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Über die Sekretion der Parotis des Pferdes. (Mit 1 Textabbildung) a ae SR NET — — Zum Studium der Speichelsekretion. Kur Mitteilung. Über die Sekre- tion der Parotis und Mandibularis des Schafes. (Mit 8 Textabbildungen) — — Zum Studium der Speichelsekretion. III. Mitteilung. Kritik und Schlußfolgerungen. (Mit 1 Textabbildung) : 3 Kahn, R. H. Über Schilddrüsenfütterung an Wirbellosen 3 — Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. II. Zustand und Innerv ation der Muskeln der vorderen Extremitäten des Frosches während der Um- klammerung. (Mit 2 Textabbildungen) E. A. Spiegel und E. Sternschein. Der Klammerreflex nach. Sympathicus- exstirpation.. Ein Beitrag zur Frage der tonischen Innervation Bergansius, F. L. Die Messung von roten Blutkörperchen mittels der dadurch erzeugten Beugungserscheinungen. (Mit 10 Textabbildungen) v. Liebermann, Paul. Polare Erregung und Hemmung an Arterien Teschendorf, Werner. Beiträge zur Physiologie und a der Blutegelmuskulatur. (Mit 12 Textabbildungen) : ENTE Abderhalden, Emil. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. IX. Mitteilung. (Mit 25 Text- abbildungen) . ER NEL ae See RAT ET Poor Rn Re — und Ernst Wertheimer. Weitere Beiträge zur Kenntnis von orga- nischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. X. Mitteilung de Boer, S. Das Alternansproblem. (Mit 16 Textabbildungen) 0: Spiegel, E. A. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. I. Mitteilung. Quellung und Doppelbrechung der Markscheide — Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. Mitteilung. Der Einfluß der Narkotica auf die Anisotropie des Nervenmarks. (Mit 1 Textabbildung) Jarisch, Adolf. Über den Einfluß der Temperatur auf die "Hämoly se & durch Hypotonie. (Mit 1 Textabbildung) 2 Rothfeld, Jaköb. Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß der nmenniren: des Mittel- und Zwischenhirns auf die vestibu- laren Reaktionsbewegungen. (Mit 9 Textabbildungen) ne Junkersdorf, P. Beiträge zur Physiologie der Leber. IV. Mitteilung. Das Verhalten der Leber bei Eiweißfütterung nach voraufgegangener Glykogenmast Autorenverzeichnis, Seite 118 130 135 163 174 183 225 240 255 272 305 318 ektl ER OR“ ER TR DE BRASS Inany NEN BEER ae va 5% u een Ges } E 5 en ö De N Re Ze: Pa TR NA Zum Studium der Speichelsekretion. I. Mitteilung. Über die Sekretion der Parotis des Pferdes. Von Arthur Seheunert und Alfred Trautmann. (Aus dem physiologischen und histologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule zu Dresden und dem tierphysiologischen Institut der Landwirtschaftlichen Hoch- schule zu Berlin.) Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 1. Juli 1921.) Einleitung. Wenn wir uns ein Bild von der Tätigkeit der Speicheldrüsen und ihren Bedingungen machen wollen, so finden wir darüber eine sehr große Anzahl ausgezeichneter Untersuchungen, die das Gebiet in selten eingehender Weise durchleuchten. Wir wissen ausihnen, daß die Speichel- drüsen reflektorisch erregt werden, daß bedingte und unbedingte Reflexe mannigfaltigster Art dabei ineinandergreifen und kennen, dank der Untersuchungen der Pawlowschen Schule!), jene Reflexe und den Verlauf ihrer Bahnen bis in die feinsten Einzelheiten. Dank der berühmten Untersuchungen Heidenhains und Langleys sind wir auch weitgehend über die besondere Rolle der sekretorischen Nerven und über die Einflüsse der Blutversorgung und Vasomotoren unter- richtet. Alles in allem stellt sich so das Gebiet der Speichelsekretion als sehr eingehend bearbeitet dar, und man könnte wohl daraus und be- sonders aus den Pawlowschen Ergebnissen die Berechtigung herleiten, für irgend eine unter bestimmten Bedingungen zu verabreichende ein- fache Nahrung die voraussichtliche Beteiligung der einzelnen Drüsen an der Speichelproduktion und die Beschaffenheit des Sekretes im vor- aus zu beurteilen. Streng genommen sind wir aber zu solchen Schlüssen auf Grund der genannten Untersuchungen nur beim Hund berechtigt, denn an ihm sind jene Grundlagen gewonnen worden. !) Vgl. Babkin, Die äußere Sekretion der Verdauungsdrüsen. Jul. Springer, Berlin 1914. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 1 A. Scheunert und A. Trautmann: ID Nun ist der Hund gerade für die Speichelsekretion kein in allen Richtungen befriedigendes Versuchstier!). Er ist Carnivore, schlingt seine Nahrung fast ungekaut in großen Bissen ab und nimmt sie sehr schnell auf. Auch ist seine naturgemäße Nahrung schlüpfrig und gut schlingbar. Der Speichel spielt für seine Verdauungsvorgänge eine untergeordnete Rolle. Wenn wir also die Speichelsekretion von Herbivoren und Omni- voren, die gut und lange kauen und deren Nahrung sehr sorgfältig eingespeichelt werden muß, auf Grund der beim Hund gewonnenen Ergebnisse beurteilen wollen, werden wir leicht zu Trugschlüssen kommen können. Es ist notwendig, die Speichelsekretion für jede Tierart besonders zu studieren. Diese Notwendigkeit des gesonderten Studiums hat zunächst v.Zebrowski?) durch seine ausgedehnten Untersuchungen an 2 kranken Menschen mit Parotisfisteln gezeigt, die sehr sorgfältig und umfang- reich gestaltet zu bemerkenswerten Ergebnissen führten. Er bestätigte dabei im großen und ganzen die Pawlowschen Er- gebnisse und befindet sich auch in Übereinstimmung mit den älteren Befunden von Colin und Prompt?) am Menschen. Er zeigte aber doch, daß die Annahme einer allzu weitgehenden Zweckmäßigkeit, die sich auf die Anpassung der Speichelzusammensetzung an die Er- fordernisse des Chemismus der Verdauung erstrecken müßte, wie sie aus Hundeversuchen vielfach abgeleitet wurde, nicht gerechtfertigt ist. Die Parotidenfunktion wird von der mechanischen Beschaffenheit der Nahrung überragend beeinflußt, und die diesbezüglichen Reize und ihre Quantität spielen die Hauptrolle. Die psychische Sekretion besteht; das Kauen ist kein Sekretionsreiz an sich, übt aber einen be- deutenden Einfluß dadurch aus, daß es die mehr oder weniger innige Berührung der Reizstoffe mit der Mundschleimhaut bewirkt. Auch die Kauseite ist beim Menschen von viel größerer Bedeutung als beim Hunde. Wenn wir uns den herbivoren und omnivoren Tieren zuwenden, so werden wir noch andere Verhältnisse erwarten dürfen®). Diese Tiere nehmen rohe, voluminöse Nahrung auf, kauen sehr lange und speicheln gut ein, wie das Pferd und das Schwein, oder ihre Speichel- sekretion hat noch besondere Aufgaben zu erfüllen, wie es bei Rind und Schaf die Einschaltung des Wiederkauaktes andeutet. Auch wirft sich bei diesen Tieren die Frage auf, ob bei ihnen be- dingte Reflexe dieselbe Rolle spielen, wie sie uns Pawlow !) Scheunert u Gottschalk, Zentralbl. f. Physiol. 23, Nr. 8. 1909. ?) v. Zebrowski, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 110, 105. 1905. 3) Colin, Physiologie comparee. 3. Aufl. 1, 655. *) Vgl.a. Biedermann in Winterstein, Hdb. d. vgl. Physiologie 2!, Ver- dauung 1168. Gustav Fischer, Jena 1911. Zum Studium der Speichelsekretion. I. 3 für den lebhaften und intelligenten Hund kennen lehrte und wie sie auch beim Menschen bestehen. Solche Überlegungen waren es, die einen von uns (Scheunert) veranlaßten, im Jahre 1906 an eine Neubearbeitung der Speichelsekretion bei den Haustieren auf breiter Grundlage heranzutreten, die bisher zu zwei kurzen Mitteilungen!) ?) geführt hat. Es erwies sich dann sehr bald als notwendig, mit der physiologisch- chemischen auch die physiologisch-histologische Unter- suchung Hand in Hand gehen zu lassen, da ohne diese ein vollständiges und klares Bild nicht erlangt werden konnte, vor allem aber ohne solche Untersuchungen auch eine kritische Wertung der Resultate unmöglich war. Diesen Teil der Bearbeitung übernahm Trautmann. Untersucht wurde bisher die Sekretion der Parotis des Pferdes und die Sekretion der Parotis und Mandibularis?) des Schafes. Die Untersuchung erfolgte nach der Fistelmethodik und zwar wurden im wesentlichen permanente Fisteln entsprechend den Pawlowschen Richtlinien durch Verlegung der Mündung des Ausführungsganges in die äußere Backenwand angelegt. Daneben wurden auch Untersuchun- gen an Pferden und Schafen, denen eine Kanüle in den Ductus paroti- deus eingesetzt war, angestellt. Bei Anlegung der permanenten Fistel der Parotis verfuhren wir in neuerer Zeit namentlich, um die oft durch den Kauakt entstehenden, sehr störenden Backen- fisteln zu vermeiden so, daß wir unter Vermeidung jeglicher Verletzung des Musculus masseter oberhalb der Zahnleiste in die Mundhöhle eingingen. Die Papilla salivalis und der distale Teil des Ductus parotideus wurden durch eine von dem genannten Schnitt ziemlich weit ventral gelegte kleine Öffnung nach außen geführt und an den Rändern dieser Öffnung fixiert. Bereits schon nach 8 Tagen konnte wenigstens bei Schafen und Ziegen ein vollständiger Erfolg beobachtet werden. Der Verschluß der Schnittwunde wie auch die Einheilung der Papilla salivalis erfolgte einwandfrei. !) Scheunert und Illing, Zentralbl. f. Physiol. 19, H. 23. 1906. 2) Scheunert u. Gottschalk, Zentralbl. f. Physiol. 22, H. 8. 1909. ®) Die großen Speicheldrüsen zerfallen in die Glandula parotis und die Glan- dulae mandibulares und letztere wieder in die eigentliche Glandula mandi- bularis (propria) und die Glandulae sublinguales, die aus einer Gl. sublin- gualis monostomatica (die Löwenthal zur Mandibularis zählt) und, Gl. sublin- gualis polystomatica bestehen. Die Bezeichnung Gl. submaxillaris war solange richtig, als man den Unterkiefer noch Maxilla inferior oder submaxilla nannte, jetzt aber, seitdem dieser Teil als Mandibula bezeichnet wird, muß auch die Drüse als Gl. mandibularis bezeichnet werden, wie man auch die Knochenkanäle, Gefäße und Nerven an der Mandibula als Canales mandibulares, Nn. mandibulares, Aa. mandibulae usw. bezeichnet. Gl. mandibularis besagt, daß es sich um eine Drüse handelt, die an der Mandibula liegt. Wer die Geschichte der Anatomie nicht kennt, kann bei der Benennung Gl. submaxillaris annehmen, daß damit gesagt werden solle, daß die Drüse unter der Maxilla liege; dies ist aber nicht der Fall. Sie liegt nicht unter der Maxilla, sondern an der Mandibula, die früher Submaxilla s. Maxilla inferior hieß. 1* 4 A. Scheunert und A. Trautmann: Histologisch wurden der genaue Aufbau, die Sekretionsstadien bei den in Frage stehenden Drüsen, vor allem aber die Drüsen der operierten Tiere sorgfältig untersucht. An den Untersuchungen an Pferden beteiligten sich die Herren Gottschalk!) und Lunze?), die ihre Ergebnisse zur Anfertigung ihrer Dissertationen verwendet haben, bei den Untersuchungen an Schafen der leider verstorbene Herr Bock, den uns Herr Geh. Rat Ellenberger als Doktorand zuwies. Die Untersuchungen selbst zogen sich aus äußeren Gründen über eine große Anzahl von Jahren hin; schließlich wurde ihre Fertigstellung durch den Krieg unterbrochen. Erst nach dessen Beendigung konnten noch einige notwendige Ergänzungsversuche vorgenommen werden. Das ursprüngliche Programm ist noch keineswegs voll bearbeitet, auch haben sich neue Fragen im Verlauf der Untersuchungen auf- geworfen. Diese sowie die Bearbeitung der Mandibular- und Sublingual- sekretion beim Pferd, die entsprechend noch fehlenden Untersuchungen bei Wiederkäuern, sowie die Bearbeitung der gleichen Frage an Schwei- nen hoffen wir, sobald die Verhältnisse es gestatten, nachzuholen. Jetzt möchten wir die Bekanntgabe der bisherigen Ergebnisse, die uns in ihren allgemeinen Schlußfolgerungen von Bedeutung zu sein scheinen, nicht länger hinausschieben. Physiologisch-chemischer Teil. Der Ablauf der Sekretion der großen Speicheldrüsen bei Pferd und Wiederkäuern ist bereits von älteren Autoren bearbeitet worden. Diese legten temporäre Fisteln an den Ausführungsgängen der betr. Drüse an und fingen durch eingeschobene Kanülen den Speichel auf. Meist beschränkten sich diese Autoren nur auf die Gewinnung von Sekret zur chemischen Analyse oder ermittelten die in einer bestimmten Zeit oder einer Mahlzeit abgesonderte Menge (Schultz und Hertwig?) Pferd eine Parotis; Girard®) Pferd beide Parotiden, Heumahlzeit). Diese Ergebnisse bieten also keinen Einblick in die Sekretionsverhält- nisse. Etwas weiter führen schon die Beobachtungen von Eckhard’) über die permanente Sekretion der Parotiden der Wiederkäuer, die von Colin (l.c.) und Ellenberger und Hofmeister®) bestätigt, !) Die Sekretion der Parotis des Pferdes. Inaug.-Diss. Zürich 1910. ?) Neue kritische Untersuchungen über die Sekretion der Parotis des Pferdes. Inaug.-Diss. Dresden-Leipzig 1915. 3) De alimentorum concoctione. Berolini, 4, 57, 1834. *) Zitiert nach Colin |. c. 5) Zeitschr. f. rat. Med. %9, 74. 1867. Eckhardts Beiträge 4, 49. 1869. 6) Ellenberger, Handb. d. vergl. Physiologie d. Haust. Berlin, Parey, 1890. — Ellenberger u. Hofmeister, Ber. üb. d. Veterinärwesen im Kgr. Sachsen (1885); — Dieselben Arch. f. wiss. Tierheilk., 7, 265 u. 433. 1882; 9, 41. 1884. - Zum Studium der Speichelsekretion. 1. 5 gegen die aber auch Einwände [Wittich!)] erhoben worden sind. Durch die Anlegung einer permanenten Fistel von Sawitsch und Tiechomirow (zitiert nach Babkin l.c. S. 10) bei einem Ziegenbock sind übrigens die Befunde ersterer Autoren einwandfrei erhärtet. Die weitgehendsten Einblicke gewähren dann Untersuchungen von Colin, der an Pferden, Schafen und Ochsen die Sekretion der Parotiden, Mandibularen und Sublingualen und von Ellenbergerund Hofmeister, die an Pferden und Rindern die Sekretion von Parotis und Mandibularis beobachteten. Diese Untersuchungen gestatten für die Parotis und Mandibularis, die uns im Rahmen unserer Untersuchungen besonders interessieren, in großen Zügen etwa folgendes Bild: Beim Pferd sezer- nieren beide Drüsen nur während der Nahrungsaufnahme. Bei der Parotis des Pferdes ist die Menge wesentlich von der Kauseite abhängig, bei der Mandibularis von Pferd und Wiederkäuer findet sich diesbezüglich kein Unterschied. Nach Colin sollen die Mandibularen ganz minimale Mengen in den Pausen zwischen der Mahlzeit absondern, die mit zum Anfeuchten der Mundhöhle dienen und abgeschluckt werden. Die Parotidensekretion der Wiederkäuer ist permanent, während bei ihnen die Mandibularen beim Wiederkauen nicht absondern. Eine Differenz zwischen Colin und Ellenberger besteht bezüglich der sog. psychi- schen Sekretion, die Colin für unbedeutend hält, während Ellenberger sie stets beobachtete. Gegen diese Befunde kann durchweg der Einwand erhoben werden, daß Kanülen in die operativ isolierten und aufgeschnittenen Ausführungs- gänge eingeführt wurden, und daß hierdurch bereits solche Reize aus- geübt worden sein könnten, welche die normale Sekretion wesentlich zu beeinflussen imstande waren. Diese Überlegungen waren es ja auch, die zur Ausbildung der Pawlowschen Operationstechnik (Verlegung der Mündungspapille nach außen) führten. Inwieweit Störungen bei der Permanentfistelmethode ebenfalls zu erwarten sind, werden wir in der dritten Mitteilung erörtern. Jedenfalls war es neben der ursprünglichen Absicht, die Speichel- sekretion der Herbivoren grundsätzlich zu klären, dieser Einwand gegen die Temporärfistelmethode, der es uns ganz besonders wünschens- wert erscheinen ließ, bei unseren Versuchen Permanentfisteln anzulegen. Methodik. Drei Pferde wurden zu diesen Versuchen benutzt. (Operation vgl. S. 3). Pferd I wurde am 29. Januar 1909 operiert. Die Einheilung der Papille erfolgte rasch in 8 Tagen, doch blieb eine Backenfistel bestehen, die allen Versuchen sie zu schließen trotzte. Die Ursache hierfür liegt in den energischen Dehnungen und Bewegungen, denen die Backenwand bei der Nahrungsaufnahme ausgesetzt ist. Hierdurch wird stets die in Heilung befindliche Wunde wieder aufgerissen. Auch !) Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 34, 184. 6 A. Scheunert und A. Trautmann: behindert die Verunreinigung der Wunde mit Mundinhalt, die ständig stattfindet, den Heilungsprozeß. Bis die Backenfistel soweit geschlossen war, daß die Versuche ungestört verlaufen konnten, vergingen mehrere Monate, so daß mit den Versuchen erst Anfang April begonnen werden konnte. Sie zogen sich bis Anfang August 1909 hin, dann erfolgte die Tötung des Tieres, das sich in ausgezeichnetem Futter: zustande befand. Die Parotiden wurden der histologischen Untersuchung zugeführt. Pferd. II wurde Anfang September 1910 in genau derselben Weise operiert. Hier glückte die Einheilung der Papille ohne Erzielung einer Backenfistel, so daß innerhalb 3 Wochen am 29. IX. 10 mit den Versuchen begonnen werden konnte. Diese waren im August 1911 beendet. Dann wurde das sonst gesunde Tier getötet, und die Parotiden histologisch untersucht. Pferd III wurde am 28. V. 19 operiert. Auch hier kam eine hartnäckige Backenfistel zur Ausbildung, so daß erst am 7. VII. 14 mit den Versuchen begonnen werden konnte. Die Backenfistel war ziemlich umfangreich, so daß die Papille ungünstig einheilte und Speichel beim Auffangen durch Herunterlaufen an der Backenwand verloren ging. Durch mehrfaches Nachnähen wurde von Zeit zu Zeit die Lage der Papille verbessert. Die Tötung des im übrigen gesunden Tieres erfolgte am 2. XII. 19. Anstellung der Versuche. Zu den Versuchen wurde das Pferd in seinem Stand herumgedreht und von einer Person, die auch das Auffangen des Speichels besorgte, am Halfter leicht gehalten. Es fraß von einem in richtiger Höhe ge- fertigten Futtertisch, auf dem sich eine Wage befand, die auf einer Seite in einem geeigneten Behälter (Schwinge) die tarierte Futtermenge enthielt. Eine Person überwachte das Fressen, zählte evtl. die Bissen und nahm dieWägungen des in bestimmten Zeitabschnitten aufgenommenen Futters sowie den Ersatz der teil- weise oder ganz verzehrten Portionen durch neue, vorher tarierte Futtermengen vor. Der eine von uns (Sch.) leitete die Versuche, kontrollierte die Zeit, veranlaßte den Wechsel der Speichelauffanggeräte, des Futters, die Wägungen, die Protokol- lierung usw. Die gesamten Speichelmengen wurden in vorher bezeichnete Erlen- meyerkolben portionsweise durch Watte filtriert und nach Beendigung des Ver- suches zur chemischen Untersuchung gebracht. Bei einigen Versuchen wurde der Speichel sofort nach dem Gewinnen, also während des Versuches, titriert. Der ganze Apparat ist also ziemlich kompliziert und muß eingespielt sein. Die Hauptsache ist in dieser Richtung, daß das Pferd an die neuen Verhältnisse gewöhnt wird und sich durch die zahlreichen Handgriffe nicht stören läßt. Die Bestimmungen erstreckten sich auf Trockensubstanz, Asche, Stickstoft und Chloride nach den üblichen Methoden mit möglichst großer Speichelmenge. Die Chloride wurden durch Titration mit "/,„ AgNO, in dem durch Eissigsäure- koagulation enteiweißten Filtrat titriert (Kaliumchromat). Alkalinität wurde mit ”/jo HsSO, gegen Methylorange ermittelt. Alle Bestimmungen wurden sofort ausgeführt. Das Auffangen des Speichels kann beim Pferde nicht etwa durch An- kleben von Trichtern wie bei den Pawlowschen Hunden erfolgen. Solche halten unter keinen Umständen wegen der lebhaften Kaubewegungen und der großen Speichelmengen, die den Kitt lockern. Das Auffangen gelingt leicht und quanti- tativ durch Vorhalten von Messing-Blechtrichtern mit genügend weiter Öffnung (ca. 6—7 cm) von der Form der Entlüftungsessen, wie sie.auf Schiffen üblich sind. Die Trichter sind in einfache Maßzylinder gesteckt, in denen sich der Speichel sammelt. Beim Wechsel, welcher ja nur Bruchteile einer Sekunde erfordert, wird Trichter und Zylinder gewechselt. Es geht dabei nichts verloren, wenn man auf- paßt; überhaupt ist ein quantitatives Auffangen beim richtigen Sitz der Papille leicht möglich, da der Speichel schußweise in großen Bogen aus der Papille hervor- spritzt. Zum Studium der Speichelsekretion. I. 1 1. Sekretionsreize. Die Erregbarkeit der Speicheldrüsen bei Hund und. Mensch durch bedingte Reflexe, also die Analyse der von altersher bekannten ‚‚psychi- schen‘ Sekretion, stellt eine der wichtigsten Erkenntnisse der Pawlow- schen Arbeiten dar und ist für die Beurteilung der durch die tagtägliche Selbstbeobachtung längst bekannten Abhängigkeit der Verdauung von äußeren und inneren, auf die Psyche wirkenden Umständen von ent- scheidender Bedeutung geworden. Pawlow hat auf die große meth.odi- sche Bedeutung der bedingten Reflexe für psychologische Fragen hin- gewiesen. Besonders für solche Fragestellungen bei den Herbivoren, über deren psychische Fähigkeiten wir wirklich Exaktes so gut wie nichts wissen, würden sich hier ausgezeichnete Wege eröffnen. Deshalb wurde gerade diesen Versuchen mit sehr großem Interesse entgegengesehen. Wie vorausgeschickt sei, verliefen sie negativ. Schon Colin (l. c. S. 654) hatte diese Beobachtung gemacht; er schreibt darüber: „De m&me, la vue et l’odeur des aliments ne peuvent chez animal le plus affame mettre en jeu d’une maniere tres notable, l’ac- tivite de ces glandes‘“. i Hält man einem hungrigen Versuchspferde gutes aromatisches Heu vor, so macht es die größten Anstrengungen, dasselbe zu erreichen. Es streckt den Hals, schnappt heftig mit den soweit als möglich vor- geführten Lippen und versucht vorzutreten. Bei Vorzeigen von Hafer, Gras, Brot usw. findet dasselbe statt. Es sei betont, daß die Tiere sich immer von neuem bemühen, die Nahrung zu erreichen und nicht davon ablassen. Bei solchen Versuchen trat bei allen 3 Versuchstieren meist über- haupt kein Speichel aus der Papille hervor, nur selten, wenn die Schnapp- bewegungen besonders energisch wurden, spritzte eine ganz kleine, nur einige Tropfen betragende Speichelmenge hervor. Bei Pferd 3 beobachteten wir auch dies niemals. Wir hatten den Eindruck, daß es sich aber auch hierbei nicht um eine Sekretion von Appetitsspeichel handelt, sondern daß es die Kontraktionen der Backen- und Lippen- muskulatur waren, die den Inhalt des Speichelganges herauspreßten. In diesem befinden sich immer Speichelmengen, die darin von früheren Sekretionsperioden stehen geblieben sind. Man kann jederzeit durch Drücken und Streichen über den Gang Speichel aus der Papille heraus- spritzen lassen. Das ist auch selbstverständlich, da die Pferde ja fort- während in der Streu und an der Krippe herumsuchen und da und dort etwas belecken oder aufnehmen. Einen weiteren Beweis für die Allgemeingültigkeit dieser Beobachtun- gen erblickten wir auch darin, daß stets erst 8 bis 20 Sekunden nach dem Beginn der Nahrungsaufnahme der erste Speichel aus der Papille trat. Die Sekretion mußte also erst in Gang kommen. 8 A. Scheunert und A. Trautmann: Wir müssen danach annehmen, daß Sehen und Riechen des Futters beim Pferd Speichelsekretion nicht hervorzurufen vermögen und können den gegenteiligen Befund von Ellenberger (l.c. Handbuch S. 510) nur als ein zufälliges Ergebnis ansehen. Es bestehen danach beim Pferd zwischen den höheren Sinneszentren und den Sekretionszentren der Parotis keine für sekretorische Reize gangbare Bahnen. Solche bilden sich aber auch nicht durch Übung und Erfahrung aus. Obwohl die Tiere, durch zahlreiche Versuche gewitzigt, wissen mußten, daß nach den jedem Versuch vorangehenden, umständlichen Vorbereitun- gen eine Mahlzeit folge, fehlte eine Sekretion vor Beginn der Mahlzeit stets. Uns erscheint das von großer Bedeutung, denn mit der Aus- schaltung bedingt reflektorischer Erregung bleiben als Reize tür die Parotiden des Pferdes nur noch chemische, mechanische und thermische übrig, die von der Mundschleimhaut bei der Nahrungsaufnahme aus wirksam sein müssen. Auch Geruchsreize sind nach obigen Befunden (Heureizung) un- wirksam; sie müssen es auch sein, weil Erregungen des N. olfactorius ohne Mitwirkung der Großhirnrinde nicht auf die Speichelzentren der Medulla oblongata übertragen werden können. Dies entspricht durchaus den Befunden der Pawlowschüler an Hunden (Snarski, Zitowitzsch), welche die auf Reizung des Geruchs erfolgende Speichel- sekretion als bedingt reflektorisch erkannten und zeigten, daß der Ge- ruch unbekannter Substanzen erst dann Speichelsekretion hervorruft, wenn durch mehrmaliges Einbringen der Substanz in den Mund ein be- dingter Reflex zur Ausbildung gelangt ist. Beim Pferd, bei dem’ die bedingten Reflexe fehlen, gelingt dies nicht. Wir nehmen also an, daß die Sekretion von der Mundschleimhaut aus erregt wird. Inwieweit hier chemische, also Geschmacksreize, und mechanische Reize eine Rolle spielen, ist nunmehr zu erörtern. Vom Hund (und Menschen) wissen wir, daß chemische Reize wirksam sind und daß vor allem gegen Säuren, Soda, Ätzalkalien eine Art Abwehr- sekretion zur Verdünnung und Unschädlichmachung erfolgt (W ulfson, Sellheim, zitiert nach Babkin, 1.c. S. 24). Andrerseits zeigen die Sellheimschen Versuche weiter, daß die chemischen Reize beim Hunde nicht etwa die Hauptrolle spielen, denn nach einer naturgemäßen Nahrung wurde auch bei durchschnittenen Nn. glossopharyngei und linguales kaum eine Veränderung der Absonderung in quantitativer oder qualitativer Richtung beobachtet. Hingegen war die Speichelsekretion vermindertoder unterblieb bei Anwendung reiner Geschmacks- oder chemi- scher Reize (z. B.Saccharin, NaCl). Die Hauptrolle kommtalso den mecha- nischen Reizen zu. Beim Pferd hat hierüber schon Colin (1. e.8.653) einige Beobachtungen gemacht, auf Grund deren er schreibt: ‚On peut mettre en contact avec la muqueuse buccale des sels, des acides affaiblies, des Zum Studium der Speichelsekretion. I. 9 substances aromatiques, sans que les parotides des solipedes fournissent, lors de l’abstinance des quantites appreciables de salive‘. Danach würden also chemische Reize überhaupt unwirksam sein. Wir können das für schwache Säuren und Alkalilösungen voll bestätigen. Spritzt man einem Fistelpferde eine derartige Lösung in die Mundhöhle ein, so erfolgt keine Sekretion. Wir konnten uns mit dieser Beobachtung aber nicht zufrieden geben und versuchten deshalb festzustellen, ob nicht durch stärkere Säuren die Beschaffenheit des Speichels eine Veränderung bezüglich Alkalinität und Gehalt an N-Verbindungen erleiden würde. Wir legten zu diesem Zweck dem Pferd 1 Hafer vor, ermittelten von 3 zu 3 Minuten die Speichelmenge und deren N- und Alkaligehalt. Nach ca 20 Minuten wurde der Hafer entfernt, dem Tiere etwas Wasser zum Ausspülen gereicht und dann 25 ccm einer 2proz. (!) HCl Lösung mit einer Spritze in den Mund gespritzt. Nach einigen Sekunden setzte eine beim 1. Versuch 2745”, beim zweiten 2715” währende geringe Sekretion von 21 bzw. 16 ccm ein; dieser Speichel wurde gesammelt und untersucht. Nach Abklingen der Sekretion wurde im Haferversuch fortgefahren. Wir geben hierunter das Protokoll vom 1. Versuch. Versuch 31. Pferd 1. Das Pferd erhielt ca. 6 Stunden nach der letzten Futteraufnahme Hafer vor- gelegt, den es mit großem Appetit verzehrte. Zeit in | Speichelmenge | Auf 5 cem Speichel Im Speichel | in ccm werden gebraucht sind enthalten N Min. | injesMin. | cem a/, HCl 0, ER | 79 2 el a 4.6. | 83 1,8 u.1,85 | — 1.—). 76 Bus u2a1r8 | — IK 76 a) 0,045 13.—15. | 69 1,99u2159 | 0,047 16.—18. | 65 1) | 0,050 Nach der 18. Minute wurde dem Pferde eine geringe Menge Wasser zum Ausspülen angeboten, hierauf wurden 24 ccm einer 2proz. HCl-Lösung ins Maul gespritzt. Die Sekretion begann 30 Sekunden nach der Einspritzung und hielt 2 Minuten 45 Sekunden an; es wurden dabei 21 ccm aus der rechten Parotis sezerniert. Dann wurde wieder Hafer gereicht. Zeitin | Speichelmenge Auf 5 cem Speichel Im Speichel | in cem werden gebraucht | sind enthalten N Min. | in je 3 Min. ccm n/,. HCl o/° 2 Min. 45 Sek. | 21 2,4 0,071 | 87 DA U 25 0,063 4.—6. | 52 25257 0:051 1... | 65 1.95.0200, | 0,048 10.12. | 55 20 m | 0,053 13.—15. | 52 I52U2 20 0,058 16.—18. | 56 200. u020 0,059 !) Fortsetzung der Haferfütterung. 10 A. Scheunert und A. Trautmann: Man sieht, daß eine allerdings nicht sehr bedeutende Erhöhung der Alkalinität und des N-Gehaltes erfolgt ist. Bei Pferd 2 blieb bei einem gleich angelegten Versuch die spontane Säuresekretion überhaupt aus. Wir fuhren deshalb nach Warten von 1,40 Minuten im Freßversuch fort. Eine äußerst geringfügige Steigerung von Alkalinität und N-Gehalt und damit auch Asche und Trockensubstanz war auch hier bemerkbar. Alles in allem müssen wir wohl danach schließen, daß diechemischen Reize beim Pferd eine noch unbedeutendere Rolle als beim Hund spielen. Als die wesentlichstenReize für die Parotidensekretion des Pferdes bleiben somit nur die mechanischen übrig. Das stimmt auch mit den anatomischen und physiologischen Erfahrungen gut überein !). Die Größe der Speicheldrüsen und ihre Leistung, also die abgesonderte Menge, richtet sich nach der Rauh’gkeit der Nahrung. Wir möchten in dieser Richtung einige vom Pferd 1 gewonnenen Zahlen geben. Dieses sonderte bei verschiedenen Versuchen ab aus der rechten Parotis bei Aufnahme von 1000 g Hafer 330, 275, 267, 243, 205, 146 ccm; bei 1000 g Heu 1566, 1441, 1304 cem; bei 1000 & frischem Gras 187, 180, 177 ccm; bei 1000 & welkem Gras 499 und 315 ccm; bei 1000 g rohen Kartoffeln 2 ccm, bei gekochten 47 ccm; bei Möhren 23 ccm; bei Komißbrot 218 ccm. Danach zeigen also Feuchtigkeit und Schlingbarkeit den vermuteten Einfluß, aber es fällt auf, daß große, zunächst unerklärliche Unterschiede bestehen. Sie treten besonders deutlich bei Versuchen mit Hafer und Häcksel zutage, Bei einem Mischungsverhältnis beider Substanzen 10 : 1 wurden auf 1000 & Futter 448 und 302, bei einem Mischungsverhältnis 10 : 1,25 428 und bei einem Mischungsverhältnis 10 : 2 nur 234 ccm abgesondert. In diesen widerspruchsvollen Zahlen drückt sich der Unterschied der Kauseite aus, die von dem Pferde bei dem betreffenden Versuch vorzugsweise berücksichtigt worden ist. Auf diese Beobachtungen wird weiter unten ausführlich zurückzukommen sein. Colin und Ellenberger haben beim Pferd und Colin sowie später v. Zebrowski (l.c.) auch beim Menschen diesen Einfluß beobachtet; bei unserem ersten Pferd trat derselbe nicht auffällig zutage, da das Tier sehr häufig die Kauseite wechselte und keine Seite besonders be- vorzugte, so daß wir den Kauseiten keine nennenswerte Bedeutung zusprachen. Beim zweiten Pferd traten plötzlich so erhebliche Schwan- kungen auf, daß wir der Kauseite starke Beachtung schenkten. -Dabei stellten sich nun ganz gewaltige Unterschiede heraus. Zunächst sei unsere Frage nach dem Einfluß der mechanischen Rei- zung unter Berücksichtigung der durch die Kauseite bedingten Unter- !) Vgl. Scheunert und Illing ]. c. dort auch Lit. Zum Studium der Speichelsekretion. I. 11: schiede erörtert. Die auf je 1000 g Futtermittel berechnete sezernierte Speichelmenge ist dazu im folgenden aus den Versuchen an Pferd 2 errechnet und zusammengestellt (rechts ist die Fistelseite!): Auf 1000 g Hafer wurden sezerniert beim Linkskauen . 70—360 ccm Auf 1000 g Hafer wurden sezerniert beim Rechtskauen 1300—2070 ccm Auf 1000 g Heu wurden sezerniert beim Linkskauen . . 830—880 ccm Auf 1000 g Heu wurden sezerniert beim Rechtskauen . 2400-4250 ccm Auf 1000 g Karotten wurden sezerniert beim Linkskauen 1,5 ecm Auf 150 g Karotten wurden sezerniert beim Rechtskauen ll ccm Auf 1000 g Gras wurden sezerniert beim Linkskauen. . 134-370 ccm Auf 1000 g Gras wurden sezerniert beim Rechtskauen „ 500—1300 cem Große Schwankungen treten auch hier auf, aber die durch die Feuchtigkeit der jeweiligen Nahrung bedingten Unterschiede treten doch deutlich hervor. Die beim Linkskauen von Hafer und Gras nahezu gleichgroßen Speichelmengen widersprechen dem nicht, da bei diesem gut schlingbaren Material beim Linkskauen die rechte Drüse nur ein Minimum an Sekretionsarbeit leistet. Alles in allem schließen wir aus diesen Beobachtungen, die durchaus die Colinschen Untersuchungen bestätigen, daß die Erregung der Parotiden des Pferdes durch die taktilen Reize erfolgt, die beim Zer- kleinern der Nahrung auf die Mundhöhlenschleimhaut ausgeübt werden. Chemischen Reizen vermögen wir hingegen einen beachtlichen Ein- fluß nicht zuzuerkennen. Die Geschmacksnerven scheinen demnach im wesentlichen an der Parotidensekretion dieser Tiere unbeteiligt zu sein. Die Abwesenheit einer durch Gesichts- und Geruchsreize ver- mittelten, bedingt reflektorischen Erregung läßt uns weiter schließen, daß auch etwa Geschmacksreize über das Großhirn hinweg keine Se- kretion hervorzurufen vermögen. Wir nehmen an, daß zwischen den höheren Sinneszentren und den Sekretionszentren, die wir auf Grund der Arbeiten und Ansichten von Bochefontainet), Eckhard?) und Pawlow®°) unter Ablehnung der Annahme eines Zentrums in der Hirn- rinde in der Medulla oblongata im Gebiete der Kerne des Facialis, Glossopharyngeus und Vagus vermuten (Cl. Bernard), Eckhard, Pawlow), keine Bahnen bestehen. 2. Die Rolle der Kauseite. Bekanntlich besteht zwischen dem Kauen der Nahrung bei Carni- voren und Herbivoren ein grundsätzlicher Unterschied, indem die ersteren lediglich durch Abwärts- und Aufwärtsziehen des Upter- kiefers die Nahrung zerschneiden und zerquetschen, die letzteren diese !) Arch. de la physiol. norm. et path. 1876, S. 161. ?2) Neurol. Zentralbl. 1889, S. 65. 2) Ergebn. d. Physiol. III, 1, 177. 1904. 1) Lecons de phys. exp. II, S. 80. 1856. 12 A. Scheunert und A. Trautmann: aber zermahlen und zerquetschen, indem sie die Zahnreihen des Unter- kiefers an denen des Oberkiefers vorbeireiben lassen. Hierdurch wird, je nachdem der Unterkiefer nach rechts oder links bewegt wird, ein rechtsseitiges oder linksseitiges Kauen bewirkt. Die Tiere bevorzugen nun während. einer Mahlzeit bald die eine, bald die andre Seite und wechseln die Kauseiten in verschiedenen Zwischenräumen. Lunze (l. c.) hat hierüber Beobachtungen an 24 Pferden angestellt und fand keine Regelmäßigkeit. Im allgemeinen wird nach etwa einer Viertelstunde die Kauseite gewechselt, doch kommen auch vielfach kürzere und längere Perioden vor und folgen einander in größter Unregelmäßigkeit. Nie kommt es vor, daß ein gesundes Pferd nur eine Seite bevorzugt. Diesen Wechsel der Kauseite passen sich die Parotiden an; die Parotis der Seite, auf welcher gekaut wird, sondert eine sehr viel größere Menge von Speichel. in dergleichen Zeit ab, wie die der anderen Seite. Diese Veränderung in der abgesonderten Menge tritt sofort bei jedem Wechsel der Kauseite deut- lich in Erscheinung. Wir verweisen hierzu auf die folgenden Tabellen. Sobald auf der Fistel- seite (rechts) gekaut wird, beträgt die abgesonderte Speichelmenge ein Vielfaches von der, die beim Kauen auf der der Fistel entgegen- gesetzten Seite aufgefangen wird. Am deutlichsten zeigt sich der Unterschied bei einem Pferd mit doppelseitiger Fistel. Einen solchen Versuch führten wir an Pferd 3 aus, dem wir zu seiner permanenten rechten Fistel eine temporäre Gangfistel mit Kanüle links anlegten. Das Pferd sonderte beim Rechtskauen (Heu) in je 2 Minuten aus der rechten Fistel 87, 98, 83 ccm, gleichzeitig aus der linken 27, 44,25 cem ab, weiter in je 5 Minuten rechts 160, 183 und 225 ccm, links 55, 80, 77 ccm usf. Colin, der in dieser Richtung kurzdauernde Versuche mit tem- porären Fisteln ausgeführt hat, fand die gleichen Verhältnisse bei 5 Pferden und 1 Esel. Der Ausfall beider Parotiden behindert das Tier sehr in der Ein- speichelung, und das Abschlucken bereitet Schwierigkeiten, so daß von, unserem Pferd trotz großer Gier nur sehr kleine Quantitäten ge- fressen wurden. Überhaupt läßt sich feststellen, wenn man die beim Rechts- bzw. Linkskauen in einer bestimmten Zeit aufgenommenen Nahrungsmengen vergleicht, daß beim Kauen auf der Fistelseite weniger abgeschluckt wird als beim anderseitigen Kauen. Es ergibt sich dann das scheinbar paradoxe Bild, daß in derselben Zeit bei reichlicher Speichelsekretion aus der Fistel kleine Futter- mengen, bei spärlicher Sekretion aber viel größere Mengen abge- schluckt werden. Solche Versuche, aus denen der Einfluß der Kauseite hervorgeht, seien einige angeführt: Zum Studium der Speichelsekretion. I. 13 Pferd 2, Versuch 13 | Pferd 2, Versuch 14 Pterd 3, Versuch 4 Zeit in Hafer Hafer Heu Minut inuten a Sp.M. Fraß Kaute Sp.M. Fraß Kante Sp.M. | Fraß cem g ccm g ccm & 1, i 15202302 8. 99 | 330 | | e-10| 1. 11 Te 89 100 |" 0 30 11—15 1. 24 140 jk 834 | 290 | | 1620| 1. A| 63 son zn 21—25 Ik 1l 170 Te 190 120 5630| 220.0. 140, 001 61, 200 I. u a 3135 | r. 116 130 1. 37 | 230 1. | 97 285 36—40 | Tr. 130 100 1. 26 | 240 | 41—45 | r. 114 s0 1. 17 230 | || ar a 1) Se slenr|80 501. 70 | 190 Schluß des Vers. 1. 11 190 L: 160 | 202 weiter wechselnd in 7010726924 9200, gleichem Sinne weiter wechselnd Allerdings treten diese Verhältnisse besonders deutlich nur bei mechanisch stark reizender Nahrung, zu deren Schlingbarmachung die reichliche Lieferung von Parotidensekret notwendig ist, zutage; gibt man feuchte Nahrung, frisches Gras oder angefeuchtetes Heu, so ver- mißt man manchmal in die Augen fallende Unterschiede der aufgenom- menen Mengen. Hierfür folgende Beispiele: Pferd 2, Versuch 9 Pferd 1, Versuch 29 Pferd 2, Versuch 10 Zeit in frisches Gras frisches Gras frisches Gras und Laub Minuten N Sp. M. Fraß | guute | SP-M- | Fraß | 7 onte | Sp.M. | Fraß cem g cem | g ccm | g Der: 280 550 r. 206 5s0 | ı 1129 650 Kal | 295 600 r. 178 530 ] 83 750 1015 | r. 112 | 450 r. 192 | 500 1 84 | 550 15 90, r LE 68 350 le 38 580 1 63 800 2025| 1 56 | 350 IL 52 | 570 je 84 | 600 2530| 1. 29 | 200 Ik 45,10.550 le 7100500 0-35. 338 | 400 1. 41 550 r 240 | 400 3540 | 1. 18 | 200 1. 33 SO: 240 | 400 40-45 | | r 240 | 500 45—50 | | r 240 450 5055 | | N r 245 | 450 Unterschiede werden auch dadurch verwischt, daß mit der Dauer des Versuchs sowohl die Menge des aus der Fistel ergossenen Sekrets als auch die Menge der aufgenommenen Nahrung abnehmen. Wir sehen also große Unterschiede und erkennen, daß die Sekretion der Parotiden von der Kauseite abhängig ist. Hieraus erwachsen nun neue Fragen. Da die kauseitige Parotis in sehr viel höherem Maße als die andere Speichel zur Einspeichelung beisteuert, wird bei Ableitung dieses Sekretes durch die Fistel der nor- 14 A. Scheunert und A. Trautmann: male Verlauf der Einspeichelung gestört, und es fragt sich nun, wie das Tier darauf reagiert. Man wird annehmen müssen, daß infolge- dessen die Bissenbildung schwieriger von statten geht, a!so weniger sleichgroße oder ebensoviel, aber kleinere Bissen in gleicher Zeit ab- geschluckt werden. Im ersteren Fall würde zur Bildung eines Bissens eine vermehrte Anzahl von Kieferschlägen nötig sein. Weiter könnte eine reflektorisch vermehrte Tätigkeit der anderen Speicheldrüse in Frage kommen. Endlich wird angenommen werden können, daß das Tier die Seite, auf der sich die Einspeichelung besser vollzieht, vorzugs- weise benutzen wird. Das alles muß aber schließlich dazu führen, daß die für die natürlichen Bedürfnisse des Tieres wertlos gemachte Drüse allmäh- lich ausgeschaltet wird und mit der Vernachlässigung ibrer Inanspruch- nahme auch ihre Struktur und damit auch ihre Funktiop, also ihr Sekret bezüglich Menge und Beschaffenheit verändert wird. In solchem Fall wäre überhaupt die Fistelmethodik ungeeignet, ein exaktes Studium der Paro- tidensekretion zu gestatten. Diese Fragen erschienen uns von so großer Bedeutung, daß wir ihrer Aufklärung noch weitere Versuche widmeten. Zunächst stellten wir fest, wie sich die Zahl der Kieferschläge verhielt. Wir zählten zu diesem Zwecke bei Pferd 3 in den Versuchen 2, 4, 5 die Zahl der Kieferschläge, die während des ganzen Versuches von 2 zu 2 Minuten gemacht wurden und berechneten die Mittelwerte. Zur Beurteilung der Genauigkeit des Mittelwertes sei noch erwähnt, daß die Anzahl der Kieferschläge sehr gleichmäßig ist; sie schwankt mit 5 Ausnahmen in den drei, zusammen 181 Minuten währenden Versuchen, zwischen 120—150 pro 2 Minuten. Bei den Versuchen erhielt das Tier stets dasselbe Heu vorgelegt, nur im letzten Teil von Versuch 5 wurde dieses stark mit Wasser angefeuchtet gereicht. Pferd 3 machte danach bei Versuch 4, in dem es nacheinander 1. 48 Minuten links, dann 2. 24 Minuten rechts und 3. 16 Minuten wieder links kaute, in der Zeiteinheit von 2 Minuten durchschnittlich 1. 138. 2. 136,7, 3. 136,5 Kieferschläge. Unterschiede bestanden also bei diesen Versuchen nicht. Bei einem anderen Versuch Nr. 2 kaute es 24 Minuten rechts, dann 38 Minuten links. Es machte dabei in 2 Minuten durchschnittlich 126 Kieferschläge beim Rechts- kauen und 140 Kieferschläge beim Linkskauen. Beim Versuch 5 kaute es 8 Minuten rechts mit durchschnittlich 127 Kieferschlägen in 2 Minuten, dann 22 Minuten links mit 134, dann 8 Minuten rechts mit durchschnittlich 130 Kieferschlägen. Bei diesen beiden Versuchen hatalso das Tier rechts, d.h. fistel- seitig, langsamer gekaut. Weiter untersuchten wir, indem wir die Kieferschläge, die zur Bildung der Bissen nötig waren, und die Bissen selbst zählten, die Beziehungen zwischen Zahl der abgeschluckten Bissen und Anzahl der zu ihrer Entstehung nötigen Kiefer- schläge. Es ergab sich folgendes: Versuch 2. Beim Rechtskauen (Dauer 24 Minuten, davon beobachtet 18 Mi- nuten mit 26 Bissen 1138 Kieferschläge) in 2 Minuten durchschnittlich 2,9 Bissen mit je 43,8 Kieferschlägen; beim Linkskauen (38 Minuten, 62 Bissen, 2504 Kiefer- schläge) 3,26 Bissen mit je 40,4 Kieferschlägen pro Bissen. Versuch 4. Beim ersten Linkskauen (48 Minuten, 80 Bissen, 3251 Kiefer- schläge) 3,33 Bissen mit je 40 Kieferschlägen, beim Rechtskauen (24 Minuten, 25 Bissen, 1606 Kieferschlägen) 2,08 Bissen mit je 60 Kieferschlägen und beim folgenden abermaligen Linkskauen (16 Minuten, 22 Bissen, 1124 Kieferschläge) 3,67 Bissen mit 51 Kieferschlägen. Zum Studium der Speichelsekretion. 