OR „a7 Marten (\ uriarlenitih POS N (OR Ihlateee h Nrjah Velera Kr) ! {0 ? ae) ne pl U ET TD - Ri ki BEER Pariarı, B; Saw PK N “ir r se R SS RR yoN N h „“ ar “7, & h rs jaları $ KR a ee “e DR De te Fe See e 3. er w’. en Pe 7 Eur etrr: Asch TENE, RE il u RR REN a OR ee Rare f BEE IE RE $ Ge SAD 1 N © ES B A - PFLÜGERS ARCHIV PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE HERAUSGEGEBEN voN E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER HALLE A. S. FRANKFURT A. M. KIEL 174. BAND MIT 54 TEXTABBILDUNGEN UND 4 TAFELN BERLIN. VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1919 Inhaltsverzeiıcehnis. Tschermak, Prof. Dr. A. v. Julius Bernsteins Lebensarbeit ..... Biegel, Kurt. Ein Beitrag zu den sogenannten Ausnutzungs-Versuchen Le Heux, Dr. J. W. Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. Mit- teilung. Äther-Magnesiumsulfat, Magnesiumsulfat-Chloralhydrat, Magnesiumsulfat- Urethan. (Mit 2 Mextabbildungen) ER ETEIRENT Storm van Leeuwen, Dr. W. Über den Synergismus von Arznei- mitteln. III. Mitteilung. Morphin- Urethan, Tinctura opü- imerhans (NitnonDRextabbildungen) . „m. . Dura ann Magnus, Prof. Dr. R. Beiträge zum Problem der Körperstellung. II. Mitteilung. Stellreflexe beim Kaninchen nach einseitiger Labyrinthexstirpation. (Mit 8 Abbildungen auf Tafel) ..... Popielski, Prof. Dr. L. Die Wasserstoffionen und die sekretorische Iabekeit; der) Bauchspeicheldrüser n...... nun ud y.n. Fleisch, Dr. Alfred. Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart bei überlebenden Organen als Zeichen aktiver Fördertätigkeit der Arterien. (Mit 9 Textabbildungen) Ve sen: Bierich, Dr. R. Zur Theorie der Narkose. Über den Einfluss der Temperatur auf die Adsorbierbarkeit, das Kolloidfällungsvermögen und die Wirkungsstärke einiger Narkotika .......2...... Höber, Prof. Dr. R. Zur Theorie der Narkose. Über den Einfluss der Temperatur auf die Narkose von Muskeln und Nerven. (Mit Iehextabbildungem) Ir. m a a a ee ee Kuile, Dr. Th. Em. ter. Shareealkin erinnoe koie dichopisch gesehener harmonischer Punktbewegungen. (Mit 1 Textabbildung und Tafel II) Basler, Prof. Dr. Adolf. Nachtrag zu der Arbeit: Über die Blut- bewesune; in den Kapillaren, I. Mitteilung 2. . »........ Hess, Prof. Dr. C.v. Der Lichtsinn der Krebse. (Mit 5 Textabbildungen und Npbilduneenzauf Tate I. an... en. nn. Bürker, Prof. Dr. K. Experimentelle Untersuchungen zur Thermo- dynamik des Muskels. VI. Methodik. Der Energieaufwand als Funktion der übrigen Variabeln der Muskeltätigkeit bei verschieden- artigen Muskeln. (Mit 14 Mextabbilduneena 2 0. em. Löhner, Prof. L. Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken nebst Bemerkungen über die „tierische Hypnose“. Mit Tafel IV Bornstein, Dr. A. Über Muskeltonus und Muskelkontraktur beim Nlemaelnen mare a a Re A a A SE NEN RE Biedermann, W. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Ver- dauung. VII. Dringen Verdauungsfermente : in geschlossene Biedermann, W. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Ver- dauung. VIII. Die Verdauung pflanzlichen Zellinhalts im Darm einterers Insekten en ge Wacker, Prof. Dr. Leonhard. Ein chemischer Kreisprozessim arbeitenden Muskel und seine Beziehungen zur Gewebsatmung . ....... AUGOTERTORAELE TITTEN REN OR Se IbraF Julius Bernstein’s Lebensarbeit. Zuoleich ein Beitrag zur Geschichte der neueren Biophysik. Von Prof. Dr. A. v. Tschermak, Prag. (Eingegangen am 16. August 1918.) Am 6. Februar 1917 ist zu Halle a. S. der Altmeister unserer Wissen- schaft Julius Bernstein im 78. Lebensjahre aus unserer Mitte geschieden, ein still und emsig Schaffender, ein höchst sorgfältiger Beobachter und feinsinnig-kritischer Kopf, ein schlichter, edler Mensch. Mit Bernstein ist der letzte der Grossen aus dem Kreise Emil du Bois-Reymond’s dahingegangen, selbst ein Meister biophysikalischer Forschung, ein wahres Musterbild eines deutschen Gelehrten. Sein Dasein war so gut wie ganz gewissenhaftester wissenschaftlicher Arbeit als Lehrer und Forscher geweiht, und deren Früchte bedeuten für den Fernerstehenden schier den Inhalt des äusserlich wenig bewegten Lebens. Als dankbarer Schüler will ich die Summe von Bernstein’s Geistesarbeit ziehen und damit zugleich einen Beitrag zur Geschichte der neueren Biophysik liefern. Nur einleitend seien auch einige persön- liche Daten in Erinnerung gerufen!). Ä. Lebenslauf. Schon im Elternhause empfing der frühreife Knabe — geboren am 8. Dezember 1839-zu Berlin — bedeutsame Weckung und An- regung zu vielseitigen naturwissenschaftlichen Interessen. Der Vater, Aron Bernstein, war als armer Studierender der jüdischen Theologie aus Danzig nach Berlin gekommen und hatte dort zunächst ein Lese- kabinett gegründet, in dem ein grosser Teil der damaligen gebildeten Gesellschaft Berlins verkehrte. Später wandte sich der geistig un- gemein rege Mann zunächst der belletristischen, seit dem Jahre 1848 der politischen Schriftstellerei zu, gründete die Urwähler-Zeitung (1849), später die Volkszeitung (1853). Schon frühzeitig hatte er seine stille Liebe den Naturwissenschaften zugewandt, mit astronomischen Be- 1) Zudem sei auf die pietätvolle Grabrede E. Abderhalden’s (Dem Andenken von Julius Bernstein gewidmet. Med. Klinik 1917 Nr. 9) verwiesen. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. le 2 A. v. Tschermak: obachtungen und Spekulationen!) begonnen und sich ein chemisches und photographisches Laboratorium eingerichtet, in welchem auch der Sohn Julius seine experimentelle Tätigkeit begann. Als einer der ersten befasste sich der Vater (seit 1856) mit der Herstellung von photographischen Glaslichtbildern, speziell von Stereophotogrammen. Auf dem Gebiete der Telegraphie und Telephonie löste er das Problem des Doppelsprechens auf einem Draht. Diese Interessen fanden ihren literarischen Niederschlag in naturwissenschaftlichen Aufsätzen, welche später in den ‚Naturwissenschaftlichen Volksbüchern“ gesammelt wurden und die Gebiete der Astronomie, Physik, Chemie, Physiologie und Geologie behandelten. Es ist begreiflich, dass durch das rege Geistes- und Verkehrsleben des Vaters der Sohn mächtige Anregungen erhielt. Dieser bewahrte dem Vater auch zeitlebens dankbarste Ver- ehrung. Ihm widmete er in reifen Jahren das Büchlein über die fünf Sinne des Menschen (31 — 1876; 58 — 1899) ?), in welchem er, dem Vater ähnlich, das Talent zu allgemein verständlicher und anziehender Darstellung physiologischer Fragen bekundete. Ebenso interessante als rührende Erinnerungen an das Elternhaus hat B. im reifen Alter in einer als Manuskript gedruckten Schrift niedergelegt (124 — 1913). Die im Elternhaus erhaltenen Impulse führten B. nach Besuch des Neu-Cöllner Gymnasiums zum Studium der Medizin, welches er 1858 in Breslau begann. Hier gewann Rudolf Heidenhain °), der neben dem Botaniker Ferdinand Cohn mächtigen Eindruck auf ihn machte, sein Herz für die Physiologie. Heidenhain hat auch seine weitere Laufbahn, speziell seine spätere Berufung nach Halle gefördert. Während der Fortsetzung seiner medizinischen Studien in Berlin wurde B. durch seinen Jugendfreund L. Hermann, dem Sohne von A. Bernstein’s Kollegen S. Hermann, in das Labora- torium von E. du Bois-Reymond ?) eingeführt, wo er im Sommer 1860 zu arbeiten begann und sich bis 1864 wissenschaftlich betätigte (Arbeiten 1-6). Am 1. August 1862 wurde er auf Grund einer Disser- tation über die Physiologie der Muskeln von Wirbellosen (3) zum Dr. univ. med. promoviert. Im Jahre 1864 kam B. auf du Bois’ ümpfehlung als Assistent nach Heidelberg zu H. v. Helmholtz, welcher seit 1858, aus Bonn bzw. Königsberg berufen, als Professor 1) In der Schrift A. Bernstein’s, Die Gesetze der Rotation (Berlin 1848) wird zum ersten Male die Hypothese des Lichtdruckes aufgestellt, durch welehen die Strahlen der Sonne die Rotation der Planeten be- dingen sollen. 2) Die im Literaturverzeichnis, Anhang A, angeführten Publikationen B.’s sind durch arabische Ziffern (1—135) bezeichnet, die im Anhang B zitierten Schülerarbeiten durch römische Ziffern (I—LXXXH). 3) Vgl. B.’s Nachruf auf R. Heidenhain (81 — 1897). 4) Vgl. B.’s Nachruf auf E. du Bois-Reymond (79 — 1897). Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 3 der Physiologie dort wirkte — seine fruchtbarste und vielseitigste Periode. Im persönlichen Umgange mit Helmholtz!) lernte B. dessen erhabene Ruhe, seine allem rednerischen Glanze abholde Schlichtheit, sein experimentelles Geschick und Talent zu Improvi- sationen bewundern und diesem Vorbilde nacheifern. Er genoss auch die edle Geselligkeit im Hause des Meisters. In Heidelberg kamen bei B. die von du Bois empfangenen, von Helmholtz geförderten Anregungen auf bioelektrischem Gebiete zur Reife. Nach der Fortberufung von Helmholtz im Jahre 1871 las er durch ein Semester an dessen Stelle und leitete vertretungsweise das Heidelberger physiologische Institut. B. wurde dann zum ausser- ordentlichen Professor ernannt und kehrte im Herbst 1871 zu du Bois nach Berlin zurück. Schon im nächsten Jahre erfolgte über Vorschlag seitens A. W. und R. Volkmann seine Berufung als Nachfolger von F. Goltz im Ordinariat der Physiologie an die Universität Halle, der B. zeitlebens treu blieb. Hier entfaltete er durch 46 Jahre eine höchst emsige und fruchtbare Tätigkeit als Lehrer und Forscher, speziell nachdem er das ganz unzulängliche alte Laboratoriumshäuschen mit einem unter grossen Schwierigkeiten erkämpften Neubau [eröffnet am 3. November 1881°)] vertauscht hatte. B. wählte hiezu sehr zweck- mässigerweise eine Lage abseits von Strasse und Starkstromleitungen, verband Institut und darübergelegene Amtswohnung durch ein zentral- gelegenes Stiegenhaus mit doppelgeschossigem Eingang und wählte einen quadratischen Grundriss mit angesetzten Eckräumen. Aller- dings fehlte dabei die sehr empfehlenswerte volle Trennung von Unter- richts- und Forschungsabteilung. Noch im reiferen Alter erstrebte B. einen noch vollkommeneren Neubau — zumal da sehr unzweck- mässigerweise in die frühere Amtswohnung das hygienische Institut verlegt worden war. In einer nicht geringen Zahl von Schülerarbeiten (82), welche aus dem Hallenser Institut hervorgingen, kommt B.’s befruchtende Anregung und methodische Lehrwirkung zum beredten Ausdruck. Allerdings haben sich verhältnismässig wenige Schüler aus B.’s Institut — so J. Steiner, K. Schönlein, P. Jensen, A. v. Tschermak, E..J. Lesser, E. Laqueur, F. Verzär — dem akademischen Berufe zugewandt. Früh verstarben die talentvollen Mitarbeiter R. Mar- chand und B. Morgen. Doch hat gewiss bei einer stattlichen Zahl von engeren und weiteren Schülern die Hallenser Lern- und Arbeits- zeit die spätere ärztliche Praxis befruchtet. 1) B. hat dem grossen Meister einen Nachruf (73 — 1895) und ein kurzes Lebensbild (104 — 1904) gewidmet. 2) Bei dieser Gelegenheit hielt B. eine geistvolle Rede über Entwick- lung und Standpunkt der Physiologie (42 — 1881). 1a 4 A. v. Tschermak: B. war als Lehrer und Vortragender schlicht, ohne rednerischen Prunk oder hinreissendes Temperament. Der eifrige und verständige Schüler konnte jedoch reiche Förderung finden, zumal da B. sich gerne und geduldig einer Spezialbefragung widmete. Auch legte B. mit Recht grosses Gewicht auf eine sorgfältige Vorbereitung und experimentell-demonstrative Belebung der Vorlesungen sowie auf eine hingebende Gestaltung der praktischen Übungen. Im Lesen war B. geradezu unermüdlich und hielt neben dem sechsstündigen Haupt- kolleg und dem vierstündigen Praktikum oft noch ein Spezialkolleg und ein Kolloquium mit Arbeitenbesprechung. Im Laboratorium war B. ein Vorbild an Sorgfalt und Genauigkeit beim Experimentieren, kritisierte wohlwollend ohne abzuschrecken und zeigte sich als ein Künstler im Improvisieren aus bescheidenen Mitteln. Viele seiner methodischen Gedanken sind sehr sinnreich zu nennen. Den gereiften Schülern liess er weitgehende Selbständigkeit. Es war nicht seine Art, eine grosse Schule machen zu wollen. Neben der Physiologie waren es die Physik, speziell die Elektrik, Molekularphysik und Thermodynamik sowie die physikalische Chemie, aber auch die Mathematik, welchen B.’s Interessen gehörten. Die genannten physikalischen Spezialgebiete hat er auch durch manche originelle Forschungsarbeit gefördert. Auch der Astronomie bewahrte er eine vom Vater überkommene stille Neigung. Nicht minder gehörte sein wissenschaftliches Interesse und seine ästhetische Befriedigung der Welt der Töne, wobei ihm die musikalische Tradition der eigenen Familie (der Vater und die älteste Schwester Fanny waren musikalisch veranlagt) und die hohe musikalische Begabung seiner Lebensgefährtin . wesentliche Förderung gewährte. Im Kreise seiner Kollegen gewann B. bald eine sehr angesehene Stellung und wurde wiederholt zu Vertrauensstellungen berufen, So wurde er innerhalb der Jahre 1379—!912 neunmal mit dem Dekanate betraut, für das Jahr 1890/91 zum Rektor der Universität Halle- Wittenberg gewählt. Bei der Inauguration hielt er eine Aufsehen er- regende Rede über die mechanistische und die vitalistische Vorstel- lung vom Leben (61 — 1890). Schon bei einer früheren Gelegenheit hatte er diesen Ideen durch eine Rede als Preisverkünder (Über die Kräfte der lebenden Materie, 40 — 1880) präludiert. — Durch lange Jahre bekleidete B. das Amt eines Vorsitzenden der Staatsprüfungs- kommission und war als solcher ein ebenso unparteilicher wie wohl- wollender Mentor für die Kandidaten, denen in ihren Anliegen und Nöten seine Tür stets offenstand. — Als Mitglied von Kommissionen, speziell für Berufungen, betätigte sich B. sehr eifrig, und die Ge- winnung so mancher hervorragenden Kraft für die Hallenser Uni- versität ist seinem streng sachlichen Votum zu danken, Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 5 Nach vierzigjähriger Tätigkeit trat B. im Jahre 1911, 72 Jahre alt, vom Lehramte zurück. Dies bedeutete jedoch kein Sichzurruhe- setzen, vielmehr widmete er sich jetzt wieder ganz der Tätigkeit als Forscher und Schriftsteller. Gerade seinem Otium cum dignitate (1911— 1917) verdanken wir eine Anzahl hervorragender Arbeiten und Veröffentlichungen. Erst der Tod hat ihm sozusagen die Laboratoriums- instrumente und die Feder aus der Hand genommen! Bei aller persönlicher Zurückgezogenheit pflegte B. doch manchen Freundesverkehr, in welchem er an geistiger Anregung ebenso der Gebende wie der Empfangende war. Als persönliche und wissenschaft- liche Freunde, mit denen er besonders die Heidelberger Zeit gemeinsam verlebte, sind vor allem die beiden Chemiker Viktor und Richard Meyer zu nennen, von denen der letztere B.’s Schwester Johanna heiratete, ferner der Mathematiker Paul du Bois-Reymond!), der Bruder des Physiologen, und der Fhysiologe F. Holmgren’). Vom väterlichen Hause her war B. mit W. Sklarek befreundet, dem späteren Begründer der Naturwissenschaftlichen Rundschau, welcher gleichfalls sein Schwager wurde und B. zu zahlreichen Bei- trägen für seine Zeitschrift gewann. Während seiner Hallenser Zeit pfleste B. speziell mit dem Anatomen Welcker, dem Pathologen C. Eberth, dem Psychiater E. Hitzig, dem Anatomen W. Roux, dem Chemiker J. Volhard, dem Mathematiker G. Cantor, dem Leipziger Chemiker W. Ostwald und mit seinem Nachfolger im Lehr- amte, E. Abderhalden, geistige Beziehungen. Auch auf den Ver- kehr mit Vertretern ihm ferner liegender Fächer — so dem National- ökonomen Conrad, dem ‚Juristen Loening, dem Ärchaeologen Heydeman, dem Philologen Dittenberger u. a. — legte B. großen Wert. B.’s Leben teilte sich, wie es dem deutschen Gelehrten ziemt, im wesentlichen zwischen Berufsarbeit und Familie. An seiner hoch- begabten Gattin, der Tochter des kaiserlich russischen Brigadearztes Geh. Kollesienrates Dr. H. Levy, hatte B. auch in wissenschaftlichen Fragen eine verständnisvolle Genossin. Neben manchem leidvollen Verlust genoss er das Glück, zwei Söhne und eine Tochter heran- wachsen zu sehen, welche sich mit grossem Erfolg der Mathematik, der landwirtschaftlichen Maschinenkunde und der Malerei widmeten. Der geistige Verkehr in der Familie war ein lebhafter, indem der Vater die Kinder mannigfach anregte, ihre Neigungen auf natur- wissenschaftlichem und künstlerischem Gebiete verständnisvoll för- derte und selbst von ihnen — speziell durch die originelle mathe- 1). Vgl. .B.’s Nachruf.auf P! du Bois-Reymond (59 > 1889). 2) Vgl. B.’s Nachruf auf F. Holmgren (80. — 1897). 6 A v. Tschermak: mathische Begabung seines Sohnes Felix — Anregung empfing. — B. verschied am 6. Februar 1917 ohne Leid an den Folgen einer katar- rhalischen Pneumonie. B. Lebensarbeit. Auf Grund der vorliegenden Publikationen, von denen im Anhange eine Übersicht nach zeitlicher Folge geboten wird, sei ein Bild von B.’s Lebensarbeit entworfen. So wenig verkannt werden darf, dass auch beim Gelehrten nur ein bescheidener Teil der geistigen Leistung literarischen Niederschlag zu finden pflegt und das Erbe an die Nach- welt arg verkürzt zu nennen ist, so war es doch gerade B. beschieden, in stiller Emsigkeit sich weitgehend literarisch auszuwirken, so dass ein sorgfältiges Studium seiner Veröffentlichungen ein ziemlich voll- ständiges Bild seiner wissenschaftlichen Lebensarbeit gibt. Allerdinss wird. daneben jeder, der aus dem Hallenser Institut hervorgegangen ist, eine Fülle an wertvoller Tradition, speziell an Versuchsmethodik und Improvisationstechnik, von B. übernommen haben. Ein Bild von B.’s Lebensinhalt auf Grund seiner Arbeiten wird naturgemäss zu einem Beitrage zur Geschichte der neueren Biophysik überhaupt. B. fühlte und betätigte sich ja als Biophysiker im strengen Sinne des .Wortes. Seine Forschungsarbeit hatte zwei Höhepunkte — der eine war schon frühzeitig gelegen in der exakten Erforschung des bioelektrischen Erregungsvorganges im Muskel- und Nervensystem. Den zweiten Gipfel erreichte B.’s Forschergeist im reiferen Lebens- alter durch die chemisch-physikalische Ausgestaltung und Vertiefung der Bioelektrik, speziell in thermodynamischer Hinsicht, sowie durch die molekularphysikalische Analyse des Bewegungsvorganges. Auf dem Gebiete der allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie hat B., ausgehend von der Vorstellungswelt seines Lehrers E. du Bois- Reymond, sowohl durch originelle und exakte Tatsachenfunde als durch feinsinnige und kritische Verarbeitung solcher vielfach Neu- artiges geschaffen. Von ihm stammt ja — neben E. du Bois-Rey- mond selbst und den Mitschülern L. Hermann und J. Rosenthal — ein grosser Teil der Fundamentalbeobachtungen und der Versuchs- instrumente auf dem Gebiete der allgemeinen Muskel- und Nerven- physiologie. In den späteren Arbeitsjahren Bernstein’s war es die Heranziehung der Methoden und Ideen der modernen Elektrochemie, Molekularphysik und Thermodynamik, wodurch er in geradezu vor- bildlicher und fruchtbarer Weise jenen älteren Problemen neue Seiten abgewann und ihre Lösung in hohem Maasse förderte. So konnte B. selbst in vorgeschrittenem Lebensalter auf diesem Gebiete führend bleiben und mit jüngeren Vertretern der biophysikalischen Forschungs- richtung anregend und wetteifernd — nicht selten auch unter erfahrungs- reicher Kritik — zusammenarbeiten. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 7 B.’s biophysikalische Interessen waren aber durchaus nicht ein- seitig nur der allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie zugewandt, wie wohl ein oberflächlicher Beurteiler und Kenner seiner Lebens- arbeit glauben könnte. In grossem Fleisse und feinsinniger Gründ- lichkeit hat er vielmehr eine Fülle von Teilgebieten unserer Wissen- schaft bearbeitet und oft mit wertvollen Beiträgen bereichert. Ein umfassendes Bild von B.’s Lebensarbeit ergibt sich, wenn wir nun in zeitlicher wie inhaltlicher Gruppierung seine Leistungen zu- nächst auf dem Gebiete der allgemeinen Muskel- und Nervenphysio- logie, speziell der Bioelektrik (I), dann im Bereiche der Molekular- physik der lebenden bzw. kontraktilen Substanz (II) überblicken. Hierauf sei über seine Beiträge zur Herzphysiologie und Kreislaufs- lehre (III) sowie zur Atmungsphysiologie (EV) gehandelt. Endlich werden B.’s Studien auf dem Gebiete der Sinnesphysiologie (V) und der Toxikologie (VI) zu schildern und seine literarischen Leistungen didaktischen Charakters (VII) zu würdigen sein. Von den aus dem Hallenser Institut hervorgegangenen Arbeiten, welche im Anhange B (Nr. I-LXXXH) vollzählig angeführt sind, will ich nur jene berück- sichtigen, welche auf B.’s Anregung und unter seiner Leitung ent- standen sind. I. Arbeiten auf dem Gebiete der allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie, speziell der Bioelektrik. In erster Linie seien B.’s Leistungen auf seinem Hauptarbeits- gebiete, der allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie, speziell der Bioelektrik, geschildert. Die meisten von B.’s bezüglichen Methoden und Ergebnissen sind zwar allgemeinbekannter Inhalt der Doktrin und Tradition unserer Wissenschaft geworden; manche Beobachtungen, Gesichtspunkte und Fragestellungen sind aber dabei übersehen oder vergessen worden, so dass eine kurze historische Erinnerung an die Hauptresultate von B.’s Forschungsarbeit nicht bloss für den An- fänger, sondern auch für den Fachmann neben Bekanntem doch manches Neuerscheinende zu bieten vermag. In seiner lateinisch geschriebenen Dissertation (3 — 1862) be- handelte B., angeregt durch E. du Bois-Reymond’s klassische Untersuchung über die chemische Reaktion des Muskels (1859), das Verhalten der relativen Reaktion an Muskeln von Wirbel- losen (Krebsschere, Teich- und Miesmuschel) bei Prüfung an Lackmus- papier. An ausgeschnittenen Krebsmuskeln ergab sich ein Umschlag der fast neutralen, gegen Alkalinität neigenden Ruhereaktion in saure bei Totenstarre, und zwar schon nach 10 Stunden, ferner ein folgender Umschlag in alkalische Reaktion nach 48 Stunden — also rascher als am Froschmuskel bei gleicher Temperatur. Ebenso tritt bei lang- Sg A.v.: Tschermak: samem Erwärmen Säuerung ein, bei rascher Hitzeabtötung (752.0) hingegen alkalische Reaktion — hinwiederum Säuerung bei länger- dauerndem Tetanus. Doch sind die Veränderungen geringer. als beim Froschmuskel. Am Muskelpresssafte wurde spontane Gerinnung sowie Koagulation bei 45° C. unter gleichzeitiger Säuerung beobachtet — ebenso wie dies E. du Bois-Reymond am Froschmuskel festgestellt hatte. Am Schliessmuskel der Muschel fand B. eine ganz schwach saure, nach dem Tode nicht zunehmende, sondern später in Alkalinität umschlagende Reaktion, während der Pedalmuskel gegen Lackmus neutral reagiert. Die relativ saure Reaktion des tonisierten Schliess- muskels brachte B. damals, wo man — wie ja heute noch vielfach! — noch nicht zwischen ‚„Tonus’ und ‚Erregung‘ unterschied!), in Zu- sammenhang mit der dauernden Spannung des Schliessmuskels — im Gegensatze zu der bloss zeitweiligen Tätigkeit der Fussmuskulatur. Auf jeden Fall war hiemit das bedeutsame Problem einer Ver- schiedenheit der Reaktion aufgestellt (und zwar sowohl der absoluten, durch die Wasserstoffionenkonzentration bezeichneten Re- aktion als der relativen, durch das Bindungsvermögen gegenüber Säuren oder Basen bestimmten Reaktion) bei tonisierten Muskeln, verglichen mit alterativ beanspruchten. — Interessant war auch die Beobachtung, dass am isolierten Schliessmuskel keine Starreverkürzung eintritt; auch fehlt eine Säuerung bei allmählichem Erwärmen, während rasches Erhitzen (auf 75° C.) Umschlag zu Alkalinität bewirkt. Hin- gegen tritt am Schliess- wie am Pedalmuskel deutliche Säuerung ein bei tetanischem Reizeffekt, ebenso wie der Presssaft spontane wie thermische (45° C.) Gerinnung aufweist. Auf dem Gebiete der Elektrophysiologie begann B. seine literarische Tätigkeit (2 — 1862) schon als Student und Praktikant im Berliner physiologischen Institute durch Konstruktion eines Reizapparates, welcher infolge Zu- oder Abnehmens einer Nebenschliessung mit gleich- mässiger Geschwindigkeit die Erzeugung eines geradlinig ansteigenden Reizstromes gestattet; zu diesem Behufe wird ein an einem schwingen- den Pendel befestigtes Kreisbogenstück eines Platindrahtes in Queck- silber eingetaucht oder aus diesem herausbewegt. In seiner ersten bioelektrischen Untersuchung (8, 9, 10 — 1866), welche bereits in Heidelberg angestellt wurde, konnte B. am mark- haltigen Froschnerven die Verstärkung der negativen Schwan- kung bei Versetzen der gereizten Stelle in Katelektrotonus (bei Vermeiden zu starker Ströme!), umgekehrt die Schwächung im Anelektrotonus nachweisen. Es war damit eine volle Analogie 1) Vgl. dazu speziell meine übersichtliche Darstellung: Die Lehre von der tonischen Innervation. Wiener Klin. Wochenschr. Jg. 27, Nr. 13, 1914. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 9 zwischen den Äusserungen der nervösen Erregbarkeit am innervierten Muskel und am Längsquerschnittstrome bzw. Galvanometer dargetan. Ferner erwies B. das Erfolgen einer stets gegensinnigen, also wahrhaft negativen Schwankung des elektrotonischen Zuwachsstromes (unter Ableitung von zwei Oberflächenpunkten) bei Reizung des Nerven und die Zunahme dieser Schwankung mit der Stärke des Zuwachses. Auch legte B. die Komplikationen dar, welche sich bei der algebraischen Summierung von Längsquerschnittstrom und elektrotonischem Zu- wachsstrom für Sinn und Grösse der Erregungsschwankung sowie aus dem Einflusse des elektrotonisierenden Stromes auf das Leitungs- vermögen ergeben. Die Erregung des Nerven äussert sich demnach bioelektrisch in derselben Weise — nämlich in Form einer negativen Schwankung —, gleichgültig, ob ein ‚„‚Grundstrom‘“ dauernd durch künstlichen Querschnitt oder temporär durch Herbeiführung von Elektrotonus geschaffen wird. Diese Analogie beweist zugleich die physiologische Natur des Elektrotonus und widerlegt die Annahme einer (sc. ausschliesslichen!) physikalischen Grundlage desselben. Eine ganze Reihe von geradezu klassischen Einzeluntersuchungen (13, 14, 15 — 1867-1868) sowie die bekannte Monographie ‚‚Unter- suchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsystem (21 — 1871) widmete B. dem Problem der Fortpflanzungs- geschwindigkeit der negativen Schwankung im Nerven und im Muskel, verglichen mit der Ausbreitung der Kontraktion, ferner der Frage nach dem zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung des Nervenstromes (13, 14, 15 — 1867—1868; 21 — 1871) und des Muskelstromes (21 — 1871). B. gründete diese Unter- suchungen auf sein Differential-Rheot-mverfahren!), welches dank den an einem Rade angebrachten Reiz- und Ableitungskontakten einerseits gestattet, bioelektrische Ströme nach einem beliebigen Zeit- intervall nach vollzogener Reizung zum Galvanometer abzuleiten, andererseits es ermöglicht, beliebige homologe Stücke aus einer Serie rhythmisch wiederholter Stromeskurven herauszuschneiden und sum- mativ zur Einwirkung auf ein relativ träges Galvanometer zu bringen und aus diesen Werten die Stromkurve selbst zu konstruieren; so wurde zuerst von B. die steil ansteigende und langsam abfallende Kurve der negativen Schwankung auf Grund von 10 Einzel- - reizungen pro Sekunde ermittelt. Vor Erfindung der photographischen ee rievung des ganzen Schwankungsverlaufes mittels Telephon ‘), L) Siehe auch B.’s ablehnende Kritik der von L. Hermann, Notiz über eine Verbesserung am repetierenden Rheotom (Pflüger’s Archiv Bd. 27.8. 289. 1882) vorgeschlagenen een am Differential- rheotom (52, spez. S. 229 — 1886). 2) Die Verwendbarkeit: des bon zum Nachweis der ‚elektrischen 10 A.v. Tschermak: Kapillarelektrometer ‚und Saitengälvanometer stellte das Rheotom- verfahren die zwar umständliche, doch souveräne Untersuchungs- methode dar. Aber auch heute ist das Rheotom noch sehr wohl zu mancherlei Versuchungsanordnungen, zum Beispiel zur Abblendung der einen Phase von Induktionsströmen, mit Nutzen zu verwenden. Zunächst erwies B. (9 — 1866; 13 — 1867), dass die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der negativen Schwankung übereinstimmt mit der von Helmholtz ermittelten Geschwindigkeit der Erregungsleitung im ausgeschnittenen Froschnerven (25—32 m, im Mittel 28 m) und somit die ‚„„Dauer‘‘ des elektrischen Vorganges (siehe unten!) an einer unendlich schmal gedachten Nervenstrecke zu 0,6—0,7 o (co = 0,001”), die Länge der Schwankungswelle zu 13—19 mm, mindestens zu 15 mm zu berechnen ist. Zwischen dem Moment der Reizung und dem Beginn der Schwankung vergeht kein durch unsere Mittel messbarer Zeit- raum (21, spez. S. 538 — 1871; vgl. auch 45, spez. S. 333 — 1882; 55, spez. S. 94 — 1888). Im unversehrten Nerven nimmt B. ein Gleichbleiben der Schwan- kungswelle bei ihrer Fortpflanzung an (21, spez. S. 152 — 1871). B. er- wies auch das Wachsen der Grösse der negativen Schwankung mit der Reizstärke, und zwar noch weit über den Betrag des manifesten Nervenstromes hinaus, sogar bis zum 8,7fachen!). Auf Grund dieser klassischen Feststellungen betrachtete B. den Vorgang der Erregung als zusammenfallend mit jenem der negativen Schwankung und bezeichnete die ablaufende bioelektrische‘ Welle geradezu als „Reizwelle‘“ oder „Erregungswelle“ °), die Reiz- welle selbst als ‚das Bild des im Nerven ablaufenden Erresungs- vorganges“‘ (15, spez. S. 199 — 1868). B. hat damit unstreitig Stromesschwankungen im erregten Muskel (bis zur Frequenz von f’” - 704 S) hat B. mit K. Schoenlein (41 — 1881) zuerst erwiesen, Fr. Lee bestätigt (Über die elektrischen Erscheinungen, welche die Muskelzuckung begleiten. Du Bois’ Archiv für Physiol. 1887, S. 204). 1) Später hat B. (55, spez. S. 76 — 1888) in besonderen Versuchen gezeigt, dass auch bei fast verschwundenem bzw. durch innere Polarisation verdecktem Nervenstrom eine erhebliche negative Schwankung erfolet, und dass deren Grösse keineswegs in demselben Verhältnisse abnimmt als die Kraft des Nervenstromes, wie auch das Anlegen eines neuen Quer- schnittes meist kein merkliches Wachsen der negativen Schwankung bewirkt. 2) Dieser Ausdruck ist meines Erachtens insofern ein recht glücklicher zu nennen, als er dem Begriffe des wie immer beschaffenen ‚‚Kontinuitäts- reizes‘ als Grundlage des Leitungsvorganges gerecht wird. Die häufigere Anwendung des Terminus ‚‚(elektrische) Erregungswelle‘‘ wäre nicht bloss historisch gerechtfertigt, sondern auch sachlich von Vorteil, zumal da man damit nicht notwendig die L. Hermann’sche Theorie einer elek- trischen Natur des Kontinuitätsreizes, also der Wirkung des Aktions- stromes als Leitungsreizes, zu verknüpfen braucht. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 11 als erster die Tatsache des wellenförmigen Fortschreitens der bioelektrischen Tätigkeitsäusserung festgestellt und die Auffassung begründet, dass sich die Erregung in Form einer elektrischen Welle fortpflanzt. Mit vollem Recht hat B. (spez. 10% — 1904) seine bezügliche Priorität gegenüber L. Her- mann vertreten, welcher im wesentlichen B.’s Beobachtungen nur bestätigt und für die negative Schwankung den Ausdruck ‚‚ein- phasischer Aktionsstrom“, für die gleichfalls zuerst von B. genauer festgestellte Doppelschwankung den Ausdruck ‚zweiphasischer Aktions- strom‘ !) geschaffen hat. In messenden Versuchen am ausgeschnittenen Froschmuskel (Sar- _ torius oder Adductor magnus et longus) ermittelte B. zunächst (13 — 1867) den Wert von 3 m als Fortpflanzungsgeschwindigkeit, von 3 © als örtliche ‚Dauer‘ (siehe unten!) des elektrischen Vorganges, von 10mm als Länge der Reizwelle. Schon damit ergab sich mit Wahrschein- lichkeit die Identität der Geschwindigkeit von Erregungs- welle und Kontraktionswelle (zunächst von Aeby mit 1 m bestimmt). Der oben zitierte Wert von 3 c als örtliche ‚‚Dauer‘‘ war von B. an einem nicht hochgradig empfindlichen, trägen Galvano- meter (Meyerstein’sche Spiegelbussole mit einfachem Magnet oder astatischem Nadelpaar an 1,3 m langem Kokonfaden aufgehängt, ohne Astasierungsmagnet) ermittelt worden. Da B. andererseits damals das Latenzstadium des Muskels nach Helmholtz mit dem relativ hohen Werte von 10—20 o ansetzte, gelangte er zu der These, dass der bioelektrische Vorgang, wenigstens der Hauptsache nach, inner- halb des Latenzstadiums ablaufe, so dass im Zustande der Kontraktion des Muskels selbst keine Änderung des elektromotorischen Verhaltens zu bemerken sei. Diese Formulierung erwies sich nach späteren Unter- suchungen als nicht ganz zutreffend (siehe unten). (Den Beginn der negativen Schwankung bereits im Latenzstadium hatte schon v. Bezold (1861), und zwar auf Grund des sehr geringen Zeitunterschiedes im Beginn der primären und der sekundären Zuckung, ebenso F. Holm - gren (1864) nachgewiesen.) — Bei Ableitung von zwei Oberflächen- punkten beschrieb B. als erster — nach einer nur ungefähren Angabe von Meissner und Cohn (1862) — die negativ-positive Doppel- schwankung des Muskelstromes, welche bald darauf S. Mayer (1868) mittels des Rheotoms analysierte und später L. Hermann’) als - „doppelphasischen Aktionsstrom‘“ bezeichnete.’ Als erster hat B. bereits 1) Persönlich halte ich den Ausdruck „Erregungsstrom‘“ für den besten. 2) Derselbe hat die zuerst von B. am Muskel gefundene Doppel- schwankung zunächst am Nerven bestätigt (Untersuchungen über die Aktionsströme des Nerven. Pflüger’s Archiv Bd. 18 S. 574. 1878 und Bd. 24 S. 246. 1881), was auch B. selbst tat (52, spez. S. 217ff. — 1886). 12 A.v. Tschermak: 1867 den Satz formuliert, dass jeder innerhalb der fortschreitenden Erregungswelle gelegene Oberflächenpunkt sich negativ verhält gegen jeden ausserhalb der Krregungswelle gelegenen. Nach den relativ kurzen Mitteilungen aus dem Jahre 1867 (13, 14) über die Erregungswelle am Nerven und am Muskel brachte eine ausführliche Abhandlung (15 — 1868) die Beschreibung des Rheotoms und die detaillierten Ergebnisse bezüglich des Nervenstroms. Dieselbe wurde später (1871) als erster Abschnitt der Monographie ‚Unter- suchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsysteme‘“ (21) vollständig wiedergegeben. Ausserdem enthält dieses grundlegende Werk, das auch heute noch jeder junge Physiologe durchstudieren sollte, als zweiten Abschnitt die ausführliche Untersuchung über den zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung des Muskelstromes. In Ergänzung der bezüglichen ersten Mitteilung (13 — 1867) ergeben sich als Mittelwerte 2,5 o für die Gipfelzeit!), 3,9 o für die ‚Dauer‘ der örtlichen Negativität, 2,927 m für die Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Reizwelle, 9,75 mm für die Wellenlänge am Muskel im Gegen- satze zu 0,6—0,7 o bzw. 283 m und 18,5 mm am Nerven (21, spez. S. 56 — 1871). Bei der geringen Länge der Froschmuskeln nimmt also die Erregungswelle nur etwa!/,bis!/, der Muskelfaserlänge ein, hin- gegen ein nur kleiner Teil (1/,. bis /,) der Kontraktionswelle schon die ganze Faserlänge °). Speziell betont B. das Nachlaufen der ca. 240 mm langen Kontraktionswelle, an welcher sich am ausgeschnittenen Muskel ein deutliehes Intensitätsdekrement ergab, hinter der etwa 10 mm langen Reizwelle mit etwa 20 mm Intervall (bei 0,01’ Latenzstadium und 3 m Fortpflanzungsgeschwindigkeit — vgl. 21, spez. S. 59, 90). B. formulierte damals den heute allerdings nicht mehr aufrecht- zuerhaltenden Satz: ‚Jedes Element der Muskelfaser vollzieht erst den Prozess der negativen Schwankung, bevor es in den Zustand der 1) Obiger Wert war von B. für die Gipfelzeit der ersten Phase der doppelsinnigen Erregungsschwankung am M. gastrocnemius des Frosches bei indirekter Reizung bestimmt worden. Am M. sartorius des Frosches fand L. Hermann (Versuche mit dem Fallrheotom über die Erregungs- schwankung des Muskels. Pflüger’s Archiv Bd. 15 S. 233. 1877) mittels des Fallrheotoms eine Gipfelzeit von 1,1—1,5 o. S. Garten (Über rhythmische Vorgänge im quergestreiften Skelettmuskel. Abh. d. Sächs. Ges. d. Wiss. Bd. 26 Nr. 5. 1901; Beiträge zur Kenntnis des Erregungs- vorganges der Nerven und Muskeln des Warmblüters. Zeitschr. f. Biol. Bd. 52 S. 534. 1909) erhielt am M. sartorius des Frosches an der Stelle direkter Reizung 1,6—2,0 o — nach Fortpflanzung über 20 mm Strecke 2,4—3,6 o —, am M. gastroenemius des Kaninchens bei indirekter Reizung 2,0 o Gipfelzeit und 8S—10 os Gesamtdauer der Erregungsschwankung. 2) Die damaligen Betrachtungen B.’s gewinnen spezielles Interesse angesichts der Theorie der kleinsten Wellen von M. Heidenhain (Plasma und Zelle II. S. 669ff, Jena 1911). Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 3 Kontraktion eintritt“ (21, S. 60, 92, 158). Die Erregungswelle be- trachtet B. als notwendige Vorbedingung der Kontraktionswelle (S. 92). B. stellte auch als erster (21, S. 68) den wichtigen äusseren Unter- schied fest, dass die negative Schwankung am Muskel nur bis zur Nullinie herabführen, beim Nerven jedoch über die Nullinie des Nerven- stromes (d, h. seines manifesten Teiles!) hinunter zur Positivität führen kann. — Entsprechend dem Leitungsdekrement am ausgeschnittenen Muskel fand B. bei Untersuchung der negativ-positiven Doppel- schwankung einen deutlichen Unterschied in der ‚Dauer‘ (0,0039 und 0,0058’), ebenso eine geringere Gipfelhöhe im zweiten Falle (21, S.64): es ergab sich also beim Fortschreiten eine Abnahme der Erregungswelle wie auch der Kontraktionswelle (21, spez. S. 93) an Geschwindigkeit und Grösse, die wir heute als Folge des Leitungsdekrements am er- stickenden Muskel auffassen. B. betrachtete allerdings damals die Abnahme der Erregungswelle bei der Ausbreitung im Muskel — im Gegensatze zum Nerven — als einen normal-physiologischen Vorgang und bezog dieses Verhalten auf Umwandlung von Molekelbewegung in Massenbewegsung im Muskel (21, spez. S. 92ff.). Für den Muskel ist B. der Ansicht, den experimentellen Nachweis erbracht zu haben, dass die Intensität der Erregung eine Funktion der Reizwelle ist (21, spez. S. 232). Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle in der Muskelfaser stellte B. selbst (21, spez. S. 76ff.) neue Versuche an, und zwar mit Dickenschreibung am ungespannten Muskel — unter schritt- weisem Wandernlassen des Querbügels entlang dem Muskel. Er er- hielt gegenüber Aeby (1 m) und Engelmann (1,17 m) den besseren Wert von G = 3,2—4,4 m, Mittelwert 3,369 m, wobei er zur Messung zweckmässigerweise den Horizontalabstand der Wendepunkte der Zuckungskurven, nicht jenen der unscharfen Abhebungspunkte be- nutzte. Als Wert für das Latenzstadium ergab sich 0,0145—0,0226’, als lokale Dauer der Kontraktionswelle 0,0533—0,0984”, als Länge der Kontraktionswelle 198,5 — 380,0 mm. Bei niedriger Temperatur fand sich eine längere Dauer der örtlichen Verdickung mit längerem Ver- harren auf dem Maximum, eine deutliche Zunahme der Länge der Kontraktionswelle. Als interessante Reminiszenz sei hervorgehoben, dass B. zuerst die Anregung ausgesprochen hat (21, spez. S. 92, 242 — 1871), die Frequenz der Erregungswellen oder Aktionsströme bei willkürlicher wie bei reflek- torischer Erregung zu messen, also Elektromyogramme aufzunehmen, Der dritte Abschnitt der klassischen Monographie (21) bietet Be- obachtungen und Betrachtungen über den Zusammenhang von Er- regung und Reizwelle am Nerven und Muskel. B. beschreibt zunächst seinen akustischen Stromunterbrecher, welcher einerseits — je nach Länge und Dicke der schwingenden Feder — eine Variation der Frequenz 14 | A. v. Tschermak: der Stromunterbrechungen (in B.'s Versuchen von 100— 1400 Schwin- gungen pro 1”) gestattet, andererseits durch Verwendung eines Queck- silberkontaktes unter Alkohol hohe Gleichmässigkeit der Einzelreize verbürgt. B. entdeckte damit die Erscheinung einer bloss anfänglich starken, von schwachem Tetanus gefolgten Kontraktion, der so- genannten Anfangszuckung des Muskels!), bei Zufuhr von 1) Ein alleiniges Übrigbleiben von Anfangszuckung ohne jeglichen anschliessenden Tetanus konnte B. auch bei 1760 Reizen pro 1” nicht erreichen. Ein bezügliches Missverständnis von H. Kronecker (Monats- ber. d. Berl. Akad. 6. Dez. 1877) konnte B. zurückweisen (37 — 1878). — Auch bei frequenter Reizung des N. ischiadiecus am Kaninchen konnte B. später (28 — 1875) den über 300 Reizen leiser werdenden Muskelton bis zu b” — 928 Schwingungen eben noch in gleicher Höhe wahrnehmen; darüber hinaus zum Beispiel bei Reizung mit e’””’” — 1056 S vom Nerven aus war der Muskelton um eine Quinte (f”’ = 704 S) oder um eine Oktave (528 S) niedriger, ohne dass ein entsprechender Nebenton im Reizapparat nachweisbar gewesen wäre. Die Grenze für das Schwächerwerden fällt mit der Grenze für Auftreten der :Anfangszuckung zusammen. Aus dem Ergebnis einer gewissen Selbständigkeit der Muskeltonhöhe (vgl. auch den tiefen Muskelton bei sogenannt chemischer Reizung durch Koch- salz) schloss B. auf Veranlagung des Muskels zu einer natürlichen Periodik der Reaktionsweise. Bei einer detaillierten Analyse der Anfangszuckung fand K. Schoen- lein (XV — 1882) unter B.’s Leitung, dass Anfangszuckung auch an einem Sekundärpräparat zu beobachten ist, und zwar auch schon bei geringerer Reizfrequenz, wenn nämlich der primäre Muskel ermüdet ist. Bei Verstärkung der Reize geht die Anfangszuckung bei jeder Reizfrequenz in Tetanus über, bei extremen Reizen wieder in Anfangszuckung. Die- selbe erscheint nach der Kurvenform als einfache Zuckung; bei stärkeren Reizen treten ganz kurze Tetani auf. Schoenlein betrachtet die erste Zuckung als einen Spezialfall des Helmholtz’schen Gesetzes, nach welchem sich untermaximale Reize noch summieren, wenn ihr Abstand geringer ist als das Latenzstadium. Die erste Zuckung ist hervorgerufen durch Summation durchaus unterwertiger, zur Auslösung einer Kontraktion einzeln nicht hinreichender Reize. Daraufhin stellte sich Sch. das Problem, ob nicht ein Muskel durch längerdauernde Induk- tionsreizung zu rhythmischen Kontraktionen gebracht werden könne (analog dem Herzmuskel); er fand auch tatsächlich ein solches Verhalten am Wasserkäfermuskel (2—6 Zuckungen pro 1’ bei Reizfrequenz 880 bis. 1500). — Für das Zustandekommen der ersten Zuckung kommen zweifellos mehrere Momente in Betracht, und zwar: 1. Interferenz der Erregungen (das heisst wohl besser: Refraktärphase); 2. erregbarkeitssteigernde Nach- wirkung unterschwelliger Reize, sogenannte latente Addition; 3. Er- ınüdung des Übertragungsapparates zwischen Nerv und Muskel. B. selbst (131 — 1916) hat mittels seines geradlinigen Induktoriums einwandfrei nachgewiesen, dass bei indirekter Wechselstromreizung die Stärke der Muskelerregung bis zu einer Reizfrequenz von gegen 200 wächst, darüber hinaus nicht mehr, und bringt dieses Verhalten ebenso wie bereits 1871 in Zusammenhang mit der Dauer der Erregungswelle bzw. der refraktären Periode. Mit obiger Feststellung erscheint auch der Einwand Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 15 mindestens 224—360 Reizen pro 1” (S. 108) !). B. brachte die Anfangs- zuckung in ursächlichen Zusammenhang mit der örtlichen ‚Dauer‘ der Erregungswelle im Muskel (von etwa !/,,,), und zwar in der Weise, dass „die Anfangszuckung bei schnellfolgenden Reizen aufzutreten beginnt, sobald die entstehenden Reizwellen anfangen, einander zu decken‘ °) (21, spez. S. 116), und um so schwächer wird, je mehr die Reizwellen übereinanderfallen (S. 127). Es trete damit eine Art Inter- ferenz ein ?) (S. 232). B. regt eine Untersuchung des Verhaltens der von J. K. A. Wertheim-Salamonson erledigt, dass die Anfangszuckung eine rein physikalische Folgeerscheinung sei (Über Anfangs- und End- zuckung bei Reizung mittels frequenter Wechselströme. Pflüger’s Arch. Bd. 103 S. 124. 1904). 1) Der Frage, in welcher Beziehung die im Muskel freigemachte Menge an Spannkraft zur Reizfrequenz steht, widmete B. eine eigene Experi- mentaluntersuchung (47 — 1883). Für diese konstruierte er einen neuen Kraftmesser, welcher auf dem Prinzipe der hydrostatischen Wage beruht. Der Muskel übt durch eine besondere Umschaltevorrichtung einen Druck auf die Gummimembran einer mit Wasser gefüllten Metallkapsel. Der Druck wird durch ein angeschlossenes offenes Quecksilbermanometer ge- messen, das mit einem schreibenden Schwimmer versehen ist. Es ergab sich ein Ansteigen der freigemachten Spannkraft bei Wachsen der Reiz- frequenz bis 50 oder 108 pro 1”, darüber hinaus keine deutliche Abnahme der Kratt. 2) Die Anfangszuckung in B.’s Versuchen, in welchen durch Auf- hebung einer Nebenschliessung im sekundären Kreise des Induktions- apparates mit akustischem Stromunterbrecher gereizt wurde, ist nicht etwa auf eine physikalische Komplikation — nämlich höhere Intensität des ersten Reizes der Serie (wie dies bei Schliessung des primären Stromes bzw. bei Beeinn der Federschwingung der Fall wäre!) — zu beziehen. B. hat dies mit Recht gegenüber Setschenow’s Einwand (Pflüger’s Archiv Bd. 5 S. 114. 1872) hervorgehoben (22 — 1872). Den korrekten Verlauf der Induktionsströme am akustischen Strom- unterbrecher sicherte B. noch durch Beseitigung des Öffnungsfunkens — eventuell unter Einschalten eines Galvanometers mit Nebenschliessung in den primären Kreis zur Kontrolle (47 S. 93 — 1883). Er verwendete zu jenem Zwecke einerseits an der Rolle des Unterbrechers eine Neben- schliessung aus 1 m induktionsfrei gewickelten, 0,2 mm dicken Kupfer- drahtes oder aus einem Fläschchen mit Cu-Polen in CuSO,-Lösung (bzw. Zn in ZnSO,), andererseits noch eine zweite Nebenschliessung (11,5 m eines 0,4 mm starken Cu-Drahtes) für die primäre Spirale des mit dem Unterbrecher verbundenen Induktoriums (37 8. 123 — 1878; 47, spez. S. 94 — 1883). Es wird dadurch eine weitgehende Gleichwertigkeit der einzelnen Unterbrechungsakte und eine nahezu vollkommene Ausgleichung von Schliessungs- und Öffnungsstrom erreicht. 3) Bei Versuchen über Anfangszuckung und Schwellenbestimmung für Reize verschiedener Frequenz ist sehr wohl zu berücksichtigen, dass die Intensität der Einzelinduktionsströme herabgehen muss, sobald die Schliessungsdauer unter die Zeit sinkt, welche der primäre Strom braucht, um unter Kompensierung der sich entgegenstellenden Schliessungsextra- ströme bis zur konstantbleibenden ‚vollen‘ Höhe anzusteigen. Unter- 16 A. v. Tschermak: negativen Schwankung nach Doppelreizung mittels Rheotom an (S. 233). — Heute schliessen wir, dass bei einer so raschen :Reizfolge der zweite Reiz bereits in das durch den ersten Reiz gesetzte rela- halb dieses Wertes wird die Intensität der Einzelreize mit wachsender Unterbrechungsfrequenz bzw. mit abnehmender Schliessungsdauer immer geringer, nähert sich also dem Schwellenwert für den gegebenen Muskel, um schliesslich unterschwellig zu werden. (Zuerst von E. du Bois- Reymond erkannt, Ges. Abt. I. S. 254; von B. wiederholt hervorgehoben, speziell 22 — 1872; 37, spez. S. 122 — 1878; 47, spez. S. 95 — 1883.) — Ein fast momentanes Ansteigen und Abfallen des primären Stromes und eine fast momentane Dauer der Induktionsströme, welche selbst bei Unterbrechungen zu mehreren Tausend in der Sekunde nicht übereinander- fallen, lässt sich hingegen erreichen, wenn man als primäre und sekundäre Leiter nicht Spiralen, sondern parallele Zickzackdrähte, also ein sogenanntes seradliniges Induktorium nach Bernstein (151 — 1916) verwendet. Auch muss zu diesem Zwecke der akustische Stromunterbrecher von einer selbständigen Stromquelle betrieben und die Schliessung und Öffnung des Primärkreises durch einen mit der schwingenden Feder isoliert ver- bundenen Hg-Kontakt oder einfach durch einen zweiten, konsonant ge- stimmten akustischen Stromunterbrecher bewerkstellist werden, dessen Spirale in den Kreis des ersten Unterbrechers miteinbezogen ist. Das wichtige, noch heute nicht erschöpfte Problem des tatsächlichen Reizverlaufes in unseren physiologischen Apparaten gegenüber dem theo- retisch angenommenen behandelte B. durch Studien über den Verlauf der Induktionsströme (19 — 1870; 20 — 1871; 60 — 1890). Er erwies zunächst (20 — 1871) das Auftreten elektrischer Schwingungen bei In- duktionswirkung. So liessen sich in einer Spirale nach Öffnung eines Kettenstromes alternierende ÖOszillationen nachweisen, welche nach Aus- weis des Differentialrheotoms durch 1 o nach der Öffnung ablaufen und 0,1—0,05 o Einzeldauer haben. Der sogenannte Öffnungsinduktionsstrom einer offenen sekundären Spirale besteht demnach aus einer Schar raach abklingender rhythmischer Wechselströme (etwa 10—20), während in einer dauernd geschlossenen Sekundärspule nur positive Phasen auf- treten, jedoch durch längere Zeit (2—3 0). Ganz Analoges ergab sich in besonderen Versuchen für den Öffnungsvorgang in der primären Spirale. [Das Vorkommen solcher elektrischer Schwingungen in einer unter grossem Widerstand geschlossenen Sekundärspirale hatte übrigens bereits H. v. Helmholtz (Abh. des nat.-med. Ver. Heidelberg 5, 27, 1860 vgl. auch Pogg. Ann. Bd. 83, S. 505, 1851 und Ges.Abh. I, 429 und 531) ver- mutet.] B, ergänzte diese Studien an geradlinigen metallischen und flüssigen Leitern; an den ersteren wurde nur eine Oszillation beobachtet, an den ‚letzteren hingegen ein mehrfaches Hin- und Herschwingen wie an einer Spirale (vgl. auch die Abhandlung von Schiller, Pogg. Ann. Bd. 152, S. 535, 1872). Zwei Dezennien später (60 — 1890) schloss B. daran die phototelephonische Untersuchung des zeitlichen Ver- laufes der Induktionsströme. Er liess ein schmales Lichtbündel, das an einem durch einen Steg mit der Telephonplatte in Verbindung stehen- den Spiegelchen reflektiert wurde, sich auf photographischem Papier aut- zeichnen. Die Bilder sind allerdings durch erhebliche Eigenschwingungen der Telephonplatte gestört, so dass die früher von B. im Prinzip fest- gestellte Schar rhythmischer Schwingungen bei Öffnung nicht heraus- Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 17 tive Refraktärstadium fällt und daher fast unwirksam bleibt }). Aus B.’s Entdeckung ergibt sich nach der heutigen Auffassung jeden- falls, dass das Refraktärstadium am Muskel die damals bestimmte „Dauer‘‘ der negativen Schwankung von etwa 1/5, bzw: 4 o nicht überschreitet und kleiner ist als das Latenzstadium , welches damals allerdings auf 0,01—0,02” veranschlagt wurde. B. entwickelte damals (21, spez. S. 120ff. — 1871) eine rein physi- kalische Theorie des Erregungsvorganges in der Nerven- und Muskel- faser, nach welcher die durch Kontraktion sich äussernde Leistung eines Elementes der Muskelfaser eine Funktion der Erregungswelle sei, und zwar der Geschwindigkeit, mit welcher sich die Höhe der Reizwelle in dem betreffenden Element ändert (21, spez. S. 125, 133); demnach erscheint bloss das Reizwellendifferential als bedeutsam. B. suchte ferner nach Analogien zur Anfangszuckung — d.h. zur Grössenabnahme des Reizeffektes oberhalb einer gewissen Reiz- frequenz — an sensiblen Nerven, obzwar diese ja vielfach erst durch Vermittlung besonderer Sinnesepithelien oder Rezeptionszellen gereizt werden. An Tastnerven sah B. eine solche Analogie in der Unterscheidbarkeitsgrenze für Diskontinuität der Reize. Als solche fand er 2000—4000 (in Bestätigung von Wittich 1869), während er die Zahl 1600 als Beginn des Übereinanderfallens der einzelnen Erregungswellen im Nerven berechnete. Das Sehorgan schliesst B. von der Betrachtung aus, indem er für dieses keine direkte, sondern eine lesbar ist. — Die von B. wiederholt ausgesprochene Mahnung, bei Ver- suchen mit möglichst kurzer Reizdauer die den Reizverlauf verlängernden Eisenkerne (vgl. auch M. Gildemeister, Pflüger’s Arch. Bd. 131 S. 601. 1910; s. auch E.G. Martin, Americ. Journ. of physiol. 36, 223, 1915) aus der primären Spirale zu entfernen, erwies sich als völlig berechtigt. Gleichverlaufende Induktionsströme von isoperiodischer Schwingung er- zielte B. durch Verwendung von 12 Daniells und von 20 Siemenseinheiten. Widerstand im Primärkreis bei Einschaltung einer induktionsfreien Neben- schliessung von 5 Siemenseinheiten. Von B.s sehr beachtenswerten physikalischen Arbeiten sind wohl die oben erwähnten Studien über elektrische Schwingungen die wichtigsten. B. ist damit — gleichwie später W. v. Bezold sowie ©. Lodge und Fitzgerald — zu einem Vorläufer von H. Hertz gewörden, der auch B.s Beobachtungen zitiert. Nach der Faraday-Max wellschen Theorie wäre im Anschluß an die Schwingungen in Spiralen ein Wellenvorgang im freien Raume zu erwarten gewesen, wie ihn später H. Hertz (Wiede- manns Ann. Bd. 31, S. 421, 1887 und Untersuchungen über die Aus- breitung der elektrischen Kraft. Leipzig 1892) nachwies.. (Den Hin- weis auf die Beziehungen der Arbeiten von B. und H. Hertz verdanke ich der Liebenswürdigkeit von Professor Dr. F. Bernstein in Göttingen.) 1) Am menschlichen Muskel hatten Helmholtz und Baxt (Monats- bericht d. Berl. Akad. 1870 S. 189) bereits bei 2 o Intervall beginnende, bei 3,3 o schon deutliche Superpositionswirkung zweier Reize erhalten. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 2 18 A. v. Tschermak: indirekt-photochemische Einwirkung des rhythmischen Lichtreizes als wahrscheinlich bezeichnet (21, spez. S. 132). Auf dem Gebiete des Gehörs- sinnes zieht B. das Leiserwerden hoher Töne (schon über 3000 S — er- wartet bei 1600 S) als Analogie heran. Gewiss sind B.’s Betrach- tungen — zumal angesichts des neueren Nachweises von nervösen Erregungsrhythmen auch bei konstanter Reizung — von Interesse, doch begegnet die Analogisierung und Berechnung für indirekt er- regte rezeptorische Nerven erheblichen Einwänden. Immerhin glaubte B. die Formel für die Erregung im Muskel auch für den Nerven als gültig annehmen zu können, wonach die jeweilige Erregungsgrösse als Funktion des Differentials der Reizwelle nach der Zeit erscheint — ähnlich wie nach E. du Bois-Reymond die Er- regung durch zugeführte elektrische Ströme nur vom Differential der Stromstärke abhängig ist. Muskel und Nerv werden sonach als ‚‚Diffe- rentialreagenten“ [A. v. Tschermak!)] xaT” e&oynv betrachtet. — Den Erregungsvorgang selbst erklärte B. in seiner Monographie (21, spez. S. 142) zunächst als einen Vorgang an den elektromotorischen Molekeln im Sinne von E. du Bois, die Erregung als die lebendige Kraft der in Bewegung befindlichen Molekeln — als Schwingung derselben aus ihrer Gleichgewichtslage heraus. B. gelangte daraufhin zu der heute nicht mehr vertretbaren Vorstellung, dass die mechanische Arbeit und die Wärme im Muskel aus der lebendigen Kraft der Er- regungswelle hervorgehe (21, spez. S. 155). Der vierte Abschnitt von B.'s klassischer Monographie (21 — 1871) behandelt den Erregungsvorgang in den empfindenden Nerven- zentren. B. suchte nach indirekten Beweisgründen für die Annahme bioelektrischer Erregungswellen und seiner daraus abgeleiteten theore- tischen Vorstellungen auch bezüglich der sensiblen Zentralorgane. Er weist zunächst die alte Vorstellung eines Überspringens der Erregung von einer Nervenfaser auf die andere, speziell die Hypothese von der sogenannten Querleitung im Rückenmark, auch das praktische Vor- kommen von sekundärer Reizung einer Faser durch die Erregungswelle in der anderen zurück (8. 169). B. machte hiebei die Annahme (21, spez. S. 171, 177) eines Intensitätsverlustes der Erregung in den Ganglien- zellen infolge erhöhten spezifischen Widerstandes — im Gegensatze zu einer widerstandslosen Ausbreitung in den Nervenfasern. Mit Hilfe dieser Annahme suchte er bereits 1868 (17) und nunmehr aus- führlicher (21, spez. S. 178ff.) das psychophysische Gesetz Fechner’s. dessen Wert und Gültigkeit wir heute allerdings ziemlich kritisch beurteilen, zurückzuführen auf Irradiation, d. h. flächenhafte Aus- breitung im Zentrum, und auf einfache Proportionalität, indem die’ Stärke der Empfindung der Zahl der im Zentrum erregten Elemente 1) S. speziell Allgemeine Physiologie I (1), spez. S. 21. Berlin 1916. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 19 parallel gehe (S. 177, 202). Der Verlust an Erregungsgrösse, welcher in der Nervenzelle erfolge, entspreche der zur Auslösung der Emp- findung aufgewendeten Kraft. Die sogenannte Irradiation bezieht B. auf Querausbreitung der Erregung im Zentralorgan von Zelle zu Zelle unter Intensitätsabnahme, entsprechend einem charakteristischen Widerstand (17 — 1868, sowie 21, spez. S. 237). Nach diesen Gesichtspunkten sucht B. die Erscheinung der Weber- sehen Empfindungskreise des Tastsinnes der Haut zu er- klären. Die örtliche Unterscheidbarkeit von zwei Eindrücken wird darauf bezogen, dass die Koinzidenzfläche der beiden Irradiations- kurven im Zentralorgan eine merkliche Einsenkung bzw. zwei Maxima aufweist — was dann eintritt, wenn das Zusammenfallen erst ausser- halb der Wendepunkte beider Kurven erfolgt. In besonderen Ver- suchen (21, spez. S. 194, 198) fand B. die Reizstärke ohne Einfluss auf die Grösse des Empfindungskreises (S. 194ff.). Der Ort des Reizes wurde stets in das Maximum der summativen Empfindungskurve verlegt (S. 193). — Wenn auch der moderne Sinnesphysiologe, gar ein Vertreter der exakt-subjektivistischen Auffassung wie der Verfasser dieses Lebensbildes, sich mit vielen Ausführungen dieses Abschnittes von B.’s Monographie nicht identifizieren wird, so muss doch der Anregungswert von B.’s damaligen Ausführungen ohne weiteres zu- gegeben werden. Seine vorzügliche mathematische bzw. graphische Darstellung bleibt ja aufrecht, wenn man auch an die Stelle zentraler Erregungsirradiation eine periphere Reizaberration setzt — beim Druck- sinn entsprechend der örtlich verschiedenen Flächenform der als Reiz wirksamen Hautdeformation — und an die Stelle eines ‚spezifischen Widerstandes in den Zentralzellen‘‘ die Unterschiedsempfindlichkeit der gleichzeitig gereizten Elemente des Tastorgans selbst. Der fünfte Abschnitt behandelt den Erregungsvorgang in den „motorischen“ Nervenzentren des Herzens. Im Geiste der da- maligen Zeit betrachtete B. die Herzganglien als motorisch, deutete auch den zweiten Stannius’schen Versuch als Folge von Reizung der Atrioventrikularganglien (21, spez. S. 206). B.’s Versuche (S. 208ff.) betrafen hauptsächlich die Einwirkung des konstanten Stromes auf das ausgeschnittene, vom Sinus abgetrennte Froschherz, an dessen isolierter Kammer bereits Eckhard sowie Heidenhain rhythmische Pulsationen bei konstanter Durchströmung beobachtet hatten. B. er- hielt nach anfänglicher Totalkontraktion eine längerdauernde Puls- reihe, oft in Serien, während der Schliessung — und zwar auch nach Einschleichen ($. 219). Bei der Öffnung wurde oft wieder Totalkontrak- tion, jedoch keine Nachdauer der Rhythmik beobachtet. B. bezeichnet die Herzkontraktion ‘als in der Regel am jeweiligen Anodenherzteil beginnend. (Nach einigen eigenen Versuchen scheint dass Verhalten 9%* _ 20 A.v. Tschermak: ud ein kompliziertes zu sein, indem die Kontraktion von Vorhof und Kammer eine nahezu gleichzeitige zu sein scheint, wobei öfters der anodische Herzteil etwas voraneilen mag.) Zur Erklärung nahm B. damals Elektrotonisierung der ‚motorischen‘ Herznerven an, welche von den als reflektorischen Zentren betrachteten Atrioventrikular- ganglien nach Vorhof und Kammer in gegensätzlicher Längsrichtung verlaufen. Die Erregungsleitung vom Vorhof zur Kammer dachte sich B. schon damals als ohne Vermittlung der Atrioventrikular- ganglien zustandekommend. — Heute werden wir, nachdem eine erregende Wirkung der Kathode, eine hemmende der Anode auch am Herzmuskel sichergestellt ist (Biedermann 1884), B.’s Ergebnisse auf Katelektrotonisierung des „‚‚subsidiär automatischen‘ [nach A. v. Tschermak!)] atrioventrikularen Verbindungssystems zurück- führen, ohne dass damitallerdings die Erklärung bereits vollkommen wäre. In der Schlussbetrachtung seiner Monographie bezieht B. sowohl die Fähigkeit des Muskels elektromotorisch zu wirken als das Kon- traktionsvermögen auf eine gesetzmässige molekulare Anordnung, deren spezielle Natur jedoch zunächst ganz dahingestellt bleiben muss (S. 236). Zudem sprach B. bereits damals (21, spez. S.242 — 1871) den Plan aus, » die negative Schwankung an den Vorderwurzeln des Rückenmarkes bei reflektorischer Erregung von den hinteren aus zu untersuchen, den er erst viel später (83 — 1898) zur Ausführung brachte. Ferner äusserte er die Vermutung (S. 242), dass auch bei künstlicher Reizung der Hinterwurzeln in beliebiger Frequenz die bioelektrische Reaktion der Vorderwurzeln in einem fixen, dem Muskelton der Willkürerresung entsprechenden Rhythmus (von Helmholtz auf 32 pro 1” angegeben) erfolgen dürfte. Auch könnte die einzelne Reizwelle dabei eine Änderung des Verlaufes erfahren. Die grundlegende klassische Monographie B.’s, welche wohl die höchste Leistung seines literarischen Schaffens dieser Art genannt werden darf, bezeichnet zugleich eine ganze Reihe von Spezial- problemen, die B. teils selbst weiter verfolgte, teils zur Anregung für fremde Bearbeiter aufstellte. Wir sahen, dass dieser Anregungswert auch heute noch nicht erschöpft ist. — Zunächst sei als Ergänzung zur Monographie eine Untersuchung genannt, welche B. in Gemein- schaft mit J. Steiner über die Fortpflanzung der Kontraktion und der negativen Schwankung im Säugetiermuskel (30 — 1873) ausführte. An dem von der unteren Insertionsstelle abgetrennten 1) Vgl. meine Physiologie des Gehirns, Handbuch der Physiologie, herausg. von W. Nagel, Bd. 4 (1), spez. S. 91, Braunschweig 1905 sowie meine Abhandlung über die Inervation der hinteren Lymphherzen bei den anuren Batrachiern. Pflügers Arch. Bd. 119, S. 165, 1907. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 21 und freigelegsten, doch noch durchbluteten M. sternocleidomastoideus des Hundes ergab sich als mittlere Fortpflanzungsgeschwindigkeit der unter Dekrement sich ausbreitenden Kontraktion 3,5 m (für den in- takten Zustand auf 4—5 m geschätzt). Als Latenzstadium wurden 17—28 o, als lokale Dauer der Kontraktionswelle 270—500 o, als Wellenlänge 1050—1928 mm ermittelt. Die letzteren Werte sind etwa 5—7mal so gross als beim Frosche (im Mittel 76 o bzw. 240 mm); für den Kaninchenmuskel in situ reduzieren sich dieselben auf etwa SO s bzw. 280 mm (Oberschenkel) bzw. 147 o oder 515 mm (Waden- muskulatur). Für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregungs- schwankung ergaben sich an Kaninchenmuskeln Werte zwischen 2 und 6 m, an „‚Dauer‘“ der Schwankung 1,8—3,4 o. Mit zweifellosem Rechte bezeichnete B. später (?% — 1897) seine mit Verdiekungsschreibung am ungespannten Froschmuskel erhaltenen Werte von 3—4 m Fort- pflanzungsgeschwindigkeit (von L. Hermann mit 3 m bestätigt) als einwandfreier wie die von Th. W. Engelmann nach anderem Ver- fahren ermittelte Zahl von 6 m. Auch bestritt B. die Angabe desselben Autors, dass die Geschwindigkeit der Erregungsausbreitung von der Reizstärke unabhängig sei; zu Anfang des Wachsens der Reizstärke sei eine Zunahme, über ein bestimmtes Reizmaximum hinaus Konstanz festzustellen (@% — 1897; S2 — 1898). — Sachlich schliesst sich hier an das Ergebnis einer später ausgeführten Untersuchung B.’s über die Latenzdauer am ausgeschnittenen Froschmuskel (75 — 1897). Bei photographischer Registrierung der lokalen Dickenänderung mittels Spiegelchen (Reflexionsmethode nach Joh. Czermak) fand B. den wohl korrektesten !) Latenzwert von mindestens 4,8 o und darüber, während Tigerstedt ”) bei Registrierung der Zuckung des Gesamt- muskels Werte bis 3 o hinunter bzw. 4—6 o als Mittel (gegenüber dem Mittelwert von 10 o nach Helmholtz) angegeben, ja — gewiss mit Unrecht — das Bestehen eines wahren Latenzstadiums überhaupt bezweifelt, bzw. mechanische Latenz und Gipfelzeit der negativen Schwankung als Grössen gleicher Ordnung erklärt hatte. Besonders wichtig sind B.’s weitere Untersuchungen und Aus- führungen über die Dauer der Erregungsschwankung und über das Verhältnis von Reizwelle und Kontraktionswelle. Er gelangte dabei zu einer gewissen Korrektur seines ursprünglichen 1) Vgl. die Ausführungen in Anm. 2 8. 60. 2) R. Tigerstedt, Untersuchung über die Latenzdauer der Muskel- zuckung in ihrer Abhängigkeit von verschiedenen Variabeln. Du Bois’ Arch. f. Physiol. 1885 Suppl. S. 111. — Vgl. auch J. Gad’s Wert von 4 co als kürzestes Latenzstadium am Gastrocnemius bei Zuckung des Gesamtmuskels (Über das Latenzstadium des Muskelelementes und des Gesamtmuskels. Du Bois’ Arch. f. Physiol. 1879 S. 250). 22 A. v. Tschermak: Standpunktes über die ‚Dauer‘ der negativen Schwankung (vgl. oben 8.10, 11, 12, 13). Seine ursprünglichen Messungen mit etwa 46 als ‚Dauer‘ beschränkten sich eben auf den markanten Teil der Schwankungskurve bis zum Wendepunkt des abfallenden Astes (so speziell von B. betont 76, spez. S. 350—351 — 1897). Schon 1871 (21, spez. S. 52) hatte B. bei 10 Reizen in der Sekunde eine über das ganze Intervall zweier Reize reichende negative Nachwirkung beobachtet. Bei neuerlicher Erörterung des zeitlichen Verhältnisses von Erregungswelle und Kontraktionswelle betonte er später (55, spez. S. 94ff. — 1888), dass zwar der elektrische Prozess während des ersten Ansteigens der Muskel- kontraktion schon sein Maximum erreicht und meist schon über- schritten hat, dass jedoch die sehr rasch gipfelnde Schwankung lang- samer absinkt und mit einem allmählich verschwindenden Ende schliesst. Dies konnte beim Rheotomverfahren, wo sich bei perio- discher Reizung eine ständige negative Nachwirkung ergibt, nicht festgestellt werden, wurde aber von L. Hermann!) bei einmaliger Reizung nachgewiesen. — Demgemäss sei ein wirklicher „Endpunkt“ nicht zu bestimmen; nur schematisch wird der sich deutlich ab- hebende Gipfelteil bis zum Wendepunkt der Dekreszente als ‚„Schwan- kungsdauer“ bezeichnet. Daneben ist jedoch ein länger dauernder negativer Rest nicht zu verkennen ?2). Dieses langsam ablaufende Ende der Schwankung fällt je nach dem Ermüdungs- und Ernäh- rungszustand des Muskels mehr oder weniger weit in den Anfang der Kontraktion hinein ?). Gleichwohl bleibe der in der negativen Schwankung zum Ausdruck gelangende Erregungsprozess die not- wendige Vorbedingung für das Zustandekommen der mechanischen Leistung. Allerdings muss die Schwankung noch nicht ihr Maxi- mum erreicht haben ?), damit es zu einer Zuckung kommt. Nur entspricht die Kreszente der Schwankung der Spannkraftsauslösung, und ist tatsächlich ein grosser Teil der Schwankung verstrichen, ehe die Zuckung anhebt. Bei dem späteren Studium des in die 1) m Hrn ann Versuche mit dem Fall- Rıheotom über die Err egungs- schwankung des Muskels. Pflüger’s Arch. Bd. 15 S. 233. 1877. 2) Angesichts der neueren Derek hesanmmngiin am Saitengalvano- meter, welche zum Beispiel am M. gastrocnemius des Kaninchens einen Wert von etwa 9 o ergeben haben (vgl. S. Garten, Zeitschr. f. Biol. Bd. 52, S. 534, 1909), ist allerdings Vorsicht geboten, um nicht die Dauer der negativen Schwankung hinwiederum zu überschätzen. 3) Ein analoges Verhalten der nach etwa 0,13” gipfelnden Erregungs- welle und der erst 0,1—0,29’’ später beginnenden Kontraktionswelle hat R. F. Marchand (IX — 1377; vgl. auch X — 1878) unter B.’s Leitung am Herzmuskel des Frosches festgestellt. Derselbe bezeichnete auch auf rund des kontinuierlich-stetigen Ablaufes der Erregungswelle die aleiz- kontraktion als Zuckung, nicht als Tetanus. 4) Vgl. allerdings die Angaben über sehr kurze Gipfelzeiten Anm. 1 8. 12. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 1D 3 Kontraktionsphase hineinfallenden Restteiles der Schwankung sind diese Vorbeobachtungen und Definitionen B.’s mehrfach nicht beachtet und daher seine Verlegung der ‚Erregungswelle‘ in das Latenz- stadium zu Unrecht kritisiert worden !). Für das zeitliche Verhältnis von rechnung und Muskeltätigkeit war auch B.’s Nachweis (64 — 1890; vel. ‘auch Hesselbach XXI — 1884) recht interessant, dass der von ihm erstmalig nachgewiesene Zuckungsschall am Frosch- wie Kaninchenmuskel schon mit dem Beginn der Erregungs- schwankung, also im Latenzstadium, einsetzt ?). Wir hören also nieht die erst später einsetzende mechanische Muskelaktion bzw. die Spannungsänderung, sondern bereits den Molekularprozess, dessen elektrisches Zeichen die Erregungsschwankung-ist. Der mittels Telephon hörbare Schwankungsschall und der daneben mittels Stethoskop zu- geführte Zuckungsschall fallen für das menschliche Ohr zusammen, obzwar dieses noch Schallstösse von 2 o Intervall zu unterscheiden vermag. B. verwendete bei dieser Untersuchung den sehr zweck- mässigen Kunstgriff, die lebenden Muskeln in Gips einzuschliessen, wodurch jede Formänderung ausgeschlossen ist. Bezüglich des Nervenstromes führte eine von B. angeregte und Anlar seiner Leitung ausgeführte Arbeit L. Hellwig’s (XXXIX — 1896) 1) So speziell von Fr. Lee, Über die elektrischen Erscheinungen, welche die Muskelzuckung begleiten. Du Bois’ Arch. 1887 S. 210. 2) Es läge nahe, diesen Befund für den Herzmuskel zu verwerten. Bei der komplizierten Natur und Erscheinungsweise des Ekg lässt sich allerdings nicht der genaue Beginn der bioelektrischen Erregungsschwan- kung für den mechanisch wirksamen Anteil der Herzmuskulatur feststellen, da sich dieselbe mit jener für den reizleitenden Anteil kombiniert. Wohl aber wäre das zeitliche Verhältnis vom Beginn des ersten Herztones und Beginn der mechanischen Leistung genauer fest- stellbar. Die vorliegenden Zahlenangaben beschränken sich auf das Intervall von Beginn des ersten Herztones und Beginn der Kammererhebung des Spitzenstosses beim Menschen. W. Einthoven und M. A. J. Geluk {(Pflüger’s Arch. Bd. 57 S. 617. 1894) geben dafür den Wert 0,014’ an bei 0,78’ Dauer der Herzperiode; H. Gerhartz (Pflüger’s Arch. Bd. 131 S. 509. 1910) setzt hingegen den Beginn des ersten Herztones 0.012” nach Beginn des Kammerspitzenstosses. In letzter Zeit haben übrigens C. J, Wiggers und A. Dean (Proced. Soc. Exp. Biol. Vol. 14, p. 12, 1916) eine Zusammensetzung des ersten Ventrikeltones aus drei Komponenten nachgewiesen, von denen die erste — bestehend aus ein bis zwei Initialschwingungen — bereits während der Vorhofs- erschlaffung beginnt und in schwankendem Intervall dem Anstieg des intraventrikularen Druckes vorangeht, die zweite hingegen — bestehend aus 7—13 unregelmässigen Hauptschwingungen — mit dem Anfang des Druckanstieges zusammenfällt, die dritte endlich — bestehend aus einer wechselnden Zahl von Finalschwingungen — in die Austreibungsperiode fällt. 24 A. v. Tschermak: zu dem Ergebnis, dass die künstlichen Querschnitte eines Nerven eine allerdings nicht ganz regelmässige Potentialdifferenz — einen sogenannten Axialstrom — erkennen lassen !), welche mit der Länge der Nervenstrecke zunimmt, im Laufe der Zeit absinkt, bei Erregung eine negative Schwankung erkennen lässt. Von speziellem Interesse ist ferner die Vorarbeit B.’s zu der uns seit Ad. Fick so geläufigen bedeutsamen Scheidung von Auslös- barkeit (Schwellenreizbarkeit oder Reizbarkeit im engeren Sinne) und Leistungsfähigkeit, obzwar diese Bezeichnungen bei ihm da- mals noch fehlen ?). Er fand nämlich in einer besonderen Experi- mentaluntersuchung (26 — 1874), dass im Anelektrotonus des Nerven zwar die Schwellenreizbarkeit sinkt, jedoch das Maximum der durch starke Reize am Muskel ausgelösten Erregung steigt: Maximal- zuckung' und Maximalschwankung wachsen im Anelektrotonus — erstere bis zu einem bestimmten Maximum, letztere ohne feststellbare Grenze —, während im Katelektrotonus das Umgekehrte gilt. In der Parallele von Zuckung und Schwankung sieht B. übrigens eine neue Übereinstimmung zwischen dem Verhalten des bioelektrischen und des zuckungserregenden Vorganges. — B.’s Ideen knüpfen sich an die be- reits bei Pflüger angedeutete Scheidung von ‚„hemmender Kraft‘ und „angesammelter Spannkraft“. Er findet, dass obige Tatsachen °?) zu einer Vereinigung der Pflüger’schen Theorie von der Wirkung des konstanten Stromes und der elektrischen Molekulartheorie von E. du Bois-Reymond führen (Abnahme der Beweglichkeit der Molekeln bei Zunahme ihrer Spannkraft im Anelektrotonus). Immer wieder — so speziell hier (26, spez. S. 58 — 1874) — betonte B. die Willkür einer Scheidung von Physik und Chemie auf dem Gebiete der Erregungs- physiologie; schon 1874 bezeichnete er ‚chemische Affinität und elektrische Anziehung als nahe verwandt“. Hier sei auch der wichtigen Untersuchungen B.’s gedacht über den zeitlichen Verlauf der elektrotonischen Ströme des Nerven?) (39 — 1880; 51, 52 — 1886). Dieselben führten — sowohl 1) In Bestätigung von E. du Bois-Reymond, Ges. Abh. II. S. 196 und 230, 1877, und M. Mendelssohn, Über den axialen Nervenstrom. Du Bois’ Arch. 1885 S. 381. 2) Später kam B. wiederholt auf diese Scheidung zurück, so speziell 35, spez. S. 324ff. — 1877, 116, spez. S. 133 — 1908. Vgl. auch A. Tschermak (L, spez. S. 230 — 1902). 3) Seine Beobachtungen hielt B. in einer Polemik (27 — 1874) mit L. Hermann (Zur Aufklärung und Abwehr. Pflüger’s Arch. Bd. 9 S. 28. 1874) aufrecht. 4) B. war der erste (1880, 1886 — reklamiiert 107—1904), welcher die Entwicklung und Fortpflanzung der elektrotonischen Ströme am Nerven maass — eine Untersuchung, welche L. Hermann wiederholte Julius Bernstein’s Lebensarbeit. ID 25 bei Längs-Querschnitt- wie bei Längs-Längsschnittableitung — zu dem teilweise bereits von Tschirjew!) (1879) erhaltenen Ergebnis, dass diesen Strömen eine messbare Entwicklungszeit zukommt. Die Ausbreitung des Anelektrotonus erfolgt nach B. mit einer Geschwindig- keit von S m (6—16 m) pro Sekunde, jene des Katelektrotonus mit ähnlieher Grössenordnung (nach der einen Methode 3,29— 5,64 m, nach der anderen 9,47 m — wahrscheinlich 9—10 m). Der katelektrotoni- schen wie der anelektrotonischen Schliessungswelle eilt die negative Erregungsschwankung bzw. der doppelphasische Aktionsstrom voran. Der konstante Strom vermag dabei, sowohl in aufsteigender als in absteigender Richtung verwendet, unter Umständen eine absolut- negative, d. h. zur Umkehrung des manifesten Nervenstroms führende Erregungsschwankung auszulösen. — Den Ergebnissen B.’s traten später solche aus der Schule L. Hermann’s?) gegenüber, welche bei Benützung eines Fallrheotoms keine Entwicklungszeit, also keine wellenförmige Ausbreitung des Elektrotonus, speziell des Anelektro- tonus, feststellen konnten. Die Verschiedenheit der Resultate ist meines Erachtens noch nicht aufgeklärt; die Ergebnisse B.’s könnten sich auf die physiologische, jene von Hermann auf die physikalische Seite des Elektrotonus im Sinne E. Hering’s beziehen °). Spezielle Untersuchungen widmete B. (65 — 1890) — im Anschlusse an E. du Bois-Reymond*) und Hermann’) — der recht reiz- vollen Frage nach der inneren Polarisation des leitenden Gewebes, speziell dem Ablauf der Depolarisation, d. h. des Nachstromes nach Öffnung eines dem Muskel zugeführten konstanten Stromes ®). Es und in ihren tatsächlichen Ergebnissen vollkommen bestätigte (Pflüger’s Arch. Bd. 35 S. 1. 1885 und Bd. 71 S. 237. 1889). 1) S. Tschirjew, Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elekto- tonischen Vorgänge der Nerven. Du Bois’ Arch. 1879 8. 525. 2) L. Hermann (mit v. Baranowski und v. Garre), Über die Ge- schwindigkeit, mit welcher sich der Elektrotonus im Nerven verbreitet. Pflüger’s Arch. 21, 446, 1880. 3) Vgl. W. Biedermann, Elektrophysiologie S. 683, 697ff. Jena 1895; A. v. Tsehermak, Elektrophysiologie. In W. Ellenbergers’ Handbuch der vergl. Physiologie der Haustiere S. 506, spez. S. 525. Berlin 1910. 4) E. du Bois-Reymond, Ges. Abh. zur allg. Muskel- und Nerven- physik. Nr. II S. 13 und Nr. XX S. 191; Untersuchungen II (2) S. 377. 5) L. Hermann, Untersuchungen über die Polarisation der Muskeln und Nerven. Pflüger’s Arch. Bd. 42 S. 1. 1888. 6) Bezüglich der Ionenkonvektion bei Polarisation emenkts B. (66 — 1890) gegenüber N. v. Regeczy’s Missverständnissen (Pflüger’s Arch. Bd. 45 S. 620. 1889), dass bei Zuleitung eines konstanten Stromes zu Muskel oder Nerv innere Polarisation, d. h. Ionenabscheidung an Ele- menten des Gewebes, die gegenüber der umgebenden Flüssigkeit polari- sierbar sind, eintritt und sich daher unter der äusseren Anode eine innere Kathode bildet, an der sich Kationen, z. B. H‘, Na‘, sammeln. DD 26 A. v. Tschermak: wurde der zeitliche Verlauf schon in den ersten Momenten nach der Öffnung unter Rheotombenützung festgestellt (beginnend von etwa 0,7—0,8 co bei Ableitungsdauer von etwa 1,5 o nach Einzelpolarisationen von 7,6—9,1 o), und zwar bei reizloser Durchströmung nach Anlegung von zwei künstlichen Querschnitten oder unter einfacher Querdurch- strömung des Muskels!). B. fand recht erhebliche Polarisationswerte, die in sehr kurzer Zeit erreicht wurden — so als Maximalwert der Querpolarisation, die bedeutend stärker ist als die Längspolarisation ?), 587,1 Millivolt, was bei einem Muskelfaserdurchmesser von 65,5 u als Einzelfaserwert 2,189 m V ergibt. Die Depolarisationskurve weicht erheblich von einer logarithmischen ab. B. betrachtet die Polarisation an der Grenze von lebender und toter Muskelsubstanz als die weitaus stärkste, ebenso die Polarisation am Eintritt und Austritt der Strom- fäden als stark überwiegend gegenüber der Polarisation im Faser- verlaufe (wie Hermann). Er nimmt an, dass die Muskelfaser: noch in polarisierbare Längselemente (Fibrillen bzw. Molekelfäden) zerfällt. In einer späteren Arbeit zur Theorie der negativen Schwan- kung (%6 — 1897) betonte B. zunächst seine eigenen Feststellungen über längeres Verbleiben eines negativen Restes nach Ablauf der Erregungswelle und erinnerte weiterhin daran, dass ein Ablaufen des Hauptteiles der negativen Schwankung während des Latenzstadiums natürlich nur für das einzelne Muskelelement gelte, wie es angenähert bei Dickenregistrierung beobachtet wird, nicht aber für einen beliebig langen Muskel im ganzen. An neuen Versuchen bringt B. daselbst solche über den Einfluss der Belastung auf die negative Schwankung des Muskelstromes — ein Problem, das B. und seine Schüler noch weiter beschäftigte. Nach der mehr ungefähren Angabe Lamansky’s®?) aus dem Heidelberger Institute, dass die Grösse der Erregungsschwankung bei Vorbelastung (nicht so bei so- genannter Überlastung!) bis’ zu einem gewissen Maximum wachse, 1) B. (29 — 1875; 50 — 1886) untersuchte auch das zeitliche Ent- stehen der Polarisation an Platin in verdünnter H,SO, oder HCl mit Hilfe seines Differentialrheotoms. Es ergab sich momentaner oder unmessbar rascher Anstieg zu einem Maximum, weiterhin anfangs rasches, dann langsameres Absinken, welches zwar in den ersten Momenten einer logarithmischen Kurve entspricht, weiterhin jedoch dahinter zurück- bleibt. Aus den so erhaltenen Zeitwerten lässt sich die „Abgleichungs- konstante‘‘ oder der ‚‚Depolarisationskoeffizient‘' berechnen. Für andere Elektroden und Elektrolyte hat Krieg unter B.’s Leitung diesen Wert bestimmt (XXIII — 1884). 2) In Bestätigung von L. Hermann, Untörsnchiingen über die Polari- sation der Muskeln und Nerven. Pflüger’s Arch. Bd.42 S. 1, spez. S. 18. 1888. 3) S. Lamansky, Über die negative Stromschwankung des arbeiten- den Muskels. legen s Arch. Bd. 3 S. 193. 1870. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. Dr jenseits desselben abnehme, hatte Fr. Schenck !) in freilich unvoll- kommenen Beobachtungen Zunahme der Gipfelhöhe und Erniedrigung des abfallenden Schwankungsteiles angegeben. B. stellte zunächst das Wachsen der Gesamtschwankung, d. h. des Integrals der Einzel- schwankungskurve bei Steigen der Arbeitsleistung fest (76, spez. S. 362 — 1897); bei kurzdauerndem Tetanus ergab sich hingegen meist eine Abnahme des Integrals bei zunehmender Belastung (76, spez. S. 371). Eine Beeinflussung des Endteiles der Schwankung bei zunehmender Spannung bezeichnete B. wohl als denkbar (76, spez. S. 367), jedoch als bisher unerwiesen, da bis dahin entscheidende Versuche fehlten. — Solche brachte erst eine spätere, gemeinsam mit A. v. Tschermak ausgeführte Untersuchung mittels des Kapillar- elektrometers?) (98 — 1902). Dabei wurde der prinzipiellen Forderung 1) F. Schenck, Über den Einfluss der Spannung auf die negative Schwankung des Muskelstromes. Pflüger’s Arch. Bd. 63 S. 317. 1896. 2) Im Anschlusse hieran wurden in besonderen kapillarelek- trischen Versuchen die grundlegenden Beobachtungen von Lipp- mann (Ann. de chim. et phys. 5. ser. t. 5) über den reversiblen Zu- sammenhang von kapillarer Bewegung und Potentialerzeugung wieder- holt. Dabei konnte A. v. Tschermak (mitgeteilt bei B. 95, spez. S. 272 — 1901) an einer Nachbildung des d’Arsonval’schen Modells (Gummi- schlauch durch Scheiben von spanischem Rohr in Kammern mit Hg und H,SO, gegliedert) einerseits bei Dehnung wie bei Entspannung bzw. bei akustischen Schwingungen Ströme ableiten, andererseits bei Zuführung von Wechselströmen Verkürzung bzw. akustische Schwingungen er- halten. — Ferner liess sich (B. 96 — 1901) an einer Tropfelektrode, be- stehend aus einer mit Hg gefüllten Kapillare, welche innerhalb von H,SO, tropfenweise ausfliesst, das Entstehen eines sehr kurzen Strom- stosses (von etwa 0,02’ Dauer) im Momente des Abreissens jedes einzelnen Tropfens nachweisen — entsprechend der Zeit, in welcher sich die Potential- differenz zwischen der frischen Hg-Fläche und dem Elektrolyten aus- bildet bzw. zu einem konstanten Wert ansteigt. Auf Grund anderer kapillarelektrischer Versuche (107 — 1904) be- rechnete B. die Dicke der bei kapillarelektrischen Erscheinungen ın Aktion tretenden Schicht zwischen Quecksilber und Schwefelsäure — und zwar unter der Annahme, dass sich an der Berührunesfläche eine molekulare Schicht von HgO bildet, welche bei Applikation der Kathode eines konstanten Stromes durch Konvektion von H: -Ionen zu Hg reduziert wird. Als Wert ergab sich. 6,18:10-7 mm, was dem Grössenwert einer Molekel entspricht, während für die molekulare Wirkungssphäre etwa der zehnfache Wert (1075 bis 106) anzunehmen ist (vgl. S. 54 Anm. 3.) B. (98, spez. S. 291 — 1902) bemühte sich auch, in Verein mit A. v. Tschermak (1902), die Ablenkung der Kathodenstrahlen durch Elektromagnetismus — erzeugt durch bioelektrische Ströme — zu deren Nachweis zu benützen. Doch reichten die ihm zu Gebote stehenden Apparate nur zum Nachweise des Muskelstromes aus. In besonderen physikalischen Versuchen (78 — 1897) studierte B. die gegenseitige Ab- stossung zweier gleichgerichteter Kathodenstrahlbündel (Crookes) und fand mit Hilfe von besonders konstruierten Röhren ‚einen direkten Ein: 28 A. v. Tschermak: entsprochen, dass nur die auf ihr elektromotorisches Verhalten ge- prüfte Längsschnittpartie des Muskels auch als arbeitende Strecke benutzt und verschiedener lokaler Belastung unterworfen wird. Es ergab sich, dass Vorbelastung den Muskel in einen Zustand versetzt, in welchem er auf einen maximalen Reiz mit einer an Gipfelhöhe wie Flächeninhalt bis zu einer gewissen Grenze wachsenden negativen Schwankung und mit erhöhter Zuckungsarbeit reagiert. Und zwar wächst die Arbeit mit dem Grade der Vorbelastung verhältnismässig rascher, erreicht aber erst später ihr Maximum als die negative Schwankung und die Wärmeproduktion. Es ergibt sich daraus der Schluss, dass bei wachsender Belastung nicht bloss die Umsatzgrösse, sondern auch der Nutzfaktor oder Wirkungsgrad anpassungsweise wächst!). Die verstärkte mechanische Leistung selbst ist mit einer mässigen Abnahme und wohl auch Verkürzung des abfallenden Schwan- kungsteiles verknüpft. Dementsprechend ergab sich auch eine durch- schnittliche Erniedrisung und Verkürzung des abfallenden Schenkels der negativen Schwankung bei Isometrie ?). Durch die Untersuchung von B. und A. v. Tschermak erscheint eine Beziehung zwischen Be- lastungsgrad und Grösse des elektrischen Prozesses sowie zwischen mechanischer Leistung und Dekreszente .der negativen Schwankung festgestellt. Der der Erregungsschwankung zugrundeliegende Prozess stellt demgemäss einen jener Stoffwechselvorgänge im tätigen Muskel dar, welche anpassungsweise mit der Belastung wachsen und in der produzierten Wärme zum Ausdruck kommen ?°). fluss der einen Kathodenplatte auf die Strahlen der anderen, während die Strahlenbündel an sich ohne Einfluss aufeinander sind. Nebenbei sei darauf hingewiesen, dass B. (36 — 1899) in den Liehtbündeln des Nordlichtes Phosphoreszenzerscheinungen, hervorgerufen durch athoden- strahlen, vermutete. l) Vgl. den ganz analogen Befund von O. Bruns am Heraekel; dass dieser zwar jedesmal die maximale Menge latenter Spannkräfte um- setzt, dass jedoch der Wirkungsgrad mit der Höhe der Anforderung bezw. der durch Druckleistung zu überwindenden Widerstände wächst (Untersuchungen über die Energetik des Herzmuskels. S. B. Ges. Natur- wiss. Marburg 21. Jg. 1914.) 2) Bei der allerdings nicht einwandfreien Totalisometrie des Muskels hatten bereits S. Amaya unter F. Schenck’s Leitung (Über die nega- tive Schwankung bei isotonischer und isometrischer Zuckung. Pflüger’s Arch. Bd. 70 S. 101. 1898) und P. Jensen (XLIV — 1899), welcher jedoch auch Versuche mit Lokalisometrie anstellte, den abfallenden Teil der negativen Schwankung im allgemeinen niedriger bzw. steiler ab- - fallend befunden als bei Isotonie. 3) Bezüglich der sich hier anschliessenden Frage, welche Beziehung zwischen Kontraktionshöhe oder Muskelkraft und Dehnung besteht, hatte B. schon 1872 (23, 25) kritisch Stellung genommen gegen W. Preyer’s Aufstellung eines myophysischen Gesetzes: logarithmische Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 239 Bezüglich der Theorie der negativen Schwankung hatte B. (54, 55 — 1888) — anknüpfend an die Unerregbarkeit des künstlichen Muskelquerschnittes — eine elektrochemische Molekularhypothese auf- gestellt, der zufolge die Molekeln der Muskelfibrillen in Längsreihen !) geordnet seien [vgl M. Heidenhain’s?’) Protomerentheorie des Muskels und Nerven] und durch Sauerstoffatome in der Längsrichtung verkettet seien, während oxydable Substanzen daran als Seitenketten verankert seien und in Verein mit den O-Atomen die Fibrillenmolekeln polarisieren. Bei irgendwelcher Art der Reizung erfolge zwischen diesen Komponenten oxydative Reaktion. Dementsprechend nimmt B. unter Einwirkung des konstanten Stromes eine Abscheidung von OÖ’ an, und zwar auf dem Längsschnitt der Muskelelemente im Be-' reiche der Kathode des polarisierenden Stromes, d. h. an der für die innere Polarisation anodischen Stelle — macht also die Voraussetzung, dass sich die Molekelreihen der Muskel- und Nervenfaser gegen die umgebende Gewebeflüssiskeit ähnlich verhalten wie ein Metall gegen einen Elektrolyten oder wie zwei einander berührende Elektrolyte gegeneinander (vgl. auch 66 — 1890). — Diese Theorie spezialisierte B. später (76 — 1897) — unter Festhalten an der Anschauung, dass die Erregungsschwankung der Ausdruck einer bestimmten Komponente der im Muskel und Nerven ausgelösten chemischen Energie sei, welche sich im Muskel in Wärme und Arbeit umsetze — folgendermaassen. Beziehung zwischen Muskelkontraktion und ‚‚fundamentalem' Reiz einerseits, zwischen Muskeldehnung und Gewicht andererseits. Die mathe- matischen Deduktionen W. Preyer’s (Pflüger’s Arch. Bd. 5 S. 294 u. 483. 1872; Bd. 6 S. 237 ü. 567. 1872 sowie Bd. 7 S. 200. 1873), welche sich auf Versuche A. W. Volkmann’s (Zur Theorie der Muskel- kräfte. Ber. d. Sächs. Ges. d. Wiss. 1870 S. 57) stützten, die ein festes Verhältnis zwischen Kontraktionshöhe und der dieselbe annullierenden Dehnungsgrösse zu ergeben schienen, wurden übrigens auch von B. Lüuch- singer (Pflüger’s Arch. Bd. 6 S. 395 u. 642. 1872; Bd. 8 S. 538. 1873; Bd. 9.8. 201. 1873) abgelehnt. — Einen Beobachtungsbeitrag lieferte unter B.’s Leitung M. Levy (XXVIII — 1886) mit dem Ergebnisse, dass die Kraft des Muskels mit zunehmender Anfangsspannung zuerst be- trächtlich zunimmt (bestätigt von Feuerstein), weiterhin aber deutlich abnimmt. Das Maximum der Kraft liegt bei einem Dehnungszuwachs von 15—17,5% zur natürlichen Länge. — Des weiteren fand E. Meyer (XLIIE — 1898), welcher unter B.’s Leitung den Einfluss der Spannungs- änderung während der Ausführung einer Zuckung — in Form der so- genannten ditonischen Wechselzuckung — studierte, dass auch hiebei ein anpassungsmässiges Wachsen der Arbeitsleistung so wie bei Vor- belastung oder bei Überlastung erfolgt, wenn die Belastung im Anfangs- teil der Zuckung eintritt und die Reizung nicht minimal ist. 1) An den $ehnenenden werden die als polarisierbare Leiter angesehenen Molekelreihen paarweise als kontinuierlich miteinander verbunden be- trachtet (55, spez. S. 42 — 1888). 2) M. Heidenhain, Plasma und Zelle. II. S. 654ff. Jena 1911. 30 A. v. Tschermak: Die Kreszente der negativen Schwankung sei das elektrische Zeichen des oxydativen Spaltungsprozesses: die Menge der ausgelösten chemi- schen Energie sei eine Funktion der Schwankungskurve. Die De- kreszente entspreche entweder der Wiederansammlung und Assimilierung des Sauerstoffs, bzw. dem Restitutionsprozess, oder dem Verbrauch des aktiven Sauerstoffs während der Kontraktion. Die letztere Möglichkeit entspricht der später von B. und A. v. Tschermak (98 — 1902) gesicherten Tatsache einer Höhenabnahme des abfallenden Schwan- kungsteiles bei isometrischer Kontraktion. Diese theoretischen Vorstellungen, welche einerseits noch stark von den molekularelektrischen Hypothesen E. du Bois-Reymond’s beeinflusst sind !), andererseits jedoch schon physikalisch-chemische Gesichtspunkte einführen, wurden bald von B. selbst überwunden, und zwar durch die selbständige Ausgestaltung der Konzentrations- und Membrantheorie der bioelektrischen Ströme (seit 1902) — ein neues Forschungsgebiet, dem B. nun bis an sein Lebensende seine Kraft ebenso widmete wie der Molekularphysik der Plasma- bewegung, speziell der Muskeltätigkeit. Auf beiden Gebieten eröffnete B. die ungemein fruchtbare thermodynamische ‚Behandlung der Pro- bleme. Hiedurch wie durch die Aufstellung der osmotischen Membran - theorie wurde B. einer der Begründer der physikalisch-chemischen Betrachtungsweise der bioelektrischen Erscheinungen. Er trat mit seinen Studien und Lehren hervor, als auf diesem Gebiete nur die allgemeine Vermutung W. Ostwald’s (1890) über die Bedeutung der Membran-Semipermeabilität für die bioelektrischen Ströme, der Hinweis von Tschagowetz (1896) auf die Nernst sche Formel, die Studien von Macdonald (1900) und von Oker-Blom (1901) vor- lagen, welche die wesentliche Gleichstellung der bioelektrischen mit osmotischen oder Konzentrationsströmen mehr annahmen als streng erwiesen. Bald nach dem Einsetzen von B.’s Arbeiten begann — ab- gesehen von B.’s Schülern (A. v. Tschermak, Lesser, Verzär) — eine ganze Reihe von Autoren sich an der elektrochemischen Be- trachtungsweise der bioelektrischen Ströme zu beteiligen (Tschago- wetz, ferner Höber,, Brünings , Cybulski, Cremer, Galeotti, am bi, Br) 1) Historisch bemerkt B. (101, spez. S.561 — 1902), dass die du Bois- sche Molekulartheorie allerdings nichts anderes sein sollte als ein Schema der Verteilung elektrischer Spannungen an den kleinsten Teilen der Faser. Auch hebt er hervor, dass die von ihm statuierte Polarisiertheit und Polarisabilität der Fibrillen gegen das umgebende Cytoplasma ebenso für Metallfäden in einem Elektrolyten wie für halbdurchlässige Grenzflächen selte. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 31 B. behandelte einerseits die Thermodynamik der sogenannten Dauer- ströme, und zwar der natürlichen wie des Sekretionsstromes der Haut und der künstlichen wie des Längsquerschnittstromes, andererseits die Thermodynamik der Erregungsströme. Er verwertete- dabei als erster die exakten thermodynamischen Betrachtungen und Formeln von Gibbs und Helmholtz sowie die Nernst’sche Theorie der Konzentrationsketten zur Feststellung des Charakters der bioelek- trischen Ketten. B. (101, spez. S. 522—530 — 1902; 103 — 1904 und 113, spez. S. 439—442 — 1906) ging dabei aus von der durch Helm- holtz gewonnenen Fundamentalerkenntnis, dass für die elektro- motorische Kraft (E) der umkehrbaren galvanischen Ketten nicht bloss ein reversibler chemischer Umsatz bzw. chemische Wärme (0) — von positivem oder negativem Vorzeichen — in Betracht kommt, sondern auch physikalische Momente — ausgedrückt durch eine Wärmemenge, welche entspricht dem Produkt von Temperaturkoeffi- dE h zient er d.h. Anderungsgrad der elektromotorischen Kraft mit der. A Temperatur) und absoluter Temperatur. Die physikalischen Momente wirken entweder additiv oder subtraktiv oder bestreiten sogar allein dE die Kraft der Kette — entsprechend der Formel E=0 + IT IM q Für den Biologen ist speziell jene Art von Ketten interessant, welche Wärme aus dem eigenen Vorrat oder aus der Umgebung in elektro- motorische Kraft umsetzen, also endotherm arbeiten (E>Q) bzw. dE einen positiven Temperaturkoeffizienten m = k) aufweisen. Unter diesen Ketten stehen im Vordergrund die nicht chemisch-galvani- schen, sondern rein physikalisch-osmotischen Konzentrationsketten, in welchen während der Tätigkeit überhaupt kein Umsatz chemischer Enersie erfolst (O—=#). Vielmehr ist hier die ganze elektromotorische Kraft physikalischen Ursprungs; sie geht nämlich — nach Nernst (1889) — aus Wärme bzw. osmotischer Diffusion oder Ionenbewegung dE hervor (£ —RK-T- AT: N Die Bestimmung von Vorzeichen und Grösse des Temperaturkoeffizienten gibt also Aufschluss über den exo-, iso- P dE oder endothermen Charakter der Kette (je nachdem AT als — k, @, + k befunden wird). Der Befund der chemischen Wärme (0) als Null würde für einen rein physikalischen Ursprung der elektrischen Energie, also für eine osmotische oder Konzentrationskette ent- scheiden. — Bei Halten der äussere Stromarbeit (bzw. -wärme 5.) leistenden Kette unter Isothermie, d.h. in einem Kalorimeter, geben 39 A.v. Tschermak: exotherme Ketten eine Wärmemenge ( (sogenannte Ketten- oder Organ- wärme)andas Kalorimeter ab, während endotherme Ketten verminderte Wärmeabgabe oder sogar manifeste Wärmeaufnahme aus dem Ka- lorimeter zeigen — letzteres, wenn der Wärmeanspruch der Kette jene Wärmemenge übersteigt, welche infolge der Durchsetzung der Kette durch den eigenen Strom in dieser entsteht (sogenannte innere Stromwärme S;,). Es gilt demnach die Gleichung 5,—0Q0—-C, wobei in dem positiven oder negativen C die Grösse S; darinsteckt. Bei einer Konzentrationskette, bei welcher Q=0, S,—=—-C ist, besteht — bei Voraussetzbarkeit hochgradig verdünnter, nahezu vollständig dissoziierter Lösungen — sehr angenäherte Proportionalität der Kraft mit der absoluten Temperatur. Eine geringe Abweichung (etwa # 1,5%) ist auch bei einer einfachen unkomplizierten Konzentrationskette da- durch bedingt, dass die Beweglichkeit bzw. Überführungszahl der Ionen überhaupt, speziellaber die relative Beweglichkeit von Kation und Anion desselben Elektrolyten sich nicht ganz gleichmässig mit der : Temperatur ändert }). Die vorstehend dargelegten Grundsätze hat B. als erster zur Unter- suchung der bioelektrischen Ströme angewendet, wobei er die so- genannten Ruhe- und die Erregungsströme an tierischen wie pflanz- lichen Geweben als prinzipiell gleichartig betrachtete. Zunächst ergab eine mit einwandfreier Methodik °) ausgeführte Untersuchung B.'s (101 — 1902) am Längsquerschnittstrom des Froschmuskels ?) bzw. an seinem aus der unvermeidlichen natürlichen Benetzungs- flüssigkeit abgeleiteten Zweigstrom innerhalb der Grenzen 0° und 1) Diese von B. selbst wiederholt (101, spez. S. 529 — 1902; 113, spez. S. 496 — 1906; 121, spez. S. 599 — 1910; 132, spez. S. 109 — 1916) hervorgehobene Einschränkung durch Dissoziationsgrad und Temperatur- koeffizient der Ionenbeweglichkeit muss nachdrücklich im Auge behalten werden, um bei den Beobachtungen an bioelektrischen Ketten keine übertriebenen Forderungen betreffs Übereinstimmung zu stellen, wie dies manche Autoren meines Erachtens mit Unrecht getan haben. Über die zureichende Übereinstimmung selbst der Bruttowerte B.’s, noch mehr der in durchaus berechtigter Korrektur gewonnenen Nettowerte vgl. S. 33. 2) Der Muskel wurde nach Anlegen eines thermischen Querschnittes an Streifen von ungebranntem Ton als Elektroden angeschlungen und in ein Ölbad versenkt. Unter relativ raschem Temperaturwechsel wurde der Muskelstrom am Galvanometer gemessen, und zwar nach dem Kom- pensationsverfahren, welches ein Abnehmen des Stromes durch innere Polarisation ausschliesst (B. 131, spez. S. 106 — 1916). 3) Ein Wachsen des Muskelstromes mit der Temperatur hatte bereits L. Hermann (Weitere Untersuchungen. V. Versuche über den Einfluss der Temperatur auf die elektromotorische Kraft des Muskelstroms. Pflüger’s Arch. Bd. 4 S. 163. 1871) beobachtet, ebenso J. Steiner (VIII — 1876) — letzterer mit einem Maximum zwischen 35 und 40° C. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 33 32° €. einen positiven Temperaturkoeffizienten und angenäherte Pro- portionalität der Bruttowerte (mit — 1,27 % bis + 5,14%, Abweichung), sehr weitgehende Proportionalität der unter Berücksichtigung des zeit- - liehen Absterbens berechneten Nettowerte (z. B. +0,3%, netto gegen 3,3% brutto). Mit Recht betont B. (132, spez. S. 109 — 1916), dass selbst in physikalischen Versuchen die Übereinstimmung nicht besser sein könne. Das absolute Ausmaass der thermischen Strom- änderung ist allerdings nicht gross, beispielsweise 8% für 12,20 C. Die geringen, in B.’s Versuchen aufgetretenen Abweichungen berechtigen, wie B. eingehend darlegte (101, spez. S. 533ff. — 1902), keineswegs zur Annahme einer chemischen Natur der Muskelstromkette, zumal da sich für die chemische Wärme (0) zwischen 0° und 20° negative, zwischen 18° und 32° C. positive Werte ergeben würden. Vielmehr ist eine rein physikalische Natur bzw. ein Konzentrationscharakter der Kette sehr wohl annehmbar, wenn man die sehr plausible An- nahme macht, dass der Temperaturkoeffizient der Kette zwar stets positiv, aber nicht konstant ist, sondern sich gemäss einer mit Wende- punkt um 20° ansteigenden Kurve ändert. Die darin angedeutete Komplikation lässt sich zurückführen einmal auf die Beeinflussung der Beweglichkeit bzw. Überführungszahl der Ionen durch die Gegen- wart von Nichtleitern überhaupt (nach Arrhenius). Sodann kommt in Betracht, dass die elektive Undurchlässigkeit bzw. die differente Unlöslichkeit der zellularen Grenzflächen für gewisse Ionen mit steigen- der Temperatur eine zunächst reversible, oberhalb einer gewissen Grenze rasch erfolgende Minderung erfahren dürfte !). Als dritte Quelle von Abweichungen kommt das nicht gleichmässige, sondern angenähert logarithmische Fortschreiten des Absterbens isolierter Organe in Betracht. — Die Geschwindigkeit der Temperaturänderung scheint nach der wesentlichen Übereinstimmung von B.’s Versuchen mit rascher und mit langsamer Abkühlung wie Erwärmung am Muskel ohne Bedeutung zu sein, während beim Nerven rasche Änderung negative Frregungsschwankungen des Nervenstromes auslöst (101, spez. S. 552, 553 — 1902). Erhebliche Abweichungen ergaben sich für den Nervenstrom °), welcher im Intervall von O bis 18° zwar eine der absoluten Temperatur angenäherte proportionale®) Zunahme bzw. einen positiven Temperatur- 1) Eine andere Möglichkeit bestünde nach B. (101, spez. S. 553 — 1902) im Eintreten einer zunächst reversiblen Konzentrationsänderung in der lebenden Faser mit der Temperatur. 2) An diesem hatte bereits J. Steiner (VIII — 1876) unter B.’s Leitung ein Wachsen mit der Temperatur von 2° bis zu einem Maximum zwischen 14—25°, darüber hinaus ein Sinken festgestellt. 3) Mit Bruttoabweichungen von +1, ‚99 % bis +6,4% Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. co 34 A. v. Tschermak: koeffizienten, bei 18° ein Maximum, zwischen 18 und 32° jedoch Abnahme, d. h. scheinbar einen negativen Temperaturkoeffizienten aufweist. Zur Erklärung dieses Verhaltens nimmt B. speziell eine beträchtliche Minderung (etwa nach einer Exponentialkurve v’—ßT?) der lIonen-Impermeabilität der Phasengrenzflächen oberhalb 18° an. Im Anschlusse an B.'s Untersuchungen am sogenannten Ruhestrom von Muskel und Nerv studierte E. J. Lesser (LXVII — 1907) unter B.’s Leitung die Beziehung des einsteigenden Dauerstromes der Froschhaut. Er fand — fussend auf den Vorarbeiten von Hermann !) mit W. Bach, R. Oehler und v. Gendre an der Froschhaut, von Biedermann ?) an der Froschzunge —, dass die Stromkraft von 3 bis 30° zwar mit der Temperatur wächst, jedoch nur für ein kurzes Intervall (8—14°) beim Erwärmen angenäherte Proportionalität zur absoluten Temperatur zeigt. Sonst ergeben sich erhebliche Abweichungen , welche einer- seits auf das unter wie über der Zimmertemperatur beschleunigte Absinken bzw. Absterben mit der Zeit, andererseits auf nur zum Teil reversible Änderungen der Kette selbst bezogen werden. (Die Haupt- komplikation ist mejnes Erachtens darin zu erblicken, dass zwei ver- schiedengeartete Potentialsprungflächen, die Sekretions- und die Ernährungsfläche der Froschhaut, in Betracht kommen, welche ther- misch verschieden beeinflussbar sind.) Trotz der erhaltenen Ab- weichungen lassen sich auch die Froschhautströme als Konzentrations- ströme besonderer Art betrachten ?). | Neben der Thermodynamik der Dauerströme wurde von B. (und A.v. Tschermak — 103 — 1904; 113 — 1906) auch die Thermodynamik der Erregungsströme bearbeitet. Zu schwach hiefür erschienen die Erregungsströme am Nerven und am Muskel, bei welch letzterem die thermische Äusserung des bioelektrischen Erregungsvorganges durch jene des Leistungsvorganges kompliziert ist, der die mechanische Leistung und die direkte Wärmeproduktion bestreitet. Hingegen er- wies sich das elektrische Organ der Zitterfische als geeignet zur Be- antwortung der Frage, ob auch die bioelektrischen Erregungsströme l) L. Hermann, Beiträge zur Lehre von den Haut- und Sekretions- strömen. Pflüger’s Arch. Bd. 17 8. 291 u. 310. 1878; Bd. 18 S. 460. 1878; Bd. 22 S. 30. 1880; Bd. 27 S. 280. 1882; Bd. 34 S. 422. 1884; Bd. 58 S. 242. 1894. ; 2) W. Biedermann, Über Zellströme. Pflüger’s Arch. Bd. 54 S. 209. 1893. 3) Zu diesem Schlusse war vor E. J. Lesser bereits G. Galeotti gelangt auf Grund von Ableitung mit verschiedenen Elektrolyten (Über die elektro- motorischen Kräfte, welche an der Oberfläche tierischer Membranen bei Berührung mit verschiedenen Elektrolyten zustandekommen. Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 49 S. 542. 1910; Ricerche di elettrofisiologia secondo i eriteri della elettro-chimica. Zeitschr. f. allg. Physiol. Bd. 6 S. 99. 1907). Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 35 als Konzentrationsströme besonderer Art aufzufassen sind. Zu diesem Behufe wurde am elektrischen Organ des Zitterrochens einerseits die Wärmetönung (C) des Organs (mit der spezifischen Wärme 0,8708) während der Tätigkeit indirekt auf thermoelektrischem Wege, die äussere Stromwärme (S,.) des durch künstliche Nervenreizung aus- gelösten Schlages mittels eines Riess’schen Luftthermometers ge- messen !). Da das Organ während der Ruhe stromlos ist und erst während der Erregung bzw. Tätigkeit zu einer Kette wird, kommt als Enersgie- quelle zunächst eine zweifellos exotherme Zustandsänderung mit ‚‚Um- wandlungswärme‘ (U) in Betracht, während das Auftreten einer be- sonderen, sei es positiver, seies negativer chemischer Wärme (Q) daneben fraglich bleibt bzw. bei einer Konzentrationskette nicht zu erwarten ist. Es ist also die Gleichung U+0=C+S$S, bzw 5, =U+0—C zu untersuchen, wobei in der Kettenwärme C noch die innere Strom- wärme (S;) enthalten ist, welche im tätigen Organ infolge Selbst- durchströmung des Organs von der Nervenplatte nach der Gallert- platte hin aus Stromarbeit gebildet wird. Die Umwandlungswärme (U) ist allerdings nicht als konstant zu betrachten, vielmehr als ab- hängig von der Ableitungsweise des Organs durch einen Kreis mit grösserem oder geringerem Widerstand ?). Bei völliger Isolierung des Organs, die in Praxi natürlich nur unvollkommen möglich ist, kommt U allein in Frage (U,=C,). Die Temperaturänderungen des elektrischen Organs während der Tätigkeit erwiesen sich als sehr gering; das Organ ist sonach eher dem Nerven als dem Muskel analog zu setzen. Meist tritt geringe Erwärmung (bis — 0,00539°), seltener Abkühlung (bis — 0,00044) zutage; auch gehen thermische und elektrische Leistung keineswegs parallel. Die jeweilige Wärmetönung ist offenbar die algebraische Summe von zwei gegensinnigen Vorgängen — einem exothermen und einem endothermen Prozess, nämlich der chemisch bewirkten ketten- schaffenden Zustandsänderung und der rein physikalischen strom- erzeugenden Kettentätigkeit. Hingegen ergibt sich keine Unterlage 1) Die Empfindlichkeit des mit Heidenhain’scher Bi-Sb-Thermosäule verwendeten Thermogalvanometers betrug 1 Skalenteil = 0,00010257° C., jene des Luftthermometers 1 mm im Mittel = 0,0016456 g cal). 2) Bei Schliessung mit geringem Widerstand (Kurzschluss) kommen als Komplikationen in Betracht einerseits die Möglichkeit einer effekt- steigernden Selbstreizung des Organs, andererseits die Möglichkeit einer Selbsthemmung durch die an der Nerveneintrittsstelle gelegene innere Anode des Schlages. — Dass keine Immunität des Zitterrochens gegen den eigenen Schlag besteht, hat J. Steiner (I — 1874) unter B.’s Leitung nachgewiesen. Nach den Erfahrungen von A. v. Tschermak stellt das Seewasser eine äussere Schliessung von höherer Leitungsfähigkeit dar, als es die Leibessubstanz der marinen Tiere ist. EE 36 A.v. Tschermak: für die Annahme eines stromliefernden chemischen Vorganges daneben. Die einzige während der Tätigkeit des Organs auftretende Wärme- quelle ist augenscheinlich in der Umwandlungswärme gegeben. So- weit diese nicht zur Deckung der Stromenergie ausreicht (also im Falle U) wird die mechanische Gesamtleistung (Spannung oder Arbeit) bei verschiedener Temperatur ermittelt, und zwar unter gleichzeitiger Verwendung eines abgekühlten und eines erwärmten Muskels. Durch diese neue ‚„Kompensationsmethode‘“ wird der elementare Fehler ver- mieden, welcher — wie B. erstmalig erkannte — allen bisherigen Untersuchungen über den Einfluss der Temperatur auf Anspruchs- 1) Die gegenteilige Annahme, dass schon Zylinder mit einfach elasti- schen Wandungen genügen würden (Me Dougall), wies B. (120 — 1909) gegenüber W. Biedermann (Ergebn. d. Physiol. Bd. 8, 1909, S. 26, spez. S. 183) zurück, da solche Hohlkörper sich bei Zunahme des Innendruckes verlängern würden, wie besondere Versuche an Schläuchen lehren. 2) Eine solche kann ich auch der Voraussetzung der L. Wacker’- schen Kohlensäuretheorie der Muskelkontraktion — der Annahme eines Wabenbaues der Fibrillenglieder, auf Grund dessen die Produktion von CO, zu intraplasmatischer Drucksteigerung bzw. Verkürzung führe — - nicht zuerkennen (L. Wacker, Chemodynamische oder Kohlensäure- theorie der Muskelkontraktion. Pfüger’s Arch. Bd. 168 S. 147. 1917 und Bd. 169 S. 492. 1917); Analoges gilt von den Anschauungen von H. E. Roaf, Proceed. Roy. Soc. Ser. B. 88 S. 139. 1914. : 12, —12 z 3) Zu berechnen nach der Formel a wobei P, = : Leistung bei höherer, P, = bei niederer Temperatur, { = Temperatur- differenz bedeutet. K,, ist demnach das Zehnfache des relativen Zu- wachses für +1°C. er | 56 A. v. Tschermak: fähigkeit, Gesamtenergie und’ Sekundenleistungsfähigkeit des Muskels anhaftet, nämlich die von B. detailliert nachgewiesene gleichzeitige Änderung des Leitungswiderstandes und damit der Reizstärke im Muskel mit der Temperatur !). In Versuchen am Froschgastroenemius mit Verkürzung des Gesamtmuskels, denen B. später (118 — 1908) gleichsinnige am Semimembranosus mit lokaler Verdickung beifügte, ergab sich bei Abkühlung unter Zimmertemperatur (von 16—21° auf 4—0° C.) im allgemeinen ein Wachsen der Zuckungshöhe, und zwar ausnahmslos bei isometrischem?) Verfahren und starken Öff- nungsschlägen, bei Erwärmung (von 18—20° auf 30—31° C.) ein Sinken. Die daraus berechnete Kraftänderung für +1° C. ergibt Rohwerte, welche vorwiegend negatives Vorzeichen besitzen, und zwar für isometrische Zuckung im Rohmittel X — — 0,0195, für iso- tonische Zuckung bei Abkühlung X = — 0,01, bei Erwärmung ÄX — — 0,016. Bei tetanischer Reaktion ergibt sich stets eine allerdings sehr schwankende scheinbare Abnahme der Kraft bei Abkühlung bzw. ein sehr wechselnder positiver Gesamtkoeffizient. Bei der theoretischen Auswertung dieser empirischen Daten im Sinne einer Thermodynamik der Muskeltätigkeit ist zu berücksichtigen, dass zu unterscheiden ist einerseits ein chemischer Temperaturkoeffizient der umgesetzten Gesamtenergie, andererseits ein physikalischer Tem- peraturkoeffizient der freien Energie, d. h. jener Energieform, vermöge derer die chemische Energie in mechanische Leistung verwandelt wird. Der erstere ist allerdings dadurch kompliziert, dass die Summe der ausgelösten chemischen Energie selbst von der Temperatur abhängt, und zwar offenbar zwischen 0 und 18° langsam, zwischen 18 und 30° rascher wächst. Auch sind gesonderte Temperaturkoeffizienten ?) für Reizbarkeit, Leistungsfähigkeit, Leitungsvermögen — ebenso für aus- 1) Auf diesen Umstand ist, wie B. (116, spez. S. 135 — 1908) nachwies, das Scheinergebnis von J. Gad und G. Heymans (Einfluss der Tempe- ratur auf die Leistungsfähigkeit der Muskelsubstanz. Du Bois’ Arch. £. Physiol. Suppl. S. 59. 1890) zu beziehen, dass die Zuckungshöhe des Froschmuskels bei Erwärmen von 19° auf 30° C. wieder ansteige. Bei einwandfreier Methodik erhielt B. nur fortschreitende Abnahme beim Erwärmen. Dass bei Abkühlung die lokale Kontraktionsdauer zunimmt, die lokale Kontraktionswelle jedoch nicht niedriger wird, hat bekannt- lich B. (21, spez. S. 87ff. — 1871) nachgewiesen; hingegen fehlen noch . einwandfreie Versuche über die Abhängigkeit des Leitungsvermögens des Muskels von der Temperatur (B. 118, spez. S. 2 —- 1908). Das De- krement ist anscheinend in der Kälte grösser (B. 116, spez. S. 173 — 1908). 2) Bei isometrischen Zuckungen werden die Spannungen so gross, dass bei jeder Temperatur fast das Maximum der auslösbaren Energie frei wird, wodurch der negative physikalische Temperaturkoeffizient zu deutlichem Übergewicht gelangt (B. 116, spez. S. 171 — 1908). 3) Dieselben stehen allerdings in einem bestimmten funktionellen Zusammenhang (B. 116, spez. S. 155 — 1908). Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 57 gelöste Energiemenge und für Reaktionsgeschwindigkeit — zu unter- scheiden !). Der chemische Temperaturkoeffizient für die Spaltungs- und Oxydationsvorgänge ”) während der Muskeltätigkeit ist positiv anzunehmen. Im Gegensatze dazu erweist sich jener der freien Energie als negativ, indem bei der direkten Beobachtung — also bei arith- metischer Summierung — vielfach wechselnde oder direkt negative Vorzeichen festgestellt wurden. Im Gegensatze zur Abnahme des chemischen Gesamtumsatzes bei sinkender Temperatur wächst dabei — ähnlich wie bei Belastung (A. Fick) — der Nützlichkeitsfaktor oder ökonomische Koeffizient. Bezüglich des Verhaltens bei tetanischer Reaktion ist zu erschliessen, dass hier bei steigender Temperatur die ausgelöste Energiemenge in- folge von Summation in solchem Grade wächst, dass die Abnahme ihres in freie Energie umgewandelten Anteiles nicht direkt zum Vor- schein kommt. Der bei Zuckungsreaktion zweifellos festgestelltenegative Charakter des relativen Zuwachses der freien Muskelenergie pro Grad (innerhalb der Grenzen 0—30°) gestattet nun einen sehr wichtigen Schluss auf die Energieform, welche den Umsatz von chemischer Spannkraft in mecha- nische Leistung, d. h. Arbeit oder Spannung, vermittelt. So ist der osmotische Druck, welcher durchweg einen positiven Temperatur- koeffizienten aufweist, mit Sicherheit auszuschliessen ?). Mit Wahr- 1) Angesichts der Komplikation jedes lebenden Systems durch eine Fülle von Partialtemperaturkoeffizienten ist die Anwendung der Reaktions- geschwindigkeits-Temperaturregel naturgemäss roh und haben die em- pirischen Werte für Q,, nur summative Bedeutung (B. 116, spez. S. 157ff.). 2) Schon hier gibt B. (116, spez. S. 159 — 1908) eine Darlegung dafür, dass die Spaltung von Traubenzucker in Milchsäure, wobei bloss 2,8% der Verbrennungswärme des Zuckers freigemacht werden, die Leistung des mit 20, ja 40%, Nutzeffekt tätigen Muskels nicht zu decken vermag — gegenüber A. Fick bzw. J. Gad und G. Heymans (a. a. O. 1890). 3) Hingegen ist B. (110 — 1905) geneigt, dem osmotischen Druck zum Teil wenigstens eine Bedeutung für die Wasserbewegung bei der Sekretion zuzuschreiben. In der sezernierenden Zone der Drüsenzellen mögen durch chemischen Zerfall Substanzen entstehen, die durch die für diese Substanzen impermeable nicht-sezernierende Zone hindurch osmotisch Wasser „anziehen‘‘. Speziell vermutet B. solches für die Gallenabsonderung. Nach dieser Vorstellung müsste der osmotische Druck des Drüsensekretes gleich sein jenem des Blutes, vermindert um den Kapillarblutdruck. Der Vergleich des defibrinierten Blutes und der Galle von Schlachttieren ergab Werte A Blut — A Galle = + 0,0344 bis + 0,0492° C., welche zwar nach dem Temperaturmaasse geringfügig erscheinen, nach dem Druck- maasse (1° C.— 12,07 Atmosphären) jedoch bereits unmögliche Werte für den Kapillarblutdruck (315,5 —451,3 mm Hg) ergeben würde. Bei gleich- zeitiger Entnahme von Blut und Galle am lebenden Hund ergaben sich hingegen geringere Unterschiede von wechselndem Vorzeichen (Grenzen + 0,025° C.). Trotz dieses unklaren Ergebnisses vermutet B., dass der 58 ee ATEvzElUsteihleminntanke: scheinlichkeit gilt dasselbe — wenigstens innerhalb der im Organismus in Betracht kommenden Temperaturgrenzen — für die. Quellung. Gegen das Inbetrachtkommen elastischer Energie für die Muskel- kraft spricht der Umstand, dass jene im ruhenden Muskel anscheinend einen positiven Temperaturkoeffizienten besitzt. Es ergibt sich daher mit höchster Wahrscheinlichkeit die Oberflächenenergie als Vermittlerin der Muskelkraft. In besonderen stalagmometrischen Versuchen — mit einem sehr zweckmässigen Tropfenzähler für wechselnde Temperatur — findet B., dass der Temperaturkoeffizient der Oberflächenspannung kolloider Lösungen eine hinreichende Annäherung an jenen der Muskelenergie ergibt, z. B. 4—-8% ige natürliche Eiweisslösungen (Blut, Serum; Milch) den Wert K = — 0,008 gegen den am weit eiweissreicheren Muskel ermittelten Rohwert K= — 0,015. Gegen B.’s Schlussfolgerungen wandte sich Fr. W. Fröhlich 1), welcher an der Krebsscherenmuskulatur bei Verzeichnung der Gesamt- zuckung zwar gleichfalls Höhenzunahme bei Abkühlung, Abnahme bei Erwärmung erhielt, jedoch die Zunahme als eine scheinbare betrachtete und auf Summation der Kontraktion in den Muskelabschnitten [infolge Verlängerung der Gesamtzuckungsdauer ®) bzw. Verlangsamung der Erregungsleitung] zurückführte. B. (116, spez. S. 172 — 1908) be- merkte jedoch dazu, dass angesichts der geringen Länge der zu den Versuchen verwendeten Muskelfasern selbst eine Verdoppelung der Wellenlänge in der Kälte nur eine ganz minimale Steigerung der Gesamtverkürzung hervorzubringen vermöchte. Eine direkte Wider- legung des obigen Einwandes, den Fr. W. Fröhlich ?) noch ein- osmotische Druck der Galle und der Blutdruck meistens ausreichen, um die Abscheidung des Wassers in Form der Galle zu erklären. Er betont jedoch, dass die Wasserbewegung bei den Vorgängen der Sekretion und Resorption keineswegs in allen Fällen aus der Differenz des hydrostatischen und osmotischen Druckes erklärt werden könne; speziell gelte dies für die Harn- und Speichelabsonderung. — Dazu sei bemerkt, dass bereits E. Hering (Über die Ursache des hohen Absonderungsdruckes in der Glandula submaxillaris. S. B. d. Wiener Akad. d. Wiss. Bd. 66 (III. Abt.) S. 83. 1872) die Frage der Beteiligung osmotischer Kräfte an dem Zustande- kommen des hohen Absonderungsdruckes der Glandula submaxillaris er- örtert hat. Meines Erachtens liegt jedoch für eine solche, doch grob mechanisch zu nennende Auffassung wie überhaupt für eine gesonderte Erklärung der Wasserbewegung gegenüber der Absonderung der anderen Sekretstoffe keine Berechtigung vor. 1) Fr. W. Fröhlich, Über den Einfluss der Temperatur auf den Muskel. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 7 S. 461. 1907. 2) Eine Verlängerung der lokalen Zuckungsdauer bzw. der Kontraktions- welle-bei Abkühlung hatte B. bereits 1871 (21, spez. S. 87, 88) nachgewiesen. 3). Fr... W. och, Zur Thermodynamik der Muskelkontraktion. Pflüger’s Arch. Bd..123 S. 596. 1908. ' Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 59 gehender darlegte, erbrachte B. (118 — 1908) durch den wichtigen Nachweis, dass die Zunahme der Zuckungshöhe bei Abkühlung auch für die lokale Verdiekung gelte, wobei keine Möglichkeit von Sum- mierung der sich fortpflanzenden Kontraktion besteht. Allerdings fehlte ein Einfluss der Wellenlänge auf die gemessene Leistung schon bei B.’s älteren Versuchen mit isometrischer Gesamtzuckung. Zudem legte B. gegenüber Fr. W. Fröhlich die Notwendigkeit dar, zwischen der von der Dauer des Umsatzes unabhängigen Gesamtenergie des Muskels und zwischen seiner Sekundenleistungsfähigkeit — ähnlich wie zwischen Gesamtwirkungsgrad und Sekundeneffekt einer Maschine — zu amnterscheiden; für die erstere ergibt sich auch aus Fr. W. Fröh- lich’s Versuchen ein negativer Temperaturkoeffizient, der sich auf die vermittelnde Energieform bezieht: für die letztere ist ein posi- tiver zu erwarten. In einer weiteren kritischen Abhandlung (130 — 1915) zeigte B. — in Nachprüfung der vielzitierten Versuche Th. W. Engelmann’s — zunächst, dass sich Darmsaiten wie Stricke beim Quellen in Wasser nur infolge der spiraligen Windungen ihrer Fasern, nicht in- folge Anisotropie des Faserinhaltes verkürzen, während die einzelnen Fasern sich hiebei niemals verkürzen, sondern nur verdicken. Ähnliches gilt von Hanf-, Bindegewebs- und Sehnenfasern !). Damit ist der Engelmann’schen Quellungstheorie *) jeder Boden entzogen. B. lehnt daraufhin jede Zurückführung der Kontraktion auf eine thermische Verkürzung ab und weist nochmals die osmotische Theorie der Kontraktion zurück. Auch eine Säurequellung des Muskeleiweiss ist — selbst wenn sie anisodiametrisch erfolgt — rein mechanisch betrachtet nicht imstande, zu einer Verkürzungs- und Kraftleistung zu führen, wie sie der Muskeikontraktion eigentümlich ist ?). Hin- 1) An elastischen Fasern tritt ebenso wie an Kautschukfäden aller- dings eine zunächst reversible Verkürzung bei relativ steilem Temperatur- gefälle ein (Th. W. Engelmann, R. du Bois-Reymond). An Eiweiss- kristallen ist wohl anisodiametrische Quellung, nicht aber Verkürzung in einer Axe zu beobachten (A. F. W. Schimper). 2) Th. W. Engelmann, Über den Ursprung der Muskelkraft. 2. Aufl. Leipzig 1893. 3) B. hatte schon früher (63 — 1890) dargetan, dass die bei der Muskel- “ starre eintretende Gerinnunsg nicht die Ursache der Verkürzung ist, sondern nur die Wiederausdehnung des im verkürzten Zustand erstarrten Muskels hindert. Nach Versuchen von Klingenbiel (XXIX — 1887) unter B.’s Leitung, welche später B. Morgen (XXXIH — 1890) bestätigt hat, be- wirkt nämlich Ammoniak eine sehr rasch vorübergehende Kontraktion, dann Absterben im erschlafften Zustande, in welchem bei nachfolgender Essigsäurebehandlung wohl Starre, jedoch nicht Verkürzung eintritt. Ebenso ruft Äther zwar eine sehr rasch vorübergehende Kontraktion des quergestreiften Skelettmuskels hervor, aber erst nach sehr langer Ein- 60 A. v. Tschermak: gegen wäre es möglich, dass die Zunahme der Wasserstoffionenkonzen- tration im tätigen Muskel zu einem Wachsen der Oberflächenspannung an der Oberfläche der kontraktilen Elemente führt. Allerdings ist die alterative Änderung der absoluten chemischen Reaktion bzw. die nachweisbare Zunahme von [H'] selbst nach maximal ermüdender Muskeltätigkeit eine recht bescheidene — nämlich 1,4-1077 (oder 9,8-107) gegen 3,7-1078 (oder 1,6-107) bei Ruhe !). Im Gegensatze zu den Quellungstheorien haften — wie B. selbst betonte — der Oberflächenspannungstheorie keine physikalischen Wider- sprüche an, wenn dieselbe auch die histologische Hilfsannahme eines metamikroskopischen Weitergehens der Fibrillisation notwendig macht. Als chemische Ursachen der kontraktiven Änderung der Oberflächen- spannung bezeichnet B. speziell das Auftreten von Säuren bzw. die Zunahme der [H'] infolge Abbaues der Kohlehydrate des Muskel- plasmas. Hingegen bringt B. (124, spez. S. 400 — 1913) die Ober- flächenspannungsänderung mit der bioelektrischen Erregungsschwan- kung nicht in direkten Zusammenhang ?), da die letztere zeitlich vorangeht bzw. schon im Latenzstadium beginnt. Vielmehr geht die wirksame Öberflächenenergie im Muskel erst aus den chemischen Prozessen während der Kontraktion hervor. B.’s Standpunkt bezüglich des Verhältnisses der bioelektrischen und der Kontraktions- wirkung Starre. Auf Chloroform tritt eine langsam ansteigende Kon- traktion ein, welche in Starre übergeht. Die Reizwirkung von Äther und Chloroform auf den Froschmuskel bestätigte P. v. Grützner (Über die Wirkung einiger chemischer Stoffe auf quergestreifte Muskeln. Wiener Med. Wochenschr. Nr. 14, 8. 511, 1917). — B. Morgen fand an der glatten Muskulatur des Froschmagens Chloroform ebenso wirkend, Äther jedoch sofort Erschlaffung bedingend. — Mit diesen Befunden stimmt das Ergebnis der Untersuchungen überein, welche kürzlich W. Bau- mann (Pflüger’s Arch. Bd. 167 S. 117. 1917) über Muskelstarre an- gestellt hat: Förderung der Totenstarre durch Chloroform — ebenso durch Alkohol und Säuren, Hemmung, ja geringe Verlängerung unter Absterben durch Alkalien. 1) Die Säuerung, soweit aus der summarischen Bestimmung der Re- aktion erschliessbar, erscheint — rein quantitativ betrachtet — an sich schon durchaus unzulänglich, um die Formänderung des Muskels ein- fach auf Quellung infolge von Säureeiweissbildung und Ionisation der Proteokolloide (nach dem Vorgange von W. Pauli) beziehen zu können. Vgl. meine Allgemeine Physiologie I (1) S. 154. Berlin 1916. — Unter physiologischen Verhältnissen erfolgt offenbar eine sehr rasche, vollständige Neutralisation und oxydative Zerstörung der gebildeten Säuren. Nur bei ermüdender Tätigkeit werden diese Prozesse insuffizient, so dass es zu einer nachhaltigen Änderung der absoluten Reaktion kommt. 2) Einen solchen hatten F. Haber und Klemensiewiez (Über elektrische Phasengrenzkräfte. Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 67 S. 389. 1909) vermutet. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 01 erscheinungen lässt sich kurz dahin fassen: im gereizten Muskel erfolgt zunächst der exotherme chemische Erregungsvorgang — etwa in der Bildung oder Aktivierung eines Ferments (Glukase) be- stehend —, welcher ohne Wirkung auf die Oberflächenspan- nung ist, jedoch bioelektrische Erscheinungen bedingt (dureh Steigerung der Ionenbeweglichkeit oder Ionendurchlässigkeit in ‚der Membran oder Phasengrenze für gewisse präexsistente Ionen, und zwar meines Erachtens durch eine aufsteigende, dispergative Zustands- änderung der Membrankolloide — vgl. oben S. 37). An den Erregungs- vorgang schliesst sich im Muskel (nicht so im Nerven!) als Auslösungs- effekt der exotherme chemische Leistungsvorgang — in der Bildung von Milchsäure und Kohlensäure bzw. H°-Ionenproduktion bestehend, welcher auf die Oberflächenspannung wirksam ist, jedoch — ebenso wie der Erschlaffungs- und Erholungsvorgang — keine bioelektrischen Vorgänge bedingt. Trotz des Auslösungs- zusammenhanges greift natürlich die kontraktive Änderung der Ober- tlächenspannung zeitlich noch in gewissem Ausmaasse in die bio- elektrische Erregungsschwankung hinein und beeinflusst deren ab- fallenden Teil (vgl. .S. 26 ff.). Gegenüber den Einwänden !), welche R. du Bois-Reymond’) gegen die Oberflächenspannungstheorie der Muskelkonktration erhob, betonte B. (134 — 1916) mit Nachdruck, dass die Kraft des Muskels in jedem Moment der Kontraktion gleich sei der Differenz zwischen der wirkenden Kraft der Oberflächenspannung und der dieser ent- gegenwirkenden Elastizitätskraft, welch letztere mit zunehmender Formänderung wächst. Die Oberflächenspannungstheorie werde auch dem Falle maximaler Verkürzung des Muskels (auf 15—20%, der Ruhelänge) gerecht. Bezüglich der Spezialfrage nach dem Verhalten der Doppel- brechung der Muskelfaser bei der Kontraktion hatte B. zunächst (130, spez. S. 40 — 1915) theoretisch ein Steigen bei der Verkürzung abgeleitet auf Grund der Vorstellung, dass sich dabei Teilchen aus einem Querschnitt in den anderen einschieben. Nach- dem V. v. Ebner ?) — meines Erachtens mit Recht — eine ‚negative Schwankung‘““ der Doppelbrechung an den @-Scheiben (— 12 bis 42 %,) . sowie an den Z-Scheiben (bis zum Verschwinden der Doppelbrechung) 1) Siehe solche auch bei W. N. Berg, Biochem. Bull. Bd. 3 S. 177. 1914. x 2) R. du Bois-Reymond, Zur Theorie der Muskelkontraktion. Berl. klin. Wochenschr. 53. Jg. Nr. 15 S. 392—394. 10. April 1916. 3) V. v. Ebner, Zur Frage der negativen Schwankung der Doppel- brechung bei der Muskelkontraktion. Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 179. 1916. 