BlaniaL wur ehe re B 4 2% R ER Me je * or N Ri i R N “re * RR ü ‘ - N ik) * eX2R) h * Era N RER RN Kr ® a DR Slns RERTRRERN S SR NL Saal a ” f, EN EI KERRRREBSSERNISEN IOLSELANLEEN SIR % Kane UNE N RR APR ‘ SRREIRE RKWT, Bar RR \ RIESE N KLaraR 4er r R | L % & N rurlate + {) ne ur,r Ta® © are Rt Ri RSBAH OR KEN . Ne „e IR Kant h Yet Re, * “ei RTBLLBLBLLTEAENE v eK, “rer, ä ERRERERRÄTEE 6 Bar ur h PERR, BeLEeLDTa Y; HR Do KraaTa Ink Irlae versende Taler er > R Kelaint BERSEUNE RNTES Ar PFLÜGER® ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER HALLE A. 8. FRANKFURT A. M. KIEL 181. BAND MIT 95 TEXTABBILDUNGEN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1920 Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig Inhaltsverzeichnis. v. Hess, €. Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. (Mit 4 Textabbildungen) 3 Neuschlosz, S. M. Die kalllsfrilehemmischhe Bedknanag. des physiologischen Ionenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. (Mit 12 Text- abbildungen) ER 2 — — Über die Bedeutung des Tonnen rain, ln die Hamelvse — — Untersuchungen über den Einfluß der Neutralsalze auf die Ferment- wirkung. (Mit 12 Textabbildungen) De a SE RER Kahn, R. H. Zum Problem des Horzalternansı (Mit 3 Textabbildungen) . Fritsch, 6. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. II. Untersuchung des Kaninchen-, Hühner- und Taubenblutes . Koch, Eberhard. Der Köntrakttonsabläuf an der Kammer des Frosch- aaa und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, mit beson- deren Ausführungen über das Alles-oder-Nichts-Gesetz, die Extra- systole und den Herzalternans. (Mit 26 merabildungen) Bleibtreu, Max, und Edgar Atzler. Beitrag zur Darstellung und Kenne des Thrombins . . . Atzler, Edgar, und Ludwig Frank. Beiträge zur "Methodik der Brosch gefäßdurchspülung. (Mit 3 Textabbildungen) Haecker, V. Über weitere Ausanınenlänsg auf dem Gebiete der Mendel- forschung Be Linzenmeier, Georg. Untersuchungen über, die Senkungseschwindrekeit der roten Blutkörperchen. I. Mitteilung. Beobachtungen am mensch- lichen Blut BA EN a Eckstein, A. Die Motenstarre des Herzens. (Mit 11 Textabbildungen) Friedmann, Helene. Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. I. Mitteilung Weiss, $S. Über Spontaukontraktionen "iberlebender Arterien. IL. Mitteilung Schanz, Fritz. Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen des Tageslichtes auf die Vegetation. (Mit 11 Textabbildungen) . Mansfeld, G. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IX. Mitteilung. Zur Aserchr. (Mit 1 Textabbildung) ; Walter, Heinrich. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der v erdanune- VIIH. Das Verhalten der Hefezellen gesen Proteasen. si 11 Text- abbildungen) . : SEREUNG Stübel, Hans. Die ne als Kıystallisationsvo: organg . Szymanski, J. S. Zur Lokalisation der osmotischen Reize. (Mit 1 Text. abbildung) Poser Autorenverzeichnis \63053 Seite 1 17 40 45 65 78 106 130 141 149 169 184 206 213 229 249 271 285 310 316 AN er OR RER f a HERE Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. Von C. v. Hess. Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 12. Dezember 1919.) Inhalt. . Zur Dioptrik und Sehleistung des Ocells (S. 3). . Zur vergleichenden Physiologie der Adaptation (S. 6). . Neue Beobachtungen am lebenden Libellenocell (S. 9). . Zusammenfassung (S. 16). ES UE Our 1 Viele Insekten besitzen außer ihren Hauptaugen (,,Facettenaugen‘‘) noch verhältnismäßig sehr kleine Nebenaugen oder Ocelle, die in der Regel zu dreien, selten zu zweien, an der Stirn zwischen den Haupt- augen meist derart angeordnet sind, daß eines gerade nach vorn oder vorn oben (,,Frontocell‘‘), die beiden anderen nach den Seiten und mehr oder weniger nach oben gerichtet sind, so, daß sie die Spitzen eines angenähert gleichseitigen oder eines gleichschen- kelig - stumpfwin- keligen Dreiecks bilden; vielfach finden sich kleine Wülste oder lei- stenartige Erhe- bungen zwischen ihnen,sodaß,wenn man z. B. mit dem nach dem Mittel- punkte zwischen den drei Ocellen gerichteten Augenspiegel im Kreise um den Kopf des Tieres sich bewegt, man immer nur oder fast nur ein oder zwei Öcelle gleichzeitig wahrnimmt. Im einzelnen zeigen die Ocelle in Größe und Ausdehnung mannig- fache Verschiedenheiten. Da meine unten mitzuteilenden Versuche vorwiegend an Libellen angestellt sind, gebe ich in Abb. 1 den Kopf . einer unserer gewöhnlichen Wasserjungfern (Calopteryx virgo) bei Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 1 Abb. 1. 2 C. v. Hess: 15 facher Vergrößerung von vorn oben wieder; Abb. 2 (nach Hesse!) zeigt ein seitliches Stirnocell einer Libelle (Agrion sp.) im Medianschnitt hei ca. 360 facher Vergrößerung. An die nach der Seite stark vorge- wölbte, geschichtete ‚Cornealinse“ / grenzt rückwärts unmittelbar die aus 2 hintereinander gelegenen Schichten perzipierender Elemente (sz; und s2,) gebildete „Netzhaut“. Ungefähr in den mittleren Teilen der hinteren Sehzellenschichten findet sich ein Tapetum, das nach Hesse proximal mit Zellen zwischen den Körpern der proximalen Seh- zellen in Verbindung steht; diese sind von im durchfallenden Lichte grau- grünlichen, distalwärts an Mengen zunehmenden Kryställchen erfüllt. Das Frontocell oder Medianauge ist im allgemeinen ähnlich gebaut wie die seitlichen, oft etwas größer als diese und bei man- chen Arten mehr oder weniger deut- lich aus 2 Hälften zusammengesetzt, was vielfach in einem doppelten Sehnerven,bei ver- schiedenen Libel- len auch in der unten zu schil- dernden Anord- nung des Pigmentes zum Ausdruck kommt. Bei Agrion zeigt sich nach Hesse eine Zweiteiligkeit auch darin, daß sich ‚‚von der Rostral- seite her ein Keil indifferenter Zellen eine Strecke weit zwischen die Sehzellen einschiebt“. Bei Untersuchung in ultraviolettem Lichte konnte ich für die Linsen der Ocelle lebhafte Fluorescenz nachweisen, sie erscheinen dann als lebhaft hellgrün schimmernde Kugeln. Wenn also ein ultravioletthaltiges Strahlgemisch auch nur tangential auf die Linse auffällt, so, daß von den sichtbaren Strahlen wenig oder nichts die Netzhaut treffen kann, wird vermöge der Fluorescenz von jedem Punkte der Linse grünes Licht (das bekanntlich besonders großen farblosen Helligkeitswert hat) direkt und nach Reflexion an dem weißen Tapetum zur Netzhaut gelangen. Für das in mancher Hinsicht ähnliche Raupen- auge konnte ich mit messenden Methoden zeigen, wie groß der Einfluß ultravioletter Strahlen auf die Bewegungsrichtung dieser Tiere ist. t) Zeitschr. f. Zoologie %0, 1901 und ‚Das Sehen der niederen Tiere‘. 1908. = Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. 3 I. Zur Dioptrik und Sehleistung der Öcelle. Die Frage nach der Bedeutung dieser merkwürdigen Gebilde ist bisher von physiologischer Seite nicht in Angriff genommen worden!). In der Zoologie werden im wesentlichen folgende Annahmen vertreten: 1. Am verbreitetsten ist die Meinung, die Ocelle dienten dem deut- lichen Sehen naher Gegenstände. 2. Sie sollen wegen ihrer größeren Lichtstärke besser als die Facetten- augen geeignet sein, Einzelheiten an entfernteren Gegenständen zu erkennen (Hesse). 3. Sie sollen vermöge der Anordnung der Sehzellen in 2 Lagen hinter- einander gleichsam ein gleichzeitiges Fern- und Nahsehen im selben Auge ermöglichen. Als Nebenfunktion sollen sie eine Beziehung zur Orientierung über die jeweilige Körperhaltung im Fluge und damit zur Erhaltung des Gleichgewichtes haben (Hesse). 4. Sie sollen ‚ein sehr unvollkommenes Sehorgan‘ darstellen und „dürften bei Insekten mit Facettenaugen nur akzessorische Bedeutung haben, immerhin ist es möglich, daß sie dem Betrachten sehr naher Gegenstände in einer dunklen Umgebung dienen“ (Forel). 5. Sie sollen bei Taginsekten mit Facettenaugen ‚fast nutzlos sein und bestenfalls den Tieren nur sehr schwache Wahrnehmungen geben, die sie nicht zu verwenden vermögen; sie hätten alle Bedeutung ver- loren“ (Plateau). 6. Ihre Bedeutung soll in der ‚Förderung der Entfernungslokali- sation“ liegen, indem ein Objekt aus bestimmtem Abstande jeweils in einem Facettenauge und einem Ocell eine ganz bestimmte Receptoren- gruppe reize; da diese Gruppen bei jeder Entfernung verschieden sein müßten, entspreche die Kombination zweier solcher Partien jeweils einer bestimmten Objektentfernung (Demoll-Scheuring). Die beiden letzteren Annahmen erledigen sich durch das Folgende von selbst, so daß eine besondere Widerlegung nicht mehr erforderlich ist. Die Annahmen 1, 2 und 6 haben zur Voraussetzung, daß im Ocell durch den brechenden Apparat ein wenigstens einigermaßen verwert- bares Bild auf der Netzhaut zustande komme. Es ist bisher m. W. nicht versucht worden, diese Voraussetzung auf ihre Zulässigkeit zu prüfen; daher seien die einschlägigen Verhältnisse im Hinblick auf verbreitete Irrtümer etwas eingehender besprochen. Machen wir die für eine Bildentstehung auf der Netzhaut des Ocells günstigste (aber tatsächlich nicht entfernt erfüllte) Voraussetzung, daß die Cornealinse annähernd so wie eine Kugellinse wirke, und daß, !) Die Untersuchungen Johannes Müllers (1826) kommen nicht in Betracht, da sie sich noch auf unzutreffende Vorstellungen über die Anatomie des Ocells gründen. 1* 4 C. v. Hess: etwa vermöge der Andeutung einer Schichtung, wie sie in der Abbil- dung zu sehen ist, sie die Strahlen noch mehr sammle, als eine homogene Linse von gleicher Gestalt, so, daß das von ihr entworfene Bild wirklich auf oder nahe an die ihrer Hinterfläche unmittelbar an- liegende Netzhaut fällt, so ist die annähernde Größe dieses Bildes nach bekannten optischen Gesetzen zu berechnen und mit jener des Bildes im Menschenauge zu vergleichen. Unter Zugrundelegen der Werte für das reduzierte Menschenauge sowie der Maße der Hesseschen Abbil- dung ergibt sich für das Ocell, da der Durchmesser der angenommenen Kugellinse etwa 0,1 mm, ihr Radius also 0,05 mm ist, daß das Netz- hautbild eines Gegenstandes hier nur etwa den 300. Teil so groß sein kann wie c. p. im menschlichen Auge. Das optische Auflösungsvermögen eines Auges, d. h. seine Fähigkeit, 2 Punkte noch eben gesondert wahrzunehmen, wird wesent- lich bestimmt durch das Verhältnis zwischen Netzhautbildgröße und Zahl der perzipierenden Elemente auf der Flächeneinheit der Netzhaut. Aus der Hesseschen Abbildung ergeben sich im Libellenocell für den Durchmesser eines perzipierenden Elementes der vorderen bezw. hin- teren Reihe Werte von 11,5 bzw. 7,5 u. In der menschlichen Fovea beträgt der Durchmesser der Zapfeninnenglieder 2,5 u, die nervösen Empfangselemente sind also im Libellenocell in der hinteren Schicht 3 mal, in der vorderen gar 4, 6 mal so breit als die Innenglieder in der menschlichen Fovea, d.h. bei gleicher Netzhautbildgröße könnte das Auflösungsvermögen des Libellenocells nur etwa 1/, bis !/,, von jenem des Menschenauges betragen. Da aber in ersterem das Netzhaut- bild günstigenfalls nur Y/,,, so groß ist, so folgt, daß das optische Auflösungsvermögen des Libellenocells günstigstenfalls nur Ygoo Pis Y/j300 von jenem des Menschenauges sein kann, mit anderen Worten: 2 leuchtende Punkte, die vom Menschenauge noch eben gesondert wahrgenommen werden, wenn ihr gegenseitiger Abstand l mm beträgt, müßten, um in gleicher Entfernung von den ÖOcellen gesondert wahrgenommen zu werden, mindestens etwa 1 m voneinander abstehen. Tatsächlich ist aber das Auflösungsvermögen des Ocells noch viel geringer, denn einmal sind die dioptrischen Bedingungen hier nicht entfernt so günstig, als eben angenommen wurde, und zweitens tritt noch das weiße Tapetum in Wirkung, das in einiger Entfernung hinter den nervösen Elementen eine nach vorn konkave, das Licht diffus zurückwerfende Fläche bildet. Dadurch wird zwar die Menge des zu den nervösen Empfängern gelangenden Lichtes beträchtlich größer, aber auf Kosten der Deutlich keit eines auf letzteren etwa vorhandenen Bildes. Weiter sei auf die unregelmäßige Form der Cornealinse des Ocells hingewiesen, für die Hesse angibt, ‚man könnte sie am ehesten mit einem von der gewölbten Oberfläche einspringenden zylindrischen Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. 5 Zapfen vergleichen, dessen. Innenfläche schräg gegen die Zylinderachse abgeschnitten ist. Nur diese Innenfläche wird von der Retina begrenzt‘ (siehe Abb.). Die physikalische Analyse führt also zu dem Ergebnisse, daß das Zustandekommen auch nur einigermaßen deutlicher Bilder im Libellen- ocell schon aus dioptrischen Gründen ausgeschlossen ist, dieses also im wesentlichen nur der Wahrnehmung von Hell und Dunkel dienen kann. Damit erledigen sich die unter 1, 2 und 6angeführten Annahmen. . Nach der Annahme 3 sollen die Ocelle ein ausgesprochenes Entfer- nungssehen ermöglichen, indem fernere Gegenstände die distale, nähere die proximale Reihe der Sehzellen erregen sollen. ‚Ein Objekt, ‘ das sich auf den Ocell zu bewegt, wird an einer Stelle eine plötzliche Veränderung der Erregung bewirken, wenn sein Bild von der einen auf die andere Reihe von Sehzellen übertritt, also eine besondere Ärt von Bewegungssehen“ (Hesse). Dieser Annahme liegt ein physikalisches Mißverständnis zugrunde. Von einem leuchtenden Objektpunkte muß selbst unter der (wie wir sahen unzulässigen) Voraussetzung punkt- förmiger Abbildung stets, wenn in der einen Sehzellenebene ein scharfes Bild entworfen wird, gleichzeitig in der anderen ein Zerstreuungs- bild vorhanden sein und umgekehrt; bei allmählicher Änderung des Objektabstandes werden lediglich die Zerstreuungskreise auf beiden Netzhäuten allmählich zu- bzw. abnehmen. Tatsächlich entsteht aber von dem leuchtenden Objekte auf beiden Empfangsschichten des Ocells Sünstigstenfalls nur ein verwaschener heller Schein, der bei starker Näherung bzw. Entfernung des Objektes höchstens sich ein wenig mehr oder weniger ausbreiten kann; eine plötzliche Änderung der Er- regung einer der beiden Empfangsschichten bei Abstandsänderung des Objektes ist also ausgeschlossen. Nach der Annahme 2 sollen die Ocelle durch ihre größere Licht- stärke befähigt sein, einen entfernteren Gegenstand, ‚der in die ein- zelnen Facettenglieder nicht mehr genügend Strahlen entsendet, um die Rhabdome zu erregen, noch wahrzunehmen“ (Link). Auch dieser Annahme liest ein physikalisches Versehen zugrunde: die Lichtstärke eines Netzhautbildes ist bei allen hier in Betracht kommenden optischen Abbildungssystemen unabhängig von der Entfernung: bei doppeltem Objektabstande ist die Menge des in das Auge fallenden Lichtes zwar nur den vierten Teil so groß, aber das Netzhautbild auch nur !/, so groß wie früher; jedes einzelne Element des letzteren erhält also bei ver- schiedenen Objektabständen die gleiche Lichtmenge (von der Luft- absorption kleiner Lichtmengen bei großen Abständen kann hier ab- gesehen werden). Das Verhältnis zwischen den Lichtstärken des Bildes im Ocell und im Facettenauge kann sich also mit zunehmendem Objektabstande nicht zugunsten der Ocelle ändern. 6 C. v. Hess: II. Zur vergleichenden Physiologie der Adaptation. Um die im dritten Abschnitte mitzuteilenden neuen Befunde dem Verständnisse näher zu bringen, erscheint es wünschenswert, zunächst die Anpassung der Sehorgane in der Tierreihe an verschiedene Licht- stärken aus allgemeineren Gesichtspunkten zu betrachten. Bei Tieren, die dauernd bei verhältnismäßig geringen Lichtstärken leben, wie z. B. Tiefseekrebse, oder die, wie Eulen u. a., vorwiegend in der Dämmerung auf Raub ausgehen, kennen wir im wesentlichen die folgenden Anpassungen: 1. Vermehrung der zum optischen Empfänger gelangenden Licht- menge. Eine solche erfolgt z. B. häufig durch Vergrößerung des brechen- den Apparates, im Craniotenauge durch große Pupillen, im Hauptauge der Arthropoden durch große Hornhautfacetten. Weiter gehören hier- her die verschiedenen Formen eines lichtreflektierenden Tapetums, das z. B. bei Wirbeltieren mit relativ stabiler Kopfhaltung sich vielfach hinter der Empfangsschicht der oberen Netzhauthälfte findet, zu der vor- wiegend nur die von der Erdoberfläche zurückgeworfenen Lichtmengen gelangen, deren Vermehrung in der Dämmerung die Wahrnehmung von Weg und Nahrung erleichtern kann. Auch bei Arthropoden findet man vielfach solche Tapeta, für die ich lebhaft grüne Fluorescenz im kurzwelligen Lichte nachweisen konnte und deren Bedeutung danach wohl nicht nur auf Reflexion der sichtbaren Strahlen beruht, sondern auch auf der Umwandlung jener für uns wenig oder gar nicht sichtbaren in vorwiegend grüne, welchen ja ein besonders großer farbloser Helligkeitswert zukommt. Das Tapetum im Libellenocell wird im folgenden Abschnitte gesondert besprochen. Ä 2. Weitere Anpassungen an geringe Lichtstärken bei vor- wiegend in der Dämmerung lebenden Tieren können sich im nervösen Empfänger entwickeln. Hierher gehört eine zum Teil enorme Volumszunahme der Empfangselemente in solchen Augen. Da die einschlägigen Verhältnisse bisher nur wenig beachtet wurden, stelle ich in Abbildung 3 das Stäbchen- außenglied @ eines Nachtvogels (Käuzchen, nach eigenen Messungen) und foveale Zapfenaußenglieder b eines Tagvogels (Sperling, nach Greeff) bei der gleichen 1000 fachen Vergrößerung nebeneinander; das Volumen der | | | M ersteren übertrifft das der letzteren um das Viel- 8 hundertfache. Ob eine solche Vergrößerung des Abb. 3. nervösen Empfängers auch bei Arthropoden in Zusammenhang mit Dämmerungsleben vorkommt, ist bisher nicht systematisch untersucht. Auf einzelne vielleicht hierhergehörige Erscheinungen habe ich bei Gelegenheit von Unter- Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. 7 suchungen über Lichtreaktionen bei Raupen hingewiesen. (Dieses Archiv Bd. 177.) Weiter wäre neben der Zunahme der Menge der Empfangsstoffe in den Sehelementen auch eine solche ihrer Konzen - tration denkbar. Von solchen Empfangsstoffen kennen wir bisher nur den Sehpurpur, der bei Wirbeltieren verbreitet, bei Wirbellosen nur für Cephalopoden nachgewiesen ist. Die Angaben über Vorkommen von Sehpurpur bei Arthropoden sind, wie ich früher zeigte (6), teils nicht - einwandfrei, teils unrichtig ; mir selbst ist es trotz vieler darauf gerichteter Bemühungen nicht möglich gewesen, einen solchen bei Gliederfüßern nachzuweisen; auch unter den für das Auftreten von Purpur wie auch für seine Wahrnehmung relativ günstigen Bedingungen im Libellenocell (siehe Abschnitt III) konnte ich nichts davon finden. Damit ist natürlich die Möglichkeit des Vorkommens eines solchen nicht in Abrede gestellt: er könnte sich einerseits infolge geringerer Konzentration, anderer- seits infolge geringerer Dicke der optischen Empfangsschicht der Wahr- nehmung entziehen; seine gute Sichtbarkeit bei Cephalopoden hängt hier sicherlich zum Teile mit der relativ großen Länge der Stäbchen zusammen. Anderseits ist nicht zu vergessen, daß, wie schon Kühne hervorhob, der Sehpurpur nicht der einzige Empfangsstoff der Netzhaut zu sein braucht, vielmehr neben ihm noch andere, farblose Empfangsstoffe vor- kommen können. 3. Eindlich käme theoretisch auch noch die Möglichkeit einer spezi- tischen Anpassung der nervösen Substanz im engeren Sinne in Betracht; über eine solche fehlen bisher alle Kenntnisse. — Neben den Anpassungen des ganzen Sehorgans an ein Dasein bei dauernd geringen Lichtmengen haben wir ferner die Einrichtungen bei solchen Tieren zu betrachten, die unter sehr verschiedenen Be- lichtungsverhältnissen, d. h. zeitweise bei hohen, zeitweise bei relativ geringen Lichtstärken sich bewegen. Vielfach werden ja die Existenz- bedingungen für ein tierisches Lebewesen sich um so günstiger gestalten, je weiter nach oben und nach unten die Grenzen sind, innerhalb deren sein Sehorgan sich der herrschenden Beleuchtung anzupassen ver- mag. Diese Einrichtungen sind zwar zum Teil ähnliche oder die gleichen wie die eben besprochenen, zeigen aber auch interessante und wichtige Besonderheiten. Unter den hierhergehörigen Anpassungen im dioptrischen Teile des Sehorgans ist die durch das Pupillenspiel vermittelte zwar allbekannt, aber, wie z. B. das Folgende zeigt, bei Erörterung einschlägiger- Fragen nicht immer entsprechend berücksichtigt. Das Ausmaß der physikali- schen Anpassung durch Pupillenveränderung ist bei manchen Tieren wesentlich größer als beim Menschen, wo die Pupille auch bei hohen Lichtstärken noch einen Durchmesser von etwa 2 mm zu haben pflegt; ’ 8 C. v. Hess: unter den Wirbeltieren sehen wir z. B. bei Haien, unter den Wirbel- losen bei Cephalopoden schon durch für uns nicht sehr hohe Lichtstärken nahezu vollständigen Verschluß der Pupille eintreten. Eine weitere Form der physikalischen Adaptation stellt die Pigment- wanderung in der Netzhaut dar, die beim Menschen nicht nachweisbar ist, in der Tierreihe dagegen, unter den Vertebraten insbesondere bei Fischen und Amphibien, in großem Umfange erfolgt; unter den Wirbel- losen war bisher eine solche z. B. für das Cephalopoden- und für das Facettenauge der Arthropoden nachgewiesen; eine merkwürdige, bis- her nicht bekannte Form der Pigmentwanderung lernen wir im fol- senden Abschnitte am Libellenocell kennen. Eine Anpassung der Empfangsapparate selbst an verhältnis- mäßig große Lichtstärkenverschiedenheiten haben wir beim Wirbel- tierauge darin zu sehen, daß hier vielfach -zweierlei verschiedene nervöse Empfangselemente in der Netzhaut vorkommen, von welchen die einen mehr bei hohen Lichtstärken, die anderen mehr bei niederen funktionell hervortreten. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß bei stark herabgesetzter Belichtung und Dunkeladaptation wir mit unserer extrafovealen, stäbchen- und purpurreichen Netzhaut besser sehen als mit der nur Zapfen führenden fovealen. Solche Erfahrungen sind es ja wesentlich gewesen, die Parinaud zu seiner Lehre von der Doppelnetzhaut führten. Freilich gibt es kein zutreffendes Bild von den tatsächlichen Verhältnissen, wenn man auf Grund solcher Vor- stellungen den Zapfen überhaupt jegliche Adaptationsfähigkeit abspricht und als Stütze für diese Meinung die (nicht nur in Laienkreisen) ver- breitete Annahme einer Nachtblindheit der Tagvögel anführt, und wenn man andererseits für die Stäbchen annimmt, sie stellten im hellen Lichte ihre Tätigkeit vollständig ein. Daß auch unser stäbchenfreies foveales Netzhautgebiet ansehnlicher adaptativer Änderungen fähig ist, kann heute nicht mehr ernstlich bestritten werden, ebensowenig das Vorhandensein ausgiebiger Dunkeladaptation beim Tagvogel, die mit den von mir entwickelten Methoden sogar messender Behandlung hinsichtlich ihres Umfanges wie ihres zeitlichen Verlaufes zugängig ist. Bei Amphibien und Fischen werden bei länger dauernder Belichtung die Stäbchen von einer Pigmenthülle eingeschlossen, die einen Teil des in das Auge fallenden Lichtes von ihnen zurückhält, während die Zapfen durch Verkürzung ihrer Innenglieder glaskörperwärts vor- rücken und dadurch den Lichtstrahlen mehr zugängig bleiben als die Stäbchen. Hier, im Wirbeltierauge, erscheint also bis zu einem gewissen ‚Grade das’ Sehen bei höheren bzw. niederen Lichtstärken vorwiegend an zwei verschiedene nervöse Empfänger gebunden, die sowohl anatomisch wie hinsichtlich ihrer Fähigkeit, sichtbar Empfangs- stoffe aufzuspeichern, verhältnismäßig leicht voneinander unterschieden Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. 9 werden können. Bei den Wirbellosen sind derartig verschiedene Emp- fänger in der Netzhaut bisher noch nicht bekannt. Daß die von mir gefundenen adaptativen Änderungen bei Wirbellosen nicht etwa allein physikalisch durch Pigmentwanderung erklärt werden können, folgt unter anderem schon aus dem von mir erbrachten Nachweise ausgiebiger adaptativer Empfindlichkeitszunahme auch in lichtempfindlichen Or- ganen ohne jedes bewegliche Pigment, wie z. B. bei den weißen Siphonen von Muscheln und in den Füßchen von Seesternen. Daß im Libellenocell eine ungemein rasche Anpassung an sehr verschieden große Licht- stärken jedenfalls zum Teil auf die hier besonders ausgiebige und rasche Pigmentwanderung zu beziehen ist, ergibt sich aus dem Folgenden. Welche Rolle hier, wie überhaupt in Augen ohne nachweisbaren Seh- purpur, etwaige farblose Empfangsstoffe spielen mögen, entzieht sich noch unserer Beurteilung, ebenso die Frage nach etwaigen spezifischen adaptativen Besonderheiten der nervösen Sehsubstanz im engeren Sinne. Hinsichtlich der Sehschärfe wird im allgemeinen die Anpassung an ein Sehen bei verhältnismäßig geringen Lichtstärken mit Verzicht auf große Schärfe des Sehens erkauft, während anderseits Herbei- führung besonders scharfer Netzhautbilder, also hoher Sehschärfe, eine entsprechend enge Pupille erfordert, wodurch für die Lichtstärke des Bildes eine entsprechende Grenze nach oben gegeben ist. Diesem Wechselspiele zwischen dem Bedürfnisse nach relativ licht- starken, aber unscharfen Bildern bei geringer und scharfen, aber relativ wenig lichtstarken Bildern bei hoher Allgemeinbeleuchtung begegnen wir in ähnlicher Weise wie beim Craniotenauge auch bei den Arthro- poden, und es ist wohl auch hier wesentlich mitbestimmend für die große Mannigfaltigkeit der Gestaltung ihrer Sehorgane unter verschie- denen Existenzbedingungen. Eine erschöpfende Darstellung der interessanten vergleichenden Adaptationslehre gehört nicht an diese Stelle; nur an einzelnen Bei- spielen sollten deren Grundzüge entwickelt werden, soweit diese für das Verständnis der im folgenden zu schildernden Vorgänge in Betracht kommen können. III. Neue Beobachtungen am lebenden Libellenocell. Wenn man bei einer frisch gefangenen Libelle, die kurz dunkel ge- halter wurde, ein von Sonnenlicht bestrahltes Ocell mit der Handlupe betrachtet !), so sieht man in den ersten Augenblicken durch die klare Linse hinter dieser eine allenthalben gleichmäßig hellweiße, nach vorn konkave Fläche, die dem oben beschriebenen Tapetum hinter der !) Ich benütze gerne die vorzügliche kleine Zeisssche anastigmatische Lupe mit 16- und 27facher Vergrößerung; aber auch eine gewöhnliche Lupe genügt zur Wahrnehmung der wesentlichsten Erscheinungen. 10 C. v. Hess: Empfangsschicht der ‚Netzhaut‘ entspricht. Schon nach wenigen Se- kunden bräunt diese weiße Fläche sich rasch in der Weise, daß beim Frontauge etwa in der Mitte zwischen beiden Augenhälften ein zunächst schmaler, brauner Fortsatz von unten her auftaucht, dessen aufwärts gerichtete Spitze rasch nach oben fortschreitet, während seine unteren Teile sich nach beiden Seiten hin ausbreiten, so daß nach wenigen Se- kunden etwa das folgende Bild sichtbar ist: (Abb. 4). In den nächsten Sekunden dehnt sich die Bräunung nach oben hin derart aus, SI daß beim Blicke gerade von vorn der Hintergrund jetzt gleich- mäßig braun erscheint ; dreht man aber die Libelle um eine durch beide Hauptaugen gelegte wagerechte Achse so, daß der oberste Teil des Ocellhintergrundes durch die Linse sichtbar wird, so erscheint dieser zunächst noch weiß, wird aber unter der Wirkung des jetzt auf ihn fallenden Lichtes gleichfalls braun, doch weniger rasch und weniger dunkel braun als die untere, für gewöhnlich dem Himmel zugekehrte Hälfte. Nach kaum einer Minute — im allgemeinen um so rascher, je frischer das Tier ist — erscheint der ganze Hintergrund bis oben hin fast gleichmäßig gelbbraun bis dunkelbraun. Hält man nun das Tier nur eine halbe Minute dunkel, so erscheint derHintergrund wieder rein weiß, beginnt aber an der Sonne sofort wieder sich in der geschilderten Weise zu bräunen. Diese extremen Unterschiede im Aussehen des Hintergrundes entwickeln sich also im allgemeinen im Verlaufe von etwa einer halben bis einer Minute. Deutliche Zunahme von Grad und Ausdehnung der Bräu- nung nimmt man aber schon in den ersten Sekunden der Besonnung wahr, und es genügt der Übergang von der Sonne in ein helles, aber nicht direkt besonntes Zimmer, um sofort deutlichen Rückgang der Bräunung herbeizuführen. Anderseits erfolgt letztere keineswegs nur bei Besonnung des Auges, sondern auch, wenngleich in geringerem _ Umfange, bei Übergang vom Dunklen in gewöhnliches diffuses Tages- licht. Bei den Seitenocellen ist die unter dem Einflusse des Lichtes er- folgende Bräunung des Hintergrundes im allgemeinen eine ähnliche, beginnt auch hier von unten her, aber mehr gleichmäßig, und zeigt nicht den Fortsatz in der Mitte. Sie geht in jedem der drei Ocelle unabhängig von jener in den beiden anderen vor sich: Hält man die Libelle so, daß vorwiegend nur ein Ocell besonnt ist, so ist bald nur an diesem der Hintergrund stärker braun, während die beiden anderen, nicht direkt besonnten noch ziemlich rein weiß erscheinen. Die verschiedenen bisher von mir untersuchten Arten (Calopteryx virgo, Aeschna grandis, Libellula depressa) zeigten hinsichtlich der Abb. 4. Schnelligkeit der geschilderten Veränderungen und der Farbe des. Braun zwar kleine Verschiedenheiten, im wesentlichen aber war der Vorgang bei allen ein ähnlicher. — Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. 11 Diese überraschenden Befunde ermöglichen uns, in Zusammenhang mit den Ergebnissen der dioptrischen Analyse (siehe Abschnitt I), die Frage nach der Bedeutung der Ocelle aus neuen Gesichtspunkten zu erörtern. Wesentlich erscheint vor allem die Schnelligkeit und der erstaunliche Umfang der Anpassung an verschiedene Lichtstärken. Die große Linse, ihre starke Fluorescenz, das Tapetum und die aus- giebige Rückwanderung des Pigmentes bei abnehmender Beleuchtung gestatten eine besonders vollkommene Ausnutzung geringer Lichtstärken. Vielleicht gehören hierher auch kleine, rechteckige weiße Platten, die bei manchen Arten, z. B. Calopteryx, nach unten an die Ocelle grenzen (siehe Abb. 1) und vermöge ihrer Anordnung geeignet scheinen, schräg von oben und den Seiten kommendes Licht in das Ocell zurückzuwerfen. Mankönntedanach zunächstgeneigtsein, sich der Annahme anzuschließen, die Ocelle seien einfach Organe des ‚„Dämmerungssehens‘ ; eingehendere Betrachtung lehrt aber, daß gerade das Wesentliche ihrer Funktion damit nicht bezeichnet wäre. Die geringe Sehschärfe infolge der mangel- haften dioptrischen Verhältnisse und der relativen Größe der nervösen Elemente besteht bei herabgesetzter Beleuchtung ebenso wie bei hoher und gestattet dort wie hier im wesentlichen nur die Wahrnehmung diffuser Helligkeit; ja, eher wären noch relativ etwas bessere dioptrische Verhältnisse im Hellen, bei vorgewandertem Pigment denkbar, da dann ähnlich, wenn auch in geringerem Umfange, wie solches für die Fisch- und Amphibiennetzhaut bei innenständigem Pigment anzunehmen ist, durch Einscheidung der einzelnen optischen Empfänger eine gewisse Isolierung der Lichtreize und damit Erhöhung der Schärfe des ‚Netz- hautbildes‘ denkbar wäre (sofern von einem solchen im Ocell die Rede sein kann). Die wesentliche Aufgabe der Libellenocelle besteht vielmehr offen- bar in der sofortigen Wahrnehmung kleiner Änderungen der allge mei- nen Belichtungsstärke; bei dem raschen Fluge unserer Tiere ist dazu möglichst rasche Anpassung an jede neue Lichtstärke erforderlich. So erklärt sich auch, daß die Ocelle vorwiegend bei fliegenden Insekten zur Entwicklung gekommen sind. Man hat bei einschlägigen Erwä- gungen, wie mir scheint, nicht immer den Verschiedenheiten der Be- dingungen des Sehens bei verschiedenen Lebewesen genügend Rechnung getragen. Der relativ langsam sich bewegende Mensch kommt unter natürlichen Verhältnissen kaum jemals in die Lage, sich so raschen und starken Wechseln der Allgemeinbelichtung anpassen zu müssen, wie es bei der rasch fliegenden Libelle häufig der Fall ist, und diese kommt infolge ihrer Kleinheit beim Fluge leicht, z. B. im hohen Schilfe, dichten Gebüsche usw., noch an viel schwächer belichtete Stellen, als es bei uns im allgemeinen der Fall ist. Wenn man schreibt, Libellen und Fliegen „brauchen im Halbdunkel gar nicht zu sehen“, so setzt man voraus, 12 GC. v. Hess: daß das, was für uns halbdunkel ist, auch für die Libellen ‚‚halbdunkel‘“‘ sein müsse; das braucht aber nicht notwendig der Fall zu sein: Wenn wir aus der hellen Sonne in den Schatten eines Gebüsches treten, er- weitert sich unsere Pupille augenblicklich, und wenn ihr Durchmesser sich z. B. von 2 auf 4 mm vergrößert, wird dadurch allein schon das Netzhautbild 4 mal lichtstärker, als es ohne die Pupillenerweiterung wäre. Wenn dem Facettenauge der Libelle eine dieser pupillaren ent- sprechende Anpassung fehlt, wird das Netzhautbild hier selbst dann nur den 4. Teil so lichtstark sein als bei uns, wenn beide vorher gleich lichtstark waren. Vieles spricht aber dafür, daß in den Facettenaugen, insbesondere jenen mit so kleinen Facetten, die große Schärfe des Netzhautbildes nur auf Kosten seiner Lichtstärke erreicht wird (s. o.), und es ist also wohl denkbar, daß die Libelle zwar im hellen Sonnenschein mit ihren Facettenaugen genügend lichtstarke Netzhautbilder erhält, um im eiligen Fluge kleine Fliegen zu haschen, daß aber schon eine Ver- minderung dieser Lichtstärke, wie sie der Übergang in den Schatten von Gebüsch und Wald bringt, genügendes Fungieren der Facettenaugen erschwert oder unmöglich macht; hier ist dann von großer Bedeutung, daß sofort ein Organ vorhanden ist, das ihr zwar kein deutliches Bild der Umgebung gibt, aber anzeigt, in welcher Richtung sie zu fliegen hat, um wieder ins Helle zu kommen, wo infolge der größeren Wärme), des Vorhandenseins der vielen den Sonnenschein aufsuchenden kleinen fliegenden Insekten, die ihre Nahrung bilden, und der leichteren Sicht- barkeit dieser die Existenzbedingungen für sie so viel günstiger sind. Die Anordnung der drei Ocelle nach drei verschiedenen Richtungen er- scheint als besonders zweckmäßige Einrichtung, um den Tieren die jeweils hellste Stelle der Umgebung anzuzeigen: denn nur in dem Falle, daß eine Lichtquelle genau über der Libelle sich befindet, werden alle drei angenähert gleich viel Licht erhalten; bei mehr oder weniger seit- lich einfallendem Lichte trifft diesesimmer vorwiegend eines oder zwei von den drei Ocellen, und auch eine Fluorescenz der Linse infolge tangential auffallender Strahlen kann sich vorwiegend immer nur an einem oder zweien von den drei Ocellen geltend machen. Bei Vorhandensein von nur zwei Ocellen kann eher einmal der Fall eintreten, daß z. B. infolge tangentialen Einfalls der Strahlen von vorn oder rückwärts die wahr- genommenen Helligkeiten beiderseits gleich sind und das Tier infolge- dessen vorübergehend unsicher sein kann, nach welcher Richtung es !) Daß die Libellen nur an sonnigen Tagen fliegen, ist bekannt, hierbei kommt wohl nicht nur die Helligkeit, sondern auch die Wärme in Betracht: an wolkenlosen Herbsttagen, an welchen z. B. Hummeln schon um 8 Uhr früh in großer Zahl trotz empfindlicher Kühle flogen, kamen die Libellen regelmäßig erst gegen 11 Uhr oder noch später in größeren Mengen zu dem Teich, wo ich sie zu beobachten pflegte. Wie groß ihre Sehschärfe sein muß, zeigt die Sicherheit, mit der sie kleine Insekten aus meterweiter Entfernung wahrnehmen und in schnellem Fluge erbeuten. Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. 13 zu fliegen hat. (Bei manchen Schmetterlingen, z. B. Noctuiden [Plusia gamma] und Geradflüglern, z. B. Gryllotalpa, sind nur zwei Ocelle vor- handen. Diese sehen hier fast gerade nach beiden Seiten, bei Plusia finden sie sich dicht über dem Hauptauge, und sie sind hier durch ‘den ganzen stark behaarten Kopf, dort durch eine hohe mediane Leiste voneinander getrennt.) Wie wir uns die Verschiedenheit der Funktionen von Hauptauge und Ocell nach dem Gesagten etwa vorzustellen haben, pflege ich durch folgenden Versuch zu zeigen: In einen mattschwarzen Karton bohre man mit einer feinen Nadel ein möglichst kleines Loch und halte den Karton so vor das eine, z. B. rechte Auge, daß dieses nur durch das Loch Licht von der Umgebung erhält. Vor das andere, linke Auge bringe man ein Mattglas oder etwa ein Stück Pauspapier, wiederum sol), daß nur das an der matten Fläche zerstreute Licht ins Auge gelangen kann. Befindet man sich im Hellen, so nimmt das linke Auge nur einen verwaschenen hellen Schein wahr, das, rechte sieht durch das feine Loch die Umgebung zwar nicht sehr hell, aber bis in Einzelheiten sehr deutlich und infolge der kleinen Zer- streuungskreise ferne und nahe Gegenstände auch bei Ausschluß akkommodativer Änderungen selbst dann scharf, wenn es ohne diese Blende z. B. infolge von Kurzsichtigkeit die fernen, oder infolge von Übersichtigkeit die nahen Gegenstände nicht deutlich zu sehen vermag; bekanntlich bedient man sich ja eines solchen Hilfsmittels sogar als einer Art Lupe: kleinste Druckschrift, die nur aus größerer Entfernung scharf abgebildet wird, aber dann infolge des kleinen Netzhautbildes nicht zu entziffern wäre, kann man nach Vorsetzen der Blende dem Auge bis auf 2—-3 Zentimeter nähern, ohne daß sie merklich verwaschen er- scheint; sie ist dann infolge der großen Netzhautbilder bequem lesbar, solange die Lichtstärke groß genug bleibt. Ähnliches dürfte für das Facettenauge der Taginsekten gelten und das Fehlen besonderer akkom- modativer Einrichtungen in diesem ist danach leicht verständlich. Man kann sich also in sehr heller Umgebung mit Hilfe der am rechten Auge durch das feine Loch gesehenen Bilder bequem orien- tieren, der verwaschene Schein am linken tritt im Wettstreite mit den scharfen Konturen der ersten ganz zurück. Als störend empfindet man nur das kleine Gesichtsfeld bei letzterem, im Insektenauge fällt dieser Umstand aber infolge der großen Zahl der auf einer Kugeloberfläche angeordneten Facetten weg. Sobald man nun aber in eine nur um ein Unbedeutendes weniger lichtstarke Umgebung kommt, werden die Netzhautbilder des rechten 1) Am bequemsten ist es, die beiden Blenden etwa in einem Automobilbrillen- gestell anzubringen, wobei der Ausschluß störenden falschen Lichtes leicht zu er- reichen ist. 14 ©. v. Hess: Auges leicht so lichtschwach, daß man sich nicht mehr orientieren kann und bei weiterer allmählicher Abnahme der allgemeinen Lichtstärke sich bald hilflos, ja fast blind fühlt. Man stellt derartige Versuche am besten mit verschieden großen Löchern in der schwarzen Blende in der Weise an, daß man zuerst im Freien oder in einem sonnigen Zimmer beobachtet und letzteres etwa durch Schließen des Ladens allmählich ein wenig verdunkelt: je feiner das Loch in der Blende ist, um so früher tritt dann der Augenblick ein, wo das rechte Auge versagt. Das linke, mit dem Mattglase versehene nimmt auch bei viel weiter vorgeschrit- tener Verdunkelung des Raumes noch einen verhältnismäßig auffallend hellen Schein wahr, der zwar nicht ermöglicht, Gegenstände im Raume zu unterscheiden, aber doch jeden Augenblick darüber orientiert, in welcher Richtung man sich zu bewegen hat, um ins Helle zu kommen. Die Unterschiedsempfindlichkeit für ein Nacheinander von Helligkeiten ist, obschon man nur einen verwaschenen Schein wahrnimmt, kaum vermindert, wie man z. B. mit meinem Differential-Pupilloskop leicht feststellen kann. Welches Auge die Führung übernimmt, wird bei gegebener Allgemeinbelichtung wesentlich vom Durchmesser des Loches im Karton, der Durchlässigkeit des Mattglases und dem jeweiligen Adaptationszustande beider Netzhäute abhängen. In ähnlicher Weise wird bei Arthropoden einerseits die Größe der Facetten, also die Lichtstärke des Bildes im Hauptauge, anderseits die Vollkommenheit der physikalischen Einrichtungen zur Verwertung geringer Lichtstärken im Ocell und wieder insbesondere der Adaptationszustand des einen und anderen Auges maßgebend dafür sein, welche Augen die Flug- richtung bestimmen. Man hat versucht, über die Funktion der Ocelle durch Ausschalten derselben Aufschluß zu erhalten und ging dazu vielfach so vor, daß man sie mit rußgeschwärz- tem Leim und ähnlichem überzog. Man ist auf diese Weise zu verschiedenen Er- gebnissen gekommen; die scheinbaren Widersprüche zwischen den Befunden ver- schiedener Beobachter werden vielleicht durch folgendes verständlich. Uber die Undurchlässigkeit verschiedener ‚‚schwarzer‘‘ Massen herrschen, wenn ich nicht irre, zum Teile unzutreffende Vorstellungen: Wenn ich ein 1 mm dickes schwarzes Tuch in geeigneter Weise im Dunkelzimmer vor eine Bogenlampe halte, so bietet das Tuch den Anblick eines Sternenhimmels, da zwischen den einzelnen Stoff- teilchen überall noch winzige lichtdurchlässige Lücken bleiben; ähnlich zeigt ein schwarzes Papier, wie es zum Einwickeln lichtempfindlicher photographischer Platten dient, wenn es über einer Metallplatte mit Ausschnitt vor eine kleine Bogen- lampe gehalten wird, entsprechend dem Ausschnitte einen gleichmäßigen matten Schein und in diesem hier und da winzige helle Pünktchen. Wenn man chinesische Tusche mit einem Tropfen Wasser anreibt und etwas davon auf einem Objekt- träger eintrocknen läßt, so gelingt es wohl, eine im durchfallenden Lichte unter dem Mikroskop ganz dunkle Fläche zu erhalten, aber dazu ist erforderlich, daß die Aufschwemmung einen dieken schwarzen Brei bilde, und daß die aufgetragene Schicht beträchtliche Dicke habe; wird die Aufschwemmung ein wenig dünner genommen oder weniger dick aufgetragen, so zeigt der im auffallenden Tageslichte auf dem Objektträger tiefschwarz erscheinende Fleck im durchfallenden Lichte Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. 15 oft im ganzen einen leicht bräunlichen Schein, und in ihm hier und da feinste helle Pünktchen, gelegentlich auch feine Risse und Sprünge in der getrockneten Masse. Es ist also zwar möglich, mit einer solchen Masse die Ocelle ganz vom Sehen auszuschalten, ich habe mich aber bei einschlägigen Versuchen überzeugt, daß es kaum möglich ist, in jedem einzelnen Falle mit Bestimmtheit zu sagen, ob die auf- getragene Masse überall in genügend dicker Schicht über den Ocellen liest, ob sich beim Antrocknen nicht kleine Risse gebildet haben usw. Es ist bei aller Vor- sicht nicht sicher zu vermeiden, daß einmal, insbesondere z. B. bei stark behaarten Köpfen, ein oder das andere Ocell nicht ganz lichtdicht verdeckt ist; dieses wird dann vermöge seiner ausgiebigen Dunkeladaptation sehr lichtempfindlich werden und entsprechend leicht Helligkeitsempfindungen vermitteln können, während in anderen Fällen mit anderen Lösungen die Ausschaltung vollständiger wird usw. Wenn Tiere mit ausgeschalteten Ocellen bei Versuchen eines Beobachters nach dem Fenster flogen, bei Versuchen eines anderen nicht, so können solche Verschie- denheiten auch noch darauf zurückzuführen sein, daß die Bilder im Facettenauge infolge verschiedener Stärke der Allgemeinbelichtung und verschiedenen Adapta- tionszustandes beidemal wesentlich verschieden hell waren und dies, nicht aber die Ausschaltung der Ocelle für das Verhalten der Tiere maßgebend war. Dürfen wir uns doch nicht wohl vorstellen, daß lediglich die durch die Ocelle vermittel- ten Helligkeitsempfindungen die Flugrichtung der Tiere bestimmen; innerhalb eines mehr oder weniger großen Lichtstärken-Bereiches wird, ähnlich wie bei den vorher geschilderten Versuchen an unserem Auge, sowohl das Ocell als auch das Facettenauge auf die Bewegungsrichtung von Einfluß sein können. Diese Er- wägungen mögen zeigen, mit welchen Schwierigkeiten man bei Ausschalteversuchen zu rechnen hat und worauf bei solchen besonders zu achten ist. Die oben mitgeteilten neuen Befunde gelten zunächst nur für das Libellenocell:; es ist aber nicht wahrscheinlich, daß nur hier den Ocellen die geschilderte Aufgabe zukommt. Bei anderen Ocellen konnte ich bisher ähnliche Vorgänge wie bei Libellen noch nicht nachweisen; aber einmal ist die Zahl der von mir daraufhin untersuchten Arten noch klein und änderseits sind die Bedingungen für Wahrnehmung der Pigment- wanderung im Libellenocell infolge seiner Größe und des hellen Tape- tums besonders günstig. Es wird Aufgabe der Einzelforschung sein, ins- besondere Arten mit großen Ocellen in der angegebenen Richtung systematisch zu untersuchen. Auch für das anatomische Studium ergeben sich aus unseren Beob- achtungen neue Gesichtspunkte und Anregungen; ist doch wohl mög- lich, daß eine Pigmentwanderung, die wir an lebenden Insektenocellen infolge ihrer Kleinheit nicht wahrnehmen können, wenigstens im mi- kroskopischen Präparat nachweisbar wird. Merkwürdigerweise hat man auch bei histologischer Untersuchung auf Pigmentwanderung bisher nur die Facettenaugen berücksichtigt und an solche im Ocell anscheinend nicht gedacht. Die Frage nach den Bahnen, in welchen das Pigment hier sich bewegt, ob es von hinten durch das Tapetum bzw. zwischen dessen Zellen nach vorn, oder ob es von unten herauf wandert usw.. bietet manches Interessante, worauf ich bald zurückzukommen hoffe. 16 €©.v. Hess: Untersuchungen zur Physiologie der Stirnaugen bei Insekten. IV. Zusammenfassung. 1. Die dioptrische Analyse des Libellenocells lehrt, daß ein hier etwa entstehendes Netzhautbild sehr viel kleiner sein müßte als c.p. im Menschenauge. Aus der Größe der perzipierenden Elemente im Verhältnis zu jener beim Menschen folgt, daß die ‚‚Sehschärfe“ eines solchen Ocells nur ungefähr !/,ooo von jener des Menschenauges betragen, d. h., daß es im wesentlichen nur Hell und Dunkel unter- scheiden kann. Dadurch erledigen sich alle Hypothesen, die von der Annahme ausgehen, die.Ocelle könnten zur Wahrnehmung von Gegen- ständen der Umgebung dienen. 3. Es wird der Nachweis erbracht, daß das Libellenocell durch Größe, Wölbung und Fluorescenz der Linse sowie das weiße Tapetum einerseits besonders geeignet zur Ausnutzung geringer Lichtstärken, anderseits aber durch seine überraschend schnelle und ausgiebige Pigmentwanderung der Anpassung an verschiedene, auch sehr hohe Lichtstärken und insbesondere an raschen Belichtungswechsel bei sehr verschiedenen absoluten Lichtstärken in großem Umfange fähig ist. 3. Diese rasche Reaktion auf kleine Lichtstärkenänderungen weist daraufhin, daß die wesentliche Aufgabe des Ocells hier eben in der Wahrnehmung kleiner Änderungen der allgemeinen Beleuchtung beruht, wodurch, im Zusammenhang mit der eigentümlichen Anordnung der Ocelle, dem Tiere die Auffindung einer besonders lichtstarken, seinen Lebensgewohnheiten gemäßen Umgebung wesentlich erleichtert wird. Literaturverzeichnis. 1. Forel, Das Sinnesleben der Insekten. München 1910. Reinhardt. 2. Ew. Hering, Grundzüge der Lehre vom Lichtsinn. Handbuch von Gräfe- Sämisch. 3. Hess, Über Fluorescenz an den Augen von Insekten und Krebsen. Dieses Archiv 13%. 1911. 4. Ders., Beiträge zur Kenntnis des Tapetum lucidum im Säugerauge. Archiv f. vgl. Ophthalm. 2. Nr. 1. 1911. 9. Ders., Beiträge zur Kenntnis regionärer Verschiedenheiten der Netzhaut und des Pigmentepithels in der Wirbeltierreihe. Archiv f. vgl. Optutalm. 1. Nr.4, 1911. S 6. Ders., Vergleichende Physiologie des Gesichtssinnes. Jena 1912. 7. Ders., Über Lichtreaktionen bei Raupen und die Lehre von den tierischen Tropismen. Dieses Archiv 19%. 1919. 8. Hesse, Von den Arthropodenaugen. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie 40. 1901. 9. Ders., Das Sehen der niederen Tiere. Jena 1908. Fischer. 10. Link, Die Stirnaugen der hemimetabolen Insekten. Zool. Jahrb. Anat. Abt. %. 1909. 11. Ders., Über die Stirnaugen der Neuropteren und Lepidopteren. Ebenda. 12. Demoll und Scheuring, Die Bedeutung der Ocellen der Insekten. Zool. Jahrb. Abt. f. Physiol. 31. 1912. Die kolloidehemische Bedeutung des physiologischen Ionen- antagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. Von S. M. Neusechlosz. (Mitteilung aus dem pharmakologischen Institut der Universität Budapest.) Mit 12 Textabbilduneen. (Eingegangen am 23. Dezember 1919.) Einleitung. Seit der ersten Entdeckung des physiologischen Ionenantagonismus durch Sydney Ringer!), namentlich aber seit der eingehenden Be- arbeitung dieses Gebietes durch Jacques Loeb?), hat es an Ver- suchen, die antagonistische Wirkung von Ionen auf physikochemischer Grundlage zu erklären, niemals gefehlt. Die prinzipielle Frage aber, nämlich ob eine irgendwie geartete, aber gleichsinnige Einzelwirkung zweier Salze bei Kombination sich auch am nicht lebenden Substrat gänzlich aufzuheben vermag, ist bis heute noch immer nicht im posi- tiven Sinne beantwortet worden. Die klassischen Versuche Loebs?), an Funduluseiern, W. Ostwalds®) an Gammarus oder die Oster- houts?) an Pflanzen stehen noch immer ohne Analoson in der physi- kalischen Chemie. Gewisse, als Ausdruck eines Tonenantagonismus angesehene Erscheinungen sind zwar im Laufe der Zeit von Mehreren bei der Elektrolytfällung von Kolloiden beobachtet worden, doch ist meines Erachtens auf diesem Gebiete noch nichts bekannt, das eine Erklärung der genannten Versuche als Kolloidphänomen ermöglichen würde. Die ersten, die einen gewissen Grad von Antagonismus oder richtiger gesagt, '-inen völligen Synergismus bei der Fällung von Kolloiden durch Fiektrolytgemische beobachtet haben, scheinen Linder und Piceton®) gewesen zu sein. Aus ihren Versuchen geht hervor, daß 1) S. Ringer, Journ. of Physiol. 4. 1883; %. 1886; 18. 1895. 5 ?) J. Loeb: Die Dynamik der Lebenserscheinungen. Leipzig 1906. — Über physiologische Ionenwirkungen. In Oppenheimers Handbuch der Biochemie %, 1. 1910. — Ferner: Biochem. Zeitschr. %7, 28. 1910; 31. 32, 33, 36. 1911; 39, 43, 44. 1912. 3) J. Loeb, a.a. ©. *) W. Ostwald, Archiv f. d. ges. Physiol. 106. 1905. ®, Osterhout, Journ. of biol. Chemistry 1. 1905. 6) Linder und Picton, Journ. Chem. Soc. 6%. 1895. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 2 18 S. M. Neuschlosz: Die kolloidchemische Bedeutung des physiologischen während zwei gleichwertige Kationen sich in ihrer fällenden Wirkung auf ein negatives Arsensulfidsol einfach additiv verhalten, bei der Kombination von einwertigen und zweiwertigen Kationen keine ein- fache Addition eintritt, sondern um eine vollkommene Fällung herbei- zuführen, von dem einen Kation größere Mengen nötig sind, als man unter der Voraussetzung einer Addition meinen würde. Ob diese Er- scheinung als Ionenantagonismus angesprochen werden kann, wie das z. B. Höber!) tut, mag dahingestellt bleiben, von einer gänz- lichen Aufhebung der Wirkung eines Kations durch das andere, wie das in den Versuchen von Loeb der Fall ist, kann hier bestimmt nicht die Rede sein. Zu den gleichen Resultaten, wie die von Linder und “ Pieton, führten auch die Versuche von Höber und Gordon?). Auch Pauli?) meint bei seinen Studien über Elektrolytfällung an Eiweiß einen gewissen Grad von Antagonismus zwischen der Wirkung der Alkali- und Erdalkalisalze gefunden zu haben. Es läßt sich aber meines . Erachtens bei der unübersichtlichen Art, auf welche Pauli seine Versuchszahlen wiedergibt, schwer beurteilen, ob in einem gewissen Falle ein Antagonismus besteht oder nicht; das eine scheint mir aber unzweifelhaft, daß eine gänzliche Aufhebung der fällenden Wirkung eines Salzes durch ein zweites, welches allein auch fällend wirkt — also eine Analogie zu den Versuchen am lebenden Substrat —, aus den Paulischen Versuchen sicherlich nicht hervorgeht. Dasselbe läßt sich auch von dem von Koch) beobachteten Ionen- antagonismus bei der Elektrolytfällung von Lecithin sagen. All’ diese Beobachtungen haben ferner das eine gemeinsam, daß sie einen etwaigen Antagonismus immer nur zwischen Kationen von verschiedener Valenz aufweisen, während die gleichwertigen sich in ihren Wirkungen stets nur additiv verhalten. Schon allein diese Tatsache macht sie unge- eignet zur Erklärung der erwähnten Lebenserscheinungen, da ja bei diesen Antagonismen vielfach auch zwischen gleichwertigen Kationen (wie z. B. K’ und Na’ Ca” und Mg”) bestehen. ‚Neuerdings hat nun Lenk?) eine größere Arbeit über die ‚Bedeutung der Elektrolyte für Quellungsprozesse‘‘ veröffentlicht, in welcher er sich auch eingehend mit den antagonistischen Ionenwirkungen be- schäftigt. Sein Resümee lautet dahin, daß es ihm gelungen sei „das unerklärliche, das der antagonistischen Ionenwirkung bis nun anhaftete, auf einfache Quellungsvorgänge zurück- zuführen“. Wenn wir aber seine Versuchsergebnisse etwas genauer !) Höber, Physikalische Chemie der Zelle und Gewebe. IV. Auflage. Leipzig 1914. ?2) Höber und Gordon, Hofmeisters Beiträge 5. 1904. 3) Pauli, Ibidem 3. 1903 und 5. 1904. *) Koch, Zeitschr. f. physiol. Chemie 3%. 1902. 5) Lenk, Biochem. Zeitschr. %3. 1916. Tonenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 19 betrachten, so erscheint diese Behauptung nur wenig gerechtfertigt. Wie bekannt, handelt es sich bei der Erscheinung des physiologischen Ionenantagonismus um die gegenseitige vollkommene Aufhebung der eiftigen Salzwirkungen. Eine äquilibrierte Salzlösung hat bei Lebe- wesen, die sich dem osmotischen Drucke gegenüber indifferent ver- halten, dieselbe Wirkung, wie destilliertes Wassert): die Salze beein- flussen ihre Wirkung gegenseitig so, daß das Ergebnis so ausfällt, als ob in der Lösung gar keine Salze vorhanden wären. Um zu dieser Erscheinung ein physikochemisches Analogon zu bieten, müßte die Quellung in gewissen Elektrolytkombinationen so ausfallen, wie im destillierten Wasser, jedenfalls aber so, wie sie durch einzelne Elektro- lyte auf keine Weise herbeigeführt werden kann. Hiervon merkt man in den Versuchsergebnissen Lenks aber keine Spur, vielmehr verläuft die Quellungskurve in den kombinierten Salzlösungen zwischen den Kurven der einzelnen Salze, was ja Lenk selbst konstatiert. Das ist aber kein Ionenantagonismus in dem Sinne des Wortes, wie wir ihn in der Physiologie gebrauchen. Das einzige, was sich aus den Versuchen Lenks demnach folgern läßt, ist bloß, daß die Beeinflussung der Quel- lung von Gelatine durch Elektrolytkombinationen nicht auf einfache Summierung der Wirkung der einzelnen Elektrolyte beruht, sondern einen bei weitem komplizierteren Vorgang darstellt — eine Tatsache, die ein vollkommenes Gegenstück zur Arsensulfidsolfällung in den Versuchen Linders und Pictons ist —, aber ebensowenig, wie diese als eine physikochemische Erklärung des physiologischen Ionenanta- gonismus angesehen werden kann. Es sei an dieser Stelle noch die Theorie des physiologischen Ionen- antagonismus kurz besprochen, welche Loeb?) selbst zur Erklärung seiner Befunde, aufgestellt hat. Nach dieser Theorie besteht die anta- gonistische Wirkung der Kationen darin, daß sie in den richtigen Mengen- verhältnissen angewandt, die Oberflächenlamelle der Zellen für die einzelnen Kationen undurchgängig machen (gerben), während dieselbe in der einfachen Lösung eines Elektrolytes für das letztere permeabel wird. Die in das Zellinnere eindringenden Ionen würden dann die Vergiftungserscheinungen verursachen. Ob die Annahme des Ein- dringens der Salze in das Innere der Zelle für die Erklärung der Ver- giftungserscheinungen unbedingt erforderlich sei, ist nach den Beob- achtungen Warburgs®) über die Aktivität der Zellmembran zumindest fraglich, wie dem aber auch immer sei, ist auch nach der Loebschen 1) Siehe z. B. Osterhout, a.a. O. ?) J. Loeb, Die Dynamik der Lebenserscheinungen. Leipzig 1906. — Ferner: Biochem. Zeitschr. 36. 1911 und 4%. 1912. 3) Warburg, Zeitschr. f. physiol. Chemie 5%. 1908; 60. 1909; 66. 1910; “0. 1911. 9% 20 S. M. Neuschlosz: Die kolloidchemische Bedeutung des physiologischen ud Theorie der Kolloidzustand der Oberflächenlamelle für die Permeabi- lität und demnach für die Giftwirkung der Salze verantwortlich und auch um diese Auffassung zu rechtfertigen, erscheint das Auffinden eines Ionenantagonismus an unbelebten Kolloiden wünschenswert zu sein. Nach Loebs!) Ansicht müssen aber das Substrat des Antagonis- mus die Eiweißkörper der Zellmembran darstellen, weil eine Gegen- wirkung zwischen Säuren und Salzen — nach Loeb — bis jetzt nur an diesen beobachtet worden ist2). Als Voraussetzung ihrer physiologischen Wirkung wird demnach von Loeb und auch von T. B. Robertson?) eine chemische Ver- bindung zwischen den Ionen der Elektrolyte und den Proteinen an- genommen, so daß die reinen Salzlösungen eine Störung des lonen- gleichgewichtes bei den Ionenproteiden verursachen und als Folge dessen giftig wirken würden. Es ist nun meines Erachtens keineswegs bewiesen, daß die phy- siologischen Wirkungen der Ionen lediglich auf ihre Beziehungen zu den Proteinen beruhen, und daß diese Beziehungen rein chemischer Natur sein müssen, wie es die Theorie von Loeb und Robertson erfordert. Es ist sogar nach den Untersuchungen über die Beziehungen zwischen physikochemischen und physiologischen Ionenwirkungen wahr- scheinlich geworden, daß die letzteren als kolloidchemische Erschei- nungen anzusehen sind, bei denen es hauptsächlich auf den kolloidalen Lösungszustand des Substrates und nur wenig auf seine rein chemische Struktur ankommt®). Daß z. B. eine antagonistische Beeinflussung des Lösungszustandes zwischen Säuren und Salzen, wie sie Loeb°) charak- teristisch für Eiweiß hervorhebt, auch bei nicht eiweißartigen Kolloiden auftritt, haben Handovsky und Wagner®) an Lecithin gezeigt”). Auch Szücs®) hält es für wahrscheinlich, daß die Ionen der Elektro- lyte eine chemische Verbindung mit gewissen Stoffen der Zellmembran 2 J. Loeb, Biochem. Zeitschr. 4. 1913. 2) Siehe z. B. die von Loeb zitierte Arbeit von Prokter, Kolloidchem. Bei- hefte 2. 1908. ®) T. B. Robertson, Ergebnisse der Physiol. 10. 1910; Physik. Chemie der Proteine. Dresden 1912. *) Höber, Hofmeisters Beiträge 11. 1907; Biochem. Zeitschr. 14. 1907. — Ferner: Lillie, Amer. Journ. of Physiol. 24. 1909 und 26. 1910. 5) Loeb, a.a. 0. 6) Handovsky und Wagner, Biochem. Zeitschr. 31. 1912. ”) In einer neueren Arbeit, deren Original mir leider nicht zugänglich ist, scheint Loeb diese Theorie des physiologischen Ionenantagenismus verlassen zu haben und vertritt — soweit ich es aus dem Referate zu entnehmen vermag — die Anschauung, daß die sich antagonisierenden Ionen sich gegenseitig von der Ober- fläche der Zellmembran verdrängen. Diese Anschauung steht in guter Überein- stimmung mit den hier zu besprechenden Befunden (zitiert nach Zentralbl. f. Biochem. und Biophysik 19, Ref. Nr. 1560. 1918). 8) Szücs, Jahrb. f. wissensch. Botanik 52. 1912. Ionenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 21 eingehen müssen, um wirksam zu sein. Er hat für den Fall des Anta- gonismus zwischen Cu” und Al” chemisch nachweisen können, daß das Al” das Eindringen des Cu” in die Zellen verhindert. Seine Ver- suche sagen aber gar nichts über die Frage, ob es chemische oder physi- kalische Verbindungen mit den Zellsubstanzen sind, aus denen sich die Ionen gegenseitig verdrängen. Im nachfolgenden habe ich nun den Nachweis zu erbringen ver- sucht, daß es möglich ist, den physiologischen Ionenantasonismus auf eine vollkommenere Weise auf kolloidchemische Vorgänge zurückzu- führen, als es bis jetzt der Fall war. Als Substrat zu diesen Unter- suchungen habe ich keinen Eiweißstoff, sondern ein Lipoid, namentlich Lecithin gewählt. Bei dieser Wahl hat mich der Gedanke geführt, - daß es nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse als in hohem Maße wahrscheinlich anzusehen ist, daß für eine große Anzahl phy- siologischer Erscheinungen an der Zelle den Lipoiden eine hervor- ragende Bedeutung zukommt und daß, wenn die Overtonsche Lipoid- theorie, die im wesentlichen mit der Supposition einer makroheterogenen Lipoidmembran gleichbedeutend ist, nach den Forschungsergebnissen der letzten Jahre kaum mehr in ihrer Gänze aufrecht zu halten ist, so läßt sich die ausschlaggebende Rolle, welche die Lipoidstoffe in der Kolloidstruktur der Zelle, namentlich aber in der der Oberflächen- lamelle innehaben, kaum bezweifeln. Es war demnach zu erwarten, daß für die physikalisch-chemische Deutung des Ionenantagonismus aus den kolloidchemischen Zustandsänderungen der Lipoide in Gegen- wart von Elektrolytkombinationen bei Anwendung einer entsprechend empfindlichen Methodik manche Anhaltspunkte zu gewinnen sein werden. Über die physikochemische Wirkung von Elektrolyten auf Leeithin liegen bis jetzt die Arbeiten von W. Koch!), Porges und Neubauer?), Handovsky und Wagner?) vor. Von diesen Autoren haben die ersteren die fällende Wirkung ‚von Säuren und Salzen auf Lecithinsole studiert, während Handovsky und Wagner die Wirkung verschiedener Stoffe auf die Viscosität der Leeithinlösung untersuchten. Von der Kochschen Arbeit habe ich bereits früher erwähnt, daß in derselben ein gewisser Grad von Antagonismus zwischen Ionen verschiedener Valenz festgestellt worden ist, welcher aber von Porges und Neubauer nicht bestätigt werden konnte: diese Autoren fanden vielmehr, daß Salze in ihrer fällen- den Wirkung auf Lecithin sich mit der einzigen Ausnahme der in ganz hohen Kon- zentrationen verwendeten — ganz einfach additiv verhielten. Nun scheint mir aber die von den genannten Forschern verwendete Methodik zur Entscheidung solcher Fragen nur wenig geeignet. Die makroskopisch sichtbare Fällung zeigt erst einen recht hohen Grad von Dispersitätsherabsetzung an und gestattet keinen Einblick in den Gang der Entmischung, welche die Elektrolyte vor und nach der Fällungs- zone verursachen. Der Dispensitätsgrad eines Lecithinsols kann sich in recht weiten 1) W. Koch, a.a. O. ®) Porges und Neubauer, Biochem. Zeitschr. %. 1907. ®2) Handovsky und Wagner, a.a.O. 22 8. M. Neuschlosz: Die kolloidehemische Bedeutung des physiologischen Grenzen verschieben, ohne daß eine makroskopisch sichtbare Fällung auftritt, und was innerhalb dieser Grenzen vorgeht, darüber läßt sich mit der Methodik Porges und Neubauers nichts feststellen. Es hätten sich demnach die Salze in diesen Grenzen auch antagonistisch verhalten können, ohne daß das Porges und Neubauer zu konstatieren imstande gewesen wären. Daß dies auch tatsäch- lich der Fall ist, konnte ich in den später zu besprechenden Versuchen zeigen. Die Methodik Handvovskys und Wagners: Die Messung der Viscosität in Leecithin- solen entspricht diesen Forderungen schon eher und es ist den Genannten auch ge- lungen einen Antagonismus zwischen Säuren und Salzen aufzudecken. Einen Antagonismus zwischen neutralen Elektrolyten haben sie nicht gesucht. Als ein womöglich noch genauerer Indicator des Lösungszustandes eines Sols, als die innere Reibung, gilt die Oberflächenspannung desselben. Je größer die Dispersität einer kolloidalen Lösung ist, um so mehr nimmt sie die Eigenschaf- ten einer wahren Solution an und um so mehr weicht ihre Oberflächenspannung von der des Wassers ab, je geringer ihre Dispersität, um so mehr ähnelt sie einer Suspen- sion und um so mehr nähert sich ihre Oberflächenspannung der des Wassers. Die Oberflächenspannung ist demnach ein feiner Indicator des Dispersiongrades eines Sols und ihre Bestimmung eignet sich daher als Methodik zum Studium der Salz- wirkungen. Versuchsanordnung. Zur Bestimmung der Öberflächenspannung meiner Lecithinlösungen ver- wendete ich ein Stalagmometer nach Traube!) von der Firma Lautenschläger in Berlin, deren Tropfenzahl für destilliertes Wasser 36,5 betrug. Die benützte 2 proz. Lecithinlösung wurde aus einem Lecithinpräparate aus Eiern der Firma Poulene Freres-Paris, welches zufälligerweise in größeren Mengen im Institut vor- rätig war, auf die von Porges und Neubauer beschriebene Weise hergestellt. 5 cem dieser Lösung wurden dann in einem Reagenzglas mit der gleichen Menge der entsprechenden Salzlösung versetzt, so daß die Versuchszahlen sich auf 1 proz. Lecithin beziehen. Die Herstellung der Salzlösungen geschah folgendermaßen: Die einzelnen Salze wurden zu zweifach molarer Konzentration gelöst. Die einfachen Salzlösungen wurden aus diesen Stammlösungen stets mit der gleichen Mengen Wasser auf 1, Y/,, 1/, 2, usw. molare Konzentration verdünnt, welche dann mit der Lecithinlösung wiederum auf das doppelte Volum verdünnt wurde. Bei den Salzkombinationen wurde jedesmal durch das in gewissem Verhältnisse durchgeführte Vermischen der Stammlösungen, Lösungen mit wechselnder relativer Salzkonzentration, aber ständiger Gesamtkonzentration (2 m) hergestellt. Diese Mischungen wurden dann auf dieselbe Weise auf die !/,, !/,, T/, usw. verdünnt, wie die einfachen Salzlösungen. Auf diese Art entstanden stets Lösungsreihen mit konstanter relativer Salzkonzen- tration (z. B. 1 NaCl: t/,,-CaCl,) und abnehmendem Gesamtgehalt an Salzen. In den Tabellen bedeuten die am Kopfe der Versuchsreihen stehende Mengen die re- lativen Konzentrationen der einzelnen Salze, die in den ersten Kolonen angegebenen Mengen die absolute Gesamtkonzentration jeder einzelnen Lösung. Die zweiten Kolonnen enthalten die mit dem Stalagmometer bestimmten Tropfzahlen der be- treffenden Lösungen (z), die dritten Kolonnen die auf Wasser bezogene relative Oberflächenspannung (y) nach der Formel): Sr ie, RUNIO s !) Traube, Kapillaranalyse. Abderhaldens Handbuch der Biochem. Arbeits- meth. 5, 2. Berlin und Wien 1912. 2) Traube, a.a. 0. Tonenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 23 En wobei 7 die Oberflächenspannung, S das spezifische Gewicht der Lecithinlösung (0,988), z, die Tropfenzahl für Wasser (36,5), 2. die der Lecithinlösung bedeutet. Die Kurven sind so gezeichnet, daß die Gesamtsalzkonzentration der Lösungen auf die Abszisse, die dazugehörige Oberflächenspannung der Lecithinlösung auf die Ordinate aufgetragen ist. Die Tropfenzahl des reinen wässerigen 1 proz. Lecithin- sols betrug: 47,5, entsprechend einer Oberflächenspannung von 75,9. Die Versuchsreihen. In diesem Abschnitte sollen die einzelnen Versuchsreihen mit den allernotwendigsten Erläuterungen kurz besprochen werden, während die eingehende Würdigung der Befunde für später gelassen werden soll. Es wurden Versuche mit den Kombinationen folgender Kationen ausgeführt: einwertige: Na’, K', zweiwertige: Ca”, Mg”, dreiwertige: Al”. Um die Wirkung der Anionen aus den Betrachtungen ausschließen zu können, wurden sämtliche Kationen in Form ihrer Chloride ver- ‘ wendet. Die Tab. l1-und die Kurventafel 1 enthalten die Oberflächen- spannungen des Lecithinsols in den einfachen Lösungen von ver- schiedener Konzentration dieser Salze. Tabelle I. Oberflächenspannung der Leecithinlösung in den Lösungen der einzelnen Salze. Kal | cacı, | Mech, | AlCh, Salz: | NaCl Konzentra- tion | en ’ im | 401 |[903|| 42,9 |Iss0]| 42,7 |ls4a1| 41,6 |[s6;5]l 3,1 |183;6] m | 397 \[soz]| 21,2 \[sz5]| 41,5 |I86,9|| 21,2 | [875]| 42,0 |[85.8] y,m 38,8 \|92,9] 40,1 190.3] | 40,3 |[s3,a]| 41,2 ||87,5 | 3,2]| 39,0 |[92,2| | 39,3 |[91,2]| 40,2 \[sa,6| m | 38,8 \19,9|| 40,0 |90,3|| 35,0 ||94,8|| 38,4 ||93,9|| 39,0 | [92,4 | Y»m | 412 ||8z6l| 41,9 ||s6,0l| 40,2 ||89,7|| 39,1 | 92,2]| 37,4 |I96,4| | 83,6| 43,1 [8361| 41,8 |Is6,3]| 214 8z1]| 39,1 [922] ns m | 45,0 | 80,1|| 45,4 179,4 | 43,3 1832| 42:5 84,81] 40,0 |[90,1 Yo m | 44,7.\\e06|| — | — 140,9 ||es,ıl Up m | ass > — | 42,2 ||g85,4 | it LI DD co H> oO fe eo) o oO "lan m Aus diesen Versuchen geht hervor, daß ein prinzipieller Unterschied zwischen den Wirkungsweisen der einzelnen Salze nicht feststellbar ist. Sämtliche Salze erhöhen die Oberflächenspannung des Lecithinsols bereits in recht kleinen Konzentrationen merklich. Die Oberflächen- spannung durchläuft dann bei stetiger Erhöhung der Salzkonzentration jedesmal ein Maximum, welches sich je nach der Wertigkeit des ver- wendeten Kations bei \/,, 1/,, oder !/,,m Konzentration befindet. Wir finden also auch hier die Schulzesche!) Regel wieder, indem die !) Schulze, Journ. f. prakt. Chemie 25. 1882; 27. 1884. 24 S. M. Neuschlosz: Die kolloidchemische Bedeutung des physiologischen zur maximalen Herabsetzung der Dispersität des Lecithinsols nötigen Salzmengen bei einwertigen Kationen größer sind, als bei zweiwertigen, bei diesen wiederum größer als bei dreiwertigen. Ferner erscheint die absolute Wirksamkeit der einzelnen Ionen auch nicht gleich zu sein, indem das Maximum der Oberflächenspannung bei den verwendeten Kationen in folgender Reihe abnimmt: Al> Ca >Mg>K. Nach dem erreichten Maximum senkt sich dann die Oberflächenspannung 96 94 92 R Salıh 0 88 86 64 82 80 78 76 4-% Salzkonzentrahon BETEN, 17 2% im 32708 4 2 Abb. 1. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in Lösungen der einzelnen Salze. bei weiterer Erhöhung der Salzkonzentration langsam wieder, erreicht aber bei der Imolaren Konzentration noch in keinem Falle die Ober- flächenspannung des reinen Lecithinsols. Tabelle Il. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in verschiedenen Na0l und KOÜl-Gemischen. Gesamt- Verhältnis von NaCl zu KCl. konzen- 1NaCl:!/, KCl 1NaCl:1KCl tration | 1NaCl:!/,, KC1 1 NaCl: !/, KC1 1/, NaCl: 1KC1]|!/,, NaCl: 1KCl 1/,, NaCl: 1 KC 2 % z Y z g% 2 7 zZ Y z | va 1m | 46,0 | 78,4 | 44,1 | 81,5 | 43,1 | 83,6 | 42,5 | 84,8 | 43,0 | 83,6 | 43,9 | 82,1 | 15,3 | 78,5 Y,m | 45,8 | 78,7 149,6 84,6 | 42,1 | 85,6 | 40,9 | 88,1] 29,1 | 5,6 | 43,3 | 83,3 I 44,8 | so5| Y/ym | 45,1 | 79,9 | 49,2 | 85,3 | 41,5 | 86,8 | 40,1 | 90,0| 41,2 | 87,5 | 42,9 | 84,0 | 443 | 81,@ Yym | 44,7 | 80,7 | 40,7 | 88,7 | 39,6 91,0 | 38,6 | 93,8| 39,8 | 90,6| 423,3 | 85,2 | 44,1 | 81,7 Ya 45,6 | 79,0 | 42,0 | 85,8 | 40,3 | 89,4 | 39,2 | 91,9 | 40,5 | 89,0] 42,7 | 84,4 | 447 806 Ym | 46,1 | 78,2 | 43,3 | 83,2 | 41,6 | 86,6 | 40,3 | 89,4 | 41,4 | 87.1 | 43,1 | 83,6 | 45,1 | 79,9 Yoamı| 46,7 | 77,2 | 44,1 | 81,7 | 42,9 | 84,0 | 41,5 | 86,8 | 41,9 | s,0| 43,6 | 82,5 | 45,6 730 Ysm| 470 | 76,5 | 44,9 | 80,3 | 44,2 | 81,5 | 42,3 | 85,3 | 42,8 | 84,2 | 44,2 | 81,5 | 46,1 | 78,2 | Ionenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 235 Die Tab. 2 und die Kurventafel 2, 3, 4 zeigen die kombinierte Wir- kung von Na’ und K’ auf die Lecithinlösung. Hierbei ergibt sich folgen- des: Die Oberflächenspannung des Lecithinsols ist in einer Mischung von NaCl und KÜl in weiten Grenzen fast un- D 5 S abhängig von der absoluten Konzentration der ER anwesenden Salze und hängt fast ausschließlich S 90 S Ob 88 86 84 82 80 78 76 Abb. 2. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in verschiedenen Gemischen von NaCl und KCl . Gesamtsalzkonzemtranon al, gl en En 326 8 4 2 7m Abb. 3. Oberflächenspannung der Leeithinlösung in verschiedenen Gemischen von NaCl und KC1. von den relativen Mengen des vorhandenen Na’ und K’ab. Beginnend bei der relativen Konzentration 1 NaCl : 1 KCl, bei welchem Verhältnis die Oberflächenspannung ihr Maximum erreicht, nimmt dieselbe nach 26 >. M. Neuschlosz: Die kolloidchemische Bedeutung des physiologischen beiden bzw. 1/, NaCl :1 KCl ein Minimum zu erreichen, welches von der 94 92 90 88 Oberflächenspannung 86 84 82 80 78 76 20 7 ä IT äot: g Abb. 4. Einfluß der Anderung des Verhältnisses nach Loeb ) hc beträgt; dage Na/K auf die Oberflächenspannung der Lecithin- gen ist die andere äquilibrierte lösung bei konstanter Gesamtkonzentration (4 m) Biologie bisher ohne Beispiel. Auf die Bedeutung derselben werden wir später zurückkehren. — Die Kurve 4 demonstriert die Anderung in der Oberflächenspannung des Lecithinsols bei unveränderter Gesamt- konzentration ("/; m) infolge Änderung des Verhältnisses Na’/K.. Tab Seiten stetig ab, um etwa bei dem Verhältnis 1 NaCl : Us, KU, Öberflächenspannung des reinen salzfreien Lecithinsols kaum mehr abweicht. Die Kurven haben eine in diese Richtung immer zu- nehmende Tendenz parallel mit der Abszisse zu verlaufen. Es be- steht demnach ein unstreitbarer Antagonismus zwischen Na’ und K', welches bei dem Verhältnis Na: Kund U) Na ııK zur fast völligen Äquilibrierung führt. Von diesen beiden Rela- tionen ist die: 1Na’:!/,, K' aus den Versuchen Loebs über den physiologischen Tonenantagonis- mus bereitswohlbekannt, da jader an 7, Entgiftungskoeffizient KCI/NaCl “ Relation !/,, NaCl: 1 KCl in der elle IH. Oberflächenspannung der Leeithinlösung in verschiedenen NaQl- und CaCl-Gemischen. Gesamt- x Verhältnis von NaCl zu Cal, konzen- | 1 NaCl: 1 CaC1,|1NaC1:/,0aC1,|1NaC1:7/,,CaC1|1Nacı:»/,,Ca01,|1Na01;7/,, Cacı,|1Nacı: 27, CaCl,|INaC1:%/,, Cack, N 2 y 2 y a z Y zur ale lm | 40,3 | 89,4 | 43,0 ı 83,8 | 44,9 | 80,3 | 47,3 76,3] 46,5 77,5 | 43,6 | 82,7 | 40,6 | 88,8 /.m | 40,0. | 90,3 ] 42,7 | 84,4 | 44.6 | 80,8 |ar,ı [766]| 45,9 | 784 |ası. 83,6 | 39,8 | 90,6 "am | 397 | 90,8 | 42,1 | 85,6. | 44,1 | 81,7 [47,0 I[76,8]| 25,4 | 79,4 |a2,7 844 [394 915 Y;m | 39,3 | 91,7 | 41,9 | 86,1 | 43,9 | 82,1 [47,2 [76,4]| 45,0 | 0,0 | 42.3 85,2 | 39,0 92,4 Ya m 40,2 | 89,7 1 42,6 | 84,6 | 44,4 | 81,2 47,4 76,0| 45,1 | 79,8 | 42,9 | 84,9 | 39,6 | 91,0 am 40,5 | 89,0 [42,9 840 | 44,8 | 80,5 [47,5 75,9|| 45,3 79,6 | 43,3 | 83,3 | 40,0 | 90,3 am! 40,8 | 88,3 | 43,1 | 83,6 | 45,0 | 80,1 ars [m57]| a5,9 | 785 |as7 8325 [203 894 1fıgg m 41,2 | 87,5 | 43,5 | 82,7 [45,3 | 785 la7,5 29|| 46,5 | 71,5 [440 | 81,9 | 40,9 | sgı !) Loeb, Biochem. Zeitschr. 33. 1911. lTonenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 27 Die Tab. 3 und die dazugehörige Kurventafel 5 geben die Beein- flussung der Oberflächenspannung unseres Lecithinsols durch ver- schiedene Gemische von NaCl und CaCl, wieder. Aus ihnen geht her- vor, daß der Antagonismus zwischen Na’ und Ca” ein noch deutlicherer ist als der zwischen Na’ und K‘. Sämtliche Kurven verlaufen fast parallel mit einander und mit der Abszisse, während die Kurve, welche die Oberflächenspannung bei dem Verhältnis 1 NaCl : !/,, CaCl, dar- stellt, den Nullpunkt der Ordinate (die Oberflächenspannung des salz- freien Leeithinsols) kaum verläßt. Bei dieser Ionenrelation ist also ac, | Gesamtsalshinzemtn | L \zf Im Abb.5. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in verschiedenen Gemischen von NaCl und CaCl,. die eingangs gestellte Forderung, daß sich die Salze einer äquilibrierten Salzlösung so verhalten müssen, als ob sie gar nicht da wären, fast vollkommen erfüllt. Dasselbe läßt sich auch über die Kombination KCl + CaCl, sagen, welche bei dem Verhältnis 1 KCl : !/,, CaCl, auch ganz äquilibriert erscheint. Infolge der vollkommenen Übereinstimmung mit den Wir- kungen der NaCl + CaCl,-Gemischen erübrigt es sich, ausführlicher auf dieselben der KCI + CaCl,-Kombinationen einzugehen. Die dies- bezüglichen Versuchszahlen sind aus der Tab.4 und der Kurven- tafel 6 ersichtlich. Eine noch vollkommenere Äquilibrierung, als die soeben besprochenen läßt sich durch die Kombination von NaCl, KCl und CaCl, erzielen. (Tab. 5, Kurventafel 7.) Um die Versuche nicht überflüssigerweise vermehren zu müssen, ist bei diesen Versuchen das Verhältnis K’ : Ca” unverändert belassen worden (1:1) und nur ihre Relation zum Na’ in den einzelnen Versuchsreihen geändert. Auch hier fällt der parallele S. M. Neuschlosz: Die kolloidchemische Bedeutung des physiologischen 28 Tabelle IV. Oberflächenspannung der Lecithinlösungin ver- schiedenen KÜl- und CaCll;-Gemischen. Gesamt IR Verhältnis von Kcal zu Call, in der Lösung: SEE Konzen- 1KC1:1CaCl, [1 KCl: !/, CaCl, |1KC1: !/, CaCl,]| 1 KCl:!/,, CaCl, tration El y 5 N 2 y z y im | 405 | 89,0 | a32 | 83,4 | 45,1 | 79,9 | az,ı | 76,6 /am | 40,1 | 90,0 | 42,8 | 84,2 | 44,9 | 80,3 46,8 | 77,0 2am 39,8 | 90,6 | 42,4 | 85.0 | 44,6 | 80,8 46,6 | 77,8 sm \1 39,31, 91.7 | 42,1.) 85.6. | 44.2 | 81,7 46,5 | 78,0 Yen | 39,7 |. 90,8 | 42,2 | 85,0 | 44,5 | 81,0 46,7 | 77,6 Um | 40,1 ı 90,0 | 42,7 | 84.4 | 44,7 | 80,6 47,0 76.8 /sa m 40,4 , 89,2 | 43,1 | 83,6 | 44,9 | 80,3 47,3 | 76,3 sm | 41,0 | 87,9 1 43,6 | 82,5 I 45,1 | 79,9 1 47.5 | 75,9 92 S S 90 Sy IÄCTHICEL, 88 HS Ä 86 ! 84 82 80 78 | 76 A| 224 7 1 2% 38 ra 7 a Abb. 6. Oberflächenspannung der Leeithinlösung in verschiedenen Gemischen von KCl und CaC];. Tabelle V. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in ver- schiedenen NaÜl-, KÜl- und CaCl,-Gemischen. BR BES Verhältnis von NaCl zu KCl und CaCl, in der Lösung: DEE £ a Gesamt- | |nacı:1Kcı |1Nacı: Y„Kcı |1 Nacı : Y,, Kl | 1 Nacı: 2), Kc1 |1 Nacı : :/,, Kl | 1 Nacı:Y/,. KCl en :1 Call, :t/ı0 CaCl, : 1/g0 CaCl; : 1/20 CaCl, : 1/50 CaCl, :%/ıoo CaCl, z Y Be y 2 y 2 y a 2 | y im | 41.2 | 87.5.| 42,9 | S4,0 | 44,3 |.81,5 I. 46,0 | 78.4 | 47,5 | 73,9 | 46.2 | 78,2 | om || 40,9 | 88,1 | 42,2 | 85,4 | 43,7 | 82,3 | 45,3 | 79,6 | 47,3 | 76,0 | 45,9 | 78,6 © Y,m | 40,0 | 90,3 | 41,7 | 86,4 | 43.3 | 83,2 | 44,9 | 80,3 | 47,2 | 76,4 | 45,5 Eh | U/sm | 39,6 | 91,0 | 41,1 | 87,7 1 43,0: | 83,8 | 445 | 81.0.1 47,0: 176,8 | 45,2 | 79,7 Ye m 40,3 | :89,4 | 41,6 | 86,6 1 43.5 | 82,8 | 44,8 \ 80.5.1 47.2.1 76,4 | 45,0 | 788 Yan | 40,8 | 88,3 | 41,9 | 86,0 | 44,0 | 81,9 | 45.2 | 79,8 | 47,3 | 76,3 | 45,9 | 785 am 1413 187.3 | 42,30) 85,2 | 4455 1.:81,021°46,0. | 78.410184:04°11277061012462.1.28:0 Yan | 41,6 | 86,6 | 42,8 | 84.2 | 44,9 | 80,3 | 46,8 | 76,8 I 47.5 | 75.9 I 46,6 | 77,6 - Jonenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 29 Verlauf der einzelnen Kurven auf den ersten Blick auf. Die maximale Äquilibrierung ist ungefähr bei jenen Konzentrationen erreicht, in wel- cher die Salze auch im Serum oder in der Ringer-Lockeschen Lösung vorkommen: 1 NaCl : !/,, KCl: !/,, Cal],. 92 & S 90 S Q S WaCl#+IKCl+ 1CaCl, 88 S IS Y 86 -I||p 84 f N ı|I/ 7NglT + 82H | \ NT #5 a0. | Ö | O 80 | A | 7WaCtı 5 Karr gcacı 78 18 NaCl + ZEHCF 7 alh, Y | Gesamfsalzkonzentrahon al a7 27 1m BEN, 3e1w 8 4 2 Abb. 7. Oberflächenspannung der Leeithinlösung in verschiedenen Gemischen von NaCl, KCl und CaCl,. In einer interessanten Versuchsreihe ist es nun Loebt!) gelungen, die merkwürdige Tatsache aufzudecken, daß durch Hinzufügung von an und für sich unwirksamen Spuren von Säure oder Alkali zu Kom- binationen von NaCl + KCl und NaCl + CaCl,, der Ionenantagonis- mus je nach dem Fall erhöht oder herabgesetzt wird. In den Ver- suchen Loebs setzten Spuren von Säure die antagonistische Wirkung des Calciums herab, während Spuren von Alkali dieselbe erhöhten; bei der Wirkung von Kalium war gerade das Gegenteil der Fall: sie erfuhr durch Säure eine Erhöhung, durch Alkali eine Herabsetzung. Es war nun für das Verständnis der antagonistischen Ionenwirkungen von hohem Interesse, ob diese Beeinflussung derselben durch Säure und Alkali auch am nicht lebenden Substrat nachgeahmt werden kann. Zur Entscheidung dieser Frage habe ich die Versuchsreihen mit jenen relativen Konzentrationen, in welchen der Antagonismus zwischen Na und K’ bzw. Na’und Ca” am deutlichsten ausgeprägt war (1 Na’: Y/,, K bzw. 1 Na’: 1/,, Ca”), wiederholt und dabei jeder Lösung noch HCl oder NaOH in der von Loeb verwendeten Konzentration: /,,9, a hinzu- gefügt. Daß diese Säure- bzw. Alkalimengen die Oberflächenspannung der Lecithinlösung an und für sich nicht nierklich beeinflussen, hier- von habe ich mich mit besonders zu diesem Zwecke angestellten Ver- !) Loeb, Biochem. Zeitschr. 28. 1910. 30 5. M. Neuschlosz: Die kolloidchemische Bedeutung des physiologischen suchen überzeugt. Die Ergebnisse dieser Versuche enthalten die Tab. 6 und die Kurventafel 8 und 9. Tabelle VI. Der Einfluß von Säure- und Alkalispuren auf die OÖberflächenspannung der Leeithinlösung in äquilibrierten Lösungen von NaCl + KCl und NaCl + CaCl,. l 1 NaCl: 1/,, KCl 1 NaCl+!/,, CaCl, A Gesamt- | Reaktion der Lösung Reaktion der Lösung | Konzen- ee en - nn —— _ ee un tration Sauer Neutral Alkalisch Sauer Neutral Alkalisch zZ | y ‚ z Y 128 Y z y ir 7A | Y - z ” | Y lm 46,5 | 77,6 | 46,0 | 78,4 | 46,2 | 78,0 | 47,1 | 76,6 | 47,3 | 76,3 | 47,4 76,0 /,m || 46,2 | 78,0 | 45,8 | 78,7 | 45,5 | 79,2 | 46,9 | 77.0 | 471 | 76,6 | 47,3 | 76,3 !/,m | 46,0 | 784 | 45,1 | 79,9 | 44,7 | 80,7 | 46,5 | 77,5 | 47,0 | 76,8 | 47,3 | 76,3 m || 45,8 | 78,8 | 44,7 | 80,7 | 43,5 | 82,9 | 46,2 | 78,0 | 47,2 | 76,4 | 47,2 | 76,4 21m. 46,12 |. 78,2 | 45,6: |.79,0 [4357| .82,5 1 47,92 76,2 1472 176,00 Zoll os Y.m| 464 | 77,7 | 46,1 | 782.| 44,7 | 80,7. | 47,4 | 76,0 | 475 | 75,9 | 47,32) 763 ı/um| 46,9 | 76,8 | 46,7 | 772 | 45,5 | 792 | 47,4 | 76,0 | 476 | 7,7 | 47,2 | 76,0 sm. 47,3: | 76,2..1.47-0:.|. 76,5..1:45,9.| 78,61 47,5= |, 175,971 47,5.3| 209,9 1A 5 Ra INaCT +3 KCl# zog m HC Gesarmbsalzkonzemtrahlon Tr RN DIN Abb. 8. Der Einfluß von Säure- und Alkalispuren auf die Oberflächenspannung der Lecithin- lösung in äquilibrierten Lösungen von NaCl und KCl. Oberflächen- Spannung 20 Abb. 9. Der Einfluß von Säure- und Alkalispuren auf die Oberflächenspannung der Leecithin- lösung in äquilibrierten Lösungen von NaCl und CaC];. Wie aus diesen Tabellen und Kurven ersichtlich, läßt sich dieselbe Gesetzmäßigkeit, welche Loeb bei lebenden Organismen (Fundulus- eier) gefunden hat, auch am nicht lebenden Medium nachweisen. Auch hier setzen Säurespuren die antagonistische Wirkung von Calcium- ionen herab und erhöhen die der Kaliumionen, während Alkalispuren die gegensätzliche Wirkung haben. Mit dem Nachweis dieser Über- einstimmung ist meines Erachtens ein wichtiger Beweis für die Wesens- JTonenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 31 gleichheit des Ilonenantagonismus am lebenden und nichtlebenden Objekt erbracht. In weiteren Versuchsreihen habe ich nun die kombinierte Wirkung von Natrium und Magnesium, von Calcium und Magnesium und von Natrium und Aluminium auf die Oberflächenspannung der Leecithin- lösung untersucht. Die Resultate dieser Versuche sind in den Tab. 7, 8 und 9 und den Kurventafeln 10, 11 und 12 zusammengefaßt. Tabelle VII. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in ver- schiedenen NaCl- und MgOl,-Gemischen. M | | Verhältnis von NaCl zu MgCl, en 1 Nacı: —— nn 1/,, MgCl | I 1 a Te | z Y 2 Y z y z | Y im 405 | 890 | 409 | sg1 | 42,4 | 85,2 | 440 | 82,1] 1m | 40,0 | 90,1 | 40,5 | 89,0 | 41,8 | 86,2 | 43,6 [82,7 m | 39,7 | 90,8 | 39,8 | 89,6 | 41,4 | 87,0 | 43,0 | [83,9] 39,1 | 92,2 | 39,2 | 92,0 | 40,8. | 88.4 | 42,5 | |84,8] Ya | 397 1908| 399 903 | 21,5 | 86,7 | 43,1 | [83,7 Y»m | 40,1.| 90,3 | 40,6 | 88,8 | 41,9 | 86,0 | 43,8 || /,m | 40,8 | 88,4 | 1,1 | 87,6 | 42,6 | 84,6 | 44,4 sm || 41,5 | 87,0 | 41,7 | 86,3 | 43,0 | 83,8 | 44,7 | [so;z| oc Sy w [6,) mn | o D ;Panaung /h | R Me 0 S / | all + IMGEH, S [A RSH 7M 88 Sp GC + 2 MgCh ES 6, PAS Wall + £Macı 84 i | : 7NaCl #4 Ma Cl. 82 j 3 sol | 78 76H | ; Gesamtsalzkonzemtrafon BAER Te H IL 2% 8 7 2 Im Abb. 10. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in verschiedenen Gemischen von NaCl und MgCl],. 32 8.M. Neuschlosz: Die kolloidchemische Bedeutung des physiologischen Tabelle VIII. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in ver- schiedenen NaCl und AlOl;,-Gemischen. Verhältnis von NaCl zu AIlCl, Gesamt- zu Konzen- ||1 NaCl :!/,, AlC1,I1 NaCl: ?/;, AlC13]1 NaCl :t/,, AIC1L,I 1 NaCl : 1/00 AlC1; tration B | y u y 3 y B | y 83,7 | 45,6 | 79,0 84,5 | 45,4 | 79,5 43,1 1/,m | 391 | 92 | a1 | 87,7 | 22,6 42,1 | 85,6 | 45,0 | 80,1 41,5 41,1 ı/,m || 38,5 | 93,7 | 40,8 | 88,5 Y.m | 373 | 95,7 | 40,2 | 89,7 Ym | 36,8 | 98,1 | 39,8 | 90,6 Yom | 37,4 | 96,5 | 40,1 | 89,9 /am | 38,3 | 94,3 | 40,8 | 88,5 Yom || 39,6 | 912 | 41,5 | 86,9 86,9 | 44,8 | 80,6 87,7 | 44,7 | 80,8 41,6°| 86,7 | 45.1 | 80,0 49,4 | 85,2 | 45,4 | 79,6 133 | 834 | s58 | 78,8 imo sone ; 98 96 I4 92 „_Oberflächenspannung No et MOL, 90 88 Walt + % ACH: 86 > WaCt# 35 A001 2 &0 NaCl + 705 ALCH, - za | 76 | Gesarmsalzkohzentration DIET. ER 1 3Z%R 5 Z Z Im Abb. 11. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in verschiedenen Gemischen von NaCl und AICI, . Tabelle IX. Oberflächenspannung der Lecithinlösung in ver- schiedenen CaCQl;- und MeCl,-Gemischen. Gene | N Verhältnis von CaCl, zu MgCh, konzen- 1CaCl,:!/, MgCl,|1 CaCl, :/,MgCl,| 1 CaCl: 1 MgC], |'/, CaCl, ;1MgCl1,| '/, CaCl1:1MgCl; Se 2 } y 2 y z | y 2 Y 2 Y 1m | 42,5 | 84,8 | 43,7 | 82,5 | 45,8 | 78,8 | 43,6 | 82,7 | 42,1 | 85,6 Y/,m || 41,9 | 86.2 | 43,2 | 83,5 I 45,4 | 79,4 43.0 ' 83,8 | 41,5 | 86,8 Y/,m | 41,4 !872 | 2,6. | 84,5 I 45,1 | 79,9 42,3 | 85,3 + 40,9 | 88,1 Y,m | 40,9 | 882 | 41,9 | 86,2 I 44,7 | 80,6 | 41,5 | 86,8 | 40,2 | 89,7 Ysm | 40,3 | 89,5 41,6 | 86,7 | 44,3 | 81,4 | 41,1 \ 87,6 | 39,6 | 91,0 Um || 41,0 | 88,0 42,4 | 85,0 | 44,8 | 80,5 41,7 | 86,5 | 40.1 | 89,8 2/sam || 41,9. | 86,3 142,9] 84,1] 45,3°.79/5 42,3 | 85,3 40,7 | 88,4 Yosm | 42,7 | 84,5 43,7 | 82,5 | 46,3.| 77,8 43,1 | 83,6 | 41,2 | 87,5 Ionenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 33 Über diese Befunde läßt sich kurz folgendes sagen: Die Kombina- tion Na’ -+ Mg” ergibt durchwegs fast ähnliche Oberflächenspannungen, wie wir sie bei Na’-- Ca” gesehen haben; der maximale. Antagonis- mus, welcher jedoch etwas weniger intensiv ist, wie zwischen Na’ und Ca”, ist auch hier bei dem Verhältnis 1 Na’: !/,, Mg” zu be- obachten. Auch hier verlaufen die einzelnen Kurven miteinander un- gefähr parallel. Ein recht. deutlicher Antagonismus ist auch zwischen Ca” und Mg" auffindbar. Bei der Kombination dieser beiden Kationen ist die 92 90 Spannung 88 Obe, lächen, 66 84 82 30 78 IE 76 EIETEEET ER B7; Im 2n 8 4 2 Abb. 12. Oberflächenspannung der Leeithinlösung in verschiedenen Gemischen von CaCl, und MgCl;, Lösung bei der Relation 1 Ca/l Mg äquilibriert, was mit Betracht auf die gleiche Wertigkeit der Antagonisten als natürlich erscheint. Die Parallelität der Kurven tritt auch hier klar zutage. Bei der Kombination von Natrium und Aluminium befindet sich der Punkt der Äquilibrierung bei der relativen Konzentration 1 Na’: Y/,,0 AU”; hier scheint also — in Einklang mit den Loebschen Befunden — das dreiwertige Aluminium schon in ganz kleinen Mengen die Wirkung des Natriums aufzuheben. Sonst sind auch diese Kurven den bisher besprochenen in jeder Hinsicht ähnlich. Besprechung der Versuche und die aus ihnen zu ziehenden Konsequenzen. Nachdem im vorhergehenden über das Ergebnis der einzelnen Versuchsreihen berichtet worden ist, soll jetzt ihre Bedeutung für das physikalisch-chemische Verständnis des physiologischen Ionenantagonis- Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 3 34 S.M. Neuschlosz: Die kolloidehemische Bedeutung des physiologischen mus im Zusammenhange besprochen werden. Als Ausgangspunkt dieser Erörterungen soll die oben aufgestellte Forderung dienen, daß eine wie immer geartete Deutung des physiologischen Ionenantagonis- mus vor allem der Tatsache gerecht werden muß, daß in einer äquili- brierten Salzlösung im Sinne Loebs, die Salze sich so verhalten, als ob sie gar nicht da wären. Diese Forderung erfüllen nun die beschriebenen Versuchsergebnisse fast in vollem Maße. Bei allen Salzkombinationen, mit denen Versuche ausgeführt werden, hat sich stets eine Relation der verwendeten Ionen gefunden, bei welcher dieselben ihre Wirkung auf die Oberflächenspannung der Lecithinlösung gegenseitig fast voll- kommen aufheben, demzufolge die Oberflächenspannung der Lösung annähernd dieselbe Herabsetzung erfährt, als ob das Leecithin in destil- liertem Wasser gelöst worden wäre. Die relativen Mengen der einzelnen Salze, die sich maximal ant- agonisieren, ist je nach der verwendeten Kombination verschieden. Im allgemeinen läßt sich auch hier wie am lebenden Objekt die Schulze- sche Wertigkeitsregel auffinden, indem die Ionen sich bei dem Ant- agonisieren ihrer Valenz entsprechend verhalten: 1 mol. NaCl wird von Yoo mol. AlCl, dagegen erst von !/,, mol. CaCl, unwirksam gemacht, während die beiden gleichwertigen Ionen Ca” und Mg” sich bei dem Verhältnis 1 : 1 antagonisieren. Eine auffallende Ausnahme von dieser Gesetzmäßigkeit liefert das gegenseitige Verhalten der beiden Ionen Na’ und K'. Trotz der gleichen Wertigkeit antagonisieren sich diese Ionen bei dem Verhältnis 1 : 1 nicht; im Gegenteil bei dieser relativen Konzentration scheint sich ihre Wirkung einfach zu summieren. Da- gegen en ein um so deutlicherer Antagonismus bei der Relation 1 NaCl : !/,, KCl und 1 KC1 : !/,, NaCl auf. Am Schlusse dieser Arbeit werden, wir trachten der Frage näher zu treten, wie diese merkwürdige Erscheinung zu verstehen ist. Entsprechend auch den Erfahrungen am lebenden Obiek hat es sich herausgestellt, daß die Aufhebung, welche die Wirkungen der einzelnen Ionen durch einander erfahren, nicht bei allen Kombina- tionen gleich vollkommen ist. Sie ist am schönsten bei der Kombina-. tion 1 Na’ + 1/,, K' + 1/,, Ca” ausgesprochen, dann folgen die Systeme: Na’ +Ca”, N +K, K + Ca”, Na’ + Mg”, Na’ + Al”, Ca” + Mg”. Diese Beobachtungen stehen im allerbesten Einklang mit denen Loebs!) an lebenden Objekten, nach welchen z. B. die Zahl der aus den be- fruchteten Funduluseiern hervorgehenden Embryonen in den in opti- maler Relation hergestellten Lösungen verschiedener Salzkombina- tionen recht verschieden ist. ‚Eine weitere erfreuliche Übereinstimmung mit den physiologischen Verhältnissen liefert die bereits hervorgehobene !) Loeb, Über physiologische Ionenwirkungen. Oppenheimers Handbuch der Biochem. II. 1910. Tonenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 35 _ Beeinflußbarkeit der antagonistischen Wirkung von K’ und Ca” gegen Na’ durch Säure und Alkali. Alles in allem glaube ich in diesen Versuchen den bisher mangeln- den, bindenden Beweis erbracht zu haben, daß der physiologische Tonenantagonismus mit der antagonistischen physikoche- mischen Wirkung der Ionen auf die Plasmakolloide vollends seine Erklärung findet, und das Problem der antagonisti- schen lIonenwirkungen aus dem physiologischen ins phy- sikalisch-chemische Gebiet übertragen zu haben. Daß das physikochemische Verhalten der Ionenkombinationen gegen die Lecithin- lösung nicht in allen Einzelheiten — namentlich, was die sich gegen- seitig in ihrer Wirkung aufhebende Mengen der einzelnen Ionen be- trifft — die Eigentümlichkeiten des physiologischen Antagonismus widerspiegelt, erklärt sich durch die Komplizität und Verschiedenheit der Biokolloide, über deren Aufbau wir ja nur sehr wenig orientiert sind. Es ist ja bekannt, daß auch die verschiedenen Lebewesen sich den einzelnen Ionenkombinationen gegenüber recht verschieden ver- halten und unter sich ebensolche Differenzen aufweisen, wie sie zwischen dem lebenden und leblosen Objekt nach unseren Versuchen sich vorfinden. Hierdurch wird aber das Prinzip, daß. die antagonistischen lonenwir- kungen auf Grund ihrer Wirkung auf die Zellkolloide einwandfrei er- klärt werden können, nicht im mindesten berührt. Was nun den näheren Mechanismus dieser Wirkung betrifft, so ist derselbe einstweilen nur wenig aufgeklärt. Die Wirkung der Ionen auf die Kolloide wird ja seit den Arbeiten Freundlichs!) als die Folge ihrer Adsorption angesehen. In unserem Spezialfalle spricht die bereits früher hervorgehobene, auch hier bestehende Gültigkeit der Schulze- schen?) Regel über den Zusammenhang der Wertigkeit und des Fällungs- vermögens der einzelnen Ionen, in demselben Sinne. Um den strikten Beweis erbringen zu können, daß es sich tatsächlich um Adsorptions- erscheinungen handelt, wäre es notwendig zu zeigen, daß der Zu- sammenhang zwischen Salzkonzentration und Oberflächenspannungs- erhöhung der Leecithinlösung sich mittels einer Adsorptionsisotherme darstellen läßt. Durch den Umstand aber, daß die Oberflächenspannung der Lecithinlösung bei stetiger Erhöhung der Salzkonzentration ein Maximum passiert — was, wie weiter unten zu erörtern sein wird, als eine Folge der Umladung des Lecithins angesehen werden muß — und somit jener Teil der Kurven, auf den sich die Adsorptionsisotherme beziehen könnte, ganz kurz ausfällt —, ist dieser Nachweis an diesem Objekte wohl schwer möglich. In einer nächsten Arbeit soll gezeigt !) Freundlich, Kolloidzeitschr. 4. 1907; Zeitschr. f. physikal. Chemie #3. 1910.; ferner: Kapillarchemie. Leipzig 1909. 2) Schulze, a.a.O. 3* 36 S.M. Neuschlosz: Die kolloidehemische Bedeutung des physiologischen werden, daß die Entmischung eines anderen Sols tatsächlich einer Adsorptionsisotherme folgt. Daß Adsorptionserscheinungen auch für die physiologische Wirkung der Ionen maßgebend sind, geht aus den Untersuchungen W. Ost- walds!) hervor. Demnach müssen wir uns die Wirkung der Ionen auf die Kolloide etwa folgendermaßen vorstellen: Die ultramikro- skopischen Teilchen des Sols — in unserem Falle der Lecithinlösung — adsorbieren die in der Lösung befindlichen entgegengesetzt geladenen Ionen (bei dem negativen Leeithin also die Kationen) und verlieren hierdurch ihre elektrische Ladung; als Folge. dieser Entladung tritt dann die Herabsetzung der Dispersität und als Folge dieser die Er- höhung der Oberflächenspannung auf. Bei einer gewissen — von der Valenz des entladenden Kations abhängigen — Konzentration erreicht die Ladung des Sols den Neutralpunkt: die Lösung wird ‚‚isoelektrisch‘“. Bei diesem Punkt ist die Dispersität des Sols minimal, seine Oberflächen- spannung also maximal. Durch weitere Zugaben des Kations werden nun die gelösten Partikelchen positiv geladen; es tritt die sogenannte Peptisation ein: die Dispersität des Sols steigt wieder an, die Ober- flächenspannung sinkt. In sogenannten äquilibrierten Salzkombinationen geht dieser Vor- gang nun nicht vonstatten: die Oberflächenspannung der Lösung fällt so aus, als ob das Lecithin in destilliertem Wasser gelöst wäre. Demzu- folge müssen wir annehmen, daß auch die Dispersität der Lösung von den Ionen in äquilibrierten Lösungen nicht beeinflußt wird. Das kann nur so möglich sein, daß die Ionen sich gegenseitig aus der Oberfläche des Lecithins verdrängen, oder mit anderen Worten: das eine Ion wird von seinem Antagonisten aus der Oberfläche verdrängt, ohne daß dieses letztere den Platz des ersten einnehmen würde: es ist also kein Ion an der Oberfläche anwesend und darum verhält sich das Sol so, als ob es in destilliertem Wasser gelöst wäre. Wie befremdend nun dieser Schluß auf den ersten Blick auch sein mag, lassen die besprochenen Befunde meines Erachtens doch keinen anderen zu und daß er auch den Tatsachen entspricht, hierfür sprechen in erster Reihe die vor kurzem veröffentlichten Beobachtungen Oijens?). Dieser Autor hat die Adsorption von Chlorionen aus reinen NaCl- Lösungen, ferner aus Gemischen von NaCl + KCl, NaCl + CaCl, und NaCl + KCl + CaCl, durch verschiedene Adsorbentien — über welche aber nähere Angaben nicht gemacht werden — direkt geprüft, indem er nach vollendeter Adsorption die Salzlösungen abzentrifugierte und die Menge des zurückgebliebenen Chlors chemisch bestimmte. Seine Befunde zeigen mit großer Deutlichkeit, daß die Adsorption aus den 1) W. Ostwald, Archiv f. d. ges. Physiol. 