1. 15 Versuch 5. Beim ersten Rechtskauen (8 Minuten, 9 Bissen, 505 Kiefer- schläge) 2,25 Bissen mit 57 Kieferschlägen pro Bissen, beim folgenden Links- kauen (22 Minuten, 31 Bissen, 1484 Kieferschläge) 2,32 Bissen mit 48 Kiefer- schlägen und beim abermaligen Rechtskauen (8 Minuten, 12 Bissen, 497 Kiefer- schläge) 3 Bissen mit je 41 Kieferschlägen. Mit Ausnahme des letzten kurzen Rechtskauens (Versuch 5), in dem übrigens dem Tiere zu anderen Zwecken ein mit Wasser stark angefeuchtetes Heu vorgelegt war, sind die Ergebnisse eindeutig. Beim Linkskauen, bei dem also das Sekret der linken stark sezernierenden Parotis in die Mundhöhle gelangte, wurdenin der gleichen Zeit mehr Bissen und mit weniger Kieferschlägen gebildet als beim Rechtskauen, bei dem die Bissenbildung durch Sekretmangel erschwert war. Wenn das richtig ist, so mußte bei Ableitung auch des Sekretes der anderen Parotis die Bissenbildung und das Kauen noch mehr verlangsamt sein. Das ist auch der Fall; denn als wir dem Tiere auch noch eine temporäre linksseitige Fistel angelegt hatten, kaute esin Versuch 6 rechts 20 Minuten, machte dabei in 2 Minuten 107,5 Kie- ferschläge und bildete dabei 1,8 Bissen, benötigte also pro Bissen 60 Kieferschläge. Nun würde noch die Größe der Bissen selbst zu berücksichtigen sein. Wir haben zu diesem Zwecke die in einigen Perioden der Versuche 4 und 5 aufgenom- menen Heumengen ermittelt und durch die ihnen entsprechende Bissenzahl divi- diert. Bei Versuch 4 ergab sich dabei bei der ersten Linksperiode ein Durchschnitts- gewicht von 19 g, in der folgenden Rechtsperiode dasselbe Gewicht. Bei Versuch 5 ergab sich in der Linksperiode ein Durchschnittsgewicht von 16 g, in der folgenden Rechtsperiode ein solches von 15 g. Weitere Bestimmungen standen nicht zur Ver- fügung. Differenzen bezgl. der Bissengewichte bestehen also kaum. Die Bissen dürften in Wirklichkeit regellos, etwa zwischen 15 und 22 gschwanken. Wir haben auch versucht, bei Pferd 1 diese Frage durch direkte Wägung der Bissen (Oeso- phagusfistel) zu klären, doch versagte das Tier. Wir können somit die Bissengröße als unabhängig von der Kauseite außer acht lassen und uns dann folgendes Bild von dem Einfluß der Kauseite machen. Das Pferd kaut rechts auf der Fistelseite bei Verlust des reichlichen kauseitigen Speichels langsamer, bildet weniger Bissen in gleicher Zeit und braucht zur Bildung eines Bissens durchschnittlich mehr Kiefer- schläge. Beim Linkskauen (kauen auf der Gegenseite), wenn ihm also der reichliche kauseitige Speichel zur Verfügung steht, kaut es schneller, schluckt in der Zeiteinheit mehr Bissen, die es mit weniger Kiefer- schlägen bilden kann, ab. Hieraus ergibt sich, daß beim Rechtskauen die Einspeichelung behindert sein muß. Nun wird man aber trotz allem einem solchen Schluß nicht unbedingt zu- stimmen können, da noch ein Einwand besteht, nämlich der, daß es sich einfach um Folgen der Fisteloperation handele, die das Tier zu einer schonenden Benutzung (langsamer und weniger energisch) der operierten Seite veranlaßt. Da die einzig entscheidende Instanz, das Versuchstier, sich leider nicht befragen läßt, ist die Beantwortung sehr schwer; denn selbst wenn die Heilung vollzogen ist, können ja immerhin Zerrungen beim Kauen an der Narbe dem Tiere Unbehagen verursachen. Andererseits sahen wir bei unseren Tieren beim fistelseitigen Kauen rauher Nah- rung, wie mühselig ihnen das Abschlucken wurde und besonders bei Versuch 6 mit Doppelfistel, daß das Tier mit großer Gier fraß, aber nur kleine Mengen auf- nehmen konnte, da ihm das Abschlucken ungemein erschwert war. Hier war sicher 16 A. Scheunert und A. Trautmann: ein Sekretmangel die Ursache; auch Colin. c. fand das gleiche. Andererseits kaute das Tier bei diesem Versuch nur rechts und war nicht zum Linkskauen zu bewegen, also war es doch wohl links durch die frische Operation stark behindert. Gegen eine Behinderung durch die permanente Fistel, die monatelang vor und während des Versuches bestand, scheinen noch die Beobachtungen über die pro 2 Minuten getanen Kieferschläge zu sprechen. Wir fanden da bei Versuch 4 gar keine, bei Versuch 2 größere, bei Versuch 5 keine Unterschiede. Bei einer regel- mäßigen Schmerzempfindung mußte Gleichmäßigkeit bestehen. Auch der Vergleich der Anzahl der Kieferschläge, die bei jedem Bissen nötig waren, spricht dafür. Sie schwankten nämlich beim Linkskauen sehr geringfügig. Beliebig herausgegriffen z. B. Versuch 2in der 27.—33. Minute: 30, 43, 32, 36, 15, 31, 36, 35, 21, 37. 38, 52, 42, 39, 35, 47,40, 40,40 und bei Versuch 5 in der 8.—16. Minute: 33,48, 41, 39, 40, 43, 44, 32, 29, 69, 44,26,41,26. Beim Rechtskauen ist es anders. Die Schwankungen sind viel größer; neben Bissen mit kleiner, dem Linkskauen entsprechender Schlagzahl, treten häufig Bissen mit sehr hoher Schlagzahlauf. Aufihnen beruht der höhere Mit- telwert z. B. Versuch 2 in der 1.—10. Minute 19, 30, 50, 40, 15, 65, 95, 49, 36, 42, 36, 34, 60, 23, 16, 26, 31, 108, 41, 36 und Versuch 5in der 1.—8. Minute 62, 41, 82, 37, 96, 51,58, 32,46. Das läßt sich wohl nur aus Mangel an Sekret erklären, bei Behinde- rung der Kieferbewegung wäre eine durchschnittliche Erhöhung zu erwarten. Alles in allem wird man nicht leugnen können, daß bei Ableitung des kauseitigen Parotidenspeichels eine Behinderung der Einspeichelung besteht. Das Tier reagiert hierauf auch dadurch, daß es allmählich immer mehr die linke Kauseite bevorzugt. Die Kauperioden auf der Fistelseite werden immer seltener und kürzer. Wir vermögen danach nicht anzunehmen, daß etwa die Drüsen, deren Sekret nicht abgeleitet wird, den Ausfall der fistelseitigen Drüse zu ersetzen vermögen. Das ist für die Beurteilung der Versuche von Wichtigkeit, da nach der Pawlowschen Schule beim Hund der Aus- fall einer Drüse keinen Einfluß auf die Nahrungsaufnahme ausübt. Für das Pferd gilt das nach obigem sicher nicht; ihm fehlt der verloren gehende Parotidenspeichel, deshalb vermag es nicht so viel Nahrung aufzunehmen und schluckt mühsam ab. Dadurch aber kommt der ganze Sekretionsverlauf in Unordnung. Das fistelseitige Längerkauen bewirkt eine längere und stärkere Reizung des rezeptorischen Apparates der Mundhöhlenschleimhaut, deren Folge sowohl eine quantitativ als qualitativ veränderte Arbeit der sämtlichen Drüsen sein muB. Damit erhalten aber alle Beobachtungen, die sich auf die feineren Einzelheiten erstrecken, eine fragwürdige Gültigkeit. Es ist dann auch ziemlich gleichgültig, ob etwa durch die Fisteloperation Veränderungen in der Kauweise bedingt werden, die ihrerseits wieder Einflüsse auf die Dauer der mechanischen Reizung der Mundhöhlenschleimhaut haben müssen. Die Sekretion bei einem Fistelpferd ist eben von der Norm abweichend. Wir werden uns mit dieser Feststellung noch weiter unten auseinanderzusetzen, insbesondere festzustellen haben, ob dies im histologischen Bau der Drüse zum Ausdruck kommt. Für unsere jetzige Betrachtung ist zu entnehmen, daß alle feineren Ver- änderungen mit Zurückhaltung aufzunehmen sind. Zum Studium der Speichelsekretion. TI. 17 Wir hatten weiter oben einwandfrei festgestellt, daß die Tätigkeit der Parotiden beim Pferd mit der Kauseite wechselt. Pferd 3 sezernierte beim Rechtskauen aus der rechten Drüse in 20 Minuten 836 ccm, aus der linken gleichzeitig nur 308 ccm. Bei einem Erklärungsversuch wird man unwillkürlich auf die alte Ansicht verwiesen, daß die Kau- bewegungen dafür verantwortlich zu machen sind. Bei unserem Pferd. mit permanenter Fistel wird man noch darin bestärkt durch die Beobachtung, daß der Speichel schußweise, beinahe rhythmisch aus der Papille herausspritzte. Man denkt dabei unwillkürlich an ein Massieren und Auspressen der Drüse, etwa wie beim Melken. Die Sache liegt aber anders. Tatsächlich ist das Spritzen vom Kauen abhängig, hat aber mit der Sekretion selbst nichts zu tun. Führt man nämlich in die Papille der permanenten Fistel eine Kanüle ein, so strömt der Speichel kontinuierlich aus. Ebenso fließt er aus der temporären Fistel ohne Unterbrechung ab, daher kommt es auch, daß weder Colinnoch Ellen- berger, die mit temporären Fisteln arbeiteten, das Spritzen beschreiben. Wir erklären uns den Vorgang so, daß der Speichel unter dem Sekretions- druck im Speichelgang steht, die Papille aber geschlossen ist. Erst wenn in einer bestimmten Phase der Kaubewegung dieselbe erweitert wird, kann der Speichel austreten und tut dies dann solange, bis die Papille wieder geschlossen wird. Öffnen und Schließen erfolgt rhyth- misch, und zwar Öffnen, wie wir ziemlich sicher beobachtet zu haben glauben, dann, wenn der Unterkiefer abgezogen ist. Wir betrachten dieses Öffnen und Schließen als einen durchaus passiven Vorgang, an dessen Zustandekommen sich die Kaubewegung und evtl. der Druck im Speichelgang beteiligen. Wir können nicht entscheiden, ob bei der normalen Lage der Papillen im Munde ein solches Spritzen auch statt- findet. Hat nun das Kauen etwas mit der Sekretion sonst zu tun? In dem Sinne, daß es die Drüse zur Sekretion anregt, sicher nicht. Leer- kauen (z. B. auf einem Holzstab) verursacht keine Sekretion der Paro- tiden. Auch bei einem fressenden Tier hört beim Einstecken eines Holzstabes in die Mundhöhle die Sekretion der Parotis auf. In dieser Richtung verhielt sich also das Pferd genau so wie der Hund (Pawlow) und Mensch (Colin). Die Ursache der Mehrsekretion der kauseitigen Parotis kann danach nur auf Innervationsverhältnissen beruhen, und zwar, wie wir glauben, auf vermehrter Reizaufnahme auf der Kauseite (dort befindet sich ja beim Kauen die Hauptmasse der Nahrung). Die sich hieraus ergebenden nervenphysiologischen Folgerungen be- dürfen der experimentellen Bestätigung, die wir vorgesehen haben. 3. Sekretionsverlauf und Speichelbeschaffenheit. Nachdem wir uns im vorstehenden über die Verhältnisse klar ge- worden sind, denen die Parotidensekretion bei einem Fistelpferd unter- Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 9) 18 A. Scheunert und A. Trautmann: liegt, wollen wir uns noch einen Überblick über den gesamten Verlauf der Sekretion zu bilden versuchen. Wir betrachten zunächst drei Versuche mit Heufütterung von Pferd 2, wobei beim ersten Versuch zuerst rechts, bei den beiden anderen zuerst links gekaut wurde. Versuch Nr. 12 am 5. IV. 1911. Eine beliebige Quantität Heu nach ca. 17 Stunden Hungerns. Erster Speichelschuß nach 12 Sekunden —= 16 Kieferschlägen. Zusammensetzung DAR Speichelmenge Aufgenommene - Zeit in in 5 Min. Kaute Futtermenge Trocken- Stickstoff substanz Min. ccm g 0/5 ze — — on MH 15 | 251 rechts 50 0,795 0,049 6—10 | 2a) 55 60 0,750 0,041 11—15 | 239 “ 50 0,815 0,035 16-20.) 244 35 50 0,730 0,042 21—25 219 En 50 0,710 0,048 26—30 223 = 60 0,740 0,048 31—35 227 >, 60 0,740 0,042 36—40 | 249 PR 50 0,700 0,035 41—45 | 197 ;, 60 0,710 0,048 46—50 | 77 links 90 0,745 0,091 51—55 | 47 3 50 0,730 0,091 Versuch Nr. 19 am 19. V. 1911: Eine beliebige Menge Heu nach 3 Stunden Hungerns. 1. Schuß nach 13 Kieferschlägen. ae Zusammensetzung Zeit in Speichel- 3 = menge | Kaute en Asche Stickstoff Chlor Min. ccm En ur un In 1—5 79 links 0,570 0,310 0,046 0,106 5—10 39 5, 0,570 0,255 0,045 0,060 11—15 718 5 0,530 0,185 0,045 0,057 16—20 75 5 0,580 0,275 0,045 0,06 «Es wur- 21—25 66 = 0,575 0,295 0,050 0,050 de frisches 26—31 60 BE 0,650 0,350 0,053 0,057 Heu vor- 31—35 62 se 0,665 0,260 0,056 0,046 gelegt. 36-40 | 57 En 0,580 0,275 0,06 0,043 41—45 | 55 Br 0,625 0,325 0,059 0,039 46—50 | 67 & 0,635 0,305 0,059 0,046 51—55 50 = 0,685 0,415 0,060 0,039 56—61 51 „ 0,680 0,415 0,063 0,039 62 55 rechts | 0,655 0,400 0,038 0,184 63 53 se 0,625 0,315 0,039 0,163 64u.65 | 100 D 0,625 0,410 0,039 0,184 66 u. 67 | 87 N 0,610 0,400 0,041 0,149 68 u. 69 79 ar 0,580 0,345 0,041 0,117 70u.71 s0 a. DDR ETS 102 En 0,595 0,370 0,048 0,184 |«Es wur- 74 u.75 100 A 0,580 0,405 0,041 0,17 de fr. Heu 76u.77 94 ar 0,550 0,520 0,042 0,125 |vorgelegt. Zum Studium der Speichelsekretion. I. 19 Versuch Nr. 20 am 21. VI. 1911. Heu. Das Tier trank vor dem Versuch ca. 6 1 Wasser. 1. Schuß nach 18 Kiefer- schlägen. Zeit in ee Kaute en | Asche Chlor | Stickstoff | Fraß Min. ccm % %, % Yo g 15 | 29) | links 0,740 0,270 0,035 0,066 | 110 610.746. | is 0,705 0,305 0,035 0,052 70 | (a SA 1—15 | 50 | rerschtize 0,700 0,335 _ 0,055 70 rechts 1622019547 | nurdlinks | 01715 0,285 | ..— 0,056 | 80 21—25 36. | 5 0,765 0,335 | 0,032 0,057 70 26-30 | Su a ” 0,685 0,300 | 0,028 0,062 90 3I- 35. | 7507 | % — | 5 — 60 36—40 | 45 | n 0,615 0,290 | 0,028 0,063 so 41—45 | su 3; — —_— | —_ 80 46—50 | 55. | A 0,655 0,265 | 0,025 0,064 70 55 | 4 \ a — u _ 90 56608500 | « 0,670 0,270 0,025 0,067 70 6165 | 35 5 — | —_ 90 6-70 2 | " 0,680 0,130 | 0,021 0,068 70 71u.72 | 35 | rechts — | — — | — 30 23715 | 137 \, 0,610 0,245 0,099 0,036 20 76—80 | 271 In 0,635 0,355 0,114 0,034 20 81-84 | 128 h 0,585 | 0,350 0,099 0,034 10 Die Speichelmenge ist in der besprochenen Weise von der Kauseite abhängig; weiter aber bemerken wir, daß mit der Dauer die Speichel- menge zwar eine Neigung zur Verminderung zeigt, aber doch ein deut- liches Absinken vermissen läßt. Dementsprechend sind die in gleicher Zeit gefressenen Heumengen auch ziemlich konstant. Die Trocken- substanz des Speichels sinkt beim Rechtskauen deutlich ab (Versuch 12, 19, 20), nimmt hingegen beim Linkskauen bei Versuch 19 zu, bei Ver- such 12 und 20 hingegen ab. Asche, N und Chloride zeigen ähnliche, aber nicht übereinstimmende Schwankungen. Hier gibt es also scheinbar keine Regelmäßigkeiten. Ebenso zeigen die Versuche unter sich bezüglich Menge und Zusammensetzung des Speichels keine Übereinstimmung. Wohl aber bemerken wir einen scharf ausgedrückten Wechsel in der Zusammensetzung des Sekretes beim Wechsel der Kauseite, der bei allen Versuchen deutlich und gleichmäßig erfolgt. Der kauseitige Speichel ist sehr viel ärmer an Eiweiß (fast die Hälfte), sehr viel reicher an Chloriden (fast das Dreifache) und reicher an Asche, was allerdings bei Versuch 19 nicht so deutlich zum Ausdruck kommt, aber eine Folge des reichlichen Chloridgehaltes sein muß. Das sind doch sehr interessante Beziehungen. IF 20 Ä. Scheunert und A. Trautmann: Weiter geben wir 3 Versuche mit Gras, welche einerseits den Einfluß des Appetits, andrerseits das Verhalten bei einseitigem Linkskauen zeigen. Versuch Nr. 22 am 2. VII. 1911 mit frischem Gras nach ca. 12 Stunden Hungerns. 1. Schuß nach 13 Kiefernschlägen. Es kaute durchweg links. REN: Speichelmenge Fraß in ee | A 5 Minuten 5 Minuten ccm 8 1—5 Ik7/ ? 6—10 B} 210 10—15 1 140 16—20 |) 1 | 130 21-25 |einige Tropfen | 120 26—30.::| 45, % 120 31—35 || , 3 150 36—40 | 16 ? Vorher trank das Tier ca. 3 Liter H,O. ! | Versuch Nr. 23 am 4. Juli mit Gras, das seit dem 2. Juli gelegen hat; nach 15 Stunden Hungerns. Vor dem Versuch trank das Tier ca. 21 Wasser. || Speichel- Zusammensetzung Zeit in | ae | Kaute Trocken- Asche Stick- Chlor a 1 substanz ; stoff Min cem g g In en g 1—5 110 links 0,985 0,350 0,096 0,072 400 6—10 112 25 0,980 0,210 0,102 0,106 300 11—15 95 „5 0 900 0,250 0,101 0,057 250 16—20 | 97 5, 0,910 0,260 0,10 0,060 300 21—25 70 ae 0,940 0,210 0,106 0,046 250 26—30 100 s 0,950 0,245 0,110 0,043 400!) 31—35 s0 5 0,960 0,215 0,113 0,039 320 36—40 72 es 0,970 0,210 0,116 0,036 320 Versuch Nr. 24 am 7. Juli von demselben Gras wie bei Versuch am 2. und 4. Juli 1911. Vorher 16 Stunden Hunger. Das Tier fraß mit sehr großem Appetit. 1. Schuß nach 5 Kiefernschlägen. | Speichel- RES Zusammensetzung an Zeit in er in Kaute Mrocken: Ne Stick- Chlor 5 Min. R substanz stoff Min. ccm g g % ER g 1—5 290 rechts 0,865 0,315 0,056 0,12 290 6—10 308 En 0,910 0,320 0,057 0,13 260 11—15 318 55 0,825 0,345 0,051 0,15 250 16—20 274 5 0,785 0,385 0,006 ? 250 20—25 307 3 0,885 0,335 0,057 0,15 300 26—30 285 > 0,840 0,445 0,059 0,13 270!) 31-35 259 1 0,830 0,380 0,06 0,13 280 36—40 140 links 0,905 0,385 0,082 0,07 330) 41—45 85 = 0,830 0,230 0,087 0,05 270 46—50 94 = 0,820 0,230 0,088 0,04 270 !) Es wurde frisches Gras vorgelegt. Zum Studium der Speichelsekretion. I. 2 Bei Versuch 22 war das Gras frisch. Das Tier hatte während 12 Stun- den vorher nichts gefressen, hatte aber trotzdem keinen Appetit. Es kaute links und sonderte rechts eine ganz geringe Speichelmenge ab, fraß auch relativ geringe Quantitäten. Analysen wurden nur von der ersten und letzten Portion ausgeführt; sie zeigten eine sehr hohe Trocken- substanz (1,670 und 1,920%) und Eiweißgehalt (0,19 und 0,24%), der Speichel war also sehr konzentriert. Am übernächsten Tage erhielt das Tier dasselbe, nun etwas angewelkte Gras nach 15 Stunden Hunger. Es fraß mit viel größerem Appetit, speichelte viel mehr und nahm mehr auf. Auch dieser Speichel war relativ reich an Trockensubstanz (0,89 bis 0,985%) und Eiweiß (vgl. Tabelle). Nach 25 Minuten wurde dem Tiere eine neue Grasportion vorgelegt, an die es sofort mit lebhaftem Appetit heranging; als Folge sahen wir die Speichelmenge und die aufgenommene Futtermenge auf den Anfangswert steigen. Wir erblicken hierin ein sehr schönes Beispiel für die Wirkung von Geruch und Geschmack, die das Tier veranlassen, die angenehmere neue Portion lebhafter an- zufassen ; deshalb wird mehr aufgenommen, also rascher gekaut und ab- geschluckt, also auf verstärkte mechanische Reizung folst stärkere Sekretion. Von einer psychischen Sekretion vermögen wir auch hier nichts zu erblicken. Beim letzten Versuch erhielt das Tier das nunmehr 5 Tage alte Gras nochmals nach 16 Stunden Hungerns. Es kaute hier zuerst rechts, speichelte dementsprechend viel mehr. Es fraß aber auch nach Angabe des Protokolls mit großem Appetit und nahm deshalb trotz Rechts- kauens relativ große Mengen auf, die viel größer waren, als z. B. die bei Versuch 1 aufgenommenen. Eine neue Grasportion wurde nach 30 Minuten vorgelegt, verursachte aber eine vermehrte Aufnahme nicht. Der Rechtsspeichel enthielt, wie schon bei den Heuversuchen, gegenüber dem Linksspeichel mehr Asche, weniger Eiweiß, mehr Chloride. Der Wechsel der Eigenschaften erfolgte prompt. Wir führen noch 2 Haferversuche an (S. 22). Wir sehen bei Versuch 15 die rapide Abnahme der Speichelmenge beim Linkskauen, die bei Heu und Gras nicht so deutlich auftritt. Es scheint hier so zu liegen, daß die Reize für die rechte Parotis beim Linkskauen hier nach einiger Zeit ganz ausbleiben. Im übrigen finden wir bezüglich der Zusammen- setzung nichts Charakteristisches, wohl aber die schon beschriebenen Unterschiede zwischen Rechts- und Linkskauspeichel. Wir könnten noch weitere Protokolle anführen, sehen aber davon im Hinblick auf die momentanen Druckschwierigkeiten ab. Wir be- merken, daß dieselben ganz entsprechende Ergebnisse zeigen. Ähnliche Versuche haben wir mit Pferd 3 ausgeführt, die ebenso verlaufen sind. Man kann auch da nur bezüglich der Zusammensetzung von Rechts- und Linkskauspeichel die gleichen Regelmäßigkeiten feststellen. In der 22 A. Scheunert und A. Trautmann : Versuch Nr. 15 am 10. IV. 1911. Vorgelegt wurden 5000 g Hafer nach 15 Stunden Hungerns. 15 Minuten vor Beginn des Versuchs trank das Tier ca. 11 Wasser. 1. Schuß nach 8 Sekunden. Speichelmenge n/ HCl auf Zeit in = : B Eu | in 5 Min. Kaute ı Fraß Be 1—5 238 rechts 0,056 170 2,35 6—10 91 links 0,080 320 3:0, 22811,.0059 11—15 64 x 0,097 320 2,65 16—20 52 e: 0,106 270 2,85 21—25 43 MN 0,111 270 2,95 26—30 3: & 0,133 230 215 31-35 23 55 0,136 260 2,8 36—40 3 " — 260 2,8 41—45 528 2; — | 260 3,0 46—50 5 2 = | 260 Ze 5bl==55 1 er — 260 — 56—60 als Bi — | 190 — 61—65 — er — | 210 = 6670 — " — 180 — 71—75 — “ — 170 — 76—80 — Er ven | 350 Er Versuch Nr. 18 am 10. V. 1911. 5000 g Hafer nach 17 Stunden Hungerns. 1. Schuß nach 16° = 19 Kieferschlägen. Zusammensetzung Re et us En Eur Av Asche Chlor | Stickstoff Min. %s %o % % | 5l links 0,905 0,300 0,02067 | . 0,12 6—10 46 ER 0,985 0,285 0,0213 0,118 11—15 39 R 1,075 0,280 0,0213 0,125 16—20 34 In 1,150 0,305- 0,0248 0,126 21—25 33 a 1,100 0,290 0,0248 0,139 26—30 26 Dr 1,125 0.295 0,02067 | 0,139 31-35 22 120.85, 1,205 0,285 0,0248 — 36—38 | 10 = 1,080 0,260 0,0284 — 39u.40 | 12) rechts 0,783 0,300 0,0781 0,078 445, * 36 links au =. 20.0248 16-50: 18 Be 1,110 0,260 |: 0,0218 | — 51—54 s er 1,240 0,220 | 0,0248 — 55—58 103 rechts 0,755 0,235 . 0,06035, 0,083 59—60 4 links — — — nn 61-63 11 nr — un — sur 64 u.65 | 62 rechts 0,3840 0,230 0,0497 0,094 folgenden Tabelle sind zum weiteren Beweis der Regelmäßigkeit diese Unterschiede die Ergebnisse des Versuchs 6 mit dem Pferd 3, das beider- Zum Studium der Speichelsekretion. 1. 29 seits Fisteln trug, zusammengestellt. Wir sehen auch hier: der Speichel aus der rechten kauseitigen Fistel ist reicher an Asche und Chloriden, aber ärmer an Eiweiß. Versuch 6, Pferd 3, am 2. Dezember 1919, Heu. Das Tier kaute durchweg rechts. Speichel aus der rechten Fistel Speichel ee der linken Fistel | Be | | 10°cem | & | | 10 ccm Zeit 18 2 , Asche cl N I!Sp.-verbr.| 3 2 Asche) CL. | N. |Sp.-verbr. |ga | |2/10H.50, = 2/40 H.SO, nal, ER %o °%o ccm nd cem 1125 —ı1a 9° |[0,794 |0,574|0,142 0,0263 | 7,32 10,797 0,4770, 0923 0, 0375| 6,28 119° —11% 15’ ||0,818 0,532 | 0,142 |0,0375 | 6,28 |0,754 10.0382] 6,23 11% 15°—11R 20° || 0,835 | 0,593 | 0,149 | 0,0305 | 6,85 10,808 0, 5000 vn 0375| 6,59 11% 20°— 11% 257 | 0,810 0.470 | 0,142 0,0305 | 6,33 [0,804 0 6,18 Futterwechsel 11» 25°—11% 35” || 0,812 | 0,484 | 0,149 | 0,0277 | 6,39 |0,728|0,428|0,09585 0,0319) 6,18 Diese Tabelle zeigt noch eine weitere Besonderheit, nämlich einen Unterschied der Alkalinität. Der kauseitige Speichel ist stärker alkalisch als der andere. Dieser Unterschied tritt ebenfalls regelmäßig zutage. Auch bei den Versuchen mit nur rechtsseitig permanenter Fistel ist die Alkalinität des Speichels bei fistelseitigem Kauen am höchsten, z.B. wurden zur Neutralisation von je 10 ccm Speichel bei Pferd 3, Versuch 5 verbraucht: rechts 6,27; links 4,69; rechts und links 5,19; rechts 5,68 und 6,17 ccm "/,.HsSO, . Versuch 2 Rechtskauen (12 Por- tionen in 24 Minuten gesammelt), verbraucht pro 10 ccm Speichel 6,82 bis 6,32, dann 49 Minuten Linkskauen (5 Portionen gesammelt) 4,64 bis 5,24 ccm "/,o- HS, - Insgesamt haben wir während der Versuche bei Pferd 1 ca. 140, bei Pferd 2 ca. 160, bei Pferd 3 ca. 50 einzelne Speichelproben auf ihre Zusammensetzung untersucht, aus denen die angeführten Ergebnisse nur als Beispiele herausgegriffen sind. Es sei betont, daß eine gemein- same Betrachtung aller dieser Ergebnisse weitere Einblicke nicht ge- stattet. Insonderheit kann man nicht etwa davon reden, daß die Zu- sammensetzung des Speichels von der Art der Nahrung eindeutig und charakteristisch beeinflußt wird. Es ist demnach nicht so, daß man aus der Zusammensetzung des Speichels auf die Nahrung schließen, also von einem charakteristischen Heuspeichel, Haferspeichel usw. reden kann. Die Zusammensetzung schwankt, von der Einflüssen der Kau- seite abgesehen, nach Dauer, Geschwindigkeit, Appetit u.a Schlüsse sind allenfalls nach den obigen Unterschieden auf die Kauseite mög- lich und auch da bedenklich. Immerhin bieten die zahlreichen Bestimmungen eine Unterlage für die Beurteilung der Zusammensetzung des Parotidensekretes. 24 A. Scheunert und A. Trautmann: Dieses ist danach eine nicht schleimige, tropfbare Flüssigkeit von deutlich alkalischer Reaktion. Sie ist eine der wasserreichsten Sekrete des Tierkörpers mit einem spez. Gew. von 1,005 bis 1,007. Der Wassergehalt beträgt 99,5 bis 98,7%, meist 99,35 bis 99,2. Die Trocken- substanz besteht etwa ein Drittel bis zur Hälfte aus anorganischen Bestandteilen (Chloriden, Karbonaten | Reaktion !]), besitzt also einen Aschegehalt von 0,22 bis 0,5%. Die Alkalinität beträgt auf Na, CO, umgerechnet 0,23—0,32%. Die ersten Portionen des Speichels nach Sekretionsbeginn sind durch zellige Elemente getrübt, später ist der Speichel wasserklar. Er trübt sich aber beim Stehen bald (CaCO,). Besonders interessiert noch der Gehalt an Diastase. Wir fanden bei keinem der 3 Pferde diastatische Wirkung, bestätigen also die diesbezüglichen Befunde von Ellenberger und Goldschmidt. Histologische Untersuchung der Parotiden. Die Parotiden der zu vorstehenden Untersuchungen verwendeten Pferde wurden nach deren Tötung einem genauen histologischen Stu- dium unterworfen, das sich sowohl auf die intakten wie auf die Fistel- drüsen erstreckte. Über den normalen Bau der Speicheldrüsen der Haussäugetiere und damit auch der Parotis des Pferdes sind wir sehr genau durch die Untersuchungen Ellenbergers und seiner Schüler unterrichtet. Die einschlägigen Verhältnisse sind besonders eingehend in dem Handbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie der Haustiere von Ellenberger (Bd.III, 1911) dargestellt. Wir können uns deshalb bezüglich des Baues der Speicheldrüsen mit dem Hinweis auf dieses ausführliche Werk begnügen und nur anführen, daß die Ohrspeicheldrüse des Pferdes alle Eigenschaften, die eine seröse Drüse (z. B. die Parotis des Menschen) charakterisieren, besitzt. In den allermeisten Fällen sind bezüglich der Größen-, Dicken- und Ge- wichtsverhältnisse und des Aussehens die Parotiden der beiden Seiten einander gleich. Ist das nicht der Fall, so sind die Unterschiede, die unmittelbar eigentlich nur in den Gewichtsverhältnissen zu erkennen sind, unter normalen Verhältnissen ganz geringfügige. Es handelt sich im wesentlichen dann um Differenzen, die zwischen 1 bis 3 g schwanken. Bevor wir auf die eigentliche Beschreibung der strukturellen Ver- hältnisse der Parotiden der Versuchspferde eingehen, mag bemerkt werden, daß ganz im Gegensatz zu den später zu behandelnden Ver- hältnissen bei Schafen und Ziegen sowohl in klinischer Hinsicht wie auch bei der stets vorgenommenen und sorgfältig ausgeführten Sektion bemerkenswerte Abweichungen von dem normalen Verhalten bei den in Frage stehenden Versuchspferden uns nicht entgegengetreten sind Insbesondere wurde das Anlegen bzw. Bestehen der Fisteln gut ver Zum Studium der Speichelsekretion. I. 25 tragen und hatte keinen Einfluß auf den Habitus der Pferde, mit Aus- nahme der bereits vorn erwähnten und näher geschilderten Alterationen beim Kauakte, bei der Bissenbildung usw. (s. S. 12). Bemerkens- wert scheint nur noch der Umstand, daß sämtliche zu den Versuchen ver- wendeten Pferde gleichen Schlages waren. Es handelte sich um leichte Militärpferde, bei denen 7 bzw. 12 Monate die Parotisfisteln bestanden. In makroskopischer Hinsicht konnte an den Parotiden der drei Versuchspferde festgestellt werden, daß die Fisteldrüsen, wie wir die Parotiden mit nach außen gelegter Papilla salivalis kurz nennen wollen, in jedem Falle weißgrau erschienen, während die gegen- seitigen Drüsen stets eine rotgraue Farbe, wie sie bei normalen Ohr- speicheldrüsen immer gefunden wird, besaßen. Ein weiteres makro- skopisches Merkmal war, daß wir nach der Tötung bei Pferd 1 und 2 an der Fistelparotis ein wesentlich geringeres Gewicht festzustellen vermochten als an der fistelfreien Ohrspeicheldrüse. Bei Pferd 1 betrug das Gewicht der Fistelparotis 158 g nach ca. 7 monatlichem Bestehen der Fistel gegenüber 214 g der korrespondierenden Ohrspeicheldrüse. Bei Pferd 2 waren die Unterschiede noch erheblicher. Hier stand nach ca. 12 monatlichem Bestehen der Fistel an der Fistelparotis ein Gewichtswert von 131,5 g einem solchen von 203 g der normalen ÖOhrspeicheldrüse gegenüber. Die Parotiden von Pferd 3 hatten gleiches Gewicht (je 190 g). Die angegebenen Gewichte beziehen sich auf das reine Drüsengewebe ohne den Ductus parotideus. Ob das geringere Gewicht der Fistelparotiden im Falle 1 und 2 irgendwelchen Alterationen, vielleicht atrophischen Erscheinungen, im Drüsenparenchym zuzu- rechnen ist oder ob das größere Gewicht der nicht mit Fisteln ver- sehenen Parotiden als hypertrophische, durch kompensatorische Funk- tionssteigerungen veranlaßte Erscheinung zu bewerten ist, wird aus den folgenden Darlegungen klar und deutlich zu erkennen sein. An dieser Stelle mag aber bemerkt sein, daß bei genauer Betrachtung der Gewichtsverhältnisse der einzelnen Drüsen ein kompensatorisches Eintreten der fistellosen Ohrspeicheldrüse für die Fistelparotis im Fall 1 und 2 nicht in Frage kommen kann. Wie die Angaben der einschlägigen Veterinäranatomien und auch unsere eigenen Beobachtungen lehren, bewegt sich das Gewicht der normalen Parotis zwischen 200 bis 225 g. Diesen Werten entsprechen vollkommen die Gewichte der nicht mit Fisteln versehenen Parotiden in den oben angeführten Fällen. Wollte man an eine kompensatorische Hypertrophie dieser Drüsen glauben, so müßten folgerichtig wesentlich höhere Gewichte festzustellen sein. Das ist aber nicht der Fall. Andrerseits trifft man normalerweise in keinem Falle so niedrige Parotidengewichte, wie sie sich an den Fistel- parotiden fanden. Es liest also unter Berücksichtigung dieses Gesichts- punktes näher, an Störungen im Aufbau der Fistelparotiden zu glauben, 26 A. Scheunert und A. Trautmann: [47 als ein kompensatorisches Eintreten der fistellosen Ohrspeicheldrüse für die ausgefallene Funktion der Fistelparotis anzunehmen. Inter- essant ist, daß die Parotis mit am längsten bestehender Fistel (Pferd 2) im Gewichte wesentlich niedriger war als die nach kürzerer Zeit unter- suchte Fistelparotis (Pferd 1). Dieser Umstand dürfte immerhin die Annahme berechtigt erscheinen lassen, daß mit der Länge der Zeit nach Anlegung einer Fistel eventuelle Störungen im Drüsenparenchym an Intensität und Umfang zunehmen. Selbstverständlich hatten die geringeren Gewichtsverhältnisse der Fistelparetiden auch Einfluß auf die Gestalts-, Größen- und Dickenverhältnisse der Drüsen, während die jeweilig korrespondierenden Ohrspeicheldrüsen nach dieser Rich- tung sich nicht von normalen Drüsen unterschieden. Es ist jedoch wichtig festzustellen, daß die betreffenden Ohrspeicheldrüsen nicht in toto verändert waren, sondern nur in ganz bestimmten Partien Ab- weichungen vom normalen Verhalten aufwiesen. Im wesentlichen zeichneten sich an den Fistelparotiden die der Insertion des Ductus parotideus benachbarten Abschnitte wie auch vereinzelt mehr zentral gelegene kleine Herde durch alteriertes Aus- sehen in mehr oder weniger starker Ausdehnung aus. An die Stelle des an sich derben Drüsenparenchyms war eine gelblich weiße, sulzige Substanz, in der noch einige festere, sehnig erscheinende Herde zu er- kennen waren, getreten, ohne daß Teile des ausführenden Apparates, wie sie im allgemeinen auf Parotisquerschnitten an ihren Lumina zu beobachten sind, besonders deutlich sich erkennen ließen. Die histologische Untersuchung der Parotiden der drei Versuchs- pferde ergab an den nicht mit Fisteln versehenen Ohrspeicheldrüsen keinerlei Befunde, die etwa auf hypertrophische oder sonstige abnorme Zustände hindeuteten. Sie unterschieden sich durch nichts von der Struktur normaler Drüsen. Auch der ausführende Apparat einschließ- lich des Ductus parotideus zeigte keine Besonderheiten. Dagegen be- obachteten wir an den Fistelparotiden von Pferd 1 und 2 Alterationen intensiverer Natur. Diese fanden sich an den bereits im makroskopi- schen Abschnitt näher bezeichneten Stellen. Um ein Bild über die Größe und Ausbreitung der Veränderungen in einer Fistelparotis des Pferdes sich zu verschaffen, ist es nötig, von möglichst zahlreichen Stellen Schnitte anzufertigen. Trotzdem wird es bei einem so großen Organ, wie es die Ohrspeicheldrüse des Pferdes ist, immer schwierig sein, die In- und Extensität von Veränderungen genauestens zu be- stimmen wegen der Unmöglichkeit, das Organ in Serienschnitte zu zerlegen. Es wird deshalb nicht zu vermeiden sein, Teile der Drüse ununtersucht zu lassen. In der Gegend des Austritts des Ductus parotideus aus der Ohr- speicheldrüse, also dort, wo die größeren Sekretgänge sich zu dem extra- Zum Studium der Speichelsekretion. 1. 27 En glandulären Ausführungsgange vereinigen, hat das Gewebe der Fistel- parotiden, wie bereits oben erwähnt, makroskopisch betrachtet, sulzige Beschaffenheit. Dieses so charakterisierte Gewebe nimmt die genannte Gegend in zusammenhängender Form ein und erstreckt sich von hier aus nach den zentralen Abschnitten der Drüse, indem erst wenig, dann reichlicher als normal anzusprechendes Drüsenparenchym sich zwischen dieses lagert und endlich ganz an seine Stelle tritt. Bei Pferd 2 waren diese Verhältnisse schwächer als bei Pferd 1 ausgesprochen. Mikroskopisch verhielten sich die Strukturverhältnisse aber in ihrem Abb. 1. Infolge permanenter Fistel veränderte Parotis (Photographie). Wesen ganz gleichartig. In dem mehr zusammenhängenden Gewebs- komplex waren die baulichen Eigentümlichkeiten einer Öhrspeichel- drüse nicht mehr zu erkennen (Abb. 1). Durch massenhaftes Auf- treten von wenig vaskularisiertem Bindegewebe ist das eigentliche Drüsenparenchym bzw. das aus diesem entstandene Gewebe vollkommen zurückgedrängt. Der in der normalen Drüse scharf ausgesprochene Läppchencharakter ist hier fast ganz verschwunden und nur stellen- weise angedeutet, so daß eine strenge Scheidung zwischen inter- und intralobulärem Gewebe nicht mehr möglich ist. Das an Stelle des inter- parenchymatösen Bindegewebes sich findende Gewebe besteht aus locker gebauten, flächenhaft ausgebreiteten kollagenen Faserbündeln, zwischen denen zahlreiche mit körnigen Gerinnseln erfüllte Spalträume liegen. In der Nachbarschaft der gleich zu schildernden restierenden 28 A. Scheunert und A. Trautmann: Drüsenendstücke und ausführenden Teilen immt das Bindegewebe einen kompakteren dichtgefügten Charakter an, indem es sich in konzentri- scher Schichtung und oft erheblicher Dicke um diese wie eine fibröse Hülle lest. Das zwischen diesem so angeordneten Bindegewebe liegende kollagene Gewebe ist außerordentlich kernreich und von zahlreichen Leukocyten durchsetzt. Normale Endstücke waren in diesem Teil der Fistelparotiden nicht mehr nachzuweisen. Auch die Zahl der in dem jeweiligen mikroskopi- schen Schnitte anzutreffenden modifizierten Drüsendurchschnitte war gegenüber den normalen Verhältnissen außerordentlich vermindert. Während bei intakten Drüsen Endstück neben Endstück nur durch wenig intralobuläres Bindegewebe getrennt nebeneinander liest, sind hier die im Gegensatz zu normalen Drüsenstücken mit deutlichen Lumina versehenen Durchschnitte durch mehr oder weniger zahlreiches Bindegewebe getrennt und infolgedessen weit auseinander gelegen. Es verdient gleich hier betont zu werden, daß in den untersuchten Fällen keine Stauung des Sekretes und eine dadurch bedingte über- mäßige Anhäufung desselben in den Endstücken etwa als Ursache der Abnormität bestanden haben kann; denn einmal hat, so oft und so lange wir die Fistel beobachteten, stets eine Absonderung von Sekret stattgefunden. Ferner hätten sich bei der mikroskopischen Unter- suchung in normalen Endstücken anderer oder benachbarter Abschnitte und im ausführenden Apparat Sekretmassen nachweisen lassen müssen. Das war jedoch nicht der Fall. Wir fanden in den Hohlräumen der abnormen Drüsenabschnitte nicht mehr Sekret als in normalen Drüsen. Die abnormen Drüsendurchschnitte zeigen in jedem Falle ein wohl- ausgebildetes, größeres oder kleineres Lumen der Drüsenendstücke, das ganz verschieden gestaltet ist. Die Alveolenlichtungen werden von einem einschichtigen Epithel ausgekleidet, das in keinem Fall hin- sichtlich Gestalt, Größe und Struktur dem normalen Drüsenepithel gleicht. Es setzt sich aus platten bis niedrig cylindrischen, im Verhält- nis zu den normalen sehr kleinen Zellen zusammen. Nicht selten ent- hält das Drüsenepithel verschieden gestaltete hohe Zellen in bunter Abwechslung. Die für seröse Zellen typische Affinität zu sauren Farb- stoffen hat das Protoplasma dieser Zellen ganz verloren. Es verhält sich z. B. bei Tinktion mit Hämalaun-Eosin deutlich cyanophil. Mit der Altmann-Schriddeschen Granulamethode waren Granula nicht mehr im Zelleib darzustellen. Die Kerne waren in der Regel bläschen- förmig und chromatinreich, z. T. jedoch auch pyknotisch. Eine Membrana propria war an den beschriebenen, alterierten Drüsenendstücken nicht erkennbar. Die Zellen saßen direkt dem lamellenartig geschichteten Bindegewebe auf. Zum Studium der Speichelsekretion. I. 29 Sekretkapillaren waren in dem veränderten Gewebe zwischen den Drüsenzellen nicht festzustellen. Eine Differenzierung des ausführenden Apparates der Drüse in Schaltstücke, Sekretröhren und Sekretgänge war nicht mehr zu erkennen, wenigstens was das Epithel anlangt. Die aus den alterierten Endstücken sich fortsetzenden Gänge trugen überall ein nicht hohes Zylinderepithel und unterschieden sich im mikroskopi- schen Bilde durch verschiedene weite Lumina. Auch um die als Aus- führungsgänge anzusprechenden Durchschnitte findet sich lamellen- artig angeordnetes Bindegewebe. Am extraglandulären Teil des aus- führenden Apparates fanden sich nur bei Pferd 1 Abweichungen von der normalen Struktur. Besonders in der drüsenseitigen Hälfte des Ductus parotideus waren im Epithel Desquamationsvorgänge zu be- obachten. Die Untersuchung der mehr in den zentraleren Abschnitten der Drüse zwischen normalem Gewebe inselartig verstreut liegenden, mikroskopisch z. T. noch erkennbaren Herde zeitigte ähnliche Ergeb- nisse, wie sie vorstehend geschildert wurden. Nur war z. T. die Meta- morphose des Drüsengewebes dieser Herde noch nicht so weit vor- geschritten, wie in den mehr zusammenhängenden Gewebsabschnitten. Man findet vielmehr verschiedene Übergangsformen. Bei allen diesen Herden war der Läppchencharakter noch deutlich ausgesprochen, jedoch waren die Läppchen im allgemeinen kleiner als die in der Nach- barschaft liegenden normalen, wie man sie in normalen Drüsen antrifft. Die Bindegewebsvermehrung war schwach, teils stärker, aber nicht so scharf ausgeprägt wie in dem oben beschriebenen Drüsenabschnitte. Läppchen im Stadium des Beginnes der Veränderung konnten wir nicht finden. Bei allen war bereits eine wesentliche Reduktion des Parenchyms eingetreten, und die vorhandenen Drüsenzellen zeigten nicht mehr ihr charakteristisches Aussehen und glichen strukturell mehr solchen, wie sie oben beschrieben wurden. Nur das ausführende Gangsystem war in seinen einzelnen Abschnitten meist noch deutlich unterscheidbar. Die zwischen den inselweise auftretenden alterierten Läppchen in der Mehrzahl befindlichen intakten Lobuli wie überhaupt die Haupt- masse des Gewebes der Fistelparotiden, an denen auch bereits makro- skopisch nichts auffälliges bemerkbar war, entsprachen in jeder Be- ziehung dem normalen Bau. Es scheint aus Vorstehendem hinsichtlich des Parenchyms ge- folgert werden zu können, daß die normalen Endstücke und zwar läppchenweise allmählich verschiedene Stufen der pathologischen Veränderung durchmachen, bis sie bei der letzten angelangt, endlich ganz durch bindegewebige Hypertrophie dem Untergange anheim- fallen. Daß der letzte Schritt bis zur totalen bindegewebigen Entartung 30 A. Scheunert und A. Trautmann: eintritt, sieht man aus Schnitten, in denen nur noch wenige, einzelne Durchschnitte von Drüsenhohlräumen zu finden sind und ferner aus dem Umstande, daß das Volumen der ganzen Drüse gegenüber der normalen sehr vermindert wird. Der beschriebene pathologische Prozeß ergreift nicht die ganze Drüse auf einmal, sondern nimmt seinen Aus- gang von dem Abschnitte der Parotis, in den der Ductus parotideus eintritt. Es läßt sich demnach vermuten, daß die Veränderungen in der Drüse möglicherweise am ausführenden Apparate beginnen, von wo sie sich nach allen Seiten der Drüse hin fortpflanzen. Soweit aus den mikroskopischen Bildern gefolgert werden kann, wird nicht ein ein- zelnes Drüsenendstück, sondern stets ein ganzes Läppchen auf einmal betroffen. Scheinbar schreitet der Prozeß nur sehr langsam fort, indem von der genannten Stelle aus nach den mittleren Partien zu immer mehr Läppchen alteriert werden, so daß aus einzelnen zerstreuten Herden durch Zusammenfluß derselben eine größere zusammenhängende pathologisch abgeänderte Gewebsmasse hervorgeht. Das ganze mikro- skopische Bild der abnormen Drüsenteile sieht so aus, als ob sich das ganze Formsystem der Drüse mehr oder weniger aufgelöst habe und einfacher geworden sei. Wenn man z.B. in einem Schnitte, in dem Läppchen von noch normalem und solche von verändertem Parotis- gewebe nebeneinander liegen, den Aufbau näher betrachtet, so wird man in den pathologischen Läppchen an verschiedenen Stellen das Gangsystem von den Endstücken bis zur Einmündung in den Sekret- gang (auch an dünneren Schnitten) verfolgen können, was in den nor- malen Läppchen, wie bekanntlich auch in den Schnitten anderer nor- maler Speicheldrüsen, äußerst selten ist. Worin die Ursache für die trophischen und pathologischen Verände- rungen der Parotis und ihres Gangsystems bei Anlegung von Pawlow- schen Fisteln zu suchen ist, vermögen wir nicht zu sagen. Der Aus- führungsgang wird bei der Operation nicht verlegt, aber die Mündung desselben befindet sich nach der Operation außen, während sie vorher geschützt in der Mundhöhle lag und vom Speichel dauernd umspült war. In die äußere Mündungsöffnung können vielleicht Krankheits- erreger eindringen. Daß im Fall 3 Veränderungen struktureller Natur an der Fistel- parotis nicht zu erkennen waren, dafür kann zunächst keine Erklärung gegeben werden. Es mag aber darauf hingewiesen sein, daß in der Fistelparotis von Pferd 3 möglicherweise doch Alterationen vor- handen gewesen sein können, die makroskopisch nicht erkennbar waren und wegen der technischen Unmöglichkeit, die ganze Drüse genauestens histologisch zu untersuchen, nicht aufgefunden wurden. Allerdings könnte es sich dann nur um geringgradige Veränderungen gehandelt haben. Zum Studium der Speichelsekretion. I. 31 Eines eigenartigen Befundes mag noch Erwähnung getan werden. In der Fistelparotis von Pferd 2 wurde an dem der Ohrwurzel benachbarten Pole der Drüse in organischem Zusammenhang mit der Parotis ein Teil Drüsenparenchym ge- funden, das die charakteristischen Merkmale einer gemischten Drüse mit Halb- monden trug. Wir glauben kaum, daß die Ausbildung eines solchen Gewebes in ursächlichen Zusammenhang zu der Fistel zu bringen ist, möchten vielmehr an- nehmen, daß es sich um eine Entwicklungsanomalie eines Teiles der Parotis handelt und bereits vor Anlegung der Fistel in dieser Ohrenspeicheldrüse bestanden hat. Zusammenfassung. Die wichtigsten Ergebnisse seien kurz in folgenden Punkten zu- sammengefaßt, wobei aber ausdrücklich auf die einzelnen Abschnitte selbst verwiesen sei: 1. Aus der nach außen verlegten Papille des Parotidenganges von Pferden mit permanenter Fistel tritt der Speichel beim Kauen in Spritzern hervor, Bei temporärer Fistel fließt er kontinuierlich. Der erste Spritzer tritt stets erst nach 10 bis 20 Kieferschlägen hervor. Eine psychische Sekretion besteht beim Pferde nicht. 