62 :A. v. Tschermak: während der isotonischen Kontraktion als von ihm !) und A. Rollett ) erwiesene Tatsache reklamiert hatte, formulierte B. (131 — 1916) seinen Standpunkt dahin, dass bei der freien Kontraktion keine Ver- mehrung von doppelbrechenden Elementen im Querschnitte eintrete, sondern eine blosse Näherung in der Längsrichtung, hingegen Ent- fernung in der Quere. Doch könne man die Frage der Doppelbrechung bei der Oberflächenspannungstheorie der Kontraktion zunächst ausser Betracht lassen. In engem. Zusammenhang mit der Oberflächenspannungstheorie der Kontraktion bearbeitete B. in anregender und grundlegender Weise das Problem der physikalisch-chemischen Analyse der Zuckungskurve (127 — 1914) sowie des zeitlichen Verlaufes der Wärmebildung während der Kontraktion (128 — 1914). Ausgehend von der Vorstellung A. Fick’s, dass der Erschlaffungsvorgang nicht bloss einem Aufhören des Kontraktionsvorganges entspreche, sondern einen besonderen chemischen Prozess darstelle, sucht B. das Verhältnis. der Geschwindigkeitskonstanten beider Umsetzungen zu ermitteln. Er setzt dabei zunächst schematisch eine monomolekulare Natur derselben voraus, indem einerseits Glukose unter Verbrauch von Sauerstoff zu Milchsäure bzw. Kohlendioxyd und Wasser abgebaut werde, anderer- seits eine Sättigung der Säuren unter Sauerstoffspeicherung erfolge). Für jenes Verhältnis a: wird etwa der Wert von 0,5 abgeleitet (mit Q,0 zu etwa 2,3). B. gelangt zur theoretischen Forderung einer idealen Zuckungskurve mit paraboloid-logarithmischer Kreszente ohne Wende- punkt und mit einem Wendepunkt in der Dekreszente, so dass die Gipfelabszisse (Im) und die Wendepunktsabszisse (/w) sich verhalten wie 1:2, möglicherweise sogar 1:2,3. In eigenen neuen Versuchen am Helmholtz’schen Myographion ?) findet er allerdings für Längen- zuckungen mit leichtem Aluminiumhebel den Durchschnittswert 1:1,87. B. betont jedoch — wie schon früher wiederholt (75 — 1897; 98 — 1902; 116, spez. S. 156 — 1908) —, dass die Zuckungskurve des Ge- l) V. v. Ebner, Untersuchungen über die Ursachen der A SD ee Substanzen. Leipzig "1882. 2) A. Rollett, Untersuchungen über Kontraktion und Doppelbreehung der quergestreiften Muskelfasern. Denkschr. d. Wiener Akad. d. Wiss. Bd98752417. 1891. 3) Vgl. die ihermodynamische Betrachtung der Muskeltätigkeit als eines vollständigen, nicht umkehrbaren Kreisprozesses (nach A. Fick) auf Grund der Gibbs-Helmholtz’schen Formel bei B. (116 — 1908). 4) Zur Erreichung eines sehr gleichmässigen Ganges der Registrier- trommel, die mit elektromagnetischem Motor angetrieben wurde, hatte B. (75, spez. S. 215 — 1897) einen elektromagnetischen Regulator an- gegeben. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 63 samtmuskels durch die Erregungsfortpflanzung (speziell bei Abküh- lung) wesentlich modifiziert wird!), und dass daher nur bei Fest- stellung der Kontraktionswelle an einer Stelle des Muskels die Ab- weichung von der Idealkurve — bis auf einen von der Elastizität und der Registrierungsmechanik abhängigen Rest — verschwinden würde ?). Tatsächlich hatte B. schon in früheren Versuchen (75 — 1897) gefunden, dass bei Dickenregistrierung mit sehr leichtem Spiegelhebel der schein- bare Wendepunkt in der Kreszente dem Anfangspunkte sehr nahe rückt. Die hiebei gemachte Voraussetzung, dass das Maximum des chemi- schen Umsatzes in der Kreszente der Muskelkontraktion liegt, sicherte B. (1283 — 1914) durch den experimentellen Nachweis maximaler Wärmebildung schon während der Verkürzung an der glatten Frosch- magenmuskulatur ?). Bei faradischer Reizung von 1’ und einer Kon- traktionsdauer von 60—150” — ebenso bei Spontankontraktion — fällt an Winterfröschen (mit Dauer der Kreszente von etwa 39’) schon das beobachtete, fortgepflanzte Geschwindigkeitsmaximum der Wärme- l) In einer speziellen Auseinandersetzung gegenüber Fr. W. Fröh- lich (Pflüger’s Arch. Bd. 123 S. 596. 1908) lest B. (118 — 1908) dar, dass die Zuckungsdauer des Gesamtmuskels (9) von drei Faktoren ab- hängig ist: von der Dauer der Kontraktionswelle bzw. Schwingungsdauer der einzelnen Querschnittsstelle (/), von der Fortpflanzungsgeschwindig- ; I keit der Welle (v), von der Länge des Muskels (/) nach der Formel 3—1 + D A) el 5 \ "0 \ bzw. d)— ne wobei die Wellenlänge A—=v-! ist. Die Zuckungsdauer des Gesamtmuskels (7) ist demnach immer länger als die Wellendauer (?), und zwar um so mehr, je grösser die Muskellänge (/) und je kleiner die Fortpflanzungsgeschwindigkeit (v) ist. Diese Darlegung, auf welche schon oben beim Problem des Latenzstadiums (S. 21, Anm. 2) verwiesen wurde, sei der nachdrücklichen Beachtung empfohlen. 2) Als einen möglichen Grund für eine äusserliche Abweichung von der theoretisch geforderten Form bezeichnet B. noch den Umstand, dass die durch den Reiz in Aktion gesetzte Substanzmenge nicht momentan, sondern erst innerhalb der Zeit der latenten Reizung freigemacht wird. Die umgesetzte Substanzmenge bzw. die ausgelöste Energie nimmt mit der Temperatur zu, der Nützlichkeitsfaktor jedoch ab. 3) Die Herstellung des sogenannten Magenringes als eines sehr verwendbaren Präparates aus dem mittleren Drittel des Froschmagens hat zuerst B. Morgen’ unter B.’s Leitung (XXXII — 1890) angegeben. Der Autor sah nach Abpräparieren der Mucosa den Tonus sowie im all- gemeinen auch die spontane Rhythmik schwinden sowie im allgemeinen die Schliessungskontraktion ausfallen — bei Bestehenbleiben eines starken Offnungseffektes, endlich die künstlich ausgelösten Kontraktionen rascher verlaufen (vgl. auch G. Kautzsch, LXV — 1907). Morphium brachte auch am muoesahaltigen Präparat die Schliessungskontraktion zum Schwinden. 64 A. v. Tschermak: bildung vor das Verkürzungsmaximum. An der auf Grund von Eichung berechneten Kurve der Wärmebildung im Muskel selbst ergibt sich, dass im sauerstoffhaltigen Zustand bzw bei Oxybiose der über- wiegend grössere Teil der chemischen Energie im (glatten) Muskel schon in: der ersten Hälfte der Kreszente umgesetzt wird!). B. schliesst aus diesem Verhalten — meines Erachtens mit Recht —, dass der chemische Umsatz während der Kreszente bei Oxybiose ?) nicht bloss in Spaltung von Zucker zu Milchsäure bestehen kann, sondern auch schon den oxydativen Abbau bis zu Kohlendioxyd und Wasser um- fasst °). In der Bildung von Säuren und im Sauerstoffverlust sieht B. — wie schon früher bemerkt (S. 60) — die Grundlage für die zur Kontraktion führende Änderung der Oberflächenspannung. — Zu B.’s Ausführungen sei nur bemerkt, dass gegen die Verwertung des sehr bedeutsamen Befundes für das Verhalten bei elementarer Reaktionsweise (d. h. Zuckung) der nicht von vornherein abzu- weisende Einwand erhoben werden könnte, dass die durch fara- dische Sekundenreizung ausgelöste oder in spontaner Rhythmik er- folgende Reaktion des Froschmagenringes eine zusammengesetzte, 1) Die entgegenstehenden Resultate von A. V. Hill (The position occupied by the production of heat in the chain of processes constituting a muscular contraction. ‚Journ. of physiol. vol. 42 p. 1. 1911; vel. auch ibid. vol. 44 p. 466. 1912) und Herlitzka (Ricerche di termodinamica muscolare I. Arch. di fisiol. vol. 10 p. 501. 1912 und Pflüger’s Arch. Bd. 161 S. 367. 1915) lehnt B. (siehe auch 128 — 1915) als technisch .fehlerhaft ab. Schon A. Fick hat — wie B. (116, spez. S. 160 — 1908) hervorhebt — angenommen, dass der grössere Teil der Wärmebildung während der Kreszente erfolge. — Analog fand O. Bruns (Unter- suchungen über die Energetik des Herzmuskels. S. B. Ges. Naturwiss. Marburg, Jg. 21, 1914), dass in dem absteigenden Schenkel der Herz- kontraktion nur 5°/, der Energieabgabe bzw. der Wärmeentwicklung fallen. — Vgl. auch die zusammenfassenden Darstellungen von O. Frank, Thermodynamik des Muskels. Ergebn. der Physiol. Jg. 3, Bd. II, S. 506, 1904; A. V. Hill, Die Beziehungen zwischen der Wärmebildung und den im Muskel stattfindenden chemischen Prozessen. Ergebn. d. Physiol. Jg. 15, S. 340, 1916. 2) Bei Anoxybiose erfolgt Spaltung von Zucker in Milchsäure und andere Karbonsäuren ohne oxydativen Abbau derselben, also eine weit weniger ökonomische Arbeitsleistung. 3) B. widersprach damit W. Pauli (Kolloidehemie der Muskelkontrak- tion. Dresden 1912), welcher blosse Spaltung von Zucker in Milchsäure (und konsekutive Ionproteinbildung sowie Quellungsverkürzung) während der Kreszente, oxydativen Abbau während der Dekreszente angenommen hatte. Der erstere Prozess würde aber nur 2,8%, der letztere 97,2%, der chemischen Spannkraft des Zuckers freimachen. Eine Arbeitsleistung ersterer Art würde, wie B. betont, einen physiologisch unmöglichen Zucker- umsatz und eine unmögliche, nicht nachweisbare Wärmebildung beim oxydativen Abbau nach der kontraktiven Arbeitsleistung herbeiführen. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 65 d. h. superponiert-tetanische gewesen sei!). Hingegen kann meines Erachtens gegen den Anal gieschluss vom glatten auf den quergestreiften Muskel kein berechtigter Einwand erhoben werden. In ersterer Hin- sicht sind weitere Versuche erforderlich mit gleichzeitiger Registrierung des bioelektrischen Verhaltens, welches Zuckung und "Tetanus ?) ohne weiteres zu unterscheiden gestattet. III. Arbeiten zur Herzphysiologie und Kreislauflehre. Auch das Gebiet der Tätigkeit und der Innervation des Herzens hat B. mehrfach (1 — 1862; 4 — 1863; 5, 6 — 1864; I1 — 1867: 33, 34 — 1876) bearbeitet. Schon als Student erbrachte er (1 — 1862) den Nachweis der hochgradigen Empfindlichkeit des Frosch- herzens für oberflächliche Vertrocknung, welche die Ursache für den baldigen Stillstand des Herzens unter der Luftpumpe beim Aus- pumpen der Luft und damit des Wasserdampfes abgibt. Aus dem Fortschlagen des Herzens bei Wasserdampfzufuhr ohne Sauerstoff schloss B., dass der freie Sauerstoff nicht erst einen ‚‚Reiz‘‘ für die Herz- bewegung (Goltz) darstellt. (Heute betrachten wir ihn als eine relative Bedingung für die Äusserung der rhythmischen Herzautomatie analog wie lonengehalt, Temperatur, Füllung.) — Von besonderem Interesse war der von B. (4 — 1863) in Du Bois’ Institut erbrachte Nachweis, dass die reflektorische Pulsverlangsamung oder Stillstellung des Herzens bei mechanischer Reizung der Baucheingeweide am Frosch, der Goltz ’sche Klopfversuch, durch die ‚„Vagusreflexfasern des Bauchsympathicus vermittelt wird, welche in einem unpaaren, wesentlich vom Magen herkommenden Stamm (N. mesentericus) — längs der Arteria mesenterica zum Ganglion coeliacum laufend — 1) Dass die Reaktion des Froschmagenringes bei spontaner Rhythmik, ebenso bei Dehnungsreizung eine einfache Zuckung darstellt, konnte ich in einer bioelektrischen Studie über das Egg (Flektrogastrogramm) zeigen, welche ich demnächst veröffentlichen werde. — Schon hier sei daran er- innert, dass R. F. Fuchs (8.B. der physik. med. Soc. Erlangen Bd. 40, S. 201, 1908; Pflüger’s Arch. Bd. 136 S. 65. 1910) die spontanen Kon- traktionen der glatten Muskulatur von Sipunculus nudus bioelektrisch als langdauernde Einzelkontraktionen, nicht als Tetani erwiesen hat. . Ebenso haben für die spontanen peristaltischen Wellen des Ureters des Hundes E. Th. v. Brücke und :L. Orbeli auf bioelektrischem Wege den Charakter als echte Einzelkontraktionen festgestellt (Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. II. Die Aktionsströme der Uretermuskulatur während des Ablaufes spontaner Wellen. Pflüger’s Arch. Bd. 133 S. 341. 1910). 2) Über das Verhältnis von Tetanus und Tonus vgl. A. v. Tschermak, Die Lehre von der tonischen Innervation. Wiener klin. Wochenschr. Bd. 27 Nr. 13, spez. S. 10. d. S.-A. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. b) 66 A. v. Tschermak: durch die Rami communicantes oberhalb des 5. Spinalsegments bzw. in der Höhe des 3. bis 6. Wirbels!) in das Rückenmark eintreten und auf das medullare Vaguszentrum einwirken. Dieser Verlauf wurde durch systematische Durchschneidungsversuche festgestellt. Auch am Kaninchen ergab zwar Reizung des zentralen Splanchnieusstumpfes keine reflektorische Wirkung auf das Herz, wohl aber trat reflektorische Verlangsamung und Abschwächung ein bei Reizung des Kopfendes am tief unten durchschnittenen Halssympathicus ?) sowie vor allem bei Reizung des Brustsympathicus zwischen 3. Lendenwirbel und Ss. Rippe. (An der 7. Rippe war der Brustsympathicus vorsichtshalber durchtrennt worden, um eine Mitreizung tiefaufsteigender Accelerans- fasern nach C. v. Bezold [1863] zu vermeiden.) Beiderseitige Vago- tomie hebt diese Reflexwirkung auf. Beim schwachcuraresierten, künstlich ventilierten Kaninchen konnte (5. 6 — 1864) auch ein reflektorischer sympathcgener Dauer- einfluss auf die Herzvagi nachgewiesen werden: Durchtrennung beider Vagi bewirkt beim Kaninchen unter diesen Umständen eine geringe Herzbeschleunigung — aber nur solange der Bauchsympathicus und das Halsmark bis zum 7. Brustwirbel herab unversehrt gelassen wird. Auch an einem morphinisierten, künstlich ventilierten Hunde hatte Durchtrennung des Rückenmarks in der Höhe des 3. Halswirbels nachdauernde erhebliche Pulsbeschleunigung und Blutdrucksteigerung bzw. Verlust des Vagustonus zur Folge. B. glaubte aus diesen Ver- suchen den Schluss ziehen zu können, dass der Vagustonus nicht automatischen, sondern enterogen-reflektorischen Ursprunges sei, also dem Brondgeest’schen Tonus der Skelettmuskulatur vergleichbar. — Man wird heute allerdings zugeben müssen, dass B.’s Versuche zur Begründung dieser These nicht ausreichen, zumal da der physiologische Vagustonus beim Kaninchen jedenfalls sehr gering ist. Immerhin bleibt nach einer enterogenen Komponente des Vagustonus an ge- eigneten Versuchstieren zu fahnden. B.’s weitere Versuche zur Herzinnervation (10 — 1867) betrafen den Einfluss des Blutdruckes auf die Pulsfrequenz an Kaninchen und Hunden. Es ergab sich, dass Infusion von 25—45 ccm defibrinierten Blutes vorübergehend neben Drucksteigerung beträchtliche Puls- verlangsamung bewirkt, solange die Vagi unversehrt sind. Umgekehrt 1) Eventuell erfolgt die Einstrahlung noch höher bis oberhalb des Plexus brachialis bzw. in der Höhe des 1. und 2. Wirbels. 2) Von diesem aus muss also noch eine Einstrahlung in das Halsmark oder in die Medulla oblongata bestehen. — Zu einem analogen Ergebnis wie B. gelangten später H. Aubert und G. Roever (Über die vasomotori- schen Wirkungen des N. vagus, laryngeus und sympathicus. Pflüger’s Arch. Bd. 1 S. 211. 1868) am Halssympathieus des Hundes, wogegen B. seine Priorität wahrte (16 — 1868). Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 67 bewirkt Blutentziehung vorübergehend Pulsbeschleunigung neben Drucksenkung. B. erschloss daraus eine regulatorische Einwirkung des Blutdruckes auf den efferenten Herzvagus, so dass eine primäre Drucksteigerung sich sekundär durch Vaguserregung kompensiere. Den Mechanismus dieser Einwirkung liess B. damals durchaus offen. — Heute wissen wir, dass der auf Fällungs- bzw. Wandspannungsreizung des Aortenbogens ansprechende N. depressor eine erregende Reflex- wirkung sowohl auf das Vaguszentrum als auf das medullare Vaso- dilatatorenzentrum besitzt — andererseits ist eine hemmende Reflex- wirkung auf das Vasokonstriktorenzentrum (L. Asher, E. Th. v. Brücke) sowie auf das Acceleranszentrum festgestellt (E. Th. v. Brücke, G. Höll schon 1913/14 mit A. v. Tschermak,). Bezüglich Äusserung der Automatie an der isolierten Herzkammer des Frosches gelangte B. (33, 34 — 1876) zunächst abweichend von Merunowicz zu einem negativen Ergebnisse. Die durch Abklemmen bei erhaltenem Kreislauf isolierte Herzspitze, welche keinem abnorm hohen Füllungsdruck ausgesetzt war, pulsierte nämlich binnen 1 bis 2 Tagen nicht wieder !). Dasselbe Resultat hatte bereits R. Heiden- hain (1854) nach Ligierung der Herzspitze erhalten. Später gelang es allerdings C. v. Lucowiez’) (XXXIIL — 1890) unter B.’s Leitung nachzuweisen, dass infolge der Abklemmung der intrakardiale Druck um etwa ein Drittel seiner Höhe sinkt, und dass die abgeklemmte Herzspitze schon bei mässiger Drucksteigerung (auf etwa 200 mm Wasser — bei: Perfusion bzw. Zufliessenlassen von 0,6% Kochsalz- lösung) zu pulsieren beginnt. Der Binnendruck bzw. die Wand- spannung stellt jedoch — im Sinne von A. v. Tschermak — für dieses Manifestwerden subsidiärer Automatie eine absolute Zustands- bedingung dar, wie dies schon aus den Versuchen von Merunowicz °) (unter ©. Ludwig) zu erschliessen war. Eine auf B.’s Anregung unternommene, unter Leitung von A. v. Tschermak durchgeführte Institutsarbeit von C. Ewald (L — 1902) zeigte, dass die zweite Stannius’sche Ligatur bzw. der Munk - sche Stich am Froschherzen nicht etwa durch Treffen der Atrio- 1) H. Aubert beobachtete in einer nicht geringen Anzahl von Fällen spontane Kontraktionen unter verschiedenen Bedingungen, speziell bei Drucksteigerung — allerdings nicht regelmässig (Untersuchungen über die Irritabilität und Rhythmizität des nervenhaltigen und des nervenlosen Froschherzens. Pflüger’s Arch. Bd. 24 S. 357, spez. S. 365. 1881). 2) In Bestätigung der Versuche von M. Foster und H. Gaskell, On the tonicity of the heart and blood-vessels. Journ. of physiol. vol. 3 p- 5l. 1880. 3) Merunowicz, Die chemischen Bedingungen des Herzschlages. Ber. d. Sächs. Ges. d. Wiss. 1875 S. 252 und Arb. a. d. physiol. Anstalt zu Leipzig Bd. 10 S. 148. 1876. 5* 68 A. v. Tschermak: ventrikularganglien, sondern durch Verletzung des atricventrikularen Verbindunessystems bzw. des St. Kent’schen Trichters!) zum Wiederpulsieren führt. Es wird hiebei die de norma übertönte sub- sidiäre Automatie des Verbindungssystems „geweckt“. Die Läsions- stelle wurde durch Nachziehen eines Kokonfadens mittels der Stich- nadel bezeichnet und in Serienschnitten verfolgt. ‘Auf dem Gebiete der Innervation und der Mechanik. des Blutgefässsystems konnte B. (in Gemeinschaft mit R. F. Marchand und K. Schcoenlein) zunächst (36 — 1877) den Goltz’schen Befund ?) bestätigen, dass bei Reizung des 3—5 Tage zuvor durchtrennten Hüftnerven am .Hunde eine erhebliche Erhöhung der Haut- temperatur (von 15 oder 20° auf 30°C.) der Hinterpfote eintritt. Versuchsweise war noch vor der Nervendurchschneidung Brust- und Lendenmark voneinander getrennt worden. Am wirksamsten erwies sich mechanische Reizung, ‚Kerbung‘‘, durch Scherenschnitte am Hüftnerven. Allerdings hatte die Nervenreizung stets noch Zuckungen im Gefolge; doch waren diese, wie Vergleichsversuche unter Curare- vergiftung lehrten, ohne Einfluss auf den Erfolg. Der Versuch gelang weiterhin auch ohne Rückenmarksdurchtrennung am frischdurch- trennten Nerven, und zwar bei jedweder Reizung, wenn nur die Anfangstemperatur der Haut relativ niedrig war oder die Hautgefässe einen leidlichen (diesfalls peripher bedingten) Tonus besassen, in dessen Hemmung ja der vasodilatatorische Reizeffekt besteht — wie B. schon damals (1877) erkannte. B. verwirklichte diese Vorbedingung durch niedrige Zimmertemperatur oder Kaltbad, welches auch während der Reizung appliziert bleibt (gegenüber Lepine 1876). Die Tem- peratursteigerung- hält sehr lange an, erreicht oft erst nach 15 bis 30 Minuten ihr Maximum, was B. auf sekundäres Weitbleiben der l) In älteren Versuchen, welche J. Steiner (II — 1874) unter B. angestellt hatte, erwies sich der Sinus als empfänglicher gegen Vergiftung durch Galle, Strychnin, Chloroform als das atrioventrikulare Verbindungs- system. Während des durch die Wirkung jener Gifte auf den Sinus be- wirkten Herzstillstandes bleibt der Munk’sche Stichversuch positiv. — Andererseits hatte K. Schoenlein (XI — 1878) unter B. die Puls- verlangsamung und den diastolischen Stillstand des Froschherzens auf 0,1—1,0 cem 5—10 % iger Lösung von kohlensaurem Natron auf Schädigung des Herzmuskels zurückgeführt. Weiterhin gelang R. Marehand (XI — 1878) unter B. die „Weckung‘“ der subsidiären Automatie des atrioventri- kularen Verbindungssystems nach erster Stannius’scher Ligatur durch Applikation von Ammoniak, Kalilauge, Salzsäure oder von plötzlicher Tem - peratursteigerung, ja von einem einzelnen Induktionsschlag auf die Atrio- ventrikularregion. In der Erklärung dieser Wirkungen stand R. Marchand (1878!) allerdings ganz auf dem Boden der gangliomotorischen Herztheorie. 2) Fr. Goltz, Über gefässerweiternde Nerven. Pflüger’s Arch. Bd. 9 S. 174. 1874 und Bd. 11 S. 52. 1875. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 69 Gefässe infolge der durch die primäre Vasodilatation gesetzten ört- lichen Temperatursteigerung bezieht. — Bei künstlicher Durchströmung des ceuraresierten Hinterbeines mit defibriniertem Blute von Zimmer- temperatur konnte B. eine deutliche Beschleunigung des Blutstromes bis auf das Doppelte infolge von Nervenreizung nachweisen, hingegen eine etwaige neurogene Thermogenese in den Geweben ausschliessen. Dass in B.’s Versuchen die Ischiadiceusreizung keine Verengerung zur Folge hatte, lag offenbar darin, dass infolge der künstlichen Abkühlung bereits ein „Ausgangszustand vorhandener starker Verengerung‘' be- stand, d. h. der Gefässtonus bereits maximal war. Bei Erörterung des Problems des Gefässtonus wirft B. schon damals (36, spez. S. 602 — 1877) die Frage auf, ob nicht den glatten Muskeln selbst — nicht bloss peripheren Nervenzentren — gewisse „zentrale Fähigkeiten‘ zuzuschreiben wären. Nur in Parenthesi sei hier der Beobachtung B.’s (24 — 1872) ge- dacht, dass die langsamen rhythmischen Tonusschwankungen an den Blutgefässen der Froschschwimmhaut nach Zerstörung des Rücken- marks verschwinden, also — wenigstens dominant — spinal-neurogen bedingt erscheinen. Mit diesem Verhalten brachte er die zuerst von Goltz!) gemachte, von ihm bestätigte Beobachtung in Zusammen- hang, dass instillierte Kochsalzlösung nur so lange aus dem Rücken- Iymphsack des Frosches resorbiert wird und durch die Venen ab- fliessend zu verfolgen ist, als das Rückenmark intakt ist. Heute führen wir dieses Verhalten auf die spinal bedingte Tätigkeit der coccygealen Lymphherzen zurück. Der Analyse der Pulskurve widmete B. (53 — 1887) eine Untersuchung, welche speziell die Frage der sekundären Wellen im absteigenden . Teil betraf. Er bezieht dieselben (mit Landois und Moens) auf Vorgänge am Ursprung des Arteriensystems, nicht auf Reflexionen im Gefässsystem selbst (Marey, A. Fick u. a.), und zwar auf Grund des Verhaltens künstlich erzeugter Stosswellen in den Arterien eines frischgetöteten Tieres, in welche verdünntes defibri- niertes Blut durch Kanüle mit Schlauch infundiert wird. Bei offener Kommunikation von Schlauch und Gefässsystem wurden keine reflek- tierten Wellen beobachtet, wohl aber bei Abschluss des Schlauches ‚für sich gegen die Gefässbahn oder bei Verschluss der Gefässbahn an ihrem Abflussende. — Eine fehlerfreie, photographische Verzeichnung der Verdickungswelle des nicht komprimierten Arterienlumens erreichte B. (62 — 1890) durch Anwendung der Spiegelreflexionsmethode, welche bekanntlich zuerst Joh. ÖÜzermak zu Demonstrationszwecken be- 1) Fr. Goltz, Über den Einfluss der Nervenzentren auf die Auf- saugung. Pflüger’s Arch: Bd.:5 S. 53. 1872. 70 A. v. Tschermak: nützte. Speziell kommt hiebei auch am Lumenpulse die Steilheit - und Tiefe der prädikroten Inzisur deutlich heraus, welche uns am Druckpulse erst die Verwendung von möglichst eigenschwingungs- freien Manometern (Gad, Frank) kennen gelehrt hat. IV. Beiträge zur Atmungsphysiologie. Auch die Physiologie der Atmung verdankt B. einige wertvolle Feststellungen und Methoden. In erster Linie war es das Problem der Entstehung der Thoraxaspiration, welches B. fesselte (38 — 1878). An totgeborenen Kindern wurde künstliche Lufteinblasung durch die Trachea vorgenommen und dann mit positivem Erfolg auf das Vorhandensein von Thoraxaspiration geprüft — durch Beobachtung eines mit der Luftröhre kommunizierenden Wassermanometers vor und nach Eröffnung’ der Brustwand. Der Beginn der Atmung hat also sofort die Aspiration des Thorax zur Folge, und zwar durch eine nachdauernde volumvergrössernde Formänderung des Brustkorbes, welche in einer durch den ersten, forciert bzw. dyspnoisch erfolgenden Atemzug bewerkstelligten Hebungsverlagerung der Rippen und wohl auch in einer Tiefereinstellung, des Zwerchfells besteht. Die Ursache für das Eintreten einer solchen neuen Gleichgewichtslage erblickte B. mit Wahrscheinlichkeit in einer bleibenden Überdehnung der ex- ‘ spiratorisch wirksamen Apparate, so dass sich die Gleichgewichtslage des Thorax zugunsten der Inspiration verschiebt (Überdehnungs- theorie). — Die gegensätzlichen, von Hermann und Keller!) ent- wickelten Vorstellungen (Lösung der Adhäsion der Bronchialflächen und elastische Tendenz des fötalen Thorax zur Ausdehnung) weist B. zurück (43 — 1882) unter Hinweis auf seine Beobachtung, dass bei Eröffnung der Pleurahöhlen am Fötus keine Thoraxerweiterung ein- tritt. Zur künstlichen Atmung an Neugeborenen schlägt B. ein manuelles Heben der Rippen vor. — Auch gegenüber dem späteren Erklärungs- versuche Hermann’s°) (allmähliches Entstehen der Aspiration durch rascheres Wachsen des Brustkorbes gegenüber der Lunge) konnte B. (48 — 1884) an jungen Ziegen und Schafen beweisen, dass eine be- trächtliche Thoraxaspiration schon ganz kurze Zeit nach der Geburt — sogar schon nach wenigen Minuten — nachweisbar ist. Ein Unter- schied in der Wachstumsgeschwindigkeit kann demnach nur für die Festhaltung und Zunahme der Thoraxaspiration, nicht für ihr usaes Entstehen in Betracht kommen. 1) L. Hermann und ©. Keller, Über den atelektatischen Zustand der Lungen und dessen Aufhören bei der Geburt. Pflüger’s Arch. Bd. 20 8723609. 1879: 2) L. Hermann, Über das Verhalten des kindlichen Brustkastens bei der Geburt. Pflüger’s Arch. Bd. 30 S. 276. 1883. Julius Bernstein’s Lebensar beit. 71 Weiterhin nahm B. das bereits vielbehandelte Problem der Wirkung der Kohlensäure auf das Atmungszentrum in Angriff. Nach- dem einerseits Sauerstoffverarmung (Rosenthal, Pflüger), anderer- seits CO,-Anreicherung (Rosenthal, Pflüger und Dohmen) als bedingende und bestimmende Faktoren für die Tätigkeit des medul- laren Atmungszentrums bezeichnet worden waren, stellte B. zunächst (44 — 1882) den Ablauf der dyspnoischen Atembewegungen bei Atmung eines indifferenten Gases und eines Luft-Kohlendioxyd- gemisches fest. Er konstruierte dazu den im Prinzip bereits von Knoll und von Gad angegebenen !) „Spirographen‘, welcher die Druckschwankungen in einem Glaszylinder registriert, welcher dasdurch eine nach aussen führende Kanüle atmende Tier umschliesst. B. fand bei O-Verarmung der Atemluft (z. B. in Wasserstoff) Verstärkung der In- und Exspiration, und zwar mehr noch der Inspiration, bei CO,-Anreicherung hauptsächlich Verstärkung der Exspiration — und zwar im Sinne von Erhöhung und tetanischer Verlängerung des Ex- spirationsgipfels gegenüber der Norm. Deutlich sind diese Unter- schiede allerdings erst nach Ausschaltung der Regulationsfasern in den Nn. vagi. B. schliesst, dass das O-arme Blut hauptsächlich das Inspirationszentrum, das CO,-reiche?) hauptsächlich das Exspirations- zentrum reize. Beide Wirkungen sind als zweckmässige Mittel zur Regulation des Gasgehaltes des Blutes zu bezeichnen. — Als technischen Kunstgriff zur Erreichung der normalerweise bei Nasenpassage er- folgenden Vorwärmung, Anfeuchtung und Reinigung der Inspirations- luft empfahl B. (5% — 1888) die Trachealkanüle mit einem Schlauch- ansatz zu versehen und diesen entweder in das eine Nasenloch hinein- zuführen (also Atmen durch das andere freigelassene Nasenloch) oder mit einer Kappe an den Mund anzuschliessen (also Atmen durch die Nase). 1) Ph. Knoll, Über die Wirkung von Chloroform und Äther auf Atmung und Blutkreislauf. Sitzungsber. d. Wien. Akad. d. Wiss. Bd. 78 (III. Abt.) S. 223. 1879; J. Gad, Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte 1881. J. Bernstein hat (46 — 1883) die Priorität beider bereitwillig anerkannt. 2) Unter B.’s Leitung sind später E.Laqueur und F.Verzar (LXXXII — 1912) gegenüber der H. Winterstein’schen Reaktionstheorie, dass weder der Sauerstoffmangel noch die Kohlensäurespannung als solche, sondern die Gesamtazidität bzw. die Wasserstoffionenkonzentration des Blutes für die Tätigkeit des Atmungszentrums maassgebend sei (Pflüger’s Arch. Bd. 138 S. 167. 1911 und Biochem. Zeitschr. Bd. 70 S. 45. 1915), für eine spezifische, auch bei neutraler, ja ganz schwach alkalischer Reaktion fortbestehende Wirkung der Kohlensäure bzw. des Kohlensäureanions eingetreten, da die Kohlensäure schon bei einer viel geringeren [H'] auf das Atmungszentrum wirke als Salzsäure oder Essigsäure, welche hin- wiederum durch Steigerung der CO,-Freimachung in den Geweben wirken. 12 A. v. Tschermak: Auf dem Gebiete der inneren oder Gewebsatmung verdanken wir B. die recht brauchbare Fläschehenmethode (396 — 1888), wobei zur vergleichenden Untersuchung der Sauerstoffzehrung ver- schiedener Gewebe Stückchen fein zerkleinerter Organe in kleine, ab- schliessbare Fläschehen mit 1—5% Oxyhämoglobinlösung (zuerst durch destilliertes Wasser lackfarben gemacht, dann durch Zusatz. von Koch- salz auf Isotonie gebracht) eingebracht werden. Es wird dabei die Zeitdauer für Vollendung der Reduktion bestimmt; die stärkste O-Zehrung ergab sich nach den die verschiedensten Organe von Frosch wie Warmblüter umfassenden Tabellen für Nierenrinde und quer- gestreifte Muskulatur. — Spätere Versuche (67 — 1891) zeigten, dass hiebei eine Abscheidung reduzierender Substanzen aus den Gewebs- stückchen nicht in Frage kommt, sondern eine Anziehung und Bindung. des Sauerstoffs seitens der lebenden Zellen stattfindet. Für 100 & Froschmuskel wurde pro 1 eine Sauerstoffzehrung von 7,8 cem, für 100 g Kaninchenmuskel eine solche von 70—83 ccm festgestellt. Im Anschlusse an seine älteren Studien über den Einfluss von Giften auf die roten Blutzellen (siehe Abschnitt VI) hat B. (49 — 1884, in Gemeinschaft mit Scharffenorth sowie F. J. Becker XIX — 1884) später Versuche angestellt, welche die Rolle der Salze betrafen. Zunächst wurde unter B.'s Leitung durch Scharffenorth ‚die Angabe A. Rollett’s) bestätigt, dass Zusatz von Alkalisalzen, speziell von K,SO, zu 0,75%, die Resistenz der Erythrozyten gegen Hämolyse durch elektrische Ströme erhöht. Dasselbe gilt bezüglich der Hämolyse durch höhere Temperatur (59°C. für Kaninchen- blut) oder durch Gefrieren- und Wiederauftauenlassen. Im Gegensatze zur Erhöhung der Resistenz gegen physikalische Lösungsmittel bewirkt Salzzusatz zugleich eine deutliche Verminderung der Resistenz gegen chemische Agentien, Galle, Äther-Alkohol. Dabei steht K,CO, an der Spitze. V. Studien auf dem Gebiete der Sinnesphysiologie. Der Sinnesphysiologie hat B. verhältnismässig wenige Original- arbeiten gewidmet. Dieselben bekunden durchwegs die vorwiegend biophysikalische Orientierung seines Interesses und seiner Denkweise. Er verharrte als Schüler von Helmholtz auf dem Standpunkt der physikalisch-objektivistischen Sinnesphysiologie; die modernere exakt- subjektivistische Auffassung und Forschungsweise, wie sie — fussend auf Joh. Müller — E. Hering, E. Mach und C. Stumpf begründeten, blieb B. im wesentlichen fremd. Dessenungeachtet muss ich, gerade 1) A. Poller Über die Wirkung, welche Salze und Zucker auf die roten Blutkörperchen ausüben. S.-B. d. Wiener Akad. Bd. 84 an Abt.) Sr 1525, 202 88% x Julius Bernstein’s Lebensarbeit, 73 als Anhänger dieser Denk- und Arbeitsrichtung, betonen, dass B.'s sinnesphysiologische Beiträge keineswegs des bleibenden Wertes .ent- behren, vielmehr mannigfache bedeutsame Daten und feinsinnige Fr- wägungen darbieten. Im Detail wurde bereits oben (S. 19) hingewiesen auf B.’s schätz- bare Ausführungen (21, S. 193ff. — 1871) über die Weber’schen Tastkreise. Des weiteren stammt von B. (32 — 1876) die Kon- struktion eines Apparates zur Bestimmung des mittleren Knoten- punktes im menschlichen Auge. Eine kurze in höherem Sinne populäre Darstellung der gesamten Sinnesphysiologie gab B. in dem Büchlein „Die fünf Sinne des Menschen“ (31 — 1876). Das Werkchen, welches den 12. Band von Brockhaus’ Internationaler Wissenschaftlicher Bibliothek bildete, erlebte zwei Auflagen (31 — 1876; 58 — 1889) und erfuhr eine Über- setzung ins Englische. B. behandelt in demselben die Sinnesqualitäten der Haut, den Gesichts- und Gehörssinn, endlich den Geruch und Geschmack. Er teilt dabei zwar den Standpunkt von Joh. Müller, dass wir nicht die Dinge der Aussenwelt, sondern nur die in den Sinneszentren vor sich gehenden Veränderungen empfinden, bezieht je- doch die Aussenlokalisierung der Empfindungen auf eine gewohnheits- mässige Verknüpfung der gleichzeitigen Tast- und Gesichtseindrücke durch einen unbewussten logischen Schluss. B. bekennt sich zur Projektionstheorie, zur Verlegung der empfundenen Bilder nach aussen, entsprechend dem sogenannten Gesetze der exzentrischen Empfindung). In den Kapiteln über Optik und Akustik schliesst sich B. eng an die klassischen Darstellungen. seines Lehrers Helmholtz an — speziell auch in der Annahme der sogenannten Dreifarbenlehre und der Muskel- _ gefühlstheorie der Tiefenwahrnehmung. Relativ ausführlich ist die Darstellung der physikalischen Grundlagen des Gehörssinnes — ein Ge- biet, für welches B. spezielles Interesse hatte. 1) Interessant ist, dass B. selbst eine besonders starke Abweichung zwischen funktionellem und geometrischem Lagewert seiner Netzhaut- elemente besass, wie daraus hervorgeht, dass er in Versuchen, die er in Gemeinschaft mit Berthold und Dastich unter der Leitung von Helm - holtz (Physiolog. Optik, 2. Aufl., S. 801. Hamburg-Leipzig 1896 bzw. 3. Aufl., Bd. III S. 265. 1910) unternahm, am nächsten herangehen musste, um drei in einer objektiv schwach konkaven Zylinderfläche auf- gestellte Lote in einer subjektiven Ebene zu sehen. Gerade aus solchen Abweichungen oder Diskrepanzen bzw. Inkonkruenzen beider Netzhäute lässt sich die Zurückweisung der objektivistischen Projektionstheorie und die Sicherung der subjektivistischen Lokalzeichenlehre ableiten (vel. A. v. Tsehermak’s Monographie: Über die Grundlagen der optischen Lokalisation nach Höhe und Breite. Ergebn. d. Physiol. Bd. 4 S. 517 —564. 1905). h 74 A.v. Tschermak: Dieses Interesse für Akustik veranlasste B. dazu, seinen Schüler F. Matte (XXXVI — 1892; XXXVII — 1894) zu einer Prüfung des angeblichen Hörens labyrinthloser Tauben, welches R. Ewald!) und W. Wundt’°) behauptet hatten, anzuregen, und dessen Unter- suchungen selbst fortzusetzen. Matte und Bernstein (71 — 1895) °?) kamen dabei zu dem Ergebnisse, dass des Labyrinths beraubte Tauben -—- wenn zweckmässig in einer Schwebe aufgehängt — auf Geräusch- eindrücke, beispielsweise Knall einer Kinderpistole, nicht reagieren ?). In besonderen Versuchen konstatierte B. auch Taubheit für Ton- schwingungen (d’” = 594 5) bei Zuleitung durch einen Schlauch: es fehlte dascharakteristische Kopfschütteln. Komplikationen für die Beobachtung ergeben sich allerdings aus den häufigen spontanen Kopf- und Lid- bewegungen bei Tauben (%1 — 1895). Hingegen reagierten die labyrinth- losen Tauben auch in B.’s Versuchen auf die von Stimmgabem und elektrischen Klingeln erregten Luftschwingungen. Während jedoch R. Ewald und W. Wundt hieraus auf ein restierendes Hörvermögen, speziell auf Reizung des Akusticusstumpfes durch Schallwellen ge- schlossen hatten, führte B. gleich anderen jenes Verhalten auf taktile Reizung durch Mitschwingen der abgestimmt resonierenden Elemente des Federkleides ®) der Vögel zurück. B. betonte zudem Matte’s Nachweis, dass die labyrinthlosen Tauben auch dann noch auf Luft- schwingungen reagieren, wenn bereits sämtliche Fasern des N. acusticus der aufsteigenden Degeneration bis in das medullare Kernlager ver- fallen sind. Die Kritik, welche R. Ewald an Matte’s Öperations- methodik und an dessen Hörprüfungen geübt hatte, wies B. aus- führlich (71 — 1895) zurück. Ebenso widerleste er (68 — 1894) die Einwände, welche Wundt bei dieser Gelegenheit gegen das Gesetz von der spezifischen Energie erhoben hatte. Speziell lehnte B. die bezügliche Verwertung binauraler Schwebungen ab: solche konnte 1) J. R. Ewald, Der Akusticusstamm ist durch Schall erregbar. Berl. klin. Wochenschr. 1890 Nr. 32; Physiologische Untersuchungen über das Endorgan des Nervus octavus. Wiesbaden 1892; Die zentrale Entstehung von Schwebungen zweier monotisch gehörter Töne. Pflüger’s Arch. Bd. 57 S. 80. 1894. 2) W. Wundt, Ist der Hörnerv direkt durch Tonschwingungen er- regbar ? Philos. Stud. Bd. 8 S. 641. 1893; Akustische Versuche an laby- rinthlosen Tauben. Philos. Stud. Bd. 9 S. 496. 1894. 3) Vgl. auch seine zusammenfassende Besprechung betreffend Ohr- labyrinth im Jahresbericht von Virchow-Hirsch 1894 (70). 4) Bei bloss der Schnecken beraubten Tauben konstatierte Matte noch geringes Reaktionsvermögen für Geräusche (etwa durch Vermitte- lung des Sacculus ?), hingegen keine Gleichgewichtsstörungen. 5) Man könnte meines Erachtens das Mitschwingen in weiteren Ver- suchen sehr wohl durch starkes Einfetten oder Nassmachen der Federn verhindern. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. DIES B. (68 — 1894) in Selbstversuchen mit Schlauchzuleitung von zwei akustischen Stromunterbrechern her beobachten, und zwar auch noch an schwellennahen Tönen (B= 116, g=198 5). B. vermutet dabei das Stattfinden von Knochenleitung; allerdings gelang es B. nicht, dafür einen direkten Nachweis zu erbringen — in der Form, dass für zwei Beobachter Schwebungen merklich würden, wenn beide in ein gemeinsames Holzbrett beissen, dadurch in Knochenleitungsgemein- schaft stehen und je eine etwas differente Tonschwingung durch Ohr- schlauch zugeleitet erhalten. Das embryonale Hervorgehen von zweierlei Sinnes- bzw. Re- zeptionsörganen wie des Gehörorgans und des Labyrinths aus einer gemeinsamen Anlage bezog B. zutreffend auf das gemein- same Prinzip der Erregung durch Flüssigkeitsbewegung (Teilchen- schwingung einerseits, Strömung andererseits). Allerdings meinte er (68, spez. S. 493 — 1894) zugleich — meines Erachtens mit Unrecht — dem Labyrinth, welches er als den phylogenetisch zuerst entwickelten Teil des inneren Ohres betrachtet, eine Sinnesfunktion, d. h. Empfin- dungsvermittlung, überhaupt absprechen zu sollen und dasselbe aus- schliesslich als einen reflektorisch tätigen Apparat ansehen zu sollen }). In zwei Abhandlungen (112 — 1906; 126 — 1914) stellte B. seine neue Theorie der Farbenempfindung dar, welche er sich seit langer Zeit zurechtgelegt hatte. Er suchte damit die Young-Helm- holtz’sche und die Hering’sche Lehre zu versöhnen, in denen er kaum mehr als verschiedene Spezialtheorien des Sehvorganges er- blickte, nicht aber den Ausfluss von zwei fundamental verschiedenen Anschauungsweisen — der objektivistischen und der exakt-subjekti- vistischen Sinnesphysiologie — erkannte. Schon aus diesem Grunde wird sich B.’s Theorie kaum als fruchtbar erweisen. Sie behält be- züglich der Funktion der peripheren Apparate die Grundzüge der Young-Helmholtz’schen Theorie bei, während sie bei der Erklärung der zentralen Apparate Vorstellungen von E. Hering verwertet. Mit vollem Recht erblickt B. eine fundamentale Schwäche der Dreifarben- lehre darin, dass für die subjektiv unstreitig einfache Weissempfindung eine dreikomponentige Grundlage angenommen wird. Er schliesst sich der von M. Schultze und W. Kühne begründeten, von H. Parinaud, A. König, J. v. Kries, O. Lummer u. a. über- nommenen Hypothese an, dass die Stäbchen nur farblose, die Zapfen daneben auch farbige Empfindung vermitteln — eine meines Erachtens ganz diskutable, doch noch keineswegs ausreichend begründete Vor- 1) Vel. dazu die Studie P. Jensen’s (XL — 1896), welche der Be- streitung eines Zusammenhanges zwischen Labyrinthapparat und galvani- schem Schwindel durch M. Strehl (Beiträge zur Physiologie des inneren Ohres. Pflüger’s Arch. Bd. 61 S. 205. 1895) entgegentritt. 76 : A.v. Tschermak: stellung. B. vermeidet dabei den Fehler, welcher der v. Kries’schen Hypothese vom Doppelweiss anhaftet, im Widerspruche zur Emp- findungsanalyse zwei Arten von Weiss, nämlich ein einkomponentiges Stäbchenweiss und ein dreikomponentiges Zapfenweiss, anzunehmen. In Übereinstimmung mit E. Hering wird jedem farbigen Lichte neben der farbigen Wirkung eine farblose zuerkannt, indem jeder photochemische Farbsehstoff — zwei Paare solcher werden von B. den Zapfen zugeschrieben — einerseits Weisserregung in einer tieferen Station des Rindenzentrums vermittle, andererseits farbige Erregung in einer höheren Station zustandebringe. Dabei heben sich Rot- und Grünerregung, Gelb- und Blauerregung durch eine hemmende Neben- leitung in ihrer Wirkung auf die Endstation auf. VI. Toxikologische Beobachtungen. Auch auf toxikologischem Gebiete hat B. einige schätzbare Bei- träge geliefert. So behandelte er (12 — 1867) die Frage, ob das Chloro- form (vel. S. 59 Anm. 3) bloss auf die nervösen Zentren oder auch auf die peripheren Nerven wirke. Nach Unterbindung der einen Art. iliaca am Frosche und Chloroformierung ergab sich zwar kein Unter- schied in der Schwelle, jedoch liessen motorische wie sensibel-reflek- torische Nervenstämme bei örtlicher Einwirkung von Chloroformdampf anfangs eine Steigerung, später eine Minderung der Erregbarkeit er- kennen, von welcher aus noch Erholung eintreten kann. Nach Ab- trennung vom verlängerten Mark unterliest das Rückenmark der Chloroform- bzw. Strychninvereiftung langsamer, und zwar infolge von Aufhebung der beim Frosch nur von der Medullarresion her (durch die Art. spinalis ventralis), nicht segmental erfolgenden Blut- zufuhr !). Es ergab sich ein Vergiftungsstadium, in welchem zwar nicht auf mässige Einzelreize, wohl aber auf starke und wiederholte Reizungen hin starke, hyperdimensionale Reflexbewegungen ausgeführt wurden; ebenso traten dann Reflexe ein auf die untere Extremität — zwar nicht von deren Haut ler, wohl aber von der Haut der vorderen Extremität her. Endlich kamen in gewissen Fällen reflektorische Mit- bewegungen der direkt-reflektorisch nicht mehr erregbaren Vorder- pfote bei Reizung der Hinterpfote zur Beobachtung. Aus diesem Verhalten schloss B. auf eine raschere Vergiftung der sensiblen Nervenzellen, verglichen mit den motorischen. — Interessant ist auch, 1) Genauer gesagt, spielen die Rami spinales der Art. vertebralis dorsi, welche übrigens mit R. laterales der A. spinalis ventralis anastomosieren sollen, keine erhebliche Rolle für die Blutversorgung des Rückenmarkes (vgl. Ecker-Gaupp, Anatomie des Frosches, 2. Aufl., Bd. 2 S. 299, 311. Braunschweig 1899). Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 77 dass B. Frösche nach Kochsalzdurchspülung !) — also nach Befreiung von Blut — ebenso narkotisierbar fand wie normale, was eine direkte Wirksamkeit des Giftes auf das Nervensystem, ohne Vermittlung der roten Blutzellen, beweist. B. fand auch, dass Nervenfasern ebenso wie Cholesterinkristalle die Eigenschaft haben, sich in einer Chloroform- atmosphäre mit Tröpfchen zu beschlagen. Gelegentlich seiner Chloro- formversuche bestätigte B. (12 — 1867) das inzwischen von Bötticher und L. Hermann (1866) beobachtete Lackfarbigwerden des Blutes durch Chloroform und das bereits von Bötticher beschriebene Aus- kristallisiieren des Hämoglobins bei Verflüchtigung dieses Lösungs- mittels (12, spez. S. 18 — 1867). Interessante Beobachtungen über Toxikologie und Innervation der Pupille machte B. in Gemeinschaft mit J. Dogiel (? — 1866). Faradische Reizung der Iris durch eingestochene und vorgeschobene Elektroden gleich nach dem Tode oder nach Exzision des Bulbus ergibt Dilatation, Aufsetzen der Elektroden auf den Corneoskleralfalz hingegen Verengerung. Reizung des Oculomotoriusstammes -in der Sella turcica (nach Entfernen der Grosshirnhemisphären) veranlasst deut- liche Verengerung, die nach Atropinisierung wegfällt; wohl aber bleibt der Sphinkter auch dann noch direkt reizbar. Das zuerst von Hirsch- mann beobachtete Eintreten von Miosis auf lokale Nikotinapplikation — bei eventuellem Wirkungsloswerden der dilatierenden Fasern im Halssympathicus — wurde von B. und D. bestätigt und für das Gift der Calabarbohne, das Physostigmin oder Eserin, erweitert. In beiden Fällen bleibt der M. dilatator pupillae °) für direkte Reizung erregbar°). VII. Literarische Leistungen didaktischen Charakters. Auf didaktischem Gebiete hat B. in seinem Lehrbuche der Physiologie des tierischen Organismus, im Speziellen des Menschen 1) Die Durchspülung geschieht nach B.’s Methode (12 — 1867) durch Einbinden einer Kanüle in den peripheren Teil des einen Aortenbogens‘ und Ausfliessenlassen aus dem zentralen Teil desselben unter temporärer Ligierung des anderen Aortenbogens, während Cohnheim (1869) von der Vena abdominalis anterior aus durchspülte. Die Methode B.’s (18 — 1870) ist eher geeignet, alle Blutreste zu entfernen. 2) Den direkten physiologischen Nachweis von dessen Existenz er- brachte E. Heese unter B. (XXXV — 1892), der an der Katze auch nach Hornhautabtragung und Sphinkterektomie noch Pupillenerweiterung auf Reizung des Halssympathicus erhielt — ebenso Hervortreten des Bulbus, während beim Kaninchen wohl infolge von Überwiegen der gleichzeitigen Vasokonstriktion Zurücksinken des Bulbus erfolgt. ?) Diese Ergebnisse bedeuten Reizung bzw. Erregbarkeitssteigerung der parasympathischen Nervenendigungen im Sphinkter pupillae, eventuell zugleich Lähmung der sympathischen Nervenendigungen im Dilatator durch Nikotin und Eserin bzw. Lähmung der ersteren durch Atropin. 78 A. v. Tschermak: (69, 93, 119), welches in Enke’s Bibliothek des Arztes erschien und drei Auflagen (1. Aufl. 1894; 2. Aufl. 1900; 3. Aufl. 1908) erlebte, eine sehr dankenswerte Leistung vollbracht. Die Einteilung des Stoffes ist die in den meisten Lehrbüchern übliche, von der Blutlehre zu der Physiologie der Sinne fortschreitend. Doch ist ein Kapitel über Fort- pflanzung und ein analytisch-chemischer sowie ein speziell wertvoller physikalisch-chemischer Anhang beigeschlossen. Die Darstellung ist sehr flüssig, ansprechend und zum Studium vorzüglich geeignet, so dass ich B.’s Lehrbuch geradezu das bestlesbare nennen möchte. Ein spezieller bleibender Wert ist in zahlreichen schematischen Zeich- nungen sowie in reichen und zuverlässigen Zahlenangaben und Tabellen gelegen. Inhaltlich bedürfte das Buch heute allerdings einer weit- gehenden Erneuerung. Für Fragen der Studienorganisation hat B. stets ein besonderes Interesse bekundet. So widmete er der Frage der Vorbildung der Medizin-Studierenden in Hinblick auf die neue Prüfungs- ordnung eine besondere Schrift (88, 89 — 1899), in welcher er speziell die ungenügende naturwissenschaftliche Gymnasialvorbildung rügte — speziell in der Chemie, die schon in der Mittelschule praktisch be- trieben werden sollte. B. trat ein für eine teilweise Differenzierung des Mittelschulunterrichtes vom 15. Lebensjahre ab, indem die Prima eine philosophisch-historische und eine mathematisch-naturwissen- ‚schaftliche Abteilung erhalten sollte). In bezug auf die Prüfungs- ordnung empfiehlt B. eine — im früheren Österreich durchgeführte — zeitliche Trennung des Physikums in zwei Stationen bzw. Prüfungs- gruppen; zugleich tritt er für Beibehaltung der doppelten Prüfung aus Anatomie und Physiologie ein (nunmehr abgeschafft, und zwar meines Erachtens mit Recht). Als Didakt interessierte B. (102 — 1902) auch die Frage des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichtes an den höheren Realanstalten, zumal nachdem die Abiturienten des Realgymnasiums zu den medizinischen Studien zugelassen wurden. ‘B. empfiehlt — gleich F. Klein und E. Götting?) — die Einführung der analytischen Geometrie (bereits seit langem an den bisher öster- reichischen Gymnasien erfolgt!) und der Grundlagen der Differential- und Integralrechnung in den oberen Klassen der Realanstalten. B. verweist mit Recht auf die enorme Bedeutung, welche der analytisch- geometrischen Funktionsdarstellung in den Naturwissenschaften wie 1) Er wandte sich dabei (39 — 1899) gegen den Vorschlag L. Her- mann’s einer allgemeinen Beschränkung der philologischen und Er- weiterung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Vorbildung. 2) Über den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht in den höheren Realanstalten. Pädagogische Zeitung 1902, S. 592—594. 5 Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 79 in der Medizin zukommt. Bezüglich des naturwissenschaftlichen Unter- richts fordert B. speziell Ausdehnung der Physik und Chemie in den Realgymnasien sowie Einführung der Somatologie in der Prima aller höheren Lehranstalten. Anhang. Literaturverzeichnis. A) Veröffentlichungen von J. Bernstein (Nr. 1—135, 1862—1916). 1. 2. 3. 4. Einiges zur Ursache der Herzbewegung. Reichert-Du Bois’ Arch. 1862, S. 527 —531. Vorläufige Mitteilung über einen neuen elektrischen Reizapparat für Nerv und Muskel. Reichert-Du Bois’ Arch. 1862, S. 531—532. De animalium Manch, torum museulis nonnulla. Diss. Berlin 1862. 32 S. Herzstillstand durch one Vorl. Mitteil. Centr.-Bl. f. d. med. Wiss. 1863, Nr. 52, S. 817. . Vagus und Sympathicus. Vorl. Mitteil. Centr.-Bl. f. d. med. Wiss. 1864, Nr. 16, $. 240241. . Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen Herz- nervensystems. Reichert-Du Bois’ Arch. 1864, S. 614—666. . (Mit J. Dogiel.) Versuche über die Wirkung einiger Gifte auf die Iris. Verh. d. naturh.-med. Vereins zu Heidelberg. IV, S. 283—31, 1866. . Die Natur der negativen Schwankung und des elektrotonischen Zu- standes des Nervenstromes. Vorl. Mitteil. Centr.-Bl. f. d. med. Wiss. 1866, Nr. 15, S. 225—228. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der negativen Schwankung im Nerven. Vorl. Mitteil. Centr.-Bl. f. d. med. Wiss. 1866, Nr. 38, S. 593 bis 596. . Untersuchungen über die Natur des elektrotonischen Zustandes und der negativen Schwankung des Nervenstromes. Reichert- Du Bois’ Arch. 1866, S. 596-637. . Zur Innervation des Herzens. Vorl. Mitteil. Centr. Bl. f. d. med. Wiss. 1867, Nr. 1, S.1—3. - Über die physiologische Wirkung des Chloroforms. Moleschott's Unters. z. Naturlehre. X, 1870, S. 280-300 (veröffentlicht 1867). . Über den zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung des Nerven- stromes. Monatsber. d. Berl. Akad 14. Februar 1867, S. 72—77. . Über den zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung des Muskel- stromes. Monatsber. d. Berl. Akad., 18. Juli 1867, S. 440—450. . Über den zeitlichen Verlauf der negativen Schwankung. Pflüger’s Arch. 1, S. 173—207, 1868. . Bemerkung zu dem Aufsatze: „Über die vasomotorischen Wirkungen u.s. w.“ von Aubert und Roever (l, S. 211). Pflüger’s Arch. 1, S. 601 —602, 1868. F . Zur Theorie des Fechner’schen Gesetzes der Empfindung. Reichert- Du Bois’ Arch. 1868, S. 388—393. . Über das Auswaschen des Blutes der Frösche mit Kochsalzlösung. Centr.-Bl. f. d. med. Wiss. 1870, Nr. 54, S. 851. . Über elektrische Oseillationen im indueirten Leiter. Pogg. Ann. 142, 8. 54—88, 1870. 43. A.,v. Tschermak: . Über elektrische Oscillation in geradlinigen Leitern und in Elektro- lyten. Monatsber. d. Berl. Akad., 13. Juli 1871, S. 380. . Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskel- systeme. Heidelberg, C. Winter, 1871, 240 S. : Gegenbemerkung über die Anfangszuckung (contra Setschenow 5, 8. 114). Pflüger’s Arch. 5, S. 318—319, 1872. . Über das myophysische Gesetz des Herrn Preyer (5, S. 294 u. 486). Pflüger’s Arch. 6, S, 405—412, 1872. . Einige Versuche über Resorption. S.-B. d. physiol. Ver. zu Berlin. Berl. klin. Wochenschr. 1872, Nr. 28. . Über die myophysischen Untersuchungen von Preyer. II. (6, S. 567 und 7, S. 200). Pflüger’s Arch. 7, S. 90—100, 1873. .- Über den Elektrotonus und die innere Mechanik des Nerven. Pflüger’s Arch. 8, S. 40—60, 1874. . Über Elektrotonus. Antikritik (gegen L. Hermann, 8, S. 258). Pflüger’s Arch. 11, S. 498—505, 1874. . Über die Höhe des Muskeltones bei elektrischer und chemischer Reizung. Pflüger’s Arch. 11, S. 191—196, 1875. . Über aen zeitlichen Verlauf des Polarisationsstromes. Pogg. Ann. 155, S. 177—211, 1875. . (Mit J. Steiner.) Über die Fortpflanzung der Kontraktion und der negativen Schwankung im Säugetiermuskel. Du Bois’ Arch. 1875, Ss. 526-551. . Die fünf Sinne des Menschen. Internat. Bibl. Bd. XII. Leipzig, Brockhaus, 1876, 285 8. Englisch: The five senses of man. New York, Appleton & Co., 1876. . Über die Ermittlung des Knotenpunktes im ‘Auge des lebenden Menschen. Monatsber. d. Berl. Akad., 7. August 1876, S. 509—-515. . Über den Sitz der automatischen Erregung im Froschherzen. Centr.-Bl. f. d. med. Wiss. 1876, Nr. 22, S. 385. . Bemerkung zur Frage über die Automatie des Herzens. Centr.-Bl. f. d’ med. Wiss. 1876, Nr. 25, S. 435. . Über die Ermüdung und Erholung des Nerven. Pflüger’s Arch. 15, 3. 289327, 1877. . (Mit R. Marchand und K. Schoenlein.) Versuche zur Innervation der Blutgefässe Pflüger’s Arch. 15, S. 575—602, 1877. . Über Erzeugung des Tetanus und die Anwendung des akustischen Stromunterbrechers. Pflüger’s Arch. 17, S. 121—124, 1878. . Über die Entstehung der Aspiration des Brustkorbes bei der Geburt. Pflüger’s Arch. 17, S. 617—623, 1878. . Über den zeitlichen Verlauf der elektrotonischen Ströme des Nerven. Monatsber. d. Berl. Akad., 12. Februar 1880, S. 186—192. . Über die Kräfte der lebenden Materie. Preisverkündigungsprogramm d. Univers. Halle, 1880, 22 S. . Telephonische Wahrnehmung der Schwankungen des Muskelstromes bei der Kontraktion. Nach Versuchen mit K. Schoenlein. Sitzungs- ber. d. naturf. Ges. zu Halle, 8. Mai 1881, S. 1—10.. . Entwicklung und Standpunkt der Physiologie. Rede zur Eröffnung des neuen physiolog. Instituts am 3. November 1881. Deutsche Revue, November 1881. Zur Entstehung der -Aspiration des Thorax bei der Geburt (contra L. Hermann, 22, S. 365). Pflüger’s Arch. 28, S. 229 —-242, 1882. 64. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 81 . Über die Einwirkung der Kohlensäure des Blutes auf das Atem- zentrum. Du Bois’ Arch. 1882, S. 313 —328. . Die Erregungszeit der Nervenendorgane in den Muskeln. Du Bois’ Arch. 1882, S. 329—346. . Erklärung (betr. Ursache der Dyspnoe). Centr.-Bl- f. d. med. Wiss. 1883, Nr. 28, 8. 512. . Über den Einfluss der Reizfrequenz auf die Entwiekelung der Muskel- kraft. Du Bois’ Arch. 1883, Suppl.-Bd. Festgabe für Du Bois, S. 88—104. . Weiteres über die Entstehung der Aspiration des Thorax nach der Geburt. Pflüger’s Arch. 34, S. 21—37, 1884. . Über den Einfluss der Salze auf die Lösung der roten Blutkörperchen. Ber. d. Naturf.-Vers. in Magdeburg 1884, 5. 96—98. . Über das zeitliche Entstehen der elektrischen Polarisation. Natur- wiss. Rundsch., I. Jahrg., Nr. 2, S. 9, 1886. . Über den Elektrotonus der Nerven. Naturwiss. Rundsch., I. Jahrg., Nr. 26, S. 225, 1886. . Über das Entstehen und Verschwinden der elektrotonischen Some im Nerven und die damit verbundenen Erregungsschwankungen des Nervenstromes. Du Bois’ Arch. 1886, S. 197—250. . Über die sekundären Wellen der Pulskurve. Sitzungsber. d. naturf. Ges. zu Halle, 4. März 1887, S. 1—10. . Neue Theorie der Erregungsvorgänge und elektrischen Erscheinungen an der Nerven- und Muskelfaser. Naturwiss. Rundsch., III. Jahrg., "Nr. 28, S. 353, 1888. . Neue Theorie der Erregungsvorgänge und elektrischen Erscheinungen an der Nerven- und Muskelfaser. Unters. a. d. phys. Inst. zu Halle, I. Heft, S. 27—104, 1888. (Siehe auch Verhandlungen. der naturforsch. Gesellschaft. zu Halle a. S. 17, 1. u. 2. Heft, "1888, S. 135.) . Über die Sauerstoffzehrung der Gewebe. Unters. a. d. phys. Inst. zu Halle, Heft I, S. 107136, 1888. . Ein Trachealrespirator. Centr.-Bl. f. d. med. Wiss. 1888, Nr..17, S. 321—-323. . Die fünf Sinne des Menschen. 2. Aufl., 285 S. Internat. wiss. Bibl. Bd. XI, Leipzig, Brockhaus, 1889. . Nachruf auf P.duBois-Reymond. Naturwiss. Rundsch., IV. Jahrg., Nr. 19, 1889. ß Phototelephonische Untersuchung des zeitlichen Verlaufs elektrischer Ströme. Sitzungsber. d. Berl. Akad. Bd. VIII, 13. Februar 1890, S. 153—157. . Über die mechanistische und vitalistische Vorstellung vom Leben. Rektoratsrede. Naturwiss. Rundsch., V. Jahrg., Nr. 45, S. 569, 1890. Auch separat erschienen bei Vieweg & Sohn, Braunschweig 1890, unter dem Titel: Die mechanistische Theorie des Lebens, ihre Grund- lagen und Erfolge. . Sphygmophotographische Versuche. Fortsch. d. Medicin 1890, Nr. 4. 63. Über die Beziehungen. zwischen . Kontraktion und Starre des Muskels. Unters. a. d. phys. Inst. zu Halle, Heft II, S. 173—182, 1890. Über den mit einer EL ne er iindenen Schall und das Ver- hältniss desselben zur negativen Schwankung. Unters. a. d. phys. Inst. zu Halle, Heft II, S. 183—191, 1890. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 6 82 65. 66. 67. 68. uk 35. A. v. Tschermak: Über den zeitlichen Verlauf der Depolarisation im Muskel. Unters. a. d. phys. Inst. zu Halle, Heft II, S. 193—219, 1890. Zur Theorie der elektrischen Erregung (Antwort auf die Bemerkung des Herrn N. v. Rege&czy über meine Theorie). Pflüger’s Arch. 46, S. 259—265, 1890. Weitere Versuche über die Sauerstoffzehrung in den Geweben. Verh. d. Ges. d. Naturf. u. Ärzte zu Halle, September 1891, Teil II, S. 148 bis 151. Über die spezifische Energie des Hörnerven, die Wahrnehmung binauraler (diotischer) Schwebungen und die Beziehung der Hör- funktion zur statischen Funktion des Ohrlabyrinths. Pflüger’s Arch. 97, 8. 475—494, 1894. . Lehrbuch der Physiologie des tierischen Organismus, im Speziellen des Menschen. Stuttgart, Enke, 1894. . Referate über Physiologie der Sinne, Stimme und Sprache, des Zentral- nervensystems, Psychophysik. Virchow -Hirsch’s Jahresber. Physio- logie II, S. 202—218, 1894. Über das angebliche Hören labyrintbloser Tauben. (Nach Versuchen, welche gemeinsam mit Dr. Fr. Matte angestellt sind.) Pflüger’s Arch. 61, S. 113—122, 1895. . Das Beugungsspektrum des quergestreiften Muskels bei der Kontrak- tion. Pflüger’s Arch. 61, S. 285—290, 1895. . Nachruf auf Helmholtz. Naturwiss. Rundsch., X. Jahrg., Nr. 6, S. 73, 1895. 4. Nachruf auf ©. Ludwig. Naturwiss. Rundsch., X. Jahrg., Nr. 27, S. 349, 1895. . Über die Latenzdauer der Muskelzuckung. Pflüger’s Arch. 67, S. 207—218, 1897. . Zur Theorie der negativen Schwankung. Über die Methode der Rheotomversuche und über den Einfluss der Belastung auf die negative Schwankung des Muskels. Pflüger’s Arch. 67, S. 349 — 372, 1897. . Zur Geschwindigkeit der Kontraktionsprozesse. (Bemerkung zu dem Aufsatz von Th. W. Engelmann: ‚Über den Einfluss der Reiz- stärke usw.‘‘) Pflüger’s Arch. 68, S. 95—99, 1897. . Über das Verhalten der Kathodenstrahlen zu einander. Wied. Ann. d. Physik, 62, S. 415—424, 1897. Nachruf auf E. du Bois-Reymond. Naturwiss. Rundsch., XII. Jahr- gang, Nr. 7, S. 87, 1897. Nachruf auf F. Holmgren. Naturwiss. Rundsch., XII. Jahrg., Nr. 45, S. Ba, 107% . Nachruf auf R. Heidenhain. Naturwiss. Rundsch., XII. Jahrg, Nr. 47, S. 606, 1897. . Gegenbemerkung zu der Engelmann’schen Abhandlung: „Über den Einfluss der Reizstärke‘‘ (Pflüger’s Arch: 69, S. 28, 1898). Pflü- ger’s Arch. 70, S. 367—370, 1898. . Über reflektorische negative Schwankung des Nervenstromes und die Reizleitung im Reflexbogen. Pflüger’s Arch. 73, S. 374—380, 1898. . Über reflektorische negative Schwankung des Nervenstromes und die Reizleitung im Reflexbogen. Arch. f. Psychiatr. 30, Heft II, 1898, S. 651—652. Zur Theorie des Wachstums und der Befruchtung. Arch. f. Entw.- Mech. 7, S. 511—521, 1898. 86. 37. 88. 89. 90. IE 92. 93. 94. 95. 96. Urt 98. 33 100. 101. 102. 103. 104. .„ 105. 106. 107. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 83 Ein Vorschlag zur Untersuchung des Nordlichtes. Naturwiss. Rundsch. XIV. Jahrg., Nr. 8, S. 95, 1899. Zur Konstitution und Reizleitung der lebenden Substanz. Biolog. Centr.-Bl. 29, S. 289 —295, 1899. Die Vorbildung der Medizinstudierenden im Hinblick auf den Entwurf der neuen Prüfungsordnung. Braunschweig, Vieweg & Sohn. 1899, 25 8. Bemerkungen zum Bildungsgange der Medizinstudierenden und dem Entwurf der neuen Prüfungsordnung. Hochschulnachrichten, Akad. Tagesfragen. Oktober 1899, S. 7—8. Zur Abwehr, betreffend die reflektorische negative Schwankunge. Pflüger’s Arch. 79, S. 423—424, 1900. Chemotropische Bewegung eines Quecksilbertropfens. Zur Theorie der amöboiden Bewegung. Pflüger’s Arch. 80, S. 628—637, 1900. Nochmals die reflektorische negative Schwankung. Zur Abwehr gegen L. Hermann. Pflüger’s Arch. 81, S. 138—150, 1900. Lehrbuch der Physiologie des tierischen Organismus, im Speziellen des Menschen. 2. Aufl. Stuttgart, Enke, 696 S., 1900. Erwiderung auf L. Hermann’s „Letztes Wort usw... Pflüger’s Arch. 83, S. 181—186, 1900. Die Energie des Muskels als Oberflächenenergie. Pflüger’s Arch. 85, 8. 271-312, 1901. Ein Versuch zur Theorie der Tropfelektrode. Zeitschr. f. physik. Chem. 38, S. 200—204, 1901. Die Kräfte der Bewegung in der lebenden Substanz. Naturwiss. Rundsch., XVI. Jahrg., Nr. 33, S. 413; Nr. 34, S. 429; Nr. 35, S. 441, 1901. Auch separat bei Vieweg & S., Braunschweig 1902, 28 8. (Mit A. Tschermak.) Über die Beziehung der negativen Schwankung des Muskelstromes zur Arbeitsleistung des Muskels. Pflüger’s Arch. 89, S. 289—332, 1902. Erklärung zu L. Hermann’s Jahresbericht der Physiologie 1901 betreffs dien reflektorischen negativen Schwankung. Pflüger’s Arch. 89, S. 592 —593, 1902. ns Erwiderung auf L. Hermann’s Erklärung in diesem Archiv 9, S. 232. Primer s Arch. 90, 8.583 —584, 1902. me. en zur Thermodynamik der bioelektrischen Ströme. I. Teil. Pflüger’s Arch. 92, S. 521—562, 1902. Über den Unterricht in der Mathematik und Naturwissenschaft an den Realschulen. Zeitschr. f. d. math. Unterr. 1902. (Mit A. Tschermak.) Über das thermische Verhalten des elektrischen Organs von Torpedo. Sitzungsber. d. Berl. Akad. 11. Februar 1904, S. 301—313. Hermann von Helmholtz, Badische Biographien. Bd. V, S. 281 bis 294. Karlsruhe 1904. (Mit A. Tschermak.) Über die Frage: ‚Präexistenztheorie oder Alterationstheorie des Muskelstromes‘“. Pflüger’s Arch. 103, S. 67 bis 84, 1904. Bemerkungen zu dem Aufsatze von L. Hermann: ‚Über elektrische Wellen in Systemen von hoher Kapazität und Selbstinduktion‘“. Ann. d. Physik, 4. Reihe, 13, S. 1073—65, 1904. Berechnung des Durchmessers der Moleküle aus kapillar-elektrischen Versuchen. Ann. d. Physik, 4. Reihe, 14, S. 172—176, 1904. 6* 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. A.v. Tschermak: . Elektrische Eigenschaften der Zellen und ihre Bedeutung. Naturwiss. Rundsch. XIX. Jhrg. Nr. 16, 1905. . Bemerkung zur Wirkung der Oberflächenspannung im Organismus. Eine Entgegnung. Anatom. Hefte von Merkel und. Bonnet, 27, S. 823—827, 1905. . Über den osmotischen Druck der Galle und des Blutes. Zur Theorie der Sekretion und Resorption. Pflüger’s Arch. 109, S. 307—323, 1905. . Zur Theorie der Muskelkontraktion: Kann die Muskelkraft durch osmotischen Druck oder Quellungsdruck erzeugt werden ? Pflüger’s Arch. 109, S. 323—337, 1905. . Eine neue Theorie der Farbenempfindung. Naturwiss. Rundsch. Bd. 21, Nr. 38, 1906. . (Mit A. Tsehermak.) Untersuchungen zur Thermodynamik der bio- elektrischen Ströme. II. Teil. Über die Natur der Kette des elek- trischen Organs bei Torpedo. Pflüger’s Arch. 112 S. 439—522, 1906. . Zur Frage der Präexistenztheorie oder der Alterationstheorie des Muskelstromes. Pflüger’s Arch. 113, S. 605—612, 1906. . Die Entropie und Anatropie der Welt. (Naturwiss. Skizze.) „Tag‘“, Berlin 1907, 14. Maı. . Zur Thermodynamik der Muskelkontraktion. 1. Über die Temperatur- koeffizienten der Muskelenergie. Nebst Versuchen über den Tem- peraturkoeffizienten der Oberflächenspannung kolloider Lösungen. Nach gemeinsamen Versuchen mit cand. med. W. Knape, L. Koeppe und W. Lindemann. Pflüger’s Arch. 122, S. 129—196, 1908. Berichtigung zu dem Aufsatz, betitelt: „Zur Thermodynamik der Muskelkontraktion‘. Pflüger’s Arch. 122, S. 129. Ebenda 122, 5.418, 1908. Zur .Thermodynamik der Muskelkontraktion. Eine Erwiderung. Pflüger’s Arch. 124, S. 462—469, 1908. Lehrbuch der Physiologie des tierischen Organismus, im Speziellen des Menschen. 3. Aufl. Stuttgart, Enke, 1908. Kontraktionstheorie. Pflüger’s Arch. 128, S. 136—142, 1909. Die Thermoströme des Muskels und die Membrantheorie der bio- elektrischen Ströme. Pflüger’s Arch. 131, S. 589—600, 1910. Herz, Muskeln, Nerven und Bioelektrizität. Saale-Zeitung, 22. Juli 1912. Dr Elektrobiologie. Die Lehre von den elektrischen Vorgängen im Organismus, auf moderner Grundlage dargestellt. Vieweg’s Samm- lung: Die Wissenschaft, 41. Heft. Braunschweig 1912. Erinnerungen an das elterliche Haus. (Als Manuskript gedruckt.) 1913. Zur elektrochemischen Grundlage der bioelektrischen Potentiale. Bio- chemische Zeitschr. 50, S. 393—401, 1913. Eine Theorie der Farbenempfindung auf phylogenetischer Grundlage. Pflüger’s Arch. 156, S. 265—298, 1914. Zur physikalisch-chemischen Analyse der Zuekungskurve des Muskels. . Pflüger’s Arch. 156, S. 299—313, 1914. Über den zeitlichen Verlauf der Wärmebildung bei der Kontraktion des Muskels. (Nach Untersuchungen mit Dr. E. Lesser vom Jahre 1908.) Pflüger’s Arch. 159, S. 521—584, 1914. Erwiderung, betreffend die Versuche von A. Herlitzka über die Wärmebildung bei der Herzkontraktion. Pflüger’s Arch. 161, 8.595 bis 598, 1915. 130. 131. 132. 133. 134. 135. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 55 Experimentelles und Kritisches zur Theorie der Muskelkontraktion. Pflüger’s Arch. 162, S. 1—53, 1915. Kontraktilität und Doppelbrechung des Muskels. Pflüger’s Arch. 163, S. 594—600, 1916. b Über die Thermoströme des Muskels. In Hinblick auf die Versuche von W. Pauli und J. Matula. Pflüger’s Arch. 164, S. 102—110, 1916. Ein lineares Induktorium. Pflüger’s Arch. 164, S. 198—202, 1916. Kontraktionstheorie. Berliner klin. Wochenschr. 53, Nr. 23, S. 620 bis 621, 5. Juni 1916. Über die elektrische Ableitung des Muskelquerschnittes. Pflüger’s Arch. 166, S. 201 —202, 1916. B) Veröffentlichungen unter J. Bernstein’s Leitung (Nr. I-LXXXI, 1874—1912). I. J. Steiner, Über die Immunität der Zitterrochen (Torpedo) gegen ihren eigenen Schlag. Reichert-Du Bois’ Arch. 1874, Ss. 684—700. 1I. J. Steiner, Zur Innervation des Froschherzens. Reichert- Du Bois’ Arch. 1874, S. 474—490. III. J. Steiner, Notiz über die Wirkung des amerikanischen Pfeil- giftes Curare auf verschiedene Thierklassen. Reichert-Du Bois’ Arch. 1874, S. 700—701. IV. Bernheim, Über die Wirkung des elektrischen Stromes in verschiedener Richtung gegen die Längsaxe des Nerven und Muskels. Pflüger’s Arch. 8, S. 60—70, 1874. V. Bernheim, Über die Wirkung des salpetrigsauren Amyloxyds. Pflüger’s Arch. 8, S. 253—257, 1874. VI. P. Böttger, Über die physiologische Wirkung der Abführ- mittel. Diss. 1874. VII. J. Steiner, Über die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes Curare. Eine vergleichend physiologische Untersuchung. Reichert-Du Bois’ Arch. 1875, S. 145 —176. VIII. J. Steiner, Untersuchungen über den Einfluss der Tem- peratur auf den Nerven- und Muskelstrom. Reichert-Du Bois’ Arch. 1876, S. 382—42]. IX. R. Marchand, Beiträge zur Kenntniss der Reizwelle und der Kontraktionswelle des Herzmuskels. Pflüger’s Arch. 15, S. 511—536, 1877. X. R. Marchand, Der Verlauf der Reizwelle des Ventrikels bei Erregung desselben vom Vorhofe aus und die Bahn, auf der die Erregung zum Ventrikel gelangt. Pflüger’s Arch. 17, S. 137—151, 1878. XI. K. Schoenlein, Versuche über einige physiologische Wir- kungen des Natriumkarbonates. Pflüger’s Arch. 18, S. 26—38, 1878. XII. R. Marchand, Versuche über das Verhalten von Nerven- zentren gegen äussere Reize. Pflüger’s Arch. 18, S. 511 bis 542, 1878. XIII. J. Boas, Ein Beitrag zur Lehre von der paroxysmalen Hämo- globinurie. Diss. 1881. 86 XXV. ZONE, XXVII. SORANE RXIX. ROOT XXXT. RXXII. SORSQAUGE REXXIV. XXXV. XXXVI. XXXVIL. IRLINEOE A.v. Tschermak: . K. Schoenlein, Über das Verhalten des sekundären Tetanus bei verschiedener Reizfrequenz. Diss. und Du Bois’ Arch. 1882, S. 347—356. . K. Schoenlein, Zur Frage nach der Natur der Anfangs- zuckung. Du Bois’ Arch. 1882, S. 357 —368. . K. Schoenlein, Über rhythmische Kontraktionen quer- gestreifter Muskeln auf tetanische Reizung. Du Bois” Arch. 1882, S. 369 —386. . K. Schoenlein, Über das Verhalten der Wärmeentwickelung in Tetanis verschiedener Reizfrequenz. Habilit.-Schrift, Halle 1883. . Ed. Leser, Untersuchungen über ischämische Muskellähmun- gen und Muskelkontrakturen. Diss. 1884. . Fr. Jos. Becker, Über den Einfluss, welchen verschiedene Salze auf die roten Blutkörperchen ausüben. Diss. 1884. . F. 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Ettinger, Über den Einfluss des Arsens auf die Autolyse. II. Mitteilung von: Autolyse und Stoff- wechsel. Zeitschr. f. physiol. ee 79,8. 1, -1912. f. Bio- Zeitschr. I. Der Ergebnisse der LXXVI. LXXVIM. LXXIX. LXXX. LXXXI. LXXXI. Julius Bernstein’s Lebensarbeit. 89 E. Laqgueur, Über den Einfluss des salizylsauren Natriums auf die Autolyse. III. Mitteilung. Ebenda 79, S. 30, 1912. E. Laqueur und K. Brünecke, Über den Einfluss des benzoe- sauren Natriums auf die Autolyse. IV. Mitteilung. . Ebenda 79, S. 65, 1912. E. Laqueur, Über den Einfluss von Gasen, im besonderen von Sauerstoff und Kohlensäure, auf die Autolyse. Ebenda 29985782,.19122 E. Laqueur und K. Brünecke, Über den Einfluss von Gasen, insbesondere des Sauerstoffs, auf die Trypsin- und Pepsinverdauung. Ebenda 81, S. 239, 1912. F. Verzär, Über die Natur der Thermoströme des Nerven. Pflüger’s Arch. 143, S. 252 —282, 1912. E. Laqueur und F. Verzär, Über die spezifische Wirkung der Kohlensäure auf das Atemzentrum. Ebenda 143, S. 395 bis 427, 1912. Ein Beitrag zu den sogenannten Ausnutzungs- Versuchen. Von Kurt Biegel. (Aus dem Kgl. physiologischen Institut zu Königsberg i. Pr.) (Eingegangen am 15. August 1918.) Ernährungsfragen und was damit zusammenhängt sind in unserer Zeit aktueller denn je. Tritt auch die Wichtigkeit der zweckmässigsten Nahrung vor der Frage der sparsamsten Ernährung heute zurück, so ist es dennoch nicht nur von hygienischem, sondern auch von ökonomischem Interesse, zu erfahren, in welchem Maasse unsere Nahrungsmittel dem Organismus zugute kommen, bzw. in welcher Menge sie den Körper unverdaut wieder verlassen. Die Frage nach der sogenannten Aus- nutzung unserer Speisen ist nun bekanntlich gar nicht so einfach zu beantworten. Rubner') hat darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht genügt, die chemische Zusammensetzung der Nahrung im Sinne v. Liebig’s zu kennen; denn ein und derselbe Nährstoff kann ein- mal leicht, das andere Mal schwer oder gar nicht in assimilierbare Form gebracht und vom Darm resorbiert werden, je nach der Natur des Trägers, welcher ihn dem Organismus darbietet. So ist zum Beispiel das kleiehaltige Mehl an Eiweiss bedeutend reicher als das gewöhnliche feine, d. h. gebeutelte Mehl. Man sollte nun meinen, das aus ersterem hergestellte Brot besitze einen höheren Nährwert als das Fein- oder Weissbrot. Das ist jedoch, wie Versuche von Meyer?) und Rubner!) schon in den 70er Jahren in überzeugender Weise dargetan haben, durchaus nicht der Fall, aus dem einfachen Grunde, weil dem menschlichen Darm die Fähigkeit mangelt, das in der Kleie (Zellulose) enthaltene Eiweiss mechanisch aufzuschliessen. Der wertvolle Nährstoff verlässt ungenützt den Organismus. Ver- arbeitet man das Kleiemehl nach Finkler?) zu sogenanntem Final- 1) Rubner, Zeitschr. f. Biol. Bd. 15 S. 115ff. 1879. 2) Meyer, Zeitschr. f. Biol. Bd.7 S. 1ff. 3) Finkler, Die Verwertung des ganzen Korns zur Ernährung. Bonn 1910. Ein Beitrag zu den sogenannten Ausnutzungs-Versuchen. 9] mehl, indem man es mit Kalkwasser und 3°/oigem Natriumchlorid vermahlt, trocknet, die Stücke zertrümmert und wieder vermahlt, so erzielt man eine bedeutend bessere Ausnutzung des Mehlstickstoffs beim Menschen sowohl als auch nach Versuchen Hagemann’s!) bei Tieren (Pferd, Hammel). Ein und dasselbe Nahrungsmittel kann also einmal dem Organismus viel Nährmaterial zuführen und das andere Mal ihm nur viel unnütze Verdauungsarbeit auferlegen. So fand auch M. Voit?), dass gequollenes, also wasserhaltiges Eiweiss viel besser ausgenutzt wird als trockenes Eiweisspulver, das bei den fabrik- mässig hergestellten Nährpräparaten eine se grosse Rolle spielt. Grüne Pflanzenteile gelten allgemein als unverwertbar für den Menschen. Jedoch ergibt die chemische Analyse, dass jedes Blatt eine nicht unbeträchtliche Menge Eiweiss, Fett und Kohlehydrate als Bausteine des Protoplasmas enthält. Da diese Nährstoffe jedoch von den Zellulosehüllen der Pflanzenzellen umschlossen sind, so kämen sie dem menschlichen Organismus nur dann zugute, wenn er gleich den Sehnecken oder den mit den Herbiveren symbiotisch lebenden Bakterien in seinen Verdauungssäften Zellulase produzieren könnte. Sprengst man die Zellulosehüllen etwa durch feines Zermahlen des Materials, so sind nach Friedenthal?) zum Beispiel Gemüseblätter als Kraft- quelle für den Menschen zu erschliessen. Der genannte Autor gab Säuglingen feingemahlenes Gemüsepulver in die Milch und erreichte eine fast vollständige Resorption desselben. Ja nicht einmal der Kot der Kinder zeigte eine Vermehrung des Volumens. Es mag hier be- merkt werden, dass Ausnützungsversuche mit präpariertem Salatblatt- pulver beim Hunde nach Rubner*) kein günstiges Resultat liefern. Das Protein wird nur etwa zur Hälfte resorbiert. Von demselben Autor an Kindern angestellte Versuche mit Büchsenspinat und Spinat- pulver entschieden im allgemeinen zugunsten des ersteren. Doch war die Stickstoffausnutzung bei letzterem eine bessere. Das eklatanteste Beispiel dieser Art dürfte das aufgeschlossene Stroh darstellen, das ‚bis zu 90°/o verwertet werden kann (Rubner). Aus den angedeuteten Tatsachen mag man ersehen, dass es zur Ermittlung der Verwertbarkeit eines Nahrungsmittels für den Organis- 1) Hagemann, Pfdüger’s Arch. Bd. 137 S. 571. 1911. 2) M. Voit, Zeitschr. f. Biol. Bd. 45 S. 79. 1904. 3) Friedenthal, Pflüger’s Arch. Bd. 144 S. 152. 1912. 4) Rubner, Arch. f. Physiol. 1916 H. 1/2. 92 Kurt Biegel: mus neben der chemischen Analyse unbedingt des Experimentes an Mensch oder Tier bedarf, wenn man nicht in Irrtümer verfallen will. In der einfachsten Weise wären solche Untersuchungen ‘derart durch- zuführen, dass die aufgenommene Nahrung und der von ihr her- stammende Kot qualitativ und quantitativ möglichst genau analy- siert und aus den gefundenen Resultaten Rückschlüsse auf die 'Art und Menge der im Körper retinierten, also verwerteten Substanzen gemacht werden. In der Tat sind seit der Mitte des vorigen Jahr- hunderts eine grosse Anzahl derartiger Experimente angestellt worden. Zu erwähnen sind die Untersuchungen von Bischoff und Voit in ihrem klassischen Werk „Über die Gesetze der Ernährung des Fleisch- fressers“. Dann war es die Schule Voit’s, die sich vorwiegend der Arbeit auf dem Gebiete der Verwertung von Nahrungsmitteln widmete. Meyer!) untersuchte die Ausnutzung verschiedener Brotarten beim Hund und Menschen, und Rubner?) veröffentlichte 1879 wichtige Daten über die Verwertung einer Reihe von Nahrungsmitteln im Darm des Menschen. In den letzten Jahren sind eine Reihe von Arbeiten desselben Autors?) über die Verdaulichkeit von Roggen- und Weizenbrot, Obst, Gemüse, aufgeschlossenem Holzmehl und Stroh er- schienen. 5 In der Voit’schen Schule gebrauchte man zuerst das Wort „Ausnutzung“ und verstand darunter die Resultate, die man bei der zahlenmässigen Vergleichung der Bestandteile des aufgenommenen Futters und des Kotes erhielt. Dieser Begriff ist seitdem vielfach. umstritten worden. Es lässt sich nicht verkennen, dass das Problem der Verwertbarkeit von Nahrungsmitteln sich auf diese angedeutete einfache Art nur näherungsweise lösen lässt, denn der Kot besteht nicht nur aus unverdauten Residuen der aufgenommenen Speisen; er müsste ja dann eine diesen analoge Zusammensetzung aufweisen. Bekanntlich ist dies aber nicht der Fall. So ist zum Beispiel der Fleischkot beim Hunde fast genau so zusammengesetzt wie der Hunger- kot. Auch andere Kotarten verschiedenster Herkunft in bezug auf die aufgenommene Nahrung zeigen oft eine auffallende Ähnlichkeit in der chemischen Zusammensetzung, ganz unabhängig von dem Futter. Nur der Kot, der von vegetabilischem Futter (Brot usw.) herrührt, 1) Meyer,.c. 2) Rubner, |. c. 3) Rubner, Arch. f. Physiol. 1916 H. 1—4. Ein Beitrag zu den sogenannten Ausnutzungs-Versuchen. 093 zeigt oft — wenigstens bei Hunden — eine ähnliche Zusammensetzung wie das aufgenommene Material. Bischoff und Voit nennen den Brotkot geradezu „wässeriges Brot“. In neuerer Zeit mehren sich Stimmen, die behaupten, dass der gewöhnliche Kot, den das gesunde Individuum nach Aufnahme von instinktiv gewählten, fast völlig (?) resorbierten Nahrungsmitteln produziert, im wesentlichen nur aus Rückständen. der in. den Darm ergossenen Verdauungssäfte besteht. Man könnte hier einwenden, dass die Menge des Kotes zu letzteren in keinem Verhältnis steht. Da aber der menschliche Organismus täg- lich 1—2 1 Darmsaft produziert, so könnte man sich höchstens über die geringe Quantität des Kotes wundern. Zweifellos wird ein Teil des Pankreas- und Gallensaftes usw. resorbiert. Dass jedoch der Körper aus diesen Produkten, zu denen noch desquamierte Darm- epithelien — nach anderen Autoren haben diese sogar den Haupt- anteil an der endogenen Kotbildung — kommen, Kot zu bilden im- stande ist, lehrt die Existenz des Hungerkotes und des Mekoniums. Ob man jedoch berechtigt ist, in dieser rigorosen Weise (Prausnitz!) von endogenem Normalkot zu sprechen, ist mindestens fraglich. Zeigt doch jede mikroskopische Untersuchung, dass in allen Fäces Nahrungs- reste in der einen oder anderen Form enthalten sind. Sogar deutlich erkennbare Muskelfasern und intakte Zellen von ganz zartem Gemüse sind unter anderem nachzuweisen. Man wird also bis zur endgültigen Klärung der Frage gut tun, bei der alten Annahme zu bleiben, dass der Kot aus beiden, aus Residuen der Verdauungssäfte und den auf- genommenen Nahrungsmitteln, besteht. Allerdings ist es sehr schwer, oft unmöglich, zu sagen, welche von beiden Komponenten in dem einen oder anderen Falle überwiegt. Die Menge der endogenen Bestandteile wechselt naturgemäss ganz ausserordentlich und müsste von Fall zu Fall berechnet werden. Das ist natürlich unmöglich. Aber auch näherungsweise richtige Werte zu finden, ist ausserordentlich schwer. Rubner hat in den oben erwähnten Arbeiten eine Methode ‚angegeben, mit Hilfe der Verbrennungswärme des Kotes Rückschlüsse auf die Art der Zusammensetzung zu machen. Besonders die Frage nach der Menge des endogenen Stickstoffes ist viel diskutiert worden. Hier könnte ausserdem noch die Frage aufgeworfen werden, ob die Mikroorganismen, die nach einigen Autoren 1) Prausnitz, Zeitschr. f. Biol. Bd. 35 S. 335f. 1897. 94 Kurt Biegel: einen grossen Prozentsatz des Kotes (bis *ıo; Lissauer fand im Mittel etwa 8°/o des Trockenkotes) ausmachen, an dem Stickstoff- gehalt der Fäces wesentlich beteiligt sind. Es liegen da unter anderen Arbeiten von Hammerl!) und Lissauer?) vor. Beide Autoren kommen zu dem Resultat, dass im allgemeinen der N-Gehalt der Kotbakterien bei Stoffwechselversuchen vernachlässigt werden könne. Was die Frage nach dem von den Verdauungssäften und der Darmwand herstammenden Stickstoff anbetrifit, so nenne ich die Arbeiten von Rieder’) und Tsuboi*). Beide gingen bei ihren Versuchen so vor, dass sie Hunde mit möglichst N-freier Kost er- nährten und dann die Menge des produzierten Stickstoffs bestimmten. Eine einfache Analyse des Hungerkotes ist nicht angängig, denn die endogene Stickstoffmenge nimmt naturgemäss bei der Verdauungs- arbeit zu, gleichgültig, ob es sich um stickstofffreies oder um stick- stoffhaltiges Futter handelt (C. Voit). Nach Rieder produzierte ein 7 kg schwerer Hund, der mit 416,9 g wasserfreier Stärke und 44,9 Fett gefüttert wurde, in 4 Tagen 21,3 g Kot mit 3,67 g N. Aus der Arbeit Tsuboi’s, der ebenfalls an Hunden experimentierte, ist folgende Kotanalyse beachtenswert: Trockene : R* en Nahrung (N-frei) = Nummer 5 (Fett, Stärke, Trocken- - hr. Zucker) Sahstany N | Fett | Stärke Asche | 1. 0 2,64 014 | 0,67 | DI aan 2. 132 9,81 024 , 164 | 0,5% 0,76 57 305 | 12,92 0,97 2 1455 25,60 1,04 Beim Menschen fand Rubner?°) nach Aufnahme einer möglichst stickstofffreien Kost (1,368 N, das nach seiner Vermutung völlig resorbiert wurde) 1,398 N im Kot, Parkes (Proceeding of the Royal Society 89 und 94) nur 0,4—0,6g pro die. Dieser Autor kannte allerdings noch nicht die Kotabgrenzung. Selbstverständlich sind derartige Ergebnisse weder zu verallgemeinern noch lassen sie sich auf beliebige andere Fälle anwenden. Über die Mengen der 1) Hammerl, Zeitschr. f. Biol. Bd. 35 S. 355. 1897. 2) Lissauer, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 58 S. 145. 3) Rieder, Zeitschr. f. Biol. Bd. 20 S. 378. 1884. 4) Tsuboi, Zeitschr. f. Biol. Bd. 35 S. 68. 1897. 5) Rubner, |]. c. Ein Beitrag zu den sogenannten Ausnutzungs-Versuchen. 95 endogenen Fette, Lipoide, Kohlenhydrate usw. fehlen einschlägige Arbeiten noch völlig, was bei der Schwierigkeit der Versuche ver- ständlich erscheint. Man müsste zur Prüfung dieser Verkältnisse dureh Einführen eines indifferenten Stoffes versuchen, den Darm zur normalen Tätigkeit anzuregen. Es ist aber durchaus zweifelhaft, ob die Sekretion, die sich bekanntlich den aufgenommenen Nahrunes- mitteln anpasst, dann in normaler Weise vor sich gehen würde. Nach Rubner hängt die Menge der Stoffwechselprodukte nicht so sehr von der eingeführten Nahrung als vielmehr von deren Extraktivstoffen ab. Jedenfalls besitzen wir heute kein auch nur annähernd sicheres Mittel, die endogenen Bestandteile des Kotes von den Nahrungs- residuen zu trennen, ebensowenig wie wir eine Methode kennen, die einzelnen chemischen Bestandteile des Kotes zu identifizieren. Dadurch würde es eher möglich sein, über die Herkunft der Substanzen etwas zu sagen. So aber müssen wir uns auf eine Analyse auf Stickstoff, Ätherextrakt, Asche und eventuell Kohlenhydrate beschränken. Es ist klar, dass eine derart grobe Untersuchung leicht ein ganz falsches Bild von der Chemie des Kotes machen kann (Hoppe-Seyler). Der Stickstoffgehalt entspricht durchaus nicht immer dem Eiweiss, ebenso- wenig wie dem Ätherextrakt das Fett entsprechen muss, während in den intakten Nahrungsmitteln die Werte sich wenigstens annähernd decken. Hindhede!) hat auf eine chemische Analyse überhaupt verzichte. Ihm genügt die Feststellung der Trockensubstanz für seine Rückschlüsse. Nach Max Voit ist es unrichtig, aus der Ana- lyse des Kotes die Ausnutzung der Nahrung entnehmen zu wollen, und Prausnitz?) schlägt vor, nicht von gut oder schlecht aus- genutzten, sondern von viel oder wenig kotbildenden Nahrungsstoflen zu sprechen. Dieser letzten These ist von Plagge und Lebbin?) energisch widersprochen worden. Wie dem auch immer sei, solange wir keine besseren Wege kennen, wird der Vergleich zwischen Zusammensetzung der Nahrung und des Kotes unser wichtigstes Hilfsmittel sein, mit einiger Vorsicht Rückschlüsse auf die Menge der retinierten Nahrungsstoffe zu machen. Von rein praktischen Gesichtspunkten aus wird diese Methode in den meisten Fällen genügen; man darf sich nur nicht darauf kaprizieren, 1) Hindhede, zitiert nach Rubner, Arch. f. Physiol. 1916 H. 1/2 8.61. 2) Prausnitz, |. c. 8) Plagge-Lebbin, Das Soldatenbrot. Berlin 1897. 96 Kurt Biegel: die „Ausputzungsquote“ prozentualiter durch Umrechnung der ge- fundenen Stickstoffmengen auf Eiweiss usw. zu errechnen und nun die Resultate für exakte Zahlen zu halten. Im Königsberger Physiologischen Institut habe ich, soweit das Material sich jetzt beschaffen liess, im Sommer 1917 auf Anregung des Herrn Professor Weiss Versuche angestellt, deren Resultat hier mitgeteilt werden soll. Die Versuche wurden an einem etwa 3 Monate alten männlichen Pintscherbastard von sehr lebhaftem Naturell aus- geführt. Das Tier wog zu Beeinn der Versuchsreihe 2700 & und er- reichte im Laufe des Sommers ein Gewicht von 5800 e. Es wurde ein so kleines Versuchsobjekt gewählt, um mit der Material möglichst haushalten zu können. Das Tier wurde während der Versuchszeiten in einem Käfig gehalten, der ein Sammeln des Kotes isoliert von Harn gestattete, sonst aber soweit als angängig in der Freiheit wenig beschränkt, oft ins Freie geführt, damit für ausgiebige Bewegung ge- sorgt war und keine widernatürlichen Verhältnisse die Verdauung irgendwie beeinflussten. Dass bei dem Hunde auf Ekto- und Ento- parasiten geachtet wurde, versteht sich von selbst. Einige Bemerkungen zur Methodik. Es wurde zunächst auf eine möglichst einwandfreie Kotabgrenzung Wert gelest. Vorversuche ergaben folgendes: Eine scharfe Grenze zwischen zwei Kotarten, die von verschiedenem Futter herrührten (Bischof, Voit, Rubner) zum Beispiel, Fleisch- und Brotkot, liess sich mit überzeugender Sicherheit nicht ziehen. Ebensowenig erwies sich eine Trennung mit Knochenmehl (Voit u. a.) als besonders günstig. Nur in einem Falle (Versuch 1) gelang. die Abgrenzung mit einem Gemisch von Kienruss und Knochenmehl leidlich. Man kann sich aber gerade bei den sogenannten Ausnutzungsversuchen gewissen Bedenken gegenüber der Kotfärbung mit organischen Substanzen nicht gut verschliessen. Die durch das Knochenfutter bedingte Zufuhr von nicht unbeträcht- lichen Mengen Stickstoff und Caleiumsalzen können überaus leicht die Zusammensetzung des Kotes beeinflussen, da eine geometrische Trennungslinie sich nie herbeiführen lässt, wie jeder Praktiker weiss. Das von Neumayer und Cremer!) aus dem genannten Grunde vorgeschlagene Silieiumverfahren wurde in vorliegendem Falle nicht erprobt, ebensowenig die Korkspäne Munk’s?). 1) Neumayer u. Cremer, Zeitschr. f. Biol. Bd. 35 S. 391. 1897. 2) Munk, Pflüger’s Arch. Bd. 61 S. 610. 1895. Ein Beitrag zu den sogenannten Ausnutzungs-Versuchen. 097 Dagegen wurden Abgrenzungsversuche am Menschen mit Heidel- beeren gemacht, Auch hier war das Resultat nicht sehr brauchbar. Obwohl die Versuchsperson zwischen der ersten Heidelbeer- und der Versuchsmahlzeit, zwischen dieser und der zweiten Heidelbeermahlzeit je 20 Stunden fastete und durchaus geformter Kot entleert wurde, war die Grenze recht unscharf. Auch wäre hier das oben über orga- nische Färbemittel Gesagte in Betracht zu ziehen, da wesentliche Mengen der Früchte aufgenommen werden müssen. Als brauchbarstes Mittel ‘erwies sich schliesslich das Karmin, das neben starker und scharf abgesetzter Färbung den Vorzug hat, in ganz geringen Mengen (1 bis wenige Zehntel Gramm) wirksam zu sein. Bei Herbivoren versaste allerdings auch diese Art der Kotfärbung, wenigstens waren diesbezügliche Versuche am Kaninchen völlig resultatlos. Es wurden bisher folgende Nahrungsmittel auf ihre Verwertbar- keit im Hundeorganismus zum Teil mehrfach untersucht: Leberwurst, Blutwurst, Schweinefett mit Rindfleisch kombiniert, Schweinefett mit Brot kombiniert, Kriegsbrot. _ Im allgemeinen wurde so vorgegangen, dass das Tier nach einer gewissen Fastenzeit ein beliebiges, mit Karmin gemischtes Futter er- hielt, dann nach einem abermaligen Fastentag die Versuchsmahlzeit in mehreren Portionen; der Beschluss der Versuche wurde in ähn- - licher Weise wie der Beginn ausgeführt. Oder der Hund bekam die erste Portion des Versuchsfutters und die erste gewöhnliche Nahrung mit dem Farbstoff (je ein Fastentag vor und nach der Probekost). Diese letzte Art erwies sich sogar als zweckmässiger, da die erste Karmin- kotportion sich besonders scharf gegen den gewöhnlichen Kot abgrenzte. In Futter und Fäces wurden Stickstoff, der Gehalt an Chloroform- extrakt und Asche bestimmt. Alle Analysen wurden mindestens doppelt ausgeführt. | Die N-Bestimmung geschah nach K jelldahl. Die Substanz kam, in Stanniol verpackt, mehrere Tage zwecks Aufschlusses in ein Gemisch ‚von Schwefelsäure konz. + Phosphorsäure, einigen Kristallen Kupfer- sulfat und ein Tropfen metallisches Hg. Das Ammoniak wurde dann in der üblichen Weise : überdestilliert, in 7 Schwefelsäure auf- gefangen und mit 27 5 Natronlauge titriert. Als Indikator diente Rosol- säure. ‚Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 174. 7 98 E Kurt Biegel; Die Fett- und Phosphatidbestimmungen wurden mit Rücksicht auf die Kriegsverhältnisse nieht mit Äther. und Alkohol, sondern mit Chloroform im Soxhlet- Apparat ausgeführt. Die Veraschung im Platintiegel war die übliche. ‚... Beim ersten Versuch (Mai 1917) erhielt der 2700 g schwere Hund in zwei Portionen 80 g Leberwurst mit Knochenmehl und Kien- russ vermengt, am nächsten Tage 100 g Leberwurst, am folgenden 70 g nach 24 Stunden in zwei Portionen 60 g Wurst mit den ge- nannten Differenzierungsmitteln. Die Abgrenzung war leidlich. Dem Versuchsfutter von 170 g entsprachen 31,55 g feuchter Kot, der in drei Portionen entleert wurde. In allen späteren Versuchen wurden zur Abgrenzung 0,1—0,3 g Karmin verwendet. Das Fütterungsschema blieb wesentlich dasselbe. Es wurde gewöhnliche Leberwurstpaste verfüttert, die in sogenannten Rexgläsern steril aufbewahrt war. ‚Die chemische Analyse der Der dazugehörige Kot \ Wurst ergab: enthielt: n Trockensubstanz . 109,5 Trockensubstanz . 19,7 g Chloroformextrakt 90,2 g Chloroformextrakt. 18 g sticksol . ode Stiekstoß 22 2 081e MASche, un... - Al „Asche u... mo ade In einem zweiten Versuch mit Leberwurst von etwas anderer Zusammensetzung, der. etwa 8 Tage später ausgeführt wurde, erhielt - das Tier an 2 Tagen 140 g Futter in drei Portionen (die erste Portion mit 0,1 & Karmin). An Kot wurden einmal 23,34 g, dann 24 g entleert. Die beiden Analysen ergaben folgendes: Leberwurst 140 g: Kot 47,34 g: Trockensubstanz. . 94,6 & Trockensubstanz .. 25,7 8 Chloroformextrakt . 77,5 8 Chloroformextrakt. 4,02 g Stickstoff 7.3. u 22880 Stickstoff .x.. „2 2. 0lo9Ee; BNSche 3°... a Ale Asche .-...:.... 0 Mlosac Im Juli — das Tier wog 4800 g — wurde ein weiterer Versuch mit Blutwurstpaste (ebenfalls steril aufbewahrt) angestellt. Das Futter, das der Hund aus unbekanntem Grunde sehr ungern nahm, wurde in vier Portionen an 2 Tagen gegeben (zusammen 154,7 g); Kotentleerung zweimal; zusammen 31,48 g: Das Resultat gestaltete sich folgender- massen: Ein Beitrag zu den sogenannten Ausnutzungs-Versuchen. 99 Blutwurst 154,7 g: Kot 31,48 g; Trockensubstanz. . 83,3 8 Troekensubstanz . 214 g Chloroformextrakt . 60,1 & Chloroformextrakt. -2,1 g Stickstoff . . ... 288 Stickstoi 00... 19900 ASIEN We re; Asche, „r.ar as. r, Burg: Vergleicht man diese drei Wurstversuche, so fällt zunächst das Verhältnis des Chloroformextraktes, der im wesentlichen Fette und fettähnliche Stoffe enthalten wird, in beiden Analysen auf. Hier liegen die Ausnutzungsverhältnisse weitaus am günstigsten. Man kann bei diesen Substanzen wohl am ehesten von Ausnutzung sprechen, denn es ist kaum anzunehmen, dass der Organismus wesentliche Fett- mengen — vielleicht abgesehen von den Cholesterinderivaten — an den Kot abgibt. Die geringen in den Fäces erscheinenden Mengen (s. oben) sind wohl in der Hauptsache als durch den Verdauungs- vorgang und die Diekdarmgärung veränderte Reste des eingeführten Fettes aufzufassen. Rubner erhielt allerdings beim- Menschen nach ausschliesslicher Ernährung mit Kohlrüben und ganz geringen Fett- zusätzen einen auffallend hohen Gehalt Ätherextrakt im Kot (Archiv für Physiologie Bd. 16 Heft 3/4) (Resultat der Zellulosegärung’?). Nicht so gut scheint auf den ersten Blick die Stickstoffverwertung. Hier spielt naturgemäss die Frage nach der Herkunft des Stickstoff- anteils in den Fäces die Hauptrolle. Da aber die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass letzterer wesentlich endogenen Ursprungs ist, wie unten des näheren auseinandergesetzt werden soll, so kann auch die Aufsaueung der eiweissähnlichen Körper in diesem Falle quantitativ als eine durchaus gute bezeichnet werden. Sehr wechselnd ist der Gehalt des Kotes an Aschebestandteilen. Warum das Tier die mit der Nahrung eingeführte Salzmenge einmal teilweise retiniert, das andere Mal von dem Aschengehalt des eigenen Körpers an den Kot abgibt, ist mit Sicherheit schwer zu entscheiden. Zwei weitere Versuche beschäftigten sich unter anderem mit der - Verwertung des Fettes in anderer Kombination, und zwar wurde das Fett, das durch Ausschmelzen von Schweinespeck gewonnen war, ein- mal mit Rindfleisch, das andere Mal mit Brot zusammen gereicht. Das Fleisch wurde fein gewiegt, gekocht und unter Zusatz von etwas Koehsalz mit dem erwärmten Schmalz übergossen. Von dem so zu- bereiteten, gut durchmischten Futter erhielt der Hund (August, Ge- wicht 5100 g) nach einer Hungerperiode von 24 Stunden in vier 7* 100 ' Kurt Biegel: Gaben 280 g in 2 Tagen. 72 Stunden nach der ersten Nahrungs- aufnahme entleerte er 11,25 g Kot von der Qualität des gewöhnlichen Fleischkotes. Die darauffolgende Fäcesportion gehörte schon der nächsten Fütterungsperiode an. Fleisch-Fett 280 g: Kot 11,25 g: Trockensubstanz . 120,1 Chloroformextrakt. 69,1 Trockensubstanz. . 4,36 g Chloroformextrakt . 1,6 g Stiekstoll. .. . 6,83 Stickstoff . . .. . 0258 Ascher), 0. 20 0.22:0 Asche ... . 0.00 0/00 2v Zunächst zeigt ein Vergleich mit den oben beschriebenen Ver- suchen, dass die Menge des Fleischkotes relativ wie absolut eine bei weitem geringere ist als die des Wurstkotes, obwohl man a priori an- nehmen konnte, dass die Zubereitung des eingeführten Fleisches für den Oreanismus eines Karnivoren nicht allzuviel ausmache. Be- achtenswert ist auch in beiden Fällen die Entleerung des Kotes, die nach Wurstfütterung in relativ kurzer Zeit in mehreren Portionen er- folgte, während das Muskelfleisch viel länger vom Darm zurückgehalten wurde und dementsprechend besser ausgenutzt werden konnte. Be- sonders auffallend ist der geringe Stickstoffgehalt der Fäces (!/s g) im Vergleich zu den eingeführten 6,83 g der Nahrung, während zum Beispiel im Blutwurstkot fast die Hälfte des verfütterten Stickstoffes wieder erschien. Vielleicht kann hier die verschiedene chemische Bindung des Stickstoffes im Hämoglobin einerseits und im Muskel- eiweiss andererseits zur Erklärung der Differenz dienen und der ver- ‚schiedene Aufwand an chemischer Energie, die der Organismus zu leisten hatte; auch psychische Einflüsse auf die Verdauung sind nicht unbeachtet zu lassen, denn der Hund frass, wie schon erwähnt, die Blutwurst im Gegensatz zu dem Fleisch-Fettgemisch sehr ungern. Die Aschenzahlen zeigen ebenfalls eine auffallende Verschiedenheit gegenüber den Wurstresultaten. Die Gesamtmenge des Fleisch-Fettkotes entspricht etwa der Menge des Hungerkotes, den der Hund nach einer viertägigen Hungerperiode produzierte. Das Tier verlor dabei 350 g an Gewicht (5450—5100 g), doch enthielten die 5,36 g Trockensubstanz nur 0,11 g Stickstoff und _ 0,54 g Chloroformextrakt. Die Kombination des Schweinefettes mit getrocknetem und wieder aufgeschwemmtem Brotpulver (September, Gewicht 5800 g) ergab folgendes: RR IR 9 Ein Beitrag zu den sogenannten Ausnutzungs-Versuchen. 101 Brot-Fett 280 g: Kot: Trockensubstanz . . 84,0 g Trockensubstanz. . 27,0 g Chloroformextrakt . 311g Chloroformextrakt .. 3,6 g Stiekstofk. .:. .1...29 8 Stickstofl 0... ı Are Ascher... ... 4,6 8 Ascher ee a 3 lie Kohlehydrate, rund . 31,3 g Kohlehydrate, zirka 10,8 g Es zeist sich, dass nach der Brot-Fettfütterung der Kot relativ und absolut viel mehr fettartige Substanzen enthält als nach der Fleisch- Fettfütterung, welche bezüglich der Verwertung des Chloroformextraktes etwa mit den Wurstversuchen in Parallele zu setzen ist. Wenn von 31,1 g eingeführtem Futter 3,6 in den Fäces wieder erscheinen, so ist dieser Umstand im wesentlichen auf die rasche Darmpassage des vege- tabilischen Vehikels zurückzuführen. Der Brot-Fettkot erschien schon nach 24 Stunden; leider wurde er feucht nicht gewogen. Vergleiche auch die 27 g Trockensubstanz mit den 4,36 g des Fleisch-Fettkotes! Das Material zu den letzten Versuchen wurde übrigens in folgender Form verabreicht: Brotpulver von gewöhnlichem Kriegsbrot (auch Kruste) wurde mit Wasser und etwas Kochsalz gekocht und mit dem - erwärmten Fett verrührt. Von dem gut durchmischten Brei frass der Hund — nebenbei bemerkt, sehr gern — in zwei Portionen an 2 Tagen 280 2. Die beiden folgenden Versuche im Verein mit dem eben be- sprochenen geben einigen Aufschluss über die Verwertung des so- genannten K-Brotes, das aus hochprozentig ausgemahlenem Roggen hergestellt ist. Der Hund bekam einınal (August, Gewicht 5070 g) an 2 Tagen in drei Portionen 190 g, dann (August, 5300 g) ebenfalls an 2 Tagen in zwei Gaben 121,5 g Brot — nebenbei wieder trockenes Brotpulver mit Wasser aufgeschwemmt und durchgekocht, etwas Koch- salz. Die Kotentleerung erfolgte beide Male bereits am letzten Fütterungstag in zwei Portionen. Die Ergebnisse mögen hier zusammengestellt werden: Brot 190 g: Kot 50,6 g: Trockensubstanz . 108,7 g Trockensubstanz . 13,7 g Chloroformextrakt. U ER Chloroformextrakt. 1,5 8 Stickstoff. . . - 2,05 g Stickstofe. ... 2.067 8 Ascher... ag Asche. U... 02005 g Kohlehydrate, etwa 72,7. 8. , ‚‚Kohlehydrate, etwa. 7,0 je} 102 Brot 121,5 g: Trockensubstanz . 104,3 g Chloroformextrakt . 9,38 Stiekstol® 2 2 .: . 198 Ascheu ann... 3,4 € Kurt Biegel: Kot 31,9 g: Trockensubstanz. . 141g Chloroformextrakt . 198 Stickstoff . . . . 088g Asche: a el fe) Kohlehydrate, zirka 80 g Kohlehydrate, zirka 6,08 Auffallend ist zunächst der hohe Gehalt des Brotes an Chloroform- extrakt (fast 10%). Eine einwandfreie Erklärung hierfür hat sich nicht finden lassen. Ein Versuchsfehler liegt nicht vor. Vielleicht. handelt es sich um phytinähnliche Substanzen in der Kleie (??). Der relativ hohe Stickstoffgehalt (nach der üblichen Berechnung etwa 12°/o Eiweiss der Trockensubstanz) entspricht der Kleie im Brot. Sonderbarerweise zeigt sich bei allen drei Versuchen eine bedeutende Stickstoffretention: Y/s—!/e der eingeführten Menge. Bedenkt man, dass ein grosser Teil des Kotstickstoffs endogenen Ursprungs ist, da erfahrungsgemäss die Menge des vom Organismus abgegebenen Stick- stoffs bei vegetabilischem Futter zunimmt (nur bei feingemahlenem Weizenmehl ist der Stoffwechselanteil gering [Rubner]), so ist die Verwertung der eiweissartigen Körper eine noch bessere. Ebenso gut oder noch besser ist die Resorption der fettartigen Stoffe. Diese Tat- sachen sind bei der schnellen Passage des Brotes im Darm eines Fleischfressers durchaus beachtenswert, zumal es sich hier nicht um das subtil zubereitete Finalmehl Finkler’s handelt. Eine exakte quantitative Bestimmung der Koblehydrate wurde nicht gemacht. Berechnet man aber durch Subtraktion der anderen Substanzen den Gehalt des 121,5 g feuchten Brotes auf etwa 80 g, den des dazugehörigen Kotes auf 6,0 Kohlehydrate, bzw. 72 und 7g, bzw. 31 und 11 g, so erhält man durchschnittlich vorzügliche „Aus- nutzungs“-Resultate. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in diesen Zahlen natürlich auch die Zellulose usw., Hüllen des Roggenkorns mit ein- geschlossen sind. Wenn man auf Grund dieser Tatsachen Rückschlüsse machen darf, so ist unser K-Brot ein durchaus vollwertiges Nahrungsmittel. Wahrscheinlich ‚stellt, sich | ‚ie re im menagblichen I Dann, noch etwas besser. Een a. Ip bad! „ Rubner') erhielt zum. \ Beispiel, mit sogenanntem Yollkarıkınt m Bein slaihrralkie j 1) ae "Arch: Y "Physiol. 1916 S. A Ein Beitrag zu den sogenannten Ausnutzungs-Versuchen. 103 (Roggen), das für die ‚Versuche im Laboratorium hergestellt war, folgendes Ergebnis: Von 4684 g verfütterter Trockensubstanz er- schienen 600,7 im Kot wieder. Stickstoff: im Brot 60,21, im Kot 21,46. Stärke: im Brot 3666, im Kot 107,3. Asche: 121,6 und 43,0. In einem anderen Versuch: Trockensubstanz: 5158 und 503,5.g. Stick- stoff: 66,20 und 26,21 g, Stärke: 4036 und 43,9 g, Asche: 133,9 und 43,3. 8. Überblickt man das gefundene Resultat, so ergibt sich folgendes: Ein Vergleich der Bestandteile des Futters mit dem zugehörigen Kot nach Prozenten ergibt auch hier keine analoge Zusammensetzung, auch nicht bei den Brotversuchen. Zwei Annahmen sind zur Erklärung dieser Differenz möglich: entweder liefert der Organismus reichliche Bestandteile zum Kot, oder die Ausnutzung der einzelnen Komponenten der Nahrung ist stark verschieden. Nach Rubner (s. oben) ist auch die Darmgärung in Betracht zu ziehen. Wahrscheinlich wirken beide bzw.,alle drei Faktoren zusammen, wenn auch in manchen Fällen aus ‚guten Gründen angenommen werden muss, dass der erstere der aus- schlaggebende ist. Es ist nämlich zu beachten, dass der Kot, der aus diesen verschiedensten Futtersorten resultiert, einen auffallend konstanten Stickstoffgehalt aufweist, ca. 5°/o (abgesehen von dem zweiten Leberwurstversuch). Auch die Menge des Chloroformextraktes schwankt in nicht zu weiten Grenzen. Es ist interessant, hiermit die oben erwähnten Zahlen Tsuboi’s zu vergleichen: In allen drei Ver- suchen beträgt der Stickstoffgehalt des Kotes, auch des Hungerkotes, näherungsweise 5°/o, obwohl der Hund mit stickstofffreiem Futter er- nährt wurde. Merkwürdigerweise enthält auch der Kot, der in den Versuchen Rubner’s mit Roggenbrot am Menschen analysiert wurde, unter den verschiedensten Bedingungen im Mittel 5° Stickstoft. Diese Tatsache macht es nicht unwahrscheinlich, dass mindestens die Hauptmenge des Kotstickstoffs endogenen Ursprungs ist. Ein exakter Beweis hierfür liegt natürlich nicht vor. Unwillkürlich drängt sich ' dabei der Gedanke an Prausnitz’ Normalkot wieder auf. Es wäre ganz wünschenswert, eine grössere Reihe Kotarten nach den ver- schiedensten Fütterungsarten einmal auf ihren Stickstoffgehalt hin zu untersuchen. Selbstverständlich fehlt es auch nicht an abweichenden Zahlen. Bischoff fand in trockenem Brotkot 2,92 %o Stickstoff, und die oben erwähnte Analyse des Hungerkotes enthält auch nicht 500 Stickstoff. 104 Kurt Biegel: Ein Beitrag zu den sogen. Ausnutzungs-Versuchen. Zusammenfassung. Der Stickstoff des Muskeleiweisses wird im Hundedarm viel besser ‘verwertet als der aus anderen Gewebsarten stammende (Leber, Blut, zu Wurst verarbeitet). Die Ausnutzung der eiweissähnlichen Körper des gebräuchlichen sogenannten Kriegsbrotes !) ist eine durchaus gute, ebenso die Verwertung des Chloroformextraktes und der Kohlehydrate. Fette, mit animalischem Futter zusammen gereicht, werden im Hundedarm weit besser ausgenutzt als in Kembination mit vegetabi- lischer Nahrung (Brot). Der Aschengehalt des Kotes ist ohne ersichtlichen Grund ein stark wechselnder. Der Stickstoffgehalt des Kotes in den vorliegenden Versuchen ist ein auffallend konstanter trotz des verschiedenen Futters, ebenso der in willkürlich zum Vergleich herangezogenen anderen Analysen. Der Begriff „Ausnutzung“ ist nur mit Vorbehalt zu gebrauchen. Zum Schlusse ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn Professor Dr. Weiss für die Anregung zu der vorliegenden Arbeit sowie für die Unterstützung mit Rat und Tat bei der AusiübIuDE derselben meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 1) Königsberg i. Pr., Sommer 1917. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht. Stellvertretender Leiter: W. Storm van Leeuwen.) Über den Synergismus von Arzneimitteln. I. Mitteilung. Äther- Magnesiumsulfat, Magnesiumsulfat-Chloralhydrat, Magnesiumsulfat-Urethan. Von Dr. 3. W. Le Heux, Assistent. (Mit 2 Textabbildungen.) (Eingegangen am 2. August 1918.) Vor einigen Jahren hat Meltzer äls erster auf die Verwendbar- keit des Magnesiumsulfats als Narkotikum hingewiesen, und besonders kommt ihm das Verdienst zu, das Magnesiumsulfat in die Therapie des Tetanus mit grossem Erfolg eingeführt zu haben. In späteren Mitteilungen hat Meltzer!) dann über Versuche berichtet, aus denen hervorging, dass bei der kombinierten Äther-Magnesiumsulfatnarkose (nicht nur im Tierversuch, sondern auch bei Menschen) nach Injektion einer an sich unwirksamen Magnesiumsulfatdosis mit einer sehr ge- ringen Menge Äther (!/—!/ıo der üblichen Dosis) eine tiefe Narkose hervorgerufen werden kann. Dies wäre also als eine Potenzierung im Sinne Bürgi’s zu deuten. In Anschluss an diese Versuche von Meltzer hat dann Mans- feld®) andere Kombinationen untersucht und zum Beispiel auch bei Verwendung der Mischung Magnesiumsulfat-Urethan und Magnesium- ‚sulfat-Chloralhydrat eine Potenzierung nachgewiesen. Fussend auf 1) S. J. Meltzer und J. Auer, Über die anästhesierende und lähmende ‚Wirkung von Magnesium, unterstützt von Äther. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 27 S. 632. — Meltzer, Magnesiumtherapie bei Tetanus. Berl. klin. Wochenschr. Bd. 52 S. 261. =, 2) G. Mansfeld, Über synergistische Arzneiwirkungen. Pflüger’s Arch. Bd. 161 S.444. 1915. 106 J. W. Le Heux: diesen und anderen Versuchen, hat Mansfeld zur Erklärung dieses merkwürdigen Phänomens seine Theorie der Potenzierung aufgestellt. Da nun im hiesigen Institut bei einer anderen Kombination !) (die des Äthers mit Chloroform) das Fehlen einer angeblich be- stehenden Potenzierung nachgewiesen worden war, lag es nahe, auch die drei Kombinationen: Magnesiumsulfat-Äther, Magnesiumsulfat- Urethan und Magnesiumsulfat-Chloralhydrat in dieser Richtung mit möglichst exakten Methoden zu untersuchen. Über die Resultate dieser Untersuchungen: soll hier berichtet werden. Es sei aber gleich vorweggenommen, dass unsere Ergebnisse nicht direkt mit denen Meltzer’s und Mansfeld’s vergleichbar sind. Meltzer?) injizierte seinen Versuchstieren und auch den Patienten das Magnesiumsulfat intramuskulär und bestimmte (soweit ich aus der mir zugänglichen Literatur ersehen kann) das Quantum des gebrauchten Äthers. Mansfeld?°) injizierte seinen Versuchs- kaninchen das Magnesiumsulfat intramuskulär und das Urethan sub- kutan. Bei keiner dieser beiden Methoden ist man sicher, dass während der Narkose die Gewebsflüssigkeit, welche die spezifischen zu narkotisierenden Nervenzellen umspült, tatsächlich weniger Narko- tikum enthält, als auf Grund der für jedes Narkotikum an sich vor- liegenden quantitativen Verhältnisse zu erwarten wäre. Und erst ‘wenn dieses Postulat erfüllt ist, darf von einer eigentlichen Poten- ‘zierung im theoretischen Sinne die Rede sein. Bei Meltzer’s Versuchsanordnung war, wenn wir die Beschreibung richtig aufgefasst "haben, der Äthergehalt des Blutes während der Narkose nicht bekannt, ‘während bei Mansfeld’s Versuchen immer die Möglichkeit besteht, dass das zuerst injizierte Gift die Resorption des zweiten in irgend- einer Weise beeinflusst hat. Dass selbst, wenn dieser Möglichkeit Rechnung getragen wird, aus Mansfeld’s Versuchen noch nicht auf eine potenzierende Wirkung bei der Magnesiumsulfat: Urethan- 'narkose geschlossen werden kann, soll unten eingehender ae rgeN: \ K 1) W. Storm van Leeuwen, Über den ‚Oynereismus yon ul a Mitt. Pflüger’s Arch, Bd. 166 S. ee fi Y A HR 9) Meltzer und. Auer, Über die ana e rk von 1 Magnesium, unterstützt \ von Äther. Ze tr ysiol. bar 218.632. '&) Mansfeld, Über synergistisch . Bflüger’s Arch. Bd. 161 S. 444. 1915. Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. Versuchsanordnung. 107 Die Versuchsanordnung war im wesentlichen die gleiche wie die- jenige, welche Storm van Leeuwen!) für ähnliche Zwecke: benutzt hat. Als Kriterium für die Narkosetiefe wurde in meinen Versuchen das Erloschensein des homolateralen Beuge- reflexes bei der dezere- brierten Katze gewählt. Zu diesem Zwecke wurde bei den Ver- suchstieren in tiefer Äthernarkose am rech- ten Hinterbein ein iso- liertes Rectus-femoris- Präparat nach Sher- rinston hergestellt. Es wurden dabei also sämtliche Muskeln und Nerven dieses Beines, bis auf den Musk. rect. fem. mit seiner mo- torischen Innervation, und der N. peroneus durchtrennt. Danach wurde das Tier dezere- briert, und nach Ab- klingen der Narkose (es wurde immer 1,5 - Stunden gewartet, dann waren nur noch ver- schwindend kleine Äthermengen im Blute vorhanden) wurde jede 1/sMinute durchfaradi- sche Reizung (mit kon- stanter Stromstärke) des N. peroneus eine reflektorische Kontrak- tion des Rectus femoris ausgelöstund graphisch © = NE & u»: pe SE ' 1. Abb. registriert. Während des ganzen Versuches blieb das Tier auf dem er- wärmten Operationstisch liegen, damit die Körpertemperatur nicht unter 350 C, sinke Is. W. Storm van Leeuwen und M, v. d. Made?)]. » W. Storm van Leeuwen, Pflüger’ s Arch. Bd. 166 S. 66. 1916. 2) W. Storm van Leeuwen und M. v. d. Made, Über den Einfluss‘ "ddr 108 J. W. Le Heux: Nachdem die Reflexe sich während einiger Zeit konstant gezeigt hatten, wurde dem Tiere ein Narkotikum oder eine Mischung zweier Narkotika zugeführt, bis die Reflexe erloschen waren. Abb. 1 gibt ein Beispiel eines derartigen Versuches. Bezüglich der Technik sei noch folgendes bemerkt. Das Tier be- fand sich während des Versuches stets in Rückenlage, und sein Kopf und auch der übrige Teil des Körpers mit Ausnahme des -Versuchsbeines waren gut fixiert. Dies war deshalb notwendig, weil sich in Versuchen von Socin und Storm van Leeuwen!) gezeigt hatte, dass bei de- zerebrierten Katzen nach Änderung der Kopfstellung grosse Änderungen in den phasischen Reflexen auftreten können, In den Ätherversuchen geschah die Zufuhr des Narkotikums mit der Einatmungsluft. War infolge des Äthers der homolaterale Beuge- reflex gerade verschwunden, so wurde sofort die Trachea abgeklemmt und das Tier aus den Karotiden entblutet. Die Menge des im Blute befindlichen Äthers wurde dann chemisch bestimmt. Hierbei kam nicht die sonst im Institut gebrauchte Nicloux’sche Methode zur Verwen- dung, sondern eine von mir geänderte Methode. Das Verfahren zur Ätherbestimmung nach Nicloux hatte sich zwar öfters als sehr brauch- bar erwiesen; es war aber für die sehr kleinen Äthermengen, welche in den Kombinationsversuchen erwartet werden konnten, nicht immer hinreichend genau. Dazu kam noch der Nachteil, dass bei der Nicloux- schen Methode die Beurteilung des Farbenumschlags, besonders bei den niedrigen Konzentrationen, so schwierig ist, dass mit dieser Methode nur nach längerer Übung genaue Resultate erreicht werden können. Mit der von mir geänderten Methode wurden nicht nur bei den höheren, sondern auch bei den sehr niedrigen Konzentrationen des Äthers im Blute sehr genaue Werte gefunden. Der mittlere Fehler betrug auch im letzteren Falle nur 3 9/02). Die Zufuhr der nichtflüchtigen Narkotika geschah in unseren Ver- suchen durch Injektion in die Vena jugularis.. Die Konzentration der zu injizierenden Flüssigkeit wurde so gewählt, dass bei Injektion von !/g ccm pro !/s Minute durchschnittlich in 5—6 Minuten die Narkose- schwelle erreicht war; dann wurde notiert, wieviel Kubikzentimeter injiziert worden waren, und diese Menge pro Kilogramm Tiergewicht berechnet. Ganz einwandfrei ist diese Methode nicht; denn erstens ist nach 5 bis 6 Minuten vielleicht ein Teil des während der ersten Minuten injizierten Narkotikums schon wieder ausgeschieden, und zweitens dauert es immer eine gewisse Zeit, bevor das Narkotikum nach der Injektion einwirkt, so dass immer etwas zuviel-eingespritzt werden muss. Dieser letzte Nachteil ist für die hier in Betracht kommenden Narkotika nicht gross, weil sie sehr schnell nach der Injektion ihre Wirkung entfalten. Für beide Fehler Temperatur auf die Reflexfunktionen des Rückenmarkes von Warmblütern und Kaltblütern. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 37. 1916. ii Ch. Socin und W. Storm van Leeuwen, Über den Einfluss der Kopf- stellung auf phasische Extremitätenreflexe. Pflüger’s Arch. Bd. 159 S. 251. 1914. ‚2) Die genaue Beschreibung der Methode befindet sich in der Zeitschr. f. physiol. Chemie 1919. Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. 109 gilt, dass sie in allen Fällen, also auch bei der Kombinationsnarkose, sich geltend machen, so dass ihr Einfluss dadurch stark verringert wird. Auf jeden Fall war die intravenöse Injektion für die Entscheidung des theoretischen Teiles der Potenzierungsfrage der intramuskulären oder subkutanen Applikationsart entschieden vorzuziehen. Das Resultat der Versuche lässt sich nun kurz zusammen- fassen. Äthernarkose. Allein mit Äther wurden zehn Katzen narko- tisiert. Die dabei im Blute nachgewiesenen prozentualen Ätherzahlen sind aus Tab. 1 ersichtlich. Tabelle 1. Aufhebung der reflektorischen Kontraktion des Rectus femoris bei Katzen. Äther. Gewichtsprozente des Äthers im art. Blut 0,084 0,071 0,086 0,115. 0,094 0,142 0,098 0,136 0,030 0,102 Mittel 0,0958 von 10 Versuchen. Es wurde durchschnittlich im Blute 0,0958 °/o Äther gefunden. Dieser Wert stimmt gut mit dem von Storm van Leeuwen!) in seinen Ätherversuchen an der dekapitierten Katze gefundenen Werte überein. Magnesiumsulfat. Mit Magnesiumsulfat (es kam immer wasserhaltiges Magnesiumsulfat MgSO, + 7 ag. zur Verwendung) wurden acht Katzen narkotisiert. Für das Ergebnis sei auf Tab. 2 verwiesen. 1) W. Storm vanLeeuwen, Quantitative pharmakologische Untersuchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. III. Mitt. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 84. 1916. 110 Je J. W. Le Heux: | Tabelle 2. Aufhebung der reflektorischen Kontraktion des Rectus femoris bei Katzen. Magnesiumsulfat. a b C Gewicht der Katze MgSO, 10% MsSO, 10% in kg in ccm in ccm pro kg 2,22 4,50 one 2,36 4,25 1,80 4,10 7,00 1,71 2,18 7,00 321 1,96 4,00 2,04 ° 1,98 3,25 1,64 2,32 4,25 1,83 1,90 3,75 | 1.97 Mittel von 8 Versuchen . ...... | 2,03 Die mittlere Dosis Magnesiumsulfat war also 2,03 eem 10 %/o MgSO, + 7 aq.-Lösung pro Kilogramm Tiergewicht. KombinationsversucheÄther-Magnesiumsulfat. Mit Äther und Magnesiumsulfat wurden elf Katzen narkotisiert. In diesen Versuchen wurde erst Äthernarkose vorgenommen und gleichzeitig oder etwas nachher mit der intravenösen Injektion begonnen. Das Resultat der Kombinationsversuche ist aus Tab. 3 ersichtlich. Tabelle 3. Aufhebung der reflektorischen Kontraktion des Rectus femoris bei Katzen. Äther + Magnesiumsulfat. "a on c d e ;® eG MgS0, Gewichts- Gewicht MsSO £ der Katze| .° * | in cem prozente MgSO, Äther Summe nk in ccm pro kg i Ather 5 im art. Blut 2,65 4,50 1,70 0,071 0,85 N 0,71 N 1,56 N 1.71 2.00 1,18 0,020 059, 1.020 loan 2.63 3,50 1,33 0,054 0,66°,:1.:050% I door 2,84 7,00 2,46 0,058 193, | 058 ala 3,57 495 | - 1,19 0,048 0,59 2.3] vos og 2,46° 1.00 0,41 0,079 020 ..| 0790. 2120800 2,33 300 | 1,29 0,065 062, | oe al 109, 1.93 1,75 0,91 0.080 045 ; | 0800 een 2,58 1.00 0,39 0,115 0,19 2. | ls 3.20 1,00 0,31 0,099 015 .. 1.099 10 1,82: 175 0,96 0,085 0,48 „ 0,5 „ las Mittelevon LI Versuchen... .; ı: ren. 125 N - Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. 111 In Spalte e und f dieser Tabelle ist für jeden Äther- und für jeden Magnesiumsulfatwert angegeben, den wievielsten Bruchteil der narkotischen Grenzkonzentration oder. Minimaldosis bei der reinen Äther- oder der reinen Masnesiumsulfatnarkose derselbe darstellt, wobei für reine Äther- und für reine Magnesiumsulfatnarkose die Grenzkonzentration N angenommen ist. Besteht also eine Potenzierung, so muss die Summe der Bruch- teile (Spalte g) weniger als N betragen. Besteht hingegen eine ein- fache Addierung der Wirkung, so muss gerade N gefunden werden. Aus Tab. 3 ergibt sich nun, dass bei der von uns gewählten Versuchs- anordnung keine Potenzierung nachweisbar war, dass hingegen die Summe der Partialkonzentrationen des Äthers und des Magnesiumsulfats durch- schnittlich etwas höher als N liegt. Letzteres war auch zu erwarten, denn der oben schon erwähnte Fehler, der dadurch entsteht, dass die zuletzt verabreichte Narkotikumdosis nicht mehr zur Wirkung ge- lanst, muss sich bei der Äther-Magnesiumsulfatnarkose verdoppeln. Bei der Urethan-Magnesiumsulfatnarkose und Chloralhydrat-Magnesium- sulfatnarkose, wo beide Narkotikainjiziert werden, lässt sich dies natürlich durch entsprechende Verdünnung der Lösungen vermeiden. Dem Überschreiten des N-Wertes muss also in dieser Versuchs- reihe keine Bedeutung zugeschrieben werden, und es lässt sich daher aus den Versuchen von Tab. 3 nur entnehmen, dass bei der Äther- Magnesiumsulfatnarkose keine Potenzierung im oben- erwähnten theoretischen Sinne vorliegt. Dieses Ergebnis schien also nicht mit dem Befunde Meltzer’s im Einklange zu stehen, der nachgewiesen hatte, dass nach einer an sich unwirksamen intramuskulären Magnesiumsulfat-Injektion schon a„—!/ıo der sonst nötigen Äthermenge genügte, Narkose zu erzielen. Vielleicht aber ist der Widerspruch zwischen Meltzer’s Befunden und den meinigen nur ein scheinbarer. Wie nämlich schon hervor- gehoben worden ist, hat (soweit ich es beurteilen. kann) Meltzer bei seinen Patienten und Versuchstieren nicht den Äthergehalt der Einatmungsluft und des Blutes, sondern die Menge des im ganzen verbrauchten Äthers bestimmt. Hiervon ausgehend wurde, in der. Absicht, eine Erklärung für die Differenzen zwischen Meltzer’s und unseren. Ergebnissen finden zu können, eine neue Versuchsreihe an- gestellt, in welcher der Einfluss von Magnesiumsulfatinjektionen auf die Ausscheidung des Äthers beim Hunde studiert wurde, 112 5 J. W. Le Heux: -° In dieser Versuchsreihe wurde zuerst ein grosser Hund von mehr als 10 kg mit Äther in tiefe Narkose gebracht und während längerer Zeit (!/s—1 Stunde) in tiefer Narkose gehalten. Dann wurde die Ätherzufuhr gestellt, und nun wurden dem Tiere alle 11/, Minuten aus der Karotis 10 ecem Blut entnommen und dessen Äthergehalt chemisch bestimmt. Weil zu diesen Versuchen stets sehr grosse Hunde ge- nommen wurden, konnten die Tiere durch diese relativ kleine Blut- entnahme nicht wesentlich geschädigt werden. In Übereinstimmung mit früher von Nieloux mitgeteilten Versuchen zeiete sich, dass die Ätherausscheidung ziemlich Ohne MgS0, schnell vor sich ging, so IL Mn» oe Kunst Amg ‘ | dass der Äthergehalt' des 3920 \ Blutes in Versuch 7 zum N Beispiel in 15 Minuten von I 0,128) auf 0,0180 sank. S N Der Verlaufeinesderartigen ae S Versuchs ist aus Abb. 2 S S ersichtlich (ausgezogene Saal un Linie). N SU nt 7 : S ne Nachdem also in Kon- a trollversuchen der Verlauf S ; der Atherausscheidung bei $ Hunden festgestellt war, wurde in einer zweiten Ver- suchsserie in derselben o723%u567%897%0 m 7% 7% n Weise vorgegangen; nur Zeit ın mun { Abb. 2. ’ wurde den Tieren nach der zweiten Blutentnahme 10—15 ccm einer Magnesiumsulfatlösung in die Vena femoralis ein- gespritzt und im übrigen die Blutentnahme in der üblichen Weise vor- genommen. Die Magnesiumsulfateinspritzung wurde im Laufe des Versuches dann noch ein- bis zweimal wiederholt. Nach den Injek- tionen wurde die Atmung der Tiere, die vorher oft sehr stark war, stets um vieles schwächer; die Ätherausscheidung ging viel langsamer vor sieh, und es blieb, wie zum Beispiel aus Abb. 2 (punktierte Linie) ersichtlich ist, das Ätherniveau oft während mehrerer Minuten kon- stant. Gelegentlich wurde sogar beobachtet, dass der Äthergehalt des arteriellen Blutes etwas stieg. Über den Synergismus von Anzneimitteln. II. 113 Diese erhebliche Abnahme der Ausscheidungsgeschwindigkeit des Äthers kann nicht ausschliesslich der Wirkung des Magnesiumsulfats auf die Atmung zuseschrieben werden, denn auch in Versuchen, wo die Lungen der Versuchstiere stark künstlich ventiliert wurden (Abb. 2 —-—-Linie) war die Ätherausscheidung deutlich, wenn auch nicht so erheblich wie sonst, verzögert. Hierfür muss sicher hauptsächlich die — ebenfalls durch die Magnesiumsulfatinjektionen — hervorgerufene Schädigung des Herzens, welche sich unter anderem in einer Blutdruck- senkung manifestierte, verantwortlich gemacht werden. Ob daneben noch kompliziertere physikalisch-chemische Einflüsse, etwa im Sinne einer Änderung der Löslichkeitsverhältnisse des Äthers in Lipoid und Wasser durch Magresiumsulfat sich geltend machen, bleibe noch dahingestellt. Im Zusammenhang mit diesen Versuchen an Hunden lässt sich sehr gut verstehen, dass bei der kombinierten Äther-Magnesiumsulfat- narkose im ganzen weniger Äther nötig ist als in Fällen, wo nur mit Äther narkotisiert wird, und zwar nicht nur, weil sich die narko- tische Wirkung des Magnesiumsulfats zu der des Äthers addiert, sondern auch, weil das Magnesiumsulfat auf Atmung und Herz einen Einfluss ausübt. Hierdurch wird erstens der Äther, der schon im Körper ist, weniger schnell ausgeatmet werden, und zweitens wird, weil die exzessiven Atmungen, welche sonst im Anfang der Äthernarkose so oft auftreten, durch das Magnesiumsulfat unter- drückt werden, weniger Äther von der Narkosemaske in den Raum ab- dünsten, und in der Weise ist es möglich, dass bei der Narkose sehr viel weniger Äther gebraucht wird als sonst, ohne dass die Konzentration des Äthers im Blute niedriger zu sein braucht, als auf Grund der narkotischen Wirkung des Äthers und des Magnesium- sulfats zu erwarten war. Wenn wir also Meltzer’s Versuche richtig interpretiert haben, würde auf diese Weise die scheinbare Inkongruenz zwischen Meltzer’s Resultaten und den unserigen zu erklären sein. Die Versuche mit Chloralhydrat und Urethan und mit den beiden Kombinationen Magnesiumsulfat-Urethan und Magne- siumsulfat-Chloralhydrat wurden ganz auf gleiche Weise wie oben beschrieben an dezerebrierten Katzen angestellt. Die Konzen- tration der Lösungen von den beiden Narkotika wurde so. gewählt, dass die zur Erzeugung der Narkosetiefe pro Kilogramm Körpergewicht Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 8 114 J. W. Le Heux: erforderliche Zahl von Kubikzentimetern dieser beiden Lösungen nicht zu viel von derjenigen der Magnesiumsulfatlösung verschieden war. Auf diese Weise wurde erreicht, dass die Dauer der verschiedenen Versuche (falls keine Potenzierung auftrat) ungefähr die gleiche war: . Das Resultat dieser Versuchsreihe findet sich- in Tab. 4 bis 7. In Spalte a von Tab. 5 und 7 ist*angegeben, in welchem Ver- hältnis die verschiedenen Lösungen gemischt wurden, in Spalte ce. wieviel Kubikzentimeter dieser Mischung einzuspritzen nötig war, um völliges Erlöschen des betreffenden Reflexes herbeizuführen. Die anderen Zahlen sind nach dem Vorhergehenden ohne weiteres verständlich. Tabelle 4. Aufhebung der reflektorischen Kontraktion des Bectus femoris bei Katzen. Chloralhydrat 7,5%. Chloralhydrat 7,5°/o | Chloralhydrat 7,5 %o Gewicht in kg » in ccm in ccm pro kg 2,40 5,50 2,29 2,85 5,50 1,93 2,47 3,50 1,42 1,90 \ 2,50 1,32 2,07 4,00 1,98 1,80 3,50 1,94 Mittel von 6 Versuchen... . or 1,81 Tabelle 5. 2 Aufhebung der reflektorischen Kontraktion des Rectus femoris bei Katzen. Chloralhydrat-Magnesiumsulfat. a b C d e f 3 Chloral- hydrat- Gewicht ccm Chloral- B Magnesium- | in kg pro kg hydrat Meb0: Siname sulfat ll 2,51 5,90 2,19 0,60 N 0,55 N 1,15 N 1:1 2,90 5,00 1,72 0,48 „ 0,43 „ 03585 2:1 1,92 4,50 2,34 0,85 „ 0,39 „ 1,24 „ 2:1 3,10 - 8,00 2,58 0,9925 0,43 „ 1,38 „ E22 2,89 8,00 2,83 0,52 „ 0,4 „ 1,46 „ 1:2 2,23 4,50 2,02 0,37 „ 0,67 „ 1,04 „ 1:4 2,45 5,00 2,04 0,22 „ 0,82 „ 1,04 „ 4:1 3,42 4,50 1,32 0,53, 0,las, 0,72 , 4:1 2,42 9,90 2,27 1,01 „ 0,22 „ 1,25 „ Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. 115 Tabelle 6. Aufhebung der reflektorischen Kontraktion des Rectus femoris bei Katzen. Urethan. Gewicht der Katze : Urethan in mg in kg Urethan in ccm pro kg > 120 4,00 ccm 10 %o 333 mg 2,90 6,50 „ 10% 224 „ 4,44 20,00 „ 10% 450 „ 2,56 11.5082 1000 450 ,„ 2,63 6,00 „ 20% 456 „ 2,27 3,00 ,...20.%0 264 „ 3,02 4,00 „ 20% 265 2,09 2,50 °, 20% 29, 1,62 5,00 „ 15% 463 „ 2,26 11,75 „ 15% 780 „ 1,74 450 „ 15% 388 „ 2,23 7502,0.19.%/0 504 „ Mittel von 12 Versuchen . ...... 