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PFLÜGERS ARCHIV
FÜR DIE GRSENTEE
PHYSIOLOGIE
“ DES MENSCHEN UND DER TIERE
HERAUSGEGEBEN
VON
E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER
HALLE A. S. FRANKFURT A. M. KIEL
178. BAND
MIT 53 TEXTABBILDUNGEN UND 1 TAFEL
BERLIN
VERLAG VON JULIUS SPRINGER
| 1920
2%
NE
Inhaltsverzeichnis.
de Boer, Dr. S., Eine neue Theorie über das Entstehen von Kammer-
yühlens (Mitzo Bextabbildungen) .. . 2 x... es...
Meyer, Dr. &., Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. (Mit
Dal Di. TEN are Sr re SE
Fleisch, Dr. Alfred, Der Einfluss rhythmischer Druckschwankungen
auf die Widerstandsverhältnisse im Gefässsystem. (Mit 19 Text-
3 DA NDEET) SR EN I ar PARTEI 3 OE
Neuschlosz, S. M., Untersuchungen über die one an Gifte.
II. Mitteilung. Die Festigkeit der Protozoen gegen Farbstoffe
Neuschlosz, S. M., Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte.
III. Mitteilung. Das Wesen der Festigung von Protozoen gegen
FRE EN dE ATITHNON
Lewin, L., und Stenger, B, Der Farbstoff der Mitteldarmdrüse des
Flusskrebses. Mitgeteilt von L. Lewin. Mit 2 Textabbildungen .
Henning, Dr. Hans, Optische Versuche an Vögeln und Schilakröten
über die Bedeutung der roten Ölkugeln im Auge . .......
de Kleijn, A., und Magnus, R., Über die Unabhängigkeit der Labyrinth-
reflexe vom Kleinhirn und über die Lage der Zentren für die La-
byrinthreflexe im Hirnstamm. (Mit 6 Textabbildungen) .....
de Kleijn, A., und Magnus, R., Tonische Labyrinthreflexe auf die
Augenmuskeln. (Mit 6 Textabbildungen). ......... 2...
Wilmers, Dr. Josef, Chemische Reizung und chemische Kontraktur des
quergestreiften Muskels. (Mit 14 Textabbildungen). .......
Popielski, Prof. Dr. L., 3-imidazolyläthylamin und die Organextrakte.
Erster Teil. $-imidazolyläthylamin als mächtiger Erreger der
ISCH aRUSCHEN EA re ee te a ee nn
Popielski, Prof. Dr. L., ß-imidazolyläthylamin und die Organextrakte.
Zweiter Teil. Einfluss der Säuren auf die die Magensaftsekretion
erregende Wirkung der Organextrakte. ... .. .. 2»...
Abderhalden, Emil, Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen
Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung... .........
Autoren verzeichnus:. ve ee ER
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Eine neue Theorie über das Entstehen
von Kammerwühlen.
Von
Dr. S. de Boer, Privatdozent der Physiologie.
Mit 6 Textabbildungen.
(Eingegangen am 23. Juni 1919.)
Einleitung.
Die neueren Untersuchungen haben ergeben, dass wir unter Flattern
und Flimmern einer der Herzabteilungen eine anormale Tätigkeit ver-
stehen, die für diese beiden funktionellen Abweichungen keine prinzi-
piellen Unterschiede aufweist. Zwischen Flattern und Flimmern be-
stehen allein quantitative Frequenzunterschiede: beide Formen können
ineinander übergehen oder ineinander verwandelt werden.
Unter der grossen Anzahl Untersuchungen hierüber mögen hier
allein diejenigen Rothberger’s und Winterberg’s ihrer Wichtigkeit
‘ wegen Erwähnung finden. Diese beiden Physiologen sind anfangs
nach umfangreichen Untersuchungen zu der Folgerung gelangt, dass
das Herzwühlen auf einer dissoziierten Herztätigkeit beruht, bei der
die partiellen Kontraktionen von multiplen getrennten Herden aus
zustande kommen. Diese Theorie ‚‚der multiplen Reizbildung und der
damit verbundenen Auflösung der systolischen Gesamtkontraktion in
‚eine Unzahl von Partialkontraktionen‘ hat viele Anhänger bekommen.
Auf Grund späterer Untersuchungen sind, Rothberger und Winter-
berg von ihrer ursprünglichen Auffassung zurückgekommen, und fassen
sie nun das Herzflimmern als eine einfache Tachysystolie auf. Für die
Vorhöfe fanden diese Untersucher eine Frequenz der Flimmerbewegung
von 3000— 3500 per Minute, während diese Frequenz bei den Kammern
höchstens 800—900 in der Minute betrug. Zufolge dieser Theorie
sollte also jeder Atriumteil bis zu einem Maximum von 3500mal per
Minute kontrabieren und sollten in derselben Frequenz die Reize von
einem bestimmten Teile der Atria ausgehen. In Übereinstimmung mit
der Auffassung, dass das Flimmern aus einer einfachen Tachykardie
besteht, glauben diese beiden Untersucher, dass eine Verkürzung des
refraktären Stadiums als ursächliches Moment erforderlich ist.
Eigene Untersuchungen.
Anlass zu diesen Untersuchungen gab mir eine wiederholte Wahr-
nehmung während meiner fortgesetzten Untersuchungen über die
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 1
[4
2 S. de Boer:
Kammeralternans. Ich studierte die Kammeralternans näher, welche
nach der kompensatorischen Pause bei dem entbluteten Froschherzen
auftritt. Wenn ich nämlich in einem frühen Stadium der Kammer-
periode direkt nach Ablauf des refraktären Stadiums in der Atrio-
ventrikularfurche einen Extrareiz verabfolgte, ging die Kammer zum
Wühlen über. Ein Beispiel hiervon finden wir in Abb. 1. Der Extra-
reiz wurde hier in dem Augenblicke verabfolst, in welchem der T-
Ausschlag des Kammerelektrogramms sich anschickt zum Ruhestande
zurückzukehren. In den Suspensationskurven kommt eine deutliche
Wühlbewegung zum Ausdruck, die sich in der Elektrogrammkurve in
unregelmässigen und untereinander ungleichen Saitenausschlägen ab-
zeichnet!). Nach Ablauf des Wühlens tritt in beiden Kurvenlinien
eine deutliche postundulatorische Pause ein.
Abb. 1. Suspensionskurven (obere Kurve) und Elektrogramme (untere
Kurve) eines Froschherzens nach der Entblutung. Während der ersten
Kurve wird eben über dem Gipfel des T-Ausschlages ein Extrareiz in der
Atrioventrikularfurche verabfolgt, worauf die Kammer zum Wühlen über-
geht. Darauf folgt die postundulatorische Pause, nach welcher der normale
Rhythmus wieder aufgenommen wird. Zeit in \/-Sekunden.
Nachdem ich diese Erscheinung wiederholentlich beobachtet hatte,
untersuchte ich näher, welchem Umstande das Auftreten oder Nicht-
auftreten des Wühlens nach einem Extrareiz zugeschrieben werden
muss. Es stellte sich hierbei heraus, dass nach der Entblutung fast alle
Froschherzen während kürzerer oder längerer Zeit zum Wühlen zu
bringen waren, wenn ein Extrareiz direkt nach Ablauf des refraktären
Stadiums in der Atrioventrikularfurche angewandt wurde ?). Die Zeit,
welche zwischen dem Verbluten und demjenigen Augenblicke verlief,
1) In diesen und allen “ weiteren Aufnahmen befand sich eine un-
polarisierbare Ableitungselektrode auf den Vorhöfen und eine andere auf
der Spitze. Die Spannung der Saite war derartig, dass 1 m V. einen Aus-
schlag von 1'/, mm repräsentierte.
3) Fortgesetzte Untersuchungen haben gezeigt, dass auch nach Extra-
reizung des apec ventriculi direkt nach Ablauf des refraktären Stadiums
Kammerwühlen entsteht.
Eine neue Theorie über das Entstehen von Kammerwühlen. 3
in welchem das Wühlen zum ersten Male hervorgerufen werden konnte,
schwankte zwischen 15 Minuten und 1%,—2 Stunden. Es zeigte sich
nun, dass sich alle Froschherzen, deren Kammer zum Wühlen über-
ging, wenn der Reiz direkt nach Ablauf des refraktären Stadiums
der Kammer verabfolgt wurde, ganz anders verhielten, wenn der Reiz
später angewandt ward. In diesem letzteren Falle entstand eine ge-
wöhnliche Extrasystole der Kammer mit einem dieser entsprechenden
Kammerelektrogramme. So konnte ich ganz nach Willkür die Kammer
der Froschherzen entweder wühlen lassen oder sie zu einer gewöhn-
lichen Extrakontraktion anregen. Dies hing ausschliesslich von dem
Augenblick der Kammerperiode ab, in welchem der Extrareiz ver-
abfolgt ward. Hiervon wurde keine einzige Ausnahme von mir be-
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Abb. 2. Suspensionskurven und Elektrogramme desselben Froschherzens,
das für Abbildung 1 benutzt wurde. Während der ersten Kurve wird eben
über dem Gipfel des T-Ausschlages ein Extrareiz in der Atrioventrikular-
furche verabtolgt, worauf die Kammer zu wühlen beginnt. Wenn während
der dritten Kurve des wieder aufgenommenen normalen Rhythmus nach
dem Wühlen der Extrareiz an derselben Stelle und mit gleicher Stärke
gegen Ende des T-Ausschlages wiederholt wird, also später in der Kammer-
periode, entsteht eine gewöhnliche Extrasystole der Kammer, worauf eine
F kompensatorische Pause folgt. Zeit in !/s-Sekunden.
obachtet. Jedes Froschherz, welches nach Verabfolgung
‘eines Extrareizes zu Anfang der reizbaren Periode anfing
zu wühlen, konnte ich zu einer Extrasystole veranlassen,
wenn der Reiz später angewandt wurde. Ein Beispiel hiervon
sehen wir in Abb. 2, die demselben Froschherzen entstammt wie die
Kurven von Abb. 1. Der erste Extrareiz wurde hier beim Anfang der
absteigenden Linie des T-Ausschlages verabreicht, worauf die Kammer
einige Zeit wühlte. Wenn der zweite Extrareiz gegen das Ende der
absteigenden Linie des T-Ausschlages angewandt wird, entsteht eine
gewöhnliche Extrasystole der Kammer mit darauffolgender kompen-
satorischer Pause.
Die Dauer des Kammerwühlens, das nach einem Extrareiz auftritt,
kann starke Unterschiede aufweisen. In zwei Fällen sah ich die Kammer
1%
4 S. de Boer:
länger als eine halbe Stunde wühlen (in diesen beiden Fällen pulsierten
die Vorhöfe normal weiter). Auch kann die Dauer nicht mehr betragen
als zwei oder drei Ausschläge, aus denen die Suspensionskurve und
die elektrische Kurve besteht. Ein Beispiel solch eines sehr. kurz-
dauernden Wühlens finden wir in Abb. 3. Hier wurde bei 1 ein Extra-
reiz in der Atrioventrikularfurche zu Anfang der absteigenden Linie
des T-Ausschlages verabfolgt, und es tritt ein kurzdauerndes Wühlen
ein, das aus zwei Ausschlägen der Suspensionskurve besteht. Das
hiermit verbundene Kammerelektrogramm beginnt mit einem nega-
tiven Ausschlag, worauf eine rein basale Kurve folgt. Bei 2 wird
am Ende des T-Ausschlages der Extrareiz wiederholt; nun entsteht
jedoch eine vollständige Extrasystole der Kammer.
Abb. 3. Suspensionskurven und Elektrogramme eines Froschherzens nach
der Entblutung. Bei 1 wird ein Extrareiz in der Atrioventrikularfurche
verabfolgt, eben über dem Gipfel des T-Ausschlages. Hierauf geht ein Teil
des Kammermuskels zur Kontraktion über, und dann folgt der Rest mit
einem länger dauernden latenten Stadium. Dadurch entsteht eine miss-
staltete Extrasystole der Kammer, die in der Suspensionskurve als zwei
Ausschläge zutage tritt. Ihnen entsprechen Ausschläge der Kammer-
elektrogramme. Wenn bei 2 der Extrareiz wiederholt wird, und zwar an
derselben Stelle, doch später in der Kammerperiode, dann entsteht eine
vollständige Extrasystole der Kammer. Zeit in '/s-Sekunden.
In Abb. 4 finden wir ein Beispiel von Kammerwühlen, das nur aus
drei Ausschlägen besteht. Bei 1 in Abb. 4 entsteht nach Anwendung
des Extrareizes in der Atrioventrikularfurche eine vollständige Extra-
systole der Kammer. Bei 2 wird der Extrareiz etwas früher verabreicht.
Nun entsteht ein kurzdauerndes Kammerwühlen, das aus drei, in den
Suspensionskurven erkennbaren, Ausschlägen besteht. Ihnen ent-
sprechen drei positive — und zwei dazwischenliegende negative —
Elektrogrammausschläge.
Merkwürdig ist auch die in Abb. 5 wiedergegebene Aufnahme. In
ihr wird bei 1 ein Extrareiz in der Atrioventrikularfurche zu Anfang
der absteigenden Linie des T-Ausschlages verabfolgt, worauf ein kurz-
dauerndes, aus zwei Ausschlägen der Suspensionskurve bestehendes
- Eine neue Theorie über das Entstehen von Kammerwühlen. 5
Wühlen (e und e’) eintritt. Ihnen entspricht eine elektrische Kurve,
die mit einer Kurve des basalen Typus endigt. Bei 2 wird der Extra-
reiz in einem etwas früheren Zeitpunkt der Kammerperiode wieder-
Abb. 4. Suspensionskurven und Elektrogramme eines Froschherzens nach
der Entblutung. Bei 1 wird ein Extrareiz in der Atrioventrikularfurche
verabfolgt gegen das Ende des T-Ausschlages, worauf eine Extrasystole
der Kammer entsteht. Bei 2 wird der Extrareiz an derselben Stelle wieder-
holt, doch etwas früher in der Kammerperiode. Nun entsteht eine miss-
staltete Kammersystole, die in der Suspensionskurve mit drei Ausschlägen
zum Ausdruck gelangt. Ihnen entsprechen drei positive und zwei negative
Elektrogrammausschläge. Zeit in V/s-Sekunden.
Abb. 5. Suspensionskurven und Elektrogramme eines Froschherzens nach
der Entblutung. Bei 1 wird ein Extrareiz in der Atrioventrikularfurche
verabfolgt eben über dem Gipfel des T-Ausschlages. Eine missstaltete
Extrasystole, die aus zwei Ausschlägen der Suspensionskurven besteht, ist
hiervon die Folge. Diese beiden Mechanogrammausschläge sind mit e und
e' bezeichnet. Ihnen entsprechen Ausschläge des Elektrogramms. Wenn
bei 2 der Extrareiz an derselben Stelle, doch etwas früher in der Kammer-
periode wiederholt wird, entsteht Kammerwühlen mit unregelmässigen
Elektrogrammausschlägen. Bei 3 wird der Extrareiz in der Atrioven-
trikularfurche wiederholt, doch nun gegen Ende der T-Ausschläge, worauf
eine vollständige Extrasystole der Kammer folgt. Zeit in !/s-Sekunden.
holt, mit der Folge, dass nun Kammerwühlen von längerer Dauer
entsteht. Bei 3 wird, der Extrareiz angewandt gegen das Ende des
T-Ausschlages, worauf eine vollständige Extrasystole der Kammer
erscheint.
6 S. de Boer:
Wenn wir die hier reproduzierten Elektrogrammkurven nochmals
betrachten, dann fällt es auf, dass die elektrischen Ausschläge des
sehr kurzdauernden Wühlens eine grössere Amplitude und eine längere
Dauer besitzen als die elektrischen Kurven des längerdauernden
Wühlens. Für die Erklärung des Kammerwühlens ist dieser Umstand
nicht ohne Bedeutung.
Bedeutung der erzielten experimentellen Resultate für die
Erklärung des Kammerwühlens.
Ehe ich versuche, eine Erklärung für das Kammerwühlen zu geben,
will ich noch eben kurz die Hauptresultate dieser Untersuchung zu-
sammenfassen. An erster Stelle betone ich, dass die Kammer nur
dann durch einen Extrareiz in der Atrioventrikularfurche zum Wühlen
zu bringen ist, wenn dieser Reiz direkt nach Ablauf des refraktären
Stadiums verabfolgt wird. Das Wühlen tritt niemals auf, wenn der
Extrareiz später angewandt wird; dann nämlich entsteht eine ge-
wöhnliche Extrasystole der Kammer. Diesen Umstand erachte ich
von grosser Bedeutung. Die Kammer geht also allein dann nach einem
Extrareiz zum Wühlen über, wenn der metabole Zustand der Kammer
schlecht ist. Dieses Wühlen kann von sehr kurzer Dauer sein, so dass
dann die Suspensionskurven nur zwei bis drei Ausschläge zeigen. Solch
ein kurzdauerndes Wühlen können wir mit einer Erscheinung ver-
gleichen, die nach Vergiftung mit Digitalis oder Antiarin von mir
mit dem Namen missstaltete Kammersystole!) bezeichnet wurde.
Meines Erachtens ist solch ein kurzdauerndes Wühlen der Kammer
nichts anderes als eine missstaltete Extrasystole der Kammer. Hier
möge zur Verdeutlichung eine Kurvenreihe folgen, die bei einem Frosch-
herzen 25 Minuten nach der Injektion von 14 Tropfen Digitalis-Dialysat
unter die Schenkelhaut aufgenommen wurde (Abb. 6). Die erste
Kammerkurve der Abbildung besteht aus zwei Teilen: erst steigt die
Suspensionskurve bis zu einer gewissen Höhe, und im Beginn der
Dilatationslinie entsteht eine zweite Erhebung. Diese Kurvenform hat
ihre Entstehung dem Umstande zu danken, dass erst ein Teil des
Kammermuskels zur Kontraktion übergeht; darauf tritt der übrige
Teil des Kammermuskels mit einem verlängerten latenten Stadium
in Wirkung und kommt dann verspätet zur Kontraktion. Das gleich-
zeitig aufgenommene Elektrogramm bestätigt diese Erklärung voll
und ganz. Die dritte Kammerkurve dieser Abbildung zeigt eine Aus-
bauchung in der aufsteigenden Linie und ist daher ebenfalls miss-
staltet?). Wenn wir nun die Entstehung dieser missstalteten Kammer-
1) In der Literatur bezeichnet man diese anormale Herztätigkeit durch-
weg mit dem Namen Kammerperistaltik.
2) Die weiteren Besonderheiten dieser Abbildung wurden an anderer
Eine neue Theorie über das Entstehen von Kammerwühlen. 7
systolen (Kammerperistaltik) begreifen, dann können wir auch eine
bessere Einsicht in das Wühlen der Kammer erhalten. Wir wollen
damit beginnen, das kurzdauernde Wühlen, bei dem die Suspensions-
kurve nur zwei bis drei Ausschläge zeigt, näher zu betrachten. Wie
ich oben schon bemerkte, ist dieses kurzdauernde Wühlen nichts anderes
als eine missstaltete Extrasystole der Kammer. Nach dem Extrareiz
tritt zunächst ein Teil der Kammer in Funktion, und darauf kommt
erst der übrige Teil der Kammer zur Kontraktion nach einem lang-
dauernden latenten Stadium. So kann ebenfalls die Kontraktion der
Kammer in drei Stadien zustande kommen. Wenn nun nach einem
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= = 1 E
= 7 E
Abb. 6. Suspensionskurven und Elektrogramme eines Froschherzens,
25 Minuten nach der Injektion von 14 Tropfen Digitalisdialysat unter die
Schenkelhaut. Die erste Kammersystole ist missstaltet, in dem Sinne, dass
anfangs ein Teil der Kammer zur Kontraktion kommt und darauf mit einem
länger dauernden latenten Stadium der übrige Teil. Das Elektrogramm
fängt mit einem positiven Ausschlag an, dann folgt ein negativer Aus-
schlag und danach wieder ein positiver. Die dritte Kammersystole ist
ebenfalls missstaltet, indem sie nämlich in der aufsteigenden Linie der
Suspensionskurve eine Ausbauchung zeigt. Zeit in %/s-Sekunden.
zu Anfang der reizbaren Periode verabfolgten Extrareiz ein länger
dauerndes Wühlen der Kammer auftritt, dann stelle ich mir dessen
Entstehung in folgender Weise vor: Nach dem Extrareiz tritt ein Teil
der Kammer in Funktion; darauf folgt mit einem längeren latenten
Stadium ein weiterer Teil und dann wieder ein dritter Teil der Kammer.
So durchläuft die Erregung die Kammer in Etappen, während jedes
Etappengebiet mit einem verlängerten latenten Stadium eingreift. So
dauert es lange Zeit, ehe die Erregung einmal die Runde durchlaufen
hat. Aber wenn die Erregung nun die ganze Kammer durchlaufen
Stelle besprochen: S. de Boer: L’eleetrogramme du cour de grenouille
apres intoxication par la digitale ou l’antearine. Archives Neerl. de
Physiologie, Tome III, le livraison p. 60. 1918.
8 8. de Boer: Eine neue Theorie über das Entstehen von Kammerwühlen.
hat und wieder den Ausgangspunkt erreicht, dann ist das refraktäre
Stadium hier beendigt und tritt dieses Kammergebiet aufs neue in
Funktion. Nunmehr geht die Erregung wieder von neuem durch die
Kammer, doch ebenfalls wieder etappenweise. Dieser Vorgang kann
nun einige Zeit andauern, bis die Erregung auf ein Gebiet stösst, das
noch refraktär ist. Dann nimmt das Wühlen ein Ende, und die
postundulatorische Pause beginnt.
Zufolge dieser Theorie bestehen also die einzelnen Kontraktionen
beim Wühlen aus partiellen Kontraktionen. Diese letzteren kommen
dadurch zustande, dass die Erregung den Kammermuskel infolge des
schlechten metabolen Zustandes desselben ruckweise durchläuft und,
nachdem sie wieder beim Ausgangspunkt angelangt ist, aufs neue die
Runde macht. Diese Ansicht bietet gegenüber den früheren Theorien
den Vorzug, dass ihr ein rein biologischer Gedanke zugrunde liegt und
wir nicht anzunehmen brauchen, dass von einem Zentrum oder von
mehreren Zentren aus in mehr oder weniger frequentem Tempo Im-
pulse ausgesandt werden. Wenckebach, dem ich meine neuen Data
unterbreitete und meine Theorie mitteilte, lenkte meine Aufmerksam-
keit auf eine von ihm im Jahre 1907!) publizierte Kurve. In derselben
kommt eine kurzdauernde Häufung von Ventrikelsystolen vor. Wencke-
bach ist der Ansicht, dass es sich hier um partielle Kontraktionen
der Ventrikelmuskulatur handelt. Der nicht an der Systole beteiligte
Muskelabschnitt kann sich dann später kontrahieren und so zu einer
scheinbaren Superposition von Systolen führen. Während der Systole
dieses zweiten Herzteiles kann sich dann der erste Teil wieder kontra-
hieren und Systole 3 verursachen. Es ist sogar die Frage, ob, so wie
Systole 1 Systole 2 hervorrief, Systole 2 nicht wieder Systole 3 ver-
ursachen könnte. Jedenfalls vermögen meine Untersuchungen, wie
Wenckebach meint, diese Sache näher zu erläutern.
1) H. F. Wenckebach, Beiträge zur Kenntnis der menschlichen Herz-
tätigkeit. Zweiter Teil. Archiv für (Anat. und) Physiologie, Jahrg. 1907
S. 20—23 Abb. 4. 5
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse.
Von
Dr. G. Meyer, erster Assistenzarzt.
(Aus der Universitäts-Augenklinik Basel (Dir.: Prof. Dr. A. Vogt.)
Mit Tafel].
I. Einleitung.
Vorwiegend getragen durch die Ergebnisse anatomischer Linsen-
untersuchungen, galt seit Donders Tagen bis auf Hess 1905 der
Satz, dass die innere Reflexionszunahme der Linse ganz allmählich
und kontinuierlich von aussen hin nach dem Zentrum erfolge, folglich
bei Beleuchtung derselben keine unterscheidbaren Reflexionsbilder in
Erscheinung treten könnten. Einzig das vordere und hintere Linsen-
bild wurden frühzeitig erkannt als der Ausdruck einer starken, plötz-
lichen Veränderung der Brechungsverhältnisse beim Übergang des
Lichtes von der vorderen Kammer in die Linse und von der Linse
in den Glaskörper. Donders war schliesslich der Ansicht, dass ein
Ausgleich auch der geringen und ganz allmählich anschwellenden
Breehungsunterschiede beim Menschen immerhin dadurch stattfinde,
dass mit zunehmendem Alter der Brechungsindex der oberflächlichsten
Linsenschichten in stärkerem Maasse zunehme, wodurch schliesslich
selbst die geringeren Unterschiede zwischen äusseren und inneren
Partien weitgehend homogenisiert werden sollten. 1904 hat Hess
gezeigt, dass auch innerhalb der anatomisch scheinbar so gleichmässig
an Brechkraft zunehmenden Faserzonen deutliche, sprunghafte
Brechungsunterschiede bestehen müssen, so dass bei passender Be-
leuchtung und geeigneter Versuchsanordnung durch Reflexion an den
betreffenden Linsenflächen weitere Spiegelbildchen entstehen müssen !).
Die Hess’schen Untersuchungen, fortgesetzt von seinem Schüler
G. Freytag?), wurden meistens mit Hilfe einer kleinen, scharf be-
srenzten punktförmigen Lichtquelle (Osmium-Glühlämpchen) von ge-
nügender Lichtstärke vorgenommen. Eine interessante Variation, näm-
1) Gelegentlich wurde diese Erscheinung schon vorher von v. Scily,
Demicheri und anderen Autoren an senilen Linsen mit Kataraktbildung
oder mit sogenanntem doppelten Brennpunkt beobachtet.
2) G. Freytag, Arbeit zur Physiologie und Pathologie der Linse:
II. Über die Kernreflexbilder der menschlichen Linse. Archiv f. Augen-
heilkunde Bd. 34 Heft 3. 1906.
10 G. Meyer:
lich die Untersuchung mit einer leuchtenden Linie an Stelle des leuchten-
den Punktes, die der genannte Autor!) gelegentlich verwendete, soll
hier speziell erwähnt werden, insofern die dort entstehenden Spiegel-
bildehen rein äusserlich mit den an Ort und Stelle entstehenden Flächen
diffuser innerer Reflexion im Gullstrand’schen Spaltlampenbüschel
eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen. Wie Abbildung und. Beschreibung
in der erwähnten Arbeit zeigen, gelang damit der Nachweis des Horm-
hautbildehens zweier aufrechter und zweier umgekehrter Linsen-
bildchen an dem Auge einer 68 Jahre alten Frau.
Hess beschrieb bei diesem Falle die beiden aufrechten Bildchen
als deutlich voneinander gesondert, das Linsenbildchen schärfer be-
srenzt und lichtstärker sowie dem Hornhautbildchen näher wie
das andere. Das Kernbildchen verhielt sich in der Lichtstärke nur
wenig schwächer, aber von mehr diffuser Begrenzung, kürzer, stärker
gekrümmt und anscheinend breiter als das erste. Die beiden umge-
kehrten Linsenbildehen verhielten sich spiegelbildlich.
Die am Menschen gewonnenen Resultate wurden in der Folge mit
Linsenbildcehen bei anderen Vertebraten verglichen.
Aus einer Reihe von Untersuchungen zieht Hess den Schluss,
dass in der völlig normalen Linse etwa von der Mitte der zwanziger Jahre
an Spiegelbilder in der Kerngrenze so gut wie regelmässig sichtbar
sind. Ihre Lichtstärke wird mit zunehmendem Alter immer grösser.
Gustav Freytag?) führte unter Beiziehung einer binokularen Lupe
die Hess’schen Untersuchungsmethoden an 81 Personen im Alter
von 5 bis 77 Jahren systematisch durch, bei einer Minimalweite der
Pupille von 6 mm.
Deutliche Kernbildchen wies dabei zum erstenmal ein 15 Jahre
altes Mädchen auf. Im übrigen war das Verhalten.der Linse in der
Altersgruppe zwischen 14 und 24 Jahren in bezug auf die An- oder
Abwesenheit der Kernbildchen wechselnd. Das zahlenmässige Ver-
hältnis der negativen zu den positiven Befunden betrug 5:3. Be-
merkenswert blieb das öftere Fehlen des hinteren Kernbildchens bei
Anwesenheit des vorderen bis zum Alter von 30 Jahren. In den
Sechziger- und Siebzigerjahren konnte die Lichtstärke namentlich der
vorderen Kernbilder diejenige der Rindenbildchen nahezu erreichen.
Freytag betont schliesslich die sozusagen konstante Übereinstimmung
beider Augen eines Individuums in ihrer Linsenreflexion.
Aus der Verwaschenheit der Kernbildchen folgert Hess, dass zwar
der Übergang zwischen Rinde und Kern mehr sprunghaft als kon-
1) ©. v. Hess, Über Linsenbildchen, die durch Spiegelung am Kerne
der normalen Linse entstehen. Archiv f. Augenheilkunde, Sep.- Abar.
S. 375—888. 1905.
2)S. Anm. 2 8.9.
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. 11
tinuierlich sei (dass die Indizialkurve stufenweise ansteige), dass aber
diese Grenzfläche nicht scharf und plötzlich einsetzen könne, sondern
doch mehr einen allmählichen Übergang nehme. (Man vergleiche
hierzu Vogt!), Zur Kenntnis der Alterskern-Vorderfläche der mensch-
lichen Linse, S. 97£.)
Über das Zustandekommen des vorderen Rindenbildehens äussert
sich Hess dahin, dass dieses nicht lediglich durch Reflexion der vorderen
Kapsel zustande komme, sondern dass Kapsel, Epithel und vordere
Rindenfasern — aber wohl keine tieferen Schichten — daran beteiligt
seien.
Es soll hier doch besonders hervorgehoben werden, was auch Hess
betont, dass alle diese Linsenbildehen durch Spiegeln an gekrümmten
Flächen entstehen, ihre Lokalisation als Spiegelbilder überhaupt un-
sicher ist.
Den früheren Untersuchungsmethoden gegenüber bedeutet nun die
Spaltlampenmethode eine ganz wesentliche Verbesserung in mehreren
Beziehungen. Ihre‘ Anwendung zur Untersuchung der feinen und
komplizierten inneren Linsenstrukturen (im optischen Sinne) kann nur
‘erwünscht sein; bietet sie doch mit neuen Mitteln eine Bestätigung
und Vervollkommnung des bisher Erreichten. Ihr Prinzip ist ein
völlig verschiedenes.. Im optischen Querschnitt der verschiedenen
durchsichtigen Medien erzeugt das Strahlenbündel an Ort und Stelle
eine innere, die Diskontinuitätsflächen viel getreuer wiedergebende
Reflexion.
II. Bisherige Untersuchungen mit der Spaltlampe.
Schon Gullstrand?) war es aufgefallen, dass das Lichtbüschel
der von ihm in die Ophthalmologie eingeführten Spaltlampe beim
Passieren der Linse nicht gleichmässig aufleuchtete. Er äussert sich
darüber in folgendem Satze:
„In: der Linse sind, unter anderem die De ierachen:
wo die Hess’schen Kernbildchen entstehen, durch zwei Maxima
der diffusen Lichtreflexion kenntlich.“
Doch Gullstrand widmete sich nicht weiter dem Studium dieser
Erscheinungen.
Eingehender beschäftigte sich Vogt in seiner Arbeit: ‚Der
Embryonalkern der menschlichen Linse und seine Beziehungen zum
1) A. Vogt, Zur Kenntnis der Alterskernvorderfläche der menschlichen
Linse, mit besonderer Berücksichtigung der C. v. Hess’schen Anschauungen.
Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde Bd. 61 S. 90—101. 1918.
2) A.Gullstrand, Demonstration der Nernstspaltlampe. Bericht über
die 37. Vers. der ophthalm. Ges. Heidelberg S. 374. 1911.
12 G. Meyer:
Alterskern‘‘!) mit den Diskontinuitätsflächen. Für das mittlere Alter
gelang es ihm, nicht nur zwei, sondern eine ganze Reihe innerer
Diskontinuitätsflächen der Linse nachzuweisen, die an Hand von Naht-
systemen genauer bestimmt wurden als:
1. die Rindenvorderfläche,
2. die Alterskernfläche,
3. die Embryonalkern-Vorderfläche,
4. die Embryonalkern-Hinterfläche.
5. die hintere Alterskernfläche,
6. die Rindenhinterfläche.
Bei Kindern liessen sich nur vier dieser Flächen nachweisen, indem
die Alterskernflächen ausfielen. Vom ersten bis vierten Jahrzehnt fand
Vogt die Embryonalkernflächen deutlicher und lichtstärker als die
Alterskernflächen. Mit zunehmendem Alter, vom 45. bis 50. Jahre an,
kehrten sich die Verhältnisse um.
Im siebten bis neunten Jahrzehnt pflegen im Spaltlampenbüschel
die ‚Streifen der vorderen und hinteren Alterskernoberfläche am licht-
stärksten zu erscheinen.
In der gleichen Arbeit !) wird auch die zunehmende Gelbfärbung
der verschiedenen Diskontinuitätsflächen in Stufenfolge von vorn nach
hinten beschrieben und am intensivsten-in der hinteren Linse gefunden,
steiler Lichteinfall vorausgesetzt.
In einer neuen Reihe von Untersuchungen versuchte Vogt?) ins-
besondere die peripheren Enden dieser Diskontinuitätsflächen, ihre
topographischen Beziehungen zueinander und zum Linsenäquator zu
überblicken, durch Wandernlassen des Lichtbüschels in den ver-
schiedensten Richtungen, durch die sogenannte Abtastungsmethode
der Spaltlampenuntersuchungen bei maximaler Pupillenerweiterung.
Dabei wird eine deutliche Divergenz der Oberflächen- und der
Alterskernstreifen in ihren äquatorialen Teilen in allen Fällen nach-
gewiesen. Deutlich tritt auch die stärkere Krümmung der Hinter-
fläche gegenüber der vorderen in Erscheinung. Sind die Alterskern-
streifen stärker gekrümmt als die Oberflächenstreifen, so tritt dieses
Verhältnis noch stärker zutage zwischen Alterskern- und den im
System jeweils am stärksten gekrümmten Embryonalkernstreifen.
Die letztgenannten Streifen zeigen nach Vogt äquatorialwärts
wenigstens in der Jugend eine dunkle Lücke, die sich zentral im
Embryonalkerngebiet als vertikale lichtschwache Zone durch den
ganzen Embryonalkern ununterbrochen verfolgen lässt. Sie bedingt
1) A. Vogt, Der Embryonalkern der menschlichen Linse in seinen Be-
ziehungen zum Alterskern. Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde Bd. 59
3.463. 1917.
2) 8. Anm. 18. 11.
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. 13
die charakteristische Sammelform der verwaschenen Embryonal-
kernflächen. Im Alter konfluieren die Alterskernstreifen peripher.
Die hintere Embryonalkernfläche wird. als durchweg lichtstärker
angegeben. Umgekehrt fand Vogt den vorderen Alterskernstreifen in
der Regel lichtstärker als den hinteren.
Sehr interessant dürfte die Beobachtung Vogts!) sein, dass bei
geeigneter Untersuchungsmethode ausser diesem Hauptsystem der
Diskontinuitätsflächen noch eine Menge konzentrisch angeordneter
lichtschwächerer Streifen zweiter Ordnung in Erscheinung treten kann,
namentlich bei jüngeren Individuen. Anatomisch müsste sich daraus
die Notwendigkeit eines lamellären Aufbaues der Linse aus zwiebel-
schalenartig konzentrisch angeordneten Faserschichten ergeben, wie
dies durch die bekannten Mazerationsversuche — neuerdings ins-
besondere A. E. Meyers?) — an Leichenlinsen sehr wahrscheinlich
semacht wurde. Historisch würde damit die neuere, durch Rabls
Forschungen gestützte Lehre vom ausschliesslich radiären Bau der
Linse zugunsten der älteren Anschauungen modifiziert werden. Wie
schon oft in dem Entwicklungsgang unserer Kenntnisse in den Natur-
wissenschaften, würde demnach einem schroffen ‚„Entweder-Oder‘ ein
versöhnliches ‚‚Sowohl-als auch“ in der anatomischen Struktur der
Linse nachfolgen. Über diese Streifen zweiter Ordnung selbst äussert
sich Vogt!) dahin: dass bei geeigneter Spaltlampeneinstellung ihre
grösste Deutlichkeit vorwiegend bei Personen jugendlichen Alters
erreicht wird. Dabei pflegte die eine oder andere dieser zentral stets
zunehmend stärker gekrümmten Flächen durch grössere Lichtstärken
hervorzutreten. Nahtsysteme in den sekundären Streifen wurden meist
vermisst, eine Verdoppelung de embryonalen Streifen als besonders
häufig angegeben.
Endlich wird das Auftreten dieser konzentrischen lichtschwächeren
Streifen zweiter Ordnung nicht nur im Rinden-, sondern auch im
Embryonalkerngebiet nachgewiesen.
Unter dem Titel: ‚Die Diskontinuitätsflächen der normalen mensch-
lichen Linse‘ brachte Vogt?) vor kurzem eine Vervollständigung
‚ seiner bisherigen Untersuchungen. Es zeigte sich eine weitere typische
Fläche, so dass die Zahl der Diskontinuitätsflächen des erwachsenen
Menschen nunmehr auf zehn erhöht ist, nämlich:
5), Ss. Anm. 1 Ss. IM.
2) E. A. Meier, Experimentelle Untersuchungen über den Mazera-
tionszerfall der menschlichen und der tierischen Linse. Inaug.- Dissert.
Basel 1918.
3) A. Vo st, Die Bm der lebenden menschlichen Linse mit
Gullstrand’scher Spaltlampe und binokularem Zeiss’schem Corneal-
‘ mikroskop. Bericht der Heidelberger Ophthalmolog. Ges. 1918.
14 | G. Meyer:
. die Vorderkapsel-Epithel-Rindenzone,
. die sogenannte vordere Abspaltungsfläche,
. die vordere Alterskernfläche,
. und 5. die vordere erste und zweite Embryonalkernzone,
. und 7. die hintere zweite und erste Embryonalkernzone,
. die hintere Alterskernfläche,
. die hintere Abspaltungsfläche,
10. die hintere Rindenkapselzone.
oo rwDND —
de)
Die vordere Abspaltungsfläche wird nur bei Kindern und jugend-
lichen Erwachsenen deutlich gefunden. Im höheren Alter rückt die-
selbe an den Rindenstreifen heran, bis zur Verschmelzung. Auch
wird in der Regel eine ganz allmähliche axiale Annäherung bis zur
Verschmelzung konstatiert. Besonders hervorgehoben wird seine Fein-
heit und Lichtstärke sowie die deutliche Divergenz nach der Peripherie,
verglichen zum Oberflächenstreifen. Eine entsprechende hintere Ab-
spaltungszone wird von Vogt-in vielen Fällen ebenfalls beobachtet.
In der vorderen Alterskernfläche wird mit zunehmendem Alter
eine von der Kindheit ansteigende Lichtstärke konstatiert sowie auf
Verschiedenheiten in Helligkeit, Krümmungsradius, sagittaler Dicke
und Oberflächenabstand hingewiesen, in dem Sinne, dass mit zu-
nehmendem Alter die Helligkeit des Streifens, Krümmungsradius und
axiale Distanz vom Rindenstreifen zunehmen, unter gleichzeitiger Ver-
breiterung des Streifens. Die Alterskernzone bei Jugendlichen liess
sich zuweilen zuerst nur peripher nachweisen; in den axialen Partien
kam sie noch nicht zur Beobachtung.
Das zentrale lichtschwache Gebiet zwischen den beiden innersten
(zweiter vorderer ünd zweiter hinterer) Embryonalkernstreifen nennt
Vogt „Zentrales Intervall“. Dabei ist der zweite hintere Embryonal-
streifen wohl stets sehr lichtstark und mit unbewaffnetem Auge bei
Spaltlampenbeleuchtung leicht nachweisbar. Er enthält als Naht das
stark reflektierende umgekehrte Ypsilon (A = Lambda-Naht), das
sich vom lichtschwächeren vorderen, wie Vogt schon anderwärts aus-
führte, ausserdem in seiner Grösse auszeichnet.
Schliesslich hebt Vogt!) die Überlegenheit der Gullstrand’schen
Methode in der Linsenphysiologie und Linsenpatholosie, verglichen zu
den früher geübten Verfahren, hervor, indem sich nunmehr mit der
Spaltlampe die Diskontinuitätsflächen direkt sehen lassen, während
die älteren Untersuchungsmethoden die Frage notwendigerweise offen
lassen mussten, ob der verwaschene Lichtfleck der Kernbildchen einer
einzigen oder aber mehreren nahe beieinander liegenden Grenzflächen
seinen Ursprung verdanke. Nach Vogt war es den bisherigen Unter-
1) S. Anm. 3 8. 12.
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. 15
suchern, die sich der Spiegelbildchen bedienten, unmöglich, zu ent-
scheiden, welche dieser Flächen die lichtstärkere sei oder in welchem
Abstand von der Linsenvorderfläche dieselben vergleichsweise zu
lokalisieren wären. Wenn der erste Nachweis der Kernbildchen bisher
erst mit Ende derzwanziger Jahre gelang, so zeigten sich mit der neuen
Methode die Diskontinuitätsflächen schon in früher Jugendzeit.
III. Technik der Untersuchungen.
A. Allgemeines.
Über das Wesen der Spaltlampe und der Beschaffenheit ihres Licht-
büschels ist von ihrem Erfinder!) selbst berichtet worden. In An-
lehnung an. die Gullstrand’schen Untersuchungsmethoden gibt
H. Erggelet?) 1914 eine schematische Skizze des Strahlenganges
durch die Linse bei scharfer Einstellung des Spaltbildes der Nernst-
spaltlampe auf die vordere Linsenkapsel.
„Nach einem dunkeln Zwischenraum, entsprechend der optisch
leeren Vorderkammer, sieht man das schmale Spaltbild auf der
vorderen Kapsel. Weiterhin lässt sich der Weg der jetzt divergierenden
Lichtstrahlen als graues Band durch die Linse verfolgen, bis es hinter
der Iris verschwindet.“
Grosser Wert wird bei der Beschreibung des Jenenser Instrumen-
tarıums den Henker’schen Hilfsapparaten beigelegt, nämlich dem
Beleuchtungsarm am schwenkbaren Doppelarm, der Kinn- und Stirn-
stütze. Zur mikroskopischen Untersuchung wird das Cornealmikroskop
herbeigezogen.
Auch Vogt verwendete diese Apparatur. Eine genauere Be-
schreibung der Untersuchungstechnik gibt er in den Klinischen Monats-
blättern für Augenheilkunde 1918°), auf die auch für die vorliegende
Arbeit verwiesen sei. Von grosser Wichtigkeit bei allen Spaltlampen-
untersuchungen erweist sich, wie schon Erggelet?), Köppe*) und
1) A. Gullstrand, Die reflexlose Ophthalmoskopie. Archiv f. Augen-
heilkunde Bd. 68 S. 101-144. 1911.
2) H. Erggelet, Klinische Befunde bei lokaler Beleuchtung mit der
Gullstrand’schen Nernstspaltlampe. Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde
Bd. 62 S. 449. 1914.
8) 8. Anm. 1 S. 11.
4) L. Köppe, Die Fortschritte in der Arsndmne der Gullstrand-
schen Nernstspaltlampe nebst Bemerkungen über die ophth.-optische sowie
praktisch-technische Grenze dieser Untersuchungsmethode. Zeitschr. f. ophth.
Optik Heft 6. 1918.
Ferner fanden Berücksichtigung: C. v. Hess, Pathologie und Therapie
des Linsensystems. In Gräfe-Saemisch, Handbuch der gesamten Augen-
heilkunde, III. Aufl. S. 9—14, 19—30. Leipzie 1911. — Rabl, Über den
Bau und die Entwicklung der Linse. Leipzig 1900.
16 G. Meyer:
Vogt!) betonen, eine längere Dunkeladaptation des Beobachters in
völlig dunkelm Raum.
Für die Fernhaltung störenden Nebenlichtes sind sowohl von Köppe
wie von Vogt besondere Vorrichtungen getroffen worden. Vogt®L)
betont, dass die Gullstrand’sche Spaltlampendurchleuchtung der
menschlichen Linse insofern eine völlig neue klinische Untersuchungs-
methode darstelle, als es sich nicht, wie bei dem Hess’schen Linsen-
bildchennachweis, um eine blosse Spiegelung handle, sondern um an
Ort und Stelle sichtbar werdende Maxima innerer Linsenreflexion mit
dementsprechend viel genauerer topographischer Orientierung. Ver-
schiedene Autoren haben für den Weg des Strahlenbüschels als scheinbar
zweidimensionale Fläche durch die durchsichtigen optischen Medien
die Bezeichnung ‚optischer Querschnitt“ in die Ophthalmologie ein-
geführt. ‚„Scheinbaren optischen Querschnitt“ nennt ihn Erggelet?°)
in Anbetracht seiner in Wirklichkeit dreidimensionalen Ausdehnung.
Bei schärfster Einstellung des Strahlenbüschels in der Gegend seiner
engsten Einschnürung und bei möglichst enger Lichtspalte — 4, bis
1, mm — kann praktisch auf eine kurze Strecke das erzeugte Spalt-
bild als eine ebene Fläche betrachtet werden. Es hat diese Tatsache
im folgenden insofern eine gewisse Bedeutung, als sie gestattet, die
scheinbaren Flächen der einzelnen, in Wirklichkeit räumlichen Dis-
kontinuitäts- oder Reflexionsstreifen in ihren Breiten oder — besser —
Mächtiskeitsverhältnissen unmittelbar miteinander zu vergleichen,
unter. Voraussetzung gleichen Einfallwinkels und Beobachtungswinkels
und bei Wahl eines möglichst axial durchfallenden Spaltlampen-
büschels.
Wichtiger erwies sich die Wahl des optimalen Einfall- und Be-
obachtungswinkels in bezug auf die Streifenbreite und maximale
Helligkeit. Nach Vogt!) ist die Reflexion für den Beobachter am
intensivsten, wenn der Hauptausfallswinkel zusammenfällt mit der be-
obachteten Richtung. In Anbetracht des kleineren Krümmunssradius
jeder zentralwärts folgenden Diskontinuitätstfläche muss notwendiger-
weise bei gleicher Einfallsrichtung und gleicher Blickrichtung des
Mediums das Maximum der Reflexion jeder folgenden Diskontinuitäts-
fläche in etwas anderer Beobachtungsrichtung liegen. Endlich bleibt
noch hervorzuheben die Notwendigkeit der Wahl eines axialen optischen
Querschnittes zur Übersicht, weil dadurch allein die Bedingung ge-
geben ist, dass sämtliche vorhandenen Reflexionsänderungen mehr oder
weniger sprunghafter Natur in ihren Beziehungen zueinander auf einmal
in Erscheinung gebracht werden können.
1) 8. Anm. 1 8. 11.
2) 8. Anm. 3 8. 13.
3) S. Anm. 2 8. 15.
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. |
[I]
Eigentlich teilt sich das Spaltlampenbüschel:
1. in eine dem Licht zugewendete Fläche, welche als die Dis-
kontinuitätsfläche im engeren Sinne bezeichnet werden kann,
2. in die Reflexion der in sagittaler Richtung unmittelbar an-
schliessenden Linsensubstanz, welche eine vermehrte innere Reflexion
aufweist. Wir können uns dieselbe vielleicht zusammengesetzt denken
aus einer Anzahl feinster Flächen, die, parallel geschichtet, sich an die
erstgenannte Fläche anschliessen. Wenn wir also von Diskontinuitäts-
flächen sprechen, so verstehen wir darunter Zoren von einer bestimmten
Dicke in radiärer Richtung.
B. Spezielle Untersuchung.
Die einzelne Untersuchung erfolgte wenn möglich beidseits sowohl
an gesunden wie an kranken Augen, nach der von Vogt!) bereits
andernorts beschriebenen Methode bei möglichst fein gewählter Licht-
spalte. Dabei wurden die ersten 20 Fälle bei einer Spaltenweite von
über 1 mm auf ihre Diskontinuitätsflächen untersucht, was sich in
der Folge als wenig zweckmäßig erwies. Die so gewonnenen Resultate
zeigten im allgemeinen. stärkere diffuse Reflexion des ganzen Linsen-
systems bereits bei Jugendlichen. Die Begrenzung der einzelnen
Reflexionsstreifen blieb verwaschen; feinere Details wurden zuweilen
übersehen wegen der allzu großen Lichtfülle des optischen Quer-
schnittes. Es gelang uns so nicht, den für gewisse Altersklassen sehr
charakteristischen vorderen und hinteren Abspaltungsstreifen getrennt
von der Kapselreflexion nachzuweisen. Diese ersten 20 Fälle wurden
daher in der Arbeit nicht verwertet.
Für alle nachfolgenden Untersuchungen wurde die Spaltweite auf
1, bis höchstens %, mm verringert. Da die Vogt’schen Untersuchungen
durchweg mit Hilfe des Cornealmikroskopes erfolgten, so schien es
wertvoll, die Beobachtungen zuerst nur makroskopisch oder mit Hilfe
einer einfachen, 3—4fach vergrößernden Lupe vorzunehmen. Damit
konnte eine Übersicht der topographischen Verhältnisse des gesamten
reflektierenden Linsenstreifens auf einmal und ohne Änderung der
Apparatur in übersichtlicher Weise vorgenommen und. skizziert werden.
Am Schlusse erfolgte als ergänzende Kontrolle die Besichtigung des
optischen Linsenquerschnittes vermittelst der 10—24fachen Ver-
größerung des Cornealmikroskopes. Maassgebend zu diesem Vorgehen
waren Erfahrungen am Mikroskope bei morphologischen Studien, das
Verhältnis der linearen Vergrösserung zur Übersichtlichkeit der Objekte
im Gesichtsfelde betreffend. Es zeigte sich dabei, dass die Leistungs-
fähigkeit der Gullstrand’schen Spaltlampe allein schon eine un-
DS. Anm.T S 12 u.s.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178 uNZ
18 G. Meyer:
erwartet grosse war. Schliesslich konnte eine Untersuchung mit ver-
schiedenen Mitteln zur Deutung dieser feinen optischen Struktur-
differenzen nur erwünscht sein. Im allgemeinen deckten sich dabei
die makroskopisch oder mit Lupenvergrösserung gewonnenen Resultate
an der Spaltlampe mit der Beobachtung bei 24facher Vergrösserung
mit binokularem Cornealmikroskop. Die von Vogt beobachteten
Diskontinuitätsflächen zweiter Ordnung waren dagegen mit Zuhilfe-
nahme des erwähnten Instrumentes viel öfter, zahlreicher und deut-
licher nachweisbar. Die scheinbar homogen dunkeln (optisch leeren)
Zwischenzonen zeigten alsdann oft noch eine feinste lamelläre Struktur
aus helleren und dunkleren Streifen. Zur genauesten Lokalisation der
einzelnen Linsenstreifen endlich in bezug auf Nahtsysteme, Kem-
vorderfläche, Linsentrübungen leistete das Cornealmikroskop die wert-
vollsten und zuverlässigsten Dienste. Sämtliche beobachteten Fälle
mit Ausnahme zweier absoluter Glaukome erfolgten in maximaler
Atropin- oder Homatropin-Kokainmydriasis, im Dunkelzimmer oder
nach genügender Dunkeladaption des Beobachters unter Anwendung
von Kinn- und Kopfstütze und bei ruhiger Fixation eines in der Ferne
angegebenen Zieles. Zur Untersuchung des rechten Auges wurde die
Spaltlampe am schwenkbaren Hebelarm nach Henker seitlich und
vorn auf die gleichnamige Seite des Untersuchten und das Licht-
büschel auf die Cornea gebracht. Den linken Ellenbogen auf den Tisch
des Stativs gestellt, reguliert die linke Hand die aplanatische Oph-
thalmoskoplinse an der Schraube des Linsenhalters nach vorheriger Ein-
stellung des Lichtbüschels auf das Cornealniveau. Sehr wichtig ist
nunmehr, die richtige Zentrierung des Nernstleuchtkörpers voraus-
gesetzt, die Einstellung des scharfen lichtstarken Spaltbildes auf die
Linsenvorderfläche, speziell auf den intensiv weisslichen sogenannten
Linsenkapselreflex und sukzessive tiefer unter gleichzeitiger Regulation
der Lichtspalte auf Y, mm unter Berücksichtigung der jeweiligen
Beobachtungsrichtung im obenerwähnten Sinne.
Die scharflinige Begrenzung des maximal reflektierenden vorderen
Kapselstreifens scheint uns ein zweckmässiges Kriterium optimaler
Einstellung des Lichtbüschels auf die Linsenvorderfläche zu bieten.
Eine neue Verschiebung der Ophthalmoskoplinse am Linsenhalter ist
praktisch erst für die tieferen Teile des hinteren Embryonalkern- und
Alterskern-Rindengebietes durchaus nötig. Unter Berücksichtigung
des im allgemeinen Teile über die Gullstrand’schen Diskontinuitäts-
flächen Ausgeführten wählten wir die scheinbare Breite des stets
sehr scharf begrenzten vorderen Kapselstreifens als Maass zur Be-
urteilung der relativen Mächtigkeit aller nachfolgenden Streifen, ins-
besondere des Alterskernstreifens und der „optisch leeren‘ Linsen-
zwischenräume.
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. 19
Als Kriterium eines annähernd axialen optischen Linsenquerschnittes
wurde das gleichzeitige helle Aufleuchten der beiden Embryonalkern-
nähte mit den zugehörigen zentralen Reflexionsstreifen verwertet. Der
leicht gelingende makroskopische Nachweis bis ins hohe und höchste
Alter wenigstens des hinteren Ypsilons bei normalen Linsen kommt
uns hierbei sehr zustatten.
Eine Verschiebung nach der Seite, eine ebensolche nach oben
oder beide Vorgehen vereint machen es uns möglich, sukzessive Streifen
um Streifen gleichsam wie in anatomischen Serienschnitten aneinander-
zulegen, wie dies Vogt für die peripheren Linsenteile bereits aus-
führte. Diese letzteren bleiben auch bei stärkster Mydriasis in ihren
äußersten Teilen natürlich einer Spaltlampenuntersuchung unzugäng-
lich, weil von der Iris bedeckt. Die Iris beschränkt schliesslich auch die
Wahl des Einfallswinkels für die tieferen Linsenpartien; bei streifender
Inzidenz des Lichtes und dementsprechend sehr stumpfem Einfalls-
winkel kommen bei Betrachtung von vorne oder bei Beobachtung im
rechten Winkel zum einfallenden Lichtbüschel die tiefsten Linsen-
partien ebenfalls hinter das Diaphragma der Iris zu liegen. Eine Aus-
nahme machen natürlich die Iriscolobome. Eine horizontale Aufnahme
eines axialen Linsenquerschnittes gestattet die derzeitige Spaltlampen-
montur leider nicht. Theoretisch müsste derselbe bei dem ausgesprochen
radiär-symmetrischen Bau der Linse verglichen zu einem vertikalen
optischen Querschnitt völlig identisch ausfallen?).
IV. Epikrise.
Eine tabellarische Zusammenstellung der 102 auf die Diskontinuitäts-
flächen untersuchten Personen der Linse zeigt uns, dass in allen Fällen
bis zurück ins zarteste Kindesalter anscheinend ausnahmslos gewisse
Reflexionsstreifen sich nachweisen lassen, als der Ausdruck mehr oder
weniger sprunghafter Änderungen der Brechungsindizes scheinbar
homogener Linsenteile. Dabei ist die Zahl dieser Flächen zunächst
geringer als bei Erwachsenen und inkonstant. Ihre Einreihung ist
eime schwierige; die Reflexion ist allgemein schwächer und. diffuser.
Mit zunehmendem Alter, anscheinend in oft ziemlich kurzen Zeiträumen,
werden sie lichtstärker, verbreitert und schärfer konturiert, zuweilen
konfluierend. Neue Streifen treten in bestimmten Lebensabschnitten
auf; andere scheinen zu verschwinden oder mit anderen Systemen
zu verschmelzen. Bestimmten Lebensaltern entspricht anscheinend
ein ziemlich konstanter optischer Querschnitt aller Diskontinuitäts-
I) Anmerkung. Raumersparnisse halber wird hier von einer weiteren
Veröffentlichung der in der gleichnamigen Dissertationsschrift in extenso
eingefügten Untersuchungstabelle Abstand genommen. Die nachfolgenden
Ausführungen beziehen sich ausschliesslich auf dieselbe.
DE:
o
20 °@. Meyer:
flächen. Die Intensität der Reflexion nimmt dabei bis ins höchste
Alter mehr und mehr zu. Ein zahlenmässiges Verhältnis über die
Häufigkeit und anscheinende Konstanz ihres Erscheinens, eine Re-
konstruktion des ganzen Linsenbaues in den verschiedenen Lebens-
abschnitten soll im folgenden versucht werden.
Mit Vogt zählen auch wir bei unseren Untersuchungen zehn ver-
schiedene Diskontinuitätsflächen auf:
A. Morphologie der einzelnen Diskontinuitätsflächen in ver-
schiedenen Lebensaltern.
1. Vorderer Kapselstreifen.
Der vordere Kapselstreifen ist in allen untersuchten Fällen also
in 100%, vorhanden, ist stets sehr lichtstark und intensiv weisslich
reflektierend, nach vorn und hinten immer scharf begrenzt. In der
Jugend, weitaus am lichtstärksten, scheint er im höheren Alter fast
durchweg von Alterskernstreifen überholt zu werden. Im letzteren
Falle zeigt seine hintere Begrenzung zuweilen eine feine wellige Riffelung
auch in Fällen, da ein vorderer Abspaltungsstreifen noch deutlich
nachweisbar ist.
Das regelmässige Vorkommen des Kapselstreifens, seine auffallende
Konstanz in der scheinbaren Dicke bei früher erwähnten Unter-
suchungsbedingungen, seine scharfe Begrenzung bei hoher Lichtstärke
lassen ihn vergleichsweise als relatives Maass geeignet erscheinen, wie
dies schon oben ausgeführt wurde. In diesem Sinne soll er denn auch
im folgenden unter allem Vorbehalt für die scheinbare Mächtigkeit
des Alterskernstreifens als Maasseinheit verwendet werden. Stellt man
die Haupteinfallsrichtung des Lichtbüschels bei möglichst grossem
Einfallswinkel scharf auf die vordere Kapselfläche ein, eventuell unter
leichter Hin- und Herbewegung des Linsenarmes, so kann man bei
geeigneten Fällen Teile des Kapselreflexes plötzlich intensiv silberweiss
reflektieren sehen. Innerhalb dieser scheinbar:spiegelnden Partie findet
man. dabei öfters.und namentlich deutlich bei älteren Individuen schon
von blossem Auge, besonders schön aber bei 3—4facher Lupen-
vergrösserung, eine prächtig silberweiss aufleuchtende, vorwiegend
grubig-längs- oder schrägstreifige Struktur mit entsprechender nega-
tiver dunkler Felderung, beide von sehr zarter und zierlicher Beschaffen-
heit. Die betreffenden Individuen zeigten sonst keine pathologische
Beschaffenheit der Linse. Über die Deutung dieser Erscheinung wage
ich mich vorläufig nicht auszusprechen. Bei ihrer makroskopischen
Sichtbarkeit dürfte sie wohl nicht direkt mit dem Linsenchagrin in
Beziehung stehen. Um nach einer Analogie in der Natur zu suchen,
steht sie vielleicht als gröbere Faserstruktur mit dem Linsenchagrin
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. 31
[4
in irgendeiner Beziehung, etwa so, wie die grobe, grubig-längs- oder
querstreifige Struktur mancher Bryophytenperistome bei. schwacher
Vergrösserung mit deren feineren papillösen Zeichnung bei starker
Vergrösserung.
2. Die vordere Abspaltungssfläche.
Wie Vogt hervorhebt, ist die vordere Abspaltungsfläche nur bei
Kindern und jugendlichen Erwachsenen deutlich. Von 102 Unter-
suchten liess sie sich in 82 Fällen sicher nachweisen, also in 80%;
20% blieben unsicher oder fehlend. Unter diesen letzteren waren
nur drei im Alter unter 45 Jahren mit negativem Befund, ohne näher
erklärbare Ursache. Die negativen Befunde im Alter von 45 bis
74 Jahren zeigten mehr oder weniger stark ausgesprochenes’ Alters-
kernrelief. Die Farbe des Reflexionsstreifens war in der Regel rötlich-
weiss, in 70%, aller Untersuchten. Dabei war die Reflexion, wie schon
Vogt betonte, lichtstark, der Streifen schmal. Die. Streifendicke
betrug in den. Fällen mit rötlich-weissem Reflex durchschnittlich nur
%—1/, der Kapselstreifenbreite. Die vordere und namentlich die
hintere Grenze war sehr oft mit zunehmendem Alter feinst krenuliert
bis feinwellig bei schwacher. Lupenvergrösserung. Nach Vogt ist der
vordere Abspaltungsstreifen im axialen Teile sehr oft nicht vom Kapsel-
streifen getrennt. Diese Beobachtung lässt sich oft machen, je steiler
der Einfall des Lichtbüschels gewählt wird. Bei streifender Inzidenz
des Lichtes wird. aber meistens die schmale, peripher deutlich divergente
dunkle Trennungslinie auch axial durchgehend, und wohl ausnahmslos
gelingt es beim Wandernlassen der Lampe nach der Peripherie und
oft nur dort, den scheinbar einfachen Kapselstreifen in einen Kapsel-
und in einen Abspaltungsstreifen. von typischem Verhalten aufzulösen.
Im höheren Alter macht es den Anschein, als ob der vordere Ab-
spaltungsstreifen mit dem Alterskernstreifen bzw. mit dessen welliger
Vorderfläche in Beziehung treten würde.
3. Der vordere Alterskernstreifen.
Die Anwesenheit des vorderen Alterskernstreifens wurde im ersten
Jugendalter mit Sicherheit bei einem sechsjährigen Mädchen mit
Hypermetropie und Strabismus convergens beobachtet. Wahrschein-
lich sind auch die zwei Untersuchungsresultate von zwei Fünfjährigen
hierzuzurechnen; doch lässt sich bei dem breiten dunkeln Abstand von
vorn und dem Fehlen eines zweiten parallelen Streifens weiter hinten
nicht mit Sicherheit sagen, ob die leicht gelblich reflektierende, schmale
und diffuse Diskontinuitätsfläche dem Alterskern oder aber dem ersten
(peripheren) vordern Embryonalkern zuzuschreiben ist. Der Farbton
derselben würde eher zugunsten des vorderen Alterskernstreifens
22 G. Meyer:
sprechen. Bei dem sechsjährigen Mädchen dagegen sind beide Systeme
deutlich nachweisbar. Damit ist die Deutung einwandfrei. Vom achten
Lebensjahre an lässt sich der Alterskernstreifen häufiger und häufiger
nachweisen, wird aber in einem Falle selbst im zwölften Lebensjahre
noch vermisst, um von da weg bei keiner Untersuchung mehr zu fehlen.
Im allgemeinen scheint der Zeitraum vom achten bis zehnten Lebens-
jahre bestimmend zu sein für das Deutlichwerden der gesamten Dis-
kontinuitätsfläche. Dabei ist die Reflexionsfarbe, für die in den mittleren
und höheren Altersstufen ein rötliches Gelb bis Orange charakteristisch
ist, wie dies auch Vogt durch seine Untersuchungen angibt, bis zur
vollendeten Reife auffällig wechselnd zwischen Weisslich, Gelblich, Gelb,
Gelbrötlich bis Grüngelb in allen Nuancen. Wenige Fälle im mittleren
und höheren Alter fielen auf durch weissliche oder bleichgrüne Reflexion
des vorderen, bei leuchtendem Gelbrot oder Orange des hinteren Alters-
kernstreifens.
Die Lichtstärke des Alterskernstreifens ist in der Kindheit bis zum
zwölften Lebensjahre in der Regel sehr gering, die Begrenzung diffus.
Etwa bis zum 25. Lebensjahre, d. h. bis zur Vollendung auch des letzten
Längenwachstums, ist der vordere Kapselstreifen stets deutlich licht-
stärker als der vordere Alterskernstreifen; die Konturen des letzteren
werden ungefähr von diesem Zeitraum an langsam deutlicher und
schärfer. In ziemlich jähem Übergang — zwischen dem 23. und
25. Lebensjahre durchschnittlich — tritt nun die Inversion ein; die
Reflexion des Alterskernstreifens ist von da an mindestens so stark
wie die des vorderen Kapselstreifens, und mit zunehmendem Alter
weist sie überhaupt die grösste Lichtstärke des gesamten Systems
auf. Aus unserer Tabelle berechnen wir mit allem Vorbehalt wegen
des geringen statistischen Materials für den Alterskernstreifen folgende
Werte: Zahl der Untersuchten 102 = 100%, davon mit Alterskern-
streifen 9] = 90%, (die unsicher klassifizierten Streifen mitgerechnet),
ohne Alterskernstreifen 11 Fälle = 10%.
Zahl der untersuchten bis zu acht Jahren (inkl.) 15 = 100%,
davon mit Alterskernstreifen 6 = 40 %,, ohne Alterskernstreifen 9= 60%
Zahl der Untersuchten bis zu zwölf Jahren (inkl.) 23 = 100%.
davon mit Alterskernstreifen 17 = 60,7%, ohne Alterskernstreifen
Magen ,
Zahl der Untersuchten vom 9. bis 12. Lebensjahre (inkl.) 13 =
100%, davon mit Alterskernstreifen 11 = 84,6%, ohne Alterskern-
streifen 2 = 15,4%. |
Bis zum zurückgelegten achten Lebensjahre ist demnach das Fehlen
des Alterskernstreifens eher die Regel. Zwischen dem neunten und
zwölften lässt sich in ?/, aller Fälle eine entsprechende Diskontinuitäts-
fläche nachweisen. Vom 13. Lebensjahre an berechnet sich ihre An-
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. 23
wesenheit auf 100%. Bei 91 Untersuchten mit positivem Befund
wurde die leuchtende Gelb- bis Orangefärbung 55mal oder in 60%
gefunden, bei 45 Untersuchten im Alter bis zu 25 Jahren in 10 Fällen
oder 22,2%, vom 26. bis 74. Lebensjahre in 46 Fällen 44mal oder
in 90%, d. h. vom zurückgelegten 25. Jahre an ist die Gelbfärbung
des vorderen Alterskernstreifens fast konstant nachweisbar.
Berechnen wir auf die gleiche Zahl von 46 Untersuchten im Alter
von 26. bis 74 Jahren das Lichtstärkenverhältnis der beiden vorderen
Diskontinuitätsflächen, so finden wir den Kapselreflexionsstreifen nur
in vier Fällen lichtstärker, also in 8,7%. In 91,3% ist die Alters-
kernfläche nunmehr mindestens ebenso lichtstark oder lichtstärker,
d. h. in einem Zahlenwerte, der dem der Gelbfärbung sehr nahe kommt.
Voraussetzung zu diesem Vergleich ist die Vornahme der Untersuchung
bei diffuser Reflexion, wie dies in der Einleitung zur Untersuchungs-
technik ausgeführt wurde. i
Echte Verdoppelungen des Alterskerns liessen sich nicht mit Sicher-
heit nachweisen. Am ehesten noch müsste man den Fall Nr. 97 der
Tabelle hierher rechnen, dessen zweiter Streifen allem Anschein nach
nicht dem Embryonalkern angehört. Eine Reihe von vermutlich
scheinbaren Verdoppelungen dürfte dagegen im mittleren Alter zwischen
25—35 und 40 Jahren nicht gerade selten sein, wie die Fälle Nr. 53,
64, 74 und andere zeigen. Bei diesen liegt zwischen einem vorderen
und hinteren leuchtend gelbrot reflektierenden, ziemlich scharf be-
srenzten Streifen eine mehr oder weniger optisch teere lichtschwächere
Mittelzone. Diese zeigt jedoch in allen untersuchten Fällen deutlich
stärkere diffuse Reflexion, wie die beiden angrenzenden dunkeln
Intervalle vor und hinter dem Alterskernstreifen. Mit einer unklaren
Ausnahme im hohen Alter wurde diese Erscheinung nach Ausbildung
des Kernreliefs nicht mehr beobachtet. Es scheint demnach, dass eine
Verdichtung der Alterskernzone anfangs nicht ganz selten in der hinteren
und vorderen Grenzzone beginne, um schliesslich die ganze Streifen-
breite gleichmässig auszufüllen. Für diese Annahme spricht auch der
Breitenabstand der primären Pseudoverdoppelungen. Die Gesamt-
mächtigkeit des Alterskernstreifens nimmt bis ins hohe Alter an-
scheinend zu. Aus zarten Anfängen im Kinder- und Pubertätsalter
erreicht sie am Ende der Wachstumsperiode im Durchschnitt die
zwei- bis dreifache Kapselreflexbreite. Mit der Involution scheint
auch ’der dunkle Streifen vor dem Alterskern mehr und mehr sich zu
verschmälern; es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass schliesslich
auch der vordere Abspaltungsstreifen mit dem Alterskernstreifen ver-
schmilzt. Dabei ist die vordere Begrenzung schon frühzeitig — durch-
schnittlich bald nach Abschluss der Wachstumsperiode — schärfer
konturiert, die hintere im allgemeinen etwas später.
24 G. Meyer:
Durchschnittlich mit dem 45. Jahre, d. h. mit dem Deutlichwerden
der Kernplastik, wird die vordere Begrenzung uneben wellig, grubig,
ab und zu mit eigentümlich wurmförmiger Struktur der vorderen
Partien, oft in einer ziemlich breiten Zone. Strebepfeiler- oder strahlen-
artige Strukturen der hinteren zwei Drittel bis drei Viertel können
sich daran reihen zu einem farbenprächtigen Bilde. Ihre Ausbildung
steht offenbar in engster Beziehung zum Kernrelief. Bei 25 Unter-
suchten von über 45 Jahren konnte diese Erscheinung der unebenen
Begrenzung des Alterskernstreifens 23mal oder in 92%, nachgewiesen
werden.
Dem Alterskernstreifen folst ein dunkler Zwischenraum von grosser
Konstanz in der Anlage und in den Breitenverhältnissen, der sich
vom Embryonalkerngebiet deutlich getrennt bis ins hohe und höchste
Alter nachweisen lässt. Bei Linsen mit beginnendem Kernstar ist
dieses dunkle Intervall besonders deutlich zwischen (trübem) Embryonal-
kern- und dem Alterskernstreifen (vgl. Vogt 1. e.!) S. 100).
4. Der periphere vordere Embryonalkernstreifen.
Der periphere vordere Embryonalkernstreifen erscheint als Grenz-
streifen des Embryonalkerngebietes nach vorn. Seine Ausbildung ist
sehr viel unregelmässiger als die des Alterskernstreifens in bezug auf
Vorkommen, Lichtstärke, Breite und Begrenzung. Bei 102 unter-
suchten Personen fand er sich 87mal oder in 85,3%, und zwar fehlte
er einmal allem Anschein nach im hohen Alter bei einem Acht-
undsechzigjährigen, während ‚umgekehrt ein dreieinhalbjähriges Mäd-
chen, das jüngste untersuchte Kind, denselben bereits in aller Deutlich-
keit aufwies. Bei einer Reihe von Kindern im Alter von 4 bis 12 Jahren
liess sich nicht sicher entscheiden, .ob der einzige vordere Streifen dem
Alterskern- oder dem Embryonalkernsystem zuzuzählen sei, so in den
Fällen Nr. 3, 8, 13, 14 und 25. Unter Ausschluss der ersten neun Jahre
finden wir vom 10. Lebensjahre an bis zum 74. bei 83 Individuen den
erwähnten Streifen in 73 Fällen oder in 91,5%. Charakteristisch
scheinen grünliche Reflexion, Schmalheit und diffuse Begrenzung zu
sein. Während in den ersten Lebensjahren der erstere vordere und
hintere Embryonalkernstreifen nicht so selten den Alterskernstreifen
an Lichtstärke und Deutlichkeit übertreffen, ist dies später nach er-
langter Reife anscheinend nicht mehr der Fall. Dagegen konfluiert
derselbe häufig vom 45. Lebensjahre an mit dem zweiten vorderen
Embryonalkernstreifen. Unter 25 Personen von über 45 Jahren traf
dies 12mal oder in 48%, zu.
1) S. Anm. 18. 11.
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. 95
5. und 6. Der zentrale vordere und hintere Embryonal-
kernstreifen.
Mit dem zentralen Intervall sind diese beiden Streifen im höheren
Alter vielleicht das auffälligste Gebilde im ganzen optischen Quer-
schnitt, insofern dieselben mit dem zentralen dunkeln Intervall, gegen
das sie sich flach abstutzen, und der peripheren hochkonvexen Be-
grenzung einer Kaffeebohne oder einer Semmel in ihren Umrissen
auffällig ähnlich sehen. Wenn sie mit den zugehörigen peripheren
Embryonalkernstreifen im höheren Alter verschmelzen, so ist ihre
Form ungefähr die zweier, durch eine dunkle Zone getrennter Halb-
kugeln. Dabei ist jedoch der hintere Streifen wohl stets lichtstärker,
grösser und breiter wie der vordere; die gesamte Asymmetrie der
hinteren Linsenhälfte im optischen Querschnitt scheint daraus ihren
Ursprung zu nehmen. Wohl ebenso konstant erwies sich die Anwesen-
heit der optisch leeren Mittelzone des zentralen Intervalls.. Nur in
2 von 102 Fällen (bei ausgesprochener Cataracta nuclearis) zeigte sich
dieselbe ebenso stark reflektierend wie das übrige Kerngebiet, kon-
‘fluierten demnach die beiden asymmetrischen Halbkugeln mit un-
gleichem Krümmunssradius zum homogen grünlich reflektierenden
Embryonalkerngebiet.
Niemals fehlten diese beiden zentralen Embryonalkernreflexe völlig;
in der zartesten Jugend sind sie in der Regel auf eine weissliche oder
srünlich-weisse lichtschwache Reflexion unmittelbar auf den Schenkeln
der Embryonalkernnähte und in Parallaxe mit ihnen beschränkt. Dabei
erscheint stets entsprechend den Grössenverhältnissen des hinteren
Ypsilon der zugehörige Reflexionsstreifen grösser und lichtstärker. Die
Begrenzung ist dann sehr diffus. Man könnte so ebenso zweckmässig
von einer vorderen und hinteren zentralen diffusen Reflexion sprechen,
wenn ein ‚wohl charakterisierter Übergang zum gewöhnlichen, oben
beschriebenen Bilde aufzufinden wäre. Das letztere ist nun nicht der
Fall, und so finden wir schon in der Kindheit typisch ausgesprochene
Semmelformen und hinwiederum bis ins höhere Alter die lichtschwache
diffuse zentrale Reflexion der frühen Jugend, beim Greisen den
Embryonalkern des Kindes. Wir beobachten hier eine anscheinend
nicht so seltene Diskordanz in der Entwicklung der embryonalen
und. postembryonalen Linsenteile.
7. Der periphere hintere Embryonalkernstreifen.
Seine morphologischen Eigentümlichkeiten sind die des vorderen.
Seine Konvexität ist stets stärker. Im allgemeinen tritt er gleich-
zeitig mit jenem in die Erscheinung. Aus unserer Tabelle berechnet
sich die Häufigkeit seines Vorkommens auf 85 Fälle von 102 Unter-
26 G. Meyer:
suchten oder auf 83,3%: Die leichte Differenz ist unter Umständen
den technisch nunmehr etwas schwierigeren Verhältnissen zuzuschreiben,
so dass wohl behauptet werden darf, dass mit verschwindenden Aus-
nahmen bei Vorhandensein des peripheren vorderen Embryonalkern-
streifens auch der hintere sich nachweisen lassen muss. Aus unserer
Tabelle berechnet, findet sich vom 10. Lebensjahre an der vordere
Streifen bei 83 Individuen 76mal, der hintere bei 83 Individuen 73 mal.
Auf den hinteren peripheren Embryonalkernstreifen folgt mit der
gleichen Regelmässigkeit wie vorn ein optisch leeres Intervall, aus
welchem heraus wir nach hinten unmittelbar auf den hinteren Alters-
kernstreifen stossen.
8. Der hintere Alterskernstreifen.
Der hintere Alterskernstreifen ist in grossen Zügen vollständig
eine Rekapitulation seiner homologen vorderen Diskontinuitätsfläche.
Es sollen daher hier nur seine kleinen Abweichungen von diesem be-
sonders beschrieben werden.
Vorerst zu erwähnen bleibt sein kleinerer Krümmungsradius, dem-
entsprechend. seine stärkere Konvexität.
Die Gelbfärbung ist noch konstanter und mit stärkerer Beimischung
von Orange oder Rot.
Bei gleicher Breite bleibt die Begrenzung öfters diffuser, die hintere
Grenze nach dem zurückgelesten 45. Lebensjahre oft weniger uneben
bis völlig glatt. Besonderheiten in der inneren Struktur entsprechen
dem jeweils zugehörigen vorderen System, wobei jedoch die grösseren
technischen Untersuchungsschwierigkeiten zu berücksichtigen sind.
Von 102 Untersuchten finden wir ihn 85mal oder in 83,3%.
17 Fällen oder in 16,7%, war er nicht nachweisbar. Für die einzelnen
Altersstufen ergeben sich vergleichsweise folgende Werte:
Zahl der Untersuchten bis zu 8 Jahren (inklusive) 15 oder 100 %.
Davon mit hinterem Alterskernstreifen 4 oder 26,7%, ohne hinteren
Alterskernstreifen 11 oder 73,3%.
Zahl der Untersuchten bis zum 12. Jahre (inklusive) 28 oder 100 Gar
Davon mit hinterem Alterskernstreifen 12 oder 43%, ohne hinteren
Alterskernstreifen 16 oder 57 %.
Zahl der Untersuchten vom 9. bis 12. Lebensjahre 13 oder 100 a:
Davon mit hinterem Alterskernstreifen 8 oder 61,5 %,, ohne hinteren
Alterskernstreifen 5 oder 38,5 %.
Bis zum 8. Lebensjahre ist das Fehlen des Streifens noch aus-
sesprochener und bleibt in dem Zeitraum vom 9. bis 12. Jahre noch
bei zwei Fünfteln der Untersuchten weiter bestehen. Der hintere
Alterskernstreifen entwickelt sich demnach durchschnittlich etwas
später als der vordere und erscheint nach unserer tabellarischen Zu-
Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. n 97
sammenstellung erst vom 16. Lebensjahre an konstant in 100%, der
untersuchten Fälle. Vom 13. bis 16. Lebensjahre ist er in zwölf unter-
suchten Fällen IOmal vorhanden oder in 83,3%. Ob dabei Refraktions-
anomalien eine Rolle spielen, lässt sich aus der geringen Zahl des bunt
zusammengestellten Materials nicht ersehen.
Die ganze Entwicklung des hinteren Alterskernstreifens scheint in
bezug auf Breite, scharfe Begrenzung, Lichtstärke und Relief, im Alter
verglichen zum vorderen, etwas langsamer, zögernder, nachschleppender
sich zu gestalten, ein Unterschied, der vielleicht am besten in den Jahren
unmittelbar nach der Pubertät zum Ausdruck kommt, ohne dass er
sich genauer definieren liesse, — sofern nicht Beobachtungsfehler vor-
liegen sollten.
Die Gelb-bis Orangefärbung dagegen ist konstanter und schon vom
25. Jahre an in 100% nachweisbar. Auf insgesamt 85 Untersuchungen
von 31, bis 74 Jahren konnte sie 57 mal oder in 67 % konstatiert werden.
9. Der hintere Abspaltungsstreifen.
Der hintere Abspaltungsstreifen wurde schon von Vogt in seiner
Arbeit „Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse‘ näher be-
schrieben.
Bei den wachsenden technischen Schwierigkeiten einer gleich-
wertigen Untersuchung der tiefsten Linsenteile ist dessen Nachweis
am schwierigsten, sein Fehlen mit Vorsicht zu deuten. Morphologisch
scheint ausser vermehrter Krümmung nichts denselben von seinem
vorderen homologen Streifen zu unterscheiden. Auf 102 Untersuchungen
glauben wir denselben I9mal nachgewiesen zu haben, vorwiegend im
jugendlichen und mittleren Lebensalter.
10. Der hintere Kapselstreifen.
Der hintere Kapselstreifen entspricht in seiner Konstanz der Aus-
bildung dem vorderen durchaus. Im allgemeinen erscheint er eher
etwas breiter und mit zunehmendem Alter mehr und mehr gelb bis
orangegelb. Seine Konvexität ist stärker, seine Lichtreflexion etwas
geringer.
Die diffuse Reflexion des gesamten optischen Linsenquerschnittes
pflegt in der Jugend im allgemeinen relativ gering zu sein, um sich
im Verlaufe des Alterns mehr und mehr zu verstärken. Dabei bestehen
aber Unterschiede bei verschiedenen Individuen der gleichen Alters-
stufe. Hier ist vorwiegend die extraembryonale Zone betroffen; dort
sind die äusseren Schichten relativ wenig diffus reflektierend, bei starker
Beteiligung des Embryonalkerngebietes. Embryonalkerngebiet und
äussere Schichten scheinen zuweilen nicht gleichmässig zu „altern“,
28° ' G. Meyer:
durchlaufen zueinander mehr oder weniger unabhängige Entwicklungs-
phasen.
Die von Vogt erwähnte, bisweilen vorhandene lamelläre Struktur
der dunkeln Zwischenzonen aus Diskontinuitätsstreifen zweiter Ordnung
konnten wir im Gebiete ausserhalb des peripheren Embryonalkern-
streifens öfter, innerhalb desselben nicht mit Sicherheit nachweisen.
B. Praktische Bedeutung.
Vogt betont in seinen Arbeiten über die Diskontinuitätsflächen !-% 3)
besonders den Wert der letzteren zur genaueren topographischen
Lokalisation pathologischer Linsenveränderungen, eventuell unter Zu-
hilfenahme der Nahtsysteme. Vielleicht bestehen Beziehungen dieser
Streifen zu Entwicklungsphasen, zu allgemeinen Entwicklungs-
störungen, Wachstumsstörungen, zu Krankheiten des Kindesalters, ins-
besondere Rachitis und Tetanie, zu gewissen Refraktionsanomalien.
Endlich könnte uns der optische Querschnitt der Linse innerhalb ge-
wisser Grenzen über das Alter der betreffenden Person orientieren.
V. Schlussfolgerungen.
Die vorliegende Untersuchungsreihe soll den Versuch abgeben zu
einer statistischen Grundlage für die Diskontinuitätsflächen der Linse.
Zwei dieser letzteren sind dabei im Lichte der Spaltlampe zuerst von
Gullstrand selbst gesehen worden und wurden mit den Hess’schen
Spiegelbildehen identifiziert; die übrigen hat als erster Vogt beobachtet
und genauer beschrieben.
Die Gullstrand’sche Spaltlampe schon allein oder in Verbindung
mit gewöhnlicher Lupenvergrösserung, namentlich aber im Verein mit
dem Cornealmikroskop, gestattet eine viel weitgehendere innere morpho-
logische Gliederung der normalen und pathologischen Linse als alle
bisher angewandten Methoden. Insbesondere ist sie der von früheren
Autoren angewendeten Bildchenmethode weit überlegen.
Die von Vogt zuerst eingehender beschriebenen zehn Dis-
kontinuitätsflächen der Linse im Spaltlampenbüschel bei axialer Be-
leuchtung beim erwachsenen Menschen bestätigten sich bei unseren
Untersuchungsreihen.
Am inkonstantesten scheint sich, vielleicht aus Gründen technischer
Unzulänglichkeiten, der hintere Abspaltungsstreifen zu verhalten, so
dass über dessen Natur sich aus unserem Material nichts Sicheres
ableiten lässt.
WrSrAnm. 178.12,
2) S. Anm. 3 8. 13.
3) S. Anm. 18. 11.
- Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse, 99
Der vordere und hintere Kapselreflexionsstreifen liess sich in jedem
Falle nachweisen. Er zeichnet sich ausserdem durch seine konstanten
Verhältnisse in der Breite oder Mächtigkeit aus, verglichen zu den
anderen Streifen bei gleichen Untersuchungsbedingungen.
Mit den frühesten Pubertätsjahren und schon vorher erscheint zum
erstenmal der Alterskernstreifen in einem wechselnden Prozentsatz,
vorerst nur zart und diffus, von geringer Lichtstärke. Nach dem
13. Jahre konnten wir ihn in jedem Falle nachweisen. Nach voll-
endetem Wachstum nimmt seine Lichtstärke und Breite ziemlich sprung-
haft zu; mehr und mehr tritt eine Gelbfärbung desselben auf.
Die Anwesenheit des vorderen Abspaltungsstreifens erweist sich in.
der Jugend und im mittleren Alter bis zur Involution fast konstant.
Von der Entwicklung des Alterskernreliefs an gelingt sein Nachweis
immer seltener. Über die Art seines Verschwindens oder Konfluierens
mit anderen Systemen sind wir vorläufig auf Vermutungen angewiesen.
Der periphere vordere Embryonalkernstreifen ist in seinem ersten
Auftreten unregelmässiger als der Alterskernstreifen. Die Pubertät.
scheint keinen so bestimmenden Einfluss auf sein Erscheinen zu be-
sitzen. Charakteristisch für ihn dürften sein: diffuse Begrenzung,
grünliche Reflexion, geringere Lichtstärke. Scheinbare Konfluenz mit.
dem zentralen vorderen Embryonalkernstreifen erscheint vom Beginn
des Seniums an zunehmend häufiger.
Die beiden zentralen Embryonalkernstreifen mit dem zwischen-
liegenden dunkeln Intervall lassen sich in ihren Anfängen als zentrale
vordere und, hintere diffuse Reflexion in engster Beziehung mit den
Embryonalkernnähten schon in frühester Jugend nachweisen. Sie ist
sehr konstant in ihrem Vorkommen; doch ist ihre Ausbildung sehr
ungleich durch alle Altersklassen.
Der periphere hintere Embryonalkernstreifen aaa in Aus-
bildung und Vorkommen dem vorderen.
Der hintere Alterskernstreifen erscheint vielleicht durchschnittlich
etwas später als der vordere. Erst nach erreichter Pubertät pflegte
er konstant nachweisbar zu sein. Auch seine sonstige Entwicklung
scheint in vielen Fällen hinter der des vorderen etwas nachzuschleppen..
Der dunkle Zwischenraum zwischen den Alterskernstreifen und.
den peripheren Embryonalkernstreifen sowie das zentrale Intervall
behält mit grosser Konstanz bis ins höchste Alter hinaus bei nicht
kataraktösen Linsen seine „optische Leere‘, d. h. geringe Reflexion
verglichen zu den Diskontinuitätsflächen.
Es bleibt mir zum Schlusse noch die angenehme Pflicht, meinem
verehrten Chef, Herrn Prof. Dr. A. Vogt, Direktor der Universitäts-
Augenheilanstalt Basel, für die Anregung zu dieser Arbeit, für die
gütige Überlassung des klinischen und poliklinischen Untersuchungs-
30 6. Meyer: Die Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse.
materials sowie für seine wertvolle Unterstützung bei ihrer Aus-
führung meinen besten Dank auszusprechen.
Erklärung der Abbildungen.
Die Reproduktionen der drei vorliegenden „optischen“ axialen Linsen-
querschnitte erfolgten bei mittlerer Lupenvergrößerung (ca. vier- bis fünf-
fach linear. Dementsprechend sind auch unter Beobachtung des im tech-
nischen Teile Ausgeführten die linearen Maasse der Abbildungen gehalten.
Die Krümmungsradien der hinteren Linsenhälfte wurden hingegen kleiner
als der Wirklichkeit entsprechend gewählt, in’der Absicht, in dem schmalen
optischen Ausschnitt aus dem ganzen vertikalen Linsenmeridian die asym-
metrischen Verhältnisse zwischen vorderer und hinterer Linsenhälfte und
insbesonders im Embryonalkerngebiet mit genügender Anschaulichkeit zur
Darstellung zu bringen.
Abbildung I. Diskontinuitätsflächen der Linse eines dreizehnjährigen
Mädchens. Alle zehn Flächen vorhanden, die Abspaltungszone allerdings
nur peripher. Geringe diffuse Reflexion in den dunklen Zwischenzonen
außerhalb des Embryonalkerngebietes, Andeutungen grünlich reflektieren-
der Reflexionsstreifen zweiter Ordnung. Deutliche periphere Divergenz der
Diskontinuitätsflächen. (Etwas übertrieben dargestellt).
Abbildung I. Diskontinuitätsflächen eines 28 Jahre alten Mannes. Neun
Flächen vorhanden. Allgemeine diffuse Reflexion, mäßig stark. Typisches
Verhalten der Alterskernflächen im mittleren Lebensalter nach vollendetem
Wachstum. Vorn scharfe, hinten mehr diffuse Begrenzung. (Umgekehrtes
Verhältnis hinten.) Im vorderen Alterskernstreifen Andeutung einer etwas
dunkleren Mittelzone.
Abbildung III. Diskontinuitätsflächen der Linse eines siebzigjährigen
Mannes. Sehr starke Reflexion des ganzen optischen Querschnittes. Deut-
liche dunkle Intervalle zwischen Alterskern- und Embryonalkerngebiet;
zentrales Intervall. Konfluenz der Embryonalkernstreifen. Grünliche Re-
flexion des gesamten Embryonalkerngebietes. Mächtig entwickelter Alters-
kernstreifen, Strahlenstruktur, unebene, wellige und grubige vordere Grenz-
flächen. Fehlen der vorderen Abspaltungsflächen.
Sehschärfe des betreffenden Auges 1,25, Myopie 0,75 D, Linse beim
Durchleuchten völlig klar, bei vokaler Beleuchtung nirgends kataraktöse
Trübungen. Im Cornealmikroskop spärliche eckige Linsentrübungen der
En Corticalis. Prächtiges Alterskernrelief. x
Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 178. Tafel I.
