.R. kein auf die menschliche Haut beschränktes Phänomen sein könne, fand’ich die Erwartung bestätigt dureh Untersuchung der Bauchorgane. Leber und Niere zeigen die Reaktion sehr deutlich und mit einer Lebhaftigkeit, wie sie sonst nur bei gut durchwärmter Haut vorkommt. Damit ist nun ein leicht dem Experiment zugängliches tierisches Untersuchungs- objekt gegeben. Wird am narkotisierten, laparatomierten Tier mit einem kleinen in Kochsalzlösung angefeuchteten Pinsel ein leichter, feiner Strich über die Oberfläche der Leber geführt, so gelingt es durch diesen geringen, durchaus nicht schädigenden Reiz, eine deut- liche lokale strichförmige Rötung zu erzielen, so dass es eher in Verwunderung setzt, warum dies Verhalten bisher dem Augen- merk entsing. Bei empfindlicher Leber — denn auch hier begegnen individuelle Empfindlichkeitsunterschiede — sieht es aus, als würde diese mit roter Färbe angestrichen, so rasch folgt die Reaktion dem Reiz. Nach etwa einer Minute ist die normale Färbung zurück- sekehrt und keine Spur der Reizung mehr erkennbar. Der Vorgang kann beliebig oft wiederholt werden. Der braunrote Grundton der Leber kann der Färbung leicht ein schmutziges Aussehen geben, am besten eignet sich daher eine Leber, deren Eigenfärbung heller ist und mehr ins Gelbliche statt ins Braune spielt. Bei Verstärkung des Reizes wird die Röte dunkler, mit einem Stich ins Bläuliche und wird namentlich bei breiterer Reizung von einem grauweissen Saum umgeben. Für sich allein lässt sich das Nach- blassen an der Leber schwer, dagegen leicht an der Niere hervorrufen. Eine diffuse Umgebungsröte wurde nie beobachtet. Auf einen stärkeren Reiz, Bestreichen mit einem stumpfen glatten Gegenstand mit einem Druck, der im Vergleich zu den Hautreizen noch immer ausserordentlich schwach ist und keine Gewebsverletzung setzen darf, folgt in !/«—!/s Minute eine Schwellung des gereizten Bezirks und seiner allernächsten Umgebung, eine deutliche Vor- wölbung von schmutzigroter oder weisslichtrüber Färbung, . die \ 32 U. Ebbecke: innerhalb weniger Minuten restlos verschwindet. Es erfolgt also typische Quaddelbildung durch einen verhältnis- mässig geringfügigen Reiz mit rascher und voll- kommener Restitution als normale Reaktion). Ausser durch Veränderung der Reizstärke wird die L.V.R. an der Leber durch Veränderung ihrer Lebensbedingungen modifiziert. Schon die Abkühlung, die das Organ infolge des Luftzutrittes mit der Zeit erleidet, wenn nicht besondere Vorkehrungen getroffen sind, bewirkt, dass die Reaktion träger, schwächer und von längerer - Dauer wird. Besonders lehrreich sind die Absterbeerscheinungen. Auch wenn das Tier durch tiefe Narkose, Erstickung oder Ver- giftung getötet ist, hört die Reaktion mit dem Sistieren von Herz- tätigkeit und Blutkreislauf nicht sogleich auf, sondern sie ändert sich nur allmählich unter Zunahme der Latenz, Überwiegen des bläulichen Farbtons und Abschwächung der Reaktion, wobei aber, was am meisten auffällt, eine Rückbildung immer mehr verzögert und unvollkommen zustande kommt, bis schliesslich nach 10 bis 15 Minuten endgültig. Reaktionslosigkeit eingetreten ist; ein Bei- spiel, das die Überlebensdauer des reagierenden Gewebes deutlich illustriert. Nur wenn das Tier durch Aderlass völlig ausgebiutet war, reagiert die blasse Leber nicht mehr, sondern zeigt nur eine bleibende, anämisierte Drucklinie als mechanische Folge, die sonst wegen der Schnelligkeit der Blutrückkehr nicht zur Beobachtung kommt. Als eine, wohl nicht zufällige Übereinstimmung lässt sich bemerken, dass eine normale blutreiche Leber nach dem Tode die- selbe dunklere und bläulichere Färbung im Ganzen annimmt, die vorher bei der lebenden Leber auf einem einzelnen Streifen als stärkere Reizwirkung aufgetreten war. Solche Befunde von Nachblassen, Nachröten, zyanotischem Nachröten und lokalem Ödem (Quaddelbildung) erhob ich an der Leber von Kaninchen, Katze, Hund, Stacheligel, Meerschweinchen und Ratte, so dass an ihrem allgemeinen Vorkommen nicht zu zweifeln ist. Ein ähnliches Verhalten zeigen die Niere und auch die Milz. An der Milz mit ihrem von vornherein dunkelroten \ 1) Wie mir Herr Geheimrat Quincke mündlich mitteilte, beobachtete er ein postmortal entstandenes „lokales Leberödem“ nach der Einwirkung von Eis- stückchen auf die lebende Leber als überraschenden, aber nicht verfolgten und veröffentlichten Sektionsbefund. Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. 33 Farbton hebt sich die Reaktion wenig ab, anderseits verursachen die reichlich in ihr enthaltenen glatten Muskeln durch gleichzeitige Kontraktion eine höckerige Einziehung der Oberfläche und eine Behinderung des Blutflusses. Bei der Niere, die das Nachblassen am reinsten zeigt, liegen die Verhältnisse darin günstig, dass sie leicht nach Abbinden der Hilusgefässe in vivo aus dem Körper aus- getrennt werden kann und nun als überlebendes Organ ihre Reaktionen zeist, obgleich ihre Nerven mit durchsehnitten sind und ihr Blut- strom stockt. Mechanische Reizung anderer Organe. Ausser Leber, Niere und Milz wurden verschiedene andere Organe mechanisch gereizt, ohne dass eine typische L.V.R. zu erhalten war. Am Gehirn be- gegnet die Untersuchung vielen Schwierigkeiten, durch die Blutungen, die bei der Abtragung der Dura und Pia mater entstehen, und durch die reichliche Einlagerung der weissen undurchsichtigen Mark- massen, die leichte Farbänderungen zu erkennen verhindern. Eine undeutliche Fleckung ist das einzige, was sich zuweilen direkt be- . obachten lässt; pflegen doch auch die Anatomen eine Hirnhyperämie hauptsächlich aus der Anzahl der auf Durchschnitten befindlichen „Blutpunkte“ zu beurteilen. Die bekannte wechselnde Füllung der Piagefässe kommt für die hier in Frage stehende Reaktion der mikroskopisch kleinen Gefasse nicht in Betracht. Sichtbare Gefässe, die in irgendeiner Gegend des Körpers direkt gereizt werden, re- agieren, sofern überhaupt ein Erfolg zu bemerken ist oder nicht eine Quetschung mit Blutung entsteht, mit Verengerung. Am Herzmuskel von Kaninchen ergibt wiederholtes Bestreichen eine leichte blassere Einziehung der gereizten' Stelle, dagegen zeigt das Froschherz, das zum Unterschied vom Säugetierherzen keine eigenen Gefässe hat, sondern von seinen Lakunen aus ernährt wird, eine als „lokale Diastole* bekannte Reaktion auf feine mecha- nische Reize. Da ausser dieser lokalen Rötung auch eine lokale Blässe durch Applizieren leichter galvanischer Anodenreize beobachtet werden kann, so besteht eine gute Übereinstimmung mit-der L.V.R., und es liest nabe, hierfür einen ursächlichen Zusammenhang an- zunehmen, worauf an dieser Stelle nur hingewiesen sein soll. Au der Schleimhaut von Magen und Darm bewirken leichte Strichreize eine Reaktion, die als typisch für das Durchwandern einer ver- schluekten Gräte oder Nadel beschrieben ist: Die gereizte Stelle wird eingezogen und blasser durch Kontraktion der Museularis mucosae, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 3 34 | | U. Ebbecke: - die bei ihrer Zusammenziehung die zwischenliegenden Gefässchen auspresst. Eine Rötung tritt als allgemeine helle Rosafärbung anstatt des gewöhnlichen grauen oder graurötlichen Aussehens auf, wenn die Schleimhaut längere Zeit der Luft und allerlei Reizen aus- gesetzt oder auch mit einem Wattetupfer mehrmals gerieben war. An der Aussenwand der Därme und besonders des Magens findet sich nach mehrmaligem sanftem Bestreichen eine innerhalb einiger Sekunden entstehende und in 1—2 Minuten verschwindende stark emporgehobene, gelblich-blasse, sehr harte Vorwölbung; ein über das parietale Peritoneum geführter Strichreiz bewirkt eine _ schmalere, scharf markierte erhabene Linie, die fast momentan dem Reiz folgt und in mehreren Sekunden schon rückgebildet ist. Nach- dem ich diese Reaktionen zuerst mit vasomotorischen Vorgängen verwechselt hatte, sah ich ein, dass sie niehts anderes sind als lokale „idiomuskuläre* Kontraktionen der unter der Serosa gelegenen elatten oder quergestreiften Muskeln. Für die \ 100° C. 0,0025 | 60 } 125| 20 | +3% Aureus | | 2a. 12 _ 29 15 30’ — 52 < r 0,005 52 } A| » 2b. 12 tm log | 1W30° | = 38 I: 100° C. 0,005 50 \ 1 | 2% we Otto Meyerhof: Ne di LEE TE 96 Tabelle II (Fortsetzung). % Je Dauer | Ver- + 10 mg ver- Prozent, Stamm | Milli- |undTem-|suchs-| Ver- ODZEN- | 17a... | brauchen in IR (Steigerung, 2 tem- tratıon ccm Vs ö und gramm | peratur pera- suchs- Methylen.| brauch durch Nummer | Aceton- | des Er- | tur dauer ir Fr Alhınn mit |Methylen- coccen | hitzens | oc an RD a se ink 2 Albus P 4 | | h | ® 3a. 4 = 29.1 2 74 oe Y1s5 160 1 ch 3}. 4 3n 30’| 29 |: ıa a 26 U 3 100° 0. | 0,012 | 37 \ 65 0 2 Albus 42. 4 er 29 30’ = 32 "Too | & \ | mw | -e 4b. 4 3n50'| 9 | ın ER SLOB 2 100° 0. 0,005 | 32 \ 65 0 | +87 Ac. 8 J|dazu 3n| 29 | ın 0’ = 58 1000 C. 0,005 | 86 \ BO und 30° 107° C. Albus | 5a. 4 en 29 | 1% Run 74 5 ® - 5b. 4 3n30’| 29 | ın 23 26 | 100° C. 0,05 25 } 6a a 5c. 8 Jdazu 33h] 29 | ın 2 43 \ 100° C. 008 51 \ 5 |, 685 | 2.18 & und 30’ N 107° C. Albus 6a. 8 _ 23 50' Ai 40 0005 | aı } ee 6b. 10 45 23 | ıh N 27 ’ 100° C. 0,005 | 42 } 7 | 2 | + 5 6c. 10 |dazu 30’| 233 | ıh — 19 $ 107° c.| 0,005 | 31 y » 1 | + mi 6d. 20 |dazu in| 23 | ın as 29 1070-0. 0,005 | 62 } 14,5 | 3 | +18 Albus | | | | | 7a. 12 a 23 | ıh Br 52 | | } 35|85 | + 4 7b. 20 4oh 1 928 I 1n 95 2 45 Aureus ’ a 8a. 13 > 29 40° n 31 el \ s| 9 I|+ eo” Sb. 15 5h 29 | 1 10’ — 13 0 100° C, 0.005 | } | 35 | 70 { ” J EBEN Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. I. 97 Zur Erklärung könnte man zwei verschiedene Annahmen machen, entweder: der durch Methylenblau oxydationsfähige Komplex (aut- oxydabler Stoff oder dergleichen) entsteht erst beim Erhitzen, oder: die Bedingung, die für die Atmungssteigerung wesentlich ist, ist die vorangehende Schädigung des normalen Oxydationsmechanismus, be- stimmter gesagt, eines Teils der Atmungsenzyme. Diese zweite An- nahme wird gegenüber der ersten sehr wahrscheinlich durch folgende Umstände: 1. Auch ohne Erhitzen gibt das Acetonpulver in der Regel dann mit Methylenblau eine — nicht sehr beträchtliche — Atmungs- steiserung, wenn infolge mangelhafter Herstellung die Atmung des Pulvers besonders schlecht ist. Dafür seien im folgenden, neben dem Versuch 8 der Tabelle noch drei Versuche angeführt. 2. Bei stufen- weisem Erhitzen ist die Gesamtoxydation mit Methylenblau im folgenden Versuch nie grösser als im vorhergehenden. 3. Die pro- zentuale Steigerung der Atmung durch Methylenblau nach dem Erhitzen "ist um so grösser, je stärker der Atmungsabfall durch Erhitzen ist. / Y / A | “ \ (Vgl. Vers. 6 und 3.) Tabelle III. Nicht erhitzte Acetoncoccen (schlecht atmend). Prozent, ; Versuchs- | Yarguchg. | Konzentr.| Ver- | 10 mgin1h Nr. temp. n Methylen-| brauch | verbrauchen | Steige- mg a, dauer blau | cmm 0, | ccm 0 rung 9. | 10 | 29 | Ih | — | 25 25 | 0,002 5 28 28 +12 | | 0005 35 35 +40 AT 10 23 50’ = 23 27,5 - | 0,005 | 27 | 325 } +15 11. 40 29 15 30’ — 5l 8,5 | | | 0,005 | 83 | er j + Ich stelle deshalb folgende Hypothese auf und werde sie im folgenden noch durch weitere Experimente zu stützen suchen: Nach Ausschaltung eines gewissen Teils der Atmungsenzyme — infolge Zerstörung, Schädigung, Vergiftung — kann in bestimmten Fällen das Methylenblau kraft seiner sauerstoffübertragenden Eigenschaften diesen Teil der Atmungsenzyme im Oxydationsmechanismus ver- treten. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. =] 98 Otto Meyerhof: IV. Können wir eine ähnliche Folge der Hitzeschädigung der Atmung auch bei den lebenden Coecen erzielen? In der Tat gelingt das. Dass der Fffekt quantitativ erheblich geringfügiger ist, ist nicht ver- wunderlich, wenn man die absolut so viel stärkere Atmung der lebenden Zellen, sowie die ganz andere Art der Erhitzung, „die feuchte Erwärmung“, berücksichtigt. Erwärmen wir eine Suspension von lebendem Staphylococcus albus während 2—3 Minuten im Reagenzglas auf 50°, .so tritt im nachfolgenden Atmungsversuch durch Zusatz von Methylenblau in Konzentration von 0,0025 °/o statt der Herabsetzung von 20—30 le, wie sie die intakten Zellen zeigen, keine Abschwächung oder sogar eine geringfügige Steigerung der Atmung auf. Gleichzeitig sinkt die ' natürliche Atmung durchs Erwärmen stark, die in Methylenblau nur wenig ab. Bei länger anhaltendem Erwärmen oder auf höhere Temperaturen (55—60°) fällt aber die Atmung mit und ohne Methylenblau sehr stark und ziemlich gleich ab. Im Sinne unserer Hypothese würde dies eine Zerstörung der durch Methylenblau wa vertretbaren Enzymteile bedeuten. Staphylococeus aureus verhält sich im Prinzip gleich, in quanti- tativer Hinsicht abweichend, da derselbe gegen kurzes Erwärmen viel unempfindlicher ist. Seine Atmung wird durch 2—3 Minuter langes Erhitzen auf 50° gar nicht abgeschwächt. Der meist benutzte Stamm war auch gegen Methylenblau weniger empfindlich. Ein ähnlicher Effekt liess sich hier erzielen, wenn die Erwärmung für 2—3 Minuten auf 60° vorgenommen wurde. In der folgenden Tabelle sind die unter einer Nummer stehenden Versuche mit der gleichen Bakteriensuspension und gleichzeitig an- gestellt. Nach Umrechnung auf gleiche Versuchszeit und Bakterien- mengen (die öfters in den Erhitzungsversuchen wegen des Atmungs- abfalls grösser gewählt wurden) lassen sie sich direkt miteinander vergleichen. (S. die letzten Spalten der Tabelle.) Es wurde versucht, eine solche Differenz zwischen dem Abfall der Atmung mit und ohne Methylenblau noch durch andersartige Schädigung der Atmung zu erzielen, zum Beispiel durch mehrstündigen Sauerstoffabschluss bei 29 und 38°. Indessen wurde dadurch, wenn überhaupt ein stärkeres Absinken der Atmung erzielt wurde, der Sauerstoffverbrauch in An- und Abwesenheit des Farbstofis in ganz En 2 eg a EEE u ee EN zn Es I Fl ge a en Kerr < es 7%: ” = ee re EN # Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. 1. 99 ähnlicher Weise herabgesetzt. Die von verschiedenen Autoren an- gegebene Förderung der „Reduktionskraft“ durch vorangehende Anaerobiose kommt hier also nicht zum Vorschein. Tabelle IV. In gleicher Bak- Bak- Dauer | Ver- es nl Prozent. 5 suchs- 7 Konzen- : g Ab- Stamm | terien- |und’Tem- e Ver- En er- Zeit?) ver- os und | suspen- | peratur Be suchs- Methylen.| brauch braucht cmm 0, Bee Nummer| sion!) | des Er- | tur dauer er 2 ohne mit |Methylen- 4 y Methylen- 3 Bi ccm hitzens | oc, cmmO, ac a blau Albus 0,3 | “= 29 | Erg 58 x | t: 05 | 5 | | m 0,3 an 29 ’ = 33 ä Au "RG 50° C 0,0025 | 38 \ 33 33 0 Albus 0,4 en 29 En ee | I 0085| EB 0 |'-5 0,4 9, 29 EL a 2 50° € 0,0025 | 36 \ an +10 0,4 2’ 29 307 8,5 B 60° 0 0.0025 | 85 } u Re) % Albus 0,3 ala 1.23 50 TAN. 4 3. ; 50° C. | | 0,0025 | 82 \ ‚4 32 +10 Aureus 0,3 — 29 30’ — 27 r h 4. | 0,002 5 | 26 \ m | era 0,6 g’ 29 70V | == 38 | 60° c. | | 0025 | #2 } st| 9 KS. 10 AureusIl 0,2 — 23 ih — 95 ; 5. | 0,0025 | 64 } 95 64 — 30 0,5 2a’ | 23 | 1a ee 33 Y sooc| ol 5 Heel u | +5 1,25 12’ 2 | ın en 13 600 C 0,0025 | 15 \ 2,1 24 | +19 V. Wird die Atmung unter Methylenblaueinfluss durch indifferente Narkotika ebenso gehemmt wie die normale, und zwar bei lebenden Coecen, unerhitzten und erhitzten Acetoncoceen ? Am interessantesten ist hier offenbar der Fall der erhitzten Acetonbakterien, weil sich 1) Die Konzentration der Suspensionen ist willkürlich. Die Zahl hat nur für den Vergleich der unter einer Nummer stehenden Versuche Bedeutung; es wurde stets mit Bouillon auf 2 ccm verdünnt. 2) Der Sauerstoffverbrauch der erhitzten Coccen ist hier auf Versuchsmenge und -zeit der unerhitzten umgerechnet. 78 100 Otto Meyerhot: dabei feststellen lässt, ob auch der Mehrverbrauch an Sauerstoff, die „Methylenblauatmung“, in gleicher Proportion gehemmt wird. Dazu ist eine Vorbenerkung über die Atmungshemmung durch Narkotika vorauszuschieken. Von Warburg und seinen Mitarbeitern ist nachgewiesen !), dass die Atmungshemmung — und übrigens auch die Gärungshemmung — bei lebenden Zellen und unveränderten Strukturelementen von Zellen: zum Beispiel Granulasuspensionen % von Leberzellen, nicht nur der gleichen Gesetzmässigkeit gehorcht, sondern auch quantitativ gleich ist, während Atmung und Gärung der Pressäfte aus Zellen zwar nach der gleichen Regel der homologen Reihe, aber absolut schwächer gehemmt wird. Und zwar fordert die Theorie in gutem Einklang zu den Versuchen, dass diese Abschwächung bei den höheren Gliedern der Reihe grösser sein muss als bei den niederen. Die Gärungshemmung der Acetonhefe scheint sich wie die des Hefepressaftes zu verhalten?), andere Acetonzellen sind noch nicht untersucht worden. Die Prüfung dieser Verhältnisse bei den Staphylocoecen ergibt nun zwar dem Sinne nach die gleichen Er- scheinungen, aber in quantitativer Hinsicht bedeutende Abweichungen. Ich stelle die Hauptpunkte fest: Die Atmungshemmung intakter Staphylococcen ist nicht sehr stark, aber immerhin messbar von der Temperatur abhängig. Die Hemmung ist bei 38° grösser als bei 23°. Mit der hier benutzten Methode ist die Atmungshemmung nur bei der niederen Temperatur genau fest- zustellen, weil bei 33° infolge des starken Wachstums durch die gleichzeitige Wachstumshemmung selbst in kurzer Zeit eine ziemliche Unsicherheit hervorgerufen wird. Die geprüften Narkotika hemmen nun die Atmung der Staphylococcen (bei 23°) erheblich schwächer als die Atmung anderer Zellen (die meist bei 29° untersucht wurden). Die auf S. 101 abgedruckte Tabelle V gibt einen Vergleich mit Warburg’s Messungen an Bilutzellen (meist aus den Kuryen Asher-Spiro S. 296, 297 berechnet). Die Atmungshemmung durch die unteren Glieder der Reihen ist bei den Acetoncoccen, erhitzten wie unerhitzten, gleich der Hemmung 1) Zusammenfassung in Asher-Spiro’s Ergebn. d. Physiol. Bd. 14 8..253. 1914. — Ferner Pflüger’s Arch. Bd. 158 S. 19. 1914. — Dorner, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 81 8.99. 1912. 2) Warburg und Wiesel, Pflüger’s Arch. Bd. 144 S. 472. 1912. Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. I. 101 Tabelle V. Prozent. Molare Prozentische Hemmung | — in Kon peiStaphylo-| bei Blut- . | zentration zentration coccen zellen Äthylurethan. .... . 35 0,4 33 55 2 a 6 0,65 55 100 iso-Butylurethan . | 0,6 0,05 19 60 27 £ = E90 ol 4 5 iso-Amylurethan . .. . | 0,5 | 0,04 | » [ca. 100 2)] Phenylurethan . . .. . 0,1!) 0,006 39 90 N Me N gesättigt ca. 0,01 73 — iso-Amylalkohol . . . . 0,9 01 9 100 2 ae ra Er 0,18 ge 24 Heptylalkohol . . . . . | gesättigt | a 1 2 fast 1005] LE A 0,01!) 0,000 7 25 ca. 90 RE Ne Re 0,04") 0,003 90 — bei lebenden ; bei den höchsten Gliedern dagegen ist — im Sinne der Theorie — die Hemmung deutlich, aber nicht sehr erheblich, verringert. (Messungen bei 23°.) Tabelle VI. Prozent. Prozentische Atmungshemmung N er bei lebenden | b. unerhitzten | b£6i erhitzten zentration Coccen | Acetoncoccen | Acetoncoccen n Athylurethan. .‘: . . 6 55 | — | —_ 2 VON 7 — 65 74 iso-Butylurethan . . . 1,0 30 | — | 25%) Phenylurethan .... . gesättigt 13 | 75 35 iso-Amylalkohol . . . 0,9 44 | 40 | —_ En Ah 1,5 85 60 | _ Heptylalkohol . . . . | gesättigt 85 {| en \ 5060 - | progressiv progressiv iymalıa .1...0.... 0,04 ER | = | 45 | | 1) In diesen Fällen ruft die Bouillon vielleicht durch „adsorptive Bindung“ Konzentrationsverringerungen des Narkotikums hervor. 2) Hemmung der Atmung der Lebergranula. 3) Gärungshemmung in lebender Hefe. 4) Temperatur 29° C. 102 Otto Meyerhof: Die Hemmung durch Narkotika ist in Gegenwart von Methylen- blau unverändert, und zwar durchgäneig sowohl bei lebenden wie getöteten Coccen. Bei lebenden entspricht also die Hemmung un- gefähr der Summe der Einzelhemmungen von Methylenblau und Narkotikum oder ist ein wenig geringer; bei erhitzten Acetoncoccen aber wird die gesteigerte Atmung ebenso gehemmt wie die normale. Innerhalb der Versuchsgenauigkeit ist demnach die „Methylenblauatmung“ gegen Narkotika ebenso empfindlich wie dieAtmungselbst. Dies dürfte ein weiterer Hinweis darauf sein, dass es sich bei dieser Oxydationssteigerung nicht um einen von der Atmung unabhängigen Vorgang handelt. Tabelle VI. Prozentische St . Hemmung Versuchs- Fa en Zusammensetzung h na zen b 5 en Tauc even zeit peratur der Lösung = en Methylen- DC. cmmO,| tolle | versuch A. Lebende Coccen. | 40' 23 1:4: Kontfrolle, ,,. us never 56 E= — 0,0025°/0 Methylenblau : 48 15 — \ 6% Athylurethane ur a! 26 4 —_ 0,002 5/0, Methylenblau + 6% Athylurethan „rn 2% 23 99 52 Phenylurethan gesättigt . . . 15 13 — 0,0025 %0 Methylenblau + ” | | Phenylurethan gesättigt . 14 | 75 gi 50’ 23 2. Kontrolle 3 8a Ta 75 — —_ 0,007 5° Methylenblau . . 47 37 — 3 500 Äthylurethan. . .. . 50 33 = 0,007 5%0 Methylenblau + 3,50/o Äthylurethan. . . 2... 33 56 30 0,6°/o iso-Butylurethan s 61 19 — 0 ‚007 50/0 Methylenblau + 0,6 0 iso-Butylurethan . . .. . 32 57 32 { 50’ 23 B. Unerhitzte Acetoncoccen. 3. Kontrolle "u... 2 a ee 40 —_ = 0,005°/0 Methylenblau. . . . 4l 0 = 7% Äthylurethan. ..... 1455| & — 0,0050 Methylenblau + 7 %o Äthylurethan. ...... 15 60 63 Phenylurethan gesättigt.. . . 8 so == 0,005°%/0 Methylenblau+Phenyl- urethan gesättigt -. . ... . 8 so so Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. I. 103 Tabelle VII (Fortsetzung). BEER rZrZr I rn \ Prozentische Ye Ver Hemmung BLSUCHS" Zusammensetzun R Versuchs tem- ar ee S brauch gegen gegen zeit |peratur S Kon: en au- t cmmO,| tolle | versuch | 6. Unerhitzte Acetoncoccen. nah 23 I EOniEOle; er ense i 69 — — 0,005°/o Methylenblau. . . . 75 +10 1,500 Amylalkohol . .. . . 27 61 — 0,005°/o Methylenblau + 1,5%o Amylalköhel... 2%... 28 59 63 Phenylurethan gesättigt . . . In 73 — 0,005°/o Methy ns ERensl: urethan gesättigt . ., . 27 61 64 23h 29 Sr Kontrollen 1:33.28. 0.22 53 — _ 0,005°/o Methylenblau. . . . 91 +12 — 0,9% i-Amylalkohol. . . . . 23 97 u= 0,005°/0 Methylenblau + 0,9°/o i-Amylalkohol . ..... 54 — 41 Heptylalkohol gesättigt . . 24 65) — 0,005 °%/0 Methylenblau+ Heptyl- alkohol gesättigt . .. . . 62 — 32 D. Erhitzte Acetoncoccen. | | ih 29 6rKRonwaller Fri u 47 E — 0,005°%0 Methylenblau . 73 +55 — 19/0 iso- Butylurethan . . . 35 25 — 0,005°/0 Methylenblau + 1% iso-Butylurethan . ... . 59 — 20 I 1h 25’ 23 TaRKontvolle. 2: 3 aa le 3 — = 0,005°%0o Methylenblau. 84 +95 - 0,0490 Thymol.'. . »°. ,.. 24 En 0,005°/o Methylenblau + 0,04°/o Synode 50 — 40 Heptylalkohol gesättigt . . 17 60 _ 0,005°/o Methylenblau + Heptyl- alkohol gesättigt . . .. - 21 — 75 a 5 Sn Bontrolle: Hua fe ie. 32 — _ 0,005°/o Methylenblau . 61 +90 — 7% Äthylurethan. .... . 8,9 Ze: — 0,005°6 Methylenblau + 70 Äthylurethan.r „127 2. 9,5 — br Phenylurethan gesättigt . 21 35 — 0,005 °/0 Methylenblau +Phenyl- urethan gesättigt . . . . - BJ = 49 1) Die Acetoncoccen des Versuches 5 sind nicht erhitzt, verhalten sich aber gegen Methylenblau wie erhitzte Coccen, sie entstammen dem Präparat Versuch 10 Tabelle III. 104 Otto Meyerhof: v1. Ganz anders gestaltet sich die Wirkung der Blausäure. Zunächst wird die Atmung der Acetoncoccen erst durch viel höhere Konzen- trationen KCN gehemmt als die der lebenden Zellen. Die Hemmung ist wegen der Änderung der Hydrolyse von der Reaktion sehr ab- hängig, was sich besonders bei hohen Blausäurekonzentrationen geltend macht. Dies sowie die Anreicherung der Blausäure in den Zellen mögen gewisse Schwankungen der Werte, besonders bei den Acetoneoccen erklären!). Doch können wir:davon absehen, weil die Unterschiede zwischen lebenden und Acetoncoccen so gross sind, dass sie von diesen Schwankungen gar nicht berührt werden. Die Atmung erhitzter Acetoncoccen ist etwa 50—100 mal so unempfindlich gegen Blausäure wie die der lebenden Bakterien. Die Hemmung lebender Staphylococcen durch ——_ 30.000 = 0 -KCN beträgt etwa 40, ihman 7 = 00 80 °/o. Bei höheren Konzentrationen nimmt die Hemmung nur langsam zu und wird nicht ganz vollständig. Die Atmung erhitzter Acetoncoccen wird dagegen durch zog KON um 40°/o, durch 700 = um 75 °/o gehemmt. Die Atmungshemmung der unerhitzten Acetoncoccen wurde in einigen Versuchen ziemlich ver- schieden gefunden, doch nähert sie sich den bei den erhitzten Coecen ermittelten Werten. Die Atmung in Gegenwart von Methylenblau wird nun in jedem Fall erheblich geringer durch KCN ge- hemmt als in Abwesenheit des Farbstoffs: das eilt für die lebenden, unerhitzten und erhitzten Aceton- coccen. Hier interessiert uns an erster Stelle wieder das Verhalten der erhitzten Acetoncoccen, weil wir an ihnen erkennen können, dass die durch Methylenblau gesteigerte Atmung durch Blausäure noch 1) Es wurde nicht mit Blausäure gewaschen, sondern KCN zur Suspension. hinzugesetzt. Die Konzentrationsverringerung in der Lösung durch Anreicherung an der Zellsubstanz kann aber selbst bei den Acetoncoccen nur unbedeutend sein; im ungünstigsten Fall verhielt sich die Menge Acetonpulver zur Flüssigkeits- menge wie 1:500. FETTE TE A eu Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. I. 105 schwächer gehemmt wird als die nicht gesteigerte: ganz im Gegen- satz zu dem Einfluss der Narkotika auf beides. (Vers. 1 und 2 der Tab. VIH.) ‘Die gleiche Abschwächung der Blausäurehemmung findet bei den _ unerhitzten Acetoncoccen statt, auch dort, wo das Methylenblau für sich so gut wie keinen Einfluss auf die Atmungsgrösse hat. Man kann das so ausdrücken: bei unerhitzten Acetonceoccen wird zwar nicht die Atmung, wohl aber die durch Blausäure gehemmte Atmung durch "Methylenblau gesteigert, und zwar ausserordentlich stark. (Vers. 3 und 4 der Tab. VII.) Das oleiche zeigt sich nun schliesslich auch bei den lebenden - Bakterien. Bei diesen hemmt ja 0,0025—0,005 °/o Methylenblau für sich um 10—40°/o. Die Blausäurehemmung aber wird durch Zugabe von Methylenblau nicht nur nicht um diesen Betrag vermehrt, sondern ganz erheblich verringert. Und zwar ist diese Abschwächung noch bei ganz hohen Blausäurekonzentrationen, die das 50fache der mittleren n Hemmungskonzentration betragen — so noch bei 500 KCN — stark _ ausgesprochen. (Vers. 5—10 der Tab. VIII.) Tabelle VII. ne Prozentische Mer- Gnche: Ver- Hemmung suchs- tem- Zusätze brauch gegen zeit |peratur a Methylen- au- Be. cmmO,| trolle | yersuch Erhitzte Acetoncoecen. 18 Ih 29 — 47 — — Je8ömg 0,005 Methylenblau . ..... 13 +59 — Albus DENKENS INTER a2 Y6) —_ 0,005 Methylenblau + 0,01 n KCN 48 — 3) 2. | 1h 30’ 23 — | 49 — — Je 40 mg 0,0075 Methylenblau. . . . . . 72 | +47 & Albus OR ERKENT EEE aha 29 40 _ 0,0075 Metbylenblau + 0,005nKCN 37 — 20 | | Nicht erhitzte Acetoneoecen. | 3, Ih 23 mr 43 Er = Je 20.mg 0,005 Methylenblau . ..... 47° | +10 = Albus OOIANERENT I 22 0 _ | 0,005 Metbylenblau + 0,01 n KCN 44 0 be) 106 Ri Otto Meyerhof: Tabelle VIII (Fortsetzung). Wer: Prozentische ; Ver- suchs- "5 Ver- a 3 suchs- tem- usätze brauch | gegen |. gegen zeit peratur en Mei DElh IR cmmO, trolle versuch U, | 1 | 29 Ä — Be Je 20 mg 0,0025 Methylenblau. . . . . . 39 048 Albus 0.002.931 KON 11 70 _ 0, Sn 5 Methylenblau + 0,0025 & ER NEEREE NEN INN AL ARL 29 25 23 Lebende Staphyloeoceen. ; 9... | 1880’ 23 — 112 — _ . Aureus 0,005 Methylenblau . .... . 100 12 — m 9002... REN Een en 15 Bi) _ 0,605 Methylenblau + 0,002n KON 69 38 30. = 6. ie 905 er RN - 5 Aureus 0,0025 Methylenblau. ..... 63 5 _—.. 0,003 naKENE ra ee. 8 30 — 0, ‚0025 Methylenblau +0,005n KON 19 13 2 = 0, 012 Methylenblau‘ . . - „2% 50 30 — | 0, ‚012 Methylenblau + 0,005n KON 18 75 64 7, 1h 23 x ea N Aureus 0,005 Methylenblau ...... 74 15 _ 75 0,0029: n. KEN A. wur. 11 85 —_— ; | | 0,005 Methylenblau+0,0005n KCN 30,5 a a 65 60 s 8. 15 10’ 23 — 91 — _ : Aureus II 0,005 Methylenblau . .... . 60 33 — : 0,002 0 ON 4 35 — 0, 006 Methylenblau + 0,002n KCN 22 75 4 0, 00051, KON ie RN 7 so. —_— 0, 005 Metnylenblau+0,0005n KON 33 N es 69 | 47 3: 1h 20’ 23 — 133 n— = - AureuslI 0,005 Methylenblau ...... 18 40 —_ 0,000. 5’D-RENE 12 y0 _ | 0,005 Methylenblau+0,0005n KCN [6) 45 ee... > 10. 59" 23 108 _ e= Albus 0,002 5 Methylenblan . AR, 94 19 — 0, ‚0005 a REN ERL N 18 3 —_ 0, ‚002 5 Methylenblau + 0,0005 } n KONGRESS EN Er AaL. 62 45 33 Wie ist der Methylenblaueinfluss auf die Hemmung der Blau- säure zu erklären? Auch hier bieten sich zwei Erklärungen an: Ent- weder verdrängt das Methylenblau die Blausäure ähnlich und in noch höherem Maasse von den Atmungsorten der Zelle, wie Warburges Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. 1. 107 für die indifferenten Narkotika nachgewiesen hat!), oder im Fall der Blausäurevergiftung kommt .es auch bei unerhitzten Acetoncoccen und lebenden Bakterien zu der typischen „Methylenblauatmung*, weil diese, im Gegensatz zur normalen Atmung gegen Blausäure sehr wenig empfindlich ist. Eine dritte Möglichkeit: das Methylenblau wirkt chemisch auf die Blausäure ein, kann wohl ausser Betracht - m _ bleiben. Die benutzte Methylenblaukonzentration ist etwa 10000 99 KON-Lösung in gleichem Volumen so reagieren soll, dass mehr als die Hälfte der Blausäure wirkungslos wird (vgl. Vers. 1 und 3), ist schon ganz unwahrscheinlich. Wenn es aber der Fall wäre, so müsste die Ent- m 2000 kann nun versuchen, zwischen den beiden obigen Möglichkeiten auch durch Betrachtung der quantitativen Verhältnisse, eine Entscheidung zu suchen. Wenn eine Verdrängung vorliegt, so muss die Stärke der Enteiftung sehr von der Blausäurekonzentration abhängen. Bei sehr hohen Blausäurekonzentrationen, die das Vielfache einer fast komplett hemmenden Dosis bilden, dürfte sie kaum noch bemerkbar sein. Wählt man zum Beispiel die 20fache Konzentration von einer, die 80 °%o hemmt, so müssten mehr als 1?/ao dieser hohen Konzentration verdränst sein, damit die Hemmung unter S0°/o sinken kann; das wäre aber wiederum nicht wahrscheinlich und jedenfalls nur dann verständlich, wenn bei einer niederen Konzentration die Verdrängung annähernd total wäre. Umgekehrt: wenn die Methylenblauatmung gar nicht empfindlich gegen Blausäure wäre, so dürfte in dem Kon- zentrationsbereich der Blausäure, in dem die Atmung fast komplett gehemmt wird, die Erhöhung der KCN-Konzentration keinen Finfluss auf die „Atmung in Methylenblaugegenwart“ haben. Eine solche Abhängigkeit ist zweifellos vorhanden (vgl. Vers. 6, 8, 9, 10), aber die „Methylenblauatmung“ braucht ja auch nicht ganz unempfindlich gegen KCN zu sein. Die Versuche sind aus methodischen Gründen und wohl auch wegen der Ungleichmässigkeit des Materials nicht genau genug, um zu einer bestimmten Entscheidung zu dienen. Im allgemeinen machen sie aber doch die zweite Annahme wahrschein- (Molekulargew. 375); dass diese Menge mit einer -KCN vollständig sein; das ist sie aber nicht. Man giftung von 1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 76 8.331. 1911. 108 Otto Meyerhot: |: licher als die erstee Denn in der Tat wird bei lebenden Staphylo- n 200 blau auf einen Wert gebracht, der einer vielleicht 40 fach kleineren Blausäurekonzentration entspricht (Vers. 6). Will man die zweite Deutung akzeptieren, dass das Methylenblau hier wiederum an Stelle des durch Blausäurevergiftung ausgeschalteten Enzyms eintreten kann, so könnte man noch weiter darüber spekulieren, welches Enzym- element dasjenige ist, das von Methylenblau vertreten werden kann. Warburg hat gezeigt, dass das Fe”-Ion eine bedeutende Rolle als Oxydationskatalysator bei der Zellatmung spielt!) und darauf hin- gewiesen, dass die Entionisierung des Fe’ durch Cyan die Hemmung (der Zellatmung durch Blausäure in ihren Eigentümlichkeiten völlig er- klären kann. Man könnte dann annehmen, dass es die Fe’*-haltige Kom- coccen die Hemmung einer -KCN-Konzentration durch Methylen- ponente des „Atmungsenzymkomplexes“ wäre, für die das Methylen- blau eintreten kann. Doch soll auf diese Vermutung, die den Boden sesicherter Tatsachen schon recht weit hinter sich lässt, kein be- sonderer Wert gelest werden ’?). VI. Wird durch Änderungen des Milieus eine Beeinflussung der „Methylenblauatmung“ erzielt? Dies schien aus Angaben in der Literatur hervorzugehen, so insbesondere aus den Versuchen von \ 1) Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wissensch. 1914, math.-naturw. Klasse Bd. 4. 2) Eine soeben (Februar - 1917) erschienene Mitteilung von Thunberg (Skandinav. Arch. Bd. 35 S. 163. 1917), die mir nach Niederschrift der vor- liegenden Arbeit zu Gesicht kommt, hat mit ihr verschiedene Berührungspunkte: Thunberg findet, dass die Oxydation der Bernsteinsäure zu Fumarsäure in Gegen- wart extrahierter Muskulatur durch Blausäure gehemmt wird, die Methylenblau- reduktion durch das System Bernsteinsäure-Muskulatur aber nicht gehemmt wird. Zur Erklärung dieser Differenz lehnt auch er die Vorstellung einer „Entgiftung“ der Blausäure durch Methylenblau wegen des zu grossen Unterschiedes der wirk- samen Mengen beider Stoffe ab, nimmt dagegen an, dass es sich bei der Methylenblaureduktion um eine echte Dehydrierung in Wieland’schem Sinne handelt, bei der Oxydation dürch Luftsauerstoff aber um eine Sauerstoffaktivierung. Warum die letztere im Gegensatz zu ersterer blausäureempfindlich ist, wird von ihm nicht erötert oder durch chemische Daten belegt. Fasst man die O,-Aktivierung als Bildung von Superoxyd auf, so liest die Thunberg’sche Vermutung in der Richtung der hier geäusserten, da ja das Eisenion durch Eisensuperoxyd- bildung Sauerstoff überträgt. Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. I. 109 : Hahn und Cathcart, die einen enormen Einfluss des Milieus auf die „Reduktionszeiten“ der Bakterien festgestellt hatten. Soweit meine Erfahrungen hierüber reichen, handelt es sich aber dabei in allen Fällen um einen Einfluss auf die Atmung selbst. Die Atmung in _ Gegenwart von Methylenblau wird im selben Sinn beeinflusst. (Teil- weise anders ist dies bei Acetonhefe, wofür ich auf die nächste _ Arbeit verweise.) % Wenn zum Beleg dieser Behauptungen im folgenden nur Stich- proben mitgeteilt werden, so sollen hier doch einige Angaben über den Milieueinfluss auf die Atmungsgrösse der Bakterien selbst Platz ‘ finden. Dabei zeigen sich charakteristische Differenzen zwischen den lebenden Cocecen und den Acetoncoccen. Es sei betrachtet: der Einfluss der Reaktion des Mediums sowie der Ersatz der Bouillon durch andere „Nährlösungen“ und durch reine Salzlösungen. A. Für die Atmung lebender Staphylocoecen in Bouillon (bei 23), sowohl Albus wie Aureus, ist die Reaktion zwischen pz- (Sörensen) 7,0 und 8,5 optimal. Die Differenzen innerhalb dieser Zone fallen, wenigstens für kürzere Zeiten, in die Fehlergrenzen der benutzten Methoden (Sauerstoffmessung, Abmessung der Bakterienmengen, In- dikatorenprüfung). Erst bei einer Reaktion von pr: —=9 ist eine Abschwächung der Atmung zu erkennen. Dagegen liegt das Atmungsoptimum der Acetoncoccen ausge- sprochen am Neutralpunkt (?z = 1) und fällt nach beiden Seiten ziemlich rasch ab; schon bei 9z- —= 8,0 ist eine Abschwächung er- kennbar, bei p97. —= 8,5 ea. ist die Atmung schon etwa auf die Hälfte gefallen. Die Versuche sind in der folgenden Tabelle IX zusammengestellt. —_HOI bzw. —- Die Reaktionsverschiebung ist durch Zufügen von 10 10 NaOH zu Bouillon vorgenommen. Die Reaktion wurde mittels In- dikatoren (Methylrot, Neutralrot, Phenolphthalein) durch Vergleich mit Sörensen’schen Standardgemischen geschätzt. Bei Zusatz von Methylenblau ergaben sich demgegenüber keine deutlichen Unterschiede. Ein Beispiel mit erhitzten Acetoncoccen sei angeführt: Temperatur 23°.20 mg - Ih 40', bei px —= 17: 33 emm O;; mit 0,005 °/o Methylenblau 46 emm 0; ” PH mr 8: 27 „ O5; » 0,005 do +) 42 ” OÖ; 110 Otto Meyerhot: Tabelle RR. - = Versuch Ve Ver- Prozente Stamm ee en Py etwa brauch |der Optimal- zeit peratur Er RG cmm (0, uns Lebende Coccen. 1. Aureus 1h 30’ 23 7,0 90 84 7,9 107 100 8 97 90 2. Albus 1a Bd 62 100 7,9 62 100 ' 8,4 60 97 3.: Aureus 1h en 76 95 83 19 100 | 9,0 62 79 Acetoncoccen. 4. Albus, | 15 30’ 29 165) 33 100 12 mg | 85 45 | 55 Euren | 52 | 3 6,5 92 83 12 mg 7,0 111 100 2.0 101 90 a 86 78 6. Aurens, |. in | 3. 7,0 46 100 13 mg | 8,8—9,0 27 59 7.. Aureus, | 15 29 6,570 | 53 100 6 me 7.5 46 85 89 | 24 45 8. Aureus, I-h 29 6,0 40 65 6 mg 7,0 62 100 80 52 17 B. Wenn man den Einfluss des Mediums auf die Atmung der lebenden Staphylocoecen untersuchen will, so muss man, um Wachs- tumseinflüsse möglichst auszuschalten, kurze Zeiten und niedere Ver- suchstemperaturen wählen und ferner bei Versuchen mit rein minera- ‚lischen Lösungen dafür sorgen, dass nicht die Zwischeuflüssigkeit der konzentrierten Bakteriensuspension Nährsubstanz in grösserer Menge enthält. Da beim Zentrifugieren mit reinen Salzlösungen die Bakterien stark geschädigt wurden, wurde hiervon abgesehen und die Züchtung auf getrockneten Agarplatten vorgenommen, von denen die Bakterien mit 0,8% NaCl-Lösung abgespült wurden. Je reiner so die Bakterien- suspension gewonnen: wurde, um so grösser war — von vornherein — A a » . « z 2 2 e 2 u BRRRRE > * Er { Eu u u N EEE N ar ERTL ERN we ENTF er a ehe a hin a bi a a ea en Aa ne, Hr En u a Da Be EEE TR TE a En Lu ha ce a FE & Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. I. 1993 _ der Unterschied zwischen der Atmung in Bouillon und Salzlösung. Bei gleicher Reaktion (Oz: = 10°) und ziemlich unabhängig von der Konzentration und Natur der Salze war dann die Atmung in der mineralischen Lösung nur etwa ein Zehntel von der in Bouillon. Bei Zusatz von assimilierbaren organischen Substanzen zur Salzlösung findet man zwischen beiden gelegene Werte, so in der NaÜl-Pepton- lösung etwa 60 °o, in NaCl-Traubenzuckerlösung etwa 30—40/o der - Atmung in Bouillon. Dagegen ergab der Zusatz von Harnstoff oder Kreatin keine Steigerung der Atmung in reinen Salzlösungen. Oft war die Abschwächung in den Salzlösungen kleiner, wahrscheinlich wegen organischer Bestandteile der Bakterienaufschwemmung. Prin- zipiell ergibt sich aber stets das gleiche. Wird die Atmung durch “ längere Zeit verfolgt, so kombinieren sich Atmungs- und Wachstums- einfluss des Mediums (Vers. 3, 4, 5 der Tabelle). — Die Reaktion wurde in den Versuchen stets auf pz4- = 8 gebracht. Die zum Aus- sang dienende konzentrierte Bakteriensuspension war in 0,8°/o NaCl- Lösung .aufgeschwemmt. 3 (Siehe Tabelle X auf S. 112.) Bemerkt sei noch, dass die Schädigung durch NaCl-Lösung und „Salzlösung“ nicht etwa aus „osmotischen“ Gründen oder wegen des Einflusses der Salze selbst erfolst. Die Zugabe dieser Salze zur Bouillon hat in der gleichen Konzentration innerhalb der Versuchs- zeit keinen Einfluss auf die Atmungsgrösse. Vielmehr ist der Mangel des organischen Substrats das Wesentliche. Hierbei dürfte wohl neben der Nährfunktion der Stoffe auch noch ein Einfluss auf die Zell- oberfläche von Bedeutung sein. Der Einfluss des Milieus auf die Acetoncoccen stimmt hiermit in vielen Punkten überein. Auch dabei findet sich der starke Gegensatz zwischen der Atmung in Bouillon einerseits, rein minera- lischer Lösung anderseits, und die Unterschiede sind von ganz ähnlicher Grösse wie bei den lebenden Bakterien. Der Grad der Atmungsab- schwächung in der Salzlösung ist allerdings bei verschiedenen Aceton- präparaten recht verschieden. Vielleicht ist die Herstellungsart dafür verantwortlich, indem beim Eingiessen der in verdünnter Bouillon aufgeschwemmten Bakteriensuspension in Aceton gewisse für die Atmung wichtige Bestandteile der Bouillon mit gefällt werden können. Stets aber zeigt sich ein sehr bemerkenswerter Unterschied gegen- über den lebenden Bakterien: die Atmung in NaCl-Peptonlösung ist stets genau so gering wie in NaCl-Lösung. Dagegen lässt sich die ee a 2 EEE NEN > . ; ö YU9e1ga3 yonsIo‘A WII Umd Z ne “fogsadırag uormog Nur eye} anz 890 ‘uorsuadsnsuorısggegt un 20 (Z “YWUgIIOZIg „Sunsozfeg“ Se ueyonsıoA U9PUASIOF uap uf (T 686 cle 816 LG 0° 16 501 cOL sol 90oL ze uel yoJsulef] 0/08 | = wnıosIngg | ‘‚Sunsojzpes“ | „sunsopzjeg“ uojmog 08% (z 2yesuzuogjmog 08/, 849 jeroqn] snaly 'C | c6 | Ir er 1219 ‚08 16 ST IL | 07 07 ‚08 35019 Io T, iR D 086 ‘ 3unsojzies“ | AOsseM, °IS9p „sunsofzjeg“ uojjmog ‘snaıy 7 = 16 IL 0% IS IS y8L 16 | a Fosan: 0/0 S0°0 © esoyn]g 0 | “Feredsy 0/,9°T | uMeaıyy 9ocz | gOsureH 9 | 3 "0aH°N 9/0 T'O „.D 088 2 ‘„aunsgizjeg“ | ‘„Bunsopzjeg“ | ‘„sunsojzies“ „sunsorzies“ |(TLIDEN 9,C0 | uormog snqıvy '& e= = S IE »G IL <8 yI | = uod9dg ie) 201019 10.6 0) 22 DIENT I 086 “IOEN 0/0 80 DEN %0 80 | IDEN %80 BOLD sunalvy 6 03 '» 83 08 LE q 0L ‚04 (DEN 9% GO uoydaf ‘uoydad %01 3soyny 0/u50'0 | 2SONNIH 9/0 ASorn]H 9% T | 2soynH 0/,G | -2941M 0 I "OdHFeN a e TOSSEMUaSLO]]) 9 086 "OBN 0/80 | ‘DEN 080 | IOEN %080 | ‘IDEN 9080 | “IOEN %08°0 | ION %0 80 uomog sugıv 'T -u9990907[AydeIg 3puagaT y19Z inyerodus > : ur Jgo9nBIq1aA °0 JojowmfLumtquyg -sqons -STONSIO A a -I9 A pun wweIg el "x o1[99®L ri ° Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. 1. 113 Bouillon vollständig ersetzen durch Fleischwasser (Bouillon ohne Pepton und NaCl) und durch Blutserum. Die Verdünnung oder Konzentrierung der Bouillon ist in ziemlich weiten Grenzen ohne - Einfluss auf die Atmung. — Anderseits hatte oft Trauberzuckerzusatz zur NaCl-Lösung einen günstigen Einfluss auf die Atmungsgrösse. Diesser Effekt war aber nicht konstant. Für die meisten Milieuversuche wurde das Pulver in 0,8 °/ NaCl- Lösung verrieben, von der Suspension 0,5 ecm benutzt und zu 2 cem mit der angegebenen Lösung aufgefüllt. Gelegentlich geschah die Zerreibuns in „Salzlösung“ oder destilliertem Wasser. Unterschiede dadurch wurden nicht bemerkt. Die Reaktion wurde entsprechend dem Optimum der Atmung möglichst genau neutral gehalten. Der Umstand, dass die unerhitzten Acetoncoccen nicht völlig steril sind, dürfte in kurzer Zeit keinen Einfluss auf die Atmungs- grösse haben. Tabelle XI. Ver- } Ver suchs- Ver- Präparat suchs- ‚tem- Lösung brauch zeit peratur fa IC: emm O, Acetoneoccen. ENT, 15 30’ 29 Bouillon neutral (%,y =)... ... - 90 aus ie „. schwach alkal. (p„—®8) . 41 m inNacı Be; AR Phosphatgemisch (Sörensen) (Bi 6) 8 ” ” Pr) 8 ” ” (Pr) 9 Ve) I 0,8 ei IB. NaCl- oe an En ART: 7 ie 14 80°| 23 | Bouillon neutral. . 2.22.22... 35 Albus, unerhitzt, I a U DEREN U a 36 je 12.mg, Destilliertes Wasser - 2 22.2.2... 10 in dest. Wasser NaCl-Pepton (1°/o) neutral (P,.—=N). - 11 zerrieben | 3 schwach alkal. @p.—=8) . | 10 NSHALaO TUST O le ee 7 | | Traubenzucker 229/03. Ar NN 1S je 3. 15 30’ 29 Bouillon-newral sr. See ae 32 Aureus, unerhitzt, Bleischwassers a a NG 111 Je 6 mg, SalzlaOsung re ehe huhu Wan. ee Al in NaCl zerrieben 0,26 %/0 Kreatin + "Salzlösung‘ 6 1% Kasein + »Salzlösung 0 ....r.%. RS 0,8 %o ige NaCl-Lösung SEHE RT EUR 15 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. $) 114 Otto Meyerhof: Tabelle XI (Fortsetzung). erhitzt, je 12 mg, in NaCl zerrieben STETS RE 3 Ver- S . Ver- suchs- Ver Präparat suchs- tem- Lösung brauch zeit peratur R O emm 0, 4. 15h 30’ 23 Bouillon neutral . . .. 2222 .. 102 Albus, unerhitzt, Fleischwasser‘. „unge de Das 113 je 6 mg, Destilliertes Wasser . .......... I 932 in dest. Wasser 0,8901 Nach HEN ER IRNT Re 1.40 zerrieben „Salzlösung“ BEE * I SER ER 008 >; 43 Menschlisches Bluse RR EN 2 100 1a 23 -. | Bouillon.neutral su. u. 60 Albus, unerhitzt, Hleisehwasser 0 an. a. ee 66 je 10 mg, Fünffach konzentriertes Fleischwasser . 60 in „Salzlösung“* : Asparaein.4 Yo aa 18 zerrieben Eiereiweiss (+ — T HCl neutralisiert). . 26 6. ih 29 Bouillon; neutral \... „ve. a... 80 a Albus, nicht 0,3 Vo. NaCl en 20 h K 0,8% NaCl + 1% Beton (Pr). 15 DSYTRrE ELSE, (Pu T— 8) et [0 0) 7. 1h 30’ 29 Boutllons..2 en a er 83 Ä Albus, nicht 3°%oige NaCl-Lösung . -...... b) F erhitzt, je 12 mg, 0,8% NaCl + 0,2%0 Glukose ... . 19 wi in NaCl zerrieben 08% „ + 2% BL RZ 14 n 0,8.%0,.,,,% 759.910 Glyzerin SE ee 13 : : 8. Ih 2901 Bouilkons*; 1, area. RN 52 Albus, nicht „Salzlösung®. al a Ay Ne 5 erhitzt, je 12 mg, 3 + 2% Harnstoff ... . . 6 & in „Salzlösung“ A + 1% Glukose. ... . 25 Ri ! = + 2,5% Kasein. . .. . 13 # EN 9. 15 - | 29 | Bouitton neutrad .. 2.2.2.2... |a Albus, nicht 0,8%oige NaCl-Lösung. . ...... 4 % erhitzt, je 12 ng, 198% NaCl + 0,2% Glukose. . .. . 5 er in NaCl zerrieben 0,8% „ +2% ER NR 6 . Die Tabelle lehrt, dass in der Regel Traubenzucker und Casein h, die Atmung in Na0l steigern, Pepton niemals. Da bei den Aceton- % coccen wohl nicht an eine „Assimilierung* der äusseren Nährsub- strate gedacht werden kann, so dürften die grossen Unterschiede, die zwischen Bouillon, Fleischwasser, Serum einerseits, mineralischer Lösung und NaCl-Pepton anderseits bestehen, auf einer Schutz- wirkung des Bouillon- und Serumeiweisses auf die Zellkolloide beruhen. Die wenigen Versuche, die über das Verhalten der „Methylen- blauatmung* bei Milieuveränderungen angestellt wurden, ergaben Gr DM > * ” ER ee ent 79 2er ER Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. 1. 115 übereinstimmend ein wichtiges Resultat: Nicht nur dort,. wo das Methylenblau in Bouillon die Atmung unverändert lässt, bleibt sie auch in NaCl- oder Glukoselösung in An- und Abwesenheit von Methylenblau gleich, sondern auch bei Steigerung der Atmung dureh Methylenblau ist die Steigerung in NaCl- oder Glukoselösung prozentual ähnlich wie in Bouillon. Dies Resultat ist wiederum eine Stütze für die Ansicht, dass die „Methylenblauatmung“ eine Steigerung des Atmungsprozesses ist und nieht ein davon ganz unabhängiger Oxydationsvorgang. Denn es wäre nicht zu verstehen, dass sich ein solcher segenüber Milieu- veränderungen ebenso verhalten sollte wie die Atmung. Die Methylenblaukonzentration war in allen Versuchen der Tabelle XII 0,005 %o. Tabelle X. Ver- Kubikmillimeter Ver- suchs- 0, Präparat suchs- tem- Lösung m NET TS zeit peratur Wetkylen- Methylen- Bu : 02@: blau blau L- ih 28: 1. Bomlonin).n. ZU 0 fe 62 51 Albus, nicht erhitzt, 6° Glukose + „Salzlösung“. 26 19 je 14 mg, in „Salz- lösung | 2. 13 93 20 Bonillomsran en ie 4 | 9 Albus, nicht erhitzt, 2°/0 Glukose + NaCl-Lösung, 6 6) 11 mg, in NaCl zer- rieben 3. 1h 30’ 29, EP Beuulione,s no Se 2, 69 107 Albus, 4/a2h 100° C., 2°/o Glukose + NaCl-Lösung. 4 13 erhitzt, 16 mg, in NaCl-Lösung 4. 15h 40’ 2923, Boulllan San me hehe te 45 66 - Albus, 4Y/sh 100° C., MS Nach Na N et. 3 5 erhitzt, 11 mg, in Na0Cl-Lösung Br. 3. 1h 10’ 295 4: Bomllone la. una were « 13 45 Aureus, 5b 100° C., DS HNACLER +. ei 1 5 erhitzt, 15 mg, in NaCl-Lösung vl. Als letzter Punkt zur Frage nach der Oxydationssteigerung durch Methylenblau sei die Kohlensäurebildung dabei untersucht. Wird entsprechend dem Mehrverbrauch an Sauerstoff mehr Kohlensäure 8* 116 Otto Meyerhof: gebildet? Dies wurde sowohl an der Methylenblauatmung der er- hitzten Acetoneoccen wie an der durch Methylenblau gesteigerten Blausäureatmung lebender Staphylocoecen geprüft. In der Tat ergibt sich: In der Mehrzahl der Fälle gilt für den Mehrver- brauch an Sauerstoff der normale respiratorische Quotient. Nur in einigen Fällen bei erhitzten Acetoncoecen, bei denen der Atmungsabfall durch Erhitzen sehr gross und auch der respiratorische Quotient ohne Methylenblau abnorm klein war, blieb die Kohlensäurebildung der Methylenblauatmung erheblich hinter dem Sauerstoffverbrauch zurück. Bei genauerer Prüfung, die übrigens teils schon an die Fehlergrenze der Methode heranreicht, zeigt sich, dass der respiratorische Quotient der Methylenblauatmung in der Regel kleiner als der der Atmung ist sowie dass der respiratorische Quotient der Atmung erhitzter Acetoncoccen kleiner als der lebender Coccen ist. Aber die Quotienten fallen doch zumeist in die „physio- logischen“ Grenzen von 0,6—1,0. Für die Warburg’sche Methode der Bestimmung der Kohlen- säurebildung mit gleichzeitiger Messung des Sauerstoffverbrauchs sind drei Atmungsmessungen erforderlich: ein Atmungsgläschen, das im Einsatz NaOH zur Kohlensäureabsorption enthält, dient zur Messung des Sauerstofiverbrauchs; die zwei andern besitzen sackförmige An-. hänge, welche mit 0,5 cem 20° Phosphorsäure beschiekt werden, und erhalten keine Natronlauge im Einsatz. Von diesen wird ein . Glas zu Versuchsbeginn bei geschlossenem Manometerhahn so gekippt, dass die Phosphorsäure in die Bakteriensuspension fliesst und die präformierte Kohlensäure austreibt, das zweite zum Schluss, wo- bei die präformierte und neugebildete Kohlensäure aus- getrieben wird. Zu dem hier gemessenen Wert wird das im ersten Glas bestimmte, verschwundene Sauerstoffvolumen hinzuaddiert. Nach Abzug der präformierten Kohlensäure ergibt sich die in der Versuchs- zeit neugebildete Kohlensäure. Da die Versuche um so genauer aus- fallen, je geringer die Menge der präformierten Kohlensäure ist, wurde zur Aufschwemmung der Bakterien Bouillon benutzt, die ohne Karbonat hergestellt und mit CO,-freier Natronlauge neutralisiert wurde. Alle Lösungen wurden vorher gründlich aufgekocht. Bei den Versuchen mit Acetoncoccen ist die Menge der präformierten Kohlensäure dann stets ausserordentlich gering: nicht ganz so bei den Versuchen mit lebenden, weil hier die konzentrierte Bakterien- stammlösung reichlich Atmungskohlensäure enthält. Untersuchungen zur Atmung getöteter Zellen. 1. 117 Die Berechnung geschieht wie bei den Sauerstoffversuchen, nur muss eine Korrektur für die in der Lösung absorbierte Kohlensäure | . :, Fa ‚angebracht werden, die am einfachsten nach der Formel la be- rechnet wird. (7: Flüssigkeitsvolumen, @: Absorptionskoeffizient der Kohlensäure bei der Versuchstemperatur, v: Volumen des Gasrauns des Atmungsgefässes, in dem die gebildete Kohlensäure bestimmt wird, v, unkorrigierter Wert der gebildeten CO, in Kubikmillimeter). Als Beispiel sei ein Versuchsprotokoll gegeben: Acetonpräparat von Albus, 3b auf 100°, 30’ auf 107° erhitzt, pro Versuch 15 mg in 1 eem Bouillon benutzt. Versuchstemperatur 29° C. Versuchszeit 1. 1. 1 cem Bouillonsuspension für Sauerstoffbestimmung, Bar; ” „ Bestimmung der präformierten CO,, Del‘... 5 „ Bestimmung der gebildeten + präfor- i mierten U0,, ARIEN , mit 0,005 °/o Methylenblau für Sauerstoff- bestimmung, BT: „ N 0,005 °/o Methylenblau für Bestimmung der präformierten CO,, DE „ 0,005 °/o Methylenblau für Bestimmung . der präformierten + gebildeten Kohlensäure. | I 3. 4 5) 6 h L 1 Gasraumvolumen in Kubikzentimetern | 13,9| 16,4| 15,8 13,0| 15,8! 15,9 Millimeter Druckänderung zu Beginin| — +35 — — +4. — N N zum Schluss | - 55 _ -5 |-12 | — |-2% Kubikmillimeter Gas?) . . . . .. |- +45| -7 |-ıs1 |+55|-9 In (3) CO, gebildet: — 7 + 69 — 4,5 — 57,5 emm. f F Korrektur: F=1,5;@a = 0,68; ?=16; 1, —=57,. -- u=93,. 57,5 + 3,5 —=-61 cmm. Respiratorischer Quotient - — 0,88. In (6) CO, gebildet: — 29 + 131 — 5,5 = %,5 1 REN 3 ag: ) Nach der Formel (+ at). 10000 (p : Millimeter Druckänderung; v: Vo lumen des Gasraumes der Gefässe; 10000 = 1 Atmosphäre in Millimeter Manometerflüssigkelt; i: Versuchstemperatur.) Otto Meyerhof 118 6 0 E11 g'c ‚08 GI : u Ho de 01 8000 ‚08 wo 97 uf 8 re TE Fr RETTET TEE en u % re EEE TE 2 ! ei 129 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Groningen.) Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle und Amylum. IV (Schluss). Weitere Faktoren, welche bei der Phagozytose von Kohle und Amylum im Serum eine Rolle spielen. Zusammenfassung der vier Abhandlungen. Von Dr. J. Ouweleen. Inhaltsverzeichnis. ame: A. Fixierung der Phagozytose fördernden Stoffe des normalen Serums.. . 130 1. Vorbehandlung des Amylums mit unerhitztem und erhitztem Serum 131 2. Beruht das Entstehen der Adhäsion auf unvollständiger Fixierung? 135 a) Einfluss des mehrmaligen Waschens. ... 222.2 .. 135 b) Einfluss der längeren Einwirkungsdauer . . . ». 222 .2.. 136 3. Phagozytose in Serum, das mit Amylum digeriert ist. ...... 137 4. Das Vorkommen bemmender Stoffe im Serum bei Aufnahme von RS Te a ee en ana 139 B. Konstitution der Phagozytose fördernden käfe A 2 N: 141 1. Mit erhitztem Serum vorbehandeltes Amylum in verdünntem un- SER IN a ee ER Ne lye erde 142 2. Mischung unverdünnten erhitzten und verdünnten unerhitzten Serums 143 3. Mischung verdünnten erhitzten und verdünnten unerhitzten Serums 144 C. Die Stoffe, die im Serum den Grad der Phagozytose von Kohle und Ten ri a a Te ee a a nt 1a ae 147 EERRRFESOSCEUHE: fu: (ara oe heran a ee et are 147 BBerhitztes Serum 0.0.0.0 TER 3 Du 149 DBeElntnesider Diastasesn!, ach rede an, 150 b) Phagozytose des mit unerhitztem Serum vorbehandelten Amylums ED ee a 0 RT RES BEhre SOL EE IR EHE AS ERE 152 c) Phagozytose des mit unerhitztem Serum vorbehandelten Amylums BEIN ERSDIGSHBRENTGL ee en keinen en ate ea S Telnranda 0 157 3. Schlussfolgerungen . . BERNER RSS EN Ries O0 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. ) 130 J. Quweleen: Seite D. Wirkungsweise der Serumstoffe bei der Phagozytose der Kohle und des -Amylums: u.a. oa en Sy REN er RS 163 1. Amylumphagozytose. .... 2.0... ER RR: 163: 2. Kohlephagozytose. ... . . NR ID SE ARTEN N 173 1.4, Zusammenfassung‘... Tea ee RE a 180 A. Fixierung der Phagozytose fördernden Stoffe des normalen Serums. Aus unseren Untersuchungen ist deutlich hervorgegangen, dass das Eiweiss bei der Phagozytose eine Rolle spielen muss, sowohl bei der Phagozytose der Kohle wie der des Amylums im Serum. Um diesen Einfluss noch weiterhin zu untersuchen, sind wir dann dazu übergegangen, die Wirkung der Serumstoffe auf die Phagozytose neutraler Partikelehen in derselben Weise zu studieren, wie man dieses bei der Phagozytose der Bakterien getan hat. Aus diesen Untersuchungen hatte sich ja ergeben, dass die Förderung der Phagozytose durch Serum zustande kam mit Hilfe thermolabiler Stoffe, die im wesentlichen auf das Objekt einwirkten, und nicht durch Reizung der Leukozyten. Bein Studium des Phagozytoseprozesses mittelst neutraler Körper befindet man sich in viel günstigerer Lage als bei dem mittelst Bakterien; man braucht variable, unbekannte Eigenschaften der Mikroben nicht zu berücksichtigen; man benutzt dabei ja Objekte von bekannter, konstanter Beschaffenheit, und außerdem können diese keinen Einfluss ausüben durch Abscheidung irgendwelcher Stoffe. Bei der Aufnahme von Kohle und Amylum können wir ebenso wie bei derjenigen der Mikroorganismen schliessen, dass durch die Erhitzung auf 58° C. hauptsächlich die fördernden Stoffe vernichtet werden, und dass die Verminderung der Phagozytose nicht vorzugs- _ weise dem Entstehen neuer hemmender Stoffe zuzuschreiben ist. Man hat nun die Frage aufgeworfen, ob die die Phagozytose fördernde Wirkung des Serums auf indifferente Teilchen wirklich auf einer Opsonierung dieser Körper beruhe, wie dieses bei den Bakterien der Fall ist. Simon!) hatte ja bereits bemerkt, dass Kohle und andere fein verteilte Stoffe wie Mehl die Opsonine des normalen Serums absorbierten. Rosenthal?) konnte dies bestätigen. Bei sechs Versuchen sah er viermal durch Digestion mit feiner Tier- 1) Journ. f. exper. Med. Bd. 3 S. 651. 1906. 2) Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Refer. Bd. 42, Beilage. 1908. Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 131 kohle eine deutliche Verminderung der opsonischen Kraft gegenüber dem Staphylokokkus auftreten; es war im verdünnten Serum besser - zu konstatieren als im unverdünnten. Aber auch diese mit Serum digerierte Kohle wurde nach Reinigung des Serums in physiologischer Kochsalzlösung besser aufgenommen als nicht vorher behandelte Kohle. Kohle, fixiert mit Serum, wurde jedoch in Serum meist weniger phagozytiert als diese Serumkohle in physiologischer Koch- "salzlösung, was Rosenthal teilweise den hemmenden Stoffen, den Antiopsinen, im Serum zuschreibt. Mit Kokken digeriertes Serum liess die Phagozytose für Kohle abnehmen, sowohl für Tierkohle als für Russ. So, schliesst Rosenthal, verhalten sich Kohlen- partikelchen wie Bakterien und besonders wie solche, die freilich in gewissem Maasse einer Spontanphagozytose unterworfen sind, deren Aufnahme aber durch das Normalserum befördert wird, und die den dabei wirksamen Stoff an sich binden. Ebenso sollten sich Karmin und Amylumkörnchen verhalten. | Ferner konnte Porges!) dadurch, dass er Amylum einige Zeit lang der Einwirkung des Serums aussetzte, es weiterhin zentrifugierte und wusch, zeigen, dass Amylum aus aktivem Cavia-Serum einen die Phagozytose fördernden Stoff aufnahm; aus inaktivem Serum wurde aber ein Stoff aufgenommen, der die Aufnahme durch Cavia- Leukozyten in Kochsalzlösung hemmte. | Schliesslich fanden noch Dudgeon und Shattock?), dass Saturation eines Immunserums mit Melanin eine Verminderung der Phagozytose sowohl gegenüber Bazillen wie gegenüber Melanin ergab. 1. Vorbehandlung des Amylums mit unerhitztem und erhitztem Serum. Da wir gefunden hatten, dass auch inaktives Pferdeserum im- stande ist, das phagozytäre Vermögen der Pferdeleukozyten für Amylum stark zu fördern, lag es auf der Hand, der folgenden Frage nachzuforschen: Nimmt Amylum sowohl aus nicht erhitztem wie aus erhitztem Pferdeserum Stoffe auf, die die Auf- nahme fördern? Zu diesem Zwecke wurden 15 cem aktives Serum genommen, dazu wurden 50,3 cem diekere Amylumsuspension (d. h. 0,1 g 1) Zeitschr. f. Immun, f. Orgin. Bd. 2 S.5. 1909. 2) Proc. Roy. Soc. Ser. B. t. 80 p. 165. 1907. 9 + 132 J. Ouweleen: ‘ Amylum auf 10 ccm 0,9°/) NaCl) hinzugefügt; diese liessen wir ' während wiederholten Umschüttelns 15—20 Minuten lang bei 37° C.: aufeinander einwirken. Nun wurde zentrifugiertt, das Amylum _ darauf zweimal gewaschen und dann durch Zusatz von Kochsalz- lösung auf ein Quantum von 1,5 cem gebracht. In 0,3 cem dieser vorbehandelten Amylumsuspension befanden sich dann wieder eben- soviel Körnchen als in 0,3 eem der nicht vorbehandelten. Sowohl das präparierte wie das nicht präparierte Ey wurde weiterhin in 0,9% NaCl untersucht. Dasselbe geschah mit inaktivem Serum; anstatt die Amylum- körnchen dem aktiven Serum auszusetzen, wurden sie mit einem !/a Stunde lang bei 58° C. erhitzten Serum behandelt. Auch diese wurden dann in 0,9°/ NaCl untersucht. Da es sein konnte, dass dabei aus dem inaktiven Serum hemmende Stoffe aufgenommen wurden, wie Porges gefunden hatte, wurde dieses Amylum, nach- dem es mit inaktivem Serum vorbehandelt war, gleichzeitig in einer Verdünnung aktiven Serums untersucht, um zu sehen, ob in ihr die Aufnahme dieser Körnchen vermindert sei gegenüber den nicht vor- behandelten. Tabelle I. Ä | Prozentgehalt d. Leuko- Amylum Flüssigkeiten zyten, welche Amylum E aufgenommen haben Nicht vorbehandelt ... ... . 0,9% NaCl I .— an =<100.-— 23,35% ; i N a 100 — 10% ; 102 I a RN en Inaktives Serum .. ,- PrE| >< 100 —= 41,9 % e i "2.2... |Ser. 1:75 in 0,99% Nacı 1| = 100 — 5,60% k SE RS ‚17,09% ‚u nn > 100 — 4,0% Vorbehandelt mit akt. Serum. |0,9%o NaCl I..... 1% 100 = 20,0 %o | 09% „ U DD 100 — 12,00 ” ” ” ” ® I 0 I TE en ee 418 1 FR Io S „anakt. 9.010, 9 Yp s ManTy ee 55100 — oh ; N oe Re ee 0 % ; N a aeemeeiet 1, < 100 — 57%] 3l ” » 2) DS » 1:75 ” 0,9°/o a ag, 100 — 81% 5 R 4 B x # I R \ Ni 7 ee PAFIL” : re 48 ne nn IR, Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 133 . Aus Tabelle I geht hervor, dass Amylum nach Vorbehandlung mit aktivem Serum nicht, wie man danach, dass aktives Serum so hohe Phasozytose liefert, erwarten sollte, in physiologischer Koch- salzlösung eine starke Aufnahme zeigt, sondern nur eine, die 20 °/o _ und 12°%% beträgt. Ausserdem schien es, dass die Leukozyten in besonders grosser Zahl nicht mehrere Körnchen aufgenommen hatten, sondern meist enthält der Phagozyt nur ein Körnchen, und oft war ° es die Frage, ob dieses nicht noch obenauf lag, aber dann tief ein- gedrückt war; weiterhin lagen auch verschiedene nur zur Hälfte oder drei Viertel im weissen Blutkörperchen längs des Randes. In allen etwas zweifelhaften Fällen, bei denen es unsicher war, ob die Körnehen darauf oder darin lagen, sind diese mitgezählt, so dass in Wirklichkeit die wahre Anzahl noch kleiner ist, als oben in Pro- ° zenten angegeben ‚wurde. Eine andere Erscheinung fiel jedoch sehr stark im Bilde auf. Viele Leukozyter waren nämlich ganz und gar umringt von Körn- ‚chen; diese lagen den weissen Blutkörperchen an, teilweise sogar bis über die Hälfte in den Phagozyten eingedruckt. Nahezu alle Leuko- zyten hatten solch ein Körnchen oder mehrere an sich herangezogen. Während also eine starke Adhäsion zwischen den mit aktivem Serum vorbehandelten Köruchen und den Leukozyten zu konstatieren ist, sind die letzteren in physiologischer Kochsalzlösung nieht imstande, - die ersteren aufzunehmen. Dass dieses nicht auf einer Beschädigung der Leukozyten während der Behandlung beruhen kann, beweist die - Tatsache, dass im Serum eine gute Phagozytose zum Vorschein kommt. Der Stoff, welcher also durch die Körnehen aus dem aktiven Serum aufgenommen wird, hat nicht die Kraft, den ganzen Prozess zustande kommen zu lassen, er kann nur eine Agglutination der Leukozyten und Amylumkörnchen bewerkstelligen. Mit einem in inaktivem Serum fixierten Amylum erhält man solche Resultate nicht. In 0,9°u NaCl liefert dieses keine Phago- zytose, während man annehmen kann, dass es die Aufnahme in - %5 Serum weder vermehrt noch vermindert. Dieselben Resultate erhalten wir in der folgenden Tabelle. Auch hier ist aus inaktivem Serum nichts aufgenommen, auch sind keine Adhäsionserscheinungen mit hiermit vorbehandeltem Amylum wahr- zunehmen, während bei Amylum, das mit aktivem Serum vorbehandelt ist, wieder diese Zusammenklebung der Leukozyten und Amvlum- - körnehen in hohem Grade zu konstatieren ist. 134 J. Ouweleen: Tabelle 11. 3 NET Prozentgehalt der Leukozyten Amylum | Flüssigkeiten | \elch® Amylum aufgenommen haben Nicht vorbehandelt. .... . 0,9% NaCl I . = =.1005—= 0,9% | 7 * x HEN RR 0,9 No le 50° 100 = 3,4 %o . 197 2 EEE TE, Aktives Serum . 360° 100 = 54,7 %o N 130° ‘ ; BIN en Ba NER Inaktives Serum | —<->< 100 — 28,3 %o x 460 ° | Vorbehandelt mit akt. Serum . [0,9% NaCl I Kur > 100 = 12,0 "| " 1072 Starke e 17 Adhäsion ah Ki RIO TATEN 199° 100 = 14,9 %0 | : 6 Y EN Panakt OTN DIE FEN 9 100 — 1,2% ® >) : u El 610° 100 — 0,3% Und zum Überfluss weist auch die folgende Tabelle dieses nach: Tabelle III. ; et Prozentgehalt der Leukozyten, Amylum Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben Nicht vorbehandelt . .|0,9% NaCl I..... a 100 = 3,3% \ j 11 0 anhen es 0 x , ANDI US a NIT 376100 — 3,0% \ { ‚ ı [Aktives Serum T. 0. ..|9982 100 70,8% 507 N 274 um » U... [75x10 — 61,8% a 191 Ark 5 «: . ‚ |Imaktives Serum I . . „19.100 — 443 i | 196 i \ er RE — 47,0° 5 : a 377 100 = 47,0% : . . | Ser. 1:50 in 0,9% NaCl I a 100 — 21,7% N \ 1. .5:155054:0,9%a, vet > 100 18,8% Vorbeh. mit akt. Serum [0,9% NaCl I ..... —_ 100 — 14,4% a Adhäsion s ; 09,901 5°. DEINES ve DEN — 17,6% % 395 > 100 17,6 °/o — Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 135 ’ Tabelle III (Fortsetzung). - Prozentgehalt der Leuko- Amylum Flüssigkeiten zyten, welche Amylum aufgenommen haben Vorbehandelt m.inakt. Serum [0,9% NaCl I..... 0 % u a a NE Fa 1 Er 0 % 5, (Serum 1:50in9% Nacl1 2 > 100 — 21,3% A 71 n » ” n n 1:50 „ 9°%0 2 Io 413 x<10 = 17,2 ° Aus diesen Untersuehungen ergibtsich, dass Amylum, welches mit aktivem Pferdeserum vorbehandelt ist, einen Stoff aufnimmt, welcher die Körnchen an den weissen Blutkörperchen des Pferdes nur adhärieren lässt, und dassAmylum, welches mit inaktivem Serum vorbehandelt ist, in physiologischer Kochsalzlösung und inSerum nichtstärkeroderschwächer aufgenommen wird als nicht vorbehandeltes Amylum. 2. Beruht das Entstehen der Adhäsion auf unvollständiger Fixierung? Einigen Forschern (Centanni!), Sellards?), Hektoen?) u. a.) begegnete es bei Bakterien, dass die bei 37° C. fixierten Opsofine durch Zentrifugieren und Waschen teilweise entfernt wurden, weil die Verbindung zwischen den Opsosinen des normalen Serums und den Bakterien keine besonders feste war. Kann das Entstehen der Adhäsion manchmal so erklärt werden, dass infolge des Waschens nur so wenig Phagozytose fördernde Stoffe an jedem der Körnchen geblieben sind, dass bei 15 Minuten langer Einwirkung die Leukozyten noch nicht imstande sind, sie aufzunehmen, dass dazu einelängere Einwirkungs- dauer nötig ist? a) Einfluss des mehrmaligen Waschens. Um hierüber ins klare zu kommen, wurde zunächst der Ein- fluss untersucht, den die Wiederholung des Waschens auf die Fixie- 1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Nr. 55 S. 140. 1908. 2) Journ. of. Infect. Dis. vol. 5 p. 308. 1908. / 3) Journ. of. Infect. Dis. vol. 6 p. 66. 1908. 136 J. Ouweleen: zung der Opsonine ausübt. Werden durch Waschen mit Kochsalz- lösung immer mehr Opsonine entfernt, dann dürfte nach einer ge- wissen Anzahl Male gar keine Adhäsion mehr zu konstatieren sein. Tabelle IV. 8 Wie oft das “uctrası |fixierteAmylum | Prozentgehalt der Leukozyten, welche Amylum ee gewaschen aufgenommen haben wurde 298 A : Fi, 0,9% NaCl 1 573 >< 100 = 52,2 %/o sehr geringe Adhäsion 09% , 2 100 — 10,8% starke i 29 0,9 0/0 ” 3 335 >= 1) — 6,7 0 > n Ö) 2 0 0,9 /o » 2 5 78 100 — 5,4 /o » » SDR 7 — 100 a0, : 0,9% , g° 2 > 100 le; h Aus obenstehender Tabelle geht hervor, dass Amylum, wenn es nur einmal gewaschen ist, eine hohe Phagozytose von 52,2 °/o ereibt. Bei zweimaligem Waschen ist die Aufnahme, wesentlich gesunken, aber es tritt dann eine starke Adhäsion auf, bei mehrmaligem Waschen ist nahezu keine Verminderung mehr zu konstatieren; die Adhäsion bleibt jedoch immer deutlich. Wenn in den früheren Ver- suchen infolge des Waschens zu wenig Phagozytose fördernde Serum- stoffe an den Amylum-körnchen hängen geblieben wären, dann würden auch diese sehr wahrscheinlich nach neunmaligem Waschen ganz ver- schwunden sein. Die hohe Phagozytose in 0,9°/o NaCl bei dem vor- behandelten Amylum nach einmaligem Waschen ist natürlich so zu erklären, dass noch hinreichend Serum in der Umgebung übrigge- blieben ist, um die Aufnahme zu fördern. Es istalso niehtanzunehmen, dass durch das Waschen ein Teil der ursprünglich fixierten Phagozytose fördern- den Stoffe entfernt ist. | b) Einfluss der längeren Einwirkungsdauer. Wenn weiterhin die Adhäsiön nur dadurch zustande käme, dass zu wenig Opsonine an jedem Körnchen hängen geblieben sind, dann würde E « Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 137 man also erwarten können, dass bei länger als 15 Minuten währen- der Einwirkung die Aufnahme sich steigere und schliesslich mehr derjenigen des Serums nahe komme. Darum haben wir die Leukozyten 10, 20, 30, 60, 90 und 120 Minuten lang auf das mit Serum vorbehandelte, dreimal ge- waschene Amylum einwirken lassen. Tabelle V. Einwirkungs- ee Prozentgehalt der Leukozyten, welche dauer aureizkeit Amylum aufgenommen haben 2 h | 44 IR. 10 Min. 0,9% NaCl ... 618 100 = 7,3% Adhäsion 29 al. ;, DIE Eee: 175° 100 = 6,7% 3 52 0) er ar 0 2 a EINER m“ 100 11,0 %0 3 e 70 By", MIETE Fr 381° 100 = 14,6 % r. 90 0,9% 3% „10 — 15,6% %n ) 2) u 539 b) $) 71 Nr 120 „ U LP tee 30° 100 = 13,6 %o E In allen Fällen ist selten mehr als ein Körnchen von jedem der Leukozyten aufgenommen worden, bei längerer Einwirkungsdauer vielleicht eins mehr. Immer sehen wir eine niedrige Phagozytose, die einen Maximalwert von 15,6°/o erreicht und also bei längerer Dauer nur wenig zugenommen hat; dabei zeigt sich die Adhäsion. Wir können auf Grund dieser Untersuchungen an- nehmen, dassder Serumstoff, der sichaufden Amylum- körnchen fixiert, auch bei längerer Einwirkungdauer nichtimstandeist, diePhagozytose zu bewerkstelligen. 3. Phagozytose in Serum, das mit Amylum digeriert ist. In aktivem Serum zeigte sich stets eine starke Phagozytose des Amylums. Wir konnten aber nicht feststellen, dass Amylum aus. diesem Serum Phagozytose fördernde Stoffe aufnahm. Es konnte nun sein, dass von jedem Körnchen nur so wenig aufgenommen wurde, dass die Wirkung davon in physiologischer Kochsalzlösung nicht zur Äusserung kommen konnte. Infolgedessen schien es wünschenswert, 138 J. Ouweleen: aktives Serum mit einem Überschuss von Amylum zu digerieren, dies mehrere Male auszuführen und dann die folgende Frage zu beantworten: Zeigt das so digerierte inaktive Serum eine nied- rigere Phagozytose als das nicht digerierte? Wir haben deshalb 15 g inaktives Serum auf 3 g Amylum einwirken lassen, und zwar 15 Minuten lang, das Amylum dann abzentrifugiert und wiederum 3 g Amylum zugefügt und es nochmals wiederholt. Die Aufnahme gestaltete sich dann folgendermaassen: & Tabelle VI. Prozentgehalt der Leukozyten, welche Flüssigkeiten Amylum aufgenommen haben 13 0:90 3NACL EHE PS NE 87° 100 = 3,40 ER ee a 2,10 = 2,8% Ä . 125 Jnaktiyes.' Serum. Zu a SS N ee x 100 = 27,2 %o 460 & EEE ARE ah MEINE BR ee 100 — 30,1 0 Digeriertes inaktives Serum I ..... | = 4100 95000 ; i KABEL Rd a 100 — 8,8% Durch Überschuss von Amylum würde also gewiss aus inaktivem Serum etwas aufgenommen werden, denn die Phagozytose von 27,2 Yo und 30,10 ist auf 9,7 %/o und 8,8°/o vermindert. Dass auch im aktiven ebenso wie im inaktiven Serum, nachdem wir mit sehr viel Amylum digeriert haben, die Aufnahme stark ver- mindert ist, beweist die folgende Tabelle: Tabelle VI. Prozentgehalt der Leukozyten, welche AUFSBIELeNen > Amylum aufgenommen haben AchvestSeramsTix. Sa... Mora ee 23 _ 100 = 51,9 /o 430 ° 195 x J 5 SR A an 339° 100 = 58,7 %0 Digeriertes aktives Serum I ...... mx 100 = 4,7% 35 n 5 a LEN aa x 100 = 8,1% 431 r a N “ 22 ’ Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 139 Aus diesen Untersuchungen würde man schliessen können, dass durch Behandlung mit Amylum aus aktivem und inaktivem Serum die Hauptmasse der Phagozytose fördernden Stoffe entfernt wird (siehe 4). AR Das Vorkommen hemmender Stoffe im Serum bei der Auf- nahme von Amylum. In unverdünntem fremden Serum mussten wir annehmen, dass Stoffe darin vorkamen, welche die Phagozytose des Amylums und der Kohle hemmten. Löhner!) fand ebenso schädliche Stoffe bei der Aufnahme von Kohle in heterologen Seris. Auch in homologem Serum kamen solche Stoffe bezüglich der Kohle vor. Sind denn nun im homologen Serum bezüglich der Aufnahme des Amylums hemmende Stoffe vorhanden? Es gibt bereits eine Tatsache, die darauf hinweist. Wir sahen ja die Phagazytose im unverdünnten Serum fast nie einen höheren Wert erreichen als den in einer Verdünnung von 1:10, was leicht zu erklären sein würde durch die Annahme einer gewissen Menge hemmender Stoffe, infolge deren, trotz der grösseren Menge Phago- zytose fördernder Stoffe in dem unverdünnten Serum, die Aufnahme nicht stärker sein kann als in einer Verdünnung von 1:10. Wir haben dieses zu zeigen versucht, indem wir folgendermaassen überlegten: Durch das Digerieren des Serums mit viel Amylum werden die fördernden Stoffe zum grössten Teil entfernt. Die hemmenden Stoffe sind dann ihren Antagonisten gegenüber in grösserer Menge vor- handen. Verdünnen wir nun dieses Serum, dann würden, nach der Analogie mit fremdem Serum, die nachteiligen Stoffe verdünnt werden und nahezu verschwinden, und würden die Phagozytose fördern- den Stoffe besser ihre Tätigkeit verrichten können. Zu diesem Zwecke sind Versuche mit aktivem und inaktivem Serum angestellt. | 12 g aktives und inaktives Serum wurden dreimal je 20 Minuten lang bei 37° C. mit 2g Amylum behandelt, und von diesen Serien wurden Verdünnungen angefertigt: 1) Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 129. 1915. i 5 140 J. Ouweleen: Tabelle VE. Flüssigkeiten Prozentgehalt der Leukozyten, welche Amylum aufgenommen haben Ne > 50 Digeriertes aktives Serum . .. 2... 20 1087 100 — En 214 N ® RS LE, A ar >= 100 —= 42,8% 2 MR FE 0 = B RYAN A 3 = x 100 = 10,6 % R RL are WR NN TR 0 % DI YoRNAaGl 2 EL Re BE ee 0 % ‚Aktives :Derum a 2a ze N Terafte Sehr starke Phagozytose Tabelle IX. NEBEN en der Leukozyten, welche Flüssigkeiten Amylum aufgenommen haben N EHRT 60 Digeriertes inaktives Serum I... . . 467° 100 = 12,8 %% 57 4 : n BU RSUERSBTN 575 5 10 = 11,1% » al (0) % A Pe a LOK ART 505 100 —= 15,0 %o 1:10 7. ra 16,4 °/o ” » ” a r r 446 ee) D.m— 39% ” » ” , Das SS 497 TR 0 RR En ER 37 100 — 2,3% 0,320 NaCl WEITEN N aelge 0% Bern 152 h Inaktives Serum rn. er. a 358 x 100 = 45,1 lo Sowohl beim aktiven wie beim inaktiven Serum, beim ersteren aber stärker als beim zweiten, kommt in einer Verdünnung von 1:10 eine höhere Phagozytose zustande als im unverdünnten Serum. Ausdiesen Resultaten würde man schliessen können, dass auch im homologen Serum Stoffe vorkommen, welche die Aufnahme von Amylum hemmen. Doch glaube ich diesen Untersuchungen ebensowenig als den- jenigen, in denen zu zeigen versucht wird, dass Amylum aus in- aktivem Serum Stoffe entfernte (Tabelle VII), noch keinen absoluten Wert zuerkennen zu dürfen. Es ist doch sehr gut möglich, dass 2 h 7, Er Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 141 _ dureh das Digerieren des Serums mit Amylum gerade solche Stoffe eingeführt werden. Serumstoffe könnten Amylum spalten, und bei Anwendung eines Überschusses würden, wie gering die Spaltung - auch wäre, die dadurch entstandenen Stoffe ungünstig auf den Phagozytoseprozess einwirken können. Ausserdem würden auch Serumbestandteile selbst durch das Digerieren mit Amylum sich verändern können, da die Körnchen verschiedene Stoffe absorbieren können und somit eine andere chemische Zusammensetzung des Serums zuwege bringen können. Friedemann und Schönfeld!) fanden zum Beispiel, dass das _ aktive, nicht das inaktive Serum nach dem Digerieren mit Amylum ‚eine positive Nynhydrinreaktion geben kann. Hirschfeld und - Klinger?) wollen diese Erscheinung in Zusammenhang bringen mit einer Veränderung der Globuline, durch welche gewisse fermentative - oder hydrolytische Prozesse verstärkt werden können. Man kann also die obigen Schlüsse nur dann als wahr ansehen, wenn man diese zwei Möglichkeiten ausschliessen kann. - B. Konstitution der Phagozytose fördernden Serumstoffe. Im Anschluss an die Untersuchungen, welche man mit Bakterien und Erythrozyten ausgeführt hat, haben wir uns weiterhin die Frage vorgelegt, wie die Konstitution der Serumstoffe ist, die sich auf den neutralen Objekten fixieren und so ihren Einfluss auf den Phago- zytoseprozess ausüben. ® Was den Bau der Phagozyfose fördernden Serumstoffe für Kohle anbetrifft, konnte Rosenthal?), dadurch dass er dem inaktiven Serum verdünntes aktives Serum zufügte, keine Komplettierung zeigen. Inaktives Serum hemmte gegenüber physiologischer Kochsalzlösung ; im höchsten Falle wurde die Wirkung des inaktiven Serums durch Zusatz aktiven Serums wieder so weit hergestellt, dass Werte gleich denen in 0,9°/o NaCl erreicht wurden. Er kommt dann auch zu dem Schluss, dass vermutlick bei der Kohle-Opsonierung das opsonische Komplement, das durch Kohle gebunden wird, allein die 1) Berliner klin. Wochenschr. Nr. 3 S. 348. 1914. 2) Zeitschr. f. Immun, f. Orig. Bd. 21 S. 40. 1914. 1 c. ; 142 J. Ouweleen: — Wirkung ausübt, dass eine Ambozeptorwirkung aber bei der Phago- zytose der Kohle nicht besteht. Auch Sawtchensko!) meint, dass für die Phagozytose- förderung der Kohle nur das Komplement nötig ist, weil Kohle ja imstande ist, dasselbe direkt aufnehmen zu können. Ledingham?) arbeitete mit Hippomelaninkörnchen, die er aus der Melanindrüse eines Pferdes erhalten hatte; diese, einer Cavia eihgespritzt, veranlassten die Produktion von Antikörpern, welche die Eigenschaften von Opsoninen besassen. Nach Inaktivierung verliert dieses Immunserum einen grossen Teil der opsonischen Kraft, aber die übrigbleibende Phagozytose fördernde Wirkung ist noch viel grösser als die des inaktivierten normalen Serums. Fügte er diesem inaktivierten Immunserum das Komplement hinzu, dann er- hielt er phagozytäre Werte, welche die des frischen Immunserums übertrafen, ein Beweis, dass dieses Immunserum Ambozeptoren ent- hielt, die durch frisches normales Serum komplettiert werden können. Wir haben uns in den folgenden Untersuchungen mit der Frage beschäftigt, inwiefern man bei der Phagozytose des Amylums durch Pferdeleukozyten einen komplexen oder einfachen Bau der Serum- stoffe annehmen muss. 1. Mit erhitztem Serum vorbehandeltes Amylum in verdünntem unerhitzten Serum. Die bisherigen Untersuchungen über die Phagozytose der Amylum- körnchen im homologen Serum würden darauf hindeuten, dass die Opsonine für Amylum einfach gebaut sind. Wir sahen ja, dass diese Körnchen, mit inaktivem Serum behandelt, die Aufnahme in Ver- dünnungen aktiven Serums niemals erhöhen konnten, während wir dieses bei komplexer Konstitution wohl hätten erwarten müssen. Auch in dem folgenden, in derselben Weise angestellten Versuch (Tab. X auf S. 143) ist keine Ambozeptor-Komplementwirkung zu konstatieren. Während hierbei nicht vorbehandeltes Amylum in !/co aktivem Serum eine Aufnahme von 8°%o und 10,9°/o zeigt, ergibt dasselbe nach Vorbehandlung mit inaktivem Serum eine Phagozytose von 11 %/o und 13,7 °o; inaktives unverdünntes Serum hat sogar eine Stärke von 41,3 %o, 1) Arch. des Sc. Biol. de St. Petersbourg t.15 no. 2. 2) Zeitschr. f. Immun. f. Orig. Bd. 3 S. 119. 1909. A Mr u Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 143 u . Tabelle X. Prozentgehalt d. Leuko- Flüssigkeiten Amylum zyten, welche Amylum Z aufgenommen haben | | 0,9% NaCl I ... .|[ Nicht vorbehandelt. ... . . 0 % Be :: .. 5 BE N RE 0% Inaktives Serum . . » : IERTLET ET NER ha Ne 100 — 41,3 %o ; 462 Aktives Serum 1:60 I.| „ OEL IITE _ <10 — 80 "| je: 62 0, DECO: |, LT TEEN 377 10 = 109% | 0,9% NaCl I... .|Vorbehandelt mit inakt. Serum 0 % 0,9 0/0 P) 1 ME b) » ” >) 0 % een 1:60 1. : EURE > > 100 — 11,0% 75 Be EE6ON. h & N A 55 100 — 13,9% Eine komplettierende Wirkung ist also wiederum auf diese Art nicht zu erweisen. 2. mn unverdünnten erhitzien und verdünnten unerhitzten Serums. „ Auch Versuche, um inaktives unverdünntes Serum mit einer geringen Menge aktiven Serums zu komplettieren, fielen negativ aus. Diese Versuche, bei denen die Einwirkungsdauer, wie gewöhnlich, 15 Minuten war, ergaben die folgenden Resultate: Tabelle XI. ; Prozentgehalt d. Leuko- Flüssigkeiten zyten, welche Amylum aufgenommen haben 134 2,4 cem inakt. Ser. + 0,6 ccm 0,9/oiges NaCl I... 166 100 — 28 ‚3/0 206 cm 09 ir , I... x 100 — 28,0% 0,6 ccm akt. „ 1:10+2,4 cem 0,9%oiges Na0l I. | 2 = 10 — 34,5% en 07:10424 om 0,9iges. , M. we 100 — 37,6% er 10598 ccm inakt. Ser. T. ne 100 — 28 2%] re am zii... 1x 100 — = 35,100 | 144 J. Ouweleen: Aktives, zehnmal verdünntes Serum, dem unverdünnten inaktiven & Serum im Verhältnis 1:4 beigefügt, zeigt eine sehr geringe Ver- minderung der Aufnahme im Vergleich zu derselben Verdünnung, die man zu 0,9°/o NaCl im gleichen Verhältnis zufügt. Durch diesen Zusatz des aktiven Serums zu dem inaktiven Serum wird aber die Phagozytose in dem letzteren nur wenig vermehrt. Von Reaktivierung © ist also keine Rede, ebensowenig wie in der folgenden Tabelle. Tabelle XI. Prozentgehalt d. Leuko- Flüssigkeiten _ zyten, welche Amylum \ ‚aufgenommen haben DA orinakt ser Bene Ne ix 100 — 39,7% 0,6 ccm akt. ,„ 1:8+2,4 ccm 0,9%oiges NaCl. . . = 100 = 18,0 %0 0,6 ccm „ „1:8+2,4 ccm inakt. Ser. ..... 1x 100 = 33,3 Yo ‘ In diesen Versuchen hat der Zusatz verdünnten \ aktiven Serums absolut keine Wirkung auf das in- aktive Serum ausgeübt. + Kr 3. Mischung verdünnten erhitzten und verdünnten unerhitzten & Serums. & Die Einwirkungsdauer war bei den oben beschriebenen Unter- F suchungen 15 Minuten; vielleicht wären, wenn diese Zeit kürzer & genommen wäre, bessere Resultate zutage getreten; es war auch : möglich, dass die Verhältnisse des aktiven und inaktiven Serums i nicht gut gewählt waren, um die Reaktivierung zu bewerkstelligen. Neufeld und Bickel!) hatten gerade auf den Vorteil grösserer N Verdünnungen sowohl des Amboceptors, als des Komplements hin- gewiesen; wenn man Verdünnungen des inaktiven Serums gebraucht, dann wird die Aussicht, dass freie Ambozeptoren die Komplettierung verhindern, viel weniger gross sein, und ausserdem wird eine möglicherweise hindernde Wirkung seitens der Antopsonine in dem inaktiven Serum dadurch auf ein Minimum reduziert werden. Die Obengenannten erhielten auf diese Weise gute Resultate, und auch andere Untersucher zeigten so die komplexe Konstitution. 1) Arb. a. d. kais. Ges.-Amte Bd. 27 S. 320, H. 2. _ Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 145 Demzufolge haben wir also das inaktive Serum vermischt mit physiologischer Kochsalzlösung bis zu einer Verdünnung, in der nur geringe Phagozytose auftrat, und fügten dazu verdünntes aktives Serum, welches an sich ebenfalls in geringem Grade die Aufnahme der Amylumkörnchen förderte. Die Stärke der Phagozytose unter diesen Verhältnissen ersieht man aus der folgenden Tabelle; die Einwirkungsdauer bei diesen - Versuchen betrug wieder 15 Minuten. Tabelle XI. Prozentgehalt der Leukozyten, welche Amylum aufgenommen haben Flüssigkeiten 1,5 ccm inakfives Serum 1:12,55 + 15 ccm 22 0,9%iges NIIT... .... 50710 = 4,4°%0 3,1% . 1,5 cem inaktives Serum 1:125 +15 cm |\ 9 _ 10 — 18% » 0,9%oiges NaCl IT ...... 514 YURAEE 15 ccm aktives Serum 1:25 + 15 ccm 68 Be 0,9%iges NACLI....... } 755 100 = 14,790 En 15 cem aktives Serum 1:25 + 15 cem 84 < 100 18,59% rs 0,9%oiges Nalll....... 454 "F > 1,5 ccm inaktives Serum 1: 12,5 + 1,5 ccm aktives 288 __ EN ; NEE DEN HR \ 49 100 — 51,6% S1.40/ 1,5 ccm inaktives Serum 1: 12,5 + 1,5 ccm aktives 190 100 — 512% uhr as a RE ne 373” Tat he 1,5 cem inaktives Serum 1:12,5 + 1,5 ccm in- 37 aktives Serum 1:25-I1.. .. \ 276 100 u 380 1,5 cem inaktives Serum 1:12,5 +1,5 ccm in- 40 zw 2.93% Ba aktives Serum 1:25 II. .... 439,55 Damp Inaktives Serum von 1:12,5 und aktives Serum von 1:25 er- geben beide, in gleicher Menge mit physiologischer Kochsalzlösung gemischt, eine niedrige Phagozytose. Wenn die Kombination des aktiven und des inaktiven Serums nur durch Summation wirkte, dann würde eine Aufnahme von 3,1°/o + 16,6%, also 19,7 %o zu- stande kommen. Die Phagozytose beträgt aber 51,6° und 51,2 °o, ‚also 31,7°/ mehr. Man kann also hier wohl von Komplettierung sprechen.. Fügt man aber zu 1,5 cem inaktivem Serum von 1:12,5 1,5 cem inaktives Serum von derselben Verdünnung, wie sie beim aktiven Serum gebraucht ‚wurde, dann entsteht nur eine Phagozytose von 8,3°/o und 9,3°/o, also eine Aufnahme, von der man erwarten würde, dass sie einer Verdünnung 1:16 beim inaktiven Serum entspricht. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 10 146; - J. Ouweleen: Auch der folgende Versuch, mit noch etwas stärkeren Ver- dünnungen angestellt, ergibt dieselben Resultate: Tabelle XIV. Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben 1,5 ccm inaktives Serum 1:15 + 1,5 ccm 15 SUR. \ 0,9%iges NaCl I... .... 5x 100: 0.0 RN, ( 1,5 cem inaktives Serum 1:15 + 1,5 ccm 6 ; 0,9%iges NaCl ...:.. N 510 — —= 1490 1,55 ccm aktives Serum 1:40 + 1,5 ccm 15 si 0,9%oiges NaCl... . .. ..... Ya 10 — 32 Ä 135 N „ea 0 1,5 ccm aktives Serum 1:40 + 1,5 ccm 22 NR. 0,9%iges NaCl ...... 795x100 = 5,3% 1,5 ecm inaktives Serum 1:15 + 1,5 cem 158 h aktives Serum 1:40 I... a x 100 = 54,5 90 en 1,5 ccm inaktives Serum 1:15 + 1,5 ccm |\ 216 > 100 — 51,8% ö aktives Serum 1:40 II .... 45% IS 1,5 ccm inaktives Serum 1:15 + 1,5 ccm 48 ’ inaktives Serum 1:40 I... . x 10 = 88 ”| 7350) ‚45 %/o 1,5 ccm inaktives Serum 1:15 + 1,5 ccm 1 >< 100 61% inaktives Serum 1:41 . 479 N, Obwohl die Prozentgehalte der Verdünnungen des inaktiven und aktiven Serums zusammen nur 2,2°0 + 4,25 %/o = 6,45°/o be- tragen, ergeben diese Verdünnungen, gemischt, eine Phagozytose von 33,15 °/o, also wieder eine starke Komplettierung. Analog dem, was man für die Struktur der Opsonine der Bakterien und Erythrozyten annimmt, muss man also nach diesen Versuchen auch annehmen, dass diejenigen Stoffe im Pferde- serum, welche die Phagozytose der Amylumkörnchen durch Pferdeleukozyten befördern, komplex gebaut sein dürften. Inwiefern in Wirklichkeit diese komplexe Struktur übereinstimmt mit derjenigen der Opsonine von Bakterien und Erythrozyten, werden wir später sehen. 2 F Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 147 €. Die Stoffe, die im Serum den Grad der Phago- zytose von Kohle und Amylum bestimmen. 1. Erhitztes Serum. Aus den vorher angegebenen Untersuchungen war hervor- gegangen, dass durch Erhitzung des Serums auf 58° C. ein Teil der Phagozytose fördernden Stoffe für Amylum seine Wirkung ver- lor, dass aber dennoch in inaktivem Serum eine starke Aufnahme ‚erreicht wurde. Wie muss man diese Förderung der Aufnahme des Amylums im Vergleich mit physiologischer Kochsalz- lösung auffassen? Welcher Art sind die Stoffe, die diese verursachen? Man hat nicht nur in inaktiven Immunseren, sondern auch in inaktiven Normalseren zuweilen Phagozytose fördernde Stoffe kon- statieren können, sowohl für Bakterien [Neufeld und Hühne!), Hamilton’), Eggers?), Rosenthal‘) u. a.] als für rote Blut- körperehen [Hektoen?’), Neufeld und Töpfer‘), Bezzola’) u.a. In einigen Fällen wurde auch hierbei durch den Bindungs- versuch die Wirkung des inaktiven Serums auf das Objekt der Phagozytose festgestellt u. a. durch Neufeld und Hühne, Hektoen; Rosenthal macht sogar darauf aufmerksam, dass diesen fördernden Stoffen des inaktiven Normalserums durch den hemmenden Einfluss des konzentrierten Serums entgegengewirkt werden könne und sie _ erst durch den Fixierungsversuch zu zeigen sind. In anderen Fällen ist diese Art der- Wirkung nicht festzustellen; so konstatierten Neu- feld und Töpfer, Neisser und Guerrini°) u. a. keine Bindung an die Bakterien, so dass deshalb in diesen Fällen eine Reizung der Leukozyten angenommen werden musste und in den übrigen Fällen ein Einfluss wie die der opsonischen Ambozeptoren ober Tropinen, x 1) Arb. a. d. kais. Ges.-Amte Bd. 25. 1907. 2) Journ. of Infect. Dis. vol. 5 p. 570. 1908. 3) Journ. of Infect. Dis. vol. 5 p. 263. 1908. ‘4) Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Ref., Bd. 44. Beilage. 5) Journ. of Infect. Dis. vol. 6 p. 66. 1909. 6) Zentralbl. f. Bakt. Orig. Bd. 38 S. 456. 1905. 7) Zentralbl. f. Bakt. Orig. Bd. 50 H.5. 1905. 8) Arb. a. d. Inst. f. exper. Ther. Frankfurt a. M. H.4. 1908. 10 * El? J. Ouweleen: Stimmt nun die Wirkung der Stoffe, welche die Phagozytose von Amylumin dem inaktiven normalen Serum fördern, mehrüberein mit derjenigen der Tropinen oder der opsonischen Ambozeptoren, oder muss die Wirkung vielmehr einer Reizung der weissen Blut- körperchen zugeschrieben werden? Das Verhalten bei Erhitzung haben sie gemeinsam mit Ambo- zeptoren. Wir sahen, dass in einem Serum, welches zunächst er- hitzt und darauf mit 0,9% NaCl verdünnt war, eine höhere Auf- nahme zustande kam als in dem, welches zunächst mit 0,9°%0 NaCl . verdünnt und darauf erhitzt war. Das Hauptkennzeichen der Tropinen und opsonischen Ambozeptoren aber, dass sie sich nämlich auf dem Objekt der Phagozytose fixieren, war nicht zu konstatieren; wenn man erhitztes Serum auf Amylum einwirken liess, war kein Unter- schied nachzuweisen bei der Aufnahme dieses vorbehandelten Amylums gegenüber dem nicht vorbehandelten in physiologischer Kochsalz- lösung. Ferner ergab auch Amylum, das mit inaktivem Serum vor- behandelt war, in Verdünnungen aktiven Serums keinen höheren Grad der Phagozytose. Zwar werden mit Hilfe eines Überschusses von Amylum sehr viele der Phagozytose fördernden Stoffe aus dem in- aktiven Serum entfernt; aber gerade weil solche grosse Menge ge- nommen werden musste, ist es auch möglich, dass damit auch nicht spezifische Stoffe durch Adsorption am Amylum verschwinden; Amylum besitzt für verschiedene Stoffe Adsorptionsneigung, wird also auch Stimulantien in geringer Menge aufnehmen können. Zieht man dann noch in Betracht, dass vielleicht hemmende Stoffe im Serum vorkommen oder dass diese gerade durch die Behandlung mit Amylum eingeführt werden, dann würde die niedrige Phagozytose des Serums nach Digerieren mit Stärke vollständige erklärlich sein. _ Die Phagozytose fördernden Stoffe des inaktiven Serums würden also aus diesen Gründen unter die Leukostimulantien fallen. Wir sahen, dass Eiweiss bezüglich physiologischer Kochsalzlösung die Phagozytose beförderte, auch Caleium [Hamburger undHekma)] zeigt eine spezifisch fördernde Wirkung; weiterhin können vielleicht auch die Seifen des Serums eine vorteilhafte Wirkung ausüben, wenn wir nämlich die Untersuchungen von Hamburger und de Haan?) 1) Biochem. Zeitschr. Bd. 9 S. 512. 1908. 2) Versl. Kon. Akad. v. Wetensch. Amsterdam, Wis- en Nat. Afd., 22. Febr.1913 ee I Uher den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 149 in Betracht ziehen, nach welchen zum Beispiel Natriumpropionat, Natriumbutyrat und Natriumformiat die Aufnahme der Kohle ver- stärkten; es würde also von Interesse sein, zu untersuchen, ob auch andere Seifen, und zwar solche, die im Serum vorkommen, diese Wirkung ausüben können. Das Verhalten: gegen Erhitzung braucht nieht gegen die Annahme von Leukostimulantien zu sprechen; durch die Erwärmung könnten ja, zum Beispiel durch Veränderung der _ Serum-Eiweisskolloide, hemmende Stoffe entstehen und diese nach- teilige Wirkung wird eher zum Vorschein gerufen werden bei Er- hitzung in Verdünnungen als in verdünntem Serum. Dasselbe sehen wir auch, wenn wir das unverdünnte Serum länger als Y/s Stunde erhitzen; erwärmen wir lange genug, zum Beispiel 3 Stunden bei 58° C., dann konnten wir gleichzeitig mit dem Auftreten einer leichten Koagulation nahezu keine Amylumaufnahme mehr konstatieren. Bei der Phagozytose der Kohle spielen dieselben Stoffe eine Rolle. Eiweisslösungen ergaben aber, statt einer Förderung wie bei -der Amylumphagozytose, immer eine Hemmung gegenüber physio- logischer Kochsalzlösung, und zwar in stärkerer Konzentration in geringerem Grade als in etwas weniger stärker bei einer Einwirkungs- dauer von "/s Stunde. Das Eiweiss wirkt also ganz anders bei der Kohle wie beim Amylum, was, wie später ausführlicher erklärt werden wird, auf der Tatsache beruht, dass Kohle in hohem Grade diesen Stoff adsorbiert, was Amylum viel weniger tut. In dem inaktiven, . unverdünnten Serum nahmen die Leukozyten bei der gleichen Ein- wirkungsdauer von '/2 Stunde fast keine Kohlenpartikelehen auf, auch selbst in Spuren von Serum war die Aufnahme noch verringert. War nun das Eiweiss der einzige hemmende Stoff, dann würde in dem unverdünnten Serum eine höhere Phagozytose gefunden werden müssen als in einer geringen Verdünnung. Wir müssen also an- nehmen, dass noch mehr Serumstoffe die Aufnahme der Kohle hemmen. Vom Lezithin haben wir dieses bereits zeigen können, und wir können wohl annehmen, dass noch mehr Stoffe im Serum solch eine Wirkung ausüben können, da Kohle doch sehr viele derselben adsorbieren kann und dadurch andere Eigenschaften als in physiologischer Koch- salzlösung erhält. 2. Unerhitztes Serum. Wir haben bei unsern Untersuchungen gefunden, dass Amylum aus aktivem Pferdeserum einen Stoff aufnimmt, welcher verursacht, 150 J. Ouweleen: dass bei der Einwirkung der Leukozyten auf dieses mit Serum vor- behandelte Amylum in physiologischer Kochsalzlösung eine starke Adhäsion zwischen Amylumkörnchen und Leukozyten zu konstatieren war, welche Adhäsion auch bei längerer Einwirkungsdauer nicht in Aufnahme überging. „Im Serum selbst kam aber eine hohe Phagozytose von Amylum zustande, deshalb müssen in dieser Flüssigkeit noch Stoffe vorhanden sein, welche imstande sind, die Adhäsion, die der Stoff, der von den Amylumkörnchen aufgenommen wird, verursacht, in eine Aufnahme durch Phagozyten zu verändern. An erster Stelle schien es darum erwünscht, zu untersuchen, welchen Einfluss die Amylase des Serums bei der Phagozytose der Amylumkörnchen ausübt. a) Einfluss der Diastase. In jedem Serum hat man ein Ferment nachweisen können, welches imstande ist, das Amylum in seine einfacheren Bestandteile zu spalten. Fermente haben die Fähigkeit, sich an Grenzflächen zu konzentrieren; so wird die Diastase sich an der Oberfläche des Amylums konzentrieren; es ist sogar möglich, diesen Stoff einer Flüssigkeit durch Behandlung mit Amylum zu entziehen. Das Fer- ment wird eine Hülle um den Stoff, auf den es einwirkt, bilden können, und so können die Oberflächenspannungen der angrenzenden Phasen verändert werden. Ausserdem wird das Ferment auf die Oberfläche einwirken können und Spaltungen ergeben und auch auf diese Weise dieselbe einer Veränderung unterziehen. Man könnte sich also vorstellen, dass Amylum, welches Diastase absorbiert bat, sich einigermaassen anders gegen Leukozyten benahm als dieselben Körnchen, welche diesem Ferment nicht ausgesetzt waren. Die Amylase ist ein Stoff, der, wie so viele andere Fermente, durch die Leukozyten würde produziert werden können [Haber- landt!), Maneini?), Tschernoruchi°)]. Auch mit Rücksicht auf die phagozytäre Theorie von der Bildung der Antistoffe schien es also von Interesse, zu untersuchen, inwieweit spezifische, durch. die weissen Blutkörperchen abgeschiedene Stoffe die Amylumphago- zytose verändern können. Ausserdem führten uns noch andere Er- wägungen dazu, diesen Einfluss zu untersuchen. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 132 S. 175. 1910. 2) Biochem. Zeitschr. Bd. 26 S. 140. 1910. 9)! Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 75 S. 216. 1911. . N x - Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 151 Wright und Neufeld sehen ja in ihren ÖOpsoninen und - Tropinen Stoffe, deren Wirkung durch die anderer spezifischer Stoffe, welche sich an Bakterien und Erythrozyten heften, nicht zu erklären ist. Dieser Ansicht folgen aber nicht alle. Vor allem hat man ver- sucht, sie mit den Lysinen zu identifizieren. Da also viele den spezifisch Iytischen Stoffen für Bakterien und "Erythrozyten eine grosse Bedeutung bei der Phagozytose zuschreiben, ist es natürlich wichtig, zu untersucher, ob ein spezifisch Iytischer Stoff für Amylum, die Diastase, auch einen Einfuss auf die Phago- zytose dieser Körnchen hat. Es wurde eine gesättigte Lösung dieses Ferments (Diast. absol. - Merck) in physiologischer Kochsalzlösung angefertigt; von dieser wurden Verdünnungen in 0,9°/o NaCl bereitet und hierin das Amy- lum der Einwirkung der Leukozyten ausgesetzt. Tabelle XV. ea: Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben Gesattiete Diastase-Lösung‘ in 0,9% NaCl I | 22. 100 — 218% 447 in 192 22,60 °/o 4 E 3904004 31° 100 = 23,9 %o L 87 NEL ED ILS (5 Ser Ar 163 100 — 18,8 °/0 60 TE rg He RE = 0 ” 560° 100 = 10,7 %o Ber BE. tee See ee u ><100 = 8,0% 30 DE a PR ee x 0 » 135° 100 6,9 9/0 12 SL I nn De 6,25 Yo ae een 100 = 6,0% Wie aus vorstehender Tabelle ‘hervorgeht, ist in einer ge- sättisten Lösung eine Steigerung der Aufnahme um 16,35 °/o zu kon- statieren, und in einer Verdünnung von 1:2 um 12,55 °/o gegenüber physiologischer Kochsalzlösung. Gleichzeitig wurde Amylum 30 Minuten lang bei 37° C. der Einwirkung einer Diastase-Lösung ausgesetzt und die Aufnahme dieses Amvlums verglichen mit nicht vorbehandelten. In beiden Fällen % 152 | J. Ouweleen: aber erfolgte nahezu keine Phagozytose in physiologischer Kochsalz- lösung; auch eine Adhäsion der Körnchen an den Leukozyten in höherem Grade als bei nicht vorbehandeltem Amylum war nicht zu ' konstatieren. Wenn das mit Diastase fixierte Amylum anstatt .in physiologischer Kochsalzlösung in gesättigter Ovalbumin-Lösung der Einwirkung der Leukozyten ausgesetzt wurde, war ebensowenig ein Unterschied gegen das nicht fixierte Amylum zu bemerken. | Von einer spezifischen Wirkung der Diastase ist deshalb keine | Rede; die Verstärkung der Phagozytose in einer gesättigten Lösung dieses Stoffes ist vielmehr den kolloidalen Eigenschaften der Lösung zuzuschreiben, wie es bei dem Eiweiss auch der Fall ist, und beruht vielleicht gerade auf der Anwesenheit dieser Stoffe. Ausserdem kommt im Serum solche Stärke des amylolytischen Stoffes wie in dem ge- brauchten Präparat nicht vor. Die Diastase im Serum übt also keinen spezifischen Einfluss auf dieAufnahme der Amylumkörnchen dureh die Pferdeleukozyten. re b) Phagozytose des mit unerhitztem Serum vorbehandelten Amylums im Serum. Ä Welcher Stoff lässt die Adhäsion des vorbehan- “ delten Amylums in vollständige Aufnahme durch die Leukozyten im Serum übergehen? = Mi Um hierüber etwas feststellen zu können, wurde zunächst unter- sucht, wie sich im Vergleich zu nicht vorbehandeltem Amylum die i Phagozytose dieser vorbehandelten Körnchen im unerhitzten Serum: ; gestaltete; gleichzeitig bis zu welcher Verdünnung dieses aktive 7 Serum einen Einfluss ausübte; es würde ja sehr gut möglich sein können, dass auch dieser Stoff thermolabil wäre oder für seine Wirkung die Hilfe eines thermolabilen Stoffes nötig hätte, der nicht | von dem Objekt der Phagozytose aufgenommen wurde. | 36 ccm aktiven Serums wurden 3,6 cem dickerer Amylum- suspension (0,1 & auf 10 cem 0,9°/o NaCl) zugefüst, dieses wurde, gemischt, 20 Minuten lang bei 37 ° C. in den Brutschrank gesetzt, wo- bei alle 5 Minuten umgeschüttelt wurde; danach wurde zentrifugiert, und das Amylum dreimal mit physiologischer Kochsalzlösung ge- waschen. Zum Schluss wurden 3,6 cem 0,9% NaCl hinzugefügt, so dass wieder derselbe Grad der Suspension wie im nicht vor- behandelten Amylum erhalten war. Im aktiven Serum und Ver- Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 153 a) dünnungen desselben, von jedem wie gewöhnlich 3 cem, wurden sowohl das nicht votbehandelte wie das vorbehandelte Amylum in einem Quantum von 0,3 eem der Suspension der Einwirkung der _ Leukozyten ausgesetzt. Die folgende Tabelle enthält die Resultate. Tabelle XVI. % Prozentgehalt d. Leuko- Amylum Flüssigkeiten zyten, welche Amylum aufgenommen haben 242 Nicht vorbehandelt | Aktives unverdünntes Serum I. . 507° 100 = 47,7 lo i ® 5 ir W. 2x 100 _ 54,8% " 2 2% aktives Serum in 0,9%/o NaCl 100 = 0,6 %/o ı ; Bam 2,0 00 0 Naol a” our N, 5 Ba MSN a. - — 100 = 1,0% on „ern... 10 = 28% y . .„ | Aktives unverdünntes Serum. . . ne 100 = 45,1 /o N . . [20% aktives Serum in 0,9 % NaCl | 252 > 100 — 54,4% \ Ro LASER m 100 — 43,2% h Gh 5 m 09m, [15x10 = 33,5% ae, 0, 500 | 100 124% N = .1.0,1% = ee LO = ><100 = 5,5 lo Im 0,900 NaCl zeigte sich beim vorbehandelten Amylum wieder starke Adhäsion. Was die Serumverdünnungen betrifft, so war um so mehr Adhäsion wahrzunehmen, je weniger Phagozytose, also je stärker das Serum verdünnt- war. | Aktives unverdünntes Serum hat keinen vorteilhaften Einfluss auf die Aufnahme des vorbehandelten Amylums gegenüber dem nicht - vorbehandelten; aber die Verdünnungen zeigen solch eine Wirkung "in hohem Grade. Während die Aufnahme in einer Serumverdünnung von 1:50 bei nicht vorbehandeltem Amylum nur 0,6°/o beträgt, ist 154 J. Ouweleen: die des vorbehandelten 54,4°/o, also über 50°/o höher. Auch eine Verdünnung von 1:100 liefert eine Phagozytose des vorbehandelten Amylums, welche über 40° mehr beträgt. In einer Verdünnung von 1:200 ist die Förderung viel geringer als bei den vorigen Ver- dünnungen, aber noch deutlich sichtbar; Verdünnung 1:500 zeigt nur noch eine Aufnahme von 12,4 °/o der vorbehandelten Körnehen, während diejenige in einer Verdünnung 1:1000 sich bereits sehr der Stärke in physiologischer Kochsalzlösung nähert. Es geht also deutlich aus den Versuchen die sünstige Wirkung der Serumverdünnungen auf die Aufnahme von Stärkekörnehen hervor, welche durch Vorbehandlung mit aktivem Serum imstande waren, den Leukozyten zu adhärieren. Zeigen erhitztes Serum und seine Verdünnungen dieselbe Wirkung auf das vorbehandelte Amylum und. diese in demselben Maasse wie unerhitztes Serum? Wir liessen, um dies zu untersuchen, 60 ccm aktiven Serums einwirken auf 6 cem Amylumsuspension von der Stärke 0,1 g Amylum auf 10 ecem physiologische Kochsalzlösung ; zentrifugierten, wuschen dreimal und fügten 6 cem Kochsalzlösung dazu, so dass wieder die ursprüngliche Stärke der Suspension erreicht war. | Im aktiven und inaktiven Serum, gleichzeitig in verschiedenen Verdünnungen in Quantitäten von 3 cem wurde dieses vorbehandelte Amylum und das nicht vorbehandelte in einem Quantum von 0,3 cem der Suspension der Einwirkung der Leukozyten ausgesetzt. Tabelle XVI. a) Phagozytose des nicht mit Serum vorbehandelten Amylums. Prozentgehalt der Leukozytose, BR = u u a ee Trier a nF ur a Ze Din re et Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben 090: Nach RN AR 1007 — 0 006 9390 NASE AR N 103 ü R 206 Aktives unverdünntes Serum I. ...... — >< 100 = 41,9 %o 494 185... 41,0 %0 . ehr Ba 0 he \ SE N EUREN DR 155 x 100 40,1 %o 2% aktives Serum in 09% NallI. .... | 47100 = 330 10 4% NO RE I e 0 % } Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 155 Tabelle XVII (Fortsetzung). Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben \ E 111 Inaktives unverdünntes Serum I... .... 504° 100 — 22,0 Yo 104 22,5 Yo » „ ” II I A A er Pi 453 > 100 == 23,0 % 4% inaktives Serum in 0,9% Nall ... . 0 % 2% Y * I 0 %o bh) Phagozytose des mit Serum vorbehandelten Amylums. 2) Aktives unverdünntes Serum ....... x 100 — 38,9 %o 2,0% aktives Serum in 0,9%/o NaCl... . z ><100 — 32,5% 175 0% --, > 7 0,9.%/o 315° 100 — 32,1% N , 0,5% Do ee re nn > 1azan ’ £)) f P>] ” ’ 2 560 7 2) 0,2% ee ee I ” ” 6)] y/ H „ 410 = b) ! ’ 26 Dt , 2 RB Te 165° 100 = 5,6 0 Inaktives unverdünntes Serum I ...... = > 100 = 38,6 lo ” 217 ” BER N = de — 34,2 0/0 - 4,0°/o inaktives Serum in 0,9% NaCl .. . 5 > 100 = 32,3 %o | 153 nr 2,0 %o e 1 a BELIEF 10° 100 — 31,2 % 133 1,0 %0 ” ) „ 0,9% , Ser —=x100 = 25,8 %/ 516 86 : 0,5 %/o 5 =150,99/6 1° 100 — 20,4 %0 [9] ‘ 0,2 9/0 E OLE RE ne: 364° 1007 76,7.%/0 a 2 100 — 28% 503 11 \ 1, ee 395° 100 = 3,490 In der Tabelle XVII sehen wir, dass die Phagozytose im aktiven Serum im Verhältnis etwas gering ist dadurch, dass anstatt einer Einwirkungsdauer von 15 Minuten nur eine solche von 10 Minuten genommen wurde. . 156 J. Ouweleen: N Die Verdünnungen des aktiven Serums zeigen hier wieder die- selbe günstige Wirkung. Unverdünntes aktives Serum dagegen er- höht die Aufnahme des vorbehandelten Amylums nicht viel mehr als dieselbe des nicht vorbehandelten.- Je weniger Aufnahme des vorbehandelten Amylums in den Verdünnungen vorhanden ist, desto mehr Adhäsion zeigt sich wieder; in unverdünntem Serum sieht man dieses nur in geringem Grade. Dasselbe ist der Fall beim inaktiven Serum. Unverdünnt befördert dieses die Aufnahme der fixierten Körnchen; während nämlieh gewöhnliches Amylum darin eine Phago- zytose von 22% und 23/0 zeigt, ergibt das fixierte eine Aufnahme von 38,6°/o und 34,2°/o, erreicht also ungefähr dieselbe Höhe wie aktives Serum mit vorbehandeltem und nicht vorbehandeltem Amylum. Auch Verdünnungen des inaktiven Serums von 1:25, 1:50, 1:100 und 1: 200 haben einen sehr günstigen Einfluss, während Verdünnung von 1:500 nahezu denselben Prozentgehalt ergibt wie physiologische Kochsalzlösung. Was den Verdünnungsgrad des unerhitzten und erhitzten Serums betrifft, in welchem die Aufnahme befördert wird, so sieht man, dass beide ungefähr denselben Grad der Zunahme ergeben, dass also die Aufnahme vorbehandelten Amylums denselben günstigen Einfluss er- fährt durch eine Verdünnung aktiven wie inaktiven Serums; es darf dabei nicht aus dem Auge verloren werden, dass nur ein Maximum der Phagozytose erreicht werden kann gleich der Phagozytose nicht ERn. +. | ’ ° » 4% 12 Bu si vorbehandelten Amylums in aktivem Serum, wobei also bei den. weniger starken Verdünnungen und bei unverdünntem Serum die günstige Wirkung des inaktiven Serums noch bestehen wird, während aktives Serum dann diesen Einfluss auf das vorbehandelte Amylum nicht mehr zeigen wird. Auf Grund dieser Versuche kann man also an- nehmen, dass sowohl unerhitztes wie erhitztes Serum. Stoffe besitzen, welehe die Aufnahme des adhärierenden Amylums in demselben Grade befördern. Diese Stoffe müssen also thermostabil sein. Auf der anderen Seite muss man schliessen, dass die Adhäsion an den Leukozyten, welche durch das Vorbehandeln des Amylums mit aktivem Serum verursacht wird, die Aufnahme in die Leukozyten in Verdünnungen des aktiven Serums und im inaktiven Serum und seinen Verdünnungen sehr begünstigt. De a Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 157 €) Phagozytose des mit unerhitztem Serum vorbehandelten Amylums in Eiweisslösungen, In früheren Untersuchungen ist gezeigt, dass Albumen, in 0,9°% NaCl aufgelöst, einen günstigen Einfluss auf die Phagozytose des Amylums ausübt, verglichen mit physiologischer Kochsalzlösung, dass aber Ovalbumin die entgegengesetzte Wirkung zeigte, wenn Serum mit Lösungen dieses Stoffes verdünnt wurde. Welche Wirkung wird Eiweiss auf die Phagozytose des mit aktivem Serum vorbehandelten Amylums er- geben? Wird jetzt auch noch das Eiweiss imstande sein, durch Bindung der Phagozytose iördernden Stoffe oder auf andere Weise ungünstig zu wirken, wie dieses bei der Mischung mit Serum geschah, das mit 0,9% NaCl verdünnt war? Vorbehandeltes und nicht vorbehandeltes Amylum wurde der Einwirkung des Leukozyten ausgesetzt in gesättigten Ovalbumin- Lösungen in 0,9°/ NaCl und deren Verdünnungen. Das vorbehandelte Amylum wurde dadurch hergestellt, dass 30 cem aktiven Serums zusammengebracht wurden mit 3 ccm Amylumsuspension von der bekannten Stärke; dieses Gemenge wurde 20 Minuten lang auf eine Temperatur von 37° C. gebracht, alle 5 Minuten geschüttelt, zentrifugiert und dreimal gewaschen, sodann auf das ursprüngliche Quantum von 3 cem ergänzt. Die Einwirkung erfolgte wieder bei 37° C. 15 Minuten lang. Das Resultat findet man in der Tabelle XVII. Tabelle XVIH. a) Phagozytose des nicht mit Serum vorbehandelten Amylums. Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben neh lee 103 Gesättigte Ovalbumin-Lösung I... .... 13 100 = 21,8 /o 83 _ 08 5 ) „ II laute: Wer 0-/,e 23 a 100 — Er /o Verdünnung 1:10 I 10 — 5,7% IR re ER 291 ; a a a Tee in 090 371 158 J. Ouweleen: Tabelle XVIII (Fortsetzung). b) Phagozytose des mit Serum vorbehandelten Amylums. Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben 27 09:90 Nat Teel.w..2, 0 Do raDae ee | 395° 100 = 6,8% 23 MODE WARRIL SCAN 0, Sein. un ae oe Dee 380 x<10 = 6,1% N RE 305 Gesättigte Ovalbumin-Lösung I... .. . 491 x 100 = 62,1 /o h 2 ER 2,100 — 65,7% 3 148 Verdunnuneal 10, IL. 2 Su. enge 455 x 100 —= 32,5 %o . 145 SH A B 3 RER LEN O DRG aD a CR 705 100 = 35,8% Zunächst ist zu bemerken, dass in gesättister Ovalbumin-Lösung nur noch wenig Adhäsion des vorbehandelten Amylums an den Leukozyten zu konstatieren ist, während in der Verdünnung 1:10 dieselbe noch sichtbar ist, obwohl weniger als in physiologischer Kochsalzlösung. Es tritt deutlich hervor, dass gesättigte Ovalbumin- Lösung die Aufnahme der adhärierenden Amylumkörnchen sehr ge- fördert hat. Während nämlich nicht vorbehandeltes Amylum nur eine Phagozytose von 21,8 °/o und 19,7 %/o zeigt, ergibt vorbehandeltes Amylum eine Stärke von 62,1% und 65,7°o. Auch die Verdünnung 1:10 zeigt noch eine recht günstige Wirkung; die Phagozytose des vorbehandelten Amylums ist nämlich noch ca. 30°/o höher als solche in physiologischer Salzlösung. | Tabelle XIX. a) Phagozytose des, nicht mit Serum vorbehandelten Amylums. Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben Er Se - 68 5 Gesättigte Ovalbumin-Lösung I ...... 779° 100 = 14,2 %/o 052 R e y TER er: | 98° 100 = 11,2 % N 7 ; Nerdunguney 5 >10 1 ER TE Ba | 357 5 100 —ZzER 10 5 dr: 10: I rn LEN x100 = 2,8% 361 ur | ER a Br fi ” De Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 159 Tabelle XIX (Fortsetzung). b) Phagozytose des mit Serum vorbehandelten Amylums, Prozentgehalt der Leukozyten, Flüssigkeiten welche Amylum aufgenommen haben Be. ....2.000.:; = 100 — 15,8% 28 Le Er 55 100 — 5,1% Gesättiste Ovalbumin-Lösung I. ...... = > 100 = 61,9% ; 5 : 273 » » U........ . 706 > 100 — 64,1% B h 309 Be 20 T........u. 50° 100 = 49,8 %/o 152 Re EEE Pr oa — 3439 » 15° 100 = 34,3 %/o A 125 100 — 98,50 „ 138° 100 28,5 %/0 % 1 FA ER 3 > 100 = 20,6 %0 433 , TREE > a E ago) ; 206° 100 12,8 °/o ee 2 1 ‚48. —_ 108% „ 185° 100 10,8 %/o Auch in dem vorstehenden Versuch, bei dem noch stärkere Ver- dünnungen untersucht wurden, ist die günstige Wirkung deutlich siehtbar. Die mehr oder weniger grossen Unterschiede der Doppelversuche des vorbehandelten Amylums beruhen darauf, dass es oft infolge der - Adhäsion mehr oder weniger schwierig ist festzustellen, ob die Körnehen darin oder darauf liegen, so dass hier einmal zu viel, dann wieder zu wenig Leukozyten, die phagozytiert haben, gezählt worden sind. Gesättigte Ovalbumin-Lösung hat auch hier wieder die Aufnahme des vorbehandelten Amylums in hohem Grade gefördert; während nämlich in physiologischer Kochsalzlösung eine geringe Phagozytose dieser Körnehen zustandekommt, sieht man hierin eine Stärke von sogar 61,9% und 64,1 °/o erreicht. Auf der anderen Seite hat die Adhäsion der Stärkekörnchen an den Leukozyten die Aufnahme in gesättigter Ovalbumin-Lösung gefördert, denn hierin ergibt nicht vorbehandeltes Amylum nur eine Phagozytose von 14,2 °/o und 11,2°o. 160 \ J. OQuweleen: Auch eine Verdünnung von 1:10 liefert noch deutliche Verstärkung ER der Aufnahme des fixierten Amylums; während nämlich gewöhnliches Amylum darin nur eine Phagozytose wie in physiologischer Koch- salzlösung zeigt, ergibt fixiertes Amylum einen Prozentgehalt von ca. 40°%o. So erhöht auch eine Verdünnung von 1:25 die Aufnahme iS bis auf ca. 25 °)o. Es ist also durch diese Versuche deutlich dargelegt, dass Ov- albumin-Lösungen die Aufnahme des vorbehandelten Amylums durch die Leukozyten verstärken, und auf der anderen Seite, dass die Adhäsion der Stärkekörn- chen einen sehr günstigen Einfluss hat auf die Phago- zytose in Ovalbumin-Lösungen. Wenn man die geringere Löslichkeit des Ovalbumins als die der Eiweisse im Serum beachtet, dann wird die Phagozytose durch das letztere in demselben Maasse gefördert als durch das Hühnereiweiss. Diese Wirkung ist nicht nur für Ovalbumin zu konstatieren, auch- andere Eiweisse zeigen dieselbe. So ergab unter anderem eine gesättigte Hämoglobin-Lösung (Merck’s Präparat) mit dem vor- behandelten Amylum eine Aufnahme von 50—60°;o, während das nicht vorbehandelte Amylum nur eine solehe von etwa 50 zeigte, beides bei 15 Minuten langer Einwirkung bei 37° C. Aus diesen Untersuchungen kann man schliessen, dass die Wirkung der thermostabilen Serumstoffe, welche die Aufnahme des mit aktivem Serum vorbehandelten Amylums ver- ursachen, und in denen die Phagozytose dureli die Adhäsion der Amylumkörnchen an den Leukozyten solchen günstigen Einfluss er- fährt, auf der Wirkung des Eiweisses im Serum beruht. 3. Schlussfolgerungen. Durch Zusatz von ein wenig unerhitztem Serum zu einer geringen Menge erhitzten Serums, welche beide nahezu keine Phagozytose zeigten, kam, wie wir früher sahen, eine sehr starke Amylum- aufnahme zustande. Daraus wurde geschlossen, dass analog dem, was man für Bakterien und Erythrozyten annimmt, die die Phago- zytose fördernden Serumstoffe komplex gebaut sind. Nur bei dieser: Art des Experimentierens war dies nachweisbar, denn es konnte nicht konstatiert werden, dass die Amylumkörnchen aus inaktivem. Serum einen Stoff, wie den Ambozeptor der Bakterien und Erythro- Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 161 zyten, aufnahmen, sondern nur aus aktivem Serum wurden Stoffe aufgenommen. Amylum, das mit aktivem Serum behandelt war, also beladen mit thermolabilen Stoffen, und: das der Einwirkung der Leukozyten im inaktiven Serum — selbst eine geringe Menge ist hinreichend — ausgesetzt war, wird stark aufgenommen. Auf diese Weise wird also auch das inaktive Serum reaktiviert. Der Stoff, welcher durch das Komplement reaktiviert wird, ist also in dem erhitzten Serum vorhanden. Obwohl wir sehen, dass“der Stoff des inaktiven Serums sich teilweise verhält wie ein Ambozeptor der Bakterien und Erythro- zyten bei Versuchen in vitro, so können wir diesen doch nicht mit dem Namen eines Ambozeptors betiteln, weil dabei als erstes ver- langt werden muss, dass dieser sich an das Objekt bindet, was gerade nicht zu beweisen war. Die Möglichkeit würde aber be- _ stehen können, dass das inaktive Serum eine reversible Verbindung mit dem Amylum eingeht, so dass durch die wiederholten Waschungen _ diese bindende Wirkung nicht mehr zu finden ist. Wird zu den mit den thermolabilen Stoffen, also mit dem Komplement beladenen Amylumkörnchen, anstatt des inaktiven Serums _Ovalbumin - Lösung hinzugefügt, so erhält man dasselbe Resultat. Die Wirkung des inaktiven Serums beruht also auf seinem Eiweiss- gehalt. Man würde erwarten können, dass auch, wenn man ein wenig aktives Serum den Ovalbumin-Lösungen beifügte, auch dabei eine Reaktivierung stattfinden würde. Aber die früher angegebenen Ver- suche ergaben serade das Gegenteil: Hinzufügung von Ovalbumin verringerte. die Phagozytose in Serumverdünnungen. Die Erklärung ist, scheint mir, einfach: Hat man die Kombination ,inaktives und aktives Serum, dann ist erhitztes Serum hierbei gesättigt mit dem Komplement; man muss doch annehmen, dass in dem aktiven Serum nicht nur freies Komplement vorhanden ist, sondern dass es zu einem - grossen Teil auch durch die Eiweissstoffe adsorbiert ist. Bei der Erwärmung sehen wir das freie Komplement verschwinden, das ge- bundene wird durch die schützende Funktion des Eiweisses wenig verändert werden. Ausserdem muss wahrscheinlich angenommen werden, dass das Verschwinden des Komplements durch Erhitzer auf einer vermehrten Bindung an Eiweiss beruht. Fügen wir also unerhitztes Serum mit einem gewissen Quantum freien Komplements erhitztem Serum hinzu, so wird dieses letzte nichts davon auf- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. in 162 J. OQuweleen: nehmen, Anders ist es, wenn man die Kombination Ovalbumin- Lösung und verdünntes aktives Serum hat, dann wird bei hinreichen- der Eiweissmenge, an die noch absolut kein Komplement gebunden ist, dieses ganz oder gar aus dem aktiven Serum adsorbiert werden, wird also keine Wirkung ausüben können, es wird nicht nur keine Reaktivierung auftreten, sondern sogar eine Verminderung der Auf- nahme gegenüber der in dem verdünnten aktiven Serum allein. Die Rolle des Ambozeptors bei der Phagozytose der Bakterien und Erythrozyten in vitro wird deshalb beiderAmylum-Phagozytoseerfüllt durch das Eiweiss. Die Förderung der Fähigkeit der Pferdeleuko- zyten, Amylumkörnchen aufzunehmen durch aktives Serum, beruht also auf der kombinierten Wirkung des Serumeiweisses und des Komplements. Andere Stoffe werden nur eine Nebenwirkung haben. Auch bei der Phagozytose der Kohle in aktivem Serum spielen Eiweiss und Komplement die Hauptrolle; dazu kommen dann aber noch, wie wir bei der Besprechung des inaktiven Serums sahen, be- stimmte hemmende Stoffe, wie Lezithin usw. Wie Rosenthal fand, bringt das Komplement die Beförderung gegenüber physiolo- eischer Kochsalzlösung zustande. In unverdünntem, aktivem Serum wird aber, wenn viele hemmende Stoffe da sind und dabei wenig Komplement vorhanden ist, oft eine niedrigere Phagozytose zustande kommen als in 0,9 %o NaCl. Wird nun das Serum in nicht zu starkem Grade verdünnt, dann werden die hemmenden Stoffe und das Komplement entsprechend an Wirkung abnehmen, aber nun tritt dazu die sehr nachteilige Wir- kung des in geringem Maasse verdünnten Eiweisses, so dass die Auf- nahme bei einer Einwirkungsdauer von ’/e Stunde beinahe nicht mehr stattfindet. | Wird das Serum stärker verdünnt, so wird auch die Wirkung des Eiweisses geringer, und schliesslich wird eine Aufnahme gleich der in 0,9°%o NaCl erreicht. In vielen Fällen wird aber, wenn zum Serum sehr viel 0,9°/oiges NaCl hinzugefügt ist, die vorteilhafte Wir- kung des Komplements, das in starkem Maasse durch die Kohle ad- sorbiert wird, die Oberhand bekommen über die geringe nachteilige Wirkung der hemmenden Stoffe, so dass dadurch eine Förderung infolge der Anwesenheit der Serumspuren entstehen kann. Fer‘ Bun ie ee ET 3 nn ? . « Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 163 D. Wirkungsweise der Serumstoffe bei der Phago- zytose der Kohle und des Amylums. 1. Amylumphagozytose. Wie kann die einander ergänzende Wirkung des Stoffes, derAmylum ausaktivemSerumaufnimmt, und des Eiweisses im Serum erklärt werden? Ursprünglich unterschied man bei dem Prozess der Phagozytose ! das Stadium der Leukozytenbewegung nach dem zu phagozytierenden Objekte hin und das der eigentlichen Aufnahme. Als man aber sah, _ dass in vielen Fällen und unter bestimmten Umständen der phago- zytierbare Gegenstand nicht innerhalb der Leukozyten aufgenommen wurde, sondern nur eine Anheftung desselben an den Phagozyten zustande kam, haben verschiedene Forscher das obengenannte erste Stadium bei dieser Erscheinung eingeteilt, so dass sie jetzt die folgenden zwei Phasen unterschieden: erstens diejenige der Ad- häsion des Objekts an den Leukozyten, das Stadium der Koaggluti- nation der Oberfläche des Gegenstandes mit den weissen Blut- körperchen; zweitens die Phase der eigentlichen Aufnahme, d. h. das Gelangen in das Innere der Leukozyten [Levaditi und Mutter- milch!), Sawtcehensko?), Barikine°) u. a.]. Diese Forscher kommen zu dem Schluss, dass die erste Phase eine Erscheinung physiko-chemischer Art ist, analog der Agglutination, da diese stattfindet ohne irgendein aktives oder vitales Dazwischen- treten seitens der Phagozyten, während die zweite Phase gerade eine echt vitale Erscheinung sein soll, da ja keine Aufnahme stattfindet, wenn die Leukozyt mehr oder weniger beschädigt oder auf 0° C. angekühlt ist. Die Förderung der Fähigkeit der Pferdeleukozyten, Amylum- körnchen aufzunehmen durch aktives Serum, beruhte, wie aus Ver- - suchen hervorging, hauptsächlich auf der kombinierten Wirkung des Serumeiweisses und des Komplements. "Wird nämlich mit aktivem Serum vorbehandeltes Amylum zu Leukozyten in physiologischer Kochsalzlösung hinzugefügt, dann ent- stand eine starke Adhäsion der Körnchen an «den Phagozyten, die 1) Compt. Rend. Soc. Biol. 1910 p. 1079.. 2) Arch. d. Sc. Biol. de St. Petersbourg t. 15 no. 2, t.16 no.2. 1910. 3) Zeitschr. f. Immun. f. Orig. Bd. 8 S. 72. 1911. 1) 164 J. Ouweleen: Phagozytose selbst war niedrig, und auch bei längerer Einwirkungs- dauer nahm sie nicht zu. Dass das Aneinanderliegen dieser Elemente nicht von zufälligen Umständen abhängen kann, lässt sich dadurch zeigen, dass man die Lage der Leukozyten im Präparat verändert; wie stark auch die Bewegung der weissen Blutkörperchen geschehen möge, immer werden die Körnchen an der Oberfläche festgeheftet bleiben. Wird nun aber Eiweiss dem Gemenge zugefügt, so werden die Körnchen in das Innere der Leukozyten eingeführt. Hieraus geht hervor, dass bei der Phagozytose vom Amylum durch Pferdeleukozyten in dem homologen Serum durch das Kom- plement das erste Stadium zustande kommt, während mittels des Eiweisses das zweite stattfindet. Die Art und Weise, in der jeder dieser Stoffe seine Wirkung ausübt, ist am deutlichsten bei der des Eiweisses. Dass Eiweiss die Oberflächenspannung von Wasser gegen Luft erniedrigt, ist wiederholt gezeigt. Dasselbe tut auch das Serum, wie von Traube!), Kascher?) und Kisch und Remertz?°) sowohl für Menschen als für Tierseren bewiesen ist, und diese Erniedrigung hat nahezu einen konstanten Wert. Dass diese Oberflächenspannungs- erniedrigung nicht durch das Komplement zustande kam, geht daraus hervor, dass durch Erhitzung diese sogar noch stärker wird. Sehr geringe Verdünnung des Serums ergab keine Veränderung, aber etwas stärkere, d. h. noch ziemlich geringe, denn untersucht wurde nur bis zu einer Verdünnung von 1:10, ergab einige Erhöhung der Spannung. Löränt*) studierte nicht nur den Einfluss von Eiweiss auf die Oberflächenspannung des Wassers gegen die Luft, sondern auch auf die Spannung an der Trennungsfläche einer anderen Flüssigkeit. Er untersuchte so den Einfluss gegen Olivenöl, Äthyläther, Nitrobenzol, Chloroform und Kohlenstofftetrachlorid und erhielt das Resultat, dass wässerige Hühnereiweisslösung in viel höherem Grade erniedrigend auf die Spannung’ an der Trennungsfläche einer anderen Flüssiekeit wirkte als auf die an Luft grenzende. 1) Biochem. Zeitschr. Bd. 10 S. 330. 1908, und Internat. Zeitschr. f. physik.- chem. Biol. Bd.1 8.389. 1914. 2) Dissertation. Berlin 1907, zit. nach Kisch und Remertz. 3) Internat. Zeitschr. f. physik.-chem. Biol. Bd. 1 S. 354. 1914. 4) Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 211. 1914. Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 165 Wie gross dabei der Unterschied ist, geht zum Beispiel aus einer seiner Tabellen hervor, in der man die Resultate der Untersuchungen über die Wirkung einer Eiweisslösung findet, die aus einigen Hühnereiern nach Verdünnung mit Wasser und nach Fällung der Globuline bei 56° C.- erhalten wurde, auf die Spannung gegen Luft und Olivenöl mittels der stalagmometrischen Methode: Biweisslösung Luft Olivenöl . Konzentration “ | n ir A | Sa 0 %- a 2, 620 19,95 0° .r 180 0,81 %0 73,08 | 63,9 12,79 | 31,0 1,63 % As 65,0 8,82 47,6 3,27 % 71,04 | 66,0 3,51 ' 136,0 6,54 %0 69,17 | 69,0 2 | & # — Oberflächenspannung gegen Luft, &.— 5 „. Olivenöl, n —= Anzahl der Tropfen. Die Oberflächenspannung der 6,54 °/o Eiweisslösung gegen Luft ist nur etwa 5,7°/o niedriger als die reinen Wassers, während bei der schwächsten Konzentration (0,81°/o) der Unterschied nicht mehr als 0,3°/o beträgt. An der Grenzfläche von Olivenöl entstehen viel kleinere Werte; die Spannung einer 1,63 °/o Lösung beträgt schon weniger als die Hälfte, die von 3,270/o nur ein Sechstel der Spannung Wasser- Olivenöl; die der konzentriertesten Lösung kann überhaupt nicht ge- messen werden, weil sich dann keine Tropfen mehr bildeten. Dieselben Resultate erhielt er mit einer Lösung von Albumin ovorum (Merck). Gleichzeitig untersuchte er das Verhalten der Oberflächen- spannung von verschiedener Sera an der Trennungsfläche Luft und die an der Trennungsfläche derselben obengenannten Stoffe. Pferde- und Rinderserum wurden untersucht, und er fand, dass die Ober- flächenspannung dieser Sera eine bestimmte Grösse hat, und dass die Erniedrigung auch hier an der Trennungsfläche Serum-Olivenöl viel grösser ist als an der von Wasser zu Olivenöl und im Ver- hältnis also auch viel mehr beträgt, als dies der Fall ist an der Trennungsfläche Serum und Luft. Löränt konnte also aus seinen Versuchen schliessen, dass die Oberflächenspannung des normalen tierischen Serums an der Trennungsfläche anderer Flüssigkeiten in- folge seines Eiweissgehaltes viel kleiner ist als die reinen Wassers. Welche Veränderung wird die Spannung: der Leukozyten er- leiden, wenn Eiweisslösung oder Sera zugefügt wird? Das weisse Blutkörperchen ist aufzufassen als ein Kügelchen organischer Stoffe, umgeben von einer fettartigen, lipoiden Membran. 