2. Da bedingt reflektorische Erregung fehlt, sind Geruchsreize unwirksam. Chemische Reize treten sehr zurück, der mechanische Reiz dagegen tritt in den Vordergrund. 3. Die Parotidentätigkeit wird von der Kauseite entscheidend beeinflußt. Kauseitig wird viel reichlicher abgesondert, und die Zu- sammensetzung des kauseitigen Sekrets unterscheidet sich durch einen höheren Gehalt an Asche und Chlor und einen niedrigeren Gehalt an Stickstoff vom Sekret der anderen Seite. 4. Es besteht keine spezifische Anpassung des Sekretes an die Nahrung, wenngleich die Nahrung Zusammensetzung und vor allem Menge des Sekretes beeinfiußt. Die Zusammensetzung des Sekretes verändert sich während der Nahrungsaufnahme. Der Parotidenspeichel ist diastasefrei. 5. Dem Fisteltiere fehlt auf einer Seite das nach außen geleitete Sekret; deshalb ist die Nahrungsaufnahme verzögert, das Abschlucken erschwert. 6. Das Tier bevorzugt die Seite der nicht operierten Drüse beim Kauen. Dadurch wird der Sekretionsverlauf gegenüber der Norm verändert, so daß Schlüsse, die sich auf an Fisteltieren beobachtete feinere Einzelheiten stützen, zwingende Beweiskraft nicht besitzen. 7. Die Pferde zeigten während des Bestehens der Fistel in klinischer Hinsicht wie auch nach der Tötung bei der Sektion keine bemerkens- werten Unterschiede gegenüber den normalen Verhältnissen. Nur die Fistelparotiden wiesen eine wesentlich blassere Farbe und ein geringeres Gewicht als die korrespondierenden fistellosen Ohrspeicheldrüsen auf, mit Ausnahme eines Falles, bei dem in letzterer Hinsicht normale Verhält- 32 A. Scheunert und A. Trautmann: Zum Studium der Speichelsekretion. I. nisse gefunden wurden. Das den Fisteldrüsen gegenüber höhere Ge- wicht der Parotiden ohne Fistel ist nicht durch kompensatorische hypertrophische Funktionssteigerungen dieser Drüsen für die ausge- fallene Funktion der Fistelparotiden bedingt, da es dem Normalgewicht der Parotiden entspricht. 8. Die Fistelparotiden erlitten nach Anlegung der Fistel Ver- änderungen, die in der Umgebung des Austritts des Ductus parotideus aus der Drüse begannen und mit dem längeren Bestehen der Fistel an In- und Extensität zunahmen. Die normalen Endstücke machten läppchenweise verschiedene Stufen der pathologischen Veränderung durch, bis sie ganz durch bindegewebige Hypertrophie dem Unter- gange anheimfielen. Der Prozeß schritt nur langsam fort, so daß in den untersuchten Drüsen stets in größerer Menge normales Parotiden- gewebe angetroffen wurde. Die fistellosen korrespondierenden Ohr- speicheldrüsen zeigten strukturell normales Verhalten. Zum Studium der Speichelsekretion. II. Mitteilung. Über die Sekretion der Parotis und Mandibularis des Schafes. Von Arthur Seheunert und Alfred Trautmann. (Aus dem physiologischen und histologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule zu Dresden und dem tierphysiologischen Institut der Landwirtschaftlichen Hoch- schule zu Berlin.) Mit 8 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. Juli 1921.) Zum Studium der Speichelsekretion der Wiederkäuer wählten wir als Versuchstier das Schaf. Dieses Tier ist bisher in dieser Richtung nur sehr selten verwendet worden!). So haben Tiedemann und G melin?) den Gesamtspeichel des Schafes gewonnen und untersucht, und von Lassaigne?) liegt eine Analyse des Parotidenspeichels vor. Eckhard!) studierte beim Schaf die ununterbrochene Sekretion der Parotiden, legte dabei aber das Schwergewicht auf die äußerst inter- essante Innervationsfrage, an deren Diskussion weiterhin sich noch v. Wittich, Schwann u. A. mit Experimentaluntersuchungen be- teiligten. Von Colin’) liegen einige Beobachtungen über die Mandi- bularsekretion des Schafes vor. Wir können infolgedessen nur die- jenigen Tatsachen als wahrscheinlich gültig für das Schaf in Anspruch nehmen, die beim Rind, einem anderen Wiederkäuer, ermittelt worden sind. Darüber liegen zahlreichere Beobachtungen, besonders von Colin und Ellenberger®) vor. !) Vgl. a Biedermann, in Wintersteins Handb. d. vergl. Physiol. Jena 1911. 2, Verdauung S. 1168. ?) Die Verdauung nach Versuchen, 1, 19. Heidelberg u. Leipzig 1831. ?) Analysen bei Ellenberger, Handb. d. vergl. Physiol., 1,498. Parey 1890. *) Beiträge zur Lehre der Speichelsekretion. Zeitschr. f. rat. Med. 29, 74. 1867. ?) Traite de physiol. comparee. 3. Aufl. Paris 1886. 1,646 u. Recherches experimentales sur la secretion de la salive chez les ruminants. C.r. de l’Acad. d. sciences, 34, 681. 1852. 6%) Handb. d. vergl. Physiologie der Haussäugetiere, 1, 498ff. Parey, Berlin 1890. — Ders. u. Hofmeister, Sächs. Veterinärbericht 1885 u. Arch. wiss. Tierheilk. 11, 41. 1884. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 3 34 A. Scheunert und A. Trautmann: Danach sezernieren die Parotiden dauernd, die Menge des Sekretes ist aber während der Nahrungsaufnahme und auch während des Wieder- kauens sehr erheblich gesteigert und von der Kauseite abhängig. Ebenso- wenig wie beim Pferd sollen nach Colin psychische und chemische Reize wirksam sein. Ellenberger hat hingegen eine psychische Erregung bei Rindern gesehen. Die Mandibularen sezernieren nur während der Nahrungsaufnahme, nicht in den Pausen und nicht während des Wiederkauens. Eine Beeinflussung durch die Kauseite ist nicht vorhanden. Zu unseren Untersuchungen wurden insgesamt 11 Tiere verwendet. Das operative Vorgehen entsprach für die Parotidenfistel dem auf S. 3 der ersten Mitteilung geschilderten. Die Mandibularfistel wurde nach der Pawlowschen Vorschrift angelegt. Wir lassen hier die ein- zelnen Protokolle der Raumersparnis wegen auszugsweise folgen. Protokolle der zu den physiologischen und histologischen Unter- suchungen verwendeten Tiere. Im Jahre 1910 waren zwei Schafe (I u. II) mit Parotis- und Mandibularfisteln zugleich versehen worden. Jedes Tier hatte auf einer Seite eine Parotis-, auf der anderen Seite eine Mandibularfistel. Die Tiere versagten jedoch nach kurzer Zeit die Futteraufnahme, magerten stark ab und gingen 3 Monate nach der Opera- tion zugrunde. Schaf I ist nicht weiter verarbeitet worden. Schaf II verendete am 23. Juli 1910. Die Fisteln waren an der linken Parotis und rechten Mandibularis angelegt. Physiologische Untersuchungen konnten an diesem Tier nicht vorgenommen werden. Die pathologisch-anatomische Sektion ergab folgende Diagnose: Hochgradige kachektische Abmagerung, kachektisches Transsudat im Herz- beutel und in der Bauchhöhle. Ein Cysticercus tenuicollis im subperitonealen Ge- webe. Je ein abgestorbener Cysticercus in Lunge und Leber. Die Untersuchung der Drüsen ergab folgendes: Makroskopisch war bei den Fisteldrüsen stets eine blasse Farbe festzustellen. Die Fistelmandibularis hatte nicht mehr das charakteristische Aussehen. Sie ähnelte einer platten binde- gewebsartigen Gewebsmasse. Nur ganz vereinzelt war ein lobulärer Charakter schwach angedeutet. Das Gewicht der linken (Fistel-)Parotis betrug 6,1 g, das der rechten 7,4 g. Die rechte (Fistel-)Mandibularis wog 3,4 g, die linke 11,8 g. Die Drüsen wurden sämtlich mikroskopisch untersucht. Schaf III und IV wurden im Januar 1912 mit je einer Parotis- und Mandibular- fistel versehen, Leider mißlang die Operation bei beiden Tieren vollständig, indem selbst nach längerer Zeit die bei der Transplantation der Parotisgangöffnung in die äußere Haut entstandene Backenfistel nicht zur Heilung gelangte, so daß bei der Nahrungsaufnahme stets Teile der gekauten Nahrung aus ihr heraustraten. Nach kurzer Zeit wurde außerdem von den Tieren die Nahrung verweigert, so daß sie Ende Februar verendeten. Da zunächst der Operation ein Teil der Schuld an dem letalen Ausgang bei- gemessen wurde, sind weitere und eingehendere Untersuchungen nicht angestellt worden. Schaf V. Männlich. Einjährig. Operiert am 1. II. 1912 bei einem Gewicht von 86 Pfund. Getötet am 11. III. 12 bei einem Gewicht von 43 Pfund. Zum Studium der Speichelsekretion. II. 35 Klinischer Befund: An dem Tier waren eine rechte Parotis- und linke Mandibularfistel gleichzeitig angelegt worden. Die Einheilung der Mandibular- fistel war nach ungefähr 14 Tagen glatt erfolgt. Bei der Parotisfistel blieb je- doch eine Backenfistel bestehen, durch die das Tier ständig große Mengen an Mundflüssigkeit verlor. Die Streu im Stall war immer in kurzer Zeit ganz durch- feuchtet. Auch die Wolle des Tieres waran Hals und Brust ständig feucht und ging später unter Bildung eines Ekzems aus. Das Tier magerte schnell ab und ver- weigerte schließlich jede Nahrung. Da das Tier zusehends dem Hungertode ent- gegenging, wurde es getötet. Zu erwähnen ist noch, daß zu einer Zeit, als das Tier noch etwas Heu und Stroh zu sich nahm, häufig im Stall ganz trockene Bissen liegen gesehen wurden. Wir haben bei dem Tier mehrfach Versuche zur Speichelgewinnung angestellt jedoch genügten die gewonnenen Mengen zur Vornahme chemischer Unter- suchungen nicht. Als eine einigermaßen sichere Beobachtung kann die gelten, daß die während der Nahrungsaufnahme von der Mandibularis abgesonderte Speichel- menge viel reichlicher als die der Parotis war. Die Untersuchung der Drüsen des getöteten Tieres ergab folgendes: Makroskopisch wurde bei sämtlichen Drüsen eine wesentliche Verkleinerung fest- gestellt. Die Fistelparotis war von blasser Farbe, doch immerhin nicht so blaß wie die Mandibularis. Auch die intakten Drüsen waren blaß und kleiner. Das Gewicht der linken und rechten Parotis betrug je 6 g, das der linken und rechten Mandibularis je 10 g. Die Drüsen wurden sämtlich histologisch untersucht. Schaf VI. Weiblich.. Einjährig. Operiert am 22. IV. 12 bei einem Gewicht von 92 Pfund. Verendet am 12. X. 12 bei einem Gewicht von 38 Pfund. Klinischer Befund während der Zeit zwischen Operation und Tod. Die Heilung (linke Parotisfistel) erfolgte auch hier nicht glatt. Es blieb eine Backen- fistel bestehen, die nach 7 Wochen bis auf Erbsengröße zugranulierte. Nunmehr konnten einige Versuche (s. unten) durchgeführt werden. Es stellte sich aber sehr bald heraus, daß selbst die kleine Backenfistel störend wirkte. Vor weiteren Ver- suchen wurde zwecks Verschlusses dieser Öffnung am 6. September das Tier aber- mals operiert; die Wundränder wurden aufgefrischt und einige Nähte angelegt. Nach kurzer Zeit machte das Tier den Eindruck, als ob es diesen erneuten Eingriff nicht lange überleben würde. Es nahm zusehends ab, die Futteraufnahme war nur noch gering und wurde später ebenso wie die Wasseraufnahme ganz verweigert. Am 12. Oktober trat der Tod ein. Makroskopischer Befund: Die Drüsen waren sämtlich verkleinert, ganz besonders die linke Parotis. Auch zeigten alle Drüsen ein blasses Aussehen. Das Gewicht der linken Parotis betrug 4,1 g, das der rechten 6,2g. Das Gewicht der linken und rechten Mandibularis betrug je 12. Die Parotiden wurden histologisch untersucht. Schaf VII. Männlich. Einjährig. Operiert am 20. VII. 12, Gewicht 98 Pfund. - Klinischer Befund: Es war bei dem Tiere eine rechte Mandibularfistel an- gelegt worden. Die Operation war gut gelungen. Die Heilung erfolgte glatt, so daß bereits am 1. August mit Versuchen begonnen werden konnte. Die Versuche lieferten aber kein Ergebnis, da die Fistel plötzlich kein Sekret mehr gab. Wie die folgende Sektion des Kopfes ergab, hatte sich der Gang nach innen retrahiert und war auch durch Vernarbung vollständig geschlossen. Schaf VIII. Weiblich. Einjährig. Operiert am 10. IX. 12, Gewicht 76 Pfund. Getötet am 8. VII. 1919. Klinischer Befund: Dem Tier war eine linke Mandibularfistel angelest worden. Operation und Heilung nahmen einen sehr günstigen Verlauf. Sobald die allgemeine Schwellung nach der Operation zurückgegangen war, erfolgte die Sekretion in zufriedenstellender Weise. Mit dem Tiere konnte eine ganze Reihe gut gelungener Versuche angestellt werden. 3*+ 36 A. Scheunert und A. Trautmann: Das Tier hat die Fistel während der langen Zeit sehr gut vertragen, ohne daß Störungen im Allgemeinbefinden auftraten. Die Fistel sezernierte bis zur Tötung. Makroskopischer Befund: Das Gewicht betrug links (fistelseitig) 12,5 g, rechts 15,7 g. Die Drüsen wurden histologisch verarbeitet. Schaf IX. Männlich. Einjährig. Operiert am 15. IX. 12 bei einem Gewicht von 97 Pfund. Verendet am 27. IX. 12 bei einem Gewicht von 40 Pfund. Klinischer Befund während der Zeit zwischen Operation und Tod: Bei diesem Tiere wurde eine rechte Parotisfistel angelegt. Die Schnittführung war bei diesem Tiere oberhalb der Parotispapille aus den bei der Operationsmethodik an- gegebenen Gründen erfolgt. Die Heilung erfolgte hier erstmalig glatt. Nach 8 Tagen bereits konnte man die Fäden entfernen. Leider stieß sich bald aus der Abb. 1. Ziege nach 2!/, monatigem Bestehen einer Parotisfistel. Tiefe ein Faden ab und veranlaßte eine Backenfistel. Das Tier zeigte auch trotz des von Anfang an günstig erfolgten Heilungsprozesses immer ein elendes und kränkliches Aussehen; es fraß auch nicht in dem Maße, wie es bei einem gesunden Tier der Fall ist. Um eine weitere Abmagerung und Entkräftung des Tieres hint- anzuhalten und um auch den Panseninhalt durchfeuchten und mit reichlicher Flüssigkeit versetzen zu können, legten wir in der Hungergrube eine Pansenfistel an. In den ersten Tagen nach der Operation war das Befinden des Tieres zufrieden- stellend; es zeigte eine merkliche Besserung und Kräftigung in seinem Zustand, die aber nur vorübergehend waren. Es fraß nur etwas Rüben, trockenes Futter ver- weigerte es überhaupt. Wie schon früher in unserem Institut an anderen Tieren beobachtet war, kam es noch zu einer Ausstoßung der bei der Pansenfistel ein- geführten Kanüle. Im Anschluß hieran trat eine zum Tode führende Peritonitis ein. Zu physiologischen Versuchen waren wir nicht gekommen. Die Sektion ergab hochgradige kachektische Erscheinungen. Der Pansen- inhalt war sehr trocken. Zum Studium der Speichelsekretion. II. 37 Der makroskopische Befund zeigte die Drüsen blaß und kleiner. Die fistelseitige rechte Parotis wog 10,2 g, die linke 12,3 g. Beide Drüsen wurden einer histologischen Untersuchung unterzogen. Schaf X. Weiblich. Einjährig. Operiert am 5. XII. 12, getötet am 14. II. 1913. Gewicht 96 Pfund. Klinischer Befund während der Zeit zwischen Operation und Tod: Dem Tier wurde eine temporäre Parotisfistel angelegt. Dazu wurde der rechte Ductus parotideus bei seinem Verlauf über den M. masseter nach außen, nicht unter Durch- schneidung der Backen, sondern nur durch Durchtrennung der Haut, gelegt. Der Versuch wurde gleich am nächsten Tage ausgeführt und verlief sehr gut (vgl. S. 42,43). Nachdem das Tier zunächst den bekannten kranken Eindruck machte, erholte es sich plötzlich, nachdem die Fistel kein Sekret mehr gab, und befand sich dann bis zur Tötung ganz wohl. Makroskopisch zeigten die Drüsen (linke und rechte Parotis) ein sehr blasses Aussehen. Die fistelseitige rechte Parotis wog 7,5 g, die linke 17 g. Histo- logische Untersuchung der Drüsen wurde vorgenommen. Ziege I. Weiblich, 1!/, Jahr alt. Operiert am 14. V. 13, gestorben am 29. VISIT: Dem Tier wurde links eine Parotisfistel und rechts eine Mandibularfistel zu gleicher Zeit angelegt. Nach 14 Tagen, in denen die Fisteln gut einheilten und das Tier sich ganz wohl gefühlt hatte, ging der Ernährungszustand sehr schnell zurück. Das Tier nahm bald keine Nahrung mehr zu sich, magerte ganz erheblich ab und ging unter intensiven kachektischen Erscheinungen in elendem Zustand zugrunde. (S. Abb. 1, die 24 Stunden vor dem Tode aufgenommen wurde). Außer einer ganz wesentlichen Verkleinerung sämtlicher Drüsen war besonders an den Fisteldrüsen makroskopisch nichts abnormes zu erkennen. Die Parotiden wogen je 3,4 g, die Mandibularen je 6 g. Zusammengefaßt ergaben die Protokolle ein betrübliches Bild und lassen die außergewöhnlichen Schwierigkeiten erkennen, die sich der- artigen Studien entgegenstellen. Auf die hieraus zu ziehenden Schlüsse werden wir sogleich eingehen. 1. Parotidensekretion. Das Studium der Parotidensekretion stieß beim Schaf, wie schon die mitgeteilten Protokolle zeigen, auf recht erhebliche Schwierigkeiten. Nur in einem Falle (Ziege 1) gelang eine glatte Einheilung der nach außen verlegten Gangmündung. Trotzdem war es nicht möglich, mit diesem Tiere Versuche durchzuführen und ebensowenig gelang es in befriedigender Weise mit einem der früher operierten Tiere. Die Ur- sache hierfür lag darin, daß die Tiere, sofern die Fistelanlage wirklich gelungen war, d.h. Drüsensekret sich nach außen ergoß, in kurzer Zeit die Nahrungsaufnahme fast ganz einstellten und unter kachektischen Erscheinungen zugrunde gingen. Wir glaubten zunächst, der nach der Operation bestehen bleibenden Backenfistel eine Rolle zuschreiben zu müssen. Durch sie verloren einige Tiere deutliche Mengen von gekauter Nahrung und von Mundflüssig- keit. Als aber der letale Ausgang verbunden mit kachektischer Ab- magerung auch bei Tieren auftrat, deren Backenfistel nur gering war 38 A. Scheunert und A. Trautmann: und endlich auch bei der Ziege, die überhaupt keine Backenfistel hatte, müssen wir vorläufig dem Verlust des Fistelsekretes die Krankheits- und Todesursache zuschreiben. Gewiß ist das erstaunlich, wenn man bedenkt, daß nach den später mitzuteilenden Ergebnissen durch die Dauersekretion einer Parotis ca. 25 ccm Speichel pro Stunde, also eine geringfügige Menge, verloren gingen. Es muß weiter berücksichtigt werden, daß der Parotidenspeichel (vgl. S. 41) auch sehr reich an Alkalikarbonat ist und somit ein Fisteltier dauernd Alkali verliert. Dieser Verlust scheint auf die Dauer nicht vertragen werden zu können. Darüber hinaus ist auch die Nah- rungsaufnahme selbst schon durch das Fehlen des Sekretes einer Parotis äußerst erschwert. Fehlt der regelmäßige Flüssigkeitszufluß, so trocknet der Panseninhalt ein, und damit stockt die ganze Mechanik der Verdauung. Wir beobachteten deshalb, daß die operierten Tiere nicht mehr richtig wiederkauen konnten und daß sie trockne grob zerkleinerte Massen, die sie als Wiederkaubissen rejiziert hatten, von sich gaben, da sie diese nicht wiederkauen und abschlucken konnten. Derartige Bissen fanden sich öfter im Stalle. Alle Versuche, durch Verabreichung feuchter Nahrung (Rüben, Tränke) die Tiere zu erhalten, waren ver- gebens, auch der Versuch, durch eine Pansenfistel die fehlende Flüssig- keit zu ersetzen, mißlang. Wir gelangen damit zu der gewiß merk- würdigen Tatsache, daß schon der Ausfall des Sekretes einer Parotis mangelhafte Ernährung und damit den Tod des Tieres zur Folge hat. Wir bemerken aber, daß diese Verhältnisse noch der Klärung bedürfen, die wir auf Grund im Gang befindlicher Versuche hoffen erbringen zu können. Die Richtung. in welcher diese liegt, deutet vielleicht der Versuch an Schaf X mit temporärer Gangfistel an. Dieses Tier verweigerte am 2. Tage nach der Operation weitere Nahrung und machte den bekannten kranken Eindruck. 2 Tage später erholte es sich plötzlich und nahm nach einigem Zögern auch wieder Nahrungauf. Eine Sekretion fand aber nicht mehr statt. Bei diesem Tier wog die intakte Parotis 17,58, gegenüber einem sonst durchweg gefundenen Gewicht von 6 bis 7 g. Da die Störungen sofort mit der gelungenen Operation einsetzen, ist es natürlich klar, daß ein Studium der Parotidensekretion bei Schaf und Ziege und wohl den Wiederkäuern überhaupt stets nur un- vollkommen gelingen kann. Dazu kommt eine weitere sehr große Schwierigkeit, die in dem Auffangen des Sekretes besteht. Dieses kann nur durch Ankitten von Trichtern, wie es Pawlow für seine Hunde beschreibt, erfolgen. Die lebhaften Kopfbewegungen der Tiere, die großen seitlichen Exkur- sionen der Unterkiefer beim Kauen und die ungünstige Gestaltung der Backenfläche machen dies zu einem äußerst heiklen Geschäft und führen zu schlechtem Sitz und öfteren Abfallen und damit fort- währenden Störungen der Versuche. Zum Studium der Speichelsekretion. II. 39 Methodik. Das Auffangen des Sekretes erfolgte durch Glastrichter {(Abb.2bu.3). Da anihnen auch noch das Gefäß zum Auffangen des Speichels befe - stigt werden mußte, durfte der ganze Apparatnicht zu lang werden. Beiden heftigen Schleuderbewegungen, die die Tiere bei Aufnahme der Nahrung auszuführen pflegen, lockerte sich der Trichter, welcher vermittels des auch von Pawlow benutzten Kittes an der Hautoberfläche befestigt war, leicht. Beim Ankitten des Trichters war es nötig, die Hautoberfläche ganz trocken zu halten, da sich sonst der Trichter nach kurzer Zeit lockerte. Während der Versuche befanden sich die Tiere in einem Zwangsstall, so daß nur der Kopf durch ein gerade Platz für den Hals lassendes Loch herausragte. Bei Befolgung all dieser Maßnahmen gelang es, Versuche bei Schaf VI von über einer halben Stunde Dauer auszuführen, ohne daß eine Lockerung des Trichters erfolgte. Die ausfließenden Speichelquantitäten wurden in kurzen, durch die Ausfluß- menge und Geschwindigkeit bedingten Zeitintervallen in kleinen Gefäßen ge- sammelt, gemessen und zur chemischen Untersuchung verwendet. Zur Bestimmung der Menge benutzten wir zuerst graduierte Zylinderchen. Um die Apparatur zu verkürzen, erwies sich als zweckmäßig, die Gefäße möglichst kurz und flaschen- ähnlich zu gestalten. Da in solchen Gefäßen ein Ablesen kleiner Flüssigkeitsmengen großen Fehlern unterworfen ist, bestimmten wir die Gewichtsmenge. Die chemische Untersuchung erstreckte sich, soweit es die gesammelten Mengen gestatteten, auf Feststellung von Trockensubstanz, Asche, Stickstoff und Gesamt-Chlor ; ferner wurde die Alkalinität mit ”/,, HCl gegen Methylorange titriert. Weitere Versuche wurden zum Nachweis von Fermenten im Speichel vorgenommen. Versuche bei Parotisfistel-Schaf VI, operiert am 22. IV. 1912, linksseitig permanente Fistel, Backenfistel. Versuch 1. 14.V1.1912. Dem Tier wurde zunächst Grünfutter vorgelegt. Grünfutter wurde deswegen gewählt, weil erwartet werden mußte, daß solches noch am ehesten aufgenommen werden würde, da das Tier schon einige Tage nach der Operation keine regelrechte Nahrungsaufnahme ge- zeigt hatte. In der Tat nahm das Tier auch während 11 Minuten nur eine ganz geringe Menge Grünfutter auf. Später wurde ihm Hafer angeboten. Der Verlauf des Versuches ergibt sich aus der folgenden Tabelle: Tabelle I. | Menge des auf- | Auf 2 ccm Spei- Zeit in | gefangenen hel wurd ee | Speichels in Braucht er Deinerkungen Min. | cem | 0 H,S0, R | 3 frißt spärlich Grünfutter 3,25—3,36 | 2, i Kar = \ bis 3 Uhr 36 3,36—3,42 | 2,2 — Ruhespeichel ganz klar 3483,58 | 2,1 2,25 { 4,10-—4,29 muß der Trichter 4,00—4,10 | 3 frisch angekittet werden 4,29 —4,39 3 -- Ruhespeichel 4,39—4,49 2,5 242 Ruhespeichel ZUR | 2 5 Uhr muß der Trichter 4,50 0,0080 02: 2, 2 z Y 2 | abermals angekittet werden 5,10 vorgelegter Hafer wird Ss A 24 | angenommen; 5,15 wird d. Vers., i ; | 2. | da das Tier nicht mehr frißt, abgebrochen. 40 A. Scheunert und A. Trautmann: Der Versuch läßt die außerordentlichen Schwierigkeiten, die sıch einem Arbeiten mit Parotisfistelschafen, namentlich bei gleichzeitiger Backenfistel, entgegenstellen, erkennen. Die Tiere fressen nur spärlich und jedesmal nur wenige Minuten, dann verweigern sie die Aufnahme des vorgelegten Futtermittels. Außerdem wird durch die überaus unruhige Kopfhaltung ein häufiges Neuanlegen des Trichters notwendig. Trotz dieser großen Schwierigkeiten und der dadurch hervorgerufenen Unterbrechungen des Versuches zeigt derselbe doch einige interessante Tatsachen. Zunächst finden wir die Dauersekretion der Parotiden des Schafes bestätigt, wobei in unserem Falle durchschnittlich 2 bis 3 ccm Ruhe- speichel in 10 Minuten aufgefangen werden. Dieser stellt eine ganz klare alkalische Flüssigkeit von einer sich nahezu gleichbleibenden beträchtlichen Alkalinität dar. Durch die Nahrungsaufnahme erfährt die abgesonderte Menge eine deutliche Steigerung. Die ermittelten Mengen sind, wie wir ausdrücklich hervorheben, nicht genau, da ein absolut dichtes Anlegen des Trichters nicht gelang. Nach den Erfahrungen dieses und ähnlicher Versuche gingen wir dazu über, Ruhe-, Freß- und Wiederkauspeichel zu sammeln, um ihre chemische Zusammensetzung zu ermitteln. Allerdings gelang es uns nicht, den sezernierten Speichel quantitativ aufzufangen, da sich ein wirklich dichtes Anbringen der Trichter bei der unruhigen Kopfhaltung des Tieres als unmöglich herausstellte. Auch war durch das ständige Herunterfließen des Speichels an der Backenwand diese ihres Woll- kleides beraubt und durch ein bestehendes Ekzem feucht und schlüpfrig, so daß die Klebmasse nur kurze Zeit haftete. Endlich wurde auch durch die mit der Zeit aus der Backenfistel hervortretenden Futter- massen die Befestigung des Trichters gelockert. Die Untersuchungs- ergebnisse sind im folgenden tabellarisch aufgeführt: Tabelle I. Menge des | Alkal. be- Gehalt an cha an | . . F f \ 2 g. Yo R en- 5 1} . Tag Zei Be co. EN Asche | Art des Speichels Min. ccm % %o %o | 15. VI. || ‚40 6 0,58 123 1 Ruhespeichel EZ Va, 20 5 0,61 1627 0,94 Ruhespeichel any, 19 4,5 0,60 1,21 0,34 Ruhespeichel 15. VI. 4 6 0,50 1,16 0,84 Haferfütterung 19. VI. 4 5 0,60 Haferfütterung IZ VE 9 55 0.66 nicht ermittelt wegen 192VI. | 10 3,5 0,58 zu geringer Menge Wiederkauspeichel 19. VI. 8 2 0,56 Zum Studium der Speichelsekretion. II. 41 Bezüglich der aufgefangenen Mengen ist zu bemerken, daß die- selben nicht‘ als Maßstab der abgesonderten Mengen gelten können. da zweifellos Verluste infolge der schon er- wähnten Schwierigkei- ten der Trichterbefesti- gung eingetreten sind. Die Untersuchung der titrierbaren Alkalini- tät zeigt, daß dieselbe recht erheblich ist und der Parotidenspeichel des Schafes einen Ge- halt an Alkalikarbo- naten besitzt, der den einer ”/, „Lösung noch etwas übersteigt. Interessant ist fer- ner, daß wir beidiesen Untersuchungen we- sentliche Schwankun- gen ebensowenig in der Alkalinität wie im Ge- halt an Trockensub- stanz und Asche er- mitteln konnten. Wohl aber kann betont wer- den, daß das gewon- nene Sekret reicher an Trockensubstanz und Asche als der Parotis- speichel des Pferdes war, den es auch an Alkalinität weit über- traf. Wie ohne weiteres ersichtlich ist, konnte von diesen Untersu- chungen an den nach Pawlow operierten Tieren kaum ein besse- Abb. 2a. > Er. od % K ) IDY LIE ya: h 07 ED nein N > NN AL Abb. 2b. rer Erfolg erwartet werden, und es erschien nach den geschilderten Erfahrungen zwecklos, weitere Tiere zu opfern. 42 Wir entschlossen uns A. Scheunert und A. Trautmann: deshalb, um wenigstens einen Überblick über den Ablauf der Parotissekretion des Schafes zu erhalten, einem weiteren Versuchstier eine temporäre Parotidengangfistel an- Auf diese Weise war die ständige Backenfistel vermieden und ein quantitatives Auffangen des Sekretes ermöglicht. Um die durch das Vorhandensein eines Fremdkörpers im Gange möglichen Störungen der normalen Drüsentätigkeit soweit als möglich zu vermeiden, wurde das Tier, nachdem es am 5. XII. in den Abendstunden operiert worden war und sich über Nacht gut erholt hatte, schon am 6. XI]. früh zu einem Versuche herangezogen. zulegen. Zum Auffangen des Speichels (Abb. 2a u. b) wurde auf die ausdem Gang hervorragende Metallkanüle ein ganz kurzer passender Gummischlauch aufge- schoben, in dessen anderes Ende eine gebogene Glaskanüle eingeschoben wurde. Tabelle Li. || Speichel- | Speichel- Zeit in Minuten menge in Bemerkungen Zeit in Minuten | menge in Bemerkungen 8 g 10% 10—10n 207 | 3 |. M40,— 250 | 5 10h 20’”—10% 30’ 5 ganz klarer Ruhe- 2h 50’—3h 4 br 10h 30’— 10h 40° 45. |r sneichöl wird ab- 3b —-3h 107 4,5 nataula 2 10140100507 | 4,5 | En 3103120 | 4 10% 50°—11R 4,5 n.onz sh apr \ 3h 28°, beginnt 11P— 11% 10° 3,5 plötzl. Trübung. a | = Heu zu fressen | hın’__11jh ap 531 ‚9 2. B De 1210-1230 | 5,5 Dr eu a a 40 1,5 waren EL | 11% 20° _1m 39° 43 eizung ( 3h 40’— 34 50 7.5 hört auf z. fressen RE ui zeigen von Heu ah 50’—4h 4 11 30’—112.40°: || 4 klarer 4b 4h 10° 3,8 | klarer 11 4 —11% 50°. | 4,5 | Ba 4b 10’—4N 20° 5 Ruhespeichel Imst m | 45 Ruben ne Amy _4m30 | 45 12h Beginn der 4h 30’ — 4 40’ 5,5 frißt etwas Heu 1 _ 1910 | 6 | Heufütter.; frißt 4h 40’— 44 50° 5,8 aus der Raufe , | P ohne Annett bis 7 | beginnt wieder- 12h 10’— 12h 20 6,5 4h 50’—4h 55 2.5 | 194 20 _ 190 30/ | 45 12h 23° und zwar An 5/5 2 zukauen, 4Bissen x eig in je 107 55, an 55 10, 4 pro 50’; hört5R 10° | dann 20 g auf wiederzuk. 130-140 | 7 frißt Hafer 2808 | 510-590 | 5 1240-1507 || 4,5 59 530 | 4 \ ZunespeichZ 12h 50° —1h 4,5 klarer end 5530-51 397 jan | Ruhespeichel u ° N frißt Heu a 54055 | 4 En 1220 —130° | 4,5 plötzlich trüb 5h 50’ GR 5 Rn 1 30--1240 | 45 6-62 | 9 nn 1 40°— 1% 50° 4 Wiederkausp. 14 50’—2h | 4,5 | a ; } 9 Bissen 2 ON. A wieder klar GN 3366 437 4,3 desgl. 11 Bissen 210720207 | 5 desgl. 7 Bissen, m -a3Y | 45 GR a3’—5n50° | 3 hört auf wieder- 24 30’— 20 40° | 4 zukauen Zum Studium der Speichelsekretion. II. 43 Das freie Ende derselben wurde in eine Gummiblase eingeführt, an welcher sich ein kurzer dicker Gummischlauch ansetzte. Die Gummiblase mit Schlauch befand sich an einer Halfter, war also verhältnismäßig fest mit dem Kopf des Tieres ver- bunden. An den Gummischlauch wurde das Auffanggefäß angefügt. Beim Schleu- dern mit dem Kopfe usw. war auf diese Weise eine Zerrung an der Kanüle ver- mieden, aus der die austretende Flüssigkeit durch die frei in die Gummiblase mündende Glaskanüle austropfte. Am Morgen des Versuchstages war das Tier bei offenbar gutem Befinden stehend oder liegend in seinem Stall zu beobachten. Es zeigte Appetit und machte einen durchaus befriedigenden Eindruck. Der Versuch wurde 10% 10’ begonnen und bis 6# 50’ abends durchgeführt. Das Tier konnte sich dabei beliebig bewegen, aufstehen oder legen. Ebenso stand ihm von 3® Heu in einer Raufe beliebig zur Verfügung. Das Tier stand dauernd unter aufmerksamer Beobachtung. Die Auffangegläschen wurden im allgemeinen alle 10 Minuten gewechselt; nur zwecks Aufsammlung des in kurzen und unregel- mäßigen Perioden abgesonderten Wiederkauspeichels wurden Ausnahmen gemacht. Zusammengehörige Speichelsorten wurden so weit vereinigt, daß genügende Men- gen zur Analyse erhalten wurden. Dabei wurde Ruhe-, Freß- und Wiederkauspeichel sorgfältig getrennt, so daß die untersuchten Proben ausnahmslos nur den betr. typischen Speichel enthielten; die Proben aus den Übergangszeiten dienten zur Untersuchung auf Fermente. Wir haben zunächst in einer Tabelle III den Verlauf des Versuchs, in Tabelle IV die analytischen Ergebnisse zusammengestellt. Tabelle IV. | | | Verbrauch 1 a ee | | | auf 5 cem % % oA Speichel 10h 10113 Ruhespeichel je13207110.20188 0,031 | 6,8 11% 10°— 11h 30° Psychisch. Speichel | 1,14 0:867°1,.,01031 6,9 112 30°— 12% Ruhespeichel 21. 10500 1102 10:84012.:0:031 6,75 12% 12h 20° Heuspeichel 1 2018601201031 7,25 12h 30° —12" 40° Haferspeichel 1,09 0,83 | 0,028 105) 124 40’— 1% 20° Ruhespeichel | 1,08 018201 30.0282 |) 7,0 1h 20’— 2h Ruhespeichel I 0,80 | 0,031 | 6,75 2b — 2h 40° Ruhespeichel 1.08 0,81 0,028 6.75 2h 40’— 35207’ Ruhespeichel lt 0,80 | 0,031 | 6,75 3h 30’— 34 50° Heuspeichel Me 1225 0,76 | 0,042 | 25 3h 50°— 45 30° Ruhespeichel | 1,08 083 | 0,034 7,0 Ah 30/— 44 50° Heuspeichel Is 05 | 0082 7.0 Wiederkauspeichel | 1,1 0,83 | 0,028 6,75 Ruhespeichel Ina 0,73 | 0,031 6,75 6% — 60 20° Ruhespeichel | 12 0,73 | 0,028 6,25 An der Hand dieser Tabellen und unter Berücksichtigung der früher erwähnten Versuche wollen wir sofort in eine zusammenfassende Be- sprechung der Parotidensekretion eintreten. Als Grundlage muß dazu der große Versuch mit Gangfistel dienen. Die Sekretion der Parotis zeigt als vorherrschendes Merkmal die Dauersekretion, die auch in den Zeiten zwischen den Nahrungsauf- 44 A. Scheunert und A. Trautmann: nahmen abläuft. Tropfen für Tropfen klaren, stark lichtbrechenden Speichels perlen aus der Kanüle hervor. Die Sekretionsgeschwindigkeit dieses Ruhespeichels war nahezu konstant; die in je 10 Minuten ab- gesonderte Menge betrug beim Versuch am 6. XII. 1912 fast gleich- mäßig 4,5 g. In einer Stunde wurden somit den Vormägen 27 g Speichel zugeführt. Die Wichtigkeit dieses dauernden Zuflusses haben wir schon oben S. 38 hervorgehoben. Aus den dort wiedergegebenen Beob- achtungen geht zunächst die große Bedeutung dieser Dauersekretion für die Erhaltung der genügenden Feuchtigkeit des Vormagen- inhaltes und damit für dessen Rejektion zum Wiederkauakt und für seine Weiterbeförderung in den dritten Magen hervor. Damit ist die zunächstliegende Hauptaufgabe der Dauersekretion ent- sprechend den Ansichten älterer Autoren, insbesondere von Ellenberger und Colin gekennzeichnet. Die Aufgaben sind aber damit nicht erschöpft. Der Parotiden- speichel weist nämlich eine so erhebliche Alkalinität auf, daß hierin eine Besonderheit erblickt werden muß. Während beim Pferd nach unseren Versuchen der Parotidenspeichel meist einer 0,23 bis 0,24 proz. Sodalösung entspricht, ist der des Schafes einer 0,56 bis 0,77 proz. solchen Lösung gleichzusetzen. Wir schlossen hieraus bereits bei Durch- führung der Versuche, daß diese für die Neutralisation der sauren Gärungsprodukte wichtig sein müsse. Markoff!) hat die gleiche An- sicht auf Grund des im Gesamtspeichel des Ochsen gefundenen Alkal- carbonatgehaltes, den er einer Sodalösung von 0,58—0,656 % gleich- setzen konnte, ausgesprochen und ihre Richtigkeit durch seine Versuche auch erhärtet. Unsere Versuche beleuchten diese Vorgänge insofern noch genauer, als sie zeigen, daß der Parotidenspeichel stark alkalisch ist, und daß somit in der dauernden Zufuhr von Alkalicarbonaten die zweite Hauptaufgabe der Dauersekretion zu erblicken ist. Be- züglich Menge und Alkalicarbonatgehalts des Ruhespeichels sei noch auf die bemerkenswerte Konstanz beider hingewiesen, die aus Tabelle IV hervorgeht, aber auch bei kürzeren Versuchen mit Schaf VI beobachtet wurde. Wenn wir uns nochmals der großen Wichtigkeit der Dauersekretion erinnern und bedenken, daß schon der Ausfall einer Drüse zur. Störung des Wiederkauens und damit zum Verhungern des Tieres führt, so muß es doch höchst merkwürdig erscheinen, daß der Ausfall von immerhin recht geringen Mengen so starke Störungen bedingt. Beim Schaf X war es aber ebenso wie bei den anderen Tieren, daß schon am Tage nach der Operation, wie der große Versuch zeigt, die Nahrungsaufnahme sehr gestört war. Es fraß eine kurze Zeit hintereinander spärliche Mengen, während z. B. unser Mandibularfistelschaf ohne weiteres bis 1) Biochem. Zeitschr. 5%, 42. 1913. Zum Studium der Speichelsekretion. II. 45 zu seiner Sättigung Heu und Hafer in Perioden bis zu einer Stunde aufnahm. Schon am folgenden Tage fraß es nur noch einmal 5 Minuten und verhielt sich dann teilnahmslos, so daß von weiteren Versuchen abgesehen werden mußte (über weiteres Verhalten vgl. a.S.37 u. 38). Es ist eigentlich unverständlich, wie der Ausfall von einem reichlichen halben Liter Parotidenspeichel in 24 Stunden derartige Folgen nach sich ziehen kann. Überhaupt müßte man größere Mengen erwarten, zu- mal wenn man die Verhältnisse beim Rind zum Vergleich heranzieht. Ellenberger und Hofmeister sammelten in einer Stunde aus einer Parotisfistel des Rindes 200 bis 700 bzw. 1500 g. Colin gibt für die Ruhesekretion aus beiden Parotiden eines Ochsen 800 bis 2400 g pro Stunde an. Colin nimmt auch für den Ochsen eine Verschiedenheit der Sekretion der beiden Parotiden an, die, von der vorzugsweisen Verwendung der nicht operierten Seite zum Kauen bedingt, sich auch noch auf die Ruhesekretion erstrecken soll. Nach unserer Ansicht sind die gesamten sich hier aufwerfenden Fragen noch völlig ungeklärt und auch bezüglich des Rindes ist es nicht anders. Colin hat sicher dieselben Schwierigkeiten gehabt, wie wir sie fanden. Auf Grund eines neuen Versuches, der als erster einer neuen Bearbeitung der Parotidensekretion der Wiederkäuer von dem einen von uns in Gemeinschaft mit K. Zimmermann durchgeführt wurde, kommen wir zu der Ansicht, daß tatsächlich eine Verschieden- heit der Dauersekretion beider Parotiden besteht, der recht beträcht- lich sein kann. Weiter halten wir es für wahrscheinlich, daß bei unserem Tiere die Fistelparotis nur noch ein Minimum Sekretionsarbeit leistete. Das kommt übrigens auch bei der Nahrungsaufnahme deutlich zum Ausdruck. Beim Rind beobachtete Colin hier eine Steigerung der Sekretmenge um das 4 bis Sfache gegenüber der Ruhe; wir fanden stets deutliche, aber nur ganz geringe Erhöhungen um Bruchteile (vgl. Ta- belle III) und beim Wiederkauen, bei dem nach Colin ebenfalls eine starke Erhöhung eintreten soll, vermißten wir eine Erhöhung überhaupt. Endlich sei nochmals darauf hingewiesen, daß die Nahrungsauf- nahme durch die Fisteloperation außerordentlich verzögertist. Schaf VIII nahm in 10 Minuten 55 g Heu auf und verlor dabei einmal 6, dann 6,5 ccm Parotidenspeichel. Ein Mandibularfistelschaf nahm dieselbe Heumenge in 5 Minuten auf und verlor dabei 7 g Mandibularspeichel. Zweifellos muß hier an den Einfluß der Kauseite, der beim Pferd so sehr beträchtlich ist und der nach Colin und Ellenberger auch beim Rind gewaltige Unterschiede bedingt, gedacht werden. Wir haben zwar bei der ohne Appetit und unlustig erfolgenden Nahrungsaufnahme bei unseren Schafen nicht erkennen können, daß etwa die nicht operierte Seite vorzugsweise oder allein benutzt wurde, wohl war das aber beim Wiederkauen der Fall. Dabei kauten die Tiere fast ausschließlich 46 A. Scheunert und A. Trautmann: auf der intakten Seite. Danach ist auch ein Minimum der Sekretions- tätigkeit wahrscheinlich. Alles in allem stellte sich nach den wiedergegebenen Versuchen die Parotidensekretion beim Schaf vornehmlich als Dauersekretion dar. Bei der Nahrungsaufnahme trat eine leichte Steigerung ein, die von einer gleichzeitigen Steigerung der Alkalinität und zum Teil auch des Eiweißgehaltes begleitet war. Sogleich nach der Nahrungsauf- nahme stellten sich die sich gleichbleibenden Verhältnisse der Dauer- sekretion wieder her, die auch während des Wiederkauens sich nicht änderten und die durch gleiche Sekretionsgeschwindigkeit und gleiche Alkalinität charakterisiert war. Endlich muß noch darauf hingewiesen werden, daß wir auch eine Steigerung der Speichelmenge bei Reizung des Tieres durch vorgehaltenes Futter erzielten. Wenn sie auch nicht sehr beträchtlich war, so fiel sie doch durch die gleichzeitige Steigerung der titrierbaren Alkalinität auf. Eine Nachprüfung an anderen Tieren erscheint sehr wichtig, da wir beim Pferd keine reflektorische Erregbarkeit der Parotiden finden konnten. Beim Schaf müssen wir somit zunächst die beim Rind gemachte gleichsinnige Beobachtung Ellenbergers bestätigen, die gegenteilige Beobachtung Colins aber ablehnen. Äußerst interessant ist der Verlauf solcher Versuche. Die Schafe verlieren nämlich nach wenigen Minuten das Interesse an dem vor- gezeigten Heu, sobald sie merken, daß sie es doch nicht erhalten. Sie verhalten sich dann teilnahmslos, und die Sekretion stellt sich sofort wieder auf die Dauersekretion ein. Wenn wir dann weiter die Frage aufwerfen, ob der jeweils abgeson- derte Speichel eine bestimmte charakteristische Zusammensetzung aufweist, so können wir nur sagen, daß sich aus unseren Beobachtungen zunächst keine Anhaltspunkte für eine spezifische Einstellung des Sekretes auf die Nahrungergaben. Auch hier herrscht die Dauersekretion. Die Nahrungsaufnahme bewirkt eine Steigerung derAlkalinität, sonst aber keine so deutlich ausgeprägte Veränderung, daß man zu weiteren Schlüssen berechtigt wäre. Hervorgehoben zu werden verdient, daß der Parotisspeichel des Schafes reicher an Trockensubstanz und Asche wie der des Pferdes ist. 2. Sekretion der Gl. mandibularis (submaxillaris). Nachdem wir bei den Schafen Nr. V und VII uns ganz umsonst bemüht hatten, Mandibularspeichel in zur Untersuchung genügenden Quantitäten aufzufangen, und es auch vergeblich gewesen war, die Sekretion während der Fütterung eines Nahrungsmittels zu verfolgen, gelang es endlich bei Schaf Nr. VIII, eine Reihe von Versuchen anzustellen. Zum Studium der Speichelsekretion. II. 47 Versuch 1. Dem Schaf wurde am 19. X. 1912 nach 16stündigem Hungern Heu vorgelegt, nachdem es in den Zwangsstall gebracht und der Auffangetrichter angeklebt worden war (Abb. 3). Der abgesonderte Speichel war klar und faden- ziehend, er wurde in Portionen von je 5 Minuten aufgefangen. Dabei wurden nach- einander abgesondert: 7, 8, 7, 6,5, 8, 7, 6,5 ccm. Die Sekretionsgeschwindigkeit war danach nahezu gleich. Die Portionen wurden gemischt und analysiert. Der Speichel hatte nach den dabei erhaltenen Ergebnissen einen Gehalt von 0,59% Trockensubstanz, 0,11% Asche, 0,06 Gesamt-N und 0,032%, Gesamt-Cl. Nach dem Versuche wurde das Tier noch weitere 52 Minuten beobachtet, wobei in den ersten 20 Minuten noch 1 ccm Speichel aufgefangen wurde. In den weiteren 32 Minuten wurde kein Speichel mehr sezerniert. Wir gingen nun dazu über, weitere ähnliche Versuche auszuführen und gaben zunächst bei einem weiteren Versuch, der in der folgenden Tabelle verzeichnet ist und am 22. Oktober stattfand, Hafer. IVzeirisiuichhr9: Zusammensetzung in Prozenten ; Auf 5cem g Speichel- ar Far menge in a Asche Stickstoff | Chlor Minuten ccm ®/10 H,S0, 9% | %, % % 5 I 21/a | 9 0,075 0,75 0,21 0,084 0,093 21/5 8 | 2 | a nn 0,075 | 0,8 013 | 0087 | 0.064 2]; 45 | | 2!