IR FE
1234567 89+10
Ss“
12,30450%
ER
3 4+56+7 8 10
Meyer, Diskontinuitätsflächen der menschlichen Linse. Verlag von Julus Springer in Berlin.
Der Einfluss rhythmischer Druckschwankungen auf
die Widerstandsverhältnisse im Gefässsystem.
Von
Dr. Alfred Fleisch, Assistent des Instituts.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich.)
Mit 19 Textabbildungen.
(Eingegangen am 29. Juli 1919.)
Zur Frage der Förderung des Blutstromes durch aktive Arterien-
arbeit haben Schäfer!) und Hühne ?) Versuche publiziert, die in
künstlicher Durchströmung überlebender Organe mit rhythmischem
und konstantem Druck bestanden. Unter gewissen Bedingungen be-
obachteten sie, dass bei gleichem Mitteldruck und gleicher Zeitdauer
die rhythmische Durchströmungsart der konstanten in bezug auf das
Stromvolumen überlegen war. Sie selbst und mit ihnen auch andere
Autoren sind geneigt, dieses Resultat zugunsten einer aktiven Förder-
leistung des Flüssigkeitsstromes durch die Arterien zu deuten.
In einer letzten Arbeit °), die sich eingehend mit diesen Unter-
suchungen von Schäfer und Hühne befasst, habe ich die Berechti-
gung, aus der Überlegenheit des rhythmischen Druckes über den
konstanten in bezug auf das Stromvolumen auf eine aktive Förder-
leistung der Arterien zu schliessen, in Abrede gestellt. Dort wurde
auseinandergesetzt, dass -bei Durchströmung eines dehnbaren
Widerstandssystemes das Stromvolumen bei rhythmischer
Durcehströmung grösser sein muss als das Stromvolumen
bei konstanter Durchströmung, sofern Mitteldruck und
‘ Zeit einander gleich sind. Und zwar ist diese Überlegenheit
des rhythmischen Druckes eine notwendige Konsequenz der Dehn-
1) Fritz Schäfer, Vergleichung der bei konstantem und rhythmischem
Druck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen.
Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 151 S. 97. 1913. Derselbe, Der
Einfluss gefässerregender Mittel auf die bei konstantem und rhythmischem
Druck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen.
Ebenda Bd. 162 S. 378. 1915.
2) Hubert Hühne, Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch
pulsatorische Tätigkeit der Blutgefässe. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol.
Bd. 165 S. 180. 1916. RL
8) A. Fleisch, Die relative Überlegenheit der rhythmischen Durch-
strömungsart bei überlebenden Organen als Zeichen aktiver Fördertätigkeit
der Arterien. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 174 S. 177. 1919.
a Alfred Fleisch:
barkeit der Gefässe, die auftritt und auftreten muss, wenn ein Druck-
anstieg eine Widerstandsherabsetzung der durchströmten Bahn erzeugt.
Die Richtigkeit dieser theoretischen Forderung wurde in der zitierten
Arbeit experimentell bestätigt an einer toten, elastisch dehnbaren
Strombahn, bei welcher die rhythmische Durchströmungsart ein
grösseres Durchtlussvolumen ergab als die konstante.
Die Überlegenheit des rhythmischen Druckes bei Durchströmung
eines überlebenden Organes kann somit durch mindestens zwei ver-
schiedene Momente bedingt sein: Entweder ist sie der Ausdruck für
eine aktive Förderleistung der Arterien, oder sie ist die mechanische
Konsequenz der elastischen Dehnbarkeit der Gefässe. Ein sicheres.
Kriterium für die Entscheidung in dieser Frage ist das Verhalten
des Gefässwiderstandes bei Druckvariationen. Bleibt dieser bei Druck-
anstieg ganz oder wenigstens annähernd konstant, so ist die aktive
Förderleistung der Arterien eher wahrscheinlich gemacht. Erzeust
umgekehrt Druckanstieg eine nennenswerte Widerstandsherabsetzung
der Gefässbahn, so müssen wir die Überlegenheit des rhythmischen
Druckes in erster Linie als zirkulatorische Rückwirkung der Dehn-
barkeit der Gefässe betrachten.
Die experimentellen Untersuchungen meiner zitierten Arbeit über
die Beziehung von Druck und Durchflussvolumen bei der überlebenden
Kaninchenniere haben ergeben, dass bei langsamem Druckansties das
Stromvolumen rascher wächst als dem zugehörigen Druck entsprechen
würde. Bei langsamem Druckanstieg findet also in dem überlebenden
Organ tatsächlich eine Herabsetzung des Widerstandes statt. Sie
‘bezieht sich aber nur auf Verhältnisse, in welchen sich der Druck
langsam im Verlauf von mehreren Minuten verändert, und wir sind
nicht ohne weiteres berechtigt, diese Resultate auch auf rasche
Druckvariationen zu übertragen.
Es ist der Zweck der vorliegenden Arbeit, den Einfluss des Zeit-
faktors bei Druckschwankungen auf die Widerstandsveränderungen
zu untersuchen. Insbesondere ist es von Interesse nachzuweisen, ob
rasche Druckvariationen von der Geschwindigkeit der natürlichen
Pulsationen ähnliche Widerstandsveränderungen des durchströmten
Gefässsystemes herbeiführen, wie wir sie für langsame Druckvariationen
gefunden haben. Diesen neuen Verhältnissen entsprechend musste zu
einer anderen Methodik mit besonderer Apparatur übergegangen werden.
Methodik.
Durehströmungseinrichtung.
Zwei Reservoirs, R, und R, (Abb. 1), mit’ sauerstoffgesättigter
Ringer-Lösung führen zu einem Dreiweghahn H, von dessen drittem
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungena.d. Widerstandsverhältn. usw. 33
Schenkel die Durchströmungsflüssigkeit durch eine Heizspirale Sp mit
Blasenfänger B zur nachstehend genauer beschriebenen Stromuhr und
weiter in das zu durchströmende Organ fliesst. Der Flüssigkeitsspiegel
des einen Reservoirs R, steht in gleicher Höhe wie das zu durch-
strömende Organ, der Flüssigkeitsspiegel des Reservoirs R, 100 cm
höher. Für verhältnismässig langsamen Druckanstieg und Druckabial!
während einiger Sekunden wird das halbgefüllte tieferstehende Reser-
voir R, mit der Sauerstoffbombe O0, in Verbindung gesetzt. Durch
rascheres oder langsarmneres Ausströmen des u aus der Bombe
kann die Schnelligkeit und die Höhe des Druck-
anstieges beliebig variiert werden. Ein T-Rohr
mit Schlauchansatz und Quetschhahn Q in der
Gasleitung lässt nach Verschluss der Sauerstoff-
bombe den Sauerstoff aus dem Reservoir wieder
ausströmen, wodurch der erzeugte Überdruck
langsam wieder abfällt. Bei
diesen Versuchen ist der
Dreiweshahn so gestellt,
dass nur das niedere Re-
. servoir R, mit der Strom-
uhr und dem Versuchs-
organ in Verbindung steht.
Um raschen Druckan-
stieg und raschen Druck-
abfallinnerhalb Bruchteilen
von Sekunden erzeugen zu
können, wird der Dreiweg-
hahn H umgestellt, und so
das hochstehende Reservoir
R, mit der Heizspirale und
dem durchströmten Organ RBB 1.
in Verbindung gebracht.
Bei Öffnen des Hahnes H wirkt plötzlich der hohe Druck des Re-
servoirs R,, um bei Schliessen des Hahnes wieder zu verschwinden.
Das Stromuhrrohr Sir R ist mit der Arterienkanüle durch einen kurzen
Schlauch verbunden. Bei dieser Anordnung registriert die Stromuhr
das Zuflussvolumen zum Organ und das optische Manometer den
Druck direkt vor. der Arterienkanüle.
EN
N
N
SSIISSSSSSSIINSSSSTENIENT
Ü
Die Druckdifferentialstromuhr.
Da der Widerstand indirekt aus der Beziehung von Druck und
Stromvolumen ermittelt werden soll, erforderten diese Untersuchungen
eine besondere Apparatur, die es ermöglicht, Druck und Stromveolumen
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 3
34 3 Alfred Fleisch:
fortlaufend zu registrieren. Insbesondere stellen diese Versuche grosse
Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Stromuhr, die geeignet
sein muss, sehr rasche Variationen des Durchflussvolumens ohne Ver-
zögerung zu registrieren. Für diese besonderen Verhältnisse kon-
struierte ich auf Anregung von Herrn Professor Hess ein einfaches
Modell einer Stromuhr, welche auf folgendem Prinzip aufgebaut ist:
Von der direkten Messung der Durchströmungsmenge wie bei der
Ludwig’schen oder der Hürthle’schen Stromuhr wird Umgang ge-
nommen und das Durchflussvolumen indirekt aus der Druckdifferenz
bestimmt, welche die Flüssigkeit beim Strömen durch ein starres
Rohr von gegebenen Dimensionen erleidet. Nach der Poiseuille’schen
Formel ist das Durchflussvolumen direkt proportional der Druck-
- differenz, vorausgesetzt, dass der Querschnitt und die Länge der
Bahn und die Viskosi-
tät konstant bleiben.
Über die Gültigkeit
der Poiseuille’schen
Formel kann nach
den Berechnungen
von W. R. Hess!)
kein Zweifel sein, da
das durchströmte
Rohr nureinen Durch-
messer von 1,5 mm
| hat und somit bei der
Abb. 2. in Frage kommenden
Strömungsgeschwin-
diekeit die für die Gültigkeit der Poiseuille’schen Formel not-
wendige Bedingung der gleitenden Strömung aufweist.
Dieses Stromuhrmodell sei zum Verständnis der erhaltenen Kurven
kurz beschrieben (Abb. 2). Die Druckdifferenz der strömenden Flüssig-
keit wird von dem aus Messing hergestellten, innen vollkommen glatten
Stromuhrrohr Sir R von 12 cm Länge und 1,5 mm Lichtweite ab-
genommen. Die fortlaufende Registrierung der Druckdifferenz geschieht
durch eine Druckdifferentialkapsel DK mit einer feinen Gummimem-
bran M als Scheidewand. Die eine Seite der Differentialkapsel steht
in Verbindung mit dem Anfang, die andere Seite mit dem Ende des
Stromuhrrohres Sir R. Die Ausschläge der Gummimembran, die ledig-
lich durch die Druckdifferenz zwischen Anfang und Ende des Rohres
bedingt sind, werden durch einen Lichtstrahl registriert, der von einem
kleinen, auf die Membran gekitteten Spiegelchen reflektiert und im
ER,
1) Ww. R. Hess, Viskosität des Blutes und Herzarbeit. Vierteljahrs-
schrift der naturforschenden Gesellschaft Zürich 1906. _
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 35
Frank’schen Photokymographion photographiert wird. Vom Ende
des Stromuhrrohres Sir R zweigt eine Leitung ab zu einem optischen
Manometer OM. Das optische Manometer, die Leitung zur Differential-
kapsel DK und diese selbst werden luftfrei mit Wasser gefüllt. Sämt-
liche Leitungen sind aus starrem Material und möglichst kurz und
weit gehalten. Schlauchverbindungen sind nach Möglichkeit vermieden,
und wo sie vorkommen, sind die starren Röhren direkt aneinander-
geschoben und ein diekwandiger Schlauch darübergezogen.
Bei raschen Druckschwankungen finden in dem kreisförmig ge-
schlossenen System der Differentialkapsel DK mit den beiden Zu-
leitungsröhren und dem Stromuhrrohr StrR Eigenschwingungen statt
um die Ruhelage der gespannten Gummimembran M (siehe Versuche 1
bis 4). Um diese Schwingungen zu dämpfen, ist in dem einen Zu-
leitungsrohre zur Differentialkapsel eine Dämpfung D angebracht in
Form eines kleinen Schwammes. Ein T-Rohr, durch welches der
Schwamm beliebig weit in die Zuleitung vorgeschoben werden kann,
ermöglicht die Dämpfung nach Bedarf zu variieren.
Die Empfindlichkeit der Stromuhr kann variiert werden desch
verschiedene Dicke und Spannung der Gummimembran M. Bei der
für die folgenden Versuche angewandten Kombination von Stromuhr-
rohr, Querschnitt, Dicke und Spannung der Membran beträgt der
Ausschlag bei SO cm Kymographionabstand im allgemeinen Il cm für
ein minutliches Durchflussvolumen von 5—6 cem Ringer-Lösung.
Bei den Versuchen mit künstlicher Durchströmung der überlebenden
Kaninchenniere ist die Empfindlichkeit des Apparates durch Ver-
wendung einer dünneren Gummimembran auf das Dreifache gesteigert.
Prüfung der Apparatur.
Die ae aihiekeit der Stromuhr ergibt sich aus der Funktions-
prüfung in den Versuchen 1-4. Um möglichst einfache, übersicht-
liche Verhältnisse zu haben, wird anstatt des überlebenden Organes
eine Glaskapillare an die Stromuhr angeschlossen und durchströmt.
' Diese funktionellen Prüfungen müssen vor allem auf zwei mögliche
Störungen gerichtet sein: nämlich auf die Eigenschwingungen der
Stromuhr und auf eine allfällige zu grosse Trägheit derselben.
Für diese Prüfung wählen wir am zweckmässigsten einen Ver-
such, der an die Leistungsfähigkeit der Stromuhr die grössten An-
forderungen stellt, also raschester Druckwechsel, wie er durch Drehen
des Hahnes H (Abb. 1) erzeugt wird. In den Versuchen 1—4 zeich-
net die obere Kurve den Druck, die untere das Stromvolumen.
Ein Ausschlag nach oben entspricht einer Zunahme des Druckes
bzw. der Stromstärke. Sämtliche Kurven sind auf die Hälfte re-
duziert.
3*
36 Alfred Fleisch:
Versuch 1 (Abb. 3): Durchströmung einer Glaskapillare mit optischer
Registrierung von Druck und Stromvolumen. Die obere Kurve zeichnet
den Druck, die untere das Stromvolumen. Zeitmarken — 0,25 Sek. Rascher
Druckwechsel von ca. 80 cm. Wassersäule durch Öffnen nacl nachher durch
Schliessen des Hahnes der Zuleitung. Die Stromuhr ist vollkommen un-
——
Abb. 3. Abb. 4.
gedämpft. Beim Druckanstieg, wie beim Druckabfall treten starke Schwin-
gungen in der Stromuhr auf.
Versuch 2 (Abb. 4: Durchströmung einer Glaskapillare wie in Ver-
such 1. Die obere Kurve zeichnet den Druck, die untere das Stromvolumen.
Zeitmarken in den Kurven 0,25 Sek. Die Stromuhr ist schwach gedämpft.
Die Schwingungen der Stromuhr sind immer noch vorhanden, aber be-
deutend geringer als in Versuch 1.
Versuch 3 (Abb. 5): Durchströmung einer Glaskapillare wie in Ver-
such 1 und 2. Die obere Kurve zeichnet den Druck, die untere das Strom-
Abb. 5. Abb. 6:
volumen. Zeitmarken 0,25 Sek. Die Stromuhr ist mittelstark gedämpft.
Die Eigenschwingungen der Stromuhr sind auf eine kleine Zacke reduziert.
Nachschleppen des Stromuhrausschlages tritt nicht auf, die Stromuhr
reagiert prompt.
Versuch 4 (Abb. 6): Durch e einer Glaskapillare wie in den
vorhergehenden Versuchen. Die obere Kurve zeichnet den Druck, die
untere das Stromvolumen. Zeitmarken 0,25 Sek. Die Stromuhr ist rk
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 37
gedämpft, Eigenschwingungen der Stromuhr sind nicht mehr vorhanden.
dafür tritt eine starke Trägheit der Stromuhr auf, die Stromuhr ist über-
dämpft. A
Aus den angeführten Versuchen 1—4 geht einmal die Notwendig-
keit der Dämpfung der Stromuhr hervor. Wie Versuch 3 (Abb. 5)
zeigt, gibt es aber einen Grad der Dämpfung, bei dem die
Eigenschwingungen der Stromuhr beinahe vollständig ver-
schwinden, aber trotzdem keine merkliche Verzögerung
des Stromuhrausschlages auftritt. Da es uns in den folgenden
Versuchen vor allem darauf ankommt, ein solches ‚Nachschleppen“
des Stromuhrausschlages mit Sicherheit zu vermeiden, so wurde in-
allen Versuchen der Dämpfungsgrad vorher ausprobiert und so ge-
wählt wie in Versuch 3 (Abk. 5) oder eher etwas geringer. Beirder
Interpretation der späteren Versuche haben wir also immer die Sicher-
heit, dass eine Überdämpfung nicht vorhanden ist. Aber je sicherer
ein solches ‚‚Nachschleppen‘“ ausgeschlossen‘ werden kann, um so
erösser wird der andere Fehler der registrierten Stromuhrkurven
infolge Eigenschwingungen. Bei dem in allen Versuchen angewandten
mittleren Dämpfungsgrad haben wir bei sehr raschen Druckvariationen
— aber nur bei diesen — mit der Existenz von nennenswerten
Eigenschwingungen zu rechnen und bei der Interpretation der re-
eistrierten Kurven zu berücksichtigen. Diese Eigenschwingungen
äussern sich in Form von einzelnen Zacken, die näher erörtert werden
müssen.
In Versuch 2 (Abb. 4) tritt bei der raschen Druckerhöhung in der
Volumkurve, wie die Kurve des Durchflussvolumens kurzerhand
bezeichnet sei, eine Zacke nach oben auf. Diese Zacke, die ich als
positive Volumzacke bezeichne, ist bei schwacher Dämpfung stark
und wird mit zunehmender Dämpfung geringer, wie in Versuch 3
(Abb. 5), um bei starker Dämpfung (Abb. 6) ganz zu verschwinden.
Desgleichen tritt bei raschem Druckabfall’eine Zacke nach unten auf,
die wie die positive Volumzacke durch Schleuderung. bedingt und
vom Dämpfungsgrad abhängig ist. In allen Versuchen mit Durch-
strömuns eines starren Widerstandes ist die negative Schleuderzacke
grösser als die positive, eine Folge davon, dass der Geschwindigkeits-
wechsel als Eigenschwinsungen auslösendes Moment beim Abstellen
grösser ist als beim Öffnen. Dieses Resultat ist im Auge zu behalten,
da bei Durchströmung von dehnbaren Widerstandssystemen wesent-
liche Abweichungen auftreten.
Auch die Druckkurve weist, wie die Versuche 1—4 zeigen, eine
negative Zacke auf, die sich an den bei Hahnschluss erfolgenden raschen
Druckabfall anschliesst. Diese negative Druckzacke ist so zu
erklären, dass bei raschem Hahnschluss sich die Flüssigkeit in dem
Stromuhrrohr und der daran angeschlossenen Widerstandskapillare in
38 Alfred Fleisch:
Bewegung befindet, und infolge der kinetischen Energie die Tendenz
hat, weiter zu fliessen. Dadurch kann der Druck im Stromuhrrohr
und somit im Manometer einen Moment lang unter Null sinken, bis
die kinetische Energie der Flüssigkeit Null geworden ist. Dieser
plötzliche Druckabfall beim Hahnschluss mit der nega-
tiven Druckzacke ist eine wesentliche Erscheinung für die
Durchströmung eines starren Widerstandes, und es wird
später gezeigt werden, wie aus der Form des Druckabfalles auf die
Dehnbarkeit der Widerstandsbahn geschlossen werden kann.
Die Prüfung der Stromuhr hat deren Fähigkeit ergeben.
bei geeigneter Dämpfung sehr rasche Schwankungen des
Durchflussvolumens getreu zu registrieren. Die durch die
Funktion der Apparatur bedingten Fehler in den registrierten Kurven
(positive und negative Volumzacke) sind bekannt und können bei .
der Interpretierung der Kurven eliminiert werden.
Von grundlegender Bedeutung für die Brauchbarkeit der Differential-
stromuhr ist die Frage nach der Proportionalität der Ausschläge. Diese
wurde experimentell geprüft, indem für steigende Stromvolumina der
Ausschlag am Kymographion gemessen und das Stromvolumen in
einem Messzylinder aufgefangen wurde. Die Zeit, während welcher
das Stromvolumen in den Messzylinder floss, wurde mit der Stoppuhr
genau kontrolliert und betrug jeweils eine Minute. Die beobachtete
Fehlergrenze für die Stromuhr sowie für das Ablesen des Ausschlages
und der durchgeflossenen Flüssigkeitsmenge beträgt bis zu einem
Ausschlag von 5 cm am Kymographion bei einem Durchflussvolumen
von 0—30 cem pro Minute + 0,3 cem pro Minute. Die Ausschläge
der Differentialstromuhr gehen also innerhalb des in Be-
tracht kommenden Bereiches der Ausschläge proportional
mit dem tatsächlich gemessenen Stromvolumen. Ebenso
sind die Ausschläge des optischen Manometers propor-
tional dem angewandten Druck.
Die Widerstandsveränderungen des Gefässsystems bei Druck-
variationen innerhalb 2—8 Sekunden.
In meiner letzten Arbeit wurde die Abhängigkeit des Widerstandes
von sehr langsamen, im Verlauf von mehreren Minuten erfolgenden
Druckvariationen festgelegt. Dabei wurde die relative Grösse des
Widerstandes indirekt aus der Beziehung von Durchflussvolumen und
Druck bestimmt. Jene Untersuchungen ergaben, dass bei künstlicher
Durchströmung frischer überlebender Organe ein im Verlauf von
Minuten langsam ansteigender Druck ein Durchflussvolumen ergibt,
das rascher zunimmt, als der Proportionalität entsprechen würde.
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 39
Ein ähnlicher Versuch ist schon von Hürthle!) publiziert worden,
in welchem Druckanstieg und Druckabfall eine Minute in Anspruch
nahmen. Auch dabei ergab sich, dass die Stromstärke stärker wächst
als der Druck.
Es ist nun die Frage, ob diese Disproportionalität auch bei einem
rascher erfolgenden Druckanstieg in Erscheinung tritt. Für diese
Untersuchungen wurde die beschriebene Druckdifferentialstromuhr mit
fortlaufender optischer Registrierung von Druck und Stromstärke ver-
wendet. Wie schon in der Versuchsanordnung angeführt ist, wird
der Druckanstieg durch Sauerstoffzufluss aus der Bombe erzeust,
indem der ausströmende Sauerstoff einen Druckanstieg in der Reservoir-
flasche R, (Abb. 1) bewirkt. Bei Schliessen der Sauerstoffbembe
entweicht der Sauerstoff durch die Zweigleitung mit Quetschhahn QO
(Abb. 1), und der Druck fällt in der Reservoirflasche wieder auf Null ab.
Die Versuche wurden durchgeführt an den in der Lumbalwirbel-
säule vom übrigen Körper abgetrennten hinteren Extremitäten ven
frisch getöteten Meerschweinchen. Gelegentlich wurden auch lebende,
mit Chloral und Äther narkotisierte Tiere verwendet, bei welchen
dann die in physiologischer Zirkulation befindliche obere Körperhälfte
mit den hinteren Extremitäten in Zusammenhang belassen war. In
einigen Versuchen wurden frische Kaninchennieren verwendet, um an
demselben Organ zu experimentieren wie in der früheren Arbeit. Bei
sämtlichen Versuchen wurde mit sauerstoffgesättigter, körperwarmer
Ringer-Lösung durchströmt. Das durchströmte Organ war während
des Versuches in körperwarme Ringer-Lösung untergetaucht. In
den Experimenten an lebenden, narkotisierten Meerschweinchen war
das Tier in warme Watte eingehüllt. Mit der Registrierung wurde
jeweils erst begonnen, nachdem alles Blut aus der Gefässbahn aus-
gewaschen war.
Die Experimente werden so durchgeführt, dass der Flüssigkeits-
spiegel im Reservoir gleich hoch steht wie das zu durchströmende
Organ. Die Registrierung wird bei geschlossener Sauerstoffbombe und
offener Zweigleitung Q (Abb. 1) begennen. Der Durchströmungsdruck
und somit auch das Stromvolumen sind unter diesen Bedingungen
gleich Null, die registrierten Kurven sind dann die Nullinien des
Druckes und des Stromvolumens. In den registrierten Kurven ist
die Grösse des Druckes bzw. des Stromvolumens durch die Ordinaten
der entsprechenden Kurven gegeben, während die Länge der Abszisse
die Zeitdauer angibt. Aus diesen registrierten Kurven werden die
Daten eruiert für eine kurvenmässige Darstellung der Beziehung
zwischen Druck und Durchflussvolumen, und zwar wird der Druck
Il) K. Hürthle, Analyse der arteriellen Druck- und Stromkurve des
Hundes. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 162 S. 322. 1915.
40 Alfred Fleisch:
als Abszisse und das zugehörige Durchflussvolumen als Ordinate auf-
getragen. Sämtliche Ordinatenpunkte miteinander verbunden ergibt
die Kurve des Stromvolumens in Abhängigkeit vom Druck, wie sie
schon in den Abbildungen der letzten Arbeit verwendet wurde. Wir
bezeichnen sie im folgenden kurzerhand als „relative Volumkurve‘“
im Gegensatz zu der von der Stromuhr direkt registrierten „Volum-
kurve“. In Abb. 7 (Versuch 5) ist eine solche relative Volumkurve
dargestellt, bei welcher der Druckanstieg innerhalb 6,5 Sekunden er-
folet. Während in den Versuchen der letzten Arbeit die relative
Volumkurve eine nach oben konkave Linie bildete, treffen wir
hier auf ein entgegengesetztes Verhalten. Die Steigung der rela-
tiven Volumkurve nimmt mit zunehmendem Druck ab, sie bildet
eine nach oben konvexe Linie, d. h. dass das Durchfluss-
volumen langsamer wächst als dem Druck entsprechen würde.
0 30 60 90 720 10 7180 270 0 30 60 9 120 750 1780 210
cm Wasser cm Wasser
Abb. 7. Abb. 8.
Versuch 5 (Abb. 7): Künstliche Durckströmung der hinteren Extremi-
täten eines frisch getöteten Meerschweinchens mit sauerstoffgesättigter
Ringer-Lösung. Optische Registrierung von Druck und Stromvolumen.
Als Abszisse ist der Druck, als Ordinate das entsprechende Stromvolumen
eingetragen. Der Druckanstieg dauert 6,5 Sek.
Woher kommt diese plötzliche Umkehr der Verhältnisse? Aus
der relativen Volumkurve von Versuch 5 (Abb. 7) würde ja hervor-
gehen, dass der Widerstand des durchströmten Gefässsystemes mit
zunehmendem Druck anstatt abnehmen zunehmen eine Folge-
rung, die wenig wahrscheinlich ist.
Versuch 6 (Abb. 8): Künstliche Durchströmung der hinteren Extremi-
täten eines frisch getöteten Meerschweinchens mit sauerstoffgesättigter
Ringer- Lösung. Onsiscihs Registrierung von Druck und Stromstärke.
Als Abszisse ist der Druck, als Ordinate das entsprechende Stromvolumen
aufgetragen. Der Druckanstieg dauert 2,5 Sek.
Genau das gleiche Resultat wie Versuch 5 ergibt Versuch 6 (Abb. 8),
wo der Druckanstieg in kürzerer Zeit, nämlich in 2,5 Sekunden erfolgt.
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 4]
Auch hier nimmt die Steigung der relativen Volumkurve mit zunehmen-
dem Druck ab, sie bildet eine nach oben konvexe anstatt eine konkave
"Linie wie in den früheren Versuchen. Zur Sicherheit, dass dieser ab-
sonderliche Verlauf der Volumkurve nicht dem neuen Untersuchungs-
objekt der hinteren Extremitäten des Meerschweinchens zugesprochen
werden darf, sei Versuch 7 (Abb. 9) aufgeführt, der von einer frischen
Kaninchenniere stammt. Bei Durchströmung von frischen Kaninchen-
nieren wurde in allen Versuchen der früheren Arbeit ein nach oben
konkaver Verlauf der relativen Volumkurve erhalten. Tritt auch hier
eine konvexe relative Volumkurve auf, so müssen wir diese Differenz
auf die Wirkung des Zeitfaktors beim Druckanstieg beziehen.
Die Durchströmung einer frischen Kaninchenniere mit einer Dauer
des Druckanstieges von 4 Sekunden ergibt in Versuch 8 (ausgezogene
Kurve der Abb. 9) ebenfalls einen konvexen Verlauf der rela-
tiven Volumkurve, welcher somit zweifellos eine Folge
der Raschheit des Druckanstieges ist. Damit kennen wir
wohl das Moment, das diesen Verlauf der Volum-
kurven bedingt, ohne indessen diese Erscheinung
analysiert zu haben. Auf jeden Fall zeigen die
Resultate jetzt schon, wie sehr die zeitlichen Ver-
hältnisse eine Rolle spielen. Ihnen spezielle Be-
achtung zukommen zu lassen, ist notwendig.
Versuch 7 (Abb. 9): Künstliche Durchströmung ° % % ER Page
einer frischen Kaninchenniere mitsauerstoffgesättigter
Ringer-Lösung. Als Abszisse ist der Druck, als Abb. 9.
Ordinate das entsprechende Stromvolumen aufge-
tragen. Die ausgezogene Kurve entspricht dem Druckanstieg, die gestrichelte
dem Druckabfall. Druckanstieg wie Druckabfall dauerten je 4 Sekunden.
Bis hierher wurde die Beziehung von Druck und Durchflussvolumen
nur im Verlaufe des Druckanstieges aufgeführt. Versuch 7 (Abb. 9)
gibt in der gestrichelten Linie die relative Volumkurve bei einem inner-
halb 4 Sekunden abfallenden Druck wieder. Obwohl im Experiment
Druckanstieg und Druckabfall von gleicher Dauer (4 Sekunden) sind
und sich direkt aneinander anschliessen, zeigen die beiden relativen
Volumkurven doch ein prinzipiell verschiedenes Verhalten. Beim
Druckanstieg zeigt die relative Volumkurve einen nach oben konvexen,
beim Druckabfall einen konkaven Verlauf. Wiederum eine auf den
ersten Blick unerklärliche Erscheinung, die aber bei näherer Betrach-
tung wohl zu verstehen ist.
' Wir erinnern uns daran, dass bei dieser Versuchsanordnung die
Stromuhr das Zuflussvolumen zum Organ registriert. Bei konstantem
Druck ist dieses registrierte Zuflussvolumen gleich dem tatsächlichen
Durchtlussvolumen. Anders liegen die Verhältnisse bei einem raschen
Druckanstieg. Wenn hier eine Erweiterung der Strombahn stattfindet,
49 Alfred Fleisch:
so besteht das registrierte Zuflussvolumen aus zwei Komponenten,
nämlich aus dem tatsächlichen Durchflussvolumen durch das Organ
und einem Flüssigkeitsquantum, das zur Kapazitätsvergrösserung des
Gefässsystems dient. Wenn der Druckanstieg und somit die Gefäss-
erweiterung langsam vor sich geht, so verteilt sich dieses Anfüllungs-
volumen auf einen langen Zeitraum und verschwindet gegenüber dem
Durchflussvolumen. Wenn umgekehrt die Gefässerweiterung rasch
erfolgt, so wird das Anfüllungsvolumen auf eine kurze Zeit zusammen-
gedrängt und vermag die registrierte Kurve des Zuflussvolumens
wesentlich zu beeinflussen. Damit wäre der Widerspruch im Kurven-
verlauf von Abb. 9 gelöst. Bei abnehmendem Druck ist in der
relativen Volumkurve kein Anfüllungsvolumen enthalten, hier kann
somit der gewohnte konkave Verlauf der relativen Volumkurve zu-
tage treten.
Wieweit diese theoretische Darlegung die tatsächlichen Verhältnisse
trifft, könnte nur ein Experiment entscheiden, bei welchem ausser
dem Zuflussvolumen noch das tatsächliche Durchflussvolumen durch die
Kapillaren registriert wird. Dieses zu messen ist aber eine schwierige
Sache. Wir beschränken uns deshalb darauf, das Ausflussvolumen
aus der Vene zu registrieren, das annähernd dem tatsächlichen Durch-
flussvolumen entspricht. Vollkommen identisch sind Durchflussvolumen
und Ausflussvolumen nicht wegen geringen Kapazitätsveränderungen
des venösen Systems.
Es sollen nun die gleichen Versuche durchgeführt werden, aber
mit gleichzeitiger Registrierung von Zu- und Ahflussvelumen. Ausser
der arteriellen wird also auch eine venöse Stromuhr angeschlossen,
welche genau gleich gebaut ist wie die erstere, nur dass an ihr das
optische Manometer weggelassen ist.
Um möglichst den ganzen Flüssiskeitsstrom durch die Vena cava
inferior zurückzuleiten, muss die operative Technik bei Verwendung
von zwei Stromuhren etwas abgeändert werden. Dem tief mit Chloral
und Äther narkotisierten Meerschweinchen wird das Abdomen breit
eröffnet und die Bauchdecken bis gegen den Rücken durchgeschnitten.
Sämtliche sichtbar blutenden Gefässe werden unterbunden und jede
Schnittfläche mit dem Thermokauter tief verschorft. Darauf wird
die Aorta und die Vena cava inferior auf einer verzweigungsfreien
Strecke von ca. 1 cm freigelest und jede für sich unterbunden. Um
für das Einführen der Kanülen bequem Raum zu besitzen, wird der
ganze Oberkörper oberhalb der beiden Gefässligaturen abgetragen
und die Schnittfläche der unteren Körperhälfte gut verschorft. Nun
werden distal der Gefässligaturen möglichst rasch Kanülen in die
Aorta abdominalis und in die Vena cava inferior eingebunden und
sofort mit körperwarmer Ringer-Lösung durchspült. Trotz bester
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 43
Kauterisierung und Unterbindung findet immer ein gewisser Flüssig-
keitsverlust aus dem durchschnittenen Gewebe statt, doch ist er sehr
gerine.und beeinträchtigt das Resultat deshalb nicht weiter. Nachdem
alles Blut aus der Gefässbahn ausgewaschen ist, wird das Präparat
in körperwarme Ringer-Lösung untergetaucht und an die doppelte
Stromuhr angeschlossen.
Die Kurven von Versuch 8 (Abb. 10) sind in der gleichen Weise
hergestellt wie oben für die früheren Kurven beschrieben wurde, indem
aus den registrierten Kurven der Druck als Abszisse und die zu-
gehörigen Durchflussvolumina als Ordinaten aufgetragen wurden.
Versuch 8 (Abk. 10): Durchströmung der beiden abgetrennten hinteren
Extremitäten eines Meerschweinchens mit sauerstoffgesättigter Ringer-
Lösung. Optische Registrierung von Druck, Zufluss- und Abflussvolumen.
Als Abszisse ist der Druck, als Ordinaten die entsprechenden Stromvolumina
eingetragen. Die ausgezogene Linie ist die Kurve des Zuflussvolumens,
die gestrichelte Linie die Kurve des gleich-
zeitigen Abflussvolumens. Der Druckan-
stieg dauert 8 Sek.
Die ausgezogene relative Volum-
. kurve von Versuch 8 (Abb. 10), die
dem Zuflussvolumen entspricht, zeigt
wiederum wie in Versuch 5, 6 und 7
einen konvexen Verlauf. Ganz anders
die gestrichelte Kurve des Abfluss-
volumens, die einen ausgesprochen kon-
kaven Verlauf aufweist. Sehr auffällig
ist. die verschiedene Ordinatengrösse der 0 30 60 90 720 750 130 210 240
arteriellen und venösen relativen Volum- Abb. 10
kurven beim gleichen Druck. Die Diffe- er
renz von zwei entsprechenden Ordinaten der arteriellen und venösen
relativen Volumkurve ist gleich dem Überschuss des zuströmenden über
das abfliessende Flüssigkeitsquantum in diesem Zeitmoment, ist also
gleich dem Flüssigkeitsquantum, das zur Kapazitätsvergrösserung
des Gefässsystemes verwendet wird. Im Beginne des Druck-
anstieges wird das gesamte zuströmende Flüssigkeitsguantum zur
Kapazitätsvergrösserung des Gefässsystemes verwendet, da die venöse
Volumkurve noch auf der Nullinie verläuft. Auch während der ganzen
Zeit des Druckanstieges findet fortwährend eine starke Kapazitäts-
vergrösserung statt. Diese Zunahme des Gefässinhaltes durch
Druck ist notwendigerweise verbunden mit einer Er-
weiterung der Gefässe, die gleichbedeutend ist mit einer
Herabsetzung des Widerstandes. Diese Widerstandsherab-
setzung könnten wir auch folgern aus dem konkaven Verlauf der
venösen relativen Volumkurve. Diese zeigt jedoch, wie später noch
44 Alfred Fleisch:
erörtert wird, bei der verwendeten Raschheit des Druckanstieges ein
starkes Nachschleppen; so dass wir wegen der komplexen Verhältnisse
auf diese Schlussfolgerung lieber verzichten und uns mit dem Nachweis
der Widerstandsherabsetzung durch Kapazitätsvergrösserung begnügen
wollen. Dieser Versuch 8 liefert auch den Beweis für die Richtigkeit
der obigen theoretischen Erklärung, wodurch der konvexe Verlauf
der arteriellen relativen Volumkurve durch Superposition
eines nur die Kapazität des Gefässsystemes vergrössern-
den Flüssigkeitsquantums verursacht ist.
Die quantitative Bedeutung dieses kapazitätsvergrössernden Flüssig-
keitsquantums wird noch eklatanter bei einem rascheren Druckanstieg
wie in Versuch 9 (Abb. 11).
Versuch 9 (Abb. 11): Originalkurve einer künstlichen Durchströmung
der hinteren Extremitäten eines Meerschweinchens mit sauerstoffgesättigter
Ringer-Lösung. P ist die
ee Druckkurve, Va das arterielle
| Stromvolumen, Vv das venöse
Stromvolumen. Zeitmarken
—(,5 Sek. Druckanstieg von
0 bis ca. 130 cm Wasser. Die
Empfindlichkeit der venösen
Stromuhr ist geringer als die-
jenige der arteriellen.
Abb. 11 (Versuch 9) gibt
die Originalkurven eines
gleichen Versuches wie die
früheren wieder, bei wel-
2 “ chem der Druckanstieg
rung si Kassen innerhalb 2,5 Sekunden er-
Abb. 11. folst. Der Anstieg des
Druckes und des arteriellen
Stromvolumens setzen genau im gleichen Zeitmoment ein, nur steigt
die Kurve des arteriellen Stromvolumens anfänglich rascher an, woraus
der bekannte konvexe Verlauf der relativen Volumkurve resultiert.
Ganz anders die Kurve des venösen Stromvolumens. Diese beginnt
‚ Ihren Anstieg erst eine Sekunde nach Einsetzen der Drucksteigerung.
Während nach Überschreiten des Druckmaximums der Druck und
das arterielle Stromvolumen wiederum synchron abfallen, steigt das
venöse Stromvolumen nach Überschreiten des Druckmaximums noch
weiter an und erreicht seinen Höhepunkt erst 1,7 Sekunden später,
um von da ab ganz langsam abzufallen. Die Kurve des venösen
Stromvolumens zeigt also ein sehr ausgeprägtes Nach-
schleppen. Dieses ist sicher nicht durch die Apparatur bedingt;
denn die Dämpfung der venösen Stromuhr ist wesentlich schwächer
eingestellt als diejenige der arteriellen. Dieses Nachschleppen des
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 45
venösen Stromvolumens wurde in allen Versuchen bis zu einem ge-
wissen Betrage beobachtet; es wird aber um so akzentuierter, je
rascher der Druckanstieg erfolst.
Auch in diesem Versuch ist der Zuwachs des Getässinhaltes bei
Druckanstieg klar ersichtlich. Denn in einem Zeitpunkt, in dem das
arterielle Stromvolumen schon eine wesentliche Grösse aufweist, ist
das venöse Stromvolumen nech gleich Null. Das gesamte zugeströmte
Flüssigkeitsquantum wurde also im Gefässsystem zurückbehalten. Je
kürzer die Zeit des Druckanstieges und Druckabfalles ist, um so aus-
gesprochener ist die Diskrepanz zwischen arterieller und venöser
Stromvolumkurve. Verläuft der ganze Prozess innerhalb 1—2 Sekunden,
so erhebt sich die venöse Stromvolumkurve nur wenig von der Null-
linie und kehrt erst nach längerer Zeit wieder dahin zurück. Das
Flüssigkeitsquantum, welches die arterielle Stromuhr dann registriert,
ist nicht mehr Durchflussvolumen, sondern nur noch kapazitäts-
vergrösserndes Flüssigkeitsquantum, dessen Abfluss aus dem Gefäss-
system längere Zeit beansprucht.
Diese Versuche lassen schon die ausserordentliche Kompliziertheit
der Verhältnisse erkennen, die auftritt bei einem Druckanstieg innerhalb
weniger Sekunden. Wir sind weit entfer#t davon, die Widerstands-
veränderungen bei raschem Druckanstieg in Form des Strömungs-
effektes kurvenmässig darzustellen, wie bei einem langsam innerhalb
Minuten ansteigenden Druck.
Die Widerstandsveränderungen des Gefässsystems bei raschen
. Druckvariationen. _
Um den Nachweis zu erbringen, dass auch bei einer Geschwindig-
keit der Druckvariationen, die den natürlichen Pulsationen entspricht,
Widerstandsherabsetzung im Gefässsystem erfolgt, greifen wir zu einer
etwas abgeänderten Methode. Die folgenden Versuche bestehen wie
die früheren in künstlicher Durchströmung der hinteren Extremitäten
des Meerschweinchens. Die experimentelle Technik und die Apparatur
ist die gleiche, aber anstatt Druckanstieg mittels Gasdruck aus der
Sauerstoffbombe zu erzeugen, wird plötzlicher Druckwechsel durch
Öffnen und Schliessen des Hahnes H in der Zuleitung (Abb. 1) herbei-
geführt. Diese Methode wurde schon für die Funktionsprüfung der
Apparatur in den Versuchen 1—4 verwendet, und der Charakter der
entstehenden Kurven von Druck und Stromvolumen wurde dort für
die Durchströmung eines starren Widerstandes eingehend diskutiert.
Die analogen Versuche an überlebenden Organen durchgeführt stehen
unter anderen Bedingungen, so dass verschiedene Resultate zu er-
warten sind. Für die Analyse dieser Kurven ist es unerlässlich, vorher
diejenigen Charakteristika des Kurvenverlaufes festzulegen, die aus-
46 Alfred Fleisch:
schliesslich durch die elastische Dehnbarkeit der Strombahn bedingt
sind. Es werden somit den Versuchen am Gefässsystem Experimente
vorausgeschickt mit Verwendung einer toten, dehnbaren Strombahn,
bei welcher jede aktive Kraft ausgeschlossen ist.
Versuch 10(Abb. 12): Durch-
strömung einer toten, wenig
dehnbaren Widerstandsbahn in
Form eines dünnen Ventilschlau-
ches. P ist die Druckkurve, V
die Kurve des Zuflussvolumens.
Druckanstieg und Abfall wird
durch Öffnen und Schliessen des
Zuleitungshahnes erzeugt. Zeit-
marken = 0,25 Sek.
Versuch11(Abb.13): Durch-
strömung einer toten, stark dehn-
baren Widerstandsbahn in Form
eines in eine Gummimembran
eingebundenen Schwammes(siehe
diesbezüglich in früherer Ar-
Abb. 12. r beit). P° ist die Druckkurve, V
; die Kurve des Zuflussvolumens.
Druckanstieg wird durch Öffnen, Druckabfall durch Schliessen des Hahnes
der Zuleitung erzeugt. Zeitifharken — 0,25 Sek.
Der Vergleich der Kurven von Versuch 10 (Abb. 12) und Versuch 11
(Abb. 13) mit den Kurven der Versuche 1—4 am starren System
ergibt auffällige Differenzen. Die bei Druckanstieg entstehende positive
\ Volumzacke, die oben disku-
tiert wurde, erreicht in Ver-
such 10 und namentlich in Ver-
such 11 eine ganz ungewöhnliche
Grösse. Sie übertrifft die ne-
gative Schleuderzacke beim
Druckabfall um ein Vielfaches;
ein Verhalten, das entgegen-
gesetzt ist dem bei starrem
Widerstand beobachteten. Eine
weitere Eigentümlichkeit liegt
im Verlauf der Druckkurve.
{ Ihr Anstieg ist einmal trotz
Abb. 13. raschem Hahndrehen nicht so
rapid wie in den Versuchen
1—4 am starren Widerstand; ganz auffällig ist besonders der lang-
same Abfall der Druckkurve nach Hahnschluss.
Bei der zur Anwendung gebrachten Versuchsanordnung registriert
die Stromuhr das Zuflussvolumen zur dehnbaren Widerstandsbahn,
das wegen Kapazitätsvergrösserung der durchströmten Bahn wieder
|
w
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw.. 47
aus den zwei uns schon bekannten Komponenten besteht, nämlich
aus dem Durchflussvolumen und dem kapazitätsvergrössernden Flüssig-
keitsquantum. Dieses ist die Ursache der stark akzentuierten positiven
Volumzacke in Versuch 10 und 11. Aus diesen Versuchen an totem
Material geht hervor, dass die hoch ansteigende und lang
dauernde positive Volumzacke der Ausdruck einer starken
Strombahnerweiterung ist. Diese ist erst dann beendist, wenn
die Volumkurve horizontal verläuft. Der rapide Anstieg der Volum-
kurve beim Hahnöffnen ist darin begründet, dass die Strombahn
unter dem vorher herrschenden Druck Null kollabiert ist; im Moment
des Hahnöffnens schiesst die Flüssigkeit in die kollabierte Strombahn.
In diesem Mechanismus ist auch die Ursache des verzögerten Druck-
anstieges zu suchen. Erst wenn die Strombahn prall gefüllt ist, kann
der Druck, der vor der Arterienkanüle gemessen wird, sein Maximum
erreichen. Beim Hahnschluss fällt die Stromvolumkurve auf Null
und zeigt die bekannte negative Schleuderzacke. Ganz anders als
beim starren Widerstand verläuft die Druckkurve, die hier nur ganz
allmählich abfällt. Während der Phase des hohen Druckes hat eine
Erweiterung der Strombahn stattgefunden, wobei die den Schwamm
umgebende Gummimembran durch den steigenden Innendruck gedehnt
wurde. Wenn nun beim Hahnschluss die Flüssigkeitszufuhr abgesperrt
wird, so kann der Druck im Anfang der Widerstandsbahn, alse auch
am Abgang der Manometerleitung nur langsam in dem Maasse abfallen,
als sich die Widerstandsbahn entleert und die gedehnte Gummimembran
entsprechend entspannt. Erst wenn der Druck die Nullinie erreicht
hat, ist die Entleerung der Strombahn beendigt. Dieses langsame
Druckdekrement nach raschem Hahnschluss ist wiederum
ein Indikator dafür, dass während der Phase des hohen
Druckes eine Kapazitätsvergrösserung der Strombahn
stattgefunden hat.
Ich habe diese Versuche an toten dehnbaren Widerstandsbahnen
einer so eingehenden Besprechung unterworfen, weil sie uns den
Schlüssel bilden für die Analyse der Versuche am lebenden Gefäss-
system; der Raumersparnis halber sei von diesen zahlreichen Ver
suchen, die im Prinzip alle miteinander übereinstimmen, nur
Versuch 12 aufgeführt. |
Versuch 12 (Abb. 14): Durchströmung der hinteren Extremitäten eines
lebenden Meerschweinchens mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung von
der Aorta aus. P ist die Druck- und V die arterielle Stromvolumkurve.
Der Druckanstieg um ca. 100 cm Wasser wird durch rasches Öffnen, der
Druckabfall durch rasches Schliessen des Hahnes in der Zuleitung bewerk-
stelligt. Zeitmarken = 0,25 Sek.
Die Kurven von Versuch 12 und der anderen an überlebenden
Organen durchgeführten Versuche stimmen in allen wesentlichen
48. Alfred Fleisch:
Merkmalen mit den Kurven von totem Material überein! So ist die
positive Volumzacke, wie in Versuch 12. grösser als die negative
Schleuderzacke. Ganz ausgesprochen ist in diesen Versuchen das
langsame Druckdekrement nach Hahnschluss, aus dem wir in Analogie
zu den Kurven von totem Material interpretieren können, dass
während der Phase des hohen Druckes eine wesentliche
Kapazitätsvergrösserung des Gefässsystems stattgefunden
hat. |
Diese durch das verlangsamte Druckdekrement nach Hahnschluss
nachgewiesene Kapazitätsvergrösserung des Organes muss notwendiger-
weise mit einer Erweiterung der Strombahn verbunden sein. Eine
solche ist aber gleichbedeutend mit einer Widerstandsherabsetzung
der durchströmten Bahn. Wir können schon jetzt mit Sicherheit, be-
haupten, dass auch bei einem sehr raschen Druckanstieginner-
halb Bruchteilen
von Sekunden ei-
i ne Widerstands-
herabsetzungdes
Gefässsystemes
eintritt.
Es muss die
Mösglichkeiterwähnt
werden, dass die
stark ausgeprägte
positive Volumzacke
Abb. 14. bei Druckanstiee
eventuell auf aktive
Fördertätigkeit der Arterien bezogen werden könnte, ausgelöst durch
den Reiz des raschen Druckzuwachses. Die Versuche 10 und Il an
toten, dehnbaren Strombahnen haben über die Zulässigkeit einer solchen
Interpretierung Klarheit gebracht, indem auch hier eine positive
Volumzacke von derselben Grösse zustande kommt; sie ist somit
nicht spezifisch für das lebende Gefässsystem. Es besteht also kein
Grund, diese grosse positive Volumzacke als Ausdruck einer Förder-
leistung der Arterien zu deuten, und die Versuche 13 und 14 werden
den Beweis für die Unzulässigkeit einer solchen Deutung erbringen.
Die folgenden Versuche wurden in gleicher Weise durchgeführt wie
bisher, aber mit Verwendung von zwei Stromuhren, wovon die eine‘
das Zuflussvolumen zur Arterie und die andere das Abflussvolumen
aus der Vene registriert.
Versuch 13 (Abb. 15): Künstliche Durchströmung der beiden hinteren
Extremitäten eines Meerschweinchens mit sauerstoffgesättigter Ringer-
Lösung. Optische Registrierung von Druck (P), Zuflussvolumen (Va) und
Abflussvolumen (Vv). Der rasche Druckanstieg um ca. 100 cm Wasser
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 49 -
wird durch Öffnen, der Druckabfall durch Schliessen —_ Hahnes der Zu-
leitung erzeugt. Zeitmarken — 0,5 Sek.
Die arterielle Stromvolumkurve von Versuch 13 (Va) allein be-
trachtet macht ganz den Eindruck, als handle es sich um die Durch-
strömung einer nur wenig dehnbaren Strombahn, da die positive
Volumzacke nur wenig ausgeprägt und das Druckdekrement nach
Hahnscehluss nicht auffällig stark verlangsamt ist. Bei Mitbetrachtung
der venösen Stromvolumkurve (Vo) wird die Differenz zwischen Zu-
und Abfluss eklatant. Sie ist im Moment des Druckanstieges am
ausgesprochensten, weil die arterielle Stromvolumkurve hier die höchste
Höhe erreicht, während die venöse Stromvolumkurve noch auf der
Nullinie verläuft. Etwas mehr als eine halbe Sekunde verstreicht, bis
sich die Abflusskurve von der Nullinie erhebt. Während dieser Zeit
strömt ein bedeutendes Flüssigkeitsgquantum in das Gefässsystem, der
Abfluss ist aber gleich Null. Das gesamte zuströmende Flüssigkeits-
quantum wird nur zur Kapazitätsvergrösserung des Gefässsystemes
verwendet. Während der
Zufluss auf annähernd
konstanter Höhe bleibt,
steigt die venöse Strom- sr.
volumkurve während der "Wr
ganzen Zeit des hohen ns
Druckes (9 Sekunden)
fortwährend an, und selbst
nach 9 Sekunden ist sie NEE Te
noch im Steigen begriffen. Ri
Erst wenn die arterielle sowie die venöse Stromvolumkurve horizontal
verlaufen, ist der Zufluss gleich dem Abfluss, dann erst ist die Kapazi-
tätsvergrösserung beendet. Wie ausgesprochen langsam die Entleerung
des Gefässsystems nach Druckabfall vor sich geht, zeigt das sehr
langsame Zurückgehen der venösen Stromvolumkurve, das nach 11 Se-
kunden noch nicht beendigt ist.
Noch bleibt auf eine Eigentümlichkeit der Stromvolumkurve von
Versuch 12 hinzuweisen, in welchem dieselbe nach Beendigung der
positiven Volumzacke wieder langsam ansteigt. In anderen hier nicht
speziell aufgeführten Versuchen verläuft sie nach der positiven Volum-
zacke horizontal (wie in Versuch 13) oder fällt noch längere Zeit ab
wie in Versuch 14. Es wäre möglich, dass dieser Anstieg resp. Abfall
der Kurve durch aktive Tonusveränderungen der Gefässe bedingt
wäre, hervorgerufen durch den Dehnungsreiz. Speziell der fort-
schreitende Abfall der Stromvolumkurve könnte der Ausdruck einer
Gefässkontraktion darstellen.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 4
. 50 Bee de eine
Versuch 14 (Abb. 16): Durchströmung der beiden hinteren Extremitäten
eines Meerschweinchens mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. P ist
die Druckkurve, Va die Kurve des arteriellen, Vv die Kurve des venösen
Stromvolumens. Zeitmarken — 0,5 'Sek.
Versuch 14 ergibt die gleichen Resultate wie Versuch 13; daneben
erhalten wir aber noch Aufschluss über eine allfällige Gefässreaktion.
Nach der positiven Volumzacke fällt die Volumkurve kontinuierlich
ziemlich stark ab. Der fortwährend ansteigende Verlauf der venösen
Stromvolumkurve spricht nun deutlich gegen eine aktive Gefäss-
kontraktion, denn eine solche müsste eine Abnahme des Durchfluss-
volumens, also ein Abfallen der venösen Stromvolumkurve zur Folge
haben. Der kontinuierliche Abfall der arteriellen Stromvolumkurve
nach der positiven Volumzacke kann somit nur darauf beruhen, dass
der Gefässinhalt anfangs rasch und nachher langsamer zunimmt.
Durch die vorliegen-
denVersucheistdie aus-
gsiebige Widerstands-
herabsetzung des Ge-
fässsystemes bei einem
Druckanstieg von jed-
welcher Zeitdauer zu °
einer unabweislichen
Tatsachegeworden. Die
bis dahin durchgeführ-
ten Experimente mit
- Druckvariationen von
19° . A Kol . -O bis ca. 100 cm Wasser
Abbe, befassen sich aber mit
prinzipiellen Verhält-
nissen, die den physiologischen Druckschwankungen keine Rechnung
tragen. Die Berechtigung, die Resultate auf die natürlichen Pulsationen
zu übertragen, ist deshalb nicht ganz sichergestellt. Dieser Einwand
soll durch die folgenden Versuche beseitigt werden, welche, nachdem
das prinzipielle Verhalten des Gefässwiderstandes festgelegt ist, der
feineren Differenzierung der Druckschwankungen Rechnung tragen
können. Zugleich sollen uns diese Versuche über das Maass der Gefäss-
erweiterung Aufschluss geben, d. h. die quantitativen Verhältnisse
berücksichtigen.
Für die folgenden Experimente dienten weisse Ratten, die von
der Aorta thoracalis descendens aus mit sauerstoffgesättigster Ringer-
Lösung durchströmt wurden. Von zwei geeichten Stromuhren registrierte
die eine das Zufluss- und die andere das Abflussvolumen aus der Vena
cava inferior. Die Schnittflächen waren wie in den früheren Versuchen
tief verschorft. Drei Ausflussflaschen in der Höhe von 40, 80 und
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 51
120 cm über dem Versuchstier angebracht, konnten durch einfaches
Hahndrehen für die Durchströmung verwendet werden und so hinter-
einander rascher Druckwechsel um je 40 cm Wasser zwischen 0O— 120 cm
steigend und wieder fallend ausgeführt werden.
Bei der Durchführung der Versuche wurde darauf geachtet, dass
bei jedem Druckwechsel der neue Druck so lange bestehen blieb, bis
sowohl Zufluss- als auch Abflussvolumen konstant waren, d. h. deren
Kurven horizontal verliefen. Besonders das Ausflussvolumen erreichte
diese Konstanz immer erst nach 10—20 Sekunden. Da sowohl arterielle
als venöse Stromuhr geeicht sind, kann für die Dauer eines jeden
Druckes die absolute Menge des Zuflussvolumens wie auch die absolute
Menge des Abflussvolumens aus der Fläche, welche die betreffende
Kurve mit ihrer Nullinie bildet, berechnet werden. Ist das Zufluss-
volumen, wie bei Druckanstieg ganz regelmässig beobachtet wurde,
grösser ale das Abflussvolumen, so ist deren Differenz gleich dem
Flüssigkeitsquantum, das in dem durchströmten Organ zurückgeblieben
ist. Wenn dieses Flüssigkeitsguantum lediglich zur Kapazitätsvergrösse-
rung des Gefässsystemes verwendet worden wäre, so müsste es nach
Druckabfall, während der Phase des kleineren Druckes, wieder zum
Vorschein kommen, indem jetzt das Abflussvolumen das Zufluss-
volumen um denselben Betrag übertrifft, um welchen es während
der Phase des höheren Druckes geringer war. Es hat sich aber im
Experiment gezeigt, dass die Verhältnisse nicht so einfach liegen,
indem das Flüssigkeitsquantum, das während der Dauer des höheren
Druckes im Organ zurückbleibt, nach Druckabfall nur zum Teil wieder
ausfliesst. Ein nicht unbeträchtlicher Prozentsatz geht verloren, teils
durch Bildung von Ödemen, teils durch Undichtigkeiten der Schnitt-
fläche.
Aus dem Verlauf der venösen Stromvolumkurve nach Druck-
senkung können wir auf die Grösse der Inhaltveränderungen des durch-
_ strömten Gefässsystemes schliessen. Wird im Experiment der Durch-
strömungsdruck von 120 cm Wasser plötzlich reduziert auf 80 cm,
so fallen die Kurven des Druckes und des arteriellen Stromvolumens
sofort um einen gewissen Betrag ab und verlaufen im weiteren dauernd
horizontal. Die Kurve des venösen Stromvolumens hingegen fällt
langsam ab und verläuft erst nach 10—20 Sekunden horizontal. Die
Verhältnisse, wie sie in zahlreichen Versuchen regelmässig beobachtet
wurden, sind in Abb. 17 schematisch wiedergegeben.
Wenn nach einer gewissen Zeitdauer eines konstanten Druckes
die venöse Stromvolumkurve horizontal verläuft (/I Abb. 17), so
sollten die arterielle und venöse Stromvolumkurve den gleichen Aus-
schlag aufweisen. Jedoch zeigt die arterielle Stromvolumkurve einen
grösseren Ausschlag, der durch fortwährenden Flüssigkeitsverlust durch
4 *
52 Alfred Fleisch:
Transfusion in das Gewebe bedingt ist. Das arterielle Stromvolumen
besteht somit aus zwei Komponenten, von denen die eine (h Abb. 17)
sleich ist dem venösen Stromvolumen, während die andere (h’) dem
Flüssigkeitsverlust entspricht. Als tatsächliches Zuflussvolumen in das
Gefässsystem, das unvermindert in’ die venöse Stromuhr abfliesst,
kommt somit von der registrierten Kurve des Zuflussvolumens (ge-
stricheite Linie) nur die Komponente h(— — :— -—-Linie von Abb. 17}
in Betracht. Die schraffierte Fläche von Abb. 17, die begrenzt ist
durch die reduzierte Kurve des Zuflussvolumens (— -— :— —-Linie)
und die Kurve des venösen Stromvolumens (ausgezogene Linie), ist
sleich dem Überschuss des abfliessenden über das zufliessende Flüssig-
keitsquantum. Die planimetrisch bestimmte Grösse dieser Fläche in
Kubikzentimeter Flüssigkeitsmenge umgerechnet, repräsentiert die Ver-
P=720 P=80
Abb. 17. Ausgezogene Linie — venöses Stromvolumen; gestrichelte Linie
— arterielles Stromvolumen. Bei I! Druckabfall von 120 auf S0 cm Wasser;
bei 1] erreicht die venöse Stromvolumkurve die Horizontale.
minderung des Gefässinhaltes bei einem Druckabtall von 120 auf 80 cm
Wasser. Wir können umgekehrt folgern, dass bei einem Druckansties
von 80 auf 120 cm eine Inhaltszunahme von annähernd gleicher Grösse
stattgefunden hat wie die berechnete Inhaltsabnahme bei Druckabitall.
Die gleiche Methode für den Druckabfall von 80 auf 40 cm und von
40 auf 9 cm Wasser angewendet ergibt die Inhaltsveränderung des
Gefässsystemes, für die entsprechenden Druckvariationen. Im folgenden
sollen die nach dieser Methode gewonnenen Resultate von einigen
Versuchen aufgeführt werden. Auf Wiedergabe der Originalkurven
muss wegen Raummangel verzichtet werden.
Versuch 15:
Druckabtall von 120 auf 80 cm ergibt Abnahme des Gefässinhaltes von 1,5 cem.
&0 ” 40 ” ” ” ” ” ” 0,5 ”
” n 40 ” ” ” ” ” ” ” 0,4 ”
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen.a.d. Widerstandsverhältn. usw. 53
Versuch 16:
Druckabfall von 120 auf 80 cm ergibt Abnahme des Gefässinhaltes von 2,4 cem
” » 80 ” 40 ” ” ” ” ” ” 2,2 ”
40 ” 0 ” ” ” ” ” ” 1,0 ”
p>] b]
Versuch 17:
Druckabfall von 120 auf 80 cm ergibt Abnahme des Gefässinhaltes von 2,2 ccm
80 ” 40 ” ” ” ” Pr) ” 1,9 £)]
40 ” 0 2” ” b}] ” ” ” 1 y 0 »
” £2]
P}] ”
Wie oben angeführt, ist die Kapazitätsvergrösserung bei Druck-
anstieg ungefähr gleich der Kapazitätsabnahme bei Druckabfall. Die
berechneten Werte der Versuche 15—17 können wir deshalb ohne
weiteres auch als Zunahme des Gefässinhaltes bei dem entsprechenden
Druckanstieg betrachten. Aus den mitgeteilten Zahlen ist ersichtlich,
dass bei gleicher Grösse des Druckanstieges die Inhalts-
zunahme des Gefässsystemes mit der Grösse des Ausgangs-
druckes zunimmt.
Um die Grössenordnung der Inhaltsveränderungen hämodynamisch
einschätzen zu können, sei erwähnt, dass sich der Gesamtblutgehalt
der verwendeten Tiere (gleich ein Dreizehntel des Körpergewichtes)
zu ca. 13 cem berechnet. Davon ist der Blutgehalt der im Experiment
nicht durehströmten Gefässbezirke (Herz mit grossen Gefässen, Lungen,
obere Extremitäten und Kopf) in Abzug zu bringen. Setzen wir die
im Experiment erhaltenen Inhaltszunahmen von 1,5—2,4 ccm für
einen Druckanstieg von 80 auf 120 cm Wasser in Beziehung zu dem
normalen Blutgehalt, so resultiert eine starke prozentuale Kapa-
zitätsvergrösserung, die zweifellos zu einer ausgiebigen
Widerstandsherabsetzung führen muss. Diese ist wegen
der Abhänsiskeit des Widerstandes vom Quadrat des
Querschnittes noch, besonders ausgeprägt.
Die vorliegenden Untersuchungen haben ergeben, dass der Wider-
stand der Gefässbahn durch Druckvariationen weitgehend beeinflusst
wird. Das lebende Gefässsystem stellt eine elastisch dehn-
bare Strombahn dar, bei welcher Druckanstieg von jeder
beliebigen Zeitdauer eine ausgiebige Widerstandsherab-
setzung erzeugt. Diese Eigenschaft des Gefässsystems bedingt,
wie in der Einleitung auseinandergesetzt ist, dass die rhythmische
Durchströmung aus rein mechanischen Gründen ein grösseres Durch-
flussvolumen ergeben muss als die konstante, sofern Mitteldruck und
Zeit einander gleich sind. Die Überlegenheit des rhythmischen
Druckes in den Versuchen von Schäfer und Hühne muss
somit in erster Linie der elastischen Dehnbarkeit der
Gefässbahn zur Last gelegt werden. Die Versuche von Schäfer
54 - Alfred Fleisch:
und Hühne müssen als Belege für die Funktion der Arterien als peri-
phere Herzen auf das entschiedenste abgelehnt werden.
Die systolische Schwellung Hürthle’s.
Die vorliegenden Untersuchungen mit künstlichen Pulsen unter
schematischen Bedingungen haben die ausserordentlich komplizierten
Verhältnisse in bezug auf die Widerstandsveränderungen bei raschen
Druckvariationen dargetan. Der Strömungseffekt, der sonst der Indi-
kator der Widerstandsverhältnisse darstellt, ist hier eine Summe’ von
diversen Faktoren, die nur zum Teil bestimmt werden können. Einer
dieser Faktoren, das kapazitätsvergrössernde Flüssigkeitsguantum, wird
bei obiger Versuchsanordnung durch Registrierung des arteriellen und
des venösen Stromvolumens allerdings bekannt, ohne aber eine exakte
Rechnung zu ermöglichen; denn über die hauptsächlichste Lokalisation
dieser Inhaltsvermehrung des Gefässsystemes, die für die Widerstands-
veränderungen von ausschlaggebender Bedeutung ist, wissen wir nichts.
Auch der Gefässinhalt selbst ist keine reine Funktion des Druckes,
sondern ist in weitgehendem Maasse vom Zeitfaktor abhängig, wie
meine Versuche zeigen, indem die glatte Muskulatur der Gefässe eine
für dieses Gewebe charakteristische, starke elastische Nachdehnung
besitzt. Selbst für diese vereinfachten schematischen Pulse halte ich
eine rechnerische Behandlung für zu unsicher fundiert, und dies noch
mehr für natürliche Pulsationen in vivo, für welche Hürthle lediglich
auf Grund der Druck- und arteriellen Stromvolumkurve eine rech-
nerische Behandlung durchgeführt hat.
Nach all den Erfahrungen, welche ich im Verlaufe der nicht immer
leichten Untersuchungen gesammelt habe, muss ich gegen die rech-
nerische Behandlung Hürthle’s Einwände erheben, die im folgenden
dargetan werden sollen.
Hürthle!) hat, um die aktive Förderung des Blutstromes zu
entscheiden, versucht, das pulsatorische Stromvolumen aus den re-
gistrierten Druck- und Stromvolumkurven zu berechnen, von der
1)K. Hürthle, Über die Beziehung zwischen Druck und Geschwindigkeit
des Blutes in den Arterien. Pflüger’s Arch. f.d. ges. Physiol. Bd. 147 S. 525.
1912. — Derselbe, Ist eine aktive Förderung des Blutstromes durch die Arterien
erwiesen? Ebenda Bd. 147 S. 582. 1912. — Derselbe, Untersuchungen über
die Frage einer Förderung des Blutstromes durch die Arterien. Ebenda
Bd. 162 S. 304. 1915. — Derselbe, Analyse der arteriellen Druck- und
Stromkurve des Hundes. Ebenda Bd. 162 S. 322. 1915. — Derselbe, Über
die Anderung der Strompulse unter dem Einfluss vasokonstriktorischer
Mittel. Ebenda Bd. 162 S. 338. 1915. — Derselbe, Der Strompuls nach
Lähmung der Gefässe. Ebenda Bd. 162 S. 359. 1915. — Derselbe, Zusammen-
fassende Betrachtungen über den Inhalt der vorhergehenden Abhandlungen.
Ebenda Bd. 162 S. 413. 1915.
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen &. d. Widerstandsverhältn. usw. 55
Voraussetzung ausgehend, dass ohne Fördertätigkeit der Arterien die
berechnete Stromvolumkurve gleich der registrierten sein müsse. Die
Methode der Berechnung hat Hürthle aus einem Schema abgeleitet,
bei welchem die Kapillaren des Gefässsystemes durch Glaskapillaren
mit starrem Widerstand und die zuführenden Arterien durch einen
Gummischlauch representiert waren. Hürthle berechnet an diesem
Schema Stromvolumkurven, die von den registrierten nur wenig ab-
weichen. Bei der Übertragung der Rechnungsmethode auf das lebende
Gefässsystem macht Hürthle eine Anzahl von Voraussetzungen,
deren Gültickeit er eingehend diskutiert. Wir wollen von der Methode
der Hürthle’schen Berechnung nur diejenigen Punkte herausgreifen,
in welchen wir mit Hürthle nicht einig gehen können.
Hürthle trennt die registrierte Pulswelle in einen systolischen
Teil (vom Beginne des Druckanstieges bis zum Gipfel der Druckkurve)
und in einen diastolischen Teil (vom Gipfel der Druckkurve bis zum
Beginn des nächsten Pulses reichend). Das Stromvolumen während
der Systole nimmt nun Hürthle als Summe von zwei Faktoren an,
nämlich dem Durchflussvolumen durch die Kapillaren und dem Blut-
gquantum, das zur Kapazitätsvergrösserung der zuführenden Arterien
verwendet wird. Das diastolische Stromvolumen ist gleich dem Durch-
flussvolumen durch die Kapillaren vermindert um den Teil, der durch
die Volumabnahme der Bahn gedeckt wird. Auf Grund dieser Über
lesung kommt Hürthle zu den beiden Formein:
D; = Prn,s ® t; Ale (Pa BER P}) e
| Da = Pd D la (Pa = Pı) €
Dabei ist v, das im Stadium der Systole, v, das im Stadium der Diastole
registrierte Stromvolumen, v die unter dem Druck 1 während deı
Zeit 1 durch die Kapillaren abfliessende Flüssigkeitsmenge und e die
unter der Druckdifferenz 1 erfolgende Kapazitätsveränderung der
peripher der Stromuhr liegenden Gefässe. pm, bedeutet den Mittel-
druck während der Zeit der Systole i,, Pm,a den Mitteldruck während
der Zeit der Diastole Z,, als (ps, — p,) ist die Grösse der Druckschwankung
bezeichnet. Aus den registrierten Strom-, Druck- und Zeitkurven kann
Hürthle sämtliche Werte ermitteln mit Ausnahme der beiden Un-
bekannten v und e, welche durch Auflösung der beiden Gleichungen
seiunden werden. Da Hürthle seine Gleichungen auch für jeden
Zeitmoment als gültig betrachtet, berechnet er damit während einer
Pulsation für eine grosse Anzahl Zeitmomente das Stromvolumen
und erhält so eine berechnete Stromvolumkurve. Er findet, dass die
registrierte Stromyolumkurve gegenüber der berechneten im Gipfel
der Druckkurve und im Beginn des Druckabfalles überlegen ist. Diese
Überlegenheit der registrierten Stromvolumkurve bezeich-
56 Alfred Fleisch:
net Hürthle als systolische Schwellung. Gegen die Über-
tragung der oben mitgeteilten Gleichungen vom Schema auf das lebende
Gefässsystem haben wir verschiedene Einwände zu erheben. Im Schema
ist der Widerstand der elastischen Bahn (Schlauch) sehr klein, so dass
die am Manometer gemessenen Druckschwankungen in annähernd der-
selben Grösse bis zum Widerstand der Glaskapillaren übertragen
werden. Beim lebenden Gefässsystem hingegen verschwinden wegen
des nicht zu vernachlässigenden Widerstandes der zuführenden Arterien
die Druckschwankungen während einer Pulsation nach der Peripherie
hin vollständig. Da die Kapillaren des lebenden Gefässsystems während
der Dauer der Pulsation einen konstanten Druck aufweisen, ist ihr
Durchflussvolumen konstant und nicht von dem am Manometer re-
gistrierten Druck abhängig. Hürthle selbst bestätigt dies, indem
er schreibt, dass die pulsatorischen Druckschwankungen infolge der
Reibung und der Zunahme des Gesamtquerschnittes in den Kapillaren
verschwinde, wie aus der Gleichförmigkeit der Strömung geschlossen
werden könne. Der Faktor pm, !; bzw. Dm,av la (gleich Durchfluss-
volumen durch die Kapillaren) der Hürthle’schen Gleichung, der
Proportionalität zwischen Kapillarstrom und dem am
Manometer gemessenen Druck während der Dauer einer
Pulsation fordert, ist für das lebende Gefässsystem un-
gültig. Das Durchflussvolumen durch das Kapillarsystem
ist nicht, wie in der Gleichung Hürthle’s enthalten ist,
von dem in der zuführenden Arterie in jedem Zeitmoment
herrschenden Druck abhängig, sondern es ist nur ab-
hängig von dem Mitteldruck einer ganzen Anzahl sich
tolgender Pulsationen. Wie langsam sich das Stromvolumen
durch die Kapillaren selbst“ grossen, rasch erfolgenden Druck-
schwankungen anpasst, zeigen meine oben angeführten Versuche
mit gleichzeitiger Registrierung des arteriellen und venösen Strom-
volumens.
Ein weiterer Punkt in der Gleichung Hürthle’s erscheint mir zu
unsicher fundiert, das ist der Faktor (p,—p,)e. Wenn wir auch die
von Hürthle angenommene Proportionalität zwischen Druck- und
Volumzuwachs im Bereich der vorkommenden Druckschwankungen
hier nicht diskutieren wollen, so muss Einwand erhoben werden gegen-
über der Vernachlässigung des Zeitfaktors. Hürthle hat für sein
Schema den Nachweis erbracht, dass die Vernachlässigung des Zeit-.
faktors keine allzugrossen Fehler verursacht, für das lebende Getäss-
system fehlt aber ein analoger Beweis. Meine oben publizierten Ver-
suche und der folgende Versuch 18 demonstrieren den wesentlichen
Einfluss des Zeitfaktors auf die Inhaltsveränderungen des Gefäss-
systems,
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 57
Versuch 18 (Abb. 18): Durchströmung der unteren Körperhälfte einer
Ratte mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. P ist der Druck, Va das
Zuflussvolumen, Vv das Abflussvolumen. Plötzliche Druckerhöhung von 80
auf 120 cm Wasser. Zeitmarken =0,5 Sek.
Wie Abb. 18 zeigt, schnellt bei plötzlicher Druckerhöhung um
40 em Wasser die Kurve des Zuflussvolumens (Va) sofort in die Höhe
und verläuft von da ab horizontal. Die Kurve des venösen Strom-
volumens (Vv) hingegen zeigteinen
sehr langsamen Anstieg, der nach
15 Sekunden noch nicht ganz be-
endet ist. Erst wenn beide Kurven
horizontal verlaufen, ist der Zu-
fluss gleich dem Abfluss; dann
erst ist die Inhaltszunahme des
Gefässsystems, die vorher statt- Abb. 18.
gefunden hat, beendet. Wir er-
sehen daraus, dass die Inhaltszunahme nicht eine reine Funk-
tion des Druckes sein kann, sondern von der Zeitdauer in
hohem Maasse abhänst.
Bevor Hürthle seine systelische Schwellung im Sinne einer aktiven
Förderleistung der Arterien auswerten will, sucht er nach physikali-
schen Ursachen derselben und zieht eventuelle Änderungen des Wider-
standes und seiner e-Werte in Betracht. Dabei schreibt Hürthle,
‘dass man für die
Erklärung der sys-
tolischen Schwellung
durch Veränderung
‚der e-Werte diese bei
Beginn der Druck-
senkung müsste ne-
gativ werden lassen,
d. h. man müsste
ncch eine wei-
tere Volumzunahme DET 27 mv
der Bahn eintreten Abb. 19.
lassen. Hürthle
bezeichnet diese Volumzunahme bei Beginn der Drucksenkung als
ganz unwahrscheinlich, wir hingegen halten sie für sicher. Betrachten
wir einmal die Kurven von Druck, Zufluss- und Abflussvolumen
während der Dauer einer Pulsation (Abb. 19).
Wir machen dabei die Voraussetzung, dass die vorhergehenden
Pulsationen von gleicher Höhe waren. Die Kurve des venösen Strom-
volumens (Vo) verläuft somit entsprechend dem konstanten Kapillar-
strom horizontal. Die Kurve des Zuflussvolumens (Va) zeigt mit der
58 Alfred Fleisch:
Druckkurve P synehronen Anstieg und Abfall. Wir machen noch
die ohne weiteres gerechtfertiste Annahme, dass das Gesamtzufluss-
volumen während des betrachteten Pulsbildes gleich ist dem Gesamt-
abflussvolumen. Wenn beide Stromvolumkurven im gleichen Maass-
stab aufgetragen sind, so ist in ihren Schnittpunkten (I und III) das
Zuflussvolumen gleich dem Abflussvolumen. Wo die arterielle Strom-
volumkurve die venöse übersteigt (von /—III), ist der Zufluss grösser
als der Abfluss, hier findet also eine Inhaltszunahme des Gefässsystemes
statt. Wo umgekehrt die arterielle Kurve unter der venösen zurück-
bleibt (0—/ und III—IV), wird der Gefässinhalt vermindert. Ver-
gleichen wir einmal diese hier dargelegten selbstverständlichen Ver-
hältnisse mit den Gleichungen Hürthle’s. Darnach nimmt der Gefäss-
inhalt während der ganzen Dauer des Druckanstieges (also von 0O—//)
fortwährend zu, um während der ganzen Zeit des Druckabfalles (von
IT—IV) abzunehmen. Speziell vom Gipfel der Druckkurve, also vom
Stadium /I ab, subtrahiert Hürthle den Faktor (p,—p,)e vom
Kapillarstrom, um das Stromvolumen zu berechnen. Im Stadium
II—III des abfallenden Schenkels müsste also, wenn die Hürthle-
schen Gleichungen für das Getässsystem Gültigkeit hätten, der Gefäss-
inhalt abnenmen. Es kann aber kein Zweifel darüber sein, dass er
in diesem Stadium noch zunimmt. Die Gleichungen Hürthle’s
führen also zu einer Unmöglichkeit, die vereint mit den
oben genannten Einwänden uns dazu führt, die Gültig-
keit der Berechnungen Hürthle’s für das Gefässsystem
bestimmt abzulehnen. Wieso Hürthle für das Stadium //—IlI
des abfallenden Schenkels ein kleineres Stromvolumen berechnet, als
registriert, ist jetzt klar. In der Berechnung wird eine Kapazitäts-
veränderung subtrahiert, während in Wirklichkeit eine solche addiert
werden scllte. Die systolische Schwellung Hürthle’s ist ver-
ursacht durch einen Berechnungsmodus, der für das Ge-
fässsystem keine Gültigkeit haben kann.
Hürthle selbst hat die systolische Schwellung nie als sicheres
Arsument für die Fördertätigkeit der Arterien betrachtet, sondern
. immer noch die Möglichkeit erwähnt, dass sie eventuell doch durch
physikalische Faktoren verursacht sein könnte. Im Gegensatz zu
Hürthle haben andere Autoren, wie Hasebroek!) und Mares >),
die systolische Schwellung als Beweis für die aktive Fördertätigkeit
der Arterien ins Feld geführt. Es wäre deshalb von grösstem Interesse,
. DK. Hasebroek, Über den extrakardialen Kreislauf des Blutes.
S. 103 u. 275. Jena 1914.
2) F. Mares, Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blut-
durchströmung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefässsystems. Pflüger’ S
Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 165. Seite 159. 1916.
Der Einfluss rhythm. Druckschwankungen a.d. Widerstandsverhältn. usw. 59
von Hürthle seine "Stellungnahme zur systolischen Schwellung zu
erfahren, vielleicht gibt die vorliegende Arbeit die Veranlassung dazu.
Wir selbst treten mit Bestimmtheit dafür ein, dass die systolische
Schwellung nichts zu tun hat mit einer aktiven Fördertätigkeit der
Arterien, sondern dass sie durch eine unrichtige Formulierung ver-
ursacht ist.
Zusammenfassung.
Die vorliegenden Untersuchungen bilden eine Erweiterung einer
früheren Arbeit, in welcher Widerstandsveränderungen des Gefäss-
systemes bei langsam ansteigendem Druck untersucht wurden. Es
wurde dort festgestellt, dass bei einem langsam im Verlauf von mehreren
Minuten ansteigenden Druck der Widerstand des durchströmten Ge-
fässsystemes herabgesetzt wird.
Um die Widerstandsveränderungen systematisch bei immer rascher
erfolgendem Druckanstieg untersuchen zu können, wurde eine neue
Stromuhr mit fortlaufender optischer Registrierung von
Stromvolumen und Druck konstruiert. Die Stromstärke wird
bei diesem Apparat registriert durch die Druckdifferenz,
welche die Flüssigkeit beim Strömen durch ein starres
Rohr erleidet. Diese Druckdifferentialstromuhr zeichnet
sich aus durch fortlaufende Registrierung, horizontale Nullinie, voll-
kommene Proportionalität der Ausschläge, hohe Empfindlichkeit und
äusserst geringe Trägheit.
Durch Verwendung einer arteriellen und einer venösen Stromuhr
lässt sich nachweisen, dass bei einem Druckanstieg inner-
halb mehreren Sekunden eine ausgiebige Erweiterung der
Gefässe eintritt. Eine solche ist aber gleichbedeutend
mit einer Widerstandsherabsetzung der durchströmten
Gefässe.
Die Versuche mit raschem Druckanstieg innerhalb Bruchteilen
von Sekunden ergeben aus dem Verlauf der Druck- und der arteriellen
Stromvolumkurve, dass auch hier während des Druckanstieges
und der Phase des hohen Druckes eine wesentliche Kapa-
zitätsvergrösserung des Gefässsystems stattfindet. Diese
Inhaltszunahme wird besonders klar ersichtlich bei gleichzeitiger
Registrierung des arteriellen und des venösen Stromvolumens, in-
dem dabei das arterielle Stromvolumen bei Druckanstieg das venöse
weit übertrifft und dieses letztere erst nach mehreren Sekunden
zur gleichen Höhe anschwillt. Die Widerstandsherabsetzung wird
nicht nur durch Druckanstieg von 0 aus, sondern auch bei physio-
logischer Druckzunahme von 40—80 und 80-120 cm Wasser nach-
gewiesen.
60 Alfred Fleisch: Der Einfluss rhythmischer Druckschwankungen usw.
Die bei jeder Zeitdauer des Druckanstieges erfolgende Widerstands-
herabsetzung des Gefässsystemes ist das Kriterium dafür, dass die
rhythmische Durchströmung aus rein mechanischen Gründen ein
grösseres Durchflussvolumen ergeben muss als die konstante. Es ist
deshalb unzulässig, aus der Überlegenheit des rhythmischen Druckes
über den konstanten auf eine aktive Förderleistung des Flüssigkeits-
stromes durch die Arterien zu schliessen.
Auf Grund der gemachten Experimente wird die systolische
Schwellung Hürthle’s einer eingehenden Kritik unterworfen, welche
ergibt, dass die systolische Schwellung durch einen Be-
2 ehnunssmodus verursacht ist, der für das Gefässsystem
keine Gültigkeit haben kann.
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte.
II. Mitteilung:
Die Festigkeit der Protozoen gegen Farbstoffe.
Von
S. M. Neuschlosz.
(Mitteilung aus dem pharmakologischen Institut der Universität Budapest.)
(Eingegangen am 2. August 1919.)
Einleitung.
Nachdem in einer früheren Arbeit !) der Nachweis erbracht worden
ist, dass die erworbene Chininfestigkeit bei Protozoen (Paramäcien)
‚auf die Fähigkeit derselben, das Chinin zu zerstören, zurückzuführen
ist, war die Frage naheliegend, ob die Gewöhnung der Protozoen an
andere Gifte, namentlich an Farbstoffe, auf einem ähnlichen Vor-
gange beruht. Im folgenden soll über die zu diesem Zwecke aus-
geführten Untersuchungen berichtet werden.
Dass Protozoen gegen Farbstoffeifte gefestigt werden 'können, ist
aus den Arbeiten Ehrlich’s ?) und seiner Schüler bekannt. Die Festig-
keit erscheint in diesen Versuchen als eine spezifische, indem sie ledig-
lich gegen die Farbstoffe jener chemischen Gruppe zutage tritt, zu
welcher der zur Festigung verwendete Farbstoff gehört hat. Auf diese
Weise konnte Ehrlich Protozoenstämme züchten, welche gegen Ben-
zidinfarbstoffe, eine andere, welche gegen T’riphenylmethanfarbstoffe
eine spezifische Festigkeit innehatten. Allen anderen Giften gegen-
über verhielten sich diese Protozoen wie die normalen. Es scheint
demnach, dass die verschiedenen Farbstoffe verschiedene Wirkungs-
mechanismen — oder wie Ehrlich sich ausdrückt, gesonderte Angriffs-
punkte (Chemozeptoren) — haben, und es war deshalb von Wichtig-
keit, auch bei unseren Versuchen den Gewöhnungsvorgang an den
einzelnen Farbstoffgruppen gesondert zu untersuchen. Es wurden
Vertreter drei verschiedener protozoozyder Farbstoffgruppen verwendet,
namentlich das Methylenblau (Thiazinreihe), das Trypanblau (Benzidin-
farbstoffe) und das Fuchsin (Tryphenylmethangruppe).
Als Versuchsobjekt diente auch hier, wie bei den Versuchen mit
Chinin, Paramäcium caudatum. Bezüglich der Paramäcienkultivation
und der Versuchsanordnung, welche in jeder Hinsicht die gleiche war,
wie in der genannten Arbeit, muss auf dieselbe verwiesen werden.
1) Neuschlosz, dieses Archiv Bd. 176 S. 223.
2) Ehrlich, Beiträge zur Exp. Path. u. Chemotherapie. Leipzig 1909.
62 S. M. Neuschlosz:
Die normale Empfindlichkeit der Paramäcien gegen Farbstoffe.
Vor allem musste die Giftempfindlichkeit der Paramäcien den
zur Verwendung gelangenden Farbstoffen gegenüber festgestellt werden.
Als Maass der Giftigkeit wurde auch hier die Lebensdauer der Para-
mäcien in den verschiedenen Farbstofflösungen betrachtet. Die Mitiel-
werte sämtlicher Vergiftungsversuche mit normalen Paramäcien ent-
hält die Tabelle 1.
Tabelle I.
Lebensdauer normaler Paramäcien in Farbstofflösungen verschiedener
Konzentration.
Methylenblau Trypanblau Fuchsin
Konzen- Lebens- Konzen- Lebens- Konzen- Lebens-
tration ' dauer tration dauer tration dauer
1 1000 | 30’ 1 10 000 4' 1: 1000 0’
1 2000 11’ 1 20 000 7’ 1: 2000 | 30
1 4.000 DO 1 40 000 34" 1: 4000 Du
1: 8000 | 118’ 1: 80000 1b 16’ 1: 8000 36’
1: 16000 2h 19’ 1: 160000 A Te) 1: 16 000 ih 18’
1: 32000 3h 11’ 1: 320000 oh 36’ 1:32 000 > 24h
1: 64.000 4h 6’ 1: 640000 4h 38’
1: 128000 oh 1" 1:1 280 000 5h 52'
1:25000 | >24h 1:2 500 000 >24h
Wie ersichtlich ist von den verwendeten Farbstoffen Trypanblau
das weitaus giftigste; Methylenblau und Fuchsin unterscheiden sich
namentlich dadurch, dass in konzentrierten Lösungen (1:1000 —
1:10,000) das Fuchsin, bei grösseren Verdünnungen das Methylenblau
sich als eittiger erweist.
Die Gewöhnung der Paramäcien an die Farbstoffe.
Hiernach konnte mit der Gewöhnung der Paramäcien an die Farb-
stoffgifte begonnen werden. Wir gingen wie bei den Chininversuchen
vor: es wurde der Nährlösung der Paramäcien zuerst eine ganz geringe
— weit unterhalb der giftigen Grenzkonzentration liegende — Menge
des Farbstoffes zugefügt, sodann der Farbstoffgehalt langsam, stufen-
weise erhöht. Die bereits bei der Gewöhnung an Chinin beobachteten
und erwähnten Depressionsstadien der Paramäcien, welche manchmal
der Erhöhung der Giftkonzentration zu folgen pflegten, waren bei
den Farbstoffen bei weitem stärker als bei Chinin, so dass die Steigerung
der Farbstoffkonzentration noch viel behutsamer vorgenommen werden
musste als bei den Versuchen mit Chinin. Nichtsdestoweniger kam
es wiederholt zum Absterben der Kulturen bei Giftkonzentrationen,
welche später bei vorsichtigerem Handhaben der Gewöhnung anstands-
los vertragen worden sind. Über die Zeit, die zur Gewöhnung bei jedem
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. II. 6:
&
einzelnen Farbstoff sich als nötig erwies, und die während derselben
durchgelaufenen Giftkonzentrationen sei im folgenden kurz berichtet:
Methylenblau: Dauer der Gewöhnung: 29. April bis 2. Juni
1919, 34 Tage. Konzentrationen: 1:10000000, 1:8000000, 1:6000090,
1:4000000, 1:2000000, 1:1500000, 1:1000000, 1:800000, 1:600000,
1:500000, 1:400000, 1:300000, 1:200000, 1:150000, 1:100000. —
Trypanblau: Dauer der Gewöhnung: 2. Mai bis 2. Juni 1919,
31 Tage. Konzentrationen: 1:100000000, 1:80000000, 1:60000000,
1:50000000, 1:40000000, 1:30000000, 1:20000000, 1:15000000,
1:12000000, 1:10000000, 1:8000000, 1:6000000, 1:5000000,
1:4000000, 1:3000000, .1:2000000, 1:1500000, 1:1000000. —
Fuehsin: Dauer der Gewöhnung: 29. April bis 2. Juni 1919,
34 Tage. Konzentrationen: 1:1000000, 1:800000, 1:600000, 1:400000,
1:200000, 1:150000, 1:100000, 1:80000, 1:60000, 1:50000, 1:40000. —
Um feststellen zu können, ob durch diese allmähliche Behandlung
der Paramäcien mit den Farbstoffen tatsächlich eine Festigung der-
‘selben eingetreten ist, wurde die Lebensdauer normaler und gewöhnter
Paramäcien in Farbstofflösungen verschiedener Konzentration mit-
einander verglichen. Zu diesem Zwecke wurde jeder Farbstoff in
jenen Konzentrationen verwendet, von welchen früher festgestellt
wurde, dass dieselben normale Paramäcien sicher innerhalb 2 Stunden
zu töten vermögen. Ganz hohe, fast momentan tötende Konzentrationen
wurden jedoch vermieden, da diesen gegenüber nach unseren mit
Chinin gemachten Erfahrungen eine Wirkung der Gewöhnung in nur
geringem Grade zu gewärtigen war. Über die Ergebnisse dieser Ver-
suche geben die Tabellen II, III und IV Aufschluss.