120. 1908. 2) Oijen, Biochem. Zeitschr. 8%. 1918. Tonenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 37 Gemischen und. besonders aus der äquilibrierten Lösung NaCl + KCl + CaCl, wesentlich geringer ausfällt als aus der reinen NaCl-Lösung. Wie immer auch die Arbeit Oijens infolge der Nichtangabe der Adsor- bentien und des Weglassens der Beschreibung seiner einzelnen Ver- suche als recht unvollkommen angesehen werden muß, liefert sie doch eine wertvolle Ergänzung der oben besprochenen Versuche und er- härtet die Richtigkeit der von mir ausgesprochenen Anschauung über das Wesen des physiologischen Ionenantagonismus. In diesem Zusammenhange wäre nun noch das früher hervor- gehobene eigentümliche Verhalten der Kombinationen von NaCl und KCl zu besprechen. Entsprechend der Schulzeschen Wertigkeits- regel wäre auch hier zu erwarten, daß sich Natrium und Kalium bei ‚gleicher Konzentration antagonisieren würden. Wir beobachteten aber die auffallende Erscheinung, daß der maximale Antagonismus nicht bei dieser Relation, sondern bei dem Verhältnis 1 NaCl : !/,, KCl und Y/,, NaCl : 1 KCl zustande kommt. Es scheint demnach, daß die Oberfläche der Lecithinteilchen ein gewisses, ganz genau feststellbares Übergewicht von Na’ oder K’ benötigt, um eine minimale Oberflächen- spannung aufzuweisen. Die beiden einwertigen Ionen können sich hierbei gegenseitig ersetzen, fehlen darf aber keines von beiden. Was nun ihr relatives Mengenverhältnis in der äquilibrierten Lösung betrifft, so scheint aus derselben hervorzugehen, daß jedes von den in Rede stehenden Kationen die Adsorption des anderen bereits bei einer relativen Konzentration von 1 : 20 zu hemmen imstande ist, ohne hierbei selbst in beträchtlichen Mengen adsorbiert zu werden: wird die relative Konzentration z. B. der Kombination 1 Na’: !/,, K' zugunsten des Kaliums erhöht, so wird dieses letztere bereits auch merklich adsorbiert und setzt nun die Dispersität des Lecithinsols herab; hierbei wird natürlich auch etwas Natrium adsorbiert, bei Verschiebung des Ver- hältnisses wohl in immer geringeren Mengen, bis diese Menge bei der Relation !/,, Na’ :1 K’ praktisch gleich Null wird; bei diesem Ver- hältnis wird das Natrium nicht mehr adsorbiert, hemmt aber die Ad- sorption des Kaliums stark genug, um wieder eine maximale Dispersion des Lecithinsols herbeizuführen. — Daß die hier dargestellte An- schauung über den Mechanismus des Kalium-Natriumantagonismus kein vollkommen klares und lückenloses Verständnis der beob- achteten Tatsachen bedeutet, ist mir klar: eine bessere Theorie für denselben zu entwickeln, scheint mir aber einstweilen nicht möglich zu sein. Wie bereits früher hervorgehoben wurde, ist von den beiden be- sprochenen Relationen von Natrium zu Kalium das Verhältnis 1 Na:!/,, K aus den physiologisch-äquilibrierten Lösungen bereits bekannt: dieses Verhältnis ist auch das biologisch optimale. Dagegen ist die Kom- 38 S. M. Neuschlosz: Die kolloidchemische Bedeutung des physiologischen bination Y,, Na: 1K als äquilibrierte Lösung völlig neu. Daß bei Bestimmung der sich äquilibrierenden Mengenyerhältnissen von Na’ und K’ dieselbe niemals als solche gefunden, allerdings meines Wissens mindestens auch niemals gesucht worden ist, hat zweitel- los seine Ursache in der bekannten spezifischen Giftigkeit des in höheren Konzentrationen verwendeten Kaliums gegen die meisten Lebewesen und Organe. Dieselbe gestattet das biologische Arbeiten mit der Kombination %/, Na + 1K’' an den meisten Objekten nicht. Daß derselben unter Umständen aber doch auch eine bio- logische Bedeutung zugesprochen werden muß, soll in einer fol- genden Arbeit gezeigt werden. Zusammenfassung. Aus obiger Arbeit geht hervor: l. Daß die Chloride der Kationen Na’, K', Ca”, Mg” und AL” die Oberflächenspannung wässeriger Lecithinsole wesentlich erhöhen. Dieselbe steigt in Lösungen der genannten Salze bei zunehmender Konzentration steil an, um je nach Wertigkeit des verwendeten Kations bei t/,, Y/,, oder 1/, m Konzentration ein Maximum zu erreichen. Nach. diesem Maximum nimmt die Oberflächenspannung des Leeithinsols mit steigender Konzentration der Salze allmählich wieder ab. In Gemischen der oben aufgezählten Salze tritt in ihren Wirkungen auf die Oberflächenspannung des Lecithinsols ein Antagonismus zwischen den Kationen deutlich zutage. Die Oberflächenspannung der Lecithin- lösung in einem Salzgemische ist in erster Reihe, wenn nicht ausschließ- lich durch das relative Konzentrationsverhältnis der vorhandenen Kationen bestimmt, und von der absoluten Konzentration der Lösung in weiten Grenzen unabhängig. 3. Zwischen dem auf diese Weise nachgewiesenen Bolledcheuuschen Jonenantagonismus und dem physiologischen Ionenantagonismus, findet sich eine weitgehende Parallelität, welche sich auf die sich antagoni- sierenden Mengen der Ionen in den äquilibrierten Lösungen, auf die Vollkommenheit der durch die einzelnen Kombinationen bedingten Äquilibrierung, ferner auch auf die Beeinflußbarkeit derselben durch Säure und Alkali erstreckt. Demnach werden die gemachten Beob- achtungen als kolloidehemisches Analogon des physiologischen Ionen- antagonismus angesehen und zur Erklärung der letzteren heran- gezogen. | 4. Die physikalisch-chemische Grundlage des lonenantagonismus wird in der Fähigkeit der Kationen gesucht, sich gegenseitig aus ihren Adsorptionsyerbindungen — in unserem speziellen Falle aus der Ober JTonenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen. 39 fläche der Lecithinteilchen — zu verdrängen, ohne daß das verdrängende Ion an den Platz des verdrängten Ions treten würde. 5. Bei der Kombination von Natrium mit Kalium wurde eine voll- kommene gegenseitige Aufhebung der Wirkung beider Kationen auf die Oberflächenspannung der Lecithinlösung bei dem Konzentrations- verhältnis 1 Na’: !/,, K' und !/,, Na’: 1 K’ beobachtet. Von diesen beiden Relationen ist die erste (1 Na : Y/g, K) als diejenige der phy- siologisch-äquilibrierten Lösungen wohlbekannt, während die letztere (!/,) Na: 1K) in der Biologie derzeit ohne Analogon dazustehen scheint. Über die Bedeutung des Ionenantagonismus für die Hämolyse. Von S. M. Neusehlosz. (Mitteilung aus dem pharmakologischen Institut der Universität Budapest.) (Eingegangen am 23. Dezember 1919.) Daß der kolloidale Lösungs- bzw. Quellungszustand der Plasma- hautkolloide der roten Blutkörperchen für die Hämolyse eine gewisse Bedeutung haben kann, ging zuerst aus einer Arbeit Höbers!) hervor. Dieser Forscher konnte zeigen, daß bei der Hämolyse mit nur wenig hypotonischen Salzlösungen, im Gegensatz zu den alten Beobachtungen Hamburgers?2), über die Wirkung stark hypotonischer und demzufolge momentan hämolysierender Lösungen, nicht lediglich der osmotische Druck der Lösung, sondern auch die Beschaffenheit des gelösten Salzes. für den zeitlichen Verlauf der Hämolyse maßgebend ist. Es ließ sich nachweisen, daß unter sonst. gleichen Umständen die Hämolyse in Lösungen verschiedener Salze, die alle mit einer etwa 0,7 proz. NaCl- Lösung isotonisch waren, in gleichen Zeiten einen recht verschiedenen Grad erreichte. Die Reihenfolge, in welcher die Salze die Hämolyse begünstigten, ergab hierbei sowohl für die Kationen wie für die Anionen die seit den Versuchen Hofmeisters?) wohlbekannten Ionenreihen: Li, Na berechnet = berechnet ' S = mit den = mit den = | mit den = mit den 2 mit den ° 3 Konstanten 2 Konstanten 3 Konstanten 3 Konstanten & Konstanten “ © |&=4.0-8| 3: |2-4.100-3| 3 |xz=18.10-3| 8 .|z-m-.0-3| 5 812.10 7 ar ker 0er ns 2 P=0,7 3 P=05 2 P=04 Ym|52| 5,5 41 39,5 7 6 6 3 30 29,5 Y,m| 59. 59,5 55 5245 26 DR. 25 25 4 430 sm | 64 | 64,6 61 59,8 38 40 41 40 51 ı 490 Yom| 67 683 67 66,6 49 50 51 51 572 560 Usm| 71.| 709 70 69,9 57 URS 60 59 63 61,0 Yam| 73 | 72,6 12 123 64 63 65 63 66 64,8 Ygm| 74 | 740 74 74,0 68 67 68 68 69 | 68,0 Or 77,0 — — = = — -— Nun erinnert diese Erscheinung, wie schon oben hervorgehoben ‘ wurde, lebhaft an das Verhalten negativer Kolloide, wie z. B. Arsen- sulfidhydrosol. Die Kationen beeinflussen .die Invertasewirkung nach derselben Gesetzmäßigkeit, wie die Dispersität der negativen Kolloide und so fragt es sich, ob das Wesen dieser beiden Wirkungen auch das gleiche ist. Nun wissen wir aus den Untersuchungen Freundlichst), !) Freundlich, Kolloidzeitschrift 1. 1907. — Zeitschr. f. physikal. Chemie 43. 1910. — Ferner: Kapillarchemie. Leipzig 1909. Untersuchungen über den Einfluß der Neutralsalze auf die Fermentwirkung. 49 daß die Kolloidfällung durch Elektrolyte mit Adsorptionsvorgängen auf das innigste verknüpft ist und daß die Fällungswerte für die einzelnen Ionen mit Hilfe der Adsorptionsisotherme hinreichend berechnet werden können. Um also die Übereinstimmung zwischen Kolloidfällung und Fermenthemmung durch Neutralsalze noch vollständiger darzustellen und die Wesensgleichheit der beiden Vorgänge noch wahrscheinlicher zu machen, war es wünschenswert zu untersuchen, ob sich die Wirkung der Neutralsalze auf den Fermentationsvorgang sich durch eine Adsorp- tionsisotherme darstellen läßt. Wenn wir nun annehmen, daß die Fermenthemmung durch Salze auf Adsorption der letzteren beruht, so kann die Größe der Hemmung als Maß der stattgehabten Ionenadsorption angesehen werden. Die Größe der Hemmung läßt sich aber am besten durch folgende Formel ausdrücken: Ni Re, I, wobei h die Hemmung, J. die bei Gegenwart von in der Konzentration c vorhandenen Salze invertierte Menge Rohrzucker, J, die Menge inver- tierten Rohrzuckers bei ungehemmter Reaktion, bedeutet. Die Formel gibt für die ungehemmte Reaktion h —= 0, für den Fall, daß kein Rohr- zucker invertiert wurde, h = 1; der Grad der Hemmung wird also durch dieselbe in Bruchteilen der Einheit angegeben. Wenn die auf diese Art ausgedrückte Hemmung der Fermentwirkung von der Salzkonzentration auf eine einer Adsorption entsprechende Weise abhängt, so muß dieselbe durch die Adsorptionsisotherme dargestellt werden können, die für unseren Fall folgende Form annimmt: a Resch wobei % die Hemmung, c die Salzkonzentration, k und p Konstanten, und zwar p einen Bruch im Bereiche zwischen 0,1 und 0,7 darstellt. Es wurde nun auf die von Freundlich !) angegebene Weise festge- stellt, daß der Zusammenhang zwischen Salzkonzentration und Ferment- hemmuns tatsächlich durch die Adsorptionsisotherme dargestellt werden kann und dann auch die Konstanten für jeden einzelnen Fall ermittelt. In der Tab. I sind neben den beobachteten Inversionen überall in der nächsten Kolonne die nach der Adsorptionsisotherme berechneten Werte angegeben, während am Kopfe dieser Kolonne die zu diesen Zahlen ge- hörigen Konstanten k und p verzeichnet sind. Wie ersichtlich, ist die Übereinstimmung zwischen den beobachteten und den berechneten Werten für die Inversion durchwegs recht gut; so daß die Ferment- hemmung durch Neutralsalze tatsächlich als mit der Adsorptionsiso- therme hinreichend dargestellt erscheint. Die ermittelten Werte der !) Freundlich, Zeitschr. f. physikal. Chemie 5%. 1907. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 4 50 S. M. Neuschlosz: Konstanten liegen für k zwischen 4 - 10-2 und 13 - 10-2, und sind für die einwertigen Alkalisalze wesentlich kleiner als für die zweiwertigen Erdalkalien und für das Magnesium; die Werte für p liegen durchwegs in der Nähe von 0,5, sind also Werte, die recht gut mit denen der bekann- ten Adsorptionserscheinungen übereinstimmen; während die hohen k-Werte für die Erdalkalien im Gegensatz zu den niedrigen für die Al- kalien die beobachtete Erscheinung als elektrochemisches Phänomen und der Fällung negativer Suspensionskolloide nahe verwandt charakte- risiert. Die Kurventafel I zeigt die Abhängigkeit der Fermenthemmung von der Salzkonzentration für die einzelnen Salze graphisch dargestellt. Die Kurven haben die umgekehrte Form der Adsorptionsisothermen. Aus den dargestellten Tat- sachen läßt sich also der Schluß ziehen, daß der Fermenthemmung durch Neutralsalze ein Adsorp- tionsvorgang zugrunde liest, den wir uns etwa folgendermaßen vorstellen können: Die kolloid- gelösten, negativ elektrisch ge- ladenen .Partikelchen des Fer- mentes adsorbieren die entgegen- gesetzt geladenen Kationen} der Neutralsalze, verlieren hierdurch ihre elektrische Ladung, wodurch ihre Dispersität herabgesetzt wird. Da nun, wie bereits her- /m vorgehoben worden ist, die Fer- Abb. 1. Einfluß der einzelnen Salze auf dieRohr- mentationen als Reaktionen in m nn einem mikroheterogenen Systen: aufzufassen sind, also von der Öberflächenentfaltung des Systems. in hohem Grade abhängig sein müssen, ist es leicht verständlich, daß eine Abnahme der aktiven Oberfläche, wie sie die Neutralsalze herbeiführen, eine Abnahme der Fermentwirkung verursacht. Beruht nun aber diese Annahme auf Richtigkeit und ist die Ferment- hemmung durch Neutralsalze auf eine Abnahme der aktiven Oberfläche zurückzuführen, so muß sich diese Dispersitätsverminderung der Fer- mentlösung außer in der Herabsetzung der Fermentwirkung auch in einer Veränderung der sonstigen physikochemischen Eigenschaften der Lösung, wie z. B. ihrer Oberflächenspannung und Viscosität äußern. In einer vorhergehenden Arbeit habe ich gezeigt, daß die Neutralsalze die Oberflächenspannung einer Kolloidlösung (Lecithin) erhöhen können und somit erwartet werden kann, daß auch die Oberflächenspannung der Fer- mentlösung durch Elektrolyte auf ähnliche Weise beeinflußt wird. Ist Untersuchungen über den Einfluß der Neutralsalze auf die Fermentwirkung. 51 die Fermenttätigkeit tatsächlich eine Funktion der Dispersität der Fer- mentlösung, so mußte sich zwischen Fermenttätigkeit und Oberflächen- spannung der Fermentlösung eine gewisse Parallelität nachweisen lassen. Einen, dem hier zu besprechenden gerade entgegengesetzten Zusammen- hang zwischen Fermenthemmung und Beeinflussung der Oberflächen- spannung der Fermentlösung, hat bereits Gramenizkyt) für die Hitze- inaktivierung von Takadiastase nachzuweisen gesucht. Seine Befunde sind aber von Berezeller2) auf eiweißartige Verunreinigungen der Fer- mentlösung zurückgeführt worden. Die Oberflächenspannung eiweiß- freier Fermentlösungen erfährt nach Berczeller während der Hitze- inaktivierung keine Veränderung. Es wurde also die Oberflächenspannung der Fermentlösung in reinem Zustande und in Gegenwart der verschiedenen Neutralsalze stalagmo- metrisch festgestellt. Es wurde zu diesem Zwecke ein Traube scher?) Stalagmometer der Firma Lautenschläger in Berlin verwendet, welcher für destilliertes Wasser die Tropfenzahl 36,5 hatte. Aus der Tropfenzahl wurde dann mittels der Formel: S2Z yv.— 10 Z, werin y. die auf Wasser bezogene relative Oberflächenspannung der Fer- mentlösung, S das spezifische Gewicht der Lösung, Z,, und Z, die Tropfen- zahlen für Wasser bzw. für die Fermentlösung bedeuten, die Ober- flächungspannung der Lösung bestimmt. Der auf diese Weise ermittelte Einfluß der einzelnen Salze auf die Oberflächenspannung der Ferment- lösung ist aus Tab. Il ersichtlich. Tabelle I. Einfluß der einzelnen Salze auf die Oberflächen- spannung der Invertaselösung. | Salze a Nael | Kcl | Call, [BERisıcH | MgCl, ; : | Oberflächenspannung der Invertaselösung = | 8 | berechnet 75 berechnet. 3 berechnet | $ berechnet 5 _ berechnet SS = mit den = | mit den R= mit den 32 | mit den R= mit den S = Konstanten F , Konstanten 3 Konstanten 3 Konstanten E Konstanten 2 | K=4.10-3,| © K=4.10-3,|1 © K=12-10-3,] 'o K=12.10-3,]| © |K=12.10-3, 2 P=05 3 P=0,6 le R=0s 2 ?=0,5 2 7-04 nl OFON ESTER Tg3o N 9TTg80: 2970 DIT 2 TITTEN 938 Y,m | 90,0 90,0 90,6 90,8 94,2 94,4 94,0 94,4 92,8 92,4 Yam | 89,2 89,4 90,0 89,8 92,0 92,4 92,8 92,4 91,8 91,2 sm | 88,8 89,0 89,0 89,2 91,0 91,0 90,8 91,0 90,6 90,5 gs m | 88,5 88,7 88,6 88,7 90,0 90,0 90,0 90,0 90,0 89,8 Um | 88,5 88,5 88,5 88,5 89,0 89,5 89,0 89,5 89,2 89,4 1933 m | 88,2 88,3 88,0 88,3 88,6 89,0 88,0 89,0 88,9 89,0 0 88,0 88,0 — E —_ — — — — —_ !) Gramenizky, Biochem. Zeitschr. 52. 1913. 2) Berczeller, Ibidem 84. 1917. °) Traube, Kapillaranalyse. In Abderhaldens Handbuch der biochem. Ar- beitsmethoden Bd. V. 2. Wien und Berlin 1912. 4* 52 S. M. Neuschlosz: Neben den experimentell festgestellten Oberflächenspannungen sind auch hier in einer nächsten Kolonne die unter der Annahme berechneten Oberflächenspannungen zusammengestellt, daß auch diese Salzwirkung den Gesetzen der Adsorption folgt. Als Maß der stattgehabten Adsorp- tion wurde hier die Erhöhung der Oberflächenspannung angenommen, die nach folgender Formel berechnet wurde: I S ke} e=1-— Ve worin e die Erhöhung der Oberflächenspannung y, die Oberflächen- spannung der reinen Fermentlösung, y. dieselbe bei der Salzkonzentration c bedeutet. Die Formel für die Adsorptionsisotherme gestaltet sich demnach: Be ep. Auch hier ist die Übereinstimmung zwischen den beobachteten und berechneten Werten für die Oberflächenspannungen eine zufrieden- stellende. Die Konstanten p decken sich durchwegs mit denen für die Fermenthemmung ermittelten, während die Werke für k zehnmal klei- nere sind. Demnach nehmen die auf Kurventafel II dargestellten Kur- ven, welche die Abhängiskeit der Oberflächenspannung von der Salzkonzentration demonstrieren, den umgekehrten Verlauf, wie die Kurven für die Fermenthem- mung. Die Parallelität zwischen Fermenthemmung und Ober- flächenspannungserhöhung durch die Salze ist eine vollkommene, so daß diese Versuchsergebnisse die Richtigkeit der entwickelten Auffassung der Fermenthemmung bestätigen. Nachdem die Wirkung der einzelnen Salze auf die Fermentation festgestellt worden ist, wurden die Wirkungen der Salzgemische untersucht. Es wurden zu diesem Zwecke folgende Kombinationen herangezogen: NaCl + KCl, NaCl + CaCl,, NaCl + SrCl,, NaCl + MgCl,, KCl + CaCl,, CaCl,.+ SrC], , CaCl, + MgCl,. Diese Kombinationen können in drei Gruppen geteilt werden, die am besten gesondert besprochen werden. Zu der ersten Gruppe gehören die Kombinationen einwertiger Katio- nen miteinander, also NaCl + KCl. Die hierher gehörigen Versuchs- ergebnisse sind in der Tab. III zusammengestellt. Es zeigt sich hier, daß die Hemmungen, die durch die verschiedensten Kombinationen von NaCl und KCl verursacht werden, stets geringer sind, als die durch die 98 96 94 flächenspannung der Invertaselösung. Untersuchungen über den Einfluß der Neutralsalze auf die Fermentwirkung. 53 einzelnen Salze bedingten. Es besteht also zwischen der Wirkung von Na’ und K’auch hier ein Antagonismus. Die Fermenthemmung nimmt um so mehr ab, je mehr das Verhältnis der beiden Ionen Na’ und K’ im Gemisch sich 1 nähert und ist bei dem Verhältnis 1NaCl: IKCl fast gleich Null. Dieses Verhalten weicht merklich von dem Verhalten der Lecithin- lösungen gegen Kombinationen von NaCl + KCl ab. Während sich hier der maximale Antagonismus bei den Verhältnis 1Na’: IK’ einstellt, war der Antagonismus dort gerade bei dieser Relation am geringsten und die Wirkung der Ionen am deutlichsten ausgesprochen. Es scheint demnach der Antagonismus je nach dem Substrat, auf welches die Ionen einwirken, verschiedene Formen anzunehmen. Worauf dies beruht, läßt sich derzeit noch nicht sagen. Tabelle Il. Einfluß verschiedener Kombinationen von NaCl und KCl auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. Verhältnis von NaCl zu KCl in der Lösung 1Nac1:3/,, KC1|1Nac1:%/,,Kcı | 1nacı:3,Kcı | ı vacı: ıKcı |. 8acı: 1 cı [»,,.Nacı:1Kcı 1/„NaCl:1KCl Invertierter Rohrzucker in Proz. der Gesamtmenge m—— © 5 \ 7, NO Na’ + K’ auf die Inversion einer mathematischen Analyse, so stellt sich heraus, daß auch diese Wir- kungen sich im oben besprochenen Sinne hinlänglich durch Adsorp- tionsisothermen darstellen lassen. Auch die hier hergehörigen Kurven der Kurventafel III haben durch- weg die Form von umgekehrten Adsorptionsisothermen. Die Herab- setzung der Salzwirkung äußert sich in einem Kleinerwerden des Koef- fizienten k in der Adsorptionsisotherme, während der Exponent p unver- Im 2 Abb. 3. von NaCl und KCl auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. Einfluß verschiedener Kombinationen ER 88% Sg“ leer Fr les. Eee: 8 88 2 As 8 |ae Se EEE ee Eee 8 Ag 2 je eme| 2 [2292] [2252] 8 8222] 8 |3:28]3 12522] 8 13525 3 za 3 EEE 5 EEE S gan S EEE E 13 8a ı E ES Bu EI Eu EI BE EI BEE BE En EEE EEE 2uoN Dar SUN 251 SUN |" Dom Im 58 | 57,3 |65,0| 65,9 173,01 72,1. 175,5] 75,75 [71,0 71,5 161,01 64,6 |53 | 55,0 m|63| 63.0 170,01 692 |73,5| 73,5 |76,0)| 76,15 |74,0| 73,0 166,01 682 | 60 | 61,6 mIes| 672 [15 715 Iza7 746 [77,0 7640 [a2] 7a2 [71,0 709 .|65 | 662 az) 700 Iso 731 (ra 753 (770 76,6 |75,0 750 |73,01 72,7 |es| 69,3 mI72| 721 [740 742 |753 758 [720 767 [75,5 75,6 I240 73,9 [71 | 716 m|73| 73,5 (7501 75,1 |76,9] 76,1 [770 768 |760 760 [750 748 |73| 73,1 m|75 | 745 |750 75,5 176,4 76,5 [770] 76,86 |76,0| 76,3 175,5) 75,5 | 75 | 740 | | | RM Unterziehen wir auch die & Wirkungen der Kombinationen end 54 S. M. Neuschlosz: rändert bleibt. Nun ist bekannterweise der Koeffizient k ein Maß der Adsorbierbarkeit eines Stoffes und so kommen wir auch hier zu dem Resultat, daß die Kationen ihre Adsorbierbarkeit gegenseitig herab- setzen, oder mit anderen Worten, sich gegenseitig aus der Oberfläche verdrängen: ein Schluß, zu dem uns bereits die Erfahrungen mit Leci- thinlösungen geführt haben. Daß sich die Herabsetzung der Ionenwirksamkeit auch-in der Wir- kung auf die Oberflächenspannung äußert, zeigt die Tabelle IV. Die in derselben enthaltenen Zahlen mit denen der Tabelle III verglichen, demonstrieren wiederum die vollkommene Parallelität zwischen Fer- mentwirkung und Oberflächenspannung der Fermentlösung. Dasselbe tun auch die Kurven der Kurventafel IV. Tabelle IV. Einfluß verschiedener Kombinationen von NaÜl und KCl auf die Oberflächenspannung der Invertaselösung. Verhältnis von NaCl zu KCl in der Lösung 8 |1Nacl:7. Kall1Nacı:2,,Kcı| 1 Nacı:2,Kcı | 1 Nacl: 1 Kcı |?/, Nacl: 1 Kcı |1, Nac1:1 KCı|/.Kacı: 120 & Oberflächenspannung der Invertaselösung S 8 ER = IB - 35.2 - 38« Se ä:e z #3. > 132 = | 15530|8 15588] |s232]8 |se&=]$ 85=2|$ sslel$ So Ss lager Ss |s»r7 SS aan Sal erne Ss le®#- 3 | 28 3 32 = .|= 550.12 |S3a!|2 13555 1|3 |5352!|2 |ss2el| 2 sSall 155 s 18 |s01°] 8 |eaı | 3 887°] 8 1285 °|8 885°] 8 881° 8 [380 au" Su 25" Sen Sun E58 123 2/,m |89,8| 90,1 [89,5] 89,4 [89,0] 88,7 |[s8,0| 88.1 |s8,7| 88,7 |89,0l 89,4 [89,8 90, ı/,m |89,7, 89,5 89,01 89,0 |ss,5| 88,5 |sso| 88,0 [ss,5 88,5 [ss,7 89,0 [89,4 89 ı/,;m |89,0 89,4 |s9,0] 88,7 |ss.3) ss,3 Iss,0) 88,0 |ss,3| 88,3 Iss.5| ss, |s9,2) sg, 1/m|88,7) 88,7 88,8] 88,5 |ss,1) 88,2 |ss,o| 88,0 |ss,1l 88,2 [88,31 88,5 |ss,z| 88, Usm|88,5| 88,5 (88,3) 88,3 |88,0 88,1 |88,0 88,0 [88,0 88,1 [88,1] 88,3 1|88,5| 881 Yamı883| 883 188,1] 88,2 18801 88,0 |88,0 88,0 |880 880 |88,0 88,2 |88,3) 88; Yesm 88,1, 88,2 |ss0' 88,1 [88,01 88,0 Iss,0/ 88,0 [s8,0l 88,0 Iss,0 ss,ı |ss,ı| sei 0.880.880 1 | le oo a MWall+ugKCl i » e- a“ — EEE ! Zu der zweiten Gruppe ge SP m FE ° hören die Kombinationen ein- SIEH (En ac +5 KCl ! 9 r © o DS TNaCIAKCL wertiger Kationen mit zwei- SS eo on on wertigen, also Na’ + Ca”, Na’ 42 } Z zm +8r", Na +Mge”, K’+ Ca”. Abb. 4. Einfluß verschiedener Kombinationen von Während nach den Tabellen NaCl und KCl auf die Oberflächenspannung der V, VII und VIII sich sämtliche en Kombinationen von Na’ und K' mit Ca” und Sr", also die der Alkalikationen mit den Erdalkalikatio- nen dem Wesen nach ganz identisch verhalten, also gemeinsam er- örtert werden können, verhält sich die Kombination Na’ + Me” etwas verschieden, wie das ja bei der Sonderstellung des Mg” unter den zwei- wertigen Kationen auch zu erwarten war. TabelleV. Einfluß der verschiedenen Kombinationen von NaÜl und CaCl; auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. Y | | - Verhältnis von NaCl zu CaCl, in der Lösung 5 1 NaCl:1CaCl, | 1NaC1:?/,CaCl, | 1NaC1:?/,.CaCl, | 1NaC1:?/,CaCl, | 1 NaCl:!/„CaC), | 1NaC1:?/,.CaCl. 3 | Invertierter Rohrzucker in Proz. der Gesamtmenge 5 | 1 ENT IN | n n ar F an WER 18 ja35=2|5 [23523] 3 58°3|3 13357 2|3 |35°2]8 33577 E 2 |8#282ı|2 |2832301|2 | 8823-112 SE S- 88232 1|2 | 8230: = ES ren Er Fm|i 13 145 [415 400 171,0). 70,8 NO 1094 21 172,1..157.0| 058,5 „m || 35 34.5 [50,0 50,9 12,000 77 76.6 73 | 73.5 62,5 64,0 m || 45 46,5 158,0 58,6 73,5 73,9 77 76,7 74 | 74,5 67.0 67,6 gm || 52 54,5 165,0 63,9 74,5 74,8 27e\0 106:8 157° ,#75,2 170.0 70,5 m|61| 616 [seo ers [50 75 Im| 768 |75| 758 Iz300 724 am | 65 66,1 71,0 70,5 76,0 76,0 len 316,9 16 | 762 73,5) - 73,8 sm || 69 69,3 | 74,0 72,4 77,0 76,2 17 76,9 IT|. 16,4 1750 74,8 0 71 77,0 — | — — — —_ == —_ | — — - 80 ht ee TOR | 7WaCl #5 Ca Cl, INaCQ % = 26 ).d. Einfluß ver- iedenerKombina- jen von NaCl und 1), auf die Rohr- kerspaltung durch 30 Invertase. Oberflächenspannung IN\\\, Fl & IS} DIN & a Abb. 6. Einfluß verschiedener Kombinationen von NaCl und CaCl, auf die Oberflächenspan- EEE 7 Zr 2 32 716 8 4 2 nung der Invertaselösung. Tabelle VI. Einfluß verschiedener Kombinationen von NaÜl und Call, auf die Oberflächenspannung der Invertaselösung. Verhältnis von NaCl zu CaCl, in der Lösung F :1 CaCl, | 1 NaCl :?/, CaCl, | 1 NaCl :!/,, CaCl, | 1 NaCl: !/,, CaCl, | 1 NaCl :!/;, CaCl, | 1 NaCl: !/;o0 CaCl; Oberflächenspannung der Invertaselösung ee Net Esere|s Ssgso| 3 [125=3|3 3,72] 8 |Essre|s 385-3 SetscN| Ss 2a, "| 2 Se2,Jı S 3za-Hl]| 3 Sse®@l 3 |Se®. | gas,“ gagı“ Bao: Sa ee, 8 |zagı° | = = = | = S | S 945 1920| 9,3 |ss0| s87 [ss] ss "Iss2] ss6 Iso] 904 92,3 |908 909 Iss6 885 Iss|ı 88 |ss4l sa [sd6 89,5 91,1 |901| 900 less 883 |88| 88 I|ss2| 882 I893 sg, 90,0 |s9,3| 894 |ess| 882 |s8, ss Iss2l 832 |890| 88,7 gan lisgisiı soo jesolmnss else | esreıssio] 881. 1838| 88:5 899 |ssa| as 1880| 8so: iss ss. |88oı 880 |s82| 88,3 8002 |ss4| 885 |88o| 880 iss - ss: |s80) 88.0 -|s80o|, 882 a ee a 56 S. M. Neuschlosz: Tabelle VIl. Einfluß verschiedener Kombinationen von Na(l und SrOl,;, auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. 1% | Verhältnis von NaCl zu SrCl, in der Lösung \2 || 1Wacl:18rC1, |1Nacl: 3, $r01, |1 Nacı : 21.8101, [1 NaCl: 2,8701, ] 1 Nacı : 2/ SrC1, 5 | Invertierter Rohrzucker in Proz. der Gesamtmenge Sr ge een en y lege = 8. a ee ee ea ee Er (de) Ne! =] R=) Ba Re) mR=| 1) Ball 2 m ll Da I ae ee ee FON 75m] 192 14,5: [41.01 400 171.0 708 | 77° 764 |700 21 Y,m |35:0. 345 |515[ 509 (05 27 | zz) 766.175 735 1/;m |46,5| 46,3 [58,5 58,6 [7401 739 | 77 | 76,7 |74,0| 74,5 Yo m 53,01 54,5 [65,01 63,9 [75,01 748 | 77 | 768 |75,0|. 752 1/sm | 60,01 61,6 1680| 67,8 |750| 55 .| 7 | 768 |0| 75,8 em 1 64,0). 61.1.1710] 70,5. 176.0 760° | 771° 76.9 70.0) 762 Finsm 70,0 693 |730) 724 770 72 | =) 769 720 76,4 Orr a N Tabelle VII. Einfluß verschiedener Kombinationen von KÜl und OaCl, auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. Verhältnis von KCl zu CaCl, in der Lösung 8 1KC1:1Ca0l, | 1 KC1: '/, CaQl, | 1 KC1: */,, CaCl, [1 KC1:?/,, CaCl,| 1 KC1: %/,, CaC], 5 Invertierter Rohrzucker in Proz. der Gesamtmenge S Ba dr 28, ErE " ee ee see s |3 1088| & |S87al 3 |s072ls 18858] %/|58>=- Sen a] nee] Re Se E=} = 2 | Be 2 |8g | | 23x SH sn Inu Dan /;m|13,1|. 14,5 |A1,5| 40,0 20. .20,8: 1.200, 206,4 101,0 2 272,1 /„m||35,0| 34,5 |51,0| 50,9 2 255 |E 76,6 |72,5| 73,5 !/;m 146,0| 46,3 1580| 58,6 73.12 78,9 1.07 | 2.716,02 174.0. 704,5 sm |52,0| 545 .164,0| 63,9 74 | 748 |77 | 76,8 (7451 75,2 sm |59,0| 61,6 |67,0| 67,8 19... 15,8:| 00.6.8. 12750). 275,8 !/gam 64,0) 66,1 |[71,0| 70,5 76 1.260 100 |. 210,9. 1.6,0.|°°.76,2 "/ıesm |69,0| 69,3 |73,0| 72,4 7 16,2. 12.707012.710,9 21900,0 3.06,4 0, .1,22,0° 07,0 ern I ER en Im ET Br == Wenn wir nun die Wirkungen der Kombinationen von Alkali- und Erd- alkalisalze auf die Fermentation betrachten, so sehen wir, daß bei der Relation 1:1, das zweiwertige Kation so sehr in seiner Wirkung über- wiegt, daß die Kombination in ihrer Wirkung kaum die Anwesenheit des einwertigen Kations verrät. Eine geringe gegenseitige Hemmung ist allerdings auch hier bemerkbar. Je mehr nun die relative Konzen- tration des zweiwertigen Kations in der Lösung herabgesetzt wird, um so deutlicher tritt die Wirkung des einwertigen Kations hervor und um so größer wird auch der Antagonismus, der bei der Relation 1: !/,, sein Maximum erreicht. Wenn wir nun die relative Konzentration des Erd- Untersuchungen über den Einfluß der Neutralsalze auf die Fermentwirkung. 57 alkalikations noch weiter herabsetzen, so erhöht sich die Hemmung von hieraus wieder, um durch sukzessives Zurücktreten des antagonisieren- den Erdalkalikations stetig in die Wirkung des reinen Alkalisalzes über- zugehen. Mathematisch äußert sich dies in der Ab- und Zunahme des Koeffizienten k, welcher von dem Werte 13. 10°? bei der reinen Erd- alkaliwirkung durch steigende Mengen Alkalikations sukzessive herab- gesetzt wird, um bei der Relation 1:!/,, den minimalen Wert von 0,1-10°? zu erreichen und von hier bei abnehmender Erdalkali- konzentration zum Werte 4. 10°? für die reine Alkaliwirkung wiederum anzusteigen. Nach Tabelle VI lassen sich dieselben Gesetzmäßigkeiten AG Malltzörce PL, Zi NaCcl+#5SrCı h 70 \ — U 70 S d 50 60 50 50 40H 40 30 3o 20 20 70 710 a [0] o RL TT. Zm TER 7 In 2% 8 32% 8 Z 2 Abb. 7. Einfluß verschiedener Kombinationen Abb. 8. Einfluß verschiedener Kombinationen von NaCl und SrCl, auf die Rohrzuckerspaltung von KCl und CaCl, auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. durch Invertase. für den Einfluß der Alkali- und Erdalkalikombinationen auf die Ober- flächenspannung der Fermentlösungen feststellen. Die Parallelität der beiden Salzwirkungen ist auch hier vollkommen. Nicht wesentlich anders verhalten sich auch nach Tabelle IX die Kombinationen von NaCl + MgCl,, nur ist hier entsprechend der geringeren Hemmungskraft des Mg” gegenüber den Erdalkalien, auch die Hemmungswirkung jener Kombinationen, in denen das Magnesium überwiegt, weniger stark als die der entsprechenden bei Calcium und Strontium. Die Koeffizienten k der Adsorptionsisotherme sinken dem- nach von 12. 10°? bei der reinen Magnesiumwirkung, bei zunehmender Konzentration des hinzugefüsten Alkalikations bis 0,1 - 10°? bei der Relation 1: !/,, um hiernach wieder bis 4 - 10°? bei der reinen Natrium- wirkung anzusteigen. 58 S. M. Neuschlosz: Tabelle IX. Einfluß verschiedener Kombinationen von Nall und MgCl; auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. Verhältnis von NaCl zu MgCl, in der Lösung = = DER S 1 NaCl: 1MgCl, 1 NaCl : /,, MgCl, 1 NaCl: t/,, MgCl, 1 NaCl: !/,, MgCl, 2 A BU = Invertierter Rohrzucker in Proz. der Gesamtmenge 3 a u! Me re = Gran Biel rn Re RB a © En! An ARiS | ee s = | a8 s | 881 | 38) s |B8 3 = go = e8o% = ar = 338% = [5] uno [>) 7 o [>] em. >) omn.7 = 3 gar = El 3 Eu) 3 BE & Re) Sor R=) 30. Be} 3 om ne} | 5.9 a, 8 2 Su, * 2 sH , S S om Ts 9 ode. Rd) =) SR- =) DR: il Ro} rl San ? E ı® N erak 1/,m|| 38 39,5 100, 70.8 | 764 zu | 77 76,6 25| 73,5 77 76,7 7140| 745 At. 76,3 74,5 75,2 77 76,8 75,5 | 75,8 77 76,9 765 | 762 77 76,9 7.01 .06,4 Gesamtsal&konzentrahon 707 7 MT: A Zu Abb.9. Einfluß verschiedener Kombinationen von NaCl und MsCl, auf die Rohrzuckerspal- tung durch Invertase. 40 30 20 70 GesamtsaYzkonzentrahon TR 32716 8 Abb. 10. Einfluß verschiedener Kombinationen von CaCl, uud SrCl, auf die Rohrzuckerspal- tung durch Invertase. 874 zr Die dritte Gruppe der Salzkombinationen ist die, in der zweiwertige Kationen miteinander vergesellschaftet worden sind. Die Tabellen X und XII zeigen die Wirkung dieser Kombinationen auf die Fermenta- tion, die Tabelle XI ihren Einfluß auf die Oberflächenspannung der Fermentlösung. Der Antagonismus zwischen den Ionen tritt auch hier klar zutage; seinen höchsten Grad erreicht derselbe — wie es bei gleich- wertigen Ionen zu erwarten war — bei der Relation 1 : 1, während die der anderen Kombinationen sich stetig findlichen Kations nähern. der Wirkung des in Überschuß be- Dies zeigen auch die Koeffizienten k der Untersuchungen über den Einfluß der Neutralsalze auf die Fermentwirkung. 59 Adsorptionsisotherme für die einzelnen Ionenrelationen. Die Wirkungen auf die Oberflächenspannungen decken sich auch hier durchwegs mit denen auf die Fermentationen. Tabelle X. Einfluß verschiedener Kombinationen von (all, und SrCl, auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. Verhältnis von CaCl, zu SrCl, in der Lösung Tosc.: :1/,,8rCh, | 1 Call; : ?/; SrCl, I! Cal], : 1 SrCl, EB Call; :1 Src1, |?/ As CaCl,:18rCl, Invertierter Rohrzucker in Proz. der Gesamtmenge p = 0,5 = 2 E ein. 28. =: er IE Se ee Sao a Konzil ers Sara Sonn ee lass sans sans |sgseı| Ss las: 8 Sean sb jsu nel is | sMeosı So | S4 = © |5M, En zen zen | 2, | 25 I : =) ke ke) In /,m | 38 | 395 |66,0| 66,3 |.76 | 75,9 | 6701 66,3 | 41 | 395 am | 49 | 50,5 | 2700| 695 | 76 | 76,2 |700| 695 | 52 | 50,5 1/,m | 58 58,2 7-0 1,7156 UT 76,5 | 72,0| 71,6 56 58,2 em | 65 63,8 13,D1 1132 00, 16,6% 192,5) 23,2 63 63,8 ame | 67.6 1 74,01, 743 ad 76,0 | 73,5) Ta 67 | 674 ame | OA) 75,0] 75,1 77 | 76,82 75,0) 75,1 70 | 70,4 Mm || 73 | 723 1760) 75,7 | 77 | 76,9 | 7 70) Ta 73207953 0 Te) — — — == —— — _- Tabelle XI. Eintluß orschnedlener rakronleh von Cal, und SrCls; auf ‚die Oberflächenspannung- der Invertaselösung. Verhältnis von CaCl, zu SrCl, in ı der Lösung "Oberfläe ichenspannung. der Inv ertaselös | | 10aCl, :!/SrCh, [1° CaCl, : 1/, SrCl, R CaCl, : 1 SrCl, % CaCl, : 1 SrCl, ‚|[’As Cacı.: 1 SrCl. 8 BE sung. < BEER le3, = 3= Fr Fr sen jssan| a Basel leasal a [Een & S ıSsu,=| © |S5M,=| 2 SNeel 2 |EMT®| S_|SM5 > 5 & en S en Bl Seal sen E Sie) Bee BERN ESS Bilslere 98 1/,m | 92,8| 93,0 ]|s9,0| 89,4 |ss4| 832 |ss8| 894 92,0| 93, 2/ım:| 90,8 | 91,1 [89,0 | 89,0 88,2) 88,2 |888| 89,0 190,81 91,1 1/sm || 90,0| 90,3 188.8 | 88,7 |882| 881 88,6 | 88,7 90,0 90,3 !/m || 89,7 | 89,7 |886| 885. |880| 881 |884| 885 |89,4| 89,7 Yym 89,5 | 89,2 |ss,6| 884 |ss,0| ss,o |ss3| sea [89,0 | 892 Ugm | 887 | 888 1884| 883 |880| 88,0 88,2 | 88,3 88,6 | 88,8 2/2sm || 88,5 | 88,6 1882| 88.2 |880| 880 [8801| 832 |885| 88,6 u lasoessston | u. hl a 94 92 Abb. 11. Einfluß verschiedener Kombinationen 90 von CaCl, und SrCl, auf die Oberflächen- - spannung der Invertaselösung. — a 1 88 1 1 8 an 7000, + 1570; Gesamtsalkkonzertrahon 60 Tabelle XI. S. M. Neuschlosz: Einfluß verschiedener Kombinationen von CaCls und MgÜl, auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. 2 Verhältnis von CaCl, zu MgCl, in der Lösung 2 |11CaC1:7/,,MgCl, |1 Cacı, :/,Mgcı, |1 Cacı. : 1 Mgcı, |*/, Cacı,:1Mgcı.|?/,.0aC1.:1MsCı, 5 Invertierter Rohrzucker in Proz. der Gesamtmenge 2 enden. | a Ben erde. sea rın a ass nz (ee Sea ae Sen as" SEX San So m 385) 395 |[70,0| 708 | 76 | 764 [720| 70,8 [53,0| 52,5 Y,m | 47,5| 50,5 T2.1D 0 2 O 16.6 1.73:0:1° 27250 21:59:02.59:5 isn \'58,0.|. 58,2 74.0| 73,9 ut, 76,7 1740| 73.9 165.0| 64,6 sm 640) 63,8 1745| 74,8 To 76,8 1745| 748 1680| 68,3 Um | 680| 67,6 15.7.7. et. 26:8: _[:9,0:) 275,52 1.21,0217:70,9 2/1 | 70,0) 70,4. .|76;5 76,0 AR 16,9. 1:75.52|. 76:0 :172,D.\. 72,6 sm | 72,01 723: 1770) 762 170 769 1760| 769 (was 720 07 | | | | | a 80 1CaClz #1Mg RA 32 16 Gesammsa, 7 8 Konzentration SH m Abb. 12. Einfluß verschiedener Kombinationen von CaCl, und MgC], auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase. . Die Adsorptionsisothermen für die Fermenthemmungen und die Oberflächenspannungserhöhungen, die durch die Kombinationen der zweiten und dritten Gruppe verursacht werden, geben graphisch darge- stellt die Kurventafeln V—XII wieder. Die Tabelle XIII enthält eine übersichtliche Zusammenstellung der Koeffizienten k für sämtliche untersuchten Ionenwirkungen. Untersuchungen über den Einfluß der Neutralsalze auf die Fermentwirkung. 61 Tabelle XII. Die Konstanten der verschiedenen Ferment- hemmungen durch Neutralsalze und Salzgemische: K - 10°. Reine Salzlösungen. _ Nacl | Kcal | Cacl, SrC1, Mecl, 0 | 4 | 13 | 12 | 12 Salzkombinationen. Verhältnis des | | ersten Kations | NaCl+KCl ‚NaCl +CaCl; NaCl+SrCl; KCl+ CaCl, | NaCl+ MgCl], |CaCl;+SrCl;| CaCl;+ MgCl; zu dem zweiten | % l | 1: a = a: el, a2) so = ME 0,8 0,8 0,8 _ — key/rn 32 OR) 0,1 0,1 0,1 — | E= 1:10 1,8 1,0 1,0 1,0 1,0 7,0 7,0 1:1, 0,8 6,0 6,0 BIO 2,0 1,0 il 0,2 10,0 10,8 10,0 | 7,0 0,2 0,1 ee VER = | = = | — BESU2. ONE 1,0 90 1. — — - | AN ER ao:1 3,9 | = Ser = Foto zn | PS Besprechung der Versuchsergebnisse. Die geschilderten Befunde lassen Folgerungen in zwei Richtungen zu: l. Über die physikochemischen Grundlagen der Ferment- hemmung durch Salze und 2. über das Wesen des Ionenanta- gonismus. Wir wollen demnach diese beiden Fragen gesondert be- trachten. Um dem ersten Problem nähertreten zu können, müssen wir zu dem Ausgangspunkt dieser Untersuchungen zurückkehren. Wie erwähnt, waren dies gewisse Beobachtungen Coles einerseits und Michaelis andererseits. Während nämlich Cole einen gewissen Parallelismus zwischen den Wirkungen von Neutralsalzen auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase und der Fällungskraft derselben gegen negative Sus- pensionskolloide fand — wenn diese Befunde auch von ihm nicht in diesem Sinne gedeutet worden sind —, stellte Michaelis mit Hilfe der Adsorptionsaffinitäten der Invertase fest, daß dasselbe als negativ ge- ladenes Kolloid anzusehen ist. Ein Zusammenhang zwischen diesen bei- den Beobachtungen war nicht von der Hand zu weisen, wenn es auch unfraglich zu Recht besteht, daß Neutralsalze in bereits so geringen Konzentrationen die Invertasewirkung zu hemmen imstande sind, in denen sie bestimmt keine sichtbare Fällung in der Fermentlösung ver- ursachen. Es kann aber der Dispersitätsgrad eines Sols weitgehend herabgesetzt werden, ohne daß eine makroskopisch sichtbare Fällung auftreten müßte. Und um die Fermenthemmung zu erklären, ist eine solche Herabsetzung der Dispersität vollkommen genügend. In einem 62 S. M. Neuschlosz: mikroheterogenen System, wie es eine Fermentlösung ist, ist die Größe der aktiven Oberfläche für die Reaktionsgeschwindigkeiten ausschlag- gebend und so erscheint es nur selbstverständlich, wenn die Verkleine- rung der Oberfläche von einer Herabsetzung der Fermentationsgeschwin- digkeit begleitet wird. Es muß hierbei allerdings die Annahme gemacht werden, daß die Inversion an der Grenzfläche Invertase— Wasser vor sich geht. Dies ist aber recht wahrscheinlich. Die große Ähnlichkeit, zwischen den Fermentwirkungen und den Katalysen durch Metallsole, auf welche Bredig!) hinwies, spricht jedenfalls in diesem Sinne. Auch die Beobachtungen Henris?), der Invertase in eine Gelatinegallerte ein- schloß und feststellte, daß die Inversionsgeschwindgikeit hierdurch sich in die Diffusionsgeschwindigkeit des Rohrzuckers zum eingeschlossenen Ferment umwandelte, legen diese Annahme nahe. Die zu beantwortende Frage gestaltet sich demnach folgendermaßen: Kann die durch Salze hervorgerufene Hemmung der In- vertasewirkung als Folge der Herabsetzung der aktiven Fermentoberfläche durch die Salze angesehen werden? Um diese Frage im positiven Sinne beantworten zu können, mußte erstens nachgewiesen werden, daß die Wirkung der Neutralsalze auf die Rohrzuckerspaltung durch Invertase von der Konzentration des wirk- samen Salzes in derselben Weise abhängig ist, wie es für Erscheinungen an Grenzflächen charakteristisch ist, also mit einer Adsorptionsisotherme dargestellt werden kann ; zweitens mußte gezeigt werden, daß die Neutral- salze tatsächlich eine Verkleinerung der aktiven Oberfläche, also eine Herabsetzung der Dispersität der Fermentlösung verursachen. Da diesen Bedingungen durch die oben geschilderten Versuche ent- sprochen worden ist, scheint die Folgerung berechtigt zu sein, daß die Neutralsalze — wenigstens im Falle der Inversion — ihre hem- mende Wirkung auf die Fermenttätigkeit durch eine Herab- setzung der Dispersität und Verkleinerung der aktiven Oberfläche des Fermentes ausüben. Wieweit diese Art der Salz- wirkung für andere Fermentationen Gültigkeit hat, ferner ob nicht auch andere hemmende Agenzien, wie z. B. Schwermetallsalze, usw. ihre Wirkungen auf den Fermentationsvorgang auch durch eine Ver- kleinerung der aktiven Oberfläche im zweiphasigen System hervor- rufen, sind Fragen, die späteren Untersuchungen vorbehalten werden müssen. ; Ein derartiger Zusammenhang zwischen Fermenthemmung und Dispersitätsverminderung der Fermentlösung infolge der Wirkung von Narkotieis ist für Zymase vonWarburg und Wiesel?) für Oxydone von !) Bredig, Anorganische Fermente. Leipzig 1901. ®2) Henri, Comptes rendus 142, 1. 1906. ®3) Warburg und Wiesel, Dieses Archiv 144. 1912. Untersuchungen über den Einfluß der Neutralsalze auf die Fermentwirkung. 63 Battelli und Stern!) nachgewiesen worden. Bei den letzteren sind Fermenthemmung und Fällung irreversibel. Für Invertase wurde der- selbe Zusammenhang von Meyerhof?) angenommen, aber — wohl _ mangels einer brauchbaren Methodik — nicht experimentell festgestellt. Die zweite Frage, die durch die besprochenen Versuchsergebnisse berührt wird, ist die des physiologischen Ionenantagonismus. In einer vorhergegangenen Arbeit habe ich diese Erscheinung auf kolloidche- mischer Basis zu erklären gesucht. Es stellte sich dabei heraus, daß der Antagonismus, mit welchem die Kationen sich in ihren Giftwirkungen _ auf die verschiedensten biologischen Objekte gegenseitig hemmen, ein vollkommenes Analogon in der antagonistischen Wirkung der Ionen auf eine kolloidale Leeithinlösung findet. Auf Grund dieser Analogie wurde eine kolloidchemische Theorie des lIonenantagonismus entwickelt, auf deren Darstellung aber an dieser Stelle verzichtet und auf die ge- nannte Arbeit verwiesen werden muß. Der hier in Frage kommende Antagonismus zwischen den lonenwirkungen auf die Fermentation muß aber als Spezialfall der Ionenwirkungen auf Kolloide angesehen werden und ist demzufolge auf Grund des in der genannten Arbeit Ge- sagten ohne weiteres verständlich. Der einzige auffallende Unterschied zwischen dem Ionenantagonismus bei der Entmischung eines Lecithin- sols und bei der Fermenthemmung, äußert sich in dem Verhältnis, bei welchem Natrium und Kalium sich maximal antagonisieren. Dieses Verhältnis ist für Lecithin 1 Na: !/,, K, bzw. Y/,, Na:1K, während es für die Invertasewirkung 1 Na: 1K ist. Dieser Unterschied scheint mir — wie bereits früher erwähnt — einer näheren Erklärung einstweilen unzugänglich zu sein und muß wohl auf die Verschiedenheit der Sub- strate zurückgeführt werden. Jedenfalls erscheint der Nachweis der antagonistischen Wirkung der Ionen auf eine Fermentation ein nicht unwesentlicher Schritt zum Verständnis des physiologischen Ionen- antagonismus zu sein. Zusammenfassung. Diese Untersuchungen ergeben demnach: 1. Daß die Chloride der Alkalien, der Erdalkalien und des Magnesiums eine hemmende Wirkung auf die Rohrzuckerspaltung durch Intervase ausüben, welche mit zunehmender Konzentration der Salze stetig ansteigt und in ihrer Größe von ‚ der Valenz des verwendeten Kations abhängt, und demnach bei den zweiwertigen Kationen Ca”, Sr” und Mg” durchwegs wesentlich größer ist als bei den einwertigen Na’ und Ka‘. 2. Der Zusammenhang zwischen Salzkonzentration und Fermenthemmung läßt sich hinreichend durch eine Adsorptionsisotherme darstellen, bei welcher der Exponent » stets einen Wert von ca. 0,5 hat, während die Werte für den Koeffi- !) Battelli und Stern, Biochem. Zeitschr. 52, 1913. ®2) OÖ. Meyerhof: Dieses Archiv 15%. 1914. 64 S. M. Neuschlosz: Einfluß der Neutralsalze auf die Fermentwirkung. zienten k für die zweiwertigen Kationen durchwegs wesentlich höher (um 12 . 10°? herum) sind, als die für die einwertigen Kationen (ca. 4 - 10”). 3. Dem Einfluß der Salze auf die Fermentation geht ihre Wirkung auf die Dispersität der Fermentlösung durchwegs parallel. Hieraus wird geschlossen, daß die Fermenthemmung durch Neutralsalze auf dem Wege der Verkleinerung der aktiven Fermentoberfläche im mikroheterogenen System verursacht wird. 4. Zwei Kationen antagonisieren sich gegenseitig in ihren Wirkungen auf die Fermentation. Der maximale Antagonismus kommt bei der Kombination von Kationen mit gleicher Valenz bei der relativen Konzentration 1:1, bei der Kombination von ein- und zweiwertigen Kationen bei einer zwanzigfach höheren Konzentration des einwertigen Ions zustande. 5. Der Antagonismus der Ionenwirkungen auf die Fermentation äußert sich in einem Kleinerwerden des Koeffizienten k der Adsorptionsisotherme für die Kationenwirkung bei Salzgemischen: derselbe erreicht bei dem maximalen Antago- nismus seinen Minimalwert. 6. Die Dispersität der Fermentlösung geht auch in Gegenwart von Salzkombi- nationen stets mit der Fermentwirkung parallel. Zum Problem des Herzalternans. Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 3. Januar 1920.) Die Genese des Herzalternans ist bisher ungeklärt. Weder die Beob- achtungen am Krankenbette noch die zahlreichen Experimente am Herzen bei spontanem oder durch Vergiftung erzeugtem Alternans mit Verzeichnung von Suspensionskurven haben eine befriedigende Erklärung der Erscheinung zu liefern vermocht, daß bei regelmäßigem zeitlichen Eintreffen des Leitungsreizes jeder zweite Kammerschlag von geringerem Effekte auf die Blutförderung ist, als der vorhergehende. Auch die Verzeichnung der Aktionsströme des Herzens hat für das Ver- halten während der alternierenden Tätigkeit keine wesentliche Auf- klärung gebracht, wenn sie auch die wichtige Erkenntnis förderte, daß sich während des Alternans die beiden ungleich wirksamen Schläge in ihrem Wesen nicht grundlegend voneinander unterscheiden. In der richtigen Erkenntnis, daß im Tierexperimente, von welchem allein ja eine Klärung der Frage zu erwarten ist, nur eine solche Methode nähere Aufschlüsse geben könne, welche sich dem Umstande anpaßt, daß es sich hier nicht um eine Rhythmusstörung sondern um eine solche der kontraktiven Leistung handelt, hat H. Straub!) versucht, dem Alternansprobleme in anderer Weise beizukommen. Er registrierte die Druck- und Volumkurven der Herzkammern am Herz-Lungen- präparate, um auf solche Weise während des Alternans einen Einblick in das Verhalten der ‚‚dynamischen Faktoren‘ Spannung und Länge zu erhalten. Auf Grund seiner Versuchsresultate betrachtet er das Problem als gelöst: ‚‚Alternans tritt dann und nur dann auf, wenn die Frequenz so hoch und der Ablauf der Druckkurve so breit ist, daß der Druck noch nicht ausreichend gesunken ist, wenn der neue normale Kontraktionsreiz einsetzt. Nach den am Froschherzen bekannten Gesetzen fällt die zweite Kontraktion um so kleiner aus, je früher im absteigenden Schenkel der vorangehenden Druckkurve der zweite Reiz eintrifft. Die schwächere Kontraktion des Alternans geht von !) H. Straub, Dynamik des Herzalternans. Deutsches Archiv f. klin. Med. 123. S. 403. 1917. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. + [11 66 R. H. Kahn: höheren Druckwerten aus, steigt weniger steil an, die Anspannungszeit ist dadurch verlängert, das Druckmaximum ist beträchtlich erniedrigt und wird vorzeitig erreicht. Der diastolische Druckabfall erfolgt we- niger steil, trotzdem biegt der Druck früher in eine der Abszisse nahezu parallele Richtung ein. Die Gesamtdauer der schwächeren Kontraktion ist also erheblich verkürzt. — Zu Alternans führen diejenigen Faktoren, die zu einer Verbreiterung der Druckkurve führen. Als solche haben wir kennen gelernt Herzinsuffizienz mit Übertritt der Druckkurven in den zweiten Teil der Kurvenschar, ferner die übermäßig kräftige post- extrasystolische Kontraktion und die Dynamik bei hohem arteriellem Widerstand. Allen diesen Faktoren ist Verbreiterung der Druckkurve mit verspätetem Einbiegen in eine der Abszisse parallele Richtung, d. h. mit verspäteter Erschlaffung, gemeinsam. Alternans tritt unter diesen Einflüssen dann und nur dann auf, wenn die Frequenz so hoch ist, daß der zweite zu rechter Zeit einfallende Reiz so frühzeitig kommt, daß die Erschlaffung noch nicht ausreichend fortgeschritten ist, wenn andererseits der Reiz so spät kommt, daß er nicht in die refraktäre Phase fällt. Je frühzeitiger in dem so umgrenzten Intervall der Reiz wirksam wird, desto kleiner und schwächer wird nach den für die Extra- systole bekannten Gesetzen die zweite Kontraktion ausfallen, desto stärker wird demnach das Alternieren sein.‘ Die Untersuchungen von H. Straub wurden während spontan ein- tretendem oder durch Glyoxylsäure erzeugtem Alternans angestellt. Wie man sieht, basieren seine Anschauungen auf der Verzeichnung der Druckkurven des Herzens. Sie lassen sich auch für die von H. Straub mitgeteilten Fälle von experimentellem Alternans gut verteidigen. Es scheint mir aber, als ob ihnen doch nicht allgemeine Gültigkeit zu- käme, da in vielen Fällen von experimentellem Alternans die Befunde von H. Straub nicht zutreffen. Ich selbst habe ziemlich ausgedehnte Erfahrungen über den Glyoxylsäure-Alternans. Seit jeher bin ich gleich Straub der Meinung gewesen, daß mit der Verzeichnung von. Sus- pensionskurven für die Erklärung dieser Störung des Herzschlages Nichts zu erreichen ist. Ich habe auch nie verstanden, wie Hering!) der Meinung sein konnte, am Säugerherzen mit solcher Methode eine partielle Asystolie des Kammermuskels nachweisen zu können. Denn für diese Methode gelten hier nicht nur die von Straub gerügten Übelstände, welche ich übrigens ebenfalls schon seinerzeit hervorgehoben habe?). Sondern man wird es sich überhaupt schwer vorstellen können, !) H. E. Hering, Das Wesen des Herzalternans. Münch. med. Wochenschr. 1908, Nr. 27. — Siehe auch: P. Spiess und E. Magnus-Alsleben, Über den Herzalternans. Zeitschr. f. exper. Pathol. 9. 1911. (S. 8 d. Sep.-Abdr.) ®?) R.H. Kahn, Zeitmessende Versuche am Elektrokardiogramme. Archiv f. d. ges. Physiol. 132. S. 209. 1910. — Siehe auch: F. Kraus und G. Nicolai, Das Elektrokardiogramm. Leipzig 1910. S. 166. Zum Problem des Herzalternans. 67 daß eine solche periodisch auftretende Asystolie einzelner Teile der Herzmuskelfasern gleich gewisse grob anatomisch bestimmbare Par- tien der Herzwand betreffe, so daß bestimmte suspendierte Teile der Kammern asystolisch sich verhielten, während andere tätig wären. So grob dachte sich wohl auch Hering seine partielle Asystolie nicht. Allerdings gibt er an, dieselbe durch seine Kurven bestätigt zu haben. Leider sind dieselben meines Wissens nicht veröffentlicht worden. Eine partielle Asystolie am Säugerherzen ließe sich wohl nur so verstehen, daß die Erregung nicht alle Elemente des ganzen Muskelgefüges er- greift. Nur ein Teil von ihnen, aber dieser mehr oder weniger gleich- mäßig über den ganzen Kammermuskel verteilt, würde in Tätigkeit geraten, ein anderer wieder, ebenso gleichmäßig verteilt, würde ruhen. Eine solche teilweise Untätigkeit von Muskelelementen läßt sich ver- muten, aber mit keiner der uns heute zur Verfügung stehenden Methoden beweisen. Am Froschherzen allerdings, an welchem sich zahlreiche Forscher bemüht haben, dem Alternansproblem beizukommen, gibt es grobe Asystolien größerer Kammerpartien. Darauf ist schon des öfteren hingewiesen worden, zuletzt meines Wissens von de Boert). Man be- merkt an diesem Objekte nicht selten, namentlich nach Vergiftungen (Chloroform, Adrenalin usw.) Asystolien ganzer Kammerteile, namentlich der spitzenwärts gelegenen. Ein sich so kontrahierendes Froschherz sieht manchmal aus wie eine Wurst, mit einer Art Einschnürung zwischen mittlerem und unterem Drittel, was besonders gut zu sehen ist, wenn das ausgeschnittene Herz (etwa nach der Straubschen Methode) auf- . gehängt wird. Solche Erscheinungen können mit und ohne Alternans vorhanden sein. Aber am Froschherzen sieht man überhaupt häufig als Folgen von Vergiftungen usw. die merkwürdigsten Dinge im Zu- sammenhange mit eigentümlichen ganz unübersichtlichen elektrischen Phänomenen, mehrzeitige Partialkontraktionen, Nebensystolen, wellen- förmigen Systolenablauf. Man sehe sich die von Seemann?) veröffent- lichten Versuche an. Solche Dinge lassen sich wohl nicht auf das Säuger- herz übertragen. Vor allem ist bei diesem mit Suspensionskurven kaum etwas zu erreichen. Schon vor Jahren habe ich?) daher die Verzeichnung des Kammer- druckes während des Alternans für überaus wichtig gehalten und solche Kurven auch veröffentlicht. Dieselben sind H. Straub entgangen, vermutlich, weil sie unter einem ganz anderen Titel veröffentlicht wur- !) S. de Boer, K. Akad. v. Wetenschappen te Amsterdam. 1915 und 1916. Proceedings 18. Speziell: Alternance du c@ur. Arch. Neerland. de Physiol. de ’homme ete. 1. p. 27. 1916. ?) J. Seemann, Ekg-Studien am Froschherzen. Zeitschr. f. Biol. 59. S. 53. 1912. ®2) R.H. Kahn, Studien am Phonokardiogramme. Archiv f. d. ges. Physiol. 140. S. 471. 1911. H* 68 R. H. Kahn: den. Es handelte sich nämlich um Herztonregistrierung beim Hunde, zu deren Ergänzung auch Kurven des intrakardialen Druckes vorge- führt wurden. Was den durch Glyoxylsäure hervorgerufenen Alternans anlangt, so veröffentlichte ich damals folgende für uns wesentliche Be- funde. Der I. Herzton des sogenannten großen Herzschlages im Alter- nans dauert kürzere Zeit an, als die I. Töne der Herzschläge vor Ein- treten der Herzstörung. Dagegen dauert der I. Herzton in beiden Schlägen des Alternans gleich lange Zeit. Die zeitliche Distanz zwischen dem Beginne der beiden Herztöne zeigt sich während des Alternans größer als vor demselben, aber sie ist zur Zeit der großen Herzschläge eine andere, als zur Zeit der kleinen. Im letzteren Falle ist sie erheblich kürzer, d. h. beim kleinen Herzschlage ist der II. Ton verfrüht. Es dauert also die Systole der Kammer beim großen Herzschlage länger als beim kleinen. Endlich zeigt sich die Zeit zwischen dem Beginne des I. Tones und dem Beginne des Druckanstieges in der Carotis beim kleinen Herzschlage regelmäßig größer als beim großen. Zur Illustration dieser Verhältnisse habe ich vier Kurven des intra- ventrikulären Druckes (linke Kammer) vorgelegt, welche völlig mit den Ergebnissen der Herztonregistrierung übereinstimmten. Es zeigten sich als wesentliche Erscheinungen während des Alternans: die Ver- längerung der Systolendauer gegenüber der vor der Erzeugung der Herzstörung, ferner die regelmäßige Verlängerung der Anspannungszeit beim kleinen Herzschlage, das langsamere Ansteigen seines Kammer- druckes, die Verkürzung seiner Austreibungszeit. Dabei unterschieden sich die erreichten Druckwerte bei den beiden Alternansschlägen, falls es sich nicht um sehr hochgradige Herzstörung handelte, gar nicht voneinander, sondern die Unterschiede lagen nur in den eben erwähnten Besonderheiten. In Fällen von hochgradigem Alternans aber war der beim kleinen Herzschlage erreichte Druckwert viel geringer. Es war wirklich ein großer und ein kleiner Schlag vorhanden. Es zeigte sich nun regelmäßig die Erscheinung, daß nach dem kleinen Herzschlage ein be- sonders hoher Restdruck übrig blieb. Man sieht also, daß dort Vieles der Befunde von H. Straub schon mitgeteilt ist.. Die Druckkurven während des Alternans sind breiter, die Druckwerte geringer, der Verlauf ein etwas anderer als vor Er- zeugung der Herzstörung. Straub nennt das mit Frank den Über- tritt in den zweiten Teil der Kurvenschar. Nur war die Schlagfrequenz in meinen Fällen von Glyoxylsäurealternans immer eine recht niedrige, 140—160 Schläge pro Minute. Aber andere wichtige Feststellungen, welche H. Straub später an seinen Kurven gemacht hat, treffen hier nicht zu. Um das besser zu illustrieren, setze ich hier andere Kurven von Glyoxylsäurealternans Zum Problem des Herzalternans. 69 aus meiner Sammlung ein, welche in mehrfacher Hinsicht von Interesse sind. | Abb. 1 zeigt den Verlauf der Herz- und Pulsschläge bei einem Hunde, bei welchem ein durch Glyoxylsäure erzeugter Alternans seit etwa 15 Minuten wieder verschwunden war. Die obere Kurve weist in den vier ersten Herzschlägen das Verhalten des Druckes in der linken Herzkam- mer auf, verzeichnet mit dem Blutwellenschreiber von Gad. Die Druck- schwankungen sind träger und niedriger, als sie seinerzeit vor der Er- zeugung des Alternans waren, die Vorhofzacke ist gut ausgesprochen. Die untere Kurvenlinie verzeichnet, ebenfalls von einem Gadschen Blutwellenschreiber herrührend, den Ablauf der Druckschwankungen in der Carotis. In der Mitte ist die Zeit in 0,2 Sekunden notiert. Die Frequenz der Herzschläge beträgt 135 in der Minute. Der 5. Herzschlag Abb. 1. der Kurve ist eine Extrasystole (*). Er ist vorzeitig und von einer post- extrasystolischen Pause gefolgt. Von da an trat der Alternans wieder auf. Man sieht ‚große‘ und „‚kleine‘‘ Herzschläge miteinander abwech- seln. Die erreichte Druckhöhe ist nur sehr wenig verschieden, der Unterschied beträgt nach der Eichungskurve kaum 10 mm Hg. Der Pulsalternans ist sehr deutlich ausgesprochen. Bei Berücksichtigung der in der Kurve verzeichneten Differenz der beiden Hebelspitzen er- kennt man sofort die Verlängerung der Anspannungszeit beim kleinen Herzschlage, ferner die Verkürzung seiner Austreibungszeit. Weiter ist die Erschlaffung des Herzmuskels am Ende der Diastole beim klei- nen Herzschlage eine geringgradigere als beim großen. Es bleibt em höherer Restdruck übrig. Indessen ist nach jedem Herzschlage eine genügend lange Pause vorhanden, während welcher die Füllung der Kammer unterstützt durch eine wirksame Vorhofssystole vor sich geht. Deren Druckzacke ist vor jedem Herzschlage sichtbar. In diesem Falle kann wohl keine Rede davon sein, daß die Voraur- 70 R. H. Kahn: setzungen von H. Straub für die Genese des Alternans zutreffen. Weder ist die Frequenz so hoch noch sind die Verhältnisse der Diastole so beschaffen, daß der Leitungsreiz den Kammermuskel bei der kleinen Kontraktion vor Beendigung seiner Erschlaffung antreffen könnte. Im Gegenteil beginnt hier die zweite, kleine Kontraktion auf einem tieferen Niveau, hingegen setzt sich die größere Kontraktion auf einen, wenn auch kleinen „Restdruck‘, infolge geringerer Erschlaffung nach dem kleinen Herzschlage gleichsam darauf. Das ist das grade Gegenteil der von H. Straub an seinen Kürven geschilderten Verhältnisse. Wenn auch zugegeben werden muß, daß in unserem Falle dieser Rest- druck sehr klein ist, so wird er doch gelegentlich weit größer. Hierfür bietet die von mir seinerzeit (a.a. ©.) veröffentlichte Kurve, Abb. 4, ein gutes Beispiel, bei welcher der große Herzschlag bei einem sehr stattlichen intrakardialen Drucke beginnt, der durch unvollständige Erschlaffung nach dem kleinen Herzschlage verblieben ist. Es fehlt also in diesem Falle der springende Punkt der Erklärung für die Genese des Alternans nach H. Straub. Übrigens wird man bei Betrachtung seiner Kurven gewiß finden, daß die „Restdrucke‘‘ nach den großen Herzschlägen in seinen Kurven doch recht gering sind. Bei Besprechung seiner Abb. 1 betont Straub, die schwächere Kontraktion gehe von höherem Druckwerte aus als die stärkere. Es habe also der rechtzeitig eintreffende Kontraktionsreiz deshalb eine schwächere Kontraktion zur Folge, weil von der vorhergehenden Zu- sammenziehung noch ein beträchtlicher Kontraktionsrückstand vor- handen sei. Betrachtet man aber die Kurve genau, so findet man den Druckunterschied ganz unbedeutend. Er beträgt höchstens 4 mm Hg. In Abb. 6 und 7 ist er noch kleiner, in anderen Fällen allerdings größer. Aber gerade das ist der Punkt, auf dem die ganze Erklärung des Alter- nans von Straub ruht. Sie mag für seine Beispiele zutreffen, für unsere Abb. 1 ist das wohl nicht der Fall. Übrigens ist gerade in dem von Straub mitgeteilten Falle von Glyoxylsäurealternans (Abb. 8) der Restdruck sehr gering. Wir betrachten nun ein anderes Kurvenbeispiel, diesmal von hoch- sradigem Alternans beim Hunde nach Glyoxylsäurevergiftung. Abb. 2. Der Alternans ist zur Zeit der Registrierung der Kurve so hoch- sradig geworden, daß Pulshalbierung eingetreten ist. Jeder zweite Herzschlag ist erfolglos. Die Schlagfrequenz beträgt 157 in der Minute. Jeder zweite Herzschlag hat überaus niedrigen Druckwert, der Druck- anstieg ist sehr verzögert. Auch hier ist die Erschlaffung gerade nach den kleinen Herzschlägen unvollkommen, so daß der große Herzschlag von einem etwas höheren Druckwerte aus beginnt. Dagegen ist die Er- schlaffung des Muskels nach dem großen Herzschlage offenbar ebenso wiein unserem Beispiel Abb. 1 vollkommen. Man kann doch nicht sagen, Zum Problem des Herzalternans. 71 der Leitungsreiz, der den kleinen Schlag auslöst, treffe zu einer Zeit ein, zu der der Herzmuskel nach dem großen Schlage noch einen Kontrak- tionsrückstand aufwiese. Also auch für diesen Fall gilt die Erklärung der Genese nach H. Straub keineswegs. Diese Beispiele könnte ich noch beliebig vermehren. Es genüge, noch einen interessanten Fall in Abb. 3 vorzuführen. Es handelt sich um einen Hund, bei welchem eben der Übergang vom Stadium der Pulshalbierung zum Auftreten des Pulsalternans zu beobachten ist. Der Abb. 2. Abb. 3. Glyoxylsäurealternans verläuft nämlich namentlich am Hunde, wie ich!) es schon seinerzeit beschrieben habe, in der Regel derart, daß er plötzlich auftritt, im Verlaufe einiger Zeit an Stärke allmählich zunimmt, dann in Pulshalbierung übergeht, um schließlich langsam an Stärke abnehmend, allmählich zu verschwinden. Er tritt dann gelegentlich einer Extrasystole oder bei neuerlicher Glyoxylsäureinfusion leicht wieder auf. Solche Übergänge sind also gut zu beobachten. Man sieht, in Abb. 3 wiederum das Abwechseln kleiner und großer Herzschläge, die !) R.H. Kahn und E. Starkenstein, Die Störungen der Herztätigkeit durch Glyoxylsäure ete. Archiv f. d. ges. Physiol. 133. S. 579. 1910. 70) R. H. Kahn: Verlängerung der Anspannungszeit und den trägeren Verlauf beim kleinen Schlage. Auch die volständigere Erschlaffung nach dem großen Schlage ist deutlich zu sehen. Im Laufe des Geschehens nun nimmt der kleinere Herzschlag an ‚‚Güte‘‘ immer mehr zu, ohne daß man, wie ich glaube, aus den Verhältnissen der Kurve einen Grund für diese Erschei- nung herauslesen könnte. Jedenfalls geht die schwächere Kontraktion nicht von einem höheren Druckwerte aus als die stärkere, und es ist auch zu Beginn derselben kein Kontraktionsrückstand mehr vorhanden. Auch hier trifft die Erklärung von H. Straub nicht zu. Nun wäre noch auf manche in der Literatur vorgelegte Alternans- kurve zu verweisen, welche den Annahmen von Straub kaum ent- spricht. Eine davon sei noch besonders hervorgehoben. Spieß und Magnus-Alsleben!) haben den Alternans am Langendorff- herzen durch Glyoxylsäure hervorgerufen und die Herztätigkeit durch Suspension registriert. Sie veröffentlichen unter anderem eine Alter- nanskurve von der Herzkammer bei Kammerautomatie nach Bündel- durchschneidung. Die Schlagfrequenz ist sehr gering, die Pausen zwi- schen den einzelnen Herzschlägen sehr groß, der Alternans sehr ausge- sprochen. Soll für einen derartigen Fall die Erklärung von H. Straub auch gelten ? Aus unseren Erörterungen geht wohl hervor, daß die Verallgemei- nerung, welche H. Straub aus seinen Versuchen gezogen hat, nicht zu Recht bestehen kann. Es soll gewiß nicht in Abrede gestellt werden, daß die interessante Vermutung, das hypodyname Verhalten des kleinen Alternansschlages sei mit den Ereignissen bei einer supraventriku- lären Extrasystole in Parallele zu stellen, manchmal zutreffen kann. Aber es ist wohl zu weitgehend, zu behaupten, daß in solchen Verhält- nissen allgemein die Genese des Alternans zu suchen wäre. Denn in vielen Fällen lassen sich dieselben gar nicht auffinden. Das Alternansproblem ist durch die Untersuchungen von H. Straub nicht gelöst worden. Aber diese enthalten sicherlich, wie ja Straub hervorhebt, eine wichtige Erkenntnis, die übrigens auch aus einer Reihe von Veröffentlichungen aus früherer Zeit hervorgeht. Das Phä- nomen des experimentellen Alternans besteht nämlich nicht etwa darin, daß jeder zweite Herzschlag abnorm verläuft, sondern, es zeigen sämt- liche Herzschläge ein vom normalen Verhalten abweichendes Ge- schehen. Das heißt, auch der ‚große‘ Herzschlag des Alternans ist abnorm. Das ergibt sich zunächst aus dem Studium des Elektrokardiogramms. Ich?) habe schon seinerzeit darauf aufmerksam gemacht, daß sich die 1) a.a. 0. 8.6 .d. Sep.-Abdr., Taf. VII Kurve 4. ®?)R. H. Kahn, Das Elektrokardiogramm. Ergebnisse d. Physiol. 14. S. 164. 1914. Zum Problem des Herzalternans. 73 Elektrokardiogramme der im experimentellen Alternans schlagenden Herzen, auch dann, wenn die aufeinanderfolgenden Herzschläge keine besonderen elektrischen Unterschiede aufweisen, doch von jenen, welche vor der Erzeugung der Herzstörung zu beobachten waren, regelmäßig unterscheiden. Diese Unterschiede erstrecken sich hauptsächlich auf die Höhe der Nachschwankung, welche im ersteren Falle sehr häufig bedeutender ist als im letzteren. Aber auch die ganze sonstige Konfi- guration des Elektrokardiogramms weist oft sehr erhebliche Unterschiede auf. Von diesen Dingen kann man sich z. B. leicht in den von mir und Starkensteint) veröffentlichten Kurven überzeugen. Weiter weist das Verhalten der Herztöne auf den gleichen Punkt hin. Wie schon oben erwähnt wurde, konnte ich feststellen, daß sich die Dauer des 1. und das zeitliche Verhältnis der beiden Herztöne beider Herzschläge mit dem Eintreten des Glyoxylsäurealternans gesetzmäßig ändert. Bei herabgesetzter Schlagfrequenz dauert der 1. Herzton des großen wie des kleinen Herzschlages bedeutend kürzere Zeit, als vor der Erzeugung des Alternans. Diese Verkürzung der l. Herztöne wächst mit dem Grade der Differenz in der Wirksamkeit der beiden Schläge. Dabei zeigen aber die 1. Töne des großen und des kleinen Pulses im Alternans keine regelmäßigen Unterschiede. Ferner zeigt sich die Di- stanz des Beginnes der beiden Herztöne während des Alternans größer als vorher. Die Systole ist also verlängert. Und zwar betrifft dies in besonders ausgesprochener Weise den großen Herzschlag. Beim kleinen tritt diese Erscheinung mehr zurück, ja, es kann sogar bei höherem Grade der Störung zu einer kleineren Distanz des Beginnes der beiden Töne kommen, als vorher. Das liegt an der oben erwähnten bedeutenden Verfrühung des 2. Tones beim kleinen Herzschlage. Auch aus den eben erörterten Tatsachen geht also hervor, daß der große Herzschlag des Alternans abnorm verläuft. Endlich zeigen die Kurven des intrakardialen Druckes, daß der große Herzschlag des Alternans von der Norm abweicht. Der breite, man möchte sagen plumpe Verlauf der Druckkurve, welcher sowohl in meinen als auch in den Kurven von H. Straub zu sehen ist, zeigt an, daß das systolische Geschehen gegenüber demjenigen vor Erzeugung der Herzstörung ein geändertes sein muß. Und zwar ist diese Erschei- nung auch schon bei leichtem Grade des Alternans, bei relativ geringer Schlagfrequenz und niedrigem Blutdrucke völlig ausgesprochen. Alle diese Erscheinungen weisen, wie ich glaube, darauf hin, daß die den Alternans bewirkende Ursache, in unserem Falle die Glyoxyl- säure den Herzmuskel derart verändert, daß der Verlauf aller Systolen der Kammer vom normalen Geschehen abweicht. Das betrifft nicht nur jeden zweiten, sondern alle Herzschläge, also auch die sogenannten großen, 1) a.a O. Abb. 5, 7, 9, 11, 16 und 17. 74 R. He: Kahn: deren abnormes Verhalten übrigens auch schon von früheren Unter- suchern auf Grund der Resultate andersartiger Verzeichnung vermutet worden ist. H. Straub stellt in Abb. 8 seiner Arbeit dem großen Herz- schlage des Alternans (Glyoxylsäure beim Kaninchen) ein Diagramm der Druckkurve vor der Herzstörung gegenüber. Hier sind, soweit man das beurteilen kann, die Unterschiede zwar deutlich aber nicht besonders groß. Straub schreibt der Glyoxylsäure daraufhin eine kontraktionsfördernde Wirkung zu. Endlich sei bemerkt, daß die erwähnten Unterschiede des elektrischen und mechanischen Verhaltens der Herzschläge sowie der Herztöne vor und nach Erzeugung des Alternans offenbar von den äußeren Arbeits- bedingungen des Herzens in weitgehendem Maße unabhängig sind. Sie sind prinzipiell bei den verschiedensten Kreislaufverhältnissen immer wieder anzutreffen. Es besteht also der Herzalternans offenbar in einer Contractilitäts- störung (eventuell auch teilweiser Leitungsstörung, Kaufmann und Rothbergert!) des Herzmuskels, welche sich während aller Systolen geltend macht. Dabei tritt bei jedem zweiten Herzschlage eine besonders geringe Leistungsfähigkeit in Erscheinung. Und dies geschieht nicht etwa bloß in solchen Fällen, in denen wie bei H. Straub die Frequenz so hoch und der Ablauf der Druckkurve so breit ist, daß der Druck noch nicht ausreichend gesunken ist, wenn der neue normale Kontrak- tionsreiz einsetzt. Denn solche Erscheinungen treffen für viele Fälle von Alternans gar nicht zu, wenn sie auch in anderen sicher vorhanden sein mögen. Ich meine vielmehr, daß der während der Herzstörung dauernd vorhandene abnorme Zustand des Herzmuskels den Grund dafür abgibt, daß nach vollzogener Systole für einige Zeit Oon- tractilität und vielleicht auch Leitfähigkeit (eventuell beide) von der Norm abweichen. Dadurch wird vorübergehend die Leistungsfähigkeit des Herzmuskels herabgesetzt, so daß der nächste Leitungsreiz nur einen verminderten Effekt für die intrakardiale Druckerhöhung und damit für die zirkulatorische Leistung zur Folge hat. Hiezu ist es aber gar nicht unerläßlich, daß, wieStraub meint, nach der ersten Systole ein Rest übrigbleiben muß, der noch besteht, wenn der zweite Reiz einfällt. Wohl geht auch die erste ‚‚große‘“ Systole von abnormem Zu- stande des Herzmuskels aus. Aber unsere Alternanskurven zeigen ebenso wie die Tatsache des Vorkommens dieser Herzstörung an der langsam auto- matisch schlagenden Kammer, daß solche Bedingungen nicht allgemein zuzutreffen brauchen. Vielmehr liegt die Ursache des Alternierens in dem dauernd vorhandenen abnormen Zustande des Herzmuskels. In !) R. Kaufmann und C. J. Rothberger, Experimentelle Untersuchungen über die Inäqualität des Pulses bei Arrhythmia perpetua. Zeitschr. f. exp. Pathol. 19:5CH. 2.2.1917. Zum Problem des Herzalternans. 75 diesem abnormen Zustande laufen nun sämtliche Systolen anders ab, 'als vor Eintritt der Herzschlagstörung. Nach Vergiftungen, namentlich nach Glyoxylsäure ist die Entwicklung und Andauer dieses Zustandes im Elektrokardiogramm ebenso wie in der Kammerdruckkurve gut zu verfolgen. Noch vor Eintreten des Alternans und auch nach Verschwin- den desselben unterscheiden sich die elektrischen und mechanischen Kurven aller Systolen von jenen vor der Vergiftung. ;Die Elektrokardio- gramme bleiben typisch, aber sie zeigen eine geänderte Konfiguration, welche sich meistens auf die Veränderung der relativen Zackenhöhen, öfters auch der absoluten bezieht. Die Druckkurven zeigen eine Ver- längerung der Anspannungszeit und eine stets auffallende Verbreiterung. Über das Wesen dieser Veränderung des Systolenablaufes wissen wir nichts, denn unsere Kurven sagen nichts darüber aus. Nun tritt meist recht unvermittelt, der Alternans auf. Jede zweite Systole zeigt geringere Wirksamkeit und die oben beschriebenen Veränderungen der mecha- nischen und elektrischen Erscheinung. Dabei ändert sich das Kurven- bild der vorhergehenden ‚‚großen‘ Systole nicht mehr. Es unterscheiden sich also zwei aufeinanderfolgende Herzkammerschläge voneinander, alle aber von den vor der Herzschlagstörung vorhandenen. Wie man sieht, stellen die von H. Straub erörterten Verhältnisse einen Spezialfall unserer Anschauungen dar. Denn bei genügend hoher Frequenz und ausreichender Verbreiterung der Systole kann gewiß der Fall eintreten, daß der neue Reiz den Herzmuskel zu einer Zeit antrifft, zu welcher noch Residuen der vollzogenen Systole vorhanden sind. Das ist aber keine notwendige Vorbedingung für den besonderen Ver- lauf der neuen Systole. Die letzte Ursache liest vielmehr in dem dauernd herrschenden abnormen Zustande des Muskels bei ‚insuffizientem‘ Herzen oder nach Vergiftungen. In einem gewissen Gegensatze hierzu scheinen mir die von H. Straub vorgeführten Fälle von rasch vorübergehender alternierender Herz- tätigkeit bei sehr hoher Frequenz, übermäßiger Erhöhung des arteriellen Widerstandes, abnorm hohem arteriellem Drucke zu stehen. Hier handelt es sich unter ganz extremen Verhältnissen vermutlich wirklich darum, daß die zweite Systole kleiner ausfällt, weil die erste zur Zeit des Anlan- gens der neuen Erregung noch nicht ganz beendigt ist. Das ist ein Analogon zum Zustandekommen der minder wirksamen supraventri- kulär entstehenden FExtrasystole. Übrigens ist auch hier eine kurz- dauernde Schädigung des Herzmuskels durch die extremen Verhältnisse nicht auszuschließen. Das könnte durch geeignet angestellte Versuche klargestellt werden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß auch aus den von uns eben vorgetragenen Anschauungen sich die von H. Straub zusammenge- stellten Erfahrungstatsachen über den Alternans sehr gut erklären lassen, 76 R. H. Kahn: wie mir scheint, noch weitgehender als aus den enger gefaßten Anschau- ungen von Straub. Hier seien nur folgende drei Punkte besonders hervorgehoben. Das klinische Vorkommen von Alternans ist stets ein Zeichen hochgradiger Herzschwäche. Hierbei sind sicherlich alle Herz- schläge abnorme. Es handelt sich also um einen dauernden ‚‚Schwäche- zustand‘‘ des Herzmuskels, welcher sowohl die großen als die kleinen Systolen betrifft. Weiter wurden im Experimente und klinisch während des Alternans gelegentlich auch zwei kleine aufeinanderfolgende Herz- schläge beobachtet. Auch das spricht für einen dauernd abnormen Zustand des Herzmuskels und nicht für die regelmäßige Abhängigkeit des Entstehens der kleinen Systole von den Endverhältnissen der großen. Endlich weist darauf auch die beobachtete Tatsache hin, daß zwei große Systolen dann aufeinanderfolgen können, wenn aus unbekanntem Grunde gelegentlich eine längere Pause in der Entstehung der Ursprungsreize eintritt. Eine ganz andere Frage ist nun die, welches denn das Wesen des abnormen Verlaufes der Herzschläge im Alternans ist. Das ist ein heute völlig ungeklärter Punkt. Diese Frage, welche vollkommen von der vorher erörterten nach den Bedingungen für die Entstehung des Alter- nans zu trennen ist, läßt sich vor allem mit Methoden, welche nicht in das Wesen des Erregungsablaufes der einzelnen Systolen hineinleuchten, keineswegs beantworten. Hier nützt nichts die Suspensionsverzeichnung des Kammerschlages, auch nichts die Verzeichnung des intrakardialen Druckes. Denn diese Methoden kommen über die äußerliche Beschrei- bung des Geschehens bei der Systole nicht hinaus. Auch ist das Geschehen während der Alternanssystolen keineswegs mit jenem in Parallele zu setzen, welches sich bei den Methoden der ‚Alternans“-Erzeugung durch künstliche Kammerreizung ergibt. Derartige Pseudoalternantes sind ja nichts anderes als eine Art künstlich hervorgerufener Kammer- bigeminien. Und hier wissen wir von dem Wesen des kleinen Herzschla- ges, daß er sich auf ganz anderen Wegen vollzieht als beim Alternans. Das lehrt ja das Elektrokardiogramm. Aber für die Alternansherzschläge hat uns vorläufig diese sonst so brauchbare Methode im Stiche gelassen. Über die Bedeutung von Unterschieden in der Zackenhöhe und Zackenfor- mung typischer Elektrokardiogramme wissen wir nichts. Der Weg, den Hering!) seinerzeit zur Erklärung des Wesens der Alternansschläge im Elektrokardiogramme einzuschlagen versucht hat, hat sich nicht als gangbar erwiesen. Auch die Ohnmächtigkeit der supraventrikulär ausgelösten Extra- systole drückt sich im Elektrokardiogramm in der Regel nicht so aus, daß man über das Geschehen bei, diesem abnormen Herzschlage irgend !) H. E. Hering, Experimentelle Studien an Säugetieren über das Elektro- kardiogramm. II. Zeitschr. f. exper. Pathol. %. 2. 1909. Zum Problem des Herzalternans. erker! etwas Bestimmtes aussagen könnte. Da sind noch die Erscheinungen bei den Alternansschlägen prägnanter. Kaufmann und Rothberger!) neigen der Ansicht zu, es be- stünden während des Alternans oft Störungen der Reizleitung in dem Sinne, daß es sich um isolierte Schädigungen im Reizleitungssystem handeln könnte. Solche könnten das Verhalten des Elektrokardiogramms bei Alternansherzschlägen wohl erklären. Indessen sind die Autoren selbst der Ansicht, daß man den Alternans nicht allgemein auf Lei- tungsstörungen zurückführen könne. Der abnorme Zustand des Herzmuskels, welcher andauernd vorhanden ist und gelegentlich zum ÖOhnmächtigwerden jedes zweiten Kammer- schlages führt, könnte bewirken, daß nur ein Teil der Elemente des Herzmuskels auf dem normalen Wege und zur normalen Zeit von der Erregung ergriffen wird. Es würde also gleichsam eine Störung in der Koordination der Tätigkeit der Muskelelemente vorliegen. Die Ursache könnte eine Leitungsstörung seilt. Dann würde also zur Zeit des Manifest- werdens des Alternans diese Leitungsstörung nach jedem zweiten Leitungsreize, etwa als Verlängerung der Leitungszeit zunehmen. Solche alternierende Zunahme der Reizleitungszeit ist bekannt. Es haben z. B. Lewis und Mathison?) einen solchen Fall bei der Katze beschrieben. Die Ursache könnte aber auch in anderen Momenten ge- legen sein. Gewisse Muskelelemente könnten nur mit vergrößerter Latenz ansprechen, oder es könnte ein Teil von ihnen gar nicht zur Tätigkeit gelangen (Asystolie). Mir scheint die Vorstellung einer Änderung der normalen Leitungs- und Auslösungszeit und damit einer Störung des normalen Zusammenarbeitens der Herzmuskelelemente ansprechender zu sein, als die Annahme eines Ausfalles der Tätigkeit einzelner derselben. Jedenfalls sind das alles nur Vermutungen. Denn die zur Verfügung stehenden Methoden erlauben vorläufig keine Ent- scheidung über das Wesen dieser Störung der Herztätigkeit. 1) A.a. O. S. 33 d. Sep.-Abdr. ?2) Ph. Lewis and G. C. Mathison, Auriculo-ventricular heart-block as result of asphyxia. Heart 2. p. 47. 1910. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Gießen.) Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. H. Untersuehung des Kaninchen-, Hühner- und Taubenblutes. & Von G. Fritsch, approb. Tierarzt aus Groß-Zimmern (Hessen). (Eingegangen am 5. Januar 1920.) Inhalt., . Einführung (S. 78). . Bisherige Untersuchungen (S. 80). . Neue Untersuchungen (S. 86). a) Methoden (8. 87). b) Resultate (S. 91). Das Blut der Kaninchen (S. 92). Das Blut der Hühner (S. 96). Das Blut der Tauben (S. 99). 4. Zusammenfassung (S. 102). vv 1. Einführung. In diesem Archiv hat P. Kuhl!) die ersten Resultate einer größeren Versuchsreihe mitgeteilt, welche das Blut der Haustiere zum Gegen- stande der Untersuchung hat. Diese Versuche wurden einmal dadurch nahegelest, daß R. Marloff2) die bisherigen Zählungen der Erythro- cyten im Blute verschiedener Tiere teilweise mit großen Fehlern behaftet fand, und daß ferner eine Erweiterung unserer hämatologischen Kennt- nisse auf diesem Gebiete mit Hilfe der neueren Methoden erwünscht schien. Da die Untersuchungen ziemlich mühsam sind, hat sich Kuhl auf drei Tierarten, nämlich Pferde, Rinder und Hunde beschränkt. Zur Ergänzung der Kuhlschen Literaturangaben sei noch auf zwei Arbeiten, die eine von V. Subbotin über den Hämoglobingehalt von Rinder- und Hunde- blut, die andere von J. G. Otto über Erythrocytenzahl und Hämoglobingehalt von Hundeblut hingewiesen. Subbotin®) bzw. J. Forster, der sich an der Unter- suchung beteiligte, fand mit Preyers spektroskopischer Methode kei einem Ochsen 12,1, bei 5 Kälbern 8,4—9,3, im Mittel 8,9 g Hämoglobin in 100 g Blut, 1) P. Kuhl, Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 1. Untersuchung des Pferde-, Rinder- und Hundeblutes. 176, 263. 1919. ?) Archiv f. d. ges. Physiol. 195, 355. 1919. 3) V. Subbotin, Mitteilung über den Einfluß der Nahrung auf den Hämo- globingehalt des Blutes. Zeitschr. f. Biol. %, 187. 1871. G. Fritsch: Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 79 bei Hunden gefüttert und hungernd 9,4—13,8 g, bei zwei 4 Wochen alten, noch säugenden Hunden 3,3 und 3,5 g. Nach den Kuhlschen Erfahrungen, der im Mittel für Rinder 10,8, für Hunde 15,8 g in 100 ccm Blut feststellte, sind die von Subbotin mitgeteilten Werte zu nieder, die verwendete Preyersche Methode dürfte für genauere Bestimmungen auch nicht sehr geeignet sein. Die Arbeit von J. G. Otto!) verdient unsere Aufmerksamkeit insofern besonders, als Otto gleich wie Kuhl die Hämoglobinbestimmung mit Hüfners spektrophotometrischer Methode durchgeführt hat, freilich mit einem jetzt veralteten Apparate. Die Blut- entziehung geschah aus der Leistengegend. Bei 12 männlichen Hunden fand Otto mit der Hayemschen Zählmethode unter Verwendung von 5proz. Glaubersalzlösung als Verdünnungsflüssigkeit (S. 29) Werte, von 4,12—8,98 Mill., im Mittel 6,12 Mill. Erythrocyten und nach Hüfners Methode 12,3— 16,0, im Mittel 14,2 g Hämoglobin in 100 cem Blut, wor- aus sich Werte für den Gehalt eines Erythrocyten an Hämoglobin von 30—18, im Mittel 23-101?” g berechnen lassen. Otto gibt ferner an, daß annähernd eine Proportionalität zwischen der Zahl der Blutkörperchen und dem Farbstoffgehalt des Blutes bestehe; dem widersprechen aber die von Otto mitgeteilten Werte voll- kommen. Zwar ergibt sich, wenn man die Ottosche Erythrocytenzahl nach sin- kenden Werten ordnet, auch eine beständig sinkende Reihe der zugehörigen Farb- stoffwerte des Blutes, aber Proportionalität besteht nicht, denn sonst müßte zur niedersten Erythrocytenzahl von 4,12 Mill. ein Hämoglobingehalt von 7,3 g ge- hören, während er in Wahrheit nach Otto 12,3 g beträgt. Proportionalität ist ferner ganz ausgeschlossen, da sonst nicht der Hämoglobingehalt eines Erythro- cyten zwischen 30 und 18 - 10 "'*g schwanken dürfte, sondern konstant sein müsste. Die Ottoschen Angaben sind also in dieser Hinsicht ungenau. Übereinstimmend mit Otto fand aber Kuhl, daß die Erythrocytenzahl und der Hämoglobingehalt verschiedener Hunde stark schwanken kann, während er bei Pferden und Rindern auffallend konstant ist, im Gegensatz zu Otto aber, daß der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten auch bei verschiedenen Hunden relativ konstant ist. Vermutlich wird die bessere Zählmethode für dieses letztere ab- weichende Resultat verantwortlich zu machen sein; zurzeit der Ottoschen Unter- suchungen waren die Methoden noch nicht genügend ausgearbeitet. Für weibliche Hunde gibt Otto Erythrocytenzahlen von 4,04—7,14, im Mittel 5,80 Mill., unc. 12,1—15,0, im Mittel 13,8 g Hämoglobin an, woraus sich der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten zu 30— 21, im Mittel 24 - 10 "'? g berechnet. Große Unterschiede in bezug auf das Geschlecht bestehen also in Übereinstimmung mit den Angaben von Kuhl nicht, der sogar bei Weibchen recht hohe Werte fand. Weitere Literaturangaben über das Blut der Hunde finden sich in der Otto- schen Arbeit S. 44. Bei einer größeren Reihe von Hunden, 48 an der Zahl, haben noch J. H. Mus- ser und E. B. Krumbhaar?) folgende Blutwerte gefunden: 4,63— 7,76, im Mittel 5,97 Mill. Erythrocyten, 81—110, im Mittel 98%, Hämoglobin nach v. Fleischl, 8,80— 33,05, im Mittel 15,92 Taus. Leukocyten, darunter 10—51, im Mittel 22%, Lymphocyten, 1—17,5, im Mittel 6,8%, Mononucleäre und Übergangsformen, 40 —81, im Mittel 66,7%, Neutrophile, 0—20, im Mittel 5% Eosinophile und selten Mastzellen. Auch diese "/ersuche zeigen eine ziemliche Schwankungsbreite in den Werten des Hundeblutes. Unterdessen ist auch noch eine mit Literaturangaben versehene Arbeit von 1) J. G. Otto, Untersuchungen über die Blutkörperchenzahl und den Hämo- globingehalt des Blutes. Archiv f. d. ges. Physiol. 36, 43. 1885. 2) J. H. Musser und E. B. Krumbhaar, Studies of the blood of normal dogs. Folia haematr!., Archiv 18, 576. 1914. so: (x. Fritsch: Axel Schulzet) erschienen, der neben anderem auch das Blut von 14 gesunden Pferden untersucht hat. Seine Beobachtungen und Resultate stimmen recht gut mit den Kuhlschen überein, des letzteren Werte gebe ich in Klammern wieder. Schulze fand Erythrocyten 6,75 (6,94) Mill., Hämoglobin 11,1 (12,4) g, Leuko- eyten 10,65 (10,30) Taus., Lymphocyten 34 (38) %, Mononucleäre und Übergangs- formen 6 (4) %, Neutrophile 56 (54) %, Eosinophile 3 (4) %, Basophile 0,5 (<1) %, lymphoide Zellen enthielt das Blut nur von 8 Pferden, und zwar etwa 0,4%. Wie K.uhl (a. a. O., S. 271), so fielauch Sch ulze die Trennung zwischen großen Lympho- cyten und Monocyten oft sehr schwer. Das spezifische Gewicht des Blutes wurde zu 1042—1054, im Mittel 1045,3 gefunden. Auf Veranlassung von Herrn Professor Bürker habe ich nun die Untersuchungen auf drei weitere Tierarten ausgedehnt, nämlich auf Kaninchen, Hühner und Tauben, von denen je 10 Tiere, und zwar - immer fünf männliche und fünf weibliche eingehend untersucht wurden. Nach den Marloffschen Erfahrungen (a. a. O., S. 369) ist zu er- warten, daß die bisherigen Zählungen der Erythrocyten von Vögeln mit größeren Fehlern behaftet sind als die von Kaninchen, denn wie aus der folgenden Tabelle hervorgeht, ist eben das Senkungsbestreben der Vogelerythrocyten viel größer als das der Kaninchenerythrocyten. Erythrocytenzahl ı Haemo- Hand Fallzeit für | Senkungs- | x u h Unter- \Hahineshalk globingehalt 0.100 hwi Blutart, | 0 Millanae schieq | glebingehalk) "on essfry.. | © 100 mmD) Ieeschwins | in % | ing in N iin Kammer- digkeit in Bürker | Thoma | ° 100 cem Blut, 10-128 höhe in Sek. |1Min.inmm NET EERSeTEergTE MeanETeNg; Dean Kaninchen . . | 5,85 6,35 Oel TON 21 93 0,065 Taube... 2,80 |, 3,792. .35 | 15,2 ‚54 50 0,120 Die Senkungsgeschwindigkeit ist also bei den Taubenerythrocyten fast doppelt so groß als bei den Kaninchenerythrocyten. Der dadurch in die Zählmethode von Thoma eingeführte Fehler wurde bei meinen Untersuchungen vermieden. 2. Bisherige Untersuchungen. Das Blut des Kaninchens, als eines typischen Laboratoriumstieres, ist schon vielfach untersucht worden, viel seltener das der Hühner und Tauben. Bei keiner dieser Untersuchungen wurden aber alle wesentlichen Blutwerte zugleich bestimmt, auch handelt es sich meist bloß um relative, nicht um absolute Hämoglobinbestimmungen. Das Blut der Kaninchen. In der schon erwähnten Arbeit von J. G. Otto wird auf S. 54 als Resultat von Erythrocytenzählungen an zehn männlichen und zehn weiblichen Tieren für erstere 4,19—5,22, im Mittel 4,72 Mill., für letztere 3,14—4,14 im Mittel 3,61 Mill. angegeben. Als Gesamtmittel berechne ich ohne Rücksicht auf das Geschlecht 4,17 Mill. Die Blutentziehung geschah aus der inneren Seite des Ohres, gezählt wurde nach der Methode von Hayem. 1) Axel Schulze, Vom Blute rotzkranker Pferde. - Archiv f. wissensch. u. prakt. Tierheilk. 45, 123. 1919. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 81 Diese Werte sind auffallend nieder und wohl nur dadurch zu erklären, daß die Tiere, wie Otto selbst angibt, unter ungünstigen äußeren Verhältnissen im feuchten Keller untergebracht waren. In der Ottoschen Arbeit werden S. 55 auch noch ältere Versuche von Vierordt, Stölzing, Malassez und Worm - Müller erwähnt, die zu meist höheren Werten geführt haben. Aus Zählungen von C. Klieneberger und W. Carl!) an drei männlichen und drei weiblichen Tieren ergibt sich als Mittelwert für erstere 5,17, für letztere 5,33, als Gesamtmittel 5,25 Mill. Die untersuchten weiblichen Tiere zeigten also durchschnittlich höhere Werte als die männlichen. A. Bittner?) nimmt als mittlere Zahl für Kaninchen 6—7 Mill., als Minimum hat er 3,50, als Maximum 9,0 Mill. beobachtet. Aus seinen mitgeteilten Versuchen an elf zunächst normalen Kaninchen, deren Geschlecht nicht angegeben ist, be- rechne ich Werte®) von 4,23—6,98, im Mittel 5,92 Mill. Über den Ort der Blutent- ziehung und die Methode der Zählung werden keine genaueren Angaben gemacht. Mit der Bürkerschen Methode fand Berneaud?) im Ohrvenenblut sehr gut übereinstimmende Werte bei 3 Monate bis 1 Jahr alten Tieren, und zwar bei fünf Männchen 4,16—4,41, im Mittel 4,26 Mill., bei vier Weibchen 3,80 —4,48, im Mittel 4,19 Mill., Gesamtmittel 4,22 Mill. Sehr bemerkenswert ist noch, daß Berneaud - in verschiedenen Gefäßprovinzen wie in der Ohrvene, Pfortader, Carotis, Art. epigastrica und im Herzen das Blut in bezug auf Erythrocyten, Hämoglobin, Leukocyten und Serumeiweiß gleich zusammengesetzt fand, nur das Milzblut war reicher an Erythrocyten, nicht aber an den anderen Bestandteilen. K. Bürker, R. Ederle und F. Kircher?) erhielten bei drei männlichen Kaninchen von 2,0—2,65 kg Körpergewicht Werte von 5,72, 5,31 und 5,85, im Mittel 5,63 Mill. R. Marloff nach derselben Methode, wie früher erwähnt wurde, 5,85 Mill. So vielfach auch relative Hämoglobinbestimmungen im Kaninchenblut vorgenommen wurden, so selten absolute Bestimmungen. Von älteren Arbeiten sei die schon S. 78 zitierte von V. Subbotin erwähnt, der bei sieben Tieren mit Preyers spektroskopischer Methode 7,1—9,5 g, im Mittel 8,4 g Hämoglobin in 100 g Blut fand. Der S. 79 genannte J. G. Otto stellte bei denselben Tieren, deren Erythrocytenzahlen angegeben wurden, auch den Hämoglobingehalt fest (a. a. O., S. 54), und zwar bei zehn männlichen Tieren Werte von 9,4— 10,8, im Mittel 10,1 g, bei zehn weiblichen 7,9—9,4, im Mittel 8,8 g, als Gesamtmittel also 9,4 g in 100 ccm Blut. Bei seinen vergleichenden Blutanalysen ermittelte E. Abderhalden®) in einem Falle 12,4 g für 100 g Blut. Mit Hilfe von Fisenbestimmungen nach der Neumannschen Methode?) (Säuregemischveraschung und ‚Jodometrie) fand K. Bürker’) in einem Falle 11,4 g Hämoglobin in 100 g Blut. 1) C. Klieneberger und W. Carl, Die Blutmorphologie der Laboratoriums- tiere. S. 34. Verlag von J. A. Barth, Leipzig 1912. ®2) A. Bittner, Hämatologische Untersuchungen an Kaninchen bei experi- menteller Trichinosis, nebst einem Beitrag zur Frage der Milzexstirpation. Folia haematol., Archiv 15, 240, 254 u. f. 1913. ®) Die Werte sind Mittelwerte aus mehreren Einzelversuchen. 4) Berneaud, Über die Beeinflussung des Blutes durch die Brunssche Unterdruckatmung. Folia haematol., Archiv 19, 134 u. f., 144. 1915. 5) K. Bürker, R. Ederle und F. Kircher, Archiv f. d. ges. Physiol. 16%, 152. 1917. 6) Abderhalden, Zur quantitativen vergleichenden Analyse des Blutes. Zeitschr. f. physiol. Chemie %5, 107. 1898. ?) Archiv f. d. ges. Physiol. 105, 530. 1904. Pflügers Archiv £. d. ges. Physiol. Bd. 181. ö 6 82 @G. Fritsch: C. Klieneberger und W. Carl geben für die schon erwähnten drei männlichen Tiere als Mittelwert 52, für die drei weiblichen 49, als Gesamtmittel 50,5% nach Sahlian (a. a. O., S. 34), das wären nach der Bürkerschen Eichung des Apparates) 8,7g. Zu den 8. 81 genannten Bittnerschen Erythrocytenzahlen berechne ich als zugehörige Hämoglobinwerte 60—95, im Mittel 79% nach Sahli oder 13,7 g in 100 ecm Blut. Berneaud hat neben den schon S. 81 erwähnten Erythrocytenzählungen auch Hämoglobinbestimmungen mit dem Autenrieth - Königsbergerschen Kolori- meter vorgenommen und bei den fünf männlichen Tieren im Mittel 68, bei den vier weiblichen 70, als Gesamtmittel 69% gefunden; bei weiblichen Tieren also höhere Werte als bei männlichen. Leider ist der Apparat nicht auf absolute Hämoglobin- werte geeicht. ’ Die 8.81 angeführten, von Bürker, Ederle und Kircher nach Hüfners 'spektrophotometrischer Methode untersuchten drei männlichen Kaninchen wiesen Hämoglobinwerte von 13,3, 12,5 und 12,6, im Mittel 12,8 g auf, ein weiteres Tier, dessen Geschlecht nicht angegeben ist, 12,5 g. Nach derselben Methode fand Marloff (a. a. O., S. 364) 12,1 g. Über den mittlerenabsoluten HämoglobingehalteinesKaninchen- erythrocyten liegen besondere Untersuchungen nicht vor. Aus den Ottoschen ° Werten berechne ich für die männlichen Tiere 21, für die weiblichen 24, als Gesamt- mittel 23-10”'”g, aus den von Klieneberger und Carl mitgeteilten für Männ- chen 17, für Weibchen 16, als Gesamtmittel 17, aus den Bittnerschen 23-10 "'?g insgesamt, wobei Voraussetzung ist, daß die Vergleichslösung des Sahlischen Hämometers auch in der Tat 17,3 g Hämoglobin entsprach. Die Berneaudschen Zahlen lassen sich nicht verwerten. Bürker, Ederle und Kircher erhielten bei den drei genannten Tieren Werte von 23,2, 23,5 und 21,5 im Mittel 22,710"? g. Bei der chromoanalytischen morphologischen Untersuchung der Kaninchenerythrocyten wird deren starke Polychromatophilie in der Literatur vielfach erwähnt. Über Leukocytenzählungen und Differenzierungen im Kaninchen- blut liegt eine größere Zahl von Arbeiten vor. Die Literatur ist schon öfters zu- sammengestellt worden, die erreichbaren, von 32 Autoren gesammelten Daten hat Bittner in seiner schon öfters zitierten Arbeit S. 249 übersichtlich zu einer Tabelle vereinigt. Daraus geht hervor, daß die Gesamtleukocytenzahl ohne Rücksicht auf das Geschlecht im Mittel 9,27 Taus. betragen müßte, niederster Wert 3,80, höchster 13,10 Taus. Bei den drei männlichen Tieren fanden Klieneberger und Carl (a. a. O., S. 34) im Mittel 7,17, bei den drei weiblichen 9,13, Gesamt- mittel 8,15 Taus. In besonderen Versuchen war eine Verdauungsleukocytose nicht nachweisbar. Aus den Versuchen von Bittner an zehn Tieren, deren Geschlecht nicht an- gegeben ist, berechne ich als Mittelwert 10,73 Taus., als niedersten 7,00, als höchsten 14,80. Probezählungen ergaben ihm vormittags und nachmittags beträchtliche Unterschiede, besonders in der Zahl der Lymphocyten (S. 250). Er bespricht auch noch weitere Fehlerquellen bei der Blutentziehung, besonders in Hinsicht darauf. daß das Ohr des Kaninchens nach einem Ausspruch von Courmont und Nicolas '„Le theätre des phenomenes vasomoteurs‘ sei. Die vier männlichen Tiere ergaben Berneaud Leuköcytenzahlen von 8,04 im Mittel, die vier weiblichen Tiere 8,62, Gesamtmittel 8,33 Taus. Klieneberger und Carl und Berneaud fanden also bei Weibchen höhere Werte als bei Männchen. Von besonderer Bedeutung ist noch bezüglich der Leukocytenzahl eine Arbeit 1) Archiv f. d. ges. Physiol. 