/g 5 21/, 4 \ neutral 0,61 ? 0,085 0,035 Dill 3 ) 48 A. Scheunert und A. Trautmann: Die Tabelle zeigt, daß in der Zeiteinheit bei Haferfütterung viei größere Quantitäten mandibularen Speichels abgesondert wurden, als bei der Heufütterung. Dieser Befund ist zunächst unerklärlich und widerspricht den theoretischen Voraussetzungen. Dies ist aber, wie wir bei Versuch 5 aufklären werden, nur scheinbar der Fall. Weiter sieht man, daß die Speichelmenge mit der Dauer des Fressens nicht unwesentlich abnimmt. Trockensubstanz und Aschegehalt sinken ebenfalls. Der Gehalt an Stickstoff hingegen bleibt ziemlich gleich, und der Gehalt an Chlor zeigt eine deutliche Verminderung. Nach Beendigung des Versuches wurde das Tier getränkt und nach insgesamt 1 Stunde Heu vorgelegt, von welchem es aber nur 20 Minuten lang fraß. | | Zusammensetzung in Prozenten IDEEN. Auf ccm a , Speichel- : | Zeit in a Speichel Trocken- RE a | Asche | Stickstoff Chlor Minuten | ccm "lo H3SO, 0, % | % % | > 10. 10 0.075 060 | 012 1200683 10 | 7 0,075 0,46 | 0,08 | Erei 0,035 Die in der Tabelle hierüber zusammengestellten analytischen Werte zeigen, daß der Trockensubstanz- und Aschegehalt des Speichels bei der Heufütterung durchschnittlich ein niedrigerer als bei der Hafer- fütterung war und ebenfalls gegen Ende der Nahrungsaufnahme hin abnahm. Hingewiesen sei noch auf die bei diesem Versuch ausgeführte Al- kalinitätsbestimmung, die sowohl bei Hafer- wie Heufütterung ungefähr dieselben Resultate ergab. Danach war der Mandibular- speichel im Gegensatz zum Parotidenspeichel praktisch neutral. Nach Beendigung des Versuches wurde das Tier weiter beobachtet, um festzustellen, ob hierbei etwa eine Sekretion entgegen den Beobach- tungen älterer Autoren (Colin l.c., Ellenberger l.c.) dennoch statt- finden würde. 12h12’ bis 1228’ kaute das Tier 15 Bissen wieder, wobei eine nicht bestimmbare, minimale Quantität, ca..0,25 ccm klaren Speichels abgesondert wurde. Von 12h28’ bis 12143’ trat eine Pause im Wiederkauen ein, in der einige Tropfen, insgesamt ungefähr 1 cem, aus der Fistel herausflossen; dann setzte 1244’ der Wiederkauakt wieder ein und hielt 24 Minuten an, in denen 12 Bissen wiedergekaut wurden. Dabei gelangte etwa 1 ccm Speichel zur Absonderung. Man findet danach in diesem Versuch bestätigt, daß eine eigentliche Se- kretion während der Ruhe und beim Wiederkauen nicht stattfindet; nur ganz minimale Quantitäten treten aber in gelegentlichen Tropfen aus der Fistel aus. Zum Studium der Speichelsekretion. II. 49 Nach den beiden ersten Versuchen schien es, als ob die Speichel- zusammensetzung für Hafer und Heu verschieden und charakteristisch sein könnten. Der nächste Versuch, der am folgenden Tage (23. X.) mit Heufütterung ausgeführt wurde, zeigte aber, daß eine solche Schlußfolgerung zu weitgehend wäre. Versuch 3. Zusammensetzung des Speichels in Prozenten 2. || Speichel- k Zeit in || Be Trocken- R | “ = Ee Asche \ Stickstoff Min. | cem % Ä zul % $ ; % | I A | E R Mono ob 20084 2 > I oseı 00 | 0.092 5 | 4 | NE E09 0,16 0,088 u 4 les | as 000.102 Die nach dem Versuch 12" 30’—12" 39 beobachtete Wiederkauperiode verlief ohne Speichelabsonderung. Wie die Tabelle zeigt, wurde dabei Speichel abgesondert, der in seiner Zusammensetzung nicht dem bisher untersuchten Heuspeichel, sondern viel eher dem Haferspeichel entsprach. Auch die Sekretions- geschwindigkeit verhielt sich in den Versuchen mit Heufütterung etwas verschieden. . Wir erkennen hieraus, daß auch die Mandibularsekretion keines- wegs eindeutig durch die Nahrung bestimmt ist. Um diese kompli- zierten Verhältnisse weiter zu klären, haben wir bei weiteren Versuchen auch noch die Quantität des in der Zeiteinheit aufgenommenen Futters bestimmt. Versuch 4., am 24. X. 1912. Es wurde zunächst Hafer, dann Heu gereicht, nachdem das Tier längere Zeit gehungert hatte und zu erwarten stand, daß es größere Futtermengen aufnehmen würde. Die Tabelle (S. 50) gibt uns zunächst die Erklärung für die Beobach- tung, daß das Schaf bei Haferfütterung in der Zeiteinheit mehr Speichel als bei Heufütterung absonderte. Man hätte im Gegenteil bei Aufnahme von Heu, dem rauhen, trocknen und schwerer schlingbareren der beiden Futtermittel, eine größere Speichelmenge als bei Haferaufnahme er- warten müssen. Betrachten wir jetzt aber die in der Zeiteinheit aufgenommenen Futtermengen, so sehen wir, daß von Hafer ungefähr die 5 bis 6fache Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 4 50 A. Scheunert und A. Trautmann: Versuch 4, 24. X. 1912. Haferfütterung. Verzehrte Zusammensetzung des Speichels Zeit in ee = Rh rec Be ee Rn Min. e 5 0, u, er; H) Ar I in 017 | 0081 0,092 © je» 019 | 006 | 008 2: | = nn | 0.71 0,19 0,098 0,057 ler ne 015 | 0064 | 0,059 ss 5 ll on 0,14 01 | 0035 Alsdann folgte nach halbstündiger Pause, während der 1,5 g Speichel gesammelt wurden, Heufütterung: 5 7 55 | | | : ı re | 0,81 015 | 0,10 0,021 5 Di 35 | - \ R | 0,64 013 | 0,108 0,014 5 6 35 | | - : = | 064 | 013 | 0008 0,021 5 5 30 | : “ n | 0,61 0,09 0.098 0.027 5 3.5 98 | 5 15 15 | 0,65 0,13 0.098 0,097 5 35 15 | | 5 2 15. 5 2.5 10 0.56 0,14 0.077 0,018 5 2 10 Gewichtsmenge als von Heu aufgenommen wurde. Daraus ergibt sich, daß in der Tat, entsprechend der theoretischen Voraussetzung auf gleiche Mengen beider Futtermittel berechnet, bei Heu eine wesentlich srößere Speichelmenge als bei Hafer abgesondert wird. Wir werden aber sogleich zeigen, daß auch hier größere Schwankungen mög- lich sind. Mit zunehmender Sättigung, die wir an der Größe der aufgenommenen Futtermenge gut kontrollieren können, sinkt auch die abgesonderte Speichelmenge. Dabei treten auch in der Zusammensetzung des Speichels Veränderungen auf, und zwar hat es den Anschein, als ob der Speichel einen immer geringeren Gehalt an gelösten Bestandteilen aufweise. Regelmäßigkeiten in der Abnahme der bestimmten Bestandteile sind aber nicht zu erkennen. Wie große Verschiedenheiten von Fall zu Fall. auftreten, zeigt der Zum Studium der Speichelsekretion. II. Versuch 5, 26. X. 1912. Haferfütterung. 51 Zusammensetzung der Bpeneienes in Prozenten Zeit in Speichel- Futter- 5 re menge in menge in an Asche ee Nr Min. g g % % | % % A, 5,5 225 \ . Sl 3 2); 3,5 185 0,79 021 | 0126 0,115 28/, 5.5 215 \ | Z 5 an | 60 220 0,84 021 | 0187 0,062 Due 5.5 200 \ | 5 20 | 94,0 195 u) Ra nl 0,059 Ds eu 185 \ N 3% 3,5 165 0,73 014 | 0,126 0,053 De | 4.5 155 \ 5 Done Ah 108250 120 0,70 0,12 0.091 0,044 2"/e 3,5 145 \ | ß Me 2, 0095 105 0,67 0,10 0,098 li ee lß) \ 2% | 10 50 | 0,60 0,12 er 0,035 20 0 N) Der Versuch verlief in bezug auf die quantitative Seite der Speichel- absonderung insofern anders als der vorhergehende, als viel kleinere Quantitäten Speichel abgesondert wurden. Auch hier steht die ab- gesonderte Speichelmenge zur Quantität des aufgenommenen Futters in Beziehung. Auch ist der zuletzt abgesonderte Speichel ärmer an gelösten Bestandteilen. Sehr interessant verlief eine nach 15 Minuten anschließende Heu- fütterung. Bei dieser wurden zwar in der Zeiteinheit ähnliche Heu- mengen wie beim Versuch 4 aufgenommen, aber die Speichelsekretion war ganz geringfügig. Zeit in Minuten | | | | 'Speichelmenge Verzehrte in g ı Futtermenge in & UI IT MU ISO || w w Qu SU Qu a [1 E81 SOISOFSISN aD w Eine analytische Untersuchung des geringen Mengen nicht erfolgen. 45 30 40 35 25 25 10 30 25 20 Heuspeichels konnte wegen der 4* 2) A. Scheunert und A. Trautmann: ad Trotz dieser minimalen Sekretion sind die auf 100 g Heu abgeson- derten Speichelmengen mit 3,14 & immer noch etwas höher als die für 100 g Hafer im ersten Teil des Versuches benötigte Speichelmenge von 2,34 g, aber im Verhältnis zu den bei anderen Versuchen gefun- denen Speichelmengen bei Heufütterung sind sie doch sehr gering. Man sieht daraus, daß unter Umständen das Tier auch mit viel geringeren Speichelmengen auskommt. Es war nun noch der Einfluß der Kauseite zu prüfen, da ja die geringe Sekretion im zweiten Teil des vorigen Versuches hierdurch eine Erklärung hätte finden können. Colin hat einen solchen Einfluß der Kauseite auf die Mandibularsekretion beim Rinde verneint. Versuch 6. 29. X. 1912. Heufütterung. Speichel. Verzehrte | Zusammensetzung des Speichels Zeit i { : Futter- ei \ 2 I 5 = TIenSe nn, | menge in Kauseite ne Asche -| Stickstoff Chlor Min. g | & | %, al. | 0), o%, 5 5 45 rechts 2 ! 2 ’ n 5 | 0,81 023 | 0119 | 0044 5 4 | 3 links | | 5 1 6 Br 0:72...0,18 0,112 | 0,094 h) 45. ı 30 ul. 9 2 re en | 0.69 016 | 0,112 | 004 5 Bes Unt25 a 5 DE 20 rechts | 0,68 045 0,105 0,024 5 3 20 links 5 1,5 20 euer: 5 2.5 30 rechts | 0,72 0,14 0,112 0,012 5 1 — Rab Unser Versuch bestätigt die Colinsche Angabe. Das mit der Dauer der Nahrungsaufnahme beobachtete Absinken der Sekretmenge findet regelmäßig statt, und beim Kauen auf der operierten Seite (in diesem Falle links) erfolgt keine Zunahme der Speichelsekretion gegenüber der anderen Seite. Die aufgenommenen Futtermengen, die Speichel- mengen und ihre Zusammensetzung entsprechen ungefähr den früheren Beobachtungen. Zur Fortsetzung des Versuches wurde dem Tier 11" 7’ vergeblich Hafer angeboten. Das Tier kaute dann von 4h 4’ an 12 Bissen wieder, ohne daß dabei eine Sekretion erfolgte. Es kam uns nunmehr darauf an, das Verhalten der Mandibular- sekretion bei der Aufnahme noch anderer Futtermittel zu studieren. Wir stellten deshalb einen Versuch mit sehr wasserreichem Futter und zwar mit Rüben und anschließend mit Kartoffeln an. Die Rüben wurden dem Tier unzerkleinert vorgelegt, so daß es davon mit den Schneidezähnen abbeißen mußte. Es fand bei dieser Art der Nahrungsaufnahme trotz des Wasserreichtums und daher Zum Studium der Speichelsekretion. II. 53 Versuch 7. 1. XI. 1912. Rübenfütterung. Zusammensetzung des Speichels in Prozenten Speichel Verzehrte it i | Futter- ae Zeit in menge in en De | nt Sr En Min. g £ € | % | 0% 2% Da 65 = | E Te A er) 55 | \ 0,42 | 0,0 | 2,5 5,0 60 \ | ß “ en 2 4.0 45 8,38 | 0,05 2,5 4,0 55 \ | | dab ER 2,5 | 3:0 40 9,36 | 0,04 .063 „US Nachdem das Tier weitere Rüben verschmäht, erfolgt nach 17,5 Minuten Pause Fütterung roher Kartoffeln. 5 las 155 | | 5 | 025 200 | | | e 3 : ne 049 | 006 | 000 | 008 DE or 80 | 2:50.11,.20 170 |] 28 | 110 0.46 005 | 0014 Bu Do |) | guter Schlingbarkeit des Nahrungsmittels eine sehr erhebliche Speichel- sekretion statt. Es muß also hier noch ein anderer Faktor mitspre- chen, der mit dem Abbeißen in irgendeinem Zusammenhang steht (s. S. 73). Die Zusammensetzung des Speichels unterscheidet sich wesentlich von der des bei Hafer und Heu gewonnenen. Er ist viel ärmer an Trockensubstanz, Asche und Stickstoff, nur der Chlorgehalt ist annähernd derselbe. Die anschließende Verabreichung roher Kartoffeln bedingte die Absonderung eines ähnlich zusammengesetzten, also auch an gelösten Bestandteilen armen Speichels. Hier waren aber die abgesonderten Mengen wesentlich geringer und die verzehrte Kartoffelmenge viel größer. Im übrigen kommt die auch früher schon beobachtete Abnahme der Menge als auch die Verminderung der Konzentration des Speichels mit fortschreitender Sättigung zum Ausdruck. Wir können vielleicht aus diesem Versuch entnehmen, daß wasser- reiche Futtermittel einen verdünnten Mandibularspeichel hervorrufen. Da der Versuch aber nicht wiederholt wurde, ist nach den früheren Erfahrungen ein solcher Schluß nicht ganz einwandfrei. Bei einem weiteren Versuch S reichten wir als Gegenstück zu dem sehr wasserreichen ein sehr trockenes Futtermittel, nämlich Roggen- kleie. Diese nahm das Tier sehr gern auf, doch benötigte es zu ihrer Aufnahme, wie die Tabelle zeigt, große Quantitäten von Speichel, der sich durch eine außerordentliche zähe Beschaffenheit auszeichnete. Wir prüften dabei gleichzeitig die psychische Erregung der Mandibularis, Im Anschluß sei ein Kontrollversuch 9 mit Kleiefütterung angeführt. 54 A. Scheunert und A. Trautmann: Versuchs. 216° xT.21912! SS Speichel- Vesante Futter- az Zusammensetzung des Speichels. er or DEE Zu ne Asche | Stickstoff | Chlor Min. R g g % % %s % e | 10 Reizung durch | . 075 Vorzeigen von | 0,62 0,2 — — u Kleie | Es wird Kleie gereicht (Roggenkleie). 5 6,5 60 a. & > Rs | 0.82 0,43 en 0,177 5 9 55 9 9 - n 3 | 0,71 0,29 0.095 | 0,120 2 2 » 0,63 027 | 0067 | 014 5 9 0 ‚09 74 „ud 3 5 8.5 20 n | : : oe > | 0,70 0,28 0.063 | 0,092 5 ) 30 0,59 0,24 Z 0,071 Versuch 9, 4. XII. 1912. Kleiefütterung. | Auf 10 cem ü = j 29 Fetın Speichel- a Speichel Zusammensetzung des Speichels in Prozenten menge os werd. verbr.| _ | in E 2 N: = oe Asche |Stickstoff | Chlor Muecin 2.5 8 2002| 2.5 7.5 20° 31 2,5 7,5 15 2,6 0,66 0,18 0,090 0,099 — 2.5 25 2,5 7 25 | 2.5 6 20 | 95 8 95 | 2,4 0,60 0.17 0,078 0,092 —_ 2,5 6.5 15 | 2,5 15) 15 | = 2 ” 23 »[°0.53 | 014 | 0023. 0078 | 2,5 5 15 | | Es wird von 5 zu 5 Minuten aufgefangen: R - ar N 20 | 050 | o1a | 0.067 | 0,064 | o,1a« > “ \ 19 | 050 | 013 | 0062 | 0,064 | 0,144 5 10 20 | | 2,0 0,48 0,10 0,064 0,051 0,136 10 | 15 2 nn | “ 20 | oa | o11 | 0.053 | 0,050 | 0,124 Betrachten wir beide Versuche vergleichend, so ist zunächst auf die erhebliche Speichelmenge hinzuweisen, die die sehr trockene Kleie zum Einspeicheln benötigt. Die im zweiten Versuch in den letzten Zum Studium der Speichelsekretion. II. 55 Minuten aufgefangenen Mengen sind allerdings nicht ganz genau, da das Tier heftig mit dem Kopf schleuderte. Was nun die Zusammensetzung anlangt, so bestehen bei beiden Versuchen erhebliche Unterschiede. In Versuch 8 war durchweg der Speichel wesentlich konzentrierter, also auch hier gab es keinen un- bedingt charakteristischen ‚‚Kleiespeichel“. Übereinstimmend und abweichend von den bisherigen Ergebnissen zeigen beide Kleiespeichel nur einen hohen Gehalt an Chloriden, und bei Versuch 8 fanden wir den Speichel durchweg alkalisch. Er war sehr schleimig, wie das auch aus der Mucinbestimmung, die in den ersten Portionen übrigens nicht gelang, hervorgeht. Wir glauben durch diese Versuche zunächst den Einfluß der Nahrung auf die Speichelabsonderung und Beschaffenheit genügend beleuchtet zu haben und wenden uns nun einer zusammenfassenden Besprechung zu. Wir bestätigten, daß die Mandibularis nur während der Nahrungs- aufnahme sezerniert, zwischen den Mahlzeiten und beim Wiederkauen aber ruht. Höchstens treten vereinzelte Tropfen hin und wieder aus. Sie verhält sich in dieser Hinsicht beim Schafe ebenso wie beim Rinde [Colin (l.c.) und Ellenberger (l.c.). Bei der Nahrungsaufnahme ist die Sekretion beträchtlich. Der Speichel ist klar, fadenziehend, reich an Mucin und besitzt nur eine sehr geringe Alkalinität. Die abgesonderten Mengen stehen in deutlichen Beziehungen zur Menge und Art der aufgenommenen Nahrung, und zwar ist in letzter Hinsicht auch die Trockenheit, Rauhigkeit und Schwierigkeit der Schlingbar- machung maßgebend. Das ist auch ganz natürlich, denn die an Schleim- zellen reiche Mandibularis liefert Mucin, welches die Nahrung schlüpfrig und schlingbar macht; sie liefert Gleit- und Schlingspeichel. Trockenheit und Rauhigkeit der Nahrung sind aber für die Menge des Mandibularsekretes nicht allein maßgebend, denn wir fanden auch herausfallende Ergebnisse. Rechnen wir die geschilderten Ver- suche und noch einige zu dem besonderen Zweck angestellte derart um, daß wir die Speichelmenge vergleichen, die bei Aufnahme von 100 g Nahrungsmittel erhalten wurden, so ergibt sich: Es wurden im Durchschnitt abgesondert aus der Fistelmandibularis: am 24. 10. auf 100 g Hafer 3,45 g Speichel am 26. 10. auf 100 g Hafer 2,34 8 » am 24. 10. auf 100 g Heu 13,72 g > am 26. 10. auf 100 g Heu 3,16 g Er am 29. 10. auf 100 g Heu 11,67 g » am 12. 2. auf 100 g Heu 13528 > am 21. 2. auf 100 g Heu one, am 1. 11. auf 100 g Rüben 8,63 8 ” am 1. 11. auf 100 g Kartoffeln 1,54 g . am 16. 11. auf 100 g Roggenkleie 24,17 8 > am 4. 12. auf 100 g Roggenkleie 41,97 g ” 56 A. Scheunert und A, Trautmann: Die Beziehungen zwischen Schlingbarkeit der Nahrung und erhaltener Speichelmenge treten deutlich hervor. Ebenso deutlich sieht man aber, daß keineswegs etwa starre Beziehungen bestehen. Hierin drückt sich die Mannigfaltigkeit der Bedingungen aus, welche die Sekretion der Drüsen verursachen und beeinflussen. Von der Möglichkeit einer mathematischen Formulierbarkeit ist dieser Vorgang weit entfernt. Genau zum gleichen Ergebnis kommen wir auch bei der vergleichen- den Betrachtung der Zusammensetzung des Speichels. Sicher ist ein Einfluß der Nahrung vorhanden. Wie sollte es auch anders sein, da die hauptsächlichsten Reize beim Kauen der Nahrung auf die Mundschleim- haut einwirken! Aber sicher sprechen noch eine ganze Reihe anderer Faktoren mit (Appetit, Wasserbedarf des Körpers, Inhalt des Ver- dauungstraktus u. dgl.). Auch daran ist zu denken, daß selbst ein an sich ziemlich gleichartiges Nahrungsmittel nicht jeweils genau dieselben Reize in quantitativer wie in qualitativer Richtung ausüben wird. Daher beobachten wir weitgehende Unterschiede. Schon während der Mahlzeit selbst verändert sich die Speichelzusammensetzung, wobei mit der Dauer der Sekretion eine Verminderung des Gehaltes an gelösten Be- standteilen erkennbar ist. Jedenfalls kann von einer so weitgehenden Spe- zifität der Speichelzusammensetzung, wie sie nach den Befunden der Pa wlo wschen Schule gefolgert werden könnte, nicht gesprochen werden. Endlich sei nochmals an das Zustandekommen bedingt reflek- torischer Erregung der Mandibularis, wie wir es mehrfach durch Vor- zeigen von Futter erprobten und im Versuch 8 etwas genauer studierten, erinnert. Die Mengen waren äußerst gering, und die Wirkung nur kurz und nicht nachhaltig, da, wie S. 46 erwähnt, die Tiere das Interesse verlieren. Enthalten Parotis- und Mandibularspeichel des Schafes Diastase? Wir müssen nur noch kurz auf die Frage nach dem Diastasegehalt des Parotis- und Mandibularspeichels beim Schafe eingehen. Diese Frage ist besonders interessant, da wir im Parotidensekret des Pferdes keine Diastase fanden, und durch Ellen bergers Untersuchungen der Wiederkäuer- speichel als der am weitaus ärmste an diastatischer Wirksamkeit bekannt ist. Neuer- dings fand dann Markoff den Gesamtspeichel des Ochsen direkt diastasefrei. Zur Untersuchung gelangten Parotisfreßspeichel von Heu, Parotisruhespeichel, Mandibularspeichel von verschiedenen Fütterungen. Gemischt wurden Parotis- freßspeichel oder auch Ruhespeichel mit Mandibularspeichel zu gleichen Teilen. Es erübrigt sich, die Ergebnisse einzeln aufzuführen, da sie durchweg negativ ver- liefen. Nach 4- und 5stündiger Einwirkung auf Stärkekleister fanden wir nie die geringste Wirkung, erst nach 13 Stunden traten bei einigen Proben blau-violette Jodreaktion und minimale Reduktion ein. Viele Proben verhielten sich aber auch nach längerer Einwirkung negativ. Wir gelangen damit zu dem Schluß, daß das Parotiden- und Mandibularsekret des Schafes diastasefrei ist, und daß auch nach Vermischung beider Sekrete keine diastatische Wirkung auftritt. Schließlich sei noch erwähnt, daß wir im Mandibularsekret, von dem uns große Mengen zur Untersuchung zugänglich waren, auch keine Peroxydase und nur eine sehr geringe Katalasewirkung fanden. Zum Studium der Speichelsekretion. II. 57 3. Histologische Untersuchung der Parotis und Mandibularis. Ehe wir uns mit der Beschreiung der Struktur der Parotiden und mandibu- laren Drüsen nach Anlegung von Fisteln befassen, erscheint es notwendig, kurze Angaben über die wichtigsten histologischen Merkmale zu geben. Das, was wir wenigstens hinsichtlich der Parotis, verglichen mitdem Bau der Parotiden anderer Haustiere (z. B. Pferd), zunächst als pathologisch betrachteten, stellte sich bei eingehender histologischer Untersuchung normaler Ohrspeicheldrüsen als durch- aus einwandfrei heraus. Die im Gegensatz zum Pferd relativ selten untersuchte Parotis der kleinen Wiederkäuer unterscheidet sich von dem üblichen Bau einer serösen Drüse in einigen wesentlichen Punkten. Ausführlich ist der Bau der Parotis beim Schaf an anderer Stelle!) geschildert worden. Hier mag bemerkt sein, daß die lobulär gebaute Parotis des Schafes bei jüngeren Individuen ungefähr im ersten Lebensjahr insofern eine gemischte Drüse ist, als sich in ihr neben den in großer Überzahl vorhandenen serösen Drüsenendstücken auch solche mit rein mukösem Charakter veremzelt oder in Gruppen finden. Da nach dem ersten Lebensjahr die mukösen Endstücke sich zurückbilden, sind sie in Parotiden von über 1 Jahr alten Schafen nur in geringer Anzahl anzutreffen, während sie bei Schafen von 2 Jahren vermißt werden, so daß nur seröse Drüsenendstücke zu finden sind. Die alveolären Drüsenendstücke weisen im Gegensatz zum Verhalten beim Mensch und anderen Säugetieren, wie überhaupt im Gegensatz zu fast allen Eiweiß- drüsen meist ein relativ weites Lumen auf, dessen Durchmesser je nach dem Funk- tionsstadium verschieden groß ist. Im übrigen walten die gleichen Verhältnisse wie z. B. in der Parotis des Pferdes oder Menschen ob. Die Glandula mandibularis (submaxillaris) des Schafes und der Ziege ist eine gemischte Drüse mit Halbmonden, die alle Struktureigentümlichkeiten dieser besitzt, sich aber durch die außerordentlich starke Entwicklung der Halb- monde auszeichnet. Näheres ist im Ellenbergerschen Handbuch der vergleichen- den mikroskopischen Anatomie 3, 1911 zu ersehen. Bezüglich der übrigen für uns hier wichtigen anatomischen Merkmale verweisen wir auf die diesbezüg- lichen Ausführungen beim Pferd in der 1. Mitteilung. In makroskopischer Hinsicht konnten wir an Parotiden, deren Papilla salivalis nach außen gelegt war, feststellen, daß die Drüsen wie beim Pferd gegenüber den korrespondierenden eine sehr blasse Farbe aufwiesen. Es war ferner auffällig, daß in jedem Falle an der nor- malen Parotis stets ein größeres Gewicht festgestellt werden konnte, als an der Fistelparotis (s. Protokoll Schaf VI, IX, X). Die Rückschlüsse, die wir beim Pferd aus den Gewichtswerten herleiteten, scheinen auch hier aufgestellt werden zu dürfen. Histologisch haben wir an den Paro- tiden mit Gangfistelneine deutliche Vermehrung des intralobulären Interstitialgerüstes beobachten können. Allerdings war auch das inter- lobuläre Bindegewebe reichlicher als das in der anderseitigen Parotis entwickelt. An den Drüsenendstücken und ihrem Epithel sind uns Besonderheiten nicht aufgefallen. Das mag vielleicht daran liegen, daß wir infolge des schnellen Verendens der Tiere die Fistelparotiden nur relativ kurze Zeit nach der Operation untersuchen konnten und auffällige histologische Alterationen möglicherweise erst relativ spät t) E. Bock und A. Trautmann, Die Glandula parotis bei Ovis aries. Anat. Anz. 47, 1914. 58 A. Scheunert und A. Trautmann: erkennbar sind. Am ausführenden Apparat fiel besonders die Weite der Sekretröhren und Sekretgänge auf. Daß die Anlage der Parotis- fistel beim Schafe nicht ohne nachteilige Folgen bleibt, ist aus dem klinischen Verhalten ersichtlich. An dem Schafe VIII, an dem wir eine Mandibularfistel angelest hatten, haben wir trotz der Länge der Zeit, die nach Anlegung der Fistel vergangen war, nur hinsichtlich des Gewichtes, aber nicht hin- sichtlich der Struktur Abnormes feststeilen können. Nur fiel tinktoriell die ausgesprochene Affinität der serösen Halbmonde zu basischen und Abb. 4. Schnitt durch die linke Glandula mandibularis ohne Fistel von Schaf II zum Vergleich mit Abb.5 (Kresylviolettfärbung). «a muköse Endstücke, 5 Wandzellkomplexe, c Sekretröhre, d Sekretgang, e Interstitialgerüst. Schleimfarben auf. Wir möchten bemerken, daß das Tier nie Störungen in klinischer Hinsicht aufwies, wie dies z. B. bei den Parotisfistelschafen der Fall war. Zudem war die Sekretion der mandibularen Drüse an diesem Tier eine stets gleichmäßige. Unsere Untersuchungen an Schafen (II und V), denen zu gleicher Zeit an der linken Parotis und rechten Mandibularis Fisteln angelegt worden waren, haben hinsichtlich des klinischen Ver- haltens (stets eintretende hochgradige Kachexie s. Protokolle) und der strukturellen Beschaffenheit der Mandibularis mit Gangfistel beim Vergleich mit der anderseitigen fistellosen Mandibularis sehr beachtens- werte und interessante Befunde gezeitigt. Auch die Fistelparotis war 59 Zum Studium der Speichelsekretion. II. eigenartig alteriert. Sehr beachtlich war die erhebliche Verminderung des Gewichts der Fistelmandibularis gegenüber der korrespondierenden Erstere hatte daher eine nur geringe Größe. Drüse (3,4 : 11,8 g). -uy 9814189 JJOUTET YIuL JSmA 5sS9p 9 ‘8 9soynu » "F’aqy yJlur y9roTzıoA um 95 9 eieddy opuaıım z II FeyOS UOA [9981 1919s19Ju] 3 ‘DUuBZgarye sne u Ss» 9a 13 Mr no (0%. ur Ss 9p BJ IE) ‘SIgIMAZIPLIT SOP ZUMTLP.IO L > Oxajdwoyfezpur A 9 UOTfOZUOSNIC IT pw sımepngıpugu eInpurfy oyyoaır oIp yamp Yyruyas "q "qqy Mandibular- Die Betrachtung der Abb. 4 und 5, durch die beide drüsen (also die linke und rechte) am Schaf II in Vergleich gestellt werden sollen, läßt schon auf den ersten Blick mit großer Deutlichkeit die enormen Unterschiede zwischen beiden Drüsen erkennen. Die 60 A. Scheunert und A. Trautmann: histologische Struktur der Fistelmandibularis ist nicht nur an einzelnen bestimmten Stellen, sondern in toto alteriert. Was zunächst das Interstitialgerüst (Abb. 5e) anlangt, so sieht man leicht, daß dasselbe tiefgehende Veränderungen durchgemacht hat. Während in der normalen Mandibularis die die einzelnen relativ sroßen Läppchen der Drüse trennenden interlobulären Septen nur eine geringe Dicke aufweisen, findet man in der Drüse mit Gangfistel eine Trennung der Läppchen (im mikroskopischen Bilde) durch außer- ordentlich dicke bindegewebige Züge. Auch das intralobuläre Stütz- gerüst ist ganz erheblich vermehrt. Stellenweise ist innerhalb der Läppechen so viel Bindegewebe gelegen, daß die sezernierenden Drüsen- elemente oder die, wie später beschrieben werden soll, aus den Drüsen- endstücken hervorgegangenen Gebilde ganz in den Hintergrund treten, und daß eine Abgrenzung durch die interlobulären Septen, wie es normal der Fall ist, kaum noch zu erkennen ist. Überhaupt ist gerade durch das massenhafte Auftreten von Bindegewebe in den Läppchen der sonst ausgesprochene Läppehencharakter der normalen Drüse fast gänzlich verschwunden. Das intra- und interlobuläre Gewebe fließen zusammen; die Drüsenendstücke eines Läppchens sind untereinander oft nicht viel weiter entfernt als von den Endstücken der Nachbar- läppchen. Dies bedingt die Verwischung des lobulären Baues. Nur an einzelnen Stellen der Drüse ist das Gewebe noch annähernd normal; hier ist auch der Läppchenbau noch deutlich erkennbar. Das Parenchym der Mandibulardrüse mit Fistel ist nur ganz vereinzelt ohne Veränderungen geblieben. Zunächst ist darauf hinzu- weisen, daß die Färbbarkeit der Drüsenzellen durch Schleimfarben, also die Affinität der Schleimzellen zu Farben wie Mucikarmin, Bis- marckbraun, Kresylviolett, erheblich geringer als normal ist. In der Drüse sind noch Endstücke mit Schleimzellen am meisten zu finden. Die auffallendste Erscheinung ist, daß die Wandzellkomplexe (Abb. 55) an Zahl und Größe ganz erheblich vermindert sind. Sehr oft fand man nur Endstücke ohne Halbmonde, also nur das Lumen begrenzende Schleimzellen. Die vorhandenen Schleimzellen sind kleiner als normal. Sehr oft findet man nur eine einzige (Abb. 55) dunkle Zelle außen an den Schleimzellen eines Durchschnitts eines Endstückes. Die dunklen serösen Zellen sind also zu einem sehr großen Teile verschwunden. Es beginnt sicher das Zugrundegehen von Endstücken damit, daß zu- erst die in Form von Halbmonden angelagerten serösen Zellen und dann erst die Schleimzellen degenerieren. Als Ursache des abnormen Zustandes kann sicher nicht eine Sekretstauung angesehen werden; denn stets wurde ein ungestörter tropfenweiser Sekretabfluß beob- achtet. Man findet außerdem in den Hohlräumen der abnormen Drüse nicht mehr Sekret als in normalen Drüsen. Zu bemerken ist aber, daß Zum Studium der Speichelsekretion. II. 61 die Endstücke in den Drüsen mit Gangfistel meist einen kleineren Durchmesser besitzen als die Endstücke normaler Drüsen. Die Zahl der Endstücke hat abgenommen, während, wie schon erwähnt, das inter- und intralobuläre Gewebe erheblich zugenommen hat. Normale Endstücke sind allerdings auch noch vorhanden, aber nur in ganz geringer Zahl. Die in der Fisteldrüse noch vorhandenen wenigen normalen End- stücke sind dort, wo mehrere solche Endstücke beieinander liegen, auch nur durch normale Mengen von Bindegewebe getrennt. Neben den, wie erwähnt, nicht häufigen normalen Endstücken und normalen Läppchen finden sich veränderte Drüsenendstücke zahlreich vor. Sie liegen entweder vermischt mit annähernd normalen Drüsenend- stücken in einem Läppchen zusammen, indem sie entweder zwischen Grüppchen von normalen Endstücken liegen, oder die eine Seite des Läppchens erfüllen und die andere freilassen, oder ein Drüsenläppchen besteht aus solchen veränderten Endstücken. Letzteres ist haupt- sächlich der Fall. Diese Bildungen, d.h. die abnormen Drüsenend- stücke, lassen sich im großen und ganzen in drei Gruppen teilen. Allen gemeinsam ist, daß man im mikroskopischen Bild an sämtlichen Durch- schnitten von offenbaren Drüsenendstücken ein wohlausgebildetes Lumen sieht, das allerdings nicht wie bei dem normalen Drüsengewebe vornehmlich kreisrund oder oval ist, sondern die mannigfaltigsten For- men (neben runden und ovalen vor allem buchtige, abgeknickte, stern- förmige usw.) erkennen läßt. Zwischen ihnen findet man andere Räume, die zweifellos Durchschnitte durch Teile des ausführenden Apparates darstellen, so daß das gesamtmikroskopische Bild sehr kompliziert erscheint. Die Durchschnitte der Drüsenendstücke sind mit einem Epithel ausgekleidet, das sich verschieden verhält, aber in keinem Falle dem normalen Drüsenepithel ähnelt. Nach der Höhe des Epithels kann man, wie oben erwähnt, drei Arten von Durchschnitten unter- scheiden ; es kommt aber selten vor, daß in einem Läppchen sich mehrere Arten dieser Durchschnitte nebeneinander finden. Bei einer Art (Abb. 6a) weisen die Zellen eine hohe cylindrische Gestalt auf. In diesem Falle begrenzen sie ein Lumen, das noch nicht sehr weit und unregelmäßig, aber weiter als das der normalen Endstücke ist. Die Kerne sind relativ groß, bläschenförmig und chromatinreich. Das Protoplasma der Zellen färbt sich speziell lumenseitig mit Schleim- farben. Man trifft diese Art von Durchschnitten besonders in solchen Läppchen, in denen noch normales Gewebe angetroffen wird. Aber auch andere Läppchen sind von solchen Durchschnitten erfüllt. Bei einer anderen Art (Abb. 65) ist das Epithel etwa um die Hälfte niedriger. Die Kerne der Zellen liegen dicht an der Basis und sind sehr unregelmäßig. Eine Schleimreaktion der Zellen ist nicht vorhanden. 62 A. Scheunert und A. Trautmann: Das Lumen ist hier vielgestaltiger und am weitesten von den erwähnten drei Arten. Mit dieser Art von Durchschnitten vermischt, findet man Durchschnitte der dritten Art mit ganz niedrigem Epithel, das die un- regelmäßigsten Lumina begrenzt. Der Kern der Zellen ist aber auch hier nicht plattgedrückt, wie man vermuten könnte, sondern nähert sich mehr der runden Form. Er scheint auch nicht so groß zu sein wie in Abb. 6. « Drüsenläppchen mit verändertem Endstück 1. Ordnung, Db 2. Ordnung, e lamellen- artige Anordnung des Bindegewebes um die veränderten Endstücke, d interlobuläres Stützgerüst, e Sekretgang, f Arterie, f’ Vene. den Zellen der anderen Durchschnitte. Es ist bemerkenswert, daß in dem Falle, wo derartig platte Zellen das Lumen begrenzen, das Lumen wohl vielgestaltig, aber eng ist. Speziell um diese letzteren Durch- schnitte findet sich dichtes Bindegewebe in zwiebelschalenähnlicher (Abb. 6c und 5c’) Anordnung und in erheblicher Dicke, und zwar ist jeder Durchschnitt im mikroskopischen Bilde von einer besonderen derartigen fibrösen Hülle umgeben. Bei den Durchschnitten mit den Zum Studium der Speichelsekretion. Il. 63 anderen Epithelien ist die Hülle, speziell bei der zu zweit erwähnten Art noch deutlich, wenn auch nicht so dick. Bei der zuerst beschriebenen Art scheint sie erst in der Bildung begriffen zu sein. Eine Membrana propria, wie sie noch sehr deutlich in Schnitten mit annähernd normalem Gewebe angetroffen wird, fehlt allen abnormen, vorstehend beschrie- benen Gebilden vollkommen. Bei der ersten Art hat man im mikroskopi- schen Bilde den Eindruck, als ob die Membrana propria sich aufsplittere, um später den Bindegewebswucherungen Platz zu machen. Was den ausführenden Apparat (Abb.5c,du. 6e) anlangt, so finden wir auch in diesem weitgehende Unterschiede gegenüber dem Nor- malen. Sekretkapillaren sind zwischen den Drüsenzellen in dem ver- änderten Gewebe nicht mehr festzustellen. Ein Unterschied zwischen Schaltstück und Sekretröhre ist nur noch, wenn auch undeutlich, in den mehr normalen Drüsenteilen der Mandibularis wahrzunehmen. In den Läppchen, in denen normales Drüsengewebe nicht mehr anzu- treffen ist, finden sich aus den Endstücken sich fortsetzende Gänge, die dasselbe Epithel tragen wie die verschiedenen Arten der veränderten Endstücke. So konnten z. B. die spezifischen Zellen der Sekretröhren mit der basalen stäbchenförmigen Differenzierung des Zelleibes trotz aufmerksamer Untersuchung nicht mehr aufgefunden werden. Die eben beschriebenen intralobulären Gänge, die veränderte Sekretröhren sind, münden in die interlobulär liegenden Sekretgänge (Abb. 5d und 6e), die bezüglich der Größe und Form ein außerordentlich variables Lumen erkennen lassen. Die Quer- bzw. Längsschnitte durch die Sekretgänge nehmen im mikroskopischen Bilde häufig sehr große Strecken ein. Erstere sind selten rund. Die Durchschnitte der Sekret- gänge zeigen in der Mehrzahl der Fälle starke Ausbuchtungen. Das sie auskleidende Epithel ist niedriger, als es normalerweise in den Sekret- gängen gefunden wird. In dem Lumen der Sekretgänge, wie auch in den intralobulär liegenden Teilen des ausführenden Apparates finden sich spärliche Sekretmassen, die Schleimreaktion aufweisen. Wie bei den oben beschriebenen abnormen Drüsenendstückarten finden wir auch um die Teile des ausführenden Apparates zwiebelschalenähnlich angeordnete Bindegewebslamellen, die aber hier und speziell bei den interlobulär liegenden Gangteilen mächtiger und ausgeprägter sind als bei den Endstücken. Das ganze Ausführungssystem macht innerhalb der veränderten Teile der Mandibularis einen weniger komplizierten Ein- druck, als wie wir es normaliter finden. Den extraglandulären Teil der Mandibularis konnten wir leider infolge äußerer Umstände nicht untersuchen. Aus vorstehendem ist ersichtlich, daß die normalen Endstücke allmählich alle beschriebenen Stufen der pathologischen Veränderung durchmachen, bis sie, beijder letzten angelangt, endlich ganz durch 64 A. Scheunert und A. Trautmann: bindegewebige Entartung dem Untergange anheimfallen. Wir finden hier ähnliche Verhältnisse wie bei der Fistelparotis des Pferdes, nur daß hier das ganze Drüsenparenchym scheinbar schneller und in größerem Ausmaße dem pathologischen Prozeß anheimfällt. Bei dem anderen Schafe (V), dem ebenfalls kreuzweise eine Parotis- und eine Mandibularfistel angelegt worden waren, haben wir derartige Veränderungen, wie sie im vorstehenden beschrieben sind, nicht finden können. Die Parotisfistel bzw. Fistelmandibularis hatten ungefähr das gleiche Gewicht wie die Drüsen, an deren Gängen keine Fistel an- gelegt waren. Immerhin war auffällig, daß die Gewichte der Drüsen an sich erheblich niedriger waren ais die Gewichte, die wir bei Tieren ohne Fisteln feststellen konnten und die auch Colin!) als normale angibt. Das mag auch wohl darin begründet sein, daß das Ge- wicht des Tieres, das vor der Operation 96 Pfund, nach der Tötung nur noch 43 Pfund betrug. Offenbar haben sämtliche Organe und so- mit auch die Speicheldrüsen an Gewicht abgenommen. Genau so ver- hielt sich die von uns mit gleichen Fisteln versehene Ziege (s. S. 37). Histologisch haben wir bei diesen Tieren geringe Veränderungen an der Mandibularfisteldrüse feststellen können. Die Tinktionsfähigkeit des Drüsenepithels der Fisteldrüse war eine nicht mehr so gute als die der mit gleichen Fixationen und Färbungen behandelten mandibularen korrespondierenden Drüse. Ferner schien uns bei der Fisteldrüse das Interstitialgewebe stärker ausgebildet zu sein, so daß die im Inter- stitium liegenden Sekretgänge weitere Durchmesser hatten als die der Drüse mit nicht operiertem Gange. Endlich glauben wir mit Sicher- heit festgestellt zu haben, daß die Wandzellkomplexe nicht in dem Maße ausgebildet waren, wie sie sonst bei der Mandibulardrüse zu finden sind. Auch an der Ohrspeicheldrüse der Tiere, denen je eine Fistel an der Parotis und Mandibularis angelegt war, fanden wir bemerkens- werte Unterschiede an den Fisteldrüsen gegenüber dem normalen Verhalten. Auch hier waren wieder beim Schaf II die Veränderungen deutlicher als bei Schaf V und Ziege I. Bei ersterem Tiere war das Verhältnis des Gewichtes der Fistelparotis zur korrespondierenden Drüse niedriger, während bei letzterem die beiderseitigen Drüsen ganz allgemein eine Gewichtsverminderung zeigten, aber zueinander sich in dieser Beziehung sehr ähnlich verhielten. Es hat den Anschein, als ob die Parotis nach Anlegung einer Fistel in ihren Gewebsteilen sich nicht so schnell verändert wie die Mandibularis. Der Sitz der haupt- sächlichen Alterationen liegt in dem ausführenden Apparate der Drüse. Während die Schaltstücke keine Unterschiede gegenüber dem normalen Verhalten erkennen ließen, erwiesen sich die intralobulär gelegenen Sekretröhren und namentlich die Sekretgänge außerordentlich stark !) Colin, Traite de Physiologie comparee des animaux. Paris 1871 u. 1881. Zum Studium der Speichelsekretion. II. 65 erweitert. Ein Blick auf Abb. 7 illustriert das Verhalten in ganz be- sonders deutlicher Weise. Unter normalen Bedingungen treffen wir in den Sekretröhren und auch in den intralobulär, in der Regel in der Peripherie des Läppchens gelegenen Sekretgängen im mikroskopischen Bild ein relativ kleines, aber rundes Lumen. Hier ist aber letzteres stark erweitert, also sehr groß und ganz verschieden gestaltet bzw. deformiert. In vielen Läppchen ist das Verhältnis des von den End- stücken eingenommenen Raumes zu dem von dem ausführenden System Abb. 7. Aus der Fistelparotis von Schaf IL (Photographie). beanspruchten ganz erheblich zugunsten des letzteren verschoben, ein Befund, wie er in normalen Drüsen nie festgestellt werden kann. In den Lichtungen liegt kein Sekret, so daß man auch als Ursache der Erweiterungen eine Stauung nicht ansehen kann. Allerdings waren die die Sekretröhren auskleidenden Epithelien niedriger als gewöhnlich. In den strukturellen Eigentümlichkeiten wiesen sie bis auf eine diffuse sudanophile Tinktion ihres Zelleibes aber nichts abnormes auf, so daß man ohne weiteres die Epithelien der Schaltstücke, Sekretröhren und Sekretgänge voneinander unterscheiden konnte. Stellenweise konnten besonders an den Sekretröhren in der Peripherie der Wandung entzünd- liche Prozesse beobachtet werden (Abb. 7). Pflügers Archiv f. d. ges, Physiol. Bd. 192. 