Tabelle II.
Lebensdauer normaler und gewöhnter Paramäcien in Methylenblau-
lösungen verschiedener Konzentration.
Lebensdauer
Versuchs- Datum Konzentration ©
nummer a normaler gewöhnter
Paramäcien Paramäcien
1: 5000 Du" 18 Sl?
5. Juni 1: 10000 1h 14’ 24507
1: 20.000 23h 59" 4h 24'
1: 5000 Sn Ih 38’
7. Juni 1:10.000 Ih 21’ 2m 5
1:20 000 3h 6’ 4h 11’
1: 5000 Sl Ense
10. Juni 1:10 000 Ih 28’ oh 37
1:20000 3h 13’ 4h 17'
1: ‚5.000 26’ ie al]
11. Juni 1:10000 Ih 21’ %h 41’
1: 20.000 De a
64 S. M. Neuschlosz:
Tabelle III.
Lebensdauer normaler und gewöhnter Paramäcien in Trypanblaulösungen
verschiedener Konzentration.
v h Lebensdauer
EINE Datum Konzentration | n =
nummer normaler. gewöhnter
Paramäcien Paramäcien
1: 50000 49! 1h 47'
28 9. Juni 1 : 100 000 1h 49’ 3h 25’
1: 200 000 ah 57’ 5h 19’
t 1: 50.000 46’ 1h 47’
3l 71. Juni 1: 100 000 1h 57’ | 3h 22’
1: 200 000 3h 17’ 5h 6’
| 1: 50.000 49' ih 527
34 10. Juni 1: 100 000 Ih 53’ 3h 23'
| 1: 200 000 N
| 1: 50.000 46' 1b 46’
40 11. Juni 1: 100 000 ° 15 52’ 3h 25’
| 1: 200 000 3h 11’ 5h 17’
Tabelle IV.
Lebensdauer normaler und gewöhnter Paramäcien in Fuchsinlösungen
verschiedener Konzentration.
Lebensdauer
Versuchs- Datum Konzentration
nummer normaler gewöhnter
Paramäcien Paramäcien
1: 2500 | DU 6’
29 5. Juni 1: 5.000 16’ 1b 27’
1: 10. 000 | 44' Ih 98’
| 1: 2500 Sa Zi’
32 7. Juni 1: 5000 17' | au
| 1: 10.000 48’ 23h 47'
f 1: 2500 | DH 10’
35 10. Juni 1: 5000 15’ 1h 33’
| 1:10000 | 51’ on 58’
| 1: 2500 | 5 8’
41 11. Juni 1: 5000 EZ ih 35’
| 1: 10.000 | 46' Ih 47’
Es zeigt sich, dass die Paramäcien sich durch Gewöhnung
segen alle angewendeten Farbstoffe in recht erheblichem
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. I. 65
Maasse festigen lassen. Die Lebensdauer der gewöhnten Para-
mäcien ist in jeder einzelnen Farbstoftlösung wesentlich höher (25 bis
440%) als die der normalen, während die Resultate der einzelnen
Versuche recht gut miteinander übereinstimmen.
Das Wesen der Gewöhnung der Paramäcien an Farbstoffe.
Wir konnten demnach zu unserer eigentlichen Fragestellung schreiten
und untersuchen, ob die Protozoen ihre erworbene Festigkeit den
Farbstoffen gegenüber einem ähnlichen Vorgange verdanken, wie wir
dies bei Chinin feststellen konnten, nämlich der infolge der Gewöhnung
erlangten Fähigkeit, das Gift zu zerstören. Es musste also
das Schicksal der den Paramäcien zugefügsten Farbstoffe verfolgt
werden. Ein Vergleich desselben bei normalen und gefestigten Para-
mäcien musste die Antwort auf die gestellte Frage geben. Hierzu
mussten die Farbstoffmengen in den einzelnen Lösungen nach Ablauf
der Versiftungsversuche quantitativ bestimmt werden. Zur Be-
stimmung der Farbstoffe schien die kolorimetrische Methode am ge-
eignetsten zu sein. Sie wurde mit einem Kolorimeter nach Königs-
berger und Authenrieth ausgeführt. Als Vergleichslösung wurde
jeder Farbstoff in derselben Konzentration verwendet, welche auch
den Paramäcien zugefügt worden ist, so dass die nach Entfernung
der Paramäcien gewonnenen Farbstofflösungen direkt mit der Ver-
gleichslösung verglichen und die zwischen den beiden nachweisbaren
Unterschiede als während des Versuches entstandene Farbstoffverluste
betrachtet werden konnten. Dieselben wurden mit Hilfe einer für jeden
Farbstoff festgestellten empirischen Kurve in Prozente umgerechnet.
Die Versuche gestalteten sich demnach folgendermaassen: 4,5 cem
Farbstofflösung von bekannter Konzentration wurden mit genau ab-
gemessenem 0,5 cem Paramäciensuspension versetzt. Nach Absterben
sämtlicher Paramäcien wurden dieselben abzentrifugiert und die Kon-
zentration der übriggebliebenen Farbstofflösung kolorimetrisch mit
der ursprünglichen Lösung verglichen. Die Ergebnisse dieser Versuche
sind aus den Tabellen V, VI und VII ersichtlich.
Diese Zahlen zeigen mit vollkommener Klarheit, dass, während
. die Farbstofflösungen durch normale Paramäcien im Laufe
der Versuche nicht im mindesten verändert werden — denn
die durchschnittlichen Verluste von 0,5—1 °%/, müssen als innerhalb der
unvermeidlichen Fehlergrenzen liegend angesehen werden —, die-
selben bei Anwesenheit gefestigter Paramäcien ausnahms-
los beträchtlichen Farbstoffverlusten unterworfen sind.
Dieselben betragen im Mittelwert bei den einzelnen Farb-
stoffen 52,5, 54 und 60% der ur a vorhandenen
Farbstoffmenge.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 5
S. M. Neuschlosz:
(or)
{er}
Tabelle V.
Durch normale und gewöhnte Paramäcien herbeigeführter Farbstoffverlust
in der tötenden Methylenblaulösung.
5 Normale Para- Gewöhnte Para-
Ver- Ursprüng- mäcien mäcien
suchs- ! Datum !liche Kon-
nummer zentration Lebens- Verlust Lebens- Verlust
dauer 0/g dauer 0/9
27 5. Juni| 1:10000 ih 14’ 0 2h 50’ 42
30 ER 1:10 000 ln al 7 0 Zu 59" 53
33 102% 1: 10.000 1h 28’ 0 Ti 50
3 Il, 1: 10.000 1a 2” 2 2h 41’ 65 *
Mittelwerte | 1% 21" 05 | 2286’ | 335
Tabelle VI.
Durch normale und gewöhnte Paramäcien herbeigeführter Farbstoffverlust
in der tötenden Trypanblaulösung.
Normale Para- Gewöhnte Para-
Ver- . | Ursprüng- mäcien mäcien
suchs- Datum | liche Kon- = £
nummer zentration Lebens- Verlust Lebens- Verlust
dauer UM dauer 0/9
28 | 5. Juni | 1: 100.000 | 1n49' | 0 31 95’ 54
31 Mass 1: 100.000 Ih 57' 0 3h 22° 58
® 10.5 1: 100 000 1h 52’ 2 an 95 58
40 DIESE 1: 100 000 Ih 53’ 1 3h 23’ 45
Mittelwerte | 14 58° | 0,5 sh 24’ | 54
Tabelle VII.
Durch normale und gewöhnte Paramäcien herbeigeführter Farbstoffverlust
in der tötenden Fuchsinlösung.
| Normale ‘Para- Gewöhnte Para-
Ver- Ursprüng- mäcien mäcien
suchs- | Datum | liche Kon-
nummer zentration Lebens- Verlust Lebens- Verlust
dauer 0 dauer Oo
2% | 5, Juni 1 5008 | 16 0 Ih 97’ 75
32 CR. 1: 5000 1? 0 Sl)
3 IOEN EL 1:5000 15 ' 1 1b 33’ 55
41 UNSR, 1:5000 17’ 3 Tao 8
Mittelwerte | 16’ | 1 | 1h 32’ 60
Die nächste, sich von selbst ergebende Frage war nun, ob dieser
Verlust an Farbstoff mit einer gleichzeitigen Herabsetzung der Giftig-
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. II. 67
keit der Lösung einhergeht, oder ob es sich bloss um die Überführung
des Farbstoffes in eine ungefärbte Form handelt, ohne wesentliche
Veränderung seiner Wirksamkeit. Für die Erklärung der Festigung
der Paramäcien wäre selbstverständlich nur im ersten Falle etwas
gewonnen, während die zweite Möglichkeit für unser Problem gänzlich
belanglos wäre. Zur Entscheidung dieser Frage wurde die Giftigkeit
der durch gewöhnte Paramäcien entfärbten Farblösungen normalen
Paramäcien gegenüber bestimmt. Im Falle, die Entfärbung der Lösungen
mit einer entsprechenden Entgiftung derselben einherging, müsste die
Lebensdauer der Paramäcien in denselben mit der in einer entsprechend
verdünnteren Farbstofilösung gleich sein. Es wurden demnach die
Farbstoftlösungen nach Entfernung der abgetöteten, gefestigten Parä-
mäcien nochmals — diesmal mit normalen Paramäcien — versetzt
und ihre Lebensdauer in denselben festgestellt. Die Resultate dieser
Versuche enthalten die Tabellen VIII, IX und X. Die letzte Kolonne
dieser Tabellen enthält die berechnete — voraus vermutete — Lebens-
dauer der Paramäcien in den entsprechenden Lösungen, unter der
Voraussetzung, dass eine durch gefestigte Paramäcien entfärbte Farb-
stofflösung normalen Paramäcien gegenüber ebenso siftig ist wie
eine gleichgefärbte, lediglich mit Wasser verdünnte Lösung desselben
Stoffes.
Tabelle VIII.
Lebensdauer normaler Paramäcien in durch gewöhnte Paramäcien ent-
färbten Lösungen von Methylenblau.
Ver- Ursprüng- Verlust Lebensdauer
suchs- Datum liche Kon- !kolorimetrisch
nummer zentration %o beobachtet | berechnet
36 10. Juni 1: 5000 50 1h 57’ | ca. 15h 30’
Ri, 1:5000 ach 92h 97 | ca. 2h
Tabelle IX.
Lebensdauer normaler Paramäcien in durch gewöhnte Paramäcien ent-
färbten Lösungen von Trypanblau.
Ver- Ursprüng- Verlust | Lebensdauer
suchs- Datum liche Kon- I!kolorimetrisch
nummer zentration 0/9 beobachtet | berechnet
3 10. Juni 1:50 000 45 ah 34' ca. 24
45 I; 1:50 000 98 2h 47' ca. 2h 30’
5 *
68 S. M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. II.
Bee ,%
Lebensdauer normaler Paramäcien in durch gewöhnte Paramäcien ent-
färbten Lösungen von Fuchsin.
Ver- Ursprüng- Verlust Lebensdauer
' suchs- Datum liche Kon- |kolorimetrisch
nummer zentration %o beobachtet | berechnet
38 10. Juni 1: 2500 55 2 | ca. 15’
44 122, 1: 2500 58 Dan I ea. 15’
\ |
Ein Vergleich der letzten zwei Kolonnen dieser Tabellen zeigt nun,
dass unsere Voraussetzung den Tatsachen entspricht, denn die be-
obachtete Lebensdauer der Paramäcien zeigt sich in jedem Falle der
berechneten ungefähr entsprechend. Eine genauere Berechnung lässt
sich ja bei derartigen Bestimmungen gar nicht denken.
Der gegen eine Zerstörung des Farbstoffes seitens der Paramäcien
etwa noch mögliche Einwand, dass es sich lediglich um eine Speicherung
desselben in den Paramäcienleibern handelt, wird durch die Beobach-
tung entkräftet, dass die mikroskopisch nachweisbare Färbung der
Leiber durch Farbstoff getöteter, gewöhnter Paramäcien keinesfalls
intensiver war, sogar — soweit solehe Vergleiche überhaupt zulässig
sind — weniger deutlich erschien, als die normaler Paramäcien.
Zusammenfassung.
Das Resumee dieser Untersuchungen muss also daraufhin lauten,
dass:
1. Protozoen (Paramäcien) sich durch Gewöhnung gegen
siftige Farbstoffe der Thiazin-, Benzidin- und Triphenyl-
methanreihe, namentlich Methylenblau, Trypanblau und
Fuchsin ganz beträchtlich festigen lassen.
2. Diese Festigung beruht auf der Fähigkeit der ge-
wöhnten Paramäcien, den Farbstoff zu zerstören und ihn
in nichtfärbende, ungiftige Verbindungen zu überführen.
Über den näheren Mechanismus dieser Zerstörung lässt sich einst-
weilen nichts mit Sicherheit sagen. Die Erwägungen, welche gelegent-
lich der Untersuchungen über die Chininfestigkeit bei Protozoen be-
sprochen worden sind !), sprechen auch bei den Farbstoffen zugunsten
der Annahme, dass es sich um Abwehrfermente handelt.
\
1) Neuschlosz, a.ar 20),
ze nee
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte.
III. Mitteilung:
- Das Wesen der Festigung von Protozoen gegen Arsen und Antimon.
Von
S. M. Neuschlosz.
(Mitteilung aus dem pharmakologischen Institut der Universität Budapest.)
(Eingegangen am 2. August 1919.)
Einleitung.
Dass Protozoen gegen Arsenikalien gefestigt werden können, haben
zuerst die Untersuchungen von Ehrlich!) und seiner Schüler gezeigt.
Sie arbeiteten lediglich mit pathogenen Protozoen, namentlich Try-
panosomen. Bei freilebenden Infusorien sind Festigungsversuche
von Neuhaus ?) ausgeführt worden, jedoch mit nur geringem Erfolg.
Die Erklärung, welche Ehrlich für die beobachtete Festigung der
Protozoen gegen Arsenikalien gibt, ist, wie ich bereits in einer früheren
Arbeit ?) hervorgehoben habe, nicht ausreichend. Eine Herabsetzung
der Avidität der Chemozeptoren einer Zelle tür ein Gift — wie sie
von Ehrlich angenommen wird — ist eine zu hypothetische Vor-
stellung, als dass irgend etwas mit ihr anzufangen wäre.
Eine andere Erklärung der Gewöhnung an Arsen hat Danysz !)
bei Anthraxbazillen gegeben, indem er feststellen konnte, dass die
Bazillen infoige ihrer Gewöhnung eine schleimartige Substanz an die
Nährlösung abgeben, welche das Arsen bindet und unschädlich macht.
Dass dieser Art der Giftentledigung auch bei tierischen Lebewesen
eine Rolle zukäme, ist aber recht unwahrscheinlich.
Im folgenden ist der Versuch gemacht worden, der Gewöhnung
von Protozoen an Arsen und Antimon eine chemische Erklärung zu
geben. Zu diesem Zwecke musste eine womöglich hochgradige Festigung
der Tiere an die genannten Gifte herbeigeführt werden. Als Versuchs-
objekte sind auch diesmal — wie bereits früher mit Erfolg) — Infu-
sorien, namentlich Paramaecium caudatum verwendet worden.
Auch war die Versuchsanordnung im wesentlichen die gleiche wie
bei den früheren Arbeiten.
l) Ehrlich, Beiträge zur Exp. Pathologie u. Chemotherapie. Leipzig 1909.
Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft Bd. 42. 1917.
2) Neuhaus, Archives Int. de la Pharm. et Ther. t. 20. 1910.
3) Neuschlosz, Dieses Archiv Bd. 176 S. 223.
4) Danysz, Annales de l’Institut Pasteur t. RO. 1900.
5) Neuschlosz, a. a. O.
70 S. M. Neuschlosz:
Die normale Empfindlichkeit der Paramäcien gegen Arsen
und Antimon.
Als protozoozyde Giftstoffe kamen nur die Verbindungen des drei-
wertigen Arsens und Antimons in Betracht, da, wie aus den Arbeiten
Ehrlieh’s!) und neuerdings auch aus denen Friedberger’s und
Joachimoglu’s?) und Brunner’s°) hervorgeht, Giftwirkungen ledig-
lich diesen zukommen, während die fünfwertigen Verbindungen nur
insofern giftig sind, als sie von den Geweben in die dreiwertige Form
überführt werden. Wir arbeiteten daher mit: NaAsO, und KSbO
(C,H,0,). Zuerst wurde die normale Empfindlichkeit der Paramäcien
diesen Giften gegenüber festgestellt. Die Ergebnisse dieser Versuche
sind aus den ersten Kolonnen der Tabellen I und II ersichtlich. Die
Zahlen sind Mittelwerte aus gut übereinstimmenden Einzelversuchen.
Tabelle I.
Lebensdauer normaler und gewöhnter Paramäcien in NaAs0,- Lösungen
verschiedener Konzentration.
Lebensdauer
amzenmeien normaler gewöhnter
Paramäcien Paramäcien
108 50 1 12%
1: 100 SW | 37'
1: 200 H 51’ 23h 51’
1: 400 1h 30’ | 55h 39'
1: 800 2a <24h
1: 1600. 6h 8’ <24h
1: 3200 <24h 16)
5 1: 6400 > 24h 16)
1: 12800 60) | 60)
Tabelle II.
Lebensdauer normaler und gewöhnter Paramäcien in KSb0(C,H,0,)-Lösungen
verschiedener Konzentration.
Lebensdauer
az normaler gewöhnter
Paramäcien Paramäcien
1 50 3’ 16’
1: 100 10’ 46 '
1: 200 St 3h 12’
1: 400 Ih 49' 5h 49’
1: 800 yh 34" >24h
1:1 600 4h 20’ 00)
1:3 200 > 24h 16)
1:6400 0) 16)
NWEhrlich,a. a. ©:
2) Joachimoglu, Biochemische Zeitschrift Bd. 70. 1915. — Fried-
berger und Joachimoglu, Ibidem Bd. 79. 1917.
3) Brunner, Arch. f. Exp. Path. u. Pharm. Bd. 68. 1912.
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. III. al
Es zeigt sich also, dass Arsen und Antimon eine nicht unbeträcht-
liche, aber in Vergleich mit Chinin oder einigen Farbstoffgiften (z. B.
Trypanblau) eher gering zu nennende Giftigkeit gegen Paramäcien
aufweisen: der Schwellenwert der tötlichen Konzentration liegt bei
arsenigsaurem Natron bei 1:6400, bei Brechweinstein bei 1:3200.
Die Gewöhnung der Paramäcien an Arsen und Antimon. .
Hiernach wurde mit der Gewöhnung der Paramäcien an Arsen
und Antimon' begonnen. Dieselbe sing bei vorsichtigem, stufenweise
vorgenommenem Erhöhen der Giftkonzentrationen unter Berücksichti-
gung der in den zitierten Arbeiten hervorgehobenen Gesichtspunkten
glatt vor sich und nahm folgenden Verlauf:
NaAs0O,: Dauer der Gewöhnung: 27. April bis 2. Juni 1919, 37 Tage.
Durchgelaufene Konzentrationen: 1: 100000, 1: 80000, 1: 60000,
1:40000, 1:30000, 1:20000, 1:15000, 1:12000, 1:10000, 1:8000,
1:6000, 1:5000, 1:4000, 1:3000, 1:2000. |
KSbO (C,H,0,): Dauer der Gewöhnung: 27. April bis 6. Juni 1919,
41 Tage. Durchgelaufene Konzentrationen: 1: 100000, 1: 80000,
1:60000, 1:50000, 1:30000, 1:20000, 1:15000, 1:12000, 1:10000,
1:8000, 1:6000, 1:5000, 1:4000, 1:3000, 1:2000, 1:1500, 1:1200,
1:1000.
Nach Beendigung des Gewöhnungsverfahrens wurden die Para-
mäcien, um das Maass der erworbenen Festigkeit festzustellen, neuer-
dings auf ihre Empfindlichkeit gegen die verschiedenen Giftkonzen-
trationen geprüft. Die Mittelwerte dieser Versuchsresultate ergeben
sich aus den letzten Kolonnen der Tabellen I bzw. II. Dieselben be-
weisen, dasssich durch Gewöhnung sö gegen Arsen, wie gegen
Antimon, eine recht beträchtliche Festigung herbeiführen
lässt. Dieselbe beträgt an der Lebensdauer der Paramäcien gemessen
je nach der Giftkonzentration bei Arsen 200-—1100%,, bei Antimon
200—1200%. Es ist bemerkenswert, dass die Festigung sich immer
am deutlichsten gegen geringere Giftkonzentrationen bemerkbar macht:
eine Tatsache, auf die später noch zurückzukehren sein wird. Diese
Festigung ist eine bei weitem höhere als die, welche Neuhaus!) in
seinen Versuchen an Colpidien und Paramäcien erreichen konnte.
Der Unterschied ist zweifellos durch die von mir durchgeführte, lang-
same, sukzessive Gewöhnung im Gegensatz zu der von Neuhaus
verwendeten kurzen Gewöhnung bedingt.
In Anbetracht der später zu besprechenden Beobachtungen Ehr-
lich’s war es nun von Interesse festzustellen, inwieweit ein gegen
Arsen gefestister Paramäcienstamm eine Festigung auch: gegen andere
1) Neuhaus, a. 2. 0.
12 S. M. Neuschlosz:
Giftstoffe, namentlich gegen das dem. Arsen nahestehende Antimon
einerseits und gegen die weitstehenden Farbstoffgifte (z. B. Trypanblau)
andererseits aufzuweisen imstande ist. Um dies feststellen zu können,
wurden arsenfeste Paramäcien auf ihre Resistenz — im Vergleich zu
normalen — gegen Brechweinstein und Trypanblau untersucht. Die
Ergebnisse dieser Versuche zeigt die Tabelle ITI.
Tabelle III.
Lebensdauer normaler und arsenfester Paramäcien in KSb0(C,H,0,)- und
Trypanblaulösungen verschiedener Konzentration.
——__srnmmtlll nn
KSbO(C,H,0,): Trypanblau
Lebensd Leb
in: ebensdauer Bu % ebensdauer
tration normaler | arsenfester | tration normaler | arsenfester
Paramäcien | Paramäcien Paramäcien | Paramäcien
1: 50 - ON 13' 1: 10000 a 2
1: 100 9’ 38’ 1: 20.000 8 10’
1: 200 1b 3' 3h 28’ 1: 40.000 40’ 39'
1:400 a9 Ne 5 1: 80.000 15 11’ Ih 14’
1: 800 246’ | >»>24h 1: 160 000 2u 7 9% 2h 16’
Diese Versuchszahlen zeigen einwandsfrei, dass die gegen Arsen
bei Paramäcien herangezüchtete Festigkeit die Tiere auch
gegen Antimon zu schützen imstande ist, während sie
gegen Trypanblau gänzlich versagt. Dieser Befund steht in
gutem Einklang mit den von Ehrlich bei Trypanozomen gemachten
Beobachtungen.
Das Wesen der Arsen- und Antimongewöhnung der Paramäecien.
Für die Entgiftung giftiger Verbindungen seitens gewöhnter ein-
zelliger Organismen habe ich in einer früheren Arbeit !) die folgenden
Möglichkeiten angenommen: 1. die Zerstörung des Giftes durch die
gewöhnten Zellen; 2. die Bindung desselben in einer ‘unwirksamen
Form; 3. das Undurchgängigwerden der Zellwand für das Gift. Die
erste dieser Möglichkeiten fällt hier durch die elementare Natur der
in Frage stehenden Gifte natürlich weg; es besteht dagegen eine andere,
nämlich die Überführung des NaAsO, und des KSbO (C,H,O,) in
weniger wirksame Verbindungen durch die Zellen. Es musste also
das Schicksal der den Paramäcien zugefüsten Giftmengen bei normalen
und gewöhnten Tieren ‘untersucht und zuerst festgestellt werden, ob
und wieviel von dem zugesetzten NaAsO, und KSbO (C,H,O,) noch
nach Ablauf der Vergiftungsversuche in den Lösungen unverändert
1) Neuschlosz, a..a. O.
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. III, 1
vorhanden ist und nachgewiesen werden kann. Da die Giftwirkung,
wie oben erwähnt, lediglich dem dreiwertigen Arsen und Antimon
zukommt, wurden die Mengen dreiwertigen Arsens und Antimons vor
und nach dem Versuch in: 7 Giftlösung bestimmt.
Das verwendete Verfahren war bei der Arsenitbestimmung das
folgende: 10 ccm der arsenithaltigen Lösung wurden mit Wasser etwa
auf das Dreifache verdünnt, mit verdünnter Salzsäure angesäuert und
mit soviel NaHCO, versetzt, dass ein Teil desselben ungelöst blieb.
n
Diese Lösung wurde dann mit 10 Jodlösung bis zur dauernden Gelb-
färbung titriert. Die Zahl der verbrauchten Kubikzentimeter Jod-
lösung geben mit 0,00375 multipliziert die Menge des vorhandenen
dreiwertigen As in Gramm.
Bei den" Sb-Bestimmungen wurde wie folgt vorgegangen: 10 ccm
der Lösung wurden verdünnt, mit wenig Weinsäurelösung zur Bildung
von weinsaurem Antimom versetzt, NaHCO, in bedeutendem Über-
n
schuss zugegeben und mit einer 10 Jodlösung titriert. Hierbei ent-
spricht 1 cem Jodlösung 0,006 g dreiwertigem Sh.
Um die Verlässlichkeit hass Besytemmngane Ihaden zu prüfen,
wurden folgende Probebestimmungen ausgeführt: 0,3325 g NaAsO,
- wurdenin 100 ccm Wasser gelöst. Der berechnete Gehalt dieser Lösung
an As war: 0,1922%,. 4x 10 cem dieser Lösung verbrauchten 5,4,
n
5,3, 5.4, 5,4 cem 10 Jodlösung, entsprechend einem As-Gehalt von
0,1948 %, (die Titerzahl der Jodlösung war 0,94). Der Fehler beträgt
. also etwa 1,3%. Die Sb-Bestimmung fiel folgendermaassen aus: 0,3618 g
KShO (C,H,O,) wurden in 100 cem Wasser gelöst (0,1280% Sb).
n
4 x 10 cem der Lösung verbrauchten 2,3, 2,1, 2,1, 2,2 ccm 107 0d-
lösung, entsprechend 0,1260%, Sb. Fehler der Bestimmung 1,6%.
Unsere Versuchsanordnung gestaltete sich demnach folgender-
maassen: Zu 15 com NaAsO, bzw. KSbO (C,H,O,) von genau be-
kannter Konzentration (ca. 1:100) wurden 10 cam Wasser und 5 cem
einer recht dichten Paramäciensuspension hinzugefügt, welche je nach
dem Versuch mit normalen, arsen- oder antimonfesten Paramäcien
hergestellt war. Nach Absterben der Paramäcien wurden dieselben
mittels Zentrifugieren entfernt und in den Restlösungen das dreiwertige
Arsen bzw Antimon auf die oben beschriebene Weise in 2 x 10 ccm
bestimmt. Die Ergebnisse dieser Versuche sind aus den Tabellen IV
und V ersichtlich, wobei bemerkt werden muss, dass die als ursprüng-
liche As- bzw. Sb-Konzentration angegebene Zahlen mit Berück-
7A S. M. Neuschlosz:
sichtigung der durch. Hinzufügen von Wasser und der Paramäcien-
suspension erfolgten Verdünnung aus der chemisch bestimmten Kon-
zentration der Stammlösung berechnet worden sind.
Tabelle IV.
Das Schicksal des normalen und gewöhnten Paramäcien zugefügten NaAs0;.
= Ursprüng- Normale Paramäcien Gewöhnte Paramäcien
= licherGehalt |
3 ger Lesung Gehalt der | Gehalt der
a Datum an drei- Lösung an Ver ' Lösung an | Ver-
3) wertigem |TWebens- dreiwerti- Lebens- dreiwerti-
=) ı As |gemAsnach | lust |gemAsnach | lust
u dauer demVersuch dauer ı demVersuch
{eb} 1
> 0% 0% %o %o %/o
22117. Juni| 0,2906 ih 11’/ 0,3000 -1,25| 3% 9'| 0,2175 25
24120. „ 0,2906 1b 9’| 02898 |—0,25| 34 13’| 0,1578 49
26| 2. Juli 0,3188 1h 18’) 0,3188 0 3b 14'| 0,1650 48
2S NoeR 0,3188 1h 19’! 0,3000 6. 1 3528’, 0,1875 40
30| 4 „ 0,3188 RE ze all er il
Mittelwert | 1,9 | Mittelwert | 42,6
Tabelle V.
Das Schicksal des normalen und gewöhnten Paramäcien zugefügten
KSb0(C,H,0,;)-
S Ursprüng- Normale Paramäcien Gewöhnte Paramäcien
=| licherGehalt|
s der Manz Gehalt der | Gehalt der
2 | Datum an drei- Lösung an | Ver- | Lösung an | Ver-
a wertigem | Lebens- dreiwerti- Lebens- dreiwerti-
3 Sb gemSbnach | lust gemSbnaech, lust
@ dauer |demVersuch dauer |demVersuch
® |
> %o %o %o | %o %o
93 |17. Juni 0,2040 51’) 0,1940 3 | 2 57’ | 0,1320 3
231208 76% 0,2040 ih 7’; 02112 |—4 |2%40’| 0,1500 26
27| 2. Juli 0,2280 1b 12’| 0,2280 0 13h 6’| 0,1320 42
A) aa 0,2280 55’, 0,2280 0 ı 3h 7’| 0,0090 60
Sa 0,2280 5371 0,2220 3 | 2h 53’| 0,1200 47
Mittelwert | 0,4] Mittelwert | 42
Diese Versuche zeigen, dass, während normale, nicht
sewöhnte Paramäcien keinen Einfluss auf die sie um-
sebende Arsen- bzw. Antimonlösung ausüben, gefestigte
Paramäcien dieselbe weitgehend verändern, indem sie
be)
einen grossen Teil des in dreiwertiger Form vorhandenen
Arsens und Antimons zum Verschwinden bringen.
Unsere nächste Aufgabe war, das Schicksal des verschwundenen
Arsens und Antimons weiter zu verfolgen. A priori waren zwei Mög-
lichkeiten vorhanden: erstens könnte das Arsen und das Antimon in
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. III. 75
den Körper der Paramäcien aufgenommen und dort in einer unwirk-
samen Form festgelegt worden sein, oder aber sind dieselben in der
Lösung verblieben und wurden bloss in eine mit der angewendeten
Methode nicht bestimmbarer Form überführt. Eine dritte Möglichkeit
wäre allerdings die Überführung des Arsens und Antimons in flüchtige
Verbindungen, wodurch dieselben zu entweichen imstande wären.
Solche flüchtige Verbindungen müssten sich aber durch ihren Geruch
bemerkbar machen und können daher ausgeschlossen werden. Auch
die Unmöglichkeit einer Bindung der Gifte durch die Zellen kann
durch folgende Überlegung bewiesen werden: die zu den Giftlösungen
hinzugefügten 5 cem Paramäciensuspension enthalten etwa 0,5 g Para-
mäcienleiber. Den Trockensubstanzgehalt der Paramäcien mit 20%
berechnet — was sicherlich eher zu hoch als zu niedrig ist — würde
derselbe bei 0,5 g 0,1 g betragen. Die verschwundenen Mengen Arsen
bzw. Antimon waren aber in einzelnen Versuchen nicht weniger als
0,049 g. Wir müssen also annehmen, dass 0,1 sg Trockensubstanz
0,049 & Arsen oder Antimon gebunden hätten, was unmöglich ist.
Es bleibt also nichts übrig, als anzunehmen, dass das Arsen bzw.
das Antimon trotz ihres scheinbaren Verschwindens noch weiter in
der Lösung vorhanden sind. Es musste nun gezeigt werden, dass
dies tatsächlich der Fall sei. Wie oben bereits erwähnt, lassen sich
mit der angewendeten Methode lediglich dreiwertiges Arsen und Antimon
bestimmen, da ja dieselbe auf einer Oxydation der dreiwertigen Ver-
bindungen in fünfwertige durch Jod beruht. Es war also naheliegend,
daran zu denken, dass die Veränderung, die durch die gefestigten
Paramäcien an den Arsen- und Antimonverbindungen vollbracht wird,
_ eben ihre Überführung in eine fünfwertige Form sei. Diese Möglich-
keit musste als um so wahrscheinlicher angesehen werden, da ja aus
- den zitierten Arbeiten Friedberger’s und Joachimoglu’s!) und
Brunner’s 2) die Tatsache hervorgeht, dass die fünfwertigen Ver-
bindungen des Arsens und des Antimons ganz wesentlich weniger
giftig sind als die dreiwertigen; mit der Überführung der dreiwertigen
in die fünfwertige Form also eine hochgradige Entgiftung der Stoffe
einhergehen muss, was ja bei der Gewöhnung tatsächlich der Fall ist.
Es musste also untersucht werden, ob in dem den Paramäcien zu-
gefügten Giftlösungen nach Ablauf der Versuche neben der dreiwertigen
Form auch fünfwertiges Arsen bzw. Antimon nachgewiesen werden
kann, und ob sich die Mengen derselben mit den verschwundenen
Mensen an dreiwertiger Substanz decken.
Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, fünfwertiges Arsen bzw.
Antimon quantitativ neben dreiwertigem zu bestimmen. Für Antimon
l) Friedbergeru. Joachimoglu, a.a. 0. — Joachimoglu,a.a.O.
2) Brunner, a. a. O.
4
76 S. M. Neuschlosz:
wurde eine hierzu geeignete Methode von Weller!) angegeben. Die-
selbe beruht auf der Umkehrung der von uns zur Bestimmung der
dreiwertigen Form verwendeten Reaktion. Erhitzt man nämlich fünf-
wertige Antimonverbindungen in Gegenwart von K.J mit konzen-
trierter Salzsäure, so reduziert die entstandene Jodwasserstoffsäure
das Sb, das inzwischen in SbCl, überführt worden ist in die dreiwertige
Form, womit gleichzeitig Jod in Freiheit gesetzt wird. Die Reaktion
verläuft nach folgender Gleichung:
SbCl, +2 HJ =2HCI + SbCl, + 7,
Das freigesetzte Jod wird abdestilliert, in einer mit einer Jod-
n
kaliumlösung versetzten Vorlage aufgenommen und mit einer 10°
Na,S,0,-Lösung bis zur Entfärbung titriert.
Dass auch Arseniate auf ähnliche Weise bestimmt werden können,
habe ich zwar nirgends in der Literatur erwähnt gefunden, doch konnte
ich feststellen, dass auch diese Bestimmung ohne Schwierigkeit und
mit genügender Genauigkeit ausgeführt werden kann. Die verwendete
Methode war die folgende: 10 ccm der arsen- bzw. antimonhaltigen
Lösung werden in einer mit eingeschliffenem Glasstöpsel versehenen
Retorte unter Zugabe etwas kristallischen Jodkaliums und 20 cem
konzentrierter Salzsäure so lange erhitzt, bis die Lösung bis auf den
aus AsJ, bzw. SbJ, stehenden gelben Rückstand gänzlich farblos
wird und das ganze gebildete Jod in der mit Jodkalium versetzten
Vorlage enthalten ist.
Nun wird der Inhalt der letzteren mit a Na5S, OÖ, bis zur Ent-
färbung titriert. Die Zahl der verbrauchten Kubikzentimeter Thio-
- sulfatlösung mit 0,00375 bzw. 0,006 multipliziert ergeben die Mengen
fünfwertigen Arsens bzw. Antimons.
Die Probebestimmungen nahmen folenden Verlauf: Für Arsen:
0,9687 g Na,HAsO, + 12 H,O wurden in 100 cem Wasser gelöst, die
Bestimmung in 4 x 10 cem suspeführt Der berechnete As-Gehalt der
Lösung war 0,1806 %,. Dieselbe verbrauchte für 4 x 10 cem 4,7, 4,8,
n
4,6, 4,7 ccm 10 1229205, entsprechend 0,1763% As. Der Verlust be-
trägt demnach 3%. — Für Antimon: 0,4193 g KSbO, wurden in
100 cem gelöst. Berechneter Sb-Gehalt 0,2464%. 4x 10 cem ver-
n
brauchen 4,0, 4,2, 4,1, 4,1 ccm 10 Na28:0;, entsprechend 0,2460 %, Sb,
Verlust 0%.
1) Weller, Annalen der Chemie und Pharmacie, 231.
er Den Fa Me ie he ee ee ee a a he er FE ri a ae Mn nn u Fran un ml dm nn nd
=]
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. III. 7
Unsere Versuchsanordnung war nun die folgende: Zu 30 ccm unserer
bekannten NaAsO,- bzw. KSbO (C,H,O,)-Lösung wurde 20 ccm Wasser
und 10 cem mit gewöhnten Paramäcien zubereitete Suspension hinzu-
gefüst. Nach Ablauf des Versuches wurden die Paramäcien mittels
Zentrifugieren entfernt und in 2 x 10 ccm die Menge dreiwertiger,
in 2x 10 ecm die Menge fünfwertiger Substanz auf die beschriebene
Weise bestimmt. Die Ergebnisse enthalten die Tabellen VI, VII.
Tabelle VI.
Die durch gewöhnte Paramäcien aus der dreiwertigen in die fünfwertige
Form überführte Mengen Arsen.
was, Ursprüng- Gehalt der SonD Gehalt der = En 20
B=W5) licher Gehalt Lösung an = = Lösung an 33 = 3“
S=| der Lösung an dreiwertigem sa fünfwertigem | 23° Fa,
= =) Datum dreiwertigem As nach dem ° 2 As nach dem ° a Dj
a5 As Versuch & = Versuch En = >
> .0%/g | UM Be Um Bas 0/g
32| 7. Juli | 03188 0,1628 51,0 0,1493 46,8 | 2,2
gel 10.‘ , 0,3188 0,1425 44,7 0,1725 553 | 0
Bl. 0,3188 0,1650 51,8 | 0,1495 46,9 | 13
33| 122. , 0,3188 0,1500 47,0 0,1538 193 | 37
Mittelwert | 1,8
Tabelle VII.
Die durch gewöhnte Paramäcien aus der dreiwertigen in die fünfwertige
Form überführte Mengen Antimon.
er Ursprüng- Gehalt der = Er Gehalt der 5 Br APR 20
so licher Gehalt Lösung an e=3 Lösung an E53 3n
og der Lösungan| dreiwertigem | 2 => fünfwertigem ‘82 re
2 =) Datum dreiwertigem | Sb nach dem Sah Sp nach dem e) Ti © =
As Sb Versuch © 58 Versuch E55 IP
H = =
> 0/6 Of gas un ERBE EI
33| 7. wi | 0,2280 0,1320 579 | 0,0960 Te Te, 42,1 | 0
35 10, 0,2280 0,1240 54,4 0,0960 41 135
al...” 0,2280 0,1020 45,7 0,1180 51,8 | 25
E1., 0,2280 0,1080 47,4 0,1142 50,1 | 25
Mittelwert | 2,1
Es zeigt sich also, dass die gemachte Annahme auf Richtigkeit
beruht, und dass die gewöhnten Paramäcien ihre Festigung
gegen Arsen und Antimon der erlangten Fähigkeit ver-
danken, :die hochgiftigen dreiwertigen Formen der ge-
nannten Stoffe in die weitaus weniger giftigen fünfwerti-
sen zu überführen. Die in keiner Form wiedergefundenen Mengen
der zugefügten Gifte sind in jedem Falle so gering, dass sie vernach-
lässigt werden können. Dass sich die fünfwertigen Formen des Arsens
und Antimons auch für unsere Paramäcien weitaus weniger giftig
verhalten als die dreiwertigen, ergibt sich aus der Tabelle VIII. Die
18 - S. M. Neuschlosz:
Zahlen derselben stehen in guter Übereinstimmung mit den Befunden
von Friedberger und Joachimoglu!).
Tabelle VIII.
Lebensdauer normaler Paramäcien in Lösungen von NasHAsO, und KSh0..
Konzentration | Na,HASsO, KSbO,
15250 157252 one
1:100 3h 31’ .. 3556’
1:200 6h 49’ <24h
1:400 co (02)
Wenn wir von diesem Gesichtspunkte die von Ehrlich 2) hervor-
gehobenen Eigentümlichkeiten der Arsenfestigkeit bei Trypanosomen
ins fassen. müssen wir vor allem folgende Punkte berücksichtigen:
. ist die Festigkeit der Trypanosomen spezifisch lediglich gegen
A. und höchstens noch Antimon gerichtet;
2. ist dieselbe durch viele Protozoengenerationen hindurch erblich;
3. ‚tritt sie bei Abtötungsversuchen in vitro weniger zutage als
im tierischen Organismus;
4. lässt sich nach steigender Wirkunssintensität eine Reihenfolge
der Arsenikalien aufstellen, in welcher die Substanzen so geordnet
sind, dass die gegen die weniger wirksamen Agentien gefestigten Try-
panosomen den höher wirksamen noch erliegen. Diese Reihenfolge
ist nach Ehrlich’s Angaben etwa die folgende: p-Amino-phenylarsin-
säure (Arsanil), Arsacetin <-Arsenophenylelycin <-Brechweinstein
<-As,0;.
Die Frage ist nun, ob diese Eigentümlichkeiten der Arsenfestigkeit
bei Trypanosomen sich unter der Annahme, dass unsere bei Paramäeien
gemachten Beobachtungen auch für sie Geltung haben, erklären lassen.
Hierzu sei folgendes bemerkt:
ad 1. Die bei Paramäcien beobachtete Festigung ist im selben
Sinne spezifisch wie die der Trypanosomen, da die gegen Arsen ge-
festigten Tiere sich gegen Farbstoffe gänzlich wie die normalen ver-
halten, während sie gegen Antimon als gefestigt erscheinen.
ad 2. Ist auch die Festigung der Paramäcien durch viele Genera-
tionen weiter züchtbar.
ad 3. Die Konzentration der auf die Protozoen einwirkenden Gift-
stoffe lässt sich im tierischen Organismus niemals mit Bestimmtheit
feststellen, doch ist dieselbe in den meisten Fällen jedenfalls weit
geringer als die bei den Versuchen in vitro. Daher tritt auch die
Festigung, welche bei geringen Giftkonzentrationen immer deutlicher
1) Friedberger u. Joachimoglu, a. a. O.
2) Ehrlich, a. a. O.
|
}
|
|
|
|
|
|
Se ee a
u De -
vn
Untersuchungen über die Gewöhnung an Gifte. II. 79
zutage tritt, im tierischen Organismus mehr hervor, als im Reagenz-
glas. Dass eine eingetretene Festigung der Trypanosomen nichtsdesto-
weniger auch im Reagenzglas konstatiert werden kann, gibt ja Ehrlich
selbst zu.
ad 4. Die Substanzen, gegen die Ehrlich eine Festigung leichter
hervorrufen konnte (p-Amidophenylarsinsäure, Arsacetin), sind Derivate
des fünfwertigen Arsens, welche erst im Organismus reduziert werden
müssen, um eine Wirkung ausüben zu können. Dass dieselben von
den Trypanosomen leichter wieder in die fünfwertige Form überführt
werden können, als die ursprünglich dreiwertigen, ist leichtverständ-
lich; dies muss um so eher der Fall sein, als der tierische Organismus
niemals die ganze Menge des eingeführten fünfwertigen Arsens reduziert,
sondern immer nur einen Bruchteil desselben (nach Joachimoglu !)
etwa 66%); die Konzentration aktiven dreiwertigen Arsens muss
demnach nach Einführung einer fünfwertigen Verbindung im Orga-
nismus stets geringer sein als nach der Einführung einer dreiwertigen,
und mit kleineren Giftkonzentrationen können die Protozoen selbst-
verständlich leichter fertig werden als mit grösseren. Dass es Ehrlich
niemals gelang, Trypanosomen gegen arsenige Säure zu festigen, liegt
wohl daran, dass er unter Festigung immer nur totale Festigung
versteht, was ja auch uns bei Paramäcien niemals gelang.
Es scheint daher, dass einer Nutzanwendung der bei
Paramäcien gemachten Erfahrungen auf die Verhältnisse,
welche sich bei pathogenen Protozoen im tierischen Orga-
nismus ergeben, kein Hindernis im Wege steht, und dass
wir auch dort an eine durch die Festigung erworbene
Fähigkeit denken können, das dreiwertige Arsen in fünf-
wertiges zu überführen.
& 3
Zusammenfassung.
Aus den besprochenen Versuchen ergibt sich kurz folgendes:
1. Paramäcien lassen sich durch sukzessive Erhöhung
der Giftkonzentration ihrer Nährlösung in erheblichem
Grade segen Arsen und Antimon festigen.
2. Diese Festigung ist spezifisch und dehnt sich zum
Beispiel bei arsenfesten Paramäcien bloss auf Antimon,
nicht aber auf Farbstoffe, wie Teypanblau, aus.
3. Die Festigung beruht auf der erworbenen Fähigkeit
gewöhnter Paramäcien, die giftigen dreiwertigen Formen
_ des Arsens und Antimons in die ungiftige fünfwertige zu
überführen.
1) Joachimoglu, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 80. 1917.
Der Farbstoff der Mitteldarmdrüse des I
Ein Beitrag zur Spektroskopie der Körpersäfte
wirbelloser Tiere.
Von
L. Lewin und E. Stenger.
Mitgeteilt von L. Lewin.
(Aus dem pharmakologischen Laboratorium von Prof. L. Lewin und dem
photochemischen Laboratorium der Technischen Hochschule in Charlotten-
burg von Prof. Miethe.)
Mit 2 Textabbildungen.
(Eingegangen am 5. August 1919.)
Mit unserer Methode der direkten Photographie von Spektren
tierischer Farbstoffe, die an dieser Stelle wiederholt in ihrer prak-
tischen Nutzanwendung für verschiedenes tierisches Material geschildert
‘wurde !), glaubte ich auch die Säfte wirbelloser Tiere in Angriff nehmen
zu müssen. Als ein nicht nur leicht zugängliches Material, sondern
auch als ein solches, das wiederholt der chemischen und physikalischen
Erforschung — freilich mit unbefriedigendem Erfolge — unterzogen
worden ist, wählte ich die Körpersäfte des Krebses. Einige Ergebnisse,
die das Krebsblut betreffen, finden sich an geeigneten Stellen in
dieser Mitteilung eingeflochten. Ein grösseres Interesse als dieses
gewann bald für mich das Organ, das früher als Leber bezeichnet wurde.
Es ist eine Doppeldrüse: Leber und Pankreas (Hepatopancreas), das
l) L.Lewin, MietheetStenger, Sur desmethodespour photographier
les raies d’absorption des matieres colorantes du sang, Compt. rend. de
l’Academie des Sciences 9. juillet 1906. — L. Lewin, Miethe und Stenger,
Über die durch Photographie nachweisbaren spektralen Eigenschaften der
Blutfarbstoffe. Pflüger’s Arch. Bd. 118. 1907. — L. Lewin, Spektro-
photographische Untersuchungen über die Einwirkung von Blausäure auf
Blut. Arch. f. exp. Path. 1908. — L. Lewin u. Miethe, Pflüger’s Arch.
Bd. 121. 1908. — Dieselben: Über die spektr. Eigenschaften des Eigelbs,
Pflüger’s Arch. Bd. 124. — Dieselben: Verhalten von Acetylen zu Blut.
Pflüger’s Arch. Bd. 129. — L. Lewin u. Stenger, Spektrophotogr.
Untersuch. über Urobilin. Pflüger’s Arch. Bd. 144. — L. Lewin, Spektro-
photogr. Unters. über Meconium. Pflüger’s Arch. Bd. 145. — Wer hier-
nach, wie dies kürzlich geschehen ist, angibt, dass unsere
grundlegende Methode der Spektrographie des Blutes anderen
zukommt, ist entweder unwissend oder sagt bewusst die Un-
wahrheit.
Der Farbstoff der Mitteldarmdrüse des Flusskrebses. SI
Dekapodenorgan, das jetzt allgemein als Mitteldarmdrüse bezeichnet
wird. Sie ist für Dekapoden das wesentlichste Organ für drüsige Ab-
scheidungen. Öffnet man den Flusskrebs, so
tällt sofort dieses für das Tier überaus grosse,
gelbe oder bräunliche paarige Gebilde auf,
das einen grossen Teil des Thorax ausfüllt.
Es ist eine bei der Ansicht von eben deutlich
gelappte aggregierte Drüse, die aus vielen
blindgeschlossenen Röhrchen besteht. Die
Ausführungsgänge münden in den Blinddarm.
Schon Huxley war der Ansicht, dass
das Sekret dieser Drüse ‚eher dem Pankreas-
saft als der Galle der höheren Tiere ent-
spräche“. Dies kommt der Wahrheit sehr
nahe. S
Das Sekret enthält jedenfalls Fermente —
ob, wie man angab, ein peptisches und ein
tryptisches, muss erst sichergestellt werden.
Rein sind sie noch nicht gewonnen worden.
Fibrin soll durch das wässerige Mitteldarm-
drüsenextrakt peptonisiert, Stärke verzuckert
und Fett gespalten werden. Ausserdem be-
sitzen sowohl der Auszug aus der Mittel-
darmdrüse des Krebses als auch der aus
dem herausgeschnittenen Organ direkt ab-
fliessende Saft die Fähigkeit, die Blutgerinnung
zu hemmen. Etwa 10—20 Tropfen davon
hindern die Gerinnung von 10 cem Hunde-
blut. Bringt man 1 ccm davon einem Hunde
intravenös bei, so geht er unter starkem
Sinken der Herz- und Atmungstätigkeit in
einem narkoseähnlichen Zustand zugrunde.
Die Mitteldarmdrüse des Krebses enthält
Fermentzellen, deren Hauptinhalt eine in
ihrer Mitte gelegene Blase (Fermentblase)
ausmacht. In ihrer Wandung schliesst diese
- eine körnige, bräunlich gefärbte Substanz ein.
Die Prüfung des in den Drüsenschläuchen
ib
Abb.. 1. Astacus fluvia-
tilis. Der Darmkanal
und die Mitteldarmdrüse
(Leber) von oben ge-
sehen. bd Gallengang;
coe Blindsack; cs Car-
diacalabschnitt des Ma-
gens, die Linie weist auf
das Cardiacalstück; hy
Hinterdarm; mg Mittel-
darm; pc Pterocardiacal-
stück; ps Pyloricalab-
schnitt des Magens, die
Linie weist auf das Py-
loriealstück; r Wulst,
der den Mitteldarm vom
Hinterdarm trennt; ze
Zygocardiacalstück; m
Mitteldarmdrüse. Aus:
Huxley, Der Krebs.
und Ausführungsgängen der Leber enthaltenen braunen Sekrets ergibt,
dass es vorwiegend aus Fermentblasen und aus Fetttröpfchen besteht).
1) Jordan, Vergleichende Physiologie wirbelloser Tiere Bd. 1. 1913. —
Bronn, Klassen und Ordnungen des Tierreichs Bd. 5 Abt. 2 S. 977.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 6
82 L. Lewin u. E. Stenger:
Zum Teil entleeren diese Fermentblasen ihren Inhalt schon inner-
halb der Lebergänge und färben dadurch die sie aufnehmende Flüssig-
keit braun.
Die bisherigen Meinungen über die Natur des Farbstoffes.
Die Parallelisierung der Mitteldarmdrüse der Dekapoden mit der
Leber führte naturgemäss dazu, ihren Farbstoff als Gallenfarbstoff
anzusprechen. Man hielt es für selbstverständlich, dass dieses Organ,
zum Beispiel des Flusskrebses, Galle produziere, weil ja auch ander-
weitige Kriterien vorhanden waren, die für die Leberqualität desselben
sprachen. Sc hatte man in ihm angeblich Cholestearinkristalle fest-
gestellt, die sich in nichts von denen der Ochsengalle unterschieden, und
Claude Bernard wies darin zur Zeit der Häutung des Tieres Glykogen
nach. Neben anderem diene es, wie er meinte, der Gallensekretion !).
Demgegenüber fand Hoppe-Seyler, dass sowohl der bräunlich
gefärbte Magensaft als auch das gefärbte Sekret der sogenannten
- Leber völlig von Gallenfarbstoff frei war. Die gleiche Feststellung
hat später noch wiederholt gemacht werden können ?) und haben
auch wir gemacht.
Weitere Untersuchungen des Farbstoffs führten, nachdem seine
angenommenen Beziehungen zu den Gallenfarbstoffen sich als falsch
erwiesen hatten, zu dem Ergebnis, dass bei den Krustazeen (Fluss-
krebs, Hummer) zwei Pigmente sich in der Leber fänden: ein wasser-
lösliches und ein alkohol- und chloroformlösliches. Das wasserlösliche
(Ferrin) sei eisenhaltig, das chloroformlösliche (Cholechrom) eisenfrei.
Beide zeigten ein kontinuierliches Spektrum ?°).
Eine dritte Reihe von Untersuchungen ergab als Resultat, dass
der Lebertarbstoff gewisser Krustazeen, Mollusken usw. ein Warbstoff
für sich, ein „Enteruchlorophyll“ bzw. „Hepatochlorophyll“
sei*). Auch dies hat sich als irrig erwiesen. Das ‚Hepatochlerophyli‘
vonHelix, Octopus, Ostraea, Mytilus, Astacus usw. ist pflanzliches
Chlorcphyll. Schnecken, die man ein Jahr lang mit chlorophylilfreier
Nahrung gefüttert hatte, verloren ihr Chlorophyll. Das Hepato:
chlorophyll ist nicht ein Stoffwechselprodukt der Leber. sondern ein
in ihr deponiertes Nahrungschlorophyll. Überdies wird das Vor-
kommen von Chlcrophyll in der Leber der Cephalopoden geleugnet?).
1) Claude Bernard, Annales des sciences naturelles 3. Ser. t. XIX p. 335.
2) Frenzel, Mitteilungen der zool. Station Neapel Bd.5S. 84 u. a. 1884.
8) Dastre et Floresco, Archives de Physiologie 5. Ser. t. X, p. 177,
302. 1898. — Paladino, Biochemische Zeitschr. Bd. 28 S. 56. 1910. —
Diese Untersuchung wiederholt im wesentlichen nur bereits bekanntes.
4) Mac Munn, Proceedings Royal Soc. t. 35 p. 132. 1883. — ibid.
t. 64 p. 436. 1898. -— Philosophic. Transact. t. 193B p. 19. 1900.
5) Enriques, Mitteilungen der Zoologischen Station Neapel Bd. 15
Ss. 281. 1901.
Der Farbstoff der Mitteldarmdrüse des Flusskrebses. 83
Nach einer noch anderen Charakterisierung des Pigments der
Mitteldarmdrüse gerade des Flusskrebses soll es sich merkwürdiger-
weise um Hämochromogen (reduziertes Hämatin) handeln. Der
- gleiche Farbstoff sollte sich auch in der Schneckenleber finden. In
diese verlegt schliesslich ein noch anderer Untersucher das Vorkommen
von Hämatin.
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen.
Aus dem bisher Mitgeteilten geht hervor, dass die verschiedenen
Anschauungen über die Natur des Farbstoffs der Mitteldarmdrüse
des Flusskrebses so weit auseinanderstehen, dass an eine Verknüpfung
derselben gar nicht gedacht werden kann. Um ein Urteil über die
Wertigkeit einer jeden einzelnen von ihnen zu gewinnen, war es er-
forderlich, zuvörderst in eine Nachprüfung derjenigen Angaben ein-
zutreten, die sich auf das spektrale Verhalten des Farbstoffes beziehen.
Es wurden durchweg grosse Flusskrebse mit tiefer Schalenfärbung,
meistens frisch bezogen, verwendet. Wenn sie einige Tage gehalten
werden mussten, so geschah dies in fliessendem Wasser. Die Auf-
bewahrungsart hatte keinen Einfluss auf das Pigment der Mitteldarm-
drüse. Dagegen war schon nach etwa 24stündigem Verweilen der
Tiere im Wasser die Menge des aus der Drüse abfliessenden oder aus-
drückbaren Sekretes bedeutend grösser als bei den Tieren, die trocken
gehalten worden waren.
Die Entnahme des gefärbten Drüsensekretes geschah gewöhnlich
auf folgende Weise: Nach dem Öffnen der Brust-Bauchhöhle wurde
auf die Drüse durch Zusammendrücken der Bauchdecke ein leichter
Druck ausgeübt. Es floss hierdurch eine gelblich braune Flüssigkeit
in das untergehaltene Gefäss. Sie konnte auch ohne Filtration direkt
spektrophotographisch aufgenommen werden.
Falls das hellrosa oder violett gefärbte Krebsblut zugleich in das
Gefäss einfliesst, so ist seine Trennung vom Drüsensekret ausser-
ordentlich leicht. Man hat nur nötig, einige Zeit zu warten, um das
letztere, das nicht gerinnt, von dem bald gallertartig gerinnenden
Blut abzugiessen. _ |
Die erste spektrale Untersuchung dieses bräunlichen, später rötlich
braun und dunkler werdenden Saftes, die sofort nach seiner Gewinnung
und seinem Eingiessen in das Untersuchungsgetäss vorgenommen
wurde, wies nur ein kontinuierliches Spektrum auf. Bald jedoch lehrten
die Umstände ein anderes Verhalten kennen. Als ich nach etwa
20 Minuten das Präparat, das sich selbst überlassen geblieben war,
wieder beobachtete, zeigte sich ein distinkter Absorptionsstreifen im
Anfangsteil des Grün. Man konnte vermuten, dass hier in der an-
gegebenen Zeit eine Art von Sauerstoffzehrung erfolgt sei, die aus
6*
34 L. Lewin u. E. Stenger:
dem ursprünglichen, keine Absorption liefernden Produkt ein anderes,
mit einem Absorptionsstreifen durch Reduktion geschaffen habe. War
dies der Fall, so musste durch Schütteln der Masse mit Luft der
Absorptionsstreifen verschwinden. Dies trat ein.
Eine weitere Bestätigung der Annahme war dadurch zu liefern,
dass zu dem absorptionsfreien Präparat sofort nach dem Eingiessen
in das Beobachtungsglas ein Reduktionsmittel gesetzt wurde. Sofort
nach dem Hinzufügen von Schwefelammonium erschien der charak-
teristische Absorptionsstreifen im Grün.
Dieser eigenartige, allen bisherigen Becbachtern ent-
sangene Befund konnte in seiner elementaren Einfachheit noch
weiter verfolgt und gestützt werden.
Dem Leberpresssaft, der beim Stehen den Absorptionsstreifen im
Grün aufwies, wurde Wasserstoffsuperoxyd hinzugefüst. Bald nach
dem Beginn einer reichlichen Sauerstoffentwicklung verschwand er.
Das gleiche Ergebnis lieferte das Einblasen von reinem Sauerstoff
in die Flüssigkeit. Auch dieser Versuch stützte die Annahme, dass
ein Einfluss des Sauerstoffs auf das Leberpigment bestehe.
Am besten ging dies schliesslich aus einem weiteren, dureh die
Sachlage gebotenen Versuch hervor. Brachte man die Leberflüssiskeit
soin den Rezipienten einer Luftpumpe, dass die direkte spektroskopische
Beobachtung möglich war, so konnte man durch Evakuieren den
Absorptionsstreifen erscheinen, durch Luftzutritt ihn verschwinden
lassen.
Die Feststellung seiner Lage erfolgte nach seiner Aufnahme auf
Perorthoplatten bei Zirkoniumlicht, die Ausmessung des Maximums
der Absorption in der bereits wiederholt an dieser Stelle geschilderten
Weise !).
Aus 29 Aufnahmen ergaben die Messungen im Mittel:
° = 560 un.
Dabei differierten die Einzelmessungen der Photogramme nur um
l un und ganz ausnahmsweise um 2 un.
Es war noch erforderlich, durch Messungen festzustellen, ob der
Absorptionsstreifen, der beim Sichselbstüberlassen des Saftes erscheint,
identisch sei mit dem sofort durch Hinzufügen von Schwefelammonium
entstehenden. Das Resultat war eindeutig. In je zwei Messungen
ergab sich eine Lage von 560 uu.
Diese Absorption ist nicht die einzige, die dem Farbstoff der Mittel-
darmdrüse des Flusskrebses zukommt. Rechts und links davon, auf
der Orangegelbgrenze sowie im Grün bzw. auf der Grünblaugrenze
konnten okular noch ausserordentlich feine, nur als leichte Helligkeits-
1) Pflüger’s Arch. Bd. 118 S. 80. 1907.
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Der Farbstoff der Mitteldarmdrüse des Flusskrebses. 85
unterbrechungen erkennbare, aber doch distinkte Absorptionen fest-
gestellt werden. Es gelang nur einmal, den auf der Orangegelbgrenze
sich zeigenden zu reproduzieren. Er lag nach dem Mittel aus mehreren
Messungen bei
% = 5% uu.
Die anderen auf der Platte zu fixieren war trotz vieler, mannigfach
abgeänderter Versuche und trotz verschiedenartie sensibilisierten
Piattenmaterials unmöglich.
Das geschilderte Ergebnis lässt sich noch auf andere Weise er-
zielen:
Verreibt man die Mitteldarmdrüse mit Wasser, so erhält man ein
opaleszierendes Filtrat, das nach einiger Stehenszeit sich klärt. Die
gelbbräunliche Flüssigkeit zeigt dann den Absorptionsstreifen
r% = 560 un.
Man kann ihn sofort hervorrufen, wenn man zuder Flüssiekeit Schwefel-
ammonium hinzufügt.
Die beschriebenen spektralen Absorptionen haben absolut nichts
mit irgend welchen ähnlichen Erscheinungen von Blut-
farbstoffderivaten oder vom Chlorophyll zu tun. Es hiesse
die ganze Sachlage verkennen, wollte man dem Farbstoff der Mittel-
darmdrüse einen Namen geben, der eine solche Beziehung zum Aus-
druck bringen sollte.
Der Farbstoff besteht für sich selbst. Dafür sprechen in
erster Reihe sein spektrales Verhalten und die Änderungen, die dieses
unter dem Einflusse von chemischen Stoffen erfährt, sodann auch
- die schnellen Wandlungen, die er — wie im nächsten Kapitel geschildert
werden soll — beim Sichselbstüberlassensein durchmacht.
Gegen Reagenzien verhält sich der Mitteldarmdrüsensaft erkennbar
nur wie eine Eiweisslösung: Er wird durch Alkohol gefällt. Der Nieder- _
schlag ist in Äther unlöslich. Säuren erzeugen sleichfalls eine Fällung.
Mit Alkalien entsteht Alkalialbuminat und mit dem Lewin’schen
Reagens auf Eiweiss (Trioximinomethylen-Schwefelsäure) die Violett-
färbung. Die über der säuregefällten Masse stehende Flüssigkeit ist
so wenig gefärbt, dass Feststellungen irgendwelcher spektralen Absorp-
tionen schon okular erfolelos ist.
Es erscheint nicht überflüssig, die in sehr len Beobachtungen
von uns festgestellte Tatsache zu bekunden, dass das rosarote oder
rosaviolette oder bläuliche, leicht opaleszierende Krebsblut keiner-
lei Absorptionsstreifen zu irgendeiner Zeit seiner Aufbewahrung
spektroskopisch erkennen lässt, und dass solche auch nicht durch
chemische Reagenzien (Reduktions- und Oxydationsmittel) hervor-,
zurufen sind. ?
86 L.. Lewin u. E. Stenger:
Der unveränderte Saft der Mitteldarmdrüse soll eisenhaltig sein.
Man fand darin 0,2 mg Eisen auf 1 g Trockensubstanz !), während
in dem Krebsblut bzw. dem als Hämocyanin bezeichneten Farbstoff
desselben Kupfer enthalten sein sollte. Während von einer Seite
angegeben wurde, dass selbst bei Verwendung der elektrolytischen
Untersuchungsmethode Kupfer weder im Blute des Krebses noch
dem des Hummers, der Languste usw. nachweisbar sei °), wurden
andererseits auch Analysen mitgeteilt ?), nach denen im Blute des
Krebses 4-8 mg Kupfer auf 100 ccm Blut vorhanden sind.
Wir haben, um uns ein eigenes Urteil über die Frage zu bilden,
das Blut von insgesamt 16 Krebsen, das durch Abtrennung des be-
weglichen Scherengliedes gewonnen worden war, im Platintiegel ver-
ascht. Die Lösung der Asche verkupferte nicht ein blankes Eisenstück,
lieferte aber mit Ferrocyankalium andeutungsweise die Färbung von
Ferrocyankupfer. Es lag nahe, die Menge kolorimetrisch der Grössen-
ordnung nach durch die gleiche Reaktion zu schätzen. Das Ergebnis
war, dass etwa auf das Blut eines Krebses !/,.. mg Kupfer kommen,
also eine Menge, die sehr beträchtlich unter dem oben angegebenen
Werte liest.
Die Veränderungen des Farbstoffes der Mitteldarmdrüse
ausserhalb des Körpers des Krebses.
Die Beobachtung drängte sich bei der Handhabung des Saftes
der Mitteldarmdrüse schnell auf, dass nach seiner Entfernung aus dem
lebenden Körper allmählich eine Dunkelung eventuell bis zum Schwarz
eintrat.
Es war dies bisher nicht bekannt. Nur über das Krustazeenblut
lag die Angabe vor, dass sich in. ihm, namentlich wenn es bei Sommer-
temperatur im Glase aufbewahrt würde, ein schwarzes körniges Zer-
setzungsprodukt bilde, das in Wasser, Alkohol und verdünnten Säuren
unlöslich, aber in heissen Mineralsäuren löslich sei. Als Ursache dieser
Dunkelung wurde die Einwirkung tryptischer Fermente auf das Blut-
eiweiss angenommen ?).
Für das Krebsblut können wir diese Angabe nicht ganz bestätigen.
Wir sahen oft die Rosafarbe der geronnenen Blutmasse bei Labora-
toriumstemperatur über eine Woche lang unverändert, ohne Farben-
umschlag, bestehen, und nur gelegentlich, falls die Fäulnis weit vor-
geschritten war, eine sehr leichte Bräunung eintreten, die jedoch nicht
in Parallele gestellt werden kann mit der des Mitteldarmdrüsensaftes.
1) Dastre et Floresco, Archives de Physiologie t. X p. 176. 1898.
2) Heim, Comptes rend. de l’Academie des Sciences t. OXIV. p. 772. 1892.
3) Dhöre, Comptes rend. de la Societe de Biologie t. LII p. 458. 1900.
4) Heim, Etude sur le sang des Crustacees decapodes, These. Paris 1892.
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Der Farbstoff der Mitteldarmdrüse des Flusskrebses. 897
Dieser Saft im unveränderten Zustande oder mit Wasser verdünnt,
wird, sich selbst überlassen, dunkelbraun bzw. braunschwarz. Dies
kann schon nach einer Stunde erfolgen, erfordert aber meist mehrere
Stunden bis zu zwei Tagen.
Absorptionen sind in der dunkelnden, stark alkalisch reagierenden
Flüssigkeit nicht mehr erkennbar. Selbst der charakteristische Streifen
bei 560 u. schwindet. Durch Zusatz von Natronlauge tritt eine Auf-
hellung ein. Die dunkle Flüssigkeit wird wieder bräunlichgelb.
‚Wasserstoffsuperoxyd ändert an der fast tintenschwarz gewordenen
Masse nichts. Es kommt nur zu einer minimalen Sauerstoffentwicklung.
Jedenfalls hat die im frischen Zustande deutliche katalysierende Eigen-
schaft des Lebersaftes für Wasserstoffsuperoxyd mit seinem Dunkel-
werden eine auffällig starke Einbusse erlitten.
Falls diese Eigenschaft an das Eiweiss gebunden sein sollte, so
‚würde ihr Verlust auf eine Zersetzung desselben hinweisen. Voraus-
setzung und Folgerung treffen zu. Denn der Versuch lehrt, dass in
einer sehr alten, schon grünlich opaleszierend gewordenen, übelriechen-
den Lösung von Fiereiweiss Wasserstoffsuperoxyd nach einiger Zeit
noch zerlegt wird — freilich in einem doch noch umfangreicheren
Maasse, als dies bei dem gefaulten, dunkel gewordenen Mitteldarmn-
drüsensaft der Fall ist.
Der Einfluss des Lichtes, der Luft und der Fäulnis
auf die Dunkelung.
Drei Möglichkeiten können vorerst als Ursachen des Dunkelwerdens
in Frage kommen: das Licht, die Luft und die Fäulnis. Sie konnten
leicht auf ihre Wertigkeit geprüft werden.
Um einen eventuellen Einfluss des Lichts festzustellen, wurden
von dem ausgepressten Mitteldarmdrüsensaft Präparate in weissen,
in hellrsten und in dunkelroten Zylindern dem Tageslichte ausgesetzt.
Alle dunkelten. Doch war ein Intensitätsunterschied in der Farbe
der dunkelrot belichteten und derjenigen der beiden ersten schon am
ersten und noch am dritten Tage feststellbar. Die im dunkelroten
Zylinder gehaltenen Flüssigkeiten blieben etwas heller.
Hiernach hat bei dieser Versuchsanordnung die Beseitigung aller
Strahlen bis auf die roten einen geringen, aber doch immerhin erkenn-
baren Einfluss ausgeübt.
Der im völlig dunkeln Schrank gehaltene Saft erlitt die gleiche
Veränderung wie der frei am Lichte stehende. Aber auch hier liessen
sich in gleichen Zeiten seines Sichselbstüberlassenseins Helligkeits-
differenzen zugunsten der dunkel gehaltenen Präparate nachweisen.
Deutlich tritt dieser Einfluss des Lichtes bei einer anderen Versuchs-
8 L. Lewin u. E. Stenger:
anordnung hervor, die auch den zeitlichen Verlauf der Farbenverände-
rung widerspiegelt.
Der Mitteldarmdrüsensaft eines Krebses wurde dem Tageslicht
ausgesetzt und während der Dauer des Versuches mehrfach am Tage
mittels eines Polarisationsphotometers untersucht. Die folgende Tabelle
enthält die gefundenen Zahlenwerte der steigenden Undurchlässigkeit,
abhängig von der Dauer des Versuches:
Stundenzahl: ai 2 3 Ara ee
Undurchlässigkeit: 0,83 0,83 0,88 0,93 0,95 0,98 1,21 1,35 1,46 1,65 1,89 2,31
Hierzu ist zu bemerken, dass das Präparat in dem an kurzen November-
tagen vorgenommenen Versuch nur etwas mehr als ein Drittel der
' Versuchsdauer Tageslicht erhielt, während in den übrigen Stunden
Dunkelheit herrschte.
Beistehende graphi-
sche Darstellung der
Zahlenergebnisse lässt
deutlich erkennen,
dass unter der Ein-
wirkung des Tages-
lichts die Dunkelung
schneller tortge-
schritten ist als in
ON 20 wo N oo 0 den Nachtzeiten (von
———> .Stundenzahl gi R
5 Uhr nachmittags
— > Schwärzungszunahme
+— +— + Tageszeiten mit Messungen.
—- Nachtzeiten ohne Messungen. bis morgens 7 Uhr):
Abb. 2. Eine Beteiligung
der Luft an dieser
Veränderung liess sich sicher ausschliessen, denn Präparate, die im Va-
kuum dem Lichte ausgesetzt waren, dunkelten schon am ersten Tage.
So blieb als dritte Möglichkeit übrig, dass Fäulnisvorgänge
die Dunkelung des Mitteldarmdrüsensattes bedingen bzw. beeinflussen
könnten. Eine ganze Reihe von antiseptischen Stoffen wurden für
die Entscheidung, dieser Frage benutzt. Von der protoplasmatischen
Giftwirkung des Chloroforms, die sich ja auch auf niedere pilz-
liche Lebewesen erstreckt, war ein Erfolg nicht zu erkennen, trotz
guten Umschüttelns und eines Überschusses des Mittels. Der Saft
wurde zuerst fleischrot, dann nach 3 Stunden braun, nach 24 Stunden
schwarzbraun und blieb so bis nach 168 Stunden.
Alkohol eızeust, wie schon angegeben wurde, in dem Safte
einen Niederschlag, über den sich eine gelbe Flüssigkeitsschicht ab-
setzt. Nach 72 Stunden hatte sich der Niederschlag grau gefärbt
und änderte die Farbe auch nicht weiter
Der Farbstoff der Mitteldarmdrüse des Flusskrebses. 89
Die Karbolsäure hemmt die Dunkelung nur, wenn sie in einem
Überschusse zu dem Saft hinzugefügt wird. Der entstehende Nieder-
schlag setzt sich nach etwa 3 Stunden, teilweise rot gefärbt, ab und
bleibt so. Der Farbstoff gibt sich nicht mehr durch die Absorption
bei A = 560 als unzersetzt zu erkennen. Wenig Karbolsäure lässt den
Saft ebenfallsfaulfrei, verhindert aber nicht, dass er nach 24--48 Stunden,
oft noch früher als die Kontrollpräparate, dunkel wird. Die Vermutung,
dass aus der Karbolsäure in Berührung mit dem Saft sich Hydrochinon
und durch weitere Oxydation Chinone oder andere gefärbte Produkte
gebildet haben, liest nahe, liess sich aber nicht erweisen. In der braunen,
karbolhaltigen Flüssigkeit ist der genannte Absorptionsstreifen noch
erkennbar. Der Farbstoff wird mithin durch wenig Karbolsäure nicht
peschädigt.
Die Dunkelung des Saftes wird völlig verhindert, falis ihm gelöste
schweflige Säure oder Formaldehyd in Mengen zugesetzt werden,
die Niederschläge erzeugen und den Farbstoff als solchen chemisch
verändern. Wenn das letztere nicht eintritt, zum Beispiel nach
Mischen mit wenig Formaldehydlösung, so bleibt zwar, wie bei der
Karbolsäure, der Saft ohne Fäulnis, aber dunkelt doch ganz leicht.
Nach alledem scheint die faulige Zersetzung der Eiweisssubstanzen
‚des Saftes an der Dunkelung sehr stark beteiligt zu sein, viel mehr
als die Sonnenstrahlen. Es sind aber wahrscheinlich noch andere
Ursachen vorhanden, die seine Verfärbung bis zum Braun oder Braun-
schwarz veranlassen.
Kommen dem Farbstoff der Mitteldarmdrüse biologische
Funktionen zu?
An der sich aufdrängenden Frage, ob dem eigentümlichen Farbstoft
irgendwelche Beziehungen zu dem Leben seines Trägers zukommen,
-darf nieht achtlos vorübergesangen werden. Dies darf um so weniger
geschehen, als man ja sogar im ungetärbten Blute der Mollusken ge-
wisse farblose Eiweissstoffe. die ‚„Achroglobine“, als respiratorische
Globuline bezeichnet !), das heisst ihnen die Fähickeit zugeschrieben
hat, die respiratorischen Funktionen des Blutfarbstoffs zu erfüllen,
und als man weiter mit angeblich noch grösserer Berechtigung die
Farbstoffe der Dekapodensäfte mit einer Rolle bei der Atmung versah.
‚Zumal das „Hämochromogen“ der Mitteldarmdrüse des Flusskrebses
sollte bei der Darmatmung beteiligt sein.
Dies wurde ausgesprochen, obschon keinerlei Eigenschaft dieses
‚angeblichen Farbstoffs bekannt gegeben wurde, die die Annahme
einer solchen Fähigkeit zu rechtfertigen geeignet gewesen wäre.
1) Griffiths, Comptes rend. de l’Academie des Sciences t. OXIV, OXV,
CXVI 1892—1893.
90 L. Lewin u.E. Stenger: Der Farbstoff der Mitteldarmdrüse usw.
Die auf den vorigen Seiten beschriebene Tatsache der Zustands-
änderung des Mitteldarmdrüsensaftes, je nachdem ihm
Sauerstoff entzogen oder zugeführt wird, trägt dagegen in
sich eine gewisse Berechtigung für die Meinung, dass eine solche Eigen-
schaft im tierischen Körper für irgendeine Art von Gasaustausch
dienen könne, und zwar um so mehr, als die Abgabe und die Aufnahme
von Sauerstoff — soweit das spektrale Verhalten darüber Aufschluss
zu geben vermag — sich ziemlich leicht und schnell vollziehen. Es
bedarf hierfür keiner eingreifenden chemischen Einflüsse. Der Inhalts-
stoff des Saftes, an dem sich Bindung und Lockerung des Sauerstoffs
vollziehen, verhält sich in dieser Beziehung wie das Hämoslobin.
Einen vollen Beweis für die biologische Ähnlichkeit in der Funktion
dieser beiden Flüssigkeiten experimentell zu liefern, dürfte freilich
auf Schwierigkeiten stossen, zumal — wenn auch bestritten !) — dem
Krebsblut bzw. dem darin enthaltenen Hämocyanin gleichfalls respira-
torische Funktionen zuerteilt werden. Derartige Versuche zu unter-
nehmen, lag ausserhalb der dieser Arbeit gezogenen Grenzen. Sie
' würden, falls sie dennoch zu positiven Ergebnissen führen sollten,
eine wertvolle Bereicherung der Erkenntnis auf einem sehr wichtigen
biologischen Gebiete liefern.
1) Heim, Comptes rend. de l’Academie des Sciences t. CXIV p. 771. 1892.
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Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten über
die Bedeutung der roten Olkugeln im Auge.
Von
Privatdozent Dr. Hans Henning,
(Aus dem psychologischen Institut der Universität Frankfurt a. M.)
(Eingegangen am 8. August 1919.)
“
In verschiedenen Versuchsreihen hat Hess!) den Nachweis erbracht:
Schildkröten sehen die Aussenwelt ungefähr so wie wir durch eine
stark ins Rötliche gehende gelbe Brille, welche beträchtlich viel Grün,
fast alles Blaugrün sowie alles Blau und Violett absorbiert; die Be-
dingungen der Tagvögel bekommt man mit ziemlich hellen orange-
farbenen Gläsern, die etwas Blaugrün, nur Spuren von Blau und gar
kein Violett mehr durchlassen; das Farbensehen der Nachtvögel
gleicht unserm Eindruck bei viel hellerem schwach gelblichem Glas,
welches höchstens etwas Violett verschluckt; Eidechsen sehen die
Welt der Farben nicht merklich anders wie wir. Diese Verkürzung
des Spektrums am kurzwelligen Ende ist physikalisch dadurch bedingt,
dass zwischen dem Aussen- und Innenglied der Zapfen farbige Ölkugeln
eingelagert sind, und zwar in der Netzhaut der Schildkröten besonders
‚reichlich rote Ölkugeln, der Tagvögel rote und gelbe, der Nachtvögel
wach gefärbte braungelbe bis gelbe, der Eidechsen schwach gelbe,
> aber weniger als bei den Nachtvögeln. Die übrigen Reptilien besitzen
gar keine farbigen Ölkugeln, während bei Amphibien und Fischen
manchmal überaus schwach gefärbte, meist aber ganz farblose Öl-
kugeln in geringerer Anzahl beschrieben sind. Die stärkste Verkürzung
am kurzwellisen Ende des Spektrums besitzen also die Schildkröten,
demnächst die Tagvögel, dann die Nachtvögel, deren geringfügige
Verkürzung sehon dem menschlichen Sehen recht nahe kommt, und
schliesslich die Eidechsen, bei denen die Verkürzung kaum noch an-
spricht.
Huhn, Taube, Truthahn usw. picken von den ins Spektrum ge-
lesten Reiskörnern also nur die im Rot, Gelb, Grün und Grünblau
befindlichen, während sie die blauen und violetten nicht sehen; analog
verhalten sich Falken und Bussarde gegenüber weissen Fleischstücken
1) C. Hess, Gesichtssinn. Handbuch der vergleichenden Physiologie
von Winterstein Bd. 4 S. 563ff. Jena 1913.
02 Hans Henning:
im Spektrallicht. Nachtvögel wie die Ohreulen, Steinkäuze oder Wald-
käuze schnappen im Rot, Gelb, Grün und Blaugrün nach dem Fleisch,
im reinen Blau und Violett werden sie unsicher oder hören ganz auf.
Schildkröten gehen dem Futter hingegen nur im Rot, Gelb und Grün-
gelb nach.
Den naheliegenden und später auch von Erna Hahn!) erhobenen
Einwand, dass Hühner die blauen und violetten Körner zwar sehen
und unterscheiden, aber aus Abneigung gegen die blaue Farbe nicht
fressen, hatte Hess ?) von vornherein bereits entkräftet. Tatsächlich
picken die soeben ausgekrochenen Küken im Tageslicht natürlich
nach blaugefärbtem Reis; eine ‚„Gewöhnung‘ an Blau, wie Erna
Hahn meint, ist dazu gar nicht nötig. Allein blaue Körner im Tages-
licht fressen, heisst noch nicht, sie ‚‚blau sehen‘; denn wie der Total-
farbenblinde oder der Tritanope (Blaugelbblinde) die Körner hier
als graue gewahrt, so vermag auch das für Blau und Violett unempfind-
liche Huhn sie als graue Körner vom Untergrund zu unterscheiden.
Ebenso hatte Hess °) gezeigt, dass die Liehtempfindlichkeit durch
Dunkeladaptation zunimmt. Im Spektrum picken Hühner also
auch die blauen Körner, die sie dann grau sehen, falls die Tiere dunkel-
adaptiert sind und das Blau lichtstark genug ausfällt; sie hören jedoch
sofort mit dem Picken auf — und das ist das Beweisende —, wenn
man die Helligkeit des blauen Lichtes entsprechend abschwächt, wo-
nach der Mensch die blauen Körner gleichwohl noch hell und deut-
lich sieht.
Hess erwies seine These nicht nur durch Experimente im Spektrum,
sondern auch mit Glaslichtern, mit Versuchen über die Adaptation,
die Helligkeit, das Pupillenspiel, mit Anordnungen, welche die Be-
dingungen der Seebeck-Holmgren’schen Wollproben erfassen, mit
Vergleichen durch verschieden farbenblinde Menschen, im Dressur-
versuch’ usw. In neueren Nachprüfungen zeigte Hess !) den Unter-
schied zwischen Mensch und Vogel im pupillomotorischen Reizwert
der farbigen Glaslichter mit Hilfe des Zeiss’schen Differentialpupillo-
skops, sowie durch neue vergleichende Messungen °). Hier stellte sich
heraus, dass Hühner bei Beleuchtung durch eine grüne Lampe eine
l4mal grössere Helligkeit zum Bemerken der Körner brauchen als
1) Erna Hahn, Über den Farbensinn der Tagvögel und die Zapfen-
ölkugeln. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 116, S. 1—42. 1916.
2) ©. Hess, a. a. O. S. 565 u. 583.
SBarar 0.18.5606:
4) ©. Hess, Neue Versuche über Lichtreaktionen bei Tieren und Pflanzen.
Sitzungsber. d. Ges. f. Morphol. u. Physiol. in München Bd. 30. 1914/16.
München 1917.
5) ©. Hess, Der Farbensinn der Vögel und die Lehre von den Schmuck-
farben. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 166 S. 3831—426. 1917.
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. | 93
der Mensch, dass ihre farbigen Ölkugeln die grünen Strahlungen zu
92%, blaue sar zu 98%, absorbieren usw. Natürlich ist damit nicht
gesagt, dass bloss 8% von grünem und 2%, von blauem Licht zur
Reizwirkung gelangt, denn die Netzhaut ist ja nicht einfach mit einer
Ölschicht einheitlich überzogen, sondern es sind diskrete Ölkugeln
mit leeren Zwischenräumen eingelagert. Unsere Nachprüfungen haben
Hess überall recht gegeben. An der Tatsache einer Verkürzung
des Spektrums am kurzwellisen Ende für das Sehen der:
Tagvögel lässt sich nicht rütteln.
Erna Hahn behauptet nun auf Grund ihrer Versuche, dass Hühner
die Farben ebenso sehen wie der Mensch. (Andere blaugefärbte
Vogelarten setzten ihrem Prüfungsverfahren unübersteigliche Schwierig-
keiten in den Weg.)
Freilich vermochte sie ihre Annahme nicht für das Tagessehen
der Hühner zu beweisen. Wurden Körner auf schwarzem Grunde
von einem Spektrum bestrahlt, welches in schwach geneigter Horizontal-
richtung von vorne auf die Körner fiel, so pickten die Hühner nämlich.
im Blau und Violett ebensowenig wie in den Versuchen von Hess. Das
Tagessehen der Hühner kennzeichnet sich also sowohl in den Reihen von
Hess als in denjenigen von Hahn als eine ausgesprochene Blaublindheit.
Erna Hahn urteilt nun, dass die Hühner die blauen und violetten
. Körner im Spektrum nicht sehen, weil sie nicht dunkeladaptiert sind.
Und sie zeigt weiter, dass dunkeladaptierte Hühner die blauen
und violetten Körner (übrigens durchaus nicht ausnahmslos) sehen.
Um die Dunkeladaptation zu erhalten, beliess sie die Tiere erstens
einige Zeit im Dunkeln; zweitens warf sie das Spektrum nicht mehr
von vorne, wo das bunte Licht dann ja auch direkt das Auge des
Tieres reizt, sondern von oben, so dass die Tiere nicht mehr in die
"Liehtquelle selbst hineinsehen. ‚Nach längerer Dunkeladaptation‘“
oder ‚nach wenigen Minuten‘ pickten die Hühner nicht nur im lang-
welligen, sondern auch im kurzwelligen Abschnitt des Spektrums;
beispielsweise benötigte ein Tier 25 Minuten Dunkeladaptation, um
die violetten Körner zu sehen. Damit wird natürlich keineswegs be-
wiesen, dass die Hühner die blauen und violetten Körner nun auch
blau und violett sahen, wie Erna Hahn annimmt: sie vergisst, dass
im Zustande der Dunkeladaptation gar keine bunten Farben
mehr gesehen werden, sondern alles erscheint dem Menschen wie
dem Tiere dann so, wie ein Totalfarbenblinder es immer sieht,
das heisst in Abstufungen von Weiss, Grau und Schwarz. Daraus
folgt, dass die Hühner im Zustande der Dunkeladaptation die blauen
und violetten Körner nicht blau und violett sahen, sondern in grauen
‚Nüancen. Ich würde diese Selbstverständlichkeiten gar nicht be-
sprechen, wenn Erna Hahn nicht gläubige Leser gefunden hätte.
94 Hans Henning:
Man wird nun fragen, warum die blauen und violetten Körner
sich denn überhaupt als graue vom schwarzen Untergrund abhoben,
und warum sie für das Auge des Huhnes nicht schwarz erscheinen.
Wir verstehen wohl, dass die blaugefärbte Hirse im Tageslichte grau
wirken muss; wieso geschieht dies aber auch dort, wo nur blaues und
violettes Spektrallicht vorhanden ist, für welches die Hühner doch
blind sind? Zunächst bedingt die Versuchsanordnung, dass ‚die im
Blau und Violett enthaltenen Weissvalenzen sehr stark ausfallen.
Erna Hahn verwendete nämlich sehr starke Intensitäten, was
sich auf verschiedenen Wegen beweisen lässt. Bekanntlich sieht das
menschliche Auge im Zustand der Dunkeladaptation nur Schwarz-
Weiss wie ein Totalfarbenblinder. Erna Hahn sah aber ‚nach
längerer Dunkeladaptation“, dass die Körner „ausgesprochen blau
waren“. Daraus geht nicht nur hervor, dass sie mit grossen Licht-
stärken arbeitete, sondern auch, dass die Lichtintensität erheblich
über dem sogenannten Schwellenwert des Tagessehens lag. Unter
solchen Umständen muss das Huhn die blauen und violetten Körner
natürlich — ungefähr etwas dunkler wie im Tageslichte — als mittel-
graue sehen. Ja der vom auffallenden Spektrallicht verursachte
Schatten, welchen die Körner auf die Unterlage werfen, wird dem
Huhn unter solchen Umständen nicht entgehen. Wohl schwächte
Erna Hahn das Licht manchmal durch Rauchglas, indessen lassen - »
graue Gläser — entgegen ihrer Annahme — die Lichter verschiedener
Wellenlänge durchaus nicht gleichmässig durch. Auch sonst hat sie
die Lichtstärke nicht in der Weise geschwächt, dass die von den blauen
und violetten Körnern ebenfalls zurückgeworfenen grauen Lichter (die
Weissvalenz des Blau und Violett) für das Auge des Huhnes genügend
ausgelöscht wären, vielmehr konnten die Hühner bei den gewählten
Intensitäten die Körner im kurzwellisen Lichte noch als graue (wenn
auch etwas dunkler als bei Tagesbeleuchtung) erkennen. Dies geht
aus den Angaben hervor, welche die Verfasserin über ihre eigene sub-
jektive Wahrnehmung unter den Versuchsumständen macht.
Dazu kommt, dass die Empfindlichkeit des Sehens mit der
Dunkeladaptation beträchtlieh steigt: nach 3 Minuten beträgt
die Empfindlichkeitszunahme für den Menschen schon mehr als das
1000fache des ursprünglichen Schwellenwertes; im ganzen berechnete
Piper sie auf das 1400—8000fache. Analog steigt die Reizschwelle
für das Weiss-Schwarz-Sehen des dunkeladaptierten Huhnes.
Ferner meldet sich bei der Dunkeladaptation das sogenannte Pur-
kinje’sche Phänomen: während beim Tagessehen. die langwellige
Hälfte des Spektrums heller erscheint, wird beim Dämmerungssehen
das kurzwellige Ende heller. Ist tags ein Rot von 670 uu ungefähr
10mal heller als ein Blau von 480 un, so kehrt sich das beim Dämme-
Optische Versuche an Vögeln u. Schildkröten usw. 95
rungssehen ins Gegenteil, wo nun das Blau mehr als 16mal heller
erscheint als das Rot. Dabei blasst das Blau ab, Rot hingegen weniger,
und in den kurzwelligen Lichtern überwiegt die Helligkeit. Tages-
gleiche Lichter erhalten mithin ungemein rasch verschiedene Dämme-
rungswerte. Dazu kommt, dass diese Aufhellung des kurzwellisen
Lichtes sich für diehromatisches Sehen noch stärker durchsetzt als
für das farbentüchtige menschliche Auge.