142, 289. 1911. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 83 von C. Lindbergt), der Tiere mehrerer Würfe während des Wachstums unter- suchte mit dem Resultate, daß die Leukocyten bis zum Alter von 5 Monaten zu, dann wieder abnehmen, und daß diese Leukocytose hauptsächlich eine Lympho- cytose ist; instruktive Kurven erläutern dies. In diesem Zusammenhange ist inter- essant, daß nach Untersuchungen von Söderlund und Bakman beim Kaninchen im Alter von 4 Monaten die Thymusinvolution und die Vorbereitungen zur Spermio- genese beginnen, Beobachtungen, die Lindberg durch eigene Versuche im all- gemeinen bestätigen konnte. Was noch die Leukocytendifferenzierung betrifft, so liegen im Kanin- chenblute insofern besondere Verhältnisse vor, als an Stelle der polymorphkernigen neutrophilen Leukocyten des menschlichen Blutes und vieler Tiere die polymorph- kernigen pseudoeosinophilen Leukocyten vorhanden sind, welche aber offenbar bio- logisch den neutrophilen entsprechen. Die Granula dieser Leukocyten (Spezialgra- nula) sind oxyphil, wie aus einer Arbeit von A. Furno?) hervorgeht, sie haben eine spezifische Affinität für Eosin und nicht für Indulin, wie Hirschfeld®) annimmt®). . Vielfach stößt man in der Literatur auf bewegliche Klagen über die Schwierig- keit der Unterscheidung zwischen großen Lymphocyten und kleineren Mono- nucleären und Übergangsformen. Klieneberger und Carl sind sogar auf Grund ihrer vergleichenden Untersuchungen allmählich dazu gekommen, den Typ der Übergangsformen und mononucleären Zellen als Zelltyp zu verwerfen, da angeb- lich bestimmte Kriterien der Differenzierung fehlen (a. a. O., S. 31, Anm.). Wenn diese Auffassung auch zu weit geht?), so kann doch in der Tat die Unterscheidung ohne Zuhilfenahme von Spezialfärbungen sehr schwer werden. Groß ist die Zahl der Arbeiten über das prozentische Verhältniss der Leukocytenarten im Kaninchenblut. Aus der obengenannten großen Bitt ner- schen Tabelle berechne ich nach Abrundung als Mittel 39% Lymphocyten, 11% Mononucleäre und Übergangsformen, 43%, Perdeemen le 1% Eosinophile und 6% Basophile, ein Resultat, das im Widerspruch zu dem von Bitt ner selbst erzielten steht. Berechnet man nämlich die Mittelwerte für die von ihm unter- suchten, sich ziemlich gleich verhaltenden zehn Tiere, so ergeben sich 64,9 Lympho- eyten, 0,7 Mononucleäre und Übergangsformen, 31,9 Pseudoeosinophile, 0,4 Eosino- phile und 2,5%, Basophile. Bei einem weiteren Tier, das ganz aus der Reihe heraus- fiel (Tab. 5, S. 270) standen 37,3% Lymphocyten, 60,0% Pseudoeosinophile gegen- über bei sonst einander nahestehenden übrigen Werten. Klieneberger und Carl (a. a. O., S. 35) stellen als Leukocytenformel 45,5 Lymphoeyten, 0,5 Mononucleäre und Übergangsformen, 50,5 Pseudoeosinophile, 1% Eosinophile und 2,5%, Basophile auf, Werte, die wieder mit den Bittner- schen nicht en 1!) C. Lindberg, Zur Kenntnis der Alterskurve der weißen Blutkörperchen des Kaninchens. Folia haematol., Archiv 9, 64. 1910. ®2) A. Furno, Beiträge zur Kenntnis der vergleichenden Hämatologie der Spezialleukocytengranulationen einiger Laboratoriumssäugetiere. Folia haematol., Archiv 11, 238. 1911. ®) H. Hirschfeld, Beiträge zur vergleichenden Morphologie der Leukocyten. S. 21. Med. Dissertation Berlin 1897. 4) „Zur Unterscheidung der pseudoeosinophilen Spezialzellen des Kaninchens von den echt acidophilen durch die simultane direkte Färbung mit einem Methyl- grün-Pyronin-Orange-Neutralgemisch‘ siehe die Arbeit von G. Grosso in den Folia haematol., Archiv 14, 13. 1912. °) Val. bezüglich der menschlichen Lymphocyten und großen Mononucleären und Übergangsformen O. Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. 2. Aufl. 5. 186. Verlag von Veit u. Comp., Leipzig 1912. 6* 84 G. Fritsch: Berneaud findet in einigen Versuchen mehr als doppelt soviel Pseudoeosino- phile denn Lymphocyten. Weitere Versuche sind also in dieser Beziehung sehr er- wünscht. Aus der S. 83 erwähnten Arbeit von C. Lindberg geht hervor, daß die bei Kaninchen im Alter von 5 Monaten nachweisbare Leukocytose eine Lymphocytoseist. Über genaue Thrombocytenzählung beim Kaninchen habe ich in der einschlägigen Literatur nichts finden können, die Frage dieser Zählung scheint für dieses Blut noch nicht gelöst zu sein. Bestimmungen des Brechungsexpone nten des ‚Kaninchenplas mas und des daraus abgeleiteten Eiweißgehaltes sind mir nur wenige bekannt geworden. Bürker, Ederle und Kircher (a. a. O., S. 152 u. 153) fanden in zwei Fällen 1,3464 bzw. 6,1% und 1,3457 bzw. 5,6%, Eiweiß; die letzteren Werte betreffen ein männ- liches Tier. Für das Serum des Kaninchenblutes stellte Berneaud bei drei männ- lichen Tieren im Mittel 1,3475 bzw. 6,7%, bei zwei weiblichen 1,3464 bzw. 6,1% Eiweiß fest. Aus der Literaturübersicht ergibt sich, daß für die genauere Kennt- nis des Kaninchenblutes noch allerlei zu tun übrig bleibt. Das Blut der Hühner. Die Zahl der Untersuchungen ist beschränkt. Mit der Welckerschen Methode fand W. Stöltzing!) in einem Falle eine Erythrocytenzahl von 3,86 Mill. E. Hedfeld?), der das Blut aus der Flügelvene entzog und nach der Thoma- schen Methode zählte, erhielt bei 6 Hühnern 3,60 —4,90, im Mittel 4,18 Mill., bei 7 Hennen 3,87 —5,10, im Mittel 4,28 Mill., bei 6 Küken 3,57 —4,35, im Mittel 3,97 Mill., bei weiblichen Tieren also etwas höhere Werte als bei männlichen. Bei sechs von Klieneberger und Carl untersuchten Hühnern (Blutentnahme aus dem Kamm) schwanken die Zahlen mit Thomascher Methode ermittelt zwischen 2,60 und 3,45 Mill. Mittelwert 3,12 (a. a. O., S. 85), bei vier unter den gleichen Bedin- gungen von W. Salomon?) untersuchten Hühnern von 3,06 —3,44, Mittel 3,21 Mill., bei 2 Hähnen betrugen die Werte 3,12 und 3,18, Mittel 3,15 Mill. ; es bestehen also beträchtliche Abweichungen gegenüber den Resultaten von Hedeeld Auf die Werte, die G. A. Müller?) bei absoluten Hämoglobinbestim- mungen durch Titration von Blutglyceriniösungen mit Salpetersäure bis zum Verschwinden der Absorptionsbänder des Oxyhämoglobins erhielt, nämlich über 15—18 g in 100 g Blut, sei bei der Unsicherheit der Methode nur verwiesen; die Werte sind offenbar viel zu hoch. Klieneber ser und Carl bestimmten bei den obengenannten 6 Hühnern 50—85, im Mittel 62% nach Sahli (a. a. 2 S. 85) oder 8,7—14,7, im Mittel 10,7 g absolut. Auch bei Hühnern liegt eine eigens auf den mittleren ebsoluten Hämo- globingehalt eines Erythrocyten gerichtete Untersuchung nicht vor. Aus den vonKlienebergerundCarl erzielten Werten berechne ich als Mittel 34-10" '"g. Bei Leukocytenzählungen im Blute der obenerwähnten Tiere fand Hedfeld (a. a. O., S. 23) bei den 6 Hühnern 23,4 — 24,9, im Mittel 24,2 Taus., beiden 7 Hennen 1) W. Stöltzing, Über Zählung der Blutkörperchen. S. 30. Med. Dissertation Marburg 1856. ?) E. Hedfeld, Untersuchungen über die körperlichen Elemente des Blutes ge- sunder und kranker Hühner und Tauben. S.22. Vet.-med. Dissertation Hannover1911. 3) W. Salomon, Ein Beitrag zur Morphologie des normalen Hühnerblutes. Vet.-med. Dissertation Gießen 1919. — Die Arbeit enthält Photogramme des Blutes. *) G. A. Müller, Beitrag zur Kenntnis des Oxyhämoglobins im Blute der Haussäugetiere und des Hausgeflügels. S. 38. Philos. Dissertation Erlangen 1886. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 85 233,6—25,3, im Mittel gleichfalls 24,2, bei den 6 Küken 22,5— 24,2, im Mittel 23,5 Taus. Wie aber Hedfeld bei diesen Zählungen die Leukocyten von den Kernen der aufgelösten Erythrocyten unterschieden hat, erfährt man nicht. Klieneberger und Carl (a. a. O., S. 78) suchten diesen Schwierigkeiten da- durch zu begegnen, daß sie unter Verwendung der Erythrocytenpipette und iso- tonischer Kochsalzlösung sämtliche Zellen des Blutes (Erythrocyten + Leukocyten + Thrombocyten) zählten und dann in Ausstrichen feststellten, wie viele Leuko- cyten auf 3000 Erythrocyten entfielen; den so erhaltenen Wert multiplizierten sie mit der durch 3000 dividierten Gesamtzahl der Zellen und erhielten so die unge- fähren Leukocytenzahlen. Die Autoren heben aber selbst hervor, daß die Ausstrich- zählung und Berechnung mit bemerkenswert großen Fehlern verknüpft ist. Auf diese Weise fanden sie bei den 6 Hühnern 35,0 —60,8, im Mittel 48,5 Taus. Ähnlich verfuhr W. Salomon, der bei zwei jungen Hühnern 41,0 und 57,0, bei zwei älteren 28,0 und 49,0 Taus. Leukocyten zählte. Gegenüber den Säugetieren besteht also bei den Hühnern eine beträchtliche physiologische Leukocytose. Die Leukocytendifferenzierung bietet auch bei diesen Tieren insofern Besonderheiten, als die polymorphkernigen neutrophilen Leukocyten des Menschen hier funktionell durch pseudoeosinophile vertreten sind, wobei aber nicht eigentlich pseudoeosinophile Körnchen, wie beim Kaninchen, sondern pseudoeosinophile Stäbchen ins Protoplasma eingelagert sind. Den eosinophilen Leukocyten des Menschen entsprechen im Hühnerblut ganz ähnliche Leukocyten mit der typischen Hantelform des Kerns, nur sind die Granula viel feiner!). Von den drei übrigen Formen wollen Klieneberger und Carl .(a..a. O., S. 80) Mononucleäre und Übergangsformen nicht beobachtet haben. Was das prozentische Verhältnis der Arten betrifft, so fand Hedfeld (a. a. O., S. 29) im Mittel bei Hennen 42% kleine Lymphocyten, 12%, große Lympho- eyten, 30% Pseudoeosinophile, 12%, Eosinophile und 3% Basophile. Kliene- berger und Carl (a. a. O., S. 83) gleichfalls bei Hennen 63,3 Lymphocyten, 29,5 Pseudoeosinophile, 4,5 Eosinophile und 2%, Basophile, Salomon (a. a. ©.) bei einem halbjährigen Hahn 49%, kleine, 12%, große Lymphocyten, 1% Leukocyten mit eingebuchtetem Kern, 28%, Pseudoeosinophile, 7%, Eosinophile und 3% Baso- phile, bei 3 Hühnern von !/,—1!/, Jahren im Durchschnitt 52% kleine, 17%, große Lymphocyten, 2% Leukocyten mit eingebuchtetem Kern, 18%, Pseudoeosino- phile, 9% Eosinophile und 1%, Basophile. _Der dritte -zellige Bestandteil des Blutes, der Thrombocyt, tritt bei den Vögeln als typische Spindelzelle mit abgerundeten Enden auf, die funktionell voll- kommen den Blutplättchen des Menschen entspricht; auffallenderweise leugnen bei letzteren auch namhafte Hämatologen die Zellnatur. Sehr schön treten in dem nach der Pappenheimschen kombinierten Methode gefärbten Ausstrichpräparate die Thrombocyten hervor, meist sind dabei in ihrem Protoplasma die azurophilen, angeblich lipoiden Polkörperchen deutlich zu sehen. Die Zählung dieser Thrombo- cyten ist aber dadurch sehr erschwert, daß sich diese Gebilde gleich den im mensch- lichen und Säugetierblute vorkommenden meist zu größeren, oft unentwirrbaren Haufen zusammenballen. Klieneberger und Carl verfuhren bei der Zählung der Thrombocyten ganz ähnlich wie bei der der Leukocyten und erhielten so bei den 6 Hühnern Werte zwischen 22,9—130,0 Taus. Thrombocyten in 1 cmm Blut. Salomon zählte die Thrombocyten zusammen mit den Leukocyten im. Blutausstrich und stellte in zwei Fällen bei Hühnern fest, daß sie 79 bzw. 83% aller Leukocyten ausmachten. 1) Siehe auch C. Grünberg, Beiträge zur vergleichenden Morphologie der Leukocyten. Virchows Archiv 163, 330. 1901 und Kasarinoff, Experimentelle Blutuntersuchungen bei Vögeln. Folia haematol., Archiv 9, 392. 1910. 86 @G. Fritsch: Untersuchungen über Plasmakonzentrationen des Hühnerblutes sind mir nicht bekannt geworden. Zusammenfassend seien noch die Resultate einer Untersuchung von V. Eller- mann und O. Bang!) erwähnt, die 3,00 Mill. Erythrocyten, 50—65% Hämo- globin nach Sahli (junge Hühner nur 40— 50%), 30,00 Taus. Leukocyten, darunter 40% Lymphocyten, 23%, große Mononucleäre und 37%, Polynucleäre feststellten. Das Blut der Tauben. An eingehenden, alle wesentlichen Blutwerte betreffenden Untersuchungen fehlt es auch hier. Als Erythrocytenzahl gibt H. Welcker?) in seinen bekannten Unter- suchungen in einem Falle 2,01 Mill. an, Hedfeld (a. a. O., S. 23) bei 6 Tieren, deren Geschlecht nicht erwähnt wird, 3,73—4,60, im Mittel 4,06 Mill. Die Blutentziehung geschah aus der Flügelvene. Klieneberger und Carl untersuchten 6 Tiere (Blutentnahme gleichfalls aus der Flügelvene) ohne Rücksicht auf das Geschlecht und zählten 3,78—4,54 (im Mittel 4,06 Mill.) (a. a. O., S. 93). R. Marloff (a. a. O., S. 363) fand nach der Bürkerschen Methode in einem Falle 2,80 Mill., also wesent- lich niederere Werte. Mit der erwähnten Preyerschen Methode ermittelte V. Subbotin (a. a. O., S. 187) bei 4 Tieren Hämoglobinwerte von 7,3—12,6, im Mittel 10,6 g in 100 g Blut, bei ae nicht einwandfreien Hämoglobinbestimmungen G. A. Müller (a. a. O., S. 38) Werte zwischen 15,0 und 17,8 g, die zweifellos zu hoch sind. Klrenchor ger und Carl erhielten bei den 6 Tieren 80—97, im Mittel 93% nach Sahli oder 16,1 g absolut. Die gefundenen Hämoglobinwerte weichen also) stark voneinander ab. Nach den Resultaten von Klieneberger und Carl berechne ich als mittleren absoluten Hämoglobingehalt eines AR ehe. yten 40-10-1?g. Für die Leukocytenzählung und Differenzierung und die Bestim- mungdesprozentischen Verhältnissesder Arten gilt ungefähr dasselbe wie für die Hühner. Hedfeld zählte bei den 6 Tauben 17,3 — 24,2, im Mittel 22,7 Taus., Klieneberger und Carl nach ihrer Methode 10,4— 31,4, im Mittel 23,7 Taus. Als Leukocytenformel stellte Hedfeld bei 10 weiteren Tieren 49% kleine, 13%, große Lymphocyten, 26% Pseudoeosinophile, 10% Eosinophile und 3% Basophile auf, Klieneberger und Carl entsprechend 42—13,5—41—1,5—3%; die Angaben lauten also recht verschieden. Als Thrombocytenzahl geben die letzteren Autoren 9,4—60,6, im Mittel 36,8 Taus. an. Auf Untersuchungen über den Brechungsexponent des Plasmas bzw. über seinen Eiweißgehalt bin ich nicht gestoßen. Nach alledem ist eine genauere Untersuchung des Vogelblutes mit Hilfe der neueren Methode kein überflüssiges Beginnen. 3. Neue Untersuchungen. Da Fortschritte auf diesem schon vielfach durchforschten Gebiete der Hämatologie nur durch Anwendung einer verfeinerten Methodik zu erwarten waren, wurde besonderer Wert auf die weitere Ausbildung derselben gelegt. 1) V. Ellermann und O. Bang, Experimentelle Leukämie bei Hühnern. Centralbl. f. Bakt. Parasitenk. u. Insekt.-Krankheiten, 1. Abt., 46, 597. 1908. ?2) H. Welcker, Größe, Zahl, Volum, Oberfläche und Farbe der Blutkörper- chen bei Menschen und bei Tieren. Zeitschr. f. ration. Medizin 20, 287. 1863. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 87 a) Methoden). Schwierigkeiten bereitete die Beschaffung der Versuchstiere “nicht. Die Privatbesitzer waren gern bereit, mir nach Darlegung des vorzunehmenden unbedeutenden Eingriffs die Tiere im Interesse der Sache auf kurze Zeit zu überlassen. Dadurch wurde es möglich, die Blut- entziehung unter günstigen äußeren Bedingungen im physiologischen Institut vorzunehmen. Kaninchen verschiedener Rasse standen mir in dem für vor- liegende Zwecke günstigen Alter von 5—6 Monaten zur Verfügung. Nach den oben (S. 83) erwähnten Untersuchungen von C. Lind-. berg erreicht die Leukocytenzahl gerade in diesem Alter normalerweise ihr Maximum. Von Vögeln wurden einerseits Hühner verschiedener Rasse als schlechte und andererseits Tauben gleicher Rasse, nämlich Brief- tauben, als gute Flieger untersucht. Alle Tiere waren ausgewachsen. Von jeder Art wurden jeweils 5 Männchen und 5 Weibchen für die Ver- suche ausgewählt. Als geeignetster Ort für die Blutentziehung erwies sich beim Kaninchen die mittlere auf der Dorsalseite des Ohres gelegene Vene. Bekanntlich füllen und entleeren sich die Gefäße des Kaninchenohres in einem von der Herztätigkeit unabhängigen, wesentlich langsameren Rhythmus, der durch die spontane Erschlaffung und Kontraktion der Gefäße bedingt ist. Nach der Befestigung des Tieres auf dem Kaninchen- brett in möglichst natürlicher Haltung, nach Abrasierung der Haare und Reinigung der Hautstelle durch einen mit Äther befeuchteten Wattebausch wurde daher zunächst abgewartet, bis die Füllung der ÖOhrgefäße eine gute war. Dann wurde mit der Spitze eines feinen Skalpells, das Blatt parallel zum Gefäß gestellt, unter die Vene ein- gegangen, die Schneide senkrecht zur Vene gestellt und diese dann von unten her so eröffnet, daß es zu einer reichlichen Blutung kam. Das ausgetretene Blut wurde bei den ersten Versuchen direkt vom Ohre aus in die Pipetten aufgenommen, später in einem ausgehöhlten Block festen Paraffins aufgefangen, nachdem vorher in die Höhlung etwas Hirudin zur Verhinderung der Gerinnung gebracht worden war. Daß von dem aus der Vene bei Vermeidung von Stauung entzogenen Blute auch auf das Blut aus anderen Gefäßprovinzen geschlossen werden darf, geht aus dem S.81 erwähnten Versuche von Berneaud hervor. Auch bei Menschen fand Bürker?) Capillar- und Venenblut in bezug ‚auf Erythrocyten und Hämoglobin gleich zusammengesetzt. Beiden Hühnern wurde zunächst versucht, die nötige Blutmenge 1) Mehr Einzelheiten über die verwendeten Methoden findet man in der S. 78 erwähnten K.uhlschen Arbeit, S. 270. 2) Archiv f. d. ges. Physiol. 16%, 147. 1917. » 88 G. Fritsch: aus dem mit Äther gereinigten Kamme zu erhalten. Da aber die aus- tretende Blutmenge nicht genügte, so wurde davon Abstand genommen und die ventrale Flügelvene mit einer Nadel angestochen, nachdem vorher dort die Federn ausgerupft und die Hautstelle mit Watte und Äther gereinigt worden war. Ganz ähnlich wie bei den Hühnern wurde bei den Tauben ver- fahren, in beiden Fällen wurde das austretende Blut mit Hilfe des Paraffinblockes aufgefangen. Die Blutstillung erfolgte durch Kom- pression mit Eisenchloridwatte, was besonders bei den Tauben nötig war, da diese Tiere sonst rasch relativ viel Blut verloren. Zur Erythrocytenzählung wurde das Kaninchenblut 200- fach mit Hayemscher Lösung verdünnt unter Verwendung einer Lupe zur scharfen Einstellung der Blutsäule auf die Marke der Blut- pipette. Zur Verdünnung des Hühner- und Taubenblutes erwies sich die Hayemsche Lösung als wenig geeignet, da sie Agglu- tination hervorrief. Um dieser zu begegnen, habe ich Tyrodelösung _ versucht und damit ein gutes Resultat erzielt. Zur Verdünnung und Zählung verwendete ich die Bürkersche Methode, die, wenn etwa 2000 Erythrocyten gezählt werden, mit einem mittleren Fehler von 2%, behaftet ist. Im Trockenpräparate ist die Polychromatophilie der Erythrocyten des Kaninchen-, Hühner- und Taubenblutes in die Augen fallend, im Vogelblute besonders auch die Verschiedenheit des Kerns der Erythrocyten, der bei den jugendlichen Formen größer ist und deutlich die Chromatinstruktur aufweist, bei den gealterten Formen aber klein, pyknotisch und mit dem basischen Farbstoff besonders intensiv gefärbt ist. Die quantitative Hämoglobinbestimmung geschah mit Hüfners spektrophotometrischer Methode nach 100facher Verdünnung des Blutes mit O,lproz. Sodalösung. Der Apparat ist mit krystalli- siertem Hämoglobin auf absolute Werte geeicht. Vor jedem Versuche wurde mit dem Rauchglas eine Kontrolle der beiden Lichtbündel auf Gleichheit vorgenommen. Störend machte sich der mangelhafte Gasdruck insofern geltend, als Gasglühlicht bei der Photometrie zur Verwendung kam. Der mittlere Fehler bei der Bestimmung des Ex- tinktionskoeffizienten & beträgt bei einwandfreier Beleuchtung etwa 1%. Aus diesem Koeffizienten und dem Absorptionsverhältnis 45, im gegebenen Falle 1,25 - 10°, wurde der Gehalt des Blutes an Hämo- globin in Gramm in 100 ccm Blut berechnet. Durch Division des Hämoglobinwertes durch die Erythrocytenzahl ergab sich der so wichtige mittlere Gehalt eines Erythrocyten an Hämoglobin in 10°" g. Die Leukocytenzählung wurde gleichfalls nach der Bürker- schen Methode vorgenommen. Um störende Eiweißniederschläge zu Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 89 vermeiden, mußte die Türksche!) Lösung in ihrer Zusammensetzung geändert werden, sie bestand aus weniger Eisessig, nämlich: IEISESSTO@ MEN ED ae Eee 0,5 ccm IDEStAWasseki Reel 150,055 1 proz. wässerige Gentianaviolettlösung . . . . . . 1, Mit dieser Lösung wurde das Blut 20fach verdünnt und in die beiden Abteilungen der Zählkammer gefüllt, die mit Hilfe des besonderen Deckglases auf eine Höhe von 0,200 mm gebracht worden waren. Bei Zählung der Vogelblutleukocyten stieß ich auf vorerst unüberwindliche Schwierigkeiten. Da alle Erythrocyten aufgelöst werden, ihre Kerne aber erhalten bleiben und wie die Leukocyten leicht angefärbt werden, so sind in dem Meer von Erythrocytenkernen die wenigen Leukocyten kaum zu erkennen. Auch machen sich die kern- haltigen Thrombocyten störend geltend. Von der Anwendung der auf S.85 erwähnten Klieneberger und Carlschen Methode, im Trocken- präparate das Verhältnis von Erythrocyten und Leukocyten und in der Zählkammer die absolute Zahl von Erythrocyten + Leukocyten + Thrombocyten festzustellen, habe ich Abstand genommen, da diese Methode nach Angabe der Autoren selbst zu ungenau ist. Die exakte, “ nicht zu langwierige Ermittlung der Leukocytenzahl bei Gegenwart kernhaltiger Erythrocyten ist zur Zeit noch ein ungelöstes Problem. Zur Differentialzählung der Leukocyten wurde ein Tröpf- chen des gemischten Blutes mit einem paraffinierten Glasstab aus der Höhlung des Paraffinblocks auf ein Deckgläschen von 20 x 25 mm übertragen und mit Hilfe eines zweiten Gläschens ganz zwischen die beiden Gläschen nach der Ehrlichschen Methode aufgenommen. Je nach der Größe des Bluttröpfehens wurden die Gläschen mehr oder weniger zur Deckung gebracht und dann rasch auseinandergezogen. Ausstrichpräparate, bei welchen ein Teil des Blutes am ausstreichenden Objektträger-oder Deckglas hängen bleibt und nicht in den Ausstrich eingeht, sind unbedingt zu verwerfen. Beide lufttrockenen Deckglas- präparate wurden zur Chromoanalyse nach der Pappenheimschen Methode (kombiniertes May - Grünwald - Giemsa - Verfahren) ge- färbt und dann in neutralen Canadabalsam eingebettet. In den Prä- paraten des Kaninchenblutes zeigten die Erythrocyten Neigung zur Agglutination und zu Stechapfelformen. | Durch die Kernfärbung der Erythrocyten des Hühner- und Tauben- blutes erscheinen die Vogelblutpräparate viel dunkler. Als Mikroskop kam das von F. Jentsch?) konstruierte monobjek- tive Binokularmikroskop der optischen Werke von E. Leitz !) W. Türk, Vorlesungen über klinische Hämatologie, I. Teil, S. 90. Verlag v. W. Braumüller, Wien u. Leipzig 1904. ®2) F. Jentsch, Das binokulare Mikroskop. Zeitschr. f. wissenschaftl. Mikro- skopie 30, 299. 1913. 90 G. Fritsch: in Wetzlar zur Verwendung, das sich für diese Untersuchungen als ganz besonders geeignet erwiesen hat. Wohltätig empfindet man bei dem Gebrauch dieses Instrumentes die überraschende Ruhe und Stetigkeit des Eindrucks, dabei doch die „Vividität‘ desselben, die Steigerung der Helligkeit und Vergrößerung, die offenbar durch psychologische Mo- mente bedingte Tiefenwahrnehmung und endlich die geringere Er- müdung. Die optimalen Eigenschaften beider Augen werden besonders gut ausgenützt. Wer einmal mit diesem Instrument gearbeitet hat, wird zur monokularen Beobachtung nicht gern zurückkehren. Bei jeder Differentialzählung wurden 400—500 Leukocyten berück- sichtigt. Da die weißen Elemente des Kaninchen-, Hühner- und Taubenblutes in mancher Beziehung von denen des bis jetzt unter- suchten Pferde-, Rinder- und Hundeblutes abweichen, sei kurz auf die einzelnen Zelltypen eingegangen. Was zunächst die Kaninchen- leukocyten betrifft, so sind Klagen über die Schwierigkeit der Unter- scheidung der größeren Lymphocyten von den kleineren Mono- nucleären und Übergangsformen berechtigt. Über die letzteren schreibt O. Naegeli (a.a.O. S. 180): ‚Diese Zellkategorie bereitet auch heute noch unserer Auffassung und Deutung die größten Schwie- rigkeiten.‘“ Gründliches Studium der beiden Formen in jedem einzelnen Präparate unter Berücksichtigung der jeweiligen Färbungsverhältnisse ist vor der eigentlichen Differentialzählung unbedingt erforderlich. Der dichtere und intensiver gefärbte Kern. der Lymphocyten zeigt vielfach eine noch dichtere, dunkler gefärbte Kernwandschicht, das Protoplasma dort einen helleren perinucleären Hof, während beides bei den Mononucleären und Übergangsformen nicht der Fall zu sein pflegt; aber ein unbedingt sicheres Unterscheidungsmerkmal ist dies keines- wegs, es kommt noch die ganze Kernstruktur und Kernfärbung in Be- tracht. Wenn es auf ganz genaue Unterscheidung ankommt, sind Spe- zialfärbungen nicht zu umgehen. Wie schon früher erwähnt wurde, sind im Kaninchenblute an Stelle der neutrophilen Leukocyten die pseudoeosinophilen vorhanden. Ihre Granula sind von verschiedener Größe und Gestalt, in sich nicht gleichmäßig, dunkler und heller rot gefärbt; zwischen ihnen ist vielfach das ungefärbte oder schwach bläuliche Protoplasma sichtbar, so daß ein geflecktes Aussehen entsteht. Die eosinophilen Leukocyten dagegen zeigen große, glasige, gleichmäßig gefärbte, gelbrote Granula, die eng aneinandergedrängt den Zelleib ganz erfüllen. Auffallend sind durch ihre Größe und Fär- bung die relativ zahlreichen basophilen Leukocyten oder Mast- zellen des Kaninchenblutes. | Ä Von den Leukocyten des Hühner- und Taubenblutes treten Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 91 die Lymphocyten und die Mononucleären und Übergangsformen bei gleicher Methode der Färbung nicht so different hervor wie im Kanin- chenblute, der Kern hat außerdem ein merkwürdig gefeldertes Aus- sehen. Auch die Färbung des Protoplasmas und sein Inhalt ist ver- schieden; es hat eben jede Blutart doch ihre eigenen Leukocyten. Klieneberger und Carl, welche, wie S. 85 erwähnt, das Vorkommen der Mononucleären und Übergangsformen leugnen, da bestimmte Krite- rien der Differenzierung fehlen sollen, kann ich nicht beistimmen, diese Zellform ist vielmehr auch in dem Vogelblute vorhanden. Von den drei anderen Formen sind die Pseudoeosinophilen durch rotgefärbte Stäbchen im Protoplasma gut gekennzeichnet und von den Eosinophilen mit ihren feineren Granula und der Hantelform des Kerns meist gut zu unterschei- den. Deutlich treten im Vogelblut die basophilen Mastzellen hervor, die in diesem Blute in etwas größerer Zahl als im Säugetierblut vorkommen. Bei den Thrombocyten des Kaninchenblutes kann es sich nur um eine ungefähre Schätzung im Trockenpräparat handeln. Bei den Thrombocyten des Hühner- und Taubenblutes, welche im Protoplasma vielfach die azurophilen Polkörperchen enthalten, wurde zuerst eine Zählung im Trockenpräparat relativ zur Zahl der Leukocyten versucht. Es mußte aber davon Abstand genommen werden, weil diese Thrombo- ceyten meist sehr ungleichmäßig verteilt in größeren oft unentwirrbaren Haufen beisammen lagen. Zur Bestimmung des Brechungsexponenten des Plasmas wurde das mit Hirudin versetzte Blut zentrifugiert, das meist hämo- globinfreie Plasma mit einer Pipette abgehoben und in das Pulfrichsche Eintauchrefraktometer gebracht; zur Verwendung kam dabei das Hilfsprisma für kleine Substanzmengen. Die Bestimmung von Nn ge- schah mit Hilfe des Temperierbades bei 17,5°C. Die Reisssche Tabelle ermöglichte dann die ungefähre Berechnung des Eiweißgehaltes. Von Zeit zu Zeit wurde mit doppelt destilliertem Wasser durch Bestimmung seines bekannten Brechungsexponenten geprüft, ob der Apparat in Ord- nung war. Daß praktisch das zugesetzte Hirudin den Brechungsexponenten in der vierten Dezimale nicht nennenswert beeinflußte, wurde festgestellt. Beim Plasma wurde auch auf die Farbe geachtet, die ja bei herab- gesetztem oder gesteigerttem Hämoglobinstoffwechsel heller bzw. dunkler zu sein pflegt; hier ergaben sich bemerkenswerte Unterschiede beim Kaninchen- und Vogelblutplasma. b) Resultate. Im folgenden seien nunmehr die Resultate der an 10 Kaninchen, 10 Hühnern und 10 Tauben durchgeführten Untersuchungen mitgeteilt; immer kamen dabei jeweils 5 männliche und 5 weibliche Tiere zur Unter- suchung, und zwar ausgewachsene oder doch nahezu ausgewachsene Tiere. G. Fritsch T9TA sırg't | Tyos ' TOTA | 1 eg! osseq] Gupe‘ 69 < ej | os z|\e sol Au SyoTTuygMmes TA ee 80'8 : nn 18 sıret | Ty8s IE! u ms Sunzuoryg ‚[3s9p 9% ion u/e8 | 1y9s ooyoso3 6gFET | PLA | Gel Au) ma SUNZNOLM G , [3s9p [9TA < I 00'EI ; uies | SI: P9Y9S9& cgre‘T | Ty9s 611 u Sunznaıyy "[3s9p eigee| € wol nö es ; sol 0 Sunznory -[3sop 0.787 | PA n oT | m& ne13 vol TOTA Le I RG puas ossey -qIoM GlrET AUEN) z f 86 u -IpOLT} SNDITLYOMAD i I9TA 68 G L 9801 t a 5 Ba ne1d 0 GITFETL AUG 0 El A 7.0 SUNZNOLM ‘[5s9p ar a 8701 ı er a GıFET | yes q Ber u SUNZNOLNY c | [sap DE 72 gE8 : MB ppanpsos cIrEl IU9S N 661 A a) SUNZNOLNT [sp 7 Pr ı 88 0 HL wor | ma nerd a | = El ei Sunzuory "[350p Bas 228 18|38 San neı8 yon BA ES 3 ale 28a 2. be = = Fu 7 —- -uuy 88 Bir S Eu Salze oa o > en |S# =] Ja =] —— Bu >| 82 |23|& slals2s 2|z5 |. e - a2 | 83 gs Ale EHRE E Aa 25 = R 3 8 > ae 32 5 38 |S5el 85 se| 3 5 E 2 |: e zo Set a R on fee) fe] 5 2 © ee ok as 255 5 ä 2 |. ER - ee ae ) K =] > 3 © S A Fr = „ E A 92 "6I6T Ismany f A 8 st EG iq Inf "EZ woA ayonsiey uoyout rueyp aopyn tere v Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 93 Wie aus der Tabelle hervorgeht, waren alle Tiere von gleichem oder doch fast gleichem Alter von 5 Monaten, was wegen des Maximums der Leukocytenzahl in diesem Alter von Bedeutung ist. Das mittlere Körpergewicht der männlichen Tiere betrug 2,53, das der weiblichen 2,67, Gesamtmittel 2,60 kg. Die Tiere waren Kreuzungsprodukte, von grauer und gescheckter Haarfarbe. Der Ernährungszustand war mit Ausnahme von dem des Tieres Nr. 5, eines Männchens, zum mindesten gut; im Blutausstrich- präparat dieses Tieres waren reichlich Bakterien enthalten. Die Blutentziehung geschah je nach Bedarf vor- und nachmittags, eine Verdauungsleukocytose kommt ja bei diesen Tieren mit ihrem beständig gefüllten Magendarmkanal nicht in Betracht. Die Erythrocytenzahl beträgt im Mittel für die männlichen Tiere 5,94 Mill., für die weiblichen Tiere 5,78 Mill. Gesamtmittel 5,86 Mill. Von nennenswertem Einfluß auf die Zahl ist also offenbar das Geschlecht nicht. Der niedrigste Wert liest mit 5,26 und der höchste mit 6,25 Mill. für je.ein männliches Tier, nur um 7 bezw. 10%, vom Mittelwerte ab. Die schon früher (Seite 80f.) erwähnten Autoren fanden teils niederere, teils höhere Werte. Welche Rolle dabei der der Thomaschen Zählmethode anhaftende Fehler gespielt hat, läßt sich ohne weiteres nicht entscheiden. Berneaud, der mit der gleichen Methode wie ich gezählt hat, erhielt als Mittel nur 4,22 Mill. Es wäre zu untersuchen, ob hier Rassenverschiedenheiten in Betracht kommen. Auffallend ist aber, daß Bürker und seine Mitarbeiter früher schon bei den üblichen Laboratoriumstieren Werte wie 5,72, 5,31 und 5,85 Mill. er- zielten, welche mit den jetzt gewonnenen gut übereinstimmen. Als Hämoglobingehalt ergibt sich für die männlichen Tiere im Mittel 12,1, für die weiblichen 11,6, Gesamtmittel 11,9 g, also keine wesentlichen Unterschiede in bezug auf das Geschlecht. Den niedersten Wert weist ein männliches Tier mit 9,8, den höchsten gleichfalls ein männliches Tier mit 13,2 g auf, das sind maximale Abweichungen von 18 bzwe 1102: Diese Werte kommen den von anderen Autoren mit exakten Me- thoden ermittelten Werten recht nahe. Der so wichtige mittlere Gehalt eines Erythrocyten an Hämoglobin zeigt auffallend geringe Schwankungen, er berechnet sich für Männchen zu 20, für Weibchen zu 20, also auch Gesamtmittel 20.101? g&. Der niederste Gehalt von 19, der sich sowohl bei Männchen als auch bei Weibchen findet, und der höchste von 23 bei einem Weib- chen liest 5 bzw. 15%, vom Mittelwerte ab. Ein Einfluß des Geschlechts kann auch für diesen Wert, als aus den vorhergenannten nur abge- leitet, nicht in Betracht kommen. % 94 G. Fritsch: Die Leukocytenzahl, ohne Rücksicht auf die Art, schwankt, wie zu erwarten war, stärker, und zwar zwischen den Werten 5,22 für ein männliches und 13,00 Taus. für ein weibliches Tier, bei einem Mittel von 8,44 für erstere und 9,38 für letztere Tiere, Gesamtmittel 8,91 Taus. Die größten, freilich ziemlich allein stehenden Abweichungen vom Gesamtmittel betragen also 41 bzw. 46%. Dabei wurde die kleinste Leukocytenzahl bei dem Tiere Nr. 5 gefunden, in dessen Blut reichlich Bakterien vorhanden waren. Für eine Entscheidung darüber, ob weib- liche Kaninchen an sich höhere Leukocytenzahlen aufweisen als männ- liche ergeben sich keine Anhaltspunkte. Mit den von anderen Autoren ermittelten Leukocytenwerten (S. 82) besteht ziemlich gute Übereinstimmung. An Leukocytenarten ergibt die Untersuchung im Mittel und in abgerundeten Prozentzahlen: Leukocytenart | Männchen | Weibchen | Gesamtmittel Lymphocyten.. ...... 62 64 | 63 Mononucleäre und Übergangsformen . 1 1 1 Pseudoeosinophile . . 33 28 31 Eosinophile ... .... 2 2 2 Basophiler 20... | 2 2 2 Ein besonderer, in die Augen springender, auf das Geschlecht zurück- führender Unterschied ist nicht vorhanden. Der Schwankungsbereich von Tier zu Tier ist, wie üblich, bei diesen Differentialzählungen größer. Auffallend ist das Überwiegen der Lymphocyten über die Pseudoeosino- philen, die geringe Zahl der Mononucleären und Übergangsformen und der Eosinophilen und die relativ großen Zahlen der Basophilen.. Vergleicht man die von mir erhaltenen Werte mit denen früherer Untersucher (S. 82, 83f.), so ergeben sich teils Übereinstimmungen, teils sehr bemerkenswerte Verschiedenheiten. Sehr gut stimmen meine Werte mit den von Bittner selbst erzielten überein, dagegen gar nicht mit den Mittelwerten der von Bittner aufgestellten, die Resultate verschiedener Untersucher zusammenfassenden Tabelle. Auch die von Klieneberger und Carl und von Berneaud gewonnenen Werte weichen beträchtlich ab. Alle diese Autoren fanden nämlich viel mehr Pseudoeosinophile als Lymphocyten, während das Verhalten bei meinen Tieren ein umgekehrtes war. Dieser Widerspruch klärt sich aber wohl zum größten Teil dadurch auf, daß bei den bisherigen Untersuchungen das Alter der Tiere nicht genügend berücksichtigt wurde. C. Lindberg. hat aber, wie früher (S. 83) erwähnt, gezeigt, daß bei 5 Monate alten Tieren die Leukocytenzahl ein Maximum erreicht, und daß diese physio- logische Leukocytose eine Lymphocytose ist, ein Resultat, das mit dem Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. . 95 von mir erzielten — auch ich habe fast nur 5 Monate alte Tiere unter- sucht — vollkommen übereinstimmt. Ob etwa noch Rassenverschieden- heiten eine Rolle spielen, muß erst durch genauere Untersuchungen festgestellt werden, auch ist eine genaue Differentialzählung bei älteren Tieren erwünscht. Die Zahl der Thrombocyten ist durchschnittlich groß. Der Brechungsexponent des Plasmas beträgt für die männlichen Tiere im Mittel 1,3471, für die weiblichen 1,3474, Gesamtmittel 1,3473, das Geschlecht äußert also auch in dieser Beziehung kaum einen Ein- fluß. Der Wert ist recht konstant, weicht doch der niederste mit 1,3462 für ein männliches Tier und der höchste mit 1,3479 für ein weibliches, nur um — 0,08 bzw. + 0,04% vom Gesamtmittel ab. Entsprechend verhält sich der aus dem Brechungsexponent berechnete Eiweißgehalt des Plasmas, der im Mittel für alle Tiere 6,6%, beträgt. Die Farbe des Plasmas ist durchweg eine schwach gelbliche. Die früher von Bürker und seinen Mitarbeitern und von Berneaud gefundenen Werte liegen innerhalb des von mir beobachteten Schwankungsbereiches mit Ausnahme des Wertes 1,3457 der ersteren Autoren. Zusammenfassend läßt sich also bezüglich des Blutes 5 Monate alter Kaninchen sagen, daß zunächst das Ge- schlecht der Tiere ohne wesentlichen Einfluß auf die unter- suchten Blutwerte ist. Die Erythrocytenzahl und der Hämoglobingehalt ist von Tier zu Tier relativ konstant, auch der Gehalt eines Erythrocyten an Hämosglobin ist es ganz besonders. Die Leukocytenzahl ist in bezug auf die bisher untersuchten Tierarten (Pferd, Rind, Hund) von mitt- lerer Größe, schwankt aber von Tier zu Tier viel stärker als die bisher genannten Blutwerte Die Lymphocyten sind auf Kosten der Pseudoeosinophilen vermehrt, es be- steht also, wenigstens im Alter von 5 Monaten, eine phy- siologische Lymphocytose. Klein ist die Zahl der Mononu - cleären- und Übergangsformen und die der Eosinophilen, relativ groß die der Basophilen. Thrombocyten sind viele vorhanden. Der Brechungsexponent und damit der Ei- weißgehalt des Plasmas ist in bezug auf den der bisher untersuchten Tiere niedrig. Die Farbe des Plasmas ist eine ganz schwach gelbliche. Die untersuchten 5Hähneund 5 Hennen (TabelleS.96) wiesen ein Alter von 1 bis 4. Jahren auf. Das Körpergewicht der Hähne betrug im Mittel 2,34, das der Hennen 1,64 kg, die Hähne waren also um 43%, schwerer als die Hennen, trotzdem letztere im allgemeinen älter waren als erstere. Die Tiere waren von verschiedener Rasse, ihr Ernährungszustand G. Fritsch STUIM OSSeIpuerf 19 FgrE‘l 1408 |9621.C0 | 1e.| Gr: Ol ge2 | 62299: ee = Syoruyones | FT | I R ol CNIOUIM] 09:| FIrEI [ossp... Tal. | Part 1020 Der een nele = 9ZIeMYoS er 8 “ 6 Jd9UOT[eIT 69 | o8rEl [asap | 272g ceii.e ce F82026 78% | Au6 nd EICH 091 | € “ 8 puss -Iporıf | dOuorpe4] 94 ecrel autos sei oe er rn Le 19 0% | Au -oq Tom SET ve & j I9UOTJEI] #9 69FE TI [sep eg |} 9 2778 12207 ERE ng AUıko atom 08T | € jpuusy| 9 91.3 TNIOUIM. 29 GlFE I zssep |g |ca |eH| € 68 68. 2|:8.17°1:90.€8: | zu ve 1U9S IZIEMYOS ete |ıI = G A19uoTfeIT 19.I1q.1eJ 84 6er [sep |g|q |eg| g 9g| 98 | ger | mE | Au 3 -uynygen CI. T a 2 (opugjuruyg Lg srre‘T ssep |ı Ir |qr| 2 SH 28 1061 ige ee ge E TOZIEMUYOS ge |F x g SION 29 ES RREST To8sopz 7 8 mr Ip eo 80 No S -ymouka | FE | I = 3 d9UOT][EI] STLUOM 19.Tq.1eF 9°G gerEI 198 GET 202 8 GE) 6E 1.011008. 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Der niederste Wert bei den Hähnen beträgt 3,06, der höchste 3,74 Mill., das sind 6 bzw. 15%, Abweichung vom Mittel; der niederste Wert der Hennen, ohne den des Tieres Nr. 7, 2,42, der höchste 3,14 Mill., also 13%, Abweichungen vom Mittel in beiden Fällen. Die vorne (S. 84) erwähnten Hedfeldschen Untersuchungen, bei welchen die Thomasche Zählkammer zur Anwendung kam, führten zu höheren‘ Werten, über 4 Mill., das sind über 30%, mehr, für Hennen sogar zu noch höheren als für Hähne. Auch die von Klieneberger und Carl erzielten Werte sind höher als die meinigen. Als mittlerer Hämoglobingehalt ergibt sich bei den Hähnen 12,3, bei den Hennen — ohne den Wert des Tieres Nr. 7 — 9,6 g, mit diesem 9,2 g, also auch hier ein wesentlich verschiedener Gehalt bei den verschiedenen Geschlechtern. Bei den Hähnen weicht der niederste Wert mit 11,8 und der höchste mit 13,6, um 4 bzw. 11%, vom Mittel ab, bei den Hennen, ohne den Wert des Tieres Nr. 7, entsprechend 9,0 und 10,2 g um 6% in beiden Fällen. Der von Klieneberger und Carl für Hennen festgestellte Gehalt von wahrscheinlich 10,7 & (S. 84), liegt dem meinigen nahe. Als recht konstant erweist sich auch bei diesen Tieren der mittlere Gehalt einesErythrocyten an Hämosglobin, der bei den Hähnen 38, bei den Hennen 35 - 10°1? g beträgt. Nur um 5 bzw. 3%, weicht bei den Hähnen der niederste und höchste Wert mit 36 und 39 vom Mittel ab, um 9 bzw. 6%, bei den Hennen, entsprechend 32 und 37. Beim männlichen Geschlecht scheint auch hier der Gehalt über den beim weiblichen zu überwiegen. Wie erwähnt, ließ sich die absolute Leukocytenzahl wegen der Störung durch die Kerne der aufgelösten Erythrocyten nicht exakt ermitteln. Die Differentialzählung der Leukocyten im Blutausstrich- präparat hat zu folgenden Resultaten, in Prozenten ausgedrückt, geführt: Leukocyten | | Hähne Hennen Pymphocyten, masse en. | 240 64 Mononucleäre und Übergangsformen. . . . | 2 5 IEseudoeosinophiler sera... | 49 23 Hosimophilen 2.7. re a EN. 5 | 5 Basophile: ı ren. m ee Re 3 2 Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 7 98 G. Fritsch: Ohne den abnormen hohen Wert von 13%, Mononucleären und Über- gangsformen bei dem Tier Nr. 7 würde der Mittelwert der Hennen 5 für diese Leukocytenart sich mit dem Wert 3 dem der Hähne 2 wesent- lich nähern. Das Blut der Hühner, besonders das der Hennen, ist demnach durch eine physiologische Lymphocytose, durch wenig Mononucleäre und Übergangsformen, durch relativ wenig Pseudoeosinophile, durch mitt- lere Mengen Eosinophile und relativ viel Basophile gekennzeichnet. Die Resultate stimmen noch am besten mit den von Klieneberger und Carl gewonnenen überein. Die Zahl der Thrombocyten, hier kernhaltige Spindelzellen, ist eine wesentlich kleinere als bei den bisher untersuchten Tieren. Der Brechungsexponent des Plasmas der Hähne beträgt im Durchschnitt 1,3463 entsprechend 6,0%, Eiweiß, der der Hennen 1,3466 entsprechend 6,2%, Eiweiß. Niederster Wert bei den Hähnen 1,3448, höchster 1,3477 und damit Abweichungen von — 0,11 und + 0,10%, niederster Wert bei den Hennen 1,3455, höchster 1,3480 und damit Abweichungen um — 0,08 und + 0,10%. Wesentliche Unter- schiede weist der Brechungsexponent des Plasmas der männlichen und weiblichen Tiere nicht auf, er ist am kleinsten von allen bisher unter- suchten Tieren. Auffallend ist, daß die Farbe des Plasmas bei verschiedenen Tieren sehr verschieden sein kann, und zwar von fast farblos bis zu tief gelb. Ein nur 5 Monate alter, in der Tabelle nicht erwähnter Hahn wies folgende Blutwerte auf: 2,28 Mill. Erythrocyten, 8,9 g Hämoglobin, 39 . 10°1?25 Hämoglobingehalt eines Erythrocyten, Lymphocyten 70, Mononucleäre und Übergangsformen 2, Pseudoeosinophile 26, Eosinophile 1, Basophile 1%, Thrombocyten wenig aber in Haufen, Brechungsexponent des Plasmas 1,3425 bzw. 3,8%, Eiweiß. Noch sei auch eines brütenden Huhnes gedacht, das merkwürdige Blutwerte - zeigte: 1,98 Mill. Erythrocyten, 6,08 Hämoglobin, 30 - 10°1& Hämo- globingehalt eines Erythrocyten, Lymphocyten 49, Mononucleäre und Übergangsformen 2, Pseudoeosinophile 41, Eosinophile 7, Baso- phile 1%, Thromboeyten wenig aber in großen Haufen, Brechungsex- ponent des Plasmas 1,3429 entsprechend 4,8%, Eiweiß. Bei dem brü- tenden Huhn sind also die Werte für die Erythrocytenzahl, den Hämo- globingehalt, den Gehalt eines Erythrocyten an Hämoglobin und den Brechungsexponenten des Plasmas auffallend klein, relativ groß ist die Zahl der Eosinophilen. Als Gesamtresultat ergibt sich bei den Hühnern eine kleinere Erythrocytenzahl, aber ein relativ größerer Hämoglobingehalt, als bei den bisher untersuchten Säuge - Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. Das Blut der Tauben. Versuche vom 30. Juli und 19. bis 22. August 1919. Berechnete Eiweiß- SE en oe BEENDEN NE prozente des Plasmas nn mann mad ann Brech ee andam o ic rec ungsezponent ale ee ee ler Plasmas bei 17,5° © anananananmnmnn nm | - -— = m! ea Bm -— m! u | &0 &0 &0 &0 - I ee En E = ) = DS = fs) = © Thrombocyten ae © E B = s E 2 = = - Ren = Rz) B= © [3 ® © | a an un un : | Basophile lim oo Ta a mo aa = | E : in Sg. ‘ Eosinophile Art Tao rm oösrH -o© | [1 | - Eu Pseudo- N se Si or elek. es eosinophile ISENDIE CNC CO HIT CHIC MIEN oO.u en SM | Mononucleäre E 2a und) Übergangs | yon om sen A | formen || | DNOMERT Mel DUSOECON IL Lymphoeyten ywooo oo © 0 © Hämoglobingehalt eines Erythrocyten SEN EI in 10-12 g Hämoglobin > Br % = Br IH! Sn < in 100 cem Blut in g EEE NEN : Oo tmno»n on o a Erythrocyten in 1 cmm ann sarıi mn no ButinMllnoea | oosoNosana on «a EEE BE ee | A F I = at. a a ei > > = Zeit der Blutentziehung | X _ Ta Ta ua Tao a - >) sen $yeana & = IS on © m A 5 ee) = nl =) & S= „on _ Ernährungszustand = a EI SR et) ‚2750 7 ii © Be] © = = Farbe und Rasse Eee er Rn an rag = _ es| Ra: Too o=-909»nmoo%n Gewicht in kg SET EISEN EN! SIE ES Se Alter in Monaten = Sep = SET Vahgee ch - E 3 Geschlecht ae Blee. Anand 3 xS A Ä Taube maoa=»nor on © Laufende Nummer - 7* 99 100 G. Fritsch: tieren und damit ein absoluter Hämoglobingehalt eines Erythrocyten von einer Größe, wie er bisher noch nicht beobachtet wurde. Alle genannten Werte sind bei männ- lichen Tieren größer als bei weiblichen, das mittlere Körper- gewicht der ersteren übertrifft auch das der letzteren um volle 43%. Bei den Hähnen scheinen die Pseudoeosino - philen über die Lymphocyten zu überwiegen, bei den Hennen ist es umgekehrt. Relativ klein ist die Zahl der Mononucleären und Übergangsformen, relativ groß die der Basophilen. Thrombocyten sind sehr wenig vorhanden. Der Brechungsexponent erreicht im Vergleich zu dem der bisher untersuchten Tiere den niedersten Wert; die beiden Geschlechter verhalten sich in dieser Beziehung nicht ver - schieden. Das Plasma ist bei den einzelnen Tieren sehr verschieden stark gefärbt. Die zu den Versuchen verwendeten 5 männlichen und 5 weiblichen Tiere waren Brieftauben im Alter von 2 bis 12 Monaten. Das mitt- lere Gewicht der männlichen Tiere betrug 0,34, das der weiblichen 0,32 kg. Die Tiere waren mit Ausnahme des etwas schwächlichen Tieres Nr. 9in gutem Ernährungszustande. Die Blutentziehung wurde morgens vorgenommen. (Siehe die Tabelle S. 99.) Die mittlere Erythrocytenzahl der männlichen Tiere berechne ich zu 3,18, die der weiblichen zu 3,17 Mill., also kein Unterschied bei den Geschlechtern. Größte Abweichung vom Mittel — 11 bzw. + 14%, entsprechend Werten von 2,82 und 3,63 Mill. Die S. 86 erwähnten, von Hedfeld und von Klieneberger und Carl ermittelten Werte sind um fast 1 Mill. oder um 31%, höher, was begreiflich erscheint, da diese Autoren die Thomasche Zählmethode verwendeten. Gerade bei Zählungen im Taubenblut, dessen Erythrocyten sich rasch senken, ist aber, wie R. Marloff in einem Falle ermittelte (a. a. o. S. 363), die Thomasche Methode mit einem Fehler von 35%, behaftet, was ziem- lich gut mit den obigen Angaben übereinstimmen würde. Wie Kliene - berger und Carl (a. a. o. S. 89) habe auch ich kernlose Erythrocyten im Taubenblute ‚„Hämoglobinkugeln‘“ gefunden. Der mittlere Hämoglobingehalt der männlichen Tiere beträgt 14,0, der weiblichen 13,4, Gesamtmittel 13,7. Das Geschlecht übt also offenbar keinen nennenswerten Einfluß auch auf den Hämoglobin- gehalt aus. Der niederste und höchste Wert mit 12,0 und 15,0 g weicht vom Mittelwerte um — 12 bzw. + 10% ab. Die von anderen Autoren mit nicht ausreichenden Methoden gefundenen Werte stimmen schlecht mit den meinigen überein. Der Marloffsche Wert -15,2 g ist reichlich hoch, noch etwas höher als der von mir beobachtete höchste Wert. Was den mittleren Hämoglobingehalt eines Erythrocyten Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 101 betrifft, so berechne ich ihn für die männlichen Tiere zu 44, für die weiblichen zu 42, Gesamtmittel 43 - 10-1?g, also ziemliche Überein- stimmung bei beiden Geschlechtern. Der niederste Wert von 39 unter- scheidet sich um 9, der höchste von 49 um 14%, vom Mittelwert. Ein Vergleich mit den Resultaten früherer Autoren ist nicht gut möglich, da die von diesen ermittelten Erythrocytenzahlen oder Hämoglobinwerte nicht richtig sind. Marloff fand in dem oben genannten Falle 54, einen auffallend hohen Wert, der durch den zu hohen Hämoglobingehalt bedingt ist. Die Leukocytenzahl konnte einwandfrei nicht ermittelt werden. Das prozentische Verhältnis der verschiedenen Leukoc De n- arten ergibt sich zu: Leukocytenart | Täuber Täubinnen Iiymphocyten a a 56 60 Mononucleäre und Übergangsformen. EEE. 4 2 Bseudoeosinophilener een | 37 34 IEosinophiles a2 2a. ee en 1 2 Basophiley. mn aa a dee | 2 2 Das Verhältnis ist also bei beiden Geschlechtern ungefähr das gleiche. Aus der Tabelle geht ferner hervor, daß auch dieses Vogelblut durch eine physiölogische Lymphocytose gekennzeichnet ist. Mononucleäre und Übergangsformen, Pseudoeosinophile und Eosinophile sind relativ wenig, Basophile relativ viel vorhanden. Meine Resultate stehen also mit den von Klieneberger und Carl gewonnenen besser im Einklang als mit denen von Hedfeld, ohne mit ersteren ganz übereinzustimmen. Die Thrombocyten, auch hier spindelförmige, kernhaltige, viel- fach in Haufen beisammen liegende Zellen sind wie bei den Hühnern so auch bei den Tauben im Vergleich zum Säugetierblute in wesentlich geringerer Menge vorhanden. Den Brechungsexponenten des Plasmas berechne ich im Mittel für die männlichen Tiere zu 1,3432 entsprechend 4,2%, Eiweiß, für die weiblichen zu 1,3436 entsprechend 4,4%, Eiweiß, Gesamtmittel 1,3434 entsprechend 4,3%, und damit ziemliche Übereinstimmung bei beiden Geschlechtern. Der niederste Wert 1,3420 und der höchste 1,3454, die beide bei weiblichen Tieren beobachtet wurden, liegen um — 0,10 bzw. + 0,15% vom Mittelwerte ab. Der Brechungsexponent weist einen so kleinen Wert auf wie bei keinem der bisher untersuchten Tiere, er ist auch noch wesentlich kleiner als bei den Hühnern. Die Intensität der Farbe des Plasmas schwankt wie bei den Hühnern von Tier zu Tier, wenn auch nicht so stark. Bei einem Rückblick auf die bei den Tauben erzielten 102 G. Fritsch: Resultate zeigt sich bemerkenswerterweise, daß ein Ein- fluß des Geschlechts auf die Blutwerte nicht besteht, wäh - rend dies doch bei der anderen Vogelart, den Hühnern, der Fall ist. Die Erythrocytenzahl ist im Vergleich zu der der bisher untersuchten Säugetiere klein, aber noch etwas größer als die Durchschnittszahl bei den Hühnern. Relativ sroß ist auch der Hämoglobingehalt, er ist in der Vo- lumenseinheit Blut größer als im Pferde-, Rinder- und Kaninchenblut und wird nur noch von dem des Hunde- blutes übertroffen, ja, er ist auch nicht unerheblich größer als der des Hühnerblutes. Der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten erreicht einen so hohen Wert wie bei keinem der bisher untersuchten Tiere. Unter den Leukocyten überwiegen die Lymphocyten bei weitem über die anderen Leukocytenarten, es besteht also eine physiologische Lymphocytose. Mononucleäre und Übergangsformen, Pseudoeosinophile und Eosinophile sind relativ wenig, Basophile relativ viel vorhanden. Die kernhaltigen Throm- bocyten sind in relativ geringer Zahl vertreten. Der Bre- chungsexponent des Plasmas ist so klein wie bei keinem der bisher untersuchten Tiere, also auch noch kleiner als der des Hühnerplasmas. Der Farbstoffgehalt des Plasmas zeigt bemerkenswerte Schwankungen. Es liegt nahe, die größere Erythrocytenzahl und den höheren Häme- globingehalt mit dem Fliegen in Beziehung zu bringen. Ob etwa der Eiweißgehalt des Plasmas kompensatorisch deshalb so stark herabge- setzt ist, um bei dem relativ hohen Hämoglobingehalt die Viskosität des Blutes nicht zu groß werden zu lassen, muß Gegenstand einer be- sonderen Untersuchung sein. 4. Zusammenfassung. Die genauere Ermittlung der wesentlichen Blutwerte von 10 Ka- ninchen, 10 Hühnern und 10 Tauben, darunter je 5 männliche und 5 weibliche Tiere, hat zu den in der folgenden Tabelle zusammengestellten Durchschnittswerten geführt. In diese Tabelle sind zum Vergleich auch die schon früher von P. Kuhlan 10 Hunden, 10 Pferden und 10 Rin- dern gewonnenen Werte aufgenommen. Vorausgeschickt sei die. be- merkenswerte Tatsache, daß deutliche auf das Geschlecht zurückzu- “ führende Unterschiede in den Blutwerten von allen diesen Tieren nur bei den Hähnen und den Hennen nachweisbar waren, also bei Tieren, bei denen auch die sekundären Geschlechtscharaktere besonders ent- wickelt sind, Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 103 = Leukocytenarten n g 8 a 3 8 E: in en, S 5. = E | ee ee E 2 52 [= = |JemM ıSsE=| 2215 |#3 eöoleo “ 3 “"n SR 5 ga|8: 88L|s&|$ 2s.=3558 3 € a2 128 = B3 ES 837 £2= 215535285 © 5 ee Ss Eis g## 32|53 55583.3253| 2 = SS 838 saı as |353|513% Efela|® a 188 Sn ren een ame Hunde ..\6,59[15,8| 24 11260125] 8 | 57 10/<1| wenig |1,3484 7,2 Pferde . . 6,94 | 12,4| 18 10,30) 38 4 | 54 4\<] R 1,3495 | 7,8 Rinder.. .|5,72|10,8| 19 | 7,9064 | 10 | 21 5 il) viel 1,5490 7,6 Kaninchen|| 5,86 |11,9| 20 | 891163] 1 |31 | 2| 2 | sehr viel 1,3473 6,6 Hähne 3,24 |12,3| 38 | — 40 2 | 49 5| 3 |sehr wenig, 1,3463 | 6,0 | 20 86355, 6 528 5 2| „21346669 Pauben..j3,18 13,7) 43 | — |ss|. 3 | 3551151 2 |. .„ |13434| 43 Was von den von mir untersuchten Tieren zunächst die Kanin - chen betrifft, deren durchschnittliches Körpergewicht 2,60 kg beträgt, so ist deren Erythrocytenzahl recht konstant, im Mittel 5,86 Mill. Wie beim Hund, Pferd und Rind ist dieser Durchschnittswert größer als der beim Menschen. Auch der Hämoglobingehalt des Kaninchenblutes schwankt von Tier zu Tier nur wenig, er beträgt im Mittel 11,9 & in 100 cem Blut. Der Gehalt reicht bei weitem nicht an den des Menschen- und Hunde- blutes heran, er ist etwas kleiner als der des Pferde-, aber größer als der des Rinderblutes. Der Gehalt eines Erythrocyten an Hämoglobin ist, wie auch bei allen anderen bisher untersuchten Tieren, von einer bemerkenswerten Konstanz; ist also auch einmal die Erythrocytenzahl größer, so ist es unter normalen Verhältnissen auch der Hämoglobingehalt und umge- kehrt. Der Gehalt ergab sich im Mittel zu 20-10" g, er ist damit kleiner als bei Mensch und Hund, aber etwas größer als bei Pferd und Rind. Die Leukocytenzahl wurde im Mittel bei den 5—6 Monate alten Kaninchen zu 8,91 Taus. bestimmt, sie weist also in bezug auf die bisher untersuchten Tiere mittlere Werte auf, der Schwankungsbereich ist aber wie bei Menschen und allen Tieren größer. Nach den Untersuchun- gen C. Lindbergs ist zu erwarten, daß jüngere und ältere Tiere nie- derere Werte aufweisen. Die zur Verwendung des Blutes und zur Auf- lösung der Erythrocyten verwendete Türksche Lösung muß weniger Eisessig enthalten, als Türk für Menschenblut angegeben hat, sonst kommt es zu störenden Eiweißniederschlägen. Im Trockenpräparat zeigen die Kaninchen-Erythrocyten Nei- gung zu Agglutination, zu Stechapfelformen und zur Polychromatophilie. Bei der Differentialzählung, zu der sich das Leitzsche monob- 104 G. Fritsch: jektive Binokularmikroskop besonders eignet, wurden im Mittel 63%, Lymphocyten, 1%, Mononucleäre und Übergangsformen, 31%, Pseudo- eosinophile, 2%, Eosinophile und 2% Basophile gefunden, das Blut hat also wie das der Rinder Iymphatischen Charakter; das gilt aber nur für 5—6 Monate alte Tiere. Die Unterscheidung der Lymphocyten und der Mononucleären bereitet Schwierigkeiten. Relativ reich ist das Blut an basophilen Leukocyten. ' Die Thrombocytenzahl ist im Trockenpräparate des Kaninchen- blutes im Vergleich zu dem der bisher untersuchten Blutarten schät- zungsweise eine große. Der Brechungsexponent des Plasmas ist mit 1,3473 entspre- chend 6,6%, Eiweiß der kleinste von den bisher ermittelten. Die Farbe des Plasmas ist eine ganz schwach gelbliche. Bei Hähnen und Hennen, deren Körpergewicht schon um 43%, differierte, sind die Blutwerte nicht gleich. Die Erythrocytenzahl der Hähne ergab sich im Mittel zu 3,24, die der Hennen zu 2,77 Mill. Von Tier zu Tier sind die Schwankungen nicht groß. Die bisher mit der Thomaschen Methode ermittelten Werte sind zu hoch. Die Ha yem sche Lösung veranlaßt Agglutination der Erythrocyten, weshalb sie zur Verdünnung des Blutes nicht geeignet ist, Tyrodelösung erwies sich als besser. Der Hämoglobingehalt beträgt bei den Hähnen 12,3, bei den Hennen 9,6 g, der Gehalt eines Erythrocyten bei ersteren 38, bei letzteren 35. 10°1?g und ist recht konstant, er ist somit wesentlich größer als bei allen bisher untersuchten Säugetieren. und beim Menschen. Da zur Zeit eine einwandfreie Methodik zur genauen Ermittlung der absoluten Leukocytenzahl nicht besteht, wurde sie auch nicht bestimmt. Das prozentische Verhältnis der Leukocytenarten ist bei Hähnen: 40%, Lymphocyten, 2% Mononucleäre und Übergangsformen, 49%, Pseudoeosinophile, 5%, Eosinophile, 3% Basophile, bei Hennen sind die entsprechenden Werte 64, 5, 23, 5, 2. Demnach würde das Blut einen Iymphatischen Charakter aufweisen. Relativ groß ist die Zahl der Basophilen. Die Thrombocytenzahl ist wesentlich kleiner als bei den Säuge- tieren, der Brechungsexponent des Plasmas ist es mit 1,3463 entsprechend 6,0°%, Eiweiß für die Hähne und 1,3466 entsprechend 6,2% Eiweiß für die Hennen auch. Was endlich das Blut der Tauben anlangt, so sind die Verhält- nisse ähnlich wie bei den Hühnern, aber nicht gleich. Zunächst weisen Täuber und Täubin im Gegensatz zu Hahn und Henne keine wesent- lich verschiedenen Blutwerte auf, auch das Körpergewicht ist unge- fähr gleich. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. 105 Die Erythrocytenzahl beträgt im Mittel 3,18 Mill. Zur Ver- dünnung des Blutes eignet sich auch hier Tyrodelösung besser als Hayemlösung. Die von anderen Autoren mit der Thomaschen Zählmethode gefundenen Werte sind entschieden zu hoch. Der Hämoglobingehalt des Blutes ist im Mittel 13,7 g, also höher als bei den Hühnern, der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten 43.101? und damit der größte der bisher untersuchten Tiere, also auch größer als der der Hühner. Die absolute Leukocytenzahl konnte auch bei den Tauben nicht einwandfrei ermittelt werden. Die Leukocytenformel lautet im Mittel 58%, Lymphocyten, 3%, Mononucleäre und Übergangsformen, 35,5 Pseudoeosinophile, 1,5%, Eosinophile und 2%, Basophile, also wie bei den Hühnern Iymphatische Beschaffenheit des Blutes. Thrombocytenzahl schätzungsweise ähnlich wie beiden Hühnern, Brechungsexponent des Plasmas mit 1,3434 entsprechend 4,3%, Eiweiß noch wesentlich kleiner als bei den Hühnern, Farbe des Plasmas wechselnd, wenn auch nicht so stark wie bei den Hühnern. Gegenüber den Säugetieren weisen also die untersuchten Vögel einen sehr großen Hämoglobingehalt eines Erythrocyten, aber eine wesentlich kleinere Plasmakonzentration auf. Aus all diesen Versuchsresultaten ergibt sich eine ganze Reihe neuer Fragestellungen. (Aus dem pathologisch-physiologischen Institut der Universität Köln; [Direktor: Geh. Rat Hering)). Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, mit besonderen Ausführungen über das Alles-oder-Nichts-Gesetz, die Extrasystole und den Herzalternans. Von Dr. Eberhard Koch, Assistenten am Institute. Mit 26 Textabbildungen. (Eingegangen am 9. Januar 1920.) 1. Kontraktionsablauf und Kurvenform. Beobachtet man die Kammertätigkeit des Froschherzens mit dem bloßen Auge, so macht es den Eindruck, als ob alle Stellen sich gleich- zeitig zusammenzögen und gleichzeitig erschlafften. Man ist deshalb gewohnt, die Kammermuskulatur als ein Ganzes zu betrachten, wo in der gleichen Phase der Tätigkeit alle Teile in gleichem Zustande seien. Aber diese Gleichzeitigkeit ist nur eine scheinbare. Denn bei der elektrographischen Verzeichnung wird die Basis gegenüber der Spitze zuerst negativ!); die „Erregung‘‘ wandert von der Basis zur Spitze hin. Ihre Fortpflanzungsgeschwindigkeit beträgt mindestens 100 mm in der Sekunde?). Mit der gleichen Geschwindigkeit pflanzt sich die Kontraktion fort3). Die Fasern an der Spitze beginnen also eine geringe, höchstens 0,1” ausmachende Zeit später sich zu kontrahieren als die Fasern an der Basis. Wie sich diese zeitlich verschiedene Kontraktion der einzelnen Kammerabschnitte zur Suspensionskurve der ganzen Kammer verhält, läßt sich bildlich veranschaulichen: 1) Th. W. Engelmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 1%, 73. 1878. — R. Marchand, Archiv f. d. ges. Physiol. 17, 142. 1878. 2) Th. W. Engelmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 1%, 88. 1878. — R. Marchand, Archiv f. d. ges. Physiol. 1%, 147. 1878. — J. Burdon- Sanderson and Page, Journ. of Physiol. 2, 424. 1879/80. 3) J. Bernstein, Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsysteme. 1871, S. 90. — Th. W. Engelmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 62%, 548. 1896. ..die Fortpflanzungsgeschwin- E.Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens usw. 107 Als Ausdruck der Tätigkeit der ganzen Kammer sei eine bei Suspen- sion der Spitze erhalten gedachte Durchschnittskurve gegeben (sie möge eine Höhe von 8,8 und eine Dauer von 1,2” haben, wobei Systole und Diastole gleich lang 39 seien). Außerdem sei noch 8 digkeit der Erregung von i der Basis zur Spitze bekannt ° (der besseren Übersicht we- 5 gen ist für sie der Wert 0,2” „ angenommen). Nun denke , man sich die Kammer durch Querlinien parallel zur Basis 2 in kleine gürtelförmige Zonen 7’ geteilt. Dann würde sich der 9 erste Querschnitt an der Ba- sis 0,2 Sekunden früher kon- trahieren als der letzte an der Spitze. Zeichnet man das Einzelergebnis der Kontraktionen von etwa fünf Querschnitten, die den gleichen mechanischen Erfolg haben mögen, in die Suspensionskurve ein, so ergibt sich das dargestellte Bild: auf Grund der zeitlichen Verschiedenheit ist der mechanische Gesamterfolg zerlegt in die Erfolge der einzelnen Quer- schnitte. Berücksichtigt man so nur die zeitliche Beziehung der elektrischen und mechanischen Erscheinungen der Kammertätigkeit, so läßt sich die „Erregung“ als ein dem mechanischen Erfolge (wegen des feineren Indikators) zeitlich voran- gehender Ausdruck des Geschehens am Muskel auffassen; sie ist der erste wahr- nehmbare Beginn der Kontraktion. An dieser Darstellung mag besonders auffallen, daß sich die Suspen- sionskurve unmittelbar nach dem auslösenden Reize, der im Schnitt- punkte der Koordinaten eintreffe, erhebt. Aber selbst wenn man an- nimmt, daß zwischen dem Einsetzen des Reizes und den ersten Kon- traktionsvorgängen in der einzelnen Muskelfaser eine gewisse Zeit vergeht, so ist diese doch so kurz, daß sie in der Zeichnung vernach- lässigt werden kann. Die mechanische Latenzzeit aber, wie sie bedingt ist durch das Trägheitsmoment und die Reibung des Hebels, sowie durch Dehnung der noch nicht kontrahierten Muskelteile, fällt für eine gedanklich dargestellte Kurve weg. (Diese wird in Wirklichkeit außer- dem noch verändert durch das statische Moment und die Bogenschrei- bung des Hebels.) Der Erfolg eines einzelnen Querschnittes ist mit Rücksicht auf die Anschaulichkeit geradlinig verlaufend gezeichnet; sie kann nötigenfalls durch jede beliebige Kurve ersetzt werden. i Abb. 1. v = Fortpflanzungsgeschwindigkeit. 108 E.Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens Aber ein anderer Umstand gibt mehr zu bedenken: die Wiedergabe, daß alle Querschnitte den gleichen mechanischen Erfolg haben. Hierzu wäre die gleiche Anzahl physiologisch gleicher Muskelfasern in jedem Quer- schnitte notwendig. Dies trifft nun in bezug auf die Anzahl sicher nicht zu. Und die Frage, ob die Fasern an der Basis und die an der Spitze physio- logisch gleich sind, ist nicht entschieden !). Dazu kommt die Möglichkeit einer Verschiedenheit der Muskelfasern der Außen- und Innenschicht2). Gar nicht berücksichtigt ist der Einfluß der Füllung. Bedenkt man alles dieses, so kann man in der Darstellung keine Wiedergabe des verwickelten Zustandekommens der wirklichen Suspen- sionskurve der ganzen Herzkammer sehen. Es soll vielmehr nur eine anschauliche Grundform gegeben werden, von der ausgehend man schwie- rigere Verhältnisse darstellen und die Bedeutung von Einzelheiten für die Kurvenform abschätzen kann. Nur insofern mag die Darstellung gelten. Dann aber veranschaulicht sie, wie die Kurve der ganzen Kammer zusammengesetzt ist aus dem Kontraktionsergebnis der einzelnen Fasern: daß die Kontraktionen der Fasern an der Spitze gegen die an der Basis um die Dauer der Fortpflan- zungsgeschwindigkeit zeitlich verschoben sind; daß das Maximum der Gesamtkurve nicht dem Maximum der Einzelkurve entspricht. (In der Darstellung ist die Dauer der Einzelkurve um die ganze Fortpflan- zungsgeschwindigkeit kürzer als die der Gesamtkurve; das Maximum der Gesamtkurve wird um die halbe Fortpflanzungsgeschwindigkeit später. erreicht als das Maximum der Einzelkurve. — Inwieweit man aus der Ein- zelkurve als Kontraktionsergebnis auf einen Kontraktionszustand der Muskelfaser schließen darf, mag hier unberücksichtigt bleiben.) Im Versuche kann man die verwickelten Verhältnisse an der Herzkammer im Sinne der Darstellung vereinfachen, wenn man die linke Basisecke der leeren Kammer festklemmt und die Spitze suspendiert. Dann wird im wesentlichen nur die Verkürzung des Muskelstreifens zwischen diesen beiden Punkten verzeichnet, während die übrigen Muskelfasern für die Hebelbewegung kaum in Betracht kommen®). Bei dieser Anordnung kann auch — im Hinblick auf andere Fragen — die Ansicht vernachlässigt werden, daß die Erregung an der Spitze umkehrt und zu den Basisteilen an der Aortenwurzel hinläuft*). Es bleibt dann noch die eine Voraussetzung, daß die Erregung nur an einer Stelle beginnt. Dies ist aber bei der vom Vorhofe herkommenden Erregung nicht der Fall; es kann aber im Ver- suche durch möglichst begrenzte Reizung der stillstehenden Kammer erreicht werden. Dann pflanzt sich die für die Kurve in Betracht kommende Kontraktion annähernd von einem Punkte aus in einer geraden Linie fort. Die Darstellung veranschaulicht ferner, wie wichtig es ist, für jede Suspensionskurve die dazu gehörige Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu 1) Über morphologische Verschiedenheit: Pohl-Pincus, Archiv f. mikr Anat. 23, 504. 1883. :2) OÖ. Schmiedeberg, Archiv f. Phys. 1910, 182. 3) F. B. Hofmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 84, 134. 1901. 4) F. Gotch, Proc. of the Roy. Soc., B, %9, 327. 1907. und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. 109 kennen. Denn erst dann kann man Schlüsse auf die Kontraktilität der einzelnen Fasern ziehen. (Unter Kontraktilität ist das mechanische Reaktionsvermögen des Muskels, wie es sich an der Suspensionskurve ausprägt, verstanden?). Bei gleichbleibender Kontraktilität nämlich würde eine Veränderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit die Kurvenform in der Hinsicht verändern, daß bei größerer Schnelligkeit sich eine höhere. Erhebung und eine kürzere Dauer ergibt, wobei die steileren Schenkel ein spitzeres Dach bilden (Abb. 2b). Bei verlangsamter Fortpflanzungsgeschwindig- keit aber wird die Kurve niedriger und dauert länger, ihre flacheren Schenkel bilden ein breiteres Dach (Abb. 2e). 6 6 6 5 9 5 4 4 4 Pe) 3 3 2 2 2 7 7 7 N VE ET ee a b c Abb. 2. Einfluß der zeitlichen Aufeinanderfolge der Einzelkontraktionen auf die Kurvenform. Abb.a:»=0,1‘. Abb. b:»=0; alle Fasern kontrahieren sich gleichzeitig. Abb. ce: v = 0,4”. Aus der Kurvenform allein läßt sich vor allem dann nicht auf den entsprechenden Kontraktionsablauf schließen, wenn an der Herz- kammer partielle Veränderungen vorliegen. So kann eine kleinere Hubhöhe an der Kurve sowohl darauf beruhen, daß die Kontraktilität im gesamten Muskel gleich- mäßig, als auch, daß sie S . nur in einem Teile herab- 2 gesetzt ist, oder es kann # 4 ein Teil überhaupt aus- 3 3 fallen. Wie sich eine par- , 2 tiell verzögerte Fortpflan- 3 2 zungsgeschwindigkeit an | der Kurveausprägenwürde, 05 710 a 05 10 veranschaulicht die dritte Abb. 3. Einfluß partiell verzögerter Fortpflanzungs- Darstellung (Abb. 3). geschwindigkeit auf die Kurvenform. Zur Deutung der Suspensionskurve ist es also notwendig, die Kontraktilität der verzeichnenden Fasern und deren zeitliche Aufeinanderfolge zu kennen; ferner muß bekannt sein, ob innerhalb der Kammer alle Fasern gleich sind. !) H. E. Hering, Archiv f. d. ges. Physiol. 86, 535. 1901. 110 E. Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens 2. Vom Alles-oder-Nichts-Gesetz. Die ursprüngliche Fassung des Alles-oder-Nichts-Gesetzes, wie sie Bowditch geprägt hat, heißt: es „bewirkt der Inductionsstrom ent- weder eine Zuckung oder er vermag dieses nicht; und vermag er das erstere, so ruft er auch die umfangreichste Zuckung hervor, welche der Induetionsstrom zur gegebenen Zeit überhaupt auslösen kann‘““!). Es ist hier nur von einem gleichen mechanischen Erfolge bei verschieden starkem Reize die Rede. Da Bowditch an einer anderen Stelle?) das Verhältnis der Vorgänge am Muskel zu der geleisteten Arbeit als wenig bekannt bezeichnet, so scheint es, als ob die vorsichtige Ausdrucksweise der neuen Beobachtung in bewußter Wertung ihrer Tragweite gewählt worden sei. Das Alles-oder-Nichts-Gesetz besagt also nur, daß die Hubhöhe bei verschieden starken Reizen gleich ist. Aber der entsprechende Kon- traktionsablauf ist insofern geändert, als beieinem stärkeren Reize eine größere Faseranzahl unmittelbar getroffen wird als bei einem schwächeren. Dabei ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den nicht unmittelbar getroffenen Fasern immer gleich?). Diese verschiedene zeitliche Aufeinanderfolge der Einzel- kontraktionen bei verschieden starken Reizen prägt sich nun in der Kurvenform insofern aus, als einem stärkeren Reize eine kürzere mechanische Latenz und eine kürzere Anstiegzeit ent- spricht, bei meßbar gleicher Hubhöhe®). 97 02 03 09 05 06 07 08 03 10 41 In der vierten Darstellung ist diese Auffassung bildlich wiedergegeben: Hier beginnen im Gegensatze zu der ersten Darstellung (S. 107) im Augenblicke des Reizes drei Querschnitte sich gleichzeitig zu kontrahieren. Die Folge ist ein steilerer und kürzer dauernder Anstieg. DEE CHE SIT TR FAHNEN INES Ss Abb.4. Einfluß der Reizstärke auf die Kurvenform. Ein stärkerer Reiz prägt sich an der Kurve also aus gleichsam wie eine teil- weise beschleunigte Fortpflanzungsgeschwindigkeit. Bei dem Vergleiche der ersten 1) H.P. Bowditch, Ber. K. Sächs. Ges. Wiss. Math.-phys. Kl. Bd. 23, 687. 1871. 2) S. 653. ®) Th. W. Engelmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 66, 586. 1897. *) Th. W. Engelmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 11, 468. 1875. — F.B.Hofmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 84, 140. 1901. — A. Bornstein, Archiv f. Physiol. Suppl. 1906, 383. und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. 111 und vierten Darstellung mag auffallen, daß die Hubhöhe deutlich mit der Reiz- stärke wächst. Dies dürfte wohl zunächst damit zusammenhängen, daß eine ge- dankliche Kurve bei verzögerter Fortpflanzungsgeschwindigkeit wiedergegeben ist. Sodann spielt aber auch eine Rolle, daß der Kontraktionserfolg des Einzelquer- schnittes geradlinig gezeichnet ist. Wählt man statt der geraden Linie eine anfangs rasch, später immer langsamer aufsteigende Kurve, wie sie dem wirklichen Ge- schehen wohl näher kommt, so treten die Höhenunterschiede auch in der Darstel- lung erst bei stark verzögerter Fortpflanzungsgeschwindigkeit hervor. Die Unterschiede in der Latenzzeit und der Anstiegdauer bei ver- schieden starken Reizen werden um so deutlicher, je langsamer die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktion wird!). Bei genügend starker Verzögerung ist dann zu erwarten, daß einem stärkeren Reize außerdem noch eine größere Hubhöhe entspricht. Dies trifft denn auch für die als Ausnahmen vom Alles-oder-Nichts - Gesetz beschrie- benen Beobachtungen am absterbenden Herzen zu?). So erscheint die Tatsache des Alles-oder-Nichts-Gesetzes als wesent- lich bedingt durch die große Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kon- traktion: diese breitet sich so schnell über die ganze Kammer aus, daß es für die Hubhöhe belanglos ist, ob das Ursprungsgebiet kleiner oder größer ist. Die Hubhöhe ist nur bedingt durch den jeweiligen Zustand der verzeichnenden Fasern. Erst bei stark ver- zögerter Fortpflanzungsgeschwindigkeit entspricht einem stärkeren Reize eine größere Hubhöhe. Es mag auffallend erscheinen, daß dieses Gesetz aus Beobachtungen am Frosch- herzen hervorgegangen ist, wo die Fortpflanzungsgeschwindigksit nur etwa 30 mal so klein ist wie am Skelettmuskel. Aber es kommt nicht auf das absolute Maß der Geschwindigkeit an, sondern auf das Verhältnis der Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu der durchlaufenen Strecke. Sodann aber werden am Herzen wegen des zusammen- hängenden Flechtwerkes der Muskulatur bei jedem Reiz immer alle Fasern erregt, während beim Skelettmuskel die Anzahl der erregten Fasern von der Reizstärke abhängt. 3 3. Von der Extrasystole. Prüft man zu verschiedenen Zeiten der Diastole die Erregbarkeit und trägt die erhaltenen Werte in ein Koordinatensystem ein, so erhält man eine logarithmische Kurve®). Gleichsinnig mit der Erregbarkeit stellt sich unter physiologischen Verhältnissen nun auch die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit wieder her*), die unmittelbar nach jeder Systole gänzlich aufgehoben ist>). !) A. Bornstein, Archiv f. Physiol. Suppl. 1906, 383. 2) H. Kronecker, Archiv f. Physiol. 1883, 265 u. 268 — Th. W. Engelmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 65, 125. 1897. — A. Bornstein, Archiv f. Physiol. Suppl. 1906, 383. ®2) W. Trendelenburg, Archiv f. d. ges. Physiol. 141, 385, Abb. 5. 1911. — A. Samojloff, Archiv f. d. ges. Physiol. 14%, 263, Abb. 4. 1912. 2) H. E. Hering, Archiv f. d. ges. Physiol. 86, 538. 1901. 5) Th. W. Engelmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 62, 550. 1896. 112 E.Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens ad Es fragt sich nun, welchen Einfluß bei der verzögerten Fortpflan- zungsgeschwindigkeit, besonders im Beginne der Diastole, die Reizstärke auf die Kurvenform der Extrasystole hat. In der Literatur findet sich die Anschauung vertreten, daß für das Auslösen einer Extrasystole dem Alles- oder - Nichts - Gesetz ent- sprechend nur der Reiz- augenblick, die Phase, maß- gebend seit). Um bei daraufhin ge- Abb. 5. A. Einfluß der Reizstärke auf die Kurvenform richteten Versuchen 2) in der Extrasystole. 5 Z Versuch vom 22.IV. 1919: Kurarisierter Kaltfrosch. der gleichen Phase der Dia- (R. temp. O') 15° ee. 9h 40’; Suspension stole verschieden starke an der Spitze; A-V-Grenze durch Klemme fixiert. ; ; Fadenelektroden an der V-Mitte. 9445’: Reizung mit Reize anwenden zu können, 200 -Einheiten. 000 Kronecker-Einheiten rde folgende Versuchs- anordnung gewählt): Andem freien Arme des Sus- pensionshebels wurde ein Pla- tinstift senkrecht angebracht, der bei der Hebelbewegung in ein unter Alkohol stehendes Quecksilbergefäß ein- und aus- tauchte. Dadurch, daß dieses Quecksilbergefäß in der Höhe verstellbar war, konnte der Augenblick des Reizes in jede gewünschte Phase gelegt wer- Abb. 5. B. 9h46’: Reizung mit 8000 Kronecker-Einheiten. den. Die Schließungschläge Dem stärkeren Reize entspricht eine größere Vorzeitigkeit Rn und kleinere Hubhöhe der Extrasystole; dementsprechend mern abgeblendet. Das Er- eine höhere und länger dauernde Postextrasystole. gebnis. wurde später mit einer anderen Versuchsanordnung bestätigt: hier wurde die stillstehende Kammer doppelt gereizt; das Reizintervall wurde durch ein Metronom festgesetzt (Abb. 6). Mit Ausnahme der Abb. 5, 11 und 21 wurde zur Reizung ein Portersches Induktorium benutzt. !) Zum Beispiel A. R. Cushny and S. A. Matthews, Journ. of Physiol. 21, 216. 1897: „Stimuli reaching the heart at the same point of the cycle have always the same result, whatever their intensity.‘ 2) Diese Versuche, von denen Abb. 5, 11 und 21 herrühren, wurden im Früh- jahr 1919 im Bonner physiologischen Institute gemacht. 3) Eine ähnliche Versuchsanordnung findet sich abgebildet bei W. Trendelen- burg, Archiv f. d. ges. Physiol. 141, 383. 1911. Auf dem gleichen Prinzip beruht ein von H. E. Hering angegebener Apparat. | Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 1906, S. 533, sowie eine von J. Gewin, Inaug.-Diss. Utrecht 1906 beschrie- bene Anordnung. 0,2” un 0,27’ und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. 113 Es ergab sich nun, daß dem stärkeren Reize eine größere Vorzeitigkeit der Extrasystole entspricht. Der abfallende Kurvenschenkel der vorhergehenden Systole sinkt bei schwächeren Reizen tiefer hinab. Die Unterschiede sind besonders deutlich zu Beginn der Diastole, während sie gegen das Ende immer mehr abnehmen. Im Sinne der Ausführungen des vorigen Abschnittes dürfte dieser Einfluß der Reizstärke aufzufassen sein als bedingt durch das ver- schieden große Ausdehnungsgebiet der unmittelbaren Erregung. Ein stärkerer Reiz bedingt zwar einen steileren Anstieg, aber bei einem schwächeren Reize kann wegen der längeren Dauer der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit in den zuletzt sich kontrahierenden Fasern R.A.S— | | Y Y R.A.2- R.A.2 Abb. 6. Einfluß der Reizstärke auf die Kurvenform der Extrasystole. Versuch 71. R. temp. © 60g. 22°C Zimmertemperatur. 9h 15°: Suspension der infolge Abtrennung des Sinus stillstehenden Kammer, die an der linken Basisecke fixiert ist. Doppelreizung durch Metronom: Fadenelektroden an der Basis. Die vorzeitigen kleineren Extrasystolen entsprechen einer Reizung bei dem Rollenabstande 2, die anderen Reizungen bei R. A. S. die Kontraktilität noch wachsen. Je nach dem Verhältnis dieser ein- ander entgegenarbeitenden Punkte muß die Kurvenform wechseln. Im allgemeinen entsprach bei den Versuchen dem stärkeren Reize eine kleinere Hubhöhe (Abb.5 und 6). Aber damit ist die Kurvenform der Extrasystole noch nicht ganz ge- geben. Es ist noch zu berücksichtigen, daß in einem bestimmten Augen- blicke der Systole nicht alle Stellen der Kammer in dem gleichen Zu- stande sind. Auf Grund dieser Verschiedenheit aber entspricht den Extrasystolen, die zur gleichen Zeit, mit gleicher Reizstärke, aber an verschiedenen Stellen der Kammer: ausgelöst werden, ein verschiedener Kontraktionsablauf. Diese Verschiedenheit prägt sich bei frischen Herzen nur wenig in einer Änderung der Kurvenform aus. Je lang- samer aber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktion wird, um so deutlicher wird ein Unterschied: wird dann bei rhythmischer Reizung der Basis mit gleicher Reizstärke eine Extrasystole abwechselnd von der Basis und von der Spitze ausgelöst, so ist dievondergleichen Reizstelle ausgelöste Extrasystole größer und zeigt ein Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 8 114 E.Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens spitzeresDach(Abb.7). Dabei kann es vorkommen, daß trotz gleicher Reizschwelle an Spitze und Basis der stillstehenden Kammer der zweite Reiz nur an der gleichen Stelle eine Extrasystole auslöst (Abb. 8). Dies dürfte wohl darauf beruhen, daß die Fasern an der Spitze im gleichen Augenblicke noch stärker refraktär sind als die an der Basis. Il PN war Basis Basis Basis Spitze Basis Basis Abb. 7. Einfluß des Reizortes auf die Kurvenform der Extrasystole. Versuch 70. R.temp. © 55 g. 18°C Zimmertemperatur. 955’: Suspension der infolge Sinus- durchtrennung stillstehenden Kammer. Fixation an der linken Basisecke. Elektroden an der Basis und an der Spitze. Für beide gleiche Reizschwelle (R. A.: 10,5). (Über den Unterschied der 1. und 3. Extrasystole: Abschnitt 4; Abb. 19). 02’ vY Vale vx YY Basis Basis Spitze Basis Basis Basis Spitze Abb.8. Versuch 72. 21,5° C Zimmertemperatur. R. temp. © 60g. 85h 15’: Suspension der heraus- geschnittenen, infolge Abtrennens des Sinus stillstehenden Kammer. Stanniolstreifen-Elektroden an Spitze und Basis. 9h10’: Reizschwelle für Basis und Spitze: R. A. 11. Reizung bei R. A. 9. Dabei kann man einer Täuschung anheimfallen: so sieht man in der neunten Abbildung ein scheinbar entgegengesetztes Verhalten. Der Reizung an der entgegen- gesetzten Stelle aber entspricht auch hier die kleinere Extrasystole. Diese hat aber rückläufig eine Kontraktion des Vorhofrestes zur Folge, die ihrerseits eine Kammer- systole auslöst (?). Die Bedeutung der Reizstärke und des Reizortes für die Kurvenform der Extrasystole läßt sich bildlich darstellen. Die Grundlage dabei bildet die erste Darstellung (S. 107) mit den dort erwähnten. Voraussetzungen und Folgerungen. MAArAAAAAAANANAAAnAAAAAAAAAnAhAAaAAMAAAAn VUEUWUDUUEHBEUBUBUNNNUSHEUEUURUBUBUUUUUNUERDUREDUUHDUUEEUUNEUDDEUN EN EB END DEBTIEOD = - m Y Y Y Y VERY Y Y Basis Basis Spitze c Spitze Spitze Basis Abb. 9. ‘Versuch 69. 19°C Zimmertemperatur. R. teınp. J50 g. 8140’: Herausschneiden des Herzens. Fixation der linken Basisecke der stillstehenden Kammer. Sutpension an der Spitze. Doppelreizung durch Metronom. Stanniolstreifen-Elektroden an Spitze und Basis. 9h5’: Reiz- schwelle für Basis und Spitze R. A.10,5. Reizung bei R. A. 6. Zunächst sei der äußerste, wohl nie ganz verwirklichte Grenzfall gegeben, daß der die Extrasystole auslösende Reiz so stark ist, daß sich alle Fasern in dem gleichen Augenblicke zusammenziehen. Dann ist der Reizort gleichgültig; die Kontraktilität jeder einzelnen Faser wird ihrem Zustande im Augenblick des Reizes entsprechen (Abb. 10). Die Darstel- lung scheint in- sofern den Tat- sachen zu wider- sprechen, als die Gipfel aller Ein- zelkurven die glei- che Höhe errei- chen. Ist man doch gewohnt, bei den Extrasystolen mit zunehmender Vor- zeitigkeit eine Ab- nahme der Hub- höhe einhergehen zu sehen. Dem- gegenüber aber sei betont, daß an der gedanklichen Kurve der einzelnen Faser ‚die Kontraktilität in dem Maße wachsend dargestellt werden muß, wie der Verkürzungsrückstand abnimmt. DieSumme von Kontraktilität und Verkürzungsrückstand bleibt gleich: zu Beginn der Diastole ist der Verkürzungsrückstand maximal, die Kontraktilität gleich Null; dagegen ist am Ende der Diastole der Verkürzungsrückstand gleich Null, die Kontraktilität aber maximal. (Der Zustand der Muskelfasern Abb. 10: Kurvenform der Extrasystole bei so starkem Reize, daß alle Fasern sich gleichzeitig kontrahieren. R: Augenblick des Reizes. Y 8 x 116 E.Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens ist in der Darstellung also durch die gleichbleibende Summe von Ver- kürzungsrückstand und Kontraktilität, sowie durch den gleichbleiben- den zeitlichen Ablauf gegeben. Inwieweit sich dieser Zustand bei einer einzelnen Extrasystole ändert, ist nicht bekannt.) Daß die wirkliche Kurve der ganzen Kammer ein anderes Verhalten zeigt, dürfte i auf der bei vermin- derter Kontraktilität ebenfalls herabgesetz- ten Fortpflanzungsge- schwindigkeit beruhen. Bei sehr starken Reizen aber sieht man auch in Wirklichkeit zuweilen die Extrasystole die Hubhöhe der Systole erreichen (Abb. 11). Wenn nun aber die Abb. 11. Versuch vom 10. IV. 1919. 19,5° Zimmertemperatur. Reizstärke so gering ist, R. temp. 3. -Kurarisierter Kaltfrosch. 9h18: Suspension : : der Spitze. A-V-Grenze fixiert. Fadenelektroden an V-Mitte. daß nur eine begrenzte 9n22’: Reizung mit 15000 Kronecker-Einheiten. (Herz steht Faseranzahl unmittel- nicht unter Treppenbedingungen!) bar erregt wird, so ist es nicht mehr gleichgültig, an welcher Stelle der Kammer der Reiz trifft. Dies ist in der zwölften Abbildung wiedergegeben. Hier trifft der die Extrasystole auslösende Reiz zur gleichen Zeit, aber an verschiedenen Stellen der Kammer: in A an der gleichen Stelle wie bei der Hauptsystole, in B an der entgegengesetzten. Beidemal kontrahieren sich im Augenblicke des Reizes gleichviel unmittelbar getroffene Fasern. Diese sind aber in B noch stärker refraktär als in A. Wegen der entsprechend herabgesetzten Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktion ist die zeitliche Aufeinanderfolge der Einzelkontrak- tionen in B noch mehr verzögert als in A. Obwohl sich deshalb in B die sich zuletzt kontrahierenden Fasern mehr erholen können als in A, zeigt die Kurvenform in B doch eine niedrigere Hubhöhe und einen fla- cheren Verlauf, weil die Einzelkontraktionen zeitlich mehr auseinander gezogen Sind. Beide Darstellungen zeigen, wie sich die extrasystolische Kontraktion der Fasern zuerst nur in einer Abflachung des abfallenden Systolenschenkels äußert. Die Erhebung der Kurve beginnt erst, wenn schon ein Teil der Fasern sich in Kontraktion befindet. Es fragt sich nun, wie es kommt, daß diese in der Darstellung so auffallende Abhängigkeit der Kurvenform der Extrasystole von dem Reizorte sich an der wirklichen Kurve nicht so deutlich und regel- mäßig zeigt. und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. 117 Hauptsächlich kommt hierfür die für die Kleinheit der Kammer verhältnismäßig große Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontrak- tion in Betracht. Sodann sind aber auch die früher besprochenen IEIDEESEETFEDNEEN EIERN ı. NN 20312 IRNENNTINE” Y/ IS) S|\ N ES) [SS ES) & RS) N AN) o EN) So Ss N AS) & RS) DS N QS N Abbildung 12. Einfluß des Reizortes auf die Kurvenform der Extrasystole. A: Die Erregung geht bei der Extrasystole von dergleichen Stelle aus wie bei der Hauptsystole. Die wiedergegebenen Größen der Fortpflanzungsgeschwindigkeit wurden so.gewonnen, daß die Veränderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit während der Diastole in Form einer logarith- mischen Kurve dargestellt wurde, aus der sich der für jeden beliebigen Augenblick geltende Wert ergab. SEADEENERESEERS SERIEN EBEN Q I N DISS 07 02 03 04 05 06 07108 09 10 17 12 173 74 15 16 17 18 19 20 Abbildung 12B. Die Erregung geht bei der Extrasystole von der entgegengesetzten Stelle aus wie bei der Hauptsystole. Bei der Bildung der Kurve aus den Einzelkontraktionen ergibt sich die gestrichelt gezeichnete Einsenkung in der Extrasystole. Eine solche Delle in der Kurve findet man auch in Wirklich- keit bei starker Herabsetzung des Leitungsvermögens, wo die Kurvenform einen abgeplatteten Gipfel zeigt und „gelegentlich auch wohl mit einer kleinen Einsenkung versehen“ ist. (Th. W. Engelmann: 1897. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. 65. S. 125.) Umstände zu bedenken: Größe des Ausgangsgebietes der unmittelbaren Erregung; Sichfortpflanzen der Erregung nach allen Richtungen hin; ungleiche Faseranzahl in verschiedenen Querschnitten; Möglichkeit einer physiologischen Verschiedenheit der Fasern. Dazu kommt, daß die zur Auslösung einer Extrasystole jeweils erforderliche Reizstärke 118 E.Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens der verzögerten Fortpflanzungsgeschwindigkeit entgegenarbeitet. Denn je langsamer die Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu Beginn der Diastole ist, um so stärker muß der Reiz sein; damit ist aber auch eine um so ausgedehntere unmittelbare Erregung gegeben. Man könnte geneigt sein, die Verschiedenheiten der Extrasystolen auf Unterschiede in der Stromdichte zurückzuführen, auch bei mög- RE 3 E " EAER, H Spitze Spitze Spitze Basis Basis Basıs Basis Spitze [/ 2 ATINRHTTIRTENTRERTTETIRTIRRGHINITITNNIRTTN [TTTEBUSTENTEWEHUNEBUNNBUBSUBUWBIUEBLBBBUSEEBUNLDURUIGT] Abb.13. Versuch 70. 15° Zimmertemperatur. R. temp. © 60 g. 8h30’: Herausschneiden des Herzens. Suspension des infolge Sinusabtrennung stillstehenden V an der Spitze. Linke Basisecke fixiert. Stanniolstreifen - Elektroden an Spitze und Basis. Doppelreizung durch Metronom. 9505: Reizung bei R. A. 7. — In beiden Kurven entspricht der Reizung an der entgegengesetzten Stelle eine kleinere Extrasystole, gleichgültig, ob sie an der Spitze oder an der Basis ausgelöst wird. lichst gleichem Elektrodenabstande. Dies spielt sicher eine Rolle bei den im Versuche zu beobachtenden Abweichungen. Auch könnte die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in einer Richtung langsamer als in der HITELINLIIR FT TUE NS In entgegengesetzten sein. Diese Einwände aber können nie die Tat- sache erklären, daß mit abnehmender Fort- pflanzungsgeschwin- GB Sissunssst nisse giekeit bei längerer Versuchsdauer die Un- terschiede in der Kur- UNI A Ian venform der Extra- Abb. 14. Partielle interpolierte Extrasystole an der Spitze. a stole bei Reizung an Versuch 61. 20,5°C Zimmertemperatur. R. temp. Q 52g. 8h 10’: möglichst entgegenge- Herausschneiden des Herzens. V-Mitte durch blutgetränkten Wattestreifen auf Korkplatte fixiert. Obere Kurve: Spitze; untere setzten Stellen immer Kurve: Basis. 9h05’: Reizung der Spitze bei R. A. 8. auffälliger werden. Ins- besondere werden sie dadurch entkräftet, daß man bei Elektroden- wechsel das gleiche Verhalten sieht (Abb. 13; auch in Abb. 9). Wenn nun die Fortpflanzungsgeschwindigkeit immer langsamer wird, so werden die einzelnen Fasern in ihrer Tätigkeit immer mehr zeitlich auseinander gezogen; für einen bestimmten Augenblick werden dann die Unterschiede in dem Kontraktilitätszustande der einzelnen Fasern immer größer. Es wird dann schließlich eine Stufe geben,. wo sich an der Spitze der schlagenden Kammer eine örtlich be sBre nzte Extrasystole!) auslösen läßt. EEE ET a STE SEHE ENTE NETTE FEN N INH Tee ge Ro EnTEOEERR TER ESTTTSTTTe TEST | 1) Eine partielle Extrasystole am Säugetierherzen findet sich bei: H. E. He- ning, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 10, 2 u. Abb. 1. 1907/08. und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. 119 Um eine solche partielle Extrasystole im Versuche darzustellen, wurde das herausgeschnittene schlagende Froschherz auf eine Korkplatte gelegt, die mit angefeuchtetem Fließpapier bedeckt war. ‘Quer über die Kammermitte, parallel zur Basis, wurde dann ein blutgetränkter Wattestreifen gelegt, der zu beiden Seiten auf der Unterlage befestigt und so stark angezogen war, daß die Erregungsleitung an dieser Stelle verzögert war. Basis und Spitze wurden dann getrennt suspendiert. In Abb. 14 sieht man eine auf diese Weise erhaltene interpolierte Extrasystole an der Spitze, während die Basis keine Veränderungen zeigt. In Abb. 15 schließt sich an die partielle Extrasystole eine post- extrasystolische Pause des Spitzenteiles an. Wie sich dieses letzte Verhalten an der Ge- Samtkurve, auspra ı vg I un moon IN gen würde, zeigt Abb. 16, die durch SITETNIETEN KO OBEN IN ie meer FEN TIOTERER STFEREREREEEEEUTEEETTERNERTRETNERTEHE den Einzelkurven von Abb. 15 erhalten RAANTESEETOTETRETEUEUUUEDUUHTEUERUDUERDURDENEREUREN TUN wurde. Hier kommt die partielle Extra- systole als solche gar nicht zum Ausdruck. anne noın Auf Grund dieser Abb. 15. Partielle Extrasystole an der Spitze. Versuchsanordnung 61. (Siehe Abb. 8). 9520’: Reizung der Darstellungen ist die Spitze bei R.A.S. Kurvenform der Beconae ystoleinbe HINE/INIPENS IT NITINSEN griffiich zurück- geführt auf drei Punkte: erstens auf die Phase, d.h. den jeweiligen Kontrak- tilitätszustand jeder Na einzelnen Stelle, so- 2 wie die dazu gehörige Fortpflanzungsgeschwindigkeit; —. zweitens auf die Reizstärke, d. h. den Ausdehnungsbereich der unmittel- baren Erregung — drittens auf den Reizort, d.h. den Kontraktilitäts- zustand der unmittelbar getroffenen Fasern. — Das wirkliche Geschehen einer Extrasystole aber ist so außerordentlich verwickelt, daß es für einen vorliegenden Fall stets schwierig sein wird, den Anteil der ein- zelnen Punkte genau zu bestimmen. 4. Vom Herzalternans. Für die Form der Suspensionskurve der ganzen Kammer kommt außer der Kontraktilität der einzelnen Fasern auch deren zeitliche Aufeinanderfolge wesentlich in Betracht. 120 E. Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens Demnach könnte ein Alternans auf verschiedene Weise zustande kommen: durch Änderung der Kontraktilität oder der Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Kontraktion oder beider zusammen; und zwar können diese Veränderungen an allen Fasern gleichmäßig oder nur an einem Teile vorliegen. Bei der Annahme einer gleichmäßigen Änderung in allen Teilen der Kammer wäre es zunächst denkbar, daß bei gleichbleibender Fortpflanzungsgeschwindigkeit nur die Kontraktilität ab- wechselnd entweder zu- oder abnähme. Aber dieses kommt in Wirk- lichkeit kaum vor. Wohl aber könnte es möglich sein,daß beigleicher Kontraktilität eine abwechselnd verschiedene zeitliche Aufeinanderfolge der Einzelkontraktionen eine ungleiche Höhe bedingt. Zwar prägt sich eine beschleunigte Aufeinanderfolge bei einem ungeschädigten Herzen nicht in der Hubhöhe aus. Es käme also nur eine abwechselnde Verzögerung in Frage; doch liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß dies in Wirklichkeit vorkommt. Anders aber ist es, wenn die Fortpflanzungsgeschwindigkeit überhaupt stark herabgesetzt ist. Dann entspricht einer beschleunigten Aufeinanderfolge der Einzelkontrak- tionen eine größere Hubhöhe. Hierher gehören die als Ausnahmen vom Alles - oder - Nichts - Gesetz beschriebenen Beobachtungen am absterbenden Herzen. Dabei ist die Kontraktilität freilich auch herabgesetzt, aber in der kleineren Erhebung nicht mehr als in der größeren. Die ungleiche Hubhöhe beruht dann wesentlich darauf, daß sich bei einem stärkeren Reize mehr Fasern gleichzeitig zusammen- ziehen — (gleichsam eine partiell beschleunigte Fortpflanzungs- geschwindigkeit). Eine solche Alternansform läßt sich im Versuche darstellen, wenn man ein absterbendes Herz abwechselnd mit einem stärkeren und schwächeren Reize regelmäßig reizt (Abb. 17). Dann entspricht dem stärkeren Reize eine steilere und größere Erhebung des aufsteigenden Schenkels. (Eine feinere Verzeichnung würde außerdem noch eine kürzere Systolendauer ergeben.) Aber die Kurve widerspricht insofern den üblichen Alternanskurven, als die größere Erhebung an der Kurve auffallend vorzeitig ist, trotz gleicher Reizintervalle. Andererseits aber unterscheidet sie sich von der Bigeminie dadurch, daß die vorzeitige Erhebung die größere ist. Man könnte sich vorstellen, daß diese Form auch unter natürlichen Bedin- . gungen vorkäme: Die erste Voraussetzung hierzu wäre eine stark verzögerte Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktion; sodann müßte der Reiz bei jedem zweiten Schlage eine größere Anzahl Fasern treffen. Dies wäre etwa so möglich, daß ein Teil des Leitungsbündels derart geschädigt wäre, daß hier nur jeder zweite Reiz weitergeleitet würde. Dann ginge die Erregung abwechselnd von verschieden großen Gebieten aus. und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. 