401 mg Tabelle 7. Aufhebung der reflektorischen Kontraktion des Rectus femoris bei Katzen. Urethan-Magnesiumsulfat. a b € d e f g Urethan 15°/0 |. Magnesium- en ccm are Urethan MsSO, Summe Slar in kg pro kg 1:1 2,05 6,5 3,17 0,59 N 0,79 N 135 N Iraal 1,71 4,0 2,34 0,43 „ 0,58 „ EOISE eat 2,16 8,0 3,70 0,68 „ 0,92 „ 600% 3:1 1,55 5,0 3,23 0,90 „ 0,40 „ 1,30 „ 3:1 2,16 3,0 1,39 0,333 05185 0,57 , 3:1 1,52 5,9 3,60 1.00% 0,45 „ 1,45 „ 1:3 1,70 9,0 2,94 0,27 , 1.10% 1,37 , 1:3 1,88 8,0 4,25 0,39 „ 159% 1.98 9:1 1,87 5,0 2,67 0,82, 0,22 , 1,09 „ 5:1 1,49 3,9 2,3 0,232, 0197, 0,325 1:5 1,47 5,0 3,40 020% 141 „ 1,62, 1:5 3,00 7,5 2,50 0,15 „ 1,04 „ 15195 10:1 1,69 3,0 1,78 0,60 „ 0,08 „ 0,68 „ 10:1 3,64 11,0 3,02 107% 0,14 „ lo, 10:1 2,19 5,0 1,79 0,61 „ 0,08 „ 0,69 „ Bee von Versuchen mal en Se ee ee im Ye 119 N Wir wollen hier gleich bemerken, dass der Fehler, auf welchen auf S. 108 hingewiesen wurde, hier viel weniger in Betracht kommt als bei den Kombinationsversuchen Äther-Magnesiumsulfat, weil hier 8* 116 J. W. Le Heux: die Mischung der beiden Narkotika mit der gleichen Schnelligkeit zu- geführt wurde (nämlich 1 cem pro 1 Minute) wie in,den Versuchen, wo allein Magnesiumsulfat bzw. Urethan oder Choralhydrat gegeben wurde. Dies erklärt vielleicht, dass bei den Äther-Magnesiumsulfat-Ver- suchen etwas: höhere N-Werte gefunden werden als bei den beiden zuletzt genannten Kombinationen. Wir kommen also auf Grund unserer Versuche zu dem Ergebnis, dass auch bei den Kombinationen Magnesiumsulfat-Urethan und Magnesiumsulfat-Chloral- hydrateine Potenzierungnichtbesteht. Dieses widerspricht an sich nicht Mansfeld’s Resultaten, der mit anderer Versuchs- anordnung und an anderen Tieren eine Potenzierung nachgewiesen zu haben elaubt. Mansfeld hat bei Kaninchen die Wirkung der Kom- bination Magnesiumsulfat-Urethan und Magnesiumsulfat-Chloralhydrat untersucht und hat beide Gifte subkutan eingespritzt. Seine Kriterien zur Beurteilung der Tiefe der bei den Tieren eintretenden Narkose war weniger scharf als in unseren Versuchen. Ausserdem können Einflüsse des einen Giftes auf Resorption oder Ausscheidung des anderen eine Rolle spielen und die Beurteilung der Frage, ob eine Potenzierung im obenerwähnten theoretischen Sinne vorhanden ist, sehr erschweren. Hierzu kommt noch, dass Magnesiumsulfat — auch schon in relativ kleinen Dosen — eine deutliche Wirkung 'auf die Atmung ausübt. Mansfeld!) notiert zum Beispiel in einem Versuch (Nr. 12), wo nur eine kleine Menge Maenesiumsulfat gegeben wurde (0,48 pro Kilogramm), dass die Atmung des Tieres „etwas flach“ wurde. Wenn durch die Wirkung des Maenesiumsulfats auf die Atmung der Sauerstoffgehalt des Blutes verringert und der Kohlensäure- gehalt des Blutes erhöht wird, kann schon hierdurch — wie aus _ Versuchen Storm van Leeuwen’s?) hervorgesangen ist — die Resistenz der Tiere gegen ein zweites Narkotikum herabgesetzt werden. Es sei hierbei noch hervorgehöben, dass die Wirkung des Magnesiumsulfats auf das Atmungszentrum mit der Wirkung auf andere Zentren nicht parallel zu gehen braucht. Es ist sehr gut möglich, dass Dosen, welche an sich noch keine wahrnehmbare Nar- kose hervorrufen, schon das Atmungszentrum schädigen. Derartige 1) Mansfeld, Pflüger’s Arch. Bd. 161 S. 444. 1915. 2) Storm van Leeuwen, Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 84. 1916. Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. 117 Einflüsse können bei Mansfeld’s Versuchen eine Rolle gespielt haben, nicht aber in unseren Versuchen, weil bei unseren Versuchs- tieren während der ganzen Dauer des Versuches künstliche Atmung durchgeführt wurde. Wiewohl also für praktische Zwecke Mansfeld’s Versuchsanordnung besser ist, sind dabei die Verhältnisse komplizierter, und zur Lösung der Frage, ob eine Potenzierung im theoretischen Sinne nachweisbar ist, ist unsere Methode vorteilhafter. Ganz abgesehen von der Erwägung, dass unsere Resultate nicht direkt mit, denjenigen Mansfeld’s vergleichbar sind, können wir Mansfeld nicht beistimmen, wenn er aus seinen Versuchen auf eiren „ziemlich stark potenzierten Synergismus von Magnesiumsulfat und Uretkan“ !) schliesst, weil bei einer unwirksamen Magnesiumsulfat- dosis (0,4 g pro Kilogramm) Hinzufügung von 0,5 g Urethan, das ist die Hälfte der minimal wirksamen Dosis, genügte, um .tiefste Narkose hervorzurufen. Mansfeld beruft sich bei der Berechnung der mini- mal wirksamen Urethandosis auf Lindemann. Bei seinen eigenen Versuchen beschränkt er sich auf Mengen von 0,5 g Urethan pro Kilogramm und weniger. Nun gibt Lindemann?) tatsächlich an, dass 1 g Ure- than subkutan bei Kaninchen die minimal wirksame Dosis darstellt. Lindemann führt aber als Beleg nur .einen Versuch an (später sibt dann Hauckold noch einen Versuch mit 1 g und einen Versuch mit 0,75 g an). Nun ist nach unseren rfelirerneren lg Urethan pro Kilogramm Tier nicht die minimal wirksame Dosis. Oft haben wir auch mit 0,75 und sogar mit noch geringeren Mengen eine Narkose erzielt. Wir können deshalb 0,5 & nicht als die unwirksame Dosis oder als die Hälfte der minimal wirksamen Dosis betrachten. Die von Mansfeld als unwirksame Dosis angegebene Menge Magsnesiumsulfat beträgt 0,4 g pro Kilogramm. Dass man mit dieser Dosis an sich meistens keine Narkose erzielen kann, stimmt mit unseren Labora- toriumserfahrungen überein; aber mit der zweifachen Menge Magnesium- sulfat, also mit 0,8 g, bekommt man bei Kaninchen eine sehr tiefe Narkose. Wenn sich nun mit der Hälfte der sehr wirksamen Maenesiumsulfatdosis und der Hälfte der wirksamen Urethandosis (die übrigens an sich auch schon öfters eine Narkose gibt) eine tiefe Nar- kose hervorrufen lässt, so weist dieses unseres Frachtens nicht auf eine 1) Mansfeld, Pflüger’s Arch. Bd. 161 S. 448. 1915. 2) Lindemann, Versuche über die Morphium-Urethannarkose. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therapie Bd.7 S. 725. 1910. 118 J. W. Le Heux: Potenzierung hin. Gegen eine Potenzierung spricht auch, dass sich mit 0,48 Maenesiumsulfat + 0,3g Urethan in Mansfeld’s Ver- suchen keine Narkose erzielen liess. Dass in einem Versuch nach 0,48 g Magnesiumsulfat + 0,2 g Urethan das Tier nach 15 Minuten zugrunde gine, könnte für das Bestehen einer Potenzierung einen Anhaltspunkt bieten, wenn nicht in späteren Versuchen Mansfeld’s, zum Beispiel in Versuch 27), nach 0,5 & Magnesiumsulfat + 0,5 g Urethan das Tier 20 Minuten nach der zweiten Injektion noch gelebt hätte und in Versuch 29 sogar eine Injektion von 0,6 g Magnesiumsulfat + 0,5 g Urethan ertragen worden wäre. Ob die Tiere noch länger gelebt haben würden, ist nicht zu entscheiden, weil dann CaC]l, eingespritzt wurde. Allerdings war im letzteren Fall nach 10 Minuten Atmung und Herz schlecht. Aus Mansfeld’s Versuchen geht also unseres Erachtens hervor, dass auch bei der von ihm gewählten Versuchsanordnung keine Potenzierung bei der Kombination Magnesiumsulfat-Urethan nachgewiesen worden ist. Dass gelegentlich ein Tier bei der kombinierten Narkose nach ver- hältnismässig kleinen Dosen narkotisiert wurde oder sogar einging, kann nicht als Beweis für eine Potenzierung gelten. Wir haben uns im Verlaufe sehr zahlreicher Untersuchungen oft davon überzeugen können, dass die Resistenz verschiedener Kaninchen gegen Narkotika sehr stark wechselt, auch wenn die Tiere sich in gleichem Ernährungs- zustande befinden. Ausserdem spielt, wie schon oben hervorgehoben wurde, die Wirkung des Magnesiumsulfats auf das Atmungszentrum bei der Kombinationsnarkose höchstwahrscheinlich eine wesentliche Rolle. Auch die Schlusstolgerungen, welche Mansfeld aus seinen Chloralhydrat-Magnesiumsulfatversuchen gezogen hat, können wir nicht als richtig anerkennen. | Mansfeld gibt einem Tier 0,5 g Chloralhydrat intravenös; das Tier stirbt nach einigen Minuten. Ein zweites Kaninchen bekommt 0,36 & pro Kilogramm und kommt in tiefe Narkose, Dauer 2,5 Stunden. Ein drittes Tier zeigt nach 0,15 g Chloralhydrat schwache Narkose, und schliesslich bekamen noch zwei Tiere 0,10 g Chloralhydrat und zeigten keine Spur einer Narkose. Hieraus schliesst Mansfeld?), dass 0,1 g Chloralhydrat die „völlig unwirksame Dosis“ darstellt. 1) Mansfeld, 1. c. S. 449. 2) Mansfeld, l. c. S. 453. Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. 119 Wir möchten aber schon gleich darauf hinweisen, dass diese „un- wirksame“ Dosis nach Mansfeld’s Versuchen !/s der letalen und 10/36 der stark narkotischen Dosis darstellt. In unseren Versuchen an Katzen waren nach 0,36 g Chloralhydrat die Reflexe bis auf 25°/o.der Anfangshöhe heruntergegangen. Bei Kaninchen (dezerebriert und iso- liertes Rectus femoris-Präparat) waren die Reflexe nach 0,10 g Chloral- hydrat pro Kilogramm oft schon verschwunden. Diese Dosis Chloralhydrat hat Mansfeld in zwei Versuchen mit 0,4 & Magnesiumsulfat und in einem Versuch mit 0,5 g Magnesium- - sulfat kombiniert, mit dem Resultat, dass die beiden ersten Tiere in tiefe Narkose kamen und das letzte Tier einging. Nun ist 0,4 Magnesiumsulfat nach Mansfeld eine sicher un- wirksame Dosis. 0,48 g gibt aber in einem Fall ziemlich starke und in einem anderen Fall schwache Narkose. Letztere Dosis (0,48) wird von Mansfeld als die minimal wirksame Dosis betrachtet. Hieraus folst, dass 0,4 & Magnesiumsulfat der *0/ı5. Teil oder °/s der minimal wirksamen Dosis darstellt. Wenn nun °/s der minimal wirksamen Dosis Magnesiumsulfat mit !%/s6 der „stark wirksamen Dosis“ Chloral- hydrat kombiniert wird und eine tiefe Narkose erfolgt, kann hieraus nicht auf eine Potenzierung geschlossen werden. Wirkönnen also Mansfeld nicht beistimmen, wenn er aus den oben- erwähnten drei Kaninchenversuchen schliesst, „dass zwischen Magnesium- sulfat und Chloralhydrat ein potenzierter Synergismus stattfindet“ ). Schlussfolgerungen. 1. Beim Narkotisieren dezerebrierter Katzen mit Magnesiumsulfat- Äther, mit Magnesiumsulfat-Urethan und mit Magnesiumsulfat-Chloral- hydrat ist bei der von uns durchgeführten Versuchsanordnung keine Potenzierung der Wirkung nachweisbar. 2. Vorausgesetzt wird hierbei: a) dass als Maass für die Narkose- tiefe ein ganz bestimmtes Kriterium genommen wird, in casu das Er- loschensein des homolateralen Beugereflexes bei der dezerebrierten Katze; b) dass als Grundlage für die Berechnungen nur Mittelwerte aus mehreren Versuchen genommen werden; c) dass Äther mit der Einatmungsluft zugeführt und dessen Gehalt im Blute chemisch be- stimmt wird; d) dass die nicht flüchtigen Narkotika intravenös ein- gespritzt werden und die Menge, welche zum Erzielen der Narkose notwendig ist, pro Kilogramm Tiergewicht umgerechnet wird. ' 1) l.c. S. 453. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht. Stellvertretender Leiter: Dr. W. Storm van Leeuwen.) Über den Synergismus von Arzneimitteln. III. Mitteilung. Morphin-Urethan, Tinetura opii-Urethan. Von Dr. W. Storm van Leeuwen, Konservator. des Institütes. (Mit 6 Textabbildungen.) (Eingegangen am 2. August 1918.) Zu den Arzneikombinationen, bei denen die Erscheinung der Potenzierung angeblich am stärksten vorhanden ist, gehören Morphin, Urethan und Tinetura opii-Urethan. Bei einigen Vorversuchen für Vorlesungsdemonstrationen, welche von Prof. Magnus und mir und später von mir allein angestellt wurden, war aber eine Potenzierung als konstante Erscheinung nicht nachweisbar. Dies war Veranlassung- die Frage der Potenzierung bei Morphin-Urethan und Tinetura opii- Urethan in einer ‚grösseren Untersuchungsreihe nachzuprüfen. In der ee finden sich über die Wirkung von Morphin-Ure- than-Kombinationen folgende Angaben: Lindemann!) fand im Laboratorium von Bürgi bei Kaninchen eine starke Potenzierung, wenn das Morphin subkutan und das Urethan per os und auch wenn beide Gifte subkutan verabfolgt wurden. Wurden beide Gifte intravenös eingespritzt, so bestand hingegen keine Poten- zierung, sondern nur eine einfache Addition der Wirkung. Hammerschmidt?) konnte in demselben Laboratorium nachweisen, dass auch bei ‚intravenöser Injektion der Gifte eine Bogeuzerung bei >) F. Lindemann, Versuche über die Morphin-Urethannarkose Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Ther. Bd. 7 S. 725. 1910. 2) W. Hammerschmidt, Über die Morphium-Chloralhydrat- und die Mor- phium-Urethannarkose bei intravenöser Injektion. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Ther. Bd. 8 8. 374. 1911. + Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. 121 Morphin-Urethan-Kombinationen bestand. Er benutzte aber ein anderes Kriterium für die Wirkung der Narkotika als Lindemann. Letzterer hatte nämlich für jedes Gift die minimal narkotische Wirkung bestimmt und nur auf die Tiefe der Narkose geachtet. Hammerschmidt aber nahm als Kriterium die Zeitdauer der Narkose und konnte auf diese Weise eine Potenzierung nachweisen. Eine Kritik dieser und anderer Arbeiten wird weiter unten gegeben werden. Köchmann!) untersuchte die Wirkung verschiedener Gifte an Fischen und Kaulquappen und fand für Morphin-Urethan keine Poten- zierung. Für die Kombination Tinctura opii-Urethan liegen unseres Wissens nur Beobachtungen von Chassia Rappopärt?) vor (Laboratorium Bürsgi); sie fand bei Kaninchen, denen beide Gifte subkutan eingespritzt wurden, eine starke Potenzierung, so dass von dem Gemisch ungefähr die Hälfte nötig war, als auf Grund der Wirkung der beiden Kon- ponenten an sich zu erwarten gewesen wäre. ‘Wie schon oben erwähnt wurde, konnte ich in vorläufigen Ver- suchen die Angaben Lindemann’sund Hammerschmidt’s nicht bestätieen. Da die Potenzierungsfrage mir sehr wichtig schien, habe 2 Bde Versuchsreihe angestellt. I. Morphin-Urethan ; intravenöse Injektion bei Kaninchen. In diesen Versuchen wurden die beiden Gifte den Tieren intra- venös injiziert; als Kriterium für die Tiefe der Narkose wurde ge- nommen: | a) das Ertragen der Seitenlage; b) das Ertragen der Seitenlage der Hinterbeine. In beiden Fällen war das Ergebnis dieser Versuche sehr schwierig zu beurteilen. Die individuelle Empfindlichkeit der Tiere schwankte sehr stark. Besönders war dies für Morphin der Fall. Auch war die Empfindlichkeit der Tiere an verschiedenen Tagen wechselnd; an warmen Tagen schienen sie am empfindlichsten zu sein. Auf ausführ- liche Mitteilung über diese Versuche wird also verziehtet, und als Er- gebnis wird nur erwähnt, erstens, dass das Bestehen einer erhe)- liehen Potenzierung ausgeschlossen werden konnte (geringere Grade von Potenzierung könnten uns in diesen Versuchen entgangen sein), und zweitens, dass sich bei dieser Versuchsanordnung sehr grosse 1) M. Kochmann, Beiträge zur Pharmakologie der Mischnarkose. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Ther; Bd. 12 S. 328. Be 2) Ch. Rappoport, Über die Opium- Urethan- aulnnn, Zeitschr. f£. exper. Pathol. u. Ther. Bd.9 S. 39. 1911. N. 1223 W. Storm van Leeuwen: Unterschiede in der Empfindlichkeit der verschiedenen Versuchstiere zeigten. Hierauf wird später zurückgekommen werden. II. Morphin-Urethan. Kaninchen, subkutane Injektion. Lindemann hatte bei subkutaner Injektion eine stark poten- zierende Wirkung der Morphin-Urethankombinationen gefunden. Einen seiner Versuche beschreibt er wie folgt'): Versuch 32: „Ein .aschgraues, männliches, 1410 g schweres Kaninchen erhält am 2. Dezember 9 Uhr 45 Min. vormittags 0,005 g Morphium subkutan und 10 Uhr 5 Min. 0,25 g Urethan subkutan. Puls 162, Atmung 123; 10 Uhr 20 Min. liegt das Tier schläfrig im Käfige. 10 Uhr 30 Min. 50 kräftige Atemzüge. 10 Uhr 35 Min. tiefe Narkose. Schmerzempfindung aufgehoben. Cornealreflex nicht mehr vorhanden. 11 Uhr 32 Atemzüge und 163 Pulse. Das Tier verharrt in Seiten- und Rückenlage. Pupillen verengert. 11 Uhr 30 Min. erwacht das Kaninchen. Von 12 Uhr an erholt sich das Tier.“ Wir haben nun diesen Versuch bei einer Anzahl von Tieren wieder- holt, und zwar bekamen: Acht Tiere 0,25 g Urethan +5 mg Morphin (alle Dosen sind pro Kilogramm Tiergewicht angegeben), also dieselbe Dosis, welche Lindemann in seinem oben zitierten Versuch benutzte. Auch das zeitliche Intervall zwischen den beiden Injektionen war dasselbe wie in Lindemann’s Versuch. Drei Tiere bekamen 0,5 g Urethan und drei andere Tiere 10 mg Morphin. Bestand eine einfache Addierung der Wirkung bei der Morphin- Urethankombination, so musste die Wirkung der Kombination ungefähr gleich stark sein wie nach 0,5 g Urethan oder 10 mg Morphin an sich. Bestand hingegen eine so starke Potenzierung, wie Lindemann sie sefunden hat, so musste nach Zufuhr der Kombination eine Wirkung erwartet werden, welche ungefähr ebenso stark ist wie die Wirkung von 20 mg Morphin oder 1 g Urethan allein. Um die Wirkung letz- terer Dosen beurteilen zu können, erhielten: Drei Tiere 20 mg Morphin und zwei Tiere 1 g Urethan. In einer unten zu erwähnenden Versuchsreihe bekamen noch vier Tiere 0,9 oder 1 g Urethan. Es sei noch erwähnt, dass nach Lindemann 20 mg Morphin und 1 g Urethan die minimal wirksame Dosis N darstellen, so dass bei 1)1.c. 8. 734. Über den SynergiSmus von Arzneimitteln. II. 123 Einspritzung der erwähnten Kombination die Tiere "A N Urethan + !/ı N Morphin = !/s N bekamen. Da die Beurteilung der Narkosetiefe bei Kaninchen sehr schwierig ist, wurden sämtliche 22 Tiere dieser Versuchsreihe unmittelbar nach- einander injiziert. Hierdurch wurde der Vorteil erreicht, dass sämt- liche Tiere fortwährend zu gleicher Zeit unter Beobachtung waren. Jede 10 Minuten und später jede Viertelstunde untersuchte ich alle Tiere, ohne dass mir bekannt war, welche Dosis und welches Gift ein bestimmtes Tier eingespritzt bekommen hatte. Das Resultat der Untersuchungen wurde nach meinen Angaben von einem Assistenten notiert, und erst am Ende der Untersuchungen wurden die Ergebnisse zusammengestellt. Das Resultat dieser Versuche ist in Tab. 1 zu- sammeneestellt. In dieser Tabelle bedeutet: +++ Tier liest spontan in Seitenlage, reagiert schwach auf Kneifen in die -Pfote, aber bleibt dabei liegen. ++ Tier liest spontan in Seitenlage, aber auf Kneifen in die Pfote setzt es sich, oder Tier spontan nicht in Seitenlage, aber wenn es in Seitenlage ge- bracht wird, behält es diese Lage und bleibt darin auch, wenn es in die Pfote gekniffen wird. + Keine spontane Seitenlage, erträgt aber Seitenlage. Auf Pfote- kneifen setzt es sich. — Tier sitzt normal. Erträst keine Seitenlage. Reagiert auf Pfotenkneifen. Der Cornealreflex war bei allen Tieren stets vorhanden. Aus Tab. 1 ereibt sich nun, dass bei der von mir gewählten Versuchsanordnung eine Potenzierung nicht nachweisbar ist, denn die Wirkung von 0,25 g Urethan +5 mg Morphin ist nicht stärker als die Wirkung von 2x 0,25 g Urethan oder als die von 2x5 mg Morphin an sich. Die Wirkung von 0,5 g Urethan ist in dieser Versuchsreihe sogar stärker als die der Kombination. Dieses ist mehr oder weniger zufällig, denn in späteren Versuchen (s. Tab. 2) war die Wirkung von 0,5 8 Urethan ungefähr ebenso stark wie die der Kombination aus Tab. 1. III. Tinetura opii-Urethan. Kaninchen, subkutane Injektion. Die Versuchsanordnung war genau die gleiche wie in der vorigen Untersuchungsreihe. Als Kombinationen wurden gewählt 0,25 g W. Storm van Leeuwen: 124 "asoyi N aonaıps — oyey uoWmoxeN URAN) SISOA OIp SO ayd — sSurgdaopt sap uonNaluf aop yoeu UOUoS 949102 .IOL], SOSOLCL-(T 'IEIsIOMgIeU 9SONIBN Aop FunzonIo‘ HUN ABM uonNolurueggotn Op yoeN N e Be De Ber ee 2 er a EL Ce G @alı) [% “ '9L = = = = — = — + - = = | a = = = = = = — E = = = < |sdo i ae HT A nn ale ie HF en a AH = 1. rl > al + — = ie + HF + + 2 = = g | 820 : ei _ + — ı # + + + Ah au — = < |s30 : —.ıı == = = = = = = = — = < |szo “ol — = =; = 2B = = 4 = == — G con | ugdaom + uegaaf) | ‘6 = = = a a | > ze 5 8 m E u: = | SE cr | ie: a > Bi a A G [44 =» _ -- — a = —_ - _ — — —.G umgdaop 9 > + + | + I + | - ++ + + | + + [60€ ; ‘61 — = == 3 =. = = = — = = — 0 '8ı = = = Zee = — = = — — ze) urgd.ıom. 'Lu1 — | +4+ | +1 4.0 + + | + + + — _. ..|% “. "23 Ar — + + ++ | ee | : "13 = — == 2 2%, + I Fee — es) ugdıom "03 ++ | ++ | ++ | ++ | 4+ | 4 -— ı —- | +4+|14+. - | - |-1|% : '< asp jean | | Spa | ee | ep 85 Ede ee ee ee 150 z 7 APap | ap ee | See Mesa | ars para > | | 5 ® Rab | ars | SR en en | ee Sr = — | 2 IEab db | Abe | eng a ng | Ted ee | aba ee nn ee ee | =) ol wegaan 1 u wu 1 I a 3 } B) p Dr wg en 2 5 SE) st lo OL | 08 D 09 09 | 05 + 08 | 08 | 08 Ssaless 1) E5 uojnurpy UI SOJIO) 194819 sop uoyyoluf 10p yoeu y1oZ a 5 = RB Sa -uoryyofug sueynyqans "T 91[94eL "uejoTn-ungdiom Über den Synergismus von Arzneimitteln. III. 7 « = Ze Stat er Ar = a N) 20 : ra I - — + + + we + 90 ER Te &1 ı1do "YULL 7 — — = — = ses a ueqoap] »I et — + ae en 0 : el me me , re a 0 : '$ — = = — — A| ee co 5 'S + — bar | aba | | | it co uegpanN Mi Te ee | | 60 : "23 I seasar | araear jan | enge | rare eaee | Ara 60 s "IE | Srabae | andpam |Absreh | abapde | Sraeak | SParae | APapsr 00.1 "08 | Araras | aesibae | eat se || deanan | dest | area | aber 001 weoaf] '6L ) 388 | 98 Hl 98 Sl US Hl) SST | 9ST | IS He | Sr | 93 9 | TORL u SOLL 9 sayons ae 91 o1d 11109) -19 sop SI U9JSIO SOp uorMoluy .a yeu 9 U nuen & “IN 1419 3 p uonMoluf dop U 197 -ATQnyM 19) -uopyofay oueguyans "s OTI9Aq®L *ueyjaın-TTdo e.ınJourL, 126 W. Storm van Leeuwen: Urethan + 0,6 cem Tinetura opii und 0,5 g Urethan + 0,25 cem Tinet. opii. Die Stärke der Opiumtinetur der Holländischen Pharmacopoe ist dieselbe wie die von Bürgi’s Schülern verwendete Tinetur der ' Schweizer Pharmacopoe. Beide Kombinationen hatten in den Versuchen Rappoport’s eine vollständige Narkose gegeben. Da die minimal narkotische Dosis Tinetura opii von Rappoport als 2,5 cem angegeben wird und als minimal wirksame Dosis für das Urethan 0,9—1 g, so enthalten nach Rappoport die Kombinationen: 1/4 N Urethan + Yı N Tinet. opii = "2 N und !/; N Urethan + Y/ıo N Tinet. opii — etwas mehr als Ye N. Also in beiden Fällen Verstärkung der Wirkung aufs Doppelte. Es wurden in meiner Versuchsreihe injiziert: 4 Tieren 1 resp. 0,9 g Urethan, Tieren 0,5 g Urethan, Tier 0,25 eem Tinet. opii, Tieren 1,2 cem Tinet. opii, Tieren 2,5 ceem Tinet. opii, Tieren 0,5 g Urethan + 0,25 cem Tinet. opii, 3 Tieren 0,25 g Urethan + 0,6 cem Tinet. opii. Das Resultat sämtlicher Versuche ist in Tab. 2 zusammen- gestellt. (Das Zeitintervall zwischen den beiden Injektionen wurde so gewählt wie in den Versuchen von Rappoport.) Auch aus dieser Tabelle kann auf eine Potenzierung nicht ge- schlossen werden. Nach den beiden Kombinationen ist die Narkose nicht wesentlich tiefer als nach 0,5 g Urethan allein, und eine Narkose- tiefe, wie sie 0,9 oder 1g Urethan allein ergibt, wird keinesfalls er- reicht. Aus den Versuchen von Tab. 1 und 2 kann also ge- schlossen werden, dass weder für die Kombination Morphium-Urethan noch für die Kombination Tinetura opii-Urethan bei der von mir benutzten Versuchs- anordnung eine Potenzierung besteht. Wenn jetzt die Frage aufgeworfen wird, worauf die grossen Unter- schiede in den Ergebnissen von Lindemann, Hammerschmidt, Rappoport und den meinigen beruhen, so sind meines Erachtens pyuvurmMmı»> Über den Synergismus von Arzneimitteln. III. 127 höchstwahrscheinlich folgende Momente dafür verantwortlich zu machen: a) Bürgi’s Schüler lassen ausser Betracht, dass das Verhältnis zwischen Dosis und Intensität der Wirkung bei verschiedenen Giften verschieden sein kann). (Weil die Dosen immer pro Kilogramm Körpergewicht berechnet werden, kann statt „Dösis“ auch „Kon- zentration“ genommen werden.) b) Bürgi und seine Schüler legen wenig Wert auf individuelle Unterschiede in der Empfindlichkeit der Versuchstiere. Zu a) Man kann sich das Verhältnis zwischen Dosis (Konzen- ration oder Dosis pro Kilogramm Tier) und Wirkung eines Giftes im | b & R S S72 7) S Or ® | RS 25 | S | SI Su | z ai S | S Me | ı RN een 7 z n f BE 8 2 DR EROENZIEE Dosis des Eifes Pro Fo Kir N es Guffes pro kg Tier Abb.1. Schema des Verhältnisses Abb. 2. Schema des Verhältnisses zwischen Konzentration (oder zwischen Konzentration (oder Dosis pro Kilogramm Tier) und Dosis pro Kilogramm Tier) und Wirkung eines Gittes. Wirkung eines Giftes. Prinzip auf drei verschiedene Weisen vorstellen, wie dieses in Abb. 1—3- schematisch veranschaulicht ist. Am einfachsten liegen die Verhältnisse bei Abb. 1. Wird die. zweifache Menge eines Giftes injiziert, so ist auch die Wirkung die zweifache. Derartige Verhältnisse bestehen bei der Magnesiumsulfat-, bei der Urethan- und bei der Chloralhydrat-Narkose, wie das für die Wirkung von Chloralhydrat auf den homolateralen Beugereflex, zum Beispiel aus Abb. 4, ersichtlich ist. |Abb. 4 ist aus Versuchen von Le Heux?) zusammengestellt. ] Ganz anders ist die Sache, wenn das Verhältnis zwischen Kon- zentration und Wirkung des Giftes ist wie in Abb. 2. Im Anfang der Kurve wächst die Wirkung mit Ansteigen der Konzentration un- 1) Bürgi selbst weist in einer späteren Mitteilung (s. Rektoratsrede Bern 1914) auf diese Tatsache hin. 2) J. W. Le Heux, Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. Mitt. Pflüger’s Arch. Bd. 174 S. 105. 1919. 128 N W. Storm van Leeuwen: verhältnismässig stark, am Ende der Kurve ist dies gerade umgekehrt. Ein derartiger Verlauf der „Konzentrationswirkungskurve“ kann bei der Beurteilung der Resultate von Kombinationen von Giften grosse Schwierigkeiten bieten. Ist zum Beispiel, um eine Wirkung 5 zu er- halten von einem bestimmten Gift eine Dosis 4 erforderlich, so ent- spricht der Dosis 2 nicht !/2 d sondern ®ı b. Ist dies für ein oder zwei Gifte einer bestimmten Kombination der Fall, so ist es möglich, dass eine Dosis 2 des einen Giftes + eine Dosis 2 des zweiten Giftes zu- sammen eine Wirkung ausüben grösser als d, so dass eine Potenzierung auftritt, ohne dass zur Erklärung einer derartigen Potenzierung ver- wickelte Theorien (Sensibilisierung zum Beispiel) nötig sind. Natür- lich wird hiermit nicht gesagt, dass, wenn Verhältnisse wie in Abb. 2 reflex ın % o& I on R S D N 685 2 N S 550 n N N 8375 € S S Io x 7 Se _—{ N EN RTT OWEN Ö Dosis des Giffes pro kg Tier 7 7 3 2 9; z > an 9 0 Mm IE .. 05/5 Ora: Tal pro ler Abb. 3. Schema des Verhält- = 7 7 nisses zwischen Konzentration Abb. 4. Konzentrationswirkungskurve des {oder Dosis pro Kilogramm Tier) Chloralbydrats. Wirkung auf den homolate- und Wirkung eines Giftes. ralen Beugereflex bei der Katze. bestehen, immer bei Kombinationen derartiger Gifte eine Potenzierung auftreten muss; aber wenn die Verhältnisse bestehen und wenn eine Potenzierung auftritt, kann man den Mechanismus dieser Potenzierung begreifen. | Ausserdem kann aber Abb. 2 veranschaulichen, wie leicht eine Potenzierung vorgetäuscht werden kann, wenn man die Bestimmung der minimal wirksamen Dosen der Gifte vornimmt, wie Lindemann, Hammerschmidt und Rappoport es tun. Lindemann gibt zum Beispiel einem Tier 20 mg Morphin. Dieses Tier ist narkotisiert. Das nächste Tier bekommt 10 mg Morphin und zeigt keine Narkose. Hieraus schliesst Lindemann, dass 20 mg die minimal wirksame Dosis darstellt. Bestehen nun Ver- hältnisse wie in Abb. 2 (und es wird unten zu zeigen sein, dass der- Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. 129 artige Verhältnisse in der Tat bei verschiedenen Giften und besonders heim Morphium bestehen können), so ist es möglich, dass die mini- male Dosis, welche die Wirkung b hervorrufen kann, folgendermaassen bestimmt wird: Die Dosis 7 wird zuerst geprüft, und sie hat eine Wirkung >-b, ist also wirksam; als nächste Dosis wird die Hälfte genommen, also 3,5. ‚Diese Dosis hat eine Wirkung, die etwas kleiner ist als 5b, und ist also „unwirksam“. Wenn man zu dieser „unwirksamen“ Dosis 3,5 nur eine kleine Menge eines zweiten Giftes zufügt (zum Beispiel 0,5), so wird man die erwünschte Wirkung b bekommen und auf eine scheinbare) Potenzierung schliessen. Dieser Fall ist direkt mit Lindemann’ sBestimmung der mini- mal wirksamen Morphinwirkung vergleichbar, denn erstens hat Linde- mann, nachdem x 20. mg sich als wirk- sam gezeigt hatten, »0 ‚sofort die Hälfte die- yo ser Dosis gegeben, und zweitens kann das Verhältnis zwi- schen Wirkung und Dosis bei Morphin den in Abb. 2 dar- gestellten Verhält- Abb.5. Konzentrationswirkungskurve des Morphins. Wir- kung auf den homolateralen Beugereflex des Kaninchens. 80 N & oa SISSÄLTLZI ' [ | | | | | | N | | | l I t 40 Einfluß auf homolaterale Dosıs Morphin in mg nissen ziemlich ähn- lich sein. In Abb. 5 ist das Verhältnis zwischen Wirkung und Dosis für Morphin nach einem Versuch an einem Kaninchen .angegeben, dem steigende Mengen Morphium injiziert wurden, während der Ein- fluss dieses Giftes auf den homolateralen Beugereflex des Tieres re- sistriert wurde. In späteren, noch nicht veröffentlichten Versuchen stellte sich heraus, dass nicht nur im Versuch an einem Tier, sondern auch, wenn das Resultat grösserer Versuchsreihen an verschiedenen Tieren zusammengestellt wird, ähnliche Verhältnisse vorliegen. Nur ist bei der Morphiumwirkung die Sache noch komplizierter als in dem in Abb. 2 veranschaulichten hypothetischen Falle. Bestehen schliesslich Verhältnisse wie in Abb. 3, so wird bei Verwendung von Dosen, welche im Anfangsteil der Kurve liegen, eine Abschwächung der Wirkung bei einer Kombination möglich 'sein. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. Re) 130 W. Storm van Leeuwen:; Zu b) Wie gross der individuelle Unterschied in der Empfind- lichkeit verschiedener Kaninchen gegen Gifte und besonders gegen die Opiumalkaloiden ist, geht schon mit Deutlichkeit aus .den Tab.:i und 2 hervor. So war zum Beispiel in Versuch 22 (Tab. 1): die Wirkung von 20 mg Morphin schwächer als in Versuch 8 (Tab. 1); die Wirkung von 5 mg Morphin und 2,5 ecem Tincetura opii hatte in Versuch 18 (Tab. 2) weniger Einfluss als 1,2 eem Tinetura opii in Versuch 5 (Tab. 2). nt ‘ Überdies sei noch bemerkt, dass in den Versuchen der Morphin- Urethanserie einige Morphintiere, die ziemlich starke Grosshirn- narkose zeisten, eine gesteigerte Reflexerregbarkeit des Rückenmarks zu haben schienen. In später zu veröffentlichenden genaueren Versuchen hat sieh in der Tat gezeigt, dass das Morphin mitunter bei Kaninchen — wie es bei Katzen die Regel ist — statt einer Narkose eine aus- gesprochene Steigerung der Reflexerregbarkeit hervorrufen kann. Bürgi legt auf individuelle Empfindlichkeit der Versuchstiere keinen grossen Wert, wie unter anderem aus folgendem Zitat hervor- geht!): „Dennoch können wir zu allgemeinen Regeln gelangen, die auch für den Kulturmenschen anwendbar sind, und wir werden, um sie zu finden, allerdings mit Vorliebe Tiere wählen, bei denen die indi- viduellen Unterschiede in der Empfindlichkeit gegen Arzneien un- bedeutend sind. Gerade deshalb schien uns das Kaninchen für unsere Untersuchungen von Narkotikakombinationen sehr geeignet.“ - Bürgi hat meines Wissens diese Auffassung nicht mit Versuchen belegt. Jedenfalls geht aus meinen Versuchen hervor, dass sehr grosse Untersehiede bestehen können. Sehr beträchtliche Unterschiede in der Empfindlichkeit der Kaninchen haben übrigens Bürgi’s Schüler manchmal gefunden. Hammerschmidt (l. e.) zum Beispiel fand für die Dauer der Morphin- und Urethannarkose die in Tab. 3 (S. 42) angegebenen Werte (welche Tabelle aus Hammerschmidt’s Arbeit entnommen sind). Aus einer dieser Tabelle ist ersichtlich, dass 0,2 & Urethan bei intravenöser Injektion eine Narkose von 1 Stunde gibt und 0,1 g Urethan bei einem anderen Tier eine Narkose von 1 Stunde 25 Minuten; 20 mg Mor- phin gibt eine Narkose von 1 Stunde 25 Minuten, 10 mg Morphin bei 1) E. Bürgi, Allgemeine Bemerkungen zu meinen die Wirkung von Arznei- kombinationen betreffenden Arbeiten. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Ther. Bd. 8 S. 532. 1911. Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. 131 Tabelle 3. Zeitdauer der Morphin- und Urethannarkose., [Einer Tabelle von W. Hammerschmidt!) entnommen.] anne: Morphindosis Gesamtdauer estiches] (n Gramm) der Narkose 1. 0,05 2 Stunden 5 Minuten 2. 0,03 1 Stunde 50 3% 0,02 1 E28 4. 0,015 1 al) 5. 0,0125 1 Mi 6) 6. 0,01 1 5 5 R. 0,01 1 a) 8. 0,009 1 le Urethan 45 0,2 1 „7 46 0,15 —,.59 47. 0,1 1 ud 48. 0,08 —.,.8 Bemerkungen Kränklich. Tod folgenden Tag Gewählte Grenze Ensste Grenze Leichter Schlaf zu erzeugen Grenzdosis einem anderen Tier eine Narkose von 1 Stunde 5 Minuten bis 1 Stunde 30 Minuten. der Zeitdauer der Narkose ist nach den Zahlen aus Hammer- sehmidt’s Arbeit in Abb. 6 kurvenmässig dargestellt. Aus alle- dem ereibt sich also, dass die Zeit- dauer der Narkose bei verschiede- nen Tieren sehr stark schwanken kann, und dass, wenn aus Ver- suchen an einem Tier Schlüsse gezogen werden, der Versuchs- fehler mehr als 100°/o beträgt. Niehtsdestoweniger schliesst Ham - merschmidt aus derartigen Ver- suchen auf eine Potenzierung. Das Verhältnis zwischen der Dosis des Morphins und A 0, 2 Ihr DA 50 x“ 2 R 5 ; 2 G DE A 830 . < x Ya 320 d IR ? I x Y N) EZ = N x Sl 5 7: | 30 I Sn) ? SL v 30° 1:4 20° 1 nr L Y m N ————— ı — ! f mn;s .20 30 40 5 Morphin in mg pro Kg Jıer Abb. 6. Verhältnis zwischen Dosis Mor- phin und Dauer der Narkose (hergestellt nach Werten von Hammerschmid!t). Nach unserer Auffassung kann bei einer solchen Versuchsanordnung das Bestehen einer Potenzierung nicht als bewiesen erachtet werden. Das Vernachlässigen des Einflusses individueller Empfindlichkeit der Tiere erklärt — neben den sub a) genannten Momenten — eben- falls grösstenteils die Unterschiede zwischen den Befunden Linde- 1) W. Hammerschmidt, Zeitschr. f. exper. Pathol. Bd. 8 S. 394. 1911. 9* 132 W. Storm van Leeuwen: mann’s und Rappoport’s und den meinieen. Lindemann hat bei seiner Untersuchung nach der potenzierenden Wirkung von Mor- phium- und Urethankombinationen bei subkutaner Injektion die in Tab. 4 angegebenen Versuche vorgenommen. Tab. 4 ist einer Tabelle aus Lindemann’s Arbeit entnommen. Tabelle 4. Morphinnarkose, Urethannarkose und Morphin-Urethannarkose bei Kaninchen. Subkutane Injektion. |Einer Tabelle von F. Lindemann!) entnommen, ] Saas Morphin- | Uretban- Gesamtdauer des dosı ne oo Snık Bemerkungen Versnehes osis | osis der Narkose | | 3 0,02 | _ 2 Stunden 4. 0,01 _ _ 21. — 1,0 1 Stunde 30 Minuten 22. — 0,75 EN — s Lähmung 23. 0,25 | 0,01 Ihn 30 hi 24 0,01 | 0,125 Ian 15 25 0,01 | 0,0625 an 20 . 26 0,005 0,08125 | — ,„ — a Mattigkeit 27 0,005 | 05 3 Stund. 10 „ 580 700012509 1 Stunde 5 , 29. 0,000625 | 0,5 — 0.4, 3) 2 So. 0,0003125 | 0,5 _— ,„ 30 5 Leichte Narkose 31. 0,0003125 | 0,5 4 — a 32. 0,005 0,25 TB 38. 0,005 0,125 En N 30 n 34. 0,0025 0,25 Sr 20 & 35. 0,00125 0,25 LS — Mattigkeit 36. 0,0025 0,125 NE. — & Ermüdung | Lindemann gibt einem Tier 20 mg Morphin; das Tier kommt in Narkose. Ein zweites Tier erhält 10 me Morphin und zeigt keine Narkoseerscheinungen. Aus diesen zwei Versuchen wird geschlossen, dass 20 me die wirksame, 10 mg die unwirksame Dosis ist. Weil nun, wie in Tab. 1 gezeigt wurde, zeleeentlich bei einem Tier 5 mg Morphin dieselben Narkoseerscheinungen ergeben kann wie 20 mg, so beweisen die drei Versuche, in denen Lindemann 5 mg Morphin gab unter Zusatz von 0,125—0,5 g Urethan, keineswegs das Bestehen einer Potenzierung. Aus demselben Grunde kann aus den Versuchen 28—31 aus Tab. 4 nicht auf eine Potenzierung geschlossen werden. Es wurden in diesen Versuchen jedem Tier 0,5 g Urethan gegeben und demselben wechselnde Mengen Morphin zugesetzt. Das Tier in 4 1) F. Lindemann, Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Ther. Bd. 7. Über den Synergismus von Arzneimittele. III. 133 Versuch 31 zeigt keine Narkose, das Tier in Versuch 30 nur eine leichte Narkose, die auch ohne Morphiumzusatz durch 0,5 g Urethan hervorgerufen werden kann. Dass die zwei anderen Tiere (28 und 29) nach 0,5 & Urethan + einige Milligramm Morphium in Narkose kamen, kann auf Zufall beruhen, weil, wie aus Tab. 1 und 2 hervorgeht, 0,5 g Urethan manchmal wohl eine Narkose und manchmal wieder keine Narkose hervorruft. Schliesslich sei hervorgehoben, dass gegen die Versuche Rappo- port’s und die Versuche Lindemann’s, wo das Urethan per os und das Morphium subkutan gegeben wurde, dieselben Einwände er- hoben werden können. Den letzten Versuch Lindemann’s haben wir nicht nachgeprült, weil dabei die Verhältnisse wegen der stomachalen Zufuhr des Morphins noch schwerer zu übersehen sind. Schlussfolgerungen. 1. Bei quantitativen Untersuchungen über den Synergismus von Arzneimitteln müssen folgende zwei Momente berücksichtigt werden: a) das Verhältnis zwischen Dosis und Wirkung des Giftes (be- sonders beim Arbeiten mit Opiumalkaloiden); b) die individuellen Unterschiede der Empfindlichkeit der Ver- suchstiere. 2. Weder bei Morphin-Uretbankombination (bei subkutaner und intravenöser Injektion beider Gifte) noch bei Tinetura opii- Urethan- kombinationen liess sich bei der von mir gewählten Versuchsanordnung eine Potenzierung der Wirkung nachweisen. Beiträge zum Problem der Körperstellung. II. Mitteilung. Stellreflexe beim Kaninchen nach einseitiger Labyrinth- exstirpation. Von Prof. Dr. R. Magnus. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Mit 8 Abbildungen auf Tafel T. (Eingegangen am 2. August 1918.) In der ersten Mitteilung dieser Reihe!) habe ich über Versuche am Kaninchen berichtet, nach denen im Mittelhirn die Zentren für die ‚‚Stellreflexe‘ liegen, durch welche das Tier die normale Körper- lage einnimmt und sich darin erhält. Es handelt sich dabei um das Zusammenwirken folgender „Stellreflexe‘: 1. Labyrinthstellreflexe auf den Kopf. Sie sind am besten zu untersuchen, wenn das Tier frei in der Luft gehalten wird. Infolge von Labyrintherregungen wird der Kopf aus jeder beliebigen Lage nach der Normalstellung hin be- wegt (Scheitel oben, Unterkiefer unten, Mundspalte 20—40° nach vorne gesenkt). Man kann dann den Körper um den im Raume fest- stehenden Kopf nach allen Seiten bewegen. Die Labyrinthstellreflexe fehlen nach Exstirpation der Labyrinthe. Ihre Zentren liegen im Mittelhirn. — 2. Stellreflexe auf den Kopf durch asym- metrische Reizung der sensiblen Körpernerven. Liest der Körper in asymmetrischer Lage auf dem Boden, so wird durch asymmetrische Erregung der sensiblen Körpernerven reflektorisch eine Drehung des Kopfes zur Normalstellung zustande gebracht. Der Reflex lässt sich aufheben, wenn man den einseitigen Druck der Unterlage durch Auflegen eines beschwerten Brettes auf die obere Körperseite kompensiert. Der Reflex ist auch beim labyrinthlosen Tier vorhanden. Seine Zentren liegen im Mittelhirn. — 3. Hals- stellreflexe. Sobald der Kopf in der Normalstellung steht, der Körper aber noch nicht, so wird durch die abnorme Haltung (Drehung, 1) R. Magnus, Beiträge zum Problem der Körperstellung. I. Mitt. Stellreflexe beim Zwischenhirn- und Mittelhirnkaninchen. Pflüger’s Archiv Bd. 163 S. 405. 1916. Beiträge zum Problem der Körperstellung. II. 135 Streckung, Beugung) des Halses ein Reflex ausgelöst, durch den der kaudal gelegene Teil der Wirbelsäule in die richtige und symmetrische Stellung zum Kopfe gebracht wird. Der Reflex setzt sich von vorne nach hinten längs der Wirbelsäule fort. Er ist auch beim labyrinth- losen Tiere vorhanden. Seine Zentren reichen vom Mittelhirn bis in die Brückengegend. — 4. Stellreflexe auf den Körper durch asymmetrische Reizung der sensiblen Körpernerven. Auch wenn der Kopf sich nicht in der Normalstellung befindet, kann der Körper durch einen Reflex, der durch asymmetrische Reizung der sensiblen Körpernerven ausgelöst wird, doch richtig gestellt werden. Der Reflex kann aufgehoben werden, wenn der asymmetrisehe Druck der Unterlage durch Auflegen eines beschwerten Brettes kompensiert wird. Er ist auch beim labyrinthlosen Tier vorhanden. Seine Zentren liegen im Mittelhirn. — 5. Optische Reize spielen beim Zwischen- hirn- und Mittelhirnkaninchen keine Rolle als Stellreize. — 6. Die Drehreaktionen von den Labyrinthen auf Hals und Körper sind für die Aufrechterhaltung des Körpergleichgewichtes nur von untergeord- neter Bedeutung. An der Auslösung der Stellreflexe nehmen also neben den sensiblen Körpernerven die Labyrinthe einen hervorragenden Anteil. In der Luft (und beim Schwimmen im Wasser).liefern sie, sofern bei Tieren mit intaktem Grosshirn nicht. noch optische Reize dazukommen, sogar die einzigen Stellreize. Die Labyrinthstellreflexe sind Reflexe der Lage. Durch eine abnorme Lage des Kopfes im Raume wird eine Bewegung in den Halsmuskeln ausgelöst, une welche der Kopf in die Normalstellung' gebracht wird. Für die bisher von uns untersuchten tonischen Labyrinthreflexe: die tonischen Labyrinthreflexe auf die Gliedermuskeln, die Hals- muskeln und die Augenmuskeln haben wir jedesmal!) diejenigen Stellungen des Kopfes im Raume bestimmt, bei denen diese tonischen Erregungen von den Labyrinthen aus ihr Maximum und ihr Minimum haben. Der Zweck dieser Feststellungen war, die Grundlage für eine spätere. Theorie der Labyrinthfunktion zu liefern und vor allem eine Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob es sich bei diesen tonischen Labyrinthreflexea um Otolithenreflexe handelt. Nachdem jetzt die Labyrinthstellreflexe als eine besondere Gruppe tonischer Reflexe mit eigenen Zentren im Mittelhirn erkannt waren, 1) R. Magnus und A. de Kleijn, Die Abhängigkeit des Tonus der Extremitätenmuskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Archiv Bd. 145 S. 455. 1912. — Dies., Die Abhängigkeit des Tonus der Nackenmuskeln von der Kopfstellung. Ibid. Bd. 147 S. 403. 1912. — Dies., Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation. Ibid. Bd. 154 S. 178. 1913. — J. v. d. Hoeve und A. de Kleijn, Tonische Dabyontneilee auf die Augen. Ibid. Bd. 169 S. 241. 1917. 136 R. Magnus: mussten auch für sie die Lagen des Kopfes im Raume bestimmt werden, bei denen die auslösenden Labyrintherregungen maximal und minimal sind. Dazu war es nötig, das Verhalten der Labyrinthstellreflexe bei Anwesenheit von nur einem Labyrinth, d. h. nach einseitiger Labyrinthexstirpation, zu untersuchen. Demnach beschäftigt sich diese Mitteilung mit den Stellreflexen und vor allem den Labyrinthstell- reflexen beim Kaninchen nach einseitiger Labyrinthexstirpation. \ Das Verhalten der Kaninchen nach Entfernung eines Labyrinthes haben de Kleijn und ich bereits in einer früheren Arbeit!) eingehend analysiert und vor allem festgestellt, welche der sehr vielfältigen Symptome nach diesem Eingriff als direkte Folge des Labyrinth- verlustes und welche als sekundäre Folge der stets eintretenden Drehung des Kopfes angesehen werden müssen. Bei den damaligen Versuchen war uns die Bedeutung der Stellreflexe noch nicht bekannt. Als ich nun im verflossenen Halbjahr daran ging, das Verhalten der Stellreflexe, die: von nur einem Labyrinth ausgelöst wurden, zu untersuchen, nahm ich an, dass es sich um eine ziemlich einfache Aufgabe handelte, und dass es sich herausstellen würde, dass bei den verschiedenen Lagen des Tieres im Raume der Kopf immer in ein und dieselbe Lage im Raume gebracht werden würde. Schon die ersten Beobachtungen zeigten aber, dass das keineswegs der Fall ist, und dass die Dinge verwickelter liegen. Es wird nämlich nach Ent- fernung eines Labyrinthes die Stellung des Kopfes nicht allein durch die Labyrinthstellreflexe, sondern auch noch durch andere tonische Labyrinthreflexe beherrscht. Das sind die schon früher von uns untersuchten tonischen Labyrinthreflexe auf die Nackenmuskeln. Wird nämlich bei einem dezerebrierten Tier’), bei dem das Mittelhirn und damit die Zentren für die Stellreflexe fehlen, ein Labyrinth exstirpiert, so erfolgt eine Drehung und Wendung des Kopfes nach der Seite des fehlenden Labyrinthes. Bei Hunden und Katzen überwiegt anfangs die Wendung, bei Kaninchen meistens die Drehung. Nach einigen Tagen überwiegt bei allen drei Tierarten die Drehung des Kopfes. Diese Kopfdrehung kommt dadurch zustande, dass das übrigbleibende Labyrinth einen einseitigen Einfluss auf den Tonus der Nackenmuskeln ausübt, und dass nach eEntfernung eines Labyrinthes diejenigen Nackenmuskeln, welche den Hals nach einer Seite drehen und wenden, einen Tonusverlust erleiden. Der tonische Einfluss des übriggebliebenen Labyrinthes auf die zugehörigen Nacken- 1) R. Magnus und A. de Kleijn, Analyse der Folgezustände ein- seitiger Labyrinthexstirpation. Pflüger’s Archiv Bd. 154 S. 178. 1913. 2) R. Magnus und A. de Kleijn, Die Abhängiskeit des Tonus der Nackenmuskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Archiv Bd. 147 S. 403. 1912. Beiträge zum Problem der Körperstellung. II. 137 muskeln ist in allen Lagen des Kopfes im Raume vorhanden; er ist aber am stärksten, wenn sich der Kopf in Rückenlage befindet und die Schnauze 0—45° gegen die Horizontale gehoben ist (Kopfstellung 0° bis + 45°); am schwächsten ist er, wenn sich der Kopf in Normal- stellung befindet und die Schnauze 0—-45° gegen die Horizontale ge- senkt ist (Kopfstellung — 180° bis — 135°). Die Drehung (und Wen- dung) des Kopfes ist in genau derselben Weise vorhanden, wenn man die Labyrinthexstirpation zuerst ausführt, und bleibt erhalten, wenn man dann das Tier nach Tagen, Wochen oder Monaten dezerebriert. Sie ist auch ganz unabhängig von den Augen. Die Zentren für diesen tonischen Reflex liegen in der Medulla oblongata und reichen nicht weiter nach vorne, als die Eintrittsebene der Nervi octavi!)). Die Kopfdrehung nach einseitiger Labyrinthexstirpation oder nach ein- seitiger Octavusdurchschneidung ist also noch nachweisbar nach Ent- fernung von Mittelhirn, Brücke, Kleinhirn und vorderer Hälfte der Medulla oblongata. Diese Kopfdrehung nach einseitiger Labyrinthexstirpation hat nun nach unseren früheren Feststellungen °) die Eigentümlichkeit, dass sie im Laufe der Zeit zunimmt. Entfernt man einem Kaninchen mit erhaltenem Grosshirn ein Labyrinth, so ist sofort nach dem Eingriff der Kopf bei wechselnder Wendung meist nur 45° (20—90°) gedreht. Nach verschieden langer Zeit, manchmal schon nach einigen Tagen, in anderen Fällen erst nach drei bis vier Wochen, erreicht die Kopf- drehung ihr Maximum von 90—135°, ja manchmal ist der Kopf sogar um 180° gedreht. Ähnliche Verhältnisse fand Ewald) bei Tauben. Auch hier nimmt die Kopfdrehung im Laufe von Wochen zu (siehe bei Ewald, Abb. 4—11). Das Studium der unter der Herrschaft des Mittelhirns stehenden Labyrinthstellreflexe nach einseitiger Labyrinthexstirpation wird nun dadurch verwickelt, dass diese Stellreflexe nicht auf einen Kopf ein- wirken, der sich in Normalstellung befindet, sondern auf einen Kopf, der sich infolge des besprochenen tonischen Reflexes auf die Nacken- muskeln bereits in wechselndem Grade gedreht hat. In folgendem soll die tonische Kopfdrehung nach einseitiger Labyrinthentfernung, die von Zentren in der Medulla oblongata abhängig ist und im Laufe der Zeit an Stärke zunimmt, als „Grunddrehung‘ bezeichnet werden. 1) R. Magnus, Welche Teile des Zentralnervensystems müssen für das Zustandekommen der tonischen Hals- und Labyrinthreflexe auf die Körpermuskulatur vorhanden sein? Pflüger’s Archiv Bd. 159 S. 224. 1914. 2)R. Magnusund A. de Kleijn, a.a. O. Pflüger’s Arhiv Bd. 154 >..1195. 1913. 3) J. R. Ewald, Unters. über das Endorgan des N. octavus. S. 34 ff. 1892. 138 2 R. Magnus: Auf diese Grunddrehung setzt sich der Einfluss der Labyrinthstell- reflexe nach einseitiger Labyrinthexstirpation auf und verstärkt oder vermindert dieselbe je nach der Ausgangsstellung, welche der Körper des Tieres im Raume einnimmt. Will man den Einfluss der Labyrinthstellreflexe auf den Kopf besonders deutlich zur Anschauung bringen, so ist es nach dem Ge- sagten verständlich, dass man die Beobachtungen am besten in den ersten Tagen nach der Labyrinthexstirpation anstellt, da dann die „Grunddrehung‘“ noch nicht so stark entwickelt ist und durch die Stellreflexe leichter überwunden werden kann, während später die hochgradige Grunddrehung häufig den Erfolg der Stellreflexe ver- mindert. Zum Verständnis des folgenden ist es zweckmässig, wenn zuerst das Verhalten der Kopfstellung in den verschiedenen Körperlagen beim dezerebrierten Kaninchen geschildert wird, dem das Mittel- hirn und damit die Stellreflexe fehlen und das nur die ‚„Grunddrehung‘“ des Kopfes zeigt. Folgendes Beispiel diene zur Veranschaulichung: Kaninchen XII. 8. April 1918. Rechtsseitige Labyrinthexstirpation durch Dr. deKleijn. Das Tier wird am Tage der Operation und am 25. April untersucht und zeigt normale Stellreflexe, wie sie im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu schildern sein werden. Am 25. April ist der Kopf beim Sitzen auf dem Boden um 90°, bei Normalstellung des Tieres in der Luft um 180°, bei Hängelage mit Kopf unten um 180° nach rechts gedreht. 26. April 1918 10 Uhr 20 Min. In leichter Chloroformnarkose werden die Karotiden abgebunden und die Vagi durchschnitten. Dezerebrierung, wonach ziemlich starke Blutung. Das Tier wird mit dem Becken in die Höhe gehalten, um das Herabfliessen des Blutes nach der Medulla zu verhindern. Sofort gute Enthirnungsstarre aller vier Beine. Spontan- atmung. Blutung steht. Das Tier wird kurze Zeit nach der Operation und um 10 Uhr 55 Min. untersucht. Dabei ergibt sich folgendes: In Normalstellung in der Luft: Kopf 90° nach rechts gedreht. In rechter Seitenlage in der Luft: Kopf 90° nach rechts gedreht. In linker Seitenlage in der Luft: Kopf 90° nach rechts gedreht. In Hängelage mit Kopf oben: Kopf in rechter Seitenlage. In Hängelage mit Kopf unten: Kopf 90° nach rechts gedreht, Mundspalte und Sagittalachse des Kopfes 45° gegen die Horizontale geneigt. In Rückenlage in der Luft: Kopf 45° nach rechts gedreht (durch die Schwerkraft wird die volle Drehung um 90° verhindert). Das Tier macht keine Versuche, den Kopf in Seitenlage auf den Bauch zu bringen. Kopfdrehen in Rückenlage bewirkt starke Halsreflexe auf die Extremi- täten, aber keine Halsstellreflexe auf das Becken. Kopfdrehen in Seitenlage bewirkt deutliche Labyrinthreflexe auf die Vorderbeine. Seitenlage auf dem Tisch: Kein Körperstellreflex auf den Kopf. Auf Rechtsetzen des Kopfes bleibt der Körper liegen. Beiträge zum Problem der Körperstellung. II. 139 Umlegen aus Fussstellung in Rückenlage ohne Änderung der Stellung des Kopfes zum Rumpf bewirkt deutliche Tonuszunahme der Vorderbeine. Rückenlage mit rechtgesetztem Kopf: Rechtes Vorderbein etwas schlaffer als linkes. : Kopfdrehreaktion, Kopfdrehnachreaktion, Augendrehreaktion und -nystag- mus, Augendrehnachreaktion und -nachnystagmus sind vorhanden und zeigen das nach rechtsseitigem Labyrinthverlust typische Ver- halten. Das Tier wird getötet. Bei der Sektion findet sich ein glatter, symmetrischer Schnitt quer durch das Mittelhirn, dorsal mitten durch die vorderen Vierhügel, ventral 2 mm vor dem Vorderrand der Brücke, lateral durch die hinteren Vierhügelarme. Zusammenfassung: Bei einem dezerebrierten Kaninchen fehlen sämtliche Stellreflexe. Die tonischen Hals- und Labyrinthreflexe auf die Gliedermuskeln sind vorhanden, ebenso die Drehreaktionen von Kopf und Augen. Infolge des einseitigen Labyrinthverlustes ist der Kopf nach der Seite der Operation gedreht (‚Grunddrehung‘‘). Diese Drehung ist bei allen Lagen des Tieres im Raume ungefähr von dem- selben Grade. Nur bei Rückenlage in der Luft ist sie durch den Ein- fluss der Schwerkraft auf den Kopf etwas vermindert. Dieses Verhalten ist typisch für dezerebrierte Kaninchen mit ein- seitigem Labyrinthverlust. In manchen Fällen kann die Drehung noch stärker ausgesprochen sein. Gewöhnlich lässt sich auch nach- weisen, dass der Widerstand gegen Rechtsetzen des Kopfes grösser ist, wenn sich der Kopf in Rückenlage befindet, als wenn er in Normal- stellung ist. L Die Untersuchung der Stellreflexe konnte ich an zwölf Kaninchen ausführen, bei denen von Dr. de Kleijn die rechtsseitige Labyrinthexstirpation vorgenommen: worden war. Die Tiere zeigten nach der Operation das typische Verhalten; ausserdem wurde die . Vollständigkeit der Operation jedesmal bei der Sektion kontrolliert. Nur eines dieser Tiere zeigte bei wiederholter Untersuchung einige etwas abweichende Stellungen; bei demselben fand sich bei der Sektion eine Eiterung in der rechten Bulla, wodurch die Abweichungen er- klärt werden. Dieses Tier ist in der folgenden Darstellung nicht mit berücksichtigt. Bei sämtlichen Tieren wurde zunächst das Verhalten bei intaktem Grosshirn fortlaufend untersucht und bei vier derselben photographisch festgelegt. Zwei Tiere wurden dabei mit verbundenen Augen unter- sucht, um ihr Verhalten bei Ausschluss optischer Bilder festzustellen. Bei fünf Kaninchen wurde am 5., 11., 28. und 30. Tage nach der Labyrinthexstirpation das Grosshirn auf die in der ersten Mitteilung geschilderte Weise entfernt. Darauf wurde die Untersuchung am 140 | R. Magnus: Thalamustier fortgesetzt. Die Vollständigkeit der Operation wurde durch die Sektion kontrolliert. Es stellte sich heraus, dass das Verhalten der Stellreflexe beim intakten Tier und beim Thalamustier im wesentlichen das gleiche ist, so dass das Ergebnis beider Beobachtungsreihen 'im folgenden zu- sammen dargelegt werden kann. Kleine Abweichungen werden unten erwähnt werden. Ebenso macht es bei Tieren mit intaktem Gross- hirn keinen wesentlichen Unterschied, ob man ihre Stellreflexe bei offenen oder geschlossenen Augen untersucht. Die Augen spielen beim Kaninchen für die Aufrechterhaltung der normalen Körperstellung nur eine geringe, unten noch näher zu besprechende Rolle. Sobald nur das Mittelhirn mit dem übrigen Hirnstamm in funktionierender Verbindung ist, treten die Stellreflexe in typischer Weise auf. Die höheren Hirnteile beteiligen sich beim Kaninchen nur in sehr geringem Grade an der ‚Stellfunktion“. a) Labyrinthstellreflexe. Das Verhalten der Labyrinthstellreflexe soll an der Hand einiger stereoskopischer Aufnahmen geschildert werden, welche von Kanin- chen Nr. 10 drei Tage nach derrechtsseitigen Labyrinth exstirpatio nge- macht wurden. Das Gesamtergebnis der Beobachtungen ist, dass der Labyrinthstellreflex den Kopf immer so zu stellen strebt, dass das intakte Labyrinth sich oben befindet und der Kopf in Seitenlage liest. Je nach der Lage des Tieres im Raume kombiniert sich dieser Reflex in verschiedener Weise mit der ‚„Grunddrehung‘“. l. Normalstellung in der Luft. Wird das Tier mit der Hand am Becken frei in Normalstellung in der Luft gehalten (Abb. 1, Tafel I), so sieht man, dass der Kopf um etwa 90° nach rechts gedreht ist und in rechter Seitenlage mit . dem linken Auge nach oben gehalten wird. In dieser Stellung wirken Grunddrehung und Labyrinthstellreflex zusammen. In der Mehrzahl der Fälle wird in der ersten Zeit nach der Operation der Kopf genau um 90° gedreht. Später, wenn die Grunddrehung zunimmt, kann der Kopf stärker gedreht sein, manchmal um 135°, manchmal sogar um 180°, so dass er sich in Rückenlage befindet. Einigemal wurde beobachtet, dass zunächst der Kopf infolge der Grunddrehung um 135—160° gedreht stand und sich dann langsam infolge des Labyrinthstellreflexes in Seitenlage (Drehung 90°) zurück- bewegte, in welcher er dann stehenblieb. Wenn die Grunddrehung stark ausgesprochen ist, findet sich redet auch eine Drehung des Brustkorbes gegen das Becken. Will man Beiträge zum Problem der Körperstellung. IT. 141 den Einfluss derselben auf den Kopfstand ausschalten, so hält man das Tier an der Rückenhaut in der Luft. Dann beträgt die Kopf- drehung gewöhnlich auch bei starker Grunddrehung nur 90°, in seltenen Fällen bis 135°. er Das Thalamustier verhält sich genau so, wie das Tier mit intaktem Grosshirn. Verschluss der Augen ändert an der Kopfstellung nichts. 2. Rückenlage in der Luft. In Rückenlage wirken Grunddrehung und Labyrinthstellreflex ein- ander entgegen. Durch die Grunddrehung wird (nach rechtsseitigem Labyrinthverlust) der Kopf in linke Seitenlage gebracht. Der Labyrinth stellreflex sucht den Kopf in rechte Seitenlage zu bringen. Das Er- gebnis ist, dass diese Lage für das Tier ausserordentlich unangenehm ist, und dass es sich durch lebhafte Bewegungen aus derselben zu befreien sucht. Sowohl das intakte wie das Thalamustier führen in dieser Lage kreisende Bewegungen mit dem Vorderkörper und Kopf aus, und zwar immer Linksdrehungen, die so lange andauern, bis es dem Tier gelingt, eine sehr merkwürdige Ruhelage zu erreichen, welche beiden Reflexen gerecht wird. Auf Abb. 2 (Tafel I), sieht man das Ergebnis. Der 'Thorax ist im Sinne der Grunddrehung gegen das Becken gedreht, so dass die Vorderbeine nach links gerichtet sind, und der Kopf ist durch stärkste Seitwärtswendung des Halses auf die Ventralseite des Tieres herüber- geklappt, so dass er in rechter Seitenlage auf dem Bauche aufliegt. Das linke Auge ist nach oben gerichtet, die Mundspalte steht nahezu vertikal, die Ohren hängen nach der rechten Körperseite. Sobald das Tier diese Ruhelage verliert, beginnt sofort wieder das Linkskreisen des Vorderkörpers, das so lange andauert, bis der Kopf wieder in rechter Seitenlage auf dem Bauche ruht. Dieses Ver- halten liess sich ausnahmslos bei allen untersuchten Tieren mit und ohne Grosshirn feststellen, unabhängig davon, zu welcher Zeit nach der Labyrinthexstirpation man die Untersuchung vornimmt. 3. Rechte und linke Seitenlage in der Luft. Wird ein Tier, dem das rechte Labyrinth fehlt, in rechter Seiten- lage (d. h. mit der rechten Körperseite nach unten) in der Luft gehalten, so befindet sich der Kopf, falls keine Kopfdrehung vorhanden ist, in der richtigen Lage, in die ihn der Labyrinthstellreflex bringen würde. Die Grunddrehung dreht den Kopf aber aus dieser Lage heraus und sucht ihn in Rückenlage (oder sogar darüber hinaus) zu drehen. Beide Reflexe wirken sich also entgegen. Der Labyrinthstellreflex vermindert die Grunddrehung und kann sie unter Umständen sogar ganz auf- 142 R. Magnus: heben, kann aber niemals den Kopf weiter zurückdrehen, als zur rechten Seitenlage. Das Umgekehrte erfolst bei linker Seitenlage. Die Grunddrehungdreht, den Kopf gegen die Normalstellung zu. Der Labyrinthstellreflex suchtden Kopf ebenfalls aus der linken Seitenlage zu befreien; beide Reflexe sum- mieren sich also, und es ergibt sich eine besondere starke Kopfdrehung. Dieses ist auf Abb. 3 und 4 zu sehen. Auf Abb. 3 (Tafel I) wird das Tier an den vier Beinen in rechter Seitenlage in der Luft gehalten. Der Kopf ist etwas nach unten ge- sunken, aber doch im ganzen nicht mehr als 45° nach rechts gedreht, so dass das rechte Auge nach oben sieht. In anderen Fällen, welche ebenfalls photographisch festgelegt werden konnten, steht der Kopf genau in der Ebene des Tieres in rechter Seitenlage, so dass jede Drehung des Kopfes gegen den Körper fehlt. Auf Abh. 4 (Tafel I) wird das Tier an den vier Beinen in linker Seiten- lage in der Luft gehalten. Der Kopf ist so stark nach rechts gedreht und gewendet, dass das rechte Auge (genau wie auf Abb. 3) nach oben sieht. Die Schnauze ist etwas nach unten gesunken. Letzteres ist kein regelmässiges Verhalten. Bei kräftigen, nicht ermüdeten Tieren kann die Schnauze auch fast bis zur Horizontalen gehoben sein. Vergleicht man Abb. 3 und 4, so erkennt man, dass trotzdem der Körper des Tieres in beiden Fällen eine um 180° verschiedene Lage hat, der Kopfstand nur etwa 45—60° verschieden ist. Es kommt das daher, dass der Labyrinthstellreflex in einem Falle die Grund- drehung vermehrt, im anderen sie vermindert. Der Vergleich der Kopfstellung bei rechter und linker Seitenlage in der Luft bildet (neben der Untersuchung in Rückenlage) das beste Mittel, sich von dem Vorhandensein wirksamer Labyrinthstellreflexe nach einseitiger Labyrinthexstirpation zu überzeugen. Im einzelnen ergeben sich nun verschiedene Bilder, je nachdem die Grunddrehung schwach oder stark entwickelt ist. Ist die Grund- drehung nur schwach ausgesprochen, wie das meist in den. ersten Tagen nach der Operation der Fall ist, so findet man bei rechter Seiten- lage eine Kopfdrehung von 45—0°, weil es dem Labyrinthstellreflex gelingt, die Grunddrehung ganz oder grösstenteils aufzuheben. In linker Seitenlage ist dann eine Kopfdrehung von 90—135°, nur aus- nahmsweise von 180° vorhanden. Ist die Grunddrehung dagegen stark, wie das meist nach zwei bis vier Wochen der Fall ist, so findet man in rechter Seitenlage eine Kopfdrehung von 90° (Kopf in Rücken- lage), in linker Seitenlage dagegen eine Kopfdrehung von 180° (Kopf in rechter Seitenlage). Dazwischen sind alle Übergänge vorhanden. Stets lässt sich aber ein deutlicher Unterschied im Grade der Kopf- drehung zwischen rechter und linker Seitenlage nachweisen. Beiträge zum Problem der Körperstellung. II. 143 Manchmal kann man auch beobachten, dass, wenn man ein Tier in rechte Seitenlage in der Luft gebracht hat, zuerst infolge der Grund- drehung sich eine Kopfdrehung von etwa 45° einstellt, und dass dann langsam sich infolge des Labyrinthstellreflexes der Kopf bis zur vollen Seitenlage zurückdreht. Ein Unterschied zwischen Tieren mit und ohne Grosshirn hat sich nicht feststellen lassen. Auch nach Verbinden der Augen ändert sich die Reaktion der Tiere nicht. Hält man die Tiere nicht, wie auf Abb. 3 und 4, an den vier Beinen, sondern am Becken in Seitenlage in der Luft, so kann man feststellen, dass, als Folge der starken oder schwachen Kopfdrehung, in rechter Seitenlage der Thorax nur wenig, dagegen in linker Seitenlage sehr stark gegen das Becken gedreht ist (Halsstellreflex). 4. Hängelage mit Kopf oben. Packt man das Tier an der Rückenhaut und hält es mit senkrechter Wirbelsäule mit dem Kopfende nach oben, so sinkt der Kopf nach der rechten Seite herüber und bleibt in rechter Seitenlage mit dem linken Auge nach oben, vertikaler Mundspalte und horizontaler Sagittal- achse stehen (Abb. 5 Tafel I). Diese Kopfstellung liess sich bei fast allen Tieren nachweisen. Sie kommt durch das Zusammenwirken von Grunddrehung und Labyrinth- stellreflex zustande. Der letztere sorgt dafür, dass der Kopf in rechter Seitenlage stehenbleibt. Nur wenn die Grunddrehung sehr stark ist, wird der Kopf mehr als 90° zur Seite gedreht; in Ausnahmefällen kann die Drehung drei bis vier Wochen nach der Operation fast 180° betragen. Diese Lage ist aber dem Tiere unangenehm; es führt nicht selten Kreisbewegungen mit dem Kopfe aus und macht Versuche, den Kopf in rechte Seitenlage zu bringen. 5. Hängelage mit Kopf unten. Diese Lage ist die einzige, in welcher beim Kaninchen der Labyrinth- stellreflex nicht recht zur Geltung kommen kann und gegenüber der Grunddrehung an Wirksamkeit zurücktritt. Daher ist auch diese Lage am besten geeignet, das Verhalten der Grunddrehung beim nicht- dezerebrierten Tiere zu untersuchen!). Packt man das Tier am Becken und lässt es mit dem Kopfe nach unten hängen, so ist der ganze Körper des Tieres, wie das früher von de Kleijn und mir eingehend geschildert wurde!), spiralig nach der Seite des fehlenden Labyrinthes gedreht, und zwar je nach dem Grade der Grunddrehung um 90—180°. Ausserdem ist der Kopf bei stark DePfiuger"s Archiv Bd. 1548. 197. 1913. 144 R. Magnus: entwickelter Grunddrehung etwa 45° nach der Seite des fehlenden Labyrinthes gewendet, und die Sagittalachse des Kopfes steht etwa 45° nach unten. Abbildungen dieser Stellung siehe Abb. 1—3 bei Magnus-de Kleijn, Pflüger’s Archiv Bd. 154 S. 198. 1913. Nach rechtsseitiger Labyrinthexstirpation steht also der Kopf halb in Rückenlage, halb in linker Seitenlage, mit dem rechten Auge höher. Diese Lage ist für das Tier ausserordentlich unangenehm, und es fängt meistens sofort an, mit dem Vorderkörper heftige kreisende Bewegungen nach links auszuführen, bis es schliesslich ermüdet. Wenn das Tier seinen Kopf aus dieser für den Labyrinthstellreflex so ungünstigen Lage befreien will, so bleiben ihm dafür zwei Wege, welche beide tatsächlich benutzt werden. Entweder das Tier ver- stärkt die Rechtswendung des Kopfes, bis schliesslich das linke Auge nicht mehr nach unten, sondern nach der Seite sieht. Das er- fordert eine beträchtliche Muskelanstrengung, und die Lage lässt sich nur kurze Zeit aufrechterhalten. Tatsächlich habe ich diese Reaktion einigemal beim Kaninchen, besonders bei Thalamustieren, beobachten können; auch bei der Thalamuskatze ist sie nachweisbar. Häufiger dagegen äussert sich der Labyrinthstellreflex nur in der Weise, dass die Rechtswendung des Kopfes vermindert wird. ‚Zu einer wirk- lichen Linkswendung kommt es nur sehr selten und auch dann nur vorübergehend. Häufig dagegen ist in den ersten Tagen nach der Labyrinthexstirpation, wenn die Grunddrehung noch gering ist, bei Hängelage mit Kopf unten die Rechtswendung nicht ausgesprochen, und das Tier lässt seinen Kopf ziemlich vertikal nach unten hängen (Abb. 6 Tafel 1). Wenn der Kopf wirklich in rechte Seitenlage gebracht werden sollte, so müsste das Tier in dieser Lage seinen Kopf nach links wenden, und das kann offenbar gegenüber der Grunddrehung nicht geleistet werden; um so weniger, als die Grunddrehung gerade bei Rückenlage des Kopfes am kräftigsten ausgesprochen ist, weil der betreffende tonische Labyrinthreflex auf die Nackenmuskeln in dieser Lage sein Maximum hat. Es ist dieses die einzige Lage beim Kaninchen, in “welcher der Labyrinthstellreflex nur wenig zur Geltung kommt. In allen übrigen Lagen aber wird bei der Anwesenheit nur eines Labyrinthes durch den Labyrinthstellreflex der Kopf immer in eine derartige Lage gebracht bzw. einer derartigen Lage genähert, dass sich das intakte Labyrinth oben befindet. Bleiben wir bei dem Bei- spiel der rechtsseitigen Labyrinthexstirpation, so strebt der Labyrinth- Beiträge zum Problem der Körperstellung. II. 145 stellreflex, den Kopf in rechte Seitenlage zu bringen, in welcher sich das intakte linke Labyrinth oben befindet. In dieser Lage kommt der Kopf und das Tier zur Ruhe. Die von den Labyrinthen aus- gehenden Stellreize haben also in dieser Lage ihr Minimum. In allen anderen Lagen des Kopfes im Raume sind die Stellerregungen stärker und haben ihr Maximum, wenn das intakte Labyrinth sich bei Seiten- lage des Kopfes unten befindet. Unter diesen Bedingungen werden kräftige Stellreflexe auf den Kopf ausgelöst, welche dazu führen, dass der Kopf in die Ruhelage (in unserem Falle rechte Seitenlage) zurückgebracht wird. Kann das aus irgendwelchen Gründen nicht erreicht werden (Hängelage Kopf unten, Festhalten des Tieres), so erfolgen heftige Abwehrreaktionen, meist Kreisbewegungen des Vorder- körpers. Durch das Zusammenwirken der beiden Labyrinthe erklären sich die Labyrinthstellreflexe bei seitlichen Abweichungen des intakten Tieres. Wenn sich der Kopf in Normalstellung befindet, so stehen beide Labyrinthe in einer Mittelstellung zwischen Maximum und Minimum. Die Erregungen von beiden Seiten halten sich genau die Wase, und den Halsmuskeln fliessen beiderseits gleichstarke Impulse zu. Sobald sich der Kopf nach rechts oder links aus der Normalstellung entfernt, so gehen von dem nach unten gedrehten Labyrinth stärkere, von dem nach oben gedrehten schwächere Erregungen aus. Das Labyrinth, von welchem die stärkeren Erregungen ausgehen, ver- anlasst, wie in dieser Arbeit gezeigt wurde, derartige Kopfbewegungen, dass es nach oben kommt, dass also die Kopfabweichung aufgehoben wird. Sobald die Mittelstellung erreicht ist, halten sich die beider- seitigen Erregsungen wieder die Wage, und der Kopf bleibt in seiner Lage stehen. Auf diese Weise müssen die beiden Labyrinthe immer in der Weise zusammenarbeiten, dass der Kopf aus seitlichen Ab- weichungen in die Normalstellung zurückgebracht wird. Es ist selbstverständlich, dass auf Grund dieser Versuche mit einseitiger Labyrinthexstirpation sich nur diejenigen Labyrinthstell- reflexe erklären lassen, welche den Kopf aus asymmetrischen Lagen im Raume zur Normalstellung zurückführen. Wie es kommt, dass bei Normalstellung des Tieres, bei Hängelage mit Kopf oben und unten der Kopf immer in der gleichen Normalstellung gehalten wird, lässt sich hieraus nicht ableiten. Im Gegensatz zu den Labyrinthstellreflexen, welche durch das Mittelhirn vermittelt werden, steht die Grunddrehung, deren Zentren weiter kaudalwärts liegen, die bei einer anderen Lage des Kopfes im Raume ihr Maximum hat und die nicht wie die Labyrinthstellreflexe dem Kopfe eine bestimmte Stellung im Raume, sondern eine bestimmte Stellung zum Rumpfe gibt. Allerdings ist die Intensität der Drehung Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 10 146 | R. Magnus: von der Lage des Kopfes im Raume abhängis, aber die Grunddrehung führt doch immer zu einer gleichsinnigen Drehung des Kopfes gegen den Rumpf. Beide Reflexe müssen sich also, je nach der Lage des Tieres im. Raume, in ganz verschiedener Weise summieren oder sub- trahieren, so dass das Eindergebnis ein ziemlich verwickeltes ist. Da beide Reilexe vom Labyrinth ausgelöst werden, so war es'nur da- durch möglich, sie auseinanderzuhalten, dass nachgewiesen werden konnte, dass ihre Zentren verschiedene Lage im Zentralnervensystem haben, und dass man sie daher dort operativ trennen kann. Dadurch, dass die endgültige Kopfstellung des Tieres in der Luft dureh das Zusammenwirken zweier Reflexe bestimmt wird, von denen die. Grunddrehung bei verschiedenen Tieren und zu verschiedenen Zeiten nicht dieselbe Intensität ist, kommt es, dass sich die Maximum- und Minimumstellung für die Labyrinthstellreflexe nicht auf wenige Winkelgrade genau angeben lassen. Nur im allgemeinen lässt sich sagen, dass sich in der Minimumstellung der Kopf in Seitenlage mit dem intakten Labyrinth nach oben befindet, in der Maximumstelluns dagegen in der umgekehrten Seitenlage. Ob die wahren Maximum- und Minimumstellungen aber genau in Seitenlage oder um 20—30° nach verschiedenen Richtungen davon abweichend liegen, lässt sich durch die Beobachtung einseitig labyrinthloser Tiere nicht mit Sicher- heit feststellen: b) Die übrigen Stellreflexe. Die übrigen Stellreflexe sind nach einseitigem Labyrinthverlust genau in der gleichen Weise vorhanden wie bei Tieren mit intakten Labyrinthen. Sie brauchen daher hier nicht noch einmal ausführlich geschildert zu werden. Es sei dafür auf die erste Mitteilung verwiesen. Nur einzelne besonders deutliche Reaktionen seien hier noch kurz _ erwähnt. 1. Stellreflexe auf den Kopf durch Reizung der sensiblen Körpernerven. Wie in der ersten Mitteilung gezeigt wurde, bewirkt asymmetrische Erregung der sensiblen Körpernerven eine Drehung des Kopfes zur Normalstellung. Der Reflex ist am besten zu beobachten, wenn man labyrinthlose Tiere in Seitenlage auf. den Boden legt, dann wird der Kopf in die richtige Stellung im Raume gedreht. Derselbe Reflex lässt sich auch nachweisen, wenn man einseitig labyrinthlose Tiere in Seitenlage zuerst in der Luft hält, den Grad ihrer Kopfdrehung bestimmt und sie dann auf den Tisch legt. Legt man ein Tier, dem das rechte Labyrinth fehlt, in linker Seitenlage auf den Tisch, so wird die schon in der Luft sehr starke Kopfdrehung noch weiter ver- - Beiträge zum Problem der Körperstellung. II. 147 stärkt, und der Kopf kann, wenn er es in der Luft noch nicht war, vollständig um 180° in rechte Seitenlage herübergedreht werden. Lest man das Tier dagegen in rechter Seitenlage auf den Tisch, so wird häufig (nicht immer) die Grunddrehung noch weiter vermindert, als dieses schon durch den Labyrinthstellreflex der Fall war, und es kann vorkommen, dass der Kopf jetzt nach links gedreht wird, was der Labyrinthstellreflex allein in dieser Lage niemals zuwege bringen kann, und sich daher der Normalstellung nähert (Abb. 7 Tafel I). Das Tier war vorher in rechter Seitenlage in der Luft gehalten worden. Durch den Labyrinthstellreflex war die Grunddrehung gerade vollständig kompensiert worden, so dass das Tier in der Luft seinen Kopf genau in rechter Seitenlage hielt, also der Kopf nicht mehr gegen den Körper gedreht war. Sobald nun das Tier in rechter Seiten- lage auf den Tisch gelegt wurde, wurde der Kopf nach links gedreht (Abb. 7), und näherte sich bis auf 45° der Normalstellung. Wie gesagt, tritt dieser Reflex in rechter Seitenlage auf dem Tisch nicht ausnahms- los ein, liess sich aber bei einer Reihe von Tieren mit Sicherheit fest- stellen. Packt man ein rechtsseitig labyrinthloses Tier an der Haut der rechten Körperseite und hält es frei in der Luft, so wird durch diesen asymmetrischen Reiz die Rechtsdrehung des Kopfes vermindert, und das Tier hält sich ruhig. Packt man es dagegen an der Haut der linken Körperseite, so wird. die Rechtsdrehung des Kopfes vermehrt, und das Tier führt im Anschluss daran lebhafte kreisende Bewegungen mit seiner vorderen Körperhälfte aus, die man sofort dadurch be- enden kann, dass man die Haut der rechten Körperseite packt. Interessant ist auch folgende Beobachtung, die bei zahlreichen Tieren gemacht werden konnte. Auf Abb. 1 (Tafel I) wird das rechtsseitig labyrinthlose Tier am Becken in Normalstellung in der Luft gehalten. Der Kopf ist gegen den Thorax 90° gedreht und steht in rechter Seitenlage. Das Tier wird darauf auf den Tisch gesetzt, worauf die Kopfdrehung langsam abnimmt ‘und schliesslich nur 45° beträgt (Abb. 8 Tafel I). Der Versuch kann auch in der Weise angestellt werden, dass man zunächst das Tier an der Rückenhaut in der Luft in Normalstellung hält, um sicher zu sein, dass auch in der Luft der Thorax symmetrisch in Normalstellung steht, und nach Bestimmung der Kopfdrehung das Tier auf den Boden setzt. Auch dann sieht man sehr häufig eine Verminderung der Kopfdrehung eintreten. Ist die Grunddrehung nur schwach ausgesprochen, so kann es vorkommen, dass das Tier beim Sitz auf dem Boden den Kopf überhaupt nicht mehr gedreht hält. Auch bei stark ausgesprochener Grunddrehung, bei welcher das Tier in der Luft den Kopf um 180° gedreht hält, sieht man häufig beim 10 * 148 R. Magnus: Sitz auf dem Boden eine Verminderung der Drehung bis auf 90° eintreten. Der Versuch gelingt auch am Thalamustier und wird beim Tier mit intaktem Grosshirn nicht aufgehoben, wenn man die Augen verbindet. Dieser Reflex wird dadurch ausgelöst, dass das Tier mit seinen vier Pfoten den Boden berührt. Die in der ersten Mitteilung be- schriebenen Stellreflexe auf den Kopf durch Erresung der sensiblen Körpernerven wurden beobachtet bei Tieren, die entweder beide Labyrinthe intakt hatten oder bei denen beide Labyrinthe fehlten. Bei ihnen steht der Kopf symmetrisch. Die Stellreflexe werden bei ihnen ausgelöst durch asymmetrische Reizung der Körpernerven bei symmetrischem Kopfstand. In dem hier beschriebenen Versuche wird dagegen der Reflex ausgelöst durch symmetrische Reizung der Körpernerven beiasymmetrischem (gedrehtem) Kopfstande. Höchst- wahrscheinlich handelt es sich in diesem Falle um eine ‚Schaltung‘, deren Vorkommen bei den Stellreflexen ich schon in meiner ersten Mitteilung (S. 485) nachgewiesen habe. Infolge der Drehung des Kopfes befinden sich die Muskeln der beiden Halsseiten in verschiedenem Spannungszustand und infolgedessen in verschiedener Reflexbereit- schaft. Fliessen jetzt von den beiderseitigen Extremitäten, sobald diese den Boden berühren, Erregungen zu, so erfolst Kontraktion derjenigen Halsmuskeln, welche infolge der Drehung sich im Zustande stärkerer Dehnung befinden, und die Kopfdrehung wird vermindert. Der Versuch ist deshalb von Wichtigkeit, weil er zeigt, dass zu Stellreaktionen führende Erresungen nicht nur dann in das Zentral- nervensystem gelangen, wenn die Körpernerven asymmetrisch erregt werden, sondern auch, wenn symmetrische Reize einwirken. Letztere können allerdings bei symmetrischem Kopfstande, also bei normalen Tieren, keine Stellreaktionen auslösen. 2. Halsstellreflexe. Wenn man beim einseitig labyrinthlosen Kaninchen die Grund- drehung aufhebt und den Kopf gegen den Körper richtigstellt, so kann man, von dieser Normalhaltung ausgehend, alle Halsstellreflexe in genau derselben Weise auslösen, wie es in früheren Arbeiten für das normale!) und das Thalamuskaninchen°) geschildert wurde. Durch Drehen des Kopfes nach rechts oder links erzielt man die zugehörige Drehung des Beckens; man kann das Tier durch Kopfdrehen aus dem normalen Sitz in rechte oder linke Seitenlage umlegen und durch Rechtsetzen des Kopfes wieder in normalen Sitz zurückbringen usw. 1) BR. Magnus und A. de Kleijn, Pflüger’s Archiv Bd. 154 S. 163. 1913. 2) R. Magnus, Pflüger’s Archiv Bd. 163 S. 405. 1916. Beiträge zum Problem der Körperstellung. I. 149 Beim Kaninchen mit intaktem Grosshirn wird nach einseitiger Labyrinthexstirpation durch die hiernach auftretende Drehung des Kopfes nach der Seite des fehlenden Labyrinthes (Grunddrehung) eine hochgradige spiralige Drehung der ganzen Wirbelsäule hervor- gerufen !), welche monatelang anhält und sich jederzeit durch Recht- setzen des Kopfes rückgängig machen lässt. Es bleibt dann nur eine geringe Körperdrehung übrig, welche als direkte Labyrinthaustalls- folge anzusehen ist. Die durch die Halsdrehung hervorgerufene Drehung des Körpers beruht, wie ich früher eingehend dargelegt habe), auf einem Halsstellreflex und ist an das Vorhandensein von Zentren gebunden, welche vom Mittelhirn bis in die Brückengegend reichen. In welcher Weise derselbe auf die Haltung des Tieres in verschiedenen Körperlagen und vor allem beim normalen Sitz einwirkt, ist früher von uns eingehend geschildert worden°), so dass hier darauf verwiesen werden kann. Durch die starke spiralige Drehung des ganzen Körpers wird jedenfalls dem Tiere dauernd eine abnorme Haltung aufgezwungen, die in den ersten Tagen nach der Operation dem Tiere das Sitzen beträchtlich erschwert, und die es erst allmählich mit Hilfe des folgenden Reflexes überwinden lernen muss. 3. Stellreflexe auf den Körper durch asymmetrische Reizung der sensiblen Körpernerven. Am Thalamus- oder Mittelhirntier mit intakten Labyrinthen oder nach doppelseitiger Labyrinthexstirpation kann man nachweisen, dass auch, wenn der Kopf sich nicht in der Normalstellung befindet, der Körper zum normalen Sitz gebracht werden kann, wenn (durch den Druck der Unterlage u. dgl.) eine asymmetrische Erregung der sen- siblen Körpernerven erfolst?). Es wurde z. B. Bd. 163 S. 455 auf Abb. 23 ein Thalamuskaninchen abgebildet, dessen Kopf in linker Seitenlage festgehalten wurde und dessen Körper sich trotzdem auf- gesetzt hatte. Dieser Reflex ist der wichtigste, durch welchen das Kaninchen nach einseitigem Labyrinthverlust trotz der gedrehten Stellung seines Kopfes mit seinem Körper aufsitzen kann. Nach rechtsseitigem Labyrinthverlust ist das Tier bei rechter Seitenlage, wenn die Grund- drehung nicht besonders schwach ausgebildet ist und daher der auf Tafel I Abb. 7 abgebildete Mechanismus den Kopf der Normal- 1) R. Magnus und A. de Kleijn, Pflüger’s Archiv Bd. 154 8. 178. 1913. \ 2) R. Magnus, Pflüger’s Archiv Bd. 163 S. 451. 1916. 3) R. Magnus und A. de Kleijn, Pflüger’s Archiv Bd. 154 S. 194ff. 1913. 4) R. Magnus, Pflüger’s Archiv Bd. 163 S. 454. 1916. 150 R. Magnus: stellung nähern kann, allein auf diesen Stellreflex auf den Körper an- gewiesen. Bei manchen Tieren lässt es sich schon 24 Stunden nach einer schonend ausgeführten Labyrinthexstirpation nachweisen, dass der Körper aufsitzt, wenn der Kopf in rechter oder linker Seitenlage fest- gehalten wird, und nach wenigen Tagen ist dieses Vermögen bei allen Tieren voll ausgebildet. Nach der Entfernung des Grosshirns lässt sich meist wenige Stunden nach der Operation der Reflex in voller Wirksamkeit nachweisen. 4. Einfluss der Augen. Wie schon oben erwähnt wurde, ist der Einfluss der Augen auf die Erhaltung der Körperstellung des einseitig labyrinthlosen Kaninchens auffällig gering. Daher ist auch die Stellung des Kopfes bei Tieren mit offenen und verschlossenen Augen in den verschiedenen Lagen des Körpers im Raume grundsätzlich die gleiche. Thalamuskaninchen, welche ausser dem Pupillenreflex und dem reflektorischen Lidkneifen bei starker Belichtung keine optischen Reflexe zeigen, bieten in ihren Stellreflexen keinen Unterschied gegenüber Tieren mit intaktem Gross- hirn und offenen Augen. In einigen wenigen Fällen konnte ich beobachten, dba einseitig labyrinthlose Kaninchen, welche in kleinen, runden Käfigen mit ge- schlossenen Seitenwänden sassen, ihren Kopf etwas stärker gedreht hielten, als wenn sie frei in der Mitte des Zimmers auf dem Boden sassen und also optische Bilder bekamen. Gross war aber der Unter- schied nie und war auch nur in einer Minderheit der Fälle zu sehen. Es wäre möglich, dass es sich hierbei um einen geringen richtenden ‘Einfluss der Augen auf den Kopf handelt, doch wage ich es nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Dagegen haben wir schon früher zeigen können, dass einseitig labyrinthlose Kaninchen längere Zeit nach der Operation lernen, den abnormen Stand ihrer Vorderbeine mit Hilfe der Augen zu korrigieren, und dass solche Tiere, wenn man ihnen die Augen schliesst, sofort wieder das zur Operationsseite gekreuzte Vorderbein tonisch strecken (Abbildung Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 221 Abb. 8). Abgesehen hiervon habe ich aber keinen ausgesprochenen Einfluss der Augen auf die Körperstellung nach einseitigem Labyrinthverlust auffinden können. 5. Rollbewegungen. Anhangsweise sei erwähnt, dass die Rollbewegungen auch beim Thalamuskaninchen nach einseitigem Labyrinthverlust auftreten können. DEREN IR N Auuy Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. 174. Abb. 1. Abb. 2. Abb. 3. Abb. 4. I. Magnus, Problem der Körperstellung. Tafel 1. Abb. 6. 0 To Abb Abb. 8. Verlag von Julius Springer in Berlin. Beiträge zum Problem der Körperstellung. II. 151 Zusammenfassung. 1. Nach einseitiger Labyrinthexstirpation beim Kaninchen ent- wickelt sich eine allmählich an Stärke zunehmende Kopfdrehung {(Grunddrehung), welche auf einem einseitigen tonischen Einfluss des intakten Labyrinthes auf die Muskeln der zugehörigen Halsseite be- ruht. Die Drehung ist bei allen Lagen des Kopfes im Raume vorhanden, hat aber ihr Maximum, wenn der Kopf sich in Rückenlage mit etwas gehobener Schnauze befindet. Die Zentren für diesen tonischen Reflex liegen in der Medulla oblongata hinter der Eintrittsebene der Nervi T > Auf diese Grunddrehung setzt sich bei erhaltenem Mittelhirn der I neclcher auf, welcher dahin strebt, den Kopf im Raume in diejenige Seitenlage zu bringen, in welcher das erhaltene Labyrinth sich oben befindet. In dieser Stellung hat der Labyrinthstellreflex sein Minimum. Wenn das erhaltene Labyrinth sich unten befindet, hat der Labyrinthstellreflex sein Maximum. 3. Diejenigen Labyrinthstellreflexe auf den Kopf, durch welche der Kopf bei Erhaltensein beider Labyrinthe aus asymmetrischen Lagen im Raume in die Normalstellung zurückgeführt wird, erklären sich durch das Zusammenwirken der Erregungen aus beiden Laby- rinthen. Der Kopf kommt in einer derartigen Lage zur Ruhe, dass die Erregungen aus beiden Labyrinthen gleich stark sind. Sobald sich der Kopf aus der symmetrischen Lage entfernt, gehen von dem mehr nach unten befindlichen Labyrinth stärkere Erregungen aus, _ welche die Drehung des Kopfes in die Normalstellung bewirken. 4. Je nach der verschiedenen Lage des Körpers im Raume addieren oder subtrahieren sich, wie im einzelnen nachgewiesen wurde, Grund- (drehung und Labyrinthstellreflex bei Kaninchen mit einseitiger Laby- rinthexstirpation. 5. Die übrigen Stellreflexe lassen sich bei Kaninchen mit ein- seitigem Labyrinthverlust in normaler Weise nachweisen. Ein inter- essanter Fall von ‚Schaltung‘ wurde besonders besprochen. 6. Das Verhalten der Stellreflexe und der Körperstellung nach einseitigem Labyrinthverlust ist bei Kaninchen mit erhaltenem Gross- hirn und bei Thalamuskaninchen grundsätzlich dasselbe. Die Augen spielen beim Kaninchen nur eine geringe Rolle für die Erhaltung der normalen Körperstellung. Die Wasserstoffionen und die sekretorische Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse'). Von Prof. Dr. L. Popielski. (Aus dem Institut für experimentelle/Pharmakologie der Universität Lemberg.» (Eingegangen am 6. August 1918.) Säuren?), unmittelbar ins Duodenum eingeführt, rufen eine reich- liche Sekretion von Pankreassaft hervor. In normalen Verhältnissen gelangen freilich die Säuren fast nie im unveränderten Zustande ins Duodenum. In den Magen eingeführt, kommen sie nämlich mit ein- genommenen Speisen und deren Verdauungsprodukten in Berührung. Vor allem gilt dies von der Salzsäure des Magensaftes. Unter dem Einfluss der Eiweissverdauungsprodukte unterliegen die Säuren einer Umwandlung, indem sie mit Eiweisskörpern Verbindungen eingehen, in deren Form sie, zum Teil wenigstens, ins Duodenum übergehen. Die Salzsäure übt also ihren Einfluss auf die Schleimhaut des Duo- denums und des Dünndarmes nicht im reinen Zustande, sondern bereits, wenigstens zum Teil, verändert aus. Angesichts dessen war es nun von Wichtigkeit zu erfahren, was für einen Einfluss auf die sekretorische Tätigkeit der Bauchspeichel- drüse Säuren ausüben, und zwar sowohl anorganische wie auch organi- sche, die der Wirkung von durch den Magensaft entstandenen Eiweiss- verdauungsprodukten ausgesetzt worden waren. Derartige Bestand- teile enthält nun das allgemein bekannte Pepton Witte (=P.W.), ein Produkt der Verdauung des Fibrins durch den Magensaft. P. W. ‘setzt sich hauptsächlich aus Albumosen, einer kleinen Anzahl von Peptonen und anderen wenig bekannten Körpern zusammen. Um dieses P. W. auf die Säuren einwirken zu lassen, habe ich den letzteren eine bestimmte Menge von P. W. oder Kasein zugesetzt, und um die gegenseitige Einwirkung zu heben, habe ich das Gemisch 24 Stunden lang in Zimmertemperatur stehengelassen und von Zeit zu Zeit gründlich geschüttelt. Das Gemisch wurde immer filtriert, so dass 1) Die Hauptergebnisse dieser Arbeit sind der Akademie der Wissen - schaften in Krakau am 3. April 1916 vorgelegt worden. 2) L. Popielski, Über sekretorische Hemmungsnerven des Pankreas S. 54—57. St. Petersburg 1896. Dissertation (Russisch). Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 153 ich bei den Versuchen stets eine klare Flüssigkeit von hellgelber Farbe benutzen konnte. Diese Flüssigkeiten von Zimmertemperatur führte ich direkt ins Duodenum ein und beobachtete deren Einwirkung auf die Sekretion des Pankreassaftes. Zum Vergleich wurde auch der Einfluss reiner Säuren, die nicht der Einwirkung von P. W. ausgesetzt worden waren, herangezogen. Die Untersuchungen habe ich in akuter Form an vier, in chronischer an sechs Hunden ausgeführt. Die akute Untersuchungsmethode ist sehr einfach. Unter Benutzung von Curare oder nach Durchschneidung des Rückenmarkes unterhalb der Medulla oblongata legte ich eine temporäre Pankreasfistel an und führte ins Duodenum eine Kanüle ein zum Eingiessen der Flüssigkeiten. Die chronische Untersuchungsmethode dagegen weist viel mehr Kompli- ziertheit auf. Jeder Hund hatte zwei: eine Duodenal- und eine Pankreas- fistel. Die erstere diente zum Kingiessen von Flüssigkeiten und Ein- führen des Katheters mit einem Bläschen, das, mit Luft angefüllt, die Verbindung zwischen dem Magen und dem Darm ausschaltete. Um zu kontrollieren, ob die ins Duodenum eingeführte Flüssig- keit nicht in den Magen gelanst, legte ich bei mänchen Hunden noch eine Magenfistel an. Alle drei Operationen habe ich manchmal gleich- zeitig ausgeführt. Gelingen sie, so halten sich die Hunde ungefähr 2—3 Wochen lang nach der Operation ganz wohl. Nach dieser Zeit aber beginnt eine reichliche Pankreassaftsekretion, begleitet von starker Ab- magerung, und die Hunde gehen zugrunde. Das zweimalige Anlegen einer Duodenal- und Pankreasfistel zeitigt gewöhnlich derartige Folgen nicht; die Hunde halten sich lange wohl. Gewöhnlich legte ich die Pankreas- und Magenfistel gleichzeitig, erst nach einer Zeit aber die Duodenalfistel an. Manchmal dagegen waren es die Magen- und Duodenalfistel, die zugleich angelegt wurden; die Pankreasfistel aber folgte später. Die Schwierigkeiten, denen man bei der Operation begegnet, sind enorm, lassen sich aber bei einigermaassen erlangter Übung überwinden. Viel schwieriger aber ist es, die Tiere längere Zeit am Leben zu erhalten. Die grösste Gefahr liegt im Pankreassaft, von dem die Haut des Bauches und der Extremitäten reichlich benetzt wird. Dieselbe unterliegt der Verdauung durch Trypsin, wird rot, und so entstehen Wunden. Ausser- dem zersetzt sich der Saft und entwickelt dabei einen äusserst wider- lichen Geruch. In kurzer Zeit verlieren die Tiere den Appetit, werden immer magerer und krepieren unter Anzeichen äusserster Erschöpfung. Um dem vorzubeugen, muss den Tieren flüssige Nahrung, und zwar überwiegend Milch verabreicht werden. Ausserdem müssen sie aufs ge- naueste trockengehalten werden und auf trockenen Holzspänen ruhen. Sehr angezeigt ist es auch, die Hunde für einige Stunden im Gestell zu belassen, um den Saft zu sammeln. Am besten aber hat sich von all den Mitteln, die die Haut vor Ätzung durch den Pankreassaft sichern, das- “ jenige bewährt, welches ich!) im Jahre 1902 angewandt habe. Es beruht darauf, dass die Mucosa papillae Duodeni gänzlich ausgeschnitten wird. Infolgedessen zieht sich beim Einwachsen der Fistel in die Haut das Narbengewebe zusammen und verschliesst auf diese Weise das Lumen der Fistel. Demzufolge findet die Saftsekretion nur dann statt, wenn 1) Popielski, Über die verschiedenen Eigenschaften des Pankreas- saftes (Russisch). Russkij Wraez 1902 Nr. 34. Sep.-Abdr. $. 24. 154. L. Popielski: wir in die Fistel eine Kanüle einführen. Dazu kommt noch, dass der unter diesen Verhältnissen ausfliessende Saft kein Trypsin, sondern bloss Protrypsin enthält, welch letzteres sich erst bei Berührung mit der Schleim - haut der Papillae durch Wirkung von Enterokinase in Trypsin verwandelt. Um dem völligen Verwachsen der Fistel vorzubeugen, muss man sie un- bedingt zweimal des Tages kateterisieren. Was die Flüssigkeiten selbst anbelangt, so habe ich sie immer bei Zimmertemperatur und bei allen Versuchen womöglich gleich lange Zeit eingeführt. Da die Flüssigkeit durch einen Trichter, welcher mittels eines Gummischlauches mit dem Duodenum verbunden war, nicht immer rasch genug einströmte, so bediente ich mich, um die Einführungszeit möglichst gleichmässig gestalten zu können, einer Injektionsspritze. Die Kost der Hunde blieb stets dieselbe, und zwar gewöhnlich Milch mit Weissbrot oder Reis. Die letzte Fütterung, der der Versuch folgte, war am Vortage 6 Uhr abends. Die Magenfistel, wo dieselbe vorhanden war, blieb während des Experiments offen, zwecks Kontrolle, ob nicht die ins Duodenum eingeführte Flüssigkeit in den Magen gelangt. Bevor ich nun zur Analyse schreite, halte ich es für zweckmässig, einige von den Versuchen selbst näher zu besprechen. Versuch I. 22. Dezember 1913. Hund von 13700 g Gewicht, mit drei Fisteln: Magen-, Duodenal- und Pankreasfistel zweizeitig angelegt, zuletzt die Magenfistel am 13. Dezember 1913. In den Zwölffingerdarm wurde ein Bläschen eingeführt und aufgeblasen, um die Verbindung zwischen Magen und Darm aufzuheben. Vor allem beschloss ich: 1. die Wirkung des reinen, normalen Magen- saftes und 2. die Wirkung desselben in Verbindung mit Verdauungs- produkten des Kaseins zu untersuchen. Zu diesem Zwecke habe ich 20 g Kasein mit 200 g reinen (bei Scheinfütterung erhaltenen) Magensaftes vom Hunde gemischt, 4 Tage im Thermostaten gehalten und während dieser Zeit oft gründlich geschüttelt. Dann brachte ich die Mischung auf ihr ursprüngliches Volum und filtrierte. Das Filtrat wurde zum Ver- suche benützt. Von 9h 45°—9h 49’ wurden ins Duodenum 100 cem des mit Kasein versetzten Magensaftes eingeführt. Bis 10h 30’, während 45’, wurden 20 ccm Pankreassaft gesammelt. 1 Von 10h 40’—10h 44’ wurden 100 cem 10 n-Essigsäure + 12,5 P.W. eingeführt. Bis 1!h 15’ 5,5 cem Pankreassaft gesammelt. Von 11h 16’°—11h 20’ wurden 100 cem reinen Magensaftes ins Duode- num eingeführt. Bis 12h, während 45’, 36,6 cem Pankreassaft gesammelt, also um 16,6 cem mehr, als nach dem mit Kasein versetzten Magensaft. Versuch II. 27. Dezember 1913. Derselbe Hund von 13500 g Gewicht. 1 Von 7h 45’—7h 49’ wurden ins Duodenum 100 cem o n-Essigsäure + 12,5 P.W. eingeführt. Bis Sh 20’ 4,1 ccm Pankreassaft gesammelt. Von 8h 21’—8h 25’ 100 ccm derselben Essigsäure + 12,5 P. W. ins Duodenum eingeführt. Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 155 Um 9h 5’ 4 cem Pankreassaft gesammelt. Von 9h 10’—-9h 14’ wurden 100 ccm ‚9 Weinsäure + 12,5 W.P. eingeführt. Bis 9h 50’ wurden 9,2 cem gesammelt. Versuch II. 27. Dezember 1913. Derselbe Hund von 12500 g Gewicht. B : n RE Um 8h 3’ wurden ins Duodenum 100 cem reiner 10 -Weinsäure -- 25 H,O eingeführt. Bis Sh 33” 20,9 ccm Pankreassaft gesammelt. Versuch IV. 29. Dezember 1913. Derselbe Hund von 10000 g Ge- wieht. Seit dem 28. Dezember frisst das Tier nichts, trinkt wenig, sehr abgemagert. Um 11h 38’ wurden ins Duodenum 100 ccm =. -Salzsäure eingeführt. Bis 12h 15° 5 ccm Pankreassaft gesammelt. Um 12h 15’ wurden 100 com” —-HCI + 12,5 P. W. ins Duodenum eingeführt. Bis 12h 45’ 1,9 ccm Pankreassaft gesammelt. Um 1h 5’ 100 ccm 1, Zitronensäure eingeführt. Bis 1h 35° 3 cem Pankreassaft gesammelt. Um 2h 100 ccm , Zitronensäure + 12,5 P. W. eingeführt. Bis 2h 35” 2,2 ccm Pankreassaft gesammelt. Am 31. Dezember 1913 war der Hund tot. Er lebte nach der letzten Operation 18 Tage. Die Saftmengen im Versuch IV sind gering, was angesichts dessen, dass der Hund sehr wenig getrunken hatte, leicht erklärlich ist. Versuch V. 14. Juli 1913. Hund ‚‚Nero‘‘, 27 kg Gewicht, mit drei Fisteln: Magen-, Pankreas- und Duodenalfistel. Die Duodenalfistel am 1. Juli 1913 angelest. Vor dem Versuch wurde, wie gewöhnlich, das Bläschen in das Duodenum eingeführt und aufgeblasen. Um 10h 35° wurden ins Duodenum 120 cem 280, eingeführt. Bis 11h 35’ wurden 16,2 ccm Pankreassaft gesammelt. Um !lh 55° 100 cem 8:80, + 20 P. W. eingeführt. Bis 12h 45’ 3,3 cem Pankreassaft gesammelt. Um 12h 45’ 100 cem 3%iger NaCl eingeführt. Die Sekretion war sehr spärlich. Binnen 25’ wurden 1,1 ccm gesammelt. Um 1h 25’ wurden 100 cem 6%iger NaCl eingeführt. Während 25° 1,1 ccm Pankreassaft gesammelt. Versuch VI. 12. März 1913. Hund ‚„‚Bury‘“, 20 kg Gewicht, mit Pankreas- und Duodenalfistel. Um 9h 55° wurden ins Duodenum 50 cem 0,18% iger HCl + 5,5 P. W. eingeführt. Bis 10h 45’ wurden 0,8 ccm Pankreassaft gesammelt. 156 L. Popielski: r Um 10h 48’ 50 cem 0,18 %iger HCl + 5 g Wasser ins Duodenum eingeführt. Bis 11h 30° 4,1 ccm Pankreassaft gesammelt. Versuch VII. 14. März 1913. Derselbe Hund, 20 kg Gewicht. Um 8h 58° wurden ins Duodenum 50 cem 0,30 %iger HCl + 4,25 P. W. eingeführt. Bis 9h 35’ wurden 5,9 ccm Pankreassaft gesammelt. Um 10h 35’ 50 cem „sa +5 P.W. eingeführt. Bis 11h 5’ 4,4 ccm Pankreassaft gesammelt. 1 Um 11h 5° 50 cem a + P.W. mit ungefähr 0,18 %igem Gehalt an freier Salzsäure bei Diamidoazobenzol als Indikator ins Duodenum eingeführt. Bis 11h 50° 7,9 cem Pankreassaft gesammelt. Um 11h 50’ 50 cem 0,18 %iger HCl eingeführt. Bis 12h 35° 9,4 ccm Pankreassaft gesammelt. Versuch VII. 25. Februar 1914. Hund ‚Czarny“, 14 kg Gewicht, mit drei Fisteln. Alle gleichzeitig am 14. Februar 1914 angelegt. Ins Duodenum wurde das Bläschen eingeführt und aufgeblasen. Um 9h 48° wurden ins Duodenum 100 cem me! eingeführt; Bis 10h 45’ 22,5 ccm Pankreassaft gesammelt. Um 10h 45’ ins Duodenum 100 ccm made 110,5 PaWa eingeführt. Bis 11h 20’ 10,8 ccm Pankreassaft gesammelt. Um 11h’ 227 100’cem = -Essigsäure eingeführt. Bis 12h 5° wurden 12 ccm Pankreassaft gesammelt. Um 12h 9’ 100 cem nr -Essigsäure + 12,5 P. W. eingeführt. Bis Ih wurden 9,5 ccm Pankreassaft gesammelt. Versuch IX. 27. Februar 1914. Derselbe Hund, 13700 & Gewicht. Katheter mit Bläschen ins Duodenum eingeführt. n 2 Um 9h 5’ ins Duodenum 100 cem In ebiue 119,5 P. W. ein- geführt. Bis 9h 35’ 7,7 cem Pankreassaft gesammelt. E >) > 2 ı ei Um 9h 55’ ins Duodenum 100 cem „ Oxalsäure eingeführt. Bis 10h 30’ 15,6 ccm Pankreassaft gesammelt. Um 10h 30’ 100 cem - -Milchsäure + 12,5 P. W. ins Duodenum ein- geführt. Bis 11h 1,5 cem Pankreassaft gesammelt. Um 215221007 cem! -, Milchsäure ins Duodenum eingeführt.‘ Bis 11h 45’ 16 ccm Pankreassaft gesammelt. Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 157 Versuch X. 2. März 1914. Derselbe Hund, 12 kg Gewicht. Um 9h 25’ wurden 100 cem _ -Phosphorsäure + 12,5 P. W. eingeführt. Bis 9h 55’ wurden 2 cem Pankreassaft gesammelt. n Um 10h 5° wurden 100 cem N lee eingeführt. Bis 10h 35’ wurden 16,7 cem Pankreassaft gesammelt. Am folgenden Tage, 3. März 1914, der Hund tot gefunden. Im Duo- denum ist die Schleimhaut gerötet, als Folge von reizender Wirkung der wiederholt eingeführten Säure. Bei den akuten Versuchen, zu denen ich nun übergehe, wurden die Saftmengen mittels Millimeterteilstrichen auf einem horizontalliegenden und mit dem Dwuctus Wirsungiamy verbundenen Glasröhrchen be- stimmt. Als Sekretionsmaass wurde die Zahl der Teilstriche gewählt, um die sich die Saftsäule während einer Minute in einem Röhrchen von 1—11, mm Durchmesser verschob. Je 100 Teilstriche entsprechen un- gefähr 1 cem Saft. Versuch XI. 10. Februar 1913. Hund von 61% kg Gewicht. 3 cem 1% iger Curare. Pankreasfistel. Ins Duodenum eine Kanüle zum Ein- giessen der Flüssigkeiten eingeführt. Nach der Einführung von 15 cem mi + P.W. (60 cem ya 2 18 P. W.) ins Duodenum betrug die Sekretion während einer halben Stunde nur 10 Teilstriche —= 0,1 ccm. Nach Eimführung von 15 ccm Ha + Wasser (60 ccm ja .- 18 destill. Wasser) betrug sie für eine halbe Stunde 1327 Teilstriche — 13,27 eem Pankreassaftes. Versuch XH. 15. Februar 1913. Hund von 81, kg Gewicht, sonst wie oben. Nach Einführung von 15 cem 0,20 %iger HCl 300 Teilstriche in einer halben Stunde, d. i. 3 cem abgesondert. Nach Einführung von 15 cem Ha + P.W. (60 cem Ha + 9 ecem 40 %iger P. W.) mit ungefähr 6,27% freier Säure wurden während einer halben Stunde 513 Teilstriche — 5,13 ecm abgesondert. Versuch XII. 21. Februar 1913. Hund von 11%, kg Gewicht, sonst wie oben. Nach 20 cen Ha +5 W. (50 cecı Ha + 30 ccm 20 %Wiger P. W.) betrug die Sekretion 203 Teilstriche — 2,03 cem während 25’. Nach 20 cem sa (30 cem ae + 30 cem Wasser) betrug sie 495 Teilstriche — 4,95 cem. Nach 20 cem 1, Essigsäure 1 BW. (00. ccm 1, Essigsäure + 18 ccm 40 %iger P. W.) betrug sie 205 Teilstriche = 2,05 cem für 16. Nach 20 cem 1, Essigsäure (60 ccm 1, Essigsäure + 18 destill. Wasser) wurden in 16’ 222 Teilstriche — 2,22 eem abgesondert. 158 L. Popielski: Versuch XIV. 26. Februar 1913. Hund von 11 kg Gewicht, vorbereitet wie oben. Nach 30 cem Ha + P. W. (100 cem Ha + 6. P. W.) betrug die Sekretion 244 Teilstriche = 2,44 cem für eine halbe Stunde. Nach 30 cem Ha + P.W. (100 ccm a + 12 P. W.) betrug sie in einer halben Stunde 24 Teilstriche = 0,24 ccm. Zum Vergleich eignen sich vor allem Zahlen, die bei ein und dem- selben Versuch erhalten wurden. Ferner kann man auch die Zahlen, die man bei verschiedenen Versuchen, doch bei demselben Hunde erhalten hat, miteinander vergleichen. Selbstverständlich sind für solch einen Vergleich nur chronische Versuche geeignet. Schwerer ist es schon, Zahlen von verschiedenen Hunden in Vergleich zu ziehen, es seiauch, dass die Tiere gleichen Gewichtes und von gleicher Grösse waren. Die Mengen des Pankreassaftes wurden für die ganze Periode der Sekretion, d. h. gewöhnlich für 30’—45’, bestimmt. In dem Augen- blicke, wo die Sekretion wieder jener glich, welche vor der Einführung der betreffenden Flüssigkeit ins Duodenum beobachtet worden war, musste die Sekretion als beendet betrachtet werden. Sollte der Saft über diese Periode hinaus gesammelt werden, müssten wir grössere Zahlen bekommen. Die Genauigkeit der Zahlen der Saftmengen wird hauptsächlich bedinst: durch die Geschwindigkeit und Kraft des Einführens der Flüssigkeiten ins Duodenum, weiter durch die Tem- peratur der Flüssigkeiten und endlich durch die Menge und Reaktion des Darminhaltes. Da aber diese Bedingungen nicht immer gleich sind und sich nicht genau voraussehen lassen (wie z. B. der Darm- inhalt), so sind auch die Zahlen für den Pankreassaft nicht absolut exakt. Dieser Vorbehalt: ist von Wichtigkeit namentlich beim Ver- gleich der erhaltenen Zahlen, da dieselben von den theoretisch er- mittelten abweichen können. Schwieriger ist es, die Grenzen der Irrtümer zu bestimmen. Um das Versuchsmaterial fassbarer zu gestalten, lasse ich einen kurzen Überblick über die Resultate der angestellten Versuche folgen. Alle Säuren, sowohl organische als auch anorganische, rufen nach Zugabe von P. W. eine geringere Pankreassaftsekretion hervor. Alle, mit Ausnahme von Essig- und Zitronensäure, bewirken nach. der n Zugabe von 12,5 P. W. zu 100 cem uns eine zwei- bis zehnmal schwächere Absonderung hervor. Im allgemeinen ist die Absonderung desto schwächer, je mehr P. W. der Säure beigemengt wurde. So z. B. bewirkten 100 cem ie +12,5 cem P.W. eine Sekretion von Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 159 n 1,9 ecm gegen 5 ccm nach 100 cem reiner To un Bei dem- selben Hund gelansten nach 50 cem 0,36 %iger HCl +4,25 P.W. n 2,5 ccm zur Absonderung; nach 50 ccm Tl +2,5 P.W. (von 0,27%, freier Säure bei Diamidoazobenzol als Indikator) 15 ccm; nach 50 ccm 0,18% iger HCl dagegen 9 ccm. Das Verhältnis zwischen der Pankreassaftquantität, die den zwei letzten Flüssigkeiten folgte, gleicht beinahe dem Konzentrationsverhältnis der freien Salzsäure beider Flüssigkeiten. Konzentrationsverhältnis der Säuren — 27:18 — 9:6. Quantitätsverhältnis des Pankreassaftes = 15:9 = 10:6. Nach 0,36% HCl mit Zugabe von 3 P.W. auf 100 ccm bekam man 244 Teilstriche — 2,44 ccm ab, nach derselben Flüssigkeitsmenge aber mit Zugabe von 6 P. W. auf 100 cem 0,36 % iger HCl nur 24 Teil- striche — 0,24 cem, also'nur ein Zehntel der vorigen Menge. ‘n Der Schwefelsäure mit Zugabe von 20 P. W. auf 100 ccm 10 sung a | folgten 3,3 ccm, dagegen der reinen wa 16,2 ccm: das ist also fünfmal mehr. In einem anderen Versuche bewirkte dieselbe Lösung P. W. mit n Lösung H,SO, eine Sekretion von 0,4 ccm, reine ee dagegen 2 ccm, d. h. fünfmal mehr. Phosphorsäure mit einer Zugabe von 12,5 P.W. auf 100 ccm n n as führte eine Absonderung von 1,6 cem herbei, m allein hingegen 16,7 ccm, somit zehnmal mehr. Nach 100 ccm \ Milchsäure — 12,5 P.W. bekam man 1,5 ccm, n nach- reiner I ozun> derselben Säure dagegen 16 ccm, das heisst . ungefähr zehnmal soviel. n Nach :100 cem Tu un —+ 12,5 P.W. wurden 9,2 ccm er- n halten, nach 100 ccm reiner we aber 20,9 ccm; das ist beinahe 21,mal mehr. Nach 100 ccm 1 Essigsäure + 12,5 P.W. habe ich 160 L. Popielski: ER 10 cem erhalten, nach 100 cem mas allein 12 cem; das ist 1,2mal mehr. Merkwürdig ist es, dass das Verhältnis der Saftmengen, die unter n dem Einfluss reiner en erhalten wurden, zu denjenigen nach Einwirkung der Säuren mit Zugabe von 12,5—20 P. W. auf 100 cem in allen Versuchen denselben Wert behält. Dies trifft wenigstens für die Essig-, Salz- und Schwefelsäure zu, mit welchen derartige Ver- suche angestellt worden waren. Für die Salzsäure ist das Verhältnis = 2:1 Für die Schwefelsäure „, .; ” —Z Dal, Für die Essigsäure as " el Treten wir nun an die Analyse der erhaltenen Erscheinungen heran. Die ins Duodenum eingeführten Säuren sind als Erreger anzusehen, die auf die Schleimhaut des Darmes einwirken und so die Pankreas- saftsekretion herbeiführen. Wovon ist nun die die Säurekraft herab- setzende Wirkung von P. W. abhängig? Indem wir so die Frage stellen, setzen wir voraus, dass die Wirkung nicht über die Schleim- hautgrenze des Duodenums reicht. Dies angenommen, können wir über die Wirkungsweise des P. W. folgende drei Vermutungen aus- sprechen: 1. P.W. wirkt im Gegensatz zu den Säuren hemmend auf die sekretorische Tätigkeit des Pankreas. Die Grundlage dieser Annahme bildet die von mir!) entdeckte Tatsache, dass für die Bauchspeichel- drüse sekretionshemmende Nerven existieren; 2. P.W. überzieht die Schleimhaut mit einer Schicht klebriger Albumosen, erlaubt daher nicht den un mit dieser in Berührung zu kommen; 3. P.W. geht mit den. Säuren Verbindungen ein und vermindert auf diese Weise die Konzentration freier H-Ionen in denselben. Betrachten wir jetzt die Bedeutung eines jeden der eben angeführten Faktoren. Die hemmende Wirkung von P.W. ist zweifelhaft und wenig wahrscheinlich angesichts der Tatsache, dass die Essigsäure nach n Zugabe von sogar 20 P. W. auf 100 ccm 19 ösung eine nicht: viel schwächere Sekretion wie reine Essigsäure hervorruft. Ferner hemmt P. W. in 20 %iger Lösung allein, ins Duodenum eingeführt, die Sekretion Deka kopıelskı lc Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 161 nieht, welche durch die in den Dünndarm eingeführte HCl-Säure hervorgerufen wird. Der zweite Punkt ist beachtenswert. Dozent Dr. Studzinski!) zeigte, dass eine konzentrierte 10 %ige Seifenlösung (Na-oleinieum), ins Duodenum eingeführt, die Schleimhaut beklebt und die Pankreas- sekretion aufhebt, indem sie Reize nicht zulässt. Dieser Punkt hat aber in meinen oben angeführten Versuchen keine Bedeutung. Die Essigsäure nämlich, welche 20 P. W. pro 100 ccm enthält, bewirkt eine nieht viel schwächere Sekretion wie die reine Säure. Die Ver- suche aber mit der Essigsäure schliessen noch nicht die zweite Ver- mutung aus, und zwar deshalb, weil die Essigsäure ein flüchtiger Körper ist, welcher sogar durch eine dicke Albumosenschicht zur Schleimhaut gelangt. Was dies anbelangt, wäre jedoch zu bemerken, dass die Flüchtigkeit der Säuren hier keine wesentliche Rolle spielt. Die Oxal- und Zitronensäuren nämlich, die keine flüchtigen Körper sind, rufen nach Zugabe von P. W. eine nicht viel geringere Sekretion hervor als in reinen dezinormalen Lösungen. Wenn wir annehmen, dass P. W. mechanisch wirkt, indem es die Darmschleimhaut beklebt, so müsste seine Wirkung in allen Fällen, wo wir dieselbe Menge einführen, die gleiche sein. Demgegenüber liefern die Versuche ein ganz anderes Ergebnis. So zum Beispiel gelangten bei einem und demselben Hund nach 50 cem 0,18% iger HCl — 5,5 P. W. 0,8 ccm zur Absonderung, während die- selbe Menge von P. W., der 0,30% HCl zugegeben, die Sekretion nicht gehemmt hat, denn es wurden 10 ccm Pankreassaft gesammelt. Die Vermutung endlich, dass die Beklebung die Ursache der hemmenden Wirkung von P.W. ist, ist auch deswegen zu verwerfen, weil P.W. sich neben den Säuren nicht wie eine mechanische, indifferente Bei- mischung verhält, sondern mit den Säuren eine chemische Verbindung eingeht, die man ganz sicher feststellen kann. In den anorganischen Säuren kann man nach Zugabe von mindestens 12,5 P. W. pro 100 ccm Lösung mittels Tropaeolin, Kongo und Diamidoazobenzol die An- wesenheit der freien anorganischen Säuren nicht feststellen. Das Fehlen der Reaktion auf die freien Säuren mittels der eben angeführten Reagenzien beweist zwar noch nicht, dass freie Säuren in den zu unter- suchenden Lösungen nicht vorkommen, zeigt aber ganz sicher an, dass zwischen P. W. und den Säuren eine wohl wahrnehmbare Wirkung stattfindet. Einen Beweis für eine chemische Veränderung der mit P. W. gemengten Säuren liefert eine einfache physiologische Reaktion: 1) J. Studzinski, Über den Einfluss der Fette und Seifen auf die sekretorische Fähigkeit des Pankreas. Internat. Beiträge von Pathologie und Therapie. Bd. 3 Heft 3. Sep.-Abdr. S. 30, 39. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 11 162 ar L. Popielski: nach Zugabe einer genügenden Menge von P. W. vermögen wir näm- lich nicht mehr die Säure durch den Geschmack zu bemerken. So wären also die beiden ersten Annahmen zu verwerfen. Es bleibt noch die dritte, dass P. W. die Zahl der freien H’-Ionen und dadurch die Kraft der auf die Darmschleimhaut wirkenden Reize vermindert. Wären die freien Säuren die Ursache der Pankreassaftsekretion, so müssten die freien dezinormalen Säuren allein die Pankreassaft- sekretion in dem Maasse hervorrufen, der dem Gehalt der freien Wasserstoffionen in den Säuren entsprechen würde. Um diese An- nahme auf ihre Richtigkeit zu prüfen, müssen wir zuerst die Zahl der H’-Ionen in den betreffenden Säuren kennen lernen. Diese Zahlen erlangen wir mittels verschiedener Methoden, von denen diejenige der Bestimmung der elektromotorischen Kraft mittels Gasketten zu den besten Ergebnissen führt. Die Methode ist von Hamburger!) und Michaelis?) genau beschrieben worden. Sie leistet Gewähr, dass die Veränderungen der elektromotorischen Kraft rein von Verände- rungen der Wasserstoffionenkonzentration abhängig sind, d. h. von Veränderungen, die durch P. W. verursacht werden, jedoch nicht durch die Anwesenheit des P.W. allein. Diese Wirkung besteht, lässt sich aber nicht beobachten. Wenn wir die Zahl der H’-Ionen in den Säuren 4 P: W. bestimmen wollen, so müssen wir bedenken, dass das Ca, welches in P. W. in 0,0748% sich befindet, und auch Salze anderer Metalle, welche nach meinen Bestimmungen 2,5%, be- tragen, diese Zahl vermindern kann. Doch ist Ca und andere Metalle in P.W. wahrscheinlich in Verbindung mit Albumosen enthalten. Falls es sich wirklich so verhält, würden dieselben keine Wirkung auf die H’-Ionenkonzentration ausüben können. Wäre Ca neben anderen mineralischen Bestandteilen (2,5%) als Mineralsalze vor- handen, so bliebe sein Einfluss auf die elektromotorische Kraft bei allen Säuren derselbe. Die elektromotorische Kraft wird als Potential- differenz der Elektroden bezeichnet, deren eine in die zu unter- suchende Flüssigkeit eingetaucht ist, die andere dagegen eine Normal- Wasserstoffelektrode darstellt. Je kleiner die Differenz zwischen der H’-Ionenzahl an beiden Elektroden, desto kleiner auch die elektro- motorische Kraft, weil die Potentialdifferenz kleiner wird. Wird hin- gegen der Säure P. W. zugegeben und es vermindert sich die H’- lIonenzahl, so wird die Potentialdifferenz beider Elektroden dann grösser; es wächst also auch die elektromotorische Kraft. Die Messungen der elektromotorischen Kraft (E) wurden von 1) Hamburger, Osmotische Druck- und Ionenlehre Bd. 2, S. 332. Wiesbaden 1904, 2) L. Michaelis, Die Bestimmung der Wasserstoffionenkonzentration durch Gasketten. Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden von E. Abderhalden, Bd. 5. Teil I. S. 500. Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 163 Dr. Zacharski unter Leitung des Doz. Dr. Kling im Institut für allgemeine Chemie an der Universität Lemberg ausgeführt. Um die Verhältnisse zwischen der elektromotorischen Kraft und der Pankreassaftmenge klarzulegen, führe ich Tabellen 1 und 2 an. Man findet hier die Ergebnisse der Versuche, die an ein und dem- selben Hunde ausgeführt wurden und sich somit zum Vergleiche eignen (Versuche VIII, IX, X), zusammengestellt. Tabelle 1. Reine Säuren (100 cem). E Saftmenge Salzsaure 7 2720027220%0691 22,05 cem. RO xalsaure, 2 232770:0975 160 3. Phosphorsäure . . . 0,1253 116:2.07 5; 4. Milchsäure . . . . . 0.1481 16,00 „, 5. Essigsäure . . . ... 0,1683 12,007 In Tabelle 1 sind: die Säuren der Grösse der elektromotorischen Kraft gemäss angeordnet. Dementsprechend nehmen die Mengen von Pankreassaft ab. Die grösste Saftmenge folgte der Salzsäure, welche die elektromotorische Kraft 0,0691 zeigt ; die geringste Menge (= 12 ccm) lieferte die Essigsäure, der die elektromotorische Kraft 0,1683 entspricht. Die Differenz zwischen den E beider Säuren ergibt 0,10; die Differenz zwischen den Saftmengen — 10 cem. Doch lässt sich für andere Säuren solch ein Verhältnis nicht feststellen. In Tabelle 1 nimmt die Oxalsäure im Vergleich mit der Pankreassaftmenge den dritten Platz ein, während sie im Vergleich mit der elektromotorischen Kraft den zweiten Platz erhalten sollte. Wenn wir aber die Genauig- keitsgrenzen für die Zahlen des Pankreassaftes, welche für Mengen über 10 cem 1,5—2 cem betragen, in Betracht ziehen, so gelangen wir zur Überzeugung, dass diese Abweichung die Schlussfolgerung, die aus Tabelle 1 resultiert, und zwar, dass die Pankreassaftmenge mit dem Zuwachs der elektromotorischen Kraft abnimmt, nicht be- einträchtigt. Die Tabelle 1 bestätigt die dritte Annahme, dass nämlich die H’-Ionen die Pankreassaftsekretion verursachen, wobei diese desto reichlicher ist, je mehr H’-Ionen die Säuren enthalten. Tabelle 2. 100 ccm 1, Säuren Se 1 RT E Saftmenge 1. Phosphorsäure . . . 0,4588 1,6 cem 2 Vilehsaure 0. 22727720:4151 ld; DO xalsauree ld TED 55 Salzsaure lt MI02ER 5. Essigsäure . . . . . 0,2888 0,0% 164 L. Popielski: Wenn wir das oben über die Genauigkeitsgrenzen der Zahlen für den Pankreassaft Gesagte berücksichtigen, so können wir die Zahlen von Tabelle 2 als einen ausgezeichneten Beweis für die Anschauung betrachten, dass nämlich in den Säuren die H’-Ionen als Erreger an- zusehen sind. Von allen Säuren besitzen die Phosphor- und Milch- säure in Gegenwart von P. W. die höchsten Werte für die elektro- motorische Kraft; beide rufen, wie aus Tabelle 2 ersichtlich, geradezu minimale Sekretion hervor: 1,6 und 1,5 cem. Die reichlichste habe ich nach Salz- und Essigsäure erhalten, für welche nach Tabelle 2 die Werte der elektromotorischen Kraft einander nahestehen: 0,3139 und 0,2888. Die Differenz zwischen den Mengen des Pankreassaftes, die unter der Wirkung der Oxal- und Phosphorsäure abgesondert werden, ist bedeutend, bedeutend aber ist auch die Differenz der elektromotorischen Kraft. Die Tabellen 1 und 2 zeigen, dass je grösser die Differenzen in der elektromotorischen Kraft sind, desto bedeutender auch die Differenz in den Pankreassaftmengen hervortreten. Die Säuren, deren elektro- motorische Kraft wenig voneinander abweicht, bewirken Pankreas- saftsekretion, deren Mengen auch einander nahestehen. Daraus folgt, dass bei Säuren das Wasserstoffion den erregenden Teil darstellt. Doch erfolgt die Pankreassaftsekretion auch unter dem Einfluss von Laugen und alkalischen Seifen!) (Na-oleinicum). Der bei diesen Körpern wirksame Bestandteil ist wahrscheinlich die Hy- droxylgruppe, also OH’. Kochsalz in 3—-10 %igen und Zucker in 10- bis 20 %igen Lösungen sind schwache Erreger. Um weitere Beweise für diesen Schluss zu liefern, stellte ich Ver- suche an: 1. mit Aminosäuren, die fast keine Dissoziation aufweisen; 2. mit Säuren, deren Dissoziationsgrad genau bestimmt ist. Von den Aminosäuren wählte ich: Alanin, Glykokoll und Taurin, alle in dezi- normalen Lösungen. Diese Versuche, welche an einem Hunde mit chronischer Pankreasfistel ausgeführt wurden, lieferten folgende Er- gebnisse: : Versuch XV. 4. Juli 1916. Hund „Duzy‘ von 20 kg Gewicht. Die Pankreasfistel wurde am 22. März 1916 angelegt. Letzte Fütterung am Vortage um 6 Uhr abends. Um 7h 30° Anfang der Beobachtung. 8h 00° wurden 3,0 cem Pankreassaft gesammelt. Lo 0% ID on ae > 302m 2,; 2.0005 9 5 AB Ns OR, > » 9n2002 7. 09272 N = Se On: & 06 UT ER Ver 5 » 1) J. Studzinski I. e. 8. 29—40 (Sep.-Abdr.). Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse,. 165 . RB Date. B Mit einer Sonde wurden in den Magen 250 cem 10 -Lösung von Alanın eingeführt. Gegen Lackmus reagierte die Lösung sauer, gegen Methyl- Kr A n f orange alkalisch, wobei 5 cem Alaninlösung 6,2 ccm 19 -HCl erforderten. Um 9h 45° wurden 6,5 cem Pankreassaft gesammelt. 10h 00° 5 DUDEN 5 59 15’ ER N er 5 30’ RL 2 Br a 3% 45’ 5 1:02, ” AN llh 00° = VE ER R Was das Aussehen anbelangt, war der Pankreassaft diekflüssig, mit weissen Flocken. Es wurden während 1%, Stunden 15 ccm Pankreas- saft gesammelt. Versuch XVI. 6. Juli 1916. Hund ‚„Duzy“ von 20 kg Gewicht, mit Pankreasfistel. Um 7h 30’ Anfang der Beobachtung. 45’ wurden 4,5 cem Pankreassaft gesammelt. 3h200° HD 98 ”> » or, 4,5 „ ss sn 307 5, 0a > > 2 Ras 58 » DO, Vom. h5 un Es wurden mittels einer Sonde 250 ccm Lösung von Glykokoll eingeführt. Unmittelbar vor der Einführung habe ich die Lösung eine halbe Stunde auf dem Wasserbade gehalten. Dann wurde sie bis zur Körpertemperatur abgekühlt. Gegen Lackmus war die Reaktion sauer, gegen Methylorange alkalisch. Je 5 cem Lösung erforderten 6 cem ng H KR Um 9h 05’ wurden 4,5 cem Pankreassaft gesammelt. ARE 2,002,, SD 63 Bars 30200; 3 B5 DO, 20 ” es IOhE052 3, 1a); er 55 20 N; U g9 8 ER SL 1,00% 5 a6 Von 8h 50° bis 10h 20’, d.h. während 1%, Stunden, wurden 15 ccm Pankreassaft gesammelt. Versueh XVII. 8. Juli 1916. Derselbe Hund von 20 ke Gewicht. Um 7h 30° Anfang der Beobachtung. 45’ wurden 1,3 ccm Pankreassaft gesammelt. 8h=002 7, 1:6 .,,; los 0,Sen s ER 30,5 Vo 8 B5 Aue; 0,2005 > nn EI 0.08% 5% AB 166 L. Popielski: Es wurden mit der Sonde in den Magen 250 ccm Lösung von Taurin eingeführt. Die Reaktion war gegen Lackmus sauer, gegen Methylorange schwach alkalisch; auf je 5 ccm entfielen 0,2 cem ja. Um 9h 10’ wurden 4,5 cem Pankreassaft gesammelt. 29% Er) 1,0 ” „> 9 400 .:.0280 > Br Be I 5 10n9102 602, 2 2 2501.0,,7.83:00% > a a0. na 2 35 Ba 000, = 53 11h2102 0, 006,5, » » 25. 9 ..0 A Din, u ss 40’ EL) 2,5 ’ ” 9 Dan. Au 1 e 12h. 102 70,32 2,082, N ; 25’ E22) 2,5 El > 2 Während 3h 30° der Beobachtung wurden 53,5 cem Pankreassaft gesammelt. In den drei obigen Versuchen war die Anfangsperiode der Pankreas- saftsekretion identisch. Nach Alanin und Glykokoll blieb auch der weitere Verlauf fast gleich. Darf man aber behaupten, dass die er- wähnten Aminosäuren sekretorische Erreger für den Pankreas, wenn auch schwache, bilden ? Eine bejahende Antwort wäre voreilig, denn diese Sekretion könnte bedingt sein: 1. durch das im destillierten Wasser enthaltene UO,, welches einen sekretorischen Erreger für Pankreas bildet; 2. durch die Handgriffe, die mit der Einführung der Säure in. den Magen verbunden sind. Alle Eingriffe, speziell die den Verdauungskanal betreffenden, rufen bei den Hunden psychische Magensaftsekretion hervor, was eine Sekretion des Pankreassaftes zur Folge hat. Krasse Beispiele der Einwirkung derartiger Eingriffe auf die Sekretion des Magensaftes sind in der Arbeit von Tomaszewski angeführt (Pflüger’s Arch. Bd. 171. S. 15. 1918). Wie. sich aus folgendem Versuche ergibt, rief auch das destillierte Wasser allein, in _ den Magen eingeführt, eine Pankreassaftsekretion hervor. Versuch XVII. 10. Juli 1916. Derselbe Hund von 20 kg Gewicht. Um 7h 45’ Anfang der Beobachtung. sh 00° wurden 3,5 eem Pankreassaft gesammelt. 15° ” 2,0 ” ” „ 30° » 3,8 ” ” ” 45’ ER) 1,8 ” ” ” Ih 00° ” 4,7 ” ” DE) 15’ Pr) 339 DE) BE) E2 30° ER) 1,0 Er ER) ER) 40’ DR 0,5 Er} „ E] Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 167 Es wurden mittels Sonde 250 ccm destillierten Wassers in den Magen eingeführt. Das Wasser wurde vor ungefähr 2 Wochen bereitet. Während 2 Stunden wurden 54 ccm Pankreassaft gesammelt. Das destillierte Wasser wurde nicht unmittelbar vor dem Versuch gekocht; der Einfluss von dem in ihm eingeschlossenen CO, war also nicht ausgeschaltet. Aus diesem Grunde habe ich beim nächsten Versuch das Wasser zuerst ge- ‚kocht und nach der Abkühlung eingeführt. Versuch XIX. 12. Juli 1918. Derselbe Hund von 22 kg Gewicht. Um 8h 00° Anfang der Beobachtung. 15’ wurden 5,0 cem Pankreassaft gesammelt. 30° ER) 3,0 ” Er) Er) 45° ER) 2,0 EI) ” ” 9h 00’ 9 1,0 ” ” „ 10° 9 0,8 E22 > E22) Es wurden mittels Sonde 250 ccm destillierten, ausgekochten und dann abgekühlten Wassers in den Magen eingeführt. Während 3h 15’, das ist von 9h 10’ bis 12h 25’, wurden 136,5 cem Pankreassaft gesammelt. Destilliertes Wasser, direkt ins .Duodenum eingeführt, bewirkt keine Pankreassaftsekretion. Man muss also schliessen, dass im obigen Versuch den Erreger der Pankreassaftsekretion der psychische Magensaft bildet. Dieser aber wurde abgesondert schon infolge der Einfuhrung des Wassers mit der Sonde in den Magen. Angesichts dessen kann man die in den Versuchen XV— XVII beobachtete Sekretion nicht als durch Aminosäuren bedingt ansehen. Von den Säuren, deren Dissoziationsgrad genau bekannt ist, wählte .ich: Essig-, Monochloressig- und Trichloressigsäure. Ihre Dissoziations- konstanten sind (Emile Terroine, La secretion pancreatique S. 84. Paris 1910): Für die dezinormale Essigsäure. . . . ... 0,0018 SD, » . - Monochloressigsäure. . 0,1554 N sn Trichloressigsäure . . 121,0 _ Die ersten Versuche mit diesen Säuren wurden an Hunden mit perma- nenten Pankreasfisteln und grösstenteils auch mit Magenfistel ausgeführt. Auch bei diesen Versuchen darf man nicht ausser acht lassen, dass es zur psychischen Magensaftsekretion kommen kann, deren Wirkung dann mit jener der untersuchten Säuren verwechselt werden könnte. Um also über die Ursache der beobachteten Sekretion im klaren zu sein, habe ich schwache Lösungen angewandt, nie über —, meistens aber ui und sogar nn Bei so einer schwachen Kon- 10 100 500 zentration der Säuren kann man nur eine schwache Sekretion er- warten. Wird also die Sekretion sehr reichlich sein, dann wird sie ganz sicher durch den psychischen Magensaft bedingt sein. Versuch XX. 9. September 1916. Hund ‚„Kruk‘ von 20 kg Gewicht, mit Magen- und Pankreasfistel. Vor dem Versuche wurde der Magen gründlich gespült. 168 L. Popielski: Um 8h 15’ Anfang der Beobachtung. 30’ wurden 0,1 cem Pankreassaft gesammelt. 45’ ER) 0, 1 Er) s’ 2 9h 00’ > 0,3 Er) >’ Er) Durch die Fistel wurden in den Magen 200 cem m Belssure eingeführt. Um 9h 15’ wurden 1,0 ccm Pankreassaft gesammelt. BON 07 Me a 08 102002 2°:..05 a Da 00 Aus dem Magen wurden 18 B2L} be} > 2 >> BE) > „, ei) cem schleimiger Flüssigkeit abgelassen, die gegen Lackmus schwach sauer war. Um 10h 28’ wurden durch die Fistel in den Magen 200 ccm , Tri- chloressigsäure eingeführt. Um 10h 32° Anfang der Sekretion. 45’ wurden 4,4 ccm Pankreassaft gesammelt. llh 00’ DE) 3,5 Er) 2 27 15° Er 0,6 Ei) be) El 30’ Dr) 0,1 9’ 9’ > Aus dem Magen wurden 23 ccm einer gegen Lackmus schwach sauer reagierenden Flüssigkeit abgelassen. Nach der = -Essigsäure wurden 6,6 ccm Pankreassaft erhalten. Nach n n SR der ——- (nicht To elon I u die also zehnmal schwächer war, wurden ın 45’ 8,5 cmm erhalten. Es ist zu beachten, dass die Sekretion nach der Trichloressigsäure sehr schnell begonnen hat. Zum Schluss des Versuches war der Mageninhalt schwach sauer gegen Lackmus. Das be- weist, dass kein Magensaft sezerniert wurde, folglich konnte derselbe keinen Einfluss auf den Ausgang des Versuches ausgeübt haben. Es kann also die beobachtete Pankreassaftsekretion als durch die eingeführten Säuren hervorgerufen angesehen werden. n Die neun bewirkte also eine Sekretion von 6,6 ccm Pankreas- saft für die ganze Sekretionsperiode. Eine zehnmal schwächere Lösung: der Trichloressigsäure, d.h. —-, führte dagegen eine Sekretion von 8,5 ccm Pankreassaft herbei. Die Trichloressigsäure habe ich darum in zentinormaler Lösung angewandt, weil eine starke Wirkung von H- Ionen zu erwarten war, was bei einer stärkeren Konzentration leicht Entzündung der Darmschleimhaut bewirken konnte. Es ruft also eine schwach dissoziierte Säure eine schwächere Sekre- tion hervor als eine stark dissoziierte. Man kann also die grössere Sekretion nach der Trichloressigsäure auf die grössere Konzentration freier H-Ionen zurückführen. Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 169 Versuch XXI, 11. September 1916. Hund ‚„Kruk‘, wie oben, von 1915 kg Gewicht. Der Magen wurde genau gespült. Reaktion des Magen- sekretes gegen Lackmus schwach sauer, gegen Kongo neutral. Um 8Sh 15’ Beginn der Beobachtung. o Um 8h 30° wurden 0,2 ccm Pankreassaft und 8 ccm Magensekret gesammelt. 1 1 m [ .. . Um 9h wurden durch die Fistel 200 ecem 100 Monochloressigsäure in den Magen eingeführt. Gleich nach dem Einführen einmaliges Auf- stossen. Um 10h 00’ 0,0 cem Pankreassaft. Aus dem Magen wurden 9 cem einer gegen Kongo .neutralen Flüssigkeit abgelassen. Um 10h 05’ wurden durch die Fistel in den Magen 200 cen 10 Bssie- säure eingeführt. Gleich nach dem Einführen einmaliges Aufstossen. Um 11h 00° wurden aus dem Magen 20 ccm einer gegen Kongo neutralen n N Flüssigkeit abgelassen. Nach der ur wurden während einer Stunde 0,7 ccm, nach Monochloressigsäure in einer Stunde 2,8cem Pankreas- saft gesammelt. Da im Magen während der ganzen Sekretionszeit die Reaktion gegen Kongo neutral blieb, kann man die erhaltene Sekretion dem Einfluss der eingeführten Säuren zuschreiben. Auch hier sehen wir, dass die schwach dissoziierte Essigsäure eine schwächere Sekretion bewirkt als die stärker dissoziierte Monochlor- essigsäure. Wir können also schliessen, dass hier die stärkere Sekretion durch grösseren Gehalt an freien H-Ionen bedingt wird. Die nächstfolgenden Versuche wurden an dem Hunde ‚„Duzy‘‘ ausgeführt, welcher bei den ersten vier Versuchen nur die Pankreas- fistel hatte. Ich beschloss, zuerst den Einfluss zu untersuchen, den die Essig- und Monochloressigsäure in dezinormalen Lösungen auf die Sekretion ausüben. | Versuch XXI. 22. Juli 1916. Hund „Duzy‘“, mit Pankreasfistel. Um 7h 20° Anfang der Beobachtung. 35’ wurden 6,0 ccm Pankreassaft gesammelt. 50° a LONOR GE, 3 5 sh 05° 5 4,0 ,„ ö ES 20°’ = 4,0 .,, 3 2% Super, 20; 32 SB Es wurden durch die Magenfistel 100 cem m -Essigsäure eingeführt. Um &h 45’ wurden 10,0 ccm Pankreassaft gesammelt. 9h 00° „= 7,0, 8 > 15° nn 9,0 n N 30’ I 100, 5% n 45’ R 6.005, 53 ans, 10h 00°’ Is 100% 3 in 197 5% 11.0000, ER 25 30° 09 300 3% ji I2% 45 29 2,5 >»3 > ». 170 L. Popielski: Um 11h 00° wurden 3,5 cem Pankreassaft gesammelt. 15° 39 3,5 „> &2) 2) 30’ 5 2.1.0.5 55 N; Die Sekretion dauerte 3 Stunden, innerhalb deren 75 cem Pankreas- saft gesammelt wurden. Dies deutet darauf hin, dass in der Versuchs- periode sich der Einfluss vom psychischen Magensaft fühlbar machte. Bloss die Sekretion während der zwei ersten Viertelstunden kann man als durch Essigsäure bedingt betrachten. Versuch XXIV. 24. Juli 1916. Derselbe Hund von 21 kg Gewicht. Um 7h 15’ Anfang der Beobachtung. 30’ wurden 5,0 cem Pankreassaft gesammelt. 45’ NE LÜNEN 28 5 sh 00° en 30 AR 5 15° 38 3,205 58 ix 30° B5 2.000 5; I 5 Um 85h 27’ wurden durch Magenfistel 100 cem | 5 Monochloressigsäure eingeführt. Um 8$h 45’ wurden 19,0 ccm Pankreassaft gesammelt. 9h 00’ DE) 5,0 ” E2) ” 15° er) 1,0 99 Be) Ei) Erbrechen mit Schleim und unverdauten Nahrungsresten. Um 9h 30° wurden 0,6 ccm Pankreassaft gesammelt. 45’ er) 0,4 9 9 > Eine reichliche Sekretion trat bald nach dem Einführen ein und dauerte 30 Minuten, so wie es bei typischer Pankreassaftsekretion nach den Säuren geschieht. Während 30 Minuten wurden 26 cem abgesondert. Man kann also annehmen, dass die Sekretion wirklich von den eingeführten Säuren herrührte. Betrachten wir im Versuche XXIII die Sekretion während der ersten halben Stunde als Folge der Einführung von Essigsäure, so betrug die Saftmenge für diese Zeit 17 ccm. Nach der Monochloressigsäure wurden in derselben Zeit 24 ccm (Versuch XXIV) abgesondert. Dabei sehen wir, dass die —-Monochloressigsäure eine stark reizende Flüssigkeit ist, da der Hund erbricht. Darum wendete ich bei weiteren n n Versuchen schwächere Lösungen an, und zwar 100 und 500: Versuch XXV. 25. Juli 1916. Derselbe Hund von 21 kg Gewicht. Um 7h 30° Anfang der Beobachtung. 