Nach allen einschlägigen Gesetzmässigkeiten versteht sich also
ganz von selbst, dass die blauen und violetten Körner sich als mittel-
graue vom schwarzen Untergrund abheben müssen.
Nun glaubt Erna Hahn durch zwei Versuchsreihen den Nachweis
erbringen zu können, dass Hühner die blauen Körner — wohlgemerkt
in vollem Tageslichte entgegen ihrem eigenen früheren Befund — als
klaue sehen. Erstens verwechselten Hühner im Tageslicht gelbliche
und graue Körner nicht, ebenso unterschieden sie gelbliche, graue,
blaue und anders gefärbte. Daraus lässt sich indessen nicht folgern,
wie sie es tut, dass die blauen Körner auch wirklich blau gesehen
werden. Infolge der roten Ölkugeln erscheinen dem Huhne vielmehr
die gelblichen Körner als etwas rötlichgelb, die grauen als mehr oder
weniger gelbliches Grau und die blauen als mehr oder weniger reines
Grau, welches Spuren von Grün oder Blau enthält. Tatsächlich haben
die Hühner also nur rötliche, gelbliche und graue Körner von-
einander unterschieden.
Nebenbei bemerkt: die hellblau und mittelblau gefärbten Körner
erscheinen den Hühnern ebenso wie der stets bläuliche Kies der
Gärten oder Hühnerhöfe. Danach ist es nicht merkwürdig, dass die
Hühner manchmal zuerst die dunkelblauen und zuletzt die hellblauen
Körner piekten, und dass ein Exemplar die blauen Körner mit dem
Schnabel so zur Seite warf, wie Hühner dies mit den gleich gefärbten
kleinen Kieseln zu tun pflegen. Denn die hellblauen Körner ähneln
ja dem Kies am meisten.
Zweitens dressierte die Verfasserin ihre Hühner darauf, im Tages-
licht nur von einem schwarzen Teller mit blauem Rande zu fressen,
jedoch nicht. von einem schwarzen Teller mit einem ‚gleich hellen“
grauen Rand. Für das Auge des Huhnes sind Grau und Blau, welche
uns Menschen gleich hell erscheinen, natürlich nicht gleich hell, sondern
das Blau wirkt viel dunkler (farblos grau, schwach bläulichgrau oder
schwach grünlichgrau), während das objektive Grau sich davon als
viel heller und etwas gelblicher abhebt. War der Versuch im Sonnen-
licht angestellt, so erhielt der graue Teller eine noch stärkere Gelb-
komponente. Da anderen Autoren sogar Dressuren auf verschiedene
reine Graunüancen gelungen sind, stehen wir hier vor keinem Rätsel.
Es ist also nicht im mindesten bewiesen, dass die Hühner das Blau
96 Hans Henning:
als blau sehen, sondern bei gehöriger Berücksichtigung der einschlägigen
Gesetzmässigkeiten stimmen die Versuche von Erna Hahn durchaus
mit allen anderen Experimenten zusammen, welche die Blaublindheit
des Huhnes dartun.
Schliesslich stellt sie mit denjenigen Hühnern, welche blaugefärbte
Körner in den erörterten Experimenten sepickt hatten, noch Versuche
an, in denen sie mit Glaslichtern die Hess’schen Gleichungen zwischen
Grau und Blau herstellte. Die Hühner, die vorher (auf Grund der
oben erwähnten Momente) blaugefärbte Körner gepickt hatten, machten
hier keinen Unterschied mehr zwischen Blau und Grau,
weil die Helliskeitsdifferenzen, auf die sie sich früher stützen konnten,
ebenso die anderen genannten Faktoren nun ausgemerzt waren.
Alle Versuche von Erna Hahn belegen somit ausnahms-
los die Blaublindheit des Huhnes.
Im einzelnen wäre noch manches zu bemerken. So behauptet sie,
die Hühner müssten erst lernen, blaugefärbte Körner zu picken; in-
dessen spielt gar keine Lernzeit mit, sondern nur die Zeit der Dunkel-
adaptation, wie denn ihre dunkeladaptierten Hühner auch sofort blaue
Körner pickten. Die Hemmung des Pickens auf Kies mag aber bei
den gleichgefärbten Körnern mitgesprochen haben. — Ihr zufolee
frisst kein Huhn im Dunkeln; das Gegenteil ist für manche Exemplare
schon von andern Autoren nachgewiesen. Ich konnte einige Hühner
durch stetes Ein- und Ausschalten der Beleuchtung dazu bringen, im
Dunkelkäfig zu picken, ohne erst die Beleuchtung abzuwarten. Das
ist nicht verwunderlich, da Spaulding sogar Einsiedlerkrebse, die
sonst nur im Hellen Nahrung zu sich nehmen, daran zu gewöhnen
vermochte, im Dunkeln zu fressen. Übrigens liegt ein probierendes
Picken auch sonst im Verhalten der Vögel, wenn zwar freilebende
Arten, zum Beispiel Amseln und Spechte, die Hühner darin weit
übertreffen. Somit war es zu erwarten, dass gelegentlich auch im
Dunkeln herumgefahren wird; ich rechne das von Hess beschriebene
„‚Unsicherwerden‘“ beim Picken zu diesem Herumprobieren. Bei unter-
'bundener Sicht wird der Geruchssinn zur Orientierung dienen; gewiss
ist er beim Huhn sehr verkümmert, allein zum Entscheid, ob gekochter
Reis und Hirse vorhanden ist, scheint er mir gemäss einigen eignen
Versuchsreihen auszureichen, sobald das Huhn sich allein auf den
Geruch verlässt. Umgekehrt verweigerten Buchfinken und Sperlinge
ohne eine einzige Geschmacksprobe die sonst sehr beliebten Erbsen,
als sie ganz schwach nach Petroleum rochen. Sie frassen die Saat
aber unter verhüllenden Tüchern spontan.
Nach Erna Hahn müsste der pupillomotorische Wert (das heisst
die Pupillenreaktion beim Auffallen von Licht mit jeweils verschiedener
Wellenlänge) für Tag- und Nachtvögel genau umgekehrt sein, als
N a a Zu
ed ce Be ee er
u A a Fe ne Zw a3 en ei
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 97
Hess dies angibt, insofern die Nachtvögel nur wenige, die Tagvögel
aber sehr viele Zapfen in der Netzhaut tragen. Sie übersieht, dass
die Stäbchen ebenfalls motorische Empfänger sind. — Tagvögel und
Schildkröten, so schliesst sie weiter gegen Hess, sollten sich in den
Pupillenwerten gleichen; hier liess sie ausser acht, dass die Schildkröte °
doch überhaupt keine Pupillenreaktion gibt. — Weil Brossa und
Kohlrausceh mit dem Aktionsstrom in der (jeweils durch Spektral-
lieht von verschiedener Wellenlänge bestrahlten) Netzhaut der Nacht-
vögel nur gleichgestaltete und ähnliche Reaktionskurven erhielten,
folgertt Erna Hahn, die Nachtvögel wären total farbenblind;- tat-
sächlich sehen Nachtvögel alle bunten Farben stark mit Grau ver-
hüllt, so dass derartige Kurven zu erwarten waren. Ein sorgfältiges
Urteil hätte sich deshalb auf geeignetere Verfahren gestützt.
' Schliesslich blieben manche ihrer Bestimmungen über die Ölkugeln
nicht unangefochten; so behauptet sie, grüne Ölkugeln wären wie die
- wenig farblosen für alle Spektrallichter gleich durchlässig.
Stehen wir hier ganz auf seiten von Hess, so müssten wir in
anderen Punkten, zum Beispiel beim Farbensehen der Insekten, Vor-
- behalte machen, die aber hier nicht zur Diskussion stehen.
Damit erleidet die Lehre von den Schmuckfarben und ihre
Rolle in der Entwicklungsgeschichte einen argen Schlag. Zwar die
Schildkröten besitzen bis auf einige grünliche nur solche Farben, die
sie tatsächlich sehen, und bei den von Menschen gezüchteten Haustier-
formen könnte man sich trösten, da die Auslese sich ja auf das Farben-
sehen des Menschen abstimmt. Allein alles Blaugrün, Blau und Violett
im Gefieder der freilebenden Arten (Papageien, Buntfasane, Schmetter-
linssfink, Eisvogel usw.) müsste den Vögeln selbst als schmutziges
Grau .erscheinen..
Ihre Farbenpracht als Schutz- und Trutzfarben aufzufassen, hält
schwer. Papageien verraten sich ihren Hauptfeinden, dem Menschen
und kletternden Raubsäugern durch ihre eindringliche Farbe, und
ähnlich steht es um die anderen Vögel.
Eine Nachprüfung mit rötlichgelber Brille unter Wahrung der
Adaptationsverhältnisse lehrte !), dass man nach wie vor noch von
Schmuckfarben der Vögel reden darf: manche Arten gewinnen durch
das rötlichgelbe Filter hindurch an Farbenpracht — alle roten und
selben Töne werden leuchtender und eindringlicher, das Blaugrün
wird samtähnlicher und weicher —, andere verlieren freilich ungeheuer
durch das Versinken von Violett und tiefem Blau in bläulichgrünes
oder stumpfes Grau. Im ganzen geht durch die Farbbrille aber viel
mehr verloren, als gewonnen wird.
1) Hans Henning, Wie sehen die Vögel ihre Schmuckfarben? Natur-
wiss. Wochenschr. N. F. Ba. 15 S. 545 ff. 1916.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. Ü
98 Hans Henning:
Dass die Schmuckfarben in der von Darwin auf das menschliche
Farbensehen bezogenen Weise problematisch sind, lehrt zweitens das
auch für Vögel gültige Weber-Fechner’sche Gesetz. Kleine ‚Varia-
tionszuwüchse‘“, die sich in der Generationenfolge unmerklich addieren
und dadurch die Farbenpracht der Art in die Höhe treiben sollen,
müssen tatsächlich unbemerkt bleiben, weil kraft des genannten Ge-
setzes nur beträchtlichere Farbenstufen auffallen können, und zwar
um so grössere Aufbesserungen, je farbenprächtiger das Gefieder an
sich schon ist. Wir werden also auch hier wieder eher auf mendelnde
Unterschiede gewiesen. Wenn es aber solche Variationszuwüchse gibt,
dann ist das Weber-Fechner’sche Gesetz eine Bremse, welche
die Färbung der Art konstant erhält: diese Bremse zieht um so
stärker an, je ausgeprägter die Färbung schon ist, eben weil der ob-
jektive Reiz in geometrischer Progression wachsen muss, um Per-
zeptionsunterschiede in arithmetischer Reihe zu gestatten.
In meinen genannten Versuchen zeigte sich aber, dass ein minimaler
Zuschuss an Rot oder ein geringfügiger Zuwachs an Gelb in der Brille
die ganze Situation grundsätzlich ändern mag: im einen Fall sind
wirksame Schmuckfarben da, im andern ein stumpfes Grau. Solche
kleinen Differenzen können also eine ausschlaggebende Bedeutung für
die Erkennung der eignen Artgenossen haben, zumal in Familien mit
zahlreichen formgleichen, aber farbungleichen Varianten (zum Beispiel
Papageien). Ein paar rote Ölkugeln weniger, ein paar gelbe mehr,
und das betreffende Exemplar erscheint grundsätzlich im Schmuck-
gefieder, eine andere Art grundsätzlich grau, obwohl beide uns mit
unbewaffnetem Auge ziemlich ähnlich vorkommen. Hätten Papageien
also je nach der Art geringe Unterschiede in den farbigen Ölkugeln,
so würde das Herausfinden der Artgenossen dadurch erleichtert sein.
Ein zweites Schutzmittel der Natur vor Bastardierung ähnlicher Arten
liegt darin, dass Tiere, die verwechselt werden könnten, in getrennten
Horden oder Familien leben.
Wie empfindlich die Erkennungsschwelle der Vögel ist, prüfte ich,
indem ich ein Exemplar ganz oder fleckig mit Russ einrieb. Derart
gefärbte weisse Hennen wurden nicht mehr als zum Hof gehörig an-
erkannt; sie wurden von dem Hahn sowie von den anderen Hennen
dauernd verfolgt, sogar am gemeinsamen Fressen gehindert, worauf
sie sich (6 Wochen lang vergeblich) in einem Bach zu reinigen suchten).
Analoge Experimente stellte ich dann mit bunten Farbpulvern an;
dies erwies sich als ganz vorzügliche Methode zur Bestimmung der
Erkennungsschwelle.
All das sind jedoch nur Kleinigkeiten. Ihretwegen wären die bunten
1) a. a. O. S. 547.
uf ki
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 99
Ölkugeln nicht gerade nötig gewesen; das Haupträtsel bleibt ungelöst,
weshalb das kurzwellige Ende des Spektrums so stark eingeengt ist.
I. Die Bedeutung der roten Ölkugeln.
Haab wies auf die Analogie zwischen Ölkugeln und Sehpurpur,
die in voller Ausprägung nicht gleichzeitig vorkommen; indessen
wandte Garten mit Recht ein, dass die Ölkugeln sich im Licht gar
nicht zersetzen wie der Sehpurpur, und dass sie auch an einer Stelle
im Auge liegen, die nicht für eine derartige Funktion spricht.
Hess schreibt!): „Die Frage nach der Bedeutung der farbigen
Ölkugeln in der Sauropsidennetzhaut ist nicht leicht zu beantworten.“
Die Vermutung, „dass die Zapfenaussenglieder durch die vorgelagerten
Kugeln möglichst vor der Wirkung kurzwelligen Lichtes geschützt
werden sollten, ähnlich wie die empfindlichsten Teile der Netzhaut-
mitte des Menschen durch das vorgelagerte gelbe Maculapigment ge-
schützt werden“, schien ihm anfangs einleuchtend. Diese übrigens
von Wälchli herrührende Hypothese vertrat auch Hensen, welcher
annımmt, dass der Farbfilter die chemisch wirksamen Strahlen schwächt,
während die weniger wirksamen ungeschwächt bleiben. Allein Hess
- selber stiess auf Befunde, welche dem widersprechen. Zunächst würden
gar nicht alle, sondern nur ein Teil der Zapfen geschützt. Ausserdem
besitzen Schildkröten mit vorwiegend nächtlicher Lebensweise noch
mehr rote Ölkugeln als die Tagvögel, obwohl sie doch nachts keinen
grösseren Schutz vor kurzwelligsem Licht bedürfen, als die Tagvögel
im Sonnenschein. Und die in prallster Sonne lebenden Eidechsen
haben noch weniger Ölkugeln als die Nachtvögel, obgleich die Echsen
tagsüber mehr Sonnenschutz benötigten als die Nachtvögel während
der Nacht. „Somit sind wir noch nicht in der Lage, eine erschöpfende
Erklärung für die Färbung der Ölkugeln zu geben. Möglicherweise
wirken letztere auch noch nach Art einer Kugellinse, indem sie den
durch Absorption bedingten Ausfall von Licht einigermaassen durch
Konzentration der längerwelligen Strahlen auf die Aussenglieder aus-
gleichen.“ ?) Diese letztere Erklärung, die mit der einen Hand auch
nur gibt, was die andere zuvor nahm, stösst indessen auf die gleichen
Schwierigkeiten, ohne dass der Sinn der Vorrichtung klarer würde.
Ähnliches gilt für die landläufige Deutung der Gelbfärbung unserer
Macula: erst wird die Empfindlichkeit von Haus aus zu gross angelegt,
und dann wird ein neuer Apparat nötig, um diesen Fehler der Anlage
zu überdecken. Und bei der Korrektion dieses Stümperwerkes der Natur
verlören die Vögel noch die Fähigkeit, kurzwellige Lichter zu perzipieren.
I), Hess, a. .a., 0: S. 571.
2)" a2 2.2.0, 82 Sur.
100 Hans Henning:
Im Gegenteil werden wir erwarten, dass diese Erklärung falsch ist, und
dass die Gelbfärbung der Macula denselben Zweck hat wie die analogen
gelb gefärbten Ölkugeln.
Garten seinerseits nimmt an, dass die roten Ölkugeln einmal die
chromatische Aberration vermindern. Die geringe Verbesserung der:
Bildschärfe wöge aber den Verlust der kurzwelligen Lichter nicht auf,
auch wäre nicht zu verstehen, warum nur Vögel und Schildkröten, aber
keine andern Tierarten diese Korrektion besitzen. Die Ölkugeln haben
die Aufgabe, „die durch Dunst verhüllte Ferne, von der relativ viel
kurzwelliges Licht in das Auge gelangt, in ihrem Mosaikbild gewisser-
maassen von jenem kurzwelligen Lichte zu reinigen“ !). Diese Erklärung
liegt ganz in der Linie der unsrigen. Garten nimmt weiter an ?), dass
das Vogelauge dem Prinzip der Lumiere’schen Farbenphotographie
gleiche. Hier ist der für alle Spektralfarben oleichmässig empfindlichen
Emulsionsschicht ein allerengstes Mosaik von verschieden gefärbten
Stärkekörnchen eingelagert. Wie die photographische Platte die bunten
Körnchen birgt, so das Vogelauge die Ölkugeln. Indessen liest der Zweck
der Lumiere-Platte doch einzig in dem Farbenreichtum, das heisst im
Vorhandensein von Körnchen aller Farben, und dem Wirksamwerden
aller Farben, während die Farben für das Vogel- und Schildkrötenauge
im Gegenteil vermindert werden und sie die Welt ohne jene Ölkugeln
viel bunter sehen würden. Die isolierte Eıregung verschiedener Zapfen
durch verschiedenfarbiges Licht und die Analogie mir der Lumitre-
Platte gilt auch nicht für die kurzwelligen Strahlen.
An anderem Orte?) wies ich nun im einzelnen nach, dass langwellige
Strahlen am besten durch die neblige und dunstige Atmo-
sphäre dringen. Im glutroten Sonnenuntergang vermögen wir auf
65 km Entfernung noch die Äste eines Baumes und dergleichen Einzel-
heiten zu unterscheiden, obwohl wir. kurz vorher im helleren Licht der
höherstehenden Sonne nicht einmal die Existenz eines Waldes zu ahnen
imstande waren. Mit der gesteigerten Deutlichkeit wächst auch die
scheinbare Grösse infolge des Aubert-Förster’schen Gesetzes, welches
die Beziehungen zwischen Sehschärfe, Deutlichkeit und scheinbarer
Grösse regelt, sowie des Koster’schen Gesetzes, das noch die Beleuch-
tung hinzunimmt. Halten wir ein rotes oder rotgelbes Glas vor unser
l)8S. Garten, Veränderungen der Netzhaut durch Licht. Graefe-
Sämisch’s Handb. f. Ophth. Teil I, III S. 140. 1908.
2) a. a. O. S. 144. — Vgl. auch S. Garten, Die Bedeutung unserer
Sinne für die Orientierung im Luftraume S. 26 u. 47f. Leipzig 1917.
3) Hans Henning, Die besonderen Funktionen der roten Strahlen bei
der scheinbaren Grösse von Sonne und Mond am Horizont, ihr Zusammen-
hang mit dem Aubert-Förster’schen und Koster’schen Phänomen
und verwandte Beleuchtungsprobleme. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. Bd. 50
S. 275—310. 1919.
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 101
Auge, so bleibt die enorme Verdeutlichung und die gewaltig erhöhte
scheinbare Grösse der von der untergehenden Sonne beleuchteten Gegen-
stände am Horizont erhalten; setzen wir aber grüne oder blaue Filter
vor, welche alle roten Strahlen unterbinden, so sind mit einem Schlag
alle Einzelheiten des Horizontes verschwunden. Dass die Erscheinung
von der Sonne unabhängig ist und ausschliesslich von den roten und
rotgelben Strahlen verursacht wird, geht schon daraus hervor, dass
rotes künstliches Licht die entfernten Gegenstände ebenso verdeutlicht.
Diese Tatsache liess sich auch in Experimenten mit roten Strahlen be-
stätigen. Ebenso hängt die scheinbare Vergrösserung der Gestirne am
Horizont mit diesen Gesetzmässigkeiten zusammen.
Wir betrachten mit unbewaffnetem Auge eine Landschaft im
Nebel, der unseren Blick nur etwa 300 m tief dringen lässt. Nun halten
wir rotes oder rotgelbes Glas vor unser Auge, und jetzt werden nicht
lediglich alle Einzelheiten in der Nähe viel deutlicher als vorher, sondern
unser Blick geht sogar etwa 2000 m weiter in die Tiefe. Das liegt nur
daran, dass langwellige Strahlen den Nebel eher durchdringen. In der
Tat verschwindet das deutliche Bild scfort, wenn wir ein grünes, grün-
blaues oder blaues Glas vorschalten, welches alle roten und rotgelben
Strahlen absorbiert: wir sehen jetzt höchstens 180 m weit, zudem wird
in diesem verengerten Bezirk alles undeutlicher.
Diese Tatsache hat man sich in der Photographie seit langem
zunutze gemacht. Solleine dunstige oder neblige Landschaft aufgenommen
werden, so setzt man vor das Objektiv einen Gelbfilter, der je nach der
Empfindlichkeit der Platten eine rötliche Komponente hat }).
Zahlreiche Beobachtungen und Versuche erhärten das: Personen,
deren durchsichtige Medien des Auges getrübt sind, können
bekanntlich im roten Licht am besten lesen, und zwar, weil die lang-
welligen Strahlen das trübe Medium am ehesten durchdringen.
Morgens und abends im rotgelben Licht der auf- und untergehenden
Sonne geniesst man in den Alpen die beste Fernsicht, obwohl: dann
quantitativ mehr feuchter Nebel im Talboden und am Horizonte liegt
als mittags, wo trotz der viel helleren Sonnenstrahlen das ganze Panorama
mit einem undurchsichtigen Dunstschleier verhängt ist. Die gelbroten
Strahlen durchdringen eben morgens und abends den reichlicheren Dunst
viel leichter als die viel helleren und weisslicheren Mittagsstrahlen den
objektiv geringeren Dunst. Analog tauchen die roten und gelben Lichter
des Dampfers zuerst im Nebel auf. Eine dunkle rote Scheibe ist enorm
viel weiter sichtbar als eine hellere blaue. Rötlichgelbe oder grüngelbe
Gletscherbrillen vermitteln einen viel weiteren und klareren Fernblick
als blaue oder graue.
1) W. Scheffer, Über Sehen und Photographieren durch trübe Medien.
Die Naturwiss. Bd. 6 S. 768—771. 1918.
103 - Hans Henning:
- In der physiologischen Optik benutzte man bei zahlreichen Problem-
stellungen (Sehschärfe, Tiefenbetrag, Zwischenmedium und andere)
Küvetten mit trüben Flüssigkeiten (verdünnte Milch, alkoholische
Lösung von Mastix, Benzoe und andern Harzen in Wasser), die man
vor das Auge setzte. Solche Glaströge mit trüben Flüssigkeiten sind.
nichts anderes als künstliche Nebel, was nicht nur der einfache Versuch
mit homogenen Lichtern, sondern auch die Photographie erweist !). Die
damit erzielten Effekte fallen also wieder zum grossen Teil den lang-
welligen Strahlen zu, welche am ehesten passieren. In der Tat konnte
das durch solche trüben Küvetten erblickte Objekt an Deutlichkeit und
Tiefe sogar zunehmen, wenn die Anordnung von rotgelbem oder gelbem
Licht beleuchtet wird. |
Letzteres schob man häufig in der physiologischen Optik der „bunten“
Beleuchtung zu, was nur eine Eigentümlichkeit des roten Lichtes ist.
Somit gelangen wir zum Ergebnis: rote und rötlichgelbe Strahlen
durchdringen die dunstige und neblige Atmosphäre sowie trübes Wasser-
am ehesten. Im Effekt bleibt es sich gleich, ob man die Gegend selbst
rot und rötlichgelb beleuchtet, oder ob man die normal beleuchtete
Gegend durch einen roten und orange Filter betrachtet,
welcher die langwellisen Strahlungsgattungen durchlässt, während er
die kurzwelligen verschluckt. Nebel- und Dunstteile beugen das Sonnen-
licht durch Interferenz zu Rot (zum Beispiel Morgen- und Abendrot),
dessen Gehalt sich dadurch quantitativ vermehrt.
II. Versuche an Vögeln.
Damit s'nd wir am Ziel: die roten und rotgelben Ölkugeln in der
Netzhaut der Vögel sind physikalisch nichts anderes wie solch ein rötlich-
selber Filter, was auch die mikroskopische Prüfung erweist. Diesem
farbigen Ölfilter verdanken die Zugvögel es, dass sie von Italien aus
selbst bei dunstigem Wetter die afrikanische Küste sehen, mit dieser
Hilfe vollführt die Brieftaube’ jene weiten Flüge. Ja, die rotgelben
Ölkugeln ermöglichen es allen Tagvögeln überhaupt erst, sich in
der Luft zu orientieren und sich in dunstiger Atmosphäre zurecht-
zufinden. Es bleibt kein Rätsel mehr, dass der Bussard aus höchster
Höhe die Maus am Boden laufen sieht, dass die Amsel kurz vor Sonnen-
aufgang schon so gut sieht wie im hellen Mittagsglanz, und dass der
Vogel in der Abenddämmerung sein Nest trotz grosser Entfernung noch
erreicht. Auf dieser Art des Sehens ist das ganze Leben der Tagvögel
aufgebaut; ohne die Ölkugeln könnten sie sich in ihrem stets dunstigen
Luftreich nicht mehr orientieren, und sie müssten einfach aussterben.
Die kleine, durch die Ölkugeln veranlasste Beeinträchtigung im Farben-
17a: 2.0:
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 103
sehen der kurzwellisen Strahlen wiegt gar nichts im Vergleich zu der
lebenswichtigen Funktion des Fernblicks im Dunst, und sie kam damals,
als das Sauropsidenauge diesen Apparat differenzierte, überhaupt nicht
in Frage.
Zu den Versuchen wurden mehrere Hühner, Tauben, Truthähne,
Fasane, Raben, Krähen, Dohlen, Stare, Amseln, Meisen, Finken, Sperlinge,
ein Falke und zwei Papageien sowie ein Kakadu benutzt.
Erste Versuchsreihe. Zunächst sollte entschieden werden, ob
die Vögel ihre Reaktionen auch in bunter Beleuchtung ausführen.
Denn von vornherein ist nicht sicher, ob die Taube, welche den grünen
Papagei nicht fürchtete, vor einem srünbeleuchteten Falken flieht usw.,
' oder allgemeiner gesagt: ob die bunte Beleuchtung nicht inadäquate
Reize schafft.
Zum Versuche dienten zwei aneinander stossende Verschläge, welche
durch ein Gitter getrennt waren. Die erste Kammer diente als Auf-
enthaltsraum für das Versuchstier; sie bekam nur durch das Gitter aus
der zweiten Kammer Licht. In die Wand des ersten Käfigs war ein
verschliessbares Okular eingelassen, durch welche die Tiere unbemerkt
beobachtet werden konnten, ohne dass dabei Licht einfiel. Die zweite
Kammer nahm das Objekt auf, dessen Sichtbarkeit entschieden werden
‚sollte; sie erhielt ihr Licht ausschliesslich durch eine Öffnung (von 4, qm
Grösse), in welche farbige Glasplatten eingeschoben wurden. Normaler-
weise fiel auf diese Farbplatten direkte Sonne; sie war aber auch ab-
zublenden, ebenso konnte Licht durch Spiegel darauf geworfen werden.
Im übrigen waren beide Verschläge mit Dachpappe und dem (in der
Photographie üblichen) schwarzen Papier und Stoff lichtundurchlässig
gemacht worden.
Dem Falken wurden in der zweiten Kammer ein Eiehhörnchen und
drei Mäuse exponiert; alle übrigen Vögel erblickten im zweiten Verschlage
durch das Gitter den Jagdfalken oder eine weisse Katze in bunter Be-
leuchtung. Den Hennen exponierte ich in der andern Kammer auch
die eigenen Küken und stellte in einem kleineren Drahtkäfig noch die
Katze neben die Küken. In einem Kontrollversuch wurde die Rolle
des Geruchs ausgeschaltet: nach gehöriger Lüftung wurde das Gitter
zwischen beiden Kammern durch eine Glasscheibe ersetzt. Ebenso
wurde jedes Geräusch und alle Erschütterung vermieden.
Über die Experimente dürfen wir uns kurz fassen: sie gingen so aus,
wie es nach dem oben Gesagten zu erwarten stand. Ausnahmslos wurde
der Prüfling unruhig und aufgeregt, wenn sein Feind resp. sein Beutetier
rot, orange, gelb, gelbgrün oder (in diesem Falle besonders hell) grün
beleuchtet wurde, und er blieb gleichgültig, sobald wir die blaue oder
viclette Scheibe eingesetzt hatten. Ebenso waren die quantitativen
Verhältnisse denen von Hess angegebenen gleich.
104 Hans Henning:
Dass Hühner dem Menschen analog Oberflächenfarben (gefärbte
Oberflächen der Dinge mit deren Struktur und Lokalisation, die ver-
schieden beleuchtet werden können) von Flächenfarben (wie dem Regen-
bogen, mit lockerem Farbgefüge, stets frontalparallel, fest, aber in nicht
genau angebbarer Entfernung lokalisiert, die niemals beleuchtet werden
können) und wohl auch Raumfarben (wie dünner Nebel, der den Raum
dreidimensional ausfüllt) zu unterscheiden vermögen, ist durch frühere
Versuche gesichert. Ebenso wissen wir, dass die beim Menschen vor-
handenen Grosshirnfaktoren, welche die Beleuchtung primär in Rechnung
setzen, bei Hühnern ebenfalls schon angelegt sind; sie verwechseln also
ein weisslicheres Papier im Schatten nicht mit einem schwärzlicheren
im Licht. Die Scheidung zwischen beleuchtetem Objekt und verschieden-
farbiger Beleuchtung, wie sie in unseren Versuchen zutage trat, setzt
daher nicht in Staunen. Wir wollen indessen bemerken, dass diese Fak-
toren bei Insekten noch nicht geprüft sind; ja, nach eigenen Versuchen
lassen sich hier gewisse Reaktionen durch bunte Beleuchtung hemmen.
Ehe die einschlägigen Experimente über die Erscheinungsweise der
Farben und über die Beleuchtung nicht durchgeführt sind, ist das letzte
Wort über das strittige Farben- resp. Helliskeitssehen der Bienen usw.
noch nicht gefallen.
Zweite Versuchsreihe. Hier sollten die Bedingungen des künst-
lichen Nebels geprüft werden. Ein Käfig war so abgeblendet, dass
das Licht nur durch eine Öffnung (von Y, qm Grösse) einfallen konnte;
vor dieser stand ein Glastrog. Er wurde mit einem Medium gefüllt,
welches künstlichen Nebel darstellt; hierzu dienten: ein Niederschlag
von Bariumsulfat in farbloser Gelatinelösung, verdünnte Milch, in Alkohol
gelöste Harze, die in das Wasser gegossen wurden. Bekanntlich ändert
sich die Absorption mit der Lösungskonzentration; deswegen musste
der Effekt in jedem Einzelfalle nachgeprüft werden, was mit der be-
kannten Skala der Farbpapiere geschah. Der Glastrog sollte eigentlich.
eine planparallele Küvette sein; wegen des teuren Preises für so grosse
planparallele Gefässe liessen wir es mit besonders klaren und glatten
Scheiben eines gefugten Terrariums bewenden, die wir auf engere Aus-
messungen des Behälters umarbeiten liessen. Kontrollversuche lehrten, dass
keine störenden Reflexionen, Verzeichnungen und Absorptionen zu be-
fürchten seien.
Im Originalversuch wurde das im Käfig befindliche Exemplar, welches
nur durch den künstlichen Nebel hindurch in den Garten blicken konnte,
entweder bedroht und erschreckt (Bewegungen des Falken oder der
Katze, plötzliche optische Bewegungsreize, scheinbares Zuschlagen mit
einem Stock und ähnliches) oder gelockt (draussen befanden sich die
Küken, zahme Exemplare lockte ich selber, den hungrigen Tieren wurde
Futter deutlich gemacht, der Wassernapf genähert und dergleichen). Ein
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 105
Gehilfe beobachtete gleichzeitig das motorische Verhalten der Tiere
durch das Okular in der Käfigwand. Alle Geräusche und Erschütte-
rungen wurden peinlichst vermieden. Die Expositionen erfolgten in
1, 2, 3, 5, 10, 15, 20, 30 und 50 m Entfernung.
Vor dem Versuche ermittelte ich (unter Berücksichtigung des Adap-
tationszustandes), bei welcher Konzentration des künstlichen Nebels ich
mit unbewaffnetem Auge vom Käfig aus eben noch die aussen vollzogenen
optischen Bewegungsreize wahrnehmen konnte, was ich öfters von andern
normalsichtigen Personen kontrollieren liess; dann wurde der künstliche
Nebel für das Tier noch merklich dichter gemacht. Bei allen Exemplaren
liess sich ein motorischer Effekt des Erschreckens oder ein Erfolg des
gegenteiligen Reizes deutlich gewährleisten. In manchen Fällen
blieb die Reaktion freilich aus, allein dann konnte der Gehilfe auch
melden, dass der Vogel nicht in die entsprechende Richtung blickte,
während der Versuch nachher bei geeigneter Konstellation gelang. Tat-
sächlich sehen die Vögel also kraft ihrer Ölkugeln besser durch den
künstlichen Nebel hindurch als der Mensch mit unbewaffnetem Auge.
Dritte Versuchsreihe. Analoge Experimente stellte ich mit einem
künstliehen Dunst zwischen zwei mannshohen senkrechten Spiegel-
glasscheiben an. Die Bemühungen mit Wasserdampf blieben erfolglos,
weil die Scheiben trotz guter Erwärmung immer wieder mit dicken
Wassertropfen beschlugen. Besser ging es, als ich zwischen den Scheiben
einen Staub aufwirbelte; zu diesem Zwecke war eine Mischung aus Puder,
Farbpulvern, Russ, Zement und Schlackenstaub bereit, die auf ihre
Rotdurchlässigkeit geprüft war. Die Überlegenheit der Vögel trat auch
hier markant hervor.
Vierte Versuchsreihe Nun kombinierte ich die erste und
zweite Anordnung: in der ersten Kammer sass das Versuchstier, das
durch den T'rog mit dem künstlichen Nebel auf das Prüfungsobjekt der
zweiten Kammer blickte, welch letzteres bunt "beleuchtet wurde. Der
Prüfling gewahrte das Objekt (den Falken, die Katze, das Futter, die
Küken, den Bewegungsreiz usw.) schon bei geringerer rotgelber und
organe Beleuchtung. Um denselben Reiz in gelbgsrünem, grünem oder
blauem Lichte deutlich sichtbar zu machen, braucht man nicht die etwa
10-, 15- und 35fache Lichtstärke wie im Falle ohne Nebel, sondern etwa
die 1000fache (wobei ich noch Nernstlampen hinter die Glasscheiben
stellen musste), während der künstliche Nebel nur einen ganz gering-
fügigen Zuschuss an Rot und Rotgelb über die ohne trübes Medium
nötige Liehtmenge hinaus erforderte.
Fünfte Versuchsreihe. Ein sehr geräumiges Kellergewölbe wurde
mit vertikalen, zum Teil auch noch mit horizontalen und schrägen
Schnüren durchspannt; darin folgte ich älteren Anordnungen über
die Entlarvung simulierter Blindheiten. Über Nacht liess ich in dieses
106 Hans Henning:
Gelass den Herbstnebel dringen oder ich füllte ihn durch eine in Ver-
bindung stehende Dampfheizung und Waschküche mit Wasserdampf.
Im Versuche selbst herrschte nur künstliche Beleuchtung (elektrische
farbige Lampen). Nun wurden Tauben, zahme Dohlen und Amseln
durch Aufscheuchen dauernd zum Fliegen veranlasst, wobei ich be-
obachtete, ob sie an den Schnüren anstiessen. Es zeigte sich, dass schon
geringere rotgelbe und orangefarbene Lichter ein Erkennen der Schnüre
ermöglichten, während bei grüner oder grünblauer Beleuchtung ganz
enorme Lichtstärken nötig waren und Blau sowie Violett ganz versagte.
Ein Vergleich bei entferntem Wasserdampf liess den Vorteil roter Lichter
im Durchdringen feuchter Medien überaus deutlich hervortreten.
Eine grössere Anzahl von Beobachtungen konnte nicht zu exakten
Anordnungen verdichtet werden, weil der Luftraum uns Menschen ohne
weiteres experimentell nicht zugänglich ist und das Geräusch der Flug-
zeugsmotore jeden Versuch an Vögeln unmöglich macht. Gleichwohl
sprechen sie für unsern Satz. So hörte ich eine grosse Schar wilder
Tauben, die sich in dünnerem Nebel an der Saat gütlich taten, jedesmal
schon aufschwirren, ehe ich sie ihrerseits sah. Analoges beobachtete ich
an Fasanen, Feldhühnern, Wildenten und Hähern.
III. Versuche an Alpendohlen und Brieftauben.
1. Die Nebelkrähe (Corvus cornix), welche früher als die meisten
andern Vögel einen fernen Raubvogel im Dunst entdeckt, konnten wir
leider nicht systematisch prüfen. Hingegen haben wir uns eingehend
mit Alpenkrähen (Pyrrhocorax graculus) und Alpendohlen (Pyrrho-
corax alpinus) auf dem Tödi und im Wallis beschäftist. Die Fernsicht
dieser Vögel im Nebel ist ja bekannt und überrascht den Betrachter
mehr als alle Leistungen der Brieftaube. Da die Alpendohle sich in der
Nähe der höchsten Gipfel nicht durch eigentlichen Flügelschlag fort-
bewest, sondern im Winde nur die Flügelflächen verstellt, lässt sich
ihren scharfen und überaus geschickten Kurven leicht entnehmen, wohin
sie steuert.
Vier bis fünf Beobachter verteilten sich auf naheliegende Felsen des
Berggipfels, der selber in mitteldichtem oder starkem Nebel lag. Nun
warf der erste ein Stück Nahrung nicht allzuweit von sich — durch-
schnittlich 3-5 m —, während die übrigen Beobachter beim Anflug
der Tiere feststellten, in welcher Distanz die Kurve (das heisst die durch
den erbliekten Nahrungsreiz bewirkte Änderung der Flugrichtung) er-
folgte. Jede Bewegung und namentlich jedes Geräusch wurde vermieden.
Die Postenkette der Beobachter, die manchmal eher halbkreisförmig
ausfiel, war geboten, weil eine einzige Person im Nebel nicht weit genug
sah. Während der erste Beobachter den von ihm weggeworfenen Nahrungs-
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 107
brocken eben noch liegen sah, meldete der nächste und dritte Beobachter
schon, dass die herannahende Alpendohle in eleganter Flugkurve darauf
lossteuerte. Es ergab sich, dass sie den Bissen schon aus 15 m, das heisst
aus etwa doppelter bis dreifacher Entfernung wie der Mensch, zu Boden
fallen, mitunter auch bloss liegen sah; in dünnerem Nebel natürlich aus
ungeheuer viel grösseren Distanzen.
Um einen Vergleich zu haben, zündete der erste Beobachter un-
mittelbar vor dem Werfen des Bissens entweder ein grünes oder ein
rotes bengalisches Sturmstreichholz an (diese besassen eine lange Brenn-
dauer und eine ziemliche Leuchtkraft). Damit die Tiere nicht auf die
Flamme reagierten — in der Gefangenschaft picken sie immer wieder
an dem Docht brennender Kerzen —, wurde vor das Licht ein Loden-
mantel entsprechend ausgespannt. Bei grünen Hölzern änderte sich
nichts. Im roten Licht sah der Mensch viel deutlicher, und die Reaktion
der Alpendohle erfolste jetzt schon aus 50 m Entfernung und mehr.
Zitfernmässige Messungen im einzelnen wurden durch die schwierigen
Verhältnisse unmöglich gemacht; allein unser Satz bestätigt sich auch
ohne das.
Die Bergdohle, die nach Speiseresten gierig dem Hochtouristen folgt,
ist zugleich dessen unfehlbarer Prophet naher Gewitter; verschwindet
sie, so geht das Wetter bald los.
2. An Brieftauben standen uns 50 in der Nähe von Garmisch-
Partenkirchen aufgewachsene Exemplare zur Verfügung. Davon wurden
20 nach München gebracht — die Bahnstrecke beträgt genau 100 km —
und hier losgelassen. Sie stiegen in die Höhe, schlugen sofort die richtige
Richtung ein und langten alle ohne Irrweg am Heimatsorte an. Von
München aus konnten sie sich an den Seen, der Zugspitze und den übrigen
Bergen leicht orientieren, die ihnen ja aus der Heimatssicht bekannt
waren. Zwei andere Exemplare derselben Herkunft liess ich später in
Karlsruhe fliegen, sie langten niemals an, weil sie den dazwischenliegenden
Schwarzwald und die schwäbische Alp nicht kannten, ein Fernblick über
solche Distanzen auch unmöglich ist.
Um die Bedeutung der reten Strahlen abzugrenzen, wellte ich zunächst
das äussere Auge des Tieres färben ; wegen anderweitiger Beeinträchtigung
stand ich indessen davon ab. Sicherer, wenn auch viel mühsamer schien
mir, ihnen eine Haube (nach Art der für Falkenbeizen üblichen), aber
mit farbiger Gelatine überzustülpen !). Dazu wurde ausfixierter Film
gefärbt und in passender Form getrocknet. Die Tiere daran zu gewöhnen,
hielt anfangs schwer, deshalb liess ich sie zunächst nur die Haube ohne
1) Eine ähnliche Kappe benutzte Ewald zu anderen Zwecken. Vgl].
J. Richard Ewald, Physiologische Untersuchungen über das Endorgan
des Nervus octavus S. 73. Wiesbaden 1892. — Ebenda weitere Literatur
über die Tauben.
108 Hans Henning:
Farbscheiben tragen. Schliesslich waren zehn Exemplare so weit, dass
man einen Flug wagen durfte. Keines dieser Tiere war je in München.
Je zwei Brieftauben bekamen eine rötlichgelbe Maske, eine gelbe,
eine grüngelbe, eine ziemlich helle grüne und eine helle blaue. Jedes
Exemplar musste isoliert abfliegen, damit die in der Fernsicht beein-
trächtisten sich nicht einfach an die übrigen hielten und im Haufen
mitflogen. Der Tag war so dunstig, dass ich die fernen Berge nicht zu
erkennen vermochte. Die Brieftauben mit rötlichgelber und gelber
Gelatine flogen sofort geradenwegs nach Hause und langten rechtzeitig
an. Die grüngelben schlugen erst gewaltige Kreise mit dem Radius von
mehreren Kilometern und entzogen sich schliesslich der Sicht durchs
Fernrohr. Auch sie langten an, aber mit einer grossen Verspätung, die
auf manchen Irrweg schliessen lässt; die Fluggeschwindigkeit war ver-
mutlich auch herabgesetzt. Die grünen flogen wohl von selbst auf, be-
wegten sich auch umher, doch kam es zu keinem Fernflug. Hingegen
mussten die blauen zum Fliegen erst aufgescheucht werden und flatterten
bald wieder herbei. Nach einer Auswechslung der grünen und blauen
Gelatine gegen orangefarbene flogen auch diese Exemplare geradenwegs
nach Hause. Zwei Tiere liess ich in dunstiger Abenddämmerung ab;
sie fanden ihren Weg noch direkt. Drei andere, die ihren Flug erst mit
einbrechender Nacht antreten durften, stellten sich erst am andern
Morgen zu Hause ein. |
Welche optische Leistungsfähigkeit dürfen wir dem Vogelauge ge-
rechterweise zuschreiben? Als Vergleich halte man sich vor Augen,
dass der Mensch auf dem Montblanc eine Fläche von 200000 qkm über-
blickt; das wäre ein Quadrat mit der Seitenlänge von etwa 14000 km.
Obwohl die Sternwarte von Illinois Zugvögel in der Höhe von 4000 m
feststellte, fliegen sie im allgemeinen sehr viel tiefer. Bei Nebel, un-
günstiger Witterung oder widrigem Wind liegen die Vögel meist still,
wie sich auch alle Zugvögel in und über den Wolken kaum zurecht-
finden !). Bei nebligem Wetter schwanken auch die Brieftauben ?) über
die Flugrichtung; im Falle eines leichteren Nebels fliegen sie nahe an
der Erde. Dass Brieftauben sich in diekem Nebel nicht orientieren
können, ist vielfach authentisch festgestellt. Bei ungünstigerer Sicht
1) €. R. Hennicke, Vögel. Handwörterb. d. Naturw. Bd. 10 S. 316.
2) Es existieren mehrere Tausende von Brieftaubenvereinen. An wieviel
Millionen Tauben ausgesprochene Versuche gemacht wurden, lässt sich
nicht schätzen. Zu Fernflügen wurden Brieftauben seit dem 5. Jahrhundert
vor Chr. verwendet. Ausser den ornithologischen Journalen vergleiche
man zur Literatur das seit 1886 in Hannover erscheinende Fachorgan des
Verbandes der deutschen Brieftaubenvereine „Die Brieftaube“. — Ferner:
Roeder, Die Brieftaube. Heidelberg 1895. — Ohlrogge, Die Brieftaube.
Forst 1898. — Herzog, Die Brieftaube. Leipzig 1900. — H. E. Ziegler,
Die Geschwindigkeit der Brieftauben. Jena 1897.
u u A la > ua in ne u ne nn 2
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 109
halten sie sich in einer Höhe von 100—130 m, bei besserer zwischen
250 und 300 m durchschnittlich. Weismann hat für diesen Fall be-
stimmt, dass der Mensch, der die Insel Korsika vom Gestade des liguri-
schen Meeres aus nicht erblickt, die Insel sofort sichtet, wenn er sich
in 100 m Höhe begibt.
Übermässige Strecken kommen für die Brieftauben nicht in Betracht,
denn die zu leistende Strecke muss in Etappen erst gelernt werden; ein
viermonatiges Exemplar erledigt in dieser Weise bei günstigster optischer
Gegend insgesamt 9 km, einjährige bis zu 150 km, zweijährige bis zu 300 kın,
mehrjährige noch grössere Strecken, sofern gute optische Merkzeichen
vorhanden sind. Nach Feststellungen der deutschen Marinestationen,
welche dabei von 61 Taubenvereinen unterstützt wurden, können über
See mit Sicherheit nur 300 km geflogen werden (wobei er auch terre-
strische optische Merkmale mitspielen). Vergleichsweise wären solche Strecken: -
Eiffelturm— Nancy, Taunus—badischer Feldberg oder Montblane—Boden- ,
see. Dass der Mensch vom Montblanc etwa den Hohentwiel am Bodensee
noch überaus deutlich sieht, ist ja bekannt. Halten wir uns gegenwärtig,
dass die Vogelnetzhaut schon in ihrer anatomischen Anlage!) auf eine viel
grössere Empfindlichkeit abgestimmt ist, dass Zugvögel ihre langen Flüge
vorwiegend tags oder doch nur in mondhellen Nächten ausführen?), so
stehen wir nicht im geringsten vor optischen Rätseln.
Wenn die Flugstrecken auch innerhalb derjenigen Grünen
liegen, welche für das Sehen gelten, so können trotzdem andere Faktoren
mitspielen. Seitdem der Spürsinn der Naturvölker sich durch genaue
Prüfungen an Ort und Stelle und durch. genaue Messungen der Sinnes-
leistungen in nichts verflüchtigt hat°), müssten verborgene Sinne erst
wissenschaftlich begründet werden. Nach v. Cyon‘) verfügen die Tauben
über einen Spürsinn, der in der Nasenschleimhaut lokalisiert ist. An Brief-
tauben, denen die entsprechende Region funktionsuntüchtig gemacht oder
exstirpiert war, konnte ich keinen Leistungsunterschied finden.
Ebensowenig; bestätigte sich die Annahme von Thauzies°) und Ett-
linger‘), welche elektrische, magnetische und drahtlos-telegraphische
Momente heranziehen; sowohl eigene Nachprüfungen wie die Kriegs-
I) Chievitz, Untersuchungen über die Area centralis retinae. Arch.
f. Anat. von Braune und His. Suppl. Bd. 1889 und 1890. — Vergl. auch
Edingerund Wallenberg, Untersuchungen über das Gehirn der Tauben.
Anat. Anz. Bd. 15. 1899.
2) Eckhardt, Vogelzüug. Leipzig 1910. — J. A. Palm&n, Über die
Zugstrassen der Vögel. Leipzig 1876. — H. Gäthke, Die Vogelwarte
Helgoland. Braunschweig 1900. — H. Duncker, Wanderzug der Vögel.
Jena 1905. — Dass junge Vögel stets vor den alten fliegen, ist von Eagle
Clark, Helm und Kolthoff widerlegt worden.
3) Report of the Cambridge Anthropological Expedition to Torres Straits.
Cambridge 1903. — Weitere Literatur bei Hans Henning, Der Geruch.
Kapitel 26. Leipzig 1916.
4) E.v.Cyon, L’ orientation chez le pigeon voyageur. Rev. scient. 1889.
Nr. 12. — Ohrlabyrinth, Raumsinn und Orientierung. Pflüger’s Arch.
Bd. 89, S. 212. 1900.
5) M. A. Thauzies, L’ orientation lointaine. Rapport au VIme Congres
intern. de Psychol. 1909.
6) Max Ettlinger, Der magnetische Sinn mancher Tiere. Hochland
Bd 8. 1978. 1910)
110 Hans Hennins:
beobachtungen!) sprechen dagegen. Duchatel’s Hypothese, dassunsicht-
bare Strahlen die Brieftaube leiteten, wurde von Watson experimentell
entkräftet?).
Ein besonderer „Richtungssinn“ ist noch nirgends bewiesen. An
Menschen, denen die betreffenden Orientierungen fehlen, konnte ich zeigen °)
— was aus einer reichen psychologischen Literatur hervorgeht —, dass
der Defekt im Fehlen der nötigen undeutlichen Gesichtsvorstellungen liegt;
ebenso kommen natürlich auch motorische Vorstellungen in Betracht.
Die von Viguier*) begründete und später von Reynaud’) sowie zahl-
reichen anderen Autoren vertretene Ansicht, dass die Heimat infolge von
Labyrinthfunktionen aufgefunden werde, hat Exner‘) in sinnreichen
Experimenten widerlegt. Er schaltete auf der Hinreise die vom Labyrinth
aus möglichen Faktoren aus (durch Narkose, Schütteln und Drehen des ver-
hüllten Korbes, galvanische Reizung), und trotzdem kehrten diese Exemplare
gleich schnell wie unbelästigte Kontrolltiere nach Hause, wofür er mit Recht
den Gesichtssinn und das optische Gedächtnis für Örtlichkeiten verantwort-
lich macht. Transportiert man die Brieftaube in dunklen Kisten, so findet
sie ebensowenig nach Hause (Wundt) wie im dicken Nebel.
Der Flug selbst wie auch das Heimfinden können aber von ver-
schiedenen Faktoren beeinflusst werden. So liegt der beste Antrieb,
um Tiere rasch auf eine Strecke zu dressieren, darin, dass man sie an dem
einen Punkt füttert, während sie sich am andern begatten dürfen; dieses
Verfahren eignet sich nicht nur für Brieftauben, sondern auch für Kamele,
Pferde usw. Tiere mit sogenannter „Heimkehrfähigkeit“?) (Brieftauben,
Zugvögel, Fledermaus, Katze, Hund, Pferd usw.) verfügen wohl alle in
geringerem Maasse noch über andere Orientierungsmomente (Geruch usw.),
welche als mehr oder minder geeigneter Ersatz auftreten, sobald der Haupt-
faktor unterbunden wird. Wie der Mensch beim Lernen eines neuen Weges
in schwieriger Gegend (z. B. im Hochgebirge) sich anfangs stark auf Ent-
fernuhgsschätzungen, Ermüdungseindrücke, optische Richtungs- und Sach-
1) Herr O. Pfungst, der im Kriege eine Tierstation leitete, wird dem-
nächst seine reichen Erfahrungen aus der Friedens- und Kriegszeit nieder-
legen. Seine Grundauffassungen über die Brieftauben decken sich mit den
einigen.
2) J. B. Watson, Recent Experiments with Homing Birds. Harpers
Mag. 131, S. 457464. 1915.
3) Hans Henning, Experimentelle Unsersnchmasen zur Denkpsycho-
logie I. Zeitschr. f. Psychol. Bd. 81 S. 86ff.; 92. 1919. — Besonders gut
eignen sich Bahnfahrten, auf denen man eine Kopfstation oder Kurve ver-
schlief, zum Studium.
4) C. Viguier, Sur les fonctions des canaux semieireulaires. Rev.
phil. 1882. — Rev. intern. d. sc. 1882. p. 255 et 361. — Compt. rend. de
l’Acad. d. sc. t. 104, p. 868.
5) G. Reynaud, Theorie de l’instinct d’orientation des animaux. Compt.
rend. de l’Acad. d. sc. t. 125, p. 1191. 1897.
6) S. Exner, Das Rätsel der Brieftauben. Vortr. d. Vereins z. Verbreit.
naturw. Kenntn. Bd. 32. Wien 1892. — Negative Versuchsergebnisse über
das Orientierungsvermögen der Brieftauben. Sitzungsber. d. Wien. Akad.
3. Abt. Bd. 102, S. 318. 1893. — Über das Orientierungsvermögen der Brief-
tauben. Anz. d. Wien. Akad. math.-naturw. Kl. Bd. 42, S. 408. 1905.
7) J.B. Watson and K. S. Lashley, An Historical and Experimental
Study of Homing. Publicat. of Carnegie Inst. t. 211 p. 7-61. 1915. —
K.S. Lashley, Notes on the Nesting Activities of the Noddy and Sooty
Terns. Ebenda p. 61—83. 1915.
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. all
vorstellungen, Erinnerungen an Kurven und andere Hilfsvorstellungen
stützt, die er bei eingeübter Leistung nicht mehr alle beansprucht, so auch
das Tier. Hat die Brieftaube eine Etappe erst wenige Male geflogen, ist
der Etappenpunkt sowie die Gegend ihr noch nicht geläufig, und lassen
wir sie nun ganz dicht an diesem Ziel aufsteigen, so überfliegt sie anfangs
das Ziel). Einem Menschen geht es im Vexierversuch ebenso. Wie in
Exner’s Versuchen spielt hier also die passive Bewegung, nämlich der
Transport vom Ausgangspunkt bis nahe ans Ziel nicht die mindeste Rolle.
Später wird man das aber vergeblich versuchen, wie die Taube ja allemal
zum Schlage zurückfindet, auch wenn man sie unter Exner’s Kautelen
in verschiedenen Richtungen und Entfernungen ablässt. Dass die Taube
sich aber nicht in erster Linie auf motorische Faktoren stützen kann,
lehrten die obigen Versuche schon; beim Überfliegen des Zieles, von dem
wir eben sprachen, fliegt die Taube auch nicht die genaue Streckenlänge
fort, um sich dann zu setzen, sondern es handelt sich um eine Täuschung,
welche korrigiert werden kann. Übrigens fliegen Tauben ohne Kleinhirn
wie normale?), und nach Ewald?°) hindert einseitige Despanen des Laby-
rinthes sie nicht am geordneten Fliegen.
Vor allem aberlernen Tauben motorisch sehr schlecht: in sämt-
lichen Labyrinthversuchen (Irrgartenmethode), in welchen die Wendungen
des Weges und die Wegrichtung einzuprägen ist, stehen die Tauben sogar den
kleinen Säugern (Maus, Ratte) ungeheuer nach; seit Thorndike’s Ex-
perimenten hat sich das immer wieder bei entsprechenden Versuchen mit
Vögeln bestätigt. Hingegen lernen sie optisches Material sehr
rasch; gewöhnt man Brieftauben, erst bei einer eben merklichen Auf-
hellung abzufliegen, so lassen sie sich leicht auf minimale Unterschiede
dressieren.
Ein anderes schwerwiegendes Problem erhebt sich schliesslich noch
in diesem Zusammenhang: es fragt sich, in welcher scheinbaren
Grösse die Brieftauben, die anderen Vögel und die Schildkröten die
Dinge überhaupt sehen, zumal Nebel, Dunst und rötlichgelbes Licht
die scheinbare Grösse stark verändern. Um die optischen Faktoren der
Fernsicht genau einschätzen zu können, ist eine nähere Kenntnis un-
umgeänglich. Bei den Elberfelder Pferden, die auf unwillkürliche Kopf-
bewegungen des Menschen reagierten, obgleich diese Bewegungen ob-
jektiv recht klein sind, fragte sich ebenfalls, in welcher Grösse das
Pferd die Bewegungen sehe; hier schlug Claparede vor, das Pferd
auf eine Kreisscheibe zu dressieren und diese allmählich bis zum Aus-
bleiben des Dressurerfolges zu verkleinern. Übrigens sind Versuche
über die scheinbare Grösse am Affen geglückt, so dass die Prüfungen
der Vögel und Schildkröten nicht auf unübersteigbare Schwierigkeiten
stossen.
1) Dies zeigte sich auch bei Prüfungen auf der Strecke Antwerpen—
Berlin.
2) B. Lange, Inwieweit sind die Symptome, welche nach der Zer-
störung des Kleinhirns beobachtet werden, auf Verletzungen des Acusticus
zurückzuführen. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 50 S. 615—625.
1891.
3) Ewald, a. a. O.S. 28.
119) Hans Henning:
IV. Die Bedingungen der Nachtvögel.
Dass.die rotgelben Strahlen das trübe und dunstige Medium für das
Auge der Tagvögel besser durchdringen, und dass die rotgelben Ölfilter
eine weitere Fernsicht sowie ein klareres Perzipieren in ‚dunstiger oder
nebliger Atmosphäre gestatten, trat zur Genüge hervor.
Weshalb die Nachtvögel keine analoge Einrichtung im Auge be-
sitzen, das bietet keine Rätsel. Bekanntlich ist das Licht des Mondes
weisslich, gelblich und bläulich, wie uns ja auch die Mondlandschaft
in dieser Farbe erscheint. Ein grosser Reichtum an rötlichgelben und
gelben Ölkugeln bildete aber gerade ein Farbfilter, welches dieses einzige
Licht der Nacht zu stark schwächen würde, so dass die Nacht-
vögel in diesem Falle fast gar nichts sähen. Davon überzeugt man sich
leicht, wenn man die nächtliche Gegend durch entsprechende Farbfilter
betrachtet. Die bestangepassten Bedingungen wären für sie also die
Verhältnisse der menschlichen Dunkeladaptation, und diese treffen wir
bei den Nachtvögeln denn auch an.
Über die besondere Empfindlichkeit der Stäbchen und des Seh-
purpurs hinaus bedürfen sie für die Beleuchtung der Abend- und
Morgendämmerung, die für sie ja neben der eigentlichen Nacht
biologisch bedeutsam ist, ferner für gewisse Tagestunktionen (zum Beispiel
das Sonnen der Eulen) eine gewisse Anpassung: ihre schwach gelben
Ölkugeln in den Zapfen wiegen den Dunst der Dämmerung auf und
mildern die Helligkeit, doch nur so weit, dass ihr nächtliches Sehen
darunter nicht leidet. Das bisschen Violett, das hierfür aufgeopfert
wird, kommt für ihren Lebensbereich nicht in Betracht. Im übrigen
unterscheidet sich das Auge der Nachtvögel ja in manchem anderen
noch von dem der Tagvögel (Netzhaut, Sehpurpur, Pupillenspiel usw.).
V. Die Probleme des Schildkrötenauges.
Das Schildkrötenauge scheint allen Gesetzen der physiologischen
Optik Hohn zu sprechen. Dass die Schildkröten mit ihrem reichlichen
Besitz an roten Ölkugeln ganz anders gestellt sind wie Schlangen, Eidechsen
und Krokodile, denen solche Ölkugeln fehlen, muss befremden, da ihre
Lebensweise doch nicht so sehr abweicht.
Freilich das Auge der Tagvögel könnte den Schildkren nicht dienen,
die ihre grösste Aktivität meistens nachts zeigen, wo die Sicht des Tag-
vogels versagt. Ebensowenig käme die Schildkröte mit dem Sehorgan
der Nachtvögel aus, denn sie hat im Hellen wichtige Funktionen zu er-
füllen und sieht im prallen Sonnenschein vorzüglich, der den Nachtvogel
hilflos macht. Warum hat sie aber dann nicht den Sehapparat des
Krokodils, das tags und nachts deutlich sieht? Dieses Warum ist eine
genetische Frage der Paläbiologie, ein Problem der Schildkrötenherkuntft,
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 113
welches leider trotz der paläontologischen Arbeiten von L. Dollo und
C. E. Case noch recht dunkel blieb; einige Konsequenzen werden wir
im letzten Abschnitt anführen.
Tatsächlich liegt das Auge der Schildkröte in einer ganz anderen Ent-
wieklungslinie wie dasjenige der Krokodile, der Eidechsen und der
Schlangen. Schildkröten besitzen nur Zapfen, Krokodile auch Stäbchen:
den Schildkröten fehlt jeder Sehpurpur, der beim Krokodile so reichlich
vorkommt; Schildkröten haben kein Tapetum, während diese rötlich-
gelbe Partie hinter der Netzhaut, welche der besseren Ausnutzung geringer
Lichtmengen dient, bei Krokodilen gut ausgeprägt ist. Krokodile, zeigen
ein dem menschlichen Sehen entsprechendes Pupillenspiel, während die
Schildkrötenpupille gleich gross bleibt, ob man das Tier nun vor eine
Bogenlampe setzt oder im Dunkeln prüft; zudem ist die Pupille sogar
bei den nächtlich lebenden Schildkröten nicht spaltförmig, sondern rund.
Das hellste Licht blendet sie nicht, und doch sehen sie bei stark herab-
gesetzter Beleuchtung sehr gut, ja sie bemerken in schwachem Licht
schon Einzelheiten, welche das kurze Zeit dunkeladaptierte Menschen-
auge noch nicht wahrnimmt. Jener merkwürdige, nur bei Sauropsiden
vorkommende Mechanismus der Akkommodation, dass die Linsenvorder-
fläche sich triehterförmig vorwölbt, ist bei der Schildkröte am stärksten
ausgeprägt !); auch findet sich bei ihr ein eigenartiger Muskel am Ciliar-
ring. So ähnelt das Auge der Krokodile, Eidechsen und Schlangen eher
den menschlichen Bedingungen, während dasjenige der Schildkröte ganz
anders angelest ist.
Besprechen wir das Tages- und Nachtsehen gesondert. Das Tages-
sehen nicht nur der im hellen Sonnenschein lebenden (zum Beispiel der
griechischen Schildkröte), sondern auch der ausgesprochen nächtlichen
Arten versteht sich leicht: die Zapfennetzhaut ist ja das Organ des Tages-
sehens, und Schildkröten besitzen nur Zapfen. Die nächtlichen Arten
sehen tags ausnahmslos so gut wie andere Tagestiere; sie haben noch
im Sonnenlicht: wichtige Funktionen im Freileben zu verrichten und
gewöhnen sich in der Gefangenschaft durchaus an ein Tagleben, zumal
die feinhörigen Tiere hier durch Tagesgeräusche immerzu geweckt werden
und sie nur nachts Ruhe haben.
- Setzen wir uns eine den Ölkugeln des Schildkrötenauges entsprechende
orangenfarbene Brille auf, welche alles schädliche Seitenlicht abschliesst,
so erleben wir das umgekehrte Purkinje’sche Phänomen: die lang-
welligen Lichter hellen sich auf, die kurzwelligen werden dunkler. Warten
1) Man wunderte sich, dass die Wölbungsvermehrung der Linse bei der
Würfelnatter so enorm ist, diejenige der Ringelnatter aber minimal,
während beide Arten in den Lebensgewohnheiten übereinstimmten. Tat-
sächlich ist die Würfelnatter aber vorwiegend Wassertier und. Fisch-
fresserin, die Ringelnatter hingegen vornehmlich Landtier und Amphibien-
fresserin, so dass das Rätsel sich hieraus von selbst erklärt.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. S
114 Hans Henning:
wir die Umstimmung des Auges ab, indem wir die Brille im hellen
Tageslicht eine Stunde lang aufbehalten, so verändert sich abermals
der Eindruck: vor allem wird das ohnehin schon aufgehellte Urrot
zum Purpur, das Gelb zum Weiss; die Aufhellung schiebt sich bis
ins Blaugrün vor, und das Purpur wird noch heller. Ob Schildkröten
zwischen Beleuchtung und Beleuchtetem schon scheiden, wie der Mensch,
der Affe und das Huhn, das steht noch aus. Auf alle Fälle ist aber eine
gute Orientierung gewährleistet.
Im Hinblick auf die roten und gelben Ölkugeln bleibt nur die Frage:
sind Schildkröten tagsüber auf eine weitere Fernsicht durch dunstige
Atmosphäre oder trübes Wasser angewiesen? Die Antwort kann nur
lauten: sie sind auf einen enormen Fernblick durch die dunstige
Luft nicht nur angewiesen, sondern — anders wie bei Krokodilen,
Eidechsen und Schlangen — wäre ihre ganze Nachkommenschaft ohne
diesen Fernblick gefährdet. ‚Jede Schildkröte, auch die nächtlich lebende,
vergräbt ihre Eier kunstvoll noch vor Sonnenuntergang und in heller
Abenddämmerung, so dass die Suche eines geeigneten Fleckes noch
früher erfolgt; dabei stellt sie sehr hohe Anforderungen an den sandigen,
pflanzenfreien Ort der Eiablage, der deshalb oft recht weit vom Ufer
abliegt. Meeresschildkröten müssen dazu erst ans Ufer schwimmen,
ähnlich zum täglichen Sonnen.
Dass die Meeresschildkröten, zum Beispiel die Suppenschildkröte, wie
Haacke berichtet, ein felsiges und steil aufsteigendes Gestade bevor-
zugen, wo eine flache Sandbank dem ungeschickten Tiere doch viel
weniger Schwierigkeiten bereiten würde, liest wohl daran, dass hohe
Felsen und Erhebungen vom Meere aus weiteren Distanzen zu sichten
sind. Während Krokodile sich nur wenige Meter vom Ufer fort ins Land
hineinbewegen — meist taucht die Schwanzspitze noch ins Wasser —
und während Eidechsen ebensowenig eine Fernsicht benötigen, wandern
auch die Wasserschildkröten sehr grosse Strecken landeinwärts, nament-
lich bei der erwähnten Eiablage. Und die landlebenden Schildkröten-
arten legen ganz gewaltige Märsche zur Wasserstelle zurück. Darwin
schreibt, dass die schwarze Riesenschildkröte der Galapagosinseln (Testudo
indica oder nigra, auch Elefantenschildkröte genannt) dabei in 2-—-3 Tagen
— tags und nachts laufend — gegen acht Meilen zurücklegt, wobei sie
in der Stunde etwa 330 m bewältigt. Übrigens hält sie sich dort an die
Fussspuren direkter Schildkrötenwege. Bei der Begattung und anderen
lebenswichtigen Funktionen spielt das Tagessehen für die nächtlich
lebenden Arten ebenso ausschlaggebend mit.
Eine Besonderheit liegt darin, dass Meeresschildkröten sich oft mehrere
hundert Kilometer vom Ufer entfernt aufhalten!). Diese Angabe von
1) Ältere Berichte über fabelhafte Leistungen der Schildkröten müssten
erst nachgeprüft werden. So soll eine Schildkröte bei Ascension gefangen
nl
m Zr win
a7 Re
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 115
Brehm, der ich anfangs skeptisch gegenüberstand, musste ich mir indessen
von zoologischen Fachmännern und kritischen Reisenden bestätigen lassen.
Als Orientierung vermag der Rheo- und Chemotropismus, welcher die
Heringe oder andere Fische lenkt, bei Lederhaut und Panzer nicht zu
verfangen. Dass sie immer mit der Flut ans Uier gelangen, hat sich
durch Beobachtung nicht bestätigt, im Gegenteil. Auf hoher See fällt
ja auch die eventuell orientierende Brandung fort, und in Küstennähe
würden sie all den unberechenbaren Komplikationen von Wind- und
Strömungswogen zum Opfer fallen, die der erfahrene Lotse ebensowenig
wie. die ozeanische Physik durchschauen kann. In zahllosen Fällen
würden sie bei der Ebbe abgetrieben, statt ans Land zu schwimmen,
und bei der Gezeitenverschiebung müssten sie jeweils später anlangen.
Tatsächlich richten sie sich aber nach den Verhältnissen der Sonne.
Wie weit dabei optische, wie weit andere Faktoren mitspielen, verdiente
wie der ganze Vorgang eine nähere Prüfung.
Das Schildkrötenauge ist zum mindesten für die Nähe unter
Wasser wie in freier Atmosphäre gleich leistungsfähig. So
findet die Suppenschildkröte (Chelone viridis) unter Wasser ihre Nahrung,
den Seetang, ebenso leicht, wie sie sich am Lande optisch orientiert.
Durch trübe und wässerige Medien sieht der Mensch mit einer rötlichen
Brille seinerseits bekanntlich auch besser. |
Von den Süsswasserschildkröten leben die einen Arten im Schlamm
(wie ja alle das schlammige Wasser dem klaren Fluss oder Teich vor-
ziehen), wo wir wieder auf das trübe Medium stossen. Die anderen kreisen
am Wasserspiegel und spähen ununterbrochen auf den Grund nach
Beute, weshalb sie die ‚Adler des Wassers‘ genannt werden; die Ähn-
lichkeit ist ja auch frappant. Mit roten Gläsern sah ich selbst im gleichen
Fall besser als mit freiem Auge. Krokodile, Schlangen und Eidechsen
zeigen diese Lebensweise nicht.
Drittens können Schildkröten ihr Lieblingsklima, die feuchte Treib-
hausluit oder die tropische Regenzeit, wo sie erst richtig aktiv werden
und weit umherwandern, ungestraft geniessen, weil sie kraft der roten
Ölkugeln auch die trübe wasserhaltige Luft durchblieken. Sehr viele
Arten (darunter Süsswasserschildkröten) verschwinden schon blitzschnell
im Wasser, sobald ein Mensch sich erst in grosser Entfernung nähert.
Alligatoren und Eidechsen haben diese weite Fernsicht nicht.
Schliesslich sind die zahlreichen sogenannten ‚„Landschildkröten‘“ fast
alle vorwiegend Wassertiere, und die übrigen bevorzugen — ohne das
worden und mit eingebrannten Zeichen im Kanal wieder ausgesetzt sein;
zwei Jahre darauf soll sie wieder bei Ascension gesehen worden sein.
Übrigens werden solche Begebnisse auch für andere Tiere gemeldet, z. B.
für einen Esel, der durch 200 Seemeilen wieder nach Gibraltar zurückfand.
Ich möchte dem in dieser Form keinen Glauben schenken.
8*
116 ‚Hans Henning:
Wasser zu meiden — eine feuchtwarme Luft, wo die roten Ölkugeln
wieder angebracht sind. Wohl nur die griechische Schildkröte und ihre
Verwandten lieben die Dürre, sie schen aber durch den irdischen Dunst
über der Sandfläche enorm viel weiter als die Eidechsen im gleichen
Fali. Als echte Landschildkröten können nur die Testudo-Arten gelten,
welche wohl eine gemeinsame Stammform besitzen, und die Riesen-
schildkröte. Von der letzteren berichtet Darwin aber, dass sie gern
im Schlamme wühlt, dass sie beim Trinken die Augen unter Wasser
hält, und dass sie Wasser sowie ein feuchtwarmes Klima liebt.
Es kann kein Zufall sein, dass die lebenswichtigen Funktionen der
Schildkröten in derjenigen Beleuchtung erfolgen, in welcher sie auf
Grund der roten Ölkugeln am besten sehen. Diese gestatten es ja auch,
in feuchtem Abenddunst das Licht der untergehenden Senne bei der
Verrichtung der Eiablage usw. besser auszunutzen, und sie ermöglichen
es, in freier Luft wie unter Wasser für die Nähe gleich gut zu sehen,
Nun das Nachtsehen. Gewiss werden manche Arten mit Recht
„nächtlich lebend“ genannt, allein abgesehen von der Eiablage, der
Begattung, dem Ufersuchen usw. jagen typische Nachttiere nicht selten
tagsüber, die amerikanische Schnappschildkröte (Chelydra serpentia) im
Wasser beispielsweise Enten. Oder das nächtliche Tier sonnt sich tagsüber,
wobei es auf leise Geräusche oder optische Bewegungsreize sofort reagiert.
Dass sein Nachtleben nicht optisch fundiert ist, sehen wir daran: in der
gleichmässigen Temperatur der Gefangenschaft leben die nächtlichen
Tiere sehr häufig tags und schlafen nachts; eine Liehtscheu käme auch
wegen der fehlenden Blendung nicht in Betracht.
Experimentelle Studien an Schildkröten liegen nur in ganz
geringer Anzahl vor. Newman!) beschrieb die Gewohnheiten der
amerikanischen Sumpfschildkröte Chrysemys marginata. Casteel?)
stellte an. dieser Art Versuche mit dem Kasten von Yerkes an. Die
Tiere hatten unter zwei Wegen zum Futter den einen zu wählen, während
das Begehen des zweiten mit einem elektrischen Schlag bestraft wurde.
Die beiden Wege unterschieden sich in optischer Weise: 1. der eine war
schwarz, der andere weiss; 2. beide waren mit einer verschiedenen Stern-
form (weiss auf schwarz) versehen; 3. der rechte und der linke Weg
waren mit schwarzweissen Streifen von verschiedener Breite (1, 2, 3, 4
und 8 mm) belegt; 4. beide Wege trugen ein gleiches Streifenmuster,
aber einmal längs, das andere Mal quer. Im ganzen zeigten sich un-
geheure individuelle Unterschiede. Die Stiftung der Assoziation zwischen
dem optischen Reiz, dem Futter und der Elektrisierung gelang für die
1) H.H. Newman, The Habits of Oertain Tortoises. Journ. of Comp-
Neurol. and Psychol. p. 16 (2). 1906.
2)D. B. Casteel, Discrimination Ability of the Turtle. Journ. of
Animal Behavior t. 1, p. 1—28. 1911.
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 117
Sternformen gar nicht; in den anderen Anordnungen brauchte der Lern-
“vorgang sehr viele Wiederholungen. Die Stiftung der Assoziation beweist
natürlich für das Sehen gar nichts, denn der Hund war in den Experi-
menten der Pawlow’schen Schule entweder überhaupt nicht auf ein-
fache Formen zu dressieren, oder günstigstenfalls war eine Dressurzeit
von 6 Monaten dazu nötig (Orbeli), und trotzdem besitzt der Hund
eine gute Sehschärfe. Ebenso lässt sich aus dem negativen Ergebnis
mit den Sternformen nicht schliessen, dass die Schildkröte keine Formen
unterscheiden kann, denn sie tut dies ja bei ihrer Nahrungssuche, wo
solche botanische Formunterschiede vorhanden sind. Vielmehr bildet
der Dressurversuch hier keine adäquate Beeinflussung; auch ist optisches
Unterscheiden ganz etwas anderes wie die Fähigkeit, diese optischen
Reize mit anderen Umständen zu assoziieren, wie sich das schon aus
. den palä- und neencephalen Bedingungen von selbst versteht. In ad-
äquaten Versuchen lernt die Schildkröte hingegen nicht schwerer wie
die Ratte oder der Hund. So lernt sie sehr rasch, sich aus einem Labyrinth
herauszufinden, wie Yerkes!) zeigte. Im übrigen sind wir auf die An-
gaben von Reisenden angewiesen, die Brehm zusammenstellte.
Nach der herrschenden Theorie sind die Zapfen der Hellapparat für
die farbige Wahrnehmung im Tageslicht, die Stäbchen mit dem Seh-
purpur aber der Dämmerungsapparat für das lediglich schwarzweisse
Sehen bei ganz schwachem Licht (Duplizitätstheorie). Wegen des völligen
Mangels an Sehpurpur müssten die Schildkröten also nachtblind sein,
und wegen des gänzlichen Fehlens der Stäbchen dürften sie nachts nichts
sehen. Sie sehen nachts aber ausgezeichnet und unterscheiden Pilze,
Pflanzenteile, Würmer, Insekten usw. Ebensowenig kommt das überall
[auch für das stäbchenarme Auge des Huhnes ?)] gültige Purkinje’sche
Phänomen, nämlich die Aufhellung der kurzwelligen auf Kosten der
langwelligen Lichter in Betracht, weil die roten Ölkugeln ja die kurz-
welligen Strahlen absorbieren. Dies hat Hess?) ausserdem durch Ex-
perimente an dunkeladaptierten Schildkröten erhärtet; die Schildkröte
sieht das blaue Futter, selbst in 200mal grösserer Lichtstärke als der
Mensch sie braucht, noch nicht, und solche Lichtstärken kommen nachts
nicht vor. Lässt sich diese Schwierigkeit nicht beheben, dann ist die
Duplizitätstheorie falsch.
Die Erklärung des nächtlichen Sehens von Schildkröten muss sich
also auf ein Sehen stützen, für welches das Purkinje’sche Phänomen
U) R.M. Yerkes, The Formation of Habits in the Turtle. Pop. Sci.
Mo. t. 58 p. 519. 1901.
2) Das Huhn hat nur Spuren Sehpurpur, Falken und Bussarde aber viel
mehr.
‘3) a. a. 0. S. 584f. — Vergl. Untersuchungen über den Lichtsinn bei
Reptilien und Amphibien. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 132,
S. 255—295. 1910.
118 Hans Henning:
nicht gilt, und welches allein mit Zapfen sowie mit rotgelben Ölkugeln
vollzogen wird. Diese Bedingungen finden sich nun restlos
im gelben Fleck des menschlichen Auges verwirklicht; hier
fehlt das Purkinje’sche Phänomen, hier gibt es keine Stäbchen und
darum kein Dämmerungssehen, sondern wegen des alleinigen Vorkommens
von Zapfen nur farbiges Tagessehen; ja statt der roten und gelben Öl-
kugeln der Schildkröte besitzt der Mensch hier ein gelbes Pigment. Die
gesamte Netzhaut der Schildkröte ist also mit dem gelben Fleck des
menschlichen Auges identisch. Bekanntlich wird die Beleuchtungsstärke,
die Beleuchtungsqualität sowie die Berücksichtigung von Dunst und
Nebel in höherem Grade von der Netzhautperipherie vermittelt als
vom gelben Fleck; da das Schildkrötenauge den Dunst tadellos durch-
dringt, braucht es keine Berücksichtigung der Dunstwirkung. Freilich
ist der gelbe Fleck bei uns am Tage wohl die Stelle des deutlichsten
Sehens, allein nachts ist er unempfindlich. Wir werden deshalb erwarten,
dass die Schildkröte (welche anders wie wir, wie das Krokodil, die Eidechse
und Schlange keinen nächtlichen Stäbchenapparat mit Sehpurpur differen-
zierte) an Stelle dessen eins etwas grössere Empfindlichkeit des
alleinigen Zapfenapparates spezialisierte. Das ist nun in der Tat
der Fall. Bei plötzlich herabgesetzter Beleuchtung gewahrt sie trotz
der Ölkugeln noch Einzelheiten, welche der Mensch erst nach längerer
Dunkeladaptation wahrnimmt. Dass sie uns nicht noch mehr im Tages-
sehen übertrifft, liegt daran, dass wir die grünblauen, blauen und violetten
Lichter besser ausnutzen, welche von den roten Ölkugeln des Schild-
krötenauges absorbiert werden. Im Dunste, wo es auf die langwelligen
Lichter ankommt, tritt der Vorzug der Schildkröte jedoch gleich wieder
stark hervor. Das rote Filter bedingt, wie erwähnt, ein umgekehrtes
Purkinje’sches Phänomen, wobei die langwelligen Lichter sich auf-
hellen; danach sieht die Schildkröte solche Strahlungen eher. Ausserdem
wiesen Katz und Revesz in ihren Versuchen am Kauz schon darauf
hin, dass der Gegensatz zwischen Stäbchensehen und Zapfen-
sehen nicht so krass und ausgeprägt ist, wie man früher annahm ').
Damit erklärt sich das Schildkrötenauge, und die Duplizitätstheorie
behält ihre wesentliche Gültigkeit. Zwei weitere Probleme tauchen aber
auf: wenn die gesamte Netzhaut der Schildkröte mit unserem gelben
Fleck identisch ist, wie steht es dann mit ihrer-peripheren Sehschärfe ?
Diese Frage wird experimentell im Frankfurter Zoologischen Garten
weiter verfolgt. Und zweitens: wenn die roten und gelben Ölkugeln
dazu bestimmt sind, durch Ausnutzung der langwelligen Lichter ein
schärferes Bild in dunstiger Atmosphäre zu ermöglichen, so wird man
vermuten dürfen, dass das gelbe Pigment im menschlichen Auge
1) D. Katz und G. R&vesz, Ein Beitrag zur Kenntnis des Lichtsinns
der Nachtvögel. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. Bd. 48, S. 170. 1914.
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 119
ebenfalls geeignet ist, durch Absorption des blauen Dunstes ein schärferes
Bild bei trüber Luft (in veränderter scheinbarer Grösse) zu vermitteln,
wie dies genau so für den Gelbfilter der photographischen Kamera gilt.
Diese letztere Frage liess sich experimentell dahin entscheiden, dass
wir mit dem gelben Fleck tatsächlich besser durch den Dunst und trübe
Luft hindurchsehen als parazentral, worüber ich andernorts berichte.
Dass das überaus wichtige Problem noch nicht gelöst ist, in welcher
scheinbaren Grösse die Schildkröte die Dinge der Aussenwelt sieht,
wurde oben schon betont. /
v1 Versuche an Schildkröten.
Zunächst wurden ergänzende Nachprüfungen durchgeführt an den
taglebenden Arten: griechische (Testudo graeca), maurische (Testudo
ibera) und Horsfieldsche Schildkröte (Testudo Horsfieldi) der eher nacht-
lebenden Teichschildkröte (Emys orbieularis) und der Klappschildkröte
(Cinosternum pennsylvanicum), sowie an der ausgesprochen nächtlichen
Dosenschildkröte (Cistudo Carolina).
1. Die Farbenempfindlichkeit wurde mit Spektrallichtern, Farb-
gläsern, Gelatineplatten sowie mit bunten Lösungen kontrolliert. Im
letzteren Fall war eine planparallele Küvette in das Aquarium oder
Terrarium vor das zu erblickende Objekt gestellt; die Ränder der Küvette
waren mit Tuffstein verkleidet. Als Absorptionslösung, welche die blauen
Strahlen auslöscht, diente Pikrinsäure und Eisenchlorid, zur Absorption
von Rot eine Lösung von schwefelsaurem Kupferoxyd-Ammoniak ; schliess-
lich verwendeten wir konzentriertes Kupferchlorid und Nickelchlorür,
welche nur grüne und srünblaue Strahlen durchlassen. Natürlich wurde
die Absorption jeweils vorher gemessen, da sie sich mit der Konzentration
ändert. Infolge ihrer Gefrässigkeit war eine Klappschildkröte so fett
geworden, dass ihr Fleisch überall aus dem Panzer quoll und sie den
Kopf nicht mehr ganz zurückziehen konnte. An ihr gelangen einige
Experimente, in denen sie gefärbte Häutchen über die Augen geklebt
bekommen hatte. Der Ausgang aller Versuche deckte sich mit den Er-
sebnissen von Hess und dem oben Gesagten, was keiner näheren Aus-
führung: bedarf.
2. Das Sehen im Nebel prüften wir in einem Terrarium, welches
aus mehreren Rohren mit Wasserdampf beschickt wurde; das an einem
Fädehen hereinhängende Futter bewegten wir nötigenfalls. Da sich
keine genauen Messungen über die Optik des Wasserdampfes ausführen
lassen, hielt der Beobachter eine schwarze Pappröhre dicht über den
Kopf der Schildkröte, wobei das Papprohr infolge der Konstellation
des Tuffsteines von der Schildkröte nicht bemerkt werden konnte, so
dass jede Störung des Tieres fortfällt. Beobachter und Schildkröte be-
trachten das Futter also unter genau gleichen optischen Umständen.
120 Hans Henning:
Allemal schnappte die Schildkröte schon, resp. sie eilte auf das Futter
los, wenn das unbewaffnete menschliche Auge den Wurm oder anderes
Futter noch nicht sah.
3. Analoge Versuche stellten wir schliesslich mit künstlichem
Nebelin folgender Weise an. Setzt man das Tier auf einen hohen Tisch,
auf einen Pfosten oder auf das Terrariumbäumchen, so befreit es sich,
indem es sich herunterfallen lässt. Dabei beobachtet die Schildkröte,
das Gelände aber ganz genau; Tschermak bemerkte schon, dass sie
immer länger beim Herabspringen von einem verstellbaren Tisch zögert,
je höher man die Platte stellt !). Ausserdem nutzt sie alles aus, was den
Fall mildern könnte; so lässt sie sich nicht auf den Boden, sondern auf
den Stuhl fallen, oder sie sucht das Bein des Experimentators und andere
Gegenstände zu treffen, die höher als der Boden gelegen sind. Dieser
Versuch lässt sich oftmals hintereinander wiederholen. In Wasserdampf
und durch künstliche Nebel (im letzteren Fall waren bei herabgesetzter
Beleuchtung alle nach oben gehenden Lichtreflexe ausgeschaltet) sah die
Schildkröte die Gegenstände früher als das menschliche Auge, und sie
liess sich immer nur in derjenigen Richtung fallen, in welcher der Schemel
stand. Eine geringfügige rote Beleuchtung verbesserte die Erkennung
wesentlich, eine blaue änderte nichts.
VII. Der Entstehungsgrund der Ölkugeln.
In nebliger Luft zeichnet nicht nur die photographische Platte mit
Rotfilter besser, sondern auch das Sauropsidenauge sieht dann mit
einem roten Filter schärfer. Zudem beugen die kleinen Wasserteilchen
der Atmosphäre das an sich eher weisslichgelbe Licht der Sonne zu
hellerem oder tieferem Rot, wie wir das beim Morgen- und
Abendrot am deutlichsten erleben; es ist dann objektiv mehr rotes
Licht da. |
Es dürfte bekannt sein, welche ungeheure Rolle die roten Strahlen
früher gespielt haben. Vor den Eiszeiten befand sich alle jetzt fossile
Kohle noch als Kohlensäure in der Luft, und Kohlensäure verhindert
nicht nur die Wärmeausstrahlung der Erde, sondern sie absorbiert
auch bestimmte Strahlungsgattungen, die von der Sonne kommen.
Zumal unser Planet eine höhere Eigentemperatür besass, war die
Atmosphäre damals dunstig und dampfig; ihr höherer Wassergehalt
ist auch durch Tatsachen ‘der Geologie und Paläontologie gesichert.
Es langten damals also wesentlich nur die roten Strahlen der Sonne
an die Erde. Die ersten Lebewesen konnten die Sonnenenergie nur
ausnutzen, das heisst aber existieren, sofern sie die roten Strahlen
DeAıye Tschermak, Wie die Tiere sehen, verglichen mit dem Menschen.
Vortr. d. Vereins z. Verbreit. naturw. Kenntn. in Wien Bd. 54 (13), S. 79. 1914.
IF
rl
Optische Versuche an Vögeln und Sehildkröten usw. 121
absorbierten. Dazu mussten sie selber die Komplementärfarbe des
rötlichen Lichtes besitzen, und aus diesem Grunde sind die Pflanzen
grün. Mit den veränderten Bedingungen der Atmosphäre wie der
Temperatur nach den Eiszeiten würde Schwarz die Sonnenenergie
besser verwerten, allein die Pflanzen waren in ihrem Haushalt nun
einmal auf bescheidenere Verhältnisse, nicht auf die maximale Leistung
eingerichtet.
In der Zeit der Saurier war die Atmosphäre immer noch eine
dunstige und feuchte Treibhausluft mit starkem Wasser- und Kohlen-
säuregehalt; hier waren die roten Filter zur Durchdringung
der trüben Atmosphäre’ eine Lebensnotwendigkeit. In dieser
Periode musste das Saurierauge rote Ölkügelchen besitzen, und zwar
tiefer rote, als wir sie heute an Sauropsiden vorfinden. Auf anderem
Wege war keine Sicht möglich.
Nach der Glazialzeit änderten sich die Verhältnisse, wie wir aus
der Geologie und Paläontologie erfahren: die Kohlenlager hatten sich
gebildet, die Atmosphäre wurde wasserärmer sowie kühler, und damit
nicht nur klarer, sendern auch durchlässiger für die kurzwelligen
Sonnenstrahlen. Diesem grundsätzlichen Wechsel konnte das tierische
‚ Auge auf verschiedenen Wegen der Anpassung Rechnung tragen.
Erstens konnten die Ölkugeln sich allmählich, mit den atmosphärischen
Verhältnissen Schritt haltend, entfärben, und tatsächlich finden
wir bei Amphibien und Fischen ganz farblose oder doch nur zum Teil
minimal gefärbte Ölkugeln, deren Rolle bisher nicht zu deuten war.
Zweitens mochten durch Umbildung die Bedingungen des menschlichen
Auges entstehen, die wir an Krokodilen, Schlangen, Eidechsen, in
geringerem Ausmaass auch bei Tagvögeln antreffen. Dabei mussten
zu den Zapfen noch Stäbchen mit Sehpurpur hinzutreten. Drittens
— und dies ist der Weg der Schildkröte — konnte die reine Zapfen-
netzhaut ihre Ölkugeln vom tieferen Rot durch Zusatz gelber Ölkugeln
zu einem helleren orangefarbenen Filter umgestalten; gegebenen-
falls musste die Empfindlichkeit der Zapfen sich noch steigern, sofern
die Sehkraft für das Nachtsehen nicht ohnehin ausreichte. Dabei
_ ergibt sich ein Sehen, welches für die Nähe ohne srösse Umstimmung
ebenso im Wasser wie in der Luft leistungsfähig ist.