121 Es ist nun aber auch denkbar, daß die Fortpflanzungsgeschwindig- keit nur in einer Richtung verzögert wäret), daß eine „Leitschwäche in nichtphysiologischer Richtung‘‘2) vorläge. Dann könnte ein Alternans dadurch zustande kommen, daß die Erregung abwechselnd von ent- gegengesetzten Stellen ausginge und das eine Mal hin-, das andere Mal herliefe. Setzt man voraus, daß alle Fasern gleich sind, so wäre noch eine andere Alternansform möglich: durch einen plötzlichen Übergang von einer langsameren zu einer.schnelleren Schlagfolsge. Gibt man dies den früheren Darstellungen entsprechend wieder, so sieht man, wie die abwechselnd verschiedene Hubhöhe dadurch bedingt ist, daß der Reiz abwechselnd in verschiedene Phasen der Diastole fällt. Der erste Reiz der schnelleren Folge trifft zu einer Zeit, wo die | | R.A.d R.A.2 8 2 8 2 8 2 Abb. 17. Alternans durch alternierenden Wechsel der Reizstärke. Versuch 78. 22°C Zimmertemperatur. R. temp. © 60 g. 9h a.m.: Isolieren des Herzens. Fixation der A-V-Grenze durch Nadeln auf einer Korkplatte. Suspension an der Spitze. Fadenelektroden an V-Mitte. Umgeben des Präparates mit feuchtem Wattewall. 4hp.m.: Reizschwelle R. A. 8, Rhythmische Reizung (Metronom) abwechselnd bei R. A.8 und 2. Kontraktilität aller Fasern noch herabgesetzt ist. Was den Zustand der einzelnen Faser und die entsprechende Fortpflanzungsgeschwindig- keit dabei angeht, so kommt hierfür alles das in Betracht, was von der Extrasystole gesagt worden ist. (Denn die kleinere Erhebung kann inso- fern als Extrasystole betrachtet werden, als der auslösende Reiz vor dem Ende der Diastole eintritt.) Zur Zeit des zweiten Reizes ist an den unmittelbar getroffenen Fasern die Kontraktilität schon wieder ganz hergestellt, in den übrigen Fasern mehr als zur Zeit des ersten Reizes; dies bedingt eine größere Hubhöhe. Der dritte Reiz trifft dann wieder zu einer Zeit, wo die Kontraktilität aller Fasern herabgesetzt ist, und so fort. Dabei wird der Alternans zunächst dadurch verstärkt, daß die größeren Erhebungen wegen schnellerer Aufeinanderfolge der Einzel- kontraktionen noch zunehmen; im Vergleich mit den kleineren Er- I) R. Marchand, Archiv f. d. ges. Physiol. 15, 531. 1877. — Th. W. Engelmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 61, 275. 1895. 2) J. Asher, Zeitschr. f. Biol., N. F., 16, 465. 1897. 122 _E. Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens hebungen zeigt ihre N S$ 3 Kurvenform stei- i N Sg lere- Schenkel und \n S ein spitzeres Dach \ > S (s. auch Abb. 20). n Die Hubhöhe der Di x kleineren Erhebun- SS X gen bleibt ungefähr & 2 gleich. In der Höhe = S2 der diastolischen S u Fußpunkte besteht = $& anfangs ein be- ir \s 8 trächtlicher Unter- & 3 schied, derart, daß R S 7 diekleine Erhebung 5 © 23 aus einer höheren S “ E Lage beginnt als die n s 2 größere. Aber der It St N Fußpunkt der grö- iR < Seren sinkt nicht S S 5 so tief hinab wie N x 7 bei weniger schnel- N“ 3 lerSchlagfolge. (Die S = Höhe der diastoli- St = schen Fußpunkte N & kann als Gesamt- S = maß für die be- 2 stehende Hyposy- Q 3 x ” E stolie angesehen 3 werden.) — Allmäh- & lich findet ein ge- = wisser Ausgleich der = Erhebungen statt; es stellt sich eine Art Gleichgewichts- zustandher. (Zweite Hälfte der Abb. 18.) Der Alternans aber bleibt bestehen; er \\ & ist dadurch bedingt, daß die unmittelbar \) > vom Reize getroffe- / . SSCTHHHÄONTOT SSCTTHIHUn OS nen Fasern nur bei \ und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. jedem zweiten Schlage hyposystolisch sind. Die übrigen Fasern sind bei jedem Reize gleichmäßig hyposystolisch. Dies ist zwar für die Kurvenform von Einfluß, für den Alternans als solchen aber nicht ausschlag- gebend. Dieser beruht wesentlich auf der alternierenden partiellen Hyposystolie. Dieser Darstellung liegt die Voraus- setzung zugrunde, daß sich der Zustand des Herzmuskels unter der schnelleren Schlagfolge nicht ändert ; Größe und Dauer der Kontraktilität der einzelnen Fasern ist als gleichbleibend angenommen, In Wirklichkeit verhält sich dieser Alternans nun anders: er ist an frischen Herzen nach drei bis vier Schlägen meistens schon ausgeglichen?). Es. gehen hier bis zu einem gewissen Grade Veränderungen vor sich, die, im einzelnen nicht genau be- kannt, sich an der Gesamtkurve durch eine kürzere Systolendauer ausprägen; da- bei kann die Hubhöhe noch wachsen!). Diese Erscheinung ließe sich wohl am besten vom Gesichtspunkte des optimalen Rhythmus betrachten. Für den Alter- nans ist sie nur insofern von Bedeutung, als sie dazu- beiträgt, ihn zum Verschwin- den zu bringen. Die Abb. 19 mag als Beispiel dienen, wie sich bei längerer Dauer einer rhyth- !) F.B.Hofmann, Archivf.d. ges. Physiol. 84, 145. 1901. Die in Frage kommenden Kurven der Abb. 3, 4 und 5 auf Tafel III sind aber wegen ungleicher Reizintervalle nicht eindeutig. — W. Trendelenburg, Archiv f. d. ges. Physiol. 1903, 287. : ®2)H. Kronecker, „Ein Herzschlag er- leichtert. .. das Entstehen des nächsten‘. Bei- träge z. Anat. Physiol. 1, 177. 1874. — Ebenso: Archiv f. Physiol. 1879, 379. — F.B.Hofmann, „Anpassung an die frequente Schlagfolge“. Archiv. f. d. ges. Physiol. 84, 146. 1901. — R. S. Woodworth, ‚‚Stimulating effect of a rapid succession of contractions‘“. Amer. Journ. of Physiol. 8, | | 3 ; 3 3 £ | ä ji 977 ),2 Abb. 19. 18° C Zimmertemperatur. R temp. © 60 g. 9h „Anpassung“ des Herzens an rhythmische Doppelreizung. 123 Fixation an der linken Basisecke. Rhythmische Doppelreizung bei R. A. 8. Suspension der herausgeschnittenen Kammer. 10h 30°: [220 I); r ‘ Versuch Fadenelektroden an der Spitze. 215. 1903. — J. Rihl, Contractilitätssteigernde Wirkung der Extrasystole. Zeitschr. f. experim. 2 124 E. Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens mischen Doppelreizung die Kurvenform der beiden Erhebungen verändern kann: Wegen des allmählich immer rascher werdenden Kontraktionsablaufes fällt der zweite Reiz in eine immer spätere Phase der Diastole. Die Folge ist, daß sich die Höhenunterschiede von Haupt- und Nebensystole allmählich ausgleichen. Dabei bleibt die Gesamtdauer beider Systolen gleich. — In der Abb. 20 verschwindet der Alternans mit dem Größerwerden der Hebelausschläge. Um das Zustandekommen dieser Alternansform zu verstehen, ist es also nicht nötig, ‚a stimulating after-effeet“!) der kleinen Erhebung anzunehmen. Im Gegenteil; diese „Wirkung‘‘, die sich doch wahr- Abb. 20. Plötzlicher Übergang zu schnellerer Schlagfolge. Versuchsanordnung 70 (wie Abb. 12): Fadenelektroden an der Basis. 955’: Rhythmische Rei- zung bei R. A.5. scheinlich auf mehrere, also auch auf die folgende kleinere Erhebung erstreckt, bringt den Alternans zum Verschwinden. (Nur bei stark herabgesetzter Fortpflanzungsgeschwindigkeit käme die in der Dar- stellung erhaltene Verstärkung der größeren Erhebung durch schnellere Aufeinanderfolge der Einzelkontraktionen in Frage.) Ein längeres Be- stehenbleiben kann geradezu darauf zurückgeführt werden, daß das Herz infolge irgendwelcher Bedingungen nicht oder viel weniger imstande ist, auf häufigere Reize mit dieser ausgleichenden Veränderung des Kontraktionsablaufes zu antworten. (Die bildliche Darstellung kann so gleichsam als Anhaltspunkt aufgefaßt werden, wie sich dieser Alternans zeigen würde, wenn gar keine derartigen Veränderungen einträten.) Pathol. u. Ther. 3, 16. 1906. — Gleichzeitig wird die Erregbarkeit gesteigert: H. P. Bowditch, Ber. K. Sächs. Ges. Wiss. Math.-phys. Kl. 23, 666. 1871. — L. Luciani, Arb. a. d. phys. Anst. z. Leipzig. 1872, 183. — v. Basch, Archiv f. Physiol. 1880, 285. — Th. W. Engelmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 65, 148. 1897. — Und die refraktäre Phase verkürzt: J. Burdon-Sanderson and Page, Journ. of Physiol. 2, 403. 1879/80. — A. Walther, Archiv f. d. ges. Physiol. %8, 608. 1899. — W. Trendelenburg, Archiv f. Physiol. 1903, 280. 1) R. S. Woodworth, Amer. Journ. of Physiol. 8, 217. 1903. und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. 125 Die Zeit vom Augenblicke des Reizes bis zur deutlichen Erhebung an der Kurve ist um so länger, je früher in den Beginn der Diastole der Reiz fällt!). Es ist also zu erwarten, daß bei genügend frühem Eintreffen des ersten Reizes der schnelleren Folge die kleinere Erhebung etwas nachzeitig ist, trotz gleicher Reizintervalle (Abb. 20 und 18). Die gleiche Alternansform läßt sich beobachten an den post- extrasystolischen Systolen?). Hier kann die Schlagfolge in bezug auf die längere Dauer der postextrasystolischen Pause (Abb. 21) als beschleunigt angesehen werden; es besteht also auch hier ein gewisser Übergang von langsamerer zu schnellerer Schlagfolge. Auch hier pflegen sich die Höhenunterschiede an fri- schen Herzen nach drei bis vier Schlägen auszuglei- chen. — Den bisher besproche- nen Alternansformen liest FE ag 1 Dog menge eo eine Gleichheit aller Kam- 7. merfasern zugrunde. Wenn Apb.21. Alternieren der postextrasystolischen Systolen. r die Kontraktilität Versuch vom 23. IV. 1919; R.temp. Kurarisierter Kalt- uuin abe die K frosch 9, 3h10’: Suspension des V an der Spitze. Basis oder die Fortpflanzungsge- fixiert durch Klemme. Fadenelektroden an der Spitze. © a c “ = Schließungschläge abgeblendet. 3h15’: Reizung mit 4000 schwindigkeit au eu aalein Kronecker-Einheiten, (Reizschwelle: 2000 Einheiten.) Teile der Fasern ver- ändert ist, so bieten sich weitere Möglichkeiten für das Zustandekom- men eines Alternans. Dabei können alle möglichen Spielarten vor- kommen, je nach dem Grade und der Ausdehnung der Veränderung. Zunächst kann ein möglichst schmaler Kammerquerschnitt so ver- ändert sein, daß hier die Leitung derart geschädigt ist, daß nur jede zweite Kontraktion diese Stelle überschreitet. Im Versuche: läßt sich dies leicht so erreichen, daß man einen Faden etwa um die Kammermitte mäßig stark anschlingt und dann wieder löst. Unmittelbar danach ist dann das Leitungsvermögen dieser Stelle meistens ganz aufgehoben. Es erholt sich aber allmählich wieder und durchläuft dabei eine wech- selnd lange anhaltende Stufe, wo nur jede zweite Kontraktion weiter- geleitet wird. Bei getrennter Verzeichnung von Spitze und Basis er- hält man dann Kurven, wie sie die Abb. 22 zeigt. Bei Verzeichnung der ganzen Kammer ergibt sich ein Alternans (Abb. 23). Dabei läßt 2) E. T. Marey, Trav. d. Labor. 1876, 73. — Lauder-Brunton and Cash, Proc. Roy. Soc. 35, 457. 1883. — F: B. Hofmann, Archiv f. d. ges. Physiol. 84, 142; Abb. 4 auf Tafel III, 1901. 2) O. Langendorff, Archiv f. Physiol. 1885, 286, Abb. 2. — F. B. Hof- mann, Archiv f. d. ges. Physiol. 84, 148. 1901. | 126 E. Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschher zens sich gut mit dem Auge verfolgen, wie sich der Spitzenteil nur an jeder zweiten Erhebung beteiligt. Bei dieser Alternansform ist die örtliche Schädigung der Kontraktili- tät im Verhältnis zur ganzen Kammer so gering, daß man sie wohl ver- nachlässigen kann. Das Wesentliche ist die örtlich geschädigte Leitung. Abh. 22. Versuch 62. 22,3°C. R.tempor. © 50g. 3h5’: Isolieren des Herzens. Das mittlere V-Drittel durch 2 Wollfäden auf Korkplatte fixiert. Obere Kurve: Spitze; untere Kurve: Basis. Zeit: 0,2”. 315’: Unmittelbar nach der Präparation ist die Überleitung infolge zu starken Klemmens des Wollfadens so geschädigt, daß nur jeder zweite Leitungsreiz die Spitze erreicht. \ Dabei besitzt der Kam- merabschnitt, der sich nur an der größeren Er- hebung beteiligt, unver- . änderte Kontraktilität. Der wechselweise Aus- fall beruht darauf, daß jeder zweite Reiz die [NR NE I RR] anspruchsfähigen Fasern Abb.23. Alternaus infolge geschädigter Leitung. nicht erreicht. Versuch 73. 20,5° C Zimmertemperatur. R. temp. © 508. BRNO 9h 5°: Suspension des herausgeschnittenen Herzens an der Anders aber ist > Spitze. Fixation der A-V-Grenze. Schädigung der Leitung wenn der wechsel- durch vorüpergehendes Anlegen einer ;Fadenschlinge um die Mitte der Kammer. weise partielle Aus- falldurch Verände- rungen an den Muskelfasern selbst bedingt ist. Bestünde diese Veränderung nur in einer Hyposystolie, so wäre es schwer denkbar, wie diese unter natürlichen Bedingungen alternieren könnte; der Begriff einer alternierenden partiellen Hyposystolie ist in diesem Falle nicht recht möglich. Künstlich ließe sich allerdings eine partielle Hyposystolie bei jedem zweiten Schlage im Versuche so erreichen, daß man die Kammer abwechselnd abkühlte. Aber die Kälte verändert den Kontraktionsablauf keineswegs so, daß sich ein kleinerer Hebelausschlag ergibt. Meistens sieht man die Kontraktionen. sogar noch größer werden. Unschwer aber läßt sich ein Alternans am abgekühlten Herzen so darstellen, daß man die Kammer bei jedem zweiten Schlage erwärmt. Da man dabei wohl nie alle Fasern beeinflussen kann, beruht die größere Erhebung auf einer partiellen Hypersystolie Eigentümlich ist dabei, daß die kleinere Erhebung länger dauert als die größere (Abb. 24). — Eine andere Möglichkeit, PER EEE EEE EEE ea und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. 1 DD | Abb. 24. Alternans durch alternierenden Wechsel der Temperatur. Versuch 80. 19° C Zimmertemperatur. R.temp. © 50g.. 9h15’: Isolieren des Herzens. Fixation an der A-V-Grenze und Suspension an der Spitze. 10h20°: Die Kammer befindet sich in Ringer- lösung von 0,5°C und taucht während der größeren Erhebung aus. x 17, N Abb. 25. Alternans am abgekühlten Herzen infolge Faradisierens während jeder zweiten Systole. Versuch 31. 23° Zimmertemperatur. R.temp. 5 30g. 0,2 ccm 1% Curare. 3545’: Suspension der Kammer an Spitze und des Vorhofes. A-V-Grenze ventral fixiert. Fadenelektroden an V-Mitte. 4h48’: Abkühlung des Frosches auf 4° C. Während des aufsteigenden Schenkels jeder zweiten Systole: faradische Reizung bei R..A. 6. am abgekühlten Herzen künstlich einen Alternans zu erzeugen, besteht darin, daß man während des aufsteigenden Schenkels jeder zweiten Systole faradisch reizt. Es ist fraglich, inwieweit hier die größere Erhebung auf einen Einfluß der Stromwärme oder auf einer schnelleren Aufeinanderfolge der Einzelkontraktionen beruht (Abb. 25). 128 E. Koch: Der Kontraktionsablauf an der Kammer des Froschherzens Zum Zustandekommen eines länger dauernden natürlichen Alternans muß eine Anzahl Fasern derart verändert sein, daß sie sich nur bei jedem zweiten Schlage kontrahiert. Dabei werden wohl stets allmäh- liche Übergänge vorliegen zwischen den beiden äußersten Gegensätzen der nicht veränderten und der am stärksten veränderten Fasern. So setzt sich also bei dieser Alternansform ‚‚die Aktionsschwäche des Her- zens.... aus der bei jedem Schlag vorhandenen, also nicht alternierenden Hyposystolie und der alternierenden partiellen Asystolie‘“ zusammen). Je nach der Kontraktilitätsdauer der wechselweise ausfallenden Fasern wird nun die Gesamtkurvenform verschieden sein: Wäre die Dauer nicht geändert, und beruhte der Ausfall nur auf einer Verlänge- rung der refraktären Phase, so daß sich dieser Teil der Fasern ‚‚zur Zeit der kleineren Systole... bis zur nächsten großen Systole ausruht‘t), so würden sich beide Systolen von dem gleichen Fußpunkte erheben (Abb. 26, A). Ist aber die Verlän- serung der refrak- tären Phase dadurch bedingt, daß der Kon- traktionsablauf der alternierend asysto- - Z lischen Fasern in die Abb. 26. 4: Alternansform ohne Änderung des Kontraktions- Länge So ist, ablaufes der alternierend asystolischen Fasern. B: Alternansform bei wie bei dem durch längerer Kontraktionsdauer der älternierend asystolischen Fasern. örtliches Abkühlen der Kammer hervorgerufenen Alternans2), so beginnt die kleinere Er- hebung zu einer Zeit, wo noch ein Verkürzungsrückstand vorliegt. Es ergibt sich ein Alternans, bei dem die diastolischen Fußpunkte eben- falls alternieren, und zwar derart, daß die kleinere Erhebung von einem höheren Fußpunkte aufsteigt als die größere (Abb. 26, B). Das Wesentliche dieser Alternansform ist also die alternierende par- tielle Asystolie. Dabei ist es für den Alternans als solchen ohne aus- schlaggebende Bedeutung, ob der übrige Teil der Fasern ganz oder nur wieder zum Teile hyposystolisch ist. Dieser Alternans kann sich verstärkend vereinigen mit der bei plötzlicher Zu- nahme der Schlagfolge auftretenden Alternansform. Ein längeres Bestehenbleiben des Alternans kann hier auch also darauf beruhen, daß ein auf partieller Asystolie beruhender Alternans erst bei der schnelleren Schlagfolge manifest wurde. Überblickt man alle diese besprochenen möglichen Alternanstormen vom Gesichtspunkte ihres natürlichen Vorkommens, so steht für 1) H. E. Hering, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 10, 22. 1910. 2) E. Koch, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 1920. und die Form der entsprechenden Suspensionskurve, usw. 129 einen länger dauernden Alternans wohl ausschließlich der durch örtliche Veränderungen in der Kammermuskulatur bedingte in Frage, bei dem zur Zeit der kleineren Erhebung eine partielle Asystolie besteht. Zusammenfassung. 1. Um aus der Suspensionskurve der ganzen Kammer auf die Kon- traktilität der verzeichnenden Fasern schließen zu können, muß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktion, d.h. die zeitliche Aufeinanderfolge der Einzelkontraktionen bekannt sein; ferner, ob innerhalb der Kammer alle Fasern gleich sind. 2. Bei stark verzögerter Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kon- traktion gilt das Alles-oder-Nichts-Gesetz nicht mehr. Dann ist die zeitliche Aufeinanderfolge der Einzelkontraktionen bei einem schwäche- ren Reize und bei einem stärkeren, wo mehr Fasern unmittelbar ge- troffen werden und sich gleichzeitig zusammenziehen, so verschieden, daß dem stärkeren Reize eine größere Hubhöhe entspricht. 3. Die Kurvenform der Extrasystole ist bedingt durch die Phase, in der der Reiz trifft, durch die Reizstärke und durch den Reizort. 4. Bei stark herabgesetzter Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktion läßt sich an der Spitze der schlagenden Kammer eine par- tielle Extrasystole auslösen. Diese prägt sich als solche an der Suspen- sionskurve der ganzen Kammer nicht aus. 5. Am absterbenden Herzen ist ein künstlicher Alternans durch alternierenden Wechsel der Reizstärke möglich; dabei ist die größere Erhebung vorzeitig. 6. Schädigt man an einem Querschnitt in der Kammermitte die Lei- tung derart, daß nur jede zweite Kontraktion diese Stelle überschreitet, so entsteht ein Alternans, der darauf beruht, daß der Spitzenteil sich nur an der größeren Erhebung beteilist. 7. Am abgekühlten Herzen kann man künstlich dadurch einen Alternans hervorrufen, daß man die Kammer bei jedem zweiten Schlage erwärmt. Die größere Erhebung ist dabei durch eine partielle Hyper- systolie bedingt und dauert kürzer als die kleinere. 8. Bei dem Alternans, der bedingt ist durch eine solche Veränderung in einer Anzahl von Fasern, daß diese sich nur bei jedem zweiten Schlage kontrahieren, kann die kleinere Erhebung von einem höheren diasto- lischen Fußpunkte ausgehen als die größere. Dies beruht darauf, daß zu dieser Zeit noch ein Kontraktionszustand des zeitlich in die Länge gezoge- nen Kontraktionsablaufes der alternierend asystolischen Fasern besteht. 9. Ein länger dauernder natürlicher Alternans beruht wohl immer auf einer durch örtliche Veränderungen in der Kammermuskulatur bedingten alternierenden partiellen Asystolie. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol, Bd. 181. 9 Beitrag zur Darstellung und Kenntnis des Thrombins. Von Max Bleibtreu und Edgar Atzler. (Aus dem physiologischen Institut in Greifswald.) (Eingegangen am 21. Januar 1920.) Wenn auch seit den klassischen Untersuchungen Alexander Schmidts und Olof Hammarstens über die Blutgerinnung äußerst wertvolle Beiträge zu dieser Frage geliefert worden sind, so setzen die bisher gemachten Entdeckungen uns noch keineswegs in den Stand, den Vorgang der Gerinnung restlos zu erklären. Bei dem Gerinnungs- vorgang spielen offenbar so viele durch- und nebeneinanderlaufende Prozesse eine Rolle, daß es Morawitz als ein besonderes Verdienst ‚anzurechnen ist, wenigstens die Hauptphasen der Gerinnung klar er- kannt und in einem übersichtlichen, wenn auch unverbindlichen Schema festgelegt zu haben. Der Weg für die weitere Erforschung war also genau vorgezeichnet, und viele Untersucher beschritten ihn. Aber trotz emsigster Arbeit herrschen unter den auf diesem Gebiete arbei- tenden Forschern noch viele bisher unüberbrückbare Gegensätze in grundlegenden Fragen. Hier sei speziell an das 'Thrombin erinnert, dessen Unentbehrlichkeit für das Zustandekommen einer typischen Blutfaserstoffgerinnung wohl von niemanden mehr bestritten, über dessen Wirkung, Natur und Herkunft aber die Meinungen immer noch sehr geteilt sind. Wenn wir im folgenden das Thrombin, entsprechend der von Al. Schmidt begründeten Auffassung, auch als Fibrinferment bezeichnen, so wollen wir damit der ebenfalls umstrittenen Frage, ob überhaupt dieser Substanz die Fermentnatur zukommt, nicht vor- greifen. Um aber der Frage über die Natur des Thrombins näher zu kommen, erscheint es uns wichtig, für die Darstellung des Thrombins bzw. für die Herstellung wirksamer Thrombinlösungen bequemere und reichlichere Ausbeute versprechende Methoden, als die bisher üblichen, ausfindig zu machen ; auch ist ja zu erwarten, daß jede neue Darstellungsmethode' brauchbare Anhaltspunkte für die Beurteilung dieser Substanz und damit auch des Gerinnungsproblems liefern kann. Am meisten angewandt wird wohl die Methode von Al. Schmidt: Fällung des Serums mit dem 15—20fachen Volumen Alkohol, einige er nd E M. Bleibtreu u. E. Atzler: Beitrag zur Darstellung u. Kenntnis des Thrombins. 131 Monate stehenlassen, Niederschlag abfiltrieren und trocknen; Extrak- tion des Fermentes aus dem getrockneten Pulver mit Wasser. Die auf diese Weise gewonnenen Fermentlösungen haben den Vorzug, daß sie nur wenig fremde Beimengungen enthalten, weil durch das lange Stehen unter Alkohol die gefällten Eiweißsubstanzen in Wasser immer unlöslicher werden. Das Verfahren hat aber den Nachteil, daß es sehr zeitraubend und wegen der großen Alkoholmenge sehr kostspielig ist. Schon seit längerer Zeit versuchte der eine von uns (B.) eine Ab- trennung des Thrombins, welches — was es auch immer sei — jedenfalls Kolloidcharakter besitzt, dadurch zu erzielen, daß es, an andere Kolloide gebunden, ausgeflockt wurde, worauf, wenn es gelang, allerdings noch die weitere Aufgabe folgte, es nach Möglichkeit aus der Adsorptions- “ verbindung mit dem fremden Kolloid wieder zu lösen, Nach mehreren fruchtlosen Versuchen mit Eisenhydroxyd, Alu- miniumhydroxyd und anderen, wurde festgestellt, daß eine Bindung des Fermentes an kolloidale Kieselsäure stattfindet, und daß dasselbe mit dieser ausgeflockt werden kann. Die Lösung der kolloidalen Kieselsäure wurde auf folgende Weise hergestellt: Käufliches Wasserglas wurde auf das 10—20fache mit Wasser verdünnt, mit Salzsäure bis zu saurer Reaktion auf Kongopapier versetzt.und dann längere Zeit gegen Wasser dialysiert. Wird Blutserum mit dem vierten Teil seines Volumens dieser Lösung versetzt, so tritt eine starke Flockung ein, die oft (wenn auch nicht im- mer) bald filtrierbar wird. Man erhält dabei ein klares Filtrat. Wenn man dieses Filtrat auf seine ‚fermentative‘‘ Wirksamkeit untersucht, so findet man, daß dieselbe gegenüber der des ursprünglichen Serums stark herabgesetzt oder sogar ganz verschwunden ist, Nun ist bekanntlich der Gehalt des Blutserums an wirksamem Thrombin überhaupt nicht sehr groß, und er nimmt beim Stehen des Serum schnell weiter ab. Es verwandelt sich in das unwirksame Meta- thrombin (Morawitz), ist vielleicht auch schon in dem ganz frischen Serum zum Teil in dieser Form vorhanden. Durch Alkalischmachen und darauf folgende Neutralisation kann das Metathrombin leicht wieder in wirksames Thrombin umgewandelt werden. Es war daher das Filtrat nicht nur in dem ursprünglichen, sondern auch in dem aktivierten Zustande zu untersuchen und mit dem ebenfalls aktivierten Serum zu vergleichen. Dabei zeigte sich, daß auch das aktivierte Filtrat seine fermentative Wirksamkeit verloren hatte. Als Beispiel möge folgender Versuch angeführt sein: 200 ccm Rinderblutserum. p 50 ccm der genannten kolloidalen Kieselsäurelösung. Von der Flockung ab- filtriert. Proben des Filtrates mit gleichen Teilen Oxalatplasma versetzt, gerinnen nicht. Das Filtrat durch Alkalisäurebehandlung aktiviert gibt mit Oxalatplasma ebensowenig Gerinnung. 9* 132 M. Bleibtreu und E. Atzler: 20 ccm desselben Rinderblutserums. 5 ccm Wasser, davon einige Kubikzentimeter mit der gleichen Menge des- selben Oxalatplasmas versetzt. Beginn der Gerinnung nach 29 Minuten. Dasselbe durch Alkalisäurebehandlung aktiviert, mit gleichen Mengen Oxalatplasma ver- setzt, gibt Gerinnung nach 6!/, Minuten. Die Vermutung lag nahe, daß durch die Ausflockung mit Kiesel- säure die wirksame Substanz ausgeschieden worden sei. Notwendig ist diese Annahme nicht; denn es konnte ja die Behandlung auch in anderer Weise störend eingewirkt haben. Es war also noch zu beweisen, daß das Gerinnungsferment in der Ausfällung noch vorhanden war. Nun gelingt es tatsächlich, aus der Fällung wirksame Fermentlösungen zu erhalten. Wird die Fällung im Vakuum getrocknet, gepulvert und alsdann mit verdünnter Sodalösung oder verdünnter Natronlauge (*/,o) verrieben, wobei der größte Teilin Lösung geht, und gleich darauf wieder neutralisiert bis zu Beginn einer aufs neue entstehenden Ausfällung, so gibt das Filtrat mit Oxalatplasma Gerinnung. Das getrocknete Pulver gibt auch nach 11j,jähriger Aufbewahrung noch dasselbe Re- sultat. a Ohne Zweifel wird also ein Teil des Thrombins bzw. Metathrombins an die Kieselsäure adsorbiert und kann in wirksamer Form aus dieser Adsorptionsbindung wieder in Lösung gebracht werden. Ä Jedoch war die Wirksamkeit dieser Fermentlösungen meistens nicht sehr groß und die Resultate ungleich. Deshalb wurde dieser Weg vor- läufig verlassen und nach einem geeigneteren Mittel gesucht. Die Kieselsäure ist ein negatives Kolloid, und es war deshalb daran zu denken, daß vielleicht die elektrische Ladung der beiden in Betracht kommenden Kolloide bei dem Ausflockungsvorgange eine Rolle spiele. Das war der Grund, weshalb ebenfalls mit einem ausgesprochen nega- tiven Kolloid, nämlich dem Casein, die Abscheidung des Fermentes versucht wurde. Es war aber von vornherein klar, daß, wenn die Aus- flockung mit diesen Kolloiden gelang, dies nicht notwendig damit zusammenzuhängen brauchte, daß das Ferment eine entgegengesetzte elektrische Ladung besitzt. Die Flockung konnte ja auch durch Ad- sorptionsvorgänge anderer Art zustande kommen. In Versuchen, in welchen der eine von uns (A) das Fibrinferment sowohl im Blutserum, als auch in den von uns hergestellten Fermentlösungen im elektrischen Potentialgefälle untersuchte und die am Schlusse dieser Arbeit mitge- teilt werden sollen, stellte sich denn auch tatsächlich heraus, daß das Ferment nicht kathodisch, sondern anodisch wandert. Mit der elek- trischen Ladung dürfte der Ausflockungsvorgang wahrscheinlich nichts zu tun haben. Die Versuche zur Abscheidung des Fermentes mit Kasein gaben ein viel erfreulicheres Resultat, und der Ausarbeitung dieser Methode wandten wir deshalb unsere gemeinsame Arbeit zu. Beitrag zur Darstellung und Kenntnis des Thrombins. 133 Bindung des Fermentes an Kaseinniederschlag. Vorversuche. Als Ausgangsmaterial verwandten wir frisches Rinderserum. Zu 100 ccm desselben wurde je 1 g trockenes Casein zugesetzt. Das Casein wurde nach Hammarsten aus Kuhmilch frisch bereitet. Das Casein löst sich in dem Serum bei heftigem Schütteln meist vollständig auf. Das so zubereitete Serum ließen wir zuerst 12—24 Stunden stehen, im Verlauf der weiteren Untersuchungen stellte sich aber heraus, daß die Weiterverarbeitung auch sofort erfolgen kann. Durch vorsichtigen Zusatz von 30 proz. Essigsäure wurde das Casein gefällt und mit Hilfe der Zentrifuge oder durch Filtration von dem Serum getrennt. Die Fällung trocknete im Exsikkator zu einer glasigen Masse ein, die im Mörser fein zerrieben wurde. Dieses Pulver wird im folgenden kurz als „Serumecasein‘“ bezeichnet. Es war nun die Frage, ob an das ausfallende Casein sich das Thrombin bzw. das Metathrombin gebunden hatte. Es wurde daher zunächst wieder das Filtrat untersucht und mit dem ursprünglichen Serum ver- glichen, beide, nachdem sie durch Zusatz von Normalnatronlauge bis zu einem Gehalt von !/,jnormal alkalisch gemacht, nach ein bis zwei Minuten mit "/,, Salzsäure neutralisiert (bis zur neutralen Reaktion auf Lackmuspapier) und dadurch aktiviert worden waren. Als Substrat für die Wirkung des Fibrinfermentes diente Oxalatplasma. Die Zeit, die bis zum Beginn der Gerinnung verstrich, wurde mit der Stoppuhr, ge- messen. Diese, wie alle folgenden Gerinnungsversuche, wurden bei Zimmertemperatur vorgenommen. Bei diesen Versuchen ergab sich folgendes: 2 ccm des aktivierten Ausgangsserums zeigten mit 2 ccm Oxalat- plasma versetzt den Anfang der Gerinnung nach 2—6 Minuten, das aktivierte Filtrat von der Caseinfällung nach 1/,—1!/, Stunden. Durch die Caseinfällung hat also die gerinnungsfördernde Wirkung des Serums bedeutend abgenommen. Es lag demnach nahe anzunehmen, daß das Casein das Metathrombin adsorbiert hatte; in der Tat be- stätigte sich diese Annahme. Die getrocknete und gepulverte Caseinfällung wurde in Wasser verrieben; das Wasser zeigte dabei saure Reaktion (von noch anhaf- tender Essigsäure). Es wurde zunächst n-Natronlauge bis zu neutraler Reaktion auf Lackmuspapier zugesetzt, wobei das Casein beim Verreiben sich größtenteils auflöst, dann weiter n-Natronlauge zum Zweck des Aktivierens bis zu !/,,n zugesetzt und nach 1—2 Minuten mit "/,-Salz- säure unter fortwährendem Verreiben soweit neutralisiert, daß das Casein noch gerade in Lösung blieb. Mit gleichen Teilen Oxalatplasma versetzt, erfolgte die Gerinnung nach 3—5 Minuten. Ohne die Ak- tivierung durch Alkali-Säurewirkung gab die Lösung des Serumcaseins 134 M. Bleibtreu und E. Atzler: mit Oxalatplasma im allgemeinen keine Gerinnung; nur in einzelnen Fällen kam nach 3—4 Stunden eine Gerinnung zur Beobachtung. Das getrocknete und gepulverte Serumcasein verliert beim Auf- bewahren seine Wirksamkeit nicht; selbst nach 1 Jahr war das Prä- parat imstande, nach dem Aktivierungsprozeß Plasma in 3—5 Minuten zu koagulieren. Man könnte einwenden, daß die Wirksamkeit dieser Lösungen nicht auf einer Adsorption des im Serum vorhandenen Metathrombins be- ruhten, sondern daß das Casein selbst ein gerinnungsförderndes Moment hineingebracht habe; dieser Einwand ist um so berechtigter, als Mager- milch, in gleicher Weise aktiviert wie das Serum, ebenfalls imstande ist, nach Y, Stunde Oxalatplasma zu koagulieren. Die Abnahme der Wirk- samkeit des Restserums hätte dann allerdings auf andere Weise erklärt werden müssen. Es war daher nötig, mit dem von uns benutzten Casein Kontroll- versuche zu unternehmen, wobei das Caseinpulver in genau derselben ‚Weise behandelt wurde, wie das Serumcaseinpulver. Diese Versuche fielen negativ aus: nach 11/, Stunde war noch keine Gerinnung einge- treten. Diese Versuchsergebnisse berechtigten also zu dem Schlusse, daß das ausfallende Casein imstande ist, sich im Serum mit einem Stoff — Metathrombin — zu beladen, der nach dem Aktivieren eine rasche Gerin- nung des Oxalatplasmas bewirkt. £ Bisher war es wohl gelungen, aus der Caseinfällung wirksame Fermentlösungen zu bekommen. Aber die wirksame Substanz war auf diese Weise nur vermischt mit dem Casein zu erhalten. Wir be- mühten uns zunächst, in dem gewonnenen Serumcaseinpulver das Meta- thrombin vom Casein zu trennen. Wir versuchten dies zunächst durch stundenlanges Schütteln des Pulvers mit Wasser im Schüttelapparat zu erreichen. Das durch Abzentrifugieren erhaltene, schwach opali- sierende Waschwasser wurde aktiviert, bewirkte aber erst nach ®/,—1!/, Stunden Gerinnung. Wir mußten also kompliziertere Methoden anwenden, um zu un- serem Ziele zu gelangen. Man muß ja wohl annehmen, daß durch die Alkali-Säureeinwirkung das Thrombin vom Casein abgespalten wird. Es müßte also dafür gesorgt werden, daß, sobald durch den Aktivierungs- prozeß das Thrombin freigemacht ist, die Adsorbentien aus der Lösung entfernt werden. Wir gingen zunächst so vor, daß wir das „Serum- casein‘ in der bekannten Weise aktivierten und dann so viel Salzsäure oder Essigsäure hinzufügten, daß das Kasein gerade anfing auszufallen. Durch rasch darauf folgendes Zentrifugieren wurde das Casein von der Lösung abgetrennt; die.Aktivität der Lösung war sehr schwankend; die Gerinnungszeiten betrugen 10 Minuten bis 1 Stunde. Weit bessere Beitrag zur Darstellung und Kenntnis des Thrombins. 135 Resultate erhielten wir aber, als wir das Michaelis - Ronasche Ver- fahren!) der Enteiweißung von Serum in einer für unsere Zwecke ge- eignet erscheinenden Abänderung anwandten. Wir verrieben 5 g „Serumeasein‘“ in 25 cem Wasser, fügten Normalnatronlauge bis zur Neutralisation hinzu, aktivierten mit 2,5 cem n-Natronlauge, verdünnten mit 25cem Wasser und neutralisierten nach 2 Minuten mit n-Salzsäure. Alsdann wurden 8 ccm aufs 3fache verdünnte kolloidale Eisenhydroxyd- lösung (Liqu. Ferri oxyd. dialys. Kahlbaum) zugesetzt, geschüttelt und weiter 1 ccm gesättigte Magnesiumsulfatlösung zugefügt. Es trat eine Flockung ein; der Niederschlag wurde durch Zentrifugieren ent- fernt; das so gewonnene trübe Filtrat bewirkte nach 1—5 Minuten im Oxalatplasma Gerinnung. Diese Reihenfolge der einzelnen Prozeduren mußte innegehalten werden. So erhält man nach unseren Erfahrungen ein unwirksames Präparat, wenn die Fällung mit dem kolloidalen Eisen direkt nach dem Aktivieren mit Natronlauge und vor dem Neutralisieren mit Salzsäure vorgenommen wurde. Auch spielte bei diesen Versuchen die Menge der zugesetzten Eisenlösung eine große Rolle. Fügte man dem nach der Eisenfällung gewonnenen trüben Filtrat wiederum einige Kubikzenti- meter Eisenlösung zu, so erhielten wir durch Filtration eine wesent- lich geringer getrübte Lösung, die sich aber als weniger aktiv erwies. Durch mehrmalige Wiederholung dieser Eisenbehandlung konnten wir schließlich ein absolut klares, aber völlig unwirksames Filtrat erhalten. Es erwies sich also eine teilweise Ausfällung der Serumcaseinlösung am vorteilhaftesten. Bei der Eisenfällung in dieser dosierten Form wird nun zwar ein Teil der in dem ‚Serumcasein‘ enthaltenen, dem Ferment anhaftenden Substanzen beseitigt, ein großer, sogar der größte Teil derselben bleibt aber noch darin. Die so gewonnenen Ferment- lösungen waren also noch mit einer großen Menge fremder Stoffe behaftet. Auch hatten sie den Übelstand, daß sie, frisch bereitet, zwar ziemlich wirksam waren, nach einigen Tagen aber an Aktivität einbüßten. Es handelte sich also weiter darum, von den durch das beschriebene Verfahren erhaltenen Lösungen die anhaftenden Eiweißsubstanzen möglichst zu entfernen. Dies gelingt bis zu einem gewissen Grade durch fraktionierte Ausfällung mit Alkohol. Wir fügten zu den Lösungen 1/;—!/s; Volumen Alkohol. Das gibt in der (magnesiumsulfathaltigen) Lösung aufs neue eine starke Fällung, von der abfiltriert wurde. Diese Filtrate waren nur schwach getrübt. Um die Konzentration des Alkohols herabzusetzen, wird das Filtrat noch mit dem gleichen Volumen destillierten Wassers versetzt und so schließlich eine Ferment- lösung erhalten, welche, mit gleichem Volumen Oxalatplasma versetzt, in 35—60 Sekunden Gerinnung hervorruft. 1) Biochem. Zeitschr. %, 329. 1908; 13, 122. 1908. 136 M. Bleibtreu und E. Atzler: Die so gewonnenen Präparate wurden im Eisschrank aufbewahrt und verloren während der Beobachtungszeit (bis 8 Wochen) nichts an Wirksamkeit. Das Ziel, eine gut wirksame und, wie es scheint, dauernd haltbare Fermentlösung zu erhalten, war also erreicht. Allerdings ist die Fermentlösung auch jetzt noch mit anderen Sub- stanzen vermischt, wahrscheinlich haftet noch ein Teil des: Caseins neben Serumeiweißsubstanzen dem Ferment an, abgesehen von den anorganischen Beimengungen. Ob eine weitere Reinigung gelingt, müssen spätere Versuche lehren. Definitives Verfahren. Wir fassen noch einmal kurz den Gang der Darstellung unserer Fer- mentlösung zusammen. Zusatz von Caseinpulver zu dem Serum, 1 g auf 100 cem. Auflösen des Caseins im Schüttelapparat. Ausfällen des Caseins mit Essigsäure. Trocknen der Fällung im Vakuum. Pulverisieren. Aaıflösen des Pulvers in Wasser unter Zusatz von Normalnatronlauge bis zur neutralen Reaktion (ungefähr 100 ccm Wasser auf 10 g des Pulvers). Weiterer Zusatz von Normalnatronlauge: 1 Volumen Normal- natronlauge auf 10 Volumen der Lösung. Neutralisieren mit n-Salzsäure. Zusatz von kolloidaler Eisenhydroxydlösung (liqu. Ferri Goydı dialys. Kahlbaum), (ungefähr 10—15 cem der aufs 3fache verdünnten käuflichen Lösung auf 100 cem) Zusatz von Magnesiumsulfatlösung (ungefähr 2,5 ccm gesättigte Lösung auf 100 ccm). Trennen des Eisenniederschlages durch Zentrifugieren (Filtrieren geht meist zu langsam). Versetzen der Lösung mit !/,—!/, Volumen Alkohol. Abtrennen der entstandenen Fällung durch Filtration. Aufbewahren des Filtrates im Eisschrank. Beim Gebrauch Zusatz des gleichen Volumen destillierten Wassers. Der Gang der Darstellung ist etwas umständlich. Wir fragten uns daher, ob sich derselbe nicht vereinfachen läßt. Zunächst könnte das Trocknen des Caseinniederschlages überflüssig erscheinen, da man ihn doch nachher wieder auflösen muß. Wir haben uns aber wiederholt davon überzeugt, daß, wenn man den noch feuchten Niederschlag verwendet und in genau gleicher Weise behandelt, die Präparate weniger wirksam werden. Es durfte also auf das Trocknen nicht verzichtet werden. Das Trocknen hat auch den Vorteil, daß man Beitrag zur Darstellung und Kenntnis des Thrombins. lat in Gestalt des trockenen Pulvers das Ausgangsmaterial (,‚Serumcasein‘‘) dauernd aufbewahren kann. Es war ferner zu erwägen, ob die zwischengeschobene Eisenfällung nicht entbehrt werden kann. Wenn man dieselbe wegläßt, d. h. die Lösung nach der Aktivierung direkt mit Alkohol unter Zusatz von etwas Magnesiumsulfatlösung fällt, bekommt man auch brauchbare Prä- parate, aber die Wirksamkeit war doch viel geringer als nach der voran- gegangenen Eisenbehandlung. Wir nehmen an, daß eine die Gerinnung verzögernde Substanz mit der Eisenfällung beseitigt wird. Praktische Anwendungen der Fermentlösungen. Wir benutzten unsere Fermentlösungen zu einigen praktischen Ver- suchen am Tier. Es ließ sich zunächst in vitro zeigen, daß durch Zusatz unserer Thrombinlösung zu frisch entnommenem Kaninchenblut die Gerinnungszeit deutlich verkürzt wurde. Verglich man den natürlichen Thrombus mit dem durch das Thrombin bewirkten künstlichen, so war der letztere viel kompakter. Hiernach versuchten wir die blutstillende Wirkung des Mittels am Kaninchenohr. Beide Ohren wurden mit Xylol stark hyperämisiert und durch je zwei identisch gelegte Schnitte in die Randvene verletzt, so daß eine starke Blutung eintrat. Beide Wunden wurden mit je einem Tupfer komprimiert. Der auf der schwächer blutenden Wunde be- findliche Tupfer war mit 33proz. Alkohol getränkt, der andere Tupfer enthielt unsere Thrombinlösung (unverdünnt, also ebenfalls 33% Alkohol enthaltend). Während die stärker blutende Wunde nach 30 Sekunden vollkommen stand, ließ sich am anderen Ohr erst nach 2 Mi- nuten ein Nachlassen der Blutung beobachten. Leicht gelang auch die Stillung von parenchymatösen Blutungen. Einem Kaninchen wurde in Äthernarkose durch einen Medianschnitt das Abdomen eröffnet und ein 3 g schweres Leberläppchen entfernt; mit der Hand wurden die zentralwärts gelegenen Leberpartieen kom- primiert, so daß aus der Schnittwunde kein Blut austrat; nun wurde durch vorsichtiges Lüften der komprimierenden Finger eine dünne Blutschicht auf der Schnittwunde erzeugt, die mit dem Thrombin be- tropft wurde. Nach zwei Minuten war die Gerinnung so weit gediehen, daß die Kompression nicht mehr nötig war. Die Leber wurde versenkt, die Bauchwunde geschlossen und das Tier erholte sich von dem Eingriff. Nach einem Monat wurde bei dem gleichen Tier wiederum das Ab- domen eröffnet; diesmal gestaltete sich die Operation infolge der vielen Verwachsungen schwieriger ; die Adhäsionen wurden stumpf gelöst; dabei wurde das brüchige Lebergewebe vielfach zerfetzt und es entstand in der wenig übersichtlichen Wundhöhle eine starke, parenchymatöse 138 M. Bleibtreu und E. Atzler: Blutung, die durch reichliches Berieseln mit der Thrombinlösung ohne Schwierigkeiten zum Stehen gebracht wurde. Wir hatten dem Tier in dieser Sitzung 11 g Lebergewebe entfernt. Auch diese Operation über- stand das Tier ganz ausgezeichnet, und es befindet sich noch heute — 8 Wochen nach dem Eingriffe — in ausgezeichnetem Zustande. Für chirurgische Zwecke scheint sich das Präparat nicht recht zu eignen, da die moderne Technik unseres Wissens einen besonderen Wert darauf legt, durch öfteres Abtupfen klare Wundverhältnisse zu schaffen. Durch dieses häufige Betupfen wird aber das Gerinnsel auf der Wund- fläche zerstört, die zarten Thromben werden aus den Gefäßlumina herausgerissen und die Blutung: beginnt von neuem. Erwähnt sei nur nebenbei, daß das Präparat auch Aseitesflüssigkeit nach 15 Minuten zur Gerinnung brachte. Elektrische Überführungsversuche. Um einen tieferen Einblick in die physikalisch-chemischen Verhält- nisse zu gewinnen, wurden elektrische Überführungsversuche angestellt. Wir bedienten uns hierfür des von Michaelis!) angegebenen Über- führungsapparates und verfuhren genau nach den Vorschriften des Autors. In die Mitte des Apparates brachten wir die zu untersuchende Flüssigkeit — im folgenden kurz als Mittelflüssigkeit bezeichnet — und in die Seitenteile wurden Puffer eingeschaltet. Wir verwandten nach dem Vorschlage von Michaelis eine Mischung von primärem und sekundärem Natriumphosphat. Mit Hilfe von Gasketten wurde die [H’] des Serums bestimmt; dann stellten wir Puffer nach den Micha - elis’schen Tabellen von gleicher [H’] her, die ebenfalls nach der elektro- metrischen Methode nachgeprüft wurden. Resch?), der kataphoretische Versuche mit Thrombin angestellt hat, gibt an, daß der von Michaelis empfohlene Puffer in der von ihm als Testobjekt angewandten reinen Fibrinogenlösung Gerinnung schon von sich aus hervorruft; wir arbeiteten mit Plasma und konnten nicht finden, daß der Puffer allein schon genügt, um im Plasma Koagulation zu bewirken. Der Überführungsapparat wurde an das Stadtstromnetz (220 Volt), unter Vorschaltung eines Kohle-Alkoholwiderstandes, angeschlossen ; die Stromstärke betrug 0,6—1 Milliampere, die Überführungsdauer währte 8—24 Stunden. Als Mittelflüssigkeit verwandten wir für die erste Versuchsreihe frisches Pferdeserum. Nach der Überführung wurde die kathodische, anodische und die Mittelflüssigkeit in der bekannten Weise mit Alkali- Säure aktiviert; zu den Lösungen wurde dann das gleiche Volumen Oxalatplasma zugesetzt und die Gerinnungszeit bestimmt. 1) Michaelis, Die Wasserstoffionenkonzentration, S. 192. 2) Resch, Biochem. Zeitschr. 98, 297, 5/6. Beitrag zur Darstellung und Kenntnis des Thrombins. 139 Bei Pp = 8 trat in der anodischen Seitenflüssigkeit nach 8, 12 und 14 Minuten Gerinnung ein; das Serum der Mittelflüssigkeit wirkte nach 3,1 und 3 Minuten. Die kathodische Seitenflüssigkeit erwies sich als vollkommen unwirksam. (3 Versuche). Um im Bereich Py = 6 arbeiten zu können, wurde das Serum der Mittelflüssigkeit mit Salzsäure angesäuert. Nach Herstellung von Puf- fern gleicher [H'J, wurde die Überführung versucht. Es konnte aber keine Überführung des Ferments beobachtet werden. Die mit Salz- säure angesetzte Mittelflüssigkeit bewirkte nach 1!/, Stunde und in einem zweiten Falle nach 6 Minuten Gerinnung. Wurde das Serum der Mittelflüssigkeit durch Zusatz von Natron- lauge alkalisch gemacht und auf eine Pp = 9,5 gebracht, so trat eben- falls keine Kataphorese ein; berücksichtigt man aber, daß auch das Serum der Mittelflüssigkeit erst nach 20 Stunden Gerinnung auslöste, so ist wohl anzunehmen, daß das Metathrombin den Laugenzusatz nicht verträgt. Aus diesen Versuchen kann man also den Schluß ziehen, daß bei einer [H’] von Pg = Sder Komplex Eiweiß + Metathrombin dissoziiert und daß die Thrombinkomponente eine negative Ladung trägt. Ob bei Pg = 6 eine Umladung erfolgt, kann aus den wenigen bisher ange- stellten Versuchen noch nicht geschlossen werden. Nun wissen wir aber!), daß der isoelektrische Punkt für Casein . bei 2,5 x 10°? liegt und daß die Kieselsäure ebenfalls anodisch wandert. Daraus folgt, daß wir nicht berechtigt sind anzunehmen, daß beim Lösen des Caseins im Serum die Thrombinkomponente vermöge ihrer entgegen- gesetzten Ladung an Casein adsorbiert wird; ob die Adsorption erst beim Ausfällen ‚des Caseins mit Essigsäure stattfindet und ob dabei die elektrische Ladung eine Rolle spielt, mag dahingestellt bleiben. Wir untersuchten nun weiterhin das Verhalten einer nach unserer ‚Methode gewonnenen Thrombinlösung im elektrischen Potentialgefälle. Leider stellte sich bei der elektrometrischen Bestimmung der [H'] der Fermentlösung die Wasserstoffelektrode auf kein genügend kon- stantes Potential ein. Wir mußten infolgedessen auf die Einschaltung von Puffern verzichten und begnüsten uns mit destilliertem Wasser als Seitenflüssigkeit. Das spezifische Gewicht der Thrombinlösung wurde durch Beimengung von Traubenzucker — den wir als indifferent er- kannt hatten — größer als 1 gemacht. Wir brauchten nach der Überführung natürlich nicht erst zu ak- tivieren, sondern konnten die verschiedenen Flüssigkeiten zu gleichen Teilen Plasma direkt zusetzen. Die kathodische Seitenflüssigkeit ergab keine Gerinnung, in der anodischen Seitenflüssigkeit trat nach 20 Mi- nuten, in der Mittelflüssigkeit (Thrombinlösung) nach 7 Minuten Ge- 1) L. Michaelis und H. Pechstein, Biochem. Zeitschr. 47, 260, 3/4. 140 M. Bleibtreu u. E. Atzler: Beitrag zur Darstellung u. Kenntnis des Thrombins. rinnung ein. Diese Versuche mit Thrombin stehen also im Einklang mit den Resultaten Reschs. Zusammenfassung. l. Beim Auflösen von Casein in Blutserum und nachfolgender Fällung des Caseins mit Essigsäure wird mit dem Casein das Thrombin bzw. Metathrombin als Adsorptionsverbindung ausgeschieden. (Serum- Casein !) 2. Aus dem Serum-Casein lassen sich sehr wirksame und haltbare Thrombinlösyngen herstellen, die sich im Tierversuch zur Stillung parenchymatöser Blutungen auch als praktisch brauchbar erwiesen. 3. Im elektrischen Potentialgefälle wandert Thrombin und Meta- thrombin anodisch. Beiträge zur Methodik der Froschgefäßdurchspülung. Von Edgar Atzler und Ludwig Frank. | (Aus dem physiologischen Institut der Universität Greifswald.) Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 26. Januar 1920.) Wenn es sich darum handelt, das Vasomotorenspiel der Frosch- gefäße und seine Abhängigkeit von den verschiedenen Einwirkungen physikalischer oder chemischer Art zu beobachten, so pflegten sich bisher die meisten Untersucher wohl der Läwen-Trendelenburg- schen Methode zu bedienen. Läwen!) 'verfährt so, „daß er die zur Durchspülung bestimmten Frösche ent- hirnt, das Rückenmark ausbohrt und auf einer Korkplatte befestigt. Die Vena abdominalis wurde mit einem aus der Bauchhaut gebildetem bandförmigen Lappen nach unten umgeschlagen und zwischen den hinteren Extremitäten auf der Kork- platte festgesteckt... Dann werden die Verdauungsorgane, Leber, Magen und Darm bis auf das Rectum, ferner bei weiblichen Tieren die Ovarien bis auf die ‚Ovidukte entfernt. Nach Durchtrennung des hinteren parietalen Bauchfells wurden sämtliche Gefäßverbindungen zwischen Aorta abdominalis und Niere gelöst, eine Kanüle bis hart vor die Teilungsstelle der Aorta vorgeschoben und hier einge- bunden. Die Nieren wurden an den aus den Femoralvenen stammenden von unten ‚an sie herantretenden Venen (Vena renalis advehens princeps) nach unten umge- schlagen. Durch eine Massenligatur wurden endlich die oben erwähnten Nieren- venen, das Rectum und die Ovidukte mit ihren Gefäßen abgebunden. Zum Schluß wurde in die Vena abdominalis eine etwa 8 em lange Kanüle eingebunden. Die beiden seitlichen Bauchdecken klemmte ich durch P&ansche Klemmen ab... Die Aortenkanüle stand durch einen Gummischlauch und ein in diesen eingeschalte- tes T-förmiges Glasrohr in Verbindung mit zwei Trichtergläsern, von denen das eine als Giftgefäß diente, während das andere von einer Mariotteschen Flasche aus dauernd mit der Spülflüssigkeit unter Erhaltung eines einigermaßen kon- stanten Flüssigkeitsniveaus gespeist wurde. Der Druck der in die Aorta strömenden Flüssigkeit konnte beliebig reguliert werden. Die Ausflußgeschwindigkeit aus der Vene ist eine Funktion dieses Druckes und der Gesamtgefäßweite.‘ Als Durchströmungsflüssigkeit wurde Ringerlösung mit einem Gummizusatz von 1% angewandt. Die ausfließende Menge wurde nach der Tropfenzahl pro Minute bestimmt. Trendelenburg?) hat dann unter Beibehaltung der eben ange- führten Versuchsanordnung durch einen elektromagnetischen Tropfen- ) Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 51, 416. 1904. 2) Archiv f. experim. Pathol, u. Pharmakol. 63, 166. 1910. 142 E. Atzler und L. Frank: zähler auf dem Kymographium die ausfließenden Tropfen registriert. Nach diesem Autor bleibt das Froschpräparat bis drei Tage brauchbar. Bei dieser Methode ist eine sehr sorgfältige und mühsame Präpa- ration des Frosches notwendig; sie ist auch nur ausführbar, wenn große Frösche zur Verfügung stehen, da an kleineren Tieren die genaue Vorbereitung kaum möglich ist. Jedes Gefäß, das nicht ganz exakt abgebunden ist, kann einen Nebenweg für die Ringerlösung bilden und so die Richtigkeit der gefundenen Werte beeinträchtigen. Aber auch von diesen an sich vermeidbaren Fehlern abgesehen, hat sich nach der Ansicht von Fleisch!) diese Methode nicht als hinreichend zuverlässig erwiesen. Denn selbst nach längerem Durchspülen mit Ringerlösung kann sich aus der Venenkanüle immer noch etwas Blut entleeren und gelegentlich eine Verstopfung herbei- führen. Weiter führt Fleisch an, daß beispielsweise bei der Verwendung der Läwen-Trendelenburgschen Methodik zur Durchströmung eines curarisierten Frosches die Gefahr besteht, daß bei geringen Spontan- bewegungen, die selbst bei guten Curarelösungen ja hin und wieder einmal auftreten können, eine Abknickung der Venenkanüle eintritt. Auch ist es ja sehr leicht möglich, daß durch geringfügige Lageverän- derungen der Kanüle, die vielleicht durch ein nicht genügend vorsich- tiges Hantieren mit der Apparatur bedingt sein mag, eine Behinderung des Ausflusses stattfindet. Fleisch machte fernerhin darauf aufmerk- sam, daß die Tropfengröße durch einen pharmakologischen Zusatz zur Ringerlösung infolge Änderung der Oberflächenspannung nicht zu ver- nachlässigenden Schwankungen unterworfen sein kann. Dieser Autor hat deshalb bei seinen Versuchen von einer Registrierung des Ausfluß- menge Abstand genommen und eine Methode angegeben, welche die in der Zeiteinheit zufließende Menge zu berechnen gestattet. Seine Me- thode beruht auf folgendem Prinzip: „Auf einem in vertikaler Richtung verschiebbaren Stativ befinden sich zwei Standflaschen R und R’ als Reservoire, wovon die eine Ringerlösung, die andere Ringerlösung plus entsprechenden Zusatz enthält. Beide Reservoire sind mit einer T-Röhre durch Schläuche verbunden. Das Abklemmen des einen oder anderen Schlauches gestattet den Wechsel der Durchströmungsflüssigkeit. Hinter der T-Röhre zum Frosch hin ist ein Capillarwiderstand eingeschaltet, der bei konstan- tem Druck konstante Flüssigkeitsmenge in der Zeiteinheit durchtreten läßt. Hinter dem Widerstand teilt sich der Flüssigkeitsstrom in eine zweite T-Röhre. Der eine Teil des Stromes geht zum Frosch, der andere durch eine Flasche zu einem Über- laufrohr; die aus diesem abfallenden Tropfen werden registriert. Ist nun die Ge- samtzuflußmenge, die minütlich durch den Capillarwiderstand hindurchtritt, größer als die Durchströmungsmenge, welche nach dem Frosch abfließen kann, so geht der Überschuß nach dem Überlaufrohr und tropft dort als Überlaufmenge ab.‘“ (Mit unwesentlichen Änderungen zitiert.) !) Archiv f.d. ges. Physiol. 191, 90. 1918. Beiträge zur Methodik der Froschgefäßdurchspülung. 143 Diese gut durchdachte Versuchsanordnung leidet nur an dem Übel- stand, daß man während des Versuches nie recht sicher weiß, ob eine genügende Menge durch das Froschpräparat hindurchfließt. Erst bei der Auszählung der Kurven stellt es sich mit Sicherheit heraus, ob das erwartete Versuchsresultat eingetreten ist. Aus diesem Grunde und in dem Bestreben, die Methodik noch weiter zu vereinfachen, konstruierte der eine von uns (A.) eine Apparatur, die es gestattet, sofort nach dem Anschluß des Frosches zu sehen, ob eine Durchströmung stattfindet. Das Prinzip der Methode wird am einfachsten an Hand der schema- tischen Zeichnung (Abb. 1) zu erörtern sein. Die Bürette A trägt oben einen absolut dicht schließenden Gummipfropfen P, durch dessen Mitte eine Glasröhre @ hindurch- gesteckt ist. Bei E wird mittels eines Gummischlau- ches die Kanüle befestigt, die bei den Durchströ- mungsversuchen in das arterielle Gefäß eingebun- den wird. Wir verwen- den also das Prinzip der Mariotteschen Flasche und erreichen damit, daß die Flüssigkeit unter ei- nem praktisch konstanten Druck aus der Kanüle läuft. Jenach der Ausflußgeschwindigkeit wird in der Zeiteinheit eine größere oder geringere Zahl von Luftblasen aus dem Glasrohr @ durch die Flüssigkeitsmenge Fl in den Luftraum R, steigen. Man könnte nun daran denken, die Zahl der aufsteigenden Luftbläschen, die jaeine Funktion der Ausflußgeschwindigkeit ist, irgendwie graphisch zu registrieren. So wäre esz. B. möglich, unter Benutzung des Bellschen Telephonprinzips die Kraft der aufsteigenden Luftbläschen zur Bewe- gung eines feinen Eisenplättchens zu benutzen. Ein solches Verfahren würde aber fehlerhaft sein, sobald durch einen Zusatz zur Spülflüssig- keit die Grenzflächenspannung gegen Luft geändert wird. Diese Ände- rung der Oberflächenspannung würde mit einer Änderung der Größe der aufsteigenden Luftbläschen einhergehen. Aus diesem Grunde wurde von einer Registrierung der in der Mariotteschen Flasche aufsteigen- den Luftbläschen abgesehen. Verbindet man das obere Ende der Glasröhre @ luftdicht mit einem Mareyschen Tambour M, so wird man beobachten können — was ja theoretisch ohne weiteres vorauszusehen ist — daß beim Ausfließen von Flüssigkeit im Inneren des Systems Glasröhre-Mareyscher Tambour 144 E. Atzler und L. Frank: eine Druckverminderung eintritt; es wird infolge dieser Saugwirkung die Membran der Mareyschen Kapsel immer mehr eingezogen, bis schließlich keine Flüssigkeit mehr aus der Kanüle herausfließen kann. Sorgen wir nun dafür, daß diese Druckdifferenz zwischen der atmo- sphärischen Luft und dem System Glasröhre-Mareysche Kapsel sich durch die eingeschaltete, mit Aqua destillata angefüllte Spritzflasche Sp ausgleichen kann, so haben wir eine Möglichkeit, die in der Zeiteinheit ausfließende Flüssigkeitsmenge graphisch zu registrieren. Sobald näm- lich ein solcher Druckausgleich durch Luftblasen an der Spritzflasche erfolgt, wird der Hebel der Mareyschen Kapsel eine große Exkursion ausführen. Auch die in der Bürette A aufsteigenden Luftbläschen - werden von der Kapsel verzeichnet; sie bedingen aber kleinere Hebel- bewegungen, da bei unserer Apparatur auf ein großes Luftbläschen zwei kleine Luftbläschen in A kommen. In Abb. 2 ist ein Ausschnitt aus einer Durchströmungskurve ge- geben; £ ist die Zeitschreibung in Sekunden, X ist die von derMarey- .schen Kapsel geschriebene Durchströmungskurve. Man sieht große Abb. 2. Hebelexkursionen, die den in der Spritzflasche gebildeten Luftblasen entsprechen, und daneben die kleinen Schwankungen e, die ihre Ent- stehung den in der Bürette aufsteigenden kleinen Luftbläschen ver- danken. Aus den oben dargelegten Gründen (Grenzflächenspannung!) legen wir unseren Beobachtungen nur die großen Hebelbewegungen zugrunde; denn in der mit destilliertem Wasser angefüllten Spritzflasche bleibt die Blasengröße immer konstant, vorausgesetzt, daß nicht durch me- chanische Erschütterungen ein vorzeitiges Abreißen der Luftbläschen von der Glasröhre erfolgt. Der Ausarbeitung dieses Systems für den praktischen Labora- toriumsgebrauch wandten wir nun unsere gemeinsame Kraft zu. Hatten wir zuerst an improvisierten Apparaten, die sich übrigens vorzüglich bewährten und der einfachen Methode entsprechend leicht herzustellen waren, gearbeitet, so ließen wir später unter Benutzung unserer Er- fahrungen von den vereinigten Fabriken für Laboratoriumsbedarf in Berlin einen Apparat bauen, der das Arbeiten ganz wesentlich er- leichtert. Beiträge zur Methodik der Froschgefäßdurchspülung. 145 Nach den obigen Darlegungen werden wir uns zur Erklärung der Abb. 3 kurz fassen können. Bei X befindet sich wieder die Kanüle. Jenach der Stellung des Dreiwegehahnes kann einmal die Bürette A,, die mit reiner Ringerlösung gefüllt sein mag, das andere Mal die Bü- rette A, mit irgendeinem pharmakologischen Zusatz das Froschpräparat speisen. An den beiden Büretten ist oben je ein durch einen Hahn abschließbarer Trichter Tr zum Nachfüllen von Flüssigkeit ange- bracht. Um nun zu verhüten, daß durch das Nachfüllen eine Druck- zunahme in der Mareyschen Kapsel eintritt, die evtl. die Gummi- membran zersprengt, wird während dieser Prozedur der Glasstöpsel P entfernt. | Beim Umschalten der Büretten stört es oft sehr, daß die neu ange- schlossene Bürette die Flüssigkeit zunächst unter einem höheren Drucke austreibt; direkt nach dem Nach- füllen steht nämlich die Flüssigkeitin der Glasröhre @ und in der Bürette nach dem Prinzip der kommuni- zierenden Röhren gleichhoch. Um den hierdurch bedingten Fehler aus- zuschalten, sind. unten an den bei- den Büretten je zwei Glashähne H angeschmolzen. Man läßt nun aus diesem Hahn vor der Durchströmung des Frosches soviel Ringerlösung austropfen, bis die erste Luftblase im Inneren der Bürette aufgestiegen ist. Nun kann man mit der Durch- strömung beginnen. Die ganze Apparatur ist auf einem Holzbrett montiert. Den Durchströmungsdruck variiert man in der Weise, daß man das durch den Gummischlauch angeschlossene Froschpräparat je nach der gewünschten Druckhöhe höher oder niedriger aufstellt. Vor dem Gebrauch des Apparates muß man sich durch blinde Versuche davon überzeugen, daß die beiden Büretten A, und 4, identisch ar- beiten, so daß man auch wirklich beim Umschalten keine durch Un- gleichheiten der Büretten bedingte Unterschiede in der Durchströmungs- größe erhält. Wir arbeiten seit über acht Monaten fast täglich mit diesem Apparat und haben die besten Erfahrungen mit ihm gemacht. Das umfang- reiche Kurvenmaterial soll aber in dieser, die rein technische Seite . behandelnden Arbeit noch nicht berücksichtigt werden. Nur um ein Bild über die Leistungsfähigkeit der Apparatur zu geben, seien einige vor kurzem angestellte Adrenalinversuche erwähnt. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 10 Abb. 3. 146 E. Atzler und L. Frank: Aus den Läwenschen Versuchen an dekapitierten Fröschen mit durehbohrtem Rückenmark ergibt sich, daß ein Zusatz von Suprarenin zur Spülflüssigkeit in der Konzentration von 3 : 10 000 000 die Aus- flußmenge aus der Vene um 6—22%, herabsetzt. Wenn auch die mit unserer Methode gefundenen Resultate nicht ohne weiteres mit den Läwenschen Zahlen vergleichbar sind, so wird doch zur Beurteilung der Empfindlichkeit der neuen Methode ein Vergleich nicht ohne In- teresse sein. Wir arbeiteten an mittelgroßen bis kleinen Eskulenten und setzten der Ringerlösung nach Feststellung der normalen Durch- flußmenge synthetisch dargestelltes salzsaures Suprarenin (Hoechst) in verschiedenen Konzentrationen zu. Aus der beigefügten Tabelle sind die recht erheblichen Einwirkungen des Giftes auf die Gefäße ohne weiteres zu ersehen. Durch nachfolgende Durchspülung mit reiner Ringerlösung konnte der Gefäßkrampf in allen hier angeführten Ver- suchen wieder gelöst werden. | Bildungszeit der Gasblasen Nr. Adrenalin- ia) bei reiner | b) mit Adre- Prozentuale konzentration Ringerlösung | nalinzusatz Anderung in Sek. in Sek. 1 | 1: 1 000 000 15 88 487% 2 | 1: 1000 000 | 10 sl 710% 3 I" 1:5000000 . | 12 44 266% 4 | 1:5.000.000 Ta) & SAN N a9 5 1:151000:000 2. 172 02.47 171008 6 1: 10.000 000 See E00) 262% Zum Schluß wollen wir noch rein theoretisch die neue Versuchs- anordnung einer Prüfung unterwerfen. Durch die Elastizität der Gummimembran der Mareyschen Kapsel und durch die in dem System sich bildenden Luftbläschen wird eine Hemmungskraft ausgelöst, die eine rhythmische Schwankung der aus- fließenden Flüssigkeitsmenge bewirken wird. Zur Vereinfachung unseres Problems wollen wir nur das Verhältnis des eintretenden Luftvolumens zum austretenden Wasservolumen untersuchen. Bei einem ideal arbei- tenden System müßte dieses Verhältnis gleich Eins sein. Sei s das spezifische Gewicht der Ringerlösung, p der Druck in R, (Abb. 1), b der Atmosphärendruck (die beiden letzteren in Gramm pro Quadrat- zentimeter), W das Ringervolumen im Raume R, Z das auf Atmo- sphärendruck reduzierte Luftvolumen in R, und ! die Höhe des Wasser- und Luftraumes, so können wir setzen W=Qxh, (1) wobei @ die Grundfläche der Flüssigkeitssäule und h die Höhe der- selben (von dem unteren Ende der Glasröhre G an gerechnet) sei. Beiträge zur Methodik der Froschgefäßdurchspülung. 147 (1) differentiiert nach h gibt dW 1 ie Q (la) Ferner ist Bon 2) oder as p L=gu— nt wobei p=b—-hs zu setzen ist; dann folgt 2=gu-nlı-ar). (2a) Die Differentiation von (2a) nach A ergibt dL ls 2hs el... (2b) dividiert durch (la) gibt dl s uw SD Um 3. zu diskutieren, setzen wir ohne großen praktischen Fehler s=1 und den Druck der Außenluft (g-cm") = 1000 und erhalten dann Eintretendes Luftvolumen un i—2h Austretendes Wasservolumen 1000 Wir sehen also aus dieser Beziehung, daß das untersuchte Verhältnis nicht genau gleich Eins ist, sondern daß sich hierzu noch der Bruch eh 7 - = hinzuaddiert. Ist 2=h, so ist der Fehler — se ‚ist}h= - so beträgt der Fehler O0 und ist schließlich A = 0, so ist der Bruch I 1000 ' Frage kommt. Es könnte scheinen, als wenn das Resultat dieser mathematischen Überlegung im Widerspruch mit der Anschauung stände. Da die in den Apparat eindringende Luft unter verminderten Druck kommt, so könnte man meinen, daß der Fehler immer im Sinne d4LdW bedingt. de Son)e (3) Man sieht also hieraus, daß der Fehler praktisch nicht in 10* 148 E. Atzler und L. Frank: Beiträge zur Methodik der Froschgefäßdurchspülune. Wenn der Apparat bis oben mit Flüssigkeit gefüllt ist, also ein Luft- raum noch gar nicht vorhanden ist (h = l), wirkt am Beginn des Fließens nur der erste Fehler; wenn h sich dem Wert Null nähert, der Druck im Luftraum der Apparatur sich also dem atmosphärischen nähert, fällt der erste Fehler fort, während der zweite sich seinem Maximum nähert. In der Mitte gleichen sich beide Fehler aus. Zusammenfassung. l. Es werden die Froschdurchblutungsmethoden nach Läwen- Trendelenburg und nach Fleisch kritisch besprochen. 2. Das Prinzip einer neuen Methode wird an Hand einer schema- tischen Skizze erläutert. 3. Es folgt eine Beschreibung des Apparates für den Laboratoriums- gebrauch. 4. An Adrenalinversuchen wird die praktische Brauchbarkeit der Methode bewiesen. 2 5. In einem theoretischen Teil wird die Versuchsanordnung mathe- matisch beleuchtet. Es ist uns eine angenehme Pflicht, dem Direktor des physiologischen Instituts, Herrn Geheimrat Bleibtreu, für sein Interesse an der Arbeit und die wertvollen Winke unsern ergebensten Dank auszusprechen. Über weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendel- forschung. Von V. Haecker (Halle a. S.). (Eingegangen am 28. Januar 1920.) Als erste Folgerung allgemeiner Natur konnte aus den bisher vor- liegenden phänogenetischen Beobachtungen die „entwicklungs- geschichtliche Vererbungsregel‘!) abgeleitet werden: Merkmale mit einfach verursachter, frühzeitig autonomer Entwick- lung weisen klare Spaltungsverhältnisse auf; Merkmale mit komplex-verursachter, durch Korrelationen gebun- dener Entwicklung zeigen häufig die Erscheinung der unregelmäßigen Dominanz und der Kreuzungsvariabilität, sowie ungewöhnliche Zahlen- verhältnisse; bei eigentlichen Anomalien kommt vielfach Gleich- zeitigkeit oder Alternanz mit anderen Defekten hinzu. Zwei besondere Formulierungen ergaben sich für Medizin und Völkerkunde). Im ersten Satz der allgemeinen Formel scheint mir die Wendung „frühzeitig‘ autonom nicht am Platze zu sein. Es wurde darunter verstanden, daß die betreffende Eigenschaft vom Beginn des Sicht- barwerdens ihrer „Anlagen“ an oder wenigstens sehr bald darauf eine autonome Entwicklung oder nach Roux Selbstdifferenzierung zeigt. Wenn der Ausdruck nur diese Deutung zuließe, so wäre wohl nichts gegen ihn einzuwenden. Nun könnte er aber vielleicht auch in dem Sinne aufgefaßt werden, daß die Eigenschaft schon in sehr frühen Stadien der Gesamtentwicklung des Organismus, also etwa in der Furchungsperiode, autonom wird. Speziell für zahlreiche ekto- dermale Bildungen, welche in hohem Maße als entwicklungsgeschicht- lich autonom erscheinen (Haare, Federn, Naevi u.a.), trifft aber das letztere, d.h. ein sehr frühes Auftreten mit Bezug auf die Gesamt- entwicklung, nicht zu, und so möchte ich, um die im Ausdruck ge- legene Zweideutigkeit zu beseitigen, statt von „frühzeitig autonomen“ Merkmalen in etwas allgemeinerer Weise von „ausgesprochen autonomen“ sprechen. 1) Entwicklungsgeschichtliche Eigenschaftsanalyse (Phänogenetik). Jena 1918. S. 280. ®) Phän., S. 305, 307, sowie: Med. Klin. 1918, Nr. 40. 150 V. Haecker: Ferner ist zum ersten Satze der Vererbungsregel folgendes zu be- merken. Schon in der „Phänogenetik‘ sind verschiedene Ansätze ge- macht worden, um die ‚einfach-verursachten, ausgesprochen auto- nomen‘‘ Merkmale, welche gleichzeitig ‚klare Spaltungsverhältnisse aufweisen‘, vorläufig zu klassifizieren. In der Tat lassen sich drei Hauptgruppen unterscheiden, die zu den qualitativ-morpholo- gischen, quantitativ-morphologischen und physiologischen Eigenschaften im Sinne der Plateschen Einteilung gehören. Unter den ersteren können hauptsächlich die Eigenschaften solcher Organe einen einfach-verursachten, vorwiegend autonomen Charakter haben und gleichzeitig strenge dem Mendelschen Schema folgen, welche im Hinblick auf ihre konstanten Lage-, Anordnungs- und Gliederungsver- hältnisse auf streng lokalisierte ‚embryonale Anlagen‘ in Form von einzelnen Urzellen, ‚circumscripten‘“ Urzellengruppen oder Urzellen- reihen zurückzuführen sind, die sich ihrerseits in frühen Embryonal- stadien auf Grund eines regelmäßigen Teilungs- und Wachstumsrhyth- mus des betreffenden Muttergewebes aussondern und unter Um- ständen mehr oder weniger lange im embryonalen Zustand reserviert bleiben. Es sind hauptsächlich Eigenschaften von rein oder überwiegend ektodermalen Kleinorganen, die hier in Betracht kommen, so die ein- facheren Zeichnungen der Vogelfedern (Phän., S. 284), die „Ringelung‘“ der Haare wildgrauer Säuger (281), die primäre Längsstreifung der Wirbeltiere, die, wenigstens beim Axolotl, auf vermehrte Pigmentbildung und Pigmentzellenhäufung innerhalb eines primitiven Systems von epidermalen Zellreihen (dorsale Mittellinie, Seitenlinien) zurückzuführen ist (282), u.a. Auch Eigenschaften von Organen rein mesenchymatischen Ursprungs können unter den oben erwähnten entwicklungsgeschichtlichen Voraussetzungen in Betracht kommen, so die Achondroplasie oder Kurzgliedrigkeit des Menschen, die auf. einer Entwicklungshemmung speziell der säulenförmig ange- ordneten, also offenbar nach Art vieler Epidermisbildungen sich rhyth- misch vermehrenden großen Knorpelzellen der Röhrenknochen beruht (33, 288), und die Brachydaktylie oder Hypophalangie, welcher ganz bestimmte Störungen in der Wachstums- und Differenzierungs- ordnung der Vorknorpelplatte der Extremitätenanlagen zugrunde liegen (238). Beide Anomalien zeigen, ebenso wie nach neueren Ergebnissen von Kristine Bonneviel) auch ein bestimmter Typus der Poly- daktylie, strenge Erblichkeitsverhältnisse. Endlich gehören in diese erste Gruppe krankhafte Prozesse, denen lokalisierte Organschwächen mit einfach-verursachter, vorwiegend autonomer Entwicklung zu- grunde liegen (304). Beispiele sind gewisse Formen von Neubildungen 1) Norsk. Mag. f. Laegev. nr. 6, 1919. Über weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendelforschung. 151 und wahrscheinlich manche Fälle lokalisierter, homotop, homochron und homolog, sowie kontinuierlich übertragbarer Tuberkulose. Die im allgemeinen durch kontinuierliche Variabilität gekennzeich- neten quantitativ-morphologischen Merkmale dürften im all- gemeinen nicht zu den einfach-verursachten, vorwiegend autonomen Eigenschaften gehören, doch können unter Umständen extreme Aus- bildungsstufen im Vergleich mit solchen mittleren Grades als relativ einfach-verursacht bezeichnet werden, so z.B. der Riesenwuchs, wenn er auf tetraploider Chromosomenzahl beruht oder wenn er durch den Wegfall spezifischer, das Wachstum regulierender Faktoren zu- stande kommt. In der Tat zeigt Oenothera gigas wenigstens bei Kreu- zung mit Oe. gigas nanella in F, reine Spaltung (de Vries 1915). Die dritte Gruppe von einfach-verursachten und gleichzeitig streng mendelnden Merkmalen bilden Eigenschaften ausgesprochen physio- logisch-chemischer Natur, welche ‚weniger in verwickelten, mor- phologischen Vorgängen, als im Chemismus sämtlicher oder der meisten Körperzellen (z. B. aller Abkömmlinge eines Keimblatts) und somit des Artplasmas selber begründet sind!)“. Hierher sind die verschiedenen Farbenqualitäten (Melanismus, Erythrismus, Flavismus u.a.) zu rechnen, deren relativ einfache Verursachung und autonomes Verhalten schon aus der unten zu besprechenden „Ubiquität‘ geschlossen werden kann, d.h. aus der Tatsache, daß dieselben Farbenvarianten bei sämt- lichen Arten derselben Tierklasse oder noch höheren systematischen Gruppe unabhängig von den durch die Besonderheiten des Gattungs- oder Artplasmas bedingten Entwicklungsverschiedenheiten auftreten können. Auch manche Stoffwechselanomalien des Menschen sind hierher zu rechnen, soweit sie auf ganz bestimmten fermentativen In- suffizienzen sämtlicher Zellen beruhen [Alkaptonurie, Cystinurie?2)], und ebenso fallen in diese Kategorie vermutlich gewisse allgemein-physio- logische Eigenschaften der Pflanzen, z. B. die Winter- oder Kälte- festigkeit, soweit diese nicht vorzugsweise auf morphogenetischen Verhältnissen, z. B. auf dem harmonischen Zusammenwirken der Fak- toren für Holz- und Rindenwachstum und der dadurch bedingten Un- zerreißbarkeit der Rinde®), sondern auf der Ausbildung chemischer _Schutzmittel (Zuckergehalt der Gewebe u.a.) beruhen. Auch bei solchen allgemein-physiologisch-chemischen Eigenschaften lassen sich vielfach sehr strenge Spaltungserscheinungen beobachten, wie dies z.B. für die tierischen Farbenvarianten und die genannten 1) Über Regelmäßigkeiten im Auftreten erblicher Normaleigenschaften, Anomalien und Krankheiten beim Menschen. Med. Klin. 1918, Nr. 40. 2) Phän., S. 306; Med. Klin., S. 13; sowie E. Ebstein, Münch. med. Wochen- schr. 1918, Nr. 14, S. 369. ®) Heribert - Nilsson, Exp. Stud. Salix 1918. 152 V. Haecker: Stoffwechselanomalien des Menschen bekannt ist. Vielleicht beruhen auch die Widersprüche, die hinsichtlich der Erblichkeitsverhältnisse der Kältefestigkeit bestehen, auf den vorhin angedeuteten ätiologischen Unterschieden. Alles in allem wäre also zum ersten Satz der Vererbungsregel hinzu- zufügen: Insbesondere kommen in Betracht morphologische Varianten, die durch Wachstumsabänderungen örtlich be- grenzter Urzellengruppen bedingt sind, ferner extreme Ausbildungsstufen quantitativer Merkmale und physio- logisch-chemische Eigenschaften, welche alle Körperzellen oder einen größeren Teil betreffen. Bezüglich des zweiten Satzes ist von Renner !) beanstandet worden, daß die ungewöhnlichen Zahlenverhältnisse unter den Folgen komplex- verursachter Entwicklung aufgezählt sind und dadurch in einen ge- wissen Gegensatz zur reinen Spaltung gebracht zu werden scheinen. Man könne ja aus den Zahlenverhältnissen der Nachkommen keines- wegs ohne weiteres auf die Zahlenverhältnisse der Gameten und damit auf Reinheit oder Unreinheit der Spaltung schließen, da ja die Beob- achtungen beim Mais (Correns), bei Oenothera (Renner) und bei gelben Mäusen (Castle und Little) zeigen, daß die Größe und z.T. auch die Zahl der Nachkommenklassen von F, usw. auch durch ver- schiedene Lebens- und Entwicklungsfähigkeit der Zygoten, durch ver- schiedene Aktivität der Spermatozoen oder durch Ausmerzuug gewisser haploider Kombinationen schon im Keimzellenstadium ‚‚gefälscht‘ werden können. Nun sagt aber der zweite Satz in seiner bisherigen Fassung keines- wegs aus, daß ungewöhnliche Zahlenverhältnisse immer an eine kom- plexe Verursachung geknüpft sein müssen, vielmehr schließt diese Fassung sehr wohl die Möglichkeit ein, daß unter gewissen Umständen solche Zahlen auch bei relativ einfachen Merkmalen auftreten können, wie es sich denn z. B. in dem von Correns beschriebenen Fall um die Farbe des Maises, also um relativ einfach-verursachte Merkmale handelt. Immerhin könnte aber zur Vermeidung von Unklarheiten genauer ge- sagt werden: „sowie ungewöhnliche, namentlich durch unreme Spaltung bedingte Zahlenverhältnisse‘. Zum Schluß noch ein Wort über die im zweiten Satz erwähnte, bei komplex-verursachten, korrelativ gebundenen Merkmalen, namentlich bei eigentlichen Anomalien pathologischer Art, hervortretende fakul- tative Gleichzeitigkeit oder Alternanz mit anderen. Merkmalen. Dieser Zusammenhang ist ohne weiteres verständlich. Ist z. B. eine Eigenschaft eines komplex-verursachten Organs durch drei entwick- lungsgeschichtliche Faktoren A, B, € bedingt, so wird häufig der eine 1) Referat in d. Zeitschr. f. Bot. 11. 1919. Über weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendelforschung. 153 oder andere von ihnen, sagen wir A, normalerweise auch eine Eigenschaft eines zweiten Organs mitbestimmen. Ist nun gerade dieser Entwick- lungsfaktor A erblich abgeändert, so wird diese Abänderung entweder gleichzeitig auf beide Organe einwirken, oder je nach dem physio- logischen Zustand (der Kondition) des Gesamtorganismus alter- nierend bald mehr das eine, bald mehr das andere Organ beeinflussen. Zusammenhänge dieser Art dürften bei dem fakultativ-korrelativen bzw. alternierenden Verhältnis eme Rolle spielen, das bei manchen Hühner- rassen zwischen Kopfhernie und Federnholle, beim Menschen zwischen Syndaktylie und Polydaktylie besteht. Die Dinge könnten allerdir gs auch so liegen, daß nicht durch Abänderung eines einzelnen Faktors, sondern durch eine erbliche konstitutionelle Erschütterung oder Schwächung des Keimplasmas mehr allgemeiner Art Schwan- kungen im Verhalten einer größeren Zahl von Merkmalen bedingt sind, so daß das Bild eines besonderen Habitus oder Status (beim Menschen Status thymico-Iymphaticus, Arthritismus, neuropathische Konstitu- tion usw.) zustande kommt und ein engerer Kreis von gleichzeitigen oder alternierenden Anomalien oder Krankheiten in Erscheinung {ritt. Je nach den sonstigen erblich-konstitutionellen oder konditionellen Ver- hältnissen werden sich dann bald die einen, bald die anderen Merkmale phänotypisch geltend machen, auf alle Fälle aber wird, schon wegen der schwankenden degenerativen Grundlage und des Mitschwingers zahlreicher Merkmale, die einzelne Anomalie keine strenge Regel- mäßigkeit in der Vererbung aufweisen können, während möglicherweise in bezug auf den Gesamthabitus eine verkappte Mendelspaltung mit dem Antagonistenpaar: ‚‚normales-labiles Keimplasma‘‘ vorliegen kann. Alles in allem möchte ich die ursprüngliche Fassung des zweiten Satzes, z. T. in Anlehnung an meinen Aufsatz in der Med. Klin. (1918, Nr. 40), in folgender Weise abändern: Merkmale mit komplex-verursachter!), durch Korre- lation gebundener Entwicklung zeigen, wenn zwei Varian- ten durch Amphimixis zusammengeführt werden, größere oder kleinere Abweichungen vom Mendelschen Schema, u.a. unregelmäßige Dominanz, ungewöhnliche — nament- lich durch unreine Spaltung bedingte — Zahlenverhält- nisse, Kreuzungsvariabilität, stärkere Wirkung der künst- lichen Selektion, und, im Fall es sich um eigentliche Ano- malien mehr pathologischer Art handelt, fakultative Gleichzeitigkeit oder Alternanz mit anderen Anomalien. Als abgekürzte Fassung der entwicklungsgeschichtlichen Vererbungs- regel kann vielleicht empfohlen werden: 1) In bezug auf das Verhältnis zwischen komplex-verursachten und zusammen- gesetzten Merkmalen (compound allelomorphs bei Bateson) vgl. Phän., S. 279. 154 V. Haecker: Einfach-verursachte, vorwiegend autonome Merkmale zeigen eine klare Spaltung, komplex-verursachte, korrelativ gebundene Merkmale zeigen Erblichkeitsverhältnisse, die nur durch Hilfshypothesen oder bis- her überhaupt nicht mit der Annahme einer Mendelspaltung in Ein- klang gebracht werden können. Die in der entwicklungsgeschichtlichen Vererbungsregel zum Aus- druck gebrachten Zusammenhänge können vom phänogenetischen Standpunkt aus nach verschiedenen Seiten hin weiter verfolgt und begründet werden. a) Die tieferen Gründe des Zusammenhanges zwischen Entwicklung und Vererbungsmodus. Bezüglich der Frage, welcher Art überhaupt die in der entwicklungs- geschichtlichen Vererbungsregel zum Ausdruck gebrachten Zusammen- hänge zwischen Zahl, Komplexität und Selbständigkeitsgrad der: ent- wicklungsgeschichtlichen Ursachen einerseits und der Spaltungserschei- nungen andererseits sind, weshalb also speziell komplex-verursachte Eigenschaften eine unregelmäßige Vererbung zeigen, habe ich bereits früher (Phän., S. 293) auf zwei Hauptmöglichkeiten hingewiesen. Ent- weder karin die Unregelmäßigkeit und Unübersichtlichkeit im Ver- erbungsverlauf ein Anzeichen eines mehr oder weniger versteckten Polyhybridismus oder Polymerismus sein, wie denn schon Johannsen darauf hingewiesen hat, daß die ‚Merkmale‘ nicht je einem einzelnen Faktor entsprechen, sondern Reaktionen des gesamten Genotypus oder doch eines größeren Genenkomplexes sind und daß daher nur in besonders einfachen ‚‚Schulbeispielen‘ eine einfache Spal- tung idealer Art erfolgen werde. Oder aber es beruhen die Unregel- mäßigkeiten in der Vererbung auf Vorgängen, die unter dem Begriff der unreinen Spaltung zusammengefaßt werden, wobei entweder eine vorhergegangene gegenseitige Infektion der Gonomeren oder der synaptischen (weniger wohl der bereits kondensierten diakinetischen) Chromosomen vorausgesetzt wird oder auch, bei Eigenschaften, die vor- wiegend im Zytoplasma der Keimzellen ihren Sitz haben, eine unvoll- ständige Entmischung des letzteren in Betracht kommen könnte !). Ich verweise bezüglich der allgemein-physiologischen Gründe, die für die Wahrscheinlichkeit solcher Vorgänge sprechen, auf früher Gesagtes (Phän., S. 295), und möchte hier nur kurz diejenigen Be- obachtungen zusammenstellen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine unreine Spaltung hinweisen). Es sind dies die Angaben über das ı) Vgl. V.Haecker, Allgemeine Vererbungslehre, 33. Kap.; B. Dürken, Einf. in d. exp. Zool. 1919, S. 358; F. Kraus, Pathol. d. Person. Leipzig 1919. S. 149. 2) Vgl. die betreffenden Kapitel in der Phänogenetik, ferner bezüglich Aglia tau: Standfuß, Iris 24. 1910; bezüglich Drosophila das Referat von Nachtsheim in Zeitschr. Ind. Abst. 20. 1919. Über weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendeiforschung. 155 erbliche Verhalten der recessiven Scheckung bei Mäusen (Morgan) und Ratten (Mac Curdy und Castle), der schwarzen und weißen Farbe der Tauben (Staples-Brow.ne) und des Axolotls, der Zeichnungsmuster der Fasanen (Thomas, Ghigi), der Extrazehe des Seidenhuhns (Daven- port), der Farbe von Aglia tau (Standfuß), sowie einiger Merkmale von Drosophila (Morgan und Schüler). Auch mehrere Botaniker, wieRenner und Lehmann, sind neuerdings zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Ist nun die Annahme des Vorkommens unreiner Spaltungen wirk- lich begründet, so ist ohne weiteres klar, daß bei einer Eigenschaft eine unreine Spaltung um so eher vorkommen wird, je zahlreicher die Quali- täten oder ‚Seiten‘ des Keimplasmas sind, die bei der Entwicklung jener Eigenschaften in Betracht kommen. Denn dann besteht ja eine größere Wahrscheinlichkeit, daß sich wenigstens das eine oder andere Qualitätenpaa. vor dem Spaltungsprozeß wechselseitig beeinflußt. Das bedeutet aber: Eine Eigenschaft wird um so eher der unreinen Spaltung unterliegen, je komplexer ihre entwicklungs- geschichtlichen Ursachen sind. Daß dies so sein muß, läßt sich auch zellphysiologisch verstehen. Von mehreren Forschern wird die zur unreinen Spaltung führende gegenseitige „Infektion‘‘ der Vererbungssubstanzen oder der ‚„Faktoren- austausch“ in die Phase der synaptischen oder diakinetischen Chromo- somenpaare verlegt. Berücksichtist man aber, daß nach allgemeiner Ansicht die Kernsubstanzen hauptsächlich im sog. „Ruhezustand“ stoffwechsel-physiologisch aktiv sind, so wird man sich fragen dürfen, ob nicht für den postulierten Stoff- oder Energieaustausch günstigere Bedingungen in früheren Perioden der Keimzellenentwicklung vor- liegen und ob nicht speziell der gonomere Zustand der Embryonalkerne, der bei mehreren Metazoengruppen mit Sicherheit beobachtet, bei zahl- reichen anderen aus der symmetrischen Anordnung der Nukleolar- substanz erschlossen werden kann, diejenige Kernphase darstellt, in welcher die Halbkerne nicht bloß auf das Zytoplasma, sondern auch aufeinander selbst einen Einfluß ausüben können. Wie kann man sich nun eine solche Wirkung vorstellen ? Chemisch betrachtet sind die Kernsubstanzen als’ Kolloide anzusehen, d.h. als Substanzen, die bei Behandlung mit Lösungsmitteln stets nur in verhältnismäßig große Partikelchen zerfallen und daher durch tierische Membranen und Per- gamentpapier nicht diffundieren. Ihre Wirkung auf die Zellsubstanz kann man sich, abgesehen von etwaigen elektro-chemischen Beein- flussungen, am besten nach dem Vorgang von Haberlandt, Driesch u.a. als eine fermentative vorstellen, und ebenso ist wohl anzunehmen, daß die beiden nebeneinander liegenden elterlichen Kernsubstanzen sich ‚gegeneinander nicht vollkommen neutral verhalten, sondern sich eben- falls durch Fermente beeinflussen können. 156 V. Haecker: Nun werden aber offenbar bei Kreuzung zweier Klassen, deren Unter- schiede sich auf einfach-verursachte Merkmale beziehen, die elter- lichen Kernsubstanzen nur in einem oder einigen wenigen Punkten ver- schieden sein, da soche Merkmale im allgemeinen ja durch eine ein- zige Erbeinheit materieller oder energetischer Art bedingt sind. Ab- gesehen von den rassetrennenden (antagonistischen) Faktoren werden also die beiden elterlichen Kernsubstanzen gleiche Beschaffenheit haben, also auch gleiche fermentative Wirkungen auf die Nachbarschaft und speziell aufeinander ausüben. Es wird also natürlich während des Nebeneinanderliegens der Gonomeren keine gegenseitige Beeinflussung des Anlagenbestandes stattfinden, denn ein Gonomer kann nicht durch ein Ferment. abgeändert werden, das dem von ihm selbst produzierten gleich ist. Es folgt, daß bei der Gametenbildung des Bastardes die elter- lichen Eigenschaftskomplexe in reiner Form voneinander ge- spalten werden können. Im Gegensatz dazu werden in einem Bastard, dessen Eltern sich in bezug auf komplex-verursachte, korrelativ gebundene Merkmale voneinander unterscheiden, die beiden elterlichen Keimplasmen in vielen Qualitäten verschieden sein. Es wird also vielfach auch die Fer- mentwirkung der beiden Halbkerne nicht mehr die nämliche sein und sie werden daher aufeinander umgestaltend und umstimmend, ab- und aufbauend wirken und eine gegenseitige Abänderung der Anlagen- komplexe herbeiführen können. Damit ist aber die Voraussetzung für eine unreine Spaltung gegeben. Es wird natürlich sehr schwer sein, den unmittelbaren chemisch- physiologischen Nachweis für die hier angenommene gegenseitige Beein- flussung der elterlichen Kernsubstanzen zu führen. Eine Aussicht, hier weiterzukommen, scheint mir die zunächst morphologische Beobach- tung zu gewähren, daß bei Cyclops von der Phase der Urgeschlechts- zellen an die Gonomeren nicht mehr, wie dies im allgemeinen während der Furchung der Fall ist, ein gleichartiges Aussehen zeigen, sondern zwei verschiedenartige Chromatingruppen, nämlich einen dichteren und einen mehr lockeren Fadenknäuel erkennen lassen). Daraus ist ohne weiteres abzuleiten, daß der,, physiologische Zustand der beiden Kern- hälften nicht der gleiche ist‘‘. Dies kann aber, da für beide Kernhälften doch wohl die nächste Umwelt, das Zytoplasma, im wesentlichen über- einstimmt, nur auf einer Verschiedenheit des inneren Chemismus der Gonomeren selbst beruhen, und damit ist besonders im Falle einer Rassenverschiedenheit der Eltern, auch die Möglichkeit einer gegen- seitigen Beeinflussung gegeben. So ist vielleicht für diese nahezu 25 Jahre zurückliegende Beobachtung die Zeit für eine theoretische Verwertung gekommen. 1) Arch. f. mikr. Anat. 46, 616. 1896. Uber weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendelforschung. 157 b) Einfache Verursachung— Übiquität— reine Spaltung. Der Frage nach den tiefer gelegenen Ursachen für den Zusammenhang zwischen Entwicklung und Vererbungsmodus können wir noch von einer anderen Seite her näher treten. Eine der ersten theoretischen Gegenüber- stellungen, zu denen man nach der Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln gelangte!), war die Anschauung, daß es hauptsächlich Rassen- merkmale sind, welche die Spaltungserscheinungen zeigen, während Art- merkmale anderen Vererbungsweisen — man dachte dabei zunächst hauptsächlich an die Bildung konstanter Bastarde — folgen. Doch hat schon Bateson in seinem Buche (1909) starke Bedenken gegen die Durchführbarkeit einer solchen Unterscheidung geäußert, und neuer- dings konnte besonders Baur bei Antirrhinum und Heribert-Nilsson bei Salix den Nachweis führen, daß zahlreiche ausgesprochene Art- charaktere den Spaltungsregeln folgen, und daß sie sogar z. T. durch eine auffallend geringe Anzahl von Erbfaktoren verursacht sind. Immer- hin besteht auch jetzt noch im ganzen der Satz zu Recht, daß es vor- zugsweise ausgeprägte Rassenmerkmale sind, welche klare Mendelsche Verhältnisse zeigen, und es ist also jetzt zu untersuchen, ob sich dieser Satz mit dem Inhalt der entwicklungsgeschichtlichen Vererbungsregel deckt, d.h. inwieweit der Kreis der Rassenmerkmale mit dem der ein- fach-verursachten zusammenfällt. Wir wollen uns zunächst fragen, was ist im allgemeinen der Unter- schied zwischen Rassen- und Artcharakteren und gibt es vielleicht Kri- terien, die auf entwicklungsgeschichtlichem Gebiete liegen, und dem Begriffspaar einfache und komplexe Verursachung nahestehen ? Eine scharfe Abgrenzung zwischen Rassen- und Artcharakteren ist offenbar schon deshalb nicht möglich, weil in vielen Fällen dasselbe Merkmal bei der einen Spezies als Aberration oder erbliche Variante auftritt, bei der anderen zu einem konstanten Artkennzeichen geworden ist, wie dies z. B. für den weißen Halsring bei Vögeln gilt (Phän., S. 159). Es scheint mir aber, daß ein besonders wichtiges Kennzeichen eines großen Teiles der Rassenmerkmale in ihrer Ubiquität, d.h. ihrer universellen oder generellen Verbreitung, liest. Fast alle Variationen, welche uns bei domestizierten Tieren und Kulturpflanzen als erbliche Rassenmerkmale entgegentreten, sind offenbar als virtuelle Potenzen in sämtlichen Arten der betreffenden Familie, Ordnung oder Klasse vor- handen, sie gehören zum immanenten Potenzschatz aller dieser Arten, und ihre Anlagen können unter besonderen, die Lebensfähigkeit im allgemeinen nicht berührenden Bedingungen bei jeder von ihnen als erbliche Eigenschaft zur Entfaltung gelangen (Phän., S. 318). Beispiele, !) H.de Vries, Anwendung der Mutationslehre auf die Bastardierungsgesetze. Ber. Dtsch. Bot. Ges. 21. 1903. 158 V. Haecker: die, wie es scheint, in schlagender Weise die Ubiquität der Rassen- merkmale und ihr Korrelat, die im allgemeinen gleichgerichtete Pluripotenz der Arten einer bestimmten systematischen Kategorie, erkennen lassen, bilden der reine Albinismus der Tiere — ein in nahezu vollem Sinne des Wortes ubiquitäres Merkmal —, ferner der Melanismus, der hinsichtlich der Verbreitung dem Albinismus wohl am nächsten kommt, und, um ein klassenweises Vorkommen zu nennen, der Angorismus der Säuger. Neben der Ubiquität ist für die Mehrzahl dieser Merkmale charak- teristisch, daß sie als Mutationen entstehen, daß sie ein geringes Maß von korrelativer Bindung aufweisen, -und endlich, daß sie für die Lebensfähigkeit der betreffenden Individuen und Rassen ent- weder keine Bedeutung oder einen mehr oder weniger schwächen- den, degenerativen Charakter aufweisen. Albinismus, Melanismus und Angorismus stellen auch in dieser Hinsicht gute Beispiele dar. Nach Untersuchungen, welche mein Schüler F. Dyckerhoff über die korre- lativen Beziehungen des Melanismus der Schmetterlinge, speziell von Aglia tau, angestellt hat, besteht ein leichter und etwas schwankender korrelativer Zusammen- hang mit gewissen Varianten der Schuppenform. Dagegen zeigen bei den Melanisten die Cuticulargebilde der Antennen und Palpen, die Größe und Pigmentierung der Augen und unerwarteterweise auch die Intensität und Geschwindigkeit, mit der sich die Melanose, d. h. die an der Luft stattfindende bekannte Schwärzung des Puppen- blutes, kein von der normalen Form abweichendes Verhalten. Was nun die entwicklungsgeschichtliche Natur dieser ubiquitären Merkmale anbelangt, so ist aus der Tatsache, daß sie im Rahmen sehr verschiedener Artbilder zur Entfaltung kommen können, nicht nur der Schluß zu ziehen, daß die ihnen zugrunde liegenden Eigen- schaften oder Funktionen des Keimplasmas, bildlich gesprochen, seinem spezifischen ‚Kern‘, dem eigentlichen Artplasma, mehr oberflächlich und locker angegliedert sind, sondern’ auch die weitere Folgerung, daß die Entwicklung dieser Merkmale während der Ontogenese sich verhältnismäßig unabhängig von dem den generellen und speziellen Merk- malen zugrunde liegenden Entwicklungsmechanismus abspielt und daß sie also relativ einfach oder wenigstens in hohem Maße autonom sein muß. Tatsächlich läßt sich ja schon jetzt durch phänogenetische Unter- suchungen für einen großen Teil dieser Merkmale die relativ einfache Verursachung und autonome Entwicklung nachweisen, ja, es scheinen sich die entwicklungsgeschichtlichen Ergebnisse allmählich zu dem Satz zu verdichten, daß, je höher derGrad der Ubiquität einesMerk- mals ist, d.h. je weitere systematische Grenzen seiner Verbreitung gesteckt sind, um so einfacher und autonomer seine Entwick- lung ist. Man denke einerseits an den im Tierreich nahezu universell verbreiteten totalen Albinismus, der als relativ einfach verursacht und in der Regel auch als nahezu autonom zu bezeichnen ist, andererseits Über weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendelforschung. 