45’ wurden 8,0 cem Pankreassaft gesammelt. sh 00’ Dr) 4,0 9» bE) Ei) 15’ PR 3,0 Er) » » 20° 9 D 0,5 9 > ” Es wurden durch die Magenfistel 100 ccm 100" Frichloressigsäure eingeführt. Um 8h 30° wurden 9,0 ccm Pankreassait gesammelt. 45’ Er) 4,5 EL) er) BE Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 17] Um 9h 00° wurden 3,5 ccm Pankreassaft gesammelt. 18% ” 1.0 ” 3 30° » HOE 5 Is 45’ er B0nE> > > 10h 00° % 00% 59 68 15° ” 6,0 „ ” > >02 50 (a 35 ” 45’ ” An h5 35 llh 00° 08 3,0; % 58 157 es N e5 IR Während 2h 55’, das ist von 8h 20’ bis 11h 15’, wurden 75 cem Pankreassaft gesammelt. Gleich nach der Einführung begann eine ge- steigerte Sekretion, die während °/, Stunden allmählich abnahm. Jedoch während der vierten Viertelstunde wurde die Sekretion wieder stärker. Die Sekretion während der ersten 40 Minuten können wir der Wirkung der Trichloressigsäure zuschreiben; in dieser Zeit wurden 17 cem ab- gesondert. Versuch XXVI. 27. Juli 1916. Derselbe Hund von 201, kg Gewicht. Um 7h 40° Anfang der Beobachtung. 55’ wurden 0,6 cem Pankreassaft gesammelt. Sh 10° ER 0,4: ,, 62 “ 12° " DOSE: N as a} Es wurden durch die Magenfistel 100 ccm 00" Frichloressigsäure ein- geführt. Um 8h 25° wurden 7,0 cem Pankreassaft gesammelt. 40’ > 3 >> 35 59% % 3:08, 3 an InwL0R a RD 13 N 25° y De io ” 5 40° ” Sr, 4 ” 55’ a5 4,0 „ 55 x 10h 10’ 3 20, 5 ih Zap, 1,0005 53 38 40° 9 0,5 Er} be} » Gleich nach der Einführung begann die Sekretion, welche allmählich geringer wurde, bis sie die Werte wie vor der Einführung erreichte. In der sechsten Viertelstunde aber setzte wieder eine starke Sekretion ein, die wahrscheinlich durch psychischen Magensaft bedingt war. Wenn wir uns nur auf die erste Sekretionsperiode beschränken, so haben wir 17,8 ccm für Ih 13’, das ist ebensoviel wie beim vergehenden Versuch XXV für die erste Periode. In den nächsten zwei Versuchen habe ich den Einfluss - von Mono- und Trichloressigsäure in ung untersucht. Versuch XXVIH. 17. August 1916. Derselbe Hund von 20 kg Gewicht. Am 5. August 1916 wurde die Magenfistel angelegt. Der Magen wurde gespült. Um 8h 25° Anfang der Beobachtung. 40’ wurden 2,0 cem Pankreassaft gesammelt. 55’ 5 1,20, 56 > 9h 10° 5 Ol u 5 172 L. Popielski: Es wurden durch die Magenfistel 200 cem „0, E1,000H eingeführt. {9} Um 9h 25’ wurden 3,0 ccm Pankreassaft gesammelt. 40’ „> 2,5 99 EI) EJE) 7 ° 35 ER) 2,5 E32) »9 „> 10h 10° 56 2.00 B5 = 25’ 22 1,0 EIER) ” BE) 40° BE 0,5 >> Ei) 99 Während 11, Stunden wurden 11,5 cem gesammelt. Aus dem Magen wurden 13 ccm gelblicher, gegen Lackmus schwach sauer reagierender Flüssigkeit abgelassen. Versuch XXVIH. 21. August 1918. Derselbe Hund von 20 kg Gewicht, mit Magen- und Pankreasfistel. Der Magen wurde gespült. Um Sh 15’ Anfang der Beobachtung. 30° wurden 1,0 cem Pankreassaft gesammelt. 45’ „ 0,5 BE) Er) 2) Aus dem Magen tröpfelt gegen Kongo neutrale Flüssigkeit. Um 8h 50° wurden 0,0 cem Pankreassaft gesammelt. Es wurden durch die Magenfistel 200 cem — m n i Ne e nn ellaress gsiune ein- geführt. Die Sekretion war sehr schwach. Während der ganzen Sekretions- periode wurden 2,5 cem gesammelt. Dagegen betrug die Sekretion im vorgehenden Versuche nach 200 ccm Trichloressigsäure 11,5 ccm Pan- kreassaft. Die angeführten Versuche beweisen, dass stärker dissoziierte Säuren, die folglich mehr freie H-Ionen enthalten, eine stärkere Pankreassaft- sekretion hervorrufen. Man kann also behaupten, dass bei den Säuren, die, ins Duodenum eingeführt, Pankreassaftsekretion bewirken, das wirkende Ion das H-Ion ist. Um diesen Schluss möglichst genau zu begründen, beschloss ich, einen Versuch mit unmittelbarer Einführung der Säuren ins Duodenum auszuführen. Der dabei vorgenommene Hund wurde während 24 Stunden nicht gefüttert; es konnte also nur die Wirkung der ins Duodenum eingeführten Säuren in Betracht kommen. Diesen Versuch habe ich in der akuten Form ausgeführt. | Versuch XXIX. 13. Februar 1918. Hund von 7700 g Gewicht. Tracheo- tomie. Um 11h 20’ wurden in die Vena cruralis dextra 2 cem 1 %iger Curare eingeführt. Künstliche Atmung. Um 11h 497 wurden weitere 2 cem 1% iger Curare eingeführt. Den Pylorus habe ich fest unterbunden, damit der Mageninhalt nicht ins Duodenum gelangt. In den Ductus Wirsungiamy habe ich die Kanüle mit Millimeterteilung eingeführt. Von 11h 55’ bis 11h 56’ war die Sekretion 1 Strich für 1 Minute. n : 6 Um 11h 56° habe ich mittels einer Spritze 15 cem un ins Duodenum eingeführt. Von 11h 56’ bis 12h 15’, das ist für 20 Minuten, wurden 252 Teil- striche, also 2,52 cem Pankreassaft abgesondert. Die Wasserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 173 n Um 12h 16° wurden mittels Spritze 15 cem To Trichloressigsäure ins Duodenum eingeführt. Vom Moment der Einführung, von 12h 16’ bis 12h 45’, das ist also für 29 Minuten, wurden 5,96 Teilstriche, aiso 596 eem Pankreassaft abgesondert, um 2,4 ccm mehr als nach Essigsäure. Auch dauerte die Sekretion um 9 Minuten länger. Somit erscheint der Schluss, dass das bei den Säuren wirkende Ion das Wasserstoffion ist, als bewiesen. Dann kam ich auf die Frage, was denn mit der ins Duodenum eingeführten Salzsäure geschieht. Zu diesem Behufe durchschnitt ich in emem Versuche in akuter Form den Dünndarm in einiger Ent- fernung vom Pylorus zwischen zwei Ligaturen: gleicherweise habe ich das Duodenum dicht beim Pylorus unterbunden. Ins Duodenum führte ich 40 ccm dezinormaler Salzsäurelösung ein. Nach Beendigung der reichlichen Pankreassekretion öffnete ich das Duodenum und den Dünndarm, wobei sich dicht bei der Darmligatur nicht mehr als 4—5 cem einer durchsichtigen, gegen Lackmus wohl, aber nicht gegen Kongo sauer reagierenden Flüssigkeit vorfanden. Die gleiche Reaktion zeigte die Schleimhautoberfläche. Also wird die eingeführte Flüssig- keit eingesaugt und verliert ihre Azidität. Die Sekretion wird. also nicht durch Mangel an saurer Reaktion im Duodenum unterbrochen, sondern wegen Abwesenheit von freien H’-Ionen. Somit beruht die Säurewirkung auf dem Reizen der Schleimhautoberfläche durch H’- Jonen. Der Wirkungsprozess besteht allein in dem Binden der H’-Ionen durch Bestandteile der Schleimhaut. Falls wir annehmen, dass die Sekretion, die unter der Wirkung der Säuren stattfindet, nervöser Natur ist, so müsste der Reizprozess der Nervenendigungen in der Duodenalschleimhaut identisch sein mit der chemischen Einwirkung der charakteristischen Säuren- und Laugenionen H’ und OH’ auf das Gewebe dieser Nervenendigungen. Auf diese Weise wäre einer der wichtigsten physiologischen Prozesse, welcher an der Oberfläche der Duodenalschleimhaut stattfindet, erklärt. Die Frage jedoch nach dem Charakter der Pankreassaftsekretion unter der Einwirkung von Säuren ist bis jetzt endgültig nicht entschieden. Meine Untersuchungen über Pankreassaftsekretion bei den nach meiner Methode verbundenen Hunden, die veröffentlicht wurden!), bilden den Gegenstand weiterer physiologischer Analyse, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Über die Bedeutung der freien Salzsäure auf die Pankreassaftsekretion hat sich bereits Walter) ausgesprochen, indem er sich darauf stützte, 1) 1% Bonielser Über den Mechs isn der Pankreassaftsekretion unter dem Einfluss der Säuren. Verhandl. der Akademie der Wissenschaften in Krakau Bd. 54 Teil 2 Serie B S. 85 (1914). 2) A. Walter, Die sekretorische Arbeit des Pankreas S. 186. St. Peters- burg 1897. (Dissertation, Russisch.) 174 " L. Popielski: dass HCI-Säure, in den Magen eingeführt, keine oder eine schwache Sekretion hervorgerufen hat. Doch könnte der Mangel an Sekretion auch dadurch verursacht werden, dass die untersuchte Säure aus dem Magen in das Duodenum überhaupt nicht oder nur sehr langsam gelangt war. Beachtenswert sind die Erwägungen von A. Frouin über den Einfluss von P.W. und überhaupt von Eiweissverdauungsprodukten auf die sekretionserregende Wirkung der Säuren. Frouin!) bemerkte, dass 200 cem 0,30 %iger HCl, in den Magen eingeführt, eine Sekretion von 120 cem Pankreassaft während 2 Stunden hervorruft. Nach der Verfütterung von 500 g Fleisch, nach welcher 400—500 ccm Magen- saft sezerniert werden, erhält man für dieselbe Zeit 70 ccm Pankreas- saft. Nach der Verdauung von 60,0 Hühnereiweiss durch 200 cem Magensaft bewirkte diese Saftmenge die Sekretion von 30—40 ccm Pankreassaft. Die Kohlehydrate bewirken dagegen nach ihm eine deutliche Zunahme der Sekretion. Bei einem Experimente in akuter DE N an n Form hat sich Frouin überzeugt, dass me nach der Zugabe von P. W., direkt ins Duodenum eingeführt, schwächere Sekretion bewirkt . wie HCl rein. In einer Arbeit, zusammen mit Marbe?) ausgeführt, gibt Frouin weitere Einzelheiten an, betreffend die Wirkung von P. W. auf Säuren als Erreger der Bauchspeicheldrüse. Vor allem haben sich die Autoren überzeugt, dass P. W. die sekre- torische Wirkung anorganischer Säuren verringert, der organischen verstärkt. Diese Tatsache wirft, wie die Autoren sagen, eine ganze Reihe von Fragen auf, betreffend die Wirkungsweise von P.W.: 1. P.W. kann die Entstehung von Sekretin hemmen; 2. kann es die Resorption von Sekretin verhindern, und 3. kann der Unterschied bei der Einwirkung auf die beiden Säurearten darin seine Ursache haben, dass organische Säuren auf anderem Wege die Sekretion be- wirken wie die anorganischen. Die Autoren gelangten zum Schluss, dass P.W., den anorganischen Säuren beigemengt, die Entstehung des Sekretins hemmt, dagegen, den organischen beigemischt, eine Vermehrung von Sekretin bewirkt. Diesen Schluss haben sie aus der Tatsache gezogen, dass der Schleimhautextrakt mit Mineralsäuren, ins Blut eingeführt, nach Beimengung von P. W. die Sekretion ver- ringert, mit organischen Säuren dagegen nach Beimengung von P. W. die Sekretion verstärkt. 1) A. Frouin, Influence des products de la digestion des albuminoides et des sucres sur l’action söeretoire de ’HC1 sur la s&cr&tion pancreatique. Comptes Rendus de la Societe de Biologie t. 63 p..519. 1907. 2) A. Frouin et S. Marbe&, Influence de le peptone sur l’action seere- toire des acides mineraux et organiques sur la secr&etion pancreatique. C. R. de la Societe de Biologie t. 68 p. 176. 1910. Die W.asserstoffionen u. die sekretor. Tätigkeit der Bauchspeicheldrüse. 175 Vor allem muss demgegenüber betont werden, dass der Darm- schleimhautextrakt mit HCl nach der Beimengung von P. W. nicht schwächer, sondern vielmehr stärker wirkt, wie das Gley gezeigt hat (C. R. de ’Academie des Sciences, 25. April 1910). Es kann auch nicht anders sein. Schon allein ruft P. W., ins Blut Omeeilhet, eine Pankreassaft- sekretion hervor. Das bestätigt Frouin selbst (©. R. d. S. B. t. 63 p. 519. 1907), Gley (C.R.d. S. B. t. 71. p. 26. 1911), und das beweisen auch meine Untersuchungen (Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 496. 1909: Über die physiologischen und chemischen Eigenschaften des P. W.). Nach der Zugabe von P. W. zum Schleimhautextrakte tritt nur eine Verstärkung der Wirkung ein, was für die organischen Säuren A. Frouin mit S. Marbe& konstatiert haben (l. ce. S. 177), für HCl aber, gegen die Behauptung von Frouin, Gley bewiesen hat. Die Versuche von Frouin und Marbe&, betreffend den Einfluss von P.W. auf an- organische Säuren, sind nicht zahlreich genug, dass man, auf ihnen fussend, den Schluss aussprechen könnte, den diese Autoren gezogen haben. Bei der Ausführung ihrer Versuche über den Einfluss von P. W. auf Extrakte betrachten die Autoren als bewiesen, dass die Sekretion unter dem Einfluss von ins Duodenum eingeführtem HCl und unter dem Einfluss des Schleimhautextraktes aus dem Duodenum, welcher ins Blut eingeführt wird, identische Erscheinungen sind. Diese An- schauung ist nicht bewiesen und überhaupt unbegründet. Vor allem bewirken HCl-Extrakte aus allen Organen (auch Wasser-, Kochsalz- und Laugenextrakte) die Sekretion. Das ist nicht nur meine!) Meinung, sondern auch die vieler anderer Autoren. Selbst Frouin hat zusammen mit Delezenne gezeigt, dass die Extrakte aus Plexus coeliacus, Milz. und Leber die Sekretion hervorrufen. E. Gley’°) hat gezeigt (was mit meinen viel früher ausgeführten Untersuchungen übereinstimmt), dass der Magenschleimhautextrakt und derjenige von Mucosa ilei die Sekretion bewirken. Sogar E. Wertheimer °), ein Anhänger des Sekretins, hält es für seine Pflicht, zu erklären, dass er eine aus- gesprochene (tres marguee) Vermehrung der Sekretion unter dem . Einfluss des Extraktes aus Mucosa ilei sehr oft gesehen habe. 1) L. Popielski, Über die physiologische Wirkung von Extrakten aus sämtlichen Teilen... Pflüger’s Archiv Bd. 128 S. 196. 1909. 2) E. Gley, Action des extraits sales a chaud de muqueuse gastrique et du muqueuse ileale (chloruro-crinines) sur la secretion pancreatique. ©. R. de le Societe de Biologie t. 70 p. 519. 1911. 3) E. Wertheimer et Boulet, Sur quelques excitants de la secretion pancreatique, Archives internationales de Physiologie t. 12 p. 253. 1912. 176 L. Popielski: Die Wasserstoffionen und die sekretor. Tätigkeit usw. Des weiteren haben Matsuo!) und Lalou (nach E. Terroine, l. e. S. 56), die sich die Wiederholung meiner Versuche zur Aufgabe gestellt haben, die Überzeugung gewonnen, dass die Extrakte auch von allen anderen Organen Sekretion herbeiführen, aber schwächer wie die Extrakte von der Schleimhaut des Darmes. Doch habe ich ausdrücklich auf den quantitativen Unterschied in der Wirkung einzelner Extrakte aufmerksam gemacht, wobei ich betone, dass eine Proportionalität zwischen der abgesonderten Saft- menge und dem Gehalte des Extraktes an festen Bestandteilen be- steht. Die Autoren, welche die Wirkung einzelner Extrakte vergleichen, sollten die Menge organischer Bestandteile in jedem Extrakte be- stimmen; das hat aber keiner von ihnen getan. Kann man also nur auf Grund der von den Autoren beobachteten quantitativen Unterschiede behaupten, dass die Anregung der Pankreas- fastsekretion eine individuelle Eigenschaft der Darmschleimhautextrakte bildet? Natürlich ist solch ein Schluss so willkürlich, wie jene. Be- hauptung, welche die Sekretion unter dem Einfluss der Extrakte mit jener nach HCl identifiziert. Was schliesslich die Behauptung von Frouin über den Unter- schied in der Einwirkung von P. W. auf organische und anorganische Säuren anbelangt, so ist sie tatsächlich unrichtig, denn die oben an- geführten Untersuchungen beweisen, dass kein Unterschied in der Wirkung von P.W. auf beide Arten von Säuren besteht. Der Inhalt dieser Arbeit lässt sich in folgenden Punkten kurz zusammenfassen: l. Die Verdauungsprodukte von Eiweisskasein und Fibrin (Pepton Witte) vermindern die Wirkungskraft des Magensaftes auf die Pankreas- saftsekretion. 2. Sogar grosse Mengen von Pepton Witte mit Zugabe von HCl heben diese Kraft nicht gänzlich auf. 3. Alle von mir untersuchten Säuren: Salz-, Schwefel-, Phosphor-, Oxal-, Essig-, Wein- und Zitronensäure, wirken nach der Zugabe von Pepton Witte auf die Pankreassaftsekretion viel schwächer als in reinem Zustande (vol. 1,2—10mal schwächer). 4. Alle Säuren, sowohl in reinem Zustande als auch nach der Zu- gabe von Pepton Witte, üben einen Einfluss auf die Pankreassaft- sekretion aus, welcher der Zahl der in ihnen encha lie nen Wasserstoff- ionen entspricht. 1) J. Matsuo, On the secretion of pancreatic Juice, Journ. of Physio- logy. Vol. 45 p. 47. 1913. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich.) Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durch- strömungsart bei überlebenden Organen als Zeichen aktiver Fördertätigkeit der Arterien. Von Dr. Alfred Fleisch, Assistent des Instituts. Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 9. September 1918.) Es ist eine heute wieder vielumstrittene Frage, ob die Arterien lediglich Leitungsröhren sind oder ob sie an der Vorwärtsbewegung des Blutes aktiven Anteil nehmen. Wegen der grundlegenden Be- deutung dieser Frage für die Lehre vom Blutkreislauf ist ihr von jeher ein starkes Interesse zugewendet worden, und zahlreich sind die Arbeiten, die sich für und wider die Auffassung einer aktiven Förderung aussprechen. Da aber trotzdem eine eindeutige Lösung nicht gelang, so ist in neuester Zeit dieses Problem von verschiedenen Autoren wiederum bearbeitet worden. Schon von Volkmann!) wurde die sehr alte Auffassung der aktiven Arterienarbeit bei der Blutdurchströmung widerlegt. Legros ‚und Onimus°) präzisierten die Vorstellung eingehend und bezeich- neten den Vorgang als eine peristaltische Kontraktion der Arterien, wie v. Bezold und Gscheidlen °). Gegen Marey*), der die Förderung des Blutstromes durch Gefäss- systole entschieden ablehnte, hat sich Turrö ?) gewendet, der die Pulswelle nicht bloss als eine elastisehe, sondern als eine muskuläre 1) Volkmann, Die Hämodynamik. Kapitel XII. 1850. 2) Legros et Onimus, Recherches experimentales sur la circulation - et specialement sur la contractilite arterielle. Journ. de l’Anat. et de la Physiol. t. 5 p. 362 et 479. 1868. 3) v. Bezold und Gscheidlen, Von der Lokomotion des Blutes durch die glatten Muskeln der Gefässe. Unters. a. d. physiol. Labora- torium in Würzburg Heft 2 S. 347. 1867. 4) E. J. Marey, Physiologie medicale de la eirculation du sang. Paris 1863. 5) Ramon Turrö, La eirceulation du sang. Paris 1883. Zit. n. Mares, Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 361. 1916. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 12 x 178 Alfred Fleisch: Bewegung der Arterie deutet. Von neueren Untersuchern wurde zur Stütze der Hypothese der aktiven Förderung häufig die Arbeit von Hamel!) herbeigezogen, welcher die Hinterbeine des Frosches mit rhythmischem und konstantem Druck durchströmte. Doch weisen Hürthle?) und Hühne?) mit vollem Recht darauf hin, dass diese Versuche gar nicht die Frage betreffen, ob durch die Arterien eine aktive Förderung des Blutstromes stattfindet, und dass diese Unter- suchungen in unserer Frage deshalb auch gar keinen Schluss erlauben. Einen entschiedenen Vertreter hat die Hypothese der aktiven Förderung in Grützner?) gefunden, welcher die Gefässe als akzessorische Herzen bezeichnet, die die Tätigkeit des Herzens unterstützen und nebenher die Blutverteilung besorgen. Auch von klinischer Seite wurde zu dieser Frage Stellung genommen; so ist namentlich Hasebroek’°) ein eifriger Verfechter der Hypothese der Förderung des Blutstromes durch Arterienarbeit. Diese Hypothese schien an Wahrscheinlichkeit zu gewinnen, als von Hürthle ®), C. Tigerstedt ”’) und Bittorf?) die Beobachtung gemacht wurde, dass die Arterien pulsatorisch- elektrische Ströme liefern, welche sich als Aktionsströme, hervor- gerufen durch die Reaktion der Gefässmuskulatur auf den Dehnungs- reiz, deuten liessen. Hürthle betonte allerdings schon in der gleichen Arbeit, dass der Beweis für diese Deutung noch nicht erbracht sei, und nachher wurden von Hürthle °) selbst ganz ähnliche Ströme an 1) . Hamel, Die Bedeutung des Pulses für den Blutstrom. Zeitschr. f. Biol. Bd. 25 S. 474. 1889. 2) K. Hürthle, Ist eine aktive Förderung des Blutstromes durch die Arterien erwiesen ? Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 147 S. 582. 1912. 3)H. Hühne, Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 165 S. 180. 1916. 4) P. Grützner, Betrachtungen über die Bedeutung der Gefäss- muskeln und ihrer Nerven. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 89 S. 132. 1906 und Münchener med. Wochenschr. 1907 8. 1802. 5) Hasebroek, Versuch einer gymnastischen Therapie der Zirkulations- strömungen auf Grund einer neuen Darstellung des Kreislaufs. Deutsches Arch. £. lin, Med. Bd. 77 S. 354. _ 1903. — Derselbe, Physikalisch-experi- mentelle Einwände gegen die sogenannte arterielle Hypertension; zugleich ein Beitrag zur Frage der aktiven Arterienbewegung. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 143 S. 519. 1912. — Derselbe, Extrakardialer Kreislauf. Jena 1914. 6) K. Hürthle, Über pulsatorisch-elektrische Erscheinung an den Arterien. Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 29 S. 100. 1913. 7) €. Tigerstedt, Vermutliche Aktionsströme bei een Arterien. Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 28. 1913. 8) Bittorf, Über das Elektrokardiogramm. XXX. Kongr. f. inn. Med. zu Wiesbaden 1913. 9) K. Hürthle, Über elektrische Erscheinungen bei pulsatorischer Dehnung toter Arterien. Mediz. Sektion d. schles. Gesellsch. f. vaterl. Kultur zu Breslau 4. Juli 1913. Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 179 toten Arterien beobachtet und auf die Möglichkeit von physikalisch- chemischen Ursachen dieser Ströme hingewiesen. Von Blumenfeldt!!) wurden diese Untersuchungen weitergeführt und die elektrischen Ströme bei Durchströmung von totem, organischem Material (abgetötete Arterien, Gelatineröhrchen) und überlebenden Arterien verglichen. Blumenfeldt kommt zu dem Schlusse, dass die elektrischen Ströme von überlebenden und von toten Arterien keine prinzipiellen Unter- schiede zeigen. Für eine physiologische Erklärung der Gefässströme wurde kein Beweis gefunden. Der Frage der Förderung des Blutstromes durch aktive Arterien- arbeit hat Hürthle ?) eine grössere Anzahl von Arbeiten gewidmet. Hürthle registrierte die Druckpulswelle und die Strompulswelle und berechnete gleichzeitig den Verlauf der Strompulswelle. Die registrierte und die berechnete Strompulswelle zeigen nun einen auffallenden Unterschied, indem die registrierten Stromstärken in der Umgebung des Gipfels der Druckkurve grösser sind als die berechneten, in den übrigen Abschnitten des Pulses aber kleiner. Dieses Anwachsen des Strompulses über den berechneten Wert hinaus bezeichnet Hürthle als „systolische Schwellung‘. Während unter Adrenalinwirkung die systolische Schwellung grösser wird, erfolgt eine Verkleinerung oder vollständige Beseitigung der systolischen Schwellung nach Lähmung der Gefässe. Diese systolische Schwellung könnte nun zweifellos ein Ausdruck der aktiven Arterienarbeit sein: Hürthle selbst findet aber kein entscheidendes Kriterium für die absolute Annahme dieser Erklarungsmöglichkeit. Gegen die Auslegung der systolischen Schwellung als Symptom der aktiven Arterienarbeit wendet sich W. R. Hess °?). Um die Strom- 1) E. Blumenfeldt, Experimentelle Untersuchungen über die Natur der pulsatorischen Gefässströme. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 162 S. 390. 1915. 2) K. Hürthle, Über die Beziehung zwischen Druck und Geschwindig- keit des Blutes in den Arterien. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 147 S. 525. 1912. — Derselbe, Ist eine aktive Förderung des Blutstromes durch die Arterien erwiesen? Ebenda Bd. 147 S. 582. 1912. — Derselbe, Unter- suchungen über die Frage einer Förderung des Blutstromes durch die Arterien. Ebenda Bd. 162 S. 301. 1915. — Derselbe, Die Analyse der Druck- und Strompulse. Ebenda Bd. 162 S. 304. 1915. — Derselbe, Analyse der arteriellen Druck- und Stromkurve des Hundes. Ebenda Bd. 162 S. 322. 1915. — Derselbe, Über die Änderung der Strompulse unter dem Einfluss vasokonstriktorischer Mittel. Ebenda Bd. 162 S. 338. 1915. — Derselbe, Der Strompuls nach Lähmung der Gefässe. Ebenda Bd. 162 S. 359. 1915. — Derselbe, Zusammenfassende Betrachtungen über den Inhalt der vorhergehenden Abhandlungen. Ebenda Bd. 162 S. 413. 1915. 3) W. R. Hess, Die Arterienmuskulatur als „peripheres Herz‘? Arch. f. die ges. Physiol. Bd. 163 S. 555. 1916. 12* 180 Alfred Fleisch: x pulskurve berechnen zu können, teilt Hürthle die arterielle Bahn schematisch in zwei Abschnitte: der erste, das elastische Reservoir darstellend, reicht vom Aortenanfang bis zu den kapillaren Arterien. Seinen Widerstand betrachtet Hürthle als sehr gering im Verhältnis zum zweiten Abschnitt, der das Kapillargebiet umfasst. Für diesen letzteren Teil der Bahn nimmt Hürthle an, dass der Widerstand im Verlaufe eines Pulsschlages konstant sei, und dass die Stromstärke im Kapillargebiet dem Druck proportional sei. Hess weist darauf hin, dass bei Druckerhöhung in einem elastischen Röhrensystem eine Dehnung der Wandungen und somit eine Erweiterung der Strom- bahn stattfindet, welche durch Widerstandsherabsetzung die Abfluss- verhältnisse begünstigt. Da die pulsatorischen Schwankungen der Ge- fässe nach der Peripherie hin immer geringer werden und schliess- lich versiegen, so kann sich die Begünstigung der Strömung in der Systole um so weniger geltend machen, je weiter der Blutstrom vom Zentrum entfernt ist. Im Gegensatz zu Hürthle, der den Wider- stand von Aortenanfang bis zu den kapillaren Arterien als sehr gering betrachtet und deshalb in der Rechnung vernachlässigt, schreibt Hess auf Grund von theoretischen Ableitungen !) diesem Abschnitt der arteriellen Strombahn einen nicht zu vernachlässigenden Wider- stand zu, der namentlich auch wegen der erheblichen Länge der weiteren Arterien ins Gewicht fällt. Hess fasst die Kritik über die systolische Schwellung folgendermassen zusammen: ‚Der Umstand, dass in der Arterienbahn der Windkessel selbst Widerstandsbahn ist, scheint als Ursache mächtig genug, weitgehende Differenzen herbei- zuführen mit einer Berechnung wie derjenigen von Hürthle, welche eine Trennung von Windkessel und Widerstandsbahn voraussetzt.‘ In der gleichen Arbeit publiziert Hess Versuche über allfällige aktive Kontraktionsvorgänge an der lebenden Arterie. Die von O. B. Meyer), H. Full:), Günther‘) und Bayliss°) veröffentlichten Untersuchungen über spontane Kontraktion an ausgeschnittenen Arterien haben einen so trägen Verlauf, dass sie als propulsatorisch 1) W.R. Hess, Das Prinzip des kleinsten Kraftverbrauches im Dienste hämodynamischer Forschung. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1914 S. 1. — Derselbe, Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. Arch. f.d. ges. Physiol. Bd. 168 $. 439. 1917. 2) ©. B. Meyer, Über rhythmische Spontankontraktionen von Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 61 8. 275. — Derselbe, Über einige Eigenschaften der Gefässmuskulatur usw. Ebenda Bd. 48 S. 352. 3) H. Full, Versuche über die automatischen Bewegungen der Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 61 S. 287. 4) G. Günther, Zur Kenntnis der Spontanbewegung überlebender Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 65 8. 401. 5) W. M. Bayliss, On the local.reactions of the arterial wall ete. The journ. of physiol. vol. 28 p. 220. Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 18] wirksamer Vorgang nicht in Frage kommen. Zudem treten diese spontanen Kontraktionen nach O. B. Meyer nur bei Sauerstoff- mangel auf. Hess lässt bei seinen Versuchen die Arterie in ihrem natürlichen Bett und lässt die Kontinuität der Wandung zentral- wärts intakt. Die Arterie ist mit arteriellem Blut desselben Tieres gefüllt, und der Innendruck bzw. die angewandten Druckschwankungen liegen innerhalb der physiologischen Grenze. Aber trotz diesen Kautelen tritt weder bei konstantem Druck noch bei raschen Druckvariationen eine Andeutung einer Reaktion auf, und Hess kommt zu dem Schlusse, dass auch den Arterien mit sichtbaren pulsatorischen Querschnitts- schwankungen eine aktive Förderleistung fremd ist. Der Frage der Förderung des Blutstromes durch Arterienarbeit hat MareS!) eine Reihe von vorwiegend theoretischen Abhandlungen gewidmet, in welchen er die Hypothese der aktiven Arterienarbeit plausibel zu machen sucht. Ein irgendwie entscheidendes Kriterium für die Annahme der genannten Hypothese fehlt allerdings, und durch den Umstand, dass sich bekannte Erscheinungen auch durch die Annahme einer aktiven Arterienarbeit deuten liessen, ist aber deren Existenz noch nicht wahrscheinlich gemacht. In einer jüngsten Arbeit bringt W. R. Hess’) dadurch neue Gesichtspunkte in die Beurteilung der Frage, dass er an einem Objekt, bei dem die aktive Förderung des Blutstromes durch die Gefässe ausser Zweifel steht, diesen Vorgang eingehend untersucht, zum Zwecke, die wesentlichen Merkmale des aktiven Pulses festzustellen. Die Auswertung dieser Erfahrungen spricht gegen die Förder- tätigkeit der Arterien. Die, \nbeiten von Schäfer und Lohne. Im Gegensatz zu den bis jetzt kurz berührten Arbeiten zum all- gemeinen Thema des ‚‚peripheren Herzens“ beanspruchen zwei Publi- kationen unser besonderes Interesse, da sie sich mit derjenigen Er- scheinung befassen, deren Studium wir uns hier zur Aufgabe gemacht haben; es ist dies die Tatsache, dass unter bestimmten Umständen durch das Gefässsystem überlebender Organe ein grösseres Durchfluss- volumen befördert wird, wenn nicht mit konstantem, sondern mit - ıhythmischem Druck durchströmt wird. Die relative Überlegenheit der letzteren in bezug auf den Strömungseffekt wurde verschiedentlich l) Franz Mares, Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefässsystems. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 165 S. 159 u. 194. 1916; ibid. S. 337 u. 381. 2) W. R. Hess, Untersuchungen über den Antrieb des Blut- stromes durch aktive Gefässpulsationen. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 173 S. 243. 1918. 182 Alfred Fleisch: als Beweis für die aktive Förderung des Blutstromes durch die Arterien betrachtet. Ziel dieser Untersuchungen ist es, darüber Orien- tierung zu erhalten, ob der in Frage stehenden Erschei- nung tatsächlich die ihr zugemutete Beweiskraft zukommt. In den Versuchen von Schäfer!) wurde Ringer-Lösung mit einem Zusatz von defibriniertem Froschblut abwechselnd unter konstantem und rhythmischem Druck durch die Hinterbeine des Frosches ge- leitet, und es wurde in allen Versuchen der einwirkende Druck, das Stromvolumen, sowie die Zeit der Durchströmung gemessen. Zur Bestimmung des Mitteldruckes bei den rhythmischen Schwankungen wurden Maxima und Minima aller Pulse gemessen und daraus das Mittel gezogen, an welchem noch eine Korrektur angebracht wurde. Zur Vergleichung des rhythmischen mit dem konstanten Druck wurde von Schäfer in beiden Fällen das Durchflussvolumen bezogen auf Eee \ Stromvolumen { Druck- und Zeiteinheit, also — — — —— berechnet und mit- Mitteldruck mal Zeit einander verglichen. Schäfer fasst das Resultat seiner Versuche folgendermaassen zusammen: ‚Die unter konstantem und rhyth- mischem Druck durch die Gefässe der Hinterbeine des Frosches ge- triebenen Flüssigkeitsmengen sind gleich, wenn die in beiden Fällen einwirkenden Mitteldrucke gleich sind.‘‘ In einer weiteren Arbeit, bei der die gleiche Methode verwendet wird, untersucht Schäfer den Einfluss gefässerregender Mittel (Adrenalin, Pituitrin, Digitalis) auf die bei konstantem und rhythmischem Druck durch die Hinter- beine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen und findet, dass durch Zusatz dieser gefässerregenden Mittel zur Durchströmungs- flüssigkeit die Ausflussmengen bei rhythmischem Druck cet. par. deutlich grösser werden als beim konstanten. Ähnlich wie Schäfer macht Hühne ?) ebenfalls künstliche Durch- strömungsversuche mit rhythmischem und konstantem Druck. Hühne betrachtet die Hinterbeine des Frosches für den Nachweis einer Förde- rung des Blutstromes durch die pulsatorische Tätigkeit des Gefäss- systems wenig geeignet, da eine solche Förderung nicht allgemein konstant und bei allen Teilen des Gefässsystems gleich zu sein brauche, da sie dem Bedürfnis entsprechend reguliert werde. Hühne vertritt 1) Fritz Schäfer, Vergleichung der bei konstantem und rhyth- mischem Druck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssig- keitsmengen. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 151 S. 97. 1913. — Derselbe, Der. Einfluss gefässerregender Mittel auf die bei konstantem und rhyth- mischem Druck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeits- mengen. Ebenda Bd. 162 S. 378. 1915. 2) Hubert Hühne, Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch pulsatorische Tätigkeit der Blutgefässe. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 165 S-1.830..21/9116: Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 183 die gleiche Ansicht wie MareS!), wenn er schreibt: „Während des Ruhezustandes reicht vielleicht die Herztriebkraft aus, um den all- gemeinen Blutstrom zu unterhalten. Wird aber durch die Tätigkeit der Organe ihre Anforderung an Blutdurchströmung gesteigert, dann erst tritt vielleicht eine stärkere Förderung des Blutstromes in dem tätigen Organe durch pulsatorische Tätigkeit seines Gefässsystems ein.‘ Hühne glaubt, dass eine solche Förderung bei bestimmten Säugetierorganen, welche grosse Anforderungen an die Blutdurch- strömung machen, deutlicher hervortrete. Aus diesem Grunde ver- wirft Hühne die Hinterbeine des Frosches und verwendet frische Kaninchennieren, zum Teil auch Nieren von eben geschlachteten Schweinen. Zur künstlichen Durchströmung wird sauerstoffhaltige, körperwarme Locke’sche Lösung verwendet. Der rhythmische Druck wird in einigen Versuchen durch Öffnen und Schliessen eines Hahnes, in anderen durch rhythmisches Zusammenpressen eines mit Ventilen versehenen Kautschukballons erzeugt. Über die Methode, wie der rhythmische mit dem konstanten Druck verglichen wurde, schreibt Hühne: ‚Bei rhythmischer Durchströmung wurde am Manometer des Zuleitungsrohres das Druckmaximum und das Druckminimum abgemessen und so der Mitteldruck bestimmt. Dieser Mitteldruck wurde dann bei der ununterbrochenen Durchströmung verwendet. Die Ausflussmengen wurden durch Dividierung mit dem einwirkenden Druck und mit der Zeit auf Druck- und Zeiteinheit zurückgeführt, welche Grösse bei der rhythmischen Durchströmung mit R, bei ununter- brochener Durchströmung mit AK bezeichnet ist. Das Verhältnis R:X stellt den Unterschied zwischen der rhythmischen und der konstanten Durchspülung zahlenmässig dar. Ist die Zahl kleiner als 1, so ist die rhythmische geringer als die konstante. In dem Maasse, als diese Zahl grösser ist als 1, überwiegt die rhythmische Durchströmung über die konstante.“ Als Resultat aller Versuche Hühne’s zeigt sich eine Überlegenheit der rhythmischen Durchspülung der Säugetierniere über die konstante unter der Bedingung, dass die Niere ganz frisch und unbeschädigt ist, und dass die Niere während des Versuches warmgehalten wird. Kritik der Versuche mit rhythmischer und konstanter Durchströmung. Diese Überlegenheit des rhythmischen Druckes über den konstanten bei gleichen Mitteldrucken in bezug auf l) Franz MareS, Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefässsystems. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 165 S. 173—176. 1916. 184 Alfred Fleisch: das Stromvolumen wird nun von Hühne, MareS!) und Hasebroek ’) zugunsten einer aktiven Beteiligung der Blut- gefässe an der Förderung des Blutstromes durch die Organe gedeutet. Den gleichen Standpunkt scheint Hürthle?) einzunehmen; denn anlässlich einer Kritik der Arbeit Hamel’s schreibt Hürthle: „In der Tat könnte ein solcher Unterschied in der Wirkung der kon- stanten und rhythmischen Triebkraft wohl kaum anders gedeutet werden als durch die Annahme einer aktiven pulsatorischen Mit- wirkung der Gefässe.‘ Die Tatsache, dass die Überlegenheit des rhythmischen Druckes über den konstanten bei gleichen Mitteldrucken zur Begründung einer ‚aktiven Förderung des Blutstromes durch die Arterien herangezogen wird, bedarf einer eingehenden Erörterung; denn es liegt ein prinzipieller Fehler in der Voraussetzung, dass ohne aktive Förderleistung der Arterien die Strömungsvolumina bei rhythmischem und konstantem Druck einander gleich sein sollen, sofern nur die einwirkenden Mitteldrucke und die Zeit einander gleich sind. Hürthle selbst hat die Bedingungen, unter denen solche Versuche gemacht werden müssten, angegeben, wenn er schreibt, dass unter der Voraussetzung eines unveränderlichen Widerstandes Mitteldruck und Zeit experimentell bestimmt werden müssten. Doch wird später bei den Arbeiten Schäfer’s, die in Hürthle’s Laboratorium entstanden sind, die Forderung eines un- veränderlichen Widerstandes ausser acht gelassen. Von der Not- wendigkeit eines gleichen Widerstandes der durchströmten Bahn beim Vergleich der Durchflussvolumina bei konstantem und rhythmischem Druck überzeugt uns ein Blick auf die bekannten Formeln V;— — P . undaV. — no wobei V, das Durchflussvolumen, P, den Druck und r W, den Widerstand bei konstanter Durchströmung, V,, P,, W, die gleichen Grössen bei rhythmischem Druck darstellen. Wenn die Zeit des einwirkenden Druckes in beiden Fällen gleich ist und ferner der mittlere rhythmische Druck P, gleich dem konstanten Druck P; ist, so sind die Durchflussvolumina nur dann einander gleich, wenn die Widerstände gleich gross sind. Diese Forderung nach gleichen, un- veränderlichen Widerständen ist selbstverständlich. Wenn also DaMares, lc. 2) K. Hasebroek, Die Entwicklungsmechanik des Herzwachstums sowie der Hypertrophie und Dilatation des Herzens und das Problem des extrakardialen Blutkreislaufes. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 168 S. 247. 1917. (Siehe spez. S. 350.) 3) K. Hürthle, Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 147 S. 587. Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 185 ein System von Glaskapillaren abwechselnd mit konstantem und rhythmischem Druck durchströmt wird, so ist ohne weiteres klar, dass auch die Durchflussvolumina bei gleicher Zeitdauer einander gleich sind, sofern nur die Mitteldrucke in beiden Fällen dieselbe Höhe haben. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Poiseuille- sche Gesetz in diesem Fall sowohl für konstante wie rhythmische Durchströmungsart Gültigkeit hat. Nun haben wir aber bei der Durch- strömung eines lebenden Organes durchaus keinen konstanten Wider- stand vor uns; denn es ist bekannt und Hürthle selbst hat darauf hingewiesen, dass mit zunehmendem Druck der Widerstand durch Gefässerweiterung abnimmt. Bei der pulsatorischen Durchströmung fehlt also eine Grundbedingung für die Gleichheit der beiden Durchflussvolumina bei konstantem und rhythmischem Druck. Nun kann hier das Argument angebracht werden, dass bei der pulsaterischen Durchströmung wohl Gefässquerschnittsschwankungen stattfinden, die den Widerstand während der Pulsation variieren lassen, dass aber der Druck in einem Zeitmoment eben- soviel über dem rhythmischen Mitteldruck wie im folgenden Zeitmoment unter denselben zu liegen komme, und dass sich somit die Gefässquerschnittsschwankungen annähernd aufheben. Ein solches gegenseitiges Kompensieren der Gefässquerschnittsschwankungen könnte aber nur dann stattfinden, wenn der Ge- j ei “ N fässquerschnitt proportional dem steigenden Druck N a ne zunehmen würde, was nicht stattfindet, und dies selbst orausgesetzt, leisse die angeführte Argumentation immer noch nicht zu Recht bestehen, da der Widerstand keine direkte Funktion des Gefässquerschnittes ist, sondern sich mit dem Quadrat des Querschnittes verändert. Infolgedessen ist das Durchflussvolumen als reziproke Funktion des Wider- standes keine direkte, sondern eine quadratische Funk- tion des Querschnittes, wie aus der Poiseuille’schen Formel er- sichtlich ist. . Betrachten wir im Verlauf einer Druckänderung drei verschiedene, aber gleich lange Zeitdifferentiale (Abb. 1). Im ersten Zeitdifferential sei der herrschende Druck P, und das zugehörige Durchflussvolumen V,, im dritten Zeitdifferential sei der Druck P, und das Durchflussvolumen V,. Das zweite Zeitdifferential ist so gewählt, dass sein Druck P,, gleich dem Mittel aus den beiden er 6) 2 Drucken im ersten und dritten Zeitdifferential ist, also P)— Zu diesem Mitteldruck P„ gehört ein Durchflussvolumen von V,. Es sei die Voraussetzung zugestanden, dass sich der Querschnitt 186 Altred Fleisch: proportional mit dem Druck verändert, dass also der Querschnitt beim Mitteldruck P,„ gleich dem arithmetischen Mittel ist aus den beiden Querschnitten im ersten und dritten Differential. Weil das Durchflussvolumen eine quadratische Funktion des Quer- schnittes ist, entspricht das arithmetische Mittel der beiden Durchflussvolumina im ersten und dritten Differen- tial nieht dem Durchflussvolumen V,, das dem Mitteldruck entspricht, sondern es ist grösser als dieses ee v,) Diese Überlegung müssen wir auch auf die rhythmische Durch- strömung anwenden. Wir kommen somit zum Schluss, dass bei der Durch- strömung einer dehnbaren Widerstandsbahn, wie es das Gefässsystem darstellt, das Durchflussvolumen bei rhyth- mischer Durchströmung eo ipso grösser sein muss als das. Durchflussvolumen bei konstanter Durchströmung, sofern die Zeit und die Mitteldrucke einander gleich sind. Dieser Satz hat in dem Maasse Geltung, als die Dehnbarkeit der Röhren- wandungen bei der pulsatorischen Durchströmung zu Widerstands- veränderung Anlass gibt. Dies ist der Grund, weshalb wir keiner der bis heute bekannt- gegebenen Beobachtungen betreffend Überlegenheit der pulsatorischen Durchströmung irgendwelche Beweiskraft zuerkennen können zugunsten aktiver Förderleistung der Gefässwände. Experimentelle Belege zu meiner Kritik. Versuche an totem Material. Die angeführte Kritik verlangt, dass es auch an einer toten, dehn- baren Widerstandsbahn, bei der eine aktive Förderung ausgeschlossen ist, gelingen muss, eine Überlegenheit des rhythmischen Druckes über den konstanten in bezug auf das Stromvolumen zu erhalten. Zur experimentellen Nachprüfung wiederholte ich die Versuche von Schäfer und Hühne: aber anstatt einer frischen Niere wie Hühne verwendete ich eine dehnbare Widerstandsbahn aus totem Material. Diese bestand aus einem Stück eines komprimierten Schwammes, das von einer Gummimembran straff umspannt war. Auf zwei gegenüberliegenden Seiten des Schwammes waren Kanülen in die Gummimembran eingebunden, so dass der zugeführte Flüssig- keitsstrom die Kapillaren des Schwammes passieren musste, um auf der anderen Seite abfliessen zu können. Diese tote Widerstandsbahn stimmt mit, derjenigen der überlebenden Niere in folgenden Eigen- schaften überein: Der zugeführte Flüssigkeitsstrom muss in beiden Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 187 Fällen eine Summe von engsten Kapillaren durchfliessen, welche dem Strömen der Flüssigkeit den Widerstand entgegensetzen ; jedes Flüssig- keitsteilchen muss diesen Widerstand passieren, bevor es durch die Abflusskanüle ausfliessen kann. Genau so, wie sich die zuführenden Gefässe und Kapillaren der Niere unter höherem Druck erweitern und der Gesamtwiderstand dadurch herabgesetzt wird, so erweitern ‚sich die Kapillaren des Schwammes unter höherem Druck. Nur darin besteht ein Unterschied, dass die Gefässe des überlebenden Organes selbst elastisch sind und sich nach Aufhören des hohen Druckes von selbst wieder kontrahieren, während die Schwammkapillaren sich nur (durch Druck der gedehnten Gummikapsel verengern. Doch spielt diese Differenz für unsere Versuche keine Rolle; denn was wir von der toten Widerstandsbahn verlangen, ist, wie bei der überlebenden Niere, ein System von dehnbaren Widerstandskapillaren, deren Gesamt- widerstand durch erhöhten Druck vermindert und bei vermindertem Druck erhöht wird. Die für diese Versuchsserie angewandte Apparatur war folgende: Aus einer Druckflasche strömt Wasser durch einen kurzen, weichen Gummischlauch in die Widerstandsbahn. Unmittelbar davor zweigt ein T-Rohr ab zum Hürthle’schen Torsionsfedermanometer, das den konstanten wie den rhythmischen Druck äuf dem Kymographion registriert. Die pulsatorische Durchströmung wird durch rhythmisches Öffnen und Zusammenpressen des weichen Gummischlauches vor dem Abgang der Manometerleitung ausgeführt. Der Druck wird durch komprimierten ‚Sauerstoff erzeugt, der über der Flüssigkeit in der Reservoirflasche lastet. Um die Höhe des konstanten Druckes mög- lichst gleich dem Mitteldruck bei pulsatorischer Durchströmung zu machen, werden mehrere konstante Durchströmungen mit verschieden hohem Druck ausgeführt und derjenige zur Berechnung verwendet, der dem pulsatorischen Mitteldruck am nächsten kommt. Das Aus- flussvolumen wird in kleinen Messzylindern aufgefangen und die Menge direkt abgelesen. Die Zeit, während welcher die Flüssigkeit in den Messzylinder fliesst, wird auf der Trommel des Kymographions durch ein elektrisches Signal fixiert; auf der Trommel zeichnet ferner ein Jaquet’scher Chronograph !/, Sekunden. Die Bestimmung des rhythmischen Mitteldruckes aus der Druckkurvenfläche. In der Bestimmung des pulsatorischen Mitteldruckes bin ich zur Erreichung grösserer Genauigkeit von der Methode Hühne’s ab- gewichen, welcher den Mitteldruck lediglich aus Minimum und Maximum der Pulse bestimmte. Da dieses Vorgehen nur sehr ungenaue Werte liefert, berechnete ich den Mitteldruck aus der Fläche der Druck- 188 Alfred Fleisch: kurve, welche durch Umfahren mit dem Planimeter erhalten wird. Die mit dem Planimeter zu umfahrende Fläche ist einerseits begrenzt durch die, Nullinie des Druckes, welche der Hürthle’sche Apparat vorteilhafterweise schreibt, andererseits durch die Kurvenlinie. Der Beginn und das Ende, d. h. die Länge der Basis, der zu berechnenden Druckfläche sind durch die zwei Marken des elektrischen Signals gegeben, zwischen welchen das Ausflussvolumen aufgefangen und ge- messen wurde. Durch die Zeichnung des Chronographen kann die Zeit zwischen den beiden Signalmarken bestimmt werden. Die durch das Planimeter erhaltene Druckfläche und das gemessene Ausfluss- volumen werden nun auf eine Minute umgerechnet. Die gleiche Methode wird beim konstanten Druck verwendet. Auf diese Weise werden für die konstante und für die rhythmische Durchströmung folgende Daten erhalten: Ausflussvolumen pro Minute in Kubikzentimeter und Druckfläche pro Minute in Quadratzentimeter. Bei gleicher Trommel- geschwindigkeit für die rhythmische und konstante Durchströmung ist die Basis der rhythmischen und der konstanten Druckfläche gleich lang; zum Beispiel bei einer Trommelgeschwindigkeit von 60 cm in der Minute beträgt die Basis in beiden Fällen 60 cm. Die Druckfläche in Quadrat- zentimeter pro Minute dividiert durch die Basis in Zentimeter pro Minute ergibt die Höhe des Druckes in Zentimeter, d. h. die Grösse des Manometerausschlages in Zentimeter. Diese Druckhöhe ist für den konstanten Druck gleich dem registrierten Ausschlag des Mano- meters, für den rhythmischen Druck gleich dem Mitteldruck. Da die konstante wie die rhythmische Druckfläche pro Minute die gleich lange Basis haben, so ist es gar nicht notwendig, diesen Quotient Druckfläche pro Minute dividiert durch Basis pro Minute zu bilden, sondern es können die beiden Druckflächen direkt miteinander ver- glichen werden. Der konstante Druck ist dann gleich dem rhythmischen Mitteldruck, wenn die beiden Drucktlächen pro Minute gleichen Inhalt haben. In diesem Falle kann das minutliche Durchflussvolumen bei rhythmischer Durchströmung direkt verglichen werden mit demjenigen bei konstanter Durchströmung. Da bei der konstanten Durchströmung immer mehrere Kurven mit verschieden hohem Druck aufgenommen sind, kann für den Ver- gleich des rhythmischen mit dem konstanten Durchflussvolumen der- jenige konstante Druck gewählt werden, dessen Druckfläche möglichst nahe kommt der Druckfläche bei rhythmischer Durchströmung. Immer- hin gelingt es im Experiment nur selten, genau gleich grosse Druck- flächen zu erhalten. Deshalb muss das experimentelle Resultat noch rechnerisch reduziert, d. h. die beobachteten Durchflussvolumina auf &leiche Druckwerte bezogen werden. Diese Reduktion erreichen wir mittels Division jedes beobachteten ‘"Stromvolumens durch den zu- Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 189 gehörigen Mitteldruckwert. In dem so erhaltenen Wert haben wir das exakte Maass zum Vergleich der Strömungseffekte bei konstanter und rhythmischer Druckwirkung. Die reduzierten Stromvolumina seien für den rhythmischen Druck i Ana DEZ mit \',„, für den konstanten mit V, bezeichnet. Ihr Quotient = gibt k V. das Verhältnis der beiden Stromvolumina an. Ist m grösser als 1, iR so überwiegt das Stromvolumen bei rhythmischer Durchströmung, ist dieser Quotient kleiner als 1, so überwiegt die konstante Durch- strömung. Die beschriebene Methode der Bestimmung des Mitteldruckes aus der Druckfläche ist wohl etwas komplizierter als die von Hühne und Schäfer angewandten Methoden, dafür aber exakter und entsprechend zuverlässiger. : Die Beziehung von Druck und Widerstand einer toten, dehnbaren Widerstandsbahn. Um die auf diese Weise erhaltenen Resultate interpretieren zu können, müssen zuerst die Widerstandsverhältnisse dieses toten Organes näher festgelegt werden, insbesondere die Abhängigkeit des Wider- standes vom Druck. Die Bestimmung des Widerstandes geschieht am einfachsten aus der Beziehung von Druck und Durchflussvolumen ; wir werden somit die Abhängiskeit des Durchflussvolumens vom Druck näher untersuchen und dabei im Auge behalten, dass bei konstantem Widerstand das Durchflussvolumen propor- tional mit dem Druck ansteigen wird. In einem Ordinaten- system, in dem der Druck als Abszisse und das Volumen als Ordinate aufgetragen ist, wird die so erhaltene Kurve des Durchfluss- volumens, sofern der Widerstand konstant bleibt, eine Gerade bilden. Da von diesen Kurven des Durchflussvolumens noch häufig die Rede sein wird, bezeichne ich sie in Zukunft kurzer- hand als Volumkurven. Sinkt mit steigendem Druck der "Widerstand, so ergibt sich daraus ein mehr als proportio- nales Anwachsen der Volumkurve, die um so steiler an- steigt, je grösser die Widerstandsherabsetzung ist. Für diesen Versuch 1 wurde die gleiche Apparatur verwendet, wie sie nachher für die Versuche mit pulsatorischer und konstanter Durch- strömung der toten Widerstandsbahn in Anwendung kam. Nur war an Stelle des Hürthle’schen Manometers ein Quecksilbermanometer an die Zweigleitung angeschlossen. Das Durchflussvolumen wurde während einer bestimmten Zeit bei verschiedenen Drucken von 10 bis 190 Alfred Fleisch: 120 mm Hg in einem Messzylinder aufgefangen. Der Druck ist als Abszisse, das zugehörige Durchflussvolumen ist als Ordinate auf- getragen. Versuch 1 (Abb. 2). Durchströmung einer toten, dehnbaren Wider- standsbahn. Als Abszisse ist der Druck, als Ordinate das Durchfluss- volumen aufgetragen. Bei höheren Drucken zeigt die Volumkurve ein stark überproportionales Anwachsen, welches durch Widerstandsherab- setzung bedingt ist. Ä Versuch 1 mit der zugehörigen Abb. 2 demonstriert diese Ver- hältnisse; es ist daraus das stark überproportionale Anwachsen der Volumkurve bei höheren Drucken deutlich ersichtlich. Die Volum- kurve, die anfangs einer Geraden ähnlich ist, bekommt mit zunehmendem Druck einen immer steiler werdenden Verlauf als Ausdruck der immer zunehmenden Wider- standsherabsetzung. Diese Kurve gibt den Beleg dafür, 160 dass in diesem toten Widerstands- 140 gebilde derjenige Faktor vorhan- den ist, der eine Überlegenheit der E rhythmischen über die konstante Er Durchströmung verursachen muss. 2 0 Dieser Faktor ist das Sinken = © des Widerstandes in der durch- 3 or strömten Bahn als Folge des steigenden Druckes. Es handelt sich hier vorerst nur 0 2% 40 60 80 100 1? mm Hg“ Um den experimentellen Beweis der ApB prinzipiellen Tatsache, dass unter den geforderten Bedingungen der rhythmische Druck dem konstanten in bezug auf das Stromvolumen überlegen ist. Ob das lebende Gefässsystem diese geforderten Be- dingungen der Widerstandsbahn erfüllt, soll später untersucht werden. Die Beziehung des konstanten und rhythmischen Strömungseffektes der toten, dehnbaren Wider- standsbahn. Nach der oben angegebenen Methode wurden eine ganze Anzahl Durchströmungen mit rhythmischem und konstantem Druck durch- geführt. Die Art und Höhe der Pulsationen sowie die Höhe des kon- stanten Druckes zeigt Abb. 3, welche zu Versuch 2 gehört. Versuch 2 (Abb. 3). Rhythmische und konstante Durchströmung einer töten, dehnbaren Widerstandsbahn. Die in verschiedenen Versuchen erhaltenen Werte sowie die daraus V IE gebildeten Quotienten nz sind aus nachfolgender Tabelle ersichtlich. k Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 191 ne] er Druck- | Austluss- |Y pro Minute N a h D as an fläche pro | volumen V |dividiertdurch| V‘ =, 2 an He Minute in |pro Minute| Druckfläche 17° Bes a = qem in cem pro Minute 9 Rhythm. 23—108 59 98,5 Karl == 1% 1.67 Konst. 66 64 64 10 = Vi In 9 Rhythm. 21—104 53,4 12,4 1,5 = Vr 1.53 2 Konst. 54 49,0 43,2 0,88 — Vh ” 4 { Rhythm. 2—91 30,9 42,0 1,36 = Vr 2.01 Konst. 39,5 32,4 21,8 OH — Vr a S Rhythm. 52 —104 12,6 86,8 1,297 — VW > { Konst. 9 67,5 90.6 1345 Vr 10,94 Aus Versuch 2, 3 und 4 und einer Reihe anderer, hier nicht auf- geführter Versuche ist klar ersichtlich, dass die rhythmische Abb. 3. Durchströmung bei Zeit- und Druckgleichheit der kon- stanten überlegen ist. Die aufgestellte theoretische Forderung, dass die rhythmische Durch- strömung eines dehnbaren Widerstandes aus rein mechanischen Gründen ein grösseres Durchflussvolumen ergebe als die konstante Durch- strömung, ist somit experimentell bestätigt. Es ist hier noch auf eine auffallende Erscheinung hinzuweisen, ® .die Versuch 5 zeigt. Hier ist nämlich der Quotient = kleiner als 1; die rhythmische Durchströmungsart ist hier also unterlegen. In diesem Versuch sind die Druckschwankungen (52— 104 mm Hg) geringer als in den anderen Versuchen, wodurch der konstante Druck ziemlich hoch zu liegen kommt (90 mm Hg). Bei Betrachtung dieses Abschnittes der Volumkurve von Versuch 1 (Abb. 2) sollte man erwarten, dass wegen des überproportionalen Anwachsens der Volumkurve auch Ver- 192 Alfred Fleisch: such 5 eine Überlegenheit der rhythmischen Durchströmung geben sollte. Die gleiche Beobachtung machte ich in folgendem Versuch: Versuch 6: Durchströmung eines dünnen, sehr dehnbaren Schlauches (Ventilschlauch). Die in gleicher Weise wie in Versuch 1 (Abb. 2) auf- gestellte Volumkurve ergibt ebenfalls ein überproportionales Ansteigen des Volumens über den Druck. Allerdings ist die Überproportionalität hier nicht so stark wie in Versuch Il. Die rhythmische und konstante v - Durchströmung ergibt einen Quotienten nn der meistens kleiner ist ; ; als 1, im besten Falle gleich 1. Genau die gleiche Erscheinung ergab sich mir auch bei Durch- strömung lebender Organe, wie auch Hühne die gleiche Beobachtung machte, ohne sie allerdings näher zu analysieren. Es scheint also bei der rhythmischen Durchströmung ganz allgemein ein bis jetzt unberück- sichtigter Faktor mit im Spiele zu sein, welcher der Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart unter Umständen so stark ent- gegenwirkt, dass die konstante Durchströmung die Oberhand erlangt. Welcher Art dieser hemmende Faktor ist, bedarf einer gesonderten Untersuchung, die nicht zu dieser Arbeit gehört. Wahrscheinlich spielt die Turbulenz, für welche bei der pulsatorischen Durchströmung in erhöhtem Maasse Gelegenheit geboten ist, eine Rolle. Nicht zu übersehen ist ferner der Arbeitsverlust, der bei Dehnung und Kon- traktion von elastischen Körpern infolge der sogenannten Hysteresis auftritt. Jedenfalls ergeben unsere Beobachtungen, dass die Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart an ausgiebige Druckschwan- kungen gebunden ist. Die Beziehung zwischen Druck und Durchflussvolumen bei ‚ Durchströmung der überlebenden Kaninchenniere. Wir haben bis anhin klargelegt, dass die Überlegenheit des rhyth- mischen Druckes lediglich als Folge des überproportionalen Anwachsens des Durchflussvolumens bei steigendem Druck erscheint, also eine mechanische Folge der dehnbaren Widerstandsbahn ist. Das Gefäss- system einer überlebenden Niere stellt ebenfalls eine dehnbare Wider- standsbahn dar; der rhythmische Druck wird also, so erwarten wir, dem konstanten ebenfalls überlegen sein! Es hängt dies davon ab, ob die Widerstandsherabsetzung bei Druckanstieg ausgiebig genug ist. Darüber unterrichtet uns der Verlauf der Volumkurve, wie sie für die tote Widerstandsbahn aufgestellt wurde. Um aus dieser Versuchsreihe direkte Schlüsse auf die Versuche Hühne’s ziehen zu können, verwendete ich, wie Hühne, vorwiegend Nieren von eben getöteten Kaninchen. Die einfache Technik bei Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 193 dieser Versuchsserie war folgende: Aus einem Druckgefäss strömte sauerstoffgesättigte Ringer-Lösung durch eine Heizspirale mit Blasen- fänger direkt in die Niere, die während des ganzen Versuches in körper- warme Ringer-Lösung eingetaucht war. Der gewünschte Druck wurde durch eine Sauerstoffbombe mit feinem Reduzierventil hergestellt unter Kontrolle eines Quecksilbermanometers, das kurz vor der Arterien- kanüle abzweigte. Das zu jedem Druck gehörige Durchflussvolumen wurde durch Auffangen des Abflusses aus der Venenkanüle in einem kleinen Messzylinder direkt gemessen. Die Durchströmungszeit dauerte jeweils 30 Sekunden bis 1 Minute. In den folgenden Kurven ist der Druck in Millimeter Quecksilber als Abszisse, das zugehörige Durch- flussvolumen in Kubikzentimeter pro Minute als Ordinate aufgezeichnet. Versuch 7 (Abb. 4). Durchströmung einer frischen Kaninchenniere mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. Als Abszisse ist der Druck in Millimeter Hg, als Ordinate das Durchflussvolumen in Kubikzentimeter pro 1,4 6 1,2 7 cem pro Minute = [e 0) cem pro Minute | 0 20 40 60 80 100 120 mmHg 0 20 40 60 80 100 mm Hg Abb. 4. Abb. 5. Minute aufgetragen. Die immer steiler anwachsende Kurve demonstriert das stark überproportionale Anwachsen des Durchflussvolumens über den zugehörigen Druck. Versuch 8 (Abb. 5). Durchströmung einer frischen Kaninchenniere mit Rinderblut. Als Abszisse ist der Druck in Millimeter Hg, als Ordinate das Durchflussvolumen in Kubikzentimeter pro Minute aufgetragen. Hier ist das überproportionale Ansteigen der Volumkurve ein sehr akzentuiertes. ‚Das Durchflussvolumen bei einem Druck von 30 mm Hg ist gleich Null, um von 60 mm Hg an ganz plötzlich emporzuschnellen. Diese angeführten und zehn weitere gleiche Versuche stimmen sämtliche darin überein, dass das Stromvolumen durch eine frische Kaninchenniere bedeutend rascher ansteigt, als dem zu- gehörigen Druck entsprechen würde. Die Linie, die entsteht, wenn wir die im Ordinatensystem aufgetragenen Werte der Durchfluss- volumina miteinander verbinden, ist eine nach rechts immer stärker ansteigende Kurve. Das sehr ausgeprägte überproportionale Ansteigen der Volumkurve in Versuch 8 (Abb. 5) bei Durchströmung mit Blut ist zweifellos durch die korpuskulären Elemente des Blutes bedingt, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 13 194 Alfred Fleisch: welche die bei niederem Druck nicht genügend entfalteten Faplluen überhaupt nicht mehr passieren können. Die Durchströmung einer frischen Kaninchenniere er- gibt also dieselben Erscheinungen, wie wir sie bei dem Organ aus totem Material gefunden haben, nämlich eine starke Widerstandsherabsetzung bei steigenden Drucken. Diese Widerstandsherabsetzung wurde oben als derjenige Faktor fest- gelegt, durch welchen die Überlegenheit des rhythmischen über den konstanten Druck bedingt ist. Die rhythmische Durchströmung einer frischen Niere muss also aus diesen rein mechani- schen Gründen der konstanten überlegen sein. Noch eine andere interessante Beobachtung hat diese Versuchs- serie geliefert, die eine Erklärung abgibt, warum die rhythmische Überlegenheit in den Versuchen von Hühne nur bei ganz frischen Nieren auftrat und immer mehr verschwand, je länger das Organ aus dem Körper entfernt war. Diese Beobachtung demonstriert auf das auffälligste Versuch 9 (Abb. 6). Versuch 9 (Abb. 6). Durchströ- mung einer Kaninchenniere mit sauer- stoffgesättigter Ringer-Lösung. Als Abszisseist der Druck inMillimeter Hg, als Ordinate das Durchflussvolumen in Kubikzentimeter pro Minute auf- getragen. Die ausgezogene Kurve ist die Volumkurve der ganz frischen Niere, die gestrichelte Abb. 6. Linie die Volumkurve der gleichen Niere, aber 1. Stunde später. Die Volumkurve der frischen Niere (ausgezogene Linie) zeigt das "bekannte, immer stärker werdende Aufsteigen nach rechts als Aus- druck einer Widerstandsherabsetzung bei zunehmendem Druck. Ganz anders sieht die Volumkurve aus eine Stunde, nachdem die Niere aus dem Körper entfernt ist (gestrichelte Linie). Das immer steiler werdende Ansteigen ist verschwunden, die Volumkurve hat fast ganz die Form einer Geraden. Dieses Verhalten wurde in sämtlichen Ver- suchen beobachtet, allerdings nicht immer so auffallend, wie in Ver- such 9. Es erklärt, warum frische Nieren die Überlegenheit der rhyth- mischen Durchströmungsart ergeben, bei älteren Nieren aber diese ‚Überlegenheit immer mehr schwindet, bis schliesslich der konstante Druck überlegen ist. Ob der Grund für dieses Verhalten in einer verminderten Gefässelastizität der älteren Niere oder in dem bei künstlicher Durchströmung mit Ringer-Lösung auftretenden Ödem zu suchen ist, bleibe dahingestellt. Diese sämtlichen Versuche haben gezeigt, dass bei langsamem Druck- cem pro Minute Ü) 20 40 60 80 mm Hg Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 195 anstieg im Verlauf von einigen Minuten das Durchflussvolumen weit stär- ker anwächst, als dem Druck entsprechen würde. Diese Erscheinung kann sicher nicht auf eine aktive Förderung des Flüssigkeitsstromes durch die Gefässe bezogen werden, da die Durchströmung bei konstantem Druck durchgeführt wurde und bei den Druckerhöhungen immer zuerst einige Sekunden gewartet wurde bis zur Adaptation der Gefässe an die neue Druckhöhe, bevor das Messen des Ausflussvolumens einsetzte. Der überproportionale Volumanstieg ist zweifellos durch eine progressive Widerstandsherabsetzung bei steigendem Druck bedingt, welche auf Dehnung der Gefässe durch den höheren Druck zu beziehen ist. Die von W.R. Hess !) festgelegte Veränderlichkeit desinneren Strömungswiderstandes bei Blut und vielen kolloidalen Lösungen fällt hier ausser Betracht, da die Durchströmung mit Ringer-Lösung ausgeführt wurde und mit dem Registrieren des Ausflussvolumens erst begonnen wurde, nachdem alles Blut aus dem Organ ausgewaschen war. Zudem ergaben verschiedene Versuche, direkt hintereinander an der gleichen Niere ausgeführt, die gleichen Resultate; es ist somit aus- zuschliessen, dass Spuren von Blut, die zu Beginn des Versuches noch ausgewaschen wurden, von Einfluss sein konnten. Nur in Versuch 8 kann die Inkonstanz des inneren Strömungs- 0 20 40 60 80 100 10mm He widerstandes eine Rolle spielen, da Ah 7 hier mit Blut gearbeitet wurde. Alle aufgeführten Volumkurven wurden bei steigendem Druck her- gestellt, und es wäre denkbar, dass eine Volumkurve, die mit ab- nehmendem Druck hergestellt ist, ein wesentlich anderes Verhalten aufweisen würde. Versuch 10 (Abb. 7) demonstriert nun zwei etwas differente Volumkurven, von welchen die eine (ausgezogene Linie) mit aufsteigendem Druck, die andere (gestrichelte Linie) mit ab- steigendem Druck aufgenommen wurde. Dabei zeigt sich, dass die Disproportionalität zwischen Druck und Durchflussvolumen bei absteigendem Druck noch stärker hervortritt als bei aufsteigendem Druck. Die wesentliche Tatsache ist, dass die Überproportionalität des Volumens über den Druck, welche bei aufsteigendem Druck festgestellt wurde, auch bei ab- steigendem Druck in Erscheinung tritt. Versuch 10 (Abb. 7). Durchströmung einer frischen Kaninchenniere mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. Als Abszisse ist der Druck in cem pro Minute 1) W. R. Hess, Gehorcht das Blut dem allgemeinen Strömungsgesetz der Flüssigkeiten ? Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 162 S. 187. 1915. 13 * 196 Alfred Fleisch: Millimeter Hg, als Ordinate das Durchflussvolumen in Kubikzentimeter pro Minute aufgetragen. Die ausgezogene Linie ist die Volumkurve bei langsam ansteigendem, die gestrichelte die Volumkurve bei langsam absteigendem Druck. Diese Versuchsserie hat ergeben, dass bei Durchströmung einer überlebenden Niere mit langsam ansteigenden Drucken das Durch- flussvolumen bedeutend rascher ansteigt, als dem Druck entsprechen würde, dass also eine ausgiebige Widerstandsherabsetzung bei zu- nehmendem Druck stattfindet. Doch ist dieses Verhalten nur bei frischen überlebenden Nieren zu beobachten; je länger die Niere aus dem Organismus entfernt ist, um so mehr verschwindet dieses über- proportionale Anwachsen der Volumkurve. Bei frischen Nieren findet also bei Druckanstieg diese Widerstandsherabsetzung statt, die wir als maassgebend dafür gekennzeichnet haben, dass dadurch eine Überlegen- heit der rhythmischen Durchströmungsart auftreten muss. Die Beziehung von Durchfiussvolumen und Druck beim Frosch- präparat und die Veränderuug dieser Beziehung durch Adrenalin. Eine auffällige Erscheinung in den Versuchen von Schäfer ist bis jetzt noch unerwähnt geblieben, nämlich die Beobachtung Schäfer’s, dass pulsatorische und konstante Durchströmung beim Frosch das gleiche Durchflussvolumen ergeben, und dass erst durch Adrenalin- zusatz zur Durchströmungsflüssigkeit der rhythmische Durchströmungs- eitekt grösser wird. Die Veranlassung zu diesen Untersuchungen Schäfer’s war die Beobachtung Hürthle’s, dass unter Adrenalin- einfluss die systolische Schwellung erhöht wird. Für diese Vergrösserung der systolischen Schwellung unter Adrenalineinfluss hat Hürthle keine physikalische Grundlage gefunden, und er nimmt deshalb eine physiologische Ursache als möglich an, welche vielleicht in einem aktiven Eingreifen der Arterienwand in Form einer peristaltischen Welle bestehe, die entweder durch systolische Energieentwicklung oder systolische Herabsetzung des Widerstandes wirken könne. Die gleiche Auffassung vertritt Schäfer, wenn er in der Zusammenfassung schreibt, dass eine Erklärung der fördernden Wirkung des Pulses bei Anwendung von gefässerregenden Mitteln (Adrenalin, Pituitrin, Digitalis) zurzeit nicht gegeben werden könne. Die Hypothese von der aktiven Tätigkeit der Arterien habe zwischen den beiden Möglich- keiten zu entscheiden, ob unter der Wirkung des Pulses eine Abnahme des Widerstandes in der durchströmten Bahn erfolge oder ob in den Arterien eine Kraft ausgelöst werde, welche die vom Herzen auf- gebrachte unterstützt. Ich habe in den folgenden Experimenten nun versucht, eine Er- klärung beizubringen, warum in den Versuchen Schäfer’s die rhyth- Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 197 mische Durchströmungsart der konstanten nur unter Adrenalinwirkung überlegen war. Ich ging dabei in der gleichen Weise vor wie bei der Durchströmung der Niere unter konstantem Druck und stellte die Abhängigkeit des Durchflussvolumens vom Druck fest bei Durch- strömung der hinteren Extremitäten des Frosches mit sauerstoff- gesättigter Ringer-Lösung. Anstatt die Ausflussmenge zu messen, ver- wendete ich die einfachere und exaktere Methode der Registrierung der Zuflussmenge nach dem Überlaufprinzip, wie sie von mir an- gegeben wurde!). Die erhaltenen Werte wurden in einem Ordinaten- system aufgetragen, als Abszisse der Druck in Zentimeter Wasser- säule, als Ordinate das Durchflussvolumen in Tropfen pro Minute. Der Wert der Schäfer’schen Versuche erscheint mir von vorn- herein zweifelhaft, da die experimentelle Technik von Schäfer nicht einwandfrei ist. Es betrifft dies nämlich die Druckhöhe, mit der Schäfer die Hinterbeine des Frosches durchströmte, welche weit über dem maximalen Blutdruck des Frosches gelegen ist. Ich habe den Blutdruck des Frosches bestimmt durch Einbinden eines Steig- rohres in den Bulbus und Werte erhalten, die sich zwischen 12 und 17 cm Blutsäule bewegen. Schäfer verwendet nun aber für seine Adrenalinversuche Mitteldrucke von 38—59 cm, und seine Maximal- drucke reichen von 5l1—84 cm Wassersäule. Selbstverständlich ex- perimentiertt Schäfer bei Verwendung von solch hohen Drucken nicht mehr unter physiologischen Verhältnissen, und es ist von vorn- herein fraglich, ob seine Resultate auf physiologische Verhältnisse übertragen werden können. Aber trotzdem verlangen seine Resultate eine nähere Erörterung, weil sie als Beleg für die aktive Förderung angeführt wurden. Da die folgende Versuchsserie eine Erklärung bringen soll für die Versuche Schäfer’s, so musste ich unter den möglichst gleichen Bedingungen experimentieren wie Schäfer; ich musste also ebenfalls diese viel zu hohen Durchströmungsdrucke verwenden. Versuch 11 (Abb. 8). Durchströmung der hinteren Extremitäten des Frosches mit steigenden Drucken. Der Druck in Zentimeter Wasser ‚ist als Abszisse, das Durchflussvolumen in Tropfen pro Minute als Ordinate aufgetragen. Die ausgezogene Linie ist die Volumkurve bei Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. Die gestrichelte Linie ist die Volumkurve bei Zusatz von Adrenalin 1/500000. Diese Kurve proportional _ vergrössert ergibt die punktierte Kurve. Abb. 8 (Versuch 11) gibt die Volumkurven wieder, die erhalten wurden bei Durchströmung ohne Adrenalin (ausgezogene Kurve) und mit Adrenalinzusatz von 1/500000 (gestrichelte Kurve). Während 1) A. Fleisch, Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäure- wirkung auf die Blutgefässe. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 171 S. 86. 1918. 198 : Alfred Fleisch: ohne Adrenalin die Volumkurve ein ziemlich proportio- nales Ansteigen aufweist, ändert sich dieses Verhalten bei Adrenalinzusatz zur Durchströmungsflüssigkeit. Hier wird das Durch- flussvolumen einmal in toto geringer, aber von dieser Verminderung 10 werden namentlich die Volumina bei kleinen Drucken betroffen. Dadurch bekommt die Volum- kurve unter Adrenalinzusatz das Aussehen einer nach rechts immer steiler an- steigenden Kurve; das über- proportionale Anwachsen der Volumkurve ist augenfällig. Die Differenz im Verlauf der beiden Kurven wird namentlich auffällig, wenn die Ordinaten der Ad- 0 10 20 80 40 50 60 70.80 cm Wasser Tenalinvolumkurve so pro- Abb. 8. portional vergrössert wer- den, dass der höchste Punkt derselben zusammenfällt mit dem höchsten Punkt der Volumkurve ohne Adrenalin. Diese proportional vergrösserte Adrenalinvolumkurve ist in den Abbildungen punktiert eingetragen. 160 140 120 100 80 Tropfen pro Minute 60 40 Noch ausgeprägter werden diese Verhältnisse bei Verwendung von grösseren Adrenalinkonzentrationen, wie in Versuch 12 (Abb. 9), wo zur Ringer-Lösung Adrenalin 1/200000 zugesetzt war. Auch hier ist die Volumkurve ohne Adrenalin ım beinahe eine Gerade (ausge- 2190 zogene Linie). Unter Adrenalin- 3 10 zusatz wird das Durchfluss- In volumen äusserst gering, bis a r zu einem Druck von 40 cm = Wasser überhaupt gleich Null. a Die gestrichelte Kurve gibt das tatsächliche Durchflussvolumen | unter Adrenalin an, die 0 10 © 30 40 50 60 70 80 cm Wasser pPunktierte ist die gleiche Abb. 9. ‚Kurve, aber proportio- nalvergrössert. Versuch 12 (Abb. 9). Durchströmung der hinteren Extremitäten des Frosches. mit sauerstoffgesättigter Ringer -Lösung zuerst ohne Adrenalin (ausgezogene Linie) und nachher mit Adrenalinzusatz von 1/200000 (ge- strichelte Linie). Als Abszisse ist der Druck in Zentimeter Wasser, als Ordinate das Durchflussvolumen in Tropfen pro Minute aufgetragen. Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 199 Durch Adrenalin wird das Durchflussvolumen sehr gering. Die punktierte Kurve ist die proportional vergrösserte Adrenalinkurve. Von der Verwendung von noch grösseren Adrenalinkonzentrationen, wie Schäfer, der mit einer Konzentration von 1/100000 arbeitete, musste ich Abstand nehmen, da bei meinem Präparat dadurch voll- kommener Gefässverschluss hervorgerufen wurde. Ich glaube, dass durch diese und fünf weitere übereinstimmende Versuche klargelegt sein dürfte, warum Schäfer bei Durchströmung ohne Adrenalin keine Überlegenheit des rhythmischen Druckes er- zielen konnte. Die mechanischen Bedingungen, nämlich die Herab- setzung des Widerstandes bei steigendem Druck, ist in diesen Ver- suchen nicht erfüllt; denn die Volumkurve stellt annähernd eine Gerade dar. Ebenso klar ist, dass durch Adrenalinzusatz die rhythmische Durchströmung überlegen wird; hier ist eben die notwendige mechanische Bedingung erfüllt: der Widerstand wird durch Druckerhöhung vermindert. Diese Widerstandsherabsetzung bei Druckanstieg unter Adrenalineinfluss findet übrigens in dem Maasse nur statt bei Verwendung von hohen Drucken; bei Drucken innerhalb der physiologischen Grenzen fällt sie bedeutend geringer aus, wie aus einigen anderen, hier nicht speziell aufgeführten Versuchen hervorgeht. Die sämtlichen aufgestellten Volumkurven beziehen sich auf relativ langsame Druckveränderungen, langsamer, als dem Ablauf der natür- lichen Pulsationen entspricht. Auch bei diesen müssen Querschnitts- veränderungen als Folge der Druckschwankungen analoge Konsequenzen haben. So bestimmt das aus theoretischen Gründen zum voraus ab- geleitet werden kann, so muss diese Schlussfolgerung doch experimentell erhärtet werden. Wir sind damit vor eine neue Aufgabe gestellt, in welcher der Einfluss des Zeitfaktors bei Druckschwankungen auf die Widerstandsveränderungen zu untersuchen ist. Die Notwendigkeit, rasche Variationen von Druck und Stromstärke fortlaufend zu re- gistrieren, erfordert eine spezielle Apparatur mit optischer Registrierung von Druck und Stromstärke; denn nur eine solche kann den gestellten Anforderungen vollkommen genügen. Ich werde diese Untersuchungen, die vor dem Abschluss stehen, in einer nächsten, in diesem Archiv erscheinenden Arbeit publizieren. Zusammenfassung. In der Einleitung wird eine kurze Übersicht über die wichtigsten ‚Arbeiten gegeben, die das Problem der aktiven Förderung des Blut- stromes durch die. Arterien zum Gegenstand haben. Eingehend wird über die Publikationen von Schäfer und Hühne referiert, welche 200 Alfred Fleisch: sich mit rhythmischer und konstanter Durchströmung überlebender Organe befassen. Unter gewissen Umständen beobachteten diese Autoren eine Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart, welche sie mit anderen Autoren zugunsten einer aktiven Förder- leistung der Arterien deuten. Die Berechtigung, aus der Überlegenheit des rhythmischen Druckes über den konstanten auf eine aktive Förderleistung der Arterien zu schliessen, stellen wir in Abrede: denn es liegt ein prinzipieller Fehler in der Voraussetzung, dass ohne Förderleistung der Arterien die Strömungseffekte bei rhythmischem und konstantem Druck einander gleich sein sollen. Wegen der Abhängigkeit des Durchflussvolumens vom Quadrat des Querschnittes muss bei Durchströmung einer dehnbaren Widerstandsbahn das Durchflussvolumen bei rhythmischer Durchströmung aus rein mechanischen Gründen grösser ausfallen als — cet. par. — das Durchflussvolumen bei konstanter Durchströmung. Ursache für das Zustandekommen der Überlegenheit des rhythmischen Druckes ist eine Widerstandsherabsetzung der durchströmten Bahn bei Druckanstieg. Die Richtigkeit der Kritik wird experimentell nachgewiesen an einer toten, dehnbaren Widerstandsbahn, bei welcher eine Widerstandsherabsetzung bei Druckerhöhung erfolgt. Auch hier er- gibt die rhythmische Durchströmungsart ein grösseres Durchflussvolumen als die konstante, sofern Mitteldruck und Zeiten in beiden Fällen gleich sind. Für die Bestimmung des rhythmischen Mitteldruckes wird das exaktere Verfahren angewendet, bei welchem der Mitteldruck aus der mit dem Planimeter bestimmten Fläche der Druckkurve be- rechnet wird. Die Untersuchungen über die Beziehung von Druck und Durchflussvolumen bei der überlebenden Kaninchenniere ergeben, dass bei Druckanstieg das Stromvolumen rascher wächst, als dem zugehörigen Druck entsprechen würde. Es findet also eine Herabsetzung des Widerstandes bei Druck- anstieg statt. Diese Widerstandsherabsetzung bei Druckanstieg lässt sich für die hinteren Extremitäten des Frosches nur unter Adrenalinwirkung nachweisen. Dadurch lässt sich die Beobachtung Schäfer’s erklären, dass nur unter Adrenalinwirkung die Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart auftritt. ‚Aus der angeführten Überlegung und den experimentellen Re- sultaten kann schon jetzt mit voller Bestimmtheit die Be- Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durchströmungsart. 201 rechtigung dazu bestritten werden, die relative Überlegen- heit der rhythmischen Durchströmung überlebender Or- gane als ein Zeichen aktiver Fördertätigkeit der Arterien anzusprechen. 5 Eine nächste Arbeit wird eine Erweiterung der experimentellen Belege bringen mit einer Methodik gewonnen, welche speziell ge- stattet, die Verhältnisse bei rasch ablaufenden Druckschwankungen zu untersuchen. Zur Theorie der Narkose. Über den Einfluss der Temperatur auf die Adsosbiere das Kolloidfällungsvermögen und die Wirkungsstärke einiger Narkotika. Von Dr. R. Bierich. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel.) (Eingegangen am 11. Oktober 1918.) 5 Die von Hans Horst Meyer und Overton entwickelte Lipoid- theorie der Narkose hat durch den ersteren im Jahre 1901 eine be- sonders wirksame Stütze mit dem Nachweis erhalten!), dass, wenn der Verteilungsquotient eines Narkotikums für Öl und Wasser mit der Temperatur steigt, sein Schwellenwert sinkt, dass, wenn er sinkt, sein Schwellenwert steigt. Dies Ergebnis erhielt Meyer bei der Unter- suchung der sechs Narkotika: Salicylamid, Benzamid, Monacetin, Äthylalkohol, Chloralhydrat und Aceton, welche sich, entsprechend der folgenden Tabelle, die die Untersuchungsresultate von H. Meyer kurz wiedergibt, in zwei Gruppen von je drei Substanzen gliedern: - Schwellenwerte der narkotischen Wirkung Verteilungsquotient BR — Öl Verbindung Wirksame Verdünnung Wasser der Normallösungen bei 3% C. | bei 30° C. | bei 3° C. | bei 0° ©. Salieylamid . .. .... 1:1300 | 1.600 2,23 Sn) Benzamid. nn. 1:500 | 1:20 0,67 0,43 Monacerme ee 1:90 | 15770 0,093 0,066 Äthylalkohol . . . . . a 0,024 0,046 Chloralhydrat. ..... 1:50 a Er) 0,053 0,236 Aceton Ba er 0,140 0.195 .Mit diesen interessanten Verhältnissen hat man sich mn den 17 seitdem verstrichenen Jahren nicht mehr beschäftigt, insbesondere eine für die Lipoidtheorie gewiss belangreiche Erweiterung des Unter- 1) Hans Meyer, Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharm. Bd. 46 8. 3888. 1901. Zur Theorie der Narkose. 203 suchungsmaterials nicht vorgenommen. Erst während die im folgenden beschriebenen Versuche im Gange waren, erschien eine Arbeit von v. Issekutz!), welcher sich mit der Frage des Temperatureinflusses auf die Narkotika von neuem beschäftigt und dabei ebenso, wie auch ich, die für die Theorie der Narkose inzwischen erheblich geänderte Sachlage in Rechnung zieht ?). Denn seither ist erstens durch die Angaben von J. Traube?°) u. a. bekannt geworden, dass die narkotische Kraft sich im allgemeinen nicht bloss parallel mit dem Verteilungsquotienten für Öl: Wasser ändert, sondern auch parallel mit der Oberflächenaktivität bzw. Ad- sorbierbarkeit, und zweitens haben OÖ Warburg und Wiesel®), Battelli und Stern?) u. a. gezeigt, dass die Narkotika, ebenfalls entsprechend ihrer narkotischen Kraft, auf alle möglichen Kolloide dispersionsvermindernd wirken. Man kann also der Lipoidtheorie eine Adsorptions- und eine Kolloidtheorie der Narkose gegenüber- stellen; inwieweit diese beiden innerlich verwandt sind, braucht hier nicht erörtert zu werden. Diese Sachlage macht es aber notwendig, zur Lipoidtheorie von neuem dadurch Stellung zu nehmen, dass man zu- sieht, ob Temperaturänderungen die Oberflächenaktivität der Narkotika und ihr Kolloidfällungsvermögen im Sinne ihrer narkotischen Wirksamkeit und entsprechend ihren . Verteilungsquotienten nach H. Meyer ändern oder nicht. v. Issekutz hat in der citierten Arbeit diese Aufgabe in der Weise in Angriff genommen, dass er stalagmometrisch die Oberflächen- aktivität von Narkotikumlösungen, insbesondere auch von den von H. Meyer bei seinen Temperaturversuchen verwendeten Lösungen bei 6—8° und bei 33—36° bestimmte. Er gibt an, dass, genau gemäss den Meyer’schen Angaben über die Temperaturempfindlichkeit der Narkose, bei Salicylamid, Benzamid und Monacetin die Oberflächen - aktivität mit der Temperatur abnimmt, während sie bei Äthylalkohol, Chloralhydrat und Aceton steigt. Die angestrebte Entscheidung zu- gunsten oder ,zuungunsten der Lipoidtheorie würde danach nicht zu 1) v. Issekutz, Biochem. Zeitschr. Bd. 88 S. 213. 1918. 2) Anmerkung bei der Korrektur: Nach Absendung des Manu- skriptes erhielt ich Kenntnis von einer kürzlich erschienenen Arbeit von _ R. Unger (Birchem. Zeitschr. 89, 238. 1918), in welcher das gleiche Thema behandelt wird, wie in meiner Abhandlung und in der an- schliessenden von Höber. Ich beschränke mich hier auf den Hinweis, dass in den wesentlichen leben zwischen Unger und uns Überein- stimmung herrscht. 3).I. Traube.‘ . Pfilüger’sAch. Bd;123:419. 1908.: ..Verh..d. deutsch. physik. Ges. Bd. 10, 830. 1909. 4) OÖ. Warburg u. Wiesel. Pflüger’s Arch. Bd. 144. 465. 1912. 5), Batelli u. Stern. Bioch. Zeitschr., Bd. 52. 226, 253. 1913. 204 R. Bierich: treffen sein, da die Oberflächenaktivitäten den Verteilungsquotienten entsprechend temperaturvariabel sind. Sieht man sich die Zahlen von v. Issekutz aber näher an, so wird man zweifelhaft, ob dieser Schluss genügend gesichert ist. Die Tropfenzahl für Wasser gleich 100 gesetzt, sind zum Beispiel die Tropfenzahlen für zn Salieylamid bei der niederen und der hohen m Temperatur 101,86 und 101,0, für a Benzamid 101,32 und 100,94, 5 für = Monacetin 101,7 und 101,0. Da das benutzte Stalagmometer mit Wasser in Wirklichkeit einige 30 Tropfen gab, so betrug also der Unterschied bei den beiden Temperaturen immer nur einige Zehntel Tropfen, ist also fast gleich Null. Vielleicht ist er sogar nur durch Zufall vorgetäuscht; denn da bei Salieylamid für die steigenden Kon- m an a an a... ‚die, Werte 10121, 1012 9ES10123 6% 1300 600 60 30 100,6 (!) angegeben werden, so sind die Messungen doch offenbar mit im Ergebnis.nicht zu vernachlässigenden Fehlern behaftet. Auch die Unterschiede in den Tropfenzahlen bei den Lösungen von Äthyl- alkohol, Chloralhydrat und Aceton, welche die entgegengesetzte Richtung haben, sind ausserordentlich klein; da diese drei Narkotika im Gegensatz zu den ersten drei beim Abtropfen in der höheren Tem- peratur nachweislich zum Teil verdampfen, so wird vom Verfasser eine Korrektur der beobachteten Zahlen vorgenommen, welche sich meines Erachtens theoretisch nicht begründen lässt. Meine eigenen Untersuchungen umfassen erstens den Einfluss der Temperatur auf die Adsorbierbarkeit einiger Narkotika an Tierkohle und auf ihre Fähigkeit, Kolloide auszuflocken, und zweitens bestehen sie in einer Nachprüfung der alten Angaben von H. Meyer. Für Anregung und Förderung dieser Versuche erlaube ich mir, auch an dieser Stelle, Herrn Prof. Höber zu danken. zentrationen ‘1. Der Einfluss der Temperatur auf die Adsorbierbarkeit einiger Narkotika durch Tierkohle. Über den Einfluss der Temperatur auf die Adsorbierbarkeit liegen nur verhältnismässig spärliche Angaben vor. Freundlich bezeichnet nach eigenen Versuchen den Einfluss auf die Adsorbierbarkeit von Essigsäure, Bernsteinsäure, Pikrinsäure an Kohle als sehr gering und gibt einige Daten anderer Autoren an, welche dasselbe besagen !). l) Freundlich, Zeitschr. f. physikal. Chemie Bd. 57 S. 386. 1907; Kapillarchemie 1909 S. 169. Zur Theorie der Narkose. 205 Dementsprechend fand auch ich keine oder nur eine gering- fügige Veränderung und diese meist im Sinne einer Abnahme.’ Die Versuche wurden mit säuregereinigter Tierkohle (Carbo ani- malis purissimus Merck) ausgeführt. Je 50 ccm der Narkotikum- lösungen wurden durchschnittlich 2 Stunden bei ungefähr 0° und 50° mit der gleichen Menge Kohle in Flaschen mit Glasstopfen geschüttelt, darauf sofort abgesaugt und der Gehalt zum Teil stalagmometrisch bei Zimmertemperatur, und wo dies wegen der Geringfügigkeit der Öberflächenspannungsänderung nicht genau genug war, mit dem Kjeldahlverfahren bestimmt. Der Wasserwert des verwendeten Stalagmometers betrug bei 15° 17,1 Tropfen. Versuch 1. Isoamylurethan. a) 0,5%. Tropfenzahl bei 15,5% 28,75 50 cem+1g Kohle bei 0° 1 St. geschüttelt. RN 19,50184 Bern... .,.00'8,, "% a 19,50 ]18°55 Se 50T, EN " ‚‚:. 15,5%. 19,25 Sue L..“..,,, 0 x an ».1550219,3 b) 0,25%. Tropfenzahl bei 15,70 25,58 50 cem+1g Kohle bei 0° 1 St. geschüttelt. e Be ED year a LEE 5 sy 15.20.1708 DU OR: © et 7) El ee 503 x \ 15.20 17,9 Versuch 2. Isobutylurethan. In Tropfenzahl bei 16,5° 25,3 50 ccm-+1 g Kohle bei 0° 1 St. geschüttelt. Er „ 16,0% 21,6 el 00 2. ;; 3" ji ‚„„ 16,0% 21,45 0 ee 30 > E: es , 1652721.0 BOmeR ln 3,0, 0,,5500,2,.;,; 5 i „ 16,5% 20,8 / Versuch 3. Heptylalkohol. 0,058 %- Tropfenzahl bei 15,0° 25,0 50 cem+1 g Kohle bei 0° 2 St. geschüttelt. In = .15:001077.82 Bo 08 35009, 5; ” “15.00 177 Bei den Lösungen von Phenylharnstoff, Benzamid und Salicyl- 'amid war die Tropfenzahl von der des Wassers nur so wenig ver- schieden dass ihre Konzentration sich genauer erst nach Kjeldahl bestimmen liess. Versuch 4. Phenylharnstoff. 0,4%. 50 cem + 0,25 g Kohle bei 50 > zin 0,25 ” 2 ER] 50° 2 2 >) 2 0° 2 St. geschüttelt. Adsorbiert 50% 46,25%, 206 R. Bierich: = Versuch 5. Salicylamid. 0,2%. 50 cem + 0,25 g Kohle bei 0° 2 St. geschüttelt. Adsorbiert 83,7 %, a0 2 2a 50027, >» >» 81,2% Versuch 6. Benzamid. 0,3%. 50 cem +0, 25 g Kohle bei 0° 2 St. geschüttelt. Adsorbiert 25,3% SORDE 0.288, 1.2, 0.500028; hs 5 25,3%, Nach diesen Versuchen ist die Wirkung der Temperatur auf die Adsorption der Narkotika so unbedeutend, dass es nicht angängig ist, daraus für die Abhängigkeit der Narkose von der Temperatur etwas zu folgern. 2. Der Einfluss der Temperatur auf das Kolloidfällungs- vermögen einiger Narkotika. Es ist bereits auf die Versuche von O. Warburg und Wiesel und von Battelli und Stern kurz hingewiesen worden, in denen gezeigt wurde, dass in Hefepresssaft und in Lösungen von Nukleo- proteiden durch Narkotika Flockungen zu erzeugen sind, welche im allgemeinen um so dichter sind, je grösser die narkotische Kraft des Fällungsmittels ist. Neuerdings haben Freundlich und Rona!) festgestellt, dass diese Fähigkeit von Nichtelektrolyten, wie es die Narkotika sind, die Beständigkeit eines Sols aufzuheben, an die Gegen- wart von Elektrolyten gebunden ist; zu ihrem Nachweis bedienten sie sich des Eisenhydroxydsols. Die von ihnen ausgesprochene Ver- mutung, dass auch die von Warburg und Wiesel und von Battelli und Stern beobachteten Flockungen nur durch die Beimischung von anorganischen Salzen zu den organischen Kolloiden bedingt seien, ist neuerdings in diesem Institut von O. Meyerhof°) als zutreffend erwiesen worden. Meine Untersuchungen bezweckten nun die Prüfung, ob Tem- peraturerhöhung das Koagulationsvermögen der Narkotika verändert, speziell ob bei manchen Narkoticis der Einfluss anders gerichtet ist als bei anderen. Die eine meiner Versuchsreihen betrifft, in Anlehnung an die Untersuchungen von Freundlich und Rona, das Eisenhydroxyd- sol. Ferrum oxydatum dialysatum liquidum 10% duplex von Merck wurde zu möglichst vollständiger Entfernung des Cl] — 8 Tage lang dialysiert. Sodann wurde, genau so wie Freundlich und Rona es angeben, zu 4,5 ccm des Sols 50 ccm der Narkotikumlösung oder, bei den Kontrollproben, Wasser hinzugefügt. Von diesen Gemischen wurden je 5 cem mit je 1 cem Kochsalzlösung von verschiedener 1) Freundlich und Rona, Biochem. Zeitschr. Bd. 81 S. 87. 1917. 2) ©. Meyerhof, ebenda Bd. 86 S. 325. 1918. Zur Theorie der Narkose. 207 Konzentration versetzt und gleiche Proben sodann bei 0° und bei 50° stehengelassen. Die folgenden Tabellen geben die Ergebnisse wieder. Die Anzahl der Pluszeichen bedeutet ein Maass für die Stärke der Flockung. Versuch 1. Äthylurethan. 17,8%. Millimol NaCl | N 9 u Or often 200 | 100 50 25 19,5 6,25 \ | 50°C. 10’ +++ + SE NR ) 0 307 Par | Ser Hauch , Hauch 0 0 60’ ee‘ 0 0 100° ee 0 0 | | fl 0°C.10' SE a 0 0 | 0 0 30’ SP Arar ein 0 0 | 0 0 60’ ante rar 0 0 0 0 100’ +++ ++ 0 0 0 0 | Versuch 2. Amylurethan. 0,5% - - Millimol NaCl | . | EEE pro Liter 200 | 100 50 25 | 12,5 | 6,25 50° C.10' ee 0.09 io y 30’ +++ +++ | 4? OO 0 60’ +++ | 44++ | + ed 0 100’ a al) 0 | | | | 0°C. 10’ car I 0 0 0 0 30’ eu ee +2 0 0 0 60’ Far a ie 0 0 0 100’ SP ar aa 0 A) 0 Versuch 3. Thymol, gesättigt. lmal Dad |: 000 150 | 100 75 508 25 pro Liter | 90° 0.10’ Seas Are Ar ı Hauch 0 0 30" SESRaR rear ++ | Hauch 0 Ö 60’ +++ | 444 4#+ | + 0 0 180’ het > 0 0 | | 0°C.10' +++ 44 | + O0 ) 30’ +++ | ++ a nl) 0 60’ +++ | ++ + 0 ) 0 180’ 444 44+ ++ 0 0 0 208 R. Bierich: Versuch 4. Benzamid. 1%. Millimol NaCl | N 2 oa: 200 | 150 100 75 50 25 50° 0.10' | ae 0 30' a a ala | 0 0 60’ en st 08 0 0 120’ nn -i 0 0 0°C. 10' nr 0 0 0 0 30’ 2 = 0 0 0 0 60’ un 0 0 0 0 120' ur 0 0 0 0 Kontroll-Versuch 5. Wasser (zu Versuch 1 u. 2). Millimol NaCl pro Liter 200 |: | 50 25 | 12,5 50°C. 10’ ++ 0 N) N) IN) 30 tete 0 0 0 0 60 te air 20 0 0 180’ +++ ++ | 0 ) N) VCH. N ar 0 0 0 0 307 ++ 0 0 N) 0 60’ ++ 0 0 | 0 0 180’ ++ 2: 0 N) N) Kontroll-Versuch 6. Wasser (zu Versuch 3 u. 4). Millimol NaCl ” | pro Liter 200 | 150 | 100 75 50 25 50°C. 10' dose | deep +(+9 0 0 0 30" Een an, (eh) 0 0 0 60 are Je ar) 0 0 0) 100’ en: 0,000 0 0°C. 10° +++ | ++ + 0 0 0 30° a 0 0 N) 60° Sara aber. Hr 0 0 0 nu! te | ae + 0 0 0 Eine Durchsicht der Tabellen belehrt darüber, dass die vier geprüften Narkotika Äthylurethan, Amylurethan, Thymol und Benzamid, von denen eines, das Benzamid, nach Meyer bei Zur Theorie der Narkose. 209 höherer Temperatur schwächer narkotisch wirkt als bei niederer, sämtlich die Kochsalzfällung des Eisenhydroxydsols bei höherer Temperatur mehr verstärken als bei niederer; der Unterschied ist freilich nur gering. Die Vermutung, dass vielleicht auch ohne die Gegenwart von Narkotikum die Fällbarkeit des Eisens durch die Wärme begünstigt werde, trifft zwar, wie die Kontroll- versuche 5 und 6 lehren, zu, aber in Anwesenheit der Narkotika ist der Unterschied bei den beiden Temperaturen deutlich stärker. In einer zweiten Versuchsreihe wurde das Ausflocken von dena- turiertem Serumalbumin untersucht. Rinderserum wurde mit dem gleichen Volumen konzentrierter Ammonsulfatlösung gefällt, das Filtrat durch 10tägiges Dialysieren gegen Wasser in Pergament- schläuchen von dem Fällungsmittel befreit und so weit verdünnt (1:2), dass es bei vorsichtigem Erwärmen auf 80—90° nicht aus- flockte. Von diesem Sol wurde je 1 ccm mit ausprobierten Narkotikum- ; 2 m mengen und mit 1—3 Tropfen einer In lrllensuns — bzw. in den Kontrollversuchen mit ebensoviel Wasser — versetzt und dann 1—2 Stunden lang bei 0° und bei 50° beobachtet. In Vor- versuchen war festgestellt, dass ein Elektrolyt mit mehrwertigem Kation schärfere Unterschiede ergiebt als Kochsalz. Über die Ergebnisse unterrichten die folgenden Tabellen: Versuch 1. Isobutylalkohol. 10%. 5 Tropfen 4 Tropfen 4 Tropfen | Isobutyl- | Isobutyl- | Isobutyl- nn | en cn alkohol, alkohol, | alkohol, |, Maor lo are 3 Keenke 1 Tropfen | 2 Tropfen 3 Tropfen ce u C Din & Sr Co Co Co 5 | 2 2 . Geringe Starke E Grobe Opales- Feine 5 Opales- 50°C.10' E p r Opales- p Opales- Flockung.| cenz. |Flockung. En cenz. dans) I Grobe R Grobe : Stärkere Geringe Starke ‚)| Flockung Flockung 8 Opales- 0 Imit Boden- Orales: mit Boden- Opales- er Opales- cenz. re cenz. cenz. Grobe Grobe Sa: Geringe Starke ‚)\ Flockung Flockun 5 Opales- B 120 |mit Boden-| Tübung. | mit Eder: Opales- nn Oneles a ar cenZz. cenz. 0°C.10' 0 0 0 0 0 0 30’ 0 0 0 0 0 0 120’ 0 0 0 0 0 0 Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 174. 14 210 Versuch 2. Äthylurethan. R. Bierich: 100 9%. 20 Tropfen Äthylurethan, 1 Tropfen Co 0 | | 50° C. 10’ Starke Trübung. | 30’ Flockung. | 120’ 5 | 0,27€. 10 0 30’ Fast klar. 120 ' Fast klar. Tropfen Wasser, 1 Tropfen Co Schwache Opalescenz. oS© Versuch 3. Propylurethan, 0,5%, direkt im Eiweisssol bei 46° gelöst, | | » ‚ Geringe | Sa { Opalescenz. 50" | Etwas stärkere 5 Opalescenz. 60’ { Etwas stärkere | Opalescenz. SE ID 0 30’ 0 60’ 0 on 1 Tropfen Co 2 'Tropfen Co |Propylurethan, 1 Tropfen Co Grobe ) Flockung. Grobe 0 Flockung. Grobe 0 Flockung. 0 0 0 0 0 0 Ohne Propylurethan, 2 Tropfen Co Schwache Opalescenz. Schwache Opalescenz. Schwache Opalescenz. SIEH Versuch 4. Benzamid, 1%, direkt im Eiweisssol bei 40° gelöst. 1 Tropfen Co Schwache Opales- cenZz. rc Schwache Opales- cenZz. 30' oo { 0°C.10' 30’ 60’ Schwache Opales- cenz. 0 2 Tropfen Co Stärkere Opales- cenz. Stärkere Opales- cenZz. Stärkere Opales- cenz. OOO Ohne 3 Tropfen | Benzamid, Co 1 Tropfen Co Starke Opales- 0 cenz. Starke Opales- 0 CELZ. Starke Opales- 0 cenz. 0 0 0 0 0 0 Ohne Ohne Benzamid, 2 Tropfen Co Zarteste Opales- cenz. Zuarteste Opales- cenz. Zarteste Opales- cenz. OOo Benzamid, 3 Tropfen Co Zarteste Opales- cenz. Zarteste Opales- cenz. Zarteste Opales- cenz. oSoo Zur Theorie der Narkose. 211 Versuch 5. Salicylamid, 0,05%, direkt im Eiweisssol bei 40° Een | | OhneSali- OhneSali- OhneSali- 1 Tropfen 3 Tropfen 5 Tropfen| cylamid, cylamid, | cylamid, Co | Co Co 1 Tropfen ‚3 Tropfen |5 5 Tropfen pP 1% | | Co Co | Co | | Starke Feinflocki Schwache 50° 10 0 orale: EEE 0 ge Trübung. 1 | cenz. sätz. . | Starke eanlank 3 Schwache 30 } 0) Opales- IieBoden: 0) an | Trübung. N CEnZz. en 2 ( & Feinflocki- |Feinflocki- 60 J N ee ge Fällung 0 a 'geFällung | Ka Imit Boden. DE ohne Bo- it | ; satz. E densatz | | | 0°C.10’ 0 | 0 | 0 0) 0) 0 30’ 0 | {l) Ü) 0 0) 0 60’ ) | 0 0 0 0) | 0) Die Versuche ergeben also übereinstimmend, dass die fünf ge- prüften Narkotika Isobutylalkohol, Äthylurethan, Propyl- urethan, Benzamid und Salizylamid die Fällung des Serum- albumins durch Kobaltchlorür bei höherer Temperatur mehr verstärken als bei niederer. Der Schwellenwert der Narkose liegt für Benzamid und Salicylamid nach H. Meyer bei höherer Temperatur höher als bei niederer. 3. Der Einfluss der Temperatur auf die Wirkungsstärke der Narkotika. Nach den angeführten Ergebnissen hat also die Temperatur keinen deutlichen Einfluss auf die Adsorption der Narkotika an Kohle, und das Flockungsvermögen der Narkotika wird in allen geprüften Fällen durch Temperaturerhöhung verstärkt. Danach müsste man schliessen, dass in Anbetracht der Angaben von H. Meyer, welche den Aus- gangspunkt für diese Untersuchungen bilden, bei der Abwägung zwischen einer Lipoid-, einer Adsorptions- und einer Kolloidtheorie der Narkose die Entscheidung zugunsten der erstgenannten fiele. Bei der naheliegenden Nachprüfung der Narkoseversuche von H. Meyer habe ich mich jedoch vergeblich bemüht, seine Ergebnisse zu re- produzieren. H. Meyer wählte als Objekt der Narkose Kaulquappen, für welche bei 3° und bei 30—36° die narkotischen Grenzkonzentrationen der 14 * 212 R. Bierich: sechs in der Tabelle Seite 1 angeführten Narkotika aufgesucht wurden. Als besonders demonstrativ bezeichnete Meyer das ab- wechselnde Einschlafen und Aufwachen der Tiere in ein und derselben Lösung bei entsprechendem Temperaturwechsel und führte als Beispiel dafür an, dass ‚in 55, Chloralhydrat bei 30° völlig betäubte Tiere einige Zeit nach dem Abkühlen vollständig erwachen, um bei erneutem Erwärmen wiederum in tiefe Narkose zu verfallen“. Aus diesen Aus- führungen muss man schliessen, dass die Kaulquappen, welche mit Benzamid, Salieylamid oder Monacetin in der Kälte narkotisiert wurden, umgekehrt beim Erwärmen wieder erwachen, um in der Kälte abermals gelähmt zu werden. Demgegenüber habe ich bei der Prüfung von Äthyl- alkohol, Amylalkohol, Isobutylurethan, Chloralhydrat, Benzamid und Salicylamid nur finden können, dass ihre narkotische Kraft durch Temperaturerhöhung einzig und allein gesteigert wird. Meine Versuche wurden bei 0—3° und bei 29— 30° im Juni und Juli angestellt. Die Kaulquappen hatten anfangs eine Länge von 18—22, später bis 36 mm; die vier Extremitäten waren schon wohl- entwickelt, der Schwanz zum Teil bereits in starker Reduktion be- griffen. Die Temperaturänderungen wurden, auch wenn sie innerhalb 1 Stunde erfolgten, von den Tieren ziemlich gut vertragen. Es be- fanden sich immer drei bis vier Exemplare in je 200 ccm Narkotikum- lösung von verschiedener Konzentration. Da die Kälte die Beweg- lichkeit der Tiere, wie auch H. Meyer bemerkt, sehr träge macht, so wurde als Kriterium der eingetretenen Narkose nicht das Aufhören spontaner Bewegungen, selbst nicht das Daliegen in Rückenlage an- gesehen, sondern die Reflexlosigkeit beim Kneifen eines Fusses mit einer feinen Pinzette oder noch besser bei elektrischer Reizung, welche bei unvollständiger Narkose mit einer Bewegung der Extremitäten oder des Schwanzes beantwortet wird. Sämtliche Versuche fanden ihren Abschluss in der Prüfung, ob in Wasser von Zimmertempe- ratur die Tiere wieder erwachten oder ob die Lähmung in Tod über- gegangen war!). Beginne ich mit der Schilderung derjenigen Versuche, deren Ausfall von vornherein am beweiskräftigsten erscheint, d. h. mit denjenigen Versuchen, bei welchen eine und dieselbe Lösung mit den darin enthaltenen Tieren nacheinander auf verschiedene Temperaturen ge- bracht wurde, so fand ich folgendes: 1) Die zum Beleg der folgenden Ausführungen dienenden umfang- reichen Protokolle wurden beim Druck, wegen Raummangels, fortgelassen. ' Zur Theorie der Narkose. 213 1. Tiere, welche in der Wärme unbeweglich geworden waren, blieben auch bei Übertragung in die Kälte stundenlang unbeweglich; aber es wurde sowohl bei Äthyl- und Amylalkohol als auch bei Benzamid und Salicylamid beobachtet, dass sie danach schliesslich meist wieder beweglich wurden. 2. Tiere, welche in der Kälte unerregbar geworden waren, wurden sehr häufig bei Übertragung in die Wärme binnen 4,—2 Minuten wieder beweglich, meist sogar lebhaft beweglich, um dann aber nach 5—15 Minuten von neuem betäubt zu werden. Dies wurde auch bei Benzamid und Salicylamid konstatiert. Schwieriger ist es, die Schwellenwerte der Narkose bei den ver- schiedenen Temperaturen festzustellen, weil die Narkose in der Wärme in jedem Fall viel rascher zustandekommt als in der Kälte, und weil die Kälte die Reaktionen so träge macht. Ungefähr liessen sich folgende Werte ermitteln: 0° 30° alkohol eh = BER) 8,5 Amylalkohol . NBRKIRNE IE. ERBE N Ar a 90 220 Isobusylurethan. ..°. „0... © Zu ae | 300 600 m m m Chloralhydrat er N a 50 165 250 m m Benzamid . . sr ea 200 500 Salieylamid gs an. 600 1200 Der Schwellenwert ist also in der Wärme durchweg kleiner als in der Kälte. Die Versuche, bei denen die Tiere in der gleichen Lösung abwechselnd erwärmt und abgekühlt wurden, bedürfen noch einer Erläuterung. Wenn die in der Kälte narkotisierten Tiere zunächst wieder erwachen, um bald darauf von neuem einzuschlafen, so muss man das wohl so - deuten, dass die anfangs bestehende Lähmung von der kombinierten Wirkung der Kälte und des Narkotikums herrührt, in dem Sinne, dass weder die Kälte allein noch die Narkotikumkonzentration allein ausreichen würden, die Tiere zu immobilisieren. Dann müssen die Tiere beim Erwärmen zunächst erwachen, bis derjenige Prozess, der der Narkose zugrundeliegt und der durch das Erwärmen verstärkt wird, in genügendem Maasse fortgeschritten ist, um abermals ein 214 R. Bierich: Einschlafen zu bewirken. Wenn umgekehrt die in der Wärme ge- lähmten Tiere, in die Kälte übertragen, erst sehr allmählich wieder beweglich werden, so dürfte das daran liegen, dass der in der Wärme abgelaufene Narkoseprozess in der Kälte nur langsam wieder rück- gängig gemacht werden kann. Würde man diese Beobachtungen allein mit Benzamid oder mit Salicylamid machen, dann könnte man bei einer kurzen Versuchs- dauer natürlich den Eindruck gewinnen, dass deren narkotische Kraft mit der Erwärmung abnimmt. Aber, wie gesagt, haben wir bei allen sechs Narkoticis, die wir untersuchten, die gleichen Beobachtungen gemacht. Worauf der Widerspruch mit den Befunden von H. Meyer zurückzuführen ist, war zurzeit nicht festzustellen. 4. Der Einfluss der Temperatur auf die Verteilung der Narkotika zwischen Lebertran und Wasser. Begreiflicherweise wurde bei dieser Sachlage nun auch geprüft, ob die Verteilungsversuche von H. Meyer sich reproduzieren liessen. H. Meyer untersuchte die Verteilung der Narkotika bei 3° und bei 30° zwischen gleichen Volumina Olivenöl und Wasser. Zu dem Zweck wurden die Mischungen 11,—2 Stunden geschüttelt. Dann wurde in der wässerigen Phase das Narkotikum quantitativ teils nach Kjeldahl, teils durch Gefrierpunktmessung bestimmt. Die in der Tabelle Seite 1 angegebenen Zahlen sind Mittelwerte. Da mir Olivenöl nicht zur Verfügung stand, so benutzte ich statt dessen Lebertran. Gleiche Volumina davon und von der Narkotikum- lösung (je 40 ccm) wurden bei 0° und bei 50° 5 Stunden lang in Flaschen _ mit Glasstopfen geschüttelt, sofort danach durch 10 Minuten langes Zentrifugieren die Phasen voneinandergetrennt und die wässerige Phase nach Kjeldahl analysiert. Ein gewisser Fehler in den Be- stimmungen entsteht wahrscheinlich dadurch, dass trotz des Zentri- fugierens an der Grenze von Fett und Wasser eine schmale Zone von emulgiertem Fett bestehen bleibt, in welcher unkontrollierte Mengen von adsorbiertem Narkotikum haften können. Ich habe mich auf die Untersuchung von Salicylamid und Beach) beschränkt und dazu noch Isobutylurethan hinzugenommen. Meine Ergebnisse sind die folgenden: 1. Salieylamid. a) Ausgangslösung . . ...0,239% nach dem Schütteln rl TEalbenshiin had 500 . 0,087 % also Verteilungsquotient bei 50°. ..... 1,76 nach dem Schütteln mit Lebertran bei 0°. . 0,064% also Verteilungsquotient bei 0° . ..... 2,72 Zur Theorie der Narkose. 215 b) Ausgangslösung . .. . .. 0,245% nach dem Schütteln nit Thal irn Dei 500 =..0:090,%% also Verteilungsquotient bei 50°. . . Da 1149 nach dem Schütteln mit Lebertran bei 00 727 .0,06207 also Verteilungsquotient bei 0°... . . RI NT 20G 2. Benzamid. a) Ausgangslösung . . 227.20:3109, nach dem Schütteln an esta Ban 500 0.61.00, also Verteilungsquotient bei 50°. . . . .. 20 nach dem Schütteln mit Lebertran bei 0°. . 0,654% also Verteilungsquotient bei 0° . ..... 0,24 b) Ausgangslösung . : . ».20.0:8009% nach dem Schütteln it Tebertuanı Bei, 500 ... 0,680 % also Verteilungsquotient bei 50°. . .... 0,18 nach dem Schütteln mit Lebertran bei 0°. . 0,642% also Verteilungsquotient bei 00 I EN Nor 3. Isobutylurethan. Ausgangslösung . . 234.,038101%5 nach dem Schütteln it Bebertran bei 500 .0123% also Verteilungsquotient bei 50°. . .... 5,58 nach dem Schütteln mit Lebertran bei 0°. . 0,131% also Verteilungsquotient bei 0° . . . . ERRRTER Die Mittelwerte, mit den Mittelwerten von H. Meyer zusammen- gestellt, führen also zu folgender Übersicht: Mittlerer Verteilungs- für Lebertran für Olivenöl quotient bei 0° C. | bei 30° C. | bei 3° ©. bei 30-360. Salioylamid... . . . . a Ma Bo eo Benzamid. 2. m: 0,25 | 0,19 0,67 0,44 Isobutylurethan . 5,18 | 5,58 u — - Danach ergaben auch meine Versuche, ebenso wie die- jenigen von H. Meyer, dass bei Salieylamid und Benzamid der Verteilungsquotient mit steigender Temperatur ab- nimmt. Dass die Zahlenwerte übereinstimmen, konnte bei der Ver- schiedenheit der Lösungsmittel von vornherein nicht erwartet werden. Schlussbetrachtung. Den Ausgangspunkt für meine Untersuchungen bildete die Frage, ob der von H. Meyer beobachteten gleichsinnigen Änderung der 216 R. Bierich: narkotischen Kräfte und der Verteilungsquotienten (Öl:Wasser) bei Änderungen der Temperatur eine entsprechende gleichsinnige Ver- änderung auch der Adsorbierbarkeit und des Kolloidfällungsvermögens der Narkotika an die Seite zu stellen sei oder nicht, um auf die Weise gegebenenfalls zwischen einer Lipoid-, einer Adsorptions- und einer Kolloidtheorie der Narkose eine Entscheidung zu treffen. Diese Frage- stellung hat jedoch im Verlauf der Untersuchung insofern ihre Be- deutung verloren, als unerwartet die Angaben von H. Meyer, nach denen bei manchen Narkoticis Wirksamkeit und Verteilungsfaktor mit der Temperatur steigen, bei anderen mit der Temperatur sinken, nicht bestätigt werden konnte; vielmehr ergab sich, dass unabhängig von der Temperaturvariation der Verteilung die Narkose sich stets mit dem Steigen der Temperatur vertieft. Damit büsst die Lipoid- theorie diejenige Stütze, welche die Temperaturversuche bisher für sie bildeten, ein. Was die Temperaturvariation der Adsorbierbarkeit und des Kolloidfällungsvermögens der Narkotika anlangt, so lehrten die Versuche, dass der Temperaturkoeffizient der Adsorption so gering- fügig (und zugleich nicht einsinnig) ist, dass die Beobachtungen nicht gut zugunsten oder zuungunsten der Adsorptionstheorie verwertet werden können. Dagegen geht das Kolloidfällungsvermögen der Nar- kotika mit ihrer Wirkungsstärke parallel. Dadurch wird aufs neue der Schluss nahegelegt, dass die Narkose eine Dispersionsverminderung der Zellkolloide bedeutet. In eine Diskussion dieser Hypothese soll hier nicht näher eingetreten werden!); es sei nur in aller Kürze daran erinnert, dass zwar auf der einen Seite zu ihren Ungunsten hervor- zuheben ist, dass die bisher genauer untersuchten Ausflockungen von Kolloiden durch Narkotika (0. Warburg und Wiesel, Battelli und Stern?), Kruyt und van Duin°), Freundlich und Ronat), OÖ. Meyerhof°) Narkotikumkonzentrationen erforderten, welche die den Schwellenwert der Narkose repräsentierenden Konzentrationen erheblich übersteigen, dass aber auf der anderen Seite gute Gründe vorhanden sind, die Verminderung der Zellpermeabilität, welche zu den regelmässigen Vorkommnissen bei der Narkose zu gehören scheint (Osterhout®), J. Traube’), Arrhenius und Bubanovie®), 1) Siehe dazu R. Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Ge- Ss. 455ff. 1914. webe. 4. Aufl. 2) cf. i. 3) Kruyt u. van Duin, Kolloid chem. Beih. S. 269. 1914.' 4 a Ib @& 6) Osterhout, Science. Vol. 37, 111. 1913. zZ) Ik A Arrhenius u. Bubanovic, Meddeling, K. Vetensk,, Akad. Nokelinstitut 2. Nr. 32. 1913. Zur Theorie der Narkose. DWZ, Lillie!), Joel’, H. Winterstein?), als einen Kolloidprozess auf- zufassen (Höber), und dass dieselben chemischen Mittel, welche in grosser Konzentration durch Kolloidausflockung eine Steigerung der Permeabilität verursachen, in kleiner Konzentration die kolioide Zell- membran verdichten können ?),. Wenn aber hier eine Gleichsinnig- keit in der Temperaturabhängigkeit der Narkose und der Kolloid- zustandsänderung durch die Narkotika konstatiert wurde, so kann dies bei der Häufigkeit der Verstärkung chemischer und physikochemischer Prozesse durch Temperaturerhöhung nicht als ein besonders schwer- wiegendes Argument bei einer Entscheidung über die Natur der der Narkose zugrundeliegenden Vorgänge angesehen werden. Zusammenfassung. 1. Die Adsorption der Narkotika Isoamylurethan, Isobutylurethan, Heptylalkohol, Phenylharnstoff, Salieylamid und Benzamid an Tier- kohle wird durch Temperaturerhöhung von 0° auf 50° nur sehr wenig verändert. 2. Die Ausflockung von Eisenhydroxydsol in Gegenwart von Äthyl- urethan, Isoamylurethan, Thymol und Benzamid sowie die Aus- flockung von denaturiertem Serumalbumin durch Kobaltchlorür in Gegenwart von Isobutylalkohol, Äthylurethan, Propylurethan, Benz- amid und Salicylamid werden durch Temperaturerhöhung von 0° auf 50° deutlich verstärkt. 3. Die narkotische Wirkungsstärke von Äthylalkohol, Amylalkohol, Isobutylurethan, Chloralhydrat, Benzamid und Salicylamid steigt bei Erhöhung der Temperatur von 0° auf 30°. Dieser Befund für Benz- amid und Salicylamid steht in wen mit Angaben von H. Meyer. 4. Die Verteilung von Benzamid und Salieylamid zwischen Leber- tran und Wasser wird durch Steigerung der Temperatur von 0° auf 50°, in Übereinstimmung mit ähnlichen Angaben von H. Meyer, zugunsten des Wassers verschoben. 1) Lillie, Amer. journ. of physiol. 29. 372. 1912. 2) A. Joel, Pflüger’s Arch. 161. 5. 1915. 3) Winterstein, Ztschr. f. allg. Phys. 1. 19 (1912) u. 5. 323 (1905) Bioch. Ztschr. 51. 143 (1913) u. 75. 71 (1916). 4) Siehe dazu Höber, Pflüger’s Arch. Bd. 166 S. 531, besonders S. 562, 589, 600. 1917. Kiel, 12. Sept. 1918. Zur Theorie der Narkose. Über den Einfluss der Temperatur auf die Narkose von Muskeln und Nerven. Von Prof. Dr. R. Höber. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel.) Mit 17 Textabbildungen. ) (Eingegangen am 11. Oktober 1918.) In den vorstehend beschriebenen Versuchen von Bierich, welche unter meiner Leitung ausgeführt wurden, ist gefunden, dass im Widerspruch mit der bekannten, für die Lipoidtheorie der Narkose bedeutungsvollen Angabe von H. Meyer die narkotische Wirkungs- stärke von Salicylamid und: Benzamid gegenüber Kaulquappen und ihr Verteilungsquotient (Öl: Wasser) mit der Temperatur nicht symbat variieren, sondern antibat; das heisst, während der Verteilungsfaktor auch nach Bierich’s Untersuchungen sowie nach der Angabe von Meyer mit steigender Temperatur sinkt, steigert sich die Narkose bei Temperaturerhöhung und nimmt nicht, wie H. Meyer es fand, ab. Bei der Wichtigkeit dieser Angabe für die Lipoidtheorie der Narkose und bei der Autorität ihres Urhebers hielt ich es für not- wendig, die Temperaturabhängigkeit der Narkose mit den genannten Stoffen noch an anderen Objekten als den Kaulquappen zu prüfen, und wählte dafür den Sartorius und den Ischiadicus von Rana esculenta. Ich will gleich vorausschicken, dass auch dabei eine Verstärkung der Narkose mit der Temperatur gefunden wurde. 1. Versuche mit Muskeln. Zu den Versuchen bediente ich mich der einfachen und bequemen Anordnung Bethe’s, welche von Kopyloff!) beschrieben worden ist. Der Sartorius hing in Ringer-Lösung von der Zusammensetzung 0,65 % NaCl + 0,02% KCl + 0,02%, CaCl,, bzw. in Ringer-Lösung + Narkoti- kum. Die Reizung erfolgte einmal pro Minute mit Öffnungsschlägen, welche maximale Zuckungen bewirkten. Durch den Wassermantel, welcher das den Muskel aufnehmende reagenzglasartige Gefäss um- gab, strömte abwechselnd angewärmtes Wasser und Eiswasser. Die 1) Kopyloff, Pflüger’s Arch. Bd 153 $. 223. 1913. Zur Theorie der Narkose. 219 Temperaturen, welche auf den die Versuche wiedergebenden Ab- bildungen verzeichnet sind, wurden an der unteren Einströmungs- öffnung des Wassermantels gemessen. Mit dem Mantelwasser wurde Abb. 1. Einfluss der Temperatur auf den Muskel. 9h 27’ Ringer 15°. — 10h 10’ Ringer 27°. — 10h 31’ Ringer 8°. — 10h 52’ Ringer 27°. ww rn Abb. 2. Muskelnarkose mit Chloralhydrat. 3h 10’ Ringer 28°. — 3b 32’ R. + 0,2% Chl. 28%. — 4h 10’ dasselbe 8%. — 4h 55’ R. 12°. gewöhnlich gleichzeitig die Füllung des Muskelgefässes gewechselt und. durch entsprechend vorgewärmte oder gekühlte Lösung ersetzt. Die Abb. 1—8 geben ein Bild von dem Verlauf der Versuche wieder. \ 220 R. Höber: in UM rfıs Abb.3. Muskelnarkose mit Heptyl- alkohol. 12h 12’ nach Ringer 27°. R. + 0,04 %o Hept. 28%. — 12h 50’ dasselbe 8°. Abb. 1 zeigt zunächst, dass das in den Narkose- versuchen eingehaltene Tem- peraturintervall von etwa 8° bis etwa 27° für die Hubhöhe so gut wie belanglos ist. Abb. 2—4 geben Versuche mit Chloralhydrat, mit Heptylalkohol und mit Äthylurethan wieder. Sie zeigen übereinstimmend, dass, wenn das Narkotikum bei 28° die Hubhöhe stark reduziert hat, bei Abkühlung auf 8° fast momentan eine beträchtliche und nachhal- tige Erholung einsetzt. Un- mittelbar nach Beginn der Kühlung sind dabei die Hubhöhen am grössten und sinken dann gewöhnlich allmählich ab. Die Narkotika wirken also zumal in der Kälte etwas progredient. Besonders demonstrativ ist der in der Abb. 4 dargestellte Urethanversuch, in welchem die I | | \ "m m \ \ Abb. 4 Muskelnarkose mit Äthylurethan. 10h 55’ nach Ringer 28°. R. + 0,06% Äthylur. 28% — 11h 29’ dasselbe 8°. — 11h 51’ dasselbe 28°. — 12h 5’ dasselbe 8%. — 12h 34' Ringer. N Zur Theorie der Narkose. 2321] Temperatur dreimal gewechselt wurde; in dem zwischen die beiden Kältewirkungen mit ihren nicht unbeträchtlichen Hubhöhen ein- geschobenen Wärmeintervall sind die Kontrakti nen nahezu bis völlig ausgelöscht. In Abb. 5—8S sind den bisher erwähnten Versuchen solche mit Salieylamid, Benzamid und Monacetin gegenübergestellt, also mit denjenigen drei Narkotika, für welche nach den Kaulquappen- versuchen von H. Meyer der Temperaturkoeffizient der Wirkung ln N SI m un INN IM Ä il Il NH nl E . 9 R X \ I) — te a 0 En I 22 02% St ‚25° . bb. 5. Muskelnarkose mit Salicylamid. 11h 12’ Ringer 27°. — 11b 28’ R. + 0,02% Sal. 29°. — 12h 45’ dasselbe 9°. — 15h 9’ R. 10°. negativ ist, während ihn Bierich in seinen Versuchen mit Salieylamid und Benzamid positiv fand. Abb. 5 und 6 beziehen sich auf das Salieylamid. In Versuch Abb. 5 wird die Wärmewirkung schon zu einer Zeit unterbrochen, wo die Narkose mit der relativ geringfügigen Konzentration von 0,02% noch von ihrem Maximum ziemlich weit entfernt ist; die darauffolgende Abkühlung bringt eine sehr deutliche Restitution zustande. Abb. 6 gibt demgegenüber einen Versuch wieder, in welchem mit 0,03%, Salicylamid narkotisiert wurde, das in der Wärme (um Th 40’) 222 R. Höber: eine fast vollständige Narkose verursacht; auch hier ist der die Wirkung abschwächende Einfluss der Kälte sehr deutlich. Abb. 7 zeigt, dass Benzamid nicht anders wirkt als Isobutyl- urethan, das heisst sich gerade so gegenüber dem isolierten Muskel verhält wie in den Kaulquappenversuchen von Bierich; auf die ra- pide Lähmung des Muskels in der Wärme folgt so- fort in der Kälte eine ausgiebige Er- holung. Abb. 8 belehrt über die Wirkung des Monacetins. Dieser Stoff ist in- dessen nicht mehr zu den typisch in- differenten Narko- tika zu rechnen, weil der Geruch nach Essigsäure so- wohl als auch die saure Reaktion sei- ner Lösungen ein gewisses Maass- von Hydrolyse anzeigen. Dementsprechend zeigt die Abbildung, dass die narkotisch wirksame 0,35 %ige Lösung eine rasch sich steigernde Kon- traktur auslöst. Auch hier führt die Ab- kühlung eine wenn auch rasch vorüber- gehende Erholung herbei. Die Versuche beweisen also übereinstimmend für die Narkotika Heptylalkohol, Chloralhydrat, Äthylurethan, Isobutylurethan, Benzamid, Salicylamid und Monacetin, dass ihre Wirkungsstärke gegenüber dem Sartorius mit steigender Temperatur zunimmt. We SS ‚lamid. 5h 45’ Ringer 28%. — 6h2'R. + 0,03 %o Sal. J 280%. — 7h5’ dasselbe 9%. — 7h 19’ dasselbe 29%. — Th 40’ dasselbe 10%. — 8h 20’ Ringer. Abb.& Muskelnarkose un Sale Zur Theorie der Narkose. 293 Abb. 7. Muskelnarkose mit Isobutylurethan und mit Benzamid. 3h 12° Ringer 23°. — 53h 27’ R. + 0,08°%0 Isob. 30%. — 3h 43’ dasselbe 8°. — 4h 8’ Ringer 10°. — 4h 30’ R. 27%. — 4h 45’ R. + 0,2°/0 Benz. 28%. — 4h 57' dasselbe 7°. — 5h 20’ Ringer 10°. Abb. 8 Muskelnarkose mit Monacetin. 5h 22’ nach Ringer 28°. R. + 0,25% Monac. 28°. — 5h 52’ R. + 0,3°/o Monac. 27°. — 647’ R. + 0,35 Monac. 27°. — 6h 20’ dasselbe 8°. — 6h 30’ R. 8°. 224 R. Höber: 2. Versuche am Nerven. Obwohl die Muskelversuche, in bester Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Bierich bei den Kaulquappen, schon gezeigt hatten, dass Benzamid, Salieylamid und Monacetin entgegen dem Befund von H. Meyer durch Erwärmung an Wirkungsstärke gewinnen, durch Abkühlung einbüssen, wurde es doch noch erforderlich, Versuche am Nerven anzuschliessen, als kürzlich von H. Moral!) eine Arbeit ver- öffentlicht wurde, durch welche er festgestellt zu haben glaubt, dass der Nerv sich wieder genau entsprechend den Angaben von H. Meyer betreffs der Kaulquappen und der Verteilung verhält, nämlich, dass Abb. 9. Einfluss der Temperatur auf die Nervenleitung. Nach Ringer 15°. 5545’ R. 10°. — 6h 8’ dasselbe 7%. — 6h 12’ dasselbe 27°. — 6h 17’ dasselbe 31°. — 6h 25’ dasselbe 10°. bei der Einwirkung von Äthylalkohol und Chloralhydrat Wärme die Aufhebung des Nervenleitungsvermögens begünstigt, Kälte sie ver- mindert, während umgekehrt bei Salieylamid und Monacetin Kälte die Leitungsstörung begünstigt und Wärme sie repariert. Ich will diesen Ergebnissen zunächst die meinigen gegenüberstellen, welche im Gegensatz zu Moral eine durchweg vorhandene Steigerung der narkotischen Wirkung durch die Wärme demonstrieren, und will danach die Differenz aufzuklären versuchen. In der Methodik habe ich mich fast ganz an die Angaben von Moral gehalten. Eine mit einem Glasgewicht beschwerte Schleife n) 2er Moral, Pflüger’s Arch. Bd. 171 S. 469. 1918. Zur Theorie der Narkose. 2935 des Ischiadieus von Esculenten tauchte in die in einem kleinen Gefäss befindlichen Lösungen. Oberhalb und unterhalb davon konnte der Nerv durch Öffnungsschläge gereizt werden; auf die Reize antwortete der Gastrocnemius, dessen Zuckungen aufgeschrieben wurden. Nerv und Muskel befanden sich in einer feuchten Kammer. , Die Reize folgten im Abstand von 1 Minute und wurden im allgemeinen oberhalb der dem Narkotikum- expo- nierten Nervenschleife, nur zu Kontroll-zwecken gelegentlich unterhalb an- gesetzt. Für eine Ver- besserung der Anordnung halte ich es, dass zum Zweck der Temperatur- änderung nicht die ent- sprechend temperierten Lösungen einfach aus- gewechselt wurden, wie Moral esmachte, sondern dass durch einen das Ner- vengefäss umgebenden Wassermantel, ganz nach Art der bei den Mus- kelversuchen getroffenen Einrichtung, die ange- strebte Temperatur für längere Zeit konstant gehalten wurde, indem ich durch den Mantel je nachdem warmes oder kal- tes Wasser durchfliessen liess. Die Temperaturan- gaben in den folgenden Abbildungen beziehen sich auf ein Thermometer mit sehr kleinem Quecksilbergefäss, welches direkt in den Nervenbehälter eingetaucht war. Der Inhalt des Behälters betrug etwa 3,5 ccm. Meine Ergebnisse sind in den Abb. 9—14 wiedergegeben. Abb. 9 soll zunächst nichts weiter zeigen, als dass in meinen Versuchen die Temperatur innerhalb des Intervalls von etwa 7° und 31° so gut wie gar keinen Einfluss auf die Leitungsfähiskeit der in Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 15 Rat 5h 15’ nach Ringer 10°. ylalkohol. — 5h 46’ dasselbe 28%. — 65h 10’ dasselbe 10°. — 6h 21’ dasselbe 280%. — 6h 37’ dasselbe 10%. — Th Ringer. Abb. 10. Nervennarkose mit Am 0,18% Amyl. 10°. 226 R. Höber: %inger-Lösung hängenden Nervenstrecke ausübt. Ich lege auf diese Feststellung besonderen Wert, weil sie mit den Schlüssel zum Ver- ständnis des so auffallenden Widerspruchs in den Befunden von Moral und mir gibt. Offenbar bewirkte in den Versuchen von Moral die Abkühlung auf 0°!) eine recht erhebliche Verminderung des Leitungs- vermögens, da die Hubhöhen bei Abkühlung stark zurückgingen. Wovon das herrührt, weiss ich nicht. Nach einer Angabe auf Seite 474 seiner Abhandlung sind seine Versuche wohl an Winterfröschen, meine an Sommerfröschen ausgeführt; vielleicht hat das eine Bedeutung. Das Verhalten der Nerven in meinen Versuchen ist natürlich ein grosser Vorteil, da die Temperatur keinen zweiten Faktor herein- bringt, von welchem das Leitungsvermögen unmittelbar abhängt. Auch Abb. 12 de- monstriert die Indiffe- renz des Temperatur- wechsels fürdie Leitung des in Ringer-Lösung liegenden Nerven. Abb. 10 orientiert über das Verhalten bei der Narkose in Amyl- alkohol. Nachdem der Nerv längere Zeit (% Stunde) bei 10° durch 0,18 %, Amyl- Abb. 11. Nervennarkose mit Amylalkohol. alkohol Krruerlei nn Nach Ringer 14% 11153’ R. + 09% Amyl.8°.—_ busse an Leitvermögen 12h 16’ dasselbe 27°. — 12h 25’ dasselbe 14°. erfahren hat, wird auf 28° angewärmt; dar- aufhin nimmt die Leitfähigkeit zunächst zu, um dann plötzlich zu erlöschen. Fast unmittelbar nach der Abkühlung (um 6h 10’) wird der Nerv für den Reiz wieder fast so durchlässig wie vorher; durch abermalige Erwärmung auf 28° wird er aufs neue blockiert, um sich nochmals bei 10° zu erholen; er lässt dann allerdings nicht mehr jede Erregung durch. In Abb. 11 ist ein Versuch wiedergegeben, in welchem abermals mit Amylalkohol narkotisiert wurde. Nach der totalen Aufhebung der Leitung bei 27° erholt sich der Nerv diesmal bei Abkühlung auf 10° so gut wie völlig. 1) Dass seine Lösungen wirklich bei der Temperatur von 0° C. ein- wirkten, ist nach seiner Versuchsanordnung zu urteilen ganz unwahr- scheinlich. Zur Theorie der Narkose. 227 Stellen wir nun diesen Versuchen, welche ein Beispiel für die Ver- stärkung der Narkose durch Wärme und für ihre Abschwächung durch Kälte geben, die Ver- suche mit Salieylamid, Benzamid und Mona- cetin gegenüber, welche nach Moral die ent- gegengesetzte Tempe- raturabhängigkeit her- beiführen sollen. Der in Abb. 12 dar- gestellte Versuch be- ginnt, wie schon vorher bemerkt wurde, mit der Demonstration der Einflusslosigkeit der Temperatur gegenüber demin Ringer-Lösung hängenden Nerven. Um 4h beginnt sodann die Narkose mit 0,1% Salieylamid bei 10°; sie hat ebenso wie die nachfolgende Vergif- tung bei 18° keinerlei sichtbaren Effekt. Stei- gerung der Temperatur auf 29—30° führt als- dann zu einem lang- samen Abfall der Hub- höhen, bis (um 5h 1’) bei weiterer Erwär- mung auf 33—35° die Narkose mit einem Mal total wird und den Nerven blockiert; Ab- kühlung auf 12° führt darauf zu einer mässi- gen Erholung. Dann — 5h 24’ — 3h 30’ dasselbe 25°, — 1%o Sal. 10°. — 4h 20’ dass. Ringer 10°. 10%. — 4h R. +0, — 5h4'’ dass. 12%. — 5h 18’ dass. 27°. h 17’ dass. 9%. — 5h 33’ dass. 28%. — 5h 37’ dass. 13%, — 5h 45’ dass. 22°, >) € ylamid. h 47' dass. [2] 13] t Salile dass. 34%. — 29—31% — 5h1’ dass. 33—35°. L L 43' Nervennarkose mi! 310. — 3h 37' dass. — 4h45' dass. Abb. 12. 3h 18°. werden Erwärmung und Abkühlung noch zweimal wiederholt, und beide Male verursacht die Abkühlung eine vortreffliche Restitution der Leitungsfähigkeit. Der Versuch verläuft also durchaus überein- stimmend mit den Amylalkohol-Versuchen. OI8STTE R. Höber: Abb. 13 gibt einen Versuch mit Benzamid wieder. Auch hier wird die bei 10% begonnene Narkotisierung zweimal durch Temperatur- | —— Es AU U \ N ul. | \ l Te E32; 30° 30? 2% /o? Ay Abb. 13. Nervennarkose mit Benzamid. 3b 12’ Ringer 10°. — 3h 24’ R. + 0,5% Benz. 10°. — 4h 8’ dasselbe 30°. — 4h 12’ dasselbe 10°. — 4h 22' dasselbe 28°. — 4h 28’ dasselbe 10°%. — 4h 37’ R. 17°. steigerung auf 30° und 28° total gemacht und durch Abkühlung einmal besser, das andere Mal weniger gut beseitigt. Abb. 14 endlich illustriert das Verhalten in einer Monacetin lösung. Es entspricht durchaus demjenigen in den übrigen Narkotikumlösungen. Also auch die narkotische Wirkung von Salicylamid, Ben- zamid und Monacetin auf den Nerven wird nach diesen Ver- suchen genau: so wie diejenige von Amylalkohol und genau so wie die Wirkung aller geprüften Narkotika auf die Erregbarkeit 2% ige ar des Muskels durch Wärme ge- Bf steigert, durch Kälte gemildert. Wie ist es nun zu erklären, dass Abb. 14, Nervennarkose mit Moral. zu, einem ganz anderen Re- Mn n Sn 2 Nach un 8. 2 sultat kam! Der springende Punkt ehe a a ist meines Erachtens der folgende: 15—10°. — 5h 47' dasselbe 27°. Die Rückkehr des Leitvermögens, welche Moral nach Herstellung eines Blocks mit gekühlter Salieylamid- und Monacetinlösung durch Er- wärmen herbeiführte, bedeutet zum wenigsten einen Rückgang der Narkose, vielmehr eine Aufhebung der in seinen Versuchen schon & Zur Theorie der Narkose. 339 allein durch Kälte bewirkten starken Beeinträchtigung des Leitungs- vermögens.. Man wird fragen, warum er dann bei Äthylalkohol und Chloralhydrat die entgegengesetzte Temperaturabhängigkeit fand wie bei Salicylamid und Monacetin. Die zwei Versuchsprotokolle für die Wirkung von Äthylalkohol und Chloralhydrat, welche er in seinen Abb. 10 und 11 wiedergibt, beginnen mit dem Ein- fluss erwärmter Lösungen, in denen alsbald die Lähmung durch Narkose eintritt, welche dann durch Kälte zurückgeht, weil meines Erachtens allgemein der der Narkose zugrundeliegende Prozess durch Kälte abgeschwächt wird. Umgekehrt beginnen die zwei Ver- suchsprotokolle für die Wirkung von Salieylamid und Monacetin (Abb. 8 und 9) mit dem Einfluss gekühlter Lösungen; auch hier tritt nach einiger Zeit Lähmung ein, aber sicherlich ist es eine Lähmung infolge der kombinierten Wirkung von Nar- kotikum und Kälte; das Narkotikum ist in den gekühlten Nerven trotz des vorhandenen Blocks sicherlich noch nicht bis zur narkotischen Grenzkonzentration in dem Moment eingedrungen, in welchem die Abkühlung aufgehoben und durch Erwärmung ersetzt wird; nur deswegen kann sich der Nerv in der Wärme erholen; es wird nur die die Leitung störende Wirkung der Kälte beseitigt. Würde Moral den Nerven zuerst durch warme Salicylamid- oder Monacetinlösung blockiert und danach ab- gekühlt haben, so wie ich, dann wäre er vermutlich trotz der grösseren Kälteempfindlichkeit der Nerven seiner Frösche zu dem gleichen Er- gebnis gekommen wie ich. Ich muss also, da nicht ersichtlich ist, ob Moral mehr als je einen Versuch mit den genannten vier indifferenten Narkotika ausgeführt hat, sein Ergebnis zunächst als ein Produkt des Zufalls ansehen. 