Diejenigen Saurier, welche keinen dieser drei Wege der Um-
bildung begehen konnten, mussten mit zunehmender Klärung der
Atmosphäre schlechter sehen, denn das ihnen zugängliche rote Licht
trat objektiv zurück, und das neue kurzwellige Licht wird von ihren
roten Ölkugeln absorbiert; sie mussten schliesslich aussterben.
Hier fügen sich die merkwürdigen Verhältnisse der Akkommodation
ein: Vorwölbung nicht der ganzen Linse, sondern nur des Mittelstückes
in der Umgebung des vorderen Pols, wobei ein besonderer Muskel
122 . - Hans Henning:
in Aktion tritt, wie wir schon erwähnten. Diese nur im Sauropsiden-
auge vorkommende Einstellung eignet sich für das Sehen in trübem
Dunst vorzüglich. Dass Schildkröten, die auch sonst als sehr alten
Ursprungs bezeichnet werden, sie am ausgeprägtesten zeigen, ist nicht
nur eine Parallele zu ihrem Farbensehen, sondern wir dürfen es als
weitere Stütze unserer genetischen Kennzeichnung buchen. Es sei
auch auf den merkwürdigen Sklerotikalring am Auge des Archaeopteryx
hingewiesen, der mit einem solchen Akkommodationsmechanismus zü-
sammenhänst.
Zusammenfassung.
1. Die Farbensinnprüfungen an verschiedenen Vogel und Schild-
krötenarten bestätigen die Angaben von Hess, dass die kurzwellisen
Lichter nicht gesehen werden.
2. Die entgegenstehenden Versuche von Erna Hahn werden damit
in Einklang gebracht.
3. Die Bedeutung der roten Ölkugeln im Sauropsidenauge liegt
darin, dass alle Lebewesen im roten Lichte besser durch den Dunst,
durch trübe Medien, Nebel und Flüssigkeiten hindurchsehen; sie ge-
währleisten eine beträchtlich weitere Fernsicht sowie ein deutlicheres
Sehen unter solchen Umständen. Das gilt auch für das mit rotem
Glas bewaffnete menschliche Auge, für Personen mit Trübungen der
durchsichtigen Medien im Ei für die photographische Platte und
andere Verhältnisse.
4. Verschiedene Versuche an zahlreichen Vogelarten belegen, dass
sie dem Menschen infolge ihrer roten und gelben Ölkugeln im Sehen
unter den genannten Bedingungen überlegen sind. Dasselbe Er-
gebnis zeigte sich in mehreren Reihen mit Alpendohlen und Brief-
en h
. Das wichtige Problem, in welcher scheinbaren Grösse die Vögel
bei er Fernsicht die Dinge seien, erfordert eine eingehende Nach-
forschung.
6. Wie die Tagvögel durch die Beschaffenheit der Ölkugeln an
ihre Umwelt und Lebensbedinsungen angepasst sind, so auch die
Nachtvögel mit ihren andersartigen Ölkugeln.
7. Anders wie Krokodile, Schlangen und Eidechsen sind Schild-
kröten in verschiedener Hinsicht auf eine Fernsicht angewiesen. Die
lebenswichtigen Funktionen aller Arten erfolgen im Licht der sich
neigenden Sonne, deren rotgelbes Licht durch ihre mit roten Ölkugeln
versehenen Augen am besten ausgenutzt wird. Aus demselben Grunde
sehen sie für die Nähe im Wasser und in der Luft gleichgut.
8. Die gesamte Netzhaut der Schildkröte verhält sich wie der
selbe Fleck des menschlichen Auges. Die Duplizitätstheorie des Sehens
Optische Versuche an Vögeln und Schildkröten usw. 123
wird nicht mehr durch die optischen Verhältnisse der Schildkröte
widerlegt, sofern diese etwas empfindlichere Zapfen hat als der Mensch.
9. Verschiedene Versuchsreihen an mehreren Schildkrötenarten
belegen, dass die Schildkröte den Menschen an Sehschärfe in Dunst,
“trüben Medien usw. übertrifft.
10. Zur Saurierzeit war die feuchtwarme Atmosphäre reicher an
Wasserdunst; aus diesen optischen Verhältnissen erklärt sich sowohl
der merkwürdige Akkommodationsmechanismus des Sauropsidenauges,
als die Differenzierung der roten und gelben Ölkugeln, welche unter
derartigen atmosphärischen Umständen das Licht viel besser aus-
nützen.
11. Mit der Änderung der Atmosphäre nach der Eiszeit entfärbten
‘sich die Ölkugeln mancher Arten ganz in Anpassung an die neuen
optischen Verhältnisse, woraus sich die farblosen Ölkugeln der Eidechsen,
der Amphibien usw. erklären. Diejenigen Sauropsiden, welche auch
unter den reuen Verhältnissen in bestimmtem Ausmaass noch auf
eine Fernsicht durch trübe Medien angewiesen sind (Vögel), behielten
das Prinzip der farbigen Ölkugeln bei; Zahl und Färbung der Ölkugeln
differenzierte sich den neuen Verhältnissen entsprechend, welchen auch
durch Stäbchenapparat mit Sehpurpur für das Dämmerungssehen
Rechnung getragen wird. Schildkröten, die auch sonst die alte Art
_ am ehesten bewahren, besitzen eine Netzhaut, welche als ganze dem
gelben Fleck im menschlichen Auge gleicht; hinreichende Empfind-
lichkeit und die Erscheinung des umgekehrten Purkinje’schen Phä-
nomens machen die guten Sehleistungen ihres mit Rotfilter versehenen
_ Auges begreiflich. — Saurier, welche keinen dieser drei Wege bei der
atmosphärischen Änderung begingen, mussten wegen schlechten Seh-
vermögens aussterben.
12. Der gelbe Fleck im menschlichen Auge dient derselben Funktion
wie die roten und gelben Ölkugeln im Sauropsidenange.
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom
Kleinhirn und über die Lage der Zentren für die
Labyrinthreflexe im Hirnstamm.
Von
A. de Kleijn und R. Magnus.
(Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.)
Mit6 Textabbildungen.
(Eingegangen am 17. Juli TI)
Inhalt.
Seite
Li@Einleittunegeeme en... ul lt ee a ee 124
II. Versuchsmethoden und anatomische Kontrollen. ........ 125
2) O peraionsmethoden .-...f. A. ae Eee 125
b) Die verschiedenen Labyrinthreflexe und die Methoden zu ihrer
UDO REN I> q®L
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 157
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158 A. de Kleijn und R. Magnus:
b) Zweite Versuehsreihe (dezerebrierte Kaninchen, Versuche
von de Kleijn).
Bei drei Kaninchen wurde nach dem Dezerebrieren das Kleinhirn
exstirpiert. Bei einem dieser Tiere wurde ausserdem noch der rechte
Oktavus durchschnitten. Das Ergebnis war folgendes:
Tabelle II.
Versuche an dezerebrierten Kaninchen mit nachfolgender Kleinhirn-
exstirpation.
SR
>) O4 ı K
en Kopf- Kopf-
Zusatz- Emoss I
A © ae 3 Eee dreh- En Sektion
N nomss . a
e 33825 [reaktion] "°°
Er reaktion
gt
. + | Dezerebrierung zwischen vor-
|
deren und hinteren Vierhügeln.
Kleinhirn völlig entfernt,
ausser ganz kleinen Flocceulus-
stückchen an den Oktavis.
Oktavi intakt.
2
+
| a | 1 | Wie bei Nr. 1.
3| BRechts- + nicht nicht Wie bei Nr.1. Links ein kleines
seitige Ok- geprüft | geprüft | Stückchen Flocculus am Ok-
tavusdurch- tavuseintritt. Rechts ist der
schneidung Oktavus dicht an der Medulla
Zusammenfassung. Bei dezerebrierten Kaninchen lässt sich
nach Exstirpation des Kleinhirns (wobei die stehengebliebenen Flocculus-
reste wahrscheinlich nicht mehr in funktioneller Verbindung mit der
Oblongata geblieben sind) die Kopfdrehreaktion, die Kopfdrehnach-
reaktion und die nach einseitiger Oktavusdurchschneidung auftretende
Kopfdrehung und -wendung unverändert nachweisen.
abgeschnitten.
c) Dritte Versuchsreihe (dezerebrierte Kaninchen, Querschnitt dicht
vor dem Oktavuseintritt, Versuche von de Kleijn).
Bei drei Kaninchen wurde nach dem Dezerebrieren das Kleinhirn
exstirpiert und darauf ein Frontalschnitt durch die Oblongata dicht
vor dem Eintritt der Oktavi gemacht. In Versuch 1 und 2 wurde
ausserdem gleich der rechte Oktavus durchgeschnitten, während
in Versuch 3 erst die tonischen Labyrinthreflexe und die Dreh-
reaktionen des Kopfes untersucht wurden und erst am Schluss
des Versuches der rechte Oktavus durchtrennt wurde. Das Präparat
von Versuch 3 wurde von Professor Winkler an Schnittserien
untersucht (vgl. oben S. 153, Präparat IV).
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 159
Tabelle III.
Versuche an Kaninchen, denen nach Kleinhirnexstirpation die Oblongata
dicht vor dem Oktavuseintritt quer durchtrennt wurde.
Ü = s = ı
Er: Kopf- | = EEE
0.7 Basen
u| Zusatz- 5 5 | Kopfdreh- dreh- | = Seleio j
@| operation | Ss£ | reaktion | nach- = Bass Son
337 reaktion | 93322
Ss = = &
22 Durch. + | Bei Drehen | Zweitel- + Frontalschnitt durch
schneidung; |(beider-| nach links haft die Oblongata dicht
des rechten | seits) + vor dem Oktavus-
Oktavus im Bei Drehen eintritt. Kleinhirn
Beginn des nach rechts vollständig exstir-
Versuches — piert bis auf ein
D. i. typi- kleines Flocculus-
sches Ver- stückchen a. linken
halten nach Oktavus.
rechtsseiti-
gerOktavus- |
| durch- |
schneidung | |
2| Durch- 25 nicht ge- nicht + \Wiesbe. Nr.
schneidung; }(beider- prüft geprüft |
des rechten ! seits)
Oktavus im
Beginn des
Versuches
3| Rechts- | = | S- — schwach | Untersuchung an
seitige Ok- (beiderseits)| (beider- - Schnittserien durch
tavusdurch- seits) Winkler(s. 0.8.153,
schneidung = Präparat IV).
am Ende | Frontalschnitt durch
des Ver- die Oblongata zwi-
suches schen Trapezoid u.
Brücke. Deiters-
sche u. Bechterew-
sche Kerne beider-
seits intakt. Linker
Oktavuseintritt in-
takt.Faseiculuslon-
gitudinalis poste-
rior beiderseits teil-
weise durch Blu-
tung zerstört.
Kleinhirn samt
Kleinhirnkernen
vollständig abge-
trennt.
160 A. de Kleijn und R. Magnus:
Zusammenfassung. Bei dezerebrierten Kaninchen lassen sich
nach Exstirpation des Kleinhirns einschliesslich der Kleinhirnkerne
und nach einem Frontalschnitt durch die Oblongata dicht vor dem
Eintritt der Oktavi die tonischen Labyrinthreflexe auf die Extremi-
täten sowie die Kopfdrehreaktion und Kopfdrehnachreaktion nach-
weisen. Nach einseitiger Oktavusdurchschneidung erfolgt die typische
Kopfdrehung und -wendung nach der operierten Seite, die tonischen
Labyrinthreflexe sind an den Gliedmaassen beider Körperseiten noch
nachweisbar, und die Kopfdrehreaktion verhält sich bei Drehen nach
rechts und links, wie bei intakten Tieren nach einseitiger Labyrinth-
exstirpation. Die tonischen Labyrinthreflexe auf die Glieder und die
Kopfdrehreaktion und Kopfdrehnachreaktion sind auch nach teilweiser
Zerstörung des hinteren Längsbündels noch erhalten.
d) Vierte Versuchsreihe (Thalamuskaninchen, Versuche von
de Kleijn).
Bei vier Kaninchen wurden die Grosshirnhemisphären vor den
Thalamis exstirpiert, um die Labyrinthreflexe auf die Augen unter-
suchen zu können, und darauf das Kleinhirn fortgenommen. Am
Schluss des Versuches wurde bei drei Kaninchen ein Oktavus durch-
trennt, bei einem Kaninchen wurde ausserdem ein Frontalschnitt
durch die Oblongata dieht vor dem Oktavuseintritt gemacht. Drei
Präparate dieser Versuchsreihe wurden durch Professor Winkler
untersucht, der dieselben in dünne Scheiben geschnitten und be-
schrieben hat.
(Siehe Tabelle IV S. 161.)
Sektionsergebnisse der Versuche von Tabelle IV:
Nr. 1 (Bericht von Prof. Winkler): Links steht am Oktavuseintritt
ein kleines Stückchen Flocculus, das möglicherweise nochin
physiologischer Verbindung mit der Oblongata steht. Rechts
ist der Flocceulus vollständig entfernt. Links oberhalb des Bindearmes liegt
ein kleines Stückchen Oerebellum vollständig lose und in keinerlei Ver-
bindung mit dem Hirnstamm. DBeiderseits sind die Corpora quadrigemina
postica abgeschnitten, rechts ist das Tegmentum blutig imbibiert; die Oor-
pora quadrigemina anteriora sind durch Blutungen zerstört. Die Grosshirn-
hermisphären sind beiderseits völlig exstirpiert. An beiden Seiten geht der
Schnitt durch den Thalamus. Rechts findet sich im Thalamus eine grosse
Blutung.
Nr. 2: Das Kleinhirn ist vollständig entfernt, nur links ist ein Stück
Floceulus stehen geblieben, das grösser ist als bei den anderen Präparaten.
Nr. 3 (Bericht von Prof. Winkler): An der Basis des distalen
Endes des vierten Ventrikels ist der Boden zerstört, rechts bis in die For-
matio reticularis durchdringend. Auf dem zerstörten Boden liegen einige
Kleinhirnlamellen ganz frei und nicht mit dem Hirnstamm verbunden.
Links und rechts stehen am Oktavuseintritt einige kleine
Floceuluslamellen. Diephysiologische Verbindung derselben
mit derOÖblongataistabervölligaufgehoben. Links ist das Corpus
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 161
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11
Bd. 178.
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Pflüger’s Archiv für Physiologie.
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162 A. de Kleijn und R. Magnus:
restiforme und der Lemniscus lateralis weggeschnitten. Links ist das Corpus
quadrigeminum posticum durch Blutung, rechts durch das Messer ober-
flächlich zerstört. Das linke Corpus quadrigeminum anticum ist vernichtet, der
Aquädukt mit Blut gefüllt; das rechte Corpus quadrigeminum ant. enthält
einige Blutungen. Links und rechts sind die mittleren Thalamuskerne durch
Blutung vernichtet, links auch der Nucleus lateralis vollständig und der
Nucleus ventralis teilweise.
Links geht der Schnitt durch das Striatum. Die Grosshirnhemisphäre
ist entfernt; es ist nur das orale Ende der Ammonshorn-Formation, durch
Blutungen beschädigt, stehen geblieben. Die rechte Hemisphäre ist nur
teilweise entfernt. Hinten ist ein basolaterales Stück stehen geblieben,
fast das ganze Ammonshorn, von dem nur das dorsale Stück fehlt. Auch
vorne steht ein grosses Stück; sowohl die mediale Wand, dorsal und ven-
tral von der Commissur, als auch die basale Vene ganz; nur ein Stück der
dorsalen Oberfläche ist entfernt.
Nr. 4 (Bericht von Prof. Winklen: Am’‘rechten Oktavus-
eintritt steht ein kleinesStückchen Flocculus, dessen physio-
logische Verbindung mit der Öblongata aber völlig auf-
gehoben ist. Links ist auch der Flocculus ganz entfernt. Im übrigen ist
vom Kleinhirn kein einziger Rest mehr vorhanden. Blutungen im rechten
Corpus quadrigeminum posticum und in den beiden vorderen Vierhügeln.
Beide Grosshirnhemisphären fehlen, links steht nur noch basal-medial-vorne
ein kleines Stückchen, rechts ausserdem noch ein Teil der Ammonshorn-
formation. Der Schnitt der Grosshirnexstirpation geht beiderseits durch
Thalamus und Striatum.
Zusammenfassung. Bei Thalamuskaninchen sind nach völliger
Abtrennung des Kleinhirns die kompensatorischen Augenstellungen
(Vertikalabweichung und Raddrehung), die Augendrehreaktion und
-nachreaktion, der Augendrehnystagmus und -nachnystagmus, die
kolorische Augenabweichung nebst Nystagmus, die Kopfdrehreaktion
und -nachreaktion erhalten. Nach einseitiger Oktavusdurchschneidung
erfolgt, wie beim normalen Tiere, Drehung und Wendung des Kopfes
und Ablenkung der Augen (nebst Nystagmus). Die Augenreaktionen
erfolgen auch noch, wenn die Vierhügel (das Mittelhirndach) operativ
oder durch Blutungen in weitgehendem Maasse zerstört sind.
Die kompensatorischen Raddrehungen, welche beim normalen
Kaninchen nach den Feststellungen von van der Hoeve und
de Kleijn) ein Ausmaass von etwa 87—100° haben, können, wie
Versuch 1 zeigt, selbst nach der eingreifenden Operation der Gross-
hirnexstirpation und der Kleinhirnentfernung noch in fast normaler
Stärke auftreten. Meist (Versuch 2—4) ist die Grösse der Exkursionen
herabgesetzt (20—45°). Es ist das nach den Feststellungen von van
der Hoeve und de Kleijn, wonach die Grösse der kompensatorischen
Raddrehungen bei der Einwirkung aller möglichen hemmenden Ein-
flüsse beträchtlich vermindert wird, nicht weiter verwunderlich’).
1) J.v.d.Hoeve u. A.deKleyn. Pflüger’s Arch. Bd. 169 S.241. 1917.
2) Als Ergänzung dieser Versuchsreihe kann noch ein Versuch an einem
Kaninchen angeführt werden, dem unter Erhaltung des Grosshirns das
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 163
e) Fünfte Versuchsreihe (normale Katzen, Versuche von Magnus).
Wie bereits cben S. 129 erwähnt wurde, sind bei Kaninchen un-
mittelbar nach der Kleinhirnexstirpation die Labyrinthstellreflexe
wegen des Schocks höchstens andeutungsweise vorhanden. In der
vorhergehenden vierten Versuchsreihe von de Kleijn war nur bei
zwei Tieren eine schwache Spur dieser Reflexe vorhanden. Ebenfalls
war bei einem Kaninchen, welchem Magnus Gross- und Kleinhirn
exstirpiert hatte, von den Stellreflexen höchstens eine Andeutung
vorhanden, während Augendrehreaktion und -nystagmus, kompen-
satorische Augenstellungen und Kopfdrehreaktion und -nachreaktion
deutlich vorhanden waren. Die Sektion ergab bei diesem Tiere makro-
skopisch die völlige Entfernung des Gross- und Kleinhirns und die
Intaktheit der Vierhügel.
Daher wurde eine neue Versuchsreihe an Katzen angestellt, bei
denen ohne gleichzeitige Entfernung des Grosshirns das Kleinhirn
exstirpiert und die Tiere danach einige Tage am Leben erhalten wurden.
Über das Ergebnis unterrichtet nachstehende Tabelle. Das ausführ-
liche Versuchsprotokoll des anatomisch genau kontrollierten Versuches
‘Nr. 12 ist oben auf S. 147 abgedruckt.
(Siehe Tabelle V S. 164.)
Zusammenfassung. Bei Katzen mit erhaltenem Grosshirn lassen
sich nach völliger Abtrennung des Kleinhirns samt den Kleinhirn-
kernen sämtliche Labyrinthstellreflexe unverändert nachweisen, auch
wenn der Einfluss der Augen durch Verbinden ausgeschaltet ist. In
Bestätigung der früheren Versuchsreihen ergab sich ausserdem, -dass
die tonischen Labyrinthreflexe auf die Extremitäten, die Kopfdreh-
reaktion und -nachreaktion, die Augendrehreaktion und -nachreaktion,
der Augendrehnystagmus und a aan, bei diesen Tieren un-
verändert erhalten sind.
Gesamtergebnis.
*
Die im vorstehenden geschilderten Versuche zeigen,
dass sämtliche Labyrinthreflexe (mit Ausnahme der bisher
von uns noch nicht untersuchten Reaktionen auf Progressivbewegungen),.
Kleinhirn exstirpiert wurde, und bei dem sich die tonischen Labyrinthreflexe
auf die Extremitäten, Kopfdrehreaktion und -nystagmus, Kopfdrehnachreak-
tion, Augendrehreaktion und -nystagmus, Augendrehnachreaktion und -nach-
nystagmus, kompensatorische Augenstellungen mit voller Deutlichkeit nach-
weisen liessen. Bei der (makroskopischen) Sektion fand sich das Kleinhirn
völlig entfernt, Floceulusreste liessen sich mit blossem Auge nicht erkennen,
die Vierhügel waren unverletzt. — Ferner war bei einer Thalamuskatze
nach Kleinhirnentfernung die Kopfdrehreaktion und -nachreaktion sowie die
Augendrehreaktion und -nachreaktion vorhanden (Versuche von Magnus).
ala
A. de Kleijn und R. Magnus:
164
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AN ENSDGEENE,
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 165
nach Entfernung des Kleinhirns samt den Kleinhirnkernen
erhalten sind.
Für fast alle Reflexe ist auch der anatomische Nachweis geführt
worden, dass das Kleinhirn vollständig, d. h. einschliesslich der dem
Oktavuseintritt anliegenden kleinen Flocculuslamellen abgetrennt
worden ist. Inder nachfolgenden Zusammenstellung sind diejenigen
Reflexe und Reaktionen, für welche dieser Beweis geliefert ist, gesperrt
gedruckt (unter Anführung der beweisenden Versuche). Für die wenigen
übrigen Reaktionen liest nur die makroskopische Kontrolle vor, so
dass die allerdings unwahrscheinliche Möglichkeit übrig bleibt, dass
hier kleine Flocculusanteile in Verbindung mit der Oblongata ge-
blieben sind.
Im einzelnen liess sich nach Kleinhirnentfernung das Vorhandensein
folgender Reflexe und Reaktionen nachweisen:
A. Bewegungsreflexe (Drehreaktionen, ausgelöst durch Winkel-
beschleunigungen). °
a) auf den Hals: Kopfdrehreaktion und -nachreaktion
(Versuchsreihe III, Versuch 3. — Versuchsreihe IV, Versuch 4
(in Versuch 3 allein Kopfdrehreaktion). — Versuchsreihe V,
Versuch 12).
Kopfdrehnystagmus.
b) auf die Augen: Augendrehreaktion und -nach-
reaktion (Versuchsreihe IV, Versuch 3 und 4. — Versuchs-
reihe V, Versuch 12);
Augendrehnystagmus und -nachnystagmus (Ver-
i suchsreihe IV, Versuch 3 und 4).
B. Reflexe der Lage.
1. Tonische Reflexe auf die Körpermuskeln:
a) auf die Extremitäten (Versuchsreihe I, Versuch 22
und 23. — Versuchsreihe III, Versuch 3. — Versuchs-
reihe V, Versuch 12). Dabei genügt ein Labyrinth
für die beiderseitigen Extremitäten (Versuchs-
reihe I, Versuch 23).
b) auf Hals und Rumpf.
. Labyrinthstellreflexe (Versuchsreihe V, Versuch 12).
3. Kompensatorische Augenstellungen:
a) Vertikalabweichungen (Versuchsreihe IV, Versuch 3
und 4);
b) Raddrehungen (Versuchsreihe IV, Versuch 3 und 4).
C. Folgen der einseitigen Oktavusdurchschneidung.
1. Kopfdrehung und -wendung (Versuchsreihe III, Ver-
such 3. — Versuchsreihe IV, Versuch 3).
DD
166 A. de Kleijn und R. Magnus:
2. Tonusverlust der gleichseitigen Extremitäten (makroskopische
Kontrolle durch Professor Winkler in Versuchsreihe I, Ver-
such 10).
3. Veränderte Augenstellung nebst Nystagmus (Versuchs-
reihe IV, Versuch 3).
D. Kalorische Reaktionen: Augenabweichung und Ny-
stagmus (Versuchsreihe IV, Versuch 3 und 4).
IV. Die Lage der Zentren für die Labyrinthreflexe im Hirnstamm.
Nachdem in den vorhergehenden Abschnitten der Beweis geführt
worden ist, dass sämtliche von uns untersuchten Labyrinthreflexe
nach Entfernung des Kleinhirns erhalten sind, ergibt sich als not-
wendige Schlussfolgerung, dass die Zentren für diese Reflexe
alle im Hirnstamm liegen. Für die tonischen Labyrinthreflexe
auf die Körpermuskeln und die Kopfdrehung nach Oktavusdurch-
schneidung war dieses schon früher (vorbehaltlich der in dieser Arbeit
gelieferten mikroskopischen Kontrolle) bewiesen !),. Nunmehr soll im
Nachstehenden zusammengefasst werden, was wir nach unseren bis-
herigen experimentellen Erfahrungen über die genauere Lage der
Zentren für die einzelnen Reflexe im Hirnstamm wissen.
A. Bewegungsreflexe.
a) Kopfdrehreaktion und -nachreaktion. Nach Versuchs-
reihe III liegen die Zentren für diese Reflexe kaudal von einem dicht
vor dem Oktavuseintritt durch die Oblongata gelegten Frontalschnitt.
Das hintere Längsbündel kann teilweise zerstört sein, ohne dass
das Zustandekommen dieser Reflexe gehindert wird.
Dieser in der vorliegenden Arbeit erbrachte Nachweis steht im
Einklang mit der früheren Feststellung von Magnus ?), dass beim
Kaninchen nach einem Frontalschnitt dicht vor den mittleren Klein-
hirnstielen, hinter der Brücke und vor dem Corpus trapezoides die
Drehreaktionen des Kopfes erhalten sind. Bei Drehen in Normal-
stellung ertolgte Seitwärtswenden des Kopfes, bei Drehen mit senk-
recht erhobener Schnauze erfolgte je nach der Drehrichtung Rechts-
oder Linkswenden oder Dorsal- oder Ventralbeugen des Kopfes. Auch
Kopfdrehnachnystagmus liess sich bei diesen Tieren nachweisen.
Barany, Reich und Rothfeld ?) hatten eben früher das Erhaltensein
DR. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 159 S. 224. 1914.
2)R. Magnus, Pflü ger’s Arch. Bd. 163 S. 468. 1916.
3) Barany, Reich u. Rothfeld, Exper. Unters. über die vestibulären
Reaktionsbewegungen an Tieren, insbes. im Zustande der decerebrate
rigidity. Neurol. Ztrbl. Bd. 31 S. 1139. 1912.
x
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 167
der Kopfdrehnachreaktion bei Katzen und Hunden nach Dezerebrieren
vor den hinteren Vierhügeln feststellen können.
b) Augendrehreaktion und -nachreaktion, Augendreh-
nystagmus und -nachnystagmus. Für diese Labyrinthreflexe
ist natürlich das Erhaltensein der Augenmuskelkerne erforderlich.
Daher lassen sie sich bei Thalamuskaninchen (Versuchsreihe IV) mit
grösster Deutlichkeit nachweisen. Dass die übrigen Mittelhirnzentren
für die Augendrehreaktion nicht erforderlich sind, ergibt sich aus der
. früheren Beobachtung von Magnus), der nach Abtrennung des
Mittelhirnes vor der Brücke bei drei Kaninchen noch Augendreh-
reaktionen auftreten sah, welche allein auf Abduzenstätigkeit be-
ruhten.
Letzteres steht im Einklang mit einer Beobachtung von Bauer
und Leidler ?2), welche bei einem Kaninchen nach Beschädigung der
beiden austretenden Oculomotoriuswurzeln den Augendrehnachnystag-
mus unverändert erhalten fanden.
Nach unserer Versuchsreihe IV sind’alle Augendrehreaktionen nach
weitgehender Beschädigung der Corpora quadrigemina erhalten.
Magnus®) fand beim Kaninchen Augendrehreaktion und -nach-
reaktion, Augendrehnystagmus und -nachnystagmus nach einem Front-
alschnitt, der dorsal mitten durch die vorderen Vierhüge, ventral
2 mm vor der Brücke ging.
Dass die Augendrehreaktion und -nachreaktion, der Augendreh-
nystagmus und -nachnystagmus nach Abtragung des Grosshirns und
der Thalami unverändert bestehen bleiben, hat bereits Högyes) fest-
gestellt. Bauer und Leidler°) sowie Barany, Reich und Roth-
feld ®) konnten diesen Befund bestätigen.
Es ist vielleicht nicht überflüssig, an dieser Stelle nochmals darauf
hinzuweisen, dass auch die schnelle Phase des Augennystagmus
durch Vermittelung der im Hirnstamm (Oblongata und Mittelhirn)
gelegenen Zentren zustande kommt, und nicht, wie Bartels und
Rosenfeld vermuteten, auf der Tätigkeit des Grosshirns beruht.
Diese längst von den obengenannten Autoren widerlegte Ansicht
kehrt immer noch in der Literatur wieder °).
) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 468. 1916.
2) J. Bauer u. R. Leidler, Über den Einfluss der Ausschaltung ver-
schiedener Hirnteile auf die vestibulären Augenreflexe. Arb. neurol.
Institut Wien Bd. 19 S. 155. 1911.
3) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 174 S. 138. 1919.
4) A. Högyes, Über den Nervenmechanismus der assoziierten Augen--
bewegungen. Monatsschrift f. Ohrenheilkunde Bd. 46 S. 809. 1912.
5) S. Anm. 2. \
6) S. Anm. 3 8. 166.
7) Vgl. z.B. Ohm. Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde Bd. 59 S. 538. 1917.
168 A. de Kleijn und R. Magnus: _
B. Reflexe der Lage.
1. Tonische Labyrinthreflexe auf die Körpermuskeln.
a) Tonische Labyrinthreflexe auf die Gliedermuskeln.
Die Zentren für diese Reflexe liegen kaudal von einem Frontalschnitt,
der durch die Oblongata unmittelbar vor dem Oktavuseintritt geführt
wird. Das ergibt sich für Katzen aus der früheren Arbeit von Magnus !)
(Versuchsreihe I dieser Mitteilung) und für Kaninchen aus Versuchs-
reihe III. Auch nach einem derartigen Querschnitt genügt ein Laby-
rinth zur Auslösung dieser Reflexe auf die Extremitäten der beiden
Körperseiten, ebenso kann der Oktavuseintritt auf einer Seite fast
vollständig zerstört sein, ohne dass diese Reflexe auf beide Körper-
seiten fehlen (Versuchsreihe I, Versuch 23). Der Bechterew ’sche
Kern ist für diese Reflexe nicht nötig (Versuchsreihe I, Versuch 22).
Das hintere Längsbündel kann teilweise zerstört sein, ohne dass sie
fehlen (Versuchsreihe III, Versuch 3).
b) Tonische Labyrinthreflexe auf die Hals- (und Rumpf-)
muskeln. Auch für diese Reflexe liegen die Zentren hinter einem
durch die Oblongata dieht vor dem Oktavuseintritt geführten Frontal-
schnitt. Das ergibt sich für Katzen aus der früheren Arbeit von
Magnus!) bzw. aus Versuchsreihe I dieser Mitteilung. 'Bei Kaninchen
sah Magnus ?) die tonischen Labyrinthreflexe auf die Halsmuskeln
nach einem Schnitt, der dorsal dieht vor den mittleren Kleinhirn-
stielen und ventral hinter der Brücke lag, erhalten.
2. Labyrinthstellreflexe.
Im Gegensatz zu den Zentren für die tonischen Labyrinthreflexe
auf die Körpermuskeln, welche kaudal vom Oktavuseintritt liegen,
befinden sich die Zentren für die Labyrinthstellreflexe oral davon,
und zwar, wie von Magnus °) eingehend bewiesen wurde, im Mittel-
hirn. Sie liegen da mit den Zentren für die anderen ‚‚Stellreflexe“
zusammen, so dass dort ein Zentralapparat gebildet wird, welcher
das Tier befähigt, seine normale Körperstellung im Raume einzunehmen
und aufrechtzuerhalten. In dieser Arbeit (Versuchsreihe V) ergibt sich
nun über die damaligen Feststellungen hinaus, dass auch die Bahnen,
welche die Labyrinthe mit diesen Stellzentren im Mittelhirn verbinden,
nicht über das Kleinhirn verlaufen, sondern dass sie im Hirnstamm
bleiben. Ihr näherer Verlauf ist noch festzustellen.
In der früheren Arbeit von Magnus ?) ist mitgeteilt, dass beim
Kaninchen nach einem Schnitt, der dorsal rechts durch die Mitte,
1) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 159 S. 241. 1914.
2) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 467. 1916.
3) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 163 S.405. 1916.
4) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 472. 1916.
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 169
links durch das hintere Drittel des vorderen Vierhügels, ventral durch
die Hirnschenkel am Hinterrande des Mamillarkörpers ging, der
Labyrinthstellreflex auf den Kopf in Seitenlage (nicht aber in Rücken-
lage und den beiden Hängelagen) noch erhalten war. Nach einem
Schnitt dorsal hinter den hinteren Vierhügeln, ventral durch die Hirn-
schenkel links 2 mm vor der Brücke, rechts dicht vor der Brücke,
war nur noch eine zweifelhafte Grenzreaktion vorhanden. Nach einem
Schnitt, der dorsal dicht vor den hinteren Vierhügeln, ventral am
Vorderrand der Brücke verlief, waren alle Labyrinthstellreflexe er-
loschen.
3. Kompensatorische Augenstellungen.
Diese können natürlich nur zustande kommen, wenn die Gegend
der Augenmuskelkerne erhalten sind. Ob ausser diesen Kernen und
ihren Verbindungen mit dem Oktavus noch andere Mittelhirnzentra
dabei mitwirken, ist noch nicht festgestellt. Jedenfalls ist die Wahr-
scheinlichkeit, dass nach Abtragung des Mittelhirns allein durch Ver-
mittelung des Abduzens kompensatorische Augenstellungen zustande
kommen, sehr gering, da nach den Feststellungen von van der Hoeve
und de Kleijn !) bei den verschiedenen Stellungen des Kopfes im
Raume Änderungen der seitlichen Stellung der Augen (Abduktion
und Adduktion) keine deutliche Rolle spielen.
Nach den Beobachtungen von Magnus ?) sind kompensatorische
‚ Vertikalabweichungen und Raddrehungen der Augen beim Mittelhirn-
kaninchen nach Abtragung der Thalami erhalten. In Versuchsreihe IV
dieser Arbeit waren sie beim Thalamuskaninchen deutlich nachweisbar.
Weitgehende Beschädigung der Corpora quadrigemina ist ohne Einfluss.
C. Folgen der einseitigen Oktavusdurchschneidung.
Die Folgen der einseitigen Oktavusdurchschneidung beruhen auf
dem Fortbestehen der Tätigkeit des Labyrinthes der intakten Seite
und dem Fortfall der Erregungen auf der Seite der Operation nebst
den sekundär durch die Kopfdrehung und -wendung ausgelösten
tonischen Halsreflexen °). Sie müssen sich daher aus den bisher auf-
gezählten Labyrinthreflexen ableiten lassen. Wenngleich sich dieses
für die Drehung von Kopf und Rumpf sowie für die veränderte Augen-
stellung vollständig durchführen lässt, ergeben sich für die Tonus-
abnahme der Extremitäten auf der Seite des Labyrinthausfalles ge-
wisse Schwierigkeiten *). Wir halten es daher vorläufig noch für besser,
3) J.v.deHoeveu.A.deKleijn, Ptlüger’s Arch. Bd. 169 S. 253. 1917.
4) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 463. 1916.
1) R. Magnus u. A.deKleijn, Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 178. 1913.
2) R. Magnus u. A.deKleijn, Pflüger’s Arch. Bd. 154, S. 303. 1913.
170 A. de Kleijn und R. Magnus:
die Folgen der einseitigen Oktavusdurchschneidung getrennt auf-
zuführen.
l. Kopfdrehung und -wendung. Nach der früheren Mit-
teilung von Magnus!) und nach Versuchsreihe I und III dieser Arbeit
tritt dieselbe nach einseitiger Oktavusdurchschneidung noch ein, wenn
der Hirnstamm durch einen Frontalschnitt dicht vor dem Oktavus-
eintritt durchtrennt worden ist.
2. Rumpfdrehung. Auch diese ist nach einem Frontalschnitt
dicht vor dem Oktavuseintritt noch vorhanden, wie Versuch 17 von
Versuchsreihe I lehrt.
3. Tonusverlust der gleichseitigen Extremitäten. Nach
Versuchsreihe I dieser Arbeit ist der Tonusverlust der gleichseitigen
Extremitäten nach einseitiger Oktavusdurchschneidung beim dezere-
brierten Tiere noch nachweisbar. Versuch 10 von Versuchsreihe I
zeigt, dass man auch die Vierhügel vollständig abtrennen kann. Es
erscheint uns sehr wahrscheinlich, dass dasselbe Ergebnis auch nach
einem Frontalschnitt dicht vor dem Oktavuseintritt erzielt werden
kann. Doch haben wir bisher noch keine derartige Beobachtung ge-
macht.
4. Veränderte Augenstellung. Nach Versuchsreihe IV tritt
die veränderte Augenstellung nach einseitiger Oktavusdurchschneidung
beim Thalamustier ein. Ob sie auch, was sehr wahrscheinlich ist,
beim Mittelhirntier zu beobachten ist, muss noch festgestellt werden. —
Versuch 1 der Versuchsreihe IV lehrt, dass auch der Nystagmus nach
Durchtrennung eines Oktavus beim Thalamustier nachweisbar ist. —
Beschädigung der Corpora quadrigemina hindert den Eintritt der
Augenabweichung und des Nystagmus nicht.
D. Kalorische Reaktionen: Augenabweichung und Nystagmus.
Schon Kubo ’?) hat angegeben, dass der kalorische Nystagmus
nach Abtragung des Grosshirns erhalten bleibt. Unsere Versuchs-
reihe IV zeigt ebenfalls, dass die Augenabweichung und der Nystagmus
nach Ausspritzen des Ohres mit kaltem Wasser beim Thalamustier
eintritt. Aus unveröffentlichten Versuchen von de Kleijn geht
hervor, dass man auch die Thalami abtragen kann, ohne die Reaktion
zum Erlöschen zu bringen. Ebenso ist weitgehende Verletzung der
Corpora quadrigemina ohne Einfluss (Versuchsreihe IV). Es ist aber
noch festzustellen, ob nach Fortnahme des Mittelhirns mit Schonung
des Abduzensursprunges die kalorische Reaktion der Augen und der
zugehörige Nystagmus erhalten sind.
1) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 159 S. 224. 1914.
2) J. Kubo, Über die vom N. acusticus ausgelösten Augenbewegungen,
besonders bei thermischer Reizung. Pflüger’s Arch. Bd. 114 S. 143. 1906.
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 171
Kalorische Reaktion des Kopfes (Drehung nach der Seite, auf
welcher das Ohr mit kaltem Wasser ausgespritzt wird) erfolgt noch
nach einem Frontalschnitt hinter den Vierhügeln und durch die Brücke
(unveröffentlichter Versuch).
Fasst man die Ergebnisse dieses Abschnittes nebst den Resultaten
der Kleinhirnexstirpation zusammen, so folst, dass die Zentren für
alle von uns untersuchten Labyrinthreflexe und Laby-
rinthreaktionen im Hirnstamm in drei grossen Gruppen
angeordnet sind. Die Drehreaktionen auf den Hals, die
tonischen Reflexe auf die Muskeln der Extremitäten, des
Halses und Rumpfes sowie die nach Oktavusdurchschnei-
dung auftretende Drehung von Hals und Rumpf werden
durch Zentren vermittelt, welche kaudal vom Oktavus-
eintritt in die Medulla gelegen sind. Alle Reaktionen, an
denen sich die Augen beteiligen, also die Augendreh-
reaktionen . (nebst Nystagmus), die kompensatorischen
Augenstellungen, die Augenabweichung nach einseitigem
Labyrinthverlust und die kalorische Reaktion der Augen
werden durch Zentren bedingt, welche zwischen Oktavus-
eintritt und Augenmuskelkernen liegen. Dagegen sind die
Labyrinthstellreflexe von Zentren im Mittelhirne ab-
hängig.
Für alle diese Reflexe verlaufen die zu- und abführen-
den Bahnen sowie die Verbindungsbahnen ausschliesslich
im Hirnstamm (bzw. im Rückenmark) und nehmen ihren
Weg nicht durch das Kleinhirn. Auch die Kleinhirnkerne
sind nicht in den Weg irgendeines dieser Reflexe ein-
sesealyel
Anhangsweise mag erwähnt werden, dass ausser den Labyrinth-
stellreflexen auch die Halsstellreflexe!) nach Exstirpation des
Kleinhirns erhalten sind. Dieses ergab sich in zwei Versuchen an
Thalamuskaninchen und einem Versuche an einer Katze mit erhaltenem
Grosshirn. Wurde bei diesen drei Tieren, welche sich in Seitenlage
auf dem Tisch befanden, der Kopf in die Normalstellung gebracht,
so erfolgte sofort promptes Aufsitzen des ganzen Körpers. Wurde
die Katze in Rückenlage in der Luft gehalten, so wurde zuerst der
Kopf in die Normalstellung gebracht (durch Drehung und Ventral-
beugung) und darauf erfolgte Ventralbeugung des Vorderkörpers durch
RL Maenes Pringer’s Arciiepd. 163 3 Asi u. 480. 1916.
172 A, de Kleijn und R. Magnus:
Beugung der Lendenwirbelsäule, so dass sich schliesslich der ganze
Vorderkörper des Tieres in Normalstellung befand. Die Zentren für
die Halsstellreflexe liegen nach den Versuchen von Magnus!) beim
Kaninchen im hinteren- Teile des Mittelhirns und reichen bis in die
Brückengegend. Nach den soeben erwähnten neuen Versuchen ist
das Kleinhirn an dem Zustandekommen dieser Reflexe unbeteiligt.
Auch die Bahnen für dieselben gehen nicht durch das Kleinhirn hin-
durch.
Beobachtungen zur Entscheidung der Frage, wie sich die‘ ‚‚Stell-
reflexe auf den Kopf und den Körper durch asymmetrische Reizung
der Körperoberfläche‘“?) nach Kleinhirnexstirpation verhalten, sind
noch nieht zum Abschluss gebracht worden.
V. Schlussbetrachtungen.
In der vorliegenden Arbeit ist auf Grund eingehender
physiologischer Beobachtungen und sachkundiger ana-
tomischer Kontrollen der Nachweis geführt worden, dass
sämtliche von uns untersuchten Labyrinthreflexe und
-reaktionen nach völliger Abtrennung des Kleinhirns ein-
schliesslich der Kleinhirnkerne erhalten sind, dass die
dafür nötigen Zentren in bestimmter räumlicher Anord-
nung im Hirnstamm, und zwar in der Oblongata und im
Mittelhirn liegen, und dass die bei den Labyrinthreflexen
beanspruchten Leitungsbahnen nicht über das Kleinhirn
laufen.
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass nicht irgendwelche, von
den Labyrinthen ausgehenden Erregungen bei intaktem Zentralnerven-
system auch ins Kleinhirn gelangen können, und an den immer noch
unbekannten Funktionen dieses Hirnteiles sich in der einen oder anderen
Weise beteiligen. Das kann erst untersucht werden, wenn die normale
Funktion des Kleinhirns dem physiologischen Experimente besser zu-
gänglich gemacht ist, wozu vorläufig trotz der von zahlreichen Forschern
aufgewendeten Mühe noch wenig Aussicht vorhanden ist.
Andererseits bleibt es auch durchaus möglich, dass vom Kleinhirn
ausgehende Impulse zu den im Hirnstamm liegenden Zentren für
die Labyrinthreflexe gelangen, und dort. eine verstärkende oder
hemmende Einwirkung auf den Ablauf der Labyrinthreflexe ausüben.
Dafür sprechen zum Beispiel die Beobachtungen von Bauer und
Leidler °), welche nach Verletzungen des Kleinhirnwurmes beträcht-
liche Verstärkungen der Augendrehreaktionen gefunden haben.
1) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 451 u. 480. 1916.
2) R. Magnus, Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 440 u. 454. 1916.
3) J.Baueru.R.Leidler, Arb. neurol. Institut Wien Bd. 17 S. 155. 1911.
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 173
Alle derartigen Möglichkeiten beeinträchtigen aber die Schluss-
folgerung nicht, dass die Zentren für die Labyrinthreflexe ausserhalb
des Kleinhirns gelegen sind, und dass man daher endsültig mit
der noch immer sehr verbreiteten Vorstellung brechen
muss, nach welcher das Kleinhirn der Zentralapparat für
die Labyrinthe sein soll.
Schon Flourens!) hatte die nach Bogengangsverletzungen auf-
tretenden Symptome als Kleinhirnerscheinungen gedeutet, und viele
Forscher sind ihm hierin gefolgt, weil sie eine grosse Ähnlichkeit zwischen
den durch Reizung und Exstirpation des Kleinhirns und der Labyrinthe
bedingten Erscheinungen fanden. Nach Ferrier 2) liegt die anatomische
Grundlage des Einflusses der Labyrinthe auf das Gleichgewicht in
ihrer Verbindung mit dem Cerebellum. Luciani°) nimmt an, dass
das Labyrinth seine tonische Wirkung auf die Muskeln durch Ver-
mittelung des Kleinhirns ausübt. Stephani ?) folgert, dass die Tätig-
keit des Kleinhirns in überwiegendem, wenn auch nicht ausschliess-
lichem Maasse von den Impulsen veranlasst wird, welche von den
Labyrinthen übermittelt werden, und dass der von Luciani nach-
gewiesene Cerebellartonus von dem nicht akustischen Labyrinth er-
zeugt werde. Bechterew 5) sieht im Kleinhirn das Organ der Gleich-
gewichtserhaltung, das seine peripheren Erregungen zum Teil aus den
Bogengängen bezieht. Nach Sherrington ®) ist das Kleinhirn das
Kopfganglion aller Proprioceptoren und bezieht wichtige Erresungen
aus den Labyrinthen. Lewandowsky ’) hält es für sicher, dass
„die Art der Orientierung durch das Labyrinth der Art und dem Sinne
nach durchaus entspricht der durch das Kleinhirn“; die Verbindungen
des Kleinhirns zum Endgebiet des Nervus vestibularis bleiben jedoch
noch unklar. Barany°) nahm an, dass das gesamte Kleinhirn unter
dem Einfluss eines bestimmten vestibularen Reizes stehe, dass jedoch
beim Menschen der Einfluss des Vestibularis auf das Kleinhirn nur
gering sei. Später folgerten Barany, Reich und Rothfeld°) aus
1) Flourens, Recherches exper. sur les proprietes et les fonctions du
systeme nerveux. Paris 1842.
2) D. Ferrier, The functions of the brain p. 208. London 1886.
3) L. Luciani,.Das Kleinhirn. Erg. d. Physiol. Bd. III, 2. 8.318. 1904.
4) Zitiert nach Luciani.
5) W. Bechterew, Pflüger’s Arch. Bd. 34 S. 362, 1884 und Archiv
f. Physiol. 1896. 8.105. _
6) ©. S. Sherrington, The integrative action of the nervous system.
p. 348. London 1906. — Schäfer’s Text-book of Physiol. vol. 2 p. 905—909.
. 1900.
7) M. Lewandowsky, Die Funktionen des zentralen Nervensystems
S. 164. Jena 1907.
8) R. Barany, Funktionelle Prüfung des Vestibularapparates. Verh.
Deutsch. otolog. Gesellsch, Bd. 20 S. 32. 1911.
9) Barany, Reich u. Rothfeld, Neurol. Ztrbl. Bd. 31 S. 1139. 1912.
174 A. de Kleijn und R. Magnus:
einem Versuch an einem dezerebrierten Tier mit (nach Rothfeld)
unvollständiger Kleinhirnentfernung, dass das Kleinhirn sicherlich
etwas mit den labyrinthären Drehreaktionen zu tun habe, dass aber
zum mindesten die Reaktionsbewegungen nach vorne und rückwärts
schon in der Medulla lokalisiert seien. Rothfeld!) gibt an, dass
beim Kaninchen die Kleinhirnrinde ohne wesentlichen Einfluss auf
die Drehreaktionen sei, glaubt aber, dass die Kleinhirnkerne, besonders
der Nucleus tecti, sich wesentlich daran beteiligen.
Allen diesen Vermutungen wird durch die in der vorliegenden
Arbeit mitgeteilten Experimente die tatsächliche Grundlage entzogen.
Ebenso wie hier nachgewiesen werden konnte, dass die Tätigkeit der
Labyrinthe sich unabhängig von der Mitwirkung des Kleinhirns ab-
spielt, so muss auch jetzt zunächst die Tätigkeit des Kleinhirns ohne
Mitwirkung aller Labyrintheinflüsse untersucht werden. Erst wenn
diese Aufgabe gelöst ist, kann man sich mit Aussicht auf Erfolg die
Frage vorlegen, in welcher Wechselbeziehung die Tätigkeit des Klein-
hirns und der Zentren für die Labyrinthreflexe untereinander stehen.
In diesem Zusammenhange sei nun darauf hingewiesen, dass bereits
in der Literatur eine Reihe von Angaben vorliegen, welche auf die
weitgehende gegenseitige Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom
Kleinhirn hinweisen. Vor allem ist hier die Arbeit von Bogumil
Lange ?) aus dem Laboratorium von Goltz und Ewald zu erwähnen,
der bei Tauben bis über zwei Drittel des Kleinhirns exstirpierte und
die ein- oder doppelseitige Labyrinthzerstörung oder Bogengangs-
plombierungen vornahm. Nach Lange sind die Symptome der Klein-
hirnexstirpation und der Labyrinthausschaltung vollständig von ein-
ander verschieden. Nach Entfernung des Kleinhirns bewirkt einseitige
Labyrinthexstirpation dieselben typischen Folseerscheinungen wie bei
normalen Tieren, andererseits macht nach doppelter Labyrinth-
entfernung die Kleinhirnexstirpation die dafür typischen Symptome °).
Exstirpation des einen Organes verhindert also nicht das Entstehen
der Symptome nach Verlust des anderen. Kleinhirn und Labyrinthe
können sich gegenseitig kompensieren. Auch in unseren Versuchen
ist es uns aufgefallen, dass nach alleiniger Kleinhirnexstirpation (bei
1) J. Rothfeld, Über die Beeinflussung der vestibulären Reaktions-
bewegungen durch experimentelle Verletzungen der, Medulla oblongata.
Bull. de l’acad. des sciences S. 74. Krakau 1914. — S. a. Verh. Deutsche
Naturforschergesellschaft 1913. 1.
2) Bogumil Lange, Inwieweit sind die Symptome, welche nach Zer-
störung des Kleinhirnes beobachtet werden, auf Verletzungen des Acusticus
zurückzuführen. Pflüger’s Arch. Bd. 50 S. 615. 1891.
3) Auch Beyer und Lewandowsky (Experimentelle Untersuchungen
am Vestibularapparat von Säugetieren Arch. f. Physiol. 1906. S. 451),
fanden nach doppelseitiger Labyrinthexstirpation, dass durch Verletzung des
Kleinhirns noch die typischen Zwangsbewegungen zu erzeugen sind.
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 175
Tieren mit erhaltenem Grosshirn, Versuchsreihe V) niemals die ge-
wöhnlichen Folgeerscheinungen der doppelseitigen Labyrinthentfernung
zu sehen waren: bei Katzen und Kaninchen traten keine Augenabwei-
chungen, kein Nystagmus, überhaupt keine Reizerscheinungen irgend-
welcher Art wie nach Labyrinthoperationen auf, es fehlte das Kopf-
schwanken und -pendeln, das Hämmern mit der Schnauze auf den
Grund, die Anfälle von wilden Bewegungen, das Rückwärtskriechen
und alle anderen Symptome, wie sie von Magnus und Storm van
Leeuwen!) als Anfangsfolgen des doppelseitigen Labyrinthverlustes
bei Katzen beschrieben worden sind.
Sehr wichtig ist auch die Angabe von Luciani, dass enlose
Hunde gut schwimmen, und von Lange, abe kleinhirnlose
Tauben gut fliegen. Beides können diese Tiere nach Entfernung
der Labyrinthe nicht. Der Grund liest (wenigstens für Hunde, an
Tauben haben wir keine eigenen Erfahrungen) darin, dass der Hund
beim Schwimmen zur Orientierung ausschliesslich auf die Labyrinth-
stellreflexe angewiesen ist, während die Stellreflexe durch asymmetrische
Reizung der Körperoberfläche nicht mehr zustande kommen können ?).
Wenn also kleinhirnlose Hunde schwimmen, so beweist das, dass die
Labyrinthstellreflexe bei ihnen vorzüglich funktionieren.
Schliesslich haben verschiedene Forscher nach partiellen Klein-
hirnverletzungen das Erhaltenbleiben einzelner Labyrinthreaktionen
festgestellt. So fand Kubo °) nach partieller Abtragung des Klein-
hirns, besonders des Flocculus (Lobulus petrosus ?), den kalorischen
Nystagmus erhalten. Bauer und Leidler*) sahen nach Entfernung
der Kleinhirnhemisphären den Augendrehnystagmus unverändert, nach
Exstirpation des Wurmes sogar gesteigert. Barany, Reich und
Rothfeld °) exstirpierten das Kleinhirn grösstenteils, jedoch wahr-
scheinlich mit Ausschluss der Kleinhirnkerne, und beobachteten das
Erhaltensein der labyrinthären Kopfdrehreaktion nach vorne und
hinten.
Trotz dieser verschiedenen Hinweise ist aber, wie oben zu-
sammengestellt wurde, der Glaube an die direkte funktionelle Ver-
knüpfung der Labyrinthe mit dem Kleinhirn sehr weitgehend ver-
breitet geblieben. Für die Labyrinthreflexe hat sich nunmehr,
im Gegensatz hierzu, herausgestellt, dass sie vom Kleinhirn unab-
hängig sind. |
I) R. Magnus u. W. Storm v. Leeuwen, Pflüger’s Arch. Bd. 159
S. 157. 1914.
2) R. Magnus, Auen s Arch. Bd. 163 8. 458. 1916.
3) J. Kubo, Pflüger’s Arch. Bd. 114 S. 143. 1916.
4) J. he R. Leidler, Arb. neurol. Institut Wien Bd. 19 8. 155. 1911.
5) Barany, Reich u. Rothfeld, Neurol. Ztrbl. Bd. 31 S. 1139. 1912.
176 } A. de Kleijn und R. Magnus:
VI. Zusammenfassung.
1. Die von den Labyrinthen ausgelösten Reflexe lassen sich folgender-
maassen einteilen:
A. Reflexe, ausgelöst durch Bewegungen:
I. Drehreaktionen, ausgelöst durch Winkelbeschleunigungen:
a) auf den Hals: Kopfdrehreaktion und -nystagmus;
Kopfdrehnachreaktion und -nachnystag-
mus;
b) auf die Augen: Augendrehreaktion und -nystagmus;
Augendrehnachreaktion und -nach-
-nystagmus;
Il. Reaktionen auf Progressivbewegungen (werden in der vor-
liegenden Arbeit noch nicht mitberücksichtist). |
B. Reflexe der Lage:
I. Tonische Reflexe auf die Körpermuskeln:
a) auf die Extremitäten ;
b) auf Hals und Rumpf;
II. Labyrinthstellreflexe;
III. Kompensatorische Augenstellungen:
a) Vertikalabweichungen ;
b) Raddrehungen.
C. Kalorische Reaktionen (wahrscheinlich wesensgleich mit
den unter A.I. genannten Reflexen).
2. Nach einseitiger Labyrinthausschaltung und einseitiger Oktavus-
durchschneidung erfolgen:
a) Kopfdrehung und -wendung;
b) Rumpfdrehung;
c) Tonusverlust der gleichseitigen Extremitäten;
d) Veränderte Augenstellung (nebst Nystagmus);
e) sekundär durch die Kopfdrehung und -wendung ausgelöste
Halsreflexe.
3. Die Prüfungsmethoden für alle diese Reflexe werden angegeben.
4. Bei Katzen und Kaninchen gelingt die völlige Entfernung des
Kleinhirns samt den Kleinhirnkernen ohne Schwierigkeiten bis auf
einige kleine, manchmal nur mikroskopisch sichtbare Floceuluslamellen !)
dicht neben dem Oktavuseintritt, deren sichere Entfernung nicht leicht
möglich ist, sondern nur gelegentlich als Zufallsergebnis gelinst, deren
anatomische Verbindungen aber soweit dorsal verlaufen, dass sie,
wie die Untersuchung an Schnittserien ergab, bei richtig ausgeführter
Operation durchtrennt werden.
1) Nicht zu verwechseln mit dem von den früheren Autoren als Flocceulus
bezeichneten Lobulus petrosus.
Über die Unabhängigkeit der Labyrinthreflexe vom Kleinhirn usw. 177
5. Sämtliche oben angeführten Labyrinthreflexe !) und alle Folge-
- zustände der einseitigen Oktavusdurchschneidung sind nach völliger
Exstirpation des Kleinhirns einschliesslich der Kleinhirnkerne (die in
den entscheidenden Versuchen an Schnittserien sichergestellt wurde)
erhalten.
6. Die Zentren für die Labyrinthreflexe liegen im Hirnstamm.
Auch die Bahnen für diese Reflexe verlaufen nicht durch das Kleinhirn.
7. Im Hirnstamm sind die Zentren für die Labyrinthreflexe in drei
Gruppen angeordnet:
a) Hinter einem Querschnitt dicht vor dem Oktavuseintritt liegen
die Zentren für die Kopfdrehreaktionen, die tonischen Reflexe auf
die Körpermuskeln und die nach einseitiger Oktavusdurchschneidung
auftretende Kopfdrehung und -wendung, wahrscheinlich auch für den
nach einseitiger Oktavusdurchschneidung auftretenden Tonusverlust
der gleichseitigen Extremitäten (der bisher nur bei dezerebrierten
Tieren nach Abtrennung der Öorpora quadrigemina beobachtet wurde).
b) Zwischen dem Oktavuseintritt und den Augenmuskelkernen
liegen die Zentren für sämtliche Augendrehreaktionen, die kalorischen
Ausenreaktionen, die kompensatorischen Augenstellungen und die
Augenabweichung nach einseitiger Oktavusdurchschneidung. Nach
Abtrennung des Mittelhirns können Augendrehreaktionen noch durch
alleinige Vermittelung des Abduzens zustande kommen.
c) Im Mittelhirn liegen die Zentren für die Labyrinthstellreflexe
(zusammen mit den Zentren für die übrigen Stellreflexe).
8. Als Nebenbefund ergab sich:
a) dass nach teilweiser Zerstörung des hinteren Längsbündels
noch Kopfdrehreaktionen und tonische Labyrinthreflexe auf
die Extremitäten erhalten waren;
b) dass nach weitgehender Beschädigung der Vierhügel (Mittel-
hirndach) die Augendrehreaktionen, die kompensatorischen
Augenstellungen und die Augenabweichung nach einseitiger
Oktavusdurchschneidung vorhanden war;
c) dass der Bechterew’sche Kern für die tonischen Reflexe
auf die Extremitäten entbehrlich ist;
d) dass auch die Halsstellreflexe nach Kleinhirnexstirpation er-
halten sind.
9. Durch das Ergebnis dieser Versuche wird der noch ziemlich
verbreiteten Vorstellung, dass das Kleinhirn das Zentralorgan der
'Labyrinthe ist, die tatsächliche Grundlage entzogen.
1) Nur die Reaktionen auf Progressivbewegungen wurden in dieser
Arbeit noch nicht untersucht.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 12
178 A. de Kleijn und R. Magnus: Über die Unabhängigheit usw.
Erklärung der Bezeichnungen auf den Abbildungen.
Ag. S.—= Aquaeductus Sylvii. — br. c., br. conj.=Brachium conjunctivum,
oberer Kleinhirnstiel. — br. c.9.— Arm vom hinteren Vierhügel zum Corpus
geniculatum mediale. — br. pont.— Brachium pontis oder mittelster Klein-
hirnstiel. — c. q. p.= Corpus quadrigeminum posticum. — c. r., c. rest. —
Corpus restiforme oder unterer Kleinhirnstiel. — c. r. (a. ov.)— ovales Mark-
feld des Corpus restiforme. — c. r. (i. a. k.)=innere Abteilung des unteren
Kleinhirnstiels (Meynert’sinnere Abteilung des Kleinhirnstiels). — c.trap. —
Corpus trapezoides. — dec. br. conj. = Kreuzung der oberen Kleinhirnstiele. —
dec. Held —= Kreuzung der sekundären intermediären Oktavusbahnen (Held’-
sche Bahn). — dec. Mon. = Kreuzung der sekundären dorsalen Oktavus-
bahnen (Monakow’sche Bahn). — dec. trap. = Kreuzung der sekundären
ventralen Oktavusbahnen (Corpus trapezoides, Flechsig’sche Bahn). —
F. rei. lat.— Formatio reticularis lateralis tegmenti. — F‘. rei. med. — For-
matio reticularis medialis tegmenti. — f. cun. = Fasciculus cuneatus. —
f. gr. = Faseiculus gracilis. — f. !. p. = Fasciculus longitudinalis posterior. —
f. pr. = Fasciculus praedorsalis. — flocce.— Flocculus cerebelli. — g. intp. =
Ganglion interpedunculare. — 9. N. VII.— Genu Nervi facialis. — 1. centr.
— Lemniscus centralis. — I. lat. —= Lemniscus lateralis. — !. med. —= Lemniscus
medialis. — lob. ans. —= Lobulus ansatus cerebelli. — N. IV, N. VII, N. IX
= Nervus trochlearis, facialis, glossopharyngeus. — N. cochl. = Nervus coch-
learis. — N. vest.—= Nervus vestibularis.. — n. Be.—= Nucleus Bechterew.
— n. cun. = Nucleus fasciculi cuneati. — n. Deit— Nucleus Deiters. —
n. f. .= Nucleus funiculi lateralis. — n. gr. — Nucleus fascieuli gracilis. —
n. gu. = Nucleus gustatorius. — n. Gud—= Gudden’scher Kern. — n. int.
— Nucleus intercalatus. — n. d. 1. lat., n. v. I. lat. = Nucleus dorsalis, nucleus
ventralis lemnisci lateralis. — n. Mon. =Monakow’scher Kern. — n. N. IV.
— Nucleus Nervi trochlearis. — n. mot. N. V., n. sens. N. V. = Nucleus
motorius, nucleus sensibilis Nervi trigemini. —:n. N. VI= Nucleus Nervi
abducentis. — n. N VII.—= Nucleus Nervi facialis. — n. V. N. VIIL= Ven-
traler Oktavuskern. — n. N. X. — Nucleus nervi vagi. — n. N. XII. — Nucleus
Nervi hypoglossi. — n. ol. inf. = Kerne der Oliva inferior. — n. ol. sup. —
Kerne der Oliva superior. — n. tr. = Nucleus triangularis. — n. tr. lat.,
n. tr. med.—= Laterale und mediale Trapezoidkerne. — p. p.— Pes pedunculi.
— py.—= Pyramide. — r. N. IV. = Radix Nervi trochlearis. — r. mes. N.V.,
r. mot. N. V., r. sens. N. V = mesencephale, motorische, sensible Trigeminus-
wurzel. — r. N.VL, r. N. VIL, r. N. X., r. N. XIL. = Wurzeln des Abducens.
Facialis, Vagus und Hypoglossus. — s. nigra = Substantia nigra. — sir. ac.
— Stria acustica. — str. med. v. c. q. p. = Ventrales Markfeld des hinteren
Vierhügels. — str. fibr. sup. pont. — Oberflächliche Lage der transversalen
Brückenfasern. — tela ch., t. ch.— Tela chorioidea. — tub. ac. — Tuberculum
acusticum. — tr. 7. sp. — Tractus rubro-spinalis. — tr. sp. c. d., tr. sp. c. v.
— Dorsaler und ventraler tractus spino-cerebellaris. — tr. sp. N. V.—Spinaler
Trigeminusstrang. — ir. sp. th. = Tractus spinothalamicus. — tr. v. sp. —
Tractus vestibulo-spinalis. — tr. v. mes. = Tractus vestibulo-mesencephaliecus.
— v. IV.= Vierter Ventrikel.
+
Tonische Labyrinthreflexe auf die Augenmuskeln.
Von
A. de Kleijn und R. Magnus.
(Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.)
Mit 6 Textabbildungen.
(Eingegangen am 17. Juli 1919.)
Bekanntlich entsprechen jeder Stellung des Kopfes im Raume
bestimmte Steilungen beider Augen. In einer in diesem Archiv er-
schienenen Arbeit haben v. d. Hoeve und de Kleijn !) beim
Kaninchen die verschiedenen dauernden Augenstellungen bei ver-
schiedenen Stellungen des Kopfes im Raume vollständig untersucht.
Dabei stellte es sich heraus, dass seitliche Bewegungen des Auges
dabei keine gesetzmässige Rolle spielen. Dagegen treten sehr starke
Vertikalabweichungen auf, welche bei den Augen beider Körper-
seiten gegensinnig verlaufen. Die grösste Abweichung tritt ein,
wenn sich der Kopf in Seitenlage befindet, dann ist das obere Auge
maximal nach unten, das untere Auge maximal nach oben abgelenkt.
Ausserdem erfolgen bestimmte gesetzmässige Raddrehungen, welche
bei beiden Augen immer gleichsinnig verlaufen. Die maximalen
Raddrehungen treten ein, wenn der Kopf vertikal mit der Schnauze
nach oben oder unten im Raume sich befindet. Bei den Versuchen
von v. d. Hoeve und de Kleijn wurden Kaninchen in toto unter
Ausschluss der Halsbewegungen in verschiedene Lagen im Raume
gebracht und die dabei auftretenden dauernden Augenstellungen kine-
matographisch aufgenommen. Eine genaue Messung wurde dadurch
ermöglicht, dass auf den Photographien die Verschiebung einer auf
der Cornea eingebrannten Figur gegen ein festes mitphotographiertes
Koordinatensystem gemessen werden konnte. Die Ergebnisse wurden
für die Raddrehungen und für die Vertikalabweichungen besonders
in Kurvenform dargestellt, und zwar für drei aufeinander senkrecht
. stehende Drehungen des Kopfes im Raume um je ca. 360°.
Durch diese Messungen erfährt man natürlich nur die Abhängiskeit
der Stellung des Auges von den Labyrinthen. Für die Aufklärung
1) J.v.d. Hoeve und A. de Kleijn, Tonische Labyrinthreflexe auf
die Augen. Pflüger’s Archiv Bd. 169 S. 241. 1917.
° 198
180 A. de Kleijn und R. Magnus:
der Labyrinthfunktion ist es aber nötig, den Einfluss der Stellung
des Kopfes im Raume, das heisst den Einfluss der Labyrinthe auf
jeden einzelnen Augenmuskel zu kennen.
Da sich nun bei den verschiedenen Lagen des Kopfes im Raume
häufig Vertikal- und Rollbewesungen. kombinieren und sich dabei
die Insertionspunkte der Muskeln in zunächst unübersichtlicher Weise
verschieben, ist es a priori nicht selbstverständlich, dass, wenn der
Augapfel maximal nach oben oder unten verschoben ist, oder wenn
er maximal gerollt ist, dass dann auch die Augenmuskeln (die Reeti
und Obliqui) das Maximum ihrer Verkürzung erreicht haben.
Es muss daher noch untersucht werden, in welcher Lage des Kopfes
im Raume die einzelnen Augenmuskeln ihre maximale und minimale
Verkürzung erreichen. Erst dann kann die Abhängigkeit der tonischen
Labyrinthreflexe auf die Augenmuskeln von bestimmten Strukturen
des Vestibularorganes (Otolithen ?) erörtert werden.
Da durch die Untersuchung von v. d. Hoeve und de Kleijn
für jede Lage des Kopfes im Raume die zugehörige Augenstellung
genau festgestellt worden war, so ist weiter nichts nötig, als ein
geeignetes Augenmodell zu konstruieren, an diesem Modell den Aug-
apfel in die verschiedenen Stellungen zu bringen und nun die Länge
der sechs Augenmuskeln für jede einzelne Augenstellung genau’ zu
messen.
Die anatomische Anordnung der Augenmuskeln beim Kaninchen
ist kürzlich durch Wessely!) unter Beigabe einer Abbildung ge-
schildert worden. Es werden jedoch hier keine zahlenmässigen An-
gaben gemacht. Wir haben daher bei verschiedenen Kaninchen die
Lage der Augenmuskeln und ihre Länge genau bestimmt. Für die
Konstruktion des Augenmodelles wurden folgende Werte zugrunde-
gelegt.
Der Augapfel hat einen Durchmesser von 17,5 mm, der Hornhautrand
bildet einen Kreis mit einem Durchmesser von 14,5 mm, dieser Kreis liegt
etwa 4 mm hinter dem Hornhautscheitel. Die Linie, welche die Ursprungs-
stelle der geraden Augenmuskeln mit dem Hornhautscheitel verbindet,
bildet mit der Augenachse einen Winkel von 15°, der nach hinten offen ist.
Der Insertionsmittelpunkt des oberen und unteren geraden Augenmuskels
liest 3 mm hinter dem Hornhautrand. Der Insertionsmittelpunkt der
beiden seitlichen Augenmuskeln (Rectus externus und Rectus internus) liegt -
7 mm hinter dem Hornhautrand. Der Insertionsmittelpunkt des oberen
schrägen Augenmuskels liegt 5 mm hinter dem Hornhautrand und etwa
35 mm weiter occipitalwärts als der Insertionsmittelpunkt des Rectus
superior. Die Länge des obliquus superior beträgt etwa 15,5 mm von der
Trochlea bis zu seiner Insertion. Dieser Muskel bildet mit der Augenachse
einen Winkel von 62°. Der Obliquus inferior inseriert 4,5 mm hinter dem
Cornearande und 4 mm oceipitalwärts von der”Medianlinie; die Länge
1)K. Wessely, Über den Einfluss der Augenbewegungen auf den
Augendruck. Arch. f. Augenheilkunde Bd. 81 S. 111. 1916.
Tonische Labyrinthreflexe auf die Augenmuskeln. 181
dieses Muskels beträgt 19,5 mm, er bildet einen Winkel von 72° mit der
Augenachse.
Nach diesen Messungen wurde von dem Institutsmechaniker F. A.
C. Imhot das in beifolgender Abbildung (Abb. 1) wiedergegebene
Augenmodell vom rechten Auge des Kaninchens konstruiert !).
Der Augapfel wird durch eine Holzkugel dargestellt, diese ist drehbar
in einer Pfanne, welche am Ende eines horizontalen Stabes sitzt, der in der
Verbindungslinie des Ursprungs der geraden Augenmuskeln mit dem Augen-
mittelpunkt liegst und an ein vertikales Brett festgeschraubt ist. Parallel
damit ist auf der Fussplatte des Modells eine punktierte Linie gezeichnet,
die ausgezogene Linie auf der Fussplatte gibt die Lage der Augenachse
beim Normalstand des Auges wieder.
Die Augenmuskeln sind in dem Modell durch starke Fäden dargestellt.
Sie haben ihren festen Ansatzpunkt am Bulbus. Entsprechend ihren
Ursprungsstellen laufen sie durch Ösen und werden durch angehängte
Abb. 1.
@ewichte gespannt gehalten. Der Muskulus obliquus superior ist nur von
der Trochlea bis zum Bulbus dargestellt. Alle Augenmuskeln (Fäden) sind
in Viertel-Zentimeter geteilt, und zwar mit abwechselnden Farben, so dass
man die ganzen Zentimeter leicht ablesen kann. Die Länge der Fäden
lässt sich bei den verschiedenen Augenstellungen bis auf einen Millimeter
genau bestimmen (gleich !/; mm der Wirklichkeit).
Der Hornhautrand ist durch einen schwarzen Kreis wiedergegeben, der
eine Gradeinteiung von 10° besitzt. Ausserdem ist der senkrechte und wage-
rechte Hornhautmeridian aufgezeichnet und durch Striche von 3 mm
‚Abstand eingeteilt.
Vor der Hornhaut steht, fest mit der Grundplatte verbunden, ein
quadratischer Rahmen, in dem ein feines Kreuz gespannt ist.
Will man mit dem Modell arbeiten, so wird zunächst der horizontale
Hornhautmeridian horizontal eingestellt, darauf die Augenachse parallel
mit der schwarzen Linie auf der Grundplatte (Augenachse bei Normalstand)
gerichtet. Das Auge befindet sich nun in Normalstellung. Darauf wird
1) Dieses Modell kann von dem Institutsmechaniker bezogen werden.
12 A. de Kleijn und R. Magnus:
der Rahmen so eingestellt, dass das Kreuz sich mit den Hornhautmeridianen
deckt. Nunmehr wird für jede Stellung des Kopfes im Raume der Bulbus
nach den in der Arbeit von v. d. Hoeve und de Kleijn gegebenen
Kurven (Abb. 5 für die Raddrehungen, Abb. 8 für die Vertikalverschiebungen)
in die zugehörige Stellung gebracht. Auf Abb. 5 entspricht ein Teilstrich
einer Raddrehung von 10°, auf Abb. 3 ein Teilstrich einer Vertikalver-
schiebung um einen Teilstrich der Hornhautmeridiane des Modells. Darauf
wird die Länge der sechs Augenmuskeln abgelesen und in eine Tabelle
verzeichnet.
Im ganzen wurden in den Versuchen von v. d..Hoeve und de Kleijn
drei Drehungen ausgeführt.
Bei Drehung I liegt das Tier ursprünglich in Bauchlage mit hori-
zontaler Mundspalte. Die Drehung des Tieres erfolgt um die bitemporale
Achse, die Richtung der Drehung ist mit dem Kopf nach unten und mit
dem Schwanz nach oben. Nach Drehung um 90° befindet sich die Schnauze
unten, nach Drehung um 180° befindet sich der Kopf in Rückenlage, nach
Drehung um 270° befindet sich der Kopf mit der Schnauze nach oben,
nach Drehung um 360° befindet sich der Kopf wieder in der Normal-
stellung.
Drehung Il: Das Tier befindet sich anfangs in Bauchlage mit
horizontaler Mundspalte, die Drehung des Tieres erfolgt um die oceipido-
caudale Achse, die Richtung der Drehung ist: rechtes Auge nach unten.
Nach einer Drehung um 90° befindet sich der Kopf in rechter Seiten-
lage, nach einer Drehung um 180° in Rückenlage, nach einer Drehung
um 270° in linker Seitenlage, nach Drehung um 360° wieder in der Normal-
stellung.
Drehung III: Das Tier befindet sich anfangs in linker Seitenlage
mit dem rechten Auge nach oben, Mundspalte steht vertikal. Die Drehung:
erfolgt um die ventrodorsale Achse, die Richtung der Drehung ist mit der
Schnauze nach unten. Nach einer Drehung um 90° befindet sich das Tier
mit der Schnauze nach unten, nach einer Drehung um 180° befindet sich
der Kopf in rechter Seitenlage, nach einer Drehung um 270° befindet
sich der Kopf mit der Schnauze nach oben, nach einer Drehung um
360° befindet sich der Kopf wieder in linker Seitenlage mit vertikaler
Mundspalte.
Die Ergebnisse der Messungen sind in den nachfolgenden drei
Tabellen wiedergegeben worden, in denen die Länge der sechs Augen-
muskeln für jede der drei Drehungen in Abständen von 15° angegeben
ist. Die Zahlen geben die Längen der Augenmuskeln am Augenmodell
an; um die Länge der Augenmuskeln in Wirklichkeit zu bekommen,
müssen sie durch 5 dividiert werden. Die Zahlen für den Obliquus
superior geben den Abstand von der Trochlea bis zur Insertion des
Muskels am Augapfel wieder. Auf eine Wiedergabe dieser Messungen
in Kurvenform kann verzichtet werden, da dieselben noch einen Fehler
enthalten, der zunächst korrigiert werden muss.
Normalstand.
Obliguus Obligquus Rectus Rectus Rectus Rectus
superior inferior superior inferior externus internus
Normalstand: 6,75 9,3 12,3 11,8 8,6 11,8
Tonische Labyrinthreflexe auf die Augenmuskeln. 183
Tabelle I (rechtes Auge).
Drehung I. Ausgangsstellung: Bauchlage, Mundspalte horizontal. Drehung
um die bitemporale Achse. Drehungsrichtung: Kopf nach unten.
Drekun Obliquus | Obliquus| Rectus Rectus | Rectus BRectus
3 | superior | inferior | superior | inferior | externus | internus
k7.02 6,8 9,5 12,1 12,1 8,8 11,8
2— 15° 7,4 8,6 11,9 12,3 8,8 21,9
3—= 30° 8,0 8,0 11,7 12,5 8,8 11,8
4— 45° 9,2 6,9 11,8 12,6 9,0 uber
Se al 9,5 6,6. 11,8 12,6 9,0 11,8
6= 75° 10,2 5,7 11,6 13,0 9,3 11,6
u 1,90% 11,1 5,2 11,6 13,2 9,7 11,6
8—= 105° 11,1 5,2 11,6 13,2 SL 11,6
3 120% LM 5,2 11,6 13,2 9,7 11,6
10—= 135° 11,1 5,2 11,6 13,2 9,7 11,6
IN 1502 11,1 9,2 11,6 13,2 9,7 11,6
12 = 165° 10,9 5,3 11,4 13,2 9,5 11,6
13 — 180° 9,5 6,4 11,3 13,2 9,5 11,6
14—=195° 7,6 3,3 11,8 12,7 9,0 11,8
15 = 210° 5,4 11,0 13,0 11,3 9,0 11,7
16 — 225° 4,8 11,5 13,1 11,5 9,0 Sys
17 — 240° 4,6 11,8 13,2 11,3 8,8 11,9
18 — 255° 4,3 11,9 13,2 11,4 8,9 12,0
19 = 270° 4,3 11,8 13,0 11,5 8,8 12,0
20 — 285 4,3 11,8 13,0 - 11,5 8,8 12,0
21 = 300° 4,6 11,7 3,0 11,6 8,8 12,0
22—=315° 5,0 11,2 12,8 11,6 8,7 12,0
23 — 390° 5,4 10,8 12,7 11,6 8,7 12,0
24 — 345 6,0 10,3 12,6 11,8 8,8 11,8
25 — 360° 6,8 9,5 12,3 12,0 8,7, 11,8
Tabelle II (rechtes Auge).
Drehung Il. Ausgangsstellung: Bauchlage, Mundspalte horizontal. Drehung
um die oceipito-nasale Achse. Drehungsrichtung: Rechtes Auge nach unten.
Obliquus
Den Obliquus| Rectus Rectus | Rectus Rectus
% & superior | inferior | superior | inferior | externus | internus
l= 0° 6,3 9,7 12,3 11,8 8,6 11,8
2= 15° 7,0 9,3 12,75 11,4 8,6 11,8
3—= 830° 6,6 9,7 12,7 11,5 8,6 11,8
4— 45° 6,5 . 9,5 11,4 12,6 8,7 11,7
5— 60° 6,8 9,3 11,2 12,7 8,7 11,7
6= 75° 6,8 9,3 11,2 12,9 8,7 11,7
7—= %° 6,8 9,3 10,7 .13,2 88 11,8
8— 105° 6,9 9,2 10,9 13,0 8,7 EU
9—120° 1,9 8,8 10,7 13,3 89 11,7
10 = 135° zo 9,0 10,7 13,3 8,9 11,7
11=150° 7,3 8,9 10,6 13,3 8,9 AT
12 —= 165° 8,5 7,4 10,7 13,5 9,6 11,2
13 — 180° 9,3 6,7 10,8 13,6 9,8 11,1
14 — 195° 9,4 6,7 11,6 12,7 9,0 11,0
15 —= 210° 8,9 7,2 12,8 11,5 81 12,5
16 = 225° 8,3 7,8 13,1 11,2 81 12,5
17 — 240° 8,3 7,8 13,1 11,2 s,1 12,5
er
184 A. de Kleijn und R. Magnus:
Drehun.g | Obliquus | Obliquus | Rectus BRectus | Rectus BRectus
8 | superior | inferior | superior | inferior | externus | internus
18 = 255° 9,0 7,2 12,8 11,4 81 12,4
19 — 270° 8,9 7,4 12,8 11,3 81 12,4
20 — 285° 8,3 7,8 13,0 11,2 81 12,4
21=300° 8,0 81 12,8 11,3 8,3 12,3
22== 315° 7,3 9,3 13,3 10,8 8,7 11,7
23 — 330° al 9,3 13,0 11,2 8,6 11,7
24 — 345 ° 6,7 9,5 12,6 11,6 8,6 11,8
25 — 360° 6,7 9,5 12,3 8,7 1a
>
11,8
Tabelle III (rechtes Auge.
Drehung 11I. Ausgangsstellung: Linke Seitenlage, rechtes Auge oben.
Drehung um die dorso-ventrale Achse. Drehungsrichtung: Schnauze nach
unten.
Obliguus| Obligquus| Rectus Reetus Rectus Rectus
Drehung 5 ap : : - S
superior | inferior | superior | inferior | externus | internus
I=. MM 91 7,3 13,2 nl 82 12,5
2 150 9,6 6,8 13,0 11,3 8,1 12,5
3= 30° 10,1 6,2 12,8 11,5 8.1 12,5
4— 45° 10,6 9,9 12,5 11,8 8,3 12,5
5— 60° 10,8 9,9 12,3 12,1 8,6 12,5
6—= 75° 10,8 5,3 11,8 12,7 9,1 11,8
7— 0° 11,0 5,0 11,3 13,4 9,8 11,5
8—= 105 10,8 5,9 11,0 13,6 10,2 1a
— 120° 10,8 9,0 10,8 14,0 7.016 10,8
10 — 135° 10,0 6,3 10,5 14,1 10,6 10,8
11 = 150° 9,4 7,0 10,5 14,0 10,3 10,7
12 — 165° 8,6 7,7 10,4 14,0 10,1 10,8
3 — 180° 7,4 9,0 10,3 14,0 9,5 11,3
14 — 195° 5,6 10,3 11,5 12,7 8,6 12,0
15 —= 210° 4,6 113. 12,1 12,2 8,5 12,1
16 = 225° 4,3 11,7 12,0 12,2 8,3 12,3
17 — 240° 4,3 11,7 12,3 12,0 8,5 122
18 = 255 4,3 11,7 12,3 12,0 85 12,2
19 = 270° 4,5 11,8 12,9 11,6 8,8 11,9
230 = 285 4,7 11,6 13,1 11,3 9,0 11,8
21 = 300° 5,2 11,0 13,0 11,3 8,6 11,8
22 — 315° 6,1 10,2 13,1 11,2 9,0 11,7
23 — 330° 7,3 9,2 13,3 10,8 9,0 11,7
24 — 345° 85 81 13,4 10,8 8,7 11,9
35 —= 360° 9.0 1.6 13,3 11,0 8.4 12,2
=
Er
Die Notwendigkeit, an den gewonnenen Zahlen bestimmte Korrek-
turen anzubringen, ergibt sich aus folgendem: Wenn das Auge von
der Normalstellung ausgehend durch Kontraktion der schrägen Augen-
muskeln Raddrehungen ausführt ohne Vertikalverschiebungen, so
wird durch die Raddrehung des Augapfels der Ansatzpunkt der geraden
Ausenmuskeln am Bulbus verschoben und damit die Länge der geraden
Augenmuskeln passiv geändert. Wenn sich nun mit einer bestimmten
Raddrehung eine Vertikalverschiebung des Bulbus kombiniert, so
Tonische Labyrinthreflexe auf die Augenmuskeln. 185
erfolgt die Kontraktion der geraden Augenmuskeln nicht von der-
jenigen Länge aus, welche sie bei der Normalstellung des Bulbus haben,
sondern von der veränderten Länge aus, welche sie durch die Rad-
drehung (Kontraktion der schrägen Augenmuskeln) bekommen haben.
Wenn daher das Auge eine Raddrehungs ausgeführt hat, so müssen
die dabei gemessenen Längen der geraden Augenmuskeln korrigiert
werden um denjenigen Betrag, welcher der Länge der passiven Dehnung
oder Verkürzung durch die Raddrehung entspricht. Um diese Werte
am Modell festzustellen, wurde der Augapfel zunächst in Normal-
stellung gebracht, und dann derartige Raddrehungen ausgeführt, dass
‚sich die Länge des Obliquus superior von 4—11 cm schrittweise änderte.
Die dadurch ohne Vertikalverschiebung des Bulbus zustande gebrachten
Längeänderungen des Rectus superior und Rectus inferior wurden
gemessen und die Differenz mit der Länge dieser Muskeln bei Normal-
stellung des Bulbus in Tab. IV vereinigt. Diese Tabelle lehrt demnach,
um welche Beträge man die Längen des Rectus superior und des Rectus
inferior vermehren oder vermindern muss, wenn der Obliquus superior
durch Raddrehung wechselnde Längen angenommen hat.
Tabelle IV.
Korrektion des oberen und unteren geraden Augenmuskels bei verschiedenen
Raddrehungen des Auges.
Korrektion Korrektion
Obliquus superior für den Rectus für den Rectus
superior inferior
4,0 — it +0,9
4,5 — IE + 0,75
5,0 — 10 + 0,6
5,9 — 08 +0,
6,0 — 056 + 0,4
6,5 — 0,3 . +02
7,0 0 0
7,9 +0,1 — 0,2
8,0 + 0,2 — 0,4
8,5 + 0,35 — 0,65
9,0 + 0,5 — 0,9
9,5 + 0,65 —11
10,0 + 0,8 —13
10,5 + 0,9 — 1,4
11,0 +10 5
In genau derselben Weise müssen nun die Messungsergebnisse
für den Obliquus superior und inferior bei verschiedenen Vertikal-
abweichungen des Auges korrigiert werden. Wenn nämlich der
Bulbus ohne Raddrehungen Vertikalverschiebungen durch Kontraktion
des oberen und unteren geraden Muskels ausführt, so werden dadurch
die Ansatzpunkte der schrägen Augenmuskeln passiv verlagert und
136 A. de Kleijn und R. Magnus:
die Anfangslängen der schrägen Augenmuskeln dadurch geändert.
Die in Tab. V zusammengefassten Korrekturen wurden dadurch ge-
wonnen, dass ausgehend von der Normalstellung am Modell Vertikal-
verschiebungen des Bulbus ohne Raddrehungen ausgeführt wurden
und die zugehörigen Längen der schrägen Augenmuskeln gemessen
wurden.
Tabelle V.
Korrektion der Länge des Obliquus superior uud inferior bei Vertikal-
verschiebungen des Auges.
Korrektion Korrektion
Rectus superior für den Obliquus für den Obliguus
superior inferior
13,4 — 0,7 +02
13,0 — 0,4 + 0,2
12,5 — 0,1 02
12,0 Ar Ol 0
11,5 + 0,4 — 0,3
11,0 + 0,5 — 0,5
10,4 + 0,6 — 0,7
Auf Grund dieser Tabellen wurden nun die Messungsergebnisse
für den oberen und unteren geraden Augenmuskel und für die beiden
\ TUT
EAN OO IEN UNTERE TER TER TO 76 17 18 79 20.27 22 23 24 25,
0 1 30 4 60 75 90 105 120 135 750 165 180 195 270 225 ZUD 255 270 265 300 3175 330.345 360
Abb. 2. Obliquus superior (korrigiert).
schrägen Augenmuskeln korrigiert und die Ergebnisse dieser Korrektur
in Kurvenform dargestellt (Abb. 2—5). Eine Darstellung der Längen-
änderungen des Rectus internus und externus ist nicht nötig, weil,
wie v. d. Hoeve und de Kleijn gezeigt haben, bei Lageänderungen
des Kopfes im Raume keine gesetzmässigen seitlichen Verschiebungen
des Auges eintreten. |
Tonische Labyrinthreflexe auf die Augenmuskeln. ler
Die Kurven geben die korrigierten Längen der genannten vier
Augenmuskeln in Millimetern bei den drei von v. d. Hoeve
und de Kleijn ausgeführten Drehungen des Kopfes im Raume wieder.
Für den Obliquus superior ist nur der Abstand von der Trochlea zu
VB D BT OL EU URUR ER TEA ER) 0 17 18 19 20 217 22 23 24 25 5
0 75 30 4 60 75 30 105 120 135 750 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 375 330. 3%5 360
Abb. 3. Obliquus inferior (korrigiert).
seinem Ansatzpunkt am Bulbus wiedergegeben. Aus diesen Kurven
ergibt sich nun folgendes:
Die Kurven für den Obliquus superior (Abb. 2) stellen fast genau
das nv von denen für den Obliquus inferior bb 3) dar. Das
TE ol ENGEN O2 DEZONZINZZNEINZUNZE,
.0 7% 30 43 60 75 90 105 120 135 750 165 780 195 210 225 240 255 270 285 300315 330 345 360°
Abb. 4. Rectus inferior (korrigiert).
heisst, dass die beiden Muskeln als reine Antagonisten funktionieren,
und wenn der eine sich verlängert, der andere sich verkürzt, und um-
gekehrt.
Ebenso stellen die Kurven für den Rectus inferior (Abb. 4) fast
genau das Spiegelbild von denen für den Rectus superior (Abb. 5)
188 A. de Kleijn und R. Magnus:
dar, so dass auch diese beiden Muskeln bei den tonischen Labyrinth-
reflexen auf die Augen als reine Antagonisten funktionieren.
Vergleicht man die Kurven für die schrägen Augenmuskeln (Abb. 2
und 3) mit den Kurven, welche v. d. Hoeve und de Kleijn für die
Raddrehungen des Auges erhalten haben, so stellt sich heraus, dass
sie in den wesentlichen Punkten übereinstimmen. Vor allem ist die
Lage der Maxima und Minima nicht wesentlich verändert; die Rad-
drehungen des Auges und die Verkürzungen der schrägen Augen-
muskeln sind ungefähr am grössten, wenn der Kopf vertikal mit der
Schnauze entweder nach oben oder nach unten steht.