159 an die ihm näherstehenden, eine beschränkte Verbreitung aufweiser.den Formen des Albinoidismus und partiellen Albinismus, die, wenn auch ihre Ursachengeschichte erst zu einem kleinen Teile klargelegt ist, im wesentlichen auf Unregelmäßigkeiten des Hautwachstums und der Hautdifferenzierung beruhen und daher eine weniger einfache Ent- wicklung als der echte Albinismus zeigen. Der Albinoidismus (speziell: extreme Akromelanismus) der Axolotl kommt in erster Linie durch eine geringere Teilungsenergie der korialen Melano- phoren und Xanthophoren zustande (Pernitzsch), außerdem sind die helle und dunkle Rasse durch ein verschiedenes Verhalten der pigmentierten Epi- dermiszellen und der aus ihnen hervorgehenden epidermalen Pigment- zellen unterschieden. Zwischen beiden Entwicklungsfaktoren bestehen normaler- weise irgendwelche korrelative Beziehungen, die aber, wie neuerdings mein Schüler W. Schnakenbeck sehr wahrscheinlich machen konnte, durch Kreuzung bis zu einem gewissen Grade gebrochen werden können. Soweit sich also das Gebiet der ubiquitären Merkmale mit dem der einfach-verursachten deckt, würde sich ohne weiteres ergeben, daß ubiquitäre Rassenmerkmale reine Spaltungsvorgänge zeigen, da dieses ja nach unserer Regel für die einfach-verursachten gilt. Aber auch schon aus dem Begriff der Ubiquität selber ist die reine Spaltung abzuleiten. Esist oben gesagt worden, daß die den ubiquitären Merkmalen zugrunde liegenden Erbeinheiten mehr oberflächlich dem ‚Kern‘ des Keimplasmas angegliedert sein müssen. Im Bastard liegen daher die beiden elter- lichen Keimplasmen ihrer Hauptsache nach wie zwei genotypisch gleichwertige Erbmassen nebeneinander, und es wird daher auch der uralte Spaltungsmechanismus, durch den mindestens bei allen cellulär gebauten Organismen gerade im Falle vollkommener oder annähernd vollkommener Homogamie die Chromosomenpaare voneinander ge- trennt werden, ohne Störung sich vollziehen können, d.h. es wird eine reine Spaltung erfolgen. Bemerkt sei nur, daß für einen regulären Ablauf dieses Prozesses vielleicht gerade das geringe Maß von Ver- schiedenheit der Keimplasmen, wie es bei einem Zusammentreffen eines ubiquitären, einfach-verursachten Merkmals mit dem Normal- zustand gegeben ist, vorteilhaft oder nötig ist, ebenso wie ja die Beob- achtungen über Inzucht und Selbstbestäubung darauf hinweisen, daß eine gewisse optimale, wenn auch nur geringfügige Verschiedenheit der Gameten die Lebenskraft der Zygoten begünstigt. So ergibt sich also zwischen ubiquitär-rassenmäßiger Verbreitung, ein- facher Verursachung und reiner Spaltung ein mehrfacher Zusammenhang, eine Vorstellung, dieauch in manchen anderen Darstellungen durchklingt, so wenn z.B. der Kliniker FelixKraus (l.c., S. 95) den Satz aufstellt: „Der Mendelismus trifft mehr oberflächliche Differenzen der Biotypen.‘“ Das extreme Gegenstück zu den ubiquitären Merkmalen bilden solche Eigenschaften, welche ihrer ganzen Natur nach keine allgemeine Ver- 160 V. Haecker: breitung haben, sondern als spezifiseh-spezialisierte Merkmale, als Weiter- bildungen besonderer Form- und Örganisationsverhältnisse erscheinen, aus denen sie im ganzen wohl nicht durch Mutation, sondern, wie es wenigstens in vielen Fällen wahrscheinlich gemacht werden kann, auf G und einer mehr kontinuierlichen stammesgeschichtlichen Ent- wicklung in engen korrelativen Beziehungen und in harmonischem Einklang mit anderen Eigenschaften entstanden sind. Ferner gilt für diese Klasse von Eigenschaften, daß sie den Charakter von nützlichen, durch Selektion gesichteten und isolierten Anpassungsmerkmalen haben und daß sie also in einer engen Beziehung zur Lebenslage und Lebensfähigkeit der betreffenden Form stehen, z. B. als Art- und Ge- schlechtserkennungszeichen oder als Kampf- und Schutzeinrichtungen. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet handelt es sich in der Regel wohl um komplex-verursachte Merkmale. Ich nenne hier als Beispiele nur solche Eigenschaften, über deren Erblichkeitsverhältnisse wenig- stens einiges bekannt ist: die spezifische Kopf- und Körperform von Pferd und Esel, die Querstreifung der Zebras, die Schmuckfärbung und Schwanzzeichnung der Fasanen, die Zeichnung der Zahnkarpfen, das Federkleid und der Leierschwanz des Birkhahns. Hier handelt es sich um ausgesprochene Artmerkmale, deren An- lagen dem Keimplasma fest eingefügt, dauernd „inseriert“ (Roux) sind, und soweit eine relative Fruchtbarkeit der Bastarde einen Ein- blick in die Erblichkeitsverhältnisse gestattet, treten bei ihnen ver- wickelte und unübersichtliche Vererbungserscheinungen auf, jedenfalls aber solche, die nicht ohne weiteres als Mendelsche Spaltungen auf- gefaßt werden können. Schon beim Maultier ergeben sich in bezug auf die Erblichkeit merk- würdige Widersprüche. In der ersten Generation zeigen Kopf- und Körperform, die bei den Stammrassen trotz gewisser Schwankungen ein ausgesprochen spezifisches Gepräge aufweisen, entgegen der Uniformitätsregel sehr wechselnde, bald mehr der einen, bald mehr der anderen Stammform angenäherte Verhältnisse 1), wobei allerdings zu bemerken ist, daß über das Verhalten von Geschwistern nichts bekannt zu sein scheint. Im Hinblick auf alle analogen Fälle, in denen es sich um komplexe Formverhältnisse handelt, wäre, namentlich wenn man sich auf den Standpunkt der Polymeriehypothese stellt, bei Rück- kreuzung mit der einen Stammform ein noch stärker variables Ver- halten der abgeleiteten Bastarde, jedenfalls eine Verwischung des Ver- hältnisses 1:1 zu erwarten. Aber in einem der ganz wenigen Fälle, in welchen das Produkt einer selchen Rückkreuzung durch Wort und Bild genauer bekanntgeworden ist2), stimmte das Fohlen mit seiner 1) Vgl. A. Lang, Die experimentelle Vererbungslehre. Jena 1914. S. 801. ®2) Fall Waldow von Wahl, s. Lang, S. 809. Über weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendelforschung. 161 F,-Mutter im Habitus und ebenso in allen Eigenschaften der Färbung in überraschendster Weise überein. — Bei Zebra-Pferd-Kreuzungen scheint, soweit die Abbildungen Ewarts!) dies erkennen lassen, die Uniformi- tätsregel zu versagen, und bei der Rückkreuzung eines männlichen F;- Bastards mit mehreren Pferdestuten traten auch bei echten Geschwistern wechselnde Verhältnisse auf?). — Was die Schmuckfärbung und Schwanz- federzeichnung der Fasanen anbelangt, so haben fortgesetzte Rück- kreuzung der Bastarde mit der einen Stammform eine zunehmende An- näherung an diese letztere nach dem ungefähren Schema 3/,, ?/g. . . ergeben, was gegen eine reine Mendelsche Spaltung spricht (Phän., S. 170 ff.). — In bezug auf die Form, das Federkleid und wohl auch die Schwanzform des Birkhahn-Auerhenne-Bastardes läßt sich nur sagen, daß wenigstens die Bastardhähne stark voneinander abweichen [auch hier tehlen aller- dings Angaben über die Geschwister ]?). — Ob bei den Zahnkarpfen die Ergebnisse der Rückkreuzung einfach als ‚‚eine sehr bunte Spaltung‘ (E. Baur) gedeutet werden können, dürfte zweifelhaft sein (Phän., S.170). Zwischen diesen beiden extremen Gruppen, den ubiquitären und den spezifisch-spezialisierten Merkmalen, steht nun die große Masse von Eigenschaften, die, wie hier nicht im einzelnen ausgeführt werden soll, in allen genannten Punkten (Verbreitung, Entstehung, Grad der Ab- änderung, Korrelationen, biologischer Wert, entwicklungsgeschichtliche Ursachen) ein wechselndes Verhalten zeigen. Es handelt sich vor- zugsweise um Größen-, Form- und Zeichnungsvarianten, welche eben- sogut als Rassenkennzeichen wie als fixierte Artmerkmale auftreten und im letzteren Fall auch, wie die spezifisch-spezialisierten Merkmale, den Wert von Anpassungen bzw. konstanten Art- und Geschlechts- erkennungszeichen haben können. Ein Beispiel möge zunächst dies Verhältnis veranschaulichen. In Deutschland kommen drei kleine Regenpfeifer, z. T. an den nämlichen Örtlichkeiten, vor, die trotz großer Ähnlichkeit wohlunterschiedene Arten sind und, soviel bekannt ist, sich nicht miteinander vermischen ; der Seeregenpfeifer (Chara- drius alexandrinus L.), der Sandregenpfeifer (Ch. hiaticula L.) und der Flußregenpfeifer (Ch. dubius Scop., fluviatilis Bechst.*). Diese Arten sind durch eine große Anzahl von kleinen Merkmalen verschieden, von denen jedenfalls sehr viele bei anderen Vögeln nur den Wert von gelegentlichen oder lokalfixierten Rassenvarianten haben. Es sind dies kleine Unterschiede in Größe, Gestalt, Schnabelform, Schnabelfarbe, Farbe des Oberkopfes, Ausdehnung der schwarzen Ab- zeichen an Kopf und Hals, Reinheit des Weiß an der Unterseite, Zeich- 1) Vgl. Lang, S. 817, Abb. 205 u. 206. 2) Lang, 9.825. .°?) Nach Sv. Nilsson u.a. Vgl. Naumann-Hennicke, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, VI, S. 104. Selbst die Wirbelzahl ist verschieden. *) Vgl.Naumann-Hennicke, VIII, Taf. 4, Abb.1;Taf.6, Abb. 1; Taf.7, Abb.1. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 11 162 V. Haecker: nung der äußeren Schwanzfedern, Farbe von Auge, Augenlid und Beinen, Farbe und Form der Eier, Dunenkleid u.a. Zu dieser mittleren Gruppe gehören auch die von Heribert-Nilsson!) kürzlich ausführlich besprochenen „großen habituellen Differenzen‘, die im allgemeinen als Artmerkmale, aber auch, wenigstens bei Tieren — man denke an die Hunderassen — als Rassenkennzeichen auftreten. Diese Merkmale, welche ich im Gegensatz zu den ubiquitären und spezifisch-spezialisierten als speziesbildende (Darwinsche) bezeich- nen will, zeigen nun auch in bezug auf die Erblichkeits verhält- nisse ein von Fall zu Fall wechselndes Verhalten, und zwar sowohl wenn sie als Rassen- als wenn sie als Artmerkmale auftreten. Speziell gilt dies für Größen- und Habitusunterschiede, die als Rassenmerk- male besonders dann sehr deutlich eine Mendelsche Spaltung zeigen können, wenn extreme Eigenschaftsgrade sich miteinander verbinden, während mittlere Abstufungen allerlei Unregelmäßigkeiten aufzuweisen pflegen 2). Soweit es sich um Artunterschiede handelt, treten, wie besonders Baur bei Antirrhinum und Wichler bei Dianthus gezeigt haben, in F, außerordentlich mannigfaltige Verhältnisse auf, die von. den genannten Forschern mehr oder weniger bestimmt auf die Wirkung einer sehr großen Anzahl von mendelnden Faktoren zurückgeführt werden. Andererseits ist Heribert-Nilsson bei seinen Weiden- bastarden zu dem Ergebnis gekommen, daß die habituellen Artunter- schiede durch eine unerwartet geringe Zahl von mendelnden, allerdings stark diffus und pleiotrop wirkenden Faktoren verursacht sein müssen. Für Tiere liegen bezüglich des erblichen Verhaltens der Habitus- unterschiede bei Rassen- und Artkreuzungen weniger bestimmte An- gaben vor. Speziell die Geflügelzüchter 3) stehen auch heute noch auf dem alten Darwinschen Standpunkt, daß bei Hühnerrassen Form und Habitus auf Grund der kontinuierlichen Variabilität jederzeit je nach der Mode und dem Belieben des Züchters weiter- und zurückgebildet werden kann, ohne daß ein regelmäßiges Herausspalten der stamm- elterlichen Merkmale zu erwarten ist. Die unübersichtlichen Erblich- keitsverhältnisse, welche der Habitus, besonders Kopf- und Körper- form bei Pferd-Esel-Kreuzungen zeigt, habe ich, da es sich hier um aus- geprägt spezifisch-spezialisierte Merkmale handelt, schon oben erwähnt. Zu den speziesbildenden Merkmalen dürfen auch die verschiedenen Typen der Schecekzeichnung oder des partiellen Albinismus gerechnet werden, da sie ja nicht bloß als Rassen-, sondern auch als , .») Exp. Studien über Variabilität usw. in der Gattung Salix. Lunds Un. Arsskr. N. F. Avd. 2, 14, 133. 1918. 1) V. Haecker, Vererbungsgeschichtliche Einzelfragen, IV. Zeitschr. und. Abst. 21. 1919. 3) Vgl. mein Referat über die Trübenbachschen Schriften in Zeitschr. Ind. Abst. 20, 160. 1919. Über weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendelforschung. 163 Artmerkmale auftreten können. Es sei in letzterer Hinsicht an den Akromelanismus des nordamerikanischen Schwarzfußiltis, an die weißen „Stiefel“ bei indischen Wildrindern, die Gürtelzeichnung des malai- ischen Tapirs, sowie an die veränderliche Scheckzeichnung des Lemur varius erinnert. Bei Säugern ist im Fall von Rassenkreuzungen das 'erbliche Verhalten bekanntlich sehr wechselnd und richtet sich z.T. nach dem Grade des partiellen Albinismus !). Für die Vögel ist auf- fallenderweise noch wenig Sicheres bekannt. Doch kann auch für diese gesagt werden, daß neben einem sehr variabeln Verhalten, wie es z. B. die Scheckung der Hausgans zu zeigen scheint, auch Fälle von strenger Fixierung und reiner Spaltung vorkommen. So fand Staples- Browne?2), daß die mindestens seit 1600 fixierte Zeichnung der Nonnen- taube (Grundfarbe weiß; Kopf, erste Schwungfedern, Schwanz und Schwanzdecken schwarz) bei Kreuzung mit der schwarzen Barbtaube in F, annähernd rein herausgespalten wird. Es wurde hier, um nicht zu weitläufig zu werden, nur von der Erb- lichkeit der speziesbildenden Merkmale gesprochen. Bezüglich ihrer übrigen Kennzeichen sei auf die folgende Tabelle verwiesen. Re III. Spezifisch- . st | I. Ubiquitäre I Enezies ers spezialisierte Merkmale Merkmale Rassenmerkmale (Beisp.: Schmuckfarbe N ur (Beisp.: die einzelnen Ty- er (Beisp.: tot. Albinismus) pen des part. Albinismus) und komplizierte Feder- zeichnung) 1. Verbreitung | Als virtuelle Potenz| Verbreitung im all-| Verbreitung artlich insämtlichen Arten] gemeinen auf klei-) begrenzt. einer größeren sy-| nere systematische stematisch. Gruppe, Gruppen (Familien, vorhanden. Gattungen) be- schränkt. 2. Entstehung | Durch Mutation. Durch Mutation oder| ? Durch kontinuier- ? kontinuierliche) liche Abänderung. Abänderung. 3. Biologische | Ohne Bedeutung Z. T. adaptativ. Adaptativ. Bedeutung oder degenerativ. 4. Korrelative | Keine oder geringe Vielfach stärkere| Stärkere, vielfach se- Beziehungen | korrelative Bin-) Bindungen. kund. Korrelat. (se- dung. _ | kund. Geschlechts- charaktere!). 3. Entwicklung | Einfach-verursacht. _ Verschiedengradig |Wohlüberwieg. kom- ' komplex-verurs. plex-verursacht. 6. Erblichkeit | Reine Spaltung. Von Fall zu Fall| Imallgemeinen kom- | wechselndes Ver- pliziertere,weniger hältnis. übersicht]. Erblich- keitsverhältnisse. !) Einzelfragen IV, S. 149. 2) Proc. Zool. S. Lond. 1908. 117 164 V. Haecker: Es ist ohne weiteres klar und auch aus der Tabelle zu entnehmen, daß zwischen der Gruppe II und III keine scharfe Grenze besteht. Auch die. Gruppe I ist natürlich mit II durch Übergänge verbunden, aber im ganzen hebt sie sich doch aus der Gesamtheit der Merkmale als ein in allen sechs Richtungen gut charakterisierbarer und schärfer ab- srenzbarer Block heraus. Man kann sich fragen, ob vielleicht eines der sechs Kennzeichen als ein primärer oder Grundcharakter aufzufassen ist, durch welchen die übrigen mitbedingt sind. Nun haben wir aber gesehen, daß zwischen den verschiedenen Eigentümlichkeiten der ein- zelnen Merkmalsgruppen sehr mannigfaltige Zusammenhänge bestehen, die keine einfache Kausalkette darstellen, und so werden wir höchstens den Kennzeichen der Ubiquität und der einfachen Verursachung eine etwas höhere Stellung einräumen dürfen. Die einfache Spaltung, das „Mendeln“, ist auf alle Fälle nicht als ursprünglicher Grundcharakter anzusehen, gleichwohl aber stellt sie das auffälligste Kennzeichen dar, und so können wir auch sagen, daß die ausgesprochen und unzweideutig mendelnden Merkmale inner- halb der Gesamtheit der Eigenschaften der Organismen einen engeren, sich stärker abhebenden Kreis von Merkmalen bilden, eine Vorstellung, in der sich seit de Vries eine ganze Reihe von Forschern namentlich auf dem Gebiet der Konstitutionslehre zusammengefunden haben und welche neuerdings auch bei den Tierzüchtern Aufnahme zu finden scheint. } Re c) Das Dominanzproblem. #; » - > Man kann noch von einer anderen Seite her in den Komplex der _ bisher besprochenen Zusammenhänge einzudringen versuchen, indem man den Begriff der Dominanz, der ja bekanntlich im Anfang der Mendelforschung sehr stark im Vordergrund des Interesses stand, als Ausgangspunkt der Betrachtung wählt. Wir können in doppeltem Sinn von einem Dominanzproblem reden. Die erste allgemeinere Frage lautet: In welchen Fällen zeigt überhaupt bei einem Bastard eines der beiden korrespondierenden Merkmale voll- kommene Dominanz? Die zweite, mehr spezielle und schon vielfach erörterte Frage geht dahin: Läßt sich auf Grund einer bestimmten Regel vorhersagen, welches von zwei korrespondierenden Merkmalen domi- niert und welches recessiv bleibt ? Beide Fragen und damit das ganze Dominanzproblem sind, was bisher im allgemeinen wenig beachtet wurde, entwicklungsge- schichtlicher Natur, und ihre Erörterung bildet ein Kapitel der Phänogenetik. Was die erste anbelangt, so sind reine Dominanzerscheinungen in ausgeprägter Form namentlich bei Rassenkreuzungen bekannt ge- Über weitere Zusammenhänge auf dem’ Gebiete der Mendelforschung. 165 worden, während bei Artkreuzungen vielfach typische Fälle einer inter- mediären oder variabeln (intermediär-oscillierenden) Beschaffenheit der F,-Bastarde angetroffen wurden. Doch handelt es sich hier bekanntlich nicht um eine durchgehende Regel: der Fall von Mirabilis, das klassische Beispiel des {,Zea-Typus‘, ferner die Augenfarbe des Menschen und die stark schwankende Dominanz bei einer Reihe von Rassenmerkmalen der Hühner (Davenport) bilden nach der einen Richtung, die reine Dominanz mäncher Artmerkmale bei Helix hortensis X nemoralis- Kreuzungen (Lang) nach der anderen Richtung hin bemerkenswerte und z. T. allbekannte Ausnahmen. Im großen ganzen wird man aber doch reine Dominanz des einen korrespondierenden Merkmals, also den ausgeprägten Pisum-Typus, besonders bei Rassenkreuzungen finden, und dieses Verhältnis legt die weitere Frage nahe, inwieweit etwa ein engerer Zusammenhang zwischen der Erscheinung der Dominanz und der ebenfalls besonders bei Rassenkreuzungen nachweisbaren typischen und reinen Mendelspaltung besteht. Schon im Hinblick auf den Zea-Typus läßt sich jedenfalls soviel sagen, daß das ausgesprochene Alternieren zweier Eigenschaftsvarianten (das vollkommene Dominieren der einen) und die reine Spaltung nicht im direkten Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander stehen können. Vielmehr kommen offenbar Dominanz und reine Spaltung des- halb häufig zusammen vor, weil sie beide durch eine dritte, primäre Erscheinung bedingt sind oder wenigstens begünstigt werden, nämlich . durch die einfach-verursachte Entwicklung. Inwieweit einfache Verursachung und reine Spaltung ursächlich zu- sammenhängen, wurde im vorhergehenden Abschnitt besprochen. Daß auch das phänotypische Verhalten der F,-Bastarde, also die Entschei- dung, ob sie in bezug auf ein Variantenpaar einseitig oder intermediär sind, mit der entwicklungsgeschichtlichen Natur der variierenden Eigen- schaft und ihrer einzelnen Varianten zusammenhängen muß, läßt sich in folgender Weise verstehen. Gehen wir von dem einfachen und sehr gewöhnlichen Fall aus, daß von den beiden elterlichen Rassen die eine eine einfach-verursachte Eigenschaft zur Entfaltung bringt, während die andere in dieser Hin- sicht eine Defektrasse bildet, so wird im Bastard in vielen Fällen schon „die eine Dosis des Gens‘ genügen, um gewissermaßen den Stein ins Rollen zu bringen und das vollkommene Dominieren dieses Gens im Phänotypus zu sichern, also rein äußerlich dasselbe zu be- wirken, was bei der Vollrasse „zwei Dosen‘ hervorrufen. Es kann ja, wie ich dies für die Radiolarienzelle zeigen konnte (Phän., S. 18), schon ein ganz kleiner Anstoß, z. B. ein geringes Plus einer sekretorischen Wir- kung genügen, um hochdifferenzierte Formgestaltungen herbeizuführen, die ohne dieses Plus nicht entstanden wären. 166 V: Haecker: Wie oft im übrigen bei einfach-verursachten Eigenschaften wirk- liche Dominanz vorkommt und wie oft ein intermediärer Typus ähnlich wie bei Mirabilis zustande kommt, wäre noch zu ermitteln, im ganzen scheint aber ersteres häufiger vorzukommen. Anders liegen die Verhältnisse bei komplex-verursachten Eigenschaften. Schon an und für sich ist es ja einleuchtend, daß ein komplexer Entwicklungsmechanismus leichter durch Einflüsse irgend- welcher Art, also auch durch Kreuzung, gestört wird und daher in unvollständige Endwirkungen ausläuft. Auch wird, um bei dem mecha- nischen Bild zu bleiben, ein stärkerer Antrieb nötig sein, damit Wider- stände und Gegenwirkungen überwunden werden, und es wird also bei Kreuzungen einer Vollrasse und einer Defektrasse die eine ‚Dosis‘ eines positiven Gens, die im Bastard vorhanden ist, häufig nicht ge- nügen, um die positive Eigenschaft durchzusetzen, also Dominanz herbeizuführen. Auch wird es bei solchen Rassenkreuzungen vorkom- men, daß von den einzelnen Entwicklungsfaktoren (das Wort Faktor ist hier im Sinne der Entwicklungsgeschichte und nicht in dem der ‚„Fak- torenhypothese‘' verstanden), welche bei der Entfaltung einer komplex- verursachten Figenschaft einer Vollrasse normalerweise miteinander fest verbunden sind und harmonisch zusammenwirken, der eine mehr als die anderen durch die Kreuzungen gestört und gehemmt wird und daß also das positive Merkmal der Vollrasse nicht vollständig ausgebildet wird, sondern auf halber Höhe stehen bleibt. Im speziellen scheinen die erwähnten Befunde beim Axolotl darauf . hinzuweisen, daß vorzugsweise regulatorisch wirksame Entwicklungs- faktoren, die wohl erst sekundär, d. h. in späteren Phasen der Stammesgeschichte hinzugetreten sind, bei solchen Kreuzungen ge- hemmt werden können, was mit der allgemeinen Erfahrung im Emklang steht, daß bei Entwicklungsstörungen allgemeinerer Art in erster Linie die labilsten, in der Artgeschichte zuletzt erworbenen Entwicklungs- erscheinungen aus dem Gleichgewicht gebracht werden, ‚‚also gewisser- maßen die Spitzen und äußersten Triebe der Art- und Rassenentwick- lung kupiert werden‘‘!). Bei dem Färbungsunterschiede der dunklen und hellen Rasse spielen ja hauptsächlich zwei Entwicklungsvorgänge eine Rolle, die Vermehrungstätigkeit der korialen Pigmentzellen und die Umwandlung der pigmentierten Epidermiszellen in epidermale Pigment- zellen. Beide Vorgänge stehen aber normalerweise in korrelativen, vermutlich sekundär hergestellten Beziehungen zueinander, die man sich wohl als innersekretorische oder chemotaktische Wirkungen der Epidermis auf die korialen Pigmentzellen zu denken hat (Phän., S.196)2). 1) Über Gedächtnis, Vererbung und Plurapotenz. Jena 1913, 8. 50. 2) Vor ähnliche Fragen ist Herbst beim Feuersalamander geführt worden. Abh. Heidelb. Akad. Wiss., M.-N. Kl. 1919. Über weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendelforschung. 167 Bei ganz jungen heterozygoten Larven sind nun in deutlicher Weise die korrelativen Beziehungen gestört, so daß ein sehr variables, im ganzen aber intermediäres Verhalten zutage tritt (Schnakenbeck), das bei älteren Tieren allerdings wieder vollkommen ausgeglichen zu werden scheint. Hier ist also offenbar die komplex-verursachte Eigenschaft „Pigmentierung‘ durch die Kreuzung vorzugsweise nach einer Rich- tung hin und zwar in bezug auf einen regulatorisch wirksamen Ent- wicklungsfaktor aus dem Gleichgewicht gebracht worden, so daß, wenigstens während der früheren Entwicklungsstadien, nur eine unvoll- ständige Dominanz erreicht wird. Bei Artkreuzungen wird es sich im allgemeinen nicht um die Ver- bindung eines positiven und eines Defektzustandes, sondern um die Konkurrenz mehr oder weniger gleichstarker Entwicklungstendenzen handeln, so daß also im Bastard vielfach eine Interferenz der Wir- kungen und daher auch wieder ein intermediärer Zustand zu Stande kommt. Alles in allem läßt sich also die Behauptung rechtfertigen, daß auch die reine Dominanz mit der einfach-verursachten Entwick- lung in einem gewissen ursächlichen Zusammenhang steht, wenn sich auch allerdings die beiden Kreise von Erscheinungen nur teil- weise decken. . Was die zweite Frage anbelangt, ob man auf Grund bestimmter Kriterien voraussagen kann, welches von zwei korrespondierenden Merkmalen dominiert, so hat sich die von de Vries, Standfuß u.a. ausgesprochene Annahme, daß im allgemeinen das stammesgeschicht- liche ältere Merkmal dominiert, bekanntlich als unzutreffend erwiesen. Dagegen findet man verhältnismäßig häufig, daß die positive Eigen- schaftsvariante gegenüber dem Defekt dominiert, oder, wie man sich auch vom Boden der Faktorenhypothese aus ausdrückt, die Anwesen- heit eines Faktors über seine Abwesenheit. Der schon oben gegebene Hinweis, daß in der Entwicklung der Organismen unter Umständen eine Dosis eines entwicklungsgeschichtlichen Faktors vollkommen genügen kann, um die nämliche äußere Wirkung hervorzurufen, wie zwei Quanten, gibt jedenfalls die Erklärung für eine große Gruppe von 'Vorkommnissen, bei denen es sich um vollkommene Dominanz einer progressiven Differenzierung über einen Defekt handelt. Es sei nur an die Variantenpaare: Pigmentierung > Albinismus, Normalhaarigkeit > Seidenhaarigkeit (Angorismus), Behaarung der Blätter > glatte Beschaffenheit erinnert. In einer zweiten Gruppe von Fällen, in welchen der Defekt über den Normalzustand dominiert, pflegt man vielfach anzunehmen, daß die ' Defektrasse nur scheinbar eine solche sei, in Wirklichkeit vielmehr eine Plusrasse darstellt, insofern ‚sie einen. positiven Hemmungsfaktor 168 V.Haecker: Weitere Zusammenhänge auf dem Gebiete der Mendelforschung. führt, welcher die Entwicklung der normalerweise vorhandenen Eigen- schaft hindert. Wenn z. B. beim Huhn schwanzlos über geschwänzt dominiert, so muß man nach Plate annehmen, daß beim sog. Kaul- huhn der ‚„Schwanzfaktor‘‘ durch einen neu hinzugekommenen Hem- mungsfaktor, etwa ein neu erworbenes Enzym unwirksam gemacht wird. Es ist klar, daß es sich hier zunächst um eine Hilfshypothese handelt, für welche wirkliche Unterlagen nicht vorhanden sind, und ich glaube, daß wenigstens in einigen der hierher gehörigen Fälle eine andere Annahme näherliegt. Beim schwanzlosen Kaulhuhn liegt der Defekt auf der Linie einer allgemeinen phylogenetischen Rück- bildungstendenz, denn wir sehen, daß fast in allen Gruppen der Wirbeltiere mit fortschreitender Differenzierung die Rückbildung der Zahl der Segmente und speziell der Schwanzwirbel Hand in Hand geht. Es wäre also möglich, daß die Defektrasse, bei welcher diese Tendenz in verstärktem Maße vorhanden ist, gerade deshalb über die Voll- rasse,. welche sie gewissermaßen nur als virtuelle Potenz enthält, bei Bastardierungen prävaliert. So würde es sich auch erklären, warum z.B. bei Helix das Fehlen der Bänder über die Bänderung dominiert oder bei Kreuzung des hannoverschen gescheckten Landschweins mit dem Wildschwein der Mangel einer Jugendzeichnung über die Frisch- lingsstreifung. Wie nämlich schon Eimer zu zeigen versucht hat, stellt der Mangel einer Zeichnung eine phylogenetisch fortgeschrittene Stufe gegenüber der Streifung dar und namentlich bei Wirbeltieren ist dies auch entwicklungsgeschichtlich verständlich. Speziell die primäre Längs- streifung der Wirbeltiere ist, wie ich zu zeigen versucht habe, auf einen bestimmten Wachstumsrhythmus der Haut zurückzuführen, wie er bei niedrigen wasserlebenden Formen ursprünglich Hand in Hand mit der Entwicklung anderer Organsysteme, der Seitenlinien und Seitennerven, sich herausgebildet hat. Mit der Zurückbildung dieser Organe entstand auch in der Haut die Tendenz, von dem komplizierten Wachstums- modus zu dem einfacheren, ökonomischen Modus des gleichmäßigen (diffusen) Hautwachstums überzugehen und damit war auch die Vor- aussetzung für den Wegfall der Zeichnung und für Einfarbigkeit ge- geben. So hat also die zeichnungslose Defektrasse auf Grund der all- gemeinen phylogenetischen Tendenz eine stärkere Entwicklungskraft als die Urrasse, was in der Dominanz der ersteren zum Ausdruck kommt. Inwieweit diese Annahmen sich wirklich begründen lassen, müssen spezielle phänogenetische Untersuchungen ergeben, wie denn überhaupt das ganze Dominanzproblem ein neues Kapitel bildet, bei dessen Be- handlung die entwicklungsgeschichtliche und vererbungsgeschichtliche Forschung Hand in Hand zu gehen hat. (Aus der Universitätsfrauenklinik und dem Physiologischen Institut Kiel.) Untersuchungen über die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen. 1. Mitteilung. Beobachtungen am menschlichen Blut. Von Priv.-Doz. Dr. @eorg Linzenmeier, Assistent der Univ.-Frauenklinik. (Eingegangen am 5. Februar 1920.) Der Schwede Fähraeus!) hat uns 1918 mit der Tatsache be- kannt gemacht, daß die roten Blutkörperchen bei verschiedenen Menschen und bei besonderen physiologischen und pathologischen Zuständen verschieden rasch zu Boden sinken. Der Unterschied im Fallen der B. K. im Blute einer normalen Frau und einer schwangeren Frau ist so groß, daß Fähraeus in der Senkungs- beschleunigung der Blutkörperchen ein Schwangerschaftsdiagnostikum erblickte). In seinen Untersuchungen über die Ursachen der Instabilität der B. K.-Suspensionen war Fähraeus zu der Erkenntnis gelangt, daß die rasche Senkung der Blutkörperchen in erster Linie Folge einer Hämagglutination ist. Durch Verklumpung der B. K. und größere Aggregatbildungen wird ihre Oberfläche verkleinert und damit aus rein physikalischen Gründen ein rascheres Fallen bedingt. Bis zu dieser Erkenntnis waren auch schon die alten Hämatologen, wie besonders H. Nasse, Johannes Müller?) und andere gelangt; ihnen war bereits eine vermehrte Blutkörperchensenkungsgeschwindig- keit in der Schwangerschaft und vor allem bei entzündlichen, fieber- haften Erkrankungen gut bekannt. In neuerer Zeit hat de Haan) ebenfalls eine vermehrte Geldrollenbildung der B. K. als Ursache für . die schnelle Sedimentierung des Pferdeblutes angesehen. 1) Hygiea 1918. ?2) Meine klinischen Untersuchungen zu diesem Thema werden im Arch. f. Gynäkol. veröffentlicht. 3) Angaben über die ältere Literatur finden sich in meiner klinischen Arbeit. *) Biochem. Zeitschr. 86. 1918. : 170 (+. Linzenmeier: In weiteren Untersuchungen t), die Fähraeus im hiesigen physio- logischen Institut unter Leitung Höbers ausgeführt hat, wurde nun festgestellt, daß die nähere Ursache der Agglutination eine starke Entladung der negativ geladenen B. K. ist. Die Blutkörperchen von Graviden werden vom Plasma aus mehr oder weniger entladen, da- durch verlieren sie ihre Suspensionsstabilität, agglutinieren und senken sich als größere Aggregate schnell zu Boden. Wenn wir die Zustände betrachten, bei denen eine hr Sen- kungsgeschwindigkeit der B. K. stattfindet, so fällt der Parallelismus auf, der mit. der Abderhaldenschen Reaktion besteht; bei sämtlichen Zuständen, in denen Abderhalden mit dem Vorkommen von blut- fremden Eiweißkörpern im Blut rechnet, ist die Stabilität der Blut- körperchensuspensionen herabgesetzt. Fähraeus vermutet daher, daß „die Plasmahaut, die nach Höber als Träger der Grundladung anzusehen ist, ihre Ladung dadurch verliert, daß die sie aufbauenden Eiweißkörper durch Adsorption irgendwie elektrisch neutralisiert werden.“ Meine eigenen Untersuchungen, die ich ebenfalls am hiesigen physio- logischen Institut unter Höber ausgeführt habe, gehen darauf aus, die Konsequenzen aus dieser Hypothese zu ziehen. Die erste Frage, die ich mir stellte, war daher: Auf welchen Eigenschaften des Plasmas beruht dieentladende Wirkung? Es war naheliegend zu versuchen, diesenkungsbeschleunigende Substanz oder mit einem anderen Worte das fragliche ‚„Agglutinin‘“ auf irgendeine Weise aus dem Plasma zu entfernen. Ich versuchte zu- nächst, ob dies durch Ausschütteln des Plasmas mitgeeigneten Adsorbenzien gelingen würde. Wenn die senkungsbeschleunigende Substanz des Plasmas durch Entladung die B. K. agglutiniert, so ist nämlich zu vermuten, daß sie positive Ladung führt, daß sie also durch solche Adsorbenzien zu entfernen sein würde, welche auch sonst positiv geladene Bestandteile aufnehmen, während die Behandlung des Plasmas mit Adsorbenzien, welche negative Teile adsorbieren, die Blutkörperchen - senkung nicht verzögern dürfte. Zur Orientierung über das relative Adsorptionsvermögen für positive Teilchen wurde in einem Vorversuch eine Reihe von Adsorbenzien mit Methylenblaulösung geschüttelt; in dieser ist der basische Bestandteil, das Farbstoffkation, der vornehmlich adsorbierbare Anteil. Das Er- gebnis ist in der folgenden Tabelle wiedergegeben. Danach sind Kaolin, Bolus und Tierkohle geeignet, positive Teilchen aus einer Lösung wegzuadsorbieren; Aluminiumhydroxyd, Cerioxyd, Eisenoxyd und Eisenhydroxyd sind dafür mehr oder weniger ungeeignet; Talkum nimmt eine Mittelstellung ein. 1!) Biochem. Zeitschr. 89. 1918. Untersuchungen über die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen. 171 1 g Adsorbens, 5 cem Lösung Methylenblau rektifik. n. Ehrlich (Grübler). | Farbe der Lösung nach dem Schüt- Absorbens | teln mit Methylenblaulösung | 0,0025 molar | 0,0005 molar 1. Aluminium hydroxyd (E. Merck) durkelblau | dunkelblau 28, Verloxyd, (Keahlhaum) nz. | n | " 3. Eisenoxyd (Kahlbaunm) . | ; 4. Eisenhydroxyd (Kahlbau a). | ” " 5. Talkum (E. Merck) . RE ER cn farblos 6% Kaoline(Kahlbaum) 77 fast farblos 0 Bolustalbas(Bs Merck) ar farblos & 82 Tierkohle (BE: Merck)i .. ... ... | ch n Zu den Versuchen mit Blut benutzte ich Normalfrauenblut, Nabel- schnurblut und Schwangerenblut. Die Untersuchungtechnik war einfach: das Blut wurde durch Venaepunktio entnommen und, um Gerinnung zu vermeiden, mit 5%, Natriumeitratlösung im Verhältnis 1:9 vermischt. Die Flüssigkeit wurde 40 Minuten zentrifugiert, das Plasma zur Verwendung abgehoben und die B. K. zweimal mit 0,95% Kochsalz- lösung gewaschen. Durch Vorversuche hatte ich festgestellt, daß zwischen Plasma und B. K. die schärfste Grenze auftritt bei einem Mischungsverhältnis von Blut- körperchen zu Plasma wie 1:3 oder 2:3. Bei kleineren B. K.-Mengen ist die Trennungsgrenze verwaschen und nicht mit Exaktheit abzulesen. Die Messungen nahm ich an der Plasmahöhe mit Zirkel und Maßstab nach bestimmten Zeitinter- vallen vor. Zur Ausschüttelung wurden 2 ccm Citratplasma mit 0,5 g des Adsorbens in einem Reagenzglas vermischt und 1!/, Stunden in einem langsam gehenden Schüttel- apparat liegengelassen. Nach Zentrifugierung wurden zu 0,6 ccm Plasma 0,4 cem (zweimal gewaschene) B. K. hinzugefügt und dann die Blutkörperchensenkungen beobachtet. Wenn nichts besonders erwähnt ist, sind immer die zum Plasma ge- hörigen B. K. verwendet. Von sämtlichen angeführten Versuchen sind mindestens zwei angestellt worden. A. Tierkohle. 1. Normalfrauenblut. 2. Gravidenblut. Versuch vom 29. VI. 1919. Versuch vom 29. VI. 1919. a) unverändert | b) geschüttelt a). unverändert | b) geschüttelt nach 13 Min. 7 mm 2 mm nach 10 Min. 13 mm | 3 mm nach 25 Min. 10mm 3!/, mm nach 20 Min. 17 mm | 5 mm nach 40 Min. 12 mm ı 4!/, mm | B. Kaolin. Versuch vom 29. VII. 1919. Versuch vom 29. VII. 1919. nach 10 Min. 7 mm | 3 mm 14 mm 5 mm nach 20 Min. 10 mm 4 mm 15 mm 8mm nach 30 Min. 12 mm | 6 mm 16 mm 10 mm nach 2Std. 16 mm | 7 mm 16 mm | 12 mm e=2Bolus alb.a. Versuch vom 29. VIII 1919. Versuch vom ]?. IX. 1919. nach 20 Min. 10 mm | lmm nach 10 Min. 12 mm 2 mm nach 1 Std. 15 mm 3 mm nach 20 Min. 14 mm | 4 mm nach 2 Std. 16 mm 5 mm nach 1 Std. 17 mm | 8 mm 72 G. Linzenmeier: D. Talkum. Versuch vom 10.X. 1919. Versuch vom 16. X. 1919. nach 20 Min. Amm | 4 mm nach 10 Min. 16 mm | 6 mm nach 50 Min. 7 mm | 6 mm nach 25 Min. 17 mm ll mm nach 4 Std. 14mm | 12 mm | nach 40 Min. 18 mm | 13 mm Aus den Protokollen geht ohne Zweifel hervor, daß durch die Ausschüttelung des Plasmas mit ‘den Adsorbenzien für positive Teilchen, Tierkohle, Kaolin und Bolus alba, eine starke Hemmung der B. K.- Senkung hervorgerufen wird, während Talkum nur eine mäßige und wechselnde Wirkung hat. Es ist also das eingetreten, was man nach den Methylenblauausschüttelungen erwarten durfte. Ganz anders ist der Verlauf bei den Adsorbenzien für negative Teilchen. A. Eisenoxyd. Versuch vom 2..%. 1919. Dieselben Proben nochmal IKB: umgeschüttelt Nach | Nach Nach Nach Nach Nach ; 20 Min. 40 Min. 2 Std. 30 Min, 1 Std. 5 Std. 0,6 Gravid.-Plasma | 0,4 B.K. (2 mal gew.) . .| 5mm | 10 mm | 22mm | 12mm | 18 mm | 25 mm 0,6 Gravid.-Plasma (mit | Eisenchlorid geschüttelt) | | 0,4 B. K. (2mal gew.) . .| 12mm | 18 mm | 24 mm | 11 mm | 18 mm | 26 mm B. Eisenhydroxyd. Versuch vom 20. X. 1919. a) unverändert b) mit Eisenhydroxyd geschüttelt nach 30 Min. 6 mm 7 mm nach 50 Min. 11 mm ill mm nach 1 Std. 50 Min. 18 mm 19 mm C. Aluminiumhydrooxyd. Versuch vom 4. VII. 1919. a) unverändert b) geschüttelt nach 10 Min. 6 mm 8 mm nach 20 Min. 11 mm 14 mm nach 30 Min. 15 mm 15 mm D. Cerioxyd. Versuch vom 12. IX. 19. Neu umgeschüttelt Nach Nach Nach Nach Nach | Nach ; | 20 Min. | 35 Min. | 1Std. | 20 Min. | 50 Min. , 2 Std. 0,6 Gravid.-Plasma | 04: BER 14 mm | 16 mm | 17” mm | 9 mm | 12 mm | 25 mm 0,6 Gravid.- Plasma (mit Cerioxyd gesch) ... , 1Omm | 13mm 15 mm | Smm | 12 mm | 15 mm VEBIK: VER. | | Untersuchungen über die Senkungsgeschwindigekeit der roten Blutkörperchen. 173 Versuch vom 2.X. 19. Ä a) unverändert b) geschüttelt nach 20 Min. 5 mm li mm nach 40 Min. 10 mm 16 mm nach 2 Std. 22 mm 20 mm Um übrigens auszuschließen, daß die Schüttelung an sich und das Abfiltrieren des Adsorbens (Tierkohle) das Citratplasma verändert haben könnte, stellte ich Kontrollversuche an, die ergaben, daß Schütte- lung von 3 Stunden und Filtrierung das Citratplasma unbeeinflußt ließen. Es erhellt aus diesen Versuchen, daß die Adsorbenzien für negative Teilchen im Gegensatz zu denen für positive Teil- chen das Plasma der senkungsbeschleunigenden Substanz nicht berauben; im Gegenteil, es war des öfteren nach dem Schütteln eine vergrößerte Sedimentierungsgeschwindigkeit zu konstatieren, welche aber auffallenderweise nach nochmaligem Umschütteln der Probe bei abermaliger Sedimentierung nicht mehr zu beobachten war. Dies Phänomen bedarf noch der weiteren Aufklärung. Die Adsorptions- versuche unterstützen also die Schlußfolgerung, daß die senkungs- beschleunigende Substanz ein elektropositiver Körper ist. Dieser Schluß ließ sich auch durch quantitative Messung der Ladung der B. K., die nach Waschen mit Kochsalzlösung einmal in das unver- änderte Plasma und einmal in ausgeschütteltes Plasma eingetragen waren, bestätigen. Die Versuche wurden mit dem von Höber!) be- schriebenen Apparat zur Beobachtung der Kataphorese von Zellen ausgeführt. Die Kammer des Apparates wurde mit einer Mischung von isotonischer Rohrzucker- und isotonischer Kochsalzlösung (im Verhältnis 10 : 1) gefüllt, der Mischung verschiedene Konzentrationen von Lanthannitrat zugesetzt und dann eine Spur Blut darin verrührt. Legt man alsdann eine genügend große Spannung an die Enden der Kammer, so kann man unmittelbar darauf im Mikroskop an der Wan- derungsrichtung der B. K. erkennen, ob sie negativ oder positiv geladen sind. Das folgende Protokoll belehrt über den Einfluß der Plasma- behandlung mit Kaolin auf die Ladung. Kataphoreseversuch. Gravid.-citrat Blut. Gewaschene Blutkörperchen teils zum Kaolin- geschüttelten (1), teils zum unveränderten Citratplasma (2) im Verhältnis 0,4 : 0,6 zugesetzt. , Sedimentierung in 1:in 30° 3 mm, in 120° 8 mm, E2 Iin®22 210° 302 12) mm; in 120216 mm. t) Arch. f d. ges. Physiol. 101, 607. 1904; 102, 196. 1904. 174 G. Linzenmeier: Zusatz von La(NO;)3 Ladung der Blutkörperchen zum Plasma 1. im Koalinplasma | 2. im gewöhnlichen Plasma en | negativ | ganz schwach negativ Den | negativ | neutral ‚. "/ıo00 | vielleicht schwach positiv | positiv m /750 vielleicht schwach positiv | 4 00 | schwach positiv | ei Die im Kaolinplasma suspendierten B. K. an also einer deut- lich größeren Konzentration an Lanthanionen zur Entladung, als die im Normalplasma suspendieren; die Blutkörperchen haben also im Kaolinplasma positive Ladungen eingebüßt. Eine ähnlich hemmende Wirkung auf die B. K.-Senkung wie die Ausschüttelung mit negativen Adsorbenzien bewirkt auch der Zusatz einer Lecithinemulsion zum Plasma. Es ist danach wahrschein- lich, daß auch das Lecithin seine Wirkung als Adsorbens für positive . Teilchen ausübt. Lecithin. Versuch vom 23. VIL 1919. 10 Min. 15 Min. . 1 Std. 45 Min. 0,6 Gravid.-Plasma 0,1 0,95%, NaCl DEFBERE IIND EN or ; llmm | 14mm 18 mm 0,6 Gravid.-Plasma | 0,1 Leeithinemulsion | (0,3 Leeithin in Äther gelöst in 20 cm NaCl ein- geträufelt, Äther verdunstet) VALBERE Eee = lemamv | 3 mm Unter den an gefchiten Gesichtspunkten ist wohl auch ein Verständnis für die öfter beobachtete Erscheinung zu gewinnen, daß die Sedimen- tierung der B.K. in isotonischer Kochsalzlösung im allgemeinen lang- samer verläuft als im Plasma. Mit diesem Vorgang haben sich neuer- dings wieder Berczeller und Stanker!) sowie de Haan (l. c.) beschäf- tigt. Ihre Untersuchungen beziehen sich jedoch auf Tierblut; ich werde deshalb erst in meiner zweiten Mitteilung, die sich ebenfalls mit Unter- suchungen an Tierblut beschäftigen wird, auf ihre Ergebnisse genauer eingehen. Hier sei nur hervorgehoben, daß nach de Haan der enorme Unter- schied in der Sedimentierungsgeschwindigkeit von Pferde- und Rinder- B. K. im Eigenplasma. verschwindet, sobald man die B. K. in Koch- salzlösung aufschwemmt; beide sinken dann gleich langsam. Und Berezeller und Stanker, die mit B. K. von Rind und Schwein arbeiteten, fanden, daß die Senkung der B. K. bei steigenden Zusätzen von Kochsalzlösung mehr und mehr abnimmt, aber von einer bestimmten Plasmaverdünnung ab dieser Abfall sprunghaft wird. 1) Internat. Zeitschr. f. Physikal.-chem. Biolog. 3, 133. 1917. Nach Nach Nach | | | | | Untersuchungen über die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen. 175 Nach unserer Auffassung des Sedimentierungsvorgangs könnte die Senkungsverzögerung durch Kochsalzlösung darauf beruhen, daß der elektropositive agglutinierende Plasmabestandteil, welcher der B. K.- Oberfläche durch Adsorption anhaftet, in Kochsalzlösung die B. K.- Oberfläche mehr oder weniger verläßt. Ist diese Auffassung zutreffend dann müssen die B.K. in Kochsalzlösung stärker negativ geladen sein als im Plasma. Das ist in der Tat der Fall, wie folgender Kataphorese- versuch beweist: Ladung der B.K. nach Suspension in La-Zusatz Nacı IE: "/3500 negativ schwach negativ ”/1500 ch ganz schwach negativ = / 1000 n neutral "750 5 positiv zu) 260 bR) „ m/so „ „ en neutral | x Die negative Aufladung der B. K. durch die Suspension in Kochsalz- lösung ist also außerordentlich groß. Die zitierte Beobachtung von de Haan könnte danach zunächst so gedeutet werden, daß die ver- schiedene Sedimentierungsgeschwindigkeit der B. K. verschiedener Tiere in der Hauptsache von einem verschiedenen Gehalt der Plasmata an agglutinierender Substanz herrührt; wir werden in der 2. Mitteilung zeigen, daß dies jedoch nicht allgemein zutrifft. Die Beobachtung von Berczeller und Stanker läßt vielleicht darauf schließen, daß, ent- sprechend dem bekannten Verlauf der Adsorptionsisotherme im Gebiet der kleinen Plasmakonzentrationen der Einfluß auf die Ladung am größten ist; diese Hypothese wird experimentell noch zu prüfen sein. Fragen wir nun weiter nach der chemischen Natur des im Plasma enthaltenen ‚Agglutinins‘, so liegt es jedenfalls nicht fern, in Erinnerung an die Immunitätsreaktionen zu probieren, ob eine „Hitzeinakti- vierung‘ des Plasmaagglutinins möglich ist. Ich brachte dazu das Plasma in ein Wasserbad von 56° C und beließ es unter genauer Einhaltung der Temperatur darin !/, Stunde. Versuch vom 12. VI. 1919. Nach 15 Min. | Nach 30 Min. | ‘Nach 3 Std. 0,8 Gravid.-Plasma unverändert DER BR] Er ar a er ee 21 mm 24 mm 26 mm 0,8 Gravid.-Plasma !/,Std. bei 55—56° VS IS NE 5 mm ll mm 25 mm 0,6 Normalplasma unverändert 0,3 15 KO N 0 3 mm 10 mm 0,8 Normalplasma !/, Std. bei 55—56° U BE EN: 0 2 mm 7mm 176 G. Linzenmeier: In weiteren Versuchen ließ ich die Wärme verschieden lange Zeit auf das Plasma einwirken. Versuch vom 21.7. 1919. 0,6 Gravid.-Plasma bis 56° © erhitzt, dazu 0,2 B.K. Dauer der Sedimentierung Hitzeeinwirkung | nach 12 Min. | nach 25 Min. | nach 45 Min. 20 Min. 16 mm 20 mm | 20 mm 30 Min. 16 mm 18mm | :21l’mm 12/5.Std. ll mm 18.mm |). „iz mm 3 Std. 8 mm: 10 mm | 12 mın Es wird also in der Tat das Plasma durch Wärme inaktiviert, d.h. die Sedimentierung wird durch Erhitzung deutlich verzögert, und zwar um so stärker, je länger die Erwärmung dauert. Nebenbei sei an dieser Stelle noch bemerkt, daß die Sedimentierung der B. K. durch Abkühlung stark verzögert wird. Das zeigen etwa folgende Protokolle: Blut einer Schwangeren. 1. Ve-rsuch. In Eis Bei 20° Bei 33° nach 30 Min. 10 mm 21 mm 26 mm nach 1 Std. 17 mm 26 mm 26 mm 2. Versuch. In Eis Bei 20° nach 20 Min. 0 14 mm nach 40 Min. 0 20 mm Verbringen der Probe nach Umschütteln. In Temp. v. 20° In Eis nach 20 Min. 11 mm lmm nach 1 Std. 20 mm 8 mm Beim 2. Versuch wurde erst nach Abkühlung des Proberöhrchens das Blut eingefüllt und in Eis gestellt; nach 40 Min. war noch keine Spur von Senkung zu beobachten. Kam die Probe in Zimmertemp. von 20°, begann sofort eine intensive Senkung der B.K. Ähnliche Beobachtungen über Temperatureinflüsse haben Fähraeus und de Haan gemacht. Durch diese Beobachtungen über den Einfluß erhöhter Temperatur wird unsere Aufmerksamkeit speziell auf die Eiweißkörper als mutmaßliche Agglutinine hingelenkt, und auch die folgenden Versuche können vielleicht als eine Stütze dieser Vermutung angesehen werden. ; Während ich bisher nur Zitratblut verwendet hatte, machte ich nunmehr Kontrollversuche mit defibriniertem Blut und fand die zunächst überraschende Tatsache, daß die Defibrinierung eine bedeutende Verzögerung der Sedimentierung erzeugt. Untersuchungen über die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen. 177 Versuch vom 24. X. 1919. Blut einer Gravida, in der ersten Probe in üblicher Weise mit 5% Natr. eitr. Lösung, in der 2. mit Hirudin (0,8 mg auf 5 ccm Blut) versetzt und in der 3. durch Schlagen defibriniert. Serumhöhe Citratblut Hirudinblut Defibriniertes Blut 6 mm nach 25 Min. nach 20 Min. nach 340 Min. 12 mm nach 50 Min. nach 30 Min. nach 730 Min. 18 mm nach 80 Min. nach 55 Min. nach 4200 Min. Der Unterschied zwischen defibriniertem Blut und den beiden an- deren Proben ist gewaltig. Die geringe Verzögerung des Citratblutes gegenüber dem Hirudin- blut ist wohl durch die Verdünnung mit der Citratlösung bedingt. Um zunächst auszuschließen, daß das Schlagen des Blutes an sich die Blutveränderung hervorruft, habe ich in einem weiteren Versuch Serum benutzt, das bei einem Aderlaß durch Spontangerinnung ge- wonnen war. Auch hier trat eine sehr große Verzögerung der Sedimen- tierung ein. Danach bleiben vor allem zwei Erklärungsmöglichkeiten zu erwägen: Erstens kann das Fibrinogen selbst die senkungsbeschleunigende Substanz sein, und zweitens kann beim Gerinnen des Blutes das ‚‚Agglu- tinin‘“ mit entfernt, wegadsorbiert werden. Für die erste Möglichkeit könnten die Erfahrungen sprechen, daß nach älteren Angaben in allen Zuständen, in denen eine Senkungs- beschleunigung eintritt, also besonders in der Gestation und in fieber- haften Krankheiten, auch eine Hyperinose, d. h. eine Vermehrung des Fibrins und damit natürlich auch des Fibrinogens statthat, anderer- seits in Blut, das sehr wenig Faserstoff enthält, wie das Nabelschnurblut, auch die Senkungsgeschwindigkeit stark herabgesetzt ist. Der große Unterschied in der Sedimentierungsgeschwindigkeit zwischen Nabel- schnurblut und Blut der Gebärenden sei z. B. durch folgendes Beispiel. dargetan: Versuch vom 28. XI. 1919. Plasmahöhe von Mutter Kind 6 mm nach 10 Min. nach 195 Min. 12 mm nach 18 Min. nach 475 Min. 1S mm nach 36 Min. nach 1185 Min. Dieser enorme Unterschied in der Stabilität steht in einem gewissen Verhältnis zu dem verschiedenen Fibrinogengehalt der beiden Blut- arten. Der Zusammenhang kann aber, wie gesagt, auch so gedeutet werden, daß das aus dem Fibrinogen entstehende Fibrin als Adsorbens auf die sedimentierende Substanz wirkt. Versuche, welche zur Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten beitragen, werden wir demnächst mit- Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 119 178 @G. Linzenmeier: teilen. .Die Frage nach der chemischen Natur der sedimentierenden Substanz bleibt also noch offen. Ich wende mich nun zu einer Reihe weiterer Versuche, durch Zusätze löslicher Stoffe zum Citratplasma die Sedimen- tierungsgeschwindigkeit künstlich zu ändern. Da evtl. die Viscosität des Plasmas für das Fallen der B. K, von größerem Einfluß sein konnte, da vielleicht auch die Klebrigkeit von dem Plasma zugesetzten Substanzen im Sinne der Gruberschen. Agglu- tinationstheorie eine Rolle spielen konnte, wurde die Wirkung des Zu- satzes von Gelatine, Agar, Gummi arabicum, isotonisch ge- machtem Mundspeichel, Ovarialzysteninhalt und Stärke- kleister untersucht. Alle diese Substanzen haben eine stark beschleunigende Wirkung auf die Senkung der B.K., und zwar nicht nur bei in Plasma, sondern auch bei in NaCl suspendierten gewaschenen B.K. Eine Anzahl von Protokollen soll dies illustrieren. A. Gelatine. Versuch vom 12. IX. 1919. 0,6 Blutplasma einer nicht graviden Frau | Nach 10 Min. | Nach 3 Std. 0.1 10°/, in NaÜl gelöste Gelatine | VAEBRC N EN EE 22 mm 24 mm 0,6 Blutplasma | 0,1.0,95°/, NaCl VAIBIKEN en Re Er | 0 mm 6 mm 0,6 0,95°/, NaCl | 0,1 10°/, Gelatine | | 0:4. BeoRas zn nalen | 16 mm 20 mm 0,6 0,95°%/, NaCl | DASB RK a N N ee | OÖ mm | 4 mm Versuch vom 7. VIII. 1919. 0,9 Nabelschnurblut Nach 10 Min. | Nach 30 Min. | Nach 3 Std. 0.1.0:952/,.Na0h 2 02.20 0 mm 2 mm 3 mm 0,9 Nabelschnurblut 0,1 :5%/5.Gelatine 2.4: 8 mm 15mm | 22mm 0,8 Nabelschnurblut 0.2 0,591 2.Gelatine... .... 4 mm 7 mm 13 mm 0,9 Nabelschnurblut 0,1 0,5°%, Gelatine. . ... 2 mm 4 mm 7 mm Versuch vom 2. X. 1919. 2 Nach 10 Min. Nach 1 Std. 0,6 Gravid.-Plasma 0,1 0,95°/, NaCl 04 BER... 09: 8 mm 18 mm 0,6 Gravid.-Plasma 0,1 5°/, Gelatine 014 BIK. ne 10mm 25 mm Untersuchungen über die Senkungsgeschwindiekeit der roten Blutkörperchen. 179 ist WArBEK.N.... 4 mm | 19 mm Es tritt also im Normalfrauenblut, im langsam sedimentierenden Nabelschnurblut, im schnell sedimentierenden Gravidenblut und in einer Suspension der B. K. in Kochsalzlösung eine gleichermaßen starke Senkungsbeschleunigung durch Gelatinezusatz ein; die Beschleunigung bis 0,05% noch deutlich. B. Agar. Versuch vom 8. IX. 1919. 0,6 Ascitesserum 0,1 NaCl VIBIKENN 2 mm | 5 mm 0,6 Ascitesserum 0,1 1/,%/, Agar Nach 30 Min. Nach 3 Std. | Nach 6 Std. 8 mm | 20 mm | OÖ. Gummi arabicum. Versuch vom 14. IX. 1919. | Nach 10 Min. 0,6 Normalplasma | 0,1 0,95%, NaCl IRB RSS a Ge 2 mm 0,6 Normalplasma 0,1 10°/, Gummi arabicum VARBRRE ENTE. N. 20 mm 0,7 0,95°/, NaCl 0 mm 0,4 B.K. PIERRE: 0,6 0,95°/, NaCl 0,1 10°/, Gummi arabicum OHEBTRA relevant. Smm D. Speichel. ‚Versuch vom 3.IX. 1919. Gravid.-Plasma 0,95 °/, NaCl IE I IRRE ESTER: Gravid.-Plasma Mundspeichel mit NaCl isotonisch gemacht Beobachtung im Wasserbad bei 40°C Nach 20 Min. | Nach 3 Std. 4 mm | il 5 mm 20 mm 20 mm 2 mm 4 mm 3 mm 19 mm Nach 30 Min. Nach 1 Std. 8mm 13 mm 12 mm 16 mm E. Ovarialeysteninhalt. Versuch vom 2. VII. 1919. 0,9 Gravid.-Blut Nach. 2 Std. 15 mm 16 mm Nach 30 Min. 0,92.0:99, 0 Naoles En . 2 mm 0,9 Gravid.-Blut 0,9 schleimiger Inhalt einer Ovarialeystte | 20 mm 12* 180 G. Linzenmeier: Versuch vom 11.IX. 1919. 0,8 0,95°/, NaCl OATBAK NEE l mm 2 mm 0,6 0,95°/, NaCl 0,2 Cysteninhalt | VARBAKE 2. 14 mm 18 mm ID. Stärkekleister. Versuch vom 17. IX. 1919. Nach 30 Min. | Nach 45 Min. Nach 20 Min. Nach 45 Min. Nach 1 Std. 0,6 Gravid.-Plasma | 0,1 0,95%, NaCl | 04 IB ER ee at | 7 mm 14 mm 20 mm 0,6 Gravid.-Plasma | 0,1 2,5°/, Stärkekleister in NaÜl | OADaRe ae eiemens | 15 mm 20 mm 21 mm Außerdem habe ich Zusätze von verschieden prezentigen Lösungen bzw. Suspensionen von Dextrin, von Inulin und Cholesterin versucht, dabei aber keine eindeutigen Resultate erhalten. - Wie soll man die senkungsbeschleunigte Wirkung der viscösen Stoffe nun beurteilen ? Zunächst würde man ja wohl annehmen, daß derartige Körper, welche die innere Reibung des Suspensionsmittels erhöhen, die Senkung der B. K. verzögern. Aber das Gegenteil tritt ein, und der Grund ist wiederum die verstärkte Agglutination. Schon makroskopisch läßt sich diese nach Zusatz der klebrigen Körper als Krümelbildung feststellen. Es ist also wieder die starke Oberflächenverkleinerung, die die Senkungsbeschleunisung bedingt. Ob dabei aber eine Verklebung der Zellen im Sinne der Gruberschen Hypothese wesentlich ist, ist auf Grund von Kataphoreseversuchen zu bezweifeln. Diese lehren nämlich, daß durch Gelatinezusatz die elektro-negativenB.K. mehr oder weniger entladen werden, wie das folgende Protokoll zeigt: Vergleich 1. 0,4 Gravid.-B. K. — 0,6 Gravid.-Plasma + 0,1 NaCl mit 2. 0,4 Gravid.-B. K. + 0,6 Gravid.-Plasma + 0,15% Gelatine NaCl. | La-Zusatz Gewöhnl. Plasma Gelatineplasma m /g500 negativ , schwach negativ "1500 schwach negativ neutral = / 000 neutral schwach positiv D/750 neutral | positiv "500 positiv positiv Worauf die entladende Eigenschaft der Gelatine beruht, bleibt noch zu untersuchen. Die senkungsbeschleunigende Wirkung klebriger Stoffe war übrigens schon den älteren Hämatologen wie Lehmann, Nasse, Johannes Müller wohlbe- Untersuchungen über die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen. 181 kannt. Auch in neuerer Zeit sind von Brat!), Biernacki?) u. a. hierher gehörige Beobachtungen veröffentlicht worden. Sackur?) studierte den Einfluß am hängenden Tropfen; er fand, daß Zusatz von Gelatine zu Blut folgende Veränderungen im Gesichtsfeld hervorruft: Die herum- schwimmenden roten B. K. nähern sich einander und legen sich schnell fest zu- sammen. Indem jedes freischwimmende B. K., sobald es an einen derartigen Kom- plex von Erythrocyten herangerät, festgehalten wird, häufig sogar direkt heran- gezogen zu werden scheint, bilden sich teils Geldrollen, teils Schollen, die sich durch gegenseitige Annäherung in einem Bruchteil einer Minute zu einem netzförmigen Gerüste zsammenlegen. Zu den löslichen Substanzen, durch deren Zusatz zum Blut man die Sedimentierungsgeschwindigkeit der roten B. K. künstlich verändern kann, gehören auch die Narkotica. Diese wurden in Konzentrationen verwendet, welche nach den Versuchen von Joel?) aus dem hiesigen physiologischen Institut die Permeabilität der B. K. für Elektrolyte noch nicht steigern, also sicher nicht Hämolyse hervorrufen. Es wurden in isotonischer NaCl-Lösung gelöst verwendet: 0,9% Amylalkohol, 0,7% eo 1,2%, Isobutylurethan, 0,05% Acetophenon und 0.23% /, Heptylalkohol; diese Lösungen wurden dann im Versuch mit Blut auf das 5—10fache verdünnt. Es stellte sich heraus, daß alle verwendeten Narkotica eine hemmende WirkungaufdasFallenderK.B. ausüben, wie die folgenden Protokolle zeigen: Versuch vom 12. IX. 1919. Nach 30 Min. | Nach 1 Std. Nach 2 Std. 0,5 Gravid.-Plasma | | 0,2 0,95°/, NaCl | (IE BEE KT Dr SEN | 8 mm l4mm | 18mm 0,5 Gravid.-Plasma | 0,2 0,9°/, Amylalkohol | OBEKEBL LE; .. | 6mm 10mm | 16mm Versuch vom 10.IX. 1919. | Nach 15 Min. Nach 30 Min. | Nach 50 Min. 1,0 Gravid.-Plasma | | | 0,4 0,95°/, NaCl | | DIENEN RE N | 7 mm | mm ;, 21mm 1,0 Gravid.-Plasma | | 0,4 0,7°/, Phenylharnstoff | 0,4 BoKYne PR | 3 mm | 7 mm 10 mm !) Zeitschr. f. klin. Medizin 56, 380. 1905. °) Zeitschr. f. physiol. Chemie 19, 179. 1894 und Zeitschr. £. klin. Medizin 24, 460. 1896. ®) Grenzgebiete d. Medizin u. Chirurgie 8, 188. *) Arch. f. d. ges. Physiol. 161. 1915. ‘ 182 G. Linzenmeier: Versuch vom 12. IX. 1919 20’ 30’ 1 Uhr | 3 Uhr 0,5 Gravid.-Plasma 0,2 0,95%, NaCl 0,3, BRKU a sen, 6 & 2.416 19 0,5 Gravid.-Plasma | | 0,2 Isobuthylurethan 1,2°/, | | VarBeaKen Rn lo 1216 Von der Natur dieser Wirkung der Narkotica haben wir uns folgendes Bild gemacht: Als Stoffe von großer Oberflächenaktivität reichern sich die Narkotica an der Blutkörperchenoberfläche an und verdrängen dabei den agglu- tinierenden Körper. Mit dieser Erklärung steht die Beobachtung in Übereinstimmung, daß sich eine durch Gummi arabicum hervorgerufene Senkungsbeschleunigung durch Narkotica wieder aufheben läßt, z. B.: Versuch vom 14. IX. 1919. 0,7 NaCl 0,95 °/, 0,1 5°/, Gummi arabicum | O2 BORKEN 4 mm 25 mm 0,6 0,95%), NaCl 0,1 5°/, Gummi arabicum 0,1 0,7°/, Phenylharnstoff | DAEIBIRUN N N. | 2 mm 14 mm Ich breche an dieser Stelle die Darlegung meiner Versuchsergebnisse vorläufig ab und behalte mir die Fortsetzung in einer 2. Mitteilung vor. Es hat sich nämlich gezeigt, daß sich das Blut mancher Tiere dem Anschein nach wesentlich anders verhält als das Menschenblut; die vorliegende Mitteilung faßt deshalb zunächst bloß unsere Erfahrungen an Mensehenblut zusammen. | Nach 15 Min. | Nach 21/, Std. Zusammenfassung. 1. Die beschleunigte Sedimentierung und verstärkte Hämagglu- tination im Gravidblut ist abhängig von einer relativen Entladung der negativ geladenen Blutkörperchen durch einen bei der Gravidität im Blutplasma auftretenden, vermutlich positiv geladenen Körper. Dies wird bestätigt durch den Ausfall von Adsorptionsversuchen mit Ad- sorbenzien für positive bzw. negative Teilchen. Nach Ausschüttelung des Plasma mit Tierkohle, Kaolin, Bolus alba und in geringerem Maße mit Talkum, d. h. mit Stoffen, welche vornehmlich positive Teilchen adsorbieren, wird die Suspensionsstabilität des Blutes erhöht und die negative Ladung der B. K. verstärkt, während Aluminiumhydroxyd, Cerioxyd, Eisenhydroxyd, welche vorwiegend negative Teilchen fest- halten, die Senkungsgeschwindigkeit nicht verändern (oder vorüber- gehend vergrößern). Untersuchungen über die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen. 183 2. Auch durch Erwärmen läßt sich das Plasma derartig verändern (inaktivieren), daß die Senkungsbeschleunigung gehemmt wird. 3. Durch die Gerinnung, also durch die Entfernung des Fibrins aus dem Plasma, wird die Senkungsbeschleunigung aufgehoben. Ob das Fibrinogen selbst der senkungsbeschleunigende Körper ist, oder ob mit der Bildung des Fibrins der fragliche Körper aus dem Plasma mit- entfernt vielleicht adsorbiert wird, muß noch weiter untersucht werden. 4. Klebrige Stoffe, wie Gelatine, Gummi arabicum, Mucin u. a. steigern die Sedimentierungsgeschwindigkeit. Dabei werden die B. K. mehr oder weniger entladen. 5. Narkotica hemmen die B. K.-Senkung, wahrscheinlich dadurch, daß sie die agglutinierende Substanz des Plasmas von der B. K.-Ober- fläche verdrängen. | \ Die Totenstarre des Herzens. Von A. Eckstein. (Aus dem physiologischen Institut Freiburg i. B.) Mit 11 Textabbildungen. (Eingegangen am 26. Januar 1920.) Das Problem der Totenstarre des Herzens hat seit einer Reihe von Jahren von den verschiedensten Gesichtspunkten aus eine Bearbeitung erfahren. Zunächst schien es von Bedeutung, festzustellen, ob und wie weit man aus der Form des bei der Sektion ‘beobachteten Herzens Schlüsse hinsichtlich seiner Funktion intra vitam ziehen dürfte. In einer in Aschoffs Institut verfertigten neueren Arbeit zeigte Volk - hardt2) an Hand eines reichen Kriegsmaterials, daß es nicht berech- tigt ist, aus einem bei der Autopsie fest kontrahiertem linken Ventrikel auf einen systolischen Herztod zu schließen. Schon früher hat Roth - berger!) in einer grundlegenden Arbeit an 200 Hundeherzen nachge- wiesen, daß der Stillstand des Herzens stets in der Diastole erfolgt. Die daran anschließende postmortale Kontraktion wird dann z. T. durch den im Augenblick des Todes im Gefäßsystem noch vorhandenen positiven Druck hervorgerufen, anderseits durch die Totenstarre er- gänzt und fixiert. Er fügte aber auch hinzu, daß die Starrekontraktion sehr schwach ausfallen, oder ganz ausbleiben kann. Als wesentliches und einwandfreies Ergebnis seiner Arbeit scheint mir die durch seine zahlreichen Versuche gestützte Beobachtung zu sein, daß der ‚bei der Autopsie erhobene Befund sich nicht mit dem Zustand decken müsse, in welchem das Herz seine Tätigkeit eingestellt hat.‘ Eine weitere und nicht weniger wichtige Frage, ob etwa nicht sämt- liche Teile des Herzens der Starre verfallen, ob wir es also mit einer „partiellen Starre‘ zu tun haben, oder ob wir vielleicht mit “einer gleichmäßigen, wenn auch nicht völlig ausgeprägten Starre des gesamten Organs, also einer „unvollständigen Starre‘ zu rechnen haben, scheint mir bisher noch nicht genügend geklärt zu sein. Dieses !) Th. Volkhardt, Über den Eintritt der Totenstarre am menschlichen Herzen. Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. 62, 473. 1916. 2) C.J. Rothberger, Über die postmortalen Formveränderungen des Herzens. Arch. f. d. ges. Physiol. 99, 385. 1903. A. Eckstein: Die Totenstarre des Herzens. 185 Problem, das für alle contractilen Elemente eines Organismus und damit überhaupt für das Wesen der Totenstarre an sich von prinzipieller Be- deutung ist, bedarf immer noch bis zu einem gewissen Grade neuer Unter- suchungen. Mit ihm steht in engem Zusammenhang die Frage nach dem Überleben der einzelnen Teile, wie sie sich in der ‚„‚postmortalen Erregbarkeit‘ spiegelt. Zur Lösung dieser Frage dürfte das Herz und namentlich das des Kaltblüters ein besonders günstiges Organ sein, da es unter Umständen noch lange automatisch schlägt und so den künstlichen (elektrischen) Reiz ersetzt; andererseits liefert es durch die Höhe seiner Kontraktionen unmittelbar vor dem Absterben, ent- sprechend dem ‚Alles- oder Nichts‘‘-Gesetz, einen Maßstab für die Vollkommenheit der postmortalen Kontraktion. Dazu kommt, daß gerade das Überleben des Herzens schon seit langem aufs genaueste beobachtet wurde. Nach den Untersuchungen Heubels!) sollen Froschherzen, die totenstarr waren, nach Durch- spülung mit Blut wieder pulsieren; danach wäre also nach der Toten- starre eine völlige Restitution noch möglich. Da die Untersuchungen nur auf Inspektion beruhen, so hat man m. E. dabe! keinerlei Anhaltspunkte für die Vollkommenheit der Totenstarre. In ähnlichem Sinne sprach auch Brown - Sequard?) den Skelettmuskeln die Eigenschaften der Contractilität während der Starre zu. Es ist ja nun unmöglich, daß ein maximal kontrahierter Muskel zu einer weiteren Kontraktion be- fähigt sein könnte. Nimmt man daher in diesem Falle eine Starre sämtlicher Muskelfibrillen an, so würde sich diese nur durch eine bis- her noch nicht bewiesene partielle Starre der einzelnen Fibrillen er- klären lassen. Auch Hermann?) hält die Ergebnisse Brown - Sequards nicht für überzeugend. Nach seiner Ansicht ist durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen, daß einzelne Muskeln in der Erstarrung hinter anderen zurückbleiben. Ebenso hat v. Frey*) in seiner „allgemeinen Physio- logie der quergestreiften Muskeln‘“ bei dem Kapitel der Totenstarre darauf hingewiesen, daß es denkbar ist, daß ein Teil der Fasern eines Muskels der Erstarrung überhaupt entgehen und noch Reizbarkeit zeigen zu einer Zeit, in der die übrigen bereits wieder aus der Starre herausgetreten sind. !) E. Heubel, Die Wiederbelebung des Herzens nach dem Eintritt vollkomme- ner Herzmuskelstarre. Arch. f. d. ges. Physiol. 45, 461. 1889. ?) M. Brown-Sequard, Des contractions et des elongations en apparence spontanees des muscles atteints de la rigidite cadaverique. Arch. de physiologie I, 675. 1889. ®2) Hermann, Die Totenstarre. Handbuch der Physiologie der Bewegungs- apparate. I. Teil. S. 140. Leipzig 1879. Verlag F. C. W. Vogel. *#) v. Frey, Allgemeine Physiologie, der quergestreiften Muskeln. Nagels Handbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 4. 8. 464. Braunschweig 1909. Verlag Vieweg & Sohn. 186 A. Eckstein: Die Annahme einer partiellen Starre läßt es auch als wahrschein- lich erscheinen, daß die Totenstarre unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt ausbleiben kann, bzw. daß sie so gering wird, daß sie mit den üblichen Methoden nicht mehr zur Beobachtung gelangt. Dieses Phä- nomen wurde von Nagel!) schon 1894 am Kaltblüter beobachtet, und zwar zeigte sich bis zum Eintritt der Fäulnis keinerlei Starre. Er machte dabei auf die individuellen größen Schwankungen, nament- lich auf den verschiedenen Verlauf der Starre zwischen Sommer- und Winterfröschen aufmerksam. Später hat dann Fletcher?) gezeigt, daß der ausgeschnittene Froschmuskel in einer reinen Sauerstoff- atmosphäre keinerlei Starre aufweist. Durch Sauerstoffzufuhr bzw. gesteigerte Oxydation, läßt sich also die Totenstarre verhindern. Winterstein?) kam einige Jahre später zu demselben Ergebnis. Im Zusammenhang damit steht vielleicht der namentlich von Patho- logen betonte Einfluß verschiedener Todesursachen auf den Zeitpunkt des Eintritts der Totenstarre und ihrer Intensität. [Rothberger®).] Mac William?) fand trotz des Einflusses der Todesart auf die Entwicklung der Starre keinerlei gesetzmäßige Zusammenhänge. Bei der Bedeutung des Zentralnervensystems auf den Verlauf der Toten- starre [v. Eiselsberg®), v. Gendre?), Bierfreund®), Nagel?°)] drängt sich die Frage auf, ob und wie weit die Starre des Herzens von dieser Seite beeinflußt würde. Eine Lösung dieser Frage schien mir aber mit den gegebenen Mitteln nicht möglich im Gegensatz zum Skelettmuskel, bei dem eine Durchschneidung des peripheren Nerven schon genügt, um die Einwirkung desselben aufzuheben. Vielleicht liegt in der engen Verknüpfung der nervösen und muskulösen Elemente des Herzens eine der Ursachen des verhältnismäßig frühen Einsetzens der Starre, obwohl auch noch andere Einflüsse (starke Tätigkeit bis zum Tode, gesteigerte Disposition der Einwirkung hämotogener Fak- toren) hierfür in Betracht zu ziehen sein werden. 1) Nagel, Experimentelle Untersuchungen über die Totenstarre bei Kalt- blütern. Arch. f. d. ges. Physiol. 58, 279. 1894. ®?) W. M. Fletcher, The relation of oxygen to the survival metabolism of muscle. Journ. of physiol. 28, 474. 1902. 3) Winterstein, Über die physiologische Natur der Totenstarre. Arch. f. d. ges. Physiol. 120, 236. 1907. 4) 1.c., 8.414. 5) Mac William, Rigor mortis in the heart and the state of the cardiac ca- vities after death. Journ. of physiol. %%, 336. 1901. 6) v. Eiselsberg, Zur Lehre von der Totenstarre. Arch. f. d. ges. Physiol. %4, 229. 1881. ® ”) v. Gendre, Über den Einfluß des Nervensystems auf die Totenstarre. Arch. f. d. ges. Physiol. 35, 195. 1885. 8) Bierfreund, Untersuchung über die Totenstarre. Arch. f. d. ges. Physiol. 43, 195. 1888. 9) Nagel, 1:c., 8.287. Die Totenstarre des Herzens. 187 Trotz der vielseitigen und z. T. grundlegenden Versuche über die Totenstarre des Herzens schienen mir doch noch Lücken auszufüllen zu sein, namentlich in bezug auf die Frage nach der Vollständigkeit derselben und ihr Verhältnis zur postmortalen Erregbarkeit. Dabei fanden sich im Laufe der Versuche noch einige weitere interessante Erscheinungen, die bis zu einem gewissen Grade ein neues Licht auf das Wesen der Totenstarre zu werfen versprechen. Versuehsanordnung. Als Versuchstiere wählte ich 50 R. esc. beiderlei Geschlechts, sowie einige Bufo. einer. Die Tiere, die sich stets in gutem Ernährungszustande befanden, ver- arbeitete ich z. T. unmittelbar nach ihrer Gefangensetzung, z. T. nach mehr- wöchentlichem Aufenthalt in einem gut gekühlten Keller. Meine Versuche er- streckten sich von Monat August bis November. Wesentlich Unterschiede in ihrem Verhalten konnte ich nicht beobachten. Daß mit individuellen Schwankungen zu rechnen war, konnte man nach den Erfahrungen der anderen Autoren erwarten. Was die Methodik anbelangt, so versprach ich mir von der namentlich von seiten der pathologischen Anatomen geübten Inspektion, Palpation, bzw. Mensu- ration, die in einigen Fällen durch Einstechen von Nadeln modifiziert wurden [Strassmann!), Naumann?), Volkhardt?°) u. a.] keinen Eriolg. Auch die manometrische Methode, wie sie von Meirowsky®*), dann in etwas vervollkomm- neter Weise von Mac William) namentlich aber von Rothberger®) verwendet wurde, war für meine Zwecke ungeeignet, da sie es nicht ermöglichte, gleichzeitig mehrere voneinander getrennte Teile des Herzens zu beobachten. Ebensowenig konnte ich daher auch auf die für andere Fragen sehr zweckmäßige Technik der plethysmographischen Methodik [(A. Mosso und L. Pagliani’), Rothberger®)] zurückgreifen. Es blieb mir daher gewissermaßen nur die Engelmannsche Suspensions- methode übrig. Das sofort nach der Dekapitation des Tieres herausgenommene Herz wurde noch schlagend auf einem Korkbrettchen mit zwei Nadeln in der A-V-Grenze festgeheftet. So konnte in bekannter Weise die Tätigkeit des Vorhots gesondert von derjenigen der Kammer registriert werden. Um die elektrische Erreg- barkeit des stillstehenden Herzens untersuchen zu können, verwandte ich statt der Nadeln ein Paar Nadelelektroden, die bis zur Spitze isoliert und mit einem Induktionsapparat verbunden waren. So konnte die Erregbarkeit zu belie- biger Zeit geprüft werden, ohne daß an dem Präparat selbst etwas verändert werden mußte. 1) Strassman, Die Totenstarre am Herzen. Vierteljahrsschr. f. gericht!. Med. u. öffentl. Sanitätswesen, N. F., 51. 1889 u. 3. F. 12. Suppl. 1896. ?2) E. Naumann, Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. Arch. f. d. ges. Physiol. 169, 517. 1917. 3) Volkhardt, 1. c., S. 478. *#) Meirowsky, Verlauf der Totenstarre an Muskelgruppen verschiedener Erregbarkeit. Arch. f. d. ges. Physiol. 78, 81. 1899. 5) Mac William, 1: c., S. 336. 6) Rothberger, 1. c., S. 392. ?) A. Mosso und L. Pagliani, Über die postmortalen Formveränderungen des Herzens. Arch. f. d. ges. Physiol. 101, 191. 1904. ®) Rothberger, C. Zur Frage der postmortalen Formveränderungen des Herzens. Arch. f. d. ges. Physiol. 103, 402. 1904. 188 A. Eckstein: Die primäre Spule des Induktoriums wurde von zwei Akkumulatoren gespeist. Zur Reizung verwandte ich stets etwas überschwellige Reize; bei Nichtbeantwortung der Reize wurde die sekundäre Rolle evtl. bis auf den Abstand 0 von der ersten Spule gebracht. Hatte ich dann immer noch keinen Erfolg, so betrachtete ich die elektrische Erregbarkeit als verschwunden. Die Präparate untersuchte ich in feuchter Kammer, in Ringerlösung und in 0,6% NaCl-Lösung. Das Kymographion, das mir zur Verfügung stand, war ein Baltıcı sches, das in 211/, Stunde eine Umdrehung vollendete. Von seinem regel- mäßigen Gange habe ich mich öfters durch Kontrollversuche überzeugt. Ergebnisse. I. Die primäre Dilatation. Betrachten wir die Tätigkeit eines sofort nach der Dekapitation aus dem Körper geschnittenen und in eine feuchte Kammer gebrachten Herzens, so finden wir eine gleichmäßige Abnahme der Hubhöhen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Ermüdungskurve zeigt und sich so allmählich, bei der Kammer meist innerhalb 1 Stunde, beim Vorhof etwas später der Nullinie nähert. In vielen Fällen (Abb. 1) zeigt sich dabei ein anfängliches Herabsinken des Nullpunktes, das von anderen Autoren [Brouardel!), Rothberger?)] als ‚primäre Dilatation‘“ bezeichnet wurde. Über das Zustandekommen dieser Erscheinung und die daraus etwa sich ergebenden Schlüsse gehen die Ansichten noch auseinander. Rothberger, der der „tonischen Kontraktion“ des Herzens eine große Bedeutung zuspricht und die nicht mehr schla- senden Herzen in ‚‚tonisch kontrahierte schlaffe‘‘ und ‚‚atonische schlaffe‘“ einteilt, spricht von der Elastizitätskontraktion, wobei er darunter die bei seinem manometrischen Verfahren zum Vorschein kommenden Unterschiede des elastischen Verhaltens beider Herz- arten versteht. Er unterscheidet sie von der ‚tonischen Kontraktion“ die bei Flüssigkeitsfüllung auch an atonischen Herzen beobachtet wird und bei der die Erhöhung des intrakardialen Druckes als Reiz auf die Herzmuskulatur wirkt. Wir haben hier also im Gegensatz zu der Elastizitätskontraktion mit einem vitalen Vorgang zurechnen. Danun aber die Erregbarkeit des Herzens allmählich abnimmt, so muß in dem- selben Maße auch die tonische Kontraktion verschwinden. Mit einer Ab- nahme der Intensität der Kontraktion ist aber verbunden eine Dehnung des Herzens durch das Gewicht der anfänglich gehobenen Wassersäule. Diese Dehnung, bezeichnet er als „primäre Dilatation“. ‚Sie be- weist, daß das Herz sich anders verhält, als irgendein elastischer Hohl- körper — und daß es sich hier wirklich um einen vitalen Vorgang han- delt.“ Ihre Größe hängt zusammen mit dem Grad der anfänglichen Kontraktion; sie fehlt bei Herzen, welche sich nicht kontrahiert hatten. !) Brouardel, Zit. nach Rothberger, |. c., S. 399. 2) Rothberger, 1. c., S. 399. Die Totenstarre des Herzens. 189 Nagel!) hat ebenfalls auf diesen Vorgang bei der Toten- starre der Extremitäten hingewiesen. Bei den großen individuellen Schwankungen ist sie nach seiner Ansicht nicht rein physikalisch zu erklären. Bei der Art seiner Versuche fällt eine dem intrakardialen Druck entsprechende Komponente von vornherein weg. Mosso und Pagliani2), die, wie schon erwähnt, herausgeschnittene Herzen plethys- mographisch registrierten, um so den Fehler des Überdrucks bei der manometrischen Methode auszuschalten, betrachteten Rothbergers primäre Dilatation als ein reines ‚„Kunsterzeugnis‘“, das nur durch den Überdruck entstanden sei. Aber auch sie beobachteten bei ihrer Technik in einzelnen Fällen eine Abnahme des Tonus. Rothberger!) hat nun als Entgegnung seine Versuche dahin er- gänzt, daß er eine Reihe von Herzen ebenfalls plethysmographisch, und zwar unter einem Druck von 0 mm registrierte und kam zu dem Er- gebnis, daß die primäre Dilatation einer (vitalen) postmortalen Form- veränderung des Herzens entspreche. M. E. hat er trotzdem sogar der rein physikalischen Komponente des Überdrucks eher noch eine zu große Bedeutung zugesprochen, da er auch in seiner 2. Arbeit die schon früher ausgesprochene Ansicht vertritt, daß ‚in der Leiche die primäre Dilatation ausbleibt“, da sie ja durch das Verhältnis des Überdrucks der gehobenen Wassersäule und der tonischen Kontraktion des Herzens bestimmt wird. Diese Ansicht ist auch in die moderne pathologisch- anatomische Literatur übergegangen, und so erinnert z. B. auch Volk- hardt in seiner eingangs erwähnten Arbeit?) an die Schwierigkeiten, die mit ihrer Beobachtung verknüpft sind, Er zitiert einen Satz Rothbergers: ‚Während. in meinen Versuchen die durch . die tonische Kontraktion des Herzens gehobene Wassersäule als Über- druck wirkte, welche eine Erweiterung der Herzhöhlen anstrebte, wird in der Leiche das durch die tonische Kontraktion entleerte Blut nicht in demselben Sinne wirken ; es wird daher in der Leiche die primäre Dilatation ausbleiben. Der durch den Herztonus bewirkte Kontrak- tionszustand, welcher in meinen Versuchen durch die primäre Dila- tation z. T. wieder rückgängig gemacht wurde, wird sich daher in der Leiche vollständig erhalten können.“ Der Kontraktionszustand wird ja aber nun gar nicht durch die primäre Dilatation aufgehoben, sondern vielmehr in eine solche verwandelt, und zwar durch Vorgänge, die den Herztonus in dieser Weise beeinflussen. Meine eigenen Versuche zeigten nun ein nur geringes mechanisches Moment, das in der Belastung durch die registrierenden Hebel lag. 2) Nagel, l.c., S. 198. ?) Mosso und Pagliani, 1. c., S. 195. ®2) Rothberger, Zur Frage der postmortalen Formveränderung. 1. c., S. 405. *) Volkhardt, 1. c., S. 476, Anmerkung. 190 A. Eckstein: Da meine Hebel sehr leicht und nicht lang waren, so werden wir das Zugmoment nicht sehr hoch veranschlagen dürfen. Aus meinen Kurven geht aber hervor, daß die primäre Dilatation schon am lebhaft schla - senden Herzen auftratt (Abb. 1), daß sie aber in einem gewissen Verhältnis zu der Abnahme der Hubhöhen stand. Wir werden also nicht fehlgehen, wenn wir sie in erster Linie als einen rein vitalen Vorgang betrachten, der in einem Sinken des Tonus der Herzmuskulatur begründet ist. Daher ist auch durchaus zu verstehen, daß in einer Reihe von Fällen die primäre Dilatation vollständig fehlte, obwohl die Herzen fast stets annähernd gleiche Größen zeigten und anderseits die Hebel selbst bei allen Versuchen dieselben blieben. Auch Vorhof und Kammer desselben Herzens wechselten in ihrem Verhalten, so daß ich z. T. nur primäre Dilatation des einen bzw. des anderen beobachten konnte. Um nun diese Frage weiter zu untersuchen, habe ich bei 10 Herzen isolierte Kammerstreifen beobachtet, und zwar benutzte ich dazu je zwei nebeneinanderliesende 2mm breite Streifen der vorderen bzw. hinteren Wand der Kammer zwischen Herzspitze und Beginn des Bulbus aortae. Die Stücke, die annähernd gleich lang waren, zeigten folgendes Verhalten: Unter den 20 Streifen zeigte sich: 6 mal primäre Dilatation beider Streifen, dabei 1 mal beide nur schwach, 3 mal beide verschieden stark; 3 mal keine primäre Dilatation des vorderen Streifen bei pr: Dil. des hinteren Streifen; 1 mal keine primäre Dilatation des hinteren Streifen bei pr. Di!. des vorderen Streifen. Abb. 2 zeigt einen derartige? Ver- such, bei dem der vordere Kammerstreifen eine sich über Y,h hin- ziehende pr. Dilatation zeigt, während der hintere Streifen keine Dila- tation und bald beginnende Starre aufweist. Wir sehen hierbei, daß der Tonus zweier in engster Nachbarschaft stehender Muskelstreifen ein verschiedener sein kann! Ich habe später auch einige Versuche am Säugetierherzen (Meer- schweinchen, Hund, Katze und Kaninchen) ausgeführt und kam zu den- selben Ergebnissen. So hatte ich z. B. bei der Registrierung der Starre der Papillarmuskeln vom Meerschweinchen je 1 P. M. der rechten VE Abb. 1. hinterer Streifen vorderer Streifen Abb. 2. Die Totenstarre des Herzens. 191 Kammer und 2 der linken Kammer benutzt, wobei ich den dickeren P.M. der linken Kammer noch halbierte. Ich fand dabei die pr. Dil. PeMRlS Ta Ib II usb. Mer: Vers. 52 + = u- —_ 1.1.98 Ti IF Sr = 04 L = a Nr 0 + (gering) — = .— 56 + ae AL + Da wir auch hier m. E. die Unterschiede nur durch örtliche Ver- schiedenheiten des Muskeltonus erklären können, so glaube ich mich zu der Annahme berechtigt, daß die primäre Dilatation im wesent- lichen eine Funktion des Muskeltonus, also ein vitaler Vorgang ist. Wir sind daher nicht berechtigt, die primäre Dila- tation am menschlichen Herzen von vornherein abzulehnen, vielmehr glaube ich, daß eine solche in Analogie zu meinen Ergebnissen anzu- nehmen ist. Die Ermittlung derselben wird auf Schwierigkeiten stoßen, da sie fast stets in der Agone bzw. unmittelbar nach dem Tode einsetzt, eine Autopsie zu dieser Zeit aber noch nicht möglich sein wird. II. Der Ablauf der Starre. Hat das Froschherz seine regelmäßige automatische Tätigkeit ein- gestellt, so folgt meist eine sich durchschnittlich auf etwa 2 Stunden erstreckende Pause, die manchmal durch kurzdauernde automatische Perioden unterbrochen wird. Sodann beginnt in den meisten Fällen bei Zimmertemperatur die Starre. Ich möchte dabei im wesentlichen 2 Hauptformen unterscheiden, die aber auch teilweise miteinander kombiniert sein können. Nämlich eine konti- nuierliche Starre, die fast ohne Unterbrechung und mit wechselnder Stärke von der Nullinie asymptotisch ansteigt und ebenso ihr Plateau erreicht. Abb. 3 und 4 sind Beispiele dafür, und Y zwar zeigt Abb. 3 einen an a sehr steilen Anstieg, der bis nahe an das Maximum der Contractilität reicht und diese auch einige Stunden später erreicht. Abb. 4 bietet als Gegensatz hierzu das Bild eines sehr flachen Anstiegs und einer nur sehr unvollkommenen Totenstarre, namentlich im Verhältnis zu der anfäng- lichen Kontraktionshöhe. Dieser kontinuierlichen Starre möchte ich eine andere Form, nämlich die des „treppenförmigen Anstiegs der 192 A. Eckstein: a Starre‘ entgegenstellen, die ebenfalls häufig beobachtet werden kann. Wir sehen z. B. in Abb. 5, wie sich von einem bestimmten Zeitpunkt an eine Reihe von Kontraktionen, später auch an einzelne Kontraktio- nen ein „Kontraktionsrückstand‘“ bildet, der auf diese Weise das Bild der Treppe hervorruft. Beiden Formen dürfte gemeinsam sein, daß die Starre nicht gleichzeitig alle Muskelfasern des Organs ergreift. Die treppenförmige Form der Starre zeichnet sich m. E. nun aber ferner dadurch aus, daß gewissermaßen in explosiver Weise einzelne Muskel- bündel gleichzeitig von der Starre befallen werden. Schon Nagel!) spricht bei der Extremitätenstarre von dem ‚treppenförmigen Absatz der ansteigenden Kurven als Ausdruck sukzessiver Zusammenzie- hungen einzelner ungleichzeitig absterbender Muskelfaserbündel.‘ Es drängt sich hier der Vergleich mit dem Alternans des Herzens auf, Abb. 4. 65 der ja auch seit den Untersuchungen von Trendelenburg?) durch das Auftreten von ‚„Partialkontraktionen‘‘ erklärt wird. Andererseits wird man sich darüber klar sein müssen, daß diese Ähnlichkeit nur eine bedingte sein wird, da ja die Ursache für das Zustandekommen der Kontraktion in beiden Fällen eine verschiedene ist. Von besonderem Interesse erscheint ferner der Gedanke, daß der Muskel in einem bestimmten Augenblick zwar noch das Vermögen besitzt, sich zu kontrahieren, dagegen nicht mehr die Kontraktion rückgängig zu machen. Nun wissen wir ja, daß bei der Kontrak- tion Milchsäure gebildet wird; eine etwaige plötzliche Vermehrung der Konzentration des Säuregehaltes einzelner Muskelbündel wird mit unseren heutigen Anschauungen von der Entstehung der Totenstarre 1) Nagel, 1. c., S. 298. “ ?2) W. Trendelenburg, Über den Wegfall der kompensatorischen Ruhe am spontan schlagenden Froschherzen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1903, S. 298. Die Totenstarre des Herzens. 193 [Fleteher!), Fürth und Lenk?), Embden?), Herzfeld und Klinger*)] durchaus im Einklang stehen. Die Kontraktion bildet also in diesem Falle den unmittelbaren Anstoß zur Erstarrung der Fibrillen. Ich möchte nun die Aufmerksam- keit auf die Frage lenken, ob und wie weit die Starre der einzelnen Herz- teile eine zeitlich und ihrer Stärke nach eine verschiedene ist. Die Art meiner Registrierung ließ eine Lösung dieser Frage bis zu einem gewissen Grade erwarten. Unter 33 Versuchen, bei denen, wie schon beschrieben, Vorhof und Kammer gesondert registriert wurden, erhielt ich folgende Ergebnisse: sh x. frische Ringerlösung. Totenstarre von Vorhof und Kam- mer gleichzeitig. . . . . . : 14mal Totenstarre der Kammer vor der dessVorhotse m 2 “ Totenstarre des Vorhofs vor der Kammer et ale; ” Totenstarre der Kammer ohne S solcherdes Vorhofs. .......19,: en Ferner in 3 Fällen weder Sta re der Kammer noch des Vorhofs. Der Eintritt der. Starre der ver- schiedenen Herzteile zeigt also zeit- liche und örtliche Schwankungen. Betrachten wir das Herz als einheit- liches Organ, so können wir von einer totalen und partiellen Starre sprechen, die in einigen Fällen sogar völlig fehlen kann. Es war nun jedenfalls von Wichtig- 1) Fletcher, The survival respiration of muscle. Journ. of physiol. 23, 10. 1898/99. ®2) Fürth und Lenk, Die Bedeutung von Quellungs- und Entquellungsvorgängen ‚usw. Biochem. Zeitschr. 33, 342. 1911. 3) Embden, Über den Chemismus der Säurebildung bei der Muskeltätigkeit. Zentralbl. f. Physiol. 23, 738. 1914. *) Herzfeld und Klinger, Die Muskelkontraktion. Biochem. Zeitschr. 94, ER 1 2u022,8° 12 1919, Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd 181. 13 194 A. Eckstein: keit, festzustellen, wie weit diesbezügliche Schwankungen innerhalb eines Herzteiles auftreten, um den Fehler der Größen- und Dicken- unterschiede der Wände des Vorhofs bzw. Kammer auszuschalten. In der im vorhergehenden Abschnitte beschriebenen Weise habe ich daher nebeneinanderliegende schmale Kammerstreifen des Froschherzens bzw. Papillarmuskeln von Meerschweinchen registriert, ferner einige andere kleine Muskelproben des Herzens eines Meerschweinchens, eines Kaninchens, eines Hundes und die Papillarmuskeln einer Katze. Leider standen mir augenblicklich nicht mehr Säugetierherzen zur Verfügung, doch glaube ich, daß das Übereinstimmen mit den übrigen Ergeb- nissen zu weiteren Schlüssen berechtigt. R. esc. f. K. Starre bei Streifen Zimmertemperatur Versuch a b Grad | 40 + r 14 41 — — 14 43 a 16 43 I en 16 44 | — — 16 45 — — 16 46 — Sr | 15 47 | in = 15 48 IE 15 49 I 15 50 | — — 15 Bil _ — 14 Meerschweinchen, Tod R F durch Soden re | = nr ee I II 350 | ae. 15 III 400 e | = 15 | (stark) (stark) IV 400 - 16 V 3508 = E= 16 V1390g | 17 Versuch | Muskelstreifen aus en ZEN ERERS ZRH E Ä Ri Grad Meerschw. I, 2608 | R.K. BER RN EV: 15 Urethan, Ringerl. + + == = | Kaninchen 400g. | L.K. E.K. Pap: M.1.% Pap. Mor. | 16 Uretham e KR. . | u — — an Hund:60000° ... | Rik LK: R.V: L.V. 15 Morph. mur. £. K.! + -- En _ (stark) (stark) Katze 2400 & R.Pap.M.a: R.Pap.M.b. L. Pap. M.a. L.Pap.M.b., 16 Chloroform, Äther, ee: = = Sn | (stark) Die Totenstarre des Herzens. 195 Die Versuche erstreckten sich, mit Ausnahme vom Meerschwein- chen III, auf eine Zeit von 19—26 Stunden post exitum; bei M. III betrug die Beobachtungszeit nur 17 Stunden. Die Ergebnisse berech- tigen, glaube ich, zu dem Schlusse, daß auch bei benachbarten Faser- bündeln die Starre nicht immer und nicht gleichmäßig aufzutreten pflegt, daß vielmehr in einzelnen Fällen ein Teil derselben nicht starr wird. Die Totenstarre des Herzens ist daher häufig nur eine partielle. Naumann!) hat, mit Rücksicht auf die Quellungstheorie un- mittelbar nach dem Tode des Tieres (Säugetiere), gleich schwere Stück- chen aus der Muskulatur des Herzens, Zwerchfells, Masseter und Ex- tremitäten geschnitten, wog dieselben und legte sie in 0,9proz. NaCl- Lösung. Nach gewissen Zeitabschnitten wurden sie abgetrocknet und gewogen. Die Gewichtzunahme infolge der Wasseraufnahme wurde dann bestimmt und in Prozente umgerechnet. Da nun die Totenstarre des Herzens schon verhältnismäßig früh einsetzt, so erwartete er auch einen entsprechenden Anstieg der Gewichtskurve. Nach seinen Unter- suchungen ergab aber der Quellungsversuch am Herzmuskel ‚‚eine ganz eigentümliche Kurve‘, da sie in den ersten Stunden die geringste Elevation gegenüber den anderen Kurven zeigte. Aus den zwei der Arbeit beigegebenen Versuchsprotokollen geht hervor, daß bei einem Herzen (Hund) nach 17 Stunden eine Gewichtszunahme von 16,6%, bei einem Herzen (Katze) nach 10 Stunden eine Gewichtszunahme von nur 7,7% beobachtet werden konnte, während die übrige Muskulatur das eine Mal eine solche von: 23,6—53,5%, das andere Mal von 37,7—50,4%, aufwies. Er ist geneigt, diese Sonderstellung des Herzens auf seinen abweichenden histologischen Bau zurückzuführen. Nach meiner Ansicht dürfte es sich dabei eher um die verschiedene Disposition der einzelnen Stückchen des Herzens zur Starre handeln, wie sie aus meinen Versuchen einwandsfrei zu ersehen ist. Ich halte daher die Naumannsche Versuchstechnik für ungeeignet, diese Frage zu lösen. ; Um zu untersuchen, wie weit das den Muskel umgebende Medium die Starre beeinflußt, stellte ich 12 Versuche in feuchter Kammer, 12 Versuche in Ringerlösung, 5 Versuche in alter 0,6proz. NaCl-Lösung, 6 Versuche in frischer 0,6 proz. NaCI-Lösung an. Ich konnte dabei keiner- lei typische Einwirkung feststellen. In allen Fällen erhielt ich Starre geringeren bzw. stärkeren Grades. Es mag mir erlaubt sein, an dieser Stelle auch noch gleich die Frage der Lösung der Starre zu streifen. In sämtlichen neueren Arbeiten, aber auch schon von Hermann?), wird die Unabhängigkeit dieses 2). Naumann l.e., S. 527. 2) Hermann, |. c., S. 140. .13* 196 A. Eckstein: Vorgangs von der Fäulnis betont. Ich hatte auch bei meinen Versuchen keinen Anlaß, diese Beobachtungen anzuzweifeln. Da ich mir also von dieser Seite des Problems nur in Bezug auf die Automatie bzw. Erregbar- keit etwaige neue Gesichtspunkte versprach, so werde ich meine dies- bezüglichen Erfahrungen in dem betr. Abschnitt mitteilen. Es mag hier nur noch erwähnt sein, daß die hinsichtlich des Eintritts der Starre geschilderten individuellen und lokalen Schwankungen sich auch unabhängig von diesen bei der Lösung derselben zeigten. Die früheste Lösung der Starre, die Rothbergers!) ‚„sekundärer Dilatation‘“ ent- spricht, habe ich am Kaltblüterherzen nach 9 Stunden beobachtet. (Vers. 12 R.esc. 2, 9. 8. 19. f.K. Z. T. 19°).. In einem Fall (Vers. 34, R. esc. 5, 9. 10. 19. Z. T. 14° Ringerlösung) trat sie nach 82 Stunden noch nicht auf. Diese Zahlen bieten nichts prinzipiell Neues, weisen vielmehr nur auf die großen Schwankungen hin, denen dieser Prozeß unterworfen ist. III. Die Erregbarkeit während der Starre. Die Beobachtung am überlebenden Herzen, die seit einer Reihe von Jahren von den verschiedensten Gesichtspunkten aus gemacht wurden, mußten den Gedanken einer Beeinflussung der Totenstarre, in erster Linie durch die Durchspülungsflüssigkeiten, nahelegen, die sich in einer patiellen bzw. totalen Verdrängung derselben äußern würde. Ein total totenstarres Herz wäre ja nicht in der Lage, noch stunden- und tagelang automatisch zu schlagen. Eine weitere Komplikation erhielt dieses Problem aber noch durch das Wiederbeleben von Herzen, die längere Zeit völlig stillgestanden hatten. In erster Linie ist hier abgesehen von den eingangs erwähnten Untersuchungen Heubels, der grundlegenden Versuche Kuliabkos?2) zu gedenken. Es gelang ihm, Kaninchenherzen, die 24—44 Stunden bei vollständigem Stillstehen im Eisschrank gelegen hatten, durch Durchleitung körperwarmer Loc kescher Flüssigkeit wieder zum Schlagen zu bringen. In einer weiteren Arbeit?) berichtet er darüber, daß er Pulsation an einzelnen Teilen des Warmblüterherzens noch nach 5tägiger Pause erzielen konnte, in einem Falle, bei einem Kaninchen, sogar noch 7 Tage nach dem natürlichen Tode. Er dehnte seine Untersuchungen auf menschliche Herzen aus, die bei Autopsien ihm zur Verfügung gestellt wurden, hatte aber an- fänglich nicht den gewünschten Erfolg. Er machte dafür, m. E. nach mit Recht, die inzwischen eingetretene Totenstarre verantwortlich. 1) Rothberger, Über die postmortalen Formveränderungen, 1. c., S. 410. 2) A. Kuliabko, Studien über die Wiederbelebung des Herzens. Arch. f. d. ges. Physiol. 90, 461. 1902. ®) Derselbe, Weitere Studien über die Wiederbelebung des Herzens. Arch. f. d. ges. Physiol. 9%, 539. 1903. Die Totenstarre des Herzens. 197 Bei einem weiteren Versuche (dreimonatiges Kind, das an Pneumonia duplex gestorben war, und das einen Tag später zur Sektion kam), war das Herz ganz weich. Nach Durchspülung mit 39° C warmer Lockescher Flüssigkeit fing das Herz wieder an, über eine Stunde lang regelmäßig zu schlagen. Bei einem menschlichen Herzen, das nun aber ausgesprochene Totenstarre des Ventrikel zeigte, wurden auf diese Weise noch 21 Stunden p. mortem Kontraktionen des Herzohrs (!) hervor- gerufen. Er ist daher der Ansicht, daß ‚‚zweifellos die Art der Krankheit die den Tod bewirkte, auf das Erhalten der Lebensfähigkeit eines Herzens einen großen Einfluß haben muß, indem sie auch die Zeit des Auf- tretens der Muskelstarre beeinflußt.‘ (S. 559.) Trotzdem kommt er aber zu dem Schlusse, ‚daß die Leichenstarre durchaus nicht als ein absolutes Hindernis für die Restitution der automatischen Tätigkeit eines Warmblüterherzens angesehen werden kann.” (S. 561.) Er konnte nämlich an einigen Herzen, die vor Anfang der durch künst- lichen Reiz ausgelösten Kontraktion schon kontrahiert waren, eine volle Restitution aller Herzteile erhalten. Über die Intensität der Kontrak- tionen macht er aber keine Angaben und so glaube ich, daß der vorhin schon erwähnte Einwand, daß wir es dabei nur mit einer partiellen Kontraktion zu tun haben, auch hier zu Recht besteht. Kuliabko stützt seine Behauptung auf die Ergebnisse Heubels!) am Frosch- herzen und Mangolds?) am Skelettmuskel. Mangold hat aber damals auch schon die Schwierigkeit dieses Problems betont, denn nach ihm können ‚‚völlig totenstarre Muskeln wieder bis zu einem gewissen Grade?) erregbar gemacht werden.‘ Er hat sich also durchaus nicht auf den Standpunkt gestellt, daß .die beobachtete Totenstarre stets eine totale war. So wies er z. B. auch darauf hin, daß die elektrische Erregbarkeit während der in NaCl-Lösung eintretenden Totenstarre nicht zu verschwinden braucht. 4 Jahre später hat dann auch Winter - stein®) auf Grund seiner Versuche sich zu der Ansicht bekannt, daß die eingetretene Totenstarre nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, daß ein starrer Muskel nicht mehr erregbar ist. Hering?) hat später die Versuche Kuliabkos erweitert und bestätigt. Zur Beobachtung der Erregbarkeit des Herzens während der Toten- starre stehen uns zweierlei Möglichkeiten zur Verfügung, einmal die namentlich beim Kaltblüter manchmal noch lange dauernde, meist 1) Heubel, 1. c., S. 568. ?) E. Mangold, Die postmortale Erregbarkeit quergestreifter Warmblüter- muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. 96, 498. 1903. 3) In der Originalarbeit nicht gesperrt gedruckt. *) Winterstein, 1. c., S. 244. 5) H. E. Hering, Über die Wirksamkeit der Nerven auf das durch Ringer- sche Lösung sofort oder mehrere Stunden nach dem Tode wiederbelebte Säuge- tierherz. Areh. f. d. ges. Physiol. 99, 245. 1903. 198 N 52 A. Eckstein: x Automatie, Abb. 6. periodische Automatie, so- dann, wie bei allen contrac- tilen Elementen, die durch einen elektrischen Reiz aus- gelöste Kontraktion. Nun wird man ja zweifellos mit der Hebelregistrierung nicht in der Lage sein, den geringsten Grad der Erreg- barkeit zu prüfen, die wir etwa bei der Registrierung des Aktionsstromes noch beobachten können. Ist man doch auch heute noch davon überzeust, daß Aktionsstrom und Kon- traktion im Muskel zwei voneinander trennbare Vor- gänge seien, wobei der erstere unlösbar mit der Erregung verknüpft ist. Auch die neueren Unter- suchungen Einthoven und Rademakers!) ha- ben trotz der interessanten Klärung des ,Gaskell Kffekts“ diese Hypothese bis heute meines Wissens noch nicht für alle Vor- gänge in den verschiede- nen contractilen Organen stürzen können. Trotzdem versprach ich mir von der in vielen Beziehungen schwierigeren elektrokar- diographischen Registrie- rung | gegenüber meiner Technik keine großen Vor- !)EinthovenundRade- maker, Über die angebliche Stromschwankung in der Schildkrötenvorkammer usw. Arch. f. d. ges. Physiol. 166, 109. 1917. Die Totenstarre des Herzens. 