4 3. Versuche mit Kokain, Novokain und Kaliumchlorid. Dass die Verminderung der narkotischen Kraft von Salicylamid und Monacetin durch Temperatursteigerung, auch wenn sie wirklich vorhanden wäre, kein Beweis für die Wirksamkeit der Verteilungs- quotienten zu sein brauchte, darauf hat Moral selbst mit folgendem . Versuch aufmerksam gemacht: Blockiert man den Ischiadicus mit . einer etwa 0,2 %igen abgekühlten Kaliumchloridlösung, so kehrt das Leitungsvermögen beim Erwärmen zurück. Kaliumchlorid verhielt sich also in Moral’s Versuchen gerade so wie Salicylamid und Mon- acetin, und das gleiche ergaben Versuche mit Kokain und Novokain. Bei Kaliumchlorid kann natürlich von der Wirksamkeit eines Ver- teilungsquotienten (Lipoid:Wasser) nicht die Rede sein. Ich habe die Versuche am Muskel wiederholt und bin zu einem anderen Ergebnis als Moral gekommen. 230 R. Höber: Abb. 15 zeigt, wie in warmer Ringer-Lösung mit einem Zusatz von 0,1% Kaliumchlorid die Erregbarkeit des Muskels rasch herab- gesetzt, aber nicht völlig aufgehoben wird. Wenn man ‘in diesem Zustand den vergifteten Muskel abwechselnd abkühlt und erwärmt, so hat das auf seine Erregbarkeit fast gar keinen Einfluss. Abb. 16 zeigt ungefähr das gleiche für Novokain. Während im ersten Teil des Versuchs die in der Wärme zustandegekommene partielle Narkose durch Amylalkohöl durch Abkühlung, so wie auch in den früher beschriebenen Versuchen, erheblich vermindert wird, bleibt Am ıl 3% 1% ‚015 108 Re : Mi 2 ; Te 8 in 2. R 26° Rn T4 Ar Abb. 15. ulmssell-nmas mit Kaliumchlorid. 9b Ringer 27°. — 9h 44’ R. + 0,1% KCl1 27°. 9h 59’ dasselbe 8°. — 10h 15’ dasselbe 28°. — 10h 27’ dasselbe 6°. — _ 10% 41’ Ringer 10°. — 11h 17’ -.R. 26°. im zweiten Teil des Versuchs eine entsprechende, ebenfalls nicht ganz vollständige Lähmung durch warme Novokainlösung auch nach Abkühlung unverändert bestehen. Abb. .17 endlich demonstriert die gleiche Indifferenz gegen Tem- peraturwechsel bei der Lähmung durch Kokain. Danach bin ich der Meinung, dass die von Moral angegebene Erholung des Nerven von der bleckierenden Wirkung abgekühlter Kaliumchlorid-, Kokain- und Novokainlösung durch Wärme wiederum nur durch den Einfluss der Temperatur an sich auf die Beiugslähigkeii! seiner Nerven vor- getäuscht ist. Zur Theorie der Narkose. 231 Kalium und die Alkaloide wirken also in anderer Weise auf Nerv und Muskel als die indifferenten Narkotika; das lehren aufs neue diese Temperaturversuche. Die Versuche an den Muskeln und Nerven zeigen demnach, in völliger Harmonie mit den in der vorstehenden Mitteilung von Bierich Ringer N R2L- 8h 37’ ı| 1® \ j 7 18 . >) Sl hol und mit Novokain. ' dasselbe 8°. mo 291 94 9h 46’ Ringer 27°. — 10h 15’ R. + 0,1%/0 Novok. 27°. — 10h 38’ dasselbe 6°, — 10h 53’ 9) dasselbe 27°. Temperatur steigt allmählich auf 35°, dabei Kontraktur. — 11h8’ Ringer 27°. Abb. 16. Muskelnarkose mit Amylalko 25%. — 9h 1’ R. + 0,1500 Amyl. beschriebenen Versuchen an Kaulquappen, dass die Wirkung der indifferenten Narkotika durch Wärme gesteigert, durch Kälte herabgesetzt wird. Über die Bedeutung dieser neuen Fest- stellung des gleichen Zusammenhanges für die Theorie der Narkose habe ich den Schlussbetrachtungen in der Veröffentlichung von Bierich nichts hinzuzufügen. Nur das eine ist noch zu bemerken, dass, während 232 R. Höber: Zur Theorie der Narkose. der Widerspruch zwischen den Befunden von Moral am Nerven und zwischen meinen Befunden ziemlich befriedigend aufgeklärt werden konnte, das gleiche in betreff der auseinandergehenden Angaben von 213 Abb. 17. Muskelnarkose mit Kokainhydrochlorid. 3h2’ Ringer 27°. — 3b 13’ R. + 0,04% Kok. 28°. — 4h 10’ dasselbe 8%. — 4h 98’ das- selbe 280%. — 4h 48’ Ringer 28°. H. Meyer und Bierich über die Narkose der Kaulquappen nicht gesagt werden kann, wenn es für mich auch wahrscheinlich ist, dass der Widerspruch sich in ganz ähnlicher Weise wird lösen lassen wie im ersten Fall. Zusammenfassung. 1. Die Herabsetzung der Muskelerregbarkeit mit Hilfe der: in- differenten Narkotika Heptylalkohol, Chloralhydrat, Äthylurethan, lsobutylurethan, Benzamid, Salicylamid und Monacetin wird durch Erwärmen verstärkt, durch Abkühlen abgeschwächt. 2. Desgleichen wird die Herabsetzung des Nervenleitungsvermögens mit Hilfe der indifferenten Narkotika Amylalkohol, Benzamid, Salieyl- amid und Monacetin durch Erwärmen gesteigert, durch Abkühlen vermindert. 3. Für die Herabsetzung der Muskelerregbarkeit mit Hilfe von Kaliumchlorid, Kokain und Novokain ist die Temperatur ohne wesent- liche Bedeutung. 4. Die enmensnralphänsickei der Verteilungs- quotienten der indifferenten Narkotika hat für die Tiefe der Narkose anscheinend keine Bedeutung. Stereokinematoskopie dichopisch gesehener harmonischer Punktbewegungen. Von Dr. Th. Em. ter Kuile, Eindhoven (Niederlande). Mit 1 Textabbildung und Tafel IL (Eingegangen am 5. Oktober 1918.) Ein von dem linken Auge und ein von dem rechten Auge gesehener Punkt bewegen sich, unabhängig voneinander, hin und her in einer horizontalen Linie, parallel der Linie, welche die Visierlinienkreuzungs- punkte des linken und des rechten | Auges verbindet, und in einer horizontalen Ebene mit diesen Kreuzungspunkten gelegen. Der sagittale Abstand der Linie, in welcher die gesehenen Punkte sich bewegen, von der Verbindungs- linie zwischen linkem und rechtem Auge betrage b, die Länge dieser Verbindungslinie sei 2a Längen- einheiten (s. Abb. I). Der Ur- sprungspunkt eines rechtwinkligen Koordinatensystems befinde sich in der sagittalen Horizontallinie, auf die Nasenwurzel errichtet, und zwar b Längeneinheiten vor derselben, also im Schnittpunkt jener sagittalen Linie und der Linie, in welcher die gesehenen Punkte sich hin und her bewegen. NL, Die positive X-Koordinate gehe nach rechts, die positive Y-Koordinate sagittal nach vorn vom Ur- sprungspunkte. Die Koordinaten des rechten Auges sind dann t=+4 y=-Jb, die des linken Auges IN t=—4; y=-—Jb. Ich lasse nun den vom linken Auge und den vom rechten Auge wahrgenommenen Punkt je eine einfach harmonische Bewegung be- 234 Th. Em. ter Kuile: schreiben in der X-Achse, um den Koordinatenursprungspunkt als TU Nullage. Es sei die Anfangsphasendifferenz 2p (» .(e. Mazısnıp pP cost’ Durch Substitution von ys finden wir für die andere Koordinate des Schnittpunktes: acospsint I — NT NED re WO): a+sinpcost Setzen wir in (5) den Zähler gleich u und den Nenner gleich v, so wird 2; ein Maximum oder N astensım. wenn , utv —uv! as u das heisst, da v® immer endlich, wenn utv —uv! =a?°cospcost+ asinpcosp =, ‘oder acost! = —smp cost — De en WE RI en ENERlO): a dabei wird S 2 snt=-+ V( — BER 1 — + (a? — sin: p) a Hieraus im Verband mit (5) folgt acosp Is max. = + == x Va? — sin? p (7) a cosp en ICHS Se ) Va? — sin? p Bilden wir die Ableitung von (4), so ergibt sich als Bedingung dafür, "dass ys max. oder min. wird: absinpsint = 0 ‚oder SInWE NONE a SE US); ‚dabei wird cst=-+]1 und TE Auen b sin p | a — sin p 0. (9) Ä bsinp NR Ys min. = — | a sin p )) Nach (5) wird x; = 0 für sin = 0; dies ist dieselbe Bedingung, welche nach (8) für y; = max. oder min. gilt. Also: ie a Ne AK) 236 Th. Em. ter Kuile: wird Ys = min. oder max.; dabei ist {= 0 oder z, die Ausweichung des vom linken Auge gesehenen bewegenden Punktes gleich i sinp oder sin (n+p) = — Sinp, die Ausweichung des vom rechten Auge gesehenen bewegenden Punktes gleich — sinp oder sin (r —p) = sinp. Für ys = 0 ist nach (4) cos! = 0, also sin? = + 1 und nach (5) %s = 1 cosD oder — cosp 2... „en auae also fallen auf die X-Achse nicht die Max.- und Min.-Werte von Xs, Für cost=0 ist I=+,. also sin (+ p) = sin (p4 3) =cosp oder —cosp und sin (? —p) = sin (-? 4= 3) =cosp oder — cosp, das heisst, die Orte des vom linken und des vom rechten Auge gesehenen bewegenden Punktes sind für y; = 0 einander gleich und gleich x;, wie selbstverständlich, weil in diesen beiden Fällen (Ausweichungen beide positiv und gleich oder beide negativ und gleich) vom Doppelauge in die X-Achse (sozusägen in die Ebene der stereoskopischen Alchnne) lokalisiert wird. Fragen wir nun, zu welchen Werten von y; das Maximum und dies Minimum von X; hinzugehören, so finden wir folgendes: Die Bedingung für &; = max. oder min. war nach (6) sin p cost= — 5 a also ıst nach (4) b sin? 7 = NEE fürxt, — max. oder mın Aura): a? —sin?p Nun ist aber nach (9) auch 1 1/ bsinp b sin p ) b sin? p > (Ys max + Ys min) = (- — sin p Gr snp/ a?—sin?p > ; . (13), Also haben wir gefunden, dass 1 %, = max. oder min. für y, = n (Ds max Us mm) 2 ld): d. h. die Extremwerte von x, liegen auf einer, der X-Achse parallelen ın 2 Linie y = Eu welche auf gleichen Abständen von den Extrem- a? — sin? p werten von y, zwischen diesen gelegen ist. Die Abstände jener Linie von den Orten (£=0 | y=Y, ma) und («e=0 |y= Us min) sind näm- lich nach (9) und (13): bsinp bsn?p absinp 1 Ys max — 5) (Ys max “ Ys min) = a—sinp a?:—sin?p a? — sin? p und b sin? p bsinp absinp > Ws max + Ys min) — Y min = en me p en p = RE sin? p’ Stereokinematoskopie dichopisch gesehener harmon. Punktbewegungen. 237 während der ganze Abstand der Orte für Y, max Und Y,min nach (9) beträgt b sin p b sin p 2absinp nu a— sinp in a? — sin2p oder 1 ab sin p © (Ys max — Ysmin) = am (15). Da ich vermutete, dass die stereoskopisch gesehene Punktbewegung, die Bewegung des Schnittpunktes (2, | y,), in einer Ellipse stattfinden würde, so wollen wir jetzt unter- suchen, ob das wirklich der Fall ist. Die eine Symmetrie-Achse der Bewegung müsste dann jedenfalls die Y-Achse sein, die andere könnte nach (7) und (11) nicht die X-Achse, sondern müsste nach (13) und (14) die dieser Achse parallele Linie b sin? p a? — sin? p sein. Nennen wir den Abstand eines Kurvenpunktes von dieser Linie y,, den auf dieser Linie liegenden Durchmesser der eventuellen Ellipse 2A und den auf der Y-Achse liegenden 2B, so ist: a cosp 1} AS NE — nenn Wat — sintp . (16); I = A| (yYs max. — Ys min.) = na En.Bns 2. a? — sin?p b sin? p Y«x = Us Von . (17). Wir müssen dann untersuchen, ob 2 n + - =1. (18), und wir bekommen: A? cl B: An ( acosp sin f \ — bsin p cos! ee). a + sinp cost a+sinpcost a°?—sin?’p AR acosp et ann pen (v5) (== a) (a? — sin? p) sin®t — (a? — sin?p) cost sinp\° (a + sin p cos)? ( a(a-+ simp cost) ee ) ni a?:sin’! —sin?p sin?t a?cos?’t!+ 2asinpcost+sin’p (a + sin p cos f)? (a-+ sin p cost)? 1 a? + sin?p cost + 2a sin pcost Y a? + sin?pcos?t+ 2asinpcost g. er.d. 298 Th. Em. ter Kuile: Hiermit habe ich also bewiesen, dass die stereoskopisch gesehene Punktbewegung in einer Ellipse stattfindet, deren Halbachsen sind: a cos p ab sin p 1 Ar raman Ver np und B= > max — y,min) = Ist die erste dieser Halbachsen grösser als die zweite, so steht die Ellipse mit ihrem grössten Durchmesser transversal, im ent- gegengesetzten Falle sagittal. Sind die beiden Halbachsen gleich gross, so entartet die Ellipse in einen Kreis. Die Bedingung hier- für ist also: a? — sin? p cos? p (a? — sin?p) = b? sin? p a? cos? p — b?sin?p = sin? p cos? p a? b? ee elö)). cos“ p Dies ist die Formel einer Hyperbel in bezug auf rechtwinklige Ko- ordinaten, mit a als Abszisse und b als Ordinate, sinp und cosp als Halbachsen und p als Winkel zwischen Asymptote und ÖOrdinatenachse: Werden die (individuell verschiedenen) halben Augenabstände a auf. die Abszisse abgetragen, so bilden die Abstände b der Linie der bewegenden Punkte, bei welchen die stereoskopische Punktbewegung für den je- weiligen Wert von a in einem Kreise stattfindet, die Ordinaten jener Hyperbel. Um nun bei bestimmtem a und b den zu der Kreisbewegung ge- hörigen Wert von p ferner zu berechnen, lösen wir die Gleichung nach p auf und finden: a? b? sin?p 1-—sin?p -]; a?(1 — sin?p) —b?sin?p = sin?p — sin?p; sin®p — (a? +b2? + ])sin?p = —a? oder, indem wir a?+b2+]1 =, 5 — 6 setzen: sin? p ce=H+ Ve? a? und, da sin?p : en 3 av era 32 uud 5 00); a? — sin? 450 2a: — | asiın t b cos t IL, = Usher av En Ziya + cost - b \ b Mamax — = BAD IN ee! e yo —ı z a v2 +1 1) In diesem Falle kann man die vom linken und die vom rechten Auge gesehene Punktbewegung durch eine Cosinus- und eine Sinus-. schwingung vorstellen. 240 Th. Em. ter Kuile: Für DI z (Phasendifferenz 2p =) ist: ab A,=rmax =0, B= = a = b cos I ie = (Ü, BEE Bee: 2 r “ a’+ cost b BR —, min = — : Ys a 1 Ys a En 1 In diesem Falle findet eine stereoskopische Punktbewegung statt 2ab in der Y-Achse über eine Linie von 2B = | Längeneinheiten 91 —— (= 13,852 für a = 3,2 und b = 20), deren Mitte im Abstande b sin? b en (= 2,164) a —sinp a? —1 von der X-Achse, auf der positiven Y-Achse gelegen ist. Die zeit- liche Mitte befindet sich auch hier im Koordinatenursprungspunkt, denn für ! = 5 ist y, =0. Die Geschwindigkeit, mit welcher die Ellipse von dem stereoskopisch gesehenen Punkte durchlaufen wird, ist nicht gleichförmig, denn die X- und die Y-Achse verteilen die Ellipse in zwei kleinere, an der negativen Y-Achse, und zwei grössere, an der positiven Y-Achse ge- legene Abschnitte, welche je in einem Viertel der ganzen Umlaufs- zeit durchlaufen werden. Es ist nämlich nach (4), (5), (16) und (17) fürs, 0: I = 0, U, y, min, U a Ds 7C fü —ı ür I 9 b sin? p I, = cosp, —- 0, UT a2 — sin?p’ fürt = m: 2% 0, u, — ysmaxı yes 200D: Dagegen wird die Ellipse durch die der X-Achse parallele A-Achse der Ellipse (y, = 0, x = x, max. oder min.) und die Y-Achse oder B-Achse der Ellipse in vier gleiche Quadranten geteilt, welche in ungleichen Zeiten durchlaufen werden. Um diese Zeitabschnitte zu berechnen, suchen wir den Wert von ? für y, =0., Wir finden dann nach (4) und (17): en N Ina, =( oder cost = — 2 [vgl. auch (6)]. a+sinpcost! a?—sin?p Stereokinematoskopie dichopisch gesehener harmon. Punktbewegungen. 941 Für a = 3,2 und p = 15° (Phasendifferenz 2p = 30°), findet man zum Beispiel: log cos (nr — f) = log sin 15° — loga = 8,90785_10 A z — t = 850 21’ 38’,7 t = 94° 38’ 21,3. In diesem Falle werden also die an der negativen Y-Achse liegenden 95 Quadranten in ca. 360’ die an der positiven Y-Achse liegenden in 85 | ca. —- der ganzen Umlaufszeit durchlaufen. ds Den Wert der Geschwindigkeit Mr für jede Stelle der Kurve findet man aus der Formel ee a Na, Nail Dies ergibt durch Ableitung von (4) und (5): ds\2 a:cos?pcos?t +a?sin?pcos?p + 2a®sinpcos?pcost-+ a?b2sin?p sin?! (7) == (a + sin p cost)* | Dies wird für t = 0: | (#) 2 azcos2p.+ a? sin? p cos? p + 2a? sin p cos? p ( acosp ) dt (a + sin p)* a-+ sinp für t = 2; 2 (E) ri sin?p cos? p + b? sin?p & sin? p Ban) dt a? a? BER IE ng ( 2 a®tcos?p + a?sin?pcos?p —2a?sinp cos? p ( acosp Ir di ® (a — sin p)? 2 Dana em DR In dem Fall der kreisförmigen stereoskopischen Bewegung (D = 99 4° 46”) vereinfacht sich, da nach (19) a? cos? p b2 2 CH RR sin? p ‚ist, die Formel für f = 5 zu ds & ——c R dt z ‚Ich gebe jetzt. eine kleine Tabelle, worin die Geschwindigkeiten füri=0,1= re und = T bei einigen verschiedenen Werten der | halben ae ndifercnz D onen sind, wenn d = 3, 2 undd = 20. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 16 49: 00.0 Th. Em: ter Kuile:- | p—45° | p=15° | p=94'4"| p=50 u Ma | 0,8937 0,9411 0,9698 = 5 aa 2,6228 0,9875 0,1725 t=n- 0,9077 1,0509 - 1,0387... 0 1000 Wenn die Bewegungsformen des vom linken Auge gesehenen und des vom rechten Auge gesehenen Punktes untereinander verwechselt werden, so dass der zum linken Auge gehörige Punkt die Bewegung sin (E — p), der zum rechten gehörige sin (? + p) erhält, so finden wir: a acospsint { acospsint (o)mud 2 — 2 (statt: a. a — sinp cosi a + sinp cost b sin p cost bsi t (4) wird: y, = 2 (statt: —a eu = J: a — sin p cost a + sinp cost Die Werte von x, max, x, min, y, max und y, min bleiben nach der Verwechslung unverändert, also auch die Halbachsen A und B, und die Ellipse bleibt dieselbe und in demselben Orte wie zuvor. Nur der Anfangspunkt (£ = 0), welcher zuvor im Punkte (2 =0|y = y, min) auf der negativen Y-Achse lag, liegt nach der Verwechslung im Punkte (x =0|y = y, max) auf der positiven Y-Achse. Für {=0 war vor der Verwechslung y; = — B, nach der Ver- wechslung yx = + B. Für ti = 5 bleibt nach der Verwechslung, wie zuvor: x, = + cosp, y, =Vd. Es wird also nach der Verwechslung dieselbe Ellipse direkten. jedoch in umgekehrtem Sinne. Durch die: Verwechslung ver- ändert das Zeichen von y,, während dasjenige von x, unverändert bleibt. (Der Nenner von (4) und (5) ist immer positiv, weil’ a > }.) Diese Umkehrung der Umlaufsrichtung ist bei den einfachen Ver- suchen, die ich bis jetzt anstellte, sehr schön zu sehen. Für das Kinder- spielzeug!), das in der gelahrten Welt Daedaleum von Horner heisst, habe ich Papierstreifen angefertigt, auf welche die Bewegung des vom einen Auge gesehenen Punktes in roter Farbe in zwölf Stadien dargestellt ist, diejenige des vom anderen Auge gesehenen ebenso in grüner Farbe. Schaut man mit einer Rotgrünbrille (Plastoskop) durch ‚. die ‚Schlitze: des Daedaleum nach dem Streifen, so: sieht, man die ellip- tische gene des on einfach geschenen Punktes. mes 1) Der Anlass zu diesem _ Aufsatz | war, dass. mein Söhnehen so eins gesöhenkt bekam. NUSW „bar verntonay iu G unstsiirirsandg se VE en! Stereokinematoskopie dichopisch gesehener harmon. Punktbewegungen. 243 man nun das Plastoskop um, so dass das Auge, das durch das rote Glas schaute, nun durch das grüne sieht und umgekehrt, so findet der räumliche Umlauf des Punktes sofort in entgegengesetztem Sinne statt. Ich habe ein Muster der von mir angefertisten Zeichnungen hier beigefügt (Tafel II). Der Lichtstärke wegen sind statt Punkten kleine rote und. grüne Flächen genommen. Die Phasendifferenz beträgt in der beigefügten Zeichnung 30° (p = 15°). Wenn man das Daedaleum in entgegengesetztem Sinne dreht, während die Plastoskopgläser nicht gewechselt werden, so treffen die gezeichneten Bewegungsstadien in umgekehrter Reihenfolge die Augen und findet selbstverständlich die Bewegung des stereoskopisch gesehenen Punktes längs der Ellipse ebenfalls in umgekehrtem Sinne "statt. Dies wird durch den Versuch bestätigt. In den Formeln muss man’ dann die Zeit ! negativ anstatt positiv nehmen. Der vom linken Auge allein gesehene Punkt bekommt dann die Bewegungsform sin(-—t+p) = — sin(! — p), [statt sin (t + p)]; der vom rechten Auge gesehene Punkt:sin (-— !— p) = — sin (f + p), [statt sin (t — p)].. Für x, [vgl. (5)] findet man dann BIO TE: acospsint du 3 ’ a + sınp cost ur während y, [vgl. (4)] unverändert bleibt. Es hat also x, das Zeichen gewechselt, während y, sich gleich :bleibt, woraus die Umkehrung des Umlaufssinnes des stereoskopisch gesehenen Punktes folgt. 16 * Nachtrag zu der Arbeit: Über die Blutbewegung in den Kapillaren, I. Mitteilung). h Von Professor Dr. Adolf Basler, Tübingen. (Eingegangen am 23, Oktober 1918.) Im Jahre 1914 arbeitete Hürthle ?) eine Methode aus, um die Blutbewegung in den Kapillaren des Mesenteriums einer aus dem Frosch gehobenen Darmschlinge auf photographischem Wege zu registrieren. Das Mesenterium war durch eine besondere Vorrichtung vertikal ausgespannt; deshalb konnte die Projektion in horizontaler Richtung erfolgen. Da mir die Hürthle’sche Arbeit erst zu Gesicht kam, als meine Publikation schon fertig war, konnte sie zu meinem Bedauern nicht mehr berücksichtigt werden. Durch ein Versehen meinerseits blieb in. .der' Korrektur der beabsichtigte Hinweis auf die Untersuchung Hürthle’s weg, was an dieser Stelle nachgeholt werden soll. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 171 S. 134. 1918. 2) K. Hürthle, Eine Methode zur Registrierung der Geschwindigkeit des Blutstromes in den kapillaren Gefässen. Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 422 (424). 1915. Pflügers Archör fd.ges. Physiologie.Bd.174. Tafel | mm Mm 8 u 2 = ter Kuile, Stereokmematoskopie = Der Liehtsinn der Krebse. Von Prof. Dr. C. v. Hess, München. Mit 5 Textabbildungen und 7 Abbildungen auf Tafel ill. 4 (Eingegangen am 2. Juli 1918.) Inhaltsverzeichnis. 3 eite EEE RD N no RN EU ER REBEL U RE 245 FOSEnme 6. Wo N Be EN Br Aa NN ESTER SER SET 256 AUPLETEIE, 5.0: Bol OO ER FE ERNST 258 Banpeerphaluses cn u a ne EL TEN N era DE ERST 265 SENAT. aa LO RN OHR 267 Bellen see a a ee TREE A He 259 BonWeristallimarue re leer see nun esne BRETTEN 262 Wirkung von Adaptation und Ultraviolett auf Oladoceren . ..... 265 BE en elle eh ee een eenete Leine 0 de uelnecne de 276 BBernardus .. 0... ....... N EN OR RE NE TEE EI, 277 n0tlace} "o :0 201 0 Mae RE RR ae 278 Pinsammentassung.. 0. nei ekene. SEEN ET RENNER 280 In früheren Abhandlungen habe ich (1909, 1910) kurz über meine ersten Versuche berichtet, mit Hilfe neuer Methoden über den Licht- sinn bei Krebsen Aufschluss zu bekommen; sie führten zu dem Er- gebnisse, dass die von mir untersuchten Arten sich den sichtbaren Strahlen des Spektrums gegenüber im wesentlichen so verhalten wie ein unter entsprechenden Bedingungen sehender total farbenblinder Mensch, dass also die übliche Annahme eines Farbensinnes bei Krebsen nicht haltbar ist. Meine Befunde sind von zoologischer Seite scharf angegriffen worden, und immer wieder versucht man; jene alte Annahme durch neue Mit- teilungen über angeblich „spezifische“ Wirkung farbiger Lichter auf Krebse zu stützen. Es mag daher von Interesse sein, weitere neue Methoden kennen zu lernen, mit deren Hilfe ich im Laufe der letzten Jahre den Lichtsinn verschiedener Krebsarten systematisch unter- sucht habe. Daphnia magna. Bei meinen früheren Versuchen an Daphnien bediente ich mich zunächst vorwiegend der Verteilungsmethode, wie ich kurz jene Verfahren nennen will, bei welchen ich verschiedene nebeneinander gelegene Behälterteile oder aber den ganzen Behälter aus entgegen- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 17 246 @2y. Hess: gesetzten Richtungen mit verschiedenen spektralen !) oder mit von farbigen Papierflächen zurückgeworfenen ?) Lichtern bestrahlte. In anderen Versuchsreihen unterzog ich die Wirkung homogener und farbiger Glaslichter auf die Bewegungen des Daphnienauges °) syste- matischer Untersuchung; diese hat H. Erhardt auf solche mit farbigen Papierflächen ausgedehnt. Schon damals (1909) hatte ich eine neue interessante Lichtreaktion der Cladoceren kennengelernt, die wesentlich darin besteht, dass die Schwimmbewegungen helladaptierter bzw. zum Hellen schwimmender Daphnien schon durch geringfügige Lichtstärkeabnahmen vorüber- gehend verlangsamt werden und die Tiere infolgedessen bei leichter Verdunklung eine kurze Zeit etwas sinken, während bei Zunahme der Belichtung ihre Schwimmbewegungen nach aufwärts lebhafter werden. Bei mehreren anderen Tierarten war es mir gelungen, auf Grund von Verdunklungsreaktionen zum Teile überraschend genaue Aufschlüsse über ihren Lichtsinn zu erhalten, ich erwähne hier nur den Seeigel Centrostephanus ?), den Rohrwurm Serpula °), den Krebs Balanus ®) sowie gewisse Mückenlarven ”). Da die von mir bei Daphnien gefundene Reaktion schon bei sehr geringer Lichtstärkenverminderung eintritt, war ich bemüht, auch sie zur Grundlage neuer messender Untersuchungen ihres Lichtsinnes zu machen. Nach manchen ver- geblichen Versuchen gelangen mir mit einem verhältnismässig ein- -fachen Verfahren ziemlich genaue Messungen, durch welche, wie das Folgende zeigt, verschiedene in den letzten Jahren viel erörterte Fragen endgültig entschieden werden. Ich zeigte früher, in wie grossem Umfange die Art der Bewegungen der Daphnien zum Lichte von ihrem Adaptationszustande be- einflusst wird, so dass manche Arten nur, so lange sie helladaptiert sind, auf bestimmte Lichtquellen zu-, aber schon nach kurzer Dunkel- adaptation von diesen wegschwimmen, und dass dementsprechend auch die Verdunkelungsreaktionen der Schwimmbewegungen bei solchen hell- und dunkeladaptierten Tieren prinzipiell voneinander verschieden sind. Da längere Beobachtungsreihen sich meist nicht vornehmen lassen, ohne dass die verschiedenen Tiere eines Behälters in wesentlich verschiedene Adaptationszustände kommen, sind die Daphnienarten, welche solchem Einflusse unterliegen, für die fraglichen 1) Arch. f. Augenheilkunde Bd. 64, Ergänzungsheft. 1909. 2) Arch. f. vergl. Ophthal. Bd. IV H.]1. 1914. z 3) Arch. f. d. ges. Phys. Bd. 136 S. 289. .1910. 4) Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 160. 1914. 5) Ebenda Bd. 155’ 8. 422, 1914. 6) Ebenda S. 430. ,... 7) Ebenda Bd. 136 S. 296. 1910 und Zool. Jahrb. Bd. 33, S. 422. 1913. Der Lichtsinn der Krebse. 347 Zwecke ungeeignet. Für Daphnia magna dagegen hatte ich gefunden, dass genügend frische Tiere auch nach mässiger Dunkeladaptation auf nicht zu helles Licht zuschwimmen und dann auch noch unsere Verdunkelungsreaktion zeigen; damit war also eine für meine Zwecke geeignete Daphnienart gefunden. Weiter war erforderlich, die Tiere in mögliehst frischem Zustande zu untersuchen; sah ich doch oft, dass ihre Reaktionen schon am Tage nach dem Fange bei weitem nicht so lebhaft waren wie bei frischen Exemplaren und wie es für meine Messungen erforderlich war. Die im folgenden mitgeteilten Versuche sind daher ausschliesslich mit Tieren angestellt, die ich im allgemeinen 3—6 Stunden nach dem Fange der Messung unterziehen konnte. Zunächst bestimmte ich die kleinsten Lichtstärkenabnahmen, die noch eben deutliches Sinken der nach oben schwimmenden Tiere zur Folge haben; in einer ersten Versuchsreihe brachte ich sie im Dunkel- zimmer in einem geeigneten Parallelwandbehälter aus Spiegelglas vor das offene Ende eines 3 m langen Tunnels, in dem eine elektrische Birne messbar verschieblich war; zwischen Tunnel und Behälter stand ein Schirm aus Ölpapier, so dass der Beobachter die Tiere auf gleich- mässig hellem Grunde sah. Ein Mitarbeiter verschob die Birne in raschen zuckenden Bewegungen um verschiedene Beträge nach rück- wärts, und es wurden so für viele verschiedene Abstände der Lampe die kleinsten Lichtstärkenabnahmen ermittelt, die noch eben merk- liches Sinken der Tiere zur Folge hatten. Solches war zum Beispiel bei Verschieben der Lampe von 160 auf 165 cm noch regelmässig der Fall; das bedeutet eine Lichtstärkenverminderung von 1 auf 0,94 und entspricht nahezu der kleinsten Verschiebung, die unter den an- ‚gegebenen Bedingungen auch für mein Auge noch eben eine merkliche Helliskeitsabnahme bedingte. Bei anderen Versuchen benützte ich mein Pupilloskop in der Weise, dass ich ein konstantes und ein messbar variables, angenähert farbloses Glaslicht in raschem Wechsel auf die Tiere wirken liess. Ich bestimmte nun einerseits die Grenzen, inner- halb deren das variable Licht geändert werden konnte, ohne dass bei Wechselbelichtung ein deutliches Sinken der Tiere erfolgte, und andererseits unter den gleichen Bedingungen die Grenzen, innerhalb deren diese Änderung erfolgen konnte, ohne dass bei einem normalen Auge merkliches Pupillenspiel ausgelöst wurde; auch hier fallen ‚die Grenzen für die Tiere mit jenen für unser Auge fast zusammen. Diese Messungen lehren, dass nahezu die kleinsten Licht- stärkenänderungen, die im Menschenauge als eben merk- liche Helligkeitsunterschiede wahrgenommen werden bzw. ‚eben wahrnehmbares Pupillenspiel auslösen, auch genügen, um bei unseren Daphnien merkliche Änderungen ihrer Schwimmbewegungen herbeizuführen. Daraus ergibt sich die Il ® 248 C. v. Hess: wichtige Folgerung, dass es bei geeigneter Versuchsanordnung möglich sein muss, die relativen Helligkeiten verschiedenfarbiger Lichter und insbesondere auch die Helligkeitsverteilung im Spektrum für die Daphnien mit ähnlicher Genauigkeit zu bestimmen, wie für das unter entsprechenden Bedingungen sehende Menschenauge. Untersuchung mit farbigen Lichtern. Die Untersuchungen mit farbigen Lichtern begann ich mit erneuten Verteilungsversuchen im Spektrum; die Wiedergabe einzelner hierher gehöriger Momentaufnahmen dürfte, da solche bisher nicht bekannt waren, vielleicht von Interesse sein, um so mehr, als für den Kundigen schon sie zur Widerlegung verschiedener heute von zoologischer Seite vertretener Annahmen genügen. Bei den Aufnahmen wurde im Dunkelzimmer von einer 500kerzigen Nernstlampe in einem mit passendem Ausschnitte versehenen Dunkel- kasten das prismatische Spektrum entworfen und mittels passend auf- gestellten Spiegels schräg von oben auf einen mattweissen, am Fussboden befestigten Karton geworfen. Zur Eichung dieses Spektrums wurde ein schwarzer, mit einem etwa l mm breiten, 10 cm hohen Spalte versehener Schirm so in den Gang der Strahlen gebracht, dass jeweils nur ein schmaler Streifen spektralen Lichtes durch den Spalt auf die weisse Fläche fiel; dieser wurde der Reihe nach in verschiedene Abschnitte des Spektrums geschoben, die mittlere Wellenlänge des jeweils durchgelassenen Lichtes mittels eines mit Skala versehenen Spektroskopes bestimmt und die be- treffende Stelle auf dem Karton verzeichnet. Bei anderen Aufnahmen verzeichnete ich nur die Gegend des äussersten Rot (,a. R.‘‘') sowie des reinen Gelb, Grün und Blau im Spektrum. Danach wurde der photo- graphische Apparat senkrecht von oben auf die Mitte der Fläche ein- gestellt und erst jetzt auf letztere ein ca. 20 cm langer, rechteckiger Glas- behälter mit frischen Daphnien gebracht: nach wenigen Sekunden haben die Tiere sich in der charakteristischen Weise im Spektrum verteilt, und es kann die Blitzlichtaufnahme erfolgen. In Abb. 1 (Tafel III) war der Behälter mit einer ansehnlichen Zahl von Tieren beschickt, um eine erste Vorstellung von der Verteilung der Daphnien im ganzen zu geben. Man sieht, dass die grosse Mehrzahl sich zwischen dem Gelb und Grün des Spektrums angesammelt hat; für den Farbentüchtigen liegt die hellste Stelle des letzteren bei @ “ oder noch etwas mehr nach dem Rot davon. Für genauere Bestimmungen sind derartige Massenaufnahmen des- halb nicht genügend, weil hier nur die vordersten, der Glaswand un- mittelbar anliegenden Tiere der unmittelbaren Wirkung der Strahlen ausgesetzt sind, während zu den in der zweiten, und noch mehr zu den in den folgenden Reihen befindlichen, grossenteils nur das durch die vorn angesammelten, zumeist gelblichen bis rötlich gelben Daphnien gegangene Licht gelangt. Zu genauerer Ermittelung der von den Tieren vorwiegend aufgesuchten Stelle im Spektrum brachte ich daher Der Lichtsinn der Krebse. i 249 eine wesentlich kleinere Zahl in den Behälter und bestimmte unter wiederholter Änderung ihrer Verteilung sowie der Stellung des Be- hälters im Spektrum immer aufs neue, nach welcher Gegend sie in grösster Zahl schwammen; eine derartige Beobachtung ist in Abb. 2 der Tafel III festgehalten. Im allgemeinen entsprach die Mitte der am meisten aufgesuchten Gegend einer Wellenlänge von etwa 535 bis 530 un. Beim total farbenblinden Menschen fand Hering die hellste Stelle im Spektrum des Tageslichtes bei etwa 522—528 un, im Spek- trum des Gaslichtes fanden spätere Untersucher diese bei 537, in jenem des Tageslichtes bei 529 uu. Die Übereinstimmung ist also eine überraschende. ; Um die Kurve der relativen Helligkeiten der verschiedenen Lichter des Spektrums für die Daphnien einigermaassen: festzustellen, bediente ich mich der oben erwähnten Verdunkelungsreaktion unter Anwendung eines Verfahrens, das ich kurz als Wechselbelich- tung bezeichnen will; es besteht im wesentlichen darin, dass eine ‚grössere Zahl von Tieren erst einige Sekunden lang der Wirkung eines R en 2 | m) B 27 PR > | Ss Py ON A Abb. 1. homogenen farbigen Lichtes ausgesetzt wird, das man dann möglichst rasch durch ein farblos graues von messbar variabler Stärke ersetzt. Nachdem dieses gleichfalls einige Sekunden gewirkt hat, ersetzt man es wieder rasch durch das farbige und beobachtet, ob bei Erscheinen des einen oder anderen Lichtes deutliches Sinken der Tiere stattfindet, oder ob die Wechselbelichtung ohne merklichen Einfluss auf die Schwimmbewegungen ist. Zur Untersuchung im Spektrum diente mir die durch Schema Abb. | wiedergegebene Vorrichtung. Dem Dunkeikasten P mit dem gerad- sichtigen Prisma genau gegenüber steht ein 3 m langer, innen matt- schwarzer Tunnel T, in welchem die Lampe L messbar verschieblich ist. Zwischen Tunnel und Dunkelkasten ist in passender Höhe auf einer ebenen, horizontalen Glastafel leicht verschieblich der rechtwinklige Spiegel Sp hinter einer grossen, mattschwarzen, senkrechten Fläche mit einem etwa 6 cm hohen, nur 2 mm breiten Schlitze aufgestellt. Wenn der Winkelspiegel, dessen senkrechte Kante die schwarze Fläche eben berührt, seitlich um 3 mm nach rechts verschoben wird, so fällt durch ‚den Schlitz nur das vom Spektralapparate kommende, an der ersten Spiegelfläche zurückgeworfene Licht; bei Verschiebung um 3 mm nach links gelangt nur das vom Tunnel kommende, an der zweiten Spiegel- fläche zurückgeworfene Licht durch den Schlitz; der niedere Rahmen AR 250 C. v. Hess: gibt die erforderlichen Hemmungen für die Seitenbewegungen des Spiegels. Unmittelbar vor dem Schlitze der mattschwarzen Fläche befindet sich der Tierbehälter B, ein Parallelwandgefäss aus Spiegelglas, dessen beide ca. 10 em breite und hohe Flächen nur etwa 7 mm voneinander abstehen. Der Beobachter A sieht durch die Konvexlinse im durchfallenden Lichte. die in der dünnen Wasserschicht verteilten Tiere, die aus den dunkeln Behälterteilen von den Seiten her nach der von dem Schlitze erhellten Gegend eilen und hier gut zu verfolgen sind. Die ganze Spiegelvorrichtung mit den Tieren ist senkrecht zur Verbindungslinie zwischen Tunnel und Spektrumkasten verschieblich, so dass je nach Bedürfnis die verschiedenen farbigen Lichter des Spektrums, am Spiegel zurückgeworfen, durch den Schlitz zu den Tieren gelangen; während man diese beobachtet, nimmt man rasch die seitlichen Spiegelverschiebungen vor und stellt fest, ob bei Erscheinen des farbigen oder des farblosen Lichtes deutliches Sinken der Tiere erfolet, bzw. ob die Wechselbelichtung ohne Einfluss auf ihre. Schwimmbewegungen ist. So oft letzteres der Fall ist, wird die Wellen- länge des durch den Schlitz tretenden homogenen Lichtes spektroskopisch bestimmt und der Abstand der Lampe L verzeichnet. Grössere Versuchsreihen stellte ich einmal so an, dass ich für ein bestimmtes homogenes Licht durch Verschieben der Tunnellampe jenen Abstand der letzteren aufsuchte, bei dem Wechselbeliehtung ohne Einfluss auf die Schwimmbewegung war, ein anderes Mal so, dass ich die Lampe in solchen Abstand brachte, bei welchem die Licht- stärke %, !/,, V} usw. der als Einheit angenommenen war, und dann durch Verstellen des Mittelteiles mit Spiegel und Tieren die zur motori- schen Gleichung erforderlichen spektralen Lichter aufsuchte. Bei diesem letzteren Verfahren erhält man, wie leicht ersichtlich, nachdem für- die hellste Stelle in der Gegend des Gelbgrün die erforderliche Lampen- stellung ermittelt ist, für jeden grösseren Abstand der Lampe jeweils zwei motorisch gleichwertige Orte im Spektrum. Im Diagramm Abb. 2 ist das Ergebnis von 40 zu verschiedenen Zeiten vorgenommenen Einzelmessungen zusammengefasst. Es gibt einerseits eine Vorstellung von den Grenzen, innerhalb deren solche Messungen an Daphnien vorgenommen werden können, und zeigt andererseits die weitgehende Übereinstimmung mit den. bekannten Kurven der relativen Helliskeiten für das total farbenblinde und für das bei herabgesetzter Lichtstärke sehende dunkeladaptierte nor- male: Menschenauge, sowie auch zum Beispiel mit der von mir für das Fischauge ermittelten Kurve. Insbesondere sei darauf hingewiesen, dass jene bei etwa 580 u gelegene Stelle des lichtstarken Spektrums, die für das farbentüchtige, helladaptierte Auge die grösste Helligkeit hat, für die Daphnien zur motorischen Gleichung kaum die Hälfte von der für ihre hellste Stelle erforderlichen Lichtstärke benötigt, dass das für unser Auge leuchtend helle Rot von etwa 625 u. für sie nur äusserst geringen Helligkeitswert hat, sowie dass, ein Gelb von etwa 580 uu und ein. Der Lichtsinn der Krebse. b 951 Blau von etwa 486 un für die Daphnien wie für den total Farben- blinden angenähert gleich hell sind, während dem Farbentüchtigen das Gelb viel heller als das Blau erscheint. Wer, ohne Messungen vorzunehmen, eine Vorstellung von den geschilderten interessanten Erscheinungen gewinnen will, kann in der folgenden Weise vorgehen. Aus einem grossen mattschwarzen Karton schneide man einen etwa Y,—1, em breiten, 10 em hohen Spalt und halte diesen in einem etwa 20—30 cm breiten Spektrum so vor den Behälter mit Tieren, dass jeweils nur Strahlen eines entsprechend kleinen Spektralbezirkes zu diesen gelangen. Bewegt man den Spalt vom langwellisen Ende langsam durch die verschiedenen Lichter des Spektrums, so beginnen die Daphnien im Rot sich im Spaltbereiche zu sammeln, bleiben aber hier vorwiegend am Boden des Behälters; 650 025 600 570 560 5550 55 46 45 465 450 Abb. 2. bei Übergang zu Orange und Gelb wird die Ansammlung der Tiere rasch grösser, und sie steigen immer mehr nach oben. Im Gelbgrün : bis Grün sammeln sie sich am reichlichsten und gehen am weitesten nach oben. Sobald man über das Grün hinaus nach dem bläulichen Grün kommt, beginnen die im Spaltgebiete angesammelten Tiere zu sinken, um so mehr, je weiter man nach. dem kurzwelligen Spektrum- ende kommt; aber auch hier, im Grünblau, Blau und Violett, besteht noch ausgesprochene und lebhafte Neigung, nach dem farbigen Lichte zu gehen, die in starker Ansammlung der Tiere im Spaltbezirke zum Ausdrucke kommt. Schon dieses einfache Verfahren genügt zur Widerlegung der in der Zoologie verbreiteten Angabe, Blau wirke für die Daphnien „negativierend“ usw. Ich habe bei jahrelangen Untersuchun- gen mit vielen verschiedenen Cladoceren nie eine Art ge- 959 .C. v. Hess: funden, die vom spektralen Blau weggeschwommen wäre. Führt man den Spalt wieder nach dem langwelligen Ende zu, so steigen die Tiere im Spaltbezirke wieder bis zum gelblichen Grün, im Gelb und Rot sinken sie, bei starker Ansammlung im Spaltbereiche, wieder herunter. Eine zweite Gruppe von Messungen mit der Wechselbelichtungs- methode stellte ich an meinem Differentialpupilloskop an. Wegen der Einzelheiten des Instrumentes verweise ich auf meine ausführliche Darstellung!). Das Prinzip besteht im wesentlichen darin, dass ein stark und gleichmässig belichtetes Feld durch eine Hebelvorrichtung in sehr raschem Wechsel einmal von einem freifarbigen Glaslichte und unmittelbar darauf, ohne Zwischenbeliehtung, von einem an- genähert farblosen, in seiner Stärke kontinuierlich und messbar variablen Lichte bestrahlt wird. Die Änderung der Lichtstärke des letzteren geschieht durch Verschieben zweier sehr spitzwinkeliger grauer Glas- keile gegeneinander; für jede Stellung derselben ist die Menge des von ihnen jeweils durchgelassenen Lichtes an einer Skala abzulesen. Die Tiere werden in dem gleichen Parallelwandbehälter wie vorher im durchfallenden Lichte während der Wechselbelichtung beobachtet. Ich führe aus zahlreichen einschlägigen Beobachtungsreihen nur ein, Beispiel an, das zeigt, wie genaue Messungen auch hiermit möglich und wie gross die Unterschiede zwischen den Helligkeitswerten der farbigen Glaslichter für den Menschen und jenen für das Daphnienauge sind. (Die Zahlen geben die Mengen des Messlichtes in Prozenten der Lichtstärke der Lichtquelle.) Abwechselnde Belichtung mit blauem und angenähert farblosem Lichte; die Menge des von den Graukeilen durchgelassenen Lichtes beträgt: 6%: die Tiere sinken bei Erscheinen des Grau; 11,1%: die Tiere sinken bei Erscheinen des Blau, fast kein Unterschied; 14,3%: die Tiere sinken stark bei Erscheinen des Blau; 8,3%: kein Einfluss der Wechselbelichtung auf das Schwimmen der Tiere; 4,5%: die Tiere sinken stark bei Erscheinen des Grau; 5,4%: die Tiere sinken noch deutlich bei Erscheinen des Grau; 6,9%: noch merkliches Sinken bei Erscheinen des Grau. | Hier war also zur motorischen Gleichung für die Daphnien ein Grau von etwa 8,3% erforderlich. Für mehrere total Farbenblinde fand ich nahezu die gleichen Werte, während für den Farbentüchtigen die entsprechenden Werte 1,5—2,5%, für den relativ blausichtigen Rotgrünblinden (,‚Protanopen“) 2—3% betragen. Ebenso ergaben meine Messungen mit roten Glaslichtern bei Daphnien ähnliche Werte wie beim total Farbenblinden und durchaus andere wie beim Nor- 1) Das Differentialpupilloskop. Arch. f. Augenheilkunde Bd. 80 S. 4. 1916. Vgl. auch dieses Arch. Bd. 160 (Uber den Lichtsinn bei Echino- dermen). Der Lichtsinn der Krebse. ‘ 253 malen und beim partiell Farbenblinden. Zu gleichen Ergebnissen führten Untersuchungen, die ich am Pupilloskop nach der Ver- “ teilungsmethode in der weiter unten für Bosmina geschilderten, Weise anstellte (siehe S. 256). Nach Zwischenschalten eines Schwerst- flintglases, das den grössten Teil der ultravioletten Strahlen zurück- hält!), waren die Ergebnisse keine merklich anderen, woraus hervor- ‚geht, dass die fraglichen Strahlen bei diesen Versuchsreihen nicht störend in Betracht kommen. In einer dritten, Gruppe von Versuchsreihen benützte ich zur Wechselbelichtung farbige Papierflächen in solcher ne wie es Schema Abb. 3 zeigt. Die Tiere befinden sich in dem Behälter B in einem Gehäuse aus mattschwarzem Karton, das von oben und den Seiten kommendes Licht abhält, so dass der Behälter vorwiegend nur von dem an den Flächen H und D zurückgeworfenen, aus ‚dem Fenster F einfallenden Tageslichte 7 ‚getroffen wird. Diese Flächen bestehen aus quadratischen, ebenen Kartons von 40 cm Seitenlänge, die mit grauen bzw. frei farbigen Hering’schen Papieren be- 8 ‚spannt sind; die farblosen Helliskeits- ‘werte der Flächen hatte ich in der üb- all lichen Weise für mein dunkeladaptiertes 4. | Auge am Kreisel bestimmt. Der Be- jR ‚obachter A sitzt unter einem schwarzen 2 "Tuche, das sich auch über den hinteren Abb. 3 ' Abschnitt des Gehäuses legt, und ver- folgt die Schwimmbewegungen durch einen kleinen Ausschnitt in der Rückwand des letzteren. Ein Mitarbeiter hält die beiden Flächen parallel zueinander in der erforderlichen Stellung zum einfallenden Liehte; während die vordere Fläche in geeigneten Pausen rasch weg- ‚gezogen und vorgeschoben wird, stellt man fest, ob bei Erscheinen der einen oder anderen Sinken der Tiere stattfindet, oder ob die Wechselbelichtung ohne Einfluss ist. Auch für diese Anordnung stellte ich fest, dass Ausschalten des grössten Teiles der ultravioletten Strahlen vermittels vorgehaltenen Schwerstflintglases das Ergebnis nicht merklich beeinflusst. Zunächst nahm ich, um eine Vorstellung von den Grenzen zu be- kommen, innerhalb deren hier noch deutliche Reaktionen eintreten, Versuche mit zwei verschieden hellen Grau von bekanntem Kreisel- werte vor: Del. S. 272.. 254 C: v. Hess: Wirkt auf ein Grau vom Kreiselwerte 42 (kurz: „Grau 42“) das für unser Auge nur wenig dunklere Grau 31, so ist noch deutliches. Sinken der Tiere wahrzunehmen. Ebenso bei Einwirken von Grau 21 nach Grau 31, von Grau 67 nach Grau 91, von Blau 103 nach Blau 122 usw. Wirkt nach dem für uns schon ziemlich dunklen Grau 35. ein für uns leuchtend helles Rot, so’ sinken die Tiere stark. Für den total Farbenblinden ist dieses Rot sehr dunkel grau, sein farbloser Helliskeitswert entspricht nur etwa 15°. Ferner stellte ich, im Hin- blicke auf weiter unten zu erwähnende Versuchsreihen, eine Art von motorischen Gleichungen zwischen einer farbigen und. einer grauen, sowie zwischen zwei farbigen Flächen her, das heisst, ich suchte solche Flächenpaare auf, für welche Wechselbelichtung ohne Einfluss auf das Schwimmen der Tiere ist. Eine solche Gleiehung bestand zum Beispiel zwischen einem für uns hellen Gelb und einem für uns dunkleren. Blau; die Bestimmung des farblosen Helligkeitswertes ergab für das Gelb 120°, für das Blau 122°, also nahezu gleiche Werte; ebenso konnte ich eine motorische Gleichung zwischen einem für uns leuchten- den Orange und einem für uns dunklen Grau, sowie zwischen einem Rot und einem sehr dunklen Grau herstellen, für welche wiederum die farblosen Helligkeitswerte ähnliche waren. Also selbst dieses einfache Verfahren gestattet schon eine Art von Messungen, die freilich an Genauigkeit jenen an Spektrum und Glas- lichtern nachstehen; es ermöglicht selbst dem Laien, eine gewisse Vorstellung von den einschlägigen Verhältnissen zu erhalten. Wir haben im vorstehenden drei Gruppen von Messungen kennen- _ gelernt, bei welchen die neue Methode der Wechselbelichtung mit homogenen, mit farbigen Glaslichtern und mit farbigen Papierflächen benutzt werden konnte. Auch die Verteilungsmethode habe ich zum Teile schon früher bei Daphnien mit spektralen Lichtern und mit farbigen Flächen benutzt, und wir sahen vorher, wie sie, mit Hilfe des Pupilloskops, auch zu genaueren Messungen mit farbigen Glas- lichtern dienen kann. Fügen wir hinzu, dass die entsprechenden drei Verfahren auch auf die Augenbewegungen unserer Krebse sich un- schwer ausdehnen lassen, so stehen uns nunmehr neun verschiedene Gruppen von Versuchsreihen zur messenden Untersuchung des Lichtsinnes der Daphnien zur Verfügung; alle haben zu übereinstimmenden Ergebnissen geführt. Nachweis des Fehlens des Purkinje’schen Phänomens bei Daphnien. Im farbentüchtigen Auge erfährt das Helligkeitsverhältnis ver- schieden farbiger Lichter bekanntlich wesentliche Änderungen, wenn Der Lichtsinn der Krebse. 2 255 die Stärke der verglichenen Lichter in gleichem Verhältnisse gemehrt oder gemindert wird. Diese Erscheinungen, die unter dem Namen Purkinje’sches Phänomen zusammengefasst werden, sind charakte- ristisch für das farbentüchtige Auge; ihr Fehlen ist charakteristisch für totale Farbenblindheit, die also bei irgendeinem mensch- lichen oder tierischen Wesen auch durch Nachweis des Fehlens des Purkinje’schen Phänomens festgestellt werden kann. Auch diese Frage habe ich für Daphnia magna sowohl mit der Verteilungsmethode als mit jener der Wechselbelichtung auf drei verschie denen Wegen in Angriff genommen. 1. Die oben geschilderte Verteilung der Daphnien in dem am Fuss- boden entworfenen objektiven Spektrum ermittelte ich einmal bei möglichst hohen Lichtstärken, dann, nachdem ich in den Gang der Strahlen einen Episkotister mit einem Ausschnitte von nur 4° ge- bracht hatte. Hierdurch war also die Lichtstärke des Spektrums auf ein Neunzigstel der ursprünglichen herabgesetzt; sie reichte eben noch hin, um die Verteilung der Tiere festzustellen, die Farben des Spektrums erschienen unserem Auge schon stark mit Grau verhüllt, und die Hellig- keitsverteilung war eine entsprechend andere geworden. Die Ver- teilung der Daphnien blieb aber die gleiche wie vorher bei voller Lichtstärke. Besonders schön und eindringlich lässt sich dies zum Beispiel in der Weise zeigen, dass man die Tiere zuerst bei stark herabgesetzter Lichtstärke sich im Spektrum ansammeln lässt und dann dieses plötzlich mit voller Stärke wirken lässt; während für uns dabei das Gelb auffallend viel heller und das Blau dunkler wird, bleiben die Daphnien in der gleichen Weise verteilt wie vorher. 2. Auch am Differentialpupilloskop nahm ich die oben beschriebenen Messungen einmal bei voller Lichtstärke vor, dann nach Zwischen- schalten des Episkotisters. Hier waren selbst bei einem Ausschnitte von nur 1° noch genaue Messungen möglich; ich ermittelte für die verschiedenen farbigen Glaslichter auch jetzt, also bei nur einem Dreihundertsechzigstel der ursprünglichen Lichtstärke, wieder die gleichen Zahlen wie bei voller Lichtstärke, während für das farbentüchtige Auge bei gleicher Herabsetzung der Lichtstärken und entsprechender Dunkeladaptation die pupillomotorischen Werte wesent- lich andere sind als bei voller Lichtstärke; nach meinen (noch nicht veröffentlichten) Messungen geht zum Beispiel für Rot beim normalen Menschen der bei Helladaptation und voller Lichtstärke gefundene pupillomotorische Wert von ca. 11% durch Herabsetzung der Licht- stärke auf ein Dreihundertsechzigstel bei entsprechender Dunkel- adaptation auf ca. 1% herab, während jener für Blau unter gleichen. Verhältnissen von 2—2,6 auf 5—6% steigt! 256 C. v. Hess: 3. Endlich konnte ich auch mit der Methode der farbigen Flächen Fehlen des Purkinje’schen Phänomens für das Daphnienauge nach- weisen, indem ich die oben geschilderten Versuche an einem hellen Tage das eine Mal nahe dem hellen Fenster vornahm, das andere Mal, nachdem das Zimmer so weit verfinstert war, dass ich unter dem schwarzen Tuche mit dunkeladaptiertem Auge die Tiere eben noch wahrnehmen konnte. Selbst bei diesen verhältnismässig sehr beträcht- lichen Lichtstärkenänderungen blieben die für grosse Helligkeiten am Daphnienauge hergestellten Gleichungen zwischen zwei farbigen sowie zwischen farbigen und farblosen Flächen bestehen. Bosmina longispina. Bosmina ist eine zu den Cladoceren gehörige kleine Krebsart, die ‚bisher auf ihr Verhalten dem Lichte gegenüber nicht untersucht worden ist. Ich konnte im Laufe des Sommers 1914 während der zweiten Hälfte des Juni am Ufer des Starnberger Sees die Tiere in grossen Mengen fangen und zu meinen Versuchen benutzen. Die Grösse der Krebschen beträgt durchschnittlich nur etwa 13— UV, mm; sie erscheinen dem blossen Auge als eben sichtbare Pünktchen, sind aber für viele ‚einschlägige Untersuchungen gleichfalls besonders geeignet, weil sie unter allen bei meinen Versuchen in Betracht kommenden Umständen zum Hellen gingen und zum Teile schon auf merklich kleinere Licht- ‚stärkenunterschiede mit deutlicher Verteilung reagieren als zum Bei- ‚spiel Simocephalus. Auf ihre grosse Lichtempfindlichkeit wurde ich zuerst aufmerksam, als ich gelegentlich anderer Untersuchungen be- merkte, wie in dem Glasgefässe bei geringfügigem Belichtungswechsel weisse Wölkchen bald nach dieser, bald nach jener Seite zogen, die von Tausenden der kleinen Krebse gebildet wurden. Zur ersten Untersuchung mit spektralen Lichtern brachte ich wieder einige Tausend frisch gefangene Tiere in einem Parallelwand- gefässe aus Spiegelglas in das prismatische Spektrum. Die Tiere schwammen so lebhaft nach der Gegend des Gelbgrün bis Grün, dass ‚schon nach wenigen Sekunden in Rot und Orange fast gar keine, im Gelb nur noch wenige sich fanden, während im Gelbgrün und Grün fast alle in einem schmalen Bezirke sich gesammelt hatten. Im Grün- blau nahm ihre Zahl wieder ab, im Blau und Violett ward sie immer kleiner. ; Auch zu Messungen am Pupilloskop erwiesen sich die Bosminen gut geeignet, und zwar bediente ich mich hierbei vorwiegend der Ver- teilungsmethode (siehe oben) in folgender Form (vgl. Schema Abb. 4). Das Pupilloskop A ist so aufgestellt, dass sein Licht zunächst durch .die farbige Glasplatte F zu dem Glasbehälter D mit den Bosminen gelangt. In einem gegenüber stehenden Tunnel T ist die Mattglaslampe L messbar verschieblich; die Tiere werden also einerseits von dem farbigen Lichte Der Lichtsinn der Krebse. 257 des Pupilloskops, andererseits von dem farblosen der Lampe ZL bestrahlt. Man verschiebt nun diese so lange, bis ihre Wirkung auf die Tiere jener des farbigen Lichtes gleich ist, was man daran erkennt, dass die Tiere keine ausgesprochene Neigung zeigen, nach einer Seite ihres Behälters zu gehen. Man prüft dies zweckmässig so, dass zunächst zu beiden Seiten des Behälters D je ein schwarzer Karıon vorgeschoben wird, die Tiere sich also im Dunkeln befinden; sie werden dann von Zeit zu Zeit, jeweils für wenige Sekunden, durch Wegziehen der Kartons belichtet. Wie genaue Bestimmungen auf diese Weise möglich sind, ergibt sich schon aus der en ermlune der bei enederen Messungen erhaltenen Werte für den Abstand der Lampe L. Man fixiert nun die Lampe L in dem ge- fundenen Abstande und ersetzt darauf am Pupilloskop die farbige Glas- platte durch die gegeneinander verschieblichen Graukeile G und verstellt diese so lange, bis die Tiere in D wiederum keine deutliche Neigung zeigen, nach der einen oder anderen Seite zu schwimmen. Man findet so leicht jene Stellung der Graukeile, bei welcher das von ihnen durchgelassene Licht ähnlichen oder gleichen motorischen Wert für die Krebse hat wie das mit ihm verglichene farbige Glaslicht. Vielfach ging ich bei meinen Messungen so vor, dass ich selbst die Tiere beobachtete und die Angaben „Tliere schwimmen nach rechts bzw. links‘‘ diktierte, während ein Mit- arbeiter die betreffenden Ablesungen vornahm und eintrug, ohne sie mir mitzuteilen, so dass ich : G also erst am Einde einer Versuchsreihe vom Er- gebnisse der Messungen Kenntnis bekam. \ | | Ich stelle hier die 7 Bas | | R F so gefundenen Werte mit den pupillomotori- Abb. 4. schen Werten der glei- chen farbigen Lichter für normale, für sogenannte Rotblinde (,,‚pro- tanope‘‘) un für total farbenblinde Menschenaugen zusammen: Rot Orange Blaugrün Blau Bosmina . . ie < 0,8 6—7 21,4 11,1 (mittel) Total Fe benbloider Mensch : < 0,6 6 22,4 9,9—11,8 Borblmder,(„Brotanoep“).. . 1,5 2,2 11,8 13,2 1483 2—-3 Normaler Mensch . . . .. 9—11 16,5—20.4 14-15 1,5—2,5 Die Zahlen, die auf diesem Wege bei Untersuchung mit den von mir benutzten freifarbigen Glaslichtern bei Bosmina erhalten wurden, zeigen wiederum weitgehende Übereinstimmung mit den motorischen - Werten der gleichen farbigen Lichter für die Pupille des total farben- ' blinden Menschenauges. Die entsprechenden Werte für den Normalen und den sogenannten Rotblinden (, ‚Protanopen‘‘) sind auch von den bei Bosmina gefundenen in ganz charakteristischer Weise verschieden : damit ist auch für Bosmina die Annahme widerlegt, es könnte bei ihnen etwa irgendeine Art von Darnelen Farbenblindheit vorliegen. 2358 | ©. v. Hess: Zur Untersuchung der Bosminen mit farbigen Papierflächen be- diente ich mich vorwiegend des Verfahrens, das ich früher für ent- sprechende Untersuchungen an Daphnia und Artemia ausgearbeitet habe: Ein kleiner quadratischer oder rechteckiger Behälter aus Spiegel- glas wird so, wie es Schema Abb. 5 zeigt, aufgestellt. Das vom Fenster F direkt einfallende Tageslicht wird durch einen vor dem Gefässe auf- gestellten mattschwarzen Schirm von diesem zurückgehalten, besser noch durch einen tunnelartigen Sturz, der über den Behälter gestülpt wird. Die weissen und schwarzen bzw. farbigen Papierflächen W und S werden senkrecht unter einem Winkel von 45° zur Fensterebene so aufgestellt, dass das von ihnen zurück - a geworfene Licht nur durch die beiden Schmalseiten des Glasbehälters zu W a Ay den Tieren gelangt; die verschiedenen Flächen (Weiss und Schwarz, Hell- Abb. 5. und Dunkelgrau sowie verschiedene Farben) können rasch gegeneinander vertauscht werden. In anderen Versuchsreihen brachte ich an die Stelle von W und S zwei mattweisse Flächen oder zwei ebene Spiegel und vor die beiden Behälterseiten farbige Gläser oder farbige Gela- tinen; man kann so die Tiere mit freier farbigen und ultraviolett- freieren Lichtern bestrahlen als bei Benutzung der farbigen Papier- flächen. Auch auf diese Weise kann man eine gewisse Vorstellung von dem Verhalten der Tiere gegenüber verschieden hell grauen und ver- schieden farbigen Flächen erhalten. Das Verfahren hat den Vorzug der Einfachheit, ist aber an Genauigkeit, wie ich schon früher be- tonte, mit den oben geschilderten Methoden am Spektrum und am Pupilloskop nicht zu vergleichen. | Artemia salina. Die Bosminen sind so klein, dass befriedigende photographische Aufnahmen der Ansammlungen der Tiere nicht möglich waren. Da ich aber gerne eine Vorstellung davon zu geben wünschte, wie sich lichtempfindliche Krebse am Pupilloskop bei beiderseits gleicher bzw. verschiedener Lichtstärke in ihren Behältern verteilen, nahm ich neue Versuche an Artemia salina vor. Ich hatte bereits früher [1911!) und 1914 °)] den Nachweis erbracht, ‚dass auch diese, unter normalen Verhältnissen zum Dunklen schwim- 1) Experimentelle Untersuchungen zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 142. 2) Eine neue Methode zur Untersuchung des Lichtsinnes bei Krebsen. Arch. f. vergl. Ophth. Bd. IV Heft 1. Der Lichtsinn der Krebse. 259 menden Tiere sich im Spektrum sowie gegenüber farbigen Glaslichtern und Papierflächen so verhalten, wie unter entsprechende Bedingungen gebrachte total farbenblinde Menschen. Messungen, die ich mit Artemien am Pupilloskop vornahm, ergaben mir für die verschiedenen farbigen Lichter wiederum nahezu die gleichen Werte wie bei Bosmina. Von den Abbildungen zeist Abb. 6 auf Tafel III die Verteilung der Artemien in ihrem Glasbehälter bei der pupilloskopischen Messung, wenn das von links kommende Licht auf sie ein kleines wenig stärker wirkt als das von rechts kommende. Bei genau gleicher Wirkung beider Lichter werden die Tiere vorwiegend in den mittleren Teilen ihres Behälters zusammengedränst, wie Abb. 7 zeigt. Normale Artemien antworten auf ebenso kleine Lichtstärkenunter- schiede wie Bosmina und sind daher gleichfalls zu messenden Unter- suchungen geeignet. Ich zeigte früher, dass Artemien auf Licht- stärkenverschiedenheiten reagieren, ‘die sich wie 1:1,1 bzw. 1:0,9 verhalten. Trotzdem sind später von zoologischer Seite noch Be- obachtungen an Artemien mitgeteilt worden, die nicht einmal auf 40fach grössere Lichtstärkenunterschiede reagierten (!). Wissenschaft- lich kommen solche Versuche selbstverständlich nicht mehr in Be- tracht, bei welchen offensichtlich entweder die benützten Tiere oder die Methoden (oder beides) unbrauchbar waren. Polyphemus pedieculus. Unter den aus einem Teiche bei Starnberg gefischten Lebewesen, die ich auf ihr Verhalten zum Lichte untersuchte, fiel mir im Herbst eine kleine Krebsart durch die Besonderheit und Lebhaftigkeit ihrer Lichtreaktionen auf. Es handelte sich um Polyphemus, eine von Zoologen als selten bezeichnete Cladocere, die sich von den Daphnien in verschiedenen Punkten, hauptsächlich auch durch die beträchtliche Grösse des Auges, unterscheidet, das, im Verhältnis zur Körperlänge, jenes der Daphnien um das Drei- bis Vierfache übertrifft!) und ins- besondere durch eine Gruppe ungemein langer und starker Kristall- kegel am Scheitel gekennzeichnet ist; diese können bei geeigneter Stellung zum Lichte schon bei Lupenbetrachtung wie ein kleines leuchtendes Diadem über dem Kopfe erscheinen. (Auf Einzelheiten komme ich bei anderer Gelegenheit zurück.) Ich konnte die Tiere längere Zeit hindurch fast täglich in grossen Mengen fangen und in den ersten Stunden nach dem Fange nach vielen Richtungen systematisch untersuchen. Leider sind sie vielfach so hinfällig, dass oft schon nach wenigen Stunden ein grosser Teil 1) Der Durchmesser des Auges beträgt bei Polyphemus etwa !/,—!/; der Körperlänge, beim Menschen etwa !/., derselben! 260 C. v. Hess: von ihnen abgestorben ist. Durch die raschen Schwimmbewegungen und die Lebhaftigkeit ihrer Reaktionen auf verhältnismässig kleine Lichtstärkenunterschiede sind die Tiere, die merkwürdigerweise bisher nie auf ihren Lichtsinn untersucht wurden, gerade zu solchen Be- obachtungen besonders geeignet, und geeigneter als alle anderen bisher von mir untersuchten nicht marinen Wirbellosen. Da sie sich in Teichen wie Behältern oft an anderen Stellen als die Daphnien sammeln, ist es oft leicht, Hunderte von ihnen unvermischt zu er- halten. In einer Reihe von Versuchen brachte ich sie mit Daphnien zusammen und konnte zahlreiche Fälle feststellen, in welchen diese zum Lichte, jene aber vom Lichte gingen oder umgekehrt, so dass, selbst in kleinen Behältern von nur 5 cm Länge eine scharfe Scheidung der beiden Gruppen erfolgte. Ich berichte im folgenden nur ganz kurz über jenen Teil meiner neuen Beobachtungen, der zu den hier er- örterten Farbensinnfragen in unmittelbarer Beziehung steht, da ich bei anderer Gelegenheit eine ausführlichere Darstellung der inter- essanten, bei dieser merkwürdigen Krebsart von mir gefundenen Re- aktionen zu geben gedenke. Von vielen biologisch interessanten Einzelheiten sei hier nur erwähnt, dass ich bei Polyphemus (zum Teil auch bei Daphnien) vielfach ein wesent- lich verschiedenes Verhalten der ganz kleinen, neugeborenen und der grösseren, älteren Tiere zum Lichte fand, und zwar schwammen die kleinen, jungen Krebschen häufig noch zum Lichte unter Bedingungen, unter welchen die in dem gleichen Behälter unter gleichen Adaptations- bedingungen stehenden älteren vom Lichte schwammen, so dass auch hier selbst in kleinen, nur 5 cm langen Behältern eine scharfe Scheidung beider zustande kam. Auch in meinen grösseren Vorratsbehältern fand ich mehrfach die stärkste Ansammlung der kleinsten Tiere an anderer Stelle als die der grossen gleicher Art. Sehr interessant ist das Verhalten lange dunkeladaptierter Polyphemus: Bringt man sie rasch ans Helle oder belichtet sie in der Nacht mit einer Taschenlampe, so liegen sie häufig anscheinend leblos am Boden; erst nach !/,—’/, Minuten fangen einzelne, meist zunächst die kleinsten, an, sich zitternd etwas zu bewegen und lebhaft in kleinen Kreisen herum- zujagen, anfänglich ohne eine bestimmte Richtung zum Lichte an- zunehmen. Nach en sind alle wieder beweglich, fahren lebhaft un Kreise herum und zeigen erst allmählich eine zunächst schwache Neigung, zum Lichte zu gehen. In einer grossen Schüssel mit gut dunkel- adaptierten Daphnien und Polyphemus, die ich mit einer Taschenlampe bestrahlte, fingen die Daphnien schon bald an, sich aus der Menge zu lösen und auf die Lampe zuzuschwimmen, viel früher, als die Polyphemus zum Lichte zu gehen begannen. Dunkeladaptierte Daphnien zeigen bei starker Belichtung vielfach Neigung, in kleinen Kreisbahnen herum - zujagen. 3 Die Untersuchungen am Spektrum in einem langen schmalen Behälter ergaben in Übereinstimmung mit jenen bei Daphnien starke Ansammlung der Polyphemus in der Gegend des Gelbgrün bis Grün; sie ist hier infolge der Lebhaftigkeit der Schwimmbewegungen 'und Der Lichtsinn der Krebse. 361 Reaktionen noch eindringlicher als bei Daphnien. Die Verteilung bzw. Ansammlung blieb auch hier unverändert, wenn der Spalt des Spektralapparates rasch so verengert wurde, dass unserem Auge das Spektrum nur noch als farblos helles Band. mit ganz anderer Helliskeits- verteilung als vorher erschien. Durch Verschieben des schmalen Aus- schnittes in dem schwarzen Karton bei lichtstarkem Spektrum (vgl. S. 251) überzeugt man sich auch hier, dass das Grünblau, Blau und Violett des Spektrums nicht ‚‚negativierend‘ wirkt, vielmehr die Tiere auch hier sich in den dem Ausschnitte entsprechenden Spektralbezirken stark sammeln. Überraschend schöne Ergebnisse erhielt ich, wenn ich die Tiere in dem auf S. 250 beschriebenen, etwa 10 em breiten und hohen, nur 7 mm tiefen Parallelwandgefässe ins Spektrum brachte: die zunächst vorwiegend am Boden des Behälters befindlichen Tiere eilen in wenigen Sekunden nach der Gegend des Gelbgrün bis Grün, hier schwimmen sie senkrecht nach oben in so grosser Zahl, dass sie einen hohen, schmalen, senkrechten Streifen bilden, während sie in den übrigen Teilen des Spektrums, insbesondere im Rot, dauernd nahe dem Boden bleiben. Am Pupilloskop konnte ich sowohl mit der auf S. 257 genauer beschriebenen Verteilungsmethode, als auch mit der Verdunke- lJungsreaktion für verschiedene farbige Lichter Messungen vor- nehmen; die gefundenen Zahlen stimmen mit den für Daphnia und Bosmina erhaltenen überein. Auch hier sind infolge der Lebhaftigkeit, mit der die Tiere auf verhältnismässig kleine Lichtstärkenunterschiede reagieren, die Messungen mit besonderer Schärfe möglich. Hatte ich am Pupilloskop eine Gleichung zwischen dem Blau und dem Mess- lichte hergestellt, so dass die Tiere im Behälter angenähert gleich- mässig verteilt waren, und ich ersetzte das blaue Glas durch ein hell- grünes, so eilten die Tiere rasch nach diesem; wurde es aber durch ein für uns leuchtend helles Rot ersetzt, so eilten sie von dem Rot weg nach dem Messlichte usw. Durch Zwischenschalten von Schwerst- flintgläsern bei allen Versuchen überzeugte ich mich wieder, dass auch hier ultraviolette Strahlen keine für die Messungen in Betracht kommende Rolle spielen. Weitere systematische Untersuchungen, vorwiegend nach der Ver- teilungsmethode, stellte ich unmittelbar nach dem Fange mıt Hilfe ‚farbiger Gläser und Gelatinen, zum Teil auch mit freifarbigen Flächen an; auch hier ergab sich für Polyphemus ein im wesentlichen gleiches Verhalten gegenüber den verschiedenen farbigen Lichtern wie für Daphnia, so dass ich auf die Beschreibung der einzelnen Versuche verzichten kann. Nur sei ausdrücklich erwähnt, dass auch hier von einer ‚„negativierenden‘“ Wirkung grünblauer und blauer Lichter nicht die Rede sein kann, sofern man selbstverständlich wirklich nur die Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 15 202 C. v. Hess: entsprechenden farbigen Strahlgemische wirken lässt und insbesondere ultraviolette Strahlen genügend ausschaltet (siehe unten). In einem nur von einer Seite her für Licht zugängigen Behälter, der mit verschiedenen farbigen Gläsern oder Gelatinen bedeckt werden konnte, sammelten sich die helladaptierten, zum Hellen gehenden Tiere rasch auf der Seite der farbigen Lichtquelle, insbesondere bei Benutzung gelber, grüner und blauer Gläser; bei rubinroten war die Ansammlung entsprechend deren geringem Helligkeitswerte für die Tiere oft etwas langsamer, bei heller roten dagegen lebhaft ausgesprochen. Auch ein Sinken der Tiere bei plötzlicher Lichtstärkenabnahme er- folgt bei Polyphemus in ähnlicher Weise wie bei Daphnia; Versuche nach der auf S. 249 geschilderten Methode führten hier zu gleichen Er- gebnissen wie dort. Sida eristallina. Kleinere Versuchsreihen konnte ich an der fast durchsichtigen pelagischen Cladocerenart Sida anstellen, deren wundervolles Auge von jenen der meisten anderen von mir untersuchten Arten sich da- durch unterscheidet, dass seine nahezu kugelige Oberfläche im auf- fallenden Lichte fast rein weiss erscheint; ähnlich wie bei Polyphemus, nur in weniger hohem Grade, sind auch hier die nach hinten oben gerichteten Kristallkegel merklich länger als die übrigen. Die frisch gefangenen Tiere eilen, wenn man sie aus dem Hellen ins Dunkle bringt, lebhaft auf eine vorgehaltene Glühbirne zu; aber schon nach Dunkelaufenthalt von wenigen Minuten werden sie durch das gleiche Licht verscheucht, während Bosminen, die sich in dem- selben Behälter unter denselben Adaptationsbedingungen befanden, noch lebhaft auf das Licht zueilten. Im Spektrum zeigen auch diese Cladoceren sofort lebhafte Ansammlung im Gelbgrün bis Grün. . Ver- deckt man den langwellisen Abschnitt des Spektrums, so sammeln sie sich im Blau und Violett, so dass auch hier von einer ‚‚negati- vierenden‘ Wirkung des Blau nicht die Rede sein kann. Das ultra- violettreiche Licht einer offenen Bogenlamp: wirkt auf helladaptierte Siden anziehend, auf dunkeladaptierte abstossend. Eine besondere Eigentümlichkeit dieser Cladocerenart besteht darin,. dass bei ab- nehmender Lichtstärke die im Hellen lebhaft hin und her schwimmen- den Tiere ihre Schwimmbewegungen mehr oder weniger vollständig einstellen; das gleiche ist der Fall, wenn man vor die Lichtquelle, zum Beispiel die Bogenlampe, eine rote Glasscheibe bringt: nach Wegziehen derselben beginnen die Tiere sofort wieder lebhaft umher- zuschwimmen. In einem zur einen Hälfte mit ultraviolettreichem, zur anderen durch Vorsetzen eines Schwerstflintglases (siehe unten) mit ultraviolettarmem Tages ichte von angenähert gleicher Farbe durchstrahlten Behälter pflegten sich meine Tiere bald in grösserer Zahl in der ultraviolettärmeren Hälfte, also hinter dem Schwerst- Der Lichtsinn der Krebse. 263 flintglase, zu sammeln. Ihre Schwimmbewegungen wurden hier etwas langsamer, nach Wegziehen des Schwerstflintglases etwas lebhafter, so, wie sonst bei geringer Lichtstärkenzunahme. Die Siden haben vielfach die Neigung, sich mit ihren Haftscheiben an einer Stelle der Glaswand festzusetzen. Dabei richten sie merk- würdigerweise den Kopf in der Regel von der Lichtquelle weg: in einem ca. 20 cm langen Behälter, vor dessen Mitte ich eine Glühbirne bringe, sind nach einigen Minuten die Köpfe der in der linken Behälter- hälfte an die Glaswand angehefteten Tiere vorwiegend nach links, die jener in der rechten vorwiegend nach rechts gerichtet. Wenn man in den gewöhnlich zur Aufbewahrung benutzten Behältern die Tiere in der Regel mit dem Kopfe nach unten am Glase sitzend findet, so ist nach dem eben Gesagten auch darin eine Lichtreaktion, und zwar eine Folge des von oben einfallenden Lichtes zu sehen. Infolge dieses Anheftens an die Glaswand sowie ihrer die Be- obachtung erschwerenden Durchsichtigkeit sind die Siden, die zudem recht hinfällig sind, zu ausgedehnten Beobachtungsreihen weniger ge- eignet als die anderen oben beschriebenen Cladoceren. Durch die hier mitgeteilten neuen Tatsachen werden die von zoologischer Seite noch vielfach vertretenen Anschauungen über einen Farbensinn der Cladoceren so vollständig widerlegt, dass eine besondere Erörterung derselben nicht mehr erforderlich ist). Aus der für die totale Farbenblindheit charakteristischen Hellig- keitsverteilung im Spektrum der Daphnien hatte ich den Schluss. gezogen, dass diese total farbenblind sind. Für den Physiologen ist ein solcher Schluss etwas Selbstverständliches, das keiner weiteren Erörterung bedarf. Von zoologischer Seite aber wird mir immer wieder entgegengehalten, dies sei ein unzulässiger ‚Analogieschluss‘, eine durch nichts gerechtfertigte Verallgemeinerung eines am Menschen gewonnenen Eırfahrungssatzes; man meint die Sache damit erledigen zu können, dass man schreibt: ‚Diesen Schluss können wir jedoch nicht als zwingend anerkennen“ (Demoll). Wenn der Fhysiker bei der Spektralanalyse eines Sternenlichtes die bekannten Wasser- stofflinien findet, so beweist ihm dies das Vorhandensein von Wasser- stoff auf dem Sterne; denn jene Linien im Spektrum sind charakte- l) Weismann hat in seinen berühmten Untersuchungen zur Natur- geschichte der Daphnoiden die Annahme eingehend zu begründen ver- sucht, die hier vielfach vorkommenden, zum Teile sehr lebhaften roten, blauen und violetten Farben seien als Schmuckfarben zu deuten und erläuterten auch Darwin’> Ansicht vom Ursprung der Schmetterlings- farben; auch diese Auffassung ist durch unsere Befunde endgültig widerlegt. 182 264 C©. v. Hess: ristisch für die Anwesenheit von Wasserstoff, selbstverständlich un- abhängig von dem Weltkörper, auf dem sie gefunden werden; ganz ebenso sind die relativen Helliskeiten im Spektrum für die ver- schiedenen Gruppen von Sehqualitäten charakteristisch, selbstverständ- lich unabhängig von dem Tierkörper, in dem sie gefunden werden. Wie würde man wohl über den Laien urteilen, der jene Analyse des Physikers als eine durch nichts gerechtfertigte Verallgemeinerung eines auf der Erde gewonnenen Erfahrungssatzes abtun und einfach erklären wollte, er könne diesen ‚„‚Analogieschluss“ ‚nicht als zwingend anerkennen“ ? | Eben im Hinblick auf solche Irrtümer habe ich noch die dem Purkinje’schen Phänomen geltenden Messungen vorgenommen. Ist doch kaum anzunehmen, dass jemand den Satz wird aufstellen wollen, das Fehlen des Purkinje’schen Phänomens beweise zwar beim Menschen totale Farbenblindheit, nicht aber bei Tieren. Demoll!) schreibt unter anderem, ich hätte die Voraussetzung ge- macht, ‚‚dass gleiche Helliekeitskurven auch gleichen Erregungsqualitäten ?) entsprechen‘. Tatsächlich habe ich aber in vier verschiedenen Ab- handlungen ausdrücklich vor einer solchen Voraussetzung gewarnt und zum Beispiel für den Farbensinn der Tagvögel gezeigt, dass und warum die mir hier fälschlich zugeschriebene Annahme unzulässig ist; wissen wir doch, dass für den Normalen und für den sogenannten Grünblinden die Kurven der relativen Helligskeiten im Spektrum nicht merklich ver- schieden sind. Nachdem ich für die Tagvögel nachgewiesen hatte, dass bei ihnen die Helliskeitsverteilung im langwelligen Abschnitte des Spek- trums jener beim normalen Menschen ähnlich oder gleich. ist, musste, wie ich 1907), 1911), 1912°),und 1917°) ausführte, noch die Möslich- keit einer Rotgrünblindheit der Tagvögel erwogen und durch besondere Versuche ausgeschlossen werden; hierbei leisteten Dressuren in der von mir vorgeschlagenen Form gute Dienste. Von zoologischer Seite dagegen wird die unmögliche Voraussetzung gemacht, dass ungleiche Helliskeits- kurven gleichen ‚‚Erregsungsqualitäten‘‘ entsprechen könnten. Gründet sich doch die von verschiedenen Zoologen vertretene Annahme eines Blaugelbsinnes bei Bienen, die sich also wie gewisse Rotgrünblinde ver- halten sollen, eben auf die unmögliche Annahme, dass hei solchen Rot- erünblinden die ‚„Helliskeitskurve‘‘ gleichzeitig sowohl den für diese Rotgrünblindheit als auch den durchaus andersartigen, für totale Farben- blindheit charakteristischen Verlauf soll zeigen können. l) Demoll, Die Sinnesorgane der Arthropoden. 1917. 2) Der Autor meint hier Sehqualitäten; von ‚„Erregunesqualitäten‘ habe ich nie gesprochen. 3) Untersuchungen über Lichtsinn und Farbensinn der Tagvögel. Arch. f. Augenheilkunde Bd. 57 Heft 4. 4) Experimentelle Untersuchungen zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 142. 5) Vergleichende Physiologie des Gesichtssinnes. Jena, Fischer. 6) Über den Farbensinn der Vögel und die Lehre von den Schmuck- farben. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 162. [3 Der Lichtsinn der Krebse. 2655 Finiges über den Einfluss des Adaptationszustandes und der ultravioletten Strahlen auf die Art der Liehtreaktionen der Cladoceren. In meiner ersten Mitteilung über den Lichtsinn der Daphnien (1909) wies ich darauf hin, dass deren Verhalten zum Lichte unverständlich bleiben muss, so lange man sich nicht mit dem bis dahin ganz über- sehenen Einflusse der Adaptation auf die Art ihrer Lichtreaktionen genau vertraut gemacht hat. Ich zeigte schon damals, dass manche Arten, wenn sie im Dunkeln gehalten wurden, selbst bei schwacher Belichtung vom Lichte wegschwimmen, während die gleichen Tiere nach Belichtung von wenigen Minuten zum Lichte, selbst zu hellen Lichtquellen, hinschwimmen (siehe unten). Alle Nachuntersucher haben diese wichtigen Tatsachen übergangen und wurden auch hierdurch mehrfach an der Erkenntnis des wahren Sachverhaltes verhindert. So wird zum Beispiel die Angabe gemacht: „Die Cladoceren bewegen sich bei Verdunkelung zum Lichte hin, bei Erhellung vom Lichte fort (positiver und negativer phototropischer Reflex).“ Schon meine früheren Beobachtungen genügen, um die Unzulänglichkeit einer solchen Darstellung darzutun. Da sie immer wiederholt wird, teile ich im folgenden eine weitere interessante Gruppe von einschlägigen Tatsachen mit. Ein rechteckiger, etwa 10 cm breiter, 20 cm langer Glasbehälter mit Simocephalus steht längere Zeit in der dunkleren Hälfte eines ziemlich hellen einfensterigen Zimmers. Eine grössere Gruppe von Tieren hat sich an der Fensterseite gesammelt, der mittlere Teil des Behälters ist fast frei von Krebsen, an der vom Fenster abgewendeten Seite des auf schwarzem Grunde stehenden Gefässes ist wieder eine ziemlich grosse Zahl von ihnen zu sehen. Wenn ich eine Glühbirne an diese lichtschwächere Seite des Behälters bringe, fliehen die hier befindlichen Daphnien von der Lampe weg auf das Fenster zu, während. die an der Fensterseite angesammelten vom Fenster weg und. auf die Lampe zu eilen, so dass nach kurzer Zeit die einander entgegen schwimmenden Tiere sich in der Mitte des Behälters begegnen. Hat man aber die Tiere nur wenige Minuten belichtet, so fangen, oft schon nach 1—2 Minuten, die bis dahin lichtscheu gewesenen Exemplare an, zum Lichte zu schwimmen, so dass, wenn man nach kurzer Zeit die Lampe von neuem in gleicher Weise wie vorher an die dunklere Seite des Gefässes hält, nunmehr alle Daphnien von allen Seiten auf das Licht zu eilen. Der Versuch lehrt wiederum schlagend, wie geringe Belichtungsverschiedenheiten in den verschiedenen Teilen eines und desselben Gefässes genügen können, um ein prinzipiell ver- schiedenes Verhalten der in den verschiedenen Behälter- teilen befindlichen Daphnien zu einem Lichte von be- 266 C. v. Hess: Stimmter Stärke zu bedingen. Wer also nur eine einzelne Gruppe von Tieren in einem an verschiedenen Stellen verschieden stark belichteten Behälter berücksichtigt, kann leicht zu irrtümlichen Verallgemeinerungen über das Verhalten der Tiere bei Lichtstärken- abnahme oder -zunahme kommen, und schon deshalb müssen Versuche, die ohne Kenntnis bzw. Berücksichtigung dieser grundlegenden Tat- sachen angestellt sind, bei Erörterung der Frage nach einem Farben- sinne der Krebse ausscheiden. Dass das eben geschilderte Verhalten der Daphnien wirklich nur durch den verschiedenen Adaptationszustand der in verschiedenen Behälterteilen befindlichen Tiere zu erklären ist und nicht etwa durch dauernd verschiedenes Verhalten verschiedener Individuen oder Arten. zum Lichte, die zufällig in dem Behälter zusammengekommen wären, lehrt der folgende einfache Versuch: Man verdunkle den ganzen Be- hälter für etwa 10—15 Minuten durch ein übergelegtes schwarzes Tuch (wobei jedes falsche Licht sorgfältig auszuschliessen ist); wenn man danach im Dunkelzimmer das Licht an eine Behälterseite bringt, so eilen jetzt alle Krebschen lebhaft vom Lichte weg, die der Lampe nächsten am lebhaftesten. Hat aber das Licht auch nur 1—2 Minuten gewirkt, so verliert schon dadurch ein Teil der Tiere wieder seine anfängliche Lichtscheu, zuerst schwisımen im allgemeinen wieder jene, die dem hellen Lichte am meisten ausgesetzt waren, auf das Licht zu, während die in den entfernteren Behälterteilen weniger stark be- lichteten länger lichtscheu bleiben. Auch die folgenden Versuche können einen Teil der hierher ge- hörigen Erscheinungen eindringlich vor Augen führen; ich war daher bemüht, sie, soweit möglich, in Momentaufnahmen festzuhalten. Ein rechteckiger Behälter aus Spiegelglas (1 cm breit, 10 cm lang, 10 em hoch) wird mit einigen Hundert möglichst frischer Simocephalus beschickt. Die Tiere werden zunächst einige Minuten hellem Sonnen- lichte oder dem Lichte einer starken Bogenlampe ausgesetzt, dann möglichst rasch im Dunkelzimmer vor den photograpnischen Apparat gebracht ünd nun von oben her mit dem Lichte meiner Hammerlampe bestrahlt!). Die obere Öffnung des Behälters wird mit einem schwarzen Karton bedeckt, aus dessen Mitte ein quadratisches Loch von 1 cm Seitenlänge ausgeschnitten ist, so dass vorwiegend nur die mittleren Behälterteile von oben her stark erhellt sind, die seitlichen aber sich im Schatten befinden: Man sieht (Abb. 3 Tafel III), wie die hell- adaptierten Krebse stark zum bestrahlten Bezirke hineilen und in diesem nach oben, auf das Licht zu schwimmen. 1) Bei dieser wird das von einem Nernstfaden ausgehende Licht durch ein System von Linsen parallel gemacht, derart, dass ein kreisrundes Feld stark und gleichmässig belichtet ist. Der Lichtsinn der Krebse. 267 Nun drehe ich die Lichtquelle ab, so dass die Daphnien sich völlig im Dunklen befinden. Nach etwa 2—3 Minuten Dunkelaufenthalt sind sie, wie Abb. 4 (Blitzlichtaufnahme im Dunklen) zeigt, nahe der Oberfläche und am Boden angenähert gleichmässig verteilt. Werden nun diese kurz dunkeladaptierten Tiere von oben her in der gleichen Weise mit der gleichen Lichtquelle bestrahlt wie bei der ersten Aufnahme die helladaptierten, so eilen jetzt die vom Lichte getroffenen Krebse rasch aus den oberen und mittleren Behälterteilen vom Lichte weg nach unten auf den Boden des Behälters, so dass nach Belichtung von wenigen Sekunden der Behälter das durch Abb. 5 wiedergegebene Verhalten zeigt: Die gleichen Krebse, die kurz vorher so lebhaft auf das Licht zugeeilt waren, sind also durch Dunkelaufenthalt von nur 2—-3 Minuten so lichtscheu ge- worden, dass sie das nämliche Licht fliehen; oft sieht man sie bei der eben geschilderten Versuchsanordnung von dem Lichte weg in die beiden Ecken des Behälters eilen, so dass in der Mitte, wo vorher die meisten Tiere gewesen waren, jetzt die wenigsten, oft fast gar keine bleiben. Wenn man solche Daphnien längere Zeit dunkel gehalten hat und dann dem Lichte aussetzt, so erfolgt die Helladaptation nicht bei allen Individuen gleich rasch, auch sind sie ja nicht alle gleich stark belichtet, da ein Teil sich in der Regel im Schatten der anderen be- findet. Die Folge davon ist, dass in diesem Stadium eine starke Licht- quelle auf die verschiedenen, in dem gleichen kleinen Behälter be- findlichen Tiere entgegengesetzte Wirkung haben kann: ein Teil ist noch relativ dunkeladaptiert und flieht vor dem Lichte, während der andere schon relativ helladaptiert ist und auf eine lichtstarke Lampe lebhaft zueilt: So kann ich zum Beispiel selbst in dem kleinen, nur 10 cm langen und 1 cm breiten Behälter allein durch Nähern einer Lampe an die eine Schmalseite leicht die in ihm befindlichen Krebse in zwei Gruppen trennen, deren eine sich in der dem Lichte zu- gewendeten, hellsten Ecke sammelt, während die andere in die ent- gegengesetzte, relativ dunkelste eilt. Halte ich nun meine Lampe an letztere, so eilen die hier befindlichen Tiere sofort in raschen Stössen weg. während die anderen aus der entgegengesetzten Ecke auf das Licht zueilen; in der Mitte des Behälters treffen beide Gruppen wieder ‚aufeinander, kreuzen ihre Bahnen und sind nach wenigen Sekunden wieder in beiden Ecken angesammelt. Sehr schön konnte ich die hier mitgeteilten Erscheinungen auch im Freien an Ceriodaphnia verfolgen: Zum nächtlichen Fange von Wassertieren bediene ich mich gern einer kleinen, in u-förmigem Rohre passend angebrachten Glühbirne, die an einem langen, durch Gummi- schlauch isolierten Drahte einige Meter tief versenkt und dort durch 268 C. v. Hess: eine Taschenbatterie zum Glühen gebracht werden kann. In dem Lichtkegel, der auf diese Weise auch in ziemlich klaren Wässern ent- steht, nimmt man leicht die kleinen Tiere wahr und kann die zum Lichte schwimmenden auch aus Abständen von einigen Metern an- locken. Als ich in einer Juninacht die Vorrichtung in einem Teiche versenkte, waren im Augenblicke des Entzündens der Lampe an der betreffenden Stelle dicht unter der Wasseroberfläche enorme Mengen der kleinen Ceriodaphnia in dem Lichtkegel sichtbar; diese zeigten das Bestreben, rasch aus dem Hellen ins Dunkle zu schwimmen, so dass schon nach wenigen Sekunden der Lichtkegel fast frei von Tieren war; wurde die Lampe einige Zentimeter seitlich verschoben, so waren hier wieder grosse Mengen der Tiere sichtbar, und das Spiel wieder- holte sich!). Als ich aber die Krebschen in einem Glasgefässe ins hell- beleuchtete Zimmer gebracht hatte und hier nach einiger Zeit die Versuche wiederholte, schwammen sie nunmehr lebhaft auf das Licht zu, auch wenn eine stark leuchtende Glühbirne dicht an den Behälter gebracht wurde. Nach Dunkelaufenthalt von wenigen Minuten schwammen die meisten wieder rasch vom Lichte weg; nach etwas kürzerem Dunkelaufenthalte konnte ich leicht erreichen, dass bei seit-- licher Belichtung wieder etwa die Hälfte der Tiere sich an der dem Lichte zugekehrten Behälterwand, die andere an der von ihm ab- gekehrten, dunkelsten Stelle sammelte. In welcher Weise das Übersehen der hier besprochenen Tatsachen der noch immer vertretenen irrigen Meinung einer ‚spezifischen‘ Wirkung gewisser farbiger Lichter auf das Daphnienauge Vorschub leisten kann, sei nur an einem Beispiele erläutert. Als Beweis für einen Farbensinn der Daphnien wird von zoologischer Seite unter anderem der folgende Versuch angeführt, der das „Wesent- liche“ der Farbenreaktionen zur Anschauung bringen soll: Von drei Schalen mit Daphnien wird die eine mit einer roten, die andere mit einer blauen Glasampel, ‚wie sie für den Gebrauch in Kirchen und vor Gräbern käuflich sind‘, die dritte mit einer weissen Papierdüte bedeckt. Entfernt man nach Y, Stunde die Hüllen, so schwimmen die mit Rlau verdeckt gewesenen Tiere zum Lichte, die in den beiden anderen Schalen vom Lichte weg. Man übersieht, dass dieser Versuch nur eine unzulängliche Wieder- holung einer Beobachtung ist, die ich 1909 mit homogenen Lichtern anstellte, und die zeigt, dass die im Rot eines Spektrums befindlichen Daphnien relativ dunkeladaptiert werden und dementsprechend von der von zoologischer Seite vertretenen Meinung, die in Rede stehenden Lichtreaktionen der Wassertiere seien nur ‚l.aboratoriumsprodukt‘. Der Lichtsinn der Krebse. 269% während sie im Gelbgrün und Grün relativ helladaptiert werden und dementsprechend zu einer helleren Lichtquelle hinschwimmen. (Weitere: hierhergehörige Versuche enthält der folgende Abschnitt.) _ Bei vergleichenden Farbensinnuntersuchungen müssen ebenso, wie auch sonst, aus naheliegenden Gründen die Versuche mit spektralen Lichtern in erster Linie maassgebend sein, denn nur hier kennen wir jedesmal genügend genau die physikalische Beschaffenheit unserer Reizlichter; wo die Untersuchung mit Mischlichtern (farbigen Gläsern, Lösungen usw.) zu anderen Ergebnissen führt als jene mit spektralen, darf man niemals beide als gleichwertig nebeneinander stellen, sondern hat vor allem zu ermitteln, worin die benutzten Mischlichter sich von den entsprechenden homogenen unterscheiden. Von zoologischer Seite machte man Angaben über Wirkung des Spektrums auf Daphnien, ohne überhaupt Versuche mit spektralen Lichtern angestellt zu haben (!); die Unzulässigkeit eines solchen Vorgehens bedarf keiner Betonung, ich erwähne es nur, weil es einen der Ausgangspunkte für die vielen fehlerhaften Angaben über Farbensinn der Daphnien bildet, die noch immer von Zoologen vertreten werden, insbesondere, dass die lang- wellige Hälfte des Spektrums etwa bis zur Linie b auf die Daphnien „positivierend‘“, die kurzwellige Hälfte ‚negativierend‘ wirke. Alle diese Angaben sind schon durch meine Spek- trumbefunde endgültig erledigt. Neben den von mir früher angedeuteten Fehlern bei jenen Ver- suchen hat Becher!) neuerdings einen weiteren darin gefunden, dass eine durch gewisse blaue Lösungen und Gläser hervorgerufene ‚Negati- vierung‘‘ von Daphnien auf Verunreinigung der farbig wirkenden durch mehr oder weniger grosse Mengen ultravioletter Strahlen bei jenen angeblichen ‚Farbfiltern‘ ?) zurückzuführen ist. 1) Die fraglichen Angaben finden sich in Demoll’s Buch über die Sinnesorgane der Arthropoden (1917). 2) Die Bezeichnung ‚Farbenfilter‘ wird in einschlägigen Darstellungen vielfach in einem Sinne benutzt, der zu Verwirrung führen kann: ‚„Blau- filter‘ bedeutet eigentlich einen Filter, der nur blauwirkende Strahlen durchlässt; der Name wird aber zum Teile auch auf solche Gläser aus- gedehnt, die zwar vom sichtbaren Spektrum vorwiegend blauwirkende Strahlen durchlassen, daneben aber noch solche von dem für uns un- sichtbaren, zum Beispiel ultravioletten Teile. Ein derartiges Vorgehen ist allenfalls da zulässig, wo die unsichtbaren Strahlen sicher nicht störend in Betracht kommen; wo diese letzteren aber von so einschneidender Bedeutung werden können, wie hier, sollte man die Bezeichnung ‚Blau- filter‘ usw. nicht für Gläser und Lösungen beibehalten, die neben den sichtbaren, blau usw. wirkenden, noch mehr oder weniger grosse Mengen von jenen unsichtbaren Strahlen durchlassen; ich werde daher die Be- zeichnung ‚‚Filter‘‘ ausschliesslich in diesem strengeren Sinne gebrauchen.. 270 C. v. Hess: Die volle Erkenntnis des Sachverhaltes wird auch hier erst durch senaue Berücksichtigung des Adaptationszustandes der Tiere er- möglicht. Meine systematischen Untersuchungen über die Wirkung des Ultraviolett auf das Arthropodenauge werden an anderer Stelle eingehendere Darstellung finden; zunächst soll davon nur so viel mit- geteilt werden, als zur Klärung der hier angedeuteten Fragen er- forderlich ist. Es wird die Meinung vertreten, dass die Bewegungen von Daphnien zu einem farblosen Lichte durch Vorschalten eines roten Filters ver- stärkt, durch einen Blaufilter aber umgekehrt würden, und dass die Intensität dabei nicht der maassgebende Faktor sei. Demgegenüber konnte ich feststellen, dass bei der grossen Mehrzahl der farbigen Mischlichter sowie angenähert farbloser Lichtgemische man allein durch Änderung der Intensität die Bewegungen der Daphnien zum Lichte in solche vom Lichte weg verwandeln kann oder umgekehrt. Für viele farbige Lichter genügen hierzu schon verhältnismässig geringe Lichtstärkenunterschiede; bringe ich zum Beispiel dunkeladaptierte Daphnien im Dunkelzimmer dicht an das rötlichgelbe Licht einer kleinen Mattglasbirne, so schwimmen die Tiere von ihr weg; entferne ich die Birne nur um 10—20 em, so schwimmen sie auf sie zu. Ähn- liches gilt auch für (nicht zu dunkel) grüne und blaue Lösungen, Gläser usw. (Einzelheiten an anderer Stelle.) Wenn bei Vorschalten eines roten ‚Filters die Daphnien stärker zur Lichtquelle schwimmen, so spielt hierbei die Herabsetzung der Intensität bzw. der geringe Helligkeitswert jener langwelligen Strahlen für das Daphnienauge eine wesentliche Rolle. Auch bei Vorschalten von blauen Gläsern vor eine Lichtquelle ist für das Ergebnis die Intensität des von den Gläsern durchgelassenen Strahlgemisches nicht gleichgültig, oft sogar entscheidend. Im Hinblicke auf die Meinung, für die Bewegungen der Daphnien zu ultraviolettreichen bzw. -ärmeren farbigen Lichtern sei das Verhältnis jener kurzwelligen Strahlen zu den übrigen ausschlaggebend, schildere ich einige Versuche, die zeigen, dass auch das Verhalten der Daphnien zu einem und demselben farbigen Mischlichte, also bei genau gleich- bleibendem Verhältnisse der sichtbaren zu den ultravioletten Strahlen lediglich durch Änderung des Adaptationszustandes umgekehrt werden kann. Zunächst genüge die von mir durch zahlreiche Versuchs- reihen erhärtete Feststellung, dass bei allen von mir benutzten grünen, blauen und violetten Gläsern, wie auch den für Ultraviolett besonders (durchlässigen Blau-Uviolgläsern meine helladaptierten Daphnien wie auch Polyphemus zum Lichte, die dunkeladaptierten vom Lichte schwammen, trotz der grossen Verschiedenheit des Verhältnisses ‚der sichtbaren zu den unsichtbaren Strahlen bei diesen verschiedenen a Der Lichtsinn der Krebse. 27] farbigen Lichtern. Ja selbst für hellgelbe Gelatinen und hellgelbrote Gläser konnte ich Entsprechendes feststellen; nur bei Gelbfiltern (Schott) und solchen dunkelrubinroten Gläsern, die nahezu homogenes Licht durchlassen, schwammen, ' wie im Spektrum, meine Tiere bei allen Adaptationszuständen zum Lichte. Auch bei den an ultravioletten Strahlen besonders reichen Lichtern ‚sind Lichtstärke und Adaptationszustand der Tiere von einschneidender Bedeutung für das Verhalten der letzteren zur Lichtquelle. Von meinen zahlreichen einschlägigen Versuchen sei zunächst nur ‚einer kurz geschildert: Eine Quecksilberdampflampe (Schott’s Uviol- lampe), die bekanntlich durch besonders grossen Reichtum an ultra- violetten Strahlen ausgezeichnet ist, schloss ich in einem Dunkel- zimmer mit mattschwarzen Wänden in ein lichtdichtes Gehäuse mit passendem. Ausschnitte ein, vor dem ich eine Irisblende anbrachte. Die Stärke des die Daphnien bestrahlenden, ultraviolettreichen Lichtes ohne Änderung seiner Zusammensetzung wurde erstens durch Ver- kleinerung der Irisblende, zweitens durch Zwischenschalten eines Episkotisters oder drittens durch Änderung des Behälterabstandes ‘von der Lichtquelle geändert; andererseits konnte die Stärke der sicht- baren Strahlen durch Vorschalten von Blauuviolgläsern oder eines 'Lehmann’schen Filters noch weiter herabgesetzt, das Verhältnis zwischen den sichtbaren und ultravioletten Strahlen so in grossem Umfange variiert werden. Auch hier ergab sich, dass innerhalb eines ‘weiten Gebietes der Lichtstärken lediglich durch Änderung der letzteren, in anderen Versuchen lediglich durch eine solche des Adaptations- zustandes Cladoceren, die von der Lichtquelle gehen, in solche, die zu ihr hingehen, verwandelt werden können, und umgekehrt. — Von besonderem Interesse für unsere Frage, aber auch in anderer Hinsicht höchst merkwürdig und überraschend sind die Ergebnisse ‘von Versuchen, die ich anstellte, um eine Vorstellung davon zu er- ‚halten, bis zu welchen Wellenlängen etwa eine Wirkung ultravioletter Strahlen auf das Arthropodenauge nachweisbar ist. Die Beobachtung an Polyphemus gab mir auch hier viele wertvolle Aufschlüsse. Ich muss mich wiederum auf kurze Angabe einer einschlägigen Ver- suchsreihe beschränken, die auch der Laie fast ohne Hilfsmittel leicht wiederholen kann; eine ausführlichere Darstellung der Befunde hoffe ich bald bringen zu können. Im Tageslichte sind mit der photographischen Methode nach den üblichen Angaben ultraviolette Strahlen bis zu einer Wellenlänge von etwa 291 uu nachweisbar. Durch gewöhnliches Fensterglas gehen bei 2 mm Dicke im allgemeinen nur Strahlen von mehr als 313 un Wellen- länge. Das von Schott hergestellte, nahezu farblose (nur schwach gelbliche) Schwerstflintglas O 198 (im folgenden kurz Sfl. genannt), 272 ©. v. Hess: dessen ich mich seit vielen Jahren zu einschlägigen Versuchen bediene, hat die Eigenschaft, fast nur die ultravioletten Strahlen, diese aber ziemlich vollständig, zurückzuhalten, die Grenze der Durchlässigkeit liest etwa in der Gegend von 400 un!). Wir können danach im Tages- lichte zunächst für unsere Zwecke zwei Bezirke von ultravioletten Strahlen unterscheiden, den der langwelligen (I) von etwa 400 bis 313 un, und den der kurzwelligen von 313—291 un (II). Durch Vor- halten von fl.glas vor einen geeigneten Behälter schalten wir beide Bezirke, durch Vorhalten eines gewöhnlichen Fensterglases nur den zweiten aus (diese Versuche sind natürlich bei freiem Tageslichte, nicht hinter geschlossenen Fenstern vorzunehmen). Weiter benutzte ich vielfach ein von Schott hergestelltes farbloses Uvkronglas 3199, das ultraviolette Strahlen bis zu 309 un so gut wie vollständig, solche: von 280 un noch zu mehr als der Hälfte (0,56) durchlässt. Die zu diesen Versuchen jedesmal frisch gefangenen und sofort nach dem Fange untersuchten Tiere wurden entweder in flachen, nur l cm hohen, quadratischen Behältern untersucht, zu welchen das Tageslicht von oben kam, oder aber in solchen Glasbehältern, von welchen ich eine Wand aus jenem Uvkronglas hatte herstellen lassen. Die Ergebnisse waren in beiden Fällen nicht merklich verschieden. Ich hatte schon früher die Beobachtung gemacht, dass Daphnien, die einige Zeit am diffusen Tageslichte etwa in der Nähe der offenen. Balkontüre gestanden hatten und angenähert gleichmässig in ihrem Behälter verteilt waren, bei Vorhalten eines Sfl.glases sofort lebhaft zum Lichte eilen, obschon die sichtbaren Strahlen dabei nicht in einer hier in Betracht kommenden Weise geschwächt werden. Hat man das Sfl.glas einige Sekunden bis '% Minute vorgehalten und zieht es rasch wieder weg, so eilen die Tiere, die sich hinter dem Glase angesammelt hatten, in den-ersten Augenblicken lebhaft vom Lichte weg, sie sind durch die kurzdauernde Wirkung dieses für uns so gut wie farblosen Glases für gewöhnliches Tageslicht ‚‚negativiert‘“ worden. Viel schöner und ausgesprochener als bei Daphnien sind diese Vorgänge bei Polyphemus festzustellen; hier fand ich, dass schon Vorhalten eines. gewöhnlichen Fensterglases von 1-3 mm Dicke die gleiche Erscheinung, nur in etwas geringerem Umfange, hervorruft: Öffnen oder Schliessen eines Fensters allein kann also lediglich infolge Aus- schaltens der fraglichen kurzwelligen ultravioletten Strahlen genügen, um Cladoceren, die zum Lichte gingen, vorübergehend in solche zu verwandeln, die vom Lichte gehen oder umgekehrt. Vorhalten eines Uvkronglases hatte bei meinen Untersuchungen keine deutliche Wirkung auf die Tiere. Nachdem ich diese Erscheinungen bei Polyphemus 1) Die Durchlässigkeit beträgt für 436 uu 0,837, für 405 uu 0,425, für 384 nu 0,104. Der Lichtsinn der Krebse. 278 kennengelernt hatte, konnte ich sie, wenngleich in weniger aus- gesprochener Weise, auch bei genügend frischen Daphnia longispina nachweisen. Aus dem Gesagten ergibt sich also, dass im Tageslichte Strahlen von etwa 313 uw, die von Fensterglas zurückgehalten werden !), noch ‚deutlich auf das Cladocerenauge wirken, während solche von geringerer Wellenlänge bei unseren Versuchen nicht mehr zu merklichen Ände- rungen der Schwimmbewegung Anlass gaben. Ein weiterer interessanter Versuch zeigt, in wie grossem Umfange und wie schnell allen durch diese kurzwelligen Strahlen der Adap- tationszustand des Cladocerenauges geändert werden kann: Vor ‚einen Behälter mit gut helladaptierten Tieren halte ich das Sfl.glas während 10—30 Sekunden und ersetze es rasch durch ein gewöhn- liches Fensterglas; die Polyphemus, die sich hinter dem Sfl.glas auf der Lichtseite angesammelt hatten, schwimmen nun vom Lichte weg; ‚entferne ich das Fensterglas, so wird die Bewegung vom Lichte weg noch rascher und lebhafter; halte ich 10—20 Sekunden später wieder .das Fensterglas vor, so kehren die Tiere, die eben noch vom Lichte wegschwammen, um und schwimmen auf das Licht zu. Das gleiche, “durch Fensterglas gegangene Tageslicht stösst die Clado- ceren ab oder zieht sie an, je nachdem unmittelbar vorher ein ultraviolettärmeres bzw. ultraviolettreicheres Licht einige Sekunden lang auf sie gewirkt hat. Die hier mitgeteilten bilden nur einen kleinen Teil der von mir ‚erhobenen neuen Befunde; schon sie bringen eine Reihe von Beispielen, in welchen das Verhältnis zwischen sichtbaren und ultravioletten ‚Strahlen nicht ausschlaggebend für die Bewegungen der Daphnien zum Lichte ist, und zeigen wiederum eindringlich die grosse Bedeutung von Lichtstärke und Adaptationszustand bei den einschlägigen Ver- ‚suchen. Weiter ergibt sich aus ihnen, dass von einer „‚spezifischen‘“ Wirkung ultravioletter Strahlen, die mehrfach angenommen wurde, nicht die Rede sein kann, und endlich bringen auch sie neue Beweise für die Unhaltbarkeit jener Annahme der Zoologen, den langwelligen und den kurzwelligen sichtbaren Strahlen des Spektrums könne eine „spezifische“ Wirkung zugeschrieben werden. Mit der von mir vertretenen Anschauung über die Wirkung ultravioletter Strahlen auf das Arthropodenauge als einer Fluoreszenzwirkung stehen auch diese Befunde gut in Einklang. — Bei passender Wahl der Lichtstärke und des Adaptationszustandes sowie der farbigen Gläser erreicht man leicht, dass die Polyphemus, 1) Man darf nicht vergessen, dass Strahlen von etwas grösserer Wellen- länge als 313 uu durch Fensterglas zwar nicht ganz zurückgehalten, aber doch mehr oder weniger geschwächt werden können. 974 lage: wenn ihnen etwa ein bestimmtes Blau neben oder nach andersfarbigen oder grauen Gläsern sichtbar gemacht wird, sich ebenso lebhaft und. vollzählig, wie die Bienen beim Freiburger Zoologentage!) beim Blau sammeln, während sie die anderen Farben bzw. das Grau unbeachtet: lassen oder gar davon wegschwimmen. Gibt man nun in solchem Falle jedesmal beim Blau Nahrung in den Behälter, so kann ein Zu- schauer, dem nur dieser eine Versuch gezeigt wird, zu der Meinung kommen, die Polyphemus müssten Farbensinn haben, da sie mit solcher Sicherheit das Blau herausfänden und darauf dressiert werden könnten; aber die vorher besprochenen Kontrollversuche zeigen leicht, dass auch dieser Blaubesuch nicht das Geringste mit Farbensinn und Dressur zu tun hat. Der Versuch lehrt besonders eindringlich, zu welchen Irrtümern es führen kann, wenn man aus Einzelbeobachtungen, ohne die nötigen Kontrollen, auf Farbensinn bei Arthropoden schliesst. Dass ebenso wie hier bei den Pcolyphemus, so auch dort bei den Bienen der Blau- besuch weder auf Dressur noch auf Farbensinn bezogen werden kann, haben sämtliche bisher angestellten Versuche — auch jene der Zoologen — übereinstimmend und so überzeugend dargetan, dass hierüber eine Meinungsverschiedenheit nicht mehr bestehen kann; für die Farbensinnfrage kommt also der Blaubesuch der Bienen und Krebse nicht mehr in Betracht. Auf die Frage, wie dann jener Besuch gewisser blauer Papiere durch die Bienen erklärt werden könne, habe ich gesprächsweise schon 1915 erwähnt, man könne unter anderem auch an die Möglichkeit des Mitspielens ultravioletter Strahlen denken. Nachdem sich gezeigt hat, dass in den ähnlichen Versuchen bei Clado- ceren tatsächlich das Ultraviolett eine so wichtige Rolle spielt, liegt. es besonders nahe, auf jene Möglichkeit zurückzukommen, deren experimentelle Prüfung nicht allzu schwierig sein wird; dass auch die Bienen auf ultraviolette Strahlen lebhaft reagieren, lässt sich, zum Beispiel mit Hilfe neuerdings von mir entwickelter Methoden, unschwer zeigen. Die Erklärung aller von mir beobachteten Erscheinungen (von welchen hier nur einige wenige erwähnt wurden) im einzelnen würde eine aus- führlichere Wiedergabe längerer Versuchsreihen erfordern; da dies in anderem Zusammenhange erfolgen soll, mögen hier im Anschlusse an eine früher von mir gegebene Darstellung die folgenden Andeutungen genügen. Das (bekanntlich unpaare) angenähert kugelige Cladocerenauge trägt auf dem grössten Teile seiner Oberfläche eine bei. verschiedenen Arten verschieden grosse Zahl von Kristallkegeln, so dass das Auge in seiner äusseren Form eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Himbeere hat. Fin in einigem Abstande von diesem befindlicher leuchtender Punkt im sonst dunklen Raume, der lediglich die für uns sichtbaren Strahlen des 1) Vgl. ©. Hess, Beiträge zur Frage nach einem Farbensinne bei Bienen. Dieses Archiv Bd. 170 S. 364. 1918. - Der Lichtsinn der Krebse. 275 Spektrums aussendet, wird nur durch einen oder einige wenige solcher Kristallkegel auf den zugehörigen Empfangselementen abgebildet, während die anderen verhältnismässig wenig oder kein Licht empfangen, da das von dem Lichtpunkte auf die den letzteren zugehörigen Kristallkegel treffende Licht für die Wahrnehmung verloren geht. Es wird also in diesem Falle der Lichtstärkenunterschied zwischen den direkt be- leuchteten und den übrigen nervösen Elementen des Auges verhältnis- mässig gross sein. Wenn aber jener Lichtpunkt nun auch ultraviolette Strahlen auszusenden beginnt (zum Beispiel bei Wegziehen eines bis dahin zwischengeschalteten Sfl.glases), so werden nunmehr, wie ich früher zeigen konnte, zahlreiche Kristallkegel der Kugeloberfläche, auch die nur tangential von solchen Strahlen getroffenen, fluoreszieren, und es wird also ein mehr oder weniger ausgedehnter Teil des nervösen Empfangs- apparates, der bis dahin wenig oder kein Licht erhalten hatte, plötzlich von verhältnismässig grossen Mengen jenes grünlichen, also dem total farbenblinden Auge besonders hell erscheinenden Fluoreszenzlichtes ge- wissermaassen überflutet. Der Unterschied hinsichtlich Lichtstärke und Helliskeit zwischen den direkt und den durch Fluoreszenz gereizten nervösen Elementen wird also jetzt entsprechend kleiner sein, als er vorher war. Die Zahl der durch Fluoreszenz gereizten Elemente wird im allgemeinen die der direkt gereizten um das Vielfache übertreffen, und während diese letzteren, schon vorher gereizt gewesenen, relativ helladaptiert und entsprechend weniger lichtempfindlich sind, werden die erst durch Fluoreszenz erregten, bis dahin relativ dunkeladaptierten entsprechend empfindlicher sein. Verschiedene von mir gemachte Be- obachtungen deuten darauf hin, dass die Neigung unserer Cladoceren, zu einer Lichtquelle hinzuschwimmen, c. p. um so lebhafter wird, je grösser der Unterschied der wahrgenommenen Helliekeit (nicht der Lichtstärke) zwischen den direkt gereizten und den übrigen Elementen des nervösen Apparates ist. Unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse lassen sich, soweit ich sehe, die mir bisher bekannten, auf den ersten Blick etwas verwickelt scheinenden Reaktionen der Cladoceren gegen- über ultravioletthaltigen Mischlichtern befriedigend erklären. Unabhängig von diesen Überlegungen besteht die Tatsache zu Recht, dass von einem Farbensinne der Cladoceren nicht mehr die Rede sein kann, und dass die ultravioletten Strahlen nicht eine ‚spezifische‘, sondern lediglich eine durch Fluoreszenz vermittelte Helligkeits- empfindung hervorrufen, von der wir uns aber nicht etwa vorstellen dürfen, dass sie sich zu der durch das direkte Licht vermittelten jedes- mal einfach hinzuaddiere. — ; Ich darf hier schon erwähnen, dass ich auch bei jungen Räupchen, bei welchen ich interessante neue Licht- bzw. Verdunkelungsreaktionen fand!), die ultravioletten Strahlen in ähnlichem Umfange wirksam l) Sie bestehen ım wesentlichen darin, dass viele von mir untersuchte Arten in den ersten Tagen nach dem Ausschlüpfen schon bei sehr geringen plötzlichen Lichtstärkenabnahmen sich lebhaft aufbäumen. Damit war ein neuer Weg gegeben, die relativen Reizwerte verschiedenfarbiger Lichter für das Raupenauge genauer zu bestimmen, wie ich demnächst ausführ- licher zeigen werde. Da Gay. Eless: gefunden habe wie bei unseren Krebsen; anders als wie die Krebse gehen aber die jungen Raupen stets stark zum Ultraviolett, so dass die Tiere, die bei Fehlen ultravioletter Strahlen, zum Beispiel im Spektrum, zu der für den total Farbenblinden hellsten Stelle gehen, unter zwei Mischlichtern von für uns ähnlicher oder gleicher Farbe, aber ver- schiedener Helligkeit das ultraviolettreichere selbst dann aufsuchen, wenn dieses unserem Auge beträchtlich weniger hell erscheint als das andere. In einem Behälter, der zur einen Hälfte mit ultraviolettreichem, zur anderen mit ultraviolettarmem Lichte von ähnlicher oder gleicher Farbe, zum Beispiel Tageslicht, durchstrahlt ist, sammeln sich die zum Hellen gehenden Raupen in der ultraviolettreicheren, die gleich- falls zum Hellen gehenden Krebse aber in einer Reihe von Fällen in der ultraviolettärmeren Hälfte (siehe oben S. 272). Andererseits suchen auch die zum Dunkeln gehenden Ameisen diese letztere auf. Über weitere interessante Erscheinungen auf diesem Gebiete soll an anderer Stelle ausführlicher berichtet werden. Ob und. inwieweit die Verschiedenheiten der Reaktionen zwischen Krebsen und Raupen bzw. Ameisen schon durch die physikalischen Verschiedenheiten in Bau und Anordnung der Sehorgane allein erklärt werden können, lasse ich vorderhand unentschieden. Maja. Ein Eingehen auf die viel besprochenen Angaben von Minkiewicz über Farbensinn bei Krebsen scheint mir schon deshalb angezeigt, weil diese von psychologischer wie von zvologischer Seite (Doflein 1914) noch immer als Stütze für die übliche Annahme eines Farben- sinnes bei Krebsen angeführt werden. Manche Krebsarten haben bekanntlich die merkwürdige Gewohn- heit, sich mit Stückchen von Blättern usw. zu maskieren, die sie auf Häkchen ihres Rückenpanzers befestigen. Minkiewicz!) brachte solche Krebse in Aquarien, die er mit farbigen Papieren umkleidet hatte, und in welche verschieden gefärbte Papierschnitzel gebracht .worden waren. Er gibt nun an, die Krebse hätten zum Maskieren immer nur jene farbigen Schnitzel gewählt, die der Farbe ihres Aquariums entsprachen: nach Aufenthalt in grünen Aquarien hätten sie nur.die grünen, in weissen nur die weissen Schnitzel auf den Häkchen an ihrem Rücken befestigt usw., nur auf schwarzem Grunde sollten sie anderes Verhalten zeigen. Minkiewiez arbeitete hauptsächlich mit Maja verrucosa und squinado, gibt aber an, mit Pisa, Inachus l) Minkiewicz, Analyse experimentale de l’instinet de deguisement chez les Brachyures oxyrhynques. Arch. Zool. Exp. t. Ip. 7. 1907 und: Sur le chlorotropisme des Pagures. Comptes rendus Nov. 1908. ‘Der Lichtsinn der Krebse. \ 377 und Stenorhynchus entsprechende Ergebnisse erhalten zu haben. Pearse (1909)!) wiederholte derartige Versuche mit Libinia, fand aber bei diesem Krebse nichts den Angaben von Minkiewicz Ent- sprechendes, ebenso Mast bei verschiedenen anderen, nicht näher be- stimmten Arten. Da die bisher vorliegenden Angaben in einer so wichtigen Frage einander widersprachen, war eine erneute Prüfung angezeigt, um so mehr, als die beiden amerikanischen Forscher mit anderen Krebsarten gearbeitet haben als Minkiewiez. Ich nahm daher im Frühjahr 1914 in Neapel eine Reihe von Ver- suchen an Maja verrucosa vor; ich hielt die Tiere unter anderem längere Zeit teils in einem sehr grossen Aquarium mit weissem Marmorboden, teils in Aquarien mit Böden aus Spiegelglas, die ich auf grosse farbige Papierflächen stellte. In beide brachte ich dann weisse und verschieden- farbige Schnitzel von Seidenpapier, daneben solche grüne Blätter, mit welchen die Tiere sich in ihrer gewohnten Umgebung zu maskieren pflegen. Regelmässig hatten die Krebse in beiden Aquarien sich nach kurzer Zeit wahllos mit allen möglichen farbigen und mit weissen Schnitzeln maskiert, von der Bevorzugung irgendeiner Farbe war niemals etwas zu sehen; auch zwischen den natürlichen Pflanzenblättern und den Papierschnitzeln machten die Tiere keinen Unterschied, hefteten vielmehr wahllos alle Schnitzel aus ihrer Um- gebung auf dem Rücken fest. Bernardus. Weiter stellte Minkiewicz Versuche mit verschiedenen Einsiedler- krebsen, unter anderem mit Bernardus Prideauxii in der Weise an, dass er auf den Boden des Behälters für die Tiere zwei farbige Flächen brachte, die in einer scharfen Grenzlinie aneinanderstiessen. Die Tiere wurden nun so auf diese gesetzt, dass das eine Auge vorwiegend von der rechten, das andere von der linken Fläche belichtet wurde; sie sollten nun regelmässig die Farben in der durch die Pfeile angegebenen Reihenfolge bevorzugen: Schwarz —> Rot —+ Gelb — Blau — Violett — Grün —> Weiss, das heisst, auf die Grenze zwischen Schwarz und Rot gesetzte gingen nach dem Rot usw. Auch diese Versuche habe ich mit der gleichen Krebsart Bernardus Prideauxii wiederholt, die Minkiewiez benutzte; ich stellte mit zahl- reichen Exemplaren eine grosse Reihe von Versuchen genau nach seinen Angaben an, ohne jemals eine Gesetzmässigkeit in der von ihm beschriebenen Weise finden zu können. Übrigens habe ich schon früher (1912?)) darauf hingewiesen, dass, selbst wenn es Krebse geben 1) ZitiertnachMast,Light and the behavior of organisms. Newyork 1911. 2) Vergleichende Physiologie des Gesichtssinnes. S. 84. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 19 278 | C. v. Hess: ‚sollte, die das von Minkiewicz angegebene Verhalten zeigen, daraus keineswegs auf Farbensinn geschlossen werden dürfte; denn auch total farbenblinde Krebse, die etwa jedesmal nach der für sie helleren Fläche gingen, könnten sich annähernd so verhalten, wie Minkiewiez angibt, das heisst, sie würden im allgemeinen von Schwarz auf Rot, von Rot auf Gelb, von Violett auf Grün, von Grün auf Weiss gehen. Da über die farblosen Helligkeitswerte der von Minkiewiez benutzten farbigen Flächen Angaben fehlen, sind seine einschlägigen Versuche wissenschaftlich nicht genügend zu verwerten. Nach allen hier mitgeteilten neuen Beobachtungen ist es nicht mehr angängig, die Angaben von Minkiewicez als Stütze für die Annahme eines Farbensinnes bei Krebsen anzuführen. Idothea. V. Bauer (1905) hatte, im Anschlusse an ältere Befunde von Paul Mayer (1879) und Matzdorff (1882), Versuche über das verschiedene Aussehen von Idothea tricuspidata unter verschiedenen Belichtungs- verhältnissen angestellt und unter anderem angegeben, diese Krebse würden bei vollkommenem Lichtabschluss ‚‚mittelgrau‘, einseitiger Lichtabschluss erzeuge ‚schwarz‘; mittelgraue Tiere würden, wenn man sie in.einem innen geschwärzten Kasten von oben oder von unten _ durch eine Glühbirne beleuchte, ganz schwarz. Bauer meinte hiermit das Vorkommen simultanen Helliskeitskontrastes für die untersuchten Tiere sichergestellt zu haben. Da seine ‚Angaben trotz der von mir gegen sie erhobenen Bedenken mehrfach Eingang in neuere Dar- stellungen gefunden haben, schien es mir geboten, die tatsächlichen Grundlagen für dieselben unter den gleichen äusseren Bedingungen durchzuprüfen !); ich gebe im folgenden einen kurzen Auszug aus einigen meiner einschlägigen Versuchsprotokolle. Von einer grösseren Zahl von Idotheen werden drei Gruppen in gleiche kubische Gefässe aus Spiegelglas gebracht. Die erste kommt auf weissen, die zweite auf mattschwarzen Grund, beide werden im Hellen gehalten; die dritte Gruppe wird unter einen lichtdichten schwarzen Sturz gebracht. Nach einer Stunde sind von den Tieren auf weissem Grunde die meisten deutlich, aber nicht sehr viel heller als die auf schwarzem Grunde; die unter dem schwarzen Sturze l) Ich hatte dahingehende Versuche schon vor etwa 8 Jahren an Idotheen aus Helgoland angestellt und war bereits damals zu anderen Ergebnissen gekommen als Bauer; ich verzichtete auf die Wiedergabe jener Befunde, weil der Einwand denkbar war, dass die Tiere aus der Nordsee sich vielleicht anders verhalten könnten als die Neapeler. Meine neuen Versuche stellte ich im März und April 1914 an der zoologischen Station in Neapel an; die Ergebnisse stimmen mit den an den Nordsee- tieren von mir erhaltenen durchaus überein. Der Lichtsinn der Krebse. 279 gehaltenen Tiere sehen nicht anders aus als die auf schwarzem Grunde im Hellen stehenden. Schon bei diesen ersten Versuchen fiel mir die später immer wieder von mir festgestellte Tatsache auf, dass unter genau gleichen Belichtungsverhältnissen ge- haltene Tiere vielfach ausserordentlich verschieden hell aussehen, das heisst, ein Tier erscheint beträchtlich heller oder dunkler als die meisten anderen der gleichen Gruppe usw. Auffälligerweise erwähnt Bauer nirgends diese Tatsache, die allein schon eine genügend zuverlässige Beurteilung der auf Belichtungsverschiedenheiten zu beziehenden Unterschiede des Aussehens fast unmöglich macht. In einem anderen Versuche wurden 15 Tiere auf schwarzem Grunde im Hellen (nicht im direkten Sonnenlichte), 15 andere unter einem schwarzen Sturze gehalten. Nach 1 Stunde ist kein merklicher Unterschied im Aussehen beider Gruppen festzustellen. Bei einer Wiederholung des Versuches mit den gleichen Tieren sind nach 1%, und nach 5/, Stunden die Tiere unter dem Sturze fast alle dunkler als dieim Hellen auf Schwarz gehaltenen, der Unterschied ist deutlich. Am folgenden Tage wurden die gleichen Versuche fortgesetzt. In keinem Falle fand ich die Tiere unter dem schwarzen Sturze deutlich heller als die im Hellen auf schwarzem Grunde gehaltenen; meist war kein durchgreifender Unterschied zwischen beiden Gruppen festzustellen. Auch hier fielen wieder die grossen individuellen Verschiedenheiten im Aussehen der verschiedenen Tiere einer und derselben Gruppe auf. Bei einem späteren, in ähnlicher Weise angestellten Versuche fand ich °/, Stunden, nachdem die Tiere unter schwarzen Sturz gebracht waren, zwei von ihnen etwas heller als die anderen der gleichen Gruppe und als die im Hellen auf Schwarz gehaltenen!). Nun wurde der schwarze Sturz über die Tiere gestülpt, die bis dahin im Hellen auf dunklem Grunde gestanden hatten. Nach 20 Minuten erschienen die Tiere unter diesem Sturze dunkler als die im Hellen auf dunklem Grunde gehaltenen, ja, zwei von diesen Tieren sind, während sie völlig dunkel gehalten wurden, fast ganz schwarz geworden. Nach weiteren 40 Minuten sind die dunkel gehaltenen Tiere zum Teile heller, zum Teile dunkler als die im Hellen auf dunklem Grunde gehaltenen, noch eine !/,;, Stunde später erschienen die dunkel gehaltenen Tiere eher dunkler, sicher nicht heller als die im Hellen auf Schwarz gehaltenen. Nach einer weiteren Stunde ist kein deutlicher Unterschied zwischen beiden Gruppen zu sehen. Nun werden die bis dahin dunkel gehaltenen Tiere im Hellen auf schwarzen Grund gebracht, die anderen, die bis dahin im Hellen auf schwarzem Grunde gestanden hatten, durch Überstülpen des schwarzen Sturzes verdunkelt. Nach 2 Stunden ist kein Unterschied im Aussehen der beiden Gruppen nachzuweisen. Bauer macht unter anderem folgende Angabe: „Wenn man Exemplare, welche sich auf weissem oder schwarzem Grunde befinden 1) Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass ich zu allen Versuchen nur völlig normale, lebhaft schwimmende, also offenbar gesunde Tiere benutzte. 195 ZN C. v. Hess: und entsprechend hell oder dunkel sind, ganz verdunkelt oder ihnen die Augen ganz lackiert,‘“ so kehren sie „von den beiden extremen Erregungszuständen in den mittelgrauen Ruhezustand zurück.‘ Zur Prüfung dieser Angabe stellte ich noch folgende Versuche an: Eine Gruppe von Idotheen wird im Hellen auf weissen, eine andere auf schwarzen Grund gestellt. Nach Y, Stunde ist die erstere Gruppe deutlich heller braun als die zweite. Diese helleren Tiere werden nun unter den schwarzen Sturz gebracht, während die anderen im Hellen auf dunklem Grunde bleiben. Nach 2 Stunden erscheinen beide Gruppen gleich dunkel braun; hier sind also die hell ge- wesenen Tiere unter dem schwarzen Sturze ganz so dunkel geworden wie die im Hellen auf schwarzem Grunde ge- haltenen. Entsprechende Versuche stellte ich ausser mit Tageslicht auch mit dem Lichte einer Nernstlampe an; die Ergebnisse Snaumen mit jenen der Tageslichtversuche durchaus bes, —_ In der Zoologie ist die Neigung verbreitet, aus Veränderungen des Aussehens gewisser niederer Tiere bei Änderung des Grundes, auf dem sie sich befinden, weitgehende Schlüsse auf ihren Lichtsinn und ihre Sehqualitäten zu ziehen; so wird als Stütze der Annahme eines Farbensinnes bei Fischen immer wieder die angebliche Gelb- färbung der Ellritzen auf gelbem Grunde angeführt, obschon bei sorg- fältiger Ausführung der Versuche unter Berücksichtigung der von mir bezeichneten Fehlerquellen jene Angabe sich leicht als unrichtig dartun lässt 1). In ähnlicher Weise werden auch hier weitgehende Hypothesen über Sehvorgänge bei Krebsen auf Beobachtungen aufgebaut, die bei sorgfältiger Prüfung sich als durchaus unzutreffend erweisen. Zusammenfassung. l. Zur Untersuchung der Cladoceren, insbesondere ihres Ver- haltens gegenüber farbigen Lichtern, stehen uns nunmehr neun ver- schiedene Methoden zur Verfügung: Die Verteilung der Tiere in ver- schiedenfarbig durchstrahlten Behältern, ihre Augenbewegungen bei Einwirkung verschiedenfarbiger Lichter und die von mir gefundenen Änderungen der Schwimmbewegungen bei plötzlicher Lichtstärken- abnahme werden mit den Lichtern des Spektrums, mit farbigen Glas- lichtern und mit farbigen Papierflächen untersucht. Die Beobachtung der Verdunkelungsreaktion mit den neuen Methoden der Wechsel- belichtung gestattet die Helligkeitskurve im Nernstlichtspektrum für Daphnien mit nahezu der gleichen Genauigkeit festzustellen wie für das Menschenauge: die kleinsten Lichtstärkenunterschiede, die in diesem 1) Ich verweise auch auf die umfassenden, gewissenhaften Unter- suchungen von G. Freytag, Arch. f. vergl. Ophth. Bd. IV 1914. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. 174. Tafel II. Abb. 6. Artemia salina zwischen zwei für sie nicht genau gleich hellen Lichtquellen. Die lichtscheuen Tiere sind nach der für sie dunkleren Seite gegangen. Abb. 7. Die gleichen Tiere zwischen zwei für sie genau gleich hellen Lichtquellen in der Behältermitte zu- sammengedrängt. Abb. 1. Abb. 2. Daphnia magna in großen Mengen Die gleichen Tiere in kleiner Zahl ins Spektrum gebracht. im Spektrum. - Abb. 3. Abb. 4. Abb. 5. Simocephalus, helladaptiert, unmittelbar nach Die gleichen Tiere nach 2—3 Minuten Dunkel- Die gleichen Tiere nach 2—3 Minuten Dunkel- Einbringen ins Dunkle von oben belichtet. aufenthalt. aufenthalt von oben belichtet. v. Heß, Der Lichtsinn der Krebse. Verlag von Julius Springer in Berlin. ERROR, Dr Der Lichtsinn der Krebse. { 281 noch eben Pupillenänderungen hervorrufen, lösen, wie durch besondere messende Versuche festgestellt wird, bei Daphnien noch die charak- teristische Schwimmreaktion aus. 2: Es wird gezeigt, dass bei verschiedenen Oladocerenarten das Verhalten der Tiere gegenüber einer Lichtquelle schon durch Dunkel- aufenthalt 2—-3 Minuten umgekehrt, das heisst Neigung zum Hellen hierdurch in Neigung zum Dunkeln verwandelt werden kann; die Nicht- beachtung dieser Erscheinung von seiten der Zoologen hat mehrfach zu Irrtümern geführt. 3. Neue messende Untersuchungen an Polyphemus, Bosmina, Sida und.Artemia ergeben, dass diesen ähnliche oder die gleichen Sehqualitäten zukommen, wie den anderen bisher von mir unter- suchten Krebsen. 4. Systematische Untersuchung mit ultravioletten Strahlen ergibt, dass selbst im gewöhnlichen Tageslichte noch solche bis zu einer Wellenlänge von etwa 313 uu auf das Cladocerenauge wirksam sind: gewöhnliches Fensterglas hält von den auf die Tiere wirkenden Strahlen noch so viel zurück, dass Vorschieben bzw. Zurückziehen eines solchen zwischen Tiere und Lichtquelle deren Schwimmrichtung umzukehren vermag. 5. Die Angabe, dass die sich maskierenden Krebse, wie Maja u. a. Farbensinn haben müssten, da sie in farbigen Behältern unter den ihnen gebotenen Schnitzeln die der Behälterfarbe entsprechend ge- färbten zur Maskierung benutzen sollten, wird einer systematischen Nachprüfung unterzogen und als unrichtig erwiesen. Ein Gleiches gilt für die Angaben über das Verhalten von Bernardus gegenüber farbigen Flächen. 6. Die Angaben über Aoderuke des Aussehens von Idothea auf hellem und dunklem Grunde bzw. im Dunkeln werden eingehend nachgeprüft und als unrichtig nachgewiesen. 7. Die Angaben der Zoologen über einen Farbensinn bei Krebsen sind durch die hier mitgeteilten neuen Untersuchungen ausnahmslos als unrichtig dargetan; es wird eine Reihe von Fehlerquellen erörtert, durch welche die fraglichen Irrtümer entstehen konnten. Der Nachweis der totalen Farbenblindheit. aller bisher genauer untersuchten Krebsarten wird einmal durch genaue Bestimmung der Kurve der relativen Reizwerte im Spektrum, dann insbesondere noch durch Feststellung des Fehlens des Purkinje- schen Phänomens erbracht. Die bei den Krebsen vorkommenden Färbungen können danach nicht mehr als Schmuckfarben gedeutet werden, wie dies bisher auf Grund der Untersuchungen Weismann’s geschah. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. Methodik. Der Energieaufwand als Funktion der übrigen Varia- c9- c beln der Muskeltätigkeit bei verschiedenartigen Muskeln. Von K. Bürker, Giessen. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Giessen.) Mit 14 Textabbildungen. (Eingegangen am 15. Oktober 1918.) Inhalt. Seite »Binleitung u. eu ar ee nl 282 Methodik. 2.2 21.08. ar Ben Inne Die 283 T’hermosäulen.... nn aaa. le an 283 Versenkuns, der äusseren Wötstellen. . ... .. 2. ver 284 Isolierung der Thermoelemente gegen Kurzschluss, Reiz- und Aktions- SEEOM.. en na ea Eule N IS BR a EN 285 Genauigkeit; der "Remperaturmessung 2. 20.0272 ee 288 Thermestromkreis... :, „1.2... 002.2 ae esse, ee ET Se 294 Muskelpräparate no... ee ls 294 Myothermische Untersuchungsmethode in Salzlösung ....... 295 Der Energieaufwand als Funktion der übrigen Varia- beln der Muskeltätigkeit bei verschiedenartigen Mus- Relmeune a are ale Base a ae PR 295 Vergleichende Untersuchungen am Adduktoren- und Gastro- cHemtuspräparmater . cl. Mn LIU Sa 296 a) Untersuchungen mit der umfassenden Thermosäule.. . . . . 297 b)- Untersuchungen mit der. Gittersäule 2. 2, . 22.2022 sll c) Untersuchungen mit dem einfachen Thermoelement. . ... . 815 d) Gesamtergebnis... m. ner ee 320 Ziulsammentassumelundischluss..n rn re 323 1. Einleitung. In meinen myothermischen Untersuchungen ist eine längere Pause eingetreten, welche durch äussere Umstände bedingt war. Die letzte Veröffentlichung betrifft die Methoden zur Thermodynamik des Muskels im Tigerstedt’schen Handbuch !). Seitdem hat Herr A. V. Hill?) DuBd22, Hälkte, 1, Apt.32 1914. 2) A. V. Hill, Beziehungen zwischen der Wärmebildung und den im Muskel stattfindenden chemischen Prozessen. Ergebnisse der Physiol. Jahrg. 15, S. 340. 1916. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 283 in Cambridge, derim Jahre 1911 mehrere Wochen mit meinen. Apparaten in Tübingen gearbeitet hat, die Methode in ihren Grundzügen über- nommen, sie für seine Zwecke noch weiter ausgearbeitet und sehr bemerkenswerte Ergebnisse damit erzielt. Im Winter vor dem Kriege habe ich die Versuche in Tübingen wieder aufgenommen, einige methodische Fragen, die sich aus den Hill’schen Arbeiten ergaben, beantwortet und dann die im Titel angedeuteten Untersuchungen durchgeführt !). Ergänzende Versuche wurden in der letzten Zeit in Giessen angestellt, wobei ich von Fräulein M. H. Mülberger und Fräulein E. Sulze unterstützt wurde. 2, Methodik. Das Wesentliche der Methodik, wie sie sich im Laufe der Jahre herausgebildet hat, ist: es kann sowohl mit einzelnen Thermo- elementen aus Konstantan-Eisen von verschwindender Wärme- kapazität als auch mit ganzen Thermosäulen verschiedener Art (umfassende Thermosäule, Gittersäule) gearbeitet werden. Somit ist es möglich, die Wärme an einer engumschriebenen Stelle des Muskels und auch in einem grösseren Bereich desselben zu bestimmen, was in Hinsicht darauf, dass die Muskeln aus nicht einheitlichen Elementen aufgebaut sind, zur Erzielung eines guten Durchschnittswertes von Bedeutung ist. Es können dadurch ferner die älteren Methoden von Heidenhain und Fick mit der neueren von Blix in Beziehung gebracht, zugleich aber auch Einseitigkeiten, welche jeder dieser Methoden für sich anhaften, vermieden werden. Während endlich die Methoden der anderen Autoren mehr oder weniger auf ein be- stimmtes Muskelpräparat zugeschnitten sind, können bei der Methode des Verfassers alle Muskelpräparate zur Verwendung kommen. Die Untersuchungen mit einem und mit mehreren Thermoelementen werden zugleich als sich gegenseitig kontrollierende benutzt. Von der umfassenden Thermosäule und der Gittersäule ist Hill?) bei der Konstruktion seiner „Ring- oder konischen‘“ und seiner „geraden Thermosäule‘ ausgegangen. Die Herstellung der Lötstellen geschieht im Prinzip nach meiner Methode. Der umfassenden Thermo- säule versagt Hill (S. 398) die Anerkennung nicht, aber er hat Be- denken gegen ihr Gewicht und behauptet, dass sie leicht abgleitet. Nun beträgt aber das Gewicht dieser Säulen nur etwa 1,5—2 g; es dürfte, wenn Hill’s Zeichnung auf S. 400 die Verhältnisse richtig l) Kurze Mitteilung darüber im Zentralbl. für Physiol. Bd. 28, S. 774. 