166 "75. Ouweleen: Analog zur Wirkung bei Olivenöl usw. kann man also schon an- nehmen, dass die Wirkung der Ovalbumin-Lösung und folglich des Serums eine Erniedrigung der Oberflächenspannung der Leukozyten ist. Dass diese im Serum eine sehr niedrige sein muss, ist schon aus den Formveränderungen zu schliessen, welche man konstatieren kann, wenn man die Leukozyten in Serum mikroskopisch betrachtet; während sie, in 0,9°/ NaCl suspendiert, eine viel rundere Form annehmen, und wenn man an die enorme Deformation denkt, die bei der Diapedesis stattfindet. Dass dieser Einfluss des Serums vor allem dem Eiweissgehalte zu danken sein muss. ist auch dadurch festzustellen, dass man-die weissen Blutkörperchen mikroskopisch in Eiweisslösungen betrachtet. Sowohl in konzentrierteren Lösungen des Ovalbumins wie in denen des Serumalbumins und des Hämo- globins nehmen die Leukozyten nicht wie in physiologischer Kochsalz- lösung vor allem eine runde Form an, sondern sie zeigen .auch darin, wenn auch nicht so stark, allerlei mehr oder weniger will- kürliche Formen als Beweis einer niedrigeren Oberflächenspannung. Die Wirkungsweise des Eiweisses im Serum wird also bei der Amylumphagozytose darin bestehen, dass esdie Oberflächenspannung der Leukozytenerniedrigt und es dadurch möglich macht, dass die Körnchen, die sieh infolge der Aufnahme des Komplements an die Blutkörperchen festheften, in diese aufgenommen werden. Wir wollen weiter die Frage verfolgen, auf welche Weise das Komplement das Objekt der Phagozytose so verändern kann, dass dabei Adhäsion an die Leukozyten entsteht. Im allgemeinen ist man darüber einig, dass die erste Phase der phagozytären Erscheinungen als ein physiko-chemischer Prozess auf- gefasst werden muss. Nach Sawtchensko ist es unmöglich, dass dieses auf einer Chemgtaxis beruhen kann, weil auch neutrale Körper in physiologischer Kochsalzlösung phagozytiert werden können; ausserdem würde dann auch schwierig zu erklären sein, wie die endothelialen Leber- und Milzzellen, wenig beweglich, wie sie sind, fremde Körper bei der Injektion in die Blutbahn so schnell auf- nehmen. Beruhte dieses letztere auf Chemotaxis, ynd die Phago- zytose entstände durch das Reizen der Protoplasmaausläufer, welche die Fremdkörper fangen würden, wenn sie vorbeigehen, dann würde ı Bi ! - Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 167 man schwer verstehen können, dass die Aufnahme so gross sein könnte, wenn man bedenkt, dass die Teilchen neben den Phagozyten dureh das Blut gehen, und wenn man die latente Periode der Proto- - plasmareizung und Langsamkeit der Bewegungen berücksichtigt. Sawtehensko meint deshalb, dass die Verhältnisse der Öber- flächenspannungen der Leukozyten und des Objekts der Phagozytose derartig werden, dass sie ihre Attraktion und schliesslich ihren ‘Kontakt bestimmen sollen. Wäre diese Folge nur abhängig von einer Erniedrigung der Oberflächenspannurg der Leukozyten, dann würde man erwarten müssen, dass auch Ovalbumin-Lösungen in geringeren Konzentrationen solche Adhäsion des Amylums erregen würden; man sieht diese aber nie darin; auch würde man in diesem Falle annehmen müssen, dass das Komplement in grösseren Mengen diese Erniedrigung liefern würde, und dies geschieht niemals, denn wieviel an Körnchen gebundenes Komplement man auch nimmt, stets ist eine Eiweisslösung nötig, um die Spannung herabzusetzen, so dass Aufnahme möglich wird. Eine Herabsetzung der Oberflächenspannung der Leukozyten allein wird also nur eine Rolle spielen können beim Entstehen der Attraktion und Koagglutination im Verein mit be- stimmten Verhältnissen der übrigen Spannungen. Man hat bei diesem Prozess an die Wirkung elektro-chemisceher Kräfte gedacht. Oker-Blom!) ging aus von der Tatsache, dass das Protoplasma der polymorph-kernigen Leukozyten deutlich azidophil ist; es hat eine ausgesprochene Neigung, den Teil des Farbstofies an sich zu ziehen, der mit dem Säure-Ion übereinstimmt. Man muss also dem Protoplasma der Phagozyten elektropositive Eigenschaften zuschreiben, welche sich darin äussern, dass es elektronegativ geladene Teilchen anziehen kann. Bakterien in wässriger Suspension sind elektronegativ geladen, was noch erhöht wird durch Alkalizusatz. Kommen die zwei mit ver- schiedener Ladung versehenen Stoffe miteinander in Berührung, dann werden die Ladungen verkleinert werden oder verschwinden, wodurch ein bestimmter Einfluss auf die Oberflächenspannung an der Grenze zwischen diesen Elementen ‘und der umgebenden Flüssigkeit hervor- gerufen werden wird. Dieser Einfluss wird zu einer Erhöhung der Oberflächenspannung führen, welche die Grenzfläche zwischen den Körper- teilchen und der umgebenden Flüssigkeit zu reduzieren versucht; da- durch kommt also ein Faktor in Tätigkeit, der das Ankleben der Bakterien an den Leukozyten noch betördern muss. Veränderte Oker-Blom die Ladungen der Bakterien oder Leu- kozyten durch Vorbehandlung mit Säuren oder Alkalien von bestimmter 1) Zeitschr. f. Immun. f. Orig. Bd. 14 S. 483, Nr. 5. 168 J. Quweleen: Konzentration, dann sah er, je nachdem ein kleinerer oder grösserer Potentialunterschied dadurch zwischen den beiden Bestandteilen auftrat, die Phagozytose kleiner oder grösser werden; wenn zum Beispiel eine , Lösung, mit welcher das Bakterium vorbehandelt wurde, derartig wirkt, dass die Elektronegativität bei der Mischung mit den Leukozyten noch stärker hervortritt, dass also der Potentialunterschied zwischen Phagozyt und Objekt grösser wurde, so haben die dadurch entstandenen beider- seitigen Anziehungskräfte zur Folge, dass mehr Bakterien um die Leukozyten kommen werden und diese somit die Phagozytose erhöhen. Ebenso werden zum Beispiel ferner Bakterien, wenn sie mit einer Säure vorbehandelt sind, durch Leukozyten, die mit Alkali behandelt sind, gierig aufgenommen werden, während bei entgegengesetzter Behandlung der entgegengesetzte ‚Effekt erreicht wird. Wiewohl der obige Forscher nicht völlig ausschliessen will, dass der den Phagozytoseprozess fördernde Einfluss dieser Stoffe in einer künstlich gesteigerten chemotaktischen Wirkung seine Erklärung finden kann, so meint er doch in jedem Falle, dass die Wirkung dieser elektro-chemischen Kräfte zustande kommt. - Sehon früher hatte Hirschfeld!) versucht, den ganzen Phago- zytoseprozess elektro-chemisch zu erklären. Von der Tatsache aus- gehend, dass positive elektrische Ladung die Oberflächenspannung erniedrigt, stellt er die Hypothese auf, dass die Leukozyten, durch die positiven H-Ionen getroffen, welche die negativ geladenen Bakterien absenden sollen, auf dieser Seite ihre Spannung erniedrigen und in der Richtung der Bakterien ihre Pseudopodien aussenden. Ist nun das Bakterium umfasst, dann wird die Ladung ausgeglichen, die Oberflächen- spannung wird erhöht, und die Pseudopodien mit den Bakterien werden % eingezogen. Hierbei werden also beide Phasen der Phagozytose durch dieselbe Ursache erklärt; man würde dann aber schwer verstehen können, warum es in so vielen Fällen nur zur Adhäsion kommt und nicht zu völliger Aufnahme. er ER TE a a en! IE R “3” 02 ee k * en Ale Br Die Annahme solcher Kräfte zur Erklärung der Attraktion und Koagglutination ist sehr verlockend. Auch Kirschenstein?) nimmt : an, dass diese Kräfte beim Phagozytoseprozess eine grosse Rolle spielen. Ebenso verteidigt Onymus?®) infolge der Wahrnehmung, dass die Anwesenheit von Membranen und albuminoiden Stoffen das Auftreten elektro-kapillarer Ströme veranlassen kann, ihren Wert für den Phagozytoseprozess.. Jedoch kann man nicht alles damit erklären. Rote Blutkörperchen haben in einen indifferenten Medium eine negative Ladung, (Höber) und doch werden sie meist ohne besondere Vorbehandlung von den Leukozyten nicht aufgenommen. Bis jetzt hat man nur eine elektronegative Ladung der Bakterien | Se 7 1) Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 9 S. 529. 1909. 2) Beitr. z. Klin. d. Tuberk. Bd. 29 S. 155. 1914. ü 3) Journ. de l’Anat et de la Physiol. t.49 p.41. 1913.. en di: - Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 169 festgestellt. So sah Schmidt!) in allen Fällen lebender wie toter Bakterien eine Bewegung nach der Anode :hin. Nur Kirschen- _ stein berichtet, dass die von ihm untersuchten Kokken positiv geladen waren. Und doch werden viele Bakterien ohne bestimmte "Vorbehandlung nicht aufgenommen. Dass diese elektro-chemischen Kräfte immer die ausschliessliche Ursache für das Zustandekommeu oder Ausbleiben der Adhäsion sein sollen und andere Faktoren dabei keine Rolle spielen können, ist vorläufig noch nicht als feststehend anzunehmen. Vielleicht würden ausgedehntere Untersuchungen über die Ladung der Bakterien im Zusammenhang mit Virulenz, Kapsel- bildung usw. etwas Licht schaffen können. Es würde ja sehr gut möglich sein können, dass die Mikroorganismen schon nach ihren Eigeuschaften verschieden elektrisch reagierten. Auch die roten Blutkörperchen können, wenn sie durch den Ambozeptor vorbehandeit ‚werden, eine Veränderung der elektrischen Ladung erleiden (Brahma- chari?), welche ausserdem abhängig ist vom Medium. Könnte man also die Adhäsion den elektro-chemischen Kräften zuschreiben, dann würde man annehmen können, dass das Komple- ment, welches von den Amylumkörnchen adsorbiert wird, diesen eine —_ derartige elektrische Ladung gibt, dass zwischen ihnen und den Leukozyten Attraktion und weiterhin Adhäsion entsteht; deshalb würde also das Amylum eine negative Ladung erhalten müssen. Eine bessere und deutlichere Einsicht erhält man freilich von der Wirkung des Komplements beim Zustandekommen der Adhäsion zugleich der Aufnahme selbst, wenn man, wie Rhumbler?) es bereits tat, den Phagozyten als einen Flüssigkeitstropfen auffasst; unab- hängig von seinem komplizierten Bau folgt das Protoplasma wie eine mehr: oder weniger zähe Flüssigkeit den einfachen physischen Ge- setzen der Flüssigkeiten, seine Oberfläche speziell denen der Ober- flächenspannungen. Man hat es also bei dem phazozytären Prozess mit zwei voneinander getrennten Flüssigkeiten und einem unlös- lichen Bestandteil zu tun. Schon Ledingham*) fand, dass der Phagozytoseprozess den Gesetzen der Adsorption gehorchte. Hoffmann?) zeigte, dass die ]) Arch. f. Hyg. Bd. 80 S. 62. 1912. 2) The Biochem. Journ. vol. 8 p. 227. 1914. 3) Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 7 S. 103. 1898. 4) Journ. of Hyg. vol. 12 no. 3 p. 320. 1912. 5) Zeitschr. f. Biol. Bd. 63 S. 386.- 1914. 170 J. Quweleen: anomale Adsorption auf dieselbe Weise zustande käme wie die 2 Adhäsion von Teilchen, wie Kohle, an den Trennungsflächen der Flüssigkeiten, wobei dann das Kolloidpartikelchen gleichzusetzen 3 wäre mit der Kohle und das Adsorbens und das Dispersionsmittel mit den Flüssigkeiten. Beide gehorchen also denselben Gesetzen, und somit wird auch der Phagozytoseprozess gleich sein einem’ Adsorptionsprozess; auch hierbei spielen nach Freundlich elektro- chemische Reaktionen eine Rolle. Dieses geht deutlich aus den Untersuchungen von Koch!) hervor, welcher fand, dass Partikelchen ‘von chinesischer Tusche in den Phagozyten aussehen wie runde, schwarze Körnchen von verschiedener Grösse, dadurch dass die schwarzen Partikelehen immer durch einige, zuweilen zahlreiche Granulae der Leukozyten adsorbiert sind, wodurch zugleich der Unterschied der Grösse innerhalb der Phagozyten zu erklären ist; er schliesst deshalb, dass es gerade die verschiedenen Granulae sind, die bei der Phagozytose körperliche Elemente an sich ziehen. Wie verhält sich ein feines Pulver, wenn man dieses zwei nicht vollkommen mischbaren Flüssigkeiten hinzufügt? Das Pulver kann entweder in einer der beiden Flüssigkeiten suspendiert bleiben (und wenn es spezifisch schwerer ist als diese, wird es darin langsam zu Boden sinken), oder es bleibt völlig oder teilweise an der Grenze beider Flüssiekeiten haften (ENDE bler, Hoffmann?) u. a.). Die Bedingungen, unter denen das verschiedene Verhalten des Pulvers zustande’kommt, hat bereits Des Coudres?) abgeleitet; im wesentlichen sind es die folgenden: Wenn 1 und 2 die beiden Flüssig- keiten sind, 3 der feste Körper — der einfachen Berechnunghalber ist er als ein kurzer Zylinder angenommen —., 0]; die Spannung der Trennungsfläche zwischen den beiden Flüssigkeiten, 0]; und 0,, die Oberflächenspannungen an der Grenze jeder der beiden Flüssigkeiten und des festen Körpers. Da ein mechanisches System nur dann im Gleichgewicht ist, wenn bei jeder möglichen kleinen Ortsveränderung die Summe der geleisteten Arbeit 0 ist, so muss, wenn man von dem Zustande ausgeht, in welchem der Körper sich an der Trennungsfläche der beiden Flüssigkeiten befindet und wenn man sich den Körper durch eine Kraft X um einen sehr kleinen Betrag in die Flüssigkeit 2 ver- 1) Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. Bd. 68 S. 80. 1911. 2) Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 83 S. 385. 1913, und Zeitschr. f. Biol. Bd. 63 S. 386. 1914. 9) Arch. f. Tntwiekiunsenern ‚Bd. 7 8.325. 1898. TEN ES Kr; gs re IE A Zn ar IE VE en FE TER TE EL a Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 171 schoben denkt. die geleistete Arbeit, da die Grenzfläche 7,, ver- schwindet und die Trennungsflächen 77; und 7’,, neu entstehen, sein: T-03—T-0—T: 09 + Kö —=(, fi) Deshalb wird 0,9 + 093 — 013 — Kr } Ist 0] 4 093 > 073, So muss Arbeit geleistet werden, um den festen Körper von der Grenzfläche in die Flüssigkeit 2 zu schieben; der Körper wird also ohne Wirkung einer anderen Kraft an der Grenze - der beiden Flüssigkeiten haften bleiben. Ist dagegen 0,35 > 0] + 05, so geht Oberflächenenergie in Arbeit über, wenn der Körper von der Grenzfläche in die Flüssigkeit 2 kommt; der Körper wird also ohne Hilfe einer äusseren Kraft durch die Oberflächenkräfte in die Flüssig- keit 2 gezogen. Schreibt man die obengenannte Formel 075 + 093 — 07; in der Form 0,5 — (6j3 — 095) und nennt man dieses die Grenzadhäsion des festen Körpers an der Flüssigkeit 1, so ‘erhält man bei einem be- stimmten Flüssickeitspaare und verschieden festem Körper das Folgende: Ist 0,3 = (a3, ist also die Oberflächenspannung des festen Körpers gegen beide Flüssigkeiten gleich gross, dann ist die Grenzadhäsion gleich der Trennungsflächenspannung der beiden Flüssigkeiten gegen- einander. Ist 0,3 > 035, also die Adhäsion des festen Körpers an der Flüssigkeit 2 grösser als seine Adhäsion an 1, ist dabei immer noch 012 > 943 — 9a;3, dann ist die Benetzung durch beide Flüssigkeiten eine unvollständige, aber die Flüssigkeit 2 benetzt vollkommener als 1, und der feste Körper wird um so leichter von der 'Flüssigkeitsgrenze weggezogen werden in die vollkommenere benetzende Flüssigkeit, je STÖSSer O3 — 05; Ist. Bei O5 < 013 — 99; Wird der feste Körper schliesslich durch die Oberflächenkraft allein vollkommen in die Flüssig- keit 2 überführt. * Hat man das Entgegengesetzte, dass 053 > 07, ist, dann wird, Wenn 075 < 095 — 07; Ist. der Körper vollständig in die Flüssigkeit übergeführt werden. Ausserdem wird die Kraft des Festhaftens des festen Körpers an der Trennungsfläche der Flüssigkeiten weiterhin noch in gewissem Maasse abhängen von dem Gewicht des Körpers, das jder Adhäsion entgegenwirken könnte, auch von der Grösse der Berührungsfläche, auch von der Grösse und Form des Körpers. Völliges Festhaften des Pulvers an der Flüssigkeitsgrenze beweist also, dass die Partikelchen von beiden Flüssigkeiten zu gleicher Zeit teilweise benetzt werden und‘\dass die Grenzadhäsion hinreichend gross ist, um alle Teilchen, entgegen der Schwerkraft, an der Grenze festzuhalten. Haftet nur ein Teil des Pulvers, dann ist die Grenzadhäsion kleiner. Ist sie so gering, dass es unter der Einwirkung der Schwerkraft vollständig von der Flüssigkeitsgrenze weggezogen wird, dann lässt sich dieses von dem Zustande vollkommener Benetzung durch die eine Flüssigkeit nicht mehr unterscheiden. Auf diese Weise können also allerlei Über- sänge und Kombinationen der drei verschiedenen Zustände hervor- treten, d.h. dass der Körper sich in einer der beiden Flüssigkeiten voll- ständig befindet oder au der Trennungsfläche, wenn das Gleichgewicht erreicht ist; dieses Gleichgewicht wird um so schneller erreicht werden, je grösser die dabei in Betracht kommenden Unterschiede sind. Betrachtet man die Leukozyte als einen Flüssigkeitstropfen, dann hat man dabei auch noch mit einem anderen Faktor zu rechnen. Wird zum Beispiel ein Amylumkörnchen vollkommener benetzt durch das Protoplasma als durch eine Flüssigkeit, dann würden schliesslich alle Körnchen in der Leukozyte liegen müssen; in Wirklichkeit erfolgt dieses aber bis zu einer gewissen Grenze. Wenn nämlich einige Körnchen phagozytiert werden, dann wird das Protoplasma zusammen- gedrückt, die elastische Membrane wird gedehnt werden; die Folge ist eine Erhöhung der Oberflächenspannung der Leukozyte; der Unterschied zwischen dem Benetzungsvermögen der Leukozyte und der Flüssigkeit wird also kleiner; je kleiner der Unterschied - ursprünglich war, desto eher werden beide ein gleiches Benetzungs- vermögen haben, wodurch also schon bald der Aufnahme durch die Leukozyten ein Ende gemacht wird; je grösser dagegen der Unter- schied, desto mehr Körnchen werden aufgenommen werden. Auch hierdurch wird also der Grad der Phagozytose bestimmt werden.. Verfolgt man von diesem Gesichtspunkt aus die Amylumphago- zytose, und zwar zunächst in physiologischer Kochsalzlösung, indem man das Protoplasma der Leukozyte gleichsetzt mit Flüssigkeit 1 und die Kochsalzlösung mit Flüssigkeit 2, dann ist, da die Körnchen nahezu alle in der Kochsalzlösung liegen und nicht im Protoplasma, und in der Kochsalzlösung nur eine sehr geringe Adhäsion des nicht vorbehandelten Amylums zustande kommt, die Spannung an der Trennungsfläche zwischen Leukozyten und Amylumkörnchen grösser als die an der Grenze Kochsalzlösung-Amylum; ferner kann die Ober- flächenspaunung zwischen Amylum und Leukozyten nur sehr wenig kleiner sein als die Summe der Spannungen an der Grenze von Kochsalzlösung und Amylumkörnchen und an der zwischen Leukozyten und Kochsalzlösung. Die Spannung an der Grenzfläche Protoplasma und Kochsalslösung ist deshalb nur ein wenig grösser als die Differenz der Spannungen, welche an der Trennungsfläche Amylum-Protoplasma und Amylumkochsalzlösung herrschen, da diese letztere Differenz ziem- lich gross ist, weil die Stärkekörnchen vollständig in: der Kochsalz- lösung liegen und nicht in dem Protoplasma der Leukozyte. Fügt man eine hinreichende Menge Eiweiss hinzu, so wie sie im inaktiven Serum vorhanden ist, dann wird die Spannung an der Trennungsfläche .der Leukozyten gegen die umgebende Flüssigkeit stark erniedrigt. Die Leukozyt mit seiner erniedrigten Oberflächen- spannung wird jetzt viel leichter die Amylumkörnchen benetzen 172 J. Quweleen: Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 173 können als bei höherer Spannung in Kochsalzlösung, o,,, ist also viel kleiner geworden, und zwar so, dass es sogar viel kleiner ist als o,,. Amylum adsorbiert das Eiweiss wenig, so dass die Ober- flächenspannung desselben sowohl in Kochsalzlösung wie in Eiweiss- lösung ungefähr gleich ist. Die Differenz zwischen der Grenzflächen- spaunung Leukozyt-Amylum ‚und:Eiweisslösung-Amylum ist so gross, dass selbst die erstere, vermehrt um die von Leukozyt-Eiweisslösung, weniger beträgt als die letztere. Die Folge wird sein, dass das Amylumkörnehen vollständig in das Protoplasma des weissen Blut- körperehens übergeführt wird. Dies geschieht bei hinreichendem Eiweissgehalt, durch den eine genüzende Herabsetzung der Ober- flächenspannung der Leukozyten eintreten kann. Schliesslich würden alle Körnchen sich in die Leukozyten begeben müssen, diese können aber nur eine gewisse Anzahl enthalten, sie werden sich vollpfropfen, solange die elastische Leukozytenmembran es zulässt und sich aus- dehnen lässt, so dass dadurch das weisse Blutkörperchen viel grösser wird als das normale. Endlich wird aber die Füllung aufhören da- durch, dass sich die Oberflächenspannung der Leukozyten gegen die umsebende Flüssigkeit durch die Ausdehnung der Membran erhöhen wird. Wenn nicht eine genügende Menge Eiweiss aufgelöst ist, dann wird schon früher der Gleichgewichtszustand erreicht werden; so er- gab zum Beispiel Ovalbumin-Lösung auch bei sehr langer Einwirkungs- dauer keine vollständige Phagozytose. Die Erniedrigung der Ober- flächenspannung der Leukozyten ist darin eine geringere, so dass die Verhältnisse derartig werden, dass nur ein Teil der Körnchen in das Protoplasma eintritt, während der Rest in der Kochsalzlösung bleibt. Dabei spielen ausserdem auch das Gewicht und die übrigen Eigenschaften des festen Körpers eine Rolle. Behandelt man das Amylum mit aktivem Serum, so wird das Komplement von den Körnchen stark adsorbiert. Diese Bindung ist irreversibel, so dass das Amylumkörnehen eine Oberfläche erhält, die von der des nicht vorbehandelten verschieden ist. Die Folge davon ist, dass bei der -Einwirkung der Leukozyten in physiologischer Kochsalzlösung auf das vorbehandelte Amylum die Spannungsdifferenz an den Trennungsebenen Amylum-Kochsalzlösung und Amylum- Leukozyte viel geringer ist, wahrscheinlich infolge Erniedrigung an der letzteren Trennungsfläche, als beim nicht vorbehandelten Amylum. Jedoch ist auch jetzt noch die Spannung an der Grenzfläche Amylum- Koehsalzlösung niedriger als die an der Trennungsfläche Amylum- 174 J. Ouweleen: Protoplasma. Infolge dieses weniger ausgesprochenen Unterschiedes ie zwischen der Grösse der Spannungen Amylum-Kochsalzlösung und Amylum-Leukozyt bei dem vorbehandelten Amylum wird die Spannung an der Grenzfläche Amylum-Leukozyte noch in grösserem Grade kleiner sein als die Summe der Spannungen Leukozyte-Kochsalzlösung und Amylum-Kochsalzlösung, wie dieses der Fall ist bei dem nicht vor- 2 behandelten, wo diese Differenz nur gering war. Die Adhäsion, welche sich schon in geringem Maasse in Kochsalzlösung beim nicht fixieren Amylum zeigte, wird also durch die Vorbehandlung der Körnchen mit dem Komplement verstärkt. Der grösste Teil der Leukozyten wird aber ebenso wie bei dem nicht vorbehandelten Amylum in der Kochsalzlösung sein und nicht in den Leukozyten. Erfolgt die Phagozytose des mit dem Komplement versehenen Amylums in Eiweisslösung, danu wird die Grenzflächenspannung Amylum-Protoplosma erniedrigt werden, so dass eine grosse Differenz besteht zwischen den Spannungen Amylum-Kochsälzlösung und Amylum-Protoplasma, jetzt aber gerade im umgekehrten Verhältnis wie zwischen diesen Spannungen beim nicht vorbehandelten Amylum in Kochsalzlösung. Die letztere ist also viel niedriger als die erstere. Ferner wird diese Differenz jetzt viel grösser sein als bei nicht präpariertem Amylum in Eiweisslösung, weil ja bereits durch die Hinzufügung des Komplements allein die höhere Spannung Amylum- Leukozyte gegenüber derjenigen an der Trennungstläche Amylum- Kochsalzlösung erniedrigt wurde, so dass auch schon bei geringerem Eiweissgehalt eine ausgedehnte Phagozytose zustande kommen kann. Wir sahen, dass es wenig ausmachte , ob Serum, das kom- plementhaltigem Amylum hinzugefügt wurde, bis zu einem gewissen Grade mehr oder weniger verdünnt wurde; immer erhielt man die gleiche Aufnahmekraft.. Abgesehen von der Möglichkeit hemmender Stoffe in weniger verdünnten Serum müssen hierbei verschiedene Unistände in Betracht gezogen werden. Die Oberflächensparnungs- erniedrigung der Leukozyten wird nur bis zu einer bestimmten Grenze gehen können; oberhalb eines bestimmten Maximums wird die elastische Membran nicht ausgedehnt werden können. Wenn einmal dieses Maximum erreicht ist, wird es deshalb eleichgültig sein, ob noch stärkere Eiweisslösungen gebraucht werden. | Ferner ist zur Erlangung des Gleichgewichtszustandes eine ge- wisse Zeit nötig, welche bestimmt ein Minimum erreichen wird. Rhumbler konstatierte bereits, dass zur Einführung eines Körpers Le 2 ER K E j Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Anıylum. IV. 175 | in eine zähere Flüssigkeit mit niedrigerer Spannung, als die Um- gebung sie besitzt, mehr Zeit erforderlich ist als für eine weniger zähe. Gleichzeitig wird die Oberfläche des Objekts dabei eine Rolle spielen, ein glatter und ebener Körper wird langsamer eindringen als ein höckeriger. - Protoplasma ist eine dieke, zähe Flüssigkeit, die Leukozytenhülle ist eine noch zähere Membran, das Amylumkörnchen ist eben, so dass auch unter den günstigsten Bedingungen eine sehr lange Zeit nötig sein wird, bis das Gleichgewicht erreicht ist. Infolge dieser Faktoren ist es begreiflich, dass sowohl unver- dünntes inaktives Serum als auch die Verdünnungen bis zu einer sewissen Grenze denselben Phagozytosegrad des mit Serum vor- _ behandelten Amylums zeigen. Ausserdem werden anch bei starker Aufnahme die Unterschiede weniger deutlich sichtbar sein als bei weniger stärker; hat zum Beispiel ein Phagozyt vier Körnchen auf- genommen, dann wird es schwieriger sein ein fünftes aufzunehmen, als wenn die Leukozyt sich der ersten bemächtiet; durch ihren In- halt wird’ die Leukozyt vergrössert, und die Spannung gegen die umgebende Flüssigkeit und gegeu Amylum wird in dem ersten Falle grösser sein als im zweiten. Es steht ausserdem, wenn bereits viele ‘Körnehen durch die Leukozyten aufgenommen sind, eine viel ge- ringere Menge für die Aufnahme zur Verfügung. Aus diesen Betrachtungen muss man schliessen, dass bei dem “ Phagozytoseprozess, wie früher erwähnt wurde, die Unterscheidung zweier getrennter Stadien: das der Adhäsion oder Koagglutination und das der eigentlichen Aufnahme, nicht ganz richtig ist. Die Koagglutination ist nämlieh nicht ein Unterteil des Phagozytose- Prozesses, sondern steht mit ihm auf derselben Stufe. Es hängt nur von den gegenseitigen Verhältnissen der Oberflächenspannungen ab, ob Koagzlutination oder Aufnahme erfolgen wird. Etwas anderes ist aber die Frage, wodurch der Kontakt der Leukozyten und des - Phagozytoseobjekts zustande kommt, worauf dann Koagglutination oder Aufnahme erfolgt. Teilweise wird dieses mechanisch geschehen, denn beide, Leukozyten wie Objekte, in der Flüssigkeit schwebend, werden wiederholt aneinanderstossen. Die amöboide Aktivität wird dabei keine Rolle spielen. So bemerkt unter anderem Ullmann), dass die freitreibende, vielkernige Leukozyte vollständig einem runden 1) Virchow’s Arch. Bd. 205 S. 303. 1911. 176 J. Ouweleen: Tropfen gleicht, und dass derselbe sich erst auf einen Reiz hin aus- breitet, das Aussenden der Pseudopodien wird nur als Reaktion auf Ar bestimmte, meist abnormale Reize erfolgen, und die herumtreibende Leukozyte kann grosse Strecken zurücklegen und durch dicke Reihen roter Blutkörpercher hindurchgehen, ohne einen einzigen Ausläufe auszusenden; auch hieraus ergibt sich die geringe Bedeutung der amöboiden Aktivität für die Aufnahme selbst, da bei der Zusammen- fügung von Serum, Leukozyten und Mikroorganismen sehr kräftiges: Ru Schütteln stattfinden kann, ohne dass die phagozytäre Aktivität ver- u ändert wird. Nimmt man mit Ullmann an, dass eine Leukozyt immer umherirrt, sobald es nur irgend möglich ist, weil dieses a Umberschwärmen eine aktive, spontane Lebenserscheinung ist und * nicht physisch oder physisch-chemisch zu erklären ist, dann besteht Grund zu der Annahme, dass Leukozyte und Objekt miteinander in 5 B Kontakt kommen, und es hängt nur von den gegenseitigen Spannungs- b$ verhältnissen ab, was weiterhin geschehen wird, nämlich ob die Leukozyte nur das Objekt berührt und weiterirrt, oder ob Koagglu- .tination oder Aufnahme zustande kommt. Onymus!) geht noch weiter; er geht von der Tatsache aus, dass unendlich kleine Körper stets kleine oszillierende Wellen- bewegungen besitzen, welche sie in das Innere visköser Stoffe ein- dringen lassen. Dasselbe ist der Fall bei der Aufnahme chinesischer Tusche; Achard und Aynaud haben nämlich gezeigt, mit welcher Leichtigkeit verschiedene Stoffe die Interzellularräume durchdringen, und dies geschieht um so leichter, wenn diese Stoffe eigene und be- sonders spiralförmige Bewegungen besitzen; so sollen ebenso zum Beispiel Kohlteilehen durch die Tunica intestinalis dringen. Onymus schliesst dann auch, dass es infolge der Bewegungen der Partikelchen, die in Flüssigkeiten stattfinden, in denen sich visköse Stoffe wie die Leukozyten befinden, scheint, als ob das zelluläre Element die Phaeo- zytose bewirke, dass dieses aber eine optische Täuschung sei, wie dies der Fall ist bei zwei Zügen, von denen der eine an dem anderen vorbeifährt; der, welcher unbeweglich stehen bleibt, scheint gerade in Bewegung zu sein. Wie dies auch sein möge, ob die Leukozyten sich nach dem Objekte hin bewegen oder umgekehrt, in jedem Falle muss, glaube ich, durch die Spannungsverhältnisse selbst ein Einfluss ausgeübt | 1) Journ. de l’Anat. et de la Phys. t.49 p. 41. 1918. N b En . 4 Eu + Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 177 | werden auf die Annäherung von Leukozyten und Phagozytoseobjekten. Unter geeieneten Verhältnissen sendet ja die Leukozyte in der Rich- tung des Körpers, den sie aufnehmen soll, Pseudopodien aus. Es ist also sicher, dass das weisse Blutkörperchen bereits in einer ge- wissen Entfernung einen Reiz erleidet. Dass nicht eine sogenannte positive Chemotaxis im wesentlichen dafür verantwortlich gemacht werden kann, beweist die Tatsache, dass es auch bei neutralen Ob- jekten geschieht. Sehr gut möglich würde es sein,‘ dass es auf elektro-chemische Weise im Zusammenhang mit den Veränderungen der Oberflächenspannungen geschähe, wodurch dann eine Attraktion ausgeübt werden könnte. Man hat geglaubt, dass die Oberflächenspannung der Leuko- zyten bei der Phagozytose bedeutungslos ist, weil die Aufnahme auch stattfinden konnte, ohne dass die Leukozyten Pseudopodien bildeten, wie dieses zum Beispiel bei niedrigerer Temperatur ge- schieht. Rhumbler') zeiete jedoch, dass bei Amöben die Nahrungs- aufnahme sowohl durch Zirkumfluention und durch Import wie durch ‘ Zirkumvallation und Invagination auf Veränderungen der Ober- flächenspannungen beruhe. Und so muss man annehmen, dass auch bei den Leukozyten die Aufnahme durch Import, wobei also keine Formveränderung der Leukozyten auftritt, durch Veränderung der Oberflächenspannungen erfolgt, wie oben erklärt worden ist. Pseudo- podien können nur gebildet werden, wenn eine gewisse Oberflächen- - spannung der Leukozyten besteht. Ist diese Spannung zu hoch, so dass keine Pseudopodien gebildet werden können, dann kam jedoch das Verhältnis der Grenzflächenspannungen von Leukozyte und Ob- jekt so beschaffen sein, dass hierbei eine Differenz zugunsten der - ersteren Spaunuug besteht. Bei niedriger Temperatnr ist die intramolekuläre Kohäsion der Protoplasmas wahrscheinlich grösser geworden, die Spannung an der Oberfläche ist erhöht, und obwohl Aufnahme also möglich ist, wie Priestly?) fand, ist dazu doch viel mehr Zeit nötig. Sawtchensko?°) glaubte, dass das Komplement gleichzeitix der Art auf die Leukozyten einwirke, dass sie amöboide Bewegungen verrichten könnten, und zwar infolge einer Erniedrigung der Ober- 1) Arch. £. Entwicklungsmech. Bd. 30 S. 194. 1910. 2) Zit. nach Ledingham, Journ. of Hyg. vol. 12 p. 320, 1912. 3) Arch. de Sc. Biol. de St. Petersbourg t. 15 no. 2 und no. 5, t. 16 no. 2. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 12 178 J. Ouwelcen: flächenspannung, so dass die Aufnahme dadurch zustande käme. Er sah nämlich die vielen Pseudopodien, wenn er die Leukozyten in aktivem Serum in einer Verdünnung von 1:10 betrachtete. Diese Erscheinung zeigte sich auch bei den Pferdeleukozyten. Fertiet man verschiedene Verdünnungen des aktiven Serums mit physio- logischer Kochsalzlösung an und betrachtet darin mit dem Mikroskop ° die Leukozyten, dann sind die Leukozyten völlig umgestaltet; während in 0,9°/ NaCl nahezu keine Pseudopodien sichtbar, alle Blutkörperchen also nahezu rund sind, sind diese im unverdünnten Serum stets mit Ausläufer versehen; selbst in einer Verdünnung von 1:50 sind die. weissen Blutkörperchen noch nicht so beschaffen wie in der Kochsalzlösung. Betrachtet man aber die Leukozyten so- wohl im aktiven wie im inaktiven Serum nebeneinander, dann zeigt sich, dass diese Umgestaltung und das Aussenden von Pseudopodien in beiden Fällen in gleichem Grade auftritt, bis zu derselben Ver- dünnung zu. Man kann also nicht annehmen, dass die Bildung amöboider Ausläufer durch das Komplement zustande gebracht wird, sofdern durch thermostabile Stoffe, und zwar höchstwahr- scheinlich durch das Eiweiss. 2. Kohle-Phagozytose. Üben bei der Phagozytose der Kohle im Serum das Eiweiss und das Komplement den eleichen Einfluss aus wie bei der des Amylums? Ein grosser Unterschied bestand zwischen der Phagozytose der. Kohle und des Amylums in physiologischer Kochsalzlösung; Kohle wurde gut aufgenommen, Amylum nicht. Man muss also annehmen, dass die Trennungsflächenspannung Kohle-Leukozyte niedriger ist als die von Kohle zu Kochsalzlösung. Dass Kohle eine grosse Adhäsion für Protoplasma zeigt, kann nicht wunder nehmen in Anbetracht dessen, dass dieses vorzugsweise aus Eiweissen besteht und Kohle dafür ein starkes Adsorptionsvermögen besitz. Man könnte sich vorstellen, dass nicht die Kohle durch die Leukozyte aufgenommen wird, sondern dass die Leukozyte durch die Kohle adsorbiert wird; hat die Kohle sich an einer bestimmten Stelle mit dem Protoplasma des weissen Blutkörperchens versehen, sich also darin teilweise hineingearbeitet, so wird die benachbarte Stelle mit der Zellsubstanz in Berührung kommen und diese adsorbiert werden; das wird so weitergehen, bis das ganze Teilchen von dem Protoplasma umgeben ist, also durch die Leukozyte aufgenommen ist. £\ Lage % ) Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 179 Ausserdem sieht man meistens eine leichte Adhäsion der Kohle- partikelehen an der Leukozyte in physiologischer Kochsalzlösung;; die Trennungsflächenspannung Leukozyte-Flüssigkeit ist also grösser; aber nur um ein ganz geringes grösser als die Spannungsdifferenz an der Trennungsfläche Kohle-Salzlösung und der von Kohle und Leukozyte. Fügt man Eiweiss hinzu, und zwar in geringer Konzentration, so wird dieses auf die Oberflächenspannung des Blutkörperchens noch keinen nennenswerten Einfluss ausüben. Kohle aber mit ihrem grossen Adsorptionsvermögen für Eiweissstoffe wird imstande sein, es zu adsorbieren. Die Spannung Eiweisslösung-Kohle ist also niedriger als diejenige von Kochsalzlösung-Kohle. Die Folge ist, dass die Differenz der Spannungen Kohle-Eiweisslösung und Kohle-Proto- plasma kleiner wird und die Aufnahme geringer ist. Wird die Ei- _ weisslösung stärker, dann ist die Differenz nur sehr klein, so dass erst bei längerer Einwirkungsdauer ein Gleichgewichtszustand er- reicht wird, und vielleicht geschieht sogar das Umgekehrte, dass die Spannung Kohle-Protoplasma grösser ist. Aber bei einer konzen-/ trierteren Lösung zeigt sich auch eine deutliche Wirkung des Ei- weisses auf die Leukozyten, die Spannung Leukozyte-Eiweisslösung wird stark erniedrigt und auch die Spannung Leukozyte-Kohle; die Folge ist, dass die Differenz der Trennungsflächenspannungen Kohle- Eiweisslösung und Kohle-Leukozyte wieder grösser wird; ausserdem wird jetzt die Spannung Leukozyte-Eiweisslösung kleiner werden als die Differenz der Spannungen Leukozyte-Kohle und, Eiweiss-Kohle, so dass absolut keine Adhäsioun mehr zu konstatieren ist. Die Bilder in solcher starken Eiweisslösung sind dann auch ganz anders wie in physiologischer Kochsalzlösung; während man schon bei einer halbstündigen Einwirkungsdauer, nämlich in der letzteren Flüssig- keit, oft Mühe hat, festzustellen, ob ein Kohleteilchen in oder an der Leukozyte liegt, kommt dies bei der ersteren Flüssigkeit nie- mals vor. Dasselbe findet statt beim inaktiven Serum. Während wir aber in einer gesättigten Serumalbumin-Lösung bei halbstündiger Ein- wirkung noch einige Phagozytose sahen, war diese im unverdünnten, inaktiven Serum sehr gering. Ausser Eiweiss werden ja im Serum noch andere hemmende Stoffe vorhanden sein, zu denen unter anderem Lezithin gehören wird. Hat man aktives Serum, und zwar in stärkerem Maasse verdünnt, dann werden Eiweiss und die anderen hemmenden Stoffe beinahe 11203 ’ 180 Be. Ouweleen: noch nicht adsorbiert werden, wohl aber das Komplement; dieses wird also in vielen Fällen ebenso wie bei Amylum eine günstige, Wirkung ausüben können; in weniger starken Verdünnungen aber wird Eiweiss stark adsorbiert, und das Komplement wird diese nach- teillige Wirkung nur zum Teil überwinden können. In noch schwächeren Verdünnungen, in denen eine starke Wirkung des Ei- weisses auf die Leukozyten stattfindet, wird das Komplement die Phagozytose verstärken können. Auch hier wird das Komplement dazu dienen, durch die Verbindung die Oberfläche der Kohleteilchen derartig zu verändern, dass die Spannung Kohle-Leukozyte im Ver- sleich zu derjenigen an der Trennungsfläche Kohle - umgebenden Flüssigkeit erniedrigt wird, und deshalb wird im unverdünnten ‚aktiven Serum die Phagozytoseförderung, wie diese bei einer halb- stündigen Einwirkungsdauer zutage tritt, in der Hauptsache dem Komplement zuzuschreiben sein. E. Zusammenfassung. Die im vorigen beschriebenen Untersuchungen haben zu folgen- den Ergebnissen geführt: 1. Mit Bezug auf die Wirkung des homologen Serums und der Verdünnung desselben mit 0,9% NaCl] auf-die Phago- zytose der Kohle durch Pferdeleukozyten hat sich das Folgende herausgestellt: a) In unverdünntem Serum ist bei einer Einwirkunss- dauer von einer "z Stunde die Phagozytose (die prozentuelle . Menge der Leukozyten, welche Kohlenpartikelchen aufgenommen haben) meist grösser als in einer NaCl-Lösung von 0,9%, aber in vielen Fällen kleiner, während zuweilen der Grad der Phagozytose in beiden Flüssigkeiten gleich hoch zu sein scheint. Verdünnung des Serums mit einer geringen Menge Koch- salzlösung hat bei derselben Einwirkungsdauer immer einen hemmen- den Einfluss, welche Hemmung bei Verdünnung in stärkerem Grade verschwindet, so dass bei hinreichender Zufügung von 0,9°/)o NaCl eine ebenso grosse Aufnahme wie in der reinen Koch- salzlösung erreicht wird; in vielen Fällen können aber diese stärkeren Verdünnungen eine Steigerung der Phagozytose im Vergleich mit 0,9°/o NaCl zeigen, mit anderen Worten, es kann durch Zufügung einer kleinen Menge Serum zu einer NaCl-Lösung von 0,9% der Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 181 Grad der Phagozytose denjenigen in einer reinen NaCl-Lösung und selbst den im’ unverdünnten Serum übertreffen. Um diese Erscheinungen zu erklären, muss man annehmen, dass sich in dem Serum Stoffe befinden, welche die Aufnahme (Phago- zytose) der Kohle fördern, und Stoffe, welche dieselbe hemmen; durch den antangonistischen Einfluss dieser Stoffe können die ver- sehiedensten Resultate entstehen. b) Der Einfluss einer längeren Einwirkungsdauer lässt erkennen, dass in unverdünntem Serum die Phagozytose- förderung im Vergleich zu physiologischen Kochsalzlösung noch grösser wird, dass in einer schwachen Verdünnung die Phagozytose höchstwahrscheinlich höher wird als in 0,9°/o NaCl, und dass die Wirkung starker Serumverdünnungen hauptsächlich beruht auf der Aufnahmebeschleunigsung in physiologischer Kochsalzlösung. e) Nach Erhitzung des Serums während !/ Stunde bei 58°C. entsteht im unverdünnten Serum bei einer Ein- wirkungsdauer von 30 Minuten eine starke Hemmung im Vergleich zur Phagozytose in einer NaCl-Lösung von. 0,9 %/e; es findet nahezu keine Aufnahme von Kohle statt. Ebensowenig ist dieses der Fall in einer geringen Verdünnung des Serums, zum Bei- spiel in einer solchen von 1:10, in der die bereits bestehende starke Hemmung noch stärker wird. Auch in st ärkeren Verdünnungen - des Serums, zum Beispiel in einer von 1:10000, zeigt sich noch, obwohl im leichtem Grade, eine nachteilige Wirkung der Erwärmung. | Hemmende Stoffe haben deshalb bis zu einer geringen Konzentration im erhitzten Serum die Oberhand. Bei längerer Dauer der Einwirkung stellt sich heraus, dass erhitztes Serum schliesslich dieselbe Aufnahmefähigkeit den Kohlenpartikelehen gegenüber erreicht als nicht erhitztes Serum. \ 2. Im 0,9% NaCl kommt im Gegensatz zu Kohle keine oder nahezu keine Phagozytose von Amylumkörnchen durch Pferde- leukozyten zustande, wie lange man auch die Einwirkung dauern lässt. 3. Mit Bezug auf die Wirkung des homologen Serums und dessen Verdünnungen mit 0,9% NaCl auf die Phagozytose von Amylum durch Pferdeleukozyten hat sich folgendes gezeigt: a) Unerhitztes unverdünntes Serum zeigt bereits bei einer Einwirkungszeit von 15 Minuten eine starke Auf- nahme. Bei Verdünnung des Serums mit einer ziemlich ge- 182 J. Ouweleen: ringen Menge Kochsalzlösung, zum Beispiel einer von 1:10, ist die Aufnahme ungefähr ebenso gross als im urverdünnten Serum. Sie nimmt aber ab bei stärkerer Verdünnung, so dass bei einer Verdünnung von 1:100 immer ein Phagozytosegrad gleich dem in 0,9°/o NaCl erreicht ist, welcher sich bei noch grösseren Verdünnungen erhält. b) Erhitzung unverdünnten Serums (!/s Stunde bei 58° C.) lässt die Stärke der Amylum-Phagozytose abnehmen, aber As nicht mehr als ungefähr ein Drittel des ganzen Betrages. Im Ver- ir gleich zur Aufnahme im erhitzten und im nicht erbitzten unverdünnten Serum ist bei Verdünnungen erhitzten Serums die Stärke, wie sie in 0,9°/o NaCl vorliest, schneller erreicht, als man erwarten sollte; der Gradunterschied der Phagozytose in den entsprechenden Verdünnungen nicht erhitzten und erhitzten Serums ist doch grösser als der in den unverdünnten Seren selbst. 3; ec) Bei einer Einwirkung von länger als 15 Minuten zeigt sich, dass nur die geringeren Verdünnungen zu einer Maximalphagozytose, wie sie im unverdünnten Serum zustande kommt (d. h. eine solche, bei der alle Phagozyten Körnchen auf- genommen haben), fähig sind, während in den stärkeren Ver- e dünnungen eine desto geringere Aufnahme stattfindet, je mehr 0,9°/o NaCl hinzugefügt ist. Hi d)- Erhitzung hat bei der Aufnahme von Amylum einen grösseren Effekt im verdünnten als im unverdünnten Serum. 4. In heterologen Seren (des Rindes, Schweines, Kaninchens) von unverdünnter Beschaffenheit nehmen die Pferdeleukozyten weniger Kohlenteilchen und auch weniger Amylumkörnchen auf als im Pferdeserum. 4 a) Die Phagozytose von Kohle scheint bei einer Einwirkungs- dauer von 30 Minuten stark gehemmt zu sein, auch im Vergleich mit physiologischer Kochsalzlösung; denn weder Schweine- noch Kaninchenserum sind unverdünnt imstande, die Leukozyten zum Phagozytieren zu bringen, während in Rinderserum dieses auch in' 4 sehr geringem Maasse möglich ist. Bei all diesen heterologen Seren bleibt eine hemmende Wirkung bestehen selbst bis zu den stärkeren \ - Verdünnungen. h b) Die Phagozytose von Amylum im unverdünnten fremden Serum ist bei einer Einwirkungsdauer von 15 Minuten eben- e ji | i | | | Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 183 falls immer niedriger als im unverdünnten eigenen Serum, aber sie findet immer noch einigermaassen statt. Im Vergleich mit der physio- logischen Kochsalzlösung, in der keine Aufnahme zustande kommt, ist also einige Förderung vorhanden, im Schweineserum eine geringe, im Rinderserum eine etwas grössere; im Kaninchenserum ist sogar eine sehr starke Aufnahme. Die Hemmung gegenüber unverdünntem, eigenem Serum besteht nur im unverdünnten heterologen Serum, denn geringere Verdünnungen, zum Beispiel eine Verdünnung von 1:10, lassen bei allen fremden Seren keine Verminderung gegenüber Pferdeserum mehr erkennen; ebensowenig ist dieses bei den stärkeren Verdünnungen der Fall; im Schweineserum, bei Verdünnungen von 1:50 und 1:100, zeigen die Pferdeleuko- zyten sogar eine höhere Phagozytose als im Pferdeserum bei den- selben Verdünnungen. 5. Mit Bezug auf das Vorkommen fördernder und hemmender Stoffe im Serum ist an erster Stelle untersucht worden, wie die Wir- kung von Eiweiss auf die Phagozytose von Kohle und Amylum ist. Dieser Einfluss scheint folgendermaassen zu sein: a) Eiweiss bis in kleine Spuren übt eine nachteilige Wirkung aus auf die Phagozytose der Kohle in physiologischer Koch- salzlösung bei einer Einwirkungsdauer von 30 Minuten; aber in den starken Konzentrationen ist es weniger schäd- lich als in den weiterhin folgenden Verdünnungen, obwohl darin auch die henımende Wirkung zutage tritt. b) Auf die Phagozytose von Amylum in physiologischer KochsalzlösungbeieinerEinwirkungsdauervon 1Mi- nuten übt Eiweiss in konzentrierten Lösungen einen vorteilhaften Einfluss aus. e) Bei längerer Dauer der Einwirkung übt Eiweiss auch auf die Phagozytose der Kohle einen günstigen Einfluss aus ım Vergleich mit dem in reiner physiologischer Kochsalzlösung, während bei Amylum diese Wirkung noch deutlicher zum Vor- schein kommt. d) Füst man dem mit 0,9% NaCl verdünnten Serum Eiweiss zu, so wird die Phagozytose des Amylums vermindert, und zwar um so mehr, je weniger konzentriert das Serum ist; je stärkere Serumkonzentration gebraucht wird, desto mehr Ovalbumin, je schwächer die Serumkonzentration, desto weniger Ovalbumin wird 184 J. Ouweleen: nötig sein, um eine Verminderung der Aufnahmekraft zustande zu bringen. " ; e) Dadurch, dass man Ovalbumin dem Serum zufüst, wird die Wirkung des Erhitzens auf die die Phagozytose fördernden Serum- h stoffe verringert. | " 6. Zur Erklärung der erhaltenen Resultate wurde weiterhin ge- a dacht an einen möglichen Einfluss der Lipoide. E Das Studium der Wirkung dieser Stoffe auf den Phagozytose- & prozess hat das Folgende gezeigt: a) Stubers Schluss, dass die Stärke der Phagoayinse den Tonus der Lipoiden des Serums angibt, ist‘ zu verwerfen, da mn seinen Experimenten verschiedene Faktoren nicht genügend beachtet Si sind. Auch die Mehrzahl der übrigen Untersuchungen über die ei Wirkung der Lipoiden ist unvollständig. b) Lezithin übt bis zu einer Konzentration von 1:10000 einen nachteiligen Einfluss auf die Phagozytose der Kohle durch Pferde- leukozyten in physiologischer Kochsalzlösung aus. c) Für die Phagozytose von Amylum ist selbst eine Lezithin- Konzentration von 1:250 nicht nachteilig, wenn die Aufnahme in einer gesättieten Serumalbumin-Lösungerfolst, ebensowenig mit 0,9% NaCl verdünntem Serum; es wirken aber bei diesem letzteren geringere Konzentrationen des Lezithins sehr nachteilig; r dieser schädliche Einfluss lässt sich freilich durch Zufügung von. Eiweiss teilweise aufheben. d) Wir können annehmen, dass bei der Phagozytose der Kohle innormalem Serum das Lezithin eine hemmende Wirkung ausübt, aber nur wenn es in grösserer Konzentration vorhanden ist, während die Phagozytose des Amylums in derselben Flüssigkeit dadurch nicht beeinflusst wird. e) Cholesterinpräparate (Merck) verhielten sich verschieden ; das eine wurde viel leichter in Emulsion gebracht als das andere; aus diesem Grunde wurden die Untersuchungen über den Einfluss des Cholesterins auf die Phagozytose nicht fortgesetzt. a ee ee ee ie 7. Indem wir uns die Frage vorlegten,‘ inwiefern der Prozess. der Phagozytose im Serum auf der Eiweisswirkung beruht und in- wiefern hierbei andere Stoffe von Bedeutung sind, sind wir dann dazu übergegangen, die Wirkung der Serumstoffe auf dieselbe Weise zu untersuchen, wie man dieses bei der Phagozytose der Bakterien i und Erythrozyten getan hat. | Über den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. IV. 185 “ Weann wir das Amylum der Einwirkung der Serums aussetzten, zeigte sich das Folgende: a) Amylum nimmt aus unerhitztem Pferdeserum einen Stoff auf, welcher die mehrmals mit 0,9°o NaCl. gewaschenen Körnchen an den weissen Blutkörperchen des Pferdes in physio- logischer Kochsalzlösung adhärieren lässt. Das Eutstehen der Adhäsion beruht nicht darauf, dass durch das Waschen bestimmte Phagozytose fördernde Serunstoffe in zu geringer Menge an das Amylum gebunden sind, so dass dadurch keine Aufnahme erfolgt, denn selbst nach vielmaligem Waschen der vorbehandelten Körnchen kommt diese Adhäsion in gleichem Maasse zustande; ausserdem findet auch beilängerer Einwirkungsdauer keine grössere Aufnahme statt. Aus erhitztem Serum werden keine Phagozytose fördernden Stoffe in nachweisbarer Menge aufgenommen. b) Sowohl erhitztes als nicht erhitztes Serum, mit Amylum digeriert, zeigt eine niedrigere Phagozytose als nicht digeriertes Serum; hierbei spielen auch hemmende Stoffe, die entweder durch Zerspaltung des Amylums oder durch Veränderung der Serumstoffe entstanden sind, wahrscheinlich eine Rolle, wie bei den Versuchs- resultaten, nach welchen unerhitztes und erhitztes, mit Amylum digeriertes Serum im unverdünnten Zustand einen niedrigen Aufnahme- grad zeigten als die geringeren Verdünnungen; es ist aber auch möelich, dass solche Stoffe für die Aufnahme von Amylum im homologen unverdünnten Serum normalerweise vorkommen. 8. Wenn man in derselben Weise weiter experimentiert, wie man es bei den Bakterien und Erythrozyten getan hat, kommt man zu dem Schluss, dass die Serumstoffe, welche die Phagozytose des Amylums befördern, einen komplexen Bau haben, was nur zu zeisen war, wenn wir geringe Mengen unerhitzten und erhitzten Serums in 0,9°%% NaCl zusammenfügten. Aber nicht war diese Erscheinung zu konstatieren bei der Beimischung vorbehandelten Amylums zu erhitztem Serum und Verdünnungen unerhitzten Serums, oder unverdünnten erhitzten Serums und einer geringen Menge nicht erhitzten Serums. 9. Diastase schien bei der Aufnahme der Amylumkörnchen durch Leukozyten im Serum keine spezifische Rolle zu spielen. 10. a) Der Grad der Amylum-Phagozytoseim erhitzten Serum wird bestimmt durch die Beeinflussung der Leukozyten und 186 J. Ouweleen: nicht durch die des Objekts. Die auf die Leukozyten einwirkenden Agentien sind Serumeiweiss, Caleium und vielleicht auch Seifen. Auen bei der Aufnahme der Kohle im erhitzten Serum spielen dieselben Stoffe eine Rolle. Ausserdem ‚werden hierbei andere Stoffe, wie Lezithin, einen hemmenden Einfluss ausüben. b) Die Steigerung der Fähigkeit der Pferdeleukozyten, Amylum- körnchen aufzunehmen mittels unerhitzten Serums beruht hauptsächlich auf der kombinierten Wirkung des Serumeiweisses und des Komplements. Die übrigen Stoffe werden nur eine Neben- rolle spielen. Das Eiweiss übt hierbei teilweise eine Funktion aus wie der Ambozeptor bei der Phagozytose der Bakterien und Erythrozyten ip vitro; das Komplement, an das Amylumkörnchen gebunden, be- wirkt die starke Adhäsion an die Leukozyten. Ebenso spielen bei der Phagozytose der Kohle in diesem Serum Eiweiss und das Komplement die Hauptrolle. 11. Die Wirkungsweise des Eiweisses und des Komple- ments bei der Phagozytose neutraler Objekte im Serum beruht auf den Veränderungen der Oberflächenspannung der drei Bestandteile: der Leukozyten, des Obiekts der Phagozytose und der umgebenden Flüssigkeit, die durch die Anwesenheit dieser Stoffe gegenüber den Spannungen in physiologischer Kochsalzlösung entstehen. Das Auf- treten oder Ausbleiben der Phagozytose durch oder der Adhäsion an den Pferdeleukozyten des Amylums und der Kohle wird ja statt- finden, je nachdem die Spannungsverhältnisse an den Grenzflächen dieser Partikelchen, der Leukozyten und der umgebenden Flüssig- keit sich gestalten. So wird Amylum in physiologischer Kochsalz- lösung deshalb nicht aufgenommen werden, weil die Spannung Amylum gegen Kochsalzlösung niedriger ist als. die des Amylums gegen die Leukozyten; eine sehr geringe Adhäsion wird sich zeigen, da der Unterschied dieser Spannungen ein wenig kleiner ist &ls die Spannung an der Grenzfläche Leukozyte-Kochsalzlösung. Kohle da- gegen wird in Kochsalzlösung aufgenommen werden, weil die Spannung Kohle zu Kochsalzlösung grösser ist als die zwischen Kohle und Leukozyt. i a) Die Wirkungsweise des Eiweisses bei der Amylum- Phagozytose wird derartig sein, dass es die Oberflächenspannung der Leukozyten verringert; das Komplement wird höchstwahrscheinlich ED nd nn _ r* -_ u u ge Dia, fr, - u Kern Fr Uber den Einfluss des Serums auf die Phagozytose von Kohle u. Amylum. V, 187 die Oberfläche der Amylumkörnchen in der Weise verändern, dass die Spannung an der Grenzfläche von Amylum und Leukozyt ver- kleinert wird im Vergleich zu der an der Grenzfläche von Amylum _ und umgebender Flüssigkeit. b) Beider Kohle- Pphagozytose üben beide Stoffe dieselbe Wirkung aus. Von Kohle jedoch kann man annehmen, dass diese imstande - ist, die Oberflächenspannung des Leukozyten stark zu erniedrigen; diese Eigenschaft besitzt Amylum in viel geringerem Maasse. Ausser- dem hat Kohle ein viel grösseres Absorptionsvermögen für Eiweiss als Amylum; dies ist so stark, dass die erstere bereits dem Einfluss der Albumen in geringerer Konzentration unterliegt, bevor dieses beim Leukozyt der Fall ist. Durch diese Spannungserniedrigung - an der Grenzfläche Kohle-Eiweisslösung tritt demnach ein nachteiliger Einfluss auf für die Phagozytose dieser Partikelehen, während der vorteilhafte Einfluss, die Erniedrigung der Oberffächenspannung der Leukozyten, erst bei stärkerer Konzentration zutage tritt. Das verschiedene Verhalten der Kohle und des Amylums bei der Phagozytose beruht also auf ihren verschiedenen Eigenschaften. 12. Betreffs des Zustandekommens der Phagozytose muss man aus unseren Untersuchungen folgenden Schluss ziehen: Die Einteilung des Phagozytoseprozesses in zwei Stadien: erstens das Stadium der Adhäsion oder Koagglutination und zweitens das Stadium der eigentlichen Aufnahme, ist nicht ganz richtig. Ob Adhäsion oder wirkliche Aufnahme eintreten wird, hängt nur von dem Grade der Oberflächenspannungen ab; beide Prozesse sind von derselben Art. Will man ein Stadium der Attraktion unterscheiden, so spielen dabei möglicherweise elektro-chemische Kräfte im Zusammenhang mit den herrschenden Oberflächenspannungen eine Rolle. 188 R. Rosemann: Beiträge zur Physiologie der Verdauung. VI. Mitteilung. Die Wasserstoffionen-Konzentration des Magensaftes. Von R. Rosemann. Die Wasserstoffionen-Konzentration des Magensaftes wird von Höber!) zu 1-10 -°—7.10-°, von Michaelis?) zu 1,7- 10-28 angegeben. Diesen Angaben liegen zugrunde die Untersuchungen B: von Fraenckel®), Foä®), Tang]?), Michaelis und Davidsohn®). Der Maximalwert von 7:10? erscheint auffallend niedrig, wenn man bedenkt, dass .der Magensaft des Menschen wie der des Hundes 0,45—0,58°/o HC1 enthält, also eine 0,123—0,159 n. Salzsäure dar- stell. Nimmt man als Dissoziationsgrad einer solchen Salzsäure rund 0,9 an, so sollte man eine Wasserstoffionen-Konzentration von 1,1—1,4.10 7! erwarten, also einen beträchtlich höheren Wert, als er in den bisher vorliegenden Untersuchungen bei normalen Verhältnissen, ja sogar bei Hyperazidität gefunden worden ist; nach Michaelis entspricht eine Wasserstofiionen-Konzentration von 4.102 bereits einer starken Hyperazidität. Neben der Salzsäure ° 1) R. Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, 4. Aufl., # S. 197. Leipzig und Berlin 1914. 2) L. Michaelis, Die Wasserstoffionen-Konzentration S.109. Berlin 1914. 3) P. Fraenckel, Die H-Konzentration des reinen Magensaftes und ihre Beziehungen zur elektrischen Leitfähigkeit und zur titrimetrischen Azidität. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therapie Bd. 1 S. 431. 1905. 4) C. Foä, La reaction du suc gastrique, etudiee par la methode electro- metrique. Compt. rend. de la soc. de biol. t. 59, I, p. 2. 1905. 5) F. Tangl, Untersuchungen über die Hydrogenionen-Konzentration im Inhalt des nüchternen menschlichen Magens. Pflüger’s Arch. Bd. 115 S. 64. 1906. 6) L. Michaelis und H. Davidsohn, Die Bedeutung und die Messung der Magensaftazidität. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therapie Bd. 8 S. 398. 1911. Beiträge zur Physiologie der Verdauung. VII. 189 kommen im Magensafte nur noch geringe Mengen von organischen ‘ Substanzen und Chloriden vor; wenn diese auch die Dissoziation der Salzsäuıe beeinflussen mögen, so kann dies doch nicht in dem Maasse der Fall sein, wie die beobachteten Maximalwerte es verlangen würden. Geht man näher auf die vorliegenden Untersuchungen ein, so fällt sofort auf, dass hier — wie leider auch sonst häufig — kein Unterschied zwischen dem Ausdruck „Magensaft“ und „Magen- inhalt“ gemacht wird. Die Arbeit von Michaelis und Davidsohn bezieht sich nicht auf Magensäfte, sondern auf den Maseninhalt gesunder und kranker Menschen, °/s Stunde nach einem Ewald’schen Probefrühstück. Es ist aber ohne weiteres selbstverständlich, dass der Mageninhalt, d. h. ein Gemisch von Speise, Speichel und Magensaft, eine seringere Wasserstoffionen-Konzentration besitzen muss als der reine Magensaft, einmal wegen der Verdünnung, die der Magensaft - bei der Vermischung mit den Speisen und dem verschluckten Speichel erfährt, sodann wegen der Umsetzungen, die zwischen den Bestand- teilen des Magensaftes und denen der Speisen und des Speichels entstehen werden. Gewiss wird es von Interesse sein, die Wasserstoff- ionen-Konzentration eines solchen Mageninhaltes kennen zu lernen; für die Beurteilung der Frage aber, wie hoch die Wasserstoflionen- Konzentration des reinen Magensaftes ist, können diese Beobachtungen nieht benutzt werden. — Tangl untersuchte den Mageninhalt von 13 magenzesunden Menschen, der 10—12 Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme mittels der Boas’schen Expression durch eine Magensonde gewonnen wurde. Der Magensaft war, wie Tangl selbst hervorhebt, natürlich mit mehr oder weniger verschlucktem Speichel vermischt und stammte aus dem nüchternen Magen, war also bei einer schwachen Sekretionstätiekeit abgesondert. Die gefundenen Werte der Wasserstoffionen-Konzentration sind daher auch durchweg sehr niedrig, die meisten Mageninhalte hatten eine Wasserstoffionen- Konzentration von 2—3 :10 2, entsprechend etwa 0,1°o HCl. In einem einzigen Falle, der aber von den übrigen Beobachtungen weit absteht, erreichte die Wasserstoffionen-Konzentration den Wert 89.10 =2—=0,33%/o HCl. Auch diese Untersuchungen geben daher keinen Aufschluss darüber, wie hoch die Wasserstoffionen-Kon- zentration des reinen Magensaftes unter den günstigsten Umständen einer lebhaften Sekretionstätiekeit ansteigt. — Die Untersuchungen von Foä betreffen allerdings reine Magensäfte von Hunden; bei der mangelhaften Beschreibung aber, die schon Tangl sehr mit Recht _ 190 R. Rosemann: betont hat, kann man weder über die Methodik der Versuche noch über die Resultate ein klares Bild gewinnen. Die von Foä au gegebenen Werte für log Cr liegen zwischen — 1,6472 und — 1,1755, daraus ergibt sich eine Wasserstoffionen-Konzentration von 2,3—6,7 -10-2. Als „solution eorrespondante de HC1“ gibt Foä die Werte u Ger 21, also 0,016—0,053 n. HCI —= 0,06—0,19°/6 HCl; ich vermag allerdings keine Korrespondenz zwischen diesen Werten und denen der Wasserstoffionen-Konzentration zu finden. Jedenfalls sind auch hier die maximalen Werte auffallend niedrig. — Fraenckel benutzte für seine Untersuchungen Magensäfte, die aus einem sogenannten „kleinen Magen“ nach Pawlow von vier Hunden stammten. Die Wasserstofflionen-Konzentration war nur dreimal unter 27 Messungen geringer als 5- 10-2 (223,9 - 10-2), bei einem Hunde betrug sie 1,2 .10 7 !, in allen anderen Fällen lag sie zwischen 5,1 und 9,6 - 107% 7 wie Fraenckel sagt, „mit deutlicher Annäherung an die Konzentration 7 1-10-1“, Fraenckel hebt selbst hervor, dass in seinen Versuchen N die Werte für die titrierte freie Säure ebenso wie die gemessene Wasserstoffionen-Konzentration stark hinter den von Pawlow selbst gefundenen Werten (0,5—0,6° freie HCl) zurückbleiben; er ist geneigt, diesen Unterschied -auf individuelle Verschiedenheiten der Hunde zurückzuführen. Heute besteht wohl allgemein kein Zweifel ° daran, dass der bei lebhafter Sekretionstätigkeit abgesonderte reine Hundemagensaft normalerweise regelmässig 0,5—0,6 0 HCl enthält; es müssen also bei den Fraenekel’schen Hunden besondere Be- BE dingungen vorgelegen haben, die die sekretorische Tätigkeit be- einträchtigten. Dafür spricht auch, dass Fraenckel unter Pilocarpin- Wirkung Magensäfte mit einer Wasserstoflionen-Konzentration von 1,1—1,2-10-! erhielt, also Werte, die sich den zu erwartenden deutlich nähern. Fraenckel hat auch menschlichen Magensaft von einem 10jährigen Mädchen untersucht, dem wegen völliger Un- durchlässigkeit der Speiseröhre infolge von Laugenverätzung eine Magenfistel sowie ausserdem eine Ösophagusfistel angelegt worden war. Die Sekretion wurde hervorgerufen, indem man das Kind Zuckerwerk kauen liess. In zwei Versuchen wurde die Wasserstoff- ionen-Konzentration zu 6,3 und 83-10? gefunden. Man kann aber wohl zweifelhaft sein, ob der Magen sich wirklich in lebhafter sekretorischer Tätigkeit befunden hat; auch ist ein Verschlucken von Beiträge zur Physiologie der Verdauung. VII. 191 Speichel durch den für Speisen unwegsamen Ösophagus wohl kaum mit Sicherheit auszuschliessen !). _ Bestimmungen der Wasserstoffionen-Konzentration in Magen- säften, die beim Hunde mit Speiseröhren- und Magenfistel durch Seheinfütterung nach Pawlow gewonnen worden sind, liegen, soweit ich sehe, in der Literatur überhaupt noch nicht vor. Es ist aber wohl unzweifelhaft, dass gerade diese Versuchsanordnung uns in den Stand setzt, den völlig intakten Magen durch normale Reize zu leb- haftester Tätigkeit zu bringen, so wie das jedenfalls beim Beginn der - normalen Nahrungsaufnahme regelmässig geschieht. Eine Ergänzung der bisher vorliegenden Beobachtungen durch Bestimmungen der Wasserstoffionen-Konzentration solcher durch Scheinfütterung ge- wonnener Magensäfte erscheint daher sehr notwendig. Leider ist es "unter den heutigen Verhältnissen kaum möglich, für Hunde mit Magen- und Speiseröhrenfistel die genügende Nahrung zu bekommen. Ich habe daher eine Reihe solcher Bestimmungen an Magensäften ‚ausgeführt, die ich von meinen früheren Untersuchungen her auf- bewahrt habe. Diese Magensäfte haben 9—10 Jahre im Laboratorium in Glasflaschen gestanden. Sie weisen durchweg dieselben Ver- änderungen -auf: sie haben eine deutlich gelbe bis stark braune Färbung angenommen’ und enthalten einen Bodensatz, der meist ziemlich fest an der Wand des Gefässes anhaftet, zum Teil aber auch in der Flüssigkeit suspendiert ist. Der Geruch ist (mit einer Aus- nahme, die nicht zu weiteren Untersuchungen verwandt wurde) niemals faulig, sondern eigentümlich brenzlich, an den Geruch von Zichorie erinnernd. Die peptische Kraft ist stark herabgesetzt oder völlig verschwunden. Der Magensaft von Versuch 26 (7. März 1907. 1+ 2) gab die folgenden Reaktionen: sehr deutliche Biuretreaktion, aber inı Gegensatz zu früher?) keine Millon’sche Reaktion, auf Zusatz von Salpetersäure keine Fällung, beim Kochen mit Salpetersäure Gelb- färbung, die beim Übersättigen mit NH, in Orange übereing, keine Fällung beim Neutralisieren, beim Kochen, auch nicht beim Kochen nach Neutralisation, keine Fällung bei Zusatz von Alkohol, bei Halb- sättigung und bei Ganzsättigung mit Ammonsulfat. Auffallend ist es, dass bei allen diesen Magensäften die Azidität, gemessen durch 1) Vgl. meine Bemerkungen zu diesem Falle Pflüger’s Arch. Bd. 115 S. 487—489. 1907. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 118 S. 495. 1907. 192 R. Rosemann:. Titrierung mit "/ıo n-Natronlauge und Phenolphthalein, deutlich zu- genommen hat (vgl. die Tabelle auf S. 196 Spalte 6 und 7). Die niedrigste Zunahme war von 0,3577 auf 0,3614 — 0,0037 lo, die x höchste von 0,5110 auf 0,6680 = 0,1570°o, meist liegen die Zu- nahmen zwischen 0,02 und 0,06 Jo. Es liegt nahe, als Grund dieser & Erscheinung an eine falsche Einstellung der benutzten Natronlauge Ä | zu denken; gegen diese Erklärung spricht aber, abgesehen davon, dass alle von mir benutzten Normallösungen von mir selbst an- gefertigt und sorgfältig eingestellt sind, der Umstand, dass der Grad = der Aziditätssteigerung bei den einzelnen Magensäften ganz verschieden war. Wenn man die von mir untersuchten Magensäfte danach auch ‘ nicht ohne weiteres mit frisch gewonnenen gleichsetzen darf, so sind die Veränderungen, die sie durch das Aufbewahren erfahren haben, doch kaum derartige, dass sie die Wasserstoffionen-Konzentration im wesentlichen Maasse beeinflussen können. Meine Versuchsanordnung war die folgende Es wurde die elektromotorische Kraft gemessen zwischen einer Quecksilber-Calomel- Elektrode in einer 0,1 n-Kaliumchloridlösung und einer Platin- Wasserstoff-Elektrode in der zu untersuchenden Flüssigkeit. Zwischen die Elektrodenflüssigkeiten wurde eine 3,5 n- bzw. 1,75 n-Kalium- chloridlösung eingeschaltet und aus den beiden Beobachtungen die wahre elektromotorische Kraft durch Extrapolation nach Bjerrum!) bestimmt. Das Wasserstoff-Elektrodengefäss war das von Hassel- balch?) angegebene; da jedoch bei den hier zu erwartenden Wasserstoff- ionen-Konzentrationen ein etwaiger CO,-Gehalt der Flüssigkeit keine Rolle spielen konnte, so wurde durch die Blektrodenflüssigkeit dauernd Wasserstoff durchgeleitet; nur im Moment der Messung selbst wurde der Gasstrom abgestellt. Der Wasserstoff wurde elektrolytisch aus Kalilauge hergestellt und mit einer alkalischen Pyrogallollösung und destilliertem Wasser gewaschen; ehe er in das Blektrodengefäss eintrat, wurde er durch eine geringe Menge einer 0,1 n-Salzsäure, also eine Flüssigkeit von etwa demselben HCI-Gehalt wie die zu untersuchende, geleitet. Die Quecksilber-Calomel-Elektroden waren 1) N. Bjerrum, Über die Elimination des Diffussionspotentials zwischen zwei verdünnten. wässerigen Lösungen durch Einschalten einer konzentrierten Chlorkaliumlösung. Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 53 S. 428. 1905. 2) K. A. Hasselbalch, . Elektrometrische Reaktionsbestimmungen COs- haltiger Flüssigkeiten. Biochem. Zeitschr. Bd. 30 8. 317. 1911. zZ “ Beiträge zur Physiologie der Verdauung. VI. 193 aus chemisch reinen Substanzen hergestellt; ich benutzte zwei solcher "Elektroden und habe mehrfach die Messungen zum Vergleich mit der einen und der anderen Elektrode ausgeführt: die Elektroden stimmten “ stets vollkommen überein. Als Null-Instrument diente ein kleines Edelmann’sches Saitengalvanometer, das sich hierfür als 'ausser- ordentlich geeignet erwies. Vor dem Kapillarelektrometer hat es mehrfache Vorteile; besonders angenehm ist es, dass man durch entsprechende Spannung der Saite jede gewünschte Empfindlichkeit einstellen kann. Leitet man zunächst keinen Strom durch den Elektromagneten, so behält dieser immer noch so viel Magnetismus, dass das Instrument mit verhältnismässig sehr geringer Empfindlichkeit arbeitet; dies ist zweckmässig, ‚wenn die Grösse der zu messenden elektromotorischen Kraft sanz unbekannt ist. Man kann dann zu- nächst bei geringer Empfindlichkeit des Instrumentes eine ungefähre Einstellung vornehmen; dann schliesst man den Strom des Elektro+ magneten und beendet die Einstellung bei der nunmehr: erreichten Empfindlichkeit. Als Normalelement diente ein von mir hergestelltes Cadmiumelement; seine elektromotorische Kraft wurde von Zeit zu Zeit mit einem von der physikalisch-teehnischen Reichsanstalt. ge- prüften Weston-Element verglichen und erwies sich als konstant bei 18° C. zu 1,0188—1,0189 V. Leider war die Temperatur in dem Zimmer, in welchem: die Bestimmungen ausgeführt wurden, nicht konstant zu erhalten, sie schwankte an verschiedenen Tagen zwischen. 17,7—20,4° C. Sie wurde jedesmal mit einem in !/ıo Grad geteilten Normalthermometer bestimmt und bei der Berechnung der Werte berücksichtigt. Zwischen den einzelnen Bestimmungen der Wasserstoffionen-Kon- zentration der Magensäfte habe ich von Zeit zu Zeit eingeschaltet Unter- ‚suchungen an einer 0,1 n-Salzsäure oder an Mischungen von Salz- säure und Natriumehlorid, in denen die Konzentration der Gesamt- -ehloride—=0,1 n war (vgl. Sörensen!). Der Dissoziationsgrad der Sälzsäure ist in allen diesen Mischungen derselbe, nämlich 0,9165, Die folgende Tabelle gibt die erhaltenen Werte. 1) S. P. L. Sörensen, Über die Messung und die Bedeutung der Wasser- stoffionen-Konzentration bei enzymatischen Prozessen. Biochem. Zeitschr. Bd. 21 8. 154. 1909. — Über die Messung und Bedeutung der Wasserstoffionen-Kon- zentration bei biologischen Prozessen. Ergebn. d. Physiol. Bd. 12 8.393. 1912. "Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. ale 194 NER Rosemann: De A Be 53.6 12. To | | = 2 B = © Zusammensetzung = 2 EB S = ich E 3 der =. a Bi Se Ess = Be Versuchslösung | 28 | S- e- zz Ss Ss.| 8% a ee DS 12:0 S> = As 2 © SS | <7 a4 ER S R- 0 | na | 28 = s I 01 n — 10,09165] 0,0603 | 0,4041 | 0,4003 | 0,0038 | 0,3965 0,9362 4 ‘0,06 n | 0,04 n | 0,05499| 0,0732 | 0,4145 | 0,4117 | 0,0028 | 0,4089 | 0,3357 : 0,05 n | 0,05 n |0,04583 | 0,0776 | 0,4189 | 0,4164 |- 0,0025 | 0,4139 | 0,3363, 0,04 n | 0,06 n | 0,036 66 | 0,0830 | 0,4231 | 0,4213 | 0,0018 | 0,4195 | 0,3365 0,02 n | 0,08 n | 0,01833| 0,1004 | 0,4385 | 0,4375 | 0,0007 | 0,4371 | 0,3367 , IS Spalte 3 gibt die Wasserstoffionen-Konzentration der untersuchten Lösung, wie man sie durch Multiplikation des Normalitätsfaktors de Salzsäure mit dem Dissoziationsgrad erhält; dieser Wert dient dann zur Berechnung der Werte in Spalte 4. Spalte 5 und 6 gibt die x beobachteten Werte der elektromotorischen Kraft, Spalte 8 die durch Extrapolation daraus berechneten Werte. Durch Subtraktion der Werte in Spalte 4 von denen der Spalte 8 ergeben sich die Werte für die elektromotorische Kraft einer Quecksilber-Calomel-Elektrode in einer 0,1 n-Kaliumchloridlösung gegen eine Platin-Wasserstofl- Elektrode in eirer 1-Normallösung von Wasserstoffionen bei 18° C., die man in Spalte 9 findet. Die einzelnen Werte stimmen gut mit- 1 einander überein, das Mittel ist 0,3363. Dieser Wert ist allerdings \ etwas kleiner als der von Sörensen!) angegebene (0,3377), er stimmt 2 aber nahe überein mit dem Werte von Wilsmore?) (0,3360 bei E 25° C.) und Bjerrum?) (0,3366 bei 0° C.; 0,3367 bei 25° C.); ich habe ihn für die weiteren Berechnungen zugrunde gelest. - 1) 8. P. L. Sörensen, Über die Messung und die Bedeutung der Wasser- stoffionen-Konzentration bei enzymatischen Prozessen. Biochem. Zeitschr. Bd. 21 S. 154. 1909. — Über die Messung und Bedeutnng der Wasserstoffionen-Konzen- tration bei biologischen Prozessen. Ergeb. d. Physiol. Bd. 12 S. 393. 1912. 2 2) N. T. M. Wilsmore, Über Elektroden-Potentiale, Zeuzcht L physik. Chemie Bd. 35 8. 291. 1900. 3) N. Bjerrum, Über die ‘Elimination des Diner zwischen zwei verdünnten wässerigen Lösungen durch Einschalten einer konzentrierten _ Chlorkaliumlösung. Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 53 S. 428. 1905. — Studien über Ohromichlorid. Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 59 S. 336. 1907. Beiträge zur Physiologie der Verdauung. VI. 195 7 = Die Tabelle auf $. 196 und 197 gibt eine Übersicht über sämtliche von mir ausgeführten Bestimmungen, geordnet nach dem Werte der Wasserstoffionen-Konzentration. Die einzelnen Magensäfte, die ich untersucht habe, stammen natürlich von sehr verschiedenen Versuchen; Spalte 2 gibt die Nummern der Versuche, wie ich sie in meinen _ früheren Mitteilungen !) bezeichnet habe; Spalte 3 gibt das zugehörige Datum und eine Zahl, welche angibt, aus welcher Stunde des Versuchs # der Magensaft stammt. Meine Scheinfütterungsversuche dauerten im allgemeinen 3!/ Stunde, ‘mit 0 ist der Mageninhalt bezeichnet, der bei Eröffnung der Magenfistel, also vor Beginn der Scheinfütterung, „aus dem Magen ausfloss, mit !/a der Magensaft in der ersten Viertel- "stunde, der getrennt aufgefangen wurde, um etwa vorhandenen Magen- inhalt, Schleim usw. auszuspülen, mit 1, 2, 3 die Magensäfte aus den - darauf folgenden vollen Stunden. * Spalte 12 gibt die Werte der Wasserstoflionen-Konzentration, Spalte 13 die entsprechenden Werte für den Wasserstoflionen-Ex- "ponenten nach Sörensen?). Die Wasserstoffionen-Konzentration ni ‚schwankt von 2,96 - 10 -2-1,59- 10! der Wasserstoffionen-Ex- ' \,ponent von 0,80—1,53. Nach der Art der Versuchsbedingungen kann : „an die Werte in drei Gruppen anordnen. Die erste Gruppe umfasst N "die Magensäfte I—7. Sie enthält zunächst alle Magensäfte, die bei ‚normaler Ernährung des Tieres, gutem Ernährungszustande (vgl. das . | BE ereevieht, Spalte 4) und lebhafter Sekretionstätigkeit gewonnen “ worden sind. Ausserdem finden sich hier zwei Magensäfte (1 und 3) vom 4. und 10. Hungertage. In einer früheren Mitteilung ®) habe ich gezeigt, dass allerdings der Hungerzustand die Magensaftsekretion “ungünstig beeinflusst, dass aber doch der Hunger an sich ein sehr „viel ‚weniger schädliches Moment darstellt als die Chlorentziehung. Bei dem Versuch 15 (Magensaft 1) bestand. der Hungerzustand erst 1) R. Rosemann, Die Eigenschaften und die Zusammensetzung des durch Scheinfütterung gewonnenen Hundemagensaftes. Pflüger’s Arch. Bd. 118 8.467. 1907. — Die Magensaftsekretion bei Verminderung des Chlorvorrates des “ Körpers. Pflüger’s Arch. Bd. 142 S. 208. 1911. 2% '2)8S. P. L. Sörensen, Über die Messung und die Bedeutung der Wasser- “ stoffionen-Konzentration bei enzymatischen Prozessen. Biochem. Zeitschr. Bd. 21 8.159. 1909. — Über die Messung und Bedeutung der Wasserstoffionen-Kon- zentration bei biologischen Prozessen. Ergeb. d. Physiol. Bd. 12 S. 401. 1912. ı 8) R. Rosemann, Die Magensaftsekretion bei Verminderung des Chlor- vorrates des Körpers. Pflüger’s Arch. Bd. 142 S. 219 und 228. 1911. 13 * R. Rosemann: 196 1. 2. 3. 4. I. s De Datum Kör- 5 en non N Bemerkungen # | srüneren| Versuchs- a S| Mit stunde EN 5 teilungen nee. were. 1.| 15. 15. De 1906 — 14. Hungertag. Zwei vor- hergehende Schein- fütterungen, dann Zu- fuhr von 2Lit. 1V/oiger NaCl-Lösung 2.1 20. 26. ee 1907 | 25,8 IIn der letzten Woche vorher reichliche Er- nährung, dabei Zu- nahme des Körperge- wichtes um 3,7 kg 3.1 26. 7. März 1907 | 22,6 |10. Hungertag. Erster 1+2 Scheinfütterungsver- such während des Hungers 4.| 23. 9. Febr. 1907 | 27.7 | Normale Ernährung 1 5.1 20. 26. Jan. 1907 | 25,8 | Vgl. Nr. 2 1 6.| 28. 9. Pe 1907 | 27,7 LVgl. Nr. 4. 7. | 24: | 16. Hebr 1907 | 27,6 | Normale Ernährung | 18. 15. Jan. 1907 | 21,9 |Normale Ernährung 1/a 921.:21. 1. Febr. 1907 — Normale Ernährung 1/4 28. 9.Febr. 1907 | 27,7 | Normale ‚Ernährung 0 29. 11. März 1907 | 22,1 |14.Hungertag. Drei vor- 1 hergehende : Schein- fütterungen, reichliche Cl-Zufuhr 28. 9. März 1907 | 22,1 | 12.Hungertag. Zweivor- 1 hergehende Schein- fütterungen, reichliche | . Cl-Zutuhr 29. 11. März 1907 | 22,1 | Vgl. Nr. 11 2 eh i 28, 9. März. 1907 | 22,1 | Vgl. Nr. 12: e% 2 +3 ‚29 11. März 1907 | 22,1 | Vgl. Nr. 11 6. : ee Be- EN stimmung jetzige A sieieh fach | Bestimmung sonderung + N 0 % | norm. 0,5110 | 0,6680 ; en a 0,5811 | 0,6242 Bi 0,5439 | 0,5658 $ — | 0,5439 | 0,149 0,5201 | 0,5512 | O,150 0,4891 | 0,5183 | 0,148 0,4745 | 0,5001 — | 0,5658 0,4380. | 0,4855 0,4070 | 0,4672 0,4088 | 0,4417 0,4125 | 0,4453 0,4161 0,4526 0,3577 | 0,8614 |. 0, 0,4088 | 0,4344 | 0, Beiträge zur Physiologie der Verdauung. VII. 197 MT nm rauen gr rer re ee m oeger UpOEEBELEBE BES SEI EEEErGEEBESESERTEC EEE onen mue suEsBEBEEE ECSEIrSEBEERIESeSErEEEBEESEngEESEEtBEBESE Se: PErSSAEES SEE eeremn een ones grzusseensereg | R9. 10. ‚11. 12. 13. , Day lo, 16. | ; F be En aus an TE 7E T u 5 : 'H® 5 zwischen 1175n leere | EI | 9 [He] na 1a. 0% | norm. 0,3917 0,3872 0,3827 | 1,59 -10-1 | 0,80 0,6448 | 0,177 0,0232 0,3935 0,3889 0,3843 | 1,48. 10-1 | 0,83 0,6002 | 0,164 0,0240 \ I 0,3968 0,3924 0,3880 | 1,28-10-1 | 0,89 0,5191 | 0,142 0,0467 0,3965 0,3929 0,3893 | 1,21-10-1 | 0,92 0,4907 0,134 0,0532 0,3963 0,3931 0,3899 | 1,18-10-2 | 0,9 0,4786 0,131 0,0726 0,3977 0,3947 0,3917 | 4,10.10-: | 0,96 0,4461 0,122 0,0722 0,4002 0,3965 0,3928 | 1,06 - 10-2 | 0,97 0,4299 0,118 0,0702 b | 0,4003 | 0,3971 0,5939 | 1,06-10-1 [- 1,00 0,4096 0,112 0,1562 0,4013 0,3979 0,3945 | 9,81-10-? | 1,01 0,3979 0,109 0,0873 0,4035 | 94003 0,3971 | 8,85-1072 | 1,05 0,3589 0,098 0,1083 0,4088 0,4060 „| 0,4032 1 6,92-10-? | 1,16 | 0,2806 0,077 0,1611 0,4094 | 0,4065 | 0,4036 | 6,82-10-? | 1,17 0,2766 0,076 0,1687 0,4180 | 0,4164 | 0,4148 | 4,40-.10-2 | 1,36 0,1784 | 0,049 0,2742 0,4181 | 0,4189 0,4173 | 404-102 | 1,39 0,1638 | 0,045 0,1976 0,4279 | 0,4263. | 0,4247 | 2,96-10-? | 1,53 | 0,1200 | 0,083 10,3144 i | ar ‘198 re, "R. Rosemann: » 4 Tage, und die Wirkung der voraufgegangenen Scheinfütterungen # war durch reichliche Chlorzufuhr völlig aufgehoben worden; bei dem & Versuch 26 (Magensaft 3) bestand allerdings der Hungerzustand schon 10 Tage, der Versuch war aber die erste während des n angestellte Scheinfütterung, die den Körper noch bei völlig aus- reichendem Chlorgehalt traf. Die Magensaftsekretion war daher auch in Versuch 15 (Magensaft 1) qualitativ wie quantitativ völlig normal; in Versuch 26 (Magensaft 3) war sie qualitativ ebenfalls normal und “ nur der Menge nach etwas herabgesetzt. Sehr wahrscheinlich dürfte die Anregung zur Sekretion in diesen beiden Versuchen gerade 5 ‚wegen des bestehenden Hungerzustandes besonders stark gewesen sein. Diese Versuche schliessen sich daher auch hinsichtlich der Wasserstoffionen-Konzentration völlig denen an, bei welchen in jeder Beziehung normale Verhältnisse bestanden; die Wasserstoffionen- ‘ | Konzentration zeigt hier durchweg hohe Werte zwischen 1,06 und y 1,59. 10 = 1, — Die zweite Gruppe wird von den Magensäften 8—10 # | gebildet. Die Ernährung des Tieres war hier normal, die unter- 4 suchten Magensäfte stammten aber entweder aus der ersten Viertel- + stunde der Scheinfütterung, oder es handelte sich (Nr. 10) um den e A “ Inhalt des nüchternen Magens, die Sekretionstätigkeit war also in e diesen Fällen nur gering, die Werte der Wasserstoffionen- Konzen- E tration bleiben daher unter denen der vorigen Gruppe. — Die letzte Gruppe (11—15) enthält Magensäfte, die bei vorgerücktem Hunger und bei ersichtlicher Schädigung der Magensaftsekretion abgesondert Be’ Art ‘worden sind, hier sinkt die Wasserstoffionen-Konzentration allmählich bi bis zu den niedrigsten beobachteten Werten. . € Die Wasserstoffionen-Konzentration‘ des durch M Sceheinfütterung gewonnenen Hundemagensaftes beträgt v also bei normalen Verhältnissen und lebhäfter Sekretions- tätigkeit 1,06—1,59:-101!. Das sind Werte, wie man sie nach = ‘ den bekannten Werten für den Salzsäuregehalt des Hundemagensaftes erwarten musste. Eine niedrigere Wasserstoffionen-Konzentration u findet sich bei geringerer Sekretionstätigkeit oder allgemeiner % "Schädigung des Versuchstieres. Da heute kein Zweifel mehr daran © ‚besteht, dass auch der Magensaft des Menschen denselben Salzsäure; | gehalt wie der des Hundes besitzt, so halte ich es für sicher, dass ' auch reiner menschlicher Magensaft auf der Höhe der Sekretion dieselbe hohe Wasserstoffionen-Konzentration aufweisen wird. Wenn in der Literatur bisher fast ausschliesslich nur geringere Werte für Er en Sa A :# = # = ENTER = = En er Beiträge zur Physiologie der Verdauung. VL. 199 ‚die Wasserstoffionen-Konzentration des Magensaftes angegeben worden sind, so erklärt sich das entweder daraus, dass an Stelle von Magen- saft mit Speichel und Speiseresten vermischter Mageninhalt unter- sucht worden ist, oder in den Fällen, in denen wirklich Magensaft zur Untersuchung benutzt worden ist, daraus, dass der Magensaft bei mangelhafter Sekretionstätigkeit abgesondert worden war. Aus der Wasserstoffionen-Konzentration kann man unter Be- rücksichtieung des Dissoziationsgrades der Salzsäure die zugehörigen _ HCI-Werte berechnen. Nach Kohlrausch und Holborn?) ist das Äquivalentleitvermögen für eine 0,1 n-Salzsäure 351, für eine 0,2 n-Salzsäure 342 und bei unendlicher Verdünnung 383; daraus ergibt sich der Dissoziationsgrad für eine 0,1 n-Salzsäure — 0,9165, für eine 0,2 n-Salzsäure = 0,3930. Legt man danach für die Rechnung einen mittleren Dissoziationsgrad von rund 0,9 zugrunde, so findet man die in Spalte 14 und 15 angegebenen Werte für den HCI-Gehalt der Magensäfte. Vergleicht man sie mit den Werten, wie sie durch Titration mit Yıo n-Natronlause und Phenolphthalein gewonnen worden sind (Spalte 7 und 8), so erweisen sich die letzteren regel- mässig als höher; dasselbe Verhalten haben auch schon Fraenckel und Tängl beobachtet. In Spalte 16 habe ich die Differenzen zwischen dem durch Titration gefundenen und dem aus der Wasser- stoffionen-Konzentration berechneten prozentischen Salzsäuregehalt zusammengestellt. Bei den Magensäften mit hoher Wasserstoffionen- Konzentration und hohem Salzsäuregehalt ist die Differenz fast ver- 'schwindend, sie wächst aber bei den in der Reihe folgenden Magen- säften fast ganz regelmässig und erreicht bei den unter abnormen Verhältnissen abgesonderten Magensäften sehr erhebliche Beträge. Wie ist dieses Verhalten zu erklären? Man muss natürlich zunächst berücksichtigen, dass der bei der Rechnung zugrunde gelegte Disso- ziationsgrad nur für reine wässerige Salzsäurelösungen gilt, dass aber die Dissoziation durch die Anwesenheit anderer organischer und an- organischer Substanzen zurückgedrängt werden kann. Ich habe ge- zeigt, dass der Gesamtchlorgehalt des Magensaftes annähernd konstant ist, d. h. mit anderen Worten, dass bei abnehmendem Gehalt an Salzsäure die Menge der gleichzeitig vorhandenen Chloride steigt 2). DF.Kohlrausch u. L. Holborn, Das Leitvermögen der Elektrolyte. 1898. 2)R. Rosemann, Die Eigenschaften und, die Zusammensetzung des durch Scheinfütterung gewonnenen Hundemagensaftes.. Pflüger’s Arch. Bd. 118 S. 509 und 520. 1907. @>» 200. R. Rosemann: Beiträge zur Physiologie der Verdauung. VI!. Pa ni Nun wird durch die Anwesenheit von Chloriden in der Lösung natürlich die Dissoziation der Salzsäure zurückgedrängt, das Verhalten der Differenz zwischen titrierter und aus der Wasserstofiionen-Kon- zentration berechneter Azidität würde damit durchaus in Überein- stimmung stehen. Denn bei geringerer Dissoziation ‚ergibt sich aus derselben Wasserstoffionen-Konzentration ein höherer Gehalt an & Säure. Gleichwohl kann die beobachtete Differenz hierdurch nur zum geringsten Teile erklärt werden. Denn die Menge organischer wie unorganischer Bestandteile, die neben der Salzsäure im Magen- safte vorkommen, ist doch immer nur so gering, dass dadurch nur N eine unwesentliche Verringerung der Dissoziation bedingt sein könnte. 4 Es muss hier also noch ein anderes Moment mitwirken. Wenn man annehmen könnte, dass die durch Titration bestimmte Menge Säure nicht einzig und allein durch Salzsäure gebildet würde, sondern dass neben der Salzsäure noch eine andere schwache, d. h. wenig disso+ ir ziierte Säure, etwa eine organische Säure im Magensafte vorhanden n sei, und zwar um so mehr, je weniger Salzsäure vorhanden ist, so wäre alles erklärt. Man hat ja früher vielfach angenommen, dass neben Salzsäure auch Milchsäure im Magensafte enthalten ist. Diese Annahme gilt heute wohl allgemein als veraltet; nach unserer heutigen Anschauung kommt Milchsäure nur gelegentlich im Mageninhalte vor, nicht ‘als Produkt der Magendrüsen, sondern als rein zufälliger Bestandteil, sei es, dass sie aus der Fleischnahrung ausgelaugt oder durch Gärungsvorgänge entstanden ist. Ich selbst habe mehrfach ; den durch Scheinfütterung erhaltenen Magensaft auf Milchsäure unter- sucht), aber stets mit negativem Resultat. Diese Untersuchungen müssten aber doch noch einmal wiederholt werden mit Magensäften, die bei beeinträchtigter Magentätigkeit abgesondert sind, da ja unter | diesen Umständen die vermutete organische Säure in grösserer Menge auftreten müsste. Endlich wäre es natürlich auch möglich, dass irgendeine andere organische Säure (oder überhaupt Na-bindende 4 Substanz) in Frage käme. Ich beabsichtige jedenfalls, diese Dinge weiterzuverfolgen, sobald die Verhältnisse es wieder: aan. Hunde mit Magen- und ee zu halten. e| 1) Pflüger’s ae Bd. 118 S. 502. 1907. 201 (Aus dem physiologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule zu Dresden.) De Über die Schichtung des Mageninhaltes nebst Bemerkungen über ihre Bedeutung für die Stärkeverdauung. Von Arthur Scheunert. (Mit 59 Textfiguren.) Nachdem Grützner!) im Jahre 1905 seine bekannten Unter- . suchungen über den Mechanismus der Magenverdauung in diesem ‚Archiv veröffentlicht hatte und auf Grund der gleiche Fragen be- handelnden Artikel von Ellenberger?) und mir?) ist der Lagerung "nacheinander genossener verschiedener Nahrungsmittel im Magen ‚allseits eine erhöhte Aufmerksamkeit zugewandt und die alte Lehre von der Durchmischung des Mageninhaltes aufgegeben worden. Bekanntlich bestand und besteht zwischen der Anschauung Ellenberger’s und der Grützner’s ein grundsätzlicher Unter- schied. Die alten und neuen Versuche aus unserem Institut hatten in der Regel eine einfache Aufeinanderschichtung nach- einander genossener Nahrungsteile erkennen lassen. Grützner schloss hingegen aus seinen Versuchen, dass bei der Anfüllung des Magens die zuletzt genossene Nahrung in die Mitte des älteren -Mageninhaltes zu lagern und nicht mit der Magenschleimhaut in Be- rührung käme, dass also eine schalenförmige Anordnung des Mageninhaltes die Regel sei. An der alten Anschauung Ellenberger’s ist von unserer Seite auch bisher festgehalten worden, obwohl stets betont worden ist, dass die Lagerung der I) P. Grützner, Ein Beitrag zum Mechanismus der Magenverdauung. Pflüger’s Arch. Bd. 106. S. 463. 1905. 2) Ellenberger, Zum Mechanismus der Magenverdauung. Pflüger’s Arch. Bd. 114. S. 93. 1906. 8) A. Scheunert, Dasselbe, ebenda. S. 64. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 14 202 Arthur Scheunert: Nahrung im Magen von sehr verschiedenen Faktoren abhängig ist u und deshalb auch sehr verschiedenartig sein kann. N Infolgedessen ist auch nicht zu bestreiten, dass unter Umständen eine schalenförmige Anordnung des Mageninhaltes, wie sie Grützner beschreibt, zustande kommen kann, und wir haben deshalb in den von uns für Lehr- und Handbücher‘) verfassten Artikeln eine ver- mittelnde Fassung gewählt. 4 Obwohl nun für unsere Anschauung, dass in der Regel nach- 1 einander genossene Mahlzeitteile sich einfach aufeinander schichten, 2 in unseren im Jahre 1906 in diesem Archiv veröffentlichten Artikeln N ein genügend zahlreiches und klares Beweismaterial beigebracht 12 worden ist, haben sich merkwürdigerweise die meisten Autoren, ” die sich in ihren Arbeiten über diese und ähnliche Fragen geäussert, 4 die Grützner’sche Anschauung zu eigen gemacht bzw. ihren Er- | örterungen zugrunde gelest. Im Hinblick auf die zahlreichen ver "2 suche, die für die einfache Überschichtung sprechen, ist das auf- fällig, und es drängt sich die Frage auf, welche Gründe es sind, { denen die Theorie der schalenförmigen Anordnung des Mae 4 ihre weitverbreitete Anerkennung verdankt. $ Ich ‚unterlasse es gern, diese Frage ausführlich zu beantworte a und will nur den meiner Ansicht nach wichtigsten Grund besprechen. a Dieser ist in der Annahme zu suchen, dass die schalenförmige An- 4 ordnung des Mageninhaltes mit dem zeitlich zuletzt in den Magen = getretenen Nahrungsanteil in der Mitte eine für den Chemis- mus der Verdauung höchst zweekmässige, ja sehr not- $. wendige Einrichtung ist. In der Tat muss die Annahme, x - dass die ältere, mit saurem Magensaft durchtränkte Nahrung die neu eintretende schalenförmig umgibt und sie vor der Wirkung des Magensaftes einige Zeit schützt, damit in ihr.die Stärkeverdauung ablaufen kann. bestechend wirken. Überlest man sieh aber die Sachlage genau, berücksichtigt die einschlägigen physiologischen und. anatomischen Verhältnisse bei verschiedenen Tierarten und zieht auch i die Ergebnisse aller Arbeiten in Betracht, die den Ablauf der ” Stärkeverdauung im Magen und die Wirkung der Diastase klar- An 1 + 1) W. Ellenberger und A. Scheunert, Verdauung Zuntz und ; Loewy’s Lehrb. d. Physiol. des Menschen, 1. Aufl., S. 528; 2. Aufl., S. 510. F.C.W.Vogel, Leipzig. 1913.— W.Ellenberger und A.Scheunert, Lehrb.d. | vergl. Physiol. der Haussäugetiere, S. 283. Parey, Berlin. 1910, — Scheunert, k Der Magen. Handwörterb. d. Naturwissensch. Bd. 6. S.550. G. Fischer, Jena. 1912. Be Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 908 gelegt haben, so erkennt man leicht, dass eine schalenfö rmige Anordnung des Mageninhaltes mit der letzten Mahl- zeit als Kern für das Zustandekommen und den un- ‚gestörten Ablauf der Stärkeverdauung durchaus nicht nötig ist. Notwendig ist nur, dass in dem Teil des "Magens, in dem die Diastase zur Wirkung gelangt, der Inhalt nicht mit saurem Magensaft oder älterem sauren Inhalt durchmischt wird, sondern so gelagert bleibt, wie er sich bei der Anfüllung gelagert hat. Würde er durch- ‚mischt werden, so würde eine baldige Störung der Diastasewirkung infolge rascheren Auftretens stärkerer Säurekonzentrationen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ausbleiber. Bleibt der Inhalt aber } unvermischt liegen, so muss die Diastase auseiebig zur Wirkung ge- langen, denn es ist klar, dass die Durchtränkung des neu auf- genommenen Mageninhaltes mit Magensaft und die Herstellung einer die Diastasewirkung vernichtenden Salzsäurekonzentration unter diesen Umständen je nach Bau, Form und Füllungsgrad des Magens einen verschieden langen, aber niemals unerheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen muss. Wie erheblich dieser Zeitraum ist, wird überdies durch die Arbeiten Cannon’s, die diesbezüglichen Beobachtungen London’s und auch durch die Grützner’schen Versuche mit Kongorot- und Lackmusfutter dargetan, Im übrigen sind die Überlegungen, die das Bestehen eines Schutzes des neu eintretenden Inhaltes vor der Berührung mit der Magenwand zur Sicherstellung der Stärkeverdauung als notwendig erscheinen lassen, nicht durchweg zutreffend. Bei Carnivoren sind sie eigentlich gegenstandslos, bei vielen herbivoren und omnivoren Tierarten aber, bei denen die Stärkeverdauung im Magen eine wichtige Rolle spielt, würde die Verhinderung der Berührung neu eintretenden Inhaltes mit der Magenwand keinen Vorteil bieten, bei gewissen sogar hindernd sein. Die Mägen der fraglichen Tier- arten sind. kardiaseitig mit grossen, fast die Hälfte des Magens ‚einnehmenden Schleimhautpartien ausgekleidet, die entweder gar kein Sekret oder ein solches absondern, welches keine Salzsäure enthält, alkalisch reagiert und sogar Diastase enthalten kann. Aus allem diesen ist zu folgern, dass eine so komplizierte An- ordnung des Mageninhaltes, wie sie nach Grützner besteht, durchaus nicht nötig ist, um eine ausgiebige Stärkeverdauung zu . gewährleisten. 14 * 204 : Arthur Scheunert: Im Grunde genommen ist danach also für die a K und für den Chemismus der Verdauung überhaupt die Art und Weise der Anordnung des Mageninhaltes ohne Bedeutung. _ Wesentlich ist y nur, dass sie so, wie sie bei der Anfüllung entsteht, erhalten bleibt. Die Bedeutung der Schichtungsversuche beruht darin, dass sie die Nichtdurchmischung und die Beeinflussung der Anordnung des 4 Inhaltes durch die Magenbewegungen in sinnfälligster Weise de- Me monstrieren '). Bei dieser Betrachtungsweise verliert der Widerspruch zwischen den Anschauungen von Ellenberger und Grützner für den Chemismus der Verdauung im Grunde genommen seines, Bedeutung. Br Wenn ich es trotzdem unternommen habe, nochmals der Frage experimentell näher zu treten, um eine Entscheidung herbeizuführen, so geschah dies in erster Linie deshalb, weil ich mich von der all- semeinen Gültigkeit der von den meisten Autoren an- genommenen, zentralen, schalenförmigen Einschichtung der neuen Nahrung in den älteren Mageninhalt nieht überzeugen konnte und “ 5 neuerdings die Untersuchungen der Röntgenologen über die Schichtun im Magen des Menschen Befunde veröffentlicht haben, die in mancher Hinsicht die Theorie Grützner’s zu stützen scheinen. Endlich sind gelegentlich einer auf Anregung Ellenbergers ausgeführten Arbeit von Sehneiderheinze Befunde an Schweinen gemacht worden, | die ebenfalls im Sinne der Grützner’schen Anschauung gedeutet werden können. . $ Zur Vorgeschichte der erneuten Inangriffnahme sei bemerkt, dass ich seit dem Jahre 1906 jede Gelegenheit wabrgenommen habe, die Schichtungsverhältnisse in den Mägen der sehr zahlreichen, zu 3 anderen Versuchen im hiesigen Institut verwendeten Tiere zu prüfen und hierbei keine wesentlichen Abweichungen von der Anschauung “ Ellenberger’s beobachten konnte. je Den direkten Anstoss zu .einem neuen Versuche gab ein im Winter 1911 in der Dresdener Gesellschaft für Natur- und Hei ae ee De BE: REN EHER TER 1) Damit werden auch die diesbezüglichen Ausführungen Schilling’s hin fällig, die dieser unter dem Titel „Mischung oder Schichtung im Magen?“ (Arch. f. Verdauungskrankheiten, Bl. 18, S. 317. 1912) macht. Es ist für die Erkenntnis des Chemismus der Magenverdauung ziemlich gleichgültig, wie Ei sich nacheinander genossene Nahrungsmittel im Magen lagern, das Wesentliche ist, dass sie diese Lagerung unverändert lange Zeit während der Verdauung “ beibehalten. er, ex N ; ee 3 ) FR Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 205 kunde gehaltener Vortrag!) des Herrn Professor Arnsperger, bei welcher Gelegenheit Röntgenogramme von Mägen von zu Versuchs- zwecken gefütterten Katzen gezeigt wnrden, die sich nieht anders als durch eine zentrale Einschichtung einer Bi-Mahlzeit in das vor-. "her genosssene Bi-freie Versuchsfutter erklären liessen. Nach persön- licher Rücksprache mit Herrn Arnsperger und genauer Be- trachtung der fraglichen Platten entschloss ich mich, ebenfalls Ver- suche mit Katzen anzustellen. Bei diesen Versuchen, die ich im Jahre 1912 gemeinsam mit Herrn Dr. Nöckler?) angestellt habe, ‘hat uns Herr'"Arnsperger mehrfach methodische Ratschläge er- teilt, so dass wir ihm zu verbindlichstem Danke verpflichtet sind. Da diese Versuche eine völlige Aufklärung nicht brachten, habe ich sie im Winter 1913/14 durch einige weitere an Katzen, Hunden -und kleineren Tieren vorgenommene Versuche ergänzt. _ Vor der Schilderung der Versuche sei noch kurz die Stellung der wenigen neueren Autoren, die sich selbst experimentell mit der Frage beschäftiet haben. erwähnt. Versuche über die Schichtungsverhältnisse des Mageninhaltes sind | von Sick®), Prym®), Schilling (loc. eit.) und beim Schwein -von -Schneiderheinze?°) angestellt worden. Die Arbeiten von Sick und Prym bringen für unsere Frage ‚keine neuen Gesichtspunkte. Sie bestätigen nur die bestehende Nicht- -durchmischung, die Sick mit Hebermethode erhärtet, Prym durch die Gefriermethode an mit Suppe gefütterten Hunden von neuem zeigt. Was die Versuche von Schilling (loc. eit.) anlangt, so gab dieser Autor seinen Versuchstieren (Hunden und Katzen) sehr verschieden- artige Kost, die etwa in ihrer Zusammensetzung einem menschlichen Mittagessen entsprach. Er fütterte ohne Pausen und verfuhr zur Be- . trachtung der Lagerung der Speisen im Magen derart, dass er diesen nach der Exenteration durch Schnitt eröffnete, dann Stück für Stück des Inhaltes mit der Pinzette entnahm und in der gefundenen An- 1) Arnsperger, Die Röntgenuntersuchung des Magen-Darm-Kanals. Jahrb. d. Gesellsch. f. Natur- u. Heilkunde in Dresden. 1911/12. S. 46. Lehmann, München. 1912. .2)H. Nöckler, Beitrag zur Schichtungsfrage des Mageninhaltes. Inaug.- Diss. Dresden-Leipzig 1913. 3) K. Sick, Untersuchungen über die Saftabsonderung und die Bewegungs- vorgänge im Fundus- und Pylorusteil des Magens. Deutsches Arch. f. klin. Med. 8. 169. 1907. 4) OÖ. Prym, Die Bedeutung der schichtweisen Auffüllung des Magens für die klinische Diagnostik. Deutsches Arch. f. klin. Med. S. 310. 1907. 5) J. Schneiderheinze, Über die Aufenthalts- uud Durchgangszeiten der Nahrung .... im Magen-Darm-Kanal, speziell im:Magen des Schweines. Dresden 1910. 306 Arthur Scheunert: 3 % ordnung wieder aufbaute. Er kam zu folgenden Resultaten: Konsistente a Kost lagert sich im Magen an- und nebeneinander, auch no Ko = schichtet sich aber nicht in regelmässiger Weise. Breiige Kost und Flüssigkeiten vermischen sich. Bissen, die nachträglich in den ge- ‚füllten Magen gelangen, werden längs der kleinen Kurvalın befördert und an Stellen, an denen sich Lücken bieten, in die Masse eingefügt. Seminar dürfte wesentlich klarere Bilder erhalten haben, ver er zur Untersuchung des Mageninhaltes ein zweckmässigeres Verfahren un angewendet und für eine sicherere und einwandfreie Unterscheidung der einzelnen Nahrungsbestandteile gesorgt hätte. Im übrigen dürften die Ergebnisse den bei der angewendeten Fütterungsart zu erwartenden Verhältnissen entsprechen, ohne eine erschöpfende Lösung der physio- logischen Frage zu bieten. en ® Weiter hat Schneiderheinze gelegentlich einer auf u anlassung Ellenberger’s zur Lösung anderer Fragen unternommenen Arbeit auch Versuche über die Schichtung der Futtermassen im Magen des Schweines bei normaler Fütterung angestellt. Er fand bei einer Anzahl seiner Versuche mit der Grützner’schen Anschauung zum Teil gut übereinstimmende Ergebnisse. Über diese, schreibt er zu sammenfassend (loc, ei. S% 07):, „Kasse; ich? (die Ergebnisse meiner Schichtungsversuche zusammen, so ergibt sich daraus, dass sich die 2. Lagerung der Futtermassen im Magen richtet nach der Futterart, nach i . der Menge des Verzehrten und nach der Zeit der Schlachtung pP. P. . Nacheinander genossene Körnerarten schichten sich im Magen auf 7 einander, wobei ‚eine baumartige Verzweigung vom Schlundeintritt aus i. nach allen Seiten bis an die Magenwand eintritt, besonders dann, wenn die Futterart härter ist als die vorhergehende. Wird erst Körnerfutter, dann Kartoffelfutter verzehrt, so wird die Ansde | des letzteren nur dann zentral bis zur Fundusperipherie sich vorfinden, 8 | wenn die Füllung des Magens mit Hafer vorher eine mässige war. Ist der Magen aber vorher durch Körnerfutter stark gefüllt, so wird ie ‚| das Weichfutter nur im Innern des Magens zentral sich lagern können, dagegen an der Aussenfläche nur im Bereiche der kleinen Kurvatur sich ausbreiten und bis zur Spitze des Fundusdreieckes herabreichen. R Vor Körnerfutter verabfolgtes Kartoffelfutter wird von ersterem in den Fundus herabgedrückt, wobei der nachfolgende Hafer auf Schnitt- und Aussenflächen des Mageninhaltes stets in der Kardia-und Pylorusabteilung zu finden ist.“ % w Danach ist also die Anordnung nacheinander genossener Futter- mittel offenbar ziemlich verwickelt und entspricht in manchen Fällen der Grützner’schen Anschauung. Diese bei Versuchen mit Schweinen gewonnenen Ergebnisse können aber nicht ohne weiteres für die Bess urteilung der Verhältnisse bei anderen Tieren und beim Menschen ale | massgebend herangezogen werden. .Die baulichen Verhältnisse sind E eigenartig und abweichend von denen des Menschen und anderer Tiere. Es ist deshalb höchst wahrscheinlich, dass auch bezüglich der An füllung des Magens Besonderheiten bestehen; durch .die eigentlich nicht % zu solchen Zwecken ausgeführten Versuche Schneiderheinze’s a kann für den Schweinemagen die Schichtungsfrage nicht als ab- geschlossen betrachtet werden. Eine erneute Bearbeitung ist Über die Schichtung des Mageninhalts usw. 207 dessen seit langem in Aussicht genommen. Im übrigen möchte ich gerade hier nochmals darauf hinweisen, dass die auf Zweckmässigkeits- gründen beruhenden Vorteile einer Einschachtelung von neuer Nahrung in den alten Mageninhalt nicht in Frage kommen kann. Beim Schwein könnte die neu aufgenommene Nahrung ohne Nachteil mit der Schleim- haut in Berührung kommen, ja sie wäre sogar vorteilhaft. Fast die ganze kardiaseitige Magenhälfte liefert wie auch die pylorusseitige Portion keine Salzsäure, die die Amylolyse hindern könnte. Sie liefert im Gegenteil ein alkalisches Sekret, das sogar Diastase enthält. Ausser diesen Untersuchungen sind in neuerer Zeit mit Hilfe des Röntsenverfahrens noch, einige Arbeiten über die Schich- tung der Speisen im Magen ausgeführt worden. An Tieren hat Cannon !) die ersten Versuche mit der Röntgen- methode gemacht. Sie liegen zwar schon weiter zurück, sind aber “nieht allgemein bekannt geworden, und auch wir haben erst durch Cannon’s Monographie 1911 davon Kenntnis erhalten. Cannon fütterte 5 g Brot mit Wismut, dann 5 g Brot allein, hierauf 5 g Brot mit Wismut als letzte Portion. Über das Ergebnis schreibt er loe. eit. S.63: „The first stratum lay along the greater eurvature * and extended into the pylorie vestibule, the third stratum spread along the lesser eurvature, and the second rested between ... Ten minutes after peristalsis began, the stratification hat entirely dis- apeared towards the pylorie end of the stomach, but in the cardiae end, after an hour and twenty minutes the layers were still elearly visible“. Cannon steht also ganz auf unserem Standpunkt und spricht dies auch ausdrücklich (S.. 64 loc. eit.) aus. Die Versuche an Menschen (Kaufmann und Kienböck?), Groedel)°) haben hingegen etwas andere Resultate ergeben. Es erübrist sich, sie einzeln aufzuzählen, da vor kurzem Dietlen*) eine durchaus erschöpfende und zusammenfassende Schilderung der Resultate gegeben hat, die um so wertvoller ist, als Dietlen darauf hinweist, dass er auf Grund eigener Beobachtungen zu gleichen Er- gebnissen gelangt sei. Es sprechen danach die Ergebnisse der Röntgenologen sowohl für unsere Theorie als auch, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, für die Grützner’s. Zunächst schichten sich 1) Cannon, The mechanical factors of Digestion. London 1911. 2) Kaufmann u. Kienböck, Über die Schichtung der Speisen im Magen. Verhdl. d. Deutsch. Röntgenges. Bd. 7 8. 65. 1911. 3) Groedel, Die Magenbewegungen. Gräfe u. Sillem, Hamburg 1912. 4)H. Dietlen, Ergebnisse des medizinischen Röntgenverfahrens für die Physiologie. II. Asher u. Spiro’s Erg. d. Physiol. Bd. 13 S. 57. 2308 Arthur Scheunert: die einzelnen Bissen übereinander, bis der Magen in seiner Längsausdehnung entwickelt ist. Hierauf aber drängen die an der kleinen Kurvatur herunterrutschenden Bissen die vorhergegangenen nach der grossen Kurvatur zu ab, so dass eine schalenförmige oder sogar trichterförmige, ineinandergeschobene Anordnung entsteht. Immerhin gelangen danach die zuletzt eintretenden Nahrungsanteile nicht stets in die Mitte des älteren Inhaltes und werden auch nicht allseitig durch diesen von der Berührung mit der Magenschleimhaut ab-. gehalten, berühren sie vielmehr teilweise stets. Vergegenwärtigen wir uns das Ergebnis der Literaturübersicht, so kann nicht zweifelhaft sein, dass dieses kein klares Bild der Ver- hältnisse gibt. Die aus unserem Institut stammenden Versuche am Schwein von Sehneiderheinze sprechen teilweise für die Grützner’sche Theorie, desgleiehen vielleicht die genannten, an Katzen gemachten Befunde Arnsperger’s. Cannon steht auf unserem Standpunkt, und die Röntgenologen haben beim Menschen Befunde erhoben, die. für beide Anschauungen sprechen. Mir scheint, dass hieraus mindestens der Schluss gezogen werden muss, dass die Schichtungsverhältnisse im Magen von sehr ver- schiedenen Faktoren abhängig sein müssen, ein Schluss, den ich schon gelegentlich meiner ersten Untersuchungen gezogen habe), und der durch die zahlreichen Untersuehungen der Röntgenologen über die Form des gefüllten und leeren Magens unter verschiedenen Verhält- nissen naheliegend erscheint. Ferner müssen aber offenbar, je nach der Tierart, Unterschiede bestehen. Wir werden bei der Diskussion unserer neuen Resultate noch mehrfach hierauf hingewiesen werden und wenden uns jetzt diesen zu. Methodik. Bei allen Versuchen wurde zur Fixierung des Magens und seines Inhaltes nach Grützner’s Vorgang Kälte angewandt; doch begnügten wir uns nicht damit, den herausgenommenen Magen gefrieren zu lassen, sondern brachten bei allen Versuchen das Versuchstier in toto zum Gefrieren. Ausserdem wurde die Gefriermethode bei einer Anzahl der Versuche mit der Röntgenmethode kombiniert. Als Versuchstiere dienten in erster Linie Katzen, ferner Hunde, Kaninchen und Meer- schweinchen. Die Kältemischung wurde um einen Metallbehälter ge- schichtet, in welchen das Tier nach erfolgter Tötung bequem gelegt 1) Pflüger’s Arch. Bd. 114 $. 90. Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 209 werden konnte. Die ganze Gefriervorrichtung befand sich in einer grossen Holzkiste. Die Methode, den ganzen Körper gefrieren zu lassen, schaltet Fehler, die durch die Exenteration des Magens des soeben getöteten Tieres entstehen könnten, aus, da der Magen samt Inhalt unberührt in seiner Lage fixiert wird. Um die nacheinander verabreichten Nahrungsteile einer Mahlzeit voneinander unterscheiden zu können, wurden die einzelnen Portionen mit Gentianablau, Anilingelb oder Tier- kohle gefärbt. Schwierigkeiten bei der Futteraufnahme machten nur die Katzen, mehrmals mussten wir sie 1—3 Tage hungern lassen, ehe sie die Versuchsmahlzeit annahmen. Die Versuchsfutterportionen wurden je nach den Absichten, die wir bei dem betreffenden Versuche verfolgten, entweder direkt hinter- einander oder in verschieden langen Zwischenpausen gereicht. Darauf wurde das Tier entweder sofort nach beendigter Mahlzeit oder erst einige Zeit nachher getötet. Die Tötung erfolgte durch Kopfschlag mit nachherigem Verbluten. Bei den Katzen wurden durch sofortige Belastung der Beine und des Kopfes die reflektorischen Zuckungen gehemmt und durch Bruststich die Ausblutung herbeigeführt. Nach der Tötung wurde das als schlechter Wärmeleiter bekannte Fell an der Bauchwand rasch abpräpariert und die Tiere in Seiten- oder Rückenlage, bei einigen Versuchen auch in der Stellung, die sie bei der Nahrungsaufnahme innehatten, in den Gefrierkasten gebracht. Der vollständig durchgefrorene und so sägbare Körper wurde dann eröffnet, der Magen exenteriert und dürch einen Längsschnitt (meist von der kleinen zur grossen Kurvatur) Sowie ein oder mehrere Querschnitte zerlest. Von den Schnittflächen wurden sofort Pausen aufgenommen, nach denen dann Zeichnungen hergestellt wurden. Es wurde ausser- dem stets die ganze Magenwand vom Inhalte abgezogen und das Bild der Oberfläche des Mageninhaltes gezeichnet. Bei den Versuchen, in denen auch das Röntgenverfahren zur Anwendung kam, wurde vor dem 'Zersägen des gefrorenen Tieres eine Aufnahme des Magens in situ, und zwar entweder von der Bauchseite oder von der linken oder rechten Körperseite, angefertist. Dann wurde noch je eine Aufnahme vom iso- lierten Magen von der Seite und von der grossen Kurvatur aus ge- macht. Bei diesen Aufnahmen des isolierten Magens gelang es leicht, sehr deutliche Bilder zu erhalten, während die Bilder des Magens in situ meist sichere Schlüsse auf die Schichtungsverhältnisse nicht zu- liessen. Ein weiterer Vorteil der Röntgenaufnahme des exenterierten Magens war, dass man vom isolierten Magen in jeder gewünschten Lage Aufnahmen machen konnte. Dies lässt sich am lebenden Tier nicht ermöglichen. Unsere Methode gewährte auch ein Urteil darüber, wie weit man ein Röntgenphotogramm des Magens in situ zur Beurteilung der Schichtung seines Inhaltes verwenden kann. Am lebenden Tier konnten wir leider keine Ergänzungsphotogramme aufnehmen, da mit der uns zur Verfügung stehenden Apparatur nur Aufnahmen mit langer Belichtungsdauer gemacht werden konnten. \ 210 Arthur Scheunert: I. Versuche, bei denen verschieden gefärbte Nahrungsportionen gleicher Konsistenz ohne Pausen hintereinander verabreicht | g wurden. ke Versuch I (14. November 1912) (ohne Röntgenaufnahme). u Eine graue, mittelgrosse Katze erhielt nach 30 stündigem Fasten um 4 Uhr nachmittags hintereinander: 5 Ca. 40 g mit Gentianablau gefärbten Milchbrotbrei (1), der in Ri Milchbrotbrei (2), den sie in 3 Minuten frass; sofort darauf ca. 30 g mit Tierkohle schwarz gefärbten Milchbretbrei (3), der in kleinen Pausen in 8 Minuten verzehrt wurde. 5 Minuten später, 4 Uhr 20 Min,, wurde das Tier getötet. Der Körper wurde in seitlicher Lage gefroren, Am 18. Nov. wurde der hartgefrorene Körper geöffnet. Hierbei bot sich folgendes Bild dar: Der Magen lag in der linken und zum Teil noch rechten Regio epigastrica und zum kleinen Teil in der Regio mesogastrieca. Mit seiner Längsachse war er dorsoventral ge- richtet. Die kleine Kurvatur war zwerchfellwärts und etwas nach rechts, die grosse Kurvatur beckenwärts und etwas nach links ge- richtet. Die linke Magenseite lag parallel der linken, die rechte Magenseite parallel der rechten Körperseite. In diesem Falle war der Magen noch eigenartig verdreht, indem das Pylorusende nach der rechten Körperseite zu und dabei etwas um die Längsachse des Der Magen war sehr gut gefüllt, der Ösophagus enthielt in seinem — Endteil noch etwas von dem zuletzt genossenen schwarzen Fuer. Es wurde ein Längsschnitt‘ von der kleinen zur grossen Kurvatur gelest, der auch das Duodenum mit traf, während die Mündung des Ösophagus auf der linken Magenhälfte blieb und ’ vom Schnitt nicht getroffen wurde. 4 Der Schnitt (Fig. 1) zeigte eine Schichtung der nacheinander gefütter- Fig. 1. Vers. I. Längsschnitt durch ten, verschieden gefärbten Nahrung den Magen. Die senkrechte Linie ; : ERAH “ht ee Or der Reihenfolge, wie sie verabreicht Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 311 _ schwarze Nahrung an der kleinen Kurvatur, die bis in den Ösophagus und ins Duodenum reichte. Nur an einer Stelle, in der Nähe der Kardia, befand sich ein wenig von der Haupt- masse abgesprengter weisser Brotbrei in den schwarzgefärbten eingelagert. Der in der Höhe der Ösophagusmündung selegte ‚Querschnitt (Fig. 2) zeigte genau wie die beiden seitlichen Oberflächenansichten, dass die nacheinander genossenen Mahlzeitteile sich aufeinander- ge. _ geschichtet hatten. 2 Verl NOner- Der vorstehende Versuch wurde am 12. De- schnitt. _ zember 1912 durch einen gleich angeordneten Versuch (Nr. VIII) kontrolliert. Bei diesem erhielt eine weiss-bunt- gefleckte Katze hintereinander: 20 g mit Fleischbrühe angerührten Kar- toffelbrei, der mit Gentianablau gefärbt war und 7 g Bisubnitrat enthielt, 20 g mit Anilingelb gefärbten Kartoffelbrei ohne Bizusatz und endlich 20 s ungefärbten, aber wieder 7 g Bisubnitrat enthaltenden Kartoffel- brei. 2 Minuten nach beendeter Mahlzeit erfolgte die Tötung. Die Ergebnisse des Versuches entsprechen durchaus dem Versuch I, so dass auf eine Wiedergabe der Einzelheiten verzichtet werden kann. Auf den Röntgenbildern war keine Differenzierung der einzelnen Inhaltsteile zu erkennen. Versuch IX und X (30. Januar 1913) (mit Röntgenaufnahme). | Am 30. Januar wurden zwei Katzen, ein schwarz-weissgefleckter srosser Kater, Nr. IX, und eine grau-schwarzgestreifte kleinere Katze, Nr. X, gleichzeitig und gleichmässig in folgender Weise gefüttert: Um 5 Uhr 5 Min. nachmittags erhielten sie zusammen 40 g aus Fleischbrühe und ein wenig ganz zu Mus zerquetschtem, magerem, ge- kochtem Fleisch hergestellten Brotbrei. Dieser war mit Gentianablau ge- färbt und enthielt 7 g Wismut. Da auf jede Katze die Hälfte kam, so erhielt jede 20 8. Von 5 Uhr 12 Min. ab frassen sie dasselbe Quantum mit Anilingelb ‚gefärbt, aber ohne Wismut, in 2 Minuten und sofort darauf ebensoviel Brei mit 7 g Wismut, der ungefärbt, also weiss war. Dieser wurde in 16 Minuten in Pausen verzehrt. Sofort nach be- endeter Mahlzeit, 5 Uhr 30 Min., wurde Katze Nr. IX und nach: 1/a Stunde, 6 Uhr, Katze Nr. X getötet. Beide wurden wieder in Rückenlage fixiert und gefroren. Beim Eröffnen der Bauchhöhle des Versuchstieres Nr. IX zeigte sich, dass die Lage des Magens im Körper eine andere war als bei seitlicher Körperlage. Dieselbe Beobachtung machten wir auch bei ‚allen folgenden Versuchen, bei denen die Tiere in Rückenlage ge- froren wurden. Bei seitlicher Körperlage verlief die grosse Kurvatur nahezu x 212 Arthur Scheunert: Ä © parallel mit der Wirbelsäule und war mehr ventral gerichtet. Die Ebene des gewöhnlichen Längsschnittes würde also in ihrer Längs- richtung mit der Wirbelsäule annähernd auch parallel laufen und dorsoventral gerichtet sein. Dagegen lag bei Rückenlage des Ver- 'suchstieres der Magen so, dass die grosse Kurvatur nach der linken Körperseite und beckenwärts gerichtet war. Dem Beschauer bot sich bei Eröffnung der Bauchhöhle fast die ganze linke Magenseite dar, die nur kranial vom Arcus eostarum und zwei Leberlappen etwas 3 verdeckt wurde. Der Längsschnitt 2 (Fig. 3) zeigte eine bisher noch nicht beobachtete Lagerung der ein- 3 | zelnen Futterportionen. Der im Magen noch vorhandene Rest des zuerst gereichten blauen Futters lag. 2 an der grossen Kurvatur in der Pylorusregion des Magens und zum Teil im Duodenum. Auf ihn folgte an der grossen Kurvatur merk- würdigerweise das zuletzt gefütterte weisse. Futter, während das an zweiter Stelle gefütterte gelbe beide Ri überschichtend an der kleinen Kurvatur zu finden war. a“ Ziehen wir noch den Querschnitt 2 (Fig. 4) zur Beirachni b | heran, so bestätigt auch dieser scheinbar die aus dem Längsschnitt hervorgehende Schichtung. Wir hatten also hier 'eine Lagerung der nacheinander genossenen Nah- rungsmenge, wie sie zwei von Grützner publizierten Befunden am Meerschwei ci chen und Kaninchen entspricht (Fig. 3a u. 10 loe. eit.). Ist nun unser Versuchsergebnis y eine Bestätigung der Grützner’schen Anschauung ?2 Das ist durchaus nicht der Fall. Nach der Dee Grützner’schen Anschauung musste das zuletzt Fig. 4. Vers. IX. oenossene weisse Futter schalenförmig vom vorher Querschnitt 2. S genossenen gelben und blauen umgeben sein. Weiter trifft auch der Schluss, den Grützner aus seinem Kaninchen- versuch zog (Fig. 10 loc. cit.), für unseren Versuch nicht zu. Da- nach würde das jetzt an der Peripherie liegende, zuletzt genossene Futter zuerst zentral gelegen haben und infolge Verdauung der es ‘ umhüllenden Schichten an die Peripherie gelangt sein. Diese Au Fig. 3. Vers, IX. Längsschnitt. Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 213 nahme ist bei unserem Versuch nicht angängig, da unser Versuchs- tier sofort nach der Mahlzeit getötet wurde, also eine so umfang- _ reiche Verdauung noch nicht stattgefunden haben - kann. Die Erklärung der eigenartigen Schich- $ "tungsverhältnisse erbrachte der mit Z bezeichnete “Querschnitt (Fig. 5), der durch die Einmündung des Ösophagus gelegt war und die Betrachtung der Oberfläche des Mageninhaltes. Diese zeigten, dass die zuletzt gefütterte weisse Nahrung die gelbe nicht zu verdrängen RER imstande gewesen war und sich deshalb an dieser Fig. 5. Vers. IX. vorbei nach der grossen Kurvatur zu geschoben Querschnitt 1. Quer- schnittezu Versuch IX. hatte. Hierbei war die den Magen erfüllende Der Beschauer sieht in der Richtung Pylorus- _ Inhaltsmasse an die kleine Kurvatur gedrängt Ösophagus auf die und so die eigenartige, von uns früher noch Schnitte. Infolgedessen ist rechts und links _ nicht beobachtete Lagerung verursacht worden. vertauscht. arR Yı ‚Futter vom Ösophaguseingang aus an dem Für die Richtigkeit unseres Befundes können wir in der Röntgenaufnahme des exente- rierten Magens (Fig. 6) einen weiteren Fig. 6. Ösophagus links, Pylorus rechts. Beweis erbringen. Hier sieht man sehr schön, wie das zuletzt gereichte Bi-haltige Bi-freien Futter vorbei zur grossen Kurvatur gezogen ist und den ganzen dieser benach- barte Magenteil erfüllt hat. Auch die Lage des Fig. 7. Röntgenbild in der Richtung von der grossen zur kleinen Kurvatur. Oso- phagus oben, Pylorus unten. Rechts liegt die rechte Ma- genseite entsprechend der rechten Körperseite des Tieres. Die schmale Lage Bi-haltigen Futters rechts rührt vom blauen, die breite in der Mitte und links vom weissen Futter her. 214 Arthur Scheunert: Bi-freien, an zweiter Stelle- gereichten gelben Futters an der kleinen Kurvatur ist sehr gut zu erkennen. Die übrigen Röntgenaufnahmen # boten nichts Charakteristisches, nur auf eine von der grossen zur kleinen Kurvatur gemachte Aufnahme (Fig. 7) sei verwiesen, die die Lagerung des blauen Bi-haltigen Futters neben dem weissen Bi- haltigen gut erkennen lässt. h Be Man erkennt aus der Röntgenaufnahme, dass, wenn in der n Richtung der Strahlen sowohl wismutfreies als -haltiges Futter lieet, F ‘eine deutliche Grenze meist nicht vorhanden ist; nur. aus der mehr oder weniger dunklen Tönung kann auf die Stärke der wismuthaltigen 5 Schicht an einer solchen Stelle geschlossen werden. Das Röntgen- bild allein wird daher nie.sichere Schlüsse über die Schiehtungs- verhältnisse zulassen. Gerade Fig. 7 demonstriert das treffend. Wenden wir uns nun zum Kontrollversuch Nr. X. Die Lage A des Magens war die gleiche wie bei Nr. IX. Der Längsschnitt ‚ (Fig. 8) zeigte hier das unerwartete Resultat, dass das zuletzt gefütterte weisse Futter (3) überhaupt nicht zu sehen war, sondern bloss das erste und zweite, die, wie Fig. 8 zeigt, in h F der Reihenfolge ihrer Verabreichung aufeinander geschichtet sind. | Aus diesem Fehlen des weissen Futters geht hervor, dass hier ganz ähnliche Schichtungsverhältnisse wie beim vorhergehenden Ver- EN Fig. 8 Vers. X. Längsschnitt. Fig. 9. Vers. X... Querschnitt 1. such vorliegen müssen. In der Tat zeigte die Betrachtung der Ober- fläche und der Querschnitte (Fig. 9 u. 10), dass das zuletzt genommene y weisse Futter an dem gelben (2) seitlich (und zwar auf derselben linken Magenseite wie bei Versuch IX) vorbei in der Druckrichtung des Ösophagus gepresst worden ist (Querschnitt 1, Fie. 9). Es ist a die im Prinzip der gleiche Vorgang, wie wir ihn bei Versuch IX an- $ Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 2315 | genommen haben, bloss dass sich dort das weisse Futter noch weiter nach der grossen Kurvatur zu vorgesehoben hat; von einer Ineinander- sehichtung war also auch hier nichts zu be- obachten. Die Röntgenaufnahme des Magens in situ zeiete, da die Strahlen auf die linke Seite des Magens trafen, das gleiche Bild wie die des exenterierten Magens von der Seite (Fig. 11); nur treten auf letzterem die Kon- traste deutlicher hervor. Dieses Bild, das hier leider als Spiegelbild reproduziert ist, zeigt eine Übereinstimmung mit dem Längsschnitt: Pylorus- seitig an der grossen Kurvatur zeigt’ sich das eo a wismuthaltige blaue Futter (7) als dunklere schnitte zu Vers. X. “Partie und in der Regio cardiaca und an der ar el Dei ‚kleinen Kurvatur das wismutfreie, gelbe (2), als sus-Pylorus auf die 'hellere Partie. Sogar die Grenzlinie zwischen Schule: beiden, die schräg von der kleinen zum ersten Drittel der grossen Kurvatur zieht, lässt sich auf dem Röntgenbilde verfolgen. Die gelbe Nahrung würde sich auch auf dem " Röntgenbilde noch viel deutlicher als helle Schicht präsentieren, wenn nicht die direkt Fig.11. Links Osophagus, rechts Pylorus. Fig. 12. Röntgenbild in der Richtung von der grossen ? ! 5 y zur kleinen Kuryatur. Oben davorliegende (vgl. Querschnitt) weisse, wis- Ösophagus, unten Pylorus. muthaltige auch hier wieder eine Projektion ern a Hosen. _ beider Futterarten zustande kommen liesse. : grosse Masse des zuletzt : gereichten Bi-haltigen Fut- Dies zeigt auch die Röntgenaufnahme von der ters. 216 . Arthur Scheunert: grossen zu der kleinen Kurvatur (Fig. 12), die aber sonst kein deutliches Bild der Lage der einzelnen Schichten, sondern nur An- deutungen gibt. | E. Bei diesem Versuch gelang es noch am besten, die drei Futter- arten ihrer Lage und Schiehtung nach auf den Röntgenbildern’ zu bestimmen; es muss aber betont werden, dass dies nur durch Ver gleichung der Röntgenplatte mit den Schnitten und der Oberflächi möglich war. Auch ist zu bedenken, dass die Aufnahmen des in situ befindlichen Magens nie ein ebenso deutliches Bild ergaben wie das des isolierten Magens. Beim lebenden Tier wird man also lange nicht so deutliche Bilder bekommen als bei exenterierten Mägen. Da nun mit deren Hilfe erst ein zur Beurteilung der Lagerung des Mageninhaltes verwendbares Bild sich bot, so ist es klar, dass, weun selbst solche ausserordentlich günstige Verhältnisse wie die Röntgen- aufnahme des isolierten Magens allein nicht zur Bestimmung de Inhaltsschichtung hinreichen, sondern noch der Ergänzung durch Schnitte bedürfen, dies am lebenden Organismus noch viel schwieriger 3 sein und niemals zu sicheren Resultaten führen wird. Um den Über- 5 blick zu erleichtern und noch einfachere Verhältnisse zu han, wurden bei den folgenden Versuchen nur noch zwei Futterarten, von denen eine mit Wismut vermenet war, verabreicht. Versuch XT (26. Februar 1913). Ein mittelgrosser grau-schwarzgestreifter Kater erhielt um 4 To 50 Min. nachmittags weissen (ca. 40 g), mit Fleischbrühe angerührten e Brotbrei (7), der gierig in 1 Minute verzehrt wurde. Gleich darauf erhielt ‘er ebensoviel blaugefärbteh und mit 7 g ‚Wismut versetzten Brei (2), “ der ebenfalls rasch in 2 Minuten verzehrt wurde, 5 Minuten nach 4 beendeter Mahlzeit, 4 Uhr 58 Min., wurde das Tier getötet, in Ri er lage fixiert und so durchfroren. Am 1. März wurden zunächst wieder die üblichen han aufnahmen gemacht. Die Aufnahme des ganzen Rumpfes zeigte zwar die Lage des wismuthaltigen Futters als dunkle Masse in der Bauch- 4 höhle, liess aber sonst keine Einzelheiten erkennen. Dagegen zeigte. 