199 teile, zumal hier in erster Linie das Problem der Contractilität während bzw. nach der Totenstarre von Interesse erschien. Außer- dem war dabei zu bedenken, daß etwaige elektrische Schwan- kungen während der Starre weniger- durch eine Erregung, als viel- mehr durch unkontrollierbare celluläre Vorgänge, die durch die Starre selbst bedingt sind, hervorgerufen werden konnten. So habe ich mich auf die schon beschriebene Technik der Hebelregistrierung beschränkt. A. Automatie während der Starre. Namentlich bei der treppenförmigen Form des Starreanstiegs zeigen sich häufig einzelne Kontraktionen bzw. Kontraktionsperioden (vgl. Abb. 5). Wir finden bei diesem Versuch dieselbe Erscheinung während der Starreplateaus. Nach 16 Stunden wurde bei dem Prä- parat die alte Ringerlösung durch frische ersetzt, und wir sehen unmittel- bar daran sich anschließend erhebliche Zunahme und Steigerung der automatischen Kontraktionen, wobei ich als besonders wichtig be- tonen möchte, daß ihre Basis durch das Plateau gebildet wird, das sogar noch eine geringe Erhöhung zeigt. In weiteren Versuchen habe ich durch öfteres Wechseln der Ringerlösung Automatie nach 65 Stunden beobachten können (Vers. 34, R. esc. &, Z. T. 14°). Wir haben hier also trotz Erhaltung der Starre eine recht erhebliche ‚‚postmortale Erregbarkeit‘‘. In einem Fall (Abb. 6, Vers. 18, R. esc. 5, 17. 8. 19. Ringerlösung Z. T. 18°) finden wir sogar eine lebhafte Kammer- automatie im Stadium der Lösung der Starre auftreten. In.der (für die Reproduktion gekürzten) Kurve trat sie 18!/, Stunden post exitum auf. In einigen dieser Fälle erreicht die sich auf die Starre aufbauende Kontraktion annähernd die Höhe der ursprünglichen Kontraktion (s. Abb. 5), wobei sie durch die Starre selbst ergänzt wird. Diese Erscheinung läßt die Annahme begründet erscheinen, daß die noch erregbaren Teile des Herzens von der Starre noch nicht ergriffen sind. Die Prüfung der elektrischen Erregbar- keit wird uns einen neuen Gesichtspunkt dafür geben. Daß die Automatie zwischen Vorhof und Kammer in den meisten Versuchen eine verschie- dene ist, wird durch die schon öfters erwähnten relativen Differenzen des Zustandes der einzelnen Herzteile sich ohne Schwierigkeiten er- klären lassen. So hat sich z. B. die Automatie des Vorhofs in dem be- schriebenen Versuch 34 nur auf 57 Stunden erstreckt. Gesetzmäßige Zusammenhänge lassen sich dabei nicht finden. Ein ähnliches Verhalten zeigt auch Abb. 6, bei der wir eine periodische Automatie des Vorhofs ohne solche der Kammer, bzw. umgekehrte Verhältnisse finden. Erwähnt mag hier noch werden, daß ich auch bei den schon beschrie- benen Kammerstreifen in einigen Fällen stärkere und sich über mehrere 200 A. Eckstein: Stunden erstreckende automatische Kontraktionen beobachten konnte, namentlich nach Zusatz frischer Ringerlösung. B. Die elektrische Erregbarkeit während der Starre. Da mit dem Erlöschen der Automatie nicht ohne weiteres auch mit dem Verschwinden der Erregbarkeit zu rechnen ist, so mußten wir in dem künstlichen elektrischen Reize ein Mittel finden, die Frage der postmortalen Erregbarkeit einer erneuten Prüfung zu unterziehen. In allen Fällen hat die auf diese Weise geprüfte Erregbarkeit die Auto- matie überdauert. Ich fand nun bei der Anwendung elektrischer Reize eine bemerkens- werte Verschiedenheit der Reaktion. Reizte ich in einigen Fällen das stillstehende Herz während der Starre mit mehreren Reizen, etwa im Abstand !/,”, so erhielt ich Kontraktionen, die wieder ihre Basis er- reichten. Es ist dies ja eine Beobachtung, die schon lange von den Ver- suchen am stillgestellten Herzen her bekannt’ist. Als ein neues Moment ist dabei nur zu beachten, daß diese rresban- keit auch während der Starre, und zwar entsprechend dem im Ab- schnitt A. beschriebenen Verhalten, auch auf dem Plateau der Starre zu beobachten ist. Die Starre kann also auch hier keine vollständige sein. Auch während der Lösung der Starre ist die Erregbarkeit noch in einzelnen Fällen vorhanden, so z. B. in dem schon beschriebenen Versuche 18, bei Vorhof und Kammer noch 28 Stunden post exitum und 91/, Stunden nach Beginn der Lösung. Was das Verhältnis von Vorhof und Kammer anbelangt, so treffen hier dieselben Voraussetzungen zu, wie bei natürlicher Automatie. (Abschnitt A.) Wichtig scheint mir, daß in Fällen starker und schnell .einsetzender Starre die elektrische Erregbarkeit schon sehr früh verloren geht. Aber auch bei schwacher Starre finden wir unter Umständen nur kurz dauernde Erregbarkeit. Eine feste Beziehung der Erregbarkeit zur Starre läßt sich nicht ohne weiteres konstruieren, höchstens insofern, als in der Mehrzahl der Fälle die Erregbarkeit bei starker Starre kürzer zu dauern scheint, als in den meisten Fällen mittlere bzw. schwacher Starre. Daß die Erregbarkeit des Herzens, die in unmittelbarer Bezie- hung zu seiner refraktären Phase steht, leicht beträchtlichen Schwan- kungen unterliegt, ist ja auch hinlänglich bekannt. Ein Herz aber, dessen Erregbarkeit einmal, z. B. während der Starre, ver- schwunden ist, zeigt diese auch später nicht mehr, etwa. im Stadium der Lösung. Von weiterem Interesse scheint mir folgende Beobachtung zu sein. In einer Reihe von Fällen löst sich die Einzelkontraktion nicht mehr, Die Totenstarre des Herzens. 201 wir erhalten einen Kontraktionsrückstand, wie ich ihn schon bei der treppenförmigen Form des Starreanstiegs beschrieben habe. Abb. 7 (Vers. 14, Buf. ciner. 9, 12. 8. 19., Z. T. 19°) zeigt, wie etwa nach 1Y/, Stunden die Kammerautomatie aufhört. Elektr. Reizung nach weiteren 3/, Stunden bzw. 2 Stunden ergibt Kontraktionen, die wieder auf die Nullinie herabsinken. Nach einer weiteren Stunde sehen wir plötzlich anschließend an 2 Reize, einen partiellen Kontraktions- rückstand auftreten. Bei den nun folgenden Reizen beobachten wir jedesmal eine Wiederholung dieser Erscheinungen, an die stets nur eine geringe Starre anschließt. Man kann also von einem bestimmten Zeit- punkt an, in dem das Herz eine partielle „Starrebereitschaft‘“ zeigt, durch elektrische Reize die Starre hervorrufen. Diese Starre- bereitschaft wird wahrscheinlich gewisse Beziehungen zu demAuftreten einerSäurevorstufe, desLactacidogens (Emb- | \ N Abb. 7. + elektr. Reiz. Ih 1h 2h den!) haben, und es ist nicht von der Hand zu weisen, daß wir auf diese Weise vielleichtin der Lage sind, uns ein Bild jenes Zustandes zu machen. Er wäre nun noch zu untersuchen, welche Rolle der elektrische Reiz dabei spielt, ob er etwa als Katalysator zu denken ist. Ist doch der Einfluß der Faradisation auf das frühzeitige Eintreten der Totenstarre auch schon von Rothberger?) betont worden. In Analogie zu der spontan entstehenden treppenförmigen Form des Starreanstiegs (vgl. Abb. 5) glaube ich annehmen zu müssen, daß das Wesentliche dabei die durch den elektrischen Reiz ausgelöste Kontraktion ist, da sich an diese, wie schon beschrieben, die Bildung von Milchsäure heftet. Die Bedeutung derselben für die Entstehung der Starre habe ich ebenfalls schon erwähnt. Den Grad des Starreanstiegs kann man in einzelnen Fällen ebenfalls willkürlich steigern, wie Abb. 8 (Vers. 4, Buf. ciner, @ 5. 8.19. £.K. Z. Z. 19°) zeigt. Wir sehen dort bei größerer Trommelgeschwindigkeit, daß Vorhof und Kammer nach einer sich über mehrere Minuten erstrek- 2) Embden, 1. c., S. 738. 2) Rothberger, ]. c., S. 406. 202 A. Eckstein: kenden elektrischen Reizung schon einen erheblichen Grad der Starre zeigen. Weitere gruppenweise Reize verursachen immer noch eine Steigerung der Starre. Der Vorhof löst nach jeder Reizgruppe noch eine stärkere Lösung der Kontraktionen erkennen, doch bleibt auch hier ein gewisser Kontraktionsrückstand übrig. In stärkerem Maße zeigt sich dieser Kontraktionsrückstand bei der Kammer. Abb. 9 (derselbe Ver- such, langsame 'Trommelgeschwindigkeit) zeigt uns nun den Grad der durch die Reizung erzielten Starre, wobei sich die Zeit der Reizungen mit Unterbrechungen auf 7’40’ belief. Man ist erstaunt, wie schnell und intensiv man den Eintritt der Starre auf diese Weise erzielen kann; dabei bleibt die einmal entstandene Starre bis zu ihrer nach mehreren Stunden auftretenden Lösung weiter bestehen. Reize Vorhof Null-Linie des Vorhofs Kammer Null-Linie der Kammer # \ Abb. 8. Ich glaube zu der Annahme berechtigt zu sein, daß wir hier eine scharfe Trennung der mit der Kontraktion einhergehenden Vorgängeim Muskel vor unshaben. DieEigenschaft, dieKontraktion wieder rück- gängigzu machen, wird füreine bestimmte Zeit, nämlich bis zu der Lösung der Starre, verloren. Der Muskel hat also von einem bestimmten Augenblick an wohlnoch die Fähigkeit, sich zu kontra- hieren, dagegen nicht mehr, diesen Zustand rückgängig zu machen. Ob wir diese Verhältnisse auch auf den Skelettmuskel übertragen dürfen, muß dahingestellt bleiben. Daß die Starrebereitschaft von Vorhof und Kammer eine verschie- dene sein kann, wird nach den bereits in den früheren Abschnitten erwähnten individuellen Schwankungen zu erwarten sein. Wir sehen z. B. Abb. 10 (Vers. 24, R.esc, 6 3. 10..19., 0,6% NaCl Z. T. 15°) nach 2 Stunden Starrebereitschaft des Vorhofs, der bei elektrischer Reizung augenblicklich in Starre übergeht, während die gleichzeitig und gleich stark gereizte Kammer erst nach weiteren 21/, Stunden und dann spontan Die Totenstarre des Herzens. 203 mit der Starre beginnt. Umgekehrt sehen wir in Abb. 11 (Vers. 27, R. esc. 9, 4. 10. 19. 0,6%, NaCl Z. T. 15°) nach 2!/, Stunden auf elek- trische Reizung hin partielle Starre der Kammer auftreten, dienach einer weiteren /, Stun- de spontan zunimmt, während y. der Vorhof während des gan- zen Versuchs keine Starre zeigt. Es gibt außerdem auch Fälle, in denen Vorhof und Kammer weder auf elektri- „ schen Reiz, noch spontan innerhalb 24 Stunden irgend- welche Starre zeigen, in denen also beide keine Starrebereit- schaft zeigen. Auch diese Versuche auf das Säugetierherz auszudehnen, war mir leider bei dem augenblicklichen Tiermangel nicht möglich. Bei einem Abb. 9. x 41/,’ elektr. Reiz. (Vgl. Abb. S. Y 1h 32h Abb. 10. x elektr. Reiz. Hundeherzen erhielt ich in derselben Weise durch elektrische Reizung Steigerung der Starre. Ich glaube daher, daß wir bei der prinzipiellen Ähnlichkeit ohne weiteres die Ergebnisse dieser Versuche auch auf das Säugetierherz übertragen dürfen. . 204 A. Eckstein: Zusammenfassung. Die Untersuchungen am Kaltblüterherzen (R. esc. u. Bufo ciner.) wurden mit der Engelmannschen Suspensionsmethode ausgeführt. Die Tätigkeit des Vorhofs und der Kammer wurde jeweils gesondert registriert. In einzelnen Fällen wurden Kammerstreifen aus der vor- deren und hinteren Wand zwischen Herzspitze und dem Ansatz des Bulbus arter. beobachtet. Die Präparate befanden sich in der feuchten Abb. 11. x elektr. Reiz. Kammer, Ringerlösung, alter und frischer 0,6proz. NaCl-Lösung. Die Temperaturen schwankten zwischen 14° und 19°. In ähnlicher Weise wurden auch Herzmuskelstreifen einiger Säuge- tiere (6 Meerschweinchen, 1 Kaninchen, 1 Hund, 1 Katze) untersucht. Die primäre Dilatation des Herzensistein vitaler Vorgang, der am Kaltblüter- und Säugetierherz in gleicher Weise beobachtet werden kann. In einer Reihe von Fällen fehlt sie. Sie steht mit dem Tonus des Herzens in engem Zusammenhang. Benachbarte Muskel- streifen zeigen oft verschiedenes Verhalten. Der Anstieg der Starre zeigt zweierlei Formen. Eine kontinuier - liche, die asymptotisch von der Nullinie ansteigt und eine treppen- förmige, bei der anschließend an automatische Kontraktionen Kon- traktionsrückstände bleiben und so das Bild der Treppe erzeugen. Der Beginn der Starre zeigt zeitliche Differenzen in bezug auf die einzelnen Herzteile. Man wird daher zu der Annahme einer partiellen Die Totenstarre des Herzens. 205 Totenstarre geführt, die sich unter bestimmten Umständen in eine totale Starre umwandeln kann. In einigen Fällen fehlt die Starre völlig. Alle diese Erscheinungen können auch an benach- barten Muskelstreifen eines Herzteiles beobachtet werden. Automatie fand sich in einigen Versuchen während des An- stiegs, desPlateaus und der Lösung der Starre ‚ebenso konnten während dieser Phasen Kontraktionen durch elektrischen Reiz ausgelöst werden. Auch diese Erscheinung führt zu der Annahme einer par - tiellen Starre,, besonders in den Fällen, in denen sich: die Kontrak- tionen auf dem Starreplateau aufbauen. Von einem bestimmten Zeitpunkte an, der „Starrebereitschaft‘‘, kann durch automatische und elektrische Reize die Starre augenblicklich hervorgerufen werden. Der durch die Reize zu Kontraktionen angeregte Muskel verliert die Fähigkeit, sich wieder zu lösen. Der Vorgang dürfte durch die Bildung von Fleischmilchsäure während der Kontraktion zu erklären sein. Voraus- setzung hierfür ist das Vorhandensein einer Säurevorstufe, die eine Starrebereitschaft hervorruft. Die Starrebereitschaft von Vorhof und Kammer kann verschieden sein oder auch völlig fehlen. Im letz- teren Falle bleibt die Totenstarre aus. Die Untersuchungen schienen mir besonders deshalb ein weiteres Interesse beanspruchen zu dürfen, da sie mit den gleichzeitig im In- stitut von Hecht unter Mangolds Leitung am Kaltblütermagen ge- fundenen Ergebnissen weitgehende Übereinstimmung zeigen. Herrn Prof. Mangold möchte ich für das Interesse, das er meiner Arbeit entgegengebracht hat, auch an dieser Stelle herzlichst danken. Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. I. Mitteilung. Von Helene Friedmann. (Aus dem physiolog.-chem. Institut der Universität Budapest). (Eingegangen am 5. Februar 1920.) Die einander scheinbar widersprechenden Angaben der Autoren!), die sich mit obiger Frage beschäftigten, ließen es wünschenswert erschei- nen, diesen Widerspruch womöglich zu klären, anderseits auch, durch Variationen einiger Versuchsbedingungen einer künftigen Erklärung dieser Spontanbewegungen den Weg zu ebnen. Über die Einrichtung meiner Versuche kann ich mich kurz fassen, da sie sich im wesentlichen kaum von der der früheren Autoren unterschied. Ein Stativ, an dem ein größerer Ring befestigt war, wurde in ein größeres Wasserbad eingestellt; der Ring war mit Tuchstreifen umwickelt und diente zur Aufnahme eines ca. 200 ccm fassenden zylindrischen Glasgefäßes, das, durch den Ring hindurchgeschoben, bis zu ?/, seiner Höhe fest im Wasserbad stak. (Dieses wurde mit Hilfe eines Hg-Toluol-Regulators beinahe konstant bei 39° C erhalten.) In das Lumen des Glasgefäßes ragte ein von dessen Boden her ein- geschmolzener Glashaken etwa 2 cm hoch empor. Längs der Innenwand des Zylin- ders führten zwei Glasröhren zum Boden; die eine diente zur Einführung von O,, durch den die Speiseflüssigkeit durchströmt werden sollte, durch die andere sollte es ermöglicht werden, die Speiseflüssigkeit im Verlaufe eines Versuches abzuheben und durch eine andere zu ersetzen. An demselben Stativ, das den Ring zur Aufnahme des Zylindergefäßes trug, war ein — durch ein Schraubengewinde vertikal verstellbarer — zweiarmiger Hebel so. angebracht, daß dessen Drehpunkt in einer Höhe von einigen Zentimeter über die Mündung des Zylindergefäßes zu stehen kam. An dem einen Arm des Hebels zog der zu untersuchende Arterienstreifen, am anderen die Schale, in die behufs’ Dehnung der Arterie Gewichte eingelegt wurden. Das Ende dieses Hebelarmes trug den Schreiber, an dem die berußte Papierfläche eines Kymographions vor- überstrich. Als Speiseflüssigkeit, dessen Temperatur konstant um etwa 0,5° C unter der des Wasserbades blieb, wurde Ringersche Lösung verwendet von der Zusammen- setzung: 9,0g NaCl, 0,24 g CaCl , 0,30g NaHCO, ,0,42g KCl auf 1L Wasser. 1) OÖ. B. Meyer, Über rhythmische Spontankontraktionen von Arterien. Zeitschr. f. Biol. 64, 275. 1913. — Hermann Full, Versuche über die auto- matischen Bewegungen der Arterien. Ibidem S. 287. — Gustav Günther, Zur Kenntnis der Spontanbewegungen überlebender Arterien. Zeitschr. f. Biol. 65, 401. 1915. H. Friedmann : Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. 207 Ausführung eines typischen Versuches. Es wurde einem eben geschlachteten Pferde die Carotis freipräpariert, dabei jede über- flüssige Zerrung, durch die die Muscularis erfahrungsgemäß funktions- untüchtig werden kann, vermieden. Ein 8S—10 cm langes Stück der Carotis wurde an Ort und Stelle herausgeschnitten, ohne vorangehende Wasserspülung (die nach Günthers Erfahrung sehr ungünstig auf den Versuch einwirken soll), in die Ringerlösung eingelegt, nach dem Institut gebracht und bis zur Verwendung im Eisschrank verwahrt. Zu dem — einige Stunden bis einige Tage später ausgeführten — Versuch wurde aus der Carotis ein ca. 1 cm hohes Stück mit zwei Scheerenschlägen herausgeschnitten, auf eine Glasplatte gelegt, Ringer- lösung aufgetropft, die Adventitia wegpräpariert und der so erhaltene Ring der Höhe nach durchschnitten. An den beiden einander gegenüberliegenden Rändern des so erhalte- nen Arterienstreifens, die jeweils die freien Enden der durchschnittenen zirkulären Muskelfasern darstellten, wurden je zwei vergoldete Serres fines eingehakt und je ein Paar derselben mit je einem Seidenfaden zusammengeknüpft. Inzwischen wurden ca. 150 cem Ringerlösung in das Zylinderglas eingefüllt, der Arterienstreifen eingelegt, mittels des zu einer Schlinge geknüpften unteren Fadens an dem Glashaken befestigt und nun der Zylinder durch den Ring am Stativ in das Wasser- bad versenkt. Der herausragende obere Faden wurde 2 cm weit vom Drehpunkt an den einen Hebelarm befestigt, während am anderen Arm (mit dem Schreiber) die Schale ohne eingelegte Gewichte 6 cm weit vom Drehpunkt aufgehängt war. Nachdem der Arterienstreifen oben und unten fixiert war, wurde der ganze Hebel mittels der Schraube so weit gehoben, daß er horizontal stand und durch den Schreiber die Abszisse rund um die ganze Kymographionfläche gezogen. Nun erst begann der eigentliche Versuch. Zur Überwindung des Kontraktions- zustandes, in den die Arterie infolge der verschiedenen Manipulationen versetzt wurde, mußte sie erst wieder gedehnt werden. Zu diesem Be- hufe wurden 20 g in die Schale eingelegt, die in der dreifachen Entfer- nung wirkend, das Dreifache, d. i. 60 g zählten, worauf sofort die Deh- nung des Arterienstreifens begann. Der Schreiber rückte immer tiefer herunter, und erst als die Dehnung vollendet war, wurde der Hebel wieder hochgehoben, so daß er wieder horizontal stand. Unmittelbar nach vollendeter Dehnung wurde mit der O,-Durch- strömung begonnen und, da nach Günthers Erfahrung der Adrenalin- gehalt der Speiseflüssigkeit es ist, durch den die ryhthmischen Kon- traktionen der Arterienstreifen ausgelöst werden, von einer 0,1 proz. Adrenalinlösung!) eine bestimmte Menge, meistens 0,07 ccm zugetropft. !) Zur Verwendung kam das ‚Tonogen‘‘ genannte Präparat der hierortigen chemischen Fabrik G. Richter. 208 H. Friedmann: Beinahe unmittelbar nach diesem Zusatz erfolgte eine‘ verschieden starke, jedoch bald, in ca. 10 Minuten, vorübergehende Kontraktion des Arterienstreifens; die Ausbuchtung, die die Kurve an dieser Stelle trägt, besitzt einen steil ansteigenden und einen flacher absteigenden Schenkel. Im allgemeinen habe ich erfahren, was auch von anderen beschrieben wurde, daß die Arterienstreifen auf Adrenalin um so stärker reagieren, je frischer sie sind; an länger als 3—4 Tage lang aufbewahrten ist häufig keine Spur mehr der soeben beschriebenen einmaligen Kon- traktion zu sehen. Eine bis mehrere Stunden nach dem Adrenalinzusatz, resp. der oben beschriebenen vorübergehenden Kontraktion treten in der Regel rhythmische Kontraktionen auf, die in den markantesten Fällen stunden- lang andauern können. Bezüglich des Eintrittes und des Verlaufes dieser rhythmischen Kontraktionen bestand jedoch eine große Mannigfaltigkeit in den Ver- suchen, deren ich über 100 ausgeführt habe. So treten in seltenen Fällen unmittelbar nach dem Abflauen der oben beschriebenen ersten Kontrak- tion rhythmische Kontraktionen unter zunehmender tonischer Ver- kürzung des Streifens auf; eine halbe Stunde später setzen die rhyth- mischen Bewegungen aus, und es verbleibt nur die tonische Verkürzung. Ein anderes Mal ist der Rhythmus anfangs ein sehr spärlicher; die Kon- traktionen treten bloß in Intervallen von 20-—-30 Minuten auf, werden aber später zunehmend häufiger. Zuweilen gab es anfangs sehr große Ausschläge, die dann allmählich kleiner und kleiner wurden; umgekehrt gab es auch Fälle, in denen ich anfangs bloß eine tonische Verkürzung, und dieser entsprechend eine langsam ansteigende Kurve erhielt, die viel später erst minimale, kaum sichtbare, später zunehmende sekun- däre Erhebungen aufwies; der Übergang zu den rhythmischen Bewe- gungen erfolgte also beinahe unbemerkt. Von diesen Ausnahmefällen abgesehen, ließen sich in der großen Mehrzahl der glatt verlaufenden Versuche folgende Verlaufstypen am häufigsten beobachten: 1. Die rhythmischen Kontraktionen setzen 1 bis mehrere Stunden nach dem Adrenalinzusatz ganz plötzlich ein, ohne daß es gleichzeitig zu einer tonischen Verkürzung des Streifens käme, so daß die Hauptkurve mit den sekundären Er- hebungen eine gerade Fortsetzung des vorangehenden Teiles der Kurve darstellt. 2. Gleichzeitig mit dem Eintritt der rhythmischen Be- wegungen erfolgt auch eine tonische Verkürzung des Strei- fens, so daß die Kurve an dieser Stelle einen mehr oder minder steil einsetzenden, später verflachenden Bogen darstellt, der von sekun- dären Erhebungen besetzt ist. Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. 209 [47 3. Den rhythmischen Kontraktionen geht eine langsam zunehmende tonische Kontraktion voraus. Oben habe ich erwähnt, daß die dem Adrenalinzusatz unmittelbar folgende kurzdauernde einmalige Kontraktion um so stärker ausfällt, je frischer die Arterie ist. Im Gegensatze hierzu konnte ich beinahe regelmäßig beobachten, daß es an der frischen Carotisbloßzueiner zunehmenden tonischen Verkürzung, jedoch zu keinen rhythmischen Kontraktionen kommt; und umgekehrt, an 2—3 Tage alten Carotiden, an denen die erste Adrenalinkontraktion nur mehr sehr gering ist oder ganz ausbleibt, die schönsten rhyth- mischen Kontraktionen zur Beobachtung kommen. Der soeben geschilderte Verlauf der Erscheinungen unterscheidet sich nur wenig von dem durch Günther beschriebenen ; wohl aber von dem; der von OÖ. B. Meyer und von Hull beobachtet wurde. Die letzt- genannten Autoren erachten die Spontankontraktionen im Wesen als durch O,-Mangel bedingt, während Günther und ich sie als Lebens- äußerungen der mit O, reichlich gespeisten Agterien ansehen. Hull erhielt rhythmische Kontraktionen bloß innerhalb der ersten 20 Stunden nach dem Tode der Tiere, Günther und ich, wie oben erwähnt, noch mehrere Tage später. Nach Adrenalinzusatz erhielt Meyer eine Kon- traktion, an die sich die Dauerverkürzung unmittelbar anschloß; hin- gegen erhielt Günther, wie auch ich, eine einmalige Kontraktion, deren Dauer nur nach Minuten zu berechnen war, und die erst viel später von den tonischen oder rhythmischen Kontraktionen gefolgt war. Die Ursache dieser verschiedenen Ergebnisse liest in der Verschieden- heit der Versuchsbedingungen : 1. Meyer und auch Hull ließen nicht ständig O, durchströmen, wie Günther und ich; 2. in Meyers und auch Hulls Versuchen war die Belastung des Arterienstreifens im eigentlichen Versuch weit ge- ringer (6 resp. 33 g), als während der Dehnung (80 resp. 100 g), während Günther und ich während der ganzen Versuchsdauer die Belastung von 60 g beließen. Ferner wurde dadurch, daß Günther und ich den Hebel nach erfolgter Dehnung bis zur Horizontalstellung emporschraub- ten, der gedehnte Streifen auch weiterhin durch das 60-8g-Gewicht in Spannung erhalten; in Meyers und auch Hulls Versuchen fiel dieses Moment weg, so daß man wohl sagen kann, daß der Arterienstreifen sich im eigentlichen Versuch in einem weit geringeren Spannungszustand befunden hatte. Um mich dann zu überzeugen, von welchen Folgen die oben geschil- derten Unterschiede in der Versuchseinrichtung begleitet sein können, habe ich in einer Reihe von Versuchen keinen O0, durchströmen lassen. Auch in diesen Versuchen ohne O, stellten sich ungefähr 1 Stunde nach dem Adrenalinzusatz rhythmische Kontraktionen ein, die aber sehr Pfiügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 14 210 H. Friedmann: bald schwächer und schwächer wurden; erst als nachträglich O, einge- leitet wurde, erfolgte zuerst eine starke tonische Verkürzung, worauf alsbald auch die rhythmischen Kontraktionen wiedereinsetzten. In anderen Versuchen ließ ich wohl ständig O, durchströmen, stellte auch den Hebel nach erfolgter Dehnung horizontal; doch als die gewohn- ten schönen rhythmischen Kontraktionen bereits seit einiger Zeit in Gang waren, stellte ich den O,-Strom ab. Die Kontraktionen begannen hierauf beinahe sofort arhythmisch zu werden, sehr bald wurden die Ausschläge zusehends kleiner, blieben auch ganz weg, und auch die tonische Verkür- zung nahm merklich, oft bedeutend ab. Ließ ich wieder O, zuströmen, so erfolgte zunächst die auch von anderen beschriebene tonische Verkür- zung, der sich bald wieder auch rhythmische Kontraktionen anschlossen. Es folgt aus diesen Versuchen, daß rhythmische Kontraktionen zwar auch in Abwesenheit von O, eintreten können, jedoch lange nicht von der Dauer und Gleichmäßigkeit, wie bei Gegenwart von O, ; andererseits, daß schon bestehende rhythmische Kontraktionen im Falle von O,- Mangel wieder verschwänden. Also sind die richtigenrhythmischen Kontraktionen keine Erstickungserscheinungen, sondern im Gegenteilauf die Anwesenheit von O, direkt angewiesen. In weiteren Versuchen habe ich bei ständigem O,-Zufluß das Horizontalstellen des Hebels nach erfolgter Dehnung unterlassen, also den gedehnten Arterienstreifen nicht angespannt. Auf Zusatz von Adrenalin erhielt ich nun entweder sofort oder bald darauf eine plötzlich eintretende starke Verkürzung, die jedoch nicht, wie in den eingangs erwähnten typischen Versuch, bald vorüberging, sondern sich als eine dauernde tonische Verkürzung erwies. Der Schreiber beschrieb in diesen Fällen einen Bogen, der anfangs steil in die Höhe stieg, und, sich all- mählich verflachend, in eine annähernd horizontale Linie überging. Der Bogen war manchmal ganz glatt, ohne eine Spur von sekundären (rhyth- mischen) Erhebungen ; in anderen Fällen waren solche nachweisbar: bald in Form von eben nur sichtbaren feinsten, dichten Zacken, bald in Form von geradezu enorm großen Ausschlägen, wie solche in den typischen Versuchen nie vorkamen. Während demnach die Arterie im Falle einer gleichmäßigen, auch nach erfolgter Dehnung gleichbleibenden Spannung auf Adrenalin- zusatz mit einer rasch vorübergehenden Kontraktion reagiert, und erst Stunden später rhythmische Kontraktionen, evtl. unter gleichzeitiger tonischer Verkürzung, einsetzen, ist im Falle mangelhafter Anspannung des Arterienstreifens der Adrenalinzusatz von einer Kontraktion be- gleitet, an die sich die tonische Verkürzung, und wohl auch rhythmische Kontraktionen verschiedenster Amplitude unmittelbar anschließen. Die soeben erörterten Versuchsergebnisse lassen es begreiflich er- scheinen, daß die Unterschiede in den Befunden verschiedener Autoren, Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. 911 sowie auch die verschiedenartige Auslegung der Ergebnisse nur durch die Verschiedenheit der Versuchsbedingungen begründet ist; die Verschie- denheit der Ergebnisse hat also nichts Widersprechendes an sich. Be- denkt man ferner, daß in verschiedenen Versuchen auch desselben Au- tors die Versuchsbedingungen (Präparation der Carotis, Dehnung des Streifens, Horizontalstellen des Hebels, Temperatur der Speiseflüssig- keit usw.) auch beim besten Willen nie ganz gleichmäßig ausfallen kön- nen, ist es begreiflich, daß die Bewegungserscheinungen verschiedene Formen annehmen werden, auch, wenn sie — was bestimmt voraus- zusetzen ist — der Natur nach einheitlich sind, und unter idealen gleich - mäßigen Versuchsbedingungen auch ganz gleichmäßig ausfallen würden. Bei der bekannt wichtigen Rolle, die der Zusatz von Traubenzucker zu den sog. physiologischen Lösungen in den Lebensäußerungen über- lebender Gewebe und Organe spielt, war es von Interesse zu erfahren, wie sich die Arterienstreifen in zuckerhaltigen Lösungen verhalten. Meine diesbezüglichen Versuche lassen sich in zwei Gruppen teilen: in Gruppe A wurde die vorher in Ringerlösung aufbewahrte Arterie während der Versuche in Tyrodes zuckerhaltiger Lösung gehalten (8,08 NaCl, 0,28 KCl, 0,2g CaCl,, 1,0g NaHCO,,, 0,1g MsCl,,, 0,05g NaH,PO, , 1 g d-Glucose auf 1000 g Wasser). B. Die Ringersche Lö- sung wurde während eines bereits in Gang befindlichen Versuches mit Traubenzucker versetzt. A. Aufbewahrung in zuckerfreier Lösung, eigentlicher Versuch in zuckerhaltiger Lösung. Diese Versuche wichen in ihren Ergebnissen von allen früheren, von denen vom Anfang bis zum Ende Ringerlösung verwendet wurde, sehr wesentlich ab. Auch hier wurde, wie in den früheren Versuchen, nach vollendeter Dehnung Adrenalin zugesetzt, doch fiel hier die sofort einsetzende kurz andauernde Kontraktion stärker aus; als nach einiger Zeit, nachdem die erste Re- aktion längst abgeklungen war, der Adrenalinzusatz wiederholt wurde, erfolgte gar eine Kontraktion von einer so enormen Stärke, wie sie in den reinen Ringerversuchen nie zur Beobachtung gekommen war. Es hat sich demnach ergeben, daß die Reaktionsfähigkeit der Arterien- streifen gegenüber dem Adrenalin in einer zuckerhaltigen Flüssigkeit in bedeutendem Grade gesteigert ist. Außer man wollte annehmen, daß neben dem Zucker- auch der größere Hydroxyl- Ionengehalt der Tyrodeflüssigkeit an dieser Erscheinung beteiligt ist. Dies soll durch spätere Versuche entschieden werden. Noch merkwürdiger war es, daß in den Versuchen mit der zucker- haltigen Lösung von einer andauernden Verkürzung des Strei- fens und von den rhythmischen Kontraktionen, die ja in der Ringerlösung nach 1 bis mehreren Stunden meistens einzutreten pflegen, 14* x 212 H. Friedmann: Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. nichts odernursehr wenig zu sehen war.' Es besteht also die Tat- sache, daß diese Bewegungen durch den Zuckerzusatz direkt inhibiert werden. Daß es sich nicht um einen Zufall in dem Sinne handelt, daß in den Zuckerversuchen jedesmal refraktäre Arterien- streifen zur Verwendung gekommen wären, ging aus folgendem Versuche hervor. Nachdem ein derartiger Versuch mit obigem — quoad andau- ernde Verkürzung und Rhythmus — negativen Erfolge seit Stunden be- reits im Gange war, hob ich die zuckerhaltige Lösung vom Streifen ab, und ersetzte sie mit einer vorher entsprechend angewärmten und mit Adrenalin versetzten, zuckerfreien Ringerlösung. Daß hierauf eine sofortige Kontraktion des Arterienstreifens erfolgte, ist selbstverständlich und rührte von dem zugesetzten Adrenalin her; daß jedoch in einem Versuche unmittelbar hierauf, in einem anderen wieder 20 Minuten später eine starke Dauerverkürzung miteinemsehr schönen, gleichmäßigen Rhythmus anhub, ist der nunmehrigen Ab- wesenheit des Traubenzuckers zuzuschreiben. Die inhibierende Wir- kung des Traubenzuckers auf die rhythmischen Kontraktionen läßt sich also nicht bezweifeln. = B. Ich habe mich von dieser interessanten Wirkung des Traubenzuckers auch auf einem anderen Weg überzeugt. Versetzt man in einem Versuch, in dem eine zuckerfreie Lösung verwendet war, und in dem die rhyth- mischen Kontraktionen sich bereits im schönsten Gang befinden, mit Traubenzucker bis zu einem Konzentration von etwa 0,1%, so stehen die rhythmischen Kontraktionen alsbald still; ein anderes Mal findet vorher noch eine sehr starke Dauerkontraktion statt; in diesem Falle ist das Kurvenstück, das in einem steilen Bogen ansteigt, infolge des noch eine Zeitlang anhaltenden Rhythmus mit sekundären Erhehungen be- setzt, die aber bald danach verschwinden. ! Bezüglich der inhibierenden Wirkung des Traubenzuckers auf die rhythmischen Kontraktionen besteht ein völliger Einklang zwischen den sub A und B angeführten Versuchen. Nicht so betreffend die tonische Verkürzung. Denn sub A sahen wir, daß die Dauerverkürzung in der zuckerhaltigen Lösung kaum stattfindet, beim Ersatz derselben durch eine zuckerfreie Lösung jedoch alsbald wieder eintritt; sub B sahen wir umgekehrt eine starke Dauerverkürzung eintreten, wenn die bis dahin zuckerfreie Ringerlösung mit Zucker versetzt wurde. Diesen Widerspruch zu klären, bin ich zur Zeit noch nicht in der Lage. Anhangsweise will ich über das Ergebnis noch nicht abgeschlossener Versuche vorläufig berichten, wonach d-Fructose und d-Mannose ganz ähnlich wie Traubenzucker wirken, hingegen Galaktose, sowie auch Ara- binose und Xylose, ferner Saccharose und Maltose völlig wirkungslos sind. Diese Arbeit wurde auf Anregung und unter Leitung des Prof. Paul Häri ausgeführt. Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. II. Mitteilung. Von S. Weiss. (Aus dem physiol.-chem. Institut der Universität: Budapest.) (Eingegangen am 5. Februar 1920.) Die schon seit einer Reihe von Jahren bekannte Tatsache, daß überlebende Arterienstreifen unter gewissen Versuchsbedingungen rhythmische Spontankontraktionen ausführen, hat in Forscherkreisen begreifliches Interesse erregt, da es sich ja um Bewegungsvorgänge an Gebilden handelt, die einen überaus wichtigen Teil des Kreislaufsystemes bilden, und. man sich vor der Möglichkeit nicht verschließen kann, daß derlei Vorgänge auch im lebenden Körper eine Rolle spielen. Allerdings ist die Frage zu derlei Reflexionen noch lange nicht herangereift. Wenn man bedenkt, wie verschieden die Versuchsbedingungen sind, unter denen die Autoren die rhythmischen Spontankontraktionen eintreten sahen, ist es — nachdem durch die vorangehend mitgeteilte Arbeit von H. Friedmann!) wenigstens die Widersprüche in den bisherigen An- gaben größtenteils geklärt sind — unsere nächstliegende Aufgabe, die Erscheinungen auf eine einheitliche Ursache zurückzuführen ; oder wenn dies zum Augenblick.noch nicht möglich wäre, wenigstens das fest- zustellen, was in den verschiedenartig variierten Versuchsbedingungen das einheitliche Moment darstellt. In vorliegender Arbeit wurde haupt- sächlich letzteres bezweckt und zu diesem Behufe über 80 Versuche . ausgeführt. Die Einrichtung meiner Versuche, die in der überwiegenden Mehr- zahl der Fälle an der Rindercarotis ausgeführt wurden, stimmte genau mit der überein, die in der vorausgehenden Mitteilung von H. Fried- mann angegeben ist. Auch die Ausführung der Versuche war meistens dieselbe: Einlegen in Ringerlösung, Dehnung des Arterienstreifens durch 60g, Horizontalstellen des Hebels, Zusatz von Adrenalin (in Form des Präparates ‚‚Tonogen‘‘ von G. Richter in Budapest). Von .den Einzelheiten der Einrichtung und Ausführung der Versuche seien hier bloß diejenigen erwähnt, die entweder in bestimmter Hinsicht ab- 1) Arch. f. d. ges.. Physiol. dieses Heft, S. 206. 214 S. Weiss: weichen oder aber einen besonderen Bezug auf meine weiteren Er- örterungen haben. So sei erwähnt, daß die Ausschläge, die auf dem Kymographion registriert wurden, das sechsfache der wirklichen Längenveränderung der Arterienstreifen betrugen. Zur Lösung gewisser Spezialfragen habe ich zwei ganz genau gleich- montierte Apparate aufgestellt, und so vergleichende Versuche an Arterienstreifen anstellen können, die von unmittelbar benachbarten Stellen der Carotis genommen wurden. Die Breite des Arterienstreifens (Höhe des Carotisringes) betrug jedesmal annähernd genau 1 cm, seine Länge war jedoch verschieden. Schuld hieran waren weniger die Unterschiede im anatomischen Lumen der Carotiden, als deren wechselnder Kontraktionszustand. Wiederholt konnte ich nämlich wahrnehmen, daß das durch zwei Scherenschläge erhaltene ringförmige Carotisstück unter dem mechanischen Insult sich am oberen und unteren Rande verengt und so eine Tonnenform angenommen hatte. Als ich den Ring der Höhe nach durchschnitt, rollte er sich oft vollends zusammen. Es ist also begreiflich, daß die Länge des Arterienstreifens vor dem Beginne des Versuches nicht exakt gemessen werden konnte, demzufolge auch den Betrachtungen, die wohl oder übel auf die Ergebnisse dieser Art von Messungen basiert werden mußten (s. weiter unten), nur eine beschränkte Genauigkeit zukommt. Ein Versuch, die wirkliche Länge der Arterienstreifen jedes- mal nach ihrem Absterben — am nächsten Tag — festzustellen, konnte zu keinem besseren Ergebnis führen, da ja auch das Absterben nicht immer im gleichen Kontraktionszustande der Arterie stattgefunden haben mag. Die Dehnung der Arterienstreifen, die in allen typischen Versuchen durch eine Belastung mit 60 g erfolgte, war eine sehr beträchtliche. Während in Günthers!) Versuchen die Streifen durch ebenfalls 60 g auf etwa das 1!/,fache ihrer ursprünglichen Länge gedehnt wurden, erreichten meine Streifen in den meisten Versuchen trotz der gleichen Belastung das Doppelte bis Dreifache ihrer ursprünglichen Länge (s. Stab 8 in Tabelle I). Vielleicht liegt dieser Unterschied daran, daß Günther an Pferde-, ich jedoch an Rindercarotiden gearbeitet hatte; mit dieser meiner Annahme stimmt auch der Umstand überein, daß in O. B. Meyers?) Versuchen, die ebenfalls an der Rindercarotis 1) Gustav Günther, Zur Kenntnis der Spontanbewegungen überlebender Arterien. Zeitschr. f. Biol. 65, 401. 1915. 2) O. B. Meyer, Über einige Eigenschaften der Gefäßmuskulatur mit beson- derer Berücksichtigung der Adrenalinwirkung. Zeitschr. f. Biol. 48, 353. 1906; Rhythmische Kontraktionen an ausgeschnittenen Arterien. Zentralbl. f. Physiol. 23, 685; Über rhythmische Spontankontraktionen von Arterien. Zeitschr. f. Biol. 61, 275. 1913. Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. 215 — allerdings mit einer Belastung von etwa 80 g — ausgeführt wurden die Dehnung ähnliche Grade erreichte, wie bei mir. Der Tabelle I ist auch zu entnehmen, daß durch ein Gewicht von 40—45 g kaum weniger stark gedehnt wird, als durch die gewohnten 60 g; hingegen, daß durch ein Gewicht von 100 g der Streifen bis auf etwa das 3,7fache seiner ursprünglichen Länge gedehnt werden kann. Daß man in diesen Fällen sogar von einer Überdehnung sprechen kann, wird weiter unten gezeigt werden. Nach vollendeter Dehnung wurde der Hebel, der auf der Seite der eingelegten Gewichte ganz hinuntergesunken war, wieder empor- geschraubt, bis er genau horizontal stand, und dadurch erreicht, daß der Arterienstreifen auch nach erfolgter Dehnung wie zuvor — einer Belastung von 60 g entsprechend — gespannt blieb. Gegenüber ver- schiedenen Angaben kann ich hervorheben, daß die Arterienstreifen durch die mit dem Emporschrauben des Hebels einhergehende Zerrung keinen Schaden an ihrer Kontraktionsfähigkeit erleiden. Auch sonst fand ich, daß das Arterienpräparat weniger empfindlich ist, als angegeben wird ; denn zu wiederholten Malen ist es geschehen, daß die eingehackten Serres-fines den Rand des Streifens mitten im Versuch durchrissen haben oder von diesem abgeglitten sind, so daß das Präparat behufs neuer Fixierung aus der warmen Lösung genommen und dann wieder ein- gesetzt werden mußte, ohne dabei an seiner . Schaden zu nehmen. Bezüglich der Kontraktionen, die teils in einer tonischen v erkürzung teils in rhythmischen Kontraktionen bestehen (s. hierüber weiter unten), sei erwähnt, daß erstere in der Regel sehr bald nach der einmaligen kurz andauernden Kontraktion, die durch den Adrenalinzusatz aus- gelöst wird, beginnt, letztere aber erst später sich hinzugesellen. Und zwar entsteht der Rhythmus nicht etwa dadurch, daß die tonische Verkürzung in regelmäßigen Intervallen erst plötzlich abfiele, um dann wieder ebenso plötzlich auf seine ursprüngliche Höhe zurückzukehren, sondern um- gekehrt: die sekundäre Erhebung springt beinahe senkrecht von der bisher geraden oder sanft ansteigenden Kurve ab, um dann wieder zu dieser abzufallen. Es sind also die den rhythmischen Kontrakturen entsprechenden sekun- dären Erhebungen der Hauptkurve superponiert. Diese Superposition erfolgt nicht nur bei geradem oder ansteigendem Verlaufe der Kurve, sondern zuweilen auch bei abfallender Kurve, die man erhält, wenn die Arterie aus irgendeinem Grunde — z. B. geringe Abkühlung — zu erschlaffen beginnt. Auf der Höhe der tonischen Kontraktion, also am Plateau der Kurve, sind die rhythmischen Kontraktionen in der Regel von weit 216 S. Weiss: geringerer Amplitude; sie fehlen hier sogar -oft überhaupt, auch wenn sie vorangehend bei ansteigender Kurve, oder nachher bei abfallender Kurve vorhanden sind. Aber auch während der Zunahme resp. Abnahme der tonischen Verkürzung, also an dem aufsteigenden oder abfallenden Teil der langgedehnten Kurve ist die Amplitude der rhythmischen Kontrak- tionen in den verschiedenen Versuchen eine äußerst verschiedene. Bald sind die Ausschläge — auch durch die Hebelübertragung mehr- fach vergrößert — eben nur sichtbar, bald wieder mehrere Milli- meter groß. Trotz größter darauf gerichteter Aufmerksamkeit ist es mir nicht gelungen, nachzuweisen, wodurch diese Unterschiede be- dingt sind. Es’ können jedoch die rhythmischen Kontraktionen im Verlaufe eines Versuches auch gänzlich vermißt werden; das ist sogar beinahe die Regel gewesen, wenn die Arterienstreifen von Tieren, die vor wenigen Stunden getötet wurden, verwendet waren. Es ist dies übrigens dieselbe Erscheinung, die von H. Friedmann an der Pferdecarotis gefunden wurde. Ferner wäre noch zu bemerken, daß in den vier Versuchen, die nicht an Rinder-, sondern an Pferdecarotiden ausgeführt wurden, der Rhythmus regelmäßiger und großschlägiger war, als in der Mehrzahl der Rinderversuche (etwa 80 an der Zahl); Günther fand das Gegenteil hiervon. Endlich hätte ich noch zu erwähnen, daß ich in sechs Versuchen statt Streifen aus der Carotis solche aus der Aortenwand genommen hatte, und zwar mit dem Erfolg, daß ich hier kein einziges Mal Spontan- kontraktionen eintreten sah, weder tonische, noch rhythmische, und daß auch der Zusatz von Adrenalin ohne Wirkung geblieben war. Einfluß des O,-Mangels auf die Spontankontraktionen. Die Abhängigkeit der Spontanbewegungen der Arterienstreifen von der An- resp. Abwesenheit von O, wird von den Autoren teilweise diametral verschieden aufgefaßt. Diese Gegensätze hatte H. Fried- mann bereits geklärt, und will ich hier nur kurz über die Erfahrungen berichten, die mir diesbezüglich zu Gebote stehen. Diese stimmen im Wesen nach vollkommen mit denen von Günther resp. von H. Fried- mann überein; ja, sie sind teilweise noch prägnanter, denn in allen Fällen, in denen ich je einen Streifen von unmittelbar benachbarten Stellen der Carodis zu Doppelversuchen verwendet, und den einen Versuch ohne, den anderen mit O,-Durchströmung ausgeführt hatte, erhielt ich im ersteren keinerlei Kontraktionserscheinungen, im Parallel- versuch in der gewohnten Art und Stärke. Von der Abhängigkeit der Spontanbewegungen von der Anwesenheit Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. 23417. des O, zeugt einer der vielen Versuche, die ich hierüber angestellt habe, und dessen Daten hier kurz angeführt seien: 11? 0° Versuchsbeginn (Fixation des Arterienstreifens). 11% 10° Beginn der Dehnung. 11% 20° Beginn der O,-Durchströmung. 11% 33° Beginn der tonischen Kontraktion. 11% 39° Beginn der rhythmischen Kontraktionen unter andauernder Zunahme der tonischen Verkürzung. 1" 37° O, wird abgestellt; alsbald sistiert die weitere tonische Verkürzung, es entsteht ein Plateau, bald darauf fällt die Kurve allmählich ab: der Arterienstreifen erschlafft. Gleichzeitig sistieren auch die rhythmischen Kontraktionen. 4" 48° Wiederbeginn der O-Durchströmung; die Erschlaffung nimmt zu- nächst nicht mehr zu, dann setzt wieder eine tonische Kontraktion ein, der endlich auch rhythmische Kontraktionen folgen. Zu bemerken wäre noch, daß die Frequenz bereits bestehender — durch O,-Durchströmung unterhaltener — rhythmischer Kontrak- tionen durch Beschleunigung des O,-Stromes noch gesteigert werden kann. Einfluß des dehnenden Gewichtes auf die Spontankontrak- tionen. Es war vorauszusetzen, daß die Größe des dehnenden Gewichtes von Einfluß auf den Verlauf der Spontankontraktionen sein wird. Dies geht zunächst aus Tabelle I hervor, in der nebst dem Grade ‘ der Dehnung auch die maximale Verkürzung der Arterienstreifen infolge der tonischen Verkürzung eingetragen ist, sowie auch der Zeit- punkt des Beginnes dieser Verkürzung vom Beginne der Dehnung an gerechnet. Aus den Daten der Tabelle I geht hervor, daß im Mittelwert von 38 Versuchen, in denen die Belastung jedesmal 60 g betragen hatte, die tonische Kontraktion 80 Minuten nach dem Beginne der Dehnung einsetzt. Die in den einzelnen Versuchen erhaltenen Werte sind natürlich sehr verschieden; sie schwanken zwischen 37 und 180 Minuten. Anders gestaltete sich die Sache, wenn die Belastung eine kleinere oder größere war. Soweit sich aus der sicher ungenügenden Zahl von drei resp. vier Versuchen folgern läßt, beginnt die tonische Kon- traktion etwas später, wenn die Belastung der Arterie weniger als 609 beträgt, hingegen etwas früher, wenn diese mit mehr als 60g belastet wird. Dadurch aber, daß ich die oben der Zahl nach als ungenügend be- zeichneten Versuche meistens in Form von Parallelversuchen aus- führte, d.h. von je zwei Arterienstreifen, die benachbarten Carotis- stellen entnommen wurden, den einen mit 60 g, den anderen jedoch mit einem kleineren resp. größeren Gewicht belastete, erhielten auch !) Der Schreiber beschrieb um das 6fache höhere Werte. 218 S. Weiss: Tabelle I. Seh Do) Mi on nn P= & vH [7)) ul>s a \ | 7 & =) 3 Sn 2 | & | 3 |83,\5 |838 |S.8|33 |838| 888838 ® 3 3 ae el es lan BER ı S38 | 358 S nm 3 ee 28 15.2 gs=53l|a228 |2 5555| 5a$& No% = 5 2 25H 3 |455 | 3723 |554|Ps2| 3388| 50% > © “8 Aa |*>2 sarRr|l 5373 Een #5°|233 e > .aa = 8 an 2|sa SuS 20. seulissı ® rn z © 3% 3 e/|s22 | 22 | 25% ee, | 0.0 I) © n = © Ra Sana Se | 878 958 Zus >35 [e > 3 Ro = SR 8 do” 3%” 29 oN« E u 2o3.| 35 |a32. [aeelns21352=| 5853| 2885 = {= = SH Er Sa 845 385 we SEO | 2amH B “3 5 As 2.00 #=78|023| 3232 das 5 su. a8 © er Asa ausser 2 T at © a . 1 o Er I) age g mm mm!) |3% Min mm!) Ar XI d 13. VII. 8 60 12 18 2,5 90 3,5 11,7 XII a 18. VII. 0,1 60 15 17,5 2,2 58 22 6,8 b 18. VII. 0,1 60 15 2 23 80 4,7 13,4 c 18. VIIL.| 03 60 15 18,3 2,2 130 10,3 BJ1 d 18. VIL 0,3 60 15 18 2,2 125 8,7 26,3 | e 19. VII. 1 60 13 18,3 2,4 53 9 28,7 Eat 19.VIL| 1 60 13 18,7 2,4 74 11 34,7 g 20. VII. 2 60 20 16,3 1,8 78 5,8 16 h 20. VII. 2 60 20 18,3 1,9 108 2,2 5,7 i 20. VII. 2 60 17 18 2,1 67 11,7 33,4 K 20. VII. 2 60 17 17,5 2 70 92 26,7 | 1 21. VII. 3 60 17 18,3 2,1 5 9,3 26,4 | m 21. VII. 3 60 17 20 2,2 99 ? ? | n '21. VII. 3 60 15 21 2,4 82 5 13,9 N o 21. VII. 3 60 15 21,5 2,4 63 6,5 18,1 p 22. VII. 4 60 15 20,5 2,4 157 1,7 4,8 q 22. VII. || 4 60 17 19,5 2,2 89 29 6 XIV a 23. VII 0,3 60 16 18,7 2,2 45 87 25,1 b 23. VII. 0,3 60 11 18,3 2,7 30 10,5 35,8 XV a 12.VIII. 0,1 60 15 23 2,5 50 13,5 35,5 c 13.VIII. 1 60 16 25,3 2,6 47 157: 4,1 xVI a |aaıx.| 01 60 10 | 2a si 6 | ıs 43,7 c 30.IX. 1 60 10 18,3 2,8 45 9 31,7 f 1.X. 2 60 13 19,7 2,5 41 9,3 23,4 g 2X: 3 60 14 21,7 2,5 115 9 25.2 h 2X. 3 60 15 22,5 2,5 37 9,8 26,1 j 3.X. 4 60 15 25 3,3 ? 2,5 62 XVII a TER | 0,1 60 20 28 2,4 55 15 31,3 b TERN] 0,1 60 20 26 2,3 50 9,3 20,2 c 8X. | 1 60 15 30 3 90 14,3 31,8 d 8. X. 1 60 15 26,7 2,8 50 15,3 36,7 £ 9.X, 1 50 16 27,5 2 53 13,5 31 g 10.X. 3 60 18 23,3 2,3 180 8,3 20,1 h 10.X. 3 60 18 24 2,3 170 4,5 10,7 xXVIU| a 128 0,1 60 u 28 ? 100 13,2 ? b 11.X. 0,1 60 _ 27,5 ? 63 10,2 ? @ 11.X. 1 60 14 27,9 2,9 66 9,7 23,3 d 11.X. 1 60 15 28,3 2,9 ? ? ? e 12 2 60 16 24,5 2,5 95 10 24,7 f JOIX. 2 60 16 25,8 2,6 s5 15 36 XV b |2VIL| 01 20 i5 12,5 1,8 83 10 36,3 d 13.VIIL | 1 40 16 25 2,5 100 92 22,4 xI oeeres 45 12 167 | 24 88 4,3 6,8 XVI b 29. IX. 0,1 100 10 26,7 art 39 1&R, 4,6 d 30. IX. 1 100 10 26,7 3,1 32 4,5 12,2 e ES 2 120 13 25 2,9 45 2,3 61 XVII e 9.X. | 1 120 16 31,7 3 87 6,7 14,1 Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. 219 diese spärlichen Versuche Beweiskraft. Sie sind in der nachfolgenden Tabelle II zusammengestellt. Tabelle I. ae Die tonische Kontraktion 25 © B) B e7 S 5 Ei E & 3 E : | erreicht das 3 = E eis 5 2 | „3 | Temperaturder 3 ER 5: Se EU nen erreicht 5 5 =: eu =) 5 Ringerlösung | 78 S< 85 A einMa-|5353, 3 = Eh ı 258 |doa5o vom Beginn der | ximum >» r2 = 3 S5 °a 358% | Dehnung gerechnet| von 55 a = = A A. ® 28858 °C | g mm!) in Minuten mm) AMas” XV a 38,5— 38,7 60727 23 50 es Saar) — b 38,5 20 12,5 83 287 10 57 c 38,8 6087| 295 47 SO alt 7 45 d 38,5 #0 | 253 | 100 | 144 9,2 | 108 XVI a 33.5 39,1 60 2183 65 235 13a 318 b 39,0—395 |, 100 26,7 39 160 1,7.) 39 c 33.2—38D | 60 18,3 45 139 9 287 d 38,5—38,8 | 100 26,7 32 262.2 174:52| 32 Aus dieser Tabelle ist zu ersehen, daß in demjenigen der zueinander gehörenden Versuche, in dem das größere Gewicht an den Arterien- streifen zog, a) die tonische Verkürzung in der Regel früher einsetzte; b) früher ihr Maximum erreichte, c) endlich, daß auch die rhythmischen Kontraktionen früher begannen. Was den Grad der maximalen tonischen Kontraktion anbelangt, habe ich in allen in Tabelle I verzeichneten Versuchen das prozentuale Verhältnis zwischen der maximalen Verkürzung und der Länge des gedehnten Arterienstreifens berechnet (s. letzter Stab der Tabelle I). Es ergab sich aus dieser Berechnung: l. daß bei einer Belastung von 60 g die maximale Verkürzung zirka ein Dritteil der Länge des gedehnten Arterienstreifens beträgt, und zwar ebenso häufig etwas mehr, als in anderen Fällen etwas weniger; 2. daß an vier von sechs, mehrere. Tage hindurch untersuchten, mit 60 g belasteten Arterien die Verkürzung am letzten Untersuchungs- tag eine weit geringere war, als an den vorangehenden Tagen; 3. daß bei einer Belastung von mehr als 60 g die prozentuale Ver- kürzung auch der frisch untersuchten Arterie eine geringere ist, als bei der erfahrungsgemäß als entsprechend befundenen Belastung von 60 g. (s. auch Tabelle IT.) Dies steht im Einklang damit, was weiter oben über die Überdehnung der Arterie durch eine Belastung von 100 gesagt wurde: die Folgen dieser Überdehnung bestehen in einer noch rascher einsetzenden, jedoch unvollkommenen Kontraktion der Arterienstreifen. 1) Der Schreiber beschrieb um das 6fache höhere Werte. 220 S. Weiss: Einfluß des Adrenalins auf die Spontankontraktionen. Nach der Ansicht von Günther wäre das Adrenalin das wirksame Agens, das an dem in Blut oder Serum eingelegten Arterienstreifen die Kontraktionen auslöst oder gar verursacht; allerdings wäre dies aber eine Spätwirkung, wohlzu unterscheiden von der kurz andauernden einmaligen Kontraktion, die dem Adrenalinzusatz unmittelbar auf dem Fuß folgt. Um diese wichtige Frage lösen zu können, mußten zunächst die durch Adrenalinzusatz an überlebenden Arterienstreifen zur Beob- achtung kommenden Erscheinungen systematisch durchgeprüft werden, und zwar soll zuerst die unmittelbare Wirkung des Adrenalin- zusatzes analysiert werden, und nachher die von Günther ange- nommene Spätwirkung. Unmittelbare Wirkung des Adrenalinzusatzes. Wenn ich zur Ringerlösung Adrenalin im Verhältnis von 1 : 1500 000), seltener von 1 : 300 0002) hinzufügte, erfolgte beinahe unmittelbar darauf eine mehr oder minder starke Kontraktion. Ich habe eine größere Anzahl solcher Versuche ausgeführt und deren Ergebnisse in nachfolgender Tabelle III zusammengestellt. Auf Grund der verschiedenen Ergebnisse, die ich hierbei erhielt, lassen sich diese Versuche in drei Hauptgruppen, A, Bund (C, teilen, welche Einteilung auch in der Tabelle III getroffen ist. A. Eine Anzahl dieser Versuche hat ergeben, daß der Schreiber nach dem Adrenalinzusatz rasch einen Höhepunkt erreicht und dann, langsamer abfallend, annähernd genau auf das Niveau der Hauptkurve zurückkehrt. Es entsteht also eine sekundäre Erhebung mit einem steileren aufsteigenden und einem etwas flacheren absteigenden Schenkel. Die ganze Erscheinung läuft im Mittelwert der Versuche innerhalb etwa 9 Minuten ab. Ähnliches fand auch Günther. B. In einer anderen Gruppe von Versuchen verlief der absteigende Schenkel der sekundären Erhebung weit flacher, war kürzer und nicht mehr auf das ursprüngliche Niveau herabgesunken, denn es hat in- zwischen die tonische Kontraktion des Streifens eingesetzt, derzufolge der absteigende Schenkel der sekundären Adrenalinerhebung in die aufsteigende Hauptkurve umbog. Die ganze Dauer betrug hier, ähnlich wie sub A, im Mittel ca. 10 Minuten. C. In geringer Anzahl gab es auch Fälle, in denen es gar nicht mehr * zur Bildung eines absteigenden Schenkels kam, indem der aufsteigende Schenkel bloß etwas verflacht, jedoch ohne jeglichen Abfall unmittelbar in die aufsteigende Hauptkurve übergegangen war: in diesem Falle hatte die tonische Verkürzung kurz vor dem Abflauen der einmaligen Adrenalinkontraktion begonnen. 1) Zu 150 cem Ringerlösung 0,lcem einer Lösung von „Tonogen‘“, d.i. einer 0,1 proz. Lösung von Adrenalin. ?) 0,5 ccm Tonogen auf 150 ccm Ringerlösung. Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. 221 Tabelle III. An der durch den Adrenalinzusatz erzeugten Namen Namen Be R sekundären Erhöhung der Kurve betrug Gruppe der, des Versuches | die Höhe des | die Höhe des | gie gesamte en ea mm !) mm !) Min. A V GANA TE 7 2 14 VI a 2 SSVE: | 2 I | 3 VII b DD N 0 0 3 IX a N DENAEREN 2 | 2 | 20 IX ba | 220V200. | 0,5 0,5 | ? 1X e 6. VI. 1,2 | 0,8 | ? XII g 20. VI..| 12 0,8 8 XIII i 20. VII. | 0,5 | 0,5 | 6 ZIIL n 21. VI. 0,3 | 0,3 | T B IX om so MIO DC le NA 5 | 4 | 17 BI e RN nt 12 | ? 2SNaE = c 19. VII | 2 | 0,8 | U ODDE N.) f N ELAAEEZI 4,5 | 0,7 } 6 BREITE 5) ] 21. VII. 73:3 | a | 6 a 22. VII. | 1 EEE AR 7 C Xu | a |Jas.vı 9 rn, rs XII c 18. VII. 19 | = | = Die Gestaltung der durch Adrenalinzusatz bewirkten sekundären Erhebung hing also in diesen Fällen rein davon ab, ob das Adrenalin kurze oder längere Zeit von dem Be- ginne der tonischen Verkürzung zugesetzt wurde. Dann gab es auch Fälle, in denen der absteigende Schenkel bis unter den Fußpunkt des aufsteigenden Schenkels herunterstieg; dies erfolgte, wenn zur Zeit des Adrenalinzusatzes die Arterie noch in weiterer Dehnung sich befand, oder bereits im Erschlaffen begriffen war. In geringer Anzahl gab es auch Versuche, in denen die bereits seit 3—4 Tagen aufbewahrte Arterie auf Adrenalin überhaupt nicht mehr reagierte, wohl aber später eine energische tonische Verkürzung sowie schönsten Rhythmus aufwies. Auf diesen Umstand wurde übrigens bereits von H. Friedmann hingewiesen. Ist zum Zustandekommen der Spontankontraktionen Adrenalin nötig oder nicht? Im Gegensatzzu Günthers Erfahrung lauten die meinigen, die ich hier gleich vorwegnehmen will, dahin,daßzum Zustandekommen der SpontankontraktionendasAdrenalin nicht nötig ist und dieselbe auch nicht wesentlich modifiziert. Zunächst war es ein Zufall, der mich zu dieser Konklusion führte: Gelegentlich eines Versuches stand mir keine frische. Ringerlösung zur 1) Der Schreiber beschrieb um das 6fache höhere Werte. 222 S. Weiss: Verfügung, ich verwendete daher eine, die am vorangehenden Tage benutzt und im betreffenden Versuche mit Adrenalin versetzt worden war. Dies tat ich in der wohlbegründeten Annahme, daß das in der Lösung befindliche Adrenalin über Nacht ohnehin bereits wirkungslos geworden sei. Da ich zu jener Zeit noch daran glaubte, daß das Adre- nalin zum Zustandekommen der Spontankontraktionen nötig sei, war ich sehr überrascht, zu sehen, daß bald nach dem Beginn der O,-Durch- strömung, ohne daß ich Adrenalin zugesetzt hatte, eine starke tonische Verkürzung begann, und dieser sich alsbald rhythmische Kontraktionen hinzugesellten. Diese überraschende Erscheinung konnte auf zweierlei Weise gedeutet werden; entweder so, daß das Adrenalin oder seine Zersetzungsprodukte auch 24 Stunden, nachdem das Adrenalin der Ringerlösung hinzugefügt war, noch imstande ist, Kontraktionen der Arterie zu bewirken; oder etwa so, daß es zum Zustandekommen der Kontraktionen des Adrenalins nicht bedarf. Die Richtigkeit der letzteren Annahme ging aus folgendem, von mir an zwei benachbarten Carotisstreifen, A und B, ausgeführten Doppel- versuch hervor. In beiden Versuchen reine Ringerlösung, Dehnung durch 60 g, Durchströmung mit O,; nach erfolgter Dehnung Zusatz von Adrenalin bloß zu A, worauf eine typische, kurz andauernde Kon- traktion entstand. Eine Viertelstunde nachher werden die Lösungen von beiden Streifen abgehoben und zum Streifen B die von A abgehobene Adrenalin enthaltende Lösung eingefüllt. In dieser Flüssigkeit verhielt sich nun B vollkommen passiv. Daß aber diese Passivität bloß auf der inzwischen erfolgten Zersetzung des Adrenalins beruht, ging daraus hervor, daß durch den jetzt erfolgten Zusatz von Adrenalin zu B dieses sich sofort energisch kontrahierte. Da es sich auf diese Weise herausstellte, daß in den oben zuerst genannten Versuch das Adrenalin vom Tage zuvor tatsächlich zersetzt gewesen sein mußte, daher die Kontraktionen des Arterienstreifens nicht hätte bewirken können, war es evident geworden, daß es zu den Spontankontraktionen des überlebenden Arterien- streifens eines Zusatzes von Adrenalin nicht bedarf. Immerhin bestand jedoch die Möglichkeit, daß das wenige Blut, das von der im Schlachthof bloß flüchtig freipräparierten Carotis resp. von dem ihr anhaftenden blutigen Gewebe während des Transportes an die Ringerlösung abgegeben wurde, eine wenn auch geringe Menge von Adrenalin enthielt, das während der Aufbewahrung des Präparates bis zum Versuch (der oft 2-3 Tage später ausgeführt wurde) sich durch Imbibition in der Carotiswand festsetzte, und nun im Versuche selbst seine Wirkung entfaltete. Um diese Möglichkeit auszuschließen, habe ich von nun an selber die Carotis vom Schlachthof geholt (bis dahin wurde dies vom Institutsdiener besorgt), an Ort und Stelle von allem Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. 223 anhaftenden Bindegewebe freipräpariert, mit Ringerlösung sofort ganz blutfrei gewaschen und so als blank-weißen Strang in der Ringerlösung nach dem Institut befördert. Diese Carotiden verhielten sich genau so, wie die vorangehend beschriebenen: die Kontraktionen erhielt ich nach wie vor auch ohne Zusatz von Adrenalin. Adrenalin und Sauerstoff. Es war bereits erwähnt, daß die Spontankontraktionen in Abwesenheit von O, kaum oder gar nicht zustande kommen. Dasselbe gilt laut meinen Erfahrungen auch für die durch Adrenalinzusatz bewirkte einmalige Kontraktion. Nach- folgendes Beispiel soll dies illustrieren : 10% 55° Beginn der Dehnung durch 60 g; kein O,. 11% 17’ Zusatz von 0,5 ccm der Adrenalinlösung; keine Kontraktion. 12" 25° Beginn der O,-Durchströmung. 2" 20° Beginn der tonischen Verkürzung. 2: 30° Zusatz von 0,5 ccm der Adrenalinlösung; sofort kräftige kurzdauernde Kontraktion. Ist der Zusatz von Adrenalin von irgendeinem Einfluß auf die tonische Verkürzung und die rhythmischen Kon- traktionen? Wenn auch vorangehend erwiesen wurde, daß das Adrenalin zum Zustandekommen der Spontankontraktionen des Ar- terienstreifens nicht notwendig ist, war es doch zu prüfen, ob nicht der Eintritt derselben durch das Adrenalin beschleunigt wird. Zu diesem Behufe habe ich an Rindercarotis XIII 5 Tage hindurch täglich Parallelversuche an benachbarten Streifen mit und ohne Adrenalin- zusatz angestellt (Tabelle IV), aus denen folgendes hervorgeht: Tabelle IV. (Carotis XIIL) Mit Adrenalin Ohne Adrenalin 5 S Vom Beginne | Vom Beginne ee | A 5| % der Dehnung 3 | der Dehnung des \ Temperatur 38 & vars En Temperatur Eu | verliefen bis Versuchs- | der Ringer- 2 2 N 2 SEINEN | der Ringer- © 12) 2: Beginne der paares lösung o2|8 toni- | ryth- lösung 5 © | toni- | rhyth- | A®ı 2 | schen | misch. =8 | schen | misch. | &| 3 Verkür- | Bewe- | & |Verkür-| Bewe- | A | zung | gungen zung | gungen Si | Ze; mm | cem | Min. | Min. Xo, | mm | Min. Min. aundb | 38,4—38,8 | 15 | 0,5 58 167 37,8 15 80 122 Ed | 38,8 1522051216130 = 38,4 152151952)01952) eur | 38,6 132.01 53 295 38,5 13 le) Sg» h |:38,1—38,6 | 20 | 0.1 78 146 38,4—38,6 | 20 | 108 140 IB ke 38,6 Ik 0:1 674)| 67%)| 38,6—38,8 17 70 110 em | 38,6 Id 01 83 84 38,6 Ir 994| 991) 0) 38,6 158 u Os 84!)| 841) 38,8 15 632)4632) P » q | 38,2—38,5 | 15 | 0,1 | 1574| 157%) 38,0 17 89 160 \) Hier begannen tonische Verkürzung und rhythmische Kontraktionen gleich- zeitig. 224 S. Weiss: 1. Die tonische Verkürzung setzt in den Versuchen mit Adrenalinzusatz in der Regel früher ein, als ohne Adre- nalin. Man hat den Eindruck, als ob das Latenzstadium, das der tonischen Verkürzung vorangeht, durch den Adrenalinzusatz abge- kürzt wurde. 2. Auf den Eintritt der rhythmischen Kontraktionen hat das Adrenalin keinen sichtbaren Einfluß. Jedoch konnte ich in diesen und anderen Versuchen beobachten, daß, wenn bei stärkerer tonischer Verkürzung des Arterienstreifens nur mehr ein kleinschlägiger Rhyth- mus vorhanden ist, dieser infolge des Adrenalinzusatzes bei noch weiter zunehmender tonischer Verkürzung gänzlich sistieren kann; fernerhin, daß die rhythmischen Kontraktionen, die durch Adrenalinzusatz (neben der zunehmenden tonischen Kontraktion) unterdrückt wurden, nach einiger Zeit wiederkehren können. Über den Einfluß verschiedener Zusätze auf die Spontan- kontraktionen. In dem vorangehenden Abschnitte wurde gezeigt, daß es zum Zustandekommen der Spontankontraktionen bloß der O,-Durchströ- mung, jedoch keines Zusatzes von .Adrenalin bedarf und daß dieser nur in gewisser Beziehung modifizierend auf den Verlauf einwirkt. Es war aber nach den Erfahrungen früherer Autoren, die auch an anderen überlebenden Geweben und Organen gewonnen wurden, wahr- scheinlich, daß gewisse andere Zusätze auch an den Arterienstreifen von größerem Einflusse sein können. Es soll daher hier etwas ausführ- licher über die Ergebnisse von Versuchen berichtet werden, in denen die Ringerlösung mit Traubenzucker oder Rohrzucker versetzt wurde, dann über solche, in denen ich CO, durchströmen ließ; endlich kürzer über die spärlichen Versuche, in denen Milchsäure, Cholin, Cocain, Atropin zur Prüfung kamen. Traubenzucker. Diesbezüglich lauten meine Erfahrungen bei- nahe genau so, wie die von H. Friedmann an der Pferdecarotis. Ich fand, daß, wenn in einem seit längerer Zeit in Gang befindlichem Versuch die Ringerlösung mit Traubenzucker bis zu einer Kon- traktion von 0,1%, versetzt wird, das Ergebnis davon abhängt, in welcher Art von Bewegung sich die Arterie zum Zeitpunkt des Zucker- zusatzes befunden hatte. a) Befand sich der Streifen in zunehmender tonischer Verkürzung, so nahm diese- infolge des Zuckerzusatzes noch rascher zu. b) War der Streifen bereits im Erschlaffen, also die Kurve im Abstieg begriffen, so ging diese nach dem Zuckerzusatz entweder wieder in die Horizontale über, oder fing gar an, wieder anzusteigen. c) Hatte endlich der Arterienstreifen gerade rhythmische Kontraktionen ausgeführt, so nahm die Höhe der Ausschläge nach dem Zuckerzusatz Uber Spontankontraktionen überiebender Arterien. DJs A u meistens unter gleichzeitiger Zunahme der tonischen Verkürzung zu- sehends ab, um bald völlig auszusetzen. Man könnte nun annehmen, daß dieser, die rhythmischen Kon- traktionen der Arterienstreifen inhibierende Wirkung des Trauben- zuckers auf einen schädigenden Einfluß auf die glatten Muskelfasern beruht. Daß dem nicht so ist, geht einerseits aus der oben konstatierten Zunahme der tonischen Verkürzung des Streifens nach dem Zuckerzu- satz, andererseits aus folgendem Versuch hervor: Ich ließ in einem typischen Versuch, nachdem die rhythmischen Kontraktionen be- sonnen hatten, die Zuckerlösung einlaufen, worauf die Kontraktionen alsbald aussetzten; 1!/, Stunden nachher versetzte ich die Ringer- lösung mit Adrenalin, worauf sofort die bekannte einmalige, kurz- dauernde Kontraktion erfolgte. Die Muskelfasern waren also reaktions- fähig geblieben. Rohrzucker war, wie auch in H. Friedmanns Versuchen, gänzlich wirkungslos; weder die tonische Verkürzung noch die rhyth- mischen Kontraktionen wurden im mindesten beeinflußt. Es ist dies dieselbe Erscheinung, die diesbezüglich auch an anderen überlebenden Organen konstatiert wurde. Kohlensäure. Während O. B. Meyer dem CO, bloß eine ‚„er- schlaffende Wirkung‘ zuschreibt, fand ich, daß diese Wirkung eine geradezu deletäre ist. In einem Versuche leitete ich, nachdem der Arterienstreiten während der O,-Durchströmung bereits im Zustande starker tonischer Kontraktion sich befand, CO, ein. Alsbald fand eine bedeutende Erschlaffung des Streifens statt, die auch nicht verging, als ich bald darauf O, durchströmen ließ und Adrenalin hinzusetzte. Beides erwies sich als wirkungslos, und die Arterie erschlaffte immer mehr und mehr. \ Gärungsmilchsäure wirkt in stärkeren Konzentrationen von 1 : 1500 : 7000 ähnlich wie CO, ; bei einer Konzentration von 1 : 15 000 kommt es bloß zu einer mäßigen Erschlaffung unter vorangehendem Sistieren der rhythmischen Kontraktionen. ı Cholinumhydrochloricum. Mit Rücksicht auf die neueste Mit- teilung von le Heux!) über die besondere bewegungsfördernde Wirkung des Cholins auf den überlebenden Darm war es von Interesse, zu er- fahren, wie sich diesbezüglich die Arterienstreifen verhalten. Aus den spärlichen Versuchen, die ich hierüber angestellt habe, ging hervor, daß, im Gegensatz zu Weilands?) diesbezüglichen Befunden, der nach Zusatz von 15—20 mg Cholin kräftige Kontraktionen eintreten t) D. W. Le Heux, Cholin als Hormon der Darmbewegung. Arch. f. d. ges. Physiol. 1%3, 8. 1918. ?2) W. Weiland, Zur Kenntnis der Entstehung der Darmbewegungen. Arch. f. d. ges. Physiol. 14%, 171. 1912. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 2 15 226 S. Weiss: sah, diese Dosis in meinen Versuchen ohne jedwede Wirkung geblieben ist. Erst nach Zusatz von 60—100 mg trat eine Zunahme der tonischen Verkürzung ein, unter gleichzeitigem Sistieren der rhythmischen Kon- traktionen. Cocainum hydrochlorieum. In einem Versuch habe ich, als nach einer länger dauernden tonischen Verkürzung die Arterie bereits zu erschlaffen begann, 0,017 g Cocain hinzugefügt; sofort begann wieder eine mäßige tonische Verkürzung. — In einem zweiten Versuche war die Arterie noch in tonischer. Verkürzung begriffen und führte rhythmische Kontraktionen aus; nach Zusatz von 0,06 & Cocain er- folgte eine mehrere Millimeter hohe Verkürzung, die erst eine Weile später nachließ. Atropinum- sulfurieum. Ganz dem Cocain ähnliche Wirkung sah ich bei Zusatz von 0,002—0,003 g Atropin, indem auch hier eine tonische Verkürzung unter Sistieren der rhythmischen Kontraktionen eintrat. Ich fand also das Gegenteil davon, was durch O. B. Meyer!) beschrieben wurde. Sind dieSpontankontraktionen der überlebenden Arterien- streifen neurogenen oder myogenen Ursprunges? Von den Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigen, ist es Bayliss?) allein, der für die Spontanbewegungen der Arterien einen rein myogenen Ursprung annimmt, von der allerdings irrigen An- nahme ausgehend, daß die nervösen Elemente binnen wenigen Stunden nach dem Tode der Tiere bereits funktionsunfähig werden, daher die Tage später auftretenden Spontankontraktionen nicht neurogenen Ursprunges sein können. Für den neurogenen Ursprung wurden von O. B. Meyer, Hull und Günther verschiedene Momente geltend gemacht: l. Die rhythmischen Kontraktionen würden durch Adrenalin, also durch ein Gift, ausgelöst, das auf die sympathischen Nerven einwirkt (Günther). Demgegenüber konnte ich mich in meinen Versuchen auf das sicherste davon überzeugen, daß, wie oben ausführlich aus- einandergesetzt war, durch Adrenalin wohl eine sofortige, einmalige, kurz andauernde Kontraktion erzeugt wird, zum Zustandekommen der tonischen Verkürzung und der rhythmischen Kontraktionen jedoch die Anwesenheit von Adrenalin nicht notwendig ist. 2. An mit Methylenblau gefärbten Präparaten wären zwischen den Muskelfasern auch Nervenfasern und -zellen nachweisbar (Full). 1) O. B. Meyer, ]. c. 1906. ®?) W. M. Bayliss, On the local reactions of the arterial wall to change of internal pressure. Journ. of physiol. 28, 220. 1902. Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. DD Diesbezüglich sind Bethe!) und auch Günther anderer Meinung, in- dem laut ihnen die zur Arterie gehörenden Ganglienzellen sich in der Adventitia befinden. Für Günther ist es darum erklärlich, daß die von der Adventitia befreite Carotis sich in seinen Versuchen anders, als eine in allen Schichten unversehrte Carotis verhält. Demgegenüber muß ich mich auf drei Versuchspaare beziehen, die jeweils an Streifen von benachbarten Carotisstellen ausgeführt wurden, und wo jedesmal ein Streifen wie gewöhnlich von der Adventitia entblößt, und der andere unversehrt belassen wurde. Das Ergebnis war, daß in einem Ver- suchspaare bloß die unversehrte Arterie, in einem zweiten bloß die von der Adventitia entblößte Arterie rhythmische Kontraktionen aus- führte, am dritten Versuchspaare hingegen beide Streifen. 2. Nach Full wären an überlebenden Arterienstreifen 20 Stunden nach dem Tode des Tieres keine rhythmischen Kontraktionen mehr zu beobachten, während die elektrische Erregbarkeit noch vorhanden sei. Das wäre so zu erklären, daß die nervösen Elemente, die ja nach Full für die rhythmischen Kontraktionen verantwortlich sind, früher als die muskulären zugrunde gehen. Demgegenüber kann ich mich auf Günters, H. Friedmanns und auf meine eigenen Erfahrungen berufen, wonach regelrechte Spontankontraktionen zuweilen nach sechs Tage nach dem Tode zur Beobachtung kommen. 4. Für die neurogene Theorie wird noch angeführt, daß die Wirkung gewisser Giftstoffe, bei deren Applikation es erfahrungsgemäß zu einer Verengerung der Gefäße kommt, durch Reizung der sympathischen Fasern resp. ihrer Endapparate hervorgerufen wird. Ich halte auch dieses Moment nicht für beweisend, und verfüge über Versuche, die sogar eher dafür sprechen, daß jene Giftwirkung direkt an der glatten Muskelfaser ansetzt. In den obenerwähnten, mit Atropin und Cocain ausgeführten Versuchen habe ich nämlich, sobald die tonische Ver- kürzung, die durch jene Gifte verursacht ward, abgeflaut war, 0,5 g Bariumchlorid hinzugefügt. Dieses Gift, das an nicht vorbehandelten Arterienstreifen eine sofortige starke Kontraktion herbeiführt, war in obigen Versuchen beinahe oder gänzlich wirkungslos. Insofern wir das Recht haben, das Bariumchlorid als spezielles Muskelgift anzusehen, haben wir auch das Recht zur Annahme, daß die Wirkungslosigkeit des Bariumchlorids an Arterienstreifen, die vorangehend mit Cocain oder Atropin behandelt wurden, darauf basiert, daß der Angriff von seiten dieser Gifte nicht ausschließlich auf die nervösen Elemente ge- richtet war, sondern auch die Muskelfaser selbst betroffen hat. Damit ist aber auch gesagt, daß diese Gifte keine reinen Nervengifte sind, können also auch nicht für die neurogene Theorie der Spontankon- traktionen in Anspruch genommen werden. Natürlich kann nicht ver- 1) Bethe, Zitiert bei Günther. 155 228 S. Weiss: Über Spontankontraktionen überlebender Arterien. schwiegen werden, daß diese meine Beweisführung ebenfalls an den Schwierigkeiten resp. der Unsicherheit krankt, die bezüglich des An- sriffspunktes der verschiedenen Gifte, so auch des Bariumchlorids bestehen. Ist nämlich dieses den glatten Muskelfasern gegenüber kein | ausschießliches Muskelgift, sondern werden durch dasselbe auch nervöse Elemente mitbetroffen, so sind meine Ausführungen gegenstandslos. Es liegt also m. E. vorläufig keine Tatsache dafür vor, aus der man mit Sicherheit auf den neurogenen Ursprung der Spontankontraktionen der Arterien folgern könnte. : Die Ergebnisse obiger, auf Anregung und unter Leitung des Prof. P. Hari ausgeführten Versuche lassen sich kurz folgendermaßen zu- sammenfassen : l. Zum Zustandekommen der tonischen Verkürzung und der rhythmischen Kontraktion überlebender Arterien- streifen ist die Anwesenheit von Sauerstoff notwendig. 2. Der Zeitpunkt des- Eintrittes der Spontan.kontrak- tion hängt unter anderem auch von der Belastung ab; verwendet man für die typischen Versuche die von Günther vorgeschlagenen 60 8, so treten die Kontraktionen bei klei - nerer Belastung später, bei größerer Belastung früherein. 3. Die durch die tonische Kontraktion bewirkte Ver-. kürzung eines durch 60 g gedehnten Streifiens von 1 cm Breite und 15—20 cm ursprünglicher Höhe beträgt ungefähr den dritten Teil von deren Höhe (im gedehnten Zustand); Dehnung durch 100 g bewirkt eine Überdehnung, derzufolge die tonische Verkürzung wesentlich geringer ausfällt. 4. Adrenalin erzeugt eine einmalige, etwa neun Mi- nuten lang andauernde Kontraktion; auf die viel später. einsetzende tonische oder rhythmische Kontraktionen wirkt der Adrenalinzusatz höchstens im Sinne einer ge- wissen Beschleunigung des Eintrittes. Notwendig zum Zu- standekommen derselben ist Adrenalin nicht. 5. Durch Zusätz von Traubenzucker wird eine be- stehende tonische Kontraktion des Streifens gesteigert; rhythmische Kontraktionen werden unterdrückt. 6. Durchströmung mit Kohlensäure führt zu einer dauernden Erschlaffung. 7. Durch Cocain und Atropin wird eine rascher ein- setzende, langsamer abflauende Kontraktion herbeigeführt 8. Keines der bisher für den neurogenen Ursprung der Spontankontraktionen angeführten Momente ist beweis- kräftig. Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen des Tageslichtes auf die Vegetation. Von Dr. Fritz Schanz, Augenarzt in Dresden. Mit 11 Textabbilduneen. (Eingegangen am 7. Januar 1920.) Meine Untersuchungen über die Wirkung des Lichts auf die Augen- linset) haben mir gezeigt, daß vor allem die ultravioletten Lichtstrahlen die Eiweißkörper in der Linsensubstanz verändern. An Lösungen von Linsen-, Eier- und Serumeiweiß ließ sich zeigen, daß sich unter Ein- wirkung jener Strahlen auf Kosten der leichtlöslichen schwerer lösliche Eiweißkörper bilden). Farbstoffe und auch farblose Körper vermögen diesen Prozeß zu beeinflussen?). Von den farblosen Körpern üben die- jenigen den größten Einfluß aus, die besonders intensiv in Ultraviolett absorbieren. Bei den Farbstoffen werden außer den ultravioletten Strahlen noch von den sichtbaren diejenigen wirksam, die zu der Farbe komplementär sind. Daß das, was ich hier für lebloses Eiweiß nachgewiesen, auch für die lebende Substanz gilt, ergibt sich aus den Versuchen Hertels?). Dieser belichtete Aufschwemmungen .von Bakterien und Paramäcien mit spektral zerlegtem Licht. In der einen Versuchsreihe war kein Farbstoff, in den beiden anderen eine sehr schwache Eosin- und Ery- throsinlösung zugesetzt. Die Eosinlösung absorbierte das Licht zwischen 1 535 bis 470 wu, die Erythrosinlösung von 4 525 bis 485 uu. Zur Belichtung verwandte er Licht von / 518 wu und von 4 448 uu. Daß das Licht beider Wellenlängen gleiche Intensität besaß, war vorher bolometrisch festgestellt. An den ungefärbten Aufschwemmungen waren mit beiden Lichtarten nach halbstündiger Belichtung keine Veränderungen festzustellen, an den gefärbten Aufschwemmungen aber wurde mit dem Licht von 4 518 uu, das in beiden Fällen von dem a) Farbstoffe absorbiert wurde, in der Zeit von 1 bis 3 Minuten der Tod !) Wirkungen des Lichts auf die lebende Substanz. Arch. f. d. ges. Physiol. 161. ?) Lichtreaktion der Eiweißkörper. Daselbst 164. 2) Biochemische Wirkungen des Lichts. Daselbst 190 und Licht und Leben. v. Graefes Archiv f. Ophthalmol. 96. *) Zeitschr. f. allg. Physiol. 4. 230 F. Schanz: Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen der Organismen bewirkt, während das Licht von / 448 uu, das von diesen Farbstoffen nicht absorbiert wurde, wirkungslos blieb. Beson- dere Beachtung verdienen hier auch noch die Versuche Hertels über die Einwirkung des Lichts auf den Zellteilungsprozeß!). Er hat See- igeleier künstlich befruchtet und sie der Einwirkung von grünem Licht von 4 523 u ausgesetzt. Dieses Licht hatte auf den Zellteilungsprozeß nur dann einen erheblichen Einfluß, wenn dem Seewasser etwas Eosin zugesetzt war. Diffuses Tageslicht hatte keinen Einfluß, aber es zeigte sich eine deutliche Verzögerung der Furchungsphasen, wenn in Eosin- wasser belichtet wurde. Ultraviolettes Licht zeigte auch an nichtsensibilisierten Eiern dieselbe Wirkung. Aus diesen Versuchen ergibt sich, daß das ultraviolette Licht direkt auf die lebende Substanz einwirkt, während das sichtbare erst durch Sensibilisatoren wirksam wird. Im Pflanzenreich haben wir im Chlorophyll den verbreitetsten Sensibilisator. Daß das Chlorophyll auf das Stroma des Chlorophyll- korns als Sensibilisator wirkt, haben zwar schon Timiriazeff und Engelmann?) behauptet, aber da es ihnen nicht möglich war, den Nachweis zu erbringen, daß das Stroma an sich lichtempfindlich ist, wurde ihnen von Jost und Hausmann?) widersprochen. Diese waren der Ansicht, daß das Chlorophyll allein als Energieüberträger genüst. Jetzt erst sind wir berechtigt anzunehmen, daß das Stroma des Chloro- phylikorns an sich schon für kurzwelliges Licht empfindlich ist, und daß es durch das Chlorophyll für die langwelligeren Strahlen empfind- lich gemacht wird, die sonst nicht auf dasselbe einzuwirken vermögen. Wie kommt es, daß die Assimilation vor allem durch die lang- welligen Lichtstrahlen besorgt wird, die erst durch einen Sensibilisator wirksam werden ? Es wird dies daran liegen, daß den Lichtstrahlen je nach ihrer Wellenlänge verschiedene Tiefenwirkung zukommt. Die ultravioletten werden bei Blättern, die eine diekere Oberhaut besitzen, gar nicht zu den Assimilationsorganen gelangen. In der Oberhaut müssen wir nach ihren Wirkungen suchen. Veränderungen an den Zellen der Oberhaut können Einfluß haben auf die Gestaltung der Pflanzen und auf ihre Bewegungserscheinungen. Die Erscheinungen des Heliotropismus, die Unterschiede im Bau der Sonnen- und Schatten- blätter, die Bildung der Pigmente in der Oberhaut der Blätter könnte mit den Wirkungen der ultravioletten Strahlen zusammenhängen. Um den Beweis zu erbringen, daß den ultravioletten Strahlen des Tages- lichtes bei biologischen Vorgängen eine viel größere Bedeutung zu- 1) Daselbst 5, Heft 4. 2) Farbe und Assimilation. Botan. Zeitschr. 1883, S. 20. 3) Die photosynthetische Wirkung des Chlorophylis. Biochem. Zeitschr. 12, S. 390. des Tageslichtes auf die Vegetation. 231 kommt, als wir jetzt annehmen, schienen mir zu diesen Versuchen die Pflanzen besonders geeignete Versuchsobjekte. Vom Ultraviolett des Tageslichts wissen wir, daß seine Intensität erheblich anwächst, wenn wir uns ins Hochgebirge begeben. An der Vegetationsgrenze können wir uns in wenig Stunden eine schwere Haut- und Augenentzündung zuziehen. Der Gletscherbrand und die Schneeblindheit sind dem Hochtouristen als Wirkungen der ultra- violetten Strahlen wohlbekannt. Der Reichtum des Lichts an Ultra- violett setzt dort nicht mit einem Male ein. Die Zunahme ist eine stetige. Es ist nur der Zuwachs in der Intensität dieser Strahlen, der so erheb- liche Wirkungen in unserer Haut erzeugt. Auch in der Tiefebene muß diesem Spektralbereich noch ein erheblicher Einfluß zukommen. Ein Instrument, um den Gehalt des Tageslichts an Ultraviolett zuverlässig zu messen, besaßen wir bis vor kurzem nicht. Jetzt sind von Kron!) und Dember?) gleichzeitig zwei solche Instrumente angegeben. Die Messungen, die damit ausgeführt wurden, sind aber noch so gering an Zahl, daß wir die Resultate zur Beurteilung biologischer Fragen noch nicht verwenden können. Zwar hat Prof. Dorno sich in Davos mit solchen Messungen viel bemüht. In seiner ‚Studie über Licht und Luft im Hochgebirge‘ ?) hat er drei Jahre lang mit größtem Eifer vergleichende Messungen darüber vorgenommen und in der Arbeit über ‚„Himmels- helligkeit, Himmelspolarisation und Sonnenintensität in Davos 1911 bis 1918‘ fortgesetzt). Seine Resultate können nicht stimmen; sie können mit den bio- logischen Beobachtungen nicht in Einklang gebracht werden. Die Untersuchungen sind mit bewunderungswürdigem Eifer durchgeführt, aber die Untersuchungsmethoden sind fehlerhaft. Ich habe schon mehr- fach’) darauf hingewiesen, wo bei seinen Untersuchungen die Fehler liegen. Neuerdings hat auch Dr. Bernhard in St. Moritz ®), der Begründer der Heliotherapie, sich im gleichen Sinne geäußert. Er gibt auch an, daß die Dornoschen Resultate mit seinen langjährigen biologischen Beobachtungen in Widerspruch stehen. Wenn wir uns über die Wirkungen des Ultraviolettes in chemischen und biologischen Prozessen ein Urteil bilden wollen, so müssen wir uns zunächst einmal klarmachen, wo ist der sichtbare Spektralbereich !) Annalen der Physik 45 (4. Folge), S. 377. ?2) Abhandl. d. naturwissenschaftl. Gesellsch. Isis in Dresden. Jahrg. 1912, Heft 2. 2) Verlag von Vieweg & Sohn in Braunschweig. *) Veröffentlichungen des preußischen meteorologischen Instituts, Nr. 303, 1919. 5) Münch. med. Wochenschr. 1915, Nr. 48; Deutsche med. Wochenschr. 1916, Nr. 25 und Strahlentherapie 8. 1917. €) Strahlentherapie 10, Heft. II. 232 F. Schanz: Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen von dem ultravioletten abzugrenzen. Darin wird von den Physikern vielfach gefehlt. Bei intensiven Lichtquellen ist es uns möglich, noch Licht bis 4 392 u direkt wahrzunehmen. Wenn wir bei geeigneter Versuchsanordnung noch jenseits von 4 392 uu einen Lichteindruck erhalten, so wird er erzeugt durch das Fluorescenzlicht der Netzhaut. Hört auch erst bei 4 392 uu die Sichtbarkeit des Lichtes auf, so be- ginnt es schon im blauen und violetten Spektralbereich unsichtbar zu werden. Unsere Linse ist von Jugend auf gelblich gefärbt und diese Färbung nimmt im Laufe des Lebens zu. Es zeigt dies, daß ‚schon Strahlen aus diesem Wellenlängenbereich unsichtbar sind. Darum dürfen wir bei der Beurteilung der chemischen und biologischen Licht- wirkungen die Abgrenzung dieser beiden Spektralteile nicht an das Ende der Sichtbarkeit legen, sondern in die Mitte des Übergangsbereichs. Die Abgrenzung bei A 400 au dürfte den Verhältnissen gut entsprechen. Als ich meine Untersuchungen über die Wirkungen des ultravioletten Lichtes auf das Auge anfing, hatten wir keinen Filter, der uns gestattet, das Spektrum bei 4 400 uu abzugrenzen. Ich mußte mir erst ein Glas herstellen, das dieser Anforderung entsprach. Mit diesem Glas (Euphos- glas) habe ich meine Versuche an Pflanzen ausgeführt. Ich habe Pflan- zen in Treibbeeten gezüchtet und ihnen das Licht bestimmt abge- grenzter Spektralteile entzogen. Zu diesen Versuchen wählte ich den Versuchsgarten in Schellerhau, der zur Forstakademie Tharandt gehört. Der Garten liegt 760 m über N.N. im Erzgebirge. Es wurde dort ein Kasten für drei Treibbeete aufgestellt. Von den Beeten war das erste unbedeckt, das zweite war bedeckt mit einem Fenster aus gewöhnlichem, farblosem Glas, das dritte mit einem Fenster aus dem von mir angegebenen Euphosglas. Im ersten Beete wirkte auf die Pflanzen das volle Tageslicht. Das Spektrum desselben reicht bei uns in Intensitäten, die für biologische Wirkungen in Frage kommen, bis etwa 4 300 uu. Spektrum 1 in Abb. 1 ist ein auf einer für rot sensibilisierten Platte im Juni mit einem Quarzspektrographen in Dresden aufgenommenes Spektrum des Sonnen- lichtes. Fast die Hälfte dieses Spektrums ist erzeugt von Strahlen, die das Auge nicht wahrzunehmen vermag. Doch ist dabei zu bedenken, daß es sich um ein prismatisches Spektrum handelt, bei dem mit ab- nehmender Wellenlänge die Dispersion zunimmt. Im zweiten Beet wirkte Licht, dem durch das farblose Glas ein Teil des Ultravioletts entzogen war. Die farblosen Gläser fangen etwa bei 4 360 uu an, stärker zu absorbieren und absorbieren je nach Dicke und Qualität vollständig von / 330 wu bis 300 wu (Abb. 1, Spektrum 2). Das von mir angegebene Euphosglas fängt in Blau an zu absorbieren und ab- sorbiert von 4 400 uu an alles Ultraviolett (Abb. 1, Spektrum 3). In den drei Beeten wirkte also verschieden zusammengesetztes Licht auf des Tageslichtes auf die Veeetation. 233 die Pflanzen. In den Wandungen der Beete waren Ventilationsöffnungen um eine stärkere Erwärmung der mit Glas bedeckten Beete zu vermei- den. Gleiche Temperatur mit dem unbedeckten Beet ließ sich nicht herstellen. Zwischen den beiden mit Glas bedeckten Beeten zeigte 7400 u 4 300 zen | sichtbar > | <- unsichtbar 1 ohne Glas mit gewöhnl. Glas 3 mit Euphosglas 4 mit rotem Glas Abb. 1. Spektren des Sonnenlichts. das Thermometer keinen wesentlichen Temperaturunterschied. Die Pflanzen wurden gleichmäßig begossen, und an Regentagen die in den bedeckten Beeten etwa entsprechend der im unbedeckten gefallenen Regenmenge. Frei. Unter Glas. Unter Euphosglas. Abb. 2. Edelweiß. Als Versuchspflanzen hatte ich in erster Linie Edelweiß gewählt. Abb. 2 zeigt aus jedem Beet einen Kasten mit diesen Pflanzen zur Zeit der Blüte. Im ersten Beet, in dem das volle Tageslicht einwirkte, zeigten die Pflanzen die normale Form wie im Stock, dem sie ent- nommen waren. In dem zweiten Beet unter gewöhnlichem Glas waren die Blätter länger und schmäler, der Blütenstiel länger und ‚dünner, 234 F. Schanz: Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen die Blüte selbst kleiner, und in dem dritten Beet unter Euphosglas waren diese Veränderungen in noch höherem Maße ausgesprochen. Auch die Blütezeit war bei den in diesem Beet gezogenen Pflanzen kürzer. Zwischen dem ersten und zweiten Beet bestanden außer der Ver- änderung des Lichtes noch Unterschiede in der Temperatur und der Luftbewegung. Zwischen dem zweiten und dritten Beet fielen diese Unterschiede weg. Nur in dem Gehalt des Lichtes an Ultraviolett war Frei. Unter Glas. Unter Euphossglas. Abb. 3. Bohnen. ein Unterschied vorhanden, und dieser muß für die Gestaltungsunter- schiede der Pflanzen, die sich in diesen beiden Beeten ausgebildet hatten, verantwortlich gemacht werden Da in diesen beiden Beeten der Gehalt des Lichtes an Ultraviolett auf die Gestaltung der Pflanzen von Ein- fluß war, so muß auch angenommen werden, daß bei dem Unter- schied in der Gestaltung der Pflanzen im ersten und zweiten Beet der- selbe Einfluß mitgewirkt hat, denn auch hier war durch das Glas den Pflanzen im zweiten Beet erheblich ultraviolettes Licht entzogen wor- den. Zu dem Versuch wurden als Versuchspflanzen noch verwandt: Roggen, Hafer und Gerste. Bei allen drei Getreidearten fanden sich dieselben Veränderungen. Als die Keimblätter des Roggens in dem unbedeckten Beet 15 cm lang waren, waren sie in dem mit ge- des Tageslichtes auf die Vegetation. 235 wöhnlichem Glas bedeckten im Durchschnitt 20 em und in dem mit Euphosglas bedeckten 30 cm lang. Die letzteren waren schmäler, sie hatten wenig Halt, sie sanken um. Als sich der Halm bildete, richteten sie sich wieder auf. Der Halm war dünner als in den zwei anderen Beeten. Als Versuchspflanzen wurden noch Bohnen, Kartoffeln, Astern, Lobelien, Steinbrech- und Rubuspflanzen verwandt. Sie zeigten alle Frei. Unter Glas, Unter Euphosglas. Unter rotem Glas, Abb. 4. Bohnen, dieselben charakteristischen Veränderungen in ihrer Gestalt. Abb. 3 zeigt einen solchen Versuch mit Bohnen. Die Pflanzen zeigten Unter- schiede, wie sie Bonnier!) erzeugte, als er dieselbe Pflanze im Tief- land und in den Alpen kultivierte. Versuche gleicher Art habe ich noch im Forstgarten Tharandt (250 m über N.N.) ausgeführt, diese habe ich aber auch noch auf rotes Licht ausgedehnt. Bei diesem Versuch wirkten auf die Pflanzen die vier Lichtarten, wie sie in den Spektren 1—4 der Abb. 1 abgebildet sind. Der Versuch führte zu demselben Resultat, nur waren die Unter- schiede in Schellerhau ausgesprochener als in Tharandt. Abb. 4 zeigt die Veränderungen, welche Bohnen erlitten, die in !) Schimper, Pflanzengeographie, S. 744. 236 F. Schanz: Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen Tharandt gleichzeitig gepflanzt und unter diesen vier verschiedenen Lichtarten gleichmäßig gepflegt wurden. Man vergleiche die drei ersten Pflanzen mit den in Schellerhau gezogenen (Abb. 3). Man wird sich überzeugen, daß dort die Unterschiede noch größer waren als in Tharandt. Abb. 5a—d sind Pelargonien, die im Frühjahr als gleichgroße Pflänz- chen in das verschiedene Licht gebracht wurden. Die erste ist die Abb. 5a. Abb. 5b. Pflanze, auf die das volle Tageslicht einwirkte. Die zweite ist die Pflanze unter farblosem Glas, sie ist wesentlich größer und kräftiger als die erstere. Die dritte ist die unter Euphosglas gezogene Pflanze; sie ist noch größer und stärker, die Stengelglieder sind länger als bei den beiden ersteren, die Blätter eher größer, die Blattstiele länger, die Blüte besonders groß und voll. Die vierte Pflanze wurde unter sonst gleicher Bedingung in dem Beet unter rotem Glas gezogen. Hier dokumentiert sich am deutlichsten die Gestaltsveränderung durch den Mangel an kurzwelligem Licht. Die Blattstiele sind um ein a des Tageslichtes auf die Vegetation. 237 Mehrfaches länger als bei den anderen gleichartigen Pflanzen. Die Pflanze hat früher geblüht als die anderen, die Blüte war nicht so voll wie bei jenen. Der Blütenstiel war ebenfalls stark verlängert. Beson- ders auffällig ist die Form der Blätter. Die Blätter der im vollen Tageslicht gezogenen Pflanze sind mit den Rändern nach oben gerichtet. Bei der Pflanze unter gewöhnlichem Glas ist eine Abweichung hierin noch nicht auffällig, aber bei der unter Euphosglas gezogenen fiel es Abb. Sc. Abb. 5d. auf, daß die Blätter flacher geworden sind. Bei der Pflanze unter dem roten Glase sind die Blätter nach dem Rand hin glockenartig nach unten gebogen. Abb. 6 stellt ein solches Blatt in größerem Maßstab dar. Die Blattrippen treten auffallend stark hervor. Die Flächen zwischen den Blattrippen sind nach unten gebogen, und die ganze Blattfläche zeigt vom Ansatz des Stieles nach den Rändern hin die- selbe Krümmung nach unten. Das Blatt erhält dadurch eine glocken- artige Form. Solche Versuche wurden in Tharandt noch ausgeführt mit Buschbohnen, Saubohnen, Kapuzinerkresse, Heliotrop, Bitterklee. N N 238 '.F. Schanz: Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen Die Versuche lehren, daß die Pflanzen auffällige Veränderungen in ihrer Gestalt erleiden, wenn man ihnen vom kurzwelligen Ende des Spektrums her das Licht entzieht. Wodurch wird diese Gestaltsver- änderung veranlaßt? Die Erklärungen scheint mir die in Abb. 5 abgebil- dete unter rotem Glas gezogene Pelargonie zu geben. Die im roten Licht gezogene Pflanze zeigt eigentümlich gestaltete Blätter. Diese Blattform (Abb. 6) kann nur dadurch zustande kommen, daß die obere Blattschicht Abh. 6. Blätter von einer in rotem Licht gezogenen Pelargonie. stärker gewachsen ist als die untere. Wie läßt sich dies erklären ? Dem Licht verschiedener Wellenlänge wird wie beim Menschen auch bei der Pflanze eine verschiedene Tiefenwirkung zukommen. Je kurzwelliger das Licht ist, desto weniger tief vermag es in die Gewebe einzudringen. Bei den unter rotem Glas gezogenen Pflanzen wird daher das Licht fehlen, das sonst auf die oberen Blattschichten einwirkt. Es ist be- kannt, daß das Licht verzögernd auf das Wachstum der Pflanzen wirkt, das embryonale Gewebe an den Wurzelvegetationspunkten wächst stetig, während in den Sproßvegetationspunkten das Wachstum in der Nacht stärker ist als am Tage. Dasselbe gilt vom Streckungswachstum, das dadurch gekennzeichnet ist, daß sich die Gewebselemente strecken. des Tageslichtes auf die Vegetation. 239 Bei jener Pelargonie hat unter dem roten Glas der Lichtreiz gefehlt, der auf das Wachstum der oberen Blattschicht retardierend einwirkt, während das langwelligere rote Licht auf die tiefer liegenden Gewebs- schichten einen solchen Einfluß ausgeübt hat. Aber diese Blätter verraten uns auch den Prozeß, der die Gestaltsveränderungen der ganzen Pflanze bewirkt hat. Den oberflächlichen Zellschichten der sanzen Pflanze fehlte der Lichtreiz, der hemmend ihr Wachstum beeinflußt. In der Natur spielt derselbe Prozeß, nur ist er auf den ultravioletten Spektralteil beschränkt. Das Edelweiß, das vom Hochgebirge nach der Tiefebene versetzt wird, läßt diesen Einfluß erkennen. Aus dem kurzen, gedrungenen Gewächs, das wir alle bewundern, wird eine lange, aufgeschossene Pflanze, die damit ihre alpine Tracht verliert. Was sich am Edelweiß zeigt, gilt auch für die übrigen Pflanzen. Das ultra- violette Licht beeinflußt die Gestaltung der gesamten Vegetation. Den retardierenden Einfluß des Lichts auf das Wachstum der Pflanzen sehen wir auch bei Erscheinungen des Heliotropismus. Um diesen zu demonstrieren, pflanzt man Pflanzen in dunkle Kästen, die nur in einer Seitenwand eine Öffnung haben. Die Pflanzen wachsen in solchen Kästen nicht senkrecht, sondern krümmen sich zu der Öff- nung in der Wand, durch die sie ihr Licht erhalten. Bei solchen Pflan- zen fehlt auf drei Seiten der Lichtreiz, der das Wachstum hemmend beeinflußt, nur auf der Seite, wo sie von Licht getroffen werden, macht sich dieser Reiz geltend und bewirkt die Krümmung. Im Freien wird den Erscheinungen des Heliotropismus derselbe Pro- zebr zusnunde liegen. Um mir ein Urteil zu bilden, ob der Bau der Sonnen- und Schatten- blätter durch das Licht verschiedener Wellenlänge beeinflußt wird, habe ich bei einer Anzahl meiner Versuchspflanzen die Blätter mikro- skopisch untersucht. Je mehr kurzwelliges Licht den Pflanzen ent- zogen wurde, desto dünner wurde der Querschnitt ihrer Blätter. Die Blattrippen traten um so stärker hervor, je dünner die Palisaden- zellenschicht wurde. In der Pflanzengeographie von Schimper finden sich auf Seite 749 aus den Arbeiten von Bonnier entnommene Blatt- querschnitte derselben Pflanzen aus dem Hoch- und Tiefland. Meine Versuchspflanzen zeigten dieselben Unterschiede, nur noch ausge- sprochener. An den Stengeln meiner Versuchspflanzen habe ich noch den Ver- holzungsvorgang untersucht. — Ich habe die Querschnitte der Phloro- glucin- und der Anilinsulfatprobe unterworfen. Dabei zeigte sich, daß die Verholzung um so später eintrat und um so schwächer war, je mehr ich den Pflanzen das kurzwellige Licht entzogen hatte. 