5 66 Ä. Scheunert und A. Trautmann: Die Lichtungen einzelner Endstücke scheinen auch über die Norm erweitert zu sein. In solchen Fällen wird das Lumen von Zellen aus- gekleidet, die Spuren des Zerfalls (pyknotische Kerne, schlechte Tingier- barkeit des Protoplasmas) erkennen lassen. Von einer intra- und interlobulären Bindegewebsvermehrung läßt sich in den Fistelparotiden kaum etwas erkennen. Neben den in der beschriebenen Weise alterierten Gewebsteilen fan- den sich allerdings in geringer Zahl Läppchen in den Fistelparotiden, die dem normalen Bau glichen. Interessant und der Anführung wert scheinen uns noch die struk- turellen Befunde, die wir an der Parotis des Schafes X erheben konnten, in deren Ductus parotideus eine Kanüle eingesetzt und längere Zeit darin belassen war (vgl. S. 37 u. 42). Diese Parotis (Abb. 8) war mit Ausnahme nur ganz weniger und kleinster Stellen hochgradig histologisch abgeändert, aber in ganz TEN An Abb. 8. Aus der Fistelparotis von Schaf X (Photographie). anderem Sinne, als wir bei Pferden und Schafen bisher beschrieben. Der Eindruck war ein ganz anderer. Der Läppchencharakter war teil- weise noch erhalten, teils verschwommen oder gar nicht mehr erkenn- bar. Eine auffällige Bindegewebsvermehrung fand sich nur interlobulär. Sie war jedoch nicht erheblich. Nur an einzelnen Stellen war das Inter- stitium markanter. Wahrscheinlich handelte es sich um Herde, bei denen der pathologische Prozeß am weitesten fortgeschritten war. Das Interstitium war reich an Leukocyten. An Stelle des Parenchyms Zum Studium der Speichelsekretion. II. 67 lagen in großen Mengen runde Zellen, so daß man bei Betrachtung des mikroskopischen Bildes mit schwachen Vergrößerungen an cyto- blastisches Gewebe erinnert wird. Die zellige Struktur wird durch massenhaftesVorhandensein von Leukocyten hervorgerufen, dieauchnoch vorhandene Endstücke verdecken. Lassen sich letztere noch erkennen, so sind aber in deren Umgebung reichlich Leukocyten vorhanden. Die einzelnen Abschnitte des ausführenden Apparates lassen sich nicht mehr unterscheiden. Die ausführenden Gänge sind erweitert, besonders stark die Sekretgänge, tragen kein spezifisches Epithel, sondern sämt- lich niedrige oft platte Zellen und sind von zelligem Material ganz oder in Form von Klumpen erfüllt. Nur an Stellen, wo der zellige Inhalt in den Ausführungsgängen fehlt, läßt sich eine Unterscheidung der einzelnen Abschnitte des ausführenden Systems treffen. An solchen Abschnitten lagern dann auch um die Durchschnitte der ausführenden Gänge normale Endstücke in geringer Menge. Die ganze Struktur deutet auf hochgradige Reizzustände in der Fistelparotis hin, die zweifellos ihren Ausgang vom Ductus parotideus genommen haben. Die in diesen eingesetzte Kanüle hat in ihm durch dauernde Reizzustände entzündliche und trophische Veränderungen hervorgerufen, die auf das Parenchym der Öhrspeicheldrüse über- gegriffen haben. Zusammenfassung. l. In Bestätigung der früheren Untersuchungen fanden wir, daß die Parotis des Schafes dauernd sezerniert, wobei nach unseren Be- funden an 2 Schafen 4 bis 5 ccm innerhalb 10 Minuten abgesondert wurden. Diese Dauersekretion erwies sich als für die Ernährung äußerst wichtig, da schon der Verlust des Sekretes einer Drüse in kurzer Zeit zum Einstellen des Wiederkauens und der regelmäßigen und genügen- den Nahrungsaufnahme und damit zum Tode unter kachektischen Erscheinungen führte. 2. Die Aufgabe der Dauersekretion beruht in der Durchfeuchtung des Inhaltes der 3 Vormägen und in der Zufuhr von Alkali zur Neutrali- sation der Gärungssäuren. Die Dauersekretion beherrschte die Sekretion der Drüse überhaupt. 3. Das Sekret war klar und zeichnete sich durch eine sehr hohe Alkalinität (entsprechend einer 0,56 bis 0,77 proz. Sodalösung) und einen relativ großen Gehalt an Trockensubstanz (1,1 bis 1,25%) und Asche (0,75 bis 0,9%) aus. Bei der Nahrungsaufnahme wurde die Se- kretionsgeschwindigkeit geringfügig erhöht. Die Zusammensetzung des Speichels erfuhr dabei kleine Veränderungen, nur eine Erhöhung der Alkalinität trat bei unseren Versuchen regelmäßig in Erscheinung. 4. Durch das Wiederkauen wurden Menge und Zusammensetzung des Parotidenspeichels bei unseren Versuchen nicht verändert. F%* 9) 68 Ä. Scheunert und A. Trautmann: 5. Vorhalten von Nahrung rief eine geringe psychische Sekretion hervor, durch welche die Menge des in der Zeiteinheit abgesonderten Speichels ganz geringfügig erhöht wurde. 6. Die Glandula mandibularis des Schafes sezernierte nur dann, wenn Nahrung aufgenommen wurde. In den Pausen zwischen den Mahlzeiten und auch beim Wiederkauen beobachteten wir wie die früheren Autoren keine eigentliche Sekretion. 7. Das Sekret war nahezu neutral oder äußerst schwach alkalisch. Es enthielt 0,4 bis 1%, Trockensubstanz und 0,05 bis 0,2%, Asche, und war schleimig und fadenziehend. Bei Fütterung von einem sehr trockenen und schwer schlingbaren Futtermittel fanden wir darin 0,07—0,18% Muein. S. Durch Reizung mit vorgezeigter Nahrung gelang es, auch bei der Mandibularis des Schafes eine geringe psychische Sekretion von geringer Dauer hervorzurufen. 9. Die Zusammensetzung und Menge des Mandibularspeichels war von der Art der Nahrung beeinflußt, aber keinesfalls so eindeutig und regelmäßig, daß man von einer spezifischen Einstellung sprechen konnte. Die in einer bestimmten Zeit abgesonderte Menge richtete sich im allgemeinen nach der physikalischen Beschaffenheit der Nahrung und ihrer Schlingbarkeit sowie der Menge der Nahrung, die in der be- treffenden Zeit bewältigt wurde. Die abgesonderten Mengen waren relativ gering. 10. Ein Einfluß der Kauseite war nicht zu beobachten. ll. Weder im Parotiden- noch im Mandibularsekret war ein dia- statisches Ferment enthalten. Ebensowenig war das Gemisch beider Speichelarten diastatisch wirksam. 12. Die Parotiden mit nach außen gelegter Päpilla salivalis (Pawlowsche Fistel) zeigten auffällig blasses Aussehen und Verminderung des Gewichtes gegenüber der korrespondierenden fistellosen Parotis. Histologisch war Vermehrung des inter- und intra- parenchymatösen Gerüstes und Erweiterung der Gänge des ausführen- den Apparates (besonders der Sekretröhren und Sekretgänge) zu erkennen. 13. Die mit Pawlowscher Fistel versehene Mandibular- drüse zeichnete sich nach längerem Bestehen der Fistel durch ge- ringeres Gewicht und durch Affinität der Halbmonde zu Schleim- farben aus. 14. Bei Tieren, denen kreuzweise eine Parotis- und Man- dibularfistel angelegt war, wiesen die Parotiden mit Fisteln neben einer Gewichtsabnahme stellenweise eine Erweiterung der End- stücke und in den meisten Abschnitten der Drüse starke Ausbuchtungen der Sekretröhren und Sekretgänge auf. In der Sekretröhrenwand fanden sich ab und zu entzündliche Veränderungen. Zum Studium der Speichelsekretion. 11. 69 In der Mandibularis war bei längerem Bestehen der Fistel eine sehr erhebliche Gewichtsverminderung nachweisbar. Das ganze Stütz- gerüst der Drüse (Kapsel, Inter- und Intralobulargewebe) war be- deutend vermehrt und dadurch der Läppchencharakter der Drüse meist verwischt. Das an wenigen Stellen unveränderte oder annähernd normale Parenchym zeigte eine starke Abnahme der Randzellkomplexe sowohl an Zahl und Größe und eine schlechte Tingierbarkeit der mu- cösen ‚Zellen mit Mucinfarben. An den erheblich veränderten Drüsen- läppchen waren außer der stark verringerten Zahl der Endstücke an letzteren verschiedene Grade der Alterationen feststellbar. Randzell- gruppen fehlten ganz. Die verschieden gestalteten Endstücke waren mit verschieden hohem (cylindrischem bis plattem) Epithel, das sehr schwache oder keine Mucinreaktion aufwies, ausgekleidet. Um die einzelnen Drüsenendstücke fand sich eine m.o. w. dicke fibröse Hülle von la- mellenartiger Anordnung. Die Membrana propria fehlte. Am aus- führenden Apparat fanden sich in den veränderten Drüsenabschnitten keine Sekretkapillaren. Eine Differenzierung der Sekretröhren und Sekretgänge war nicht mehr möglich. Beide trugen das gleiche Epithel wie die veränderten Endstücke, waren erheblich buchtig erweitert und von zwiebelschalenähnlich angeordnetem Bindegewebe in ver- schieden hohem Maße umhüllt. Diese einer bindegewebigen Entartung der Drüse entsprechenden Verhältnisse ähnelten, abgesehen von den schnellen und in größerem Ausmaße eintretenden Alterationen, mehr den an Fistelparotiden des Pferdes gefundenen und waren nicht die Folge einer Sekretstauung. Bei Tieren, bei denen die Fisteln nur relativ kurze Zeit bestanden, waren hinsichtlich der Mandibularis neben Gewichtsabnahme der Drüsen beginnende Vermehrung des interstitiellen Gewebes, schlechte Tingierbarkeit des Parenchyms, geringe Ausbildung der Randzell- komplexe und stark erweiterte Sekretgänge zu beobachten. Auch die fistellosen Drüsen zeigten bei den gestorbenen Tieren als Folge des kachektischen Zustandes eine allerdings nicht gleichgroße Volumenverminderung wie die Fisteldrüsen. 15. Bei einer Parotis, in deren Ductus parotideus eine Kanüle eingesetzt und längere Zeit darin belassen war, hatte die große Masse des Drüsengewebes kein den normalen Verhältnissen entsprechendes Aussehen. Die ganze Struktur deutete auf hochgradige dauernde Reiz- zustände unter massenhaftem Auftreten von Leukocyten hin, die zweifellos ihren Ausgang vom Ductus parotideus genommen hatten. Zum Studium der Speichelsekretion. III. Mitteilung. Kritik und Schlußfolgerungen. Von Arthur Scheunert und Alfred Trautmann. (Aus dem physiologischen und histologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule zu Dresden und dem tierphysiologischen Institut der Landwirtschaftlichen Hoch- schule zu Berlin.) Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 1. Juli 1921.) In den beiden ersten Mitteilungen haben wir die Ergebnisse unserer Untersuchungen über die Sekretion der Parotis des Pferdes und der Parotis und der Mandibularis des Schafes berichtet und daraus die zunächstliegenden, für die Kenntnis der Tätigkeit der genannten Drüsen bei den beiden Tierarten uns von Belang erscheinenden Schluß- folgerungen gezogen. Damit sind aber die Ergebnisse nicht voll ausge- schöpft, weil verschiedene Beobachtungen über das spezielle Gebiet der Speichelsekretion hinaus von Wichtigkeit zu sein scheinen, und ins- besondere verschiedene Befunde gemeinsam mit den histologischen Ergebnissen die Grenzen der aus Fistelversuchen zulässigen Schlüsse beleuchten. Was die mitgeteilten Versuche selbst anlangt, so werden wir die über die Parotidensekretion des Schafes erhobenen Befunde für weiter- gehende Betrachtungen ausschalten müssen, da die schweren Folgen, die der operative Eingriff auslöste, sowie die S. 38 der II. Mitteilung gemachten Einwände Zurückhaltung auferlegen. Zunächst sei nochmals auf die Sekretionsreize eingegangen. Wir hatten dabei einen Unterschied zwischen Pferd und Schaf gefunden insofern, als wir die Ausbildung bedingter Reflexe für die Parotis des Pferdes leugnen, für die untersuchten Drüsen des Schafes aber bestätigen müssen. Allerdings sind die abgesonderten Mengen äußerst gering. Beide Tiere sind bestrebt, ihnen vorgezeigtes Futter zu erreichen, aber sie verhalten sich dabei verschieden insofern, als das Schaf schon nach wenigen Minuten das Interesse verliert und das vorgezeigte Futter unter gleichzeitigem Versiegen der bedingt reflektorischen Speichel- A.Scheunert und A. Trautmann: Zum Studium der Speichelsekretion. III. 71 sekretion nicht mehr beachtet, während das Pferd von seinen Ver- suchen, das Futter zu erreichen, sehr schwer abzulassen geneigt ist. Ein genaueres Studium dieser Verhältnisse würde vielleicht tierpsycho- logisch interessante Ergebnisse zutage fördern. Für die Frage nach den Sekretionsreizen ist daraus zu entnehmen, daß Geruch und Geschmack (für chemische Reize wiesen wir die prak- tische Unwirksamkeit für verhältnismäßig hochkonzentrierte HCl direkt nach [vgl. S. 9] und bestätigten damit Colins Angaben) für die Erregung der Parotidensekretion des Pferdes ohne Bedeutung sind. Der feine Geruch, den das Pferd besitzt, dient ihm nur zur Prü- fung der Genußtauglichkeit. Auch für den Geschmack gilt nichts anderes. Auf gut schmeckendes und riechendes Futter reagiert es dann durch eine Steigerung motorischer Funktionen; es frißt rascher, d.h. nimmt in gleicher Zeit mehr auf; damit wird auch die Speichelabsonde- rung lebhafter, aber nicht auf Grund von Geschmacks- und Geruchs- reizen, sondern auf Grund verstärkter mechanischer Reizung der Mundschleimhaut beim Kauen. Vgl. hierzu die Versuche 22 und 23 auf S. 20 der ersten Mitteilung und die Ausführungen über die Kiefer- schläge auf S. 14. Es ist nun von Wichtigkeit, ein Bild darüber zu gewinnen, inwieweit sich Quantität und Qualität des Speichels als abhängig von der Art und Menge der aufgenommenen Nahrung erweisen. Wir haben mehr- fach in den ersten Mitteilungen Belege dafür erbracht, daß ein Zu- sammenhang bestehen muß und auch tatsächlich besteht, aber wir haben weiter nachweisen können, daß weder bezüglich der Menge noch bezüglich der Zusammensetzung starre, in jedem Fall gleiche Verhältnisse bestehen. Dies gilt für die Tätigkeit aller untersuchten Drüsen beider Tierarten. Die abgesonderten Quantitäten sind von Fall zu Fall, auch wenn man bezüglich der Parotiden des Pferdes die Kauseite berücksichtigt, verschieden, und es ist infolgedessen nicht möglich, etwa eine mathematische Formulierung zu finden, die uns jederzeit aus der aufgenommenen Art und Menge der Nahrung die abgesonderte Speichelmenge errechnen ließe. Das verdient besonders deshalb hervorgehoben zu werden, weil nicht nur beim Pferd, wo wir experimentell darauf hingewiesen wurden, sondern auch beim Schaf die mechanischen Reize anscheinend eine beherr- schende Rolle spielen. Da trotzdem Gesetzmäßigkeiten nicht bestehen, müssen noch andere experimentell zunächst nicht erfaßte Einflüsse vorhanden sein. In bedingten Reflexen liegen diese beim Pferde sicher nicht. n Man wird zur Erklärung unwillkürlich an die Möglichkeit der Be- einflussung der Drüsentätigkeit durch die Kaubewegungen denken. Deshalb muß der Vollständigkeit halber auf diese Frage nochmals MD A. Scheunert und A. Trautmann: eingegangen werden. Wir stehen in dieser Frage auf Grund unserer Beobachtungen auf demselben Standpunkt, den Colin, Schiff, die Pawlowsche Schule und auch v.Zebrowski einnehmen. Danach ist Leerkauen als Sekretionsreiz abzulehnen und die Anwesenheit einer Substanz im Mund als-Vorbedingung für das Intätigkeittreten der großen Speicheldrüsen notwendig. Nun gelingt es bekanntlich auch bei leerem Munde, eine starke Speichelabsonderung hervorzurufen. Dazu bedarf es aber der Kaubewegungen nicht, es genügen die bekannten saugen- den Bewegungen mit der Zunge. Ein direkter Zusammenhang zwischen Kieferbewegung und Drüsentätigkeit ist also zur Erklärung der er- wähnten Unklarheiten nicht heranzuziehen. Nach unserer Ansicht kommt hierfür in Frage: l. Die Quantität der wirksamen mechanischen Reize, die je nach der Lebhaftigkeit des Kauens und der gekauten Menge verschieden sein wird. Sicher können hier sehr große Unterschiede bestehen, und es besteht durchaus nicht etwa ein festes Verhältnis der Trockensub- stanz des Bissens zum Speichel. Der Bissen wird von Fall zu Fall mit einer variablen Speichelmenge abschluckbar gemacht werden. Das Pferd schlingt auch noch ab, wenn beide Parotiden ausgeschaltet sind. Wir wissen nun, daß zunächst die Berührung der Nahrung mit der Mund- schleimhaut genügt, um die Speichelsekretion in Gang zu bringen. Verstärkend wirkt das Kauen aber dadurch, daß eine vermehrte Zer- kleinerung der Nahrung erfolgt. Schon Colin spricht sich in diesem Sinne aus und die Pawlowsche Schule hat dann die Abhängigkeit der Stärke der Speichelsekretion von der Zerkleinerung der Speise noch eingehender erwiesen. Wir vermuten, daß die Verteilung der rezeptorischen Apparate in der Mundschleimhaut, über die beim Hunde in der Pawlowschen Schule Heymann grundlegende Untersuchungen ausgeführt hat, äußerst wichtig für diese Fragen ist, und daß wahr- scheinlich auf dieser Verteilung die Abhängigkeit der Parotidentätig- keit von der Kauseite beruht. Weiter nehmen wir aber auch an, daß für die Erregung der von der Kauseite unabhängig arbeitenden Drüsen, also Mandibulares (Submaxillares) und Sublinguales, ganz bestimmte Bezirke der Mundschleimhaut maßgebend sind. Zur Stützung dieser Ansichten sei daran erinnert, daß das Einführen einer Kanüle in die Papilla salivalis Speichelsekretion hervorruft und daß Ordenstein!) feststellte, daß Einführung einer Sonde in die Papille des Ductus parotideus Speichelsekretion veranlaßt, die bei elektrischer Reizung der Papille erheblich gesteigert werden kann. Für die kauseitig orientierte Parotidensekretion würde sich nach vorstehendem eine befriedigende Erklärung bieten. Man würde ver- stehen können, daß die nichtkauseitige Drüse stets weniger als die kau- !) Eckhards Beiträge, 2, 101. 1860, zit. nach Babkin. c. I. Mitteil. S. 1. Zum Studium der Speichelsekretion. III. 73 seitige, aber verschieden, ja manchmal fast gar nicht sezerniert (vgl. 1. Mitteilung S. 12). Das würde lediglich von dem Umfange abhängen, in dem die im Mund befindliche Menge, die gerade zerkaut wird, auch die rezeptorischen Apparate der nicht benutzten Seite reizt. Die ge- steigerte Tätigkeit der kauseitigen Drüse würde dann so zu erklären sein, daß der zu ihr gehörige, auf derselben Seite liegende rezeptorische Apparat durch die überwiegend auf dieser Seite stattfindende Zer- kleinerung mit Reizen in umfangreichster Weise in Berührung käme. Diese Ansicht würde auch zu einer Aufklärung der pathologischen Veränderungen der Fistelparotiden führen können. Wir finden weiter für diese Ansichten eine interessante Bestätigung in der bekannten Untätigkeit der Mandibulardrüse des Schafes beim Wiederkauen. Diesbezüglich hat bereits Colin!) in seiner ersten, der französischen Akademie vorgelegten Abhandlung geäußert, daß die Mandibularen, deren Ausführungsgänge seitlich vom Frenulum linguae nicht weit von den Schneidezähnen münden, während des Wiederkauens die Untätigkeit der Schneidezähne bei diesem Geschäft teilen, während die Parotiden im Einklang mit den Backzähnen in Tätigkeit sind. Es sei mit Hinweis auf Versuch 7 S.53 daran erinnert, daß wir bei Fütterung von Rüben, die wir dem Mandibularfistelschaf unzerkleinert reichten, und von denen es deshalb mit den Schneidezähnen abbeißen mußte, eine auffällig erhebliche und uns damals in Erstaunen setzende Sekretion aus der Fistel beobachteten. Daß hierbei eine ausgiebige Berührung der vorderen Partien der Mundschleimhaut insbesondere des sublingualen Mundhöhlenraumes und damit der Umgebung der Mün- dungsstellen der Mandibularen mit der Nahrung stattgefunden hat, liegt auf der Hand. Nach unserer Meinung sind für die Erregung der Speichelsekretion die Mündungen der Speichelgänge und die diesen zunächst gelegenen Schleimhautpartien besonders wichtig. (An der Backe: Ductus parotideus samt näherer Umgebung; am sublingualen Mundhöhlenboden: Ductus mandibularis und Ductus sublingualis major nebst Umgebung; am Sublingualiswulst: Ductus sublingualis minor nebst Umgebung). Die Mitwirkung von Zunge und Gaumen soll damit nicht geleugnet werden, bleibt aber in ihren Einzelheiten dahingestellt. 2. Die Speichelsekretion muß aber weiter abhängig sein von noch anderen physiologischen Verhältnissen. Dies zeigt besonders deutlich Versuch 5 am Mandibularfistelschaf, das, nachdem es eine reichliche Hafermahlzeit genossen, noch Heu in den üblichen Mengen aufnahm und dabei nur ganz geringe Speichelmengen aus der Fistel absonderte. Hier kommt vielleicht die dem Tier noch zur Verfügung stehende Re- 1) Colin, C. r. de l’Acad. d. Sc. 34, I, 681. 1852. 74 A. Scheunert und A. Trautmann: serve an Wasser in Frage!). Ferner möchten wir noch darauf hin- weisen, daß auch ein Ansaugen von Speichel aus den Gängen beim Kauakt möglich sein kann. Wir erkennen hieraus, daß starre Verhältnisse gar nicht herrschen können, und daß sowohl Quantität wie auch Zusammensetzung des Speichels auch bei der gleichen Nahrung jeweils verschieden sein müssen. Dementsprechend fanden wir, wie die Tabellen unserer beiden ersten Mitteilungen lehren, keine charakteristische Anpassung des Speichels an die verschiedenen Nahrungsarten, wie man sie gemäß den Lehren der Pawlowschen Schule hätte erwarten sollen und wie sie schon v. Zebrowski für den Menschen nicht ganz gültig fand. Wir möchten noch auf eine Regelmäßigkeit eingehen, die sich beim Parotidenspeichel des Pferdes findet. Es ist das die Veränderung, die die Zusammensetzung des Speichels beim Wechsel der Kauseite erleidet. Diese Veränderung beruht darin, daß der Speichel der kauseitigen Drüse bei nicht sehr verschiedenem Trockensubstanzgehalt etwas reicher an Asche und Chlor, aber etwas ärmer an Stickstoff ist und auch eine etwas höhere Alkalinität besitzt (vgl. Versuch 6 S. 23). Wech- selt das Tier die Kauseite, so macht sich das augenblicklich in der Zusammensetzung des Fistelsekretes bemerkbar, wie wir dies bei Pferd 2 und 3, bei denen wir darauf ganz besonders achteten, ganz übereinstimmend und regelmäßig beobachteten?). Mit diesem Wechsel in der Zusammensetzung geht gleichzeitig ein Wechsel in der quantita- tiven Tätigkeit der Drüse einher, indem die kauseitige Drüse in ge- steigerte Tätigkeit gerät und weit größere Speichelmengen als die gegen- seitige Drüse liefert. Wir erblicken in dieser regelmäßigen Umstellung der kauseitigen Drüse den Ausdruck der veränderten Reizaufnahme und finden hierin eine Bestätigung der oben dargelegten Ansicht, daß wir die rezepto- rische Oberfläche für die Drüse vornehmlich auf der gleichen Seite der Mundhöhle, z. T. vielleicht sogar in der Nähe der Mündung der Speichel- gänge zu suchen haben (vgl. oben S. 72). Verstärkte Reizaufnahme an dieser Stelle veranlaßt entsprechend der Kauseite verstärkte Drüsen- tätigkeit, daher dann die kauseitige Orientierung. Man könnte diese Stellen vielleicht geradezu als „Speichelstellen‘“ (in Anlehnung an die Schluckstellen Kahns) bezeichnen. !) Vgl. hierzu die interessanten Befunde von Sutherland über Steigerung der Magensaftsekretion durch intravenöse Injektion von Wasser und Salzlösungen. Am. journ. of physiol. 55, 258—76. 1921. ?) Versuche durch Bestimmung von Viscosität und Oberflächenspannung mit dem Traubeschen Viscostagonometer diese Unterschiede noch klarer zu fassen, waren vergeblich, da keine Unterschiede gefunden wurden. Wir verzichten des- halb auf die Wiedergabe dieser Resultate. Zum Studium der Speichelsekretion. III. 75 Bei den Mandibulardrüsen, deren Ausführungsgänge nahe neben- einander münden, haben wir diese kauseitige Orientierung nicht, wie wir in Übereinstimmung mit den alten Autoren am Schaf Versuch 6 nachwiesen. Die vorstehenden Folgerungen scheinen uns viele Anregungen zu weiterer Erforschung der Tätigkeit der Speicheldrüsen und ihrer Inner- vation zu geben, die wir auszuwerten beabsichtigen. Sie berücksichtigen zunächst nicht die Ergebnisse unserer Versuche am Parotisfistelschaf, da wir diesen, wie schon oben und in der 2. Mitteilung erwähnt, mit Reserve gegenüberstehen müssen. Aber auch bezüglich des Parotiden- versuches beim Pferd haben wir auf S. 16 der ersten Mitteilung auf die Grenzen aufmerksam gemacht, die der Reichweite der daraus gezogenen Schlüsse gesetzt sind. Die vorstehenden Folgerungen liegen noch inner- halb dieser Grenzen. Wir gelangen nunmehr zur Besprechung des histologischen Ergebnisses. Bei den 3 Parotidenpferden fanden sich bei 2 Tieren starke, von der Austrittsstelle des Parotidenganges der Drüse aus zentral fortschreitende Veränderungen in Form einer bindegewebigen Entartung des Drüsenparenchyms. Beim dritten Pferd fand sich nichts. Das ist auffällig. Wir vermögen aber keine befriedigende Erklärung dafür zu finden. Die Papille saß bei diesem Tiere schlecht, am Rande einer relativ großen Backenfistel, so daß meist etwas von dem aus- spritzenden Sekret von der Backe herunter und wohl auch in die Mund- höhle floß. Nach einiger Zeit verlagerte sich die Papille immer mehr nach innen, so daß sie durch neue operative Eingriffe wieder heraus- gelegt werden mußte. Ein Grund für das Nichtauftreten der Verän- derungen aus der Lage der Papille, die im übrigen wie die der anderen Tiere funktionierte, ist nicht zu erkennen. Ebensowenig vermögen wir einen sicheren Grund für die Veränderungen der Drüsen anzugeben. Stauung erscheint nach S. 28 nicht wahrscheinlich. Man könnte viel- leicht in dieser Richtung annehmen, daß der durch die spritzende Ent- leerung rhythmisch entstehende Überdruck im Gangsystem den Reiz zu der Veränderung ausgeübt habe, wobei man voraussetzen müßte, daß bei normaler Lage der Papille der Speichel kontinuierlich wie bei Einführung einer Kanüle in den Gang ausflösse. Aber auch bei Fistel- parotis von Pferd 3, die keine Veränderungen zeigte, spritzte die Papille. Das Eindringen von Infektionserregern von außen ist natürlich nicht ausgeschlossen, wir halten es gegen den Strom des alkalischen Speichels, der den Gang stets erfüllt, für unwahrscheinlich und fanden für eine solche Erklärung auch keine Anhaltspunkte. Von Wichtigkeit ist, daß wir die gleiche bindegewebige Entartung bei den Schafen in den Mandibularen fanden. In den Fistel- parotiden waren solche parenchymatösen Veränderungen nicht aus- 76 A. Scheunert und A. Trautmann: geprägt, doch fanden sich gleichwohl eine deutliche Vermehrung des intra- und auch interlobulären Bindegewebes, ferner eine starke buchtige Erweiterung des ausführenden Gangsystems und stellenweise auch der Drüsenendstücke. Wir verkennen durchaus nicht, daß bei diesen Schafen, soweit sie infolge der Parotisfisteln zugrunde gingen, noch be- sondere Verhältnisse vorlagen und die enorme Abmagerung der Tiere die Beurteilung komplizieren, aber es bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die nichtoperierten Drüsen normalen Bau besaßen, die operierten aber verändert waren. Stauung als Ursache ist hier ganz ausgeschlossen, da die Fisteln stets sehr gut, die Parotiden sogar permanent, sezer- nierten, und die Infektionsmöglichkeit ebenso wie bei den Pferden unwahrscheinlich ist. Allerdings ist auch hier eine Ausnahme zu ver- zeichnen. Das Mandibularfistelschaf Nr. VIII, welches 7 Jahre die per- manente Fistel trug, zeigte an dieser Drüse nicht die typische Entartung; nur an Gewicht und in tinktorieller Beziehung war die Drüse verändert. Alles in allem wird man aber nicht bestreiten, daß diese Ver- änderungen, die in ganz typischer Weise bei verschiedenen Tieren _ und verschiedenen Drüsen auftreten, mindestens im Gefolge der Permanentfistel auftreten können und in unseren Fällen nur aus- nahmsweise nicht auftreten. Weiter ist die Ableitung des Se- kretes durch die permanente Fistel auch mit einer Vermin- derung des Drüsengewichtes einhergegangen — also die Drüsen waren mit wenigen Ausnahmen durchweg mehr oder minder stark verändert. Danach muß man wohl schließen, daß auch aus den histologi- schen Befunden eine Abweichung von der Norm bezüglich der Drüsentätigkeit gefolgert werden muß. Damit erhalten aber alle derart gewonnenen Ergebnisse, soweit sie nicht die großen Richtlinien behandeln, sondern sich auf feinere Unterschiede bezüglich Menge und Zusammensetzung stützen, eine fragwürdige Bedeutung. Es fragt sich nun, ob dieser Schluß eine Verallgemeinerung verträgt und insbesondere auch für den Hund gültig ist, bei dem die ausführlichen und grundlegenden Untersuchungen der Pawlowschen Schule angestellt sind, die sich gerade vielfach auf feine und feinste Unterschiede stützen. Zur Prüfung dieser Frage wurde ein Hund mit einer permanenten Parotisfiste! nach -Pawlow versehen. Während des 1!/,jährigen Bestehens der Fistel entsprach das klinische Verhalten des Tieres durchaus den normalen Verhältnissen. Aus der nach außen gelegten Papilla salivalis floß bis zum Tode Sekret. Nach der Tötung des Hundes konnte an der Fistelparotis ein wesentlich geringeres Gewicht (2,7 g) als an der korrespondierenden fistellosen Ohrspeicheldrüse (5,1 g) festgestellt werden. In ersterer wurden erhebliche strukturelle Ver- Zum Studium der Speichelsekretion. III. ZT änderungen aufgefunden. Zwischen Drüsenläppchen von vollkommen normalem Aussehen, die in’ der Mehrzahl in der Drüse noch vorhanden waren, waren stark pathologisch alterierte gelegen (Fig. 1b). Diese wurden von reichlichen Mengen Bindegewebes umgeben. Innerhalb der ab- geänderten Läppchen waren das Stützgerüst stark vermehrt und die weit auseinanderliegenden Drüsenendstücke beträchtlich vermindert. Entgegen den normalen Befunden zeigten die Endstücke entweder sehr weite, mit Sekret angefüllte und mit einem niedrigen Epithel ausgeklei- e% RE Abb. 1. Aus der Fistelparotis eines Hundes (Photographie). a normales, 5b verändertes Drüsenläppchen. dete Lichtungen oder bildeten Konglomerate verschieden gestalteter und gelagerter Zellen, die die charakteristischen strukturellen Eigen- tümlichkeiten und Anordnungen seröser Zellen nicht mehr aufwiesen. In den stark erweiterten intralobulär gelegenen Teilen des ausführenden Apparates lag mit zelligen Elementen stark vermischtes Sekret. Die Alterationen in der Fistelparotis des Hundes wiesen auf ähnliche patho- logische Prozesse, wie sie bei Pferd und Schaf beschrieben wurden, hin. Nur hatte man den Eindruck, daß die bindegewebige Entartung der Drüsenläppchen beim Hund noch langsamer verläuft als beim Pferd, während das Schaf auf das Verlegen der Gangmündung der Speichel- drüsen nach außen mit Veränderungen im Gewebe derselben am schnellsten und intensivsten reagiert. 78 A. Scheunert und A. Trautmann: Wir sehen also, daß auch bei diesem Hund dieselbe binde- gewebige Entartung der Fistelparotis wie bei den 2 Pferden eingetreten ist, und es kann danach nicht bezweifelt wer- den, daß auch bei dieser Versuchstiergattung anormal funktionierende Drüsen die Folge der Permanentfistel- operation sein können. Diese Befunde erscheinen uns von größter Bedeutung für die Erforschung von Sekretionsvorgängen und für die Anwendung der Fistelmethodik überhaupt. Es ist in Zukunft zu verlangen, daß bei allen derartigen Untersuchungen die histologische Kritik erfolgt, d.h. daß der Beweis dafür erbracht wird, daß tat- sächlich die gewonnenen Ergebnisse wirklich physiologische Verhält- nisse wiedergeben. Soweit uns bekannt ist, hat bisher keine hinreichende histo- logische Kontrolle der mit Gangfisteln versehenen Drüsen stattge- funden. Das ist auffällig, zumal verschiedene Erfahrungen, z.B. die an Pankreasfisteln, auf diese Notwendigkeit hätten aufmerk- sam machen müssen. Man nahm also von vornherein an, daß Drüsen Veränderungen nicht erfahren, wenn Dauerfisteln nach Paw- low angelegt wurden, da Gang und Drüse nicht verletzt werden, und auch die Mündungsstelle bzw. Mündungspapille ganz unversehrt bleibt und nur mit ihrem umgebenden Gewebe an eine andere zugänglichere Stelle verlegt wird. Nach unseren histologischen Be- funden kann eine derartige Ansicht nicht mehr als unbedingt richtig angesehen werden. Wir halten es danach ohne histologische Kontrolle für bedenklich, aus kleinen Unterschieden in Menge und Zusammensetzung von Fistel- sekreten Schlüsse zu ziehen. Besonders ist dies dann der Fall, wenn die Fisteln schon lange bestanden haben und etwa noch andere eingreifende Operationen wie Exstirpationen u. dgl. vorgenommen worden sind!). Wir möchten nicht unterlassen, zu bemerken, daß die von uns mitgeteilten Fälle histologischer Veränderungen vorläufig noch keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben können oder sollen. Sie sollen auch nicht etwa ohne weiteres die Gültigkeit der bisher nicht histologisch kontrollierten Untersuchungsergebnisse erschüttern. Das t) Wir sind der Ansicht, daß auch die Anlegung von Fisteln an dem Magen- darmkanal zu Veränderungen der Schleimhaut und sekretorischen Tätigkeit führen kann, vor allem dann, wenn solche Tiere mehrere Fisteln aller möglichen Art tragen und lange Zeit hindurch zu Versuchen verwandt werden. Ferner meinen wir, daß Operationen, die bezwecken, ganz bestimmte Drüsenarten zu isolieren (z. B. kleiner Magen, Brunnersche Drüsen), nach dem physiologischen Versuch histologisch kontrolliert werden müssen. Zum Studium der Speichelsekretion. II. 79 ginge deshalb zu weit, weil sehr viele dieser Untersuchungen an ganz. frisch operierten Tieren, deren Drüsen kaum oder höchstens minimal verändert hätten sein können, ausgeführt worden sind und außer- dem zahlreiche Fragen auch von solchen Veränderungen gar nicht berührt werden. Auch haben wir ja selbst bei einigen unserer Ver- suchstiere keine wesentlichen Veränderungen gefunden. Unsere Untersuchungen sollen aber zur Vorsicht in der Beurteilung der betr. Versuchsergebnisse mahnen sowie Anregung zur Weiterarbeit auf diesem Gebiete geben und vor allem darauf hinweisen, wie wichtig und notwendig bei Erforschung der Sekretionsverhältnisse auf dem Fistelwege die histologische Kontrolle der untersuchten Drüsen ist. Weiter zeigen unsere Untersuchungen, daß die Permanentfistel durchaus nicht unter allen Umständen ein physiologisches Weiter- arbeiten der betr. Drüsen sichert und daß auch sie nur solange ein- wandfreie Ergebnisse liefern kann, als eine Veränderung des Drüsen- gewebes noch nicht stattgefunden hat. Weiter scheint es uns gemäß unserer Ansicht über die Speichelstellen durchaus nicht unwahrschein- lich, daß auch der operative Eingriff wichtige Teile des rezeptorischen Apparates der betr. Drüse zerstört. Wir möchten dann nochmals darauf hinweisen, daß, wie wir bei den Parotidenpferden und auch bei den Parotidenschafen dargetan haben, das Fehlen des Sekretes (infolge seiner Ableitung nach außen durch die Fistel) allein schon eine Störung der Gesamtsekretion der Speichel- drüsen und damit auch der Fisteldrüse bedingt, da das Tier die Ein- speichelung dementsprechend in von der Norm abweichender Weise durchzuführen genötigt ist. Dies muß sehr wohl berücksichtigt werden und mahnt zur Vorsicht bei allen Schlußfolgerungen, vor allem solchen, die sich auf feinere Unterschiede und kleine Ausschläge stützen. Dazu kommt, daß wir die zahlreichen Bedingungen, von denen diese Vorgänge abhängig sind, zur Zeit nicht vollständig zu überblicken und in ihrer Beteiligung abzuschätzen vermögen, ganz besonders dann, wenn psychi- sche Einflüsse eine Rolle spielen können. Dementsprechend gestatten auch die Ergebnisse über Menge und Zusammensetzung des Speichels gesetzmäßige Formulierungen nicht, worauf schon früher hingewiesen wurde. Die histologischen Ergebnisse unterstreichen alle diese Be- denken. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das im großen und ganzen für die Sekretion der Verdauungssäfte allgemein zutrifft. Wir lehnen deshalb solche Formulierungen, wie sie z. B. unter Vorantritt von ÄArrheniust), !) Die Absonderung von Magen und Pankreassaft. Meddelanden f. Vetenskaps- akad. Nobelinst. Upsala u. Stockholm 2, Nr. 1. Die Gesetze der Verdauung und Resorption. Ebenda 1}, 14. s0 A. Scheunert und A. Trautmann: von London!) und seinen Mitarbeitern über Verdauungsfragen versucht worden sind, ab?2). Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt unsere Ergebnisse, so erkennen wir, daß ein Versuch oder eine sehr beschränkte Anzahl wohl die Linie starrer Gesetzmäßigkeit auffinden ließe, mit jeder Ver- breiterung der Versuchsergebnisse verwischen sich aber diese starren Formen mehr und mehr, und es ergeben sich nur große Richtlinien, die entsprechend den zahlreichen Bedingungen den wahrscheinlichen Ver- lauf des Geschehens zeigen. !) Neuere Forschungen auf dem Gebiete der Verdauung usw. Handb. d. Biochemie. Erg.-Bd. 405ff. G. Fischer, Jena 1914. ?) Zweifellos sind dies Formulierungen in vieler Hinsicht sehr interessant. Den physiologischen Vorgang vermögen sie nach unserer Ansicht nicht erschöpfend zu erfassen. Ihr größter Wert liegt im Gebiet der Geschichte der Naturwissenschaf- ten, weil sie zeigen, wie die jeweils herrschende philosophische Grundanschauung im theoretisch gewonnenen Forschungsergebnis auch der experimentellen Nakur, wissenschaften zum Ausdruck kommt. Über Schilddrüsenfütterung an Wirbellosen. Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) (Eingegangen am 6. Juli 1921.) In den Jahren 1920 und 1921 habe ich an einigen Vertretern der Evertebraten Fütterungen mit Schilddrüse und Jodpräparaten vor- genommen, deren Resultate im folgenden mitgeteilt werden mögen. Bekanntlich wirkt derartige Fütterung überaus charakteristisch bei Amphibienlarven bezüglich des Wachstums und der Differenzie- rung [von Gudernatsch!) in Ausführung eines Gedankens von A. Kohnin Prag gefunden]. Bei Wirbellosen scheinen die Verhältnisse anders zu liegen. Romeis und v. Dobkiewicz?) haben die Larven der Schmeißfliege, Calliphora vomitoria, in dieser Hinsicht untersucht. Die Fütterung der Larven ergab zwar gewisse Unterschiede in den zeit- lichen Verhältnissen des Wachstums, der Verpuppung und der Um- wandlung in die Imago gegenüber den mit Muskelfleisch gefütterten Kontrolltieren. Aber das für die Amphibienlarven charakteristische Verhalten fehlte vollkommen. An den Puppen waren äußerlich keinerlei morphologische Unterschiede festzustellen, die Metamorphose wurde nicht beschleunigt, das Wachstum im allgemeinen nicht gehemmt. Die Versuche verliefen also negativ. Im Frühjahr 1917 habe ich Mehlwürmer mit frischer Schilddrüse gefüttert, um zu sehen, ob sie sich früher als die Kontrolltiere weiter entwickelten. Das gelang auch an einem Teile der Tiere in überraschen- der Weise. Kaum hatte die Fütterung begonnen, verpuppte sich eine Anzahl. Indessen wurden die Resultate bald sehr unregelmäßig, es verpuppte sich ein anderer Teil der mit Schilddrüsen gefütterten Tiere auch in den folgenden Wochen nicht, während die zur Kontrolle mit Mehl gefütterten Larven die gleichen unregelmäßigen Erscheinungen darboten. Es war schließlich zu erkennen, daß die Versuche vor allem an folgendem großen Fehler litten. Die Larven stammten aus dem „Mehlwurmtopfe“. Bekanntlich hält alle Welt die Mehlwürmer als !) J. F. Gudernatsch, Feeding experiments on tadpoles. Arch. f. Ent- wicklungsmech. d. Organismen 35, 457. 1912. ®2) B. Romeis und L. v. Dobkiewiez, Exp. Untersuchungen über die Wirkung von Wirbeltierhormonen auf Wirbellose I. Ebenda 4%, 119. 1920. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192, 6 82 R. H. Kahn: Fisch-, Vogel- oder Froschfutter in einem zum Teile mit Mehl und Brot- resten, zum Teile mit alten Lappen gefüllten Topfe oder Glase. Im kühlen, nicht zu hellen Raume findet man darin zu jeder Jahreszeit Larven, im Frühjahre und Sommer auch Puppen und lebende oder tote Käfer. Diese Mehlwürmer gehören verschiedenen Generationen an. Wenn man nun Versuche, welche die Beobachtung der zeitlichen Entwicklungsverhältnisse zum Ziele haben sollen, an solchen Tieren anstellt, so verfällt man, wie ich selbst erst langsam erkannt habe, den gröbsten Fehlern. Denn auch wenn man Tiere von möglichst gleichem Aussehen heraussucht, hat man doch gar nicht vergleichbares Material in der Hand. Wie es mit dem Alter und der Zahl der Gene- rationen bei diesen Tieren steht, weiß ich auch heute noch nicht genau. Trotz mancher Bestrebungen ist es mir nicht gelungen, mich über die Biologie von Tenebrio genügend zu orientieren. Aber seit jener Zeit habe ich die Tiere sorgsam und rein gezüchtet, so daß ich 1920 ein wenn auch kleines, so doch einheitliches Material hatte, um einwandfreie Fütterungsversuche anzustellen. Von diesen Tieren und einigen anderen Insektenlarven soll nun die Rede sein. I. Corethra plumicornis. Die durchsichtige Larve von Corethra plumicornis, der Büschel- mücke, ist ein sehr gefräßiges Tier. Im Aquarium in Teichwasser ge- halten, nährt sie sich aber nur von lebendem Futter. Daphnien und Cyclopiden vertilgt sie ohne weiteres in der Gefangenschaft, indem sie diese Tiere mit den Mundwerkzeugen ergreift, verschlingt und in ihrem Pharynx deponiert, um sie daselbst zu verdauen. Der Saft der hier einmündenden ‚‚Speicheldrüsen‘‘ bewirkt eine Lösung des Leibes der verschluckten Tiere, deren feste Bestandteile (Chitin usw.) nach einiger Zeit durch die Mundöffnung wieder ausgeworfen, während die verdauten (oder vorverdauten ?) Substanzen in tiefere enge Abschnitte des Ver- dauungstraktes weiterbefördert werden!). Tote Nahrung, Tiere, Gewebs- stücke nehmen die Larven nicht zu sich. Im Herbste eingefangene Larven der Büschelmücke halten sich, gut gefüttert, lange Zeit im Laboratorium. Anfang November 1920 wurde ein Glas mit zahlreichen solchen Tieren ?2) zu unseren Versuchen aufgestellt. Sie blieben ohne Futter im Vorratsglase und hielten sich daselbst bei kühler Zimmertemperatur (14—17° C) bis Anfang Februar 1) Über Bau und Biologie dieser Tiere orientiert man sich bei E. Leydig, Anatomisches und Histologisches über die Larve von Corethra plumicornis. Zeitschr. f. wiss. Zoologie 3, 435. 1851 und A. Weismann, Die Metamorphose der Corethra plumicornis. Ebenda 16, 45. 1866. 