4 das Röntgenogramm des exenterierten Magens von. der Seite (Fig. 13) sehr schön, dass das wismuthaltige Futter in der oberen Partie des Magens, an der kleinen Kurvatur, vom Ösophagus bis in den Pylorus und zum Teil ins Duodenum reichte. Es lagerte auf y dem wismutfreien Futter Z und hatte sich ein wenig in dasselbe # u hineingedrückt, so dass die Grenzlinie zwischen beiden im Bogen ver- Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 317 Fer. Der Längsschnitt (Fig. 14), der durch den gefrorenen Magen gelest wurde, stimmte mit diesem Röntgenbild (leider wieder als Spiegelbild reproduziert) \ völlig überein. Es ist also klar, dass das wismut- haltige Futter 2 an keiner ‚Stelle noch tiefer nach der grossen Kurvatur herab- reichte als auf dem Längs- sehnitt, sonst könnten die beidenBilder nicht so über- einstimmend die Grenz- linie beider Futterarten . zeigen. Die Aufnahme von Fig. 13. Vers. XI. Links Ösophagus, rechts ; Pylorus. der grossen zur kleinen Kurvatur liess keine deutliche Grenzlinie erkennen, da das blaue wismuthaltige Futter in der ganzen Ausdehnung des Bildes vom Öso- phagus bis zum Pylorus reichte. Der Querschnitt Fig. 15 zeigte, Fig. 14. Vers. XI. Längs- ‚. Fig. 15 Vers. XI. Querschnitt. schnitt. Rechts und links vertauscht. dass hier die.zweite blaue Nahrungsportion nach der rechten Magen- hälfte gelangt war. Längs- und Querschnitt bedürfen im übrigen bei diesem Versuch keiner weiteren Erklärung. Man könnte hier von ‚einer Andeutung der schalenförmigen Anordnung des Inhaltes sprechen, ‚doch kann von einer wirklichen Einschichtung nicht die Rede sein. Einer.gemeinsamen Betrachtung der Ergebnisse dieser Versuche ist vorauszuschieken, dass in ihnen die Verhältnisse zur Erzielung einer einfachen Aufeinanderschichtung im Sinne von Ellenberger _ Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 15 | 218 . Arthur Scheunert: und Scheunert besonders günstig lagen, deshalb, weil bei B dasselbe, also gleiche Konsistenz besitzende, Futter nur verschieden“ 2 gefärbt, sofort hintereinander gereicht wurde. Beiden Wismut- versuchen kam insofern eine Verschiedenheit der Futterportionen in. r Frage, als die einen sich gegenüber den anderen durch eine grössere — 2 Schwere infolge ihres Bigehaltes auszeichneten. Um eine Vorstellung ” & 3 von der bewirkten Veränderung der Schwere zu geben, sei erwähnt, i \ dass wir regelmässig 40 g Milehbrotbrei mit 7 g Wismutsubu a vermischten. Überblielen. wir die Resultate, so sehen wir, dass in. s keinem Falle eine zentrale Schichtung im Sinne Grützner’s erfolgt % ist. Vielmehr erfolgte regelmässig eine einfache Bi oder Nebeneinanderschichtung, wobei stets alle Futter- portionen in grosser Ausdehnung die Magenwand be- rührten. Bei den Wismutversuchen erfolete häufig eine eigen- E artigee Unter- oder Nebenschichtung, die teilweise mit dm Bi-Gehalt, mehr wohl mit Druck- und Lageverhältnissen in der Bauch- “ höhle zusammenhängt. Auf letztere habe ich schon früher ausdrücklich hingewiesen, und die Ergebnisse der Röntgenologen über Form und . Lage des Magens haben ihre grosse Bedeutung immer deutlicher = herausgehoben. | R® . Was die Verwendung der Rönteenoeraphie für die Beurteilung 2 von Sehichtungsverhältnissen anlangt, so erweist sie sich als wert- volles Hilfsmittel zur Ergänzung und Bestätigung der Gefriermethode, ! scheint aber allein kaum eine richtige Beurteilung der Sachlage zu ermöglichen. ' Rı II. Versuche, bei denen die Nahrungsportionen gleiche Kon- sistenz besassen, aber mit verschieden langen Zwischenräumen y verabreicht wurden. | Wir schritten auch zu Versuchen, in denen günstigere Be- dingungen für das Zustandekommen einer schalenförmigen Schiehtung im Sinne Grützner’s geschaffen wurden. Dies geschah zunächst Ed dadurch, dass wir die Nahrung von annähernd gleicher Konsistenz beibehielten, die einzelnen Portionen aber nicht mehr gleich hinter- 3 einander, sondern in mehr oder weniger langen Zwischenräumen ver- 3 abreichten. Es mussten dadurch die folgenden Futterportionen in einen gefüllten Magen gelangen, dessen Inhalt durch die schon länger währende Verdauung erweicht und teilweise wasserreich geworden i war. Auch Grützner hatte bei seinen Versuchen mehrfach in a Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 219 Zwischenräumen gefüttert, so dass zu hoffen stand, durch ähnliche Massnahmen, mit denen man den Grützner’schen Versuchs- bedingungen nahekam, ähnliche Ergebnisse zu erhalten. Versuch II (21. November 1912, ohne Röntgenaufnahmen). Eine schwarze Katze mittlerer Grösse erhielt um 3 Uhr 48 Min. nachmittags ca. 40 g mit Gentianablau gefärbten Milchbrotbrei (7), den sie in 4 Minuten verzehrte. Eine Stunde darauf erhielt sie ca. 40 8 "weissen Brotbrei (2), der in 5!/sa Minuten verzehrt wurde, und wieder _ eine Stunde später erhielt sie 40 g mit Tierkohle schwarz gefärbten Brotbrei (3), von dem sie indessen etwa nur die Hälfte in kleinen Pausen innerhalb 5 Minuten frass. Eine Minute nach beendeter Mahl- zeit wurde das Tier getötet und in seitlicher Lage zum Durchfrieren | gebracht. _ „an zweiter Stelle gereichte weisse zwischen der blauen und schwar- rung kam. Dies zeigten auch die Fig. 16. Vers. I. Am 23. November wurde der Magen exenteriert, er war gut - gefüllt und wurde zunächst wieder durch einen Längsschnitt zerlegt. ‘ Dieser (Fig. 16) zeigte, dass die Nahrung in der Mitte des Magens zen und von beiden so umgeben lac, dass sie an keiner Stelle mit der Magenschleimhaut in Berüh- Längsschnitt. Oberflächenansichten (Fig. 17). Die Anordnung des Inhaltes war in diesem Falle sehr interessant, da sie sowohl der Grützner’schen als der Ellenberger- ‘ sehen Anschauung entspricht. Das blaue Futter umgab das Fig. 17. Vers. II. Oberflächenansicht. Fig. 18. Vers. II. Querschnitt. weisse von unten und seitlich schalenförmig, was auch der Quer- schnitt (Fig. 18) zeigt, während das zuletzt gereichte schwarze Futter das schalenförmig angeordnete Futter Z und 2 einfach überschichtete. Danach entspricht der Versuch nicht völlig der Grützuner’schen 15 * 23230 Arthur Scheunert: 3 Ansicht, denn dann müsste sich auch die schwarze, zuletzt genossene Nahrung in der Mitte. der zu zweit gereichten weissen befinden, während sie doch auf die weisse aufgeschichtet ist. Es kann nur gesagt werden, dass sich das weisse in das blaue Futter hinein- & ‚geschoben und es auseinandergedrängt hat, und es muss dahingestellt bleiben, ob dies schon bei der Aufnahme der zweiten Portion ge- schehen ist oder etwa erst infolge der Aufnahme des schwarzen Futters bewirkt worden ist. Die dritte Portion könnte ja, wie spätere Versuche mit zwei Futterportionen zeigen werden, das zweite weisse Futter in das am längsten im Magen lagernde blaue hineingepresst haben. Versuch III (25. November 1912, ohne Röntgenaufnahmen). Pa Eine schwarz-weissgefleckte Katze erhielt nach 36 stündigem # Hungern vormittags 11 Uhr 9 Min. ca. 40 g mit Gentianablau gefärbten Milchbrotbrei (2), der in 9 Minuten verzehrt wurde. Nach 3 Stunden, 2 Uhr 18 Min. nachmittags, erhielt sie ebensoviel weisses (2), und nach weiteren 4'/g Stunden, um 6 Uhr 55 Min., erhielt sie ca. 40 g mit Anilingelb gefärbtes Futter (3), da sie das schwarzgefärbte nicht fressen wollte. Das letzte Futter wurde in 4 Minuten verzehrt. Darauf erfolgte sofort die Tötung, das Tier wurde wieder in seitlicher Lage gefroren. ; Am 27. November wurde der Magen exenteriert. Seine Lage. “ bot niehts Auffälliges dar. Am Magen wurde ein Längsschnitt durch Ösophagus und Pylorus von der grossen zu der kleinen Kurvatur laufend gelegt. Es zeigte sich fast das gleiche Bild wie beim vorhergehenden Versuch; auch bier lag das weisse Futter 2 & | in der Magenmitte und berührte nirgends die Schleimhaut. Es war in das blaue hineingedrängt, und zwar noch mehr wie bei Versuch IL. Aber auch hier zeigte sich, dass das gelbe Futter 3 die beiden zuerst gereichten wieder einfach überschichtete. Es erscheint uns auch hier nicht unwahrscheinlich, dass es bei seinem Eintritt in den Magen als treibender Faktor das weisse in das blaue, schon mehr verdaute a Futter hineingedrückt bat. Dass die Einschiebung der zweiten in die zuerst gereichte Futterportion nicht sofort bei Eintritt der zweiten Portion zustande gekommen ist, ist dadurch wahrscheinlich, dass bei späteren Versuchen, bei denen nur zwei Futterportionen gereicht wurden, nie eine so ausgeprägte Einschiehtung wie hier gefunden N wurde. Natürlich sind bei dieser ausserordentlich tiefen Einschiebung des zweiten in das erste Futter die ungewöhnlich langen Zwischen- = räume zwischen den drei NhDazusı in Betracht zu ziehen, da nach wi eo: . Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 291 7/2 Stunden ja die blaue Portion gründlich erweicht und schon ge- hörig verdaut sein, also gegen Druck neuer Futtermassen sehr nach- ‚siebis sein musste. Die Abbildung erübrigte sich, da die Bilder fast die gleichen wie die zur Erläuterung von Versuch II gegebenen waren. Versuch XII (1. März 1913, mit Röntgenaufnahmen). Eine grosse grau-schwarzgestreifte Katze erhielt 4 Uhr 20 Min. nachmittags ca. 40 g weissen, mit Milch angerührten Brotbrei, der in 5 Minuten verzehrt wurde. Nach 1/5) Stunde erhielt -sie ebensoviel blauen, mit 7 g Wismutsubnitrat ver- setzten Brotbrei, der in 10 Minuten in kleinen Pausen verzehrt wurde. 5 Uhr 11 Min., sofort nach. beendeter Mahlzeit, wurde das Tier getötet und in Rückenlage gefroren. Am 3. März 1913 wurden zu- nächst dieselben Röntgenaufnahmen gemacht wie bei Versuch XI. Der Magen lag diesmal ganz aus- sepräst mit der linken Seite nach der ventralen Bauchwand gerichtet. Es mussten also die Röntgen- aufnahmen des Magens in situ mit der des isolierten Magens von der Seite übereinstim- men. Auf dem Längsschnitt (Fig. 19) verlief die Grenze zwischen beiden Futter- arten ganz ähnlich wie bei Versuch XI. Sie lief bogenförmig und parallel der erossen Kurvatur von der Kardia bis ins Duo- denum. Dieselbe Grenz- - linie war verblüffend genau mit demselben eigenartig Fig. 20. gezackten Verlauf wieder auf den Röntgenbildern zu sehen. Der Querschnitt (Fig. 21) zeigt uns ferner, dass diesmal eine Aufeinanderschichtung er- folgt ist, und dass sich das blaue Futter nur wenige: in das weisse, vorher gereichte, hineingedrückt hat. Eine ähnliche tiefe und nahezu Fig. 19. Vers. XI. Längsschnitt. 299 “ Arthur Scheunert: / vollständige Einschichtung, wie sie nach Versuch II und III hätte er- 2 wartet werden können, war hier also nicht zu sehen; dabei waren für das Zustandekommen einer solchen bei diesem Versuch die Be- dingungen noch besonders günstig, da die zweite Futterportion in- v folge ihres Gehaltes an Kontrastmitteln spezifisch schwerer war, anderer- y Fig. 21. Vers. XI. Fig. 22. Vers. XII. Röntgenaufnahme von der grossen zur kleinen Kurvatur; rechts ist der ÖOsophagus, links der Pylorus zu denken. Querschnitt. seits war der Zwischenraum zwischen beiden Rationen ein kurzer.‘ Die Röntgenaufnahme von der grossen zur kleinen Kurvatur (Fig. 23) zeigt, dass am kardiaseitig gelegenen Ende des Magens sowie ander rechten Seite ein Streifen weissen Futters lag, der nicht vom blauen gedeckt wurde. Unter Änderung der Versuchsbedingungen wurden zu diesem Versuche noch vier Kontrollen ausgeführt. Versuch XIII und XIV (12. März 1913, mit Röntgenaufnahmen). _ Eine schwarz-weisse (Nr. XIII) und eine graue, schwarzgestreifte E. (Nr. XIV) Katze erhielten zusammen gleichzeitig 80 g weissen Milchbrot- brei (3 Uhr 30 Min. nachmittags), von dem die graue etwas mehr frass als die andere; nach 4 Minuten war der Brei (7) verzehrt; 6 Uhr 30 Min., 3 Stunden später, erhielten sie 80 g blauen Milchbrotbrei +7 g Wismut (2), der in 8 Minuten verzehrt wurde. Auch hier frass die graue mehr als die schwarz-weisse. 5 Minuten später wurden beide Katzen getötet. Nr. XII wurde darauf in Rückenlage, Nr. XIV in Seitenlage gefroren. Ex Am 13. März wurde von Katze XIV von der linken Seite, von Katze XIII eine Aufnahme von der Bauchseite gemacht, dann die \ Magen exenteriert und von diesen je zwei Aufnahmen von der Seite | und von Kurvatur zu Kurvatur gemacht. Die beiden Versuche sollten T licher Körperlage oder bei Rückenlage gestaltet. Leider gelang dies K Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. ° | 2983 nieht völlig. Bei Katze Nr. XIII lagen zwei schon sehr weit ent- wiekelte Föten im Uterus, und dieser hatte, an der Bauchwand liegend, den Magen nicht nach dem Becken zu sieh ausdehnen lassen. a) Befund von Nr. XIII: Der Magen lag in seiner Längsrichtung von links nach rechts, jedoch lag die Ebene des üblichen Längs- Al cum Je Fig. 24. Vers. XIII. Längsschnitt. Fig. 25. Vers. XII. Querschnitt. - sehnittes fast rechtwinklig zur Wirbelsäule. Die grosse Kurvatur war ventral, die kleine dorsal gerichtet. Der Beschauer konnte so beide Magenflächen gleich- zeitig, wenn auch nicht vollständig, sehen. Die beiden Schnitte, Längs- und Querschnitt (Fig. 24, 25), zeigen eine einfache Aufeinanderschichtung; die Röntgenogramme von oben und in situ liessen nichts für die Beurteilung Wesentliches erkennen; dagegen gab die seitliche Fig. 26. Aufnahme des isolierten Magens (Fig. 26) ein Bild davon, wie tief die Bi-haltige blaue Futterportion nach der grossen Kurvatur hinabreicht, was durch den Querschnitt bestätigt wird. b) Befund von Nr. XIV: Es war interessant, dass hier der Magen mit der Ebene seines Längsschnittes: parallel mit der Wirbelsäule, also genau rechtwinklig zur Lage bei Nr. XIII, gestellt war, und im übrigen die grosse Kurvatur mit ihrem ganzen Verlauf ventral ge- richtet war, so dass auch hier der Beschauer gleichzeitig die beiden seitlichen Flächen des Magens teilweise sehen konnte. 2924 Arthur Scheunert: \ Der Magen war gut gefüllt, was sich schon auf dem Röntgen- bild in situ erkennen liess; er hatte alle Baucheingeweide zurück- gedrängt und nahm den weitaus grössten Platz in der Bauchhöhle ein. Der Längs- und Querschnitt (Fig. 27 und 28) liessen erkennen, dass das blaue Futter (2), ‘das hier in grösserer Quantität als das weisse aufgenommen worden war, die ganze linke Magenhälfte, den Raum an der kleinen Al. cum. Kurvatur und den grösseren Teil der Regio 7 I I 01 jreh! j ııı, gi cu Fig. 27. Vers. XIV. Fig. 28. Vers. XIV. Querschnitt. Längsschnitt. Rechts und links vertauscht. eardiaca einnahm. Die Röntgenaufnahmen eigneten sich nicht zur Wiedergabe, da sich Einzelheiten nicht erkennen liessen. Obwohl bei beiden Versuchen zwischen den beiden Mahlzeiten, von denen die zweite auch noch Bi-haltig war, sogar 2 Stunden verflossen waren, war von einer Einschichtung der zweiten in die erste Mahlzeit nichts zu spüren. u Versuch XV (7. April 1913, mit Röntgenaufnahmen). Ein grosser grauer, schwarzgestreifter Kater erhielt vormittags 11 Uhr 15 Min. ca. 40 g weissen Milchbrotbrei (7), der in 5 Minuten pr. Cm. Fig. 29. Vers. XV. Fig. 30. Vers. XV. Querschnitt. Längsschnitt. Rechts und links vertauscht. K T . alaaı Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 295 verzehrt wurde. °/s Stunde später, 12 Uhr 5 Min., erhielt er ca. 208. blauen, mit 5 g Wismut versetzten Brotbrei 2). der in 4 Minuten verzehrt wurde. 12 Uhr 12 Min. wurde das Tier ge- tötet und in Seitenlage ge- froren. Am 8. April. wurden zunächst wieder Röntgen- aufnahmen gemacht. Der Magen war mässig gefüllt. Der Längsschnitt (Fig. 29) zeigte eine Aufschichtung des blauen Futters auf das weisse, und zwar hatte sich das blaue dahin geschoben, wo ihm noch Platz blieb. Das blaue Futter lagerte an der kleinen Kurvatur bis etwa ans Antrum pylori und in der Regio cardiaca, in der Nähe der Speiseröhren- mündung. Im Pylorus und Duodenum war kein blaues Futter zu sehen, der ganze übrige Magen war mit weissem Futter gefüllt. An zwei Stellen, an der. kleinen und grossen Kurvatur, zwischen den beiden Futtersorten, lag ein wenig schwärzlichgefärbter Inhalt, der offenbar davon herrührte, dass das Tier zwischen den beiden Versuchsmahlzeiten irgend etwas in dem Käfig aufgenommen hatte. Vergleicht man den Längsschnitt mit der Röntgenaufnahme des isolierten Magens (Fig. 31, [Spiegelbiid]), so ge- wahrt man, dass nach dem Röntgen- bild das blaue wismuthaltige Futter viel _ weiter zur grossen Kurvatur hinabreichte, als der Längsschnitt angibt. Dies be- stätigt der Querschnitt (Fig. 30), welcher zeigt, dass die blaue Mahlzeitzone tat- sächlich so weit nach unten reichte, sich ı Fig. 31. Links Ösophagus, rechts Pylorus. 2 & Fig. 32. Röntgenbild in der aber nur an der linken Magenseite so weit Richtung der grossen zur i ; klei K tur. Ob - herabgeschoben , hatte. Die Aufnahme phagus, unten ne von Kurvatur z vatur zeigt (Fie. 32), (an der linken Magenseite) BBRAUEvaLUE DEI EI ae ne? Bi Delle: analog dem Querschnitt, wie das blaue Futter. 226 . Arthur Scheunert: Futter vorwiegend in der linken Magenhälfte sich befand, und wie weit es pyloruswärts reichte. Auch hier war eine einfache “ Aufeinanderschichtung erfolgt. “ a Versuch XVI (. April 1913). & | # Ein weiterer Kontrollversuch Nr. XVI, bei dem mit einstündiger Pause die Nahrungsportionen gereicht wurden, hatte dieselben Er- i. gebnisse. h Betrachten wir die vorstehend cher. Serie r ‘von Versuchen gemeinsam, so ergibt sich, dass es nicht selungen ist, mit Sicherheit und Regelmässigkeit eine " konzentrische Anordnung des Mageninhaltes zu er- F zielen, trotzdem günstige Bedingungen hierfür gegeben waren. Eine Überschichtung und Nebeneinanderschichtung fanden wir bei ; Verabreichung zweier Rationen mit verschiedenen Zwischenpausen. 2 Reichten wir drei Rationen in grösseren Zwischenräumen, so kam T eine zentrale Lage der zweiten Mahlzeit zustande. Diese lag in die erste eingebettet und von der zuletzt gereichten überschichtet in der Mitte des Mageninhaltes. Auf Grund der Versuche mit zwei Rationen glauben wir annehmen zu müssen, dass diese Einschiehtung der zweiten in die erste Ration in der Hauptsache erst durch die Auf- ’ nahme der dritten Nahrung bewirkt wird, die bei ihrem Eintritt in den Magen die zweite noch festere Mahlzeit von der Magenwand Fe - er % (kleiner Kurvatur) abdrängt und so bewirkt, dass diese noch relativ i wenig verdaute Masse in die Reste der ersten stark verdauten Ration hineingedrückt wird. 2 III. Versuche mit Nahrungsportionen verschiedener Konsistenz. j (Ohne Röntgenaufnahmen.) @ Während wir bei den bisherigen Versuchen stets Nahrung gleicher 4 oder nur wenig verschiedener Konsistenz verabreichten, sollten in % den folgenden Versuchen die Lagerungsverhältnisse im Magen nach R Verabreichung von Futter verschiedener Konsistenz dargestellt werden. Als weiches Futter gaben wir den üblichen Brei, als festeres ge- kochtes und in kleine Stückchen geschnittenes Pferdefleisch. Röntgen- aufnahmen wurden bei diesen Versuchen nicht gemacht. PERZEG! Versuch IV (27. November 1912). Eine schwarze Katze erhielt nach zweitägigem Hungern abends 0 6 Uhr 31 Min. ca. 40 g weissen Milchbrotbrei (7), den sie in 9 Minuten Be IR Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 237 in kleinen Pausen verzehrte. Gleich darauf erhielt sie ca. 30 g ge- kochtes mageres Fleisch (2), das in kleine Würfelchen geschnitten war. Dieses wurde ohne Pausen in 3 Minuten verzehrt. 25 Minuten nach beendeter Mahlzeit wurde sie getötet und in seitlicher Lage ge- froren. Am 29. November wurde der Magen exenteriert und der ge- wöhnliehe Längssehnitt durch Ösophagus und Pylorus von der kleinen zur grossen Kurvatur gelegt. Die das Bild der Schnittfläche wieder- gebende Fig. 33 zeigt eine ganz einfache Aufeinanderschichtung des zweiten auf daserstgenossene Futter, das Fleisch lag entlang der kleinen ‚Kurvatur auf dem weissen Brotbrei vom Ösophagus an bis in den Pylorus und noch ins Duodenum hinein. Das Bild ergänzten zwei Querschnitte und die Oberflächenansicht von der kleinen Kurvatur. Bis etwa zum” ersten (Fig. 34) in Mitte der kleinen Kurvatur angelegten Querschnitt lag das Fleisch wie ein Zylinder an der kleinen Kurvatur in den Brotbrei eingeschoben, die Fig. 33. Vers. IV. Längsschnitt, en 7 Be un gem Fig. 34. Vers. IV. Fig. 35. Vers. IV. Fig. 36. Vers. IV. Querschnitt 1. Querschnitt 2. Oberflächenansicht. Magenwand berührend; von da ab bis zum Pylorus (Fig. 35) jedoch auf dem weissen auf, nicht eingeschoben. Man sieht auch auf der Öberflächenansicht (Fig. 36), wie das Fleisch sieh nach dem Pylorus zu mehr ausbreitet. Nur in der Nähe der Ösophagusmündung hat sich also das festere Fleisch in den Brei eingedrückt, jedoch ist es nicht in die Mitte des Mageninhaltes gelangt, pylorusseitig besteht einfache Überschichtung. A 2938 Arthur Scheunert: Zum Studium der umgekehrten Futterfolge wurden die zwei E folgenden Versuche angestellt. Versuch V (2. Dezember 1912). Eine kleine schwarze Katze erhielt um 5 Uhr 22 Min. nachmittags ca. 30 g feingeschnittenes mageres, gekochtes Fleisch (7), das m 3 Minuten verzehrt wurde. Gleich darauf bekam sie weissen Milch- brotbrei (2) vorgesetzt, von dem sie nicht viel, 10 g etwa, in kleinen ° Pausen frass. 5 Uhr 25 Min. war die Mahlzeit beendet, 5 Uhr 45 Min. wurde das Tier getötet und in die Gefriermischung gelegt. Am 3. Dezember wurde der Magen aus dem gut durchfrorenen Kadaver herausgeschnitten. Er war gut gefüllt. Der in der üblichen } Weise angelegte Längsschnitt (Fig. 37) zeigte, dass der Magen zum erössten Teile mit der zuerst gereiehten Fleischnahrung gefüllt war. An und um den Ösophaguseingang und ein Stück entlang der kleinen Kurvatur befand sich eine flach dem Fleisch aufliesende Schicht des AL cu 2 7 le UM. Fig. 37. Vers. V. Längsschnitt. Fig. 33. Vers. V. (Querschnitt. weissen, an zweiter Stelle gefütterten Breies. An dieser Stelle hatte sich letzterer, wie es auch der durch die Ösophagusmündung gelegte Querschnitt (Fig. 38) zeigt, noch am besten ausbreiten können. Er hatte, seiner dünneren breiigen Beschaffenheit‘ entsprechend, das derbere Fleisch förmlich umflossen und sich um dasselbe, soweit als möglich war, herumgeschoben. Wo ihm sich dabei Platz bot, hatte er sich in grössere Lücken des Fleisches hineingedrückt und diese ausgefüllt, so dass einzelne Bröckcehen überall in der Fleischmasse, im Fundus wie in der Pylorusregion, sich verstreut fanden. An der grossen Kurvatur, etwa in der Mitte, zeigte sich sogar ein grösserer Brocken Brotbrei. Das Verhalten des Milchbrotbreies entsprach hier beinahe dem von flüssiger Nahrung, wenn dieselbe den gefüllten Magen passiert, nur dass keine so rasche Passage längs der kleinen Kurvatur stattfinden konnte. Es entspricht dieser Befund der von Ellenberger und mir schon immer vertretenen An- schauung, dass bei Eintritt einer dünnbreiigen Nahrung in den mit a a AH ae A ne en a ae ie) er ER ; 2 Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 239 festerem Inhalt cefüllten Magen ein Umhüllen der alten durch die neue Nahrung stattfindet. | Da das Versuchstier im Versuch V nur wenig von der zweiten E Nahrung genommen hatte, wurde ein Kontrollversuch angestellt. Da | die Ergebnisse dieses Versuches durchaus denen des Versuches V | entsprachen, kann auf ihre ausführliche Wiedergabe hier verzichtet werden. Da bei ihm absichtlich nicht so viel Fieisch gegeben war wie bei Versuch V, so hatte das Weichfutter mehr Möglichkeit, sich auszubreiten. Es lag aber auch nicht in der Mitte des früher ge- reichten Fleisches, hatte sich vielmehr zum Teil um dieses herum gelagert und dabei vermöge seiner grösseren Weichheit Spalten in dem ersten bröcklichen Futter ausgefüllt. In einem weiteren Versuch VI wurden endlich für das Zustande- kommen einer zentralen Einschichtung besonders günstige Versuchs- bedingungen gewählt, indem zunächst Weichfutter und dann nach einem längeren Zwischenraum Fleisch gegeben wurde. Versuch VI (3. Dezember 1912). Eine kleine graue Katze frass nachmittags 4 Uhr 21 Min. ca. 20 g "weissen Milchbrotbrei (7). 2 Stunden später erhielt sie etwa ebenso- viel feingeschnittenes mageres, gekochtes Fleisch (2), das sie in 2 Minuten verzehrte. Sofort danach wurde sie getötet und in die Gefrier- mischung gebracht. Am folgenden Tage wurde der Magen herausgeschnitten und der gewöhnliche Längsschnitt von der kleinen zur grossen Kurvatur gelest. Es zeigte sich dabei (Fig. 39), dass der Mager noch einen Teil alten Futters bei Aufnahme der Mahlzeit enthalten hatte. Dieses lagerte in der Regio pylorica längs der grossen Kurvatur bis in den Pylorus und erfüllte auch das Duodenum. Auf diese Schicht alten Futters folgte ösophagusseitig das weisse, und zwar schräg von der kleinen zur grossen Kurvatur sich hinziehend. Auf dieses folgte, den grössten Teil des Fundus und der kleinen Kurvatur einnehmend, die Fleischnahrung. Diese hatte das weiche und bei zweistündigem Aufenthalt im Magen schon durch den Verdauungs- "prozess noch mehr erweichte, weisse Futter zugleich mit dem alten Futter vor sich hergeschoben und bewirkt, dass sich das weisse um das festere alte Futter überall, wo sich ihm Platz bot, herumschob. 7 Fig.39. Vers. VI. Längsschnitt. 230 Arthur Scheunert: Die Aufschichtung des Fleisches auf das zuerst gereichte Breifutter und die verschiedene Lagerung dieser Futtermassen im Magen wird durch die in Fig. 49 wiedergegebene Ansicht der linken Seite der Mageninhaltsoberfläche verdeutlicht. Hier- g) nach lagerte die weisse Nahrung in grosser Ausdehnung an der linken Seite des Ma- gens in der Richtung, die sie auf dem FE Längsschnitt auch einnimmt, während Bi dieser zeigt, wie rasch ihre Mächtigkeit “ nach der Mitte des Mageninhaltes zu ab- Fig. 40. Vers. VI. Ober- nimmt. Wichtig an diesem Versuche ist, flächenansicht. ; dass eine zentrale Lagerung des Fleisches, für deren Zustandekommen hier die günstigsten Verhältnisse gegeben z Er ae 23 waren, nicht eingetreten ist. Das zuletzt gereichte Fleisch lag nicht: # in der Mitte der vorgefütterten Nahrung und berührte ausgiebig die % Schleimhaut. Ferner umhüllen die Mageninhaltsteile, die, altem j“ Futter angehörend, schon lange' vor dem Versuch im Magen gelegen haben mussten, keineswegs die zuerst gereichte Versuchsmahlzeit, A vielmehr werden sie zum Teil von dieser eingeschlossen. N * Die Ergebnisse dieser Versuchsserie zeigen, dass es 2) auch in ihr nicht gelungen ist, die zuletzt aufgenommene Nahrung 4, in der Mitte der älteren aufzufinden, trotzdem Nahrungsmittel ver- { N schiedener Konsistenz gereicht wurden. Wie schon früher behauptet 4 worden ist, werden festere Bissen, die in einen weichen Inhalt ge- “ langen, diesen bis zu einem gewissen Grade verdrängen können und müssen, wie dies auch die Versuche zeigen. Andererseits wird fester Inhalt von breiiger, neu eintretender Nahrung teilweise umschichtet, & wobei diese in vorhandene Spalten eindringt. ir Überblicken wir die Ergebnisse der bisher geschil- 4 derten Versuche, so muss wohl zugegeben werden, dass trotz pi" vielfacher Variation der Versuchsbedingungen eine schalenförmige Anordnung verschiedener nacheinander genossener Nahrungsanteile im Sinne Grützner’s in keinem Versuche erfolgt ist. Man wird danach nicht mehr die zentrale Einschichtung der zu- letzt genossenen Nahrung als die Regel bezeichnen ö können, sondern annehmen müssen, dass ihr Zustandekommen nur. von ganz besonderen Umständen, deren Zusammentreffen selten ist, abhängen wird. a Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 231 Diese Umstände zu erkennen, musste die Aufgabe weiterer Ver- suche sein. Eine Aufklärung ‚konnte nur von einer genauen Wieder- holung der Versuchsanordnung erwartet werden, mit der Grützner die zentrale Einschichtung erhalten hatte. In der bekannten Arbeit ist- nur ein Versuch (S. 511) geschildert, der an einer Katze das betreffende Ergebnis gehabt hat. Es erhielt dabei eine halbwüchsige Katze, die 20 Stunden gehungert hatte, zunächst 100 g Milch mit etwas Schweinefett. 3!/ı Stunden später erhielt sie 17 g mit Lackmus ‘gefärbten Milchbrotbrei und nach weiteren 2°/ı Stunden 15 g un- gefärbten Milchbrotbrei. Ich habe diesen Versuch zunächst an einer jungen Katze wieder- holt, musste aber dabei feststellen, dass nach Beendigung des Ver- "suches der Magen nur noch Teile des letzten Futters enthielt, die geringe Menge des gefärbten Futters war offenbar längst entleert. Eine weitere Katze erhielt nach 36stündigem Hungern 100 g Milch mit 5 g Schweinefett, 31/s Stunden später 30 g mit Gentianablau gefärbten und wiederum 3 Stunden später 30 g ungefärbten Milch- brotbrei. Gentianablau zog ich wegen der Wasserunlöslichkeit dem Lackmusfarbstoff vor. Die Tötung erfolgte sofort nach dem Broen dann wurde das Tier in der Stellung, die es beim Fressen eingenommen hatte (also auf allen vier Beinen stehend) in den Gefrierkasten gebracht. - Der Magen wurde dann frei präpariert und seine Lage photo- graphisch festgehalten. Hierauf wurde er in situ von der grossen zur kleinen Kurvatur durchsäst. Das Ergebnis entsprach in der Tat genau den An- saben Grützner’s. Es konnte endlich zum ersten Male derselbe Befund erhoben werden (vgl. Fig. 41, 42). In der Mitte des Magens befand sich das zuletzt gereichte weisse Futter, en. 332 Arthur Scheunert: an der Peripherie des Inhaltes befand sich eine meist sehr schmale und blaue Schicht, die an der kleinen Kurvatur direkt aus schwae bläulichem Eis bestand (in der Abbildung punktiert). Der Versuch wurde sofort mit zwei weiteren Tieren, von denen das eine mit Lackmus gefärbtes Futter erhielt, wiederholt. Da diese Katzen ausgewachsen waren, erhielten sie von den Breirationen je 50 g. Die Bilder der Gefrierschnitte glichen jetzt auch bei d Lackmuskatze ganz den von Grützner seinerzeit veröffentlichten (vgl. Fig. 43, 44 von der Gentianakatze). Es kann also keinem Zweifel mehr unterliegen, dass bei der vorstehend geschilderten Versuchsanord Fig. 43. nung die zentrale Einschichtung erfolgt, während bei” 7 den früherfeingehaltenen Versuchsbedingungen eine solche nie zu konstatieren war. Dabei waren bei beiden Versuchsarten die breiigen Bi Futtermittel! dieselben, die Menge dieselbe, und auch die zeitlichen Zwischenräume zwischen den Mahlzeiten waren, wenigstens zum Teil, Y “ nicht: wesentlich andere. Die Ursache der verschiedenen Versuchsergebnisse kan» also nur darin bestehen, dass ee Versuchen nach der Grützner’schen An- ordnung,>3 Stunden vor der ersten Fütterung die Tiere etwas ’ Milch nt Schweinefett erhielten, während ‚dies bei meiner Re Versuchsanordnung nicht der Fall war. 4 R Im Versuch musste dies sich bestätigen lassen. Zwei Katzen (am 28. Mai 1914) hungerten gleichzeitig 36 ‚Stunden. Die andere nichts. 3%/ Stunden später, 3/12 Uhr, erhielten beide je En 50 & Milchbrotbrei mit Gentianablau, um 3 Uhr dieselbe Menge E\ unzefarbien Brei. Tötung erfolgte sofort, das Gefrierenlassen erfolgte in Fressstellung, die Längsdurchsägung des Magens in situ. Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 933 Die Ergebnisse der Versuche bestätigten den Einfluss der Gabe von Milch mit Schweinefett. Bei Katze I, Fig. 45, 46, sieht man die Fig. 46. typische schalenförmige Anordnung des Inhaltes. Die zuletzt ge- reichte Nahrung liegt völlig in der Mitte der gefärbten, früher ge- reichten, die Oberfläche des gesamten Inhaltes war blau. Bei Katze II, Fig. 47, 48, sieht man die übliche in den oben geschilderten Versuchen mit geringen Abweichungen immer gefundene Lagerung des Mageninhaltes, typische Aufeinanderschichtung. Die Oberfläche war in der kardiaseitigen Hälfte weiss, in der pylorus- seitigen blau. Die vorherige Verabreichung von Milch mit Schweinefett ist in diesem Falle das Ei des Kolumbus! Danach dürfte die Streitfrage in dem Sinne gelöst sein, dass in der Tat die zentrale Einschichtung ein Spezialfall ist, der bei dem Grützner’schen Versuche lediglich durch die Vorfütterung mit Milch und Schweinefett bedingt wird. Es wirft sich sofort die Frage auf, wie diese scheinbar harmlose _ Modifikation der Versuchsanordnung die fundamentale Verschieden- . Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 16 234 Arthur Scheunert: heit in der Lagerung Stunden nachher gereichter Futterarten be wirken kann. Die Frage möchte ich dahin beantworten, dass infolge der Fettgabe in bekannter Weise eine erhebliche Verzögerung der ° Magenentleerung eintreten dürfte. Es findet sich infolgedessen zu ” A Beginn der Fütterung des gefärbten Breies, wie man sich durch den Versuch leicht überzeugen kann, eine aus Fett und etwas Flüssig- keit bestehende Inhaltsmenge im Magen. In diese ist die erste Brei- portion hineingelangt und hat sich mit ihr vermischt. Der nunmehr a vorhandene Inhalt ist infolge der Anwesenheit des Fettes nach’ weiteren 31/a Stunden zu einem Teil immer noch nicht entleert. Kommt nun die letzte Portion zur Verfütterung, so trifft diese im Magen Inhalt 5 von nahezu Flüssiekeitskonsistenz an; dass sie in so beschaffenen Inhalt eindringt, ihn auseinander- und in die Randpartien des Magens .quetscht, ist wohl selbstverständlich. Eine zentrale Einschich- tung kann also fnur erfolgen, wenn der eintretende feste Bissen im Magen Flüssigkeit antrifft. Die ganze Frage ist eine Konsistenzfrage, wie ich schon früher immer ver- mutet habe. Hierfür möchte ich noch einige Beweise erbringen. Etwas ganz Analoges sah ich beim Pferd, wenn man diesem nüchtern gefärbtes Wasser zu trinken gibt und es, ehe dieses völlig entleert ist, füttert. Es findet sich dabei ebenfalls eine schalen- förmige Anordnung des Mageninhaltes, indem die ersten die Farbe des ge- trunkenen Wassers zeigenden Futter- antelle an den Wänden des Magens lagern, die im Innern lagernden Teile aber ungefärbt sind. Vgl. Fig. 49. Sehr schön lassen sich die Folgen des Eintretens festerer Bissen in mit. Fig. 49. Ansicht der Magenober- fläche eines Pferdes, das 12 Stun- FJüssigkeit gefüllte Magen an Hunden den nach der letzten Mahlzeit f 5 1 grüngefärbtes Wasser und demonstrieren. d Minuten später Hafer, Häcksel : ne: ich o . End He Ausenemmen ui So erhielt ein ziemlich grosser Dachs Der punktierte Teil der Ober- hund zunächst mit Bordeauxrot gefärbte ' h Akch i un Ar en Erin era Bouillon und 5 Minuten später drei Portionen Milchbrotbrei, die blau (2), weiss (2) und gelb (3) gefärbt waren. 2 Minuten nach, Beendigung der Mahlzeit wurde das Tier getötet und wie üblich: weiterbehandelt. Längs- und Querschnitte durch den Magen zeigen Fig. 50/und 51. Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. 235 Man sah jim Magen jeden Bissen deutlich durch einen dünnen roten Rand gekennzeichnet liegen. Die Bissen waren danach in die rote, den Mageninhalt erfüllende Flüssigkeit hineingefallen, und diese Res Fig. 50. war oberflächlich in sie eingedrungen. Die Bissen hatten sich an- und übereinandergeiagert, und wir sehen an den in natürlicher Farbe sehr anschaulich wirkenden Bildern (Fig. 50 u. 51), dass die früheren Bissen durch die später eintretenden auseinander- und an die Peripherie gedrängt worden sind. Sie sind aber dabei, wohl- semerkt, nicht deformiert worden, sondern lediglich ausgewichen. Im reproduzierten Längsschnitt (Fig. 50) sieht man deutlich, wie sich die Bissen in der Reihenfolge der Aufnahme aneinandergelegt haben; der Querschnitt zeigt, wie die zuletzt genossenen die ersten an die Magenwand gedrückt haben. Also auch hier ist keine zentrale Einschichtung, sondern lediglich eine Lage- rung den physika- lischen Verhält- 065: LE 4g£ b ? ‚geltes Suller nissen des Magenin- weusses haltes entsprechend nee zu sehen. Ich habe meh- rere solche Versuche aus- geführt und gebe zur Veranschaulichung der \ 2 Verhältnisse noch eine BE 0: GTTEEE Abbildung (Fig. 52), die .,, u ur dieselben Verhältnisse pie. 52, Reihenfolge: blau, gelb, weiss. zeist. Manchmal ist die Lagerung auch ganz unregelmässig, und die Bissen liegen scheinbar -wahllos durcheinander; wahrscheinlich werden die Einzelheiten in jedem Falle von der im Magen vorhandenen Wassermenge abhängen. Die in Frage kommenden Verhältnisse dürften durch diese Dar- 16* 236 Arthur Scheunert:) mw legungen genügend geklärt sein. Es würde nun noch Stellung zu den Versuchen Grützner’s an anderen Tieren zu nehmen sein. Hier ist zunächst des einen Versuches an einem Hund zu ge denken (loc. eit. S. 516), der zunächst 64 g mit Lackmus gefärbtes Futter gefressen hatte, das aus Semmel, Milch und kleinen Fleisch stückchen zu einer breiigen Masse geknetet war. "2 Stunde später | hatte er 40 & desselben Futters ohne Lackmus genossen und war 2 Stunden nach Aufnahme des ersten Futters getötet worden. Die \ Abbildung des Längsschnittes (loe. eit. Fig. 13) lässt die Deutung einer zentralen Einschichtung des zuletzt genossenen Futters zu. Die Ur- sache des Zustandekommens dieser Lagerung ist zwar ohne weiteres Bi aus der Zusammensetzung der ersten Mahlzeit nicht zu erkennen, dürfte aber doch wohl auf eine irgendwie entstandene Dünnflüssig- keit des zu Beginn der zweiten Fütterung vorhandenen Mageninhaltes zurückzuführen sein; auch kann die Verwendung des in Wasser leicht löslichen Lackmusfarbstoffes leicht zu Täuschungen Anlass geben. Ich selbst habe eine ganze Reihe von Versuchen an Hunden aus- geführt, ohne eine solche Einschiehtung zu erzielen. Auf eine Wieder- h gabe von Abbildungen kann verzichtet werden, da solche an anderen 5 Stellen von mir veröffentlicht worden sind. Nur eines Versuches sei eingehender gedacht. Dieser war zu einem ganz anderen Zwecke angestellt, nämlich zur Beantwortung der Frage, ob durch Ver- abreichung von Wasser nach dem Fressen die Lagerung des Futters im Magen gestört wird. Das Tier erhielt hintereinander gelbes, blaues und ungefärbtes Futter (Milchbrotbrei) und trank 2 Stunden darauf 30 cem rotgefärbtes Wasser. 20 Minuten später wurde es getötet. Der Längsschnitt (Fig. 53) zeigt die deutliche Übereinander- schichtung in der Reihenfolge der Verabreichung. Infolge der Um- . » . Über die Schichtung des. Mageninhaltes usw. 337 spülung des Mageninhaltes durch das Trinkwasser ist an der der Oberfläche benachharten Portion der Inhalt durchweg stark rot ge- färbt (punktiert gezeichnet). Der Querschnitt (Fig. 54) zeigt eben- falls, dass von einer schalenförmigen Anordnung nichts zu sehen ist. Ich bemerke, dass der Versuch durch einen Kontrollversuch bestätigt wurde. Nach allem muss ich auch für den Hund annehmen, dass eine ' zentrale Einschichtung des zuletzt genossenen Futters nur dann zu- stande kommen kann, wenn der Magen Flüssigkeit oder eine Masse, die einer Flüssigkeit ähnelt, enthält. Anderenfalls erfolgt Über- oder Nebeneinanderlagerung der Bissen in ähnlicher Weise, wie es die Versuche an Katzen demonstrieren. Es dürfte dabei für das Zu- standekommen unregelmässiger Lagerungen der Hundemagen besonders geeignet sein, nach meinem Dafürhalten infolge der geringen Dicke seiner Wandmuskulatur, die seiner Ausdehnung wenig Widerstand " entgegensetzt. Bei weiteren Versuchen an Kaninchen und Meerschwein- chen habe ich mich gleichfalls nicht von der Einlagerung des neuen Futters in die- Mitte des alten überzeugen können. Bezüglich Kaninchen verweise ich auf die früher in diesem Archiv publizierten Versuche, deren Ergebnisse ich bestätigt fand. Von dem Ergebnisse eines Versuchs am Meerschweinchen, das nach 40 stündigem Hungern etwas Hafer und nach weiteren 8 Stunden Möhre und dann Hafer frass, geben Fig. 55 Längs- und Fig. 56 Querschnitt sowie Fig. 57 und 58. Öberflächenansichten des Magens Kunde. Es ist auch hier nur eine einfache Überschichtung zu konstatieren. Es ist 238 Arthur Scheunert: natürlich leicht möglich, dass 'gerade bei solchen Pflanzenfressern i einmal hier und da ein Partikelchen alten Futters in einer Falte der Magenschleimhaut liegen bleiben und dann das neue Futter vor der Berührung mit der Magenschleimhaut schützen kann. Voneiner Lagerung in der Mitte des alten Futters kann aber in solchen Fällen nicht die Rede sein. Im übrigen scheinen mir weder die von Grützner publizierten Versuche an den genannten beiden Tierarten, noch die an Ratten einwandfrei dafür zu sprechen, dass eine zentrale Einschichtune, wie sie die Grützner’sche Theorie verlangt, wirklich vorgelegen hat. H Alles in allem komme ich in voller Bestätigung meiner früheren Versuche zu dem Schluss, dass die von Grützner als Ergebnis seiner Versuche bezeichnete gesetzmässige Schichtung derart, dass „im allgemeinen die späteren Nahrungsmittel in die Mitte der alten gelangen und so zunächst vor der Berührung mit der Magenwand geschützt werden“, nicht besteht. Viel- mehrist es entsprechend der von Ellenberger und mir vertretenen Ansicht die Regel, dass nacheinander ge- nossene Teile einer Mahlzeit sich aufeinanderin der Reihenfolge ihrer Verabreichung lagern und mit der Magenwandung in Berührung bleiben. Zahlreiche Modi- fikationen der Schichtung sind möglich. Die zentrale Einschich- tung ist ein Spezialfall, der nur zustande kommt, wenn im Magen Flüssigkeit oder eine Masse ähnlicher Konsistenz enthalten ist. Diese Befunde dürften durch die grosse Anzahl von neuen und alten Versuchen an Pferden, Hunden, Katzen, Kaninchen, Meer- schweinchen und Hamstern hinreichend gestützt sein. Die Faktoren, die auf die Lagerung der in den Magen eintretenden Bissen bestimmend einwirken, sind zahlreich und von mir schon früher in diesem Archiv auf- gezählt worden. Die Bedeutung der Konsistenz des schon im Magen befindlichen Inhaltes und der neu eintretenden Bissen geht aus unseren neuen Versuchen aufs deutlichste hervor. Ebenso sind die durch die Füllungsverhältnisse des Darmes bedingten Druckverhält- nisse in der Bauchhöhle und die Lagerung der Bauchhöhlenorgane sowie deren zufällige Zustände (man denke an Trächtigkeit) stets in Rechnung zu ziehen. Besonders möchte ich aber auch auf die Bedeutung der Lage des Magens der Tierarten und des Menschen, Über die Schichtung des Mageninhaltes usw. ‚239 } die Art der Einpflanzung des Ösophagus und die Druckrichtung. der durch den Schlingakt in den Magen beförderten Bissen hinweisen. Bei einigen Versuchen an Katzen fanden wir die nacheinander genossenen Portionen nicht über-, sondern nebeneinandergelagert. Das Zustandekommen einer solchen Lagerung geht aus der Lage des Magens in der Bauchhöhle der Katze hervor, wie es aus EB Fig. 59. Lage des Magens einer in Fressstellung durchgefrorenen Katze. Fig. 59 ersichtlich ist. Betrachtet man die Eintrittsriehtung der Bissen, so ist leicht verständlich, dass sie an einer der Maeenseiten- flächen an dem vorhandenen Inhalt vorbei gelangen können, und erkennt auch die Bedeutung, die die Druckverhältnisse in der Bauchhöhle, Fülluneserad benachbarter Teile des Verdauungstraktus, ‚der Zustand benachbarter Organe und anderes mehr haben muss. | Weiter erkennt man, dass die Schichtungsverhältnisse im menschlichen Magen wesentlich von der aufrechten Haltung des Menschen und den dadurch bedingten Lage- und Druckverhält- nissen in der Bauchhöhle bedingt sein müssen. Wir müssen an- erkennen, dass die Angaben der Röntgenologen über die Anfüllung- des Magens und die ‚Lagerung des Inhaltes diesen Verhältnissen Rechnung tragen und können annehmen, dass die von Groedel u.a. gegebenen Schilderungen den Tatsachen am nächsten kommen werden. Ist der Magen bis zu einem gewissen Grade entfaltet und gefüllt, so müssen neu eintretende Bissen, die entlang der kleinen Kurvatur wandern, sich zwischen die Magenwand: und die dort lagernden älteren Inhaltsteile hineinschieben und diese nach der grossen Kurvatur ar | x 940 Arthur Scheunert: Uber die Schichtung des Mageninhaltes usw. Ir. zu abdrängen. So kommt die trichterförmige Lagerung zustande, die aber mit einer Umhüllung der neuen durch die alte E Nahrung nicht zu verwechseln ist. Zur einwandfreien Dar- stellung der Schiehtung des Mageninhaltes halte ich die Röntgen- methode nicht für geeignet, wenigstens müssten dann Aufnahmen von mehreren Seiten gemacht werden, die die einigermaassen sichere Rekonstruktion der den projizierten Schatten zugrunde liegenden Schichten gestatten würden. Wie schwierig es ist, aus einem Röntgen- bild die Schiehtung des Mageninhaltes zu beurteilen, geht schon aus den Aufnahmen hervor, die ich dieser Arbeit beigegeben habe, und denen durchweg ganz einfache Versuchsbedingungen zugrunde lagen. Schon diese Bilder gestatten allein nicht, die wirklichen Verhältnisse zu erkennen, sie stellen nur ein Hilfsmittel dar, das als Kontrolle der Gefriermethode gute ‚Dienste leistet. Bei Untersuchungen in situ, am lebenden Tier und mit mehr als mit zwei oder drei Futter- arten glaube ich, dass nur in seltenen, besonders günstigen Fällen wirklich zutreffende Beobachtungen über die Schiehtung des Magen- inhaltes gemacht werden können. ® 241 (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht. Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. Von J. van der Hoeve und A. de Kleijn. (Mit 15 Textfiguren.) Die Tatsache, dass jeder bestimmten Stellung des Kopfes im Raume auch ein bestimmter Tonus der Körpermuskulatur entspricht, konnte in einer Reihe von Versuchen im hiesigen Institut festgestellt werden. Dabei hat sich ergeben, dass es nur eine Stellung des Kopfes im Raume gibt, wobei dieser Tonus minimal, und auch nur eine, wobei derselbe maximal ist. In der vorliegenden Mitteilung soll gezeigt werden, dass auch für die tonischen Labyrinthreflexe auf die Augen entsprechende Gesetze aufgestellt werden können. ' Von den Labyrinthen ausgelöste Augenreflexe sind besonders durch die Otiater in den letzten Jahren eifrig untersucht worden und spielen auch schon in der Klinik zu diagnostischen Zwecken eine grosse Rolle. Hierbei werden aber beinahe ausschliesslich die von den Labyrinthen hervorgerufenen Nystagmusformen benutzt, welche keinen tonischen Charakter haben. Doch ist es eine schon längst bekannte Tatsache, dass auch tonische Labyrinthaugenreflexe be- stehen. Es sei nur erinnert an die zum Beispiel bei Kaninchen nach ein- ‚seitiger Labyrinthexstirpation monatelang anhaltende Augendeviation. Eine andere Gruppe von Augenreflexen, welche bei Änderung der Stellung des Kopfes im Raume auftreten sind die sogenannten - kompensatorischen Rollungen, welehe auch schon öfters Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen sind; bei Menschen mit Hilfe der Feststellung von Nachbildern, bei Tieren durch direkte Messungen. Auf den ersten Blick kann es scheinen, als ob diese letzteren Augen- bewegungen nicht tonischer Natur wären, da bei Untersuchungen von Augenreflexen von Menschen und Tieren die Spontanbewegungen eine grosse Rolle spielen und das Bild trüben können. Will man sich Ben 242 J. van der Hoeve und A. de Kleijn: also über den tonischen Charakter von Augenreflexen ein Urteil formen, so muss man Versuchstiere benutzen, welche keine oder nur geringe Spontanbewegungen machen, wie zum Beispiel Kaninchen. Wie sich weiter unten zeigen wird, stellte sich bei den hier zu be- schreibenden Versuchen auch heraus, dass bei Kaninchen die oben- genannten Augenreflexe rein tonischer Natur sind. Da durch Weiland, Magnus und de Kleijn in früheren Untersuchungen zur Feststellung von tonischen Labyrinthreflexen auf die Körpermuskulatur unter anderem auch Kaninchen als Versuchs- tiere benutzt worden waren, konnten an diesen gleichzeitig die Resultate über Augenreflexe mit denen über Reflexe auf die übrige Körpermuskulatur verglichen werden. Bevor wir zur Beschreibung der Technik übergehen, mögen die Fragestellungen, welche als Anleitung zu unseren Versuchen gedient , haben, kurz zusammengefasst werden ?). 1. Entspricht einer bestimmten Stellung des Kopfes im Raum auch eine bestimmte Lage des Auges im Kopf? f: 2. Gibt es, ausgehend von einer bestimmten Primärstellung des Kopfes im Raum, nur eine bestimmte andere Stellung des Kopfes, wobei die Lage des ‘Auges im Verhältnis zu seiner primären Lage maximal resp. minimal verändert ist, oder gibt es mehrere Maximal- und Minimalstellungen ? 3. Weleher Einfluss wird von je einem Labyrinth auf die Ab- lenkungen beider Augen ausgeübt? Technik. Notwendig war es, 'sowohl die Lage des Auges im Kopf genau feststellen, als auch den Kopf in jede beliebige Stellung im Raum bringen zu können. Dies wurde mittelts folgender Vorrichtungen be- werkstelligt: Einige Tage vor dem EIRENEUCRER Versuch wurde zur genaueren Orientierung auf die vorher kokainisierte Cornea des Versuchstieres mit einem Bleiacetatkristall ein Merkzeichen in Gestalt von verschiedenen Linien angebracht. Streicht man nämlich mit einem solchen Kristall über die Cornea, so entsteht eine scharf begrenzte weisse Linie, welche noch monatelang deutlich sichtbar bleibt. Die zuweilen auftretenden 1) Soweit uns bekannt, sind bisher noch keine vollständigen Bestimmungen der tonischen Augenlabyrinthreflexe gemacht worden. In den,‚interessanten« Ver- suchen, zum Beispiel von Kubo (Pflüger’s Arch. Bd. 114) wurden die, Augen- stellungen nur bei einigen Kopfstellungen bestimmt. Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. 243 Mr z , _ Reizerscheinungen gehen nach einem oder höchstens einigen Tagen vollkommen zurück. Das so vorbereitete Versuchstier wurde nun auf eimem Brett und sein Kopf in einer auf dem Brett angebrachten ee ne HpsgT: Czermak’schen Klemme genau fixiert. An der Czermak’schen Klemme wurde ein mit zwei feinen Drähten versehener Rahmen an- Fig. 2. 344 J. van der Hoeve und A. de Kleijn: gebracht (s. Fig. 1); auf dem Brett, dem Auge gegenüber, wurde ein photo- R. graphischer Apparat unbeweglich befestigt (s. Fig. 2). Photographiert man nun das Auge, so bekommt man das folgende Bild (s.. Fig. 3): Fig. 3. Durch die Bestimmung des Winkels « und der Distanzen ab und ac kann die Lage des Auges auf diese Weise genau festgestellt werden (s. Fig. 3a). Dadurch, dass das Tier und der photogsraphische Apparat unbeweglich auf dem Brett fixiert waren, war es möglich, die Aufnahmen, welche man bei verschiedenen Stellungen des Brettes (d. h. des Kcpfes) im Raume bekam, direkt miteinander zu vergleichen. Um nun das Brett in jede erforderliche Stellung im Raume bringen zu können, ‚ wurde in folgender Weise vorgegangen: Das Brett (s. Fig. 4) pqrs ‚ wurde so in den Rahmen PQRS gefasst, dass das Brett um die Achse tw und Brett und Rahmen zusammen um die Achse vw im äusseren Rahmen ABCD drehbar waren; sowohl am Rahmen PQRS wie am Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. 245 Rahmen ABCD war ein Gradbogen angebracht, so dass man die Grösse der Drehung um beide Achsen sofort ablesen konnte. Wenn nun das Tier in Bauchlage auf dem Brett fixiert ist, gibt Drehung um die Achse des Rahmens vw eine Drehung des Tieres um die bitemporale Achse, während Drehung um die Achse des Brettes tu eine Drehung des Tieres um die okzipitokaudale Achse gibt. Brinst man das Tier hingegen durch Drehung des Brettes um 90° in Seitenlage und fixiert letzteres in dieser Stellung am Rahmen, so gibt Drehung des Rahmens um Achse vw eine Drehung des Tieres um die dorsoventrale Achse. Durch Kombination von Drehungen um die Achsen Zw und vw kann man nun das Tier in jede er- forderliche Stellung im Raum bringen. V A H B w Fig. 4. Bei den folgenden Versuchen heisst nun: DrehungI!: Tier in Bauchlage, Mundspalte horizontal, Drehung des Tieres um die bitemporale Achse; Richtung der Drehung: Kopf nach unten, Schwanz nach oben. DrehungII: Tier in Bauchlage, Mundspalte horizontal, Drehung des Tieres um die okzipitokaudale Achse; Richtung der Drehung: zu untersuchendes Auge nach unten. Drehung III: Tier in Seitenlage; zu untersuchendes Auge nach oben, Mundspalte vertikal; Richtung der Drehung: Schnauze nach unten. Bei den Versuchen wurden nun im Verlaufe von jeder Drehung 25 Aufnahmen gemacht. Die erste Aufnahme gibt die Auseangsstellung (zum Beispiel bei Drehung I das Tier in Bauchlage), dann wurde nach 15° Drehung (bei Drehung I Mundspalte 15° unter der Horizontallinie) die zweite, nach 30° die dritte usw. gemacht, bis bei Aufnahme 25 nach einer Drehung von 360° wieder die Ausgangsstellung erreicht war. So bekommt man schon von einem Auge nach obengenannten dreierlei Drehungen 75 Aufnahmen, und da auch intermediäre Stellungen auf- genommen werden mussten, betrug die Zahl der Aufnahmen von jedem Auge ungefähr 100. 246 R J. van der Hoeve und A. de Kleijn: Es ist begreiflich, dass es auf diese Weise Stunden dauerte, bevor“ man ein Auge in allen Stellungen aufgenommen hatte. Nicht allein das Auswechseln der Platten nahm sehr viel Zeit in Anspruch, sondern man musste auch nach jeder Drehung eine Weile warten, bevor man weiterphotographieren konnte, um sicher zu sein, dass eventuelle Reflexe, welche durch Winkelbeschleunigung verursacht worden waren, au gehört hatten. Es stellte sich auch heraus, dass das Tier auf die Dauer unruhig wurde und doch Spontanbewegungen machte, N Deshalb haben wir später statt eines gewöhnlichen Apparates den kleinen Kino von Ernemann benutzt. Bei jeder Aufnahme wurde ein Zettel mit einer Nummer neben das Auge gehalten, so dass man später auch jede beliebige Stellung im Raume vom Film ablesen konnte. Die Films nel entwickelt und dann auf eine weisse Fläche vergrössert projiziert und die oben erwähnten Messungen ausgeführt. Die Resultate der Messungen waren die folgenden: 2 I. Normale Kaninchen. a) Raddrehungen. Die bei’ den Drehungen auftretenden Raddrehungen des Auges wurden, wie oben gesagt, durch Messung des Winkels « (Fig. > bestimmt. Ist nun zum Beispiel in einer Stellung dieser Winkel gleich z° und bei einer anderen Stellung gleich y°, so gibt die B: Differenz <—y direkt die stattgefundene Raddrehung. Fe 2 3. 45 6 7 8 9 710 1. 12. 13. 14 15. 16. 17. 18 19. 20. 21. 22. 23. 24 0 15 30 45 60 75 90 105 120 135 150 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315 330 ZERRTRUBBLERBBEE BRSEGBELEEBuEeE EnBuANSNnP Anne Fig. 5 (auf Ya verkleinert. 1 mm —='1° Raddrehung. Als Beispiel ‚für die bei einem Versuch aufgetretenen Rad- # drehungen möge Fig. 5 dienen. u Auf der Abszisse sind auf Millimeterpapier mit 1—25 die aufeinanderfolgsenden Aufnahmen und ausserdem die zugehörigen Bu je 1. Tönische Labyrinthreflexe auf die Augen. 947 dabei auftretenden Raddrehungen des Auges; jeder Millimeter ist — 1° Raddrehung. (Da alle Kurven auf die Hälfte verkleinert sind, ist 1° Raddrehung = !/2 mm.) | Drehung I ist, wie oben gesagt, eine Drehung um die bitem- | porale Achse. ‚Beil befindet sich das Tier in Bauchlage, Mundspalte horizontal. Bei Aufnahme 2 war das Tier 15° um die bitemporale Achse ge- dreht worden (Mundspalte 15° unter der Horizontalebene). Man sieht aus der Kurve, dass die Rollung («°—.y°) bei fort- gesetzter Drehung im Anfang zunimmt (das Auge dreht sich mit dem oberen Pole kaudalwärts) und bei 7 (Drehung 90°, Tier mit Kopf unten) ein Maximum erreicht. Ungefähr bei 12 (Drehung 165 %) ' nimmt die Rollung sehr stark ab, um nach und nach einer Rollung nach der entgegengesetzten Seite (Drehung mit dem oberen Pole oralwärts) Platz zu machen. Ungefähr bei 19 (Drehung 270°) wird ‘das Minimum erreicht, und bei 25 (Drehung 360°) kommt das Auge wieder in den Primär- stand zurück. ‚In derselben Kurve sind auch die Rollungen bei Drehung II (um die okzipitokaudale) und Drehung III (um die dorso- ‚ ventrale Achse) angegeben. | Diese Kurven geben uns nun sofort eine Antwort auf die oben- ' gestellten Fragen: 1. Entspricht, , was die Raddrehung anbelangt, jeder Stellung des Kopfes fim Raum auch eine, bestimmte Stellung des Auges im Kopfe ?} 2. Gibt es bei den Raddrehungen’auch ein Maximum und Minimum oder gibt es mehrere? Was die erste Frage anbelangt, so sieht man aus”den Kurven, dass, wenn man nach einer vollständigen Drehung wieder den Primär- stand erreicht, auch der Winkel & wieder genau derselbe ist wie im Anfang. Die Kurven kontrollieren einander aber auch auf eine andere Weise. Die Stellungen des Kopfes bei Aufnahme 1 und 25 von Drehung I sind dieselben wie bei Aufnahme 1 und 25 von Drehung II. Man sieht, dass auch die Stellung des Auges beinahe immer genau dieselbe ist. Ausserdem entsprechen sich noch je folgende Paare von Punkten auf zwei Kurven: | } | -Drehungswinkel des Tierbrettes angegeben, auf der Ordinate die } | 248 J. van der Hoeve und A. de Kleijn: Aufnahme 13 Drehung I = 13 Drehung UI (Tier Rückenlage). — 7 Drehung I=7 Drehung II (Tier up unten). — 19 Drehung I —=19 Drehung III (Kopf oben). — 19 Drehung IM =1 Drehung III (Tier Seitenlage, zu unter- suchendes Auge oben). — 7 Drehung II=13 Drehung III (Tier Seitenlage, zu unter- suchendes Auge unten). — Auf der Kurve sieht man nun, dass die Raddrehungen bei diesen korrespondierenden Stellungen beinahe gleich gross sind. Die kleinen Differenzen von einigen Graden können den unvermeidlichen Fehlern beim Ausmessen und hauptsächlich den Spontanbewegungen des Tieres bei den immerhin noch lange dauernden Versuchen zu- geschrieben werden. Auf Fig. 5 beträgt der maximale Fehler 5°. Dass tatsächlich Spontanbewegungen stattgefunden haben, ist aus der etwas unregelmässigen Form der Kurven, besonders von Drehung II, ersichtlich. Von welcher Richtung aus man auch eine bestimmte Stellung des Kopfes erreicht, immer findet man die dazugehörige Rollung des Auges. Schon hierdurch sind Reflexe durch Winkelbeschleunigung auszuschliessen. Dass, nachdem der Kopf in eine neue Stellung ge- bracht worden war, immer erst nach einigem Warten die Aufnahmen gemacht wurden, ist früher schon erwähnt worden. Schliesslich haben wir auch öfters den Kopf 10 Minuten und länger in einer bestimmten Stellung gelassen; auf zwei vor und nach dieser Zeit gemachten Aufnahmen war zu sehen, dass der Winkel des Auges stationär blieb. Hieraus folgt also, dass tatsächlich beim Kaninchen jeder Lage desKopfes im Raume auch eine bestimmte Rollung des Auges entspricht, dass wir also auch bei diesen Labyrinthaugenreflexen mit rein tonischen Reflexen zu tun haben. » Alle Drehungen des Kopfes im Raume, durch welche dieser seine Neigung gegen die Horizontale nicht ändert, sind auf die Stellung des Auges ganz wirkungslos. Maximum und Minimum. Wie aus ; Fig. 5 ersichtlich ist, wurde das Maximum erreicht bei Aufnahme 7—12 Drehung I= Aufnahme 7 Drehung III in der Stellung „Kopf unten“, das Minimum bei 19 I=19 III „Kopf oben“. un Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. 249 Bei Drehung II werden nirgends solche hohen oder niedrigen Werte erreicht und auch nicht bei verschiedenen anderen Stellungen des Kopfes im Raum, welche durch Kombination von Drehung I, II und III erzielt werden können und welche in den Kurven nicht ein- gezeichnet sind. Man hat also auch bei diesen Reflexen nur eine Gegend im Raum, wo die Rollung maximal (oberer Corneapol kaudalwärts), und nur eine, wo dieselbe minimal ist (oberer Corneapol oralwärts). Auf Fig. 6A ist ein Kaninchenschädel in der Maximalstellung für die Raddrehungen, auf Fig. 6B in der Minimalstellung photo- graphiert. Besprechung der verschiedenen Versuche. “Im ganzen verfügen wir über sechs gelungene Versuche. Alle Versuche stimmen darin überein, dass das Maximum der Drehung in der Gegend Kopf unten und das Minimum in der Gegend Kopf oben gefunden wird. Absichtlich sprechen wir hier von den „Gegenden“, denn, wie man auch in Fig. 5 bei Drehung I sehen kann, bleibt die Rollung, nachdem sie bei 7 ihr Maximum erreicht hat, einige Zeit so ziemlich auf der gleichen Höhe, um bei 12 (bei anderen Versuchen bei 10—12) plötzlich stark abzunehmen; ebenso bleibt die Raddrehung (bei 19) einige Zeit hindurch minimal, um dann plötzlich wieder zu- zunehmen. Dies kann man auch mit blossem Auge wahrnehmen. Es sieht so aus, als ob, sobald eine bestimmte Stellung des Kopfes erreicht ist, eine kleine Veränderung der Lage plötzlich eine grosse Rollung zur Folge hätte. Fig. 6. Schädel A:- Maximumstellung für die Raddrehungen beider Augen. Schädel B: Minimumstellung für die Raddrehungen beider Augen. B A Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. I { \ 250 J. van der Hoeve und A. de Kleijn: Bezüglich der Grösse der Raddrehungen bei verschiedenen Tieren findet man Variationen. In sechs Versuchen betrug die Differenz zwischen Maximum und Minimum 87°, 87°, 88°, 91°, 99% und 100°. Solche Variationen, wiewohl von geringerer Grösse, findet man auch in einer Untersuchung von Rotfeld!) für die Strecke 1—7 (0—90°) Drehung 1. Bei einem Tier wurden beide Augen am selben Tag senau untersucht. Beide Kurven weichen nur unwesentlich voneinander ab. Die Differenz von Maximum und Minimum betrug 91 bzw. 99°. Deutliche Variationen findet man, wenn man ein und dasselbe Auge an verschiedenen Tagen untersucht. Die Form der Kurve bleibt aber immer dieselbe, und das Maximum und ‘Minimum wird auch immer an der gleichen Stelle gefunden. Unmittelbar nach der Markierung der Cornea mit Bleiacetat kann kein Versuch gemacht werden, da der durch die Markierung _ verursachte allgemeine Reizzustand des Auges einen grossen Hem- mungseinfluss auf die Rollung desselben hat. Bei einem Versuch . unmittelbar nach der Markierung betrug die Rollung des Auges (Maximum — Minimum) 26°, während ungefähr 14 Tage später das- selbe Auge 99° zeigte. Wir haben daher unsere definitiven Versuche immer erst einige Tage nach der Markierung gemacht, wenn alle nennen des Auges vollkommen geschwunden waren. 1 b) Vertikale Verschiebungen des Auges bei verschiedenen Lagen des Kopfes im Raume. Bei verschiedenen Lagen des Kopfes im Raume beobachtet man am Auge ausser den Raddrehungen auch noch Differenzen in der Grösse des Abstandes des Mittelpunktes der au vom unteren Orbitalrand. Bei den Messungen haben wir nun an die Distanz von der Mitte der Cornea bis zum Orbitalrand, sondern bis zum Rahmen, also die Distanz a b Fig. 3a gemessen. Diese soll im folgenden der Kürze halber als „Höhendifferenz“ bezeichnet werden. Sie ist gross, wenn das Auge nach oben, klein, wenn es nach unten abgelenkt wird. Bei der „Normalstellung“ des Auges hat sie einen mittleren Wert. 1) Beeid) Die Physiologie des POS ESDD Verhandl.d. Gesell- schaft deutsch. Naturf. u. Arzte 1913. ; Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. 251 Beim Markieren muss man sehr darauf achten, das Kreuz genau in der Mitte der Cornea anzubringen, denn wenn dies nicht der Fall ist, bekommt man schon bei einer einfachen Raddrehung Differenzen in der Distanz (wie in Fig. 7 ad und ce ersichtlich ist). Deshalb haben wir auch nicht nur ein einfaches Kreuz, sondern eine Figur, wie auf Fig. 3 und 7 ersichtlich, an- gebracht. Wenn man nun immer die Distanzen von a, b und ce bzw. a’, b, c’ bis zum Rahmen misst, bemerkt man sofort, ob der Punkt b in der Mitte der Cornea angebracht worden ist oder nicht. Als Beispiel von einem solchen Versuch möge Fig. 8 dienen. Da oben bei „Raddrehungen“ schon eine Erklärung der Figur gegeben ist, können wir hier kurz die Resultate zusammenfassen. 6 2897 1087115 012,013. 14. 35.2 16, 172718.1719.520.0 21.) 22.728. 24. 8. 15 30 455 60 75 90 105 120 135 150 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315 330 345 3609 Fig. 8 (auf 1/a verkleinert). 1 mm —= + !ıs mm Böhendifferenz. Das Maximum wird erreicht in der Gegend 7 Drehung II=13 Drehung III (Tier Seitenlage; zu untersuchendes Auge unten) und das ‚Minimum in der Gegend 19 Drehung II = 1 Drehung III (Tier Seiten- lage; zu untersuchendes Auge oben). Auch hierbei gibt es nur eine Gegend, wo ein Maximum, und nur eine Gegend, wo ein Minimum erreicht wird. | Auffallend ist auch er dass das Auge (s. zum Beispiel Drehung III) eine Zeitlang in Maximalstellung verbleibt, um dann Re Ne na 952 J. van der Hoeve und £. de Kleijn: plötzlich (bei 18 Drehung III) eine starke Bewegung auszuführen und sich auch bei der Minimalstellung (bei 5 Drehung III) ebenso verhält. | Auch hier entspricht einer bestimmten Stellung des Kopfes im Raume eine, was seine Höhenstellung anbelangt, bestimmte Lage des Auges; die korrespondierenden Stellungen bei den verschiedenen Drehungen geben dann auch jedesmal dieselben Lagen des Auges: 1 Drehung I= 1 Drehung 1 25 h 1-25 4 II N N ee 1900 SS aa dl De mes 19 Es gibt nur eine Ausnahme: 13 Drehung I ist nicht gleich 13 Drehung II; die erforderliche Stellung wird bei Drehung II statt bei Stellung 13 noch vor Stellung 14 erreicht. Auf Fig. 9 A ist ein Kaninchenschädel in der Maximumstellung für die Höhendifferenz des linken Auges (zugleich Minimumstellung für das rechte Auge), auf Fig. 9 B in der Minimumstellung für die Höhendifferenz des linken Auges (zugleich Maximumstellune für das rechte Auge) abgebildet. Bei der Stellung 9B ist also das linke Fig. 9. Schädel A: Maximumstellung für die Höhendifferenz des linken Auges, Minimumstellung für die Höhendifferenz des rechten Auges. Schädel B: Maximum- stellung für die Höhendifferenz des rechten Auges, Minimumstellung für die Höhendifferenz des linken Auges. Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. 253 Ause am stärksten nach unten, das rechte Auge am stärksten nach oben abgelenkt; bei Stellung 9 A ist die Ablenkung die umgekehrte. e) Seitwärtsbewegungen des Auges bei verschiedenen Stellungen des Kopfes im Raume. Auch für die Seitwärtsbewegungen des Auges von Kaninchen bei Drehung I, II und III wurden Kurven angefertigt, in welchen jedoch keinerlei Gesetzmässigkeit dieser Bewegungen nachgewiesen werden konnte. Es hat deshalb auch keinen Zweck, diese Kurven hier zu reproduzieren. Die Ursache dieser unregelmässigen Seitwärtsbewegungen ist noch vollkommen unaufgeklärt. II. Einseitig labyrinthektomierte Kaninchen. Die nach einseitiger Labyrinthexstirpation auftretenden Augen- deviationen *) verursachen grosse Schwierigkeiten bei der quanti- tativen Untersuchung der Raddrehungen und Höhendifferenzen. Die Hornhäute verschwinden oft beinahe ganz: unter die Orbitalränder und erschweren dadurch genauere Ausmessungen. Dazu kommt noch, dass sich bei Kaninchen nach einseitiger Labyrinthexstirpation von der Bulla ossea aus fast ausnahmslos am Auge der operierten Seite eine Facialisparese entwickelt und nach der Markierung mit Blei- acetat dieses Auge sehr oft in Entzündung gerät. Solche Tiere sind zur Aufnahme unbrauchbar. Nach vieler Mühe jedoch ist es schliesslich doch gelungen, von vier Tieren brauchbare Serienaufnahmen zu machen. Die Fragestellung war folgende: 1. Welche Raddrehungen und Höhendifferenzen sind nach ein- seitiger Labyrinthexstirpation an beiden Augen zu konstatieren? Mit anderen Worten, welcher Einfluss wird von einem Labyrinth auf beide Augen ausgeübt? Dabei war festzustellen, ob, wenn man den Kopf des Tieres von einer Stellung « im Raume in eine andere Stellung 5b bringt, die Raddrehungen bzw. die Höhendifferenzen an beiden Augen gleichzeitig ab- oder zunehmen, oder ob vielmehr die Augen gegensinnig reagieren und Abnahme beim einen Auge mit Zunahme beim anderen Auge gepaart geht. 1) Vgl. Magnus wnd A. de Kleijn, Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 188. 1913. / 254 J. van der Hoeve und A. de Kleijn: 2. Wenn man den Einfluss von einem Labyrinth auf jedes Auge gesondert festgestellt hat, ist es auch möglich, wie sich unten zeigen wird, den Einfluss zu bestimmen, welchen sowohl das ee- kreuzte wie das ungekreuzte Labyrinth auf jedes Auge gesondert in jeder beliebigen Lage des Kopfes im Raume ausübt. Gelingt es nun, die Stellungsänderungen der Augen beim normalen Tiere zurück- zuführen auf die Summe der Einflüsse, welche vom rechten und vom linken Labyrinth auf beide Augen ausgeübt werden, und welche: in den Versuchen mit einseitiger Labyrinthexstirpation tatsächlich ge- funden worden sind? | Für diese Feststellungen haben wir die Versuche etwas geändert; es wurde auch hier sowohl das rechte als das linke Auge photo- graphiert und Drehungen der Tiere in drei Richtungen ausgeführt; die Richtung. der Drehungen war jedoch etwas anders als bei den früheren Versuchen, wie aus dem Folgenden sofort ersichtlich ist: Jetzt heisst für beide Augen: Drehung I: Tier in Bauchlage, Mundspalte horizontal, Dreh- richtung: Schnauze nach unten. Drehung IH: Tier in Bauchlage, Mundspalte horizontal, Drehung um die Längsachse, Richtung: rechtes Auge nach unten (bei den Versuchen mit normalen Kaninchen zu untersuchendes Auge nach unten). A Drehung III: Tier in Seitenlage, rechtes Auge oben (bei den früheren Versuchen zu untersuchendes Auge. oben) Drehung um die Dorsoventralachse, Richtung: Schnauze nach unten. a) Raddrehungen. Kaninchen, vor 3 Jahren rechtsseitige Labyrinthexstirpation (Fie. 10—12). | | Diese Kurven sind etwas unregelmässiger wie die von normalen Kaninchen. Dieses beruht teilweise auf den oben beschriebenen Schwierigkeiten bei der Aufnahme und teilweise auch auf Spontan- bewegungen. Nach einseitiger Labyrinthexstirpation wird, wie be- kannt, der Kopf des Tieres sehr stark nach der operierten Seite gedreht und etwas gewendet; bei obigen Versuchen musste nun der Kopf am Stativ geradegestellt werden, mit der Mundspalte horizontal, durch welche foreierte Stellung die Tiere unruhiger waren. Den Als Beispiel möge folgender Versuch dienen: Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. 2355 - Hauptverlauf der Stellungsänderungen kann man aber, wie die Figuren zeigen, auf den Kurven deutlich verfolgen. ee. 1 e 9. 710. 11.012. 18. 1A.) 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24 2. 0 5 30 5 60 75 90 105 120 135 150 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315 330 345 3609 SPSSRESBENGER Drehung I Raddrehung Fig. 10 (auf Vs verkleinert). He. 9 1071. 12.033.147 15. 16. 10.18. 19.020. 021. 22.28.24. 25. 995220 5 60 5 90 105 120 155 150 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315 330 345 360° N Fig. 11 (auf !/e verkleinert). : Ar 7.08, 9. 10. 1.722, 13. JA. 15. 16. 17. 18.7 19.20. 21. 22. 28. 24. 25. 0 25 30 4 60 75 90 105 120 135 150 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315 330 345 360° “ Fig. 12 (auf Ya verkleinert). Das Folgende geht aus den Kurven hervor: Bringt man den Kopf des Tieres aus einer Lage im Raume in eine andere, so reagieren die Augen immer gleichsinnig, d. h., wenn die Raddrehung des einen Auges zu- bzw. abnimmt, geschieht beim anderen Auge dasselbe; einLabyrinth beeinflusst also beide 256 J. van der Hoeve und A. de Kleijn: Augen gleichsinnig. Der Vergleich von Fig. 10—12 mit Fig. 5 (Raddrehungen beim intakten Kaninchen) lehrt, dass der Verlauf und die Form der Kurven durch Entfernung des einen Labyrinths nicht geändert wird. Die Maxima und Minima liegen an den gleichen Stellen. Nur die absoluten Grössen der Raddrehungen sind ver- mindert. Zu den hier abgebildeten Kurven von einem rechtsseitig labyrinth- ektomierten Tier sind die Raddrehungen des rechten Auges (0 D) grösser als die des linken (OS), d. h., das intakte linke Labyrinth übt den grösseren Einfluss auf das gekreuzte Auge aus. Die quanti- 1.0: 22003. AN 5.0.6. .7..028.2.9240. 211, 92,132 2142152216919. 2182719. 7209721252270 23 7240208 I 35 30 4 60 75 90 105 120 135 150 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315 330 345 3600 EraRamEE i J | ee HH -FPR nn Fig. 13 (auf !/a verkleinert.) Korrespondierende Punkte: 1 Drehung I = 25 Drehung I Differenz 14 \ Auch 1 Drehung I 1 Drehung IT b) Ben 28 ” u » 2 15 5 rt 18 a 9 15° 7 5 = 7 RL i) 14° 19 % 1— 19 Sol = I 7 „. «11 —.18 all n 30° 7 Drehung II wird erst erreicht i bei 14 Drehung III 19 I RD „ 3° 1 „NL 25 Sl 5 80 Maximum wie beim norm. Kaninchenin der Gegend 7—12 Drehung I | Minimum „ , E 5 EUER 5 192), > IT 19 Dreh. IR tativen Bestimmungen sind, wie schon oben gesagt, nicht so genau auszuführen wie bei normalen Tieren, doch geht aus anderen Ver- suchen hervor, dass der obengenannte Unterschied nicht als Regel auf- tritt. In einem Fall waren die Raddrehungen (Maximum — Minimum) an beiden Augen gleich, in zwei anderen Fällen war der Einfluss auf das gekreuzte Auge geringer als auf das andere. Diese drei letzt- senannten Tiere waren alle einige Monate nach der Labyrinth- Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. 257 exstirpation photographiert, während das Tier, von welchem die hier abgebildeten Kurven gemacht worden sind, erst 3 Jahre nach der Exstirpation photographiert wurde. Ob der Einfluss von einem Labyrinth auf je ein Auge sich nach der Exstirpation im Laufe der Zeit ändert, könnte aber nur durch eine sehr grosse Anzahl von Ver- . suchen festgestellt werden. Auf Punkt 2 der Fragestellung gibt Fig. 13 Antwort. Nehmen wir an, der Kopf befinde sich in Lage « im Raume, das rechte Labyrinth in Lage x, das linke in Lage y, welche 180° von Lage x verschieden ist. Es fragt sich nun, welcher Einfluss wird sowohl vom linken als vom rechten Labyrinth auf das rechte Auge ausgeübt. Den Einfluss des linken Labyrinths auf das rechte Auge können wir sofort aus Kurve 10—12 bestimmen. Den Einfluss des rechten Labyrinths auf das rechte Auge wissen wir nicht, weil eben das rechte Labyrinth exstirpiert worden ist. Dieser Einfluss muss aber gleich sein mit dem, welchen das linke Labyrinth auf das linke Auge ausübt, wenn man die Lage des Kopfes im Raume so verändert, dass sich danach das linke Labyrinth gegenüber dem ‚linken Auge. so befindet wie in der früheren Lage das rechte Labyrinth segenüber dem rechten Auge. Der Einfluss des linken Labyrinths auf das linke Auge in allen Lagen ist aus den Kurven | ersichtlich. Addiert man nun diese zwei Einflüsse, so bekommt man die Summe der Einflüsse, die das rechte und das linke Labyrinth zusammen auf das rechte Auge ausgeübt hätten. In Fig. 13 ist diese Addition für die verschiedenen Lagen des Kopfes im Raume ausgeführt. Wenn man nun die so erhaltene Kurve vergleicht mit der Kurve Fig. 5 vom normalen Kaninchen, so sieht man, dass die Maxima und Minima sich in beiden in denselben Gegenden befinden und auch die korrespondierenden Stellen ziemlich genau über- einstimmen. Die Übereinstimmung ist sogar viel grösser, als wir erwartet hatten, da hier natürlich die Fehlerquellen viel grösser sind als beim normalen Tier (die oben beschriebenen Schwierigkeiten bei den Aufnahmen; ausserdem werden durch Addition von zwei Aufnahmen die Fehlerquellen verdoppelt). Einmal wurden bei ein und demselben Kaninchen die Rad- drehungen vor und nach einseitiger Labyrinthexstirpation aufgenommen. In Fig. 14 gibt die punktierte Linie die Raddrehungen des linken Auses vor, die durchlaufende Linie die. Raddrehungen eines Auges, wie sie durch die Addition der Einflüsse des rechten und linken 258 J. van der Hoeve und A. de Kleijn: Labyrinths in einem Versuch nach einseitiger Labyrinthexstirpation gefunden wurden, beide für Drehung I. Man sieht, dass auch diese zwei Kurven überraschend übereinstimmen. 1.a2. 008 mar 05.688 9.810. 110129 713: 214.715. 16: 011.,.182219.52 20121 ME Are 0 15 .30%46 60 75 90 105 120 135 150 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315 330 345 360° De? Zn - R Sad ©: ER Bea IBAN er | | 2 al ef RN : Te je | Euer | Fig. 14 (auf Y/a verkleinert). b) Höhendifferenzen. Nach dem soeben über Raddrehungen Gesagten können wir uns über die Höhendifferenzen ganz kurz fassen. Die Fragestellung und Technik war genau dieselbe wie bei den Raddrehungen. Aus TED EB AN 922002 002 820009,,,100101912812.7,1320 14 15216 0017, 13.5 19 0 35 30 45 60 75 90 105 120 135 150 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315 330 3450 Drehung I Höhendifferenz Fig. 15 (auf Ya verkleinert). den Kurven (Fig. 15—17), welche von demselben, vor 3 Jahren rechtsseitig labyrinthektomierten Kaninchen : stammen, wie Fig. 10—12, ist ersichtlich, dass im Gegensatz zu den Raddrehungen, bezüglich der Höhendifferenzen ein Labyrinth die beiden Augen gegensinnig beeinflusst. Nimmt bei Veränderung der Lage des Kopfes im Raume die Höhendifferenz des einen Auges zu, so nimmt die des anderen ab. Quantitative Bestimmungen der Höhendifferenzen Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. 259 > sind noch schwieriger zu machen als die der Raddrehungen, besonders in den Stellungen, in denen die Gornea infolge der Augendeviation beinahe ganz unter die Orbitalränder verschwindet. In diesen Stellungen könnte man erst nach Ausführung der nötigen Korrekturen die tatsächlichen Höhendifferenzen feststellen, vor allem weil die Augendeviation nach einseitiger Labyrintbexstirpation am Auge der ‚ operierten Seite viel grösser ist als an dem anderen. Es treten aber A576: 7.08, 9010. 112122 33. 18. ,15., 16. 719. 18.1927 20. 21.22. 28.24. 2. 0 2» 30 45 60 75 90 105 120 135 150 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315 330 345 3609 Pr mies Br Bett! | Fig. 16 (auf !/a verkleinert). Drehung 11. 5276. N. 8,9. 40.11.12.) 18. 14. 35., 16. 117.18. 519.7 20. 781, 22.) 28, 2. 025. 0 15 30 45 60 75 90 105 120 135 150 165 180 19 210 225 240 255 270 285 300 315 330 345 3600 Drehung III 0.0 X — Ber 2a FE & Höhendifferenz DEN — er 4 In NS Ber TPrrL | | ze — > \ ur Segen as Fig. 17 (auf !/2 verkleinert). so grosse Höhendifferenzen auf, dass für ihre qualitative Bestimmung die einfachen Ausmessungen genügen. Das geht auch aus Kurve Fig. 13 hervor, wo die Addition des Einflusses der beiden Labyrinthe auf ein Auge gemacht worden ist. Vergleicht man diese Kurve mit Kurve Fig. 8 von einem normalen Kaninchen, so sieht man, dass auch hier wieder die Maxima und Minima in denselben Gesenden gefunden werden und auch die korrespondierenden Stellungen ziem- lich genau übereinstimmen. Nach einseitiger Labyrinthexstirpation wird das Auge der ope- rierten Seite nach unten, dass der anderen (intakten) Seite nach 260 J. van der Hoeve und A. de Kleijn: obe zeigt wurde, Änderungen der „Höhendifferenz* der Augen vom unteren Orbitalrand bei einseitig labyrinthlosen Tieren stets gegen- - sinnie. Das heisst also, dass bei den verschiedenen Stellungen des Kopfes im Raume bei derartigen Tieren die Abweichungen der zwei Augen von der Normalstellung‘ entweder beide zu- oder abnehmen. Die Abweichungen von der Normalstellung sind an beiden Augen am erössten, wenn das intakte Labyrinth bei Seitenlage des Kopfes sich unten, sie wird am kleinsten, wenn dasselbe sich oben befindet). 1.2.0980 242252. 7.62. 01.838.2.065 10.114812. 13:72429335.7 16.2 17011820 19720250215 22 202 30 Da m 21, 02329085 60 75 9 105 120 135 150 165 180 195 210 225 240 255 270 2835 300 315 330 345 3600 re Be En EEE T BEZ zen are | aan = RR | | ESHEUETDBBRLUE BR= AUBE ra s Burreh SENDER ® KA DE Fig. 18 (auf. !/a verkleinert). Korrespondierende Punkte: E. 1 Drehung ı — is Drehung Mn: —= 25 Drehung I = 25 Dich: u 5 13 ” FRE ” N a Na an wert IM ee ei Maximum wie beim normalen Kaninchen in der Gegend 13 Drehung III Minimum 1 . Aus den beschriebenen Versuchen ergibt sich also, dass es gelingt, die beim normalen Tier beobachteten Augenabweichungen bei verschiedenen Stellungen des Kopfes im Raume restlos zurückzuführen auf die Summe der Einflüsse, welehe vom rechten und vom linken Labyrinth auf jedes Auge ausgeübt werden. 1) Vgl. R. Magnus und A. de Kleijn, Pflüger’s Arch. Bd. 154 “ Ss. 188. 1913. — 2 ns ee Tonische Labyrinthreflexe auf die Augen. 261 II. Doppelseitig labyrinthektomierte Kaninchen. An verschiedenen Tieren konnte beobachtet werden, dass nach doppelseitiger Labyrinthexstirpation bei Änderung der Stellung des Kopfes im Raume an keinem der beiden Augen mehr eine Spur von Raddrehungen oder Höhendifferenzen wahrnehmbar ist. Diese Be- obachtune stimmt mit den Befunden von zahlreichen anderen Unter- suchern überein. IV. Raddrehungen und Höhendifferenzen bei Tanzmäusen. Graue und weisse Mäuse zeigen sehr ausgiebige kompensatorische Augenbewegungen. Bei Tanzmäusen hingegen, welehe bekanntlich schwere Störungen im Labyrinthsystem aufweisen, konnte bei sechs Exemplaren weder mit blossem Auge, noch bei Ausmessung der photographischen Aufnahmen eine Spur von kompensatorischen Augen- bewegungen festgestellt werden !). Die sechs untersuchten Tiere gehörten zwei verschiedenen Stäm- men an; ob also obiger Befund allgemeingültig ist, bedarf noch näherer Untersuchung. Schlusssätße. 1. Bei Kaninchen entspricht jeder Stellung des Kopfes im Raume eine bestimmte Stellung der Augen. 2. Bringt man den Kopf aus der primären Stellung (Mund- spalte horizontal in Bauchlage) in eine andere, so treten tomische Augenreflexe auf. Die veränderte Stellung der Augen bleibt bestehen, ‚solange der Kopf in der veränderten Stellung gelassen wird. 3. Es wird, von der primären Stellung ausgehend, nur ein Maximum der Raddrehung erreicht (gerechnet in der Richtung: oberer Corneapol nach hinten), nämlich wenn der Kopf vertikal nach unten hängt, und nur ein Minimum in der Stellung Kopf oben. 4. Ausser den Raddrehungen weisen die Augen, wenn man den Kopf in verschiedene Stellungen bringt, auch noch Bewegungen in vertikaler Richtung auf. | 1) Schon mitgeteilt von van der Hoeve in einer Diskussionsbemerkung beim Internat. Physiologen-Kongress in Groningen 1913 und in „De oogheel- kunde in verband met andere deelen der medische wetenschap“, S. 13 und 14. Groningen 1913. 362 ıJ. van der Hoeve und A. de Kleijn: Tonische Labyrinthreflexe usw. 5. Auch hierbei findet man bezüglich der Entfernung der Mitte der Cornea vom untersten Orbitalrand ein Maximum, welches er- reicht wird, wenn das Tier sich in Seitenlage, mit dem zu unter- suchenden Auge nach unten befindet und ein Minimum, wenn das Tier sich in Seitenlage, mit dem zu untersuchenden Auge nach oben befindet. 6. Nach einseitiger Labyrinthexstirpation bleiben die Rad- drehungen und Änderungen der Höhenstellung beider Augen bestehen. 7. Ein Labyrinth beeinflusst die Raddrehungen der beiden Augen . in der Weise, dass bei Lagewechsel des Kopfes die Raddrehung der beiden Augen immer gleichzeitig und gleichsinnig zu- oder abnimmt. 8. Wahrscheinlich ist der Einfluss von einem Labyrinth auf die Raddrehungen beider Augen ungefähr gleich stark. | 9. Ein Labyrinth beeinflusst die Vertikalabweichungen der beiden Augen immer gegensinnig; nimmt der Abstand der Corneamitie vom unteren Orbitalrand an einem Auge zu, so nimmi er am anderen Auge ab. 10. Ein Labyrinth ruft an beiden Augen die grössten Vertikal- abweichungen von der Normalstellung hervor, wenn es sich bei Seiten- lage des Kopfes unten, die geringsten, wenn es sich oben befindet. 11. Es gelingt, die Stellungsänderungen der Augen beim normalen Tiere zurückzuführen auf die Summe der Einflüsse, welche vom rechten und vom linken Labyrinth auf beide Augen ausgeübt werden und welche in den Versuchen mit einseitiger Labyrinthexstirpation tat- sächlich gefunden worden sind. 12. Für die Seitwärtsbewegungen des Auges bei verschiedenen Lagen des Tieres im Raume konnten keine Gesetzmässigkeilen nach- gewiesen werden. 13. Nach doppelseitiger Labyrinthexstirpation hören alle tonischen Labyrinthreflexe auf die Augen auf. 14. Bei sechs Tanzmäusen, aus zwei verschiedenen Stämmen waren ebenfalls keine tonischen Augenreflexe wahrnehmbar. Diese Untersuchungen werden weitere Bedeutung gewinnen, wenn wir in einer späteren Arbeit aus diesem Institut die Frage zu erörtern haben werden, ob bestimmte Teile des Labyrinths, speziell die Qtolithen, für die Auslösung der tonischen Labyrinthreflexe verantwortlich ge- macht werden können }). 1) Vgl. dazu Magnus und A. de Kleijn, Pflüger’s Arch. Bd. 145 S. 477. 1912; Bd. 154 S. 191. 1913. — de Burlet und A.de Kleijn, Pflüger’s Arch. Bd. 163 S..321. 1916. ER (Aus dem physiologischen Institut der Universität Göttingen.) 263 Über Kälteschädigung und Kältetod des quer- gestreiften Säugetiermuskels. Von Wilhelm A, Hoyer aus Hannover. (Mit 32 Textfiguren.) Inhaltsverzeichnis. A. Literaturübersicht über den Kältetod von Wirbeltiermuskeln . . . B. Plan und allgemeine Methodik der vorliegenden Untersuchungen . . . C. Eigene Untersuchungen über Kälteschädigung und Kältetod des quer- Beetenisaugetiermuskels-.: Mt ER I. Untersuchungen an der.Wanderratte - . 2. 2 2 222202 .. Dslsolierter ?Muskelgrn, ad a N andy aaa ae spezielle Methodik. 4.172 mraa.i. su sus ale ran ee e) Die Herstellung des Muskelpräparates und seine Ab- BEUTE INT Re a a SR ee een era o £) Verfahren der Feststellung der Schädigung des ab- sekühlten?Muskela’ 0... 2 2 4. ee ARD y) Über die Anwendung des körperwarmen Sauerstoff- bades zur Erholung des Muskels . ... 2.2.2.2... AvVersuchesund. Breehnissen zii: acıh mn «) Feststellung von Kälteschädigung und Kältetod der bei verschieden tiefen Temperaturen gefrorenen Muskeln , £) Zusammenstellung der einzelnen Ergebnisse . !.. . . y) Kälteschädigung durch Unterkühlung . :....... d) Eintritt der Totenstarre . ... . ee DENE EN &) Verschiebung des Todespunktes beim Gefrieren in einer isotonischen Zuckerlösung 4.0.3.0... 20: b) In situ befindlicher, durchbluteter Muskel . . . ...... BBeSpezielle"Methodiks "3 1.0. KIT la I N EHER de D)eAbkuhlımesverfahren. .. 2 „u.a. een. $) Verfahren der Feststellung der Schädigung des ab- eoelsihltem Nüskelsar rt. Mer nen 2364 W. A. Hoyer: Seite 2% Versuche unde Breebnisse 2.2. 2 on. ae 301 «) Feststellung von Kälteschädigung und Kältetod ver- schieden stark gefrorener (durchbluteter) Muskeln. . . 301 8) Zusammenstellung der einzelnen Ergebnisse . . .. - 310 y) Heilung von Kälteschädigungen im Verlaufe der nächsten Wochen. nach der Abkühlune N. un 2. Lan 312 11. ‚Untersuchungen am Igel, Sanur en 313 a) Versuche am isolierten Igelmuskel .......:2.....8B b) Versuche am durchbluteten Igelmuskel. ...... - RER NERG 11. Untersuchungen an\ der Hauskatze. 2.0 4 2.5 2 10 en rar 317 a) Versuche am isolierten Katzenmuskell . .......... 317 b) Versuche am durchbluteten Katzenmuskel . ........- 319 D. Vergleichung der ermittelten Kälteschädigungskurven ........» 320 E. Zusammenfassung der Ergebnisse . -.»... 2.2.2220. 2283 Titeraturverzeichnisz.e. ran. Re Ber en ee 324 A. Literaturübersicht über den Kältetod von Wirbeltiermuskeln. Über den Kältetod von Wirbeltiermuskeln finden sich zahlreiche Angaben in der Literatur. Die meisten beziehen sich auf Unter- suchungen an Froschmuskeln. Bis in die neuere Zeit sind diese Ansaben jedoch recht unsicher. Nach Pietet!) überstehen ganze Frösche ein Einfrieren bei — 283° C., während nach Horvath?) der Kältetod bei — 5°C. eintreten soll, weil bei dieser Temperatur nach seiner Angabe die Muskeln absterben. DuBois-Reymond?) schätzt ebenfalls den Todespunkt des Froschmuskels als bei — 5° C., von Bunge‘) bei —4°C. liegend. Heubel°) fand, dass Herzen, die zwischen — 1°C. und — 3°C. gefroren waren, nach dem Auf- tauen ‘wieder zu. schlagen anfıngen. Seine Temperaturangaben sind wohl auch für die innere Temperatur seiner Versuchsobjekte ziem- lich zutreffend, weil er die durch Ätherspray gefrorenen Herzen bis zu einer halben Stunde bei den betreffenden Kältegraden aufbewahrte. 1) R. Pietet, Arch. des scienc. phys. et nat., 3. ser., t. 30 p. 293. 1893. 2) A. Horvath, Zentralbl. f. d. med. Wiss. Bd. 1873 S. 3 und Verhandl d. Würzb. med.-phys. Ges. Bd. 4 8.12. 1873. 3) E. du Bois-Reymond, auen über tierische Elektrizität Bd. 2,1 8.181. - Berlin 1849. 4) @. v. Bunge, Lehrbuch der Physiologie des Menschen Bd. 1 S. 305. Leipzig 1901. 5) E. Heubel, Pflüger’s Arch. Bd. 45 8. 563 ft. 1889. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 265 Die Untersuchungen von Cameron und Brownlee!), die Frosch- herzen mehrere Stunden verschiedenen Temperaturen aussetzten, ergaben ebenfalls als Todespunkt etwa — 3°. - Das tödliche Temperaturminimum für den Skelettmuskel — be- sohders den Gastroenemius von Rana eseulenta — wurde genau erst von Jensen und Fischer’), und zwar durch innere thermo- elektrische Messung, festgestellt. Es befindet sich bei — 3,0 °C. In der- selben Weise bestimmte Brunow°) den Todespunkt des Gastroene- mius von Rana fusca ebenfalls bei —>° C. Doch fand er, dass der Todespunkt des normal durchbluteten und im Tier verbliebenen Muskels erst bei etwa — 4° C. liest. Über den Kältetod des Warmblütermuskels finde ich nur zwei einigermaassen bestimmte Angaben. Waller?) brachte isolierte Säugetierherzen zum Gefrieren und durch Wiedererwärmen zum Leben. Dieselbe Erfahrung machte H. E. Hering’) am Affenherzen. ‘ Über Versuche am Skelettmuskel eines Säugetieres ist mir nichts bekannt. B. Plan und allgemeine Methodik der vorliegenden | Untersuchungen. In der vorliegenden Arbeit soll die Kälteschädigung und der Kältetod des Säugetiermuskels untersucht werden. Zu diesem Zwecke wurden zunächst die dem Körper des frisch getöteten Tieres ent- nommenen Muskeln abgekühlt und auf ihre Kältebeständigkeit ge- prüft. Weiterhin wurden aber auch aus später zu erläuternden Gründen Muskeln im lebenden Tier abgekühlt und derselben Prüfung _ unterzogen. Die allgemeine Methodik der Abkühlung und der Kältemessung lehnt sieh an die von Jensen und Fischer (l. e.) sowie von 1) Cameron and Brownlee, The effect of low temperatures on cold- blooded animals. Quarterly journ. of exp. Physiol. vol. VII. 1913. 2) P. Jensen und H. W. Fischer, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 S. 297. 1909, und Zeitschr. £. allgem. Physiol. Bd. 11 S. 23. 1910; ferner H. W. Fischer, Gefrieren und Erfrieren, in Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen Bd. 10 S. 133. 3) H. Brunow, Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 13 S. 367. 1912. 4) Waller and Reid, Philosoph. Transact. Roy. Soc. of London vol. 178 p. 215. 1887. ») H. E. Hering, Pflüger’s Arch. Bd. 99 S. 245. 1908. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 1S 266 W. A. Hoyer: Brunow (l. ec.) beim Frosch angewandte an: das betreffende Prä- parat wurde, umgeben von einem Luftmantel, in einer Kältemischung von Alkohol bzw. Äther und fester Kohlensäure abgekühlt. Das Kältebad befand sich in einem zylinderförmigen Dewargefäss von 26 em lichter Höhe und 12 em liehtem Durchmesser, umfangreichere Präparate in einem solchen von 30 em Höhe und 13 em Durch- messer; hier hielt sich die Temperatur der Mischung so konstant, dass der Unterschied vor und nach dem Versuch höchstens 15°C. ausmachte. Die Temperatur konnte vor den einzelnen Versuchen durch Zusatz verschieden grosser Mengen von fester Kohlensäure beliebig reguliert werden. ; Die Temperatur der Präparate wurde in ihrem Inneren thermo- . elektrisch gemessen durch zwei gegeneindergeschaltete Thermonadeln, ‘von denen die eine in schmelzendem Eis, die andere in der Mitte des Präparates befestigt war. Es wurden zwei verschiedene der- artige Thermoelemente verwendet, nämlich solche aus Eisenkonstantan und solche aus Kupferkonstantan. Die Feststellung der Tempera- turen erfolgte mittels eines Deprez-d’Arsonval-Galvanometers mit Spule für Thermoströme, nebst Skala und Fernrohr. Die Empfind- lichkeit des Galvanometers wurde so gestaltet, dass 1 mm der Skala 0,1° C. entsprach, so dass die Temperatur bis zu '/ıo° C. genau abgelesen, bis zu Yıoo® C. geschätzt werden konnte. Um Fehler, die durch Veränderungen der Nadeln bedingt sein konnten, auszuschalten, wurden diese in Zwischenräumen von einigen Wochen genau geeicht. Es ergab sich jedoch, dass sie von Anfang bis Ende der Versuche unverändert geblieben waren. C. Eigene Untersuchungen über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. I. Untersuchungen an der Wanderratte (Mus decumanus). Am geeignetsten zur Ausführung der Abkühlungsversuche am isolierten Säugetiermuskel schien mir der Gastrocnemius der Wander- ratte zu sein. Die Vorzüge des Rattenmuskels anderen Säugetier- muskeln gegenüber liegen in einer verhältnismässig grossen Lebens- zähigkeit, in der für die Versuche geeigneten Form und Grösse — der Muskel entspricht in dieser Beziehung etwa dem Gastroene- mius von Rana fusca — und in der mit nicht allzu grossen Schwierig- eung des Versuchs wieder heraus- werden konnte. Über Kälteschädigung.und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 267 keiten verbundenen Möglichkeit, grosse Mengen gleichwertigen Ma- terials zu beschaffen. Die Versuche wurden teils im Winter, teils im Sommer aus- seführt; ihre Ergebnisse waren unabhängig von der Jahreszeit. a) 1solierter Muskel. 1. Spezielle Methodik. «) Die Herstellung des Muskelpräparates und seine Abkühlung. Der abzukühlende Muskel wurde möglichst schnell aus der frisch getöteten Ratte herauspräpariert, und zwar wurde sein fleischiger Ursprung ganz dieht am Knochen abgetrennt, ebenso wurde die An- satzsehne möglichst weit distal durehschnitten. Um beide Enden wurde ein starker Seidenfaden geschlungen, von denen der an der distalen Sehne befestigte da- zu diente, den Muskel in eine sich unten verjüngende Glasröhre hineinzuziehen, deren innerer Wandung der Muskel nun anlag. An dem Faden, der den Muskel am proximalen Ende umschlang, konnte der Muskel nach Beendi- gezogen werden. Um diese innere Röhre konn- ten je nach Bedürfnis ein oder zwei verschieden weite äussere Glasröhren mit Korkführung ge- zogen werden (Fig. 1). Durch die verschiedene Weite und Anzahl Fig. 1. Der isolierte Muskel im der äusseren Röhren konnte dieser un 0). h ei a. ın das Kältebad einzutauchende nadel, 4 Muskel. Apparat so verändert werden, dass das Temperaturgefälle des Muskels hierdurch wie auch durch die oben erwähnte verschiedene Badtemperatur beliebig variiert 157 268 W. A. Hoyer: Die Thermonadel wurde in die Mitte des Muskels eingelassen und durch Korkführung in der inneren Glasröhre festgehalten. Es konnten nun bei der Temperaturmessung durch das verschieden tiefe Eintauchen des Apparates in das Kältebad Fehlerquellen ent- stehen, und zwar dergestalt, dass bei einem zu tiefen Eintauchen die niedrige Badtemperatur, die durch die Glasröhren hindurch das oberhalb des Muskels befindliche Stück des Thermoelementes traf, in diesem bis zur Lötstelle weitergeleitet wurde, so dass die Nadel zu niedrige Temperaturen angab. Ebenso konnte aber bei zu ge- ringem Eintauchen die Nadel durch die von oben zufliessende Wärme in umgekehrter Richtung beeinflusst werden. Das ziemlich richtige Mittel wurde unter Verwendung von Flüssigkeiten, deren Gefrierpunkt feststeht (destilliertes Wasser, Kochsalzlösungen), an Stelle des Muskels empirisch gefunden !). Um Fehlerquellen, die durch Bildung eines galvanischen Elementes im Muskel entstehen konnten, auszuschalten, wurde das Thermo- element von den Lötstellen an genügend weit aufwärts mit einem Kollodiumüberzug versehen, der vor ungefähr jedem fünften Versuch erneuert wurde. Bei den einzelnen Abkühlungsversuchen wurden in Abständen von einer halben Minute die Ablesungen der Temperatur durch das Fernrohr gemacht und in das betreffende Versuchsprokotoll eingetragen. £) Verfahren der Feststellung der Schädigung des abgekühlten Muskels. Jeder Muskel wurde vor wie nach der Abkühlung einer Unter- suchung seiner Leistungsfähigkeit unterzogen. Zu diesem Zweck wurde er in folgenden Reizapparat gebracht (Fig. 2). Die nach unten gerichtete Achillessehne wurde in einen kleinen Platinhaken eingehängt, der in eine U-förmig gebogene Glasröhre eingeschmolzen war, die durch ein Stativ gehalten wurde. Das proximale, nach oben gerichtete Ende des Muskels wurde mit einem gleichen Haken gefasst, der mit dem einen Arm eines. zweiarmigen Schreibhebels verbunden war. Letzterer registrierte, die Zuckungen auf einer sich drehenden berussten Trommel. 1) Diese Kontrolle genügte für meine Zwecke, obgleich ja geringe Fehler im einzelnen Falle, auch so nicht sicher auszuschliessen sind; vgl. hierüber P. Jensen, Zur Analyse der Abkühlungskurven des Muskels und einiger anderen Körper. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 14 S. 327f. 1913. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 269 Als Reizelektroden dienten die beiden Platinhaken, an denen der Muskel aufgehängt war. Sie waren mit der sekundären Spule eines du Bois-Reymond’schen Schlitteninduktoriums verbunden. Gereizt wurde bei verschiedenen Rollenabständen mit Einzel- von lan Se hundane Spue R Fig. 2. De onichtung und körperwarmes Sauerstoffbad für den abgekühlten Muskel. induktionsschlägen, jedoch wurden nur die Kurven der Öffnungs- schläge registriert. = Es wurden nun erstens die Reizschwellen der en Muskeln vor und nach dem Kälteversuch festgestellt und miteinander verglichen. Dann aber wurden in derselben Weise auch die 270 W. A. Hoyer: Maximalhubhöhen verglichen und dabei die Endhubhöhe durch ‚die Anfangshubhöhe dividiert; so erhielt ich Dezimalbrüche, die eine direkte Vergleichung der Hubhöhenänderungen der Muskeln der verschiedenen Versuche ermöglichten. Wenn zum Beispiel die Maximalhubhöhe!) eines Muskels vor der Abkühlung 15 mm, nach dem Versuch dagegen nur noch 4,5 mm beträgt, so ist die Hubhöhe des durch Kälte geschädisten Muskels gleich - = = des intakten Muskels. Es konnten so die Maximalhubhöhen der einzelnen Muskeln, die einen guten Indikator für die Leistungsfähigkeit und die Schädi- gung derselben darstellen, in Zehnteln miteinander verglichen werden. Das mechanische Latenzstadium ist bei allen Zuckungskurven registriert, wird aber nicht diskutiert. Letzteres gilt auch für die Frage des zeitlichen Verlaufes der Zuckungskurve. s Die Hebelvergrösserung war in Versuch 1—30 gleich 2:1, von Versuch 31 an aufwärts gleich 4:1. Letztere Vergrösserung wurde angewandt, weil die meisten Muskeln von Versuch 31 an auf- wärts so stark geschädigt waren, dass die geringe Höhe der Zuckungs- kurve eine genaue Messung derselben erschwerte. Aus demselben Grund wurde in Versuch 1—30 mit 1,6 Volt, von Versuch 31 an aufwärts mit 3,2 Volt Spannung an der primären Spule gereizt. Das Gewicht an der Schreibseite des Hebels wurde bei der ver- schiedenen Grösse der Muskeln so gewählt, dass der Muskel eben straff gespannt war. y) Über die Anwendung des körperwarmen Sauerstoffbades zur Erholung des Muskels. Muskeln, die nach dem Abkühlungsversuch unerregbar waren und tot zu sein schienen, setzte ich einem körperwarmen Sauerstoff- bad aus, um zu prüfen, ob die Kälteschädiguug vielleicht zum Teil reversibel sei. Über die dabei erzielten Erfolge werde ich weiter unten berichten und hier nur kurz das Wesentliche dieses Verfahrens anführen. Wie aus Fig. 2 ersichtlich ist, wurde in dem Glasrohr, das den Platinhaken zum Befestigen der Muskelsehne trug, ein zweites Rohr angebracht, das dicht unterhalb des Platinhakens endigte, und durch das von einem Gasometer her Sauerstoff geleitet werden konnte. 1) Über die Hebelvergrösserung siehe dieselbe Seite weiter unten. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 271 In einem Glasgefäss wurde Locke’sche Lösung (mit einem Trauben- zuckerzusatz von 1°/o) auf 37° C. erwärmt. Dies Gefäss konnte auf einem verstellbaren Tisch von unten her über den feststehenden Halter mit dem Muskel geschoben werden. Der Sauerstoffstrom be- strieb nun gleichmässig die ganze Oberfläche des Muskels, seine Stärke konnte durch den. Hahn des Ausflussrohres reguliert werden. Da das Sauerstoffbad höchstens 30 Minuten dauerte, so konnte die geringe allmähliche Abkühlung des Bades nicht schaden; nötigenfalls wurde es durch einen Bunsenbrenner bald wieder auf die gewünschte _ Temperatur von 37° C. gebracht, was nach einiger Übung leicht gelang. Sehr wichtig war, wie auch Bottazzi!) erwähnt, die richtige Zusammensetzung der Lösung: Na6l 760,980 BEDITITTT 0,02:%0 KC1Y...2,.23 0,0290 NaHC0, . . 0,02 %o Traubenzucker 0,1 /o. Kleine Fehler in der Zusammensetzung hatten Versagen oder _ geringe Wirkung des Sauerstoffbades zur Folge. - Die hier beschriebene Anordnung des Sauerstoffbades ermög- liehte es mir, die zu untersuchenden Muskehi, die sämtlich in diesen Halter eingespannt wurden, bei Bedarf: in kürzester Zeit einem *körperwarmen Sauerstoffbade auszusetzen. Es genügten dazu zwei kleine Handgriffe: das Emporschieben des Tisches mit der Locke- schen Lösung und das Aufdrehen des Gasometerhahnes. Ebenso war das Präparat durch Herunterlassen des Tisches jederzeit zur Untersuchung durch elektrische Reizung bereit. Die rasche Ausführung dieser Maassnahmen ist bei der bekannten Hinfälligkeit isolierter Säugetiergewebe von grösster Wichtigkeit für den Erfolg der Behandlung. 2. Versuche und Ergebnisse. «) Feststellung von Kälteschädigung und Kältetod der bei verschieden tiefen Temperaturen gefrorenen Muskeln. Um den Todespunkt des isolierten Rattenmuskels festzustellen, wurde eine lange Reihe von Muskeln systematisch immer niedrigeren 1) Ph. Bottazzi, Zeltschr. f. Biol. Bd. 30 N. F. S. 442. 1906. i 272 WA. Hoyer: Temperaturen ausgesetzt. Doch wird von diesen Versuchen hier nur eine Auswahl mitgeteilt werden. . In der linken Spalte der Versuchsprotokolle ist die Zeit an- gegeben, zu der die Temperaturablesungen vorgenommen wurden. Die folgende Spalte bietet dann diese Muskeltemperaturen, ‘wie sie sich ‚aus den abgelesenen Skalenteilstrichen ergeben. In der dritten Spalte sind Veränderungen oder Besonderheiten an der Apparatur oder am Präparat verzeichnet. Die Formel 0 = + 0 in dieser Spalte bedeutet, dass bei einer Prüfung des Nullpunktes 0° mit Teilstrich 0 der Skala übereinstimmt‘), während 0O—=+- 0,1 besagt, dass sich der Nullpunkt durch irgendwelche unbeabsichtiste Ein- wirkungen auf das Galvanometer oder auf die Ablesevorrichtung um 0,1° C. nach der + Seite hin verschoben hat, was nachher bei der Berechnung der wahren Temperaturen des Muskels mit zu veran- schlagen ist. Die Temperaturablesungen wurden in Zwischenräumen von 1/, zu !/e Minute gemacht. In diesen Protokollen sind der Übersicht halber nur die Minutenablesungen angeführt und nur bei besonders wichticen Punkten auch die Zwischenablesungen eingefügt. Versuch 49. 24. Februar 1914. Kräftiger, ausgewachsener Albino, getötet 65 50’ nachmittags. Tabelle I. - Ra : : az : empe- 2 Zeit | i Zun Bemerkungen Zeit Bemerkungen : c. 6h 55' | +27,0° | Kältebad — 20°C. | nach 11’ + 0,8° nach 6’ + 6,0% | Zimmer +23,5°C. „ 12’ | + 3,8° nl + 3,4° „18: — 0= + 0,05° C. len + 12° „ 14' + 8,5° IR 00 „ 14l/a’| + 9,5° | rascheres Eirwär- » 9a’) — 1,3° | Unterkühlung men „10° | — 0,85°| ! niedrigste Tem- „ 15Ya’| +25,0° | Ende 7h 10%’ peratur?), lang- sames Erwär- | men 1) D. h. bei gleicher Temperatur der beiden Thermonadeln und bei Öffnung des’ Stromkreises stellte sich der Teilstrich O0 der Skala in dem Fadenkreuz des Fernrohres ein. 2) Mit „niedrigster Temperatur“ ist hier und in allen folgenden Tabellen ' das Temperaturminimum gemeint, das der Muskel im gefrorenen, nicht unterkühlten, Zustande erreicht hat. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 273 “ Fig. 3. Abkühlungskurve Fig. 4 Zuckungskurve des Muskels. 49. . des Muskels 49. (Vergr. 4:1.) (Über die Bedeutung des Pfeiles s. S. 273.)- Tabelle I. Leistungen des Muskels 49 (Hebelvergrösserung 4:1). Muskel 49 klre b) nach der Abkühlung Beizschwelle. . .... 2... . R.-A. 15 | R.-A. 12 Maximalhubhöhe . . ..... 15 mm | 15 mm = !%ıo Anfangshubhöhe Wie aus dem Protokoll und der Abkühlungskurve des Muskels 49 hervorgeht (Tabelle I und Fig. 3), wurde der Muskel, nach einer geringen Unterkühlung bis — 1,3°, bis zu seinem Gefrierpunkt auf — 0,85° C., mit der Verbesserung des Skalenfehlers!) von Minute 13, auf —0,9° C. abgekühlt. In diesem Augenblick, bei Minute 10, wurde die innere Röhre, die den Muskel enthielt, aus dem Kältebad gezogen, was in der Spalte „Bemerkungen“ durch ein Ausrufungszeichen und in der Abkühlungskurve durch einen nach unten gerichteten Pfeil ausgedrückt ist. Die Röhre wurde nun der Zimmertemperatur von + 23,5° C. ausgesetzt und der Muskel so wieder langsam erwärmt. Als bei Minute 14!/e diese Erwärmung +9,5° C. erreicht hatte, wurde die Röhre in die Hand genommen und dadurch der Muskel innerhalb 1 Minute auf + 25° C. gebracht). 15!/a Minuten nach Beginn der Abkühlung, nämlich um 7 h 10/2’ war der Versuch beendet. 1) S. S. 272, 2) Diese verschiedenen Bedingungen der Wiedererwärmung sind stets bei der Beurteilung der mit der Abkühlungskurve zusammengezeichneten Wieder- erwärmungskurve zu berücksichtigen. 274 W. A. Hoyer: Bei der Betrachtung der Leistungen des Muskels, die aus der Leistungstabelle und der Zuckungskurve (Tabelle II und Fig. 4) her- vorgehen, fällt sofort auf, dass die Reizschwelle des Muskels von Rollenabstand 15 auf R.-A. 12 zurückgegangen ist. Dies könnte auf eine gewisse Schädigung des Muskels durch die Abkühlung hin- deuten; doch erscheint es mir nach einigen später!) mitzuteilenden Versuchen mit Muskeln, die in einer feuchten Kammer bei + 37°C. aufbewahrt wurden, richtiger, diese Schädigung auf die seit etwa 20 Minuten bestehende Isolierung des Muskels aus seiner natür- lichen Umgebung zurückzuführen. Im Gegensatz zu dieser Abnahme der Reizbarkeit ist die Maximalhubhöhe des Muskels nach dem Ab- kühlungsversuche unverändert geblieben. Überhaupt scheint beim Säugermuskel die Zuckungshöhe von der „Isolierungsschä- digung* oder „Zeitschädigung“ zunächst weniger betroffen zu werden als die Reizbarkeit. Solange daher nur die letztere ver- mindert ist, wird man vorwiegend an eine Isolierunesschädigung denken und als Indikator für die Kälteschädigung hauptsächlich die Abnahme der maximalen Hubhöhe verwerten. Das Ergebnis des Abkühlungsversuchs 49 ist also, dass der Rattenmuskel durch Abkühlung bis zum Gefrierpunkt gleich — 0,9° C. nicht geschädigt oder, wenn man den Rückgang der Reizschwelle als Kälteschädigung auffassen will, doch nur in sehr geringem Maasse geschädigt ist. Versuch 23. 3. Februar 1914. Mittelkräftiger, ausgewachsener Albino, getötet 10h 50’ morgens. | Tabelle I. Zeit | suis Bemerkungen Zeit KUNG Bemerkungen c. © 11b 10’ | +17,0° nach 10° | — 0,8° nach 2’ +10,4° | Kältebad —23,0°C. „ il’ | 0,6° LE + 6,4° | Zimmer +17,5°C, OR 2a + 0,5° an 9.0970 3200 „9 | — 0,3° „ 14 | + 40° » „ 94a’| — 1,3° | Unterkühlung ler _ 0= +0. „6° | — 10% : 216) + 7,29 40%. 100,99 BU + 8,89 ch — 0,9° | ! niedr. Temperät.?) „ 17a'| + 9,50 | rascheres Erwär- langs. Erwärmen men BSch — 0— +02 „ 18U2'| +24,5° | Ende 11h 281/e’ 1) S. S. 288. 2) Siehe hierzu Anm. 2 auf S. 272. / Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 275 +60 +40 +20 Fig. 5. Abkühlungskurve Fig. 6. Zuckungskurve des Muskels 23. .. des Muskels 23. (Vergr. 2:1.) (Uber die Bedeutung des Pfeiles s. S. 273.) Tabelle IV. Leistungen des Muskels 23 (Hebelvergrösserung 2:1). Muskel 3 Abkählane b) nach der Abkühlung Beizschwelle. -. - 2... . R.-A. 14 R.-A. 7, Maximalhubhöhe . ..... . 6 mm 1,8 mm = 3/ıo Anfangshubhöhe Wie aus dem Protokoll und der Abkühlungskurve des Muskels 23 hervorgeht (Tabelle III und Fig. 5), ist dieser etwa 3 Minuten lang gefrierend auf seinem Gefrierpunkt gehalten worden. Wenn ich die Kurve mit den Kurven von Muskeln vergleiche, die an ihrem Gefrierpunkt, der im Mittel aus allen Versuchen etwa bei —0,85° C, liegt, ganz durchgefroren waren, so schätze ich, dass Muskel 23 etwa zwei Drittel durchgefroren war). | 1) Diese kurze Ausdrucksweise bedarf einiger Erläuterungen. — Zunächst ist zu beachten, dass ein Muskel erst unterhalb seines etwa bei — 25° C. liegenden „kryohydratischen Punktes“ vollkommen durchgefroren ist (vgl. hierüber P. Jensen und H. W. Fischer, Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 11 S. 45. 1910), da erst hier etwa der letzte Rest seines Wassers auskristallisiert. (Näheres hierüber bei Jensen und Fischer l.c. S. 56ff.) Immerhin ist die Hauptmasse seines Wassers, nämlich etwa 75°o, schon gefroren, wenn der Muskel eben unter seinen Gefrierpunkt abgekühlt ist oder, mit anderen Worten, wenn er das Ende der horizontalen Strecke seiner Abkühlungskurve erreicht hat (vgl. Jensen und Fischer Il. c. S. 60ff.. Der Kürze halber möge ein Muskel, der sich in dem letzteren Zustande befindet, bei dem also die ganzen während seiner Gefriertemperatur erstarrenden 75 °/o seines Wassers ge- froren sind, ein „bei seinem Gefrierpunkt (oder bei — 0,85° C.) ganz durch- 276 W. A. Hoyer: Im Gegensatz zu dem vorigen Muskel ist dieser Muskel ausser- ordentlich stark geschädigt. Dies zeigt sich im Rückgang seiner Reizschwelle, ganz besonders aber in dem starken Rückgang der Maximalhubhöhe, denn diese beträgt nach der Abkühlung nur ?/ıo der Hubhöhe vor derselben !). { Ein Muskel, der bei seinem Gefrierpunkt durchgefroren und dann noch etwas darüber hinaus, nämlich bis —1,15° C. abgekühlt wurde, ist der Muskel des Versuchs 25. Man könnte daher erwarten, dass dieser Muskel eine bedeutend grössere Schädigung als der Muskel 23 aufwiese. Dies ist aber nicht der Fall. Die Reizschwelle ist zwar noch etwas mehr von R.-A. 16 auf R.-A. 5 zurückgegangen. Die Hubhöhe hat aber nur wenig mehr als beim vorigen Muskel abgenommen: sie beträgt ?*/ıoo der Anfangshubhöhe. Versuch 25. 4. Februar 1914. Ausgewachsener, kräftiger Albino, getötet: 3b 25’ nachmittags. Tabelle V. ll | ze Zeit Keen " | Bemerkungen Zeit an Bemerkungen C. C. 3h 45’ | +21,7° nach 15!/2’| — 1,15°| ! niedrigste Temperat. ?) nach 3’ -++10,1° | Kältebad —16,0°C. f langsam. Erwärmen „# |+ 66° | Zimmer +21,0°C.| „ 16° | — 11° an ae 113,0 la .0,90 LEO „18° | — 0,85° „ Tle’| — 1,5° | Unterkühlung 198 — 0.0970: u Be 080 „20 1 — 0,79 RIO ME 0= +0°C. „21° | — 0,5° „10 | — 0,8° 21. 08° Le 088 „sogen 109 12 | 0,90 ” 24° 14 4,40 | Kältebad — 15,50 0. | | nn os 90 | „1 | — 1,05° „26° +11,0° | rascheres Erwärmen Saal „27° | +25,0° | Ende 4h 12” nachm. gefrorener“ heissen. Dann wäre ein Muskel, von dem entsprechend zwei Dritteln der Horizontalstrecke seiner Abkühlungskurve nur etwa 50°/o seines gesamten Wassers gefroren sind, als „zwei Drittel durchgefroren“ zu bezeichnen usw. 1) Im Hinblick auf die bei späteren Versuchen mitgeteilte Tatsache (s. S. 279f.), dass die grossen, bei noch stärkeren Abkühlungen erfolgenden Schädi- _ gungen durch Einwirkung des körperwarmen Sauerstoffbades zum Teil wieder aufgehoben werden konnten, sei hier erwähnt, dass auch die obigen geringeren Schädigungen im Sauerstoffbad gebessert wurden. 2) Siehe hierzu Anm. 2 auf S. 272. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 277 Au RG) BORD 90 +00 eye 0% 0’ 6’ 1 18’ 24' 30’ Ä Fig. 7. Abkühlungskurve des Muskels 25. (Über die Bedeutung des Pfeiles s. S. 273. Fig. 8. Zuckungskurve des Muskels 25. (Vergr. 2:1.) Tabelle VI. Leistungen des Muskels 25 (Hebelvergrösserung 2:1). a) vor der | Muskel 25 Abkühlung b) nach der Abkühlung | Reizsschwelle ........ R.-A. 16 | R.-A. 5 Maximalhubhöhe . .. ... .. 7 mm 1,83 mm = 26100 Anfangshubhöhe Einer bedeutend tieferen Abkühlung als Muskel 25 wurde Muskel 34 ausgesetzt, und zwar wurde er nach dem Protokoll 34 (Tabelle VII), bis — 2,48° C., mit Skalenverbesserung!) — 2,53 ° C., abgekühlt. 1) 8. S. 272. 278 W. A. Hoyer: Gh Versuch 34. 9. Februar 1914. Kräftiger, ausgewachsener Albino, getötet SS 3 NM (02 h 55’ | +21,0° nach 20’ else ee nach 5’ | + 4,60 | Kältebad—15,0°C.| „ 21’ 6’ 40’ nachmittags. Tabelle VI. Zeit Tempe- Bemerkun en Zeit ratur 5 22" 93! 24' 25’ + 2,0° | Zimmer 18, 0°C. 8 81/a'| — 2,5° | Unterkühlung ) 10’ — 0= +0,05° C. 16’ = 0 = +0,05° C. 12’ 8 24’ +60 1240 2 +00 +00 _ 90 3 ul Tempe- air Bemerkungen Fi & | >) > [0,0] © ! niedrigste Tem- peratur!), ®: langsames Er- wärmen +11,9° en Erwär- +20,0° Erde "7a 25/2" 9% ir 33 ne des eh N Fig. 10. Zuckungskurve des Muskels 34. 1) Siehe hierzu Anm. 2 auf S. 272. (Vergr. 4:1.) ar 7 En Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 279 Tabelle VI. Leistungen des Muskels 34 (Hebelvergrösserung 4:1). Y d 2 Muskel 34 Abkühlung | P) nach der Abkühlung Reizschwelle....-.. 2... R.-A. 16 | R.-A. 5 Meassmalhubhöhe‘. . ..... ... 9 mm 0,7 mm = ®/ıoo Anfangshubhöhe Die Reizschwelle ist bei diesem Muskel nicht weiter zurück- gegangen. Dagegen zeigt seine Maximalhubhöhe eine weitere Ab- nahme. Sie ist auf °/ıoo der Anfangshubhöhe gesunken. Sehr viel intensiver war die Wirkung der Abkühlung auf den Muskel 51, der bis —3,95° C., also fast bis —4° C. abgekühlt wurde. Wie die Leistungstabelle dieses Muskels, Tabelle X, zeigt, ist er nach der Abkühlung nicht mehr erregbar. Um festzustellen, ob diese Unerregbarkeit irreversibel sei oder nicht, setzte ich den Muskel 10 Minuten lang dem körperwarmen Sauerstoffbad aus?). Es zeigte sich nun, dass der Muskel noch nicht tot war, sondern sich wieder so weit erholte, dass er die Zuckungskurve in Fig. 12 liefern konnte, die */ıoo der Maximalhubhöhe vor der Abkühlung repräsentiert. Versuch 51. 19. März 1914. Kräftiger, ausgewachsener Albino, getötet 4b 10’ nachmittags. Tabelle IX. Zeit a une Bemerkungen Zeit neue Bemerkungen C. c. 4h 20’ | +28,0° nach 17° _ | — 1,65° nach 4’ + 84° | Kältebad—21,0°C.| „ 18° | — 2,0° a + 4,8% | Zimmer +20,0°C.,| „ 19’ — 2,9° RD. + 155° „ 20’ | — 34° „ 1' | — 13° | Unterkühlung „ 20%/2”| — 3,95° | !niedrigste Temp. „ Me’| — 0,8% langs. Erwärm. „ 8. | — 0,80 »„. 21’ | — 3,6° ne. 8:ja’ — — =0C. „ 22’ | — 233° | Kältebad -20,5°. » 9° | — 0,8° „.23' | — 1,75° „ 10° | — 0,85° „ 24’ | — 13° 11’ | — 0,9° 2 0,90 „412’ | — 0,95° „ 26’ | — 0,75° „13’ | — 1,00 „27 | — 0,5° 14’ | — 1,5° Pro 00 19, — 1,25 EBERLE + 9,3% | rascheres Erw. „16’ | — 14° „34 +24,0° | Ende 45 54 1) S. 8. 270£. Pe 280 W. A. Hoyer: 0’ 6’ 12’ 18’ 24’ 30’ 36’ Fig. 11. Abkühlungskurve des Muskels 51. Fig. 12. Zuckungskurve des Muskels 51. (Vergr. 4:1.) Tabelle X. Leistungen des Muskels 51 (Hebelvergrösserung 4:1). Se vor | I» Bi Muskel 5l der Ab- | der Ab- a c) nach 10’ Sauerstoffbad kühlung | kühlung | Reizschwelle: .. ... R.-A. 30 — | R.-A. 11 Maximalhubhöhe . . . . 12 mm — | 0,5 mm — */100 Anfangshubhöhe Die Reizschwelle ist im Verhältnis zu derjenigen des bis auf — 2,5°C. abgekühlten Muskels noch mehr zurückgegangen, nämlich von R.-A. 30 auf R.-A. 11. | Es sei hier bemerkt, dass die Kurve dieses Muskels die letzte Zuekungskurve ist, die ich bei diesen Abkühlungsversuchen erhielt. a Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 28] Muskeln, die tiefer als —4° C. abgekühlt wurden, zeichneten auch nach längerem Sauerstoffbad bei stärkster Reizung keine Kurven mehr auf, sondern zeigten nur noch für das Auge allerdings sehr gut sicht- bare Zuckungen einzelner Muskelfasern. Ein soleher Muskel ist Muskel 64, der bis auf —6,2° 0. ab- gekühlt wurde. Auch dieser Muskel zeigte sich direkt eh dem Versuch un- errezbar. Nach 10 Minuten Sauerstoffbad konnte man jedoch an mehreren Stellen der Muskeloberfläche geringe, aber deutlich sichtbare Reaktionen auf die elektrische Reizung beobachten. Die Reizschwelle war noch etwas mehr als vorher, von R.-A. 24 auf R.-A. 5, gesunken (Tabelle XII). Versuch 64. 9. Mai 1914. Mittelstarke, gescheckte Ratte, getötet 6h 25’ nachmittags. Tabelle XI. Zeit Temperatur Bemerkungen C. | 6h 30’ - +22,0° | nach 4’ + 0,6° ' Kältebad — 37,50 €. „. #la’ -— 11° Unterkühlung 2 — .0,85° | see, 6; _ | 0= z+z0°%0. ee — 0,85° ee RE — 0,85 | Zimmer + 16,0° C. ar: P — 0,95° | > 10% — 1,1° | TELNK ı — Meer ER Pr — 2,3 N 4 — 4,1° Ada’ 2600 | „. 141/a’ — 6,2° ! niedrigste Temperatur, langsames Er- e; wärmen ld. N — 4,0° =...6’ — 2,7° Me Dr — 2,2° „ 18° — 18° » | Kältebad — 37,0° ©. ” 19' ER 1,4° | | ” 20’ = = +0'C ” 21’ Ar L,1® | u — 0,8° 23’ = 0,70 2.24’ — 0,6° 2) 25" | Kae. 0,3° | „2a! - +10,0° | raschere Erwärmung 29 +25,0° | Ende 6h 59’ Pflü ger’s Archiy für Physiologie. Bd. 169. 19 % 282... 7 _ W. A. Hoyer: _ 90 — 40 — 66 5 x — g0 0’ 6’ 12’ 18’ 24° 30" \ Fig. 13. Abkühlungskurve des Muskels 64. Tabelle XI. Leistungen des Muskels 64 (Hebelvergrösserung 4:]). a) vor | b) nach I . Muskel 64 der Ab- | der Ab- c) nach 10’ Sauerstoffbad kühlung | kühlung R.-A. 3 Reizschwelle. . . .. . R.-A. 24 -—_ minimal Maximalhubhöhe . . . . 13 mm — en: Mit der Abkühlung des vorstehenden Versuches ist aber auch etwa das vitale Temperaturminimum des isolierten Rattenmuskels ‚erreicht, wie Versuch 78 zeigt (Tabelle XII und XIV und Fig. 14), bei dem der Muskel um 0,1° C. tiefer, nämlich bis —6,3° C., ab- gekühlt wurde. Versuch 78. 6. Juni 1914. Kräftiger, ausgewachsener Albino, getötet 65 25’ nachmittags. Tabelle XII. | N Zeit Tempe- | Bemerkungen | Zeit | Tempe- | Bemerkungen ratur ratur .c C. 6h 30’ | +18,09 | nach 4’ —0,6° | Zimmer +24,0°%. nach 3’ | + 2,7% | Kältebad —35,0°C.| ,„ 4Vs2’| —1,0° | Unterkühlung Über Kältesehädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 283 Tabelle XIII: (Fortsetzung). . Sure = Zeit Banks .. Bemerkungen Zeit Tempe Bemerkungen "0. @ nach5’ | —0,75° nach 16’ | — 2,0° sb: 108° f „ 17 | — 15° | Kältebad a er Bit, Ü) ; En Muse 0 ZONE a AND 35,0° C. ” ’ ” $) ) 37; 0,80 „192% 1,10 Baar 1,159 2001 0,98 115° „ar 0gae „1' | — 21° „ 2’ — 04° „12’ | —3,0° „.28'ı + 0,4° „13° 1 —48° „ 27’ | + 85° | rascheres Erwär- „14 |! —6,3° | !niedrigste Temper., men langsam. Erwärm.| „ 28’ | + 25,0°| Ende 6h 58’ „ta! 30 OLTE, nachmittags +6° +40 +20 +0 — 20 IE 40 — 60 250 0 6’ 12’ 18° 24’ 30’ j f Fig. 14. Abkühlungskurve des Muskels 78. / } ‚Tabelle XIV. _ Leistungen des Muskels 78 (Hebelvergrösserung 4:1). | a) vor | b) nach * yı Muskel 78 der Abs den Ale. a kühlung | kühlung | Reizschwelle.... . . R.-A. 26 —_— - Maximalhubhöhe . . . . 15 mm a ah — 284 : W. A. Hoyer: Der Muskel war nach der Wiedererwärmung unerregbar. Er wurde 15 Minuten dem körperwarmen Sauerstoffbad ausgesetzt, zeigte sich aber auch dann reaktionslos. Das Sauerstoffbad wurde nun bis auf 30 Minuten ausgedehnt und der Muskel mit stärksten Öffnungs- schlägen gereizt. Aber auch jetzt war bei genauester Beobachtung keine Bewegung festzustellen. Der Muskel war tot (Tabelle XIV). Dasselbe Resultat ergaben alle anderen Versuche, bei denen der . Muskel bis —6,3° C. oder noch weiter gefroren wurde, während alle Muskeln, die bis — 6,2° C. oder nicht so weit abgekühlt waren, "mit einer Ausnahme — ein Muskel, der bis —5,9° C. abgekühlt war, war tot — erregbar blieben. DerTodespunktdesisolierten Rattenmuskelsliegt also zwischen —6,2° und —6,3° C.!), ?) Zusammenstellung der einzelnen Ergebnisse, In Tabelle XV habe ich eine Zusammenstellung der Leistungen von 35 Muskeln gemacht, die verschieden tiefen Abkühlungen unter- zogen worden waren. Zur Erläuterung dieser Tabelle sei angegeben, dass in Spalte 1 die Nummer der Versuche, in Spalte 2 der Grad ihrer tiefsten Abkühlung im gefrorenen Zustande ?) und in Spalte 3 die Höhe ihrer Maximalhubhöhen nach der Abkühlung, bezogen auf die Maximalhubhöhen vor der Abkühlung; und zwar in Zehnteln bzw. Hundertsteln, angegeben sind. Spalte 4 endlich zeigt einen Vergleich der Reizschwellen der Muskeln vor und nach der Ab- kühlung, ausgedrückt in Rollenabständen des Reizinduktoriums. Ein Stern hinter der Versuchsnummer in Spalte 1 bedeutet, dass der Muskel erst nach Einwirkung- des körperwarımen Sauerstoffbades wieder erreebar wurde. ‘ Aus der Tabelle ist also beispielsweise zu entnehmen, dass der Muskel des Versuchs 35, der bis auf — 2,7° C. abgekühlt war, bier- durch seine Erregbarkeit verloren hatte und sie erst nach dem Sauerstoffbade wiedergewann, dass er jetzt eine Maximalhubhöhe- aufwies, die */ıoo der Maximalhubhöhe des intakten Muskels betrug, und dass zur Erzielung des Schwellenreizes des so behandelten ‘ Muskels eine Verschiebung der Sekundärspule von Rollenabstand 21 vor dem Versuch auf Rollenabstand 5 nach dem Versuch nötig war. ı) Vgl. hierzu S. 291. 2) 8. 291f. E r Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 285 . Tabelle XV. Leistungen von 35 verschieden tief abgekühlten isolierten Rattenmuskeln. ir 2. 3. 4. Versuchs- Tiefste Abkühlung Endhubhöhe : Anfangs- : nummer des Muskels!) Anfangshubhöhe | Endreizschwelle ” C. Kt — 0,3, 10110 14:14 47 Beginn des Ge- 10/10 15:12 49 frierens 10/0. 15:12 21 —0,8502)) !/s gefroren °) 4/10 18:8 23 2/3 gefroren?) 3/10 14: 7,5 24 durchgefroren 2/10 15: 5 25 — 1,15° 6/10 16: 5 30 — 1,45 #/10 14: 8 28. — 1,75° minimal 10: 0 3 — 2,05 2/10 nicht gemessen 32 — 2,350 ° minimal 15: 2% 34 — 2,53 0,8/10 16: 5 35* — 2,70 %,4/10 2125 37 — 2,950 95/10 29: 7,5 38* — 3,28° 1/10 21:10 40 — 3,6 minimal 20:73 51* , — 3,95 ° 04/10 30:11 45* — 4,5° minimal 20: 0 46* —5,1° minimal 14: 0 54* — 9,36 9 minimal 20:0. 48* — 5,45 minimal Sy) 53* und 55* 9,590 minimal 21: 0 36* — 5,659 . minimal "25:5 . 57* und 60* — 5,75 minimal 33: 0 58* — 5,8° minimal _ ZA HERE | 50* — 5,99 tot? _ 81* — 6,0° minimal 27:58 62* und 64* — 6,2° minimal DAS 78* — 6,3° tot 19F — 6,4 tot _ 63* und 67* — 6,6° tot Will man die Schädigung, die der isolierte Rattenmuskel durch verschieden tiefe Abkühlung erleidet, mit Hilfe der Leistungstabelle graphisch darstellen, so kann man sich zweier verschiedener Methoden bedienen. Man kann entweder den Vergleich der Reiz- schwellen oder den der Maximalhubhöhen als Indikator der Kälte- schädigung eines Muskels benutzen. Aus dem Seite 274 genannten Grunde habe ich zu diesem Zwecke die Maximalhubhöhen verwendet. Demnach wurde die „Kälteschädigungskurve“ in der | Weise gewonnen, dass die maximale Hubhöhe des Muskels als Funktion 1) S. Anm. 1 auf S. 275 und ferner $. 288 ff. 2) Das ist der Gefrierpunkt des Rattenmuskels, wie er sich im Mittel aus meinen Versuchen ergibt (vgl. auch S. 275). 3) Erläuterung hierzu S. 275, Anm. 1. 286 | W. A. Hoyer: seiner Abkühlungsgeschwindigkeit oder Abkühlungskurve dargestellt de, entsprechend der Gleichung A. ( +) worin $ die Tem- peratur und Z die Zeit bedeutet. Die hierbei benutzte Abkühlungs- ar 6’ Se Ba de En I I En A .+00) 08° 08% N BI iR „=? a a 2 N ) \ er‘ iM N: N | | tr f ei Berl 2 3° Y EAN N | [ u EN er u | 1 00 u | | | | { | 1} Il N } | | Ik a ih a son na sera a er 8/0 | ! 1 | | ! |; 6 /10 ) N I EN "ss 4/10 | | | | 2/10 | j | | | ! 0%/10 ns - 00 0,850 -0,850 -10 N 90,730, yo 760 2 80,/ 2700 Fig. 35. Kälteschädigungskurve des. isolierten Rattenmuskels. Kurve a — durchschnittliche Abkühlungskurve der Muskeln in den vorliegenden Versuchen. (Anderer Maassstab als in den Abkühlungskurven 3, 5, 7, 9 usw., bei denen 1 cm der Abszisse = 6 Min. ist.) Die. zugehörige Abszissenlinie, "welche die . Temperatur des entsprechenden Kältebades (ca. — 35° C.) ergeben würde, ist hier. nicht gezeichnet; sie würde. erheblich unterhalb der Zeichnung liegen. Kurve d — Kurve der Hubhöhen des Muskels in ihrer Abhängigkeit von der a Hubhöhe !%ı0 = normale Hubhöhe des ungeschädigten Muskels. Näheres S. 285 ff. kurve war eine solche, wie sie sich als Durchschnitt aus den in meinen Versuchen beobachteten Abkühlungskurven !) ergab. Sie ist in Fig. 15 1) Da diese Kurve aus den Abkühlungskurven des isolierten Muskels und der später (S. 301 ff.) mitzuteilenden Kurven des durchbluteten Muskels kom- zei he REST Du Bee er en ie —- Zr re PT ‚6 A Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 287 mit a bezeichnet; ihre Ordinaten (9) sind in Celsiusgraden, ihre Abszissen .(£) in Minuten angegeben. Bei der darunter gezeichneten Kälteschädigungskurve b bedeuten die Ordinaten die Hubhöhen..des Muskels in Zehnteln der normalen Hubhöhe des frischen Muskels; um die Art ihrer Abhängigkeit von der Abkühluneskurve zu demon- strieren, sind die den besonders ausgezeichneten Punkten der letzteren entsprechenden Punkte der Hubhöhenkurve durch Projektionen mit- einander verbunden !). hen : Diese Kälteschädigungskurve zeigt uns also beispielsweise, dass ein Muskel, der bis —3° C. abgekühlt wurde, noch eine Maximal- hubhöhe von ®7/ıo des normalen Betrages besitzt,. dass er demnach um 93° ‘geschädigt ist; und durch 'die Projektion des — 3°C. ent- sprechenden Punktes der Kurve b auf die Abkühlungskurve a wird ferner diejenige Strecke der letzteren’ begrenzt, die den zeitlichen Verlauf der Abkühlung des Muskels bis zu der genannten Temperatur darstellt. - Betrachtet man die Kälteschädigungskur ve des Muskels im-ganzen, so sieht man sofort, dass der Muskel die grösste Schädigung während des Verharrens auf dem Gefrierpunkt erleidet. Man kann ihn ab- kühlen bis zum Gefrierpunkt hin, etwa —0,85° C.; wenä man ihn Jetzt gleich wieder erwärmt, so wird er noch seine volle Hubhöhe zeigen. Lässt man aber den Muskel’ nach Erreichung des Gefrier- punktes noch weiter gefrieren bis zu dem Punkte, wo seine Temperatur weiter zu sinken beeinnt, mit anderen Worten, wo der Muskel grösstenteils durchgefroren °) isf, so zeigt sich ein Rückgang seiner Maximalhubhöhe um ”/ıo. Er hat nur noch ®/ıo der Anfangshubhöhe. Von nun ab aber schreitet die Schädigung nicht in demselben Maasse fort, die Kurve fällt langsam, um zwischen — 6,2 und — 6,3° C. die Abszissenlinie zu erreichen. biniert ist, so weicht sie von den gewöhnlichen Abkühlungskurven stark wasser- haltiger Körper recht beträchtlich ab; diese Abweichung ist besonders durch die variable Wärmezufuhr zu dem durchbluteten Muskel bedingt. 1) Dieser Art der graphischen Darstellung wurde vor einer Kurve, die die Bnhhphe nur als Funktion der Renner eung angibt, Ran der Vorzug wel des Verharrens des Muskels auf: seiner en zum Ausdruck kommt, wie man sich durch Konstruktion einer solchen Kurve leicht über- zeugen kann. 2) Vgl. hierüber S. 275, besonders Anm. 1. 