Ebenso stimmen die Kurven für die geraden Augenmuskeln (Abb. 4
und 5) mit den Kurven überein, welche v. d. Hoeve und de Kleijn
für die Vertikalverschiebungen des Auges gefunden haben. Nur für
Drehung III ergibt sich in Abb. 4 und 5 eine etwas spitzere Form
ENSIGN 20 ESSEN 1TNTENTGNZONZIINZZNEINZIIZ3,
0 130 4 60 75 30 105 120 135 750 165 180 195 210 225 240 255 270 285 300 315.330 345 360°
Abb. 5. Rectus superior (korrigiert).
. der Kurve als bei v. d. Hoeve und de Kleijn. Die Lage der Maxima
und Minima ist jedoch nicht wesentlich verändert. Das Maximum
der Kontraktion des oberen und unteren geraden Augenmuskels ist
ungefähr bei Seitenlage des Kopfes.
Vergleicht man nun die Kurven für die Obliqui mit denen für
die Recti, so ergibt sich folgendes: Bei Drehung I (—) reagieren die
Obliqui sehr stark, während die Recti fast gar keine Bewegungen
ausführen. Es kommt bei dieser Drehung also überwiegend zu Rad-
drehungen des Auges ohne Vertikalverschiebungen. Umgekehrt re-
agieren bei Drehung II (— — :— :) die Obliqui fast gar nicht, während
die Recti superior und inferior starke Bewegungen ausführen. Bei
dieser Drehung kommt es demnach überwiegend zu Vertikalverschie-
bungen des Auges ohne Raddrehung. Nur bei Drehung III (— — — --)
beteiligen sich sowohl die schrägen als auch die geraden (superior und
inferior) Muskeln an den tonischen Reflexen auf die Augen. Es ergibt
sich also, dass bei Drehung I die Labyrinthe fast ausschliesslich auf
’
Tonische Labyrinthreflexe auf die Augenmuskeln. 189
die Obliqui, bei Drehung II fast ausschliesslich auf Rectus superior
und inferior und bei Drehung III auf alle vier Augenmuskeln wirken.
Auf den genauen Verlauf der Kurven braucht an dieser Stelle
nicht eingegangen zu werden, das soll erst geschehen, wenn die Ab-
hängigkeit der tonischen Labyrinthreflexe auf die Augen von bestimmten
Labyrinthstrukturen und vor allen Dingen von den Otolithen erörtert
wird. Hingewiesen sei nur darauf, dass bei den schrägen Augenmuskeln
die Kurve für Drehung I einen asymmetrischen Verlauf hat, während
bei den geraden Augenmuskeln die Kurve für Drehung II asymmetrisch
ist. Auf die Bedeutung dieser Tatsache kann erst später eingegangen
werden.
Die Genauigkeit der Messungen ergibt sich durch den Vergleich
der korrespondierenden Punkte auf den verschiedenen Kurven. Bei
den drei verschiedenen Drehungen werden nämlich dieselben Lagen
_ des Kopfes im Raume auf verschiedenen Wegen erreicht. Aus den
Kurven ergibt sich, dass trotzdem die zugehörigen Längen der Augen-
muskeln überraschend gut übereinstimmen. So entsprechen sich zum
Beispiel auf allen vier Abbildungen folgende Punkte:
Normalstellung. Drehung I: Nr. 1 und 25, Drehung II: Nr. 1 und 25.
Rückenlage. Drehung I: Nr. 13, Drehung II: Nr. 13.
Linke Seitenlage. Drehung II: Nr. 19, Drehung III: Nr. I.
Rechte Seitenlage. Drehung II: Nr. 7, Drehung III: Nr. 13.
Schnauze oben. Drehung ]: Nr. 19, Drehung III: Nr. 19.
Schnauze unten. Drehung I: Nr. 7, Drehung III: Nr. 7.
In allen diesen Stellungen haben die vier gemessenen Augenmuskeln
fast genau die gleiche Länge.
%
Ergebnisse.
Fassen wir nunmehr die Ergebnisse dieser . Arbeit mit der von
v. d. Hoeve und de Kleijn zusammen, so lässt sich über die
tonischen Labyrinthreflexe auf die Augenmuskeln folgendes
aussagen.
I. Beim Kaninchen entspricht jeder Stellung des Kopfes im Raume
ein bestimmter Kontraktionszustand seiner Augenmuskeln und damit
eine bestimmte Augenstellung, welche solange andauert, als der Kopf
seine Stellung im Raume behält.
II. An diesen tonischen Labyrinthreflexen auf die Augen beteiligen
sich beim Kaninchen der Rectus externus und internus nicht in nennens-
‚wertem Grade. Im wesentlichen handelt es sich um die Wirkung
des Rectus superior und inferior, welche die Vertikalabweichungen
der Augen bedingen, und der beiden Obliqui, welche die Raddrehungen
veranlassen. Beide Recti verhalten sich hierbei als Antagonisten;
wenn der eine sich verkürzt, wird der andere verlängert. Ebenso
190 A. de Kleijn und R. Magnus:
verhalten sich die Obliqui als Antagonisten. Dagegen können sich
Längenänderungen der Recti mit denen der Obliqui in wechselndem
Grade kombinieren. Diese beiden Muskelgruppen funktionieren also
unabhängig voneinander (wenn auch natürlich zusammen abhängig
von den Labyrinthen). _
III. Wenn sich der Kopf vertikal mit der Schnauze nach oben
befindet, so sind die beiden Obliqui superiores (rechts und links) im
Zustande grösster Verkürzung, beide Obliqui inferiore im Zustande
grösster Länge. Beide Augen sind dann mit dem oberen Corneapol
nach vorne gerollt.
Wenn sich der Kopf vertikal mit der Schnauze nach unten be-
findet, so sind die beiden Obliqui superiores im Zustande grösster
Länge, beide Obliqui inferiores im Zustande grösster Verkürzung.
Beide Augen sind dann mit dem oberen Corneapol nach hinten
gerollt. |
Bei allen anderen Lagen des Kopfes im Raume nehmen die schrägen
Augenmuskeln Verkürzungssrade an, welche zwischen diesen Ex-
tremen liegen. Stets reagieren hierbei beide Augen mit gleichsinnigen
Rollungen. \
IV. Wenn sich der Kopt in linker Seitenlage befindet, so ist der
rechte Reetus inferior und der linke Rectus superior im Zustande
der grössten Verkürzung, der rechte Rectus superior und der linke
Rectus inferior im Zustande grösster Länge. Das rechte Auge ist
dann maximal nach unten, das linke Ause maximal nach oben ab-
gelenkt.
Wenn sich der Kopf in \ rechter Seitenlage befindet, so ist der linke
Rectus inferior und der rechte Rectus superior im Zustande der grössten
Verkürzung, der linke Rectus superior und der rechte Rectus inferior
im Zustande grösster Länge. Das rechte Auge ist dann maximal nach
oben, das linke Auge maximal nach unten abgelenkt.
Bei allen anderen Lagen des Kopfes im Raume nehmen die Recti
‚sup. und inf. Verkürzungssrade an, welche zwischen diesen Extremen
liegen. Stets reagieren beide Augen mit gegensinnigen Vertikal-
abweichungen. Der Rectus superior der einen und der Rectus inferior
der anderen Seite reagieren dabei gleichsinnig.
V. Befindet sich der Kopf anfangs in Normalstellung und wird
dann um die bitemporale Achse um 360° gedreht, so reagieren
dabei hauptsächlich die Obliqui, und die Augen führen (gleichsinnige)
Rollungen aus.
Befindet sich der Kopf anfangs in Normalstellung und wird dann
um die oceipitonasale Achse um 360° gedreht, so reagieren dabei
hauptsächlich die Recti sup. und inf., und die Augen führen (gegen-
sinnige) Vertikalabweichungen aus.
Tonische Labyrinthreflexe auf die Augenmuskeln. 191
Befindet sich der Kopf anfangs in Seitenlage und’ wird dann um
die ventrodorsale Achse um 360° gedreht, so reagieren beide Muskel-
eruppen und die Augenstellungen sind die Resultante von gleich-
sinnigen Rollungen und gegensinnigen Vertikalabweichungen.
VI. Nach einseitiger Labyrinthexstirpation bleiben die Rollungen
und Vertikalabweichungen beider Augen bestehen. Ein Labyrinth
wirkt auf die Obliqui beider Augen und die Rollungen gleich-
sinnig, auf die Recti (sup. und inf.) beider Augen und die Vertikal-
abweichungen gegensinnig.
Ein Labyrinth ruft an beiden Augen die grösste Vertikalabweichung
von der Normalstellung
hervor, wenn es sich bei
Seitenlage des Kopfes % R
unten befindet. Dann Zabyrırth Labyrinth
ist der Rectus sup. der N
gleichen und der Rectus a
inf. der gekreuzten Seite | ;
im Zustande grösster E x
Veakürzung. Rect et OD | 5 D Aect ext 7
Ein Labyrinth ruft erles
NO Oele "
A . I@®) Obl. nf
|
an beiden Augen die L, et
grösste Rollung durch 061. sup. Or a
Kontraktion der beiden 061. inf ee,
Obliqui inferiores her-
vor, wenn der Kopf
sich vertikal mit der VB
Schnauze nach unten be- Rect. sup.
findet. Umgekehrt ruft _ Aecrt nf
ein Labyrinth an bei-
den Augen die grösste feat D D Reck ınt
Rollung durch Kontrak- | 2a, Abb. 6.
tion beider Obliqui su- \
periores hervor, wenn der Kopf sich vertikal mit der Schnauze nach
oben befindet. Das Ausmaass der Rollungen ist beim Vorhanden-
sein nur eines Labyrinthes etwa halb so gross, als wenn beide
Labyrinthe intakt sind.
VIl. Es gelingt, die Stellungsänderungen der Augen beim normalen
Tiere zurückzuführen auf die Summe der Einflüsse, welche vom rechten
und linken Labyrinthe auf die Reeti sup. und inf. und die Obliqui
sup. und inf. beider Augen ausgeübt werden.
VIII. Nach doppelseitiger Labyrinthexstirpation hören alle hier
beschriebenen tonischen Reflexe auf die Augen auf.
IX. Die zentralen Bahnen, welche beim Kaninchen zur Erklärung
Rech. Sup.
Rech. nf \IZ
192 A. de Kleijn und R. Magnus: Tonische Labyrinthreflexe usw.
des geschilderten Verhaltens der tonischen Labyrinthreflexe auf die
Augen (nicht der Drehreaktionen und der kalorischen Reaktionen)
mindestens vorhanden sein müssen, sind auf Abb. 6 schematisch
dargestellt. Die ausgezogenen Linien stellen die Bahnen für die Recti
sup. und inf., die punktierten Linien die für die Obliqui dar. Jeder
der vier Obliqui wird von beiden Labyrinthen, jeder der beiden Recti
(sup. und inf.) von nur einem Labyrinth beeinflusst. Ein Labyrinth
wirkt auf alle vier Obliqui, dagegen nur auf den Reetus sup. der gleichen
und auf den Rectus inf. der gekreuzten Seite. Der Internus und Externus
werden bei den tonischen Labyrinthreflexen nicht wesentlich in
Tätigkeit gesetzt.
Chemische Reizung und chemische Kontraktur
des quergestreiften Muskels. |
Von
Dr. Josef Wilmers.
(Aus dem Institut für animalische Physiologie zu Frankfurt a. M.)
Mit 14 Textabbildungen.
(Zingegangen am 8. August 1919.)
A. Einleitung.
Die Fiek’sche!) Theorie der Muskelkontraktion, nach welcher auf
jeden Reiz hin zunächst eine Verkürzungssubstanz gebildet wird, deren
Zerstörung oder anderweitige Fortschaffung die Erschlaffung ermög-
licht, hat in neuerer Zeit wieder grössere Bedeutung gewonnen. Im
besonderen weisen die Untersuchungen von Hill?) über die Wärme-
tönung des Muskels während der Kontraktion darauf hin, dass auf
den Reiz eine kontrakturerzeugende Substanz gebildet wird, von der
man annehmen kann, dass sie auf einem Spaltungsprozess beruht,
.da die zugehörige Wärmetönung auch bei Abwesenheit von Sauerstoff
auftritt. Am Ende der Kontraktion und dieselbe überdauernd tritt
bei Gegenwart von Sauerstoff eine zweite Wärmemense in Erscheinung,
die bei Abwesenheit von Sauerstoff fehlt. Da bei Abwesenheit von
Sauerstoff der Erschlaffungsprozess von Reizung zu Reizung geringer
wird, und da es schliessiich zu einer Kontraktur kommt, so wurde
dies dahin gedeutet, dass die kontrakturerregende an den kontraktilen
Elementen direkt angreifende Verkürzungssubstanz beim sauerstoff-
haltigen Muskel normalerweise durch einen Oxydationsprozess unter
starker Wärmetönung zerstört wird.
Auch andere Autoren (Parnas°), Bethe ?), Pauly°), Schwen-
ker ®) usw.) haben neuerdings wieder die Fiek’sche Theorie zur Er-
klärung der Muskelphänomene herangezogen.
Eine Anzahl von Autoren hat bereits über die Art der Verkürzungs-
substanz bestimmte Ansichten entwickelt. Meistenteils wird hierfür
1) Myothermische Untersuchungen S. 31. Wiesbaden 1831.
2) Ergebnisse der Physiologie Bd. 15. 1916.
3) Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 488.
4) Pflüger’s Arch. Bd. 142 S. 291.
5) Kolloidchemie der Muskelkontraktion. Leipzig 1912.
6) Pflüger’s Arch. Bd. 157 S. 371. "
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 13
®
194 Josef Wilmers
die Milchsäure in Anspruch genommen (Ranke!), Winterstein 2),
Fletscher °) u. a.). In eine neue Phase ist das Problem durch die
Arbeiten aus dem Embden’schen Institut getreten, in denen Embden
und seine Mitarbeiter ?) zeigen, dass im Muskel eine besondere Substanz
vorhanden ist, das Lactacidogen (Hexosediphosphorsäure), welche
offenbar bei der Muskelkontraktion in Milchsäure und Phosphorsäure
gespalten wird.
Da Säuren, wie zuerst Kühne?) und nach ihm viele andere ®)
gezeigt haben, Kontrakturen am Muskel hervorrufen, und da anderer-
seits Säuren eine Quellung von Eiweisskörpern bewirken, so wurde
mehrfach, besonders in neuerer Zeit von Pauly’) die Annahme ge-
macht, dass die auf den Reiz durch Spaltung gebildete Säure auf
dem Wege einer physikalischen Quellung die Kontraktur bewirkt.
Eine Oxydation bzw. eine Fortschaffung der Säure durch Diffusion
oder aber auch eine Synthetisierung der Säure zu nicht saueren Sub-
stanzen sollte nach dieser Vorstellung die Erschlaffung herbeiführen.
Diese Vorstellung erscheint, wenn man mit ihr das experimentelle
Material über kontrakturerzeugende Substanzen zusammenhält und be-
sonders die ausführliche Arbeit von Schwenker®) berücksichtigt, viel
zu speziell, und es ergeben sich in quantitativer Beziehung mancherlei
Einwände. Es zeigte sich nämlich aus einer grossen Reihe von Unter-
suchungen, dass nicht nur Säuren Kontrakturen zu erregen vermögen,
sondern auch Alkalien ?), manche Salze, viele organische Lösungs-
mittel, wie zum Beispiel Alkohol und Chloroform 10) und noch andere’
Substanzen. Da auch manche von diesen Substanzen im Stoffwechsel
des Muskels gebildet werden könnten, so liegt eine Reihe von Möglich-
keiten für die kontrakturerregende Substanz vor. Welche Substanz
— die Richtigkeit der ganzen Vorstellung vorausgesetzt — die Kon-
traktion der kontraktilen Teilchen bei der normalen Funktion bewirkt,
lässt sich also nicht ohne weiteres sagen.
Bevor man aber die Annahme machen darf, dass wirklich zwischen
Reiz und mechanischem Vorgang ein chemischer Vorgang eingeschaltet
1) Tetanus, eine physiolog. Studie Leipzig 1865.
2) Pflüger’s Arch. Bd. 120 S. 225.
3) Journal of Physiologie Bd. 135 S. 247.
4) Untersuchungen über Lactacidogen. Sonderdruck aus Zeitschr. f.
physiol. Chemie Bd. 93. 1914.
5) Archiv für Anatomie und Physiologie. 1859. S. 213.
6) Burridge Journ. of Physiol. Bd. 42 p. 359. — Dale and Mines Journ.
of Physiol. Bd. 42 p. 29. — Kopyloff, Pflüger’s Arch. Bd. 152 S, 219. —
Schwenker,a. a. O.
7) Kolloidchemie der Muskelkontraktion. Leipzig 1912.
8) Pflüger’s Arch. Bd. 157 8. 371.
9 Klingenbiehl, Dissertation. Halle 1887.
10) Kemp u. Waller, Journ. of Physiol. Bd. 37 S. 69.
”
Chemische Reizung u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 195
ist, welcher seinerseits durch einen physikalischen Prozess die Ver-
kürzung bedingt, muss der Nachweis geführt werden, dass künstlich
dem Muskel zugeführte kontrakturerregende Substanzen wirklich auf
die kontraktilen Elemente unmittelbar einwirken und nicht etwa auf
dem Umweg über einen Erregungsprozess die Kontraktur bewirken.
In letzterem Fall würde es sich eben nicht um eine unmittelbare Kon-
traktur handeln, und die zugeführte Substanz würde lediglich die
Eigenschaft eines chemischen Reizes besitzen. Es war daher Auf-
gabe dieser Arbeit, zu untersuchen, ob es Substanzen gibt,
welche ohne Erregung zu einer vamulnallanen Verkürzung
der Muskelelemente führen.
Von allen echten Erregungen darf angenommen werden,
dass sie sich beim normalen Muskel in der Längsrichtung
des Muskels fortpflanzen, wenn der Reiz den Muskel nur
an einer Stelle trifft. Man darf dies jedenfalls immer dann an-
nehmen, wenn der Erregungsprozess nicht mit einem sehr starken
Dekrement verbunden ist. Wenn daher chemische Substanzen, die
nur mit einem Teil des Muskels in direkte Berührung kommen, den
Muskel in seiner ganzen Länge in Kontraktion versetzen, so ist an-
zunehmen, dass sie an dem eintauchenden Teil einen wirklichen Er-
regungsprozess herbeigeführt haben. Wenn aber nur der eintauchende
Teil sich verkürzt, so wird man annehmen dürfen, dass der Kontrak-
tionsprozess ohne Erregung durch direkte Einwirkung der chemischen
Substanzen auf die kontraktilen Teilchen zustande gekommen ist.
Mit Hilfe dieser Methode, die bisher zur Entscheidung der vorliegenden
Frage nicht in Anwendung gebracht ist, habe ich eine Anzahl Sub-
stanzen untersucht. Es stellte sich heraus, dass es chemische Sub-
stanzen gibt, welche in dem einen wie in dem anderen Sinne wirk-
sam sind.
Schon äusserlich an ihrem Erfolg am Muskel kann man die über-
haupt wirksamen Substanzen in drei Gruppen teilen, welche sich auch
hinsichtlich ihres Einwirkungsortes voneinander unterscheiden:
1. Substanzen, welche fibrilläre Zuckungen bewirken !);
2. Substanzen, welche eine glatte Dauerkontraktion (meist rever-
sibler Natur) bewirken;
3. solche Substanzen, bei denen Dauerkontraktionen mit auf-
gesetzten fibrillären Zuckungen zustande kommen ?).
Eine vierte Wirkungsart, die Erzeugung von einmaligen Zuckungen
beim Eintauchen, besonders nach vorheriger Anlegung eines Quer-
1) Biedermann, Wiener akademische Berichte Bd. 83 Abtlg. 3 S. 257.
— Ringer, Journ. of Physiol. t. 7 p. 291. — Löb, Festschrift für Fick,
. 8. 99. Braunschweig 1889. — Loeb, Pflüger’s Arch. Bd. 91 S. 248.
2) Carlslaw, Arch. f. Anatomie u. Physiol. S. 429. 1887.
13 *
196 - Josef Wilmers:
schnittes, welche zuerst von Kühne!) beschrieben worden ist, können
wir ausser acht lassen, da es sich hierbei, wie Hering ?) gezeigt hat,
offenbar um Erregung durch Schliessung des Längs- Querschnitts-
stromes handelt. Auf die von Loeb °) beschriebene Kontaktirritabilität
(Zuekungen, welche auftreten bei Wiederherausnahme nach kurzem
Eintauchen in Calcium-fällende Natriumsalzlösungen) sei der Voll-
ständigkeit halber nur hingewiesen.
Die Dauerverkürzungen können, wie man von vornherein sagen
kann, verschiedener Herkunft sein, entweder tetanoider Natur — und
so wurden sie durchgehend von Kühne und vielen neueren Forschern #).
gedeutet — oder sie können in oben angedeutetem Sinne auf einer
direkten Einwirkung auf die kontraktilen Teilchen beruhen. Diese
letztere Ansicht ist besonders von Burridge°) und Schwenker ’)
vertreten worden. Eine besondere Stellung zu der Frage nimmt
Schenck ”) in bezug auf die Ammoniakverkürzung ein. Er führt den
Nachweis, dass die Kontraktionen nicht tetanischer Natur sind, haupt-
sächlich aus dem Grunde, weil der Verkürzungsprozess sich nicht
auf die Teile des Muskels überträgt, welche vom Ammoniak nicht
getroffen werden. Trotzdem glaubt er, dass die Ammoniakverkürzung
„wie die natürliche Kontraktion durch einen im Muskel sich abspielen-
den chemischen Prozess mit Kraftumsatz bewirkt wird, weil sonst
nicht die durch sie mögliche Arbeitsleistung erklärlich wäre‘. Dieser
Einwand gegen eine direkte Einwirkung der Substanz auf die kon-
traktilen Elemente ohne Zwischenschaltung eines chemischen Aus-
lösungsprozesses, den er offenbar im Auge hat, wird für diejenigen
kaum grösseres Gewicht besitzen, welche nicht die Kontraktion, sondern
die Erschlaffung des Muskels als die eigentlich aktive Phase ansehen.
Auch Hofmann) meint, dass alle verkürzenden Substanzen einen
Reiz auf den Muskel ausüben, obwohl er bereits (ähnlich wie Schenck)
die Beobachtung gemacht hat, dass sich unter Einwirkung von Chloro-
form und Äther nur die Faserteile zusammenziehen, welche in direkte
Berührung mit diesen Substanzen kommen.
B. Versuchsmaterial und Methodik.
Als Versuchsobjekt dienten die Sartorien uncurarisierter Frösche.
Es wurde orösstenteils Rana temporaria benutzt, nur für die Ein-
1) Arch. f. Anatomie u. Physiol. 1859. S. 213,
2) Wiener akademische Berichte Bd. 79 Abtlg. 3 8. 7.
3) American Journ. of Physiol. Bd. 5 S. 363.
4) Ranke, Tetanus, eine physiol. Studie Leipzig 1865. — Klingbiehl,
Dissertation Halle 1887. Fletcher, Herlitzka.
5) Journ. of Physiol. Bd. 42 S. 359.
6) Pflüger’s Arch. Bd. 157 S. 371.
7) Pflüger’s Arch. Bd. 61 S. 494.
8) Zentralblatt für Physiol. Bd. 23 S. 299. — Ebenda Bd. 27 S. 316.
Chemische Reizung u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 197
wirkung von Dämpfen mussten wegen Mangels an Temporarien Escu-
lenten genommen werden. Als Untersuchungsflüssigkeiten dienten iso-
tonische Lösungen der betreffenden Agentien; wo es notwendig war,
wurden die Stammlösungen mit Ringer-Lösung (ohne Natrium-
bicarbonatzusatz) verdünnt. _
Das Prinzip der Versuchsanordnung bestand darin, die aus-
geschnittenen Sartorien in ihrer Mitte zu befestigen und die Be-
wegungen der beiden Hälften, von
denen die untere dem Einfluss
chemischer Substanzen ausgesetzt
werden konnte, gesondert durch
einen Doppelhebel aufzuschreiben.
Der Sartorius wurde sorgfältig
präpariert und an einem Sehnen-
ende mit einem dünnen Seiden-
faden S (siehe Abb. 1) durch-
zogen. Der Muskel M wurde dann
in seiner Mitte auf dem Korken K
mittels zweier Nadeln N am Rande
vorsichtig aufgesteckt. Der Kork
K ist an einem Glasstabe P be-
festigt, der mit seinem oberen
Ende mit einem Messinsklotz O
in Zusammenhang steht. Sein
unteres Ende ist umgebogen und
trägt eine Elfenbeinrolle R, die
dureh einen Platinstift als Achse
mit dem Glasstab verbunden ist.
Der Messinsklotz lässt sich durch
einen Stab D an einem Stativ ver-
schiebbar befestigen. Ausserdem
trägt er oben und unten je einen
Zapfen Z,undZ,. An jedem dieser
Zapfen ist ein leichter Hebel A,
und A, mit Strohhalm und Schreibspitze versehen, verschiebbar an-
gebracht, der um O, bzw. O, als Achse drehbar ist. Der untere
Hebel H, war bei den meisten Versuchen durch ein kleines Gewicht
etwas entlastet, um auch geringe fibrilläre Zuckungen aufzeichnen zu
können. Von dem in seiner Mitte festgesteckten Muskel aus wird der
am unteren Ende befindliche Seidenfaden über die Rolle R geführt
und an dem Hebel H, befestigt. Durch das obere Ende des Muskels
wird ein Kupferdraht (oder Platindraht) B gezogen, der an dem oberen
Hebel H, eingehakt wird.
198 Josef Wilmers:
Bewegungen des oberen Zipfels wurden auf diese Weise nur auf
den,oberen Hebel H,, solche des unteren Zipfels nur auf den Hebel
H, übertragen und auf einer berussten Trommel aufgeschrieben. Die
ganze Vorrichtung konnte in ein Gefäss eingetaucht werden, das zu-
nächst mit Ringer-Lösung gefüllt war; durch drei,Hähne war diese
leicht durch die in einem Reservoir befindliche Untersuchungsflüssig-
keit zu ersetzen [siehe die bei Kopyloff beschriebene Versuchsanord-
nung?)]. Diese wurde nun soweit in das Untersuchungsgefäss herein-
gelassen, dass der untere Zipfel bis 1 mm unterhalb des Korkens ein-
getaucht war. Dann wurde beobachtet,
welche Veränderungen neben denen im
unteren Zipfel im oberen vor sich gingen.
Um einwandfreie Resultate zu erzielen,
musste natürlich festgestellt werden, ob die
Befestigungsstelle für Erregungen durch-
gängig ist. Zu diesem Zweck liegt der
Muskel dieht oberhalb der Anheftungs-
stelle auf einem Metalldraht F, der der
Vorderfläche des Korkens K entlang ge-
führt ist und durch den Draht E, mit der
sekundären Rolle eines Induktionsapparates
in Verbindung steht. Geschlossen war der-
Stromkreis durch den Draht E,, den Stab D,
den Messingklotz O, den Zapfen Z,, den
‘Hebel H,, den Kupferdraht B und den
oberen Muskelzipfel. Vor Beginn der che-
mischen Einwirkung wurde der maximale
Reiz ausprobiert und festgestellt, ob auch
der untere Zipfel kräftige Zuckungen aus-
führte. Dann wurde der Untersuchungs-
flüssigkeit der Zufluss gestattet, der untere
Zipfel in der oben angegebenen Weise ein-
getaucht, die Bewegungen der Hebel beobachtet. Nach einiger Zeit
wurde die Flüssigkeit durch Ringer-Lösung ersetzt, um die Re-
versibilität eventuell eingetretener Veränderungen zu prüfen.
Um die Wirkung dampfförmiger Stoffe auf den geteilten Muskel
zu untersuchen, wurde die in Abb. 2 abgebildete Versuchsanordnung
benutzt. Ein etwa 4 cm langes, 1 cm weites Glasrohr G wird oben
und unten durch Korken verschlossen. Der untere Kork K, ist geteilt,
beide Hälften sind schwach ausgehöhlt, so dass der Korken in zu-
sammengesetztem Zustande derartig durchbohrt ist, dass er eben den
Sartorius aufnehmen kann. Der Muskel wird so in den Korken hinein-
1) Pflüger’s Archiv Bd. 152 S. 219.
Chemische Reizung u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 199
gebracht, dass eine Hälfte nach unten übersteht. Er wird mit einer
Nadel am Korken befestigt (falls die Klemmung ihn nicht genügend
festhält) und eventuell noch vorhandene Lücken mit Kochsalzton
abgedichtet. Am oberen und unteren Muskelende wird je ein Kupfer-
draht B, und B, befestigt, die zu den Hebeln H, und H, führen. Durch
ein Gewicht G, am kurzen Hebelarm des unteren Hebels wurde der
untere Muskelzipfel leicht gespannt. Der obere Kork hat ein Loch
zum Durchtritt des oberen Kupferdrahtes B,. Die Hebel sind an
einer Metallstange D verschiebbar befestigt, welche selbst an einem
Stativ angebracht werden kann. Die elektrische Reizung geschieht
mit Hilfe von Nadelelektroden, welche parallel dicht am Korken an
den unteren Muskelzipfel angelest werden. Die Bewegungen der beiden
Muskelhälften werden sc gesondert durch den Hebel H, und H, auf
einer berussten Trommel aufgezeichnet. Die zu untersuchenden Dämpfe
wurden aus einer Mariotte’schen Flasche, welche die zu verdampfende
Flüssigkeit enthielt, an den Muskel geblasen. Vor und während des
Versuches muss der Muskel durch Befeuchtung mit Ringer-Lösung
gegen Austrocknen geschützt werden.
C. Versuche.
I. Substanzen, welche fibrilläre Zuckungen erzeugen.
Zur Erzeugung von fibrillären Zuckungen konnten nur solche
Substanzen Anwendung finden, welche den Muskel zu kräftigen
Kontraktionen veranlassen (es handelte sich hier ausschliesslich um
isotorische Lösungen von Natriumsalzen). Vor aliem für den unteren
Hebel der Abb. 1 ist im anderen Fall die Kraft der kleinen Zuckungen
zu gering, um auf die Tromme! aufgeschrieben zu werden, obwohl
dieser durch ein Gewicht entlastet war.
Die kräftigsten fibrillären oder ‚partiellen“ Zuckungen bewirkten
eine isotonische Natriumoxalatlösung. Die Zuckungen folgten
ausserordentlich schnell aufeinander. Der Muskel wurde in der oben.
angegebenen Weise im Versuchsapparat befestigt, ganz in Ringer-
Lösung getaucht, der maximale Öffnungsreiz ausprobiert \Schliessungs-
reize wurden abgeblendet) und dann der Zufluss für die isotonische
Natriumoxalatlösung soweit gestattet, dass der untere Muskelzipfel
bis 1 mm unterhalb des Korkens eingetaucht war.
Sofort nach dem Eintauchen (X in: Abb. 3) des unteren Teiles
setzten sowohl unten wie oben in dichtester Folge stürmische fibrilläre
Zuckungen ein, die einander an Zahl und Stärke annähernd ent-
sprachen (siehe Abb. 3). Unten tritt unmittelbar nach dem Eintauchen
eine mässige Fusspunktserhöhung auf, die steil ansteigend unter starken
Zuekungen langsam wieder zur Abszisse abfällt. Diese Erscheinung
dürfte als tetanische anzusprechen sein. Bald nach dem Eintauchen
200 Josef Wilmers:
zeigt sich die Zuckungshöhe auf Ötfnungsreize besonders im unteren
Teil erhöht; unmittelbar auf künstliche Reize folgen verstärkte fibrilläre
Zuckungen. Mit zunehmender Einwirkungsdauer nehmen die Zuckungen
besonders unten an Höhe ab. Wird nun auch der obere Muskelzipfel
eingetaucht (X,), so treten oben wieder stärkere Zuckungen auf unter
einer Fusspunktser-
höhung, welche der
beim Eintauchendes
unteren Teiles ent-
spricht. Auch unten
werden die Zuekun-
sen wieder lebhaf-
ter, erreichen jedoch
bei weitem nicht die
BiRES Höhe der oberen,
lıh, M u‘ Pr was man als Ermü-
LE ALL aut clungserscheinungen
RE Be cleuten könnte. Öff-
a Be nungszuckungen
sind nunmehrin bei-
den Teilen deutlich
herabgesetzt.
Natriumphos-
phatgemische
(Mischung vom pri-
mären und sekun-
dären Natriumphos-
phat) wurden in !/,o
molekularen saue-
ren, basischen und
neutralen Gemischen
). IE ERBEN DER. zur Erzeugung ven
Abb. 8. X — Eintauchen ın 1ısotomische Na-Oxalat- 1 11: E
Lösung (unterer Muskelzipfel), X, — Eintauchen des fibrillären Zuckun-
ganzen Muskels, Ö — maximale Öffnungsreize. gen verwandt. Das
hbasische Gemisch
(5 Teile sekundäres + 2 Teile primäres Natriumphosphat, Ca =
197623) ist wirksamer wie das sauere (4 Teile sekundäres + 6 Teile
primäres Natriumphosphat Cy = 107%) und das neutrale (6 Teile
sekundäres + 4 Teile primäres Natriumphosphat Op = 107697).
Nach dem Eintauchen des unteren Muskelzipfels wurden sowohl
im unteren als auch im oberen Teile der Kurve kleine fibrilläre Zuekungen
aufgeschrieben, die einander in Stellung vollkommen entsprechen ;
auch an Grösse sind sie im wesentlichen gleich oder proportional.
y
li
Anl
. Chemische Reizung; u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 201
Bald nach dem Eintauchen und bei gehäuften Zuckungen treten in
beiden Teilen Fusspunktserhöhungen ein — unten meistens höher —,
(8 Teile sekundäres + 2 Teile
— maximale Offnungsreize.
fels in Na-Phosphatgemisch
1%
ı = Eintauchen des ganzen Muskels, O
=
Eintauchen des unteren Muskelzi
primäres Na-Phosphat),
Abb. 4. X
die bald wieder zur Abszisse absinken (siehe Abb. 4 a), sie sind augen-
scheinlich tetanischer Natur !).
1) Siehe auch Schenck: Pflüger’s Arch. Bd. 61 S. 496.
2023 Josef Wilmers:
Nach längerem Verweilen des unteren Zipfels in der Lösung hört
der Muskel mit Zuckungen auf. Diese beginnen jedoch in beiden Teilen
sofort wieder von neuem, wenn der ganze Muskel eingetaucht wird,
wobei ebenfalls tetanische Fusspunktserhöhungen in beiden Teilen
sichtbar sind (siehe Abb. 4b).
Sind die fibrillären Zuekungen matt geworden oder ganz ver-
schwunden, so treten sie im Anschluss an einen einmaligen
elektrischen Reiz (noch deutlicher wie bei der Natriumoxalatlösung)
sofort wieder von neuem und sehr lebhaft ein. Dies ist sowohl
der Fall, wenn der untere Zipfel eingetaucht ist, als auch, wenn der
ganze Muskel sich in der Flüssigkeit befindet. Die auf den Reiz ein-
tretende Zuckung zeigt gleich nach dem Kurvenabfall oder noch
während des Abstieges der Muskelkurve einen neuen Anstieg, der
langsam mit vielen aufgesetzten Zuckungen zum Abfall kommt (siehe
Abb. 4c). Dieses Wiederaufflackern der fibrillären Zuekungen ist
bereits von Ackerlund!) nach Einwirkung von Phosphatlösungen,
und von Blumenthal?) nach anderen Substanzen beschrieben worden.
II. Substanzen, welche eine Dauerkontraktion bewirken.
a) Substanzen in Lösungen.
Einleitende Versuche über die Einwirkung kontrakturerregender
Lösungen auf Teile des ausgeschnittenen Sartorius von Rana tem-
poraria wurden in der Weise angestellt, dass der Muskel stufenweise
in die betreffende Flüssigkeit eingetaucht wurde. Der Sartorius wurde
zu diesem Zwecke, und zwar mit seinem oberen Ende nur mit einem
Hebel in Verbindung gebracht, während das andere Ende in geeigneter
Weise fixiert wurde. Neben dem Muskel war eine Skala angebracht.
Die etwa 3—-3,5 em langen Sartorien wurden in einer 1/,go-N-Nalz-
säurelösung, welche durch Verdünnung einer !/,„-N-Salzsäurelösung
mit Ringer-Lösung hergestellt wurde, in der Weise eingetaucht, dass
zunächst 5 mm, dann 1 cm, dann 2 cm und endlich der ganze Muskel
eingetaucht wurde.
Beim Eintauchen des ersten Muskelstückes erfolgt ein Anstieg in
etwa ein Drittel der maximalen Zuekungshöhe mit dem charakteristi-
schen Säurebuckel [siehe Kopyloff°)]. Es wird abgewartet, bis die _
Kurve wieder parallel der Abszisse läuft oder etwas abfällt. Beim
Eintauchen des zweiten und dritten Stückes erfolgt
wiederum ein ruckweise weiterer Anstieg, der nur beim
Eintauchen des ganzen Muskels ausbleibt, weil sich der Muskel durch
1) Arch. fir Anatomie und Physiol. S. 279. 1891.
2) Pflüger's Arch. Bd. 62 S. 513.
3) Kopyloff, Pflüger’s Arch. Bd. 153 S. 226.
Chemische Reizung u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 203
die Kontraktur bis auf ein winziges Stück schon ganz in die Lösung
hineingezogen hat. Schon dieser Versuch zeigt mit grosser Wahr-
scheinlichkeit, dass sich nur der Teil des Sartorius kontrahiert, welcher
mit der Flüssigkeit in Berührung ist.
Nach diesen einleitenden Versuchen wurde die in Abb. 1 abgebildete
Versuchsanordnung benutzt. Zunächst wurde die Wirkung von Salz-
säure untersucht, welche in Konzentrationen von */,oo "/aoo Und
1/,. N nach Schwenker!) gut reversible Kontrakturen ungefähr von
der Höhe maximaler Zuckungen mit Anfangsbuckel hervorruft. Der
Muskel wurde in der oben |
beschriebenen Weise am
Versuchsapparat befestigt.
Nach dem Eintauchen
des unteren Zipfels
folgte je nach der Stärke
der Lösungeine steile Kon-
traktur des eingetauch-
ten Muskelteilese mit
nachfolgendem Abfall und
Wiederanstieg. Der obere
Muskelteil und desha!b auch
der obere Hebel behiel-
ten ihren Fusspunkt im
wesentlichen bei. Die elek-
trische Erregbarkeit war
oben in. unveränderter Höhe
erhalten, unten waren die
Zuckungen veıringert und
superponiert (Abb. 5). Bei z an
: .3. X = Eintauchen des unteren Muskel-
den ersten Versuchen zeigte „intels in 0,01%oige Normal-HOl, Ö — masi-
sich allerdings auchim oberen male Öffnungsreize.
Teil der Kurve manchmal
bei Eintritt der Verkürzung unten eine sehr geringe Erhebung,
welche nach einigen Sekunden wieder sanz zum alten Fusspunkt
absank. Es liess sich aber zeigen, dass die Erscheinung ihren Grund
in einer mechanischen Mitbewegung des oberen Teiles durch den
unteren hatte. Der Muskel ist, wie erwähnt, um gröbere mechanische
Schädigungen zu vermeiden, am äusseren und inneren Rande mit je
einer Nadel aufgesteckt. Die in der Mitte laufenden Fasern des unteren
Muskelteiles können also sehr leicht auf den oberen Teil eine Wirkung
ausüben. Wurde aber der Muskel mit drei Nadeln (zwei seitlichen
1) Pflüger’s Arch. Bd. 157 8. 371.
204 Josef Wilmers:
und einer mittleren) befestigt, so blieb die Fusspunktserhöhung
der oberen Kurve regelmässig ganz aus.
Versuche mit curaresierten Muskeln ergaben keine Verschiedenheit
gegenüber den beim gesunden gefundenen Resultaten. Ebenso war es
gleichgültig, ob als unterer Muskelteil derjenige genommen wurde,
welcher die Nerveneintrittsstelle enthält, welche beim Sartorius im
unteren Drittel an der Innenseite gut sichtbar ist, oder umgekehrt.
Versuche über die Einwirkung von Alkalien wurden mit Natron-
lauge, Ammoniak und Anilin ausgeführt. Natronlauge wurde
in 1/00 und t/,„.N-Lösung verwandt. Die Lösungen wurden aus einer
1/0" N-Lösung durch Verdünnunse, mit Ringer-Lösung hergestellt.
Auch diese Versuche lieferten durchaus eindeutige Resultate. Beim
Eintauchen des unteren Muskelteiles setzte hier eine Verkürzung ein,
weiche eine für die Laugen charakteristische Kurve ergab: steiler
Anstieg, steiler Abfall fast bis zur Abszisse, dann langsamerer Wieder-
anstieg. Der obere Muskelteil bleibt in Ruhe.
Verdünntere Lösungen von Laugen bewirken ausser der Kontraktur
fibrilläre Zuckungen [wie schon Biedermann!) gezeigt hat], welche,
wie im vorstehenden Kapitel erwiesen ist, auch auf den nicht ein-
setauchten Muskelteil übertragen werden müssten. Die Zuckungen
waren aber in der Regel zu schwach, um auf die Hebel übertragen
zu werden. In einigen Kurven sind tretzdem auch oben und unten
sich entsprechende kleinste Zuckungen oder Wellen in der Kurve
sichtbar.
Nach dem Eintauchen des unteren Muskelteiles wurde bei mehreren
Versuchen abgewartet, -bis sich die Kontraktur in diesem Teile voll-
ständig ausgebildet hatte, und dann wurde auch der obere Teil ein-
getaucht. Es trat dann oben eine entsprechende Verkürzung auf,
während unten sich keine neue Veränderung zeigte. |
Die Wirkung von Ammoniaklösungen weisen wegen der Flüchtig-
keit von Ammoniak gegenüber den bisher untersuchten verkürzungs-
erregenden Agenzien eine Verschiedenheit auf. Die Versuche wurden
erösstenteils mit einer !/,„-N-Lösung in Ringer ausgeführt; !/,oo-N-
Lösung ergab nur geringe Kontrakturen. Beim Eintauchen des unteren
Muskelteils in eine !/,„-Ammoniaklösung erfolgte unten sofort
eine Dauerkontraktur (Abb. 6). Die Kurve steist erst steil und
dann langsamer an. Aber auch im oberen Teile der Kurve macht
sich nach etwa 10 Sekunden ein langsames, kontinuierliches Ansteigen
über den Fusspunkt bemerkbar (durch den oberen Muskelteil und
nicht, wie Kontrollversuche zeigten, durch mechanische Mitbewegung
bedingt). Die naheliegende Vermutung, dass es sich um eine Wirkung
1) Wiener akademische Berichte Bd. 83 Abtlg. 3 S. 257.
Chemische Reizung u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 205
der Ammoniakdämpfe, die aus der Lösung entweichen, auf den oberen
Teil des Muskels handeln könnte, wurde durch folgenden Versuch
bestätigt: Der Muskel wurde nicht in die Lösung eingetaucht, sondern
nur dicht oberhalb des Flüssigkeitsspiegels in der gewöhnlichen Ver-
suchsanordnung befestigt, es trat im unteren Teil eine ziemlich starke,
im oberen eine geringere Kontraktur ein, die nur durch Einwirkung
der Ammoniakdämpfe, die ihrer Schwere wegen stärker auf den unteren
Muskelteil einwirken, erklärbar ist.
Eine weitere Besonderheit wies der Erfolg der elektrischen Reizung
besonders am eingetauchten Muskelteil auf. Der stark kontrahierte
untere Muskel-
zipfel zeigt nach
jedem Öffnungs-
Reiz enseh.. der
Zuckung eine
langsame Kon-
traktion, ähn -
lich der Veratrin-
zuckung (Abk. 6).
Beimoberen Muskel-
teil ist die Erschei-
nung weniger deut-
lich; wird aber auch
dieser eingetaucht,
so ist auch dort
die Erscheinung in
voller Deutlichkeit
vorhanden. Bei
a NE
Phillipssohn ) Au Abb. 6. X = Eintauchen des unteren Muskelzipfels
dieses Phänomen in 0,02 Normal-Ammoniak in Ringer, Ö = maxi-
I}
r
|
f
Fe
j
|
L
schon nach Milch- male Offnungsreize.
säureeinwirkung be-
schrieben. — Im übrigen sind die Zuckungen auf elektrischen Reiz
oben unverändert, unten verringert und superponiert (siehe Abb. 6).
Die Wirkung von Ammoniak wurde ausserdem noch in später "be-
schriebenen Versuchen in Dampfform untersucht.
Anilin macht in 0,2 und 0,1-N-Lösungen in Ringer schöne reversible
Kontrakturen. Daneben bringt es aber auch die Erregbarkeit schnell
zum Schwinden ; schwache Lösungen besitzen nur die letztere Eigen-
schaft. Zwecks Herstellung wurde reines Anilin mit Ringer-Lösung
ausgeschüttelt, die entstandene Lösung filtriert und mit Ringer ent-
1) L’action des Acides et des Alcalis sur la Contraction des muscles.
Bul. soc. r. science. med. Anat. Brüssel 1912.
206 Josef Wilmers:
sprechend verdünnt. Wird der untere Muskelteil in eine 0,2-N-Lösung
eingetaucht, so entwickelt sich in dem eingetauchten Stück allmählich
eine Kontraktur von über Zuckungshöhe. ‚Die elektrische Erregbarkeit
ist lange, bevor die Kontraktur ihren Höhepunkt erreicht hat, ver-
schwunden! Der obere, nicht eingetauchte Teil zeigt keine deutliche
Fusspunktserhöhung, dagegen aber eine zunehmende Herabsetzung
der Zuckungshöhe (siehe Abb. 7). Wie beim Ammoniak konnte durch
einen Muskel, der nur unter der Wirkung von Anilindämpfen stand,
nachgewiesen werden, dass die Herabsetzung der Zuckungshöhe im
oberen Teile der Kurve auf
einer Wirkung der aus der
Lösung entweichenden Anilin-
dämpfe zurückzuführen war.
Wird, nachdem die Kon-
traktur unten eine konstante .
Höhe erreicht hat, auch der
obere Muskelzipfel eingetaucht,
so entwickelt sich hier eine ent-
sprechende Kontraktur, wäh-
rend der untere seinen Fuss-
punkt beibehielt (Abb. 7, X,).
Nach Kemp und Waller!)
machen Alkohole gut rever-
sible Kontrakturen, haben da-
‚neben aber eine stark narko-
tische Wirkung, indem sie die
Zuckungshöhe schnell herab-
Abb. 7. X, — Eintauchen des unteren setzen. In sehr verdünnten
Muskelzipfels in 0,2 Normal-Anilin in Lösungen macht sich nur die
ee Te De narkotische Wirkung geltend.
reize. Die Wirksamkeit nimmt von
den niederen Alkoholen zu den
höheren zu. Beachtenswert ist für unsere Versuche die Flüchtigkeit
der niedrigeren Alkohole (Methylalkohol, Äthylalkohol und Propyl-
alkohol), die wie bei Ammoniak und Anilin das obere Muskelstück
beeinflusst. Die Lösungen wurden aus 100%iger Lösung durch Ver-
dünnung mit Ringer hergestellt.
Der Methylalkohol, der schlechteste Kontrakturerreger, bewirkte
in 25 %,iger Lösung in Ringer beim Eintauchen des unteren Muskelteiles
nur einen geringen Anstieg der unteren Kurve etwa in einem Drittel
der Zuekungshöhe mit schneller Abnahme derselben bis zur Unerreg-
1) Journal of Physiologie Bd. 37 S. 69.
Chemische Reizung u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 207
barkeit. Eine Wirkung der Methylalkoholdämpfe machte sich in einer
mässigen Herabsetzung der Zuckungshöhe des oberen Muskelteiles
geltend, eine Kontraktur aber tritt dort nicht ein. Wird, nachdem
‚die Kontraktur unten konstant geworden ist, der ganze Muskel ein-
getaucht, so tritt oben die entsprechende Kontraktur ein, unten bleibt
die Kurve unverändert.
Die Wirkung des Äthylalkohols wurde in 10, 20 und 30 % iger
Lösung in Ringer geprüft. Wird nur das untere Muskelstück ein-
getaucht, so tritt unten eine mässige Kontraktur mit unregel-
mässig buckliger Kurve auf,
der obere Teil weist keiner-
Abb.8. X — Eintauchen des unteren Abb. 9. X — Betupfen
Muskelzipfels in 6%oigen Propylalko- des unteren Muskel-
hol in Ringer, Ö = maximale Öft- zipfels mit Hautsekret
nungsreize. von R. Esculenta.
lei Veränderungen auch nicht der Erregbarkeitauf. Unten finden
nach jedem Reiz einige Nachzuckungen statt.
Propylalkohol in 3- und 6% igen Lösungen ruft starke, steil
ansteigende Kontrakturen weit über Zuckungshöhe im unteren
Teil hervor. Die Wirkung der Dämpfe macht sich jedoch auch
oben durch langsamen Anstieg der Kurve über den Fusspunkt nach
einigen Minuten bemerkbar (siehe Abb. 8). Die Zuckungen auf Reiz
sind hier anfangs vergrössert!
-Amylalkohol wurde in 2% igen Lösungen benutzt. Wenn nur
der untere Teil des Muskels eingetaucht wird, tritt dort eine starke
Verkürzung ein, die oben vollkommen ausbleibt.
208 Josef Wilmers:
Endlich wurden hoch Versuche mit Menschengalle und Haut-
sekret von Rana esculenta unternommen. Letzteres wurde durch
einen Pinsel von der Froschhaut abgenommen und das untere Muskel-
‚stück damit betupft. Die Resultate, welche mit den beiden Substanzen
erhalten wurden, waren durchaus einwandfrei. Die oberen Kurven
zeigten nicht die geringsten Fusspunktserhöhungen, wäh-
rend ‘unten starke Kontraktur eintrat. Hier war die Erreg-
‚barkeit auf elektrischen Reiz in vollem Umfange erhalten (siehe Abb. 9).
b) Substanzen in Dampfform.
Die Wirkung dampfförmiger Kontrakturerreger auf einen Teil des
Sartorius wurde mit Hilfe des in Abb. 2 abgebildeten und dort be-
schriebenen Apparates untersucht. Wie oben schon erwähnt ist, ist
der untere über den Korken K, frei überstehende Muskelzipfel gegen
den oberen in der Glas-
röhre G befindlichen Teil
durch Kochsalzton fest
abgedichtet, so dass eine
Einwirkung der Gase
auf ihn nicht stattfinden
kann. Nachdem der mit
Ringer-Lösung gut be-
feuchtete Muskel in dem
Apparat befestigt ist,
wird zunächst mit Hilfe
von Nadelelektroden die
maximale Zuckungshöhe
bestimmt und dann aus
einer Mariotte’schen
Flasche die Dämpfe an
' den Muskel geblasen. Zu
den Versuchen mussten
Abb. 10. X — Anblasen des unteren Muskel- meistens wegen Mangels
zipfels mit Chloroformdämpfen, 0 — maximale an Temporarien Escu-
Offnungsreize, 8—=Schliessungsreize. Der untere
Hebel schreibt nach unten. lenten genommen wer-
den, welche, wenigstens
mit Säuren, weit geringere Kontrakturen ergeben wie die Tempo-
rarıen [siehe Kopyloff!)l. Quantitativ war die Konzentration der
an den Muskel geblasenen Dämpfe, die mit Luft vermischt waren,
nicht zu bestimmen.
Chloroformdämpfe bewirken nach Kühne?) bei ganz kurzer
1) Pflüger’s Arch. Bd. 153 S. 226.
2) Untersuchungen aus dem Heidelberger physiol. Inst. Bd. 4.
Chemische Reizung u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 209
Einwirkungszeit eine Verkürzung, die bald zurückgeht, bei längerer eine
starke Kontraktur, die in Totenstarre übergeht, also nicht reversibel ist.
Bei dem in Abb. 10 dargestellten
Versuch wurde der Muskel längere Zeit
mit diesen Dämpfen angeblasen. Es
bildet sich dementsprechend bei dem
unteren Teile des Sartorius eine
Kontraktur aus, welche mit all-
mählichem Verlust der Erregbarkeit in
Starre übergeht. Der obere Teil
zeigt in diesem und allen anderen
Versuchen keinerlei Veränderung
‚des Fusspunktes und nur geringe der
elektrischen Erregbarkeit.
Mit Ätherdampf wurde nicht
immer eine Kontraktur erzielt, in den
Fällen aber, in welchen diese eintrat,
blieb sie ausschliesslich auf den unteren
Zipfel beschränkt, der obere zeigte weder
eine Fusspunktserhöhung, noch eine
deutliche Abnahme der elektrischen Er-
regbarkeit (siehe Abb. 11).
Endlich wurde die schon in Lösung
untersuchte Wirkung von Ammoniak
noch in Dampfform festgestellt.
Auch hier kann von einer Wirkung auf ’
den oberen Muskelzipfel nicht die a a er.
Rede sein, es tritt dort keine Ver- dämpfen.
änderung des Fusspunktes ein, hin-
gegen am unteren Zipfel eine langsam ansteigende, aber deutliche
Kontraktur (siehe Abb. 12).
Kohlensäure und Schwefelwasserstoff wirkten nicht verkürzend.
III. Substanzen, welche eine Dauerkontraktur mit aufgesetzten
fibrillären Zuckungen bewirken.
Endlich wurden in der angegebenen Weise Substanzen untersucht,
welche Dauerkontrakturen mit aufgesetzten fibrillären Zuckungen be-
wirken. Nach den eindeutigen Resultaten der vorstehenden Versuche
wird man von vornherein vermuten müssen, dass die Dauerkontraktur
sich nur im eingetauchten Teile entwickeln wird, während fibrilläre
Zuckungen in beiden Muskelzipfeln auftreten werden.
ZehnfacheRinger-Lösung ergab neben kräftigen fib-
rillären Zuckungen eine Dauerkontraktur. Obwohl schon Bieder-
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 14
210 Josef Wilmers:
mann!) und Carlslaw?) erwähnen, dass Kochsalzlösungen über 2%
keine fibrillären Zuckungen bewirken, sondern nur eine Kontraktur, so
rief doch in unseren Versuchen das Eintauchen des ganzen Muskels in
zehnfache Ringer-Lösung (6% NaCl) starke Zuckungen neben einer
dauernden Verkürzung hervor. Da die erregende Wirkung des NaCl
in der Ringer-Lösung nach Loeb °) durch Kalium- und Calcium-
Abb. 12. X — Anblasen des unteren Muskelzipfels mit Ammoniakdämpfen,
S = Schliessungsreize, Ö — maximale Öffnungsreize.
ionen aufgehoben wird, so wird man vermuten müssen, dass hier eine
rein osmotische Reizung vorliegt.
Beim Eintauchen des unteren Muskelzipfels in zehnfache Ringer-
' Lösung kamen im unteren und im oberen Teil des Muskels Zuckungen
zustande, die von kleinsten bis zu solehen von halber maximaler
1) Wiener akademische Berichte Bd. 82 Abtlg. 3 S. 257.
2) Arch. für Anatomie und Physiologie. 1887. S. 429.
3) Festschrift-für Fick S. 99. Braunschweig 1889,
Chemische Reizung u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 211
Zuckungshöhe variierten. Aus den Kurven ist deutlich zu ersehen,
dass die einzelnen Zuckungen oben und unten einander entsprechen.
Daneben trat beim unteren Muskelzipfel die oben erwähnte Kontraktur
auf; die Kurve steigt langsam kontinuierlich bis zu Zuckungshöhe an.
Oben treten nur vorübergehende Fusspunktserhöhungen ein. Manch-
mal macht sich beim Eintauchen des unteren Teiles in beiden Hälften
eine Fusspunktserhöhung bemerkbar, deren Kurve einen welligen Ver-
lauf zeigt und oben bald zur Ab-
szisse zurückkehrt, unten aber
weiter fortschreitet. Derartige Fuss-
punktserhöhungen finden sich im
oberen Teile auch bei gehäuften
Zuckungen. Die Kurve kehrt aber
immer wieder zur Abszisse zu-
rück. Es wird sich hier um eine
tetanische Muskelkontraktion han-
deln.
"Verschiedenheiten weisen die
Zuckungshöhen der beiden Kurven
auf. Unten ist sie relativ ge-
ringer. Dort bildet sich nämlich
bald eine Kontraktur aus; in
Analogie mit den superponierten
Zuckungen bei elektrischen Reizen
reiner Dauerkontrakturen sind auch
hier die Zuckungen superponiert
und dem Kontrakturzustande des
Muskels entsprechend von geringe- 1 RR
ver Höhe. Abb. 13. X = Eintauchen des unte-
‚Die Zuckungen werden mit ren Muskelzipfels in Natriumcitrat-
zunehmender _Binwirkungsdauer BinEer au; dı 5 Biatsuchen de
immer seltener, treten jedoch in nungsreize.
schönster Weise wieder hervor,
wenn auch der obere Muskelzipfel eingetaucht wird, wobei natür-
lich auch dort die Kontraktur auftritt.
Gleiche Erscheinungen, wie die zehnfache Ringer-Lösung, zeigte
eine isotonische Natriumcitratlösung, welche zu gleichen Teilen
mit Ringer verdünnt war. Sofort nach dem Eintauchen des unteren
Zipfels entwickelt sich in diesem eine starke Kontraktur, deren
Kurve aufgesetzte fibrilläre Zuckungen zeigt (Abb. 13). Die Zuckungen
zeigen sich in entsprechender Zahl und Stellung auch oben, die Kon-
traktur fehlt dagegen vollkommen, eine vorübergehende geringe Fuss-
14*
22: Josef Wilmers:
punktserhöhung, die bald wieder zur Abszisse absinkt, ist augen-
scheinlich tetanischer Natur. Die Zuckungshöhe ist unten der Aus-
bildung der Kontraktur entsprechend kleiner. Wird, nachdem
die Kontraktur unten voll ausgebildet ist, der ganze Muskel
eingetaucht, so bildet sich auch im oberen Zipfel eine Kon-
traktur mit aufgesetzten Zuckungen aus (siehe Abb. 13).
Natriumsul-
fat in isotoni-
scher Lösung be-
wirkt ebenfalls
sehr starke fib-
rilläre Zuckungen
(Abb. 14), die
analog den vor-
stehenden Ver-
0 "ua! suchen auch nur
beim Eintauchen
des unteren Zip-
fels in beiden
Teilen der Kurve
sich vollständig
entsprechend auf-
treten; eine Be-
A sonderheit bilden
| 1 die hohen tetani-
a EN Be schen Anstiege
ER ER EEE sowohlderoberen
Ua en Wi on wie auch der un-
teren Kurve, die
dem Augenblick
Abb. 14. X— Eintauchen des unteren Muskelzipfels in‘ :
isotonische Na-Sulfat-Lösung, X, — Eintauchen des des Eintauchens
ganzen Muskels, Ö = maximale Öffnungsreize. unmittelbar fol-
gen. Die Kurve
des eingetauchten Zipfels fällt jedoch nicht ganz zur Abszisse ab, es
bleibt ein kleiner Verkürzungsrückstand bestehen, den man
wohl als geringe Kontraktur auffassen muss. Oben tritt die
gleiche Erscheinung auf, wenn der ganze Muskel eingetaucht wird.
Im Anschluss an elektrische Reize zeigt sich wiederum, wie beim
Natriumphosphatgemisch, die dort beschriebene Verstärkung der
Zuckungen mit verlangsamter Erschlaffung des Muskels (siehe
Abb. 14).
Chemische Reizung u. chemische Kontraktur des quergestreiften Muskels. 213
D. Zusammenfassung.
1. Beim partiellen Eintauchen eines Muskelteils in Lösungen, welche
fibrilläre Zuckungen erzeugen (isotonische Natriumoxalatlösung, Na-
triumphosphatgemisch), zeigte auch der nicht eintauchende Teil die
Zuckungen in deutlichster Weise. Tetanoide Fusspunktserhöhungen
übertrugen sich ebenfalls auf den nicht eintauchenden Teil.
2. Lösungen resp. Dämpfe, welche glatte Kontrakturen
ohne aufgesetzte fibrilläre Zuckungen bewirken, üben ihren Ein-
fluss nur auf den eintauchenden Teil des Muskels aus
(Säuren, Laugen, Alkohole, Chloroform, Froschsekret und Galle).
3. Eine Anzahl von Substanzen bewirken neben fibrillären Zuckungen
Kontrakturen, welche sich analog 2 nicht auf den nicht eintauchenden
Teil übertragen (zehnfache Ringer-Lösung, Natriumeitratlösung und
Natriumsulfatlösung).
Hieraus wird geschlossen, dass diejenigen Substanzen, welche
fibrilläre Zuekungen und bei schneller Folge derselben Fusspunkts-
erhöhungen in beiden Muskelteilen erzeugen, einen richtigen
Erregungsvorgang im Muskel hervorrufen, während die
Substanzen, welche eine glatte Dauerkontraktur erzeugen,
ohne Zwischenschaltung eines Erregungsvorganges un-
mittelbar auf die kontraktilen Elemente ihre Wirkung
entfalten.
Zum Schluss möchte ich Herrn Professor Bethe für die An-
regung zu der Arbeit und für die vielfache Unterstützung bei ihrer
Ausführung und Niederschrift meinen herzlichsten Dank aussprechen.
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte.
Erster Teil:
ß-imidazolyläthylamin als mächtiger Erreger der Magendrüsen.
Von
Prof. Dr. L. Popielski.
(Aus dem Institut für experimentelle Pharmakologie der Universität Lemberg.)
(Eingegangen am 13. August 1919.)
ß-Imidazolyläthylamin (ß-i) ist ein basischer Körper und wurde
synthetisch von Windaus und Vogt!) erhalten. Ackermann hat
es aus Histidin durch die Einwirkung der Bakterien bekommen. Durch
die Abspaltung von CO, aus Histidin entsteht B-i; nach Ackermann?)
ist diese Abspaltung ein anaerober Fäulnisprozes. Das Molekular-
gewicht von ß-! ist 111 bei einem N-Gehalt von 37,8% ; Schmelzpunkt
239—240°C. In physiologischer Hinsicht wurde ß-i bisher hauptsächlich
von Dale und Laidlow3), Bargerund Dale®), Dale und Laidlow?),
zum Teil auch von Modrakowski®) untersucht. Dale und seine Mit-
arbeiter haben bewiesen, dass ß-ibei Hunden, Katzen, Affen und Hühnern
in Dosen von ca. 0,2 mg auf je 1 kg Körpergewicht den Blutdruck
rapid herabsetzt. Beim Kaninchen hebt ß-i den Blutdruck nach vor
einer Stunde erfclster subkutaner Einführung von 3,75 g Urethan.
Bei Hunden steigt der Blutdruck in der Lungenschlagader infolge der
Verengung von Blutgefässen der Lungen. ß-i ruft ferner Spasmus der
Bronchienhervor, wie dieshauptsächlich bei Meerschweinchen und Kanin-
chen beobachtet wurde. Dale und seine Mitarbeiter schenkten spezielle
Aufmerksamkeit der Kontraktion der Gebärmutter, welche durch .ß-i
hervorgerufen wird. Diese Kontraktion tritt sowohl bei isolierter
Gebärmutter, wie auch in situ auf. Diese Wirkung betrachten jene
1) Berichte d. deutsch. chem. Ges. Bd. XL S. 3691. 1907.
2) Zeitschr. f. phys. Chemie Bd. 65 S. 504. 1911.
3) H. H. Dale und P. P. Laidlow. The physiological action of $-i.
Journal of Physiology vol. XLI p. 318—344. 1911.
4) G. Barger und H. H. Dale, £-i, a depressor constituent of intesti-
nal mucosa. Journ. of Physiol. vol. XLI p. 499—503.
5) H.H. Dale and P. P. Laidlew, Further observations on the action
of ß-i. Journ. of Physiol. vol. XLIII p. 182—195. 1911.
6) G.Modrakowski, Über die Grunderscheinungen des anphylactischen
Schocks. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 69 S. 67—78. 1902.
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. I. 315
Forscher als sehr charakteristisch für ß-i, obwohl es von derart aut
die Gebärmutter wirkenden Körpern viele gibt, was eben nur eine
grosse Empfindlichkeit: der Gebärmutter gegen äussere Reize beweist.
ß-i verstärkt die Peristaltik der Gedärme, doch tritt diese Wirkung
beim isolierten Darme viel stärker zutage.
Die Harnblase kontrahiert sich; nur nach Einführung der ersten
0,25 mg wird bei der Katze eine schwache Relaxation erhalten. Die
Kontraktion der Harnblase ist nach der ganz richtigen Meinung der
Forscher ein Ausdruck der Rückenmark-Anämie, welche durch die
rapide Blutdruckerniedrigung verursacht wird. Die Speichelsekretion
nimmt zu. Dies wird durch peripherische Wirkung von ß-i bedingt
und durch Atropin aufgehoben. Die Pankreassaft-Sekretion wird ver-
stärkt, dauert ca. 10 Minuten urd wird durch Atropin aufgehoben.
In den Harn geht ß-i nach subkutaner Einführung nicht über, was
den Forschern dadurch bewiesen erscheint, dass der Harn keinen Ein-
fluss auf die isolierte Gebärmutter eines Meerschweinchens ausübt.
Doch gibt der Harn die Reaktion von Pauly mit Diazobenzolsulto-
säure. Demgemäss nehmen die Forscher an, dass 8-i einem Zerfall
anheimfällt, ohne dass jedoch der Imidazolring gesprengt wird.
Auf die Gerinnbarkeit des Blutes übt ß-i einen ganz geringen Ein-
fluss aus. Das Blut gerinnt etwas später als normal. Schliesslich
bewies Modrakowski, dass ß-i keine Immunisationserscheinungen
aufweist, wie das Vasodilatin, bei dem nach der ersten Einführung
einer entsprechend grossen Dosis, welche eine langdauernde Blutdruck-
erniedrisung hervorruft, eine zweite gleichstarke Dosis keine oder
nur eine ganz schwache Erniedrigung des Blutdruckes bewirkt.
Von der grossen Ähnlichkeit in der Wirkungsdauer von ß-i und
Vasodilatin betroffen, sprachen Dale und seine Mitarbeiter die Ver-
mutung aus, dass ß-i ein Bestandteil des Vasodilatins sei. Diese Ver-
mutung hat an Wahrscheinlichkeit gewonnen, als Barger und Dale
im sauren Extrakte der Darmschleimhaut die Anwesenheit von ß-i
festgestellt. Ihre Untersuchungen schliessen Barger und Dale mit
folgendem Satz ab:
„Popielski’s hypothetical ‚vasodilatin‘ contains ß-i, which base,
however, does not affect the coagulability o£ the blood‘. (Journal of
Physiology, Bd. XII, Nr. 6, S. 503, 1911).
Das Auftreten von ß-i in Darmschleimhaut-Extrakten ist, wie ich
schon früher (Zentralbl. f. Physiologie, Bd. XXIV, Nr. 24) betont
habe, ganz begreiflich angesichts der Fäulnisprozesse, die an der
Schleimhaut des Verdauungskanals vor sich gehen. Ungeachtet dessen,
dass sie keine chemischen Untersuchungen angestellt, nehmen die
Autoren, auf blosse Analogie gestützt, an, dass sich ß-i in Witte-Pepton,
dieser klassischen Quelle des Vasodilatins, befindet.
216 L. Popielski:
Und noch mehr, auf Grund der Identität der durch Vasodilatin
hervorgerufenen Erscheinungen mit denjenigen des anaphylaktischen
Shoks sprechen sie die Vermutung aus, dass auch hier vielleicht ß-i
wirkt.
IE
Meine!) Untersuchungen habe ich ausschliesslich an Hunden in
„akuten“ und ‚chronischen‘ Experimenten ausgeführt. Ich benützte
das salzsaure 8-i aus der Fabrik von F. Hofmann-La Roche; es
bildet grosse, lange, schneeweisse Kristalle. Es hat sich nun in Über-
einstimmung mit Frgebnissen von Dale und dessen Mitarbeitern gezeigt,
dass ß-i eine gewaltige Herabsetzung des Blutdruckes nach sich zieht.
So zum Beispiel im Experimente vom 2. Juli 1913 bei einem Hunde
von 7,5 kg Gewicht, welcher unter dem Einfluss der Chlcralose stand
(75 ccm 1% in eine Vene), wurde der Blutdruck nach der Einführung
von 0,00025 ß-i ins Blut von 116 mm auf 23 mm Hg herabgesetzt und
erst nach 8 Minuten auf 100 mım Hg gehoben. Die Dosis betrug ca.
0,00003 ß-i auf je 1 kg Körpergewicht. Diese Herabsetzung des Blut-
druckes ist peripherer Herkunft, denn sie tritt auch nach der Durch-
trennung des Rückenmarkes unter dem verlängerten und der Darmnerven
(Nn. splanchrici) auf. Adrenalin hebt den durch ß-i herabgesetzten Blut-
druck,wenn auch nicht so stark, wieinnormalen Verhältnissen. Man muss
daraus schliessen, dass ß-i zum Teil auf dieselben Stellen wie Adrenalin
wirkt. Dale reserzierte das Ganglion stellatum und führte nach einer
Zeit, wo man schon die Entartung der Nervenendigungen in ent-
sprechendem Maass annehmen konnte, das 8-i ein. Es hatte eine
Gefässerweiterung zur Folge, was er mittels eines Plethysmographen
feststellen konnte. Man muss also annehmen, dass ß-i auf die Muskel-
elemente der Gefässe selbst wirkt, was freilich eine Einwirkung von
ß-i auch auf Nervenendigungen keineswegs ausschliesst. Die Gerinn-
barkeit des Blutes wird nicht stark beeinflusst. Das während des
Minimums des Blutdruckes entnommene Blut gerinnt nur 2—3 Minuten
später als sonst. Die Speichelsekretion ist, den Behauptungen von
Dale und Laidlow (l. e. S. 340) gegenüber, zentraler, nicht peripherer
Herkunft, denn sie hört nach der Durchtrennung der Chorda tympani
vollständig auf. Die Speichelsekretion beginnt 40—60 Sekunden nach
der Einführung und dauert 11,—2 Minuten an.
Die Pankreassaftsekretion beginnt 50—60 Sekunden nach der Ein-
führung und dauert höchstens 14 Minuten. Atropin hebt diese Sekretion
nicht auf, obwonl Dale und Laidlow (l. c. S. 341) anderer Meinung sind.
Die Menge des abgesonderten Saftes ist der Bluterniedrigung direkt
proportional. Das Charakteristische der Sekretion bleibt hier also
1) Popielski, Bulletin de l’Academie des sciences de Cracovie, Serie B,
sciences naturelles, Novembre-Decembre 1916, seance du 11. XII. 1916.
ß-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. 1. 917
dasselbe wie nach Vasodilatin: bei gleicher Blutdruckherabsetzung
ist auch die Sekretion fast gleich.
Die allgemeine Wirkungsweise von ß-i äussert sich in der gleichen
Weise wie bei Vasodilatin: 10—15 Sekunden nach der Einführung
tritt bei dem Tier eine auffallende Anregung zutage, welche ca. 1 Minute
andauert. Dann folgt Depression, eine Beruhigung von verschieden
langer Dauer, je nach der Dosis, im allgemeinen aber, bis der Blut-
druck die Norm wieder erreicht. Dieser Beruhigungszustand hat mit
einer Narkose nichts zu tun, denn die Reflexe bleiben voll und ganz
erhalten. Gleichzeitig mit der Blutdruckherabsetzung tritt Peristaltik
des Gedärmes und Urinieren auf. Die verstärkte Peristaltik des Ge-
därmes ist eine periphere Erscheinung, welche auch nach Durch-
trennung der Darmnerven und des Rückenmarkes unter dem Ver-
länserten auftritt. Sie steht mit der Überfüllung der Venen mit CO,-
reichem Blute in Zusammenhang. Die oben beschriebenen Erschei-
nungen sprechen ebenso wie die identischen Vorgänge nach Vasodilatin-
zufuhr dafür, dass sie im engen Zusammenhang mit der Herabsetzung
des Blutdruckes stehen. Die Aufregung ist die Folge einer durch
plötzlich eintretende Erniedrigung des Blutdruckes hervorgerufenen
Anämie. Dieser Aufregungszustand dauert kurz, denn bald stellt sich
infolge geschwächter Ernährung in den Zentren ein Erschöpfungszustand
ein, der sich bei dem Tier als eine Depression, Prostraticn, äussert!).
11.
Ich komme jetzt zum wichtigsten Teil meiner Untersuchungen,
zum Einfluss von ß-i auf die sekretorische Tätigkeit der Magendrüsen.
Dale und seine Mitarbeiter äusserten die Meinung, dass ß-i sich in
den Organextrakten als ein Bestandteil des Vasodilatins befindet.
Da die Organextrakte, wie wir aus Temaszewski’s?, Untersuchungen
wissen, auf die Magendrüsen eine starke sekretorische Wirkung aus-
üben, so erhob sich die Frage, was für Wirkung ß-i als vermutlicher
Bestandteil des Vasodilatin ausüben wird. . Wie aus unten angeführten
Versuchen folgt, ist ß-i ein mächtiger Erreger der Magendrüsen. Die
Versuche wurden an Hunden ausgeführt, von denen jeder ausser der
Magen- noch die Duodenalfistel, einige darunter noch eine Pankreas-
fistel hatten. Die Duodenalfistel diente zum Einführen eines harten
Katheters mit einer Blase, die mit Luft gefüllt, dem abgesonderten
Magensaft den Weg ins Duodenum versperrte. Bei den ersten Ver-
suchen habe ich das Duodenum nicht abgesperrt, was ich an ent-
1) Popielski, Über physiologische und chemische Eigenschaften des
Peptons Witte. Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 484. 1909.
2) Z. Tomaszewski, Über die chemischen Erreger der Magendrüsen.
I. Der Einfluss von Organextrakten auf die Sekretion des Magensaftes.
Pflüger’s Arch. Bd. 170 S. 260. 1916.
218 L. Popielski:
sprechender Stelle bemerke. Da bei den Hunden die Nn. vagi intakt
waren, wurde spezieller Augenmerk der Eliminierung der „psychischen“
Magensaftsekretion geschenkt. In Fällen, wo schon beim Anfang des
Versuches eine Magensaftabsonderung vorlag, wurde mit dem Ein-
führen von ß-i gewartet, bis die Sekretion minimal wurde.
Versuch I. 28. Oktober 1916. Hund „Bialy“ von 15 kg Gewicht. Es
wurden ihm am 7. Oktober 1916 zugleich die Magen- und Duadenalfistel
angelegt. Am Tage der Operation wog der Hund 14 kg. Der Magen
wurde gespült. Die Blase wurde ins Duodenum nicht eingeführt. Das
Duodenum wurde offen gelassen, um das Sekret zu sammeln.
Um 75h 45’ Anfang der Beobachtung
85 00’ haben sich 0,6 ccm Magensaft abgesondert
&h 30’ ” „ 14 „ ” D)
” 85h 40’ » „ 06 „ b) .n
Es wurden linkerseits unter die Haut des Rumpfes 10 ccm 20%igen
Extraktes aus dem Drüsenteil der Hypophyse aus der Fabrik F. Hof-
mann-La Roche eingeführt.
Um 8h 45’ abgesondert 0,0 Magensaft 0,2 (für 15’) aus Duodenum
”
”
5 9m 00’ » 0,0 » De ( b) 15’) ” »
„ 915’ e 0,0 5 1505 1), »
„ 9h 30' „ 0,0 „ 1,0 ( b)] 15' ) ”» ”
9h 45’ : 0,0 5 0,0 („ 15) „
Um 9% 50' ohnemäleen rechterseits unter die Haut des Rumpfes 0,082 B-imi-
dazolylaethylamini hydrochlorici in 15 ccm destillierten Wassers eingeführt.
Abgesondert:
Magensaft: von Azidität: aus Duodenum:
Um 10500’ 2,5 ccm — 18,0 cem lauter Galle
„0n157 21,5), 983 10 „ n „
R50r 61,0%, 138,3 45 „ Galle
„ 1045’ 76,0 „ 143,3 ae
200880 150,0 u
118150900 150,0 35 » » |Mit Beimengung
TR 3077840 152,0 Ho, t | von Magensaft
ln 150780, 154,0 TEBRER Re 9 von18,3Azidität
»12.n1002 6400, 156,0 DT
„. Malz 320% 156,0 100
„ 12n307 280 , 158,3 SE \
„ 12n45' 420 „ 163,0 Gl Wie
nor ae 166.0 ee
1573600 166,0 Tome Eu
71% 50.050005 166,0 0 | Ren
1572300 166,0 180
742:5:002. 25,0. 166,0 OD
= 70n157910 ,; 166,0 EN PS
2 ae 166,0 RR
a a 158,0 LOKS — 40 ,
3000770, 124,0 RN.
a5 3,0, 124,0 NE.
” 3 80’ 4,0 ” ur 1,5 r »
3h 45" 1,0 „ nF \ 4,0 ” ”
1) Mit etwas Speichel.
8-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. I. 219
Um 3h45’ wurde der Hund abgebunden. Er war munter und frass
seine gewöhnliche Futterportion.'
Die Sekretion begann nicht später ais 10 Minuten nach dem
Einführen von ß-i, erreichte die Höchstzahlen nach 45—60 Minuten
und blieb auf dieser Höhe (76—90 cem für Y, Stunde) während 1 Stunde,
dann dauerte sie, allmählich abnehmend, von 10 Uhr bis 3 Uhr 45 Min.,
also 5 Std. 45 Min. In dieser Zeit wurden 937,5 ccm Magensaft ab-
gesondert. Der Saft ging zum Teil ins Duodenum über, was daraus
ersichtlich war, dass sich im oberen Teil des Zylinders, in dem das Duode-
nalsekret gesammelt wurde, eine farblose, saure Flüssigkeit bemerkbar
machte. Von 12 Uhr angefangen, hatte die aus dem Duodenum ge-
sammelte Flüssigkeit keine Gelbfärbung mehr an und die Azidität betrug
20—32,0. Zweifelschne war also auch der Pankreassaft, der unter
dem Einfluss des ins Duodenum übertretenden Magensaftes abgesondert
wurde, in der Flüssigkeit vorhanden. In den ersten 25 Minuten nach
dem Einführen macht sich eine ziemlich rege Gallenabsonderung be-
merkbar, die in den ersten 10 Minuten 18 cem, in den nächsten 15 Mi-
nuten 7cem betrug. Es ist anzunehmen, dass diese Gallensekretion nicht
als Vermehrung der Gallenproduktion unter dem Einfluss von ß-i zu
deuten ist, sondern dass die Galle mechanisch aus der Gallenblase
ausgepresst wurde, und zwar durch die Bewegungen des Tieres, die
durch den ziemlich schmerzhaften Akt des subkutanen Einführens
verursacht wurden. Wie wir später sehen werden, fällt in manchen
Versuchen die Gallenabsonderung ganz weg. In den ersten 25 Minuten
ist eine schwache Speichelabsonderung bemerkbar; daraus ist zu er-
sehen, dass das Tier öfter als in den normalen Verhältnissen den Schluck-
akt ausführt. Wahrscheinlich ist diese schwache Vermehrung der
Speichelabsonderung eine Folge des blossen Aktes der subkutanen
Einführung. Im Verhalten des Tieres ist nichts Anormales zu bemerken.
Die Wirkung von ß-i auf die Magendrüsen muss als ganz spezifisch
angesehen werden. ß-i als ausgeprägt basischer Körper ruft bloss
die Absonderung des saueren Magensaftes und keines anderen her-
vor. Diese Tatsache verdient Beachtung.
Der Verlauf der Sekretion nach ß-i erinnert sehr an den nach den
Organextrakten. Nach ß-i beginnt die Sekretion etwas früher als nach
den Extrakten, und zwar in 10 statt in 13—15 Minuten. Sie dauert
auch kürzer als nach den Extrakten.
Im folgenden Versuch Nr. II wird die Wirkung einer zehn-
mal kleineren Dosis als im Versuch I, und zwar von 0,0032 ß-i ge-
schildert.
Versuch II. 31. Oktober 1916. Hund „Bialy* von 15 kg Gewicht,
derselbe wie im Versuch I. Duodenum wurde zwecks Sammlung des Se-
kretes geöffnet. Der Magen gespült.
Um 8520’ Beginn der Beobachtung.
220 L. Popielski:
Abgesondert:
Magensaft: von Azidität: aus Duodenum
Um 8h35’ 24,0 ccm) 0,5 com
„ 8445’ 180 „ 38,
= 9:6:00258,009) N 113,0 190%
EN | 2.000
9h 30' 05 „40 0.65,
Die Duden war gelb gefärbt, alkalisch.
Um 95 40’ wurde 1,0 ccm Magensaft abgesondert und 0,6 ccm aus dem
Duodenum. Es wurden rechterseits unter die Rumpfhaut in 15 ccm Wasser
0,0032 ß-i, während 21V/a Stunden im Exsikkator auf 1300°—-140°—-150° ©
gehalten, eingeführt.
Um 9h 41’ erscheint Speichel mit Schaum.
„ 9%45’ wurde 1,0 ccm Magensaft, 0,5 ccm aus dem Duodenum abge-
sondert.
„ 9546’ der Hund etwas unruhig.
Abgesondert:
Magensaft: aus Duodenum:
Um 105 00’ 9,5 cem 1,5 ccm
a 06 ,
” 10% 30° 1,4 » 1,0 „
„ 10545’ 80 „ 20 „ Der Hund wirft sich und bellt
EN ETEUNT 84 „. Es erscheint viel Galle
ern, 14,0 „ Galle
11h 30' 05 „ 1,0
Es wurden linkerseits unter die Brriemeiihein in 15 cem Wasser 0,0032 B-i,
die seit 30. November 1916 in un u gehalten wurden, ein-
geführt.
Um 11h 38’ beginnt die Sekretion.
Der Hund wirft sich. Es erscheint Galle.
Abgesondert:
Magensaft: Azidität:
Um 11545’ 28,0 cem — 3,0 ccm Galle
” 12h 00’ 86,0 » Tre, 5,0 ” ”
„ 12h15’ 105,0 „ 147,0 2,0 mit Beimengung von Magensaft'
1217307292088 150,0 DAR
„ 12h45’ 820 „ 158,0 7,0 Flüssigkeit leicht gelb gefärbt
Sa 1100/.760,0.4 } 158,0 19,0 |
h R r ”
2 = 2 ‚ 2 ! I en Flüssigkeit farblos, sauer
„ Mes — 71,5
Der Versuch würde beendet. Der Hund frass gierig seine gewöhnliche
Portion.
Aus diesem Versuche folgt, dass das Erwärmen von ß-i auf 130 bis
150°C. seine Wirkung stark schwächt. Nach 0,0032 ß-i, das während
211, Stunden auf der Temperatur 130—150°C. gehalten wurde, er-
hielt ich 41,9 ccm. Dieselbe Menge von ß-i, die nicht vorerwärmt wurde,
bewirkte eine Magensaftsekretion von 502,5 ccm. Die Sekretion dauerte
2 Stunden 15 Minuten. Auch hier sehen wir eine Gallenabsonderung,
höchstwahrscheinlich aus mechanischen Ursachen, denn die Galle er-
scheint in grösseren Mengen eben dann, wenn das Tier nach dem Ein-
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. I. 221
führen erwärmter ß-i sich zu werfen beginnt. Ein Teil des Magen-
saftes ist ins Duodenum übergetreten, was an der sauren Reaktion
der Duodenalflüssigkeit erkenntlich ist. Merkwürdig ist die Tatsache,
dass, während die Menge der eingeführten ß-i zehnmal kleiner als im
Versuch Nr. I war, die abgesonderte Saftmenge nur zweimal weniger
betrug. Auch dauerte die Sekretion zweimal kürzer. Eine weitere
zehnmalige Verminderung der Dosis verursacht eine zehnmalige Herab-
setzung der Sekretion, wie aus dem Versuch III zu ersehen.
Versuch III. 3. November 1916. Hund „Bialy“ von 15 kg Gewicht
derselbe wie in den vorigen Versuchen. Das Duodenum geöffnet, der Magen
gespült.
Um 7530’ Beginn der Beobachtung.
Abgesondert:
Magensaft: aus Duodenum:
Um 7545’ 0,0 cem 0,» com Reaktion alkalisch
h 7550’ Reaktion alkalisch.
Es wurden linkerseits unter die Rumpfhaut in 15 ccm Wasser 0,00032 8-i
eingeführt.
Um 8h 03’ Beginn der Sekretion.
Abgesondert:
Magensaft: aus Duodenum:
Um 85 15’ 17,0 cem 2 lecem
890 900.:17,0 , 08 „
an ei 98
90007289 15% 85 „ Galle
on, 1.0, 0,
» 95 80° 1,0 ” 30 5, b)
9h45’ 0,0 „ 0er
Der Versuch wurde abgeschlossen.
In 1 Std. 40 Minuten wurden 52 ccm Magensaft, also beinahe
zehnmal weniger als im Versuch II nach dem Einführen einer zehnmal
grösseren Dosis gesammelt. Wie wir sehen, bewirkt ß-i auch in so
kleiner Menge wie 0,00032 eine ganz deutliche Sekretion, was uns
den Beweis liefert, dass ß-i ein mächtiger Erreger der Magendrüsen ist.
Da obige Versuche an einem Hunde mit unversehrten Nn. vagi
ausgeführt wurden, dürfte die Möglichkeit der Absonderung von
„psychischem‘ Magensaft infolge des Eingriffes selbst nicht ausser acht
gelassen werden. Doch ist diese Möglichkeit hier auszuschliessen, weil
die Menge des Saftes der Menge des eingeführten Körpers proportional
ist. Würde hier der Einführungsakt selbst eine Rolle spielen, so müssten
wir, unabhängig von der Grösse der Dosis, in allen Versuchen gleiche
Mengen des abgesonderten Saftes haben.
Um aber ganz sicher die ‚psychische‘ Sekretion ausschalten zu
können, wandte ich Scopolamin an. Dieses lähmt gleich Atropin die
autonomen sekretorischen Nervenendisungen. Ich wählte darum
Scopolamin, weil es viel stärker auf die Nervenendigungen einwirkt:
und schwächer aufregende Wirkung aufweist als Atropin. Vorher
222 L. Popielski:
habe ich aber die Wirkung des Scopolamins mit der Reaktion der
Pupille geprüft. Nach dem Einführen von zwei Tropfen 1%igen
Scopolamini hydrochloriei in die Bindehaut folgte unmittelbar eine
kurz dauernde Verengung, nach 10 Minuten aber die höchste Er-
weiterung der Pupilla, die 3 Tage anhielt. Angesichts derart charak-
teristischer Wirkung von Scopolamin schritt ich zum Versuch, bei
welchem ich dem Hunde subkutan 1 cem 1%iger Lösung, d. h. 0,01
Scopolamini hydrochloriei einführte. Nachdem unter dem Einfluss
von Scopolamin die maximale Pupillenerweiterung eingetreten war
und die „psychische“ Absonderung gänzlich aufgehört hatte, führte
ich subkutan ß-i ein. Die Ergebnisse sind aus dem Versuche IV er-
sichtlich.
Versuch IV. 9. November 1916. Hund „Bialy“ von 15,650 kg Gewicht,
derselbe wie vorher.
Das Duodenum wurde geöffnet, der Magen gespült. Die rechte Pupille
erweitert unter dem Einfluss des Scopolamini hydrochlorici, von dem zwei
Tropfen in den Bindehautsack eingeführt wurden.
Um 7530' Beginn der Beobachtung.
Abgesondert:
Magensaft: aus dem Duodenum:
Um 7545’ 60,0 ccm 9,0, ccm mit Galle
” &h 00’ 50,0 ” 6,0 ” ” ”
= 5397 36,02, 1,0
” ” ”
7.857187 711,07, Zur 900 20.0
Es wurde subkutan in die linke Rumpfseite 1 cem 1%oiges Scopolamini
hydrochlorici bis 4 ccm verdünnt (= 0,01 Scopol. hydrochl.) eingeführt. Die
Lösung war frisch bereitet.
Um 85 28’ eine ausgeprägte, jedoch nicht maximale Erweiterung der
linken Pupille.
Um 85 30’ abgesondert 11,0 ccm Magensaft (pro 15)
„ 8545’ R 0 5 („ 15’) 1,5 aus Duodenum
00,
Pupillen weisen maximale Erweiterung auf. Der Hund ist unruhig,
bellt unaufhörlich. Er wurde für 10’ abgebunden und um 8b 55’ wieder im _
Gestell untergebracht.
Um 95h 00’ wurden 0,0 ccm Magensaft und aus dem Duodenum 1,0 ccm
gelber Flüssigkeit abgesondert.
Um 9500’ wurden subkutan in die rechte Rumpfseite 0,0032 ß-i in
15 cem Wasser eingeführt. Der Hund ist aufgeregt, er bellt, manchmal
bleibt er ruhig und zwar während 1-1!/s Min.
Um 9h 15’ 30” erscheint der erste Tropfen.
Es hat sich gezeigt, dass wegen der starken Aufregung die Schleimhaut
des Magens sich auf die Öffnung der Fistel gelegt und diese verschlossen
hatte, Infolgedessen konnte der Saft nicht nach aussen gelangen. Die
Schleimhaut wurde deshalb mittels eines in den Stöpsel gesteckten Glas-
stäbchens abgehoben; der Saft strömte danach gleich in grosser Menge
heraus.
Abgesondert:
Magensaft: Azidität: aus dem Duodenum:
Um 9% 30’ 55,0 ccm 130,0 0,0 ccm
„ 945’ 40,0 „ 130,0 0,5
910
3-imidazolyläthylamin und die Organextrakte, 1. 223
Magensaft: Azidität: aus dem Duodenum:
Um 105 00’ 35,0 ccm 140,0 0,0 cem
De Hund bellt unaufhörlich und ist unruhig.
10h 10’ der Hund ist ruhiger.