2) Ich verdanke die Tiere der Freundlichkeit des Vorstandes der staatlichen Forschungsanstalt für Fischzucht und Hydrobiologie in Hirschberg in Böhmen, Prof. Dr. V. Langhans. Über Schilddrüsenfütterung an Wirbellosen. 83 1921. Gelegentlich ging ein Tier ein, eine Metamorphose wurde im Vorratsglase nicht beobachtet. Zu den Versuchen wurden die Tiere in flache Schalen aus weißem Porzellan von etwa 100 ccm Inhalt ge- bracht und darin in gut abgestandenem Wasser aus dem Institutsteiche, das filtriert und auf Zimmertemperatur gebracht worden war, weiter gehalten. Auch in diesen relativ geringen Wassermengen halten sich die Larven zu 2—4 Stück sehr gut, ja es ist erstaunlich, wie widerstands- fähig sie gegen die Verunreinigung des Wassers auch durch faulende Stoffe bleiben, so daß ein 24stündiger Wasserwechsel vollkommen aus- reicht. Mittels ihrer Tracheenblasen schweben sie etwa in halber Schalenhöhe, und auf dem weißen Porzellangrunde ist das Ergreifen zugesetzter Daphnien oder Cyclopiden und deren weiteres Schicksal im Verdauungskanale mit der Lupe besonders gut zu beobachten. Unter diesen Verhältnissen kommt es gelegentlich vor, daß einzelne Tiere ihre Metamorphose durchmachen, auch dann, wenn sie keine Nahrung erhalten haben. Es macht den Eindruck, daß die reduzierte Wassermenge, das geänderte Milieu, die Larven gleichsam geneigter machen, sich zu verpuppen. Nach einigen Tagen erscheint dann die Imago, wohl ausgebildet, auf der Oberfläche des Wassers sitzend. Die Mehrzahl der Tiere aber verpuppt sich nicht. Sie macht offenbar eine Art Überwinterung durch. Leider ist es mir, wie erwähnt, nicht gelungen, die Tiere länger als bis zum Februar lebend zu erhalten. Den in den Porzellanschalen schwebenden Tieren wurden nun zwei gut wirksame Jodpräparate geboten. Einerseits im Froschlarvenversuch geprüfte und sehr wirksam befundene menschliche Schilddrüse, welche getrocknet und fein zerrieben worden war. Dieses Präparat bringt junge Froschlarven binnen wenigen Tagen zur völligen Metamorphose. Andererseits ein künstliches Jod-Eiweißpräparat, ein ‚Jodalbacid‘, welches durch Einwirkung von Alkali auf Jodeiweiß gewonnen wird (ähnlich dem Jodothyrin), ein fabriksmäßig hergestelltes Präparat des ‘pharmazeutischen Institutes von Wilhelm Gans, Frankfurt a.M. Von den vielen käuflichen Jodpräparaten, welche ich im Laufe der letzten 5 Jahre im Froschlarvenversuche geprüft habe, ist dieses das wirksamste gewesen. Es steht der Schilddrüse selbst an Wirksamkeit kaum nach. Die käuflichen Tabletten wurden fein gepulvert und gleich dem eben erwähnten Schilddrüsenpulver dem Wasser, in welchem sich die Larven befanden, in der Dosis einer Messerspitze zugesetzt. Niemals wurde bemerkt, daß die Larven von den gequollen im Wasser suspendierten Teilchen dieser Substanzen per os etwas aufgenommen hätten. Der Pharynx und Darm blieben dauernd leer. Indessen scheint von den sich im Wasser allmählich lösenden Stoffen doch etwas in die Leiber der Larven eingedrungen zu sein. Denn sowohl Schilddrüse als auch Jod- albazid verursachten fast ausnahmslos ein charakteristisches Verhalten 6* 34 R. H. Kahn: der an den Tracheenblasen sitzenden Chromatophoren. Diese Gewebs- elemente, welche der Wand der Tracheenblasen von außen aufsitzen, zeigen am normalen Tiere Änderungen ihrer gegenseitigen Lage und eine Art Wanderungen auf der Oberfläche der Blase!), unter Umständen, welche meines Wissens bisher nicht näher erforscht sind. Es handelt sich hier um eine durch Änderung der Gestalt des Zelleibes bewirkte Beweglichkeit, welche sogar auch zu Ortsveränderungen führt, ohne das Auftreten verzweigter ‚„amöboider‘‘ Fortsätze, wie man das bei den Chromatophoren der Wirbeltiere vielfach zu sehen gewöhnt ist. Während aber die im Vorratsglase befindlichen und auch die in den Versuchsschalen schwebenden gefütterten Tiere eine ziemlich gleich- mäßige Verteilung der Chromatophoren über die Wand der 4 großen Tracheenblasen zeigen, sind an den mit Schilddrüse und Jodalbazid behandelten Larven die Chromatophoren zusammengedrängt. Während im ersteren Falle breite schwarze Flecke nahe aneinander liegend die Tracheenblase ziemlich gleichmäßig einhüllen, sind bei unseren Versuchs- tieren die einzelnen Pigmentzellen ganz kleine schwarze Flecke, welche große Lücken zwischen sich lassen und häufig gegen die caudalen Pole der Tracheenblasen hin sich versammeln. Sie sind durch die dem Wasser zugesetzten Präparate gleichsam in einen Ballungszustand versetzt worden. Freilich findet man derartiges Verhalten der Tracheenblasen gelegentlich auch vorübergehend an Tieren des Vorrates und der Kon- trolle. Aber an den im Versuche befindlichen Tieren ist diese Erschei- nung die Regel und die regelmäßige Blässe der Tracheenblasen einerseits und die Schwärzung ihrer caudalen Pole kontrastiert sehr mit dem gleichmäßigen Schwarzgrau der Blasenwand bei den Vorrats- und Kontrolltieren. Diese Erscheinungen an den Chromatophoren weisen darauf hin, daß entweder mit ‚„verschlucktem‘‘ Wasser oder auf parenteralem Wege Stoffe aus den dem Wasser zugesetzten Präparaten in den Körper der Versuchstiere gelangen. Denn es ist bekannt, daß Schilddrüsenpräparate bei Amphibienlarven Wirkungen auf die Chromatophoren entfalten. Bei Kaulquappen von Rana habe ich 2) seinerzeit die schon von Guder- natsch bemerkte Erscheinung, daß die mit Schilddrüse gefütterten Froschlarven auffallend hell aussehen, genauer untersucht und gefunden, daß diese Erscheinung darauf beruht, daß die Chromatophoren der Haut maximal geballt sind. An dieser Ballung nehmen auch die im Leibes- inneren gelegenen Pigmentzellen, ja sogar auch das Pigmentepithel !) Vgl. neben den zitierten Untersuchungen von Leydigund Weismannnoch G. Pouchet, Developpement du systeme tracheen de l’anoph£le (Corethra plumi- cornis). Arch. de zoolog. experim. 1, 217. 1872. ?) R. H. Kahn, Zur Frage der Wirkung von Schilddrüse und Thymus auf Froschlarven. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 163, 384. 1916. Über Schilddrüsenfütterung an Wirbellosen, 5 der Netzhaut teil. Auch an den Larven von Salamandra maculosa ist dieses Verhalten sehr deutlich. Trotzdem also anzunehmen ist, daß die dem Wasser zugesetzten Präparate in den Körper der Mückenlarven gelangten, blieb der Zusatz von Schilddrüse und Jodalbazid auf die Metamorphose ganz wirkungslos. Keines der so behandelten Tiere verpuppte sich während der wochen- langen Behandlung. Schließlich wurden sie wieder in gewöhnliches Teichwasser zurückgesetzt. Um nun doch die Präparate enteral, also so wie bei den Froschlarven in vielleicht wirksamerer Weise einwirken zu lassen, wurde folgender Weg eingeschlagen. Es stellte sich in eigens angesetzten Versuchen heraus, daß das Schilddrüsenpräparat fein verteilt reinem filtrierten Teichwasser zugesetzt, von Cyclopiden, welche ca. 8 Tage in filtriertem Teichwasser gehungert hatten, reichlich gefressen wurde. Diese Tiere zeigen nach Stägigem Hunger unter dem Mikroskope einen ganz leeren Verdauungskanal. Stägige Fütterung mit Schilddrüse aber bewirkt, daß sich die Tiere mit diesem Nahrungsstoffe anfüllen, was bei schwacher Vergrößerung sehr gut zu kontrollieren ist. Es wurden also zahlreiche Exemplare von Cyelops aus Teichwasser sorgfältig isoliert, nach Stägigem Hunger eine Woche lang mit Schilddrüse gefüttert und sodann Corethra- larven, welche ebenfalls gehungert hatten und einen ganz leeren Ver- dauungstrakt aufwiesen, portionenweise dargeboten. Die Larven schnappten gierig zu und bald war ihr Pharynx gefüllt. Nun erschienen die braunen Verdauungsprodukte im „Magen“ und es wurde dafür gesorgt, daß die Tiere immer genügend schilddrüsengefütterte und mit Schilddrüse gefüllte Cyclopiden zur Verfügung hatten. Trotzdem diese Versuche ganz nach Wunsch bis Mitte Januar fortgesetzt wurden, trat in keinem einzigen Falle eine Metamorphose ein. Daß die wirksamen Schilddrüsenstoffe durch die Verdauung in den Cyclopiden zerstört worden wären, ist nicht anzunehmen, da es ja bekannt ist, daß die Produkte der künstlichen Verdauung von Schilddrüse im Froschlarven- versuch ihre Wirksamkeit behalten. Es stellte sich also heraus, daß die Larven von Corethra plumicornis im Herbste in der Gefangenschaft, zu einer Zeit, zu welcher sie im allgemeinen nicht metamorphosieren, aber metamorphosefähig sind, durch einverleibte Schilddrüsenstoffe nicht zur Metamorphose angeregt werden können. II. Ecdyurus forcipula. Diese Ephemeridenlarven wurden ebenfalls im Herbste 1921 in Standgläsern im Laboratorium eingestellt und zunächst beobachtet. Sie nehmen lebende und tote Nahrung zu sich. Sind kleine Tiere im Aquarium, dann räubern sie, sonst begnügen sie sich mit toter tierischer und, wie es scheint, auch pflanzlicher Nahrung. Im Standglase ohne 86 E..H. Kahn: lebende Nahrung gehalten, epimorphosierte!) von den zahlreichen gefangenen Tieren nur ein einziges. Zu zweien oder dreien in die er- wähnten kleinen Porzellanschalen gebracht und mit Fleisch gefüttert, häuteten sie sich öfters und wandelten sich stets nach einiger in den einzelnen Fällen sehr verschiedener Zeit um. So häuteten sich, um ein Beispiel vorzuführen, von 3 Larven, welche am 3. I. 1921 mit gefülltem Darme aus dem Standglase in die Porzellanschale gesetzt und mit getrocknetem und zerriebenem Hundefleische gefüttert wurden, 2 am 6.1. Am 12.1. wurde früh eine Subimago vorgefunden, sie wandelte sich im Laufe des Tages in die Imago. Erst am 22.1. wandelte sich die zweite Larve um. Am folgenden Tage erschien deren Imago. Die dritte Larve wandelte sich am 28. I. in die Subimago, am gleichen Tage noch in die Imago um. Die mit dem gleichen Schilddrüsenpräparate wie die Corethralarven gefütterten Ephemeridenlarven verhielten sich folgendermaßen. Die Zahl der Häutungen war besonders groß und erfolgte rasch hinterein- ander. Dabei war die Färbung des ganzen Körpers immer auffallend hell. ‘Diese beiden Punkte, Häutung und Helligkeit der Färbung nach Schilddrüsenfütterung bedürfen, wie mir scheint, einer gesonderten Untersuchung. Denn die normale Zahl der Häutungen bei derartigen Tieren ist eine eng begrenzte, und die pigmentführenden Gewebselemente verhalten sich hier ganz anders als etwa bei Wirbeltieren. Hierüber soll in einer späteren Mitteilung berichtet werden. Was nun die Um- wandlung der mit Schilddrüse gefütterten Tiere anlangt, so sind hier 2 Punkte besonders hervorzuheben. Erstens erfolgte die Umwandlung weder zeitlich noch sonstwie bemerkbar verschieden von jener der mit Fleisch gefütterten. So bildeten von 8 am 20. XII. 1920 in das Versuchs- stadium gesetzten Larven die erste am 21. I., die zweite am 26. I. und die übrigen in kurzen Zwischenräumen nachher die Subimago. Aber während die Subimagines der mit Fleisch gefütterten Tiere sich nach wenigen Stunden weiter umwandelten und die Imagines kräftig über dem Wasser herumflogen, um nach 24 Stunden konserviert zu werden, erwiesen sich zweitens die Umwandlungsprodukte der mit Schilddrüse gefütterten Larven wenig lebensfähig. Entweder sie starben als Sub- imago einige Stunden nach der Umwandlung, oder es bildete sich noch eine Imago, welche nach ganz kurzer Zeit zugrunde ging. Aber weder Subimagines noch Imagines zeigten im Aussehen die geringste Ab- weichung vom normalen Verhalten. Da dies eine regelmäßige Erschei- nung war, welche sich an den mit Fleisch gefütterten Tieren niemals zeigte, so dürfte an deren ursächlichem Zusammenhange mit der Schild- drüsenfütterung nicht zu zweifeln sein. Es ist also ersichtlich, daß diese 1) Hierüber orientiert man sich z. B. bei: K. Escherich, Insekten. Hand- wörterbuch der Naturwissenschaften. G. Fischer, Jena 1914. Bd. V, S. 490. Über Schilddrüsenfütterung an Wirbellosen. 87 Ephemeridenlarven durch die Schilddrüsenfütterung zwar beeinflußt werden, aber ebensowenig wie die Corethralarven im Sinne einer rascheren oder abnorm verlaufenden Differenzierung. EN TWenebrlo molitor. Es ist schon eingangs erwähnt worden, daß es nach längerer Rein- zucht gelungen ist, eine wenn auch geringe Anzahl gleichalter Larven des Mehlkäfers zum Versuche bereitzustellen. Es waren zusammen 16 Stück, alle von gleichem Aussehen, Größe, Färbung und Beweglich- keit. Von diesen wurden am 14. X. 1920 6 Larven in eine große flache Glasschale mit Glasdeckel gebracht, deren Boden mit Filterpapier bedeckt war. Auch unter dem Deckel befand sich eine Lage Filter- papier. Gefüttert wurden diese Tiere nicht. Gleichzeitig wurden in kleinen Glasgefäßen je 2 Mehlwürmer in Mehl, in trockenes Pulver menschlicher Schilddrüse (im Froschlarvenversuche sehr wirksam) und in gepulvertes Jodalbazid gesetzt, und die breiten Hälse der Gefäße locker mit einem Wattetampon derart verschlossen, daß die Tiere die Watte nicht erreichen konnten. Endlich wurden am 15.1.1921 je 2 Larven in mit Filterpapier ausgekleidete, bedeckte Glasschalen gesetzt und mit frischem Fleische und frischer Schilddrüse gefüttert. Sämtliche Gefäße standen monatelang auf dem gleichen Tische im Laboratorium, den Winter über kühl, im Frühjahre wärmer, an einer Wand an der dunklen Zimmerseite. Täglich wurden die Larven beobachtet und Ver- änderungen notiert. Das Schicksal der 6 ohne Fütterung zwischen Filterpapier gehaltenen Larven ist aus Tab. I zu ersehen. Tabelle]l. Daun | Larven Puppen Käfer | Bemerkungen a6 _ = 20. ID. | 5 | 1 = 24. III. | 4 2 — 26. III. | 3 3 == 29. II. | 2 4 — | 5. IV. Die Puppe vom 20. III., welche HalVE 2 3 u | die ganze Zeit hindurch unbeweglich | lag und kränklich aussah, trocknet ein. 1022 | 1 | 4 — 12. IV. | 1 | 3 1 Ava a |, 2 2 2021VE 1 1 3 | 29. IV. Der neu ausgeschlüpfte Käfer 29. IV. | 1 — 3 | lag nach kurzer Zeit tot am Boden | der Schale. DV. — 1 Se! 22. V. — _ 4 s8 R. H. Kahn: Häutungen wurden beobachtet, aber nicht notiert. Die Verpuppung begann Ende März, fand aber bei den einzelnen Exemplaren innerhalb eines Zeitraumes von 3 Wochen an verschiedenen Tagen statt. Eine Larve jedoch blieb noch darüber hinaus durch 19 Tage im Larvenzustande. Der Puppenzustand dauerte etwa 3 Wochen 17—23 Tage). In der gleichen Reihenfolge, in welcher die Verpuppung eingetreten war, metamorphosierten die Puppen in Käfer. Eine Puppe und ein Käfer gingen aus unbekannten Gründen ein. Von diesen 2 Tieren abgesehen, waren die übrigen schön ausgebildet, etwa gleichgroß. Sie wurden schließlich in einem Glase mit Mehl und Watte zur Weiterzucht aufgestellt. Da es mir nicht gelungen ist, mich irgendwo über die Metamorphose der Puppe in den Käfer zu orientieren, sei für jene, welche solche Ver- suche etwa wiederholen wollen, eine kurze Schilderung der hierbei äußerlich beobachteten Erscheinungen gegeben. Die Reife der Puppe zur Metamorphose erkennt man an einer im Verlaufe weniger Stunden sich vollziehenden charakteristischen Pigmentierung. Die auf der Bauch- seite des Tieres zierlich zusammengelegten deutlich erkennbaren Käfer- beine werden gelbbraun, indem sich die Schienen und die übrigen proximalen Teile der Beine pigmentieren. Die Schenkel bleiben weiß- gelblich. Des weiteren erscheinen am lateralen Rande der ventralen Fläche des Thorax beiderseits etwa zwischen dem ersten und dritten Beinpaare je ein gelbbrauner, schmaler, längsverlaufender Streifen, ebenso einer am unteren Rande der Ventralfläche des Hinterleibes. Die künftigen harten Flügeldecken liegen, sich mit den künftigen Außenrändern medial berührend, deutlich erkennbar, rein weiß auf der ventralen Seite des Hinterleibes. Die dorsale Fläche des Kopfes, sowie das Rückenschild entwickeln ebenfalls eine gelbliche Pigmen- tierung. Bei einem so aussehenden Tiere lösten sich, um ein Beispiel zu geben, mittags gegen 12 Uhr die Beine allmählich los. Der Rücken ist noch in der Puppenhaut, das Rückenschild ist maisgelb. Nach 1!/, Stunden hat sich der Käfer aus der Puppenhaut herausgearbeitet, die Flügeldecken sind crepe de chine-farben, haben sich auf die Dorsal- fläche des Hinterleibes gelegt, das Rückenschild ist maisgelb, Kopf, Beine und laterale Brustränder bräunlich. Die weichen Flügel ragen caudalwärts unter den Flügeldecken weit hervor. Um 4 Uhr nach- mittags haben sie sich ganz zurückgezogen, die Flügeldecken sind roh- seidenfarben, das Tier läuft langsam umher. Nach weiteren 4 Stunden ist die Pigmentierung deutlich stärker, am anderen Morgen bietet der Käfer ein sattes, dunkles Maisgelb. In den nächsten Tagen wandelt sich die Färbung über ein helles in ein dunkles Tabakbraun, aber erst nach etwa 8—10 Tagen erhält der Käfer jenes satte, etwas glänzende Schwarz, welches für Tenebrio so charakteristisch ist. Über Schilddrüsenfütterung an Wirbellosen. 89 Was nun den Verlauf der Metamorphose bei den 4 mit frischem Fleische bzw. Schilddrüse gefütterten Larven anlangt, so gibt Tab. II hierüber Auskunft. Tabelle I. Datum || Fleisch Datum | Schilddrüse 1921 Larve Puppe Käfer Bemerkung 1921 | ame [runse| Käfer | Bemerkung 157 2 | — | — [Muskel der| 15.1. | 2 | — | — | Schilddrüse | | | Katze | | | der Katze 2.2 2 | —. \Muskelödesi-21. 1% | 2 — | — | Schilddrüse | | | Kaninchens | | | ' d. Kaninch. 1.1. |2|-|— dgl. Be | eG 10.—14.IL.| 2 | — | — 1 Häutungl0.-14.IL.| 2 | — | — 2Häutungen IA. 2 — | — /Muskeldes| 14. I. | 2 — | — |Schilddrüse | | | | Kaninchens | | | d. Kaninch. 1. Ol. | 2 | — | — [Muskeldes| 1. IT.| 2 | — | — |Schilddrüse | | | Hundes | | | | des Hundes 17.0) 2|—|— Leg a ae ea | 30, 1005 a0 ao Sl | 2. ale | ro Jana eo DEV | | ee Ta | 17.v.|—- | —-|2| 1 ee a 1 m le | Die 4malige Fütterung der Tiere wurde so vorgenommen, daß die Organe unzerkleinert auf den Boden der Schalen zu liegen kamen. Sie wurden täglich besichtigt. Es stellte sich heraus, daß die Larven von den vorgelegten Futterstücken gefressen hatten, aber in sehr ungleichem Maße. Ich!) habe schon seinerzeit bezüglich der Frosch- larven angegeben, daß frische Schilddrüse die Tiere in weit höherem Maße zum Fressen anlockt, als andere Organe. Das gleiche scheint für unsere Larven zu gelten. Denn von den vorgelegten Schilddrüsen fehlten bei der Besichtigung immer erhebliche Stücke, was beim Muskelfleisch nur wenig oder gar nicht zutraf. Die aufgenommenen Futtermengen waren also bei den mit Schilddrüse gefütterten Tieren größer als bei den Muskeltieren. Ebenso wie in der vorher beschriebenen Versuchs- serie begann die Verpuppung in der zweiten Märzhälfte, bei den Schild- drüsentieren 14 Tage früher als bei den Muskeltieren, und zwar an je 2 aufeinanderfolgenden Tagen. Das Puppenstadium dauerte bei allen Tieren genau gleichlang — 17 Tage —, so daß die Schilddrüsenkäfer entsprechend früher erschienen. Ein Unterschied in der Ausbildung der Puppen, der Käfer, in der Geschwindigkeit der Umformung oder in sonstigen Belangen war nicht zu konstatieren. DERKKahn, SRH Baar 0182 385: 90 R. H. Kahn: Es erübrigt nun noch über das Schicksal jener Larven zu berichten, welche in verschiedenem, getrockneten Nahrungspulver gehalten worden waren. Die zeitlichen Verhältnisse ihrer Metamorphose sind aus Tab. III zu ersehen. Tabelle Il. Monat X. 2%. nl! IV. | V. a 2 14. FAETEIESENEN 10. 0. | 27. Larve 2 Häutung 11|1|1— | Mehl Puppe a — a el] 12 le er Käfer I eh _— ER Lave | 2 Häutung A ‚Jodalbazid Puppe en — —\|—|"1|1 2.120 | — Käfer | — | — — | ll 22 $ Larve | 2 | Häutung 1/1/1/1|11—- |— | — | — Schilddrüse Puppe EN | — 1 1 1:2. 1 1 1|— Käfer —_ | — _ |— — put Die Larven befanden sich während der ganzen 71/,monatlichen Versuchsdauer in kleinen Pulvergläsern von 20ccm Inhalt, deren Boden ca. 1O mm hoch mit den Nahrungspulvern bedeckt war. Die weiten Glashälse waren lose gegen Staub mit Watte verstopft, die Larven konnten aber die Watte nicht erreichen. Es ist mir nicht bekannt, ob die Mehlkäfer die Watte (bzw. Stoffabfälle von Wolle und Baum- wolle), welche ihnen erreichbar ist, als Futter benützen. Jedenfalls durchlöchern und zernagen sie solche Stoffe, wenn sie ihnen erreichbar sind. In unserem Falle stand ihnen als Nahrung nur das Pulver, in welchem sie lagen, zur Verfügung. Während die Tiere sich tief in das Mehl eingruben und sich stets damit bedeckt hielten, war das gleiche weder bei Jodalbazid noch bei Schilddrüse der Fall. Die Larven hielten sich mehr auf der Oberfläche auf. Auch unterschieden sie sich deutlich in Farbe und Aussehen von den im Mehle befindlichen. Während diese die charakteristische hellgelbbraune Färbung und die schlanke Gestalt aufwiesen, waren die Tiere in Schilddrüse und Jodalbazid blaß, dabei etwas bläulich gefärbt, sahen livid verfärbt und gedunsen aus und lagen tagelang dick und träge auf der Oberfläche der Pulver. Von besonderen Vorkommnissen ist zu bemerken, daß am 14. II. bei allen Tieren eine Häutung vollendet war. Eine zweite wurde nicht beobachtet. Die Ver- puppung begann am 17. IV., und zwar bei je einem der Mehl- und Schild- drüsentiere. Die Schilddrüsenpuppe löste sich nicht vollkommen aus der Larvenhaut, sondern blieb mit dem Hinterleibe darin stecken. Indessen bewegte sie sich reflektorisch durch etwa 10 Tage, ging aber dann ein. Am 1.V. war sie deutlich eingetrocknet (+ in Tab. III). Die erste Jodalbazidpuppe erschien erst 12 Tage später. Die zweite Über Schilddrüsenfütterung an Wirbellosen. 91 Puppe formte sich bei Mehlnahrung am 1. V., bei Jodalbazid am 2. V., bei Schilddrüse aber erst am 8. V. Es fand also bei dieser Larvenserie die Verpuppung später statt als bei den früher beschriebenen, aber ebenfalls innerhalb dreier Wochen, nämlich zwischen dem 17.1IV. und 8. V. Der Puppenzustand dauerte ebenfalls etwa die gleiche Zeit wie bei den anderen Serien, 13—23 Tage, bei Jodalbazid- und Schild- drüsennahrung etwas kürzer als bei Mehlnahrung, jedoch noch innerhalb der in der ersterwähnten Serie gefundenen Zeitspanne. Die 5 Käfer formten sich um, ohne daß etwas Besonderes zu bemerken gewesen wäre, sie waren gleich den Puppen normal gebildet, gefärbt und lebens- kräftig. Wir geben nunmehr in Tab. IV eine Schlußübersicht der Mehlkäfer- versuche. Tabelle IV. . e n | | heran | Tage Käfer 6 Larven 20. IH.—10.IV.ı 17—23 1 Puppe 4 ohne Futter (eine Larve | | 1 Käfer erst am 5. V.) | 2 Larven 310, 100% 17 | u 2 frisches Fleisch Sl DE | | 2 Larven NUR IL | — 2 Frische Schilddrüse 195 I0dE | | 2 Larven eve 21—23 | — 2 Mehl | ae | | 2 Larven 2: 10% | 18—21 | — | 2 Jodalbazid DSSVE | | | 2 Larven 17.1. | 19 eleEnppegn| 1 getrocknete (die zweite | Schilddrüse erst am 8. V.) | | Hieraus ist zu ersehen, daß die Fütterungsresultate an 16 gleich- artigen, genau beobachteten Larven keinen Anhaltspunkt dafür ergeben haben, daß Fütterung mit Schilddrüse oder Jodeiweißprodukten hier einen Einfluß auf die zeitlichen oder äußeren formalen Verhältnisse der Metamorphose ausgeübt hat. Weder der Verpuppungsbeginn noch die Dauer des Puppenstadiums zeigt eine wesentliche, nach einer be- stimmten Richtung weisende Besonderheit. Auch die Vitalität der Larven, Puppen und Käfer ist durch die Fütterung nicht in einer charakteristischen Weise beeinflußt worden. Die aus den verschiedenen Serien entstandenen Käfer zeigten keinerlei besondere Unterschiede. Die Zahl von 16 Tieren kann gewiß klein erscheinen. Indessen sind sie ein so einheitliches Material und die zeitlichen Resultate stimmen so gut miteinander überein, daß man wohl auch von Tenebrio berechtigt 92 R. H. Kahn: Über Schilddrüsenfütterung an Wirbellosen. ist, auszusagen, daß die Fütterung seiner Larven mit Schilddrüse bzw. Jodeiweißprodukten keinen Einfluß auf die Verhältnisse ihrer Meta- morphose ausübt. Zusammenfassung. l. Bei Larven von Corethra plumicornis, Ecdyurus foreipula und Tenebrio molitor wurde der Einfluß der Fütterung mit Schilddrüse und Jodalbazid auf die Epi- bzw. Metamorphose untersucht. 2. Es wurden an diesen Tieren gewisse Wirkungen der Fütterung (Verfärbung, verschiedene Helligkeit der Hautfarbe, leichte Änderung der äußeren Form) beobachtet. 3. Die zeitlichen und außenformalen Verhältnisse der Epi- bzw. Metamorphose blieben durch die Fütterung unbeeinflußt. 4. Die bei Fütterung von Vertebratenlarven so charakteristische Wirkung auf Wachstum und Differenzierung tritt bei Avertebraten nicht ein. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. II. Zustand und Innervation der Muskeln der vorderen Extremitäten des Frosches während der Umklammerung. Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 6. Juli 1921.) 1. Über das bioelektrische Verhalten der Umklammerungsmuskeln. In früheren von mir!) mitgeteilten Untersuchungen hatte es sich herausgestellt, daß während der tagelang anhaltenden Dauerverkürzung der umklammernden Muskeln zur Zeit der Paarung von Rana fusca in denselben ein gegenüber der übrigen Muskulatur verminderter Kreatingehalt nachzuweisen war. Ferner zeigte sich bei der galvano- metrischen Untersuchung der in Betracht kommenden Muskeln das völlige Fehlen von Aktionsströmen während der ruhigen Umklammerung. Die umklammernden Muskeln des Frosches sind ein sehr typisches und für die Untersuchung der Dauerverkürzung des Muskels besonders wertvolles Objekt. Denn es handelt sich hier um einen physiologischen Vorgang an einem quergestreiften Wirbeltiermuskel. In dieser Hinsicht steht unser Objekt, wie es scheint, ohne Analogie da. Denn alle übrigen bisher untersuchten Fälle von tonischer Dauerverkürzung des quergestreiften Muskels sind pathologisch. Das gilt für die Tetanus- starre ebenso wie für die Bulbokapninkatalepsie und die große Reihe der psychotischen und hypnotischen Katalepsien (Fröhlich und Meyer), und nicht weniger für Sherringtons Enthirnungsstarre. Dem Zustande des umklammernden Froschmuskels sind nur ähnliche physiologische Zustände an glatten Avertebratenmuskeln an die Seite zu stellen, z. B. die Dauerkontraktion des Schließmuskels der Muscheln und das Verhalten der Leibesmuskulatur von. Sipunculus und Hirudo. Endlich bieten gewisse glatte Muskeln der Wirbeltiere der Untersuchung vergleichbare Bedingungen. Hier sei an die Ver- suchsresultate v. Brückes?) am M. retractor penis des Hundes erinnert. !) R.H. Kahn, Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. I. Über den Zustand der Muskeln der vorderen Extremitäten des Frosches während der Umklammerung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 19%, 294. 1919. 2) E. Th. v. Brücke und G. Oinuma, Über die Wirkungsweise der fördernden und hemmenden Nerven. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 136, 502. 1910. 94 R. H. Kahn: Die Tatsache also, daß es sich um einen physiologischen Vorgang an einem quergestreiften Wirbeltiermuskel handelt, macht unser Objekt für die Unter- suchung des Zustandes während der Dauerverkürzung besonders wertvoll. Das haben auch Fröhlich und Meyer!) erkannt. Sie haben an „Temporarien‘“ das elektrische Verhalten der dauerverkürzten „Pektoralmuskeln‘“ untersucht und meinen Befund bestätigt, daß während der Umklammerung keine Aktionsströme nachweisbar sind. Daß diese Autoren unserem Objekte besondere Wichtigkeit beimessen, geht daraus hervor, daß sie es an erster Stelle unter den „gestreiften Warmblütermuskeln‘ erörtern. Nur haben sie es unterlassen, entsprechend zu er- wähnen, daß dieser Fall von Dauerverkürzung zuerst von mir als typisches Bei- spiel herangezogen und untersucht worden ist und daß es sich um eine Bestätigung meiner Befunde handelt. Meyer?), welcher an einem für ärztliche Leserkreise bestimmten Orte Ende 1920 eine kurze zusammenfassende Übersicht der Tonus- frage gegeben hat, erwähnt hier zwar den „Klammerkrampf des brünstigen Fro- sches‘ als ein von ihm und Fröhlich untersuchtes Phänomen, erwähnt aber nicht, daß es sich um eine Bestätigung meiner Befunde handelt, während eine Andeutung davon bei Fröhlich und Meyer wenigstens in einer Fußnote steht. Was die Untersuchungen von Fröhlich und Meyer an unserem Objekte anlangt, so sind sie nicht gerade mit einer Verbesserung der von mir angegebenen Methode angestellt. Bei der Untersuchung der Aktionsströme bei der Muskeltätigkeit ist es vor allem nötig, dafür zu sorgen, daß keinerlei Verschiebung an den Elektroden stattfinden kann. Deshalb ist es an unserem Objekte zweckmäßig, mit Seilelektroden von den Oberarmen abzuleiten. Durch ein genügend großes Fenster in der Haut werden die Seile so angelegt, daß sie beiderseits medialwärts gegen die Beugemuskulatur vorgeschoben sind. Schiebt man aber die Elektroden zwischen die beiden umklammernden Tiere, etwa um von der Fläche des M. pectoralis abzuleiten, dann liegen dieselben lange nicht so unverrückbar, wie bei dem eben geschilderten Vorgehen. Nicht etwa, daß bei Bewegungen des Tieres die Elektroden auf den Ableitungs- punkten wanderten, vielmehr macht sich leicht der Umstand störend geltend, daß die Innigkeit der Berührung und die Größe der berührenden Fläche Schwankungen unterliegt. Dann kommt es zu geringen Ände- rungen des Widerstandes im Stromkreise, welche kleine Ausschläge der Galvanometersaite bewirken. Und wenn diese rhythmisch erfolgen, wie z. B. im Strychninkrampf, dann kann leicht ein Rhythmus bei der Muskeltätigkeit in Erscheinung treten, welcher nicht auf die Aktions- ströme, sondern auf solche rhythmische Widerstandsänderungen zu beziehen ist. Die Galvanometersaite verharrt bei Ableitung von den umklammern- den, in dauernder Verkürzung bzw. Spannung verharrenden Muskeln wieich festgestellt und Fröhlich und Meyer bestätigthaben, 1) A. Fröhlich und H. H. Meyer, Über Dauerverkürzung der gestreiften Warmblütermuskeln. Arch. f. exper. Pathol. 8%, 173. 1920. 2) H. H. Meyer, Zur Physiologie der Muskelbewegung. Med. Klinik 1920, Nr. 50,:8. 1282. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 95 in Ruhe. Um die Anordnung zu kontrollieren, habe ich am umklammern- den Frosche Strychninkrämpfe ausgelöst, deren Resultat zeigte, daß die Versuchsanordnung geeignet war, Muskelaktionsströme, wenn vor- handen, zur Anschauung zu bringen. Dazu ist es nötig, keine zu geringe Strychnindosis zu wählen, da es darauf ankommt, einen ruhig andauern- den Strychnintetanus hervorzurufen. Fröhlich und Meyer haben den Strychninversuch auch angestellt, aber mit so geringer Dosis, daß es nur zu klonischen Zuckungen des vergifteten Tieres kam. Man sieht in der von ihnen mitgeteilten Kurve das Versuchsresultat. Die Saite ist während der ruhigen Umklammerung still, dann beginnen plötzlich mit sehr regelmäßiger, relativ geringer Frequenz ziemlich gleichgroße Saitenausschläge, welche offenbar gar nicht der Ausdruck von Muskel- aktionsströmen, sondern vielmehr auf die oben erörterten Fehlerquellen zurückzuführen sind. Erst nach deren Ablauf scheint das Tier in ruhigen Tetanus verfallen zu sein, wobei sich in der Saitenkurve kleine unregel- mäßige, eher als tetanische Muskelaktionsströme zu deutende Zäckchen zeigten. Strychninversuche sind von vornherein nur dazu geeignet, die Ver- suchsanordnung zu kontrollieren, für den Unterschied von Dauer- verkürzung und tetanischer Aktion im elektrischen Verhalten der Umklammerungsmuskulatur sind sie unverwendbar. Im Strychnin- krampf verfallen ja alle Muskeln der tetanischen Kontraktion und erfahrungsgemäß lassen sich die ‚„rhythmischen“ den Muskeltetanus charakterisierenden Aktionsströme bei Tier und Mensch überall vom Körper ableiten, wenn der Tetanus ein einigermaßen größeres Muskel- gebiet betrifft. Allerdings wird die ruhige Dauerverkürzung der Um- klammerungsmuskeln im Strychninkrampf tetanisch verstärkt, aber der Versuch ist unrein, da der Tetanus den ganzen Körper betrifft. Dabei zeigen bekanntlich männliche Frösche namentlich in der Brunst- zeit unter Strychninwirkung eine feste Umklammerungsstellung der vorderen Extremitäten, so daß es verwunderlich erscheinen muß, wenn Fröhlich und Meyer besonders hervorheben, daß sie den Strychnintetanus „ohne Lösung des Klammerreflexes‘ hervorgerufen haben. Aus diesen Gründen habe ich seinerzeit keine Strychninkurve veröffentlicht, denn sie diente ja nur gleichsam zur physikalischen Kontrolle. Um den Unterschied zwischen der ruhigen Dauerverkürzung und einer tetanischen Verstärkung der Umklammerung in der Aktionsstrom- kurve aufzuzeigen, muß man so vorgehen, daß an der tetanischen Aktion nur die Umklammerungsmuskeln teilnehmen. Löst man ein in Um- klammerung befindliches Paar von Rana fusca mit sanfter Gewalt und setzt sofort das Männchen auf 2 Finger der eigenen Hand, so werden diese fest und andauernd umklammert. Dabei läßt sich sehr deutlich 96 R. H. Kahn: die seitliche Zusammenpressung der Finger von dem starken Drucke, mit welchem dieselben gegen die Brust des Tieres gepreßt werden, unterscheiden. Jede rasche Lageveränderung der umklammerten Finger und jeder Versuch, das Tier in der Richtung der Längsachse seines Körpers wegzuziehen, wird sogleich von einer fühlbaren Verstärkung der ruhigen Umklammerung beantwortet. Dabei betrifft die Verstärkung vor allem das Andrücken der Finger gegen die Brust durch die Hände und Vorderarme. Sonstige Abwehrbewegungen treten nicht auf, so daß die verstärkte Aktion wesentlich nur die umklammernde Muskulatur und, wie es scheint, vor allem die der Vorderarme betrifft. Der wichtigste hier in Betracht kommende Muskel ist der M. flexor carpi radialis (Gaupp), welcher ja auch beim Männchen zur Brunstzeit hyper- trophiert. Neben ihm spielt offenbar das Caput superius des M. extensor carpi radialis eine besondere Rolle bei der Umklammerung, indem dieses den Vorderarm beugt und den Daumenrand der Hand dorsal und daumen- wärts zieht (Gaupp). Diese beschriebenen Erscheinungen nun müssen bei gleichzeitiger Ableitung von den Armmuskeln zum Saitengalvano- meter hervorgerufen werden. Das Weibchen des umklammernden Paares wird fest auf ein Brett gebunden, auf der Streckseite der Ober- arme des Männchens wird jederseits ein großes Fenster in die Haut geschnitten und die Seile unpolarisierbarer Elektroden werden in die Lymphsäcke so versenkt, daß sie medialwärts gegen die Ellenbogenbeuge vorgeschoben werden. Nun bindet man beide Hinterextremitäten des Männchens an den Fußgelenken mit einer Schnur zusammen und brinst sie durch Ziehen an der Schnur in leichte Streckstellung. Bei Paaren, welche schon längere Zeit umklammern, stören die beschriebenen Mani- pulationen die Umklammerung nur in seltenen Fällen. Zieht man nun an der Schnur in der Richtung der Längsachse des Körpers sanft an, so kommt es zu der erwähnten Verstärkung der Umklammerung ohne sonstige Abwehrbewegungen. Wir führen in Abb. 1 eine auf solche Weise gewonnene Muskelaktions- stromkurve vor!). Derartige Versuche lassen also erkennen, daß die tonische Dauer- verkürzung der Umklammerungsmuskeln des Frosches ohne mit den gebräuchlichen Mitteln nachweisbare Aktionsströme einhergeht, während willkürliche oder reflektorische Verstärkung der Umklammerung sogleich charakteristische Aktionsströme in Erscheinung treten läßt. Diese hat also tetanischen Charakter. Hierzu ist noch zu bemerken, daß je sorgfältiger man neben dem Zugein der Längsrichtung eine sonstige Belästigung des Tieres vermeidet und je sorgfältiger man die Elektroden- !) Abb. 1 ist eine getreue Zeichnung nach einem Film. Wegen der wünschenswerten Vereinfachung der Reproduktion wurde von der Wiedergabe des Originals abgesehen. Originalkopien kann jeder erhalten, der solche wünscht. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 97 U seile anlegt, um so sicherer umfangreichere Verschiebungen des Saiten- bildes durch Änderung der Stellung der Extremitäten zu den Seilen vermeidbar sind. Die mitgeteilte Kurve zeigt nur sehr geringe der- artige Erscheinungen, welche auf Änderungen der Elektrodenlage, also der Ableitungsbedingungen zurückzuführen sind. Nunmehr kennen wir in der Umklammerung und im Schlusse der Muschelschalen zwei Fälle physiologischer tonischer Dauerverkürzung des Muskels ohne mit den gebräuchlichen Mitteln nachweisbare Aktions- ströme. In beiden Fällen spielt dieser Zustand eine wichtige Rolle in biologischer Hinsicht. Der eine Fall betrifft den Muschelschließmuskel. In einer ausführlichen Monographie hat Fick!) die Resultate der Unter- suchung dieses Objektes an Anodonta vorgeführt. Auch dem Erscheinen IN anf Abb. 1. Die Seite eines Rechteckes des Koordinatensystems hat in der Abszisse den Zeitwert von 1 Sekunde, in der Ordinate entspricht sie der Höhe des Saitenausschlages bei Einschaltung eines Potentiales von 0,5 Millivolt in den Muskelsaitenkreis. Saitenruhe während der ruhigen Umklammerung. Verstärkung der Umklammerung durch Zug in der Richtung der Längsachse des Körpers bei der Marke des Signales (obere Kurvenlinie). Auftreten von Saitenunruhe, welche den Erscheinungen in der Aktionsstromkurve bei tetanischer Muskelerregung entspricht. von Aktionsströmen wurde, allerdings unter Anwendung der damals gebräuchlichen nunmehr überholten Methode der Beobachtung der negativen Schwankung Aufmerksamkeit gewidmet. Fick kam zu dem Resultate (S. 68), man habe sich darauf gefaßt zu machen, „, dem Muschelmuskel ein irritables Gebilde kennenzulernen, dessen Zusammenziehung ohne Verminderung seiner elektromotorischen Wirk- samkeit verläuft.“ Ob Fröhlich und Meyer?) diese Untersuchungen zur Zeit ihrer Bearbeitung des Schließmuskels der Malermuschel gekannt haben, geht aus ihrer Publikation nicht hervor, denn sie haben dieselben nicht zitiert. Sie untersuchten die Frage, ob der Schließmuskel von Cardium tubereulatum bei seiner Tätigkeit Aktionsströme liefere, mit in 1) A. Fick, Beitr. z. vergleichenden Physiologie der irritablen Substanzen. Braunschweig, Vieweg u. Sohn 1863. ?) A. Fröhlich und H. H. Meyer, Untersuchung über die Aktionsströme anhaltend verkürzter Muskeln. Zentralbl. f. Physiol. 26, 269. 1912. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 7 98 R. H. Kahn: dem Saitengalvanometer. Bei kurzem, mechanischem Reize am Mantel- rande ließen sich Aktionsströme nur während der raschen Schließungs- zuckung des Muskels, nicht aber während des Dauerverschlusses und der Erschlaffung nachweisen. Bei anhaltendem chemischen Reize aber dauerten die Aktionsströme während der ganzen Zeit des reflek- torischen Schalenschlusses an. Durch diese Untersuchungen wurde also die von Fick geäußerte Vermutung — die allerdings auf Versuchen mit unzureichenden Mitteln beruhte — insofern bestätigt, als nach- gewiesen werden konnte, daß die normale Dauerverkürzung des Muschel- schließmuskels ohne Aktionsströme einhergeht. Der zweite Fall einer biologisch wichtigen physiologischen Dauer- verkürzung betrifft den quergestreiften Wirbeltiermuskel. Der brünstige männliche Frosch umfaßt das Weibchen mit einer Art schnappender Bewegung seiner vorderen Extremitäten. Das ist wohl ohne Zweifel eine tetanische Muskelaktion. Sobald die Umklammerung gelungen ist, geht diese Muskelaktion in einen Verkürzungs- bzw. Spannungszustand über, welcher von keinen mit den gebräuchlichen Mitteln nachweisbaren Aktionsströmen begleitet ist. Diesen Übergang galvanometrisch zu verfolgen, besteht wohl leider aus technischen Gründen kaum eine Aussicht. Nun tritt eine tonische Dauerverkürzung ein, welche viele Tage lang anhält und jederzeit durch Momente, welche zur Lockerung der Umklammerung führen könnten, in ihrem Effekte dadurch ver- stärkt wird, daß die Muskulatur tetanischer Erregung verfällt. Die von mir beschriebene Tatsache, daß diese Dauerverkürzung bzw. Dauerspannung des Muskels nicht mit den tetanuscharakterisierenden Aktionsströmen einhergeht, ist von Fröhlich und Meyer bestätigt worden. Hier ist zu bemerken, daß vom Umklammerungsreflexe bei Fröhlich und Meyer!) in anderem Zusammenhange schon einmal die Rede war. Gelegentlich der Diskussion über die Genese der Muskelverkürzung bei tetanischer Erkrankung bezeichnen die Autoren es als sicher, daß die Muskelverkürzung nicht etwa das Resultat anhaltender aktiver Muskel- kontraktionen sei, denn ein Frosch könne tagelang im tetanischen Dauer- krampf liegen, ohne daß seine Muskeln in den aktionsstromlosen Ver- kürzungsdauerzustand geraten. Als Illustration solchen tetanischen Dauerkrampfes führen Fröhlich und Meyer?) langdauernden Strych- ninkrampf und die Dauerkontraktion der Armmuskeln beim Um- klammerungsreflex an, Erscheinungen, welche beide nach Zerstörung des Rückenmarkes, ohne eine Spur einer Muskelverkürzung zurück- zulassen, schwinden. Es haben sich also die Anschauungen von 1) A. Fröhlich, und H. H. Meyer, Untersuchungen über den Tetanus. Arch. f. exp. Patholog. %9, 55. 1916. 2)" A. 2.10. 8285. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 99 Fröhlich und Meyer, nach Bestätigung meiner Befunde bezüglich der Umklammerungsmuskulatur sehr geändert. Was die Muskelelemente anlangt, welche in den beiden erwähnten Fällen des Wechsels tetanischer und ‚‚tonischer‘‘ Muskelaktion unter physiologischen Verhältnissen in Betracht kommen, so ist bisher ein wesentlicher Unterschied tatsächlich bekannt. Die Muscheln besitzen in ihrem Schließmuskelapparate zwei Arten anatomisch völlig verschiedener, zum Teil auch grob anatomisch völlig getrennter Muskelelemente. Bei Pecten!) bilden diese verschiedenen Elemente zwei selbständige, nebeneinander gelegene Muskeln, von denen der eine die Schalen schließt, der andere sie geschlossen hält. Letzterer zeigt die Dauerverkürzung. Bezüglich der Herzmuschel Cardium tubereulatum lauten die Angaben von Fröhlich und Meyer in deren verschiedenen Veröffentlichungen nicht klar übereinstimmend. Es heißt da einerseits?): ‚Der Schließ- muskelapparat enthält nebeneinander rasch zuckende Arbeitsmuskeln und langsame Sperrmuskeln, von denen gemeinsam wir die Ströme zum Galvanometer abgeleitet haben.