288 W. A, Hoyer: Ich habe eben die Sehädigungskurve der Ratte (Fig. 15} als Kälteschädigungskurve bezeichnet. Dieser Ausdruck bedarf noch einer Erklärung. Es ist nämlich die Schädigung, die ein isolierter -Rattenmuskel: durch Abkühlung erleidet, nicht allein auf die Ein- wirkung der Kälte, sondern, wie schon oben !) bemerkt, auch: auf die der Isolierung: zurückzuführen. Zwar kann man bekamntlich einen isolierten Froschmuskel viele Stunden lang bei Zimmertemperatur aufbewahren, ohne dass sich seine Reizschwelle oder seine Hubhöhe wesentlich verändern, wenn man ihn in geeigneter Weise. feucht erhält, Anders beim Warmblütermuskel: nach Fröhlich?) hat ein isolierter Kaninehennerv meistens schon nach 30 Minuten seine Erregbarkeit verloren, der Muskel etwas später. So hinfällig ist allerdings der Rattenmuskel nicht, aber auch er ist gegen die Kohn sehr empfindlich. Zur Klärung dieser Frage habe ich auch eine reine er schädigungskurve des Rattenmuskels angefertigt (Fig. 16): Es wurden bei mehreren Rattenmuskeln die Maximalhubhöhen gleich nach der Isolierung gemessen, dann die Muskeln in einem als feuchte Kammer hergerichteten Thermostaten bei + 37° C. aufbewahrt und alle 10 Minuten erneut die Maximalhubhöhen geprüft. Die Durehschnitts- werte der Quotienten ehe stellen die -Ordinaten aan während durch die Abszissen die Zeiten ausgedrückt sind, zu denen die Reizung erfolgte. Die neben der Isolierungsschädiguneskurve eingezeichnete, ge- strichelte Kurve entsprieht einem Muskel, der 35 Minuten in der warmen feuchten Kammer gehalten und dann in das Sauerstoffbad gebracht wurde. Er erholte sich darin in 5 Minuten für die nächsten 5 Minuten vollkommen, indem er dieselbe Hubhöhe zeigte wie direkt nach seiner Isolierung. Bei weiterem Verweilen im Sauerstoffbad zeigte er aber bald auch eine progressive Abnahme seiner Hubhöhe; doch blieb seine Kurve immer über der des isolierten Muskels, der nicht dem Sauerstoffbad ausgesetzt war. Wie aus der Kurve hervorgeht, erleidet der Muskel in den ersten 35 Minuten keine grösseren Schädigungen, seine Maximalhubhöhe wird nur uin Yıo verringert. Daraus ergibt sich für die Abkühlungs- 1) S. 274ff. 2) Fröhlich, Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bqd.4'8. os 1904. : Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 289 versuche die wichtige Folgerung, dass in denjenigen Versuchen, die von der Isolierung des Muskels bis zur Leistunssprüfung nach der Abkühlung nur bis 35 Minuten dauerten, fast reine Kälte- sehädigungen vorlagen. Es war deshalb anzustreben, durch geeignete Wahl des Kältebades usw.‘) die Dauer der Versuche in entsprechender Weise kurz zu gestalten. Das konnte erreicht werden dureh möglichst schnelle Herstellung und Leistungsprüfung des Prä- parates, durch recht rasche Abkühlung, also ein Kühlbad von recht . niedriger Temperatur bei günstigen Temperaturausgleichsbedineungen, und durch recht schnelle Wiedererwärmung des Präparates. Von diesen 10/10 10/10 8/10 8/10 6/10 So 10 4/10 2/10 2/10 9/10 O/ıo (0% 10° 20’ 30” 40’ 50’ 6 70° 80’ Fig. 16. Isolierungsschädigungskurve des isolierten Rattenmuskels (s. S. 288 ff.). Uber die gestrichelte Kurve s. S. 288. die Versuchsdauer bedingenden Faktorem ist nun aber leider den besonders ins Gewicht fallenden, nämlich der Temperatur des Kälte- bades und überhaupt der Abkühlungsgeschwindigkeit, sehr entschieden eine Grenze gezogen: Die Abkühlungsgeschwindigkeit darf nämlich nieht zu oross werden, da sonst der Temperaturunterschied zwischen den inneren und äusseren Muskelschicehten zu gross wird, so dass die äusseren Muskelschichten beispielsweise durch die Kälte schon getötet sein können, während die inneren noch leben. Um einen mittleren ‘Weg einzuschlagen, habe ich im allgemeinen die Abkühlungsgeschwindig- keit so reguliert, dass bei einem Versuch, der im ganzen 35 Minuten dauerte, eine maximale Abkühlung von —3° C. erreicht werden konnte. Nur in einigen Fällen gelang es mir, durch besonders rasche 1) S. 267 £. 2390 W. A. Hoyer: Bewerkstelligung der Präparation des Muskels üsw. in derselben Zeit Abkühlungen bis —6,2 und —6,3° C. zu erzielen, ohne erheblich niedriger temperiertes Kühlbad. In allen diesen etwa 35 Minuten dauernden Versuchen dürfen wir also aus den S. 288. genannten Gründen. die Schädigung des Muskels im wesentlichen als eine reine Kälteschädigung ansprechen und demnach auch den unter solchen Bedingungen bei etwa — 6,2 °C. erfolgenden Tod als reinen Kälte- tod. Dies um so mehr, als bei all diesen Versuchen eine Behandlung der Muskeln mit dem körperwarmen Sauerstoffbad stattgefunden hatte, wodurch, wie wir S.288 sahen, die Zeit, in: der mit einer nennens- werten Kälteschädigung noch nicht zu rechnen ist, eine merkliche Verlängerung erfährt. % Dass der bei etwa —6,2° C. eintretende Tod des Muskels ein reiner Kältetod ist, ergibt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch _ aus dem ganzen Verlauf der Kälteschädigungskurve. Wenn man diese nämlich über den erfahrungsgemäss ohne nennenswerte Isolierunes- schädigung zu erreichenden Kurvenpunkt von —3° C. hinaus durch graphische Extrapolation verlängert, so trifit sie zwischen —5 und — 6° C. die Abszissenlinie. Wäre nun der Todespunkt des Muskels durch eine Isolierurgssehädigung mitbedingt, so könnte er nicht auf dieser extrapolierten Strecke liegen, die unter Absehung von jeder Isolierungsschädigung gewonnen wurde; vielmehr müsste er dann auf der Abszissenlinie links von dem Punkte liegen, in dem die genannte extrapolierte Strecke diese Linie trifft, während sich der Todespunkt tatsächlich rechts von jenem Punkte befindet. Es sei noch erwähnt, dass auch bei längerdauernden Versuchen der Kältetod des Muskels bei denselben Temperaturen eintrat wie bei den kürzere Zeit in Anspruch nehmenden, was auf zweierlei Weise erklärt werden könnte: Einerseits wäre es denkbar, dass die Isolierungs- schädigung bei niedrigeren Temperaturen langsamer fortschreitet als bei höheren, wo der Stoffwechsel „ges Muskels noch lebhafter ist. Andererseits aber könnte hierbei auch die Grösse der Abkühlungs- geschwindigkeit des Muskels eine Rolle spielen. Da diese auch sonst, wie schon S. 239 angedeutet wurde, für die Beurteilung der vorliegenden Versuche von erheblicher Bedeutung ist, so komme ich an dieser Stelle nochmals auf sie zurück. aka Es wurde oben darauf hingewiesen, dass bei einer nicht sehr langsamen Abkühlung eine merkliche Temperaturdifferenz zwischen den äusseren und inneren Schichten des Muskelpräparates auftreten Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 291. muss. Dass dies bei meinen Versuchen mit der verhältnismässig grossen Abkühlungsgeschwindigkeit im allgemeinen der Fall war, lässt sich nicht von der Hand weisen, ohne dass dies jedoch experimentell nach- gewiesen wurde. Wir müssen demnach daran denken, dass stets die äusseren Schichten des Muskels schon etwas mehr abgekühlt und ent- sprechend mehr geschädigt waren als die inneren, dass also die nach- gewiesenen durchschnittlichen Schädigungen des Gesamtmuskels immer einer etwas tieferen mittleren Temperatur des Muskels ent- sprachen, als die von der Thermonadel angezeigte Temperatur betrug. Mit anderen Worten: In Wirklichkeit werden die Muskeln durch die Abkühlung eher weniger geschädigt, undliegt der Todespunkt eher tiefer als im Bisherigen angegeben. Wenden wir das eben Ausgeführte auf die vorher erörterte Frage an, wie es komme, dass auch bei länger dauernden Versuchen, wo die Muskeln langsamer abgekühlt wurden, der Todespunkt nicht nach links verschoben werde: Es könnte nämlich sein, dass in diesen Fällen die Thermonadel wegen der geringen Temperaturdifferenzen “ zwischen den äusseren und inneren -Sehichten ‘des Muskels die Temperatur auch der ersteren besser anzeige, woraus sich cet. par. eine Verschiebung des Todespunktes nach rechts ergeben würde; diese Verschiebung könnte dann aber durch-eine Vergrösserung!) der Isolierungssehädigung kompensiert werden, woraus ein Gleichbleiben des Todespunktes resultierte. y) Kälteschädigung durch Unterkühlung, Bei den bisher behandelten Abkühlungsversuchen des isolierten Rattenmuskels wurde letzterer immer zunächst zum Gefrieren gebracht und dann über die horizontale Strecke der Gefrierkurve hinaus noch tieferen Temperaturen ausgesetzt. In allen Versuchen geht, wie aus den Versuchsprotokollen und den Kurven in Fig. 3, 5, 7, 9, 11, 13, 14 zu ersehen ist, eine kurze Unterkühlung noch einige Zehntel über den Gefrierpunkt des Muskels hinaus dem Gefrieren voran, worauf die Temperatur wieder bis zum Gefrierpunkt ansteigt und hier während des. Freiwerdens des grössten Teiles der Schmelzwärme verbleibt. . Dies war jedoch nicht immer der Fall. Bei einigen Versuchen 1) Wenn nämlich die oben S. 290 ausgesprochene Hypothese einer Verlang- samung der Isolierungsschädigung mit zunehmender Abkühlung nicht zuträfe. 203 W. A. Hoyer: fand zunächst eine ausserordentlich starke Unterkühlung (bis zu etwa — 7° C.) statt. Das Phänomen der Unterkühlung im Zusammenhang mit der Vitalität von tierischem und pflanzlichem Gewebe ist schon mehr- fach behandelt worden, besonders von Bachmetjew!) und Ko- dis?), welch letzterer es als eine Schutzeinrichtung der Tiere gegen Kältewirkung in Anspruch nimmt. Kodis sagt, dass er : Froschmuskeln bis —18° C. unterkühlt und beim Wiedererwärmen gefunden habe, dass sie vollständig ungeschädigt waren. Auch ganze Tiere (Frösche und kleine Säugetiere) sollen eine solche Unter- kühlung ohne Schaden für ihre Gesundheit aushalten. Nach einer privaten Mitteilung von Herrn Professor Jensen hat dieser da- gegen gefunden, dass Froschmuskeln durch tiefere Unterkühlungen sehr. stark geschädigt werden®). Auch ich kann Kodis’ Be- obachtungen nicht bestätigen. Die wenigen starken Unterkühlungen, die ich beobachtete, wirkten alle ausserordentlich schädigend auf den Rattenmuskel ein. Das sei an drei Beispielen erläutert. Der Muskel des Versuchs 37 unterkühlte sich bis auf — 2,9° C., dann schnellte die Temperatur gegen den Gefrierpunkt zurück. In diesem Augenblick wurde er aus dem Kältebad herausgenommen und in der üblichen Weise erwärmt. Er zeigte nur einen geringen Rückgang der Reizschwelle von R.-A. 14 auf R.-A. 12, dagegen einen recht bemerkenswerten Rückgang der Maximalhubhöhe, die nach dem Versuch nur noch $5/ıoo derjenigen vor der Abkühlung betrug. Eine stärkere Unterkühlung beobachtete ich in Versuch 43, und zwar bis —4,8°C. Hier war die Schädigung sehr beträchtlich. Der Muskel war nämlich zunächst unerregbar, erholte sich aber nach 15 Minuten Sauerstoffbad; doch war seine Maximalhubhöhe auf '/ıo derjenigen vor dem Versuch zurückgegangen. Das Verhältnis der Reizschwellen zu Anfang und Ende des Versuchs betrug 25:10. Ein dritter Muskel, der des Versuchs 15, zeigte eine Unter- kühlung bis —6,9° C.; er war nach dem Versuch tot. Eine Isolierungsschädigung ist bei allen drei Versuchen nicht anzunehmen, da bei keinem die Versuchsdauer 25 Minuten überstiee. Auch wurde 1) Bachmetjew, Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 66 S. 521. 1899, und Bd. 67 S. 529. 1900. 2). Ko.dis, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 12 S.593. 189. 3) Siehe auch P. Jensen, Pflüger’s Arch. Bd. 160 S.375. 1915. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 293 zur Kontrolle nach Beendigung des Versuchs 15 der Gastroenemius des anderen Beines derselben Ratte bis —2,0° C. unterkühlt und war nach dem Versuch, trotzdem die Ratte jetzt schon 60 Minuten tot war, noch erregbar. Äussere Umstände hinderten mich, die Leistungen dieses Muskels genauer zu registrieren. | Als Resultat ergibt sich, dass auch die Unterkühlung, wenn sie tiefere Kältegrade erreicht, den isolierten Rattenmuskel stark schädigen, ja sogar ihn töten kann. Diese Schädigung des unter- kühlten Muskels bleibt wahrscheinlich nicht weit hinter derjenigen zurück, die der Muskel durch das Gefrieren bei denselben Kälte- graden erfährt. 6) Eintritt der ‚Totenstarre. Der Behandlung des Kältetodes des isolierten Rattenmuskels lasse ich noch einige Beobachtungen über die Totenstarre folgen. Bei Abkühlung bis zu — 2° C. konnte ich die Totenstarre nieht sicher früher feststellen, als sie ohne Abkühlung eingetreten sein würde. In den Versuchsprotokollen der Muskeln, die noch weiter abgekühlt wurden, finden sich dagegen häufig Angaben über mar- kantes frühes Auftreten der Totenstarre. Ich habe in Tabelle XVI eine Reihe soleher Beobachtungen zusammengestellt. "Tabelle XVl. Eintritt der Totenstarre. Versuchs- Tiefste Zeit bis zum Auftreten nummer Abkühlung der Totenstarre | C. 35 — 2,7° 70’ nach dem Auftauen 45 SER 4,5° 55" » ” ” 48 und 55 — 5,9° Ran, \ S 56 = 5,19 25’ ” „ n 35 TE 6,0° 20' ” „ ” 36 — 80° 19.745, = } 29 — 11,0° 0 hs 5 61 — 15,0° während des Auftauens. Der Inhalt dieser Tabelle ist in Fig. 17 in Form einer „Totenstarre-Kurve“ wiedergegeben. Muskeln, die bis etwa —5° C.: und noch weiter unterkühlt waren, zeigten ebenfalls beschleunigtes Auftreten der Totenstarre. Das Resultat meiner Beobachtungen über die Totenstarre fasse ich dahin zusammen, dass, je tiefer ein Muskel gefroren oder unterkühlt ist, desto eher nach dem ‘Wiedererwärmen die Totenstarre eintritt. 294 "W. A. Hoyer: 70°, «10' —09 —an — 40 — 69 lt —10° —-20 ° —4° —-160 —ı8 . Fig. 17. Totenstarrekurve des abgekühlten isolierten Rattenmuskels. (S. S, 293.) Der bei etwa —6° liegende Wendepunkt der Kurve entspricht dem Todes- punkt des Muskels. &) Verschiebung des Todespunktes beim Gefrieren in einer ungefähr isotonischen Zuckerlösung. Zum Schluss meiner Untersuchungen über den Kältetod. des isolierten Rattenmuskels will ich noch einen Versuch anführen, den ich, angeregt durch die Arbeiten Maximow’s!), machte. Maximow fand, dass Pflanzenteile, die er in ihrem eigenen Saft oder in konzentrierteren anderen Flüssigkeiten gefrieren liess, eine Änderung ihres Gefrier- und auch ihres Todespunktes zeigten. Er konnte beispielsweise bei Stücken von Rotkohl, die normaler- weise ihren Todespunkt bei etwa — 6° C. hatten, beobachten, dass sich der Todespunkt auf etwa — 18° C. verschob, wenn er sie in einer 9%/oigen Traubenzuckerlösung gefrieren liess. Um festzustellen, ob sich auch der Todespunkt des Ratten- muskels verändern liesse, machte ich einen Versuch mit einer 9% i ar Traubenzuckerlösung. 1) Maximow, Bericht d. deutsch. Botan. Gesellsch. Bd. 30 S. 57ff., —.ı u. 504ff. 1912. KR # a k Er | eh Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 295 Von dieser Zuckerlösung gab ich einige Kubikzentimeter in die. Glasröhre, in der ich den Rattenmuskel zum’ Gefrieren brachte, "und kühlte ihn absichtlich weit über seinen typischen Todespunkt hinaus, nämlich bis —7,3° C. ab. Das Protokoll dieses Versuchs mag hier folgen. Versuch 91. 8. Juli 1914. Ausgewachsene, gescheckte Ratte, getötet . 5h 55’ nachmittags. | Tabelle XVII. En Tempe- : Tempe- Zeit | ee Bemerkungen Zeit | en | Bemerkungen c. - c. 65 00’ | + 21,0° | nach 12° en 0= +00 sch 2’ | -+10,0° | Kältebad — 37,0°| „ 13’. | — 133° Hr „ 3° |+ 61° | Zimmer + 23,5 „t' | — 18° ar '2,0° „15’ | — 236° Br. .0,5° „.16’ | — 4,0° »„ 6° i— 0,9° | keine Unterkühlung| „ 17’ | — 6,4° Br — 09° „ 174a’| — 7,3° |! niedr. Temper. „ 8’ | — 0,95° „ 18’ | — 35° | raschesErwärmen rgren — 1,0° „19%. 21,99 „10’ | —.1,05° „ 20’ | — 1,0° ea, — 1,1? „ 23’ | + 10,0% | Ende 6h 23’ nachm. Tabelle XVII. ee , Leistuxgen des Muskels 91 (Hebel- vergrösserung 4:1). +40 | B) v) ra Muskel 91 | 0" der nach | nach 5 e Ab- |der Ab- | Sauer- kühlung|kühlung | stoffbad +90 Reizschwelle |R.-A.28! ° — IR.A.5 r Maximalhub- 73 höhe . . | 16mm _ minimal Wie aus der Leistungstabelle —** (XVIH) hervorgeht, war der — 60 Muskel zunächst unerregbar; nach- dem er aber 5 Minuten im Sauer- stoffbad verweilt hatte, reagierte a er wieder auf Reize: seine Reiz- le Aykahlensde be schwelle war von R.-A. 28 auf Muskels 91. R.-A. 5 zurückgegangen, und es waren bei diesem Rollenabstand deutliche Zuckungen einiger Muskel- fasern wahrzunehmen. Dieses Ergebnis entspricht den interessanten ab s WA. Hoyer: Feststellungen Maximow’s an pflanzlichen Geweben. Es ist hier also der Todespunkt des Rattenmuskels, der ‚sonst bei —6,3° C. liegt, bis unter —7,3° C., also um mehr als einen Ban Grad nach unten verschoben worden). % Weitere Versuche in dieser Richtung habe ich nicht gemacht, da sie nicht in den Rahmen dieser Arbeit gehören, die sich mit dem „reinen“ Kältetod der Säugermuskeln beschäftigt. 6b) In situ befindlicher, durchbluteter Muskel. 1. Spezielle Methodik. «) Abkühlungsverfahren. N achdeni die Kälteschädigung und der Kältetod des isolierten Rattenmuskels bestimmt waren, musste es von Interesse sein, zu erfahren, ob die Abkühlung des durchbluteten, im Körper ver- bliebenen Muskels dieselben Resultate ergeben würde, oder ob die nachfolgende Durchblutung eine nicht zu starke Kälteschädigung wieder rückgängig machen, vielleicht auch den Todespunkt noch weiter herabsetzen könnte. Derartige Versuche: am Froschmuskel sind von Brunow ausgeführt worden 2). Um den durchbluteten Gastroenemius einer Abkühlung aus- setzen zu können, wurde die betreffende stark narkotisierte®) Ratte auf einen etwa 25 em langen und 15 em breiten Operationstisch mit dem Rücken aufgebunden, und zwar dergestalt, dass die beiden Vorderfüsse durch Schlingen an je einem Loch der seitlichen Loch- reihen des Tisches befestiet wurden. Dasselbe geschah mit dem einen Hinterfuss und mit dem Schwanz der Ratte. Um den übrigbleibenden frei beweglichen Hinterfuss wurde ein Faden eeschlungen, vermittelst dessen das ganze Bein fast bis zum Hüftgelenk in eine Glasröhre gezogen werden konnte. Ein in die offene Mündung des Rohres eingeführter Kork klemmte dann den 1) Eine analoge Beobachtung machte ich an einem isolierten Gastrocnemius von Rana fusca, den ich ebenfalls in einer Zuckerlösung weit über seinen Todespunkt abkühlte, und der sich trotzdem nach der Wiedererwärmung noch erregbar zeigte. Leider ist das betreffende Protokoll verlorengegangen. Ich glaube mich zu entsinnen, dass die Abkühlung — 11° C. betrug, während sonst der Kältetod des Froschmuskels bei — 3° C. erfolgt. 2) H. Brunow, Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 13 S. 368. 1912. 3) Die Tiere wurden unmittelbar vor dem Van durch Äther bis zur völligen Reaktionslosigkeit narkotisiert. ES ) ee Be Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels.. 297 Faden fest, so dass das Bein unbeweglich in der Glasröhre stak. Ich stellte mir einen Satz verschieden grosser derartiger Röhren her und konnte daher für jede einzelne Ratte eine derartige Grösse wählen, dass der obere Teil des Rattenbeines der Röhre fest anlag (Fig. 19). Diese innere Glasröhre konnte nun, wie Fig. 19 und 20 zeigen, in eine weitere äussere eingeführt werden, wo sie durch Kork- bzw. Gummiführung festgehalten wurde. Der Öperationstisch, auf den die Ratte aufgebunden war, wurde in ein starkes Stativ gespannt, so dass man das von den Glasröhren umgebene Bein in das Kälte- bad eintauchen konnte, während der Körper der Ratte über dem Bade schwebte. Das Bein war also ähnlich wie der isolierte Muskel wieder durch einen Luftmantel vom Kältebad getrennt. Durch ver- schieden kalte Bäder konnte wieder die Abkühlungsgeschwindigkeit des Muskels nach Bedarf geregelt werden. Die Temperaturmessung wurde mit einer sehr dünnen Thermo- nadel gemacht, deren Lage im Muskel aus Fig. 20 hervorgeht. Vor der Einführung des Rattenbeines in die Glasröhre wurde ober- halb der Ferse ein- kleiner Hautschnitt gemacht, durch den die Thermonadel von unten nach oben in den wieder als Versuchsobjekt dienenden Gastrocnemius eingeführt werden konnte; die beiden ableitenden, sorgfältig mit Kollodium isolierten Drähte!) führten eine kurze Strecke nach unten und dann im Bogen an der inneren Röhrenwand entlang nach oben und aussen. Ich wählte diese An- ordnung, weil die Nadel gegenüber einer von oben in den Muskel eingeführten den Vorteil grösster Umnbeweelichkeit besass; auch war es so leichter, die Nadel genau in die Mitte des Muskels zu bringen. i Bezüglich seiner Temperaturbestimmung machte leider der durchblutete Muskel segenüber dem isolierten ganz bedeutende Schwierigkeiten. Bei letzterem konnte man mit hinlänelicher Ge- nauigkeit annehmen, dass die Temperatur im ganzen Muskel fast gleich war?). Anders beim durehbluteten Muskel: hier war die l) Für diese Isolierung und die Verhütung einer etwaigen gegenseitigen _ Berührung der beiden Drähte des Thermoelementes wurde selbstverständlich peinlichst Sorge getragen. In diesem Sinne ist auch in der Fig. 20 der eine der beiden Drähte weit vor oder hinter der Ebene des Papiers liegend zu denken. 2) Siehe hierüber S. 268 und 289. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169, 20 298 Fig. 19. Befestigung der Ratte und Vorrichtung zur Abkühlung des durch- bluteten Muskels; Näheres im Text S. 296f. D = Dewargefäss; 7 — Luftmantel. | | | EN Se SER ET ER == AN Bess ek \ u = 405 N NN TTCH N || ae ——— El 2 Fig. 20. Lage der Thermonadel und Kälteisothermen im durchbluteten Ratten- muskel, für den die Thermonadel — 6° C. anzeigt. Die beiden Drähte (b) der Thermonadel (a) sind überall in verschiedene Ebenen auseinandergelegt zu denken; sonstiges Nähere über die Anordnung s. S. 296 ff. Der Gastrocnemius ist an seinem dickeren Kontur kenntlich. bh Bi Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels.. 299 [=] Wärmezufuhr bzw. -abgabe von oben ganz verschieden von der an den Seiten. und unten. Wenn das Bein soweit wie möglich in die Glasröhre hineingezogen war und das Kältebad ganz bis zum Rande der äusseren Röhre stand, so war doch das Knie, bei dem verhältnis- mässig kurzen Oberschenkel der Ratte, höchstens 1—1,5 em unter der Oberfläche des Bades. Daher musste während der Abkühlung, ganz abgesehen von der durch die Blutzirkulation bedingten Wärmezufuhr zum Muskel, die aber mit seinem Gefrieren aufhörte, eine dauernde bedeutende Wärmezufuhr zu dem abzukühlenden Gastrocnemius erfolgen, da an diesen der übrige 37° C. warme Körper des Tieres mit breiter Fläche angrenzte. Hierbei fällt noch besonders ins Gewicht, dass die obere Hälfte des Gastroenemius vom Biceps auf der äusseren und von der Semitendinosus-Gruppe auf der inneren Seite bedeckt wird, und dass der Unterschenkel sich nach unten bedeutend verjüngt. Daher war zweifellos der obere Teil des Gastroenemius während der Einwirkung des Kältebades stets wärmer als der untere. ; Es wird kaum möglich sein, die Grösse dieser Temperatur- differenz im Muskel ganz genau anzugeben; um aber darüber einen gewissen Überblick zu gewinnen, machte ich folgenden Versuch: Ich führte eine Thermonadel, wie oben beschrieben, von unten in den Gastroenemius ein und eine zweite von oben in den oberen Teil dieses Muskels und liess das Bein, wie bei den übrigen Ver- suchen, gefrieren; es stellte sich nun heraus, dass der Temperatur- unterschied zwischem dem obersten und mittleren Teil des Muskels 1,5—2,5° C. betrug. Ich habe versucht, in Fig. 20 zur Ver- anschaulichung dieser Verhältnisse die Isothermen eines Muskels und Beines einzuzeichnen, für die die von unten eingeführte Thermo- nadel eine Temperatur von —6° C. angibt. Diese Isothermen grün- den sich zwar auf die genannte experimentelle Feststellung, sind in ihren Einzelheiten jedoch hypothetisch. £) Feststellung der Schädigung des abgekühlten Muskels. Ein Vergleich der Leistungen des durchbluteten Muskels vor und nach der Abkühlung wie beim isolierten Muskel wäre nicht gut ausführbar gewesen. Deshalb zog ich den Gastroenemius des anderen, intakten Beines zum Vergleich heran: Ich liess die Ratte nach der Abkühlung des einen Beines 3—24 Stunden am Leben, so dass der gefroren gewesene Muskel wieder längere Zeit durchblutet wurde. 20 * 300 W, A. Hoyer: Dann tötete ich das Tier und fertigte von beiden Beinen ein Gastro- cenemius-Präparat an, wie ich es beim isolierten Muskel beschrieben habe, und liess ebenso wie dort die durch Öffnungsinduktionsschläge gereizten Muskeln ihre Kurven auf die berusste Trommel aufzeichnen. Diese Methode konnte allerdings mehrere Fehlerquellen in sich bergen. Einmal war es möglich, dass die beiden Gastroenemii der Ratte schon im intakten Zustande keine gleichen Leistungen auf- wiesen. Eine Reihe von diesbezüglichen Versuchen zeigte mir jedoch, dass, wenn Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Muskeln vor- handen waren, sie auf jeden Fall nur sehr gering waren, d.h. fast immer hatten die beiden intakten Gastrocnemii einer frisch getöteten Ratte dieselbe Maximalhubhöhe, meist auch dieselbe Reizscehwelle. Schwieriger aber war es, einen anderen Fehler auszuschalten. Wenn, wie auf S. 299 beschrieben, die verschiedenen Teile des Muskels verschieden stark abgekühlt waren, so mussten auch die Schädigungen dieser Teile verschieden gross sein: ein Muskel, der nach der Thermo- nadel — 6° C. kalt gewesen, dessen oberstes Stück aber nur bis — 4,0° C. abgekühlt war, zeigte natürlich eine verhältnismässig zu starke Leistung für —6° C. Um nun den geschädisten Muskel besser beurteilen zu können, nahm ich nicht nur die Zuckuneskurven des ganzen Muskels auf, sondern schnitt auch das obere Drittel des Muskels ab, liess die unteren zwei Drittel allein ihre Kurve auf- zeichnen und wiederholte dies schliesslich auch noch mit dem unteren Drittel. Die Leistungen dieser Teile verglich ich mit den ent- sprechenden des anderen, intakten Muskels. Dieses Verfahren wurde bei den sämtlichen zunächst folgenden Versuchen angewendet. Mit- geteilt werden aber im folgenden nur diejenigen Muskelkurven, die von den distalen (unteren) zwei Dritteln sowohl des abgekühlten Muskels als auch seines normalen Vergleichsmuskels geschrieben wurden; denn nur von diesen Abschnitten des abgekühlten Muskels konnte man annehmen, dass sie mindestens!) den von dem Thermoelement angegebenen Kältegrad erreicht hatten. Analoges gilt von den Angaben der Leistungstabellen der Muskeln. Auf diese Weise konnte ich zu einer ziemlich genauen Ermitt- lung der Maximalhubhöhe der durch Kälte geschädigten Muskeln 1) Ich war stets bestrebt, das oben abgetrennte Stück der Muskeln eher zu gross äls zu klein zu machen, so dass ihre Kälteresistenz in Wirk- lichkeit eher grösser war, als aus meinen Versuchen gefolgert wurde. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 301 im Vergleich zw denen der ungeschädisten Muskeln kommen. Eine gewisse Subjektivität war bei dieser Beurteilung freilich nicht sanz auszuschliessen, zumal da ich auch noch die Dauer der Ver- suche, den ganzen Status der Tiere, ihren Fettansatz und ihre Grösse dazu heranziehen musste, weil alle diese Faktoren die Temperatur- differenz zwischen dem oberen und unteren Teil des abgekühlten Muskels beeinflussen konnten }). 2. Versuche und Ergebnisse. «) Feststellung von Kälteschädigung und Kältetod verschieden stark sefrorener (durchbluteter) Muskeln. Um Sehädigsung und Todespunkt des im Körper verbliebenen und nach der Abkühlung wieder durchbluteten Rattenmuskels fest- zustellen, musste ebenso wie beim isolierten Muskel eine längere Reihe von Muskeln systematisch immer stärkeren Abkühlungen aus- gesetzt werden. Bezüglich der Bedeutung der einzelnen Ausdrücke und Bezeich- nungen in den hier folgenden Versuchsprotokollen und Tabellen sei auf die Erklärungen zu den Protokollen der Versuche mit dem isolierten Muskel auf S. 272 und 275 verwiesen. 12’ 18’ 24' 30’ 36’ 42’ 48' 34’ eo’ 66’ 12’ Fig. 21. Abkühlungskurve des Muskels 65 (speziell Temperaturverlauf im mittleren Drittel des Muskels; vgl. S. 209 und 330). (Uber die Bedeutung des Pfeiles s. S. 273.) 1) Vgl. hierzu ferner das auf S. 299 Ausgeführte. 302 W. A. Hoyer: Versuch 65. 13. Mai 1914. Kräftige, ausgewachsene, gescheckte Ratte. Tabelle XIX. ee ee Bemerkungen Zei | Tempe, Bemerkungen ratur ratur c. C 4h 45’ | +36,0° nach 46° | — 1,8° nach 15° | + 1,5° | Kältebad — 27,0° | „ 47' _ 0: 0% „16° | + 0,7° | Zimmer + 14,0° „48 | — 19° ALT a OL „ 49' 1,95 18% E 0= +0° „ 50’ | — 23,0° | ! niedrigste Tem- Mn I — I DL langsames 5:20. 0, rwärmen „21 | — 075° „ 51’ | — 1,950 „22 | —.0,8° ; R 2 — 0 2.08 „283 — 0= +0 "Nds 2,08 „24 | — 0,85° „ 94’ | — 1,4° „25 | — 0,85° „99,1 1,20% „ 26° | — 0,9° ae „2a | — 9,%° Ra 0 „ 28’ | — 0,95° „98° | — 0,95°| Kältebad — 25,0° „29 — 0= +0° „ 99 | — 0,85° „.30° | — 1,0° 460.31 4.0578 „sl | — 1,08° "26121 0,958 18a LO KAREL NER NE »„ 33° | —.1,15° „ 63' | + 0,5° 2 a5 | = so 05 | 150 35' — 4 | ”) : ne | # „36° | — 13° „66' | + 2,90 rascheres Erwärmen rl — 0 — +0° „60 | +5,20 x 38" — 1,35° 5, 68" + 7,20 „39 — 1,45° n.69'.| # 10,7 P) 40' = 1,5° | ” 70’ | +13,80 „41' | — 1,55° sole 216,08 „42 | — 16° | „02 .-118,09 „4' | — 1,69° , 73' | +20,0° a rd +91,00 As 1,1008 „ 75’ | +22,09 | Fig. 22. Zuckungskurve der unteren zwei Drittel des Muskels 65. (Vergr. 4:1.) RE Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskel. 303 Tabelle XX. Leistungen der unteren zwei Drittel des Muskels 65*(Hebelvergrösserung 4:1), a) des Muskels vor der b) des Muskels Muskel 65 Abkühlung bzw. des 21 Stunden nach der intakten Muskels Abkühlung Reizschwelle. .... . R.-A. 16 er 16 } 2 etwa 9 mm Maximalhubhöhe . . . . eiwa9mm L| _ so Anfensehnbhöhe Wie aus dem Protokoll und der Abkühlungskurve des Muskels 65 (Fig. 21 und Tabelle XIX) hervorgeht, wurde der Muskel bis — 2,0°C. abgekühlt; d. h. das war die Temperatur, die dieser Muskel durch- schnittlich in seinem mittleren Drittel erreichte, während das untere Drittel erheblich mehr, das obere dagegen erheblich weniger abgekühlt war, entsprechend den Ausführungen von S. 299. Das ist bei allen Versuchen am durehbluteten Muskel zu beachten. Und wenn ferner von Kälteschädigung, -tod und Leistungen des abgekühlten Muskels die Rede ist, so gilt dies in erster Linie ebenfalls für sein mittleres Drittel, allerdings im Zusammenhang mit seinem mehr abgekühlten und ‘daher im all- gemeinen mehr geschädigten unteren Drittel. Nach dem Wiedererwärmen wurde die Ratte in ihren Käfig ge- setzt, wo sie die Nacht und den folgenden Vormittag ohne Futter verbrachte; um 35 nachmittags wurde sie getötet und wurden in der oben beschriebenen Weise!) von jedem ihrer zwei Gastrocnemii Präparate und Zuckungskurven angefertigt. Der abgekühlt gewesene Muskel war stark ödematös geschwollen: sein Umfang betrug an der dicksten Stelle 4,5 cm gesen 3 cm beim intakten anderen Gastro- enemius. Wie jedoch aus der Leistungstabelle (Tabelle XX) des Muskels?) hervorgeht, waren die Leistungen beider Muskeln voll- kommen gleich. Die nach der Abkühlung erfolgte Durchblutung war also imstande ‚gewesen, die Kälteschädigung, die der Muskel höchstwahrscheinlich ebenso wie ein isolierter gefrerener Muskel erlitten hatte, wieder zu beseitigen. ‘Der Muskel des hier folgenden Versuchs 75, der bis — 2,5° C. abgekühlt war, war jedoch auch nachher schon etwas geschädiet. DS S. 300. 2) Siehe die Ausführungen im vorigen Absatz dieses Abschnittes. 304 W. A. Hoyer: Versuch 75. 6. Juni 1914. Nicht ganz ausgewachsener. Albino. ‚Tabelle XXI. Zeit um Bemerkungen Zeit Sen Bemerkungen & peratur peratur i 2540’ | + 37,09 uach24' | —- 1,750 Y mc 5° | + 12,50 | Kältebad — 540° | „25' | — 1,90 6. 209,90 KZutamer + 16,09 „ 26’, — 2,2 | TU LIE URSTB SR „27' | —2,5° |! niedrieste Tem- ; 8” 1 9,008 peratur, langsames RO + 3,20 ; | Erwärmen 21102 | 4,90 ae | A nu ar N a ehr = ne Kältebad — 52,0° [2 + Le a gan ar | og « Le} — 0,5° r 32' — 0,75 aa | „415 — 0,6° „893' | — 0,7% |rascheres Erwärmen oe os „94’| +0° al u0,8 ; 30 — 0= +0° er} a ” 2 ” ” ” 0 TREUEN 24” 30” 36’ 42! Fig. 23. Abkühlungskurve des Muskels 75. (Vgl. Erläuterung zu Fig. 21.) Tabelle XXM. Leistungen der unteren zwei Drittel des Muskels 75 (Hebelvergrösserung 4:1). a) des Muskels vor der 7) ges Muskels 5 Stunden Muskel "75 ln DE Bu nach der Abkühlung Reizschwelle. . . ... R.-A. 24 2 Maximalhubhöhe. . . . etwa 20 mm { w „Bun, | Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 305 Fig. 24. Zuckungskurve der unteren zwei Drittel der Muskels 75. (Vergr. 4:1.) Die Ratte wurde 5 Stunden nach dem Versuch getötet. Wie aus der Leistungstabelle (Tabelle XXI) hervorgeht, hat der Muskel }) etwa ein Zehntel seiner Hubhöhe verloren. Die der Abkühlung folgende Durchblutung war also diesmal nicht imstande gewesen, die Kälteschädigung eanz aufzuheben. Versuch 68. 18. Mai 1914. Nicht ganz ausgewachsener Albino. Tabelle XXIII. Zeit are Bemerkungen Zeit Mur: Bemerkungen ne ER 64 15° | +3800 | nach 37’ | — 1,50 | sach 15 + 1,1% | Kältebad —40,0° | „ 38’ —1,65°| „16° | + 0,7° | Zimmer + 16,2° „839 | — 18° Fra 0,49 AOR 22,080 Beat 0,10 „ 41’ |, — 2,25° n Se a; ss „ 497 Pr 3 | =+r 0° 2) ; — 0,2 ” 43’ — 2,7 Bayı |. 030 "4 | — 3,00 „22 | — 035° „ 45’ | — 3,25 „23° — 20 „46 | —3,5° „ 24' | — 0,5° „ 41" | —3,19° „25 | — 0,6° „ 48’ | —4,0° |! niedr. Temperatur, „26° |. — 0,70 langs. Erwärmen n an, FR Ds: D) 49’ 310 0 220% Zu » 50’ Tu) | 2.997 | 0,80 ” 51° | 24° |Kältebad — 39,00 „ 30° | — 0,85° „92. | —1,99 „sl | — 0,9 „58 | —1,5° ie oje: » nl „39 | —0, „A ı — 1,15° „56° | +1,0° „ 39’ En Ua roll 12,00 „ 36’ | — 1,4° „ 59’ | + 6,0° 1) Siehe hierzu S. 303. W. A. Hoyer: 0’ 6' 12' 18’ 24' 30’ 36” 42’ 48’ 54’ &@' Fig. 25. Abkühlurgskurve des Muskels 68. (Vgl. Erläuterung zu Fig. 21.) Fig. 26. Zuckungskurve der unteren zwei Drittel des Muskels @ (Vergr. 4:1.) Tabelle XXIV. Leistungen der unteren zwei Drittel des Muskels 68 (Hebelvergrösserung 4:1) a) des Muskels vor der b) des Muskels Muskel 68 Abkühlung bzw. des 17 Stunden nach intakten Muskels der Abkühlung Reizschwelle ...... R.-A. 23 R.-A. 17 Ä ® etwa 6 mm Maximalhubhöhe . . etwa 12 mm { — 5ho Anfangshubhöhe s Vorstehend führe ich den Versuch 68 an (Tabelle XXIII und XXIV, Fig. 25 und 26), bei dem der Muskel bis — 4,0° C. gefroren wurde Diese Ratte wurde ebenso wie die anderen ohne Futter, und zwar 17 Stunden, aufbewahrt und dann getötet. Die elektrische Reizung ergab einen weiteren bedeutenden Rückgang der Hubhöhe [4 Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels.. 307 des abgekühlt gewesenen Muskels, der stark ödematös war; er!) zeigte noch 50 °/o der Hubhöhe des intakten Muskels; die Reizschwelle war herabgesetzt (Tabelle XXIV und Fig. 26). | Die Grenze zwischen Leben und Tod enthalten die beiden folgenden Versuche: Versuch 86. 11. Juni 1914. Kräftiger, fast ausgewachsener Albino. Tabelle XXV. Zeit ee Bemerkungen Zeit a | Bemerkungen ratur 3 c. C. 11h 25’ | + 37,0° nach 56° | — 4,6° nach 25° | + 1,8° | Kältebad — 53,0% | „ 57° | — 5,0° % 26’ -- IR, Zimmer + 16,0° e: a —_ 3 Kältebad — 52,0° Sa 14 a i 28 | + 12° „ 60’ I — 6,20 ! niedr. Temperatur 2 29’ | + 10° langs. Erwärmen 230° | + 0,80 3 u PT) Fat | 404° eg | 2 ago „32 | + 02° „ 68’ | — 4,0° n 33’ + 0° x 64’ — 3,5) za, 020 ee, 5) —_ 090 "66 | — 260 „ 36° | — 0,25° „ 67° | — 2,4° | Temperatur d.Ratte: Be (0,30 im After + 18,0°, 38, | 0,50 | im Mund + 30,0° 5 39 -=.0.6° 15 68%. 5. 3,20 40’ | — 070 2694 1° .,1.90 „ A'| — 0,850 a er er 1900 | ae 2 11,90 a. 190 an ret 1750 44' | — 13° 73’ — 183° 45 a 0— +00 aA RER 10 46° | — 1,50 onsr | 090 a, 1750 ger roe0 „agı| _. 300 aa 05° „491 | _ 3950 „ag | — 0,90 „ 50' | — 250 a9 | + 010 »„ sl’ | — 28° „ 80’ I + 1,5° Saal 310 gel + 4290| » 93’ | — 3,50 „ 82" | + 10,0% | Temperatur .d.Ratte: - 54 — 3,8 im After + 21,0° „ 55’ | 490 „88 | +1580 Tabelle XXVl. Leistungen der unteren zwei Drittel des Muskels 86 (Hebelvergrösserung 4:1). a) des Muskels vor der b) des Muskels Muskel 86 Abkühlung bzw. des 24 Stunden nach intakten Muskels der Abkühlung Reizschwelle . .... . R.-A. 15 R.-A. 10 Maximalhubhöhe . . . . etwa 22 mm minimal 1) Siehe hierzu $S. 303. 308 | ‚WA. Hoyer: 18’ 24' 30” 36’ 42’ 48' 94' 60” 66’ 72" 18’ 84" Fig. 27. Abkühlungskurve des Muskels 56. (Vgl. Erläuterung zu Fig. 21.) Die Ratte 86 (Tabelle XXV nnd XXVI und Fig. 27) wurde nach dem Versuch noch 24 Stunden am Leben erhalten, dann ge- tötet und untersucht. Der gefroren gewesene Muskel war wieder sehr stark ödematös: sein Umfang verhielt sich zu dem des gesunden Muskels etwa wie 3:1. Der maximale elektrische Reiz erzeugte ganz geringe, aber noch deutlich sichthare Zuckungen. Der Muskel !) besass also noch einen Rest von Leben. Die Ratte des nächsten Versuchs, des Versuchs 87 (Tabelle XXVIL und XXVII und Fig. 28), wurde 26 Stunden nach der Abkühlung des einen Beines getötet und untersucht. Der bis —6,3° C. ab- - gekühlte Gastrocnemius war ähnlich stark geschwollen wie Muskel 86. Im Gegensatz zu diesem war er jedoch auch durch die stärksten Induktionsschläge nieht mehr reizbar. Er!) war tot. Weitere Versuche, bei denen die durchbluteten Muskeln !) tiefer als — 6,3° C. abgekühlt wurden, lieferten stets tote Muskeln, um- sekehrt Abkühlungen von weniger als — 6,2° C. stets lebende. Demnach würde also auch der durchblutete Ratten- muskel seinen Todespunkt, wie der isolierte, zwischen — 6,2 und — 63° C. haben. 1) Siehe hierzu S. 303. 2: ee Br; “ er en. E, Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 309 Versuch 87. 11. Juni 1914. Nicht ganz ausgewachsener Albino. Tabelle XXVI. Tempe- Zeit | ratur | 07 4b 00° | +38,0° nah20° + 2,5 & ae 2,0° 0 [- 6° Ba 1,20 „24 + 0,8° „25 | + 05° a 0,30 h Er | + 0,1° „28 | — 0,1° „ 29’ | — 0,2° » 30°. — 0,35° „31° | — 0,55° „32 | — 0,79 38: | — 0,8° „34 | — 0,9° 2 35 a: 1,10 n.36 | — 125° ” 37’ { nr „38 | — 15° Bas 1,65° Ba 2 1,80 „4 — 21° „ 42’ | — 2,4° „437 | — 2,89 Be | Bemerkungen Kältebad — 54,0° | Zimmer + 16,0° Zeit nach 44° ” 45’ Tempe- ratur ++++-| I I I I | . Bemerkungen ! niedr. Temperatur, langs. Erwärmen 0 an ‘ Kältebad — 52,0 ° Temperatur d. Ratte im After + 28,0°, im Mund + 32,0° 12' 18’ 24’ 30' 36’ 42' Fig. 28. Abkühlungskurve des Muskels 87. 48’ 54' 60’ 66’ (Vgl. Erläuterung zu Fig. 21.) 310 W. A. Hoyer: | Tatelle XXVI. Leistungen der unteren zwei Drittel des Muskels 87 (Hebelvergrösserung 4:1). a) d&s Muskels vor der b) des Muskels Muskel 87 Abkühlung bzw. des in- | 26 Stunden nach der takten Muskels Abkühlung Reizschwelle. . ..... R.-A. 16 — Maximalhubhöhe . ... . etwa 16 mm _ ?) Zusammenstellung der einzelnen Ergebnisse. Eine Zusammenstellung der Leistungen von zwölf durchbluteten und bis zu verschiedenen Kälteeraden abgekühlten Rattenmuskeln bietet die Tabelle XXIX. Diese Tabelle ist genau wie Tabelle XV für den isolierten Muskel zu lesen. Nur gibt Spalte 3 in Zehnteln das Verhältnis der Maximalhubhöhen !) der gefroren gewesenen Muskeln zu denen der intakt gebliebenen Muskeln desselben Tieres an ?). An die Leistungstabelle der durchbluteten Muskeln sind noch zwei weitere Spalten angefügt, von denen Spalte 5 die Dauer der einzelnen Versuche und Spalte 6 in Stunden die Zeit angibt, die dem abgekühlten Muskel zur Wiederdurchblutung und Erholung ge- währt wurde, bis die Ratte getötet und untersucht wurde. Tabelle XXIX. ® Leistungen von zwölf verschieden tief abgekühlten durchbluteten Ratten- muskeln (untere zwei Drittel der Muskeln). 1 2 3 4 5. Ba Tiefste Ab- | Endhubhöhe/| Anfangsreiz- 2 Zeit Versuchs. kühlung des | Anfangshub- |schwelle: End- Versuchs- | ger Wieder- nummer | Muskels®) höhe reizschwelle dauer durchblutung 65 — 2,00 C., 10/10 16:16 80’ 21 Stunden 75 2500. | etwa 9/10 94:22 40’ 6 69 —30° 0. | etwa 6/10 22:18 50’ SE 68 —4,0° C. | etwa 5,3/10 23:20 60’ Ei 66 — 9,09 0. etwa 9/10 24:17 70’ 18 x 76 —59°C. etwa 2/10 18:17 39’ 4 = 70 6,00 C. minimal 25:16 70’ 10 86 — 6,20 C. minimal 15:10 8’ 24 a a _ 0 a tot — > ; 26 R —6,5°9.C. tot — 0’ > £ 67 _7,00.0. tot — En. A108. 71 80° C. tot > core 1) Siehe hierzu $. 308. 2) Siehe oben S. 299 f. - 3) Siehe hierzu S. 308. \ E2 v Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 311 Aus den Zahlen dieser Tabelle lässt sich ebenso wie für den isolierten Muskel auch wieder eine Kälteschädigungskurve für den durchbluteten Rattenmuskel konstruieren. Eine solche Kurve zeiet Fig. 29. Sie ist zu lesen wie Fig. 15 (siehe S. 285 fl.). Zum 4' 6’ 8 10’ 12' 347 FICTION TR DUDEN +4 +20 + —] [-} 10/10 8/10 6/10 40 2/10 0/10 00 | |—10 —20 _30 _40 60 —go —100 —0,850 —0,850 Fig. 29. Kälteschädigungskurve des isolierten ( ) und des durchbluteten (----) Rattenmuskels. (Siehe Erklärung zu Fig. 15.) Vergleich ist auch die Kälteschädigungskurve des isolierten Ratten- muskels eingezeichnet. Bei der Vergleichung der beiden Kurven fällt uns canz besonders die Tatsache auf, dass die der Wieder- erwärmung des abgekühlten Muskels folgende Durchblutung imstande ist, selbst so starke Kälteschädigungen, wie sie das Gefrieren des Muskels bis — 2° C. zur Folge hat, wieder vollständig rückgängig zu machen; nach Analocie der Versuche am isolierten Muskel dürfen wir es nämlich als wahrscheinlich annehmen, dass auch der durch- 312 W. A..Hoyer: blutete Muskel durch Abkühlung auf — 2° C. etwa die gleiche Schädigung erfahren hatte, wie sie am isolierten nachgewiesen wurde!), bei dem die maximale Hubhöhe auf drei Zehntel ihres Anfangswertes gesunken war; diese Schädigung wird also durch die Einwirkung des zirkulierenden Blutes wieder ausgeglichen. Erst nach der Abkühlung auf — 2,5° C. bleibt trotz der Durchblutung ein kleiner Rest der beträchtlichen Schädigung zurück, die sich beim isolierten Muskel jetzt schon in dem Verlust von neun Zehntel seiner ursprünglichen Hubhöhe äussert. Wird der durchblutete Muskel noch weiter abgekühlt, so kann auch die nachfolgende Durchblutung die Kälteschädigung nur noch in einem zunehmend geringeren Maasse vermindern. Bei — 4° C. zeist die Kurve noch etwa vier Zehntel, bei —5° C. nur noch etwas über zwei Zehntel der alten Hubhöhe für den Muskel an. Die Kurve fällt nun weiter bis zum Todespunkt zwischen — 5,2 und —6,3° C. Sie erreicht also in gleichmässig starkem Abfall denselben Endpunkt wie die des isolierten Ratten- muskels ?) rn) Heilung von Kälteschädigungen im Verlaufe der nächsten Wochen nach der Abkühlung. Am Schluss meiner Untersuchungen über den Rattenmuskel will ich noch zwei Versuche besprechen, bei denen ich den durch- bluteten Gastroenemius einer Ratte bis —3° C. und den einer zweiten bis — 5°C. abkühlte und dann die beiden Tiere bei gutem Futter mehrere Wochen lebend erhielt. 1) Siehe die Kälteschädigungskurve Fig. 15 auf S. 286. 2) Brunow (l. c.) $ibt in seiner Arbeit über den Kältetod des Gastroenemius von R. fusca den Tod des isolierten Muskels bei 90,0, 2den des durchbluteten bei etwa — 4° C. an. Man könnte vielleicht vermuten, dass diese Abweichung von meinen Versuchen (auch den nachfolgenden an Igel und. Katze), wo der Todespunkt des isolierten und durchbluteten Muskels zusammenfiel, dadurch be- dingt sei, dass Brunow die bei — 3° C. unerregbar gewordenen isolierten Froschmuskeln nicht einer „Erholungsflüssiekeit“, wie etwa sauerstoffdurch- strömter Ringer-Lösung, aussetzte, wodurch die bei Temperaturen zwischen — 3° und — 4°C. gefrorenen Muskeln noch einen Rest ihrer Erregbarkeit etwa hätten ‘wiedergewinnen können. Doch scheint dies nicht der Grund für die Differenz zu sein, da ich in zwei Versuchen eine Verschiebung des Todespunktes des isolierten Froschmuskels durch Einwirkung eines Erholungsbades nicht erzielen konnte. Es muss daher daran gedacht werden, dass sich in der genannten Hin- sicht Säugetier und Frosch tatsächlich verschieden verhalten. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 313 Am zweiten und dritten Tage nach der Abkühlung zeigte sich bei beiden Tieren ein starkes Ödem der abgekühlt gewesenen Beine. Nach drei Tagen wurde der Fuss des bis — 5° C. abgekühlten Beines, der sicher bedeutend kälter als — 5°C. gewesen war — ich schätze etwa — 8° C. bis —10° C. —, gangränös. Am nächsten Tage wurden die Fusswurzelknochen sichtbar, am siebenten fiel der Fuss ab. Die Heilung des Stumpfes machte zunächst gute Fort- schritte.e Nach 14 Tagen jedoch bildete sich eine Eiterung aus, und das untere Ende der Tibia wurde sichtbar. Im Laufe der. nächsten beiden Wochen stiess sich das untere Drittel der Tibia so- wie die Sehnen einiger Unterschenkelmuskeln ab. Nach 2 Monaten war der Stumpf, den die Ratte recht geschickt zur Fortbewegung gebrauchte, geheilt. Der Fuss der Ratte, deren Bein nur bis — 3° C. abgekühlt war, stiess sich ebenfalls nach 9 Tagen ab; er wird bei der Ab- kühlung wahrscheinlich etwa — 7°C. erreicht haben. Die bis — 3°C. abgekühlten Muskeln blieben dauernd erhalten. Im ganzen genommen habe ich den Eindruck, dass die Teile der Muskeln, die nicht über das vitale Temperaturminimum des Rattenmuskels (— 6,2° C.) hinaus abgekühlt werden, dauernd leistungsfähig bleiben können. II. Untersuchungen am Igel (Erinaceus europaeus). a) Versuche am isolierten Igelmuskel. Zur Ergänzung meiner Versuche an der Wanderratte dehnte ich meine» Untersuchungen auch noch auf einige andere Säugetiere aus, Zunächst wählte ich einen Vertreter aus der Ordnung der Insekten- fresser, den Zaunigel.e Es schien mir auch deshalb-von grossem Interesse zu sein, gerade seine Muskeln zu untersuchen, weil man daran denken durfte, dass er als Winterschläfer vielleicht noch weit grössere Kältesrade als die Wanderratte würde überwinden können. Die Methodik der Abkühlung und Feststellung etwaiger Schädi- gungen der abgekühlten Igelmuskeln war genau dieselbe wie bei den Versuchen mit der Ratte. Die Untersuchungen wurden wiederum zunächst am isolierten und dann am durehbluteten Muskel vor- genommen. Es wurde jedoch nieht nur der Gastroenemius, sondern auch der Brachioradialis untersucht. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. el 314 W. A. Hoyer: Da. diese Muskeln jedoch bedeutend grösser und umfangreicher als der Gastrocnemius der Ratte sind, so musste ein Satz besonderer passender Glasröhren hergestellt werden, während dieselben Thermo- nadeln wie bei der Ratte benutzt wurden. Von jedem einzelnen Versuch wurde, wie beim Rattenmuskel, ein Protokoll angefertigt. Ebenfalls wurden die Hubhöhen und Reiz- schwellen der ‚einzelnen Muskeln vor und nach den Abkühlungen auf der berussten Trommel reeistriert. | Die Ergebnisse der Abkühlungen von 18 verschiedenen isolierten Igelmuskeln sind in der Leistungstabelle (Tabelle XXX) zusammen- sestellt, entsprechend den Leistungstabellen der Rattenmuskeln (8. 285 und 310). Ein Stern neben der Versuchsnummer bedeutet‘ wieder, dass der betreffende Muskel nach dem Auftauen zunächst unerregbar war und daher einem Sauerstoffbade ausgesetzt wurde, dessen Dauer in Spalte 6 angegeben ist; ob er nach diesem nun auf die elektrische Reizung reagierte, geht aus Spalte 3 und 4 hervor. In Spalte 5 finden sich Angaben über den Eintritt der Totenstarre, und zwar ist (in Minuten) die Zeit angegeben, nach welcher der Muskel, vom Auftauen ab gerechnet, begann, totenstarr zu werden. Tabelle XXX. Leistungen von 18 verschieden tief abgekühlten isolierten Igelmuskeln. ie 2. 3. 4. 5. 6. a s Tiefste Endhubhöhe/ | Anfangsreiz- | Totenstarr | Dauer des 2 5 Abkühlung „Anfangs- [schwelle:End-|nach dem Auf-| Sauerstoff- = =| des Muskels!) hubhöhe reizschwelle | tauen in Min. ‚bades 107 |-0,85 % Beg.d.Gefrierens 10/10 20: 20 — —_ 103 durch- 1,5/10 25:11 — — 124 0,85° ge- 35/10 25:10 _ — 130 froren ?) 3,6/10 18:10 — — 105 —2,9°C. 4/10 22:12 —_ — 110* —41°C. minimal nicht gem. 10’ 5 111* —45°0C. minimal 25:12 10’ 5 112° — 49°C. minimal 25:5 8’ 5' 114* — 54°C. minimal uicht gem. & { 115* —6,59° C. minimal nicht gem. 1" 1!/a' 120* — 6,6 C. minimal nicht gem. = 1 131* —6,8° C. minimal 20:4 ' 0 1% 121* —6,85° C. minimal nicht gem. 6’ 1a’ 122* —6,92° C. tot — 5l/a’ Wera 1195 — 12°C. tot —_ 6’ 1Y/e’{ und 117* — 13°C. tot _ 5’ 2' ( länger 116* — 805° C. tot —_ 4' 1!/a’ 11 | —86°C. tot _ Yo dem .- 5 uftauen 1) D. h. des gefrorenen Muskels; vgl. S. 272, Anm. 2. 2) Im Sinne der Darstellung von S. 275. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. Se Es ist beispielsweise aus der Tabelle zu entnehmen, dass der Iselmuskel 111 bis — 4,5° C. abgekühlt wurde. Nach seiner Wieder- erwärmung antwortete er auch auf stärkste elektrische Reize nicht. Er wurde daher einem körperwarmen Sauerstoffbad von 5 Minuten Dauer ausgesetzt und zeigte nun bei elektrischer Reizung minimale, 4' 6’ 8 10,7:%212,77 14.747167 7.487 7720% 22 ' 24' -0,85° -0,55_1e mm mn mm „uie Tg u nem wm, un en lem | main) room a a I } | f are 10/10 } - N dien | 8/10 | | | a 6110 ? R Dr’ Ta N | | | \ 4/10 N - ' \ I Sy } N 1 2/10 DE ROT TR E LE ’ ! 0/10 ET er J — 0,85 — — —- —ı —60 — 80 —_ | 0,850 | —ı0 20 —_30 —_40 60 —go —_100 00 —. 0,850 Fig. 30. Kälteschädigungskurve des isolierten ( ) und des durchbluteten (----) Igelmuskels. (Siehe Erklärung zu Fig. 15.) zwar nicht messbare, aber noch deutlich sichtbare Zuckungen;; seine Reizschwelle war vom Rollenabstand 25 auf Rollenabstand 12 ge- sunken; 10 Minuten nach dem Auftauen begann er totenstarr zu werden. Wie schon oben erwähnt, wurden zur Untersuchung sowohl der Gastrocnemius als auch derBrachioradialis des Igels benutzt. Zwischen beiden Muskeln zeigte sich kein Unterschied in der Kälte- resistenz. 91 * 316 W. A. Hoyer: Wenn ich erwartet hatte, dass der Igel als Winterschläfer eine bedeutend grössere Widerstandskraft als die Ratte zeigen würde, so sollte sich dies nicht bewahrheiten. Wie die Beistungstabelle zeigt, liegt sein Todespunkt zwischen —6,85°C. und — 6,92° C., also nur etwa 0,6° C. tiefer als der der Wanderratte. Auch der Igelmuskel erleidet seine grösste Schädigung während des Gefrierens am Gefrier- punkt, das etwa bei — 0,85° C. stattzufinden pflegt. Auffallend ist das frühe Eintreten der Totenstarre nach der Kälteschädigung des isolierten Igelmuskels. Sie tritt durchweg früher auf als beim Rattenmuskel; die betreffenden Zahlen sind aus Spalte 5 der. Leistungstabelle (Tabelle XXX) zu ersehen. In Fig. 30 habe ieh die Kälteschädigung und den Kältetot des isolierten Igelmuskels nach dem auch bei der Ratte angewandten Verfahren (s. S. 285 ff.) graphisch dargestellt. b) Versuche am durchbluteten Igelmuskel. Die Untersuchungen am durchbluteten Igelmuskel geschahen ebenfalls genau so wie die am durchbluteten Rattenmuskel (S. 296 ff.), nur dienten auch hierzu entsprechend grössere Gefässe und Glas- röhren. Die Ergebnisse einer Reihe von sieben Versuchen sind in der Leistungstabelle (Tabelle XXXI) zusammengestellt. Tabelle XXXI. Leistungen von sieben verschieden tief abgekühlten durchbluteten Igel- muskeln. 1. 24 8: 4. >. 6. i 'Tiefste Enndhubhöhe/ | Anfangsreiz-- | x/, Zeit der Versuchs-| Apkühlung | Anfangs- |schwelle:End- | suchs- | Wieder- nummer | des Muskels hubhöhe reizschwelle dauer durchblutung 132 — 2,2800, etwa 4/10 _ 50’ 24 Stunden 126 —25°C. etwa 5/10 23:15 30’ 48 5 127 —81°C. etwa 3/10 — 45' 24 3 129 —ZIrC. etwa 4/10 23:22 75" 22 K 123 —40°C. etwa 1,5/10 13:10 60' 21 Ei 125 —59°C. etwa 2/10 u 40' Ba 128 — 7,090. tot 50 ' 17 iR Nach den Ergebnissen der Leistungstabelle (Tabelle XXXIJ) ist in Fig. 30 auch die Schädigungskurve des durchbluteten Igelmuskels neben der des isolierten konstruiert. Der linke Teil dieser Kurve, von etwa — 2° C. an aufwärts bis zum Gefrierpunkt des Muskels, ist infolge N MEUSL N. F=- Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels. 317 fehlender diesbezüglicher Versuche ausgelassen '). Doch ist der wahr- scheinliche Verlauf der Kurve vom Leser leicht zu konstruieren. Wie die Leistungstabelle (Tabelle XXXI) und die beiden Kälte- schädigungskurven in Fig. 30 anzeigen, ist auch beim Igel die der Ab- kühlung folgende Durchblutung nieht imstande, den Todespunkt des Muskels weiter als beim isolierten Igelmuskel herabzusetzen. Der iso- lierte Igelmuskel ist, wie wir sahen, nach Abkühlungen, die tiefer als —6,9° C. gehen, tot; dasselbe ist beim durchbluteten Muskel der Fall. Der Gastroenemius des Versuchs 128 zeigte, als der betreffende Igel 17 Stunden nach der Abkühlung des Muskels auf — 7° C. getötet und untersucht wurde, keine Erregbarkeit mehr. Er war totenstarr. Wie aus den übrigen Versuchen hervorgeht, ist jedoch die Durchblutung imstande, dieniehttödlichen Kälteschädigungen zu vermindern. Das vitale Tem- peraturminimum aber dürfte mit etwa —6,9°.C. beim isolierten und beim durehbluteten Igelmuskel das- selbe sein?). III. Untersuchungen an der Katze (Felis domestica). a) Versuche am isolierten Katzenmuskel. Als drittes Objekt der Abkühlungsversuche wurde ein Raubtier gewählt, die Hauskatze. Die Versuche fanden im Juni und Juli statt. Die Methodik war dieselbe wie beim Ratten- und beim Igel- muskel. Nur war wiederum ein neuer grösserer Satz von Röhren 1) Versuch 132 wurde am 30. Juli 1914 ausgeführt, einige weitere noch beabsichtigte Versuche konnte ich nicht mehr ausführen, da ich am 4. August ins Feld zog. Die Zusammenstellung der Versuche an Igel und Katze konnten erst im Herbst 1916 gemacht werden, als ich anlässlich einer Verwundung in der Heimat war.' 2) Die Untersuchungen am Igel fanden sämtlich im Juni und Juli 1914 statt. Es ist die Möglichkeit vorhänden, dass die Kältewiderstandskraft des Igels im Winter eine andere, grössere ist. Leider war ich bisher nicht in der Lage, dies nachprüfen zu können; doch möchte ich hier anführen, dass ich bei einer Wiederholung der Brunow’schen Versuche am Gastrocnemius von R.fusca im Februar 1914 den Kältetodespunkt des isolierten Muskels bei —3,5° C. fand, während ich ihn im April wie Brunow bei — 3,0° C. bestimmte. Auch sei in diesem Zusammenhang noch einmal auf den von mir aus- geführten, auf S. 294—296 beschriebenen, Versuch 91 hingewiesen, bei dem es gelang, den Todespunkt des isolierten Rattenmuskels durch Gefrieren in einer isotonischen Zuckerlösung von —6,3° C. auf weiter als —7,3° C. herabzusetzen. 318 ! | W. A. Hoyer: und Gefässen herzustellen, und für die Versuche am durchbluteten Katzenmuskel wurde ein grösserer, etwas anders konstruierter, auf- hängbarer ÖOperationstisch benutzt. Die Untersuchungen wurden an verschiedenen Muskeln, und zwar am Gastrocnemius, am Tibialis anterior und am Brachioradialis, ausgeführt. ‘Die Zusammenstellung der Ergebnisse aus den Versuchspro- tokollen und Zuckungskurven von zwölf isolierten Katzenmuskeln ist in der Tabelle XXXII gegeben. Nach dieser Leistungstabelle ist dann, genau wie bei Igel und Ratte, auch die Kältesehädigungskurve des isolierten Katzenmuskels in Fig. 31 angefertigt. Bei der Betrachtung der Leistungstabelle und der Kälteschädigungs- kurve zeigt sich, dass der Katzenmuskel eine ganz erstaunlich hohe Widerstandskraft gegen Kälte entwickelt. Zwar wird er durch das Durchfrieren !) an seinem Gefrierpunkt (— 0,85° C.) ziemlich stark geschädigt; bei weiterer Abkühlung schreitet jedoch diese Schädigung nicht in demselben Maasse fort. Der Muskel 156 zum Beispiel zeigte nach seiner Abkühlung bis fast — 7°C. noch 0,5/10 seiner Anfangs- hubhöhe. Reste von Erregbarkeit überdauern sogar noch tiefere Ab- kühlungen, Muskel 161 zeigte selbst bei einer Abkühlung auf — 9,4°C. nach Wiedererwärmung und körperwarmem Sauerstoffbad einen’ Rest von Leben, während erst der auf — 9,3° C. abgekühlte Katzen- muskel 163 tot war. Tabelle XXXI. Leistungen von zwölf verschieden tief abgekühlten isolierten Katzenmuskeln. ie 2 3. 4. d. 6. 2-09 Tiefste Endhubhöhe/ | Anfangsreiz- | Totenstarr | Dauer des en= 2 . 2 körperwarm. ZB: Abkühlung Anfangs- |schwelle:End-|nach dem Auf- Seren = = | des Muskels >) hubhöhe reizschwelle | tauen in Min. bades ein Drittel x 154 | 0,8504 a \ 8,5/10 24:23 = a durch- ® ’ 153 | - 0,850 { ns \ 6,5/10 22:20 3% ee 159* — 3,250 0. 1/10 28:10 — 10' 159 | —520C. 0,5/10 30:7 ze 10’ 155* — 60° C. 0,2/10 23:5 — 10’ 156* | — 6,750 C. 0,5/10 28:23 — 10' 157* — 815° C. minimal 27:5 — 10' 158* —9,0°C. | minimal 31:3 — 10’ 161* — 94°C. minimal nicht gem. 0’ 5' 163* — 9,89 C. tot —_ 25’ 5'+20' 160* — 99°C. tot E= 20’ 10’ + 20° 20’ 10’+20' 162* — 33020: tot — 1) Vol. 8. 275. 2) Vgl. S. 272, Anm. 2. 3) Val. 8. 275. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels.. 319 4' 6’ 8 102. 24,.12,, 55514771672 73184 50,20% 22' 24' 10/10 8/10 - 6/10 4/10 2/10 0/10 = [0,850 |-10 De eK 00 850 N s Fig. 31. Kälteschädigungskurve des isolierten ( ) und des durchbluteten (----) Katzenmuskels. (Siehe Erklärung zu Fig. 15.) Das vitale Temperaturminimum des isolierten Katzenmuskels liegt also etwa bei —9,6° C. Die enorme Widerstandskraft des Katzenmuskels gegen Kälte geht auch aus den in Spalte 5 aufgeführten Zahlen über den Eintritt der Totenstarre hervor, die selbst bei sehr starken Abkühlungen immer erst bedeutend später als bei den übrigen von mir unter- suchten Tieren einsetzte. b) Versuche am durchbluteten Katzenmuskel. f Für die Beurteilung des durehbluteten Katzenmuskels stehen mir nur zwei Versuche zur Verfügung (siehe Anm. 1 S. 317). Sie entsprachen beide den von mir nach den vorangegangenen Unter- suchungen gehesten Erwartungen. 320 | W. A: Hoyer: Der im Körper belassene Gastrocnemius einer kräftigen aus- gewachsenen Katze (Versuchsnummer 165) wurde bis — 10,0° C. abgekühlt und darauf wieder erwärmt.’ Die Katze wurde 22 Stunden lebend aufbewahrt und dann getötet. Die Sektion ergab, dass der Muskel totenstarr war. Er war unerreebar. Also äuch bei der Katze vermag die nachfolgende Durchblutung den Kältetodespunkt nicht herabzusetzen. Ein anderer durchbluteter Gastroenemius, der des Versuchs 164, wurde einer Abkühlung von — 4,0° C. ausgesetzt. Die Katze wurde 27 Stunden später getötet und untersucht. Die Reizschwelle des intakten Muskels lag bei Rollenabstand 29, die des abgekühlten bei 22 Der abgekühlte Muskel zeigte noch acht Zehntel der Maximalhubhöhe des intakten Muskels. Daraus geht hervor, dass auch bei der Katze die der Abkühlung folgende Durchblutung imstande ist, die Kälteschädigung in hohem Maasse zu beseitigen; den Kältetodespunkt kann sie aber nicht herabsetzen. Diese Ergebnisse werden veranschaulicht durch die Zusammen- stellung der Kälteschädigungskurven des isolierten und des durch- bluteten Katzenmuskels in Fig. 31. D. Vergleichung der ermittelten Kälteschädigungs- kurven. In Fig. 32 habe ich die Kälteschädigungskurven von Ratte, Igel und Katze zusammengestellt. Zum Vereleich ist auch noch die Kälte- sehädigungskurve des isolierten Froschmuskels !) eingezeichnet. Bei der Betrachtung der Kurven der vier verschiedenartigen' isolierten Muskeln zeigt sich nun, dass die Kälte den untersuchten Nager und den Insektenfresser fast in gleicher Weise schädiet; ihre Kurven laufen fast zusammen. Die Kälteschädigung setzt ein bei Beginn des Gefrierens, etwa bei —0,85° C. Während des Ge- frierens verlieren beide Muskeln etwa sieben Zehntel ihrer früheren Hubhöhe. Dann aber geht die Schädigung bedeutend langsamer vor sich. Die beiden Kurven fallen jetzt lanesam und gleichmässig bis zum Todespunkt, der für den Rattenmuskel bei — 6,3° C., für den Igelmuskel ein wenig tiefer, bei — 6,9° C., liest. ; 1 Die Kurve ist konstruiert nach den Angaben Brunow’s (l. c.) und nach eigenen Versuchen, die im März und April 1914 an R. fusca vorgenommen wurden. Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels.. 321 4' 6' 8’ (De 13 Pa EP an ER UHR + 4° art 0 - + 00 +0 085° -085%4° a = | er aa > EN ar N _30 | | | UEr Daran x | | I f I ! | \ N 6° | [ j r (a0 se U & i I ! ! | I } — 80 1 ) \ | rl Ki N NER N 10 Kr ) I ! ! l ! | 10/10 sr ! | I | N > äs \ ? 8/10 N“, 2 z 2 \ x 3 6/10 } e: 5 \ \ F I \3 '. . 4/10 3 \ & \S » 5 SA, N 3 0) n I - 2/10 Se 0/10 NV see...b..; 00° | —0,850 | —20 —30 —40 —60 _80 _—_100 —0,850 —ı0 Fig. 32. Kälteschädigungskurve des isolierten ( ) und des durchbluteten (——) Rattenmuskels, des isolierten (-——) und des durchbluteten (- ---) Igelmuskels, des isolierten (------) und des durchbluteten (--+--- ) Katzenmuskels, des isolierten —— ) Froschmuskels. (Siehe Erklärung zu Fig. 15 sowie S. 320.) Erheblieh widerstandsfähiger ist der isolierte Muskel des doch so viel höher organisierten und, wie man deshalb annehmen möchte, empfindlicheren Raubtieres!), der Katze. Zwar wird auch er während des horizontalen Teiles der Gefrierkurve geschädigt, doch verliert er, bis er am Gefrierpunkt „durchgefroren“ ?) ist, nur etwa drei Zehntel bis vier Zehntel seiner ursprünglichen Maximalhubhöhe; wird er noch weiter abgekühlt, so schreitet die Schädigung sehr langsam fort. Sie 1) Krehl und Marchand sagen: „Die Empfindlichkeit der Organismen gegen eine starke Herabsetzung der Temperatur nimmt ab, je niedriger die Organisation ist.“ (Handbuch d. allgem. Pathol. Bd. 1 S. 112. Leipzig 1908.) 2) Vgl. S. 275. 322 Wilhelm A. Hoyer: 2 bleibt weit hinter der des Ratten- und Igelmuskels zurück. Erst . bei dem unerwartet tiefen Kältegrad von — 9,8° C. ist auch der Katzenmuskel tot. Sehr interessant ist nun der Vergleich der Säugetierkurven mit der des Froschmuskels. Im Gegensatz zum Säugetiermuskel wird der Froschmuskel während der horizontalen Strecke der Gefrier- kurve!) und noch ein Stück darüber hinaus nicht nennenswert ge- schädigt. Erst bei etwa — 2° C. setzt die Schädigung ein, nun drängt sie sich aber auf das verhältnismässig kleine Temperatur- intervall zwischen — 2° C. und —3° €. zusammen, während die Kälteschädigung des Ratten- und Igelmuskels sich über 5—6, die des Katzenmuskels gar über fast 9 Grade erstreckt. Etwa bei — 2,5° C. schneidet die Froschkurve die Säugetierkurven, hier sind also die Kälteschädigungen annähernd gleich. Dann aber fällt die Froschkurve rasch bis zum Todespunkt bei —3° C. Man steht also vor der merkwürdigen Tatsache, dass ein Warm- blütermuskel (Katze) eine um fast 7°C. tiefere Abkühlung aushalten kann, ohne vollständig abgetötet zu werden, als der Muskel eines anerkannt sehr kältewiderstandsfähigen Kaltblüters. Ein Vergleich der Kälteschädigungskurven der im Körper ver- bliebenen und nachher wieder durchbluteten Muskeln untereinander und mit den Kurven der isolierten Muskeln zeigt, dass die der Ab- kühlung folgende Durchblutung in verschieden starkem Maasse im- stande ist, die Kälteschädigung wieder zu beseitigen. Die Kurve des durchbluteten Rattenmuskels beginnt erst bei etwa — 2°C. zu fallen. (Ähnlich dürften auch die Kurven des durehbluteten Igel- und Katzen- muskels verlaufen ?).) Die Durchblutung vermag aber den Todes- punkt der betreffenden Muskeln nicht herabzusetzen: die Kurven für die durchbluteten Muskeln euden bei dem Endpunkt der zu- gehörigen Kurven der isolierten Muskeln. | 1) Mit anderen Worten: beim Durchfrieren am Gefrierpunkte des Frosch- muskels (ca. — 0,45° C.); vgl. auch S. 275. ‘ 2) Freilich sind von den fragmentarischen Kurven dieser Muskeln nur ver- hältnismässig wenig Punkte experimentell bestimmt, die zudem beim Igelmuskel recht beträchtliche Abweichungen voneinander zeigen; es könnte sehr wohl sein, dass diese Kurve durch einige weitere Beobachtungen eine grössere Steilheit erhielte. 3 [@ 4 4. a 3 iS Über Kälteschädigung und Kältetod des quergestreiften Säugetiermuskels.. 393 a‘ < E. Zusammenfassung der Ergebnisse. 1. Der quergestreifte Säugetiermuskel ist ausserordentlich wider- standsfähig gegen Kälte. Die Muskeln der von mir untersuchten Säuger ertragen eine Abkühlung bis zu ihrem Gefrierpunkt ohne Schaden. | | 2. Der isolierte Säugetiermuskel wird während des hori- zontalen Teiles der Gefrierkurve stark geschädigt; wird aber die Abkühlung des beim Gefrierpunkt durchgefrorenen Muskels noch weiter fortgesetzt, so schreitet die Kälteschädigung nicht in demselben Maasse mit fort. 2 a. Isolierte Muskeln, die nach einer starken, bis an das tödliche Temperaturminimum heranreichenden Abkühlung und nachfolgender Wiedererwärmung unerregbar geworden sind, erholen sich in einem + 37°C. warmen Sauerstoffbade in verschiedenem Maasse, so dass sie wieder elektrisch erregbar werden. 3. Der Kältetod des isolierten Muskels erfolgt bei der Wanderratte zwischen . —6,20° und — 6,30° G,, beim Igel zwischen . . . ...—6,85° und — 6,92° C., - bei der Hauskatze zwischen. . — 9,40° und — 9,80° C.!) 3a. Wird der isolierte Rattenmuskel in einer isotonischen Traubenzuckerlösung zum Gefrieren gebracht, so wird sein Todespunkt noch unter —7,3° C., also um mehr als 1°, herabgesetzt. 4. Je weiter der isolierte Muskel abgekühlt wird, desto eher tritt die Totenstarre ein; auch wenn der Muskel nicht bis zu seinem Todespunkt abgekühlt war, wird er eher totenstarr als ein nieht gefrorener Muskel. Werden ein Ratten-, ein Igel- und ein Katzenmuskel bis zu einem gleichen Kältegrad abgekühlt, so tritt nach dem Auftauen die Totenstarre zunächst am Igelmuskel, darauf am Rattenmuskel und zuletzt am Katzenmuskel auf. 9. Die sehr häufig kurz vor dem Gefrieren eintretenden geringen Unterkühlungen von einigen Zehnteln Grad Celsius schädigen 1) Anhangsweise sei hinzugefügt, dass nach einigen von mir ausgeführten Versuchen die Muskeln des Meerschweinchens weniger widerstandsfähig gegen Abkühlung sind als die der anderen genannten Tiere; sie sind noch er- heblich empfindlicher als die der Ratte. 324 W. A. Hoyer: den isolierten Muskel nicht nachweisbar. Stärkere Unterkühlungen von mehreren Graden vermögen jedoch den Muskel sehr empfindlich zu schädigen. 6. Wenn der Muskel vor seiner Abkühlung nicht isoliert wird, sondern im lebenden Tier verbleibt und nach vollendeter Abkühlung wieder durchblutet wird, so vermag diese nachfolgende Durchblutung die Kälteschädigung des an seinem Gefrierpunkt durchgefrorenen Rattenmuskels, ja sogar die einer weiteren Abkühlung bis zu —2°C.im Laufe mehrerer Stunden vollständig wieder aufzuheben. Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für Igel und Katze. Bei noch weiterer Abkühlung wird die Kälteschädigung durch die nachfolgende Durehblutung ‚bei‘ allen drei Versuchstieren zwar nicht aufgehoben, aber doch bedeutend vermindert. Mit der Zeit schreitet dann bei nicht zu stark ab- gekühlten Muskeln die Besserung noch weiter fort. 7. Den Kältetodespunkt des Muskels vermag die nach- folgende Durchblutung nicht nach unten zu verschieben, auch der wieder durchblutete Muskel ist tot bei der Ratte nach einer Abkühlung bis auf — 6,3° C. beim Igel R h 5 he DE bei der Katze „ Ä a » 9». 10,0° °C. Literaturverzeichnis. 1) R. Pictet, Archives des sciences phys. et naturelles. 3 Ser. t. 30 p. 293. 1895. 2) A. Horvath, Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1873 S.3. — A. Horvath, Verhandl. d. Würzb. med.-physik. Gesellsch. Bd. 4 S 12. 1873. 3) Du Bois-Reymond, Untersuchungen über tierische Elektrizität Bd. 2 H.1 S. 181. Berlin 1849. 4) v. Bunge, Lehrb. d. Physiol. d. Menschen Bd. 1 S. 305. Leipzig 1901. 5) E. Heubel, Pflüger’s Arch. Bd. 45 S. 563ff. 1839. 6) Cameron und Brownlee, The effect of low temperatures on cold-blooded. animals. Quarterly Journ. of Experim. Physiol. vol. VII. 1913. 7) P. Jensen und Fischer, Biochem. Zeitschr. Bd. 20 S. 162—165. 1909. — P. Jensen und Fischer, Zeitschr. f. allg. Physiol. Bd. 11 S. 90f. 1910. — P. Jensen und Fischer, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 S. 297f. 1909. — H. W. Fischer, Gefrieren und Erfrieren in F. Cohn’s Beitr. z. Biol. d. Pflanzen Bd. 10 S. 133. '8) Brunow, Zeitschr. f. allg. Physiol, Bd. 13 S. 368ff. 1912. 9) Waller und Reid, Philosoph. Transact. Roy. Soc. of London vol. 178 p- 215. 1887. . 1899, und Bd. 67 Iow Ber, a. Dentsch. Batsn- Gesellsch, Ba. 30 S.57 ff., 2931. und Merehend Handb d alle. Pathol. Bd.1 8.112 Leipzig a rs | F sr 2 f \ * t } f - | EN ; 4 r v 1 des auergestreifien Säugetiermuskels 329 3236 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) Über die nach zentraler Reizung zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. Eine kritische Studie zur Frage: Zuckerstich und Nebennieren. Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Mit 1 Textfigur.) Die Erfahrung, dass ein Problem, welches auf den ersten An- hieb befriedigend gelöst scheint, sich bei weiterer Behandlung kompliziert, und dass sich dessen Lösung mit der wachsenden Zahl der Untersuchungen immer mehr hinausschiebt, ist nicht neu. Diesen bemerkenswerten Verlauf hat auch die seinerzeit schon scheinbar klarliegende Frage nach den Beziehungen zwischen Zuckerstich und Nebennierenfunktion genommen. Der Umstand, dass nunmehr be- reits eine Fülle von Untersuchungen hierüber vorliegt, und dass die über die erwähnten Beziehungen von verschiedenen Seiten aus- gesprochenen Meinungen einander ‘oft scheinbar widersprechen, recht- fertigt es nicht nur, sondern macht es zu einem Bedürfnis, Ex- perimente und Anschauungen. zusammenfassend vorzubringen und gegeneinander abzuwägen. Eine solche Darstellung soll vor allem Jenen, welche auf dem reichen, mit den zu besprechenden Dingen eng zusammenhängenden Gebiete arbeiten, den Stand der Frage erschliessen und in ihrem, ebenso wie der Fernerstehenden Interesse verhindern, dass, wie es jetzt vielfach geschieht, ein einzelner Be- fund oder eine besondere Meinung sogar ohne genaue Prüfung als endgültige und unbestreitbare Lösung des Problems präsentiert wird. Und wie immer, so bedürfen auch hier die vielen, aus den in Rede stehenden Beziehungen entspringenden weiteren Fragen zu ihrer künftigen experimentellen Bearbeitung der Klarheit über den der- zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 3237 zeitisen Stand unseres an sich und auch im Hinblicke auf die viel- fachen benachbarten Probleme überaus interessanten Gegenstandes. I. Exstirpation der Nebennieren. Die Idee, es könnte die Tätigkeit der Nebenniere ein Glied in jener Kette von Ereignissen sein, welche nach Claude Bernard’s Pigüre am Boden des IV. Ventrikels zu dem Auftreten von Zucker im Harne führt, stammt von Blum!), dem Entdecker der Wirkung in den Tierkörper eingeführten Adrenalins auf den Kohlehydratstoff- wechsel. „Der Nebenniereudiabetes ähnelt am meisten der Glykosurie bei der Pigüre, von der zu untersuchen ist, ob sie nicht auf dem Umweg über die Nebenniere erst auf die Leber einwirkt.“ 5 Jahre später führte Andr& Mayer?) eine Serie von Versuchen am Kanin- ehen durch, welche zu dem Resultate führte, dass nach Exstirpation beider Nebennieren der Zuckerstich keine Glykosurie hervorrief. Es handelte sich hier um akut ausgeführte Experimente, bei denen der Zuekerstich unmittelbar der einzeitig ausgeführten Exstirpation beider Nebennieren folgte. Seltsamerweise fand A. Mayer bei allen 25 derart behandelten Kaninchen genügend viel Harn in der Blase vor, um zu konstatieren, dass der Harn zuckerfrei war. Erfahrungs- gemäss verursacht nämlich ein so schwerer, transperitoneal aus- geführter Kingriff eine vielstündige Anurie. Indessen konnte ich ®) mich bei zwei Tieren, bei welchen es gelang, ausnahmsweise etwas Harn aus der vor der erwähnten Operation sorgfältig entleerten Blase zu gewinnen, davon überzeugen, dass auch hier der Harn zuckerfrei war. Auch von Landau) sind solche Versuche mit dem gleichen _ Resultate beschrieben worden. Um nun den so störenden Übelstand der Anurie nach dem Ein- eriffe und auch später zu erwäbnende Einwände zu vermeiden, habe ich dann die Nebennieren zweizeitig exstirpiert und gefunden, dass auch 1—2 Wochen nach der Exstirpation der zweiten Nebenniere 1) F. Blum, Über Nebennierendiabetes. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 71. Oktober 1901. 2) A. Mayer, Sur le mode d’action de la pigtüre diabetique. Compt. rend. de la soc. de biol. 1906 p: 1123. 3) R.H. Kahn, Zur Frage nach der inneren Sekretion des chromaffinen Gewebes. Pflüger’s Arch. Bd. 128 S. 519 (551). 1909. 4) E. Landau, Experimentelle Nebennierenstudien. Diss. Dorpat 1908. Diese Arbeit kenne ich nur aus dem Referate in Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 S. 96. 3238 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung der Zuckerstich keine Glykosurie zur Folge hatte. Trotz dieser Er- fahrungen habe ich damals die Frage nach der Art des ursächlichen Zusammenhanges zwischen der Operation an den Nebennieren und dem Ausbleiben der Zucekerstichelykosurie offen gelassen, so wie ich heute noch der Ansicht bin, dass aus derartigen Exstirpations- versuchen allein eine bestimmte Aussage hierüber überhaupt nicht gemacht werden kann. Manche Zweifel aber klärten sich doch bezüglich der ursächlichen Beziehungen zwischen Exstirpation und Ausbleiben der Zuckerstich- folgen durch weitere Arbeiten. O.Sehwarz!') stellte fest, dass bei der Ratte nach der doppel- seitigen Nebennierenexstirpation das- Leberglykogen schwindet. Dieser Befund wurde von mancher Seite in dem Sinne verwertet, dass das Ausbleiben der Zuckerstichglykosurie nach der Exstirpation einfach durch den Glykogenmangel erklärt werden könnte. Tat- sächlich konnte ich mit Starkenstein?) die genannte Tatsache an der Ratte bestätigen, zugleich aber am Kaninchen nachweisen, dass hier nach zweizeitiger Epinephrektomie (auch bei langdauerndem Überleben der Versuchstiere) der normale Glykogenbestand erhalten war. Diese Tiere, welehe die zweizeitige Operation bis zu einem Jahre überlebten, befanden sich dabei wohl, nahmen an Gewicht zu und unterschieden sich von gesunden Tieren nur dadurch, dass der Zuckerstich bei ihnen nicht von der gewöhnlichen Glykosurie gefolgt war. Dagegen konnte am Hunde bereits 3 Stunden nach der Ex- stirpation der Nebennieren eine bedeutende Reduktion des Glykogen- bestandes der Leber erhoben werden, ein Befund, welcher schon früher von Porges?) an diesem Tiere neben ausgesprochener Hypoglykämie mitgeteilt worden war. Diese letzteren Resultate werden nicht wundernehmen, wenn man bedenkt, dass auch die zweizeitige Nebennierenexstirpation gerade beim Hunde einen un- 1) ©. Schwarz, Über Stoffwechselstörungen nach der Exstirpation beider Nebennieren. Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 259. 1910. 2) R.H.Kahn und E. Starkenstein, Über das Verhalten des Glykogens nach Nebennierenexstirpation. Pflüger’s Arch. Bd. 139 S. 181. 1911. 3) 0. Porges, Über den Einfluss der Nebennierenexstirpation auf den Blutzucker. Wiener klin. Wochenschr. 1908 S. 1798. — 0. Porges, Hypo- glykämie bei Morbus Addisonii sowie bei nebennierenlosen Hunden. Zeitschr. f. Klin. Med. Bd. 69 H. 3/4. 1909. — O0. Porges, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 70 H. 8/4. 1910. Ä zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 329 gemein schweren und ausnahmslos rasch tödlich verlaufenden Eingriff darstellt, bei einem Tiere, welches sich übrigens erfahrungsgemäss allen Eingriffen gegenüber bezüglich seines Glykogenbestandes sehr labil verhält. Es stellte sich also heraus, dass an dem besonders geeigneten Versuchstiere, dem Kaninchen für das Versagen des Zuckerstiches nach Nebennierenexstirpation nicht als einfache Ursache der Mangel an Glykogen in der Leber verantwortlich gemacht werden kann. Damit erschien also die Ansicht von Schwarz sowie dievon Bayer), es sei im Glykogenmangel die Ursache des Versagens des Zuckerstiches beim Kaninchen zu suchen, hinfällig. Zugleich ergab es sich, dass weder die Ratte noch der Hund geeignete Versuchstiere zur weiteren Bearbeitung der ganzen Frage darstellen. Den wichtigen Befund des Erhaltenbleibens des Glykogen- bestandes bei epinephrektomierten Kaninchen zu bestätigen, ist Kosch?) nicht geglückt. Es gelang ihm nämlich nicht, diese Tiere nach der vollständigen Exstirpation beider Nebennieren länger als 2 Tage am Leben zu erhalten, auch wenn er die Operation zweı- zeitig durchführte. Er ist selbst der Meinung: „Diese kurze Lebens- dauer der nebennierenlosen Kaninchen bedeutet für die Untersuchung etwaiger Stoffwechselstörungen nach Nebennierenexstirpation ein grosses Hindernis; denn Untersuchungen, die bald nach der Epi- nephrektomie angestellt werden, können, wie verschiedentlieh nach- gewiesen wurde, wegen der Schwere des Eingriffes und wegen der stattgefundenen Narkose grosse Fehlerquellen in sich bergen, während andererseits Untersuchungen sub finem vitae ebenfalls als nicht ein- wandirei angesehen werden können.“ Solehen Betrachtungen ist gewiss zuzustimmen, denn es liegen die Verhältnisse hier beim Kaninchen ebenso, wie es oben vom Hunde erwähnt wurde. Das Tier, welches dem operativen Eingriffe in kürzester Zeit erliest, verliert moribund seinen Glykogenbestand, wie auch Kosch an ‚einigen ‚Beispielen zeigt. Trotzdem also Kosch die Möglichkeit einer Nachprüfung meiner 1) G. Bayer, Die normale und pathologische Physiologie des chromaffinen Gewebes der Nebennieren. ‚Lubarsch-Ostertag, Ergebn. d. path: Anat. Bd. 14 S. 116 d. Sep.-Abdr. 1910. 2) 0. Kosch, Über die Beziehung der Nebenniere zum Kohlehydrat- und Cholesterinstoffwechsel. Arch. f. exper. Pathol. Bd. 77 S. 432. 1914. — Siehe ‚auch: W. Hueck, Zentralbl. f. allgem. Pathol. Bd. 25 S. 397. 1914. | Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 22 330 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung und Starkenstein’s Befunde gar nicht möglich wurde, äussert er sich doch sehr absprechend über diese. Er findet. es befremdend, dass wir nur in zwei Fällen den Glykogenbestand untersucht haben, ferner dass in einem Falle bei der Sektion ein Epithelkörper (nämlich ein 1><2 mm messendes Körperchen) an Stelle der linken Neben- niere und in dessen Umgebung einiges chromaffines Gewebe ge- funden wurde. Dass gerade in diesem besonders gerügten Falle der Zuckerstich ohne Folgen geblieben war (9 Monate nach der Ex- stirpation), erwähnt Kosch ebensowenig als die Sektionsbefunde anderer, nach mehreren Monaten getöteter Tiere, welche die Ab- wesenheit makroskopisch sichtbarer Epithelkörper im Bauchraume ereaben. Er singt vielmehr das alte Lied aller Jener, denen die Kaninchen nach der doppelseitigen Exstirpation stets nach kurzer Zeit eineingen, von dem Verdachte auf unvollständige Exstirpation. Von mangelhafter Exstirpationstechnik in meinen Nebennieren- untersuchungen kann gar keine Rede sein. Seit 8 Jahren beschäftige ich mich mit solchen Operationen und habe jahrelang (mit Ausnahme der letzten Kriegszeit) im Institute einen kleinen Vorrat nebennieren- loser Kaninchen gehalten. Auf solche Weise standen zu den ver- schiedenen Untersuchungen stets einige Tiere, welche die beider- seitige Exstirpation seit Monaten überlebt hatten, zur Verfügung. Die von einer Reihe von Autoren erwähnte geringe Widerstands- fähigkeit nebennierenloser Kaninchen war gelegentlich zu beobachten. Es kommt vor, dass nach starken körperlichen Anstrengungen (Hetzen beim FEinfangen usw.) solehe Kaninchen rasch ohne erkennbare Ur- sache zugrunde gehen, auch der Koitus wird ihnen manchmal ver- hängnisvoll. Indessen habe ich bereits zweimal nebennierenlose Weibchen von nebennierenlosen Männchen trächtig werden sehen. I. a) Kaninchen, 2, 2500 e. 4. April 1914. Exstirpation der rechten Nebenniere. Dabei mussten infolge besonders ungünstiger anatomischer Verhältnisse die Gefässe der rechten Niere unterbunden werden. 28. Mai 1914. 2700 g. Exstirpation der linken Nebenniere. Das Organ zeigt eine ungewöhnliche Grösse). 1) An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass ich in den vielen Fällen der zweizeitigen Operation (Intervall meistens I—2 Monate) entgegen den zahl- reichen Angaben anderer Untersucher im allgemeinen keine bemerkenswerte Hypertrophie des zurückgebliebenen Paarlings konstatieren konnte, so dass ich persönlich von der als so wichtig oft hervorgehobenen „vikariierenden“ Hyper- x zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 331 b) Kaninchen, d, 1900 g. 13. Dezember 1913. Exstirpation der rechten Nebenniere. 12. Februar 1914. 2800 g. Exstirpation der linken Nebenniere, Dabei Verletzung des grossen, hinter dem oberen Nebennierenpole gelegenen Lymphgefässes. Das Tier lebte einige Monate. (Todestag leider nicht notiert.) Das Weibchen wurde von diesem Männchen trächtig, trug die Föten aus und starb am Tage, da es werfen sollte, am 11. Juli 1914, aus unbekannter Ursache. II. a) Kaninchen, 9, 660 8. g 10. Mai 1913. Exstirpation der rechten Nebenniere. 7. Juli 1913. 1500 g. Exstirpation der linken Nebenniere. b) Kaninchen, &, 460 g. ‚ 14. Mai 1913. Exstirpation der rechten Nebenniere. - ( 7. Juli 1913. 1150 g. Die linke Nebenniere wird vollständig isoliert, die Nerven und arteriellen Gefässe durchschnitten und das Organ frei an der Vene hängend in der Bauchhöhle zurückgelassen. 2. Oktober 1913. Das Tier ist mager und an Räude erkrankt, welche zu dieser Zeit im Stalle grassierte. 29. Januar 1914. Das Tier stirbt an Räude, Die Sektion ergibt neben den, die Todesursache darstellenden Erscheinungen (namentlich der Respirationsorgane), an Stelle der linken Nebenniere ein hanfkorngrosses, hartes, bräunliches Knötchen aus Rindensubstanz. Das Weibchen wurde am 2. Oktober 1913 mit dem Männchen in einer Abteilung isoliert. Am 15. November 1913 wurde es trächtig befunden und warf am 23. November 1913 acht Junge (5 d, 3 2). Die saugenden Jungen lebten bis zum 21. Dezember, dann gingen sie an der Räude ein, welcher auch die Mutter am 26. Februar 1914 gleich dem Vater erlag. Ich kann es mir nicht ,versagen, an dieser Stelle noch etwas genauer auf die in unserer Frage herrschenden Verhältnisse ein- zugehen. Bei Kaninchen habe ich die Nebennierenexstirpation stets per laparotomiam vorgenommen. Nur auf solche Weise gelangt man zu dem unbedingt nötigen Überblick über das Operationsfeld, ge- winnt die Sicherheit der vollkommenen Exstirpation und ist in der Lage, die jeweiligen Nebenverletzungen zu beurteilen. Dabei wird für die rechtsseitige Operation der Diekdarm vor die Bauchwunde gewälzt und in feuchte, warme, sterile Tücher gepackt, während der trophie des Paarlings als einer regelmässigen Erscheinung nicht überzeugt bin. Vermutlieh besitzt übrigens der Organismus — speziell der höheren Tiere — für den Ausfall des einen Paarlings auch noch andere Regulationsmöglichkeiten als blosse kompensatorische Hypertrophie. 22 * 333 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung übrige Darın bedeckt und nach links verdrängt wird. Für die Ope- ration auf der linken Seite genügt die breite Freilegung des Ope- rationsfeldes durch Verdrängung. der bedeckten Eingeweide. Ich habe alle Nebennierenexstirpationen ohne Narkose ausgeführt. Stärkere Schmerzreaktion verursacht erfahrungsgemäss fast nur die Durchschneidung des Peritoneums unter den Bauchdecken. Eine Reihe von Experimentatoren, darunter auch Kosch!), führen besonders die Anwendung einer Klemme bei der Exstirpation der mit der hinteren Wand der Vena cava breit verlöteten rechten Nebenniere an, um dadurch ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Vermeidung einer Zurücklassung von Nebennierenresten hervor- zuheben. Ein solches Vorgehen ist ganz selbstverständlich. Jeder Kenner der rechten Nebennierengegend wird wissen, dass eine voll- ständige Entfernung der kaudal gerichteten Spitze der Nebenniere ohne Mitnahme der Venenwand ganz ausgeschlossen ist. Hierin liegt aber auch der heikelste Punkt der ganzen rechts- seitigen Operation. Nicht als ob die Gefahr der Verengerung der Vena cava besonders zu fürchten wäre; die Grösse derselben hängt von dem zweckmässigen Bau der Klemme und der Kunstfertigkeit des Operierenden ab. Aber von der entsprechenden Ausführung dieses Aktes wird das Schicksal des rechten Splanchnieus bestimmt. Noch im Jahre 1911 war ieh der Meinung, die Schonung dieses Nerven sei auf der rechten Seite ganz unmöglich. Das ist nicht richtig. Denn dieser Nerv, welcher hinter (dorsal) der rechten Nebenniere herabzieht und sich topographisch-anatomisch sehr ver- schieden verhält, kann bei der Mobilisierung des Organes präpariert werden und ist nur in dem verhältnismässig seltenen Falle verloren, in welchem er sich völlig in das kaudale Ende der Nebenniere. ein- senkt. In den anderen Fällen (zwei Varietäten scheinen typisch zu sein) lässt sich die Nebenniere von ihm abtrennen. Die Exstirpation der linken Nebenniere ist relativ einfach zu bewerkstelligen, hat aber ebenfalls eine Klippe, deren Umschiffung nach meiner Erfahrung wichtig ist. Dorsal vom oberen Pole der linken Nebenniere findet sich eine grosse Lymphzysterne, deren Ver- letzung von üblen Folgen für das Tier zu sein scheint. Ich habe 1) Siehe auch H. Freund und F. Marchand, Über die Beziehungen der Nebennieren zu Blutzucker und Wärmeregulation. Arch. f. exper. Pathol. Bd. 72 S. 56. 1913. zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 333 stets den Eindruck gehabt, dass die Eröffnung derselben ein un- eünstiges Vorzeiched für das Überleben des doppelseitig operierten Tieres ist. Diese verschiedenen Punkte führe ich nicht etwa deshalb an, um aus deren Nichtbeachtung die Ursache herzuleiten, warum es vielen Untersuchern nieht gelingen will, doppelseitig epinephrekto- mierte Kaninchen am Leben zu erhalten. Fremde Versuche lassen sich bekanntlich, wenn man sie nicht gesehen hat, kaum beurteilen. Aber ich vermute, dass die verschiedenen Resultate in Einzelheiten der Operationstechnik, vielleicht zum Teile auch in der Behandlung. und Haltung der Tiere liegen dürften. Es seien noch einige Bemerkungen über das Schicksal der vielen seit Jahren doppelseitig operierten Tiere angeschlossen. Es sind durchaus nicht alle längere Zeit am Leben geblieben. Die Erfahrung, dass Kaninchen auch nach zweizeitiger Operation oft nach einigen Tagen ohne besondere Erscheinungen eingehen, habe auch ich ge- macht. Nie habe ich behauptet, dass alle so operierten Tiere lange Zeit überleben. Tatsache aber ist, dass eine ganze Reihe von Tieren die Operationen glatt überlebten, viele Monate lang bei sorgsamer Pflege gediehen, wuchsen, an Gewicht zunahmen, sich fortpflanzten, normalen Glykogenbestand aufwiesen und auf den Zuckerstich nicht mit den gewöhnlichen Folgen reagierten. Die Sektionen habe ich stets sorgfältig gemacht. In vielen Fällen (natürlich nicht in allen; siehe zum Beispiel den oben erörterten Versuch II) fand sich an den Orten der seinerzeitigen Nebennieren keine Spur eines Organes. Die Oberfläche der Nieren, die Zwischennierengegend, die inneren Geschlechtsorgane wurden sorgfältig ohne positiven Befund abgesucht. Niemals ist es natürlich auszuschliessen, dass irgendwo ein steck- nadelkopfgrosser Interrenalkörper verborgen liegt, wie solche Kosch in: einem Sektionsbefunde eines Tieres, das als einzige Ausnahme 21 Taee lebte, in der Zweizahl neben den Ovarien auffand. Schwer- lieh aber, glaube ich, kann man von einem solchen minimalen Organe erwarten, dass es an Stelle der beiden Nebennieren das Leben des Tieres und seinen Glykogenbestand dauernd erhalten könne. Grössere „Rindennebennieren“* aber sind nicht leicht zu übersehen. Auch solche habe ich an doppelseitig operierten Tieren gefunden, die grössten und auffallendsten im März 1916 bei einem Tiere, bei welchem die beider- seitige Exstirpation zweizeitig ganz tadellos ohne Zurücklassung auch der geringsten Reste ausgeführt worden war. Es fanden sich in der 334 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung Gegend der linken Nebenniere beiderseits der Einmündung der Nieren- vene in die Vena cava zwei Interrenalkörperchen (etwa 1 und 2 mm im Durchmesser) und rechterseits an der Cavawand zwei noch kleinere Körperchen aus Epithelgewebe. Alle diese waren zur Zeit der Ex- stirpationen ganz bestimmt nicht vorhanden. Schliesslich erinnere ich mich — leider ist darüber kein Protokoll vorhanden —, vor Jahren nach beiderseitiger, vollkommener Exstirpation bei einem Kaninchen, welches nach etwa 1!/ Jahren getötet wurde, einen grossen, wohl 5 mm im Durchmesser messenden Epithelkörper in der Gegend der rechten Nebenniere, welcher bei der Exstirpation sicher nicht übersehen worden war, vorgefunden zu haben. Endlich noch ein Wort über das Verhalten der Paraganglien der Bauchhöhle. Niemals habe ich an Tieren nach doppelseitiger Nebennierenexstirpation einen Befund erheben können, welcher auf eine Hypertrophie des chromaffinen Gewebes des Retroperitoneal- raumes hingedeutet hätte. Das bei Kaninchen so: charakteristische Paraganglion aorticum abdominale schien mir im Gegenteile öfters abnorm klein oder besonders schwach chromiert. Wir kehren nunmehr wieder zu der Frage nach dem Verlaufe der Zuckerstichfolgen beim Kaninchen nach Nebennierenexstirpation zurück und beschäftigen uns mit den Untersuchungen von Freund und Marchand!), welche nach diesen Eingriffen den Blutzuckergehalt und das Leberglykogen untersuchten. Die Versuchstiere, denen die Nebennieren in einzeitiger Operation entfernt wurden, überlebten die- selbe nur kurze Zeit. Hervorhebenswert sind vor allem die Glykogen- befunde. Es zeigte sich, dass das Leberglyiiogen zunächst reichlich in der Leber des nebennierenlosen Tieres vorhanden blieb und erst kurz vor dem Tode rasch verschwand. Das ist eine Erscheinung, welche wiederum darauf hinweist, dass der Glykogenschwund hier ebenso wie beim Hunde mit jenen Vorgängen zusammenhängt, welche nach vorangesangenem relativ langen Wohlbefinden des Tieres den gesamten raschen Verfall desselben bewirken. Das ist gewiss niehts Besonderes und mit dem Verhalten der Ratte (Schwarz) gar nicht vergleichbar. Denn bei dieser findet sich die auffallende Erscheinung, dass trotz des völligen Wohlbefindens, in welchem die Ratte die doppelseitige Exstirpation lange Zeit überlebt, ihre Leber. ü ' 1)H. Freund und F. Marchand, Über die Wirkungen des Zucker- stiches nach Nebennierenexstirpation. Arch. f. exper. Pathol. Bd. 76 S. 324. 1914. I zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 335 an Glykogen ungemein verarmt. Weiters fanden Freund und Marchand in keinem ihrer Fälle nach dem Zuckerstiche, welcher der Nebennierenexstirpation ‚2—3 Stunden später angeschlossen wurde, eine Glykosurie. ' Der interessanteste Teil der Untersuehungen von Freund und Marchand bezieht sich auf das Verhalten der Glykämie nach dem Zuckerstiche. Vor allem interessiert uns der Umstand, dass die Nebennierenexstirpation von einem ausserordentlichen Anstiege des Zuckergehaltes des Blutes gefolgt sein kacrn, eine Erscheinung, welche Freund und Marchand im Anhange an ihre ersten beiden Versuche der fortlaufenden Blutzuckeruntersuehung nach Neben- nierenexstirpation nebenbei erwähnen. Indessen ist sie gerade in dem ersten dieser beiden Experimente nicht vorhanden. In den weiteren Versuchen ist die Hyperglykämie mit Ausnahme eines der- selben (Nr. 5) stets zu beobachten. (Der Versuch 13 zeigt von Anfang au abnorm niedrige Blutzuckerwerte: 0,011.) Der Blut- zucker erreicht in einzelnen Fällen enorme Höhen, bis zu 0,305 %o. Ähnliche Befunde haben übrigens Freund und Marchand!) schon früher einmal gemacht. Kurze Zeit nach der Nebennierenexstirpation bzw. Kauterisation zeigten sich hohe bzw. hyperglykämische Blut- zuckerweite, welche von den Autoren als Folgen der Laparotomie und Narkose betrachtet wurden. Dieses mögen auch zum Teile in den ersten und späteren Versuchen die auslösenden Momente ge- wesen sein. Tatsächlich ist der Blutzuckerwert in Versuch 12, bei welehem ausdrücklich ganz kurze Narkose angegeben ist, relativ gering (0,15°o). Eine andere, wie ich: glaube, nicht zu vernach- lässigende Ursache der Hyperglykämie nach Nebennierenexstirpation dürfte aber in der Auspressung vom Adrenalin durch die Manipulation an den Nebennieren gelegen sein. Ich?) habe selbst schon vor 5 Jahren darauf hingewiesen, wie sehr der anatomische Bau des Organes ein Hineingelangen adrenalinhaltigen Zellinhaltes in das Blut aus mecha- nischen Gründen begünstigt. In den zentralen Partien des Markes befinden sich nämlich sehr weite, ungemein dünnwandige venöse Ge- fässe, an deren Lumen. die adrenalinführenden chromaffinen Zellen 1) H. Freund und F. Marchand, Über die Beziehungen der Neben- nieren zu Blutzucker und Wärmeregulation. Arch. f. exper. Pathol. Bd. 72 8. 56. 1913. 2)R. H. Kahn, Zuckerstich und Nebennieren. -Pflüger’s Arch. Bd. 140 8. 209. 1911. 336 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung fast unmittelbar heranreichen. Die leiseste Kontinuitätstrennung der Venenwand wird das eben erwähnte Freignis zur Folge haben, und dieser Umstand kann bei der enormen Wirksamkeit des Adrenalins leicht spezifische Wirkungen des abströmenden Blutes bewirken. So besteht also die begründete Vermutung, dass die von Freund und Marchand so typisch erhobenen, abnorm hohen Blutzuekerwerte im unmittelbaren Gefolge ihrer Operationen an den Nebennieren im Wesentlichen nichts Anderes darstellen, als eine mechanisch ausgelöste Adrenalinhyperglykämie. Diese Erscheinung hat nun den weiteren Verlauf der Versuche einigermaassen unsicher gemacht. Etwa 2 Stunden nach der Neben- nierenexstirpation wurde der Zuckerstich nach Eckhardt ausgeführt. Die Resultate, dieser Versuche bringen Freund und Marchand zum Schlusse in einer Tabelle und stellen dieselben folgendermaassen dar: „Besonders auffallend sind die fast durchweg hyperglykämischen oder normalen Blutzuckerwerte kurz vor dem Tode bei ganz tiefer Körpertemperatur. Wenn wir die höchsten Werte nach den Stichen zusammenstellen, so finden wir: über 0,4% in 1 Versuch (Nr. 10), 0,3—0,4°/o in 2 Versuchen (Nr. 3 und 8), 0,2—0,3°/o in 3 Versuchen (Nr. 6, 7 und 11), 0,17—0,2 °/o in 2 Versuchen (Nr. 5 und 14), unter 0,17°/o in 4 Versuchen (Nr. 4, 9, 12 und 13). In sechs Fällen haben wir also hohe Hyperglykämie, in zwei Fällen deutliche Steigerung, in vier Fällen Werte an der oberen Grenze der Norm. Wenn wir mit Bang den Wert von 0,14% als Grenzwert annehmen, würden wir nur eine nicht hyperglykämische Blutzuckerzahl (0,135 °/o) in Versuch 4 haben. Da nach' Ban g und nach Bock und Hoffmann beim normalen Tier die Stichhyper- e]lykämie von weniger als 0,2°e im Minimum bis zu 0,4—0,5°0 im Maximum beträgt, sind unsere Zahlen schon für das normale Tier sicher ‘hoch.“ Endlich heben die Autoren hervor, „dass der Zuckerstich, auch wenn er keine hohe Hyperglykämie macht, das Absinken des Blut- zuckers aufhält, meistens geringe Steigerungen hervorruft, die sonst bei nebennierenlosen Tieren nicht vorkommen, und dass oft hoch- normale Werte noch kurz vor dem Tode gefunden werden — wenn die Temperatur ganz tief gesunken ist und alle Symptome des Nebennierenausfalles vorhanden sind“. zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 337 Man muss zweifellos zugeben, dass eine solche Darstellung die in den Versuchen von Freund und Marchand tatsächlich vor- handenen Verhältnisse nur sehr unvollkommen trifft. Eine Reihe von Umstärden, welehe für die Beurteilung der Versuchsresultate wichtig sind, erscheinen bei deren Bewertung gar nicht mit ver- arbeitet. In der folgenden Tabelle, welche (mit Hinweglassung des Verhaltens der Körpertemperatur) eine Erweiterung der von den Autoren gegebenen Übersicht darstellt, sind die für die Beurteilung der Versuche wichtigen Daten eingesetzt. Lebensdauer Blut- Mer Stunden Höchster Letzter Höchster Sucher | Blutzucker- | Blutzucker- | Blutzucker- ESCHE h der wert vor wert vor | wert nach ; = Erstir. nach dem |dem Stiche [dem Stiche |dem Stiche Se || pation Stiche 8 4 11/a 0,3 03 0,31 0,31 3 41 3 0,305 0,305 0,30 0,30 7 5 21/g 0,24 0,2 0,245 0,235 10 6" - 5 0,29 0,24 0,41 0,33 12 61/e 41/o 0,15 0,15 0,15 0,13 4 7 5 0,15 0,09 0,135 0,04 5 #9 7 0,125 0,125 0,175 0,09 6 14 12 0,18 0,16 0,20 0,08 13 15 13 0,014 0,009 0,145 er 11 17 1 0,2 0,11 { er N 005 , 9 24 22 0,19 0,16 0,155 =e ; 0,18% * 14 6 24-20 | 0,16 0,14 { 0.085 \ 0,03 Zunächst erhebt sich die Frage nach der Todesursache der Ver- suchstiere. Angenommen, dass sie alle ebenso wie die früher von Freund und Marchand operierten Tiere der Nebennieren- exstirpation zum Opfer gefallen wären, so sind doch die Überlebens- zeiten in einer Anzahl von Fällen so kurz, dass es zweifellos ist, - dass die Tiere dem Zuckerstiche oder der Kombination von Ex- stirpation und Pighre vorzeitig erlegen sind. Sie gingen also zu einer Zeit ein, zu welcher auch nach den Tabellen von Freund und Marchand (Versuche 1 und 2) von einer Hypoglykämie noch keine Rede ist. Gerade diese Fälle nun sind es, welche zur Zeit des Todes überaus hohe Blutzuckerwerte aufwiesen. Sie sind es aber auch, bei denen der Blutzuckerspiegel schon vor dem Stiche weit übernormal war. Es unterliest keinem Zweifel, dass, wenn in diesen Versuchen der Zuckerstich nieht ausgeführt worden wäre, sondern man die Tiere einfach zu den Zeiten, zu denen sie ein- 338 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung gingen, getötet hätte, gleichfalls hohe hyperglykämische Werte zu finden gewesen wären. In jenen Versuchen nun, in denen die Überlebenszeit keine allzu kurze gewesen ist, zeigte der Blutzuckerspiegel beim Tode , Werte‘ in der zweiten Dezimale zwischen 0,03 und 0,080. Das sind Befunde, welche den von Freund und Marcehand erhobenen an solchen Tieren ganz entsprechen, welche nach der doppelseitigen Nebennierenexstirpation relativ langsam eingegangen waren. Es ist unklar, wie die Autoren bei einer solchen Sachlage ihre Zusammen- fassung der Versuchsresultate mit den Worten beginnen können: „Besouders auffallend sind die fast durchweg hyperglykämischen oder normalen Blutzuckerwerte kurz vor dem Tode bei ganz tiefer Körpertemperatur.“ Hat nun der Zuckerstich in den Versuchen der Autoren eine Wirkung auf den Blutzucker gehabt? Gewiss. Aber keine der- artige, wie sie Freund und Marchand in ihrer Zusammen- fassung schildern. Ausserordentlich hohe Werte für den Blutzucker- anstieg nach dem Stiche sind in zwei Fällen bemerkenswert. In Versuch 10, in welchem nach der Nebennierenexstirpation eine Hyperglykämie bis zu 0,29°/0 eingetreten und nachher der Blut- zuckerstand auf 0,24°%0 abgesunken war, erhob sich derselbe nach dem Stiche sehr rasch, um nach 45 20’ den ausserordentlichen Wert von 0,41°/o zu erreichen. Nach 5h 20’, zu welcher Zeit das Tier starb, wurden immer noch 0,33°/o Blutzucker nachgewiesen. Der zweite besondere Fall ist Versuch 13. An einem Tiere mit spurweisem Blutzucker erfolgte nach dem Zuckerstiche eine rapid einsetzende, schon 35’ nachher den Wert von 0,105 erreichende Steigerung des Zuckerwertes, welche nach weiteren 45’ etwa den sonst hoch normalen Stand (0,145 0) erreichte, um 1 Stunde später wieder auf den minimalen Wert von 0,011 abzusinken. Wie man sieht, ist die nach dem Stiche eingetretene Höhe des Blutzucker- standes im ersten Falle (Versuch 10) absolut, im zweiten (Versuch 15) relativ ausserordentlich bemerkenswert. Jedoch ist nicht zu über- sehen, dass der Versuch 10 ganz aus dem Rahmen der übrigen Versuche herausfällt, der ‚Versuch 13 aber auf abnorme Verhältnisse des „normalen“ Kohlehydratstoffwechsels bei dem Versuchstiere hinweist... In zwei bis vier anderen Fällen zeigte sich überhaupt keine Wirkung des Stiches im Sinne einer Steigerung des Zucker- wertes, während in den übrigen Versuchen eine geringe Tendenz zur N EEE & Ze EL TER EEE RETTEN EDEN EN BT zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 339 Zunahme des Blutzuckerspiegels zu erkennen ist. Auch eine deutliche Verzögerung des durch die Nebennierenexstirpation zu erwartenden Verlaufes des Zuckerabfalles ist in manchen Fällen zu finden. Mit Ausnahme des merkwürdigen, oben erwähnten Versuches 10 ist aber von der hohen, durch den Stich verursachten Hyperglykämie, welche Freund und Marchand so hoch bewerten, gar keine Rede. Denn Steigerungen von 0,3°/o vorher auf 0,31 ° nachher (Versuch 8) oder von 0,2% auf 0,245°/o (Versuch 7) sind doch keine so ausser- ordentlichen Befunde. Die Tiere waren eben schon vor dem Stiche hoch hyperelykämisch. Endlich ist es bei der Beurteilung des Ver- laufes der Versuche mit dem Zuckerstiche nicht zu übersehen, dass es offenbar innerhalb gewisser Grenzen im späteren Verlaufe der Folgen der Nebennierenexstirpation allein gelegentlich zu vorüber- gehendem Anstiege des Blutzuckers kommen kann, wie das aus dem Versuche 1 der Autoren selbst hervorgeht. Wie dem auch immer sei, die Versuche von Freund und Marchand lassen allem Anscheine nach erkennen, dass der Zucker- stich beim Kaninchen, etwa 2 Stunden nach Exstirpation beider Nebennieren ausgeführt, eine deutliche, wenn auch meist nur geringe Steigerung des Blutzuckerspiegels bewirken kann. Dabei ist hervor- zuheben, dass auch bei den hohen, durch die Nebennierenexstirpation bewirkten Blutzuckerwerten ein Übertritt von Zucker in den Harn nieht stattgefunden hat. Auf die Bedeutung der ersteren Erscheinung kommen wir nach Besprechung anderer Versuche nochmals zurück. Bezüglich des letzteren Befundes aber ist hier darauf hinzuweisen, dass darin eine Erscheinung zu erblicken ist, welche auf Umstände zurückgeht, auf welche v. Fürth und Schwarz!) besonders auf- merksam gemacht haben. Diese Autoren zeigten nämlich, dass unter bestimmten Versuchsbedingungen Sehädlichkeiten verschiedener Art befähigt sind, das Zustandekommen einer Glykosurie zu verhindern. Denn sie fanden unter dem Einflusse künstlich erzeuster peri- tonitischer Reizung ein jähes Absinken des Harnstickstoffes und des Kochsalzes im Harne als Folgen einer Nierenschädigung. Ebenso kann auch trotz bestehender Hyperglykämie die Glykosurie aus- 1) ©. v. Fürth und €. Schwarz, Über die Hemmung der Suprarenin- glykosurie und der reflektorischen Nierenleistung durch peritoneale Reize. Bio- chemische Zeitschr. Bd. 31 8.113” 1911. — Siehe auch Wiener klin. Wochenschr. 1911 8. 115. 340 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung bleiben. Auf diese Umstände habe ich!) schon vor 6 Jahren bei‘ Besprechung der Erscheinung, dass der Zuckerstich an nebennieren- losen Kaninchen, welche die Operation viele Monate lang überstanden hatten, keine Glykosurie hervorruft, hingewiesen. Denn man kann wohl nicht annehmen, dass die von v. Fürth und Schwarz erhobenen Befunde sich auch nach so langer Zeit noch störend bemerkbar machen sollten. g Das Verhalten der Zuckerstichfolgen nach Nebennierenexstirpation ist nun weiters an der Katze und am Hunde untersucht worden. Wertheimer und Battez?) haben zunächst in sieben Fällen bei der Katze beide Nebennieren exstirpiert und sogleich den Zucker- stich angeschlossen. In drei von diesen sieben Fällen steliten. sie eine Glykosurie fest. Indessen haben die Autoren?) später selbst darauf aufmerksam gemacht, dass diesen Untersuchungen technische Mängel anhafteten. Sie haben daher solche Versuche in grosser An- zahl an Katzen und Hunden wiederholt. Die verbesserte Methode bestand darin, dass die Nebennieren in Spinalanästhesie mit Kokain durch Laparotomie entfernt wurden. Der Blasenhals wurde ab- gebunden und der Harn nach Schluss des Versuches untersucht. Von den 32 auf solehe Weise behandelten Katzen fand sich in drei Fällen eine erhebliche, in vier Fällen eine sehr geringe Zuckermenge im Harne vor. Nach der gleichen Versuchsanordnung wurde mit 35 Hunden experimentiert. In drei Fällen ergab sich ausgesprochene Glykosurie, in drei Fällen, welche schon vor den Versuchen Zucker im Harne hatten, eine Steigerung der Zuckermenge und bei drei weiteren Tieren eine deutlich positive Fehling’sche Reaktion. Bezüglich der Genese des Harnzuckers deuten die Autoren die Möglichkeit des Bestehens einer Adrenalinglykosurie durch mecha- nisches Auspressen der Nebennieren vor der Entfernung an, nehmen aber überhaupt keine Diskussion ihrer Versuchsresultate vor. Man könnte geneigt sein, auf Grund dieser Versuche ohne Weiteres anzunehmen, dass bei Hund und Katze der Zuckerstich nach der Nebennierenexstirpation nur selten und auch dann nur in I) A. a. ©., Pflüger’s Arch. Bd. 140. } 2) E. Wertheimer et G. Battez, Sur les nerfs glyco-seereteurs. Arch. int. de physiol. t.9 p. 363. 1910. 3) E. Wertheimer et G. Battez, Ablation des capsules surr@nales et pigüre du quatrieme ventricule chez le chat et chez le chien. Compt. rend. de la Soc. de Biol. t. 76 no. 13 p. 617. 1914. FE ENTER a zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 341 eeringem Maasse wirksam sei. Indessen liegen die. Verhältnisse der Versuchsanordnung von Wertheimer und Battez derartige, dass mit den Resultaten überhaupt kaum Etwas anzufangen ist. Die Mög- lichkeit der Einwirkung der Anästhesie und des Auftretens mecha- nisch ausgelöster Adrenalinhyperglykämie, der Nierenschädigung im Sinne von v. Fürth und Schwarz, dazu die bekannte Schwierig- keit und Schwere des Eingriffes, namentlich der Exstirpation der rechten Nebenniere bei diesen Tieren, und schliesslich der Umstand, dass der Hund, namentlich aber die Katze unter den verschiedensten Einflüssen zur Vermehrung des Blut- und Erscheinen des Harn- zuckers neigen, sind Faktoren, welche in diesen Versuchen in un- übersehbarer Weise kombiniert erscheinen. Nur mit erosser Vor- sicht könnte man höchstens in Anbetracht der sehr grossen Anzahl der Versuche, in denen die zahlreichen Versuchsfehler einander vielleicht einigermaassen ausgeglichen haben könnten, aussagen, dass der Zuckerstich am Hunde und der Katze ohne Nebennieren wenn ‚überhaupt, so doch nur von geringen Folgen begleitet ist. Sicherer aber, olaube ich, unterlässt man Schlüsse aus den Untersuchungen von Wertheimer und Battez gänzlich. Hier ist nun die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass auch eine Reihe anderer Eingriffe, welche Hyperglykämie und Glykosurie ver- ursachen, am nebennierenlosen Tiere in ihrer Wirksamkeit geprüft wurden. Die Störungen des Kohlehydratstoffwechsels nach intra- venöser Injektion von Diuretin bleiben nach den Untersuchungen von Pollak!) aus, wenn vorher beide Nn. splanchniei durchschnitten wurden. Die Diuretinwirkung verläuft also, wie Nishi?°) bestätigen konnte, nach dem Schema der Pigtre. Dieser Forscher hat nun weiters das Verhalten des Blutzuckers nach Diuretingaben an Kaninchen geprüft, denen die Nebennieren exstirpiert waren. Die Exstirpation erfolgte vom Rücken her, also extraperitoneal, ohne Narkose. Die Injektion von Diuretin wurde der Operation nach kurzer Zeit angeschlossen. Es ergab sich, dass die sonst nach Diuretin eintretende Hyperglykämie nach beiderseitiger Nebennieren- exstirpation ebenso ausblieb, wie nach Durchschneidung der vom 1) Leo Pollak, Kritisches und Experimentelles zur Klassifikation der Glykosurien. Arch. f. exper. Pathol. Bd. 61 S. 376. 1909. 2) M. Nishi, Über den Mechanismus der Diuretinglykosurie. Archs f. exper. Pathol. Bd. 61 S. 401. 1909. 342 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung N. splanchnieus bzw. Ganglion coeliacum zu den Nebennieren führenden Nerven. Weiters fand Nishi, dass ebenso hindernd wie die doppelseitige Splanehnikotomie auch bereits die Durchsehneidung des N. splanchnieus auf der linken Seite wirke, dass aber die Durch- . schneidung des rechten Splanchnieus ohne Einfluss auf den, Verlauf der Diuretinwirkung sei. Er fasste also seine Ergebnisse dahin zu- sammen, dass die Erregungsleitung im Falle der Diuretinvergiftung beim Kaninchen vom „Zuckerzentrum“ nicht zur Leber, sondern zu den Nebennieren verlaufe, indem sie die Bahn des linken N. splanch- nicus benutze. Die Untersuchungen von Nishi sind sehr elegant durchgeführt. Durch Zuckerfütterung wurde für einen reichlichen Glykogenbestand bei den Versuchstieren gesorgt, neben dem Blut- zucker wurde auch der Harnzucker koitrolliert. Besonders hervor- zuheben ist der Umstand, dass auch mehrere Tage nach der Ener- vierung der Nebennieren die Diuretinhyperglykämie ausblieb, ebenso mehrere Tage nach Exstirpation der einen und Enervierung der anderen Nebenniere. Eine Steigerung der Blutzuckerwerte durch die Operationen allein, Laparotomie, Abkühlung, Adrenalinauspressung war schon durch diese Maassnahme des langen Intervalles zwischen Operation und Injektion: ausgeschlossen. Weiter sind auch die Beziehungen zwischen dem imftieteh der lange bekannten Glykosurie nach Vergiftung mit Kohlenoxyd bzw. nach Erstickung zu den Nebennieren in mehrfacher Riehtung unter- sucht worden. Unter diesen Versuchen von Starkenstein!), auf welche wir später noch zurückzukommen haben werden, finden sich auch solche, welche zeigen, dass die Gasvergiftung am nebennieren- losen Tiere ohne Störung des Blutzuckerspiegels verläuft. Die Ver- suche wurden an Kaninchen ansestellt, welehe ich aus meinem Vor- rate lange die beiderseitige Operation überlebender Tiere Starken- stein zur Verfügung stellte. Die beiden Tiere hatten zur Zeit der Vergiftung mit Leuchtgas die zweite Operation (zweizeitige Neben- nierenexstirpation) seit 1 bzw. 2 Monaten bei voller Gesundheit überlebt. Die Untersuchung erstreckte sich auf das Verhalten des Blutzuckers nach der von mir?) angegebenen Methode der ge- 1) E. Starkenstein, Der Mechanismus der Adrenalinwirkung. Zeitschr. f. exper. Pathol. Bd. 10 S. 78. 1911. 2) R. H. Kahn, Eine Methode, sich rasch und einfach über das Verhalten des Blutzuckers zu orientieren. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 25 S. 106. 1911. zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 343 trennten Zuckerbestimmung im Kammerwasser der vorderen Augen- kammer. Dabei wird das Kammerwasser dem einen Auge vor, dem anderen nach dem zu prüfenden Eingriffe entnommen. Da der Zuekergehalt des Kammerwassers sich dem des Blutes sehr schön parallel ändert‘), besitzt man hierin eine einfache und sehr bequeme Methode (kein Eiweissgehalt!), um sich über das Verhalten des Blut- zuckers zu orientieren. Es zeigte sich in beiden Fällen, dass die fünf- bis achtmal wiederholte Leuchtgasvergiftung auf die Höhe des Blut- zuckerspiegels ohne jeden Einfluss blieb. Nebenbei sei bemerkt, dass die Tiere, welche jedesmal bis zum Umfallen vergiftet wurden, die Versuche überlebten. Eines derselben wurde 20 Tage später zu einem noch zu erwähnenden neuen Versuche benutzt. Einige Worte sind nun noch jenen Untersuchungen zu widmen, welche sich mit anderen, auch seit Langem bekannten Formen von Glykosurie in Hinsicht auf die eventuelle Bedeutung der. Nebennieren für ihr Zustandekommen beschäftigt haben. Cannon, Shohl und Wright?) haben den „Fesselungsdiabetes“ von Böhm und Hoff- mann?®) die „Emotional glyeosuria“, bei der Katze untersucht und auch der Rolle der Nebennieren hierbei ihr Augenmerk zugewandt. An drei Tieren haben sie so rasch als möglich die Nebennieren exstirpiert und festgestellt, dass trotz der starken Fesselung und „psychischen Alteration“ der Harn zuckerfrei blieb. Diese Versuche sind gewiss wenig beweisend, da bei der Schwere des Eingriffes speziell bei der Katze bindende Schlüsse aus der blossen Untersuchung des Harnes allein wohl nicht gezogen werden können. Weiters hat Me Guigan‘) Experimente an Kaninchen, Katzen und Hunden vorgenommen, um die Rolle der Nebennieren beim Zustandekommen der Salzglykosurie festzustellen. Dieser Autor kommt auf Grund der Injektionsversuche von NaCl und Na,SO, an epinephrektomierten Tieren zu dem Resultate, dass die Nebennierenexstirpation das Auftreten der Glykosurie beim Kaninchen verhindert, beim Hunde erschwert, bei der Katze aber nicht 1) Siehe auch: F. Ask, Über den Zuckergehalt des Kammerwassers. Bio- chemische Zeitschr. Bd. 59 S. 1. 1914. 2) W. B. Cannon, A. T. Shohl and W. S. Wright, Emotional Gly- cosuria.. Americ. Journ. of Physiol. vol. 29 p. 280. 1911. 8) R. Böhm und F. A. Hoffmann, Beiträge zur Kenntnis des Kohle- hydratstoffwechsels. II. Abt. Arch. f. exper. Pathol. Bd.8 S. 295. 1878. 4) Hugh Mc Guigan, Adrenalectomy and Glycosuria. Americ. Journ. of Physiol. vol. 26 p. 287. 1910. i 344 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung beeinflusst. Indessen handelt es sich auch hier um akut angestellte Versuche mit komplizierter Anordnung, bei denen bloss auf Harnzucker sefahndet wurde. Die Resultate dürften wohl hauptsächlich in den eingreifenden Operationen, nicht aber in dem Verluste der Neben- nieren begründet sein. Jedenfalls lässt sich etwas Sicheres darüber nicht aussagen. Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass nach Untersuchungen von Nishi!) die nach Blutentziehung eintretende sogenannte „Aderlass“- Hyperglykämie weder durch beiderseitige Splanchnieusdurchsehneidung noch durch Nebennierenexstirpation verhindert wird, so dass beim Zu- standekommen derselben eine Rolle der Nebennieren auszuschliessen wäre. Überbliekt man die geschilderten und besprochenen Unter- suchungen über das Verhalten der Folgen des Zuckerstiches und anderer zentral angreifender Einwirkungen an Tieren, denen die Nebennieren exstirpiert wurden, so muss man doch zweifellos zu der Ansicht gelangen, dass Beziehungen zwischen den Nebennieren und dem Auftreten der Störung des Kohlehydratstoffwechsels vorhanden sind. Die Versuche, welche zeigen, dass am Kaninchen Monate nach erfolgter doppelseitiger Nebennierenexstirpation der Zuckerstich keine Glykosurie hervorruft, die Experimente, welche an solchen Tieren das Auftreten der sonst regelmässigen Hyperglykämie nach der Kohlenoxydvergiftung vermissen lassen, weiters das Fehlen der Hyperelykämie am nebennierenlosen Kaninchen nach intravenösen Diuretingaben, dies alles spricht gewiss für das Vorhandensein eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Mangel der Nebennieren und dem Ausbleiben der gewohnten Störung des Kohlehydratstoff- wechsels nach diesen zentral wirkenden Eingriffen. Aber auch die geschilderten, technisch nicht so ganz klarliegenden Untersuchungen, welche am Kaninchen ohne Nebennieren im akuten Versuche keine oder nur eine geringgradige Wirksamkeit des Zuckerstiches auf den Zuckergehalt”des Blutes, ferner jene nicht ganz einwandfreien Ver- suche, welche bei Hund und Katze eine hochgradige Erschwerung 1) M. Nishi, Über den Mechanismus der Blutzuckerregulation. Arch. f. exper. Pathol. Bd. 61 S. 186. 1909. — Vgl. hierzu die Meinung‘ von Bang (J). Bang, Über den Mechanismus einiger experimenteller Hyperglykämie- formen usw. Biochem. Zeitschr. Bd. 58 S. 236. 1914), ‘es sei diese Glykosurie- form ebenso wie viele andere von der „psychischen Erregung“ abhängig. \ zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 345 des ekommens der Zuckerstichfolgen zum Resultate hatten, deuten darauf hin, dass den Nebennieren im Zuge der Auslösung der Glykogenmobilisierung als Folge der zentralen Einwirkungen eine bestimmte Rolle zufalle. Ich bin selbst niemals der Meinung gewesen, dass Exstirpations- versuche der geschilderten Art allein eine bestimmtere Aussage über die Art dieser Rolle-der Nebennieren ermöglichen könnten. Solche Versuehe bedürfen der Vergleichung mit den Resultaten von Ex- perimenten, welche, nach ganz anderer Methode angestellt, die Untersuchung der Nebennieren selbst während des Ablaufes der Folgen der erwähnten zentralen Eingriffe zum Gegenstande haben. Hierüber soll im Folgenden die Rede sein. ll. Funktionszustand der Nebennieren. Bei einer Reihe von Drüsen mit äusserer: Sekretion kennt man bekanntlich scharf charakterisierte verschiedene Zustände im histo- loeischen Verhalten ihrer Zellen, welehe es gestatten, die ruhende von der tätigen Drüse zu unterscheiden. Fasst man den chromaffinen Anteil der Nebenniere, das Mark, als eine Drüse mit innerer Sekretion auf, welche unter Nerveneinfluss Adrenalin an das strömende Blut ab- gibt — eine heute gut gestützte Anschauung, deren Stützen vor- zubringen hier nicht der Ort ist —, so liest der Gedanke nahe, nach Funktionszuständen dieses Organes zu fahnden, indem man solche Versuchsbedingungen setzt, unter denen eine besonders starke Funktionsausübung zu erwarten wäre. Und dies um so eher, als ja dieses Organ in zweierlei Hinsicht wohl charakterisiert erscheint, durch die Chromaffinität seiner Zellen und den Gehalt derselben an Adrenalin. Es wäre denkbar, dass das Nebennierenmark verschiedene Zustände seiner Funktion durch verschieden stark ausgesprochene oder lokal verschiedene Chromierbarkeit erkennen liesse. Ebenso könnten Änderungen des Adrenalingehaltes Licht auf den jeweiligen Funktionszustand des Organes werfen. Daraus ereäbe sich also die Möglichkeit, das Verhalten des Nebennierenmarkes nach künstlich gesetzten, gut definierten Eingriffen nach den erwähnten beiden Riehtungen hin zu untersuchen. Von diesem Gedankengange ausgehend, habe ich!) es seinerzeit unternommen, das histologische Verhalten und den Adrenalingehalt 1) R. H. Kahn, a. a. OÖ. Pflüger’s Arch. Bd. 140. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 23 346, R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung der Nebennieren desselben Tieres vor und nach dem Zuckerstiche zu untersuchen. Es wurde also folgender Versuchsplan aufgestellt: 1. Die Untersuchung erfolgt, indem die beiden Nebennieren desselben Tieres miteinander verglichen werden. Zu diesem Zwecke wird zu- nächst die eine Nebenniere mit der grössten Schonung exstirpiert und sogleich der Zueckerstich ausgeführt. Auf der Höhe der Glyko- surie wird dann die andere Nebenniere exstirpiert, und sodann werden beide völlig gleich weiterbehandelt. Endlich wird nach Unterschieden im Verhalten des Markes gefahndet. 2. Es wird je ein Splanchnicus durehsehnitten und sodann der Zuckerstich ausgeführt. Beide Neben- nieren werden gleichmässig weiterbehandelt und miteinander ver- glichen. 3. Es wird je ein Splanchnieus elektrisch gereizt und so- dann mit den beiden Nebennieren ebenso verfahren. Solche Unter- suchungen wurden an Serien von Kaninchen vorgenommen, nachdem die nötigen Kontrollversuche erledigt waren. Es stellte sich bei den Letzteren heraus, dass, wie es schon bekannt war [Battelli und Orp- stein), Tscheboksaroff?] und später auch noch von anderen Seiten [Elliott?)] bestätigt wurde, der Adrenalingehalt der beiden Neben- nieren desselben Tieres ganz der gleiche ist, und dass die beiden Organe, gleichmässig behandelt, auch die gleichen histologischen Bilder liefern. Ferner ergab sich, dass die blosse zweizeitige Ex- stirpation der Nebennieren, verbunden mit allen sonstigen Freignissen (Fesselung, Abkühlung usw ) allein, Organe liefert, bei denen das histologische Verhalten und der Adrenalingehalt ebenso gleich ist, wie bei gleichzeitiger Exstirpation. In dieser Hinsicht hat übrigens später Jarisch®) auf Grund von einigen Experimenten am Kaninchen in Äthernarkose angegeben, dass 41/a—5"/s Stunden ‚nach der Fx- stirpation einer Nebenniere die andere deutlich blässer chromiert gefunden wurde. Ja, in einem Falle fand er nach 5"/s Stunden und bei retroperitonealer Exstirpation vom Rücken her das Mark der zweiten 1) F. Batelli et G. Ornstein, La suppleance des capsules surrenales au point de vue de leur richesse en adrenaline. Compt. rend. de la Soc. de biol. t. 61 p. 677. 1906. ar 2) M. Tscheboksaroff, Über sekretorische Nerven der Nebenniere. Pflüger’s Arch. Bd. 137 S. 59. 1910. 8) T. R. Elliott, The control of the suprarenal glands by the splanchnic nerves. Journ. of Physiol. vol. 44 p. 374. 1912. 4) A. Jarisch, Nebenniere und Zuckerstich. Zeitschr. f. exper. Pathol. Bd. 13 S. 520. 1913. EEE £ .ı) zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 347 Nebenniere „sehr schwach“ chromiert. Wie weit hier der Äther oder die Tatsache, dass beim Kaninchen vom Rücken her die Nebenniere, namentlich die rechte, wohl kaum ohne erhebliche mechanische Läsion exstirpiert werden kann, eine ursächliche Rolle gespielt haben, lässt sieh hier nur vermuten. Jedenfalls ist eine solche Erscheinung, wie auch Jarisch selbst in einem Falle festgestellt hat, vor Ablauf von 4 Stunden nie beobachtet, und tritt, wie ich glaube, bei sorgfältiger Beobachtung aller nötigen Maassnahmen auch später nicht ein.‘ Bei unseren Hauptversuchen waren die Tiere nicht narkotisiert, es wurde möglichst rasch, schonend und ohne jeden Blutverlust gearbeitet. Die histologische Untersuchung der Nebennieren erfolgte nach Chrom- fixation an gefärbten Schnitten, die Prüfung des Adrenalingehaltes im Blutdruckversuche am Kaninchen mit Injektion ganz gleichmässig her- sestellter Kochsalzextrakte. Die nach dem oben erwähnten Plane angestellten Versuchsreihen ergaben folgende Resultate: 1. Der Vergleich einer vor dem Zuckerstiche mit einer nach dem- selben exstirpierten Nebenniere ergibt hochgradige Veränderungen im - Marke des zweitexstirpierten Organes. Die Chromierbarkeit ist sehr gering, Vakuolenbildung und Körnchenschwund in den Zellen aus- gesprochen, der Adrenalingehalt bedeutend gesunken. Daneben an- gestellte Versuche, welche bloss darin bestanden, dass das Verhalten der Nebennieren nach dem Zuckerstiche untersucht wurde, ergaben eine ausgesprochene Verminderung der Chromierbarkeit und des Adrenalingehaltes. Indessen liessen sich nach der Methode der Vergleichung der beiden Organe viel charakteristischere und hoch- gradigere Befunde erheben. 2. Die Durchschneidung eines N. splanchnieus schützte die Nebenniere in charakteristischer Weise vor diesen im Gefolge des Zuckerstiches autretenden Veränderungen. Dieser Schutz bezieht sich aber nicht einfach auf den Nerven und das Organ der gleichen Seite. Vielmehr bleibt die linke Nebenniere nach Durehschneidung des linken Splanchnieus vor den durch den Zuckerstich bewirkten Veränderungen bewahrt, nicht aber die rechte. Nach Durchschneidung des rechten Splanchnicus ist die rechte Nebenniere nur unvollkommen vor den Veränderungen geschützt, die linke aber gar nicht. Die Ursache hierfür ist darin zu suchen, dass die linke Nebenniere nur von dem linken, die rechte aber sowohl von dem linken als auch von dem rechten Splanchnicus innerviert wird. Wie man sieht, stimmen 23 * 2348 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung _ diese Befunde mit den oben erwähnten Untersuchungsergebnissen von Nishi über die Verhinderung der Diuretinhyperglykämie durch Splanchnieusdurehsehneidung insofern überein, als sich auch in diesen letzteren auf einem anderen Wege herausstellte, dass der linke Splanch- nieus beim’ Kaninchen beide Nebennieren innerviere und der Inner- vationsanteil des rechten Splanchnieus verhältnismässig gering sei. 3. Die Resultate der Splanchnieusreizung bezüglich des Ver- haltens des Nebennierenmarkes waren sehr unbestimmt. In manchen Fällen konnten die oben beschriebenen Veränderungen nächgewiesen werden, in anderen war nichts davon zu finden. Das kann auch niet allzusehr verwundern, denn bei künstlicher Reizung des ganzen zum Organe führenden Nerven muss der jeweilige Zustand des Gewebes als das wechselnde Resultat der gleichzeitig in unbekanntem und un- bestimmbarem Verhältnisse sich abspielenden gegensätzlichen Prozesse des Aufbaues und Zerfalles betrachtet werden. Auch darf hier die Mög- lichkeit der gleichzeitigen Reizung nebenbei vorhandener Hemmungs- nerven keineswegs ausser acht gelassen werden. Solche sind ja für Drüsen mit äusserer Sekretion (Magen, Pankreas, Speicheldrüsen, Schweissdrüsen) bereits sicher erwiesen. - Überblickt man die Resultate dieser Versuche, so erhebt sich die Frage nach der Bedeutung der Veränderungen des Nebennieren- markes nach dem Zuckerstiche. Es liest der Gedanke überaus nahe, den geschilderten Zustand des Organes als einen Funktionszustand aufzufassen, den Adrenalinmangel als die Folge einer stürmischen Adrenalinabfuhr anzusehen und die Zellveränderungen dem Sinne nach jenen gleichzusetzen, welche in anderen Drüsen nach hoch- gradiger spezifischer, sekretorischer Funktion seit Langem beobachtet wurden. In dieser Auffassung wird man durch mehrere Umstände be- stärkt. Zunächst durch die mannigfaltigen Untersuchungen, welche in heute kaum mehr bestreitbarer Weise eine physiologische Abfuhr des Adrenalins mit dem Nebennierenvenenblute unter Nerveneinfluss feststellten. Sodann durch die Überlegung, dass der Adrenalinmangel, wollte man von einer Sekretion und Abfuhr desselben mit dem Venenblute absehen, nur mit der unwahrscheinlichen Annahme er- klärt werden könnte, dass diese Substanz am Orte ihrer Bildung auch wieder zerstört werde. Endlich durch den erwähnten Befund der viel bochgradigeren Veränderungen einer Nebenniere nach Ex- stirpation der anderen nach dem Zuckerstiche im Vergleiche mit dem Verhalten der beiden Organe nach dem Zuckerstiche allein. 