„ 10h 15’ 28,0 ccm 140,0 0,0 ccm
102.30”. 19,0) ', 134,0 0,0 ,
Der Hund ist ruhig, bellt nicht.
„ 106 45’ 17,0 ccm 134,0 0,0 cem
„ tr 0077 10,07%, 130,0 0,0. „
Der Hund ist ruhig.
„ 11615’ 4,0 ccm 130,0 0,0 ccm
„ 115 30’ 1,0 a — 0.00
Der Versuch wurde abgeschlossen, der Hund abgebunden. Pupillen
erweitert; ein schmaler Saum ist sichtbar. Der Hund war ruhig und frass
seine gewöhnliche Portion.
In 2 Stunden 30 Minuten wurden 209 ccm Magensaft abgesondert.
Wie wir sehen, war die Sekretion um 300 ccm kleiner, als sie nach
dieser Menge ß-i sein sollte. Wenn wir aber die Veränderungen im
Blutkreislauf unter dem Einfluss des Scopolamins in Betracht ziehen,
dann wird dieser Unterschied ganz verständlich.
Auf Grund des Versuches IV gelangen wir zum Schluss, dass ß-i
die Magensekretion im Wege der u un auf die Drüsenzellen
des Magens selbst erregt.
Es war nun von grosser Wichtigkeit, zu erfahren, welche Wirkung
die Einführung von ß-i ins Blut direkt haben wird. Zu diesem Zwecke
habe ich wiederum einen Versuch an dem Hund „Bialy‘“ mit Magen-
und Duodenalfistel ausgeführt.
Versuch V. 2. Dezember 1917. Hund „Bialy“ von 15,400 kg Gewicht.
In die Vena saphena magna dextra wurde eine Glaskanüle eingeführt. Der
Magen wurde gespült. Ins Duodenum wurde ein Bläschen eingeführt und
aufgeblasen.
Um 10h 30’ Beginn der Beobachtung.
10h 45’ wurden 6,0 ccm Magensaft gesammelt.
» 10h 59 \ n 2, 7 ” ” ”
5 EN »
Um 115 01’50'’ wurde mit dem Einführen von 0,0032 ß-i gelöst in
20,0 cem 0,9°/oiges NaCl in die Vene begonnen. Es wurden sehr langsam
ungefähr 5 ccm eingeführt.
Um 11503’ der Hund bellt und wirft sich stark.
„ 11215’ Magensaft wird nicht abgesondert. Aus der Duodenal-
fistel begann plötzlich Galle zu fliessen; es wurden 5 ccm abgesondert.
Um 11h 07’ der Hund zittert.
115 15’ wurde 1,0 ccm Galle oma
11h 23’ ” 3, 0 ”„ ”
„ 11525’ 20’ wurden nach einer Pause von 22’ noch ca. 5,0 ccm obiger
Lösung sehr langsam eingeführt.
Um 11h 28’ 20’ wurde nach einer Pause von 3 Minuten mit der Ein-
führung von ß-i fortgesetzt.
Um 11529’ der Hund wirft sich sehr stark, bellt und sucht sich frei
zu machen.
”
”
”
2994 L. Popielski:
Um 11530’ der Hund ruhig.
„ 11530’ Schluss der Einführung. Im ganzen wurden 0,0032 $-i in
20 cem eingeführt. Der Hund gibt viel Speichel ab. Magensaft nicht
abgesondert.
Um 11h33’ ist der Hund ruhig; 16 Atemzüge in einer Minute, Puls 90.
Um 11h 35’ wurden aus dem Magen 2,0 ccm schleimiger Flüssigkeit
gesammelt. Hund zittert, der Speichel tröpfelt nicht mehr. Von Zeit zu
Zeit führt der Hund Schluckbewegungen aus.
Um 115 45’ wurden aus dem Magen 4,0 ccm einer saueren, schleimig-
fadenartigen Flüssigkeit gesammelt. Die Pupillen erweitert, reagieren aufs
Licht. Von Zeit zu Zeit Zittern des Hundes.
Um 11h45’ wurden 4,0 ccm einer saueren, stark schleimigen, schäumen-
den Flüssigkeit gesammelt.
Um 11550’ wurden 1,0 ccm gesammelt.
» 12h 00' » 0,5 ” »
„. lau10 n
Während der Zeit von 11 Uhr 29 Minuten bis 12 Uhr 10 Minuten,
d.h. für 41 Minuten wurden im ganzen 12 ccm gesammelt. Die Flüssig-
keit war schäumend und schleimig, was bei der kleinen Azidität darauf
hinweist, dass den grössten Teil der Flüssigkeit der Speichel ausmacht.
Bei der ersten Einführung wurde der Magensaft überhaupt nicht ab-
gesondert. Es zeigte sich nur Galle. Nach der zweiten tröpfelte aus
der Magenfistel eine schaumige, schleimige, fadenziehende Flüssigkeit
von 78 Azidität. Das Tröpfeln begann in demselben Moment, wo der
Hund keinen Speichel mehr warf, wo also der Speichel nicht nach
aussen gelangte, sondern beim Schlucken in den Magen überging. Es
war also anzunehmen, dass der Speichel den in kleiner Menge an der
Oberfläche der Mucosa befindlichen Magensaft abspülte und dieser die
Azidität der ganzen Flüssigkeit auf 78 steigerte. Für 41 Minuten
wurden 12 ccm derartiger Flüssigkeit von 78 Azidität gesammelt.
Als Durchschnittsazidität 158 angenommen, erhalten wir für den
Magensaft allein ca. 6 ccm.
Somit können wir annehmen, dass ß-i intravenös eingeführt, keine
Magensaftsekretion herbeiführt. Interessant ist im Versuch I die starke
Aufregung des Hundes, die fast momentan nach der Einführung von
ß-i auftritt. Diese Aufregung des Tieres, die ca. 1 Minute andauert,
ist eine Folgeerscheinung der Gehirnanämie, die durch rapide Blut-
druckerniedrigung, welche bei Hunden immer die intravenöse Ein-
führung von ß-i begleitet, verursacht wird. Nach der Beendigung des
Versuches um 12 Uhr 10 Minuten wurde der Hund abgebunden und
verhielt sich ganz ruhig. Um 2 Uhr wollte er sein gewöhnliches Futter
nicht fressen, benagte dagegen gierig die Knochen. Abends um 6 Uhr
frass er mit Appetit seine gewöhnliche Portion.
Die bisherigen Versuche wurden an dem Hunde mit intakten Nn. vagi
ausgeführt. Obwohl der Versuch mit Scopolamin!) bezeugte, dass die
1) Popielski, ]. c. 458, 459.
3-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. 1. 225
Absonderung von P-i peripherer Natur ist, war es jedoch wichtig, zu
erfahren, welchen Einfluss B-i nach Durchtrennung der Nn. vagi auf
die Sekretion haben werde. Zu diesem Zwecke wurden dem Hunde
„Bialy“ die Nn. vagi im Brustkorb auf die im Institute übliche Weise
durchtrennt.
Bei der Operation am 4. Dezember 1916 musste im rechten Pleuraraum
ein Gazestückchen zurückgelassen werden.
Von beiden Nn. vagi wurden je 2 ccm lange Stücke ausgeschnitten.
Die Wunde des Brustkorbes wurde mit drei Schichten von Katsut-
nähten vernäht.
Da eine Rippenfellentzündung infolge der Reizung durch die Gaze
zu befürchten war, wurde beschlossen, schon am folgenden Tag den
eigentlichen Versuch auszuführen.
Versuch VI. 5. Dezember 1916. Hund „Bialy“ von 14,400,0 kg Gewicht.
Am 4. Dezember 1916 um 4 Uhr nachmittags wurden ihm intrathoracal die
Nn. vagi durchschnitten. Der Magen wurde gespült. Von der Einführung
des Bläschens ins Duodenum wurde abgesehen. Um 3515’ Beginn der
Beobachtung. Reaktion des Magens neutral. Um 3h 29'/2’ werden aus dem
Magen 0,8 ccm einer neutralen Flüssigkeit gesammelt. Es wurden subkutan
in die rechte Lendengegend 0,0032 B-i in 14 ccm Wasser eingeführt.
Um 35 30’ wurden 10 ccm gesammelt. Reaktion neutral.
3h 34’ schlägt die Reaktion in saure über.
3545’ wurden 20,0 com Magensaft von Azidität 96 gesammelt.
Ba. 260,08, 2 » »e.118 5
” 4 5 15 r ” 66 ‚0 ” » k B}] ” 130 ”
» 4 5 30 | ” 68,0 ” ” ” ” 138 »})
” 4 5 45 | ” 55,0 ” ” ”; B2) 131 ”
” 5) 4 00 h ” 36,0 ” ” 5) ” 130 ”
” Sn 15 A ” 21,0 » ] ” ” 130 })
„ 9530’ E 10,07, h: gesammelt
5h 45’ N 30, 5 5
In 2 Stunden 15. Minuten wurden 340 ccm Magensaft gesammelt.
Dieselbe Menge (= 0,0032) ß-i führte bei demselben Hunde „Bialy‘
vom Gewichte 15 kg am 31. Oktober 1916 die Sekretion von 502,5 cem
Magensaft herbeit). Im Versuch II wurden also um 162,5 ccm (= 502,5 —
340,0 ccm) weniger Magensaft erhalten. Da aber das Gewicht des
Hundes beim Versuch Il um 600 g kleiner war, so muss man von dieser
Differenz 20 ccm abziehen, wir erhalten somit 162,5 — 20,1 =
142,1 ccm. Da wir weiter berücksichtigen müssen, dass der Hund,
um Erbrechen zu verhüten, nur wenig flüssige Nahrung bekommen
hat, und dass er ferner am Vortage unterChloroform und 6 cem 1 %igem
Morphini muriatici operiert worden war, so können wir schliessen:
die Durchtrennung der Nn. vagi hebe die Magensaftsekretion nicht
auf. Daraus folst dann weiter, dass ß-i peripher wirkt, und zwar höchst-
wahrscheinlich auf die Zellen der Magendrüsen selbst.
1) Popielski, 1. e. 8. 456, 457.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 15
2236 L. Popielski:
Die angeführten Versuche lassen die Anwesenheit von ß-i in den
Extrakten vermuten. Es sind aber weitere Beweise nötig. Wir wissen
aus den Untersuchungen Tomaszewski’s!), dass die Extrakte, bis
132° C. während 10 Stunden erwärmt, zwölfmal schwächer, bis 132° C.
während 20 Stunden überhaupt nieht mehr wirken; mit dem Magen-
safte 2 Tage lang gehalten, haben sie eine viermal schwächere Wirkung.
Demgemäss setzte ich ß-i der Wirkung: 1. der Temperatur über
132°C. während 21, Stunden, 2. des „psychischen“ Mena vom
Hunde ‚„Bialy‘“ während 48 Stunden aus.
Die Temperatur der Schale, in der ich ß-i gehalten habe, war nur
während 4—5 Stunden 132° C., während der übrigen Zeit 146-150°C.
Der Körper wurde dunkel, auch die Lösung war dunkelgelb. Wie aus
Versuch II, wc ich die Wirkung des der Temperaturwirkung aus-
gesetzten ß-i schilderte, ersichtlich, schwächt die Temperatur 132° bis
150°C. die Wirkung von ß-i, jedoch nicht in dem Maasse, wie‘ die
des Extraktes. Ein Extrakt, der während 20 Stunden bis auf 132° C.
erwärmt wird, verliert vollständig seine Wirkung, ß-i dagegen, auf
noch höhere Temperatur erwärmt, bewirkt eine 20mal kleinere Sekretion.
In dieser Hinsicht besteht also ein unbedeutender Unterschied zwischen
ß-i und den Extrakten, der gegen das Vorhandensein von ß-i in den
Organextrakten sprechen würde.
Um den Einfluss des Magensaftes nachzuweisen, habe ich 20 cem
Saft mit 0,0032 ß-i vermenst und die Lösung in einem Thermostat
während 48 Stunden bei 40°C. gehalten. Wie aus dem Versuch VII
folgt, beeinträchtigt der Magensaft die Wirkung von ß-i nicht.
Versuch VII. 6. November 1916. Hund „Bialy“ von 15,600 kg Gewicht,
derselbe wie früher. Das Duodenum geöffnet, der Magen gespült.
Beginn der Beobachtung 7h 50’.
Abgesondert:
Magensaft: aus dem Duodenum:
Um 85h 05’ 32,0 ccm 1,0 ccm
„ 81207270, 19.2,
„ 8885’ 220 „ 05,
a UN
». 322057210,0, 30
»„. 920’ 35 „ 10,00%,
IESN LO, 1,0
Es wurden ala in die linke nenne 0,0032 8-1 in 2» ccm,
während 48 Stunden im Thermostat gehalten, eingeführt.
Abgesondert:
Magensaft: Azidität: aus dem Duodenum:
Um 9545’ 35,0 cem 126,0 10,0 ccm ohne Galle
»u106.007990,00% 150,0 16,0 „ Reaktion stark sauer
„ 10h 15’ 85,0 „ 158,0 19,00, 2 5 >
„ 105 30’ 770 , 156,9 19,00%
N ” ”
1) Tomaszewski, Pflüger’s Arch. Bd. 170 S. 297. 1918.
8-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. I. 2337
Magensaft: Azitität: Aus dem Duodenum:
Um 10445’ 65,0 ccm 157,0 11,0 ccm
„l1n00' 480 „ ei 20
110 157 24.0, |, ® on.
050m 10, = OR,
1h45' 05 „ — 1,5
Durch die Magenfistel wurden 428,5 ccm in 2 Stunden 15 Minuten
abgesondert. Ein Teil des Saftes ging ins Duodenum über, woher eine
farblose, gegen Lackmus stark sauer reagierende Flüssigkeit ausfloss.
Aus dem Duodenum wurden 80,5 cem Flüssigkeit erhalten. An-
genommen, dass 40,4 ccm dieser Flüssigkeit aus dem Magen stammen,
so bekommen wir für die totale Sekretion 428,5 cem + 40,4 ccm =
468,9 cem Magensaft, das ist um 33,6 ccm weniger, als nach derselben
Menge von ß-i im Versuch Il. Wenn wir aber berücksichtigen, dass
es unmöglich ist, solche Quantität von ß-i unbedingt genau abzuwägen,
und dass möglicherweise die Menge der Flüssigkeit beim Überschütteln
von Gefäss zu Gefäss Verluste erfährt, dann können wir annehmen,
dass der Magensaft die sekretorische Wirkung von ß-i nicht schwächt.
Damit dürfte aber die Frage noch nicht für abgeschlossen betrachtet
werden. Es war ja nicht ausgeschlossen, dass die in den Extrakten
anwesenden Derivate der Eiweisskörper die vernichtende Wirkung
des Magensaftes verstärken. Damit also die Wirkung des Magensaftes
in den Extrakten und den Lösungen ven ß-i unter möglichst gleichen
Bedingungen vor sich gehe, vermengte ich die Lösung von ß-i mit
10 cem Magensaft und 5 ccm Fibrin. Diese Mischung hielt ich unter
öfterem Schütteln 68 Stunden im Thermostat. Vor dem Einführen
N
neutralisierte ich die Lösung mit 10 NaOH, wovon 18 ccm erforder-
lich waren. Die Flüssigkeit wurde dann aufgekocht und filtriert, das
Filter mit Wasser gewaschen. Eine kleine Flüssigkeitsmenge ist auf
dem Filtrum geblieben. Zusammen wurden 32 cem Flüssigkeit erhalten.
Die Wirkung des derart vorbereiteten ß-i ist im Versuch VIII dar-
gestellt.
Versuch VIII, 13. November 1916. Hund „Bialy“ von 15,500 kg Ge-
wicht. Ins Duodenum wurde ein Bläschen eingeführt und aufgeblasen. Der
Magen gespült. Um 7545’ Beginn der Beobachtung.
Abgesondert:
Magensaft: Magensaft:
Um 85 00’ 22,0 ccm | Um 9500’ 6,0 ccm
a =..9:6419,.6:00%
7.503007 11,53% 0300
” 8h45' 9,9 ” » yh 45' 2,9 ”
Um 9b 45’ wurden 0,0032 & ß-i mit 10 ccm Magensaft und 50 g Fibrin,
während 63 Stunden im Thermostat gehalten, eingeführt. Die Flüssig-
keit wurde neutralisiert. Zusammen wurden 32,0 cem Flüssigkeit ein-
geführt. ;
15 *
2928 L. Popielski:
Absgesondert:
Magensaft:
Um 10:00’ 5,0 ccm etwas schäumigen Speichels
„ 105 15’ 72,0, „ ohne Speichel
„ 10h 30" 60,0
„ 105 45' 66,0
„ 11%. 00' 58,0
11h 15’ 45,0
„ 11430’ 34,0
114 45" 26,0
„ 124.00 16,5
„ lah15 195
„ 12130’ 55
, 12h45' 2,0
Für die Zeit von 9 Uhr 50 Minuten bis 12 Uhr 45 Minuten, also
für 2 Stunden 55 Minuten wurden 402,5 ccm Magensaft gesammelt,
das ist um 66,4 cem weniger als im Versuch V. Man muss aber be-
achten, dass ein Teil des Körpers im Filter geblieben, des weiteren,
dass ß-iin einer zweimal schwächeren Konzentration als im Versuch VIL
eingeführt wurde. Die Konzentration übt einen Einfluss auf die Wir-
kungskraft des eingeführten Körpers aus. Dieselbe Menge wirkt in
stärkerer Verdünnung schwächer als bei grösserer Konzentration.
Man kann also annehmen, dass der Magensaft auch in Gegeswart
der Eiweissverdauungsprodukte die Wirkung von ß-i nicht schwächt.
Da man aber vermuten konnte, dass der verwendete Magensaft
überhaupt keine Verdauungskraft besitzt, habe ich Eprouvetten mit
demselben Masensaft mit Fleisch und Fibrin beschickt; nach Verlauf
von 10 Stunden erwiesen sich dieselben als vollständig verdaut. Jedoch
konnte auch das nicht genügen. Es musste noch ergründet werden,
wie der von mir verwendete Magensaft auf den Extrakt aus dem oder
jenem Organe einwirkt. Dazu wählte ich den Extrakt aus der Museu-
laris ventriculi des Schweines, den seinerzeit Tomaszewski zu seinen
Untersuchungen angewandt hatte. Vor allem habe ich untersucht,
wie der Extrakt selbst, ohne Behandlung mit‘ Magensaft, auf die
Sekretion einwirkt. Diese Wirkung wird aus Versuch IX ersichtlich.
VersuchIX. 15. November 1916. Hund „Biaty“ von 15,500 kg Gewicht,
Ins Duodenum wurde ein Bläschen au ul! und aufgeblasen. Der Magen
wurde gespült.
Um 75 36’ Beginn der Baopaehre)
” ” ”
Absesondert:
Masgensaft: | Magensaft:
Um 7450’ 25,0 com | Um 8h50' 6,5 ccm
on OL eo
oa le „ae,
„öl os SD, | a
Es wurden subkutan 10,0 com Extraktes aus der Muscularis ventriculi
des Schweines eingeführt. Der Extrakt war am 18. März 1914 vorbereitet
und enthielt an
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. I. 229
festen Bestandteilen 14,02°/o,
organischen „ 10,96 %/,,
Mineral- e 3,06 %/o.
Abgesondert:
Um 95 30’ 0,2 ccm Magensaft.
Um 7 Uhr Beginn der Beobachtung.
Abgesondert:
Magensaft:
Um 7530’ 9,0 ccm
145% 1,0,
»„ 8200’ 05
Um 85 01’—8h 02’ wurden subkutan in die linke Rumptseite 10 ccm Extrakt
aus der Muskelschicht des Magens eingeführt. Derselbe wurde am 18. März
1914 vorbereitet und mit Silbernitrat nach der Vorschrift von Ackermann
(. ce. S. 505), Barger und Dale!) vorbereitet.
Nach der Ausfüllung mit Silbernitrat waren im Extrakte enthalten:
Feste Bestandteile 14,40%.
Organische „ 2,78 %o.
Mineral- A 11,62 %0.
Abgesondert:
Magensaft: | Magensaft:
Um 95 45’ 45,0 ccm Um 10445’ 15,0 „
102.007°69,0 7 , LIE00,528,00 1%
Ta a Li 157 1,027,
»1010/5078.70: 53,0%.
Für die Zeit von 9h 28’ bis 11415’, d. h. für eine Stunde 47 Minuten
wurden 223,7 ccm Magensaft abgesondert.
Im nächsten Versuch X sehen wir die Wirkung des Extraktes,
nachdem er während 68 Stunden im Thermostat mit 20 ccm Magen-
saft gehalten wurde.
Versuch X. 20. November 1916. Hund „Bialy“ von 15,500 kg Gewicht,
Das Bläschen wurde in das Duodenum eingeführt und aufgeblasen. Der
Magen gespült.
Absgesondert:
Masgensaft:
' Um 8h 15’ 1,0 cem (mit Speichel)
„ 8530’ 40 „ (etwas Speichel) Reaktion ausgeprägt sauer.
„ 8h45’ 3,5 „ Der Saft ist rein
” 9h 00° 525) » „ D) ” »
) 3n 157 5,0 D) n) „ D) D)
” 9 u 30 ; 11,0 ” ” ”» ” ”
” yh 457 9,9 B) n „ ” »
198:00 0,7
R} ” ? D>]
- 10408’ 13 , mit Speichel. "
Es wurden subkutan in die rechte Rumpfseite 10,0 cem eines Extraktes
aus Muscularis ventriculi vom 18. März 1914, welcher während 68 Stunden
mit 20,0 cem „physischen“ Magensaftes gehalten wurde, eingeführt.
1) Transactions of the Chemical Society p. 97 vol. 259. 1910.
230 | L. Popielski:
Abgesondert:
Magensaft: | Magensaft:
Um 10h 15’ 2,5 ccm Um 11h 15’ 10,0 ccm
10h B022I55 | „50 7:0
„ 10h 45’ 250 „ „ 11545’ 60 „
11% 00’ 12,0 |
”
Der Versuch wurde unterbrochen.
Für die fast gleiche Zeit, wie im Versuch X, d. h. für 1 Stunde
37 Minuten wurden 92 cem Saft, also 215mal weniger gesammelt.
Aus Tomaszewski’s Untersuchungen folgt, dass der mit Magen-
saft behandelte Extrakt viermal kleinere Sekretion bewirkt.
Da nun Tomaszewski 5 cem Magensaft verwendet, ich aber
20 ccm, so wirft sich die Frage auf, ob nicht etwa der Magensatt selbst
als sekretorischer Erreger auf die Magendrüsen wirke Zum Versuch XI,
der diese Frage lösen sollte, nahm ich 20 ccm von demselben Magen-
saft, die ich neutralisiert, aufgekocht und bis aufs Volumen von 10 ccm
verengt habe. |
Versuch XI. 22. November 1916. Hund „Bialy“ von 15,500 kg Ge-
wicht. Das Bläschen wurde ins Duodenum eingeführt und aufgeblasen:
Der Magen wurde gespült.
Um 6h 35’ Beginn der Beobachtung.
Abgesondert:
Magensaft:
Um 6h 50’ 12,0 cem
2.2 7.092046, 0,08
1032050 9:0207,
„u ao 2
7h45' 20 „
In die linke Lendengegend wurden subkutan 10 ccm Flüssigkeit (gleich-
wertig mit 20 cem Magensaft) eingeführt.
Abgesondert:
Magensaft: Magensaft:
Um 8h 00’ 6,0 cem Um 95h 00’ 3,0 cem
». Sal521 0.0 la
sm 30100, oe
snasr leo „
”
In die rechte Lendengegend wurden subkutan 12 cem eines alten Darm-
extraktes aus dem Jahre 1913 eingeführt. Er enthielt in 12 ccm an
festen Bestandteilen 0,5685
organischen „ ‚0,3885
Mineral- > 0,1800
Abgesondert:
Magensaft: Magensaft:
Um 9h 45’ 20,0 ccm Um 115 00’ 41,0 ccm /
108002800257 EILSEHTTSN LEO
„ 10h 15'670, „11802 4.007,:
„ 1030’ 500 „ ZEN OR
„ 10h45’ 46,0 „
Wie aus diesem Versuch zu ersehen, bewirken 20 ccm Magensaft (diese
Menge wurde früher zur Einwirkung auf das Extrakt der Muskelschicht
a Ve
.
ee N
3-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. 1. Da
des Magens verwendet) eine Magensaftsekretion von 53 cem während
1 Stunde 45 Minuten. Da wir nun im Versuch X nach dem Muscularis-
Extrakt und 20 cem Magensaft zusammen eine Sekretion von 92 cem er-
halten haben, so entfallen auf den Extrakt allein 92cem — 53 cem—39cem,
d. h. beinahe 515mal weniger. Nach 12 ccm eines alten Darmextraktes
wurden 325 ccm Magensaft erhalten.
Im Versuch XII sehen wir den Einfluss von Magensaft auf den
alten Darmextrakt, der im Versuch XI angewandt wurde. Der Darm-
extrakt war während 4 Tagen der Wirkung des Magensaftes ausgesetzt.
Es wurden dazu 25 ccm Magensaft verwendet.
Versuch XII. 27. November 1916. Hund „Bialy“ von 15 kg Gewicht.
Ins Duodenum wurde das Bläschen eingeführt. Der Magen wurde gespült.
Um 7530’ Beginn der Beobachtung.
' Es wurden gesammelt:
Um 7h45’ 32,0 ccm Magensaft | Um 85 45’ 10,0 ccm Magensaft
” Sn 007 30,0 ” ” 5) 3h 00° 5,0 » »
” &h 15’ 16,0 ” ” ” sn 5 2,9 ” )
335050,
Es wurden 12,3 ccm alten Darmessieaikies, der mit 25 ccm Magensaft
während vier Tagen im Thermostat gehalten wurde, eingeführt.
In 12 ccm dieses Extraktes waren enthalten:
Feste Bestandteile 0,562
Organische „ 0,380
Minerale 5 0,182
Es wurden gesammelt:
Um 95 30’ 20,0 ccm Magensaft Um 104 30’ 26,0 ccm Magensaft
.” 9h 45’ 45,0 ” ” $)) 10h 45° 11,0 ” ”
‚ 10h 00’ 48,0 „ . „ 11900°40°, e
‚10h 15'390 „ 2 „.1bsj52 0,5
e2) ”
Für die Zeit von 9 Uhr 15 Minuten bis 11 Uhr, d. h. für 1 Stunde
45 Minuten wurden 193 ccm statt 325 ccm, wie im Versuch XI ge-
sammelt. Nach 20 ccm Magensaft wurden 53 ccm abgesondert, folglich
bewirkten die 25 cem eine Absonderung von 66,3 cem. Somit betrug
die Sekretion nach den 12 ecem Darmextrakt allein (nach der Behand-
lung mit Magensaft) 192 cem — 66,3 cem = 125,7 cem, d. h. beinahe
21,mal weniger als nach dem Extrakte ohne Vorbehandlung mit
Magensaft.
Daraus folgt, dass der von uns angewandte Magensaft wohl die
Wirkung der Extrakte, nicht aber jene von ß-i beeinträchtigt. An-
gesichts der Behauptung von Dalag und Berger, in P.W. sei ß-i
vorhanden, schien es angemessen nachzuweisen, dass die Meinung‘
englischer Forscher wirklich zutreffend ist. Tomaszewski hat bereits
erwiesen, dass P. W. nach subkutaner Einführung keine Masgensaft-
sekretion bewirkt.
NUR
Wie wir oben gesehen haben, vermindert der Magensaft die Kraft
des wirkenden Körpers. Es ist das ganz verständlich, warum wir keine
232 . "E.Bopielski:
Sekretion nach subkutaner Einführung von Pepton Witte (= P. W.)
erhalten. Dieser P. W. ist nämlich ein Verdauungsprodukt von Fibrin
durch den Magensaft, oder, richtiger gesagt, durch das angesäuerte
Pepsin. Es konnte also schon a priori angenommen werden, dass
dieses Pepton, subkutan eingeführt, Sekretion herbeiführen wird. Dieser
Schluss findet in den Untersuchungen von Tomaszewski!) seine
Bestätigung. Nach 1,0 P.W. erhielt dieser Autor keine Magensaft-
sekretion. Eine weitere Stütze findet er im Versuch XI, wo ich nicht
1,0, sondern 5,0 P. W. eingeführt habe.
Versuch XIII. 25. August 1916. Hund „Duzy“ von 17,500 kg Gewicht,
mit einer Magen- und Pankreasfistel.
Um 7h30' wurde der Magen gespült.
Um 7545’ Beginn der Beobachtung.
Abgesondert:
Magensaft: Pankreassaft:
Um 85 00’ 0,8 ccm 1,5 ccm
„ 815 10 „ 20 „
28980170,2 2,5
”
Es wurden subkutan in die rechte Lendengegend 20 ccm einer Lösung,
50 P.W. enthaltend, eingeführt. Die Lösung wurde filtriert und sterilisiert.
Abgesondert:
Magensaft: Pankreassaft:
Um 8h 45' 0,2 ccm 1,5 ccm
ER 1.077,
9a 1,
au 0. 13
Aus der Magenfistel wurde während der ganzen Beobachtungszeit eine
sauere, schwach gegen Congo reagierende Flüssigkeit abgesondert.
Aus diesem Versuch ersehen wir, dass nicht einmal 5,0 P. W. sub-
kutan eingeführt, eine Sekretion des Magen- oder Pankreassaftes herbei-
führen. Es ist also ganz sicher anzunehmen, dass P. W. das ß-i nicht
enthält, denn die Magensaftsekretion ist das empfindlichste von allen
bekannten Reagenzien auf die An- oder Abwesenheit von ß-i. Somit
sind wir auch zum Schluss berechtigt, dass ß-i von Vasodilatin.
das jain P. W. enthalten ist, keinen Bestandteil ausmacht.
1
IV.
Zur Vervollständigung der Charakteristik der Wirkungsweise von
B-i sei noch der Versuch XII angeführt, wo ich 0,0032 ß-i ins Duodenum
einführte.
Versuch XIV, 14. November 1916. Hund „Bialy“ von 15,500 kg Ge-
wicht, mit Magen- und Duodenalfistel. Ins Duodenum wurde das Bläschen
eingeführt. Der Magen wurde gespült.
Um 85 00’ Beginn der Beobachtung.
DNBEIU Ber Ss Archiv. Bd 71? Sl 9T8:
A ie _ rn a nn
ß-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. 1. 2333
Abgesondert:
Um 8515’ 24,0 ccm Magensaft | Um 9h45' 7,5 com Magensaft
0, : „ loho0ı 98 „, :
ınıno,, ‘ dr, ,
” ie) h 00’ 85 ” ” ” 10 2 80’ 2,8 ” ”
:312152°10.0. ; n „ 1045’ 23 „ \
m.:325010,0. ,„ » „.. 1150022 2:5
Um 115 03’ wurden ins Duodenum 0,0032 ß-i in 15 cem Wasser mittels
‘Spritze eingeführt. Die Spritze wurde sodann mit 20 com Wasser gespült
und dieses Wasser auch ins Duodenum eingeführt.
Abgesondert:
Um 11515’ 2,7 ccm Magensaft
„807 2,3, e
.£12497,1,997 „ 5
b) 12h 00° 1,5 ” b)
„ 12,35, 1,5 » ”
Der Hund wurde abgebunden und hat gierig seine gewöhnliche Portion
gefressen,
Wie wir sehen, bewirkt ß-i vom Duodenum aus keine Sekre-
tion.
Ich werde nun noch einen Versuch anführen, welcher den Einfluss
eines Extraktes aus der Muscularis ventrieuli des Schweines zeigt,
nachdem dieser Extrakt mit Tannin nach den Vorschriften von Acker-
mann und Barger mit Dale gefällt wurde.
Versuch XV. 16. November 1916. Hund „Biaty“ von 15,400 kg Ge-
wicht. Das Bläschen wurde ins Duodenum eingeführt und aufgeblasen.
Der Magen wurde gespült.
Um 75 30' Beginn der Beobachtung.
Um 7545’ abgesondert 18,0 com Magensaft
” 8 h 00 } ” 15,0 ” ”
” 8 h 15 £ br} 29,0 ” ”
” 8 h 30 , ” 45,0 Pr} 2)
„ 8:45’ ® 30,05: e
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„ 9545’ N 32,0. ,, 5
U a
ee
u 3 20,0 „ „
” 11 h 00 ‘ ” 3, ” ”
Es wurden subkutan in die linke Rumpfseite 10 cem Extraktes aus der
Muscularis eines Schweines, am 18. März 1914 vorbereitet und mit Tannin
gefällt, eingeführt. Nach der Fällung mit Tannin enthielt dieser Extrakt an
festen Bestandteilen 2,3400
organischen „ 1,38 /o
mineralen $ 1,46 9/0
Um 115 10’ keine Sekretion.
Um 12h 00’ beginnt der Magensaft zu tröpfeln.
234 L. Popielski:
Es wurden gesammelt:
Um 11h 15’ 0,5 ccm Magensaft
7 11h 30’ 4,5 ” ”
” 11 a 45' 7,0 ” ”
” 12h 00’ 0,5 ” ”
„ 12415'05 „ n
Von 11—12 Uhr wurden 13 cem, das ist lömal weniger als nach
dem nicht mit Tannin gefällten Extrakte gesammelt. Jedenfalls sehen
wir, dass der wirksame Körper nicht mit Tannin und Silbernitrat
gefällt wird, ähnlich wie das ß-i.
y
Trotz der grossen Ähnlichkeit, welche sowohl in physiologischer
wie auch in chemischer Hinsicht zwischen ß-i und Vasodilatin besteht,
die sogar Dale zu dem Schluss geführt hatte, ß-i sei ein Bestandteil
von Vasodilatin, trotz dieser Ähnlichkeit zeigt es sich, dass die
beiden Körper, die möglicherweise einander nahe stehen, doch chemisch
verschiedene Individuen darstellen. Es darf hier nicht ausser acht
gelassen werden, dass auch Morphin, intravenös eingeführt, bis ins
‘ kleinste Detail identische Erscheinungen herbeiführt, wie Vasodilatin.
Trotzdem fällt es niemandem ein, zu behaupten, dass in den Organen
Morphin anwesend sei. Dieselben Erscheinungen wie nach dem intra-
venösen Einführen von Vasodilatin erhalten wir, wenn wir einem Tier
im anaphylaktischen Zustande ein neutrales Eiweiss ins Blut ein-
führen. Dieselben Erscheinungen schliesslich wie Vasodilatin bietet
uns auch, wie das aus gründlichen Arbeiten Studzinski’s!) folet,
das Einführen von Tierblut ins Blut eines artfremden Tieres. Es ist
also anzunehmen, dass in allen diesen Fällen ein neuer Körper im
Blute entsteht, und zwar unter dem Einfluss der eingeführten Körper.
Dieser neue Körper entsteht ganz sicher nicht aus den eingeführten
Körpern, denn es ist kaum möglich, dass zum Beispiel aus Morphin,
einem Körper ven starker chemischer Struktur, gleich nach dem Ein-
führen ein neuer Körper sich abspalten könne. Darum ist wahrschein-
lich die Annahme die richtigste, dass aus den Elementen des Blutes
selbst, aus seinen Eiweissbestandteilen, beim Zerfall ein neuer Körper,
wahrscheinlich basischer Natur, entsteht, der den gleichen Erscheinungs-
prozess wie Vasodilatin herbeiführt. Es ist wohl anzunehmen, dass
derselbe Zerfallsprozess im Bluteiweiss eintritt, wenn ein verhältnis-
mässig neutrales Eiweiss ins Blut eines Tieres im anaphylaktischen
Zustande eingeführt, die Erscheinungen eines anaphylaktischen Shocks
1) J. Studzinski, Über die giftigen Eigenschaften des Blutes. Zentral-
blatt für Physiologie Bd. XXIII, Nr. 22, 1910. — K woprosu o jadowitych
swojstwach krovi. Habilitations-Abhandlung. lIzviestja Universiteta sv.
'Wiadimira 1913. S. 1—316.
|
i
|
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. I. 235
herbeiführt. Bei diesem Zerfall des Bluteiweisses entsteht ein neuer
Körper, der identisch mit Vasodilatin wirkt. Ob in allen angeführten
Fällen eine und dieselbe Eiweissart dem alle anheimfällt, ist schwer
zu entscheiden.
WAL
Die physiologischen Eigenschaften und Entstehungsbedinsungen
von ß-i beweisen, dass beim Eiweisszerfall Körper vom kleinen Molekular-
gowicht, aber von äusserst starker physiologischer Wirkung entstehen
können.
Es genügt, in dem Organe seinen gewöhnlichen Blutkreislauf zu
stören oder ihn in eine Säure, Lauge, in 0,9% NaCl oder Wasser ein-
zutauchen, um schon die Entstehung dieser beiden Körper herbei-
zuführen. Das riesenhafte lebendige Eiweissmolekül kann mit Leichtig-
keit zerfallen und als Produkte Körper mit kleinem Molekulargewichte,
aber von ausserordentlich starker Wirkungskraft entstehen lassen.
Die Möglichkeit, dass beim Zerfall gewisser Gewebe im Blute stark-
wirkende Körper auftreten können, folgt auch aus der Analyse der
Umstände, die sich auf das Vorkommen von Adrenalin im Blute in
anormalen Verhältnissen beziehen.
Die Untersuchungen von Popielski'!), Hoskins mit Clayton
Peek ?) und Trendelenburg °) haben bewiesen, dass Adrenalin
unter normalen Verhältnissen weder im allgemeinen Blutkreislauf
noch im Venenblute der Nebennieren enthalten ist, oder doch unter
den Grenzen physiologischer Wirksamkeit (Trendelenburg). Dem-
gegenüber zeigte es sich, dass Adrenalin im Blute erscheint: bei der
Erstickung (Cannon), Blutarmut (Popielski), beim Komprimieren
der Nebenniere (Popielski, Hoskins und Clayton Peek). Allem
Anschein nach befindet sich Adrenalin in den Nebennieren im fertigen
Zustande überhaupt nicht. Es ist ein kristallinischer, leicht im Wasser
löslicher Körper. Wäre es also im freien Zustande vorhanden, würde
es durch Osmose ins Blut gelangen, wo es leicht nachweisbar wäre.
Würde aber die ganze Menge Adrenalin, die mar aus Nebennieren
erhalten kann, ins Blut übergehen, dann müsste sich der Organismus
stets im Stadium einer schweren Adrenalinvergiftung befinden. Nach
meinen letzten Berechnungen ?) beträgt die Menge Adrenalin, die aus
menschlichen Nebennieren gewonnen werden kann, 0,96 pro Tae.
Adrenalin befindet sich also nicht im freien Zustande, sondern ge-
1) Popielski, Adrenalin und Nebennieren. Eileen s Arch. Bd. 163
S. 565—593.
2) Hoskins and Clayton Peek, EN of the Amer. med. Assoc.
Nr. 23. 1913.
3) Trendelenburg, Archiv für exp. Pathol. u. Pharm. Bd, 79 S. 120.
4) Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 579. 1916.
236 L. Popielski: 3-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. I.
bunden, und zwar höchstwahrscheinlich an Eiweiss, so dass in den
für diese Verbindung anormalen Verhältnissen Adrenalin mit Leichtig-
keit abgespalten wird. Derartige Abspaltung kann zum Beispiel unter
dem Einfluss von CO, des Blutes zustande kommen, wenn die Zellen
der Marksubstanz der Nebenniere ins Blut gelangen. Marchand
und Gierke machen speziell darauf aufmerksam, dass wir in mikro-
skopischen Bildern aus den Blutgefässen der Nebenniere die Mark-
substanzzellen nicht als Produkt einer aktiven Sekretion, sendern als
ein aus der Nebenniere ausgedrücktes Produkt antreffen!). Aus diesen
ausgedrückten Zellen wird Adrenalin, welches wahrscheinlich an ein
grosses Eiweissmolekül gebunden ist, durch den Einfluss von CO, des
venösen Blutes abgespalten und. macht sich durch die Erhöhung des
Blutdruckes bemerkbar. Die Annahme, dass die Nebennieren Adrenalin
als physiologischen Erreger für den Tonus der Blutgefässe erzeugen,
hat ihre Gültigkeit verloren, denn sie stützte sich auf Versuche, die
ungenau ausgeführt und nicht richtig physiologisch analysiert wurden.
Zusammenfassung.
Der Wirkunescharakter von ß-i-imidazoläthylamin (ß-i) hängt von
dessen Einführunssart ab.
Intravenös eingeführt setzt es den Blutdruck rapid herab. Als
Begleiterscheinungen treten auf: Aufregung, dann in Depression über-
gehend, Speichel-, Tränen- und Pankreassaftabsonderung, Kotabgang
und Harnabfluss.
In den Darm hereingebracht bleibt ß-i ohne Wirkung. Bei sub-
kutaner Einführung führt 8-1 als eminent passiver Körper bloss die
Sekretion des saueren Magensaftes herbei, andere Erscheinungen
bleiben aus. 0,00021 ß-i auf 1 kg Gtwicht bewirken schon eine Ab-
sonderung von 3,75 ccm Magensaft pro 1 kg Gewicht. ’
Die Sekretion findet statt nach Durchtrennung der Nn. Vagi und
Darreichung von Atropin; es wirkt also ß-i höchstwahrscheinlich auf
die Drüsen selbst.
Den Wirkungskörper von Organextrakten bildet bei subkutaner
Einführung höchstwahrscheinlich B-i.
1) s. Popielski, 1. c. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 567.
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte.
Zweiter Teil:
Einfluss der Säuren auf die die Magensaftsekretion erregende
Wirkung der Organextrakte.
Von
Prof. Dr. L. Popielski.
(Aus dem Institut für experimentelle Pharmakologie der Universität Lemberg.)
(Eingegangen am 13. August 1919.)
Aus den im ersten Teile!) dieser Arbeit angeführten Versuchen,
wie auch aus denen von Tomaszewski °) wissen wir, dass Organ-
'extrakte, mit Masensaft im Thermostat gehalten, an ihrer Wirkung
Einbusse erleiden, d. h. dass sie eine schwächere Magensaftsekretion
herbeiführen. Wodurch eine derartige Wirkung des Magensaftes be-
dingt wird, blieb unentschieden. Sie konnte entweder mit der ver-
dauenden Wirkung des im Magensafte enthaltenen Pepsins oder auch
mit der Salzsäure im Zusammenhang stehen. Diese Frage wurde nun
einer eingehenden Prüfung unterzogen. Vodr allem versetzte ich einen
Darmextrakt mit aufgekochtem Magensafte, dem dadurch seine ver-
dauende Wirkung entzogen wurde. Der Darmextrakt wurde zusammen
mit 7,2 ccm aufgekochten Magensaftes für 24 Stunden in den Thermo-
staten gestellt. Da im Darmextrakt selbst noch etwas Na,CO, (von
der Neutralisation des sauren Extraktes her) enthalten war, so war
nach Zugabe von 7,2 cem Masensaftes eine leicht saure Reaktion
aufgetreten. In dieser sauren Reaktion wurde die Flüssigkeit subkutan
zugeführt.
Versuch I. 11. Dezember 1916. Hund „Bialy“ von 14200 g Gewicht,
mit Magen- und Duodenalfistel. Am 4. Dezember wurden ihm beide Nn.
vagi intrathorakal durchschnitten; kein Erbrechen aufgetreten. Ins Duo-
denum wurde das Bläschen eingeführt.
Um 75h 30’ Beginn der Beobachtung
„ 75h 45’ wurden 0,0 ccm gesammelt
»„ 8500’ = TosH = Reaktion alkalisch
” &h 15' 2 0,0 ” ”
et „ 00 „
£2)
Es wurden 14 cem alten Darmextraktes vom 18. März 1914, vom 9. November
1916 ab im Thermostaten mit 7,2 ccm Magensaft gehalten, subkutan ein-
geführt.
1) Popielski, Pflüger’s Arch., dieser Band.
2) Tomaszewski, Pflüger’s Arch. Bd. 170 S. 260. 1918.
2338 L. Popielski:
Um 58h 29’ Kongopapier wird dunkel
85h 30’ wurden (0,5 ccm gesammelt
b)) San ” 30,0 b) »
” 39h 00’ ” 89,0 ” ”
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” y9h 30’ oa 8,9 ” ”
” yh 45’ ” 3,9 ” ”
” 10h 00’ ” 1,2 ” b)
1h 15’ 0,5 3
”
Von 8 Uhr 24 Minuten bis 10 Uhr 15 Minuten, d. h. binnen 1 Stunde
5l Minuten wurden 129,2 ccm Magensaft gesammelt.
Im Versuch II wurden unmittelbar vor dem Experiment 7 ccm
Magensaft vom 9. November 1916 hinzugesetzt.
Versuch Il. 6. Dezember 1916. Hund „Bialy“ von 14 kg Gewicht.
Zwei Fisteln: Magen- und Duodenalfistel. Die Nn. Vagi intrathorakal
durchschnitten. Aus dem Magen wurden 50,0 ccm eines sauren, unangenehm
riechenden Inhaltes entleert. Der Magen wurde gespült, das Bläschen ins
Duodenum eingeführt.
Um Sh 15’ Beginn der Beobachtung; um 8% 30’ wurden 3,3 ccm ge-
sammelt. Reaktion stark sauer. Kongo und Tropaeolin negativ. Um
85h 45’ wurden (0,75 ccm eines alten Darmextraktes, in 75 ccm Wasser in
einem Thermostat während 6 Tagen gehalten, subkutan eingeführt. Nach-
dem die angeführte Flüssigkeit bis auf 7 ccm gebracht war, wurden 7 ccm
Magensaft vom 9. November 1916 hinzugegeben. Die Mischung wurde
nicht neutralisiert.
Um 8b 55’ Kongo und Tropaeolin positiv
9b 00’ wurden 32,0 ccm Magensaft gesammelt
»
go er ” Rn
” 1) h 30 e ” 39,0 ” ” ”
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” 1022002 ” 3,6 ” „ ”
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” 104 30’ ” 1,0 ” ” ”
10h 45’ > 1.) =; ;
” ) ”
In 1 Stunde 50 Minuten wurden 149,7 cem Magensaft, d. h. um
20,5 com mehr gesammelt als im Versuch I (129,2 cem).
Zur besseren Orientierung musste weiter untersucht werden, von
welchem Einfluss der reine Darmextrakt ist. Ein derartiger Versuch
wurde am 22. November 1916 angestellt !). Dabei wurden nach 0,75 cem
Extrakt während 4 Stunden 325 ccm erhalten. Da aber der Hund
gegenwärtig durchtrennte Nn. vagi hatte und ausserdem etwas schwächer
gefüttert war, erschien es angemessen, den Versuch zu wiederholen.
Ausserdem verschafften uns der ständige Vergleich und die ununter-
brochene Kontrolle der Ergebnisse eine Garantie für die Genauigkeit
unserer Untersuchungen.
Versuch III. 12. Dezember 1916. Hund „Bialy“ mit Magen- und
Duodenalfistel; Gewicht 14kg. Im Magen waren keine unverdauten Reste
Der Mageninhalt war flüssig, sauer, gegen Kongo und Tropaeolin negativ
reagierend. Ins Duodenum wurde das Bläschen eingeführt.
1) L. Popielski, l.c. S. 465, 466.
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 239
Um 7t 30’ Beginn der Beobachtung.
„ 1545’ wurden 4,0 cem gesammelt. Reaktion sauer. Kongo negativ
” &h 00’ ” 0,6 ” ” ” ” ” ”
» sh 08' » 0,0 ” ” ” „ ” ”
a8 08 = in die linke Lendengegend 0,75 ccm eines alten Darm-
extraktes in 14 ccm Wasser eingeführt.
„8615. — 0,0
„ 85 20’ Beginn der Sekretion. Kongo und Tropaeolin positiv
-„ 85 30’ wurden 30,0 ccm gesammelt
” &h 45' ” 49,5 ” ”
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e>] 10h 45" ” 5,0 ” ”
” 11h 00' ” 4,5 ” ”
LE 25 5, h
” 11h 30’ ” 1,0 ” ”
Innerhalb 3 Stunden 22 Minuten wurden 298 ccm Magensaft ge-
sammelt. Am 22. November 1916 wurden nach derselben Menge (= 0,75)
Darmextrakt 325 ccm, d. h. um 27 ccm mehr erhalten. Angesichts
des kleineren Gewichtes des Hundes bei diesem Versuch ist dieser
Unterschied ganz unbeträchtlich.
Der Versuch mit dem aufgekochten Magensaft "beweist, dass der
die sekretorische Wirkung der Extrakte aufhebende Körper HCl ist.
N
Demgemäss sollte eine Zugabe von 10 HC1 zu den Extrakten von
gleichem Einfluss sein. Versuch IV wurde daher mit einem Darm-
N
extrakt ausgeführt, dem 7,2 ccm 10 HCl zugegeben wurden.
Versuch IV. 15. Dezember 1916. Hund „Bialy“ von 13,5 kg Gewicht,
mit einer Magen- und Duodenalfistel. Im Magen waren keine unverdauten
Reste. Ins Duodenum wurde das Bläschen eingeführt.
Um 7h 30’ Beginn der Beobachtung
„ ih 45’ wurden 2,0 ccm von alkalischer Reaktion gesammelt
r
” 8 u 00 n ” 1 5) ” ” ” ” ”
” 8 1 15 n . ” 0,0 ” ” ” ” ”
” 8 E 20 ” 0,0 er) ”
Es wurden 0,75 ccm alten Darmextraktes in 14 cem Wasser eingeführt.
(0,75 cam Darmextrakt wurden in 75 ccm Wasser aufgelöst und auf 50 ccm
abgedämpft. Dann wurden 7,2 ccm n HCl zugegeben und für 24 Stunden
in den Thermostaten gestellt. Sodann wurde auf 14 cem abgedampft. Die
Flüssigkeit war schwach sauer. Nach dem Einführen floss dem Hund etwas
Speichel ab. :
340 | L. Popielski:
Um sh 24’ kommt aus der Duodenalfistel Galle heraus
„. 85 29’ wird Kongopapier dunkel. Der Magensaft beginnt zu tröpfeln
„. 8t 30’ wurden 2,8 ccm gesammelt. Reaktion sauer
N) Oli n 52,0 ” ”
I „
” I r 15 f ” 28,0 ” ”»
DIE Sl N, 10, »
yh 45' ” 335) ” D)
” n ">. ” = ” ”
” 5 ” , ” 2)
Sa 30! x 1,0
Für 1 Stunde 40 Minuten wurden 142,8 ccm Magensaft gesammelt,
also ungefähr gleichviel, wie im Versuch II (149,7 cem), nach Zugabe
von 7,2 ccm Magensaft zum Darmextrakte.
Im folgenden Versuch V beschloss ich, zum Darmextrakt 8 cem
a N
HCl 10 zuzugeben, dann zu neutralisieren und neuerdings 8 cem HCl 10
beizumengen.
Versuch V. 18. Dezember 1916. Hund „Bialy“ von 13,5 kg Gewicht,
derselbe wie oben. Im Magen waren keine Futterreste. Ins Duodenum
wurde das Bläschen eingeführt.
Um 7h 30’ Beginn der Beobachtung
„ 14 45’ wurden 2,0 ccm von alkalischer Reaktion gesammelt
„ 85 00' is 0,0
” Sn 15' ” 0,1 ” ” ” 2 ”
Kongo negativ. Es wurden 0,75 ccm Darmextrakt in 14,0 ccm Wasser
eingeführt (0,75 ccm Darmextrakt wurden in 75 ccm Wasser gelöst, auf
” ” ” 2) DE
)
50 com abgedampft, mit S ccm HOl = vermengt und im Thermostaten
während 24 Stunden gehalten. Sodann wurden Scem NaOH . beigegeben.
Nach der Neutralisierung wurden abermals 5 ccm HCl = beigefügt, die
Flüssigkeit 6 Stunden lang im Thermostaten gehalten und auf 14 ccm ein-
geengt). Reaktion war schwach sauer. Während der Einführung heulte
der Hund.
Um 85 30’ 0,0. Galle wird abgesondert.
„ 85 33’ wurden 1,0 ccm abgesondert. Kongopapier wird dunkel. Be-
ginn der Absonderung
„ 8% 45’ wurden 40,0 com gesammelt
” 2) h 00 { p)] 44,0 ” 2) )
” ) a 15 ' ” 13,0 ” ”
” I a 30 ” 3,0 ” ”
” ln Aar ” 1,0
Für 1 Stunde 20 Minuten wurden 102 ccm Magensaft, somit um
40,38 ccm weniger als im Versuch IV, gesammelt.
In obigen Versuchen habe ich die Flüssigkeit nach Zugabe von
HCl zu 50 ccm Darmextrakt auf das Wasserbad gestellt, um ihre
Menge auf 14 cem zu bringen. Da man vermuten konnte, HCl werde
in Siedetemperatur unmittelbar den in den Extrakten wirkenden
— A ne ul Du a Sinn ne Tara Zn —
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. A|
Körper zerlegen, beschloss ich, die Flüssigkeit auf 8 ccm einzuengen,
die Säure zuzugeben und gleich zu neutralisieren. Im Versuch VI
r N:
verwendete ich normales Salzsäure, und zwar 1,6 ccm = 16 cem 0 ac.
Versuch VI. 20. Dezember 1916. Hund „Bialy“ von 13,5 kg Gewicht.
Ins Duodenum wurde das Bläschen eingeführt.
Um 75 30’ Beginn der Beobachtung
7h 45’ wurden 0,5 com gesammelt
sh 00’ = Di 3: Reaktion sauer, Kongo negativ
” sh 14' ” 0,0 ” ”
Es wurden subkutan 0,75 ccm Darmextrakt in 14,0 com Wasser eingeführt.
(0,75 cem wurden in 75 ccm Wasser gelöst, und auf 8ccm eingeengt. Dann
wurden 1,6 ccm -- HC1l zugegeben und gleich mit 1,6 n NaOH neutra-
lisiert, sodann auf 14,0 ccm gebracht.) Die Lösung reagierte alkalisch.
Um s&h 19’ tröpfelt Galle aus dem Duodenum
„ 8h 24' Kongopapier wird ‚leicht dunkel. Die Gallensekretion hört auf
„ 8b 25’ wird Kongopapier stark dunkel
» 85 80’ wurden 5,0 ccm gesammelt
Bl n..200 0, »
” 93h 00° ” 30,0 ) )
Bor R 20; "
ol, .20,00 »
160, »
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” 102 78! » 6,0 B) o)
el 40 „ »
” 10h 45’ ” 2,0 5) b)
” 11b 00’ e) 1,0 b) ”
In 2 Stunden 46 Minuten wurden 147 ccm Magensaft gesammelt.
Im Versuch IV betrug die Sekretion 142,8 ccm nach der Zugabe von
N
nur 7,2 10 HCl, und im Versuch 1 129,2 ccm nach Zugabe
von 7,2 cem Masensaft. Aus dieser Zusammenstellung sieht man,
dass eine zweifache Menge HCl (= 1,6 T HCl) ungefähr dieselbe
10
Es lag somit die Vermutung nahe, dass es die Wasserstoffionen
sind, die die sekretorische Wirkung der Extrakte herabsetzen. Dem-
gemäss würden die stärker ionisierten Säuren eine stärkere Wirkung
haben und umgekehrt, würden die schwächer ionisierten die sekre-
torische Wirkung der Extrakte im minderen Grade angreifen. Diese
Vermutung beschloss ich mit der Zitronen- und Trichloressigsäure
näher zu begründen.
Versuch VII. 23. Dezember 1916. Hund „Bialy“ von 13,5 kg Gewicht,
mit Magen- und Duodenalfistel. Das Bläschen wurde ins Duodenum ein-
geführt.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 16
i ; N N
Wirkung hat wie 0,8 ccm 7 (=8cem — HÜ).
242 L. Popielski:
Um 7h 20’ Beginn der Beobachtung
„ 75 35’ wurden 1,0 ccm gesammelt
” 7 h 50 j ” 0,5 r) ”
” 8 5 05 % ” 0,0 ” ” } x E
Shall " Mu, y Reaktion sauer, Kongo negativ.
Es wurden subkutan in die linke Lendengegend 0,75 ccm Darmextrakt in
75 ccm Wasser gelöst eingeführt. Die Lösung wurde auf 50,0 cem gebracht
und filtriert. Das Filtrat wurde bis auf 3 ccm abgedampft und dann mit
1,6 ccm = Zitronensäure versetzt. (Die Säure von Kahlbaum aus dem
J. 1914) Nach 3—4’ wurden 1,6 ccm NaOH = bis zur normalen Reaktion
zugegeben. Während der Einführung heulte der Hund.
Um 8h 22’ Beginn der Sekretion. Kongo dunkel
„ 8: 30’ wurden 26 ccm von Azidität 98,0 gesammelt
” 8 u 45 ; ” 79 ” ” ” 1 33,0 ”
” I E 00 # ” 63 ” ” ” 142,0 ”
” 5 E 5 \ ” 2, ” ” ” a ”
” ” ” ” ” ’ ”
” 9 & 45 { ” 7 ” ”
” 1 0 a 00 / ” 1 „2 ” ”
” 1 0 5 15 2 ” 0,5 ”
Binnen 2 Stunden 3 Minuten wurden 246 ccm Magensaft gesammelt.
Am 12. Dezember 1916 wurden nach 0,75 cem Darmextrakt 291,5 cem
in 3 Stunden 22 Minuten erhalten,
Die Zitronensäure verminderte also die Wirkung des De
unbedeutend, nämlich um 291,5 — 245 = 46,5 ccm. Zwar ist die
Zitronensäure weniger dissoziiert als HCl, doch ist sie gleichzeitig
eine dreibasische Säure. Ich wählte darum für die weiteren Versuche
einbasische Säuren, und zwar CC1,COOH, CH,CICOOH und CH,COOH,
deren Dissoziationsgrad genau bekannt ist. Es beträgt nämlich die
Dissoziationskonstante für die Trichloressiesäure 121,0; für die Mono-
chloressigsäure 0,0554 und für die Essigsäure 0,0018.
Es wurden dezinormale Lösungen dieser Säuren vorbereitet. Während
der folgenden 28 Tage wurden mit dem Hunde „Bialy‘ keine Versuche
vorgenommen.
Versuch VIII. 20. Februar 1917. Hund „Bialy“ mit Magenfistel. Die
Duodenalfistel ist verwachsen.
Um 38h 00’ Beginn der Beobachtung
„ 85 15’ wurden 8,0 cem gesammelt
2 8 h 30 i ” ”) ” ”
” Sr » 6,0 2) ”
” yh 00’ ) 11,0 b) »
) yh 15’ ” 14,0 b) )
2 ll
Während 2 Minuten wurde der Hund mit Wurst gefüttert.
„ 9b 30’ wurde der Magensaft nicht gesammelt. Durch die Fistel wurde
die Wurst herausgenommen.
„ 9% 45’ wurden 12,0 ccm gesammelt
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 243
Um 105 00’ wurden 16,5 ccm gesammelt
210,87 15, 5 0
b) 10h 30' ” 2,5 B)] ”
Reaktion gegen Kongo negativ, gegen Lackmus sauer. Es wurden sub-
kutan in die linke Lendengegend 0,75 ccm alten Darmextraktes in 15 ccm
”
Wasser, unter Zugabe von 10,5 ccm - CC1,COOH eingeführt. (Es wurden
15 ccm Darmextrakt abgewogen, in 15 ccm destillierten Wasser gelöst,
auf 22 ccm eingeengt und in zwei Portionen zu je ll ccm geteilt. Zu 11 ccm
wurden 10,5 com CC1;,COOH zugegeben). Da der Extrakt im Vergleich zu
dem früher verwendeten zu viel feste Bestandteile (0,6730 statt 0.5685) ent-
hielt, so wurden von obiger Lösung !/s, d. h. 4 ccm abgenommen; sodann
wurden 2 com CC1,COOH und ca. 8 ccm NaOH - bis zur alkalischen Re-
aktion zugesetzt. In 11 ccm waren somit nicht 0,6370, sondern um !/s
(= 0,1346) weniger, also 0,5384 feste Bestandteile enthalten.
Um 10h 40’ Beginn der Sekretion. Kongo wird dunkel
„ 10h 45’ wurden 28 ccm von Azidität 124 gesammelt
” 007 6) zz » ” ” 116 ”
” un tor » 13 » e) ” 140 o)
5 ne 30} ” 66 ” b) » 152 ”
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2) unlonıı ” 4 2) ” ” 134 ”
Nach dem Abbinden war der Hund munter, wollte aber nicht fressen ;
er trank nur den flüssigen Teil seiner Portion. Auch die ganze nächste
Nacht lang frass er nicht. Am 21. Februar 1917 früh frass er schon gut.
Innerhalb 4 Sturden 55 Minuten wurden 498 ccm Magensaft ge-
sammelt, also um 200 eem mehr als nach dem reinen Darmextrakt
am 12. Dezember 1916. Das Ergebnis war ganz unerwartet, und zwar,
dass eine stark dissoziierte Säure nicht nur keine Verminderung, sondern
vielmehr eine Verstärkung der Extraktwirkung herbeiführt.
Im nächsten Versuch wurde die Wirkung der Essigsäure, welche
viel schwächer, nämlich 60500mal weniger dissoziiert ist, ausprobiert.
Versuch IX. 24. Februar 1917. Hund „Bialy“ von 14,5 kg Gewicht
mit Magenfistel.e. Die Duodenalfistel verwachsen. Nn. vagi wurden am
4. Dezember 1916 intrathorakal durchschnitten.
Um 7h 45’ Beginn der Beobachtung.
„ 55 00’ wurden 80 ccm gesammelt. Kongo leicht dunkel.
„ 85 15’ wurden in 14 ccm Wasser 0,75 com Darmextrakt eingeführt, was
auf dieselbe Weise, wie im Versuch VIII ausgeführt wurde, nur
verwendete ich statt COl,COOH — CH, COOH.
„ 8% 16’ der Hund beleckt sich
16 *
244 L. Popielski:
Um 8b 17’ der Hund beleckt sich
„ 85 25’ wurden 8,0 ccm gesammelt
„ 58h 30’ H 12.09.02, = Azidität 98,0
wo dar ol, » „133,0
00 El, » „ 142,0
” an 1a! ” 24,0 ” ” ” 140,0
a 20, S „..2130,0
” 9 u 45 j ” 5,0 ” ” pr] 130,0
” 10% 00’ ) 2,9 ” ” ” 130,0
In 1 Stunde 45 Minuten wurden 158,5 cem gesammelt, d. h. beinahe
so viel, wie beim selben Hund am 20. Dezember 1916 (147 cem) nach
Hinzugabe von HC] zum Extrakt. Um festzustellen, ob nicht im
Versuch mit Trichloressigsäure (Versuch VIII) Salzemitwirken, diedurch
Neutralisieren der Säure mit NaOH entstehen, entschied ich mich im
Versuch X, solche Salze subkutan einzuführen. In demselben Versuch
habe ich auch den Einfluss der Monochloressigsäure auf die Extrakt-
wirkung erprobt.
Versuch X. 26. Februar 1917. Hund „Bialy“ von 14,4 kg Gewicht
mit Magenfistel. Nn. vagi intrathorakal durchtrennt. An sauren Restanzen
im Magen ca. 100,0—150,0 g.
Um 7h 50’ Beginn der Beobachtung
„ 8% 00’ gesammelt 7,5 ccm
” sh 15" ” 5,9 ”
„ 8b 30 „580%
” &h 37 P2] 1,5 ”
An der rechten Thoraxseite wurden subkutan in 14 ccm die Salze eingeführt,
die durch Neutralisieren von 11,5 ccm oo mit 8 ccm nz ent-
standen. Die Einführungsstelle wurde mit Wasser, Spiritusseife und Spiritus
abgewaschen.
Um 8h 40’ beleckt sich der Hund
„ 8: 45’ gesammelt 20 ccm
„ 9% 00' „ 15 „
” 9h 15’ ” 3,5 ”
non Lo
a “ 05 „Kongo negativ.
Es wurden eingeführt 0,75 ccm eines alten Darmextraktes in 16,0 ccm Wasser
+ 8cem on. + 8cem —— Man ging mit dem Darmextrakt
ebenso vor, wie im Versuch VIII. Statt der Trichloressigsäure wurde jedoch
Monochloressigsäure verwendet.
Um 9h 45’ gesammelt 0,5 ccm, Kongo dunkler
„ 10» w' „545 „ Azidität 129
2 10n215% g 480 „ a)
„ l0n 80’ . 26,0 „ Bat
„OR Ay en 125
„lin oo: \ Mo no
En all { 2,7
Binnen 1 Stunde 38 Minuten wurden 144,2 ccm Magensaft ge-
sammelt, das ist beinahe ebensoviel, wie im Versuch vom 20. Dezember
ß-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 945
1917 (147 ccm) nach Zusatz von HCi zu den Extrakten. Wir
sehen also, dass die Säuren Monochloressig- und Essigsäure im Gegensatz
zur Dreichloressigsäure die Wirkung von Darmextrakten herabsetzen,
ähnlich der HCl. Ich beschloss daher, um eine noch stärkere Wirkuns
zu erzielen, den Darmextrakt zweimal mit Dreichloressissäure zu be-
arbeiten. Mein Vorgehen war folgendes: Dem Darmextrakt setzte
ich die Dreichloressigsäure hinzu und neutralisierte sie, fügte von
neuem eben dieselbe Menge von Dreichlcrassigsäure hinzu, die auch
neutralisiert wurde. Zur Materialersparung wurden statt 0,75 nur
0,6 Darmextrakt verwendet. Meine Erwartungen gingen jedoch nieht
in Erfüllung: eine nennenswerte Wirkung konnte nicht erzielt werden.
Doch darf die geringere Quantität des beim Versuch benutzten Darın-
extraktes nicht ausser acht gelassen werden.
Versuch XI. 2. März 1917. Hund „Bialy“, Gewicht 14,7 kg, mit
Darmfistel. Nn. vagi intrathorakal getrennt. Im Magen waren ca. 150,0
bis 200,0 & geruchlose Restanzen zu finden. Der Inhalt wirkt auf Kongo
negativ, auf Lackmuspapier sauer.
Um 75 50' Beginn der Beobachtung
„ 85 00’ gesammelt 11,0 cem
p>] &h 15’ ” 9,9 ”
„ Sal n Sl
p] sh 45' br) ] 6,5 e7]
„ 9m 00’ 1 50,
» yh 15’ ” 9,6 ”
„ 9m 80’ ü 3,4
Es wurden subkutan an der rechten Thoraxseite in 14 ccm Wasser
0,6 ccm des Darmextraktes eingeführt, dem hinzugesetzt wurden 1. 11,5 ccm
un +8ccm a, 2. nach 12’ 11,5 ccm ee + &8ccm =
Diese Flüssigkeit reagierte alkalisch. Die Dreichloressigsäure wurde am
18. Februar 1917 vorbereitet. Einführungsstelle mit Spiritus abgewaschen.
Um 9h 45’ gesammelt 51,0 ccm, von Azidität 150,0
„ 10% 00' s 112,0, 5 160,0
” 10 h \ B) i 2 57,0 ” ” ” 158,0
” 10 h 30 \ ” 1 1,0 ” ” ” 160,0
” 10 5 45 : ” _ 4,0 ” P)) ” 160,0
11 h 00 } ” 2,0 ” er) ” 2,0
Während 1 Stunde 30 Minuten wurden also 237 ccm Magensaft
erhalten. Mit derselben Quantität (0,6 ccm) reinen Darmextraktes
wurde nicht experimentiert. Am 12. Dezember 1916 erhielt ich nach
0,75 ccm Extrakt 291,5 ccm Magensaft. Die Quantität des sezernierten
Saftes ist proportional der eingeführten Extraktmenge. Vorausgesetzt,
dass dieses Verhältnis einfach wäre, was jedoch nicht absolut exakt
ist, so würden wir nach 0,75 ccm Extrakt im Versuch XI 300 cem,
d. h. etwas mehr als nach dem reinen Darmextrakt (291,5 ccm), er-
halten haben. — Es steigert also die zweifache Zugabe von CCl,COOH
die Wirkung des Extraktes nur in geringem Grade. Falls wir dieses
246 | L. Popielski:
Resultat mit der Extraktwirkung nach der einmaligen’ Hinzufügung
von CCL,COOH im Versuch VIII vergleichen, so bemerken wir einen _
eklatanten Wirkungsunterschied in beiden Experimenten.
Um den genannten Unterschied genauer zu bestimmen, entschloss
ich mich, im Versuch XII die Wirkung derselben Extraktquantität 0,6
nach einmaligem Zusatz von CCl,COOH zu erproben.
Versuch XII. 5. März 1917. Hund „Bialy“ von 14 kg Gewicht, mit
Darmfistel.e Nn. vagi intrathorakal durchtrennt. Im Magen ca. 100,0 &
Restanzen, deren Kongo positiv reagiert. |
Um 8b 00’ Beginn der Beobachtung
„ 8: 30’ gesammelt 0,0 cem
„85 49' 30 „ saurer Flüssigkeit.
Kongo f. Einführung von 0,6 ccm alten Darmextraktes in 14 ccm Wasser;
nach Zugabe von 11,5 ccm nn + 8ccm en . Dies wurde durch
Abdampfen bis auf 14 ccm eingeenst.
Um &h 55’ gesammelt 5,0 ccm
„ 9» 00’ . 25,0 „ Azidität 126
a. „146
” 3h 10° ) 24,0 2 ” 146
„ arals, » 28,0 ,„ 6
„ ga 20’ S 16,0 , „2 168
„ gmost e 20,0 „ „.ı8
„ 9h 80’ : 1500, 7162
-„ gmAsr a 30 A „...152@
„ 10h 00’ 3 10.09 we las
” 022157 ” 2,0 ” 247) 138
Im Laufe von 1 Stunde 26 Minuten wurden 193 cem Magensaft
gesammelt. Berechnen wir die Saftquantität für 0,75 Extrakt, so er-
halten wir 193 + 48,3 = 241,3 cem Saft, das ist um 291,5 — 241,3 =
50,2 ccm weniger als nach 0,75 desselben Darmextraktes. Beim Ver-
gleich mit Experiment VIII tritt bloss ein Unterschied zutage, nämlich
die Verwendung von 0,6 statt 0,75 cem Darmextrakt. Wie wir im
Versuch mit dem Hund ‚„Krasy‘“ beobachten werden, sinkt beim
Herabsetzen des Darmextraktes die steigernde Wirkung der CC1,COOH.
Da möglicherweise die Dreichloressigsäure vom 18. Februar 1917 zer-
setzt sein konnte, so habe ich im Versuch XIII neu zubereitete dezi-
normale Lösung dieser Säure versucht.
Versuch XIII. 7. März 1917. Hund „Bialy“ von 14 kg Gewicht, mit
Darmfistel. Nn. vagi intrathorakai durchtrennt. An Restanzen im Magen
ca. 200,0 g.
Um 7% 30’ Beobachtungsbeginn
„ 17h 45’ gesammelt 6,5 ccm Magensaft
„ 8400 » 135 „ »
” 8h 15° » 8,9 ” o)
) 5h 30° ” 12,0 ” „
oe » 130 „ »
oo a0, ;
) yh 15’ » 3,0 ” ”
” 9 h 30 Ä ” 2,9
-
8-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 247
Um 9h 31’ subkutane Einführung an der rechten Thoräxseite von 0,6 ccm
alten Darmextraktes, gelöst in 16—-17 ccm Wasser, nach Zusatz von 8 cem
on zubereitet am 16. März 1917, und 9,3 ccm nn zur alkalischen
Reaktion.
Um 95 45’ gesammelt 39,0 ccm Magensaft, Azidität 140
„ 10: 00’ 5 70 ,„ » en
Nor 157 5 530 „ » Bu 196
” 10h 30' ” 23,0 ” » ” 156
» 10h 45' D) 9,0 D) » » 148
11h 00’ E 2.00, 5
Innerhalb 11, Stunden liessen sich 203 cem Magensaft sammeln,
das ist um 20 ccm mehr als im vorigen Versuch. Die Frische der Drei-
chloressigsäure erscheint also von ganz unbedeutendem Einfluss auf das
Versuchsresultat. — Obwohl mich die Versuche mit dem Hund ‚‚Bialy“
über den Einfluss der Säuren auf die Extraktwirkung zu ganz be-
stimmten Resultaten gelangen liessen, so schien es doch angemessen,
zu untersuchen, ob wir nicht vielleicht in unserem Falle mit bestimmten
individuellen Eigenschaften des Hundes ‚Bialy‘“ zu tun haben. Es
wurden deshalb diese Forschungen durch neue, an dem Hund ‚‚Krasy““
ausgeführte Experimente ergänzt, bei dem ausser einer Magenfistel
noch die Ösophagotomie vorgenommen wurde. Der Hund „Krasy“
hatte in der ersten Versuchsperiode seine Nn. vagi intakt behalten.
Doch muss bemerkt werden, dass der Hund mit ganz geringer psychi-
scher Magensaftsekretion reagierte, sogar bei eingebildeter Wurst-
‘ fütterung. Es gelangten zum Beispiel am 26. April 1917 nach ein-
gebildeter Wurstfütterung durch 5 Minuten 52 ccm Magensaft zur
Sekretion in 45 Minuten.
Versuch XIV. '8. März 1917. Hund „Krasy“ von 17,5 kg Gewicht mit
Magenfistel und Ösophagotomie. Der erste chirurgische Eingriff wurde am
13. Januar 1917, der zweite am 27. Januar 1917 ausgeführt. Magen gespült.
Um 7545’ Beginn der Beobachtung.
85h 00°’ gesammelt 2,0 ccm saurer Flüssigkeit. Kongo +.
„ 8500’ in der linken Lendengegend subkutan eingeführt 0,6 cem
alten Darmextraktes gelöst in 16 ccm destillierten Wassers nach Zusatz von
CC1,C00H Na0H
”
8 ccm 10 und nach 3—5’ von ii cm y - Die Lösung reagierte
alkalisch.
Um 8”15’ wurden gesammelt 2,0 ccm Azidität 144,0
” 8 5 30 £ ” ” 29, 0 ” ” 144, 0
br] 8 u 45 : ” ” 55,0 ” » 146, 0
” 94 00° ” ” 44,0 » ” 154,0
” 9h 15’ ” » 27,0 „ ” 152,0
” 9 h 30 £ ” ” 12,5 ” ” 152,0
” yh 45’ b) ” 6,0 ” » 152,0
„ 108007 „ » 23» » 153,0
Binnen 2 Stunden wurden 178 ccm Magensaft gesammelt. Im
folgenden Experiment handelte es sich um die Feststellung, ob eine
248 L. Popielski:
geringere Quantität von NaOH auf die Versuchsresultate von Einfluss
sein würde.
Versuch XV. 10. März 1917. Hund „Krasy“ von 17,8 kg Gewicht
mit Magenfistel und Osophagotomie.
Um 75h 30’ Beginn der Beobachtung.
„ 1545’ wurden gesammelt 0,3 cem.
>) 85h 00’ » ” 2,0 D)
De SON 5 3 10 „Kongo schwach positiv.
Um Sh 12’ in der rechten Lendengegend subkutane Einführung von
0,6 ccm alten Darmextraktes, gelöst in 16 ccm Wasser + 8cem CC1;,COOH und
nach 3—4’ 10,8 ccm bis zur alkalischen Reaktion. i
Um 8h 15’ 0,0 cem.
„ 8520’ Beginn der Sekretion.
„ 82380’ gesammelt 26,0 com Azidität 138,0
», SEN » 60,0 „ » 150,0
» 9800 » 50 5 „164,0
„ 9h 15 » 238 5 » 156,0
” 39h 30’ ” 3,0 ” » 160,0
„ 92457 » 10, ». 160,0
In 1 Stunde 33 Minuten wurden 160,5 ccm gesammelt, das ist um
17,5 ccm mehr als im vorigen Versuch. Der Alkaleszenzgrad ist also
ohne erheblichen Einfluss auf die Quantität des sezernierten Magen-
saftes.
Im nächsten Versuch habe ich neuerdings den Darmextrakt mit
Zusatz von CCL,COOH eingeführt.
Versuch XVI. 12. März 1917. Hund „Krasy“. Derselbe wie früher,
von 17,8 kg Gewicht. Um 730’ Beginn der Beobachtung. Reaktion
alkalischh Kongo negativ. Um 8500’ erscheinen ca. 2,0 ccm gelblicher,
schwach saurer Flüssigkeit, die ein wenig auf Kongo reagiert.
Um 8501’ wurden eingeführt 0,6 ccm alten Darmextraktes, gelöst in
©C1,C0O0OH NaOH
LT 10,0 ccm 10 -
16 ccm destillierten Wassers mit Zusatz von
Das Ganze auf 16,3 cem eingeengt.
In 0,6 ccm Darmextraktes sind an festen Bestandteilen 0,480 s vor-
handen.
Um 8h 07’ Sekretionsbeginn.
„ 8515’ gesammelt 95,0 cem Magensaft. Azidität 144
” 5h 30’ ” 62,0 ” ” » 154
” 8h 45’ ) 63,0 ” » ” 154
3 h 00° » 37,0 » » ” 154
” 39h 15’ ) 7,0 » ” ) 152
” yh 30’ o) 5,0 » ” ” 152
„ g9h45' a 1,0 152
” 2 ”
In 1 Stunde 30 Minuten wurden 200 ccm Magensaft gesammelt.
Da in diesem Versuch eben dieselbe Quantität von NaOH hinzugefügt
wurde, wie im Versuch XV, so lässt sich daraus schliessen, dass
der Alkaleszenzgrad tatsächlich gar keinen Einfluss auf die Quantität
des abgesonderten Magensaftes ausübt. Im vorhergehenden Versuch
wurden 160 cem, in diesem 200 cem erhalten. Es war von Wichtigkeit,
EDER EEE EOGERET UOHERE
Su 2 0
u rn
hen ae
ß-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 249
die Quantität des Magensaftes, die nach der Einführung des Darm-
extraktes mit Zusatz von CC1,COOH erhalten wurde, mit derjenigen
ohne die genannte Säure zu vergleichen.
Diesen Zweck verfolgend, unternahm ich den Versuch XIX, wo der
Darmextrakt allein zur Einführung gelangte.
Versuch XVII. 17. März 1917. Hund „Krasy“. Derselbe wie früher,
von 17,6 kg Gewicht. ;
Um 7530’ Beginn der Beobachtung
„ 7h45’ gesammelt 5,0 ccm
„» 8h 00° D) 3,0 »
) &h 15’ ” 1,0 ))
Ps 5h 30’ » 0,5
”
An der rechten Seite subkutane Einführung von 0,54 ccm alten Darmextraktes
in 15—16 ccm Wasser gelöst.
Um 85 33' Sekretionsbeginn. Kongo wird dunkler.
„ 8545’ gesammelt 16,0 ccm Azidität 146
” 94 00’ ” 43,0 ” ” 146
Sa » 430, „ 154
” 95 30° ” 22,9 ” ” 154
R) 9 a 45 h ” 1,5 ” ” 114
„ 105 00’ 5 25 „ mit Schleim von 114 Azidität.
In 1 Stunde 30 Minuten wurden 134,5 ccm nach 0,54 Darmextrakt
gesammelt. Für 0,6 Darmextrakt um ein Neuntel mehr, das ist 134,5 +
15 = 149,5 ccm. }
Aus der Zusammenfassung der zwei letzten Experimente ersehen
wir, dass der Darmextrakt nach Bearbeitung mit CCl,COOH eine stärkere
Masensaftsekretion bewirkt. Beachten wir nun die Magensaftquantitäten
der Versuche XVII und XVI (nach Zusatz von ÜCL,COOH), so erhalten
wir das Verhältnis 149,5:200 = 3:4. Beim Hund ‚„Bialy‘“ war dies
Verhä!tnis auf Grund von Versuchen IX und X = 291,5:498, oder
rund 300:500 = 3:5.
An dem Hund „Krasy“ entschloss ich mich, einen Versuch mit
noch geringerer Darmextraktquantität, und zwar mit 0,5 vorzunehmen.
Dem Hund wurden aber die Nn. vagi vorher, das ist am 11. Mai 1917,
durehtrennt. Es muss noch bemerkt werden, dass die erhaltenen
Ergebnisse verschiedener Versuche nur dann miteinander verglichen
werden dürfen, wenn das Gewicht des Hundes nicht allzusehr schwankt.
Beim Hund ‚Krasy‘ schritt man zur Ösophagotomie, deswegen musste
er künstlich durch Magenfistel gefüttert werden. Da die Verdauungs-
kraft des Hundes infolge der Durchschneidung der Nn. vagi herab-
gesetzt war, so erhielt er hauptsächlich Flüssiges als Nahrung. Vom
18. Mai 1917 angefangen, bestand sein Futter aus Mehl mit Wasser
gekocht unter Zusatz von einer ganz geringen Quantität Pepten Witte,
Kochsalz und Magensaft. Bis zum 11. Mai 1917 bekam der Hund
ausser gekochtem Mehl, Fleisch, Grütze und gut gehackte Abfälle der
250 NErPDoptelskt:
Spitalsküche. Vom 11.—18. Mai 1917 sank das Gewicht des Hundes
von 17,600 auf 16 kg, das ist um 1,600 kg. Doch muss hervorgehoben
werden, dass das Gewicht vom 16., 17. und 18. Mai 1917 keine Schwan-
kungen aufwies, es betrug nämlich 16,0 kg. Resultate dieser Tage
lassen also einen Vergleich miteinander zu. — Vor allem beschloss ich,
die Wirkungskraft von 0,5 g Darmextrakt nach Bearbeitung mit
CC1,COOH zu erproben.
Versuch XVIII. 14. Mai 1917. Hund „Krasy“ von 17,1 kg Gewicht mit
Magenfistel und Ösophagotomie. Nn. vagi am 11. Mai 1917 intrathorakal
durchtrennt.
Um 85 00’ Beobachtungsbeginn.
„ 8280’ gesammelt 0,0 ccm.
Einführung von 0,5 ccm alten Darmextraktes in 2] ccm Flüssigkeit sub-
kutan in der rechten = Zu 0,5 Extrakt in 5,0 ccm Wasser
CC1,CCOH EB co m NaOH
10 10
Um 9500’ Reaktion alkalisch .
95 02’ erscheint der erste Tropfen saurer Reaktion
9h 15’ wurden gesammelt 29,0 cem Azidität 122,0
wurden 8 cem hinzugesetzt.
» 94 507 bi) ” 31,0 ” D) 136,0
” yh 457 ” ” 24,5 ” ” 126,0
” 104 00° » ” 8,5 e ” 126,0
„ 105715 in n SAN “ 126,0
„ 10530’ 5 „ a 126,0
Binnen 1 Stunde 40 Minuten wurden 94 ccm gesammelt. Im folgen-
den Versuch habe ich 0,5 cem Extrakt nach Zusatz von 16 ccm 0,9 %iger
NaCl eingeführt. \
Versuch XIX. 16. Mai 1917. Hund „Krasy“ von 17 kg Gewicht. Der-
selbe wie früher.
Um 7520’ Beginn der Beobachtung.
„ 8500’ gesammelt 00 ccm. Subkutane Einführung von 0,5 ccm alten
Darmextraktes in 5 ccm Wasser nach Zusatz von 16,0 ccm
0,9%/oiger NaCl-Lösung in der rechten Lendenseite.
„ sh 18’ Sekretionsbeginn.
„ 8530’ gesammelt 26,0 ccm Azidität 134,0.
„ sh’ u 32) ul
„94 0’ £ 26,0 „ en
„ 9hj5 - Um... „140,0 mit Galle
„ 9h 30’ ” 3,0 ” »
Ih 45’ E 25,
In 1 Stunde 45 Minuten wurden 109,5 cem gesammelt. In den
Magen war eine kleine.Menge von Galle gelanst, die selbstverständlich
die Quantität des gesammelten Saites vergrössert hat.
Bei geringerer Extraktmenge sinkt die Wirkung von CC1,COOH.
Während im Versuch XVIII der mit CC1,000OH bearbeitete Extrakt
die Absonderung von 94 ccm bewirkt hatte, wurden im Versuch XIX nach
der Zufuhr des Extraktes 108,5 ccm mit Zusatz von Galle abgesondert.
Das Zahlenverhältnis beider Versuche betrug also: 94:108,5. Mit
DE ad = u #05, oe
u Da te a a > un
|
|
|
3-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 251
Rücksicht auf den ganz sicheren Zusatz von Galle im Versuch XIX
kann dieses Verhältnis, ohne einen nennenswerten Irrtum zu begehen,
mit 1:1 angesetzt werden. Unter dem Einfluss von CC1,COOH auf
0,75 des Darmextraktes betrug dieses Verhältnis 3:5, bei 0,6 Darm-
extrakt 3:4, bei 0,5 Extrakt 1:1. Diese Zahlen dürfen selbstredend
nicht für absolut exakt betrachtet werden.
Von Bedeutung wäre es, die Wirkung von HÜl auf dieselbe Quantität
von 0,5 zu erproben. Dieses Ziel verfolgte der Versuch XX, in welchem
HC1
der Darmextrakt in Quantität 0,5 der Wirkung von To: unter-
worfen wurde.
Versuch XX. 18. Mai 1917. -Hund „Krasy“ von 16 kg Gewicht.
Im Magen ca. 200,0 g Restanzen.
Um 7500’ Beginn der Beobachtung.
Um 85h 35’ erscheint etwas Galle. Reaktion schwach sauer. Kongo
negativ. In der rechten Brustgegend subkutane Einführung von 0,5 cem
£ Cl
alten Darmextraktes in 5 ccm Wasser nach Zusatz von 8 ccm —_ und
nn Insgesamt wurden 21 ccm Flüssigkeit eingeführt.
Um 95 00” nimmt Kongo schwach dunkelblaue Färbung an.
9h 05’ Sekretionsbeginn. Kongo stark dunkel.
„ 9%15’ gesammelt 8,0 cem\ trüben Saftes mit starker Gallenfärbung
„ 9330’ R 135 ,„ f Azidität 96,0.
nach 5’ 8 ccm
9h 45’ 5 5,0 ,„ Saftes stark gallengefärbt N
a een N Azidität 52,0
„ 10h 15’ 5 10,0 ,„ Galle allein
„ 105 30’ i a . N Kongo färbt sich dunkel.
In diesem Versuch kam es zu starker Gallensekretion, deswegen
war es schwer, die abgesonderte Magensaftquantität exakt zu be-
stimmen. Nehmen wir als Normazidität des Magensaftes 160 an, so
kann man annähernd die Magensaftquantität bestimmen: aus der
ersten Portion von 96 Azidität 15 ccm, aus der ersten Portion von
52 Azidität 7 cem. Insgesamt wurden also 22 ccm Magensaft ab-
gesondert. Auf Grund von vielfachen, an dem Hund ‚Biaty‘“ aus-
geführten Versuchen kann man annehmen, dass die Saftquantität nach
0,75 Extrakt, bearbeitet mit HCl, durchschnittlich 140 beträgt, und
nach Darmextrakt allein 325; das Zahlenverhältnis beider Quantitäten
wäre also 140:325 oder annähernd 2:4,6. Im Versuch XX, wo 0,5
Extrakt benutzt wurde, beträgt dieses Verhältnis 22:110 = 1:5. In
den drei letzten Versuchen wird unsere Aufmerksamkeit auf die Tat-
sache gelenkt, dass der Absonderungsprozess sehr spät nach der Extrakt-
einführung beginnt. Im letzten Versuch trat die Absonderung erst
nach 25 Minuten auf. Derartige Erscheinungen sprechen für die Herab-
setzung der Mobilität des Magens. Mit Rücksicht auf die hervorragende
Wirkung von HC], die eine Herabsetzung der Extraktaktivität nach
352 L. Popielski:
sich zieht, entschied ich mich, den Extrakt dreifach mit HCl zu be-
arbeiten. Dabei ging ich folgendermaassen vor: Der Extrakt wurde
a0
durch 8S cem -_ —— neutralisiert, dies
HI) 10
nach Zusatz von S cem
dreimal wiederholt.
Versuch XXII. 28. Februar 1917. Hund „Bialy“ von 14,4 kg Gewicht,
mit Magenfistel. Nn. vagi intrathorakal durchschnitten. Im Magen ca.
100,0—160,0 cem Restanzen.
Um 85 15’ gesammelt 1,5 cem
„. sh 50’ 5 U S ö
" 8h45' 2 03 i \ Kongo negativ; Lackmusreaktion sauer
‚„ .9%00' R AL, Dieselbe Reaktion
P7] yh 30 £ ” 1,0 ” ” ”
„ 11h 25’ 5 0,0
” ” 2
An der rechten Thoraxseite wurden subkutan eingeführt 0,6 ccm alten Darm-
extraktes, gelöst in 14 ccm Wasser, nach Zusatz von 1. 8 ccm on 8 ccm
10
NaOH. Hcı NaOH. 1:00) NaOH
10 ; 2. 8 ccm 10% + 8 ccm 10 ; 3. 8 ccm ms + 8 ccm 10 3
Um 115 30’ wurden gesammelt 0,0 ccm
„ 11434’ Beginn der Sekretion. Kongo ändert sich nicht. Lackmusreaktion
sauer
„ 11535’ gesammelt 0,75 cem
„ 11h 45’ = 14,25 ,„
„ 12500’ “ 34,0 ,„
„. ah 15) “ 25,0 ,„ von 128 Azidität
” 12 = 30 ; ” 18,0 ” ” 128 ”
12h 45’ h" KLOSE Es s
” 1 h 00’ ” 6,5 2 ” 128 2
Paten. a 0.
”
Während 1 Stunde 50 Minuten wurden 112,20 ccm gesammelt.
Für 0,75 Extrakt erhalten wir 112,20 + 24,40 — 136,60 ecm Magen-
saft, das ist beinahe dieselbe Menge, die am 15. Dezember 1917 beim
selben Hund nach einmaligem Zusatz von HCl erhalten wurde. Wir
können also ganz wohl behaupten, dass die Herabsetzung der Extrakt-
wirkung nach einmaligem Zusatz von HCl stabil ist und das Fort-
schreiten im Zusatz von Salzsäure die Wirkung des Extraktes ‚nicht
mehr schmälert.