“ Daraus wäre in Anlehnung an die bei Pecten herrschenden Verhältnisse zu entnehmen, daß es sich um zwei nebeneinanderliegende den Apparat bildende Muskeln handelt. An anderer Stelle?) aber wird erwähnt, daß der Schließmuskelapparat der Herzmuschel beide Arten von Muskeln nicht räumlich getrennt, sondern gemischt enthält. Wie dem auch sei — vermutlich trifft hier das Letztere zu — besorgen verschiedene Muskelelemente bei den Muscheln die Schließung und den dauernden Schluß der Schalen. Es ist also tetanische und ‚‚tonische‘ Funktion hier auf verschiedene Ele- mente verteilt. Wie sich das bei unserem Objekte, den Umklammerungs- muskeln, verhält, ist vorläufig unklar. Aber gerade hier dürften Unter- suchungen, welche in Vorbereitung sind, Resultate zutage fördern, welche das Wesen der sogenannten Sperrapparate ®) etwas klarer erkennen lassen könnten als es bis jetzt der Fall ist. Hiervon wird in einer späteren Mitteilung die Rede sein. 2. Über die Innervation der Umklammerungsmuskeln. Die Innervation der Muskeln der oberen Extremitäten besorgt der Plexus brachialis, welcher von den langen Ästen der Rr. ventrales des II., III. und IV. Spinalnerven gebildet wird. Den wesentlichen Anteil an der Nervenversorsung der Armmuskeln hat der III. Spinalnerv, 1) A. Noyons und J. v. Uexküll, Die Härte des Muskels. Zeitschr. f. Biol., 56, 139. 1911. ?) Zentralbl. f. Physiol. 26, 277. 3) Arch. f. exp. Pathol. %9, 89. *) Siehe die eben zitierte Arbeit von Noyons und Uexküll, sowie jene von Fröhlich und Meyer (Arch. f. exper. Pathol. %9). — Daselbst Literatur. n% v 100 R. H. Kahn: indem er den Hauptstamm des Plexus brachialis bildet und nur schwache Verbindungsäste vom N. spin. II und IV erhält. Neben den motorischen Nervenfasern, welche also die cerebrospinale Innervation der Um- klammerungsmuskeln besorgen, führt der Nervus spinalis III nach Aufnahme der erwähnten Verbindungsfäden noch andere efferente, dem vegetativen Nervensystem angehörige, nämlich sympathische Nervenfasern. Diese stammen aus der Pars cervicobrachialis des Grenz- stranges, also aus den drei vordersten sympathischen Ganglien, nämlich dem II., III. und IV. Da heute von einer Reihe von Forschern !) für den Muskeltonus eine Innervation durch das vegetative Nervensystem angenommen wird und von Manchen Fälle von Dauerverkürzung des Muskels im Prinzipe dem Muskeltonus zugerechnet werden, muß von vornherein die Möglichkeit einer sympathischen Innervation der Umklammerungsmuskeln bezüglich jenes Teiles ihrer Funktion ins Auge gefaßt werden, welcher in der aktionsstromlosen, ruhigen Dauer- verkürzung besteht. In diesem Sinne könnte also der N. spinalis III und seine Verbindungsfäden sympathische, myo,,tonische‘‘ Nervenfasern für die Umklammerungsmuskeln führen. Die Frage, ob für unser Objekt eine Innervation durch efferente sympathische Nervenfasern in Betracht kommt, läßt sich auf zweierlei Weise untersuchen. a) Vergiftungsversuche. Ich?) habe schon seinerzeit über Versuche berichtet, welche darin bestanden, daß die Wirkung des Curares auf das umklammernde Männ- chen untersucht wurde. Es stellte sich heraus, daß sich am eurarisierten Frosche die Umklammerung etwa zur Zeit des Eintrittes der allgemeinen motorischen Lähmung zu lockern beginnt. Nach völliger Lähmung des Tieres wurden auch die Vorderextremitäten schlaff, allerdings, wie es schien, etwas später als die übrige Körpermuskulatur. Solche Vergif- tungsversuche wurden seitdem in großer Reihe an Rana fusca vor- genommen. Da immer noch kein Curarin zur Verfügung stand, mußte mit Curare gearbeitet werden. Zur Verwendung kam ein Präparat aus Bambusrohr, welches vor ca. 6 Jahren von Schuchardt, Görlitz, bezogen worden war. Eine Abkochung von 1g desselben in 100 8 Wasser liefert eine vorzüglich wirksame Lösung, welche bei vorsichtiger Dosierung lähmt und dabei die Vasomotoren, den Herzvagus, die Chro- 1) Literatur hierüber: O. Riesser, Über Tonus und Kreatingehalt der Mus- keln usw. Arch. f. exper. Pathol. 80, 183. 1916; E. Th. v. Brücke, Neuere An- schauungen über den Muskeltonus. Dtsch. med. Wochenschr. 1918, Nr. 5/6; A. Fröhlich und H. H. Meyera. a. O.; E. Frank, Berl. klin. Wochenschr. 1919, S. 1057 u. 1090. 2) R.H. Kahn, a. a. O. S. 300. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 101 matophorennerven völlig intakt läßt!). Wie es mit den sensiblen Nerven und dem Zentralnervensystem steht, ist bekanntlich im einzelnen Falle nicht leicht zu entscheiden, doch läßt unser Präparat die Anstellung des Claude Bernardschen Versuches zu, allerdings, wie es scheint, mit leichter Beeinträchtigung der reflektorischen Leistung. Diese Ab- kochung, welche sehr gut haltbar ist, wird zum Gebrauche mit gleichen Teilen Wasser verdünnt. 0,2 ccm davon lähmen den Frosch vollkommen etwa 10 Minuten nach Injektion in einen Lymphsack. In unseren Versuchen wurde das auf dem Weibchen sitzende Männ- chen mit den verschiedensten Dosen und unter verschiedenen sonstigen Bedingungen (Fesselung des Weibchens usw.) vergiftet. Es zeigte sich, daß bei solchen Curaredosen, bei denen bloß eine leichte Parese der Hinterbeine auftrat, auch bereits die Umklammerung deutlich lockerer wurde. Jedoch blieb die Umklammerung bestehen und überdauerte die Curarewirkung. Stärkere Dosen des Giftes, welche das Tier völlig lähmten, hoben ausnahmslos auch die Umklammerung auf. Dabei ist ganz charakteristisch ein allerdings nur kurze Zeit dauernder Zustand zu erzielen, bei welchem die Hinterbeine des Männchens schlaff in Streckstellung der Gelenke herabhängen, bei Ortsbewegungen des Weibchens nachgeschleift werden, ohne daß die Umklammerung noch gelöst wäre. ‚Jedoch ist diese deutlich lockerer und die Hinterbeine sind auch nicht völlig gelähmt, sondern werden bei schmerzhafter Reizung wenn auch mühsam angezogen. Diesen Zustand dauernd zu erhalten, gelang jedoch in keinem Falle. Er trat nur ein, wenn die Giftdosis so groß gewählt war, daß die Lähmung des Tieres vollständig wurde. Dann löste sich auch die Umklammerung und damit erlosch die letzte sichtbare Tätigkeit der quergestreiften Körpermuskulatur. Daraus geht hervor, daß die Umklammerungsmuskeln auch bezüglich ihrer Dauerverkürzung der Curarewirkung unterliegen, jedoch zu etwas späterer Zeit völlig gelähmt werden als die übrigen quergestreiften Muskeln. Diese Erscheinung läßt sich wohl nicht mit einer besonderen Innervationsart in Beziehung setzen. Denn es ist auch sonst bekannt, daß die verschiedenen quergestreiften Muskeln eines Tieres diesem Gifte verschieden rasch unterliegen. Ferner ist die Wirksamkeit der efferenten Fasern des vegetativen Nervensystems zur Zeit der Lähmung des Tieres und der völligen Lösung der Umklammerung und auch darüber hinaus völlig erhalten. Allerdings wissen wir nicht ganz genau, in welchem Umfange die Sensibilität und die zentralen Funktionen, welche ja doch beim Umklammerungsreflex eine wesentliche Rolle2) spielen, durch !) Siehe J. Biberfeld, Alkaloide. Ergebn. d. Physiol. 1%, 156. 1919. 2) Über diese Fragen orientiert man sich bei F. Goltz, Einige Versuche üb. d. Nervenmechanismus, welcher während der Begattung der Frösche tätig ist. Zentral- blatt f. d. med. Wiss. 1865, Nr. 19 u. 1866, Nr. 18. — Derselbe, Beiträge z. Lehre 102 RE RKahn: das Gift beeinträchtigt sind. Hierdurch könnte ja ebenfalls der Wegfall des Reflexes trotz weiterbestehender etwa sympathischer Innervation der Dauerverkürzung der Umklammerungsmuskeln erklärt ‘werden. Esist also ersichtlich, daß bei dem beschriebenen Ausfalle der Curarevergiftung eine sichere Entscheidung darüber, ob für die Dauerverkürzung bei der Umklammerung eine sympathische Innervation in Frage kommt, nicht erzielt werdenkann. Esläßtsichnur aussprechen, daß das Schwin- den des Reflexesdurch CurareeinesolcheInnervation wenig wahrscheinlich erscheinen läßt. Des weiteren sei über andere Giftwirkungen auf unser Untersuchungs- objekt berichtet. Von der Annahme ausgehend, daß sich eventuell bei Beteiligung sympathischer Fasern eine Art Verstärkung der Dauer- kontraktion, oder eine besonders leichte Auslösung derselben durch sympathomimetisch wirkende Gifte erzielen lassen könnte, wurde eine Versuchsreihe mit Adrenalin an Rana fusca durchgeführt. Zunächst wurde geprüft, ob an brünstigen Männchen, welche aber noch nicht umklammert hatten, die künstliche Auslösbarkeit des Umklammerungs- reflexes nach Adrenalin Besonderheiten aufweise. Bekanntlich um- klammern brünstige Männchen, wenn man sie mit 2 Fingern unter den Ansätzen der vorderen Extremitäten lose hält und mit den Fingern der anderen Hand die Brust und die Daumenschwielen leise streicht, diese Finger sofort unter leisem Quaken. Jedoch handelt es sich dabei im wesentlichen nur um das Zugreifen und erste Festhalten, während es nie zum ordentlichen Eintritte der Dauerverkürzung der Muskeln kommt. Durch andauernde Unruhe der umklammerten Finger, also durch andauernde sensible Reizung, läßt sich das Festhalten für einige Zeit aufrechterhalten, schwindet aber wieder bei völliger Fingerruhe. In keinem Falle, auch nicht bei solchen Tieren, deren Erregbarkeit durch Aufenthalt im kalten, dunklen Raum sehr gesteigert worden war, ist es gelungen, durch Adrenalin eine Verstärkung oder leichtere Auslösbarkeit der beschriebenen Erscheinungen hervorzurufen. Freilich ist es nicht leicht, derartiges immer mit Sicherheit zu beurteilen, aber der Eintritt einer Dauerverkürzung konnte niemals konstatiert werden. Interessanter erscheinen die Adrenalinversuche am umklammernden Paare. Hält man die Tiere während der Umklammerung in kühlen, feuchten und verdunkelten Räumen, so zeigt fast regelmäßig das Weib- chen helle Farben, hellgelbe bis hellbraune Haut, während das Männchen sehr dunkel, oft ganz schwarz erscheint. 0,1 ccm einer Adrenalinlösung v.d. Funktion d. Nervenzentren des Frosches, Berlin 1869. S. 20. — J. R. Tarcha- noff, Zur Physiologie des Geschlechtsapparates des Frosches. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 40, 330. 1887. — E. Steinach, Untersuchungen z. vergl. Physiol. d. männlichen Geschlechtsorgane, Pflügers Arch. f. d. ges. Phyisol., 56, 304. 1894. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 103 (Parke, Davis & Co.) von 1 : 5000 in den Rückenlymphsack des Männ- chens injiziert, bewirkt nach ca. 15 Minuten eine bedeutende Aufhellung der Haut und macht die vorher spaltförmigen Pupillen kreisrund. Nach weiteren 10 Minuten ist das Tier sehr hell!) und mit schaumigem Drüsensekrete reich bedeckt. Die Umklammerungsmuskulatur verharrt im Zustande der Dauerverkürzung, ohne daß dabei etwas besonderes zu bemerken wäre. Nach etwa 24 Stunden ist das Männchen wieder dunkler, seine Pupillen wieder eng und die Umklammerung besteht weiter. Je mehr man nun die Adrenalindosis steigert, desto schlaffer wird das Tier, desto lockerer die Umklammerung. Eine Dosis von 0,5cem der Lösung 1 : 1000 bewirkt folgende Erscheinungen. Nach etwa 10 Minuten ist das Männchen sehr hell geworden, die Pupillen sind kreisrund und maximal erweitert, die Haut ist schaumbedeckt, die Hinterbeine hängen schlaff herab und werden bei Ortsbewegungen des Weibchens nachgeschleift. Sie sind jedoch nicht gelähmt, sondern werden bei Reizung durch Kneifen prompt angezogen. Die Umklamme- rung ist noch fest. Dieser Zustand erinnert einigermaßen an den oben nach Curarevergiftung beschriebenen, nur ist dort die Umklammerung lockerer und die Hinterbeine, welche ebenfalls schlaff hängen, werden nur mühsam reflektorisch bewegt. Während das Tier nach Curare das Bild einer auch die Umklammerungsmuskeln betreffenden Lähmung der Körpermuskulatur darbietet, hat man nach Adrenalin mehr den Eindruck einer Tonusverminderung der Muskulatur, welche aber die Umklammerungsmuskeln am wenigsten oder gar nicht betrifft. Etwa 1/, Stunde nach der Vergiftung aber ändert sich das Bild. Die Umklam- merung, welche immer lockerer wurde, löst sich spontan, das Männchen nimmt allmählich wieder mit seinen Extremitäten die normale Körper- haltung an, behält aber noch stundenlang die helle Färbung und die runden Pupillen. Die künstliche Auslösbarkeit des Umklammerungs- reflexes ist sehr herabgesetzt, manchmal fehlt sie auch ganz. Erst nach längerer Zeit kehrt der Reflex wieder. Endlich sei über die Wirkung anderer auf das vegetative Nerven- system wirksamer Gifte auf die Umklammerung berichtet. Eine Ver- suchsreihe wurde mit Physostigmin angestellt. Zur Verwendung gelangte ein Physostigminum salicylicum Merckin lproz. Lösung. Analog den obengeschilderten Adrenalinversuchen wurde auch hier der Verlauf der durch künstlichen Reiz ausgelösten Umklammerung nach der Vergiftung verfolgt. Es hat den Anschein — aber die Sicherheit der Beurteilung läßt manches zu wünschen übrig —, als ob Dosen von 3 mg 1) S. Lieben, Über die Wirkung von Extrakten chromaffinen Gewebes (Adrenalin) auf die Pigmentzellen. Zentralbl. f. Physiol. 20, 4. 1916; R. H. Kahn, und $. Lieben, Über die scheinbaren Gestaltveränderungen der Pigmentzellen. Arch. f. Anat. u. Physiol. (Physiol. Abt.) 1907, S. 104. 104 R..H. Kahn: Physostigmin bei brünstigen Fröschen, bei denen die künstliche Aus- lösbarkeit des Reflexes eine geringe ist, das Auftreten desselben begünstig- ten. Das bezieht sich allerdings nur auf das obenerwähnte Erfassen und Festhalten der Finger. Zu einer Dauerkontraktion der Muskeln, welche auf die Physostigminwirkung hätte bezogen werden können, kam es niemals. Eine solche Wirkung des Giftes ist offenbar als eine zentrale aufzufassen. Die Wirkung des Physostigmins auf das umklam- mernde Männchen scheint sehr zu schwanken. In manchen Fällen hat eine Dosis von 5mg keinerlei Wirkung. Ein anderes Mal kommt es nach der gleichen Dosis nach kurzer Zeit zur Lösung des Paares. Höhere Dosen bis zu 12 mg, bei welchen sich die bekannten Erscheinungen an der Muskulatur des Körpers (Steifigkeit, Zittern, Unruhe) zeigten, wirkten mit Sicherheit lösend auf die Umklammerung. Auch hier zeigte sich, entsprechend den eben geschilderten Versuchen bei künstlicher Reflexauslösung und im Gegensatze zu dem Erfolge der Adrenalinversuche, daß bei den gelösten Männchen eine deutliche Steigerung der künst- lichen Auslösbarkeit des Ergreifens und Festhaltens der Finger auch noch viele Stunden nach der Vergiftung konstatiert werden konnte. Zu einer tonischen Dauerverkürzung kam es nie. Ein Versuch mit 10 mg Pilo- carpinum hydrochloricum Merck hatte nach kurzer Zeit bei tiefer Ver- dunklung des Tieres ohne sonstige Erscheinungen Lösung der Um- klammerung zur Folge. Zum Schlusse schildern wir den Ausfall von Vergiftungen mit Atropin. Es ist erstaunlich, wie Dosen von 5 mg, 10 mg und mehr in 1proz. Lösung keinerlei Effekt auf die Umklammerung und das Befinden des umklammernden Männchens erkennen lassen. Die Pupille wird. weit!). 1) Bei dieser Gelegenheit sei auf die interessante „antagonistische‘“ Wirkung. von Atropin und Licht auf die Pupillenweite des Frosches aufmerksam ge- macht. Das Atropin lähmt die autonome Sphincterinnervation. Aber hier kommt es nicht zu einer maximalen Mydriasis, auch nieht nach den größten Giftdosen. Denn die pigmentierten, glatten Muskelfasern des Irissphincters beim Frosche reagieren auf direkte Belichtung mit Kontraktion (E. Steinach, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 52. 1892), so daß der durch Atropin seines Neurotonus beraubte Sphincter doch einen mit der jeweiligen Beleuchtung wechselnden Phototonus peripheren Ursprungs aufweist. Am auffallendsten macht sich diese Erscheinung beim Augenspiegeln geltend. Denn hier erreicht man beim Frosche durch Atropin nicht den gewünschten Erfolg einer maximal erweiterten Pupille. Dieselbe ist vielmehr, namentlich beim Spiegeln im um- gekehrten Bilde, wobei die Belichtung der Iris besonders stark ist. recht eng. Vollkommene Abhilfe schafft hier das Adrenalin, welches, instilliert oder sub- cutan gegeben, eine so starke Dilatatorwirkung entfaltet, daß auch die stärkste Lichtwirkung mit dem Neurotonus des Sphincters vereint, nichts an der maxi- malen Pupillenerweiterung ändern kann. Um daher das Bild des Augenhinter- srundes des Frosches (J. Hirschberg, M. W. af Schulten, Arch. f. Anat. u. Physiol. [Physiol. Abt.] 1882, G. Schleich, Nagels Mitteilungen a. d. Ophthalmol. Klinik Tübingen, 1885) mit der in demselben sichtbaren Blut- Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 105 Die Haut scheint etwas trockener zu werden, aber die Umklammerung geht ungestört weiter. Weder von einer direkten noch einer zentralen Wirkung ist etwas zu bemerken. Überblickt man die geschilderten Resultate der Vergiftungsversuche, so erscheint es zweifellos, daß man auf Grund der Vergiftungserschei- nungen und der bekannten pharmakologischen Beziehungen der an- gewendeten Gifte zu den einzelnen Innervationssystemen versuchen könnte, die vermutlichen Innervationswege bei unserem Objekte zu diskutieren. Bei solchen Diskussionen, welche auf toxikologischer Basis ruhen, hat es sich häufig, wie es aber scheint, ganz besonders auf dem Gebiete der Tonusfrage, erwiesen, wie unsicher und angreifbar die Schlußfolgerungen bleiben, wenn die Erscheinungen nicht ganz klar liegen. Das letztere ist sicherlich bei unserem Objekte der Fall. Denn hier mischen sich allerlei mögliche vorläufig unkontrollierbare Gift- wirkungen zusammen. Wir verzichten also auf Schlüsse aus den Gift- wirkungen auf die Innervationswege und wenden uns mit sicherem Erfolge einer anderen Art der Versuchsanordnung zu. b) Nervendurchschneidung. Wie schon oben erwähnt wurde, stammt die Innervation der Umklammerungs- muskulatur von dem N. spinalis III und dessen Verbindungsfäden mit dem II. und IV. Spinalnerven. Für eine Innervation von Fasern des vegetativen Nerven- systems kommt die Pars cervico-brachialis des Sympathicus mit dem II., III. und IV. sympathischen Ganglion und deren Verbindungsnerven in Betracht. Bezüglich der möglichen Wege einer allfälligen parasympathischen (autonomen) Innervation ist nichts Bestimmtes auszusagen. Eine solche ist vorläufig aus dem Kreise unserer Experimente und Betrachtungen ausgeschieden. Es handelte sich in den nun zu schildernden Versuchen der Nervendurchschneidung um die gesonderte Ausrottung der cerebrospinalen und der sympathischen Innervationswege der Umklammerungs- muskeln, um den Anteil der beiden Systeme an dem Zustandekommen der Dauer- verkürzung während der Umklammerung zweifellos festzustellen. Die Orte, an denen solche Nervendurchschneidungen einzusetzen haben, sind tief im Körper des Tieres verborgen. Trotzdem gelingt es bei genügender Übung sehr elegant, ohne den mindesten Blutverlust, und ohne jede Schädigung anderer Organe beide Systeme zusammen oder gesondert zu durchschneiden, wenn man sich eines be- sonderen Kunstgriffes bedient, welcher im Folgenden geschildert werden soll. Es wurden also brünstige Männchen aus frisch eingelieferten Fängen ausge- sucht, welche bei künstlicher Reizung prompt umklammerten. Ende März, zur Zeit, wo sich Rana fusca zur Umklammerung anschickt, wurden die Nervendurch- schneidungen vorgenommen, und die Tiere dann, nach einiger Erholung, gemein- sam mit weiblichen im feuchten kühlen und verdunkelten Raume gehalten. Beim Frosche bildet die Ventralfläche der Wirbelsäule mit den Wirbelkörpern, Quer- fortsätzen und den seitlich der Wirbelsäule verlaufenden Nervenstämmen einen Teil strömung in den Gefäßen der Membr. hyaloidea ungestört und besonders reiz- voll genießen zu können, gebe man dem Frosche neben einer entsprechenden Dosis Urethan 0,2—0,5 cem einer Adrenalinlösung 1:1000. Dann ist die Pupille auch bei stärkster Beleuchtung dauernd maximal erweitert und die Blut- strömung und Füllung der Gefäße des Augenhintergrundes besonders günstig. 106 R. H. Kahn: der dorsalen Wand des größten der tiefen Lymphräume, des Sinus subvertebralist). In dessen eranialem Abschnitte liegen die Ventralflächen der obersten Wirbelkörper, die Nn. spinales II, III und IV sowie der größte Teil der Pars cervicobrachialis des Sympathicus. Dieser Teil des Sinus subvertebralis läßt sich operativ nach folgender Methode eröffnen und nach vollendeter Operation tadellos wieder schließen. Das Tier wird unter der Glasglocke mit Äther narkotisiert, bis die Kieferklemme vollkommen gelöst ist. Nun faßt man die Schnauzenspitze mit einer schmalen Klemme (kl Tin Abb. 2), faßt diese in ein geeignetes Stativ und hängt das Tier senk- recht auf, so daß die Fußspitzen den Arbeitstisch berühren und den Frosch am Geschaukeltwerden verhindern. Mit einer gleichen Klemme (kl II) wird der Unter- kiefer vorne am Kinn gefaßt, so daß durch das Gewicht der herabhängenden Klemme das Maul weit geöffnet und der Eingang in den Oesophagus sichtbar wird. Die Schleimhaut des Mundhöhlendaches bildet die ventrale Wand des Sinus basi- laris. Mit feiner Pinzette faßt man dieselbe in der Mittellinie einige Millimeter caudal von der Verbindungslinie der beiden Ostien der Tuben und sucht sie von der knöchernen Unterlage wegzuziehen. Da der Lymphraum nur einen capillaren Spalt bildet und die Schleimhaut also durch den Luftdruck an die Unterlage an- gedrückt wird, gelingt es nur, einen kleinen Schleimhauthügel zu erheben. Sobald man aber mit heißem Platinmesser oder mit dem Galvanokauter in den oralen Abhang dieses Hügels ein kleines Loch gebrannt hat, strömt Luft in den Sinus basilaris und die Schleimhaut läßt sich weit von der Unterlage abheben. Nun führt man von dem Loch aus mit dem heißen Messer einen queren Schnitt durch die Schleimhaut beiderseits bis zu der vom Ostium tubae caudalwärts ziehenden Furche und zieht mit der Pinzette die schon anfangs gefaßte Mitte des Wund- randes ventral. Es erscheint die komplizierte Form des Septum basilare, welches den Sinus basilare, vom Sinus subvertebralis trennt. Nun faßt man den Wundrand der Schleimhaut mit einer dritten Klemme (kl III), indem man durch diese die Pinzette ersetzt, und läßt dieselbe über den Unterkiefer herab- hängen. Die Schleimhaut sieht mit ihrer gefäßführenden dorsalen Fläche nach außen (r) und bedeckt mit der ventralen Fläche die Zunge (z). Nun eröffnet man mit stumpfen, feinen Instrumenten das Septum basilare, welches mit einer scharf- randigen Kuppe den Boden der eröffneten Höhle bildet. Die Blätter desselben weichen leicht auseinander ohne zu bluten, das Septum wird weit nach beiden Seiten hin zerstört, seine Reste abgetragen, sogleich klafft der unterhalb desselben gelegene Sinus subvertebralis und es entwickelt sich ein überraschender Einblick in tief im Tierkörper verborgene Regionen. Abb. 2 gibt ein wenig schematisiert ein Bild der Situation. Unterhalb des quer- verlaufenden Wundrandes der Rachenschleimhaut erscheint in der Mitte der caudal vom Os parabasale gelegene knorpelige Anteil der Schädelbasis mehr oder weniger in Sanduhrform. Zu beiden Seiten desselben ziehen die Muskelmassen der bei- den Mm. levatores scap. inf. Tateralwärts, und schräg über diese die beiden inneren Carotiden augenwärts. An die Schädelbasis schließt sich die Wirbelsäule mit dem 1., 2., 3. und 4. Wirbel (1—4) an, während sich die übrigen Wirkelkörper in der Tiefe verlieren. Quer über die Ventralfläche des 1. Wirbels zieht die Ansatzlinie des zerstörten Septum basilare, zu beiden Seiten derselben etwas über der Knorpel- fuge zwischen 1. u. 2. Wirbel liest das Kalksäckchen über der Austrittsstelle des 2. Spinalnerven, des Hypoglossus (II), von welchem meistens ein kurzes Stück hart unter dem medialen Rande des M. levator scap. inf. sichtbar ist. Der III. Spi- nalnerv liegt breit, weiß schimmernd am oberen Rande des Proc. transversus des 3. Wirbels (III), im Winkel zwischen diesem und dem 4. Wirbelkörper das große Kalksäckchen, aus welchem der IV. Spinalnerv (IV) heraustritt. Auch das 2) Nomenklatur nach E. Ga upp. Anatomie des Frosches, II. Aufl. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 107 Kalksäckchen des V. Spinalnerven ist meistens gut sichtbar. Das Gesichtsfeld wird in der Tiefe lateral von Blutgefäßen eingesäumt. Beim Frosche tritt die Aorta beiderseits zwischen dem M. petrohyoideus posterior I u. II hin- durch an den Schlund. Hier zieht sie dorsalwärts gegen die Wirbelsäule, tritt also in den Sinus subvertebralis ein und erreicht die Wirbelsäule seitwärts vom Körper des zweiten Wirbels. An dieser Stelle gibt sie die Arteria occipito- 'vertebralis und die Arteria subclavia ab. Durch unsere Operation ist der Sinus kl1. URN BING Abb. 2. Halbschematische Darstellung des Operationsgebietes im Sinus subvertebralis bei Rana fusca auf der linken Körperseite zur Exstirpatipn der Pars cervico-brachialis des Sympathicus, Durchschneidung des Hypoglossus, N. spinalis II und III, des Vagus und Glossopharyngeus, und zur Unterbindung der Aorta, Arteria subelavia, occipito-vertebralis und carotis. 1. s. i., Muse. levator scapulae inf. a., Aorta sinistra. p. o., der zwischen den beiden Oss. oceipit. lat. III, N. spin. III. mit anliegendem 3. Gangl. gelegene Teil des ventr. Abschnittes der symp. Cartilago prootico-ocecipitalis. IV., N. spin. IV. mit anliegendem 4. Gang]. 1—4, Erster bis vierter Wirbelkörper. Symp. c, Art. carotis o., Ostium pharyngeum tubae. 0. v., Art. occipito-vertebralis. T., Rachenschleimhaut. s, Art. subelavia. 5 z., Zunge. subvertebralis in sagittaler Richtung hochgradig erweitert, der Schlund mit der vorbeiziehenden und dahinter caudalwärts umbiegenden Aorta stark ventral- wärts gezogen, so daß auch deren eben genannte Äste von der Unterlage, der dorsalen Wand des Sinus, abgehoben und stark in sagittaler Richtung gespannt sind. Man sieht daher die Aorta (a) jederseits durch die ventrale Wand des Sinus in diesen eintreten. Sie zieht sofort caudalwärts und verschwindet in der Tiefe. Unmittelbar nach dem Eintritte gibt sie die Art. occipito-vertebralis und sub- 108 R. H: Kahn: clavia ab, und diese Arterien (ov. und s.) ziehen als rote Stränge medial vom inneren Rande des M. levator scap. inf. durch den Sinus subvertebralis um dorsal von diesem unter der medialen Portion des Muskels zu verschwinden. An dieser Stelle treffen die Blutgefäße mit dem sympathischen Grenzstrange zusammen. Hier läuft nämlich die Art. subelavia, sich lateralwärts wendend durch eine zwischen dem II. und dem III. sympathischen Ganglion durch zwei Rami intergangliares gebildete Nervenschlinge, eine Art Ansa Vieussenii. Durch unser spannendes Operations- verfahren ist sie in der Schlinge stark abgeknickt. Von der Knickstelle läuft sie nach der Seite und gesellt sich dem weiteren Verlaufe des III. Spinalnerven bei. Die Nervenschlinge ist im Operationsfelde gut zu erreichen (in Abb. 2 nicht auf- gedeckt). Unmittelbar darunter liegt in eine reichliche Melanophoren führende Membran eingehüllt das III. sympathische Ganglion gewöhnlich mit dem oberen Rande des III. Spinalnerven fest verlötet. Grau schimmernd, von Melanophoren umsäumt und glasartigdurchscheinend zieht vom Ganglion Ill caudalwärts der Ram. intergangliaris über den III. Spinalnerven zum Gangl. symp. IV, welches man ge- wöhnlich auf dem Querfortsatz des 3. Wirbels oder an seinem unteren Rande als feines Knötchen liegen sieht. Von diesem zieht der sympatkische Grenzstrang durch den Sinus supvertebralis ventral- und caudalwärts gegen die absteigende Aorta. Das Ganglion sympathicum IV bietet in seinem Verhalten zum IV. Spinalnerven und zum Grenzstrang nach Ga up p mehrere Varianten. Für gewöhnlich findet man bei Rana fusca in unserem Präparate die Verhältnisse so, daß das Ganglion etwa am oberen Rande des IV. Spinalnerven liest. Von seiner Anheftungsstelle an diesem zieht dann der Grenzstrang ziemlich stark ventralwärts, diese Stelle jedoch findet sich in sehr verschiedener Entfernung von dem Kalksäckchen des IV. Spinalnerven. Die geschilderte Eröffnung des Sinus subvertebralis schafft also einen relativ bequemen unblutigen Zugang zu einer ganzen Reihe wichtiger Organe ohne jede erhebliche Nebenverletzung. Man kann nın nicht blos an den erwähnten Organen operieren, den Plexus brachialis durchschneiden, die sympathischen Ganglien ein- zeln oder zusammen exstirpieren, die großen sonst ganz unzugänglichen Gefäße unterbinden, sondern es gelingt von hier aus bei guter Beleuchtung auch ohne Schwierigkeit die Durchschneidung des Hypoglossus am Austritt, des Vagus und eventuell auch des Glossopharyngeus. Um den Hypoglossus zu fassen, ist es nur nötig, den unteren Rand des M. levator scap. inf. an dessen medialer Portion etwas zu heben und kopfwärts zu ziehen. Den Vagus und bei einiger Vorsicht auch den Glossopharyngeus bekommt man zu Gesicht, wenn man die großen Blutgefäße mit einem feinen, stumpfen Häkchen leicht zur Seite (lateralwärts) zieht und zwi- schen den Mm. petrohyoidei stumpf präpariert. Nach beendeter Operation wird die an der Klemme (kl II) hängende Rachenschleimhaut wieder in die Höhe geklappt, die Luft durch leichtes Zusammendrücken der Brust des Tieres in sagittaler Ebene nach Möglichkeit aus dem eröffneten Sinus herausgedrückt und die Schnittwunde am Rachendache durch feine Knopfnähte dicht geschlossen. Dabei ist darauf zu achten, daß nicht eine der Carotiden in eine Nahtschlinge gerät. Das Maul wird zugeklappt und die Klemmen entfernt. Die durch letztere verursachten Druckstellen an der Schnauzenspitze, dem Kinn und der Zungenwurzel schwinden in kürzester Zeit. Mit dieser Operationsmethode wurden bei brünstigen männlichen Exemplaren vor der Umklammerung oder an solchen, welche eben umklammert hatten und von den Weibchen gelöst wurden, Durch- schneidungen der Nervenbahnen für die Umklammerungsmuskeln vorgenommen. Zunächst lassen sich also der II., III. und IV. Spinal- nerv bei ihrem Austritte aus der Wirbelsäule durchschneiden. Hierbei werden auch alle sympathischen Fasern mitgetroffen. Das gleiche gilt Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 109 für die Durchschneidung des III. Spinalnerven an der Austrittsstelle und seiner Verbindungsfäden mit dem II. und IV. Nerven unter Scho- nung der letzteren. (Diese Verbindungsfäden muß man suchen, eventuell unter leichtem Seitwärtsziehen der großen Gefäße.) Eine gesonderte Durchschneidung der cerebrospinalen Innervationsfasern unter Scho- nung der sympathischen Innervation ist hier nicht möglich. Denn der Frosch hat keine gesonderten, präparierbaren Rami communicantes nach Art der Säugetiere. Vielmehr verlaufen hier prä- und postganglio- näre Fasern gemeinsam in jenem überaus kurzen Nervenstücke, welches zwischen Ganglion und Spinalnerv eigentlich nur beim III. Nerven gesondert sichtbar ist, bei den beiden anderen aber nur die Anheftungs- stelle des Ganglions durchzieht. Ein so behandeltes Tier hat also weder eine cerebrospinale noch eine sympathische Innervation der Armmuskeln mehr, d. h. es sind hier auch alle präganglionären Fasern durchschnitten, und bei Trennung der Spinalnerven unterhalb der Anheftungsstelle der sympathischen Ganglien auch alle postganglionären. Dagegen lassen sich mit Sicherheit alle sympathischen Fasern und Zellen für die Umklammerungsmuskeln allein treffen, wenn man, was bei unserer Operationsmethode unschwer gelingt, das III. und IV. sympathische Ganglion von den Spinalnerven abschneidet, die Ansa knapp unter der Arteria subelavia und den Grenzstrang unterhalb des IV. Spinalnerven durchschneidet und eventuell noch den nicht immer vorhandenen Verbindungsfaden zwischen Hypoglossus und III. Spinalnerven oder den Hypoglossus selbst durchschneidet. Dann läßt sich die ganze Pars brachialis des Sympathicus abheben und unter dem Mikroskop bei schwacher Vergrößerung identifizieren. Bei einiger Übung gelingt diese letztere Operation ohne Schädigung der Spinalnerven. Sie werden nur beim Abschneiden der Ganglien wegen der großen Kürze der Ver- bindungsfäden ein wenig gezerrt. Eine Blutung tritt überhaupt nicht auf, falls man sich beim Abschneiden der Ansa sorgfältig vor einer Verletzung der Arteria subelavia hütet. Werden die geschilderten Operationen beiderseitig ausgeführt (rechts bei Rechtshändern etwas schwieriger), so erhält man Tiere mit beiderseits vollkommen zerstörter Innervation der Umklammerungsmuskeln und solche, bei denen keinerlei sympathische Innervation mehr vorhanden ist. Tiere, die nach der ersten Art operiert werden, zeigen das Resultat, welches ja von vornherein zu erwarten ist. Die Durchschneidung der Plexusnerven vor oder hinter den sympathischen Ganglien lähmt völlig die gesamte Umklammerungsmuskulatur nebst dem größten Teile der übrigen Muskeln des Schultergürtels und der vorderen Extremitäten. Ganz den gleichen Effekt erzielt man übrigens bei alleiniger Durch- schneidung des N. spinalis III an seiner Ursprungsstelle für die Um- klammerungsmuskeln und den größten Teil der übrigen Muskulatur. 110 R. H. Kahn: Von einer Umklammerung ist dann dauernd keine Rede mehr, denn die in Betracht kommenden Muskeln sind vollkommen gelähmt. Auch die einseitige Operation hebt jede Umklammerungsmöglichkeit auf. Daraus ergibt sich bereits die für unser Problem wichtige Tatsache, daß der alleinige Ausfall der aus dem III. Spinalnerven austretenden cerebrospinalen Fasern sowie der in diesem Nervenstamme verlaufenden sympathischen Elemente die Umklammerungsmuskeln völlig lähmt, daß also solche sympathische Fasern, welche eventuell aus dem II. und IV. Spinalnerven durch deren Verbindungszweige dem III. Spinal- nerven sich beimischen, für eine Innervation der Umklammerungs- muskeln nicht in Betracht kommen. Von weit größerem Interesse für unser Problem sind aber jene Tiere, welche durch unsere Operationsmethode der sympathischen Nerven- leitungim Plexus brachialis beraubt wurden. Eine große Reihe brünstiger männlicher Frösche, denen die .Pars brachialis des Sympathicus von der Ansa Vieussenii bis zum Grenzstrange exstirpiert worden war (auch der Verbindungsfaden zwischen II. und III. Spinalnerven war, wo ein solcher bei der Operation sichtbar wurde, durchschnitten), wurden mit genügend vielen Weibchen in kühlem, verdunkeltem und feuchten Raume zusammengebracht und sich selbst überlassen. Die Operationen waren sowohl einseitig als auch beiderseitig ausgeführt worden, die Tiere hatten sich in ganz kurzer Zeit von der Narkose und Operation erholt, und zeigten bei künstlicher Auslösung des Reflexes deutlich das Ergreifen und kurze Festhalten der Finger. Wenige Stunden nach der Operation ist ein charakteristisches Verhalten der Pupillen zu beobachten. Einseitig operierte Tiere weisen unter allen Beleuchtungsverhältnissen, falls nur die Belichtung beide Augen gieichmäßig trifft, eine ganz bedeutende Verengerung der Pupille auf der operierten Seite auf. Bei zerstreutem Tageslichte ist diese Anisokorie am größten. Trotz der oben erwähnten, mannigfaltigen, gleichzeitigen Einflüsse auf die Pupillenweite bei diesen Tieren mani- festiert sich also der Wegfall des Dilatationstonus der Iris in so charak- teristischer Weise, daß man ohne weiteres an dem Verhalten der Pupillen jene Tiere heraussuchen kann, an denen unsere Operation einseitig ausgeführt worden war. Beiderseitig operierte Frösche zeigen bei zer- streutem Tageslicht sehr enge Pupillen, weit enger als bei unter den gleichen Verhältnissen gehaltenen normalen Exemplaren. Auch hieran sind die operierten Tiere ohne weiteres zu erkennen. Bei anderen Be- leuchtungsverhältnissen (Dämmerung, starke direkte Belichtung der Iris) sind diese Unterschiede weit weniger ausgesprochen, da ja neben der autonomen Sphincterinnervation auch die direkte Lichtwirkung an diesem Objekte eine bedeutende Rolle spielt. Das Verhalten der Froschpupille nach Durchschneidung von Wurzeln einzelner Spinal- Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 1lakal nerven bzw. Exstirpation von sympathischen Ganglien ist mehrfach, aber vor langer Zeit, untersucht worden. Ausführliche Angaben hierüber findet man bei Schiff!) auf Grund von Versuchen von Frl. K. Schipi- loff. Hier erfolgte die Exstirpation der oberen Sympathicusganglien vom Rücken her durch blutige Operation unter Resektion der Querfort- sätze der Wirbel usw. Die ganze Frage bedarf unter Berücksichtigung moderner Anschauungen und Erfahrungen einer neuerlichen Bearbeitung. Die tägliche Beobachtung der operierten Tiere ergab folgendes Schicksal derselben. Bei einigen Exemplaren (3 beiderseitig operierte) zeigten sich vom 2. Tage nach der Operation ab „trophische“ Stö- rungen an den vorderen Extremitäten. Die Oberhaut erschien wie maceriert, löste sich in Fetzen ab, die Extremitäten schwollen an und unter diesen Erscheinungen gingen die Tiere am 5. bis 12. Tage nach der Operation zugrunde. Die Autopsie zeigte nichts Besonderes im Operationsgebiete. Ob hier vielleicht eine Infektion oder vasomotorische bzw. sekretorische Störungen die Ursache der Erscheinungen abgaben, muß unentschieden bleiben. Eine Reihe von Tieren verlor im Laufe der ersten Tage den künstlich auslösbaren Ergreif- und Haltereflex der Finger, sowie die ‚Lust‘ zur Umklammerung. Sie saßen fortab neben den Weibchen, ohne sich im mindesten um diese zu kümmern. In einem Falle war vom 2. Tage ab eine deutliche, leichte Parese beider Vorder- beine zu konstatieren. Solche Fälle sind wohl auf eine bei der Operation gar nicht feststellbare Läsion der Spinalnerven durch Zerrung beim Hervor- holen und Abschneiden der sympathischen Ganglien zurückzuführen. Alle anderen Tiere, ob einseitig oder beiderseitig operiert, umklammerten regelrecht die Weibchen und ihre Umklam- merungsmuskeln verharrten tagelang in ruhiger Dauer- kontraktion. Bei einem Tiere, welches beiderseitig am 8. III. 1921 um # Uhr p. m. operiert worden war, wurde die Umklammerung sogar noch im Operationsraume um 11 Uhr p. m. beobachtet. Am 11. III. 1921 gegen 10 Uhr a. m. lockerte sie sich und löste sich spontan um 7 Uhr p. m. Von da ab schwand auch die künstliche Auslösbarkeit des Reflexes, um nicht mehr wiederzukehren. Hier handelt es sich vermutlich um die Wirkung einer am 2. Tage einsetzenden Infektion. Alle übrigen Tiere umklammerten dauernd, warteten die Eiablage ab und lösten sich sodann spontan los. Die längste beobachtete Umklammerungsdauer währte vom 19. III. bis zum 2. IV. Mehrere seit einigen Tagen um- klammernde Männchen, deren Brustsympathicus beiderseitig exstirpiert war, habe ich im medizin.-naturwiss. Vereine ‚Lotos‘‘ demonstriert ?). 1) M. Schiff, Über den Einfluß der Nerven auf die Erweiterung der Pupille bei Fröschen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 38, 219. 1886. 2) Sitzung der biologischen Sektion d. deutschen medizin.-naturwiss. Vereins Lotos in Prag am 22. III. 1921. 