05 ar ® Y zur Störung des Koblehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 349 Alles das lässt sich wohl am einfachsten. erklären, wenn man an- “nimmt, dass das Nebennierenmark durch deu Zuckerstich plötzlich auf dem Splanehnicuswege in übermässige Funktion versetzt wird, welehe in der stürmischen Absonderune von Adrenalin besteht und mit eharakteristischen Zellveränderungen einhergeht. Trendelenburg und Fleischhauer!), auf deren Unter- suchungen wir später ausführlich zurückzukommen haben werden, sind der Meinung, dass man die festgestellten Differenzen nicht als allein durch vermehrte Adrenalinabgabe bedingt auffassen dürfe. „Gerade die Tatsache, dass nach dem Zuckerstich die Chromierbar- keit der Nebenniere (neben dem Adrenalingehalt) so stark abnimmt, spricht vielleicht dafür, dass die Bildung des Adrenalins verlangsamt ist, denn die Chromreaktion ist kaum eine Reaktion mit dem fertigen Adrenalinmolekül.“ Es besteht gewiss kein Zweifel darüber, dass in unserem Organe Bildung und Abgabe des spezifischen Sekretes ebenso wie in allen Drüsen eine Rolle spielen. Beide Erscheinungen machen ja, niemals streng voneinander zu trennen, die Sekretion aus. Für das chromaffine Gewebe sind wir über die einzelnen Details, über die Bedeutung der Chromreaktion im Verhältnisse zum Adrenalin- eehalte, über das Verhältnis der chromaffinen Substanz zum fertigen Adrenalin sowie über das Wesen der Bildung beider vorläufig gar nicht unterrichtet. Wir wissen nur, dass die Chromreaktion keine Adrenalinreaktion ist, und dass sich Chromreaktion und Adrenalin- gehalt im Gewebe des herausgenommenen Organes mehr oder weniger voneinauder trennen lassen. Im Organismus selbst gehen beide Er- scheinungen im grossen und ganzen parallel. Beobachtet man unter bestimmten Verhältnissen bloss eine Abnahme der Chromreaktion Hand in Hand gehend mit einer Abnahme des Adrenalingehaltes, so liest schon hier der Schluss, es habe eine reichlichere Abgabe von Sekret stattgefunden, näher als der, es hätte die Bildung der spezifischen Drüsenprodukte gelitten. Charakterisiert sich jedoch darüber hinaus der Zustand des Gewebes durch Vakuolisierung der Zellen oft bis zum Verschwinden ihres Leibes, so liegt die Annahme nahe, es habe eine besonders rege Tätigkeit der sezernierenden Zellen, nicht aber eine verminderte stattgefunden. Bildung und Abfuhr des F ne”. pP. Trendelenburg und K. Fleischhauer, Über den Einfluss des Zuckerstiches auf die Adrenalinsekretion der Nebennieren. Zeitschr. f. exper. Med. Bd. 1 $.371. 1913. | 350 R. H. Kahn: Über die nach zentraler. Reizung Sekretes wird gesteigert gewesen sein (Funktionszustand). Soweit ‚sich aber in unserem Organe vielleicht doch die Bildung des Sekretes oder etwa einer Vorstufe desselben von seiner Abgabe oder einer Umbildung aus einer Vorstufe trennen liesse, liest doch kein Grund vor, zu glauben, dass unter nervösem Einflusse in unseren Versuchen, von den Experimenten mit direkter Reizung des Splanchnieusstammes abgesehen, eine Hemmung dieser Drüsentätigkeit stattgefunden habe. Tatsächlich haben die Autoren diese gekürstelte Annahme nur ge- macht, weil sie Gründe zu haben»glaubten, eine regere Ahgabe von Adrenalin in das Blut sei in derartigen Versuchen ganz ausgeschlossen. Wir werden später sehen, dass diese Gründe durchaus nicht stich- haltig sind. Neben den geschilderten Versuchen gibt es nun noch eine zweite - Untersuchungsreihe, welche sich mit den eben erörterten Dingen befasst. Borberg!) hat im Verlaufe seiner ausgedehnten Unter- suchungen über das chromaffine Gewebe auch dem Verhalten des Nebennierenmarkes nach dem Zuckerstiche seine Aufmerksamkeit ge- schenkt. An fünf Kaninchen wurde der Zuckerstich ausgeführt und 3!/s—24 Stunden nach demselben die Chromfärbung der beiden Nebennieren untersucht. Es stellte sich heraus, dass nach 3V/2 Stunden - die Chromfärbung des Markes stark abgeschwächt war, nach 24 Stunden aber fehlte sie mehr oder weniger vollkommen. Neben diesen Be- funden am Paraganglion suprarenale liess sich weiter erheben, dass auch in anderen Paraganglien die Chromreaktion leicht vermindert war. Vergleicht man diese Befunde mit den oben erwähnten, von mir erhobenen, so ‚stellen sie sich in gewisser Beziehung als weit- gehender heraus. Denn ich konnte bei der Untersuchung der beiden relativ kurze Zeit nach dem Zuckerstiche konservierten Nebennieren zwar eine für den Kenner deutliche Abnahme der Chromierbarkeit feststellen, welche mir aber mangels eines entsprechenden Versgleichs- objektes nicht genügend beweiskräftig erschien. Mit aus diesem Grunde unternahm ich ja die Vergleichung der vor dem Stiche ‘ exstirpierten mit der nach demselben verbliebenen Nebenniere. Die Versuche von Borberg zeigen aber, dass nach Ablauf eines Tages 1) N. C. Borberg, Das chromaffine Gewebe. Nebennierenuntersuchungen. II. Skand. Arch. Bd. 28 S. 91. 1913. — Aus einem Referate im Zentralbl. d. exper. Mediz. Bd.2 S.79. 1912, ist zu ersehen, dass ein Teil dieser Befunde nebst anderen in der Dissertation des Verfassers, Kopenhagen 1911, unter dem Titel: „Indre Sekretion det Kromafine Vaeus“ mitgeteilt worden ist. zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 351 / nach dem Zuckerstiche die Verarmung des’ Markes beider Organe an chromaffiner Substanz so hochgradig wird, dass sie offenbar als Fehlen der Chromierbarkeit ohne weiteres erkennbar ist. Auch bezüglich der übrigen Paraganglien scheint die Sache so zu liegen, dass längere Zeit nach erfolgreichem Zuckerstiche eine Ab- nahme der Chromierbarkeit beobachtet werden kann. Von Borberg wurde eine leichte Schwächung der Chromfärbung im Paraganglion aorticum abdominale in mehreren Fällen nach 24 Stunden festgestellt. Ich selbst konnte, wie in den Versuchsprotokollen bemerkt ist, aller- dings bloss bei makroskopischer Betrachtung, nichts Besonderes "konstatieren. Auch hier ist mir der Mangel eines sicheren Vergleichs- objektes hinderlich erschienen. Die Sache ist deshalb von erheblicher - Wichtigkeit, weil sie die Frage betrifft, ob die sogenannten freien - Paraganglien funktionell dem Paraganglion suprarenale gleichzustellen sind. Dass sie sich durch erheblichen Adrenalingehalt auszeichnen, ist ja längst festgestellt, und für das Paraganglion aorticum ab- dominale des Hundes glaube ich!) noch einen Schritt weiter zyr funktionellen Gleichstellung desselben mit dem Nebennierenmarke sekoimmen zu sein, indem ich auf Grund besonderer Experimente die Adrenalinabfuhr aus seinen venösen Gefässen als recht wahr- seheinlich hinstellen konnte. Indessen wäre es doch sehr erwünscht, in Fällen besonderer Befunde betreffs Funktionsleistung des Neben- nierenmarkes nachzuweisen, dass sich die Teilnahme an dieser auch auf die freien Paraganglien erstreckt. Ich verfüge in dieser Beziehung über eine Reihe von Befunden an einem anderen paarig vorhandenen Paraganglion, dem Paraganglion intercaroticum (Karotisdrüse). Bei der Katze und dem Affen, also bei Tieren, deren Karotisdrüse wegen ihrer relativen Kompaktheit ein einigermaassen angreifbares Objekt darstellt, habe ich ebenfalls mit der Methode der Vergleichung beider Organe vor und nach gewissen Eingriffen nach einer sinnfälligen Ver- schiedenheit des Funktionszustandes gesucht. Gewisse besondere Be- ‚ funde haben sich auch schon herausgestellt, indessen ist hier eine einwandfreie Technik so schwierig und die Zahl der Fälle noch so gering, dass ich mich vorläufig damit nieht an die Öffentlichkeit ge- traue. Jedenfalls sind die Befunde Borberg’s am Paraganglion aorticum sehr bemerkenswert. 1) R. H. Kahn, Studien an Paraganglien. Pflüger’s Arch. Bd. 147 S. 445. 1912. 352 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung Noch ein weiterer Punkt der Untersuchungen Borberg’s ist hervorzuheben. In einer Reihe von Fällen wurde das Nebennieren- mark nach Anbringung verschiedener Läsionen des zentralen Nerven- systems untersucht. Weder nach Verletzung des Grosshirnschenkels, des Temporallappens, des Stirnlappens vor dem Streifenhügel noch bei „erfolelosem“ Zuckerstiche des verlängerten Markes, also nach Ver- letzung nicht genau an der Zuckerstichstelle, wurde eine Änderung der Chromreaktion des Nebennierenmarkes beobachtet. Solche Fest- stellungen sind in Hinsicht auf Untersuchungen, auf welche wir noch zu sprechen kommen, nicht zu übersehen. Was die Deutung seiner Befunde anlangt, so ist Borberg der Meinung, dass der Zuckerstich eine zu totaler „Ermattung“ führende Hypersekretion des Nebennierenmarkes verursacht, während die . übrigen Paraganglien weit weniger beeinflusst werden. In der Folge hat dann Jarisch!) am Kaninchen ebenfalls eine Reihe von Versuchen nach dem Schema der meinigen mit dem gleichen Erfolge angestellt. Nach dem Zuckerstiche fand sieh an den beiden vorher und nachher exstirpierten Nebennieren ein ausserordentlicher Unterschied in der Chromierbarkeit des Markes. 4 Stunden nach dem Stiche war die Chromierung des zweitgewonnenen ÖOrganes sehr schwach oder fehlte ganz. Auch 2—2!/a Stunden nach- her, zu einer Zeit, zu welcher auch unter den Versuchsbedirgungen von Jarisch die ohne sonstigen Eingriff im Körper belassene Neben- niere keinen Unterschied gegenüber der exstirpierten aufwies, bewirkte der Stich eine bedeutende Abnahme der Chromierbarkeit. Merk- würdig ist es, dass in den sechs Stichversuchen von Jarisch nur in zwei Fällen Glykosurie auftrat. Das deutet auf eine erhebliche Schädigung der Nieren hin, welche trotz der doch sicherlich auf- getretenen Hyperglykämie keinen Zucker durchliessen. In drei Versuchen hat Jarisch 2—4!/a Stunden nach dem Stiche beide Nebennieren konserviert und gefunden,. dass nur in einem Falle nach 4!/e Stunden das Mark nach der Chromierung bloss mittelstark gefärbt war. Auf diesen einen Befund legt er mit berechtigter Vor- sicht keinen Wert. Aber wie aus meinen und Borberg’s eben erwähnten Untersuchungen hervorgeht, dürfte hier doch der Beginn des bei längerem Zuwarten auch in solchen Fällen man Funktionszustandes angedeutet sein. 1), A kamıschu ar ar. 08 S zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 353 Haben nun die geschilderten Versuche von mir und Borberg wie auch von Jarisch für das Kaninchen augenfällige Befunde am Nebeunierenmarke nach dem Zuckerstiche erbracht, so konnten eine weitere Reihe von Untersuchungen diese Resultate in mancher Hin- sicht erweitern. Zunächst habe ich!) bei der Katze festgestellt, dass nach demselben Versuchsplane angestellte Experimente zu dem gleichen Erfolge führen wie beim Kaninchen. Auch hier weist das chromaffine Gewebe der Nebenniere nach dem Zuckerstiche eine ganz ausgesprochene Verminderung der Chromierbarkeit auf. Während makroskopisch oder bei schwacher Vergrösserung das Mark der zu- erst exstirpierten Nebenniere einen stark braungelben Farbenton be- ‚sitzt, ist das Mark der Nebenniere nach dem Zuckerstiche nur sehr blass gefärbt. Bei stärkerer Vergrösserung erkennt man in dem ersteren Organe breite, mit braungelben Körnchen vollgepfropfte Zellbalken, im letzteren nur spärliche blassgelbe Inseln. Die Prüfung des Adrenalingehaltes der Nebennieren, welche am Froschpräparate nach Laewen-Trendelenburg vorgenommen wurde, ergab in Analogie mit den Kaninchenversuchen eine sehr bedeutende Ver- mipderung des Adrenalingehaltes nach dem Zuckerstiche. Ferner hat Starkenstein?) mit der Methode der Vergleichung bei Kaninchen und Hunden nach Vergiftung mit Leuchtgas, Kohlenoxyd und auch nach mehrfacher Erstickung bis zum Verschwinden der Reflexe die gleichen Befunde erheben können. Die chromierbare Substanz des "Markes war geschwunden, der Adrenalingehalt nach diesen Eingriffen, welche zentral wirkend Hyperelykämie und Glykosurie verursachen, sehr vermindert. Es ist nicht ohne Interesse, noch zu erwähnen, dass auch ein Versuch am Hahre prinzipiell das gleiche Resultat bot. Es zeigte sich an diesem Tiere, dass die chromaffinen Intermediärstränge des der Nebenniere der Säuger entsprechenden Organes nach Leucht- gasvergiftung, welche von Glykosurie gefolgt war, verglichen mit dem Organe eines normalen Tieres, einen jausgesprochenen Mangel an ehromiertem Gewebe aufwiesen. Endlich ist noch zu erwähnen, dass ich®) wiederum mit der Methode der Vergleichung bei drei Affen . (zwei Makaken, einem Cynocephalus) ganz entsprechende Befunde nach 1) R. H. Kahn, Weitere Studien über die Nebennieren. Pflüger’s Arch. Bad. 146 S. 578. 1912. 2) E. Starkenstein, a.a. 0. 3) R.H. Kahn, a. a. O0. Pflüger’s Arch. Bd. 146. 354 R. H. Kähn: Über die nach zentraler Reizung mehrfacher Erstickung erheben konnte. Es zeigte sich bei Unter- suchung der Nebennierenextrakte am Froschpräparate eine sehr be- deutende Verminderung des Adrenalingehaltes der zweitexstirpierten Nebenniere in beiden so untersuchten Fällen. Weiter war bei dem einen derselben eine wenn auch nicht hochgradige Verringerung der Chromreaktion und eine hochgradige Durchsetzung der Zellen des Markes mit Vakuolen rach der Erstickung zu konstatieren. Im all- gemeinen waren aber die histologischen Befunde nicht so stark aus- geprägt, wie in den Versuchen an Katze und Kaninchen. III. Theoretisehes und Kritisches. Alle die bisher erwähnten Untersuchungen haben also die. für unsere Frage gewiss bedeutuugsvolle Tatsache erwiesen, dass zentral wirkende, zu Hyperzlykämie und Glykosurie führende Eingriffe im Marke der Nebennieren, ja, wie es scheint, auch in anderen Para- sanglien einen Zustand schaffen, welcher durch Abnahme bzw. Schwund der Träger der Chromreaktion in den chromaffinen Zellen, durch reichliche Vakuolenbildung und durch Abnahme des Adrenalin- sehaltes, als ein Funktionszustand besonderer Art charakterisiert ist. Je nach verschiedenen, in den Versuchen gegebenen Umständen stellt sich die Ausprägung dieses Funktionszustandes verschieden stark dar. Bei genügsender Intensität des Eingriffes und entsprechend lange Zeit nach demselben ist die Veränderuug so hochgradig, dass sie den Schluss zulässt, es habe sich in dem Organe eine besonders starke, be- sonders rasch verlaufende, also „stürmische“ Funktion abgespielt. Die erwähnten Befunde konnten an verschiedenen Tierarten (Kaninchen, Hund, Katze, Affe) und bei solchen Eingriffen (Zuckerstich, CO- und Leuchtgasvergiftung, Erstickung) festgestellt werden, welche alle das Gemeinsame haben, dass ihre Folgen, Glykogenmobilisierung in der Leber, Hyperglykämie, Glykosurie nach Durchschneidung der Nn. splanehniei ausbleiben, welche man also hauptsächlich schon aus diesem Grunde als bezüglich dieser Folgen zentral wirkend bezeichnet. Das Vorhandensein dieser Befunde wurde auch in einer Reihe späterer Untersuchungen !), welehe in anderem Zusammenhange noch zu besprechen sein werden, durchaus bestätigt. 1) Eine hübsche Methode der Herstellung von Präparaten, welche einen wesentlichen Punkt des eingetretenen Funktionszustandes im Nebennierenmarke. zeigen und als Demonstrationsobjekt von dauerndem Werte sind, haben J. Negrin y Lopez und E. Th. v. Brücke (Zeitschr. f. biol. Technik Bd. 3 S. 311. fr Pr Zt mi [on a E fr 3 |, re ae Su | va Fr 0% ’ Mr E- es Ehihyäistsietwececs ilrenden Vorcuer. 355 ist klar, dass man sich also bezüglich der Genese des Funktions- = im Nebennierenmarke nach diesen Eingriffen vorzustellen la: derselbe auf jenem Nervenwege ausgelöst werden muss, sr vom zentralen Nervensystem zum Organe hinführt, auf dem e des N. splanchnieus. Denn eine Reihe hier nicht weiter zu Untersuchungen hat zunächst gezeist, dass das Mark t e tatsächlich von diesem Nerven sekretorisch innerviert Be ee die mehrfach erwähnten Befunde, dass die ınktion verhindert, ebenfälls im gleiehen Eu Neben diesen E seien aueh noch die Versuche von Elliott") erwähnt, eı ‚dieser an der Katze derart anstellte, dass nach einseitiger -hnie isdurebsehneidung der Effekt verschiedener Eingriffe auf ie enmark dadureh geprüft wurde, dass aus den Nebep- ae Extrakte im Vergleiche mit einer bekannten z von Suprarenin im Blutdruckversuehe quantitativ bezüglich er Gehalte an Adrenalin ausgewertet wurden. Es handelte sich > ebenfalls um die Vergleiehung ‚der beiden Organe desselben es. Es ergab sieh bei diesen Untersuchungen, dass bei der ze „psyehische Erregung“ („fright“), langdauernde Narkose, trische Beizung sensibler Nerven oder des zentralen Nerven- ‚ms eine mehr oder weniger bedeutende Abnahme des Adrenalin- es jener Nebenniere zur Folge hatten, deren Splanehnieus war. Das Verhalten des Blut- bzw. Harnzuekers wurde hier _ weiter berücksichtigt. Endlich aber gelingt es, wie schon räbnt, auch bei künstlicher Reizung des N. splanehnieus, wenn h ı in weehselndem Maasse, ähnliche, kurz als „Funktionszustand* ammengefasste Erscheinungen hervorzurufen, wie jene, welche en Die auf dem von mir eingeschlagenen Wege zweizeitig vor nach dem Zuckerstiche exstirpierten Nebennieren desselben Tieres werden m ganzen nach Spalteholz aufgehelt. Man gewinnt auf diese Weise, wie h mich seitdem selbst überzeugt hahe, sehr anschauliche Präparate, weiche 2 grossen Unterschied in der Chromierbarkeit des Nebennierenmarkes durch en a ht ee Maex 5 saeir dem Gräde Ber Ciussnserung, onen ' dunk a opaken Kern bildet. Die intensiv gelbe Färbung der Rinde, welche ee u sch mac meiner Frtahermig Ansch kunge sndnmernien aschen mit Wasser nach der Chromierung sehr herabsetzen. DT ER Elliott, a. a 0. Journ. of Physiol vol 44 356 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung nach den oben erwähnten zentralen elykogenmobilisierenden Ein- griffen zu beobachten sind. Das ist in meinen Experimenten ebenso der Fall gewesen wie beiBorberg.. Auch Elliott hat bei Katze und Hund nach Splanchnieusreizung eine Verminderung des Adrenalin- gehaltes der entsprechenden Nebenniere konstatiert. Wie man sieht, handelt es sich bei allen im vorigen Abschnitte unserer Erörterungen erwähnten Befunden um eine Erscheinung, welche in nicht zu bestreitender Weise darauf hinweist, dass im Gefolge einer Reihe zentral einwirkender Eingriffe bei allen unter- suchten Tierklassen eine auf dem genau feststellbaren, der Neben- niere zugehörigen normalen Nervenwege ausgelöste, rasch sich voll- ziehende und zu hochgradiger Sekretverarmung führende Abgabe von Adrenalin aus dem Nebennierenmarke stattfindet. Nichts liegt näher als die Annahme, dass das auf solche Weise dureh das Blut den Organen zugeführte Adrenalin seine spezifischen, aus den toxi- kologischen Versuchen der künstlichen Einverleibung in den Tier- -körper bekannten Wirkungen in jenem Maasse ausübt, welches der Menge und den Verhältnissen seines Auftretens im Blute entspricht. . Da die erwähnten ‚zentral einwirkenden Eingriffe Hyperglykämie und Glykosurie auf Kosten des Leberglykogens zur Folge haben, und die nervösen Verbindungsbahnen zwischen Ursache und Wirkung hier auf dem sympathischen Splanchnieuswege verlaufen, gewinnt natürlich ein bestimmter Punkt der toxikologischen Adrenalinwirkung, nämlich die glykogenmobilisierende Eigenschaft des Adrenalins, besonderes. Interesse. Es scheint mir die Vermutung völlie berechtiet zu sein, dass zwischen der Adrenalinabgabe aus dem Nebennierenmarke und den Erscheinungen am Kohlehydratstoffwechel für unsere Fälle be- stimmte ursächliche Verknüpfungen gefunden werden müssten, welche sich also nicht bloss auf den Zuckerstich, als den am besten defi- nierten zentralen Eingriff, sondern auf alle jene zentral wirkende Maassnahmen beziehen würden, in deren Gefolge mehr oder weniger hochgradig Hyperglykämie und Glykosurie anftritt. In der Annahme, dass die Glykogenmobilisierung nach den Zuckerstiche und den übrigen erwähnten Eingriffen mindestens zu einem grossen Teile durch Mitwirkung des chromaffinen Gewebes, vor Allem der Nebennieren direkt hervorgerufen werde, kann man durch die im ersten Abschnitte unserer Erörterungen geschilderten Untersuchungsresultate nur bestärkt werden. Dort haben wir ge- sehen, dass am Kaninchen Monate nach erfolgter doppelseitiger Be Be TEE RE j ne Se I? ERBE zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 357 Nebennierenexstirpation weder der Zucekerstich noch die CO-bzw. Leuchtgasvergiftung eine Glykosurie hervorrufen, weiters dass am nebennierenlosen Tiere jede Hyperglykämie nach intravenösen Diuretingaben vermisst wird. Neben diesen ganz einwandfreien Fällen, welche am Kaninchen eigentlich gar keine andere Erklärung als die Annahme der grössten Wichtigkeit der Nebennieren für das Eintreten der Folgen des Zuckerstiches und der übrigen zentralen Eingriffe zulassen, weisen auch die sonstigen erwähnten Befunde in die gleiche Richtung. Denn sie ergeben die Tatsache, dass am neben- nierenlosen Kaninchen der am besten definierte und wohl wirksamste zentrale Eingriff, der Zuckerstich auch im akuten Versuche wenn - überhaupt, so doch in der Regel nur eine relativ geringe Erhöhung des Blutzuckergehaltes hervorbrinet, und dass bei anderen Tierarten — aber diese Versuche sind technisch nicht einwandsfrei angestellt —- nach Epinephrektomie das Zustandekommen der Zuckerstichfolgen zum Mindesten hochgradig erschwert ist... Bei anderen Eingriffen (Vergiftung) konnte auch Monate nach dem Nebennierenverluste keine Hyperelykämie nachgewiesen werden. Schliesslich ist hier noch zu bedenken, dass das nebennierenlose Tier immer noch chromaffines Gewebe besitzt, von welchem eine, wenn auch viel ge- ringere, aber qualitativ der des Nebennierenmarkes entsprechende Leistung kaum sicher in Abrede gestellt werden kann. Denn, wie oben erwähnt wurde, ist vorläufig die Annahme nicht unbegründet, dass die freien Paraganglien in funktioneller Hinsicht dem Marke der Nebenniere gleichzustellen sind, wenn auch ihre Leistungsfähigkeit beim Säuger noch weit unter der einfach ihrer relativ gerineen Masse entsprechenden anzusetzen sein dürfte. Tatsächlich konnte nach dem Zuckerstiche am Kanincher eine Abnahme der Chrom- -» wirkung an ihnen festgestellt werden. ; Hält man nun alle die gewürdigten Befunde zusammen, so muss man mit der vergrösserten Zahl der bezüglichen Untersuchungen zu einer noch schärferen Fassung der schon vor 5 Jahren von mi r!) und Starkenstein?) vertretenen Vorstellung kommen, welehe dem Nebennierenmarke beim Zustandekommen der spezifischen Folgen des Zuckerstiches und der anderen zentralen Eingriffe eine hervor- ragende, wenn auch nicht die einzige Rolle zuweist. Folgende An- l) A.a. OÖ. Pflüger’s Arch. Bd. 146. 2) A. a. 0. Zeitschr. f. exper. Pathol. Bd. 10. 358 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung schauung trägt, wie ich glaube, den verschiedenen experimentellen Befunden vollkommen Rechnung. { Es erscheint heute allgemein angenommen und durch” eine Reihe hier nicht weiter zu erörternder Befunde hinreichend gestützt, dass der Angrifispunkt des Adrenalins für seine spezifischen Wir- kungen in erster Linie an den sympathischen Nervenendisungen !) zu suchen ist. Diese Organe in der Leber können durch alleinigen Einfluss des Adrenalins in so ausreichendem Maasse in Erregung versetzt werden, dass sie eine ihrer wichtigsten Funktionen die Aus- lösung der in ihrem Wesen nicht genau bekannten Vorgänge, welche zur Mobilisierung des Leberglykogens führen, ausüben; dies wird durch die Adrenalinelykosurie ohne Weiteres bewiesen. Schon ausser- ordentlich geringe Adrenalindosen, im toxikologischen Versuche dem Tiere einverleibt, steigern den zweifellos dauernd in geringem Grade vorhandenen Einfluss (Tonus) der Nervenendigungen zu abnorm wirksamer Grösse. Und besonders leicht oder rasch und wohl‘ schon in ungemein geringer Dosierung wird das Gift in diesem Sinne wirken, wenn der an sich schon vorhandene Funktionszustand seiner Angriffspunkte eine übernormale Grösse besitzt. Eine solche „Erhöhung“ des schon normalerweise vorhandenen Tonus lässt sich zentral durch einen der erwähnten Eingriffe, am nachhaltigsten wohl durch die mechanische Verletzung am Boden des vierten Ven- trikels wohl durch direkt der Leber zulaufende Bahnen erzielen. So wird der nervös bedingte „Zucker*-Tonus neurogen gesteigert und dadurch gleichsam eine wirksame Vorbereitung der Nerven- enden für die chemische Reizung geschaffen. Diese letztere wird nun durch das Adrenalin bewirkt, welches infolge gleichzeitig aus- gelöster, auf dem gleichen Nervenwege (Splanchnieusfasern) ver- mittelter, die normalen Verhältnisse weit überschreitender Sekretions- tätigkeit des chromaffinen Gewebes der Nebennieren und wohl auch anderer Paraganglien genügend reichlich in das kreisende Blut ge- langt. Es handelt sich also hier nicht etwa einfach um eine doppelte Reizwirkung, eine blosse Summation des auf dem direkten Nerven- 1) Wenn wir hier und im Folgenden von „sympathischen Nervenendigungen“ sprechen, so soll damit für die genaue Lokalisation des Angriffspunktes des Giftes nichts präjudiziert sein. Aber für unsere Betrachtungen ist es gleich- gültig, ob als Angriffspunkt die Nervenendigung oder die zellulo-neurale, rezeptive Substanz oder. gar das Protoplasma der Zelle des Erfolgsorganes selbst be- trachtet wird. | _— zur Störung des Kohlehydratstofiwechsels führenden Vorgänge. 359 wege der Leber zugeleiteten und des durch das Adrenalin aus- gelösten Erregungszustandes. Vielmehr wird für die chemische Ein- wirkung des Adrenalins an dessen Angriffspunkten in den Leber- —_ zellen zentral-neurogen ein derartiger ZustanA gesetzt, wie er dem Mechanismus des Ablaufes jener Prozesse, welche der Auslösung der spezifischen Erregung durch das Adrenalin dienen, besonders gut entspricht. \ Es wird also gleichsam für die Adrenalinwirkung der Boden entsprechend vorbereitet. Es liest in dem Wesen einer solchen Vorstellung, dass der End- effekt, in unserem Falle die Glykogenmobilisierung, auch dann, wenn auch in beschränkterem Ausmaasse, vor sich gehen kann, wenn einer der beiden erwähnten Faktoren, der zentral-neurogene oder der endokrine, sehr zurücktritt oder ganz fehlt. Genügend starke Adrenalindosen werden eine wirksame Erregungsgrösse auch bei sehr geringem, zentrogenem Neurotonus der Endorgane in der Leber zuwege bringen, und umgekehrt kann auch bei sehr verminderter oder fehlender Adrenalinkonzentration von Blut und Gewebssaft eine ausreichende neurogene Steigerung des Tonus der Nervenenden einen gewissen Effekt auslösen. Die ganze Anschauung fügt sich, worauf wir am Schlusse unserer Erörterungen noch hinzuweisen haben werden, in den Rahmen viel weitreichenderer Betrachtungen von allgemeiner Bedeutung ein. Dementsprechend kann es also nicht wundernehmen, wenn in unserem speziellen Falle eine zentrale Einwirkung von der Be- deutung des Zuckerstiches auch nach Fxstirpation der Nebennieren, also nach dem Ausfalle des grössten Teiles der adrenalinspendenden Organe, gelegentlich von einer Erhöhung des Blutzuckergehaltes ge- folgt sein kann, wie uns vielleicht die oben besprochenen Versuche von Freund und Marchand gezeigt haben, oder wie es vermut- lieh in dem einen Versuche von Starkenstein!) der Fall war, welcher bei einem Kaninchen, anderthalb Monate nach der Neben- nierenexstirpation, infolge zweistündiger rhythmisch ausgeühter zen- traler Vagusreizung eine deutliche Hyperglykämie nachweisen konnte. An demselben Tiere war 20 Tage vorher bei der CO-Vergiftung keine Spur einer Hyperglykämie zu finden gewesen. Auch wäre es gar nicht verwunderlich, wenn es sich einmal zweifelsfrei heraus- 1) A. a. O. 360 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung stellen würde, dass es bei gewissen Versuchstieren leichter als bei anderen zum Wirksamwerden des gesteigerten neurogenen Tonus kommen kann. Vorläufig ist hierüber nichts Bestimmtes bekannt. Der Regel nach aber verhält sich die Sache so, dass die Glykogen- mobilisierung in der Leber nach dem Zuckerstiche und den anderen zentral wirkenden Eingriffen auf dem sympathischen Splanchnieus- wege direkt neurogen bedingt, aber durch die auf dem gleichen Wege bewirkte Adrenalinsekretion chemisch ausgelöst wird. Die Durchscehneidung der Splanchniei verhindert das Zustandekommen der spezifischen Folgen durch fast völlige Ausschaltung beider wesentlichen Faktoren. Ebenso wirkt in der Regel die Exstirpation beider Nebennieren durch Beseitigung des auslösenden Faktors, ohne jedoch das Auftreten der letzten Wirkung des zentralen Eingriffes unter allen Umständen völlig aufheben zu müssen. Die Durch- schneidung der vom N. splanchnieus stammenden, zur Leber ziehen- den sympathischen Nerven vermindert den Neurotonus der Endorgane in ausserordentlichem Maasse. Dementsprechend wird zu erwarten sein, falls derartige Experimente wirklich einwandsfrei ausgeführt werden können, dass dann die Wirksamkeit des Adrenalins eine geringere sein könnte. Bei pharmakologischen Versuchen kommt dieser Umstand wohl kaum in Betracht, weil die im allgemeinen zur Injektion verwendeten Dosen sehr hoch sind. Tatsächlich wird stets gefunden, dass auch nach Splanehnieusdurchschneidung die Ein- verleibung von Adrenalin glykosurisch wirksam ist. Eine geringere Wirksamkeit als bei intakten Nerven durch Bestimmung der Minimal- dosis experimentell zu erheben, scheint mir wegen der vielfachen, die Wirksamkeit mitbestimmenden Umstände ein kaum einwandsfrei durchführbares Problem zu sein. In unseren Fällen der zentralen Reizung jedoch wird wohl der Erfolge derselben nach „Leber- 'enervierung“ wechseln. Denn der nach Nervendurehschneidung er- übrigende Rest von „peripherem“ Tonus dürfte in verschiedenen Fällen und bei verschiedenen Tierarten verschieden gross sein, "und über die Abhängiekeit des Umfanges der Adrenalinsekretion von den Umständen der zentralen Reizung sind wir nicht unterrichtet. Man kann aber wohl erwarten, dass der Erfolg im Allgemeinen ein- treten werde. Über diesen letzteren Fall liegen ebenfalls einige Untersuchungen vor, deren Ergebnisse wir nun nach Erörterung unserer Anschauungen zu besprechen haben werden. Vorher ist jedoch noch einiger Experimente zu gedenken, deren zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 361 Resultat von ihrem Autor, der übrigens später selbst seine Meinung seändert hat, als gegen die Beziehungen zwischen Zuckerstich und Nebennieren sprechend gedeutet wurde. In vier Versuchen am Kaninchen hat Jarisch!) nach Exstirpation einer Nebenniere die „Vorbereitungsoperation für den Zuckerstich“ ausgeführt. Worin diese bestanden hat, wird nicht weiter erörtert, Auch wurde dem Verhalten des Blutzuekers keine Aufmerksamkeit geschenkt. Die Untersuchung der- zweiten Nebenniere im Vergleiche mit der ersten ergab die gleichen Unterschiede bezüglich der Chromreaktion wie bei den vollständigen Zuckerstichversuchen. Aus dem schon früher von uns gewürdigten Umstande, dass die beiden Nebennieren nach dem Zuckerstiche in seinen Untersuchungen nach 4 Stunden keine wesent- liche Abnahme der Chromierbarkeit aufwiesen, und den eben er- wähnten Befunden hat Jarisch den Schluss gezogen, „dass ein Ein- fluss des Zuckerstiches auf das Mark der Nebennieren nicht nach- weisbar sei“. Von einer solchen Beweiskraft seiner Versuche kann sar keine Rede sein. (Jarisch selbst ist übrigens auf Grund anders- artiger Untersuchungen, wie noch zu erörtern sein wird, sehr schnell zu der entgegengesetzten Meinung gelangt.) Denn die „Vorbereitungs- operation“, von der Jarisch nur angibt, dass sie mit Eröffnung des Duralsackes verbunden war, verursachte eben eine zentrale Reizung und als Folge derselben die Adrenalinausschüttung. Ob auch die neurogene Tonussteigerung in der Leber stattfand und Hyper- glykämie eintrat, hat Jarisch leider nicht untersucht. Er kon- statierte nur in weiteren (drei Versuchen, dass die einseitige Splanch- nieusdurchschneidung die entsprechende Nebenniere schützt. Die kurzen theoretischen Auseinandersetzungen. welche die Bedenken gegen die Beziehungen zwischen Zuckerstich und Nebennieren stützen sollen, sind schon deshalb wenig wert, weil Jarisch nur solehe Untersuchungen hervorhebt, von denen er glaubt, dass sie etwas für seine Meinung beweisen. Denn sonst hätte er zum Bei- spiel nicht von den beiden, oben von uns erwähnten Untersuchungen von Nishi bloss jene über die Aderlass-, gar nicht aber die sehr wichtige über die Diuretinhyperglykämie erwähnt. Hier ist Gelegenheit, einige Worte über den vermutlichen Ort der zentralen Reizwirkung auf die zur Hyperelykämie führenden Mechanismen vorzubringen. Der Ort der Zuckerstichreizung ist genau DIR, Jarısch,.a. 'a.'0. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 24 362 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung bestimmt. Die Verletzung am Boden des vierten Ventrikels etwa zwischen Akustikus- und Vagusursprung verursacht hochgradige Hyperglykämie und Glykosurie. Ob andere zentral wirkende Noxen, etwa CO oder Diuretin oder die Erstickung an sich, an der gleichen Stelle angreifen, wissen wir nicht. Für die Erstickung ist es ja ganz wahrscheinlich, da doch in deren Gefolge sich ein Erregungszustand über eine Reihe in der Zuckerstichgegend liegender Nervenkerne ausbreitet. Auch die seit Claude Bernard bekannte Tatsache, dass die zentrale Vagusreizung ausserordentlich glykosurisch wirkt, spricht zunächst eben dafür. Wie es mit dem „Fesselungsdiabetes“ von Böhm und Hoffmann, mit der „Aufregungsglykosurie“ der englischen und amerikanischen Autoren steht, ist bezüglich des Reiz- ortes ganz dunkel. Indessen kann man sich wohl vorstellen, dass die verschiedenen zentralen Einwirkungen auch an der Stelle des Zuckerstiches direkt wirksam werden und von dort eine Steigerung des Tonus der Nervenenden in der Leber auslösen. Die gleichzeitig zentral ausgelöste chemische Reizung durch das den Paraganglien entströmende Adrenalin scheint nicht eng auf die Stelle der Pigüre beschränkt zu sein. Allerdings bewirkt offenbar nicht jeder beliebige zentrale Eingriff eine rege Tätigkeit der chromaffınen Organe. So konnte Borberg') am Kaninchen zeigen, dass verschiedene Gehirn- läsionen durch Stiche in den Hirnschenkel, in die innere Kapsel, den Streifenhügel sowie Exstirpationen am Grosskirn ebensowenig einen bemerkbaren Funktionszustand des Nebennierenmarkes ver- ursachten, wie Läsionen des Rückenmarkes. Dabei trat auch keine Glykosurie auf, während die unter den gleichen Verhältnissen an- gestellten Zuckerstichversuche in jeder Hinsicht von Erfolg begleitet waren. Ebenso konnte in den Versuchen von Elias?) nach dem Wärmestiche in den Streifenhügel, wie es scheint, kein besonderer Befund in den Nebennierer erhoben werden. (Ob hier die Methode der Untersuchung allen Anforderungen entsprochen hat, ist bei der Kürze der Publikation nicht zu ersehen.) Elliott?) verlegt den Ort der zentralen Erregung für die Adrenalinabgabe aus dem Neben- nierenmarke in das verlängerte Mark in die Gegend des Vaso- 1) N. C. Borberg, a. a. 0. 2) H. Elias, Wärmestich und Nebenniere. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 27 S: 152. 1918. 3) TR. Rllyott, a. 200: ! TE zur Störung des Kohlehydratstofwechsels führenden Vorgänge. 363 motorenzentrums. Auch in den Scheinversuchen von Jarisch!) "mit der „Vorbereitungsoperation“ für den Zuckerstich, welche das Auftreten des Funktionszustandes im Nebennierenmarke zur Folge hatten, handelte es sich offenbar um eine ausgedehntere Reizung des verlängerten Markes. Ich habe den Eindruck, dass in dieser Gegend des zentralen Nervensystems jede, wenn auch nicht genau auf eine Stelle beschränkte Reizung zu reger Adrenalinabgabe führt. Es könnte sich die Sache so verhalten, dass für die neurogene Kom- ponente der Glykogenmobilisierung in der Leber durch zentrale Reizung für die Steigerung des bedingenden Neurotonus die Rei- zung an einer recht eng beschränkten Stelle am Boden des vierten Ventrikels erforderlich wäre, für die Veranlassung der chemischen Glykogenmobilisierung aber für die auslösende Adrenalinsekretion ein etwas weiteres Gebiet im verlängerten Marke in Betracht käme. Bei geeigneter Versuchsanordnung liessen sich vielleicht sogar die beiden Komponenten zentral voneinander trennen, Nunmehr kommen wir auf die oben erwähnte Frage zurück, wie es sien mit der Möglichkeit einer experimentellen Trennung der peripher gelegenen Mechanismen, welche zusammenwirkend die Glykogenmobilisierung als letzte Folge der zentralen Reizung be- wirken, verhält. Die Exstirpation der Nebennieren beseitigt, wie auseinandergesetzt wurde, fast ganz den auslösenden Faktor, die Adrenalinsekretion, ohne jedoch das Auftreten der letzten Wirkung des zentralen Eineriffes unter allen Umständen völlig aufheben zu müssen, da es möglicherweise unter gewissen Bedingungen und bei verschiedenen Tierarten vielleicht in verschiedenem Ausmaasse zum Wirksamwerden des gesteigerten neurogenen Tonus der Endorgane allein kommen kann. Wie aber verhält’es sich mit der Beseitigung der neurogenen Komponente bei alleiniger Wirksamkeit der chemisch auslösenden? Die experimentelle Bearbeitung dieser Frage ist un- gemein schwierige. Wie man sieht, läuft sie darauf hinaus, dass man die Leber entnerven, diese selbst aber, die Nebennieren und deren Innervation intakt lassen muss. Sodann wäre der Erfolg der zen- tralen Reizung zu prüfen. Hierher gehören zunächst die Versuche von Macleod und Pearce?) am Hunde. Die Experimente be- DEATIarısch, a. 2..0. 2) J. J. R. Macleod’ and R. G. Pearce, Studies in experimental gly- eosuria. VIII. The relationship of the adrenal glands to sugar production by the liver. Americ. Journ. of Physiol. vol. 29 p. 419. 1912. 24 * 364 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung standen darin, dass nach verschiedenen Eingriffen in der Bauchhöhle der Erfolg der elektrischen Splanchnieusreizung auf den Blutzucker geprüft wurde. Es ergaben sich dabei merkwürdige Resultate. Nach der Entfernung der linken Nebenniere war die Reizung des linken Splanchnieus nieht mehr von der gewöhnlichen Steigerung des Blut- zuckerwertes gefolgt. Das gleiche Resultat war nach Unterbindung der „hauptsächlichsten“ Nebennierenvenen beider Seiten zu be- obachten. Gelegentlich aber kam es im letzteren Falle doch zu Wirkungen auf das Leberglykogen, wie die Autoren meinen, weil kleinere Venen unversehrt geblieben waren. Nach Durchschneidung des Leberplexus aber war die Reizung des N. splanchnieus nur ge- legentlich von einem Anstiege des Blutzuckerwertes gefolet. Eine rechte Überraschung aber ergab die Reizung des Leberplexus selbst. Seine Reizung verursachte Hyperglykämie, wenn die Nebennieren intakt waren. Hatte man aber diese Organe entfernt, dann blieb die Plexusreizung wirkungslos. Diese zum Teile unbestimmten, zum ‚Teile fast paradoxen Befunde sind das Ergebnis einer Versuchs- anordnung, deren Komphziertheit mit der Einfachheit, mit der sie vorgetragen wird, seltsam kontrastiert. Wer die Topographie des retroperitonealen Bauchraumes beim Hunde kennt, der wird ohne Weiteres zugeben, dass es sich hier um die schwierigsten und ein- greifendsten Operationen handelt. Die Tiere waren ätherisiert, in die Vena cava war von der Nierenvene her eine Glaskanüle vor- geschoben, aus welener zur Blutuntersuchung Aderlässe gemacht wurden, der Blutdruck wurde mit dem He.-Manometer reeistriert, die Reizstärke für die Nervenreizung war so gross, dass Strom- schleifen ganz wahrscheinlich wirksam wurden, die Durchschneidung des „Leberplexus“ erfolgte nach Unterbindung der Leberarterie und der Gallengänge. Bedenkt man noch, dass die Splanchnieusreizung jedesmal in unübersehbarer Weise von dem ganzen Wirkungskomplexe auf die Gefässe und Eingeweide der Bauchhöhle gefolgt war, und dass die Exstirpation oder Venenunterbindung der Nebennieren beim Hunde allein schon ein ungemein eingreifendes Unternehmen ist, so muss man die ganzen Versuche von Macleod und Pearce als zur Verwertung für unsere Frage wegen ihrer Füll& unüber- sehbarer Bedingungen als völlig ungeeignet bezeichnen. Solche Versuche überhaupt am Hunde anzustellen, muss schon als unzweck- mässig bezeichnet werden. Nicht viel klarere Ergebnisse für unsere Frage haben die Ver- TEE ne er A; > Ferne zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 565 suche von Freund!) am Kaninchen gebracht. Hier wurde die Arteria hepatica, in deren Begleitung hauptsächlich die Lebernerven ziehen, durehschnitten, und zur Sicherheit noch die Vena portae nebst Gallengang präpariert und das umgebende Gewebe zerstört. Tags darauf wurde der Zuckerstich ausgeführt und das Verhalten des Blutzuckers ‚kontrolliert. Die Resultate waren ganz verschieden. In fünf Versuchen änderte sich die Höhe des Blutzuckerwertes nicht, in sechs Versuchen stieg er an. Bei diesen Letzteren überstieg der Blutzuckerspiegel in drei Fällen den Wert von 0,2%. Bei den sechs positiven Versuchen wurde dreimal die Präparation der Vena portae unterlassen. Dabei war der Zuckerstich zweimal von ge- ringerer, einmal von starker Hyperglykämie gefolgt. „Wenn man selbst diese . Versuche aus der Betrachtung ausschaltet, bleiben noch drei positive gegenüber fünf negativen übrig, bei denen zum Teil der Beweis einer ausreichenden Glykogenmenge fehlt.“ Auch bei diesen Versuchen wird man gewiss der Meinung sein, dass bei der 1) H. Freund, Welche Bedeutung hat die Durchschneidung der Leber- arterie und der sie begleitenden Lebernerven für den Zuckerstich? Arch. f. exper. Pathol. Bd. 76 S. 311. 1914. — Ich kann es mir nicht versagen, hier über die Art, wie Freund mit der Literatur umgeht, eine Bemerkung zu machen. Zu meinen und Jarisch’s Arbeiten bemerkt er, dass die Versuche, die Neben- nierenhypothese zu stützen, wohl zum grossen Teil als missglückt angesehen werden müssen (Zitate mehrerer Arbeiten), „nachdem auch der von Kahn be- schriebene Einfluss der Pigüre auf die Chromierbarkeit der Nebennieren nach den sehr sorgfältigen Untersuchungen von Jarisch nicht bestätigt worden ist“. Ich hoffe, die Leser dieses Aufsatzes und der Originalarbeiten werden finden, dass die Sachlage von Freund nicht gerade treffend gekennzeichnet worden ist. — Die Untersuchungen von Macleod und Pearce werden ganz verworren ge- schildert. „Die grösstenteils positiven Stichversuche an Hunden, denen die Nebennierenvenen abgebunden waren“ sind eine Erfindung von Freund, wovon sich Jeder durch einen Blick in die Originalarbeit sofort überzeugen kann. — Der Befund von Nishi bezüglich der Innervation beider Nebennieren des Kanin- chens durch den linken Splanchnicus (welcher übrigens von mir auf ganz anderem Wege im Wesentlichen bestätigt wurde) ist von Freund offenbar gänzlich falsch aufgefasst worden, denn er spricht von einer „funktionellen Ungleichartigkeit der Nebennieren“. Es handelt sich doch bloss um die Tatsache der nicht streng symmetrischen Innervation! Die hier vorgebrachten Betrachtungen über die be- sondere Unsicherheit gerade der linksseitigen Eingriffe wird wohl schwerlich die Zustimmung der Kenner dieses Operationsgebietes finden. — Die Erwähnung und unrichtige Besprechung der Versuche von Kaufmann (Arch. de phys. norm. et path. t.27 p. 266. 1895) kann nur auf einem schwer erklärlichen Missverständnisse beruhen, wie ein Jeder, der die Arbeit liest, sofort konstatieren wird. 366 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung sanzen Art der Versuchsanordnung, deren Einzelheiten in ihrer Wirkung doch recht wenig durchsichtig sind, sogar ganz einheit- lichen Resultaten nur ein bedingter Wert zukommen könnte. Freund aber hält es trotz seiner eigenen Zweifel für das Wahr- scheinlichste, dass die Durchtrennung der in der Leberpforte ver- laufenden Nerven die Zuckerstichwirkung verhindert hat. Ich aber. möchte meinen, dass die Versuche von Freund, wenn man über- haupt glaubt, sie verwenden zu können, zeigen, dass trotz der Zer- störung der nervösen und arteriellen Verbindungen zur Leber und ‘ trotz der dadurch geschaffenen äusserst ungünstigen Verhältnisse doch in der Hälfte der Fälle der Zuckerstich durch Einleitung der die Glykogenmobilisation chemisch auslösenden Adrenalinsekretion wirk- sam wurde. Dass schliesslich an den Versuchstieren von Freund „das Adrenalin auf den Blutzucker ganz normal“- gewirkt hat, beweist natürlich gar Nichts, und „dass auch hier wieder ein neuer Unter- schied zwischen Zuckerstiehwirkung und Adrenalinhyperglykämie ge- zeigt werden konnte“, ist ganz unriehtig. Denn erstens hat doch ‚auch die Pigüre gewirkt, und zweitens kann man eine subkutane Gabe von 1 mg Suprarenin (einer hohen Dosis) doch nicht ohne Weiteres mit der physiologischen Adrenalinabgabe in das Blut vergleichen. Sind also die Versuche von Freund methodisch nicht un- bedenklich und von keinen einheitlichen Resultaten gefolgt, so haben die gleichzeitig angestellten Untersuchungen von Jarisch!) mit einfacherer und durchsichtigerer Methode bestimmte Resultate ge- zeitig. Am Kaninchen wurde die linke Nebenniere im Zusammen- hange mit ihrer Innervation gelassen, aber vollkommen vom übrigen Splanchnikusgebiete isoliert. Sodann wurde dieses Letztere vom Zentrum abgeschnitten. Dieser Zustand wurde nach sorefältigen anatomischen Studien derart erreicht, dass zunächst der rechte Splanchnieusstamm durchschnitten wurde. Sodann wurden medial neben der linken Nebenniere alle nervösen Verbindungen zu den sympathischen Ganglien durehschnitten, diese selbst entfernt, so dass über der Aorta und Art. mesenterica sup. keinerlei Nervengewebe mehr vorhanden war. Das zentrale Nervensystem blieb also nur mit der linken Nebenniere in Verbindung. Nach Schluss der Bauch- wunde zeigte es sich, was für die Versuche überaus wichtig erscheint, l) A. Jarisch, Über den Mechanismus der Pigüre-Glykosurie. Pflüger’s Arch. Bd. 158 S. 478. 1914. zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 367 dass die Tiere sich von der Operation gut erholten, so dass der Zuckerstich einige Tage später ausgeführt werden konnte. Es zeigte sieh nun, dass in elf derartig angestellten Versuchen der Blut- zuckerwert nach dem Stiche achtmal erhöht war, und zwar über- - schritt er fünfmal den Wert von 0,2 %, erreichte einmal 0,28 °/o und führte in einem Falle, in welchem er nicht gemessen wurde, zu reichlicher Glykosurie. Die histologische Untersuchung der beiden Nebennieren ergab eine bedeutende Differenz im Gehalte an chromier- barer Substanz zuungunsten des Organes der linken Seite. Diese Versuchsresultate zeigten also, dass die zentrale Reizung durch die Auslösung der Adrenalinsekretion allein zur Glykogenmobilisierung in der Leber führen kann. Denn hier ist die direkte neurogene Koın- ponente der Zuckerstichfolgen infolge der Nervendurehsebneidungen ausgefallen. Für die deutlich geringere Wirkung in seinen Versuchen ‚gegenüber den Zuckerstichfolgen am normalen Tiere vermutet Jarisch Gründe, welche in den durch die Operation gesetzten schlechteren Be- dingungen für Adrenalinsekretion und -wirkung gelegen sein könnten. Hierüber sollen in einer angekündigten, meines Wissens noch nicht er- schienenen Untersuchung von H. Pfeiffer und Jarisch nähere Mitteilungen gemacht werden. Der Wegfall der neurogenen Kom- ponente der Zuckerstichwirkung aber scheint nur eine geringe Rolle zu spielen. Auch hierüber hat Jarisch eine Reihe von Versuchen angestellt, welche ein Seitenstück zu den im ersten Abschnitte unserer Erörterungen erwähnten Experimenten von Nishi mit der Diuretin- reizung darstellen. Nach Exstirpation der rechten und Dürchsehneidung aller Nerven der linken Nebenniere wurde an fünf Tieren 3—14 Tage nach der Operation der Zuckerstich ausgeführt. In diesen fünf Ver- suchen war der Blutzucker nach dem Stiche dreimal normal, zweimal lag er an der oberen Grenze des Normalen. Diese Befunde sprechen wiederum ebenso wie die im ersten Abschnitte unserer Darlegungen er- wähnten Versuchsresultate nach Nebennierenexstirpation dafür, dass die neurogene Komponente, die Erhöhung des Tonus der Nervenenden in der Leber nach der zentralen Reizung allein in der Regel nicht genügt, um die Glykogenmobilisierung auszulösen. . Dass aber eine solehe Möglichkeit besteht, das zeigez unter anderem die oben er- wähnten Versuche von Freund und Marchand, welche nach der Nebennierenexstirpation doch einen glykogenolytischen Erfolg der Pigüre aufzuweisen hatten. Allerdings sind die schon oben gegen diese Versuche erhobenen Einwände ebensowenig zu übersehen, wie 368 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung die begründete Vermutung, dass bei diesen Untersuchungen neben anderen Folgen der Operation schon von vornherein ein erhöhter Adrenalingehalt des Blutes durch mechanisches Auspressen bestanden haben kann. Jedenfalls sprechen die schon vor dem Stiche erhobenen weit übernormalen Blutzuckerwerte in diesem Sinne. Wir sind hiermit am Ende unserer theoretisch-kritischen Be- trachtungen über den Mechanismus der Glykogenmobilisierung nach zentraler Reizung auf Grund der vorliegenden Exstirpations- ‘und Nervendurcehschneidungsversuche, sowie auf Grund der Würdigung des nachweisbaren Funktionszustandes an den Paraganglien angelangt. Vor der Vorführung einer zusammenfassenden Darlegung unserer An- schauungen, welche am Schlusse unserer gesamten Frörterungen erfolgen soll, haben wir nunmehr einer Reihe von weiteren Unter- suchungen zu gedenken, welche zwei Fragen betreffen, die zu unserem Probleme in enger Beziehung stehen. IV. Adrenalinämie nach zentraler Reizung. Als Folge der zentralen Reizung durch den Zuckerstich und die anderen zur Hyperglykämie führenden Eingriffe beobachtet man Erscheinungen am Nebennierenmarke und zum Teile auch an den übrigen Paraganglien, welche auf eine rege Abgabe von ‘Adrenalin aus diesen Organen hinweisen. Es muss also das Adrenalin als solches zu bestimmter Zeit nach dem Eingriffe und wenigstens in bestimmten Regionen des Gefässsystems im Blute vorhanden sein. Es gibt also eine Adrenalinämie als Folge der zentralen Reizung. Nichts wäre willkommener als der exakte Nachweis einer solchen. Und wäre die Methode des exakten Nachweises empfindlich genug, dann müsste als Folgezustand der Eingriffe eine Hyperadrenalinänie nachgewiesen werden können, da es heute kaum einem Zweifel unterliegen kann,. dass das Adrenalin, wenn auch in ausserordentlich geringer Menge, dauernd in den Blutkreislauf gelangt. Von allen diesen Dingen ist leider gar keine Rede. Wir besitzen nämlich keinen exakten Adrenalinnachweis in dem Sinne, in welchem es ge- lingt, andere chemisch gut definierte Stoffe in geringen Mengen von Körperflüssigkeiten durch chemische Methoden nachzuweisen. Das liest ebenso in der sehr geringen Konzentration, in welcher sich das Adre- nalin vorfindet, wie in seiner grossen Hinfälligkeit. Vielmehr sind wir dort, wo es sich noch am reichlichsten findet, im chromaffınen Organe, auf die kolorimetrischen und sogenannten biologischen zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 369 Methoden angewiesen, bei Untersuchung von Körperflüssigkeiten aber bloss auf die letzteren. Was leisten nun die biologischen Methoden des Adrenalinnachweises? Wenig genug. Sie bestehen alle darin, dass man, ausgerüstet mit der Kenntnis der pharma- kologischen Adrenalinwirkungen, in einer zweckmässigen Anordnung ein überlebendes Organ mit der auf ihren Adrenalingehalt zu prü- fenden Flüssigkeit behandelt und erhebt, ob die entsprechende Wir- kung (Förderung oder Hemmung einer spezifischen Organtätigkeit) eintritt, und in welchem Ausmaase dies geschieht. Natürlich wird hiermit niemals bewiesen, dass es sich tatsächlich bei Anwendung von Körperflüssigkeiten um Adrenalin handelt. Indessen lässt sich, wenn man die übrigen Umstände im speziellen Falle berücksichtist, häufig ein recht guter Wahrscheinlichkeitsbeweis für sein Vorhanden- - sein erbringen. Er ist aber, was sich für alle ganebaren biologischen Methoden des Adrenalinnachweises herausgestellt hat, so einfach sie auch aussehen mögen, zur Erzielung befriedigender Resultate mit Körperflüssigkeiten grosse Erfahrung nötige. Nur wer die Methode nach allen Richtungen völlig beherrscht, kann hier mit Resultaten rechnen, welche Anspruch darauf erheben dürfen, richtig zu sein. Das gilt vor allem für die früher so beliebte, heute wohl ganz ver- lassene Methode von Meltzer-Ehrmann mit den Froschaugen, spielt aber auch bei der Anwendung des Gefässpräparates nach Laewen-Trendelenburg und des Darmpräparates von Magnus (Hoskins) eine wesentliche Rolle. Schon zur Zeit, da unser Problem noch in den Kinderschuhen steckte, nach den ersten Exstirpationsversuchen von A. Mayer, wurde der gelungene Nachweis der Adrenalinämie nach dem Zucker- stiche .behauptet. Watermann und Smit!) wollten mit der Frosehaugenmethode nach dem Zuckerstiche eine mydriatische Wir- kung des Blutserums festgestellt haben. Ich?) habe schon seiner- zeit und auch später derartige Untersuchungen auch mit den ver- schiedensten den Versuchen “dieser Autoren entsprechenden Ab- änderungen wiederholt und bin immer wieder zu dem Resultate gelangt, dass die Versuche von Watermann und Smit schon 1) V. Watermann und H. J. Smit, Nebenniere und Sympathicus. Pflüger’s Arch. Bd. 124 S. 198. 1908. 2) R. H. Kahn, a. a. 0. Pflüger’s Arch. Bd. 128 und 140. — Ferner: Weitere Untersuchungen zur Adrenalinämiefrage. Pflüger’s Arch. Bd. 144 S. 396. 1912. 370 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung in ihrem technischen Teile nicht einwandfrei sind. Es liess sich bei sorgfältiger Ausübung der Froschaugenmethode keinerlei Anhalts- punkt für die Annahme einer Adrenalinämie nach dem Zuckerstiche erbringen-e. Zu den gleieben negativen Resultaten auf demselben Wege gelangte Nishi!) bei Untersuchung des Blutes auf der Höhe der Diuretinglykosurie. Bei dieser Sachlage unternahm es J. Negrin?) mit der viel. empfindlicheren und nicht so unzuverlässigen Methode der künst- lichen Ringer-Durchströmung der Gefässe der hinteren Frosch- extremitäten nach Laewen-Trendelenburg das Serum des Karotis- blutes vom Kaninchen nach dem Zuckerstiche zu prüfen. Hierbei ergab sich das Resultat, dass nach dem Stiche keine Erhöhung der vasokonstriktorischen Serumwirkung festzustellen war. Diese Be- funde wurden von mir?) in grosser Versuchsreihe bestätigt. Weder ' am Serum des arteriellen oder venösen Blutes noch am Blutplasma liess sich vor und nach dem Stiche ein Unterschied nachweisen. Indessen habe ich darauf hingewiesen, dass alle diese negativen Befunde keinesfalls beweisen, dass nach dem Zuckerstiche keine Adrenalin- ämie herrsche. Denn vor allem müsste man doch den Beweis er- bringen, dass im Falle des sicheren Vorhandenseins einer Glykosurie verursachenden Adrenalinämie mit der angewendeten Methode Adre- 'nalin im Blute überhaupt nachweisbar ist. ‘Solche Versuche habe ich durchgeführt. Es wurde am Kaninchen Plasma und Serum vor und nach subkutanen Adrenalingaben, welche zu hochgradiger Glykosurie führten, untersucht. Es zeigte sich, dass weder mit der Frosch- augenmethode noch am Gefässpräparat nach den hochwirksamen Dosen von 0,5—0,8 mg Adrenalin etwas von dessen Vorhandensein im Körpervenen- oder Arterienblute nachzuweisen war. Erst die enormen Gaben von 2 mg brachten einen, wenn auch oft zweifel- _ haften und nicht typischen Unterschied in der vasokonstriktorischen Wirkung zuwege. Aus welchem Grunde hier der Nachweis der doch sicher bestehenden Adrenalinämie nicht gelinet, ist nicht sicher zu sagen. Aus den Versuchen geht aber offenbar hervor, dass das 1) M. Nishi, a. a. O. Arch. f. exper. Pathol. Bd. 61. 2) J. Negrin y Lopez, Zur Frage nach der Genese der Pigdre-Glykos- urie. Pflüger’s Arch. Bd. 145 S. 311. 1912. (Vorläufige Mitteilung von E. Th. v. Brücke, Münchener med. Wochenschr. 1911 Nr. 26. 8) R. H. Kahn, Zur Frage nach der Adrenalinämie nach dem Zucker- stiche. Pflüger’s Arch. Bd. 144 S. 251. 1912. = <# zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 371 Adrenalin in einer derart geringen Konzentration im Blute gly- kosurisch zu wirken imstande ist, bei welcher yon einem Nachweise mit den gebräuchlichen biologischen Methoden keine Rede sein kann. Immerhin ist doch der Unterschied hervorzuheben, welcher darin selesen sein kann, dass in den zuletzt erwähnten Versuchen das Gift subkutan gegeben wurde, also mit der Zeit durch Resorption gleichmässig in sehr geringen Dosen in das Venenblut gelangte, während bei der Sekretion desselben aus den Paraganglien als Folge zentraler Reizung seine Konzentration wenigstens in unmittelbarer Nähe der betreffenden Organe doch eine grössere sein könnte. Daraus ginge hervor, dass es nicht aussichtslos wäre, das den Para- ganglien selbst entströmende Venenblut nach der zentralen Reizung zu untersuchen, um auf einen eventuellen Unterschied vor und nach derselben zu fahnden. Derartige Versuche sind in mehreren Fällen, an der Katze nach der „Aufregung“, nach Reizung sensibler Nerven und bei der Fr- stiekung, am Kaninchen nach dem Zuckerstiche angestellt worden. Cannon und de la Paz!) haben das Verhalten des Blutes der Vena cava der Katze untersucht, welche längere Zeit stark in Auf- resung versetzt worden war („Emotional-Stimulation“). Dabei be- nutzten sie zur Gewinnung des Cavablutes eine neue, sehr schonende Methode. Von der Vena femoralis aus wurde ein dünner, biegsamer Katheter bis in die Vena cava vorgeschoben, so dass einige Kubik- zentimeter Blut aus der Gegend der Einmündung der Nebennieren- venen gewonnen werden konnten. Auf diese Weise stand defibri- niertes Blut, vor und nach dem Experimente entnommen, der Unter- suchung zur Verfüsung. Die Untersuchung selbst erfolgte durch Be- obachtung der hemmenden Wirkung auf das überlebende Darm- präparat. Als Resultat ergab sich, dass die geringe hemmende Wirkung des Cavablutes durch die, künstlich hervorgerufene starke Erresung des Tieres sehr gesteigert wurde. Daraus haben die Autoren wohl mit Recht auf einen gesteigerten Adrenalingehalt ge- schlossen, zumal Kontrollversuche zeigten, dass dieser Effekt an nebennierenlosen Tieren ausblieb. Es haben dann weiters Cannon und Hoskins?) derartige Versuche auf die Asphyxie und auf Reizung 1) W. B. Cannon and D. de la Paz, Emotional stimulation of adrenal secretion. Americ. Journ. of Physiol. vol. 28 p. 64. 1911. 2) W.B. Cannon and R. G. Hoskins, The effects of asphyxia, hyperpnoe, and sensory stimulation on adrenal secretion. Americ. Journ. of Physiol. vol. 29 p. 274. 1911. 379 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung EN sensibler Nerven ausgedehnt. Sie fanden ebenfalls bei der Katze in diesen Fällen bedeutende Hemmung der Darmkontraktionen durch das Blut der Vena cava, während Blut aus der Vena femoralis. solche Wirkung vermissen liess. Ich‘) selbst habe ähnliche Versuche am Kaninchen nach dem Zuckerstiche durchgeführt. Ein Glas- katheter wurde in die Vena cava eingelest, die Blutproben ganz. sleichmässig der Gerinnung überlassen un! die Sera am Gefäss- präparate vom Frosche geprüft. Es zeigte sich nun ganz entsprechend den eben erwähnten Versuchen der Amerikaner, dass das nach dem Zuckerstiche zur Zeit starker Hyperglykämie entnommene Serum regelmässig eine stärker konstringierende Wirkung auf die Gefässe ausübte, als das vorher gewonnene. Aus solchen Versuchen ergibt. sich also der Nachweis, dass. das venöse Blut in unmittelbarer Nähe des ehromaffinen Gewebes, hier des Nebennierenmarkes, Wirkungen aufweist, welche man bei Untersuchung von Blut, das aus weiter entfernt liegenden Gebieten des Gefässsystemes stammt, regelmässig vermisst. Wenn auch, wie schon oben hervorgehoben wurde, die biologischen Methoden den sicheren Beweis, dass es sich um Adre- nalin handelt, nicht erbringen können, so liegt doch in den in Rede stehenden Fällen die Sache derartig, dass man kaum daran zweifeln kann, dass die Wirkung hier dieser Substanz zuzuschreiben. ist. Damit erscheint also ein Postulat erfüllt, welches an die früher ge- schilderten Resultate der Versuche über das Verhalten der Folgen zentraler Reizung an nebennierenlosen Tieren sowie an die erörterten Befunde des Funktionszustandes im Nebennierenmarke nach derselben geknüpft ist. Nach zentraler, zur Mobilisierung des Leberglykogens, zu Hyperglykämie und Glykosurie führenden Reizung beobachtet man ein relativ reichliches Auftreten von Adrenalin im Blute der Vena cava. Im weiteren Verlaufe des Gefässsystemes wird dann die Verdünnung so hochgradig, dass die Substanz mit den gebräuchlichen biologischen Methoden schon im arteriellen Blute nicht mehr nach- weisbar ist. Jedoch ist offenbar die in das Blut abgegebene Menge Adrenalin hochgradig genug, um spezifisch auf die Nervenenden in der Leber einzuwirken. | | Nicht bloss im „biologischen Versuche“ erweist sich die Adrenalin- konzentration des Blutes aus den peripheren Teilen des Gefässsystemes nach der elykosurisch wirkenden zentralen Reizung zu gering, um 1) R. H. Kahn, a. a. 0. Pflüger’s Arch. Bd. 146. zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 373 einen Erfole auszulösen, sondern aus Gründen, welche nun noch zu diskutieren sind, vermisst man nach derselben auch anscheinend sonstige aus den toxikologischen Adrenalinversuchen bekannte Wir- kungen im Tierkörper, vor allem die vasokonstriktorische. Davon soll im nächsten Abschnitte die Rede sein. V. Blutdrucksteigerung nach zentraler Reizung. Es ist eine allgemein bekannte und jederzeit leicht zu erweisende Tatsache, dass die subkutane Einverleibung von Adrenalin im Tier- versuche einerseits schon in ungemein geringer Dosis relativ rasch zur Glykosurie führt. andererseits auch in relativ hohen Dosen keine vasokonstriktorischen Erscheinungen zur Folge hat. Ebenso ist es erwiesen, dass nach subkutaner Darreichung auch hoher Dosen von Adrenalin das Blut im „biologischen Prüfungsversuche“ jeden Anhalts- punkt für das Vorhandensein des Giftes vermissen lässt. Gewiss wird man Jenen beistimmen müssen, welche vermuten, dass die Substanz zu einem grossen Teile schon an der Injektionsstelle zerstört wird, und Jenen, welche eine sehr langsame Resorption in das Blut er- warten. Zweifellos wird die jeweilige Konzentration des Blutes an Adrenalin nach solcher Einverleibung eine sehr geringe sein, aber die Tatsache bleibt bestehen, dass die Glykogenmobilisierung als Folgeerscheinung eintritt, andere Adrenalinwirkungen aber vermisst werden. Wie soll man alle diese Erscheinungen erklären ? Dass im biologischen Prüfungsversuche ein im Tiere auf die Leber wirksamer Adrenalingehalt des Blutes versagt, könnte zunächst darin gelegen sein, dass die Gelegenheit zur Wirkung in beiden Fällen eine verschiedene ist. Die Leber wird dauernd von stets erneuertem adrenalinhaltigem Blute durehströmt, das überlebende Präparat (Muskel- fasern) bloss mit einem geringen Quantum dieses Blutes in Berührung gebracht. Allerdings hält Gramenitzky!) das Adrenalin für ein Konzentrationsgift im Sinne der Theorie von Straub?), d. h. für ein Reizeift, für dessen Wirksamkeit ausschliesslich die Konzentrations- differenz in der Zelle und der sie umspülenden Flüssiekeit maass- gsebend wäre. Danach müsste also auf die Nervenenden in der 1) M. Gramenitzky, Biut- und Harnzucker bei kontinuierlicher Adrenalin- infusion. Biochem. Zeitschr. Bd. 46 S. 186. 1912. 2) W. Straub, Zur chemischen Kinetik der Muskarinwirkung und des Antagonismus Muskarin-Atropin. Pflüger’s Arch. Bd. 119 S. 127. 1907. 374 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung Leber und an den Muskeln in beiden unserer Fälle die Reizwirkunz bloss von der Giftkonzentration im Blute und gar nicht von den sonstigen Verhältnissen der Zuführung der Substanz abhängig sein. Aber sollte hier die. Tatsache, .dass im Falle der dauernden Durch- strömung immer neue Adrenalinmengen dem Orte der Wirkung zu- geführt werden, gar nicht in Betracht kommen? Zum mindesten wäre doch die Erwartung entsprechend, dass der anfängliche, wenn auch geringgradige, unterschwellige Erreguneszustand durch eine Art Superposition schliesslich eine wirksame Grösse erreiche. Eine solche Erscheinung wäre wohl im Falle der dauernden Zufuhr des Giftes mit dem Blutstrome, nicht aber bei Verwendung geringer Blutmengen im biologischen Prüfungsversuche zu erwarten. Denn die beiden Fälle unterscheiden sich bezüglich der die wirksame Erregungsgrösse be- wirkenden Giftdosis sehr zugunsten des ersteren. Ja, es wäre wohl nicht einmal die Annahme ganz von der Hand zu weisen, dass eine Speicherung des Giftes selbst am Orte seiner spezifischen Wirksamkeit bis zu überschwelliger Dosis stattfände. Denn dass die Zerstörung des Adrenalins in der Substanz der Nervenendigungen rascher oder intensiver vor sich geht als in der zuführenden Flüssig- keit ist keineswegs erwiesen. Kurz, es könnte hier der grosse Unter- schied in der gesamten, mit der Zeit am Wirkungsorte auftretenden Giftdosis ganz gut die Ursache dafür abgeben, dass die Wirkung im Tierkörper auf die Nervenenden der Leber auftritt, im Prüfungs- versuche aber nicht. Dafür würde auch sprechen, dass der Effekt der Glykogenmobilisierung viel länger zu seiner Entwicklung braucht als die Adrenalizeffekte im biologischen Versuche. Wie aber steht es mit der Erscheinung, dass nach subkutaner Applikation von Adrenalin zwar die Wirkung auf das Leberglykogen in Erscheinung tritt, jene auf das Gefässsystem aber nicht? Eine Erklärung könnte zunächst darin gesucht werden, dass an dem ersteren Wirkungsorte eine Summation der Erregungserösse oder gar eine Speicherung des Giftes vor sich gehen kann, nicht aber an Letzterem. Denn der Mechanismus, welcher an den beiden Orten zur schliesslichen Wirkung führt, ist wohl in der Leber ein anderer, weit verwickelterer als an der Muskelzelle. Weiters aber könnte man vermuten, dass die Reizschwelle der sympathischen Endorgane an der Leberzelle niedriger gelegen sein könnte, alsdie der vasomotorischen Nervenenden. Klare, experimentelle Aufschlüsse über diese letztere Frage besitzen wir nicht. Es hat zwar Gramenitzki gefunden, dass bei kontinuierlicher Adrenalininfusien zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 375 in das Gefässsystem der glykosurische Efiekt des Adrenalins eine kleinere Reizerösse verlangt als die blutdrucksteigernde Wirkung. Indessen handelt es sich hier um Tiere in Uretannarkose, welche nach Underhill?!) die Kaninchen für die Adrenaling!ykosurie abnorm empfindlich macht. Dagegen ist wiederum zu berücksichtigen, dass hier die Glykosurie und nicht das Verhalten des Blutzuckers unter- sucht wurde. Der Übergang des Zuckers in den Harn aber setzt schon ein gewisses Maass von Hyperglykämie voraus und kann ausserdem von allerlei Umständen behindert sein. Eine Untersuchung zum Vergleiche der für die beiden Haupt- komponenten der pharmakologischen Adrenalinwirkung nötigen Reiz- grössen haben dann Trendelenburg und Fleischhauer?) an- gestellt. Bei Kaninchen wurde die intravenöse Dauerinfusion sehr verdünnter Adrenalinlösungen vorgenommen, ohne dass die. Tiere gefesselt oder narkotisiert gewesen wären, und es wurde das Auf- treten von Glykosurie und Blutdrucksteigerung bei verschiedenen Minutenmengen Adrenalin erhoben. Es zeigte sich, dass der gly- kosurische Schwellenwert eine Blutdrucksteigerung von 8—10 mm Hg verursachte. Indessen sagt der glykosurische Schwellenwert nichts Be- stimmtes über die Schwelle für die Glykogenmobilisierung, namentlich nicht bei den so einfach aussehenden, in Wirklichkeit aber recht komplizierten Versuchsbedingungen der Autoren. Denn auf einen nicht zu vernachlässigenden Umstand in diesen Versuchen hat Jarisch®) aufmerksam gemacht. Durch die einstündige Infusion wurde die Blutmenge der Versuchstiere um die Hälfte bis ein Drittel vermehrt. Dadurch musste einerseits die jeweils im Blute herrschende Adrenalinkonzentration eine geringere sein, als sie im normalen Blute gewesen wäre. Andererseits musste bei vermehrter Blut- menge mehr Zucker mobilisiert werden als in der Norm, wenn die elykosurisch wirkende Blutzuckerschwelle erreicht werden sollte. „Es genügt also bei normaler Blutmenge eine geringere Adrenalin- menge zur Erreichung des gleichen Effektes als bei vermehrter. Demnach war die in den Versuchen der Autoren wirksame Adrenalin- dosis, entsprechend der durch die Vermehrung der Blutmenge grösseren 1)F. P. Underhill, The influence of urethane in the production of glycosuria in rabbits after the intravenous injection of adrenalin. Journ. of biol. chem. vol. 9 p. 13. 1911. 2) A. 2. 0. 3) A. Jarisch, a. a. OÖ. Pflüger’s Arch. Bd. 158. 3762 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung Aufgabe höher als die zur Erzeugung des gleichen Effektes in der Norm benötigte, eben so hoch, dass sie zu einer Blutdrucksteigerung gleichzeitig Veranlassung gab.“ Weiters weist nun Jarisch darauf hin, dass die erzeugte Blutdrucksteigerung an sich wiederum durch Verengerung des Wurzelgebietes der Pfortader, der wesentlichen Quelle des in der Leber wirksamen Adrenalins, dessen Wirksamkeit auf dieses Organ vermindern muss, indem sie die Grösse der Leber- durchströmung herabsetzt. „Die Dazwischenkunft der Blutdruck- steigerung durch die von Trendelenburg und Fleischhauer benötigten grossen Dosen dürfte demnach den aus den obengenannten Gründen für die Norm bereits zu hohen Wert noch mehr gesteigert haben.“ Tatsächlich lässt sich auch ein diesen Ausführungen ent- sprechender Einfluss der Hydrämie auf das Erscheinen des Zuckers im Harn in einer Reihe der Versuche der Autoren auffinden. Übrigens ist ihnen der Widerspruch zwischen ihren Untersuchungs- resultaten und der Erfolglosigkeit glykosurisch wirksamer subkutaner Adrenalingaben bezüglich des Blutdruckes auch aufgefallen. „Auch die Tatsache, dass auf subkutane Adrenalininjektion trotz eintretender Glykosurie eine Blutdrucksteigerung vermisst wird, kann vegen unsere Ergebnisse nicht angeführt werden, da diese sich nur auf einstündige Infusionsversuche beziehen; es bleibt dabei natürlieh un- entschieden, ob sich bei längerer Infusion die Verhältnisse verschieben und dann auch schon Adrenalinmengen Glykosurie erzeugen, die den Blutdruck nicht steigern.“ Eine solehe Argumentation ist kaum zu verstehen. Wie Jeder weiss, der sich mit solehen Dingen befasst, erscheint der Harnzucker in reichlicher Menge nach subkutanen Adrenalingaben von 0,5—1l mg bereits nach etwa 30—35 Minuten ohne jede Blutdrucksteigerung. Eine derartige Adrenalindosis wirkt rascher als die Pigüre. Im Vorlesungsversuche, welcher innerhalb 2/4 Stunden erledigt sein muss, lässt sich die Glykosurie nach 1 mg Adrenalin subkutan mit erösster Bequemlichkeit, die nach dem Zuckerstiche nich immer sicher vorführen. Auch der Versuch von Trendelenburg und Fleischhauer, sich auf ein Experiment von Ritzmann!)-zu beziehen, in welchem beim Kaninchen eine subkutane Adrenalindosis von dem ungeheuren Werte von 4 mg erst nach 3 Stunden 20 Minuten zur Glykosurie führte, ist un- l) H. Ritzmann, Über den Mechanismus der Adrenalinglykosurie. Arch. f. exper. Pathol. Bd. 61 S. 231. 1909. x zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 377 verständlich. Denn ein solches Resultat stellt eine Abnormität dar. Das weiss ein Jeder, der solche Versuche macht, sehr genau. Es sprechen also die Untersuchungen von Trendelenburg und Fleisehhauer durchaus nieht gegen die Vermutung, es liege die Schwelle für Adrenalinwirkung auf die Nervenenden in der Leber niedriger als jene für die Auslösung des vasokonstriktorischen Effektes. R Neben den erwähnten beiden Möglichkeiten der Erklärung des Ausbleibens der Blutdrucksteigerung nach subkutanen glykosurisch wirksamen Adrenalindosen wäre auch noch an das besondere Ver- halten kleinster Adrenalindosen im pharmakologischen Blutdruck- versuche zu denken. Bekanntlich wirken sehr geringe Mengen des Giftes charakteristisch blutdrucksenkend, also vasodilatatorisch. Hier könnte also die Möglichkeit bestehen, dass solche kleinste Dosen der Substanz im Tierkörper zwar elykogenmobilisierend, aber nicht vasokonstriktorisch wirken. Endlich wäre es nicht ausgeschlossen, dass im Sinne einer zweckmässigen Regulierung auf nervösem Wege eine vasomotorische Wirkung solcher kleinster Adrenalindosen kom- pensiert werden könnte. Denn es darf doch nicht daran vergessen werden, dass das Gefässsystem der Einwirkung pharmakologischer Adrenalineaben erst dann, man möchte sagen, wehrlos preisgegeben ist, wenn sie eine gewisse Grösse überschreiten. Hier wie an allen Orten der Giftwirkung kommt, wie wir wissen, eine Nervenwirkung geren die Adrenalinwirkung höheren Grades nieht auf. Bei sehr kleinen Adrenalindosen dürfte sich das anders verhalten. Nun ist doch der jeweilige Zustand der Gefässe im Tierkörper vor allem neurogen beherrscht, und eine Reihe zweckmässiger Regulierungs- einrichtungen, wesentlich im Reflexwege gelegen, ist wohlbekannt. Merkwürdigerweise scheint noch Niemand daran gedacht zu haben, dass geringgradige chemisch ausgelöste Blutdrucksteigerungen ebenso wie etwa mechanisch erzeugte auf dem Wege des Reflexes kompensiert, eventuell sogar überkonipensiert werden könnten. Lässt sich auch über diese verschiedenen Eventualitäten etwas Bestimmteres nicht aussacen, so muss man doch für den uns hier besonders interessierenden Fall des Auftretens kleiner Adrenalin- mengen im Blute nach zentraler Reizung einen besonderen Umstand hervorheben. Im Sinne der oben vorgebrachten Anschauungen ist zur Zeit des W.irksamwerdens der auslösenden Komponente für die Glykogenmobilisierung, nämlich der chemischen Adrenalinwirkung auf Pflüäger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 25 378 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung die Nervenenden in der Leber auf neurogenem Wege verursachte Erhöhung ihres Tonus, ein gesteigerter Neurotonus vorhanden. Es wird also hier, worauf wir schon einmal oben hingedeutet haben, zu erwarten sein, dass die zur Auslösung des Endeffektes nötigen Reiz- dosen kleiner sein dürften als im gewöhnlichen toxikologischen Ver- suche. . Unter solchen Umständen wird man im Hinblicke auf das im Vorigen geschilderte besondere Verhalten kleiner Adrenalingaben schon gar nicht erwarten dürfen, dass sich nach zentraler Reizung das Auftreten der Substanz im Blute durch eine Vasokonstriktion verraten werde. Mit anderen Worten, nach zentraler Reizung wird trotz eintretender Glykogenmobilisierung, Hyperelykämie und Gly- kosurie keine Blutdrucksteigerung zu erwarten sein. Tatsächlich ist eine solche in einer Reihe darauf gerichteter Untersuchungen auch nicht gefunden worden. Dass sie von den Autoren vermisst wurde, liegt daran, dass dieselben sich nicht alle in dem Problem liegenden Verhältnisse klar gemacht haben, sondern bloss von dem Gedanken beherrscht waren, wo Adrenalin auftrete, müsste auch eine Blutdruck- steigerung vorhanden sein. Bloss Neubauer?) berichtet über Blutdrucksteigerung nach dem Zuckerstiche, welche er als Adrenalinwirkung auffasst. Ge- legentlich seiner Versuche über Hemmung der Zuckerstichwirkung durch Narkotika wurde der Plan, aufgestellt, zu untersuchen, ob die Stichelykosurie mit Blutdrucksteigerung einhergehe, und wenn dies der Fall, ob diese Blutdrucksteigerung ebenso wie die Glykosurie dureh Chloralhydrat aufgehoben werden könne. Es wurde also bei Kaninchen entweder kurze Zeit nach dem Zuckerstiche mit der Blutdruckregistrierung begonnen oder diese letztere schon vor dem Eingriffe vorgenommen. „Gleich nach der Piqüre kommt es — mit- unter nach einigen Schwankungen des Blutdruckes — zu einer be- trächtliehen Blutdrucksteigerung. Darauf folgt nach etwa 1 Stunde ein allmählicher Blutdruckabfall und schliesslich, entsprechend dem Maximum der Zuckerausscheidung, in der dritten Stunde ein neuer Anstieg.“ - Eine Diskussion dieser Befunde nimmt Neubauer nicht vor; aus dem Zusammenhange mit den anderen Versuchen geht aber hervor, dass er die Blutdrucksteigerungen als Adrenalinwirkung auf- fasst. Auch werden weitere Experimente mitgeteilt, bei denen in 1) E. Neubauer, Über die Wirkung antiglukosurischer Mittel” und über Leberglukosurie. Biochem. Zeitschr. Bd. 43 S. 335. 1912. C ea; 4 zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 379 der Chloral- bzw. Alkoholnarkose neben der Glykosurie auch die Blutdrucksteigerungen ausblieben. Indessen wird man bei Betrachtung der mitgeteilten Versuchsprotokolle doch der Meinung sein, dass über die Bedeutung der Erscheinungen am Blutdrucke eine Diskussion nötig gewesen wäre. Der primäre Anstieg des Druckes nach dem Stiche in das verlängerte Mark ist doch wohl ohne Zweifel auf teils reflektorische, teils direkte Reizung des medullaren Vaso- konstriktorenzentrums zu beziehen. Diese geht entsprechend dem langsamen Abklingen des gesetzten Erregungszustandes allmählich vorüber. Eine solche Erscheinung nach Eingriffen im zentralen Nervensystem ist man ja zu sehen gewöhnt. Zweifel könnten nur bezüg- lich der zweiten. etwa in der zweiten oder dritten Stunde auftretenden Drucksteigerung zu erheben sein. Die Grösse derselben ist oft recht beträchtlich, in einem Falle bis zu 64 mm Hg, in einem anderen bis zu 34 mm. Dabei vollzieht sie sich innerhalb mehrerer Stunden. Dass diese Erscheinung durch Adrenalin bedingt sein kann, lässt sich nicht in Abrede stellen. Für wahrscheinlich wird man aber eine solche Erklärung kaum halten können. Denn erstens ist das Aus- maass in den genannten Fällen höher, als man es irgend erwarten würde. Weiters befanden sich die Tiere in Urethannarkose, aus welcher sie im Laufe der Stunden allmählich wieder erwacht sein könnten. Damit liesse sich der langsame Blutdruckanstieg ganz gut erklären. Der später wieder einsetzende Abfall wäre ein Ausdruck für das schlechte Allgemeinbefinden des gefesselten, auskühlenden, zentral verletzten Tieres. Auch diese Erscheinung ist man nach viel- stündigen Blutdruckversuchen zu sehen gewöhnt. Es liegt also die Genese des zweiten Druckanstieges keineswegs klar. Dass in tiefer Chloral- bzw. Alkoholnarkose alle diese Erscheinungen wegfielen, würde sich ganz gut damit erklären lassen, dass nach subkutanen Dosen von etwa 0,3 & Chloral pro Kilogramm oder entsprechenden Alkoholmengen erfahrungsgemäss ein solches Erwachen nicht auftritt. Endlich ist nicht zu übersehen, dass die zentrale Reizung in den Versuchen von Neubauer von erheblichen allgemeinen Störungen begleitet gewesen zu \sein scheint. Es wurden neben dem Stiche auch die unteren Partien des Kleinhirnwurmes absichtlich verletzt, die Atmung war oft „vertieft und verlangsamt, stertorös oder aber auch oberflächlich und sehr frequent*. In solchem dyspnoischen Zustande neigen die Tiere bekanntlich zu Steigerungen des Blutdruckes, einer Erscheinung, welche durch die Urethannarkose zunächst unterdrückt, h 25 * 380 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung naeh Stunden mit dem Nachlassen derselben oder durch Zunahme der dyspnoischen Erseheinungen manifest werden kann. Berück- siehtiet man alle die erwähnten Umstände, dann lässt sich auch nicht in Abrede stellen, dass es sich bei dem zweiten, später einsetzenden Blutdruckanstiege, ebenso wie zweifellos bei dem ersten, um eine zentral vasomotorisch ausgelöste Erscheinung gehandelt haben kann. Von den späteren Untersuchern ist zwar, wie es ja zu erwarten ist, die erste dem Stiche unmittelbar folgende Steigerung des Blut- druckes beobachtet worden, nicht aber eine zweite, später einsetzende. So beriehtet Borberg!) kurz über vier Versuche am Kaninchen, bei denen Zuckerstich und gleichzeitige Blutdruckmessung vorgenommen wurde. Der erste Druckanstieg wurde beobachtet, er klang nach 10 Minuten ab. Eine Steigerung in den folgenden Stunden fand sieh nicht. Zu dem, gleichen Resultate kamen Trendelenburg und Fleischhauer?). Ohne die vorher erschienenen Versuche von Neubauer zu kennen, stellten sie Untersuchungen an ungefesselten und nicht narkotisierten Kaninchen, sowie an solchen in tiefer Urethan- narkose an, bei denen der Blutdruck vor bis etwa 1 Stunde nach dem Zuckerstiche fortlaufend registriert wurde. Die ersteren Ver- suche ergaben eine starke, rasch einsetzende Drucksteigerung, welche kürzer oder länger anhaltend, bis zum Versuchsende wieder zurück- eine. Die Autoren bemühen sich in langer Diskussion, zu erweisen, woran von vornherein Niemand zweifeln kann, dass es sich hier um eine zentral und nicht durch Adrenalin ausgelöste Drucksteigerung handelt. An den tief narkotisierten Tieren verlief die Sache so, dass die anfängliche Erscheinung mehr oder weniger ganz ausblieb. Der Blutdruck, welcher bis zu 1 Stunde nach dem Stiche beobachtet wurde, zeigte auch im weiteren Verlaufe keine Steigerung. Wie man sieht, entspricht das alles ganz den Resultaten Neubauer’s, nur hat dieser die Versuche noch viel länger fortgesetzt. Bei Tren- delenburg und Fleisehhauer wären in späteren Stunden eventuell auch Blutdrucksteigerungen zum Vorschein gekommen, welche die Autoren vermutlich ebenso und mit Recht erklärt hätten, wie wir es oben getan haben. Schliesslich wären noch die Untersuchungen von Jungmann?°) 1) N. C. Borberg, a. a. O. Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 28. 2) A. a. O. 3) P. Jungmann, Über die Beziehungen des Zuckerstiches zum sogenannten Salzstich. Arch. f. exper. Pathol. Bd. 77 S. 122. 1914. - zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 381 zu erwähnen, welche allerdings derart angestellt wurden, dass sie für unsere Frage Nichts beitragen können. An Kaninchen in tiefer Urethan- narkose wurde der Blutdruck reeistriert. Unmittelbar nach dem Zuckerstiche kam es zur Blutdrucksteigerung, nach deren Abklingen der „Salzstich“ ausgeführt wurde, womit der Versuch beendet war. In einem Falle trat unmittelbar nach dem Zuckerstiche eine geringe Senkune des Blutdruckes ein, welche sich nach 4 Minuten wieder aus- lieh. Über das Verhalten des Blutdruckes in der folgenden Stunde wird Nichts mitgeteilt. Jungmann schliesst aus diesen Versuchen, aus denen doch gar Nichts für unser Problem hervorgeht, ganz glatt, „dass die Annahme einer erhöhten Adrenalinproduktion als Ursache ‚für die Blutdruckzunahme und die mehrstündige Glykosurie nieht ausreicht“. Hiermit sind wir am Ende unserer Betrachtungen über die Bedeutung der einzelnen, von den verschiedenen Untersuchern für und segen die Annahme engerer ursächlicher Beziehungen zwischen den Paraganglien, insbesondere den Nebennieren und den zentral ausee- lösten Glykosurien, speziell jener nach dem Zuckerstiche, vorgebrachten Argumente. Es liesse sich ja noch mancherlei vorbringen, etwa die Meinung Jener!), welche glauben, es sei die Nebenniere als nervöse Zwischenstation zwischen die Fasern des Splanchnieus und die Lebernerven eingeschaltet. Oder die Bemühungen Einzelner für die toxikologische Adrenalinwirkung und jene des Zuckerstiches 1) Wenn auch die über unsere Frage vorliegenden Untersuchungen Nichts enthalten, was als Hinweis auf eine solche nervöse Zwischenschaltung der Neben- nieren aufgefasst werden könnte, so wird es sich doch empfehlen, darüber nach- zudenken, wie man einwandsfrei einen eventuellen direkten Einfluss der in dem Nebennierenmarke verschiedener Tiere in wechselnder Menge vorhandenen nervösen Elemente auf andere Organe, eventuell auch die Leber, experimentell nachforschen könnte. Einfach können solche Untersuchungen schon deshalb nicht sein, weil mechanische Einwirkungen auf die Nebennieren leicht zu Adrenalinämie führen, und weil die nervösen Elemente dieser Organe ja nicht frei zugänglich sind. — Manche Forscher meinen, dass derartige Beziehungen wohl bestehen müssten, indem sie immer wieder auf die Untersuchungen von Jakobj (Arch. f. exper. Pathol. Bd. 29 S. 171. 1892) hinweisen, welcher bei „Reizung der Nebenniere“ hemmende Wirkungen auf den Darm beobachtet hat. (Vgl.: O. Renner, Die Innervation der Neberniere. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 114 S. 473. 1914.) Eine zweite den Gegenstand betreffende Untersuchung von Schwarz (L. Schwarz, Arch. f. exper. Pathol. Bd. 43 S. 1. 1900), welche eine besondere Wirkung faradischer Reizung der Nebenniere auf die Nierenzirkulation zum Resultate hatte, ist methodisch sehr zweifelhaft. 382 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung gewisse analoge Erscheinungen, gewisse gemeinsame Momente für Förderung und Hemmung aufzufinden oder darauf hinzuweisen, dass sich diese beiden Phänomene dnreh dies oder jenes sehr unter- scheiden. Wer solche Arbeiten liest, wird finden, dass die dort vorgebrachten Punkte des Für und Wider gegenüber den von uns erörterten Befunden nur schwache Argumente darstellen bzw. sich in den Rahmen der von uns vorgebrachten Anschauungen leicht ein- fügen lassen. Von allen diesen mögen nur zum Schlusse zwei Untersuchungen aus der letzten Zeit erwähnt werden. Stenström!) hat sehr interessante Versuche darüber veröffentlicht, dass subkutane Gaben von Pituitrin das Zustandekommen der Hypergelykämie (und Glykosurie) nach Adrenalin verhindern. In weiterer Verfolgung . dieses Befundes: wurde das Verhalten des Blutzuckers nach dem Zuckerstiche, nach Diuretingaben, bei „psychischer Erregung“, also nach zentral wirkenden Eineriffen untersucht. In allen diesen Fällen kam es am Kaninchen nach subkutanen Pituitringaben zu keiner oder nur sehr geringer Hyperglykämie. Wie man sieht, lässt sich ein derartiger Befund sehr gut im Sinne unserer Anschauungen ver- wenden. Es fragt sich nur, ob es sich hier um einen echten An- tagonismus gegen die Adrenalinwirkung handelt, oder ob nicht bis- her nicht erforschte Nebenumstände, welche nicht in allen Fällen mit dem gleichen Mechanismus wirken müssen, in Betracht kommen. Derartige Einwände lassen sich übrigens in allen Fällen solcher Analogieschlüsse stellen, mögen diese nun für oder wider die hier vorgetragenen Anschauungen zu sprechen scheinen. Auf eine weitere, aber offenbar ganz belanglose Analogie zwischen Adrenalin- und Zuckerstichglykosurie hat in jüngster Zeit Biberfeld ?) aufmerksam gemacht. Bei Kaninchen schaffen wiederholte Adrenalininjektionen, wie schon von früher her bekannt, eine „Nierendichte“ für Zucker. Es tritt ein Zustand ein, in welchem es trotz bestehender Hyper- glykämie nach Adrenalin nicht zur Glykosurie kommt. Biberfeld findet nun während dieses Zustandes auch die Pigüre glykosurisch unwirksam, während Phlorhidzin prompt zur Glykosurie führt. Da ° er auf Grund der oben auch von uns gewürdigten Versuche von 1) Th. Stenström, Das Pituitrin und die Adrenalinhyperglykämie. Biochem. Zeitschr. Bd. 58 S. 472. 1914. 2) J. Biberfeld, Über die Beziehung der Nebenniere zur Piqüre. Arch. f, exper. Pathol. Bd. 80 S. 164. 1916. REN 2% 9 £ EEE EEE PETE ae, n) 2 h # zur Störung des Kohlehydratstofiwechsels führenden Vorgänge. 383 Freund und Marchand der Meinung ist, dass durch Neben- nierenexstirpation nicht die Hyperglykämie, sondern nur die Gly- kosurie nach dem Zuckerstiche verhindert wird, stellt er eine neue Theorie der Pigürewirkung auf: Derartige zentrale Eingriffe könnten allein schon das Glykogen mobilisieren; um den Zucker aberim Harn erscheinen zu lassen, bedürfe es noch der Mitwirkung des Adrenalins. Die Darstellung dieser Anschauung ist beiBiberfeld so kurz gehalten, dass man Mühe hat, sich hineinzufinden. Die „Nierendichte“ nach den wiederholten Adrenalingaben hält Biberfeld offenbar für eine nicht in besonderem Verhalten der Niere gelesene Erscheinung. Durch den Phlorhidzinversuch wird das übrigens kaum bewiesen, denn dieses Gift wirkt doch wohl hauptsächlich spezifisch gerade auf dieses Or- oan. Warum sollte man nicht annehmen können, dass die Niere unter seiner Einwirkung ebenso wie am normalen Tiere auch nach der „Adrenalindichtung“ für Blutzucker durchlässig werden könnte? Dann hätte man sich vorzustellen, dass diese Nierendichte zwar _ dureh die Adrenalingaben veranlasst, aber insofern ganz unspezifisch sei, als Blutzucker, welches auch immer die Ursache seines Auf- tretens im Blute wäre, nicht durchgelassen würde. Dieser Meinung ist Biberfeld offenbar nicht, sondern er glaubt, dass an den lange mit Adrenalin behandelten. Versuchstieren eine spezifische, vielleicht den Blutzucker in eine „harnfähige“ Form überführende Fähigkeit des Adrenalins verlorengegangen ist. Aus solchem Grunde bleibe - die Glykosurie nach Adrenalin und auch nach dem Zuckerstiche aus. ‚Aus dem gleichen Grunde fehle sie nach Nebennierenexstirpation in den Versuchen von Freund und Marchand. „Dass nicht ohne Weiteres Hyperglykämie selbst hohen Grades das Kreisen von ausscheidungsfähigem Zucker bedeutet, beweisen nach meiner Meinung am besten die Freund-Marchand’schen Befunde, in denen man ja keinen Grund hat, von einer Nierendichtung zu sprechen.“ Das ist ganz unzutreffend. Die Versuchstiere der Autoren verhielten sich nach der Nebennierenexstirpation genau so, wie man das nach dieser Operation stets beobachtet, und wie ich es schon seinerzeit be- schrieben habe. Die fast vollständige Anurie, welche stundenlang anhält (gewöhnlich bis zum Tode des Tieres), weist schon auf ein abnormes Verhalten der Nieren hin. Dass man dabei auch mit einer qualitativen Veränderung der Nierentätigkeit zu rechnen hat, ist oben mehrfach erörtert worden. Es ist Nichts naheliegender als . die Vermutung, dass in diesen wie in allen anderen ähnlichen 3834 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung akuten Versuchen eine direkte oder, reflektorische Hemmungs- wirkung auf die Nieren auch bei bestehender Hyperelykämie den Übergane von Zucker in den Harn ausserordentlich erschwert. Nach diesen Erörterungen stellt sich wohl dieser „Brückenschlag“ Biberfeld’s als unnötig heraus. Denn die Versuche von Freund und Marchand fallen nach unserer Meinung keineswegs, wie er und andere glauben, aus dem Rahmen unserer Anschauungen von dem besonderen ursächlichen Zusammenhange zwischen Nebennieren- tätiekeit und Hyperelykämie nach zentral wirkenden Eingriffen heraus. Die Versuche Biberfeld’s aber beweisen nur eine, das Wesen unserer Frage offenbar gar nicht treffende Analogie zwischen Adrenalin- und zentraler Glykosurie auf. Die nach wiederholten Adrenalingaben eintretende Unmöglichkeit des Übertrittes von Blut- zucker in den Harn erstreckt sich auf beide Fälle, mögen sie nun die gleiche oder eine verschiedene Genese haben. Nun erübrigt es noch, rückblickend eine kurze Darstellung aller in unserer Frage vorlieeenden Tatsachen und eine kurze Präzisierung unserer Anschauungen zu geben. Davon soll der letzte Abschnitt unseres Aufsatzes handeln. VI. Rückblick. Rückschauend stellen wir nochmals die über die Frage nach den Beziehungen zwischen Nebennierenfunktion und zentral aus- selöster Glykogenmobilisierung vorliegenden wichtigen Befunde kurz zusammen. LT. a) Kaninchen, welche die doppelseitige Exstirpation der Neben- nieren monatelang überlebt hatten, zeigten trotz vollem Gly- kogenbestande nach dem Zuckerstiche keine Glykosurie. (Kahn, S. 328.) b) Die CO- Vergiftung war bei solchen Tieren nicht von Hyper- elykämie gefolst. (Starkenstein, S. 342). ec) Die Hyperglykämie nach Diuretin wurde an Kaninchen ohne Nebennieren vermisst. (Nishi, S. 341.) 3 d) Bei Kaninchen, deren rechte Nebenniere exstirpiert und bei welchen die Nerven der linken Nebenniere durchschnitten ‚waren, fanden sich nach dem 1—2 Wochen später angestellten Zuckerstiche normale, gelegentlich hoch normale Blutzucker- werte. (Jarisch, S. 366.) e) n 8) h) a) b) e) e) zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 335 Der Zuckerstich bewirkte bei Kaninchen, welchen kurz vorher beide Nebennieren exstirpiert wurden, wie es scheint, in ge- wissen Fällen eine deutliche wenn auch geringgradige Er- höhung des Blutzuckerspiegels. Freund und Marchand, S. 334.) Der Zucekerstich war an solchen Tieren nicht von Glykosurie gefolgt. (Andr& Mayer, Kahn, Landau, Freund und Marcehand, S. 327 u. 335.) Bei Katze und Hund, an denen übrigens derartige Versuche be- sonders unrein sind, folgte dem Zuckerstiche nach der beider- seitigen Nebennierenexstirpation nur in seltenen Fällen eine Gly- kosurie. (Wertheimer und Battez, S. 340.) Die „Aufregungsglykosurie“ blieb bei der Katze nach Neben- nierenexstirpation aus. (Cannon, Shohl und Wright, S. 343.) Die Salzglykosurie wurde durch die Entfernung der Nebennieren beim Kaninchen verhindert, beim Hunde erschwert, bei der Katze nicht beeinflusst. (Me Guigan, S. 343.) II. Eine bald nach dem Zuckerstiche exstirpierte Nebenniere des Kaninchens weist im Vergleiche mit der anderen, vorher exstir- pierten eine hochgradige Verarmung an chromierbarer Substanz und an Adrenalin auf. (Kahn, Borbereg, Jarisch, S. 345, 390 u. 352.) Nach Durchschneidung des einen N. splanchniceus beim Kaninchen wird die entsprechende Nebenniere vor diesen Veränderungen nach dem Zuckerstiche und anderen zentralen Eingriffen ge- schützt, während die andere dieselben aufweist. (Kahn, Jarisch, S. 347 u. 367.) Dieselben Erscheinungen wie unter a finden sich bei Katze, Hund, Affe nach dem Zuckerstiche. (Kahn, S. 353.) - Die gleichen Erscheinungen wie unter a zeigen sich bei Kaninchen und Hunden nach Asphyxie und CO-Vergiftung. (Starkenstein, S. 353.) Längere Zeit nach dem Zuckerstiche und nach der CO-Ver- eiftung weisen beide Nebennieren bei Kaninchen und Vögeln die genannten Veränderungen auf. (Borberg, Starken- stein, S. 350 u. 353.) 386 he 2) b) R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung Längere Zeit nach dem Zuckerstiche ist die Chromierbarkeit des Paraganglion aort. abd. beim Kaninchen herabgesetzt. (Borberg, S. 351.) III. Unklare und komplizierte Versuche der Reizung des N. splanch- nicus nach Entfernung der entsprechenden Nebenniere oder Unterbindung ihrer Vene, sowie der Reizung der Lebernerven beim Hunde mit oder okne Nebennierenexstirpation führten zu keinen klaren Resultaten. Der Erfolg der Splanechnicus- reizung auf den Blutzucker blieb aus, Lebernervenreizung war nur bei intakten Nebennieren wirksam. (Macleod und Pearce, S. 363.) Nach Durchsehneidung sämtlicher zur Leber ziehender Nerven und Gefässe mit Ausnahme der Vena portae ist beim Kaninchen trotz äusserst ungünstiger Verhältnisse der Zuckerstich in der Hälfte der Fälle von Hyperglykämie gefolgt. (Freund, S. 365.) ec) Beim Kaninchen verursacht der Zuckerstich nach vollkommener a) b) e) Isolierung der Leber und rechten Nebenniere vom Zentrum unter Belassung des Zusammenhanges der linken Nebenniere mit ihrer Innervation fast ausnahmslos hochgradige Hyper- glykämie. Danach weist die linke Nebenniere die unter IIa)- erwähnten Veränderungen auf. (Jarisch, S. 366.) IV. Im Blute aus solchen Gefässgebieten, welche weitab von dem Zuflusse des Nebennierenvenenblutes liegen, lässt sich weder nach dem Zuckerstiche oder nach anderen zentralen Eingriffen noch nach wirksamen subkutanen Adrenalingaben mit den bio- logischen Methoden des Adrenalinnachweises ein Befund er- heben, welcher auf einen vermehrten Adrenalingehalt hindeuten würde. (Kahn, Nishi, Negrin, S. 369 u. 370.) Nach zentraler Reizung durch Aufregung, Asphyxie und Zucker- stich aus der Vena cava in der Gegend der Einmündung der Nebennierenvenen entnommenes Blut wirkt stärker gefäss- verengernd und darmtonushemmend als vorher. (Cannon und de la Paz, Cannon und Hoskins, Kahn, S. 371 u. 372.) Ebensowenig wie nach wirksamen subkutanen Adrenalingaben lässt sich nach dem Zuckerstiche eine Blutdrucksteigerung, zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 387 welehe auf Adrenalinwirkung bezogen werden könnte, mit Sicher- heit nachweisen. (Behauptet von Neubauer, S. 378, ver- misst von Borberg und von Trendelenburg und Fleisch- hauer, S. 380.) Beirachtet man die unter II über das Vorhandensein eines Funktionszustandes in den Paraganglien nach der zentralen Reizung vorliegenden Befunde, sowie die unter IV erwähnten Feststellungen über den Adrenalingehalt des Blutes nach diesen Eingriffen, so kann eieentlich über Eines kaum ein Zweifel bestehen. Als Folge des Zuckerstiches und der übrigen zentral wirkenden Eingriffe kommt es zu einer regen sekretorischen Tätigkeit der Paraganglien, vor- nehmlich des Nebennierenmarkes, und zur vermehrten Abgabe von Adrenalin in das Blut der Vena cava. Diese Substanz wird dann im Gefässsysteme bis zu solchem Grade verdünnt, dass es nicht mehr gelingt, sie mit den gebräuchlichen Methoden nachzuweisen. Nur im Blute der Vena cava selbst ist ein solcher Nachweis möglich. ‘ Dass Adrenalin in derart geringen Konzentrationen imstande ist, slykosurisch zu wirken, ergibt sich aus dem Verlaufe der Folgen subkutaner Adrenalingaben (IVa), bei welchem ebenfalls kein Adrenalinnachweis im Blute der pheripheren Gefässe gelingt. Da es in letzterem Falle auch nicht zu merklicher Vasokonstriktion im Tierkörper kommt (Blutdrucksteigerung fehlt, IVe), so ist eine solche als Folge der erwähnten zentralen Eingriffe weder zu er- warten noch nachgewiesen (IVe). Wenn Trendelenburg und Fleischhauer dem Fehlen der Blutdrucksteigerung eine so grosse Bedeutung beilegten, dass sie sich berechtigt glaubten, über alle anderen Befunde hinwegschreiten zu können, so beruht das einer- seits, wie wir oben erwähnt haben, auf ihren Infusionsversuchen, deren Resultat die Autoren nicht richtig gewürdigt haben, anderer- seits aber auf dem Umstande, dass sie den Folgen der subkutanen Adrenalindarreichung nicht den entsprechenden Wert zubilligten. Wenn aber von verschiedenen, an der Ausarbeitung des Problemes oft gar nicht beteiligten Seiten gerade die Versuche dieser Autoren und ihre ablehnende Meinung als besonders treffend hervorgehoben wurden, so kann dies nur auf einer oberflächlichen Beurteilung der vorliegenden Tatsachen und Erörterungen beruhen. Erwäst man nun weiters die unter I vorgeführten Resultate teilweise ganz rein und sehr elegant durchgeführter Untersuchungen 388 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung (a, b, e, d) so sprechen diese wiederum dafür, dass ursächliche Be- ziehungen zwischen den Nebennieren und der Glykogenmobilisierung bestehen müssen, welche man nach dem Zuckerstiche und anderen zentralen Einwirkungen beobachtet. Aber auch die übrigen unter I erwähnten Versuchsresultate, wenn sie auch nicht mit ebenso durch- sichtiger Methode gewonnen wurden, sprechen in demselben Sinne. Die leider methodisch nicht einwandfreien Versuche von Freund und Marchand zeigen dabei das Bestehen der Möglichkeit, dass nach dem Zuckerstiche unter gewissen Bedingungen eine, wenn auch geringgradige Hypergiykämie auch ohne Mitwirkung der Nebenniere zustande kommen kann. Wenn gerade diesen Versuchsresultaten und der ablehnenden Meinung der Autoren von manchen Seiten wiederum eine entscheidende, alles andere überragende Wichtigkeit zuzemessen wurde, so hat dies gleichfalls nur in oberflächlicher Be- urteilung dieser und mangelhafter Kenntnis der sonstiger vorliegenden Untersuchungen seinen Grund. Ist nun einerseits die Wichtigkeit der Nebennieren für das Zu- standekommen der Glykogenmobilisierung nach zentralen Eingriffen sichergestellt, und ist andererseits erwiesen, dass diese Organe und vermutlich auch andere Paraeanglien in diesem Falle rege tätig sind, indem sie im Wege der inneren Sekretion Adrenalin in das Blut abgeben, so wird man nicht zögern, dieser durch zentrale Reizung veranlassten Adrenalinabeabe eine wesentliche Rolle für das Auf- treten der besonderen Freignisse im Kohlehydratstoffwechsel zu- zuschreiben. | Für die Anschauung von der Art dieser Rolle und von ihrer Bedeutung ergeben die unter III b, e angeführten Versuchsresultate, ebenso wie die unter I d, e erwähnten, besondere Fingerzeige — zumal wenn man sie in Zusammenhang mit beachtenswerten, auf anderen Gebieten gesammelten Erfahrungen bringt. Die Nerven der’ Leber haben vermutlich dreierlei Funktion. Sie versorgen den Gallengangs- apparat, sie beherrschen das Gefässsystem des Organes vasomotorisch, und sie regeln in spezifischer Funktion die sekretorische und wohl auch die anderen dem Stoffwechsel dienenden Verrichtungen der Leberzellen. Wie weit vasomotorische Erscheinungen für die uns interessierende Glykogenmobilisierung in Betracbt kommen mögen, ist hier nieht der Ort, zu besprechen. Zweifellos aber sind die dem Kohlhydratstoffwechsel in der Leber zugrunde liegenden Vorgänge im wesentlichen in spezifischer Zelltätigkeit gelegen, welche unter a ae Ehen a ine FE ORTE zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 389 direkter Regelung des Nerveusystemes steht. Wie soll nun diese nervöse Beeinflussung der Leberzelltätigkeit beschaffen sein? Die Vorstellung ist ansprechend, dass sie im wesentlichen eine dauernde ist, in dem Sinne, in welchem v. Tsehermak!) den Begriff der Zustandsbedingung gefasst und als tonische oder Dauerinnervation von der vorübergehenden alterativen Innervation geschieden hat. - Beispiele solcher tonischen Bedingungsinnervation sind vielfach ge- geben worden. Die Innervation der Lymphherzen der Batrachier, sowie überhaupt rhytnisch tätiger, vom vegetativen Nervensystem ver- sorzter Organe, auch des Biutherzens, lässt sich also eine solche Bediueungsinnervation auffassen. Danach hätte man sich vorzustellen, ‘es werden die Organe durch nervösen Einfluss dauernd in einen Zu- “stand versetzt (Neurotonus), in welchem für den Funktionsablauf, für das Zustandekonmen und die Art des Erfolges spezifischer, vorüber- gehender alterativer Reizung gewisse «„ünstige Bedingungen ge- schaffen und dauernd erhalten werden. Diese tonische Bedingungs- innervation, ein soleher neurogener Dauereinfluss dürfte sich in gleicher Weise auch auf die Drüsen (Speicheldrüsen. Niere) er- strecken. Nichts spricht dagegen, wenn wir hier auch für die Leber- zellen eine solche tonische Bedingungsinnervation auf sympathischen Wegen annehmen. Eine solche würde also dauernd in den Zellen einen Zustand erhalten, welcher sie zur Ausübung ihrer spezifischen Tätigkeit besonders geeignet macht. Nicht um das Vorhandensein einer conditio sine qua non handelt es sich hier, nicht um eine absolute Bedingung, ohne deren Bestehen die spezifischen Leistungen der Zelle unmöglich wären. Sondern hier ist die tonische Inner- vation eine relative Bedingung, wie sie von A. v. Tschermak für das Lymphherz gewisser Batrachierarten — im Gegensatze zum absoluten Bedingungsverhältnis bei anderen — sowie für das’ Blut- herz der Wirbeltiere postuliert wurde. Das letztere arbeitet ja bei Fortbestehen seiner chemischen, thermischen und Füllungsbedingungen auch nach Durchschneidung aller extrakardialen Nerven, ebenso nach möglichster Entfernung der intrakardialen Ganglienzellen und Nerven- fasern. Normal jedoch erfolgt die Tätigkeit nur in einem nervös be- dingten Zustande, in einem bestimmten neurogenen Kineotonus. “Und ebenso, wie bekanntlich unter Umständen das stillstehende Säugerherz 1) Anschauung und Literatur hierüber bei: A. v. Tschermak, Die Lehre von der tonischen Innervation. Wiener klin. Wochenschr. 1914 Nr. 13. 390 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung oder das Lymphherz durch Nervenreizung zum Schlagen gebracht werden kann, werden wir natürlich anzunehmen haben, dass auch die Drüsenzellen der Leber alterativ auf neurogenem Wege beeinflusst werden können. Im wesentlichen aber stellen wir uns hier die Nerven- wirkung als eine tonische vor, die Tätigkeit der Leberzellen ist neu- rotonisch bedingt. In welchem Umfange diese Verhältnisse bei normalem Kohle- hydratstoffwechsel in der Leber eine Rolle spielen, lässt sich vorläufig ‘schwer beurteilen. Im Falle der zentralen Reizung — der Zucker- stich ist hier ein besonders gut definierter Eingriff — kommt es zu besonderer Steigerung der dauernden tonischen Innervation. Dadurch werden die Bedingungen für den Ablauf der spezifischen Zellfunktion, aber auch für jene in letzter Linie chemischen Einflüsse, welche als alterative Reizung die spezifischen Vorgänge auslösen, besonders günstig. Jene, wenn auch in geringer Konzentration im Blute vor- handene, gleichzeitig unter Nerveneinfluss aus den Paraganglien ab- gesonderte Substanz, das Adrenalin, von welchem wir aus toxi- kologischen Versuchen wissen, dass sie die glykogenolytische Tätig- keit der Leberzellen auszulösen imstande ist, findet nun für ihren Angriff die günstigsten Bedingungen. Es kommt als Folge der zentralen Reizung zu Glykogenmobilisierung, Hyperglykämie und Glykosurie. Diese Erscheinungen sind also neurotonisch bedingt und chemisch ausgelöst. ? Die in unserer Übersicht oben unter III b, e und unter Id, e verzeichneten Versuchsresultate fügen sich den vorgetragenen An- schauungen sehr gut ein. Die Steigerung des Neurotonus nach der zentralen Reizung ist eine relative Bedingung. Nach nervöser Iso- lierung der Leber ist die Wirkung des Zuckerstiches in den meisten Fällen erhalten, ebenso wie die Adrenalinelykosurie dureh subkutane Darreichung des Giftes auch nach Splancknieusdurcehschneidung und Leberenervierung eintritt. Dass sie in manchen der vorliegenden Versuche gefehlt hat, dürfte vor allem bei der Schwierigkeit derselben in den ungünstigen Versuchsbedingungen gelegen‘ gewesen sein. Bei Verlust der Nebennieren fehlt in der Regel nach zentraler Reizung der Erfolg. Jedoch ist auch hier ein gewisser Einfluss des gesteigerten Neurotonus nicht zu verkennen. Je nach der Güte der’ Versuchs- bedingungen kann unter Umständen eine leichte Steigerung des Blut- zuckerspiegels mehr oder weniger sicher beobachtet werden, wobei sich vielleicht sogar verschiedene Tierarten verschieden jvernalien: \ er i N; ar zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels en Vorgänge. 391 Hat man doch auf anderen Gebieten zum Beispiel beim Hunde eine _ viel ausgesprochenere Neigung zum nervösen Tonus (Vagustonus) fest- stellen können, als etwa beim Kaninchen. Leider sind die Versuche bei dem ersteren in unserer Frage besonders unrein. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass auch die „freien“ Paraganglien eine gewisse Rolle spielen dürften. Zur vollkommenen Veranschaulichung führen wir endlich die wichtigsten experimentellen Befunde sowie die wesentlichsten Punkte unserer Anschauung zusammenfassend an der Hand einer grob schematisch entworfenen Skizze vor, in welcher die hauptsächlichsten Beziehungen von Zentrum, Leber und Nebennieren zueinander dar- gestellt sind. Im Wege dauernder Einflussnahme unterhalten gewisse 392 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung Elemente des zentralen Nervensystems (7) auf dem Wege des N. splanchnieus (Sp!) unter Zwischenschaltung peripher in den grossen sympathischen Ganglien der Bauchhöhle liegender Nerven- zellen in den Zellen der Leber (Z) einen dauernden Tonus, welcher vermutlich für die normale, dem Kohlehydratstoffwechsel dienende Zellfunktion von Bedeutung ist. Im Falle zentraler Reizung (Zucker- stich, Asphyxie usw.) erfährt dieser neurogene Tonus eine Steigerung auf dem genannten Nervenwege. Andere Elemente des zentralen Nervensystems (88), welche ebenso wie die oben erwähnten (7) in der Gegend des IV. Ventrikels liegen dürften, sind als die sekre- torischen Nervenzentren des chromaffinen Gewebes, also vor allem des Nebennierenmarkes (N) anzusehen. Ihre Reizung durch zentral® wirkende Eingriffe führt zu reichlicher Abgabe (wohl auch Bildung) von Adrenalin, welches den Leberzellen (Z) durch das Blut der Leber- arterie (L_A) und der Pfortader (PA) zugeführt wird. Die Erresunes- . leitung erfolgt hier ebenfalls auf dem Wege des N. splanchnieus (Sp!) mit oder ohne Zwischenschaltung peripherer sympathischer Ganglien. Die Reizung der genannten zentralen Elemente (785) veranlasst also eleichzeitig, und zwar neurogen, einerseits eine Steigerung des Tonus der Leberzellen, andererseits eine rege innersekretorische Tätig- keit des chromaffinen Gewebes. Beide Umstände bewirken zusammen jene umfangreiche Mobilisierung des Leberglykogens, welche als Folge der: zentralen Reizung zu hochgradiger Hyperglykämie und Glykosurie führt. Für die chemische Auslösung der spezifischen Tätigkeit durch das Adrenalin sind die Leberzellen durch die Steigerung ihres Tonus in einen besonders empfänglichen Zustand versetzt, die Bedingungen für die Adrenalinwirkung sind dureh die Tonussteigerung besonders günstige. Indessen ist das Vorhandensein dieser günstigen Vorberei- tung des Wirkungsfeldes für das Adrenalin zu seiner Wirkung nicht unerlässlich, die Tonussteigerung ist keine absolute Bedingung. Denn die Durchschneidung der Lebernerven (bei 1) oder besser (weil mit geringeren Nebenverletzungen verbunden) die Abtrennung der Leber und rechten Nebenniere von den nervösen Verbindungen mit dem Zentralnervensystem und der liuken Nebenniere (bei 2) ändert an dem Eintreten der Störungen des Kohlehydratstoffwechsels nur wenig oder nichts. . Andererseits aber kann die Steigerung des Tonus der Leberzellen allein unter günstigen Versuchsbedingungen ausreichen, um zu einem gewissen übernormalen Glykosenabbau in der Leber ‚zu führen und damit zu einer, wenn auch regelmässig geringgradigen | | N zur Störung des Kohlehydratstoffwechsels führenden Vorgänge. 393 _ Hypergiykämie Anlass zu geben. Denn es lässt sich zeigen, dass die Exstirpation der Nebennieren bzw. die Durchschneidung ihrer Nerven und die Abklemmung ihrer Gefässe (bei 3) das Zustandekommen der Folgen zentraler Reizung zwar in der Regel verhindert, jedoch ge- legentlich eine leichte Steigerung des Blutzuckerwertes bewirken kann. So sehen wir also die Anschauung von der ursäch- lichen Beziehung der Nebennierenfunktion zu den Zuekerstichfolgen wohl begründet. Nur ist dieselbe weiter zu fassen, als es seinerzeit, da die Vermutung eines solehen Zusammenhanges auftauchte, geschehen ist. Der Zuckerstich ist nur ein Repräsentant einer Reihe zentraler Einwirkungen, das Adrenalin spielt zwar eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle für das Zustandekommen der folgenden Vorgänge in der Leber, und ausser den Nebennieren stellen auch andere Paraganglien Glieder in jener Kette von Ereignissen dar, welche in letzter Linie zur Glykosurie führen. Zum Schlusse dürfen wir es nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, von wie grosser Wichtigkeit die vorgetragenen Versuche und An- schauunsen für die Lehre von der Nebennieren- bzw. Paraganglien- funktion überhaupt ist. Denn abgesehen davon, dass durch sie der Mechanismus des Zuckerstiches ebenso wie der anderer zentraler Eingriffe eine neue und an sich sehr interessante Beleuchtung erfährt, handelt es sich dabei um den Nachweis einer physiologischen Adrenalin- wirkung. Ein solcher kann gar nieht genug begrüsst werden. Sieht man sich nämlich genau danach um, womit man denn sonst eine solche Erscheinung vorführen könnte, so befindet man sich in grösster Verlegenheit. Ich elaube, einem Jeden, der über innere Sekretion ‚Vorlesungen hält, wird es aufgefallen sein, dass, wenn man von so- genannten klinischen Erfahrungen absieht und sich nur streuge an die Experimente hält, welche in methodischer Hinsicht allen An- forderungen genügen, für die Bedeutung der „physiologischen Adre- nalinämie“ kaum etwas Rechtes ins Treffen geführt werden kann. Das Heer toxikologischer Adrenalinversuche ist ja sehr stattlich an- zuschauen, aber was haben wir an klarer experimenteller Sicherung für die Bedeutung physiologisch sezernierten Adrenalins für den Gefässtonus, für den sogenannten Zuckertonus, für den normalen Sympathieustonus überhaupt vorzubringen? Eigentlich Nichts. Gewiss ‚gibt es die Bestimmungen des normalen Adrenalingehaltes des Blutes, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. : 26 \ 394 R. H. Kahn: Über die nach zentraler Reizung usw. welche aber nichts anderes sind als zahlenmässige Vergleichungen der vasokonstriktorischen oder hemmenden Funktion von Seren oder Plasmen mit Standardlösungen von Adrenalin. Dabei ist über die wahre Natur der Substanzen, welche hier die Gefässe zur Kontraktion bringen, oder Darm-, Uterus- oder gar Irismuskulatur beeinflussen, eigentlich nichts Näheres bekannt. Die Versuche zum Nachweise einer „pathologischen Adrenalinämie“ sind methodisch mindestens ebenso zweifelhaft. Die einzig zuverlässigen Experimente, auf welche man mit Überzeugung hinweisen kann, sind jene bekannten, welche ergeben haben, dass, mit biologischen Methoden gemessen, das den Nebennieren entstammende Blut in adrenalin-analoger Richtung wirk- samer wird, wenn die sympathischen, zu diesen Organen hinführenden Nerven künstlich gereizt werden. Hierfür sind diese Methoden- auch zweifellos geeignet, denn nach der ganzen Sachlage muss wohl eine Zunahme der Wirkung, auf Adrenalin bezogen werden. Um so grössere Wichtigkeit gewinnen dadurch die in unserem Aufsatze gewürdigten Befunde. Denn sie weisen eigentlich allein den, man kann sagen, bisher ganz vereinzelten Fall auf, in welchem eine „physiologische“, nervös ausgelöste innere Sekretion aus chromaffinem Gewebe zu einer bestimmten, mit dem sympathischen Nervensystem in engem Ver- hältnisse stehenden Organfunktion in wichtige, wohlbegründete Be- ziehungen gebracht werden kann. Wohl ist Derartiges schon für andere Gebiete, etwa für die Erscheinungen des Kohlehydratstoff- wechsels bei der Muskelarbeit oder für künstlich hervorgerufene extreme Schwankungen des Blutdruckes, versucht worden. Aber die Befunde waren entweder negativ oder die Methodik nicht einwands- frei. Man muss die Sicherstellung der Beziehung der Nebenniere zur Glykogenmobilisierung nach zentraler Reizung zweifellos als eines der wichtigsten bisher vorliegenden Ergebnisse der Physiologie der inneren Sekretion des chromaffınen Gewebes einschätzen. EN 395 -_ (Aus dem physiologischen Institut der Universität Göttingen.) Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit von der Hautdurchblutung und + von den Refiexzentren. Von Ulrich Ebbecke, > Inhaltsverzeichnis. Eiire N ee ER BE Aa 395 A. Der periphere, in der Haut gelegene Apparat der Temperaturempfindung 397 1. Historische Übersicht über die Theorie der Temperaturempfindung und-die Sekundärempfindungen. . u „ne ne 397 2. Durch einströmendes Blut in der Haut bewirkte Temperatur- EEE TI EC) OA ROSE AR TORRENT BEFRADE- 77 EUR SOERENEIR Vecer 401 3. Adaptation, Sukzessiv- und Simultankontrast . -.... 2 2.2... 412 4. Der adäquate Reiz für normale und „paradoxe“ Kälteempfindung . 416 9. Der adäquate Reiz für Wärmeempfindung ... ..».. 2.2 2.2... 418 6. Wärmeleitung und Wärmekonvektion in der Hut... ..... 420 Die „parädoxe* Wärmeempfindung .'... . . „1. 2 an. el. 424 8. Schematische Zusammenstellung -. . . 2 2... 2 22 20 0. 429 9. Erkenntnistheoretische Bemerkungen . ... 2... le... 435 B. Der zentrale, in der grauen Substanz gelegene Apparat der Temperatur- EN 2 NE N a ee de N Er 436 1. Das Gefühl von Frost (Frieren, Frösteln) und Schwüle (Warmsein). 459 2. „Reflexempfindung* und „Tonusgefühl“ .. .. 2... 2.2.2.0. 442 3. Gemeingefühle und propriozeptive Nerven... 2... 2.2202 .0. 445 4. Leitung der thermischen Erregung im Rückenmark. ....... 448 5. Irradiation von Temperaturempfindungen . ». 2... 2.20... 450 6. Verdrängung und Hemmung von Temperaturempfindungen . . . . :452 7. Mischempfindung, Verschmelzung und Urteilstäuschung. .. .. . 458 Selar Demperatursinn' als’ Einheit '. ... “u an. 2 tee 460 nt N RN ae le 461 Einleitung. v. Frey, dem wir zahlreiche wichtige Untersuchungen auf dem Gebiet der Hautsinnesempfindungen verdanken, sagt über Temperatur- 26 * 396 Ulrich Ebbecke: empfindungen !): „Ein Verständnis... wird erst aus einer Theorie der Temperaturerregung erwachsen, die gegenwärtig noch aussteht.“ Einen Sehritt weiter zu diesem Ziele führen, wie ich hoffe, die Versuche, die im folgenden mitgeteilt und besprochen werden sollen. Während im allgemeinen bei den Experimenten über Temperaturempfindung -die äusseren Bedingungen variiert werden bei konstanten inneren Bedingungen, wird hier der andere Weg eingeschlagen, bei Konstant- erhaltung des äusseren thermischen Mediums die subjektiven Faktoren, die im Körper selbst gelegenen Bedingungen zu variieren. Wie schon E. H. Weber in seiner grundlegenden Abhandlung?) feststellte, ist für die Temperaturempfindung nieht nur die von aussen einwirkende Temperatur, sondern wesentlich die Temperatur der Haut selbst maassgebend, die ihrerseits ausser durch Aussentemperatur und Verdunstung von dem Grade der Blutdurehströmung bestimmt wird. Mehr als bei dem Gesichts-, Gehörs- und Tastsinn, deren Erregungen wir auf Veränderungen der Aussenwelt, auf äussere Objekte. zurück- zuführen gewohnt sind, kommt bei dem Temperatursinn zu Bewusst- ‚sein, dass es in letzter Linie nur der Zustand der Sinnesapparate selbst ist, wovon unsere Empfindung abhängt. Sprachlich äussert sich das darin, dass wir sowohl von Temperaturempfindung wie von Wärmegefühl zu sprechen pfleeen und unser Urteil bald wie auf optischem Gebiet formulieren: Es ist warm, es ist kalt (es ist hell, ist dunkel), bald so, wie es optisch nieht möglich wäre: Mir ist, ich bin, ich fühle mich warm oder kalt, wobei wir das eine Mal den Zustand des äusseren Mediums, das andere Mal den des eigenen Körpers beurteilen und eine scharfe Trennung von Empfindung und Gefühl auf Schwierigkeiten stösst. Während uns die subjektiven Gesichts- und Gehörseindrücke als Sinnestäuschungen und störende Ausnahmefälle vorkommen, kommt das unbefangene Urteil nicht ‚auf den Gedanken, ein etwa durch lebhafte Bewegungsarbeit oder durch Alkoholgenuss erzeugtes Wärmegefühl als Sinnestäuschung zu be- zeichnen. Ähnlich beziehen wir einen Schmerz bald mehr: auf äussere, bald mehr auf innere Zustände und kann durch die an den äusseren Anlass sich anschliessenden Organempfindungen die Gegen- \ 1) Vorlesungen über Physiologie 1904 8.314. Ähnlich in Ergebn. d. Physiol. “1910 8. 355. Mn: j 2) Tastsinn und Gemeingefühll. Wagner’s Handwörterb. d. Physiol. Bd. 3b. 1846. EZ IE En er i ? 2 s ._ 2 ’ Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 397 standserkennung behindert werden. Entfernen sich hiernach die Schmerz- und Temperaturempfindungen von den reiner okjektivierenden Sinnen und nähern sich den noch unbestimmteren, aus dumpfen Organempfin- dungen zusammengesetzten „Gemeiugefühlen“, wie Hunger, Durst, Sättigung, Wohlgefühl, Behaglichkeit, Müdigkeit, so wird eher ver- ständlich, dass die Haut zum Beispiel ein so unvollkommener Thermo- meter ist, den Ansprüchen, die wir an ein physikalisches, nur .auf Aussenwirkungen reagierendes Messinstrument stellen, wenig genügt, und dass sie dort Empfindungsgegensätze vermittelt, wo eine physikalische Betrachtung nur graduelle Temperaturunterschiede an- zeigt. Anderseits gibt die grössere Abhäugigkeit des Temperatur- organs vom Zustand der Haut den Untersuchungen hierüber besondere sinnesphysiologische und erkenntnistheoretische Bedeutung. Allerlei Fragen wie die nach dem peripheren oder zentralen Ursprung der Kontrastempfindung, deren Schwierigkeit für den Gesiehtssinn sich bei dem historischen Streit zwischen Helmholtz und Hering herausstellte, werden vom Hautsinn aus eher zu beantworten sein, weil hier der Einfluss auf den Zustand des peripheren Apparats leichter isoliert und experimentell kontrolliert werden kann. Ein weiterer Vorteil liegt. wie sich zeigen wird, darin, dass auch die erste Unterbrechung und Vertretung der thermischen Nervenerregung auf ihrem Leitungswege durch die graue Substanz in spinalen Zentren und nicht wie bei den höheren Sinnen schon im Gehirn liegt. A. Der periphere, in der Haut gelegene Apparat der Temperaturempfindung. 1. Historische Übersicht über die Theorie der Temperatur- empfindung und die Sekundärempfindungen. Nach der allgemein verbreiteten, von E. H. Weber aus- gesprochenen Ansicht entsteht Warmempfindung, wenn die Eigen- temperatur.der Haut steigt, Kaltempfindung, wenn sie sinkt. Nicht auf den Grad der Temperatur kommt es also an, sondern auf ihre Veränderung, nach einer allgemeinen Regel, die sich ähnlich zum Beispiel bei der galvanischen Nervenreizung findet. Wie Hering im einzelnen auseinandergesetzt hat, erfolgt eine Ver- änderung der Hauttemperatur, wenn das Gleichgewicht zwischen Wärmezufuhr und Wärmeabfuhr gestört ist. 398 Ulrich Ebbecke: Da nun stets zweierlei thermische Faktoren auf die Haut ein- wirken, von aussen und von innen, von dem umgebenden Medium und von dem umspülenden Blut, die wir gleichzeitig zu berücksichtigen haben, so sind zahlreiche mögliche Kombinationen gegeben, die sich in schematischer Übersicht zusammenstellen lassen: I. Gleichbleibender Blutstrom: 1. Abnahme der Aussentemperatur, 2. Zunahme der Aussentemperatur. I. Gleichbleibende Aussentemperatur: 1. Abnahme der inneren Wärmezufuhr (Hautgefässverengerung), 2. Zunahme der inneren Wärmezufuhr (Hautgefässerweiterung). III. Veränderung beider Faktoren: 1. Gleichsinnig: a) abnehmend, b) zunehmend. 2. Ungleichsinnig: a) mit Überwiegen des äusseren «) abnehmenden Faktors, #) zunehmenden Faktors; b) mit Überwiegen des inneren «) abnehmenden Faktors, ß%) zunehmenden Faktors. Wenn nun noch der physikalische Einfluss des äusseren Mediums zerlegt wird in Wärmestrahlung, Wärmekapazität, Leitfähigkeit und Wärmeentziehung durch Verdunstung, wonach zum Beispiel Queck- silber thermisch stärker wirkt als Wasser, dieses stärker als Luft, und zu den inneren Faktoren die Ermüdbarkeit der Temperatur- punkte und die Summation durch gegenseitige Verstärkung be- nachbarter Reizungen, ferner die lokal verschiedene Dicke der Epi- dermis und Dichtigkeit der Temperaturpunkte hinzugenommen werden, so sollte man meinen, es müsste sich aus diesen Kom- ponenten die jeweilige Temperaturempfindung berechnen und voraus- sagen lassen. Dennoch ist dies nicht der Fall. Zwar die Kälte- oder Wärmeempfindung, die durch mechanische oder elektrische‘ Reizung der Temperaturpunkte (Blix, Gold- scheider) zustande kommt, ist als Erregung der thermischen End- apparate durch inadäquaten Reiz verständlich. In diesem Sinne kann auch noch die „paradoxe Kälteempfindung“ aufgefasst werden, die von Frey, Lehmann nnd Kiesow für punktförmige, Thun- berg und Alrutz für flächenhafte starke Wärmereize fanden. Weniger ersichtlich ist, warum dann nieht auch Wärmepunkte auf m mg ne nn nn Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 399 starken Kältereiz mit ihrer spezifischen Empfindung reagieren, was trotz sorgfältigen Suchens nicht gelungen ist, sicher zu konstatieren. Sekundärempfindungen. Dagegen bereitet die ein- fache Tatsache, dass eine Temperaturempfindung unter Umständen von beliebig langer Dauer sein kann, der Erklärung die grössten Schwierigkeiten. In kalter Luft oder in einem kühlen Bad frieren wir, solange wir uns darin aufhalten, obwohl doch anzunehmen wäre, dass hier, wie es bei intensiven lokalen Reizen der Fall ist, innerhalb weniger Minuten die „Adaptation“, sei es durch Verschiebung des physiologischen Nullpunkts (Hering), sei es durch Abstumpfung, Gewöhnung oder Ermüdung, eingetreten ist. Hier hat ein, schon von E:. H. Weber angeführter Versuch historische Bedeutung für die Entwicklung der Lehre von den Temperaturempfindungen gewonnen, da er der Ausgangspunkt für verschiedene Erklärungen geworden ist. Weber schreibt: „Wenn man einen Teil der Haut des Gesichts, zum Beispiel die Stirn, mit einem + 2° R. kalten Metallstabe einige Zeit, zum Bei- spiel 80 Sekunden, in Berührung bringt und denselben dann entfernt, so fühlt man ungefähr 21 Sekunden lang die Kälte in jenem Teile der Haut. Nach dem, was soeben mitgeteilt worden, hätte man ‚glauben sollen, wir würden das Gefühl der Wärme haben, während ein erkälteter Teil der Haut wieder erwärmt würde. Ich vermute daher, dass in diesem letzteren Falle das Gefühl der Kälte nicht dadurch entsteht, dass die Nerven des erkälteten Hautstücks, sondern dass die Nerven der angrenzenden Haut, der nun von der erkälteten Haut Kälte mitgeteilt wird, die Empfindung der Kälte hervorbringen.