1914. Die Veröffentlichung kann wegen Teilnahme am Krieg erst jetzt erfolgen. 2) Na 023. 39687: 284 K. Bürker: wiedergibt, kaum grösser als das seiner konischen Thermosäule sein. Was will aber eine Mehrbelastung von 1,5—2 g bedeuten gegenüber den. Gewichten, die man den Muskeln bei Versuchen anzuhängen pflegt. Wenn Hill ferner die umfassende Säule abgeglitten ist, so hat er sie nicht richtig angeordnet. Diese Säule ist besonders für den Gastrocnemius gebaut und kann unmöglich abgleiten, wenn sie dort aufgesetzt wird, wo der Muskel am dicksten ist; denn wie der Muskel sich von dort aus nach oben und unten verjüngt, so auch die ihn umfassende Thermosäule. Dabei kann der Druck mit Hilfe der Stell- schraube aus Aluminium passend reguliert werden. Hill hat für verschieden dicke Muskeln sechs verschieden grosse, konische Thermo- säulen benutzt; das bedeutet doch eine ganz entschiedene Kom- plikation, während meine umfassende Thermosäule innerhalb gewisser Grenzen verschieden dicken Muskeln leicht angepasst werden kann. Auch am Adduktorenpräparat habe ich, wenn nur der Druck der Säule richtig reguliert wird — und die Vorrichtung dazu ist ja da —, ein Abgleiten nicht beobachtet. Sollten die Muskeln einmal gar zu schwach sein, so kann man durch zwei Seidenfäden, die man um den Träger des Adduktorenpräparates und die Thermosäule schlingt und festbindet, diese leicht in ihrer Stellung erhalten. Ein gelinder Druck ist nötig, um die Thermoelemente in innige Berührung mit dem Muskel zu bringen und bei der Kontraktion zu erhalten; die den Druck bewirkende Feder muss nur möglichst schwach sein. Bedenkt man, welchen starken seitlichen Druck die benach- barten Muskeln einer Extremität bei der Kontraktion normalerweise aufeinander ausüben, so dürfte diesen Drucken gegenüber der von der Thermosäule ausgeübte Druck nicht in Betracht kommen. Dass starke lokale Drucke die Leistungsfähigkeit des Muskels nicht nur an der gedrückten Stelle selbst, sondern auch ausserhalb derselben beeinflussen können, geht aus einer Arbeit von A. Tschermak !) hervor. | An Hill’s konischer Thermosäule habe ich auszusetzen, dass die Berührung der Lötstellen mit dem Muskel keine sehr innige sein kann, und dass ferner, was besonders wichtig ist, das Ebonit unter den inneren Lötstellen nicht unterhöhlt ist, wodurch leicht die negative Wärmeschwankung zustande kommen und ferner eine nicht erwünschte ‘Abgabe von Wärme an das Ebonit stattfinden kann. Hill hat ferner die äusseren Lötstellen in das Ebonit versenkt; ich halte dies nicht für richtig, und zwar aus folgendem Grunde. Der Muskel ist immer kühler als die Umgebung. Wenn die äusseren Löt- 1) A. Tschermak, Über den Einfluss lokaler Belastung auf die Leistungsfähigkeit des Skelettmuskels. Dieses Archiv, Bd. 91, S. 217. 1902. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 285 stellen nicht auch etwas abgekühlt werden, so ist ein störender Bestand- strom vorhanden. Dadurch, dass ich nun die äusseren Lötstellen auf die Oberfläche des Elfenbeins lege und sie mit einem Streifchen Filtrier- papier, das mit destilliertem Wasser befeuchtet ist, bedecke, vermindere ich diesen. Bestandstrom wesentlich. Daher kommt es auch, dass ich sehr bald ohne thermische Störungen mit den Versuchen beginnen kann. Dieses angefeuchtete Filtrierpapier verzögert auch, wie er- wünscht, etwas den Fluss der Wärme von den inneren nach den äusseren Lötstellen hin. Als einen Fehler sieht es Hill an, dass ich die Thermoelemente in keiner Weise 'gefirnisst oder isoliert habe. Das ‚in keiner Weise‘“ ist nicht richtig; die dem Muskel anliegenden Teile werden vielmehr von mir mit: Paraffinöl bestrichen. Aber abgesehen davon habe ich mir die Frage der Isolierung natürlich gründlich überlegt. Zunächst ist klar, dass jede elektrische Isolierung auch eine nicht gewünschte thermische bedeutet. Es ist ausserdem schwer, die sehr feinen, nur 0,l.mm dicken Drähtchen mit einem sehr dünnen, auch bei Verschiebungen am Muskel festsitzenden, durch die Muskel- feuchtigkeit nicht gefährdeten: Überzug zu versehen. Man gebe sich hier keinen Illusionen hin; sagt doch Hill selbst: ‚‚Alle verwendeten. Thermosäulen sind notwendigerweise einigermassen unvollkommen isoliert, da der Schellacküberzug, der sie bedeckt, dünn sein muss, damit die Wärmeleitung ungestört und entsprechend rasch vor sich gehen kann“ (S. 408). Wenn man freilich, wie Hill es tut, den Überzug so dick wählt, dass die feinen Drähtchen geradezu getragen und ge- stützt werden, dann mag der Überzug eher haften, aber auch den raschen Fluss der Wärme vom Muskel nach den Lötstellen hin bei dem schlechten Wärmeleitvermögen des Schellacks verzögern. Dass bei meiner Versuchsanordnung jedenfalls zunächst die Reiz- ströme den Thermostrom nicht störend beeinflusst haben, davon habe ich mich selbstverständlich immer überzeugt. - Wenn es sich irgendwie durchführen lässt, reize ich die Präparate indirekt; ein Einbrechen des Reizstromes in den Thermostromkreis. kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht. Muss direkt gereizt werden, dann lässt sich immer der Abstand der Reizstelle von der Stelle, wo sich das Thermoelement oder die Thermosäule befindet, so gross wählen, dass der Reizstrom nicht in den Thermostromkreis gelangt. Und endlich fand ich bei Totaldurchströmung der Muskeln mit Reizströmen solcher Stärke, dass eine maximale Zuckung ent- stand, noch keine Einwirkung des Reizstromes auf den Thermostrom: sowohl bei Verwendung der umfassenden Thermosäule als auch der Gittersäule. Wenn eine solche Einwirkung bei noch grösserer Strom- stärke zustandekommt, so äussert sie sich durch kaum zu verkennen- 286 K. Bürker: den, ruckweisen Ausschlag des Magnetsystems, der wesentlich ver- schieden von dem durch den Thermostrom veranlassten Ausschlag ist. Endlich erscheint mir eine noch bessere Isolierung der Thermo- elemente als mit Paraffinöl, wenigstens bei gewöhnlichen myother- mischen Versuchen, auf Grund folgender Beobachtungen nicht nötig zu sein. Es war zunächst zu prüfen, ob und bis zu welchem Grade der Thermostrom einen Kurzschluss erfährt, wenn das Thermoelement bzw. die Thermosäule mit dem Muskel in Berührung steht. Bei meiner umfassenden Thermosäule werden 20 Lötstellen dem Muskel in der Peripherie leicht aufgedrückt. Die nur 0,1—0,2 mm dicken, an der Lötstelle vereinigten Konstantan-Eisendrähtchen liegen dabei dem Muskel jeweils in einer Gesamtausdehnung von etwa 5 mm an. Mit Absicht wurde die Lötstelle nicht allein mit dem Muskel in Berührung gebracht, sondern auch die anstossenden Drähtchen auf eine kurze Strecke, um den Abfluss der Wärme von der Lötstelle weg zu ver- zögern. Die seitliche Entfernung der einzelnen Lötstellen voneinander beträgt etwa 1 mm. Ein Kurzschluss des Thermostromes kann nun dadurch zustandekommen, dass der Strom die Muskelbrücke von 5 mm Länge und 1 mm Breite überschreitet und so direkt zum Thermo- element zurückgelangt, ohne durch das Galvanometer zu gehen. Um ein Urteil über die Stärke dieses Zweigstromes zu erhalten, wurde der Widerstand der Muskelbrücke in folgender Weise bestimmt. Zwei der dünnen Eisendrähtchen wurden zu je einem Bügel geformt, mit je einem Kupferdraht verlötet und in einer Ausdehnung von 5 mm und einem Abstande von 1 mm einander gegenüber auf einen Gastrocnemius aufgedrückt. Die Widerstandsbestimmung der Muskel- brücke mit der Kohlrausch’schen Wechselstrommethode ergab einen Widerstand von etwa 1000 Ohm!). Wurde ein Tropfen physiologische Kochsalzlösung zwischen die Drähtchen auf den Muskel gebracht, so sank der Widerstand auf etwa 200 Ohm, wurde abgesaugt, so stieg er wieder, und zwar auf etwa 600 Ohm, wurde getrocknet, auf etwa 1000 Ohm wie vorher. Da nun der Widerstand im Galvanometerkreis bei Benutzung eines Thermoelementes rund 10 Ohm beträgt, so ver- hält sich die Stärke des durch das Galvanometer fliessenden Thermo- 'stromzweiges zu dem die Muskelbrücke passierenden wie 100:1; der letztere kann also praktisch vernachlässigt werden. Dabei ist noch ‚gar nicht berücksichtigt, dass die Thermoelemente mit Paraffinöl überzogen werden, was das Betreten der Muskelbrücke doch etwas ‚erschwert. 1) Wurden die Eisenbügel an den Enden eines genau bekannten Wider- stands von 1000 Ohm aufgesetzt, so ergab sich auf der Messbrücke dieselbe Einstellung wie beim Muskelversuch. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 287 Zur weiteren Klärung der Verhältnisse wurde neuerdings folgender Versuch angestellt. Ein Konstantan-Eisenelement von Hartmann und Braun in Frankfurt a. M., aus etwa 1 mm dicken und 20 cm langen, an einem Ende verlöteten Drähten bestehend, wurde mit einem kleinen Edelmann’schen Saitengalvanometer mit: Goldsaite von 107 Ohm Widerstand verbunden. Die nebeneinander zur Löt- stelle hinlaufenden Drähte des Elements hatten einen Abstand von etwa 2 mm voneinander. Dieses Thermoelement wurde nun mit der Lötstelle voran etwa 5 cm tief in destilliertes Wasser von Zimmer- temperatur eingetaucht und darauf die Saite auf einen bestimmten Teilstrich eingestellt. Dann wurde sowohl destilliertes Wasser als auch physiologische Kochsalzlösung auf eine um 20° höhere Temperatur gebracht, das Thermoelement in das um 20° wärmere destillierte Wasser gleich tief wie vorher eingetaucht und der beträchtliche Aus- ‚schlag der Saite beobachtet. In gleicher Weise wurde der Versuch mit der um 20° wärmeren Kochsalzlösung durchgeführt. Wenn letztere als stromleitend einen in Betracht kommenden Kurzschluss für das 'Thermoelement herstellen würde, müsste der Ausschlag im Saiten- galvanometer kleiner ausfallen als beim Eintauchen in das gleich ‘warme destillierte Wasser; das war aber nicht der Fall, die Ausschläge ‚blieben gleich gross. Dabei verhielten sich die Widerstände der Koch- salzlösung und des Wassers zueinander wie 30:7000. Auch als zwei Thermoelemente nebeneinander angeordnet wurden, kam ein nennens- werter Kurzschluss durch die Kochsalzlösung nicht zustande. Und endlich hatte ich früher schon mit Hilfe der Kohlrausch- schen Wechselstrommethode konstatiert, dass der Widerstand der umfassenden Thermosäule keine in Betracht kommende Änderung erfährt, wenn die Säule ganz in physiologische Kochsalzlösung ver- senkt wird, was der Fall sein müsste, wenn sich dem Thermostrom in Betracht kommende Nebenwege eröffneten. Da ausserdem der durch die Muskelwärme veranlasste Thermo- strom bei Benutzung der umfassenden Thermosäule mit 20 Thermo- elementen auch ungefähr 20mal stärker ist als bei Benutzung eines ‚einzigen Thermoelementes, die Thermosäule aber ihrer ganzen Bauart nach zu Kurzschlüssen durch die Muskelsubstanz hindurch besonders Anlass geben müsste, so schliesse ich auch daraus, dass solche Kurz- schlüsse eine wesentliche. Rolle nicht spielen. Auf Grund dieser Versuche und Überlegungen halte ich eine weitergehende Isolierung der Thermoelemente gegen Reiz- ströme und Kurzschluss des Thermostromes als durch Bestreichen mit Paraffinöl nicht für erforderlich. Anders freilich wird die Sache, wenn man einen Muskel, wie Hill es tut, durch zugeführte Ströme künstlich erwärmen will; hier muss das 388 | K. Bürker: Einbrechen dieser Ströme in das empfindliche Galvanometer durch Isolation der 'Thermoelemente verhindert werden, wenn nicht das. Instrument notleiden soll. Dass aber auch der Aktionsstrom sich nicht störend geltend machte, habe ich durch folgenden Versuch erwiesen. Eine umfassende Thermosäule bzw. ihr Gerüst wurde statt mit Thermoelementen nur mit Konstantandraht bewickelt und auf einen Gastrocnemius auf- gesetzt. Wurde der Glassturz übergestülpt und der Stromkreis ge- schlossen, so entstand zunächst ein starker Ausschlag, der aber bald wieder zurückging. Unter den üblichen Bedingungen eines myo- thermischen Versuchs ergab eine Zuckung des Muskels keinen Aus- schlag, was hätte der Fall sein müssen, wenn der Aktionsstrom in den Thermostromkreis eingebrochen wäre. Ebensowenig war bei Zuckung des Doppeladduktorenpräparates, zwischen das eine Pseudo- gittersäule aus Konstantan eingefügt war, ein Ausschlag zu beobachten... Also auch der Aktionsstrom stört nicht. Demnach bleibt eine stärkere Isolierung der Thermoelemente als durch Überziehen mit einer Paraffin- ölschicht nur für besondere Fälle vorbehalten: sie ist natürlich wünschenswert, wenn sie sich ohne wesentliche Störung der Wärme- leitung durchführen lässt. Dass die inneren Lötstellen stets sorg- fältig geglättet sein müssen, um einer Verletzung des Muskels vor- zubeugen, ist klar. Von besonderer Wichtigkeit ist die Beantwortung der Frage nach der Genauigkeit der Temperaturmessung am Muskel mit Hilfe der Thermoelemente und Thermosäulen. Hier kommen im wesent- lichen zwei Momente in Betracht, welche die mit der thermoelektrischen Methode ermittelte Temperatur als zu niedrig erscheinen lassen, nämlich: erstens die nach der Erwärmung des Muskels einsetzende Abkühlung durch Leitung und Strahlung, zweitens der Fluss der Wärme von den inneren nach den äusseren Lötstellen hin; all dies: um so mehr, als die Schwingungsdauer des Magnetsystems einige Sekunden zu betragen pflegt. Was den ersten Punkt anlangt, so ist von Vorteil, dass das innere Wärmeleitvermögen des _ Muskels nach den Bestimmungen von A. Adamkiewicz noch zweimal kleiner als das des Wassers und nur 13mal grösser. als das der Luft ist. Das äussere Wärmeleit- vermögen und die Wärmestrahlung ist unter den Bedingungen myo- thermischer Versuche noch nicht bestimmt worden; mit Hill glaube ich aber, dass auf den zweiten Punkt, den Fluss der Wärme nach der antagonistischen Lötstelle hin, besonders die Aufmerksamkeit zu richten ist. Bei Konstruktion meiner Thermoelemente und Thermo- säulen war ich stets bestrebt, diesen Fluss soviel als möglich zu er- schweren, daher die möglichst weite Entfernung der antagonistischen: Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 289 Lötstelle von der dem Muskel anliegenden Lötstelle und ihre Bedeckung mit einem Streifchen angefeuchteten Filtrierpapiers. Zuweit darf man allerdings mit der Entfernung der Lötstellen voneinander auch nicht gehen, weil sonst leicht das Magnetsystem in ein beständiges Wandern verfällt. Beim Konstantan-Eisenelement ist noch von Vor- teil, dass diese Metalle relativ schlechte Wärmeleiter sind; in dieser Beziehung und auch in der Grösse der thermoelektrischen Kraft ist ‚dieses Element dem Konstantan-Kupferelement überlegen. Dass bei meiner Versuchsanordnung der Fluss der Wärme nach der antagonistischen Lötstelle hin während der Dauer des Galvanometerausschlags eine wesentliche Rolle nicht spielt, schliesse ich aus folgenden Versuchen. Es sollte der Wärme- ausschlag des Galvanometers bei konstant zuckendem Muskel in Be- ziehung zur Empfindlichkeit des Galvanometers und damit zur Schwingungsdauer des Magnetsystems gesetzt werden. Wenn bei langer Schwingungsdauer das Verhältnis von Empfindlichkeit: Wärme- ausschlag grösser ausfiel als bei kurzer Schwingungsdauer, dann musste geschlossen werden, dass schon innerhalb dieser Zeit ein 'Temperaturausgleich der beiden Lötstellen stattgefunden hatte; wenn das Verhältnis aber mit abnehmender Schwingungsdauer konstant blieb, dann lag es nahe, einen solchen Ausgleich nicht anzunehmen. In folgendem seien drei derartige Versuche mitgeteilt. Versuch vom 25. Februar 1914. Gastrocnemius einer &-Rana temp. durch x -Öffn.ind.strom vom Nerven aus maximal gereizt. Z.temp. 10,8°C., Luftdr. 720,6 mm Hg, Akk. bei 200 Ohm 10,0- 10—3 Amp. Umfassende Thermosäule a, im Thermo- stromkreis-230 Ohm Zus.wid. K.temp. 11,0°C. Belastung 25 g!). Galvanometer ; En Wärme- Verhältnis von Empfindlich- | Dauer des | ausschlag in | Empfindlich- Zeit we = nn Millimeter- | keit: Wärme- illimeter- | schlags ın Se-| Skalenteil h De: Nenlamteiien Iabondlen aleatglena y aussehlag ee er | 11 6 \ 80 I f 234 4,5 80 (79) 3,0 | 78 11 15 43 16 137 32 42, (42) 3,3 17 42 11 24 } ( 24 } 2. oe | 4) | a | | 24 | 1) Wegen der Abkürzungen siehe den S. 297 mitgeteilten Versuch 2) Siehe S. 297, Anm. 1. 290 K. Bürker: — = — = 2 Banpmıeter = Wärme- Verhältnis von Ze Empfindlich- | Dauer des ausschlag in | Empfindlich- Sr keit ın | ersten Aus- Millimeter- keit: Wärme- Millimeter- |schlags in Se- | Skalenteilen ausschlag; I Skalenteilen | kunden : US \ ER | j 1 38 32 1,6 I) 2,9 3 J I. an 155 9 56 Da 1,4 I (9 3,0 57 9 120 | | 96 7 17 | 2,4 25 (25) Sa 8 | | 3 12:18 | 12 \ 19 237 | 4,6 69 (71) 3,9 20 | le f K.temp. 11,6°C. Akk. bei '200 Ohm 10,0-103 Amp. -Luftdr- 720,7 mm Hg. Z.temp. 11,0°C. Gewicht des Muskels: 0,94 9. Ein weiterer Versuch ergab folgendes Resultat. Versuch vom 25. Februar 1914. Gastroenemius einer d-Rana temp. durch y -Öffn.ind.strom vom Nerven aus maximal gereizt. Z.temp. 11,2°C., Luftdr. 721,3 mm He, Akk. bei 209 Ohm 10,0:10—3 Amp. Umfassende Thermosäule. a, im Thermostromkreis 230 Ohm Zus.wid. K.temp. 11,7°C. Belastung 25 g. Galvanometer € ER z Or Wärme- Verhältnis von : Empfindlich- | Dauer des ausschlag in | Empfindlich- a keit in ersten Aus- Millimeter- | keit: Wärme- Millimeter- | schlags in Se-| Skalenteilen ausschlag h ' ‚| Skalenteilen | kunden 4 8l | | 81 32 234 | 4,5 80 (80) ea 3: | | 78 43 | 30 40 | 106 2,8 29 (30) ID 41 30 4 43 10 49 33 | 1,5 10 (10) 3,3 50 10 4 58 | 6 5%) 19 1,0 6 (6) 3,2 5 00 | 6 Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 291 Galvanometer en Wärme- Verhältnis von Zeit _ Empfindlich- | Dauer des ausschlag in | Empfindlich- el keit in ersten Aus- Millimeter- ! keit: Wärme- Millimeter- | schlags in Se-| Skalenteilen ausschlag he? Skalenteilen kunden : D6 2 7 6) ca. 0,6!) 2.2) 25) 8 2 9 15 ) 16 1,5 IE) 32 17 ®) 3 28 32 24 2) a (32) 3,9 25 sl 5 42 )) ( 67 ) 43 | 64 | 44 223 4,4 64 (65) \ 34 45 ) 66 | 46 J L 65 K.temp. 12,0°C. Akk. bei 200 Ohm 10,0- a Luftdr. 721,9 mm Hg. Z.temp. 11,3°C. Gewicht des Muskels 0,64 & Schliesslich wurde noch ein dritter Versuch angestellt. Versuch vom 27. Februar 1914. Gastroenemius einer Rana temp. durch x -Öffn.ind.strom vom Nerven aus maximal gereizt. Z.temp. 10,0°C., Luftdr. 732,8 mm Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Umfassende Thermosäule a, im Thermostrom- kreis 230 Ohm Zus.wid. K.temp. ?. Belastung 25 g@. Galvanometer wa Verhältni "me- e nis von . Empfindlich- Dauer des ausschlig in inpfiddlich: zei nn ersten Aus” | Millimeter- | keit: Wärme- Mıllımeter- schlags ın De- k tei sschlae he w Skalenteilen kunden Salsnteilen Be IeE22 \ 2 3 6 ca. 0,6 2.0) 3,0 ee 2 | ee | B 3 13 1.0 Aue) 3 32 4 1 3 | 9 3 26 1,4 DR) 2,9 3 g 11 44 N 16 45 =) \| t32.(15) 3 46 16 | l) Bei der raschen Schwingung ist diese Bestimmung erschwert. IC, Bürker: 292 = a 7 = 2 erer 7 Wärme- | Verhältnis von Zeit Empfindlich- Daucr des ausschlag in | Empfindlich- = u Millimeter- | keit: Wärme- illimeter- | schlags in Se-| Skal 1 1 h. Skalenteilen kunden ee a I 252 | 32 BB) 97 3l 681) ' 3,1 54 30 12722 Sl 3 156 38 50 (51) 31 4 Sl 12724 67 \ 25 202 4,1 65 (66) 31 26 66 J 12 40 41 295 2 1 (102) 2.9 ‚42 12.259 1 00 256 4,9 3 (82) By Mil sl K.temp. 11,0°C. Akk. bei2000hm 10,0-10—3Amp. Luftdr. 732,8 mm He. Z.temp. 10,3°C. Gewicht des Muskels 0,81 g. Auf S. 310, Abb. 8 sind die Resultate graphisch dargestellt. Zunächst findet man das Gesetz bestätigt, dass die Empfindlich- keit des Galvanometers mit dem Quadrat der Schwingungsdauer des Magnetsystems wächst. Das Verhältnis Empfindlichkeit: Wärme- ausschlag beträgt im Mittel 3,1. Trägt man die einzelnen Werte in Koordinatenpapier ein, so ergibt sich fast genau eine gerade Linie (S. 310, Abb. 8, Eu. W); es kann also in der Zeit zwischen 0,6 und 5,2 Sekunden nach der Zuckung ein wesentlicher Wärmeausgleich zwischen inneren und äusseren Lötstellen nicht stattgefunden haben. Interessant wäre es, denselben Versuch am Blix’schen Thermo- galvanometer durchzuführen, bei welchem die äusseren und inneren Lötstellen so nahe beieinanderliegen und durch einen relativ dicken Konstantandraht miteinander verbunden sind; hier werden wohl bei grosser Schwingungsdauer die Wärmeausschläge zu klein ausfallen, der rasche Rückgang der von Blix!) registrierten Galvanometer- ausschläge spricht dafür. Einen weiteren Versuch zur Klärung dieser Angelegenheit behalte ich mir vor,. ich kann ihn zurzeit nicht anstellen, nämlich zwischen des letzten Versuchs 1) M. Blix, Studien über Muskelwärme. Skandin. Archiv f. Physiol. Iexeh, 112, er, INAE EKD, I Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 293 innere und äussere Lötstellen eine relativ grosse Metallmasse von mög- lichst grosser Wärmekapazität und Oberfläche einzuschalten, um die Wärme noch mehr zu zerstreuen, bevor sie zur äusseren Lötstelle gelangt. Schliesslich sei in diesem Zusammenhange nochmals ein Versuch mitgeteilt, welcher zeigt, wie relativ genau die Angaben meiner Thermosäulen sind, indem bei zwei hintereinanderfolgen- den, getrennten Zuckungen das Galvanometer ungefähr die doppelte, bei drei Zuckungen die dreifache 'Temperaturerhöhung auch bei ver- schiedener Belastung anzeigt, wenn nur das Reizintervall richtig ge- wählt wird. Versuch vom 7. April 1905. Durch zwei getrennte Einzelzuckungen eines Gastrocnemius, von welchen, die zweite nur zur Kontrolle der ersten vorgenommen wird, wird die Wärmebildung bei der betreffenden Belastung ermittelt. Dann folgen bei derselben Belastung eine doppelte und dreifache Zuckung, die einzelnen Zuckungen möglichst rasch hintereinander. Maximale Reizung vom Nerven aus durch x -Öffn.ind.strom (R.-A. 200 mm). Unpolarisierbare Elektroden. Z.temp. 7,5°C. Luftdr. 733,4 mm Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Galv.empf. 211 mm-Skal.t. Thermosäule a. Im Thermo- kreise 230 Ohm Zus.wid. K.temp. 9,50 C. Wärme in Millimeter-Skalenteilen : Belastung ze in Gramm Getrennte Doppelte | Dreifache Ih’ Zuckungen Zuckungen | Zuckungen 9 35 | = a, 33 (83) = BE Se = 66 | A 9 41 } ( 56 (56) —- — 3 ri N 2 107 m 45 J L — — 162 9 47 83 — 48 | 73 (&D E & 41 49 | — 156 5l L — 234 "ll Se ee 55 | I 177 — 57 L — — 257 9 59 9 (96) | — — — 193 — 4 J L E= — 285 10 S ( I (101) — — ! 196 93 = = 11 { — — 298 (0) fee ug Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 20 294 K. Bürker: Zur weiteren Klärung dieser Fragen wäre es erwünscht, wenn Hill ähnliche Versuche mit seiner Versuchsanordnung anstellte und mitteilte. Soviel über die Thermosäulen bzw. Thermoelemente. Was den übrigen Thermostromkreis betrifft, so ist Hill der Ansicht, ich sei mit der Wärmeisolierung desselben zu vorsichtig gewesen. Dazu bemerke ich, dass erstens mir nicht wie Hill in einem Keller ein gleich- mässig temperierter Raum zur Verfügung stand, zweitens mein Galvano- meter wesentlich empfindlicher ist als das Hill’sche, und drittens ich Versuche am Nerven vorhatte, welche eine wesentlich höhere Empfind- lichkeit verlangten. Aus der Hill’schen zusammenfassenden Arbeit (S. 394ff.) könnte man ferner den Eindruck gewinnen, als ob ich immer einen mit Eisen- vitriollösung gefüllten Glassturz zum Schutze gegen Wärmestrahlung verwende; das geschah nur in einem besonderen Falle, für gewöhnliche Versuche genügt vollkommen die Füllung mit Wasser. Man kann uch sicher mit diekem Glas, besonders wenn es Eisenoxydulsalze anthält, auskommen; ich aber wollte den Binnenraum der Kammer each Bedarf temperieren, und dazu brauchte ich eben den Glassturz mit doppelten Wänden, zwischen die Wasser von bestimmter Tem- peratur eingefüllt werden sollte. Dass ich ferner für die Thermostromleitung speziell isolierten, über Ebonitplatten gelegten Draht empfohlen haben soll (S. 394), ist mir nicht bekannt; ich habe ihn nur benutzt, weil mein hochempfind- liches Paschen’sches Galvanometer eine sorgfältige Isolierung des Stromkreises verlangt. Die Form der Muskelkammer wird sich-ganz danach zu richten haben, was man vorhat; es hat keinen Wert, in allgemeine Diskussionen darüber einzutreten. Für die Untersuchung der Muskeln in Sauerstoff und Stickstoff waren von mir schon längst die nötigen Vorkehrungen getroffen. S Auch die Wahl des Galvanometers wird ganz von den Zwecken abhängen, die man verfolgt; ich selbst habe schon vor dem Kriege neben der hochempfindlichen Form auch das weniger empfindliche Paschen’sche Panzergalvanometer verwendet. Was endlich noch die Muskelpräparate betrifft, so hat Hill mit Vorliebe seine Versuche am Sartorius angestellt; dass dieser seine Vorzüge und Nachteile hat je nach dem Problem, das man in Angriff nimmt, ist klar. In früheren Arbeiten habe ich schon auf das thermo- dynamisch verschiedene Verhalten des Gastrocnemius- und Adduk- torenpräparates hingewiesen und werde in dieser Arbeit darauf wieder zurückkommen; auch der Sartorius verhält sich, mit den myo- graphischen Methoden untersucht, in wesentlichen Punkten anders Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 295 als der Gastrocnemius, wie aus den Arbeiten von A. Basler!) hervorgeht. Neuerdings hat V. v. Weizsäcker’) eine.gemeinsam mit Hill ausgearbeitete myothermische Untersuchungsmethode in Salz- lösung beschrieben, bei welcher der Muskel samt Thermosäule in Ringer-Lösung, die sich in einer hohen Dewar’schen Flasche be- findet, versenkt wird. Diese Art der Untersuchung liegt nahe; ich habe sie schon vor langer Zeit versucht und meine umfassende Thermo- säule in physiologische Kochsalzlösung, die lange im Versuchsraum gestanden hatte, versenkt. Die Unruhe des Magnetsystems war aber . selbst nach längerem Verweilen der Säule in der Lösung offenbar durch Konvektion so gross, dass ich nicht arbeiten konnte. Eine Dewar’sche Flasche habe ich allerdings nicht verwendet. Dass aber auch mit dieser die Versuche erschwert sind, geht aus der Angabe v. Weizsäcker’s hervor, dass das Magnetsystem sehr langsam, aber regelmässig wandere. Dazu kommt als wesentlich erschwerend das viel grössere Wärmeleitvermögen der Ringer-Lösung gegenüber dem der Luft. Doch ist es sehr zu begrüssen, wenn gerade die myothermi- schen Methoden nach verschiedenen Richtungen hin variiert werden, um zu immer sichereren Resultaten zu gelangen. 3. Der Energieaufwand als Funktion der übrigen Variabeln der Muskeltätigkeit bei verschiedenartigen Muskeln. Vergleichende Untersuchungen über das thermodynamische Ver- halten verschiedenartiger Muskeln liegen bisher nur in sehr beschränkter Zahl vor, obwohl es von grösstem Interesse wäre, zu erfahren, wie sich glatte und Herzmuskulatur der quergestreiften gegenüber verhält. Prinzipielle methodische Schwierigkeiten bestehen nicht; die Thermo- elemente und Thermosäulen des Verfassers lassen sich leicht den ver- schiedenen Versuchsobjekten anpassen. Mit Thermoelementen von mir hat Herr J. Parnas seine Unter- suchungen über die Energetik glatter Muskeln fortgesetzt. An Herzen mit erster Stannius’scher Ligatur hat Herr ©. Bruns mit meinen Apparaten Versuche durchgeführt und kam zu dem Resultate, dass 1) A. Basler, Über den Einfluss der Reizstärke und der Belastung auf die Muskelkurve. Dieses Archiv Bd. 102, S. 254. 1904. Über den Einfluss der. Reizstärke auf die Tetanuskurve des Froschsartorius. Ebenda Bd. 105, S. 344. 1904. Über das verschiedene Verhalten des Sartorius und Gastrocnemius des Frosches bei Ermüdung. Ebenda Bd. 106, S. 141. 1904. 2) V. v. Weizsäcker, Über die Energetik der Muskeln und ins- besondere des Herzmuskels sowie ihre Beziehung zur Pathologie des Herzens. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissensch., math.-naturwiss. Klasse Abt. B, 2. Abhandl. S. 49. 1917. 202 296 K. Bürker: der Gesamtenergieaufwand für eine Systole unabhängig oder jeden- falls viel weniger abhängig von der Belastung ist als beim quergestreiften Muskel; hier ergeben sich vielleicht interessante Beziehungen zum „Alles oder Nichts‘‘-Gesetz. Schon 1906 habe ich über vergleichende, das Adduktoren- und Gastrocnemiuspräparat betreffende Untersuchungen berichtet !). Das Resultat derselben war, dass die Adduktoren bei wesentlich geringerem Energieaufwand eine Zeitlang mechanisch mehr zu leisten vermögen als der Gastrocnemius, aber rascher ermüden als dieser. Es war nötig, diese Versuche mit Rücksicht auf die verschiedenen Variabeln der Muskeltätigkeit zu erweitern und zu vertiefen. Dies geschah teilweise noch 1906, eingehender anfangs 1914; die Resultate seien nunmehr mitgeteilt. Vergleichende Untersuchungen am Adduktoren- und Gastrocnemiuspräparat. Der Gang der Untersuchung war folgender. Bei steigender und schliesslich wieder sinkender Belastung und isotonischer Zuckung wurde: 1. die Ausgangslänge des Muskels bei diesen verschiedenen Be- lastungen, 2. die Zuckungshöhe. 3. die Arbeit bestimmt und diese drei Werte in Beziehung zu 4. dem Gesamtenergieaufwand gesetzt, gemessen an der Wärme- bildung nach rückgängig gemachter Arbeit. Die bei der Untersuchung verwendeten Apparate und ihre Zu- sammenstellung sind im Tigerstedt’schen Handbuch der physio- logischen Methodik genau beschrieben ?). Die Wärmemessung wurde durch Anwendung einzelner 'Thermoelemente und ganzer Thermo- säulen (umfassende Thermosäule, Gittersäule) möglichst variiert. Die verschiedene Art des Verhaltens von Adduktoren und Gastro- cnemius kommt besser zum Ausdruck, wenn man von demselben Tiere zum Beispiel das linke Adduktoren- und das rechte Gastrocnemius- präparat verwendet, denn die Adduktoren und Gastrocnemien der verschiedenen Tiere verhalten sich etwas verschieden. Da ich aber auch das Doppeladduktoren- und Doppelgastroenemiuspräparat nötig hatte, liess sich dies nicht durchführen. Die wesentlichen Versuchs- bedingungen sind aber so genau angegeben, dass Vergleiche gut möglich 1) K. Bürker, Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. V. Dieses Archiv Bd. 116, S. 77. 1907. Siehe hier auch über Versuche an Muskeln von Tieren verschiedener Jahreszeiten (S. 11) und von weiblichen Frosch- und Krötenmuskeln zur Laichzeit (S. 5l). 2) Bd.2, Hälfte 1, Abt. 3.1911. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 297 sind. Zusammengefasst werden immer diejenigen Versuche, welche zeitlich möglichst zusammenfallen, und bei welchen die gleiche myo- thermische Methode zur Anwendung kam. a) Untersuchungen mit der umfassenden Thermosäule. Zur Verwendung kam eine umfassende Thermosäule mit zwanzig inneren, möglichst feinen, mit Silber als Lot hergestellten Lötstellen. Die äusseren Lötstellen wurden mit einem Streifehen aschefreien, angefeuchteten Filtrierpapiers bedeckt. Die Feder ist derart, dass die Säule gut festsitzt, ohne stark zu drücken. Gastroenemius. Versuch vom ]5. November 1906. Linker Gastrocnemius einer d-Rana temp. durch x -Öffnungs- induktionsstrom (Öffn.ind.strom) maximal gereizt. Zimmertemperatur (Z.temp.) 9,0°C. Luftdruck red. (Luftdr.) 736,7 mm Hg. Akkumulator!) (Akk.) bei 200 Ohm 10,0:10—-3 Amp. Galvanometerempfindlichkeit (Galv.empf.) 214 mm Skalenteile (Skal.t.). Umfassende Thermosäule a. Im Thermostromkreis 230 Ohm Zusatzw iderstand (Zus.wid.). Kammer- temperatur (K.temp.) 9,9° C. Länge des | Zuckungs- | Arbeit in Wärme in Zeit Belastung : B . Millimeter- : Muskels in | höhe in Gramm- ® „| ramm [Millimetern [Millimetern | Millimetern an 4 58 2,8 | 50 59 5 34,3 2,1 (2,7) 13,5 46 (48) 3.50 27 Ur 7 De, 2,9 74 3 19 39,5 2,9 (2,9) 99,1 712 (74) 4 2,9 15 96 N, 97 7 51 36,4 2,7 07) 137,7 94 (95) 8 2,7 93. 5 10 2,6 105 11 78 36,9 2,6 (2,6) 202,8 104 (104) 12 2,5 102 5 14 2,3 114 15 126 37,4 2,3 (2,3) 289,8 114 (114) 16 2,2 113 1) Der Akkumulator dient sowohl zum Betriebe des Induktionsapparates als auch zur Ermittlung der Galvanometerempfindlichkeit (Strom durch 10000 Ohm geschlossen, an den Enden eines Ohmes abgeleitet und den Zweigstrom nochmals durch 10000 Ohm zum Galvanometer geschickt, erster Ausschlag beobachtet). 298 KuBürker: Ye NEST Wärme in ‚| Länge des | Zuckungs- | Arbeit in “17: . Zeit ans Muskels in| höhe in Gramm- ‚ ın Gramm [\fllimetern| Millimetern | Millimetern 2 h teilen > 18 | 2,0 \ 132 19 196 39% 1,9 (2,0) 392,0 129 (129) 20 2,0 J 197 9,22 j 2,3 ur 23 126 37,6 2,3 (2,3) 239,8 114 (115) 24 U 23 114 3 26 2,6 105 27 78 37,2 2,6 (2,6) 202,8 103 (105) 28 2,6 106 530 \ 2,9 99 3 Sl 36,8 2,9 (2,9) 147,9 96 (9%) 32 2,9 98 5 94 32 83 35 19 39,9 3,2 (3,2) 60,8 83 (82) 36 3,2 8l 5 8 = Sl 59 39 B) 34,7 2,9 (3,0) 15,0 59 (96) 40 3,0 54 K.temp. 10,1°C.. Galv.empf. 215 mm-Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Luftdr. 735,2 mm Hg. Z.temp. 9,8°C. Gewicht der Muskeln 0,77 ge. ; In Abb. 2 (S. 300) sind die Resultate für die erste Hälfte des Ver- suches graphisch dargestellt. Adduktoren. Versuch vom 21. November 1906. Linke Adduktoren einer d-Rana temp. durch x -Öffn.ind.strom (R.-A. 70 mm) direkt maximal. gereizt. Z.temp. 10,7°C._ Luftdr. 738,6 mm Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Galv.empf. 214 mm- Skal.t. Umfassende Thermosäule a. Im Thermostromkreis 230 Ohm Zus.wid. K.temp. 11,7°C. A IE E "ar Wärme in Zeit Belastung en a a Millimeter- in Gramm | \f;]limetern| Millimetern |Millimetern] 8len- h teilen A 52 il 48 46 53 5 38,0 7a) |) 9835 46 (45) 54 47 a 156 4,9 47 57 19 39,9 48 (4,9) 95,1 48 (47) 58 49 47 Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 299 Länge der | Zuckungs- | Arbeit in Wärme in . Belastung na ee: Millimeter- Zeit : 2 Muskeln in | höhe in Gramm- SE u in Gramm | \illimetern | Millimetern |Millimetern| >Xalen- u teilen 0 4,1 | 60 1 51 a1,5 41 (41) 209,1 56 (59) 2 41 60 od 3,6 65 u 78 49,3 3.6 (3,6) 980,8 60 (62) 6 3.6 60 oh (| # 70 9 126 43,2 3.1 (3,0) 378,0 63 (66) 10 | 0 66 5 2 2,4 | 66 13 196 44,2 2.4 (2,4) 470,4 2 (65) 14 2,4 64 58 3.0 60 17 126 43,5 3.0 (3,0) 378.0 61 (61) 18 3.0 61 5 9 | 3,5 56 21 78 49,8 3,5 (3,5) 273,0 55 (55) 22 35 55 5 24 4,1 \ 58 25 51 49,2 41 (4,1) 209,1 52.62) 36 41 1 51 5 28 (| 5° (| # 29 19 40,8 5,0 (65.0) 95,0 42 (48) 30 I 36 IH 5 32 58 33 33 5 38,9 5,5 (5,5) 27,5 33 (33) 34 5.4 34 K.temp. 12,0°C. Galv.empf. 217 mm-Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Luftdr. 738,8 mm Hg. Z.temp. 11,1°C. Gewicht der Muskeln 0,94 g. Graphische Darstellung Abb. 1 (S. 300). Die Versuchsresultate sind typisch. Ein Blick au’ die Kurven ergibt, dass mit steigender Belastung die Adduktoren stärker gedehnt werden als der Gastrocnemius; die Ausgangslänge für die Zuckung ist also bei ersteren grösser. Die Zuckungshöhen der Adduktoren übertreffen die des Gastrocnemius wesentlich, bei steigender Be- lastung nehmen sie bei beiden Muskeln zunächst etwas zu, dann ab, beim Gastrocnemius aber ziemlich genau proportional mit der Be- lastung ab, bei den Adduktoren zuerst stärker, dann schwächer. Ent- sprechend den Zuckungshöhen hat die Arbeitskurve beim Gastrocnemius einen mehr gestreckten, bei den Adduktoren einen gebogenen Verlauf; 300 K. Bürker: die Arbeit erreicht aber bei letzteren Muskeln grössere Werte. Trotzdem ist, was besonders auffallen muss, der Energieaufwand bei den Adduktoren wesentlich kleiner als beim Gastrocnemius, bei stärkerer Belastung sogar nur halb so gross. WL 700 50 80 40 RRTTT a zo N 00% 608007000 720% 0700, 780 2993 Abb. 1. Versuch vom 21. November 1906 an den Adduktoren. L Länge, Z Zuckungshöhe, A Arbeit, W Wärme. ONNZONUDN EOS 700720 100 TE OR20HIB, Abb. 2. Versuch vom 15. November 1906 am Gastrocnemius. Bei Berücksichtigung der zweiten Hälfte der Versuche mit sinkender Belastung sieht man auch, wie der Energieaufwand beim Gastrocnemius gegenüber den Parallelversuchen bei steigender Belastung eher etwas grösser als kleiner wird, während bei den Adduktoren eine entschiedene Abnahme zu konstatieren ist trotz ungefähr gleichbleibender mechani- scher Leistung. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 30] Ohne weiteres muss man also annehmen, dass der Wirkungsgrad bei den Adduktoren bedeutend grösser ist als beim Gastro- cnemius, und dass er mit zunehmender Ermüdung noch grösser wird. Das alles gilt aber nur für die initiale Wärme im Hill’schen Sinne; es wäre interessant, das spätere Stadium der Wärmebildung bei diesen Muskeln vergleichend zu untersuchen. Die beiden Muskeln verhalten sich also thermodynamisch ganz verschieden; das gilt, wie früher schon gezeigt wurde, nicht nur für die Muskeln von Tieren, welche im Herbst gefangen wurden, sondern auch für solche, welche im Institut überwinterten oder im Frühjahr frisch gefangen wurden !). Aus beiden Versuchen ergibt sich weiterhin, wie ungeeignet die Arbeit als unabhängige Veränderliche wäre; denn steigt die Belastung um das 39,2fache, so nimmt zwar die Arbeit beim Gastrocnemius um das 29fache, bei den Adduktoren um das 20fache zu, der Energieaufwand dagegen beim Gastrocnemius nur um das. 2,7fache, bei den Adduktoren sogar nur um das 1,4fache. Bleibt nur noch die Wahl zwischen der Länge und Zuckungshöhe des Muskels, die unter den gleichen Verhältnissen beim Gastrocnemius- nur um 10,5 zu- bzw. 25,9%, abgenommen haben, bei den Adduktoren um 16,3 bzw. 49%. In folgendem seien weitere Versuche mitgeteilt. (kastroenemius. Versuch vom 20. November 1906. \ Linker Gastroenemius einer d-Rana temp. durch x -Öffn.ind.strom maximal gereizt. Z.temp. 10,7°C. Luftdr. 728,9 mm Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0:-10—3 Amp. Galv.empf. 225 mm-Skal.t. Umfassende Thermosäule a. Im Thermostromkreis 230 Ohm Zus.wid. R.temp. 11,50 C. Länge der | Zuckungs- | Arbeit in ‘Wärme in e Belastun 2 x: Si Millimeter- Zeit : 5 | Muskeln in| höhe in Gramm- 5 in Gramm Millimetern | Millimetern | Millimetern Skalen- h teilen 4 51 2,1 45 52 5 31,9 2,1 (2,1) 10,5 44 (44) 53 21 44 4 55 2,3 79 56 19 33,5 2,3 (2,3) 43,7 69 (70) 57 2,3 79 4 59 2,0 84 5 0 5l 34,5 2,1 (2,1) 107,1 81 (82) 1 24] 8 1) Siehe die Arbeit des Verfassers in diesem Archiv Bd. 116, S. 77. 1907. 302 K. Bürker: = u A EN Wärme im Länge der | Zuckungs- | Arbeit in 17: Zeit a Muskeln in höhe in Gramm- Me IN Millimetern | Millimetern | Millimetern t en 70 70 (70) 69 DD D IOIOT mn DD [Bx — ot co art 52 50 (50) 49 ar [u] D -1 Ss 1,9 (| & 4 78 34,9 1,9 (1,9) 1482 85 (86) 5 1.9 (I en 1,8 95 8 126 35,5 1,7 (1,2) 214,2 90 (92) 9) 1,7 91 san 15 \ on 12 196 36,1 1,5 (1,5) 994,0 99 (99) | 115 j 96 5 1.8 91 16 126 35,7 1,8 (1,8) ' 226,8 87 (89) 17 1,8 89 519 2,0 82 20 78 35,3 2,0 (2,0) 156,0 84 (83) 9] 2,0 84 53 92 83 24 51 34,9 2,2 22) 112,2 82 (82) ° 95 32 80 K.temp. 11,3°C. Galv.empf. 232 mm-Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10,—3 a Luftdr. 729,38 mm Hg. Z.temp. 10,9°C. Gewicht der Muskeln 0,93 & three Daten Abb. 4 (S. 304). Adduktoren. Versuch vom 28. November 1906. Linkes Adduktorenpräparat einer &-Rana temp. durch x -Öffn.ind.- strom (R.-A. 70 mm) direkt maximal gereizt. Z.temp. 10,7°C. Luftdr. 738,4 mm Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0:10—3 Amp. Galv.empf. 211 mm- Skal.t. Umfassende Thermosäule a. Im Thermostromkreis 230 Ohm Zus.wid. K.temp. 11,5° C. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 309 A | ; Be ITaR, 3 3 T Imaenet: Länge der | Zuckungs- | Arbeit in on Zeit Detne Muskeln in höhe in Gramm- u Bo on: Sram [Millimetern | Millimetern|Millimetern| eilen. +14 |} 3,7 (| 3 15 5 40,1 3,6 (3,6) ıs0 3| 38 «8) I | 36 U & 4 18 4,8 44 19 19 41,9 4.9 (49) | 93,1 19 (42) 20 4,9 j 40 +23 |} 3,9 oe 24 51 43,5 3,9 (3,9) 198.9 47 (48) 5 3.9 j (| 5 427 35 62 28 78 44,3 J 35 (8,5) 273,0 58 (59) 29 | 35 58 21 2,9 62 32 126 45,4 28 2,8) 352,8 J 57 (59) 33 28 U 58 4 35 1,9 59 36 196 46,4 1.9 (1,9) 372,4 60 (59) 37 1,9 59 4 39 2,7 49 40 126 45,8 1 262,6) | 327.6 | 48 (48) 41 2,6 47 4 43 3,3 46 44 | 78 45.1 33 83) \ 257,4 46 (45) 25 |] 3,3 j 44 4 47 3,9 40 48 Si 44,4 38 (8,8) | 193,8 37 (87) 49 3,8 33 4 51 4,9 6 52 \ 19 49,9 4,9 (4,9) 93,1 J 30 (329) || 49 U 42 4 55 4,4 94 56 5 40,9 4,4 (4,4) en 26 (35) 57 43 j} 24 K.temp. 11,7°C. Galv.empf. 212 mm-Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10 3 Amp. Luftdr. 738,5 mm Hg. Z.temp. 11,0°C. Gewicht der Muskeln 1,05 g. Graphische Darstellung Abb. 3 (S. 304). Das Resultat ist ähnlich wie im vorhergehenden vergleichenden Versuch, wenn auch die Verschiedenheiten im Verhalten der beiden Präparate nicht so stark ausgesprochen sind: es ist also bei grösserer 304 K. Bürker: Arbeit der Energieaufwand der Adduktoren wesentlich kleiner als der des Gastrocnemius. Auch das Verhalten bei sinkender Belastung ist gleich. Beim Gastrocnemius hat die Länge um 13,2% zu-, die Zuckungshöhe um 28,6 % ab-, die Arbeit um das WL A 700 50 500 ID. 20) —— 400 60 30 300 40 20 200 20 10 700 RE, 00. 720 WO 7160 710 200B Abb. 3. Versuch vom 28. November 1906 an den Adduktoren. 022020,.40°.,00% 80 OT ZIREEONE0 OEROE TION TED TRDESZODD: Abb. 4. Versuch vom 20. November 1906 am Gastrocnemius. 28fache, dder Energieaufwand dagegen nur um das 2,3fache zugenommen. Bei den Adduktoren sind die entsprechenden Werte 15,7 und 47,2 %, das 20,7- und 1,6fache. Ein dritter Versuch mit gleicher Methode, aber verschiedene Jahre später durchgeführt, bestätigte nur die bisher erhobenen Be- funde. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 305 Gastroenemius. Versuch vom 3. März 1914. Linker Gastrocnemius einer &-Rana temp. durch x -Öffn.ind.strom maximal gereizt. Z.temp. 10,6° C. Luftdr. 732,4mm Hg. Akk. bei-200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Galv.empf. 235 mm-Skal.t. Umfassende Thermosäule a. Im Thermostromkreis 230 Ohm Zus.wid. R.temp. 11,0°C. Arbeit in Wärme in . Länge des | Zuckungs- N: 3 Zeit m an Muskels in höhe in Gramm- aneter "n Sram Millimetern | Millimetern | Millimetern RZ hi BE EB ee en ‚teilen, 11 37 3,2 78 38 5 35,0 3,2 (3,2) 16,0 75 (76) 39 32 74 U 40 f| 32 81 49 9 35,4 3,2 (3,2) 28,8 78 (79) 43 ll 32 78 11 45 3,3 \ 87 46 19 36,1 3,3 (3,3) 62,7 87 (87) 47 3,3 J 87 11 49 all 91 50 38 36,9 31 @D | 117,8 J 92 (92) 51 32 | lies 11 53 2,8 106 54 78 37,7 2,8 (2,8) | 218,4 107 (107) 55 8 | 107 el SR 2,4 \ 114 58 126 38,5 2,5 (2,5) 315,0 u (116) 59 25 | Jo 3,0 125 2 196 39,2 2,0 (2,0) 392,0 123 (124) 3 2,1 125 ala 5 2,4 115 6 126 38,8 2,4 (2,4) | 302,4 110 (113) 7 | 24 j 114 19.9 2,9 111 10 | 78 88,8 2,8 (2,8) 218,4 109 (110) 11 N. 110 12 13 32 93 14 38 37,7 3,1 (82) 121,6 95 (95) 15 32 96 1 ll 3,4 | 88 18 19 37,0 33.33) 62,7 87 (8% 19 3,3 87 1 3,3 76 22 9 36,3 3,3 (3,3) 29,7 74 (75) 23 3,3 74 12095 3,3 65 26 5 35,9 3,3 (8,3) 16,5 64 (65) 27 33 65 306 K. Bürker: K.temp. 11,3% C. Galv.empf. 228 mm-Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Luftdr. 732,4 mm Hg. Z.temp. 10,9% C. Gewicht des Muskels 0,71 g. Graphische Darstellung Abb. 6. Adduktoren. Versuch vom 2. März 1914. Linkes Adduktorenpräparat einer &-Rana temp. durch x -Öffn.ind.- strom (R.-A. 70 mm) direkt maximal gereizt. Z.temp. 10,3% C. Luftdr. 729,3 mm Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Galv.empf. 224 mm- Skal.t. Umfassende Thermosäule a. Im Thermostromkreis 230 Ohm Zus.- wid. K.temp. 10,8° C. .. Be En MoRaz Be D Wärme in Länge der | Zuckungs- | Arbeit in 11: 3 Zeit ne Muskeln in| höhe in Gramm- ner er ın Gramm | Millimetern |Millimetern | Millimetern ee A058 6,1 40 59 5 38,4 6,0 (6,0) 30,0 39 (39) 5 00 6,0 39 502 5,6 45 3 ! 19 40,1 5,6 (5,6) 106,4 45 (46) 4 5,6 47 3.6 5 57 7 38 41,3 506,1) 193,8 56 (56) 8 5,1 56 5 10 4,4 66 11 \ 78 42,8 4,4 (4,4) | 343,2 64 (65) 2) 4,4 j 65 5 14 3,8 68 in ' 126 43,9 . (3,8) 478,8 en (67) 6 g, 518 | 32 69 19 ' 196 45,4 31 (82) ' 627,2 e (68) 20 | 32 529 3,8 62 33 126 44,6 a. (3,8) 478,8 62 (62) 24 3, 62 5, 26 4,4 57 27 ng 43,7 4,3 (1,3) 335,4 56 (56) 28 4,3 56 5 83 Sl 45 31 38 42.5 nl) 193,8 44 (44) 32 5,1 44 5 34 5,6 37 2: 19 41.3 59515,) 104,5 36 (36) 3 55 34 58 5,8 25 3 \ 5 39,4 5,8 (5,8) 29,0 - 25 (25) 0 57 26 Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 307 R.temp. 11,0° C. Galv.empf. 223 mm-Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0-103 Amp. Luftdr. 729,3 mm Hg. Z.temp. 10,3° C. Gewicht der Muskeln 1,24 g. Graphische Darstellung Abb. 5. WERE 720 60 WM ZOO EDEN ZOO 7300 20018. Abh. 5. Versuch vom 2. März 1914 an den Adduktoren. WE 720 60 0 20 0 60 50 0 20 70 760 780 200B Abb. 6. Versmeh vom 3. März 1914 am Gastrocnemius. Bei diesen Versuchen kommt also das verschiedene Verhalten von Gastrocnemius und Adduktoren wieder besonders deutlich zum Ausdruck; die Versuche sind auch insofern besser vergleichbar, als sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen unter mög- lichst gleichen Bedingungen angestellt wurden. Bei sinkender Be- 308 K. Bürker: lastung zeigt sich auch hier das verschiedene Verhalten der beiden Präparate wie bei den vorhergehenden Versuchen. Beim Gastrocnemius hat die Länge um 12,0% zu-, die Zuckungs- höhe um 37,5 % ab-, die Arbeit um das 24,5fache, der Energieaufwand dagegen nur um das 1,6fache zugenommen. Entsprechende Werte bei den Adduktoren sind 18,2 und 46,7%, das 20,9- und 1,7fache. Zur Ergänzung der bisherigen Versuche sei noch ein weiterer mit- geteilt, der am Doppeladduktorenpräparat eines kleineren Frosches angestellt wurde, bei welchem aber dieselbe umfassende Thermosäule ‘wie bei den bisherigen Versuchen zur Verwendung kam. Doppeladduktorenpräparat. Versuch vom 4. März 1914. Doppeladduktorenpräparat (linkes und rechtes) einer d-Rana temp. durch x -Öffn.ind.strom (R.-A. 40 mm) direkt maximal gereizt. Z.temp. 11,5° ©. Luftdr. 728,6 mm: Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0-103 Amp. :Galv.empf. 228 mm-Skal.t. Umfassende Thermosäule «a. Im Thermostrom- kreis 230 Ohm Zus.wid. K.temp. 12,0° C. n SR: Wärme in Länge der | Zuckungs- | Arbeit in “11: Zeit > une Muskeln in | höhe in Gramm- ' un Gramm [Millimetern | Millimetern| Millimetern h teilen 5.0 3,1 30 1 5 31,1 5,1 (5,1) 25,9 30 (30) 2 5,1 29 De 4,9 \ j sl 5 9 31,8 4,9 (4,9) 44,1 30 (81) 6 4.9 J U 31 8 4,6 38 9 19 33,4 4,7 (4,6) 87,4 35 (85) ‚10 4,6 35 5 1 4,2 42 13 38 34,9 4,3 (4,2) 159,6 40 (41) 14 4,2 40 Se 3,6 50 17 18 36,6 3,6_(3,6) 280,8 50 (50) 18 3,6 49 5 20 a 54 21 126 37,9 3,1 (3,1) 390,6 55 (59) 92 3,1 56 594: DA 58 25 196 39,3 2,7. (2,7) 529,2 58 (58) 26 N Sr 5 238 32 55 29 126 38,7 3,2 (3,2) 403,2 52 (54) B 3,2 54 Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 309 Länge der | Zuckungs- | Arbeit in Wärme in RE Belastung = E & 2 zZ, Millimeter- Zeit 5 Muskeln in | höhe in Gramm- E ä \ [a Gramm | Millimetern | Millimetern | Millimetern] een al eılen 5. 32 3,7 ( 45 33 78 38,0 37 (3,7) 288,6 43 (45) 34 37 I 4 556 43 39 3 38 36,8 4.3 (43) 1634 |. 39 (39) 38 43 38 5 40 (| #8 33 al 19 35,7 4.8 (4,8) 33 (33) 2 U &#s 32 5 44 52 30 45° 9 34,4 516,1) 45,9 28 (28) 46 51 25 5 48 53 25 49 5 33,4 52 (52) 25 (25) 50 52 25 K.temp. 12,1% C. Galv.empf. 227 mm-Skal.t.’ Akk. bei 200 Ohm 10,0-103 Amp. Lufdr. 728,5 mm Hg. Z.temp. 11,6° C. Gewicht der Muskeln 1,40 g Graphische Darstellung Abb. 7 (S. 310). Das Resultat ist prinzipiell das gleiche wie bei dem zuletzt genannten einfachen Adduktorenpräparat, also sehr typisch; die Werte für die Wärme liegen nur etwas tiefer, was in Anbetracht des Doppelpräparates, von dem jedes einzelne Präparat nur halb so stark wie vorher belastet war, zu erwarten ist. Auch der ganze Verlauf der Kurven ist sehr ähnlich, das Verhalten bei sinkender Belastung entsprechend. Die Länge hat unter den gleichen Verhältnissen um 26,4% zu-, die Zuckungshöhe um 47,1% ab-, die Arbeit um das 20,7fache und der Energieaufwand um das 1,9fache zugenommen. Bei einem Rückblick auf die mit der umfassenden Thermo- säule angestellten vergleichenden Versuche sei noch auf einen Punkt hingewiesen. Aus meinen Protokollen geht leider nicht hervor, ob die Gastrocnemien direkt oder indirekt gereizt wurden: ich möchte aber ersteres annehmen. Selbst wenn aber die Reizung eine indirekte gewesen sein sollte, so hat dies nichts zu sagen, denn indirekte und direkte Reizung führen, sofern die Reizung nur eine maximale ist, bei gleicher mechanischer Leistung zu demselben Energie- aufwand, wie mich frühere Versuche gelehrt haben !). Ferner wurde 1) Dieses Archiv Bd. 116, S. 91. 1907. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 21 310 K. Bürker: bei den früher schon veröffentlichten vergleichenden Versuchen am Gastroenemius und den Adduktoren nur direkte Reizung angewandt “> En La os a Bere Se 020° 40.6080 00 720 0NNTCON T7E0RNZ00B, Abb. 7. Versuch vom 4. März 1914 am Doppeladduktorenpräparat. I Era - Zgzumee As ut I/II us E 280 240 200 PaBzEı || PEArZEeT ERERBBE H 2 E90 000.702 70080290) a. = 3 4 Abb. 8. Kurve: an des Galvanometers nn Wärme- ausschlag (E u. W). Untere Kurve: Empfindlichkeit des Galvanometers und Schwingungsdauer des Magnetsystems (# u. 8). und dabei auch das typisch verschiedene Verhalten der beiden Prä- parate beobachtet !). Um die Resultate sicherzustellen, wurden auch noch vergleichende Versuche mit der Gittersäule und dem einfachen Thermoelement an- 1) Dieses Archiv Bd. 116 S. 77. 1907. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 311 geschlossen. Bei der Gittersäule werden die inneren, mittleren Löt- stellen zwischen zwei Muskeln gebracht, die äusseren rechts und links davon mit je einem Doppelstreifehen angefeuchteten, aschefreien Filtrierpapiers völlig bedeckt. b) Untersuchungen mit der Gittersäule. Doppelgastrocnemius. Versuch vom 21. März 1914. Doppelgastroenemiuspräparat einer d-Rana temp. durch x -Öffn.ind.- strom (R.-A. 40 mm) direkt maximal gereizt. Z.temp. 11,0°C. Luftdr. 716,6 mm Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Galv.empf. 218 mm- Skal.t. Gittersäule. Im Thermostromkreis 230 Ohm Zus.wid. K.temp. 11,3°C. | N mess Länge der | Zuckungs- | Arbeit in “11: Zeit Bartuns Muskeln in| höhe in Gramm- Mr no. ın Gramm | Millimetern | Millimetern | Millimetern een 11 14 f| 2 592 15 5 33,2 2,7 (2,7) 13,5 46 (49) 16 \ 27 48 IS 2,8 50 19 9 38,7 2,8 (2,8) 25,2. 49 (49) 20 2,8 48 11 2 3,0 57 23 19 34,7 3,0 (3,0) 57,0 58 (57). 24 3,0 57 11 26 ne 3,0 71 27 38 35,6 3,0 (8,0) 114,0 74 (72) 28 3,0 70 11 30 2,9 \ 95 31 78 36,8 2,9 (2,9) 226,2 94 (95) 32 2.9 j 97 11 3% 2,7 115 35 126 37,6 2,7 2,7) 340,2 112 (113) 36 2,7 113 11 88 2,4 139 39 196 38,5 2,4 (2,4) 470,4 136 (137) 40 2,4 135 Er |) 2,7 122 43 126 38,2 2,7 (2,7) 340,2 117 (119) ml 27 117 11 46 3,0 99 47 78 37,7 2,9 (2,9) 296,2 96 (96) 48 2,9 94 11 50 31 78 51 38 36,9 31 @1) 117,8 72 (73) 52 3,1 Imzo 91* 312 K. Bürker: $: R OR an: in „| Länge der | Zuckungs- | Arbeit in 7: 2 Zeit one Muskeln ın | mohekn Gramm- Mer Ä ramm | Millimetern| Millimetern] Millimetern ai h teilen 54 3,1 62 55 19 36,1 1 (3,1) 58,9 98 (59) 56 3,0 RN 57 10058 3,0 49 59 9 35,2 3,0 (3,0) 27,0 48 (47) 12 00 2,9 45 122759 2,9 44 5 5 34,6 2,9 (2,9) : 14,5 44 (44) 4 2,8 43 K.temp. 11,7% C. Galv.empf. 316 mm-Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Luftdr. 716,6 mm Hg. Z.temp. 11,6° €. Gewicht der Muskeln 1,21 g. Graphische Darstellung Abb. 10 (8. 314). Doppeladduktoren. Versuch vom 21. März 1914. ' Doppeladduktorenpräparat einer d-Rana temp. durch x -Öffn.ind.- strom (R.-A. 40 mm) direkt maximal gereizt. Z.temp. 11,5° C. Luftdr. 716,5 mm Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0:-10—3 Amp. Galv.empf. 236 mm- Skal.t. Gittersäule Im Thermostromkreis 230 Ohm, Zus.wid. K.temp. 12,00 ©: 1a Länge Arbeit Wärme Be- | Zuckungs- : 8 ae B lastung se , Uus- Haba 5 ‘in in Milli- Zeit en an EM win a Bemerkungen Gramm |” .,. "| metern ni 2 NG metern metern teilen 28 |] 5,0 42 19 5 30,8 5,0 (8,0) 25,0 41 (41) 20 1J 9 40 4 22 4,8 ıı# 3 9 3l,D 4,8 (4,8) 43,2 3. (43) 24 . 48 U 4 26 4,5 51 27 19 32,8 4,5 (4,5) 85,5 52 (58) 28 4,6 55 43 4,1 65 31 38 34,1 4,1 (4,1) 155,8 66 (66) 32 4,1 67 4 34 39 8 35 18 35,5 3,5 (39) 273,0 83 (8) 36 3, 86 Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 313 Arbeit Far ar ? ‘Wärme Be- der N Anus, in in Milli- Zeit lastung keln i Elli Gramm-| meter- | Bemerkungen an in Milli-j '% ran Milli- | Skalen- a ramm | metern TUSLELL metern teilen 4 838 | 3,0 \ ; | 97 3 126 36,6 3,0 (8,0) 378,0 99 (98) 40 \| 30 m: a, 4 49 2,4 108 n ee Biss | 37 !| Ss |Nasoo J| 103 aoo) | nee Sr 44 \ 2,3 108 ndlienreis ‚I von 2 um Y 614 93 103 weiter untersucht. d o 15 196 38,7 2,3 (2,3) uns J 101 (101) 16 2,3 U 6 18 al 96 19 | 126 38,1 311) \uo0s | 95 (96) > JS 31 j 96 022 DU 88 23 18 37,4 3,7 (3,7) \osss J 87 (88) 24 3,7 I 8 6 26 4,6 75 27 33 86,4 4,6 (4,6) Ins 3 (14) 28 4,6 74 6 30 9,2 64 sl 19 35,4; 52 (5,2) 98,8 8 33 (69) 32 32 62 6 34 5,6 56 35 9 34,1 5,6 (3,6) 0a 51 (53) 36 5,6 53 6 38 91 50 3 5 32,9 9,7 (5,7) 28,5 46 (47) 40 5,6 45 K.temp. 12,2° C. Galv.empf. 219 mm-Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0-1073 Amp. Luftdr. 717,2 mm Hg. Z.temp. 11,5%°C. Gewicht der Muskeln 1,10 ge. Graphische Darstellung Abb. 9 (5. 314). Beim Doppelgastroenemiuspräparat hat also bei Belastungen von 5—196 g die Länge um 16,0% zu-, die Zuckungshöhe um 11,1% ab-, die Arbeit um das 34,Sfache, der Energieaufwand aber nur um das 2,Sfache zugenommen. Entsprechende Werte beim Doppeladduktoren- präparat sind 22,4 und 50,0 %, das 19,6- und 2,6fache. Das Doppelgastrocnemiuspräparat zeigt also, mit der Gitter- säule untersucht, ungefähr das gleiche Verhalten wie das einfache Präparat bei Untersuchung mit der umfassenden 'Thermosäule; nur 314 K. Bürker: ist das Doppelpräparat, da die gleiche Last nur halb so stark wirkt, weniger ermüdbar. Beim Doppeladduktorenpräparat sind die mechanischen Leistungen ihrer Art und Grösse nach etwa die gleichen wie bei früheren Präparaten; der Energieaufwand ist aber hier grösser. Dem niedersten 0 "7200 4060780" 700° 720 720 V7EONN E20; Abb. 9. Versuch vom 21. März 1914 am Doppeladduktorenpräparat. WL 120 60 700 50 80 40 60 30 40 20 20 %0 Bel |, mu 0 20 w 60 80 WO 70 Wo 7160 7180 2008 Abb. 10. Versuch vom 21. März 1914 am Doppelgastrocnemiuspräparat. und höchsten Wert beim Doppelgastrocnemius von 49 und 137 mm- Skalenteilen stehen bei den Doppeladduktoren Werte von 41 und 106 gegenüber, sind also nicht um soviel kleiner als gewöhnlich. Das kommt zum Teil daher, dass die Galvanometerempfindlichkeit bei dem Versuche mit den Adduktoren grösser war; auf gleiche Empfind- lichkeit berechnet, ergeben sich Werte von 38 und 98; aber auch dieser Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 315 Wert 98 liegt noch höher als alle bisher am Adduktorenpräparat be- obachteten Werte. Man könnte zunächst denken, dass diese Abweichung auf die ver- schiedene Methode — Untersuchung mit der Gittersäule statt wie bisher mit der umfassenden Thermosäule — zurückzuführen ist. Dem widerspricht aber ein Versuch, den ich früher schon mitgeteilt habe !), und bei dem der linke und rechte Gastrocnemius jeder für sich mit der umfassenden Thermosäule, darauf beide zusammen mit der Gitter- säule untersucht wurden: war das Doppelpräparat mit dem doppelten Gewicht belastet, dann gab auch die Gittersäule denselben Wert wie die umfassende Thermosäule an. Die Erklärung scheint mir vielmehr die zu sein, dass hier zwei in thermodynamischer Beziehung sehr leistungsfähige Präparate vor- lagen, wie es die Präparate von Tieren zu sein pflegen, welche im Institut überwintert haben ?), und die Präparate stammten in der Tat von solchen Tieren. Bei dem Doppelgastrocnemius bestand auch entschieden die Tendenz, mit steigender Belastung den Energie- aufwand noch weiter wesentlich zu steigern, wie aus der Steilheit der Kurve hervorgeht, während die Kurve der Adduktoren nicht mehr weit vom Gipfel entfernt gewesen sein kann. Man muss eben bedenken, dass die Doppelpräparate nicht doppelt so stark belastet wurden wie die einfachen; bei Doppelbelastung hätte sich bestimmt ein wesentlich höherer Wert beim Gastrocnemius ergeben, und das bisher beobachtete Gesetz wäre wieder voll zum Ausdruck gekommen. Die geringere Inanspruchnahme der Adduktoren geht auch daraus hervor, dass sich bei sinkender Belastung Werte für den Energie- aufwand ergeben, die nicht, wie gewöhnlich, niederer, sondern sogar noch höher als bei steigender Belastung liegen. Dass diese Erklärung die richtige ist, zeigt auch der letzte mitzuteilende Versuch, bei dem ein einziges Thermoelement zur Anwendung kam, und bei dem der Energieaufwand der Adduktoren gleichfalls höher als gewöhnlich, wenn auch nicht so hoch wie im letzten Versuche, war, der des Gastrocnemius aber den bisher noch nicht beobachteten Wert von sogar 159 erreichte. Auch die bei diesem Versuche verwendeten Präparate waren Doppelpräparate, eigentlich nur halb belastet und stammten von Tieren, die gleichfalls im Institut überwintert hatten. ce) Untersuchungen mit dem einfachen Thermoelement. Das bei diesem letzten Versuch verwendete einfache Thermo- element war besonderer Art. Es sollte nämlich die mit dem tätigen 1) Dieses Archiv Bd. 109, S. 241. 1905. 2) Siehe die Arbeit des Verfassers in diesem Archiv Bd. 109, S. 246. 1905. 316 K, Bürker: Muske‘ in Berührung kommende Lötstelle und die auf konstanter Temperatur zu haltende samt den angrenzenden Drähtchen ganz von Muskeln bedeckt und möglichst weit voneinander entfernt sein, um den Fluss der Wärme nach der kälteren Lötstelle hin mögl chst zu verzögern. Abbildung 11 zeigt das auf Elfenbein montierte Element. An der Lötstelle L, stösst Kupfer- an Eisendraht, bei L, Eisen- an Kon- stantandraht, bei L, Konstantan- an Eisen- draht, bei /, Eisen- an Kupferdraht. Die Lötstellen sind mit Hartlot (Silber) hergestellt. Die 0,1 mm dicken Drähtchen sind mit Aus- nahme der Lötstellen L, und L, und der an- erenzenden Teile der Drähtchen in das Elfen- bein versenkt. Die Lötstellen L, und L, und die angrenzenden Drähtcher werden ganz von je zwei Muskeln umfasst, von denen die L, bedeckende Muskelgruppe in Tätigkeit ver- setzt wurde, die /, bedeckende aber ruhte. Dieses Element kam sowohl beim Doppelgastrocnemius- als auch beim Doppeladduktorenpräparat zur Verwendung. Sehr bemerkens- wert ist, dass der Wärmeausschlag im Galvanometer, wie zu erwarten war, sehr langsam wieder zurückging, was dafür spricht, dass die gewünschte Verzögerung des Wärmeflusses nach der antagonistischen Lötstelle hin erreicht war. Bei der grösseren Entfernung der Lötstellen voneinander war aber auch kein so ruhiger Stand des Magnetsystems zu erzielen wie bei anderen 'Thermoelementen und Thermosäulen. Abb. 11. Thermoelement. (?/1o nat. Grösse.) Doppelgastroenemius. Versuch vom 30. März 1914. Doppelgastroenemius einer d-Rana temp. durch x -Öffn.ind.strom (R.-A. 40 mm) direkt maximal gereizt. Z.temp. 9,5° C. Luftdr. 738,7 mm He. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10=3 Amp. Galv.empf. 227 mm-Skal.t. Einfaches Thermoelement mit der Lötstelle zwischen den beiden Muskeln. Im Thermostromkreis kein Zusatzwiderstand. K.temp. 9,6° C. ) ee Mas Wärme in Länge der | Zuckungs- | Arbeit in | 17:1: Zeit B ne Muskeln in| höhe in Gramm- Ma ın Sram | Millimetern | Millimetern [Millimetern h teilen 10 3 3,9 88 3) 5 31,5 3,6 (3,6) 18,0 84 (85) 36 3,6 84 10 38 37 87 N a 9 32,1 3,7 (8,7) 33,9 86 (86) 40° 1 i 6 0) Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 317 " Täyp 1 Länge der | Zuckungs- | Arbeit in nun . Belastung RR Millimeter- Zeit : 5 | Muskeln ın | höhe in Gramm- Sn. are in Gramm Millimetern| Millimetern | Millimetern a 10 42 (| 38 (| & 43 19 33,0 3,8 (3,8) 722 92 (91) 44 U 3% I 8 4 |} (| 37 \ 103 48 38 33,9 ran 140,6 103 (103) so er f 103 053 |} 3,5 \ 122 55 78 35,0 35 (6,5) 273,0 122 (122) Ss |h| 3,5 f 121 0 | (| 2 140 2 126 35,7 32 (32) 403,2 132 (135) a! N 32 133 N 2,9 \ 156 9 196 36,5 28 (2,8) 548,8 160 (159) | 28 j 160 11 14 j| 2 gl 1a 16 126 36,1 32 (32) 403,2 139 (136) 18 U 32 U 189 1 3,4 120 »3 18 35,5 34 (3,4) 265,2 119 (120) 5 (J 3,4 121 11 28 3,5 96 30 38 34,7 3,5,(3,5) 133,0 97 (97) 32 3,6 98 1 8 3,6 77 37 19 33,9 3,5 (3,5) 66,5 76 (76), 3 35 5 11 42 3,5 | 59 44 9 33,1 35 (8,5) 31,5 63 (61) 46 35 | 62 11 49 3,5 \ (| 51 5 32,5 34 (3,4) 17,0 59 (57) 53 34 j II K.temp. 10,3°C. Galv.empf. 230mm -Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0: 10-3 Amp. Luftdr. 739.0 mm Hg. Z.temp. 10,0°C. Gewicht der Muskeln 1,672. Graphische Darstellung. Abb. 13 (S. 319). Doppeladduktoren. Versuch vom 27. März 1914. Doppeladduktorenpräparat einer d -Rana temp. durch xy -Öffn.ind.- strom (R.-A. 40 mm) direkt maximal gereizt. Z.temp. 11,0°C. Luftdr. 721,2 mm Hg. Akk. bei 200 Ohm 10,0-10—3 Amp. Galv.empf. 210 mm- 318 K. Bürker: Skal.t. Einfaches Thermoelement mit der Lötstelle zwischen den beiden Muskeln. Im Thermostromkreis kein Zusatzwiderstand. K.temp. 11,0° C. Belastume | Lanze der | Zuckungs- | Arbeit in en Zeit N en 5 | Muskeln in| höhe in Gramm- Skal ' "2 | Millimetern | Millimetern | Millimetern a BE a een teilen 11 50 ; 6,1 43 51 5 35,5 6,1 (6,1) 42 (42) 52 6,1 41 11 54 \ 6,1 49 55 g 36,2 6,1 (6,1) 54,9 48 (49) wol 6,1 50 11 58 | 1 f 62 59 19 37,7 5,7. (5,7) 108,3 59 (61) 60 il 58 leer: 122 5,1 \ ? 3 38 39,2 5,2 (5,1) 193,8 ? (72)') 4 51 J 72 128 \ 4,1 80 ) 18 40,9 4,2 (4,2) 327,6 78 (78) 0 1 42 76 12° 12 3,9 84 13 126 42,1 35 (8,5) 441,0 83 (84) 14 3,9 84 12 16 2,8 91 lg 196 43,6 9,8 (2,8) 548,8 93 (93) 18 2,8 95 12 20 3,9 86 21 126 42,8 3,5 8,5) 441,0 84 (85) 23 3,9 84 12" 26 4,2 f 77 98 78 42,1 4,2 (4,2) 397,6 73 (76) 30 42 | a 12 32 \ 5,3 66 3 38 40,8 5,3 (9,3) 201,4 66 (66) ss If 52 67 1003 6,0 54 39 19 39,6 6,0 (6,0) 114,0 54 (54) 40 6,0 58 12 42 6,4 45 43 IE 38,0 6,4 (6,4) 46 (46) 44 6,3 46 12 46 6,3 43 47 5) 37,0 6,3 (6,3) 42 (43) 48 6,3 43 1) Galvanometerempfindlichkeit nur noch 205 mm-Skalenteile. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 319 K.temp. 11,2° C. Galv.empf. 202 mm-Skal.t. Akk. bei 200 Ohm 10,0-1073 Amp. Luftdr. 722,1 mm Hg. Z.temp. 11,0°C. Gewicht der Muskeln 1,27 ge. Graphische Darstellung Abb. 12. 700 0 20 w 60 80 70 10 0 70 780 2008 WL A 740 70 700 120 60 600 100 50 500 80 40 +00 60 30 300 40 20 200 20 7% 700 0 20 % 60 80 %0 n0 0 7100 180 2008 Abb. 13. Versuch vom 30. März 1914 am Doppelgastrocnemiuspräparat. Auch dieser Versuch bestätigt also die Regel: die Adduk toren vermögen bei wesentlich geringerem Energieaufwande gleichvie oder sogar meist mehr mechanisch zu leisten als der Gastrocnemius: Im gegebenen Fall hat beim Doppelgastrocnemius in dem Belastungs- intervall von 5—196 g die Länge um 15,9% zu-, die Zuckungshöhe 320 K. Bürker: um 22,2%, ab-, die Arbeit um das 30,5fache, der Energieaufwand aber nur um das 1,9fache zugenommen, während die entsprechenden Werte bei den Doppeladduktoren 22,3 und 54,1%, das 18,0- und 2,2fache sind. d) Gesamtergebnis. Bei einem Rückblick auf die nach verschiedenen Methoden. durchgeführten Versuche ergibt sich als sicheres Resultat: die Adduktoren (Semimembranosus und Gracilis) und der Gastroenemius. verhalten sich in thermodynamischer Beziehung ganz verschieden, indem die ersteren bei geringerem Energieaufwande mechanisch mehr: zu leisten vermögen als der letztere, also einen grösseren Wirkungsgrad. erreichen, aber weniger ausdauernd sind. Zur Erklärung erhebt sich zunächst die Frage, ob das anatomische Substrat entsprechende Verschiedenheiten aufweist; das ist in der Tat der Fall. Legt man die beiden Präparate zur Isolierung der Muskel- fasern in 33%, Kalilauge und untersucht nach einiger Zeit unter dem Mikroskop, so sieht man zwar beide Präparate dünne und dicke Fasern: enthalten, beim Gastrocnemius ist aber der Kontrast besonders gross, indem neben sehr dünnen besonders dicke Fasern vorkommen. Auch die natürliche Färbung und vor allem die Länge der Fasern weist in beiden Präparaten Verschiedenheiten auf. Eine genauere histologische: Untersuchung muss hier einsetzen. Grundverschieden ist ja auch der ganze Aufbau der Muskeln aus. diesen Fasern. Der physiologische Querschnitt des Gastrocnemius. als eines gefiederten Muskels ist wesentlich grösser als der der Adduk-. toren; die Belastung seiner einzelnen Fasern war alsö unter den Be- dingungen der mitgeteilten Versuche kleiner, und doch ist die Wärme-. bildung bei rückgängig gemachter Arbeit grösser als bei den Adduk- toren; das weist auf spezifische Verschiedenheiten des Substrats und. der Funktion hin. / Was die energiespendende Substanz dieser chemodyna- mischen Maschinen betrifft, so steht diese offenbar dem Gastro- cnemius in grösserer Menge zur Verfügung als den Adduktoren. Bei früheren Untersuchungen !) habe ich schon darauf hingewiesen, dass. als relatives Maass des Energievorrates die Summe der Wärmeausschläge gelten kann, welche man erhält, wenn man den Muskel bis zur Er- schöpfung isotonische Einzelzuckungen mit rückgängig gemachter- Arbeit ausführen lässt. Noch rascher kommt man mit isometrischen Zuckungen bzw. Tetanus zum Ziel. Hill?) hat gezeigt, dass die gesamte entwickelte Spannung ein Maass für den Gesamtenergieaufwand ab- 1) Dieses Archiv Bd. 116, S. 47. 1907. 2) A. a. ©. 8. 447. j Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 321] gibt, so dass die relativ einfachen Spannungsmessungen bis zu einem gewissen Grade die immerhin schwierigen Wärmemessungen ersetzen können. Lässt man nun vergleichend die Adduktoren und den Gastrocnemius desselben Tieres bis zur Erschöpfung isometrisch zucken und zeichnet die Zuckungshöhen graphisch auf, so ist das von diesen erfüllte Flächen- areal bei den Adduktoren wesentlich kleiner als beim Gastrocneminus. - Versuch vom 30. September 1918. Das linke Adduktorenpräparat einer Q-Rana temp. (Gewicht 0,96 g) ‚wird in Verbindung mit dem Spannungszeichner des Verfassers!) gebracht und jede Sekunde durch Öffn.ind.strom (R.-A. 62 mm) direkt maximal gereizt?2). Darauf wird mit dem rechten Gastrocnemius desselben Tieres (Gewicht 0,72 g) in gleicher Weise verfahren (R.-A. 66mm). Z.temp. 15,0°C. Graphische Aufzeichnung Abb. 14 (S. 322). Das energiespendende Material steht also offenbar dem Gastrocnemius in grösserer Menge zur Verfügung als den Adduktoren. Auch bei der Starre verhalten sich beide Präparate verschieden. Es liegt nahe, mit chemischen quantitativen Methoden diese Versuche zu erweitern. Und endlich erhebt sich noch die Kardinalfrage, welche von den in vorliegender Arbeit genauer untersuchten Variabeln sich am besten als unabhängige Veränderliche eignet. M. Blix ist auf Grund seiner Versuche für die Länge des Muskels eingetreten; ihm hat sich O. Frank angeschlossen. Wie ungeeignet, die Arbeit als unabhängige Veränderliche besonders bei diesen vergleichenden Versuchen ist, darauf wurde schon auf S. 301 hingewiesen; denn eine wesentlich grössere Arbeit können die Adduk- toren mit wesentlich kleinerem Enersieaufwand bestreiten als der Gastroenemius. Bleibt nur noch die Ausgangslänge und die Zuckungs- höhe oder die aus beiden abzuleitende Länge des Muskels auf der Höhe der Kontraktion. Ein Blick auf die mitgeteilten Kurven ergibt, dass die Abhängigkeit des Energieaufwandes von diesen Werten wesentlich verschieden bei den beiden Präparaten ist; die Änderungen in der Länge und den Zuckungshöhen sind bei den Adduktoren grösser, die entsprechenden Änderungen im Energieaufwande aber kleiner als beim Gastrocnemius. Die Entscheidung ist dadurch erschwert, dass die beobachteten Werte sich beim Gastrocnemius au! den Gesamt- muskel und nicht auf die Muskelfasern selbst, die sich in diesem Muskel in schräger Anordnung befinden und nur etwa ein Drittel der Gesamt- 1) Siehe dieses Archiv Bd. 88, S. 107. 1902. 2) Anderer Induktionsapparat als der bisher verwendete. Die Aus- schläge des Schreibhebels sind proportional den Spannungen; im ge- gebenen Falle entspricht 15,7 mm Ausschlag einer Spannung von 500 g. 322 K. Bürker: . NUN Add. Gastr. Add. Forts. Gastr.. Add. Forts. Gastr. Abb. 14. Versuch vom 30. September 1918. Fortlaufende isometrische Zuckungen der Adduktoren (oben) und des Gastrocnemius (unten) desselben Tieres. Sekundenmarken. Experimentelle Untersuchungen zur Thermodynamik des Muskels. VI. 393 länge des Muskels und weniger ausmachen, beziehen. Es’ entstehen hier analoge Schwierigkeiten, wie sie E. du Bois-Reymond!) bei Beurteilung mancher elektrischer Erscheinungen an diesem Muskel vorfand. Ehe diese Schwierigkeiten unter Zuziehung histologischer Methoden und vergleichender Messungen der Fasern nicht beseitigt sind, lässt sich die Frage nicht genau entscheiden. Doch scheint auch mir die Ausgangslänge als unabhängige Veränderliche zur Voraussage der stattfindenden Wärmetönung bzw. des Energieaufwandes den: Vorzug zu verdienen und der Blix’sche Spruch „Länge macht Wärme‘ die Verhältnisse am besten zu beschreiben. 4. Zusammenfassung und Schluss. Die neueren Hill’schen Untersuchungen geben mir keine Ver- anlassung, an der bisher geübten Methodik wesentliche Veränderungen vorzunehmen. Eine elektrische Isolierung der Thermoelemente gegen Kurzschluss, Reiz- und Aktionsstrom ist nur unter besonderen Umständen erforder- lich. Sofern sich eine einwandfreie, die Temperaturmessung nicht störende Isolierung finden lässt, ist sie natürlich erwünscht. In der. Zeit von 0,6—5,2 Sekunden nach der Zuckung findet bei meiner Methode ein nennenswerter Temperaturausgleich zwischen inneren und äusseren Lötstellen nicht statt. Adduktoren und Gastrocnemius verhalten sich in thermodynamischer Beziehung ganz verschieden, indem die ersteren bei geringerem Energie- aufwand mechanisch mehr zu leisten vermögen als letzterer, aber leichter ermüden. Dieses verschiedene Verhalten ist auf qualitative Verschiedenheiten des anatomischen Substrats und der Funktion zurück- zuführen. Das gesamte energiespendende Material dieser chemodynamischen Maschinen ist in den Adduktoren in geringerer Menge vorhanden als im Gastrocnemius. 1) E. du Bois-Reymond, Über das Gesetz des Muskelstromes mit besonderer Berücksichtigung des M. gastrocnemius des Frosches. Archiv f. Anat., Physiol. u. wissensch. Medizin Jahrg. 1863, S. 529. Über einen eigentümlichen Reflex der Fenerunken nebst Bemerkungen über die „tierische Hypnose“. Von Prof. L. Löhner, z. Z. im Felde. (Aus dem physiologischen Institute der Universität Graz.) Mit Tafel IV. (Eingegangen am 3. November 1918.) Inhaltsübersicht. Seite 1.. Binleitungs.ı\.. a, 0. a al ul ee 324 II. Über Eintritt, Kennzeichen, Eigenschaften und Beeinflussung des Meflexes. : ... N... nellae ren ee a 325 11." Ausschaltungssversuche‘. ..). - ......... 00. u se 3937 IV... Wesen. und Bedeutung des’ Retlexes .7. .. u See er 341 7. Zusammenfassung ’. ua me. Se ee 349 VL. :Tafelerklärung.. ...... ua. ar. 22 N Bpy1 I. Einleitung. Bei unseren heimischen Unken kann ein höchst bezeichnender, den Gesamtkörper umfassender Reflex in Erscheinung treten, von dem ich bei seiner Augenfälligkeit wohl kaum annehmen möchte, dass er vollständig unbeachtet geblieben ist, der aber jedenfalls in der physiologischen Literatur noch keine Würdigung erfahren hat. Ergreift man plötzlich ein am Rande seines Wassergrabens ruhig sitzendes Exemplar von Bombinator igneus Laur.!) und lässt es ebenso rasch wieder los, so sieht man meist eine eigentümliche, überraschende Veränderung mit dem Tiere vor sich gehen, wie sie gleicherweise keinem anderen unserer Anuren zukommt. Unter gleichzeitiger Ein- stellung jeder Art von Bewegung nimmt das Tier nunmehr eine Haltung ein, die durch die beigegebenen Abbildungen (Tafel IV, Abb. 3—8) besser als durch jede Beschreibung klargemacht werden kann. Eine maximale Zurückbiegung des vorderen und hinteren Körperendes (Opisthotonus) bei gleichzeitiger stärkster Beugung und Hebung der Extremitäten, verbunden mit einer Auswärtsrollung der Plantarflächen, verleiht dem nur mit der Bauchfläche auf der Unterlage aufruhenden Körper Kahnform. Der absonderliche hierdurch hervorgerufene Eindruck er- 1) Bombinator pachypus Bp. zu untersuchen fehlte mir die Gelegenheit. 7 Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 325 fährt noch eine Steigerung durch den Umstand, dass durch diese Haltung Teile der gelbschwarz gezeichneten Unterseite des Tieres sichtbar werden. Wie vorweg bemerkt werden soll, handelt es sich hier nach der ganzen Sachlage offenbar um einen Typus von Reflexen, den man zum Beispiel bei verschiedenen Formen von Gliederfüssern antrifft,. der aber für Lurche in dieser Art nicht bekannt ist, nämlich um einen sogenannten Schreck- oder Warnstellungsreflex. Zweifellos bestehen auch nahe Beziehungen zu dem an Fröschen beobachteten, als ‚tierische Hypnose‘ bezeichneten Symptomenkomplex. II. Über Eintritt, Kennzeichen, Eigenschaften und Beeinflussung. des Reflexes. Wie bereits angedeutet wurde, tritt der Reflex bei einem frisch gefangenen Tiere meist schon auf, wenn man es irgendwie berührt, ergreift oder an einem Beine aufhebt. Ganz sicher und prompt wirken in dieser Hinsicht aber Druck- und Berührungsreize, die die Mittellinie der Rückenfläche treffen. Ein einmaliges mässig starkes Andrücken eines Holzstäbchens, einer Nadel und dergleichen in dieser Körper- region genügt in der Regel für die Auslösung des Reflexes in seiner’ maximalen Entfaltung. Ist diese noch nicht erreicht, so erweist sich‘ eine ein- oder mehrmalige Wiederho’ung dieser Berührungen als wirksam; es findet also eine Summation von mechanischen Reiz-- Wirkungen statt. Andere Reize, wie Erschütterungen der Unterlage, : Anblasen und grelle, plötzliche Beleuchtung vermögen in selteneren. Fällen ebenfalls den Reflex hervorzurufen; zumindest aber genügen sie, einen bereits bestehenden Reflex zu verstärken oder zu verlängern. Hat der typische Reflex eingesetzt, so muss von charakteristischen Eigenschaften an erster Stelle der Stillstand aller lokomotori- schen Organe und die dadurch bedingte vollständige Bayesuner und Regungslosigkeit des Tieres genannt werden. Das zweite wichtige Kennzeichen ist ein bestimmter Kon- traktionszustand der Muskulatur, der in mancher Hinsicht an die tonischen Krämpfe bei Tetanus erinnert. Versucht man, .den ge- krümmten, durchgebogenen Rumpf oder die eng angezogenen Beine gerade zu strecken, so fühlt man deutlich einen federnden Widerstand; ' . sobald man mit dem Zuge aufhört, schnellt das Bein sofort wieder in die Beugelage zurück. Es liegt demnach hier eine Tonusänderung in der Richtung einer Muskeltonussteigerung vor, ein Umstand, der die Zurechnung des vorliegenden Reflexes zu der Gruppe der tonischen Reflexe im Sinne Verworn’s!) rechtfertigt. Nach der von Man- 1) M. Verworn, Tonische Reflexe. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 65 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 22 326 L. Löhner: gold!) vertretenen Definition des Begriffes Katalepsie kann der im ge- gebenen Falle auftretende Tonuszuwachs auch als kataleptisches Sym- ptom bezeichnet werden; es handelt sich ja auch hier um ‚‚das Tonisch- werden einer bestimmten Stellung‘, ‚um einen bestimmten Kon- traktionszustand der Muskeln, der nicht sofort wieder beseitigt, sondern mehr oder minder lang beibehalten wird“. Folgt man der von Mangold erwähnten Stufenfolge kataleptischer Erscheinungen in ihrer Drei- teilung als ‚leichte Katalepsie‘“, „‚Flexibilitas-cerea-Stufe‘‘ und ‚‚kata- leptischer Brückenzustand‘“, so wird man diesen letzten, durch die relativ stärkste tonische Muskelkontraktion gekennzeichneten Grad hier als gegeben erachten. Betrachtet man charakteristische Ab- bildungen, wie etwa Abb. 3 bzw. 6, so kann.eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von der menschlichen Hypnose her bekannten Zustand der kataleptischen Brücke — das wäre der Zustand extremer, tonischer Kontraktion der Körpermuskulatur, der es möglich macht, den lediglich auf Hinterkopf und Fersen gestützten Körper brückenartig über zwei Stuhllehnen oder dergleichen zu legen — nicht verkannt werden. In der Tat lässt sich eine Unke auf der Höhe des Reflextonus in der Regel derart umdrehen, dass sie, ohne dass ein Lagekorrektionsreflex einsetzt, gleichfalls brückenartig nur auf Schnauzenspitze und Fuss- wurzeln aufruht (Abb. 6). Die eigentümliche Körperhaltung, die wir während des Reflexes zu sehen bekommen, setzt für ihr Zustandekommen allerdings eine verschieden starke Kontraktion der einzelnen Muskelgruppen voraus. Wie schon erwähnt, bietet sich das Bild dar, dass die zentrale Rücken- partie gegenüber dem zurückgebogenen Kopfe und Steissbeinende kahnförmig vertieft erscheint (vgl. Abb. 4 u. 5). Genaueres Zusehen lehrt, dass auch die Wirbelsäule die für das Symptomenbild des Opisthotonus charakteristische Krümmung und Durchbiegung mit ventral gekehrter Konvexität aufweist. Es sind demnach vor allem die langen Rückenmuskeln, wie Musculus longissimus dorsi, M. coceygeo- sacralis?) usw., deren besonderer Kontraktionszustand ausschlaggebend wirkt. Dieemporgehobenen vorderen Extremitäten nehmen eine derartige Haltung ein, dass die nach oben aussen gekehrten Palmarflächen gerade über die Augen zu stehen kommen. Es erscheint demnach hier eine Dorsalstauung des Schultergürtels und Hebung des Oberarmes (vor- wiegend M. latissimus dorsi und M. infraspinatus) kombiniert zu sein mit S. 63—80. 1897. — Beiträge zur Physiologie des Zentralnervensystems. 1. Teil. Die sogenannte Hypnose der Tiere. 92 S. Jena 1898 (G. Fischer). 1) E. Mangold, Hypnose und Katalepsie bei Tieren im Vergleich zur menschlichen Hypnose 8. 65. Jena 1914 (G. Fischer). 2) Nomenklatur nach A. Ecker, Die Anatomie des Frosches $S. 86ff. Braunschweig 1864 (F. Vieweg & Sohn). Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 327 einer mittleren Beugung des Armes im Ellenbogengelenke (besonders M. sternoradialis) und einer überwiegenden Anspannung der Streck- seitenmuskulatur des Vorderarmes. Die Kontraktion dieser Exten- soren, und unter ihnen besonders des M. extensor carpi ulnaris, bedingt die charakteristische Nachobenkehrung der Palmarflächen. Die Finger werden mässig gespreizt in einer Mittellage, also nicht extrem ge- streckt, gehalten. Etwas anders liegen die Verhältnisse für die hinteren Extremitäten; hier vergesellschaftet sich die Hebung des Oberschenkels mit einer starken Anziehung desselben in seiner ganzen Ausdehnung an die Rumpfwand, so dass keinerlei Zwischenraum freibleibt. Ebenso legt sich der Unterschenkel infolge einer maximalen Beugung des Beines im Kniegelenke ganz dicht an den Oberschenkel und der Fuss- rücken an den Unterschenkel an. Diese Beinhaltung erinnert in ge- wisser Beziehung an das Hering’sche Hebephänomen !) beim Frosch, das nach Durchschneidung der siebenten und achten hinteren Wurzel beobachtet werden kann. Hierbei werden die Hinterbeine über das normale Maass hinaus gebeugt und ausserdem in die Höhe gehoben, so dass die Unterfläche des Hinterbeines nach aussen, die Oberfläche medianwärts sieht. Bedingt wäre das Phänomen nach Hering durch den Ausfall der reflektorischen antagonistischen Muskelspannung. Die Augen werden mit dem Momente des Reflexbeginnes geschlossen und fast immer während der ganzen Dauer des Zustandes geschlossen gehalten. Eine ähnliche Beobachtung lässt sich bekanntlich bei ver- schiedenen Fällen von sogenannter tierischer Hypnose machen, wenn auch dort der Augenschluss nicht die Regel bildet und, wenn er vor- kommt, meist nicht bis zur Beendigung des Zustandes anhält. Die Öffnung der Lider im vorliegenden Falle ist dagegen eines der ersten Zeichen für das Reflexende, dem entweder sofort oder nach einigen Sekunden die Lösung der Muskelkontrakturen folgt. Zugleich mit dem Lidschlusse werden auch die bei den Unken besonders prominenten Bulbi in die Orbitalhöhlen zurückgezogen, meist so stark, dass die Dorsalwandungen völlig in das Niveau der Schädelrundung fallen. Mit der Lidöffnung steigen die Augäpfel wieder empor. Dem Ver- ständnis nähergerückt werden diese Tatsachen, wenn wir daran er- innern, dass bei den Anuren Bulbus- und Nickhautbewegungen in enger Abhängigkeit zueinander stehen. Nach Manz ?) bewirkt das ‘durch die Kontraktion des M. retractor bulbi bedingte Zurücksinken des Augapfels notwendigerweise eine Hebung der Membrana nictitans, 1) H. E. Hering, Das Hebephänomen beim Frosch und seine Er- klärung durch den Ausfall der reflektorischen antagonistischen Muskel- spannung. Arch. f. d. ges. Physiolog. Bd. 68 S. 6. 1897. 2) Manz, Ber. d. naturf. Gesellsch. zu Freiburg Bd. 2 H. 4 S. 391 Taf. VI. 1862; zitiert nach A. Ecker, ]. e. S. 69. Do 3938 L. Löhner: des unteren Augenlides. Die-mit jenem Muskel verwachsene Nick- hautsehne kann dem Muskelzuge nach rück- und abwärts nur dadurch folgen, dass sie, während ihr unterer Bogen nach abwärts rückt, den vorderen freien Nickhautrand: über der Hornhaut nach aufwärts schiebt. Das Herabsinken des. unteren Augenlides geschieht gleich- zeitig mit der Hebung des Bulbus durch den M. levator bulbi ver- mittels des aus diesem hervorgehendem und einen Teil davon dar- stellenden M. depressor palpebrae inferioris. Durch die geschilderten Zusammenhänge wird auch die Ursache des Lidschlusses während des Reflexes klar; sie liegt in dem Umstande, dass der M. retractor bulbi zur Gruppe der an den tonischen Kon- traktionen besonders beteiligten Muskeln gehört. Abgesehen von Lidschluss und Zurückziehung des Bulbus wird das Auge während des Reflexes auch noch dadurch geschützt, dass bei typischer Arm- haltung die gerade über die Orbitalhöhlen zu stehen kommenden Hände die Augenregion vollständig verdecken und unsichtbar machen. Der Umstand, dass Hand und Finger nicht maximal gestreckt werden, ermöglicht ein näheres Heranrücken und Anlegen der Hand an die vordere obere Augenwand. Nöch ein dritter,‘ mit dem Augenschutze vielleicht in Verbindung zu bringender Vorgang lässt sich, wenn auch nicht so konstant als die eben geschilderten, im Reflexzustande be- obachten, nämlich das Vorschieben einer mächtigen, queren Haut- falte, die von hinten her die Augenregion überhöht. Das mit der Atmung zusammenhängende Kehlhautspiel, das bei Bombinator, ähnlich wie bei den Hyliden, sehr frequent ist, erfährt auf der Höhe des Reflexes eine vollständige Einstellung, im weiteren Verlaufe zumindest eine deutliche Verflachung. Zugleich mit dem Emporsteigen der Bulbi aus den Augenhöhlen setzt auch die rhyth- mische Bewegung der Kehlhaut wieder ein. Es sind mehr oder minder unregelmässige und meist verstärkte Atemzüge, die in dieser Periode der beginnenden Reflexlösung beobachtet werden können. Nicht selten lässt sich auch während des Reflexes ein Aufblähen der Lungen fest- stellen, wie es für die Bereitschaftsstellungen der Kröten bekannt ist. Wie ich ferner beobachtete, findet während des Reflexes eine reichliche Absonderung des Hautsekretes statt, das einen eigentümlich stechenden, von dem der Kröten deutlich unterscheidbaren Lauch- geruch verbreitet (vgl. S. 347); die Sekretabsonderung kann bei längerer Reizung so stark sein, dass es zur Schaumbildung kommt. Neben den oben beschriebenen typischen Reflexen gelangen des öfteren auch Erscheinungsformen zur Beobachtung, die ich als ‚„un- vollständige Reflexe‘ bezeichnen möchte. Sie sind durch eine geringergradige Muskeltonussteigerung bedingt, die sich schon im äusseren Bilde zeigt (Abb. 9 und 10) und den Reflex unfertig er- Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 329 scheinen lässt. Mit breiter Fläche, wie hingegossen, liegt der Körper der Unterlage auf; seine kahnförmige Durchbuchtung ist kaum an- gedeutet, das Kopfende schwach, das Hinterleibsende meist gar nicht zurückgebogen. Die Beinhaltung entspricht ungefähr einer Mittel- stellung zwischen typischer Reflex- und Hockhaltung. Die Plantar- flächen sind nicht nach oben aussen, sondern hauptsächlich lateral- wärts gekehrt. Versuche, die Extremitäten abzuziehen und zu strecken, stossen nicht auf den früher erwähnten, stark federnden Widerstand, sondern erinnern nach ihrem Spannungszustand mehr an die ‚‚Flexi- bilitas-cerea“-Stufe. Die Augen sind unvollständig retrahiert und nur halb geschlossen, das Kehlhautspiel bleibt nicht völlig unter- brochen. Derartige unvollständige Reflexe in quantitativ verschiedener Ausbildung lassen sich bei bestimmten niederen Temperaturen, bei unzulänglicher Reizung, aber auch in einer Reihe von Fällen ohne ersichtlichen Grund beobachten. Sie werden ferner, wie noch aus- geführt werden wird, als Zwischenstufen beim spontanen, allmählichen Abklingen des Reflexzustandes durchlaufen. Mit Bezug auf: das Verhalten der Reflexerregbarkeit vertritt Verworn!) im Gegensatze zu älteren Autoren die Ansicht, dass eine echte Herabsetzung derselben bei derartigen Zuständen der Be- wegungslosigkeit nicht besteht und scheinbar dafür sprechende Be- obachtungen eine andere Deutung erfordern. So könne durch einen starken Tonus antagonistischer Muskeln eine Reflexbewegung für einen schwachen Reiz auf ein Minimum beschränkt werden, so. dass es scheint, als hätte die Erregbarkeit abgenommen. Neben diesem Reaktionsbewegungen hemmenden Muskeltonus wären aber auch Er- müdungserscheinungen häufig für den geringen Reizerfolg verantwort- lich zu machen. % Die Erregbarkeitsverhältnisse beim Unkenreflex lassen sich natür- lich in gleicher Weise deuten. Die maximale Muskelanspannung auf der Höhe des typischen Reflexes macht jede Prüfung der Sensibilität und Reflexerregbarkeit unmöglich bzw. täuscht ihre nahezu völlige Aufhebung vor. Anders liegen dagegen die Verhältnisse für die un- vollständigen Reflexe. Der inkomplette Lidschluss und die nicht völlig erfolgte Bulbusretraktion erlaubt hier die Prüfung der Korneal- reaktion. Sie ergibt keinen Unterschied gegenüber dem Normal- zustand. Vollständige Bulbuszurückziehung und Lidschluss erfolgen prompt. Die Drucksensibilität der Rückenmittenregion erfährt gleich- falls keine Herabsetzung. Jede neuerliche Berührung der Rücken- haut während des Reflexes wird mit einem ruckartig einsetzenden Tonuszuwachs der Muskulatur beantwortet; je weiter die allmählich 1) M. Verworn, |. c. S. 46. 1898. 330 L. Löhner: fortschreitende Muskelerschlaffung in einem gegebenen Falle. bereits gediehen ist, desto deutlicher wird dieser neue Innervationsstoss. Interessant ist die bei dieser Gelegenheit zu machende Beobachtung, die eine von der allgemeinen Reflexlehre her bekannte Gesetzmässig- keit vor Augen führt, dass nämlich der Reflexerfolg bei schwächeren Reizen auf dasselbe Niveau beschränkt bleibt, bei stärkeren über dieses hinausgreift. Erfolgt ein leichter Druckreiz während des Reflex- zustandes in der Mittellinie über der. Wirbelsäule in der Höhe des Schultergürtels, so sieht man, wie die reflektorische Erregung in der Hauptsache die vorderen Extremitäten betrifft und diese infolge der Tonussteigerung der erwähnten Muskelgruppen eine mehr oder minder deutliche, bestimmt gerichtete Bewegung vollführen. Das gleiche gilt bei Ansetzen des Druckes in der Region des Beckengürtels für die Hinterbeine. Überschreiten die applizierten Reize dagegen eine bestimmte Stärke, so reagieren nicht nur diese, sondern sämtliche an dem Zustandekommen der charakteristischen Körperhaltung be- teiligten Muskeln in gleicher Weise. Zusammenfassend kann hervor- gehoben werden, dass die Applikation von mechanischen Reizen hier — im Gegensatze zu den Verhältnissen bei der sogenannten tierischen Hypnose, wo sie das „Erwachen“ mit sich bringt — eine Steigerung und Verlängerung des Zustandes bewirkt. An sich sonst meist un- wirksame Reize, wie Erschüttern der Unterlage, Anblasen, optische Reize usw., bringen den gleichen Erfolg mit sich, so dass man in gewisser Beziehung sogar an eine Reflexerregbarkeitszunahme denken könnte. - Im Anschlusse hieran verdient ferner noch hervorgehoben zu werden, dass Lagekorrektionsreflexe nach Versetzen in ab- norme Körperlagen während des typisch ausgebildeten tonischen Unkenreflexes unterbleiben. Die Tiere lassen sich unter Beibehaltung der absonderlichen Körperhaltung in Rückenlage . bringen, ja des.öfteren hin und her wälzen, ohne dass Bewegungen oder Umdrehungsversuche einsetzen. Handelt es sich aber um un- vollständige Reflexe, so genügt eine derartige Umkehrung, um sofort; den Zustand zu beenden und Lagekorrektionsversuche auszulösen. Diese Tatsachen besitzen aus bestimmten Gründen grösseres theore- tisches Interesse. Es ist nämlich eine zurzeit offene Frage, ob das Ausbleiben der Lagekorrektionsversuche während des Bestehens eines tonischen Gesamtreflexes als eine echte zentrale Hemmungserscheinung aufzufassen ist oder ob ‚‚die Lagekorrektion nur deshalb nicht zu- stande kommt, weil ein Teil der dazu nötigen Muskeln nicht mehr frei, sondern bereits tonisch kontrahiert ist‘ !). Die hier bei unvollständigen 1) M. Verworn].c. S. 33. 1898. Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 331 Reflexen erhobenen Befunde scheinen zugunsten der letzteren Mög- lichkeit zu sprechen. Maximale Muskeltonussteigerung verhindert Lagekorrektionsversuche, geringergradige macht sie noch möglich. Bestechend wirkt bei dieser Auffassung der Umstand, dass die Unter- drückung der Lagekorrektionsreflexe hier auf das gleiche Moment wie die Aufhebung bzw. Herabsetzung der allgemeinen Reflexerregbarkeit zurückgeführt wird. Schwierigkeiten gegen eine Verallgemeinerung ergeben sich dagegen sofort, wenn man Fälle der tierischen Hypnose mit Muskeltonusabnahme, bei denen gleichfalls ein Unterbleiben_ der - Lagekorrektionsreflexe stattfindet, in Betracht zieht. Im Sinne der für diese Fälle allein in Betracht kommenden Hemmungstheorie wären die Verhältnisse beim Unkenreflex dann etwa folgendermaassen zu deuten: Das Ausbleiben der Lagekorrektionsreflexe ist auf eine zentrale Hemmung zurückzuführen und nicht nur eine sekundäre Folge des gesteigerten Muskeltonus. Dass sie bei unvollständigen Reflexen dagegen auftreten, ist dadurch bedingt, dass entsprechend der gering- gradigen Muskeltonussteigerung auch die Hemmung nur geringfügig und unvollständig ist. Eine gewaltsame Unterbrechung des typisch ausgebildeten Reflexes kann nur durch gewisse, sehr intensive Reize, wie etwa durch Berühren mit einem erhitzten Metallstabe oder durch Betupfen mit starken Säuren, erzielt werden. In diesem Falle vollführt das Tier einige blitzschnelle Bewegungen, die es in die normale Hockstellung bringen, von der aus es dann in der Regel sofort weiterspringt. Wartet man dagegen die spontane Lösung des Reflexes ab, so bemerkt man nach einiger Zeit in der Regel den Beginn einer Tonusabnahme. Sie äussert sich zuerst in dem Emporsteigen der Augäpfel bei gleichzeitigem Niedersinken der Nickhaut und in dem Wiedereinsetzen des deut- lichen Kehlhautspieles. Zugleich oder sehr bald darauf treten an den durch die tonische Muskelspannung erhoben gehaltenen Körper- teilen ruckweise Abwärtsbewegungen auf. Gliedmaassen wie auf- gebogene Körperenden sinken allmählich wie unter dem Zuge der Schwerkraft auf die Unterlage nieder. Es sind die von der Beschreibung der unvollständigen Reflexe her bekannten Bilder, die wir nunmehr zu Gesicht bekommen (Abb. 9 und 10). Wie weit die Erschlaffung im Einzelfalle geht und wie lange jeweils die Stufen dauern, wechselt sehr. Schliesslich sehen wir aber auch hier, wie zu der restlichen, noch weiter bestehenden Muskelkontraktur ein plötzlicher Kontraktions- zuwachs in Form rasch aufeinanderfolgender tetanischer Zuckungen hinzukommt, der das Tier in die normale Hockstellung überführt. Mitunter schliesst sich nun sofort die Ortsveränderung durch Hüpf- bewegungen an; gewöhnlich verharren die Unken aber noch be- wegungslos längere oder kürzere Zeit an Ort und Stelle. Ihr Gehaben 332 Bi: L. Löhner: erinnert an die eigentümliche Trägheit und Benommenheit, die nach Heubel!) Frösche nach dem Erwachen aus der ‚Hypnose‘ vielfach bekunden. : Die Dauer des Unkenreflexes zeigt unter äusserlich gleichen Be- dingungen relativ ziemlich grosse Verschiedenheiten, wie es nach den ‚Erfahrungen über nahestehende Zustände bei anderen Tieren (Hypnose, Totstellreflex) zu erwarten war. Zur Verdeutlichung der trotz gleicher äusserer Bedingungen zu beobachtenden individuellen Unterschiede sei folgende Zusammenstellung wiedergegeben: Vers.-Prot. Nr. 37, vom 8.Oktober 1917. Zimmertemperatur 16°C. 25 Bombinator igneus Laur. verschiedener Grössen; seit ungefähr I Monat in Gefangenschaft, in grösseren Glasgefässen, der Boden fingerhoch mit Wasser bedeckt, gehalten; reichlich mit Fliegen gefüttert. Zum Versuche jedes Tier für sich auf eine Unterlage von feuchtem Filterpapier gebracht; Reflexauslösung durch mittelstarken Druckreiz (Präpariernadel), appliziert auf die Mittellinie der Rückenfläche in Schultergürtelhöhe. Zeitablesung mit Stoppuhr. m i A Körper- Reflexdauer Nr. en -Höhestadium „Stadium der Gesamtdauer y Tonusabnahme 1 52 REEL 19 157 2 50 4" | 1.7 7 1’ 18" ® 49 2a 11” 1% 4 49 Aa | 18" Da 5 45 3" 18" a 6 47 5 " | 1 ' 50 [2 1 ’ 55 [27 fi 47 19, | 31” 46" 8 R 4" 28 \ 32 3 9 6 0" Du a 10 . 45 5 20" DH 11 45 8 [23 | 0 [23 [22 12 44 Du 9" 110% 15 44 0 | 13" 13" 14 = 6 | DO, DS 15 2 3 42" 45." 16 40 15" | 2'06'" au an“ 17 38 Sl | AN AAOHN 18 a 4 IH} 29 [27 38 " 19 el 10" | TERN DU 20 34 5 Un 29XL 1' 30" a | 8. | 0,0 000 22 sl 19 2' 44 3'’08 23 sl Un 5” 12 24 30 5" 18" 23" 25 30 g’ | A 49" Metstwertn ss ze | 0" | 0 | ar Höchstwert nn... Sl AN SLEN N | sr | 59" Mittelwert 2 22.0 an NR 1) E. Heubel, Über die Abhängigkeit des wachen Gehirnzustandes von äusseren Erregungen. Ein Beitrag zur Physiologie des ‘Schlafes und Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 333 - Die Reflexdauer schwankt demnach bei geschlechtsreifen Tieren verschiedener Grösse — aus noch später auseinanderzusetzenden Gründen sind junge Exemplare von weniger als 30 mm Körperlänge mit Absicht in dieser Tabelle nicht aufgenommen — zwischen mehreren Sekunden und einigen Minuten und bleibt daher gegenüber den für die Froschhypnose gefundenen Werten (bis zu mehreren Stunden) merklich zurück. Der kleinere Zeitteil fällt dabei auf das Reflex- höhestadium mit maximaler Muskelanspannung, der grössere auf das der Tonusabnahme, gerechnet vom ersten, Zeichen der Muskel- entspannung bis zur Einnahme der Hockstellung. Dass die Reflexdauer ein und desselben Tieres bei Wiederholung unter unveränderten äusseren Bedingungen und innerhalb nennens- werte Ermüdungserscheinungen ausschliessenden Grenzen übrigens nahezu gleichgrosse Schwankungen aufweist, lehrt nachfolgender Versuch: | Ä Vers.-Prot.Nr. 39, vom 10. Oktober 1917. Zimmertemperätur 18°C. Tier Nr. 1: 47 mm, Nr. 2 37 mm Körperlänge. Zwischen spontanem Reflexende und neuerlicher Reflexauslösung immer je 3 Minuten Pause. Sonst wie Vers.-Prot. Nr. 37. Tier Reflexperiode »e|8g Se Nr. Aue | De else 2) Sands Reflex-Gesamtdauer I |59”| 3”j1700”) 401725”) 15”) 19” 1° 31”17 15")1 2 [55” 12”) al 35721672740”) 38” | 16”,1726” L) l ı a5 ger RE e SD 55 51” 16” 240717 15” Diese Tatsachen bringen es mit sich, dass die Frage, welche Faktoren auf die Reflexdauer verlängernd, welche verkürzend wirken, nur im Falle eines sehr grossen Beobachtungsmateriales einwandfrei beantwortet werden könnte. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus dem Umstande, dass eine Reihe von Faktoren nicht so sehr die Gesamtreflexdauer als die Dauer der einzelnen Phasen und vor allem die Art und Weise des Reflexablaufes beeinflusst. Ich möchte mir daher in dieser Hinsicht gewisse Zurückhaltung äuferlegen und auf die Besprechung verschiedener Versuchsreihen, die die Klarstellung der Beziehungen zwischen Reflexdauer und Geschlecht, Ernährungs- zustand, Jahreszeit, Feuchtigkeitsgehalt der Luft und Licht be- zweckten, nicht eingehen, da sie keine völlig eindeutigen Ergebnisse: zutage förderten. ; "zur, Würdigung‘ des. Kerne schen Experimentum ale NASE rd? ges. Auealans Ba. 14 S. 164. 1877. 334 L. Löhner: Hervorgehoben zu werden verdienen dagegen folgende Ermitt- lungen. Das Alter der Tiere bzw. ihre Grösse erweist sich insofern von Bedeutung, als sich bei mittelgrossen Individuen von etwa 35—40 mm Körperlänge der Reflex fast immer prompt und in schöner Form hervorrufen lässt und verhältnismässig am längsten anhält. Bei ganz grossen Tieren von etwa 50 mm an ist speziell das Höhe- stadium meist nur von kurzer Dauer. Bemerkenswert sind die Be- funde, die ich über das Verhalten jüngerer und unentwickelter Tiere erheben konnte. Wie der beigegebenen Tabelle entnommen werden kann, zeigte es sich, dass typische Reflexe nur bei Grössenstadien von 28 mm aufwärts zu erreichen waren. Bei den Grössenklassen 16—27 mm liessen sich nur unvollständige Reflexe (vgl. S. 328) hervor- rufen. Die jüngsten Tiere, von 15mm abwärts, waren über- haupt nicht in einen Zustand der Bewegungslosigkeit zu versetzen und reagierten auf Berührungen mit Fluchtreflexen. Der Zeichnung ihrer Ventralfläche fehlt bezeichnenderweise noch das satte Orange der erwachsenen Tiere, das sich erst allmählich aus einem schmutzigen Weiss über Strohgelb herausbildet, wie auch die späteren blauschwarzen Töne noch durch ein unauffälliges Aschgrau vertreten werden. Vers.-Prot. Nr. 2], vom 30. September 1917. Zimmertemperatur 20° C. 55 Stück jugendliche Bombinator igneus Laur., frisch gefangen. Reizung wie Vers.-Prot. Nr. 37. Zahl der Individuen mit 'Grössenklasse | Reflex fehlend Reflex unvollständig | eilas gen | i [IC | | | “ualammgmmnoc | | | som | III II II III RT 3 we 32 u > = _- Ki) | j | | Unter den physikalischen Faktoren sind es die Temperaturverhält- nisse, die auf den Ablauf des Reflexes einen unverkennbaren Einfluss Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 335 ausüben. Hält man Unken durch 24 Stunden in einer Temperatur von 8°C. oder weniger, so wird im Gegensatz zu früher die Reflexauslösung zur Unmöglichkeit. Selbst auf ziemlich starke Reize reagiert das sich nunmehr nur träge bewegende Tier zwar mit Zuckungen der betroffenen Muskelgruppen, aber zu tonischen Kontraktionen und damit zur Einnahme der bezeichnenden Körperhaltung kommt es nicht. Druckreize im Bereiche der vorderen Körperhälfte bedingen ein deutlich wahrnehmbares, also nicht blitzartig erfolgendes Empor- heben der Vorderbeine, dem ein sogleich einsetzendes, gleichartiges Wiederabsinken folgt. Die hinteren Extremitäten können sich bei Reizung des Beckenabschnittes in gleicher Weise verhalten; häufiger treten aber hier Streckkrämpfe wie nach Überreizungen auf. Die Tiere spreizen die Hinterbeine oft in der absonderlichsten Weise von sich und führen langsame Ruderbewegungen aus oder halten sie in tonischer Kontraktion in mehr oder minder weitgehender Streck- stellung einige Zeit vom.Körper ab. Ein nachfolgender, mehrere Minuten dauernder Zustand der Bewegungslosigkeit in zusammen- gesunkener Hockstellung, die charakteristische Beinhaltung lediglich mitunter durch eine leichte Auswärtsrotation der Plantarflächen an- gedeutet, ist hier das Äquivalent des tonischen Reflexes. Bei Temperaturen von etwa S-13°C. bemerken wir das Auftreten von „unvollständigen Reflexen‘; erst von 14° C. aufwärts weisen die Reflexe das typische Bild auf. .le höher die Temperatur steigt, desto lebhafter gebärden sich die Tiere, desto kürzer wird die Latenzzeit, und desto mehr hat auch die Reflexerregbarkeit zu- genommen, gekennzeichnet durch ein Absinken der Reizschwelle. Von 30°C. an erfolgt die Reaktion blitzschnell; die tonische Kon- traktion ist sehr stark, und nicht nur Druckreize, sondern auch sonst meist unwirksame Erschütterungen, Anblasen usw. haben Erfolg. Das Nachstadium des abklingenden Muskeltonus ist sehr kurz und wird durch ein rasches Weghüpfen des Tieres beendigt. Die Wechselbeziehungen zwischen Temperatur und Reflexdauer zeigen sich hier nicht so offenkundig, wie man es nach Erfahrungen über verwandte Zustände bei Wirbellosen vielleicht erwarten möchte. So konnte ich beispielsweise in einer früheren Untersuchung!) über den Spiralreflex der Diplopoden Pachyjulus fuscipes Koch und Lysio- petalum illyricum Latzel die Abnahme der Reflexzeiten mit der Zu- nahme der Temperatur in selten deutlicher Weise nachweisen. Bei dem Unkenreflexe liegen die Verhältnisse nach allem viel kompli- zierter, indem hier offenbar eine Reihe von Prozessen mit verschiedenen 1) L. Löhner, Untersuchungen über den sogenannten Totstellreflex der Arthropoden. 1. Mitteilung. Zeitschr. f. allgem. Physiolog. Bd. 16 8. 398. 1914. . 336 IE Löhner: Temperaturkoeffizienten an dem Ablaufe beteiligt ist. Die Gesetz- mässigkeit, dass Erwärmung den Zustand abkürzt, Abkühlung ihn verlängert, hat deshalb hier nur bedingte Geltung. Versuchsreihen mit oftmaliger Wiederholung der Reflexauslösung verfolgten den Zweck, einen etwaigen Einfluss der Ermüdung und Gewöhnung auf den Ablauf. festzustellen. Werden die Wiederholungen nach Art des auf S. 333 geschilderten Versuches mit einer 3 Minuten langen Pause zwischen spontanem Reflexende und neuerlicher Reizapplikation durchgeführt, so lässt sich eine — von mir bis zu 3 Stunden durchgeführte — lange Reihe erzielen, ohne dass Reflexablauf oder Dauer eine erkennbare Änderung erfahren. Bei einem anderen Versuche ging ich so vor, dass ich die völlige Reflexlösung nicht abwartete, sondern einen neuen Reiz setzte, sobald die Tonusabnahme deutlich bemerkbar geworden war. Durch eine volle Stunde konnte so der typische, maximale Reflex durch einen einzelnen Druckreiz immer wieder hervorgerufen werden; im ganzen wurden im Laufe der Stunde 38 Reize appliziert. Dass die Zeit- intervalle für die notwendig gewordenen neuerlichen Reizungen recht gleichmässig waren, geht aus der beigegebenen Tabelle hervor. Vers.-Prot. Nr. 9, vom 5. September 1917. Zimmertemperatur 22°C. Bombinator igneus von 43mm Körperlänge, frisch gefangen. Reizung wie Vers.-Prot. Nr. 37. Versuch nach 1 Stunde abgebrochen. Zeitwerte in der Tabelle auf Halbminuten abgerundet. 3119018, 25,10, 1112, 013 lol ei, 23, 24., '26., 27, 28, 3012, 31'e., 34, 35, ‚37a, Minute 39., ‚40., '4L., a3, 45. „AT., 50., 51. 5a 541/g,, 96., 58,, 60. DiensAwischenzeit/(1. 2,.2,7:1,. 2, 1.221, 71,2 10319029823 zwischen den Rei- 2. 2 Kal 2 rau on Minuten zen betrug 12a, 011, ,2,02,0.,2:7 8, le 25 SE )o so . Die Reizapplikation erfolgte nach der Die beiden angeführten Versuchsreihen zeigen, dass innerhalb recht weiter Grenzen Äusserungen von Ermüdungs- und Erschöpfungs- erscheinungen nicht nachzuweisen sind. Bei einem weiteren Versuche wurde die Reizwiederholung ohne Rücksicht auf das Reflexstadium in rascher Aufeinanderfolge im 3-Sekunden-Takte vorgenommen. Während die ersten Stösse noch reflexverstärkend wirkten, änderte sich das Bild vom 8. Reize an, indem nunmehr Streckkrämpfe in den Hinterbeinen auftraten. Nach dem 14. Reize kam Bewegung in das ganze Tier, die aber ersichtlich nur unter grösster Anstrengung wie gegen unsichtbare Widerstände zustande kam. Es folgten sodann Abwehrbewegungen der Hinter- beine gegen den berührenden Gegenstand und schliesslich unbeholfene Fluchtversuche, indem die Tiere mit steifen Beinen den Körper vor- Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 337 wärts zu hebeln und zu stemmen sich bestrebten. Zugleich traten auch unregelmässige tetanische Kontraktionen und Zuckungen in verschiedenen Körperpartien, besonders in der Region des Schulter- gürtels, auf. Wir sehen also hier als Überreizungseffekt die typische Ablösung eines Immobilitätsreflexes durch den infolge des Weiter- bestehens der Muskeltonussteigerung allerdings stark behinderten Fluchtreflex. Für eine Umstimmung (Gewöhnung) scheinen die Unken nicht besonders disponiert zu sein. Es sei dies erwähnt, da eine Reihe von Autoren !) bei Hypnoseversuchen mit verschiedenartigen Tieren, zum Beispiel mit Hühnern, die durch viele Tage Verwendung zu Ver- suchen gefunden haben, die Erfahrungen machten, dass die Hypnose sich immer schwerer hervorrufen liess und gegen früher stets kürzere Zeit vorhielt. Bei mehrere Monate in der Gefangenschaft gehaltenen Unken gewann ich allerdings auch diesen Eindruck. Im vorliegenden Falle wäre für das Moment Gewöhnung neben der öfteren Benützung zu Versuchszwecken noch der Umstand in Betracht zu ziehen, dass das Zusammenleben vieler Individuen auf engem Raum, die un- vermeidlichen Berührungen bei Reinigung und Fütterung usw. sie verschiedenen, oft sich wiederholenden Reizen aussetzten. Schliesslich sei noch bemerkt, dass auch im Wasser am getauchten Tiere sich der Reflex durch Druckreize in unveränderter Form hervor- rufen lässt. III. Ausschaltungsversuche. Die Frage, welche Teile des Zentralnervensystems für das Zu- standekommen des Reflexes notwendig sind, das heisst also die Er- mittlung seiner Zentren und Bahnen, machte die Durchführung von Ausschaltungsversuchen unerlässlich. Die Ergebnisse dieser Versuche scheinen, auch wenn man diese: Reflexe mit den bei Fröschen beobachteten Hypnoseerscheinungen nicht identifiziert, bei der jedenfalls bestehenden nahen Zusammen- gehörigkeit der beiden Vorgänge dazu angetan, wertvolle Fingerzeige auch für die Erfassung des Mechanismus der ‚tierischen Hypnose‘ zu liefern. Die Schwierigkeit, die Befunde nach Exstirpationen dort richtig zu deuten, liegt bekanntlich darin, dass, wenn man so sagen darf, der entsprechende Indikator fehlt. Mangold’) führt hierzu aus, dass der physiologische Symptomenkomplex der tierischen Hypnose ja nicht nur in der Bewegungslosigkeit besteht, wie sie beim reinen Rückenmarksfrosch schon allein durch das Fernhalten von Reizen hervorgerufen wird, sondern auch das Ausbleiben von spontanen, 1) Vergl. E. Mangold, 1. c. S. 54. 2) E. Mangold, 1. e. S. 74. 338 L. Löhner: Abwehr- und Lagekorrektionsbewegungen und ferner noch die kata- leptischen Symptome umfasst. Von einem Ausbleiben, einer Hemmung dieser Bewegungen kann aber nur dann die Rede sein, wenn dieselben ohne den hemmenden Eingriff noch mindestens in annähernd normaler Weise erfolgen können. Dementsprechend wäre beim Frosch wohl nur dann von einem positiven Ausfall des Hypnoseversuches zu sprechen, wenn der an Vorhandensein von Medulla oblongata und Cerebellum gebundene Umdrehreflex sonst bei dem Tiere noch ziemlich - normal erhalten ist. Bei verlorengegangenem Umdrehreflexe fehle das sicherste Kriterium dafür, ob die gerade zu beobachtende Bewegungs- losigkeit auch als.besondere Hemmungswirkung aufgefasst werden dürfe. Beim Unkenreflex besitzen wir nun in der eigentümlichen Bein- haltung ein Kennzeichen, das, selbst wenn es nur andeutungsweise auftritt, nicht übersehen werden kann. Wenn der Reflex noch so atypisch und unvollständig zustande kommt, die Tonussteigerung noch so geringfügig bleibt, in der Extremitätenmuskulatur macht sie sich am ehesten bemerkbar und führt zu einer mehr oder minder weit- gehenden Beinanziehung und -stellung in der geschilderten Weise. Auf dieses neben dem Einsetzen der Bewegungslosigkeit für den Eintritt des Reflexes wichtigste Kennzeichen wurde bei der Bewertung der nachfolgend aufgezählten Ausschaltungsversuche vor allem ge- achtet. Zur Entscheidung der Frage, ob die Perzeption der reflexauslösenden Druck- und Berührungsreize lediglich durch die sensiblen Nerven der Haut oder auch durch die der tieferliegenden Faszien und Muskeln erfolgt, wurden Versuche in der Weise angestellt, dass nach Längs- spaltung der Rückenhaut und deren seitlicher Aufklappung sowie nach Anlegung von Hautfenstern Reize gesetzt wurden. Hierbei zeigte es sich, dass sich selbst sehr starke Druckreize auf die frei- gelegten tieferen Schichten wirkungslos erweisen, während von der abgehobenen Haut aus die Reflexe noch immer auslösbar bleiben. Selbst in nächster Nähe der Schnittfläche waren Berührungen von Erfolg begleitet; besonders wirksam war aber das Quetschen einer Hautfalte mit der Pinzette. Es sind also ausschliesslich die sen- siblen Hautnerven, die als Anfangsstation des Reflex- bogens angesehen werden müssen. Das nach vorausgegangener Anlegung eines Hautfensters gebildete Regenerat zeigt bei der Reflexerregbarkeitsprüfung sehr bald wieder deutliche Erregbarkeit. Es ist dies bereits der Fall, wenn das Regenerat noch keineswegs den Charakter der normalen Haut angenommen hat, sondern als zartes, glashell-durchsichtiges Häutchen den Defekt über- deckt. Die Reflexerregbarkeit lässt sich begreiflicherweise zuerst in den Randpartien des Regenerates, und zwar schon nach durchschnitt- Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 339 lich 4 Tagen nachweisen; je nach der Ausdehnung des ursprünglich angelegten Hautfensters bedarf es längerer oder kürzerer Zeit, bis auch von den Mittelpartien des Regenerates der Reflex auslösbar wird. Ältere Autoren [Heubel!), Danilewsky ?) u. a.] haben bereits den Beweis erbracht, dass der Hypnoseversuch beim Frosch auch nach Grosshirnexstirpation möglich ist. Das gleiche kann, wie dem- gemäss zu erwarten war, auch für den Unkenreflex gezeigt werden. Nach Entgrosshirnung eines Tieres mit der üblichen Technik wird sogleich nach durchgeführter Operation die Reflexauslösung versucht. Sie gelingt ohne weiteres; der auftretende Reflex muss aber als un- vollständig und meist recht kurzdauernd bezeichnet werden. Vor allem fällt die relative Atonie auf; der Körper, dem die kahnförmige Durehbuchtung fehlt, liegt breit hingegossen der Unterlage auf. Die Beine zeigen die charakteristische Stellung der unvollständigen Reflexe. Diese Tatsachen erscheinen nach den Untersuchungen von Brunacci °) verständlich, nach denen die Zerstörung des Vorderhirnes und mehr noch die des Zwischenhirnes die Intensität des diffusen tonischen Reflexes (allgemeinen Reflextonus) herabsetzt, die Ausschaltung des Mittelhirnes ihn aber völlig aufhebt. Was Heubel für die Frosch- hypnose nach Grosshirnexstirpation feststellen konnte, dass sie ebenso schnell und leicht eintritt und ebensolange andauert wie beim nor- malen Tiere, hat in entsprechendem Sinne auch für den Unkenreflex Geltung. Eine ausgesprochene Dauerverlängerung, die Danilewsky im Gegensatze zu Heubel betont, konnte ich hier jedenfalls nicht beobachten, für die erste Zeit eher das Gegenteil. Etwa eine Woche nach der Operation ist wieder eine deutliche Zunahme des Reflex- tonus festzustellen, und von da ab bessert er sich nunmehr Tag für Tag. Gegen Ende der dritten Woche sehen wir schliesslich wieder den. typischen Reflex wie beim normalen Tiere auftreten. Auch nach Entfernung des Zwischenhirnes (Thalami optici) und des Mittelhirnes (Lobi optiei) im Anschlusse an die Entgrosshirnung lassen sich unvollständige Reflexe hervorrufen, ohne dass sich in den beiden Fällen ein Unterschied ergeben würde. Der Tonus ist hier noch geringergradig als im Falle reiner Grosshirnexstirpation ; immerhin sind aber die bezeichnenden tonischen Muskelkontraktionen, was DeRsrleuibel, |. c. S. 170. 2) B. Danilewsky, Über die Hemmungen der Reflex- und Willkür- bewegungen. Beiträge zur Lehre vom tierischen Hypnotismus. Arch. f.d. ges. Physiolog. Bd. 24 S. 506. 1881. 3) B. Brunacei, 11 riflesso tonico diffuso e le soluzioni saline iper- toniche. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 9 S. 421. 1909. Zitiert nach G. Baglioni, Physiologie des Nervensystems, Wintersteins Handb. d. vergl. Physiol. Bd. #/l. S. 372. Jena 1913. 340 er aelsDohmer: gegenüber Brunacci betont werden muss, deutlich zu erkennen. Sie sind in der ersten Zeit nach der Operation allerdings von sehr kurzer Dauer; ja meist besteht der Reizerfolg nur darin, dass die eben erst eingenommene charakteristische Reflexstellung ebenso rasch wieder aufgegeben wird. Von den gegen diese Eingriffe ziemlich emp- findlichen Tiere geht ein nicht unbeträchtlicher Prozentsatz im Laufe der nächsten Tage zugrunde. Bei den Überlebenden lässt sich mit der Zeit eine Zunahme der Reflexdauer bis zu normalen Werten fest- stellen; die Reflexe bleiben aber immer unvollständig, und der Tonus des intakten Tieres wird nie mehr’erreicht. Obige Feststellungen konnten gleichfalls nicht überraschen, da wir ja seit Heubel mit Bezug auf die Froschhypnose wissen, dass sich hierfür sämtliche Hirn- teile mit Ausnahme der Medulla oblongata einschliesslich des Klein- hirnwulstes, also jener Partien, die für die Lagekorrektionen un- bedingt nötig sind, entbehrlich erweisen. Unerwartet kam dagegen die Beobachtung, dass auch nach totaler Dekapitation mit Durchtrennung der Oblongata das Rumpftier, solange es lebensfrisch bleibt, die Reflexe zeigt. ‘In Erscheinungsform und Verlauf gleichen sie dem im vorstehenden Abschnitte beschriebenen, nach Mittelhirnexstirpation auftretenden Typus. In einer Reihe von Versuchen wurden die Verhältnisse nach Anlegung von Rückenmarksquerschnitten in verschiedener Höhe studiert. Wird die Durchtrennung hinter dem Schultergürtel, etwa in der Höhe des vierten Wirbels vorgenommen, so erweist sich jede der beiden so zustandegekommenen Körperhälften für sich reflex- erregbar. Auf Druck werden die Beine der betreffenden Körperhälfte zwar nicht maximal, aber doch in typischer Weise angezogen und erhoben und bekunden gegen das Abgezogenwerden federnden Wider- stand. Wird durch gleichzeitige Dekapitation oder durch Durch- schneidung der Medulla oblongata auch die Verbindung des Mittel- stückes mit dem Hirn unterbrochen, so zeigt dieses Schultergürtel- präparat ebenfalls noch das Vermögen, Druckreize durch Annahme der Reflexstellung zu beantworten. Diese Versuchsergebnisse sind insofern von Wichtigkeit, als sie die Existenz kürzerer Reflexbögen im vorliegenden Falle beweisen und dartun, dass eine Erregungsleitung bis zum Gehirn und dessen Mitwirkung für das Zustandekommen des fraglichen Reflexes — wenig- stens für das Wesentliche seiner Erscheinungsform — nicht nötig ist. Es sei dies auch deshalb hervorgehoben, da nach Verworn !) für die bei Grasfröschen durch Reiben der Rumpfseitenwand ausgelösten „tonischen Reflexe‘ folgende Bahnen in Betracht kommen: sensible 1) Verworn, 1. e. S. 80. 1897. Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 34] Hautnerven, sensible Ganglien des Rückenmarkes, lange aufsteigende Leitungsbahnen des Rückenmarkes, sensible Elemente der Mittelhirn- basis, motorische Gebiete der Medulla oblongata, absteigende motorische Leitungsbahnen des Rückenmarkes, motorische Ganglien des Rücken- markes und motorische Spinalnerven. Vorerwähnte Feststellungen lassen alte, halbvergessene Bemerkungen Preyer’s!) und Danilewsky’s °), dass für das Zustandekommen der tierischen Hypnose vielleicht das Rückenmark allein genüge, in neuem Lichte erscheinen. Die von den genannten Autoren auf Grund eigener Beobachtungen entwickelten Anschauungen, die von seiten aller späteren Untersucher eine völlige Ablehnung erfahren haben, halte ich demzufolge einer eingehenden Nachprüfung für würdig. Die Verhältnisse scheinen mir bei allen diesen Reflexen so zu liegen, dass für das Zustandekommen des wahrnehmbaren physio- logischen Symptomenkomplexes tatsächlich die Rücken- markszentren allein ausreichen. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, dass das Gehirn des intakten Tieres beim ganzen Vorgange überhaupt keine Rolle spielt. Im Gegenteile scheint mir die Bedeutung und Mitbeteiligung gewisser Hirnpartien — zumindest schon des Mittelhirnes — bei diesen Anurenreflexen einschliesslich der Hypnose im engeren Sinne sicher zu sein, wie gewisse, wenn auch geringfügige Anzeichen, Verschiedenheiten im Ablaufe beim normalen und operierten Tiere, dartun. Einige orientierende Vorversuche wurden ferner noch mit strychnini- sierten Tieren (Einbringen des Giftes in den Rückenlymphsack) an- gestellt. Irgendwelche Beeinflussung des Schreckstellungsreflexes war hierdurch nicht zu ermitteln, da, sobald sich die Giftwirkung bemerkbar machte, Reize nur mehr die gewöhnlichen Strychninstrecktetani aus- lösten. Versuche über die lokalisierte Applikation von Strychnin und Phenol auf die freipräparierte Zerebrospinalachse konnten aus äusseren Gründen nicht abgeschlossen werden. IV. Wesen und Bedeutung des Reflexes. Wie aus der ganzen Darstellung hervorgeht und auch des öfteren angedeutet wurde, unterliegt es keinem Zweifel, dass der geschilderte -Unkenreflex zur sogenannten tierischen Hypnose in naher Beziehung steht bzw. wenn man, Mangold°) folgend, den Begriff der tierischen Hypnose sehr weit zieht und als Sammelnamen auffasst, einen ihrer DEWZEPreyer, 12.0 35.63, 2) B. Danilewsky, 1. c. S. 507. DER Mameoldh IE c- S.29: Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. LO w 342 L. Löhner: Spezialfälle darstellt. Mangold charakterisiert die tierische Hypnose als bei Tieren vorkommende oder hervorrufbare Zustandsänderungen, die als abgrenzbare physiologische Symptomenkomplexe Realität be- sitzen und wegen ihrer besonderen Natur nicht mit anderen bekannten und charakterisierbaren physiologischen Zuständen identifiziert werden dürfen. Gekennzeichnet seien diese schlafähnlichen Zustände durch Fehlen der Ortsbewegung und Lagekorrektion und durch Veränderungen des Muskeltonus und der Sinnestätigkeit (Anästhesie, Analgesie). Bisher aber wurde der Begriff der tierischen Hypnose viel enger umgrenzt, und Verworn!) beispielsweise versteht hierunter Zustände von Bewegungslosigkeit verbunden mit tonischer Muskelanspannung, in die Tiere plötzlich verfallen, wenn sie in abnormen Körperlagen kurze Zeit an erfolgreichen Lagekorrektions-, Abwehr- oder Flucht- bewegungen verhindert werden. Wenn wir uns die in den vorausgegangenen Ansehen be- schriebenen Kennzeichen des Unkenreflexes zusammenfassend ver- gegenwärtigen und zu dem als Hypnose der Frösche bezeichneten, genauer untersuchten Symptomenkomplex im Sinne Verworn’s in Vergleich setzen, so begegnen wir neben manchem Gemeinsamen doch auch bemerkenswerten Unterschieden. In dieser Hinsicht wäre hervorzuheben, dass für den Unkenreflex als auslösende Momente kurzdauernde Druck- und Berührungsreize, Erschütterungen und optische Reize in Betracht kommen, dass nach Applikation des Reizes der Reflex sofort, d. h. nur. Bruchteile von Sekunden erfordernd, einsetzt, und dass eine neuerliche Applikation derartiger Reize während des Reflexes ihn nicht unterbricht, sondern verlängert bzw. vertieft. Die Dauer schwankt zwischen mehreren Sekunden und einigen Minuten und bleibt gegenüber den für die Froschhypnose gefundenen Werten merklich zurück. Die Körper- haltung während des Reflexes ist konstant und charakteristisch und nicht an die Intaktheit des Gehirnes gebunden. Wie die Totalausschal- tung des Gehirnes durch Exstirpation oder Dekapitation zeigt, ge- nügen hierfür die Rückenmarkszentren. Für die Froschhypnose spielt dagegen nach Verworn 5 Be Rolle des auslösenden Momentes die Behinderung von Lagekorrektions-, Abwehr- und Fluchtbewegungen. Der hypnotische Zustand setzt erst Sekunden oder Minuten nach der Reizapplikation ein, kann sich auf Stunden ausdehnen, wird aber durch neuerliche mechanische Reize meist sofort unterbrochen. Die Haltung des Körpers während der Hypnose ist inkonstant und kann sehr mannigfaltig sein; die Stellung 1) M. Verworn, |. c. S. 65. 1898. A) Verworn, 1c18733.,189% Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 343 der Extremitäten lässt sich oft passiv beliebig verändern (kataleptische Symptome). Die Intaktheit gewisser Hirmnteile, die für die Erhaltung koordinierter Bewegungen und der Lagereflexe notwendig sind (ver- längertes Mark und Kleinhirn), sind auch für das Zustandekommen der Hypnose beim Frosch nach Mangold!) unerlässliche Voraus- setzung. Den Unterschieden in der Reaktionszeit kann allerdings kein be- sonderes Gewicht beigemessen werden, da Mangold ?) betont, dass für den Eintritt des hypnotischen Zustandes im allgemeinen nur Bruchteile von Sekunden erforderlich sind, und dass alle gefundenen grösseren Werte sich nicht ausschliesslich auf das Eintreten des eigentlich charakteristischen Zustandes beziehen, sondern auch noch andere Perioden einschliessen. Bemerkenswert ist dagegen das ver- schiedene Verhalten bei Wiederholung mechanischer Reize. Wie neuerdings Szymanski °) hervorhebt und auch ich anlässlich von Versuchen über den Totstellreflex der Arthropoden feststellte, ver- längern und vertiefen neuerliche Reize das Sichtotstellen, während sie im Falle der tierischen Hypnose die sofortige Unterbrechung des Zustandes bedingen und das ‚Aufwachen‘ herbeiführen. Ohne Ein- schränkung darf dieser Satz allerdings auch nicht ausgesprochen werden; so beobachtete ich beim Totstellreflexe von Insekten, dass Qualität und Intensität der. mechanischen Reize für die Reiz- beantwortungausschlaggebend sind, und dass beispielsweise sehrintensive oder frequente Reize auch hier die Reflexbeendigung zur Folge haben. In diesem Punkte verhält sich der Unkenreflex wie die Totstellreflexe, mit denen er auch in bezug auf die typische konstante Körperhaltung übereinstimmt. Betreffs Einschätzung der scheinbar verschiedenen Bedeutung des Gehirnes in den beiden Fällen sei auf das auf S. 341 Gesagte verwiesen. Im Anschlusse an diese Ausführungen erscheint es selbstverständ- lich, dass man sich die Frage vorlegt, wie liegen die Verhältnisse im Hinblicke auf diese Reflexe bei den Amphibien überhaupt, und gibt es dem Unkenreflexe Entsprechendes auch bei anderen Lurchen ? Bei Durchsicht. der Literatur lässt sich eine Reihe von Reflex- beschreibungen zusammenstellen, die zu dem Unkenreflexe wie zu der Froschhypnose in näherer oder fernerer Beziehung stehen und ‚offenkundig auf die gleiche Anlage zurückgehen. Sie sind durch- gehends als tonische Reflexe im Sinne Verworn’s aufzufassen, denen ja, wie eingangs ausgeführt wurde, wegen der beobachteten Muskel- 1) E. Mangold, 1. ce. S. 76. 2) E. Mangold, l.c. S. 48. 3) J. S. Szymanski, Die sogenannte tierische Hypnose bei einer Insektenart. Arch. f. d. ges. Physiolog. Bd. 166 S. 530. 1917. 23% 344 L. Löhner: tonussteigerung auch der Unkenreflex zugerechnet werden muss. Aber mit keinem von ihnen lässt sich dieser identifizieren und schon gar nicht in biologischer Hinsicht gleichsetzen. Sie seien nachfolgend aufgezählt: l. Der Katzenbuckelstellungsreflex von Rana temporaria, nach Verworn!) hervorrufbar durch kurzes Reiben oder Drücken der Seiten- und Rückenhaut des Rumpfes. Die Tiere erheben sich, wenn man sie in ihrer gewöhnlichen Hockstellung auf die angegebene Weise reizt, infolge einer’ tonischen Kontraktion der Muskeln in den ver- schiedensten Körpergebieten, auf alle vier Beine und stehen in Katzen- buckelstellung still, ohne mit dem Bauch den Boden zu berühren. Die Tiere lassen sich in diesem Zustand auch auf den Rücken legen, ohne dass Lagekorrektionsbewegungen einsetzen oder Erfolg haben. 2. Ein bei Rana esculenta gelegentlich von Verworn ?) beobachteter Reflex, der folgendermaassen beschrieben wird: ‚Ich habe häufig gefunden, dass selbst ganz lebhafte Eskulenten, wenn man sie sanft in die hohle Hand nimmt, schon in ihrer normalen Bauchlage plötzlich die Hinterextremitäten eng an den Leib anziehen und mit geschlossenen Augen vollkommen bewegungslos bleiben. In diesem Zustande kann man sie ebenfalls auf den Rücken legen, ohne dass sie aus ihrer zu- sammengekauerten Stellung aufzustehen versuchen (Fig. 10). Ihr ganzes Verhalten und besonders ihre Haltung erinnert eher an das sogenannte „Sichtotstellen‘“ der Insekten, die bekanntlich ebenfalls die Extremitäten meist eng an den Leib anziehen und wie ein lebloser Klumpen bewegungslos auf dem Rücken liegenbleiben. Beim Frosch ist in dieser Stellung der Tonus der Muskeln welche die hinteren Extremitäten an den Leib anziehen, sehr beträchtlich.‘ 3. Danilewsky °) schildert einen Reflex, der bei Fröschen dadurch hervorgerufen wird, dass irgendein Körperteil, wie Hals, Brust oder Beine, mit einem Bindfaden, einem Kautschukrng oder e'ner Klemme schnell umschnürt oder zugeklemmt wird. Das Tier wird hierdurch in einen leichenähnlichen Erstarrungszustand versetzt; die Willkür- bewegungen sind vollständig eingestellt, passiv kann das Tier in jede beliebige Lage gebracht werden, die Augen sind geschlossen, die Atmung hört auf, und ziemlich starke Hautreize bleiben wirkungslos. ‚Dieser Zustand, welcher sehr lange Zeit dauern kann, ähnelt sehr den oben be- schriebenen Hypnoseerscheinungen und unterscheidet sich von letzteren durch einen noch höheren Grad der allgemeinen Lähmung.‘ Nach Aufhören des Reflexes erscheinen die Frösche sehr matt und ermüdet. 1) M. Verworn, l. ce. S. 65. 1897 und S. 31. 1898. 2) M. Verworn, |. c. S. 32.1898. 3) B. Damilewsky, 1..c.'S. 5lk Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 345 4. Dass auch bei Urodelen derartige Reflexe beobachtet wurden, geht aus einer älteren Arbeit von Czermak !) hervor, der beim Kamm- molch‘ einen mehrere Sekunden dauernden Erstarrungszustand da- durch hervorrufen konnte, dass er Schwanz oder Bein des Tieres mit einer Pinzette plötzlich drückte. Der Molch verharrt sodann mit kfampfhaft geschlossenen. Augen am Boden des Aquariums regungslos in der Stellung, die er im Augenblicke der Reizung eben eingenommen hatte. Preyer ?