240 F. Schanz: Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen Schon diese Versuche zeigten, daß den ultravioletten Strahlen des Tageslichtes ein viel größerer Einfluß auf die Vegetation zukommt, als man dies bisher angenommen hat. Ihr Einfluß ist aber ein noch viel weitergehenderer. Mir, als Laien in botanischen Fragen, war es nicht möglich, neben meinem Beruf in dieser einen Vegetationsperiode all die Veränderungen festzulegen, die sich mir bei diesen Versuchen boten. Ich habe deshalb diese Versuche im botanischen Garten zu Dresden im Jahre 1919 wiederholt und weiter ausgedehnt. Diese Versuche wurden so angelest, daß 8 Lichtarten auf die Pflan- zen wirkten. Die Spektren in Abb.7 und 8 charakterisieren diese Lichter. Das oberste Spektrum jeder Aufnahme ist das der offenen 7.400 au 7.300 u R | 2 sichtbar — | <- unsichtbar Lichtbogen gewöhnl. Glas Euphos-a Euphos-b rotes Glas Lichtbogen rotes Glas gelbes Glas grünes Glas blaues Glas Abb. 7 und 8, Bogenlampe, mit der die Aufnahme gemacht wurde. Das Spektrum der offenen Bogenlampe ist erheblich länger als das Spektrum des Sonnenlichts. Das letztere reicht in Intensitäten, die biologisch wirk- sam werden, bei uns nur etwa bis 4 300 uu, während das Spektrum der offenen Bogenlampe bis 4 200 u. reicht. In Beet I, das unbedeckt blieb, wirkte das volle Tageslicht, also Licht bis etwa / 300 uu. Das Beet II war bedeckt mit einem gewöhn- lichen Fensterglas. Das 2. Spektrum in Abb. 7 entspricht dem Licht, das in diesem Beete wirksam war. Im Beet III wirkte Licht, wie es dem 3. Spektrum entspricht. Es waren die Strahlen von weniger als A 380 uu vom Tageslicht durch ein dünnes Kuphosglas (Euphos a) abge- schnitten (Spek- trum 3). In Beet IV wirkte Licht bis 1 420 uu auf die Pflanzen, das kurz- wellige Licht war durch ein dickeres Euphosglas (Eu- phos b) absorbiert (Spektrum 4). Auf dem Beet V war ein rotes Glas ange- bracht, das noch Strahlen bis 4 560 uu durchließ (Spek- trum 5). Bei diesen Beeten I—V war also, wie bei den früheren Versuchen, zunehmend vom kurzwelligen Ende her, das Spektrum verkürzt. | In den folgen- den Beeten wurde Licht aus be- schränkten Bezir- ken innerhalb des Spektrums ver- wandt. Um be- schränkte Spektral- bezirke zu erhalten, sind die gewöhn- lichen gefärbten Gläser nicht ge- eignet. Ihre Fär- bung beruht auf un- gleicher Absorption, die sich über das ganze Spektrum er- streckt. Um Licht aus beschränkten Spektralbezirken zu Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. des Tageslichtes auf die Vegetation. | 16 241 Grün. Blauviolett. Gelb. Rot. Euphos a, Euphos b. 9. Gurken. Glas, Frei, Abb. 242 F. Schanz: Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen erhalten, habe ich gelbe und grüne Gläser mit Euphosgläsern kom- biniert. So habe ich für Beet VI gelbes und für Beet VII grünes Licht Grün. Blauviolett. Rot. Gelb. Abb. 10. Petunien. Euphos b. Euphos a. Glas. Frei. erhalten, das ziem- lich. engbegrenzten Spektralbezirken entspricht. Das Beet VIII wurde mit einem blauvio- letten Glas, dasnoch viel Ultraviolett durchließ, bedeckt. Die Spektren in Abb. 8 charakteri- sieren das Licht, das in den Beeten V-VII auf die Pflanzen wirkte. Das erste Spektrum ist wieder das der offenen Bogenlam- pe. Das Spektrum 2 ist wieder das des roten Glases wie in Abb. 7 Spektrum 5. DannfolgtdasSpek- trum des gelben Lichtes, das in Beet VI wirkte. Das nächste Spektrum ist das des grünen Lichtes, das in Beet VII wirksam war. DasletzteSpektrum ist das des blau- violetten Glases, mit dem das Beet VIII bedeckt war. Auch der _dies- jährige Versuch zeigt wie der vor- jährige, daß sich mit der Lichtart die Gestaltung der Pflanze ändert. Abb.9 zeigt Gurken, die gleichzeitig gesät und in diesen 8 Lichtarten möglichst des Tageslichtes auf die Vegetation. gleichmäßig gepflegt wurden. Die Pflanzen aus den Beeten I—V zeigen, daß sie um so höher wurden, je mehr ihnen das kurzwellige Licht entzogen wurde. Die Pflanzen aus den Beeten V—VIII zeigen, daß die Größe der Pflanzen nach dem Blau hin wieder abnimmt. In dieser Auf- nahme ist gleichsam wie in einer mathematischen Kurve zum Aus- druck gebracht, wie das Licht die Gestaltung der Pflanzen beeinflußt. Daß es sich hier um keinen Zufall handelt, lehrt Abb. 10. Diese Pe- tunien zeigen dieselben Verände- rungen inihrer Gestalt. Bei Fuchsien, Chrysanthemen, Lobelien, Begonien, Oxalis esculenta zeigte der auf- steigende wie der abfallende Ast dieser Kurve einen stetigen Anstieg und ebenso einen stetigen Abfall. Der Anstieg war auch bei allen üb- rigen Versuchspflanzen immer ein stetiger. Der Abfall der Kurven zeigt aber bei einer Anzahl Pflanzen Ungleichheiten. Kartoffeln waren im gelben Licht am schwächsten, im grünen waren sie etwas kräftiger und im blauen waren sie noch kräftiger und größer. Dasselbe fand sich bei roten Rüben. Bei den Pe- tunien waren die Blätter im grünen Licht auffallend groß (vgl. Abb. 10), während bei Oxalis esculenta in demselben Licht die Blätter auf- fallend klein blieben. Beider dunkel- blätterigen Kresse waren die Blätter im blauen Licht besonders klein. Sehr auffällig war das Verhalten des grünen Salats. In den Beeten I—IV wurden die Blätter zuneh- mend länger und zarter (Abb. 11). Im roten Licht wurden sie sehr zart. Blauviolett. Grün. Euphosb. Rot. Gelb. Abb. 11. Grüner Salat. Euphos a. Glas. Frei. 244 F. Schanz: Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen Die Blätter legten sich um, es bestand augenscheinlich ein Mißverhält- nis zwischen der Blattfläche und ihrem Stützgerüst. Die Pflanzen blieben in der Entwicklung zurück. Noch ausgesprochener war die Störung im gelben Licht. Dabei waren die Blätter nur ganz schwach grün angefärbt. Im grünen Licht waren die Pflänzchen noch ebenso bleichsüchtig, aber im ganzen doch etwas kräftiger. Im blauen Licht waren sie wesentlich kräftiger und gesättigt grün. Danach haben wir hier im Gelb und Grün einen Spektralbezirk im Tageslicht, der nicht imstande ist, in den Blättern des grünen Salats in genügender Menge Chlorophyll zu erzeugen. Von dem grünen. Salat waren aus den Beeten I—IV gleichzeitig Pflanzen ins Freilicht gepflanzt worden. Von diesen kamen die unter Euphos b angetriebenen zuerst ins Schießen und Blühen. Sie blühten über und über, als die in Beet I angetriebenen Pflanzen die ersten vereinzelten Blüten zeigten. Daß es sich um eine Gesetzmäßigkeit handelt, war daraus zu ersehen, daß die Beschleunigung der Blütezeit von I nach IV hin zunahm. Daß die unter Euphosglas gezogenen Pflanzen eher blühten als die im Freilicht und unter gewöhnlichem Glas gezogenen, konnte festgestellt werden bei: Fuchsien, Bohnen und Tomaten. Was die Zahl der Blüten betrifft, so zeigte sich in den Beeten I—IV keine Abnahme derselben (vgl. Abb. 10). Im roten, gelben, grünen, blauen Licht war die Zahl der Blüten stark vermindert und die Blütezeit stark hinausgeschoben. Von Tomaten war in jedem Beet von I—IV eine Pflanze angetrieben und dann ins Freie verpflanzt worden. Die Zahl der Blüten und Früchte war bei den unter Euphos angetriebenen Pflanzen größer als bei den andern. Die Zahl der Früchte nahm von I nach IV hin zu. Was die Farbe der Blüten betrifft, so wurden sie um so blasser, je mehr den Pflanzen das kurzwellige Licht entzogen wurde. Daraus dürfte die Erscheinung zu erklären sein, daß im Hochgebirge die Farben der Blüten viel gesättigter sind als in der Tiefebene. Ob die Blüten unter rotem, gelbem, grünem und blauem Licht sich entwickelt haben, hatte keinen auffälligen Einfluß auf ihre Farbe. Wie verhält es sich nun mit der Färbung bunter Laubblätter? Am schönsten ist der Einfluß des Lichtes an Blättern zu sehen, die in ihrer Oberhaut rote Farbstoffe enthalten. Ich habe rotblätterigem Salat in meinen Beeten das kurzwellige Licht entzogen. Schon wenn den Pflanzen durch gewöhnliches Glas die Strahlen bis A 320 uu ent- zogen werden, verschwindet ein großer Teil der roten Färbung. Wurden ‘ die Strahlen bis 4 380 uu entzogen, so war alles Rote verschwunden, auch unter den farbigen Gläsern blieb dieser Salat vollständig grün. Bei roten Rüben erhielt ich dasselbe, doch behielten die Blattrippen und Stiele immer noch eine hellrote Farbe. Sehr schön war die Farben- des Tageslichtes auf die Vegetation. 245 veränderung: bei der Celosia Thomsoni. Die jungen Pflänzchen, die in die Beete eingesetzt wurden, besaßen dunkelrote Blätter. Die neuen Blätter, die sich in den Beeten bildeten, wurden um so grüner, je mehr ich ihnen das ultraviolette Licht entzog. Wurden ihnen die Strahlen bis A 420 mm entzogen, so wurden die neuen Blätter vollständig grün. "Die dunkelrote Krone änderte nur insofern die Farbe, als sie heller wurde. Sehr schön war die Farbenänderung der Blätter bei der roten Begonie. In Beet III hatten die Blätter nur noch einen ganz schwach roten Saum, in IV-VIII waren sie vollständig grün. Der Versuch lehrt also, daß die roten Farben in der Oberhaut der Pflanzen, mit denen ich gearbeitet habe, durch das ultraviolette Licht erzeugt werden. Es galt die Probe auf das Exempel zu machen. War diese Beobachtung richtig, so mußte, wenn die in den Beeten IV— VIII gezogenen Pflanzen ins volle Licht gebracht wurden, sich die Rotfärbung einstellen. In der Tat war dies der Fall! Pflanzen von rotblätterigem Salat waren in Beet IV gezogen, sie waren vollständig grün und größer als die gleichen Pflanzen, die mit dunkelroter Färbung in Beet I gezogen waren. Von den Pflanzen, die in Beet IV grün geblieben waren, wurden mehrere nach Beet I versetzt, schon am zweiten Tag zeigten sie rote Flecken und in 8 Tagen waren sie ebenso dunkelrot wie die Pflanzen, die von Anfang an in Beet I gezogen waren. Derselbe Versuch wurde mit den roten Begonien ausgeführt. Ich erhielt so in derselben Zeit eine 3—4mal größere Pflanze, die dieselben Schmuckfarben zeigte wie die Pflanzen, die von Anfang an im Freilicht gezogen waren. Das- selbe Resultat lieferte der gleiche Versuch mit Celosia Thomsoni. Ich kann also durch Licht verschiedener Wellenlänge nicht nur die Gestaltung der Pflanzen beeinflussen. Ich vermag rotblätterige Pflan- zen in grüne zu verwandeln und kann diese wieder erröten lassen. Ob sich gärtnerisch dieser Versuch verwerten läßt, muß ich Sach- verständigen zu entscheiden überlassen. (Lumiere-Aufnahmen dieser Versuche wurden in der Dresdner Sektion der deutschen botanischen Gesellschaft demonstriert.) Wie ich aus der Literatur entnehme, scheinen über die Bedeutung des roten Farbstoffes in der Oberhaut der Blätter noch verschiedene Ansichten zu bestehen. Die einen. meinen, daß dem roten Farbstoff die Bedeutung eines Schirms gegen den störenden Einfluß der Sonnen- strahlen zukommt, die anderen nehmen an, daß der rote Farbstoff im Dienste der Wärmeabsorption steht. Die durch den roten Zellsaft zurückgehaltenen Strahlen sollen eine für die Pflanze vorteilhafte Erwärmung bewirken. Gegen den Lichtschutz macht man geltend, daß die Lichtabsorption im Blattrot komplementär ist zu der Ab- sorption im Chlorophyll. Bei den oben erwähnten Versuchen habe ich keine Schädigung beobachtet, wenn ich die Pflanzen, denen dieser 246 F. Schanz: Versuche über die Wirkung der ultravioletten Strahlen Schutzschirm fehlte, ins volle Tageslicht brachte. In wenig Tagen hatte sich der rote Farbstoff gebildet. Anders verlief ein Versuch mit Blutbuchen. In Tharandt habe ich jungen Blutbuchen das Licht vom kurzwelligen Ende her entzogen. Je mehr ich das Spektrum des Lichts vom kurzwelligen Ende her verkürzte, desto grüner wurden die Blätter. Unter dem roten Glas hatten die Blutbuchen große, vollstän ° dig grüne Blätter entwickelt. Anfang Juni setzte ich eine solche Pflanze aus dem roten Licht ins volle Tageslicht. Es war ein sonniger Tag mit etwas wechselnder Bewölkung. Am nächsten Tag wurde es trübe, und das trübe Wetter hielt an, bis ich nach 14 Tagen dazu kam, meinen Versuch wieder anzusehen. An meiner Blutbuche waren die schönen grünen Blätter alle vertrocknet und junge Blätter, die noch nicht ent- faltet waren, als ich die Pflanze ins Freilicht setzte, hatten sich ent- wickelt und waren prächtig rot gefärbt. Ich habe denselben Versuch nochmals wiederholt. Es war diesmal ein trüber Tag, als ich die grüne Blutbuche ins Freie setzte. Das Resultat war dasselbe. Leider standen mir in diesem Jahr nicht mehr Exemplare zu diesem Versuch zur Ver- fügung. Es sieht aus, als ob der rote Farbstoff bei den Blutbuchen einen Lichtschutz ausübt. Bei dem Versuch in Schellerhau hatte ich in diesem Jahr Eichen gesät. Dieselben zeigten sehr ausgesprochen die Gestalts- veränderung, die ich auch sonst gefunden. hatte. Sehr auffällig war die Färbung der jungen Eichenblätter. Im Freilicht waren sie wunderschön gelbrot gefärbt, unter gewöhnlichem Glas war diese bunte Färbung wesentlich geringer, unter Euphosglas und unter rotem Glas war sie nicht zur Ausbildung gekommen, diese Blätter waren gleichmäßig grün. Mehrfach war mir bei den Versuchen aufgefallen, daß die Samen unter Euphosglas eher aufgingen als unter gewöhnlichem Glas und im Freilicht. Ich bemerkte es zuerst beim Salat. Als ich dies mit Herrn Prof. Schwede besprach, empfahl er mir, mit Brennesselsamen einen Versuch zu machen. In vier Schalen wurden je hundert Samen dieser Pflanze gesät und die Schalen in die Beete I—IV gestellt. Die Samen in IV kamen 6—7 Tage eher als diejenigen in I. Nach 14 Tagen zeigten sich in der Schale I 20, in der Schale II 23, in der Schale III 56, in der Schale IV 58 Pflanzen. Die Größe der Pflanze nahm von I nach IV hin zu. Der Versuch wurde nochmals wiederholt, es wurden in jede Schale am 22. VIII. 50 Samen gesät. Aufgegangen waren davon in Schale I am 7. IX. 10, in Schale; Il am 3. IX. 20, in Schale III am 1. IX. 25, in Schale IV am 1. IX. 37 Pflänzchen. Auch dieser Versuch zeigte, daß bei den Brennesseln der Samen rascher und reichlicher aufgeht, wenn man dem Licht die ultravioletten Strahlen entzieht. des Tageslichtes auf die Vegetation. - 347 Wie beeinflussen die verschiedenen Lichtarten die Entwicklung des Chlorophylis? Zu diesem Versuch wurden Buschbohnen, Sau- bohnen, Kartoffeln im Dunkeln gezogen. Als sich die ersten Blätter gebildet hatten, wurden die Pflanzen in die Versuchsbeete gestellt. Ich hatte erwartet, daß die ins Freilicht gesetzten Pflanzen am rasche- sten ergrünen würden. Das Gegenteil war der Fall! Am ehesten er- grünten sie im roten Licht. Dann folgten der Reihe nach die unter Euphos b, Euphos a und gewöhnliches Glas versetzten Pflanzen, zu- letzt ergrünten die Pflanzen im Freilicht. In den Beeten V—VIII waren auch kleine Differenzen festzustellen, aber in allen Beeten waren die Pflanzen eher ergrünt als im Freilicht. Es muß also im. Freilicht ein Faktor vorhanden sein, der das Ergrünen verzögert. Nach meiner Versuchsanordnung können dies nur die Strahlen am Ende des Ultra- violetts sein. Der Versuch ist, da zunächst an Zufälligkeiten gedacht wurde, siebenmal wiederholt worden. In jedem Kasten waren mit der Zeit etwa 30 Pflanzen untergebracht worden. Es kam immer zu demselben Resultat. (Lumiere-Aufnahmen dieser Versuche wurden in der Dresdner Sektion der deutschen botanischen Gesellschaft de- monstriert.) Exacumpflanzen, die in Treibbeeten gezogen waren, wurden, als sie anfingen zu blühen, in meine Versuchsbeete gebracht. Schon nach 10 Tagen zeigten sich Differenzen in der Gestaltung der Pflanzen, denen das kurzwellige Licht entzogen war; und auch die Farbe der Blätter und Blüten hatte sich verändert. Die Farbe der Blüten war heller, die der Blätter grüner geworden. Alle drei Faktoren erhöhten das Aus- sehen der unter Euphös gezogenen Pflanzen. Nach drei Wochen, als die Augustsonne auf die Pflanzen eingewirkt hatte, waren die Laub- blätter der Pflanzen in BeetI und II vergilbt, während die unter Euphos- glas gehaltenen Pflanzen noch schöne grüne Laubblätter zeigten. Es deckt sich diese Beobachtung mit denen eines Handelsgärtners, dem ich schon vor Jahren ein Euphosfenster zu Versuchen überlassen hatte. Er wußte nichts von den Eigenschaften des Euphosglases, er sollte mir nur berichten, ob er Unterschiede zwischen diesem und gewöhnlichem Glase feststellen könne. Am Ende der Vegetationsperiode berichtete er, daß unter Euphosglas die Pflanzen größer geworden und länger grün geblieben wären als unter gewöhnlichem Glas, daß er im Hochsommer nicht nötig hatte, die Pflanzen unter Euphosglas zu schattieren. Meine Versuche zeigen, daß dieser Gärtner eine gute Beob- achtungsgabe besitzt. Diese Versuche dürften zeigen, daß das Uitraviolett des Tages- lichtes einen viel mächtigeren Einfluß auf die Pflanzen ausübt, als wir bis jetzt angenommen haben. Auch auf Mensch und Tier dürfte sich dies erweisen lassen, es hält nur schwer, sie beständig unter dem Einfluß 248 - F. Schanz: Wirkung der ultravioletten Strahlen des Tageslichtes usw. einer Lichtart zu halten. Wir werden unsere Kenntnisse darin wesent- lich erweitern können, wenn es, wie es jetzt den Anschein hat, gelingt, mit den Apparaten von Kron und Dember das Ultraviolett des Tages- lichtes zuverlässig zu messen. Auch im Ultraviolett kommt dem Licht je nach der Wellenlänge eine verschiedene Tiefenwirkung zu, wir werden auch da vom Licht verschiedener Wellenlänge verschiedene Wirkungen zu erwarten haben. Die Messungen müssen daher spektrale sein. Mes- sungen, wie sie Dorno ausgeführt, würden, selbst wenn sie mit einwand- freieren Methoden durchgeführt werden, bei der Beurteilung derartiger biologischer Fragen nicht viel nützen. ? Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IX. Mitteilung. (Zur Abwehr.) Von®%: Prof. Dr. @. Mansfeld, Budapest. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 12. Dezember 1919.) Unter obigem Titel erschien in diesem Archiv 176 eine Arbeit von Paul Häri, welche sich zur Aufgabe macht, meine und meiner Mit- arbeiter Untersuchungen und Resultate zu kritisieren und obwohl nicht ein einziger unserer Versuche widerlegt wird, ein experimentelles Ma- terial überhaupt nicht beigebracht wird, so glaube ich doch zu dieser Kritik Stellung nehmen zu müssen, um die Unhaltbarkeit der Einwände darzulegen. Diese Einwände Haris sollen im folgenden einzeln besprochen wer- den, nachdem eine kurze Übersicht unserer Versuchseinrichtung und Ergebnisse vorangeschickt wird: In der ersten Mitteilung!) über diesen Gegenstand wurde die Frage untersucht, ob nicht der erhöhte Eiweißzerfall infolge von O,-Mangel die Folge einer erhöhten Schilddrüsenfunktion ist? Zur Prüfung dieser Frage wurden an Kaninchen 22, in einer spä- teren Mitteilung?) auch an Hunden 4 Stoffwechselversuche ausgeführt, und zwar teils an normalen, teils an schilddrüsenlosen Tieren. In der Mehrzahl der Versuche wurde der Sauerstoffmangel durch Blausäure- vergiftung, in den übrigen durch Blutentnahme oder durch Atmen in verdünnter Luft erzeugt. Das Ergebnis dieser Versuche war, daß von den untersuchten 15 schilddrüsenlosen Tieren (im Gegensatz zu den 10 nor- malen) an keinem einzigen die Eiweißzersetzung in die Höhe ging, auf welche Art und Weise immer der O,-Mangel hervorgerufen wurde. H. meint nun, daß zunächst jenen Versuchen, in welchen der O,- Mangel durch Blausäure erzielt wurde, ‚jede Beweiskraft abgeht“, nachdem ich „eine der Grunderfordernisse solcher vergleichender Ver- suche, nämlich die relative Gleichheit der Giftdosen unerfüllt ließ“. 1) Archiv f. d. ges. Physiol. 143, 157. 2) Archiv f.d. ges. Physiol. 161, 502. 250 G. Mansfeld: In einer Tabelle wird gezeigt, daß ich den schilddrüsenlosen Tieren zwei- bis dreimal soviel Blausäure gab als den normalen. Der wahre Sachverhalt ist folgender: Nachdem in den Versuchen 1—4 normalen und schilddrüsenlosen Tieren relativ gleiche Gift - dosen verabreicht wurden und sich herausstellte, daß schilddrüsenlose Tiere durch Gaben, welche am normalen Tier voll wirksam sind, keine Spur einer erhöhten Eiweißzersetzung erleiden, mußte selbstverständlich mit der Giftdosis an den operierten Tieren gestiegen werden. Sonst wäre ja der Einwand gerechtfertigt gewesen, daß schild- drüsenlose Tiere vielleicht der Blausäure gegenüber nur weniger emp- findlich sind als normale. Um eben vor diesem Einwand mich zu schützen, wurde den schilddrüsenlosen Tieren Nr. 8 und 9 die doppelte, dem schilddrüsenlosen Tier Nr. 7 die dreifache Dosis verabreicht. Das Ergebnis war, daß die Eiweißzersetzung bei diesen großen Dosen ebensowenig anstieg als in den Versuchen 2, 3 und 4 durch kleine Dosen. Häri meint, daß ‚solchen Versuchen jede Beweiskraft abgeht‘, — ich glaube, jeder Unbefangene erblickt darin einen Beweis a fortiori, daß Blausäure am schilddrüsenlosen Tier unwirksam ist. ; Ferner wird von H. beanstandet, daß in der Versuchsgruppe 1—4 einem einzigen normalen Tier drei schilddrüsenlose und „umgekehrt in den Versuchen 24—26 mit Abklemmung der Carotiden zwei normalen Tieren ein einziges schilddrüsenloses gegenübergestellt ist‘“. Was zunächst die Gruppe 1-4 anbefrifft, war es eigentlich über- haupt überflüssig, auch an diesem einzigen normalen Tier die Wirkung des O,-Mangels zu prüfen, da doch die Tatsache aus der Literatur hin- länglich bekannt war, daß gefütterte normale Tiere den O,-Mangel mit erhöhtem Eiweißzerfall beantworten; es sollte in dieser Reihe ge- zeigt werden, daß gefütterte schilddrüsenlose Tiere durch Blau- säure keine Eiweißzersetzung erleiden, was auch aus den drei Stoff- wechselversuchen Nr. 2, 3 und 4 ersichtlich ist. Ganz anders steht es aber mit den Versuchen 24—26. Diese Versuche wurden angestellt, um den Angriffspunkt des O,-Mangels am normalen Tier zu bestimmen, um zu sehen, oban normalen Tieren die Abklemmung beider Caro- tiden (lokale Asphyxie der Schilddrüse) zu erhöhter Eiweißzersetzung führt. Am schilddrüsenlosen Tier Nr. 24 sollte ja gar nicht die Rolle der. Schilddrüse auf den Eiweißstoffwechsel gezeigt werden, sondern diente lediglich als Kontrolle dafür, daß die gestörte Hirnzirku- lation allein wirkungslos auf den Stoffwechsel ist, was ich auf S. 171 klar zum Ausdruck brachte. Jene Tatsache, daß bei einer Reihe meiner Versuchstiere mehrere Tage hindurch gleichmäßige N-Ausscheidung bestanden hat, wird von Hari darauf zurückgeführt, daß es sich in diesen Versuchen um einen Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IX. 251 „systematischen, argen Versuchsfehler handeln mußte, dessen Natur hinterher nicht mehr festgestellt werden kann“. Demgegenüber muß ich ausdrücklich betonen, daß wir eben durch diese Versuche zur Überzeugung kamen, daß bei Einhalten bestimmter Kautelen (Titrieren mit "/,„ KOH, ausgiebige Diurese, namentlich aber das Sorgen für eine konstante Außentemperatur) auch an manchen Hungertieren eine geradezu verblüffende Konstanz des Eiweiß- stoffwechsels zur Beobachtung kommt. Es soll keineswegs behauptet werden, daß dies die Norm sei, aber etwa 20%, der untersuchten Tiere verhalten sich in dieser Weise. Daß in unserer 1. Mitteilung eine größere Reihe solcher Tiere vorkamen, ist kein Zufall, sondern hat seine Ursache darin, daß wir damals dauernd an 8 bis 10 Kaninchen täglich N-Be- stimmungen ausgeführt hatten und um ein möglichst klares Bild zu gewinnen — handelte es sich doch damals um die Feststellung einer prinzipiell neuen Tatsache —, wurden dem O,-Mangel meist solche Tiere ausgesetzt, an denen die N-Ausscheidung seit Tagen eine möglichst gleichmäßige war, während die anderen Tiere zu anderweitigen Ver- suchen verwendet wurden. Daß es sich nicht um einen Versuchsfehler handeln konnte, beweist die Tatsache, daß nach Einwirkung des O,- Mangels sofort eine wesentliche Änderung der N-Ausscheidung ein- getreten ist; weiterhin, daß in gleichzeitig ausgeführten Versuchen, wo doch dieselben Lösungen verwendet wurden, das eine Tier eine gleichmäßige, das andere Tier eine recht schwankende N-Ausscheidung zeigte. (Vgl. z. B. Vers. 11 und 12, S. 163, Vers. 14 und 15, S. 164.) Vermutet aber H. dennoch einen systematischen Versuchsfehler, der „hinterher nicht mehr festzustellen‘‘ sei, und wenn er meint, es sei des- halb diesen Versuchen jede Beweiskraft abzusprechen, bleibt ihm eben nichts anderes übrig, als das Ergebnis meiner Versuche nachzuprüfen. Nachdem in der ersten Mitteilung in zweiundzwanzig Versuchen der Nachweis geführt wurde, daß O,-Mangel keine Eiweißzersetzung am schilddrüsenlosen Kaninchen bewirkt, hielt ich es für angebracht, diese Tatsache an Hunden nachzuprüfen!). Dem Einwand Haris, daß hier nur ein normales Tier untersucht wurde, gilt dasselbe, was schon oben gesagt wurde, nämlich, daß die Stoffwechselwirkung des O,-Mangels am normalen Tier gar keiner Untersuchung bedurfte, da sie eine längst bekannte Tatsache ist. Aber auch die Versuchseinrichtung dieser Versuche wird von Hari kritisiert und diese Kritik muß dem Leser der Härischen Arbeit be- rechtigte Skepsis gegenüber meinen Versuchen einflößen. In Wirklich- keit jedoch beruht dieser kritische Einwand Häris auf einer unrichtigen Darstellung meiner Versuchsanordnung, was im folgenden erwiesen werden soll: 1) VIII. Mitteilung. Archiv f. d. ges. Physiol. 161, 502. 1915. 252 G. Mansfeld: Häri schreibt: „Bezüglich der Versuche mit dem mechanisch erzeugten O,- Mangel sei nur beiläufig folgendes erwähnt: M. führte an seinen Tieren die Tracheotomie aus und ließ sie noch vor den eigentlichen Versuchen durch eine Tracheal- kanüle atmen. Am Tage des Ver- suches wurde diese mit einer luft- dicht schließenden Kanüle ver- tauscht und durch Anziehen einer Schraubenklemme das luftzufüh- rende Rohr bis zur deutlichen Dyspnöe verengt. — Genau das- selbe Verfahren wurde bereits von A. Fränkel vor 42 Jahren ein- geschlagen.‘ (S. 126.) In meiner Arbeit heißt es wörtlich: „Die Hunde waren schon vor Beginn des Stoffwechselversuches tracheotomisiert und atmeten durch eine silberne Trachealkanüle. Um sie der Wirkung des O,-Mangels auszusetzen, wurde die Kanüle mit einer anderen, zu Respirations- versuchen geeigneten, luftdicht in der Trachea schließenden Kanüle vertauscht. Nun wurde diese an zwei Specksche Ventile angeschlos- sen, wodurch die Aus- und Ein- atmungsluft getrennt wurde. Das Rohr für die Einatmungsluft wurde durch eine Schrauben- klemme so weit verengt, bis das Tier deutliche Zeichen von Dys- pnöe zeigte.‘ (S. 502—503.) Ich weiß zwar nicht, warum es von vornherein zu verurteilen wäre, eine 42 Jahre alte Methode anzuwenden, wenn sie dem Zweck entsprechen würde. Die diesbezügliche Bemerkung Häris soll offenbar den Leser darauf aufmerksam machen, mit welch veralteten Methoden ich arbeite. Nun sehen wir aber aus nebenstehendem Text, daß ich an der alten Fränkelschen Methode eben eine sehr wesentliche und prinzipielle Änderung gemacht habe: Bei der von Hari gegebenen Beschreibung hätte das Tier nicht nur O,-Mangel, sondern auch eine Anhäufung an CO, erlitten, und eben dieser grobe Fehler der Fränkelschen Methode wurde durch meine Versuchseinrichtung ausgeschaltet. Durch An- bringung der Speckschen Ventile war ja das Ausatmen völlig unbe- hindert, und die produzierte CO, konnte ungehindert entweichen. Nachdem ich in den bisher besprochenen Mitteilungen die Wir- kung des O,-Mangels an schilddrüsenlosen Tieren untersuchte, ging ich an die Frage heran, wie sich die Stoffwechselwirkung chlorierter Narkotica an schilddrüsenlosen Tieren gestaltet!) ? Häris Einwände gegen diese Versuche sind genau so unberechtigt, als die bisher besprochenen. H. schreibt: ‚Die Grundbedingung ver- gleichender Versuche, nämlich gleiche Versuchsbedingungen zu schaffen, ist auch hier außer acht gelassen, was aus folgendem hervorgeht:“ 1) Archiv f.d. ges. Physiol. 152, 56. Beiträge zur Physiologie ‚der Schilddrüse. IX. 253 Nun wird sub a) der Einwand gemacht, daß die Normaltiere das Chloroform per os erhielten, die schilddrüsenlosen subcutan ; sub b), daß die normalen und schilddrüsenlosen Tiere das Chloro- form nicht am selben Hungertag erhielten; sub ce), daß zwei gefütterten schilddrüsenlosen Tieren keine ge- fütterten Normaltiere gegenübergestellt sind und H. zieht den Schluß: „Diese Versuche sind erst recht nicht beweisend.‘ Wie schon aus dieser kurzen Darstellung, noch besser aus dem Originaltext der Kritik zu ersehen ist, hatte Häri den Zweck dieser Versuchsreihe völlig mißverstanden. Hätte ich das Ziel ver- folgt, „vergleichende Versuche‘ anzustellen, wäre Haris Einwand wohl berechtigt. In diesem Falle handelte es sich aber darum, eine am normalen Tier längst bekannte, durch zahlreiche Unter - suchungen erhärtete Stoffwechselwirkung an schilddrüsen- losen Tieren zu prüfen. Behufs dessen wurde an vier schilddrüsenlosen Tieren der Nachweis geführt, daß weder auf perorale noch auf subceutane Zufuhr von Chloroform eine erhöhte Eiweißzersetzung erfolgt. Aber auch mit diesem eindeutigen Ergebnis hatten wir uns nicht begnügt, in zwei weiteren Versuchen hatten wir uns an schilddrüsen- losen gefütterten Tieren davon überzeugt, daß auch eine drei Tage währende perorale Chloroformzufuhr an operierten Tieren unwirksam sei. Daß wir gar nicht die Absicht hatten, „vergleichende Versuche‘ auszuführen, geht am besten aus unserem Originaltext hervor. Auf Seite 57 heißt es: „Es sollte also im folgenden untersucht werden, ob an schild - drüsenlosen Tieren eine Mehrzersetzung von Eiweiß durch kleine Chloroformgaben zu beobachten ist.“ Und auch in unserer Schlußfolgerung findet man nirgend eine Be- rufung auf Normalversuche, von denen zwei ausgeführt wurden, einfach, um einmal zu sehen, was in der Literatur von Salkowsky, Rostosky, 'Sawelieff, Ken-Taniguti, Benedict, Peiser und Harnack be- schrieben wurde. Ich glaube also, daß unsere Schlußfolgerung, nach welcher an schilddrüsenlosen Tieren Chloroform zu keinem Eiweiß- zerfall führt, trotz der Einwände Häris unverändert be- stehen bleibt. Sehr ausführlich werden von H. jene Versuche besprochen, in welchen ich die Frage untersucht habe, ob die erhöhte Eiweißzersetzung im infektiösen Fieber an Tieren zustande kommt, welche ihrer Schilddrüse beraubt wurden!) ? 1) Archiv £. d. ges. Physiol. 161, 399. 254 G. Mansteld: Die Frage wurde in 17 Stoffwechselversuchen an Hunden und Kaninchen in dem Sinne entschieden, daß an schilddrüsenlosen Tieren im infektiösen Fieber kein einzigesmal ein vermehrter Eiweißzerfall erfolgte, an den normalen Tieren jedoch jedesmal im Fieber der Eiweiß- stoffwechsel in die Höhe ging. Teils durch unrichtige Wiedergabe der Tatsachen, teils durch falsche Auffassungen, dann durch Berechnungen, denen jede tatsächliche Grund- lage fehlt, kommt Hari zu dem Ergebnis, daß die angestellten Versuche nicht geeignet sind, unsere Erkenntnis darüber hinaus zu fördern, was bereits bisher bekannt oder vermutet wurde. ‚Ja mangels an Beweis- kraft sind sie nicht einmal geeignet bereits Bekanntes zu bestätigen.“ Die Einwände Häris sollen Punkt für Punkt besprochen werden: Zunächst meint Häri auf S. 128, daß ich dem Irrtum verfallen sei, an gefütterten Tieren aus der Veränderung der N-Bilanzen meine Schlüsse zu ziehen und stellt die merkwürdige Behauptung auf, daß es klar sei, daß als Maß der Eiweißzersetzung bloß der Harn-N und keineswegs die N- Bilanz gelten kann. Jeder, der sich auch nur als Dilettant mit der Physiologie des Stoff- wechsels beschäftigt, weiß, daß ohne Bilanzaufstellung sich überhaupt kein Schluß auf den Stoffwechsel ziehen läßt, oder nur ein verkehrter, und so muß er beim Lesen meiner Arbeit mir zustimmen, wenn ich aus der Bilanz meine Schlüsse ziehe. Liest er aber den obigen Satz Häris, daß „als Maß der Eiweißzersetzung bloß der Harn-N und keineswegs die N-Bilanz gelten kann‘, muß er wankend werden, denn auch dieses hat etwas Wahres an sich. Es muß also aufgeklärt werden, wo der Fehler liegt und welche Berechnungsweise im vorliegenden Fall die rich- tige ist. Es muß jedem klar sein, daß alles davon abhängt, was wir er- fahren wollen. Interessiert uns die Frage, wieviel Eiweiß ein ge- füttertes Tier in 24 Stunden verbrannt hat, ungeachtet dessen, woher das Eiweiß stammte, ob aus der Nahrung oder aus dem eigenen Körper, so gewinne ich die Aufklärung schon allein dadurch, daß ich den Harn-N bestimme und brauche keine Bilanz aufzustellen. Will ich aber erfahren, wieviel Eiweiß ein gefüttertes Tier aus seinem eigenen Körper zur Verbrennung hergab, kann ich das nur erfahren, wenn ich eine Bilanz aufstelle, d. h. aus Einfuhr und Ausfuhr ermittele, um wieviel mehr Stickstoff das Tier ausschied als es mit der Nahrung einnahm. Daß in meinen Versuchen, in denen ich zu ermitteln hatte, ob durch das Fieber eine Einschmelzung von Körpereiweiß stattfindet oder nicht, ich mich nicht damit begnügen konnte, den Harn-N zu be- stimmen, sondern unbedingt eine Bilanz aufstellen mußte, weiß Herr Haäri genau so gut als ich, denn gerade aus seiner weiteren Darstellung Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IX. 255 geht es hervor, wie unbedingt notwendig es war, bei derartigen Ver- suchen die Bilanz zu berechnen und aus dieser die Schlüsse zu ziehen: „Daß die Bilanzen — schreibt H. — seiner normalen und schild- drüsenlosen Tiere sich ungleich verhielten, ist einfach dadurch begründet, daß die normalen Tiere, sobald sie fieberisch wurden und deshalb ihre Freßlust abnahm, durchweg weniger Stickstoff als vorher einführten, während an den schilddrüsenlosen Tieren in zwei von drei Versuchen die Stickstoffzufuhr unverändert, respektiv noch etwas gesteigert war.‘ „Bei diesem Sachverhalt ist es nur selbstverständlich, daß sich die Bilanz der normalen Tiere verschlechtern, die der schilddrüsenlosen Tiere aber kaum verändern mußte, ohne daß jedoch hieraus auf irgendeine Veränderung der Eiweißzersetzung gefolgert werden dürfte.‘ Jeder Sachkundige kennt jene grundlegende Tatsache der Stoff- wechselphysiologie, daß die Eiweißzersetzung zu der gefütterten Eiweißmenge in nahezu gerader Proportion fällt und steigt. Wird bei einem gefütterten Tier die N-Einfuhr herabgesetzt, wie es bei meinen Normaltieren wegen mangelnder Freßlust der Fall war, so sinkt natürlich auch die N-Ausscheidung im Harn. Dies ist eine seit 1860 wohlbekannte Tatsache. Hätte ich bei meinen Versuchen nur den Harn-N berück- sichtigt, wie esHäri tut und einfach mitgeteilt, wieviel N. die Tiere vor und während des Fiebers durch den Harn ausschieden ‚wie esin Tabelle auf S.130 von ihm getan wird, so wäre ich nicht weiter gekommen als er. Ich frage aber jeden Unbefangenen, ob er aus den Daten jener Tabelle Antwort auf jene Frage erhält, wieviel Eiweiß das Tier im Vorversuch und wieviel im Fieber aus seinem eigenen Körper hergab? Es ist doch klar, daß wir, um dies zu erfahren, noch wissen müssen, wieviel zugeführter Stickstoff verbrannt wurde. Aus meinen Versuchen ist dies natürlich ersichtlich, und wenn wir aus diesen die Bilanz berechnen, so ergibt sich eben die Tatsache, daß die Tiere im Fieber nicht jenem alten Gesetz der Physiologie huldigten, nach welchem die Einschränkung der Zufuhr mit Einschränkung der N-Aus- fuhr Hand in Hand geht, sondern daß die Normaltiere in einem Versuch (Nr. 7) nur etwas weniger, in den anderen 2 Versuchen sogar mehr Stickstoff im Fieber ausschieden, trotzdem daß die N - Einfuhr bis zu 50% eingeschränkt war. Dies geht eben nur aus den Werten der Bilanz hervor und beweist das, was in einer Unzahl von Versuchen schon nachgewiesen wurde, daß am normalen Individuum im Fieber eine Einschmelzung von Körpereiweiß stattfindet. Daß aber ein Sinken des Harn-N als Folge der Nahrungseinschrän- kung von Häri anerkannt wird, ersehen wir daraus, was er auf S. 130 sagt: „daß aber am schilddrüsenlosen Tier 8 ein bedeutender Abfall in der Eiweißzersetzung eintrat, ist eine einfache Folge dessen, daß dieses 256 - @. Mansfeld: Tier im Fieber nur täglich 0,09 (!) g N zu sich nahm, also sich beinahe im Hungerzustand befand, wo bekanntlich die Eiweißzersetzung anfangs stark abzufallen pflegt‘). . Dieser Satz könnte so gedeutet werden, daß hier die Nahrungsein- schränkung so viel größer war als am normalen Tier (Häri spricht ja vom 'Hungerzustand), daß deshalb ein Sinken der Eiweißzersetzung hier als „einfache Folge‘ der verminderten Freßlust anerkannt wird. Abgesehen davon, daß, wie bekannt, zwischen N-Einfuhr und N-Ausfuhr Proportionalität besteht, soll darauf hingewiesen werden, daß in diesem Versuch 8 die Einschränkung der N-Einfuhr nur 10% höher lag als zum Beispiel im Normalversuch Nr. 9. | Und mit dieser Beweisführung kommt Häri zu dem Schluß, daß „der von M. postulierte Gegensatz zwischen normalen und schilddrüsenlosen Tieren in den von ihm mitgeteilten Versuchen sich nicht aufrechterhalten läßt“. Es soll aber auch ein Einwand Häris besprochen werden, der gewiß einigermaßen berechtigt ist, und zwar, daß bei diesen sechs Versuchen keine Kot-N-Analysen durchgeführt wurden. Nachdem man aus der Härischen Kritik aber den Eindruck gewinnen könnte, daß wir dies ohne Begründung, etwa aus Unwissen unterlassen haben, muß ich aus unserer Arbeit den entsprechenden Text hier wiedergeben: „Noch ein anderer Mangel haftet diesen Versuchen an, und das ist, daß wir die anfangs mühselig durchgeführten Kotbestimmungen bald aufgegeben haben. Daß diese Ersparnis an Arbeit mit einigem Recht geschah, ergibt sich daraus, daß nach Versuchen von Krasnogorsky im Fieber stets mehr N im Kot vorhanden war als im afebrilen Zustand, so daß die mächtige Mehrausscheidung von Stickstoff durch den Harn normaler Tiere den erhöhten Eiweißstoffwechsel im Fieber a fortiori beweist. Zu der Annahme aber, daß bezüglich der Resorption der Nah- rung zwischen normalen und schilddrüsenlosen Tieren ein Unterschied bestehen sollte, fehlte uns jeder Stützpunkt. Im übrigen sind unsere Ergebnisse, die wir an gefütterten Tieren einerseits, an hungernden andererseits gewonnen haben, in so vollem Einklang, daß wir es für berechtigt erachten, trotz fehlender Kotanalysen, die ja beim Pflanzen- fresser niemals ganz exakt sein können, die Versuche mit Nahrungszu- fuhr zur Beantwortung unserer Frage heranzuziehen.“ Im nächsten Punkt B) der Härischen Arbeit werden (S. 130) meine Versuche besprochen, welche ich an hungernden Kaninchen und Hunden ausgeführt habe: a) „Es sind da drei Versuche“, schreibt Hari, ‚als brauchbar an- geführt, und zwar zwei an normalen Tieren und einer am schilddrüsen- losen Tier; ein dritter Normalversuch (21) wird von M. als verfehlt 1) Von mir gesperrt. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IX. 257 bezeichnet. Es wird also hier ein einziges schilddrüsenloses Tier zwei normalen gegenübergestellt; daß auf diese Weise kein Beweis geführt werden kann, wird wohl nicht bezweifelt werden können. b) Das in solchen vergleichenden Versuchen unerläßliche Erfordernis, gleiche. Versuchsbedingungen zu schaffen, ist hier wieder vernachlässigt, indem in zwei Normalversuchen Colifiltrat, im schilddrüsenlosen jedoch Dysenterietoxin appliziert wurde. Solche Versuche lassen sich über- haupt nicht vergleichen.“ | Es führt zur Verzerrung der Tatsachen und ist m. E. völlig unstatt- haft, eine große Reihe von Versuchen, die einer Frage gewidmet sind, willkürlich in Gruppen zu teilen und jede für sich gesondert zu be- sprechen. Jeder, der mit Tierversuchen sich befaßt, weiß, daß ein Er- gebnis nur aus der Berücksichtigung aller Einzelversuche zu gewinnen ist und niemandem wird es einfallen, einen Schluß zu ziehen aus drei positiven Versuchen, wenn im weiteren Verlaufe der Arbeit z. B. 10 Versuche ein negatives Ergebnis zeitigen. So muß ich auch gegen diese Art und Weise der Besprechung meiner Versuche Einspruch erheben und die eben zitierte Darstellung Häris, die nur geeignet ist, meinen Versuchen gegenüber Mißtrauen einzuflößen, auf das entschie- denste zurückzuweisen. Es wurden in dieser meiner Arbeit außer den schon besprochenen 6 Versuchen 11 Stoffwechselversuche an hungernden Tieren angestellt, davon 4 an Kaninchen, 7 an Hunden. - In diesen Versuchen wurde nachgewiesen, daß das infektiöse Fieber an 7 schilddrüsenlosen Tieren nicht ein einziges Mal zur Erhöhung des Eiweißstoffwechsels führte, an 10 normalen Tieren jedoch die fieberhafte Temperatur jedesmal zur Erhöhung des Eiweißstoffwechsels führte. An dieser Tatsache ist eben nichts zu ändern dadurch, daß von den 7 schilddrüsenlosen Tieren nur eines, ein hungerndes Kaninchen war. Ähnliches gilt für den Einwand sub 5). der auch noch später wieder- holt wird und prinzipiell wichtig ist, daher näher erörtert werden muß: Weil eben gerade in der von Häri künstlich geschaffenen Gruppe zwei Normaltiere Colifiltrat erhielten, ein schilddrüsenloses aber Dys- enterietoxin, seien die Versuche unbrauchbar, ist eine völlig ungerechte Behauptung. Sie wäre berechtigt, wenn 1. das Dysenterietoxin nicht mindestens solch hohes Fieber erzeugt hätte als z. B. das Colitoxin; 2. wenn ich nicht den Beweis geführt hätte, daß das Dysenterietoxin am normalen Tier den Eiweißstoff- wechsel in die Höhe treibt. Ad 1 müssen wir eben nur den inkriminierten Versuch 18 ansehen, aus welchem hervorgeht, daß nach Dysenterietoxin die Temperatur von 38,5 auf 40,5° C anstieg. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 17 258 @G. Mansfeld: Ad 2 führe ich Versuch 23 an, aus welchem zu ersehen ist, daß - Dysenterietoxin am normalen Tier den Eiweißstoffwechsel um 28%, in die Höhe treibt. (Vgl. S.: 262 dieser Arbeit.) Nachdem ich diesen Einwand Häris zurückgewiesen habe, muß ich noch bemerken, daß er einigemal, und zwar jedesmal, wenn an den Versuchen nichts mehr auszusetzen ist, auf die Behauptung zurück- kommt, daß die Versuche unbrauchbar sind, weil nicht immer das gleiche Toxin verabreicht wurde. Dieser Einwand ist aber, wie mir scheint, ganz und gar unrichtig. Daß das Fieber als solches an normalen Individuen zum erhöhten Eiweißzerfall führt, wissen wir ja aus zahlreichen Untersuchungen und namentlich aus der klinischen Literatur ist es bekannt geworden, daß es für den Stoffwechsel ganz .einerlei ist, durch welche Infektion das Fieber verursacht wurde. In meiner Arbeit sollte eben untersucht werden, ob das infektiöse Fieber an sich, gleichviel durch welches Toxin herbeigeführt, an schilddrüsenlosen Tieren die Eiweißzersetzung vermehrt oder nicht. In diesem Falle war es nicht nur erlaubt, sondern zwingende Notwendigkeit mit verschiedenen Toxinen zu experimentieren. Denn hätten wir z. B. alle Versuche mit Colifiltrat ausgeführt, wie es Häri wünscht, so wäre der Einwand be- rechtigt gewesen, daß vielleicht diesem Toxin gegenüber schilddrüsen- lose Tiere (bezüglich der Stoffwechselwirkung) weniger empfindlich seien als normale. Aus alldem geht also hervor, daß beide Einwände Häris nicht zu Recht bestehen und durch sie auch diese Versuche in ihrer Beweiskraft nicht das mindeste einbüßen. Häri begnüst sich auch nicht mit den oben besprochenen Einwänden, sondern wendet sich auch noch gegen die Art und Weise meiner Be- rechnung. Seine Worte lauten: ,„M. berechnet zunächst einen Mittelwert für die dem Fieber vorangehende Periode, und indem er die Werte der Fieberperiode mit dem Mittelwert der Vorperiode vergleicht, ermittelt er die Veränderung der Eiweißzersetzung im Fieber.‘‘ Nachdem meine Berechnung für die Vorperiode im Versuch 26 und 27 für richtig an- erkannt wird, fährt er fort: ‚Wenn aber an den beiden ersten Tagen die Werte solche Schwankungen aufweisen wie 2,69, 1,53, 2,04 (Vers. 25) oder 2,87 und 1,81 (Vers. 24), dann müssen diese hohen Initialwerte außer Rechnung gelassen werden. Am Normaltier 24 hat M. dies auch getan, am schilddrüsenlosen Tier 25 jedoch unter - lassen...‘ „Dadurch, daß M. am schilddrüsenlosen Tier 25 die ganz unregelmäßig schwankenden hohen Werte der ersten drei Tage der Vorperiode mit in Rechnung bringt, wird der Mittelwert der Vorperiode unnatürlich erhöht und dementsprechend der ganz beträchtliche: Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IX. 259 En} Anstieg des Harn-N dieses schilddrüsenlosen Tieres im Fieber künst - lich!) herabgedrückt.“ Daß ich in Versuch 25 die ersten drei Tage zur Vorperiode rechnen mußte, ergibt sich daraus, daß es sich hier gar nicht um einen ‚hohen Initialwert‘‘ handelt, wie Hari behauptet. Wird das Mittel von diesen drei Tagen gezogen, so erhalten wir den Mittelwert 2,083 pro Tag. Jetzt folgen drei Tage mit 1,56, 1,43 und 1,41 g und nun die zwei letzten Tage vor dem Fieber mit: 1,78 und 1,63. Der Wert 2,08 liest ja näher zu 1,78 als dieser von 1,43 entfernt ist, so daß es berechtigt war, aus der ganzen Vorperiode das Mittel zu ziehen. Ganz anders steht die Sache in Versuch 22. Da haben wir wirklich emen sehr hohen Initialwert von 3,127 gegenüber allen darauffolgenden. Hier mußte und wurde auch von mir dieser Tag ausgeschaltet. Der Anstieg im Fieber beträgt nach dieser, auch von Häri auf Seite 131 gefor - derten Berechnung 30%. Nun kommt er aber auf Seite 132 und 133 auf diesen Versuch zu sprechen und als Endergebnis meint er, der Anstieg sei bloß 18%. Wie kommt Häri zu diesem Ergebnis, muß man fragen ? Etwa dadurch, daß er zur Fieberperiode mehr Tage rechnet als ich — was aus seiner Darstellung zu vermuten wäre? Keine Rede davon! Einfach so, daß er diesen einzigen wirklich hohen Initialwert mit zur Vorperiode rechnet, um meinen Wert herabzudrücken?). Den Vorwurf Häris, daß ich in Versuch 25 die Vorperiode falsch berechnet hätte, um das Ergebnis ‚künstlich herabzudrücken‘“, muß ich also auf das entschiedenste zurückweisen. Der eben besprochene Einwand bezieht sich aber nur auf einen Versuch, die weiteren Ausführungen Häris richten sich gegen eine ganze Reihe von Versuchen. Sie lauten folgendermaßen: „Ebenso unrichtig ist aber die Berechnung der Steigerung des Harn-N in der Fieberperiode, indem M. den Harn-N der Fieberperiode an beiden Normaltieren aus zwei Tagen, an beiden schilddrüsen- losen Tieren jedoch aus drei Tagen berechnet.“ (S. 131.) Weiter unten heißt es: ‚Ebenso unbegründet ist auch die Art der Berechnung des Versuches am Normaltier 22, in dem eine Zunahme der Eiweißzersetzung um 30%, konstatiert wird. Dies Ergebnis erhält M. da- durch, daß er von den der Injektion folgenden Tagen bloß den ersten höchsten Wert in Betracht zieht. Da, wie oben erwähnt war, in allen Versuchen konsequenterweise die Steigerung aus !) Von mir gesperrt. 2) Häris Berechnung ist folgende (s. Vers. 22 auf S. 261 dieser Arbeit): 3,127 + 2,338 + 2,281 + 2,220 — 9,966 g: 4—= 2,49 g N. pro Tag. Der einzige Fiebertag war der 25/XI. N- Ausscheidung an diesem Tage: 2,95 g. — 2,49 = 0,46gm. Bei 2,49 ist die Differenz 0,46 — 18%, IG= 260 G. Mansfeld: 2—3 der Injektion folgenden Tagen berechnet wird!), ist es nicht gerechtfertigt, in Versuch 22 einen einzigen Versuchstag herauszugreifen, bloß weil er den Höchstwert aufweist.‘ „Diese Art der Berechnung — sagt Häri — läßt sich auf keinerlei Weise begründen und ist nur geeignet, die Ergebnisse zu ver- schieben?).“ Wie wir sehen, handelt es sich hier nicht um einen einfachen Einwand, sondern um eine schwere Beschuldigung. Um voll® Klarheit zu schaffen, muß ich die Versuche hier, genau wie sie im Original zu finden sind?), anführen. (S. Tabellen auf S. 261 und 262). Häri behauptet, ich hätte von den Tagen nach der Injektion so viele in Rechnung gezogen, als es mir gerade paßte, um das ge- wünschte Resultat zu erzielen. Und in der Tat sehen wir, daß z.B. in Versuch 26 drei Tage, in Vers. 25 zwei Tage, in Vers. 22 gar nur ein Tag usw. als Fiebertagsmittel von mir berechnet wurden. Hätte aber Häri nur einen Blick auf die nebenstehende Kolumne ge- worfen, hätte er sehen müssen, daß immer nur jene Tage in Rech- nung kamen, an welchen tatsächlich Fieber bestanden hat, ob es nun ein (Vers. 22 und 23), zwei (Vers. 25 und 24) oder drei Tage waren (Vers. 26 und 27). Und weil sich Häri dieser geringen Mühe nicht unterzog, schreibt er, daß sich diese Art der Berechnung auf keine Weise begründen läßt und daß ich dadurch die Ergebnisse verschieben wollte! ! Außerdem werden noch 2 Hundeversuche dieser Arbeit kritisiert, und zwar Vers. 22 und 28, in welchen außer dem Eiweißstoffwechsel auch der respiratorische Stoffwechsel bestimmt wurde. Er meint, daß die Zuntz-Geppertsche Methode ungeeignet ist für die Bestimmung des Stoffverbrauches am nicht narkotisierten oder kurarisierten Tier und stellt die Behauptung auf, ich hätte ‚aus diesen Ergebnissen weitgehende), jedoch ganz und gar ungerechtfertigte Schlüsse gezogen‘. Gegenüber dieser falschen Behauptung muß ich wörtlich anführen, was ich über diese Versuche in meiner Arbeit sage (S. 404): „Die Bedenken Vieler gegen Respirationsversuche von kurzer Dauer teilen wir auch und betrachten unsere diesbezüglichen Untersuchungen nur als Vorversuche für künftige Untersuchungen und vermeiden aus ihnen definitive Schlüsse zu ziehen?).“ !) Von mir gesperrt. ?) Von mir gesperrt. i 3) Der Raumersparnis wegen wurden drei Kolumnen (Körpergewicht, Wasser- aufnahme, Diurese), welche hier belanglos sind, fortgelassen. *) Von mir gesperrt. 5) Im Original nicht gesperrt. 261 IX. ysiologie der Schilddrüse. Beiträge zur Ph ' 0841 == 08 z 168° g'8E 8° 21% g‘)E 66 BL I EEE are's g'8E 66 7% ge 8 019 | RSE 87 Bas 9a le |, m a u een a ‘ 5 De Fonsur -NIyITOg zu gg 098°1 | s‘or IS] -Srer : Ser o1a \ 202% ‘ße T ayng moA | Ixg 0% "IIXOL, SIOUJIeH) Fe "1109 ‚Wo ZI ee L ; ‘TON zu gg 889 IT | 208 9%| :ıya IT 'wıoA uw OT ayn II 6% 888 % ayn 9 "wen 622,1 FsE 174 "1[09 u goT eo one gr I | rise E@| oraune wgoen [ | 269% | 268 | 61 ‚wo g’tuyoeu une 087% sor [eV E Se ne GEHT ggg 66 1 N ZUN: OT ZULTON | 0067 G'8g sI 182% 0'88 124 | 90T | Lola a ora erıe | E86 LL 888% 68 8% | 70% ı 074 olGE 9] La1‘E r’8e %% | 924°1 6l gır'E gl == 98€ IRUTG 0697 111/81 a ve ® A/FL : 3 uef (xem) 3 ut Ne) 3 Er, 3 um ("xew) En, uo3unsyrowag | yoanp Zunp |sodwog | EI6I wosunyrawag | yomp Zunp | soduag | PI6I uodunysowag ,yoınp Zunp | sodwag | PI6I -IOUdSSNY-N | -I9dIOY ned -TOUISSNY-N | -9dIOY uetatat -[Oydssny-N | -I9dIOoy und ((euzou) zz yonsıo A (soTuosnappIiyos) cz yonsıay (je waou) 9z yonsıo A ‚Q .! {} {eb} RZ) (bo) 1 on 1 ı ı I 0m D { fe ‚o eiip! 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Dies ist aber aus dem ‚angeführten Text klar zu ersehen, und hätte ihn H. gelesen, wäre er diesem Irrtum nicht verfallen. Den Wunsch Häris, daß ich am schilddrüsenlosen Tier auch noch den vierten und fünften Tag’nach der Injektion zur Fieberperiode hätte rechnen sollen, wodoch schon seit dreiTagen kein Fieber bestand, kann ich auch nicht als richtig anerkennen und die Behauptung Häris, „daß hier Temperatursteigerung und Stoffzerfall, beide durch die Intoxikation herbeigeführt, nicht bis zum Ende parallel einhergingen, ‘ ist durch nichts erwiesen. Der wahre Stand der Dinge wird sich eben erst durch weitere Versuche feststellen lassen, wie ich es ja in meiner Arbeit ausdrücklich betont habe. In einer sehr ausführlichen Besprechung wendet sich H. gegen meine III. Mitteilung: „Über die Ursache der prämortalen Eiweißzer- setzung‘). In dieser Arbeit wurde in vergleichenden Versu- chen gezeigt, daß der Eiweißstoffwechsel vor dem Hungertode wesent- lich anders verläuft am normalen, als am schilddrüsenlose Kaninchen. Durch eine mit anerkennenswertem Fleiß zusammengestellten Litterarurübersicht weist nun H. nach, daß nicht alle Tierarten das Phänomen der prämortalen Eiweißzersetzung zeigen. Es finden sich in der Literatur beschriebene Meerschweinchen, Hühner, Hunde und Katzen, welche den Hungertod starben, ohne vorher eine gesteigerte Eiweißzersetzung zu erleiden. (Häris I. Tabelle.) Diese Tatsache, so interessant sie auch sein mag, hat wenig Bezug auf unsere Versuche, denn wir haben ja ausschließlich an Kanin- chen unsere diesbezüglichen Untersuchungen angestellt. H. aber schreibt: „Um zu beweisen, daß beim Entstehen der P. S. E.-Z. (prämortale Eiweißzersetzung) die Schilddrüse eine wesent- liche Rolle spielt, würde man erst den Beweis erbringen müssen, daß die P. S. E.-Z. außer. an Kaninchen auch an anderen Tierarten (Hund, Katze, Meerschweinchen, Huhn) immer, oder wenigstens in überwie- gender Zahl der Fälle eintritt.“ Hierauf gebe ich zur Antwort, daß ich die Rolle der Schilddrüse für den Vorgang der P. S. E.-Z. untersuchen wollte und dies selbstver- ständlich nur an solchen Tieren tun konnte und mußte, die im nor- malen Zustand diese Erscheinung zur Schau tragen, ebenso wie es 1) Archiv f.d. ges. Physiol. 152, 50. 264 G. Mansfeld: wohl niemandem einfallen würde, das Phänomen der Wärmeregulation am Kaltblüter zu untersuchen. Daß an normalen Kaninchen aber die P. S. E.-Z. tatsächlich fast immer in Erscheinung tritt, wird nun auch von H. an der Hand eingehender literatischer Studien zugegeben und damit anerkannt, daß ich das richtige Versuchstier herausgefunden habe. Nun weist aber H. nach, daß in der Literatur einige Kaninchen sich vorfinden, bei denen die E.-Z. nicht immer an den zwei letzten Tagen eingetreten ist, es kann dies auch schon etwas früher geschehen. Wir sahen weiter oben, daß H. in seiner ganzen Kritik gar peinlich darauf achtet, daß ‚bei vergleichenden Versuchen die unerläßliche Erfordernis, gleiche Versuchsbedingungen zu schaffen,‘ nicht außer acht gelassen wird, vergißt aber diese Forderung plötzlich und stellt Tabelle III zu- sammen, in welcher als gleichwertige Versuche verglichen werden: meine schildrüsenlosen Kaninchen mit drei Kaninchen von Heymans, einem Kaninchen von Rubner, und nachdem das Kaninchenmaterial der Literatur scheinbar nicht ausreicht, werden, um den Beweis zu führen, mit meinen schilddrüsenlosen Kaninchen noch verglichen ein Hund von Schöndorff und ein Huhn von Schimansky. Die Tabelle soll beweisen, daß die prämortale Eiweißzersetzung auch an normalen Tieren manchmal so verläuft, als an meinen schild- drüsenlosen. Ich glaube, das Huhn und den Hund auch mit Einwilligung von Hari ausschalten zu dürfen, da er doch selber gezeigt hat, daß an diesen Tieren die P. S. E.-Z. meist nicht in Erscheinung tritt. Also bleiben die Kaninchen zunächst von Heymans. Wenn man die Tabelle ansieht, könnte man glauben, Häri hätte recht mit seiner Behauptung. Schaut man aber die Versuche von Heymans im Original nach, so macht man sehr interessante Wahrnehmungen: in keinem einzigen der angeführten Versuche wurde der Harn des letzten Tages bestimmt; nicht ein einziger Tagesharn wurde gesondert untersucht, sondern immer der Harn von drei Tagen zusammen; aber wenn jemand glaubt, daß der Harn überhaupt quantitativ gesammelt wurde, der irrt sich! Hey - mans beschreibt die Methodik wie folgt: ‚„lurine &mise tombe a travers la grille sur un plan incline et s’ecoule dans un flacon. C’est cette urine seule qui a ete recueillie, mesuree et analysee‘!). Und mit dieser Methodik gewonnene Ergebnisse sollen entscheiden, ob die E.-Z. am ersten, zweiten, dritten oder vierten Tag vor dem Tode eintritt, diese Versuche werden mit meinen verglichen, in welchen doch der Harn täglich bis zum Tode mit dem Katheter quantitätiv gewonnen wurde. Heymans soll gewiß kein Vorwurf gemacht werden, weil er doch gar nicht über prämortale Eiweißzersetzung gearbeitet hat. Diese Versuche wurden nur von H. zum Vergleich herangezogen, weil wenn auch ein gesteigerter Zerfall an den letzten zwei Tagen ein- !) Von mir gesperrt Arch. Internat. et Pharmakodyn. 2, 319. NS Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IX. 265 getreten wäre, wie bei meinen normalen Tieren dies unmöglich zu kon- statieren sei, da doch, wie schon erwähnt, der letzte Tag überhaupt nicht untersucht wurde, der vorletzte aber mit den zwei vorhergehenden Tagen zusammen und auch nur jener Urin, der eben vom Tier im dekrepieden Zustand vor dem Hungertod spontan entleert wurde. Und diese tabel- larische Zusammenstellung, in welcher außerdem meine Versuchser- gebnisse vollkommen entstellt wiedergegeben sind, soll den Beweis er- bringen, daß es normale Tiere gibt, welche sich so verhalten wie meine schilddrüsenlosen! ! Sollte sich aber jemand mit diesem Beweis nicht begnügen, dann DS - . - - . "wird dargelegt, daß auch wieder die Bereehnung meiner Versuche ein faisches Bild darbietet. Es sei nicht gestattet, — so heißt es — daß der Mittelwert der beiden letzten Lebenstage mit den. vorangehenden Hungertagen verglichen wird. Es sei „klar, — meint Häri — daß ‘man ein richtiges Bild der Vorgänge nur wird erhalten können, wenn man den ganzen Verlauf derN - Ausscheidung vor Augen hält und nicht nur die Mittelwerte aus un- natürlich abgegrenzten Versuchsperioden vergleicht‘. Es soll über diese Frage nicht weiter debattiert werden, ich komme dieser Forderung Häris nach, ich bringe in beistehenden Kurven den -—--—- - 4 - —- —-—4- -—-—--—- - —-—-- -—--—-—- | Schilddrüs erılos EEE TEE NETT TE ITNEZTEEZSENZE 2729 Abb. 1. Hungertag ganzen Verlauf der N-Ausscheidung von meinen drei normalen und von drei schilddrüsenlosen Tieren zur Schau und überlasse es dem Leser, zu entscheiden, ob ich berechtigt war aus meinen Versuchen zu folgern, daß ‚in jener Erscheinung, welche wir prämortale Eiweißzersetzung nennen, die Schilddrüse eine wesentliche Rolle spielt‘. 266 (4. Mansfeld: Zum Schluß dieser Betrachtungen wird mir seitens H. der Vor- wurf gemacht, daß ich in meiner I. Mitteilung, 1911, behauptet habe, daß auch nach Exstirpation der Schilddrüse die Eiweißzersetzung vor dem Hungertod in die Höhe geht, in der III. Mitteilung aber, 1913, zum entgegengesetzten Ergebnis gelange. Nachdem Häri — allerdings nur in Form einer Frage — mich damit beschuldigt, ich hätte viel- leicht die früheren Versuche. (1911) verschwiegen, das heißt nicht publiziert, weil sie gegen die Rolle der Schilddrüse bei der P. S. E.-2Z. sprachen, muß ich auf diesen Widerspruch meiner zwei Behauptungen kurz eingehen. Als ich im Jahre 1911 nachwies, daß an schilddrüsen- losen Tieren durch O,-Mangel keine vermehrte N-Ausscheidung ein- tritt, dachte ich nach der Prüfung einiger Einwände auch daran, daß vielleicht an schilddrüsenlosen Tieren die Niere die Fähigkeit verloren hat, mehr N auszuscheiden. Damals arbeiteten wir schon an der P. S. E.-Z., und so hatte ich an zwei schilddrüsenlosen Kaninchen: gewonnene Kjehldal-Titer-Werte auf N berechnet, und sah, daß in einem Versuch eine Steigerung von 21% (Vers. 5), im anderen von 17% (Vers. 7) eingetreten war. Dies sprach entschieden dafür, daß die Niere schilddrüsenloser Tiere die Produkte erhöhter E.-Z. genau so durchläßt, als die Niere normaler Tiere, was ich mit Berufung auf die erwähnten zwei Versuche eben zum Ausdruck brachte. Erst nach Be- rechnung der N-Werte sämtlicher, also auch der normalen Versuche stellte es sich heraus, daß bei (diesen die E.-Z. vor dem Hungertod um 110% , 182% und 127% gesteigert ist. All dies ist aber aus meiner Arbeit klar zu ersehen und die Frage Häris, ob die Versuche, die in der I. Mit- teilung (1911) erwähnt werden, dieselben oder andere sind, als die in 1913 publizierten, ist völlig ungerechtfertigt, nachdem doch das Datum bei jedem Versuch angegeben ist. Blutbildung und Schilddrüse. Unter diesem Titel hatte ich in Pflügers Arch. 152 über Versuche berichtet, welche den Zweck hatten, die schon längst vermutete Rolle der Schilddrüse für die Blutbildung klarzustellen, insbesondere zu prüfen, ob nicht der O,-Mangel dessen Reizwirkung für die Schilddrüse wir durch frühere Untersuchungen erkannt haben, in seiner Wirkung auch für die Blutbildung von der Schilddrüsentätigkeit abhängig ist. Diese Versuche boten die Grundlage für pharmakologische Unter- suchungen, welche zu entscheiden hatten, wie die Wirkung von Arsen und Eisen an schilddrüsenlosen Tieren sich gestaltet!). Das Ergebnis dieser Versuche war, daß das Arsen sich an schild- drüsenlosen Tieren völlig unwirksam zeigte, die Eisenwirkung aber auch an operierten Tieren voll zur Wirkung kam. 1) Arch. £.d. ges. Physiol. 161, 492. Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IX. 267 Auch gegen diese Versuche wendet sich nun Hari in seiner kritischen Studie mit einer Reihe von Einwänden, die Punkt für Punkt im fol- genden geprüft werden sollen. | Zunächst wird das Ergebnis sämtlicher Versuche ‚vernichtet‘, mit der Behauptung, ‚daß für die unentbehrlichen Kauteln offenbar!) nicht gesorgt war“. H. stützt diese Annahme darauf, daß aus meinen Arbeiten nicht zu ersehen ist, „daß nicht nur die Art der Ernährung, die Zusammensetzung des Futters der normalen und. schilddrüsenlosen Tieren dieselbe, sondern das Futter, das beiden Tiergruppen vorgelegt wird, identisch‘ war. Ich bekenne, daß ich dies in meiner Arbeit nicht ausdrücklich schreibe, aber offen gestanden, ist mir der Gedanke auch niemals ge- kommen, daß jemand voraussetzen könnte, ich hätte diese für jeden Anfänger selbstverständliche Bedingung vergleichender Versuche außer acht gelassen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit Häri einer schweren Sorge entledigen und nun nachträglich mitteilen, daß in den Höhen- versuchen das in der Ebene verabreichte Futter (Hafer) den Tieren mitgeschickt worden ist und Herr Kollege Guhr versicherte mir, darauf zu achten, daß die Tiere ausschließlich dieses Futter vorgelegt bekommen. Dann wird der Vorwurf gemacht, daß zu solchen Untersuchungen nur Tiere aus einem Wurf gebraucht werden dürfen, sonst sind sie nicht beweisend. H. beruft sich auch auf Bürker, der an sechs Tieren gleicher Herkunft seine Versuche angestellt hat. Nun ist es ja richtig, daß eine kleine Anzahl von Versuchen bewei- sender ist, wenn die Tiere demselben Wurfe entstammen und man wird immer danach trachten, um so eher, weil sechs Kaninchen aus einem Wurf leicht erhältlich sind. Nun möchte ich aber die Frage stellen, wie ich der Forderung Häris nachkommen hätte sollen, da ich doch zur Lösung einer Frage an 152 Kaninchen meine Ver- suche angestellt habe ? Die Forderung Häris aber könnte ja auch so gedeutet werden, daß immer nur eine Versuchsgruppe aus einem Wurf stammen sollte; aber auch dies hätte seine Schwierigkeiten gehabt. Die kleinste Versuchs- gruppe bestand auch schon aus 12 Tieren, andere aus 15—17 Tieren. Aber auch wenn ich durch besonders fruchtbare Kaninchen zu so einem Tiermaterial gekommen wäre, hätte es mich ja von den Einwänden Häris keineswegs geschützt, denn es werden ja in der Kritik z. B. meine Versuchsgruppen aus dem Jahr 1912 mit jenen verglichen, an ‘denen im Jahr 1914 die Versuche angestellt wurden. Noch eine andere Schwierigkeit wäre zu überwinden gewesen, daß nämlich meine Versuchs- tiere zur Hälfte schilddrüsenlose Tiere waren, von welchen aber bekannt ist, daß sie sich überhaupt nicht vermehren! Nun könnte aller- 1) Von mir gesperrt. 268 G. Mansfeld: dings behauptet werden, daß solche Fragen dann überhaupt nicht lösbar seien! Dann aber kommen wir zur Folgerung, daß sämtliche klinischen Untersuchungen über Blutbildung, selbst wenn sie an 152 Individuen angestellt worden sind — mangels an Beweiskraft —, zu verwerfen wären, insofern sie nicht an Geschwistern ausgeführt wurden. Der Einwand Häris, daß in unseren Versuchen die Exstirpation der Schilddrüse selbst zu so starker Anämie führen mußte, daß dadurch unsere Versuchsergebnisse getrübt wurden, scheint mir unrichtig aus folgenden Gründen: Wie ich in meiner Arbeit ausdrücklich schreibe, habe ich in einer Reihe von Versuchen nachgewiesen, daß die Ab- nahme der Bk. nach Exstirpation im Laufe von vier Wochen nie mehr als 9% ausmachte. Demgegenüber beruft sich Häri auf zwei Kanin- chen von Esser, an denen die Abnahme in 26 Tagen 15% resp. 7%, ausmachte. ‚(Alle anderen angeführten Versuche aus der Literatur werden selbst von H. als nicht vergleichbar ausgeschaltet, da sie an Hunden und Katzen gewonnen wurden, denen auch die Epithelkörperchen entfernt wurden.) Die Regenerationszeit in meinen Versuchen betrug aber nur 12 Tage und somit ist es selbst nach den Esserschen Ver- suchen völlig unberechtigt, an meinen Zahlen eine Korrektur von + 10%, anzubringen, wie es H. willkürlich tut und noch hinzufügt: „Habe ich doch bloß eine wahrscheinlich viel zu geringe Korrektion von 10%, angebracht!“ Allerdings stellt H., um dies zu begründen, eine vollkommen falsche Behauptung auf, und zwar, daß ich „offenbar“ die erste Blutuntersuchung schon vor der Operation ausgeführt habe, also zwischen der ersten und zweiten Zählung mehrere Wochen vergehen mußten. Diese Annahme ist aber mit nichts gerechtfertigt, denn aus meinen Versuchen geht es deutlich hervor, daß auch die erste Zählung am schilddrüsenlosen Tier, also nach der Operation durch- geführt wurde und somit zwischen den zwei Zählungen immer genau 12 Tage lagen. Außer dieser willkürlich gemachten Korrektur werden aber unsere Versuchsergebnisse durch H. noch in einer anderen Weise abgeändert dadurch, daß er die von mir gewählte Art der Berechnung als unrichtig bezeichnet und nach seiner Methode umrechnet und dadurch zu dem Ergebnis kommt, daß die Wirkung der Höhenluft und des Arsens am schilddrüsenlosen Tier voll zur Wirkung kommt. Diese Frage ist natürlich von prinzipieller Wichtigkeit, muß daher näher besprochen werden. H. meint, die richtige Berechnung wäre gegeben durch das Verhältnis zwischen der Bk.-Zahl des bereits anämischen Tieres nach und vor der Einwirkung des zu prüfenden Faktors (Höhen- luft usw.), wir hingegen berechnen den Grad der Regeneration aus dem Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. ID 269 Verhältnis zwischen der Zahl der durch Anämisierung verlorenen und der wiedergebildeten Blutkörperchen. Es ist aber klar, daß Häri, indem er dies behauptet, den Zweck: unserer Untersuchungen völlig mißverstanden hat. . Dies läßt sich ja aus seinen eigenen Worten beweisen: ‚Diese Be- rechnung wäre richtig, — sagt er — wenn etwa zu ermitteln wäre, ob und inwieweit die Geschwindigkeit der Regeneration von der Größe des vorangegangenen Blutverlustes abhängt!“ Aber es handelte sich ja in erster Linie gerade um diese Frage! Wir wollten ja eben ermitteln, wie ein Verlust von Blut am normalen und schilddrüsenlosen Tier auf die Geschwindigkeit der Regeneration einwirkt. Weiterhin, ob dieser Reiz der Anämie auf die Blutbildung nach gleichem Mechanismus seine Wirkung entfaltet als der O,-Mangel. Dies wurde aber auch in meiner ersten Mitteilung, S. 27, klar zum ‘Ausdruck gebracht: „Nachdem die eben mitgeteilten Versuche darauf schließen lassen, daß die Hämatopoese in der Höhe eine Funktion der Schilddrüse ist, mußte die Rolle der Schiddrüse bei der Regeneration von Anä- mien untersucht werden...., um zu sehen, ob die Anämie und der O,-Mangel nach gleichem Mechanismus die Blutbildung beeinflußt.‘ „Die Versuche wurden an mit Phenylhydrazin anämisch gemachten Kaninchen ausgeführt, und es kam zur Untersuchung, ein wie großer Anteil des Verlustes in einer bestimmten. Zeit (12 Tage) von normalen und schilddrüsenlosen Tieren wieder ersetzt wurde. Ich glaube, dies ist klar genug ausgedrückt, und wenn ich den Mechanismus der Blutbildung bei der Anämie untersuchen will, so muß ich natürlich die Größe des vorangegangenen Blutver - lustes mit in Rechnung bringen, was eben durch meine Berechnungs- art der Fall ist. In den Versuchen über Arsen und Eisenwirkung an anämischen Tieren konnte aber die Größe des Blutverlustes auch nicht aus der Berechnung vernachlässigt werden, nachdem doch eben die Größe der Anämie selbst einen Einfluß auf die Geschwindigkeit der Regeneration ausübt und durch die Versuche entschieden werden sollte, wie diese Geschwindigkeit durch Arsen und Eisen beeinflußt wird. Die von H. mühselig durchgeführte Berechnung ist also für unsere Frage wertlos und so muß ich an der Richtigkeit der von mir berechneten Ergebnissen auch weiterhin fest - halten. Ich glaube, nicht besonders betonen zu müssen, daß alle Schlüsse, welche H. auf S. 146 und 147 aus meinen Versuchen zieht, den Tat- sachen nicht entsprechen, nachdem alle hier benutzten Zahlen nach seiner Berechnung gewonnen wurden, bei welcher ja, wie oben gezeigt 270 (+. Mansfeld: Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse. IX. wurde, der Grad der Anämie aus der Rechnung ausfällt, daher diese Art der Berechnung nur zu Fehlschlüssen führen kann. Nichtdestoweniger wird auf S. 147 mit diesen falschen Zahlen der Beweis geführt, zu welch unrichtigen Schlüssen meine Versuche führen! ! Auf die unrichtigen Darstellungen auf S. 147 und 148, welche wohl geeignet sind, zur Charakteristik der „kritischen Studie‘ beizutragen, soll nur verwiesen werden, da sie keinen. wesentlichen Punkt meiner Arbeiten berühren. Ebenso verzichte ich auf jene öfters ausgesprochene Behauptung — ich hätte meine Gedanken anderen entiehnt — näher einzugehen. Die obigen, wie mir scheint, rein sachlichen Ausführungen dürften genügen, um zu entscheiden, ob meine mühevoll gesammelten Ergebnisse dazu geeignet sind, unsere Kenntnisse über die Rolle der Schilddrüse zu erweitern. Eine berechtigte Kritik ist gewiß das wirksamste Mittel, unseren schweren Kampf um die Wahrheit zu fördern. Es sei den Fachgenossen das Urteil überlassen, ob die eben besprochene kritische Studie diesem schönen Zweck zu entsprechen vermag. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. Das Verhalten der Hefezellen gegen Proteasen. Von Dr. Heinrieh Walter. ‘ (Aus dem physiologischen Institut der Universität Jena). Mit 11 Textabbildungen. (Eingegangen am 19. Februar 1920.) Die schwere Verdaulichkeit der pflanzlichen Nahrungsmittel und die schlechte Ausnutzung den tierischen gegenüber, wird meist auf das Vorhandensein der Zellmembranen zurückgeführt. Da, wie man an- nahm, die proteolytischen Enzyme nicht durch die Membranen diffun- dieren können, so ist der Inhalt der Zellen vor ihrer Einwirkung ge- schützt und kann nur nach Entfernung der schützenden Hüllen, sei es durch Cytase bei einigen Wirbellosen, sei es durch die Cellulose spaltenden Darmbakterien bei den meisten pflanzenfressenden Wirbel- tieren, der Verdauung zugänglich gemacht werden. Die Versuche Biedermanns!) haben nun gezeigt, daß diese An- nahme nicht haltbar ist. Sowohl Pepsin wie auch Trypsin können durch Membranen, wenn auch schwer, diffundieren. Die Resistenz des pflanz- lichen Zellplasma beruht vielmehr auf einer wesentlich von derjenigen des tierischen Zellplasma verschiedenen Zusammensetzung. Bei Einwirkung von Pepsin-HCl auf rohe, gekochte oder sonstwie zubereitete Pflanzenzellen läßt sich mikrochemisch keine wesentliche Veränderung bemerken. Nicht nur die Kerne sind in Pepsin-HCl unver- daulich, sondern ebenso die Chloroplasten und wenigstens zum größten Teil das Plasma. Daß ein Teil dennoch verdaut wird, kann man zuweilen an einem Durchsichtigerwerden der Präparate bemerken, auch lassen sich bei geeignetem Material stets Albumosen in der Flüssigkeit nach wei- sen. Genau ebenso verhält sich das von den Membranen befreite Zell- plasma. Anders verhält sich das Pflanzenplasma dem Trypsin gegenüber. Zwar bleiben rohe oder nur gekochte Zellen ebenfalls bei noch so langer Einwirkung des Trypsins unverändert, extrahiert man aber das Versuchs- 1) W. Biedermann, Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 373— 391. 1919. 212 ‘H. Walter: material zuerst mit kochendem Alkohol, dann mit Äther und Chloro- form, so wird der plasmatische Inhalt der geschlossenen Zellen in kürzester Zeit vollkommen ausverdaut. Aus diesen Versuchen schließt Biedermann, daß das pflanzliche Plasma sich ganz allgemein in seiner Zusammensetzung vom tierischen weitgehend unterscheidet, und zwar vor allem durch den Gehalt an lipoiden, durch Alkohol, Äther und Chloroform extrahierbaren Stoffen, welche solchem Plasma seine charakteristische Widerstandsfähigkeit gegen das tryptische Ferment des Pankreas verleihen. Das ersieht man auch daraus, daß bei unvollkommener Extraktion der Lipoide mit Alkohol bei gewöhnlicher Temperatur, namentlich von den Chloro- phylikörnern beträchtliche Reste nachbleiben. Bekanntlich sind aber die Chlorophylikörner besonders reich an lipoiden Stoffen. In Pepsin-HCl ist dagegen selbst vorher extrahiertes Plasma ebenso unverdaulich, wie es bis jetzt nur von den Kernen bekannt war. In dieser Weise verhielten sich Elodea, Mnium, Dahlia, Spinat und Salatblätter. Bei den Gräsern dagegen trat als Eigentümlich- keit die Unverdaulichkeit der Kerne hervor, die in den extrahierten und mit Trypsin ausverdauten Zellen erhalten blieben. Von den Algen wurden Ödogoniumfäden und Diatomeen nach Extrak- tion vollkommen ausverdaut, dagegen erwiesen sich Spirogyra- Zellen als äußerst resistent. Der gesamte Zellinhalt bleibt erhalten, obgleich insbesondere die Chlorophylibänder viel substanzärmer ge- worden sind, und die Stärkekörner demgemäß außerordentlich scharf hervortreten. x Von den Pilzen verhielt sich Boletus granulatus ebenso wie die meisten anderen Pflanzen. Nur bei extrahiertem Material kann eine vollkommene Ausverdauung mit Trypsin erzielt werden. Da nun in der letzten Zeit die Hefe vielfach als Ersatzmittel für Fleisch angepriesen wurde, andererseits das Verhalten der Pflanzen, unter ihnen auch der Pilze, dem Pepsin und Trypsin gegenüber die Aus- nutzbarkeit der vegetabilen Eiweißstoffe wieder in Frage gestellt hatten, so erschien es lohnenswert, speziell das Verhalten der Hefe den Ver- dauungsenzymen gegenüber nachzuprüfen. Die Hefe nimmt in ihrem ganzen Chemismus so eine Sonderstellung . unter den Pflanzen ein, daß es schwer war, aus dem Verhalten der anderen Pflanzen auf dasjenige der Hefe zu schließen. Die Isoliertheit der Zellen und ihre Kleinheit, wodurch eine große Angriffsfläche für die Enzyme zustande kommt, mußten die Verdauung erheblich begünstigen. Die Membran der Hefe besteht, wie angenommen wird, im Gegensatz zu der chitinhaltigen der Pilze hauptsächlich aus Pentosanen. Doch scheint die Membran, wie aus den Versuchen Biedermanns hervorgeht, keine wesentliche Rolle bei der Verdauung zu spielen. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 273 Ein Umstand dagegen müßte, wie anzunehmen war, störend auf die Verdauung der Hefe wirken, nämlich der große Fettgehalt. Dieser beträgt bei wachsender Hefe 2—5%, der Trockensubstanz, bei alter steigt er oft auf 10—13%. Im Vergleich zu dem Fettgehalt der anderen Pflanzen, ausgenommen.natürlich der Fettsamen, isterungewöhnlich hoch. Zu den folgenden Versuchen wurde gewöhnliche Preßhefe (Berlin), wie sie in den Bäckereien erhältlich ist, genommen. Ein Teil wurde in Pasteursche Nährlösung ausgesät, und die nach beendeter Gärung abgelagerte Hefe ebenfalls verwendet. Zur künstlichen Verdauung wurden folgende Präparate benutzt: Pepsin pur. Dr. Theodor Schu- chardt (Görlitz), Trypsin E. Merck (Darmstadt) und Trypsin sice. Dr. G, Grübler & Co. (Leipzig). Die Pepsinverdauung wurde in 0,3 proz. HCl, die Trypsinverdau- ung in 0,5proz. Na,CO,-Lösung vorgenommen. Die Proben wurden bei 40° C meist 24 Stunden stehen gelassen, da, wie es sich zeigte, eine längere Einwirkung keine wei- teren Folgen hatte. Mikroskopisch betrachtet, be- steht die in Pasteurscher Nähr- lösung gewachsene Hefe aus ovalen oder eiförmigen Zellen, die oft zu größeren Sproßverbänden vereinigt sind. Im Zellplasma sieht man viele kleine Körner, oft auch einige grö- Bere stark lichtbrechende Körper. Vakuolen sind meist nicht vorhan- den (s. Abb. 1). Die Preßhefe unterscheidet sich von der wachsenden vor allen Dingen durch die große Vaknole, die meist zentral gelegen ist und oft den größten Teil der Zellen einnimmt. In den Vakuolen kann man oft die sogenannten Tanzkörper bemerken. Das Plasma sieht ebenfalls körnig aus, die stark lichtbrechenden Körper sind viel häufiger und meist schon in jeder Zelle zu sehen. Die Zellen sind nie zu Sproßverbänden vereinigt. Man kann deutlich zwei Arten unter- scheiden: längliche ovale und mehr ei- oder kugelförmige mit derberer Membran. Letztere unterscheiden sich auch durch einen größeren Gehalt an stark lichtbrechenden Körpern. Es sind entweder mehrere kleinere oder ein größerer vorhanden. Diese Zellen werden wohl mit den von H. Will!) als Dauerzellen bezeichneten identisch sein. Abb. 1. Frische abgelagerte Hefe. DH» Will, Vergleichende Untersuchungen an vier untergärigen Arten von Bierhefe. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk. 2, 752. 2. Abteil. 1895. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd, 181. 18 274 H. Walter: Was nun die Protoplasmaeinschlüsse anbelangt, so hat man erstens die Volutin- oder metachromatischen Körper, zweitens die stark licht- brechenden Fettkörper zu unterscheiden. Erstere sind meist klein und unterscheiden sich von den Fettkörpern schon durch ihr geringes Lichtbrechungsvermögen. Mit Methylenblau und nachheriger Differen- zierung mit 1 proz. H,SO, kann man sie intensiv blau gefärbt erhalten. ‚In Alkohol absol., Äther und Chloroform sind sie unlöslich. Leicht lösen sie sich dagegen in kochendem Wasser, Säuren und Alkalient). Sie sollen nach A. Meyer aus Nucleinsäure bestehen. Auch die Tanz- körper bestehen meistausVolutin. Durch Scharlach R. und Sudan III werden sie nicht gefärbt. Die Fettkörper kann man am besten mit Sudan IlILnachweisen, sie färben sich dabei rotgelb. Bei der in Pasteurscher Nähr- lösung gewachsenen Hefe kann man mehrere kleine oder einen größeren Fettkörper nachweisen. In der Preßhefe ist reichliches Fett vorhanden, man sieht meist mehrere größere oder zuweilen einen sehr großen Fettkörper. Unterwirft man nun die Hefe der Verdauung mit Pepsin-HCl, so scheint auf den ersten Blick keine Veränderung eingetreten zu sein. Die Zellen sind ganz mit Plasma gefüllt. Bei genaue- rer Beobachtung sieht man aber, daß die Zellen bedeutend durchsichtiger geworden sind. Bei der Preß- hefe sind die Vakuolen meist nicht mehr zu sehen. Die stark lichtbrechen- den Körper treten scharf hervor. Färbt man mit Sudan III, so scheint es, als ob der Fettgehalt der Hefe stark zugenommen hat, denn in allen Zellen liegen jetzt viele kleinere und größere Fettkörper (s. Abb. 2). Besser ist es, wenn die Zellen vorher durch Kochen abgetötet wurden. Noch viel deutlicher ist die Veränderung nach tryptischer Verdau- ung von roher oder nur gekochter Hefe. In den von einer deutlichen dünnen Membran umgrenzten Zellen schien nichts außer großen und zahlreichen stark lichtbrechenden Fettkörpern enthalten zu sein. Oft füllten sie den größten Teil der Zelle aus. Bei sorgfältigem Abblenden Abb. 2. Mit Pepsin-HCl verdaute abgelagerte Hefe. !) A. Meyer, Orientierende Untersuchungen über Verbreitung, Morphologie und Chemie des Volutins. Botan. Ztg. 62. Jahrg., S. 130. 1904. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 275 oder, noch besser, nach Färbung mit Bismarckbraun konnte man aber noch einen homogenen Rest vom Zellplasma nachweisen (s. Abb. 3). Mit Jod-Jodkalium färbte sich das Restplasma deutlich gelb, gegen Methylenblau und die meisten anderen Farbstoffe verhielt es sich fast vollkommen indifferent. Bei der Preßhefe trat jetzt der Unterschied der beiden Zellarten besonders deutlich hervor. Während in den läng- lichen Zellen keine oder nur wenige kleine Fettkörper zurückblieben, besaßen die rundlichen deren viele, oder sie waren zu einem großen zentralen Körper zusammengeflossen. Schon aus diesen Versuchen geht hervor, daß die Hefe sich ganz anders als die meisten übrigen Pflanzenzellen und auch die Pilze ver- hält. Schon Pepsin greift das Zellplasma deutlich an, das Trypsin verdaut den größten Teil. Der große Fettgehalt der Hefe schützt das Plasma nicht vor den Verdauungs- enzymen. Es war nun interessant festzustellen, ob bei ex- trahiertem Material eine vollständige Ausverdau- ung stattfindet. Die Preß- hefe wurde mit kochen- dem Alkohol, dann Äther und Chloroform behan- delt. Ließ man einen Tropfen des zur Extrak- tion verwendeten Alko- hols aufdem Objektträger sich verflüchtigen, so ver- blieben zahlreiche Fett- tropfen, Krystalle und Myelinformen. Aus dem Alkohol konnte man das Hefefett als zäh- flüssige, gelbe, äußerst bitter schmeckende Masse gewinnen. Sie hatte in verstärktem Maße den spezifischen Geruch der Hefe, der beim Stehen an der Luft allmählich verschwand. Die extrahierten Hefezellen zeigten mikroskopisch keine wesentliche Veränderung. Sowohl die Vakuolen, wie auch die Protoplasmaein- schlüsse, ja selbst zu meinem Erstaunen die stark lichtbrechenden Fettkörper blieben erhalten (s. Abb. 4). Sie färbten sich mit Sudan III blaß rotgelb. Abb. 3. Mit Trypsin verdaute abgelagerte Hefe. 18* 276 H. Walter: Die extrahierte Hefe wurde wiederum der Pepsin- und Trypsin- verdauung unterworfen. Es zeigte sich kein wesentlicher Unterschied gegenüber der nicht extrahier- ten. Im Gegenteil, es schien sögar, daß nach der Extrak- tion mit kochendem Alkohol absol.' oft noch körnige Ein- schlüsse erhalten blieben. Das kann man vielleicht dadurch erklären, daß nach A. Meyer Volutin nach 2stündiger Ein- wirkung von Alkohol absol. in gewisser Hinsicht fixiert wird und z. B. in 80° Wasser sich nicht mehr völlig löst!). Bei der peptischen Verdauung wurden die Zellen blasser, die stark lichtbrechenden Körper traten schärfer hervor. Bei der tryptischen Verdauung blieb der homogene Plasmarest ebenfalls erhalten (s. Abb. 5 und Abb. 6). Alle diese Angaben beziehen sich auf Abb. 4. Extrahierte Preßhefe. Abb. 5. Extrahierte Hefe mit Pepsin-HCl verdaut. Abb. 6. Extrahierte Hefe mit Trypsin verdaut. das Verhalten der Mehrzahl der Zellen. Einzelne Zellen sind oft völlig ausverdaut, in anderen sind keine oder nur ganz kleine Fettkörper, dagegen ein größerer Plasmarest zu sehen. Nur ein Unterschied trat bei der extrahierten, verdauten Hefe gegenüber der nicht extrahierten hervor. Die zurückbleibenden Fett- I)>A:.Meyers1.c.S. 118. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. DET. körper waren an Zahl und Größe kleiner, was ja auch verständlich ist, -da durch die Extraktion ein großer Teil des Hefefettes entfernt wird. Somit ist auch mikroskopisch eine schon lange bekannte Tatsache be- wiesen, daß selbst bei noch so sorgfältiger Extraktion nur ein Teil des Fettes aus der Hefe entfernt wird. Schon Nägeli wußte, daß man nach vorheriger Behandlung der Hefe mit konzentrierter HCl 2—3 mal so viel Fett gewinnen kann als bei direkter Ätherextraktion. Was nun die Fettkörper anbelangt, so unterscheidet Henneberg!) die Vakuol-Fett-Eiweißkörper, die aus Volutin bestehen, sich aber mit Osmiumsäure braunschwarz färben, und die Vakuol-Fettkörper, die mit unseren identisch sein dürften. Diese sind rund oder rundlich, nach Methylenblauzusatz ungefärbt, nach Sudan oder Alkanna rot- gefärbt. Das Fett soll manchmal zum größten Teil zunächst im Zell- eiweiß in sehr feiner Verteilung vorhanden sein. Bei langsamem Ab- sterben wird es dann aus dem Plasma in die Vakuole als Tropfen einge- preßt, die einzelnen Massen fließen dabei nicht selten zu einem größeren Tropfen zusammen. In Hefe fressenden Amöben sammelt sich das Hefefett, oft umgeben von der zarten Plasmahaut der Hefe, in großen Mengen an. Zerdrückt man Hefezellen, so vereinigt sich das Fett zu größeren Tropfen. Von den, mit den Fettkörpern ausgeführten mikrochemischen Reaktionen seien folgende angeführt: Die Fettkörper sind unlöslich in kochendem Wasser, starken Säuren und Laugen. In letzteren scheinen sie ihr starkes Lichtbrechungsvermögen teilweise zu verlieren. In konzentrierter H,SO, werden die plasmatischen Bestandeile vollkommen zerstört, die Membranen verquellen, die Fettkörper bleiben aber er- halten. Nach H. Will?) macht sich hierbei ein Unterschied zwischen den Fettkörpern der Bodensatzhefe und denen der Dauerzellen bemerk- bar. Während die ersteren immer ungefärbt bleiben, färben sich letztere graugrün, zuletzt schwarzbraun. Vielfach ist die Färbung auch ab- weichend, indem sie sich rasch braun, dann smaragdgrün, blaugrün und zuletzt blauschwarz färben, oder aber sie bleiben bei längerer Ein- wirkung nur grünlich. Oft kann die smaragdgrüne Färbung ausfallen oder sie tritt sofort ein. Ich habe dieses Farbenspiel keinmal beobachtet. Läßt man dagegen konzentrierte H,SO, zu dem extrahierten Fett zufließen, so tritt anfangs eine grünliche Färbung auf, die bald dunkelt und einen violetten Ton annimmt, dann rötlich, braun und zuletzt braunschwarz wird. Die typische Cholesterin- und Phytosterinreaktion in Chloröformlösung zeigt das Hefefett nicht (nur die H,SO, färbt sich rotbraun). !) Henneberg, Über das Volutin in der Hefezelle. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk. II 45, 52. 1916. 2) H. Will, 1. c. S. 760. 278 H. Walter: Mit Sudan III und Scharlachrot werden die Fettkörper rot gefärbt. Mit Osmiumsäure tritt nur eine schwache Braunfärbung ein. Sehr schön Abb. 7. Mit kochendem Alkohol abs. extrahierte, vorher mit Trypsin verdaute abgelagerte Hefe. lassen sie sich mit Bismarckbraun färben. Mit Jod nehmen sie eine schwache gelbgrüne Färbung an. Gegen Methylenblau und die meisten anderen Farbstoffe verhalten sie sich indifferent. Abb. 8. Extrahjerte Preßhefe mit Trypsin verdaut und abermals mit Alkohol abs. extrahiert. Eigenartig ist das Verhalten gegen Al- kohol absol., Äther und Chloroform. Wie schon gesagt, bleiben die Fettkörper bei noch so langer Ex- traktionerhalten. Be- handelt man aber die mit Trypsin verdaute Hefe 10—15 Minuten mit kochendem Al- kohol absol., so wer- den alle Fettkörper entfernt, und es ver- bleibt nur das Restplasma (s. Abb. 7 und Abb. 8). Mit Alkohol absol. bei Zimmertemperatur und besonders mit Chloroform gelingt die Extraktion schwerer. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. 279 Daß ein Teil des Fettes anfangs ganz diffus im Plasma verteilt ist, sieht man daraus, daß nach der Verdauung von nicht extrahiertem Material die Zahl der Fetttropfen enorm zunimmt (vel. z. B. Abb. 1 mit Abb. 2 und 3). Bei der peptischen Verdauung bleibt der größte Teil des Plasma erhalten. Die freiwerdenden Fettmassen können deshalb nicht zu einigen wenigen Tropfen zusammenfließen, sondern bleiben als zahlreiche kleinere Tropfen zurück. Während das Fett der Hefe entweder nur im Plasma gelöst oder in Form der Fettkörper lokalisiert ist, gehören anscheinend die Lipoide des Pflanzenplasma zur Kon- stitution des Plasma und sind vielleicht chemisch mit ihm verbunden. Nur so kann man einerseits den Schutz vor der Einwirkung des Trypsins, andererseits den Umstand erklären, daß frisches Pflanzenmaterial mit Osmiumsäure keine Färbung gibt und die Lipoide sich erst nach ent- sprechender Behandlung abscheiden!). Legt man dagegen frische Hefe in lproz. Osmiumsäure, so färbt sie sich makroskopisch sehr bald schwarz; mikroskopisch erscheinen die Zellen diffus braun gefärbt. Bei der Extraktion wird wohl hauptsächlich dieses diffus gelöste Fett entfernt. Solches Material färbt sich makroskopisch mit 1 proz. Osmiumsäure zwar immer noch schwarz, mikroskopisch erscheinen aber nur die Fettkörper schwach bräunlich gefärbt. Wodurch läßt es sich nun erklären, daß das Fett aus den Fettkörpern nicht oder nur schwer extrahiert wird? Nach H. Will?) besitzen die Fettkörper ein sie um- schließendes Bläschen, welches zuweilen auch noch durch Maschenwerk ausgefüllt ist. Es zeigt alle Eiweißreaktionen. Dafür spricht erstens, die verschiedene, jedoch immer festere Konsistenz der Fettkörper, zweitens die leichte Extraktionsfähigkeit nach der tryptischen Ver- dauung, wobei die Eiweißhülle zerstört wird, auch kann man bei Ein- wirkung von Chloroform oft ein Schrumpfen der Fettkörper bemerken. Was die Färbung mit Bismarckbraun anbelangt, so ist sie auch dem extrahierten Hefefett eigentümlich. Auf die Bedingungen, welche die Fettbildung in den Hefen begün- stigen, auf die Bedeutung des Fettes sowie auch die chemische Zusam- mensetzung will ich hier nicht näher eingehen. Ich verweise auf die einschlägige Literatur?). Aus diesen Versuchen geht hervor, daß man durch vorher- sehende Verdauung mit Trypsin ein Mittel in der Hand hat, das Hefefett vollkommen extraktionsfähig zu machen. !) W. Biedermann, Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. Flora 11, 576. 1918. SSH SW El er S:r100! 3) Kohl, Die Hefepilze, 1908; Euler, Chemie der Hefe, 1915; Bokorny, Anhäufung von Fett in Pflanzenzellen. Arch. f. d. ges. Physiol. 1915, S. 306; O. Hinsberg und E. Roos, Über einige Bestandteile der Hefe. Hoppe-Seylers Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, Heft I u. II, S. 1. 280 H. Walter: Aber selbst nach völliger Extraktion bleibt das Restplasma doch noch unverdaulich. | Auch die makrochemische Untersuchung der Verdauungsflüssig- keiten zeigt, daß sowohl Pepsin wie auch Trypsin die Hefezellen ziem- lich stark angreifen. Bei diesen, wie auch bei allen anderen Versuchen, ' fieles mir auf, daß saure Flüssigkeiten immer hellgelb, alkalische dagegen sich dunkelbraun färbten. Die Färbung trat auch ohne Zusatz der Fermente auf. Bei Pepsin-HCl-Verdauung zeigte die Flüssigkeit starke Biuret- reaktion. Albumosen waren nur in Spuren nachweisbar. Bei der tryptischen Verdauung ebenfalls starke Biuretreaktion. Beim Einengen fielen krystallinische Ab- bauprodukte aus, vorwiegend Leucin, an zweiter Stelle Tyrosin. Die Tryp- tophanreaktion fiel negativ aus. Auf Grund der Versuche an frischer Hefe durfte man erwarten, daß auch die Nährhefe der Verdau- ung im hohen Maße zugänglich sein würde. Diese Annahme wurde in der Tat vollkommen bestätigt. Zur Verwendung kam Nährhefe, hergestellt nach dem Verfahren des Instituts für Gärungsgewerbe in Berlin. Makroskopisch stellt sie eine feine bräunliche, pulverige Masse vor, die nicht mehr den spezifischen Hefe- geruch besitzt. Mikroskopisch kann Abb. 9. Nährhefe. man die einzelnen unversehrten Zellen deutlich erkennen. Die Membran ist leicht erkennbar, da in vielen Zellen der bräunliche Inhalt sich etwas von der Zellhaut losgelöst hat. Die Vakuolen treten nicht scharf her- vor. In ihnen kann man meist einen kleinen, stark lichtbrechenden Fettkörper bemerken. Sie sind aber immer nur sehr klein und in Ein- oder Zweizahl vorhanden (s. Abb. 9). Das Herstellungsverfahren ist mir nicht genau bekannt, doch wird außer dem Trocknen noch eine Extraktion zur Entfernung der Bitter- stoffe notwendig sein. Unterwirft man nun die Nährhefe der künstlichen Verdauung, so treten ungefähr dieselben Veränderungen ein wie bei frischer Hefe. Mit Pepsin-HCl wurde der Zellinhalt durchsichtiger, doch blieb er deut- En Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 281 lich zu sehen (s. Abb. 10). Mit Trypsin blieb nur ein homogener Rest erhalten, wobei die Fettkörper scharf hervortraten (s. Abb. 11). Eine Zunahme der Fettropfen an Zahl oder Größe war nicht zu bemerken. Die makrochemische Untersuchung der Verdauungsflüssigkeit von Pepsin-HCl ergab, was bereits bei der Preßhefe bemerkt worden war, einen ungemein starken Neutralisationsniederschlag, unlöslich im Über- schuß von NaOH. Er erwies sich zum größten Teil aus phosphor- saurem Kalk bestehend. Albumosen waren mit HNO, und (NH,),SO, nachzuweisen. Das Filtrat zeigte noch sehr starke Biuretreaktion und einen Niederschlag mit Alkohol absol. im Überschuß. Ließ man 0,3 proz. HCl allein auf Nährhefe einwirken, so trat der Niederschlag von phos- phorsaurem Kalk ebenfalls auf, dagegen zeigte die Flüssigkeit selbst es 7. SG WW. Abb. 10. Nährhefe mit Pepsin-HC1 verdaut. Abb. 11. Nährhefe mit Trypsin verdaut. EN bei noch so langem Stehen keine Biuretreaktion. Beim Erwärmen auf 40° trat oft Gasentwicklung ein, dieselbe war stärker bei Einwirkung von konzentrierterer HCl. Die Nährhefe muß also kohlensaure Salze enthalten. Bei der Trypsinverdauung zeigte die Flüssigkeit sehr schwache Albumosenreaktion, nach Fällung mit Kaliumacetat und FeCl, starke Biuretreaktion. Es mußte also ziemlich viel Pepton vorhanden sein. Beim Einengen auf dem Wasserbad krystallisierten Leucin und Tyrosin aus. Die Tryptophanreaktion fiel negativ aus, nur bei einer Probe, die in Fäulnis übergegangen war, war sie positiv. Ließ man Na,CO, allein einwirken, so färbte sich die Flüssigkeit wie immer bei alkalischer Reaktion dunkelbraun. Abbauprodukte der Eiweißstoffe waren dagegen nicht nachzuweisen. Bei allen Versuchen mit Trypsin hat sich gezeigt, daß Thymolzusatz keinen hemmenden Einfluß auf die Verdauung ausübt. Also auch in dieser Hinsicht verhält sich die Hefe anders als die anderen Pflanzen, 282 et Walter: da die Verdauung von extrahiertem pflanzlichem Material durch Thymol vollkommen gehemmt wird). Um nun genauere quantitative Versuche anzustellen, wurden fünf parallele Proben verwendet. Es wurden abgewogene Mengen von Nährhefe einen Tag bei 40°: Nr.1 in destilliertem Wasser, Nr. 2 in 0,3 proz. HCl, Nr. 3in 0,5 proz. Na,CO, , Nr. 4 in Pepsin-HCl und Nr. 5 in Na,CO, mit Trypsinzusatz gehalten. Nach 24 Stunden wurde die Flüssigkeit abfiltriert, die Filter bei 100° getrocknet und der eingetretene Gewichtsverlust der Hefe festgestellt. Die erhaltenen Werte unterlagen großen Schwankungen, da das Aus- waschen der Niederschläge ziemlich schwer war, und bei längerem Aus- waschen wiederum die Hefe in Fäulnis überging oder von Schimmel- pilzen befallen wurde. Im Mittel erhielt ich folgende Zahlen: Nr. lin destilliertem Wasser — Gewichtsverlust 21—22%, der luft- trockenen Nährhefe. Nr. 2 in 0,3proz. HCl — Gewichtsverlust gegen 28%. Nr. 3 in 0,5 proz. Na,CO, — Gewichtsverlust nicht wesentlich größer als in destilliertem Wasser. Nr. 4 in Pepsin-HCl — Gewichtsverlust gegen 36%. Nr. 5in Trypsin-Lösung — Gewichtsverlust gegen 49% ; bei längerer Einwirkung noch erheblich größer, doch waren die Proben nicht mehr einwandfrei, da Bakterien auftraten. Bei allen diesen Zahlen sind 10% auf Verlust des hygroskopischen Wassers der lufttrockenen Nährhefe zurückzuführen. Der größere Verlust bei Trypsineinwirkung gegenüber reiner 0,5 proz. Na,CO,-Lösung beträgt gegen 27%, bei Pepsineinwirkung gegenüber reiner 0,3 proz. HCl gegen 8%. Man kann wohl annehmen, daß dieser Überschuß der Menge der verdauten Eiweißstoffe entspricht. Die Zusammensetzung der Nährhefe ist laut Angabe auf der Ver- packung 44%, Eiweiß, 6% Fett, 28%, N-freie Extraktionsstoffe, 12% Mineralbestand und 10%, Wasser. Wir sehen also, daß Trypsin gegen 64%, und Pepsin gegen 18%, des vorhandenen Eiweißes verdaut. Ähnliche Ergebnisse bekommt man, wenn man den Stickstoffgehalt der Nährhefe und denjenigen der mit Trypsin verdauten bestimmt. Diese Ergebnisse stimmen mit den mikroskopischen Veränderungen gut überein, da wir sehen, daß mit Pepsin nur ein verhältnismäßig geringer, mit Trypsin dagegen der weitaus größere Teil verdaut wird. Ist nun die Ausnutzung der Nährhefe bei künstlicher Verdauung schon so erheblich, so muß sie im lebenden Organismus noch besser sein, weil dann die verschiedenen Fermente unter optimalen Bedingungen 1) W. Biederesnn. l. c., Beiträge zur vergl. Physiologie der Verdauung, S. 379. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VIII. 283 der Reihe nach einwirken und außerdem die entstehenden Verdauungs- produkte sofort entfernt werden. Die mikroskopischen Veränderungen lassen zwar keinen wesentlichen Unterschied von denen nach Trypsinverdauung erkennen. Nährhefe mit angefeuchtetem Brot vermischt, wurde an eine Maus verfüttert. Sie fraß es ohne weiteres in großen Mengen. Die Untersuchungen des Kotes zeigten, daß er abgesehen von geringen Verunreinigungen aus Bakterien - Stäbchen, Kokken und Hefezellen ‚bestand. Bei den Hefezellen waren die Konturen deutlich zu sehen. Die Membran scheint also nicht oder nur in geringem Maße angegriffen zu werden. Der Zell- inhalt war teilweise noch erhalten geblieben, aber nur bei Abblendung zu sehen, die Fettkörper dagegen schienen gänzlich unverdaulich zu sein und traten scharf hervor. Genauere quantitative Verfütterungsversuche am Menschen haben eine Ausnutzung von 86%, des vorhandenen Ei- weißes ergeben). Faßt man nun nochmals die Ergebnisse dieser Arbeit kurz zusammen, so sieht man, daß die Hefe im Verhalten zu den Verdauungsenzymen eine vollkommene Sonderstellung im Pflanzenreiche einnimmt. So- wohl Pepsin als insbesondere Trypsin greift rohe oder nur gekochte Hefe in hohem Grade an. Vorherige Extraktion mit Alkohol, Äther und Chloroform bleibt ohne Einfluß. Diese Eigentümlichkeit der Hefe wird verständlicher, wenn wir uns erinnern, daß sie in ihrem ganzen Chemismus, man könnte sagen, dem tierischen Organismus näher steht, wie es z. B. der Glykogengehalt, die rasche Autolyse usw. zeigen. Das Hefefett ist zum Teil im Plasma diffus gelöst, zum Teil in die Fettkörper eingelagert. Bei der Extraktion wird nur ersteres entfernt. Die Fettkörper sind vor der Verdauung nicht oder nur schwer, nach der Verdauung mit Trypsin dagegen sehr leicht extrahierbar. Diese Eigentümlichkeit beruht wohl auf dem Vorhandensein einer aus Eiweiß- stoffen bestehenden Hülle. Das Hefefett färbt sich mit Bismarckbraun intensiv goldgelb. Ein Teil des Plasmas bleibt unter allen Umständen unverdaulich. Dieser Plasmarest verhält sich zu den meisten Farb- stoffen vollkommen indifferent, ist also wohl kein echtes Eiweiß mehr. Die Nährhefe ist von allen vegetabilen Nahrungsmitteln wohl am besten als Fleischersatz zu empfehlen, obgleich die Aufschrift auf der Ver- packung, daß 1 kg Nährhefe 2,5 kg Rinderfleisch entspricht, etwas zu hoch gegriffen ist, da ein, wenn auch geringer Teil nicht ausgenutzt wird. Den nicht ausgenutzten Teil der Eiweißstoffe bei den meisten Pflan- zen, z. B. Spinat, veranschlagt Biedermann mit 60-—-70%?). Zwar 1) B. Heinze, Die Hefe als Heilmittel, Nahrungsmittel und Futtermittel. Mitt. d. deutschen Landwirtsch.-Gesellsch. 1915, 1. Mai, S. 263. 2) W. Biedermann, Beiträge zur vergl. Phys. der Verdauung VIII. Arch. f. d. ges. Physiol. 1%4, 395. 1919. 284 NH. Walter: Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. VII. stellte Rubner den Verlust in den Faeces bei Verfütterung an einen Hund gleich 34,3% fest, das Material war aber vorher mit kochendem Alkohol extrahiert worden. Anders verhält sich Reserveeiweiß. Es wird ohne weiteres verdaut. Die Ausnutzung bei Erbsen und Bohnen ist gleich 70%, der Eiweißgehalt ist aber geringer als bei der Hefe: er beträgt nur 23—26%. Ebenfalls durch einen großen Eiweißgehalt zeichnen sich die Pilze aus, doch hat Biedermann gezeigt, daß nicht extrahiertes Material sich genau ebenso wie die anderen Pflanzen ver- hält, von Pepsin und Trypsin also nicht wesentlich verdaut wird. Die Verfütterungsversuche von gepulverten Steinpilzen an Hunde ergaben nach Rubner 35,35% nicht resorbierten Stickstoff. Er nimmt an, daß die Unverdaulichkeit hier durch den Einschluß in die Zellmembranen bedingt wird. Aber selbst bei verhältnismäßig guter Ausnutzung der Pilze muß man in Betracht ziehen, daß die Handelsware nur äußerst wenig Trockensubstanz enthält, der absolute Eiweißgehalt also auch nur sehr gering ist. Diese Arbeit ist im physiologischen Institut der Universität Jena ausgeführt worden. Herr Geheimrat Dr. Biedermann hat mir auf die liebenswürdigste Weise alle nötigen Hilfsmittel zur Verfügung ge- stellt. Für das überaus freundliche Entgegenkommen und alle An- regung, die er mir zuteil kommen ließ, sage ich ihm hiermit meinen wärmsten Dank. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. Von Hans Stübel. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Jena.) (Eingegangen am 29. Februar 1920.) In einer bereits im Jahre 1914 veröffentlichten Arbeit wurde über die bei der Blutgerinnung wahrnehmbaren morphologischen Verände- rungen, soweit dieselben mittels Dunkelfeldbeleuchtung zu beobachten sind, berichtet. Hierbei stellte sich heraus, daß der Vorgang der Fibrin- bildung im Plasma der Säugetiere wie ein Krystallisationsprozeß ab- läuft, indem aus dem optisch leeren Plasma plötzlich deutliche Nadeln hervortreten!). 2 Bereits vor Jahren hatte Schimmelbusch?) die Ansicht aus- gesprochen, daß die Fibringerinnung wie ein Krystallisationsprozeß verläuft. Da aber der Vorgang der Gerinnung bei Hellfeldbeleuchtung bedeutend schwieriger zu beobachten ist als bei Dunkelfeldbeleuchtung, so hatte diese Ansicht wenig Anklang gefunden?). Die genannte Untersuchung wurde von mir vor allem am Blute des Menschen und der Säugetiere ausgeführt und weiterhin wurden entsprechende Beobachtungen auch am Blut der Vögel und Amphibien gemacht. Im Frühjahr 1914 hatte ich dann Gelegenheit, an der zoo- logischen Station zu Neapel an einer größeren Reihe von Fischen und wirbellosen Tieren dieselben Untersuchungen anzustellen, welche ich dann später an nicht marinen, wirbellosen Tieren noch erweiterte. Eine ganz kurze Mitteilung über die damals erhobenen Befunde wurde bereits veröffentlicht®). Infolge des Krieges ist mir ihre ausführlichere Veröffentlichung erst jetzt möglich geworden. Während sich der Vorgang der Fibrinbildung bei Säugetieren mit Hilfe der Dunkelfeldbeleuchtung leicht verfolgen läßt, sind entspre- chende Beobachtungen am Blute anderer Wirbeltiere und am Blute 1!) Stübel, Arch. f. d. ges. Physiol. 156, 361. 1914. Es sei hier auch beson- ders auf die dieser Abhandlung beigegebenen Tafeln verwiesen; Verhandl. d. 9. intern. Physiologenkongr. 1913; Zentralbl. f. Physiol. 27, Erg.-H. S. 299. 1914. 2) Schimmelbusch, Virchows Archiv 101, 201. 1885. 3) Vgl. hierzu Bürker, Arch. f. d. ges. Physiol. 102, 36. 1904. *) Stübel, Zentralbl. f. Physiol. 28, 726. 1914. 286 H. Stübel: von Wirbellosen zuweilen mit größeren Schwierigkeiten verbunden, da die Erscheinungen hier nicht immer so auffällig sind wie bei den Säugetieren. Bei Vögeln!) und auch bei Knochenfischen ist der Typus der Fibrinbildung häufig mit der Nadelbildung im Säugetier- blut zu vergleichen. Es treten hier nämlich gleichfalls aus einem optisch leeren Medium, dem Plasma, ohne vorherige Körnchenbildung und ohne eine vorherige diffuse Aufhellung des Gesichtsfeldes lange Fäden auf, deren freie Enden häufig spitz zulaufen. Auch diese Fäden setzen sich wie die Nadeln des Säugetierblutes mit Vorliebe an Rauhigkeiten der Glasflächen oder an zufällig in das Präparat gelangte Fremdkörper an. Zur Erläuterung der Verhältnisse bei den Knochenfischen seien folgende Versuche angeführt: Motella tricerrata: Blut aus der Aorta mit paraffinierter Kanüle in paraf- finiertes Gefäß aufgefangen. Nach fast völliger Sedimentierung der Blutzellen Anfertigung eines mikroskopischen Präparates eines Plasmatropfens. Zu dem Plasma wird auf dem Objektträger eine Spur Muskelextrakt (Muskelfleischstücken von Motella in Seewasser zerdrückt) zugefügt. Untersuchung mit Kardioidkon- densor nach Siedentopf, Zeiß, apochrom. Objektiv 3 mm Brennweite, Kompens.- Okular 18, Bogenlicht. Gerinnung in Form eines feinen, schwach lichtbrechenden Netzes, das an vielen Stellen des Präparates sehr engmaschig ist und dann auf- fallend an feine Nadelfilze von Säugetierfibrin erinnert. Die spärlichen im Prä- parat vorhandenen Erythrocyten sind zu Haufen agglutiniert. Diese Haufen, haben eine längliche Form und sind an ihren Längsseiten von dickeren Fibrin- strängen umschlossen. Das Fadennetz geht stellenweise von agglutinierten Throm- bocyten aus, doch stehen nicht alle Thrombocyten mit ihm in Verbindung. Stellen- weise kommen auch Bildungszentren des Fadennetzes vor, deren Inneres bei Dunkelfeldbeleuchtung nicht auflösbar ist. Im Serum weiße, tanzende Körnchen entsprechend den vom Säugetierblut bekannten Hämokonien. Crenilabrus pavo: Versuchsanordnung wie bei Motella. Gerinnung in Form äußerst schwach lichtbrechender aber sehr deutlicher Fäden, die vielfach von den agglutinierten Thrombocyten ausgehen. Bei Amphibien!) (Rana esculenta, R. temporaria, Bufo vulgaris). gelingt nur die Beobachtung äußerst zarter und schwach lichtbrechender Fadenfilze, die häufig auch von einem bestimmten Zentrum aus sich bilden. Verhältnismäßig am schwierigsten ist die Beobachtung der Fadenbildung bei den Haifischen zu machen. Auch hier wurde das Blut mit Hilfe einer paraffinierten Kanüle unter sorgfältiger Vermeidung des Hinzutrittes von Gewebssaft entnommen und nach Sedimentierung der Blutkörperchen ein Tropfen des so gewonnenen, spontan nicht gerinnenden Plasmas unter Hinzugabe einer Spur von Gewebsextrakt auf den Objektträger gebracht. Als Beispiele seien angeführt: Sceyllium canicula: Plasma im durchfallenden Licht hellgelb, fast klar; im auffallenden Licht trüb, stark opalescierend, himmelblau. 1. Versuch: Gerin- nung im Dunkelfeld sehr schwer erkennbar; nur vereinzelt sehr blasse Fäden, die an Froschblutgerinnung erinnern. Im Serum zahllose feinste Hämokonien. — 1),Stübel, l.'c. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 287 2. Versuch: Fadenbildung typischer Art, stellenweise sogar an Nadelbildung erinnernd. j Sceyllium catulus: Plasma hellgelb, nicht opalescierend, im auffallenden Licht kaum bläulich. Gerinnung im Dunkelfeld sehr schwer erkennbar; ganz dünne, meist aneinanderklebende Fädchen. Im Serum verhältnismäßig wenig Hämokonien. — Nach 24 Stunden zeigt ein Präparat desselben Plasmas deutlich fädige Gerinnung. Torpedo ocellata: 1. Versuch: Gerinnungsvorgang im Ultramikroskop nicht deutlich wahrnehmbar. Es bilden sich vereinzelt ganz feine Fädchen in der Umgebung zugeführter Muskelstückchen. 2. Versuch: Bei Zugabe von Muskel- extrakt deutliche Fadenbildung.. 3. Versuch: Deutlich die für niedere Wirbeltiere charakteristische Fadenbildung; ausgesprochene Neigung zur Bildung von längs- verlaufenden parallelstreifigen Fibrinmassen, in denen die agglutinierten Erythro- eyten längs gedrückt werden. Man gewahrt also bei Selachiern eine spärliche Bildung sehr schwach lichtbrechender Fäden (trotz stärkster Beleuchtung: Bogen- licht, Kardioidkondensor). Dabei wird eine Aufhellung des Gesichts- feldes oder eine anderweitige Veränderung bei Beobachtung im Dunkel- feld nicht bemerkbar. Nichtsdestoweniger kann man sich durch Beob- achtung der Gerinnung in vitro leicht davon überzeugen, daß das Blut der Selachier zu einer ebenso steifen Gallerte gerinnt wie das Blut anderer Wirbeltiere. Während also die Bildung langer Fäden die für das Blut der Wirbel- tiere mit Ausnahme der Säugetiere typische Form der Blutgerinnung ist, soweit man sie ultramikroskopisch verfolgen kann, beobachtete ich in einigen Fällen bei Vögeln noch eine andere Gerinnungsform. Wenn man hier zu Plasma Gewebsextrakte hinzugibt, können nämlich auch plötzlich Unmassen eben noch erkennbarer Nädelchen entstehen. Gehen wir nun zu den Wirbellosen über, so finden wir z.B. bei den Crustaceen ganz andere Bilder, wenn wir den Vorgang der Blut- gerinnung bei Dunkelfeldbeleuchtung untersuchen. Bekanntlich zeigt die Blutgerinnung der Krebse bereits, wenn man den Vorgang in vitro betrachtet, bei verschiedenen Arten große Verschiedenheiten!). Bei den meisten Formen besteht die Gerinnung in der Bildung einer ver- hältnismäßig dünnflüssigen, im Verhältnis zum darüberstehenden Serum wenig voluminösen Gallerte, so daß man nach einiger Zeit schleimige Fäden aus dem in seiner Hauptmasse flüssig gebliebenen Blut heraus- ziehen kann. Von dieser Form der Blutgerinnung bis zur Verwandlung der gesamten Blutflüssigkeit in eine steife Gallerte gibt es nun bei den Crustaceen alle Übergänge. Als Beispiele für die Verwandlung des Blutes in eine steife Gallerte sei das Blut von Palinurus vulgaris, Palaemon serratus und Calappa granulata angeführt, die zwei ersteren Vertreter der Macru- !) Vgl. über die Blutgerinnung bei Wirbellosen: v. Fürth, Vergleichende chemische Physiologie der niederen Tiere, Jena 1903. 288 H. Stübel: ren, Calappa eine brachyure Form. Um das Blut zu gewinnen, wurde meistens so vorgegangen, daß dem Versuchstier ein Bein abgeschnitten wurde und darauf ein Tröpfehen des ausfließenden Blutes mit Hilfe eines paraffinierten Glasstabes auf den Objektträger gebracht wurde. Bei Palinurus beobachtet man, wenn man das Blut zwischen Objektträger und Deckglas gerinnen läßt, im Dunkelfeld das Auftreten eines dicken, zumeist gleichmäßig verteilten, eben noch in feinste Körnchen auflösbaren Niederschlages. Dieser Niederschlag steht hier in deutlicher Beziehung zu gewissen zelligen Elementen des Blutes. Man gewahrt in derartigen Präparaten drei verschiedene Arten von Blutzellen, die teils zu Haufen agglutiniert, teils einzeln gelagert vor- kommen: 1. grob granulierte Zellen mit großen, stark lichtbrechenden Granula und zahlreichen spitzen, oft verzweigten Fortsätzen; 2. fein granulierte Zellen mit ebensolchen Fortsätzen und 3. fein granulierte Zellen ohne Fortsätze von kreisrunder oder mehr ovaler Form. Allen diesen Zellen eigentümlich ist es, daß sie niemals lebend zur Beobachtung kommen, sondern daß sie sehr rasch unter Quellungserscheinungen absterben. Dabei zeigen besonders die mit Fortsätzen versehenen Zellen eine große Neigung zur Agglutination. Die fortsatzlosen Zellen liegen mehr einzeln. Diese letzteren sind nun beim Zustandekommen der Blutgerinnung von besonderer Bedeutung. Man sieht nämlich, daß der Niederschlag sich in der Umgebung dieser Zellen zuerst bildet in Form einer kreisförmigen Zone. Erst später tritt dann eine diffuse, gleichmäßige Gerinnung im ganzen Präparat ein. Es wird von diesen Zellen ein Stoff in die Blutflüssigkeit abgegeben, der die Gerinnung in irgendeiner Weise fördern muß. Oft sieht man auch, daß sich um diese Zellen herum konzentrische Zonen der gefällten Substanz von verschiedener Dichte abscheiden, vergleichbar den bekannten Liese- gangschen Ringen. Neben dem feinen körnigen Niederschlag sieht man in manchen Präparaten auch noch ganz feine, sehr schwach licht- brechende Fäden, die stellenweise mit Körnchen besetzt sind und häufig in Beziehung zu fein granulierten Zellen stehen; diese Fäden haben wahrscheinlich mit der eigentlichen Blutgerinnung nichts zu tun. Außerden sieht man bei Dunkelfeldbeleuchtung im Blute aller Crustaceen schon vor der Gerinnung in Brownscher Molekularbewegung befindliche Körper in wechselnder Zahl. Die Größe, das Lichtbrechungs- vermögen und die Farbe dieser Körner ist verschieden; die meisten sind farblos, man findet jedoch — nicht nur nach den einzelnen Arten, sondern auch individuell verschieden — daneben schön grün, rot oder orangefarben leuchtende Körner. Der größte Teil dieser Körner wird sehr rasch an der Oberfläche des Objektträgers oder der Unterfläche des Deckglases adsorbiert, häufig treten dabei mehrere Körner zu kleinen Häufchen zusammen. Diese Körner unterscheiden sich stets durch Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 289 ihr starkes Lichtbrechungsvermögen von den Körnern des bei der Ge- rinnung auftretenden Niederschlages. Irgendeine Beziehung dieser stark lichth'echenden Körner zur Blutgerinnung ließ sich nicht fest- stellen. Dus nach erfolgter Gerinnung sich allmählich über der Blut- gallerte ansammelnde Serum ‘wurde ım Ultramikroskop optisch leer gefunden. Fast ganz dieselbe Form der Gerinnung wie bei Palinurus tritt bei Palaemon serratus auf. Auch hier sehen wir die Beziehung der Niederschlagsbildung zu gewissen Blutzellen, hie und da auch das Auftreten konzentrischer Fällunssringe in deren Umgebung” Bei Palaemon kann man die Bildung des Niederschlages, der hier sehr fein- körnig ist, besonders gut im Ultramikroskop verfolgen. In der Nähe der erwähnten fortsatzlosen Zellen scheidet er sich auch manchmal in Form von Mustern ab. Meistens jedoch sind die Körnchen gleichmäßig ver- teilt. Ein ganz anderes Bild der Blutgerinnung zeigt Calappa granu - lata. Hier sieht man, obwohl, wie erwähnt, das ganze Blut festgerinnt, überhaupt keinen diffusen Niederschlag. Man sieht lediglich ganz feine Fäden und diese noch dazu außerordentlich spärlich. Diese Fäden scheinen stellenweise nicht ganz homogen zu sein, indem sie in einzelne Abschnitte zerfallen; sie stehen in Beziehung zu abgestorbenen Blut- zellen, welche den die Gerinnung befördernden Zellen von Palinurus und Palaemon ähnlich sehen. Da ähnliche Fäden auch im Blut von Formen auftreten, die eine deutliche feinkörnige Gerinnung zeigen, so ist es fraglich, ob diese Fäden hier mit Recht in Beziehung zur Gerinnung zu bringen sind. Auf jeden Fall muß man feststellen, daß die bei der Gerinnung auftretenden Veränderungen des Blutes von Calappa über- wiegend amikroskopisch sind. Im Flußkrebs (Astacus fluviatilis) findet man eine Form, bei der das Blut eine Mittelstellung einnimmt zwischen den bis jetzt besprochenen Arten mit solider Blutgerinnung und den schon oben er- wähnten Arten mit schleimig-fadenziehender Blutgerinnung. Läßt man bei Astacus Blut aus einem durchschnittenen Bein in ein Uhrschälchen tropfen, so ist Schnelligkeit und Art der Blutgerinnung bei verschiedenen Individuen u.U. sehr verschieden. Während in manchen Fällen fast das ganze Blut vom Boden des Uhrschälchens aus zu einer weichen, gelatinösen Masse erstarrt (etwa 15 Minuten nach der Entnahme), bildet sich im Blut anderer Tiere nur ein gelatinöser Bodensatz, und in einer Reihe von Fällen war dieser Bodensatz nicht mehr fest geronnen, sondern war im Gegensatz zu dem darüberstehenden dünnflüssigen Serum schleimig, zählfüssig und fadenziehend und ließ sich mit einer Nadelspitze in Form eines Schleimfadens aus dem Schälchen heraus- ziehen. Riß der Faden ab, so zog er sich an der Nadelspitze zu einem Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 19 290 H. Stübel: kugelförmigen Schleimtröpfchen zusammen. — Dementsprechend wechselvoll sind auch die Bilder, die man bei ultramikroskopischer Betrachtung des Gerinnungsvorganges findet. Obgleich mir gerade von Astacus ein größeres Material zur Verfügung stand, ist es mir nicht möglich, hier eine wirklich typische ultramikroskopische Veränderung bei der Blutgerinnung zu beschreiben. Oft sind die Erscheinungen so zart, daß man immer wieder befürchten muß, Niederschlagsbildungen im Blute mit den unvermeidlichen Schmutzniederschlägen und Putz- streifen, die sich auch auf den sorgfältigst gereinigten Objektträgern aus Glas oder Quarz finden können, zu verwechseln. Nur Kontroll- präparate mit destilliertem Wasser auf demselben Objektträger können dann eine Entscheidung herbeiführen. Als Versuchsbeispiele seien angeführt: 1. Blut bei Entnahme auffallend wasserklar. Durch das ganze Präparat geht ein auf der Oberfläche des Objektträgers haftender, diffuser Niederschlag von Körnchen, die überall in gebogenen Reihen angeordnet sind. Die einzelnen Körnchen sind so groß (teils rund, teils oval), daß sie im Dunkelfeld innen optisch leer erscheinen. In der darüberstehenden Flüssigkeitsschicht spärlich verschieden große tanzende Körnchen. An der Deckglasunterfläche stellenweise Gruppen stark lichtbrechender grober Körner absorbiert. Zellen nicht im Präparat nach- weisbar. 2. Erstes Präparat: Ein dem beim vorhergehenden Versuch beschriebenen äußerst ähnlichen Niederschlag auf dem Objektträger. An einer Stelle ein Streifen von zusammengeklebten fadenartigen Gebilden, die machmal nadelartig sind. Die Fäden scheinen aber stellenweise aus ganz dicht aneinanderliegenden Körnchen zu bestehen. Spärlich zerquetschte Zellen; spärlich in der Flüssigkeit tanzende, stark liehtbrechende Körner; dieselben Körner teilweise am Deckglas absorbiert. Daselbst auch grüne und orangefarbene Körner. — Zweites Präparat: Ganz diffuser Niederschlag sehr schwach lichtbrechender Körnchen von verschiedener Größe, auf dem Objektträger, ungleichmäßig verteilt, an einer Stelle zu einem Muster von Streifen angeordnet. Derselbe Niederschlag stellenweise auch am Deck- gläschen. An einer umschriebenen Stelle ein dichtes Fadennetz; die Fäden scheinen aus einzelnen Körnchen zu bestehen. In der Flüssigkeit tanzende Körnchen, darunter auch einzelne stark lichtbrechende, orangefarbene und gelbgrüne. — Zellen nicht nachweisbar. 3. Auf dem Objektträger ein Niederschlag von einzelnliegenden, sehr schwach lichtbrechenden in der Mitte optisch leeren, runden oder unregelmäßig geformten Körnern (im Kontrollpräparat mit destilliertem Wasser nicht vorhanden). In der darüberstehenden Flüssigkeit wenige, kleine, tanzende Körnchen. 4. Etwa eine halbe Stunde nach der Blutentnahme wird mit einer Nadel ein fadenziehender Tropfen vom Boden des Uhrschälchens auf den Objektträger gebracht und bei Dunkelfeldbeleuchtung untersucht. Äußerst feinkörniger, dichter Niederschlag in der Mitte des Präparates. An vielen Stellen hat der Nieder- schlag einen mehr fädigen Charakter. Die einzelnen Schollen des Niederschlages werden durch sehr feine Fäden miteinander verbunden. Dazwischen einzelne Gruppen sehr stark lichtbrechender Körner. 5. Ein Tropfen noch nicht geronnenen Blutes auf den Objektträger gebracht. Während der Beobachtung entsteht ein äußerst schwach lichtbrechender, kaum auflösbarer Niederschlag ruhender Körnchen auf dem Boden der Quarzkammer. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 291 Es kommt jedoch nicht zu einer durchgehenden Gerinnung der ganzen Flüssigkeit, denn die von vornherein im Präparat vorhandenen tanzenden Körnchen behalten ihre Beweglichkeit. Zusammenfassend kann man also über die Blutgerinnung bei Astacus sagen, daß die Gerinnung nicht zu einer so soliden Gelatinierung führt wie bei den vorher besprochenen Arten. Ultramikroskopisch entsteht in der Regel ein körniger Niederschlag. Die Körnchen zeigen jedoch eine unverkennbare Neigung zu reihenweiser Anordnung. Aus solchen reihenweise angeordneten Körnchen können Fäden hervorgehen, die ihrerseits wieder die Tendenz haben, miteinander zu verkleben. Von den untersuchten marinen Krebsen zeigt in Bezug auf die Blut- gerinnung Dorippe lanata ungefähr dieselben Verhältnisse wie Asta- cus. Auch hier keine durchgehende Gerinnung des Präparates, sondern nur die Bildung eines ganz feinen Niederschlages. Betrachtet man ein in vitro gebildetes, zerquetschtes Gerinnsel im Dunkelfeld, so gewahrt man neben den Klumpen agglutinierter Blutzellen einen feinkörnigen Niederschlag, von dem stellenweise parallel verlaufende, nicht mehr in Körnchen auflösbare Fäden ausgehen, die nicht in Verbindung mit Zellen stehen und infolgedessen nicht mit den fadenförmigen Fortsätzen der Blutzellen zu verwechseln sind. Bei Carcinus maenas gerinnt das Blut noch weniger fest als bei Astacus und Dorippe. Untersucht man einen schleimigen Faden ge- ronnenen Blutes bei Dunkelfeldbeleuchtung, so sieht man ungefähr dasselbe Bild, wie es von dem festgerinnenden Blute von Calappa be- schrieben wurde, also vereinzelte, ganz feine, schwach lichtbrechende Fädchen und Haufen agglutinierter Blutzellen. Im günstigsten Falle sieht man einen ganz feinen netzartigen Niederschlag, der aus Fäden oder Körnerreihen gebildet wird. Zuweilen lassen sich die Fäden nur schwer von den Körnerreihen unterscheiden. Öfters wurde auch eine kreis- förmige Anordnung der Körnchen gefunden. Vielfach ist aber die Gerinnungserscheinung ultramikroskopisch überhaupt nicht zu ver- folgen. Die Gerinnungsform bei Carcinus scheint die bei den dekapoden Crustaceen am häufigsten Vorkommende zu sein. Ebenso wie Carcinus verhalten sich z. B. Maja verrucosa, Xantho rivulosus , Munida rugosa und Eupagurus prideauxi. So ist bei Maja der Gerinnungs- vorgang ultramikroskopisch überhaupt nicht deutlich zu verfolgen. Untersucht man einen schleimigen Faden schon geronnenen Blutes, so sieht man Schollen mäßig stark lichtbrechender Punkte, von denen stellenweise ganz feine Fädchen ausgehen. Von Mollusken wurden Eledone moschata, Octopus vul- garis und Helix pomatia untersucht. Die Gerinnung in vitro führt hier zur Bildung einer mehr schleimigen als gallertigen Masse in den un- 195 292 H. Stübel: teren Schichten der Blutflüssigkeit, ebenso, wie das von den Crustaceen des Carcinustypus beschrieben wurde. Bei den Tintenfischen konnte ich ultramikroskopisch überhaupt keine Gerinnungserscheinungen wahr- nehmen. Bei der Weinbergschnecke ist die Bildung von Körnchen- reihen und Fäden (die in einem Falle gebogenen Nadeln ähnlich sahen) ebenso wie bei Carcinus, zu beobachten. Ganz ähnliche Verhältnisse liegen beim Blute der Insekten vor. Untersucht wurde die Hämolymphe der Raupen des Schwammspin- ners (Lymantria dispar) und des Wolfsmilchschwärmers (Deile - phila euphorbiae). .Auch hier in vitro die Bildung eines schleimigen, fadenziehenden Bodensatzes. Im Dunkelfeld gewahrt man vorzüglich bei dem Blute von Lymantria die Bildung feinster, teilweise Brown - sche Molekularbewegung zeigender Fädchen. Diese Fädchen treten stellenweise zur Bildung feiner Fadengerüste zusammen. Die angeführten Beobachtungen zeigen, daß erhebliche Unterschiede im Ablaufe der Blutgerinnung zwischen Wirbeltieren und Wirbellosen bestehen. Eine Analogie in dem Verhalten der Blutgerinnung findet sich bezüglich der Blutzellen der Wirbellosen und der Thrombocyten bzw. Blutplättchen der Wirbeltiere. In beiden Fällen geht der Blut- gerinnung erst ein Absterben dieser geformten Elemente des Blutes voraus, wobei die betreffenden Elemente agglutinieren und dabei häufig zahlreiche spitze Fortsätze bilden und stark quellen. Wenn wir aber die Morphologie der eigentlichen Fibrinbildung, z.B. bei Palinurus einerseits und bei einem Säugetier andererseits, vergleichen, so haben wir wenig- stens scheinbar zwei ganz verschiedene Prozesse vor uns. Die Blut- gerinnung bei Palinurus zeigt uns das Auftreten eines gleichmäßig ver- teilten körnigen Niederschlages, wie es bei der Gerinnung kolloidaler Körper die Regel ist. Beim Säugetier sehen wir, daß das Fibrin sich in Form von Nadeln abscheidet, ein bei einem typischen Kolloid viel selteneres Vorkommnis. Es ist nun bemerkenswert, daß zwischen diesen beiden so extrem voneinander verschieden scheinenden Fällen alle möglichen’ Übergänge vorkommen können. Man sieht, daß an Stelle von Nadelbildung bei niederen Wirbeltieren die Bildung von Fäden zu beob- achten ist. Ganz ähnliche Fäden treten andererseits auch wieder im Krebsblut auf. Man könnte annehmen, daß die Bildung von Fäden einerseits und die Bildung eines diffusen Niederschlages im Krebsblute andererseits zwei verschiedene, voneinander unabhängige Prozesse sind. Aber auch hier lassen sich wiederum zahlreiche Übergänge fest- stellen. Besonders gut läßt sich das bei der Betrachtung des geronnenen Blutes vom Flußkrebs beobachten. Bringt man einen Tropfen flüssigen Blutes zwischen Objektträger und Deckglas, so bekommt man bei der Blutgerinnung, wie beschrieben, im wesentlichen einen äußerst feinen Niederschlag zu Gesicht. Andere Bilder erhält man, wenn man eine Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 293 möglichst geringe Menge des bereits geronnenen Blutes zwischen Objekt- träger und Deckglas zerquetscht und dann bei Dunkelfeldbeleuchtung untersucht. Hier sieht man erstens, als Hauptmasse, einen äußerst feinkörnigen und dichten Niederschlag. Von diesem Niederschlag gehen mehr oder weniger dicke Fäden aus, die aus derselben feinkörnigen Masse bestehen wie die Hauptmasse. Da, wo die Fäden dünner werden, be- kommen sie ein mehr längsgestreiftes Aussehen und, wenn sie ganz dünn werden, gewinnen sie schließlich das Aussehen der einfach konturierten Fäden, wie man sie auch im Blut der niederen Wirbeltiere sieht. Neben diesen unmittelbar aus der Hauptmasse des Gerinnsels hervorgehenden Fäden finden sich nun zweitens in einem derartigen Präparate gesondert davon noch andere Fäden, teils einzeln, teils zu Bündeln angeordnet, meistens in Verbindung mit Blutzellen stehend. Diese Fäden fasern sich an ihren Enden häufig aus, sie sind oft nicht ganz homogen sondern zerfallen in einzelne Stücke, die zumeist typischen Nadeln sehr ähnlich sind, und daneben kann man in einem solchen Präparat sehen, wie außer diesen nadelartigen Fädchen einzelne Körner in Haufen beieinander liegen, die ihrerseits wiederum streifig angeordnet sind. Sieht man also im Krebsblut alle Übergänge zwischen Nieder- schlags- und Fadenbildung und im Wirbeltierblute alle Übergänge zwischen Faden- und Nadelbildung, so ist der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß es sich auch bei Gerinnung des Krebsblutes nicht um eine „amorphe Ausflockung‘‘, sondern um eine Art von Krystalli- sationsprozesse handeln kann, indem sich hier zahllose winzige Kryställ- chen bilden, die ihrerseits zu Fäden verschmelzen können. Auch hier- für lassen sich Analogien bei typischen Krystallisationsprozessen fin- den, vor allem, wenn der Krystallisationsprozeß mit großer Geschwindig- keit abläuft, oder wenn an die sich bildenden Krystalle kolloidale Körper adsorbiert werden und dadurch das typische Wachstum der Krystalle verhindert wird, worauf weiter unten näher eingegangen werden wird. Im Laufe der letzten Jahre ist der Vorgang der Abscheidung des Fibrins, soweit er mittels Dunkelfeldbeleuchtung zu verfolgen ist, von verschiedenen Forschern beschrieben worden, wobei die von mir mit- geteilten Beobachtungen bestätigt und ergänzt wurden (Howell, Baitsell, Hekma, Disselhorst und Freundlich). Die Bedeutung der Nadelbildung als Krystallisationsvorgang ist allerdings von einige . Autoren, nämlich von Hekma und von Disselhorstund Freundlich, angezweifelt worden. Zunächst sei noch einmal hervorgehoben, daß der Vorgang der Nadel- bildung im Wirbeltier-, besonders im Säugetierblut von einem Krystalli- sationsvorgange morphologisch nicht zu unterscheiden ist. Man kann typische Krystallisationsprozesse beobachten, bei denen sich die ein- zelnen Krystalle in Form eines ebenso dichten Filzes ebenso kleiner Na- 294 H. Stübel: deln von annähernd demselben Lichtbrechungsvermögen, wie es beim Fibrin der Säugetiere der Fall ist, abscheiden. Als Beispiel erwähne ich das milchsaure Natrium. Bringt man einen Tropfen geschmolzenen milchsauren Natriums unter das Mikroskop, so sieht man im Dunkel- feld, daß mit der Zeit zahllose feinste Nädelchen entstehen, die häufig den Nadeln in einem geronnenen Präparat von Blutplasma täuschend ähnlich sehen. Auch in der Art und Weise, wie sich die Fibrinnadeln ausbilden, gewahrt man zahlreiche Analogien zu typischen Krystalli- sationsprozessen. Je rascher sich die Nadeln ausbilden, umso kleiner werden sie und um so dichter wird das aus ihnen gebildete Netzwerk. Bei langsamer Ausbildung entstehen verhältnismäßig sehr große aber spärliche Nadeln. ‚Ferner läßt sich zeigen, daß der Prozeß der Nadel- bildung besonders rasch im Kontakt mit Rauhigkeiten, z. B. mit einer verhältnismäßig rauhen Glasoberfläche oder mit zufällig in das Prä- parat hineingeratenen Fremdkörpern, vor sich geht. Die längsten Nadeln von menschlichem Fibrin waren bei abnorm verlangsamter Blut- gerinnung, nämlich bei der Hämophilie, zu beobachten. Auch die primäre Bildung von Fäden, wie sie bei der Blutgerinnung vielfach anstatt der Nadelbildung auftritt, ein Vorgang, auf den besonders Hekma (s. unten) hingewiesen hat, sehen wir u. a. bei typischen Kry- stallisationsprozessen vor sich gehen. Hier kann als Beispiel wiederum das Natriumlactat angeführt werden, aus dessen Schmelze bei ganz langsamer Abkühlung außerordentlich lange und dünne Fäden aus- krystallisieren, ein Vorgang, der bei Dunkelfeldbeleuchtung sehr gut zu sehen ist. Die Blutgerinnung ist ein Sonderfall der Gallertbildung. Die Gallertbildung ihrerseits ist ein Vorgang, der nicht nur für die physi- kalische Chemie, sondern auch für die gesamte Biologie das größte Interesse beansprucht, indem vielfach der lebenden Substanz selbst, ebensowohl wie vielen ihrer Produkte eine gallertige Beschaffenheit zukommt. Bei der Blutgerinnung sehen wir, daß eine Gallerte durch Abschei- dung eines festen Stoffes in Form feinster Nadeln entsteht. Es erhebt sich nun die Frage, ob dieser Vorgang als Krystallisationsprozeß an- gesehen werden darf. An dieser Stelle sei von vornherein betont, daß der krystallinische und der kolloidale Zustand sich gegenseitig nicht ausschließen. Der heutige Stand dieser _ Frage wird von Zsigmondy!) folgendermaßen festgelegt: „Graham hat ganz richtig bemerkt, daß kolloide Lösungen gewöhnlich amorphe Rückstände hinter- lassen (besser ‚„‚amorph erscheinende‘). Daraus ist zuweilen geschlossen worden, daß Kolloide überhaupt nicht krystallisieren. Dies ist nicht richtig. Unter An- wendung gewisser Vorsichtsmaßregeln kann man aus vielen Kolloidlösungen Kry- stalle züchten. Es gibt z. B. krystallisierte Albumine, Globuline, Hämoglobine usw. !) Zsigmondy, Kolloidchemie, 2. Aufl.. Leipzig 1918, S. 8. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 295 Ebenso lassen sich aus kolloidem Silber Krystalle gewinnen. Ferner müssen die amorph erscheinenden Rückstände aus Kolloidlösungen keineswegs notwendig amorph sein, sie können vielmehr aus ultramikroskopischen Krystallen bestehen, die nur deshalb amorph erscheinen, weil man im Mikroskop nicht mehr die einzelnen Individuen, sondern ein Haufwerk derselben wahrnimmt.‘ Es finden sich nun in der Literatur bereits eine ganze Reihe von Angaben, daß Gallertbildungen durch Krystallisationsprozesse bedingt sind. Bekanntlich hat lange bevor die Bedeutung der Kolloidchemie im allgemeinen und ihre Bedeutung für die biologischen Wissenschaften im besonderen anerkannt wurde, Nägeli!) seine Micellartheorie entwickelt, welche den heutigen Anschau- ungen der Kolloidchemie vollkommen gerecht wird, während Graham, der eigent- liche Begründer der Kolloidehemie einen Gegensatz zwischen Krystalloiden und Kolloiden schuf, der unserer jetzigen Auffassung nicht mehr entspricht. Nach Nägeli bestehen die kolloiden Eiweiß-, Stärke- und Celluloseteilchen aus ‚‚Micellen“ d. h. aus „krystallinischen Molekülgruppen oder winzigen, weit jenseits der mikro- skopischen Sichtbarkeit liegenden Krystallen.““ Nägeli bezeichnet diese Körper als „Krystalloide‘‘ und begründet diese Ausdrucksweise folgendermaßen: „Die Krystalloide haben die größte Ähnlichkeit mit Krystallen, aber sie imbibieren sich mit Wasser, verlieren dasselbe wieder durch Verdunstung (Eintrocknen) und sind unter dem Einfluß stärkerer Mittel (Säuren, Alkalien) einer weitergehenden Quellung fähig. Die Micelle in den Krystalloiden sind also im benetzten Zustande durch Flüssigkeitsschichten getrennt. Diese Micelle erweisen sich mit Hilfe des polarisierten Lichtes als doppelbrechende winzige Kryställchen.““ Nach Nägeli besteht also der Unterschied zwischen Krystallen und ‚Krystalloiden‘ darin, daß letzteren ein Quellungsvermögen zukommt. Im übrigen findet sich zwi- schen Krystallen und Krystalloiden nach dieser Auffassung kein Gegensatz. Man könnte die „Krystalloide‘“ Nägelis also auch als Krystalle bezeichnen, die außer den sonstigen Eigenschaften eines Krystalles noch die Fähigkeit haben, zu quellen. Diese Quellbarkeit ist, wie hier gleich betont werden soll, eine aniso- diametrische. Im Laufe der Zeit sind eine Fülle von Tatsachen gefunden worden, welche die Richtigkeit der Nägelischen Micellartheorie beweisen. In erster Linie sind hier die wichtigen Untersuchungen von Ambronn?) zunennen. So konnte Ambronn in neuerer Zeit den Nachweis erbringen, daß die Erscheinungen der akzidentellen Doppelbrechung bei Celloidin und Cellulose eine Bestätigung der Nägelischen Theorie bilden, und daß der starke Dichroismus geeignet gefärbter natürlicher Fasern und auch bleibend gedehnter Celloidin- und Cellulosestreifen für die Richtig- keit der Nägelischen Auffassung spricht?). Auch über den Bau der Gallerten bildete sich Nägeli Vorstellungen, die mit den heutigen, auf Grund ultramikroskopischer Untersuchungen gewonnenen Anschauungen übereinstimmen. Diese Untersuchungen verdanken wir vor allem Zsigmondy, Bachmann, v. Weimarn und Flade. Bachmann!) stellte fest, daß „die Struktur der Gallerten eine sehr viel feinere ist, als die Bütschlische Wabentheorie behauptet“. „‚Die Masse der Gal- lerten von Gelatine, Agar-Agar und Kieselsäure ist diffferenziert in ultramikro- skopische und vornehmlich mikroskopische Elemente, die in ihrer Größenordnung 1) Nägeli, Theorie der Gärung, München 1879. ?2) Ambronn, Ber. d. Deutsch. bot. Ges. 6, 15. 1888; ebenda S. 226. — Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 48, 622. 1896;] Kolloid-Zeitschr. 18, 90. 273. 1916; 20, 731917. ®») Ambronn, Nachr. v. d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, 1919. *) Bachmann, Zeitschr. f. anorg. Chemie %3, 125. 1912. 296 H. Stübel : beiderseits nahe der Grenze des Auflösungsvermögens des Mikroskopes liegen.“ Gewisse Erscheinungen bei der Bildung dieser Gallerten sprechen dafür, daß es. sich hierbei um einen Krystallisationsvorgang handelt: „Das ultramikroskopische Bild der erstarrten Gallerte läßt eine Art Krystallisation neben Teilchenaggre- gation vermuten, während die typischen Erstarrungserscheinungen für eine Art Entmischung sprechen.“ Weiterhin hat sich nun gezeigt, daß eine ganze Anzahl typischer Gallertbil- dungen als Krystallisationsprozesse anzusehen 'sind. Hier sind in erster Linie die ultramikroskopischen Untersuchungen über Seifengallerten von Zsigmondy und Bachmann!) zu nennen. Nach diesen beiden Forschern stehen bei Seifen- gallerten wirkliche Krystallisationsprozesse außer allem Zweifel. Ganz kurz seien hier einige an Seifengallerten zu beobachtende Erscheinungen angeführt, da die- selben mit den verschiedenen Erscheinungen der Blutgerinnung eine weitgehende Übereinstimmung zeigen: Umwandlung von Seifenhydrosolen in Hydrogele: Na-Oleat: Fadenfilz- bildung; unter Umständen ist die Gallerte fadenziehend. Bei Alterung scheinen dickere Fäden auf Kosten der dünneren zu wachsen. Na-Palmitat: Gewimmel feinster ultramikroskopischer Kryställchen, plötzliches Anschießen von Fäden. "— Na-Stearat: Krystallnadeln oder Fäden; frisch erstarrte Präparate zeigen deutlich krystallartige Bildungen, gealterte Präparate typische Fadenstrukturen. — K-Stearat: Aus Flöckchen entstehen netzbildende Fädchen, aus diesen Krystalle. Umwandlung von Seifenalkosolen in Alkogele: Na-Salze der Palmitin- und Stearinsäure: globulitische Struktur wie bei Gelatine und Agar-Agar. K-Salze der Palmitin- und Stearinsäure: Krystallbrei. Auf Grund seiner umfassenden Untersuchungen an den verschiedensten, zumeist anorganischen Verbindungen, insonderheit an Bariumsulfatniederschlägen kommt v. Weimarn?) zu der Annahme, daß der Gallertbildung ganz allgemein ein Krystallisationsvorgang zugrunde liegt. ‚Jeder beliebige deutlich krystalli- nische Stoff kann in Form einer typischen Gallerte erhalten werden.“ Barium- sulfat kann, je nach den verschiedenen Bedingungen, unter denen es sich bildet, sowohl unter der Form einer ‚‚grobzelligen, klaren Gallerte‘“ als unter der Form verhältnismäßig großer, makroskopischer Krystalle mit wohlausgebildeten Flächen auftreten. Zwischen diesen beiden Grenzfällen kommen nun alle Übergänge über „sogenannte amorphe Niederschläge“, ultramikroskopische Krystallskelette, Nadeln und holoedrische Mikrokrystalle vor. v. Weimarn ist der Ansicht, daß „es keine logischen Gründe gibt, anzunehmen, daß in der Kette sich stetig ver- ändernder Körner eine plötzliche Umwandlung der krystallinischen Substanz in eine amorphe vor sich geht.“ Die Schlußfolgerungen, welche v. Weimarn aus den vor allem an den Galler- ten typischer „Krystalloide‘‘ (im Sinne Grahams) gemachten Erfahrungen zieht, überträgt er aber auch auf die Gallerten typischer Kolloide (im Sinne Grahams). „Auf Grund experimenteller Befunde kann kein Zweifel bestehen, daß der Ge- . latinierungsprozeß der reversiblen :Kolloide mit dem Krystallisationsprozeß identisch ist und daß die Gelatinierung im Falle der reversiblen Kolloide deshalb vor sich geht, weil die reversiblen Kolloide hochmolekular sind, oft Gemische dar- stellen und eine komplizierte Molekülstruktur besitzen.‘ Flade®°) stellte fest, daß Gallerten aus malonsaurem Barium „ohne Ausnahme 1) Flade, Zeitschr. f. anorgan. Chemie 82, 173. 1913. ?) Zsigmondy und Bachmann. Kolloid-Zeitschr. 11, 145. 1912. 3) von Weimarn, Kolloid-Ztschr. 2, 76. 1908; ebenda 230; 3, 282, 1908; 4, 27. 1909; 5, 122. 1909. — Grundzüge der Dispersoidchemie, Deden 1911. Zur Lehre von den Zuständen der Materie, Dresden 1914. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 297 krystallinische Beschaffenheit besitzen‘. Die in den Gallerten wahrnehmbaren langgestreckten Krystalle „sind als Trichiten zu bezeichnen‘. e Neuerdings hat Moeller!) eine Anzahl von Tatsachen beschrieben, die es sehr wahrscheinlich machen, daß auch der Gallertbildung der Gelatine ein Kry- stallisationsvorgang zugrunde liegt, was ja schon von Bachmann (s. oben) vermutet wurde. So hat Moeller ‚in den dünnsten Schichten der eingetrockneten Gallerte kugelförmige Erhebungen bemerkt, welche sich ähnlich wie Sphäro- krystalle verhalten und stark polarisierende Eigenschaften zeigen.“ Auch die Untersuchungen Bradfords?) bringen Beweismaterial für die Theorie, daß die Gallertbildung der natürlichen Emulsoide ein Krystallisationsvorgang ist. Die Beobachtungen, die man bei der Blutgerinnung machen kann, reihen sich den soeben angeführten Beobachtungen über Gallertbildung nun in zwangloser Weise ein. Wenn man von denjenigen Fällen absieht, in denen die Gerinnung lediglich aus einer Agglutination absterbender, amoeboider Zellen besteht, so sehen wir im einfachsten Falle (Insekten, Mollusken, manche Crustaceen), daß sich innerhalb des Blutes bei der Gerinnung makroskopische, zarte, durchsichtige Gallertfäden bilden, wenn man etwa mit einer Nadel durch das Blut hindurchfährt, mit anderen Worten, das Blut ist infolge der Gerinnung fadenziehend ge- worden. Die mikroskopische Untersuchung ergibt, daß die Fäden in wechselnder Zahl oft miteinander verfilzte, abgestorbene Blutzellen enthalten. Bei Dunkelfeldbeleuchtung erscheinen diese Fäden entweder optisch leer oder stellenweise von Aggregaten größerer ‚„‚amorpher“ Körner erfüllt. Bei denjenigen Crustaceen nun, bei welchen das Blut zu einer steifen Gallerte gerinnt, sieht man während der Gerinnung zahl- lose Ultramikronen von annähernd gleicher Größe auftreten, die ent- weder in gleichmäßiger Dichte das Gesichtsfeld erfüllen oder sich in Form konzentrischer Ringe mehr oder weniger dicht um einzelne Blut- zellen herum abscheiden. Nur bei Calappa, einer Form mit gleichfalls fester Blutgerinnung, zeigte das Blut außer der Bildung sehr weniger ganz zarter Fäden gar keine ultramikroskopisch wahrnehmbaren Ver- änderungen. Bei niederen Wirbeltieren gewahrt man in dem fest ge- ronnenen Blut Fadenfilze von wechselnder Dichte und von wechselnder Dicke der einzelnen Fäden. Bei Säugetieren endlich scheidet sich das Fibrin in Form deutlicher Nadeln (Trichiten) aus. Wenn aber die Fibrin- gallerte altert, so wandeln sich hier die Nadeln auch in Fäden von ver- schiedener Dicke um. Es finden sich also alle Übergänge von ‚klaren Gallerten‘“ (Calappa) und von der Form der Gallertbildung, wie sie bei Gelatine, Agar-Agar und Kieselsäure beschrieben worden ist, bis zu dem Fadenfilze und Nadeln bildenden Gelen des Na-Oleats und Na-Pal- mitats und den Krystallnadeln des Na-Stearats und Ba-Malonats. !) Moeller, Kolloid-Zeitschr. 19, 213. 1916; 25, 101. 1919. ®2) Bradford, Biochem. Journ. 10, 169. 1916; 11, 14. 1917; 12, 51. 1918; zit. nach Zentralbl. f. Biochem. u. Biophysik. 293 H. Stübel: Das ultramikroskopische Bild der Blutgerinnung von Palaemon und Palinurus ist vollkommen denjenigen Bildern gleich, die Bachmann!) von der „Flockung‘ der Gelatine gibt, während man bei Betrachtung der Gerinnung von Froschblut?) Bilder erhält, die täuschend den von Zsigsmondy und Bachmann?) wiedergegebenen Bildern von Seifen- gallerten ähnlich sehen. Ebenso ist die Ultramikrophotographie einer mikroskopisch undifferenzierbaren Bariumsulfat-Gallerte von Wei - marns*) täuschend Gerinnungsbildern ähnlich, wie man sie im Blut der verschiedensten niederen Tiere, z. B. beim Flußkrebs, erhält. Somit erscheint der Schluß gerechtfertigt, daß eine vollkommene Übereinstimmung im Wesen der Gallertbildung bei der Blutgerinnung und im Wesen aller sonstigen Gallertbildungen besteht. Ist die Bildung des Na-Stearat-Gels als ein Krystallisationsprozeß zu bezeichnen, so gilt dasselbe auch von der Blutgerinnung der Säugetiere. Hält man es mit von Weimarn für statthaft, ex analogia auch diejenigen Gallert- bildungen als Krystallisationsprozeß zu betrachten, bei denen es nicht mehr zur Ausbildung mikroskopisch wahrnehmbarer Krystallgebilde kommt, so ist derselbe Analogieschluß auch für die Beurteilung der Blutgerinnung niederer Tiere gültig. Ja, man kann die mannigfachen ineinander übergehenden Gerinnungsbilder bei niederen Wirbeltieren und Wirbellosen geradezu als eine Bestätigung der von Weimarn - schen Theorie für einen besonderen Fall ansehen. Zu denselben Ergebnissen bez. der Art der Fibrinbildung wie ich ist offenbar Howell gekommen. Howell?) beschreibt das Fibringel des Säugetierblutes als ein krystallines, aus Nadeln bestehendes Gel, während er das Fibringel der Crustaceen als strukturlos bezeichnet. Auch Baitsell®), der die Gerinnung des Froschblutes mittels Dunkel- feldbeleuchtung untersuchte, beschreibt die Gerinnung als die Bildung eines regelmäßig angeordneten Netzwerkes und bezeichnet das Produkt der Gerinnung als ein krystallines Gel. In einer sehr ausführlichen Abhandlung berichtet Hekma’”), daß er meine Beobachtungen über die Blutgerinnung bei Dunkelfeldbeleuch- tung wiederholt und in mancher Beziehung erweitert hat. Auch Hekma bestätigt, daß sich das Fibrin bei der Gerinnung- von Säugetierblut in 1) Bachmann, |]. c. Abb. 1—5. 2) Stübel, l.c. Abb. 25 und 26. 3) Zsigmondy und Bachmann, |. c. 4) v. Weimarn, Zur Lehre von den Zuständen der Materie. 1914, Atlas, Abb. 54. 5 5) Howell, Americ. Journ. of Physiol. 40, 526. 1916; zit. nach Zentralbl. f. Biochem. u. Biophysik. 6) Baitsell, Americ. Journ. of Physiol. 44, 109. 1917; zit. nach Zentralbl. f. Biochem. u. Biophysik. ”) Hekma, Biochem. Zeitschr. %3, 370. 1916. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 299 Form von Nadeln abscheidet. Vor allem hat Hekma nicht nur die spontane Gerinnung nativen Plasmas, sondern auch die durch die ver- schiedensten Faktoren willkürlich hervorgerufene Gerinnnug von auf _ verschiedene Art hergestellten Fibrinlösungen bei Dunkelfeldbeleuchtung untersucht und hat gefunden, daß sich der Gerinnungsprozeß morpho- logisch dabei stets in grundsätzlich gleicher Weise vollzieht. Hekmal) beschreibt den Vorgang folgendermaßen: ‚Tatsache ist, daß die erste Andeutung der Fibrinausscheidung sich in der Regel kund- gibt in Form von länglichen Ultramikronen, denen das Krystallähnliche abgeht, daß dann das Fibrin in Form von kleineren oder größeren krystallähnlichen Nädelchen erscheint, die entweder aus den mehr er- wähnten Elementen durch Aufbau hervorgehen, oder durch ein unnach- spürliches Wachsen der letzteren oder der feineren Nädelchen entstehen, oder aber sofort als solche ausgeschieden werden, daß schließlich aus diesen Fibrinformelementen die bekannten typischen Fibrinfäden auf- gebaut werden, in dem die Fibrinfäden außerdem unmittelbar als solche fix und fertig zur Ausscheidung gelangen können.‘ Es gelang also Hekma vor allem die neue, sehr bemerkenswerte Tatsache zu beobachten, daß der Nadelbildung eine Bildung länglicher Ultramikronen vorausgehen kann. Ob diese Ultramikronen eine kry- stallähnliche Form haben, läßt sich natürlich nicht feststellen, da hier das Auflösungsvermögen des Mikroskopes nicht mehr ausreicht. Immer- hin ist es von Bedeutung, daß die Ultramikronen eine deutlich längliche Gestalt besitzen. — Bezüglich der Nadelbildung ist von Interesse, daß Hekma häufig Gerinnungen beobachten konnte, bei denen sich das Fibrin in Form zahlloser, kleiner, in Brownscher Melekularbewegung begriffener Nädelchen abschied (ebenso wie ich das bei der Gerinnung von Vogelplasma beobachten konnte), so daß er geradezu an das Ent- stehen eines ‚‚Krystallbreies“ erinnert wurde. Weiterhin hat Hekma besonders eingehend die Bildung der Fibrinfäden durch eine Anein- anderlegung von Fibrinnadeln beschrieben. Mit Recht vergleicht Hekma diesen Vorgang mit dem Zusammenfließen der durch O. Leh - mann?) bekannt gewordenen Ammoniumoleatkrystalle. Denselben Vorgang beschreibt auch von Weimarn?) von den halbfesten Kry- stallen des japanischen Camphers. Die Fibrinfäden können auch ohne vorherige Nadelbildung entstehen. Ohne weiteres wird man mit Hekmat) übereinstimmen können, ‚daß der Ausscheidung des Fibrins in krystallähnlicher Nadelform und Fädchenform ein einheitlicher Prozeß zugrunde liegt.“ 1) Hekma, |. c. %3, 424. ?2) OÖ. Lehmann, Die neue Welt der flüssigen Krystalle. 1911, S. 171£. 3) 'v. Weimarn, Dispersoidchemie, S. 25. *) Hekma, l. c. 73, 426. 300 : H. Stübel: Hinsichtlich der Deutung dieser Befunde kommt Hekmat) aller- dings zu einem von dem meinigen abweichenden Ergebnis, indem er die Fibrinbildung nicht als Krystallisationsprozeß ansieht. ‚‚Die Angabe von Schimmelbusch, später wiederholt von Stübel für Säugetier- blut, daß das Fibrin stets in Form von krystallähnlichen Nädelchen zur Ausscheidung gelangen sollte, hat sich inzwischen als unrichtig erwiesen (es scheidet sich nämlich u. a. auch in Form von Fäden ab, wie ich es bei Amphibien beschrieben habe, Stübel), womit naturgemäß die Grundlage, auf der die Krystallisationstheorie von Schimmel - busch aufgebaut und von Stübel gestützt worden ist, hinfällig wird.‘“ Dieser Ansicht wird man nicht ohne weiteres beipflichten müssen. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Form, in welcher ein Körper aus- krystallisiert, sehr verschieden sein kann. Sowohl bei raschem Aus- krystallisieren, als auch dann, wenn der Ausbildung der Krystalle — etwa durch Erhöhung der inneren Reibung des Mediums — erhebliche Hindernisse entgegengesetzt werden, ferner bei Anwesenheit fremder (besonders hochmolekularer) Substanzen können sehr starke Verän- derungen in der Form der sich ausbildenden Krystalle hervorgerufen werden?), und es entstehen die zuerst von Vogelsang?) näher beschrie- benen „Krystalliten‘ (Globulite, Margarite, Trichite, Longulite). Faßt man die Blutgerinnung als Krystallisationsvorgang auf, so steht nichts im Wege, diese sich bildenden Fäden als ‚„‚Trichite‘ zu bezeichnen. Es sind keine ‚„amorphen‘“ Körper bekannt. die sich spontan, also nicht infolge äußerer mechanischer Einwirkung (z. B. Zug) als Fäden abschei- den, oder die aus Fäden bestehen, welche ihrerseits durch das Zu- sammentreten ‚krystallartiger‘‘ Nadeln entstanden sind. In einer zweiten, der ersten unmittelbar folgenden Veröffentlichung drückte sich Hekma4) allerdings vorsichtiger aus, wenn er sagt: ‚Die Tatsache an sich, daß das Fibrin in fädiger Form erscheinen kann, braucht der Möglichkeit, daß eine Art Krystallisationsprozeß vorliegt, nicht im Wege zu stehen.“ Immerhin hält er infolge dieser Tatsache „die Grundlage der Krystallisationstheorie für erschüttert.“ Weiterhin führt Hekma?°) noch einige andere Erscheinungen an, welche seiner Meinung nach die Annahme, daß es sich bei der Fibrin- gerinnung um einen Krystallisationsprozeß handelt, ausschließen, und zwar die Tatsachen, daß in Transsudaten, die oft nur sehr wenig Fibrin enthalten, und ebenso in verdünntem Fluoridplasma Gerinnung hervor- gerufen werden kann, vor allem aber, daß die Gerinnung durch Wasser- 1) Hekma, |. c. 73, S. 423. : ?) Vgl. hierzu Marc, Krystallisation, in Handwörterbuch d. Naturwissen- schaften 5, 1131. 1914; OÖ. Lehmann, 1. c. $. 132; v. Weimarn, 1. c. S. 97. >) Vogelsang, Die Krystalliten, 1875. *) Hekma, Biochem. Zeitschr. %3, 428. 1916. 5) Hekma, 1. ce. 93, 441, 442. Die Fibringerinnung als Kıystallisationsvorgang. 301 zusatz, also durch „Herabsetzung der Fibrinkonzentration‘ auch in von Formelementen freien Flüssigkeiten stark beschleunigt wird. Gerade Hekmas!) eigene Untersuchungen über die Löslichkeits- bedingungen des Fibrins geben die Möglichkeit, zu zeigen, daß diese Erscheinungen nicht im geringsten der Annahme eines Krystallisations- vorganges widersprechen. Das Fibrin ist, wie viele andere Eiweißkörper, in Wasser schwer, in verdünntem Alkali und verdünnter Säure leicht löslich. Dementsprechend hat Hekma Lösungen von Fibrin in stark verdünnter Lauge, ‚Fibrinalkalihydrosole‘‘, hergestellt. Wird nun diese alkalische Lösung durch Säurezusatz neutralisiert, so tritt Gerinnung ein. Nach Hekma?) ‚verhalten sich nun die natürlichen fibrinogenhaltigen Flüssigkeiten Alkalien, Säuren und sauren Salzen gegenüber wie künst- liche Fibrinalkalihydrosole; in den natürlichen fibrinogenhaltigen Flüssigkeiten (Transsudaten, Plasma, Blut) ist eben ein gerinnbarer kolloidaler Eiweißstoff im Alkalihydrosolzustande vorhanden.‘ Wenn also das Fibrin in verdünntem Alkali löslich, in Wasser aber unlöslich ist, so wird beim Neutralisieren aus einer alkalischen, vielleicht relativ wenig Fibrin enthaltenden Lösung eine gesättigte oder übersättigte Lösung, in der es zum Auskrystallisieren des Fibrins kommen kann. „Dürfte man“, so sagt Hekma?), ‚die Ausscheidung des Fibrins in Gestalt von länglichen Ultramikronen und Mikronen, bez. in Nadel- form als Krystallisationsprozeß betrachten, so würde man logischerweise zu dem etwas sonderbaren Schluß kommen, daß durch die Verdünnung einer Flüssigkeit mit Wasser Krystallbildung hervorgerufen werden könne!“ Es ist nicht einzusehen, wie Hekma zu dieser Auffassung kommt. Verdünnt man beispielsweise eine konzentrierte alkoholische Lösung von Cholesterin mit ganz wenig Wasser, so bilden sich sofort Cholesterinkrystalle, ein Vorgang, den man logischerweise wohl kaum als sonderbar betrachten wird. Ebenso, wie in dem einen Falle durch Veränderungen der Löslichkeitsbedingungen das Cholesterin krystalli- nisch ausfallen kann, kann dies in dem anderen Falle für das Fibrin gelten. Beide Male aber wird der Krystallisationsvorgang durch Wasser- zusatz zu einem wasserunlöslichen gelösten Körper hervorgerufen. Möglicherweise ist die Abscheidung des Fibrins aus verdünntem Fluor- natriumplasma und aus wenig Fibrin enthaltenden Transsudaten ebenso durch Änderungen der Reaktion und damit der Löslichkeit zu erklären, wofür wiederum Hekmas eigene Beobachtungen sprechen. In seiner letzten Abhandlung verbreitet sich Hekma®) dann aus- führlich über die Vorstellung, die er sich von dem Vorgange der Fibrin- 1) Hekma, Biochem. Zeitschr. 64, 86. 1914. 2) Hekma, |. c. 64, 101. 3) Hekma, 1. c. %3, 443. 2) Hekma, %%, 273. 1916. 302 H. Stübel: gerinnung macht. Mit vollem Rechte wendet er hier die Nägelische Micellartheorie auf die Fibringerinnung an. Hekma kommt hier zu der Ansicht, daß der Fibringerinnung zwar kein echter Krystallisations- prozeß, wohl aber ein „Micellarkrystallisationsprozeß“ zu- grunde liegt, den er folgendermaßen näher definiert: „Entladung bzw. Entquellung der Micelle und die Anordnung zu ultramikroskopischen und mikroskopischen Längsverbänden‘“. Er bezeichnet das im Alkali- hydrosol befindliche Fibrinmicell als einen ‚flüssigen Micellarkrystall‘“, die Fibrinnadeln als ‚„Pseudokrystalle bzw. krystallähnliche Gebilde, die mit wirklichen Krystallen nicht auf eine Linie gestellt werden dürfen, indem ja außerdem früher dargetan worden ist, daß auch sonst der Fibrinausscheidungsvorgang einen von einem gewöhnlichen Krystall- lisationsprozeß grundverschiedenen Vorgang darstellt!)‘“. So sehr Hekma beizupflichten ist, wenn er den Fibrinausscheidungs- vorgang als Micellarkrystallyisationsprozeß betrachtet, so wenig kann man ihm zustimmen, wenn er diesen Prozeß als ‚„grundverschieden“ von einem „gewöhnlichen“ Krystallisationsprozeß bezeichnet. Geht doch Hekma so weit, daß er zu folgendem Schlusse kommt: ‚Insoweit es das Kolloid Fibrin betrifft, dürfte also der berühmte und viel umstrit- tene Satz Grahams: ‚Die Kolloid- und Krystalloidsubstanzen erschei- nen wie zwei verschiedene Welten der Materie und geben Anlaß zu einer entsprechenden Einteilung der Chemie‘, aufrechterhalten werden können?)‘“. So richtig es ist, daß wir im Fibrin ein typisches Kolloid vor uns haben, so wenig läßt sich diese Behauptung Hekmas aufrecht erhalten. Seit den Zeiten Grahams hat sich der Begriff ‚„Kolloid“ erheblich geändert. Das ‚Kolloid‘ ist ein physikalischer bzw. physi- kalisch-chemischer Begriff geworden, seitdem’ wir wissen, daß die kol- loiden Eigenschaften eines Körpers durch seinen Dispersitätsgrad be- dingt sind, und daß Körper der verschiedensten chemischen Eigenschaften dieselben ‚kolloidalen‘‘ Eigenschaften besitzen können?). Allerdings könnte sich Hekma in gewisser Beziehung auf Nägeli selbst berufen, wenn er den ‚„Micellarkrystallisationsprozeß als einen von einem gewöhnlichen Krystallisationsprozeß grundverschiedenen Vor- gang‘ darstellt. Denn, wie weiter oben) näher ausgeführt, unterschied Nägeli zwischen „Krystalloiden“ (z. B. Stärke, Cellulose, Eiweiß) und den eigentlichen Krystallen. Im Gegensatz zu den Krystallen haben die „Krystalloide‘“ Nägelis die Fähigkeit, sich mit Wasser zu. imbi- bieren, also zu quellen. Ob aber dieser Unterschied als ein grundsätz- ir Hekmaz 1. .c. 2%, 277. 2) Hekma, 1. c. %%, 282. 3) Vgl. hierüber z. B. Wo. Ostwald, Die Welt der vernachlässigten Dimen- “ sionen. Dresden 1916. 4) Siehe S. 295. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 303 licher zu bezeichnen ist, ist um so mehr zu bezweifeln, als seit Nägeli unsere Kenntnisse vom Wesen des krystallinischen Zustandes sich in vieler Hinsicht erweitert haben. Vor allem sei hier daran erinnert, daß auch manchen anorganischen Krystallen Quellungsvermögen zukommt. So hat Carey Leat) Silber - krystalle beschrieben, die sich aus kolloidalen Silberlösungen nieder- geschlagen hatten und die die Fähigkeit besaßen, im Wasser zu quellen. Insonderheit lassen sich hier die Zeolithe anführen, Mineralien, deren Wassergehalt sich stetig verändert und durch Absorption bedingt zu sein scheint. ‚Beim Laumontit ist das Wasser so lose gebunden, daß es schon bei’gewöhnlicher Temperatur in trockner Luft entweicht?).“ Diese Eigenschaften der Zeolithe wurden hauptsächlich von Tamann?) näher untersucht, der auch im Magnesiumplatincyanür einen ganz analog sich verhaltenden Körper fand. Weiterhin beschrieb dann Löwenstein noch eine Reihe anderer Krystalle, deren Dampfspannung sich kontinuierlich mit der Zusammensetzung ändert. Am bemerkens- wertesten ist wohl das von Löwenstein®) beschriebene basische Zirkonoxalat. Dieses „bildet bis zu 2mm große, pyramidenartige, doppelbrechende Krystalle, welche bei Wasseraufnahme anquollen, wobei sie sich auf fast das Doppelte ihrer ursprünglichen Größe ausdehn- ten. Hierbei wird die Krystallform nicht merklich verändert, auch bleiben die Krystalle doppelbrechend, bis sie nach einiger Zeit zu einer milchig getrübten Flüssigkeit zerfließen. Diese Erscheinung erinnert an das schon früher beobachtete Aufquellen von krystallisiertem Eiweiß.‘ Neuerdings hat Katz?) festgestellt, daß die Quellung krystallinischer Substanzen sich analog verhält zur Wasseraufnahme durch solche Krystalle, welche mit Wasser Mischkrystalle bilden. Als solche Misch- krystalle führt Katz u. a. die oben bereits erwähnten Zeolithe, ferner das Magnesiumplatineyanür (Tamann), Strychninsulfat und basisches Zirkonoxalat (Löwenstein) und die Proteinkrystalle an. Katz be- zeichnet es als einen ‚‚Streit um Worte, ob man zulassen will, daß Krystalle quellbar sein können, oder ob man den Begriff Krystall so eng fassen will, daß Quellbarkeit ausgeschlossen ist‘. Der letztgenannte Standpunkt erscheint Katz ungenügend motiviert. Was insbesondere die krystallisierten Eiweißkörper anbe- !) Carey Lea, Kolloides Silber und die Photohaloide; deutsch von Lüppo- Cramer. Dresden 1908. 2) Sommerfeldt, ‚„Zeolithe‘‘ in Handwörterb. d. Naturwiss. 10, 928. 1915. >) Tamann, Wiedemanns Annal. 63, 16. 1897; Zeitschr. f. physikal. Chemie 27, 323. 1898; Buxhoevden und Tamann, Zeitschr. f. anorg. Chemie 15, 319. 1897. *), Löwenstein, Zeitschr. f. anorg. Chemie 63, 69. 1909. 5) Katz, Kolloidehem. Beihefte 11. 1917. 304 H. Stübel: langt, so kommt F. N. Schulz!) zu dem Ergebnis, daß ‚alle Unter- sucher, die als Krystallographen die Eiweißkrystalloide betrachtet haben [z.B. V. v. Lang?), Schimper?°), Maillard®), Wichmann5)] darin übereinstimmen, daß die Krystalloide ihrem optischen Verhalten nach echte Krystalle sind. Der einzige wichtige Unterschied gegenüber den gewöhnlichen Krystallen besteht in der Quellbarkeit der Krystalloide, verbunden mit Veränderungen der Krystallform. Diese Formver- änderung durch Quellung ist jedoch keine isolierte Erscheinung. Ana- loge Vorgänge können sich bei der Ausbildung echter Krystalle durch Erwärmung vollziehen“. ‚Die Vergrößerung der Krystalle ist, wie Schimper durch genaue Messungen nachwies, nicht nach allen Rich- tungen eine gleichmäßige, sondern in den verschiedenen Achsen ver- schieden.‘ Nach V oigt*).,‚können wir den Unterschied zwischen dem krystalli- nischen und dem unkrystallinischen Vorkommen derselben Substanz nur darin sehen, daß in ersterem ihre Elementarteile regelmäßig und in gleicher Orientierung, in letzterem. regellos und in allen möglichen Orientierungen angeordnet sind. Infolgedessen bleibt bei den Krystallen die . Verschiedenwertigkeit verschiedener Richtungen, die etwa den Elementarteilchen zu eigen war, erhalten‘. In dem selben Sinne be- schreibt z. B. auch Vorländer”?) das Wesen des krystallinischen Zu- standes, wenn er sagt: „Krystallinisch ist jeder Stoff, mag er fest, flüssig oder gasig sein, der auf Grund innerer chemischer Energie Ordnung angenommen hat.‘ Nach diesen Definitionen muß man die quellbaren „Eiweißkrystalloide“ und damit auch die Fibrinnadeln als Krystalle bezeichnen. Desgleichen genügen diese Körper den Anforderungen, die die Definition O. Lehmanns?®) an einen Krystall stellt: ‚‚Krystall ist jeder chemisch homogene Körper, welcher bei Abwesenheit eines durch äußere oder innere Spannung hervorgerufenen Zwanges aniso- trop ist. Derselbe hat die Eigenschaft, in übersättigter Lösung zu wachsen.‘ Die Anisotropie der „Eiweißkrystalloide‘ geht 1. aus ihrer Form, 2. aus ihren optischen Eigenschaften (Doppelbrechung von Eiweißkrystallen und Fibrinfäden, Nasse?)] und 3. aus ihrem aniso- diametrischen Quellungsvermögen hervor. Daß gerade bei den 1) F.N. Schulz, Die Krystallisation von Eiweißstoffen und ihre Bedeutung für die Eiweißchemie. Jena 1901. 2) s. Rollet, Sitzgsber. d. Wiener Akad. 46, 2. Abt. S. 65. 1863. 3) Schimper, Zeitschr. f. Krystallogr. 5, 131. 1881. 4) Maillard, Rev. gen. des Sciences pures et appl. 9, 608.. 1898. 5) Wichmann, Zeitschr. f. physiol. Chemie %%, 575. 1899. 6) W. Voigt, Elemente der Krystallphysik. Leipzig 1898. ”) Vorländer, Zeitschr. f. physiol. Chemie 95, 516. 1919. °$) OÖ. Lehmann, Zeitschr. f. Krystallogr. 18, 458. 1891. °», Nasse, Biol. Zentralbl. 2, 313. 1882/83. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 305 Fibrinnadeln das Wachsen besonders schön zu verfolgen ist, hebt auch Hekma hervor. Nach OÖ. Lehmann!) sind auch die ‚flüssigen Kry- stalle wirkliche Krystalle, sie müssen notwendig als solche bezeichnet werden, nicht nur, weil sie der Definition genügen, d. h. unter Bei - behaltung ihrer Anisotropie zu wachsen vermögen, sondern weil sie durch stetige Übergänge mit den seit alter Zeit bekannten festen Krystallen verbunden sind, wofür insbesondere H. Sandquists 10-Bromphenanthren-3- oder -6-Sulfosäure (s. O.L. Ann. d. Phys. 50, 599, 1916), deren Konsistenz sich einfach durch Beimischung von Wasser vom Festen bis zum tropfbar Flüssigen ändern läßt, ein lehrreiches Beispiel zu bilden scheint“. Auch die weichen, biegsamen Fibrinnadeln, die sich so leicht zu Fäden aneinanderlagern, können in diesem Sinne als ein Übergang zwischen festen und flüssigen Krystellen aufgefaßt werden, ebenso wie die weichen Krystalle von vielen Wachsen und ölsauren Salzen ?). Fernerhin halte ich es für durchaus wahrscheinlich, daß sich auch alle Übergänge zwischen gar nicht quellbaren und mehr oder weniger stark quellbaren Krystallen finden. — Wenn in einer Flüssigkeit in großen Mengen Krystalle von $ehr kleinen Dimensionen entstehen, so werden diese Krystalle mit der von ihnen eingeschlossenen Flüssigkeit eine Gallerte bilden können. Von derartigen Gallerten (z. B. Säugetierfibrin, malonsaures Barium) bis zu den Gallerten, bei deren Entstehung eine ‚„‚Ausflockung‘ in Form eines diffusen Niederschlages ‚‚amorpher‘‘ Mikronen oder eher wohl kry- stallinischer aber nicht gleichsinnig gerichteter Micelle eintritt (Gelatine, Agar-Agar), wird es nun wiederum alle Übergänge geben, wie dies weiter oben am Beispiel der verschiedenen Gerinnungsformen im Blute nie- derer Tiere wahrscheinlich gemacht wurde. Die Annahme derartiger Übergänge zwischen Krystallisations- vorgängen und Ausflockungen kolloidaler Lösungen steht mit unserer Auffassung vom Wesen des kolloidalen Ausflockungsprozesses völlig im Einklange. In besonders klarer Weise sind diese Verhältnisse von Michaelis?) dargestellt worden. Die Ausführungen von Michaelis weisen unmittelbar auf die Annahme stetiger Übergänge von amor- pher ‚„Flockung‘‘ zur Bildung locker oder fester gefügter (und damit quellbarer) und von da schließlich zur Bildung starrer Krystalle hin, vorausgesetzt, daß wir uns auf den Boden der Nägelischen Theorie krystalliner Micelle stellen. ‚Der grundlegende Gegensatz zwischen 1) O. Lehmann, Erg. d. Physiologie 16, 286. 1918. ?) Vgl. hierzu z. B. Marc, „Aggregatzustände‘“- in Handwörterb. d. Natur- wiss. 1, 85. 1912. 3) Michaelis, Die Wasserstoffionenkonzentration. Berlin 1914, 8. 47ff.; vgl. auch v. Weimarn, Dispersoidchemie, S. 88. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 181. 20 306 H. Stübel: echten und kolloiden Lösungen besteht darin, daß die gesättigte, wässrige, echte Lösung eine geringere Grenzflächenspannung gegenüber dem ungelösten Bodenkörper hat als die kolloidale Lösung. Je kleiner die Grenzflächenspannung einer gesättigten Lösung gegen ihren Boden- körper ist, um so mehr nähert sich diese Lösung den Eigenschaften einer kolloidalen Lösung.‘‘ Bei einer echten Lösung ist ‚die Kohäsion der festen Teilchen gegen ihre gesättigte Lösung sehr klein, viel kleiner als die Adhäsion der Moleküle der festen Teilchen unter sich‘. Infolge- dessen wird die gesättigte Mutterlauge möglichst aus den Zwischen- räumen zwischen den einzelnen Molekülaggregaten ausgepreßt und die Teilchen schießen zu Krystallen zusammen. Wird die Grenzflächenspan- nung der Lösung gegenüber dem ungelösten .Bodenkörper geringer (kolloide Lösung), so wird umgekehrt die Kohäsion der Teilchen der dispersen Phase gegenüber der Flüssigkeit größer, die Adhäsion dieser Teilchen untereinander geringer. Je mehr dies der Fall ist, um so mehr macht sich nun der Einfluß der elektrischen Ladung der Oberfläche geltend. Dieser wirkt der mechanischen Oberflächenspannung ent- gegen (Lippmann, Helmholtz, Bredig). ‚Entfernt man die elektrische Ladung der Teilchen, so wächst die Grenzflächenspannung, die feinen Teile werden zu gröberen zusammengeballt, es tritt Aus- fällung oder Agglutination ein. Aber die Spannung wird nicht groß genug werden können, um die Adhäsion des Wassers gegen die Teilchen vollkommen zu überwinden, die Teilchen nähern sich einander nicht bis in das Gebiet der molekularen Attraktionskräfte, sie gewinnen nicht die Fähigkeit der Krystallisation. Daher fallen die Teilchen amorph, in Flocken aus. Die Geschwindigkeit, mit der die Flocken zusammen- ballen, muß von der Größe der Grenzflächenspannung abhängen, sie ist daher am größten, wenn die elektrische Ladung ganz vernichtet ist und vermindert sich allmählich und stetig mit zunehmender Ladung, gleichgültig, ob diese positiv oder negativ ist.“ — Außer Hekma haben neuerdings auch Diesselhorst und Freund - lich!) die Ansicht vertreten, daß es sich bei der Fibringerinnung nicht um einen Krystallisationsprozeß handelt. Dabei stützen sich diese beiden Forscher vor allem auf die von Hekma mitgeteilten Beobach- tungen und Anschauungen und übertragen die Schlußfolgerungen, die sie aus den von ihnen am Vanadinpentoxydsol?) angestellten Unter- suchungen gezogen haben, auf das Fibrin. Diesselhorst und Freund- lich bezeichnen das Fibrin ebenso wie das Vanadinpentoxyd als einen 1) Diesselhorst und Freundlich, Intern. Zeitschr. f. physik.-chem. Biol. 3, 46. 1916; zit. nach Chemisches Zentralbl. 2) Diesselhorst, Freundlich und Leonhardt, Festschrift f. Elster und Geitel, Braunschweig 1915, 8.453; Diesselhorst und Freundlich, Physik. Zeitschr. 16, 419. 1915; Zeitschr. f. Elektrochemie 22, 27. 1916. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 307 ‚anisotropen, amorph-festen Stoff‘; sie neigen der Ansicht zu, ‚daß ein amorph-fester Stoff nicht isotrop ist, sondern sich in verschiedenen Richtung bevorzugt ausbildet. Man hätte gewissermaßen sehr zähe, glasig erstarrte Molekülschwärme, wie die der anisotropen Schmelzen, aber keine richtigen Krystalle, bei denen die Atome die Punkte des Raumgitters besetzt haben.‘ Ich lasse es dahingestellt, ob die Auf- stellung des Begriffes ‚anisotroper, amorph-fester Stoff‘ zur Klärung der beim Vanadinpentoxyd und Fibrin vorliegenden Erscheinungen und unserer Anschauungen über den krystallinen Zustand im allge- meinen beiträgt. Nach Vorländert), welcher gleichfalls das Vanadin- pentoxydsol untersuchte, ist dieser Körper weder zu den ‚anisotropen Flüssigkeiten‘ noch zu den ‚flüssigen Krystallen“ zu rechnen, sondern ist als „‚doppelbrechende, kolloide, wässrige Lösung von krystallisiertem Vanadiumpentoxyd‘“ zu bezeichnen. Auch Zsigmondy?) ist der Ansicht, daß die Doppelbrechung beim Vanadinpentoxydsol, ‚‚wie in vielen anderen Fällen, auf Vorhandensein anisotroper Ultramikronen von Stäbchen- oder Blättchenform zurückzuführen ist“ und daß die „Existenz von submikroskopischen Stäbchen und Blättchen auf Kry- stallisationsvorgänge hindeutet‘“. Abschließend kann man also feststellen, daß die Annahme Hekmas, daß ‚der Fibrinausscheidungsvorgang einen von einem gewöhnlichen Krystallisationsprozeß grundverschiedenen Vorgang darstellt“, nicht richtig ist. Zahlreiche und schwerwiegende Tatsachen sprechen da- für, daß man in dem Fibrinausscheidungsvorgang einen Krystalli- sationsprozeß zu sehen und die Fibrinnadeln als Krystalle zu be- trachten hat. a Es sei zum Schluß in diesem Zusamenhang noch an eine bemerkens- werte Analogie zwischen anorganischen und organischen Sekreten er- innert, auf welche Biedermann?) hingewiesen hat. In den Skelett- bildungen der verschiedensten Organismen haben wir verwickelte, aber streng gesetzmäßig angeordnete Systeme von Platten und Fasern vor uns. Diese Fasern bestehen ihrerseits in sehr zahlreichen Fällen aus krystallinischem kohlensaurem Kalk, der also hier als ‚‚geformtes Sekret“ auftritt. In ebenso vielen Fällen aber sehen wir nun, daß ganz das- selbe Grufdprinzip dieser verwickelten Faserstruktur „auch bei rein organischen geformten Sekreten sich wiederholt, wenn wir Cellu- losemembranen, Chitinhäute und Bindegewebsbildungen in ganz gleicher Weise gebaut finden, wobei immer die Erreichung möglichster Festig- keit das Ziel ist. Es erhebt sich naturgemäß die Frage, ob nicht auch in 1) Vorländer, |. c. ?) Zsigmondy, Kolloidchemie, 2. Aufl., S. 288. 2) Biedermann, Pflügers Archiv 167, 1. 1917; Physiologie der Stütz- und Skelettsubstanzen, in Wintersteins Handb. d. vergl. Physiol. Bd. 3. 1912. 20* 308 H. Stübel: diesen Fällen ein ähnlicher Bildungsmodus, sozusagen eine Art von ‚Krystallisation‘ in dem Sinne vorausgesetzt werden kann, daß sich kleinste Teilchen in einer durch die molekularen Anziehungskräfte bedingten regelmäßigen Weise aneinanderlagern und so zu eindimensional gestreckten, fibrillären Gebilden sich ausgestalten, deren Vorhandensein eine gleichsinnige Anlagerung neuer Teilchen bedingt. Auf alle Fälle weisen die optischen Eigenschaften aller der genannten‘ fibrillären Zellprodukte mit Entschiedenheit darauf hin, daß es sich um Gebilde handelt, in welche kleinste doppelbrechende Teilchen in regelmäßiger Weise aneinandergereiht sind, ganz ähnlich wie in einer krystallinischen Kalkfaser“. Ein besonders schönes Beispiel liefert hier die Bildung des Chitins bei den Insekten. ‚Es hat den Anschein, daß das Chitin in den absondernden Zellen in Form von Tröpfchen oder Vakuolen auftritt, welche, an die Oberfläche tretend, zunächst eine gleichmäßige weiche Schicht bilden, in der dann erst die weiteren Differenzierungen auftreten.‘“ Bei der Beschreibung dieses Vorganges wird man sich gewiß mit Recht der Schilderung erinnern, welche von Weimarn!) von der ‚„Aggregationskrystallisation‘‘ anorganischer, ‚grobzelliger Gallerten‘‘ gibt: ‚‚Wenn sich nun,‘ so fährt Biedermann fort, ‚‚dabei durch regelmäßige Aneinanderreihung doppelbrechender kleinster krystallinischer Teilchen (Micelle) parallel gerichtete Fasersysteme bilden, so wird man einen solchen Vorgang mit gleichem Recht als eine Art von Krystallisation bezeichnen dürfen, wie wenn das gleiche in einer Lösung von CaCO, geschieht‘. Auch an die Ergebnisse von Hansen?), der die Bildung gewisser kollagener Fibrillen als einen einem Krystallisationsprozeß auffallend ähnlichen Vorgang bezeichnet, sei hier erinnert. Ich habe diese Darstellung Biedermanns deswegen so ausführ- lich wiedergegeben, weil sie darauf hinweist, daß wir es bei der Abschei- dung des Fibrins in krystallinischer Form nicht mit einer ausnahmsweise auftretenden Erscheinung zu tun haben, sondern wohl eher mit einem verhältnismäßig leicht zu untersuchenden Sonderfall einer viel allge- meineren Erscheinung. Ebenso wie die „geformten Sekrete‘‘ — Cellu- . lose, Chitin, Kollagen — ist auch das Fibrin ein Stoff, der ausgeschiede wird, um bestimmte mechanische Funktionen — den Verschiuß ge- öffneter Blutgefäße — zu erfüllen. Und gleichwie die mechanische Funktion der genannten „geformten Sekrete‘ erst durch die Abscheidung derselben in Form krystalliner Fasern gewährleistet wird, so wird die Bildung eines verschlußfähigen Thrombus durch Entstehung eines dichten Filzes von Krystallnadeln in vollkommenerer Weise ermöglicht als durch eine Gerinnung in Form ‚amorpher‘ Flocken. 1) v. Weimarn, Dispersoidchemie. 2) Hansen, Anat. Hefte Abt. I, 2%, 538. 1905. Die Fibringerinnung als Krystallisationsvorgang. 309 Zusammenfassung. Bei denjenigen Crustaceen, deren Blut fest gerinnt, gewahrt man bei ultramikroskopischer Betrachtung des Gerinnungsvorgangs das Auf- treten eines diffusen körnigen Niederschlages (Palaemon, Palinurus) oder das Auftreten ganz vereinzelter, sehr schwach lichtbrechender Fäden (Calappa). Bei den Crustaceen mit weniger fester Blutgerinnung treten sowohl Körner als Fäden auf; die Körner haben die Neigung, sich zu Reihen aneinanderzulegen und damit Fäden zu bilden. Es kommen zahlreiche Übergangsstufen von Körnerreihen zu Fäden vor. — Dieselbe Form der Gerinnung findet sich bei Mollusken und Insekten. Bei den Wirbeltieren, ausschließlich der Säugetiere, gerinnt das Blut in Form eines mehr oder weniger zarten und dichten Fadenfilzes, sel- tener ist Nadelbildung. Bei den Säugetieren verläuft der Blutgerinnungs- vorgang wie ein typischer Krystallisationsprozeß, in dem ein dichter Filz deutlicher Nadeln (Trichiten) entsteht. Die Nadeln haben die Fähig- keit, zu wachsen. Häufig legen sich die Nadeln aneinander und es tritt so sekundär Fadenbildung auf. Seltener ist primäre Fadenbildung .(Hekma). Die bei der vergleichenden Betrachtung der Blutgerinnung wahr- nehmbaren mannigfachen Übergänge zwischen Nadel-, Faden- und Körnchenbildung, deuten darauf hin, daß die verschiedenen Gerinnungs- formen auf ein und denselben physikalisch-chemischen Vorgang zurückzuführen sind. Dieser Vorgang ist als Krystallisation zu betrachten. Für diese Anschauung spricht vor allem, daß zahlreiche Bildungen organischer und anorganischer Gallerten auf Krystallisationsprozessen beruhen und daß auch bei denjenigen Gallerten, bei denen es nur zur Ausbildung eines körnigen Niederschlages kommt, viele Erscheinungen dafür sprechen, daß dieser Niederschlag krystallinisch ist. Die Krystallnatur der Fibrinnadeln wird durch ihre Form, durch die Fähigkeit zu wachsen und durch die Doppelbrechung der aus ihnen gebildeten Fibrinfäden erwiesen. Die Quellbarkeit der Fibrinfäden ebenso wie die Quellbarkeit an- derer Eiweiß,,krystalloide‘‘ ist kein Beweis gegen die Annahme, daß diese Körper echte Krystalle sind, denn es finden sich in der Natur zahl- reiche Übergänge von mehr oder weniger quellbaren zu nichtquellbaren Krystallen. Zur Lokalisation der osmatischen Reize). Von J. S. Szymanski (Basel). Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 6. Februar 1920). Wie bereits E. H. Weber experimentell nachgewiesen hat, ordnen sich die Geruchswahrnehmungen bei Ausschaltung von willkürlichen Körperbewegungen nicht zu einem räumlichen Bild zusammen?). Die Unfähigkeit des Geruchssinnes zur Lokalisation der Geruchs- dinge im Raum hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß die psycho- logische Voraussetzung einer jeden Wahrnehmung der Richtung, und zwar ein Standpunkt der Beziehung, im Falle der Geruchswahrnehmun- gen fehlt). Die Wahrnehmung der Richtung, von der aus die Geruchsreize den Geruchssinn affizieren, könnte nur dadurch zustande kommen, daß 1) Herrn Prof. Dr. A. Kreidl (Wien), dessen großer Freundlichkeit ich die Möglichkeit der Ausführung dieser Versuche verdanke, möchte ich meinen besten Dank auch an dieser Stelle aussprechen. ?2) E. H. Weber, Über den Raumsinn und die Empfindungskreise in der Haut und im Auge. (Berichte der Kgl. sächsischen Gesellsch. der Wiss. 1852, S. 118, 125 u. 126.) Auch Valentin äußerte einen ähnlichen Gedanken (vgl. H. Henning, Der Geruch. Habil. 1916 und die große Monographie über ‚den Geruch‘ von dem- selben Verfasser. 1916, S. 33). Hingegen vermutet C. Stumpf, daß die Fähigkeit der räumlichen Lokalisation wahrscheinlich nicht nur den Gesichts- und Tastemp- findungen, sondern auch den Geschmacks- und Geruchsempfindungen zukommt. (Vgl. C. Stumpf, Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung. 1873, S. 297.) — Ich will diese Gelegenheit benützen, um einen Irrtum richtigzustellen. In meinem Aufsatze über ‚„‚das Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähigkeit“ (Biol. Centralbl. 3%. 1917) habe ich die Angabe von H. Zwaardemaker (Die Physiologie des Geruches. 1895, S. 39 u. 40) angeführt, daß die Fortpflanzung der Gerüche mit gleichmäßiger Geschwindigkeit geschieht (Fußnote zur Seite 474). — Herr Dozent Dr. H. Henning hatte die Freundlichkeit, mir brieflich mitzu- teilen, daß dieser Satz nicht mehr gilt. — (Diesbezüglich vergleiche auch „Der Geruch‘ 1916 von demselben Verfasser, $ 23.) 3) Vgl. hierzu F. Jodl, Lehrbuch der Psychologie. 1896, S. 582. — In diesem Zusammenhange sind die Versuche von E. H. Weber über die Frage nach dem Unterscheidungsvermögen ‚ob wir mit dem rechten oder mit dem linken Geruchs- organe riechen‘, besonders lehrreich (loc. c. S. 126; diese Versuche sind auch bei C. Stumpf wiedergegeben, loc. c. 8. 297 u. 298). J. S. Szymanski: Zur Pokalsaton der osmatischen Reize. 311 die sukzessiv ausgelösten Geruchswahrnehmungen sich mit den, die- selben begleitenden Bewegungswahrnehmungen, denen eine räumliche Qualität (‚‚Lokalzeichen‘‘) anhaftet, zu einem einheitlichen Bewußt- seinsgebilde verbinden würden. Die räumliche Einordnung der Geruchsdinge würde demnach eine komplizierte psychische Synthese darstellen, die auf die Verschmelzung der osmatischen mit den kinästhetischen Wahrnehmungen hinaus- laufen würde (Herbarts, ‚„Complication‘‘). Diese Frage näher zu untersuchen, war die Aufgabe dieser Unter- suchung. Es muß selbstverständlich nicht hinzugefügt werden, daß diese Untersuchung kaum über die allgemeine Fragestellung und methodischen Angaben hinausgewachsen ist; die Resultate — da sie bloß an wenigen Versuchspersonen gewonnen sind — dürfen lediglich eine provisorische Gültigkeit beanspruchen. Das Vorbild für die Untersuchungsmethode gab mir die Beobachtung des Verhaltens der osmatischen Tiere ab. Diese Tiere, für die eine genaue Lokalisation der Geruchsreize eine Lebensnotwendigkeit ist, hat die Natur vor die folgende Aufgabe gestellt: ein System der Punkte, von denen jedem einzelnen ein Länge- und Breitewert zukommt, auf das Vorkommen von Geruchsdingen abzusuchen, mit anderen Worten, auf einer Fläche den Ort eines’ Geruchdinges, zu dem eine riechende Spur führt, ausfindig zu machen. Die Tiere verhalten sich nun so, daß sie, mit der Nase auf dem Boden herumlaufen, bis sie die riechende Spur rezipiert haben; alsdann verfolgen sie dieselbe und gelangen schließlich zum Reizort. Hierbei sind wir nicht befugt, zu präjudizieren, wiefern die einzelnen osmatischen und kinästhetischen Rezeptionen miteinander verschmelzen, und ob die eventuelle einzelnen Verschmelzungsprodukte in eine räumliche Beziehung zueinander in Hinsicht auf einen konstanten Bezugspunkt gesetzt werden; noch weniger wissen wir, ob ein reproduzierbares Erinnerungsbild der räum- lichen Einordnung der Geruchsdinge entstehen könne. Dieses Verhalten der osmatischen Tiere, das mir als adäquat für die Entstehung eines Geruchsbildes zu sein schien, ahmte ich — mutatis mutandis — in der Methode meiner Untersuchungen nach. Diese Methode bestand darin, daß die Versuchsperson eine Geruchs- spur — selbstverständlich unter Ausschaltung des Gesichtssinnes — durch willkürliche Verschiebungen der Fläche, auf der diese Spur auf- getragen worden war, mit der Nase verfolgen und das Erinnerungs- . bild!) ihres Verlaufes auf ein Papierblatt nachträglich nachzeichnen sollte. za 1) Allgemeines über die „Geruchserinnerung usf.“. Vgl. H. Henning, Der Geruch. 1916 (große Ausgabe), $ 16, 17, 19. 312 J.S. Szymanski: Um Einzelheiten der Ausführung dieser Versuche zu beschreiben, muß zunächst erwähnt sein, daß die zu beschnuppernde Fläche derart hergestellt war, daß ein etwa 2,5 cm hoher Holzrahmen (40 em lang, 26,5 cm breit) auf der einen Seite mit Drahtnetz, auf der anderen mit starkem Packpapier, auf dem eine Geruchsspur aufgezeichnet worden war, bespannt war (Abb. A). Die Versuchsperson sollte nun unwissent- lich, mit Ausschaltung des Gesichtssinnes, den Rahmen in die Hand nehmen, die Nase dicht an das Drahtnetz halten und durch entsprechende Verschiebungen des Rahmens mit der Hand die ganze Fläche beschnüf- feln. Alsdann sollte sie versuchen, nach Entfernung des Rahmens das Erinnerungsbild der räumlichen Einordnung der einzelnen Geruchs- dinge zu reproduzieren und nachzuzeichnen. Einige Schwierigkeit bereitete die Auswahl eines passenden Riech- stoffes. Die Forderungen, die an einen solchen zu stellen waren, waren erstens, daß der Riechstoff nicht zu flüchtig, und zweitens, daß derselbe nicht allzu intensiv sei, denn sonst würde dies die Lokalisation der einzelnen riechenden Punkte beträchtlich erschweren. Nach Aus- probieren einer Reihe von Mitteln hat sich Ichthyol (der offizinale J. amon.) als ein recht geeignetes und den obigen Forderungen an- gemessenes Mittel erwiesen; mit. diesem Stoff wurden nun die Spuren von verschiedener, in den Abb. 1—7 und II—-VII näher angezeigten Form aufgetragen; für jeden Versuch und jede Versuchsperson wurden das Papierblatt und die Spuren erneuert. Die Spuren waren entweder kontinuierlich (etwa 2,5 cm breit) oder bestanden aus einzelnen mit dem Riechstoff vollgefüllten Kreisen (etwa 2,5 im Durchmesser); Ichthyol war tunlichst gleichmäßig mit einem Pinsel derart aufgetragen, daß der Stoff mit einer dünnen Schicht das Papier bedeckte. Die Art der Spuren, ob kontinuierlich, ob aus den getrennten Kreisen bestehend, schien mir belanglos zu sein. Denn in Anbetracht der langen Latenzzeit für die Geruchsreize, einer schnellen Gewöhnung an gleiche Geruchsqualitäten und einer bedeutenden Ermüdbarkeit des Geruchs- organes!), könnte die Geruchswahrnehmung der Spur kaum ununter- brochen vor sich gehen : auf die Momente einer deutlichen Wahrnehmung müßten solche der spezifischen Unempfindlichkeit folgen. Die zeitweise auftretende Unempfindlichkeit würde von der Versuchsperson als eine geruchsfreie Stelle auf der zu beschnüffelnden Fläche aufgefaßt und infolgedessen der Rahmen weiter verschoben werden, bis das Geruchs- organ sich wiederum erholt hätte. Auf diese Weise müßte eine auch kontinuierlich verlaufende Spur für das wahrnehmende Subjekt in eine Reihe von getrennten Geruchspunkten zerlegt werden. !) Dies letztere wurde von einigen Versuchspersonen nach dem Versuchs- schluß nachdrücklich betont. Zur Lokalisation der osmatischen Reize. 313 Die Versuchspersonen, sämtlich Männer verschiedenen Alters, gehörten dem Lehrpersonal der Wiener Universität bzw. den Studenten- kreisen!) an. Zehn Personen wurden untersucht; die Versuchsergebnisse von sieben derselben haben sich als einwandfrei erwiesen. An den meisten Versuchspersonen wurden je zwei Versuche an- gestellt; bei dem ersten Versuch wurde unten am Rahmen auf der Stelle, wo die Spur ihren Anfang nahm (bei Z in den Abb.) ein Papierstreifen befestigt, den die Versuchsperson mit der Hand fassen sollte und der den Anfangspunkt zu markieren hatte (1—7). Bei dem zweiten Versuch wurde der Anfangspunkt nicht angegeben (II—VII). Wie ich gleich hier vorausschicken will, konnte ich keinen Unterschied zwischen den Resultaten beider Versuchsserien feststellen. Um eine objektive Kontrolle zu haben, wiefern die Versuchsperson die Spuren tatsächlich wahrgenommen hatten, waren sie angewiesen, während des Beschnüffelns der Fläche auf jenen Stellen, wo sie die Geruchsreize wahrzunehmen vermeinten, mit einer kurzen Damenhut- nadel einen Stich ins Papier durch das Drahtnetz hindurchzumachen. Schließlich muß noch erwähnt werden, daß die Versuchsperson vor dem Versuch Ichthyol zu riechen bekam; dies bezweckte, die Versuchs- person mit der Geruchsqualität der Spur vertraut zu machen. Die Ergebnisse dieser Versuche wurden derart bearbeitet, daß ein Viereck auf einem Papierblatt annähernd kongruent den Dimensionen des Rahmens aufgezeichnet war; innerhalb desselben wurde der objek- tive Verlauf der Spur (schraffiert) und die Nadelstiche der Versuchs- person mit Kreuzen angedeutet. Außerdem wurde in der gleichen Abbildung der Verlauf der Linie (gewellt) hineingezeichnet, durch die die Versuchsperson nach dem Versuchsabschluß den subjektiv wahr- genommenen Verlauf der Spur zu reproduzieren vermeinte. Die in den nächstfolgenden Abbildungen wiedergegebene Darstellung der Verhältnisse zwischen dem objektiven und subjektiv wahrgenom- menen Verlauf der Spur sowohl als auch das Verhältnis der einzelnen Geruchsdinge (Nadelstiche) zu der subjektiven Spur ist in Einzelheiten bloß approximativ richtig und will nichts mehr, als die allgemeine Verlaufsrichtung der objektiven, subjektiv wahrgenommenen . und reproduzierten Geruchsspur andeuten (s. Abb. 1). Bei der Durchsicht der Abbildungen fällt zunächst die relativ genaue Lokalisation der Geruchsdinge auf, was durch eine approximative Übereinstimmung der objektiven mit der subjektiv wahrgenommenen Geruchsspur bewiesen wird: die Kreuze (Nadelstiche) liegen entweder auf den schraffierten Stellen oder in ihrer Nähe. Immerhin unterliefen einige Versuchspersonen manchen Täuschungen in dem Sinne, daß 1) Sämtlichen Herren, die die Freundlichkeit hatten, als Versuchsperson zu fungieren, spreche ich an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aus. 314 J. S. Szymanski: sie eine Geruchswahrnehmung trotz des Mangel an objektivem Reiz hatten (bei 7 in Abb. III, VIa, VII). Die Lokalisation ist auch in dem Falle ungenau ausgefallen, wenn einzelne Teile einer geschlossenen Figur allzu nahe aneinander lagerten (Abb. VII). Betreffend das Verhältnis zwischen der subjektiv wahrgenommenen und reproduzierten Geruchsspur ist aus den Abbildungen zu entnehmen, daß die Versuchsperson imstande war, die einzelnen Geruchsdinge recht ‚Nase der Vp. Drahtnetz Na Abb.1. Die Abbildungen, die mit korrespondierenden arabischen und römischen Zahlen numeriert sind, beziehen sich auf die gleiche Person; Erklärung der Abb. VIa und VIb siehe weiter unten. 7 bedeutet Täuschung der Versuchsperson. genau räumlich einzuordnen, so daß eine ziemliche Kongruenz zwischen der tatsächlichen Geruchswahrnehmung und dem Erinnerungsbild be- steht. Meistens waren die Abstände zwischen den einzelnen Geruchs- dingen wahrscheinlich mit Hilfe von Phantasievorstellungen überbrückt, so daß die graphische Reproduktion des Erinnerungsbildes in Form einer kontinuierlich verlaufenden Linie geschah. Bei den besonders guten und wissenschaftlich geschulten Beobachtern fielen indes diese Ergänzungen aus der Phantasie weg, so daß eine kontinuierliche Linie durch einzelne, nicht zusammenhängende Linien ersetzt wurde (Abb. II und VIb). Besonders der letztere Fall ist in dieser Hinsicht bemerkens- wert. Die Versuchsperson hat auf Grund ihrer Geruchswahrnehmungen _ (Abb. VIa) das Erinnerungsbild durch einzelne Punkte , angedeutet Zur Lokalisation der osmatischen Reize. 315 (kleine Kreise in Abb. VIb) und nach dem Versuchsabschluß angegeben, daß sie vier einzelne Gruppen von Geruchswahrnehmungen hatte. Diese Gruppen sind in der Abb. VIb durch die Buchstaben A—D markiert und der Anschaulichkeit wegen von mir durch die punktierten Linien. zusammengefaßt. Diese Versuchsperson hat auch versucht, die ‚Ge- staltsqualität“ der einzelnen Gruppen zu bestimmen, indem sie die Gruppe A als „unbestimmt“ und die Gruppe B als ‚einen Streifen‘ benannt hatte. Das allgemeine Resultat dieser Versuche, die lediglich als eine Ein- leitung in das Problem aufzufassen sind, läßt sich demnach also kurz zusammenfassen: eine Reihe von Geruchsdingen läßt sich in gewissen Grenzen, auf Grund einer Verschmelzung der Geruchs- und Bewegungs- wahrnehmungen zu einem einheitlichen Bewußtseinsgebilde, in räum- liche Beziehung zueinander setzen. Diese räumliche Bestimmung ist leicht reproduzierbar. Es bleibt den weiteren Untersuchungen vorbehalten, die Grenzen innerhalb welcher die räumliche Einordnung der Geruchsdinge möglich ist, festzustellen, sowohl als auch das Verschmelzungsprodukt selbst auf seine beiden Komponenten näher zu analysieren. Autorenverzeichnis. Atzler, Edgar, und Ludwig Frank. Beiträge zur Methodik der Frosch- gefäßdurchspülung. S. 141. — siehe Bleibtreu, Max, und Edgar Atzler. Bleibtreu, Max, und Edgar Atzler. Beitrag zur Darstellung und Kennt- nis des Thrombins. S. 130. Eckstein, A. Die Totenstarre des Herzens. S. 184. Frank, Ludwig, siehe Edgar Atzler und Ludwig Frank. Friedmann,Helene. ÜberSpontan- kontraktionen überlebender Arterien. I. Mitteilung. S. 206. Fritsch, @G. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. II. Untersuchung des Kaninchen-, Hühner- und Taubenblutes. S. 78. Haecker, V. Über weitere Zusammen- hänge auf dem Gebiete der Mendel- forschung. S. 149. v.Hess,(C. Untersuchungen zur Physio- logie der Stirnaugen bei Insekten. S.1. 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