“ Für Hering!) war dieser Versuch ein Anlass, seine Lehre der Weber’schen entgegenzusetzen, wonach nicht das Steigen oder Sinken der Hauttemperatur, sondern der Abstand der Eigentempe- ratur von der, freilich verschieblichen, „Nullpunktstemperatur“* die Temperaturempfindung ausmache. Goldscheider?) meint dazu: „Die Nachdauer der Erregune ist sämtlichen Sinnesnerven in mehr oder weniger ausgedehntem Maasse eigentümlich, und wenn man erwägt, wie ausserordentlich lange der Erregungszustand der Netz- haut nach einem intensiveren Eindruck anhält und sich in den Nach- 1) Grundzüge einer Theorie des Temperatursinnes. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. Bd. 75 H. 3 S. 101. 1877. 2) Neue Tatsachen über die Hautsinnesnerven. Arch. f. Physiol. Supplbd. S. 34. 1885. = 400 Ulrich Ebbecke: bildern dokumentiert, so dürfte es nichts Gezwungenes haben, den Weber’schen Versuch durch die lange Nachdauer des Erregungs- zustandes der Kältenerven zu erklären, besonders in. Rücksicht auf die analoge Erscheinung am einzelnen Temperaturpunkt, welche durch Hering’s Anschauung nicht erklärt werden kann.“ Vier- ordt!) teilt einen ähnlichen Versuch mit: „Drückt man bei mittlerer Zimmertemperatur ein kaltes Metallstück (von — 2 bis — 8° C.) etwa 20 Sekunden hindurch gegen den Handteller, so fällt die Temperatur des letzteren um ©—8° C. Man hat zugleich eine schmerzhafte Empfindung. Nach Entfernung des Metalls erwärmt sich die er- kältete Haut, anfangs rasch, später langsam, doch so, dass selbst nach 5—8 Minuten die Haut noch nicht ihre frühere Temperatur erreicht hat. Während dieser ganzen Zeit des objektiven Tem- peratursteigens der Haut hat man deutliches Kältegefühl. Bringt man umgekehrt ein recht warmes (übrigens nicht schmerzendes) Metallstück mit der Haut kurze Zeit in Berührung, so steigt die Hautwärme um 1—2° C. Künhlt sieh, nach Entfernung des warmen Körpers die Haut lanesam ab. so hat man minutenlang (7 Minuten und darüber) ein Gefühl von Wärme.“ Die Vierordt’sche Meinung, dass. die Temperaturempfindung von der Richtung des Temperaturgefälles abhänge, ist freilich leicht zu widerlegen. Auch ist der Versuch wegen der Dicke der schlecht leitenden Epidermis am Handteller und aer hierdurch bedingten langen Dauer des Wärmeauseleichs schlechter zu verwerten. Holm?) schliesslich hat die Nachdauer der Temperatur- empfindungen zum Gegenstand einer besonderen Untersuchung ge- macht, wobei er den Thunberg’schen Temperator, einen durch fliessendes Wasser konstant temperierten Metallbehälter, verwendete. Er findet als die Zeiten, nach denen die Temperaturempfindung an der Bauchhaut trotz weiterbestehender thermischer Einwirkung ver- schwunden ist: Reizgrad Empfindungsdauer Reizgrad Empfindungsdauer 50 3 Min. 30 Sek. 30° ol Sek. 10° EN 35° I 15° IN 92 ne 40° 2Min 6 „ 20° I El 450 2 RS2EE 250 4 ,„ 1) Grundriss der Physiologie. 1877. 2) Über zurückbleibende Temperaturempfindungen. Skandin. Arch. f. Physiol. Bd. 14 S. 249. 1903, und: Die Dauer der Temperaturempfindungen bei konstanter- Reiztemperatur. Skandin. Arch. f. Physiol. Bd. 14 S. 242. 1903. / v Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 401 Diese Zeiten sind also recht kurz. Über Nachempfindungen schreibt Holm, dass er sie nach längerer Reizungszeit als 15 Se- kunden an Bauch und Unterarm überhaupt nicht erhalten hat, an der Stirn (dagegen bei 10° C. noch nach einer Berührungszeit von 4 Minuten, wobei die Kälteempfindung erst 40 Sekunden nach Ab- heben des Temperators eintrat und dann 1 Minute lang andauerte. Als Erklärung für diesen Befund sprechen Alrutz, Holm und Thun- berg’) die Vermutung aus, es möge sich hier um „paradoxe Kälte- - empfindungen“ infolge Erwärmung der apgekühlten Nervenendorgane durch das Blut handeln. | - 2. Durch einströmendes Blut in der Haut bewirkte Temperatur- empfindungen. Bei diesem Stand der Frage setzen meine Versuche ein, die eine einfache Antwort geben. _ Der Unterarm wird in Wasser von 15°C. eingetaucht. Die an- fangs lebhafte Kälteempfindung erlischt nach 7—10 Minuten, — eine Zeit, die sehr variabel ist, je nachdem der Arm vorher. warm oder “ kalt war —. Danach wird der Arm aus dem Wasser gehoben, rasch abgetrocknet und die Aufmerksamkeit auf Temperaturempfindung gerichtet. Der Arm fühlt sich sehr kalt an, hat aber kein Kälte- gefühl. Nach einer Pause von etwa 1 Minute setzt eine Kälte- empfindung ein, die sich in der nächsten Minute noch steigert, späterhin- sich absehwächt und sich erst in ungefähr 10 Minuten verliert. Der Gegenversuch isf folgender: Bevor der Arm aus dem 15°C. warmen Wasser gehobeu wird, wird er durch Esmarch- Binde oder durch die Recklinghausen’sche Manschette ab- gebunden, so dass kein Blut einströmen kann. Nach dem Heraus- heben und Abtrocknen tritt ausser einer flüchtigen, durch den Unter- schied von Wasser und Lufttemperatur veranlassten geringen Wärme- empfindung keine Temperaturnachempfindung auf. Wird nach einer beliebiglen Zeit,etwa5 Minuten, die abschnürende Binde gelöst, so entsteht mit dem Einströmen des Blutes eine ausgesprochene Kälteempfindung, die nun _ ebenfalls viele Minuten andauert. Dabei beträgt die Lufttemperatur 13—20° C. Das nachträgliche Kältegefühl kann eine grosse Stärke erreichen, so dass es als eisig 1) 5. Thunberg in Nagel’s Handb. d. Physiol. d. Menschen Bd. 3. 1905 S. 676. | 402 Ulrich Ebbecke: bezeichnet wird. Öfter erscheint es als „sehr kalter Hauch“ oder „als ob es kalt durch den Arm flösse“ oder „als ob noch kaltes Wasser am Arm wäre“, alles dies wohl unwillkürliche Deutungen des ganz von Druckempfindungen freien Kältegefühls, für das er- sichtlich kein äusserer Grund vorliegt, und das unbefangenen Ver- suchspersonen sehr überraschend kommt, da eher das Gegenteil er- wartet wird. Wird der Arm schon vor dem Eintauchen in das kalte Wasser abgebunden und die Binde gleich nach der Herausnahme aus dem Wasser entfernt, so ist der Hauptunterschied, dass die sekundäre Kälteempfindung intensiver und deutlich länger anhaltend ist als bei einem nicht abgebundenen Arm. Für das Abbinden hat die Reckling- hausen’sche Manschette den Vorzug, dass sie am wenigsten drückt, | und dass mit ihr am genauesten der Augenblick der Freigabe des Blutstroms bestimmt ‘werden kann. Doch genügt eine elastische Gummibinde ebenfalls. Ob die Hand zugleich miteingetaucht wird oder während der Abkühlung des Unterarms aus dem Wasser gehalten wird, ist für das Gelingen des Versuchs unwesentlich. Auch wenn die Hand sich an der sekundären Kälteempfindung beteilist, tritt diese hinter der viel intensiveren des Vorderarms zurück. Hingegen ist in der Hand, besonders den Fingerspitzen dann, wenn der Arm längere Zeit ab- gebunden war, das am Vorderarm ganz oder fast ganz fehlende Kribbeln, Prickeln, Ameisenlaufen, innerliche Vibrieren, Stechen oder Schmerzgefühl vorwiegend, worin das bekannte Überwiegen der Tastempfindlichkeit an der Hand, der Temperaturempfindlichkeit am Unterarm zum Ausdruck kommt. Diese Versuche, die sich weder nach der Weber’schen noch nach der Hering’schen Anschauung deuten lassen, noch wegen des freien Intervalls als Nachdauer der Erregung aufgefasst werden können, zeigen ohne Zweifel, dass in diesem Falle bei abgekühlter Haut dureh das einströmende Blut ein neuer Kältereiz gegeben wird!). Es ist damit auch klar, warum Holm diese Tatsache nur an der Stirn angedeutet fand, an Bauch- und Vorderarmhaut aber nicht erhielt; er applizierte durch das Aufsetzen des mit Wasser gefüllten Temperators nie einen reinen Kälte- 1) Dass diese vorläufige Ausdrucksweise nicht ganz genau ist, wird sich später zeigen. Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 403 reiz, sondern musste zugleich durch die Schwere des Gewichts die Hautkapillaren mechanisch anämisieren; diese Blutverdrängung war aber auf der nachgiebigen Muskelunterlage von Bauch und Vorderarm unvollkommen und nur auf der knöchernen Unterlage vollkommen. Im Falle der Abkühlung des nicht abgebundenen Vorderarms wird die Anämie durch die in der Kälte einsetzende starke Verengerung der Gefässe herbeigeführt, die sich erst allmählich dem Blutstrom wieder öffnen. Nachdem ich hierauf aufmerksam geworden war, stellte ich den Versuch an der Stirn so an, dass ich mit der Fingerbeere oder dem Handteller der kalten Hand einige Minuten lang auf die warme Stirn einen kräftigen Druck ausübte. Schon hiernach wurde das Abheben der Hand von einem deutlichen, wenn auch schwachen und kurzdauernden Kältegefühl gefolgt wie bei dem Weber’schen Versuch. Es ist nun die‘ Frage, ob diese Reizwirkung des einströmenden Blutes als eine „paradoxe Kälteempfindung“ bezeichnet werden soll in der Art, wie sie bei auf 45° C. vorgewärmter Haut durch Aufsetzen einer 60 °igen Thunberg’schen Silberlamelle mit aller Deutlichkeit gewonnen werden kann, und wie sie nach Thunberg!) in schwacher _ Andeutung bei auf 10° C. abgekühlter Haut schon durch eine Tem- peratur von nur 35° C. hervorzurufen ist. Trotz aller Verwandt- schaft zeigt die sekundäre Empfindung wesentliche Unterschiede; ausser ihrer grossen Deutlichkeit ist es vor allem die hier gefundene überraschend lange Dauer und Isoliertheit der Kälteempfindung. ‘Denn dort, wo die paradoxe Empfindung für längere Zeit zustande kommt wie bei der Hitzeempfindung, die ja nach Alrutz aus Wärme- und Kälteempfindung zusammengesetzt ist, ist sie immer mit einer starken Wärmeempfindung verbunden. Doch bevor hierüber entschieden werden kann, ist zunächst die Erscheinung mehr im einzelnen zu untersuchen, da einige neue Fragen entstanden sind. Welches sind die Grenzen der Abkühlung, nach der eine Sekundärempfindung eintritt? Wovon hängt ihre Dauer ab? Wie kommt es, dass diese Kälteempfindung nicht mit einer Wärmeempfindung einhergeht, wo doch die Hitzewallung und die bei Erregung oder Scham in den Kopf aufsteigende Hitze all- 1) Untersuchungen über die relative Tiefenlage der Nervenenden in der Haut und über das Verhältnis der Kältenervenenden gegenüber Wärmereizen. Skandin. Arch. f. Physiol. Bd. 11 S. 382. 1901. 404 Ulrich Ebbecke: gemein bekannt ist? Wodurch wird die Dauer des freien Irtervalls, die sich in mehreren Versuchen als recht verschieden erweist, be- stimmt ? Ein recht bequemes handliehes Untersuchungsobjekt ergab die Anämie einzelner Finger. Es ist nur nötig, einen Gummischnürring, wie ihn der Gärtner’sche Tonometer liefert, über einen Finger zu streifen und den Finger dann längere Zeit sich selbst zu über- lassen. Innerhalb einer Viertelstunde kühlt er sich wesentlich ab; ein subjektives Temperaturgefühl fehlt dabei wegen des „Ein- schleichens“ der Abkühlung oder ist gering; ebenso fehlt bei gut temperierter Zimmerluft Schmerz oder Priekeln, jedes Gefühl des Eingeschlafen- oder Abgestorbenseins. Nach dieser Viertelstunde hat. die Fingerhaut annähernd Lufttemperatur angenommen. Wird nun- mehr der Schnürring abgestreift, so verhält sich der Finger ganz. verschieden, je nachdem von vornherein die Hand warm oder kühl ist. War sie kalt, zum Beispiel bei psychischer Erregung oder nach einem Gang durch winterliche Kälte — ich stellte dabei an einem Wintertage fest, dass 17° C. warmes Quecksilber von meinen Fingern noch deutlich warm empfunden wurde, die Quecksilbertemperatur also: noch über der Fingertemperatur lag —, so geschieht das Einströmen des Blutes so langsam, dass man das Aufsteigen der reaktiven Rötung von der Fingerbasis an verfolgen kann, und noch langsamer ist das Eintreten der Kaltempfindung, die 1'/’—2 Minuten auf sich warten lässt, recht schwach ist, aber viele Minuten andauert. Bei mässig kühlen Händen verkürzt sich Latenzzeit und Dauer der sekundären Kaltempfindung, die stark zum Vorschein kommt. Bei noch wärmeren Händen kommt etwas Neues hinzu, weshalb ich hier einige typische Protokollbeispiele in extenso anführen möchte. Versuch an mittelwarmer Hand. Zimmertemperatur 19— 20°C. Schnürring am kleinen Finger der rechten Hand. Während der viertelstündigen Anämie Kälteempfindung angedeutet, besonders am kleinen Finger, aber auch am durchbluteten vierten Finger und an der Ulnarseite des Mittelfingers. Dritter, vierter und besonders fünfter Finger der rechten Hand and objektiv kühler: als die der linken. Schnürring ab. Von der 30. Sek. an deutlich hervortretende Kaltempfindung, nach 50—55 Sek. wird die Empfindung „unrein“, schwer definierbar, ge- mischt mit einem wechselnd starken Wärmegefühl, das nach 1!/a Min. allein übrig ist und allmählich zurückgeht. Nach 3 Min. wieder ganz leichte Kühlempfindung. Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 405 Versuch an sehr warmer Hand. Zimmertemperatur. Linker Mittelfinger 20 Min. durch Ring anämi- siert; dabei zuweilen ganz schwache Kühlempfindung am Mittelfinger und an den ihm zugekehrten Seiten der Nachbarfinger. Zum Schluss Andeutung von Kribbeln und Vertaubung im Mittelfinger und spurweise in den Nachbarfingern. Die Finger der linken Hand sind objektiv kälter geworden als die der rechten. Ring ab. 1.—5. Sek. kein Gefühl. Von 5. Sek. an Kältegefühl, das sich zunächst noch verstärkt und äbwechselndes An- und Abschwellen zeist. Zusammenhang der Kältewellen mit dem Pulsschlag zweifelhaft, ungefähr auf zwei bis drei Pulsschläge eine Kältewelle. Von 27. Sek. beginnend, das Kältegefühl verdrängend und bis zur 40. Sek. sich noch verstärkend Wärme- und Hitzegefühl, das von etwa 70. Sek. ab an Intensität abnimmt, aber erst am Ende der 2. Min. ganz verschwindet. Von der 70.—110. Sek. deutliches Pulsklopfen im Mittelfinger. Der Mittelfinger ist stark gerötet und objektiv wärmer „als die Finger der linken und auch der rechten Hand. In den nächsten 4 Min. ab und zu Kühlempfindung, während die Fingertemperatur und Rötung abnimmt. Wie diese und’ ähnliche Versuche zeigen, tritt unter Umständen ‚auch eine Wärmeempfindung beim Einströmen des Blutes auf. Dureh künstliche Verstärkung der Handdurehblutung (mehrfaches Eintauchen in schmerzhaft heisses Wasser) kann die Nachwirkung ‘einer nun vorgenommenen Fingeranämie noch weiter beschleunigt werden, die Kälteempfindung tritt dann nach 2 Sekunden ein, die _ "Wärmeempfindung ist schon nach 50 Sekunden abgelaufen. Charakteristisch ist, dass an sehr warmen Fingern das Nagelbett “sieh bei Anämisierung innerhalb weniger Minuten stark blaugrau verfärbt, während es bei kühlem Finger seine Farbe kaum merklich verändert. Eine andere Nebenbemerkune ist, dass kleine rote Haut- stellen, die etwa anfangs nach dem Überstreifen des Ringes zurück- geblieben waren, innerhalb der nächsten Minuten spontan ver- schwinden. Als Gegenstück muss noch das Verhalten eines sehr kalten Fingers angeführt werden: Versuch an sehr kalter Hand. Ringanämie am Mittelfinger bei — 5°C, kalter Aussenluft. Schon innerhalb 10 Min. macht die Anämie erhebliches Schmerzgefühl. Das Kältegefühl ist dagegen verhältnismässig schwach, wird anfangs über- wogen, dann verdrängt durch Stechen, Prickeln, Schmerz. Nach 10 Min. Ring ab. 406 Ulrich Ebbecke: Schmerzgefühl verstärkt sich, wird in den nächsten 2 Min. noch unangenehmer, der Finger kann im Mittelgelenk nur unvollkommen sebeugt werden. Allmählich gleicht sich Steifigkeit und Schmerz aus, Wärme- oder Kälteempfindung tritt nicht auf, das Einströmen des verdrängten Blutes geschieht sehr langsam, der Finger wird nicht röter: ‚als die anderen. Mit diesen Versuchsbeispielen ist einiges Material gegeben, an dem nun nachzusehen ist, welche Deutung es nahelegt. Von den vorhin auf S. 403 aufgestellten Fragen können die beiden, die die’ Dauer der Nachempfindung und die Dauer des empfindungsfreien Intervalls betreffen, hieraus beantwortet werden. Von dem Grad der Abkühlung der Haut hängt die Dauer nicht oder nicht allein ab. Denn mit Ausnahme des letzten Versuches wurde die viertelstündige Fingeranämie in 20° C. warmer Zimmerluft vorgenommen, und bei dem geringen Volumen und der grossen Oberfläche eines Fingers ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die Fingerhaut in dieser Zeit die Zimmertemperatur angenommen hat. Auch verändert längere Aus- dehnung der Anämisierung den Erfolge nieht mehr, ausser dass dann leichtes Vertaubungs- und Schmerzgefühl in der Fingerspitze als störende Nebenwirkung hinzukommt. Während also in diesen Fällen die eine Variable, die Hauttemperatur, konstant gehalten wurde, ver- änderte sich die Schnelligkeit, mit der das Blut nach Aufheben des Drucks wieder einströmte und die, wie die Beobachtung zeigt, an warmen Händen soviel grösser ist als an kühlen Händen. Wie hieraus hervorgeht, ist die Dauer von Nachempfindung und freiem Intervall abhängig von der Geschwindigkeit desBlut- einströmens,indem mitzunehmenderGeschwindigkeit Latenz und Dauer der Empfindung verkürzt wird; die Geschwindiekeit wieder hängt von der Weite, dem Spannungszustand der Blutgefässe ab, der durch den jeweils herrschenden Grad der tonischen Innervation bestimmt wird. Die Nebenbeobachtungen über Gefässreflexe und über die Wirkung der Esmarch’schen Blutleere sollen später zusammengefasst werden. Hier ist nur wichtig, hervorzuheben, dass bei dieser Art von Finger- anämie Reizwirkungen oder vorübergehende Schädigungen ganz fehlen, die erst bei längerer Dauer der „künstlichen Erstickung“ hervor- treten. Der Finger verhält sich nicht anders als ein an niedrige Temperatur adaptierter Finger. Dass aber die Adaptation nicht als Herabsetzung der Erregbarkeit, Abstumpfung oder Ermüdung Be, SE 5 Über die Temperaturempfindungen in Ihrer Abhängiskeit usw. 407 aufgefasst werden kann, ist verschiedentlich betont worden. Ist doch - die Unterschiedsempfindlichkeit für thermische Reize bei Einstellung auf ein niedrigeres Temperaturniveau nicht geringer; nach einigen Autoren ist die Unterschiedsschwelle sogar bei niederen Temperaturen .(10—15° C.) kleiner als bei normaler Hautwärme!). Es existiert auch eine Angabe von Aisberg?), wonach ein durch längeres Hochhalten der Hand blass und blutleer gemachter Finger sogar temperaturempfindlicher geworden ist als vorher. Dass ein anämi- - sierter Finger auch bei 10—15 Minuten dauernder Anämie vollkommen temperaturempfindlich bleibt, lässt sich leicht durch Eintauchen des - Fingers in verschieden temperiertes Wasser demonstrieren. Erst bei extremen, schmerzhaften Temperatureinwirkungen tritt eine wirkliche Abstumpfung und Herabsetzung der Empfindlichkeit auf. Hiernach lässt, sch die Annahme ausschliessen, dass etwa die subjektive Temperaturempfindung durch Aufheben einer Schädigung in ähnlicher Weise entstünde, wie Kribbeln oder Schmerz unter a an einem „eingeschlafenen“ oder längere Zeit abgeschnürten Glied erst nach Wegfall des Drucks einsetzt. Im Gegenteil zeict sieh die Temperaturempfindung in diesen Versuchen, sobald Reizerscheinungen von seiten der Tast- und Schmerznerven hinzukommen, beeinträchtigt oder unterdrückt. Gerade dass diese Temperaturempfindung innerhalb normaler Bedingungen zu erzielen ist, ist wichtig für die Brauchbar- keit dieser Versuche. Die Wirkung der Anämie beruht also hier nicht auf einer Schädigung, sondern auf einer Abkühlung, einer zeitweiligen Ausschaltung des erwärmenden Blutes. Ferner wird die etwaige Annahme, dass es sich bei diesen Temperaturempfindungen um Erregbarkeitsänderungen der End- apparate handeln möge, durch einen einfachen Versuch widerlegt. Es wird auf die gewöhnliche Weise eine deutliche Kältenach- -empfindung hervorgerufen. Während ihres Bestehens wird der Gummiring über den Finger gestreift. Die Empfindung erlischt sofort; sie kehrt wieder, wenn der Schnürring entfernt wird. Sub- jektives Kribbeln wird durch einen solchen Eingriff nicht beeinflusst. Nachdem es gelingt, die Temperaturnachempfindung gleichzeitig mit 1) Fechner, Elemente der Psychophysik Bd. 1 S. 201. 1860. (Zitiert nach Thunberg.) 2) Alsberg, Untersuchungen über den Raum- und Temperatursinn. Mar- burg 1863. Diss. (Zitiert nach Thunb erg.) - 408 Ulrich Ebbecke: dem Blutstrom beliebig zu unterbrechen, fällt Erregbarkeitsänderung für die Erklärung weg, da eine prompte Aufhebung der Temperatur- empfindlichkeit im Augenblick der Anämie nicht anzunehmen ist ‚und der Finger für äussere Temperaturreize nach wie vor gut empfindlich bleibt. Derselbe Versuch stellt sich auch in den Weg, wenn wir die Erscheinung nach der durch Hering eingeführten Terminologie als eine Veränderung der Adaptation, eine Verschiebung des physio- logischen Nullpunkts deuten wollen. Abgesehen davon, dass eben das Wesen der unter dem Namen Adaptation zusammengefassten Vorgänge zur Diskussion steht, würde die Beschreibung der Er- = scheinung in der Hering’schen Ausdrucksweise so lauten: Durch die Anämie wird der Finger abgekühlt und dabei der physiologische Nullpunkt langsam so weit nach unten verschoben, dass die Distanz zwischen Hauttemperatur und Nullpunktstemperatur für die Emp- findung unterschwellig wird. Mit dem Einströmen des Blutes steigt die Nullpunktstemperatur schneller als die Hauttemperatur, und die Distanz überschreitet die Empfindungsschwelle. Eine so plötzliche Veränderung der Adaptation wie bei dem sofortigen Einsetzen der Nachempfindung an warmen Händen oder bei ihrem prompten, durch erneute Anämie bewirkten Sistieren ist aber für Temperaturempfindungen unbekannt und nicht wohl denkbar. So führen alle die Diskussionen darauf hin, dass das Blut selbst den Reiz für die Temperaturempfindung abeibt. Warum aber einen Kältereiz? Es hat sich herausgestellt, dass in diesen Versuchen beim Wiedereinströmen des Blutes zuweilen eine Wärmeempfindung ent- . steht. Warum geschieht das nieht immer? Wovon hängt es ab, ob dabei eine Wärme- oder Kälteempfindung entsteht? Die Antwort auf diese Fragen wird sich nicht sofort ergeben, da die hier gewählte Darstellung nicht den streng systematischen Ver- lauf nimmt, sondern dem Wege folgt, auf dem sich an Hand der Versuche die Anschauung allmählich entwickelte. Zur Aufklärung der zweifelhaften Punkte sind einige ergänzende Versuche notwendig, bei denen nun auch die äusseren Bedingungen, die Umgebungstemperatur, variiert werden sollen. Die Hand wird in Wasser von bestimmter Temperatur eingetaucht. Fer 2a Während des Eintauchens wird wie sonst eine 10—15 Minuten ‚dauernde Fingeranämie, vorgenommen. Auch nach Abnahme des Schnürrings wird die Hand in dem temperierten Medium belassen. en “ Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 409 Dureh systematisches Variieren der Wassertemperatur werden Ver- suchsserien gebildet. Ihre Resultate sind: Nach Abnahme des Schnür- rings tritt bei hoher Wassertemperatur (40, 45° C.) keine Temperatur- empfindung, bei mittlerer Wassertemperatur (um 30° C.) erst Warm-, dann Kaltempfindung, bei niederer Wassertemperatur nur Kälte- empfindung auf. Sehr hohe (über etwa 44° C.) und niedrige (unter etwa 12° C.) Temperaturen wirken schmerzhaft, ohne Temperatur- nachempfindungen hervorzurufen. Dass hierbei, je tiefer die Wassertemperatur gewählt und daher auch die Haut abeekühlt wird, die Dauer des freien Intervalls und der Nachempfindung um so länger gefunden wird, bietet nach dem Vorhereesangenen nichts Neues. Andere Einzelheiten der Befunde haben zunächst etwas Verwirrendes, doch glaube ich, dass sich hin- durchfinden lässt und sich dann eine wesentliche Klärung ereibt. ._,1: . . Tr ‘ D 6. - Natürlich sind bei den letzten Versuchen die Bedingungen, weil so- wohl die inneren wie die äusseren Faktoren wechseln, komplizierter ‚und unübersichtlicher. ass sehr tiefe oder sehr hohe Wassertemperaturen am anämi- sierten Finger viel leichter schmerzhaft wirken als sonst, ist ver- ständlich, da hier der Blutstrom, der im einen Fall als Wärmstrom, -- im anderen als Kühlstrom ausgleichend wirkt, ausgeschaltet ist und somit eine Schädigung leichter eintritt. Ähnlich beobachtet Bier (Hyperämie als Heilmittel 1907, S. 26), dass durch gleichzeitige Stauung eines Gliedes die Grenzen der von ihm vertragenen Tem- peratur im Heissluftkasten herabgesetzt wird, und ist bekannt, dass Glieder, bei denen der Blutfluss durch beengende Kleidungsstücke auch nur wenig behindert ist, in der Kälte leichter erfrieren. Es . kann überraschen, dass eine durch hohe, nicht schmerzhafte Tem- peraturen erwärmte, für einen hohen Temperaturgrad adaptierte Haut beim Wiedereinströmen des Blutes niemals wie bei Abkühlung eine analoge Nachempfindung ergibt, wie es der Fall sein müsste, wenn eine Erregbarkeitsänderung oder Verschiebung des Nullpunkts vorläge. Neuauftauchen einer erloschenen Wärmeempfindung beim Ein- strömen des Blutes und freies Intervall konnte bei den Wasserversuchen nicht beobachtet werden. Im Gegensatz hierzu sei bemerkt, dass, wie. Bier angibt, nach Heissluftbehandlung ein nachträgliches Wärmegefühl - unter Umständen stundenlang anhalten kann. Die Grenze, unterhalb deren bei den Finger-Wasser-Versuchen überhaupt Nachempfindungen auftraten, lag bei 36— 34° C., also in der Gegend der Bluttemperatur, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 27 410 Ulrich Ebbecke: wobei zu berücksichtigen ist, dass die Temperatur des Blutes auf - seinem Wege bis zu. den Hautkapillaren auch schon verschieden weit gesunken sein kann. Unterhalb dieser Grenze überwiegt zunächst völlig das nachträgliche Wärmegefühl oder tritt fast ganz rein auf; es dauert von der vierten oder fünften Sekunde ab etwa "/s Minute und wird von einem ganz schwachen, flüchtigen Kältegefühl gefolgt. Hierbei kehrt eine charakteristische Bemerkung in den Versuchs- protokollen wieder: Das Wärmegefühl wird als „warm“, „an- genehm warm“, „sehr warm“ und ausdrücklich als „sehr warm, aber nicht unangenehm“ bezeichnet,‘ niemals wird das bei den Finger- Luft-Versuchen vorkommende Urteil „heiss“ abgegeben. Unterhalb 30° C. wird das auf das Wärmegefühl folgende Kältesefühl aus- geprägter, aber schon von 25° C. abwärts nimmt auch das Kälte- gefühl immer mehr an Deutlichkeit ab und verliert sich zuweilen schon bei 18° C. Wassertemperatur. Also hierin ein recht anderes Verhalten als bei gleich warmer Luft, was ersichtlich mit der anderen Wärmeleitfähigkeit zusammenhängt. “Während ein Finger, der durch Anämie auf 20° C. abgekühlt ist, nun in der Zimmerluft von 20°C. bei rasch einströmendem Blut erst eine Kaltempfindung, dann in der zweiten Hälfte der ersten Minute die Warmempfindung bekommt, eeht an dem in Wasser temperierten und belassenen Finger die Warmempfindung der Kalt- empfindung veran. Bei 20° C. warmem Wasser ist eine nachträgliche Warmempfindung so gering, dass sie nur bei dem entsprechenden Versuch am Unterarm wahrgenommen werden kann, wo aber die darauffolgende Kaltempfindung kaum erkennbar ist; am Finger fehlt die Warmempfindung, aber die Kaltempfindung ist nach einem Intervall von 1!/’s Minuten 3 Minuten lang vorhanden. Also eine: Reihe von Komplikationen. Wenn wir nicht die gleiche Temperatur von Wasser und Luft zum Vergleich nehmen, sondern eine Temperatur, bei der das Medium für den Finger ungefähr gleich indifferent ist, Luft von 20° C., Wasser von 33—80° C., so zeigt sich, dass wir allerdings einen gleichen Ausfall des Versuchs wie in Wasser, so auch in Luft erhalten können, wenn wir verhindern, dass sich der Finger in der Luft während der Anämie abkühlt, nur den Finger, nicht die Hand, während seiner, Blutleere in 33—30° C. warmes Wasser tauchen und nun nach Herausnehmen aus dem Wasser und Abtrocknen den Schnürrine ab- streifen. Auch hier erfolgt an dem in Luft befindlichen Finger so- Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 411 fort die Warmempfindung und anschliessend eine schwache Kühl- empfindung. In diesem Fall dient die Anämie nur dazu, ein schnelles, kräftiges Einschiessen des vorher ausgeschlossenen Blutes herbei- zuführen. i Es zeiet sich hierbei,. dass die der Warmempfindung folgende Kaltempfindung dieselbe ist wie die schon in den Versuchsprotokollen auf S. 405 erwähnte, die „an mittelwarmer Hand“ nach 2 Minuten, „an sehr warmer Hand“ nach 3 Minuten bemerkt wurde. Diese Art Kaltempfindung geht mit, einer. objektiven Abkühlung der Haut- oberfläche einher, die einsetzt, wenn die erwärmende reaktive Hyperämie nachlässt. Die der Warmempfindung vorangehende Kaltempfindung hat andere Gründe, obwohl sie subjektiv nicht unter- scheidbar ist und daher leicht verwechselt wird. Wenn nun das Resultat der Versuche gezogen werden soll, so ergibt sich weder aus den inneren noch aus den äusseren Bedmsungen allein eine Erklärung. Es lässt sich also nicht sagen, im einen Fall ist das warme Blut der auf die Endapparate einwirkende thermische Reiz, der”die Temperaturempfindung auslöst, im andern Fall ist es das umgebende Medium; ebensowenig wie im strengen Sinne von subjektiven und objektiven Temperaturempfindungen gesprochen werden kann, da jede Empfindung eine Wechselwirkung und letzten Endes subjektiv ist. Das erregende Moment liegt eben in der Kom- bination, dem Zusammenwirken der inneren und äusseren Faktoren, entscheidend für das Auftreten einer Temperaturempfindung’ ist das gegenseitige Verhältnis von Blutwärme und Hautwärme, ihre Temperaturdifferenz. Eine Kälteempfindung kommt zustande, wenn warmes Blut in kalte Haut strömt. Reichliches Einströmen des Blutes in mässig warme Haut dagegen bewirkt Wärmeempfindung. Hiermit lassen sich die Befunde der sekundären Empfindung einfach erklären, und hiermit sind wir auch für die Kälteempfindung zu dem Hauptergebnis der Versuche ge- langt: Nieht das Steigen oder Sinken der Hauttemperatur, auch nicht der Abstand der Hauttemperatur vom physiologischen Nullpunkt istfürdie Empfindungent- scheidend, sondern die Differenz zwischen den zu beiden Seiten des Endapparats bestehenden Tem- peraturen von Oberhaut und ihrer Unterlage, die normalerweise dureh das Blut unterhalten wird. fi 97 * ® 412 Ulrich Ebbecke: In diesem Sinne lässt sich auch ein von Goldscheider!) au- vestellter, wenig beachteter Versuch als Beispiel heranziehen. Bei kalten oder warmen subkutanen Injektionen kommt keine Tem- peraturempfindung zustande, obwohl, wie Inamura?°) durch thermo- elektrische Messung feststellte, die Hauttemperatur nach Injektion von 15° C. warmer physiologischer Kochsalziösung, die eine ganz ‘ undeutliche Kühlempfindung ergibt, innerhalb 15 Sekunden um 2,2° C,, nach Injektion von 4,5° C. warmer Flüssigkeit, bei der ein „kalter Hauch“ konstatiert wird, innerhalb 30 Sekunden um 8,6° C. sinkt. Bei einer Wiederholung des Versuchs an meinem linken Unterarm hatte ich bei 16° C. warmer Flüssigkeit keine Temperaturempfindung, während die an die Injektionsstelle gelegte Zungenspitze die Haut über der Quaddel als kühl, die der Umgebung als warn empfand und umgekehrt die angeleete Fingerspitze von dieser Stelle als warm, von der Umgebung als kühl empfunden wurde. Das Ausbleiben der Temperaturempfindung, mit der Goldscheider seinerzeit nur be- weisen wollte, dass die Nervenstämme selbst auf thermische Reize nicht mit Temperaturempfindung reagieren, lässt sich weder nach Weber noch nach Hering erklären, wird aber verständlich, wenn in der Temperaturdifferenz zwischen den an die Endapparate grenzen- den Hautschichten das Entscheidende gesehen wird. 3. Adaptation, Sukzessiv- und Simultankontrast. Auch auf anämisierter Haut empfinden wir ja einen niedrig temperierten Gegenstand als kalt; der Unterschied von abgekühlter Haut und warmer Unterlage ist auch dort vorhanden, solange nicht entweder durch Wesfall der äusseren Abkühlung der Wärme- - ausgleich hergestellt oder bei weiter wirkender Abkühlung die Temperatur der’ Unterlage genügend tief gesunken ist. Dann ist „Adaptation“ eingetreten. Wird nunmehr der Blutfluss freigegeben, so ist mit dem ein- strömenden warmen Blut die Differenz wieder da und somit auch die Empfindung. Freilich lässt eine tiefgreifende Kälteeinwirkung auch anı normal durchbluteten Hautteil die Temperatur des Blutes an dieser Stelle nicht unbeeinflusst. Obgleich rasch strömendes, direkt aus dem warmen Körperinnern aufsteigendes Blut höhere Temperatur haben kann als die 1) Arch. f. Physiol. Supplbd. 1885 S. 22. 2) Zentralbl..f. Physiol. 1903 S. 233. = \ # 4 | g 1 i 3 e Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 413 Wand der von ihm durchflossenen Hautgefässkanälchen, so wird, je mehrsichin derKälte die Hautgefässe verengern und der - Blutstrom verlangsamt, um so mehr auch das Blut auf seinem Wege schon abgekühlt werden, bevor es zu denStellenderempfind- lichen Endapparate gelan«t; die Temperaturdifferenz ver- schwindet und mit ihr die Empfindung. Das ist der Zustand der Adaptation. .Zugleich ist dies der Grund dafür, warum bei sehr kalter Luft- oder verhältnismässig:kalter Wassertemperatur und engen Hautgefässen die Nachempfindung ausbleibt. Bei gleicher Aussen- temperatur ist die Zeit, innerhalb deren die Adaptation eintritt, ver- schieden, je nach dem Körperteil und nach der Natur des temperierten Mediums. Es ist nunmehr ersichtlich, weshalb die Adaptation unter gleichen Umständen an Finger oder Hand mit ihrer grossen Ober- ‘ fläche und verhältnismässig spärlichen Blutversorgung rascher ein- _ treten muss als bei einem weniger exponierten Hautteil, da die vorhergehende Durchkühlung des Blutes an solchen und allgemein an über Knochen liegenden Hautstellen (Brustbein, Knöchel, Schienbein, Olekranon) gründlicher ist. Ebenso ist klar, dass es dabei mehr auf die Intensität und die Tiefenwirkung der Wärmeentziehung ankommt als auf den Grad der Aussentemperatur, dass also die Adaptation entsprechend der besseren Wärmeleitung rascher geschieht bei auf- . gesetztem metallenem Temperator, der zudem die unterliegenden Gefässchen mehr oder weniger komprimiert, als in Wasser. Eine Probe auf die Richtiekeit dieser Ansicht liest darin, dass die Kälte- nachempfindung eines durch Anämie in der Luft abgekühlten Fingers intensiver ist, wenn das Blut aus warmer Hand zu ihm gelangt, als "wenn es aus kühlen Gefässkanälen langsam in seine Haut siekert; ähn- lieh macht Holm!) mit seinem Doppeltemperator die Bemerkung, dass eine Kältenachempfindung nach Abheben des Innentemperators intensiver wird, wenn der umgebende Ring auf eine höhere Indifferenz- temperatur eingestellt war, was sich nun hiernach als eine Folge der grösseren Differenz zwischen Blut- und Gewebstemperatur leicht deuten lässt. Eine recht anschauliche Bestätigung der Ansicht fand ich durch Vornahme des Versuchs an der Zungenspitze, den ich auch wegen "seiner leiehten Prüfbarkeit besonders empfehlen möchte. Denn an der Zunge sind drei Bedingungen in einer für unsern Zweck günstigen 1) Skandin. Arch. f. Physiol. Bd. 14 S. 256. 414 Ulrich Ebbecke: Kombination vereinigt: erstens hat sie eine sehr gute Temperatur- unterscheidung;; zweitens hat sie eine grosse Oberfläche bei geringem Volumen, so dass sie leieht durehkühlt werden kann; und drittens wird sie von einem sehr reichlichen, gut vorgewärmten Blutstrom versoret. Taucht man die Zunge längere Zeit in ein Glas kaltes Wasser — die Kälte braucht nicht erheblich zu sein, zum Beispiel 20° C. genügt durchaus —, so kommt eine Adaptation überhaupt nicht zustande, im Gegenteil scheint die Kühlempfindung sich zwar in der ersten Zeit abzuschwächen, danach aber eher etwas stärker zu werden. Zieht man nun die Zunge aus dem Wasser und bringt sie -in eine ruhige, bequeme Lage, bei der sie die Mundhöhlenschleimhaut nicht berührt (bei geschlossenem Munde legt man am besten die - äusserste Zungenspitze sanft zwischen die Vorderzähne, etwa wie zur Aussprache des englischen th), so erhält man eine viele Minuten dauernde, deutliche sekundäre Kühlempfindung. Sowohl das Aus- bleiben der Adaptation wie die Deutlichkeit der Nachempfindung an ‘ der Zunge (auch bei Vornahme des Weber’schen Versuchs) ist eine Folge ihrer reichlichen Versorgung mit warmem Blut, das auf seinem kurzen, schnellen Lauf durch die Zungengefässe nicht wesentlich ab- gekühlt wird, auch wenn die Wände der Gefässkanäle selbst durch das umgebende, durchkühlte Gewebe beträchtlich tiefer temperiert sind. Nimmt man dagegen zu kaltes Wasser (10° C.), so wird so- wohl die sensible Erregbarkeit der Zunge (pelziges Gefühl) als auch die Nachempfindung beeinträchtigt. Die Anwendung dieser Anschauung vom Wesen der peripheren Adaptation auf die damit zusammenhängenden K ontrasterscheinungen bei der Temperaturempfindung ergibt sich von selbst. Wenn die Hand zum Beispiel Wasser von mittlerer Temperatur bald als warm, bald als kühl empfindet, je nachdem sie aus einen kälteren oder wärmeren Medium kommt, so liegt das an der verschiedenen Ein- stellung, d. h. Durchkühlung des die Handhaut versorgenden Blutes. Es sei an den von E. H. Weber. beschriebenen Versuch!) erinnert: „Tauche ich meine Hand 1 Minute lang in Wasser von der Tem- peratur + 12Y/e° C. und dann in Wasser von 18° C., so habe ich in dem letzteren einige Sekunden lang das Gefühl der Wärme, hierauf aber stellt sich allmählich das Gefühl der Kälte ein, das so lange fortdauert als die Hand eingetaucht wird.“ Nach unserer Anschauung “Die 8.551. - d v ee wi Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit uw. 415 bedeutet dieser Vorgang: Nachdem im 12/2 C. kalten Wasser die ‚Hautgefässe der Hand so weit durchkühlt sind, dass auch das sie durchfliessende Blut niedriger temperiert wird, ist im 15° C. kalten Wasser der Temperaturunterschied zwischen oberster Hautschicht und Hautblut zunächst nur gering (Wärmeempfindung); da aber hei ver- ringerter äusserer Abkühlung der Einfluss der Körperbluttemperatur wieder die Hautbluttemperatur herauisetzt, wächst der Unterschied zwischen Haut- und Hautbluttemperatur bald wieder und erreicht den zur Kälteempfindung ausreichenden Abstand. Ferner beschreibt Weber, dass Wasser von 35° C. gewöhnlich zuerst als warm, nach längerer Zeit des Eintauchens aber als schwach kühl empfunden wird; dass hingegen Wasser von 36,2° C. stets nur das Gefühl der Wärme verursacht. Obgleich die Körpertemperatur über 36,2°C. zu liegen pflest, können wir doch von unserem Standpunkt aus 36,2° C. als die Temperatur ansehen, über die das durch die obersten Haut- schichten der Hand zirkulierende Blut unter gewöhnlichen Verhält- nissen nicht zu steigen pflegt. Während der Sukzessivkontrast auf dem Gebiet des Temperatur- sinnes zu den alltäglichen Erfahrungen gehört, ist die Erscheinung des thermischen Simultankontrastes erst durch v. Tschermak?) gefunden und in seiner Bedeutung gewürdigt worden. Auch Holm?) ist bei seinen Versuchen mit dem Thunberg’schen Doppeltemperator gelegentlich auf diese Beobachtung gestossen, ohne aber über die Deutung und Bedeutung des Befundes Überlegungen mitzuteilen. Er schreibt: „Bei dieser Reizungsweise ist es von Gewicht, dass der äussere Temperator auf einer für die Haut geeigneten Temperatur gehalten wurde. Ist er nämlich unbedeutend warm, so wird die Nachsensation verlängert, ist er dagegen unbedeutend kalt, so kann dieselbe ganz und gar ausbleiben oder wird auch verzögert und ab- geschwächt.“ v. Tschermak, der in ähnlicher Versuchsanordnung Rinshülsen und Taster temperierter Metallbehälter oder zur einfachen Demonstration lederne, mit temperiertem Wasser getränkte Scheibchen und Ringscheiben verwendet, stellt mit aller Deutlichkeit fest, dass nach dem Aufsetzen eines warmen Ringes der zugefügte, vorher 1) Über Simultankontrast auf verschiedenen Sinnesgebieten. Pflüger’s Arclhı. Bd. 122. 1908. 2) Über zurückbleibende Temperaturempfindungen. Skandin. Arch. f. Physiol. 1903 S. 255, 256. 416 Ulrich Ebbecke: neutral empfundene Taster kalt, nach Aufsetzen eines kalten Ringes warm erscheint. Die Grenzen der Kontrasterregung findet er für einen indifferenten Taster von 30,6° C. bei 39—40 °C. bzw. 25—10°C.; jenseits dessen wird die Kontrastempfindung durch beigemischte Schmerzempfindungen beeinträchtigt. In dem von mir dargelegten Zusammenhang ist dieser Versuch höchst willkommen, da er sich nunmehr leicht erklärt als auf einer Vorwärmung und Vor- kühlung des aus der Umgebung iin den mittleren Haut- kreis gelangenden Blutes beruhend, wie später bei Be- sprechung der Wärmeleitung und Wärmekonvektion in der Haut noch deutlicher werden wird; und es ist zu begrüssen, dass hier ein- mal ein Fall, und wohl der erste in der Sinnesphysiologie, gegeben ist, in dem wir die Mechanik eines peripheren Kontrastes bis in seine Einzelheiten verfolgen können. Wir gelangen so durch Anwendung der zunächst durch künstliche Versuchsbedingungen begründeten Anschauung dazu, auch die nor- malen Temperaturempfindungen zu verstehen. Dass bei der ge- wöhnlichen Kälteempfindung die Bedingung des Temperaturgefälles innerhalb der äussersten Hautschichten erfüllt ist, ist unschwer zu sehen. Es soll nun in kurzer Übersicht der Vereleich zwischen Theorie und Tatsachen der Temperaturempfindung auch an andern Fällen durchgeführt werden, um so die Erklärbarkeit der Tatsachen und die Bestätigung der Theorie darzulegen. 4. Der adäquate Reiz für normale und „paradoxe‘“ Kälte- empfindung. Y Wenn wir zunäehst, um erst die Kälteempfindung zum Abschluss: zu bringen, das Gebiet der Wärmeempfindung überspringend, die „Hitze“empfindung analysieren, so haben Alrutz und Thunberg gezeigt, dass sie aus gleichzeitiger Wärme- und Kälteempfindung zusammengesetzt und verschmolzen ist, indem auf sehr starke Wärme- reize auch die Kältepunkte reagieren. Die Hitzeempfindung, die in der genaueren Definition noch von dem Gefühl von „brennend- heiss“, „eisig-brennend“, der Verschmelzung von Temperatur- und Schmerzempfindung, zu trennen ist, fehlt daher an kälteempfindlichen Hautstellen. Anderseits kann unter geeigneten Versuchsbedingun- gen (Reizung einzelner Kältepunkte; Flächenreizung durch hoch- temperierte Silberlamellen, die vermöge ihrer geringen Wärme- kapazität nur die obersten Hautschichten beeinflussen ; Vorwärmung Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 417 der Haut und zeitliches Vorangehen der Kälteempfindung vor der Hitzeempfindung) infolge der oberflächlichen Lage der Kältepunkte (v. Frey, Thunberg, Hacker')) eine kurzdauernde isolierte Kälte- empfindung durch Wärmereiz erzielt werden, die dann als „paradoxe Kälteempfindung“ bezeichnet und als ein Ansprechen der Kältepunkte auf inadäquaten Reiz aufgefasst wird. Diese paradoxen Kälte- empfindungen erfahren nunmehr eine neue Beleuchtung. Die beim Einströmen warmen Blutes in kalte Haut auftretende Kälteempfin- dung als paradoxe Kälteempfindung zu bezeichnen, wäre nicht zweck- mässig; im Gegenteil ist sie ja, wie sich herausstellte, ein nor- maler, bier nur künstlich isolierter Bestandteil jeder Kältempfin- “ dung. Ein Unterschied liegt darin, däss die Hauttemperatur, bei der nach Thunberg mit Hilfe einer Reizlamelle von Blut- temperatur noch eine Spur von paradoxer Kälteempfindung zu er- halten ist, 10° C. nieht überschreiten darf, und dass eine länger dauernde paradoxe Kälteempfindung immer mit einer Wärme- empfindung verknüpft ist, was hier nicht der Fall ist. Doch ist dieser Unterschied mehr sekundärer Art und durch die Versuchstechnik bedinet, und die enge Verwandtschaft, wonach freilich auch die paradoxe Kälteempfindung als eine natürliche erscheint, kommt in folgender Formulierung zum Ausdruck: Auch bei den paradoxen Kälteempfindungen handelt es sich um starke unaus- seglichene Temperaturdifferenzen zwischen Oberhaut undihrer Unterlage; nur die Richtung des Temperatur- gefälles ist umgekehrt, was aber für die Wirkung auf die Kälteendapparate keinen Unterschied macht. Hiernach ist die vorhin aufgestellte Definition für die adäquate Reizung der Kälteorgane dahin zu ergänzen: Kälteempfindung entsteht, wenn warmes Blut in kalte Haut oder wenn — in der Hitze oder unter künstlichen Bedingungen — relativ kaltes Blut in warme Haut strömt, womit sich die Sachlage für die Kälteempfindungen recht einfach darstellt. Anschaulicher wird die Vorstellung noch, wenn wir, gleichsam mikroskopisch denkend, uns die Verhältnisse an einem einzelnen Kältepunkt oder vielmehr an dem unter seiner Haut- projektion gelegenen Kälteendorgan vergegenwärtigen, von dem be- kannt ist, dass es etwas tiefer als die Schmerznervenendigungen, dage- 1) Hacker, Versuche über die Schichtung der Nervenenden in der Haut. Zeitschr. f. Biol. Bd. 64 S. 189. ) 418 Ulrich Ebbecke: gen deutlich oberflächlicher als die Wärmeendorgane, also vermutlich unmittelbar unter der Epidermis, gelegen ist. Dies Endorgan ist in Ruhe, wenn in seiner unmittelbaren Nachbarschaft rings herum die- selbe Temperatur besteht, gleichgültig ob die Temperatur hoch oder niedrig ist; es ist in Erregung, wenn auf einer Seite eine andere Temperatur herrscht als auf einer anderen Seite, gleichgültig, ob die höhere Temperatur „innen“ oder „aussen“, auf seiten der Epi- dermis oder auf seiten der Cutis und der zum Endorgan führenden Kapillare besteht. Es steht nichts im Wege, sich der durch v. Frey ausgesprochenen Meinung anzuschliessen, wonach die an Zahl und Verbreitung entsprechenden Krause’schen Endkolben als die Kälte- apparate angesehen werden können. 5. Der adäquate Reiz für Wärmeempfindung. Nachdem so die Versuche und Überlegungen für die Kälte- empfindung zu einem klaren Resultat geführt haben, das Temperatur- gefälle innerhalb der äussersten Hautschichten als adäquater Reiz für die Kälteapparate der Haut festgestellt worden ist, ist nun die Reihe - an den Wärmeempfindungen. Ist es möglich, auch für die Wärme- erregung die physikalischen Bedingungen in ähnlich einfacher Weise zu definieren ? x Auch bei der Wärmeempfindung besteht ja ausser den: Kormber- gehenden, schon erwähnten Erregungen eine nach der bisher üblichen Anschauung schwer zu erklärende Dauerempfindung dann, wenn die Aussentemperatur erheblich über der Bluttemperatur liegt und be- sonders, wenn die Wärmezufuhr von einem schlechten Wärmeleiter ausgeht, in sehr warmer Luft (Heissluftapparat) oder bei strahlender Wärme (Sonne, Glühbirnen, glühender Ofen), wobei eine „Gewöhnung“, „Adaptation“ ausbleiben kann. Auch hier ist von der Tatsache aus- zugehen, dass ein Temperaturgefälle innerhalb der Haut notwendige Vorbedingung einer Temperaturempfindung ist; denn subkutane In- jektion warmer Flüssigkeit bleibt ebenfalls für Temperaturempfindung wirkungslos, trotzdem doch die Eigentemperatur der Haut erhöht wird. Es ist danach verständlich, dass ein Temperaturausgleich in der Haut bei hoher Aussentemperatur schwerer zustande kommt als bei einer um ebensoviel Grade nach unten von der Bluttemperatnr abweichenden. Aussentemperatur, da in der Kälte der Hautblutstrom in engen Gefässen verlangsamt, in der Wärme dagegen die :Gefässe maximal erweitert sind, und um rascher fliessendes Blut vorzuwärmen, nie an >. Sn Ei Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 419 eine intensivere Tiefenwirkung erforderlich ist. Besonders wird das reichlich die Haut durchströmende Blut seine der Körpertemperatur ‚entsprechende Eigentemperatur leichter bewahren, wenn der er- _ wärmende Einfluss von einem Medium ausgeübt wird, das trotz hoher Temperatur nur geringe Wärmekapazität und Wärmeleitfähigkeit hat. ‚Zum Beispiel bei der Wärmestrahlung werden die Ätherwellen, die ja selber noch nicht Wärme sind, erst bei ihrem Auftreffen auf die Epidermis oder die bekleidenden Stoffe in molekulare Wärmebewegung umgewandelt und geschieht die Fortleitung der Wärme von der Hornschicht bis zu den Temperäturpunkten sehr langsam im Ver- hältnis zu dem entgegengesetzt temperierenden Bluteinfluss. Vermag somit die Annahme eines Temperaturgefälles in der Haut das Aus- bleiben der Adaptation in diesen Fällen zu erklären, so ist doch zu fragen: Was unterscheidet nun aber die Wärmereizung von der Kältereizung? Müssen so ausgesprochene phychische Gegensätze wie Wärme- und Kälteempfindung nicht auch entgegengesetzte Reiz- bedingungen haben? Es wäre denkbar, dass eine starke Temperatur- differenz zu Kälteempfindung, eine geringe zu Wärmeempfindung wird. Aber abgesehen davon, dass bei der Hitzeempfindung beide Arten zueleich auftreten, ist die für Kälteempfindung erforderliche Temperaturdifferenz auch nur ganz gering. Das zeigt sowohl die gewöhnliche feine Kältempfindlichkeit als auch ein Versuch, bei dem ich die Fingeranämie in einem kleinen Warmluftkasten von 35° C. vornahm und deutliche Kühlempfindung beim Einströmen -des Blutes erhielt. Oder es wäre denkbar, dass zu der Temperatur- differenz als Vorbedingung für Wärmeempfindung eine kontinuierliche oder periodische Erhöhung der Hauttemperatur hinzukommen muss. Aber auch da stellt sich gleich eine Schwierigkeit heraus. Es ist ersichtlich willkürlich, ob wir bei bestehendem thermischen Haut- gefälle sagen, der Temperaturpunkt wird von innen erwärmt bei äusserer Abkühlung, oder er wird von aussen abgekühlt bei innerer Wärme. Also auch dies gibt keinen deutlichen Unterschied der Be- dingungen für Wärme- und Kälteempfindung. Bei der Kälte- empfindung ist zwar die Entstehung des Temperaturgefälles durch äussere Abkühlung das gewöhnliche, die entgegengesetzte Richtung kommt aber ebensogut, nur seltener vor; bei der Wärmeempfindung pflegen wir nicht zu unterscheiden zwischen vermehrter äusserer oder innerer Wärmezufuhr, wie Hering ausführlich dargelest hat. Daran, dass die Temperaturpunkte für innere Erwärmung weniger empfind- 420 Ulrich Ebbecke: lich wären, kann es also nicht liegen, wenn subkutane Injektion keine 'Wärmeempfindung ergibt. Ich muss gestehen, dass die Schwierigkeit, ein Unterscheidungsmerkmal für Wärme- und Kälteerregung zu finden, mich längere Zeit unsicher machte. Sogar wenn die Weber’sche Anschauung beibehalten und als objektives Merkmal der Wärmeempfindung das Ansteigen der Haut- temperatur angesehen wird, wird die Schwierigkeit nicht verändert, in- dem dann beim Einströmen von Blut in anämisierte kühle Haut neben der Kälteempfindung zugleich eine Wärmeempfindung, für die alle Bedingungen erfüllt sind, zu erwarten wäre. Die erste Einschränkung. der Definition, die ich daher vornahm, war: Wärmeempfindung wird hervorgerufen durch ein Temperaturgefälle in der Haut, sofern nicht eine gleichzeitige stärkere Kälteempfindung besteht, und im zweiten Abschnitt dieser Abhandlung hoffe ich zu zeigen, wie Wärme- und Kälteempfindung: sich gegenseitig hemmen können. Zu der zweiten positiven Ergän- zung gelangte ich auf verschiedenen Umwegen: Wärmeempfindung wird hervorgerufen durch ein Temperaturgefälle in den tieferen Hautschichten, dort, wo nach den schon vorliegenden Unter- suchungen an der Grenze von Cutis und Subeutis, in der Gegend der: Ruffini’schen Körperchen, der Sitz der Wärmepunkte vermutet wird. & \ 6. Wärmeleitung und Wärmekonvektion in der Haut. Um dies zu begründen, müssen einige physikalische Betrach- tungen über die Wärmeleitung in der Haut angestellt. werden, wobei wieder wie bei Besprechung der Kältepunkterregung der mikroskopisch kleine Maassstab angewandt wird. _ Es liegen Versuche vor, die Wärmeleitfähiekeit toter ausge- ° schnittener Hautstücken zu messen. Dabei erweist sich die Epidermis den übrigen Hornsubstanzen ähnlich als besonders schlechter Wärme- _ feiter. Die Durchlässigkeit der Epidermis für Wärme- strahlen ist von Rauber!) untersucht und verschwindend gering gefunden. Die von ihm daran geknüpfte Vermutung, dass die Wärmeorgane daher in der Epidermis selbst liegen müssten, ist irrtümlich, denn es genügt ja, dass die Atherwellen sich in der \ Epidermis in molekulare Wärme umwandelu und sich von dort durch 1) A. Rauber, Die Durchlässigkeit der Epidermis für strahlende Wärme. Sitzungsber. d. naturforsch. Gesellsch. Leipzig 1885, und Rauber- Ole Lehrb. d. Anat. Bd. 6. : a _ Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 421 + "Leitung fortpflanzen. Zur einfachen Demonstration sei hier auf die Erwärmung oder Bestrahlung eines. Fingernagels mit ihrer abge- schwächten oder stark verzögerten Empfindungsreaktion hingewiesen. Für Liehtstrahlen ist eine pigmentarme Epidermis gut durchlässig, was sich am besten darin zeigt, dass es möglich ist, nach Betupfen mit Zedernöl die Kapillaren der Gefässpapillen bei auffallendem Licht unter dem Mikroskop zu sehen. Die Wärmeleitung der ie Haut prüft Klug!) mit exakten, wertvollen Messungen, wobei er die Dieke der Haut als Ganzen, die der Fettschieht und der Epidermis und ausserdem das Temperaturgefälle variiert, und findet, dass, analog _ dem Verhalten von Kristallen und von Holz, die Wärme sich besser in der Längsrichtung der Fasern und Zellen ausbreitet als senkrecht ‚dazu, und dass auch die Fettschicht ein, besonders für niedriges Temperaturgefälle, sehr schlechter Wärmeleiter ist. Demnach ist ‚also die besser leitende Cutis, die Lederhaut innen und aussen von schlechten Wärmeleitern beerenzt, woraus für unsere Betrachtung zu folgern ist, dass, stationären Wärmefluss vorausgesetzt, das "Temperaturgefälle in Subeutis und Epidermis steiler, in der Cutis flacher ist. Der Versuch einer mathematischen Behandlung der Hautwärmeleitung findet sich bei Goldscheider?). Was aber allen diesen Untersuchungen fehlt, ist, dass sie nur für ausgeschnittene tote Hautstücken und nicht für lebende durch- blutete Haut gelten und dass der wichtige Faktor der Hautheizung durch das Blut nieht berücksichtigt worden ist. Ähnlich wie bei ‚den Konvektionsströmen in Wasser oder bewester Luft kann in der ‚schlechtleitenden Haut die eigentliche Wärmeleitung übertroffen wer- den von der durch das Blut vermittelten Wärmekonvektion, womit sich freilich durch Einführung zahlreicher neuer Wärmequellen . die Verhältnisse in einer schwer übersehbaren und messbaren Weise "komplizieren. Wir haben es in der durchbluteten Haut niemals mit einer kontinuierlichen Wärmeleitung, mit einem stetigen Tem- peraturgefälle oder einem stationären Wärmefluss zu tun und dürfen also nicht einen Leiter als Vergleich nehmen, durch dessen ver- ‘schiedene Querschnitte in der Zeiteinheit die gleiche Wärmemenge ‚Diesst, sondern müssen, da es für unsere Zwecke nötig ist, versuchen, uns eine andere annähernde Vorstellung von der Sachlage zu bilden. 1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 10. 1874. 2) Ges. Abhandl. Bd. 1 8. 355. 422 Ulrich Ebbecke: Die bildliche Anschauung wird erleichtert, wenn wir uns ein System von Kämmerchen denken, die in vielen Reihen und Stock- werken Jluftdicht nebeneinander und übereinander gebaut sind, aus ‚allerlei Zellen und Fasern, in der Cutis besonders aus dem Flecht- werk der Bindegewebsbündel bestehend, geheizt durch die Warm- wasserleitung des Blutes und in ihrem obersten Stockwerk von dem Hornfenster der Epidermis überdeckt. Den Grund und Boden dieses. Kämmerchensystems bildet die warme Muskulatur. Oft werden die Kämmerchenwände andere Temperatur haben als die Heizung, aber namentlich nach den äusseren Stockwerken zu wird der Heizstrom selbst von der Temperatur der von ihm durchlaufenen Strecke immer mehr beeinflusst werden, und im ganzen wird es ebensosehr wie auf die Aussentemperatur darauf ankommen, wie weit die Heizung an- gestellt ist, die Gefässe durchströmt sind. Je nachdem wird sich auch die Stelle der grössten Temperaturdistanz zwischen Gewebs- und Bluttemperatur innerhalb der Haut verschieben. Gewöhnlich wird es in. den tieferen Lagen wärmer sein als in den oberen Schichten, aber da manche thermische Einwirkungen von aussen nur oder vor- wiegend die äussersten Schichten betreffen, wird bei einem plötzlichen Wechsel des äusseren thermischen Mediums von kalt zu sehr- warm die mittlere Schicht, die von Aussenfläche und Muskulatur gleich entfernt ist, ihre alte Temperatur am längsten erhalten und eine Zeitlang am kältesten sein. Was immer zutrifit, ist nur, dass die Sehwankungsbreite der Temperatur innen am geringsten, aussen am grössten ist, also etwa den Verhältnissen in der Tiefe und an der Oberfläche der Erdrinde vergleichbar. Vergegenwärtigen wir uns auf Grund dieser Verhältnisse die Be- funde, die sich beim rasehen Einströmen warmen Blutes in die Haut ergaben! An mittelwarmer Haut (um 30°C.) bewirkt rasch einströmen- des Blut im indifferenten schleehtleitenden Luftmedium (um 20°C.) ° Hitzeempfindung, — dahin gehört auch die „Hitzewallung“, von der es charakteristisch ist, dass sie nicht „Wärmewallung“ genannt wird, ebenso wie der sprichwörtliche Ausdruck lautet: „Scham brennt wie glühende Kohlen“ —, im indifferenten besserleitenden Wassermedium (um 30° GC.) reine Wärmeempfindung; an kühler Haut (um 20°C.) bewirkt es im indifferenten Luftmedium erst Kaltempfindung, dann nach einem kurzen Übergang Wärıneempfindung. Die im Wasser auftretende reine Wärmeempfindung erklärt sich daraus, dass hier in den äussersten Hautsehiehten das Blut wie die Haut die Wasser- RE BR ae ee rn ee K EN ET ET RE RS NNE rn u Kine ade x ER EURE I TEE UNE Ge be ZB a a A a a ni ni I a en ! Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 423 temperatur annimmt und eine Temperaturdifferenz zwischen Gewebe. und Blut nur in den etwas tieferen Lagen auftritt, während in den _ beiden anderen Fällen Kombinationen vorliegen. | Bei weiterem Suchen fand ich noch zwei neue Tatsachen, die auf Grund der bis zu diesem Punkt gediehenen Anschauung zu er- warten waren und eine Bestätigung geben: 1. Beim raschen Ein- strömen des Blutes in kalte Haut, die sich in Luft von Zimmer- temperatur befindet, geht der Kälteempfindung eine deutliche, sehr kurz dauernde Wärmeempfindung voraus 2. An sehr warmer Haut in einer Lufttemperatur von 40—80°C. bewirkt einströmendes Blut keine Kälteempfindung, sondern Hitze-,oder Wärmeempfindung. Das erste Phänomen hatte ich wegen seiner Flüchtigkeit lange übersehen. Denn bei den Fingeranämieversuchen fällt es gerade in die kurze Zeit, die vom Abstreifen des Gummirings in Anspruch »cenommen wird und kommt wegen der abgelenkten Aufmerksamkeit und der gleichzeitigen Berührungs- und Bewegungsempfindungen nicht “zur Beobachtung. Es wird deutlich, wenn statt des abzustreifenden Sehnürrines ein plötzlich zu lockernder Faden verwendet oder wenn der Versuch durch Abschnürung am Oberarm vorgenommen wird. Bei den Armversuchen ist es nötige, die dabei leicht störenden Kribbel- oder Schmerzempfindungen möglichst zu vermeiden, die Gummibinde oder Luftmanschette weit oben am Oberarm anzulegen, wo die ‚diekeren Muskellagen einen besseren Schutz für die Nervenstämme bieten, und die Binde nicht strammer anzuziehen, die Manschette ‚nicht stärker aufzublasen, als zum Unterdrücken des Radialispulses. genügt. Während des Anlegens muss der Arm passiv gestützt sein, damit nieht durch Erschlaffen von. kontrahierten, verdiekten Muskeln die Anämie sich in eine venöse Stauung verwandelt. Unter diesen Vorsichtsmaassregeln sind die subjektiven Beschwerden während einer 10—15 Minuten dauernden Anämie meist ganz zering und beschränken sich auf ein während der ersten 5 Minuten bestehendes, dann bei Fortdauer der Anämie sich verlierendes Gefühl innerlichen. Vibrierens, das hauptsächlich in der Hand und den Fingerspitzen lokalisiert wird. Wird nach 10—15 Minuten der Blutstrom wieder freigegeben, so entsprechen die auftretenden Temperaturempfindungen denen der Fingerversuche und richten sich ebenfalls nach der Ge- schwindigkeit und Intensität des Bluteinströmens, die hei allgemein verengten Hautgefässen, wenn die Versuchsperson sich kalt fühlt, gering, bei weiten Hautgefässen und behaglichem, allgemeinem ADA | Ulrich Ebbecke: Wärmegefühl sehr viel grösser ist Es ist zweckmässig, die Versuchs- person zu veranlassen, ihre Empfindungen dabei dauernd in Abständen von 1—2 Sekunden, später in längeren Abständen, ohne besondere Fragen auszusagen, während der Versuchsleiter die Aussagen steno- graphisch fixiert. Wenn nun bei langsamem Blutstrom viele Se- kunden vergehen, in denen die Versuchsperson „niehts, nichts, gar nichts, überhaupt nichts“ angibt und beginnt, ungeduldig zu werden, bis dann die Empfindung die Skala „vielleicht etwas kühl — deutlich kühl — kalt — sehr kalt — kalt — kalt oder kühl mit immer längeren Unterbrechungen —“ durchläuft, so ist der Verlauf bei raschem, intensivem Blutstrom folgender (Angaben der Versuchsperson folgen sich ohne Pausen in langsamem Sprechtempo): „warm, warm, kalt!, ja kalt, kalt, kalt, weiter kalt, immer kalt, nein, weiss nicht, merk- würdig, heiss, heiss, heiss, kalt?, heiss oder kalt, heiss, warm, warm, deutlich warm, warm“ und nun eine sich in etwa 20 Sekunden ver- ° lierende Wärmeempfindung; ein sehr abwechslungsvoller Verlauf, der mit den auf S. 405 geschilderten Finger-Luftversuchen an warmer Hand übereinstimmt, bei dem ausser den sicheren Urteilen auch Übergangsstadien vorkommen mit subjektiver Unsicherheit der Ver- suehsperson und aus dem als etwas Neues die immer mit Sicherheit . angeeebene, in den ersten beiden Sekunden auftretende reine Wärme- empfindung hervorzuheben ist. Eine Erklärung sehe ich darin, das in der allerersten Zeit, während das Blut aus den grossen tiefen in die kleineren oberflächlicheren Arterien eelangst, ein Temperaturgefälle innerhalb der durehkühlten Haut etwas früher in den unteren Haut- s schichten auftritt als in der obersten. Ebenso ist die flüchtige Wärmeempfindung zu erklären, die der Kälteempfindung vorangeht, wenn die Hand aus Wasser von 121/20 C. in Wasser von 180 C. ge- taucht wird (vgl. S. 414). Uber den weiteren Verlauf des Versuchs mit seinen wechselnden Verdrängungs- und Verschmelzungserscheinungen entgegengesetzter Temperaturempfindungen soll im zweiten Teil der Abhandlung aus- - führlicher gesprochen werden. 7. Die „paradoxe“ Wärmeempfindung. Ein deutlicher Fall, welcher der eben beschriebenen anfänglichen Wärmeempfindung darin ähnelt, dass ein Temperaturgefälle allein oder hauptsächlich in den tieferen Hautschichten anzunehmen ist, ist die Wärme- und Hitzeempfindung, die das einströmende Blut in a te Br un ya Date aa re Zee a per me" uf nee 4 mb ti Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 425 _ sehr warmer Haut und bei sehr warmer Aussenluft hervorruft. Wie auf S. 409 erwähnt, vermisste ich jede Naechempfindung, wenn ich die Fingeranämie in Wasser von einer oberhalb 36-37 ° C. liegenden Temperatur vornahm. Doch gelang es schliesslich, eine der Kälte- empfindung analoge Wärmeempfindung sowohl am Arm als am Finger zu erzielen, indem die Versuche statt im gutleitenden Wasser in der schlecht leitenden Luft vorgenommen wurden. Dazu eignet sich ein Brutschrank oder am besten ein in den Lazaretten für die Heizung rheumatischer Glieder gebräuchlicher Heissluft- apparat; für manche Zwecke genügt auch schon ein improvisierter, mit Thermometer versehener Holzkasten, dessen Innenluft durch Kerze oder Gasflamme vorgewärmt ist und in den dann die Hand gesteckt wird. Bei den Versuchen in warmer Luft ist zu berück- sichtigen, dass die Annahme, bei der Adaptation habe die Haut die vom Thermometer angezeigte Lufttemperatur angenommen, nicht genau zutrifft, weil die der unbewegten Haut unmittelbar anliegende Luftschieht immer eine beträchtlich niedrigere Temperatur hat als die Luft in der weiteren Umgebung. Das zeigt sich deutlich, wenn ‚eine adaptierte Hand in dem Luftraum hin und her bewegt wird und nun die Wärmeempfinduns erneut auftritt und sich sogar zu Wärmesehmerz steigern kann. Diese Erscheinung, die ja auch im Wasser schon zu bemerken ist, ist in der Luft viel ausgesprochener. Es ist daher während und nach der Abnahme des Schnürrings oder ‚der Sehnürbinde darauf zu achten, dass das betreffende Glied un- . bewegt bleibt. Wird nach der Abschnürung gewartet, bis das Glied in der 4-80 ° C, warmen Luft keine Wärmeempfindung mehr hat, was innerhalb 5 Minuten und am abgeschnürten Glied schneller als am durchbluteten einzutreten pfleet, und nach 10 Minuten der Blutstrom freigegeben, so ist der typische Verlauf zum Beispiel: —10 Sekunden nach der Abnahme beesinnt ein Wärmegefühl, das sich steigert und in den folgenden 10—20 Sekunden zu Hitzegefühl wird; danach wieder reines Wärmegefühl, das sich allmählich ab- schwächt und in 1—1!/s Minuten verliert. Kälte- oder Kühle- empfindung tritt nicht auf. Der Versuch‘ gelinet nicht im heissen Wasser, das eine sehr intensive und tiefgreifende Durch- wärmung macht und leicht schmerzhaft wirkt, und nicht in Luft von einer Temperatur über 80—85° C., die von dem anämisierten Finger schmerzhaft empfunden, von normal durchbluteten gut ver- tragen wird. Es gelingt schliesslich nicht, wenn infolge Frostgefühls Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 28 “ \ 426 Ulrich Ebbecke: bei zu niedriger Zimmertemperatur die Hautgefässe allgemein ver- engt sind und die reaktive Hyperämie nur geringfügig ausfällt; denn dann ist der Unterschied zwischen Blut- und Gewebstemperatur ‚schon verwischt, bevor das Blut zu den Wärmepunkten gelangt. ° Dies Moment des Hautgefässtonus schien bei meinen Versuchen wichtiger als die Höhe der Lufttemperatur. Sind die Vorbedin- gungen — Fehlen störender Schmerzempfindung;; gute Erweiterung der Gefässe — erfüllt, so ist die durch das einströmende Blut bewirkte Wärmeempfindung sehr deutlich. Wie hieraus hervorgeht, entsteht sie dadurch, dass in dem anämisch gewesenen Finger während der reaktiven Hyperämie das Blut rascher und reichlicher strömt als sonst und daher die Temperaturdifferenz in den tieferen Hautschiehten noch nicht aufgehoben wird. Ihre Latenzzeit wird bedinst durch die Zeit, die die reaktive Hyperämie zu ihrer vollen Entwicklung beansprucht; ihre Dauer ist so lang, als der raschere Blutstrom die Vorwärmung des Blutes in den tieferen Hautschichten zu verhindern und auf die‘ oberflächlichen Schichten zu beschränken vermag. Auf diesen Versuch möchte ich deshalb besonderes Gewicht legen, weil er ein völliges Gegenstück zu der durch warmes Blut an sehr kalter Haut hervorgerufen Kälteempfindung bildet. Auch hier könnte man von einer „paradoxen“ Wärmeempfindung. sprechen, da ja in Wirklichkeit das einströmende Blut eine Ab- kühlung der Haut bewirkt und da die Wärmeempfindung, wenn man so will, durch einen relativen Kältereiz entsteht. So lässt sich der Versuch als Beweis für das Vorhandensein einer paradoxen Wärme- empfindung auffassen, die nach der hier vertretenen Anschauung zu erwarten war, sonst aber bisher zweifelhaft gelassen oder bestritten wird. 8. Alrutz!) meint, dass die paradoxe Kälteempfindung eine physiologische Erscheinung sei; die paradoxe Wärmeempfindung da- gecen habe er unter physiologischen Verhältnissen nieht nachweisen können; wenn sie existiere, dürfte sie pathologischer Natur sein. v. Frey?) gibt an, dass „die Warmpunkte, soweit bekannt, nur auf Temperaturen ansprechen, die sich mindestens um den Betrag des Schwellenwertes (einige Zehntelgrade) über den physiologischen Null- punkt erheben“, und dass sich die klinischen Fälle, in denen Kälte- reize als warm empfunden werden, physiologisch nicht erklären 1) Perverse Temperaturempfindungen. Skandin. Arch. f. Physiol. Bd. 18. 1906. 2) Ergebn. d. Physiol. 1910. : Bd. IX, S. 359. NEE PR er Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 497 lassen. Thunberg!) lässt die Frage unentschieden. Hacker?) jeilt Versuche mit, in denen er zum Beispiel durch Injektion von 10% iger NaCl-Lösung die Kälteempfindung aufgehoben fand bei erhaltener Wärmeempfindung und dann durch Aufsetzen eines Messing- drahts von Zimmertemperatur auf den Wärmepunkten deutliche Wärmeempfindung erhielt, erklärt diese Wärmeempfindung aber als mechanische, Wärmeerregung. Demgegenüber stehen einmal klinische Angaben?) und ferner neue Beobachtungen von Ponzo*) und von Rubin°). Strümpell beschreibt einen Fall von in Heilung ausgehender apoplektischer Bulbärparalyse, in dem rechtsseitige motorische Lähmungen und eine fast die ganze linke Körperhälfte betreffende Sensibilitätsstörung bestanden. Und zwar war die Kälteempfindung ganz aufgehoben. „Alle thermischen Reize, auch die Kältereize riefen stets eine aus- gesprochene positive Wärmeempfindung hervor....“ „Gleichzeitig mit dieser Störung bestand ein beständiges subjektives Wärmegefühl an der kranken Seite.“ Ponzo erhielt die paradoxe Wärmeempfindung an Hautstellen,\ıdie er durch Injektion von Stovain (aufgehobene Kälteempfindung, erhaltene Wärmeempfindung) elektiv gelähmt hatte. Rubin endlich ging so vor, dass er auf dem Unterarm eine Haut- stelle aufsuchte, „wo einige gut ansprechende Wärmepunkte und keine Kältepunkte vorhanden, waren“, und als Reiz einen mit Wasser gefüllten Metallbehälter von etwa 0,5 em Durchmesser anwandte. „Wenn das Wasser im Behälter genügend warm war, bekam die Versuchsperson natürlich durch leise Berührung während einiger Se- kunden eine normale Wärmeempfindung. Wurde das Wasser nun in kleinen Stufen kälter gemacht, dann wurden, weil die Erwärmung der Wärmepunkte immer kleiner wurde, die Wärmeempfindungen erst schwächer, um dann ganz zu verschwinden. Aber wenn das Wasser noch kälter gemacht wurde, kamen mit der jetzt eintretenden Ab- kühlung der Wärmepunkte die Wärmeempfindungen wieder. Sie wurden zuerst mit wechselnden ‚Kältereizen‘ stärker, um dann wieder abzunehmen, und traten dann bei ganz niedrigen ‚Kälte- 1) Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 3 u. Ergänzungsband. 2) Zeitschr. f. Biol. Bd. 64 S. 199. 1914. Ge 8) Eisenlohr, Arch. f. Psychiatrie Bd. 9 8. 136. — Strümpell, Deutsches Arch, f. klin. Med. 1831. 4) Arch. f. d. ges. Psychol. Bd. 14 S. 385. 1909. 5) Zeitschr. f. Physiol. d. Sinnesorgane Bd. 46 8.388. 1912. 28 * 428 Ulrich Ebbecke: reizen‘ nur sporadisch auf.“ Ich selbst wurde darauf aufmerksam bei Untersuchung zirkumskripter Hautanästhesien, die durch Schuss- verletzung peripherer Hautnervenäste entstanden waren. In der um den völlig unempfindlichen Bezirk gelegenen Randzone von disso- ziierter Empfindungslähmung stiess ich bei der einfachen Prüfung mit Reagensgläsern auf kleine Stellen, wo die Verwechslungen von warm und kalt zugunsten des warm besonders häufig waren. Da bei den Versuchspersonen die Möglichkeit vorlag, dass sie „nicht kalt“ und „warm“ sprachlich oder psychisch unvollkommen ausein- anderhielten, stellte ich später einige Selbstversuche an, indem ich eine Hautstelle durch längeres Aufsetzen eines schneegefüllen Blech- behälters anästhesierte. Hierbei verschwindet die Kälteempfindung früher als die Wärmeempfindung und kehrt später wieder, und es findet sich ein, wenn auch kurzdauerndes, Übergangsstadium, in welchem ein starker Kältereiz deutliche Wärmeempfindung gibt. Am leichtesten konnte ich die paradoxe Wärmeempfindung de- monstrieren, indem ich Chloroform kurze Zeit auf eine Hautstelle einwirken liess. Setzt man ein mit Chloroform gefülltes rundes Gefäss von etwa 5 cm Durchmesser von unten mit der offenen Seite gegen die Innenseite des Unterarms und dreht dann, indem man die Ränder des Gefässes andrückt, um ein Auslaufen von Chloro- form und störende Verdunstungskälte«zu vermeiden, den Arm um, so spürt man zunächst keine Wirkung des Chloroforms, allmählich, nach rund 20 Sekunden, leichte Kühle, dann eine sich immer mehr verstärkende Wärme- und Hitzeempfindung, die schliesslich nach 1—?/ı Minuten in Hitzebrennen und reinen Schmerz übergeht. Setzt man die Chloroformwirkung ab, sobald die Schmerz- beimischung erscheint, und trocknet rasch die Hautstelle, so hat man zunächst eine ausgesprochene „spontane“ Wärmeempfindung und nach Ys—1 Minute ist die Hautstelle reizlos. Sie ist in der ersten Zeit eine Spur gerötet, in ihrer Temperatur nicht wesentlich von der Umgebung verschieden, Wärmereize und thermisch in- differente Berührung empfindet sie ebenso wie ihre Umgebung, in- tensive Kältereize bewirken Berührungs- und Schmerz-, aber keine Kälteempfindung. Dagegen beantwortet sie mässige Kälte- reize mit einer deutlichen, reinen Wärmeempfindung. Es ist leicht zu zeigen, dass dies keine mechanische Erregung der Wärmepunkte ist, denn es genügt, das wassergefüllte Gefäss etwas höher zu temperieren, um eine Berührungsempfindung ohne Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 499 Wärmeempfindung zu erhalten. Anderseits genügt schon das Auf- legen eines kalten Fingers, der in der Umgebung Kälteempfindung sibt, um die paradoxe Wärmeempfindung hervorzurufen. Nach einer Viertelstunde pflegt die Empfindlichkeit für Kälte langsam zurück- zukehren, nach einer halben Stunde die Sensibilität wieder normal zu sein. Eine Schädigung der Haut findet nicht statt. Alle diese Versuche, von denen der Versuch an kältepunktlosen Hautstellen die normalsten Bedineungen, der Chloroformversuch den Vorzug der bequemsten und deutlichsten Demonstration bietet, haben das Gemeinsame, dass eine paradoxe Wärmeempfindung zum Vor- schein kommt, sobald die sonst störende, gleichzeitige, stärkere Kälteempfindung ausgeschaltet ist, und vereinen sich mit der durch das Einströmen des Blutes in sehr warme Haut bewirkten Wärme- empfindunge dazu, das Vorhandensein einer paradoxen Wärme-. empfindung als einer normalen, für gewöhnlich nur durch die Kälte- - empfindung unterdrückten Erscheinung zu beweisen. Oder, wie es vom Standpunkt unserer Anschauung äuszudrücken ist, auch für den Wärmerezeptor der Haut ist der adäquate Reiz wie für den Kälteendapparateine Temperaturdifferenz derihm unmittelbaranliegenden Hautschichten, gleich- sültie, ob die Hauttemperatur hoch oder niedrig ist, steistodersinkt, obdas Temperaturgefälleinder Haut von aussen nach innen oder von innen nach aussen ge- richtet ist. Der Unterschied zwischen Wärmeerregung und Kälteerresung beruhtdarauf, dass die Temperatur- differenz bei jener vorwiegend die tieferen (Grenze von Cutis und Subeutis), bei dieser vorwiegend die ober- flächlichen (Grenze von Epidermis und Cutis) Haut- schichten betrifft. 8. Schematische Zusammenstellung. Nach Erreichung dieses Standpunktes gelingt es nun, die beim Einströmen des Blutes in die Haut entstehenden Temperaturempfin- dungen in ein einfaches Schema einzuordnen, was als Schlussübersicht dazu dienen möge, die Versuchsergebnisse zu rekapitulieren und zu- gleich die Theorie an diesen Beispielen anschaulich zu erläutern. Die anatomischen Voraussetzungen dabei sind erstens die Lage der Wärme- und Kälteendapparate in der Haut und zweitens die Ge- fässverteilung in der Haut. Was die Tiefenlage der Temperatur- 430 Ulrich Ebbecke: sinnesorgane betrifft, so hat der Vergleich der physiologischen Fest- stellung, dass die Wärmerezeptoren beträchtlich tiefer liegen als die Kälterezeptoren, mit den histologischen Tatsachen der Nervenend- körperchen und ihrer Verteilung zu dem durch v. Frey!) ausführlich erörterten Schluss geführt, wonach mit Wahrscheinlichkeit die Kälte- organe mit den in den obersten Cutisschichten gelegenen Krause- schen Endkolben, die Wärmeorgane mit den in den untersten Outis- und oberen Subeutisschichten gelegenen Ruffini’schen Körperchen zu identifizieren sind. Wenn V. Ducceschi?) die Ruffini’schen Körperchen auch in der Muskulatur und in der Umgebung von Ge- lenken antrifft und ihnen motorische Hilfsfunktionen (Vermittlung von Spannungsempfindungen) zuschreibt, so ist daraus wohl nur zu schliessen, dass es verschiedene Arten Ruffini’scher Körperehen ‚gibt, die wir mikroskopisch noch nicht genügend auseinanderhalten können. Von der hauptsächlich durch Spalteholz°®) eingehend unter- suchten Gefässversorgung der Haut ist in diesem Zusammenhange wichtig, dass die Epidermis blutlos, die mittleren Lagen der Gutis spärlich durchblutet sind, dass dagegen die obere Cutisschicht, der Papillarkörper, auffallend reichlich durchströmt wird und ein sehr ° stark entwickeltes, vielverzweigtes Gefässnetz aufweist (subpapilläres Arteriennetz, papilläre Kapillarschlingen, zwei oberflächliche sub- papilläre Venennetze), und dass auch die untere Grenze der ver- hältnismässig blutarmen Cutis ein, wenn auch grobmaschiges, „kutanes Gefässnetz“ besitzt. Die Grenze von Cutis und dem wiederum gut durehbluteten Unterhautfettgewebe, der Subeutis, ist nicht scharf; auch die Unterscheidung von kutanen Fetteinlagerungen und eigent- lichem subkutanem Fettgewebe ist nur künstlich; die oberen Lagen des Fettgewebes werden von Ästen des kutanen Arteriennetzes rück- läufig versorgt. be Ferner wird schon hier eine Voraussetzung angewendet, deren Berechtigung erst im zweiten Abschnitt über den zentralen Apparat der Temperaturempfindung nachzuweisen sein wird, nämlich dass beim Zusammentreffen entgegengesetzter Temperaturerregungen zwei starke Temperaturempfindungen miteinander verschmelzen können 1) Berichte d. Ges. d. Wissensch. Leipzig Bd. 47 S. 166. 1895. 2) Über die Funktion der Ruffini’schen Körper. Folia neurobiol. 1912. 3) Die Verteilung der Blutgefässe in der Haut. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1893. 9 Da a a Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 421 (Hitzeempfindung), eine schwache Temperaturempfindung dagegen von der entgegegensetzten stärkeren unterdrückt werden kann. , Verfoleen wir nun. die Vorgänge, wenn das Blut in einen Finger, einen Arm, allgemein in eine Hautstelle einströmt, aas der es für einige Zeit ausgeschlossen. war und die sich daher annähernd auf die Temperatur des äusseren Mediums eingestellt hat! Nehmen wir zunächst eine verhältnismässig niedrige Hauttemperatur an (20—25° C.), so sind die Ereignisse für die einzelnen Strömungs- geschwindigkeiten des Hautbluts gesondert zu betrachten, die je nach dem von sensibeln Reizen und psychischen Erregungen ab- hängigen Zustand des Hautgefässtonus verschieden sind. 1. Sehr langsamer Blutstrom. Der Blutflus in den vereneten und teilweis geschlossenen Gefässen ist so spärlich und langsam, dass das Blut auf seinem Lauf durch die Arterien jeweils die Temperatur der umgebenden Wandungen und Gewehe annimmt, -Temperaturdifferenzen in der unmittelbaren Umgebung eines Kälte- oder Wärmekörperehens daher nicht zustande kommen oder unter- schwellig bleiben. Keine Temperaturempfindung. 2. Langsamer Hautblutstrom. Auch hier wird das an- fänglich spärlich sickernde Biut, das die Temperatur der Muskel- lagen und des Körpers mitbringt, zunächst bis zum Zustand der Adaptation abgekühlt. Dann aber. mit fortschreitender Erwärmung der vorher anämischen Haut und weiterem ‚Sicherschliessen der Ge- fässe nimmt die Hautdurchblutung zu, bis schliesslich nach vielen (40—90) Sekunden das Blut aus der wärmeren Region der tieferen Hautschiehten noch unabgekühlt oder unvollständig abgekühlt iu die kalte Oberflächenschicht gelangt. Die hier entstehende Temperatur- distanz führt zur Erregung, die sich erst noch verstärkt, später, nach einigen Minuten, mit dem Nachlassen der reaktiven Hyperämie wieder in Adaptation übergeht. Reine Kältempfindung: 3. Mittlerer Hautblutstrom. Cutis und Subeutis sind durchkühlt, während die Muskelunterlage, deren Wärmequellen zum grössten Teil in ihr selbst, nicht in dem sie versorgenden Blut ge- legen sind, ihre Temperatur wenig verändert hat. Im ersten Stadium der wiedererschlossenen Durchblutung ist das Blut zwar vorgekühlt, - wenn es die lange kühle Strecke durch Subeutis und Cutis bis zur Oberfläche hinter sich hat; noch nicht ganz vorgekühlt aber in den tieferen Lagen, und die hier auftretende Temperaturdistanz führt zur Wärmeempfindung. Bald danach wird mit weiterer Verstärkung 432° Ulrich Ebbecke: des Blutstroms und Durchwärmung besonders der unteren Haut- schichten die Temperaturdistanz in den unteren Schichten kleiner, in den oberen grösser. Rasch einsetzende, kurzdauernde Wärme- empfindung, gefolgt von länger dauernder Kälteempfindune. 4. Rascher Hautblutstrom. Das erste Stadium der reinen Wärmeempfindung ist sehr flüchtig, denn das Blut fliesst, nachdem - der erste Anämiespasmus der Arterien überwunden ist, zu schnell durch die Haut, als dass es seine Temperatur in seinem arteriellen Teil wesentlich änderte. Die reaktive Hyperämie erreicht hier die höchsten Grade. Bevor noch die Gewebstemperatur durch Blutheizung erhöht worden ist, ist die Distanz zwischen Bluttemperatur und Gewebs- temperatur an der kältesten Hautoberfläche am grössten, obgleich sie auch in den tieferen Lagen vorhanden ist, und es resuliert Kälte- empfindung. Infolge seiner besonders reichlichen Durchblutung wird nun der Papillarkörper allmählich so weit angeheizt, dass die Tem- peraturdistanz hier zwischen dem etwas vorgekühlten Blut und dem durch das Blut schon angewärmten Gewebe nicht grösser ist als in den tieferen, an sich wärmeren Lagen, in die das Blut ungekühlt gelangt, ja dass die Differenz in der Aussenschicht der zutleitenden Cutis sogar kleiner wird als die Differenz im schlechtleitenden Fett-: gewebe, dessen Durchheizung etwas längere Zeit in Anspruch nimmt. Die auf die erste flüchtige Wärmeempfindung folgende Kälte- empfindung wird also durch eine Hitzeempfindung und diese durch eine Wärmeempfindung abgelöst. Die- ganze Serie von Empfindunsen ist in 40—60 Sekunden abgelaufen, in einer Zeit, nach der bei langsamem Blutfluss die erste Kälteempfin- dung einzusetzen pflegt. 5. Wassermedium von etwa 93°C. anstatt des fe von Zimmertemperatur. Obgleich die Medien beide „indifferent“ sind, liegt doch ein wesentlicher Unterschied darin, dass die Haut sich während der Anämie nicht abkühlt und im durchfeuchteten Zustand besser leitet. Das in der reaktiven Hyperämie reichlich einströmende Blut von Körpertemperatur wird bei der grösseren Wärmekapazität, Wärmeleitung und wärmeentziehenden Wirkung des Wassers in den oberen Schichten auf 33° C. eingestellt und bewirkt ein Temperatur- gefälle nur in den tieferen Hautlagen. Reine Wärmeempfindung. Je niedriger die Wassertemperatur gewählt wird, um so mehr kommt eine nachfolgende Kühl- oder Kaltempfindung zum Vorschein, indem zunächst die tieferen Lacen allmählich durch das. Blut auf DR Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 433 Körpertemperatur angeheizt werden und nun das Blut, aus dieser Sehicht rasch in, das auf Wassertemperatur eingestellte obere--Cutis- gewebe gelangend, in der Region der Kälterezeptoren die Temperatur- distanz herstellt. Schon unterhalb 20° GC. Wassertemperatur vermag gewöhnlich das Blut die wärmeentziehende Wirkung des Wassers nicht mehr zu überwinden, so dass eine Temperaturempfindung undeutlich wird oder verschwindet. Ebenso bleiben Temperaturempfindungen ‘aus, wenn die Temperatur des Wassers die Körpertemperatur erreicht oder überschreitet. Jenseits der Körpertemperatur kanp die Wasser- temperatur nicht sehr weit gesteigert werden, weil dann die störenden Schmerzempfindungen an der anämisierten Hautstelle hinzukommen. 6. Luftmedium von 60— 70°C. Die beim Einströmen des Blutes entstehende Temperaturdistanz ist am grössten in den tieferen Lagen, in die das Blut noch unvorgewärmt gelangt. Reine Wärmeempfindung. Bei sehr raschem Hautblutstrom kommt in der Zeit, wo die reaktive Hyperämie ihren stärksten Grad erreicht, eine Hitze- empfindung zustande inmitten einer vorangehenden und nach- folgenden Wärmeempfindung. 7. Die gewöhnlichen, durch Veränderung der Aussentemperatur hervorgerufenen Temperaturempfindungen lassen sich mit wenigen Worten schildern. Wird zum Beispiel eine in 30° C. warmem Wasser adaptierte Hand in Wasser von 20° C. getaucht, so kommt die stärkste Tem- peraturdifferenz in der unmittelbar getroffenen Aussenschicht der Haut zustande. Kälteempfindung. "Wird die Hand nach der Adaptation (Durchkühlung) aus dem 20° C. warmen Wasser in Wasser von 30°C. gebracht, so ist eine kurze Zeit hindurch die von der warmen Muskelunterlage und der erwärmten Aussenschicht gleich entfernte tiefere Hautschicht die kühlste Stelle, an der zwischen Blut- oder Gewebstemperatur die grösste Differenz entsteht. Wärmeempfindung. Wie dies beliebig zu erweiternde Schema zeigt, ist das Prinzip an den Einzelfällen wohl durchführbar. Vielleicht wird die Anschauung noch erleichtert, wenn man sich, in bildlicher Ausdrucksweise, in der Cutis an ihren beiden Grenzen zwei Postenketten ähnlich funktionierender Endapparate aufgestellt denkt, die die Grenze nach aussen zur blutlosen Epidermis 434 Ulrich Ebbecke: und ihrer Umgebung und die Grenze nach innen zur wärmespendenden Unterlage „beobachten“. Die äussere Postenkette zeigt unter natür- lichen Bedingungen ein plötzliches Sinken der Aussentemperatür an, obgleich sie, schematisch genug, auf die sie erregende Temperatur- differenz ebenso reagiert, wenn diese als seltenes Verkommnis ein- mal auf umgekehrte Weise entstanden ist. Die innere Postenkette hat es unter gewöhnlichen Verhältnissen mit den Veränderungen in der Eigentemperatur der Unterlage zu tun, die nur in indirekter Beziehung zu der die Wärmeabgabe modfizierenden Aussenwelt steht; die sie erregende Temperaturdifferenz bedeutet für gewöhnlich, dass es innen wärmer als aussen ist, die Innentemperatur eine relative Veränderung erfährt. Denn Aussentemperaturen über Bluttemperatur sind auch für sie wie für die Kältepunktkette das weitaus seltenere Vorkommnis. Insofern erscheint eine „paradoxe“ Wärmereaktion auf äussere Kälteeinwirkung im Gegenteil als das Natürlichere, nur dass für gewöhnlich die Meldung der Wärmepunkte auf irgendeine Weise unterdrückt wird von der Reaktion der Kältepunkte, die das Ereignis der Kälteeinwirkung buchstäblich in erster Linie „angeht“ und die ihre stärker und schneller erfolgende Meldung bereits abgeschickt haben. So zeigen sich die paradoxen Temperaturempfindungen als not- wendig mit der Eigenheit des Temperaturapparats, durch das Temperaturgefälle erregt zu werden, verknüpft. Was die Art und Weise angeht, wie die Temperaturdifferenz im Endorgan in Nervenerregung umgewandelt wird, so kommt eine dureh. die ungleichmässige polare Erwärmung und Abkühlung bedingte direkte oder physikalisch vermittelte Stoffwechseländerung in Betracht, ohne dass schon genauere Angaben darüber möglich wären. Von Wichtig- keit scheint nur, dass sowohl in den Endkolben wie in den Ruffini- schen Körperchen ein vielfaseriges und vielgewundenes Nervenknäuel in einer, verglichen mit den Meissner’schen und Vater-Pacini’schen Körperchen, sehr dünnen Hülle liest und dadurch diese Organe ther- mischen (und auch chemischen) Einflüssen vielleicht besonders -zu- eänglich sind. So würde sich zum Beispiel erklären, weshalb das Chloroform bei längerer Einwirkung die Wärmeorgane früher lähmen kann als die oberflächlicher gelegenen Tastapparate: ein Stadium der Chloroformwirkung, in dem Temperaturempfindungen fehlen, Wärme- und Kälteschmerz dagegen sehr leicht auszulösen sind. Allgemein-physiologisch ist von Interesse, dass die Sonderstellung, 9 Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 435 die die Kälteorgane bisher einnahmen, der Widerspruch, dass die Kälte allgemein funktionsherabsetzend, auf die Kälteorgane dagegen erresend wirkt, hiermit wegfällt, da ja weder die äussere thermische Einwirkung noch das einströmende Blut im strengen Sinne als die Ursache der Temperaturempfindung oder der die thermische Erregung auslösende Reiz bezeichnet werden kann, sondern die Kombination der beiden Faktoren das wirksame Moment ist. Auch die Hering’sche Assimilierungs-Dissimilierungstheorie, deren allgemeine Bedeutung unangetastet bleibt, erscheint auf diesen Fall nicht mehr anwendbar. 9. Erkenntnis-theoretische Bemerkungen. Indem nunmehr dargelest ist, dass in der Temperaturdifferenz zwischen den einzelnen Hautschichten das Wesen der thermischen Reizung gesehen werden kann, und durch diese Anschauung verschie- dene Eigentümlichkeiten der Temperaturempfindung, die normalen und „paradoxen“ Empfindungen, die sekundären Empfindungen, die peripheren Adaptations- und Kontrasterscheinungen erklärt, d. h. auf die Beschaffenheit des peripheren Sinnesapparats und den Erregungs- modus zurückgeführt sind, so ist damit der erste Teil dieser Ab- handlung beendet. Zwei allgemeinere, psychologische oder erkenntnis- theoretische Betrachtungen lassen sich daran anknüpfen. Man könnte den alten Satz des Protagoras e»Igwrrog uergov arcavrwv, der Mensch ist das Maass aller Dinge, auf die für diesen Spezialfall passende Formel bringen: Die Bluttemperatur ist das Maass aller Temperaturempfin- dungen; eine Einrichtung, die, vom teleologischen Standpunkt oder vom Standpunkt der Erhaltung des Individuums betrachtet, zweck- mässig ist, indem sie die thermische Veränderung des Blutes beim Durchfliessen der Haut beurteilt und damit das Aufsuchen günstiger Lebensbedingungen erleichtert. Hiernach ist zu vermuten, dass die Temperaturempfindungen der Kaltblüter inkonstanter und anders aus- fallen werden, indem sich bei ihnen nicht nur die Haut, sondern so- zusagen der ganze Körper an die jeweilige Aussentemperatur adaptiert. Der Zusammenhang von Temperaturempfindung und Regulierung der Körpertemperatur soll in einer weiteren Arbeit behandelt werden. Für den Warmblüter erscheint die Adaptation insofern zweckmässig, als sie dem zunächst genügend gewarnten Organismus weitere Aufmerk- samkeitsablenkungen erspart, obgleich sie die objektive Temperatur-. sehätzung beeinträchtigt und vom physikalischen Standpunkt aus ebenso ungenau ist wie die paradoxen Temperaturempfindungen. 436 Ulrich Ebbecke: Ist hiernach deutlich, wie subjektiv unsere Temperaturschätzung ist und wie die Entwieklung der Temperaturempfindungen zunächst der Erhaltung des Individuums und erst mittelbar der physikalischen Erkenntnis dient, so wird die Einsicht, -dass nicht die Art des Er- eignisses, sondern die Art seiner Deutung die Natur der Empfindung bestimmt, noch klarer durch die, zwar der ersten Erwartung wider- sprechende, aber wie mir scheint, durch die Konsequenz der Tat- sachen zeforderte Feststellung, dass nämlich das unmittelbar ein- wirkende Ereignis bei der scheinbar entgegengesetzten Reaktion der Kälte- und Wärmeorgane im Grunde das gleiche ist. Ähnlich wissen wir ja, dass die Nervenerregung, etwa bei elektrischer Reizung, in den afferenten Nerven keine erkennbaren Unterschiede zeigt, so verschieden auch die Sinnesempfindungen sein mögen. Die eigentliche Wertung, Deutung und Verarbeitung der durch die Endapparate ausgewählten Erregungen geschieht erst im Zentralnervensystem, und mit dessen Tätigkeit bei der Temperaturempfindung soll sich der folgende, zweite Abschnitt beschäftigen. B. Der zentrale, in der grauen Substanz gelegene Apparat der Temperaturempfindung. Verschiedene Tatsachen und Überlegungen weisen auf das Wirken nervöser Zentralstationen, die zwischen dem Ursprungsort der thermischen Nervenerreeung und der in der Grosshirnrinde ge- legenen psychophysischen Region eingeschoben sind. So können zur Übersicht folgende Sätze dem Abschnitt über den zeutralen Faktor der Temperaturempfindung vorangestellt werden: Es existiert, auch nach eingetretener oder zu erwartender Adap- tation, ein Schwer definierbares, nicht lokalisierbares „Gefühl“ von. Wärme oder Kälte, das andersartig als eine lokalisierte Temperatur- empfindung und einem „Gemeingefühl“ vergleichbar ist., Hautgefässverengerung geht mit Kälteempfindung (Kälteschauer, Frostgefühl) einher, deren Ursache nach obiger Theorie nieht im peripheren Temperatursinnesapparat gelegen sein kann. Es existiert positive und negative Irradiation, eine gegenseitige Verstärkung oder Hemmung benachbarter gleichartiger oder entgegen-. gesetzter Temperaturempfindungen. Der Temperatursinn funktioniert einheitlich, obgleich die Tem peraturempfindungen von zwei ganz verschiedenen, voneinander un- abhängigen Sinnesapparaten (Kälte- und Wärmepunkten) ausgehen. En Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 437 - Für die Erläuterung und Begründung dieser Sätze kann ein Versuchsprotokoll einige Beispiele liefern, das hier mitgeteilt sei: Versuch A: 30jährige, stark kälteempfindliche Versuchsperson, die unter möglichster Vermeidung suggestiver Beinfiussung aufgefordert ist, ihre Temperaturempfindungen sorgfältig zu beobachten und zu _ sehildern. Zimmertemperatur 20°C. Beide Arme sind unbekleidet. Ein- tauchen des rechten Unterarms in Wasser von 12° C., 10 Min. lang. Hand und Oberarm bleiben frei. Am rechten und am linken, nicht ein- setauchten Arm entsteht nach etwa 1 Min. starke Gänsehaut, die sich am linken Arm innerhalb 5 Min. abschwächt und verliert, durch Bestreichen angefrischt werden kann und am rechten eingetauchten Arm bestehen bleibt. Das anfangs ‚starke Kältegefühl am Unterarm ist nach 5 Min. abegestumpft und scheint an der Innenseite ganz verschwunden. Später: „ieh merke noch, dass es kaltes Wasser ist, kann eigentlich nicht sagen, dass ich es kalt fühle.“ Erste Minute. Herausheben des Unterarms aus dem Wasser und schnelles Abtrocknen. Die Haut des rechten Arms ist etwas röter ‚als die des linken. Es besteht auf dem rechten Unterarm und der ganzen Innenseite des rechten Oberarms Gänsehaut mit unscharfer Begrenzung. Gleich nach dem Herausheben ausgesprochenes angenehmes Wärmegefühl. [Unterschied des 12° C. warmen Wassers und der 20°C. warmen Luft!] Zweite Minute. Frage, ob kalt oder warm. „Ja, die Haut fühle ich jetzt kühl, aber innerlich warm, es ist schwer zu sagen.“ [Subjektive Deutung der Versuchsperson.| Dann: „Es wird kälter“, „Es kommt ‚sanz allmählich.“ Dritte Minute, Ausgesprochenes Kältegefühl, „eisig“, das immer stärker wird, von unten aufzusteigen scheint. Sechste Minute. Gänsehaut des rechten Armes unverändert. Kältegefühl besteht noch, am stärksten in der Ellenbogengegend, im ganzen schwächer. Siebente Minute, Spontaner Kälteschauer, der über den ganzen - Körper geht. wobei am entblössten linken Arm erneut flüchtige Gänse- hautbildung sichtbar ist. i Achte Minute. „Es ist, als wärmte es sich von unten her auf.“ Zehnte Minute. Nur noch in der Ellenbogengegend etwas „äusser- lich kalt“. „Man hat das Gefühl, dass man es warm reiben möchte.“ Gänsehaut des rechten Arıns noch vorhanden. Am linken Arm durch leichten mechanischen Reiz lokale flüchtige Gänsehautbildung hervor- rufbar. Fünfzehnte Minute. Gänsehaut nur noch angedeutet, entsteht aber in ausgebreitetem Umfang vorübergehend nach mechanischem Reiz. Es besteht Neigung zu Kälteschauern. Ein allgemeiner Kälteschauer kann von der Versuchsperson hervorgerufen werden durch willkürliche Nachahmung der sonst unwillkürlich erfolgenden Schüttel- und Schauder- bewegungen. In der Haut des rechten Unterarms subjektiv leichtes Spannungsgefühl, objektiv sieht sie etwas knittrig und ganz fein ge- fältelt aus. Zwanzigste Minute. Gänsehaut verschwunden, durch mechanischen Reiz noch leicht hervorgerufen, In beiden Armen besteht ganz schwaches 438 Ulrich Ebbecke: Kältegefühl. Objektiv ist die Hauttemperatur am niedrigsten in der nicht mit eingetauchten Hand des rechten Arms, die linke Hand ist warm. Versuch B: Eine Viertelstunde später. Abbinden des linken Oberarms durch elastische Binde. Eintauchen des linken Unterarms in Wasser von 14,5° C. während 10 Min. Oberarm und Hand sind nicht mit eingetaucht. Innerhalb der ersten Minuten, zuerst am fünften und vierten Finger, dann an allen Fingern der linken Hand lebhaftes Kribbelgefühl, das dann wieder schwächer wird. Nach 3 Min. wird Gänsehaut am linken Unterarm konstatiert. Keine Gänsehaut am linken Unterarm oder am rechten Arm. Das Kältegefühl ist nach 6 Min. nur noch ganz undeutlich, da- gegen besteht lebhafter, unangenehmer Schmerz. Nach 10 Min. Herausheben des Unterarms aus dem Wasser und schnelles Abtrocknen. Binde wird noch nicht entfernt. Erste Minute. Schwaches Wärmegefühl im linken Unterarm, in der Hand unangenehmes Brennen, in Unterarm und Hand „dumpfes, taubes Gefühl“, das Glied ist „schwer wie Blei“. Die Gänsehaut ist mit scharfen Grenzen auf den direkt gekühlten Bezirk beschränkt und schneidet nach oben entsprechend der früheren Wasserlinie mit schräger, gerader Linie ab (der Unterarm war unter Wasser ganz ruhig gehalten). Weder am linken Oberarm noch am anderen Arm findet sich Gänsehaut. Fünfte Minute. Binde ab. Gleich danach Brennen, Stechen, Kribbeln, Priekeln, Schmerz hauptsächlich in der Hand. Temperatur- empfindung Null. Achte Minute. Zahlreiche geringfügige unwillkürliche Finger- bewegungen und fibrilläre Zuckungen der kleinen Handmuskeln. Die gekühlte Haut ist blass und höckrig, die nicht gekühlte glatt und stark gerötet. Kein Wärme- oder Kältegefühl. Die sensibeln Reiz- erscheinungen schwächer. Fünfzehnte Minute. Etwas Kältegefühl am Unterarm. Gänsehaut noch vorhanden. Zuweilen allgemeines Frösteln. Versuchsperson be- west sich lebhaft, reibt sich, zieht sich warm an. Die Gänsehaut des linken Unterarms verschwindet. Zweiundzwanzigste Minute. Vierter und fünfter Finger der linken Hand fangen an blass zu werden und „abzusterben“ (Gefässkrampf), werden nach Massieren wieder normal. Innerhalb der nächsten Minuten Rückkehr zur Norm. $\ Das Wesentliche dieser beiden Versuche ist: Im ersten Fall % deutliche Temperaturempfindung mit ausgebreiteten pilomotorischen und vasomotorischen Reflexen; im zweiten Fall, wo die Wasser- temperatur etwas höher (14"/° C. statt 12° C.), die Durehkühlung aber wegen der Blutleere mindestens so stark ist, Ausbleiben der sekundären Temperaturempfindung und der Reflexe bei gleichzeitigen sensibeln Reizerscheinungen und Schmerzen und mit ausgeprägter direkter pilomotorischer und vasomotorischer Wirkung. Die Einzel- heiten werden im weiteren Verlauf besprochen. Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 439 Als Nebenbefund sei hier einiges über Wirkung der Blutleere auf die Gefässweite bemerkt, “was für die Bier’sche Ansicht von dem „Sauerstoffhunger“ der Gewebe als Ursache der „reaktiven Hyperämie“ und des Kollateralkreislaufs und für die Verhältnisse bei der lokalen vasomotorischen Reaktion verwertet werden kann!). Bier hat nachgewiesen, dass eine vasomotorische Lähmung durch Nervendruck nicht die Ursache der reaktiven Hyperämie sein könne; der Versuch, bei dem die reaktive Hyperämie im abgekühlten Be- - zirk des Unterarms ausbleibt trotz bestehender motorischer Lähmungs- und Reizerscheinungen (der Arm ist „schwer wie Blei“; fibrilläre Zuckungen der kleinen Handmuskeln), ist ein anschaulicher Beleg dafür. Ähnlich ist es, wenn ein Finger durch Überschieben eines Sehnürrings anämisiert war, aber noch einzelne kleine rötliche Haut- flecke übrig geblieben Sind, die nun im Verlauf der Anämie spontan verschwinden; hier kann also bei fehlenden Lähmungs- oder Reiz- erscheinungen eine Gefässkontraktion während der Anämie beobachtet. werden. Zugleich sprechen diese Versuche gegen eine von physio- logischer Seite vertretene Ansicht, wonach die Gefässerschlaffung bei Blutleere mit dem Substanztonus (Bayliss) in Zusammenhang ge- bracht wird. Da der Substanztonus durch die Dehnung unterhalten wird, könnte die Erschlaffung durch den Wegfall des Wanddrucks bedingt sein; dann müsste aber die Erschlaffung schon während der Anämie eintreten, was nicht der Fall ist. Im Gegenteil dauert es eine gewisse Zeit, bis nach Freigabe des Blutstroms die reaktive Rötung erscheint, eine Zeit, die um so grösser ist, je kühler die - Haut ist. Der Einfluss des Stoffwechsels wird bei den Fingerver- suchen darin deutlich demonstriert, dass die reaktive Rötung dann am stärksten ist, wenn während der Anämie eine rasche graubläuliche Verfärbung unter dem Fingernagel eingetreten war. An dieser Ver- färbung, die bei sehr kühlen Fingern sanz ausbleiben kann, lässt sich die Lebhaftiekeit des Sauerstoffverbrauchs beurteilen. 1. Das Gefühl von Frost und Schwüle. Kehren wir nach dieser Nebenbemerkung zu unserm Thema zurück, so gehen wir zuerst daran, das Gefühl von Frost oder Schwüle, das den Gesamtkörper betreffende allgemeine Gefühl von 1) Vgl. Ebbecke, Die lokale vasomotorische Reaktion der Haut und der inneren Organe. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 169 S.1. 1917. 440 Ulrich Ebbecke: Fe Warmsein oder Kaltsein eingehender zu analysieren und von den ‚eigentlichen Temperaturempfindungen abzusondern. Es soll damit der Widerspruch beseitigt werden zwischen der Tatsache, dass sich ein Finger, eine Hand, eine beliebige Hautstelle auch für stärkere Kältereize sehr rasch adaptiert, und der Erfahrung, dass die Adap- tation ausbleibt, wenn selbst mässige thermische Einwirkungen grosse Teile der Körperoberfläche betreffen. An einer Summations- wirkung vieler schwacher Temperaturempfindungen kann das nicht wohl liegen, da ein grosses Hautgebiet als aus vielen kleinen Haut- stellen zusammengesetzt gedacht werden kann, und für jede einzelne Hautstelle durch die Adaptation nicht nur die Empfindung, sondern die physikalische Reizbedingung selbst aufgehoben wird. Zudem sind die äusseren thermischen Einwirkungen, die zu dauerndem Frieren oder Frösteln führen können, durchaus keine besonders niedrigen Temperaturen. Zum Beispiel wenn man in ein Vollbad von etwa 33° C. steigt und das Wasser zunächst, besonders bei verhältnismässig niedriger Lufttemperatur, als lauwarm, nach kurzer Zeit als kühl empfunden wird, so ist dies aus den Eigentümlichkeiten des Temperatursinnesapparats verständlich. Wenn nun aber analog dem Verhalten eines einzelnen Hautgebiets (eingetauchte Hand, ein- getauchter Arm) nach einigen Minuten die Adaptation zu erwarten ist, so lehrt die Erfahrung das Gegenteil, indem das Gefühl des Fröstelns andauert und sich mit der Zeit unter zunehmender Haut- gefässverengerung immer mehr verstärkt. Ähnlich wenn wir in einen zu kühlen oder etwas überheizten Raum kommen, so können wir eine anfangs deutliche Temperaturempfindung unter Umständen bald ganz vergessen haben, bis wir nach einiger Zeit durch ein Unbehagliehkeitsgefühl allgemeinerer Art auf die unangemessene Zimmertemperatur aufmerksam werden. Dies Gefühl meinen wohl auch Alrutz und Hohn wenn sie sagen: „Wenn man zum Beispiel friert, ist dieses wahrscheinlich eine aus mehreren Empfindungsmomenten zusammengesetzte Sensa- tion. Gewöhnlich ist wohl eine Kälteempfindung darin enthalten, aber auch wenn diese auf Null gesunken ist, werden vielleicht die übrigbleibenden Momente leicht als eine Kälteempfindung gedeutet !).“ 1) Holm, Dauer der Temperaturempfindungen. Skandiv. Arch. f. Physiol. Bd. 14 S. 247. 1903. re a a Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 441 - Ähnlich äussert sich E. Rubin !) und v.Frey?), der auf die Bedeutung der Gefässkontraktion und der „Erresungen aus tieferen Teilen bzw. aus den Bewegungsapparaten* für die Mischempfindungen hinweist. Für die Art dieses Gefühls ist ein Ausspruch charakteristisch, den ich bei verschiedenen Versuchspersonen artraf, wenn sie nach längerem Eintauchen eines Arms in kaltes Wasser gefragt wurden, ob sie die Kälte noch empfänden. Die Antwort pflegt zu lauten: „Ich merke“ oder „Ich weiss noch, dass es kaltes Wasser ist. Woran ich das merke, ist schwer zu sagen; eigentlich kalt fühlen kann ich es nicht mehr.“ Schon durch das Losgelöstsein von lokalisierbaren Einzelempfindungen oder von begleitenden Tastempfindungen be- kommt das Gefühl etwas Unbestimmtes, trotzdem es unter Umständen eine unangenehme Stärke erreichen kann. Diese psychologisch schleeht analysierbare Sensation pflegen wir teils aus Erfahrung mit äusseren thermischen Vorgängen in Beziehung zu bringen, teils mit eigenen körperlichen -Zuständen zu deuten, wobei sehr häufig Verwechslungen ‘zwischen dem „Mir ist warm (kalt)“ und dem „Es ist warm (kalt)“ vorkommen. | \ Am reinsten für sich erhalten wir solches allgemeines Temperatur- gefühl, wenn es ohne äusseren thermischen Anlass nur mit gleich- zeitigen Gefässveränderungen auftritt. Der Satz: Wir frieren, wenn wir, zum Beispiel aus psychischen Ursachen, enge Hautgefässe haben, fühlen uns warm, wenn unsere Hautgefässe weit sind, ist unbestreitbar richtig,“ und der Zusammenhang ist auffallend mit der Umkehrung des Satzes, dass nämlich durch Kälteempfindung reflektorisch die Hautgefässe verengt, durch Wärmeempfindung erweitert werden. Gegen die übliche Erklärung, dass durch Gefässverengerung die Haut- temperatur sinke und so die Kälteempfindung entsäehe, sprechen viele Gründe. Es liess sich ja im Gegenteil zeigem® dass die Gefäss- verengerung ein wichtiges Mittel der Adaptation bedeutet, indem sie durch Verlanssamung des Hautblutstroms die Vorkühlung des Blutes befördert. Es lässt sich auch leicht das Experiment anstellen, dass man durch Schnürring an Finger oder Arm den Blutstrom plötzlieh ganz ausschaltet. Hierbei sinkt die Hauttemperatur des betreffenden _Gliedes, die Kühlempfindung dabei ist aber unmerklich oder sehr 1) Beobachtungen über Temperaturempfindungen. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. Bd. 46 S. 391. 1912. 2) Vorlesungen über Physiologie S. 309. 1904. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 29 - 442 Ulrich Ebbecke: gering, immer weit schwächer als das Kältegefühl etwa eines aus thermischen, mechanischen oder psychischen Ursachen entstehenden, zum Beispiel durch Reizung der Nackenhaut leicht hervorzurufenden Kälteschauers, das zudem an den der Abkühlung am wenigsten aus- ‚ gesetzten Gegenden der Rücken- und Bauchhaut lokalisiert wird. Das meist den Kälteschauer begleitende Kribbelgefühl, das gleich- ‚zeitig mit der Kontraktion der Arreetores pilorum entsteht, gibt einen Hinweis auf die Art der Entstehung. Die begleitende Pilomotoren- reaktion kann dabei, besonders bei wiederholtem oder unvollständigem Zusammenschauern fehlen, sie fehlt so gut wie immer bei dem lang- dauernden Frostgefühl. Ich erinnere daran, dass ein Mensch, der aus irgendeinem Anlass kalte Füsse und allgemeine Hautgefässverengerung hat, unter Umständen stundenlang ein ausgesprochenes Frostgefühl in warmer. Umgebung haben kann, wie es besonders bei blutarmen, schlechtgenährten Individuen vorkommt, bis etwa durch Warmreiben der Füsse ohne wesentliche äussere Wärmezufuhr das Wärmegefühl zurückkehrt. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei dem Frösteln der Unbehaglichkeit, der Angst, der geistigen Spannung, Aufmerksamkeits- konzentration und angespannten Erwartung und des ansteigenden Fiebers. Hierbei fehlt meist eine begleitende Pilomotorenreaktion, und ebenso fehlt jede beigemischte Schmerzempfindung. Zuweilen können thermoregulatorische Muskelspannungen und unwillkürliche _ Bewegungen hinzutreten. Was aber konstant mit dem Frostgefühl verbunden ist, ist die Kontraktion der Hautgefässe, und der hieraus: zu ziehende Schluss ist, soviel ich sehe, dass in dem wechselnden Spannungszustand der Gefässe selbst die Ursache dieses Temperatur- sefühls gelegen ist. Dieselben Überlesungen lassen sich für das Ge- fühl von Schwüle und Warmsein anstellen. Wir kommen so dazu, ein inneresGemeingefühl für den Spannungszustand der Gefässe zu statuieren, das einen Bestandteil des Temperäturgefühls bildet und auch dann, wenn es unter Umständen ohne gleichzeitige eigentliche Temperaturempfindungen zum Bewusstsein gelangt, dort erfahrungsgemäss, assoziativ als Temperaturgefühl gedeutet wird, eine dem vasomotorischen Innervationstonus parallel - gehende Empfindung, die als „Reflexempfindung“ oder „Tonusgefühl“ bezeichnet werden kann. | 2. Reflexempfindung und Tonusgefühl. Für die Entstehung solcher Reflexempfindung kommen zwei Möglichkeiten in Frage, zwischen denen die Entscheidung schwierig er a” Dr BE SE Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 443 ist. Entweder gelangen afferente Erregungen direkt von den Reflex- zentren zu höheren Gehirnteilen und vermitteln eine, wenn auch un- klare Auffassung von dem Anstrengungserad, der Erregungshöhe der betreffenden motorischen Zentren nach Art eines „Innervationsgefühls“, oder es handelt sich um afferente Erregungen, die von den reflektorisch innervierten Muskeln ausgehen und mit dem wechselnden Spannungs- zustand dieser Muskeln stärker und schwächer werden. Für die erste Möglichkeit sind wir auf Vermutungen angewiesen, die zweite Möslichkeit soll hier näher ausgeführt werden, weil sie in deutlicher Analogie steht zu dem besser bekannten Verhalten der Innervation quergestreifter Muskeln, die ebenfalls für die meisten Reize (Schneiden, Stechen, Brennen) sehr wenig empfindlich sind, dagegen die feinsten Lage- und Gewichtsempfindungen vermitteln. Wir würden damit den Nerven, die, wie die histologischen Unter- suchungen lehren, mit zahlreichen Fasern und Geflechten die Arterien und Kapillaren umspinnen und die als vasomotorische Nerven an- gesehen werden, zum Teil eine sensible Funktion zuschreiben. Ebenso wie Sherrinston nachgewiesen hat, dass ein Muskelnerv nur zu zwei Dritteln aus efferenten, zu einem Drittel aus afferenten Fasern be- steht, und durch Experimente am Rückenmarkstier die verschiedenen Bewegunssstörungen nach Desafferenzierung (desafferentiation) gezeigt hat, so dürfen wir wohl ein ähnliches Verhalten auch in der Inner- vation glatter Muskeln erwarten. Diese Überlegungen scheinen mir deshalb von Bedeutung, weil sie einen Ausblick eröffnen auf eine grosse Gruppe von allgemeinen, dumpfen, unklaren und unscharf lokalisierten körperlichen oder Organ- gefühlen, die zu den Gemeingefühlen gerechnet werden. Es sollen nun zunächst die von der Spannung quergestreifter Muskeln ab- hängigen Gefühle und danach die entsprechenden Organempfindungen glatter Muskeln betrachtet werden. Gefühl von Schmerz und von Kitzel und Jucken, beide von der Haut auslösbar, aber noch weniger als die Temperaturempfindungen objektiviert, zum grösseren Teil auf den körperlichen Zustand be- zogen, zeigen die Eisentümlichkeiten der Reflexempfindung deutlich ausgeprägt. So haben Schmerz, Hautkitzel, Wollustkitzel, Kitzel beim Husten oder Niesen bei aller sonstigen Verschiedenheit ihr Gemeinsames in der Tendenz zur Auslösung von Reflexen und zur Irradiation sowie darin, dass spezifische Schmerz- oder Kitzelnerven zweifelhaft oder unwahrscheinlich sind, das Spezifische des Gefühls 29 * 444 Ulrich Ebbecke: vielmehr in der Verbindung mit speziellen Reflexen zu liegen scheint. Nehmen wir den Kitzel beim Husten oder Niesen als Beispiel, der durch Erregung der afferenten Schleimhautnerven von Nase oder Luftröhre ausgelöst wird, so ist es gewiss auffallend, ein wie getreues Abbild für den jeweiligen Stand des 'Reflexes das Gefühl des Nies- oder Hustenreizes darstellt. Wir können in unserer eigenen Emp- findung das langsame Anschwellen, die Summation der Erregungen, das Wachsen der Muskelspannungen verfolgen, die Ladung bis. zu einem Maximum, von dem aus die plötzliche Entladung und Gegen- wirkung erfolgt. Mit vollendeter Reaktion ist auch das Gefühl für einige Zeit in ein Refraktärstädium gelangt; auch dann, wenn die Ursache der afferenten Erregung, zum Beispiel bei trockenem Husten, durch den mechanischen Luftstoss nicht als beseitiet angesehen werden kann, unter welchen Umständen ganze Reflexserien entstehen. Es ist darum die Auffassung nicht von der Hand zu weisen, dass bei diesen Vorgängen unser psychisches Verhalten als ein Parallelvorgang den Zustand von reflektorischer Innervation in unserm Bewusstsein widerspiegelt. Das übliche Reflexschema (Reizung eines afferenten Nerven — Erregung eines Refiexzentrums — motorische Innervation) erfährt also gleichsam eine Verdoppelung, indem die reflektorische Muskel- spannung zur Reizung der afferenten Muskelnerven und diese wiederum, wie zahlreiche, von C. S. Sherrington') und T. Graham Brown?) an Rückenmarkstieren angestellte Untersuchungen über Lokomotions- reflexe gezeist haben, zu einer erneuten Beeinflussung. Regulierung oder „Selbststenerung“ des motorischen Reflexzentrums führen. Man denke an die charakteristische und typische Entstehung des rheu- matischen Schiefhalses (Torticollis, Hexenschuss) wo irgendeine Be- wegung des erkrankten, aber noch nicht als krank empfundenen Muskels zu einer Reizung der übererregbaren afferenten Muskelnerven, diese zu einer krampfhaften Muskelkontraktion und der Krampf zu lebhaftem Muskelschmerz führt. Ähnlich ist den Augenärzten ein Blendungsschmerz bekannt, der die Folge einer krampfhaften Reflex- kontraktion des Irissphinkters ist und durch Einträufeln von Atropin- lösung beseitigt werden kann?). 1) The integrative action of the nervous system. London 1910. 2) Die Reflexfunktionen des Rückenmarks. Ergebn. d. Physiol. 1913. 3)Fuchs, Wiener klin. Wochenschr. 1912 Nr. 1. FERN En = il ee ze ET Sn ae N N nn w gt Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 445 -. Umgekehrt wird eine subnormale motorische Innervation und - Muskelspannung durch Ausbleiben der afferenten Muskelerresungen zu dem aus vielen Komponenten zusammengesetzten Müdigkeitsgefühl bei- tragen, so zum Beispiel bei der Ausenlidmüdigkeit, die auf oe- wöhnlicher Ermüdung oder auf der Lidschwere infolge von Gersten- korn beruhen kann. | 3. Gemeingefühle und propriozeptive Nerven. Wenn wir die für die quergestreiften Muskeln gültige Vor- stellung auf die Innervation glatter Muskulatur übertragen, so lassen sich ausser dem im Temperaturgefühl enthaltenen, von den Gefässen herrührenden Tonusgefühl viele ähnliche Arten von Tonusgefühl auffinden. Beim Herzen, das in seinem anatomischen und physio- logischen Verhalten eine Mittelstellung einnimmt, ist die Wechsel- wirkung bekannt, die zwischen psychisch motivierter Angst und Herz- beklemmune einerseits, zwischen krankhaften Herzzuständen (Asthma -cordiale, Angina cordis) und psychischer „Herzensansst“ anderseits besteht. Sie entsprieht völlig der angeführten Wechselbeziehung von Hautgefässweite und Temperaturgefühl und lässt sich ebenso durch Reizung sensibler, den Herzmuskel versorgender Varusfasern er- klären. Bei den Organen mit rein glatter Muskulatur ist zunächst das allgemein übliche Urteil einer Revision und teilweisen Einschränkung zu unterziehen, dass die inneren Organe mit glatter Muskulatur un- empfindlich seien. So richtig es ist, dass wir gewöhnlich von der Funktion dieser Organe nichts merken und dass ihre Schmerz- empfindungen (Kolik, Wehen) pathologischer oder krampfhafter Natur zu sein pflegen, so ist doch sowohl das‘ Vorhandensein ‚afferenter Nerven an ihnen objektiv nachweisbar, als lehrt die auf- merksame Selbstbeobachtung eine Reihe von ihnen ausgehender Reflexempfindungen kennen. Für die objektive Wirkung von afferenten Nerven innerer Organe sei hier nur ein Beispiel angeführt. Entgegen der alten, häufig bestätigten Erfahrungs, dass man einen Ureter schneiden, stechen, brennen, quetschen kann, ohne irgend welche Scehmerzäusserung oder Reflexwirkung zu erzielen, steht der eben- falls von Sherrington geführte Nachweis, dass die Dehnung eines Ureterteils durch einen schlaff eingeführten und dann aufgeblasenen kleinen Gummiballon — etwa der Reizung bei der Passage eines Nierensteins entsprechend — ganz wie sonst ein pathischer Reiz zu deutlicher Blutdrucksteigerung führt. Bei diesem Versuch 446 Ulrich Ebbecke: kommt eine Reizung ‚des sensibeln Peritoneums nicht in Betracht. Die alte, unzweifelhafte Beobachtung von der Schmerzlosigkeit innerer Organe wird also dahin ergänzt, dass die meisten sonst zu sensibeln Erregungen führenden Reizmethoden für die inneren Organe inadäquat und wirkungslos sind und der adäquate Reiz in einer Dehnung des Organhohlraums besteht. Hier liegen nun aber zwei weitere Möglichkeiten vor: Entweder handelt es sich um eine Reizung afferenter Schleimhautnerven, dann ist die Unwirksamkeit innerer Schleimhautreize schwierig zu motivieren. Oder es gibt in den glatten ebenso wie in den quergestreiften Muskeln propriozeptive Nerven, die bei der von den afferenten Schleim- hautnerven ausgelösten reflektorischen tonischen Kontraktion gereizt werden. Für diese durch objektive Beobachtung schwer zu be- antwortende Frage glaube ich aus der subjektiven Beobachtung mehrere wichtige. Gründe zugunsten der zweiten Möglichkeit an- führen zu können. Wenn solche tonischen Kontraktionen bei den bekannten Koliken ebenso schmerzhaft sind wie ein Krampf quergestreifter Muskeln (zum Beispiel Wadenkrampf), so ist das nur das Extrem von Emp- findungen, die in allen Abstufungen vorkommen. Gewöhnlich bleiben sie zwar unbeachtet und sind wegen ihrer schwachen, undeutlichen, schlecht zu lokalisierenden und zu beschreibenden Art wenig zur subjektiven Analyse geeignet. Dennoch sind sie jedem einzelnen aus eigener Erfahrung gut bekannt unter den Namen Stuhldrang, Harndrang, Übelkeit, Magendrücken. Von ihnen ist die Übelkeit (Brechreiz) kein reiner Fall, weil bei ihr allerlei Innervationen der ‚bei Würgbewegungen beteiligten quergestreiften Muskeln und andere Sensationen mitspielen, dagegen lassen sich die Gefühle von Stuhl- drang, Harndrang und Magendruck (Völle) von unserm Standpunkt aus als physiologische Experimente von Dehnung innerer Organ- hohlräume betrachten. Bei diesen Organempfindungen ist nun, ebenso wie es bei Besprechung der Niesreflexempfindung hervorgehoben wurde, charakteristisch, dass sie in ihrer Intensität entsprechend dem jeweiligen Stand der Reflexkontraktion wechseln, und zwar bei der be- kannten trägen Beweglichkeit glatter Muskeln mit einem langsamen periodischen An- und Abschwellen. Diese Beobachtung lässt sich leicht bestätigen, wenn aus irgendwelehen Gründen bei verhinderter Inhalts- entleerung Stuhldrang oder Harndrang längere Zeit andauert. Auch bei dem gewöhnlichen Bauchkneifen lässt sich derselbe Verlauf ver- r E; Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 447. folgen. Obgleich gewöhnlich der primäre Reiz in der Dehnung, der ‚Reizung afferenter Schleimhautnerven besteht, ist doch leicht fest- zustellen, dass besonders nach sehr starker Darm- oder Blasen- entleerung das Gefühl auch nach Wegfall des primären Reizes, bei . weiterbestehenden tonischen oder spastischen Kontraktionen noch eine Weile anhält und sich allmählich verliert. Recht deutlich zeigt sich dies Verhalten bei den Hungerkontraktionen des Magens, die Carlson!) nach mehrtägigem Fasten beobachtet und mittels Sondenballons graphisch registriert hat. Hier fehlt jeder Dehnungs- ‘oder Schleimhautreiz, und die Kontraktionen des leeren Magens treten spontan und periodisch auf. Es ist nun in unserm Zu- sammenhang von Bedeutung, dass Carlson durch Selbstbeobachtung feststellen konnte, wie jeder Verstärkung des Magentonus eine sub- jektive Verstärkung des Hungergefühls parallel ging. Wenn in diesem schönen Beispiel, wo das subjektive und objektive Verhalten in gleicher Weise der Beobachtung zugängig ist, die alte Erfahrung bestätigt ist, dass im Hunger der Magen „knurrt“, so liegt wieder die Umkehrung vor: Hunger bewirkt Magenknurren, und ver- stärkter Magentonus verstärkt das Hungergefühl: eine Wechsel- beziehung, die hier schon verschiedentlich wiederkehrte als Zeichen für die indirekte Beeinflussung eines Gefühls durch die Reflex- 'empfindung, in diesem Fall ein Zeichen dafür, dass das Tonus- gefühl des Magens eine der Komponenten des Hungergefühls ausmacht. Bei dem aus vielen Bestandteilen zusammengesetzten Durstgefühl ist die Sachlage noch komplizierter. Durst stellt sich in der Regel ein bei Wasserverarmung des Körpers und erreicht seine höchsten Grade nach starken Schweissausbrüchen, profusen Diarrhöen, Wasserentziehung durch Kochsalz und starken Blutverlusten; in allen diesen Fällen ist eine geringere Füllung des Gefässsystems anzunehmen und damit ein Weefall normaler Dehnungs- und Spannungsreize in den Gefässen. Eine relativ verrrägerte Gefäss- füllung und verminderter Wanddruck kommt aber auch bei gleich- bleibender Blutflüssigkeitsmenge zustande, wenn aus irgendeinem thermischen, körperlichen oder „psychischen“ Grunde sich die Ge- fässe erweitern. So ist es gewiss kein Zufall, wenn das mit weiten Gefässen und niedrigem Blutdruck einhergehende Gefühi der Schwüle häufig auch, wenn Wasserverlust durch Schweissverdunstung nicht in 1) Internat. Physiologenkongress. Groningen 1913. 448 Ulrich Bibbrecke. Frage kommt, mit ausgeprägtem Durstgefühl verbunden ist, während im Gefühl des Kaltsteins meist verminderte Trinklust besteht. Freilich zeigt sich hier der wesentliche Unterschied zwischen Temperatur- gefühl und Durstgefühl darin, dass jenes eindeutig durch den Kon- traktionszustand der Gefässe bestimmt wird, während dieses auf dem Wanddruck, das heisst auf dem Verhältnis von Kontraktionszustand zur inneren Füllung, vielleicht auf dem Verhältnis von innerem (Blut- druck) zu äusserem (Gewebsturgor) Wanddruck beruht. So kann unter Umständen, zum Beispiel nach starken Blutverlusten Frösteln und Durstgefühl zugleich bestehen. Es wäre also dieses als ein durch primäre Reizung afferenter Nerven der Gefässhaut hervor- gerufenes Gefühl anzusehen, jenes dagegen als entstanden durch die reflektorische Reizung propriozeptiver Nerven der glatten Gefässmuskeln. Es ist noch nicht möglich, in diesen schwierigen Fragen end- gültige Klarheit zu schaffen. Dennoch schien es mir-nötig, die Fx- kursion in das Gebiet der für die Gefühlstheorie wichtigen Gemein- gefühle zu unternehmem, weil damit dem hier in Frage stehenden, in das Temperaturgefühl mit eingehenden Gefässtonusgefühl sein Platz innerhalb der Gemeingefühle zugewiesen wird. Der Gewinn für die Physiologie des Temperatursinns liegt ausser in der scharfen Sonderung dieses Anteils von den Temperaturempfindungen im engeren Sinne noch darin, dass dadurch der Sitz des Tonusgefühls oder genauer die erste Vertretung der afferenten Erreeungen in nervösen Zentralstationen als relativ peripher, im Rückenmark ge- lesen bestimmt wird. Denn die indirekte Beeinflussung von Reflexen durch propriozeptive Reize kommt, wie die Untersuchungen von Loko- motionsreflexen gezeigt haben, auch an Rückenmarkstieren zustande. 