°) konnte diesen Reflex ausser bei Triton cristatus Laur. auch noch bei T. taeniatus Schneid. und T. alpestris Laur. auslösen. Von den hier aufgezählten Fällen sind wohl die letztgenannten, bei denen plötzlich einsetzende, kurzdauernde mechanische Reize das auslösende Moment darstellen, dem Unkenreflex am nächststehenden, aber diesem doch nicht völlig gleichzustellen. Im Sinne Mangold’s wären wohl alle diese Reflexe als spezielle Erscheinungsformen der tierischen Hypnose aufzufassen. Ich habe ferner selbst noch mit sämtlichen ‚heimischen Anuren diesbezügliche Versuche angestellt, um mir darüber Klarheit zu ver- schaffen, wie sie sich unter Bedingungen verhalten, die bei Bombinator den Reflex hervorrufen. Druckreize, die die Rückenmitte in der ge- schilderten Weise treffen, waren bei Raniden wirkungslos; Hyla arborea und Bufoniden reagierten dagegen meist in bezeichnender Weise. Ein derart gereiztes Tier, zum Beispiel eine Erdkröte, bläht die Lungen- säcke auf, duckt sich und liegt bewegungslos, platt an die Unterlage gedrückt da. Die Beine sind fest angezogen, an den Körper gepresst und von. den Körperseitenrändern halb überdacht, nie aber, wie bei den Unken, erhoben und mit der Unterseite auswärts gekehrt. Eine kahnförmige Durchbuchtung des Rückens, bedingt durch Empor- biegung der Körperenden und Krümmung der Wirbelsäule, findet nicht statt; das Schnauzenende ist im Gegenteile an die Unterlage gepresst. Infolge der durch die prall gefüllten Lungensäcke auf- gewulsteten Seitenwände erscheint aber auch hier die Rückenmitte gegen die Randpartien vertieft. Diese Ermittlungen berechtigen, den Unkenreflex als in seinen Besonderheiten einzigartig hinzustellen. Wenden wir uns der biologischen Seite des Problemes zu, so er- scheint es verlockend, im Sinne der vielfach heute noch herrschenden Anschauungen namhafter Biologen über die Bedeutung des Reflexes l) J. N. Czermak, Eine neuro-physiologische Beobachtung an einem Triton cristatus. Zeitschr. f. wiss. Zoolog. Bd. 7 S. 342. 1856. 2) W. Preyer, Die Kataplexie und der tierische Hypnotismus. Jena 1878. (Zitiert nach E. Mangold, 1. e. S. 21.) 346 L. Löhner: Gedanken zu entwickeln, wie sie in folgendem wiedergegeben werden sollen. Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich aber aus- drücklich betonen, dass ich mich selbst keineswegs auf. den: teleo- logischen Erklärungsstandpunkt stelle und, wie ich es schon anderen Ortes!) erwähnt habe, von biologischen Schutzreflexen nur mit gewisser Einschränkung spreche. Sorgfältige Naturbeobachtung lehrt nämlich unzweifelhaft, dass bestimmte gegebene Reflexe für das betreffende Lebewesen unter Umständen einen Schutzfaktor darstellen; aber ein kausaler Zusammenhang zwischen der Entstehung und dem Ablauf dieser Reflexe und der Schutzfunktion muss deshalb nicht bestehen. Die Oberflächenfärbung der Kröten und, beinahe in noch höherem Grade, die der Unken weist die Eigenschaften einer typischen Schutz- färbung auf. Der Farbenton der Oberfläche von Bombinator zeigt auch stets eine geradezu überraschende Übereinstimmung mit dem des Untergrundes, des lehmigen Tümpels oder Strassengrabens, der den Tieren zum Aufenthalte dient. Ihr Verhalten bei Beunruhigung entspricht auch vollkommen dem von durch ‚schützende Ähnlich- keit‘ ausgezeichneten Tieren. Die aufgeschreckte Unke flieht nur auf kurze Entfernung, taucht und wühlt sich in den Bodenschlamm ein, von dem sie, teilweise überdeckt, nicht zu unterscheiden ist. Sie verhält sich völlig regungslos und beobachtet mit den stark promi- nenten, aufwärts gekehrten, an Teleskopaugen gemahnenden Seh- organen die Umwelt. ; Auffallend und in diesem Zusammenhange vorerst schwer deutbar erscheint nun die bei Anuren ungewöhnliche gelbschwarze Zeichnung der Unterseite. Es ist dies eine Farbenzusammenstellung,. die wir als Warn- oder Schreckfarben anzusehen gewohnt sind. Doflein ?) führt mannigfaltige Beispiele für das Vorkommen von Warnfarben, besonders bei Insekten, an und bemerkt hierzu: ‚Sehr viele schlecht- schmeckende, ja selbst giftige Tiere können durch diese ihre Eigen- schaften ihren Feind nicht vollkommen von sich abwehren‘ und ihn auch nicht überwältigen. Sie werden zwar von ihm wieder ausgespuckt und nicht gefressen, sind aber meist durch seinen Angriff so verletzt, dass sie an den Folgen bald zugrundegehen. Wenn nun solche Tiere für ihre Verfolger je nach deren Sinnesorganen durch Gerüche oder Farben so ausgezeichnet sind, dass jene sie leicht erkennen und wieder- erkennen, so werden jene sie nach einigen schlechten Erfahrungen zu vermeiden suchen. Tatsächlich sind denn auch viele schlecht- schmeckende, giftige oder sonstwie ungeniessbare Tiere durch sehr Meitohnmer., l..c, S. 328 23) FE. De nf Tier als Glied des Naturganzen. II. Bd. v. Hesse- Doflein, Tierbau und Tierleben in ihrem Zusammenhang betrachtet S. 373. Leipzig und Berlin 1914 (B. G. Teubner). Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 347 ‚auffallende Farben und Zeichnungen kenntlich gemacht. Sie ent- behren der Schutzfärbung und Gewohnheit, sich zu verbergen. Sie bewegen sich offen langsam umher, gleichsam im Vertrauen auf den Schutz, den ihre besonderen Eigenschaften ihnen gewähren.‘ Neben diesen weithin kenntlichen Formen gibt es auch solche, die nur be- stimmte, mit Warnfarben ausgestattete Körperpartien besitzen und sie für gewöhnlich auch nicht offensichtlich tragen. Nur bei der Ein- nahme sogenannter Bereitschafts- bzw. Trutzstellungen rücken sie in den Vordergrund; das plötzliche Auftauchen einer stark mit der Um- gebung kontrastierenden Farbe am Körper eines mehr oder minder harmlosen Tieres spielt hier die Rolle des Abschreckungsmittels. Es liegt nahe, den Reflex der ein ätzendes Hautsekret'!) absondernden Unken (vgl. S. 328) als Bereitschaftsstellung im obigen Sinne, also als Schreck- oder Warnstellungs- reflex aufzufassen. Das Bezeichnende liegt darin, dass von allen heimischen Anuren einzig und allein die Unken eine derart auf- fallend gefärbte Unterseite besitzen, und dass nur bei den Unken der Reflex diese absonderliche Form der Hervorkehrung der Ventral- zeichnungen zeigt. In diesem Zusammenhange interessant erscheint auch die bereits (S. 334) erwähnte Beobachtung, dass ganz junge Tiere, die die ausgeprägte gelbschwarze Ventralzeichnung noch nicht besitzen, den Reflex nicht zeigen. Mangold) hat es im Anhange seiner Studie auch unternommen, die recht heterogenen, im Tierreiche vorkommenden „‚Hypnose‘- zustände im weitesten Sinne in ein System zu bringen. . Bei Aufzählung der Untergruppen stellt er der ‚experimentellen Hypnose durch psychische Hemmung (Suggestionshypnose)‘ und der „experimentellen Hypnose durch mechanische Hemmung‘, beide ohne offensichtliche biologische Bedeutung, die ‚natürliche Hypnose durch biologische Reize (Totstellung bei Krebsen und Insekten, Katalepsie der Stab- heuschrecken)“ gegenüber. Diese letztere Kategorie hierhergehöriger ‚sogenannter biologischer Schutzreflexe bedarf wohl dem Umfange wie 1) Ich hatte selbst anlässlich der operativen Arbeiten mit Unken Gelegenheit, mich von der starken Reizwirkung des Sekretes auf Schleim - häute zu überzeugen, insofern als das bei dieser Gelegenheit unvermeid- liche längerwährende Einatmen der eigentümlichen, aber keineswegs be- sonders stark erscheinenden Riechstoffe bei mir stets Niesen und eine etwa eine Stunde nachwirkende, an Schnupfen gemahnende Nasensekretions- steigerung hervorrief. — Ein junger Hund, der zufällig meine Hand, mit der ich vor kurzem Unken berührt hatte, beschnupperte und ableckte, zeigte sofort durch lebhafte Zungen- und Schluckbewegungen Zeichen des Unbehagens und wich von da an jeder ihm vorgesetzten Unke ängstlich aus. 22 E2 Mangold, 1. e. 3.80: 34 L. Löhner: [0 2) Inhalte nach einer Ergänzung, und ich würde meinem Beobachtungs- material zufolge etwa nachstehende Einteilung vorschlagen: 1. Totstellungsreflexe !) (Scheintotreflexe, Sichtotstellen usw.). Gekennzeichnet durch die auf bestimmte äussere Reize (optische, Erschütterungs- und Berührungsreize) hin plötzlich erfolgende reflek- torische Einstellung jeder Art von sichtbarer Bewegung. Die Haltung des Körpers und seiner Teile ist während des Reflexes meist in be- stimmter, stets gleicher Weise festgelegt (zum Beispiel Zusammenrollen zur Kugel- oder Spiralform bei gleichzeitigem Anziehen und Decken aller Körperanhänge), seltener wechselnd und jener Stellung ent- sprechend, in der sich das Tier im Augenblicke der Reflexauslösung eben befand. Vorwiegend langsame, zur Flucht schlecht geeignete Tiere. Anzuführen wären hier beispielsweise die Spiralreflexe der Diplopoden und: gewisser Raupen, die Fallreflexe der Blattkäfer, gewisser Pflanzenwanzen und Noktuen, die Immobilitätsreflexe der Brachiuren und andere. Die Formen sind meist durch ‚schützende Ähnlichkeit‘ mit der Umgebung (Schutzfärbung) ausgezeichnet. Von Bedeutung für das Übersehenwerden durch den Angreifer ist ferner der Umstand, dass die sogenannte Bewegungssehschärfe im Tierreiche ganz allgemein der Sehschärfe für unbewegte Objekte überlegen ist; bewegungslose Objekte werden daher leichter übersehen als sich be- wegende. Der Name Totstellreflexe ist unglücklich gewählt und un- richtig °), hat sich aber bereits eingebürgert. 2. Mimikryreflexe (Schutzstellungsreflexe). Weitgehende Über- einstimmung mit der vorstehenden Kategorie; doch findet nie ein Zusammenrollen, Sichfallenlassen der Tiere oder dergleichen statt, sondern es werden an sich absonderliche Körperstellungen angenommen, die im Vereine mit der hier stets vorhandenen Schutzzeichnung das Moment schützende Ähnlichkeit mit der Umgebung, vor allem die Nachahmung von Pflanzenteilen, im höchsten Grade zur Ausbildung bringen. Beispiele: Reflexstellungen der Geometridenraupen, der Stab- heuschrecken, der Wandelnden Blätter und anderer. 3. Schreck- oder Warnstellungsreflexe. Reflektorische Ein- nahme von Bereitschafts- und Trutzstellungen unter gleichzeitiger Bewegungseinstellung. Meist wehrhafte, giftige oder ungeniessbare Tiere, durch Warnfarben und -gerüche ausgezeichnet. Vielfach werden erst im Reflexe mit Schreckzeichnungen und -farben ausgestattete, sonst verdeckte Körperpartien hervorgekehrt (zum Beispiel Hinter- flügel des Abendpfauenauges, Unterseite der Feuerunken) oder auf- fallend gestaltete, grell gefärbte, Gerüche erzeugende Organe aus- 1) Vel. L. Löhner, 1. c. S. 374ff. Dort eingehende Behandlung des Gegenstandes. DE SBorhmier n lnc. 08283: Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 349 gestülpt (zum Beispiel Hinterleibsdrüsen von Malachiiden, Elateriden und Staphyliniden, Nacken- und Schwanzgabeln gewisser Raupen). Die Dauer der reflektorischen Bewegungseinstellung ist in der Regel merklich kürzer als bei den beiden vorausgegangenen Reflextypen. Vielfach ist sie bereits so herabgesetzt, dass man praktisch genommen bei diesen Fällen von Bereitschaftsstellungen von einer Bewegungs- einstellung bzw. Bewegungslosigkeit nicht mehr sprechen kann. Alle diese für sich allein genommen höchst sonderbaren und schwer erklärbaren Reflexe verlieren viel des Rätselhaften, wenn wir uns der Bohn’schen !) Unterschiedsempfindlichkeits-Hypothese erinnern, mit der sich jeder moderne Erklärungsversuch tierischer Hypnose- erscheinungen irgendwie auseinandersetzen muss. Danach sind diese Reflexe auf das Phänomen der Unterschiedsempfindlichkeit (sensi- bilite differentiale), die Reaktion auf plötzliche Veränderungen äusserer Kräfte (Veränderung der Umgebung), zurückzuführen, die ein uraltes Erbstück aller lebenden Substanz ist. Je mehr wir uns mit dem Gegenstande beschäftigen, desto notwendiger erscheint es mir des- halb, sich darüber klar zu werden, dass die Fragestellung nicht zu heissen hat, wo können wir tierische Hypnoseerscheinungen im weitesten Sinne in irgendeiner Form nachweisen, sondern, wo können wir sie heute nicht mehr nachweisen. An anderer Stelle ?) habe ich betont, dass bei den genannten Reflexen das Phänomen der Unter- schiedsempfindlichkeit allerdings nicht mehr in seiner ursprünglichen Form vorliegt, und dass man aus zwingenden Gründen eine Weiter- differenzierung und Spezialisierung in bestimmter Richtung, in anderen Fällen eine Rückbildung und Unterdrückung annehmen muss. Bei aller prinzipiellen Übereinstimmung mit dem Standpunkt Loeb’s®) und Bohn’s), die bestrebt sind, die teleologische Be- trachtungsweise auf biologischem Gebiete nach Möglichkeit aus- zuschalten, glaube ich doch, dass es zuweit geht, diesen Reflexen jedwede biologische Bedeutung absprechen zu wollen, und dass man, gestützt auf Erfahrungstatsachen, berechtigt ist, hier im früher an- gedeuteten Sinne (vgl. S. 346) von Schutzreflexen zu sprechen. V. Zusammenfassung. l. Bombinator igneus Laur. zeigt auf bestimmte Reize hin einen eigentümlichen, den Gesamtkörper umfassenden Reflex. Durch ein maximales Zurückbiegen des Kopf- und Steissendes erhält der aus- l) @. Bohn, Die neue Tierpsychologie S. 43. Deutsche Übersetzung von R. Thesing. Leipzig. 1912 (Veit & Co.). 2) L. Löhner, |. c. S. 377. 3) J. Loeb, Die Bedeutung der Tropismen für die Tierpsychologie. Leipzig 1909. _ 2). 62 Bohn, Ic-82 7: 350 ner L. Löhner: schliesslich auf der Bauchfläche ruhende Körper Kahnform. Die er- hoben und angezogen gehaltenen Extremitäten kehren die Plantar- flächen nach oben aussen. Der absonderliche, hierdurch hervorgerufene Gesamteindruck erfährt noch dadurch eine Steigerung, dass Teile der auffallend gezeichneten, gelbschwarz gefärbten Unterseite auf diese Weise sichtbar werden. 2. Die charakteristischen Eigenschaften des Reflexes sind plötz- licher Eintritt vollständiger Bewegungslosigkeit in stets konstanter Körperhaltung, Muskeltonussteigerung (bei verschiedenen Muskeln in verschiedenem Grade), Lidschluss, Einstellung bzw. Verflachung des Kehlhautspieles und Steigerung der Hautsekretion. 3. Neben den typischen Reflexen kommen auch des öfteren so- genannte unvollständige Reflexe zur Beobachtung. Sie sind durch eine geringfügigere Muskeltonussteigerung charakterisiert, die sich schon in der Körper- und Extremitätenhaltung äussert. Die Durchbuchtung des Rumpfes ist nur angedeutet, die Beinhaltung entspricht ungefähr einer Mittelstellung zwischen typischer Reflex- und Hockhaltung, die . Augen sind nur halbgeschlossen. Bei der spontanen, allmählich er- folgenden Lösung des typischen Reflexes wird auch stets dieses Stadium durchlaufen. 4. Die Ursache für Lidschluss und Bulbusretraktion während des Reflexes liegt darin, dass der Musculus retraetor bulbi zu den während des Reflexes maximal kontrahierten Muskeln gehört. | 5. Die Lagekorrektionsreflexe nach Versetzen in abnormale Körper- lagen unterbleiben während des typisch ausgebildeten Unkenreflexes ; bei „unvollständigen Reflexen‘ hingegen treten sie prompt auf und beenden sofort den Zustand. 6. Wie Exstirpationsversuche lehren, ist das Zustandekommen des Reflexes nicht an die Intaktheit bestimmter Hirnpartien gebunden. Auch am dekapitierten Rumpftier, ja selbst am isolierten Schulter- und Beckengürtelpräparat lassen sich charakteristische Reflexstellungen hervorrufen. 7. Als reflexauslösende Reize kommen in erster Linie mechanische Druck- und Berührungsreize in Betracht, die unterschiedliche Körper- stellen treffen. Besonders empfindlich ist in dieser Hinsicht die Mittel- linie der Rückenfläche. Die periphere Reizperzeption erfolgt hierbei ausschliesslich durch die sensiblen Hautnerven und nicht durch die Nerven tieferer Gewebsschichten. Andere Reize, wie Erschütterungen der Unterlage, Anblasen, grelle und plötzliche Beleuchtung usw. ver- mögen mitunter den Reflex hervorzurufen. Die Wiederholung bzw. Applikation eines der letztgenannten Reize während des Reilex- zustandes wirkt stets in der Weise, dass sie den Reflex verstärkt und verlängert, nicht aber ihn unterbricht oder beendet. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. 174. Tafel IV. Abb. 1. Abb. 3. Abb. 4. Abb. 6. Abb. 9. Abb. 11. Abb. 10. L. Löhner, Eigentümlicher Reflex der Feuerunken. Verlag von Julius Springer in Berlin. Über einen eigentümlichen Reflex der Feuerunken. 351 8. Die Reflexdauer bewegt sich zwischen mehreren Sekunden und einigen Minuten; sie unterliegt individuellen Schwankungen, ist aber auch für das einzelne Individuum inkonstant. 9. Die Körperlänge bzw. das Lebensalter der Tiere erweist sich für die Dauer und Form des Reflexes nicht ohne Einfluss. Bei jungen Tieren unter 15 mm Körperlänge, denen die satte gelbschwarze Ventral- zeichnung noch fehlt, treten die Reflexe überhaupt nicht auf. 10. Von physikalischen Faktoren beeinflusst die Temperatur auf das deutlichste Art und Weise des Reflexablaufes. ll. Im Sinne der von Mangold gegebenen weitgesteckten De- finition des Begriffes der tierischen Hypnose ist der Unkenreflex als einer ihrer Spezialfälle aufzufassen. Er ist aber keineswegs mit dem bisher als „Hypnose“ bei Fröschen bezeichneten, wiederholt unter- suchten Symptomenkomplex zu identifizieren und weist diesem gegen- über bemerkenswerte Unterschiede auf. 12. In biologischer Beziehung kann der Unkenreflex als Schreck- oder Warnstellungsreflex aufgefasst werden. VI Tafelerklärung. Tafel IV. Abb. 1—10. Bombinator igneus Laur. Photographische Aufnahmen nach der Natur, verkleinert auf vier Fünftel der natürlichen Grösse. Abb. 1 und 2. Ausgewachsenes Tier in normaler Hockstellung, Seiten- ansicht (Abb. 1) und Aufsicht (Abb. 2). Abb. 3, 4, 7 und: 8. Ausgewachsenes Tier in typischer Schreckreflex- stellung in der Ansicht von der Seite (Abb. 3), von oben (Abb. 4), von vorne (Abb. 7) und von hinten (Abb. 8). Das Sichtbarwerden der gelbschwarzen Unterseitenzeichnungen während des Reflexes ist besonders in der Abb. 7 (Kehlregion) und Abb. 8 (Analregion) zu erkennen. Abb. 5. Halbwüchsiges Tier in typischer Reflexstellung. Aufsicht wie Abb. 4. Abb. 6. Aufsicht auf ein während des Reflexes bei Ausbleiben der Lage- korrektionsreflexe in Rückenlage versetztes Tier. Abb: 9 und 10. Ausgewachsenes Tier, einen sogenannten unvollständigen Reflex zeigend. Ansicht von der Seite (Abb. 9) und von hinten (Abb. 10). Die für diesen Zustand charakteristische geringergradige Muskeltonussteigerung kommt in der diesen Bildern zu entnehmen- .den Körper- und Beinhaltung deutlich zum Ausdruck, besonders wenn man die Abb. 9 ünd 3 und 10 und 8 mit einander vergleicht. Abb. 11. Ausgewachsenes Tier, eine Form unvollständiger Reflexe zeigend, wie sie bei spontaner Reflexlösung durchlaufen wird. Die Hinter- beine sind bereits auf die Unterlage niedergesunken, aber noch abduziert. x Uber Muskeltonus und Muskelkontraktur beim Menschen. Von Dr. A. Bornstein. (Aus dem physiologischen Laboratorium am Allgemeinen Krankenhause St. Georg in Hamburg.) (Eingegangen am 15. November 1918.) Eine Reihe wichtiger Tatsachen über den Tonus der Muskulatur bei allen Klassen des Tierreiches sind durch die Untersuchungen der letzten Jahre zutage gefördert worden. Es sollen mit Rücksicht darauf hier einige Versuche zusammengefasst werden, die Schlüsse auf die Verhältnisse beim Menschen erlauben. Diese Versuche, an denen weiter zu arbeiten der Krieg mich verhinderte, liegen schon längere Zeit — zum Teil 10 Jahre und mehr — zurück; sie sind also teils vor, teils etwa gleichzeitig mit den entsprechenden Versuchen am Tiere angestellt worden. Sie sind jedoch an wenig zugänglichen Orten und zerstreut veröffentlicht, so dass eine kurze Zusammen- stellung unter Berücksichtigung der neueren Arbeiten gerechtfertigt erscheint. Der erste, der einen Muskeltonus feststellte, war Brondgeest!). Er durchschnitt beim Frosche den N. ischiadicus einer Seite und be- obachtete Erschlaffen der Muskulatur dieser Seite. Später wurde, insbesondere von Boeke?), durch mikroskopische Befunde eine sym- pathische Innervation der Skelettmuskulatur nachgewiesen. Dies ver- anlasste de Boer°) und später Mansfeld ?), neues Material zu sammeln, aus dem hervorging, dass ein gewisser Einfluss des sym- pathischen Nervensystems auf den Muskeltonus besteht. Allerdings haben Negrin y Lopez und E. Th. von Brücke?) sowie Dusser de Barenne®) dargetan, dass dieser Einfluss nicht so gross ist, wie de Boer annahm, und dass namentlich einige Zeit nach Fortfall des 1) Brondgeest, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860 S. 703. 2) Boeke, Anatom. Anzeiger Bd. 44 S. 343. 1913. 3) de Boer, Zeitschr. f. Biol. Bd. 65 S. 239. 1915. 4) Mansfeld, Pflüger’s Arch. Bd. 161 S. 478. 1915. 5) Negrin y Lopez und E. Th. v. Brücke, Pflüger’s Arch. Bd. 166 99.219160: 6) Dusser de Barenne, Pflüger’s Arch. Bd. 166 S. 145. 1916. Über Muskeltonus und Muskelkontraktur beim Menschen. 353 Sympathicustonus ein Ersatz durch tonische Einflüsse motorischer Fasern sehr wohl möglich ist. Andererseits hat man schon frühzeitig versucht, den Einfluss des Muskeltonus auf den Stoffwechsel zu bestimmen. Die Versuche von Zuntz!) und von Pflüger ?) wiesen ein Sinken des respiratorischen Stoffwechsels bei Verminderung des Muskeltonus nach; diese Herab- setzung des Muskeltonus wurde durch Curarisieren oder durch Rücken- marksdurchschneidung erreicht. Später legte ich ?®) mir die Frage vor, ob auch beim Menschen ein solcher Einfluss des Muskeltonus nachzuweisen ist. Ich fand nach längerem Suchen einen 32jährigen Tabo-Paralytiker mit ausgesprochener Hypotonie der Skelettmuskeln, der sich einigermaassen für Respirations- versuche am Zuntz-Geppert 'schen Apparate eignete. Die ersten Versuche gaben zu hohe Werte, da die Versuchsperson sehr unruhig war; bei Gewöhnung an den Apparat wurde der Mann aber leidlich ruhig und gab die folgenden Werte für den respiratorischen Stoff- wechsel: Tabelle Il. Hypotonie. Pro Minute Eee ee Erhaltungs- Datum 0O,-Ver- ; C0,;-Pro- Ba 2a brauch | duktion. [94 Stunden: OÖ; com | ccm 18. Dezember 1908... | 1138 | 140 1242 0,873 31. Dezember 1908... . 182,6 140,0 1250 0,767 9. Dannere ol Te 1951 0,747 14. Januar 1909 .... 171,9 332 1190 0,804 Matter os] Der Mann wog 62 kg. Bei einem solchen Manne war nach den Magnus-Levy’schen Standardzahlen ein Ruheumsatz von 1525 Ka- lorien zu erwarten. Gefunden wurde in den vier gut miteinander über- einstimmenden Versuchen ein Erhaltungsumsatz von 1233 Kalorien — S1°/, der Norm. Da die Versuchsperson immer noch nicht absolut ruhig lag, so wird die Herabsetzung des Erhaltungsumsatzes noch etwas grösser gewesen sein. Etwa 20%, des normalen Kraftwechsels wird also beim Menschen durch den Muskeltonus ver- ursacht. Die Grössenordnung dieser Zahl stimmt ziemlich gut mit den gleich zu besprechenden Versuchen von Mansfeld und Lukacaz *) überein, die nach der gleichen Methode angestellt sind. DR) Zuntz, Pflüger’s Arch., Bd, 127S. 522. 1876. 2) Pflüger, sein Arch. Bd.18 S. 247. 1878. 3) Bornstein, Monatsschr. f. Psychiatr. u. Neurol. Bd.:26 S. 391. 1909. 4) Mansfeld und Lukacz, Pflüger’s Arch. Bd. 161 S. 467. 1915. 354 A. Bornstein: Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Frank und Fr. Voit!) mit geringen ÜÖuraredosen einen Einfluss des Muskeltonus auf die CO,-Ausscheidung nicht feststellen konnten. Die Gründe dieser schein- bar widersprechenden Befunde haben Mansfeld und Lukacz ?) in ihrer schönen Arbeit aufgedeckt; sie zeigten gleichzeitig die Ab- hängigkeit des Kraftumsatzes des tonisch erregten Muskels vom Sym- pathicus. Die Analyse der elektrischen Erscheinungen des tonisch kontra- hierten Muskels mittelst des Saitengalvanometers ergab interessante Resultate. Dittler ?) untersuchte als erster den Tonus des Zwerch- fells in der Apnöe mit dieser Methode; er fand Ausschläge, die ihn zu dem Schluss berechtigten, dass der Tonus des Zwerchfells ein leichter Tetanus dieses Muskels ist. Das gleiche konnte P. Hoff- mann) beim Studium der Aktionsströme der ruhenden Augen- muskeln nachweisen. Ebenso fand Buytendieck °) bei der Enthir- nungsstarre (‚‚decerebrate rigidity‘‘) der Katzen rhythmische Aktions- ströme der Skelettmuskeln; es ist daher auch diese Muskelstarre ein Tetanus. Alle diese Arten des Tonus gleichen also der Muskelkontrak- tion. bei statischer Arbeit, die ebenfalls erstens mit einer Vermehrung des Kraftwechsels einhergeht ®), zweitens rhythmische Aktionsströme von hoher Frequenz aufweist. | Es kann, wie oben ausgeführt, als sicher bezeichnet werden, dass der Muskeltonus beim Menschen von Einfluss auf den Energieumsatz ist, ebenso wie beim Säugetier. Wir haben aber eine Reihe von Zuständen kennengelernt, bei denen Muskelspannungen ?) ohne Ein- fluss auf die Oxydationsvorgänge und die Aktionsströme im Muskel sind. Um auch äusserlich diesen Unterschied festzulegen, werde ich bei Besprechung dieser Zustände vorläufig nicht von Muskeltonus, sondern von Muskelkontraktur reden. Eine endgültige Regelung der Terminologie auf diesem Gebiete muss einer späteren Zeit vor- behalten bleiben. Die ersten Tatsachen, die auf eine solche Kontraktur ohne OÖxydationsvermehrung beim quergestreiften Muskel hinweisen, sind in einer Versuchsreihe gegeben, die ich an einem 20jährigen Mann mit Hydrocephalus anstellte, der mit hochgradigen Beuge- 1 Krank und Voit, Zeitschr. f. Biol. Bd. 42 S. 309. IB ae Arch. f. [Anat. u.] Physiol. 1913 S. 23. ) Buytendieck, Zeitschr. f. Biologie Bd. 59 S. 36. 6) Siehe zum Beispiel Bornstein und Poher, Pflüger’s Arch. Bd. 95 S. 146. 1903. 7) Oder nach Noyons und v. Uexküll, Muskelverhärtungen. (cf. Zeitschr. f. Biol. Bd. 56 S. 139.) ) 2) 1 3) Ditkler, Pflüger’s Arch. Bd. 130 S. 400. 1909. 4) 5 Über Muskeltonus und Muskelkontraktur beim Menschen. 355 kontrakturen der oberen und unteren Extremitäten behaftet war !). Die Resultate der Respirationsversuche mit dem Zuntz-Geppert- schen Apparate zeigt die folgende Tabelle: Tabelle 2. RL a SR, Erhaltungs- Datum ee ee. a brauch | duktion [04 Stunden 2 ccm | ccm 2a, al LO E a e 178,0 | 133,4. 1217 0,845 DORT NEAIOSE N FE 174,7 122,2 1179 0,728 SENUeUst. 1908...» 148,6 | 113,0 1017 0,761 ZeNDeusm 1908... ..... 141,9 111,5 977 0,786 34. Oktober 1908. . . . 164,8 | 144,4 1179 0,859 Mittel | 1116 Der Erhaltungsumsatz betrug im Mittel der fünf Versuche 1116 Ka- lorien, was bei einem Körpergewicht von 45 kg 85°/, der Norm aus- macht. Statt der von mir erwarteten Steigerung der Oxydationen fand sich eine Herabsetzung; die Kontrakturen hatten also jeden- falls keine Vermehrung des Energieumsatzes bewirkt. Eine Erklärung war für mich ‘damals deswegen sehr schwierig, weil die schönen Versuche von Parnass ?) und Bethe °), die ähnliche Kon- trakturen ohne Oxydationsvermehrung bei glatten Muskeln von Wirbel- losen beschrieben, damals. noch nicht erschienen waren. Immerhin war ich mit der Deutung, die ich als die wahrscheinlichste hinstellte, auf dem richtigen Wege; ich sagte damals: ‚Am ehesten würde man die Tatsache wohl noch unter der Annahme erklären können, dass es infolge: der langdauernden Kontrakturen zu sekundären Verände- rungen gekommen sei, durch welche die gespannte Muskulatur so- zusagen gewisse funktionelle Eigenschaften des Bindegewebes an- genommen habe‘ ?). Der Befund selbst wurde später von Grafe°) bestätigt, der bei spastischer Spinalparalyse ebenfalls keine Steigerung der Oxydationen l) cf. Bornstein, Monatsschr. f. Psychiatr. u. Neurol. Bd. 26 S. 394. 1909. 2) Parnass, Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 441. 1910. 3) Bethe, Pflüger’s Arch. Bd. 142 S. 291. 1911. 4) Ich habe damals jedoch die theoretischen Erörterungen Bethe’s (Anat. u. Physiol. des Nervensystems, Leipzig 1903, S. 367 ff.) übersehen, in denen schon die Hypothese aufgestellt war, dass die Kontraktur des glatten Muskels im Gegensatz zum quergestreiften Muskel ohne „aktive Arbeit‘ zustande kommt. ») Grafe, D. Arch. f. klin. Med. Bd. 10278: 28. 1911. 350 A. Bornstein: fand. Über die Deutung musste auch Grafe sich vorsichtig aus- drücken; allerdings konnte er die inzwischen angestellten Versuche von Parnass (l. c.) an der glatten Muskulatur einer Muschel als Analogon zitieren. Aber erst die Untersuchung der elektrischen Er- scheinungen bei Kontrakturzuständen, die einige Jahre später erfolgte, warf ein bestimmteres Licht auf die Resultate unserer Respirations- versuche. Die einschlägigen Versuche von A. Fröhlich und H. H. Meyer!) sowie diejenigen von Bornstein und Sänger °) sind unabhängig voneinander und ziemlich gleichzeitig angestellt worden. Fröhlich und Meyer arbeiteten an tetanusvergifteten Katzen, Sänger und ich an einem Manne mit amyotropischer Lateralsklerose, die von schweren, spastischen Kontrakturen der unteren Extremitäten be- gleitet war. Das wesentliche Ergebnis dieser miteinander überein- stimmenden und sich gegenseitig ergänzenden Untersuchungen ist: in beiden Versuchsreihen entspricht der starren Ver- kürzung der Muskeln kein Aktionsstrom: die photographische Aufnahme zeigt die Saite des Galvanometers in Ruhe. Neuerdings bestätigten Semerau und Weiler °) unsere Befunde durch Beobach- tungen am tetanischkranken Muskel des Menschen. Es liegt somit der Schluss nahe, dass die Vorgänge im Muskel bei der Kontraktur prinzipiell von denen beim Müuskeltonus und bei der Willkürkontraktion verschieden sind. Jedoch befindet sich nicht jeder spastisch kontrahierte Muskel im Zustande der aktionsstromlosen Verkürzung. Häufig, anscheinend namentlich in leichteren Fällen, ergibt die Analyse mittels des Saiten- galvanometers, dass es sich um Tetani handelt. Derartige Fälle sind von Simon und Hoffmann *), von Gregor und Schilder), von Sänger und mir ®) bei Nervenkranken, von Hoffmann ”) am veratrin- vergifteten Skelettmuskel des Frosches beschrieben worden. Im letzteren Falle scheint aus dem Studium der veröffentlichten Kurven mit Wahrscheinlichkeit hervorzugehen, dass es sich um eine Mischung von Tetanus und aktionsstromloser Kontraktur handelt. Solche Mischungen sind natürlich schwer zu beurteilen, sind aber anscheinend sehr häufig. Schon v. Frey nahm an, dass in fast jedem 1) A. Fröhlieh und H. H. Meyer, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 26 8. 269. 1912. 2) Bornstein, Versamml. deutscher Nervenärzte 1912, Bornstein und Sänger, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. 52 S. 1. 1914. 3) Semerau und Weiler, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 33 S. 69. 1918. 4) Simon und Hoffmann, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. Bd. 5 S. 23. 1911. 5) Gregor und Schilder, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. Bd. 14 S. 359. 1913. 6) Bornstein und Sänger l.c. 7) Hoffmann, Zeitschr. f. Biol. Bd. 58 S. 55. ” Über Muskeltonus und Muskelkontraktur beim Menschen. 357 Tetanus eine mehr oder weniger ausgeprägte Kontraktur vorhanden ist. Ja, man wird sich fragen können, ob überhaupt Kontrakturen ohne schnelle Kontraktion vorkommen. Man müsste dann annehmen, dass in unseren oben beschriebenen Versuchen Tetani mit derartig kleinen Ausschlägen vorhanden sind, dass sie nicht mehr vom Galvano- meter verzeichnet werden. Jedoch bliebe das Fehlen emer Oxydations- vermehrung bei der Kontraktur zu erklären, und es muss daher mit grösster Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass Kontraktur und schnelle Kontraktion des quergestreiften Muskels prinzipiell voneinander verschieden sind. Immerhin erscheint es wichtig, weitere Wahrscheinlichkeitsbeweise für diese Ansicht beizubringen. Ich möchte daher jetzt noch einige Versuche anführen, die ich am Froschherzen angestellt habe. Hier liegen die Verhältnisse deswegen etwas einfacher, weil man durch die Gültigkeit des ‚‚Alles-oder-Nichts'‘-Gesetzes beim Herzen einen Maassstab für die Höhen der zu erwartenden schnellen Zuckungen hat !). Bei Vergiftung mit Lithiumchlorid fand ich nun an der ab- geklemmten Herzspitze des Frosches folgendes ?): Nach Betupfen mit LiCl entwickelt sich in der Herzspitze ein Zustand, in dem das Herz ausserordentlich leicht auf Kontraktur anspricht, während die Reizschwelle für die schnelle Zuckung ge- sunken ist. Bei stärkerer Vergiftung kann sich dieser Zustand in seltenen Fällen soweit steigern, dass das Herz leichter auf Kontraktur als auf Kontraktion anspricht. Man erhält dann auf schwache tetani- sierende Reize Dauerverkürzungen von mittlerer Stärke, die sich im Laufe von Minuten herausbilden. Erst auf stärkeren Reiz erscheint die bedeutend überragende schnelle Kontraktion von viel grösserer Höhe °). In diesem Falle scheint eine völlige Trennung der Kontraktur von der Kontraktion gelungen. Weitere Versuche in dieser Richtung müssen jedoch nach dem Kriege an- gestellt werden. 1) Ausnahmen vom „Alles-oder - Nichts“ - Gesetz kommen vor (cf. Bornstein, Arch. f. [Anat. u.] Physiol. 1906, Suppl. 8. 377); doch sind die dadurch entstehenden Fehler bei einiger Aufmerksamkeit zu ver- meiden. 2) Bornstein, Arch. f. [Anat. u.] Physiol: 1909 S. 100. 3) 1. cc. $. 118 Abb. 9. — Bei der Erklärung zu dieser Abbildung be- findet sich: ein sinnentstellender Druckfehler, den ich hier verbessern möchte. Es ist auf Zeile 5 der Abbildungenerklärung statt: „80 mm Rollen- abstand‘‘ zu lesen: ‚40 mm Rollenabstand‘“. Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 174. 24 Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. Dringen Verdauungsfermente in geschlossene Pflanzenzellen ein? Von W. Biedermann. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Jena. (Eingegangen am 25. November 1918.) Die verhältnismässig schlechte Ausnützbarkeit der meisten pflanz- lichen Nahrungsmittel wird zumeist darauf bezogen, dass die in ihnen enthaltenen Nährstoffe der Einwirkung der Verdauungsfermente da- durch entzogen sind, dass sie in Zellen eingeschlossen liegen, deren Wände aus einem Stoff bestehen, für welchen allen Wirbeltieren ein lösendes Ferment abgeht. Aber auch für Wirbellose ist, wenn man von gewissen Protisten absieht, bis jetzt erst in zwei Fällen (Helix und Astacus) das Vorhandensein einer ‚Cytase‘“ nachgewiesen worden. Da nun ausserdem den Verdauungsfermenten ziemlich allgemein kolloidale Eigenschaften zugeschrieben werden, so dass ein Eindringen in unverletzte Zellen dann kaum anzunehmen wäre, so bliebe eine Ausnützung des Inhaltes bei der Verdauung entweder auf den Fall beschränkt, dass die Cellulosemembranen mechanisch gesprengt werden, oder man muss die Mithilfe von Darmbakterien in Anspruch nehmen, welche Cellulose chemisch anzugreifen (zu ver- gären) imstande sind. Nun wird freilich zugegeben, dass der kolloidale Charakter der Fermente kein so ausgesprochener ist, dass sie alle Eigenschaften der typischen Kolloide im Sinne Graham’s besitzen. So trifft, wie Wohlgemuth bemerkt!), ‚gerade eines der Haupt- charakteristika für Kolloide, die gänzliche Unfähigkeit, tierische und pflanzliche Membranen zu passieren, für die Fermente nicht voll- kommen zu. Solange zwar die Fermente sich in Lösung mit anderen kolloidalen Beimengungen befinden, sind sie auch nicht imstande. zu dialysieren. Wenn man sie aber reinigt und von allen kolloidalen Beimengungen möglichst gründlich befreit, so erlangen einige von ihnen doch schliesslich die Eigenschaft, tierische und pflanzliche Membranen zu passieren“ (Wohlgsmuth). Da nun solche kolloidale 1) J. Wohlgemuth, Grundriss der Fermentmethoden. Berlin 1913. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 359 Beimengungen, wenn man vom Pepsin des Magensaftes absieht, gerade bei den natürlichen Verdauungssäften fast immer vorkommen und wie beim Pankreassaft der Wirbeltiere und den Darmsekreten vieler Wirbellosen (Mollusken, Insekten, Crustaceen) oft überreichlich vorhanden sind, so wäre gerade in diesen Fällen auf ein leichtes Ein- dringen kaum zu rechnen. Tatsächlich wird wohl allgemein an- genommen, dass bei der „Aufschliessung‘““ pflanzlicher Nahrungsmittel im Organismus der Wirbeltiere den Darmbakterien die Hauptrolle zufällt. Es prägt sich dies ja auch schon im anatomischen Bau der Herbivoren aus, indem besondere Gärungsräume von oft enormen Dimensionen entwickelt sind; man denke nur an die „Vormagen“ der Wiederkäuer und das riesige Coecum der Pflanzenfresser mit ein- höhligem Magen. Was nun die Frage betrifft, ob Verdauungsfermente auch in un- versehrte pflanzliche Zellen einzudringen imstande sind, so herrscht darüber eine merkwürdige Unklarheit, und ich habe weder für noch gegen eine solche Annahme sprechende, unzweideutige Beweise in der Literatur gefunden. Von der Beantwortung dieser Frage hängt aber, wie ich zeigen werde, nicht nur die richtige Beurteilung der Ver- dauungsvorgänge im Darm pflanzenfressender,. wirbelloser Tiere ab, sondern auch die Möglichkeit, die künstliche Verdauung als mikro- chemische Methode für pflanzliche Objekte zu verwenden. Es ist dies allerdings schon mehrfach, wenn auch ohne die notwendige Kritik, geschehen, und ich verweise in dieser Beziehung besonders auf die Arbeiten von Zacharias!), welcher die Pepsin-Salzsäure-Verdauung in ausgedehnter ‘Weise in Anwendung brachte. a) Amylasen. Von grosser Bedeutung ist die Frage nach dem Diffusionsvermögen der Fermente besonders auch in bezug auf die Diastase und die durch sie vermittelte Stärkelösung beim Keimen vieler Samen. Be- kanntlich wurde viel darüber gestritten, ob die im Endosperm auf- gespeicherten Nährstoffe und speziell die Stärke in den stärkeführenden Samen bei der Keimung ausschliesslich durch Fermente, die der Embryo ausscheidet (sezerniert), aufgeschlossen werden oder ob die Endosperm- zellen selbständig dabei mitwirken und die festen Nährstoffe auf- lösen (intracellular verdauen).. Es kann zurzeit nicht bezweifelt werden, dass beides geschieht, wenn auch wohl die Sekretion von seiten des Embryos die wichtigste Rolle spielt. Bei den Gräsern liegt dieser am einen Ende des Kornes und steht mit dem Endosperm durch 1) Vgl. H. Möliseh, Mikrochemie der Pflanze. ‘Jena, G. Fischer 1913, S. 295. 24% 360 W. Biedermann: Vermittlung des sogenannten ‚‚Schildchens‘‘ in Berührung. An der Grenzfläche dieses, sowohl der Sekretion wie auch der Resorption dienenden, Organes befindet sich eine Zellschicht (Epithel), dessen Elemente Diastase absondern, die, wenn sie wirksam werden soll, naturgemäss die Cellulosemembranen durchdringen muss. Von ver- schiedener Seite wurde denn auch bereits Diffusionsfähigkeit vegetabi- lischer Diastasen behauptet. Fraenkel und Hamburg!) fanden, dass eine von ihnen, nach besonderer Methode dargestellte ‚‚reine‘“ Diastase ohne Verlust durch Pukallfilter ging. Nur die ultramikro- skopische Untersuchung sprach für die kolloidale Natur, da sich das bikonkave Lichtbüschel zeigte, welches für das Vorhandensein sehr kleiner Teilchen in der kolloidalen Lösung spricht. Brown und Morris ?) konnten sogar die Diffusionsgeschwindiskeit der Diastase in Gelatinegallerte messen. Sie versetzten 3 %ige Gelatinelösung mit Malzextrakt und mischten ferner andere ebenfalls 3 %ige Gelatine- sallerte mit: Buchweizenstärke, schichteten beide Gallerten über- einander, hielten sie mit Chloroform völlig steril und beobachteten das Aufsteigen der Diastase an der Korrosion der Stärkekörner. In einer Stunde wanderte die Diastase 0,145 mm. Für die Speichel- diastase (Ptyalin) hat neuerdings W. Gast?) das ‚leichte Eindringen in die Pflanzenzelle und die kräftige Einwirkung dortselbst“, welche er anscheinend voraussetzt, benützt, um den Stärkegehalt von Blättern quantitativ zu bestimmen. Möglichst fein gepulverte, mit Alkohol entfärbte, trockene Blätter (von Tropaeolum) wurden zunächst mit Wasser zur Verkleisterung der Stärke erhitzt, dann nach dem Ab- kühlen mit Speichel versetzt und mehrere Stunden bei 40° C. digeriert. Während Jodjodkali vorher blauschwarze Färbung bewirkte, trat nach der Speichelbehandlung nur noch Gelbfärbung auf. A. Meyer, der in seiner bekannten ausgezeichneten Stärkemonographie auf diese Frage zu sprechen kommt (S. 228), hält es für sicher, „dass die Dia- stase auch in ganz intakte Stärkekörner einzudringen vermag, also zwischen die Kristallfasern der Stärkesphärite“, und macht als Beweis dafür besonders auf die Korrosionserscheinungen bei Ein- wirkung von Speichel oder Diastaselösungen aufmerksam, die er am einzelnen Stärkekorn unter dem Mikroskop verfolete und ein- gehend schildert (l. ec. S. 274). Im Gegensatz zu Naegeli, welcher behauptete, dass Speichel auf Stärkekörner bei gewöhnlicher Tem- peratur überhaupt nicht einwirke, fand Meyer, dass ‚kalter Speichel alle Stärkekörner angreift, Weizenstärke schon nach einigen Stunden deutlich, alle Stärkekörner aber relativ langsam“. Er fand die Stärke- 1) Hofmeister’s Beiträge VIII S. 389. 1906. 2) Journ. Chem. Soc. 1893. 3) Z. 2. physiol. Chemie 9978. 17. 1917. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 361 körner der Samen für Speichel wie auch für Diastase leichter an- greifbar als die relativ dichten Körner, wie sie in den Rhizomen vor- kommen (Kartoffel). Jedenfalls muss man unter allen Umständen mit spezifischen Verschiedenheiten der einzelnen Stärkesorten hin- sichtlich ihrer Angreifbarkeit durch Amylasen rechnen. An noch feuchten Grosskörnern von Hordeum sah Meyer bei Einwirkung einer Mischung von 5 cem Speichel, 2,5 ccm Wasser und 2,5 cem Glycerin unter Thymolzusatz schon nach 2—6 Stunden feine radiäre Kanälchen entstehen, die sich mehr und mehr verbreitern und von denen aus dann die Zerstörung im Innern weiter fortschreitet. Bei 40°C. war völlige Lösung meist schon innerhalb 5 Stunden eingetreten, während bei Anwendung von Diastaselösungen (50 g gekeimte Gerste mit 50 g Wasser und 2 g Chloroform zerrieben und nach 10 Stunden filtriert) erst am dritten Tage Lösungserscheinungen hervortraten. Noch sehr viel widerstandsfähiger ist die Kartoffelstärke, zu deren Lösung durch Speichel selbst bei 40° C. meist über 10 Tage erforderlich sind (l. c. S. 94). „Selbstdargestellte Stärkekörner aus ruhenden Kartoffelknollen liessen erst nach dreimonatiger Behandlung mit häufig gewechseltem Malzauszug bei 40°C. deutliche Zeichen des Ansriffes der Diastase erkennen. Viele erscheinen auf der Oberfläche fein punktiert. Nach sechsmonatiger Behandlung war die Aussen- schicht gröber punktiert und in manchen Fällen oberflächlich durch eingeätzte Rinnen gefurcht“. A. Meyer hebt mit Recht hervor, dass ‚‚die Angriffserscheinungen bei den verschiedenen Stärke- körnern selbst dann, wenn die durch das Ferment gelöste Substanz- menge gleich ist, doch sehr verschieden deutlich sein können. Leicht sichtbar werden alle Angriffe dann, wenn sie im Innern oder an der | Oberfläche des Stärkekornes Höhlungen irgendwelcher Art schaffen, während eine gleichmässige Auflösung peripherer Schichten äusserst schwierig nachzuweisen ist“ ... „am schnellsten gehen die Stärke- körner in Lösung, in welchen durch die Fermentwirkung Porenkanäle entstehen, die zwischen den Amylosekriställchen verlaufen, sofort eine grosse Angriffsfläche schaffen und die Schichten alle sofort auch seitlich freilegen (Hordeum)“. Stärkekörner des Buchweizens, die zu dieser Klasse gehören, sah Baranetzky !) in Diastaselösungen schon nach 48 Stunden verschwinden. Gestützt auf die Beobachtung, dass intakte feuchte Stärkekömer von Dieffenbachia nach drei- wöchigem Liegen in Malzauszug im Vergleich mit in Chloroformwasser aufbewahrten gleichen Stärkekörnern weniger dicht waren, also im Innern gleichmässig in allen Teilen an Substanz verloren hatten, 1) J. Baranetzky, Die stärkeumbildenden Fermente in der Pflanze. Leipzig 1878. 362 W. Biedermann nimmt Meyer an, dass die Diastase die kristallinisch-poröse Masse des Stärkekornes gleichmässig zu durchtränken vermag. Man hätte demnach eine äussere Lösung, welche die periphere Masse eines Kornes gleichmässig abträgt, von einer inneren zu unterscheiden, „welche, die Kristallfasern angreifend, die Zwischenräume zwischen diesen Elementen vergrössert. Die gleichmässige innere Lösung des intakten Stärkekornes muss voraussichtlich immer nur eine äusserst schwache bleiben, da die Interstitien zwischen den Kristallfasern bei allen Stärkekörnern äusserst eng sind, die Diffusion der durch die Wirkung der Diastase gebildeten Maltose und der Dextrine, welche wahrscheinlich in höchst konzentrierter Lösung die Diastasearbeit herabsetzen, nur äusserst langsam vor sich gehen kann. Sie kann nur bei wochenlanger Einwirkung des Fermentes auf die Stärkekörner bemerkbar werden; die äussere Lösung wird um so schneller von statten gehen, je kleiner die Stärkekörner sind, und sie wird wesentlich . beschleunigt durch irgendwelche Unebenheiten der Oberfläche der Körner‘ (A. Meyer). Wenn man diesen Anschauungen beipflichtet und die Möglichkeit eines Eindringens der Lösung eines diastatischen Fermentes durch die Zwischenräume der ‚Kristallfasern‘“ (Trichiten), aus denen sich Meyer ein Stärkekorn zusammengesetzt denkt, ins Innere desselben zugibt, so würde daraus doch noch keineswegs zu folgern sein, dass auch eine unversehrte Cellulosehaut für ein solches Ferment durch- gängis wäre, indem deren Dichte ohne Zweifel grösser ist. Ich habe mich daher bemüht, direkt durch den Versuch festzustellen, ob und in welchem Grade dies der Fall ist. Der unmittelbare Anlass dazu war die Beobachtung, dass die Stärkeeinschlüsse in den OÖhloro- plasten der Blattzellen von Elodea nach völliger Auf- lösung des Stromas sowie des Gesamtplasmas im Inneren der sonst ganz unversehrten Zellen durch Behandlung der- selben mit Speichel restlos gelöst werden. Wie ich in einer vorhergehenden Arbeit !), auf die ich mich noch öfters werde berufen müssen, gezeigt habe, gelinst es an dem genannten Objekte Plasma und Chlorophylikörner in den uneröffneten Zellen nach Extraktion mit Alkohol, Äther und Chloroform durch Trypsin vollständig in Lösung zu bringen, so dass nun die frei gewordenen Stärkekörnchen und eventuell Oxalatkryställchen den einzigen geformten Zellinhalt bilden. Die ersteren stellen dann ganz kleine, stark lichtbrechende Körnchen von rundlicher oder länglicher Form dar, von denen in jedem Chloroplasten gewöhnlich nur ein einziges vorkommt. Die 1) W. Biedermann, Mikrochem. Beobacht. an den Blattzellen von Elodea. Flora, N. F. Bd. 11. 1918. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 363 srössten Einschlüsse finden sich an der Basis der Blätter und in den der Mittelrippe entsprechenden Zellen, die kleinsten in den Randzellen und an der Blattspitze, wo die Stärke sogar meistens ganz fehlt. Man kann sich von dieser Verteilung sehr leicht eine Anschauung ver- schaffen, wenn man ein mit Alkohol entfärbtes Blatt in Jodjodkalium- lösung legt, wo sich dann die Stärkebezirke sofort dunkel färben. Entsprechend der viel beträchtlicheren Grösse der der Oberseite des Blattes entsprechenden Zellen ist auch der Stärkereichtum der ‚Ober- zellen‘ immer grösser als der der schmaleren Zellen der Blattunter- seite. Doch eignen sich diese letztere zu den meisten der in folgendem beschriebenen Versuche wesentlich besser. Dadurch, dass man die Blätter vor der Extraktion mit Kochsalz- lösung plasmolysiert, wobei sich Plasma und. Chlorophyll zu einem zentralgelegenen Ballen vereinigen (l. c. S. 575 Abb. 1), und dann erst unmittelbar in Alkohol absol. überträgt, gewinnt man besonders charakteristische Präparate, indem nach beendeter Trypsinverdauung die isolierten Stärkekörnchen im Inneren der sonst völlig leeren Zellen eine Gruppe bilden, innerhalb deren die einzelnen Körnchen in zitternder Molekularbewegung sich befinden. Es ist auf diesen letzteren Umstand zu achten, da sich herausgestellt hat, dass eine glatte Lösung der Chlorophylistärke bei Behandlung mit Speichel im segebenen Falle nur dann erfolgt, wenn die umhüllenden Proteinstoffe wirklich vollständig gelöst sind. Dies ist aber keineswegs immer ganz leicht festzustellen, denn die mit der Peptonisierung der Zelleiweisskörper Hand in Hand gehende Aufhellung des Plasma-Chlorophyllballens kann so weit gehen, dass die Stärke- körnchen anscheinend bereits ganz freiliegen, während sie in Wirklich- keit doch noch von ganz durchsichtigen Resten der Stromata oder des Plasmas umhüllt sind. Das genügt aber, um sie vor der Ein- wirkung der Speicheldiastase zu schützen. Es gelinst daher auch nicht ohne weiteres, ein Elodeablatt zu entstärken, wenn man es frisch oder auch nach Extraktion mit Alkohol und Chloroform mit Speichel behandelt, und man würde auf Grund solcher Versuche leicht zu der Meinung gelangen, dass das Ferment die Cellulose- membran überhaupt nicht zu durchdringen vermag. Ich habe plas- molysierte und dann in Alkohol entfärbte Blätter tagelang bei er- . höhter Temperatur (40° ©.) mit unverdünntem sowie auch verschieden verdünntem Speichel unter Zusatz von Chloroform digeriert, ohne dass sich auch nur die Spur einer Lösung bemerkbar machte. Bei Zusatz von Jodjodkalium trat an den wurstförmigen, sich gelb färben- den Inhaltskörpern sofort das von mir früher schon (l. ec. S. 593) be- schriebene charakteristische, dunkelgefleckte Aussehen hervor, welches durch die im Inneren der Masse gelegenen Stärkekörnchen verursacht 364 W. Biedermann: wird, deren blauschwarze Jodfarbe durchschimmert und selbst das kleinste Körnchen noch entdecken lässt. Es muss zugegeben werden, dass auch nach vollständigster Iso- lierung der Blattstärke von Elodea durch Trypsinverdauung die Lösung der Körnchen durch Ptyalin immer nur langsam von statten geht, und dass viele der grösseren Körnchen in den Zellen der Mittel- rippe sowie in den Oberzellen überhaupt ungelöst bleiben, ja nicht einmal Korrosionserscheinungen darbieten. Auch die kleinsten Körnchen bedürfen zu ihrer Lösung immerhin mehrere Stunden. Es scheint sich demnach hier um eine an sich sehr widerstandsfähige Stärkesorte zu handeln. Mit Diastaselösungen (Malzauszügen), die unter allen Um- ständen sehr viel weniger energisch wirken als selbst stark verdünnterr Speichel, gelingt es in diesem Falle überhaupt nicht, Elodeablätter zu entstärken. Ich habe in der Folge andere Objekte untersucht, welche an und für sich noch viel günstigere Bedingungen darzubieten scheinen als die Elodeablattzellen, wo dennoch keine Lösung der noch im Stroma befindlichen Chlorophylistärke erfolgt, so dass es scheinen könnte, als wären die Stärkeeinschlüsse der Chloroplasten in situ gegen die Einwirkung von Amylasen überhaupt geschützt, auch selbst dann. wenn die betreffenden Zellen vorher mit Alkohol und Chloroform ex- trahiert wurden. Bekanntlich zeichnen sich die Schliesszellen der Spalt- öffnungen durch ihren Chlorophyll- resp. Stärkegehalt aus, der auch in solchen Fällen nicht fehlt, in denen die übrigen Epidermiszellen durchaus chlorophyllfrei sind, ja sogar bei Pflanzen, die überhaupt keine Stärke in den Blättern bilden. Man darf hieraus wohl auf eine besondere Bedeutung der in diesem Falle in den Chloroplasten ge- bildeten Stärke schliessen, und es liegt nahe, diese in der Entstehung von Zucker, also einer osmotisch wirksamen Substanz, zu erblicken, durch welche Turgorschwankungen in den Schliesszellen und damit Veränderungen des von ihnen begrenzten Spaltes bewirkt werden könnten. In der Tat hat schon Haberlandt die in den Chlorophyll- körnern der Schliesszellen enthaltene Stärke als einen Reservestoff aufgefasst, „welcher allmählich nach Bedarf‘ in osmotisch wirkenden Zucker umgewandelt wird, wodurch der Turgor der Schliesszellen erhöht und so eine Öffnung des Spaltes bewirkt werde. Neuerdings hat Iljin (Beitr. z. Bot. Zentralbl. 32 Bd. I. Abt. 1914) beobachtet, dass die Schliesszellen geschlossener Spaltöffnungen immer reichlich mit Stärke erfüllt sind, die sich durch Blaufärbung mit Jodjodkali leicht nachweisen lässt, während in weit offenen Schliesszellen die Reaktion auf Stärke vollkommen negativ ausfiel. Die Stärkeabnahme verlief ganz parallel der zunehmenden Öffnung. Beim Wiedereintritt der Schliessbewegung wird sie dagegen wieder in kurzer Zeit regeneriert. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 365 Die Regulierung des osmotischen Druckes würde daher, wie Iljin schliesst, auf der Wirkung einer (intracellularen) Amylase beruhen, welche je nach den 'Transpirationsverhältnissen Stärke in Zucker oder umgekehrt verwandelt. Zu gleichen Ergebnissen gelangte auch Hagem (Beitr. z. allgem. Bot. I. 1916), der hauptsächlich die Um- wandlung der Kohlehydrate in Hinblick auf den Öffnungszustand der Schliesszellen in Abhängigkeit vom Beleuchtungswechsel unter- suchte. Auch er konstatierte einen deutlichen Zusammenhang zwischen Stärkevorkommen und Spaltzustand. Er führt unter anderem auch eine ältere Beobachtung von Kohl an, welcher fand, dass ‚bei Dar- bietung von Diastase auf stärkeführende geschlossene Stromata eine Verzuckerung der Stärke erfolgt, die mit einer zunehmenden Öffnungs- bewegung verknüpft ist“. Es wäre demnach anzunehmen, dass das Ferment die Wände der Schliesszellen nicht nur leicht durchdrinst, sondern auch die Stärkeeinschlüsse der im Plasma eingebetteten Chloroplasten rasch verzuckert. Ich konnte dies an dem von mir untersuchten Objekt nicht be- stätigen. Die Schliesszellen der Spaltöffnungen an der Unterseite von Dahlienblättern zeigen sehr schön den charakteristischen Bau. Zwischen chlorophylifreien Epidermiszellen mit gebuchteten Rändern eingebettet, enthalten sie mehrere Chlorophyllkörner, von denen jedes wieder drei bis vier kleine, stark lichtbrechende und deutlich von- einander gesonderte Stärkekörnchen einschliesst. Man kann an frischen Blättern und noch besser an solchen, die etwa 24 Stunden in Wasser gelegen haben, durch vorsichtiges Abschaben mit dem Messer von der Oberseite her grosse Flächen der unteren Epidermis blosslegen und erhält so ein Objekt, welches sich für die Untersuchung der vor- liegenden Frage in ausgezeichneter Weise eignet. Ich habe frische, nicht weiter vorbehandelte derartige Präparate bis zu 48 Stunden mit halbverdünntem Speichel bei 40° C. mazeriert, ohne dass es mir gelungen wäre, eine Entstärkung der Schliesszellen herbeizuführen, obgleich, wie später gezeigt werden wird, das Ferment die Zellmembranen sicher durchdringt. Zu dem gleichen negativen Ergebnis führten auch Versuche, bei denen die Epidermis erst noch vorgängiger Extraktion mit Alkohol der Speichelwirkung unterworfen wurde. Es mag noch erwähnt sein, dass die solchen Präparaten immer anhaftenden, chloro- phyllführenden Parenchymzellen erwünschte Gelegenheit boten, das völlig gleichartige Verhalten der Stärkeeinschlüsse der betreffenden Chlorophylikörner festzustellen. Auch sie blieben bei Einwirkung von menschlichem gemischtem Mundspeichel vollständig unversehrt. Dennoch kann ein solches Verhalten nicht als ausnahmslose Regel gelten. Offenbar sind die Bedingungen nicht in allen Fällen ganz übereinstimmende, ohne dass es mir aber zurzeit möglich wäre, sie 3655 W. Biedermann: genauer zu präzisieren. Es fiel mir dies zuerst bei der Untersuchung von Vallisneria auf, deren Blattzellen im plasmolysierten Zustande je einen zentralgelegenen runden Ballen von Plasma und Chlorophyll- körnern umschliessen, der nach darauffolgender Extraktion mit Alkohol sehr deutlich die stark lichtbrechenden Stärkekörnchen der Chloroplasten erkennen lässt, die nach Jodzusatz die erwähnte fleckige Zeichnung der Ballen bedingen. Gegen Speichelbehandlung erweist sich nun zwar die grosse Mehrzahl der Zellen auch in diesem Falle durchaus widerstandsfähig; dennoch aber findet man nach Jodzusatz immer Gruppen oder auch vereinzelte Zellen, im denen die zentralen Ballen lediglich die gelbe Jodfarbe angenommen haben, ohne jede Spur der sonst ausnahmslos vorhandenen dunklen Punktierung. Es werden hier also ohne jeden Zweifel die Stärkekörnehen aus ihrer natürlichen Umhüllung durch das eingedrungene Ferment herausgelöst, und wenn dies auch nicht in allen Zellen der Fall war, so kann doch an der Tatsache selbst nicht gezweifelt werden. Bei genügend langer Einwirkungszeit gelingt es sogar in der Regel, die Mehrzahl der Zellen zu entstärken, was bei Elodea unter sonst gleichen Umständen an keiner einzigen Zelle erreichbar ist. Man wird kaum annehmen dürfen, dass die Zellwände im einen Falle durchlässiger sind, wie im andern, denn sie sind zwar bei Vallisneria entschieden dünner als bei Eloden, aber andererseits wieder viel dicker als bei den Schliesszellen der Spaltöffnungen. Eher liesse sich an substanzielle (strukturelle ?) Verschiedenheiten der Stärke- körner selbst denken. Zugunsten der Annahme solcher Unterschiede verschiedener Stärkearten sprechen ja schon die oben angeführten Beobachtungen A. Meyer’s. Es kommt dazu, dass es auch Fälle sibt, wo ungeachtet ziemlich stark verdickter Zellwände die verhältnismässig grossen Stärkeeinschlüsse der Chloro- plasten mit Leichtigkeit im Inneren der Zellen aufgelöst werden, wenn man diese letzteren mit Speichel behandelt. Ein Beispiel liefern die unmittelbar unter der Epidermis junger grüner Bohnenschoten gelegenen, sehr stärkereichen Parenchymzellen. Am besten verfährt man auch hier wieder so, dass man die Zellen zunächst plasmolysiert, indem man kleinere Stücke der Schoten nach Abziehen der Epidermis in 1-2 %ige Kochsalzlösung bringt und dann in Alkohol zur Entfärbung einlegt. Dünne, in der Längsrichtung der Schote geführte Schnitte zeigen dann sehr schön inmitten der ziemlich grossen Zellen das zusammengeballte Plasma, durchsetzt von zahlreichen ovalen stärkereichen Chlorophylikörnern, die meist so dicht beisammenliegen, dass man vom Plasma nicht viel zu sehen bekommt. Bei Jodzusatz färbt sich die ganze Masse tief schwarzblau. Bringt man nun solche Schnitte in Speichellösung, so findet man bei einer Temperatur von Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 367 40°C. nach einigen Stunden keine Stärke mehr, und die Jodreaktion bleibt gänzlich aus. Dafür tritt dann der Plasmaballen als eine in- folge der herausgelösten Stärkekörner schaumig oder wabig er- scheinende, zart granulierte Masse um so deutlicher hervor. Ich habe nicht unterlassen, auch Schnitte von ganz frischen Schoten ohne jede Vorbehandlung der Speichelverdauung zu unterwerfen, um zu sehen, ob nieht durch das Plasmolysieren und die Alkoholextraktion Ver- änderungen an den Chloroplasten bewirkt wurden, durch welche die rasche Lösung der Einschlüsse ermöglicht wird. Bei blossem Zusatz von Wasser treten die Stärkekörnchen in den verhältnismässig grossen Chloroplasten ausserordentlich deutlich hervor und bieten bei der grossen Durchsichtigkeit selbst diekerer Schnitte und der vereinzelten Lage der Chlorophylikörner vortreffliche Gelegenheit, etwaige Ver- änderungen ihrer Zahl und. Grösse leicht und sicher zu erkennen. Setzt man zu einem selchen Schnitt unverdünnten Speichel und lässt bei Zimmertemperatur stehen, so findet man nach 24 Stunden die Chloro- plasten noch unverändert, und nur in ganz vereinzelten Zellen sind die Stärkeeinschlüsse gelöst. Nach ebensolanger Einwirkung halb- verdünnten Speichels bei 40° C. ist dagegen die Stärke in der Mehr- zahl der Zellen verschwunden. Schon vor langer Zeit (vgl. diese Bei- träge Bd. 75 S. 48. 1899) hatte ich beobachtet, dass die sehr energisch wirkende Amylase des ‚Magensaftes‘ (Lebersekret) von Helix pomatia die Stärkeeinschlüsse aus den Chlorophyllkörnern des Parenchyms von Salat- und Kohlblättern vollständig herauszulösen vermag, so dass Lücken von entsprechender Form entstanden. Ich hatte erwartet, dass sich die Unterschiede im Verhalten der Stärke gegen Speichelferment nach vorhergehender Verkleisterung völlig ausgleichen würden; es war dies aber bemerkenswerterweise nicht der Fall. Kocht man ein Stückchen eines in der oben angegebenen Weise vorbehandelten Blattes von Vallisneria etwa 1%, Stunde mit Wasser, so gewinnen die durch Plasmolyse entstandenen zentralen Plasma-Chlorophyll-Ballen ein zierlich gegittertes Aussehen, indem die Stärkeeinschlüsse der Chloroplasten stark aufquellen und so die Zwischensubstanz in ein polygonales Netzwerk umformen, dessen Maschen von Kleister ausgefüllt werden. In ganz ähnlicher Weise entstehen auch in den Blattzellen von Elodea Stärkegitter, wie dies schon in meiner früheren Arbeit (Flora 1. e.) beschrieben wurde. Bei Jodzusatz erscheinen die Wabenräume natürlich dunkelgefärbt, während die stark lichtbrechenden Wabenwände einen gelblichen Farbenton annehmen. Nirgends bemerkt man eine Kontinuitätsunterbrechung der Gitter, wiewohl eine Zerreissung der Maschen (Waben) als Folge der Quellung der Stärkekörner wohl zu erwarten gewesen wäre und auch angenommen werden muss; denn sonst wäre nicht zu verstehen, W. Biedermann: 368 [02) dass nach dem Ausweis der Jodreaktion gelöste Stärke den ganzen Zellraum ausserhalb der gegitterten Plasmaballen erfüllt, der dem- gemäss diffus blau gefärbt erscheint. So kommt es, dass bei einem solchen gekochten Präparat die Jodfärbung ausserordentlich viel intensiver ausfällt als bei einem nichtgekochten. Während ein solches, mit dem blossen Auge gesehen, nur unwesentlich dunkelt, tritt anderen- falls momentan eine meist ganz gleichmässig schwarzblaue Färbung ein. Bei der grossen Übereinstimmung im Bau und sonstigen Ver- halten der Blattzellen von Elodea und Vallisneria erscheint es nun sehr auffallend, dass sich auch nach dem Kochen und der dadurch bewirkten Verkleisterung der Stärke die sonst ganz gleich vorbehandelten Präparate nach gleich- langer Speichelwirkung doch ganz verschieden verhalten. Während bei Vallisneria schon nach kurzer Zeit nicht nur die im Zellraum verteilte gelöste, sondern auch die noch im zentralen Ballen eingeschlossene Stärke als solche verschwunden ist, so dass die Jod- reaktion völlig negativ bleibt, gewinnen die Elodeablätter beim Betupfen mit Jodjodkaliumlösung in der Regel ein eigentümlich ge- flecktes oder gestreiftes Aussehen, indem zwischen Gruppen von Zellen, aus denen die Stärke ganz verschwunden ist, andere liegen, in welche das Ferment anscheinend gar nicht eingedrungen ist und die daher noch ebenso gebläut erscheinen wie vor der Speichelbehandlung. Neben Zellen, deren Inhalt noch rein blau erscheint, finden sich meist andere, welche einen mehr violetten oder rötlichen Farbenton an- genommen haben, zum Beweis, dass doch eine Fermentwirkung statt- gefunden hat, aber nicht bis zum achromischen Punkt fortgeschritten ist. Unter diesen Umständen bleibt wohl nur die Annahme übrig, dass die auch im verkleisterten Zustande viel schwerer angreifbare Blattstärke von Elodea chemisch von der Vallisneriastärke verschieden ist. Sehr leicht und schnell wird nach dem Kochen die Stärke in den Schliesszellen der Spaltöffnungen von Dahlia hydrolysiert und ebenso die in den Blattparenchym- zellen des Spinates. Bereitet man, wie es in der Küche üblich ist, aus gekochten Spinatblättern durch Auspressen und Zerhacken einen steifen Brei, zieht diesen dann, nach wiederholtem Auskochen mit Wasser, mit Alkohol bis zur völligen Entfärbung aus, so erhält man eine weisse, bröcklige Masse, welche sich nach weiterer Extraktion mit Äther und Chloroform zu allen Verdauungsversuchen vortrefflich eignet. Bei mikroskopischer Untersuchung findet man neben kleinen und kleinsten Blattfragmenten auch zahlreiche, nur lose zusammen- hängende Gruppen von Parenchymzellen sowie ganz isolierte Zellen, die innerhalb der dünnen Membran einen grossen, aus Plasma und den entfärbten Resten der Chlorophylikörner bestehenden Klumpen Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 369 enthalten, der die Zellwand nicht direkt berührt, sondern durch einen meist ziemlich breiten Zwischenraum getrennt erscheint. Die in diesem nach dem Kochen vorhandene gelöste Stärke ist durch den Alkohol ausgefällt worden und bildet nun kleinere und grössere tropfenähnliche Kugeln, die bei Jodbehandlung sehr scharf hervortreten. Diese sowohl wie auch die gequollene Stärke, welche den sanzen Ballen durchsetzt, verschwinden bei Speichelbehandlung aus den unversehrten Zellen sehr rasch, so dass dann bei Jodzusatz keine Spur von Färbung mehr eintritt. Auf Grund der mitgeteilten Tatsachen darf es wohl als vollkommen sichergestellt gelten, dass die Amylase des menschlichen Speichels absolut unversehrte pflanzliche Zellmembranen, wenn diese nicht zu stark verdickt oder verholzt sind, zu durchdringen vermag. In welchem Ausmaasse dies der Fall ist, darüber geben die Versuche allerdings keinen direkten Aufschluss. Doca könnte man sich wohl eine Vorstellung davon bilden, wenn es 'gelänge, ein wirkungsfähiges Dialysat aus Speichel zu gewinnen. Dies ist in der Tat der Fall. Füllt man in eine nach Abderhalden’s Vorschriften sorgfältig geprüfte Dialysierhülse (von Schleicher und Düll) Speichel, so gelingt es leicht, nach 24 Stunden in der Aussen- flüssigkeit Amylase nachzuweisen. 10 cem derselben mit 2 cem 1 %iger Stärkelösung vermischt, geben bei gewöhnlicher Zimmertemperatur schon nach 3 Stunden rein rote Jodreaktion, und 1 Stunde später ist der achromische Punkt erreicht. Wenn man diese langsame Hydro- Iyse allerdings mit der explosionsartig erfolgenden momentanen Spaltung durch selbst stark verdünnte Speichellösung vergleicht, so wird man das Dialysiervermögen des Fermentes als ein sehr beschränktes bezeichnen müssen. Da, wie ich seinerzeit zeigte, auch Speichelasche diastatisch zu wirken vermag, so war daran zu denken, ob es sich nicht etwa auch im vorliegenden Fall lediglich um eine Wirkung der heraus- diffundierenden Speichelsalze handelt. Der Versuch mit einer vorher gekochten Probe des Dialysates zeigte, dass dies nicht der Fall ist. Zwar wurde die zugesetzte Stärke auch dann noch hydrolysiert, aber erst nach 24 Stunden färbte sich ein zur Probe entnommener Tropfen mit Jod rot. Auf alle Fälle ist die diastatische Kraft der Ferment- lösung, welche man bei einem Dialysierversuch mit Papierhülsen er- hält, eine ausserordentlich geringe und entspricht nur der eines sehr hochverdünnten Speichels. Darf man aus diesem Verhalten auf die Fermentmengen schliessen, welche in eine Pflanzenzelle eindringen, die von unverdünntem Speichel umgeben ist, so wird man auch da nur mit Fermentspuren rechnen können. Es erscheint dann leicht verständlich, dass grössere Stärkekörnchen, auch wenn sie ganz frei 370 W. Biedermann: im Innern einer Zelle liegen, nur schwer angegriffen werden, und dass selbst durch Kochen: gelöste Stärke nur verhältnismässig langsam hydrolysiert wird. Jedenfalls wird man den diastatischen Fermenten Dialysiervermögen nur in recht beschränktem Grade zuschreiben können; von einem „leichten Eindringen in Pflanzenzellen“ kann gar nicht die Rede sein. Es steht damit in Übereinstimmung, dass in allen den Fällen, wo es auf rasche Lösung der Stärke ankommt, das Ferment in den betreffenden Zellen selbst. unter Umständen sogar in unmittelbarer Nähe der Stärke- körner, entsteht. Davon bildet auch der schon oben erwähnte Fall keine Ausnahme. wo, wie bei den Gramineen, der Embryo in dem ‚‚Schildchen“ ein Organ besitzt, welches Diastase absondert; denn auch dann wird die Stärke nicht bloss durch das von aussen in die Zellen des Endosperms eindringends Ferment ‚‚verdaut‘‘, sondern es besitzen diese Zellen auch noch selbst die Fähigkeit, Diastase zu erzeugen. Unvergleichlich rascher als bei der Keimung stärkeführender Samen oder Rhizome muss naturgemäss die Lösung der in den Chlorophyll- körnern der grünen Laubblätter gebildeten Stärke erfolgen, welche sich unter günstigen Assimilationsbedingungen im, Laufe eines Tages hier in grossen Mengen anhäuft. Viele Pflanzen entleeren nun in unserem Klima in warmen Nächten diese aufgespeicherten Stärke massen vollständig, und es erscheinen die Blätter am frühen Morgen gänzlich stärkefrei. Dass in diesem Falle die Hydrolyse lediglich durch ein intrazellular gebildetes Ferment bewirkt werden kann, leuchtet ohne weiteres ein. Aber selbst dann bieten sich der Erklärung Schwierigkeiten, wenn man berücksichtigt, dass, wie die Erfahrung lehrt, die im Stroma eingeschlossenen Stärkekörnchen vor dem Angriff eines im übrigen Zellinhalt verbreiteten Fermentes in der Mehrzahl der Fälle fast völlig geschützt sind. A. Meyer gelangte bei seinen Untersuchungen zu der Überzeugung, dass die die Blattstärke lösende Diastase ausschliesslich in den Chloroplasten selbst entsteht und ein Produkt des farblosen Stromas derselben darstellt. Er hält es für wahrscheinlich, dass jedes Stärkekorn, sei es auch noch so gross, „zeitlebens von der Masse des Chromatophors, sei derselbe ein Chloroplast, Leukoplast oder Chromoplast, völlig um- schlossen wird. Die vollkommene Umhüllung des Stärkekornes durch die Masse des Chromatophors ermöglicht eine allseitige direkte Beeinflussung des wachsenden und des gelöst werdenden Stärkekornes durch das Chromatophor. Jede Stelle der Oberfläche eines Stärke- kornes ist mit der Mutterlauge direkt in Berührung, wächst. unter dem direkten Einfluss des die Amylose und die Diastase erzeugenden Organes““ (l. c. S. 167). Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 371 Die vorstehend mitgeteilten Tatsachen sprechen, wie mir scheint, sehr zugunsten dieser Annahme Meyer’s, die ja auch sonst durch sehr gute Gründe gestützt erscheint (vgl. 1. c. S. 170). In der Tat bleibt, wenn die Chlorophylistärke innerhalb des Stromas gegen von aussen her einwirkendes Ferment mehr oder weniger geschützt ist, kaum eine andere Möglichkeit rascher Lösung derselben übrig, als dass das Lösungsmittel (Diastase) von der Hülle selbst nach innen abgegeben wird. Auffallend bleibt nur, dass, wie gezeigt wurde, viel- fach schon ganz dünne Hüllen, wie sie infolge der beim Wachsen des Stärkekornes rasch zunehmenden Dehnung des Stromas bei jedem grösseren Korn anzunehmen sind und wie man sie wohl auch in dem oben erwähnten Falle voraussetzen darf, wo kleinste Stärkekörnchen von Elodea durch kaum sichtbare Reste der durch Verdauung 2e- lösten Hüllsubstanzen doch noch in wirksamster Weise gegen Speichel- ferment geschützt erscheinen. Es ist dies um so merkwürdiger, als, wie ich mich selbst überzeugt habe, Ptyalin ohne Schwierigkeit dieke Gelatineschichten zu durchdringen vermag. Man bringe in die Höhlung eines ausgeschliffenen Objektträgers ein wenig Gerstenstärke und bedecke diese dann mit einem Tropfen Gelatinelösung, die so konzentriert sein muss, dass sie bei gewöhnlicher Temperatur fest wird. Schliesslich wird so viel Speichel aufgetragen, dass die Gelatine vollständig überdeckt erscheint. Das Präparat bleibt dann in einer feuchten Kammer bei Zimmertemperatur stehen. Nach mehreren Stunden (12) findet man die Stärkekörner gerade so korrodiert, wie wenn sie direkt mit Speichel zusammengebracht werden. Es ist also das Ferment imstande, relativ sehr dicke Gelatineschichten ebenso, ja, wie es scheint, noch leichter zu durchwandern wie eine Membran. Da nun wirklich freie Stärkekörnchen von Elodea selbst von einer so verdünnten Fermentlösung, wie man sie im Inneren der Zellen bei Behandlung derselben mit Speichel voraussetzen muss, dennoch gelöst werden, so sieht man sich gezwungen, den Stromahüllen besondere Eigen- schaften zuzuschreiben, die ihre aussergewöhnliche Undurchdringlich- keit verursachen. Man dürfte kaum fehl gehen, wenn man in dieser Beziehung ihrer chemischen Zusammensetzung die grösste Bedeutung zuschreibt. Auf gewisse Besonderheiten derselben weist ja auch das Verhalten der Chloroplasten sowie des umgebenden Plasmas gegen eiweissverdauende Fermente hin, auf das ich schon in meiner Elodea- arbeit (l. ec.) kurz hinwies. b) Pepsin. Dass Proteasen pflanzliche Zellmsmbranen zu durchwandern im- stande sind, muss ohne weiteres aus der Tatsache gefolgert werden, 372 W. Biedermann: dass sie als Bestandteile von Drüsensekreten auftreten, welche bei gewissen Pflanzen (Insektivoren) in Zellen gebildet werden, die wie alle anderen von Cellulosemembranen umhüllt sind. Aber auch sonst scheint in den Kreisen der Botaniker ziemlich allgemein die Ansicht verbreitet zu sein, dass wenigstens Pepsin leicht eindrinst; denn nur so lässt sich erklären, dass schon seit lange die Behandlung mit künst- lichem Magensaft als mikrochemische Methode üblich ist, obschon gerade ihr gegenüber Bedenken am meisten gerechtfertigt erscheinen ; denn nur zu leicht kann man hier verführt werden, einfach durch Säure hervorgebrachte Veränderungen mit Fermentwirkungen zu ver- wechseln. Dies scheint denn auch in ausgiebigem Maasse der Fall gewesen zu sein. Merkwürigerweise hat man das viel wirksamere Trypsin anscheinend gar nicht versucht, denn sonst hätten die ausser- ordentlich auffallenden Wirkungen gerade dieses Fermentes kaum unbekannt bleiben können. Was zunächst das Pepsin betrifft, so ist es, da, wie wir sehen werden, seine Wirkungen auf pflanzliches Plasma im allgemeinen negativ charakterisiert sind, besonders schwer, sich von dem Eindringen des- selben in Pflanzenzellen zu vergewissern, um so mehr, als verschiedene Gründe von vornherein dagegen zu sprechen scheinen. In erster Linie der Umstand, dass alle bis jetzt dargestellten Pepsinpräparate, die dem wirklich reinen Ferment anscheinend am nächsten kommen, sich als streng kolloid, also nicht dialysierbar erwiesen. Dies gilt insbesondere auch für das von Pekelharing gewonnene Pepsin, dessen Darstellung ja gerade darauf beruht, dass es nicht dialysierbar ist. Oppenheimer schreibt dem Pepsin ‚‚in seinem bisher reinsten‘“ Zustande alle Eigenschaften eines Eiweisskörpers zu: „Es ist absolut nicht diffusibel durch Pergamentpapier (Hammarsten, Wolffhügel), dagegen durch Papier de la Rue (Fermi und Pernossi)“ (Fermente II. S. 526. 1903). Ich selbst hatte vor kurzem eine ganze Anzahl käuflicher Pepsinpräparate auf ihre Dialysierbarkeit geprüft und eine solche in merklichem Grade nicht feststellen können (Fermentforschung II. S. 51. 1917). Ich habe diese Versuche neuerdings mit angesäuerten Pepsinlösungen wiederholt, um zu sehen, ob vielleicht die Reaktion einen Einfluss auf das Durchtreten des Fermentes besitzt. Es kamen selbstverständlich nur sorgfältig geprüfte Dialysierhülsen zur Ver- wendung. Es ergab sich nun, dass unter diesen Umständen die Aussenflüssigkeit in der Tat Fibrin zu verdauen vermag, und dass demnach sicher nachweisbare Mengen des Fer- mentes durch Pergamentpapier diffundieren. Die sehr kon- zentrierte Pepsinlösung, die ich der Dialyse unterwarf, war nur minimal angesäuert; es handelte sich um ein als ‚Pepsin. pur.‘ bezeichnetes Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 373 Präparat von Schuchardt, dessen wässerige Lösung ganz schwache Biuretreaktion gab. Die Dialyse dauerte 12 Stunden; die Aussen- flüssigkeit bestand aus destilliertem Wasser und wurde nachher auf einen HCl-Gehalt von 0,1 n. gebracht. Wie ich früher zeigte (Ferment- forschung II. S. 17) ist diese Konzentration die geeignetste, wenn es sich darum handelt, sehr geringe Pepsinmengen sicher nachzuweisen, da Säurehydrolyse dann nicht zu befürchten ist. Eine zugesetzte Flocke von Rohfibrin wurde bei 40°C. in 5 Stunden glatt verdaut, während 10 cem 0,1 n. HCl mit zwei Tropfen der in der Hülse zurück- gebliebenen Lösung eine gleich grosse Fibrinmenge in weniger als 1% Stunde löste. Es handelte sich also nur um sehr kleine Mengen von Ferment, welche die Membran passiert hatten. Ich habe dann noch eine ganze Reihe anderer Pepsinpräparate unter denselben Be- dingungen auf ihre Dialysierbarkeit geprüft und stets dasselbe Resultat erhalten, so dass ich nicht zweifeln kann, dass Pepsin ganz ebenso wie Ptyalin in geringem Grade dialysierbar ist; doch scheint die Reaktion dabei eine entscheidende Rolle zu spielen. Was nun die Frage betrifft, ob es auch in unversehrte Pflanzen- zellen einzudringen vermag, so ist ein direkter Beweis dafür schwer zu erbringen, da, wie ich bereits in meiner Elodeaarbeit gezeigt habe, nicht nur der Kern, sondern auch das Plasma und die Chlorophyll- körner von Pepsin-Salzsäure so gut wie gar nicht angegriffen werden. .Unterwirft man ein frisches Elodeablatt oder noch besser einen beblätterten Stengel von Mnium der Einwirkung von künstlichem Magensaft bei 40° C., so stirbt der Zellinhalt natürlich sehr rasch ab, da ja die Säure schnell eindrinst und gewisse Wirkungen bedingt, die wohl am meisten charakteristisch an den Chlorophylikörnern hervortreten (Chlorophyllanreaktion vgl. Molisch, Mikrochemie der Pflanzen S. 223. 1913). Ich habe den Eindruck bekommen, dass diese Reaktion mit dem Verdauungsgemisch schneller und schöner erfolgt als mit reiner, verdünnter Salzsäure, und habe so geradezu ideale Präparate erhalten. Die sonstigen Veränderungen am Stroma der Chloroplasten, den Zellkernen und dem Plasma selbst sind im ganzen wenig auffallend. Aus den Untersuchungen von Zacharias, der sich bisher am eingehendsten mit solchen mikrochemischen Ver- - dauungsversuchen beschäftigt hat, geht hervor, dass die Veränderungen, die am pflanzlichen Zellkern als Folge der Einwirkung von Pepsin-HCl hervortreten, sich nicht erheblich von jenen unterscheiden, welche auch reine, verdünnte HCl (0,1%) hervorbrinst. Letzterenfalls ‚‚quillt der Nukleolus, während die Körperchen (gemeint sind die Chromo- somen) sehr scharf hervortreten“ ... ‚Unterwirft man Schnitte aus frischen Wurzeln von Phajus grandifolius der Verdauung in künst- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 25 374 W. Biedermann: lichem Magensaft, so werden die Körperchen ungemein stark licht- brechend und scharf konturiert, während Nukleoli und Zwischen- substanz ein etwas gequollenes, blasses Aussehen erhalten, was auch bei den unverdaulichen Teilen des Protoplasmas der Fall ist.“ a Es ist aus den Arbeiten von Zacharias nicht klar zu ersehen, woraus er eigentlich schliesst, dass vom Plasma überhaupt etwas verdaut wird; von diesem ist nur wenig die Rede, und fast alle An- gaben beziehen sich auf den Kern. Das wesentlichste Ergebnis der ganzen Untersuchungsreihe würde, wenn man die Voraussetzung gelten lässt, von der offenbar Zacharias ausging, dass Pepsin in unversehrte Pflanzenzellen einzudringen vermag, der Nachweis sein, dass nicht nur der Kern, von dem es bereits bekannt war, sondern auch der übrige Inhalt (Plasma, Chlorophyll) in der Haupt- sache aus einer Substanz besteht, welche von Pepsin-HCl nicht angegriffen wird. In seiner bekannten Arbeit über das Protoplasma von Aethalium septicum hat Reinke für den in Pepsin-HCl unverdaulichen Anteil des Plasmodiums, der etwa 30% der Trockensubstanz ausmacht, den Namen „Plastin“ eingeführt und als besonders charakteristisch den geringen N-Gehalt (12%) sowie die Unlöslichkeit in verdünnten Säuren und Alkalien und auch im Magensaft hervorgehoben. Zacharias und Frank-Schwarz haben das Vorkommen desselben Körpers so- wohl im Kern wie auch im Plasma von Pflanzenzellen behauptet, und der letztgenannte Autor vertritt sogar die Ansicht, dass das Plastin der einzige darin nachweisbare Proteinstoff sei. Dass pflanz- liches Plasma, wenigstens das älterer Zellen, sich durch manche Be- sonderheiten auszeichnet und jedenfalls genuine Eiweisskörper immer nur in sehr geringer Menge enthält, geht übrigens auch aus dem Um- stande hervor, dass gewisse Farbenreaktionen, welche derartige Eiweiss- stoffe unter allen Umständen geben, beim Protoplasma durchaus nicht immer Erfolg haben. C. Sachs machte bereits darauf aufmerksam, dass Violettfärbung bei Behandlung mit Kalilauge und Kupfersulfat (Biuretreaktion) nur in jugendlichen Pflanzenzellen auftritt, bei der Streckung der Parenchymzellen aber verschwindet. Er zieht daraus den Schluss, „dass in den wachsenden Zellen sowohl Protoplasma wie Zellsaft keinen Proteinstoff vom Charakter der Albumine oder Globuline enthalten, sondern nur Plastin“. Dass übrigens wohl- charakterisierte Globuline in Pflanzengeweben vorkommen, ist seit lange bekannt; freilich beziehen sich die betreffenden Beobachtungen mehr auf die Reserveeiweisskörper der Samen und Wurzeln, welche zwar Produkte, nicht aber integrierende Bestandteile des Plasmas sind und bekanntlich sehr oft in Kristallform abgelagert werden. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 375 Indessen hat schon Hoppe-Seyler Globuline auch aus Knospen und jungen Trieben gewonnen, wie er denn überhaupt der Ansicht war, dass Globuline und Vitelline Bestandteile jedes Plasmas seien. Dies dürfte ja wohl auch zutreffen, wenn man an den Zellsaft denkt und darunter nicht nur den Inhalt der Vakuolen, sondern auch die Flüssigkeit versteht, welche das Plasma in seiner Gesamtheit durch- tränkt. Dass aber dieses selbst einfache Proteine kaum enthält, darf schon auf Grund der Löslichkeitsverhältnisse in Wasser und Salzlösungen gefolgert werden. Auf alle Fälle hat man es aber gerade beim pflanzlichen Plasma mit einer Substanz zu tun, deren Eigenschaften nicht nur von denen gewöhn- licher einfacher Eiweisskörper, sondern auch von denen der meisten tierischen Plasmaformen weit abweichen. Indem ich mir vorbehalte, über die sehr eigenartige chemische Zusammensetzung später zu berichten, soll hier zunächst nur das mikrochemische Verhalten besprochen werden, soweit es sich um die Verdaulichkeit handelt. Das, was am meisten auffällt, ist die ausserordentliche Widerstands- fähigkeit selbst gegen starke Säuren und Laugen, von der ich mich bei meinen Untersuchungen über die Blattzellen ‘von Elodea oft genug zu überzeugen Gelegenheit hatte. Es gilt dies vor allem auch von der Stromasubstanz der Chromatophoren, die ja gewöhnlich als Plasma angesprochen wird. Nach A. Meyer erscheint der Chloroplast „als ein je nach Umständen mehr oder weniger zähflüssiger Tropfen einer farblosen oder hellgelblichen Substanz (Stroma), in welcher zähflüssige Tröpfehen (Grana) einer durch Chlorophyllfarbstoff dunkel- grün gefärbten Substanz liegen, ferner als feste Körper mehr oder weniger gut ausgebildete Kristalloide von Proteinstoffen (Globuline) und die Stärkekörner wachsen können‘. Von einer völligen Identität der Stromasubstanz mit dem übrigen Plasma kann ja schon deswegen nicht wohl gesprochen werden, weil es sich um Differenzierungen mit besonderen Funktionen handelt. Immerhin wird man kaum fehl- gehen, wenn man der Stromasubstanz eine wenigstens ähnliche chemische Zusammensetzung zuschreibt wie dem Plasma. Um nun über diese letztere etwas Näheres zu ermitteln, schien das Studium der durch Verdauungsfermente eventuell zu bewirkenden Veränderungen am ‘ehesten Erfolg zu versprechen. Zunächst musste aber die angebliche Unverdaulichkeit des ‚Plastins“ in Pepsin-HCl, die durch die bis- herigen Untersuchungen an höheren Pflanzen keineswegs als sicher festgestellt gelten konnte, näher geprüft werden. Dass der Inhalt unversehrter Blattzellen von Elodea oder Mnium auch nach tage- langer Einwirkung sehr kräftig wirkender Pepsin-HCl-Gemische nicht gelöst wird, kann auch jetzt, wo das Eindringen des Fermentes nicht 25* 376 W. Biedermann: nur als möglich, sondern sogar als wahrscheinlich gelten kann, nicht als vollgültiger Beweis der Unverdaulichkeit angesehen werden, da es sich ja unter allen Umständen nur um äusserst geringe Pepsin- mengen handeln könnte, die den Weg ins Innere der Zellen gefunden haben. Da aber, wie ich gezeigt habe, in einer starken Pepsinlösung auch der Inhalt angeschnittener Zellen erhalten bleibt, so erscheint die Tatsache der Unverdaulichkeit nicht mehr zweifelhaft. In sehr eleganter/ Weise kann man sich davon auch überzeugen, wenn man mittels der im Schneckenmagensaft enthaltenen Cytase die Cellulose- hüllen auflöst und den freigewordenen Inhalt dann mit Pepsin-HCl behandelt. Am besten eignen sich Abschnitte von Kohl- oder Salat- blättern von etwa 1 cm Seitenlänge. Werden solche für 12 Stunden mit dem Lebersekret (,Magensaft‘“) von Helix pomatia bei Zimmer- temperatur behandelt, so findet man dann infolge der Auflösung der Membranen bei sämtlichen Parenchymzellen die Plasmaschläuche mit den Chloroplasten völlig isoliert (vgl. diese Beiträge in Pflüger’s Arch. Rd. 75 S. 48. 1899) und bis auf die Stärkeeinschlüsse ganz un- versehrt. Lässt man nun nach gehörigem Auswaschen des srünen Parenchymbreies mit Wasser Pepsin-HCl bei 40°C. einwirken, so bleiben die isolierten Protoplasten voll- ständig erhalten, und nur ihre braune Verfärbung (Chlorophyllan) verrät die Säurewirkung. Dagegen findet man dieselben nebst den Chlorophylikörnern schon nach kürzester Zeit aufgelöst, wenn man sie mit der grüngefärbten Flüssigkeit auf dem Objektträger eindeckt, welche sich im Darmkanal hungernder Kohlraupen (Pieris brassicae) findet und ein äusserst energisch wirkendes proteolytisches Ferment von tryptischem Charakter enthält. Wie ich in der oft zitierten Elodeaarbeit zeigte, gelingt es leicht, den gesamten Inhalt plasmolysierter Blattzellen durch Einwirkung starker H,SO, (2:1 mit Wasser verdünnt) in Form wurstähnlicher länglicher Körper zu isolieren (Flora ]. c. S. 603 Abb. 19), die sich dann auch nach dieser eingreifenden Vorbehandlung noch als völlig unverdaulich in Pepsin-HCl erweisen. Auch nach mehr als 12stündiger Einwirkung einer äusserst kräftigen Pepsinlösung war keine Spur einer Veränderung an den isolierten Inhaltskörpern zu erkennen. Sie verhalten sich absolut widerstandsfähig. Wenn also etwas vom Inhalt der Zellen gelöst wird, so könnte es sich nur um sehr geringe Anteile des Plasmas sowie um Eiweiss handeln, welches im Zellsaft gelöst enthalten ist. Da man allen Grund hat, anzunehmen, dass sich pflanz- liches Plasma verschiedener Herkunft nicht prinzipiell verschieden verhalten wird, so ergibt sich demnach, dass Pflanzenzellen, gleichgültig, ob roh oder gekocht oder sonstwie zubereitet, vom sauren Magensaft auch dann so gut wie gar nicht Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 377 angegriffen werden, wenn sie vollkommen eröffnet sind. Nieht nur die Kerne sind in Pepsin-HCl unverdaulich, sondern ebenso auch die Chloroplasten und, wenigstens zum weitaus grössten Teil, das Plasma. Hält man dem- nach die Unverdaulichkeit in Pepsin-HÜl für ein charakteristisches Merkmal des sogenannten ‚Plastins“, so müsste man sagen, dass auch das strömende Plasma in der Hauptsache aus einem solchen Proteid besteht. “. Ich verkenne nicht, dass trotz des Anscheins der völligen Un- versehrtheit des plasmatischen Inhaltes einer Pflanzenzelle nach der Behandlung mit Pepsin-HCl dennoch die Möglichkeit besteht, dass ein gewisser, wenn auch geringer Anteil des ursprünglichen Bestandes an Proteinkörpern herausgelöst wurde. Die mikroskopische Unter- suchung allein kann hier offenbar kaum entscheidend sein. Es muss auch makrochemisch geprüft werden, ob und welche Produkte bei der peptischen Verdauung geeignet vorbereiteten Pflanzen - materiales gebildet werden, was ja in Hinblick auf das Vorhandensein gelöster Eiweissstoffe im Zellinhalt von vorn herein anzunehmen ist. Ich möchte aber schon hier darauf hinweisen, dass auch das Aussehen mikroskopischer Objekte in manchen Fällen darauf hinweist, dass es sich bei der peptischen Unverdaulichkeit des Pflanzenplasmas doch nur um die absolute Widerstandsfähigkeit der Hauptmasse handelt, während offenbar ein gewisser, wenn auch kleiner Anteil heraus- gelöst wird, was dann gelegentlich auch zu mikroskopisch erkennbaren Veränderungen führt. Sehr deutlich habe ich solche immer bei den subepidermalen, Chlorophyll und Stärke führenden Parenchymzellen der unreifen jungen Bohnenschoten gesehen. Man muss zu diesem Zwecke durch Plasmolyse den Zellinhalt zur Ballung bringen. Daran schliesst sich dann Behandlung mit Alkohol bis zu völliger Entfärbung, worauf erst Schnitte angefertigt werden. Nun müssen diese noch durch Behandlung mit Speichel entstärkt werden und sind dann erst für die peptische Verdauung vorbereitet. Die Plasmaballen im Inneren der ziemlich diekwandigen, spärlich und gross getüpfelten Zellen zeigen infolge der herausgelösten relativ grossen Stärkeeinschlüsse der Chloroplasten ein lockeres, schwammiges Gefüge und eignen sich daher sehr gut, um einen eventuellen Substanzverlust mikro- skopisch zu erkennen. Denn es ist klar, dass dies in solchem Falle viel besser zur Geltung kommen wird als dann, wenn es sich um eine ganz kompakte Masse oder auch um einen plasmatischen Wand- belag handelt. Schon makroskopisch unterscheidet sich ein in der angegebenen Weise vorbehandelter Schnitt nach mehrstündiger Ver- dauung mit Pepsin-HCl durch seine grössere Durchsichtigkeit, und mikroskopisch ist unschwer zu erkennen, dass ungeachtet der Er- 378 | W. Biedermann: haltung der Form und Grösse der Plasmamasse dieselbe doch viel ‚blasser und zarter im Gefüge geworden ist, so dass sich nun namentlich die durch ihr verhältnismässig starkes Lichtbrechungsvermögen aus- gezeichneten Stromata der stärkefreien Chloroplasten viel schärfer von der Umgebung abheben als vorher. Hiermit steht nun in Über- einstimmung, dass, wie in einer folgenden Arbeit gezeigt werden soll, bei peptischer Verdauung geeigneten Pflanzenmateriales sich stets Albumosen in der Flüssigkeit nachweisen lassen. Auch an den Schliess- zellen der Spaltöffnungen von Dahlia lassen sich nach vorgängiger Plasmolyse und Extraktion mit Alkohol bei der Verdauung mit Pepsin- HCl unzweifelhafte Veränderungen, wenngleich keine Lösung der kleinen Plasma-Chlorophyll-Ballen erkennen. Diese nehmen an Volumen etwas ab und werden zugleich durchsichtiger. Ich wende mich jetzt zur Besprechung der Wirkungen des Trypsins auf Pflanzenzellen, welche in noch viel höherem Maasse als das ge- schilderte Verhalten gegen Pepsin-HCl die Sonderstellung Bilanzen Plasmas in chemischer Hinsicht beweisen. c) Trypsin. Da, wie ich zeigen werde, das Trypsin unter gewissen Bedingungen ausserordentlich energisch den plasmatischen Inhalt pflanzlicher Zellen angreift, auch wenn deren Wand absolut unversehrt ist, so ist damit ohne weiteres der Beweis gegeben, dass das Ferment, und zwar, wie es scheint, viel leichter als Pepsin, die Cellulosemembran zu durch- dringen vermag. Meine ersten Erfahrungen bezogen sich wieder auf die Blattzellen von Elodea und Vallisneria, die sich ja zu allen derartigen Versuchen ausgezeichnet eignen. Ich habe darüber in aller Kürze am Schlusse meiner Elodeaarbeit berichtet. Zunächst schien es, als ob auch gegen Trypsin der Zellinhalt völlig widerstandsfähig wäre, denn alle Versuche mit frischen Blättern fielen durchweg negativ aus, und ich konnte selbst bei tagelang fortgesetzter Ver- dauung mit äusserst wirksamem Trypsin in 0,5 %iger Sodalösung keine irgend nennenswerten Veränderungen feststellen. Die Chloro-, plasten blieben auch in angeschnittenen Zellen in Form und Farbe erhalten, und auch das Plasma schien keine Veränderung erfahren zuhaben. Als ich aber plasmolysierte und dann mit Alkohol extrahierte Blätter dem Versuch unterwarf, ergab sich das überraschende Resultat, dass nun in kürzester Zeit Ver- dauung (Lösung) des gesamten plasmatischen Inhaltes der geschlossenen Zellen erfolgte. Es schien daher der Schluss gerechtfertigt, dass alkohollösliche (lipoide) Substanzen des Plasmas und der . Chloro plasten ‚einen sehr wirksamen Schutz gegen die Einwirkung des Trypsins verleihen. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 379 'Äusserst energisch wirkt Trypsin auch nach vorhergehender Behand- lung der Blätter mit Schwefelsäure (2:1 Wasser) auf die so frei- gewordenen Inhaltskörper ebensowohl wie auch auf die, die noch von den gequollenen Membranen umschlossen sind. Es erfolgt restlose Lösung schon bei gewöhnlicher Temperatur. Ich habe diese Versuche seither weitergeführt und teile in folgendem die Ergebnisse mit. Zunächst habe ich mich davon überzeugt, dass es für die Voll- ständigkeit und Schnelliskeit der tryptischen Verdauung des plas- matischen Zellinhaltes vor allem darauf ankommt, dass die Extraktion der lipoiden Bestandteile eine möglichst erschöpfende gewesen ist. Dem einfachen längeren Einlegen in Alkohol absol. liess ich daher später in der Regel noch Auskochen mit Alkohol sowie Extraktion mit Äther und schliesslich mit Chloroform folgen. Für das Gelingen aller tryptischen Verdauungsversuche mit Pflanzenmaterial ist es ferner ganz wesentlich, die üblichen Zusätze antiseptischer Mittel nach Mösg- lichkeit zu vermeiden, da sie, wie sich bald herausstellte, in hohem Grade hemmend wirken. Insbesondere gilt dies von dem viel ver- wendeten Thymol, in dessen Anwesenheit die verdauende Wirkung im vorliegenden Falle so gut wie ganz fehlt, selbst wenn nur wenig zugesetzt wird. Besser wirkt schon ein mässiger Zusatz von Chloro- form, am allerbesten aber werden Antiseptika ganz vermieden. Dies hat nun freilich bei der bekannten Schnelligkeit, mit der sich in tryptischen Verdauungsflüssigkeiten Bakterien entwickeln, sein Miss- liches, und es sind insbesondere alle langfristigen Versuche dadurch ganz ausserordentlich erschwert und vielfach unmöglich. Glück- licherweise ist aber die Wirkung des Trypsins auf entsprechend vor- behandelte Präparate eine so energische und die zur Lösung erforder- liche Zeit daher so kurz, dass gar nicht daran gedacht werden kann, die beobachteten Wirkungen etwa auf Bakterien zu beziehen, die im gegebenen Falle ja auch schon aus dem Grunde weniger zu fürchten sind, weil sie in Pflanzenzellen, solange deren Membranen unversehrt sind, überhaupt nicht einzudringen vermögen; eine etwaige Cellulose- lösung aber macht sich immer erst nach langer Zeit geltend. Dennoch habe ich, um ganz sicher zu sein, stets einen Kontrollversuch mit Chloroform gleichzeitig angesetzt. Auf die schädigende Wirkung der - Antiseptika auf das Trypsin ist auch ‚schon von anderer Seite auf- merksam gemacht worden!), wiewohl sich dieselbe bei Verwendung tierischer Stoffe bei weitem nicht in dem Maasse geltend macht. Um sich von der überaus raschen Wirkung des Trypsins zu über- zeugen, verdaut man am besten auf dem Objektträger. Bei einem l) Kaufmann, Z. f. physiol. Chem. Bd. 39 S. 434. 1903. 380 W. Biedermann: in der angegebenen \eise vorbehandelten plasmolysierten Elodea- blatt erfolgt nach Eindeckung des Präparates mit Trypsinlösung bei gewöhnlicher Zimmertemperatur die Lösung des Plasma-Chlorophyll- Ballens in den Zellen schon innerhalb 3 Stunden, so dass man die Veränderungen Schritt für Schritt unter dem Mikroskop verfolgen kann. Man konstatiert dabei ein ganz allmähliches Er- blassen und stetig zunehmende Aufhellung des Zellinhaltes ohne Quellung oder Zerfall. Schliesslich bleibt ven jedem Ballen nur ein ganz blasser, bei sorgfältiger Abblendung des Lichtes eben noch erkennbarer Rest übrig, aus dem die kleinen, stark liehtbrechenden Stärkeeinschlüsse der Chloroplasten nun scharf begrenzt hervorglänzen, ohne dass dabei Form und Grösse der Ballen auch nur die geringste Änderung erfährt. So bleibt es, bis endlich die blasse Umhüllungsmasse völlig unsichtbar (gelöst) wird und .die Stärkekörnchen nun ul 1 im flüssigen Zellinhalt schwimmen. Verwendet man zu dem Versuch Elodea- oder noch besser Mnium - blätter, welche nicht erst plasmolysiert, sondern sofort in Alkohol eingelegt und dann nach der Entfärbung noch mit Äther und Chloro- form ausgezogen wurden, so liegen die namentlich bei Mnium sehr grossen Chloroplasten gleichmässig in den Zellen verteilt, und man hat so besser Gelegenheit, ihre Veränderungen bei tryptischer Ver- dauung zu studieren. Jedes Korn stellt, von der Fläche gesehen, ein rundes Scheibchen dar, welches infolge der herausgelösten ‚Grana‘“ bei starker Vergrösserung fein punktiert erscheint. Lässt man nun eine starke Trypsinlösung auf dem Objektträger einwirken (am besten auf dem heizbaren Objekttisch), so sieht man die Scheibchen sehr bald erblassen und schliesslich ohne Änderung ihrer Form und Grösse verschwinden, wobei die eingeschlossenen Stärkekörnchen frei werden. Das überaus zierliche Bild, welches plasmolysierte und nach ent- sprechender Vorbehandlung mit Trypsin verdaute Elodeablätter mit den isolierten Stärkekörnergruppen in den Zellen darbieten, wird noch übertroffen von Präparaten, welche in ganz gleicher. Weise von Vallisneria gewonnen werden. Ein verdautes Blattstückchen wird so durchsichtig, dass man beim Heben und Senken der Tubus die ganze Dicke des Blattes durchmustern und in er Sellin alle Einzel- heiten erkennen kann. Ich muss nochmals besonders betonen, dass eine wirklich rest- lose Lösung des plasmatischen Zellinhaltes durch Trypsin sich nur dann erzielen lässt, wenn der Alkoholbehandlung noch eine längere Extraktion mit Äther und namentlich mit Chloroform folgt. Man kann sich davon am besten am Spinat überzeugen, dessen Blattparenchym aus grossen, dünn- Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 381 wandigen, an Plasma und Chlorophyll sehr reichen Zellen besteht, ‚die sich schon beim Kochen leicht voneinander trennen. Es erscheint dann der Inhalt in ähnlicher Weise klumpig geballt, wie man es sonst nur durch Plasmolyse erzielen kann. Zwischen der zentralen Plasma- -Chlorophyll-Masse und der Membran bildet sich in der Regel ein breiter Zwischenraum, so dass man etwaige Veränderungen des Ballens ‚sehr gut beobachten kann. Ich habe die frischen Blätter in der Regel 1—2 Stunden gekocht, wobei sich das Kochwasser bräunlichgelb färbt; die schön grüne Blättermasse wurde dann ausgedrückt und wie bei der Zubereitung in der Küche fein zerhackt, mit kaltem Wasser gründlich ausgewaschen und nach Abpressen in einem Tuch abermals ‚gekocht. Dieses Verfahren wurde dann noch mehrmals wiederholt, bis das Kochwasser sich nicht mehr gelb färbte. Der Spinatbrei wurde dann nach gutem Abpressen mit Alkohol übergossen und so lange extrahiert, bis die Blattfragmente völlig entfärbt waren. Untersucht man die farblose Masse in Wasser mit dem Mikroskop, so findet man neben zahlreichen ganz isolierten Zellen und Zellgruppen kleine, noch durch die Gefässbündel zusammengehaltene und von Epidermis bedeckte Blattfragmente, deren Parenchym reichlich von grossen, runden Zellen durchsetzt erscheint, welche je eine kugelige Druse von Kalkoxalatkristallen enthalten, die den Raum der Zellen fast ganz ausfüllen. Einzelheiten der Form und Oberflächenbeschaffenheit lassen sich unter diesen Umständen nur schlecht erkennen, da die Drusen noch von Plasma eingehüllt sind und undurchsichtige schwarze Körper darstellen. An den zahlreichen ganz freien Parenchymzellen überzeugt man sich leicht von der Zusammensetzung der centralen Ballen aus vielen, noch gut erkennbaren, entfärbten Chlorophyll- körnern, welche den Hauptbestandteil bilden, so dass vom Plasma ‚als solchem nicht viel zu sehen ist. Wenn man eine kleine Probe der so vorbereiteten Spinatmasse, die also nur mit kaltem Alkohol, wenn auch eventuell wochen - lang extrahiert wurde, nach gehörigem Auswaschen mit Wasser in einem Reagenzglas mit Trypsin bei 40°C. ohne Thymolzusatz oder mit Chloroform 3—4 Stunden verdaut, so findet man die Fragmente nachher ganz durchsichtig geworden. Unter dem Mikroskop treten ‚die Gefässbündel prachtvoll hervor; auch sieht man schon mit blossem ‚Auge die erwähnten, Oxalat führenden Zellen als weisse (resp. im -durchfallenden Licht dunkle) Pünktchen. Auf den ersten Blick erhält man den Eindruck, als ob die Parenchymzellen völlig entleert wären: bei genauerem Zusehen aber bemerkt man in jeder ganz deutlich einen blassen Rest des Plasma-Chlorophyll-Ballens, nur ist dessen Volum viel kleiner als vor der Verdauung und die Substanz viel durchsichtiger geworden. Vielfach er- 382 W. Biedermann: scheint ein solcher Inhaltskörper wie ein Haufe Bakterien, indem stäbchenförmige, stark lichtbrechende Gebilde in einer blassen Grund- substanz eingebettet liegen. Bei genauerem Zusehen erkennt man aber leicht, dass es sich um die Stromata von Chloroplasten in Seiten- ansicht handelt. Färbt man mit Eosin, so nehmen sie eine rosa Färbung an, und man sieht sie dann auch in vielen Zellen in Flächenansicht. als zart rosa gefärbte Scheibchen. Es wird demnach auch nach wochenlanger Einwirkung von Alkohol bei gewöhnlicher Temperatur immer nur ein gewisser, allerdings sehr er- heblicher Teil des festen plasmatischen Zellinhaltes durch Trypsin verdaut, während namentlich von den entfärbten Chlorophyllkörnern beträchtliche Reste zurückbleiben. Unterwirft man dagegen das gleiche Objekt erst nach vorgängigem Auskochen mit Alkohol und darauffolgender Extraktion mit Äther- und Chloroform der tryptischen Verdauung, so ist der Erfolg immer‘ der, dass nach 3—4 Stunden alle Zellen ihres gesamten Inhaltes völlig beraubt sind und nun leere Oellulose- hülsen darstellen. Davon machen natürlich nur diejenigen eine Ausnahme, welche die erwähnten Oxalatdrusen einschliessen, die nun völlig gereinigt alle Einzelheiten ihrer Form auf das klarste erkennen lassen. Man sieht an ihrer Oberfläche überall Oktaederspitzen heraus-- ragen, so dass sie über und über mit Stacheln besetzten Kugeln gleichen. Grössere Blattstückehen sind so durchsichtig geworden, dass man die Epidermis der Unterseite bei tiefer Einstellung ebenso deutlich zu erkennen vermag wie die dem Beschauer zugewendete Epidermislage. Da die Spinatblätter mehrfach ausgekocht wurden, so ist natürlich von Stärkekörnern nichts mehr zu sehen; wohl aber‘ lässt sich an den farblosen extrahierten Blattstückchen und nament- lich an den zahlreichen, ganz isolierten Parenchymzellen vor der: Verdauung reichlich gequollene Stärke nachweisen, die, wie schon erwähnt wurde, zum Teil in Form von Tropfen, die sich mit Jod. schwarzblau färben, frei in den Zellen liest. Ich war sehr überrascht, in den mit Trypsin völlig ausverdauten Zellen bei Jodzusatz keine Spur mehr der vorher doch reichlich vorhanden gewesenen Stärke zu finden. Ich musste demnach annehmen, dass das von mir haupt-- sächlich benützte Trypsinpräparat (von Merck) auch wirksame Pankreasdiastase enthielt. Ein Versuch mit Stärkelösung zeigte denn auch sehr bald, dass dies wirklich der Fall war, indem die Jodreaktion. schon nach kurzer Zeit negativ wurde. Es liefert dieses Verhalten zugleich auch den Beweis dafür, dass nicht nur Ptyalin und. pflanz- liche Diastase, sondern auch die Amylase des Pankreas unversehrte Cellulosemembranen zu durchdringen vermag. Andererseits zeigt der Versuch aber auch sehr anschaulich, wie viel leichter gequollene oder Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 383 gar gelöste Stärke angegriffen wird als Stärkekörner, auch wenn - dieselben noch so klein sind. Anderenfalls wäre ja eine Isolierung der Stärkeeinschlüsse durch Verdauung mit demselben Trypsinpräparat, wie sie an den Blattzellen von Elodea oder Vallisneria so schön gelingt, nicht möglich gewesen. Hier bedarf es noch ausserdem der Behandlung mit Speichel, um die Körnchen zur Lösung zu bringen, und auch dann bleiben noch viele der grösseren erhalten. Auch die sehr kleinen Stärkeeinschlüsse der Chloroplasten der Spaltöffnungs- zellen von Dahlia wurden durch mein Trypsinpräparat zwar völlig isoliert, aber nicht gelöst. Es bedarf nach dem Mitgeteilten wohl kaum noch der besonderen Erwähnung, dass nur gekochte und gar nicht weiter vorbehandelte Blattzellen des Spinates der tryptischen Verdauung anscheinend völlig Widerstand leisten, soweit sich dies durch mikroskopische Beobachtung feststellen lässt. Makrochemisch lässt sich aber in der Tat zeigen, dass eine teilweise Verdauung doch stattfindet. Nach diesen Erfolgen war ich begierig zu erfahren, wie sich grössere, sonst ganz unversehrte Blattfragmente von Pflanzen verhalten, die ein viel derberes Gefüge und insbesondere auch eine sehr viel wider- standsfähigere Epidermis besitzen als die zarten, weichen Spinat- blätter, namentlich im gekochten Zustand. Ich dachte dabei vor allem an die ja auch als Nahrung für Pflanzenfresser in erster Linie mit in Betracht kommenden Gräser. So ohne weiteres sind selbst zartere Grasblätter viel zu undurch- sichtig und ausserdem so stark lufthaltig, dass man von ihrer Struktur bei mikroskopischer Untersuchung nur wenig zu erkennen vermag. Doch werden sie bei der zu einer erfolgreichen Verdauung notwendigen _ Vorbehandlung mit Alkohol, Äther und Chloroform schliesslich doch so durchsichtig, dass man durch die Schicht der langgestreckten Epidermiszellen die Anordnung sowohl wie die Beschaffenheit des Inhaltes der an Chlorophylistärke reichen Parenchymzellen sehr wohl zu erkennen vermag, namentlich wenn man in Glycerin untersucht. Beiderseits findet sich subepidermal je eine Lage kleiner, fast kugeliger Zellen mit verhältnismässig dicken, nicht porösen Wänden, die zwischen je zwei Gefässbündelsträngen in Reihen angeordnet liegen und in dem plasmatischen Wandbelag ziemlich grosse Chlorophyll- körner enthalten. Durch Behandlung mit Jod kann man die Stärke- einschlüsse sehr deutlich sichtbar machen. Diese, den Pallisaden- zellen anderer Blätter entsprechenden Zellschichten umschliessen das Schwammparenchym, welches bei den von mir untersuchten Gras- arten aus in Querreihen angeordneten, grosse Lufträume zwischen sich lassenden, länglichen, sonst aber ganz ähnlich gebauten Zellen besteht, die ‚ebenfalls zahlreiche Chloroplasten enthalten. Wenn man. 384 W. Biedermann: etwa zentimeterlange Stücke solcher Grasblätter, die in der an- gegebenen Weise vorbehandelt sind, mit Trypsin verdaut, so findet man nach 3—4 Stunden, von jedem der beiden Querschnitte ausgehend, die Zellen völlig leer, aber nur in einer Zone, welche nach innen zu etwa fünf bis sechs Quer- reihen von Zellen umfasst, während die weiter im Innern gelegenen zwar in verschiedenem Grade „angedaut“, aber nicht völlig entleert erscheinen. Die in der Mitte zwischen den beiden Querschnitten ge- legenen Elemente zeigen meist nur geringe Veränderungen. Die Fermentlösung dringt demnach hier fast nur von den Schnittflächen her ein, und scheint die Epidermis für dieselbe trotz der zahlreichen Spaltöffnungen kaum durchlässig zu sein. Man muss daher, wenn vollständige Ausverdauung beabsichtigt wird, wesentlich kleinere, (quadratische Blattstückchen benützen, die an allen vier Seiten von Schnittflächen begrenzt sind und so die günstigsten Bedingungen für das Eindringen des Fermentes darbieten. Das, was an solchen glasartig durchsichtig gewordenen Präparaten vor allem auffällt, ist das Erhaltenbleiben der Kerne in den sonst total ent- leerten Zellen, um so mehr, als von diesen vorher kaum etwas zu sehen ist. Es verhalten sich also die Kerne in diesem Falle der tryptischen Verdauung gegenüber ganz so, wie sonst bei Einwirkung von Pepsin-HCl. Da ich bei keinem der bisher erwähnten Objekte jemals auch nur die Andeutung eines Kernes in ausverdauten Blattzellen gesehen habe, so bleibt kaum eine andere Annahme übrig, als dass im gegebenen Falle die Kern- substanz chemisch anders geartet sein muss. Zunächst bin ich freilich nicht in der Lage, auch nur vermutungsweise darüber etwas aus- zusagen; doch ist die Tatsache um so bemerkenswerter, als, wie ich zeigen werde, eine solche Kernisolierung auch bei der Verdauung von Pflanzenteilen im Darm gewisser wirbelloser Tiere vorkommt. Über das Verhalten der Kernsubstanzen gegen Trypsin habe ich ‚genauere Angaben nicht finden können. Von vornherein wäre ja das Erhaltenbleiben von Kernresten keineswegs ausgeschlossen, wenn man berücksichtigt, dass die Nukleoproteide komplizierte Eiweiss- verbindungen darstellen, von denen nur gewisse Anteile der Wirkung von Proteasen zugänglich sind. In der Bearbeitung der Nukleoproteide im Biochemischen Handlexikon IV. S. 986 heisst es bezüglich deren Verdauung wie folgt: „Durch Behandeln mit Pepsin-HCl wird Eiweiss ‚abgespalten und weiter peptonisiert, und es hinterbleiben Nukleine, P-reichere Verbindungen stärker saurer Natur, die ihrerseits manchmal weitergespalten werden in Eiweiss und Nukleinsäure. Ebenso, nur schneller, wirkt Trypsin.‘“ Nach Abderhalden (Lehrb. I. S. 654) werden aus dem bei der Magenverdauung übrigbleibenden Kernrest Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 385 bei darauffolgender tryptischer Verdauung Nukleinsäuren abgespalten. Er drückt sich darüber folgendermaassen aus: „Da es gelungen ist, aus den Nukleoproteiden durch Verdauung mit Magensaft einen von diesem nicht weiter spaltbaren Rest abzuspalten, während gleich- zeitig Eiweiss in Peptone übergeführt wird, so nimmt man an, dass die Nukleoproteide einen Eiweisskomplex besitzen, der locker in das sanze grosse Molekül eingefügt ist, während ein zweiter Komplex mit der Nukleinsäure noch in Verbindung bleibt und das erwähnte, vom Magensaft übriggelassene Produkt darstellt. Es ist ‚Nuklein‘ genannt worden. Vom Pankreassaft wird dieses in Nuklein- säuren und Eiweiss gespalten. Dieses letztere wird dann hydrolytisch abgebaut.‘ Da Nukleinsäuren in Alkalien leicht löslich sind, so würde es verständlich sein, dass Zellkerne wenigstens nach Vorbehandlung mit Pepsin-HCl vom Trypsin gelöst werden, wobei allerdings vorausgesetzt wird, dass die Eiweisskomponente der Nukleine vom Trypsin angegriffen wird. Dies braucht aber nicht notwendig der Fall zu sein, wie sie sich ja auch dem Pepsin gegen- über so gut wie unangreifbar erweist. Da unsere derzeitigen Kennt- nisse gerade über diesen Punkt noch sehr mangelhaft sind und kaum darüber hinausgehen, dass es sich vielfach um Eiweisskörper von ausgeprägt basischem Charakter handelt, so wird man darauf gefasst seim müssen, bei verschiedenen Kernen Nukleine von wechselnden Eigenschaften zu finden, und es könnte sehr wohl sein, dass im einen Falle tryptische Lösung erfolgt, in einem andern aber ausbleibt. Dass auch sonst Unterschiede im Verhalten pflanzlichen Plasmas sowie der Chromatopheren gegenüber der tryptischen Verdauung hervor- treten, geht schon aus den mitgeteilten Erfahrungen hervor, die zur Genüge erkennen lassen, dass das Ferment bei gleicher Vor- behandlung im einen Falle rascher als im andern einwirkt. So wird trotz viel grösserer Dicke der Zellwand der plasmatische Inhalt der Elodea- und Vallisneriazellen unzweifelhaft schneller gelöst als der der äusserst dünnwandigen Blattzellen des Spinates oder der- jenigen der Grasblätter. Nach dem Verhalten dieser letzteren hätte man erwarten dürfen, dass selbst grössere Stücke der zarten, jungen Blätter. von Salat aus dem Warmbeet von Trypsin sehr rasch und leicht ausverdaut würden, wenn sie vorher in entsprechender Weise mit Alkohol, Äther und Chloroform extrahiert werden. Dies ist nun aber keineswegs der Fall. Zwar gelingt es ohne Schwierigkeit, Stücke von etwa einem Quadratzentimeter innerhalb weniger Stunden fast glashell durchsichtig zu machen, aber bei der mikroskopischen Unter- suchung zeigt sich, dass dennoch keine ganz gleichmässige Entleerung aller Zellen stattgefunden hat, sondern trotz der Dünne und Zartheit der. beiderseitigen Epidermislage und ganz wie bei den Ausschnitten 3806 W. Biedermann: aus Grasblättern nur innerhalb einer allerdings breiteren Randzone, so dass sich offenbar das Ferment auch hier leichter von den Schnitt- rändern her durch Diffusion von Zelle zu Zelle ins Innere des Paren- chyms verbreitet als durch die unversehrte Epidermis. Man findet den Inhalt in den Zellen der zentralen Partien des Blattstückes zwar sehr verblasst und offenbar angedaut, aber doch noch erkennbar. Ausserordentlich klar ist wieder die Nervatur des Blattes zu sehen sowie das Gefüge der entleerten Zellen in den einzelnen optischen Flächenschnitten des Blattes beim Heben und Senken des Tubus. Besonders hat mich in diesem Falle das Erhaltenbleiben der in den Epidermiszellen beider Blattflächen regelmässig vorhandenen, wenn auch nicht zahlreichen Chlorophylikörner auch an solchen Stellen überrascht, wo die chlorophyllreichen Parenchymzellen vollkommen entleert waren. So gewinnt es den Anschein, dass bei derselben Pflanze die Chloroplasten nicht in allen Zellen völlig gleiche Eigenschaften zeigen; doch dürfte die richtige Deutung wohl die sein, dass selbst bei grösster Zartheit und Dünne die Membranen der Epidermiszellen ‚doch eine solche Beschaffenheit besitzen, dass sie dem Durchtreten gelöster Stoffe einen wesentlich grösseren Widerstand entgegensetzen als die eventuell viel diekwandigeren, aber nicht kutikularisierten Parenchymzellen. Es liesse sich dann auch verstehen, dass bei den Blättern submerser Pflanzen (ohne Epidermis) das Ausverdauen rascher und vor allem ganz gleichmässig in allen Zellen auch bei unverletzten Blättern stattfindet. Zugunsten dieser Auffassung sprechen ferner auch noch einige andere Beobachtungen, die ich sowohl an den Epi- dermiszellen der Salatblätter wie auch besonders an jenen der Blatt- unterseite von Dahlia zu machen Gelegenheit hatte. Die letzteren zeichnen sich stets durch ihren Plasmareichtum aus; sie sind, frisch untersucht, erfüllt von einer feinkörnigen, gelblichen Substanz, die sich bei Plasmolyse mit Kochsalzlösung zu einer in der Mitte der "Zelle gelegenen runden Kugel ballt und auch nach der darauffolgenden Extraktion mit Alkohol, Äther und Chloroform, wenn auch in etwas geschrumpftem Zustande, deutlich sichtbar bleibt. Wird nun mit Trypsin verdaut, so lösen sich zwar, wie schon erwähnt, die ebenfalls gehballten wurstförmigen Inhaltsmassen der Schliesszellen der Spalt- öffnungen bis auf die Stärkekörnchen; die im Vergleich sehr grossen Plasmaballen der angrenzenden, gebuchteten Epidermiszellen aber bleiben, soviel man sehen kann, im wesentlichen unverändert. Auch in den Epidermiszellen der Salatblätter, in welchen das Plasma in der Regel homogen und daher unsichtbar erscheint, kann man wenigstens in einzelnen Zellen ein ähnliches : Verhalten feststellen. Es bilden sich bei der Extraktion der Lipoidsubstanzen, entweder vereinzelt oder zu mehreren gruppiert, kugelige, ganz homogene Tropfen Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 387 oder wohl auch halbmondförmige Segmente von gelblicher Farbe, welche dann neben den entfärbten Chloroplasten den Inhalt der be- treffenden Zellen ausmachen. Da man gegebenenfalls bei Sinken des Tubus die nächst unterliegenden Parenchymzellen: völlig leer findet, so bleibt offenbar nur die Annahme übrig, dass die Ferment- lösung durch die unversehrte Epidermis überhaupt gar nicht ein- dringen kann. Der Gegensatz zwischen Epidermis und Parenchym- zellen tritt am schärfsten an Präparaten von frischen Dahlienblättern hervor, die man in der Weise gewinnt, dass mittels eines Rasiermessers von der Ober- oder Unterseite her Flachschnitte abgekappt werden, die aus der betreffenden Epidermislage und einer möglichst dicken Schicht des Blattparenchyms und der dazwischen verlaufenden Gefäss- bündel bestehen. Werden diese dann nach entsprechender Vor- behandlung mit Trypsin, verdaut, so erhält man geradezu ideale Präparate, die, wenn man sie vor Druck durch zwischen Objektträger und Deckglas eingelegte Papierstreifchen schützt, bei ihrer voll- kommenen Durchsichtigkeit die Form und Anordnung der Zellen ‚des Blattinneren in allen Tiefen auf das schönste erkennen lassen. Dass sehr auffallende Unterschiede des plasmatischen Zellinhaltes in bezug auf die Angreifbarkeit durch Trypsin bei verschiedenen Pflanzen bestehen, ergibt sich sehr klar aus dem Verhalten der Zellen von Spirogyra, deren grosse Widerstandsfähigkeit mich sehr über- raschte, zumal ich gehoift hatte, in den so charakteristischen Chloro- phyllbändern dieser Algen ein zum Studium der Einzelheiten der Verdauungserscheinungen gerade besonders geeignetes Objekt vor mir zu haben. Dass sich nicht weiter vorbehandelte Fäden als ganz un- ‚angreifbar erwiesen, war ja nach allen Erfahrungen von vornherein zu erwarten. Auffallender war schon, dass nach alleiniger Extraktion mit Alkohol die Veränderungen, welche bei tryptischer Verdauung hervortraten, kaum merklich waren; ganz unerwartet war aber, dass auch nach wochenlangem Liegen in Chloroform nach vorhergehender Extraktion mit Alkohol und Äther ein restloses Ausverdauen der Zellen bis auf die Stärke nicht zu ermöglichen war. Die von mir untersuchte Spirogyraart (Grevelleana ?), die ich in ungeheurer Menge in einem langsamfliessenden Bache im Mai fand, fiel mir durch die grosse Verschiedenheit in der Länge resp. Breite der Zellen sowie durch entsprechende Differenzen der Form und feineren Struktur ‚der Chlorophylibänder auf, so dass ich zunächst an zwei verschiedene Arten in Mischung dachte. Ich überzeugte mich aber, dass es sich lediglich um Wachstumsdifferenzen handelte, durchaus denen ent- ‚sprechend, welche ganz neuerdings OÖ. Hartmann!) bei Kultur ver- 1) ©. Hartmann, Exper. Unters. über den Einfluss höherer Temp. auf Morph. u. Cytologie der Algen (Roux’ Archiv Bd. 44 S. 589. 1918). 388 W. Biedermann: schiedener Algen bei hoher und niederer Temperatur beobachtet hat. Die Fäden mit langen, schmalen Zellen enthielten Chlorophylibänder, deren Windungen viel mehr gestreckt und weniger zahlreich waren, auch schien das Stroma substanzärmer zu sein und enthielt so gut. wie gar keine ,„Stromastärke‘‘; aber auch die Pyrenoide erwiesen sich als sehr stärkearm. Oft erschienen die Bänder fast gerade und parallel der Längsachse der Zellen eingestellt; trotzdem erreichen sie meist nicht das beiderseitige Zellende. Im Vergleich zu den Chromato- phoren der kurzen, gedrungenen Zellen, die mit Stärke (Stroma- und Pyrenoidstärke) meist überladen sind und. bei Jodfärbung fast in toto schwarz erscheinen, sind die der gestreckten Zellen auch wesentlich schmaler und mehr zylindrisch geformt. Die Veränderungen, welche nach 3—5stündiger tryptischer Verdauung bemerkbar waren, machen sich immer am meisten in den Fäden mit langgestreckten Zellen und dem- entsprechend schmalen, steilgewundenen Chlorophylibändern geltend. Unverdaut erscheinen dieselben, da die Algenfäden vor der Extraktion plasmolysiert worden waren, um den plasmatischen farblosen Wand-- belag besser zu erkennen, von der Zellmembran abgelöst und im Zu- sammenhang mit dem zarten Piasmasäckchen, dessen. Wand im optischen Längsschnitt als ziemlich stark lichtbrechende Linie zwischen den Windungen des Spiralbandes sichtbar wird. Im übrigen tritt das eigentliche Plasma im mikroskopischen Bilde wenig hervor, da es, wenigstens nach der erwähnten Vorbehandlung, fast vollkommen hyalin erscheint oder in der Flächenansicht nur wenige, stark licht-. brechende Tröpfchen und Granula erkennen lässt. Die farblose Substanz der Chlorophylibänder erscheint feinkörnig und umschliesst eine Reihe von Stärkeherden (Pyrenoiden), die in ziemlich gleichen Abständen liegen und am deutlichsten bei hoher Finstellung als stark licht-. brechende, hellglänzende, runde Körper hervortreten, die sich bei Jodbehandlung oft tiefschwarz färben. Ein wesentlich verschiedenes Aussehen zeigen die Fäden mit kürzeren und dementsprechend breiteren Gliedern, deren Chlorophylibänder flacher, weniger steil gewunden und offenbar viel substanzreicher sind. Sie erscheinen dunkler und enthalten zahlreichere und grössere ‚„‚Mikrosomen“ ; auch liegen die Pyrenoide dichter gedrängt und sind um mehr als das Doppelte grösser, was hauptsächlich auf die dicken Stärkehüllen zu beziehen ist. Da ihr Durchmesser meist den der Spiralbänder, denen sie zugehören, übertrifft, so gewinnen diese ein eigentümlich knotiges Aussehen. An vielen Stellen lässt sich erkennen, dass die Stärke in Form zahlreicher, kleiner Körnchen rings um die Pyrenoide sowie auch im verbindenden Stroma abgelagert wird. Vergleicht man das Aussehen solcher Präparate mit anderen, gleich vorbehandelten, aber 3—4 Stunden mit Trypsin verdauten,. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VI. 389 so ist der Unterschied auf den ersten Blick ein sehr auffallender. Man kann ihn mit zwei Worten charakterisieren: der Zellinhalt und insbesondere die Chlorophyllbänder sind viel substanz- ärmer geworden, und die Stärkeherde treten demgemäss ausserordentlich scharf hervor. Der Substanzverlust ist immer in den gestreckten Zellen am deutlichsten, deren Spiralbänder an sich blasser erscheinen; hier könnte man oft von einer völligen Aus- verdauung sprechen, wenn nicht neben den Stärkehüllen der Pyrenoide, die als solche auch verschwunden sind, doch noch einzelne feinste Körnchen in einer ganz blassen, kaum sichtbaren Grundsubstanz als Reste der Bänder die Stärkeherde miteinander verbänden. Auch die Kontur des Plasmasäckchens, welches von der Wand abgehoben die Spiralbänder umschliesst, erscheint noch hier und da durch vereinzelte Körnchen angedeutet. Der gesamte Zellinhalt ist demnach noch zu sehen, aber freilich nur verblasst und ganz schattenhaft angedeutet. Die verdauten Stärkeherde zeigen je nach dem Grade ihrer Ent- wicklung ein sehr verschiedenes Aussehen. Im einfachsten Falle stellen sie im ungefärbten Zustande stark lichtbrechende, bei hoher Einstellung hellelänzende, doppeltkonturierte Ringe dar, die aber nach Ausweis der Jodfärbung nicht wirklich solche sind, sondern Kugelschalen vorstellen, welche das Pyrenoid umschliessen. Der helle Ring als optischer Durchschnitt der Kugelschale färbt sich mit Jod tief dunkel, während die umschlossene Fläche heller erscheint. Nimmt die Stärke- hohlkugel an Masse zu, wie in den grossen Stärkeherden der kürzeren, die Mehrheit bildenden Zellen, so wird natürlich der Ring immer breiter, und der Helligkeitsunterschied zwischen Peripherie und Mitte gleicht sich mehr und mehr aus. Nicht immer kommt es zu einer gleichmässigen Abscheidung von. Stärke rings um das Pyrenoid, sondern sehr häufig beobachtet man statt der homogenen Kugelschale mehr oder weniger zahlreiche kleine Stärkekörnchen, welche an verdauten, ungefärbten Präparaten oft ausserordentlich deutlich zu sehen sind und jeden Stärkeherd als ein Haufwerk glänzender Körnchen erscheinen lassen. So wird es leicht verständlich. dass man oft statt eines geschlossenen homogenen Ringes einen Kranz von Stärkekörnchen findet. Gerade die Verdauungs- methode ermöglicht es, die Morphologie der Stärkeablagerung in den Herden viel besser zu studieren, als es sonst möglich ist; doch habe ich mich damit nicht eingehender befasst, da es mir in erster Linie auf das Verhalten des plasmatischen Zellinhaltes der tryptischen Ver- dauung gegenüber ankam. Die grosse Widerstandsfähiskeit des Plasmas sowie der Stroma- substanz der Chromatophoren bei Spirogyra ist nun keineswegs eine Eigentümlichkeit aller Algen; sie bildet vielmehr eine Ausnahme Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 26 390 W. Biedermann: von der Regel, wonach der plasmatische Zellinhalt ganz wie bei den höheren Pflanzen vom Trypsin restlos verdaut wird, wenn alle Lipoide vorher extrahiert wurden. Fin ausgezeichnetes Beispiel lieferte eine Ödogoniumart, deren Fäden ein geradezu ideales Objekt für Ver- dauungsversuche bilden. Im extrahierten Zustande mit Eosin gefärbt, stellen sich in diesem Falle die Chromatophoren als der Längsachse der rechteckigen Zellglieder parallel angeordnete, feingranulierte Bänder dar, welche durch plasmatische Querbrücken von gleichem Aussehen zu einer Art Netzwerk verbunden und von Stelle zu Stelle durch grosse, runde Stärkeherde unterbrochen erscheinen, in deren Zentrum das stark lichtbrechende Pyrenoid als tiefrot gefärbtes Körperchen deutlich sichtbar ist. Ausserdem liegt in jeder Zelle ein verhältnis- mässig grosser Ken. Schon nach kurzer Einwirkung von Trypsin (1—2 Stunden bei 40°C.) erscheinen die Zellen aus- nahmslos bis auf den Stärkeinhalt völlig entleert; es sei denn, dass einige winzig kleine Körnchen, die im flüssigen Inhalt einzelner Zellen in lebhaft zitternder Molekularbewegung schwimmen, als un- verdaute Plasmareste anzusprechen wären. Die Stärke findet man in der Regel am einen oder anderen Ende der Zellen oder wohl auch in der Mitte zu einem Häufchen gesammelt, und da jede Spur um- hüllenden Plasmas fehlt, so lassen sich die verschiedenen Formen der Stärkegebilde, die wieder teils geschlossene, teils offene Ringe resp. Kugelschalen darstellen, auf das deutlichste erkennen. Vom Kern habe ich niemals eine Spur auffinden können und mich von seiner restlosen Lösung auch bei Verdauungsversuchen am heizbaren Objekttisch direkt mit dem Mikroskop überzeugen können. Völlig ausverdaut werden auch, soweit ich gesehen habe, Dia- tomeen, deren Kieselschalen auf diese Weise vollkommen gereinigt werden können. In Hinblick auf die viel besprochene Frage nach der Verdaulichkeit (resp. der Ausnutzung) des Pilzeiweisses habe ich mit Boletus granulatus einige Versuche gemacht und auch hier das gleiche Verhalten des plasmatischen Inhaltes der Hyphen feststellen können, was um so bemerkenswerter ist, als ja die Mem- branen hier eine ganz andere chemische Beschaffenheit besitzen als bei den übrigen Pflanzen. Frisch untersucht erscheint der Hyphen- inhalt völlig homogen und durchsichtig; untersucht man aber Schnitte von Alkoholmaterial, so wird er durch das Auftreten von Fällungen sichtbar. Es handelt sich zum Teil um feinkörnige Niederschläge, anderenteils aber um stark lichtbrechende, grössere Tröpfehen oder netzförmig angeordnete Fäden. Wenn man feine Schnitte von frischem Pilzgewebe mit Pepsin-HCl verdaut, so bemerkt man sehr bald als Folge der Säurewirkung die Bildung glänzender, stark lichtbrechender Körnchen oder Tröpfchen, die teils locker, teils dicht geschlossen Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 39] liegen und in ihrer Gesamtheit einen Achsenstrang der Hyphen darstellen, der sich mit Methylenblau ‘sehr mtensiv färbt. Niemals erscheinen die Hyphen leer, und niemals lässt sich auch bei noch so lange fortgesetzter peptischer Verdauung eine merkliche Substanz- verminderung der Achsenfäden konstatieren. Eine solche erfolgt auch dann nicht oder doch nur in sehr beschränktem Ausmaasse, wenn man nach gründlichem Auswaschen solche Präparate der Trypsin- verdauung unterwirft Ein wirkliches Ausverdauen, d. h. eine Lösung aller geformten Inhaltsbestandteile der Hyphen, ist aber leicht und sicher zu erzielen, wenn man Pilzmaterial, welches nach Behandlung mit verdünnter HCl bei 40°C. und dadurch bewirkter Ausfällung gelöster Proteide noch mit Alkohol, Äther und Chloroform extrahiert und dann erst der tryptischen Verdauung unterwirft. So scheint denn pflanzliches Plasma sich ganz all- gemein in seiner Zusammensetzung von tierischen weit- gehend zu unterscheiden, und zwar vor allem durch den Gehalt an lipoiden, durch Alkohol, Äther und Chloroform extrahierbaren Stoffen, welche solchem Plasma seine so charakteristische Widerstandsfähigkeit gegen das tryp- tische Ferment des Pankreas verleihen. Andererseits ist aber pflanzliches Plasma, auch wenn es vorher extrahiert wurde, in Pepsin-HÜCl ebenso unver- daulich, wie es bisher nur von den Kernen bekannt war. Wenigstens lassen sich mikroskopisch erkennbare Ver- änderungen am ungeformten Plasma wie an Stroma der Chloroplasten nur in sehr beschränktem Maasse nach- weisen. Durch Trypsin wird aber der gesamte, von Lipoiden befreite Zellinhalt plasmatischen Charakters schnell und vollkommen aufgelöst, und zwar auch inner- halb völlig unversehrter, geschlossener Zellen. 