Von Wichtigkeit bleibt die Frage, ob nicht eine Anpassung an
den Extrakt vorkommt. Diese Frage muss aber verneint werden.
Am 18. Dezember 1917 wurden beim Hund ‚Bialy‘ nach 0,75 Darm -
extrakt, mit Salzsäure bearbeitet, 140,8 cem, am 28. Februar 1917
136,6 ccm (Versuch XXI) erhalten, obwohl im selben Zeitraum
neunmal Experimente mit Darmextrakt- vorgenommen wurden. Der-
selbe Versuch zeigt uns, dass bei Tieren auch kein anaphylaktischer
Zustand auftritt.
Da zwischen zwei nacheinander folgenden Versuchen ein Zeitraum
von wenigstens 24 Stunden verfloss, so war es denkbar, dass eine
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A ee ee side due ae. ee ee. Mt u ie Dan Ko ne Mens ae. ke De
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 253
Anaphylakserscheinung inzwischen verging. Um darüber zu entscheiden,
wurde das Experiment XXIV angestellt, währenddessen ich den Darm -
extrakt zweimal einführte, wobei ich zur Wiederholung der Einführung
erst dann schritt, als die Sekretion nach der ersten bereits zu sinken
besann.
Versuch XXIV. 21. Mai 1917. Hund „Krasy“ mit Magenfistel und
Ösophagotomie. Nn. vagi intrathorakal am 11. Mai 1917 durchtrennt. Der
Hund: wiegt 15,5 kg. Im Magen waren an 200,0 ccm Restanzen vorhanden,
so dass das eigentliche Gewicht 15,3 kg betrug. Vor der Operation wog
der Hund 17,8 kg, die Gewichtsabnahme betrug also 2,5 kg.
Um 7h 00’ Beobachtungsbeginn
„ 8515’ wurde 0,0 ccm gesammelt. Reaktion sauer. Kongo negativ.
„ 8h15’ wurden in der linken Lendengegend subkutan 0,5 cem Darm-
extrakt in 20 ccm Flüssigkeit eingeführt, wobei zu 5 ccm Extrakt-
lösung 15,0 ccm 0,9%oiger NaCl hinzugesetzt wurden.
8h 20’ Kongo wird dunkler
„ 8530’ wurden gesammelt 22,5 ccm von 134,0 Azidität
” 8 4 45 ” ” 43,0 ” ” 140,0 ” \
” I & 00 ; ” ” 38,0 ” ” 152,0 9)
” 9 2 15 \ ” ” 80,0 ” ” 152,0 ”
” I a 30 : ” ” 22,0 ” ” 152,0 ”
» I = 45 $ ” 2 9,0
0,5 cem Darmextrakt in die rechte Thoraxseite subkutan eingeführt,
gelöst in 20 cem Flüssigkeit. Zu den 5 cem Darmextraktlösung wurden
15 ccm 0,9%oiger NaCl hinzugesetzt.
Um 10h 15’ wurden gesammelt 28,0 ccm von 186,0 Azidität
3 ee » 36,0 „
” 10 2 45" P}) ” 39,0 ”
” ul E 00° ” br} 36,0 ” Br) 190,0 ”
” 11 © 15 f ” ” 31,0 ”
y 11 h 30 h ” ” 21,0 ”
” 11 a 45 , ” ” 10,0 ”
” 12 A 00 i 7 ” 3,0 2
Nach der ersten Extrakteinführung von 0,5 wurden in 1 Stunde
30 Minuten 160,5 cem, nach der zweiten in 2 Stunden 15 Minuten
201 cem Magensaft erhalten.
Es lag nahe zu vermuten, dass die erste Einführung den anaphylak-
tischen sem! beim Hund hervorgerufen, als dessen Konsequenz
man nach der zweiten Einführung derselben Extraktmenge um 40,5 ccm
mehr Saft erhalten hat. Es darf jedoch nicht ausser acht gelassen
werden, dass die zweite Einführung dann stattfand, als die Sekretion
für 15 Minuten noch 5 cem betrug, die erste dagegen bei 0,0cem Sekretion.
Angesichts dessen besteht bei allen Bonkionen für jede Viertelstunde
ein Überschuss von 5 ccm, der für 8 Viertelstunden der Sekretionszeit
40 ccm beträgt. Subtrahieren wir diese Quantität von 201 cem, so
erhalten wir 201 — 40 = 161 cem, das ist ebensoviel, wie nach der
ersten Einführung. Man wird also nicht fehlgehen, wenn wir behaupten,
dass die abermalige Einführung von Extrakten, auch während eines
954 L. Popielski:
und desselben Versuches, weder den Zustand der Anaphylakse noch
den der Anpassung herbeiführt. Den Einfluss von HCl auf die Extrakte
können wir uns folgendermaassen vorstellen:
Hängt die Extraktwirkung bloss von einem Bestandteil, nämlich
von Gastrin !) ab, so können wir in diesem das Vorhandensein von
speziellen Basen, zum Beispiel Aminkörpern, annehmen, mit denen
HCl in Verbindung tritt und aus ihnen beispielsweise B-Imidazolyläthyl-
amin entstehen lässt, das weiteren Umänderungen nicht mehr unter-.
liest; ß-i aber ist, wie wir gesehen, ein mächtiger Erreger der Magen-
drüsen. Eine ganz geringe Menge von ß-i genügt schon, um den Extrakt
sekretionserregend zu machen. Daraus folgt, dass Gastrin ein kom-
vlizierterer Körper ist als ß-i, der dabei noch gewisse basische, vielleicht
aminartige Stoffe enthält. Gesetzt nun, dass die Salzsäure auf diese
Weise ihre Wirkung ausübt, so erhebt sich die Frage, warum diese
Umänderung vom Gastrin während der Bearbeitung der Extrakte
mit HCl nicht auftritt. Die Ursache davon kann darin liegen, dass
7
N
bei Zubereitung von Extrakten 10 HCl benutzt wurde, die den gut
gemahlenen Organen im Verhältnis 1:1 hinzugesetzt wird. Da nun
die Organe ca. 80% Wasser enthalten, so sinkt die Konzentration
von HCl beinahe um die Hälfte. Die Gewebe reagieren alkalisch, wo-
durch wieder der Aziditätsgrad noch mehr herabgesetzt wird. Bei
geringer HCI-Quantität könnte nur ein ganz unbedeutender Teil von
Gastrin obgenannten Änderungen unterliegen, die Hauptmenge aber
bleibt unverändert. Die Wirkung der Dreichloressigsäure ist, wie wir
gesehen, eine ganz entgegengesetzte; sie erinnert an Alkohol, der nach
einmaliger Bearbeitung die Sekretionswirkung der Extrakte steigert.
Es ist wohl ganz gut möglich, dass die Dreichloressigsäure die Extrakte
von Körpern befreit, die in loser Verbindung mit Gastrin stehen, wo-
durch der Extrakt seine Wirkung stärker und früher ausübt.
DER
- Meine bisherigen Forschungen sowie die von Tomaszewski und
Emsmann zeigten, dass Gastrin in Extrakten verschiedener Teile
des Darmtraktus und Pankreas vorhanden ist. Da ich ein Jahrzehnt
Präparate des Dorsalteils der Hypophyse hatte, so beschloss, ich,
ihre Wirkung auf die Magensaftsekretion zu untersuchen. Versuche
wurden am Hund ‚„Bialy‘“ im Januar und Februar 1917, also nach
Durchtrennung von Nn. vagi (11. Dezember 1916) ausgeführt.
l) Gastrin nennen wir in aller Kürze einen Körper, der subkutan ein-
geführt Magensaftabsonderung bewirkt.
ee ee eh Du
3-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 355
Es zeigte sich nun, dass keines von den Hypophysispräparaten,
die fünf verschiedenen Fabriken entstammten, eine Wirkung auf die
Magensaftsekretion ausübte. Dies ist deswegen von Wichtigkeit, weil
nach Fühner (vgl. Münch. med. Wochenschr. 1912 Nr. 16) ß-Imidazo-
lyläthylamin, obzwar kein Bestandteil von Pituitrin, doch diesem Körper
sehr nahe verwandt ist, weswegen auch dieser Verfasser die klinische
Anwendung von ß-i statt Pituitrin anrät. Meine Nachforschungen er-
gaben, dass in Pituitrin und in der Hypophyse überhaupt kein ß-i
vorhanden ist.
IV.
Da Histydin den Körper darstellt, aus dem durch Abgabe von
CO, ß-i entsteht, so beschloss ich, auch dessen Wirkung zu bestimmen.
Zu diesem Zweck wurden dem Hund ‚Bialy‘““ 0,1 g Histidini hydro-
chloriei subkutan eingeführt. Sekretion wurde nicht erhalten. Ebenso
erscheint keine Sekretion nach Tyrosin, ohne Wirkung bleibt auch
Erepton, das durch Verdauung des Fleisches mit Magensaft, sodann
durch Pankreassaft und Erepsin erlangt wird. Kuhmilch ergab keine
Absonderung, der normale Harn des Menschen und der Pankreassaft
ebenfalle. Das Blutserum des Menschen aber wirkt in manchen Fällen
sekretionserregend. 20 ccm Serum riefen am 12. März 1916 beim Hund
„Bialy“ die Sekretion von 291,5 ccm Magensaft hervor, beim zweiten
Versuch am 22. Januar 1917 mit demselben Hund nach anderem
Serum 107 cem und beim dritten am 30. März 1917 nach einem weiteren
Serum gar keine Sekretion.
Versuch XXV. 23. Mai 1918. Hund „Krasy“ von 15 kg Gewicht mit
Magenfistel und Ösophagotomie. Nn. vagi am 11. Mai 1917 intrathorakal
durchtrennt.
Um 75 15’ Beobachtungsbeginn
„. 7530' gesammelt 15,0 com Magensaft
n ZT h 45 / ” ’ ” ”
» 8 h 00" ” 5,0 = ” ”»
” 8 h 15 ” 5,0 br] ”
8h 30’ 5 5,0
” N ’
Subkutane Einführung von (0,5 ccm Äthylamini hydrochlorici gelöst in
10 ccm Wasser.
Um 8h 45’ gesammelt 3,0 ccm Magensaft
” 9 h 00 i ” I b)] ”
= gnalon E Soma,
„ 9n30' - 3,5
Während 1 Stunde wurden 29,5 ccm Magensaft von 136,0 Azidität gesammelt.
Da das Äthylamin in dem Moment eingeführt wurde, in dem in
15 Minuten 5 cem zur Absonderung gelangten, so besteht für jede
Viertelstunde der Beobachtung ein Überschuss von 5 ccm, den man
abstrahieren muss. In 1 Stunde beträgt diese Quantität 20 cem, die
eigentliche, durch Äthylamin bewirkte Sekretion ergibt also 29,5 — 20 =
9,5ccm. Wie daraus zu ersehen, bewirkt Äthylamin Magensaftsekretion,
356 bio pielskT-;
doch ist dieselbe ganz unbedeutend. Es liesse sich vermuten, dass die
Wirkung von Äthylamin durch Einführung der Imidazol-Gruppe an
Stelle des Wasserstoffs gesteigert wird. |
P. hydroxyphenyläthylamin subkutan in Quantität von 0,1 des
Chloressigsalzes eingeführt bewirkt keine Sekretion. 0,1 8 Tetan-
phtylamin bleibt ebenfalls ohne Einfluss auf das Sekretionsvermögen,
doch treten dabei Alloemeinerscheinungen auf: Dar Hund wirft sich,
aus dem Maui und der Nase fallen Tropfen herab, die Gallensekretion
steigt, die Pupille wird maximum dilatiert. Der Zustand dauert an
zirka 1 Stunde.
V.
£ ß-i ist heutzutage nicht nur von einer theoretischen, sondern auch
praktischen Wichtigkeit. So betrachtet Dale ß-i als die Ursache des
anaphylaktischen Shockes, was ich schon im ersten Teil erwähnt habe.
Nach Dale wird die Wirkung von Pepton Witte!) und Organextrakten ?)
auf die Anwesenheit von ß-i zurückgeführt. Endlich erblicken einige
die Ursache von Tetanie in der Vergiftung des Organismus durch ß-i
(Koch °). ß-i kann im Darmtraktus entstehen. Dale hat ß-1 in Darm-
schleimhautextrakten entdeckt. Melanby und Twort (Journ. of
'Physiology, vol. 45 p. 53, 1912) behaupten, dass ß-i in Dale’schen
Versuchen durch die Wirkung von speziellen Bakterien, die ständig
im Darm leben, aus Histidin entstanden ist. Sie gehören zur Gruppe
der Coli-Typhus-Bakterien, sind immobil und Gram negativ. Berthelot
und Bertrand *) haben bei normalen Entleerungen wie auch bei
krankhaften Zuständen des Darmtraktus ein dem Bac. pneumoniae
Friedländer verwandtes Bakterium gefunden. Sie nannten es Bac.
aminophilus intestinalis. Eppinger°) fand in den Exkrementen bei
Diarrhöe ß-i; in physiologischen Zuständen nicht. Um ß-i festzustellen,
bediente er sich der Hautreaktion, die durch ß-i hervorgerufen wird.
ß-1 in 1:1000 Lösung, tropfenweise an einer erodierten Hautstelle ein-
geführt, lässt eine juckende, urticariaähnliche Blase entstehen, nach
subkutaner Injektion aber bewirkt es eine Rötung der ganzen Haut.
Da die Herstellung von ganz reinem ß-i aus Exkrementen ungemein
schwierig ist, so ist es schwer, die Frage zu beantworten, ob die Reaktion
als eine Folge ven ß-i oder anderer nicht zu vermeidender Verunreini-
sungen zu betrachten sei. Bei Kaninchen rief die reine Lösung von
1) Popielski, Über die physiologischen und chemischen Eigenschaften
des Peptons Witte. Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 483—510. 1909.
2) Popielski, Über physiologische Wirkung von Extrakten. Pflüger’s
Arch. Bd. 128 S. 191—221. 1909. h
3) Koch, F. W., nach Biedl: Innere Sekretion. III. Ausgabe Bd. 1
S. 156. 1916.
4) C. R. de l’Ac. des Sciences t. 154 p. 1643. 1912.
5) Eppinger, Wiener med. Wochenschrift Bd. 63 S. 1413. 1913.
2 EDUEE TEE ZLERREEE-
se ee ee a u an A
3-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 2357
ß-1 1:1000 nach meinen Versuchen weder Rötung noch Blasenbildung
hervor. A. E. Taylor und R. M. Pearce (The nature of the depressor
substance of the dogs urine and tissues, Journal of biological Chemistry,
vol. XV p. 213—16. 1913), konnten ß-i weder im Pankreas noch im
Darm nachweisen. Sie bedienten sich dabei der Methode von Kut-
schera, Lohmannund Engeland.
Was nun die Frage anbelangt, ob ß-i vom Darmtraktus aus seine
spezifische Wirkung üben kann, so antwortete darauf ein Versuch,
in welchem ich 0,0032 B-i ins Duodenum eingeführt habe. Es kam damals,
wie wir beobachtet haben, zu keiner Magensaftsekretion. Das Versagen
der Wirkung könnte seine Begründung darin finden, dass ß-i entweder
erstens im Darm einer Zersetzung erlegen war, oder zweitens ähnlich
anderen Aminkörpern in der Leber umgewandelt wurde. Hier.aber wird ß-i
nicht umgebildet, weil es in die V. mesenterica eingeführt, eine ebenso
starke Druckherabsetzung hervorruft, wie nach der Einführung in die
V.eruralis. So sank im Versuch vom 7. Juni 1917 beim Hund von
17 kg Gewicht nach Einführung von 0,006 ß-i in die V. mesenterica
der Druck im Verhältnis von 3:1, und nach der Einführung derselben
Quantität von ß-i in die V. cruralis im Verhältnis von 215:1. Höchst-
wahrscheinlich wird ß-i im Darmtraktus einer Zersetzung unterliegen.
Meine Versuche beweisen, dass mehrmalige subkutane Einführung von
P-i gar keine bemerkbaren Änderungen im allgemeinen Verhalten der
Tiere, jedenfalls aber gar keine Krämpfe herbeiführt. Diese Tatsache
ist von grosser Wichtigkeit, weil manche Forscher geneigt sind, in ß-i
‘ die Krampfursache bei Tetanie zu sehen. Sie stützen sich dabei auf
Arbeiten von Biedl (Innere Sekretion, III. Ausg., 1916, Bd. I S. 155).
Biedl gibt an, er habe bei Katzen nach subkutaner Einführung von
1-—-2 ms von ß-i eine gesteigerte Sensibilität von peripheren Nerven,
Fadenkrämpfe mancher Muskeln und den typischen Extremitäten-
krampf beobachten können. Doch bemerkt Biedl, dass die Zahl
seiner Versuche zu gering sei, und was von Wichtigkeit ist, dass er
keine histologische Untersuchung der Epithelkörper vorgenommen,
wodurch Folgerungen, die an seine Forschungen anknüpfen könnten,
unzulässig werden.
Eine praktische Bedeutung können ß-i und Gastrin noch in anderer
Beziehung haben. Diese Körper rufen eine immense Magensaftsekretion
hervor, von normaler Azidität, und wie mich spezielle Versuche über-
zeugt haben, von ganz normaler Verdauungskraft. Beim Hund ‚„‚Bialy“
von 15 kg Gewicht habe ich nach 0,032 ß-i beinahe 1000 cem Magen-
saft erhalten, was beinahe das Ganze der flüssigen Blutbestandteile
(1/13-15 = 1150 Blut) ausmacht. Durch diese Sekretion trocknen
die Gewebe aus, zugleich aber verschwinden aus den Geweben ver-
schiedene Produkte des Stoffwechsels.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178, } 17
258 L. Popielski:
Durch Magensaftsekretion verliert der Organismus eine beträcht-
liche Menge von saueren Gruppen, wodurch sich wieder eine grosse
Quantität von Basen im Blut sammelt (Pawlow I, Leistung der haupt-
sächlichen Verdauungsdrüsen, Petersburg 1897, S. 172—174). Diese
Eigenschaft kann in gewissen Krankheiten, wie Diabetes und Urämie
von Bedeutung sein.
Gute Erfolge, die bei Anämia durch subkutane Bluteinführung
erzielt werden, können zum grössten Teil von dieser Verdichtung des
Organismus abhängen; der vergrösserte Hämoglobingehalt und die
höhere Zahl der roten Blutkörperchen kann vor allem als Folge dieser
„Blutverdichtung‘“ betrachtet werden. Endlich wird auch der Aus-
trocknungszustand der Zellen, besonders deren der Nerven, zum Erreger
von verschiedenen chemischen Vorgängen, aus denen eine bedeutende
Besserung im kranken Organismus resultiert. Diese Gewebsaustrock-
nung steigt bei diesem Tier, bei dem der Magensaft nicht gesammelt
wird, immer mehr, weil der Magensaft ins Duodenum übergeht, und von
da aus noch die Sekretion des Pankreassaftes in ebensoleher Quantität
hervorbringt. Es wird zwar nach der Neutralisierung eine bedeutende
Menge der Flüssigkeit ins Blut gelangen, doch verbleibt diese Trocken-
heit des Organismus eine gewisse Zeit lang von ganz bedeutender Stärke.
In der Pathologie kann endlich der Magensaft als Verdauungssaft
von Wichtigkeit sein, besonders in Fällen der Achylia und herab-
gesetzter Verdauungstätigkeit. Es erhebt sich aber die Frage: wie
würde der Mensch auf ß-i reagieren ? Fälle, wo dieser Körper appliziert
wurde, sind bekannt. Um die Uteruskontraktionen beim Gebären zu
steigern, wurden 8 mg dieses Körpers eingeführt. Fast immer traten
Rötung und Kopfschmerz auf, Beschleunigung des Herzschlages, Steif-
heit der Finger und vorübergehendes fleckartiges Ekzem. Koch be-
obachtete (ebenda Nr. 16 S. 565) bei Injektionen von Y,, höchstens
1 mg bei 70%, der Fälle Kopfweh, Herzschlagbeschleunigung, Trocken-
heitsgefühl im Munde.
Dem Assistenten des Instituts, Herrn W. Koskowski, von 72 ks
Gewicht, Hörer der Medizin, habe ich auf seine dringenden Bitten
(im Falle der Absage wollte er die Einführung von ß-i selbst vornehmen)
am 26. Mai 1917 um 10 Uhr 45 Minuten früh subkutan am rechten
Arm 0,4 mg ß-i in einer Lösung von 1:1000 unter Beachtung aller in
diesem Fall angemessener Versuchsmaassregeln eingeführt. Diese wert-
vollen Beobachtungen führe ich im folgenden an.
An der Injektionsstelle ein starker Schmerz, der ca. 1’ dauert.
‚Nach 10’ leichtes Brennen im Magen, Druckgefühl in der Herzgegend.
Nach 12’ starkes Brennen mit Unterbrechungen.
Um 11h 02h Aufstossen. An der Infektionsstelle eine breite Rötung mit
leichter Erhebung.
Um 11h 10’ Aufstossen. Das Magenbrennen sinkt, Aufstossen und Druck-
gefühl dauern an. Geschmacksgefühl nach Aufstossen nicht sauer.
B-imidazolyläthylamin und die Organextrakte. II. 259
Um 11h 15’ leichte Übelkeit. Aufstossen dauert an. Leichtes Kopfweh
in der Stirngegend. Abschwächung.
Um 11h 20’ Aufstossen, Brennen, kein Druckgefühl.
250) 5 Kopfweh. Das allgemeine Befinden unangenehm.
Rötung an der Injektionsstelle schwindet.
Um 11h 40' Magenknurren, Kopfweh, Aufstossen.
115 50’ Dasselbe.
„ 11555’ Trockenheitsgefühl im Kehliopr Schluckbeschwerden.
„. 125 00’ s und der Mundhöhle. Beim
Treppenaufsteigen Schwächegefühl in den Füssen.
Um 12h 15’ starke Apathie. Seitens des Magens keine Erscheinungen.
»„ 1500’ Kopfweh. Apathie. Schwergefühl des Kopfes. Trockenheit
in der Mundhöhle. Von Zeit zu Zeit Aufstossen. Ermüdung.
Um’ 1h 10’ leichte Übelkeit. Kopfweh ohne Unterbrechung.
„ 15380’ guter Appetit. Schwierigkeit beim Essen bedingt durch
Trockenheit der Mundhöhle und des Kehlkopfes. Aufstossen dauert an.
Um 3h 50’ Kopfweh. Apathie.
„ 2h30’ Das allgemeine Befinden gut. Trockenheit im Kehlkopfe
dauert an.
Alle diese Symptome finden ihre Erklärung im Austrocknen der
Zellen, das durch die gesteigerte Magensaftsekretion bewirkt wurde.
Diese Tatsachen erinnern, wie wir sehen, an Beobachtungen von Jaeger
und Koch mit dem Unterschied, dass beide Forscher schon nach
1 Stunde 30 Minuten keine anormalen Erscheinungen bemerken konnten.
Es muss vor Einführung von ß-i ins Blut oder blutenthaltende Organe
gewarnt werden, wie dies Kehrer und Koch getan haben. Kehrer
beobachtete gefährliche Erscheinungen, die an den anaphylaktischen
Shock, entstanden durch Einführung von $-i in die blutende Gebär-
mutter, erinnerten.
Es scheint, dass der Mensch viel sensibler auf die Einführung von
ß-i reagiert als der Hund, dieser wieder mehr als das Kaninchen.
”
Zusammenfassung.
Organextrakte subkutan eingeführt rufen ähnlich ß-i bloss reich-
liche Magensaftsekretion hervor. Folgeerscheinungen anderer Art sind
nicht zu beobachten. Säuren wie: Salz-Citron, Essig, Mono- und
Dichloressigsäure schmälern nach Zugabe zu den Organextrakten die Wir-
kung derselben, ausgenommen die Trichloressigsäure, die sie verstärkt.
Höchstwahrscheinlich binden die einen von den Säuren den
Wirkungskörper (vermutlich ß-i), der in den Organextrakten vor-
handen, die anderen dagegen lassen ihn frei werden.
Die Folgen der subkutanen Einführung von ß-i, wie Kopfschwindel,
Apathie, hängen ab vom Austrocknen der Nervenzellen, bewirkt
durch starke Magensaftsekretion.
Zu ‚therapeutischen Zwecken darf ß-i intravenös nicht eingeführt
werden, da dabei ein gefährlicher Kollaps auftreten kann.
E72
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen
Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung.
Von
Emil Abderhalden.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Halle a. S.)
In einer ausführlichen Mitteilung haben Schaumann und ich!)
die Gründe dargelegt, aus denen hervorgeht, dass offenbar die Zahl
der bisher unbekannten, unentbehrlichen Nahrungsstoffe eine grössere
ist, als man zunächst anzunehmen geneigt war. Wir kamen zu dieser
Annahme einerseits fussend auf den umfassenden Erfahrungen von
H. Schaumann, Axel Holst und anderen Forschern, und endlich
auf Grund der gemeinsam durchgeführten Untersuchungen. Eigene
Beobachtungen aus neuerer Zeit führten zum gleichen Ergebnis).
Von ganz besonderem Interesse ist die Frage, ob es möglich ist, den
nutraminhaltigen Nahrungsmitteln die Nutramine durch
Lösungsmittel zu entziehen, ohne dass man sie vorher‘
zerlegt und dabei eventuell gebundene Nutramine in Frei-
heit setzt°). Ferner ist für die ganze Auffassung der Wirkung der
Nutramine von grundlegender Bedeutung, zu entscheiden, ob die
Forschung schon soweit vorgeschritten ist, dass sie die Nutramine
restlos isolieren und mit ihrer Hilfe natraminfreie Nahrungsmittel zu
vollwertigen gestalten kann. Dieses Problem ist in der erwähnten
Arbeit von H. Schaumann und mir eingehend erörtert. Wir sind
zu dem Schluss gekommen, dass unter allen Umständen die nutramin-
haltigen Nahrungsmittel als solche den isolierten Produkten überlegen
sind. Wir gewannen den Eindruck, dass offenbar nicht eine bestimmte
Substanz imstande ist, ein nutraminfreies Nahrungsmittel vollwertig zu
machen, sondern es müssen offenbar mehrere Stofte zusammenwirken.
So konnten wir zeigen, dass die Hefe ein nutraminfreies Nahrunges-
mittel vollwertig machen kann, während das nicht der Fall ist, wenn
man ein alkoholisches Hefeextrakt an Stelle der Hefe anwendet. Es
muss auch der Möglichkeit gedacht werden, dass ein oder auch mehrere
1) Pflüger’s Arch. Bd. 172 S. 1. 1918. Hier ist die einschlägige
Literatur eingehend berücksichtigt.
2) Emil Abderhalden, Pflüger’s Arch. B. 175, 187. 1919.
3) H. Schaumann hat in dieser Richtung schon eine Reihe wichtiger
Beobachtungen gemacht und gezeigt, dass man Reiskleie und Hefe mit
Azeton, Alkohol und verdünnter Salzsäure die wirksamen Stoffe nur sehr
schwer oder tiberhaupt nicht vollkommen entziehen kann.
N
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 261
Nutramine sich aus Nahrungsmitteln vollständig herauslösen lassen,
dagegen andere nicht. Auch in diesem Falle könnte ein Extrakt einer
vollwertigen Wirkung entbehren, falls ein Zusammenspiel einer Reihe
von Substanzen in bestimmtem Mengeverhältnis notwendig ist. In
diesem Falle dürfte das nach dem Ausziehen verbleibende Substrat
auch nicht vollwertig in seiner Wirkung sein.
’ In der erwähnten Arbeit sind weitere wichtige Beobachtungen
gesammelt, um zu entscheiden, ob die Nutramine einer bestimmten
Klasse von Verbindungen als Bausteine angehören. Wir dachten an
die Nukleoproteide und an die Phosphatide. Es sei hervor-
sehoben, dass auf diesem Gebiete H. Schaumann schon früher
ausserordentlich wichtige Feststellungen gemacht hat!). Die ganze
Forschung über Nutramine knüpft an die grundlegenden Arbeiten
von Eijkman, Schaumann, Axel Holst und Kasimir Funk an.
Während Eijkman die hochbedeutsame Entdeckung machte, dass
man nach Verfütterung bestimmter Nahrungsmittel und im besonderen
von Reis schwere Ernährungsstörungen hervorrufen kann, haben die
übrigen der genannten Forscher das Schwergewicht der Forschung
auf die Festlegung der Ursache dieser Erscheinung gelegt und die
Frage in dem Sinne entschieden, dass unzweifelhaft in den Nahrungs-
mitteln noch unbekannte lebenswichtige Nahrungsstoffe enthalten sind.
‚Spruchreif ist die ganze Frage erst in den letzten Jahren geworden ’?).
Es blieod zunächst immer noch die Möglichkeit, dass die bekannten
Erscheinungen, die bei Tieren und Menschen nach Verabreichung
bestimmter Nahrungsmittel auftreten, sich durch Infektionen, Intoxi-
kationen oder durch Fehlen von Bausteinen bekannter Nahrungsstoffe
erklären lassen. Bei einer Fragestellung von so weittragender Be-
deutung mussten alle Möglichkeiten sorgfältig geprüft werden. Das
war der Sinn der von mir im Jahre 1912 begonnenen, gemeinsam mit
Arno Ed. Lampe und Gottfried Ewald durchgeführten Ver-
suche). \
Es unterliegt jetzt keinem Zweifel mehr, 'dass es eine
Klasse von Nahrungsstoffen gibt, die in ganz eigener
spezifischer Art am Stoffwechsel teilnehmen und Organ-
funktionen beeinflussen. Diese Nutramine genannten Stoffe
1) H. Schaumann, Die Ätiologie der-Beri-beri II. Beiheft des Archivs
für Schiffs- und Tropenhygiene. Bd. 18 S. 1. 1914.
2) Zahlreiche Arbeiten amerikanischer Forscher (Osborne, Mendel
usw.), die leider noch nicht im Original zugänglich sind, haben das ganze
Forschungsgebiet nach verschiedener Richtung erörtert (vgl. die Referate
im Chem. Zentralbl. 1914—1919).
3) EmilAbderhalden und Arno Ed. Lampe, Zeitschr. f. die gesamte
experimentelle Medizin Bd. 1 S. 296. 1913. — Emil Abderhalden und
G. Ewald, ebenda Ba. 5 S. 1. 1916.
3623 Emil Abderhalden:
sind bekanntlich zum Teil isoliert, jedoch ist es bis heute noch nicht
geglückt, ein Nutramin in seiner Zusammensetzung vollständig klar-
zulegen. Es liest das daran, dass sie nur in geringer Menge verkommen
und ausserdem, zum Teil jedenfalls, ausserordentlich leicht veränder-
lich sind.
Ich konnte gemeinsam mit Ewald!) an Tierversuchen zeigen,
dass geschliffener Reis plus einer wässerigen Lösung von durch Alkohol’
aus Hefezellen entzogenen Stoffen nicht imstande ist, das erwähnte
Nahrungsmittel auf die Dauer zu einem vollwertigen zu machen. Das
erwähnte Extrakt vermag wohl in ausgezeichneter Weise im Gefolge
der Ernährung mit geschliffenem Reis eintretende Erkrankungen und
speziell Krämpfe rasch zu beseitigen. Wird jedoch das Extrakt auch
dauernd zugeführt, so zeigen sich nach einiger Zeit doch wieder Krämpfe,
und die Tiere gehen schliesslich zugrunde. Es sind noch eine ganze
Reihe von Versuchen in der gleichen Richtung ausgeführt worden.
Das Ergebnis war immer das gleiche.
Die Versuche waren, wie folgt, durchgeführt: Die Tauben erhielten
geschlitfenen Reis. Sobald sich Krämpfe zeigten, wurde Hefeextrakt
eingespritzt. Die Tiere erholten sich dann und erhielten nun weiter
geschliffenen Reis. Entweder wurde nun jeden zweiten Tag das Hefe-
extrakt intramuskulär in Mengen, die 0,001 & Stickstoff enthielten,
eingespritzt, oder aber es wurde täglich der Nahrung zugefügt, und
zwar in einer Dosis von 0,01 g Stickstoff. Nach mehr oder weniger
langer Zeit erkrankten die Tiere wieder und gingen schliesslich unter
Krämpfen oder ohne solche zugrunde. Es zeigten sich dabei sehr
grosse individuelle Unterschiede. Die meisten Tiere starben innerhalb
von 3 Wochen nach dem Auftreten ‘der ersten Krämpfe. Die längste
Lebensdauer betrug 5 Wochen nach Verabreichung der ersten Ein-
spritzung von Hefeextrakt. Erwähnt sei noch, dass wir die Menge
. des Hefeextraktes bei späteren Versuchen variiert haben. Es hat sich
herausgestellt, dass grössere Dosen des Hefeextraktes eiftig wirken.
Es gelang jedoch mit keiner Desis, die gegen Krämpfe wirksam war,
die Wirkung der Hefe selbst zu ersetzen. Dagegen konnten wir Tauben
mit geschliffenem Reis monatelang am Leben erhalten, wenn wir dem
erwähnten Nahrungsmittel getrocknete Hefe zusetzten.
Wir sind nun der Frage nachgegangen, ob es möglich ist, der
Hefe die wirksamen Stoffe zu entziehen, ohne sie vorher zu
spalten. Würde das gelingen, dann wäre die Möglichkeit geschaffen,
auf einfache Weise die Nutramine von einer grossen Anzahl von Stoffen
zu trennen. Es wäre ferner möglich, dass die verschiedenartigen Nutra-
mine eine verschiedene Löslichkeit zeigen und bestimmte Lösungs-
1) 1. c.
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 263
mittel nur bestimmte Nutramine aufnehmen. Die Hoffnung auf ein
Gelingen dieser Versuche war gering, weil schon durch die früheren
Arbeiten und speziell durch die erwähnten Mitteilungen von H. Schau-
mannunddiesem Forscher und mir gezeigt worden war, dass der beiweitem
grösste Teil der Nutramine sich in Bindung in den Nahrungsmitteln vor-
findet. Es war jedoch denkbar, dass von jedem Nutramin ein Teil in
freiem Zustande zugegen ist. Man könnte dann durch Verarbeitung sehr
grosser Mengen bestimmter Nutraminträger die einzelnen Nutramine
anreichern. Ferner war die Möglichkeit gegeben, dass ein bestimmtes
Nutramin oder mehrere hauptsächlich im freien Zustande vorhanden
sind, während andere in der Hauptsache gebunden vorkommen. Die
bisherige Erforschung der Zusammensetzung der Nutramine ist da-
durch so ungeheuer erschwert, dass man genötigt ist, die Nahrungs-
mittel durch Hydrolyse aufzuspalten. Man erhält dabei die Bausteine
sämtlicher vorhandener zusammengesetzten Nahrungsstoffe und muss
dann aus diesem grossen Gemisch versuchen, die erwähnten Stoffe
abzutrennen. Dabei stösst man fortwährend auf Aminosäuren und
auf Spaltprodukte aus Phosphatiden (Cholin) und auch aus Nuklein-
säuren. Diese Beimengungen stören selbstverständlich die Reindar-
stellung der Nutramine ganz ausserordentlich. Es hat schon Schau-
mann darauf hingewiesen, dass der Phosphorsäuregehalt der Nahrungs-
mittel als Wegweiser für die Beurteilung des Gehaltes von Nahrungs-
mitteln an Nutraminen dienen kann. Unsere gemeinsame Arbeit
hat gezeigt, dass die Phosphorsäure offenbar die Nutramine vor Zer-
setzung schützt. Solange sie mit dieser verbunden sind, bleiben sie
unverändert. Sobald man sie jedoch in Freiheit setzt, beginnt bei
vielen die Verwandlung. Dabei entstehen offenbar Verbindungen, die
sich im physiologischen Versuch als unwirksam erweisen.
Die Versuchsanordnung war folgende: Wir trockneten frische Hefe
durch Ausbreitung in kleinen Teilchen an der Luft. Die getrocknete
Hefe wurde dann mit verschiedenen Lösungsmitteln ausgezogen. Zu
den unten mitgeteilten Versuchen sind folgende Extrakte verwendet
worden:
1. Die Trockenhefe wurde durch Auskochen mit der zehnfachen
Menge absoluten Alkohols vollständig erschöpft. Das alkoholische
Extrakt dampften wir unter vermindertem Druck zur Trockene ein.
Der Rückstand wurde in Wasser gelöst. 1 cem der Lösung enthielt
0,00055 & Stickstoff.
2. Die Extraktion der getrockneten Hefe erfolgte unter Erwärmen
auf dem Wasserbad mit der zehnfachen Menge Aceton. Die Aceton-
lösung wurde gleichfalls unter vermindertem Druck zur Trockene
verdampft und der Rückstand in Wasser gelöst. 1 cem der Lösung
enthielt 0,00015 & Stickstoff.
2054 Emil Abderhalden:
3. Getrocknete Hefe wurde in der gleichen Weise wie zuver mit
Aceton ausgezogen. Hierauf wurde die mit Aceton erschöpfte Hefe
mit der zehnfachen Menge Alkohol am Rückflusskühler gekocht. Das
alkoholische Extrakt dampften wir dann unter vermindertem Druck
zur Trockene ein. Es sei dieser im Gegensatz zu dem oben unter 1
erwähnten als alkoholischer Auszug II bezeichnet. l cem dieser Lösung
enthielt 0,00010 g Stickstoff.
Mit dem nach dem Ausziehen verbleibenden Heferückstand haben
wir Gärungsversuche mit Traubenzuckerlösung angestellt. Es zeigte
sich, dass in allen Fällen eine lebhafte Kohlensäureentwicklung ein-
setzte.
Um zu prüfen, ob durch die verschiedenen Lösungsmittel der Hefe
die Fähigkeit, mit geschliffenem Reis ein für lange Zeit vollwertiges
Nahrungsmittel zu bilden, geraubt worden ist, haben wir Tauben
zunächst solange mit geschliffenem Reis gefüttert, bis sie erkrankten.
Wir warteten nun nicht in jedem Falle ab, bis schwere Krämpfe vor-
handen waren, sondern wir griffen meistens schon ein, wenn das ganze
Verhalten der Tiere zeigte, dass sie in ihrer Gesundheit gestört waren.
Die beginnenden Erkrankungserscheinungen zeigen sich darin, dass
die Tiere sich nicht mehr vom Boden des Käfigs erheben. Während
sie zuvor die Stange als Aufenthaltsort benutzten, sitzen sie nun
meistens mit aufgerichtetem Gefieder am Boden. Sind mehrere Tiere
vorhanden, dann rücken sie dicht zusammen. Sie fliehen nieht mehr,
wenn man sie anfassen will und fühlen sich namentlich kurz vor Aus-
bruch der Krämpfe kühl an. Während der Krämpfe ist die Körper-
temperatur immer erniedrigt. Über die bei den Messungen der Körper-
temperatur gemachten Beobachtungen unterrichten die unten mit-
geteilten Protokolle. Wir haben auch bei vier normal ernährten Tieren
zur Kontrolle in demselben Raume die Temperatur mit bestimmt. -
Wie die folgenden Versuche zeigen, ist durch die Extraktion die
Hefe in ihrer Wirkung nicht beeinflusst. Sobald die Verfütterung
von Hefepräparaten einsetzte, erholten sich die Tiere bald. Nach
einiger Zeit verhielten sie sich genau so wie gesunde Tiere. Das Körper-
gewicht verhielt sich verschieden. In den einen Fällen stieg es eine
Weile an, um dann lange Zeit auf derselben Höhe zu bleiben. Dann
begann es jedoch abzufallen. Es hängt dies ohne Zweifel damit zu-
sammen, dass der Reis als solcher ohne Zweifel, besonders auch infolge
seiner Eiweissarmut, kein auf die Dauer genügendes Nahrungsmittel
ist. In anderen Fällen folste dem Hefezusatz kein wesentlicher An-
stieg des Körpergewichtes.
* Erwähnt sei, dass wir die Hefepräparate in der Weise verabreichten,
dass wir sie mit aufgeweichtem Reis mischten und dann daraus Pillen
formten. Die Einzelheiten ergeben sich aus den mitgeteilten Protokollen.
= at nn nn un =
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 265
1. Versuche mit mit Alkohol extrahierter Hefe.
Die Tauben erkrankten bei reiner Reisfütterung nach 21—33 Tagen.
Es ist sehr interessant, dass bei ein und demselben Futter die Erschei-
nungen der alimentären Dystrophie zu sehr verschiedenen Zeiten auf-
treten. Das Tier, das am spätesten Störungen zeigte, war offenbar
am meisten geschädist, denn es lebte bei Verabreichung der Hefe-
pillen nur noch 25 Tage. Eine andere Taube, die nach 24 Tagen ein-
seitiger Reisfütterung Krämpfe bekam, lebte bei Verabreichung der
Pillen noch 35 Tage. Bei den drei anderen Tauben haben wir während
84 bzw. 86 bzw. S9 Tagen Hefepillen verabreicht, und zwar solche,
die mit Alkohol ausgezogen waren. Bei Taube II waren die Pillen
ausserdem noch mit Alkoholhefeextrakt versetzt worden. Die Tiere
befanden sieh während dieser ganzen Zeit ganz gut. Nun verabreichten
wir an Stelle der Hefepillen täglich alkoholisches Heteextrakt. Es
traten auffallend früh Krämpfe auf, bei Taube I und II schon nach
4 Tagen und bei Taube III nach 6 Tagen. Wir haben uns davon über-
zeugt, dass das Extrakt als solches die Krämpfe aufhebt und bei ge-
sunden Tauben selbst nach wochenlanger Zuruhr keine solchen bedingt.
Es hat den Anschein, als ob es während der Zufuhr der Hefepillen
nicht zur Bildung eines Vorrates an Nutraminen im Organismus der
Tauben kam. Der Ausfall der verschiedenen Nutramine macht sich
deshalb offenbar so rasch geltend. Die Beobachtung, wonach beim
Beginn der Versuche bei reiner Reisfütterung erst nach längerer Zeit
Erscheinungen auftraten und vor allem immer später als bei unseren
Versuchstauben, die lange Zeit nur geschliffenen Reis und Hefepillen
erhalten hatten, ergibt die Möglichkeit, dass ein gewisser Vorrat an
Nutraminen beim normal ernährten Organismus vorhanden ist. Frei-
lich können die Verhältnisse auch viel komplizierter liegen. Es ist
interessant, dass, nachdem die Zufuhr der Hefepillen ausgesetzt und
mit der Zufuhr von Hefeextrakt begonnen worden war, eine nicht
mehr zu beseitigende Störung zurückblieb. Da bei den übrigen Ver-
suchen andere Erfahrungen gemacht worden sind, müssen weitere
Beobachtungen entscheiden, ob hier eine Besonderheit oder nur ein
Zufall vorliest. Wie die weiter unten mitgeteilten Versuche, bei denen
in anderer Weise ausgezogene Hefe zur Verabreichung kam, zeigen,
lebten die Tiere nach Wiederverabreichung von Hefepillen viel länger.
Bei Versuch I wurden 27 Tage lang 5 Pillen Nr. 1 gegeben. Es
traten dann Krämpfe auf. Das Tier erholte sich nicht mehr. Bei Ver-
such II gaben wir 9 Tage lang Pillen. Die Krämpfe setzten wieder ein.
Es gelang, wie das unten mitgeteilte Protokoll zeigt, das Tier nicht
auf längere Zeit am Leben zu erhalten. Bei Tier Nr. 3 waren die
Krämpfe überhaupt nicht mehr zu beseitigen.
266 Emil Abderhalden:
Zu diesen Versuchen ist noch folgendes zu bemerken: Wir haben
drei Versuche durchgeführt, bei denen geprüft werden sollte, wie lange
die Tiere am Leben bleiben, wenn sie ausschliesslich geschliffenen Reis
und Hefe erhalten, die vollständig mit absolutem Äthylalkohol er-
schöpft ist. Aus äusseren Gründen konnte das Körpergewicht der
Tiere nicht verfolgt werden. Es wurde nur die Lebensdauer fest-
gestellt. Die drei Tauben lebten mit der erwähnten Nahrung 154,
185 und 208 Tage. Es ergibt sich aus diesen Feststellungen die inter-
essante Tatsache, dass durch die kurze Unterbrechung in der Zufuhr
der Hefepillen, wie sie bei den oben erwähnten Versuchen stattgefunden
hat, ein offenbar mühsam aufrecht erhaltener Stoffwechsel tiefgehend
gestört wurde.
Nr. 1. Taube, graues Gefieder mit zwei braunen Streifen
auf den Flügeln.
Nach 21 Tagen einseitiger Reisfütterung treten Krämpfe auf. Ein-
spritzung von 2 cem alkoholischem Hefeextrakt in wässeriger Lösung.
Das Tier erhält 86 Tage lang täglich 5 Hefepillen Nr. 1, danach 4 Tage
0,001 g N täglich in Form von alkoholischem Hefeextrakt mit Reis.
Am Ende dieser 4 Tage treten wieder Krämpfe ‚auf; intramuskuläre
Injektion von 2,5 ccm alkoholischem Hefeextrakt in Wasser gelöst.
2 Tage darauf treten wieder Krämpfe auf; intramuskuläre Injektion
von 2 cem alkoholischem Hefeextrakt in Wasser gelöst. Dann werden
wieder 27 Tage lang täglich 5 Pillen Nr. 1 gegeben. Es treten Krämpfe
auf; intramuskuläre Injektion von 2 ccm Methylalkohol-Hefeextrakt
in Wasser gelöst. Am nächsten Tag ist das Tier tot.
Vom 8. Februar 1919 ab nur mit geschliffenem Reis gefüttert.
—
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1) Vom 10.—14. Februar zeigt das Tier grosse Fresslust, die aber dann
abnimmt.
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahırungsstoffen usw. 267
Temperatur-| 3 |
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1) Das Tier sitzt zusammengeduckt und mit gesträubtem Gefieder auf
dem Boden des Käfigs.
2) Das Tier sitzt wieder zeitweise auf der Stange.
3) Das Tier schmiegt sich dicht an andere an.
4) Das Tier zeigt ein eigentümliches Zittern und ist sehr matt. Abends
65 30’ treten die charakteristischen Krämpfe auf, der Kopf ist hintüber-
geschlagen. Nach dem Einspritzen von 2 ccm alkoholischem Hefeextrakt,
in Wasser gelöst, erholt sich das Tier rasch wieder.
5) Das Tier spaziert wieder im Käfig umher und macht auch beim Greifen
Fluchtversuche. — Herstellung der Pillen: 2g der mit Alkohol extrahierten
Hefe wurden mit 2 g Reis, der in Wasser weich gekocht war, gemischt und
daraus 55 Pillen geformt.
6) Die Taube macht wieder einen gesunden Eindruck.
7) Das Tier sitzt mit gesträubtem Gefieder im Käfig, es wird alter
blutiger Stuhl darin vorgefunden.
8) Das Tier ist wieder lebhafter, es spaziert im Käfig umher.
9) Das Tier macht wieder einen gesunden Eindruck.
368 Emil Abderhalden:
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Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 269
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1) Das Tier zeigt morgens die charakteristischen Krämpfe, nachdem es
die Tage vorher noch einen völlig gesunden Eindruck machte. Es erhält
intramuskulär 2,5 ccm alkoholischen Hefeextrakt in Wasser gelöst und er-
holt sich nur langsam wieder.
2) Das Tier hat sich erholt, verhält sich aber noch sehr ruhig.
3) Im Laufe des Tages treten wieder Krämpfe ein. Das Tier erhält
nachmittags 3b intramuskulär 2 ccm alkoholischen Hefeextrakt in Wasser
gelöst. Nachdem die Krämpfe noch eine Stunde angehalten haben, erholt
es sich nur sehr langsam.
4) Die Taube sitzt still mit eingezogenem Kopf und gesträubtem Ge-
fieder im Käfig, zittert häufig, ist apathisch und rührt sich nicht bei An-
näherung. Zeitweise treten noch Krämpfe auf.
5) Die Symptome sind noch dieselben, ausserdem treten Zuckungen in
den Beinen auf.
6) Das Tier erholt sich langsam, die Zuckungen haben aufgehört, zeit-
weise ist es noch unsicher auf den Füssen.
7) Das Tier erholt sich weiter.
8) Das Tier sitzt wieder auf der Stange.
270 Emil Abderhalden:
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Nr. 2. Taube mit weissem Gefieder.
Nach 25 Tagen einseitiger Reisfütterung treten Krämpfe auf. Ein-
spritzung von 1 cem alkoholischem Hefeextrakt in Wasser gelöst.
20 Tage lang werden täglich 5 Hefepillen Nr. 1 gegeben, danach 6 Tage
lang 5 Pillen Nr. 1, die in mit Wasser gelösten alkoholischen Hefe-
extrakt getaucht sind. Dieselben Pillen werden weitere 89 Tage lang
mit einer täglichen Zugabe von 0,1 g getrockneter Hefe gegeben.
Darauf erhält das Tier 4 Tage lang täglich 0,001 g N in Form von
alkoholischem Hefeextrakt mit Reis. Es setzen Krämpfe ein; intra-
muskuläre Injektion von 1 cem alkoholischem Hefeextrakt in Wasser
gelöst. Am 2. Tage darauf wiederholen sich die Krämpfe; intramuskuläre
Injektion von 2,5 ccm alkoholischem Hefeextrakt in Wasser gelöst.
Danach erhält das Tier 9 Tage lang täglich 5 Pillen Nr. 1 mit Wasser,
nachdem diese in aufgelösten alkoholischen Hefeextrakt getaucht
worden sind, und ferner 0,1 g getrocknete Hefe. Die Krämpfe setzen
wieder ein; intramuskuläre Injektion von 3 ccm alkoholischen Hefe-
extraktes in Wasser gelöst und zweimalige Gabe von 0,2 g getrock-
neter Hefe. Vom nächsten Tage ab werden täglich 7 Tage lang
5 Pillen Nr. I, die zuvor in mit Wasser gelösten alkoholischen Hefe-
extrakt getaucht worden sind, und 0,1 & getrocknete Hefe gegeben;
am Tage darauf wird das Tier tot vorgefunden.
1) Das Tier ist dicht vor dem Krampfstadium und bekommt intra-
muskulär 2 ccm methylalkoholischen Hefeextrakt in Wasser gelöst. Am
1. Juli morgens ist das Tier tot.
Me
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 27]
Vom 4. Januar 1919 ab nur mit geschliffenem Reis gefüttert.
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1) Das Tier ist besonders scheu.
2) Das Tier sitzt zeitweise mit eingezogenem Kopf und gesträubtem Ge-
fieder auf der Stange des Käfigs. Die gleiche Beobachtung wird auch
weiterhin gemacht.
3) Das Tier zeigt die charakteristischen Krämpfe, Kopf hintenüber-
geschlagen. Es erhält abends” t intramuskulär lcem alkoholischen Hefeextrakt
in H,O gelöst. Es setzt sofort Besserung ein, nach etwa einer halben Stunde
sind die Symptome stark gemildert.
4) Das Tier hat sich erholt, verlässt jedoch den Boden des Käfigs noch nicht.
5) Nachmittags 4h ist das Tier ziemlich matt. — Herstellung der Hefe-
pillen: 2 &g mit Alkohol extrahierter Hefe wurden mit 2 g Reis, nachdem
er in Wasser weich gekocht war, gemischt und daraus 55 Pillen geformt.
6) Die Taube ist wieder lebhafter und macht Fluchtversuche.
7) Das Tier erholt sich weiter.
8) Das Tier erholt sich zusehends.
9) Die Taube verlässt wieder den Boden des Käfigs, die Fresslust ist
sehr gering. :
10) Das Tier macht wieder einen ganz gesunden Eindruck.
372 Emil Abderhalden:
25)
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al: — | vormitt. F taucht sind,
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26. März |39,7° | mittags | 248,0 [Geschliff. 5 Pillen Nr. 1,
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16. » 40,5 6) ur ” | ” |
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 173. 1S
274 Emil Abderhalden:
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13. „ °) | 40,0°| nachm. | 2040| „ e
14. ,„ 8) [| 39,0° | mittags | — = e
1) Das Tier zeigt morgens die charakteristischen Krämpfe, machte die
Tage vorher jedoch noch einen ganz gesunden Eindruck. Es erhält intra-
muskulär 1 ccm alkoholischen Hefeextrakt in H,O gelöst und erholt sich
rasch wieder.
2) Das Tier hat sich ganz erholt und läuft wieder im Käfig umher.
3) Nachmittags 3h treten wieder Krämpfe auf, das Tier erhält 2,5 ccm.
alkoholischen Hefeextrakt in H,O gelöst intramuskulär; es erholt sich in
1!/’„—2 Stunden wieder.
4) Das Tier läuft wieder im Käfig umher, torkelt aber noch zeitweise;
es flieht bei Annäherung.
5) Das Tier wird morgens in Krämpfen vorgefunden, erhält intramuskulär
3 cem alkoholischen Hefeauszug in H,O gelöst + 0,2 3 getrocknete Hefe;
es erholt sich nach 2 Stunden etwas, abends erhält es nochmals 0,2 g Hefe.
6) Das Tier erholt sich weiter, sitzt still im Käfig, gegen Mittag läuft
es im Käfis umher und dreht sich zeitweise krampfhaft im Kreise.
7) Das Drehen tritt zeitweise in verstärktem Maasse wieder auf. Das
Gefieder ist gesträubt, der Kopf eingezogen.
8) Das Drehen im Kreise hat aufgehört.
a ne 21a
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 275
Tann eu 2=
messung E = Art der Fütterung
{eb} i
Datum | 48 & | Sy
22| 98 | & IGeschlifi
[eB}
= 35 as Es R a Hefepillen Hefeextrakt
15. Juni — | morgens| 190,0 [Geschliff.|5 Pillen Nr. 1,
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I le — — — taucht sind,
+0,1g getrock-
nete Hefe
Nr. 3. Taube mit schwarzweissem Gefieder.
Nach 24 Tagen einseitiger Reisfütterung treten Krämpfe auf. Das
Tier erhält 84 Tage lang täglich 6 Hetepillen Nr. 1, dann 5 Tage lang
täglich 0,001 & N in Form von alkoholischem Hefeextrakt mit Reis
gemischt. 2 Tage wird ausgesetzt. Es treten Krämpfe auf, die, nach-
dem 6 Pillen Nr. 1 gegeben werden, nicht nachlassen. Das Tier stirbt.
Vom 8. Februar 1919 ab nur mit geschliffenem Reis gefüttert.
>
Temperatur-| 5 =
a A E = Art der Fütterung
D = 5 an=
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. = 5 > Hefepillen Hefeextrakt
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CR 38.00.1022 4osloih
a. ” 38,9 ” m ”
I 37,50 a 409,0
1) Das Tier wird morgens tot vorgefunden. Die Sektion ergab: Ver-
änderung des rechten Brustmuskels — Degenerätion und Braunfärbung,
ausserdem sehr starke Abmagerung.
2) Vom 10.—14. Februar zeigt das Tier grosse Fresslust, die aber dann
abnimmt.
132
276 Emil Abderhalden:
5 >
Temperatur-| 5 s |
engl es Art der Fütterung
Datum 25 ir an S
FE 2 &S 2 Geschlif B n €
le | eh. Hefepillen | Hefeextrakt
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IE, 38,3° | nachm. | 367,0 5 y;
1) Das Tier sitzt mit eingezogenem Kopf und gesträubtem Gefieder auf
dem Boden des Käfigs. Der Brustmuskel ist nur wenig geschwunden.
2) Abends treten die charakteristischen Krämpfe auf, der Kopf ist hint-
übergeschlagen, das Tier erhält Hefepillen. — Herstellung der Pillen: 2 g mit
Alkohol extrahierter Hefe wurden mit 2 g Reis, der in Wasser weich ge-
kocht war, gemischt und 55 Pillen daraus geformt.
3) Das Tier hat sich rasch erholt und läuft im Käfig umher.
4) Das Tier zeigt Fresslust.
5) Die Taube macht wieder einen gesunden Eindruck.
6) Das Tier ist sehr ruhig und liegt zeitweise mit dem Bauch auf dem
Käfigboden.
ei Zn;
‚Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 277
1) Das Tier verhält sich weiter sehr ruhig.
2) Das Tier ist sehr matt und unsicher auf den Füssen, es torkelt beim
Laufen.
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Temperatur-| S
messung =: Art der Fütterung
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I Geschliff | :
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17. ” 38,9 2 ” HER ” ”
182, — —
3) Das Tier sitzt in eine Ecke geduckt im Käfig, es wird starkes Herz-
klopfen festgestellt. Mittags erhält es intramuskulär 2 ccm alkoholischen
Hefeextrakt in Wasser gelöst. Besserung tritt sehr langsam ein.
4) Das Tier verhält sich sehr ruhig, es ist noch unsicher auf den Füssen,
auch frisst es seit dem 6. Mai nichts.
5) Das Tier hat sich erholt und läuft zeitweise wieder im Käfig umher.
6) Das Tier ist matt und verlässt den Boden des Käfigs nicht.
Emil Abderhalden:
Temperatur-| $ x
messung B5 ‚Art der Fütterung
Datum a5 In 5
| : 5 ;
I s z ei 3 iz u ‘; Hefepillen | Hefeextrakt
|
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29. — | morgens u —_ gemischt
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2. Juni?) | 35,0° | nachm. | 307,0 a 6 Pillen Nr. 1 u
3...) | — |morgens| 288,0 - — —_
Nr. 4 Taube, Gefieder grauweiss gesprenkelt.
Nach 24 Tagen einseitiger Reisfütterung treten Krämpfe auf; intra-
muskuläre Injektion ven 0,2 ccm alkoholischem Hefeextrakt in wässe-
‚riger Lösung. 35 Tage lang werden täglich 5 Ilsiepillen Nr. 1 gegeben.
Das Tier stirbt.
Vom 8. Februar 1919 ab nur mit geschliffenem Reis gefüttert.
Temperatur- Ss
messung Es Art der Fütterung
==! 1 {el} S
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a: | S Sn [8.8 elle Hefepillen Hefeextrakt
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14. " 38,09 „ 310,0 ”
MR... 39,0° | mittags | —
1) Eine Besserung tritt nicht ein. _
2) Seit Mittag treten wieder Krämpfe auf, die bis zum Abend anhalten.
Das Tier bekommt wieder Hefepillen. Die Krämpfe lassen nicht nach, das
Tier atmet schnell mit offenem Schnabel.
gestellt.
3) Am Morgen wird das Tier tot vorgefunden.
4) Vom 10.—14. Februar zeigt das Tier grosse Fresslust, die aber dann
abnimmt.
Starkes Herzklopfen wird fest-
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 279
»
Temperatur- S R
messung = S Art der Fütterung
um ZIE ) 05
Dat 3: Bu TE u N ß
= 5 i = & = ek. ' Hefepillen Hefeextrakt
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28. 40,39 a 207,0 Re | 5
2JE 40,5° | mittags | — x r
al — | vormitt.| — ® 5
1) Das Tier sitzt zusammengeduckt mit gesträubtem Gefieder auf dem
Boden des Käfigs.
2) Das Tier schmiegt sich zeitweise dicht an andere an.
3) Das Tier zeigt morgens die charakteristischen Krämpfe, erholt sich
aber bald wieder nach dem Einspritzen von 0,2 ccm alkoholischem Hefe-
extrakt in wässriger Lösung.
4) Das Tier ist wieder lebhafter und spaziert zeitweise im Käfig umher. —
Herstellung der Pillen: 2 g mit Alkohol extrahierter Hefe wurden mit 2g
Reis, der in Wasser weich gekocht war, gemischt und daraus 55 Pillen
geformt.
280 Emil Abderhalden:
>
Temperatur-| $
DEREN NE Es Art der Fütterung
mE- 8
Datum 3 2 = E “
Oo {eb} .
Ms Bi S.- ne Hefepillen Hefeextrakt
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1. April | 38,2°| abends Reis
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6. » 1) 31,8 x | ” SEHR ” ”
7. „.391352° | morgens| 179,0 k; rn
Nr. 5. Taube, hell- und dunkelgraues Gefieder mit brauner
Brust.
Nach 33 Tagen einseitiger Reisfütterung macht das Tier einen
kranken Eindruck. 25 Tage lang werden täglich 5 Hetepilien Nr. 1
gegeben. Das Tier erholt sich nicht mehr und stirbt.
Vom 4. Juni 1919 ab nur mit seschliffenem Reis gefüttert.
Temperatur-| = = | |
rein Es Art der Fütterung
Datum ri 5 05 |
3:| 98 | SS IGeschtirs
HEgz S nd eschliiT. .
ch Sa or Bes Hefepillen Hefeextrakt
Juni 39,0°| nachm. | 411,0 |Geschliff. |
n 39,5° | mittags | — Reis |
R 40,0° nachm. | 382,0 |
2 41,0° |morgens| —
. 40,8% | mittags | 371,0 |
„ 40,5° | morgens| — |
h 41,0% | abends | —
a 41,0° | nachm. | 355,0
S 40,5° mittags | —
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» 39,8° » 231,0 |
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” 39,09 | ” 283,0 ))
8 89,0° | vormitt.| — r |
DLNEn, 89,0% | mittags | 277,0 5 |
ar 39,10 | |
» 1380% | nachm. ] 284,0 |
1) Das Tier ist heute sehr matt und schwach auf den Füssen, es sucht
sofort nach einem Stützpunkt, sobald es frei in den Käfig gestellt wird.
2) Das Tier sitzt still und zusammengeduckt im Käfig, es macht beim
Greifen keine Fluchtversuche mehr. Die Taube verendet nachmittags. Das
Tier ist sehr abgemagert und der Brustmuskel stark geschwunden.
”
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 281
>
Temperatur-| S R
mesalıs Es Art der Fütterung
Datum = = m BE
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ae s En ® = a |Geschliff. :
= | 6 _ = Be Hefepillen Hefeextrakt
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25. Juni |38,0°| nachm. | — |Geschliff. |
DB 38,3 hs 273,0] Reis | |
2. » 38,0 2 | ” we ” |
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1. Juli 38,90 h — 5 |
De 39,0° | mittags | 245,0 E
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DANN, 38,2% |morgens| — 5
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1) Das Tier ist sehr matt. Herstellung der Pillen: 2 & der mit Alkohol
extrahierten Hefe wurden mit 2 5 weichgekochtem Reis gemischt und daraus
55 Pillen geformt.
2) Das Tier frisst nicht und sitzt zusammengeduckt am Boden.
3) Das Tier zeigt noch immer keine Fresslust und ist sehr schwach.
4) Das Tier macht noch immer einen kranken Eindruck und hockt auf
dem Boden des Käfigs.
5) Die Schleimhäute zeigen eine besonders blasse Farbe.
6) Das Tier ist sehr matt und stirbt.
2389 Emil Abderhalden:
\
Nr. 6. Taube, schwarzes Gefieder mit zwei grauen
Streifen auf den Flügeln.
Vom 8. Februar 1919 ab nur mit geschliffenem Reis gefüttert.
25)
Temperatur- 3 s
mess = Art der Fütterung
Datum a in an S
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9, Versuche mit mit Aceton extrahierter Hefe.
Hervorzuheben ist, dass Taube Nr. 1 die Fütterung mit geschliffenem
Reis erstaunlich lange aushielt. Erst nach 59 Tagen zeigte sie Krämpfe.
Wir sahen bei diesem Versuchstier von der intramuskulären Zufuhr
1) Das Tier sitzt zusammengeduckt und mit gesträubtem Gefieder auf
dem Boden des Käfigs.
2) Das Tier sitzt wieder zeitweise auf der Stange.
3) Das Tier schmiegt sich dicht an andere an und verlässt den Boden
des Käfigs nicht mehr.
4) Das Tier zittert heftig.
5) Das Tier zeigt die charakteristischen Krämpfe, erholt sich nach der
Einspritzung von 0,2 ccm alkoholischem Hefeextrakt, in Wasser gelöst, in
einer Stunde.
6) Das Tier ist noch sehr matt und unsicher auf den Füssen, es sitzt
zusammengeduckt und still im Käfig, es macht auch beim Greifen keine
Fluchtversuche mehr. Eine Besserung tritt im Laufe des Tages nicht ein.
7) Am Morgen wird die Taube tot vorgefunden. Das Tier ist sehr stark
abgemasgert.
a re nn
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 283
von Hefeextrakt ab. Wir begannen vielmehr direkt mit der Ver-
fütterung von Hefepillen. Das Tier erholte sich sehr rasch. Als die
‘ Zufuhr von Hefepillen fortgelassen und an ihrer Stelle Acetonhefe-
extrakt gegeben wurde, machte das Tier sehr bald wieder einen kranken
Eindruck. Es erhielt dann wieder Hefepillen und lebte noch 64 Tage.
Es starb leider an Diphtherie.
Taube Nr. 2 erkrankte nach 33 Tagen einseitiger Reisfütterung.
Sie erholte sich nach Einspritzen von Acetonhefeextrakt in wässeriger
Lösung und erhielt dann 31 Tage lang Hefepillen Nr. 2. Leider starb
das Tier auch an Diphtherie.
Nr. 1. Taube mit grauem Gefieder.
Nach 59 Tagen einseitiger Reisfütterung treten Krämpfe auf. S2 Tage
lang werden täglich 6 Hefepillen Nr. 2 gegeben, dann 7 Tage lang täglich
0,001 g N in Form von Aceton-Hefeextrakt mit Reis. 2 Tage lang
wird ausgesetzt, dann erhält das Tier, nachdem es wieder einen kranken
Eindruck macht, täglich 64 Tage lang 6 Hefepillen Nr. 2. Das Tier
stirbt an diphtherieähnlichen Erscheinungen.
Vom 4. Januar 1919 ab nur mit geschliffenem Reis gefüttert.
Temperatur- =
mMessuns = Art der Fütterung
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1) Das Tier sitzt vorübergehend mit eingezogenem Kopf und gesträubtem
Gefieder da.
284 Emil Abderhalden:
Temperatur- En) 5
messung =: Art der Fütterung
Datum 38 a E05
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1) Das Tier lässt sich ruhig greifen und sitzt still im Käfig auf der
Stange mit gesträubtem Gefieder.
2) Das Tier ist wieder lebhafter, es zeigt häufig ein eigentümliches Tassen)
3) Das Tier putzt das Gefieder und frisst spontan.
4) Am Abend treten Krämpfe auf, das Tier hat den Kopf hintüber-
geschlagen. Der Brustmuskel ist stark geschwunden. — Herstellung der Hefe.
pillen: 2 & mit Aceton extrahierter Hefe wurden mit 2 g Reis, nachdem er
in H,O weich gekocht war, gemischt und daraus 55 Pillen geformt.
5) Das Tier ist wieder lebhaft und läuft im Käfig umher, verlässt jedoch
den Boden des Käfigs nicht.
6) Das Tier zeigt Fresslust und sitzt wieder auf der Stange des Käfigs.
7) Die Taube macht wieder den Eindruck eines gesunden Tieres, sie zeigt
Fresslust. / }
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 285
>
Temperatur-| 3
messen 3: Art der Fütterung
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1) Das Tier ist sehr aufgeregt, die Fresslust hält an.
2) Die Fresslust lässt nach.
286 Emil Abderhalden:
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1) Das Tier sitzt mit gespreiztem Gefieder und
der Stange im Käfig. Erhält wieder Hefepillen.
2) Das Tier hat sich wieder vollkommen erholt.
eingezogenem Kopf auf
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 287
Temperatur-| 5
es EB: Art der Fütterung
Datum 53 en on 5
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2. » 41,0 2 ” 290,0 „ ”
1) Das Tier frisst lebhaft.
2) Das Tier hat stark entzündete Schleimhäute. Der Schnabel ist innen
verschwollen, das Tier frisst nur wenig und schluckt mit grosser An-
strengung.
3) Die Symptome sind noch unverändert.
988 Emil Abderhalden:
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BERPEDE E = Art der Fütterung
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Nr. 2. Taube mit braunem Gefieder.
Nach 33 Tagen einseitiger Reisfütterung macht das Tier einen
kranken Eindruck; intramuskuläre Injektion von 1 cem Aceton-Hefe-
extrakt in wässeriger Lösung. 31 Tage lang werden täglich 5 Hefe-
pillen Nr. 2 gegeben, dann 7 Tage lang 5 aus getrockneter Hefe und
Reis hergestellte Pillen. Das Tier geht an Diphtherie zugrunde.
Vom 4. Januar 1919 ab nur mit geschliffenem Reis gefüttert.
Temperatur- | 3 s
messung 13: Art der Fütterung
Datum 5 a 5
| je 3 4 3° 5 = ein Hefepillen Hefeextrakt
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SR 296,0
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1) Das Tier verhält sich sehr still und lässt sich ruhig; greifen.
2) Am 6. August ist das Tier tot. Die Sektion ergibt Diphtherie.
3) Das Tier sträubt das Gefieder und zieht den Kopf ein.
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 289
2}
Imemperatur- 5) a
messung SE Art der Fütterung
Datum DE en Sy
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BD 38,00 R 278,0 = | &
27. ” 39,0 S ” ARE) ” | ” |
2 u | a :
1) Das Tier sitzt zusammengeduckt auf dem Boden des Käfigs, den es
nicht verlässt.
2) Das Tier macht beim Greifen keine Fluchtversuche mehr, ist sehr
apathisch, zeigt starke Abmagerung. Der Brustmuskel ist stark geschwunden.
Die Taube erhält abends 5b 45’ 1 ccm Aceton-Hefeauszug in wässriger
Lösung intramuskulär, nach kurzer Zeit ist sie lebhafter und spaziert im
Käfig umher. Sie fliegt bei Annäherung.
3) Die Taube spaziert vorübergehend im Käfig umher, sitzt aber den
srössten Teil des Tages noch zusammengeduckt da, beim Greifen macht sie
wieder Fluchtversuche. — Herstellung der Pillen: 2& mit Aceton extrahierter
Hefe wurden mit 2 & Reis, nachdem er in Wasser weich gekocht war, ge-
mischt und daraus 55 Pillen geformt.
4) Das Tier verhält sich wie am Tage vorher.
5) Das Tier ist etwas lebhafter als am Tage vorher, läuft im Käfig
umher, sitzt aber noch zeitweise zusammengeduckt da und frisst nicht viel.
6) Das Tier ist wieder lebhafter, verlässt aber den Boden des Käfigs
noch nicht.
7) Das Tier ist weniger lebhaft als am Tage vorher.
8) Das Tier ist wieder lebhafter.
9) Das Tier ist scheu und macht Fluchtversuche beim Greifen.
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 2 19
290 Emil Abderhalden:
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Temperatur- E =
mess =: Art der Fütterung
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3. Versuche mit mit Aceton und Alkohol extrahierter Hefe.
Die Ergebnisse dieser Versuche sind denen ähnlich, die unter Nr. 2
mitgeteilt worden sind. Auch hier traten nach Weglassung der Zufuhr
von Hefepillen sehr rasch wieder Erkrankungen auf. Ein Tier (Nr. 1)
ging leider an Diphtherie zugrunde. Tier Nr. 3 erholte sich nach dem
Aussetzen der Hefezufuhr nicht mehr. Dagegen überstand Tier Nr. 2
die pillenfreie Periode. Es erhielt nach dieser 127 Tage lang Reis +
1) Das Tier verlässt den Boden des Käfigs noch nicht. Das recht Auge
tränt.
2) Das rechte Auge tränt sehr stark, linkes beginnt.
3) Das rechte Auge ist. geschlossen, linkes halb geöffnet. — Herstellung
der Pillen: Aus 2 g getrockneter Hefe + 2 g weich gekochtem Reis wurden
55 Pillen geformt.
4) Die Augen sind geschwollen; das Tier hat einen unangenehmen Ge-
ruch, äusserlich und aus dem Schnabel.
5) Die Augen sind beide geschlossen.
6) Im Schnabel, obere Hälfte, tritt weisser Belag auf. Die Augen tränen
noch. Der Stuhl ist seit dem 11. März braungrün. Das Tier scheint blind
zu sein, es tastet sich mit den Füssen vorwärts. Beim Einführen des Thermo-
meters in den Schnabel wehrt es sich energisch.
7) Das Tier ist ganz apathisch und frisst nur wenig.
8) Der Zustand des Tieres ist unverändert, nur nimmt der faulige Ge-
ruch stark zu.
9) Am 17. März vormittags wird das Tier tot vorgefunden. Der Brust-
muskel ist stark geschwunden. Das Tier wiegt tot nur 227,0 g. Im Käfig
befindet sich ein grosser Fleck von flüssigem, braungrünem Stuhl. Die Sek-
tion ergab: Bindehautentzündung, diphtherischer Belag im Kehlkopf, Ver-
änderung der Lungen: Blutung.
"Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 29]
Pillen Nr. 3. Es befand sich wohl bei dieser Nahrung. Als die Pillen
fortgelassen wurden, begann das Körpergewicht bald zu sinken. In
11 Tagen war es von 350,0 g auf 285,0 gefallen. Auch die Körper-
temperatur fiel. Am 7. Tage der pillenfreien Periode trat deutliche
Parese des rechten Beines ein.
Nr. 1. Taube mit schwarzem Gefieder.
Nach 60 Tagen einseitiger Reisfütterung macht das Tier einen
kranken Eindruck, es erhält 82 Tage lang täglich 5 Hefepillen Nr. 3,
dann 7 Tage lang täglich 0,001 & N in Form von Aceton-Hefeextrakt
mit Reis gemischt. Das Tier macht einen kranken Eindruck und
erhält wieder täglich 33 Tage lang 5 Hefepillen Nr. 3; es geht an
Diphtherie zugrunde.
Vom 4. Januar 1919 ab nur mit geschliffenem Reis gefüttert.
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1) Das Tier zieht den Kopf zeitweise ein und sträubt das Gefieder.
Diese Beobachtung wird auch weiterhin gemacht.
192
292 Emil Abderhalden:
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1) Das Tier putzt das Gefieder und frisst spontan.
2) Das Tier zittert häufig sehr stark und sitzt heute vorwiegend auf dem
Boden des Käfigs. Der Brustmuskel ist stark geschwunden. — Herstellung
der Hefepillen: 2 & mit Aceton und Alkohol extrahierter Hefe wurden mit |
2 g Reis, nachdem er in H,O weich gekocht war, gemischt und daraus
55 Pillen geformt. |
3) Das Tier zeigt Fresslust.
4) Das Tier zittert noch häufig, ist aber lebhaft und läuft herum, es
verlässt den Boden des Käfigs noch nicht.
5) Das Tier verlässt den Boden des Käfigs wieder EG sitzt auf der Stange.
6) Das Tier zeigt grosse Fresslust.
7) Das Tier macht wieder einen gesunden Eindruck; die Fresslust hält an.
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 293
Temperatur-
messung
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Geschliff.
Reis
Geschliff.
Reis
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Nr. 3
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294 Emil Abderhalden:
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1) Das Tier zieht den Kopf ein und spreizt das Gefieder.
2) Das Tier erholt sich wieder.
3) Das Tier macht wieder einen gesunden Eindruck.
4) Morgens wird blutiger Stuhl im Käfig vorgefunden.
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 295
Temperatur-
messung
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1) Das Tier sitzt zusammengeduckt mit gesträubtem Gefieder auf dem
Boden des Käfigs.
2) Das Tier schmiegt sich eng an andere an.
3) Das Tier sitzt wieder vorwiegend auf der Stange.
4) Das Tier sitzt still im Käfig mit eingezogenem Kopf und stark ge-
sträubtem Gefieder.
5) Das Tier macht einen sehr kranken Eindruck. — Herstellung der Pillen
Nr. 3:2 5 der mit Aceton und Alkohol extrahierten Hefe wurden mit 2 g
Reis, der im Wasser weich gekocht war, gemischt und daraus 55 Pillen
geformt.
6) Das Tier ist wieder lebhaft und zeigt Fresslust. Es sitzt auf der
Stange des Käfigs, das Gefieder hat sich geglättet.
7) Die Taube macht wieder einen ganz gesunden Eindruck.
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 297
>
Temperatur-| $
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Emil Abderhalden:
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einer Ecke des Käfigs.
2) Das Tier hat sich erholt und sitzt wieder auf der Stange im Käfig.
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3) Die Taube macht wieder einen ganz gesunden Eindruck.
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 299
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Se) 57.020 & 285,0 ” _ 28. XI. noch.
Nr. 3. Taube, weisses Gefieder mit zwei braunen Streifen
auf den Flügeln.
Nach 29 Tagen einseitiger Reisfütterung erkrankt das Tier und
erhält 65 Tage lang täglich 6 Hefepillen Nr. 3, nach einmaligem Aus-
setzen erhält es wieder 2 Tage lang dieselben Pillen. Nach dreimaligem
Aussetzen erhält das Tier 6 Tage lang täglich 5 Pillen aus getreckneter
1) Vom 8. Oktober ab wird nur geschliffener Reis verfüttert.
2) Die Taube zieht das rechte Bein etwas nach beim Laufen.
3) Das Tier sitzt zeitweise zusammengeduckt auf dem Boden des Käfigs.
4) Das Tier ist sehr unsicher auf den Füssen, sitzt aber noch zeitweise
auf der Stange und stützt sich mit dem Schwanze.
5) Das Tier verhält sich ruhig. Beim Gehen sehr unsicher. Macht einen
kranken Eindruck.
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 301
Hefe. mit Reis, danach 5 Tage lang täglich 0,001 g N in Form von
Aceton-Hefeextrakt mit Reis gemischt. Das Tier macht wieder einen
sehr kranken Eindruck und erhält 3 Tage lang täglich 6 Hefepillen Nr. 3.
Die Taube erholt sich nicht mehr und stirbt.
Vom 8. Februar 1919 ab nur mit geschliffenem Reis gefüttert.
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1) Vom 10.—14. Februar zeigt das Tier grosse Fresslust, die aber von
da ab abnimmt. ;
2) Das Tier sitzt zusammengeduckt und mit gesträubtem Gefieder auf
dem Boden des Käfigs. Es ist sehr matt. Auf dem Zimmerfussboden läuft
es sehr schnell, aber unsicher, indem es die Füsse ungeschickt setzt.
3) Das Tier sitzt eng an andere angeschmiest im Käfig.
4) Das Tier sitzt heute zeitweise auf der Stange im Käfig.
5) Das Tier ist wieder lebhafter und sitzt vorwiegend auf der Stange.
6) Das Tier sitzt mit gesträubtem Gefieder und eingezogenem Kopf still
auf dem Boden des Käfigs.
7) Das Tier scheint sehr krank zu sein. Herstellung der Hefepillen:
2 5 mit Aceton und Alkohol extrahierter Hefe wurden mit 2 g Reis, nach-
dem er in H,O weich gekocht war, gemischt und daraus 55 Pillen geformt.
8) Das Tier zeigt Fresslust.
9) Das Tier ist heute lebhafter, läuft im Käfig umher und sitzt auch
auf der Stange. Das Gefieder ist wieder glatt.
302 - Emil Abderhalden:
Temperatur- S
messung E: Art der Fütterung
Datum 28 & 5
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Bu ER al 39.00: RS | : |
1) Das Tier verlässt-nur selten den Boden des Käfigs. |
2) Das Tier ist wieder munter und macht einen ganz gesunden Eindruck.
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 303
Temperatur- 5 5
messung Es Art der Fütterung
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30x 38,5° | mittags | 229,0 n semischt
1) Das linke Auge tränt, es schieben sich gelblichweisse feste Stücke
unter dem Augenlid hervor.
2) Auch das rechte Auge tränt.
3) Das Tier reckt öfter den Hals und sperrt den Schnabel dabei auf,
vermutlich hat es Atemnot. Im Hals befinden sich diphtherische Beläge,
die zweimal täglich mit verdünnter essigsaurer Tonerde betupft werden.
Die Augen werden täglich mit H,O ausgewaschen.
4) Das Tier verhält sich sehr ruhig. Die Augen erscheinen klarer.
5) Der Belag im Hals geht zurück.
6) Der Belag nimmt wieder zu, auch sind die Augenlider entzündeter.
Herstellung der Pillen: 2 & getrocknete Hefe + 2 g gekochter Reis ge-
mischt und 55 Pillen daraus geformt.
‘ 7) Es wird eine Besserung der Augen und ein Schwinden des Belages
festgestellt.
8) Das Tier erholt sich, die Besserung hält an.
9) Das Tier verhält sich sehr ruhig.
10) Die Augen sind noch entzündet, auch ist der Belag noch nicht ganz
. geschwunden.
304 Emil Abderhalden:
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Temperatur-| S |
messung je: Art der Fütterung
7 {eb}
Datum 8 EN En 5
33 | © | 2 (Geschiitt |
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4. Messung der Körpertemperatur bei Kontrolltauben.
Nr. 1. Kontrolltaube mit bronzefarbenem Gefieder.
Normalfütterung.
Temperaturmessung Temperaturmessungs
Datum Fan Datum 5 r
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gemessen Tageszeit gemessen Tageszeit
5. Febr. 38,2 abends ale 39,0° mittags
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I, Br nr Oleaaan 40,0° nachm.
12. 39,5 26. 40,6
Käfig.
2) Die Augen sondern wieder stärker Eiter ab.
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1) Das Tier sitzt mit gesträubtem Gefieder und eingezogenem Kopf im
3) Das Tier ist sehr matt und verendet mittags. Die Sektion ergab starke
Abmagerung und Diphtherie.
%
Een N VER u
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 305
Nr. 2. Kontrolltaube mit grauem Gefieder und zwei
schwarzen Streifen auf den Flügeln.
Normalfütterung.
Temperaturmessung Temperaturmessung
Datum Tyan | Datum EEE
Im Schnabel 5 Im Schnabel Bir
gemessen agezell gemessen | Nasazelt
5. Febr. 39,0 abends 13. März 39,5 mittags
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an 40,0 ° “ mittags lDarE 40,3 ° R
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DI 40,5 ° , mittags 2. Juni 40,0 ° "
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DS 38,0 ° H 30. 2 5 38,99 N
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10.05 3.02 7 = SR: 40,0° mittags
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Nr. 3. Kontrolltaube, Gefieder schwarz-weiss gesprenkelt.
Normalfütterung.
Temperaturmessung Temperaturmessung
Datum ? Datum = &
Im Schnabel . Im Schnabel m. 4.2:
gemessen | Tageszeit gemessen Tageszeit
8. Febr 38,0 mittags 18. Febr 38,99 mittags
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ER 38,0 4 al, 38,8 &
MN 37,50 5 220 u 320 miıtags
ld. 38,49 5 24. , Seh N 3
lo... 38,50 mittags Dar "38,8° | kr
Im, 38,59 abends 262 5 SED" abends
Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 178. 20
306
Emil Abderhalden:
Temperaturmessung
Temperaturmessung
Datum Datum en: 7
Im Schnabel . Im Schnabel -
| gemessen Tageszeit gemessen Nagesze\
l |
27. Febr. 40,3° mittags 17. April 40,8° morgens
Des 40,0 ° R Zoe s 41,0° nachm.
1. März 39,5 A DM ie; 39,8 a
BE 40,0 ° Ki 2. Mai 41,0° 5
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REN, 39,0° % 12. 2 41,0° E
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Ran 40,0° h 2. Juni 41,0° 5
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Sm 400° | mittags aa) 39,09 | a
RUNEN Ana 4 I!
Nr. 4& Kontrolltaube, braun-weiss gefiedert.
Normalfütterung.
Temperaturmessung
Datum
Im Schnabel .
gemessen Tageszeit
12. Febr. 3800 abends
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14. 39,90 8
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Boden, das Gefieder ist gesträubt.
2) Das Tier verendet.
3) Das Tier ist tot.
Temperaturmessung
Datum |
Im Schnabel {
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10. März 40,0° mittags
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3. 38,99 abends
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17. » 3) TER | BR
1) Die Taube macht den Eindruck eines kranken Tieres, sie sitzt still am
une Yeti a u u cc ie >
EZ nl 1 U a a Et =
Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. 307
Weitere Versuchsergebnisse müssen über manche sich anknüpfende
Fragen Aufschluss geben. Als Hauptergebnis der Versuche ist an-
zuführen, dass weder mit absolutem Alkohol noch mit
Aceton noch mit Aceton und absolutem Alkohol die Nu-
tramine aus der Hefe vollständig entfernbar sind. Während
es nicht möglich ist, mit dem Extrakt plus geschliffenem Reis für
längere Zeit ein vollwertiges Nahrungsmittel herzustellen, gelingt es
ganz glatt, wenn man die extrahierte Hefe dem Reis zusetzt. Es
beruht dies wohl darauf, dass die Nutramine in der Hefezelle in ge-
bundener Form vorhanden sind und das Produkt in den erwähnten
Lösungsmitteln unlöslich ist. Sehr wenig wahrscheinlich ist die An-
nahme, dass die Nutramine in den erwähnten Lösungsmitteln ausser-
ordentlich schwer löslich sind, und wir deshalb nur einen Teil davon ex-
trahieren konnten. Diese Annahme ist eigentlich schon dadurch wider-
lest, dass wir bis zur vollständigen Erschöpfung auszogen und uns
überzeugten, dass schliesslich nichts mehr in Lösung ging. Auf alle
Fälle kann man aus dem Versuch schliessen, dass die Nutramine
oder doch einige davon in der Hefezelle in zwei Formen
vorhanden sind. Ein Teil löst sich in den erwähnten Lösungs-
mitteln und zeigt spezifische, jedoch nicht vollwertige Wirkung. Ein
anderer Teil ist unlöslich. Der extrahierten Hefe kommt wenigstens
für längere Zeit ein voller Wert als Ergänzung des geschliffenem
Reises zu. Als besonders wichtige Beobachtung sei nochmals hervor-
gehoben,dass bei allen Versuchen die Tauben im Anschluss
an die Verfütterung von geschältem Reis und extrahierter
Hefe viel rascher erkrankten, obwohl per os das Hefe-
extrakt zugeführt wurde, wenn die Kost ausschliesslich
aus geschliffenem Reis bestand, als wenn die gleichen
Tiere von gewöhnlicher Nahrung zur Reisnahrung über-
seführt wurden. Man gewinnt den Eindruck, als ob die
normalen Tiere über eiuen gewissen Vorrat an jenen un-
bekannten, Nutramine genannten Stoffen verfügen, der
während der reinen Reiskost allmählich aufgebraucht wird.
Dabei zeigt sich, dass die verschiedenen Individuen sich
verschieden verhalten und nach sehr verschiedenen Zeiten
erkranken.
Die Untersuchungen, bei denen mich Frl. Burkhardt unter-
stützte, werden nach verschiedenen Richtungen ausgebaut und ergänzt.
Es sollen noch eine Reine von Lösungsmitteln geprüft werden. Die
Fragestellung ist, ob irgendein Lösungsmittel der Hefe und
anderen nutraminhaltigen Produkten die Nutramine oder
doch das eine oder andere davon ganz entziehen kann. Ferner
soll geprüft werden, ob durch Abbau der Hefe ihre Bedeutung
20*
8
308 Emil Abderhalden: Weitere Beiträge usw.
als Ergänzung der Reisnahrung eingeschränkt oder sar aufgehoben
wird. Es ist zu hoffen, dass durch diese Forschungen Licht über das
Wesen der Nutramine und ihre Rolle im Stoffwechsel verbreitet wird.
Sobald die äusseren Verhältnisse sich bessern, sollen Stoffwechsel-
versuche die einzelnen Beobachtungen ergänzen. Schliesslich sei noch
auf das Verhalten der Körpertemperatur hingewiesen.
Ihre Verfolgung bietet ein wertvolles Mittel, um den Zustand der
Tiere zu verfolgen. Den Krämpfen geht ein Fallen der Körper-
temperatur voraus. Es wird von Interesse sein, den Beziehungen
zwischen diesem und den nervösen Erscheinungen nachzugehen. Ist
das Fallen der Körpertemperatur durch vermehrte
Wärmeabgabe oder herabgesetzte Wärmeproduktion
bestimmt? Manche Beobachtungen sprechen für eine Paralyse
der Gefässmuskeln, doch wollen wir noch keine bestimmten
Schlüsse ziehen.
er
Autorenverzeichnis.
Abderhalden, Emil, Weitere Bei-
träge zur Kenntnis von organischen
Nahrungsstoffen mit spezifischer
Wirkung. S. 260.
de Boer, Dr. S., Eine neue Theorie
über das Entstehen von Kammer-
wühlen. S. 1.
Fleisch, Dr. Alfred, Der Einfluss |
rhythmischer Druckschwankungen |
aufdie Widerstandsverhältnisseim |
Gefässsystem. S. 31.
Henning,Dr. Hans, Optische Ver-
suche an Vögeln und Schildkröten
über die Banane der roten Öl- |
kugeln im Auge. S. 91.
des Kenn, A., und Magnus, R
|
7
Über die Ünabhängiskeit der La- |
byrinthreflexe vom Kleinhirn und
über die Lage der Zentren für die
Labyrinthreflexe im. Hirnstamm.
S. 124.
de Kleijn, A., und Magnus, R,,
Tonische Labyrinthreflexe auf die
Augenmuskeln. 8. 179.
Lewin, L.. und Stenger, E., Der
Farbstoff der Mitteldarmdrüse des
Flusskrebses. S. 80.
Meyer, Dr. G., Die Diskontinuitäts-
flächen der menschlichen Linse.
Sr)
Neuschlosz,S.M., Untersuchungen
über die Gewöhnung an Gifte.
II. Mitteilung. Die Festigkeit der
Protozoen gegen Farbstoffe. S.61.
Neuschlosz, S. M., Untersuchungen
über die Gewöhnung an Gifte.
IH. Mitteilung. Das Wesen der
Festigung von Protozoen gegen
Arsen und Antimon. S. 69.
Popielskı, Prof. Dr. T., B-imid-
azolyläthylamin und die Organ-
extrakte. Erster Teil. ?3-imid-
azolyläthylamin als mächtiger Er-
reger der De S. 214.
Popielski, Prof. Dr. B-imid-
azolyläthylamin und =. Organ-
extrakte. Zweiter Teil. Einfluss
der Säuren auf die die Magensaft-
sekretion erregende Wirkung der
Organextrakte. S. 237
Wilmers, Dr. Josef, Chemische
Reizung und chemische Kontrak-
tur des quergestreiften Muskels.
S. 198.
Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
IN
|
|
E 0575
3.9-
H 2%
Op “ "4
ge VAL
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