4. Leitung der thermischen Erregung im Rückenmark. Für diestTemperaturempfindungen im engeren Sinne ist aus anatomischem und physiologischen Untersuchungen seit langem be- kanut, dass untergeordnete, in der grauen Substanz des Rückenmarks gelegene Zellstationen in ihre Leitungsbahn eingeschaltet sind. Im Gegensatz zu den verhältnismässig wenigen Unterbrechungen, die die Tastnerven auf ihrem Wege zum Gehirn erfahren, zweigt die Leitung sowohl bei Schmerz- wie bei Temperaturnerven in die graue Rückenmarkssubstanz hinein ab und wird von dort auf kurzen, nur wenige Segmente überspringenden Bahnen zum Gehirn weitergeführt. ne Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 449 Mit der Einschaltung der ’zahlreichen Synapsen und ihrer grossen Leitungswiderstände hängen einige pathologische Befunde zusammen, die bisher aus peripheren Ursachen nicht erklärt werden konnten. Von der Syringomyelie her ist bekannt, dass Schmerz- und Tem- peratursinn aufgehoben sein können bei erhaltener Tastempfindlich- keit, weil bei dieser Krankheit, wie die anatomische Untersuchung zeist, hauptsächlich die graue Substanz durch Höhlenbildung be- troffen ist. Ganz ähnliche Befunde ergeben sieh aber auch als Folgezustände peripherer Lähmungen, bei denen doch eine gleich- ' mässige Schädigung der verschiedenen Hautsinnesnerven gesetzt wird. Bei Ausfall eines sensibeln Nervenzweiges pflegt das an- ästhetische Hautfeld von einer J—2 em breiten Randzone umgeben zu sein, in der Druckempfindungen zustande kommen, während Schmerz- und Temperaturempfindungen fehlen. Es hat zunächst etwas Überraschendes, zu sehen, dass bei deutlicher Wahrnehmung der schwächeren Tastreize die starken Schmerzreize unterdrückt _ worden sind, und man hat für dies Verhalten, dass sich bei Blei- neuritis, nach Nervendurchschneidung, nach temporärer Ausschaltung durch Nervendruck oder Leitungsanästhesie in gleicher Weise findet, vergeblich eine Erklärung in der Beschaffenheit der verschiedenen sensibeln Nerven oder der Endorgane gesucht, da ja eine Ver- änderung im Rückenmark nicht vorliegt. Dennoch liegt, wie mir scheint, der Grund auch für diese peripheren dissoziierten Emp- findungsstörunsen im Rückenmark. Denn wenn nach der schon von Funke!) ausgesprochenen und durch alle Reflexuntersuchungen be- stätieten Ansicht die Leitung über viele Synapsen mit weit stärkeren “Leituneswiderständen verknüpft sein muss, so wird bei gleicher Herab- setzung der Anfangserregung in den Tast-, Schmerz- und Temperatur- nerven doch eine Stufe erreicht werden, wo diese Herabsetzung nur beim Durehgang durch mehrere Unterbrechungswiderstände zum Steckenbleiben der Erregung führt, während der direktere Weg sanebar bleibt. Aus demselben Grunde gelangen die gewöhnlichen schwachen Erregungsgrade der Gemeingefühle nicht zum Bewusst- sein. Bei der Rückbildung der partiellen Ausfallserscheinungen im Verlauf der Regeneration pflegt sich eine Hyperalgesie zu ent- wickeln, worin wir wohl Erregbarkeitsänderungen der betreffenden l) Funke, Der Tastsinn und die Gemeingefühle. Hermann’s Handb. d. Physiol. Bd.3 H.2 S. 297 ft. 450 Ulrich Ebbecke: Zentren infolge langen Nichtfunktionierens, nach Art einer leichten Inaktivitätsatrophie, erblicken können. Wenn wir versuchen, über die Figenschaften dieser nervösen Unterbrechungsstationen aus ihren objektiven und subjektiven Äusserungen, den thermisch veranlassten Reflexen und Empfindungen, genauere Angaben zu gewinnen, so tritt als Hauptmerkmal hervor die gegenseitige Beeinflussung, die diese Stationen in förderndem oder hemmendem Sinne aufeinander ausüben, und wir kommen zu den beiden letzten der dem Abschnitt vorangestellten Sätze, welche die positive und negative Irradiation der thermischen Erregungen und das einheitliche Funktionieren des aus Kälte- und Wärmeempfindung zusammengesetzten Temperatursinns betreffen. * 5. Irradiation von Temperaturempfindungen. ‚Irradiationserscheinungen, gegenseitige Verstärkung gleichartiger Reize finden sich beim Temperatursinn ebenso und noch ausgesprochener wie beim Drucksinn. Für den Drucksinn hat v. Frey die Sätze aufgestellt, dass gleichzeitige Erregungen benachbarter Hautpunkte, sogar noch, wenn ihre Entfernung 8—12 em beträgt, sich gegenseitig in: bezug auf ihre Intensität verstärken, sich gegenseitig in bezug auf deutliche Begrenzung abstumpfen und sich gegenseitig, unter Um- ständen bis zur Verschmelzung, anziehen '),, So kommt es, dass zum. Beispiel innerhalb gewisser Grenzen die Druckschwelle für Flächen- reize kleiner ist als für Punktreize, weil die Abnahme des Druck- gefälles überkompensiert wird durch Zunahme der Zahl der zugleich gereizten Punkte. Damit hängt auch die Grösse der simultanen Raumschwelle gegenüber der kleinen Sukzessivschwelle zusammen. Die Grundursache für diese physiologischen haptischen Täuschungen wird, wie Bernstein und v. Frey gezeigt haben und hier nicht näher auszuführen ist, in einer zentralen {rradiation gesehen ?). „v. Frey hat darauf hingewiesen, dass es sich um einen relativ peripheren Vorgang handeln muss und hat die Vermutung aus- gesprochen, dass sein anatomischer Sitz dort zu suchen ist, wo die Bahn ihre erste Unterbrechung und Umschaltung in grauen Massen erleidet®).* Im Vergleich ‘zu den minutiösen Beobachtungen, die zur 1) v. Frey, Physiologie der Sinnesorgane der menschlichen Haut. 1]. Ergebn. d. Physiol. 1913 S.10# 2) Vgl. Thunberg, in Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 3 S. 720. 3)-v..Birey; 1. c. 8.122. Er Pe Bere A ee “ a Er Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 451 Feststellung dieser Tatsachen erforderlich sind, ist die starke Irradiation beim Temperatursinn ohne weiteres deutlich. Sie äussert sich einmal in dem Verhalten der thermisch aus- gelösten Reflexe. Wenn zum Beispiel beim Eintauchen eines Vorder- arms nicht nur der gleichseitige Oberarm, sondern zuweilen auch ‚der ungereizte andere Arm, ja unter Umständen der grössere Teil ‚der Körperoberfläche mit Gänsehaut reagiert, oder wenn, wie durch plethysmographische Messungen festgestellt ist, nach Kältereiz einer Extremität auch die kontralaterale Extremität ihr Volumen verringert » und es zum Beispiel beim Eintauchen eines Beines in kaltes Wasser oder in einen Heissluftkasten zu einer allgemeinen Hautgefässreaktion kommt, so handelt es sich um Übergreifen einer lokal verursachten Reflexerresung auf ein weit grösseres Gebiet. So wurde auch bei den Fingerversuchen gefunden, dass bei Anämisierung des Mittelfingers auch die andern Finger derselben Hand, trotzdem sie nicht direkt in Mitleidenschaft: gezogen waren, ebenfalls durch Gefässkontraktion 'etwas kühler wurden als die der andern Hand, und dass im Verlauf einer Anämie des kleinen Fingers auch die Hauttemperatur am vierten und dritten Finger etwas sank. Während hier die Ausbreitung der Erregung sich auf das motorische Gebiet fortpflanzt, liegen die Verhältnisse ähnlich auf dem sensiblen Gebiet. Die bekannte Erscheinung, dass Wasser von be- stimmter Temperatur von dem eintauchenden Finger als warm (kalt), von der eintauchenden Hand als heiss (sehr kalt) empfunden wird, ist verständlich unter der Annahme, dass unter den die Hautstellen repräsentierenden Ganglienzellen ein Übergreifen der Erregung von einer zur andern stattfindet und so die einzelne Ganglienzelle oder eine übergeordnete Sammelstation die Erregung nicht nur von einer afferenten Faser, sondern von vielen Seiten zugleich erhält und eine Summationswirkung resultiert. Hierdurch werden sich die Grenzen einer umschriebenen thermischen Einwirkung verwischen und werden unter Umständen Lokalisationstäuschungen vorkommen. Charak- teristisch sind einige Notizen aus den Versuchsprotokollen: Während der Durchkühlung des blutleeren Mittelfingers tritt eine leichte Kühl- empfindung am Mittelfinger und, in gleicher Art und Stärke, an den beiden ihm zugekehrten Seiten der Nachbarfinger auf; ebenso bei Anämie des kleinen Fingers auch am vierten und Ulnarrand des dritten Fingers. Oder es wird nach langdauernder intensiver. Ab- kühlung eines Armes 20 Minuten nach Beseitigung des direkten 452 - Ulrich Ebbecke: Kältereizes bemerkt, dass in beiden Armen ganz schwaches Kälte- gefühl besteht. Besonders deutlich fand ich bei mir das Ausstrahlen der lokalen Temperaturempfindung in die Nachbarschaft bei intensiver thermischer Reizung der Rumpfhaut. Neuerdings hat Goldscheider!) darüber interessante Untersuchungen mitgeteilt und festgestellt, dass die Ausbreitung der ursprünglichen Erregung nicht dem Verlauf eines peripheren Nerven, sondern dem Innervationsbezirk eines oder mehrerer Rückenmarkssegmente entspricht. Es handelt sich dabei um Irradiationserscheinungen, die mit dem ebenso zentral bedingten Ausstrahlen von Schmerzen, dem Auftreten von hyperalgetischen Head’schen Zonen bei Erkrankungen innerer Organe oder der Ent- stehung von Mitempfindungen vergleichbar sind. Es ereibt sich damit ein merkwürdiges Widerspiel zwischen den früher geschilderten peripheren Kontrast- und den zentralen Irra- diationserscheinungen, die sich gegenseitig, ähnlich wie auf optischem Gebiet, zu korrigieren scheinen und zuweilen. indem bald das eine, bald das andere überwiegt, zu einem Widerspruch oder Wechsel der Empfindung führen?). Der peripher mittels Blutdurchkühlung oder Bluterwärmung wirkende Kontrast unterscheidet sich dadurch, dass sein Einfluss sich in der Richtung das Blutflusses, d. h. an den Extremitäten hauptsächlich distalwärts erstreckt. So findet sich nach Aufsetzen eines stark gekühlten Blechgefässes auf den Unterarm nach einiger Zeit auch die distal davon gelegene Hautstelle adaptiert, während die seitlich und proximal gelegene Nachbarschaft den Kälte- reiz unvermindert empfindet. Ausserdem hängt der Wirkungsgrad des “peripheren Adaptations- und Kontrastmechanismus von der Grösse der Reizfläche ab. Im Gegensatz dazu ist für den zentralen Mechanismus. der Irradiation nur die Intensität der Empfindung maassgebend. Noch deutlicher wird dieser Gegensatz zwischen dem peripheren Kontrast- und dem zentralen Irradiationsmechanismus, wenn wir den Einfluss untersuchen, den ungleichartige oder entgegen- gesetzte benachbarte Reize aufeinander ausüben. 6. Verdrängung und Hemmung der Temperaturempfindungen. Die Wichtiekeit dieser Frage stellte sich schon im Laufe des ersten Hauptteils heraus. Die dort gemachten Bemerkungen: Wärme- 1) Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 165 S. 20 ff. 1916. Sl, 2) Als Beispiel kann eine Bemerkung Goldscheider’s dienen, 1. c. 8. 24; M en ee Ze a Da hg 1 a ee PEIE Ta Yan Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 453: empfindung entsteht unter bestimmten Umständen, sofern sie nicht durch eine eleichzeitige stärkere Kälteempfindung unterdrückt ist (vgl. S. 420, 450 und 434), beruhen auf einer Annahme, deren Be- rechtieune nun erst zu begründen und in der Tat unschwer nach- zuweisen ist. : Von der Kombination Druckempfindung-Temperaturempfindung ist bekannt, dass durch sie keine Störung oder Beeinflussung der Einzelempfi:dung bewirkt wird. Auch der sogenannte Ortssinn für thermische Reize ist gleich dem für Berührungsreize gefunden. Die andern Kombinationsmöglichkeiten sind Schmerz - Temperatur- empfindunge und Kälteempfindung- Wärmeempfindung. Schon das vorliegende Material genügt, um hierüber bestimmte Aussagen machen zu können. | Wird ein thermischer Reiz nach oben oder unten immer mehr verstärkt, so ist die Reihenfolge der Empfindung vom Indifferenzpunkt nach oben: lauwarm, warm, sehr warın, heiss, brennend (oder stechend ‘oder schmerzhaft) heiss, reiner Schmerz; nach unten: kühl, kalt, eisie kalt, brennend (oder stechend oder schmerzhaft) kalt, reiner ‘Schmerz. Obgleich die physikalischen Reizbedingungen sich immer weiter verstärkt haben, wird nach Durchlaufen eines Überganes- stadiums von Mischempfindung die Temperaturempfindung von einer gewissen Grenze au durch die stärkere Schmerzempfindung betäubt und unterdrückt. Nach Donath können Individuen mit herabgesetzter Schmerzempfindung noch weit höhere oder niedrigere Temperaturen als Wärme oder Kälte empfinden als normale Individuen. Auch bei Untersuchung der durch einströmendes Blut entstehenden sekundären "Temperaturempfindungen finden sich viele Beispiele dafür, dass eine Temperaturempfindung durch eine gleichzeitige Schmerzempfindung ‚gestört, beeinträchtist oder aufgehoben wird. Und zwar zeigt sich hier, dass durchaus nicht maximale oder übermaximale Reize, bei ‚denen eine Schädigung der Endorgane gesetzt wird, nötig sind, sondern dass bei schwachen Temperaturempfindungen auch schon leichte Grade - von Vibrations-, Kribbel-, Prickel- oder Schmerzempfindungen ge- aügen, um die Temperaturempfindung zum Verschwinden zu bringen. Von einer Übertäubung der Temperaturempfindung im Sinne einer Aufmerksamkeitsablenkung kann dabei nicht gesprochen werden, denn ebenso wie die unwillkürlichen Abwehrreaktionen dabei leicht durch den Willen unterdrückt werden, bleibt auch die Aufmerksamkeit weiter auf Temperaturempfindung eingestellt und konzentriert. Wir IX 454 Ulrich Ebbecke: ' können also auf diese Verdrängungserscheinungen den in der Nerven- physiologie üblichen Ausdruck Hemmung anwenden und sind dazu um so eher berechtigt, als die objektiven thermischen (vasomotorischen oder pilomotorischen) Reflexwirkungen in derselben Weise unterdrückt und gehemmt werden, wofür als ein Beispiel das im Anfang dieses Abschnitts mitgeteilte Versuchsprotokoll (S. 42) anzuführen ist. Die Hemmung der thermisch bewirkten Reflexe und Empfindungen durch Sehmerzreize rückt damit in eleiche Linie mit den bekannten Hemmungserscheinungen im Tierversuch, wie Schmerzhemmung des Quakreflexes beim grosshirnlosen Frosch (Goltz) oder des Zeit- markierreflexes beim Rückenmarkshund (Freusberg). Zugleich gibt die Tatsache, dass solche Hemmungen an Rückenmarkspräparaten zu beobachten sind, einen Hinweis, dass der Sitz der Hemmung ebenfalls wie der der Irradiation im Rückenmark zu suchen ist. Irradiation und Hemmung erscheinen so als. positive und negative Seite ‚eines verwandten Vorgangs, der auf dem Übergreifen einer Errezung von den direkt gereizten Ganglienzellen auf benachbarte Nervenzellgruppen beruht. Die aus der Kombination Schmerz-Temperaturempfindung ge- zogenen Lehren werden uns von Vorteil sein, wenn wir nun die Kombination Kälte-Wärmeempfindung betrachten. Den wichtigsten Befund sehe ich in der Art und Weise, wie die gewöhnlich verdeckten paradoxen Temperaturempfindungen deutlich und isoliert zur Wahr- nehmung gebracht werden können. Sogar für die Hitzempfindung mutet es zunächst als eine paradoxe Feststellung an und stösst immer noch hier und.da auf Widerspruch, dass in der Hitzeempfindung eine Kälteempfindungskomponente enthalten sein soll. Dennoch lässt sich auch durch künstliche Kombination von Wärme- und Kälteempfindung dieser Tatbestand demonstrieren. „Man lässt zum Beispiel 45 gradiges Wasser längs eines Fingers herablaufen und setzt dann, während dies geschieht, die Spitze des Fingers einem Strahle von 10 gradigem Wasser aus. Man bekommt da in der Fingerspitze ein Gefühl von Temperatur- steigerung, von starker Hitze“ [Thunberg]!). Der Grund dafür, dass wir uns der Kältekomponente nicht bewusst zu werden pflegen, liest darin, dass sie überlagert und verdeckt, modifiziert und-’un- kenntlich wird durch die gleichzeitige starke Wärmeempfindung. Wird dagegen eine Methode gewählt (Silberlamellen von geringer 1) Skandin. Arch. f. Physiol. Bd. 11 S. 432. hi « Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 455 Wärmekapazität), die den sonst unveränderten Wärmereiz auf die oberflächlichen Kältepunkte beschränkt, so kommt die Kältekomponente - für sich allein deutlich und rein zum Vorschein. Ganz entsprechend # liest der Fall bei der paradoxen Wärmeempfindung. Es genügt, die störende gleichzeitige Kälteempfindung auf irgendeine Weise weg- zusehaffen, um die sonst unmerkliche, durch den Kältereiz bewirkte MN - Erregung der Wärmepunkte zum Bewusstsein zu bringen. Anders ausgedrückt: Bei einer gewöhnlichen Kälteempfindung ist zugleich zwar nicht eine Wärmeempfindung, wohl aber eine Wärmepunkt- erregung vorhanden, die durch Hemmung von seiten der stärkeren Kältepunkterregung ausgelöscht wird. Man kann es auch so formu- i hieren: Während ein Wärme- oder Kältepunkt die in ihm oder in seiner unmittelbar anliegenden Hautschicht bestehende Temperatur- differenz misst, misst das Bewusstsein sozusagen die Differenz der beiden, zugleich entstehenden Differenzen; und die Unterstationen, “ die, bildlich gesprochen, diese Rechnung ausführen und das Resultat dem Bewusstsein vorlegen, sind die Zentren, die Reflex, Irradiation und Hemmung vermitteln. So klärt sich der Widerspruch, dass nach der Definition des adäquaten Reizes Wärme- und Kälteempfindungen häufiger, als es der Fall ist, und besonders auch häufig gleichzeitig zu erwarten wären. Denn zum Beispiel bei der sekundären Kälte- empfindung des Weber’schen Versuchs sind zugleich alle physi- kalischen Reizbedingungen für das Auftreten auch einer Wärme- empfindunug gegeben, und anderseits ist nicht recht einzusehen, warum bei der feinen Empfindlichkeit der Kältepunkte die Reizschwelle für Hitzeempfindung relativ so hoch liest. Wie sich nun zeigt, hängt _ beides damit zusammen, dass, wenn entgegengesetzte Temperatur- erregungen gleichzeitig entstehen, von denen aber eine wesentlich schwächer als die andere ist, die schwächere von der stärkeren durch zentrale Hemmung ausgelöscht wird. Dass die Beeinflussung gegen- seitig ist, zeigen einige Beispiele aus den Bluteinströmungsversuchen, wo der Übergang von Wärme- zu Kälteempfindung entweder ein kurzes - Stadium von Hitzeempfindung durchläuft oder ein Stadium, in dem die Empfiodung „unrein“, „schlecht zu beschreiben“, „nicht deutlich“ wird. Zur näheren Begründung dieser Hemmungserscheinungen ist nachzusehen, was geschieht, wenn die Kombination entgegengesetzter benachbarter thermischer Erregungen künstlich nachgeahmt wird, wobei zur Vermeidung peripherer Kontrastwirkungen kleinflächige Reize zu wählen sind. \ 456 Ulrich Ebbeecke:; In der Literatur finden sich einige gelegentliche Bemerkungen, die zwar von andern Gesichtspunkten ausgehen, aber auch für die Beurteilung dieser Frage verwertbar sind. Weber!) schreibt: „Wenn wir in zwei nebeneinanderstehende Gefässe mit Wasser von ver- schiedener Temperatur gleichzeitig zwei Finger derselben Hand, zum Beispiel den Daumen und Zeigefinger, eintauchen, so vereinigen sich zwar die beiden Eindrücke nicht zu einem einzigen, aber wir werden durch die nahe Nachbarschaft sehr in der Vergleiehung der beiden Temperaturen gestört.“ Er empfiehlt daher, für die Erkennung kleiner Temperaturunterschiede am besten denselben Finger nacheinander in die verschieden warmen Flüssigkeiten zu bringen. Bei Gelegenheit der Untersuchung von Raumschwellen mit Temperaturreizen, bei der im allgemeinen wie bei Druckreizen eine geringe Abnahme der Raumschwelle durch Verstärkung des Reizes gefunden wurde, haben ° Czermak und Klug auch einige Versuche mit ungleich temperierten Tastern angestellt. Czermak setzte an zwei Punkten eines Haut- bezirks, innerhalb dessen gleichzeitige und eleiche Eindrücke von Zirkelspitzen zu einer einzigen Empfindung verschmelzen, „zwei sehr kleine Reagenseläschen, von denen das eine mit heissem Öl, das andere mit einer Kältemischung sefüllt war, mit ihren ab- gerundeten unteren Enden auf“ und fand?): „Man unterscheidet unter den angegebenen Bedingungen den Kälteeindruck des einen Gläschens deutlich von dem Wärmeeindruck des andern,“ ohne dieräum- liehe Beziehung jener heterogenen Eindrücke wahrnehmen zu können. „Solange die letzteren innerhalb jenes Bezirks auftreten, schweben die beiden gleichzeitigen, aber heterogenen Empfindungen unbestimmt im Raume, etwa wie zwei Gehörsempfindungen, und scheinen gar keine Neigung zu haben, sich zu einer Empfindung zu mischen, ja es scheint unter Umständen ein Schwanken der Wahrnehmung, ähnlich dem beim sogenannten Wettstreite der Sehfelder Platz zu greifen.“ Klug, der die beiden Tastspitzen mit Hilfe von Kronecker’s Thermaesthesio- meter konstant temperierte, bemerkt®): „Wenn die beiden verschieden temperierten Taster (50 und 5° C.) innerhalb der Grenze der Doppel- 2) Czermak, Physiol. Studien. Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. zu Wien Bd. 15 S. 500. 1855. 3) F. Klug, Zur Physiologie des Temperatursinnes. Ludwig’s Arbeiten 11. Jahrg. S..175, 176. 1876. ? Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 457 empfindung stehen, dann ist der Eindruck ein solcher, als berührte die Haut nur ein Körper, welcher aber bald kalt, bald warm ist.* Und: „Beträgt die Temperatur des einen Tasters 5° C., während der andere 20°—40° C. hat, so scheint es, solange die beiden innerhalb der Grenze der einfachen Empfindung sich befinden, als berührte unseren Körper bloss der kalte Taster.“ Schliesslich stösst Thunberg zwecks Bestimmung der verschmolzenen Hitzeempfindung auf diese Frage und teilt mit): „Bei gleichzeitiger und an derselben Stelle lokalisierter Reizung der Kälte- und Wärmenerven wird immer, scheint es mir, die überwiegende Sensation apperzipiert, was auch nach geeigneter Übung der Fall mit der weniger hervortretenden ist, wenn sie nur nicht zu schwach ist.“ (S. 416.) Da bei diesen Versuchen die Fragestellung eine andere war, stellte ich zur systematischeren Klärung einige eigene Experimente an. N Für orientierende Versuche erwiesen sich als geeignet die kleinen Tablettengläschen (Sacharintabletten), die in den Apotheken in ver- schiedenen Grössen erhältlich und mit einem ganz dünnen Metall- deckel verschlossen sind. Ein mit Wasser von Zimmertemperatur gefülltes Gläschen gibt einen ziemlich konstanten Kältevergleichsreiz ; bei abweichenden Temperaturen muss das Gläschen mehrmals mit dem temperierten Wasser durchspült und mit schlechtleitendem Stoff um- wickelt sein. Bei der Reizung wird das Gläschen mit dem Blech- deckel auf die Haut gesetzt. Als Reizstellen wurde die Innenseite des Vorderarms, die Stirn.oder die besonders empfindlichen, geschlossenen Augenlider gewählt. Die beiden letzteren Hautstellen eignen sich auch für Selbstversuche, obwohl sich im allgemeinen, wegen der grösseren Aufmerksamkeitskonzentrierung, eine Trennung der den Reiz appli- zierenden und der die Empfindung beobachtenden Person empfiehlt. Es lässt sich dann leicht ein Wärmegrad finden, der für sich allein noch deutlich warm empfunden, dessen Wärmeempfindung aber durch den in naher Entfernung applizierten Kältevergleichsreiz aus- gelöscht wird, und zwar auch dann, wenn die Doppelreizung nicht simultan sondern sukzessiv oder vielmehr additiv?) 1) Thunberg, Skandin. Arch. f. Physiol. Bd. 11. 2) Es handelt sich nicht um reine Sukzessivreizung, bei der ja die Tem- peraturunterschiedsempündlichkeit’besonders fein ist, sondern um ein Bestehen- bleiben des ersten Reizes. bei hinzukommendem zweiten Reiz, wofür, um Ver- wechslungen vorzubeugen, die Bezeichnung Addition, additive Reizung an- gewandt werden soll. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 30 458 Ulrich Ebbecke: erfolgt, und wenn die Aufmerksamkeit auf den an zweiter Stellezuerwartenden, entgegengesetztenschwächeren Reiz eingestellt ist (wissentliches Verfahren). Dabei kommt wegen des Abstandes der Reizstellen und der schnellen Wirkung ein physikalischer Ausgleich dureh Hautwärmeleitung nicht in Betracht, zumal dieser nur eine Kontrastwirkung hervorrufen könnte, Unter den vielen dabei auftretenden merkwürdigen Verwechs- lungen und thermischen Täuschungen heben sich einige konstante Befunde hervor: | Es wird ein dauernder Kältevergleichsreiz an eine Stelle der Stirn gebracht und nun ein mässiger Wärmereiz abwechselnd. bald dicht daneben, bald in grösserer Entfernung der Stirnhaut zugefügt. Dann wird der Wärmereiz im ersten Fall nur als Druck, im andern als deutlich warm empfunden, und die Überzeugung von seiner tat- sächlichen Gleichheit ändert daran nichts. Oder man bringt einen dauernden mässigen Wärmereiz an eine Stelle des geschlossenen Augenlids und ab und zu mit längeren Pausen daneben den Kältereiz. Dann verdeckt jedesmal die Kälte- empfindung die Wärmeempfindung, und nach Abheben des Kälte- gläschens kann man verfolgen, wie die Wärmeempfindung, gleichsam allmählich anschwellend und sich ein wenig ausbreitend, wieder hervortritt. Auch umgekehrt kann eine schwache Kühlempfindung von einer stärkeren Wärmeempfindung verdeckt werden. Der Befund, dass eine schwache thermische Erregung von einer stärkeren entgegengesetzten durch zentrale Hemmung verdrängt wird, erseheint hiermit gesichert. 7. Mischempfindung, Verschmelzung und Urteilstäuschung. Dass aber dies Verhalten nicht die einzige Möglichkeit bei Doppel- "reizung ist, zeigen sowohl die zitierten Bemerkungen aus der Literatur als auch die Übergangsstadien beim Umschlag einer durch den Blut- strom bewirkten sekundären Empfindung in die entgegengesetzte als schliesslich die Doppelreizversuche, bei denen Kälte- und Wärmereiz beide stark und ungefähr gleichwertig sind. Dann kommt es, während beide Empfindungen fortbestehen, entweder zu einem Widerstreit und Wechsel der Empfindung oder zu einer Verschmelzung und Mischempfindung. Für den ersten Fall, bei dem schon Czermak an die Ähnlichkeit mit dem Wettstreit der Sehfelder Über die Temperaturempfindungen in ikrer Abhängigkeit usw. 459 erinnert, ist ein Schwanken der Wahrnehmung, ein Wechsel der bald nach dieser, bald nach jener Seite gezogenen Aufmerksamkeit wahrscheinlich, Im zweiten Fall mag das Zustandekommen der Verschmelzung auf einer niederen Assoziation beruhen. Sicher ist nur in beiden Fällen, dass jene Zentren der Irradiation und Hemmung die - entgegengesetzten, aber starken Temperaturerregungen ungehindert zu höheren nervösen Stationen passieren lassen. Wir gelangen so in das der physiologischen Untersuchung am schwersten zugängliche Gebiet der psychophysischen Hirnregion oder, psychologisch ausgedrückt, zu Eigenschaften der Perzeption und Apperzeption, die in den Bereich der Psychologie gehören. In die Kategorie der unbewussten oder unterbewussten Asso- ziationen gehört die Verschmelzung von thermischem Gemeingefühl und. Temperaturempfindung. Ferner möchte ich hierzu- auch die von Goldscheider') beschriebenen thermischen „taktilen Mit- empfmdungen“ rechnen. In der Nachbarschaft . einer intensiven Kälte- (Wärme-)empfindung wird eine thermisch indifferente oder schwach gefärbte Berührung als kalt (warm) empfunden. Zu der Bewertung dieser Erscheinung als einer assoziativen Verschmelzung veranlasst mich hauptsächlich die auch für die Wärmeempfindung _ seltende Bemerkung Goldscheiders, „dass selbst die Berührung kälteunempfindlicher Stellen eine lokale Kälteempfindung erzeugen kann, wenn die Kältequelle sich in der Nähe befindet und die primäre Kälteempfindung mächtig ist“. Einen Beitrag zu dieser Frage kann ich in folgendem Versuch liefern: Unwissentliches Verfabren. Die Quecksilberkuppe eines Thermo- meters von Lufttemperatur wird der Versuchsperson, die den Kopf abgewendet hält, an die Haut des Vorderarmes gelegt und dann die erwärmte Kuppe eines gleichartigen Thermometers daneben gelest. Die Versuchsperson antwortet beidemal mit „kalt“. Auf meine ‘Frage, warum das zweite „kalt“ 'in einem gleichsam entrüsteten Tone abgegeben sei, erfolgt die Antwort: Es sei doch eigentlich nicht nötig gewesen, zu antworten, da doch nichts anderes geschehen sei, als dass der kalte Thermometer etwas bewegt, verschoben sei. Hier wird also, wie es auch bei einfachen sukzessiven Be- rührungsreizen benachbarter Tastpunkte (v. Frey), ja auch bei 1) Goldscheider, Über Irradiation und en -Pflüger’s Arch. Bd. 165 S.21#. 1916. 30 * 460 Ulrich Ebbecke: Lichtreizen benachbarter Netzhautstellen (Wertheimer) der Fall sein kann, ein Nacheinander kausal verknüpft und in. Bewegung umgedeutet, während die anfängliche Kälteempfindung, selbst fort- bestehend, die nachfolgende Wärmeempfindung unterdrückt. Es ist charakteristisch, dass nach meiner Erfahrung dieser Versuch nur bei unbefangenen, über den Zweck des Versuchs nicht unterrichteten Personen deutlich ausfällt, dagegen nach mehrfacher Wiederholung und Übung nicht mehr gelingt. .Es sind das Urteilstäuschungen, die als unmittelbares Gefühl aufgefasst werden, wie sie uns so häufig in der Sinnesphysiologie begegnen und bei den Temperaturempfindungen zum Beispiel der Grund sind, warum wir thermische, ohne merkliche Tastreize einhergehende Einwirkungen als nass (beim Eingiessen kalten Wassers in ein in der Hand gehaltenes Reagenzglas), als. Hauch, als innerlich oder innerliches Fliessen „empfinden“ oder deuten. 8. Der Temperatursinn als Einheit. Der Verlauf der Untersuchung hat uns so durch die vielen Stationen geführt, die der Reiz durchläuft, bevor er von den Ur- sprungsstätten der Hautperipherie, wo die physikalische Einwirkung in physiologische Erregung umgewandelt wird, zu den Endstätten des Bewusstseins gelangt, Stationen, die alle gemeinsam zusammen- wirken, um das hervorzubringen, was als einfachste elementare Empfindung in unserm Bewusstsein erscheint. Besonders die dabei zu beobachtenden Hemmungs- und Verschmelzungserscheinungen zeig- ten als den Grundzug der nervösen Zentralfunktion das Zusammen- fügen der zunächst getrennt entstehenden und verlaufenden thermischen Erregungen zu gegenseitiger Beziehung und einheitlicher Gemeinschaft, so dass es berechtigt ist, trotz der peripheren Sonderung in Kälte- und Wärmeorgane statt von einer Physiologie der Kälte- und der Wärmeempfindungen von einer Physiologie oder Psychophysiologie des Temperatursinns zu sprechen. Es ist dieselbe integrierende Tätiekeit des Nervensystems, die für das motorische Gebiet haupt- sächlich durch die Reflexuntersuchungen Sherringtons erläutert worden ist. Von diesem Standpunkt aus lassen sich die Kälte- und Wärmeerregungen wie zwei Antagonisten betrachten, die im Ver- hältnis der reziproken Innervation zueinander stehen. Ähnlich wie im Beugereflex die Streckmuskeln erschlaffen, d. h. ihre tonische Inner- vation in den spinalen Reflexzentren gehemmt wird, im Streckreflex die Beuger ausgeschaltet werden, bei starker Erregung dagegen die er Über die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit usw. 461 4 entgegengesetzten Ganglienzellgruppen zugleich mit Galopprhythmus oder krampfhafter Streckung reagieren, so finden sich Kälte- und Wärmeerregungen teils im Verhältnis der gegenseitig auslöschenden Hemmung, teils, bei starker Erregung, im Nebeneinander und raschen Wechsel der Empfindung oder zu Hitzeempfindung verschmolzen. Was in diesem Vergleich zur Geltung kommt, ist der durchgehende Parallelismus, der in den zentralen Nervenfunktionen auf motorischem und sensiblem Gebiet erkennbar ist. Summation, Ausbreitung der Erregung, Bahnung und Hemmung finden sich hier wie dort, und es ist nicht ohne Bedeutung, dass wir zu denselben Gesetzmässiekeiten der Ganglienzellerregung gelangen, ob wir nun eine Muskelbewegung oder, wie in diesem Falle, eine Temperaturempfindung als Indikator benützen. Zusammenfassung. Es werden Versuche über den Einfluss des Blutes auf die Temperaturempfindungen angestellt. Ein Glied oder eine Hautstelle, aus der zeitweise der Blutstrom ausgeschaltet ist, wird auf eine be- stimmte Temperatur gebracht. Strömt nun das Blut ein, so entstehen je nach den sonstigen Bedingungen reine Kälte-, reine Wärme-, ferner Hitze- und Mischempfindungen oder Serien von wechselnden Temperaturempfindungen. ‘ Die Gesetzmässickeit dieser Erscheinungen wird nachgewiesen. Als bestimmende Faktoren ergeben sich die durch Temperatur, Wärme- entziehung und Tiefenwirkung des äusseren Mediums bedingte Haut- temperatur und die Geschwindigkeit des Hautblutstroms. Das Vorhandensein einer der paradoxen Kälteempfindung ent- sprechenden paradoxen Wärmeempfindung wird sichergestellt. Die Befunde werden unter folgender Annahme verständlich: Kälteempfindung wird ausgelöst durch eine Temperatur- differenz in der Hautschicht an der Grenze von Epidermis und Cutis, Wärmeempfindung durch eine Temperaturdifferenz in der Hautschichtan der Grenze von Cutis und Subeutis. Diese Hautschichten sind, wie bereits von verschiedenen Seiten aus mehreren Gründen vermutet, als Sitz der Kälte- und Wärmeorgane anzusehen. Die Theorie der Temperaturempfindungen wird hiernach dahin ergänzt und modifiziert, dass nicht die Eigentemperatur der Haut, weder ihr Steigen oder Sinken (Weber) noch ihr Abstand vom. 462 Ulrich Ebbecke: Über Temperaturempfindungen usw. physiologischen Nullpunkt (Hering), allein für die Temperatur- empfindung maassgebend ist, sondern die Temperaturerregung zustande kommt durch eine, normalerweise vom Blut- strom unterhaltene, Differenz in der Temperatur der dem Endorgan unmittelbar anliegenden Umgebung, durch ungleichmässige polare Erwärmung und Ab- kühlung des Endkörperehens, wobei die Richtung . des Temperaturgefälles gleichgültig ist und die ober- flächlichereodertiefere Lage der grössten Temperatur- differenz die Art der Empfindung (Kälte oder Wärme) bestimmt. | | Mit dieser Anschauung lassen sich die gewöhnlichen Temperatur- empfindungen, die sekundären und paradoxen Temperaturempfindungen und die Adaptations- und Kontrasterscheinungen einheitlich erklären. Im zweiten, den Einfluss des Zentralnervensystems behandelnden Abschnitt wird das Frost- und Schwülegefühl als ein andersartiges, von spinalen Reflexzentren vermitteltes, beigemischtes Gefühl von den. Temperaturempfindungen im engern Sinne abgesondert, als „Reflexempfindung“ und „Tonusgefühl“ charakterisiert und wird seine Stellung in der Klasse der Gemeingefühle erörtert. Weiter werden die’ Ausbreitunes- ‚ Verdrängungs- und Ver- schmelzungserscheinungen gleichzeitiger benachbarter, gleicher oder . entgegengesetzter, Temperaturempfindungen beschrieben, die zur Integrierung des Temperatursinns führen. 468 (Aus dem physiologishhen Institute der deutschen Universität in Prag.) Über Bau und Bedeutung der dehnbaren Bauchmuskel- sehnen der Frösche als Geschlechtsmerkmal. Von | Prof. Dr. R. H. Kahn. (Mit 3 Textfiguren und Tafel 11.) Die Sehnen der schiefen Bauchmuskeln bei Fröschen bestehen neben einem sehr faserarmen, aber kernreichen Bindegewebe der Hauptsache nach aus dicken sogenannten elastischen Fasern!). Sie bilden auffallende, bis zu 2 mm breite, milchweisse Streifen, welche nach Durchschneidung der Haut beiderseits der Fascia dorsalis am Rücken - und zu beiden Seiten der Rektusscheide am Bauche ohne weitere Präparation zu sehen sind. Da sich diese _Bildungen nur an er- wachsenen männlichen Fröschen zeigen, bei weiblichen aber aus- nahmslos fehlen, so sind die weissen Sehnenstreifen als männliches Gesehlechtsmerkmal zu bezeichnen). Die anatomischen und histo- : logischen Befunde sowie die grossen statistischen Untersuchungs- reihen, welche zur Aufstellung des Geschlechtsmerkmales führten, wurden an Rana esculenta und fusca durchgeführt. Von Hyla, welche die Erscheinung ebenfalls bei erwachsenen männlichen Exemplaren zeigt, konnte bisher keine entsprechend grosse Zahl untersucht werden. Bei einer geringen Anzahl von Bufo vulgaris, welche ich neuerdings untersuchte, habe ich die weissen Streifen auch bei männlichen Exemplaren vermisst, so dass man sie vor- 1) J. N. Czermak, Ges, Schriften Bd. 1 Abt. 2 S. 660, : Leipzig 1879, — ‚R. H. Kahn, Über die in den Sehnen der schiefen Bauchmuskeln bei Fröschen vorkommenden „Inseriptiones elasticae“. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 57 S. 102. 1900. 2) R. H. Kahn, Ein neues Geschlechtsmerkmal: bei Branebem, | S Arch. Bd, 164 S. 347. 1916. ; Pflüger’ s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 31 464 | R. H. Kahn: läufig als ein männliches Geschlechtsmerkmal der Frösche bezeichnen muss. Es wäre aber wünschenswert, die Untersuchungen auf die verschiedenen Arten der anuren Batrachier auszudehnen, da die Möglichkeit besteht, dass das Vorkommen dieses Merkmales nicht bloss für die untersuchten Froscharten charakteristisch ist. Bau und Vorkommen dieser Gebilde sowie ihr funktionelles Verhalten bieten nun eine solche Fülle interessanter Tatsachen, dass eine weitere Mitteilung darüber berechtigt erscheint. I. Anatomischer Teil. 1. _ Färberisches Verhalten. Wie ich schon seinerzeit gezeiet habe, verhalten sich die Fasern der weissen Sehnenstreifen gegenüber den gebräuchlichen Farb- stoffen ebenso wie das sonst bekannte „elastische“ Gewebe. Ihre Färbung durch Orcein, mit Weigert’s Fuchsin-Resoräin oder nach Chromsäurefixation mit Safranin (Martinotti) entspricht ganz den von anderen Objekten aus der Wirbeltierreihe zu ge- winnenden Bildern. Eine besondere Farbreaktion aber zeichnet die Fasern unseres Objektes von den andern aus denselben histologischen Elementen bestehenden Organen aus. Sie besitzen die Fähigkeit, sich bei langdauernder Behandlung mit Formalin rotzu färben. Bewahrt man enthäutete Rümpfe von Rana esculenta oder fusca in einer Lösung von-Formol auf, so färben sich die milchweissen Sehnenstreifen allmählich ganz zart rosa. Der Farbenton wird immer kräftiger, bis schliesslich nach einem oder anderthalb Jahren eine schöne purpürrote Färbung erreicht ist, welche den Streifen ein ‘überaus auffallendes, prächtiges Aussehen verleiht. Die genauere Präparation ergibt zunächst den Befund, dass das Gewebe der Sehnen selbst einen ziemlich reinen roten Farbenton besitzt. Die dünne, im Formol trüb durchseheinend werdende Bindegewebsfaszie, welche Muskeln und Sehnen bedeckt und dem unscheinbaren Grau der Formolpräparate an vielen Stellen einen bläulichen Schimmer verleiht, bewirkt die scheinbar blaurote, purpurne an) unserer Streifen im hellen, auffallenden Lichte. Diese Färbung tritt, wie erwähnt, erst nach etwa einem Jahre in voller Kraft hervor. Ihr allmähliches Anwachsen ist aber im Laufe der Monate sehr. gut zu beobachten. Schon nach 4—6 Wochen ist ein rötlicher Schimmer auffällig, nach 6 Monaten ist ein Farbenton RER SRG VE HER RRER Über Bau und Bedeutung der dehnbaren Bauchmuskelsehnen usw. 465 erreicht, welcher bezüglich der dorsalen Streifen beinahe dem in Garten’s!) Sehpurpurtafel verzeichneten Tone A,, entspricht. Um eine präzise Vorstellune von der Intensität der Färbung zu geben, führe ich in der Figur 1 der Tafel II eine naturgetreue Wieder- gabe eines Präparates vor, welches seit 1"/s Jahren in 4 0/,iger wässe- riger Formalinlösung aufbewahrt wurde. Wie man sieht, handelt es sich hier um eine ganz auffallende Erscheinung. Die Rückenstreifen heben sich von ihrer Umgebung in einer Weise ab, dass ein jeder mit Sicherheit behaupten würde, sie seien mit einer roten Farbe künst- ‚lich gefärbt. Und doch ist keinerlei Farbstoff in die Reaktion ein- gebracht worden. Die Erscheinung ist so auffallend, dass ich zunächst daran dachte, es könnte das Formol irgendwo aus dem Körper, aus irgend- einem Organe einen Farbstoff, wenn auch nur zu sehr geringer Konzentration extrahieren, zu welchem unsere Streifen eine solche Affinität hätten, dass sie ihn bis zum Erscheinen der Färbung _ speicherten. In der Tat gewinnt ja, wie bekannt, das Formol, in welehem grosse Körperteile mit verschiedenen Organen aufbewahrt werden, mit der Zeit einen leicht bräunlichen Farbenton, welcher darauf hinweist, dass gewisse Stoffe mit der Zeit in Lösung ge- sangen sind. Aber die gleiche Farbreaktion mit Formol geben auch völlig eventrierte Rumpfstücke ebenso wie sorgfältig ausgeschnittene Sehnenstreifen allein, so dass kein Zweifel darüber bestehen kann, dass der Farbstoff unter der Einwirkung des Formaldehyds in dem Gewebe der Sehnen selbst entsteht. Dabei scheint die Konzentration des Formols keine wesentliche Rolle zu spielen, wenn ein bestimmtes Maass überschritten wurde. Denn bei S°/oiger bzw. 16 °/oiger Lösung liegen die Verhältnisse nicht anders. Der rote Farbstoff haftet an der elastischen Faser selbst, jedoch ist die Intensität der Färbung der Faser eine:sehr geringe. Sauber herauspräpariert, in Wasser ausgewaschen und in Glyzerin zerzupft, sind die Fasern, einzeln unter dem Mikroskope in der Durchsicht betrachtet, kaum farbig. Parallel der Längsachse gesehen aber, an solchen Stellen des Präparates, an denen sie gegen den Beschauer gekrümmt sind, tritt die rote Farbe ‘deutlich hervor. Dieser Um- stand, welcher an das Verhalten mässig purpurhaltiger Netzhaut- 1) S. Garten, Die Veränderungen der Netzhaut durch Licht. — Graefe- Sämisch, Handb. d. Augenheilk., 2. Aufl., Bd. 3 Kap. 7, Anhang. sL* 466 R. H. Kahn: stäbehen erinnert, beweist, dass die Faser selbst der Träger des Farbstoffes ist. Die sonstigen Elemente der Sehne, namentlich die zahlreichen Kerne erscheinen ungefärbt. Endlich ist zu berichten, dass es bisher nicht gelungen ist, den Farbstoff in Lösung zu bringen. Er ist in reinem Wasser ebenso unlöslich wie in Alkohol, Chloroform, Äther. Durch Säuren und Basen wird er sofort, durch H,O, langsam zerstört. Die ganze Erscheinung dieser Farbreaktion steht meines Wissens ganz ohne Analogie da. Sie wird noch durch den Umstand ganz besonders merkwürdig, dass sie bloss auf unser Objekt beschränkt zu sein scheint. 2. Vergleich des Gewebes der Sehnenstreifen mit dehnbarem Gewebe anderer Herkunft. Die Behandlung unserer Sehnenstreifen gleichzeitig mit Stücken des Ligamentum nuchae der Säugetiere mit Formalin bringt einen grossen Unterschied zutage. Während die histologischen Elemente beider Organe in physikalischer Hinsicht und färberisch bezüglich der oben erwähnten spezifischen Färbemethoden völlig überein- stimmen, bilden die Sehnenstreifen unter der Formolwirkung den besehriebenen roten Farbstoff, die Nackenbandstücke aber nicht. Die Formolreaktion weist also unserem Sehnengewebe eine Sonder- stellung unter den übrigen aus sogenannten elastischen Fasern bestehen- den Organen zu, welche in der Fähigkeit der Farbstoffbildung, also vermutlich in dem Gehalte an irgendwelchen besonderen Stoffen ge- legen sein muss. Es wäre natürlich von dem grössten Interesse, ‚zu erfahren, ob es sich hier zunächst um tinen Unterschied zwischen den physikalisch und histologisch gleichartigen Gewebselementen des Warm- und Kaltblüters handelt. So wenig wahrscheinlich und eigentlich ohne Analogie eine solche Vermutung auch ist, sie lässt sich leider vorläufig nicht weiter verfolgen. Denn neben den Sehnen- streifen kommt eine andere. kompaktere Anhäufung dieses Gewebes bei den leicht erreichbaren Kaltblütern nicht vor, und die Beurtei- lung der Färbung der einzelnen Fasern ist, wie oben erwähnt wurde, mit grossen Schwierigkeiten verknüpft. Immerhin habe ich an ge- eieneten Objekten weitere Untersuchungen hierüber im Gange, welche aber bisher zu keinem bestimmten Resultate geführt haben. Sicher steht bisher nur: Die Sehnenstreifen der schiefen Bauchmuskeln der Frösche färben sich in Formol rot, Über Bau und Bedeutung der dehnbaren Bauchmuskelsehnen usw. 467 das Nackenband äber verändert seinen Farbenton nicht. je j | Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Gewebsarten, welche doch in wichtigen Eigenschaften übereinstimmen, ist in dem Umstande hervorzuheben, dass das Gewebe unserer Streifen am frischen Objekte rein weiss,jaopak milchweiss, jenes der übrigen „elastischen, Organe gelblichaussieht. Diese gelbe Färbung der aus sogenanntem elastischen Gewebe bestehenden Organe, welche auch in relativ dünner Schichte charakteristisch ist, hat ja seinerzeit Triepel!) den Anlass gegeben, ausBedenken physikalischer Natur für das elastische Gewebe den Namen gelbes Bindegewebe vorzuschlagen. Abgesehen davon, dass die hieraus abzuleitende Bezeichnung: „gelbe Fasern“ nicht zutreffend ist, weil die einzelne Faser ja niemals gelb erscheint, ist der Fall unserer Organe ein weiteres Beispiel für die Unzweckmässigkeit der Be- zeichnung. Denn hier ist die Anhäufung der histologisch und physi- kalısch I — N 2 N B ir » us Ns “ E37 { E; Y w } } P t ’ X ; 3 "= Bi x $ { R N Lak = I, Verlag v.Martin Hager. Born Täth. Anst.v. F-Wirtz, Darmstadt. Über Bau und Bedeutung der dehnbaren Bauchmuskelsehnen usw. 49] Längen-, Volum- und Druckschwankungen ist weit grösser. Als Ausdruck dieser Verschiedenheiten sehen wir das Volumen der Mundhöhle durch Ausbildung der Schallsäcke den Anforderungen der männlichen Stimme angepasst. Auch sehen wir die Bauchmuskulatur viel kräftiger entwickelt. Ebenso ist die Ausbildung der debn- baren Bauchmuskelsehnen als eine Anpassung an die bei der männlichen Stimmgebung vermehrten jähen Schwankungen an Volumen und Druck bezüglich der Organe der Leibeshöhle aufzufassen. Diese Sehnen ge- hören mit in jene Gruppe von Geschlechtsmerkmalen, bei denen die experimentelle Untersuchung bestimmte Beziehungen zu Funktionen aufdecken konnte, welche das betreffende Geschlecht als solches :charakterisieren. \ Es‘ erübrigen noch zum Schlusse einige Worte über die ent- - sprechenden Verhältnisse bei nahen Verwandten. Alle unsere Er- örterungen beziehen sich auf Rana esculenta und fusca. Ich zweifle nicht, dass sie auch für die andern bisher nieht untersuchten Arten von Rana gelten dürften. Die Verhältnisse bei Hyla zu untersuchen, bei welcher ich das Vorkommen der dehnbaren Sehnen beobachtet habe, müsste in Anbetracht des ausserordentlich ausgeprägten Ge- schlechtscharakters der männlichen Stimme besonders interessant sein. Wie sich die Sache bei den Kröten verhält, ist‘ mir vorläufig nicht bekannt. Bei Büfo vulgaris habe ich, wie erwähnt, die weissen Streifen auch bei Männchen vermisst. Vielleicht besitzen sie andere Krötenarten, bei denen, wie oben erörtert wurde, die Stimme aus- geprägter ist, als bei der Erdkröte. Über die angedeuteten Punkte ist zunächst eine grössere Erfahrung zu sammeln. 492 Leonhard Wacker: (Aus dem pathologischen Institut der Universität München.) Über einige Modelle zur Demonstration der Muskelkontraktion nach der Drucktheorie!). Von s Leonhard Wacker. (Mit 6 Textfiguren.) Da die Kraftgewinnung zum Betriebe der Muskeln aus der in. den Nahrungsmitteln zur Verfügung stehenden Sonnenenergie durch Spaltung und Oxydation erfolet, wird man sich die Frage vorzulegen haben, welche bekannte Naturkräfte bei den sich abspielenden che- mischen Prozessen eine Rolle spielen könnten, und wie sich die Aus- nutzung derselben mit dem histologischen Bau des Muskels in Einklang bringen liesse. Wie schön an anderer Stelle erörtert, sind die Nahrungsmittel fast durchweg hochmolekulare Verbindungen, die in den Depots des Organismus in Kolloidform deponiertsind und beim Verbrauch innerhalb der Zellen in eine grosse Anzahl von kleineren Molekeln von Kristalloid- natur gespalten werden. Dadurch kann es zu einer Steigerung des. osmotischen Druckes im Zellinnern kommen. Die Druckdifferenz 1) Vgl. dazu die vorangegangenen Arbeiten: Zur Kenntnis der Totenstarre und der physiologischen Vorgänge im Muskel. Münchener med. Wochenschr. 1915 Nr. 26 u. 27 S. 874 u. 913. — Anoxybiotische Vorgänge im Muskel. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 163 S. 491. 1916. — Physikalische und chemische Vorgänge im absterbenden Muskel als Ursache der Totenstarre- . Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 101. 1916. — Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung und Lösung der Totenstarre. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 451. 1916. — Die Kohlensäureabgabe des absterbenden Muskels als Ursache der Lösung der Totenstarre. Biochem. Zeitschr. Bd. 79 S. 118. 1917. (Beitrag zur Festschrift auf Orth.) — Chemodynamische Theorie der Muskel- kontraktion. Berliner klin. Wochenschr. 1917 Nr. 7 8. 153. — Chemodynamische oder Kohlensäure-Theorie der Muskelkontraktion. Pflüger’s Arch. f. d. ges.. „ Physiol. Bd. 168 S. 147. 1917. e x Über einige "Modelle zur Demonstration der Muskelkontraktion usw. 493 innerhalb und ausserhalb der Zellen könnte als eine der Energie- quellen zum Betriebe des Muskels in Frage kommen. Beim Studium der Stoffwechselvorgänge stösst man aber noch auf einen weiteren Vorgang, der zu einer Druckerhöhung in den Zellen zu führen geeignet ist. Bekanntlich nehmen im arbeitenden Muskel lie sauren Bestandteile zu, während gleichzeitig das Glykogen schwindet. Als Ursache der Aziditätszunahme hat man das Auf- igeten von d- (oder Fleisch-) Milchsäure erkannt. Da im Muskel sowohl wie im. Blute alkalische Salze vorhanden sind, wird die ent- standene Michsäure sofort neutralisiert und in milehsaures Alkali übergeführt. Letzteres wird im Organismus zu Alkalibikarbonat ver- brannt. Hiervon kann man sich leicht überzeugen, wenn .man 15 g milchsaures Natron in verdünnter wässeriger Lösung dem Organismus zuführt!). Schon nach einigen Stunden erscheint ein Teil in Form ‘von Natriumbikarborat im Urin und kann als solches Jeicht identi- fiziert werden. Das zur Neutralisation der bei der Muskelarbeit entstehenden d-Milchsäure erforderliche doppelkohlensaure Alkali wird also durch Oxydation von milcksaurem Alkali immer, wieder regene- riert. Das Bikarbonat ist demnach direkt oder indirekt die Quelle der Alkaleszenz. Bei dem Neutralisationsprozess der Milcehsäure entsteht freie Kohlensäure, die in der Zelle zu einer Druckentwick- lung Veranlassung geben kann. Dadurch ist eine zweite Kraft- quelle gegeben, die mit unseren bisherigen Anschauungen über Energie- gewinnung vereinbar ist. Erwärmt man wässerige Flüssigkeiten, die freie Kohlensäure gelöst enthalten, in geschlossenen Gefässen, so steigt der Druck. Der gleiche Vorgang kann sich in den Zellen vollziehen. Die bei der Verbrennung des milchsauren Alkalis entstehende Wärme ist im- stande, eine weitere Drucksteigerung herbeizuführen. Je höher der 1) 15 g reines, sirupförmiges, milchsaures Natron der Firma ©. A.F. Kahlbaum in Berlin werden in 200 ccm Wasser gelöst. Man trinkt zunächst die erste und nach Ablauf einer Stunde die zweite Hälfte dieser Lösung. Der Genuss verursacht keinerlei Beschwerden. Ein 35 Minuten nach Aufnahme der ersten Portion ge- lassener Urin ist bereits alkalisch und trübt sich beim Kochen, wird aber auf Zusatz eines Tropfens alkoholischer Phenolphtaleinlösung noch nicht rot. Dagegen gibt ein 3 Stunden nach Beginn des Versuches mit Phenolphtalein aufgekochter Harn eine intensive Rotfärbung und entwickelt auf Säurezusatz Kohlensäuregas. Die Bikarbonatabscheidung durch den Urin hält noch einige Stunden an, Vgl. dazu Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 457 u. 458. 1916. AgL:., . Leonhard Wacker: Druck ist, desto grösser wird die Arbeitsleistung werden. Daraus ist ersichtlich, wie die Wärme in Muskelarbeit umgesetzt werden . kann. Die Neutralisation der bei der Muskelarbeit entstehenden Milch- säure durch das Alkalibikarbonat erfolgt im statu nascendi der Milch- säure. Die Zunahme des osmotischen Druckes fällt also zeitlich zu- sammen mit der Kohlensäureentwicklung. Beide Kräfte kommen daher vereint zur Wirkung und addieren sich. Auf dieser Grundlage ist es von Interesse, sich durch Modelle eine Vorstellung zu machen, wie der Überdruck innerhalb des Muskels eine Kontraktion desselben herbeizuführen vermag, und wie sich der Vorgang mit dem histologischen Bau deckt. Die enornie Zusammenziehbarkeit könnte durch zweierlei Ver- kürzungsprinzipien bedingt sein, nämlich: 1. durch die Drucksteigerung innerhalb der Muskel- elemente bzw. der Muskelfasern; | 2. durch die transversale Expansion der Muskelfasern unter dem Einflusse dieses Druckes. 1. Verkürzung durch Drucksteigerung innerhalb der Muskel- . elemente und Muskelfasern. Die Schwierigkeit in der Beurteilung dieser Verhältnisse liegt in der ausserordentlichen Kleinheit der kontraktilen Substanz des Muskels, so dass die histologische Forschung »och keine sicheren Anhaltspunkte über die tatsächliche Struktur zu bieten vermag. Immerhin dürfte so viel sichergestellt sein, dass die morphologische Einheit der kontraktilen Substanz jene Teilchen der Fibrillen dar- stellen, welche durch je zwei Grundmembranen begrenzt sind und die man als Muskelelemente oder Muskelkästchen bezeichnet hat. Diese sind beim menschlichen Muskel 2 bis 2,8 « hoch und 1 bis 1,7 u tief und breit, wobei die Längsachse der Elemente identisch ist mit der Längsachse der Fibrillen. Sie sind also annähernd doppelt so hoch als breit und tief. Von den Begrenzungsmembranen des, prismatisch gestalteten Muskelelementes sind nur die erwähnten Grundmembranen sichtbar; die der Mantelfläche des Prismas ent- sprechende Längsmembran konnte, wahrscheinlich wegen ihrer Zart- heit, histologisch noch nicht dargestellt werden. Verschiedene Gründe, insbesondere die Stoffwechselvorgänge, sprechen für das Vorhandensein einer Längsmembran, welche dem quergestreiften Muskel den Charakter TE Fr Über einige Modelle zur Demonstration der Muskelkontraktion usw. 495 der Wabenstrüktur' verleihen würde. "Einige Histologen haben in ‘den Quersehnitten der Fibrillen Pünktchen beobachtet, welche sie als Quersehnitte von Längslamellen zu deuten geneiet sind, die als Kanten solcher Längsmembranen angesehen werden könnten. Hier- über äussert sich M. Heidenhain in v. Bardeleben’s Handb. d. ‚Anat d. Menschen, Bd. 5 H..2 S. 619 u. 620 in dem Kapitel '„Hypothetische Längsverbindungen der Fibrillen* we folgt: „Ich finde auf Querschnitten durch die Stammuskulatur von Triton und Salamanderlarven, dass alle feinen Felderchen und Punkte, “welche in ihrer Gesamtheit den Querschnitt der kontraktilen Sub- 'stanz ‚darstellen, durch sehr feine Fädchen in der Art verbunden sind, dass dadurch jedes Querschnittselement einen sternförmigen Habitus gewinnt. Etwas Ähnliches sieht man auf dem Querschnitt von der Herzmuskelfaser nach Mae Callum (Anat. Anzeiger Bd. 13 8. 614 Fie. 4). Es wäre nun möglich, die in:Rede stehenden Fäd- chen hypothetisch als Querschnitte von feinsten Längslamellen zu deuten, welche eine kontinuierliche Verbindung der fibrillären Elemente in der Längsriehtung der Faser bewerkstelligen (s. Nr.'24 S. 67 f.). Dann würde also der Raum zwischen je zwei Inophragmen in ein Mosaik prismatischer Hohlräume zerfallen, in deren Kanten die fibrillären Differenzierungen verlaufen. Weitere Untersuchungen müssen lehren, ob die vermuteten Wabenformationen wirklich existent sind.“ 5 Sa » i . Bei Annahme der Wabenstruktur würde also: ein.Muskelelement von zwei dehnbaren Grundmembranen und einer elastischen feinen Länesmembran begrenzt sein, in welch’ letztere noch parallel der Längsachse verlaufende, undehnbare oder doch er schwer dehnbare Lamellen eingeflochten sind. Der Versuch, ein solehes Muskelelement nachzubilden, führte in. der Tat zu einem Modell, das bei Drucksteigerung im Innern den Verkürzungsvorgang in schöner Weise demonstriert. ‚Zur Herstellung des Modells verwendet man ein Stückchen eines elastischen Gummischlauches, etwa einen Ausschnitt aus dem Finger eines Sektionshandschuhes von 6 em Länge und einem lichten Durch- messer von 1,5 bis 1,6 cm. Als supponierte Grundmembranen fun- gieren zwei luftdicht schliessende Korkplatten oder ‚Stopfen, wovon der eine durchbohrt und mit.einem Glasröhrchen versehen ist, das einen Glashahn trägt. In die beiden offenen Enden des Gummi- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 383 496 Leonhard Wacker: schlauches werden die beiden Korke eingeführt und. mit Blumen- draht befestigt. Die aktive Fläche, entsprechend der Längsmembran des Muskelelementes, wird dann durch dasjenige Gummistück repräsen- tiert, welches von der Drahtwicklung des einen Korkes zu der- jenigen des zweiten reicht. Im Modell ist seine Länge etwa 5 cm. Bläst man nunmehr Luft in den Apparat und schliesst den Glashahn, so findet.man, dass sich der Gummischlauch seitlich verwölbt, sich aber nicht verkürzt, sondern verlängert (Fig. 3). Die Längen- zunahme beträgt dabei etwa 1,3 cm, d. h. 260 der ursprünglichen Länge. Die früher vertretene Anschauung!), wonach eine verstärkte Grundfläche des prismatischen Muskelelementes bei Drucksteigerung” im Innern an und für sich sehon: zu einer Verkürzung führen kann, hat sich also nicht bestätigt. Wesentlich anders gestalten sich aber die Verhältnisse, wenn man dem von M. Heidenhain (a. a. OÖ.) angedeuteten Strukturprinzipe Rechnung trägt, indem man rings um den Apparat, parallel der Längs- achse, ausserhalb des Gummischlauches in möglichst gleichen Abständen fünf bis sechs Bindfäden einzieht (Fig. 1) und dann den Apparatunter Druck setzt (Fig. 2). Auch dann findet eine seitliche Expansion der Längs- membran statt; da aber bei der Verwölbung derselben ein Druck auf die undehnbaren Bindfäden ausgeübt wird, äussert sich derselbe als ein Zug auf die Grund- membran (d.h. die Korkplatten), und es kommt zueiner Verkürzung’). Gleichzeitig beobachtet man an den Stellen der 1) Berliner klin. Wochenschr. Nr. 7 S. 154. 1917. 2) Anmerkung bei der Ko:rektur: Nach den interessanten Ausführungen des berühmten Kinematikers F. Reuleaux (Lehrb. d. Kinematik, Bd. 2, Anhang „Kinematik im Tierreich“, S. 765 usw. Braunschweig 1900) über die Muskelkraft steht die Eigenschaft des Muskels, durch Verkürzung eine Kraft zu entfalten, im Widerspruch zu den Gesetzen der technischen Mechanik und zu allen Erfahrungen des Ingenieurs. Trotz anderweitiger,' sehr hypothetiseher Erklärungsversuche hat es Reuleaux unternommen, die Muskelkontraktion durch ein Modell nach- zuahmen, welches den rätselhaften ‚Vorgang auf die alten bekannten Naturgesetze zurückführt, um, wie er sagt, wenigstens die vorhandenen Mittel zu erschöpfen. Diese Reuleaux’sche Verstichsanordnung, welche mir im Detail erst nachträglich bekannt geworden ist, deckt sich insofern nicht mit meinen Modellen, als bei ihr unter anderem die Längslamellen in Form von Bindfäden fehlen, welche nach meinen Erfahrungen für das Zustandekommen der Kontraktion unbedingt erforderlich sind. L n Über einige Modelle zur Demonstration der Muskelkontraktion usw. 497 Bindfäden Einschnürungen, welche dem Modelle ein prismatisches Aussehen verleihen. In der Abbildung des Modells (Fig. 2) beträgt die Verkürzung auf 5 em Länge des aktiven Gummistückes 1 cm, d. h. 20 % der ursprünglichen Länge, während der Anfangsdurchmesser von etwa 1,9 em auf 5,1 cm oder um 167 °/o ansteigt. Bei genügen- der Elastizität und Festiekeit des verwendeten Gummis liesse sich die Verkürzung wahrscheinlich noch viel weiter treiben, womit die Vererösserung der transversalen Expansion Schritt halten würde. Lässt man die eingeblasene Luft durch Öffnen des Glashahnes rasch entweichen, so schnellt das Modell sofort in seine Ruhelage zurück. Denkt man sich in der Mitte des Modells noch eine elastische Scheibe angebracht, die an der Mantelfläche befestigt ist, so würde diese, ihrer Lage nach, der Mittelscheibe entsprechen. Beim Aufblasen würde dieselbe zweifellos eine Dehnung erfahren und beim plötzlichen Nachlassen des Druckes durch Öffnen des Glashahnes die Gesehwindig- keit der Rückkehr in die Ausgangslage erhöhen. Nebenher könnte sie dem Zwecke dienen, eine Mischung eines etwaigen flüssigen Inhalts zu verhindern. Die der Muskelkraft antagonistisch gerichtete Rückwärtsbewegung vom Kontraktionszustand zur Ruhelage würde somit durch die Elastizi- tät der Längsmembran und der-Mittelscheibe verursacht sein. Beim Reuleaux verwendete nämlich einen eiförmigen Gummischlauch, der an beiden Enden in rohrförmige Fortsätze auslief, welch’ letztere über je zwei Messingröhrchen gezogen wurden, die mit Hacken versehen waren. Durch ein angehängtes Gewicht wurde der eiförmige Gummi gestreckt, beim Einblasen von Luft nahm er die Kugelform an, wobei sich das Gewicht hob. Von Längslamellen ist in dem Text nie die Rede, doch ist etwas ‘Ähnliches aus den Abbildungen des gestreckten Gummi (Fig. 669a und 670a) ersichtlich, während diese vermutlichen Längslamellen nach dem Einblasen von Luft in den zugehörigen kugelförmigen Figuren (b) nicht mehr wahrzunehmen sind, Vielleicht war der eiförmige Gummi so konstruiert, dass Verdiekungen oder Nähte eine Längsdehnung verhindert haben. In dieser Hin- sicht sind also die Reuleaux’schen Modelle nicht eindeutig, ganz abgesehen davon, dass sie keinen Anspruch erheben, mit der Histologie des Muskels überein- zustimmen und die enorme Zusammenziehbarkeit vollkommen zu erklären. — Von Interesse sind ferner die theoretiscben Erörterungen Reu leau x’; insbesondere seine Anschauung über die Entstehung der Muskeltöne, die er sich durch stossweisen Austritt des den Druck erzeugenden Muskelinhaltes durch ventilartig wirkende Häutchen entstanden denkt. Nach der chemodynamischen Theorie könnte man ° sich die Töne durch die, konform mit der raschen Reizfolge, in kurzen Inter- vallen aus den Muskelelementen in das Sarkoplasma abströmende Kohlensäure verursacht denken. 39% . Leonhard Wacker: 498 RATE, WU); 1 ji N 1 Ir BESPPSPESEFIEESEEEF Ki ER alagtalazt ıhalallıl Hill =! v \ ii =| =! 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Durch den soeben geführten Beweis, wie die Kontraktion und Restitution der fibrillären Elemente erfolgen kann, lassen sich jedoch die Vorgänge nur teilweise erklären, denn schon der histologische Bau der Muskelfaser weist auf kompliziertere Verhältnisse hin, ins- besondere können Zweifel darüber bestehen, wie die Kraftübertragung vor sich geht und wie die Druckentladung aus den Muskelelementen erfolgt, die zur Rückkehr des Muskels. aus dem Kontraktionszustand in die Ruhelage unbedingt erforderlich ist. Gegen die Annahme, dass die sich kontrahierenden Muskelkästchen bzw. die Fibrillen diejenigen Strukturelemente sind, welche direkt durch Zug die Kraft- äusserung des Muskels bewerkstelligen, spricht aus statischen Gründen ihre Spaltbarkeit in geldrollenartige Scheiben, da sie beim Ziehen dem Querzerfall unterliegen müssten. Man wird daher nach anderen Teilen der Muskelfaser suchen müssen, welchen diese Funktion zu- kommen könnte. Bekanntlich setzt sich die Faser aus Fibrillen, Sarkoplasma und Sarkolemm zusammen. Da das Sarkoplasma wegen seiner zähflüssigen Konsistenz nicht in Frage kommen kann, bleibt nur noch das Sarkolemm übrig, das die ganze Muskelfaser umschliesst. Sehon aus letzterem Grunde erscheint die Kraftübertragung durch das Sarkolemm am wahrscheinlichsten. Wie aus den Abbildungen des Modells (Fig. 9) ersichtlich, geht mit der Drucksteigerung in den Muskelelementen eine erhebliche Querschnittszunahme oder transversale Expansion Hand in Hand. Dadurch wird ein Druck auf das Sarkoplasma ausgeübt, das den- selben seinerseits auf das Sarkolemm überträgt. Die ganze Muskel- faser wird dann ebenfalls seitlich expandieren, und die Folge wird sein, dass sich der Verkürzungsakt am Sarkolemm bzw. an der Muskelfaser wiederholt. Eine Dehnbarkeit des Sarkolemms in der Längsrichtung scheint deshalb ausgeschlossen, weil bei der enormen Länge im Verhältnis zum Durchmesser (beim Menschen etwa 1: 5000) der Seitendruck den axialen Druck bedeutend überwiegt, weil das 500 ’ Leonhard Wacker: Sarkolemm mit den Grundscheiben verankert ist (vgl. Stöhr, Lehrbuch der Histologie d. Menschen, 16. Aufl., S, 100 Anmerk.), und weil der in Ruhe befindliche Muskel auch keine: wesentliche Dehnbarkeit besitzt und besitzen kann; denn eine Vorrichtung, die zum Ziehen dienen soll, würde versagen, wenn sie aus einem Material besteht, das in der Zugrichtung erheblich dehnbar ist. Ein Modell, welches das Vorgesagte illustriert, ist in Fig. 4 ab- - gebildet. Leider ist es mir wegen des zurzeit bestehenden Gummi- mangels nicht gelungen, dasselbe in befriedigender Weise herzustellen. Es setzt sich zusammen aus einer Anzahl in der Längsrichtung aneinander gereihten Muskelelementen (Fibrillensystem) gemäss Fig. 1. Diese Muskelelementmodelle sind unter sich durch durchbohrten Korke mit Glasröhrchen verbunden, so dass sie von einer Seite durch Einblasen von Luft unter Druck gesetzt und verkürzt werden können, wobei jedes Element für sich, wie in Fig. 2 dargestellt, seitlich expandiert (vorausgesetzt, dass man Gummi von gleichmässiger Elastizität zur Verfügung hat). Zieht man über dieses Fibrillensystem im Entladungs- zustande ein etwas längeres Stück eines zweiten, elastischen, aber “ etwas kräftigeren Gummischlauches (beispielsweise einen Fahrrad- schlauch), so befindet sich derselbe seiner Lage nach an Stelle des Sarkolemms. Dieser äussere Schlauch wird an’ beiden Enden durch Korke geschlossen und eine Längsdehnung gleichfalls durch Einziehen von Bindfäden, wie bei Fig. 1 und 2, verhindert. Der eine der beiden äusseren Korke muss durehbohrt sein, weil durch ihn jenes Glasröhrehen führt, welches den Glashahn trägt, der zum Aufblasen des Fibrillensystems dient. Der Raum zwischen Fibrillen und äusserem Schlauch entspricht dem Sarkoplasmaraum und wird in vorliegendem Falle. mit Wasser gefüllt. Beim Einblasen von Luft wird sich der ganze Apparat unter seitlicher Expansion verkürzen, weil die Gummiwandungen des inneren Systems auf das Wasser und dieses wieder auf den äusseren Schlauch drücken. Im wesentlichen ist, wie schon erwähnt, die soeben beschriebene Konstruktion des Modells Fig. 4 nur eine Wiederholung des sich bei jedem einzelnen Muskelelement vollziehenden Vorgangs. Diese Komplikation im histo- logischen Bau der Muskelfaser ist nötig, um die Druckentladung dureh Kohlensäurebindung im Sarkoplasma und die Rückkehr der kontra- ‘ hierten Muskelfaser in den Ruhestand zu ermöglichen. (Näheres darüber siehe Arch. f. d. ges. Physiol. 1917, S.- 162 und Berliner klin. Wochensehr. 1917 N. 7,S. 155.) Beim Nachlassen des Druckes Über einige Modelle zur Demonstration der Muskelkontraktion usw. 501 (im Modell Fig. 4 durch Öffnen des Glashahnes) wird die Ruhelage durch die Elastizität der inneren und äusseren Schläuche rasch wiederhergestellt. Denkt mau sich an Stelle der Korke im inneren (Fibrillen-) System eine dünne, elastische Scheibe (Grundscheibe) ‘gesetzt und diese an dem äusseren Schlauch (Sarkolemm) verankert (Stöhr.a.a.O.), so wird dies die Rückkehrbewegung beschleunigen und gleichzeitig einer Verlagerung des Faserinhaltes bei rascher Be- anspruchung vorbeugen. Lufr öusserer Schlauch Fig. 4. 2. Verkürzung durch transversale Expansion der Muskelfasern bzw. Muskelbündeln unter dem Einflusse des Druckes. Das in diesem Abschnitt zu beschreibende Verkürzungsprinzip erhöht die Zusammenziehbarkeit des Muskels erheblich, doch war es nicht möglich, eine naturgetreue Nachbildung herzustellen, sondern die Abbildungen in Fig. 5 und 6 sollen nur die prinzipielle Seite des Vorgangs illustrieren. In einer Muskelfaser befindet sich bekanntlich nicht nur eine Fibrille, wie dies in Fig. 4 der Einfachheit wegen schematisch dar- gestellt wurde, sondern es lassen sich einige Dutzende derselben berechnen, wobei dann immer noch Raum für die Zwischensubstanz, das Sarkoplasma, bleibt. Da jede dieser Fibrillen bei der Druck- entwicklung im Innern eine sehr bedeutende transversale Expansion zeigt, wird die Querschnittszunahme der ganzen Faser sehr gross sein. Das Modell Fig. 5 besteht aus einer Anzahl Bindfäden, die ein : Bündel von Muskelfasern darstellen sollen. Dieselben sind an beiden Enden zusammengebunden, also ähnlich wie ein Muskel durch Binde- gewebe und Sehnen am Skelett fixiert. Bei der Kontraktion wird jeder einzelne Faden erheblich an Dicke zunehmen, folglich wird das eanze Bündel aufschwellen und an Umfang gewinnen. Diesen Vor- gang kann mıan durch Einschieben einer Holzkugel zwischen die Fäden nachahmen (Fig. 6). Dadurch werden die beiden Enden des Stranges sich einander nähern, d. h. das ganze Muskelbündel wird sich ver- v b % ‚ \ ' 502 Leonhard Wacker: Über einige Modelle zur Demonstration usw. T kürzen. In den. Abbildungen beträgt .die Verkürzung. 36,5°/o der ursprünglichen Länge. Dies stellt jedoch nicht das Maximum der :Längenabnahme dar, denn durch. Einschieben: eines Körpers von Sphäroidform liesse sich dieselbe noch er- heblich steigern. | Re Die vorstehenden Ausführungen sollen eine Ergänzung sein zu der in dieser Zeitschrift. (a. a. ©.) besprochenen chemodynamischen Theorie der Muskelkontraktion. Diese würden an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn es ge- länge, histologisch einen strikteren Beweis für die Waben- ‘ EA zer LEI Le rn Soft | 2| vr —. ui Ir, u werTe ar we, LEERE cher LE EEE HE Dr er . u ee we ET EEE EDEL TE MIELE: N DZ werrrreeeRe, I @i be, et — = = = TE. CT Te El] Yd wer ur Fig. 5. struktur überhaupt, sowie für das Vorhandensein von nicht dehnbaren Längslamellen in den Fibrillen zu erbringen. 5083 B% 3 ß ; A (Aus der physiologischen Abteilung der zoologischen Station in Neapel.) Untersuchungen über die Leistungen der Nervenzentren bei Dekapoden. Von J. MWatula (Wien)!). (Mit 2 Textfiguren.) Zur Ausführung einer zweckentsprechenden Bewegung eines Tieres ist nicht nur die qualitative Koordination der einzelnen Re- flexe, die diese Bewegung zusammensetzen, erforderlich, sondern es ist auch nötig, dass diese Bewegung in quantitativer Hinsicht eine geregelte ist. Das blosse Bestehen zum Beispiel einer rhythmischen Atem- oder Lokomotionsbewegung allein genügt noch nicht zur vollen Erfüllung ihres Zweckes; ihre Stärke und Auslösbarkeit, die Frequenz des Rhythmus usw. müssen den Umständen der äusseren Verhältnisse und den Erfordernissen des Organismus entsprechen. Einer zweifachen Aufeabe hat das zentrale Nervensystem daher gerecht zu werden: der Koordination und der quantitativen Regulation der Re- flexe. Diesen beiden Funktionen werden zwei verschiedene Apparate entsprechen, die in vielen Fällen auch räumlich getrennt erscheinen, so dass eine eingehendere Analyse dieser Funktionen möglich wird. Bei den Arthropoden und anderen Tieren, deren Körper und Nervensystem in eine Reihe aufeinanderfolgender Segmente zerfällt, liegen die Koordinationszentren für die Bewegungen eines bestimmten Körperabschnittes im allgemeinen in dem ihm entsprechenden Ab- 1) Die hier mitgeteilten Untersuchungen wurden im Juli und August 1914 an der zoologischen Station in Neapel ausgeführt. Die Arbeit erfuhr leider durch äussere Umstände eine Unterbrechung, so dass sie in vieler Hinsicht nur - unvollständig geblieben ist. Für die Überlassung des gemieteten Arbeitsplatzes bin ich dem hohen k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht in Wien zum tiefen Dank verpflichtet. 504 . J. Matula: schnitte des Nervensystems, von dem aus auch seine Muskeln direkt innerviert werden. Die Bewegungen werden aber oft auch noch von Zentren reguliert, deren Zusammenhang mit den Erfolgorganen kein so unmittelbarer ist. Die meisten Untersuchungen, die sich mit der Physiologie des Nervensystems der Arthropoden (besonders der Krustazeen und Insekten) beschäftigten, beziehen sich auf den Einfluss des Gehirnganglions, dessen grosse Bedeutung übereinstim- mend zugegeben wird. Weniger sicher sind die Angaben hinsicht- lich der weiter abwärts gelegenen Ganglien, wenngleich besonders einige ältere Forscher (L&moine, J. Steiner)!) sowie auch A. Bethe?) dem ersten Ganglion der Bauchstrangkette eine grosse Bedeutung für gewisse Bewegungen weiter abwärts gelegener Segmente zuschreiben. Der Verfasser war in der Lage, bei früheren Gelegenheiten die ausserordentlich wichtige Bedeutung des ersten Thorakal- sanslions für die abdominalen Atembeweeungen der Libellenlarven und für die Atembewegungen der Abdominalanhänge bei den Stomato- poden (Squilla mantis) nachzuweisen und zu zeigen, wie durch Inter- vention des Zerebralganglions die verschiedenen Variationen des Rhythmus dieser Bewegungen bei Änderungen in der Zusammen- setzung des Atemmediums und bei äusseren Reizen zustande kommen. In den folgenden Zeilen sollen nun Untersuchungen besprochen werden, welche die nervöse Beherrschung der Schwimmbewesungen bei Sieyonia, einer kleinen Garneelenart des Mittelmeers, zum Gegenstand hatten, und gleichfalls zeigen, dass ausser dem Zerebral- ganglion auch die Thorakalganglien für die Regulation der Tätigkeit der unteren Zentren in der Bauchstranskette von entscheidender Bedeutung sind. L Anatomische und technische Vorbemerkungen. Sieyonia ist eine kleinere (”—10 cm lange) zu den Palaemo- niden gehörige Dekapodenart, die im Golfe von Neapel in grossen Mengen vorkommt. Die wichtigsten anatomischen Verhältnisse des Nervensystems werden am besten an Hand der nebenstehenden Figur 1 erläutert. Dorsal vom Darmkanal im Kopfsegment liegt I) Zit. bei E.Babäk, Mechanik und Innervation der Atmung. Winter- stein’s Handb. d. vgl. Physiol. Bd. 1 H.2 8. 346. 1912. 2) A. Bethe, Pflüger’s Arch. Bd. 68. 1897. 5 3) J. Matula, Pflüger’s Arch. Bd. 138. 1911, und Bd. 144. 1912. ee fe Untersuchungen über die Leistungen der Nervenzentren bei Dekapoden. 505 das Zerebralganglion (c), dessen periphere Nervenstämme die Kopfanhänge (Augen, Antennen) versorgen. Die beiden langen, den Ösophagus umgreifenden-Schlundkommissuren verbinden es mit dem Bauchmarke, und zwar zunächst mit dem aus sechs Ganglien bestehen- den, im Thorax gelegenen Anteil (th) desselben. Die ersten fünf Thorakal- ganglien sind sehr nahe aneinander- gerückt, das sechste ist von ihnen durch eine etwas längere Doppelkommissur ge- trennt. Von den nun foleenden sechs Abdominalganglien (I—VI) sind die ersten fünf durch einfache lange Kommissuren, das letzte mit dem fünften durch eine Doppelkommissur verbunden. Die ersten fünf Abdominalsegmente tragen je ein Paar kurzer Ruderfüsschen (Pleopoden), die von den entsprechen- den Abdominalganelien aus innerviert werden. Das letzte Segment, trägt einen Schwanzfächer, dessen Innervation vom letzten Abdominalganglion übernommen wird. Zur Technik der Operationen am Zentralnervensytem ist folgendes zu bemerken: Der durchsichtige Chitinpanzer der Tiere lässt schon von aussen beider- Fig. 1. Zentralnervensystem von seits der Mundöfinung die Schlundkommis- Sieyonia. c Zerebralganglion, suren und auf der Ventralseite des Hinter- th Thorakalganglien, I—- VI Ab- leibes die abdominale Ganglienkette er- dominalganglien. kennen, so dass die Ausschaltung und Isolierung bestimmter Teile des Zentralnervensystems (Zerebralganglien, Abdominalganglien) sehr leicht geschehen kann. Das Tier wird am besten mit der Hand gefasst, und nun wird nahe der Stelle, an der man den Bauch- strang zu durchtrennen wünscht, mit einer scharfen Nadel in den Chitin- panzer eingestochen und die Durchtrennung durchgeführt; eine derartige Operation ist ohne nennenswerten Blutverlust und gröbere Verletzungen durchführbar. Von wirklichen Exstirpationen (beispielsweise des Zerebralganglions) wurde fast immer abgesehen, da die einfachere und viel weniger schädigende Prozedur der Kommissurendurchschneidung zum gleichen Ziele führt. In der Thorakalregion, wo dichtgedrängt Mundfüsse und Gangbeine inserieren, ist die Ganglienkette von aussen nicht sichtbar; ausserdem liegen die Ganglien daselbst so nahe an- einander, dass eine Durchtrennung an bestimmter Stelle nur schwer 506 ° ee J. Matula: ©. 2.0, ohne tiefgreifendere Schädigung des Tieres gelingt; es: ist daher 'bei den Versuchen über den Einfluss der Thorakalganglien vorgezogen worden, diese in ihrer Gesamtheit zu betrachten und alle durch Durchtrennun der Kommissur zwischen dem letzten Thorakal- und ersten Abdominal- ganglion gleichzeitig auszuschalten. Die so operierten Tiere'können in Gefässen mit durchlüftetem Seewasser leicht mehrere Tage am Leben erhalten werden. ; 2% Dale dl. Die Schwimmbewegungen des normalen Tieres. ji) Die Pleopoden (Ruderfüsschen) bei Sieyonia sind aus- schliesslich in den Dienst der Schwimmbewegung nach vorwärts gestellt. Beim stillsitzenden Tiere, .dessen Abdomen ventral ge- krümmt gehalten wird, sind sie in vollkommener Ruhe und nach vorne: gerichtet; sie führen dabei keinerlei rhythmische als Atem- bewegungen zu deutende Bewegungen aus, wie dies bei verwandten Arten häufig der Fall ist. Bei Sieyonia sind zwei Hauptformen der Schwimmbewegung !) zu beobachten: 1. Vorwärtsschwimmen: Die Pleopoden führen bei ge- strecktem Abdomen rasch aufeinanderfolgende, nach rückwärts ge- richtete Schläge aus, wodurch das Tier rasch vorwärts getrieben wird. Die Bewegung der einzelnen Paare ist keine ganz gleich- zeitige: das letzte Pleopodenpaar führt den ersten Schlag aus, dann folet das vorletzte usw., das erste Paar beginnt zuletzt zu schlagen. Der Rhythmus dieser Bewegung ist ein sehr rascher, so dass man den Eindruck einer fast gleichzeitigen Bewegung aller Paare gewinnt. 2. Rückwärtsschwimmen: Das Abdomen mit dem Schwanz- fächer wird heftig ventralwärts eingeklappt, dann gestreckt, so dass das Tier mit der Schwanzspitze voraus durch das Wasser fährt. Diese Bewegung wird wiederholt; die Pleopoden stehen dabei still. Diese Bewegungsform hat eine viel raschere Ortsveränderung als die vorige zur Folge und ist als Fluehtbewegung zu deuten. Die Anteilnahme der verschiedenen Teile des Zentralnerven- systems an diesen Bewegungen mit besonderer Rücksichtnahme auf die Regulation der Reflexerregbarkeit der Pleopoden hat den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gebildet. 1) Eine eingehendere und ausgezeichnete Beschreibung der Schwimm- bewegungen einer verwandten Form (Leander) hat F. Doflein gegeben. Seine Darlegungen haben auch für unser Objekt weitgehende Gültigkeit. Festschr. z. 60. Geburtstag R. Hertwig’s Bd.5. 1910. Untersuchungen über die Leistungen der Nervenzentren bei Dekapoden. 507 Die Leistungen der. umilen Wie verhalten sich nun die Pleopoden, 'wenn sie nur in Ver- bindung mit den sie unmittelbar innervierenden Ganglien, den Ab- dominalganglien, steher, wenn. also Zerebralganglion und Thorakal- ganglien ausgeschaltet werden? - Um. diese Frage zu beantworten, wurde bei einer grossen An. zahl von Tieren der Bauchstrang unterhalb der Thorakalganglien {zwischen dem letzten Thorakal- und erstem Abdominalganglion) oder noch tiefer (zwischen zwei Abdominaleanglien) durchtrennt und nachher jedes Pleopodenpaar auf seine reflektorische Errecbarkeit geprüft. Nach dem Ausfall der Versuche können drei Fälle unterschieden werden. 1. Bei derüberwiegenden Mehrzahl (über 709%) der so. operierten Tiere ist nur das letzte Pleopodenpaar reflexerreg- bar. Werden die einzelnen Pleopodenpaare durch Berührung der Bauchwand in der Nähe ihrer Insertionsstelle mit einer Nadelspitze gereizt, so löst auch eine sehr starke mecha- nische Reizung keine Bewegung der: ersten vier Paare aus. Wohl reagiert das letzte Paar meist schon bei leichter Berührung mit IN einem raschen, kräftigen Schlag nach rück- wärts. Beim normalen Tiere hat eine der- | artige Berührung meist die obenerwähnte Fluchtbewegung nach rückwärts bei Stillstand der Pleopoden, seltener eine thythmische Schwimmbewegung aller Pleopoden, zur Folge. (Das erregbare Pleopodenpaar "ist ebenso ‘wie beim normalen Tiere nach vorn gerichtet, und die beiden Füsschen berühren sich in der Mittellinie; wir wollen diese’ Stellung kurz als „Normal- stellung‘ bezeichnen. Die Füsschen der üunerreebaren Paare hin- gegen divergieren (wie bei toten Tieren) nach den Seiten (Fig. 2), Als typisches Beispiel sei der folgende Versuch angeführt (Versuch 1). | \ (uner- [ } J V (er- “ regbar) Versuch 1. 10 Uhr a. m. Bei sechs: Tieren. wird .die Bauchstrangkommissur zwischen letztem Thorakal- und erstem Abdominalganglion durchschnitten; Bei allen Tieren kann bloss das letzte Pleopodenpäar durch Berührung der Bauchwand in seiner nächsten Umgebung. mit seiner 508 J. Matula: “Nadel zu einer Schlagbewegung veranlasst werden. Letztes Pleopoden- paar in der „Normalstellung“ ; die übrigen divergieren seitlich. Folgender Tag: Das Verhalten ist gleichgeblieben. Die Versuche haben das gleiche Ergebnis, wenn der Bauchstrang weiter unten -zwischen zwei beliebiren Abdominalganelien dureh- trennt wird. Die Pleopoden oberhalb der Durchschneidunesstelle zeigen, wie zu erwarten war, gegenüber dem Verhalten jener des- normalen Tieres keine Änderung; bei den unterhalb der Schnitt- stelle gelegenen Paaren sind nur am letzten Paare Reflexe auslösbar. (Vgl. Versuch 1a und 1b). Versuch 1a. Bei einem Tiere wird der Bauchstrang zwischen zweitem und drittem Abdominalganglion durchtrennt. Erstes und zweites. Pleopodenpaar reagieren normal und fülıren bei entsprechender Reizung koordinierte Schwingungen aus. Drittes und viertes Paar un- erregbar. Letztes Paar erregbar. Versuch 1b. Bei vier Tieren wird die Kommissur zwischen viertem und fünftem: Abdominalganglion durchtrennt. Erstes bis viertes Pleopodenpaar normal. Fünftes Pleopodenpaar zeigt gute Reflexerreg- barkeit. Nach Durchschneidung der Thorako-Abdominalkommissur- werden die ersten vier Pleopodenpaare unerregbar, 2. In einer kleineren Anzahl von Fällen kann beobachtet werden, dass ausser dem letzten Pleopodenpaar auch noch weitere Paare reflektorisch erregbar sind. Ziemlich. häufie sind die-zwei ‘oder drei letzten, seltener die vier letzten oder gar alle fünf Paare erregbar. Beachtenswert ist der Umstand, dass niemals beobachtet wird, dass eiues der vorderen Pleopodenpaare erreebar und die ihm folgenden (oder einige oder eines derselben): Paare unerregbar wären; wenn mehrere Paare erregbar sind, so sind - es immer die letzten zwei bzw. drei oder vier Paare, während die entsprechenden ersten drei bzw. ersten zwei oder das erste Paar unerregbar sind. Die erregbaren Paare sind dabei alle in der „Normalstellung“. Eine Zusammenstellung dieser Fälle ist in dem folgenden Auszug aus unserem Versuchsprotokolle gegeben (Versuch 2). Versuch 2. Bei fünf Tieren (Nr. 1, 2, 3, 4 u. 5) wurde der Bauchstrang: zwischen letztem Thorakal- und erstem Abdominalganglion durchtrennt. Nr. 1. Die beiden letzten Pleopodenpaare sind erregbar. Alle anderen nicht, ' _ Untersuchungen über die Leistungen der Nervenzentren bei Dekapoden. 509 Nr. 2*1). Letztes Pleopodenpaar sehr leicht, vorletztes nur schwer erregbar. Die übrigen unerregbar. Nr. 3*, Die drei letzten Paare gut erregbar; das letzte am leichtesten. Nr. 4*, Die letzten vier Paare erregbar; das letzte (fünfte) am leichtesten, die beiden mittleren ziemlich gut, das zweite schwer erregbar. Nr. 5*. Alle fünf Pleopodenpaare erregbar, wenn auch, vom letzten abgesehen, nicht besonders leicht, aber alle in der „Normalstellung“, Zu einer rhythmischen Schwimmbewegung der Pleopoden kommt es auch in jenen Fällen, bei welchen alle Paare erregbar sind, nieht mehr. Höchstens kann beobachtet werden, dass bei stärkerer Reizung auch ein unmittelbar benachbartes Paar einen Schlag aus- führt. Im allgemeivuen reagiert nur das direkt gereizte Paar mit einem einmaligen Schlag. Aus der angeführten Versuchsreihe 2 ist aber ferner noch zu entnehmen, dass die Reflexerregbarkeit der erregbaren Pleopodenpaare nicht für alle Paare die gleiche ist, sondern dass canz deutliche Unterschiede in dem Sinne vorhanden sind, dass die Reflexerregbarkeit des letzten Paares weitaus am höchsten ist und die der folgenden Paare, nach vorn schreitend, von Paar zu Paar abnimmt. Wenn es leider auch nieht möglich war, diesem Verhalten einen zahlenmässigen Ausdruck zu geben, so war es doch in vielen Fällen so deutlich ausgeprägt, dass es mit Hilfe der angewandten primitiven Methodik der Reizung durch schwächere und stärkere Berührung mit einer Nadelspitze über jeden Zweifel sichergestellt werden konnte. 3. Schliesslich, wenn auch selten, kann der Fall eintreten, dass alle Pleopodenpaare reflektorisch nicht erregbar sind. Aus den besprochenen Versuchen gewinnen wir folgendes Bild über die Leistungen der abdominalen Ganglienkette: Jedes ein- zelne Ganglion derselben ist das Zentrum für die Be- wegungskoordination des ihm unterstehenden Pleo- podenpaares. Dadurch ist aber die Möglichkeit eines zweck- \ 1) Bei den mit einem Sternchen (*) bezeichneten Versuchen wurde einige Zeit vor der Durchschneidung der Thorako-Abdominalkommissur das Zerebral- ganglion (mittels Durchtrennung der Schlundkommissuren) ausgeschaltet. Es scheint bei diesem Vorgehen viel häufiger die Reflexerregbarkeit mehrerer Paare erhaiten zu bleiben. Diese aus bestimmten Gründen unternommenen Versuche wurden aber nicht zu einem definitiven Abschluss gebracht, so dass auf ihre Besprechung verzichtet werden soll. LU 'J. Matula: ‚entsprechenden Funktionierens der, Ruderfüsschen noch nicht bedingt; denn die Reflexerregbarkeit der Pleopoden ist im allgemeinen sehr niedrig oder überhaupt nicht vorhanden und nimmt, vom letzten Paar beginnend und nach vorn schreitend, mehr oder weniger stark ab. Diese Abnahme ist‘ meist so bedeutend, dass die Reflexerregbarkeit der vorderen, ‘manchmal sogar aller Paare gänzlich schwindet. Der anatomischen Gleichwertigkeit der Abdominalganglien mit ihren - Erfolgsorganen ‚entspricht, . wenigstens ‘soweit die Reflexerregbarkeit in Betracht ‘kommt, keine physiologische Gleichwertigkeit. _ 6 Wegen dieser geringen Erregbarkeit ist auch das koordinierte Zusammenarbeiten der Pleopoden fast gänzlich verloren; gegangen, wenn auch der zentrale Koordinationsapparat aller Wahrscheinlich- keit: nach intakt geblieben ist. Die isolierten Abdominalganglien sind nicht mehr imstande, auf einen, Einzelreiz ' mit einer rhythmischen ‚Folge von efferenten Impulsen zu antworten, und auch das oft sehr empfindliche letzte Pleopodenpaar beantwortet selbst starke Einzel- reize gewöhnlich nur, mit einem einzigen Sehlag. Die Beeinflussung der Reflexerregbarkeit und‘ Bewegung. der Pleopoden durch die Thorakalganglien. Um die Bedeutung der Thorakalsanglien für die Pleopoden- bewegungen kennen zu lernen, muss das Verhalten von Tieren mit 'exstirpiertem oder ausgeschaltetem Zerebralganglion studiert werden. Wegen der oben angeführten technischen Schwierigkeiten wurde es unterlassen, den Einfluss einzelner Thorakalganglien zu untersuchen, sondern es wurden alle sechs Thorakalganglien als Einheit betrachtet und gleichzeitig ausgeschaltet. Es ist also möglich und nach den an anderen Arthropoden gewonnenen Erfahrungen auch wahrschein- lich, dass die im folgenden zu beschreibenden Erscheinungen nicht dem Einflusse aller, sondern vielleicht nur einiger oder gar nur eines {vielleicht des ersten) dieser Ganglien zuzuschreiben sind. - Das Verhalten derartig operierter Tiere ist aus dem Protokoll “des folgenden Versuches (Versuch 3) zu erselfen. . | Versuch 3. ' "Bei acht Tieren wurde das Zerebralganglion: durch Sektion der ‚beiden Schlundkommissuren ausgeschaltet: _Die Tiere’ liegen auf der ‚Seite, Das Abdomen ist nicht wie beim normalen Tiere ventralwärts gekrümmt, sondern gestreckt; häufig ist sogar ein mehr oder minder Untersuchungen über die Leistungen der Nervenzentren bei Dekapoden. 511 ausgeprägter Opisthotonus’zu beobachten. Durch sehr leichte Berührung kann jedes einzelne Pleopodenpaar zu einer gesonderten Schlagbewegung veranlasst werden. Stärkere Reizung an irgendeiner Stelle des Abdomens bewirkt eine rhythmisch regelmässige, etwas länger an- dauernde Bewegung der Pleopoden, vergleichbar den Schwimm- bewegungen der Pleopoden heim Vorwärtsschwimmen des normalen Tieres. Schwimmbewegungen des Abdomens bei Stillstand der Pleo- poden, wie sie der Schwimmbewegung nach rückwärts des normalen Tieres entsprechen, kommen fast nie zur Beobachtung. Die Pleopoden sind also bei Anwesenheit der Thorakal- . ganglien einer wirklichen, koordinierten Schwimm- bewegung fähig. Ihre reflektorische Erregbarkeit ist eine ausser- ordentlich höhere als bei den Tieren mit ausgeschalteten Thorakal- ganglien. Jedes Pleopodenpaar ist bei leichtester Berührung erreg- bar, und die Erregung ergreift die ganze Reihe der Pleopoden (so dass eine koordinierte Schwimmbewegung zustande kommt), während sie im früheren Fall fast immer nur auf das gereizte Paar beschränkt blieb. Das Abdomen der Tiere ist in der Ruhelage gestreckt oder sogar etwas dorsal gekrümmt; die Tiere nehmen also dieselbe Körper- haltung ein wie die normalen Individuen beim Vorwärtsschwimmen. Mit dem Koordinationsmechanismus der Schwimmbewegung haben die Thorakalganglien nichts zu tun; die Zentren derselben sind in den einzelnen Abdominalganslien gelegen, aber ihre Anwesenheit bedinst die zur Ausführung der normalen Schwimm- bewegung erforderliche, hohe Reflexerregbarkeit. Welcher Art ist nun die Wirkung der Thorakalganglien? Einige Beobachtungen sprechen dafür, dass ihre Einwirkung auf die Ab- dominalganglien nicht durch die blosse Aussendung von Impulsen (reflektorischen oder automatischen Charakters) erklärt werden kann, die dieser Dauerwirkung entsprechend dauernd von ihnen aus- gehen müssten. Gewisse Versuchstatsachen zeigen nämlich, dass der Zustand hoher Reflexerregbarkeit, der von den Thorakalganglien in der abdominalen Ganglienkette aufrechterhalten wird, bei Aus- schaltung der ersteren nicht sofort vollständig verschwindet, sondern noch einige Zeit nach der Ausschaltung wenigstens teilweise bestehen bleibt und erst allmählich verloren geht (vgl. Versuch 4 und 4a). Versuch 4. Bei einem Tiere wurde die Thorako- Abdominalkommissur durch- trennt. Unmittelbar nach der Operation sind mit Ausnahme des letzten Paares alle übrigen Pleopoden unerregbar, aber dabei alle in der Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 34 512 % J. Matula: „Normalstellung“. Nach einiger Zeit erst geht diese Stellung in die gewöhnliche Divergenzstellung der unerregbaren Pleopoden- paare über. Versuch 4a. Zwei Tieren (Nr. 1 u. 2) wurde (nach vorausgegangener Aus- schaltung des Zerebralganglions) die Thorako-Abdominalkommissur durchtrennt. Nr. 1. Kurze Zeit nach der Operation erweisen sich die beiden "letzten Pleopodenpaare als gut erresbar. Nach einigen Stunden hat das vorletzte seine Erregbarkeit verloren. Nr. 2. Unmittelbar nach der Operation sind die beiden letzten Pleopodenpaare gut erregbar. Nach einiger Zeit hat die Reflex- erregbarkeit des vorletzten stark nachgelassen und ist nach wenigen Stunden ganz verloren gegangen. Diese merkwürdige Tatsache, welche der Verfasser in noch auf- fallenderer, Weise bei den Aeschma-Larven und bei Squilla mantis für das Zerebralganglion festgestellt hat), ist für die Beurteilung der Wirkungsweise der Thorakalganglien von grosser Bedeutung. Ob die einzelnen Pleopodenpaare eine analoge Abstufung der Reflexerreebarkeit zeigen, wie wir sie beim Tiere ohne Thorakal- ganelien beobachtet haben, konnte leider mittels der hier verwendeten rohen Prüfung der Reflexerregbarkeit "nicht festgestellt werden. Möglicherweise besteht zwischen der Erregbarkeit der Pleopoden- paare und ihrer Schlagfolge ein Zusammenhang; denn es ist beachtens- wert, dass das letzte Pleopodenpaar, dessen reflektorische Erregbar- keit sich beim Tiere ohne Thorakalganglien am höchsten erwies, auch jenes Paar ist, welches die rhythmische Schwimmbewesung einleitet. Vorläufige sei also festgestellt, dass die Thorakalganglien die Reflexerreebarkeit der ihnen unterstellten ab- dominalen Zentren derart erhöhen, dass eine rhyth- mische, wirksame. Schwimmbewegung der Pleopoden ermöglicht wird. Die Bedeutung des Zerebralganglions. Vergleichen wir nun das Verhalten normaler Tiere mit jenem soeben beschriebenen der gehirnlosen Tiere, bzw. der Tiere mit aus- geschaltetem Zerebralganglion, so ergibt sich folgendes Bild der Wir- kung dieses Ganglions. Das normale Tier reagiert, soweit die lie, {f x Untersuchungen über die Leistungen der Nervenzentren bei Dekapoden. 513 Schwimmbewegung betrachtet wird, auf äussere Reize (verschiedener Art) auf zweierlei Weise: Schwache äussere Reize führen zu raschen rhythmischen Bewegungen der Pleopoden bei gestrecktem Abdomen - (Vorwärtsbewegung); stärkere Reize lösen die Fluchtbewegung nach rückwärts aus, die bei stillstehend’en Pleopoden durch kräftige Bewesungen des Abdomens zustande kommt. Das Tier ohne Zerebral- ganglion reagiert .nun auf äussere Reize verschiedener Stärke nur in einer Weise, nämlich durch rhythmische Bewegungen der Ruderfüsschen. Das Verhalten der Pleopoden beim normalen Tier entspricht aber in einem Falle dem Verhalten des gehirnlosen Tieres mit der hohen Reflexerregbarkeit der abdominalen Zentren, im anderen Falle (soweit die Pleopoden in Betracht kommen) ist sein Verhalten ähnlich dem des Tieres ohne Thorakal- sanglien; die reflektorische Erregbarkeit der Ganglien ist eine niedrige. Das Zerebralganglion vermag also unter Mit- ‚wirkung der Thorakalganglien die abdominalen Reflex- zentren der Pleopodenbewegungin zwei verschiedene Zustände — einem Zustand erhöhter undeinemsolchen herabgesetzter Reflexerregbarkeit — zu versetzen und so die Bedingungen für die zweifache Art der Schwimmbewegung zu schaffen, die am normalen. Tier beobachtet werden kann. Ob diese Wirkung des Zerebralganglions auf die Abdominalzentren eine direkte ist oder aber indirekt durch Beeinflussung der Funktion der Thorakalganglien zustande kommt, muss bis zur Vervollständigung des Versuchsmaterials unentschieden bleiben. Ill. Diskussion und Zusammenfassung der Ergebnisse. Auf Grund der mitgeteilten (aber vielfach noch einer Ergänzung bedürftigen) Versuche lässt sich ungefähr folgendes Bild von der. Wirkungsweise der einzelnen Teile des Zentralnervensystems beim Zustandekommen der Pleopodenbewegung konstruieren: Die Zentren für die Koordination der Pleopodenbewegung sind in den fünf ersten Abdominalganglien gelegen; doch ist für eine zweckmässige Tätiekeit der Schwimmfüsschen die blosse Integrität dieser Koordinationszentren nicht ausreichend. Ihre Reflexerregbar- keit muss, je nachdem eine Schwimmbewesung nach vorwärts oder nach rückwärts erfolgen soll, entsprechend reguliert, d. h. erhöht 34 * 514 J. Matula: oder erniedrigt werden können. Das Vorwärtsschwimmen, welches beim normalen Tiere meist sehr schwache Reize verschiedener Art auslösten, kommt durch lebhafte rhythmische Bewegungen der Pleo- poden zustande; die Reflexerregbarkeit der letzteren muss also eine hohe sein. Anderseits stehen bei der Schwimmbewegung nach rück- wärts, die durch stärkere Reize regelmässig ausgelöst wird, die Pleo- poden still, denn ihre Betätigung würde in diesem Fall dem Effekt dieser Fortbewegungsart entgegenwirken; ihre Reflexerregbarkeit muss in diesem Falle eine niedrige sein. Einer derartigen Regulation der reflektorischen Erregbarkeit sind aber die abdominalen Zentren der Pleopodenbewegung für sich allein nicht fähig; ihre Reflexerregbarkeit ist bei aufgehobenem Zusammenhang mit den höher gelegenen Ganglien überdies so niedrig, dass eine wirkliche Funktion der Schwimmfüsschen eigent- lich unmöglich ist. | Das Hinzutreten der Thorakalganglien erhöht nun die Reflex- erreebarkeit dieser Zentren ganz bedeutend, so dass das Tier fähig wird, wirksame Reize mit ausgiebigen rhythmischen Schwimm- bewegungen der Pleopoden zu beantworten. Aber die Reflexerreg- barkeit ist bei blossem Vorhandensein der Thorakaiganglien eine dauernd hohe, so dass wirksame Reize ohne Rücksicht auf ihre Art und Stärke immer dieselbe Reaktion auslösen. Nun haben die näm- lichen Reize beim intakten Tiere meist Hemmung der Pleopoden und die durch kräftige-Schläge des Abdomens bewirkte Schwimm- (Flucht-)bewegung nach rückwärts zur Folge; nur bei meist sehr schwachen, mechanischen Reizen oder aber „spontan“ treten Pleopoden- bewesungen („Vorwärtsschwimmen“) auf. Damit also der die Schwimmbewegung nach rückwärts auslösende Reiz nicht etwa auch eine Pleopodenbewegung auslöst, muss die Reflexerresbarkeit der Pleopoden eine niedrige sein; diese Möglichkeit einer wechselnden Reflexerregbarkeit der Pleopoden ist erst beim normalen Tiere mit intaktem Zerebralganglion gegeben. Zwischen der Wirkung der beim Zustandekommen der Schwimm- bewegung beteiligten Nervenzentren (Abdominal-, Thorakal- und Zerebralzentren) bestehen wesentliche Unterschiede. Als eigentliche Zentren der Bewegungskoordination fungieren dabei: die Abdominal- ganglien, deren Aufgabe es ist, die von aussen kommenden afferenten Erregungen mit der Aussendung geordneter efferenter Erregungen nach den Erfolgsorganen zu beantworten; ihre Wirkung ist eine Untersuchungen über die Leistungen der Nervenzentren bei Dekapoden. 515 direkt auf die Erfolgsorgane gerichtete. Der Einfluss der Thorakal- und Zerebralzentren aber erstreckt sich auf einen Zustand der Abdominalzentren, von welchem die Auslösbarkeit der von diesen vermittelten Reflexe abhängt; jene Zentren regulieren also direkt die Reflexerregbarkeit und beeinflussen dadurch indirekt die von den Koordinationszentren vermittelten Reflexe. Neben Leitung und Schaltung von Erregungen müssen im Nervensystem auch noch andersgeartete Vorgänge eine Rolle spielen, die, obzwar innig mit den eigentlichen Reflexvorgängen verknüpft, doch von diesen scharf zu trennen sind. Wegen der Unvollständigkeit des Versuchsmaterials soll auf diese Dinge hier noch nicht näher eingegangen werden; sie sind von einigen Forschern, namentlich von J. v. Uexküll, H. Jor- dan und R. Magnus, öfters nachdrücklich hervorgehoben und dis- kutiert worden, und auch der Verfasser hat in früheren Arbeiten versucht, im Anschluss an die Vorstellungen der beiden erstgenannten Forscher die damit zusammenhängenden Erscheinungen in einem ein- heitlichen Bilde zusammenzustellen. Zusammenfassung. 1. Die Koordinationszentren für die Bewegung der Pleopoden bei Sieyonia liegen in den Abdominalganglien. 2. Die Reflexerregbarkeit der Pleopoden ist bei Ausschaltung der höheren Zentren eine sehr geringe, so. dass sie einer wirksamen Schwimmbewegung unfähig sind. Falls überhaupt alle Pleopoden- paare erregbar sind, so hat stets das letzte Paar die höchste Erreg- barkeit; die der folgenden nimmt in ihrer Reihenfolge nach vor- wärts ab. In den meisten Fällen ist nur das letzte Pleopodenpaar (oder auch das vorletzte und drittletzte) erregbar, die vorderen sind unerregbar. 3. Bei intaktem Zusammenhang mit den Thorakalganglien ist die Reflexerregbarkeit der Abdominalzentren eine sehr gesteigerte; jeder wirksame Reiz ruft wirkliche, kräftige Schwimmbewegungen hervor. Diese Wirkung der Thorakalganglien geht nach ihrer Aus- schaltung nicht sofort, sondern allmählich verloren. 4. Das Zerebralganglion kann die hohe, durch die Thorakal- zentren bedingte Reflexerreebarkeit herabsetzen, so dass das Tier imstande ist, auf Reize auch mit Rückwärtsschwimmen bei Still- stand der Pleopoden zu reagieren. * * * 516 J. Matula: Untersuchungen über die Leistungen der Nervenzentren usw. Zum Schlusse sei mir gestattet, dem Leiter der Station, Herrn Prof. Dr. Dohrn, sowie aber ganz besonders dem Vorstand der physiologischen Abteilung, Herrn Prof. Dr. R. Burian, für ihre liebenswürdige und mannigfache Unterstützung in jeder Richtung meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Ebenso bin ich meinem Freunde, Herrn Prof. Dr. OÖ. Polimanti in Perugia für manchen wertvollen Rat zu aufrichtigem Danke verbunden. (Aus dem pathologisch-anatomischen und dem physiologischen Institute der k. und k. Tierärztlichen Hochschule in Wien.) Untersuchungen über den Gang der Toten- starre. Von k. und k. Militär-Tierarzt Dr. Ernst Naumann. (Mit 4 Textfiguren.) Die Totenstarre bildete bereits von altersher den Gegenstand - eifriger wissenschaftlicher Forschung. Darauf deutet schon die grosse Zahl von Theorien hin, die diese selbst für den Laien auffällige Er- scheinung zu erklären versuchen. Eine der auffälligsten Erscheinungen der Totenstarre stellt das zeitlich versehiedene Eintreten an den verschiedenen Körperteilen dar. Zuerst war es Nysten, welcher uns darüber in dem nach ihm be- ' nannten Gesetze berichtet. Er sagt, dass die Totenstarre zuerst am Hals und Rumpf, dann an den oberen und später an den unteren Extremitäten auftritt. Heute nimmt man als Typus des.Ganges der Starre an den Skelettmuskeln allgemein folgenden an: Sie tritt zuerst am Unterkiefer und Nacken ein, schreitet von da nach aufwärts auf das Gesicht und nach abwärts auf den Rumpf fort und ergreift hierauf die oberen und dann die unteren Extremitäten. Diese Angaben be- ziehen sich auf die Totenstarre beim Menschen. Normalerweise gilt dieses Gesetz ‘der Totenstarre auch für die Tiere, wenn auch von manchen Autoren geringe Abweichungen von dieser Regel bei der einen oder anderen Tierart beobachtet wurden. Mehrfach findet man in der Literatur erwähnt, dass namentlich bei schwächlichen und herabgekommenen Individuen die Reihenfolge im Eintritte der Starre von diesem normalen sogenannten absteigenden Typus abweicht, so dass man in solchen Fällen von einem Typus ascendens gegenüber dem gewöhnlichen Typus descendens spricht. Eingehende Unter- suchungen über den Gang der Starre in den einzelnen Muskeln 518 Ernst Naumann: wurden bis jetzt noch nicht ausgeführt; doch bestehen in der Literatur zahlreiche Angaben darüber, (Meirowski, Brouardel, Fuchs), Rothberger?), Strassmann?) und andere), dass das Herz sehr frühzeitig nach dem Tode der Starre anheimfällt, also schon zu einer Zeit, wo an der übrigen Muskulatur noch keine Erscheinungen der- selben wahrzunehmen sind. Es würde zu weit führen, die verschiedenen Methoden zu beschreiben, deren sich die einzelnen Forscher bedienten, um die Totenstarre am Herzen nachzuweisen. Fuchs erklärt das frühzeitige Erstarren des Herzens in Analogie mit den Verhältnissen an den Skelettmuskeln damit, dass das Herz ein ununterbrochen und bis zuletzt arbeitender Muskel ist. Ich habe mich bei meinen Untersuchungen zunächst ebenfalls mit dem Gange der Totenstarre am Kadaver beschäftigt. Dieselben wurden hauptsächlich an Hunden ausgeführt, die mit Blausäure ver- tilgt worden waren. Ausserdem gaben einige Pferde, Kaninchen und Katzen meine Versuchsobjekte ab. Bei diesen Versuchen wurde, soweit es sich als notwendig erwies, die herrschende Aussentemperatur notiert und die Mastdarmtemperatur des verwendeten Tieres während der Versuchsdauer abgenommen. Solche Untersuchungen über den Gang der Totenstarre namentlich an den Extremitäten, wo die zeit- lichen Differenzen im Eintritte derselben oft nur gering sind, werden zweckmässig bei niederer Aussentemperatur vorgenommen; — bei einigen der ausgeführten Versuche betrug die Aussentemperatur nur etwa 1° über 0°C. — denn bei einer solchen Temperatur setzt die Starre am Körper bedeutend später ein, nimmt an Intensität nur allmählich zu und ist die Entwicklung der Starre in den einzelnen Muskelgruppen auf eine bedeutend grössere Zeit ausgedehnt, somit auch leichter zu verfolgen, weil die Differenzen auffallender sind. Den Eintritt der Totenstarre am Herzen suchte ich dadurch ersichtlich zu machen, dass ich bei Hunden eine etwa 20 cm lange Nadel im sechsten linken Interkostalraum durch die Brustwand hin- I) R. F. Fuchs, Über die Totenstarre am Herzen, Herztonus und funk- tionelle muskuläre Insuffizienz der Atrioventrikularklappen. Zeitschr. f. Heilk. Bd. 21. 1900. 2) C. J. Rothberger, Über die postmortalen Formveränderungen des Herzens. Pflüger’s Arch. Bd. 99. 1903. 3) Strassmann, Die Totenstarre am Herzen. Vierteljahrsschr. f. gericht]. Med. Bd.5. 1889. — Strassmann, Weitere Untersuchungen über die Toten- starre am Herzen. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med. Bd. 12. 1896. Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. 519 durch in das Herz nahe der Herzspitze einstach; nach dem Durch- tritte der Nadel durch die Brustwand und vor dem Anstechen des - Herzens suchte ich zuerst durch vorsichtig tastende Bewegungen mit der Nadelspitze die Lage der Herzspitze zu ermitteln. Jede Be- wegung der Herzspitze musste sich als Ausschlag an dem vorstehenden freien Ende der Nadel bemerkbar machen. Den fixen Drehpunkt der Nadel bildete die Durchstichstelle durch die Brustwand. Tatsächlich wurde durch das Bewegen der Herzspitze gegen die Herzbasis bei der Starrekontraktion des Herzens ein Ausschlag der Nadel der Haupt- sache nach kaudalwärts hervorgerufen. Die Bewegung an dem freien Nadelende begann, wie aus den Tabellen 1 und 2 zu ersehen ist, die als Beispiele aus einer grösseren Reihe von Versuchen heraus- gegriffen wurden, bei einer Aussentemperatur von 8°—10°C. in etwa 10—15 Minuten nach dem Tode, dauerte aber gewöhnlich nur sehr kurze Zeit an, weil sie, wie später erwähnt werden soll, ver- mutlich durch den Zug des Zwerchfells unterbrochen wurde Zu dieser Zeit waren weder am Kiefer noch an den Extremitäten Zeichen einer beginnenden Starre bemerkbar. Durch F rühsektionen von eben getöteten Hunden konnte ich mich überzeugen, dass das Herz un- mittelbar nach dem Tode einen schlaffen und halbleeren Beutel dar- stellt, der erst nach und nach erstarrt. Einmal öffnete ich bei einem frischgetöteten Hunde durch Entfernen des Sternums die Brusthöhle, band alle zum und vom Herzen führenden Gefässe ab und stach eine Hohlnadel in den linken Ventrikel ein. Die Hohlnadel verband ich mittelst eines kurzen Gummischlauches mit einem Wassermanometer. Nach etwa 20 Minuten sah ich bei einer Aussentemperatur von 8°C. deutlich ein Steigen der Flüssigkeit in der Glasröhre infolge Kontraktion der Herzkammer. Das Ergebnis meiner Versuche stimmt also mit den in der Literatur vorhandenen Angaben über die Totenstarre am Herzen überein. Das Herz erstarrt schon zu einer Zeit, wo an anderen Muskeln noch lange keine Anzeichen der Starre zu kon- statieren sind. Weiter wendete ich mein Augenmerk den ebenfalls bis unmittelbar vor dem Tode tätigen Atmungsmuskeln zu und wählte für meine "Beobachungen den tätigsten derselben, das Zwerchfell, aus. Die Feststellung der Starre wurde durch Einstechen einer Nadel in gleicher Weise wie am Herzen vorgenommen. Bei frisch getöteten Hunden führte ich eine etwa 20 cm lange Nadel im achten Interkostal- raum etwa 2 cm unterhalb der Schultergelenkslinie in den Thorax "uowwousdue Sunwy AP purIsj[4g Aop opıma sopoL, sop Yrayurg SIY (I 11878 11898 1188 Jropueasaun opuraoaun ‚SF uZ 083 ) yorsoMag ID UTANEEERNE) 11898 )S%} 118IS 3887 Jd9puR.ToAuN Ja9pueaoaun ‚ST uZ 0'38 yoısomag uoısoMag Yyueay9saduıe ya1]somagq Jyueagosasumd Ay9LU SEAMIO uw Z emp Jaopuwaoaun 48 G'Z8 | E) oa 3970908 = yaıjoomadq yaraomnaq Pugaudsasurd wa 3/,] EMO wd F/L] 8m ‚F#ul 0'88 i ei 8 9angsneig se 3 Sundanag | Au = -1[OJyo10AZ ® UIERINEN UPLIGEITENT LELIEKITEIN wo [ emo d9p ouug wı ‚08 ul 0,88 2 yprBonag yaıpdomag yoısomaq wd 3; BAD "wo 9; ®MJO ‚F G'98 ee yoısomagq yoısomagq yoısanagq — ws 8/,] 8139 ‚08 — yoıpoomag yarsamag yaısonagq —_ yuuıdag ‚0I — uop9srofory WI (TOpeN (OPEN WUENGBEN 2 a C1 et N nn * ı U9U9U904899U1D UAUILI0ISIFUTO -98 uR anyen anyeı yyo[go yEeyLwmaagxy YerWweoıxT LEHE 19p Sejyossny aop Fejyossuy | opor woA d dire: Ein d9p Ue Yloyınaq OS ran eos Sunmans -adure} -adusy | -saunyons 9A9JUIE] 9AOPAOA LONNENUOY) wop UB 40[0F19A | wop 7010719 I Ts san ou une uoryeuoy]) uonye1}uoy) -a99u ] OS SEEN) um 12T A NELUBAGIGZ zıoH dp Oz Rn 5 S 1 oTIeqaeL ee) 521 Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. "noWwoussur Sunwyy Aop purIsjyg d9p apınM sapoJ, sop Yıyury SIV (T 11898 11878 118 319pue.roAun w +/.% ‚Wopueaoaun | opue.doaun ug 008) yoısamogq SBHIa TOOU | 7u9]99 | -Junadg A1e9S A1B}S | J1A9pueaoaun um 3/8 Jaopugasaun | MOpueagaun | ‚08 48 G'TE 1188 8 yorwoız yorsanaqg | | en. 7U9]98 ueayasosud | | ur oIs9Mag , -doyngog puonapaq un Z | un zZ um #18 w FL EA uß 088 0I -neig | ' wo 2/, 890 nun Dansd, De | | en punp yyueagos9d | Yyuwayoso | - yaısomag | -um senya | -ur semla | wo I wo wm 97] | ap ums mr „08 ul 078 yoısamag | yaılsomag wısandg un £0 | um co wd 3, wo9 T eAR ul Pag yaıpsomag | yaıfsomag yoısoMmag — yuuodq _— | uw 8, emp | ‚08 8'98 ypısamaq | yaısamaq yarpsaaaq — — _ ‚ yuundoq „lo — (SI9HWOUBUL N) | Io eh NS, ((PpeN (PPEN _ [Kryouypoa (ErUOTSFIFLM | -Tegyayy “orgoy | b PunS uausypogsod | OUT | = myeı 910lqo UI 1oN -poneg dp, al ua u OP anoywoa|-sdweg| "0° | -s5un A et! -pıdamog op ur Sunyoynd er Sepgdssny wop | Sejydssny Luop z an ns | -rey -9duna} ons au °PPPA | uw groganag) | -Nonaq aop sen a ue JBjopeA | ue JAfopraa “un | -1eu | VI -oun upoysnumey | I ISA ag gaopon WONTENUON) | uonzenaon) | op ararz uongenuoy) arqaram 2.18 te uonyenyuoy) 1FIOMZ H 1IDIOAZ 1JI9AZ 4 NEE 522 Ernst Naumann: ein ınd suchte mit der Spitze derselben die Kuppe des Zwerchfelles anzustechen, was nach einiger Übung ganz leicht gelang. Um den zeitlichen Unterschied des Starreeintrittes an Herz und Zwerchfell genau festzustellen, nahm ich gleichzeitig den oben beschriebenen Herzversuch vor. Nach 10-—-15 Minuten bei einer Aussentemperatur von 8&—10° C. (siehe Tabelle 1 und 2) zeigte die Herznadel einen Ausschlag kaudalwärts, also eine Bewegung der Herzspitze gegen die Herzbasis. Bevor noch die Exkursion der Herznadel beendet war, konnte ich deutlich eine Bewegung des freien Endes der Zwerchfellnadel kranialwärts, also eine Bewegung der Zwerchfellkuppe bauchwärts konstatieren. Bald darauf nahm auch das freie Ende der Herznadel einen entgegengesetzten Weg, zeigte also einen Ausschlag in demselben Sinne wie die Zwerchfellnadel. Die Zwerchfellkontraktion war schon lange im Gange, bevor die Beweglichkeit des Unterkiefers und der Extremitäten eingeschränkt wurde. Wenn ich bei Hunden’ den Ein- stich der beiden Nadeln erst längere Zeit nach dem Tode vornahm, konnte ich an beiden Nadeln nur Ausschläge im Sinne der Zwerchfell- kontraktion nachweisen. Der spätere Ausschlag der Herznadel im Sinne der Zwerchfellkontraktion ist wahrscheinlich so zu erklären, dass das Zwerchfell bei seiner Zusammenziehung infolge seiner Ver- bindung mit dem Herzbeutel einen Zug auf den letzteren ausübt und dadurch die Bewegung der Herznadel verändert. Durch diesen Ver- such ist dargetan, dass das Zwerchfell als zweiter Muskel.nach dem Herzen, also vor den Skelettmuskeln, erstarrt. Da die Zusammenziehung des Zwerchfelles bei der Totenstarre eine Erweiterung des Brustraumes und damit auch der Lunge be- wirken muss, so ist durch die Registrierung der Veränderung des Lungenvolumens auch die Möglichkeit gegeben, den Beginn der Zwerchfellstarre zeitlich genau festzustellen. Zu diesem Zwecke wurde an den Versuchshunden sofort nach der Blausäureinjektion die Tracheotomie ausgeführt und die Trachea mittelst einer Glaskanüle mit einem Wassermanometer luftdicht verbunden. In ungefähr 30 Minuten nach dem Tode bemerkte ich an dem Steigen der Flüssigkeit im inneren Schenkel des Manometers einen Inspirationszug, der Sich in der Folge noch verstärkte. Der Saugzug in der Trachea nahm auch noch dann weiter zu, als der Ausschlag an der Zwerchfellnadel bereits beendet war. Da mit dem Manometer in der Trachea nicht nur die Kontraktion des Zwerchfelles, sondern auch die der anderen Inspirations- muskeln angezeigt wird, wäre es möglich, dass die letzte Phase des Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. 523 Ansteigens der Flüssigkeit auf das Erstarren der übrigen Inspirations- muskeln zurückzuführen ist. Ich liess den Kadaver einige Tage mit eingebundenem Trachealmanometer liegen und konnte beobachten, dass der erreichte Inspirationszug fortdauerte, ein Beweis, dass die Lunge in eine gewisse, wenn auch nicht allzu tiefe Inspirationsstellung durch die Starre der Inspirationsmuskeln versetzt wird. Auch ein in das Rektum eingeführtes mit einem kleinen Gummiballon versehenes Manometer zeigt gleichzeitig mit dem Steigen des Trachealmano- meters einen Ausschlag, jedenfalls infolge der Druckerhöhung, die in der Bauchhöhle durch die Kontraktion des Zwerchfelles eintritt. In mehreren Versuchen wurde die Versuchsanordnung derart kombiniert, dass ich gleichzeitig ein Manometer mit der Trachea verband, ein anderes ins Rektum einführte und weiter je eine Nadel in das Herz und in das Zwerchfell einstach und die Ausschläge genau verfolgte. Ich beobachtete dabei zuerst einen Ausschlag an der Herz- nadel entsprechend der Herzkontraktion, etwas später zeigte sich ein leichter Inspirationszug am Trachealmanometer und nur um ein ge- ringes später ein Ausschlag ar der Zwerchfellnadel im Sinne der Zwerchfellkontraktion, der ein Ausschlag des Rektalmanometers in- folge einer Drucksteigerung in der Bauchhöhle parallel ging. Es ist also das in die Trachea eingebundene Manometer ein empfindlicheres Reagens für die Kontraktion des Zwerchfelles als die eingestochene Nadel. Der Ausschlag des Rektalmanometers ist nicht eindeutig, . daher das letztere nur nebenher einigemal in Verwendung kam. Nach dem Zwerchfelle beeinnt die Starre in den Nacken und Kaumuskeln einzusetzen. Anschliessend daran erstarren die Hals- muskeln, dann die Muskeln der vorderen und jene der hinteren Extremität (siehe Tabelle 1 und 2). Über das Wesen der Totenstarre bestehen, wie schon eingangs erwähnt, verschiedene Theorien, bei deren Anführung ich mich auf die wichtigsten derselben beschränken möchte; es sind das die Gerinnungstheorie, die Kontraktionstheorie und in neuester Zeit die Quellungstheorie *). Die meisten Anhänger hat sich die Theorie von Brücke erworben, welche die Totenstarre auf eine Myosingerinnung zurückführte; besonders gestützt wurde dieselbe durch die von Kühne 1) Chiari, Die Leichenerscheinungen und der Leichenbeschau. Handb. d. ärztl. Sachverständigentätigkeit Bd. 2. 1913. — J. Kratter, Lehrb. d. gerichtl. Med. 1912. 524 Ernst Naumann: gefundene Tatsache, dass auch in dem aus .dem frischen Muskel ausgepressten Safte eine spontane Gerinnung eintritt. Trotzdem sich anfangs die meisten Physiologen für die Gerinnungstheorie aussprachen, hat es doch immer Forscher gegeben, welche mehr zu der von Nysten begründeten Kontraktionstheorie hinneigten. Nysten führte die Totenstarre auf die vitale Kontraktilität der Muskeln zurück und erklärte sie gleichsam als letzte Lebensäusserung des sterbenden Muskels. Von verschiedenen späteren Autoren (Hermann, Schiff, Bierfreund!), Modica, Biondie, Seitz u. a.) wurden als eigentlich auslösende Ursache der Muskelkontraktion teils unbekannte, teils speziell namhaft gemachte Stoffe angesehen, welche sich im Muskel nach dem Tode bilden und eine Reizwirkung ausüben ‚sollten, wodurch sie dieselben zur Zusammenziehung veranlassen. Gegen die Gerinnungstheorie wurden um so mehr Bedenken laut, als mehrere Autoren vielfache Analogien zwischen der Totenstarre und der vitalen Muskelkontraktion nachwiesen. Dazu kam noch der Umstand, dass sich nach der Gerinnungstheorie eine Reihe von Er- scheinungen nicht erklären liessen, ja sogar manche Experimente ihr direkt widersprachen. Geleitet von der Engelmann’schen Theorie über die Muskel- kontraktion kamen Meigs sowie v. Fürth und Lenk?) auf Grund ihrer Untersuchungen zu der Anschauung, dass die Totenstarre durch einen Quellungsvorgang bedingt sei. Dieser Prozess werde durch die postmortale Säurebildung hervorgerufen und stelle ein Quellen der Muskelfibrillen auf Kosten des Sarkoplasmas dar, welcher Vorgang physiologisch als Starrekontraktur zum Ausdruck komme. Sie wiesen nach, dass die nach dem Tode im Muskel sich entwickelnde Milch- säure ein grösseres Wasserbindungsvermögen ‘der Muskelkolloide bewirke, ebenso wie die Gegenwart. einer minimalen Säuremenge eine Leimplatte oder einen Muskel in physiologischer Kochsalzlösung stärker quellen lasse, als dies bei Ahwesenheit der Säure geschehen würde. Weiter sind die beiden letztgenannten Autoren auch zu einer anderen Vorstellung hinsichtlich der Lösung der Starre gelangt, indem dieselbe nach ihnen. durch Gerinnung der Muskeleiweisskörper 1)M. Bierfrennd, Untersuchungen über die Totenstarre. Pflüger’s. Arch. Bd. 43. 1888. 2)O. v. Fürth und Lenk, Die Bedleiikung von _Quellungs- und Ent- .quellungsvorgängen für den Eintritt und die Lösung der Totenstarre. Biochem. Zeitschr. Bd. 33. 1911. be a REM Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. 525 bedingt sei, die wieder durch das Konzentrationsmaximum der post- _ mortal gebildeten Milchsäure ausgelöst werde. Die Eiweissgerinnung gehe wieder mit einem verminderten Wasserbindungsvermögen des kolloidalen Systems, also mit einer Entquelluug. einher. Diese neue Theorie macht uns eine Reihe von Erscheinungen verständlich, welche mit Hilfe der alten Theorien schwer zu erklären waren, so zum Beispiel, dass hochgradige Muskelanstrengungen, Krämpfe usw. den Eintritt der Totenstarre erheblich beschleunigen, weil nach Muskel- anstrengungen der Säuregehalt des Muskels steigen muss, was wieder mit einem grösseren Quellungsvermögen des kolloidalen Systems verbunden ist, oder dass Faktoren, welche die Quellung fördernd beeinflussen, wie höhere Temperatur, den Eintritt der Totenstarre beschleunigen. Ganz im Einklang mit den Arbeiten von Fürth und Lenk stehen die Untersuchungen von Schwarz!), welcher die Quellung und Entquellung ruhender und tätig gewesener Froschmuskeln in isotonischen Kochsalzlösungen studierte. Er fand, dass der ruhende Muskel nur allmählich Wasser aufnimmt und letzteres ebenso langsam wieder abgibt, während der tätig gewesene Muskel einen davon zeitlich ganz verschiedenen Verlauf seiner Quellungskurve aufweist. . Letztere zeigt nämlich einen steilen Anstieg, indem das Quellungsmaximum beim tätig gewesenen Muskel viel früher erreicht wird als beim ruhenden Muskel. Die Ursache dieses Verhaltens liegt nach Schwarz in dem Säuregehält des tätig gewesenen Muskels, dem- zufolge ein rasches Quellen der Muskelkolloide erfolst. Nachdem schon Fleteher und Hopkins nachgewiesen hatten, dass das Säurekonzentrationsmaximum bei höherer Temperatur rascher erreicht wird, als dies bei niederer Temperatur der Fall ist, konnte Schwarz die damit übereinstimmende Wahrnehmung machen, dass die Wasser- bindungskurve des ruhenden Muskels bei erhöhter Temperatur einen rascheren Anstieg zeigt als bei niederer Temperatur und sich demnach ähnlich der eines tätig ‘sewesenen Muskels gestaltet. Beide letzt- erwähnten Tatsachen, nämlich das rasche Quellungsvermögen eines tätig gewesenen Muskels und der beschleunigende Einfluss der Temperatur auf die Muskelquellung sprechen für die Theorie der 1) C. Sehwarz, Über die Quellung und Entquellung ruhender und tätig gewesener Froschmuskeln in isotonischen Kochsalzlösungen. Biochem. Zeitschr. Bd. 37. 1911. 526 Ernst Naumann: Totenstarre von Fürth und Lenk; denn es ist eine bekannte Tat- sache, dass sowohl nach Erschöpfung der Muskulatur durch voran- gegangene starke Anstrengungen als auch bei höherer Temperatur die Kadaver früher der Totenstarre anheimfallen. Bekannt ist weiter die Tatsache, dass eine Erhöhung des Sauerstoffpartiardruckes auf den Eintritt der Totenstarre hemmend wirkt. Auch dieser Umstand steht mit der Theorie von Fürth und Lenk in vollem Einklang, weil nach Fleteher und Hopkins die Milchsäurebildung am aus- geschnittenen Muskel durch Erhöhung des Partialdruckes des Sauer- stoffes vermindert wird und Schwarz gezeigt hat, dass das Quellungs- vermögen der Muskeln bei erhöhtem Sauerstoffpartialdruck ungemein geringer ist; der ruhende Muskel sogar längere Zeit gar. kein Wasser, der tätige solches sehr langsam aufnimmt. Durch die Untersuchungen von Fürth und Lenk, sowie auch durch die Arbeit von Schwarz scheint man der Lösung des Rätsels über die Totenstarre näher gekommen zu sein. Auch bezüglich des zeitlich verschieden raschen Eintretens der Totenstarre an den verschiedenen Muskeln des Körpers bestehen verschiedene Ansichten. Der absteigende Gang der Totenstarre hat mehrfach ‘zu der Vermutung geführt, dass das Nervensystem die Ursache dieser Erscheinung sei, obwohl von seiten mancher Autoren, wie beispielsweise von Nysten durch Versuche festgestellt worden ist, dass die Zerstörung des Zentralnervensystems keinen Einfluss auf die Erstarrungsreihe habe. Eiselsberg!) berichtet über einen be- schleunigenden Einfluss des Nervensystems auf die Totenstarre, weil er nach Durchschneidung des N. ischiadieus der einen Seite bei Kaninchen die Muskeln der operierten Extremität in der Regel später erstarren sah;, er vermutet, dass dieser Einfluss der Nerven mit dem Absterben derselben zusammenhängt. Dagegen erklärt Bierfreund?), dass die wahrscheinliche Ursache der Nysten’schen Reihe in der Individualität der Muskeln zu suchen sei. Er zeigte dies deutlich an den roten und weissen Kaninchenmuskeln und sagt, dass die Erregbarkeit der weissen Muskeln grösser sei als die der roten, und dass die ersteren viel eher erstarren als die roten. Er fand ferner, dass die weissen oder schnell arbeitenden und schnell er- 1) A.v. Eiselsberg, Zur Lehre von der Totenstarre. Pflüger’s Arch. Bd. 24. 1881. 5 2) M. Bierfreund, Untersuchungen über die Toten Pflüger’s Arch. Bd. 43. 1888. 5 ’ { n Ei. Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. 5927 starrenden Muskeln mehr Milchsäure produzieren als die roten langsamer arbeitenden und langsamer erstarrenden Muskeln, obwohl er den Zusammenhang der grösseren Säureproduktion mit dem Ein- tritt der Totenstarre nicht direkt ausspricht. Solange man keine rechte Erklärung für das Wesen der Toten- starre selbst hatte, musste auch das Nysten’sche Gesetz unerklärt - beiben. Wie aus meinen früheren Ausführungen zu entnehmen ist, be- sinnt die Starre am Herzen, ergreift hierauf das Zwerchfell und ‚schreitet später auf die übrigen Inspirationsmuskeln weiter fort. Gleichzeitig mit den letzteren erstarren gewöhnlich Kiefer und Nacken, und zum Schluss folgen die Extremitätenmuskeln. Bei Betrachtung; dieser Reihenfolge drängt sich der Eindruck auf, dass der Tätigkeitsgrad der verschiedenen Muskeln kurz vor dem Tode einen Einfluss auf die Zeit des Starreeintrittes auszuüben scheint; denn wir sehen, dass die Totenstarre beim tätigsten Organ des Körpers, beim Herzen, einsetzt und dann das Zwerchfell befällt, einen ebenfalls ununterbrochen und bis zum Tode arbeitenden Muskel, . der der tätigste Atmungsmuskel ist, hinsichtlich der Frequenz der Kontraktionen aber hinter dem Herzen zurückbleibt. Erst viel später setzt die Starre in den übrigen Muskeln ein, und auch bei ihnen scheint die Reihenfolge des Starreeintrittes mit dem oben genannten Einflusse im Zusammenhang zu stehen; denn wenn wir den Tätigkeitsgrad dieser übrigen Muskelgruppen betrachten, so werden die Nackenmuskeln für das Tragen des Kopfes und die Bewegungen desselben wohl sehr und gewöhnlich bis unmittelbar vor dem Tode in Anspruch genommen. Die Kaumuskeln halten gewöhnlich ‚bis zum letzten Lebensmoment den Unterkiefer an den Oberkiefer angedrückt. Beim Menschen werden sie allenfalls beim Sprechen, - manchmal auch durch Krämpfe (Zähneknirschen) angestrengt. . Die Bewegungen der oberen Extremitäten werden wenigstens beim Menschen vor dem Tode gewöhnlich später eingestellt als jene der unteren. v | Diese Erwägung im Zusammenhalte mit der Theorie von Fürth und Lenk über das Wesen der Totenstarre sowie mit den Versuchs- ergebnissen von Schwarz über die verschiedene Quellung ruhender und tätig gewesener Muskeln brachte mich auf den Gedanken, zu untersuchen, ob nicht der Reihenfolge des Erstarrens entsprechend das Quellungsvermögen der betreffenden Muskel, wenn sie gleich Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 35 Ernst Naumann 4 528 LLE | Be >] Log STE 028 08 | 661 | 68°% vol - 29% |- 198 | yerwanxy usaoy : -urg Iop UOA TONSNAL 6.87 188 GbB 1.2 21G6 0'98 et’e E88 96% Lıl #695 | 8a | alwanxg marop 1 I0A JOP UOA TONSHN sch GE Le pe 017 ve 188 ge g’E7 863 | 1a |Texsnumey tasoseny v0g vg's 0.08 £&98 6.87 coyE v0r ve ga le rs | TorsnuergoaonZ Dal 79 9% 889'7 L 189° gg 087 | 07 gg'3 Ga |° © ° osnwzıon 0/0 | 5 Ur 5 0/9 | 3 0/9 e) : On 3 3 9ueunz HWULUNZ 9wgeunz 9UTBUNZ wyeunz -SIOLNON | Elan) -SIqDINag, "N -SJUIIMIH) a) -SJyOIMILH u) -SIyqarnan) | na) a EEE RR BEE Pre SCHATZ TeR=z ” IPZE ee N ee -Junads or goeu ng pen 13/18 DEN ug DeN al PeN -ıN (*9zJeY U93940393 A.ImEsnefg UL TOUTD UOA UJOYSOA PPuU9M.AoA) ‘7 o1I94®8L g'E2 183 | 6.08 61% GEL. 1.8898 9'6 ei | FE | yenwanxy wear | & -uIy A9p UOA TONSnp v9 rLre Lee 226086 ee ee 10:4 901 8912 1C'a | Yenmanxgy uo.dap | -I0A I9P UOA [oNSnM] 8,68 e1aE rIe se SI 008 ve E6L’E #5 | Terisnwuney aerossuy EEE ler OLR op SLR Ich 9847 6,88 3°°% ETsT |" TEISmWSFgOLEMZ 99T 8068 0er 0608 9°9 1 ..999'8 (67 79° 0 a En lugacıeı | | ; 0/0 3 0/6 SR 0/0 3 0/0 3 3 ouyeunz - alugeunz gugeunz guyeunz -SIUIIMIH u) -SIT9IMIX) le) -SITI1MOH) ah 9) -SJUITAOL) AED u N) a (ee og soypı] vll WeN 12 UeN I 7 aha WeN ul wen -sunadsıf) ! (‘Apung U9I940993 9.Inesnefg JIULWOUTD UOA UEYSUM I9PU9MAIOA) "5 OII9A®ELL VERZUR Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. 