26 * Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. ANNE Die Verdauung pflanzlichen Zellinhalts im Darm einiger Insekten. Von W. Biedermann. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Jena.) (Eingegangen am 25. November 1918.) An die Tatsache, dass pflanzliches Plasma zum weitaus grössten Teil weder von Pepsin noch auch von Trypsin angegriffen wird, knüpfen sich vor allem zwei Fragen. Die eine bezieht sich naturgemäss darauf, wie es unter diesen Umständen überhaupt zu einer Ausnützung pflanzlicher Nahrungsmittel im Darme herbivorer Tiere kommt, und die andere auf die besondere chemische Zusammensetzung der pflanz- lichen Plasmas sowie die Natur derjenigen Stoffe, die sich bisher immer nur schlechtweg als ‚lipoide Substanzen“ bezeichnete. Ich bin vorläufig weit entfernt, diese beiden Fragen erschöpfend beantworten zu können, denn dazu gehören sehr ausgedehnte Untersuchungen; ich kann vorläufig nur in bezug auf die erste Frage einiges Tatsachen- material bringen, und zwar nur von wenigen pflanzenfressenden In- sekten, die ich in der Absicht untersuchte, die Verdauung pflanzlicher Nahrungsmittel unter den einfachsten Bedingungen kennen zu lernen. Schon dabei stellte sich eine unerwartete Mannigfaltiskeit der Vor- gänge heraus, so dass es ganz unmöglich ist, gewissermaassen ein allgemeines Schema aufzustellen, indem selbst bei systematisch nahe- stehenden Tieren die Verdauung keineswegs übereinstimmend ver- läuft. Nur in einem Punkte scheint Übereinstimmung zu bestehen: dass Bakterien, wenn überhaupt, hier nur in sehr ge- ringem Maasse an der Aufschliessung der Pflanzennahrung beteiligt sind, während dies, soweit wir wissen, bei herbivoren Wirbeltieren (ich denke in erster Linie an die in dieser Beziehung eigentlich allein untersuchten Säugetiere) in solchem Grade der Fall ist, dass man berechtigterweise an der Möglichkeit einer ‚‚sterilen‘“ Verdauung zweifeln darf. Wenn man auch sicher in dem Punkte zu- - weit gegangen ist, dass man die schwere Ausnutzbarkeit pflanzlichen „Eiweisses“ lediglich auf die Einkapselung desselben in membran Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 303 umhüllten Zellen bezog und in Anbetracht des Fehlens celluloselösender Fermente in den eigenen Verdauungssäften sich dann gezwungen sah, die Mithilfe von membranzerstörenden Bakterien in Anspruch zu nehmen, so sind doch die Schwierigkeiten auch jetzt, wo wir wissen, dass das Pepsin und das Trypsin, als die allein in Frage kommenden Proteasen der Wirbeltiere, ganz wohl imstande sind, Cellulose- membranen zu durchdringen und intracellular Verdauung zu be- wirken, nicht geringer, sondern im Gegenteil eher grösser geworden, indem sich nun herausstellt, dass pflanzliches Plasma schon an sich durch seine besondere chemische Zusammensetzung der Wirkung der genannten Fermente fast völlig entzogen ist. Merkwürdigerweise ist über die Veränderungen, welche der Inhalt von Pflanzenzellen im Verdauungskanal der Wirbeltiere erleidet, zur- zeit so gut wie nichts bekannt, und ich kann mich dabei auf eine Autorität im Gebiete der Verdauungslehre des Menschen berufen. Der Kliniker Adolf Schmidt drückt sich in dieser Beziehung ganz klar und unzweideutig aus (D. Med. Wochenschr. 1911 Nr. 10): ‚Die intensive Forschung der letzten Jahre auf dem Gebiete des Verdauungs- chemismus ist merkwürdigerweise den pflanzlichen Nahrungsmitteln fast gar nicht zugute gekommen. Speziell von den in nicht auf- geschlossener Form genossenen Vegetabilien, den Gemüsen ist nichts darüber bekannt, dass sie im Magen verdaut oder für die Verdauung vorbereitet werden. Die herrschende Auffassung geht bekanntlich dahin, dass sie, soweit nicht durch den Kochprozess die Zellwände gesprengt sind, ausschliesslich im Darm verdaut werden, und zwar sollen es nicht die Verdauungssäfte, sondern nur die Mikroorganismen des Darminhaltes sein, welche die Zellmembranen lösen und so den Fermenten einen Angriff auf die Stärke, Fette und Eiweissstoffe des Zellinnern ermöglichen.“ Schmidt macht dann auf einige Unstimmig- keiten hinsichtlich der Annahms einer ausschliesslich bakteriellen Celluloselösung aufmerksam und betont insbesondere die Schnellig- keit des ‚„‚vitalen Verdauungsprozesses der Cellulose‘ gegenüber allen Vorgängen der Cellulosegärung ausserhalb des Körpers. Er bemängelt ferner mit Recht die bisher beim Studium der Ausnützung pflanz- licher Nahrungsmittel fast allein angewendete Methode der quanti- tativen Stoffwechseluntersuchung, die naturgemäss zu einer tieferen Einsicht in das Wesen der Pflanzenverdauung nicht führen kann, und empfiehlt, wieder ‚den Weg der makro- und mikroskopischen Unter- suchung zu beschreiten‘‘, der schon ältere Beobachter zu der Erkenntnis geführt hatte, dass, die im den Fäces wiedererscheinenden Pflanzen - reste sich in mancher Hinsicht von den ursprünglichen Geweben unter- scheiden. Zu den für den Menschen am schwersten verdaulichen Stoffen gehören die rohen Gemüse: grüner Salat, rohe Rüben, Radies- 394 W. Biedermann: chen, Gurken u. s. w. Alle Autoren, welche sich eingehend mit Fäces- untersuchungen beschäftigt haben, sind darin einig, dass von ihnen auch bei gesunden Verdauungsorganen immer makroskopisch erkenn- bare Teile, meist sogar die gesamte Menge wieder entleert wird. (Vergl. Schilling, Die Verdaulichkeit der Nahrungs- und Genuss- mittel auf Grund mikroskopischer Untersuchungen der Fäces. Leipzig 1901.) Demgegenüber macht Schmidt darauf aufmerksam, dass in. diesem Punkte ausserordentlich grosse individuelle Unterschiede existieren: „Wenn man eine Anzahl gesunder Menschen daraufhin untersucht, so findet man Individuen, welche alle genannten rohen Gemüse im Darm verarbeiten und sogar von den als gänzlich unver- daulich geltenden Pilzen nur wenige, mit blossem Auge erkennbare Reste wieder ausscheiden, andererseits aber wieder Personen, bei welchen nicht einmal gekochte Gemüse im Darm soweit verdaut werden, dass sie im Kote nicht wieder zu erkennen wären.“ Wenn dem so ist, dann wird man, glaube ich, für den omnivoren Menschen nur um so mehr auf die Bakterien als dasjenige Agens hin - gewiesen, welches die Pflanzennahrung verdauen hilft; denn es erscheint doch wohl ausgeschlossen, den Verdauungssäften normaler Menschen so weitgehende Verschiedenheiten zuzuerkennen , wie sie dann an- genommen werden müssten, wenn ein pflanzliches Nahrungsmittel im einen Falle gar nicht und im anderen vollkommen restlos verdaut wird. Nach Rubner') lassen sich ‚‚bei Salatgenuss, bei anderen Blatt- gemüsen, bei Mohrrüben, auch bei Obst anscheinend völlig unver- änderte Teile im gemischten Kot durch Dekantieren und Schlämmen mit Wasser sichtbar machen“. Er betont ausdrücklich, dass er ‚‚bei verdauten Blattgemüsen niemals die Ausbildung bestimmter Lockerungen im Gewebe gefunden habe, die als Lösung einer Binde- und Kittsubstanz. hätte aufgefasst werden können“. Dagegen legt Ad. Schmidt (l. ce.) gerade auf diesen Punkt besonderes Gewicht und behauptet, dass durch die Säure des Magensaftes im Verein mit dem später ein- wirkenden Alkali des Pankreassekretes eine Lösung der Mittellamelle (Pektin) und vielleicht auch gewisser Hemicellulosen bedingt werde, wodurch es zu einem Zerfall des Gemüseparenchyms in seine einzelnen Zellen kommen soll. Er erblickt darin eine wesentliche Vorbedingung für eine gute Ausnützung besonders roher Blattgemüse. Ad. Schmidt steht natürlich noch durchaus auf dem Standpunkt, dass die „„Schwerverdaulichkeit‘ der Pflanzennahrung im wesentlichen auf die Cellulosehüllen der Zellen zu beziehen ist, welche der herrschen- den Anschauung zufolge dem Eindringen der Verdauungsfermente ein unüberwindliches Hindernis entgegenstellen, und hegt andererseits 1) Arch. f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abt. 1915. S. 196. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 395 keinen Zweifel, dass der blossgelegte Inhalt der Pflanzenzellen nicht wesentlich schwerer angreifbar sei wie entsprechende Nährstoffe tierischer Herkunft; dies wird ja auch für Kohlehydrate und. Fette ohne weiteres anzunehmen sein; es gilt aber, wie ich gezeigt habe, nicht für die Eiweisskörper, soweit solche integrierende Bestand- teile des Plasmas sind. Denn dass das plasmafremde Reserve- eiweiss der Pflanzen sich nicht anders verhält als genuine Proteine überhaupt, bedarf kaum der besonderen Erwähnung. Da nach Ausweis der mikroskopischen Untersuchung der plas- matische Inhalt von Pflanzenzellen bei künstlicher Verdauung mit Pepsin-HCl oder Trypsin anscheinend ganz unverändert bleibt, und zwar auch dann, wenn er völlig frei liegt, so wären bei plasmareicher Gemüsenahrung unter allen Umständen grosse N-Verluste zu erwarten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass, wie die makrochemische Untersuchung lehrt, ein gewisser, durchaus nicht zu vernachlässigender Anteil der Proteinstoffe des Zellinhaltes auch aus dem frischen, nicht weiter vorbehandelten und nur entsprechend zerkleinerten Pflanzen - material durch Trypsin herausgelöst wird. Die Angaben über die Ausnutzung des Nahrungseiweisses im Verdauungskanal der Säuge- tiere und des Menschen, die allein daraufhin genauer untersucht wurden, stimmen darin überein, dass das Eiweiss tierischer Herkunft bei weitem besser ausgenützt wird als das vegetabilische. Wenn die gesamte N-Menge in den Fäces als prozentiger Verlust der aufgenommenen N-Menge berechnet wird, so beträgt er bei Fleisch- nahrung nach Tigerstedt 2—-8%, in Wirklichkeit aber noch weniger, weil ein Teil des Kot-Stickstoffes dem Körper selbst bzw. den Bakterien entstammt. Bei pflanzlicher Ernährung steigt nach dem- selben Autor der prozentige Verlust bis auf 48%. Rubner stellte Ausnutzungsversuche am Hunde mit Spinat an, einem Nahrungs- mittel, welches sich durch seinen Reichtum an Rohprotein aus- zeichnet. 100 Teile Trockensubstanz enthalten: ( 34,49%, Rohprotein, | 4,64 „„ Fett, ? 33,55 , N-freier Extrakt, | 8,73 ,„, Cellulose, (18,5, Asche. In dem betreffenden Versuch ergaben sich 34,36 %, der Eiweiss- substanz als Verlust; bei Versuchen mit Kleie hatte Rubner 31,8 % Verlust gefunden, während freiliegende Kleberstoffe einen Verlust von nur 5% ergaben. „Man könnte also mit einer Resorption von 65,6% der N-haltigen Stoffe rechnen. Der wirkliche Wert des resor- bierten Proteins ist aber wohl noch etwas kleiner, da man ja bei den 396 W. Biedermann N-haltigen Stoffen der Gemüse im allgemeinen und des Spinates im besonderen mit der Anwesenheit amidartiger Substanzen rechnen muss, deren Resorption natürlich ohne jede Schwierigkeit erfolgt, deren Nährwert aber völlig zweifelhaft ist. Das Protein steckt also in uneröffneten Zellen, oder es haftet der Zellwand sehr fest an’ (Rubner). Rubner verfütterte nun aber seinem Hunde den Spinat nicht in der Form, in der er als menschliches Nahrungsmittel üblich ist, sondern aus besonderem Grunde nach einer Vorbehandlung, die, wie wir jetzt wissen, die Verdaulichkeit des plasmatischen Zellinhaltes ganz ausser- ordentlich verbessert oder richtiger überhaupt erst ermöglicht. Es kam ihm eben nicht auf die Proteinstoffe an, die er sogar nach Mög- lichkeit zu entfernen bestrebt war, sondern auf die Zellmembranen, deren Verdaulichkeit geprüft werden sollte. Einer solchen Unter- suchung stellte sich nun aber gerade der grosse Reichtum des Spinates an Protein hindernd entgegen: ‚Alle auf verschiedene Art und recht zahlreich hergestellten Zellmembranen aus Spinat konnten niemals eiweissfrei gewonnen werden; auch bei Eingriffen, die mit Rücksicht auf die Erhaltung der ursprünglichen Eigenschaften der Zellmembran nicht wohl anwendbar und stark eingreifend waren, war die Beseitigung des Eiweisses nicht gelungen.‘‘ Es kann keinem Zweifel unterworfen sein, dass dieses so widerstandsfähige, ‚in den uneröffneten Zellen steckende‘‘ Eiweiss im wesentlichen Plasma resp. Stromasubstanz der Chlorophylikörner gewesen ist. Gerade darum hat dieser Versuch von Rubner im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit ein besonderes Interesse, wenn er das Problem der Proteinauswertung auch nicht als Hauptzweck verfolst. Die Vorbereitung des Spinates, welche zur Herstellung eines mit anderen Stoffen möglichst wenig verunreinigten Materiales von Zell- membranen führen sollte, bestand in Folgendem: ‚Es wurde der Spinat zuerst mit Diastase 24 Stunden verdaut, dann mit lauwarmem Wasser, später mit heissem Wasser ausgezogen, d. h. immer wieder aufgerührt und im Koliertuch ausgepresst, und so schliesslich ein Präparat erhalten, das im Extraktionsapparate so lange mit heissem Alkohol ausgezogen wurde. bis keine grüne Farbe mehr erkennbar war.“ Rubner bemerkt dazu, dass das so gewonnene feinflockige Produkt ‚‚sich zwar noch nicht als reine Zellmembran an- sehen liess, doch enthielt es gewiss nur wenig fremde Stoffe“. Die mikroskopische Untersuchung würde ihn sehr bald vom Gegenteil überzeugt haben; denn abgesehen vom Plasma und der Stromasubstanz der Chloroplasten war sicher auch die Stärke noch vorhanden, da die Diastaseverdauung anscheinend am nichtgekochten Material vor- genommen wurde und daher erfolglos bleiben musste. Der plasmatische Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 397 'Zellinhalt bildet aber, wie ich im siebenten Beitrag bereits zeigte, an so behandelten Spinatblättern in jeder Zelle einen mächtigen Ballen, der den Zellraum fast ausfüllt. Die Zusammensetzung des verfütterten Spinatpräparates war für 100 Teile Trockensubstanz: 9,61 % Asche, 90,39 ,„,„ Organisches, | 60,24 ‚„, asche- und proteinfreie Zellmembran, ı 4,08 ,, N = 25,50 Rohprotein. Vergleicht man damit die oben angeführte Zusammensetzung des rohen Spinates, so bemerkt man sofort, dass der Proteingehalt, auf ‚dessen möglichste Verringerung die ganze Vorbehandlung abzielte, tatsächlich nur wenig (8,99%) vermindert war, wie es nach meinen Beobachtungen nicht anders zu erwarten gewesen ist. Noch deut- licher geht dies aus einer anderen, später von Rubner mitgeteilten Analyse von Spinatpulver hervor (l. c. 1916, S. 136), welches 4,94 % N = 30,87 Rohprotein enthielt, also nur wenig mehr als das extrahierte Präparat. Aber es war durch die Extraktion zugleich eine ganz funda- mentale Veränderung des Plasmaeiweisses eingetreten, indem dieses infolge der Entfernung von Lipoidsubstanzen durch den siedenden Alkohol auch in den völlig geschlossenen Zellen für Trypsin leicht angreifbar geworden war, so dass es nun bei der Verfütterung im Gegensatz zum Plasmaeiweiss eines sonst ebenso behandelten (ge- kochten), aber nicht mit Alkohol extrahierten Spinatpräparates in seiner Hauptmasse leicht verdaulich war. Die Ausnutzung des „Roh- proteins“‘ war demnach in Rubner’s Versuch eine unvergleichlich viel bessere, als sie es hätte sein können, wenn der Spinat in der Form verabreicht worden wäre, in der er als menschliches Nahrungs- mittel Verwendung findet. Die Annahme, dass etwa 65 % der N-haltigen Stoffe auch in diesem Falle resorbiert werden, wäre daher sicher un- zutreffend, und man wird kaum mit der Hälfte rechnen dürfen. Ein Verlust von 60-70 % der Spinatproteine bei der Verdauung der nur gekochten und ausgedrückten Blätter würde mir daher keineswegs zu hoch gegri'fen scheinen, wenn man voraussetzen dürfte, dass sich der ‚Zellinhalt auch im Darm nicht anders verhält als bei der Verdauung mit Trypsinpräparaten, was ja keineswegs bewiesen ist, zumal auch Bakterien hier sicher eine grosse Rolle spielen. Leider war ich bisher nicht in der Lage, mir frischen Pankreassaft verschaffen zu können. Versuche mit solchem an verschiedenem Pflanzenmaterial sind aber unter allen Umständen erforderlich, wenn man zu einem abschliessenden Urteil kommen will, wobei auch darauf zu achten sein wird, ob nicht das Pankreassekret herbivorer Tiere sich noch durch besondere Eigen- schaften auszeichnet. 398 W. Biedermann: Dass pflanzlicher Zellinhalt im Darme selbst sich oft ganz wesent- lich verschieden verhält wie bei künstlicher Verdauung mit den ent- leerten Säften oder gar mit Extrakten der Schleimhaut, davon habe ich mich bei meinen Versuchen an verschiedenen herbivoren wirbel- losen Tieren zur Genüge überzeugen können. Ich war daher auch zunächst bestrebt, mir eine Anschauung darüber zu verschaffen, welcher: Art die Veränderungen sind, die der Inhalt pflanzlicher Zellen im Darm erfährt, wenn, wie es bei Arthropoden ziemlich allgemein der Fall zu sein scheint, die Mitwirkung von Bakterien so gut wie ausgeschlossen ist und doch eine genügende Auswertung der Pflanzennahrung voraus- gesetzt werden muss. Eine solche Untersuchung erscheint unerlässlich, wenn es sich darum handelt, über die Frage der Mitwirkung autochthoner Fer- mente bei der Aufschliessung der Pflanzennahrung etwas Sicheres zu erfahren. Hier musste es sich zeigen, ob es überhaupt Fer- mente gibt, welche das wirklich leisten können, was Pepsin- und Trypsinpräparate von Wirbeltieren bei künstlicher Verdauung erfahrungsgemäss nicht oder doch nur unter besonderen Vorbedingungen leisten, nämlich die Lösung und hydrolytische Spaltung der Proteide des pflanzlichen Plasmas. Ohne allen Zweifel bilden die Cellulosehüllen der Pflanzenzellen, auch selbst dann, wenn sie nur wenig verdickt sind, wenig inkrustierende Substanzen enthalten und vor allem unverholzt bleiben, doch ein wesent-- liches, wenn auch kein absolutes Hindernis für eine rasche Verdauung, und man hätte daher erwarten sollen, dass .celluloselösende Fermente (Cytasen, Cellulase, Pektase) bei herbivoren Tieren in weitester Ver-- breitung vorkommen würden. Dies ist nun aber bekanntlich nicht der Fall. Bei höheren Tieren (Wirbeltieren) ist kein: einziges Beispiel bekannt, und bei Wirbellosen habe ich schon vor längerer Zeit als ver- einzelte Fälle das Vorkommen einer echten Cellulase im Lebersekret: von Helix und einer Hemicellulase beim Flusskrebs feststellen können. Ich stiess dabei zugleich auf die überraschende Tatsache, dass pro-- teolytische, extracellulare Fermente der Schnecke anscheinend gänz-- lich fehlen, so dass weder pflanzliche noch tierische Eiweissstoffe . verdaut werden. Gerade umgekehrt verhielt sich das Mitteldarm- sekret einer Schmetterlingsraupe (Pieris brassicae), welches den durch Schneckencytase isolierten plasmatischen Zell- inhalt von Pflanzenblättern rasch und leicht löste, sich dagegen gänzlich unfähig erwies, Cellulosemembranen zu verdauen. Damit ist nun zugleich der Beweis geliefert, dass die Raupen in der Tat über ein Ferment verfügen, welches mehr leistet als Trypsin, indem es unverändertes pflanzliches Plasma energisch angreift, es sei Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 399 denn, dass dieses durch die Vorbehandlung mit dem Schneckensekret erst „‚verdaulich‘“ gemacht worden ist. Das Fehlen einer Cytase gerade bei Raupen war um so auffallender, als gerade diese Tiere sich durch einen sehr lebhaften Stoffwechsel und demgemäss sehr grossen Nahrungsbedarf auszeichnen. Es ist mir nun neuerdings gelungen, eine fermentative Cellulose- lösung doch auch bei pflanzenfressenden Insekten nachzuweisen, die den Raupen in ihren Ernährungsverhältnissen durchaus gleichen. Es gehören hierher anscheinend alle herbivoren Orthopteren, von denen ich allerdings nur den Ohrwurm (Forficula) und verschiedene Heu - schreckenarten (besonders kleine Acridier) untersucht habe. Ich will gleich bemerken, dass sich meine Beobachtungen bisher nur auf die mikroskopische Untersuchung des Darminhaltes (auch des Kotes) erstrecken, da es mir nicht gelingen wollte, eine genügende Menge reinen Sekretes zu gewinnen, um damit künstliche Verdauungsversuche anzustellen, wie dies mit Schnecken- und Krebs-,‚Magensaft‘“ so leicht ist. Hier war mir bereits die grosse Empfindlichkeit der betreffenden Fermente aufgefallen, deren Wirksamkeit schon durch geringe Ver- dünnung mit Wasser aufgehoben wird und die auch in Extrakte der „Leber“ in wirksamer Form nicht übergehen. Man hat es bei den Verdauungsfermenten Wirbelloser anscheinend in den meisten Fällen mit ausserordentlich labilen Substanzen zu tun, deren Wirksamkeit nur dann voll zur Geltung kommt, wenn die betreffenden Sekrete sowohl in qualitativer wie auch in quantitativer Hinsicht völlig normal zusammengesetzt sind. Sicher spielt dabei auch die H-Ionen-Konzentra- tion eine grosse Rolle, und man wird bei künftigen Versuchen gerade darauf besondere Rücksicht nehmen müssen. Dass unter Umständen auch widerstandsfähigere Fermente vorkommen, haben meine Ver- suche am Mehlwurm (Tenebrio molitor) gezeigt (diese Beiträge I). 1. Forfieula auricularıa. Als Schädling der Dahlien wohlbekannt, darf dieses Tier doch als omnivor gelten, denn ich habe sehr oft, ja beinahe regelmässig neben Pflanzenteilen auch Chitinreste von Insekten (besonders Blattläusen) im Darm gefunden, in einem Falle sogar ganz ausschliesslich. Auch in Brehm’s Tierleben (1915) wird der Ohrwurm als nicht wählerisch in der Auswahl seiner Nahrung bezeichnet: ‚Er nimmt sowohl weiche pflanzliche wie tierische Kost. Abgefallene süsse Früchte, wie Birnen, Pflaumen, namentlich solche, die beschädigt sind und bei denen der Inhalt zutage getreten ist, bilden für ihn Leckerbissen. Auch tote Insekten, zumal wenn sie schon von anderen Tieren angefressen waren oder verletzt sind, locken ihn an. Selbst lebende kleine Tiere, wie Blattläuse, können dem Ohrwurm zum Opfer fallen; seine Haupt- 400 W. Biedermann: nahrung bilden jedoch zarte Pflanzenstoffe, besonders Pilzsporen und Blütenteile.‘‘ Man kann ausgewachsene Dahlien- oder gar Nelken- blätter, die der Ohrwurm ebenfalls angreift und schwer schädigt, nicht eben als ‚zarte‘ Pflanzenteile bezeichnen, und es gehören schon . recht kräftige Mundteile dazu, um solches Material in so kleine Stück- chen zu zerlegen, wie man sie im Darm findet. Dieser besteht, wie bei den Orthopteren überhaupt, aus drei Abschnitten, deren erster. gewöhnlich als ‚Kropf‘ bezeichnet, der geräumigste ist und die eigent- liche Stätte der chemischen Verdauungsprozesse darstellt. Er gleicht in Form und relativer Grösse etwa dem entsprechenden Abschnitt des Verdauungskanales der Blattiden. Wie bei diesen ist zwischen Kropf und Mitteldarm ein kurzer, rundlicher „Muskelmagen“ ein- geschaltet. Die bräunliche Flüssigkeit, welche den Inhalt des Kropfes durchtränkt, stammt wohl grösstenteils, wie auch sonst bei kauenden Insekten, aus dem Mitteldarm, der sowohl der Sekretion wie auch der Resorption dient. Ob auch im Kropf selbst Drüsen enthalten sind, habe ich leider festzustellen unterlassen. Die Blattstückchen, welche man im Kropf findet, stellen im all- gemeinen kleine Teile von Querschnitten dar, indem die Blätter, wie es auch Raupen zu tun pflegen, vorwiegend vom Rande her und nicht von der Fläche aus angefressen werden. Trotz ihrer Kleinheit sind die einzelnen ‚Bissen‘‘ doch so dick, dass ein genaueres Erkennen mikroskopischer Einzelheiten auf gewisse Schwierigkeiten stösst, die sich nur dadurch teilweise überwinden lassen, dass man zahlreiche derartige Präparate durchmustert, um geeignete Stellen zu finden, die den gewünschten Einblick gewähren. Wenn man die Mühe nicht scheut und unter dem.Präpariermikroskop durch Zerzupfen mit Nadeln eine möglichst weitgehende Zerkleinerung der Nahrungspartikel vor- nimmt, so wird man, namentlich nach entsprechender Aufhellung durch Zusatz von Glycerin, immer zahlreiche Stellen finden, wo Struktur und Zellinhalt so deutlich zu erkennen sind, dass man über alle wesent- lichen Punkte genügenden Aufschluss erhält. Eine sehr wesentliche Erleichterung bildet auch die Untersuchung des Inhaltes von Därmen, die man im unverletzten Zustand herauspräpariert und dann zunächst für einige Zeit in unverdünntes Glycerin einlest. Nach einigen Tagen oder auch Wochen erscheinen die Nahrungspartikel sehr viel durch- sichtiger, und es treten manche Erscheinungen ungleich deutlicher hervor als bei sofortiger Untersuchung. Man erhält den Eindruck, als ob sich die fermentativen Wirkungen im Inhalt der in Glycerin versenkten Därme noch einige Zeit fortsetzten und so zu einer Steigerung der Produktion gewisser mikroskopisch nachweisbarer Stoffe sowie der Ausbildung histologischer Veränderungen des Zellinhaltes und der ‚Zellmembranen Anlass geben. Am schnellsten aber kommt man zum Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 401 Ziele, wenn man den ganzen frischen Kropfinhalt in eine entsprechende Mischung von Gummi und Glycerin einbettet und nach dem Erhärten mit dem Rasiermesser oder Mikroton: dünne Schnitte anfertigt. Auf diese Weise bekommt man so klare Präparate, dass auch die feinsten Details erkennbar sind. Eine wirklich erfolgreiche Untersuchung hat aber noch zur weiteren Voraussetzung, dass man sich vorher mit dem histologischen Aufbau der Blätter der Nahrungspflanze vollkommen vertraut. gemacht hat. Denn nur so wird man in den Stand gesetzt, Veränderungen, welche durch den Verdauungsprozess bewirkt werden, richtig zu bewerten. Ich muss bekennen, dass ich mich dieser Unter- lassungssünde bei meinen früheren Arbeiten selbst schuldig gemacht habe, und dass mir so manche wichtige Einzelheiten der Verdauungs- vorgänge bei Schmetterlingsraupen entgangen sind, auf die ich erst jetzt. aufmerksam geworden bin. Auch Plateau, dem wir mancherlei Angaben über das mikroskopische Aussehen des Darminhaltes von Arthropoden verdanken, hat offenbar die Schwierigkeiten einer solchen Untersuchung unterschätzt und gelangte nicht zur Erkenntnis des wirklichen Sachverhaltes. Auf diese Schwierigkeiten dürfte auch der völlige Mangel einer ausreichenden mikroskopischen Analyse des Magen - Darminhaltes herbivorer Wirbeltiere zu beziehen sein, ohne die, wie schon oben erwähnt wurde, ein tieferes Eindringen in das Wesen der Verdauung pflanzlicher Nahrungsmittel nicht zu ermöglichen ist. Den folgenden Erörterungen sei daher ganz kurz das Wesentlichste der Histologie der Dahlienblätter als der Hauptnahrung der von mir untersuchten Individuen von Forficula vorausgeschickt.: Auf den ersten Blick fällt die verschiedene Farbe der Ober- und Unterseite auf; während die erstere gesättigt dunkelgrün erscheint, zeigt die Unterseite eine wenig gesättigte, graugrüne Färbung, ein Unterschied, der durch Kochen mehr oder weniger ausgeglichen wird und im wesent- lichen auf den verschiedenen Luftgehalt des subepidermalen Parenchyms beruht. Man orientiert sich über diese Verhältnisse wie überhaupt über den ganzen Bau des Blattes am schnellsten, wenn man, wie dies schon früher erwähnt wurde!), mit dem Rasiermesser einmal von oben und dann von unten her Flachschnitte herstellt, welche in jedem Falle die Epidermis der betreffenden Seite nebst einer anhaftenden, mehr oder weniger dicken Lage von Parenchymzellen abtrennen. Unter- sucht man solche Schnitte von frischen Blättern in Wasser, so bemerkt man sofort, dass in den Intercellularräumen des intensiv grünen Parenchynis reichlich Luft enthalten ist, und da jene in der Nähe der unteren Epidermis unvergleichlich viel grösser sind, so erklärt sich der erwähnte Farbenunterschied ohne weiteres. Was zunächst die 1) Diese Beiträge VII. Dieses Archiv, dieser Band S. 358ff. 402 W. Biedermann: Beschaffenheit der Epidermis selbst betrifft, so besteht sie unten aus sehr stark gebuchteten, ineinandergefüsten, grossen und platten Zellen, die nicht nur reichlich Plasma mit eingelagerten Körnchen und Tröpfchen, sondern auch blassgelbgrüne Chlorophylikörner enthalten. Nur über den Blattnerven ändert sich die Beschaffenheit der Zellen, indem sie hier gestreckt spindelförmig erscheinen. Zwischen den ge- buchteten Zellen liegen zahlreiche Spaltöffnungen, deren Schliesszellen stärkereiche Chloroplasten enthalten, von denen schon früher die Rede war. Viel weniger gebuchtet erscheinen die Zellen der oberen Epidermis, die auch die Chloroplasten vermissen lassen. Aus den Epidermiszellen der Blattrippen entspringen beiderseits kurze, gedrungene Haargebilde, die aus einer einzigen Zellreihe bestehen und z. T. stumpffingerförmig gestaltet sind, wobei die einzelnen Zellen fast isodiametrisch erscheinen, anderenteils aber länger und mehr pfriemenförmig sind; diese Haare bestehen aus grossen gestreckten Zellen, deren ziemlich dicke Membran, wie die der basalen Epidermiszellen, der Länge nach zierlich gerippt erscheint. Sie umschliessen reichlich Plasma und enthalten wie die der kürzeren fingerförmigen Haare je einen grossen Kern. Nament- lich die letzteren bilden Objekte, welche besonders geeignet sind, um die durch due Verdauung bewirkten Veränderungen zu untersuchen, zumal sie beim Benagen der Blätter von den Ohrwürmern offenbar reichlich abgeweidet werden und sich daher zahlreich, und zwar ganz isoliert im Darminhalt finden. Sehr verschieden gestalten sich Form, Grösse und Anordnung der Zellen des eigentlichen Blattparenchyms. Unmittelbar unter den Epidermiszellen der Oberseite und mit diesen fest verbunden findet sich eine Lage auffallend kleiner, rundlicher, chlorophyliführender Zellen, welche nur enge Intercellularräume zwischen sich lassen. Weiter nach innen nimmt die Grösse der Zellen dann rasch zu, und auch die zwischen ihnen befindlichen Lufträume werden grösser. Infolgedessen erscheinen solche Schnitte, frisch unter- sucht, wenig deutlich, wozu noch die zahlreichen Chlorophyllikörner das Ihrige beitragen. Das beste Mittel, um die Anordnung und Form der Zellen in aufeinanderfolgenden Lagen, also gewissermaassen die Architektur des Blattparenchyms zu studieren, ist zweifellos die völlige Ausverdauung mit Trypsin nach vorheriger Extraktion mit Alkohol, Äther und Chloroform. So behandelte Flachschnitte von Dahlien- blättern bieten dann, wie schon oben erwähnt wurde, einen so klaren Einblick in den Aufbau des Parenchyms, dass diese Methode der Unter- suchung von Querschnitten bei weitem vorzuziehen ist. Es gilt dies besonders von dem Schwammparenchym, welches an die Epidermis der Unterseite grenzt und durch verzweigte Zellen ausgezeichnet ist, deren Fortsätze aneinanderstossen und riesige Lufträume zwischen sich lassen, so dass in der Flächenansicht ein ausserordentlich zierliches Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 403 Netzwerk entsteht, von dem ein Querschnitt nur eine ganz unvoll- kommene Vorstellung verschaffen kann. Auch diese Zellen sind mit wandständigen Chlorophylikörnern im frischen Zustande förmlich aus- tapeziert. Alle Parenchymzellen fallen auf durch die ‘Zartheit der Wand, die wohl in der Hauptsache aus reiner Cellulose bestehen dürfte. Das, was bei der Untersuchung des frischen Darminhaltes von Forficula sofort und am meisten auffällt, ist das Fehlen von Chlorophyllkörnern, die noch als solche erkennbar wären und die doch im Parenchym der Blattnahrung so überaus reichlich enthalten sind. Zwar erscheint der Inhalt des Kropfes noch dunkel- grün gefärbt; aber es ist dies in der Hauptsache durch gelöstes Chlorophyll bedingt, welches die ganze Masse durchtränkt. Ferner treten Veränderungen der Zellmembranen immer sehr deutlich hervor. Wenn man sich durch das Studium der histologischen Archi- tektur des Dahlienblattes eine Anschauung davon verschafft hat, wie scharf allerorts die Konturen der Zellmembranen hervortreten und wie deutlich demgemäss die Zellgrenzen ausgeprägt sind, so muss ‘es auf den ersten Blick auffallen, dass diese an den Blattfragmenten ‚des Kropfinhaltes vielfach verwischt sind oder nur als ganz zarte Linien von geringem Lichtbrechungsvermögen angedeutet erscheinen. Dieses Verblassen der Membranen macht sich besonders an solchen Stellen bemerkbar, wo Epidermiszellen von der Fläche her zu sehen ‚sind. Man erhält den Eindruck, als ob die Membranen durch Quellung verdickt wären; stellenweise sieht man wohl auch eine teilweise Spaltung durch Herauslösen der Mittellamelle. In keinem Falle aber habe ich eine vollständige Auflösung der Membran der Epidermis- zellen gesehen, wie eine solche wohl bei den Elementen des Parenchyms vorkommt. Aber auch von diesen zarten Membranen bleiben sehr viele, man darf vielleicht sagen die Mehrzahl, erhalten, wie sich aus der Untersuchung des Kotes ohne weiteres ergibt. Wenn man die 'Celluloseverdauung nur von Versuchen her kennt, die mit Schnecken - magensaft angestellt werden, so würde man sich leicht ein ganz falsches Bild von den entsprechenden Vorgängen im Darm von Forficula bilden. Denn hier kommt es niemals zu einem vollständigen Auseinanderfallen bzw. zum Freiwerden des Inhaltes aller einzelnen Zellen. Die Blatt- ‚stückchen behalten vielmehr ihren Zusammenhang auch an Stellen, wo der Zellinhalt vollkommen herausgelöst ist, und die Membranen ‚erscheinen nur teilweise gelöst, grösstenteils aber erhalten und nur sehr verdünnt und offenbar erweicht. Man überzeugt sich ohne Schwierig- keit, dass selbst recht diekwandige Haarzellen uneröffnet völlig ausverdaut werden. Gerade die Haare, besonders die iso- diametrischen Zellen der kurzen fingerförmigen Haargebilde, bieten auch die beste Gelegenheit, die Lösungserscheinungen der Zellwände 404 W. Biedermann: in allen Stadien zu untersuchen. In vielen Fällen findet man die- selben gleichmässig verdünnt, so dass nur eine ganz zarte Linie den Zellkontur bildet, was hier um so mehr auffällt, weil die Membranen gerade dieser Zellen sich durch beträchtliche Dicke und demgemäss doppelten Kontur auszeichnen. In der Regel kommt es dann in der Folge zu einer teilweisen oder auch völligen Einschmelzung der Quer- wände, so dass die Haare an solchen: Stellen durch mechanische Ein- wirkungen leicht seitlich zusammengedrückt werden und dann oft wie zerknittert erscheinen. In grossem Umfang werden allenthalben die zarten Wände der Parenchymzellen angegriffen und wenigstens. teilweise gelöst, wovon man sich am besten an Präparaten über- zeugen kann, bei denen man den Zellinhalt durch Behandlung mit Eau de Javelle oder auch durch Ausverdauen mit Trypsin nach vorher- gehender Extraktion der Lipoidsubstanzen entfernt hat. Man sieht. dann an vielen Stellen die Zellgrenzen entweder im ganzen Umfang oder stellenweise nur ganz schattenhaft durch eine äusserst zarte Linie angedeutet; im übrigen erscheint das Gerüst der geleerten Membranen allenthalben durch den Druck des Deckglases wie zusammengebrochen,. und nur ein Gewirr zarter Linien vertritt die Stelle des früheren Zell- gewebes. Dass die Celluloseverdauung bei längerem Aufbewahren der herauspräparierten gefüllten Därme in Glycerin noch eine weitere Fortsetzung erfährt, kann ich nach meinen Befunden nicht bezweifeln . Denn ich habe in vielen Fällen, wo ich die Untersuchung erst nach mehreren Wochen vornahm, die Nahrungspartikel so weitgehend ver- ändert gefunden, wie niemals im frischen Zustande. Ihre grosse Durch- sichtiekeit, die durch die fast völlige Lösung des Inhaltes der Zellen bedingt ist, lässt dies sofort erkennen. Manchmal erscheinen dann die Zellen nur durch kleine, stark lichtbrechende Klümpchen oder Tröpfehen. angedeutet, die in regelmässigen Abständen in einer durchsichtigen Masse eingebettet zu sein scheinen. Von Membranen ist in solchen Fällen so ohne weiteres nicht viel zu sehen; aber dürch geeignete Maassnahmen kann man auch dann noch oft genug Reste derselben nach weisen, so insbesondere durch Färbung mit Kongorot, wobei manchmal sehr deutlich ein äusserst zartes, rosenrotes Netzwerk hervor- tritt, welches den Zellgrenzen entspricht. Aus alledem ergibt sich die Folgerung, dass die Cellu- loselösung im gegebenen Falle keineswegs eine notwendige Vorbedingung der Verdauung überhaupt bildet, sondern höchstens die Bedeutung eines fördernden Momentes be- sitzt. Die Verdauungsfermente, welche auf die Inhalts- bestandteile zu wirken bestimmt sind, vermögen an- scheinend ohne Schwierigkeit die unversehrten Membranen: zu durchdringen. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 405 Am augenfälligsten macht sich ihre Wirkung auf die Chloroplasten geltend, und es sollen daher auch die Veränderungen, welche diese erleiden, hier zunächst besprochen werden. Wenn man berücksichtigt, wie ausserordentlich widerstandsfähig sich alle Chromatophoren den käuflichen Trypsinpräparaten gegenüber verhalten, so muss es füglich überraschen, dass dieselben im Darm von Forficula offenbar schon nach kurzer Zeit innerhalb der noch geschlossenen Zellen gelöst werden. Denn man findet selbst im vorderen Abschnitt des Kropfes in der Regel keine erhaltenen Chlorophylikörner. Das Haupthindernis, welches der künstlichen Verdauung derselben durch Trypsin entgegensteht, ist, wie gezeigt wurde, in dem Vorhandensein von Substanzen gegeben, welche sich durch Alkohol, Äther und Chloroform extrahieren lassen und teils am Stroma haften, andernteils aber, und zwar vorwiegend, zu den Chlorophyllfarbstoffen in Beziehung stehen. Wie ich in einer früheren Arbeit!) zeigte, gelingt es durch verschiedene Mittel, den Chloroplasten den Farbstoff zu entziehen, der dann stets in Gestalt mehr oder weniger zähflüssiger Tropfen austritt, deren Grundmasse an sich farblos ist, sich mit Osmium schwärzt und im wesentlichen aus Lipoidsubstanzen zu bestehen scheint. Ganz ebensolche, nur meist kleinere Tropfen und Tröpfchen, wie sie beispielsweise bei Behandlung mit Chloralhydrat in den Blattzellen von Elodea ent- stehen, sieht man auch in Menge in jedem Präparat aus dem Kropf- inhalt von Forfieula, und zwar finden sie sich teils in noch völlig geschlossenen Zellen, teils sind sie durch Lösung der Zellmembranen frei geworden und bilden dann wohl auch durch Zusammenfliessen grössere Tropfen oder unregelmässig gestaltete Massen, die schon durch ihre Form die Zähflüssigkeit verraten. Die Farbe ist in der Regel ‘olivgrün, ganz so wie bei den sekundär durch Chloralhydrat entstehenden Tropfen (l. e. S. 582). Viel seltener und nur an ganz frisch unter- suchten Präparaten findet man wohl auch schön blaugrün gefärbte Tropfen. Die grossen freigewordenen Tropfen zeigen die Neigung, an der Oberfläche fester, mit ihnen in Berührung kommender Körper anzuhaften und daran gewissermaassen auseinanderzufliessen. Meist findet man in den Zellen neben einem grösseren Tropfen noch zahl- reiche kleinere und kleinste. In einer zusammenhängenden Lage kleiner, aber chlorophyllreicher Zellen, wie sie unmittelbar unter der Epidermis der Blattoberseite gelegen sind, entsteht so gelegentlich ein sehr zier- liches Bild, indem jede der kleinen Zellen fast ausgefüllt ist von einem grossen, grünen Tropfen. In den geräumigen Haarzellen dagegen, die nur spärlich Chlorophylikörner enthalten, sieht man dementsprechend 1) W. Biedermann, Mikrochem. Beob. a, d. Blattzellen von Elodea; Flora. N. FE. XI. 1918. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 27 A0d W. Biedermann: ‚oft nur einen einzigen grösseren oder ein Häufchen kleiner Tröpfchen , die dann meist in der nächsten Umgebung des Kernes liegen. Es sei gleich hier bemerkt, dass von allen Inhaltsbestandteilen der Zellen der Kern offenbar am schwersten angegriffen wird; denn man findet ihn oft noch in Zellen vollkommen erhalten, die sonst ihres Inhaltes schon gänzlich beraubt sind. Am deutlichsten tritt dies wieder an den mit verhältnismässig grossen Kernen ausgestatteten - isodiametrischen Zellen der kurzen, fingerförmigen Haare hervor, die gerade dadurch besonders auffallen. Nicht nur im Kropf, sondern auch im Mittel- und Enddarm sowie auch im Kot habe ich in der Mehrzahl dieser Haare noch die Kerne erhalten gefunden, so dass man sie wohl als nahezu unverdaulich bezeichnen darf. Manchmal sind sie noch umlagert von kleinen, stark lichtbrechenden Körnchen und Tröpfchen, die ihre Struktur verdecken; oft genug aber kann man ‚sich überzeugen, dass dieselbe wenig verändert und auch das Kern- körperchen noch erhalten ist. Ganz ähnliche Tropfen, wie sie in den Pflanzenzellen oder frei im Darminhalt gefunden werden, sind nun auch reichlich im Epithel des Mitteldarmes nachzuweisen, so dass an der wenigstens teilweisen Resorption des aus den Chloroplasten herausgelösten farbigen Stoffgemisches wohl nicht zu zweifeln ist. Andererseits besteht aber ebensowenig Zweifel, dass die Farbstoff- komponente zum guten Teil chemisch umgewandelt wird und dann der Ausscheidung verfällt; denn man findet anders gefärbte Derivate des Chlorophyllifarbstoffes in grosser Menge im Darm und auch im Kote. Zunächst stösst man gar nicht selten auf grössere freigewordene olivgrüne Tropfen, welche im Zentrum einen schwarzen, verwaschenen Fleck erkennen lassen, der offenbar auf die Ausscheidung einer dunklen Masse im Inneren zurückzuführen ist. Auch hier besteht wieder voll- kommene Analogie mit den Erscheinungen, wie sie sich auch an den durch Chloralhydrat erzeugten olivgrünen Tropfen entweder spontan oder bei Wasserzusatz abspielen (vergl. meine Elodeaarbeit, 1. c. S. 582f. und Abb. 8), und es ist nicht zu bezweifeln, dass es sich hier wie dort um Ausscheidungen von „Phäophytin“ handelt. Nicht selten findet man in älteren Glycerinpräparaten des Darminhaltes an Stellen, wo grössere grüne Tropfen tränenförmig ausgezogen erscheinen oder richtige Schlieren bilden, stäbchenförmige schwarze Körper, die mitunter Gruppen bilden und dann, namentlich wenn sie gebogen ‘oder gewunden sind, an die charakteristischen Formen des „Chloro- phyllans‘ erinnern, sich von diesen aber schon durch ihre viel dunklere Farbe unterscheiden. Am häufigsten erscheint das Phäophytin in Form amorpher, kleinerer oder grösserer schwarzer Bröckel, die nicht selten die Blattfragmente gleichmässig durchsetzen und teils im Innern, teils ausserhalb der Zellen liegen; manchmal sind es nur Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 407 ganz kleine Körnchen, die dann meist gruppenweise beisammenliegen, wie besonders in den grossen flachen Epidermiszellen der Blattoberseite. Die Analogie mit den Veränderungen, welche der Chlorophyll- farbstoff unter dem Einfluss des Chloralhydrats erleidet, erstreckt sich aber nicht nur auf die Bildung von Phäophytin, sondern geht noch weiter. Denn auch ein zweites Derivat, welches unter gewissen Bedingungen bei Einwirkung von Chloralhydrat auf gelöstes Chlorophyll entsteht, habe ich, und zwar ganz regelmässig und in grosser Menge im Darm desselben Insektes gefunden. Wenn man eine alkoholische, möglichst konzentrierte Lösung von Blattgrün auf dem Wasserbad eindunstet, so bleibt schliesslich eine fast schwarze, pechartige Masse zurück, von der ein wenig in einem Uhrglas mit starker Chloralhydrat- lösung übergossen wird. Es erfolgt dann teilweise Lösung unter leb- haften Strömungserscheinungen an der Peripherie der Masse, wobei sich zahlreiche grosse und kleinere olivengrüne Tropfen ablösen und vielfach auch pseudopodienartige Fortsätze ausgetrieben werden. Dabei kommt es an der Grenze zwischen der Masse und der Lösung zu reich- licher Ausscheidung rubinroter Kristalle in Form von Blättchen oder grösseren Tafeln, die meist zu Gruppen und Drusen vereinigt sind. Diese Kriställe sind sehr widerstandsfähig und von so charakte- ristischer Form und Farbe, dass man sie auch dann noch leicht und sicher zu erkennen vermag, wenn sie ganz klein und vereinzelt sind. Da sie nun aber im Kropf- und Mitteldarminhalt von Forficula meist sehr zahlreich sich finden, so muss man sie geradezu als die auffallendsten Bestandteile desselben bezeichnen. Namentlich wenn man Därme untersucht, die längere Zeit uneröffnet in Glycerin gelegen haben, sind jene Kristalle so gross und so massenhaft vorhanden, dass man in jedem Gesichtsfeld einige findet. Wie die dunklen, amorphen Phäophytingebilde, liegen auch die roten Kristalle teils im Innern ganz geschlossener Zellen, andernteils aber frei über die Reste der verdauten Nahrungspartikel verbreitet. Vielfach findet man in einer und derselben Zelle nebeneinander sowohl Kristalle wie Phäophytin- körnchen. Bezüglich der Form lassen sich zwei Haupttypen der Kristalle unterscheiden, und zwar die schon erwähnten Täfelchen, die selten ganz symmetrisch entwickelt sind und dem rhombischen System anzugehören scheinen, und meist kleinere, wetzstein- oder wecken- förmige, die an Harnsäurekristalle erinnern. In dieser Gestalt finden sie sich besonders häufig im Innern von Zellen. In den oft erwähnten Haarzellen sieht man manchmal nur noch den Kern und als Rest des verschwundenen Chlorophylis und Plasmas einen roten ‚Wetz- stein“. Manchmal sind ganz kleine, rote Kriställchen in grosser Zahl zu förmlichen Inseln gruppiert, die dann als rote Flecken über das Präparat zerstreut liegen. Dass die Bildung dieser Kristalle wie die Phäophytin- Zr; 408 W,. Biedermann: bildung auf Kosten des Chlorophyllfarbstoffes erfolgt, kann füglich nicht bezweifelt werden, ebensowenig aber auch die Tatsache, dass sie sich auch nöch postmortal im Darm fortsetzt und, durch Glycerin nicht behindert, vielleicht sogar gefördert wird. Bezüglich der Lös- lichkeitsverhältnisse erwähne ich, dass die Kristalle in Wasser, Säuren und Alkohol unlöslich, in Chloroform dagegen löslich sind. Was nun die chemische Natur der roten Kristalle betrifft, so teilte mir Willstätter, der zurzeit beste Kenner des Chlorophylis, den ich darüber befragte, freundlichst folgendes mit: „Die beobachteten Chlorophyliderivate sind wahrscheinlich durch zwei Veränderungen aus den Chlorephylikomponenten hervorgegangen, die einen nur durch Ausfall des Maenesiums (Phäophytin, chlorophyllanartige Gebilde), die anderen durch Austritt des Magnesiums und Hydrolyse der Phytolestergruppe, also Bildung von Phäophorbin, und zwar von freiem Phäophorbid a und b. Wo immer man durch ein- fache Umwandlungen Körper von grosser Kristallisationsfähigkeit aus Chlorophyll hervorgehen sieht, ist Verlust von Phytol eingetreten bei magnesiumhaltigen und magnesiumfreien Derivaten. Ihre Be- obachtungen an pflanzenfressenden Insekten weisen darauf hin, dass ein lipatisches Enzym eine Wirkung hervorgerufen hat, wie in vielen unter- suchten Beispielen die Chlorophyllase der Blätter.‘ Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, die Kristalle mittels Chloralhydrat in grösserer Menge zu gewinnen, so dass eine genauere chemische Untersuchung möglich wird. Schon vor langer Zeit hat Gräfin v., Linden!) die Resorption gelöster Chlorophylifarbstoffe im Darm von Vanessa urticae sowie auch die Bildung rot gefärbter Kristalle nicht nur im Epithel, sondern auch in den Zellen der Blattfragmente selbst, die den Inhalt des Darmes bilden, beobachtet. ‚‚Es lässt sich‘, wie sie sagt, „an Präparaten ver- folgen, wie im Darm der Raupe Chlorophyll gelöst, von den Darmzellen als Chlorophyllan (? B.) resorbiert und unter bestimmten Bedingungen in einen roten Farbstoff umgewandelt wird.“ Gräfin v. Linden be- merkte auch, dass die Zahl der roten Kristalle bei Glycerineinschluss noch im fertigen Präparat beträchtlich zunimmt. Sie fand, ‚‚dass in den Brennesselzellen, welche den Darminhalt hungernder Raupen bildeten, nach Verlauf von 2 Jahren (! B.) die Chlorophylikörner zum grossen Teil in Chlorophyllan und roten Farbstoff verwandelt waren. Der letztere war teils amorph, teils wie der rote Darmfarbstoff kristalli- siert und zu schönen Drusen vereinigt“. Leider habe ich mich zu spät dieser Angaben erinnert, so dass es mir nicht möglich ist, zu entscheiden, ob jene Kristalle denen entsprechen, welche ich bei 1) Dieses Archiv. 98. 1903. 8. 1. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 409 Forficula fand; doch halte ich das für wenig wahrscheinlich. Es mag noch erwähnt sein, dass, wie Gräfin v. Linden angibt, sich im Darm der Raupe von Botys urticata (Nesselwickler), die auf derselben Nährpflanze lebt wie die Vanessenraupen, anstatt des roten Pigmentes olivengrüne Tropfen und Kristalle auftreten, die später braungelb werden und sich noch weiter in braunschwarze Körnchen differenzieren können (Phäophytin ?). Vielleicht steht auch eine Beobachtung von Kunckel d Herculais bei Schistocerca peregrina (Örthoptere) mit dem Vorkommen roter Kristalle im Darm mancher Insekten in Zusammenhang. Er fand die Exkremente des Tieres bei jeder Metamorphose rosenrot gefärbt (vergl. Biedermann in Winter- stein’s Handb. d. vergl. Physiol. III, 1. Hälfte, S. 1693). Auf Grund meiner Beobachtungen halte ich mich zu der Annahme berechtigt, dass bei Forficula der Chlorophyllfarbstoff zum grossen Teil in Form unlöslicher kristallinischer Spal- tungsprodukte zur Ausscheidung gelangt, während die lipoiden Bestandteile der Stromata in Form fettähnlicher Tropfen resorbiert werden, die allerdings oft noch mehr oder weniger gefärbt erscheinen. Der lipoide Charakter der in und ausserhalb der Pflanzenzellen im Darme entstandenen fettähnlichen Tropfenbildungen wird auch durch ihr Verhalten gegen Osmiumsäure bewiesen. Brinst man Kropfinhalt, am besten nach längerem Liegen der Därme in Glycerin, in 1%ige Lösung der Säure, so färben sich nicht nur alle grösseren Tropfen schwarz, sondern der Zellinhalt er- scheint ganz durchsetzt von kleinen, schwarzen Körnchen und Tröpfchen, so dass ein solches Präparat auf den ersten Blick den Eindruck macht, als ob es mit einer Fettemulsion durchtränkt wäre. Da im frischen Zellinhalt der Nährpflanze von Forficula bei gleicher Behandlung mit Osmium niemals ähnliche Bilder entstehen, so kann nicht be- zweifelt werden, dass der Verdauungsprozess Spaltungen bewirkt, durch welche lipoide, vorher maskierte Bestandteile des Plasmas und der Chloroplasten überhaupt erst reaktionsfähig gemacht werden, ähnlich wie ja auch in tierischen Zellen (Muskeln) unter Umständen reichlich Fett frei und durch Osmium nachweisbar gemacht wird, wenn man die Gewebe vorher verdaut (vergl. A. Noll, Arch. f. Anat. esPhys, Bhys. Abb. 1913: S: 35). 2. Heuschrecken (Akridier). Ähnlich, in manchen Punkten aber doch auch wieder wesentlich verschieden, verläuft die Verdauung der Pflanzenahrung im Darme der ausschliesslich herbivoren Heuschrecken, von denen ich verschiedene Akridierarten (Gomphoeerus, Stenobothrus u. a.) untersuchte. Was zunächst die anatomischen. Verhältnisse betrifft, so ist die 410 W. Biedermann: Gliederung des ganzen Verdauungsrohres auch hier eine ähnliche wie bei den Blattiden. Auf einen mächtig entwickelten ‚Kropf‘, der die abgebissenen Pflanzenteile zunächst aufnimmt und den Leon Dufour!) dem Pansen der Wiederkäuer vergleicht, folgt unmittelbar der Mitteldarm (Chylusmagen), der sich an der vorderen Grenze in sechs dicke, fingerförmige Blindsäcke (Coeca) ausstülpt, die hier haupt- sächlich das Verdauungssekret in Form eines gelbbraunen Saftes ' liefern, der, wie bei den meisten kauenden Insekten, nach vorn in den Kropf übertritt und dort seine verdauende Wirkung entfaltet, während der Mitteldarm mehr der Resorption dient. Es folgt schliesslich der oft zweiteilige Enddarm, der im wesentlichen der Bildung der Ex- kremente dient. Als Hauptstätte der chemischen Verdauung interessiert uns hier besonders der Kropf (jabot), dessen gröberen Bau schon L. Dufour ganz zutreffend geschildert hat (vergl. 1. c. Taf. 2, Abb. 8 und 10) und der bei den Akridiern zugleich die Rolle des Kaumagens (gesier) zu übernehmen scheint. Ich kann nichts Besseres tun, als die Beschreibung Dufour’s (l. e. S. 312) hier wörtlich wiederzugeben, denn der Bau des Organes ist in diesem Falle besonders wichtig. „La tunique interne du jabot est parcourue & sa surface par les aretes fines et serrees, invariables, tout ä fait lineaires, subcartilagineuses d’un brun pale et plus ou moins entrecoupees: ce qui leur donne de V’asperite et les met & m&me d’agir comme les rapes. La direction des ces aretes varie suivant la region de l’organe qu’elles occupent. Ainsi celles de la moiti&e anterieure du jabot, moins prononcees et moins entrecoupees, sont transversales, mais non tout & fait circulaires, car .la paroi inferieure de cette moitie presente un espace median longitudinale plus ou moins deprime, depourvue des ces aretes et simplement musculo-membraneux. Üet espace est nettement limite & droite et & gauche par un filet calleux ou aboutissent les aretes. Celles-ci, dans la moitie posterieure du jabot sont au contraire dirigees suivant la longeur du canal digestif et plus saillantes que les pr&cedentes. Le ‚pilore‘, ou l’orifice posterieure de ce premier estomac, offre une valvule conoide, bien caracterisee, formee par six callosites brunatres en forme d’Y, dont les branches sont dirigees en avant. Lorsque les bifurcations des ces callosites sont simplement contigues, leur ensemble constitue une sorte de couronne & six dents triangulaires et pointues. Quand celles-ci, par la contfaction de l’organe, deviennent conniventes, c’est-A-dire lorsque la valvule est fermee, elle represente un cone, dont le sommet est en avant.“ Bei den von mir untersuchten Arten erheben sich von der Kutikula der erwähnten vorspringenden. Falten kurze, aber kräftige, mit der 1) L. Dufour, Rech. anat. et physiol. sur les Orthopteres. 1841. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 411 Spitze nach hinten gerichtete Chitinzähne. Im Verein mit der sehr entwickelten Muskulatur des Organes dürfte diese Bezahnung nicht nur dazu dienen, das Zurückgleiten der Nahrungspartikel zu ver- hindern, sondern auch deren Durchmischung mit dem Verdauungssaft und ihre weitere mechanische Zerkleinerung zu fördern. Von den äusserst energischen Kontraktionen des infolge der erwähnten Falten- bildung überaus dehnbaren Kropfes konnte ich mich mehrfach über- zeugen. Auf eine besondere Eigentümlichkeit der feineren Struktur bin ich leider zu spät aufmerksam geworden, so dass es mir nicht mehr möglich war, eine eingehendere Untersuchung vorzunehmen. Ich hatte von einer grösseren Zahl verschiedener kleiner Akridier die un- eröffneten Därme herauspräpariert und in Glycerin aufbewahrt, um später den Inhalt untersuchen zu können. Nach etwa einer Woche hatten sämtliche Malpighi’sche Schläuche eine intensiv karminrote Farbe angenommen und zeigten sich dicht erfüllt mit dunkelroten, grösseren und kleineren Tropfen, die so dicht gedrängt lagen, dass von den Zellen kaum etwas zu sehen war. Genau die gleiche Färbung zeigten nun auch jene oben erwähnten Falten des Kropfes, so dass das aufgeschnittene und flach ausgebreitete Organ das ganze be- schriebene Innenrelief auf das deutlichste tiefrot auf sonst farblosem Grunde erkennen liess. Auch hier waren als Ursache dieselben roten Tropfen nachzuweisen, welche in Zellen enthalten waren, die, genau entsprechend den Zahnreihen unter der Kutikula liegen. Sie treten infolgedessen natürlich nur bei tiefer Einstellung deutlich hervor. Frisch untersucht erscheinen sowohl die Zellen der Malpighi’schen Schläuche wie auch besonders jene der Kropfwand von dunkelbraunen Pigmentkörnchen dicht erfüllt, die aber sehr viel kleiner sind als die Tropfen und wohl kaum zu diesen in Beziehung stehen. Ich muss mich vorläufig begnügen, diese Tatsache ohne weitere Erklärung anzuführen. Sie ist aber insofern von Bedeutung, als sie darauf hin- zuweisen scheint, dass auch jenen Kropfzellen sekretorische Bedeutung zukommt, die ja für die Malpighi’schen Gefässe nicht zu bezweifeln ist. Für die hier zu behandelnden Fragen hat es aber erhebliches Interesse, zu wissen, ob im Kropf, ausser dem Mitteldarmsekret, im gegebenen Falle auch noch ein solches eigener „Kropfdrüsen‘“ zur Wirkung kommt. Dazu müsste aber zunächst festgestellt werden, ob jene reihenweise angeordneten Zellen wirklich als Drüsen anzu- sprechen sind. Ich kenne nur eine kurze Bemerkung Plateau's!) die sich auf Stetheophyma bezieht: „L’oesophage et le jabot ne sont point, comme ceux des carnassiers, priv&e d’epithelium secretoire. On eonstate ici la presence d’une couche unique de cellules epitheliales 1) Rech. sur les phenomenes de la digestion chez les Insectes 1874. SIOIR: 412 ‚W. Biedermann:' en forme de massues, leur protoplasma est charge de granules jaunatres ou brunatres et elles secretent probablement le liquide, dont il sera question cidessus.““ Plateau war der irrigen Meinung, dass der Ver- dauungssaft, welcher den Inhalt des Kropfes durchtränkt, ganz in diesem selbst entsteht, was sicher nicht zutrifft. Ich wende mich nun wieder der Schilderung der Verdauungs- erscheinungen zu, über die Plateau einige recht oberflächliche An- gaben gemacht hat: ‚Les lanieres vegetales sont imbibees par un liquide, que je signalois plus haut secret€ par la couche epitheliale du jabot ... a reaction alcaline. Si l’animal vient d’avaler la nourriture, les lanieres vegetales sont peu alterees et en les lavant & l’eau, pour debarasser du liquide, qui les impregne, on les retrouve d’un beau vert. Si au contraire, l’ingestion des aliments a eu lieu depuis quelque temps, la lavage montre les debris vegeteaux tres decolorees et le mikroskop n’y indique plus la chlorophylle.‘ Es muss ‘ausdrücklich bemerkt werden, dass schon viel früher Marcel de Serres!) über den Ursprung der im Kropf kauender Insekten wirksamen Verdauungsflüssigkeit ganz richtige Anschauungen hatte, indem er sie als Sekret des Mitteldarmes bzw. der Coeca, die er für Leberschläuche hielt, bezeichnete: ‚Alors l’humeur biliaire, portee dans l’estomaec (d. h. Kropf) par l’action des vaisseaux hepatiques (Coeca) ramollit et macere les aliments sans les dissoudre. Il est facile de se convainere que cette humeur est fournie par une suite de Virritation, qui se produit vers leurs bouches exhalantes, puisque on peut la faire ecouler par une legere irritation artificielle et l’on voit cette liqueur se deverser avec abondence dans l’estomac et jusque dans la bouche, pour peu qu’on la prolonge. Cette humeur est la m&me que celle qui est rejetee par les insectes masticateurs, lorsque on les suisit; et comme elle est acre et fetide elle est pour ceux un assez bon moyen de defense“ (M. de Serres, ]l. c. S. 117). Sieht man davon ab, dass M. de Serres in dem damals üblichen Bestreben, möglichst weitgehende Analogien im Bau und in den Funktionen bei Wirbellosen und Wirbeltieren aufzufinden, die Mittel- darmanhänge als Leberschläuche und ihr Sekret als Galle auffasste, so muss man zugestehen, dass seine Beobachtungen durchaus zutreffend waren und jedenfalls die von Plateau an Genauigkeit weit übertreffen. Dies gilt besonders auch hinsichtlich der Angaben über die Eigen- schaften des von den Mitteldarmschläuchen der Orthopteren gelieferten Sekretes. M. de Serres beschreibt dasselbe als gelblichbraune, zähe Flüssigkeit von stechendem und fötidem Geruch und scharfem, etwas bitterem Geschmack, die oft (so bei Gryllotalpa, Locusta und Gryllus) l) Obsery ations sur la digestion des Insectes (Ann. du Museum d’Hist. Nat. t. XX. Paris 1813). Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 413 in reichlicher Menge geliefert wird. ‚Cette humeur plus pesante que l’eau se mele assez bien avec ce liquide lorsque elle est fluide, mais quand elle est devenue visqueuse par l’effet d’un jeune prolongee elle ne se melange avec l’eau, que d’une maniere imparfaite en y formant des flocons assez epais ... . elle verdit legerement le syrop de violette et fait passer au rouge brun le papier de curcuma. Les acides la troublent saturant l’alcali, qui entre dans sa composition. Cet alcali paroit etre la soude, puisque traitee par l’acide acetique et dissoute par l’alcool la dissolution de platine n’y forme aucun precipite. Enfin en exposant cette humeur & une chaleur tres moderee elle se coagule assez promptement, ce qui annonce la presence de Valbumine et en continuant de la chauffer, elle donne une grande quantite d’eau‘ (M. de Serres, l. c. S. 126). Man sieht, dass es sich um ein Sekret handelt, welches in bezug auf Farbe, Konsistenz und Eiweissgehalt dem Mitteldarmsekret der Larve von Tenebrio molitor, welches ich seinerzeit genauer unter- suchte, durchaus ähnlich ist. Bezüglich der Reaktion lauten die An- gaben nicht. übereinstimmend. M. de Serres findet trotz der aus- geprägten alkalischen Reaktion des reinen Sekretes der Coeca den Kropfinhalt (sowie auch den des Kaumagens, wenn ein solcher vor- handen ist) deutlich sauer, aber nur wenn Nahrung aufgenommen wurde: „Si l’on trempe le papier de tournesol dans l’humeur biliaire aussi pure que possible et qu’on I’y laisse sejourner plus on moins long temps, ou ne voit pas, que sa couleur soit alteree en aucune maniere. Il n’en est pas de m&me, lorsque le papier de tournesol est mis dans l’humeur recueillie dans l’estomae’ ou dans le gesier; dans se dernier cas, il passe subitement au rouge, couleur qu’il conserve meme apres la lavage. Ce fait prouve, que la fermentation stomacale (d. h. im Kropf) developpe dans cette humeur un certain d’acidite, propriete qu’elle est loin d’avoir lorsque on l’examine dans les organes charges de la secreter. Il nous a donc paru interessant de s’assurer, si l’acidite que presente l’'humeur biliaire par son melange avec la stomacale, est toujours la m&me ä& la suite d’un jeune prolonge. L’experience m’a prouve, que cette acidite devenait alors & peine sensible. En effet, cette humeur ne rougissait que bien faiblement le papier de tournesol et meme, dans beaucoup de cjrconstances, la couleur de ce dernier n’en paraissait point alteree.‘ Gegen diese Angaben von M. de Serres, die ich vollinhaltlich bestätigen kann, wendete sich Plateau (l. ec. S. 71) mit der Behauptung, er habe bei frischgefangenen Tieren in der ganzen Länge des Darm- kanales überall alkalische Reaktion gefunden. (‚La reaction du tube digestif, dans toute sa longeur a £t&e presque toujours alcaline, quelquefois pour des larves, neutre, mais jamais acide.“) In einem ASTA W. Biedermann: Nachtrag zu seiner Abhandlung?) berichtet Plateau über neue Ver- suche und findet nun bei Locusta viridissima den Kropfinhalt sauer (,„Aciditi franche‘‘), die gewaschene Wand des Organes eine Spur sauer, den Inhalt der Coeca neutral und ebenso auch den Inhalt des Mitteldarmes. Desgleichen war bei Stetheophyma grossum der Kropfinhalt stark, der der Coeca schwach sauer, während der Inhalt des Mitteldarmes neutral gefunden wurde. Da er eine Ab- kochung von Gras bei Prüfung mit blauem Lackmuspapier sauer fand, so ist er geneigt, die saure Reaktion des Kropfinhaltes auf die Nahrung zu beziehen. Es ist sehr leicht, sich von der Richtigkeit der Angaben M. de Serres’ zu überzeugen, wenn’ man von irgendeinem unserer kleinen Grashüpfer den Darm in seiner ganzen Ausdehnung frei- präpariert, ihn der Länge nach aufschneidet und nun sofort mit Lackmus- papier die Reaktion des Inhaltes prüft. Es genügt, mit einem Streifehen des Papiers den aus dicht zusammengedrängten länglichen Fragmenten von Grasblättern bestehenden Nahrungsballen, welcher nicht nur den Kropf, sondern auch den Mitteldarm in der Regel vollkommen aus- füllt, abzusaugen, um sich zu überzeugen, dass der Kropfinhalt ausnahmslos stark sauer, der Inhalt des Mitteldarmes aber ebenso regelmässig stark alkalisch reagiert. Die Rötung resp. Bläuung des Reagenzpapieres ist immer so auffallend, dass ein Zweifel nie bestehen bleibt. Es liegen also bei den Heuschrecken ganz dieselben Reaktionsverhältnisse vor, wie ich sie seinerzeit bei der Larve von Tenebrio molitor gefunden habe, und da sie hier sicher nicht von der Reaktion der Nahrung abhängen, so scheint es naheliegend, das gleiche auch für die Heu- schrecken anzunehmen. Freilich lässt sich dies im gegebenen Falle nicht so einfach nachweisen wie dort; ja, es sprechen sogar gewichtige Gründe dagegen. Einmal reagiert unzweifelhaft die Nahrung (Gras- blätter) selbst sauer, wovon man sich sofort überzeugen kann, wenn man ein Stückchen eines Grasblattes fein zerhackt, mit Wasser be- feuchtet und dann mit Lackmuspapier prüft; dann aber fand ich das bräunlichgelbe Sekret der Coeca, welches ohne allen Zweifel auch in den Kropf gelangt, in Übereinstimmung mit M. de Serres niemals sauer, sondern entweder neutral oder schwach alkalisch. Wollte man demungeachtet an der Annahme einer von der Nahrung unabhängigen sauren Reaktion des Kropfinhaltes festhalten, so bliebe kaum eine andere Möglichkeit der Erklärung als die Annahme, dass von den Kropf- drüsen selbst zur Zeit der Verdauung ein saures Sekret geliefert wird. Zugunsten einer solchen Deutung spricht schon der Umstand, dass die saure Reaktion an der Grenze zwischen Kropf und Mitteldarm 1) Note aditionelle au m&moire „Sur les phenomenes de la digestion chez la: insectes“. Bruxelles 1877 | Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 415 scharf abschneidet; denn da es anscheinend dasselbe Sekret der Coeca ist, welches sich sowohl im ersteren wie im letzteren mit den sauren Nahrungspartikeln mischt, so bliebe unverständlich, warum es nur im Mitteldarm und nicht auch im Kropf zur Neutralisierung bzw. zum Entstehen alkalischer Reaktion kommt. Auch ist die saure Reaktion immer so stark ausgeprägt, wie sie es kaum sein könnte, wenn der Kropfinhalt sich mit einem neutralen oder gar alkalischen Sekret vermischte.. Am beweisendsten ist aber die Tatsache, dass auch nach zwei- bis dreitägigem Hunger, wenn im ganzen Darm keine Spur von Pflanzenteilen mehr vorhanden ist, nicht nur die beim Anfassen der Tiere aus dem Mund entleerte braune Flüssigkeit, sondern auch der gleich- beschaffene Inhalt des sonst leeren Kropfes blaues Lack- muspapier stark rötet. In diesem Falle kann die saure Reaktion nur durch ein saures Sekret bedingt sein, welches im Kropfe selbst entsteht. Dass die Coeca Drüsenschläuche darstellen, die die Hauptmasse des bräunlichen Sekretes liefern, welches die wichtigsten Verdauungs- fermente enthält und reichlich in den Kropf überfliesst, kann nicht bezweifelt werden. Der Umstand, dass man sie immer mit einer ent- sprechend gefärbten Flüssigkeit gefüllt findet, niemals aber Nahrungs- bestandteile darin bemerkt, die im Mitteldarm meist reichlich ent- halten sind, deutet ganz unverkennbar auf ihre Drüsenfunktion hin. Auch Plateau ist in Übereinstimmung mit M. de Serres der gleichen Meinung und macht noch besonders auf histologische Differenzen zwischen dem Epithel der Coeca und dem des eigentlichen Mittel- darmes aufmerksam, Unterschiede, welche auf entsprechende Ver- schiedenheiten der Funktion hinzuweisen scheinen. In den Blind- schläuchen findet er: ‚une couche des cellules epitheliales enormes en forme des colonnes ... leur extremite libre est arrondie. Dans cette extremite libre, le protoplasma est jaunatre et charge de granules, partout ailleurs il est incolore. Chaque cellule est munie d’un grand noyau tres distinct et les cellules secretent un liquide granule et jaunatre, qui se resemble en trainee jaunatre dans l’axe de la glande. En fendent cette glande et faisant ecouler le produit qu’elle renferme, en y observe, outre un liquide fondamentale jaune, de grosses gouttes huileuses incolores de toutes les dimensions et un grand nombre de cellules epitheliales detachees.“ Um die Frage zu entscheiden, ob auch dem ganz anders gebauten Epithel des Mitteldarmes sekretorische Funktion zukommt, erscheint eine mit modernen Mitteln durchgeführte Unter- suchung des histologischen Baues durchaus erforderlich. Bei der mikroskopischen Untersuchung der Pflanzenfragmente, welche im Kropf und Mitteldarm enthalten sind, fallen sofort wieder 416 W. Biedermann: die sehr weitgehenden Veränderungen auf, die auf eine grosse Energie der chemischen Wirkungen der betreffenden Sekrete schliessen lassen. Es ist dies um so bemerkenswerter, als es sich hier von Natur aus um äusserst widerstandsfähige, man könnte sagen gut geschützte Pflanzenteile handelt, deren anatomischer Bau das Eindringen der Verdauungssäfte selbst dann sehr erschweren würde, wenn es sich um kleinere Fragmente handelte, als es tatsächlich der Fall ist. Man denke nur an die starrwandigen, oft verkieselten Epidermis- zellen der Grasblätter; aber auch die zwischen den Gefässbündeln angeordneten, chlorophylliführenden Parenchymzellen besitzen viel dickere und derbere Membranen als etwa die zarten, weichen Zellen des Parenchynis krautiger Pflanzen. Alles das gilt ganz besonders, von den harten, niedrigen Gräsern, welche an den sonnigen, trockenen Lieblingsstandorten den kleinen Akridiern hauptsächlich zur Nahrung dienen. Die 3—4 mm langen und 1—2 mm breiten Blattstückchen, welche von den Tieren abgebissen und verschluckt werden, liegen im Kropf bzw. im Mitteldarm immer in der Längsrichtung dicht zusammen- - gepackt, so dass man die ganze zylindrische, von Sekret durchtränkte feste Masse im Zusammenhang herausheben kann. Wenn man sie dann zum Zwecke der Untersuchung unter Zusatz von Glycerin mit Nadeln zerzupft, so bemerkt man sofort die grosse Brüchigkeit der einzelnen Fragmente, die sich leicht entlang den parallelen Gefäss- bündeln in Streifchen spalten lassen, wobei es immer auch zur Iso- lierung von Zellen und Zellgruppen kommt. Versucht man es, in gleicher Weise Stückchen von frischen Grasblättern mechanisch zu teilen, so stösst man auf den grössten Widerstand, und es gelingt niemals, entlang der Zellgrenzen eine Spaltung zu bewirken. Man muss daher annehmen, dass durch die Einwirkung des Verdauungssaftes die Intercellularsubstanzen allent- halben gelockert und schliesslich gelöst werden. Dies gilt nicht nur für das Parenchym, sondern auch für die sehr diekwandigen Epidermiszellen. Die Wirkung wird vervollständigt durch die offenbar rasch einsetzende Er- weichung der Cellulosemembranen des chlorophyll- führenden Parenchyms. Wenn ich eben den Ausdruck „Er- weichung‘‘ gebrauchte, so halte ich mich dazu für berechtigt, weil man hier geradeso wie auch bei Forficula als nächste Folge der beginnenden Membranverdauung beobachtet, dass die normalerweise rundlichen oder ovalen, glatt begrenzten Zellen unregelmässige Formen annehmen ‘und oft wie zusammengedrückt und zerknittert erscheinen, so dass man in dem Gewirr zarter Konturen kaum noch die ehemalige regelmässige Anordnung der Zellreihen zu er- Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 417 kennen vermag. Dabei findet man kaum ein Blattfragment, bei welchem die Parenchymlage noch in ihrer ganzen Ausdehnung er- halten wäre, indem auf grosse Strecken nur die Epidermis übrig- geblieben ist, während die mehr oder weniger veränderten Parenchym- zellen Inseln bilden. Wie es schon früher geschildert wurde, sieht man auch hier die ursprünglich stark lichtbrechenden scharfen Konturen der Zellen mehr und mehr erblassen und schliesslich ganz verschwinden. Am deutlichsten treten die Wirkungen der Celluloselösung hervor, wenn man Präparate von Grasblättern, die nach Extraktion der Lipoidsubstanzen mit Trypsin ausverdaut wurden, mit aus dem Darm 'entnommenen Stückchen vergleicht. Während dort die Parenchym- zellen in ihrer Form völlig unverändert, in regelmässigen Reihen an- geordnet liegen, findet man sie hier an den meisten Stellen nur lose zusammenhängend, oft aber auch ganz in Unordnung geraten, als ob sie durch mechanische Kräfte gelockert und verschoben worden wären. Dass in der Tat auch mechanische Einwirkungen voraus- gesetzt werden müssen, dafür scheinen nicht nur die schon erwähnten Verbiegungen fast aller Parenchymzellen zu sprechen, die namentlich im entleerten Zustande oft Gruppen bilden, die so aussehen, als wären die leeren Zellhüllen zusammengeknetet, sondern man findet auch vielfach ganz isolierte Gefässbündel, denen nur noch Gruppen von Parenchymzellen anhängen, sowie Stückchen der Epidermis, deren ‚spröde Zellen am Rande von charakteristischen Bruchlinien begrenzt sind. Endlich wäre auch noch der Umstand zu erwähnen, dass die Grasfragmente sehr oft nur aus einer Lage von Epidermiszellen mit stellenweise locker anhaftenden Parenchymzellen bestehen, was ver- ständlich wird, wenn nach Lockerung der zwischen den beiden Epi- dermisflächen eingeschlossenen Zellschichten die Blattstückchen gegen- einandergedrückt und verschoben werden. Ich kin geneigt, die sehr kräftigen Kontraktionen der Kropfmuskeln im Verein mit der inneren Chitinbewaffnung für diese vorausgesetzten mechanischen Wirkungen verantwortlich zu machen. Wenn demnach nicht bezweifelt werden kann, dass eine kräftig wirkende Cytase auch im Verdauungssaft der Akridier enthalten ist, so ist auf der anderen Seite hervorzuheben, dass eine wirklich voll- ständige Lösung der Membranen doch nur bei einer Minderzahl der mit Nährstoffen gefüllten Parenchymzellen erfolgt, wie sich aus der Untersuchung der Exkremente ohne weiteres ergibt. Membran- lösung ist auch hier nicht notwendige Vorbedingung für die Verdauung und Ausnützung des Zellinhaltes; in der Regel kommt es überhaupt erst dann zu merklichen Lösungserscheinungen der Cellulosehaut, wenn Plasma 418 W. Biedermann: und Chlorophyll bereits tiefgreifend verändert oder gar schon verschwunden sind. Wie bei Forfieula, so machen sich auch im gegebenen Falle Veränderungen am Chlorophyll sehr bald nach der Nahrungs- aufnahme und lange vor Beginn der Cytasewirkung bemerkbar. Während normalerweise die ve rhältnismässig grossen Chlorophyllikörner als scharf begrenzte runde, wand- ständige Scheibchen in den Zellen erkennbar sind, ist das bei den dem Kropf entnommenen Fragmenten nur ausnahmsweise noch der Fall, und auch dann erscheinen sie meist nicht mehr grün, sondern mehr oder weniger bräunlich bis dunkelbraun. Diese Farbenänderung ist über- haupt sehr charakteristisch für den Darminhalt der Heuschrecken und fällt besonders auf, wenn man den in der Regel prachtvoll grünen Inhalt des Raupendarmes damit vergleicht. Selbst wenn die Gesamtfärbung der Grasstückchen noch als grün bezeichnet werden kann, ist es doch nicht das leuchtende Chlorophyligrün. sondern ein mattes, gelbliches Grün. Meist findet man dann die Zellen erfüllt mit einer homogenen oder fein granulierten gelbgrünen Masse, die man als diffus gefärbtes Protoplasma bezeichnen könnte und die offenbar auch durch Verschmelzung der Chloroplasten untereinander und mit dem Plasma zustande gekommen ist. In der Regel enthält jede solche Zelle noch einen oder zwei grössere, stark lichtbrechende Tropfen von olivgrüner Farbe, die ganz den Eindruck von Öltropfen machen. Den gleichen Tropfenbildungen sind wir auch schon im Darminhalt von Forfieula begegnet. Während nun weiterhin die Masse des Zellinhaltes immer mehr abnimmt und auch die Tropfen verschwinden, bevor sich noch Lösungserscheinungen an den Zellmembranen bemerkbar machen, er- fährt der Chlorophyllfarbstoff sehr charakteristische Veränderungen, indem es in fast jeder Zelle zur Bildung jener Modi- fikation kommt, die Hoppe-Seyler seinerzeit als Chloro- phyllan bezeichnet hat und die dann später von Prings- heim!) als „Hypochlorin“ beschrieben wurde. Ich darf annehmen, dass die merkwürdigen Formen, welche dieses Chloro- phyliderivat unter Umständen annimmt, bekannt sind, und ver- weise im übrigen auf die zahlreichen schönen Tafeln, welche Pringsheim seiner Abhandlung beigegeben hat. Fast alle die mitunter äusserst verschnörkelten Formen, die man dort ab- gebildet findet, habe ich auch in den Parenchymzellen der Gras- fragmente aus dem Kropf und. Mitteldarm der von mir untersuchten 1) Jahrb. f. wiss. Bot. XII. 1879 —81. S. 289—437. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 419 Heuschreckenarten nachweisen können. Im einfachsten Falle sieht man, wie dies zum Beispiel Molisch in seiner Mikrochemie darstellt, einem noch erkennbaren Chlorophylikorn seitlich ein dunkelbraunes Körncehen anhaften, oder es kommt zur Bildung einer ganzen Gruppe kleinster solcher Körnchen innerhalb der gelbgrünen Masse, welche durch Zusammenfliessen der Chloroplasten mit dem Plasma ent- standen ist. Gleichzeitig findet man dann vielfach jene olivgrünen Tropfen, deren ich schon gedachte. Seltener erfährt der grüne Farb- stoff innerhalb der noch in ihrer Form erhaltenen Chloroplasten eine gleichmässige Umwandlung in Chlorophyllan, so dass nun an Stelle der normalen erünen, dunkelbraune Chlorophylikörner in der be- treffenden Zelle liegen. Sehr häufig, besonders in völlig ausverdauten Zellen, bleibt weiter nichts zurück als ein rundlicher oder wurstförmiger Haufen kleinster, dunkelbrauner Körnchen. Ganz besonders zierliche Bilder bieten solche Parenchymzellen, in denen es zur Bildung gerader oder gekrümmter oder auch wenig gebogener Stäbchen mit spitzen oder stumpfen Enden kommt, die, wenn sie länger werden, gerade, gebogen oder schraubig gewundene Nadeln und Fäden darstellen, die sich auch verzweigen können, so dass förmliche Netze und Faden- knäule in den Zellen entstehen. Da alle diese Gebilde sich durch ihre dunkelbraune Farbe auszeichnen, so treten sie in den Präparaten, namentlich bei weitgeöffneter Blende, ausserordentlich scharf hervor. Die bräunliche Farbe, welche die Blattstückchen im Kropf alsbald annehmen, beruht im wesentlichen auf der Bildung von Chlorophyllan, und da diese an saure Reaktion gebunden ist, so liefern diese Befunde eine weitere Bestätigung der schon beschriebenen Reaktions- verhältnisse. Willstätter fasst das Chlorophyllan als mit farblosen Stoffen (insbesondere Lecithin) verunreinigtes Phäophytin auf, und diesem Umstand verdankt es wohl auch die so auffallende Neigung zur Bildung von „Myclinfiguren‘. Im reinen Zustande ist das Phäophytin amorph, bildet aber nach Willstätter „‚baumähnliche kristallinische Gebilde‘. Ich habe es bei Forficula im Darminhalt immer nur in Form von rundlichen Körnern oder amorphen- Schollen oder endlich in Gestalt von verhältnismässig dicken Stäbchen und stengeligen Aggregaten gefunden, niemals aber die so überaus charakteristischen Formen des Chlorophyllans gesehen, während umgekehrt bei den Akridiern wieder jene schon durch ihre fast schwarze Farbe auffallenden Phäophytin- ausscheidungen ganz zu fehlen scheinen. Wenigstens ist es mir nicht geglückt, hier etwas Ähnliches auch nur: in einem einzigen Falle mit Sicherheit festzustellen. Dagegen gelang es mir, das Vorkommen der ‚„roten Kristalle‘‘ in denselben Formen, wenn auch in viel geringerer 420 W. Biedermann: Zahl, auch bei den Heuschrecken nachzuweisen. Am leichtesten findet man sie bei der Untersuchung von älterem Alkoholmaterial, da dann nicht nur das noch unveränderte Chlorophyll, sondern auch das in kaltem Alkohol nicht ganz unlösliche Chlorophyllan grösstenteils verschwunden ist, so dass man die spärlichen roten Kristalle dann viel besser zu erkennen vermag. An solchen Präparaten treten auch die Erscheinungen der Celluloselösung besonders deutlich hervor. Dass bei den Akridiern die Verdauung sich in der Hauptsache schon im Kropfe abspielt, ergibt sich ohne weiteres, wenn man den Inhalt dieses Abschnittes mit dem des Mitteldarmes vergleicht. Wenn auch im allgemeinen die Pflanzenreste in diesem etwas vorgeschrittenere Veränderungen erkennen lassen, so ist der Unterschied doch nicht so gross, dass man mit Sicherheit zu sagen vermöchte, ob es sich um ein Präparat vom Inhalt des Kropfes oder dem des Mitteldarmes handelt. Auch die Lage der länglichen Grasfragmente, die, wie schon erwähnt, in paralleler Anordnung im Kropfe zu einem Bündel vereint liegen, ist im Mitteldarm noch die gleiche, wie denn überhaupt eine wirkliche Durchmischung (Trituration) nicht erfolgt, so dass der im Kropf einmal fest zusammengepackte Nahrungsballen anscheinend als Ganzes vorwärtsgeschoben wird. Die mechanischen Emwirkungen, von denen oben die Rede war, werden sich demgemäss im wesent- lichen darauf beschränken, dass durch Kontraktion der Muskelwand ein Druck, gewissermaassen eine Pressung bewirkt wird, wobei die Blattstückchen wohl auch teilweise in der Längsrichtung aneinander verschoben werden. Ich habe niemals ein solches Fragment in querer Richtung liegend gefunden. Sollten sie also vereinzelt oder in kleineren Gruppen aus dem Kropf in den Mitteldarm übertreten, so müsste man annehmen, dass sie hier wieder in gleicher Weise zusammen- geschichtet werden wie im Kropf. Auch die Exkremente zeisen noch die gleiche Struktur. Es sind länglich spindelförmige Gebilde, welche mit der Nadel leicht in ihre Bestandteile zerlegt werden können. Dabei überzeugt man sich von der grossen Brüchigkeit der einzelnen Blattstückchen, die schon beim Durchrühren in einem Tropfen Wasser leicht der Länge nach in schmale Streifchen zerfallen, die im wesent- lichen den Gefässbündeln entsprechen, mit anhaftenden Resten grössten - teils ausverdauter Parenchymzellen. Von einer vollständigen Lösung der Cellulose ist also auch hier keine Rede. Die meisten der ehemals chlorophyllführenden Zellen erscheinen nur in der früher schon be- schriebenen Weise deformiert und verdrückt. Eines sehr auffallenden Befundes muss ich schliesslich noch gedenken, den ich leider so spät machte, dass es mir nicht mehr möglich war, eine genauere Unter- suchung vorzunehmen. Nach 2—3tägigem Hunger fanden sich ın dem untersten Abschnitt des sonst völlig leeren Darmes ganz regel- Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 42] mässig eine Anzahl ziegelroter Klümpchen, welche mit blossem Auge im noch uneröffneten Enddarm durch ihre Farbe erkennbar waren. In einen Tropfen Wasser entleert, erwies sich die hellrote Masse zu- sammengesetzt aus ziemlich grossen Drusen. blätteriger Kristalle, deren Aussehen und Farbe lebhaft an Hämoglobin erinnert. In dünner Schicht erscheint die Farbe gelblich. Anscheinend handelt es sich um rhombische Kristalle einer organischen Substanz. Bei Unter- suchung mit dem Mikrospektralapparat ergab sich eine diffuse Ab- sorption. Bei Zusatz von Alkohol wurden die Kristalle sofort trüb und granuliert, eine Veränderung, die auf Koagulation hinweist. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass die früher besprochenen ‚roten Kristalle‘‘ des Darminhaltes, die sicher ein Derivat des Chlorophyll- farbstoffes darstellen, mit diesen schon durch die Farbe als etwas ganz anderes gekennzeichneten Kristallen im Enddarm nichts zu tun haben. In den entleerten Exkrementen habe ich sie auffallender- weise niemals gefunden. 3. Raupe von Gastropacha rubi. Ich wende mich nunmehr zur Besprechung der Verdauungs- erscheinungen bei Raupen, die ich vorerst nur in einem Falle genauer untersucht habe. Meine früheren auf Pieris brassicae bezüglichen Angaben bedürfen, soweit sie sich auf die Beschaffenheit der Pflanzen- teile im Darm erstrecken, einer gründlichen Korrektur. Es zeigt hier wieder, wie leicht man durch eine vorgefasste Meinung im Urteil bestimmt wird. Befangen in der herrschenden Anschauung, dass der Inhalt von Pflanzenzellen der Einwirkung von Verdauungs- fermenten so lange entzogen bleibt, als er noch von der unversehrten Cellulosemembran umschlossen wird, und verführt durch eine ober- flächliche Untersuchung der Exkremente, in denen sich noch massen- haft anscheinend unveränderter Zellinhalt und namentlich ChlorophylI- körner nachweisen lassen, hielt ich mich für berechtigt, anzunehmen, dass nur die direkt angebissenen Zellen der gefressenen Blattstückchen ausverdaut werden, während alles andere ungenützt bleibt. Das be- kannte, enorme Nahrungsbedürfnis der meisten Raupen schien so eine befriedigende Erklärung zu finden. Wenn nun auch zugegeben werden muss, dass die Ausnützung der Nahrung gerade bei den Schmetter- . lingsraupen eine verhältnismässig schlechte ist und jedenfalls weit zurück- steht hinter den betreffenden Leistungen der herbivoren Orthopteren, so lässt sich doch gerade bei ihnen besonders überzeugend nach- weisen, dass völlig uneröffnete Zellen total ‚„ausverdaut‘ werden können. Freilich gehört dazu eine sehr sorgfältige Unter- suchung des Darminhaltes, auch muss man über die viel auffallenderen Verdauungserscheinungen anderer pflanzenfressender Insekten schon Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 174. 23 492 W. Biedermann: unterrichtet sein, um mit Aussicht auf Erfolg an die Untersuchung des Darminhaltes der Raupen herantreten zu können. Die Schwierig- keiten liegen einerseits darin, dass die Blattfragmente hier meist so dick und undurchsichtig sind, dass man so ohne weiteres daran nicht eben viel zu erkennen vermag, namentlich wenn die Blätter der Nahrungspflanzen, wie im gegebenen Falle-(Brombeere, Erdbeere), an sich derb und wenig durchsichtig sind. Es bleibt dann meist nichts anderes übrig, als den Darminhalt in Gummi einzubetten und zu schneiden. Ein weiteres Hindernis ist in dem Umstand gegeben, dass im Raupendarm in der Regel reichlich Tyrosinase enthalten ist, wodurch es in kürzester Zeit zu einer braunen bis schwarzen Ver- färbung des Inhalts kommt, die sich natürlich auch an den sekret- durchtränkten Pflanzenteilen geltend macht und ihre Undurch- sichtigkeit noch steigert. Bei Gastropacha rubi sah ich den un- mittelbar nach der Entnahme prachtvoll smaragdgrünen Darminhalt an der Luft in wenigen Minuten dunkelbraun und schliesslich tinten- schwarz werden. Um dies zu verhindern, überträgt man am besten die ganze Masse sofort in eine grössere Menge Wasser, das mehrmals gewechselt wird, und konserviert dann erst in Glycerin. Endlich wird die Untersuchung auch noch dadurch erschwert, dass man es im Raupendarm in der Regel mit einer Mischung zahl- loser, noch ganz unveränderter Nahrungspartikel mit solchen zu tun hat, die sich in allen möglichen Stadien der Verdauung befinden. Wenn man sich also mit der Prüfung eines oder nur weniger Präparate begnügt, dann kann es wohl ge- schehen, dass man zufällig nur sehr wenig oder eventuell gar keine wirklich verdauten Stückchen zu Gesicht bekommt und so zu einer ganz falschen Vorstellung gelangt von dem Umfang, in dem sich Ver- dauung überhaupt abspielt. Dies gilt ganz besonders für den Brom- 'beerspinner, dessen grosse Raupe sich sonst vortrefflich eignet. Wenn man hier den in einer flachen Schale in Glycerin verteilten Darminhalt unter dem Präpariermikroskop betrachtet, so bemerkt man sofort, dass zwischen vielen, noch ganz gleichmässig grünen Blattstückchen sich andere befinden, die teilweise oder ganz ent- färbt erscheinen, mitunter wohl auch ein eigentümlich geflecktes oder gestreiftes Aussehen zeigen. Bisweilen erscheint bloss eine mehr oder weniger breite Randzone gelblich gefärbt, während die Mitte noch das ursprüngliche frische Grün bewahrt hat. Wenn man sich nun die Mühe nimmt, solche angedaute oder auch schon ganz aus- verdaute Partikel herauszufischen, dann überzeust man sich leicht von der Vollständigkeit, mit welcher im gegebenen Falle die Aus- nützung der Pflanzennahrung erfolgt ist. Wenn demungeachtet ein so grosser Anteil der aufgenommenen Nahrung ungenützt im Kote Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 423 wieder entleert wird, so liegt das hauptsächlich daran, dass die Dauer des Aufenthaltes im Darm eine nicht genügende ist. Sucht man ein Blattstückchen aus, welches keine Spur von Grün mehr zeigt, so ist das, was beim Vergleich mit entsprechenden Partikeln aus dem Darm der Orthopteren vorallem auffällt, das vollständige Erhaltensein der Zellmembranen in der ganzen Dicke des Stückehens. Niemals habe ich auch nur die geringste Spur einer Cytasewirkung beobachtet; die Zellmembranen haben überall ihr normales Aussehen bewahrt, sie sind weder verbogen noch auch in ihrem Lichtbrechungsvermögen verändert; dabei umschliessen sie aber entweder gar keine geformten Bestandteile mehr, oder es sind nur noch die bei Lösung der Chloroplasten freigewordenen Stärkekörnchen erhalten, die dann entweder in einer farblosen oder diffus grün oder gelblich gefärbten Flüssigkeit schwimmen. Es ist im gegebenen Falle ausnahmslose Regel, dass die Stärkeeinschlüsse der Chloroplasten später ge- löst werden als diese selbst, und man kann an verschiedenen Zellen alle Stadien des Vorganges beobachten. Die Substanz der 'Chlorophylikörner wird zunächst ohne Änderung der Farbe glasartig durchsichtig, so dass die stark lichtbrechenden Einschlüsse nun sehr scharf hervortreten, worauf diese dann sehr bald durch Lösung der Grundsubstanz frei werden. Bei den Orthopteren habe ich eine ähnliche Isolierung der Chlorophylistärke niemals gesehen, denn wenn sich auch bei Forficula oft freie Stärkekörnchen im Zellinhalte nachweisen lassen, so verschwinden sie doch immer gleichzeitig mit diesem. Auch das Verhalten des Chlorophyllifarbstoffs ist im Raupen - darm ein völlig verschiedenes. Meist verteilt sich der gelöste grüne Farb- stoff ganz gleichmässig in den Zellen, ohne dass es jemals zur Bildung jener ölartigen, olivgrünen Tropfen kommt, die für die Orthopteren so charakteristisch sind. Da auch niemals kristallinische Derivate des Chlorophyllfarbstoffes nachweisbar sind — ich habe in meinen zahlreichen Präparaten in keinem einzigen Fall auch nur die geringste Spur von Phäophytin, Chlorophyllan oder roten Kristallen gefunden —, so scheint hier die ganze Menge des gelösten Chlorophylis zur Resorption zu gelangen. Dies wird auch dadurch bezeugt, dass bei sehr vielen Raupen das Blut durch Chlorophyll oder wenigstens - ein modifiziertes Chlorophyll grün gefärbt erscheint. Man muss daher wohl annehmen, dass in solchen Fällen der Farbstoff an sich und nicht bloss die Stoffe, mit denen er im Chlorophylikorn verbunden ist, im Organismus des Tieres noch weitere Verwendung findet. Alle diese Fragen sowie insbesondere auch die von Gräfin v. Linden behaupteten Beziehungen des roten Schuppenpigmentes der Vanessen zum Chlorophylifarbstoff bedürfen aber in Hinblick auf Willstätter’s 282 424 W. Biedermann: Untersuchungen dringend erneuter Prüfung. Hier kam es mir nur darauf an, an einigen typischen Beispielen zu zeigen, wie verschieden- artig sich die Verdauung der Pflanzennahrung selbst bei Insekten gestaltet, die in der ganzen Art ihrer Ernährung sich doch ausser- ordentlich ähnlich sind. Von den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung scheint mir am meisten bemerkenswert die Tatsache zu sein, dass zu einer erschöpfenden Ausnützung des Inhaltes pflanzlicher Zellen keineswegs, wie man bisher ziemlich allgemein angenommen hat, eine mechanische oder chemische Zerstörung der Zell- membranen erforderlich ist, sondern dass selbst grössere Blattfragmente völlig ausverdaut werden können, ohne dass auch nur der Inhalt einer einzigen Zelle erhalten bleibt. Das Beispiel der Raupe von Gastropacha rubi lehrt, dass hierzu nicht einmal eine Lockerung des Zellgefüges und Isolierung der einzelnen Zellen notwendig ist, sondern dass auch die im Inneren eines grösseren Pflanzenfragmentes gelegenen unversehrten Zellen der Einwirkung der Verdauungsfermente ganz ebenso unterworfen sind wie die der Peripherie. Man muss daraus schliessen, dass alle wirksamen Bestandteile des Verdauungs- saftes Diffusionsvermögen besitzen und Cellulosemem - branen verhältnismässig leicht durchdringen. Die rasche und vollständige Lösung des plasmatischen Zellinhaltes (Plasma und Stroma der Chloroplasten), der ohne weitere Vorbehandlung nicht nur der peptischen Verdauung widersteht, sondern auch vom Trypsin der Wirbeltiere kaum angegriffen wird, zwingt zu der Annahme, dass im Verdauungssekret der Insekten entweder eine Protease enthalten ist, die spezifisch auf die Proteide des pflanzlichen Plasmas eingestellt ist, oder, was ich füg wahrscheinlicher halte, dass neben einem trypsinähnlichen Ferment noch ein anderes vorkommt, dessen Wirkung sich auf jene Lipoide erstreckt, die nachweislich die Wider- standsfähigkeit des Pflanzenplasmas der tryptischen Ver- dauung gegenüber bedingen. Cellulasen (und Hemicellu- lasen) finden sich bei pflanzenfressenden Orthopteren, spielen aber nur eine untergeordnete Rolle und wirken immer nur unvollständig. Der Chlorophyllfarbstoff wird entweder einfach gelöst und resorbiert. (Schmetterlings- raupen) oder (durch Säurewirkung) in Chlorophyllan ver- wandelt (Akridier), welches sich in den charakteristischen Formen des Pringsheim’schen ‚„Hypochlorins“ teils in den Zellen, teils ausserhalb derselben abscheidet. Bei Forfi- cula kommt es zur Bildung von reinem Phäophytin. Hier Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 425 wie bei den Akridiern finden sich ferner wieder, teils intracellular, teils frei, rubinrote Kristalle, welche viel- leicht Phäophorbiden entsprechen, für deren Entstehung dann ein Ferment angenommen werden müsste, welches ähnlich wie die Chlorophyllase Willstätter’s wirkt. In beiden Fällen tritt der Farbstoff aus den Chloroplasten zunächst in Form von kleineren und grösseren fettähn- lichen und zähflüssigen Tropfen von olivgrüner (selten blaugrüner) Farbe aus, die in ihrem Verhalten durchaus jenen entsprechen, welche man durch Behandlung von Chlorophyllkörnern mit Chloralhydrat erhalten kann und die ihre lipoide Natur unter anderem durch Schwarz- färbung bei Behandlung mit Osmiumsäure verraten. Wie man sieht, muss es sich im Verdauungssaft der Insekten um ein noch ungleich komplizierteres Gemisch verschiedener Fermente handeln als bei dem Pankreas- sekret der Wirbeltiere. Ein chemischer Kreisprozess im arbeitenden Muskel und seine Beziehungen zur Gewebsatmung. Von. Prof. Dr. Leonhard Wacker. (Aus dem pathologischen Institut der Universität München.) (Eingegangen am 12. Dezember 1918.) Unter den Anforderungen, welchen eine chemische Formulierung des Vorgangs der Gewebsatmung und speziell des intermediären Kohle- hydratabbaues im Muskel gerecht werden soll, spielt wohl die Berück- sichtigung der Bedeutung der anwesenden organischen und anorgani- schen Chemikalien eine Hauptrolle. Wünschenswert wäre es ferner, wenn bei der Aufklärung dieser chemischen Prozesse Anhaltspunkte über die Umsetzung der chemischen Energie in mechanische Arbeits- leistung gewonnen werden könnten. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, mögen vielleicht die folgen- den Untersuchungen und Erwägungen zur Klärung der komplizierten Verhältnisse beitragen: Ein bei der Arbeitsleistung sauer gewordener Muskel nimmt be- kanntlich in der Ruhe wiederum die ursprüngliche alkalische Reaktion an. Er gewinnt demnach während der Erholung unter Sauerstoff- aufnahme an alkalischen Stoffen. Durch diesen Wechsel der Wasser- stoffionenkonzentration bei der Muskelbeanspruchung sind die sich abspielenden, zur mechanischen Arbeitsleistung führenden, chemischen Prozesse gut gekennzeichnet. Es fragt sich also, auf welche Weise aus den dem saueren Muskel zur Verfügung stehenden Chemikalien sich eine Substanz von alkalischen Eigenschaften bilden kann, und wie dieser Vorgang mit dem Muskelstoffwechsel in Einklang zu bringen ist ? Die Beantwortung dieser Fragestellung ergibt sich aus dem Ver- halten der bei der Muskelarbeit gebildeten d-Milchsäure gegenüber den im Muskel vorhandenen alkalischen Salzen. - Die freie Säure ist als solche nicht existenzfähig und wird sofort unter Bildung von milch- saurem Alkali neutralisiert !). Derartige Alkalisalze organischer Säuren 1) L. Wacker, Biochem. Zeitschr. 75 S. 121. 1916. Pflüger’s Arch. Bd. 168 S. 151. 1917. Ein chemischer Kreisprozess im arbeitenden Muskel. 427 werden aber, wie schon J. Liebig u. a.!) beobachtet haben, vom Organismus unter Bildung von Alkalibikarbonat oxydiert. Für die Erklärung der Gewebsatmung in allgemeinen Umrissen sind diese beiden einfachen chemischen Reaktionen ausreichend, womit nicht gesagt sein soll, SS uoH COOH, 70 dass unter besonderen Verhältnissen noch RS ee 9% andere zur CO,-Produktion führende Pro- Ss” & 2: i & i — © zesse möglich sind ?). Sie stellen einen = Ss Kreisprozess des Alkalis dar, welcher = = sich durch das nebenstehende Schema bild- 2 lich darstellen lässt und alle Bedingungen e> der Gewebsatmung erfüllt: Bei der Neu- R SD tralisation der aus Glykogen gebildeten 3 "Hooanon? s NE” Milchsäure durch Alkalibikarbonat wird Kohlensäure produziert, und durch Sauerstoffaufnahme und Oxydation des gebildeten milchsauren Alkalis wird das zur Neutralisation der Milchsäure erforderliche Alkalibikarbonat wiederum regeneriert. Einer dauernden Anhäufung von Säure im Muskel oder auch im Blute wird dadurch vorgebeugt. Die beiden in Frage kommenden chemischen Vorgänge lassen sich durch die folgenden Gleichungen darstellen: I. Säurebildung, Neutralisation und Kohlensäureproduk- tion. (Arbeitsprozess.) KHCO, + CH,CHOHCOOH = CH,CHOHCOOK +C0, +H,0. II. Regeneration der Alkaleszenz unter Sauerstoffaufnahme. (Erholungsprozess.) CH,CHOHCOOK +3 0, =KHC0, +2C0, + 2 H,0. . Der in der Gleichung I dargestellte, als Arbeitsprozess bezeichnete Vorgang ist zusammen mit den beim Abbau des Glykogens frei werdenden osmotischen Kräften geeignet, die zum Betriebe des Muskels erforderliche Energie zu liefern, weil beim Zusammentreffen der Milch- säure mit dem Alkalibikarbonat die Kohlensäure innerhalb der Zellen mit explosionsartiger Geschwindigkeit gebildet werden und zur Druck- erzeugung?) dienen kann. 1) J. Liebig, Ann. d. Chem. n. Pharm. Bd. 50 S. 161. 1872. — v. Meering und Zuntz, Pflüger’s Arch. Bd. 32 S. 337. 1883. — Araki, Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. 19 S. 455. 1894. 2) Vgl. z. B. E. Weinland, ‚‚Der Stoffwechsel der Wirbellosen‘‘ in Oppenheimer’s Handb. d. Biochem. Bd. IV. II. S. 464. 3) Vgl. dazu: Über einige Modelle zur Demonstration der Muskel- kontraktion nach der Drucktheorie. Pflüger’s Arch. Bd. 169 S. 492. 1917. 428 . Leonhard Wacker: Nach Gleichung II wird unter Sauerstoffaufnahme und Oxydation des Alkalilaktats die Alkaleszenz, und zwar speziell das Alkalibikarbonat regeneriert und dadurch der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt. Man kann diesen oxybiotischen Vorgang daher auch als Erholungs- prozess bezeichnen. Die beiden erwähnten Prozesse können bis zu einem gewissen Grade unabhängig voneinander verlaufen. Nach dem Arbeitsprozess gemäss Gleichung I liesse sich zuzüglich der osmotischen Kräfte die anoxybiotische Muskelarbeit erklären, wobei der Umfang der Arbeits- leistung natürlich abhängig sein würde von der Grösse des Glykogen- und Alkaleszenzdepots. Mit dem Nachweis’ der Möglichkeit einer Arbeitsleistung auf dieser Basis würde meines Erachtens der viel- umstrittene Begriff der Sauerstoffspeicherung !) des Gewebes hin- fällig. Der in den Gleichungen I und II zum Ausdruck gebrachte Che- mismus stellt nur das Skelett des Energiestoffwechsels dar, in Wirk- lichkeit lassen sich diese wesentlichsten Prozesse nicht sofort erkennen, weil sich andere, der Regulation dienende chemische Vorgänge da- zwischen schieben. Sie bedürfen daher einer nochmaligen Besprechung. I. Säurebildung, Neutralisation?), und Kohlensäureproduktion. (Arbeitsprozess.) Die alkalische Reaktion des ruhenden Muskels ist auf seinen Gehalt an Dikaliumphosphat und Kaliumalbuminat zurückzuführen. Das gleichfalls anwesende Alkalibikarbonat ist als solches nicht isolierbar, doch kann man auf sein Vorhandensein schliessen wegen des Gehaltes des Muskels an sogenannter präformierter, locker gebundener Kohlen- säure ?). Der Grund, weshalb das Bikarbonat als solches nicht gefasst werden kann, liegt darin, dass es bei der Extraktion des Muskels mit Die in dieser Abhandlung auf histologischen Unterlagen für das Muskel- gewebe durch Modelle dargestellten Verkürzungsprinzipien lassen sich in überraschender Weise auch für das Bindegewebe an Zupfpräparaten der Pia mater bestätigen, und zwar sind es die sogenannten umspinnenden Fasern (vgl. Stöhr, Lehrb. d. Histologie 16. Aufl. S. 93), welche auf Säurezusatz unter Verkürzung dicker werden, ähnlich wie dies W. Mac- Dougall, Journ. of Anat. and Physiol. vol. 31 p. 410, vol. 32 p. 187. 1898 am Muskel beobachtet hat. Der Vorgang bei den umspinnenden Fasern ist deshalb interessant, weil sich alle Einzelheiten der in meiner obigen Arbeit theoretisch dargestellten Modelle vor und nach der Kontraktion erkennen lassen. 1) Vgl. dazu: H. Winterstein, Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 6 S. 322, 377. 1907; Bd. 4 S. 333. 1904. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 499. 1916. 3) Biochem. Zeitschr. Bd. 79 8. 128. 1917. Ein chemischer Kreisprozess im arbeitenden Muskel. 429 'heissem Wasser durch das Monokaliumphosphat und die sauren Eiweiss- _ komponente der Albuminate unter Bildung von Dikaliumphosphat und Kaliumalbumimat unter CO,-Entbindung zerlegt wird. Wenn im arbeitenden Muskel durch hydrolytische Spaltung des 'Glykogens Milchsäure entsteht, so erfolgt die Neutralisation derselben zunächst durch das vorhandene Kaliumbikarbonat nach folgender (Gleichung: CH,CHOHCOOH + KHCO, =CH,CHOHCOOK +H,C0, . . . 1. Diese in Freiheit gesetzte Kohlensäure reagiert mit dem vorhandenen Dikaliumphosphat in folgender Weise: KALIEO,SLNCO. KE,PO, : KHCO, A. 1:2. Es entsteht also Monokaliumphosphat, während sich Kaliumbi- karbonat zurückbildet. Diese Reaktion ist je nach Temperatur und Mengenverhältnissen umkehrbar, und aus diesem Grunde steht das soeben Gesagte nicht im Widerspruch mit dem, was bezüglich der Zersetzung des Kaliumbikarbonats durch das Monokaliumphosphat ‚beim Auskochen des Muskels mit Wasser bemerkt wurde. Geht die Milchsäurebildung weiter, und ist der Vorrat an Dikalium- ‘phosphat erschöpft, so kann die Kohlensäure oder das unterdessen in grösserer Menge entstandene Monokaliumphosphat eine Zerlegung des Kaliumalbuminats nach folgendem Schema herbeiführen: KAID2)LH,CO. KHCO, !ApE Ne KERPO, RAD KLHPO, VApEn m Während nach Formelgleichung 3 wiederum Kaliumbikarbonat ‚entsteht, regeneriert sich nach 4 Dikaliumphosphat, das befähigt ist, nach 2 mit Kohlensäurehydrat wieder Monokaliumphosphat und gleich- falls Kaliumbikarbonat zu bilden. Diese Prozesse können so lange weiter gehen, bis das vorhandene Dikaliumphosphat in Monophosphat und sämtliches Kalialbuminat in die freie Eiweisskomponente zerlest ist. Die treibende Kraft zur Entziehung des Alkalis ist die Milch- 1) J. Liebig, Ann. d. Chem. u. Pharm. Bd. 50 S. 177. 1844. Bei der Keimung von kohlehydratreichen Samen zum Beispiel von Cerealien . scheinen sich ähnliche chemische Vorgänge abzuspielen wie beim Muskel- stoffwechsel. Es wird mit Hilfe eines diastatischen Ferments Polysaecharid (Stärke) abgebaut, sowie organ. Säure, Kohlensäure und Wärme produziert. Diese Analogie ist ferner durch das Vorhandensein derselben anorganischen Chemikalien wie Kalium-, Kalk- und Magnesiumphosphaten erkennbar. Die nahen Beziehurgen des Kaliumphosphats zum Kohlensäurestoffwechsel beweist auch das Vorkommen desselben in der Pflanzen- und Tierwelt an jenen Plätzen, wo Assimilation der Kohlensäure und Dissimilation der Kohlehydrate zu Kohlensäure stattfindet. 2) Alb = Eiweisskomponente der Albuminate. 430 Leonhard Wacker: säure, wodurch die Kohlensäure langsam verdrängt wird. Dadurch wird verständlich, weshalb der Muskel aktionsfähig bleibt, solange noch alkalische Salze vorhanden sind. Ist das Ende der Arbeits- fähigkeit erreicht, so befinden sich im Muskel milchsaures Kalium, Monokaliumphosphat und die freie Eiweisskomponente des Kalium- albuminats. Diese Substanzen sind in ihrer Gesamtheit als Ermüdungs- stoffe zu bezeichnen, um so mehr, als durch den Umschlag in die saure Reaktion Fermente inaktiviert werden können !). Die saure Reaktion des Muskels bei der Ermüdung beruht demnach nicht auf der Anwesenheit freier Milchsäure, sondern auf dem durch die Bildung; von Milchsäure verursachten Gehalt an Monokaliumphosphat. Im Gegensatze zu dem soeben besprochenen anoxybiotischen Vor- gang der Neutralisation der Milchsäure verläuft der Erholungsprozess, welcher der Regeneration der Alkaleszenz und Wärmeproduktion. dient, unter Aufnahme von Sauerstoff. II. Regeneration der Alkaleszenz unter Sauerstoffaufnahme.. (Erholungsprozess.) CH,CHOHCOOK +3 0, = KHC0, +2 CO, +2H,0. Auch die obige Formulierung des Erholungsvorganges, d. h. der Oxydation des milchsauren Kalis dient lediglich dazu, den Überblick über die in Frage kommenden Prozesse zu erleichtern. Es ist ganz. unwahrscheinlich, dass die Bildung von Kaliumbikarbonat aus Kalium- laktat direkt erfolgt, vielmehr ist anzunehmen, dass sie stufenweise über Zwischenprodukte sauren Charakters verläuft. Ein Bild, wie der Abbau allenfalls vor sich gehen könnte, ergibt sich aus folgendem Beispiel: Das erste Stadium der Oxydation könnte die Umwandlung des: Kaliumlaktats in brenztraubensaures Kalium sein: 2 CH,CHOHCOOK +0, = 2 CH,COCOOK + 2 H,0. Diese Verbindung spaltet sich gemäss C. Neuberg ?) durch ein als Karboxylase bezeichnetes Ferment nach folgendem Schema: CH,COCOOK + H,O = CH,CHO + KHCO,. Auf diese Weise würde schon erstmalig eine Regeneration von . Alkalibikarbonat unter gleichzeitiger Bildung von Acetaldehyd statt- finden. Der leichte Übergang des Acetaldehyds unter Sauerstoff- aufnahme in Essigsäure ist bekannt. Die gebildete Essigsäure würde: zweifellos durch das vorhandene Kaliumbikarbonat unter Kohlensäure- 1) K. Kondo, Biochem. Zeitschr. Bd. 45 S. 63. 1912. 2) ©. Neuberg, Der Zuckerumsatz der Zelle. Handb. d. Biochem. von Oppenheimer. Ergänzungsbd. 1913 S. 569. Ein chemischer Kreisprozess im arbeitenden Muskel. 431 entbindung neutralisiert werden. und das weitere Problem ‘wäre dann die Aufklärung des Oxydationsvorgangs des Kaliumacetats zu Kalium- bikarbonat. Nach Angaben der Literatur !) ist unter den im Muskel vorhandenen flüchtigen Säuren neben Ameisensäure auch Essigsäure in Spuren nachgewiesen worden, doch gelang es mir nicht, diesen Befund zu bestätigen; dagegen lässt sich ausser der Milchsäure eine grössere Menge einer (oder mehrerer) nicht flüchtiger Säuren im an- gesäuerten Muskelextrakt durch Schwefeläther extrahieren. Von der Milchsäure unterscheidet sich diese Säure durch eine grössere Lös- lichkeit und geringere Kristallisationsfähigkeit des Zinksalzes. Der höhere Zinkgehalt dieses unbekannten Zinksalzes würde für eine Säure sprechen, welche ein Ö-Atom weniger enthält als die Milchsäure. Auf diese Ergebnisse hoffe ich später an anderer Stelle zurückkommen. zu können. Anhaltspunkte über die Gesamtmenge der im Muskelextrakt vor- handenen Alkalisalze organischer Säuren können noch in anderer: Weise erbracht werden: Bekanntlich liefern die Alkalisalze organischer Säuren bei der Veraschung Alkalikarbonat. Diese Tatsache kann dazu dienen, aus der Alkaleszenzzunahme des wässerigen Muskel- extraktes vor und nach der Veraschung die Menge der gesamten organischen Alkalisalze zu bestimmen. Die Kaliumalbuminate liefern bei der Veraschung gleichfalls Kaliumkarbonat. Da sie aber eine alkalische Reaktion zeigen und die obige Bestimmungsmethode auf der Differenz der Alkaleszenz nach und. vor der Veraschung besteht, so verursacht das Vorhandensein derselben kein Hindernis. Nach der Veraschung besitzt der Muskelextrakt keine amphotere Reaktion mehr. Das gesamte Monokaliumphosphat, auf dessen Anwesenheit sich die saure Reaktion aufbaut, ist in der Hitze unter dem Einfluss. des Kaliumkarbonats in Dikaliumphosphat übergegangen, und darüber hinaus ist noch eine erhebliche Menge Kaliumkarbonat (siehe um- stehende Tabelle) entstanden. | Was nun die Regeneration der Alkaleszenz unter dem Einfluss. des bei der Oxydation im Muskel gebildeten Kaliumbikarbonat an- langt, so kann dieselbe so erklärt werden, dass die im Abschnitt I (Arbeitsprozess) unter Nr. 2, 3 und 4 aufgeführten Reaktionen rever- sibel sind. Die Umkehrbarkeit dieser Vorgänge lässt sich experimentell bestätigen: Während in der wässerigen Auskochung eines innerhalb weniger Minuten nach dem Tode entnommenen Muskels reichliche Mengen von Alkalialbuminaten gelöst sind, geht die Menge der letzteren mit zunehmender Säurebildung schon nach 3—4 Stunden auf ein Minimum 1) L. Landois’ Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 14. Aufl. Bd. IL S. 491. 19186. : 432 Leonhard Wacker: Beziehungen zwischen wässerigem Muskelextrakt a) Unter normalen Wässeriger Muskelextrakt 2S 2 pro 100 & Muskel a2 a0 ee |; ze 28 S „ \888 32.2.8, |.a Bias Laufende Nummer S = Pna [8002 928 | 828 gsagn [75 3 en ou as ne >$ vor Dar und Todesursache © 3 Es2NS anaz 224 |374 |n0H8 8 N gg“ wnrade ODE 2> 8 sen = < Ba, agde25e# 0sH Ss 10 SO4,H.| g g g 10 KOH g 600 | 293 | 020 ı 307 1054| — || ||) on a | 2 a ee = 14 1.058 } ' \ Co 020 5307 10532 |. 0559| = | Asz tl 060 60,0: | 20.0 | 014 | 400 | 0,696 | 0,683 | 0,014 | 453 | 0,58 587 | 240 | 017 | 347 | 0,604 | 0,828 | 0,093 | 467 | 0,60 | Verhältnissen. 52,0 | 240 \ 0,17 | 28.0. 0a u 17,3 0,22 23 | 226 | 016. 227 | 0385| — = 20,0 0,26 547 | 26,0 | 0,18 | 28,7 | 0,499 | 0,501 en 17,4 0,22 bei dieser Umkehrbarkeit um Gleichgewichtszustände bei bestimmten. Mengen- und Temperaturverhältnissen. Man braucht also die er- wähnten Gleichungen 2, 3 und 4 nur von rechts nach links zu lesen, um ein Bild von der Regeneration der Alkaleszenz zu haben. Nach den Gleichungen 2 und 3 findet dabei eine Kohlensäureentbindung statt. Diese und die CO,-Produktion bei der Oxydation des Laktats erklären die CO,-Abgabe des Muskels im Ruhezustande. III. Beweisführung. Die experimentellen Belege zu den vorausgegangenen Ausführungen sollen in diesem Abschnitt nochmals in übersichtlicher Weise zusammen- gestellt werden: l. Beweise für den im Muskel stattfindenden Neutrali- sationsprozess der Milchsäure. a) Im absterbenden Muskel nimmt vom Momente des Todes bis zum Eintritt der Totenstarre und darüber hinaus die Alkaleszenz 434 Leonhard Wacker: fortwährend ab, während die Azidität dementsprechend zunimmt. Die Summe von Alkaleszenz plus Azidität bleibt jedoch, unabhängig vom Zeitpunkt der Entnahme, ungefähr gleich gross. Diese Tatsache lässt sich nur durch einen Neutralisationsprozess erklären, an dem vorzugs- weise Dikaliumphosphat beteiligt ist. (Vgl. dazu Pflüger’s Archiv Bd. 163 S. 499. 1916. Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 112. 1916.) b) Im Extrakte des sogleich nach dem Tode entnommenen Muskels befinden sich erhebliche Mengen von Alkalialbuminaten, während dieselben nach Eintritt der Totenstarre fast vollkommen verschwunden sind. Die postmortal gebildete Säure wird somit auch durch Alkali- albuminate unter Abscheidung der Eiweisskomponente neutralisiert. (Siehe Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 118. 1916.) c) Aus dem wässerigen Muskelextrakt lässt sich die Milchsäure nur dann mit Äther extrahieren, wenn man sie vorher durch Mineral- säure in Freiheit gesetzt hat. Die Milchsäure ist also im Muskel in Form eines Alkalisalzes vorhanden, das nur durch einen Neutralisations- prozess entstanden sein kann. (Siehe dazu Abschn. IV.) 2. Beweise für die Oxydation des milchsauren Alkalis zu Alkalibikarbonat im Muskel. a) Die durch Milchsäure verursachte saure Reaktion des arbeitenden Muskels wird im Ruhezustand wieder alkalisch. Mithin muss im Muskel eine chemische Reaktion stattfinden, bei welcher alkalische Stoffe produziert werden. Ein solcher Stoff ist das durch Oxydation des milchsauren Kaliums entstehende Kaliumbikarbonat. b) Führt man dem Gesamtorganismus milchsaures Alkali zu, so erscheint bei Zufuhr eines Überschusses desselben ein grosser Teil im Urin in Form von Alkalibikarbonat. Dies ist ein Beweis für die Fähigkeit des Organismus, milchsaures Alkali zu Alkalibikarbonat zu oxydieren. (Vgl. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 455. 1916.) c) Die Oxydation des milchsauren Kaliums im Muskelextrakt zu Kaliumkarbonat kann auf trockenem Wege geschehen: Verbrennt man Muskelextrakt in einer Platinschale, so wird nicht nur sämtliches Monokaliumphosphat in Dikaliumphosphat übergeführt, sondern in der Asche ist weiterhin eine erhebliche Menge von Kaliumkarbonat nachweisbar. (Siehe die Tabelle im Abschnitt IV.) d) Das milchsaure Kalium verschwindet im Muskel bei Zufuhr von Sauerstoff. Von den zahlreichen Angaben der Literatur über das Verschwinden der Milchsäure !) im Muskel sollen nur solche erwähnt werden, bei denen die Mitwirkung von Sauerstoff hervorgehoben wurde. 1) In der Literatur ist die Annahme verbreitet, dass die saure Re- aktion des Muskels von freier Milchsäure anstatt von Monokaliumphosphat Ein chemischer Kreisprozess im arbeitenden Muskel. 435 Nach Ranke, ‚Tetanus“ Kap. 14 S. 329, Leipzig 1865, wird die 'bei der anaeroben Muskelkontraktion entstehende Milchsäure, bei der normalen aeroben wieder verbraucht. Fletcher und Hopkins, Journ. of Physiol. 35 (1907).S. 247; vgl. auch von Fürth, Probleme der physiol. und patholog. Chemie Bd. I S. 144 u. 146. 1912, haben nachgewiesen, dass die Milchsäure im Muskel nach reichlicher Sauerstoffversorgung verschwindet, während sie bei Luftabschluss wieder zum Vorschein kommt. IV. Experimenteller Teil. Soweit die experimentellen Unterlagen zu Abschnitt III nicht schon früher oder von anderer Seite erbracht sind, sollen diese im folgenden Kapitel ergänzt werden: Zu III l.c. Die Milchsäure ist im wässerigen Muskel- extrakt als Kaliumsalz vorhanden. Man kann sie deshalb nur dann mit Äther extrahieren und isolieren, wenn man sie vorher durch Mineralsäure in Freiheit gesetzt hat. Der mit der Hackmaschine zerkleinerte M. Quadriceps des Menschen wird dreimal mit Wasser ausgekocht und der filtrierte klare Extrakt viermal mit dem 11, fachen Volumen Äther ausgeschüttelt. Der nach ‚dem Verjagen des Äthers verbleibende Rückstand wird nach Zusatz von Wasser mit einer Messerspitze voll (neutralreagierendem) Blei- karbonat aufgekocht, von ungelöstem Bleikarbonat heiss filtriert und in das Filtrat, das die organischen Säuren als Bleisalze enthalten müsste, Schwefelwasserstoff eingeleitet. Dabei fallen nur Spuren von Schwefelblei aus. Nach der Filtration wird durch Erhitzen der Schwefel- wasserstoff aus der Lösung verjagt, mit gut ausgewaschenem Zink- karbonat aufgekocht und das Filtrat zur Kristallisation eingedampft. Es hinterbleiben dabei nur Spuren eines Rückstandes, die mit Zink- laktat nicht identifiziert werden konnten. Daraus folgt, dass organische Säuren in dem Ätherextrakt überhaupt nicht enthalten waren. Setzt man jedoch zu dem gleichen, mit Äther behandelten Muskelextrakt Phosphorsäure bis zur deutlich kongosauren Reaktion, extrahiert noch- mals viermal mit Äther!) und behandelt dann den Ätherrückstand in oben angegebener Weise mit Bleikarbonat und Zinkkarbonat, so herrührt. Der Irrtum dürfte wohl darauf zurückzuführen sein, dass der Muskelbrei vor der Extraktion mit Äther behufs quantitativer Bestimmung der Milchsäure vielfach mit Salzsäure und Sublimat enteiweisst wird, wodurch natürlich gleichzeitig aus dem Laktat auch freie Milchsäure entsteht. 1) Die viermalige Extraktion mit Äther stellt keine Methode zur er- schöpfenden Isolierung der Milchsäure dar; es sollte hier nur der Beweis erbracht werden, dass ohne Mineralsäurezusatz keine Isolierung der Milch- ‚säure möglich ist. 436 Leonhard Wacker: fällt schon der kräftige Niederschlag von Schwefelblei mit Schwefel-. wasserstoff auf. Beim Eindampfen der Zinksalze kristallisiert Zink- laktat aus, während die leicht löslicheren Zinksalze einer oder mehrerer: organischer Säuren in der Mutterlauge gelöst sind. Das Ergebnis zweier Versuche ist aus der folgenden Zusammenstellung ersichtlich: Erhaltene Zinksalze Mense des Be Volumen des wässe- ö = ohne Säure- bei Phosphor- hierten Muskels rigen Muskelextrakts zusatz säurezusatz 58,7 8 20 ccm 0,012 g 0,231 & : (kein Zink- Gemisch der laktat) Zinksalze 1000 & 500 ccm Geringe Mengen 2,37 g Zink- Rückstand, kein laktat, 0,91 g Zinklaktat andere Zink- salze der Mutterlauge. Zulll2c. Oxydation des milchsauren Kaliums im Muskel- extrakte zu Kaliumkarbonat auf trockenem Wege durch Veraschung des eingetrockneten Extraktes. Verascht man eine bestimmte Menge eingetrockneten Muskelextrakts: in der Platinschale und vergleicht die Alkaleszenz des wässerigen Auszugs der Asche mit der Alkaleszenz des Extraktes vor der Ver- brennung, so lässt sich aus der Zunahme der Alkaleszenz die Menge- der im Muskel vorhandenen, an Alkalien gebundenen organischer- Säuren ermitteln. Die dabei gefundenen hohen Werte sind ein in- direkter Beweis, dass ausser dem: milchsauren Kali zum mindesten noch ein anderes Salz einer organischen Säure im Muskel enthalten ist. Um möglichst einwandfreies Versuchsmaterial zu verwenden, wurde der M. Quadriceps von Menschen, die eines gewaltsamen Todes gestorben waren, benützt. Zu diesem Zwecke wurden 30 g des in Erbsengrösse geschnittenen, fettfreien Muskels dreimal mit je 100 ccm Wasser ca. 10 Minuten lang ausgekocht und die Filtrate vereinigt. Man erhält auf diese Weise ca. 240 cem Extrakt, den man in zwei. gleiche Teile teilt. Die erste Hälfte wird behufs Titration wiederum. in zwei Hälften entsprechend je 7,5 g Muskel geteilt. Zu dem einen Teil setzt man einen Tropfen Phenolphtaleinlösung und fügt behufs n Bestimmung der Azidität To auge zu, bis Rotfärbung eingetreten ist; zum zweiten Teil gibt man einige Tropfen Methylrot und titriert auf n 19 Dalzsäure zur Bestimmung der Alkaleszenz, bis die gelbe Farbe in ein blaustichiges Rot umgeschlagen ist. Ein chemischer Kreisprozess im arbeitenden Muskel. 437 Setzt man zu den zur Titration verwendeten Lösungen Ammoniak und Magnesiamischung, so lässt sich der Gehalt an löslichen Phosphaten in dem Extrakte gewichtsanalytisch bestimmen. Für die folgende Tabelle wurde das Ergebnis auf Dikaliumphosphat berechnet. Die zweite Hälfte des Muskelextraktes, entsprechend 15 & Muskel, wird in der Platinschale auf dem Wasserbad eingedampft und der Rück- stand im Trockenschrank bei 105° ©. getrocknet und gewogen. Man erhält dann die Gesamtmenge der wasserlöslichen Bestandteile des Muskels, die im Durchschnitt 3,6 % beträgt. Dieser Rückstand wird verascht und wiederum gewogen. Der dadurch ermittelte Aschengehalt des Extraktes beträgt ca. 0,35% des ursprünglichen Muskels. Die Asche reagiert stark alkalisch und besteht der Hauptsache nach aus Dikalium- phosphat und Kaliumkarbonat. Sie ist aber, selbst wenn sie weiss- gebrannt ist, nicht vollkommen wasserlöslich. Der unlösliche Teil, . bestehend aus Magnesiumphosphat,. wird abfiltriert und gewogen. Die Menge beträgt ca. 0,02% des ursprünglichen Muskels. Das Filtrat der wässerigen Lösung der Asche teilt man in zwei gleiche Teile und bestimmt in der einen Hälfte, entsprechend 7,5 & Muskel, nach Zusatz von Phenolphtalein durch Titration mit n 10 Salzsäure unter wiederholtem Aufkochen bis zur dauernden Ent- färbung das Kaliumkarbonat. Die andere Hälfte versetzt man mit n Methylrot und titriert gleichfalls kochend mit 10 Salzsäure, bis der Umschlag von gelb in ein blaustichiges Rot erfolgt ist. Die dadurch ermittelte Gesamtalkaleszenz ergibt den Gehalt an Dikaliumphosphat plus Kaliumkarbonat. Der Gehalt an Dikaliumphosphat berechnet sich aus der Differenz von Gesamtalkaleszenz minus der Kalium- karbonat-Alkaleszenz. Zur Kontrolle der durch Titration gewonnenen Phosphatzahlen versetzt man die titrierten Lösungen mit etwas Ammoniak und Magnesiamischung und bestimmt auf diese Weise die Phosphorsäure nochmals gewichtsanalytisch. In der Tabelle sind die Resultate umgerechnet auf K,HPO, wiedergegeben. Die Zunahme der Alkaleszenz bei der Veraschung (ausgedrückt in n Kubikzentimetern 1008) ermittelt man durch Subtraktion der Alkaleszenz vor der Veraschung von der Gesamtalkaleszenz nach der- selben. Daraus lässt sich der Gehalt des Extraktes an Kalisalzen organischer Säuren, umgerechnet auf Kaliumlaktat, feststellen. Wie die folgende Tabelle zeigt, ist der gefundene Betrag ziemlich hoch und geht erheblich über die im Muskel quantitativ nachgewiesene Milchsäuremenge hinaus. Es müssen also im Extrakte noch Alkali- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bad. 174. 29 438 Leonhard Wacker: salze anderer organischer Säuren vorhanden sein, die jedoch, wie ein Versuch lehrte, mit Wasserdämpfen nicht flüchtig sind. In der Tabelle ist ferner die Menge des bei der Veraschung ent- standenen Kaliumkarbonats angegeben. Sie beträgt ca. 0,16—0,20 %. Es ist anzunehmen, dass im ausgeruhten Muskel eine diesem Karbonat äquivalente Menge Alkalialbuminat oder Alkalibikarbonat anwesend ist. Anhang. Während bei Tierversuchen bezüglich der postmertalen Säure- bildung niemals Abweichungen beobachtet wurden, ergab sich bei den Untersuchungen des M. Quadriceps der menschlichen Leiche die interessante Tatsache, dass diese Säurebildung im Muskel nach dem Tode unter Umständen ganz oder teilweise ausbleiben kann. Soweit die untersuchten Fälle bis jetzt ein Bild gestatten, fehlt nach gewalt- samen Todesursachen, wie Selbstmord oder Unfällen, eine ergiebige, Säurebildung nie; auch nach rasch verlaufenden Erkrankungen wurden normale Verhältnisse beobachtet, wobei mit ‚normal‘ der rasche Eintritt der Säurebildung bezeichnet sein soll. Nach kachektischen Erkrankungen dagegen scheint ein Überwiegen der Alkaleszenz über die Azidität oder Übergangsstufen zu den normalen Verhältnissen, auch viele Stunden nach dem Tode, die Regel zu sein. In solchen Fällen geht dies Hand in Hand mit dem Ausbleiben oder einer geringen Intensität der Totenstarre. Der Muskel verhält sich in diesen Fällen in bezug auf das Verhältnis von Alkaleszenz zu Azidität wie ein aus- geruhter oder wie ein sofort nach dem Tode aus der Leiche eines gesunden, geschlachteten Tieres entnommener Muskel. Das Ausbleiben der Säurebildung steht wahrscheinlich mit der Abwesenheit von Glykogen !) in Zusammenhang. Im Einklang mit dem Fehlen der Säureproduktion ist der geringe Gehalt solcher Muskeln an Alkali- salzen organischer Säuren (0,22—0,26 % berechnet auf milchsaures Kalium) gegenüber dem höheren Gehalt (ca. 0,6%) normaler toten- starrer Muskel (siehe die Tabelle). Diese Ergebnisse sollen an anderer Stelle noch eingehender besprochen werden. Zusammenfassung. 1. Der Chemismus der Gewebsatmung des Muskels ist sehr wahr- scheinlich identisch mit dem intermediären Kohlehydratabbau und der Umsetzung chemischer Energie in mechanische Arbeitsleistung. 2. Das Wesen der Gewebsatmung ist durch zwei chemische Prozesse bedingt, die zusammen einen Kreislauf des Alkalis darstellen. 1) Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 122. 1916. Ein chemischer Kreisprozess im arbeitenden Muskel. 439 a) Bei dem als Arbeitsprozess bezeichneten, anoxybiotisch ver- laufendem Vorgang wird Milchsäure durch Kaliumbikarbonat bzw. dessen alkalische Umsetzungsprodukte neutralisiert. Die dabei ent- stehende Kohlensäure kann zur Arbeitsleistung dienen. b) Der Erholungsprozess ist dadurch charakterisiert, dass das im Arbeitsprozess entstehende milchsaure Kalium unter Sauerstoff- aufnahme wieder zu Kaliumbikarbonat verbrannt wird, sodass der Prozess von neuem beginnen kann. 3. Bei der Regulation des Kreisprozesses spielen eine Reihe von umkehrbaren chemischen Reaktionen eine Rolle, an denen Dikalium- phosphat und Alkalialbuminate beteiligt sind. 4. Arbeitsprozess und Erholungsprozess können getrennt oder gleich- zeitig verlaufen. Dadurch erklärt sich die anoxybiotische Muskelarbeit und die sogenannte Sauerstoffspeicherung. 5. Ermüdungsstoffe sind milchsaures Kalium, Kaliummonophosphat und die saure Eiweisskomponente der Alkalialbuminate. Im erholten Muskel befinden sich Kaliumbikarbonat, Dikaliumphosphat und Alkali- albuminate. 6. Oxydiert man Muskelextrakt durch Verbrennung, so bildet sich gleichfalls Kaliumkarbonat und Dikaliumphosphat. 29 * Autorenverzeichnis. 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