529 Zw 3 = = = ER e ee: ‚- DEEBREBR SanRer=n e: = a Es ende ale ee N — — EEE EEE u 0 2 4 6 8 10 Fig. 1 (Kurven zur Tabelle 3). Zw = Zwerchfell, Ma = Masseter, v E== vordere Extremität, A & = hintere Extremität, 7 = Herz. 0 2 4 6 8. 10 Std. Fig. 2 (Kurven zur Tabelle 4). Zw = Zwerchfell, Ma — Masseter, v E= vordere Extremität, AE = hintere Extremität, 7 — Herz. 39 * 530 Ernst Naumann: nach Eintritt des Todes untersucht werden, verschieden sei; denn es war zu erwarten, dass auch der verschiedene Grad der vorangegangenen Tätiekeit der einzelnen Muskeln in einer Differenz des Quellungs- vermögens zum Ausdruck kommen würde. Ich eninahm daher bei mehreren eben getöteten Hunden und Katzen immer annähernd gleich schwere Stückchen aus der Muskulatur des Herzens, des Zwerchfells, aus einem Masseter und aus einem Muskel der vorderen und der hinteren Extremität, wog dieselben auf einer empfindlichen Wage und legte sie in eine 0,9°/o ige Kochsalzlösung. Nach gewissen Zeitabschnitten wurden die Stückchen der Flüssigkeit entnommen, sorgfältig mit Filtrierpapier abgetrocknet und wiederum gewogen. Die Wägungen wurden nur auf 10—17 Stunden ausgedehnt. Es war an allen Stückchen deutlich eine Gewichtszunahme zu konstatieren, die auf Prozente umgerechnet wurde. Wenn wir nun die in Prozenten aus- gedrückten Gewichtszunahmen auf die Ordinate und die Zeitabschnitte, in welchen diese gewogen wurden, auf die Abszisse auftragen, so be- kommen wir bei den einzelnen Muskeln Kurven, die einen differenten Verlauf zeigen. Die Resultate zweier derartiger Versuche sind in den Tabellen 3 und 4 und den zugehörigen Kurven 3 und 4 verzeichnet. Wir finden, dass die Kurve des Zwerchfelles einen sehr raschen An- stieg zeigt, dem dann ein mehr allmählich steigender Kurventeil folgt. Dem Quellungsvermögen des Zwerchfelles in den ersten Stunden kommt jenes des Masseters am nächsten. Auch hier finden wir einen steilen Anstieg der Kurve, wenn sie auch in der ersten Zeit nie jene Höhe erreicht wie die Zwerchfellkurve. Die Wasserbindungskurven der beiden Extremitätenmuskeln laufen nahe beieinander, zeigen einen weniger jähen Anstieg und erreichen bei weitem nicht die Höhe der Kurven der beiden erstgenannten Muskeln. Dabei liest die Kurve des Muskels der vorderen Extremität etwas höher als jene vom Muskel der hinteren Extremität. Eine ganz eigentümliche Kurve ergab der Quellungsversuch am Herzmuskel. Wenn man den Tätigkeitsgrad des Herzmuskels in Betracht zieht, sollte man meinen, dass dieser Muskel auch die am raschesten ansteigende Quellungskurve zeigen sollte. Ich war deshalb nicht wenig überrascht, als ich bei meinen Versuchen ein gerade entgegengesetztes Verhalten des Herzmuskels konstatieren konnte. Die Herzkurve weist nämlich in den ersten Stunden die geringste Elevation gegenüber-den anderen Kurven auf. Vielleicht ist dies damit begründet, dass das Herz eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Muskeln insofern einnimmt, als es einen von den übrigen a u en nn Bar > FL On en de RENT IT OR EN le 9 Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. 531 quergestreiften Muskeln abweichenden histologischen Bau besitzt und anderen physiologischen Gesetzen gehorcht. Wenn man vom Herzen absieht, würden die gefundenen Quellungs- kurven die Vermutung stützen, dass die Reihenfolge der Erstarrung (das Nysten’sche Gesetz) mit dem Grade der dem Tode voraus- gegangenen Tätigkeit der untersuchten Muskeln und der Menge der dabei intravital entwickelten sauren Stoffwechselprodukte zusammen- hängt. Dieser Schluss ist aber nur gerechtfertit unter der Voraus- setzung, dass die verwendeten Muskeln sonst unter gleichen Ver- - hältnissen untereinander ein gleiches Quellungsvermögen zeigen. Versuche über letzteren Umstand wurden aber nicht vorgenommen. Es liesse sich damit das Nysten’sche Gesetz im Sinne der Quellungstheorie nach v. Fürth und Lenk erklären. Ich möchte nun hier noch kurz auf jene Fälle Zu sprechen kommen, in denen man eine Störung der Nysten’schen Reihe beobachtet hat. Die Angabe, die man in der Literatur‘) so häufig findet, dass bei Erkrankung des Zentralnervensystems eine Störung des Erstarrungsgesetzes erfolgt, kann ich insofern bestätigen, als ich bei Hunden, die an der sogenannten nervösen Form der Staupe gelitten und Zuckungen an verschiedenen Skelettmuskeln aufgewiesen hatten, nach ihrer Tötung mit Blausäure ein früheres und unregel- mässiges Auftreten der Totenstarre beobachtet habe. Ich erkläre dies damit, dass durch die vorhergehenden Muskelzuckungen eine erhöhte Säureproduktion stattfindet, die den Anlass zu einem rascheren Ein- treten der Starre nach dem Tode des Tieres gibt. Hierher gehören meiner Meinung nach auch die in der Literatur verzeichneten Be- obachtungen, welehe den beschleunigenden Einfluss des Nervensystems auf die Entwicklung der Totenstarre dartun sollen und die entweder an natürlich gelähmten Körperteilen oder an Körperteilen angestellt wurden, bei denen die Lähmung künstlich durch Nervendurchschneidung erzeugt worden war. Was die ersteren anbelangt, so konnte auch ich bei Hunden, die längere Zeit in der Nachhand gelähmt waren, nachweisen, dass die Starre in der gelähmten Körperpartie bedeutend später sich einstellte; bezüglich der letzteren will ich, wie es schon einige Autoren getan haben, hinweisen, dass es nicht gleicheültig ist, 1) A. v. Eiselsberg, Zur Lehre von der Tötenstarre. Pflüger’s Arch. Bd. 24. 1881. — G. Aust, Zur Frage über den Einfluss des Nervensystems auf die Totenstarre. Pflüger’s Arch. Bd. 39. 1887. 932 | Ernst Naumann: ob die Durchschneidung eines motorischen Nerven längere Zeit vor dem Tode oder erst nach demselben erfolgt ist. Ich durchschnitt bei Kaninchen unmittelbar nach dem Tode den Ischiadieus einer Seite und beobachtete eine grössere Schlaffheit in den Gelenken des betreffenden Beines. Mit anderen Worten, ich fand, dass der Muskeltonus an dieser Extremität geschwunden war, während ich an dem unverletzten Beine einen gewissen elastischen Widerstand beim Beugen der Ge- lenke, kurz einen Tonus der Muskulatur nachweisen konnte. Ein späteres Starrewerden der entnervten Extremität. war insofern zu bemerken, als hier die Starre förmlich am Nullpunkt begann, während sie sich in den Muskeln der unverletzten Extremität auf einem bereits vorhandenen Tonus aufbaute. War jedoch die Durch- schneidung schon am lebenden Tiere vorgenommen und das Tier dann eventuell sogar noch längere Zeit am Leben erhalten worden, so konnte ich deutlich ein verspätetes Auftreten der Starre der ge- _ lähmt gewesenen Extremität nachweisen. Da auf der gelähmten Seite die Muskulatur als ruhend angenommen werden kann, sollte in Analogie zu den Versuchsergebnissen von Schwarz in denselben die Säurekonzentration und damit parallelgehend das Quellungsvermögen der Muskelkolloide nur allmählich steigen, dagegen sollte die Quellung der Muskel der unverletzten Seite rasch erfolgen, weil in demselben schon zur Zeit des Todes infolge der vorausgegangenen Tätiekeit eine gewisse Menge saurer Produkte angehäuft ist. Um mich darüber zu orientieren, wurde bei drei Kaninchen rechterseits der N. ischiadicus durchschnitten und die Operationswunde wieder vernäht; die Tiere erwiesen sich danach am operierten Beine gelähmt. Das eine dieser Tiere wurde eine Stunde, das andere vier Tage, das dritte acht Tage nach der Operation durch Verbluten getötet, und es wurden dann immer vergleichend mit dem M. gastroenemius der gelähmten und der gesunden Extremität in der früher beschriebenen Weise Quellungs- versuche angestellt. Bevor die Tiere entblutet ‚wurden, wurden sie zu einer leichten Bewegung veranlasst. Die Resultate zweier der- artiger Versuche sind aus den Tabellen 5 und 6 und den dazu- gehörigen Kurven 5 und 6 zu ersehen, aus welchen hervorgeht, dass die Quellung des Muskels der intakten Extremität bedeutend rascher vor sich geht. Diej M. gastroenemii der gelähmten Extremität bei jenen Kaninchen, die erst 4 Tage bzw. 8 Tage nach der Operation getötet wurden, wiesen deutliche Erscheinungen der Atrophie auf. Es wäre daher daran zu denken, dass die Veränderungen der Muskel Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. 533 Tabelle 5. Gastrocnemiusmuskeln von der normalen und der gelähmten hinteren Extremität eines Kaninchens, das 4 Tage nach der Durchschneidung des Ischiadicus entblutet wurde. Gelähmter Muskel Normal innervierter Muskel Zeit ag S der | Gewichts- Gewichts- Wägung Geyicke | zunahme urn zunahme a ge“ 0/0 g %/o | 2,825 | — 2,945 — 1h 2,966 | 4,98 3,195 8,48 2h 3,000 6,19 sl 12,39 3h 3,045 7,18 3,405 | 15,61 Th 3,28 | 16,1 3,169 | 27,84 ja h 3,395 | 20,17 3,845 | 30,56 11h 3,41 | 20,7 3,89 30,73 Tabelle 6. Gastrocnemiusmuskeln von der normalen und der gelähmten hinteren Extremität eines Kaninchens, das 1 Stunde nach der Durchschneidung des Ischiadieus entblutet wurde. Zeit Gelähmter Muskel Normal innervierter Muskel der h Gewichts- 3 Gewichts- Wägung ana zunahme ya zunahme g 0/o g 0/0 3,75 | 3,71 1h 3,905 4,1 3,96 6,7 2h 3,97 | 5,8 4,05 9,1 Allah 4,155 10,8 4,23 14,0 7h 4,355 | 16,1 4,405 18,7 Q1/,h 4,515 20,4 4,52 21;8 BE | | 59 [2 EB | E8 22 ] [3] | ma S@ SE FojeN Ru ® 0 2 4 6 8 10 12 Std. Fig. 3 (Kurven zur Tabelle 5). nM = normaler Muskel, ./9M = gelähmter Muskel. 534 nr Ernst Naumann: : u [14 „BEREREIBERRRIDEERE EABEBEEERIIERERTRBENE SBRUEDBERRIERBEBEIEREAT 0 ar 4 6 8.2. 10-804, Fig. 4 (Kurven zur Tabelle 6. » M — normaler Muskel, 9 M = gelähmter Muskel. durch die Atrophie das Quellungsvermögen beeinträchtigen. Da aber auch der Versuch 6; bei welchem die Tötung des Kaninchens schon 1 Stunde nach der Durchschneidung des Nerven erfolgte, und wo aus- gesprochene Veränderungen im Müskel der operierten Seite noch nicht vorhanden sein konnten, eine deutliche Differenz in der Raschheit der Quellung der beiden Mm. gastroenemii ergab, dürfte der Schluss ge- rechtfertigt sein, dass die Tätigkeit des Muskels der intakten Seite vor dem Tode und damit die Ansammlung saurer Produkte, die nicht mehr weggeschafft wurden, die ausschlaggebende oder wenigstens eine. wichtige Rolle beim rascheren Eintritt der Starre in diesem Muskel spielt. Ich stelle mir vor, dass der Wegfall der Nervenleitung bei Ischiadieusdurcehschneidungen nur die indirekte Ursache des späteren Erstarrens der gelähmten Extremität ist, der direkte Grund aber die Inaktivität der gelähmten Muskeln, da in diesen erst nach dem Tode eine allmählich steigende Säureproduktion erfolgt und infolgedessen nur eine langsam vor sich gehende Quellung der Muskelkolloide eintritt. Es ist vielleicht gar nicht notwendig, dass gerade. eine Läsion des Nervensystems die Inaktivität verursacht; ich glaube, dass jede Lahm- heit (Arthritis, Fissuren, Frakturen usw.), die zu einer Inaktivität der betreffenden Extremitätenmuskeln führt, die Ursache des späteren Erstarrens abgeben könnte. Diese Anschauung wird gestützt durch einen Versuch, den ich in folgender Weise anstellte. Ich durchschnitt bei einem Kaninchen an einer Extremität die Achillessehne, wodurch ich die Wirkung des M. gastroenemius auf die Extremität aufhob. Bei der Bewegung befand sich das Sprunggelenk immer in maximaler Beugestellung. Beim Kneipen in das operierte Bein konnte ich gelegentlich. der. Abwehrbewegungen deutlich die Kontraktion des M. gastrocnemius nachweisen. Der normal innervierte Muskel kon- ‘Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. 535 trahiert sich also ebenso wie auf der gesunden Seite, leistet aber keine Arbeit, da er keine Wirkung auf die Extremität besitzt: Dieser Wegfall der Arbeitsleistung kam auch in dem Quellungs- versuch zum Ausdruck, den ich mit den Muskeln der beiden 'Ex- tremitäten anstellte, und der zu dem Resultate führte, dass der normal wirkende Muskel in den ersten Stunden ein grösseres Quellungsvermögen zeigte als der Muskel, bei dem die Sehne durch- schnitten worden war. i An dieser Stelle möchte ich auf einen Umstand hinweisen, der eventuell störend. bei der Untersuchung über den Eintritt der Toten- starre bei Nervendurchschneidungen wirken kännte. Sehr oft konnte ich mich von dem ungemein feinen Einfluss der Temperatur auf den . Eintritt der Starre überzeugen. Ich beobachtete nämlich den Gang der Starre bei Hunden und machte dabei die Wahrnehmung, dass, wenn die Tiere auf einem Marmortische lagen, die der Tischplatte aufliegende Körperseite später erstarrte als die freiliegende obere Körperhälfte. Umgekehrt konnte ich wahrnehmen, dass Tiere, die auf einem Holztische lagen, an der Unterseite früher totenstarr wurden als an der oberen. Der Unterschied war in die Augen springend. Wenn man den Hund auf den Rücken leete, sah man ein Zusammensinken der Extremitäten der später erstarrenden Seite, während man auf der Gegenseite beim Abbeugen der Gelenke den deutlichen Widerstand der eingetretenen Starre bemerken konnte. Ich erkläre dies damit, dass Marmor als besserer Wärmeleiter der unten liegenden Seite mehr Wärme entzieht, als die obere Seite durch Strahlung verliert, während Holz ein entgegengesetztes Ver- halten als sehr schlechter Wärmeleiter zeiet. Im ersteren Falle erstarrt also die obere Seite früher, im letzteren die untere. Benutzt man nun bei Nervendurchschneidungen einen hölzernen Tisch und lest den Kadaver so auf, dass das lädierte Bein oben liest, so könnte das frühere Eintreten der Starre an der Unterseite einen verspäteten Starreeintritt in der oberen lädierten Extremität und damit einen Nerveneinfluss vortäuschen. Zum Schluss möchte ich noch auf eine besondere Form der Totenstarre, nämlich die kataleptische Starre, zu sprechen kommen, deren Existenz von manchen Autoren als sicher betrachtet, von anderen dagegen bezweifelt wird. Sie wurde beobachtet bei Ver- letzungen des Schädels mit Reizung des Kleinhirns, was einen Krampfzustand zur Folge hatte, ferner bei Tetanus, Strychnin- 536 Ernst Naumann: Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. vergiftung, Stirn- und Herzschüssen und rasch tötenden Verletzungen, weiters nach Tötung mit dem elektrischen Strom und nach grossen Muskelanstrengungen (gehetztes Wild, Reitpferde im Kriege). Wenn man die Umstände betrachtet, unter welchen das Auftreten der kataleptischen Totenstarre beobachtet wurde, so kann man sagen, dass es immer enorme Muskelanstrengungen waren, welche diese Form der Totenstarre auslösten. Wenn man nun berücksichtigt, dass unter diesen Verhältnissen auch eine enorme Säureproduktion im Muskel vor sich geht, so könnte man die kataleptische Starre ganz leicht im Sinne der Quellungstheorie erklären, denn die grossen Säuremengen haben jedenfalls auch eine überaus rasche Quellung der Muskelkolloide zur Folge, so dass die Möglichkeit vorliegt, dass die vitale Kontraktion der Muskeln im Moment des Todes unmittelbar in den Starrezustand übergehen könnte. F = Am Ende meiner Ausführungen fühle ich mich verpflichtet, meinem hechverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Rudolf Hartl, für die Anregung zu dieser Arbeit und das meinen Versuchen ent- gegengebrachte fördernde Interesse verbindlichst zu danken. Weiteren Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Carl Schwarz, der mich in liebenswürdiger Weise mit der von ihm eingehaltenen Technik der Quellungsversuche vertraut machte und mir gestattete, dieselben in seinem Laboratorium auszuführen. 937 Untersuchungen : über den biologisch richtigen Verlauf des Lernvorganges bei weissen Mäusen!). Von 3. S. Szymanski (Wien). (Mit 4 Textfiguren.) Die bisherigen experimentellen Untersuchungen über die Asso- ziationsbildung im Tierreich wurden derart angestellt, dass der Versuchsleiter die Versuchsbedingungen (Tageszeit, tägliche Anzahl der Versuche usw.) willkürlich auswählte. Demnach konnte das zu untersuchende Tier nicht ausschliesslich gemäss seinen inneren Im- pulsen handeln. Auch der Faktor, der meistens als Antrieb zur Ausführung der Handlung dienen sollte (Hunger), war in seiner Intensität durch den Versuchsleiter willkürlich geregelt. Obzwar die Versuche, die unter diesen Bedingungen ausgeführt worden waren, wertvolle Aufschlüsse über die Tätigkeit der Sinnes- organe und die allgemeine Fähigkeit zur betreffenden Assoziations- bildung zu geben vermochten, waren sie nicht geeignet, uns über den wirklichen biologischen Verlauf einer Assoziationsbildung zu belehren. Demnach musste auch die „Lernkurve* bloss einen beschränkten Wert haben: sie zeigte wohl den Verlauf der Entstehung einer neuen Gewohnheit unter den gegebenen künstlichen und mehr oder weniger widernatürlichen Bedingungen ; sie musste aber nicht unbedingte Gültigkeit haben auch für jene Fälle, in denen dass Tier eine ihm naturgemässe und für die Lebenserhaltung unentbehrliche Assoziation hauptsächlich nach eigenen Impulsen ausbilden sollte. Diese Überlegungen veranlassten mich zur Ausführung der vor- liegenden Untersuchungen. 1) Diese Arbeit wurde im physiologischen Institute der Wiener Universität ausgeführt (Abteilung des Herrn Prof. Kreidl). Herrn Prof. A. Kreidl möchte ich meinen besonderen Dank für sein stetes Entgegenkommen an dieser Stelle aussprechen. 538 J. S. Szymanski: Ich war bestrebt, das Versuchstier in solche Bedingungen zu stellen, dass dasselbe nach Belieben handeln konnte. Auch die Intensität des Impulses, der als Antrieb zur Handlung zu dienen _ hatte (Hunger), durfte vom Tier selbst geregelt werden. . Auch sonst sollte. die ganze Versuchsanordnung tunlichst den Lebensgewohnheiten des Tieres angepasst werden. I u Be Fig. 1. Der Mnemograph für weisse Mäuse (die Erklärung s. im Text). Als Versuchstiere schienen mir die weissen Mäuse [besonders geeignet, denn diese Tiere erleben, wie ich schon früher feststellen konnte®), durchschnittlich je 16 Ruhe- und Aktivitätsperioden im. 24stündigen Zyklus. Da zu vermuten war, dass die Anzahl von Fressperioden jener der Aktivitätsperioden mehr oder weniger ent- sprechen dürfte, so hoffte ich, dass, falls der Hunger als Antrieb 1) Vgl. Pflüger’s Arch. Bd. 158 S. 379 ff. Untersuchungen über den biol. richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 539 zur Handlung in Betracht kam, die Versuchstiere aus eigenen Im- pulsen und gemäss ihren normalen Lebensbedingungen in einem zweck- mässig konstruierten Apparat eine annähernd gleiche Anzahl’ von :Versuchen ausführen würden. Um nun diese Versuche aufzeichnen zu können, musste man mit einem „Mnemograph“!) arbeiten. Der Apparat, den ich zu meinen Versuchen benützte, war folgendermassen konstruiert). (Fig. 1.) In einem 33x23 30 em grossen Käfig, dessen Seitenwände aus Glasscheiben bestanden, wurden in der Höhe von 15 em ein | 135 em grosser Futtertisch (Fig. 1 Abb. I ab) mit zwei Futter- näpfen und zwei gleich hohe Leitern (cd und 7g) je mit einer Brücke (ac und ef) einmontiert. Jede Leiter bestand aus einem prismatischen Kasten (Fie. 1 ‚Abb. III abe); ab war = 15, ac=15, cb =21 cm, so dass die Leiter cb unter 45° zum Horizont geneiet war. Die Kasten waren aus Blech angefertigt; die Leiter war durch quer befestigte Eisenstäbehen auf der betreffenden Kastenwand angemacht; die Breite der Leiter betrug 4 em. Die Brücken (4 X 10 cm) waren derart an die Leiter befestigt, dass sie bei leisestem Stoss abwärts umkippen und sofort in die ursprüngliche Lage von selbst zurück- kehren konnten. Unten auf jeder. Brücke war ein Seidenfaden be- - festigt; der Faden war durch ein Glasrohr, das im Kasten parallel zu der Leiter verlief, durchgezogen (Fig. 1 Abb. II de). Am unteren Ende des Fadens war eine Kupfergabel aufgehängt, die beim jedesmaligen Umkippen der Brücke einen Quecksilberkontakt (g) her- ‚stellen konnte; beim Zurückschnellen der Brücke in die bonzentl? Lage wurde der Kontakt wieder unterbrochen. An der der Leiter zugekehrten Brückenhälfte war eine Kork- platte mit darauf angeklebtem dünnen Messingblech angebracht; eine ‚andere gleiche Platte befand sich am obersten Leiterteil. (Fig. 1 Abb. III, + und —, auch I bei c.) Beide Platten berührten sich nicht, so dass sie als zwei Elektroden dienen konnten. Die Leitungs- ‚“drähte der Elektroden wurden entlang des Rohres de (Fig. 1 Abb. II) nach aussen und unten geführt. 1) Vgl. meine Abhandlungen zum Aufbau der Lehre von den Handlungen der Tiere. Pflüger’s Arch. Bd. 170. 1918. 2) Mein bester Dank gebührt Herrn L. Castagna, Universitätsmechaniker, der den Apparat mit der ihm eigenen Geschicklichkeit konstruiert hat. 540 0.58. Szymanski: Jede Brücke konnte nach Belieben dadurch unbeweglich ge- macht werden, dass sie auf eine Stütze festgeleet wurde. Diese Stütze bestand aus einem Haken, der an dem den Futtertisch um-- ‚sebenden Blechmantel aufgehängt werden konnte. (Fig 1 Abb. IV.) Zwischen den beiden eben beschriebenen Kasten war der Futter- tisch «ae (Fig. 1 Abb. I) derart untergebracht, dass zwischen dem- selben und jeder Brücke ein Zwischenraum von bloss 0,5 em übrig blieb. Der. Futtertisch bestand aus zwei übereinanderliesenden Blechplatten. - (Fig. 1 Abb. H.) Die untere Platte war auf zwei Stützen unbeweglich gemacht, die obere Platte war durch vier Spring- federn mit der unteren verbunden, so dass sie bei jedem Druck von oben nachgeben musste. Diese Bewezung übertrug sich mittels des in einem Glasrohr untergebrachten Stäbehens ab (Fig. 1 Abb. I): auf den Schreiber dc, der weit ausserhalb des Käfigs herausragte. (Fig. 1 Abb. Ihe.) Auf den Futtertisch waren zwei kleine Aluminium- näpfe mit Milch bzw. Brot gestellt. Der Futtertisch war mit einem Blechmantel umgeben; die den Brücken zugekehrten Seiten des Mantels waren 3 cm hoch; die Höhe der Längsseiten betrug 4 cm (Fig. 1 Abb. I ke). Ausser diesem Mantel waren noch zwei Schirme (16 X 17 cm) vorhanden (Fig. 1 Abb. I Im und np), die den Futtertisch von den Brücken abzusperren hatten. Auf diese Weise blieb das Fenster, durch das. die Maus von der Brücke auf den Futtertisch gelangen konnte, bloss 3 em breit. (Fig. 1 Abb. IV xy.) Der der Brücke zu- gekehrte freie Rand des Schirmes war brückenwärts leicht um- ‚gebogen, um ein etwaiges Siehfestklammern der Maus .zu ann (Fig. 1 Abb. IV zw.) Beide Schirme waren an die anfangs beschriebenen prismatischen ‚Kasten angelötet; an dem Schirme wieder war der oben erwähnte, den Futtertisch umgebende Mantel derart befestigt, dass zwischen ‚demselben und dem Futtertisch ein schmaler Zwischenraum frei ge- halten wurde. Infolge dieser Befestigungsweise wurde der Futter- tisch in seinen Eigenbewegungen durch den Mantel nicht gehemmt. Der Verlauf einer einzelnen Versuchsserie war nun folgender: Nachdem eine während der ganzen Versuchsserie gleichbleibende Brücke mittelst des oben beschriebenen Hakens unbeweglich ge-. macht worden war, wurde die andere Brücke umklappbar gelassen. An der Seite der letztgenannten, also beweglichen Brücke wurde auf dem den Futtertisch umgebenden Mantel ein gleicher Haken, a a Sn ZT a u a el u a ut Au au Eu n En 12 a La AN Untersuchungen über den biol. richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 541 jedoch ohne unteren horizontalen Schenkel symmetrisch zur entgegen- esetzten Hälfte aufgehängt, um eventuell taktile Reize beim Über- schreiten der Grenze zwischen der Brücke und dem Futtertisch gleich zu gestalten. Daraufhin wurden beide Futternäpfe mit Milch bzw. Brot gefüllt, der Käfigboden mit Holzspänen bestreut und etwas Watte fürs Nest hineingegeben; schliesslich wurde die Versuchs- maus in den Käfig gesetzt.. Die Maus ist in der Regel ununter- brochen während der ganzen Versuchsserie im Käfig geblieben. Täglich zwischen 11—12 Uhr vormittags wurde der Futtertisch ge- reinigt und die Näpfe frisch gefüllt. Sonst wurde bei den Tieren Nr. 1-4 der Käfig unberührt gelassen. Bei den Versuchen mit der Maus Nr. 5 waren ausserdem die beiden Brücken und die Leiter einmal täglich um die gleiche Zeit mit Äther gereinigt und die den Boden bedeckenden Holzspäne durcheinandergemischt worden. Diese Maassregel bezweckte eigentlich eine Kontrolle gegenüber den früheren Versuchen. Es sollte dadurch eine etwaige Entstehung von zurück- bleibenden Spuren verhindert werden. Es sei gleich hier hervor- gehoben, dass das Verhalten sämtlicher Mäuse im Prinzip das gleiche blieb. Wie aus dieser Beschreibung ersichtlich ist, konnte die Maus das Futter bloss nach dem Passieren der unbeweglich gemachten Brücke erreichen; sie musste also diese Brücke kennen und dieselbe von der anderen, umkippbaren unterscheiden lernen. Dabei blieb die Anzahl der täglichen Versuche, Tageszeit zur Ausführung der- selben usw. vollkommen dem Versuchstier selbst überlassen. Um nun die Versuchsresultate aufzeichnen zu können, wurde folgende Anordnung getroffen: Bei jeder Berührung des Futtertisches übertrug sich die Be- wegung auf den Schreiber ih (Fig. 1 Abb. I ih); aber auch bei ‚der Berührung der umkippbaren Brücke zeichnete ein Elektromagnet eine Marke auf. Ausserdem bekam die Maus im gleichen Momente einen elektrischen Schlag, falls sie die Brücke von der der Leiter zugekehrten Seite betrat. Die Fig. 1 Abb. V veranschaulicht die ganze ee, die das Aufzeichnen der Marke ermöglichte. Wie schon oben erwähnt, wurden auf der Brücke und dem Oberteil der Leiter zwei Elektroden befestigt (Fig. 1 Abb. VD ‘und D!). Sie wurden verbunden mit der sekundären Spule des Induktionsapparates @. Die primäre Spule wurde mit dem Queck- 542 J. 8. Szymanski: ‚silberkontakt (E), dem Signal (B), dem Akkumulator (A) und dem Widerstand (7) verbunden. Nun senkte sich bei dem Um- kippen der Brücke der Faden mit der oben beschriebenen Kupfer- gabel, und in diesem Moment blieb die Kette geschlossen: das Signal schrieb ein Zeichen, und die Maus bekam einen. Schlag. Nachdem die Maus die Brücke wieder verliess, schnellte die Brücke empor, und der Kontakt war wieder unterbrochen. : “ Die beiden Schreiber, der vom Futtertisch und jener vom Sienal, trugen ihre Kurven auf ein Kymographion mit 24stündiger Umlaufs- zeit ein. Dieses Kymographion, das ich schon früher (l. e.) be- schrieben habe, war derart konstruiert, dass die Trommel nach dem Verlaufe von 12 Stunden herabfiel. Demgemäss wurden nach dem Verlaufevon 24 Stunden von jedem Sebreiber zwei übereinander- liegende Kurven aufgezeichnet, von denen sich die untere auf die ersten 12 und die obere auf die letzten 12 Stunden bezogen (Fig. 2.) Bei Betrachtung des Apparates (Fig. 1 Abb. I) fällt sofort auf, dass die Maus einerseits die Brücke berühren konnte, wenn sie von der Leiter zum Futtertisch gelangen wollte; anderseits aber, wenn sie den Futtertisch durch die umkippbare Brücke zu verlassen versuchte, nachdem sie zuerst den Futtertisch durch die unbeweglich gemachte Brücke erreicht hatte. Selbstredend bekam die Maus im letzteren Falle keinen Schlag. Je nachdem, ob die Marke vom Signal knapp vor der Fressperiode oder erst nach der Fressperiode auf- gezeichnet worden war, konnte man mit wenigen Ausnahmen be- urteilen, wann die Maus die umkippbare Brücke berührt hatte, Fünf Mäuse wurden untersucht. Die Versuche an Nr. ] und 2 wurden hauptsächlich für die Prüfung des Apparates angestellt; des- halb sind für die Beurteilung des eryoruee bloss die Mäuse . Nr. 3, 4, 5 maassgebend. Nr. 1 war ein Weibchen; Nr. 2, 4, 5 Männchen; das Geschlecht des Tieres Nr. 3 habe ich versäumt festzustellen. Da es für diese Untersuchungen von grosser Wichtigkeit war, zunächst die Anzahl der täglichen Fressperioden festzustellen, so zählte ich zunächst, aus der täglichen Kurve heraus, wie oft die Maus den Futtertisch betreten hatte. Wenn dabei das Tier in einer: kleinen Zeitspanne den Futter- tisch mehrere Male berührte, so betrachtete ich alle diese Berührungen als eine Fressperiode. Bloss wenn zwischen zwei aufeinanderfolgenden Berührungen mindestens */a Stunde verstrichen war, hielt ich diese Berührungen für zwei Fressperioden. Durch die direkte Beobachtung ” Untersuchungen usw. konnte ich feststellen, dass die Maus während des jedesmaligen Ver- weilens auf dem Futter- tisch wirklich etwas vom Brot verzehrt hatte. Auf Grund dessen konnte man jede Berührung des Futtertisches mit Recht als eine Fressperiode be- zeichnen. Was die Dauer einer einzelnen ‘ Fressperiode betrifft, so währte sie vom Bruchteil einer Mi- nute bis zu einigen Mi- nuten und selbst darüber hinaus. Besonders gern verweilte die Maus auf dem Futtertisch zwischen 4—7 Uhr nachmittags, so dass diese Fressperi- ode, die augenscheinlich mit der Hauptperiode der Aktivität zusammenfällt, sich gerade als grosse Fressperiode bezeichnen lässt (Fig. 2 2—2). Im Durchschnitt zeigten die fünf Versuchsmäuse elf Fressperioden während eines 24 stündig. Zyklus. (S. Anhang Tab. 1.) Um nun ein Urteil über die genauere Ver- teilung dieser Perioden während eines 24stün- digen Zyklus abzugeben, wurde die Tabelle 2 zu- Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 169. Al. Vin. ı\ Mr BE REN a IST ‚ auf den ‚„ ohne dass die Maus l (a und db, 1—1 und bis 7h 10° nachmitta 88, 1 Stunde.) gen der falschen Brücke ö verlaufen sind (Rund 8 cm Be berührte die Maus die falsche Brücke zweima urven (A—A,) sind zwischen 4h 30’ nommen (Maus Nr. 5). x Die unteren I a ) dass die Fressperioden 7—1 und essperiode Auf den Kurven A und 2 sind die Berührun die grosse Fressperiode. Die Kurven zeigen, Während der Fr getragen. “ 99 Kurven (B—B,) zwischen 5h 15’ bis 7h 50’ vormittags aufge ı, Bı die Fressperioden ein ke überhaupt berührt hat. leinen Fressperioden, ; die oberen A Aurven / sind die k 2 r a9} Fig. 2. Die Kurven A—A, und B—B, gehören zusammen. die falsche Brüc 5} } 944 2910 _ o fort fer Nm m 0 Vo sn nn msn, m sms 1 Vo rn re, rn nen meremmr 07 \onn en m, m sn nn Abend Nachmittag Vormittag Morgen Fig. 3. Die Häufigkeitskurve der Fressperioden. — Auf der Ordinate sind die Anzahl der Versuchstage, auf der Abszisse die Stunden eines 24 stündigen Zyklus eingetragen. . Szymanski: sammengestellt; in dieser Ta- belle ist durch einen Strich an- gedeutet, auf welche Stunden eine (bzw. zwei) Fressperiode fällt. (8. Anhang Tab. 2.) : Um diese. Resultate über- sichtlicher zu machen, wurde die Tabelle 3 zusammengestellt. Die- selbe zeigt die Häufigkeit der Fressperioden für sämtliche Ver- suchstiere und alle Versuchs- tage (120); die Kurve in der Fig. 3 ist eine graphische Dar- stellung derselben Tatsache, (S. Anhang Tab. 3 und Fig. 3.). Wie die Tabelle und die Kurve zeigen, fällt die Mehrzahl der Fressperioden auf die Zeit von 4 Uhr nachmittags bis 5 Uhr morgens. i Das kleine Emporsteigen der Kurve zwischen 11—12 Uhr vor- mittag: lässt sich dadurch er- klären, dass um diese Zeit der Futtertisch bzw. der Käfig, ge- reinigt und die Näpfe mit neuem Futter gefüllt wurden. Dadurch wurde die Maus beunruhigt und im Schlafe gestört. Nachdem die Reinigung beendigt worden war, lief die Maus regelmässig zum Futter. Und nun gehe ich zur Schil- derung der Entstehung der Ge- wohnheit über, ausschliesslich eine bestimmte Brücke zu be- nützen und die andere zu meiden. ‘ Zunächst wurde täglich auf- gezeichnet, wie oft die Maus die rn 2 re Sn ZE m Bea Untersuchungen über den biol. richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 545 umkippbare Brücke im betreffenden 24stündigen Zyklus berührt hatte (s. Tab. 1); es wäre jedoch falsch, auf Grund bloss dieser Daten die Sehlüsse auf den Verlauf des Lernvorganges ziehen zu wollen. Man dürfe nicht sagen, dass die Maus an einem Tage zum Beispiel ein bzw. zwei Fehler gemacht hätte. Dies wäre zu anthropomorphistisch ! Denn ein Sonnentag und eine Nacht bedeutet durchschnittlich 16 Tage und 16 Nächte für eine weisse Maus). Man musste also eine Verwertung der Resultate vornehmen, die mehr dem Wesen der Mäuse entsprechen würde. = Es war ganz leicht, einen solchen Weg einzuschlagen. Man musste bloss nach den Fressperioden, von denen jede wahrscheinlich einem grossen Teil eines „Mäusetages“ entsprach, rechnen. Diese Berechnung ist in der Tabelle 4 durchgeführt. Dabei ist zu bemerken, dass die oberen Zahlen (in Klammern) Versuchstage bedeuten ; die vertikalen Striche bedeuten die Berührungen der um- kippbaren Brücke; die darauffolgenden Zahlen zeigen, wieviel Fress- perioden verstrichen waren, ohne dass die Maus die umkippbare Brücke berührt hatte. Wenn zwischen zwei vertikalen Strichen Null steht, bedeutet dies, dass die zwei aufeinanderfolgenden Berührungen im Verlauf einiger Minuten erfolgt waren. (S. Anhang Tab. 4.) Zwecks des leichteren Überblickes habe ich die Tabelle 5 zu- _ sammengestellt. (S. Anhang Tab. 5.) Schliesslich sind in der Tabelle 6 bloss jene Berührungen der umkippbaren Brücke berücksichtigt, die erfolgten, bevor die Maus den Futtertisch erreicht hatte; dasselbe wurde in der Tabelle 7 für jene Fälle getan, in denen die Maus die umkippbare Brücke berührt hatte, nachdem das Tier den Futtertisch verlassen wollte. In wenigen Ausnahmsfällen, bei einer sehr kurz andauernden Fressperiode, war es unmöelich zu entscheiden, wann die Maus die umkippbare Brücke berührt hatte. Diese Fälle sind sowohl in die Tabelle 6 wie auch in die Tabelle 7 aufgenoimmen und mit Frage- zeichen markiert. (S. Anhang Tab. 6 und Tab. 7.) Die graphische Darstellung der Resultate bringt die Fig. 4. Hierbei ist vorauszuschicken, dass die Maus Nr. 4 kein einziges Mal die. umkippbare Brücke berührt hatte, nachdem sie den Futtertisch 1) L. ec. Vgl. auch meine Arbeit „Die Haupt-Tiertypen in bezug auf die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden im 24stündigen Zyklus“. Biol. Zentrabl. Bd. 36 S. 537. 1916. 36 * SO 946 - J. S. Szymanski: 450 150 ERICH EB oa a AA I Fig. 4 Abb. II]. Fig. 4 Abb. II. 100 go A ENT NIIT ET ON EI ID Fig. 4 Abb. IV. IE 30H ST Fig. 4 Abb. III; ARIHSEITIITHLKHEKHEBFURNUULEYE ke 2 Anh ya Untersuchungen über den biol.’richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 547 150 Fig. 4 Abb. Va. 200 150 100 go 134 set gu haha dd re Erklärung zur Fig. 4 Abb. III: Maus Nr. 3; Abb. IV: Maus Nr. 4; Abb. V: Maus Nr. 5. 1. All- gemeiner Verlauf des Lernvorganges. 2. Die Fälle sind bloss berücksichtigt, in denen die Maus die falsche Brücke berührt hat, bevor sie den Futtertisch erreicht hat. 3. Die Fälle sind bloss berücksichtigt, in denen die Maus die falsche Brücke berührt hat, nachdem sie den Futtertisch verlassen wollte. — Auf der Ordinate sind die aufeinanderfolgenden Berührungen der falschen Brücke, auf der Abszisse die Zahl der Fressperioden, die auf die betreffende Berührung der falschen Brücke folgten, eingetragen. Wenn zwischen zwei (bzw. drei) Berührungen der falschen Brücke keine Fressperioden eingeschaltet sind (Zahl der Fressperioden ist 0), be- deutet dies, dass die betreffenden Berührungen nach einem kurzen Zeitintervall (höchstens einigen Minuten) aufeinanderfolgten. Fig. 4 Abb. Vı. verlassen wollte. Die Berührung der umkipp- baren Brücke erfolgte in sämtlichen Fällen, ‚ bevor die Maus den Futtertisch erreicht .hat, so dass in diesem Falle der allgemeine Ver- lauf des Lernvorganges sich mit dem beson- S = deren deckt. (Fig. 4.) Im Prinzip ist sowohl der allgemeine wie auch der besondere Verlauf des Lernvorganges in allen Fällen ziemlich gleichförmig. I 234 I3IsE HE gg AHÄLDUSERBNOUU DUMM 280 30 1 Ju 93 34 3736 37 38 39 no Hi Ha 45 uy 548 J. S. Szymanski: Das Resultat dieser Versuche lässt sich nun im allgemeinen folgendermaassen formulieren; Nach kurzer Zeit, seit dem Anfang des Versuches (meistens Bruchteile von einer Stunde) und nach ein bis vier Berührungen der umkippbaren Brücke erreichte bereits die Maus den Futtertisch. Fortan machte die Maus in der Regel mehrere Fressperioden durch, ohne die umkippbare Brücke zu berühren. Dann erfolgte wieder eine Berührung der umkippbaren Brücke und wieder einige aufeinanderfolgende Fressperioden (6—12 usw.) ohne die Berührung der umkippbaren Brücke; dann wieder eine Berührung der letzt- genannten Brücke und wieder einige Fressperioden usw. Dieser Zustand währte relativ lange Zeit (bis einige 20 Tage); . dann erfolgten mehr oder weniger plötzlich bis 100 Fressperioden ohne Berührung der umkippbaren Brücke. Die neue Gewohnheit war hiermit fixiert. Das erste Stadium im Verlaufe des Lernvorganges möchte ich als labiles Stadium der temporären Verknüpfung zwischen Reiz und Reaktion, das zweite Stadium als stabiles Stadium der temporären Verknüpfung zwischen Reiz und Reaktion bezeichnen. Die Resultate meiner Untersuchungen unterscheiden sich grund- sätzlich von den Resultaten der bisherigen Arbeiten auf diesem Gebiete. Wie die übliche „Lernkurve“ (Zeitkurve) zeigt, verläuft der Lernvorgang derart, dass das Lernen zunächst schnell, dann lang- samer vor sich geht. Dieser Verlauf des Lernvorganges besteht zweifelsohne in jenen Fällen, in denen das Tier bzw. der Mensch etwas erlernen soll, was von ihm entweder schwer zu rezipieren (Unterscheiden der Formen bei den Tieren usw.) oder aber schwer motorisch auszuführen ist („Kunst- stücke* der Tiere, Schreibmaschine erlernen beim Menschen usw.). Es war jedoch von vornherein zu erwarten, dass, falls das Tier eine Handlung erlernen sollte, deren Mechanismus sowohl in rezep- torischer wie auch in effektorischer Hinsicht seinen Lebensgewohn- heiten tunlichst vollkommen angepasst wäre, der Lernvorgang anders verlaufen müsste, vorausgesetzt, dass die Erlernung dieser Handlung ein grosses vitales Interesse für das Tier haben sollte. Denn bloss die Erlernung der letztgenannten Handlungen muss von wirklicher biologischer Bedeutung für das Tier sein! Wenn ein Tier einerseits eine solehe Handlung nicht bald er- Untersuchungen über den biol. richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 549 lernen würde, müsste es vielleicht zugrunde gehen; anderseits wäre es von Nachteil, wenn eine erlernte Handlung sogleich permanent das Gedächtnisfeld beherrschen sollte. Um nun zu den Mäusen, als Beispiel für diese Erörterungen, zurückzukommen, müsste das Tier verhungern bzw. öfters den elek- trischen Schlag (Schmerz!) zu spüren bekommen, wenn es nicht bald die richtige Brücke kennen lernen sollte. Und wenn die neue Hand- lung während einiger aufeinanderfolgender Fressperioden richtig aus- geübt worden war, so genügte dies vollkommen den Lebensinteressen des Tieres. Denn in der freien Natur findet das Tier das Futter selten längere Zeit auf gleicher Stelle. Wenn aber das Tier zur lange währenden Ausübung der Handlung gezwungen ist, fixiert sich schliess- lich die neue Gewohnheit definitiv. Auch für diesen letzteren Fall haben wir in der permanenten Nestlage ein Äquivalent für das dies- bezügliche Resultat unserer Untersuchungen. Vom biologischen Standpunkte aus ist die sogenannte instinktive Handlung für das Tier die wichtigste. Denn in diesen Fällen lässt der wirksame, biologisch wichtige Reiz die motorische Reaktion so- fort folgen. Je mehr die Entstehungsweise einer erworbenen Handlung sich dieser Grenze nähert, desto grössere Bedeutung muss sie für das Leben des Tieres haben. Also je weniger Versuche ein Tier machen muss, um die neue Verknüpfung zwischen Reiz und Reaktion her- zustellen, desto höhere biologische Bedeutung kommt dieser Ver- knüpfung zu. Wie wir gesehen haben, sind die Mäuse und wahrscheinlich andere Tierarten !) unter günstigen Umständen fähig, neue Ver- knüpfungen verblüffend rasch zu bilden. Möglicherweise liest die erste Andeutung dieser Fähigkeit in dem „biologischen Gedächtnis“, das sich selbst bei den niedersten Tieren darin äussert, dass sie sich überraschend schnell an neue Reize „an- gewöhnen“ können ?). 1) Dafür sprechen einige in der Literatur verstreute Beobachtungen über sehr rasche Erlernung neuer bzw. Modifikation der früheren Handlungen (Dahl, Morgan, Schaeffer u. a.). 2) Vgl. hierzu T. Kinoshita, Über den Einfluss mehrerer aufeinander- folgender wirksamer Reize auf den Ablauf der Reaktionsbewegungen bei Wirbel- losen, Mitt. 1-3. Pflüger’s Arch. Bd. 133 S. 501, und Bd. 140 S. 167 u. 19. N J. 8. Szymanski: 900 : N Anhang. Tabelle 1. ‘ PB; (88 Wievielmal| Wieviel = Ver- ist die Fressperi- : sH Datum suchs-| falsche | oden waren Versuchsanordnung e 2 tag | Brücke be- zu be- 3 rührt? obachten ? 1916 ! 1 1.— 2. Okt 3 0 10 Q 2.—3. „ 4 0 10 3.—4 „ 5 0 11 4.— 58... 6 0 ? OL 7 0 12 6:— U. 6) 0 a 1.8. „ 3 ) 11 8.—9 10 0 S) 9.—10. „ 11 0 17 10.—11. „ 12 0 11 2 | 11.—12. Okt. 1 5 14 I. Die linke Brücke um- d& | 12.13. , 2 1 8 kippbar, die rechte fest- 3.—14. „ 3 0 11 gemacht; der Schlitten- 14.19. , 4 0 7 apparat eingeschaltet (vom 15.—16. „ 5) 0 7 zweiten Versuch ab) 16.—17. Okt. | 6 3 8 II. Die rechte Brücke um- Ile 7 4 0 , |kippbar, die linke fest- 18.194 5 8 1 2 gemacht; der Schlitten- 19.—20. „ 5) 0 10 apparat eingeschaltet. Der 20.—21. „ 10 0 9 ,| Versuch 6 kommt nicht in 21.22. „ 11 0 9 Betracht! 2 cf III. Die linke Brücke um- ne n Ä kippbar, die rechte fest- 3.—24. , 13 0 10 Ä $ ; ? emacht; der Schlitten- DR, 14 0 6 5 BE + | | apparat eingeschaltet 25.—26. Okt. | 15 2 | B) IV. Die rechte Brücke um- 26.—27. „ 16 0 7 kippbar, die linke fest- 1.28. ,„ 17 0 7 gemacht; der Schlitten- 283.—29. „ 18 1 2 apparat eingeschaltet 29.—90. „ 19 0 8 Ar: u 20 0 12 3l. Okt. bis 1. Nov 21 1 8 1.— 2. Nov 22 0 8 2.— 93. „ 23 0 7. 3.—A4 „ 24 0 5 4.—5. „ 25 0 10 3.— 6. „ 26 0 6 6.— 17. „ 27 0 9 Is. 28 a) 8 8— 9 „ 29 0 8 9I.—10. „ 30 1 8 10.—11l. „ 3l 0 U 11.—12. „ 3 0 8 12.—13. , 33 0 8 Untersuchungen über den biol. richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 551 Tabelle 1 (Fortsetzung). ER Wievielmal | Wieviel =5 Ver- ist die Fressperi- =f=) Datum suchs-] falsche | oden waren za tag | Brücke be- zu be- =} rührt ? obachten ? Se a 1916 .2 1 13.—14. Nov. Ye USE 8 g I 14.—15. „ 35 0 8 15.—16. „ 36 0 7 16 > 11..2, 37 0 7 17.—18. „ 38 0 BT, 3 | 18.—19. Nov. | ı 3 | 3 | 12 [Die linke Brücke umkipp- 12 19.—20. „ 2 1 13 20.—21. „ 3 4 | 13 21-2. , 4 ? ? 22.—23. „ 5) 1 14 23.—24. „ 6 0 13 | 24.—25. „ 7 1 3 | 95-96. , 8 1 14 26.—27. „ 9 0 14 | 27-2. , 10 ? ? 28.—29. „ 11 ? ? 29. a 2 12 2 11 30. Nov. bis Pr | nn hıs 1 19 | 1.— 2. Dez 14 0 13 2— 3. „ 15 0 16 ; 3— 4 ,„ 16 0 18 | Bee. 17 N) 15 \ 3-6. „ 18 2 17 6.— 7. „ 19 0 15 j 1—8 ,„ 20 0 15 8— 9. „ 21 0 16 | 9I.—10. „ 22 0 16 j Ba 23 N) 18 11.—12. „ 24 1 13 | 12.—13. „ 25 0 14 > 13.—14. , 26 0 18 14.—15. „ Pause von 24 Stunden | 15.—16. „ 27 0 14 16.—17. „ 28 0 3 ; is, 29 ) 3 3 18.—19. „ 30 0 14 ; 19.-20. „ 3l 0 18 | 20.—21. „ 32 0 24 | 4 | 22.—23. Dez 1 7 9 2 2 0 11 j 24.—25. „ 3 0 10 & 25.—26. „ 4 2 12 x 26.—27. „ 5 0 11 5 An 8. 6 0 12 I 28.—29. „ 7 0 9 h 29.—30. „ 8 0 12 i 30.31. E 9 ) | 11 Dr. y ez. DIS . 1. Jan 1997 [70 \ | m K; 1.— 2. Jan. 11 1 ) I Versuchsanordnung ii Die rechte Brücke um- die linke fest- kippbar, gemacht; der Schlitten- apparat eingeschaltet Die linke Brücke umkipp- bar, die gemacht; rechte der fest- Schlitten- apparat eingeschaltet INT rechte Brücke um- die linke fest- kippbar, gemacht; der Schlitten- apparat eingeschaltet 952 J. S. Szymanski: ° Tabelle 1 (Fortsetzung). Re Wievielmal| Wieviel 23 Ver- ist die Fressperi- 5- Datum suchs-| falsche | oden waren Versuchsanordnung =E7 Brücke be:- zu be- a rührt ? obachten ? 5 6.— 7. Jan 1 8(?) 13 (?) |Die linke Brücke umkipp- 1.—8 „ 2 2 15 bar, die rechte festgemacht; 8— 9 „ 3 2.(?) 13 der Schlittenapparat ein- SEA 4 2 15 geschaltet 10.—11. „ b) 2 15 11.—12. „ 6 0 16 12.—13. „ ö 1 15 13.—14. , 8 1 16 14.—15. „ 9 2 17 £ 15.—16. „ 10 3 16 16.—17. „ 11 0 17 17.—18. „ 12 5 15 18.—19. , 13 1 13 19.—20. „ 14 2 14 20.—21. „ 15 3 14 21.—22. „ 16 1 13 22.—23. , 17 1 16 23.—24. „ 18 1 13 24.—25. „ 19 1 14 25.—26. „ 20 2 10 26.—27. „ 21 0 13 27.—28. , 22 1 11 28.—29. „ 23 1 16 29.—30. , 24 1 14 30 —3l. „ 25 1 11 1. Jan. bis 1 Fe [726 0 2 1.— 2.Febr. | 27 0 11 2.—3. „ 28 0 13 3— 4 ,„ 29 1 14 4.—5. „ 3 0 14 36. „ sl 0 15 6.— 17.) 32 0 13 1.— 8.5 33 0 14 8— 9. „ 34 0 14 9.—10. „ 39 0 14 Tabelle 2. Untersuchungen über den biol, richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 553 [os “u RR Re ee - -— Eu : oO | m " {er} ai ae el el S Der reoree |HHrHaHren | | |mrnr | | | 7 Amrum | om |H-Hmm |HHHmHaHmHmHmnmae ae 6 BETEN DIEESIEITEIEEENEN = ap) s|<& FEB esse | Aka Ur R a RAR Dee u! a el le elle -— N Ze p = © I ER El 2 Be TE a a ee ei — _ z TRETEN SR eu e|= | = Fe RE # AUT RT y Ye - Al. Rn RR al he! al rPr|i@ SE a EN [0 0} 7 EEE PREISEN L= an Rebel nella een (de) f 1m ® 2 iR a 2 RE & 4 er | | IHHmHmHmrm Hrn lm lo || Ion | + An E = 3 E nninininl leise SBERRBEESERERHEEEEE = ur * Ei r 3 . - ARE Denen Ru 1 3e} aster-oaora | Kun twowsorun-4norn Rn Fe) ae ee = Ser Bee ee a = Pe es er een nassen = ee Eee Hisssrung | HiRFESSESHNRÄHEER SOILLSOP m a J9umnN Tabelle 2 (Fortsetzung). .J. 8. Szymanski: S © m | - | |"„re- | || ||| rMrrmrmnrn | - Veh a De Te un ar ng =. = = | |- | | - Hmmm | ÄArrearen ze BEE 2. —_— ee ae | Pepe ze DL na & = ae me ERIENS en a comes | Hmmm ‚|H Hmmm \ Hrn en | men | mem | m 8D E er ı Alena len Ss ap) e au Ma tra role alallelksbaklal een = A | 77 EN BT a Ka as Bea N a ER el I De ale FRE — a ler label hl ee Erz el elek aan ih el ae Nee ee ee =: i BI - Et Me =) AR; 3 BOT RN WER EN Net > Klar As Ele el. Ber alle a 12-1 1-212-3 3-4 4-5|5-616-7 7-8|8-9 9-10 10-11 11-12 a I ee a a N ER LE en hier) ea ee 3 SEHEIEITERTESTEENEEN EEE = f ER Bi. | el alle era R R Se © = WAHBHOL-XOSDOHWAHWROS-@ | HUmDBOor-w -SUOnSIa A aa aauananannanmamnmnannmnmmm ua - = > an SSR a8 LE RR AREA TRS ON SEN = Eee Bi | = IcsgisissrussHhiniuscra | SSHayss S oz mem mm mem mm a Ho Kan Kos Kan Kan Kon | Ä Deore me ı STHHANAWISST-SSHTÄnynsr | Kosamwın an mr... 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Szymanski: Abend -|-- |- | |A HH HH Ham nanmmmnm | “nm 6-7|7-8)8-919-10| 10-11 11-12 meer mr, rer rer rm, rm rm rm, m, , m , m m, An r[M ——— ss nn er. ee md rm m m m, rm m m, m, m m, m m rm m mm.) rn m rm. mem m, rm m, m, m, m m, , m, m, m, m m mm | - - | I | | Ian |HrereHHHmen | | Nachmittag -|-| | | I" |" | |aHHmmHmHmHrmnmenm | m | a Nana za an a ae El | || |HHHHHHm | | | | |HmH-HrmrHm mm Vormittag 6-7 7-8 8-919-10 10-11 11-12] 12-1|1-2|2-3 3-4 4-5|5-6 9-6 194%] mm |HHmHmHmmnn | | | || | | |- FF | | Ir Hrn | I" | m Hr | |Hmaa Hemmer do Morgen A |A- HH HH Hamm naHmmam ı | IH m a a | m} | |mmrm HH ri I 19-1|1-2 9-3 3-4,4-5 se -STONSIAA Datum SIAOL], SOP JowunN HIN AHIST-OSISTHTNAATIOT-ONO AHrmmrmmmmHHmmma Untersuchungen über den biol. richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 557 Der ee 06 ze de nee pe ee 02 6 cl FZ Pd De 2 ) ze’ ze dar za ae a nıwn or or m I I THIOACUSN STIL) II-OT | 07-6 | 6-8 | 8-2 | 2-9 | 9-9 | 9-9 | 978 | 878 371 | TSSL I SI-IL: II-OL | 01-6 | 6-8 | 8-2 | 2-9 | 9-e | 0-9 | 9-8 | 8-5 | 0-1 pusqy SeyyıugoeN SEN ULIO A u9d1oN 5 o1T9geL cg v6 8 66 IE 08 9% 86 | -- Ball: | | | | er „ ||HHmHmHem FHrrmrHe | | ÄMrrmem \ HrrrmrmrmHmnm =aeesesen mm m m m nm |- Henne | Hmm Ze el | |- Ir | | - | | ÄArrHmHmHmrme Drrmarree . |HHHm-nm | NSS 9098 88 121 ae se Ne) 29. 89 73. 2. 9. 3. 10. 11. LO 71. 9. 11. 8. 16. 14. 90. 10. 75. - } 91. 104. 105. 106. 107. . 122. 123. 124. ul; 13. 2. 18. 4. 10. 26. and. 98. 28. 60. 76. 92. 108. 2. 12 J. S. Szymanski: Tabelle 4. Maus Nr. 3. Berl. a. ji. 26. 1. 9] {97 109 78. 94 125. 126. 4. veh 3. 4 52, 6 | 1. 5. 4. © 2 16. ige .l. 6.7. 22. 23, ao 1115 30. 46. 62. 68. 78. 79. Er Mr, 30. 46. 80. 8. 96. 97. a. En - ..110.. 111. 112. 110. 8. 24. 3. 16. 31. 98 9. 10. 25. 26. 83. 84. 59. 69. sl. 8. 99. 100. 101. 102. 114. 115. 116 Ban Er iken 86. 87. 32. 103. 119. 120. Untersuchungen über den biol. richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 559 Tabelle 4 (Fortsetzung). Maus Nr. 4 H" | Ber 0 0 I er MN SEO 8 Sr A Re Se Be 0) a a ee I ae Fe 15 16. 4. Sl 222023... 24.225: DOES DT 2er Dr 23 a. 6. 1 TERN TE Re ee | SEA LO EHI" ; 2 1.1920: 21.2993 DAS E51 120 7: S. 32. DIA SDRSDIE SE SIE SIE FAN ST A ADS: 10. 0248249527505 91,2520253. 94 Sn Sn ri ler 11. 63. 64. 69. 66.2407. 108. 20 ler 2 N er An Maus Nr, 5. 1. : 271, 000 a Bel IB ae En a De rc Se Eee 2, 2 nr te OT La ae Brandt i6 4. Be 0 friert. TE. 5. TEE TE: re RE SE RS a 5 6. Bu Sr Te SPAR ER aller 1. 1841951205027, 92,,2283. 7 24 HENRI 8. 2er 14-15 a a PETE Be EN oE 9. 2 137 14.13: IHM LIE LI, 20, FORT. 10. 8.9, 12.518. 141951 410° 2 11. Bl lan 3.4 ERHEBT 1% JA 516, 118.3.19 20,528: er 2 e 13. Es EN RE ER 6 Fre en Ar, er al ee 14. SERIEN 121: dar los Mer ke ler]. 15. er a 122 BA a OR en 16. BON BA 50er Br 2a TR a ee et a 19. 1.2, ab Erg] Ira ap EN er CR: Ber Ya Eee Den Rue 1 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. os 17. BP 12. 28. 44, 59, co ID 45. 46. 61. 82. 560 | J. S. Szymanski: Tabelle 4. Maus Nr. 4 (Fortsetzung). ch, 20. I 2. Kino AD. le oe 11. 125 19 50 202 21, Du A nes 1. 008.0 9.2102 112.213, 145 Ar Aloe ans: 225 23. 19. 20.4.2122 11.2 22. 08 a 8.89.5310. 30% 24, 12.215.914 019: ,16..119:..182..190) 20.221] ER 2. A ee 25% BE ARE NEON DT RAB 0 IE LO! ler lag er ll ld Er 26. 27: 19. 20] Ja AN. Di Org LO Rot 28. 14.24159216.. 172..1810194202u21.9 2202232022. 25.1262 .202982.090: 29, an Bl, SEE BR ee a ee 38..,89,,,40.. 41. 42: V191..22, 03 30. - Tele IR LO 21415. Ta er lo 31. 90.218092: 93.0941 7795.796,, 27 108: DIR 30331 Ba ae 32. ” 33. 36. 837. 38. 39. 40. 41. 42, 48. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 34. Mer sa 53. 54. 592.96. 91.2383 299,060: 61:0.620265: 64. ‚ 65. 66. 35. ' 6682692 Aa lO TS: 2192.80..812 82% 33. 84.85 86. 872 88 :89290..91. 92. Tabelle 5. Wieviel aufeinander- N Nummer der . a aufeinanderfolgenden ent en ; Berührungen der e ht.ohnedi falsch ie falschen Brücke |"Brücke zu berühren? 3. 1 3 2 6 3 12 4 12 5 -0 6 1 7 6 8 14 9 17 2 ? 10 9 11 28 12 7 13 4 14 52 ? ? 7 2 15 7 16 m 3 m [0,0) re DS (of) Untersuchungen über den biel. richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 561 Tabelle 5 (Fortsetzung). Wieviel aufeinander- En, folgende Fressperioden Nummer einanderfolgenden hat die Maus durchge- des Tieres Berührungen der | macht, ohne die falsche falschen Brücke RE Te N a zu berühren ? 4. 1 1 (berührte die um- 2 0) kippbare Brücke 3 0 immer nur, bevor sie 4 6 den Futtertisch er- 5 0 reicht hatte) 6 0 7 So. 8 6 ) 69 10 _ 1 0 2 1 3 2 4 3 5 4 6 3 7 % 6 0) 6 ) 7 10 0 11 ? 12 8 13 14 14 0 15 24 16 15 3 17 20 18 0 19 15 20 2 21 7 22 25 23 0 24 0 25 0 26 5 27 5 28 18 29 7 \ 30 2 31 9 32 0 33 4 34 17 "35 15 36 13 37 13 38 ) 39 22 40 21 41 4 42 20 43 42 44 32 362 J. S. Szymanski: T vo Tabellei I er belle 6. Nummer der Die laufenden ee Fress- Nummer | aufeinanderfolgenden | Nummern der ganzen | perioden zwischen zwei ds Berührungen der Serie von den Be- aufeinanderfolgenden falschen Brücke, bevor | rührungen (entspricht | falschen Berührungen Tieres die Maus den Futter- | der zweiten Rubrik hat die Maus durch- tisch erreicht raus der Tabelle) ‚gemacht? - >. il 1 wen ame. i 2 2 3 3 2 4 5 5 7 2 6.(?) 8 70) 9 r 8 15 e ee Een 18 D. 1 1 a Ne Deere 2 2 3 3.() 4 2 4 6 € 5.(?) 7 6 & 7 9 80) 17 20 9 18 49 10 23 0 11 24 0 12 25 0 13 36 5 14 27 5 15 28. 18 16 29. 7 17.0) 30 11 18 33 21 19 39 28 20 37 214 Tabelle 7. r Sun Er d “ Die laufendeu Wieviel Fress- Nummer Pperch a er Nummern der ganzen | perioden zwischen zwei des Falschen Brück Banssch: Serie von den Be- aufeinanderfolgenden : demdie Maus den rührungen (entspricht | falschen Berührungen Tieres neiertisch 1 der zweiten Rubrik | hat die Maus durch- HUeZ lie Beer der Tabelle) gemacht? B: 1 2 4 12 3 6 7 3 8 14 4.(?) 9 17 5 10 9 6) 11 28 7 12 7 8 13 4 9 14 89 10 16 7 11 17 219 u Untersuchungen über.den biol. richtigen Verlauf des Lernvorganges usw. 563 Tabelle 7 (Fortsetzung). Nummer der aufeinanderfolgenden Nummer Berührungen der. des falschen Brücke, nach- Tieres dem die Maus den Futtertisch verlassen wolle \ der Tabelle) gemacht ? SIT TE TEE TEE TER EZ ERTEERTET BEE BESCHERT ER TTE 9. 1 3 2 2.0) + 3 3 5 7 4(?) 7 19 5 10 0 6 11 2 % 12 6) 8 13 14 9 14 0 10 15 24 Le 16 15 12 (2) 17 20 13 19 15 14 20 2 15 21 7 16 22 60 170) 30 2 18 ol 1) 19 32 4 20 34 32 21 36 26 22 38 0 > 3 22 24 40 21 25 41 4 26 42 20 , 27 43 42 28 44 92 Die laufenden Nummern der ganzen Serie von den Be-, rührungen (entspricht der zweiten Rubrik Wieviel Fress- perioden zwischen zwei aufeinanderfolgenden falschen Berührungen hat die Maus durch- 564 H. Straub: {Aus der I. medizinischen Klinik der Universität München.) x . Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. Von . N Dr. H. Straub, Privatdozent. - (Mit 4 Textfiguren.) Eine zureichende Analyse der mechanischen Bedingungen der Herzarbeit lässt sich durchführen, wenn es gelinst, Spannung und Länge des Muskelelements in jedem einzelnen Zeitabsehnitt der Herzrevolution richtig darzustellen. Dies geschieht im Anschluss an die Darlegungen von OÖ. Frank durch gleichzeitige Verzeichnung von Druck und Volum einer Herzhöhle als Funktion ‘der Zeit. Der wahre Verlauf der Druckkurve liess sich durch Verwendung nach Frank'’schen Prinzipien konstruierter optischer Manometer von zu- reichender Güte ermitteln!). Die Volumkurve ergab sich durch Integration ihres photographisch registrierten Differentialquotienten, des „Tachogramms der Herzkammerbasis“ ?). Die so gewonnenen Kurven gestatten nunmehr, die Grösse der vom Herzen geleisteten Arbeit und die Umstände, unter denen diese Arbeit geleistet wird, in der Form eines geometrischen Modells darzustellen. Eine voll- ständige Darstellung der Herztätiekeit wird gegeben durch eine räumliche Kurve, deren drei Koordinaten der Druck, das Volum und die Zeit sind. Die bekannte Druckkurve ist dann die Projektion der räumlichen Kurve auf die Druck-Zeitebene, die Volumkurve ihre Projektion auf die Volum-Zeitebene. Eine unmittelbare Darstellung des Wertes der Arbeit und der Art der Arbeitsleistung ergibt aber die Projektion der Raumkurve auf die dritte. Ebene, die Druck- 5 A k 4 £ 1) H. Straub, Der Druckablauf in den Herzhöhlen. Der Mechanismus der Herztätigkeit. Pflüger’s Arch, Bd. 143 8.69. 1911. 2) H. Straub, Das Tachogramm der Herzkammerbasis. Deutsches Arch, f. klin. Med. Bd. 118 S. 214. 1915. “ Das Arbeitsdiagramm ‚des Säugetierherzens. \ 565 Volumebene. Die so dargesteilte Arbeitsfläche nennen wir mit Frank!) in Anlehnung an eine in der Thermodynamik gebrauchte Be- zeichnung das Arbeitsdiagramm des Herzens. Dieses Arbeitsdiagramm, _ das den Druck als Funktion des Volums darstellt, lässt sich mit dem ' von Frank für das Froschherz konstruierten Herzindikator 2) direkt aufschreiben. Für das Säugetierherz hat sich diese Anordnung bisher nicht in eine den Anforderungen völlig genügende Form bringen lassen, weshalb der etwas umständlichere Weg der geometrischen Konstruktion des Arbeitsdiagramms aus der Druck- und Volumkurve gewählt wurde. Die Wichtigkeit der Darstellung des Arbeitsdiagramms - ist von Frank betont worden, weil bei getrennter Betrachtung des Druckes und Volums als Funktion der Zeit wichtige Beziehungen der beiden Kurven leicht übersehen werden. Bei der Konstruktion des Arbeitsdiagramms des Säugetierherzens macht sich der Umstand störend bemerkbar, dass die Volumkurven der beiden Kammern nicht getrennt verzeichnet werden können. Da sieh die Arbeitsbedingungen der beiden Kammern unabhängig voneinander ändern können, verlangt eine erschöpfende Darstellung die Konstruktion getrennter Diagramme für die rechte und linke Kammer. Solange getrennte Volumkurven nicht zur Verfügung stehen, sind der Erkenntnis enge Grenzen gesetzt. Manche Tat- sachen lassen sich trotzdem ermitteln. Sobald stationäre Kreislaufs- verhältnisse herrschen, müssen die Schlagvolumina beider Kammern einander gleich sein. Das Schlagvolumen einer Kammer ist also die Hälfte der verzeichneten Volumamplitude. Aber die feineren Einzel- heiten im Ablauf der Volumkurve des rechten und ‚linken Herzens, namentlich die Neigungswinkel an verschiedenen Stellen, sind sicher nicht durchaus identisch, denn sie werden beeinflusst durch ausserhalb - des Herzens gelegene Momente, wie die Änderung der Höhe der Überlastung, der Beschaffenheit des arteriellen Widerstandes, des venösen Drucks. Dennoch kann aus dem Umstande, dass die Druck- kurven der beiden Kammern, wie auch die arteriellen Pulse rechts und links in allen wesentlichen Merkmalen vollkommen überein- 1) ©. Frank, Die Grundform des arteriellen Pulses. Zeitschr. f. Biol. ‚Bd. 37 8. 483. 1899. 2) O0. Frank, Die Arbeit des Herzens und ihre Bestimmung durch den Herzindikator. Sitzungsber. d. Gesellsch. f. Morpnol. u. Physiol. in München H.3 8.147. 1898. 566 H. Straub: stimmen, und dass alle charakteristischen Punkte entsprechender Kurven sich zeitlich genau entsprechen, gefolgert werden, dass auch die Unterschiede der. beiden Volumkurven nur geringfügige sind, deren Vernachlässigung keinen sehr erheblichen Fehler einführt, um so mehr, als die Zugehörigkeit einer beobachteten Änderung zu der Volumkurve der rechten oder linken Kammer häufig aus den Versuchsbedingungen mit grosser Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann. Die Bestimmung des Nullpunktes der Volumachse freilich ist auf dem gewählten Wege unmöglich, weil die Volum- kurven dureh Integration erhalten wurden, wobei die Integrations- konstante unbekannt ist. Da nun die Integrationskonstante für jede einzelne der ver- zeichneten Volumkurven verschieden ist, so ist nicht nur der Null- punkt der Volumachse unbekannt, sondern auch die Beziehung der räumlichen Lage verschiedener verzeichneter Volumkurven. Dürfen wir, wie das bei Änderungen des Schlagvolumens der Fall ist, an- nehmen, dass die räumliche Lage der systolischen Minima der Volum- kurven nur unwesentlichen Änderungen unterliegt!), so ist die räum- liche Anordnung mehrerer, unter verschiedenen Bedingungen erhaltener Arbeitsdiagramme annähernd möglich. Haben wir, wie zum Beispiel bei Änderungen des Widerstandes, keine solehen Angaben über die Integrationskonstante, so bleiben die räumlichen Beziehungen der Arbeitsdiagramme -in der Richtung der Volumachse unbestimmt. Die verschiedenen Diagramme können parallel der V-Achse beliebig verschoben werden. Aus diesem Grunde ist die für das Froschherz mit so grossem Erfolg durchgeführte Konstruktion von Dehnungskurven der Maxima und Minima für das Säugetierherz zurzeit in exakter Weise undurchführbar. Aber schon von der Darstellung des Arbeits- diagramms einer einzelnen Herzrevolution ist eine wesentliche Förderung der Erkenntnis zu erwarten. Fig. 1 gibt in der in der darstellenden Geometrie üblichen Weise das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens wieder. Ermittelt wurden die der Figur zugrunde liegenden Werte aus derselben Kurve, die in 1) H. Straub, Dynamik des Säugetierherzens. I. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 115 S. 531. 1914. — H. Straub, Über den kleinen Kreislauf. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 121 S. 394. 1917. — H. Straub, Zur Dynamik der Klappenfehler .des linken Herzens. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 121 S. 156. 1917. 2“ LEN, Das Arbeitsdiagramm des Säugetierberzens. 567 2 - 4 N 2 Fig. 1. (Erklärung siehe auf umstehender Seite.) 568 H. Straub: Erklärung zur Fig. 1. Konstruktion des Arbeitsdiagramms. Darstellung in drei Ebenen: I —=-Druck-Zeit-Ebene.. Die Projektion der Raumkurve auf diese Ebene ist die Druckkurve. — II = Volum-Zeit-Ebene. Die Projektion der Raumkurve auf diese Ebene ist die’ (durch Integration des „Tachogramms der Herzkammerbasis“ erhaltene) Volumkurve. — III = Druck-Volum-Ebene. Die Projektion der Raumkurve auf diese Ebene ist das Arbeitsdiagramm. Die Querstriche der Kurve des Arbeitsdiagramms grenzen Strecken ab, die in gleichen Zeiten (V/ıoo Sek.) durchlaufen werden. Die Kurve wird entgegen dem Sinne des Uhrzeigers umkreist. In Ebene I rechts oben Skizze des Druckverlaufs bei stark. ausgesprochener Aortenöffnungszacke. Fig. 1 der Arbeit über das Tachogramm der Herzkammerbasis!) abgebildet ist. Zur genaueren Analyse wurde die Orieinalkurve mit dem Projektionsapparat stark vergrössert gezeichnet und die Messungen an der so erhaltenen Vergrösserung ausgeführt. Die Raumkurve, die der vollständige Ausdruck der Arbeit ist, ist auf drei zueinander senkrecht gestellte Ebenen projiziert gezeichnet. Auf der Ebene I, der Druck-Zeit-Ebene, ergibt sich als Projektion die registrierte Druckkurve. Die Koordinaten dieser Kurve sind der Druck und die Zeit. Auf die Ebene II, die Volum-Zeit-Ebene, deren Koordinaten das Volum und die Zeit sind, projiziert sich die räum- liche Kurve als Volumkurve, die durch Inteeration des Tachogramms erhalten wurde. Die Projektion auf die Ebene III, die Druck-Volum- Ebene, deren Koordinaten Druck und Volum sind, ist das Arbeits- diagramm. Es wird konstruktiv ermittelt, indem die Lage synchroner Punkte der Druck- und Volumkurve nach dem Verfahren der dar- stellenden Geometrie auf die Druck-Volum-Ebene projiziert wird. Fig. 1 gibt nach den Regeln der darstellenden Geometrie eine vollkommene Anschauung der Raumkurve, die der geometrische Aus- druck der der Analyse zugrunde gelegten Herzrevolution ist. Wir haben uns diese Raumkurve so vorzustellen, dass sie in Schrauben- windungen aus der Ebene III aufsteigend, entgegen dem Sinne des Uhrzeigers, einen Zylinder umkreist, der über dem Arbeitsdiagramm als Basis errichtet wird. Die Steilheit des Anstieges der Schrauben- touren ist aus dem Arbeitsdiagramm nur in Kombination mit einer der beiden anderen Kurven direkt zu ermitteln. Sie ist keine gleich- mässige, da die einzelnen Strecken des Arbeitsdiagramms mit sehr verschiedener Geschwindigkeit durchlaufen werden. Eine Vorstellung | der Steilheit des Anstiegs der Schraube kann jedoch auch das Arbeits- diagramm vermitteln, wenn in demselben die in der gleichen Zeit 1)H. Straub, Das Tachogramm der Herzkammerbasis. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 118 S. 220. 1915. 3; ne a tn Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 569 durehlaufenen Strecken abgegrenzt werden. So wurden in Fig. 1 die in je "/ıioo Sekunde durchlaufenen Kurvenabsehnitte durch Querstriche abzeerenzt. Man erkennt nun, dass die beiden isometrischen, der P-Achse nahezu parallelen, fast geradlinigen Kurvenabschnitte mit grosser Geschwindigkeit durchlaufen werden. Der Anstieg der Schraube ist also hier wenig steil. Die beiden verbindenden Kurven- teile werden viel langsamer durchmessen, um so langsamer, je mehr sie der Richtung der V-Achse parallel verlaufen. Zum Teil hängt dies natürlich mit dem gewählten willkürlichen Maassstab der P- und V-Achse zusammen. Das geht besonders daraus hervor, dass ‚dem Gipfelteil der Druckkurve, wo die Änderung des Drucks mit der Zeit ein Minimum aufweist, das Maximum der Änderung des Voluns mit der Zeit nahe benachbart ist. Docn würde auch dureh mächtige Vergrösserung des Maassstabes der V-Achse der Unterschied nicht vollständig verschwinden. Ganz besonders kleine Kurven- abschnitte werden aber durchlaufen in dem unteren Kurvenstück des Arbeitsdiagramms, von #—A. Hier ist also der Anstieg der Schrauben- windung ganz besonders steil zu denken. An dieser Stelle sind in der Tat Minimum der Änderung des Druckes (Ebene I) und des Volums (Ebene II) mit. der Zeit unmittelbar benachbart, so dass die Geschwindigkeit, mit der das Arbeitsdiagramm durchlaufen wird, durch keine Änderung des Maassstabes beeinflusst wird. Unter stationären Bedineunrgen ist das Arbeitsdiagramm eine eeschlossene Kurve, da nach Ablauf einer Herzrevolution das Herz . wieder in den ursprünglichen Zustand zurückkehren muss. Die in der Ebene III abgebildete Kurve wird während jeder Herzrevolution einmal entgegen dem Sinne des Uhrzeigers umkreist. Wie man sieht, umkreist die natürliche Zuckung des Säugetierherzens eine Fläche, deren Grenzen an zwei Stellen, während der Anspannungszeit und während der Verschlusszeit, nahezu parallel der P-Achse, d. h. nahezu isometrisch verlaufen. Die erste dieser isometrischen Strecken, A—B, entspricht der Anspannungs-, die zweite, D— FF‘, der Verschlusszeit. Die Strecke B—.D, die der Austreibungszeit entspricht, verläuft zur Abszisse konkav, die Strecke #—A, die Füllungszeit, zur Abszisse konvex. Beide entfernen sich gleich erheblich von isotonischen und isometrischen Be- dingungen. Namentlich ist hervorzuheben, dass die Kurve der Aus- treibungszeit auch nicht annähernd isotonisch verläuft, während das Ende der Fülluneszeit sich isotonischem Verlauf, parallel zur V-Achse, wenigstens einigermaassen annähert. 570 H. Straub: Bei näherer Betrachtung ergeben sich bemerkenswerte Einzel- heiten. Beginnen wir die Besprechung mit dem Beginn der An- spannungszeit, bei A. Wir sagten, die Strecke A—B5, die der An- spannungszeit entspricht, verläuft nahezu parallel der P-Achse, das heisst nahezu isometrisch, nahezu ohne Volumänderung. Bei genauerer Betrachtung sehen wir aber, dass dies nicht völlig zutrifft. Es stellen sich nämlieh, wie schon die Volumkurve gelehrt hatte !), während der. Anspannungszeit Volumverschiebungen in der Ebene der Atrio- ventrikularklappen ein, die wir auf den Einwärtszug der Papillar- muskeln einerseits, auf die ausbauchende Wirkung des steigenden Kammerdrucks andererseits bezogen hatten. Vielleicht darf dem noch hinzugefügt werden, dass der muskuläre Klappenring, an dem die Atrioventrikularklappen ansetzen, sich mit Beginn der Kammer- systole verengert, wodurch Verschiebung der zentralen Teile der Atrioventrikularklappen ventrikelwärts ebenfalls begünstigt werden muss. Daher rührt die häufig, so auch im vorliegenden Falle, be- obachtete geringe Volumzunahme der Kammern während der An- spannungszeit, die Abweichung des Arbeitsdiagramms von dem rein isometrischen Verlauf. - Die Austreibungszeit reicht von B bis E. Zunächst steigt der Druck noch sehr erheblich an, bis der Abfluss in die Kapillaren erst gleich; dann grösser wird als der Zufluss aus dem Herzen in die Aortenwurzel. Ein grosser Teil, im vorliegenden Fall etwa drei Fünftel des ganzen Schlagvolumens, werden bei sinkendem Druck ausgeworfen. Die Kurve des Arbeitsdiagramms weist keinen glatten Verlauf auf. Vielmehr sind offenbar besonders deutlich während der Zeit steigenden Drucks, von B bis C, aber unverkenn- bar auch noch von € bis D, Schwingungen auf die Grundkurve auf- gesetzt. Diese Schwingungen, die zeigen, dass die Änderungen des Drucks denen des Volums nicht durchaus gleichsinnig verlaufen, sind typische Eigenschwingungen der in Bewegung gesetzten Massen, die sich also nicht nur in der Aortenwurzel geltend machen, sondern sich auf den Ventrikelinhalt fortpflanzen oder vielmehr schon im Ventrikelinhalt ihren Ausgang nehmen. Aus dem Kurvenverlauf ergibt sich, dass der Ventrikeldruck zunächst über den zur Über- windung des Aortendrucks nötigen Wert hinausschiesst, bis die 1) H. Straub, The diastolic filling of the mammalian heart. Journ. of Physiol. vol. 40 p. 378. 1910. Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 571 träge Masse des Blutes in der Kammer in Bewegung gesetzt wird. Während dieser Zeit steigt der Druck noch stärker an, die Volum- abnahme ist gering. Der ganz genaue Zeitpunkt der Aortenklappen- öffnung wird für die hier zugrunde gelegten besonders genauen Zeit: messungen unscharf. Er ist zu suchen zwischen dem Punkte B und ‘dem Maximum der als s, bezeichneten Schwingung. Das Hinaus- schiessen des Kammerdrueks über die notwendige Höhe führt häufie zur Ausbildung der zuerst von Piper!) beschriebenen Zacke im aufsteigenden Schenkel. der Druckkurve (siehe Skizze rechts oben, Fig. 1). Nun erst kommt die Blutmasse in Bewegung. Vermöge ihrer Trägheit schiesst auch die Bewegung etwas über das Ziel - hinaus, das Volum nimmt sehr rasch ab, die Kurve des Arbeits- diagramms biegt scharf von der P-Achse weg in die Richtung der V-Achse um, im Arbeitsdiaeramm entsteht ein Wellental. Diese Phase kann in der Druckkurve sogar zu einer Senkung des Druckes führen, wenn die besprochene Zacke der Kammerdruckkurve scharf ausgesprochen ist. In solehen Fällen ist dann auch‘ im Arbeits- diagramm an Stelle der Welle s, ein scharfer Knick vorhanden. Sehr häufig, so auch im vorliegenden Fall, macht sich jedoch die Trägheit nicht so hochgradig bemerkbar, es kommt daun auch in der Druekkurve nur zu einer leichten Einbiegung zur Zeit der Aorten- klappenöffnung. Die Schilderung der Ereignisse während der Aorten- klappenöffnung führt nun auch zu schärferer Bestimmung der zeit- lichen Lage der Öffnung in Beziehung zu der Druckkurve. Bisher war nur zu sacen, dass die Klappenöffnung um die Zeit der ersten Schwingung der Druckkurve erfolst. Die kleine Skizze, in Fig. 1 rechts oben, gibt den Verlauf der Druckkurve während der frag- lichen Zeit, wie sie sich bei ausgesprochener Ausbildung der Zacke darstellen würde. Man erkennt aus der Skizze, dass die Zacke eine merkliche Zeit in Anspruch nimmt. Die Aortenklappenöffnung ist nun nach dem eben Gesagten während des Kurvenverlaufs zwischen « und v© anzunehmen. Von v bis w ist dann das erste Maximum der Ausströmungsgeschwindigkeit zu suchen, während dessen der Druck in der Kammer durch eine Art Wasserstrahl-Pumpenmecha- nismus sogar fallen kann. Diese Stelle entspricht im Arbeitsdiagramm dem Wellental zwischen s, und s.. Nun sind Eigenschwingungen der 1) H. Piper, Die Blutdruckschwankungen ‘in den Hohlräumen des Herzens und in‘den grossen Gefässen. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1912 S. 343: 572 | H. Straub: in Bewegung gesetzten Massen ausgelöst, die sich über die ganze Austreibungszeit geltend machen. Zunächst steigt der Kammerdruck wieder stärker an, es kommt zur Anfangsschwingung der Kammer- und Aortendruckkurve. Da gleichzeitig die Strömungsgeschwindiekeit wieder abnimmt und kurz nach der Anfanssschwingung der Druck- kurve ein Minimum erreicht, muss im Arbeitsdiagramm ein zweiter Wellenberg "sich ausbilden, Ss. Zu- dieser Zeit nähert sich die Richtung der Kurve wieder mehr der der P-Achse. Der Mecha- nismus wiederholt sich, im Arbeitsdiagramm sehen wir noch eine ganze Anzahl solcher Wellen sich folgen. Einem Wellental folgt die dritte Welle s, in diesem Falle sehr nahe dem Gipfelteil des Dia- eramms. Auch im absteigenden Schenkel lassen sich noch die Wellen s, und s; mit grosser Wahrscheinlichkeit ausmitteln. Die Ausbildung dieser Wellen ist in verschiedenen Knrven sehr ver- schieden deutlich, doch finden sich Andeutungen derselben wohl immer. Von, Wichtigkeit ist, die Schwingungszahl dieser Eigen- schwingungen zu ermitteln. Im aufsteigenden Schenkel, von S, biS S3, beträgt die Länge einer ganzen Welle, wie aus den eingetragenen Zeitmarken zu ersehen ist, fast genau 0,02 Sek. Im absteigenden Sehenkel werden die Abstände der Wellenberge offensichtlich grösser. Da die Wellenlänge der Eigenschwingungen von der Elastizität und der Masse abhängt, kann sie; wenn die Grösse eines dieser Faktoren bekannt ist, zur Ermittlung des anderen dienen. Die Zunahme der Wellenlänge im absteigenden Schenkel des Diagramms könnte be- zogen werden auf Verminderung des Elastizitätskoeffizienten. Auch bei Einbeziehung eines grösseren Bereichs des elastischen Systems der Gefässe ist kaum wahrscheinlich, dass dieser Faktor zur Er- klärung der starken Verlängerung der Wellendauer ausreicht. An eine Zunahme der Masse wird man nur dann denken können, wenn man annimmt, dass innerhalb des Herzens zunächst nicht die ganze Blutmasse in Schwingung gerät, sondern nur die der Aortenöffnung unmittelbar benachbarte bzw. in der Aortenwurzel enthaltene, und dass nun die schwingende Masse allmählich mit steigender Füllung der Gefässe zunehme. Diese Annahme hat sicher etwas Gezwungenes, um so mehr, wenn man hedenkt, dass wachsende Blutmengen in die Kapillaren abfliessen. Man wird deshalb in Erwägung ziehen müssen, ob nicht die Frequenz der Eigenschwingungen im ab- steigenden Schenkel des Arbeitsdiagramms gestört wird durch rück- läufige Wellen im Arteriensystem. Die Frage, ob solche Wellen > N Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 573 existieren, hat bekanntlich noch nicht endgültig beantwortet werden, können. Gegen Schluss der Austreibungszeit wird die Blutbewegung immer mehr verlangsamt, während die Druckkurve steil abfällt. Das Arbeitsdiagramm biegt in eine der P-Achse fast parallele Richtung ein. Während des sehr langen Stücks des Diagramms, das _ etwa von D bis E reicht, findet eine nennenswerte Blutbewegung nicht mehr statt, obgleich der Zeitpunkt des vollzogenen Klappen- schlusses erst bei E anzusetzen ist. Eine geringfügige Volumzunahme der Ventrikel weist, wie schon bei Besprechung der Volumkurve hervorgehoben, auf den Rückfluss der zwischen den Segelklappen liegenden Blutmengen in den Ventrikel hin. Nur ein kurzes Stück, von E bis F, verläuft das Arbeits- diagramm isometrisch. Dann aber, schon hoch oben, von der Ab- szisse weit entfernt, beginnt das Volum zuzunehmen, sobald die Kammerstauungswelle des Vorhofdrucks höhere Werte aufweist als der Kammerdrüuck. Dies beweist, dass die Füllung beginnt, lange ehe die Kontraktion beendigt ist. Zunächst erfolgt das Einströmen, die Umbiegung des Arbeitsdiagramms, ziemlich langsam, solange der Druck in der Kammer noch hoch ist; bald aber biegt die Kurve mehr und mehr in die Richtung der V-Achse ein. Während der Vorhof- systole, die einen deutlichen Druckzuwachs bringt, verläuft das Dia- eramm vorübergehend parallel der V-Achse, also isotonisch. Ja, es kann sogar eine Druckzunahme auch in der Kammer auftreten, das Diagramm ansteigen. Während des Restes der Füllungszeit sind die Druckänderungen gering, auch die Volumänderungen vermindern sich mehr und mehr. In gleichen Zeiten werden. nur noch sehr kurze Strecken des Diagramms durchlaufen. Aber bis zum Schluss der Füllungszeit verläuft das Arbeitsdiagramm noch gegen die Abszisse absteigend, ein Beweis für die nicht vollständige Erschlaffung des Ventrikels. Wäre dessen Muskulatur in völlige Ruhe übergegangen, so müsste bei zunehmender Füllung das Diagramm der Dehnungs- kurve des ruhenden Herzens folgen, das von der Abszisse ansteigt. Die Tatsachen, die sich aus den bisher beschriebenen Eigen- sehaften des Arbeitsdiagramms ergeben, hatten sich im wesentlichen schon bei getrennter Betrachtung der Druck- und Volumkurve er- mitteln lassen. Die Bedeutung der Konstruktion des Arbeits- diagramms liegt in dem Umstand, dass es ein vollkommener Aus- druck der gesamten potentiellen Energie ist, die bei einer Herz- 574 H. Straub: revolution betätigt wird. Die von dem Herzen während eines. Schlages geleistete Arbeit ist gleich der Fläche, die von der ge- schlossenen Kurve der Arbeitsdiagramms umgrenzt wird, wenigstens was den wichtigsten Teil dieser Arbeitsleistung anbetrifft, die Schaf- fung von potentieller Energie [Frank!)]. Mathematisch gesprochen ist also das Integral des Arbeitsdiagramms der Ausdruck der Herz- arbeit. Der rechäerische, vollständige Ausdruck dieser Arbeit ist nach a | A— JPAr— I ar+ a — +R+A+W 1 II = a at! In dieser Gleichung stellt der erste Summand I die potentielle, dem Blut mitgeteilte Energie dar. II ist die potentielle Energie, die bei der einfachen elastischen Zusammenziehung wieder frei würde, ohne dass der Ventrikel in tätigen Zustand versetzt worden wäre. Ill ist die in der Aortenwurzel vorhandene kinetische Energie, IV der Rest kinetischer Enereie, den das Biut beim Einströmen in den Ventrikel schon besass, soweit er in dem Kreislauf des Blutes Verwendung finden kann. V ist die Energie zur Überwindung der Reibungswiderstände im Ventrikel selbst, VI die potentielle und kinetische Energie, die bei Bewegung der kleinsten Teile der _ Ventrikelmuskulatur aufgewendet wird, soweit sie nieht in Form von Wärme primär auftritt, und VII die Wärme. Der siebente Summand, die Wärme, dessen Kenntnis für eine vollständige Darstellung der Thermodynamik des Herzmuskels not- wendig wäre, bleibe im folgenden unerörtert, da wir uns auf die Darstellung der Mechanik beschränken. Anhaltspunkte zur Analyse des fünften und sechsten Summanden fehlen bisher fast vollständig. Ihre Vernachlässigung bedingt keinen erheblichen Fehler. Die wichtigsten Summanden sind der erste und zweite. Die geo- metrische Repräsentation des ersten ist die Fläche, die einerseits von den zu V, und V, gehörigen Druckordinaten begrenzt wird, anderer- seits von der V-Achse und der Druck-Volumkurve der Systole von A bis E. Der zweite Summand wird dargestellt durch die Fläche, die dureh dieselben Druckordinaten, die V-Achse und die Dehnungs- kurve (Druck-Volumkurve) des ruhenden Ventrikels begrenzt wird. 1) 0. Frank, Die Grundform des arteriellen Pulses. Zeitschr. f. Biol. Bd. 37 S. 483. 1899. / Das Arbeitsdiagsramm des Säugetierherzens. < 575 Diese Dehnungskurve, deren Verlauf für das Säugetierherz sich bis- her nicht ermitteln lässt, sei in Analogie mit den von Frank am Frosehherzen gefundenen Verhältnissen in durchaus hypothetischer Weise durch die Kurve @—.A dargestellt. Der dritte Summand lässt sich aus dem Tachogramm ermitteln. Wie man sieht, wird durch die bisher umgrenzten Flächen die geometrische Figur unseres Arbeitsdiagramms nicht vollständig um- schrieben, vielmehr bleibt noch eine Fläche unberücksichtigt, die dureh die Druckordinaten von V, und V,, die Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels, von G bis 4, und durch die Kurve des Arbeitsdiagramms während der Diastole, begrenzt wird. Auch dar- auf hat Frank!) schon hingewiesen, dass die Zustände bei der Wiederausdehnung nicht immer oder selten der Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels folgen.‘ Fig. 1 zeigt aufs deutliehste die Hocheradigkeit dieses Unterschiedes, dessen Vernachlässigung bei der Berechnung der Herzarbeit einen sehr erheblichen Fehler bedingt. Gerade die so begrenzte Fläche ist von grosser theoretischer Bedeutung. Das Minimum an äusserer Arbeit, das notwendig ist, um den Ventrikel vom Zustand am Ende der Systoie bis zu dem Volumen P, wieder zu füllen, führt isometrisch entlang der zu V, gehörigen Druckordinate bis @ (hypothetischer Punkt!) und von da auf der Dehnungskurve der Minima des ruhenden Herzmuskels. Dieser Weg ist nur dann ganebar, wenn die Füllung beginnt, nachdem der Herz- muskel in völligen Ruhezustand übergegangen ist. Die Arbeit, die auf diesem Wege an dem Ventrikel während der Diastole geleistet wird, ist repräsentiert durch die Fläche, deren Begrenzung die V-Achse, die Druckordinaten von V, und V, und die Dehnungskurve G—H darstellen. Diese Arbeit ist also’ identisch mit dem zweiten Summanden unserer Gleichung, der die durch die Elastizität des ruhenden Muskels wieder zu gewinnende Arbeit ausdrückt. Würde also der Weg E—-F—G—H in unendlich langsamer Zeit durch- laufen, so würde es sich um einen reversiblen Prozess in dem strengen Sinne handeln, in dem dieser Begriff in der Thermodynamik gebräuchlich ist. Die potentielle, dem Ventrikel so erteilte Energie ist reversibel, das heisst in ihrem ganzen Betrag unter Ausnützung der elastischen Eigenschaften des Ventrikels wiederzugewinnen. 1) 0. Frank, Die Grundform des arteriellen Pulses. Zeitschr. f. Biol. Bd. 37 S. 518. 1899. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 38 576 H. Straub: : Das Arbeitsdiagramm zeigt unmittelbar, dass diese in reversibler Form geleistete Arbeit nur einen kleinen Teil der gesamten während der Diastole am Ventrikel geleisteten Arbeit ausmacht. Der Grund hierfür liegt einmal in dem Umstand, dass die für reversible Prozesse notwendigen unendlich langen Zeiten für die Verhältnisse des. natür- lichen Kreislaufs nicht zu Gebote stehen, dass vielmehr die Füllung in verhältnismässig kurzer Zeit vollendet sein muss. Aber auch in irreversibler Weise, während verhältnismässig kurzer Zeiten, wäre die Energietransformation auf demselben Wege E—-F—G—H annähernd denkbar, wenn der Prozess mit einer Wärmetönung verläuft. Immer noch wäre dabei Voraussetzung, dass die Arbeit gegen den ruhenden Herzmuskel geleistet wird. Die Tatsache, dass das Arbeitsdiagramm nicht der Dehnungs- kurve des ruhenden Herzmuskels,-. sondern. der Kurve F—A folst, belehrt uns also darüber, dass während. der Diastole die Kontraktion noch nicht beendet ist, dass ein Kontraktionsrückstand besteht, gegen den Mehrarbeit geleistet werden muss, wenn der Ventrikel gefüllt werden soll. Wie gross die Mehrarbeit ist, ergibt sich aus den Integralen der beiden Wege von V, bis Y,, das heisst aus den Flächen, die von der Abszisse, den Druckordinaten und den beiden Kurven begrenzt werden. Da die Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels G—H hypothetisch ist, lassen sich genaue Zahlen- angaben über die gegenüber dem Minimum erforderliche Mehrarbeit nieht geben. Doch ergibt sich aus Fig. 1, dass im vorliegenden Falle die während der Füllungszeit am Ventrikel zu leistende Arbeit dadurch nahezu verdoppelt wird, dass sie gegen einen Kontraktions- rückstand und nicht gegen den ruhenden Herzmuskel geleistet wird. Die Energie, die während der Diastole dem Ventrikel von aussen zugeführt wird, stammt zum Teil von früheren Systolen: der anderen Kammer her, soweit sie nicht durch die Reibungswiderstände der Gefässbahn während des Kreislaufs in Wärme umgesetzt, zum kleinen Teil auch zur Leistung anderweitiger Arbeit in Anspruch genommen wurde. Der messbare Ausdruck dieser vom Venensystem her zugeführten Energie ist der Venendruck. Zum zweiten stammt Energie, die dem Ventrikel zugeführt wird, aus der Vorhofsystole. Durch die Kräfte, die so während der Diastole eine irreversible Energietransformation bewirken, wird eine Blutbewegung gewähr- leistet. Durch die Teilung der Herzrevolution in zwei Phasen, Systole und Diastole, muss die kinetische Energie des während der ca ae Bi, Ze ie A Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 577 Diastole einströmenden Blutes, die im Blutkreislauf Verwendung finden soll, die also durch den vierten Summanden der Arbeits- gleichung ausgedrückt wird, in potentielle Energie umgesetzt werden. Das Arbeitsdiagramm, das die bei der Herzrevolution auftretenden Änderungen der potentiellen Energie vollständig enthält, gibt also auch den vierten Summanden der Arbeitsgleiehung wieder, nicht ge- trennt, sondern enthalten in der Arbeitsfläche, die während der Diastole am Ventrikel geleistet wird. Wir können uns die Betrachtungsweise deshalb erleichtern, wenn wir die Trennung der versehiedenen Summanden, die mit neeativem Vorzeichen versehen in der Arbeitsgleichung enthalten sind, mit Ausnahme des sechsten, unterlassen und alle diese Sum- manden in einem zusammenfassen, wenn wir also an Stelle des zweiter und vierten Summanden einen neuen Setzen, dessen mathe- V, matischer Ausdruck dann ist: —/g(V)adaV. Wenn w(V) der ur- Y, sprünglichen Frank’schen Gleichung die Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels darstellt, so ist g(V) die Kurve F—A des Arbeits- diagramms während der Füllungszeit. Der geometrische Arasdiüse der sämtlichen negativen Summanden, die wir in dem einen — f o(V)aV zusammengefasst haben, ist dann die 'von der Abszisse, de Druck- ordinaten von Y, und V, und der Kurve F—-A begrenzte Fläche. Aus dem Umstande, dass das Arbeitsdiagramm am Ende der Diastole noch immer einen gesen die Abszisse absteigenden Verlauf besitzt, schliessen wir, dass auch zu diesem Zeitpunkt der Kon- traktionsrückstand noch nicht vollständig beseitigt ist. Denn wäre die Muskulatur in vollkommene Ruhe übergegangen, so müsste der Verlauf des Arbeitsdiagramms fast vollkommen mit der Dehnungs- kurve des ruhenden Ventrikels zusammenfallen, um so mehr, weil die Blutbewegung, also die kinetische Energie, die das Arbeits- diagramm von dieser Kurve entfernen könnte, um diese Zeit ziem- lich gering geworden ist. Dieser Tatsache haben wir in Fie. 1 dadurch Rechnung getragen, dass wir den Punkt 7 nicht mit dem Punkte A zusammenfallen liessen. Die Erkenntnis, dass die Minima - der natürlichen Zuckung des Säugetierherzens in der Regel nicht auf der Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels liegen, hat ihr Analogon in der Feststellung Frank’s, dass die Dehnungskurve der iso- tonischen Minima des Froschherzventrikels bei niedrigen Füllungs- ; 38 * 578 H..Straucbe- drucken mit den Dehnungskurven des ruhenden Herzens nicht zu- sammenfallen. Frank hat darauf hingewiesen, welch grosse Be- deutung diese Tatsache hat für die Analyse der diastolischen Wir- kung zahlreicher Eingriffe, besonders der Vagusreizung und der Wirkung von Digitalis. Frank hat gezeigt, in welch irrtümlicher Weise meist der Begriff des Tonus verwendet wurde in Nicht- beachtung dieses bedeutungsvollen Unterschiedes der Dehnungs- kurven der Minima unter verschiedenen Arbeitsbedingungen. Unsere Beobachtung hat aber auch eine Bedeutung: für die Analyse der Dynamik der Systole. Wissen wir doch, dass der Ver- lauf der Systole in ihrer ursprünglichen Anlage eindeutig bestimmt wird von der Beschaffenheit des Herzmuskels und von den Anfangs- bedingungen, unter denen der Muskel steht. Es ist also keineswegs gleichgültig, ob die Systole vom Punkte A oder H des Arbeits- diagramms beginnt. Von inotropen Wirkungen eines Eingriffs zu sprechen, geht so lange nicht an, als die Analyse der Anfangs- bedingungen unter dem Einfluss des Eingriffs nicht durchgeführt ist. Für das Säugetierherz ist eine solehe Analyse bisher nicht einmal versucht worden. - Alles, was über inotrope Wirkungen gesagt wurde, muss deshalb als unbewiesen betrachtet werden und bedarf der Nachprüfung. J Noch ein weiterer Punkt ist zu berücksichtigen. Nicht nur Anfangsspannung und Anfanesfüllung, deren Beziehungen das Arbeits- diagramm ausdrückt, bestimmen die Zuckung, sondern auch der Zustand des Muskels. Dieser ist nun mit Sicherheit ein verschiedener, je nachdem der Kontraktionsrückstand der vorhergehenden Kontraktion ein grosser oder geringer ist. Solange die Kontraktion auf ihrer Höhe ist, verhält sich der Ventrikel deshalb neuen Reizen gegen- über refraktär. Trifft der Reiz während des absteigenden Schenkels der Kontraktionskurve, so wird die Zuckung um so kleiner, je höher. oben der Reiz eintrifft. Daher stammt zum guten Teil der geringe Arbeitseffekt der vorzeitig einsetzenden Extrasystole. Man vergegen- wärtige sich, dass ein Kontraktionsrückstand während der ganzen oder doch während des grössten Teils der Diastole besteht, und man wird die Bedeutung dieser Tatsache auch für den Verlauf der rechtzeitig einsetzenden Systole würdigen. Nehmen wir an, eine Substanz wirke auf den Kontraktionsrückstand während der Diastole ein, indem sie die Dauer seiner Wirkung verlängert oder verkürzt, so werden wir verstehen, dass diese Substanz eine „positiv oder negativ Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 579 inotrope“ Wirkung auf die nächste Systole ausüben muss, rein durch Beeinflussung der Erschlaffung. Da wir von den Digitalissubstanzen, um nur ein Beispiel zu nennen, wissen, dass sie die Kontraktions- kurve in ihrer Dauer verlängern!) so werden wir im vorliegenden Zusammenhang mit einem Male verstehen, weshalb es unter der Wirkung der Dieitalis zum Auftreten von Alternans und schliess- lich von Halbrhythmus kommen muss. Das sollte bei pharma- kologischen Analysen nicht. vergessen werden. In solchen Fällen von Hypodynamie oder Adynamie zu sprechen, wäre unberechtigt. Die Darstellung des diastolischen Verlaufs des Arbeitsdiagramms halten wir deshalb für solche Analysen für unerlässlich. Auf die klinische Bedeutung dieser Feststellungen werde ich in einer späteren Arbeit zurückkommen. Die Tatsache, dass die Kontraktion während des grössten Teils oder während der ganzen Dauer der Diastole noch anhält, ist aber nicht nur für die Dynamik der folgenden Systole von Wichtigkeit, sondern auch für den Vorgang der Füllung selbst. Je länger die Diastole dauert, desto mehr wird sich das Arbeitsdiagramm der Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels nähern. Verläuft das Diagramm auf dieser Dehnungskurve, so ist zwischen Vorhof- und Kammerinhalt ein Gleichgewichtszustand erreicht, der nur dadurch gestört wird, dass von den Venen her neues Blut zufliesst. Solange aber das Arbeitsdiagramm noch nicht die Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels erreicht, wird bei Verlängerung der Diastole ein Mehr- zufluss nicht nur durch Druckerhöhung im Vorhofgebiet herbeigeführt, sondern auch durch Drucksenkung in der Kammer infolge der zu- nehmenden Erschlaffung. Der Blutzufluss zur Kammer wird also mit Verlängerung der Diastole desto länger ein erheblicher sein, je grösser der Kontraktionsrückstand ist und je langsamer er schwindet. Von dem Ablauf der Kontraktionskurve während der Diastole wird es also abbängen, ob eine Frequenzänderung das Zeitvolumen günstie. oder ungünstig beeinflusst. In der Klinik hat man sich vielfach angewöhnt, die Zeitdauer der Kontraktion mit derjenigen der Systole gleich zu setzen, sehr mit Unrecht, wie die angestellten Überlegungen zeigen. In pharma- kologischen Betrachtungen andererseits wird wenigstens für das 2 1) W. Straub, Über die Wirkung des Antiarins am ausgeschnittenen sns- pendierten Froschherzen. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 45 S. 346. 580 H. Straub: Froschherz die Systole häufig nur bis zum Zuckungsgipfel gerechnet, von da ab die Diastole gezählt. Eine klarere Definition der ge- brauchten Begriffe erscheint hier notwendig. Das hat nicht nur theoretische Bedeutung. A. Hoffmann!) hat bekanntlich aus der von ihm als gesetzmässig angesehenen Beobachtung, dass die T-Zacke des Elektrokardiogramms mit der Systole endige, den Schluss ziehen wollen, dass diese Zacke das elektrische Äqui- valent der Kontraktion sei. Erinnern wir uns, dass die Kon- traktion stets die Systole überdauert und meist auch die ganze Diastole einnimmt, so werden wir Hoffmann’s Erklärung nicht zustimmen können, die auf einer Verwechslung von Systole und Kontraktion beruht. Der Einfluss des Schlagvolumens auf das Arbeitsdiagramm. Die in Fie. 3 der Tachogrammarbeit?) abgebildeten Druck- und Volumkurven gestatten die Konstruktion der zugehörigen Arbeits- diacramme. Der Nullpunkt der Voiumordinate ist, wie besprochen, für jedes dieser Diagramme unbekannt, ihre gegenseitige Lage jedoch mit grosser Wahrscheinlichkeit durch den Umstand bestimmt, dass sich der Ventrikel trotz wechselnden Schlagvolumens bei gleichem arteriellen Widerstand immer auf ziemlich genau dasselbe Maass ent- leert®). Der Irrtum in den Lagebeziehungen der verschiedenen Arbeitsflächen ist deshalb nur ein geringer. Der Verlauf der Arbeits- diagramme entspricht im wesentlichen durchaus dem geschilderten. Die Kurven (Fig. 2) steigen (rechts) nahezu isometrisch während der Anspannungszeit an. Während der Austreibungszeit sind besonders schön und deutlich die dem Kurvenverlauf aufgesetzten Eigen- schwingungen des in Bewegung gesetzten Systems zu erkennen, am deutliehsten in den Kurven 2—4, etwas weniger ausgesprochen bei 1 und 5. Von dem Momente der Aortenklappenöffnung bis zum Druckmaximum sind in den einzelnen Kurven ziemlich genau gleich viele Schwingungen erkennbar. Da die Zeit, die diese Phase der 1) A. Hoffmann, Zur Deutung des Elektrokardiogramms. Pflüger’s Arch. Bad. 133 S. 552. 1910. 2) H. Straub, Das Tachogramm der erskamuenats Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 118 S. 214. 1915. 3) H. Straub, Dynamik des Säugetierherzens. I. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 115 S. 531. 1914. BR Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 581 Herzrevolution in Anspruch nimmt, durch Vergrösserung des Schlag- volumens nur unbedeutend oder nicht beeinflusst wird), werden also in gleichen Zeiten gleich viele Schwingungen ausgeführt (bis zur ‘Grenze der Messfehler). Abgrenzung gleicher zeitlicher Intervalle in den Diagrammen bestätigt dies. Zwei Faktoren beeinflussen die Schwingungszahl, einmal die in Bewegung gesetzte Masse. Da sie dureh Vergrösserung des Schlagvolumens offensichtlich wächst, muss durch ihre Wirkung die Schwingungszahl herabgesetzt werden. Andererseits wird aber der zweite Faktor, die Elastizität, durch Vererösserung des Schlagvolumens zunehmen, da die Arterien stärker sefüllt und gespannt werden. Die Schwingungszahl wird dadurch erhöht werden. Die zwei antagonistischen Faktoren kompensieren sich offenbar in ihrer Wirkung ziemlich weitgehend. Dass in Kurve 1 die Eieenschwingungen weniger deutlich hervortreten, er- klärt sich wohl aus der sehr geringen in Bewegung gesetzten Masse. In Kurve 5 andererseits trägt wohl die starke Beanspruchung der Elastizität des Gefässgebietes durch die starke Füllung dazu bei, die Ausbildung der Schwingungen zu mildern. Im zweiten Teile der Austreibungszeit, der bei sinkendem Drucke verläuft, verlaufen die Arbeitsdiagramme mit wachsendem ‘Schlagvolumen immer mehr kreisbogenförmig, indem sie immer weniger steil in die der Druckachse parallele Richtung abbiegen. So kommt es, dass der der Austreibungszeit entsprechende Kurven- ‚anteil bei wachsendem Schlagvolum jeweils den aller bei kleinerem Schlagvolumen gezeichneten Diagramme umschliesst. Nur die bei grösstem Schlagvolumen gezeichnete Kurve 5 macht eine Ausnahme. ‘Sie biegt steiler nach der Abszisse ab und durchschneidet die anderen Diagramme. Dies ist offenbar kein Zufall, denn auch eine Schar von Arbeitsdiagrammen, die auf Grund der weniger genauen Volumkurven ‚der Fig. 10 der Arbeit über die Dynamik des Säugetierherzens') konstruiert wurde, zeigt bei grösstem Schlagvolumen dieselbe Eigen- tümlichkeit. Dass sich in dieser Erscheinung eine beginnende mus- kuläre Insuffizienz dokumentiere, ist wohl kaum anzunehmen. Viel- mehr sind offenbar, da durch die künstlichen Kapillaren in der ‚Zeiteinheit nur beschränkte Blutmengen abfliessen können, die künst- lichen Arterien an der Grenze ihres Fassungsvermögens angelangt, wodureh gerade im späteren Verlauf der Systole, bei maximaler 1)H. Straub, Dynamik des Säugetierherzens I |. c. 5832 H. Straub: Füllung der Arterien, der Entleerung grosse Widerstände erwachsen müssen, Rah ; Vor Schluss der Semilunarklappen zeigen sämtliche Diagramme deutlich die geringe Volumzunahme durch Rückfluss der zwischen den Klappen liegenden kleinen Blutmassen. Immerhin scheint die zurückfliessende Menge mit wachsendem Schlagvolum merkbar zu- zunehmen, vielleicht, weil die Klappen durch den grossen Blutstrom vollständiger an die Wand der Aortenwurzel angeleet und deshalb: weniger rasch geschlossen werden. Nachdem die Kurven eine mehr oder minder lange Zeit iso- metrisch, parailell der Druckachse, verlaufen sind, öffnen sich die Atrioventrikularklappen, die Füllung beginnt. Die Druckhöhe, bei der die Klappenöffnung erfolgt, hängt von dem Vorhofdrucke zur Zeit der Kammerstauungswelle ab; sie ist deshalb niedrig bei kleinem, hoch bei grossem Schlagvolumen, entsprechend den ver- schiedenen während der Kammersystole im Vorhof gestauten Blut- massen. Auch der Grad der durch das Abfliessen der Kammer- stauungswelle des Vorhofs bedingten Volumzunahme der Kammer ist bei wechselndem Schlagvolumen entsprechend verschieden, wodurch der Neigungswinkel der Arbeitsdiagramme an dieser Stelle wechselt. Bei den Kurven 2—4 macht sich der ’Abfluss der gestauten Blut- massen in einer ziemlich scharfen Eindellung des Diagramms be- merkbar, während des Abflusses ist die Volumveränderung erheblich, - die Druckänderung bescheiden, der Kurvenverlauf nähert sich der Abszissenrichtung. Nach Abfluss der gestauten Welle fällt das Dia- srammı zunächst wieder steiler nach der Abszisse zu ab. In Kurve 1 ist die Delle der Kammerstauungswelle wenig deutlich wegen der sehr geringen überhaupt in Frage kommenden Blutmengen. In Kurve 5 sind die zufliessenden Blutmassen so gross, dass der Ein- fluss der Stauungswelle sich weit in die späteren Zeiten der Diastole hineinerstreckt, dass die Welle spät und sehr allmählich verebbt,. Sehr anschaulich lehren die Arbeitsdiagramme, wieviel grösser die gegen den erschlaffenden Ventrikel geleistete Füllungsarbeit bei grossem als bei kleinem Schlagvolumen ist, indem die Diagramme immer höher oben die Druckordinate, die dem kleinsten Volumen zugehört, verlassen und: sich immer weiter von dieser Ordinate entfernen. An dieser Stelle verlaufen also die Arbeitsdiagramme im Gegensatz zu dem bei der Austreibungszeit Beobachteten so, dass die Arbeits- flächen der kleineren Schlagvolumina die der grösseren umschliessen. Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 583 Die Druckkurven des der Fig. 2 zugrunde liegenden Versuchs biegen während des Endes der Diastole viel mehr in die horizontale Richtung ab als bei Fig. 1. Daher kommt es, dass die Arbeits- diagramme schliesslich fast vollkommen isotonisch verlaufen. Offen- bar nähern sich also diese Diagramme mehr der Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels. Dass diese Dehnungskurve die Ten- Km. = denz hat, langsam von der > Abszisse aufzusteigen, geht vor allem daraus hervor, dass der diastolische Minimaldruck mit wachsendem Schlagvolu- men merkbar, wenn auch nur um geringe Beträge ansteigt!). Von Interesse ist es, zu erfahren, in welchem Ver- hältnis die vom Ventrikel mit wachsendem Schlagvolum zu bewältigende Arbeit wächst. Da die Kurven im selben Maassstab gezeichnet sind, sind die Werte unter sich ver- eleichbar, wenn auch nicht in absolutem Maass ausdrück- bar. Die Schlagvolumina der Kurven 1—5 wachsen im Verhältnis von 1:2,22:2,88: 3,28:4,00. Die von den Kur- ven chen en nn at een die das Maass der geleisteten Schlagvolumen. potentiellen Energie dar- stellen, wachsen gleichzeitig im Verhältnis 1: 2,64 :3,60 : 4,14 : 5,06, also viel rascher. Das vierfache Schlagvolumen verlangt die mehr als fünffache potentielle Enereie. Auch die kinetische Energie des aus- strömenden Blutes wächst rascher als die ausgeworfenen Blutmengen. 1)H. Straub, Dynamik des Säugetierherzens. I. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 115 8.531. 1894. — H. Straub, Über den kleinen Kreislauf. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 121 S. 394. 1917. 584 | H. Straub: ‚dmo;? Ihr Ausdruck ist $ In dieser Summation wächst die Masse m proportional dem Schlagvolumen. Gleichzeitig wächst aber, wie das Tachogramm lehrt, auch die Geschwindigkeit v sehr beträchtlich, da ja der Querschnitt der Ausflussöffnung derselbe bleibt. Dass die er- forderte potentielle Energie schneller wächst als die Schlagvolumina, rührt davon her, dass die Austreibuneszeit nicht isotonisch verläuft. Je mehr sie sich von isotonischen Arbeitsbedingungen entfernt, desto rascher wächst die erforderliche potentielle Energie. Die Abweichung von der isotonischen Arbeitsleistung hängt im wesentlichen von der Kapazität, das heisst der Dehnungskurve der Gefässe ab. Je weniger nachsiebig diese sind, desto rascher muss die Arbeit bei zunehmendem Schlagvolumen wachsen. Diese Feststellung ist von Interesse für die Dynamik des linken Ventrikels bei Arteriosklerose. Der Einfluss des Widerstandes auf das Arbeitsdiagramm. Arbeitsdiagramme bei verschiedenen Widerständen liessen sich konstruieren auf Grund der Druck- und Volumkurven der Fig. 4 der Tachogrammarbeit!). Die Unkenntnis bezüglich der Integrations- konstanten macht sich bei dieser Konstruktion insofern störend be- merkbar, als die verschiedenen Arbeitsdiagramme parallel der Volum- achse beliebig verschoben werden können. Die so sehr wünschens- werte Konstruktion von Dehnungskurven der Maxima und Minima gelingt auf diesem Wege deshalb nicht. Doch ist auch der Vergleich der Arbeitsflächen an sich von Interesse. In Fie. 3 sind die Arbeits- flächen angegeben, die den Kurven 1, 3, 4 und 5 der genannten Fig. 4 der früheren Arbeit entsprechen. Die Kurve 2 blieb wegen der bestehenden Mitralinsuffizienz unberücksichtist. Der auf der rechten Seite der Diagramme ansteigende Anteil der Anspannungszeit weist besonders bei der höchsten Kurve sehr deutlich eine doppelte Schwingung auf, die das Widerspiel der an den Atrioventrikularklappen während der Anspannungszeit wirksamen Kräfte besonders hübsch illustriert. Die Eigenschwingungen der Austreibungszeit sind nur bei der kleinsten Kurve 1 undeutlich, bei allen anderen ausgesprochen. Der Beginn der Füllung zeichnet sich bei Kurve 1 durch eine sehr allmähliche Entfernung von der iso- 1) H. Straub, Das Tachogramm der Herzkammerbasis. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 118 S. 214. 1915. a a 1a a a a aa nn 1 een Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 585 metrischen Verlaufsrichtung aus. Wissen wir doch, dass bei geringem ‚arteriellem Widerstand der Vorhofdruck sehr niedrig ist. Desto mehr macht sich in dieser Kurve die Wirkung der Vorhofsystole geltend, die sogar zu einem deutlichen Ansteigen des Kammerdruckes in späten Phasen der Füllungszeit führt. In den Kurven 3, 4 und 5 EP: Pamde Nass. - nma-nasao- an ann annanse- nase nanane V Fig. 3. Kurvenschar von Arbeitsdiagrammen bei steigendem Widerstand. tritt die Wirkung der Kammerstauungswelle hervor in einer mmer ausgesprocheneren Kniekune des Diagramms aus der isometiischen Verlaufsriehtung heraus. In Kurve 4 und 5 entstehen dadurch fast winklige Einbiegungen am Anfang und Ende der Kammerstauungs- welle. Die Vorhofsystole macht sich in allen Kurven durch eine zweite Eindellung mehr oder weniger deutlich erkennbar. Ent- r 586 H. Straub: sprechend der Verbreiterung der Druckkurven mit wachsendem Wider- stand ist der Kontraktionsrückstand bei den Kurven 3—5 am Ende der Diastole noch ein sehr erheblicher, die Arbeitsdiagramme sind noch weit entfernt von einem isotonischen, geschweige denn von einem der Dehnungskurve des ruhenden Muskels entsprechenden langsam ansteigenden Verlauf. Die Minima liegen also hoch über der Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels. Der Einfluss des Widerstandes auf die zu leistende Arbeit ist im vorliegenden Versuch nicht ganz eindeutig bestimmbar, weil mit wachsendem Widerstand die Koronarzirkulation und damit das ge- samte Schlagvolumen ziemlich stark gewachsen ist. Die kinetische Energie (III. Summand der Arbeitsgleichuns;) darfals einigermaassen un- verändert angesprochen werden, da trotzdem weder die Masse, noch, nach Ausweis des Tachogramms, die Geschwindigkeit in der Aortenwurzel® erheblich geändert wird. Die maximalen systolischen Druckwerte der vier Kurven sind 89, 158, 175 und 205 mm Hg., die Arbeitsflächen verhalten sich wie 1:2,51:3,22:4,27. Zieht man aber in Betracht, dass die Schlagvolumina sich verhalten wie 1:1,37:1,57:1,77, so wird man ° einen grossen Teil der Mehrarbeit durch die Vergrösserung der Schlagvolumina erklären müssen. Man kommt dann zu der An- schauung, dass die zu leistende Arbeit annähernd proportional den maximalen systolischen Druckwerten gewachsen ist, eher etwas. langsamer als die Druckwerte.. Den Grund lehrt uns Fig. 3. Die Integrale der Systole, das heisst die von dem systolischen Anteil des. Arbeitsdiagramms, den dem maximalen und minimalen Volum zu- gehörigen Druckordinaten und der Abszisse begrenzten Flächen, wachsen ziemlich genau proportional den Druckmaxima. Von diesem Integral sind jedoch die mit negativem Vorzeichen versehenen Sum- manden der Arbeitsgleichung abzuziehen, welche die während der Diastole gegen den Ventrikel geleistete Arbeit repräsentieren. Die durch diese Arbeit dem Ventrikel zugeführte Energie wächst mit wachsendem Widerstand wegen der Erhöhung der Anfangsspannung.. Ihr geometrischer Ausdruck ist die Fläche, die von dem diastolischen Anteil des Arbeitsdiagramms einerseits, den dem maximalen und mini- malen Volum zugehörigen Druckordinaten und der Abszisse anderer- seits begrenzt wird. Wenn also die Arbeit eher langsamer wächst als die Druckmaxima, so liest dies daran, dass der Subtrahent, eher etwas rascher wächst als die Druckwerte. Ob dies eintrifft, hängt offenbar vom Verlauf der Dehnungskurven und vom Grade des Kon- \ Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 587 traktionsrückstandes ab. Vermehrter Kontraktionsrückstand durch Verbreiterung der Druckkurve, die wir bei wachsendem Widerstand festgestellt haben, wird offenbar die Grösse des Subtrahenten in dem besprochenen Sinne beeirflussen. Die hier verwendete geometrische Betrachtungsweise zeigt, wie gross der Fehler bei der üblichen Arbeitsberechnung des Herzens ist, bei der der mittlere Druck der Austreibungszeit mit dem Volum multipliziert wird. Diese Berechnung entspricht dem ersten Sum- manden der Arbeitsgleichung und lässt den Subtrahenten unberück- sichtigt. Die so berechneten Arbeitswerte fallen für Kurve 1 um etwa 150, für Kurve 3—5 um 17—18°/o zu hoch aus. Über die Dehnungskurven der Maxima und Minima der Zuckung des Herzens im Kreislauf. In den vorangehenden Kapiteln wurde ausgeführt, dass die Lage- beziehurgen unserer, unter Verwendung der durch Integration des Tachogramms ermittelten Volumkurven, konstruierten Arbeitsdia- gramme wegen Unkenntnis der Integrationskonstante unbekannt sei, weil bei der Darstellung der Volumkurven durch Integration der Tachogramme die Integrationskonstante sich um unbekannte Beträge ändere. Darum war es unmöglich, die Gesetze dieser Lagebeziehun- sen durch Darstellung der Dehnungskurven der Maxima und Minima zu erkennen. Die Schwieriekeit kann überwunden werden durch direkte Verzeichnung von Volumkurven. Leider steht uns bisher _ keine Methode zu Gebote, die die grossen und raschen Volum- schwankungen eines Säugetierherzens zugleich mit den Druck- schwankungen in technisch möglicher Weise zureichend genau ver- zeichnet. Die Seifenblasenmethode!) lässt sich sehr schwer bei eleichzeitiger Druckregistrierung anwenden, auch stört die Ver- gänglichkeit des Materials. Über die Lage ausgezeichneter Punkte verschiedener Arbeitsdiagramme im Druck-Volum-Koordinatensystem können wir uns jedoch eine annähernd richtige Vorstellung machen auf Grund von Kurven, die mit primitiverer Technik am Russ- kymographion verzeichnet wurden, wenn diese Kurven Angaben enthalten über den Druckablauf in der Aorta, über den Vorhofdruck und über die Volumschwankungen der Kammern. Da wir den Vor- ]) H. Straub, The diastolic filling of the mammalian heart. Journ. of Physiol. vol. 40 p. 378. 1910, 388 H. Straub: EOPFe =. nn. nn nn ..n uno. =. 2m en nn en ee eEEEEREEEEEESESEEE SEES EEE EEE EEE -— =... .. ...u | V Fig. 4. Kurvenschar von Arbeitsdiagrammen bei steigendem Widerstand, 1—3 bei kräf- tigem Muskel, £—7 nach Schädigung durch Extrasystolen. — Konstruktion von Dehnungs- kurven der Minima (oben, in zehnfach ver- grössertem Maassstab der Druckordinaten) und der Maxima. — Beachte, dass durch Schädi- gung des Muskels die Dehnungskurve der Minima nicht beeinflusst, die der Maxima gesenkt wird. _ hofdruck als einen annähern- den Ausdruck des diaste- lischen Minimaldrucks der Kammer ansehen dürfen, kennen wir die Koordinaten folgender Punkte: des Be- sinns der Anspannungszeit (Koordinaten: diastolisches Volum und Vorhofdruck), des Beginns der Austreibungs- zeit (Koordinaten: diasto- lisches Volum und Aorten- öffnungsdruck), des Druck- maximums unter der An- nahme, dass um diese Zeit knapp die Hälfte des Sehlag- volums ausgeworfen ist (Ko- ordinaten: Mittellage des Volums zwischen Systole und Diastole,. Aortendruckmanxi- mum); schliesslich gibt das systolische Volum den Ver- lauf des iSometrischen Stücks der Verschlusszeit. Fig. 4 enthält eine Schar solcher in etwas roher Weise konstruierter Arbeitsdia- eramme der linken Kammer bei konstantem Schlagvolu- men und wechselnden Wider- ständen. Die Diagramme sind dargestellt auf Grund von Kurve 3 der Arbeit über den kleinen Kreislauf‘). Bei der Konstruktion ist die Voraus- 1) H. Straub, Über den kleinen Kreislauf. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 121 S. 394. 1917. Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 5389 setzung gemacht, dass die verzeichneten Volumkurven, da sie das Volum beider Kammern enthalten, jedesmal der Ausdruck des doppelten Schlagvolums sind. Die Schlagvolumina einer Kammer wurden deshalb als die Hälfte der verzeichneten Volum- schwankungen berechnet, da es sich ja jeweils um stationäre Kreislaufs- verhältnisse handelt. Die Vergrösserung des systolischen Rückstandes, die sich in Veränderungen des systolischen Volums ausdrückt, wurde da- gegen ausschliesslich auf den linken Ventrikel bezogen, da wir wissen, dass durch Widerstandserhöhung in der Aorta die Dynamik des rechten Herzens nicht erkennbar beeinflusst wird. Diese Volumveränderungen wurden also in ihrem ganzen Betrag für den linken Ventrikel in Rechnung gesetzt. Die auf diesem Wege erhaltenen sieben Arbeits- diagramme entsprechen sieben Abschnitten der Kurve 3 der früheren Arbeit. Diagramm 1 entspricht dem Abschnitt vor 1, Diagramm 2—= dem Abschnitt vor 2, Diagramm 3 — dem Abschnitt vor 3 usw., Diagramm 7 ="dem Abschnitt nach 6. Es hatte sich gezeigt, dass- die Kurvenabschnitte bis 3 bei tadellos arbeitendem, muskelkräftigem Herzen aufgeschrieben waren, dass aber bei 3 infolge von Auftreten mehrerer Extrasystolen die Muskelkraft dauernd beeinträchtigt wurde. Dementsprechend sind in Fig. 4 die mit durchgehenden Linien ge- zeichneten Diagramme 1—3 von muskelkräftigem, die punktierten Kurven 4—7 von einem in seiner Muskulatur geschädigten Herzen gewonnen. Man erkennt aus der Kurvenschar der Fig. 4, dass der Einfluss- der Schädigung der Muskulatur im wesentlichen in einer Verschiebung des Arbeitsdiagramms parallel der Volumachse sich ausdrückt, dass also vom Ventrikel fast absolut identische Arbeit geleistet wird, nahezu ausschliesslich unter Verschiebung der Volumeinstellung. Man vergleiche zu diesem Zweck die Diagramme 1 und 7. Betrachten wir nun den Verlauf der Dehnungskurven der Maxima und Minima! ' Die Dehnungskurve der Minima ist eine Kurve, die durch die dem Beginn der Anspannungszeit entsprechenden Punkte der Kurven-- schar .gelest wird. Im Vorangehenden wurde ausgeführt, dass diese Dehnungskurve der Minima der Zuckung des Herzens im Kreislauf mit der Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels nicht zusammen- fällt, wenn am Ende der Diastole noch ein Kontraktionsrückstand besteht. Da die Druckangaben der in die Vorhöfe eingebundenen Wassermanometer zur Konstruktion der Fig. 4 in Millimeter Queck- silber umgerechnet werden mussten, kommt der Verlauf. der Dehnungs- 590 H. Straub: kurve bei dem gewählten Maassstab nicht sehr deutlich zum Ausdruck. Am oberen Rande der Fig. 4 ist deshalb die Dehnungskurve der Minima bei zehnfach grösserem Maassstab der Druckordinaten wiedergegeben, wodurch die Beziehungen eindeutiger sichtbar werden. Man erkennt, dass die Dehnungskurve der Minima der Zuckung des Säugetier- herzens im Kreislauf denselben Verlauf hat, den Frank als charakteristisch für die Dehnungskurve der Minima der Zuckung des Froschherzens festgestellt hat!). Die Dehnungskurve nimmt einen von der Abszisse zuerst sehr langsam, allmählich immer steiler ansteigenden Verlauf. Für die Beurteilung der Dynamik des in seiner Muskelkraft geschädigten Herzens ist es nun von grösster Bedeutung, dass die Punkte der Minima nach eingetretener Schä- digung (Punkt 4—7) vollkommen genau auf derselben Dehnungskurve liegen wie die bei guter Muskelkraft bestimmten Punkte 1—3. Die Ermüdung ist also jedenfalls in dem vorliegenden Versuch ohne jeden Einfluss auf den Grad der Dehnbarkeit während der Diastole. Die Dilatation des muskelschwachen Herzens ist also nicht zu beziehen auf vermehrte Dehnbarkeit des diastolischen Herzens. Die geometrisch fassbare Definition des so vielfach missbrauchten Wortes Tonus ist die Dehnungskurve des ruhenden Herzmuskels [Frank?)]. Zwar darf aus Änderungen der Dehnungskurve der Minima des tätigen Herzens wegen der Veränderlichkeit des Kontraktionsrückstandes nicht auf entsprechende Änderung der Dehnungskurve des ruhenden Herzens geschlossen werden. Konstanz‘der Minima des tätigen Herzens weist aber mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Gleichbleiben der Dehnungs- . kurve des ruhenden Herzens hin. Muskelschwäche des Säugetier- herzens lässt nach dem Gesagten den Tonus des Herzens in dem eben definierten Sinne unbeeinflusst. Socin®) war auf Grund seiner Versuche zu der Ansicht gekommen, dass bei Schädigung des Herz- muskels durch Chloroform eine vermehrte Dehnbarkeit des Herzens nicht auftrete; doch bemerkt er, dass bei der gewählten Versuchs- 1)0. Frank, Die Wirkung von Digitalis (Helleborein) auf das Herz. Sitzungsber. d. Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol. in München H. 2 S. 14. 1897. — ©. Frank, Die Grundform des arteriellen Pulses. Zeitschr. f. Biol. Bd. 37 S. 483. 1899. 2) O0. Frank, Die Wirkung von Digitalis (Helleborein) auf das Herz. Sitzungsber. d. Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol. in München H. 2 S. 14. 1897. 3) Ch. Socin, Experimentelle Untersuchungen über akute Herzschwäche. Pflüger’s Arch. Bd. 160 8. 132. 1914. \ Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. 591 anordnung der direkte Nachweis einer primären Veränderung der Diastole nicht geführt werden kann. Der direkte Beweis der Richtig- keit für Soein’s Annahme ist in Fig. 4 zum ersten Male erbracht. Für das Froschherz kam Bruns?) zu entgegengesetzten Ergebnissen, da er nach langdauernder isometrischer Arbeit beträchtliche Ver- mehrung der diastolischen Dehnbarkeit feststellte. Die von Bruns an das Herz gestellten Anforderungen gehen freilich weit über das hinaus, was im vorliegenden Versuch dem Säugetierherz zugemutet wurde, wohl auch über die in der menschlichen Pathologie in Be- tracht kommenden Anforderungen. Man wird deshalb gut daran tun, sich auch in der menschlichen Pathologie an die hier für das Säugetier- herz gemachten Feststellungen zu halten. Als Dehnungskurve der Maxima ist in Fig. 4 eine Kurve ein- gezeichnet, welche die dem Druckmaximum entsprechenden Punkte verbindet. Man sieht, dass die Arbeitsdiagramme diese Kurve über- schneiden und sich dem vermutlichen Verlauf der Dehnungskurve der Maxima der isometrischen Zuckung nähern, welche nahe benachbart der Mantelkurve der Arbeitsdiagramme zu denken ist?). Die Dehnungs- kurve der Maxima der Zuckung im Kreislauf verläuft nach der Ab- szisse konkav. Die der Abszisse benachbarten Punkte sind bei unserer Versuchsanordnung nicht zu bestimmen, weil bei starker Senkung des - arteriellen Drucks der Blutumlauf durch die Kranzgefässe ungenügend und dadurch der Herzmuskel geschädigt wird. Der Nullpunkt der Volumaehse, d. h. der Punkt vollständiger Entleerung während der Systole, ist zwar unbekannt, doch kann er nicht weiter rechts liegen, als in Fig. 4 angenommen. Die Richtung der Dehnungskurven der Maxima scheint die Abszisse rechts von dem angenommenen Nullpunkt zu schneiden. Das ist an sich selbstverständlich, da mit dem Druck- maximum die Entleerung noch nicht vollendet ist. Die konstante Wirkung der Schädigung des Muskels ist nun eine Verschiebung der Dehnungskurve der Maxima nach unten, d. h. eine Schädigung der Kontraktionskraft. Man vergleiche zum Beispiel die Maxima der Diagramme 2 und 6, die von fast identischen Anfangs- bedingungen ausgehen. Obgleich die Anfangsbedingungen noch etwas 1) 0. Bruns, Experimentelle Untersuchungen über die Phänomene der Herzschwäche infolge von Überanstrengung. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 113 8. 179. 1913. 2) H. Straub, Zur Dynamik der Klappenfehler des linken Herzens. Deutsches Arch. f. klin. Med, Bd. 121. 1917. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 169. 39 5923 H, Straub: zugunsten des Diagramms 6 gestaltet sind (etwas grössere Anfangs- füllung und -spannung), liegt doch das Maximum von 6 um 18 mm Quecksilber tiefer als das von 2. Als einzig rationellen objektiven Maassstab der Schädigung der Kontraktionskraft möchte ich deshalb zwei Möglichkeiten vorschlagen: entweder die Senkung des Druck- maximums bei gleichen Anfangsbedingungen oder, wegen leichterer Bestimmbarkeit, die Änderung der Anfaagsbedingungen bei gleichem systolisehen Maximum. Nach dem ersten Maassstab würde man, um ein Beispiel zu wählen, die Lagebeziehungen der Punkte 2 und 6 der Dehnungskurven der Maxima bestimmen, nach dem zweiten Maassstab die der Punkte 1 und 7 der Dehnungskurven der Minima. Zusammenfassung. Eine vollständige Darstellung der Arbeitsbedingungen des Säuge- tierherzens gibt das Arbeitsdiagramm, das den Druck als Funktion des Volums darstellt... Das Arbeitsdiagramm kann auf Grund der mit zureichenden Mitteln verzeichneten Druckkurve und der durch Integration des „Tachogramms der Herzkammerbasis“ gewonnenen Volumkurve nach dem Verfahren der deskriptiven Geometrie. kon- struiert werden. Da die Volumkurven der beiden Kammern nicht getrennt ver- zeichnet werden können, ist die Konstruktion eines Arbeitsdiagramms nur zulässig unter stationären Kreislaufsverhältnissen, unter der an- nähernd zutreffenden Voraussetzung, däss dann die Volumkurven der beiden Kammern identisch sind. Das Arbeitsdiagramm weist nahezu isometrische. Stiracken auf, die der Anspannungs- und der Verschlusszeit entsprechen. Beide werden mit grosser Geschwindigkeit durchlaufen. Die Austreibungszeit ver- läuft zur Abszisse konkav, gleich weit entfernt von isometrischen und isotonischen Arbeitsbedingungen. Die Füllungszeit verläuft zur Abszisse konvex, nur gegen Schluss sich isotonischen Bedingungen annähernd. Die Anspannungszeit weicht von streng isometrischen Arbeits- bedingungen etwas ab durch das Spiel der Atrioventrikularklappen unter Wirkung des Kammerdrucks, des Zugs der Papillarmuskeln und der Verengerung des Ansatzrings an der Vorhofkammergrenze. Auf die Kurve der Austreibungszeit sind Eigenschwingungen der trägen, in Bewegung cesetzten Blutmassen aufgesetzt. Dauer der Systole und Dauer der Kontraktion fallen nicht zu- Das Arbeitsdiagramm des Säugetierherzens. | 593 sammen. Vielmehr überdauert die Kontraktion regelmässig die Systole. Selbst am Ende der Diastole ist häufig noch ein Kontraktionsrückstand vorhanden. Während der Füllungszeit wird das Arbeitsdiagramm mit geringer und immer mehr sinkender Geschwindigkeit durchlaufen. - Das Arbeitsdiagramm ist ein vollkommener Ausdruck der Anderungen der potentiellen Energie des Ventrikels während einer Herzrevolution. Die vom Herzen geleistete Arbeit, soweit durch die- selbe potentielle Energie geschaffen wird, ist dargestellt durch das Integral des Arbeitsdiagramms, d. h. die vom Arbeitsdiagramm um- grenzte Fläche. Während der Diastole wird entgegen dem nur allmählich er- schlaffenden Ventrikel Arbeit geleistet. Der erhebliche Mehraufwand an Arbeit, die auf diesem Wege geleistet werden muss gegenüber der Arbeit gegen den völlig erschlafften Ventrikel (ungefähr Verdoppelung des erforderlichen Arbeitsmirimums), dient dazu, die Füllung in kurzer Zeit zu ermöglichen. Wegen des am Ende der Diastole häufig noch bestehenden Kontraktionsrückstandes fällt die Dehnungskurve der Minima der Zucekung des Säugetierherzens im Kreislauf nicht mit der Dehnungs- kurve des ruhenden Herzens zusammen. Auf die Bedeutung dieser Tatsaehe für die Bestimmung des Tonus der Herzmuskulatur wird hingewiesen. Das Bestehen eines Kontraktionsrückstandes beeinflusst auch den Verlauf der nächsten Systole. Von inotropen Wirkungen eines Ein- griffs zu sprechen, ist erst zulässig, wenn der Einfluss desselben auf den Kontraktionsrückstand untersucht ist. Die Erklärung der T-Zacke des Elektrokardiosramms als Aus- druck der Kontraktion kann nicht zutreffen. Sie gründet sich auf das angebliche zeitliche Zusammenfallen des Endes der T-Zacke mit dem Ende der Systole und beruht auf einer Verwechslung von Systole und Kontraktion. Das beschränkte Fassungsvermögen des arteriellen Teiles der Blutbahn setzt bei sehr grossem Schlagvolumen dem Ausfluss des Blutes einen im Verlauf der Systole zunehmenden Widerstand entgegen. Wegen des vom isotonischen weit entfernten Verlaufs der Aus- treibungszeit des Arbeitsdiagramms wächst mit zunehmendem Schlag- volumen die Arbeit rascher als die zu fördernde Blutmenge. Das Verhältnis wird um so ungünstiger, je starrwandiger die Gefässe sind. >92 594 H. Straub: Das Arbeitsdiagramm des Säugeiierherzens. Bei wachsendem Widerstand wächst die Arbeit annähernd pro- portional dem Widerstand, eher sogar etwas langsamer als dieser. Die Berechnung der Ventrikelarbeit als Produkt des Schlag- volums mit dem mittleren Druck der Austreibungszeit eibt wesentlich zu hohe Werte, weil die während der Diastole dem Ventrikel er- haltene und zugeführte Energie abzuziehen ist. Die Dehnungskurve der Minima des Herzens im Kreislauf stellt eine bogenförmig von der Abszisse erst langsam, dann immer steiler: ansteigende Kurve dar. Die Dehnungskurve der Minima des (durch Extrasystolen) ge- schädigten Herzmuskels fällt mit der des kräftigen zusammen. Schädigung in dieser Form führt also nicht zu einem Nachlass des „Tonus‘“. Die konstante Wirkung der Schädieune, des Herzmukels ist eine Senkung der Dehnungskurve der Maxima. Einen objektiven Maassstab der Schädigung der Kontraktionskraft des Herzmuskels gibt entweder die Senkung des Druckmaximums bei gleichen Anfangsbedingungen oder die Änderung der Anufangsbe- dingungen bei gleichem systolischem Maximum. N Y T- Ri Herr Professor Otto Cohnheim aus Hamburg hat uns um Auf- nahme folgender Mitteilung gebeten: „Professor Otto Cohnheim, Vorsteher des phy Solodikenn Institutes am Krankenhaus Hamburg - Eppendorf, wird künftig den Familiennamen Kestner führen.“ Bonn, 30. November 1917. Die Redaktion. | N ii ! al IM I a a I a ce oe ” u ICE NH HE HE Ne EI eh EN TE TER ne 2 + in ke dee im w P wann ” "