12 R. El. Kahn: Die Tiere umklammerten genau so wie zum Vergleiche vorgewiesene normale Exemplare unter fester Verschlingung der Hände und zeigten die Verstärkung der Umklammerung bei Lösungsversuchen. Ein Unter- schied zwischen normalen und operierten Tieren war in keiner Hinsicht bezüglich der Umklammerung zu bemerken. Auch kein Unterschied in der Feuchtigkeit oder der Färbung der vorderen Extremitäten der Männchen gegenüber den Weibchen bzw. gegenüber dem übrigen männ- lichen Körper war vorhanden. Nur die Pupillen der beiderseits operierten Männchen waren sehr eng, viel enger als die Pupillen der weiblichen Tiere. Das endliche Schicksal der operierten Tiere glich dem der im Laboratorium nach der Paarung gehaltenen normalen. Sie gingen langsam ein. Von den in der ersten Hälfte März operierten Tieren lebte Ende Mai nur noch ein beiderseitig operiertes. Die Schleimhautwunde war vollkommen vernarbt, die Pupillen noch enger als bei normalen Tieren unter den gleichen Verhältnissen. Eindlich sei berichtet, daß auch an einer Reihe von männlichen Exemplaren von Bufo vulgaris vor der Paarungszeit, welche den künstlich auslösbaren Reflex gut zeigten, die beschriebenen Operationen ausgeführt wurden. Bei der Kröte ist das Operationsfeld viel kleiner, die anatomischen Verhält- nisse aber prinzipiell die gleichen. Nur sind alle Septa viel straffer und fester, die Präparierbarkeit der Gewebe daher etwas schwieriger. Die Spinalnerven zeigen nicht das glänzende Weiß wie bei Rana fusca, sondern sind mehr graurötlich, der über sie hinwegziehende Grenzstrang aber hebt sich weit besser sichtbar ab. Er ist nicht, wie beim Frosche glasartig durchsichtig, sondern mehr opak und reicher von Melanophoren begleitet. Die Operation ließ sich tadellos durchführen, aber sämtliche operier- ten Tiere verloren die künstliche Auslösbarkeit des Ergrejf- und Halte- reflexes. Zum Teile mag daran der Umstand schuld sein, daß bei der Kröte infolge der Kleinheit aller in Betracht kommenden Gebilde die Zerrung der Spinalnerven bei der Operation viel weniger vermeidbar ist als beim Frosche. Auch gingen die operierten Tiere alle nach kurzer Zeit ein. Übrigens hat auch im Frühjahre 1912 bei den normalen Kröten in unse- rem Laboratorium in keinem Falle eine Umklammerung stattgefunden. Aus den geschilderten Experimenten ergibt sich der Schluß, daß die Dauerverkürzung und -spannung der Armmuskulatur während der Um- klammerung bei Rana fusca auf einer Innervation beruht, welche auf dem Wege der Spinalnerven des Plexus brachialis, vornehmlich des III. Spinalnerven, vor sich geht. Denn die Durschneidung der Spinal- nerven lähmt vollkommen die in Betracht kommenden Muskeln. Hier- gegen wäre noch der Einwand möglich, daß der Wegfall des sensiblen Anteiles des Reflexes nach der Spinalnervendurchschneidung die Ursache für den Wegfall der Dauerkontraktion sein könnte, diese selbst aber doch noch bei erhaltener Sensibilität auf anderen Wegen als den ge- schilderten spinalen zustande kommen könnte. Diese von vornherein wenig wahrscheinliche Annahme — denn wo wären solche außerhalb Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 113 der bekannten Nervenbahnen verlaufende Innervationswege für den Dauertonus anzunehmen ? — könnte sich offenbar durch gesonderte Durchschneidung der in Betracht kommenden Rückenmarkswurzeln prüfen lassen. Es müßte dann nach Durchschneidung der vorderen Wurzeln der Spinalnerven das überraschende Phänomen eintreten, daß bei entsprechender sensibler Reizung der gelähmten Vorderextremi- täten auf ganz anderem Nervenwege eine Dauerverkürzung der Um- klammerungsmuskeln unterhalten würde. Aber die Dauerverkürzung bei der Umklammerung braucht gar kein reflektorischer Vorgang zu sein. Denn zu ihrem Zustandekommen ist vermutlich zuerst das muskel- tetanisch erfolgende Ergreifen und Festhalten nötig, worauf das Zentral- nervensystem die Feststellung der Muskeln in einer neuen Längen- bzw. Spannungslage ohne dauernden Zufluß von Impulsen auf afferenten Bahnen besorgt. Weiters liegen, wie schon erwähnt, für Innervations- bahnen zur Dauerverkürzung auf anderen als den spinalen Nerven- bahnen des Plexus brachialis gar keine Anhaltspunkte vor. Daß solche Innervationsbahnen, welche von höher oder tiefer gelegenen Teilen des Zentralnervensystems herstammten, sich auf bisher unbekannten Wegen zu den Umklammerungsmuskeln begäben, wäre eine durch nichts begründete Annahme. Es benutzt also die Innervation für die Um- klammerungsmuskeln sicher den Weg der Spinalnerven des Plexus brachialis, vornehmlich des III. Spinalnerven. Dieser Weg ist ein direkter. Er geht nicht über den Umweg sympathischer Ganglien. Er beginnt auch nicht etwa in solchen Organen. Denn die Exstirpation des ganzen Brustsympathicus läßt die Bedingungen für das Zustandekommen der Dauerverkürzung bei der Umklammerung völlig intakt. Dieser ty- pische, physiologische, biologisch wichtige Fall von ruhiger Dauerverkürzung bzw. -spannung eines quergestreiften Wirbeltiermuskels beruht sicher nicht auf sympathischer Innervation. Die Beziehungen der an unserem Objekte zu beobachtenden Er- scheinungen zu den von anderen Seiten bei pathologischen Dauer- kontraktionen des Muskels beschriebenen werden in späteren Mit- teilungen, welche vor allem weitere Untersuchungsresultate über den Zustand unseres Objektes zu bringen haben, gewürdigt werden. Zusammenfassung. l. Es wird eine Methode beschrieben, das bioelektrische Verhalten der Umklammerungsmuskeln bei Rana fusca während ruhiger Um- klammerung und bei reflektorisch bewirkter Verstärkung derselben zu untersuchen und die damit erzielten Resultate werden mitgeteilt. 2. Es wird die Wirkung der Versiftung mit einigen Alkaloiden auf die Umklammerung untersucht. Fflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 8 114 R. H. Kahn: Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 3. Eine Beteiligung sympathischer Innervation an der Dauerverkür- zung bzw. Dauerspannung der Umklammerungsmuskeln wird durch Nervendurchschneidungen ausgeschlossen. Eine hierzu verwendete neue Operationsmethode wird mitgeteilt, welche es ermöglicht, ohne Schwierigkeit und ohne Blutung beim Frosche die Pars brachialis des Sym- pathicus zu exstirpieren, die Spinalnerven II und III, den Hypoglossus, Vagus und Glossopharyngeus zu durchschneiden, sowie die Aorta, Arteria subelavia, Art. occipitovertebralis und Art. carotis zu unterbinden. Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen. l. Die Umklammerungsmuskeln des brünstigen Männchens von Rana fusca befinden sich während der Umklammerung in einer ruhigen Dauerverkürzung bzw. Dauerspannung, während welcher mit den gebräuchlichen Mitteln keine Aktionsströme nachweisbar sind. 2. Aus diesem tonischen, aktionsstromlosen Dauerzustande kann die Muskulatur jederzeit zu einer Verkürzungs- bzw. Spannungszunahme gebracht werden, welche zu einer Verstärkung der Umklammerung führt und durch das Auftreten solcher Aktionsströme charakterisiert ist, welche auch sonst bei tetanischer Muskelaktion zu erhalten sind. Diese neue Verkürzungs- bzw. Spannungszunahme wird durch sensible Reizung im Wege des Reflexes erzeugt und unterhalten und schwindet mit deren Wesfall. Die normale Verkürzungs- oder Spannungslage stellt einen Fall von wahrem Muskeltonus, sozusagen einen Gleich- gewichtszustand dar und ist von alterativer tetanischer Verkürzung klar und bestimmt verschieden. 3. Die Innervationswege für diese Erscheinungen bilden die Spinal- nerven des Plexus brachialis, vornehmlich der III. Spinalnerv. 4. Die die Innervation der Umklammerungsmuskeln besorgenden Nervenfasern verlaufen auf diesen Wegen direkt ohne Beteiligung sympathischer nervöser Elemente. 5. Die Dauerverkürzung der Umklammerungsmuskeln wird durch Curare in solehen Dosen, welche die übrige quergestreifte Muskulatur dem Nerveneinfluß entzieht, vollkommen aufgehoben. 6. Die Adrenalinvergiftung steigert weder die Auslösbarkeit noch die Intensität der Dauerverkürzung. In hohen Dosen verursacht das Gift — vermutlich zentral angreifend — Lösung der Umklammerung. 7. Physostigmin scheint — zentral wirkend — in kleinen Dosen die künstliche Auslösbarkeit des Ergreifreflexes zu erhöhen, auf die Dauer- kontraktion der Umklammerungsmuskeln ist es ohne Wirkung. In größeren Dosen löst es die Umklammerung, bei fortdauernder Steigerung der künstlichen Auslösbarkeit des Ergreifreflexes. 8. Atropin ist auch in hohen Dosen ohne jede Wirkung auf den Ver- lauf der Dauerverkürzung. Der Klammerreflex nach Sympathieusexstirpation. Ein Beitrag zur Frage der tonischen Innervation. Von E. A. Spiegel und E. Sternschein. (Aus dem Neurologischen Institut der Wiener Universität [ Vorstand: Professor Dr. ©. Marburg.) (Eingegangen am 13. Juli 1921.) Die Frage der tonischen Innervation der Skelettmuskulatur, deren Sonderstellung von Botazzi!), Bethe?), Mosso®), Tschermakt) klar erkannt wurde, steht seit den anatomischen Untersuchungen Boekes5), welcher akzessorische marklose Nervenendigungen in der quergestreiften Muskulatur beschrieb, und den Versuchen de Boers®), der einen Einfluß der Durchschneidung der Rr. communicantes einer Extremität auf deren Tonus behauptete, in reger Diskussion. Die Versuche de Boers haben teils Ablehnung [Dusser de Barenne’”), Jansmaß®), Negrin y Lopez und Brücke?°), Kuno!P), Saleck und Weitbrecht!!), Liljestrand u. Magnus!?)], teils Anerkennung [Kure, Hiramatsu und Naito®), Langelaan!#)]erfahren. Die Frage wird dadurch noch verwickelter, daß neuerdings auch eine Beteiligung des parasympathischen Systems an der tonischen Innervation der 1) Botazzi, Arch. f. Physiol. 1901, S. 377. *) Bethe, Allgemeine Anatomie und Physiologie des Nervensystems 1903. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 142, 291. 1911. 3) Mosso, Arch. ital. de biol. 41, 183. 1904. ?) Tschermak, Folia neurobiol. 1, 30, 1908; 3, 676. 1910. >) Boeke, Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. 38, 377, 1911; Anat. Anz. 44, 343. 1913. 6) de Boer, Folia neurobiol. %, 378, 837. 1913; Zeitschr. f. Biol. 65, 239. 1915. ?) Dusser de Barenne, Pflügers Arch. f. d. ges. Phyisol. 166, 145. 1916. 8) Jansma, Zeitschr. f. Biol. 65, 365. 1915. °) Negrin y Lopez und Brücke, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., 166, 55. 1916. 10) Kuno, Journ. of physiol. 44, 139. 1915. 1!) Saleck und Weitbrecht, Zeitschr. f. Biol. 71, 246. 1920. 22) Liljestrand u. Magnus, Pflügers Arch. f.d. ges. Physiol. 146, 168. 1919. 13) Kure, Hiramatsu und Naito, Zentralbl. f. Physiol. 28, 130. 1914. 14) Langelaan, Brain, 38, 235. 1915. 8* 116 E. A. Spiegel und E. Sternschein: Skelettmuskulatur behauptet wird [Frank!), Schäffer?)] und daß nach der Hypothese Franks in Erwägung gezogen werden muß, ob diese Innervation nicht über die hintere Wurzel vom Rückenmark zur Peripherie geleitet wird. Es kommen mithin drei Möglichkeiten für den Weg der efferenten Fasern in Betracht, mittels welcher das Zentralnervensystem die Sper- rung der Skelettmuskulatur, ihre Einstellung auf eine bestimmte Ruhe- lage besorgt: Das über die vordere Wurzel austretende Axon der moto- rischen Vorderhornzelle, zentrifugale Fasern der hinteren Wurzel und schließlich die über die vordere Wurzel zum Grenzstrang ziehenden präganglionären Fasern, die ihre Fortsetzung in den postganglionären pras ) 8 Rr. communicantes grisei finden. Eine systematische Untersuchung der tonischen Kontraktionszustände im Sinne dieser Fragestellung erscheint daher nötig. Die erste Versuchsreihe, über die hier berichtet werden soll, betrifft die Wirkung der Ausschaltung der sympathischen Innervation einer oberen Extremität auf den Klammerreflex des brünstigen Frosches, einen Reflex, der nach den Befunden R. Kahns?) bei Ableitung von der Streckseite der Oberarme, A. Fröhlichs und H. H. Meyers?) bei Untersuchung der Pectoralmuskeln ohne Aktionsstrom der kontrahierten Muskulatur einhergeht und daher zu den tonischen Reflexen gerechnet werden kann. Methodik: Der in Bauchlage befindliche Frosch, dessen Klammerreflex durch Athernarkose gelöst ist, wird derart am Brett fixiert, daß die linke vordere Extremität der rechten Längsseite des Brettes zugekehrt, die rechte vordere Extre- mität in Verlängerung der Axillarlinie über den Kopf hinweg an der kranialen Schmalseite des Brettes befestigt ist. In der Fortsetzung der rechten Axillarlinie wird ein Längsschnitt in der Richtung gegen das hintere Ende des Unterkiefers unter Vermeidung der großen Hautvenen geführt. In derselben Richtung wie die Haut wird die Wandmuskulatur der Pleuroperitonealhöhle durchtrennt, die sich vordrängende Lunge durch einen stumpfen Spatel von der Wirbelsäule abgedrängt, so daß nach Durchtrennung des Peritoneums und der Membrana subvertebralis die rechte Aorta und die Kalksäckchen freiliegen. Der Grenzstrang wird nun unter vorsichtiger Durchtrennung der darüber liegenden Teile des Pleuroperitoneums kranialwärts präpariert, bis der Armplexus dargestellt ist. Das Operationsgebiet kann man in der Weise leichter überblicken, daß die Fußseite des Brettchens für diesen Teil der Operation hoch gelagert wird. Mittels eines darunter gelegten Häkchens wird nun der Grenzstrang in die Höhe gezogen, so daß das G. sympath. IV und III [nach Ecker-Gaupp?°)] sichtbar wird. Es wird nun das Ganglion IV mitsamt seiner Verbindung mit dem Nervus spinalis IV von der Verbindung mit der Umgebung, weiterhin das Ganglion sympath. III vom Nervus spinalis III und !) Frank, E., Berl. klin. Wochenschr. 1919, Nr. 45/46; 1920, Nr. 31, 8. 725. ?) Schäffer, Berl. klin. Wochenschr. 1920, Nr. 31, S. 728; Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 185, 42. 1920. ®) Kahn, R., Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., 19%, 294. 1919. *) Fröhlich, A. und H.H. Meyer, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 8%, 173. 1920. °>) Ecker-Gaupp, Anatomie des Frosches. Braunschweig 1896. Der Klammerreflex nach Sympathicusexstirpation. 1olE7 von den Verbindungsästen mit dem Ganglion II abgetrennt. Schließlich wird auch der Grenzstrang selbst durchschnitten, so daß das exstirpierte Präparat aus dem Grenzstrang mit den anhängenden Gangl. sympath. IV und III besteht. Bei der Anlegung der Muskel- und der folgenden Hautnaht ist darauf zu achten, daß keine Falten gebildet werden, welche eine Verziehung der Extremitäten bewirken könnten. Im ganzen wurden 12 Frösche nach dieser Methode operiert. Vom Gelingen der bezweckten Ausschaltung der sympathischen Innervation der Extremität überzeugten wir uns durch den histologischen Nachweis der exstirpierten Ganglien, sowie durch die Beobachtung einer vorüber- gehenden Gefäßstase an den Schwimmhäuten der operierten Extremität. Bei keinem der operierten Tiere konnte nach Erholung des Tieres aus der Äthernarkose eine Differenz in der Stärke der tonischen Contrac- tur der Armmuskulatur beider Seiten festgestellt werden. Hielt man das Männchen an den Beinen in die Höhe, so trug es das um ein Viel- faches schwerere Weibchen, ohne daß sich die Extremitäten der ope- rierten Seite gegenüber der gesunden schwächer erwiesen. Ebensowenig ließ sich, wenn man durch symmetrisches Vorschieben eines Keiles zwischen den Rücken des Weibchens und den Bauch des Männchens das letztere abzuheben suchte, die Umklammerung auf der Seite des operierten Armes früher lösen als auf der Gegenseite. In einigen Fällen war nach der Operation der Reflex nicht gleich wieder auslösbar; dieses vorübergehende Erlöschen der Reflexerregbarkeit betraf aber beide Seiten zugleich; durch Injektion einer Aufschwemmung von Testikel- substanz nach dem Vorgange von Steinach!) gelang es in diesen Fällen prompt, die Reflexerregbarkeit wieder herzustellen, wobei sich wiederum keine Seitendifferenz nachweisen ließ. J Diese Versuche führen somit zu dem Schlusse, daß der efferente Schenkel des Klammerreflexes des brünstigen Frosches, welch letzterer, soweit sich nach dem Fehlen eines Aktionsstromes urteilen läßt, ein echter tonischer Reflex ist, nicht über den Grenzstrang verläuft, so daß wir uns jenen Autoren anschließen müssen, welche eine Be- teiligung des Sympathicus am Zustandekommen der tonischen Innervation der Skelettmuskulatur bezwei- feln. Daß diese Anschauung auch für die Säuger gilt, geht anschei- nend aus den Versuchen von Liljestrand u. Magnus?) hervor, die an Katzen nach Tetanusvergiftung Starre der oberen Extremität trotz Exstirpation des zugehörigen Ganglion stellatum beobachteten. Die Frage der Beteiligung der hinteren Wurzeln sei einer eigenen Mit- teilung vorbehalten. 1) Steinach, E., Zentralbl. f. Physiol. 24, 551. 1910. 2) loc. eit. Die Messung von roten Blutkörperchen mittels der dadurch erzeugten Beugungserscheinungen. Von Dr. F. L. Bergansius, Konservator am Laboratorium. (Aus dem Physiologischen Laboratorium der Universität Leiden.) Mit 10 Textabbildungen. (Eingegangen am 22. Juli 1921.) In einer Abhandlung von Juni—Juli 1919!) hat A. Pijper eine Methode beschrieben, den mittleren Durchmesser einer sehr großen Anzahl roter Blutkörperchen durch eine einzige Messung und eine einfache RG V IR Abb.1. Schematische Darstellung des Pijper- schen Diffraktionsmikrometers. Berechnung zu bestimmen. Der dabei benutzte Apparat, der von Pijperin einer Abhandlung vom September 1919?) unter dem Namen Diffraktionsmikrometer beschrie- ben wurde und in Abb. 1 schema- tisch dargestellt ist, besteht aus einer sehr kräftigen Bogenlampe L mit Kondensorlinse € von 16cm Brennweite, die in solcher Weise aufgestellt sind, daß das aus der Kondensorlinse tretende parallele Licht senkrecht nach unten gewor- fen wird. Dieses parallele Licht- bündel fällt auf eine horizontal gestellte einfache Schicht roter Blutkörperchen, welche man erhält, indem man eine ziemlich verdünnte Biutemulsion zwischen die beiden Spiegelglasplatten @, und G, an- bringst. Die Platten sind an der einen Seite durch ein Deckglas D voneinander getrennt, während sie sich an der anderen Seite berühren. In dem keilförmigen Raum zwischen 1!) Diffraction-Phenomena in films of blood-cells by A. Pijper, The Medical Journal of South Africa, June-July 1919. ?) The Diffraction Micrometer by A. Pijper. S.-A. Medical Record. Septem- ber 1919. F. L. Bergansius: Die Messung von roten Blutkörperchen usw. 119 diesen Glasplatten wird also, nachdem die Blutkörperchen gesunken sind, ihre Zahl pro Flächeneinheit vom dünnen Ende bis zum dicken allmählich anwachsen, und man wird es bei geeigneter Wahl der Verdünnung erreichen können, daß an einer bestimmten Stelle des Keiles der Boden gänzlich mit aneinandergereihten Blutkörperchen überdeckt ist, ohne daß sich doppelte oder mehrfache Schichten gebildet haben. Unmittelbar unter diesem Keil befindet sich eine achromatische Linse 4 mit der Brenn- weite OF und darunter, in einer Entfernung gleich dieser Brennweite, ein weißer Schirm S. Der Keil ist über den feststehenden Tisch 7 verschieb- bar, so daß man jede Stelle des Keiles oberhalb der Linse H bringen kann. Auf dem weißen Schirme beobachtet man in der Mitte F ein sehr lichtstarkes Bild der Lichtquelle (in diesem Falle ein Bild der glühenden Enden der Kohlenstäbe), umgeben von zwei oder mehreren farbigen Ringen, worin die Reihenfolge der Farben gleich derjenigen des Beugungs- spektrums ist, nämlich das Violett nach innen und das Rot nach außen gerichtet. Die Durchmesser dieser farbigen Ringe sind um so größer, je kleiner die benutzten Blutkörperchen sind. Die Beziehung zwischen der Größe der Blutkörperchen und den Durchmessern der farbigen Ringe wird, nach einer von Pijper hergeleiteten T’heorie, durch die Formel: | { sın On. m SR gegeben, worin » die Ordnungszahl des farbigen Ringes, A die Wellen- länge, R den Radius der Blutkörperchen und 9 den Ablenkungswinkel vorstellt, die der ge- beugte Lichtstrahl mit | der auf dem weißen °° N Rlazeuheee N Schirme gerichteten Normale OF macht (vgl. Abb. 1). Pijper teilt in seiner Abhandlung die Resultate einer Mes- sungsreihe mensch- licher Blutkörperchen mit, die sich in Koch- salzlösungen von ver- wel schiedenem Gehalt, = und zwar ansteigend 4 os 08 02 08 09 10 1 12 13 14 15 16 von 0,4—1,6% befin- x R Abb. 2. Graphische Darstellung der Durchmesser menschlicher den. Abb. 2 gibt, als Blutkörperchen in Kochsalzlösungen von 0,4—1,6%. Funktion des Koch- salzgehalts, eine graphische Darstellung der aus diesen Messungen berechneten Durchmesser der Blutkörperchen. Die ausgezogene Kurve = a 120 F. L. Bergansius: Die Messung von roten Blutkörperchen ist nach der Methode der kleinsten Quadrate aus den Beobachtungen, die in der Abbildung durch kleine Kreise angegeben sind, berechnet worden und gibt also die wahrscheinlichste graphische Darstellung der Beziehung zwischen Durchmesser und Kochsalzgehalt wieder. Die Abstände dieser kleinen Kreise bis an die Kurve, in der Richtung der Ordinate gemessen, geben eine deutliche Vorstellung der Beob- achtungsfehler, wovon der größte 0,14 u beträgt, während der sog. mittlere Fehler 40,09 u ist. Nehmen wir an, daß die Blutkörperchen durch eine Kochsalzlösung von 0,9% am wenigsten beeinflußt werden, so muß man aus der Kurve schließen, daß ihr normaler Durchmesser 5,72 u beträgt. Der größte Fehler beträgt also 2,5%, und der mittlere Fehler 1,5% der zu messenden Größe. Pijper selber ist fälschlich der Meinung zugetan, daß seine sämt- lichen Beobachtungen bis auf ein Hundertstel u zuverlässig sind und stellt die Beziehung zwischen Durchmesser der Blutkörperchen und Kochsalzgehalt durch die genaue Form der gestrichelten Kurve aus der Abbildung dar. (Man sehe ‚The Diffraetion-Mierometer Abb. 5.) Für die Erklärung, die Pijper von diesem sonderbaren Benehmen der Blut- körperchen zu geben versucht, muß ich auf die erste obenzitierte Ab- handlung verweisen. Während Pijper nicht über eigene Kontroll- messungen mit dem Mikroskope berichtet, weist er doch auf den Unter- schied hin, der zwischen den von ihm gefundenen Wert und dem Durch- messer besteht, den man aus den verschiedenen Literaturangaben anzunehmen berechtigt ist und der von ihm gleich 7,5 u gestellt wird. Als ich die Versuche im hiesigen Physiologischen Institute wieder- holte, benutzte ich ein Epidiaskop von Zeiß mit parabolischem Spiegel von 49cm Brennweite und Bogenlampe von 30 Ampere, während für die Abbildung der Ringe ein photographisches Objektiv von 48cm Brennweite diente. Unter diesen Umständen fand ich, verglichen mit den Kontrollmessungen unter dem Mikroskope, noch größere Abwei- chungen im nämlichen Sinne, also nach der Diffraktionsmethode viel kleinere . Werte als bei der direkten Messung mit dem Mikroskope. Auch waren die Farben der Ringe blaß und wenig gesättigt. Die großen Abweichungen werden durch nachfolgende Betrachtung erklärt. Der Apparat von Pijper kann wie ein geradsichtiges Spektro- skop aufgefaßt werden, wobei der Kondensor die Stelle der Kollimator- linse und der Krater der Bogenlampe diejenige des Spaltes einnimmt. Die Schicht mit den Blutkörperchen tritt an die Stelle eines durchsich- tigen Beugungsgitters, während die zweite Linse zusammen mit dem Schirme das Beobachtungsfernrohr bildet. Unser Kraterbild auf dem Schirme hatte einen Durchmesser von 7cm. Die Apparatur gleicht in ihrer Wirkung also einem Spektroskope mit außerordentlich weitem Spalt, wobei die Spektra unrein und stark verbreitert erscheinen. Die mittels der dadurch erzeugten Beugungserscheinungen. 1247 Durchmesser der farbigen Ringe erscheinen so viel größer, als der Durch- messer des Kraterbildes beträgt. Eine Verbesserung des Apparates wurde durch die Benutzung einer kleineren Lichtquelle und eines Kondensors erzielt, der viel schwächer war und ein verkleinertes Bild der Lichtquelle in der Mitte der farbigen Ringe entwarf. Der Durchmesser des Kraterbildes konnte nun gegen diejenigen der farbigen Ringe vernachlässigt werden. Nach einigen Vorversuchen habe ich schließlich eine gewöhnliche Brillenlinse von 1 Dioptrie an der Stelle des Kondensors und eine solche von 5 Diop- trien an der Stelle der bildformenden Linse benutzt, während der weiße Schirm für auffallende Beleuchtung durch eine das Licht durchlassende Mattglasscheibe ersetzt wurde. Die Lichtquelle ist jetzt eine kleine selbstregulierende Bogenlampe von 5 Ampere mit horizontal gestellter Positivkohle, deren Krater einen Durchmesser von etwa 3,5 mm hat, so daß das Kraterbild auf der Mattscheibe nur 0,7 mm mißt. Die Vor- richtung ist schematisch in Abb. 3 dargestellt, worin die Buchstaben die nämliche Bedeutunghaben wiein Abb.1l. Der Spiegel P dient dazu, das ursprünglich Ss horizontal laufende Lichtbündel vertikal aufwärts zu werfen. Die Messungen ge- schehen mittels einer gläsernen Millimeter- skala, die in der Richtung eines Durch- messers des Ringsystemes auf die Matt- scheibe gelegt wird. Um dabei nicht durch die große Lichtstärke des Kraterbildes ge- hindert zu werden, EERUEGNR wird dieses durch eine YL kleine Pappscheibe "® oder eine Münze ver- / f 1 { n deckt Die Farbe 2 Abb. 3. Schematische Darstellung des vom Verfasser ver- die man auf der Matt- besserten Diffraktionsmikrometers. scheibe beobachtet, sind, besonders im zweiten Spektrum, ziemlich gut gesättigt und von solcher Lichtstärke, daß es für die Beobachtungen nicht nötig ist, das Zimmer vollkommen zu verdunkeln. Ebenso wie Pijper habe ich bei den Messungen den gelben Ring benutzt, der ein ziemlich schmales Band im Spektrum bildet, dessen Lage leichter zu bestimmen ist als diejenige jeder anderen Farbe im Spektrum. Die Beobachtung wird noch merklich erleichtert, wenn man mittels eines starken Gelbfilters vor der Bogenlampe die violetten und blauen Strahlen aus dem weißen Lichte zurückhält. Mit diesem Apparate sind für verschiedene Blutarten die Durch- messer des gelben Ringes im ersten und zweiten Spektrum gemessen 122 F. L. Bergansius: Die Messung von roten Blutkörperchen worden, wobei sowohl trockene Ausstreichpräparate wie flüssige Prä- parate in dem obenbeschriebenen Keil benutzt wurden. Die aus diesen Messungen berechneten Durchmesser der Blutkörperchen wurden mit den Ergebnissen der direkten mikroskopischen Messungen derselben Präparate verglichen. Regelmäßig ergab die Diffraktionsmethode dabei die größeren Werte. Bei gelungenen Ausstreichpräparaten fand ich Abweichungen von 5—10%, bei flüssigen Präparaten am dünnen Ende des Keiles etwa 20%, während. bei ansteigender Dichtigkeit der Blutkörperchenemulsion die Abweichungen kleiner wurden, um am Ende in den dichtesten Stellen, welche noch brauchbare Ringe erzeugten, bis an die Beobachtungsfehler herabzusinken. Auch ohne Anwendung von Linsen ist man imstande, die farbigen Ringe zu beobachten und den für die Rechnung nötigen Winkel 0 zu messen. Abb. 4 gibt eine schematische Darstellung von der Weise, in welcher dies ge- schehen kann. @, G, ist wieder der früher beschriebene Keil, der auf dem mit runder Öffnung versehenen Tisch 7 ruht.‘ Unter “der Öffnung befindet sich der untereinem Winkel von 45° ge- neigte Spiegel P und in horizontaler Entfernung von 4 Abb. 4. Schematische Darstellung des Diffraktionsmikrometers BEN N 5 ohne Linsen bis 5m die Licht- quelle Z, wofür man am besten eine kleine Bogenlampe nimmt. O ist das Auge des Beobachters und S eine in Zentimeter geteilte Skala, die durch eine hinter dem Rücken des Beobachters angebrachte Lampe eben genügend beleuchtet wird, um die Teilung ablesbar zu machen. Vergleicht man diesen Apparat mit demjenigen der Abb. 3, so ist es deutlich, daß hier das Auge des Beobachters die Stelle der abbildenden Linse einnimmt und die Ringe unmittelbar auf der Netzhaut entworfen werden. Der Beobachter projiziert die Ringe subjektiv nach außen und kann dann ihren Winkelwert leicht berechnen. Dazu braucht er nur den Durchmesser des gelben Ringes an der Skala S abzulesen und die Entfernung dieser Skala vom Auge zu messen. Wendet man ein Ausstreichpräparat an, so kann man den Spiegel entbehren ; man bringt dann das Präparat U unmittel- bar vor das Auge, so wie der gestrichelte Teil der Abbildung es angibt. mittels der dadurch erzeugten Beugungserscheinungen. 123 Theorie der Erscheinung. Die oben beschriebene Erscheinung gehört zur Klasse der sogenannten Fraunhoferschen Beugungserscheinungen. Diese entstehen, wenn ein Bündel paralleler Lichtstrahlen einen darauf senkrecht liegenden, ebenen Beugungsschirm passieren. Dabei muß entweder, wenn der Schirm undurchsichtig ist, durch darin vorhandene Öffnungen oder, wenn der Schirm durchsichtig ist, durch undurchsichtige Körper oder Schirmcehen die Kontinuität der Wellenfläche gestört sein. Wird das Licht nach dem Passieren des Beugungsschirmes mittels einer Linse konzentriert, so entsteht in der Brennfläche dieser Linse ein Beugungsbild, dessen Gestalt und Dimensionen einerseits durch die Gestalt und die Dimen- sionen der beugenden Öffnungen oder Schirmehen, anderseits durch die Art der Gruppierung bedingt werden. Wird das Beugungsbild hauptsächlich durch die Gestalt der beugenden Öffnungen oder Schirm- chen bedingt, so nennt man das Beugungsbild primär im Gegensatz zu dem Falle, daß das Beugungsbild ausschließlich von der Gruppierungs- art der beugenden Elemente abhängt, und man die Bilder sekundär nennt. Zu diesen sekundären Beugungsbildern gehört unter anderem das sog. Gitterspektrum, das man bekommt, wenn der Beugungsschirm aus einer großen Anzahl feiner äquidistanter, paralleler Spalten besteht. Aus der Schwingungslehre kann man durch Rechung die Beugungs- bilder für verschiedene Fälle herleiten, wobei man die nachfolgenden zwei Sätze benutzt: I.!) Eine große Anzahl gleicher und gleichliegender Öffnungen in unregelmäßiger Verteilung geben dasselbe Beugungsbild wie eine Öffnung, nur mit der n-fachen Intensität. 1I.2) Nach dem Babinetschen Prinzip erzeugt ein System undurchsichtiger Schirmehen von gleicher Größe und Gestalt wie die in Satz I genannten Öffnungen und ebenso wie diese in unregel- mäßiger Verteilung dasselbe Beugungsbild wie das System dieser Öffnungen. Sind die Öffnungen oder Schirmchen kreisförmig, so sind sie von selbst gleich orientiert und kann man beide Sätze darauf anwenden. Wir haben dann das primäre Beugungsbild einer kreisförmigen Öffnung. Dieses besteht aus einem kreisförmigen Lichtfleck, der durch ein System dunkler und heller Ringe von rasch abnehmender Intensität umgeben ist. Die Berechnung der Lage dieser dunklen und hellen Ringe ist nur mittels höherer Mathematik ausführbar, weshalb hier die alleinige Erwähnung des Resultats genügen möge. 1) A. Winkelmann, Handb. d. Physik VI, 1082. ®2) A. Winkelmann, Handb. d. Physik VI, 1069, 1083. 124 F. L. Bergansius: Die Messung von roten Blutkörperchen Für eine kreisförmige Öffnung oder einen kreisförmigen Schirm vom Radius R und für Licht von der Wellenlänge 4 werden die Maxima durch die nachstehende Formel gegeben: A ] Ze 1 | sın O,, nz RB (1)*) worin C, = 1,638 C, = 2,666 C, = 3,694 0 ist wieder der Beugungswinkel und n die Ordnungszahl des Maximums. Mit für unseren Zweck ausreichender Annäherung kann man statt C den Wert n + 0,67 einführen, so daß wir / erhalten. ee Valhm 2) Die von Pijper durch eine elementare, aber unrichtige Betrachtung hergeleitete Formel hat nachstehende schon früher S. 119 angegebene Gestalt: 1 Sind NR (3). Es ist deutlich, daß für Schirmchen gleicher Größe Formel (2) merklich größere Ringe als Formel (3) gibt. Bei allen Messungen ist für die Wellenlänge des gelben Ringes die Wellenlänge der Natriumlinie angenommen. Bei einem Ausstreichpräparat von menschlichem Blut, das sehr schöne farbige Ringe zeigte, habe ich den Winkel 9 gemessen und zwar für das zweite Spektrum durch visuelle Beobachtung mittels des in Abb. 3 abgebildeten Apparates, während für das dritte Spektrum eine Photographie der Erscheinung benutzt wurde, die ich mit Natriumlicht bei einer Belichtungszeit von einer ganzen Stunde erhielt. Die Rech- nung nach Formel (2) ergab nun: Für das zweite Spektrum 2 R = 12 u und für das dritte Spektrum 2 R = 11,2 u, während die Rechnung nach Formel (3) für beide Fälle 2 R = 9,0 u als Resultat gibt. Die Kontroll- messung unter dem Mikroskope lieferte als Mittel den Wert2R = 48,6 u Die großen Abweichungen bei der Rechnung nach Formel (2) können unmöglich durch Beobachtungsfehler erklärt werden und liefern nach meiner Meinung den experimentellen Beweis dafür, daß die beobachtete Beugungserscheinung nicht durch die Annahme erklärt werden kann, die Blutkörperchen seien wie ein System undurchsichtiger Schirmchen in unregelmäßiger Verteilung aufzufassen. Die sehr gute Übereinstim- mung dagegen der nach verschiedenen Methoden für das zweite und dritte Spektrum mittels der Formel (3) berechneten Werte und die befriedigende Übereinstimmung dieser Werte mit den Kontrollmessungen !) A. Winkelmann, Handbuch für Physik VI, 1075. mittels der dadurch erzeugten Beugungserscheinungen. 125 machen es sehr wahrscheinlich, daß die Formel (3) die wirkliche theore- tische Beziehung zwischen den Durchmessern der farbigen Ringe und dem mittleren Durchmesser der Blutkörperchen darstellt. Wir werden aber sehen, daß man in der Formel (3) anstatt des Durchmessers 2 R den mittleren gegenseitigen Abstand zweier benachbarter Blutkörperchen im Präparat nehmen muß. Schaut man in ein Mikroskop, worunter man ein Blutpräparat — sei es ein trockenes Ausstreichpräparat oder eine geeignete Verdünnung unter ein Deckglas — gelegt hat, so ist es sofort begreiflich, daß die Blut- körperchen schwerlich als undurchsichtige Schirmchen aufgefaßt werden können, denn bei zweckmäßiger Beleuchtung und genauer Einstellung sieht man kaum einen Unterschied zwischen den Helligkeiten der Blutkörperchen und des sonstigen Gesichtsfeldes. Nur die Ränder der Blutkörperchen nimmt man als ziemlich scharfe schwarze Ringe wahr. (Man vgl. die Abb. 5 und 9 weiter unten.) Beobachtet man ein Aus- streichpräparat bei etwa 500facher Vergrößerung und macht man die Versuchsbedingungen ähnlich wie sie bei den Messungen der Diffraktions- ringe, also bei Beleuchtung mit parallelem Lichte vorhanden sind (ebener Spiegel, kein Kondensor, kleine, einigermaßen entfernt stehende Lichtquelle), so sieht man beim Abschrauben des Mikroskopes in einer ziemlich scharf zu bestimmenden Höhe an der Stelle jedes Blutkörper- chens ein redlich scharfes Bild der benutzten Lichtquelle, während das übrige Gesichtsfeld fast ganz dunkel ist. Für menschliche Blut- körperchen beträgt diese Höhe etwa 30 u. Die Blutkörperchen benehmen sich also wie Konvexlinsen, welche in ihren Brennpunkten reelle Bilder der Lichtquelle entwerfen. Die Abb. 5 u. 6 geben nebeneinander die Mikrophotogramme eines Ausstreichpräparates menschlichen Blutes in etwa 530facher Vergrößerung wieder, wobei in Abb. 5 auf die Ebene der Blutkörperchen und in Abb. 6 auf die 30 u. höher liegenden Bilder der Lichtquelle eingestellt war, während als Lichtquelle eine kreisförmige, sehr stark beleuchtete Öffnung benutzt wurde. Die Übereinstimmung zwischen der Gruppierung der Blutkörperchen der Abb. 5 und derjenigen der Lichtpunkte der Abb. 6 ist leicht erkennbar. Bei der Färbung eines Ausstreichpräparates, wobei der Farbstoff (Eisenhämatoxyline) sehr ungleichmäßig durch die Blutkörperchen angenommen wurde, beobachtete ich bei dem obenbeschriebenen Ver- such, daß die Liehtpunkte an den Stellen der ungefärbten Blutkörperchen sehr deutlich und von großer Intensität waren, während diese Intensität um so mehr abnahm als die Blutkörperchen ein größeres Quantum des Farbstoffes angenommen hatten. (Man vgl. die Abb. 7 u. 8.) Als Lichtquelle benutzte ich eine kreisförmige Öffnung mit einem dunklen Streifen in der Mitte. Durch eine geeignete Anordnung des mikro- photographischen Apparates wurde erreicht, daß die Bilder der Licht- 126 F. L. Bergansius: Die Messung von roten Blutkörperchen Abb. 5. Mikrophotogramm menschlicher Blutkörperchen in 520 facher Ver- größerung. Einstellung auf die Ebene der Blutkörperchen. Abb. 7. mit Eisenhämatoxylin gefärbten menschlichen Blutkörperchen in 530 facher Vergrößerung. Einstel- lung auf die Ebene der Blutkör- perchen. Mikrophotogramm von Abb. 6. Mikrophotogramm des- selben Präparates von Abb. 5. Einstellung auf eine 30 « höher lie- gende Ebene. Die weißen Punkte sind die durch die Blutkörperchen erzeugten Bilder der Lichtquelle. Abb. 8. Mikrophotogramm _des- selben Präparates von Abb. 7. Einstellung auf eine 30 « höher lie- gende Ebene. Die weißen Kreise mit dunklem Querstreifen sind die durch die ungefärbten Blutkörper- chen erzeugten Bilder der ebenso gestalteten Lichtquelle. mittels der dadurch erzeugten Beugungserscheinungen. 1807 quelle ungefähr dieselbe Größe wie die Blutkörperchen erhielten. In dem stark gefärbten Teile dieses Präparates, wo beinahe alle Blut- körperchen so gut wie undurchsichtig sind, ist die Beugungserscheinung praktisch verschwunden, während die mikroskopische Prüfung derjenigen Stellen, die noch sehr deutliche Farbenringe zeigten, auswies, daß dort die Mehrzahl der Blutkörperchen un- gefärbt und nur sehr wenige schwach gefärbt waren (man vgl. Abb. 9). Diese Tatsachen beweisen also, daß die Beugungserscheinung haupt- sächlich, vielleicht sogar ausschließ- lich, durch das Licht hervorgerufen wird, das durch die Blutkörper- ER n Abb. 9. Mikrophotogramm eines nahezu un- chen durchgelassen wird, und diese, gefärbten Teiles des Präparates von Abb. 7. nicht wie Pijper annimmt, als mehr oder weniger undurchsichtige Schirme zu betrachten sind. Esist nun leicht zu verstehen, daß die Erscheinung durch die Interferenz des Lichtes hervorgerufen wird, das von den zahlreichen oben besprochenen Lichtpunkten ausgeht. Ob- wohl nun diese Lichtpunkte scheinbar ganz unregelmä- Big verteilt sind (man sehe Abb. 6), so ist doch eine ge- wisse Gesetzmäßigkeit in der Gruppierung zu ver- spüren. Betrachtet man nämlich den kleinsten ge- genseitigen Abstand zweier benachbarter Lichtpunkte, so beobachtet man, daß die- ser offenbar in besonders zahlreichen Fällen gleich oder nahezu gleich dem mittleren Durchmesser der den Lichtpunkten entsprechenden Blut- körperchen ist. Da das Licht, um in die verschiedenen Lichtpunkte zu gelangen, gleiche Strecken zurücklest, hat die Lichtbewegung in allen diesen Punkten dieselbe Phase und können wir also die gewöhnliche Interferenztheorie darauf anwenden. Seien nun L, und Z, zwei solcher Lichtpunkte und sei d der oben- genannte kleinste Abstand (man sehe Abb. 10) und betrachten wir die Abb. 10. 128 . L. Bergansius: Die Messung der roten Blutkörperchen Lichtbewegung, wie sie in einer Ebene stattfindet, welche die Ver- bindungslinie der Lichtpunkte enthält und parallel der optischen Achse steht, so ist es deutlich, daß in denjenigen Richtungen, wofür 9 einen solchen Wert hat, daß: dsinO =A, 2A, 34 usw. Maxima, und wenn dsn6=44, 54,34 usw. ist, Minima für Licht von der Wellenlänge A beobachtet werden müssen. Das nte Maximum wird also durch die Formel A sin, =n— (4) d gegeben, die mit der Formel (3) von Pijper, wenn wir darin 2 R durch d ersetzen, identisch ist. Wird das Licht nun durch eine Linse gebrochen, so entsteht in ihrer Brennebene das Beugungsbild der beiden Lichtpunkte. Letzteres besteht aus einer Reihe von Maxima und Minima, die in einer durch den Brenn- punkt der Linse gehenden und der Linie Z, Z, parallel laufenden Geraden liegen. Wenden wir den obengenannten SatzI (man siehe S. 123) für alle gleichorientierte Punktpaare, also für alle Punktpaare mit parallelen Verbindungslinien an, so geben diese das nämliche Beugungsbild wie ein einziges Paar, aber, wenn n die Zahl dieser Paare ist, mit der n-fachen Intensität. Da wegen der sehr großen Anzahl der Lichtpunkte und wegen deren willkürlicher Gruppierung jede Richtung der Verbindungs- linie die gleiche Wahrscheinlichkeit hat, so werden die Maxima und Minima ein System heller und dunkler Ringe erzeugen, deren Mitte mit dem Brennpunkte der Linse zusammenfällt. In diesem Punkte beobachten wir das scharfe Bild der Lichtquelle, in unserem Falle also das Kraterbild der Bogenlampe. Die Lichtintensität der Ringe geht von den zwar sehr kleinen aber nicht ganz bis auf Null reduzierten Minima allmählich in diejenige der Maxima über. Die vollkommene Verdunklung der Minima könnte nur erreicht werden, wenn sämtliche Blutkörperchen im Präparat genau denselben Durchmesser hätten und sich alle eben berührten. Wird weißes Licht benutzt, so überdecken sich die Ringsysteme der verschiedenen Farben in einer Reihenfolge, die einigermaßen derjenigen des Beugungsspektrums entspricht. Das Violett befindet sich an der Innenseite, das Rot an der Außenseite der Ringe. Aus der obenstehenden Betrachtung folgt aber, daß die Farben keine reinen Spektralfarben sein können, sondern mit den Farben der sog. Newtonschen Ringe vergleichbar sind. Aus der Ableitung und der Gestalt der Formel (4) ersieht man, dab die Größe d dem mittleren kleinsten Abstand zweier benachbarter Blut- körperchen entspricht. Wenn also die Blutkörperchen in der Schicht mittels der dadurch erzeugten Beugungserscheinungen. 129 etwas weiter auseinanderliegen und sich nicht alle eben berühren, so wird man mittels der Formel (4) immer größere Werte als den wirklichen mittleren Durchmesser berechnen. Die von mir mittels des nach Abb. 3 verbesserten Apparates gefundenen Abweichungen werden also, be- sonders bei den Präparaten mit sehr wenig Blutkörperchen vollkommen erklärt. Will man möglichst genaue Messungen vornehmen, so muß man den obenbeschriebenen Flüssigkeitskeil anwenden und ihn so weit in der Richtung vom dünneren zum dickeren Ende fortschieben, bis der gelbe Ring am größten erscheint. Erst dann darf sein Durchmesser für die Berechnung benutzt werden. Ein Nachteil dieser Methode liegt in dem Umstande, daß man unwill- kürlich die Neigung hat, die Messungen in dem Momente auszuführen, wo die Ringe am schönsten erscheinen. Dabei hat man aber die weniger dichten Stellen des Präparates im Gesichtsfelde und findet man zu große Werte. Die zu erreichende Genauigkeit schätze ich höchstens auf 1—2%, während Pijper bei seinen Messungen eine Genauigkeit von etwa 0,2% erreicht zu haben glaubt und von einer Verbesserung der Apparatur eine noch viel größere Genauigkeit erwartet. Eine notwendige Grenze der Genauigkeit wird durch die große Schwierigkeit bedingt, in diesen gar nicht reinen Spektra die Stelle anzuweisen, die genau einem vorher gewählten Wert der Wellenlänge entspricht. Doch scheint mir die Genauigkeit durchaus genügend, um die Mes- sungen in der Physiologie und der Klinik fruchtbar zu machen. Die Methode hat den großen Vorteil, welcher schon von Pijper besonders hervorgehoben worden ist, daß man in kurzer Zeit durch eine einzige Messung den mittleren Durchmesser vieler Tausende von Blutkörperchen bestimmen kann. Sie ist außerdem sehr einfach, da sie, wie in Abb. 4 angegeben, kaum andere Hilfsmittel als eine geeignete Lichtquelle und eine Skala erfordert. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 9 Polare Erregung und Hemmung an Arterien. Von Paul v. Liebermann. (Aus dem tierphysiologischen Laboratorium der Universität Kopenhagen.) (Eingegangen am 28. Juli 1921.) Gegenwärtige Mitteilung hat den Zweck, einen Effekt bekannt zu machen, der besonders geeignet erscheint, die Gesetzmäßigkeiten der po- laren Stromeswirkungen in ihrer Erscheinung am glattmuskeligen Organ auf bequeme Art zu demonstrieren und nach manchen Seiten hin zu unter- suchen. Da, wie ich nach einem vorläufigen Abschluß der Arbeit finde, das Verhalten der Erregungserscheinungen an der Kathode bis ins einzelne mit den grundlegenden Beobachtungen Engelmanns am Ureter überein- stimmt, und da ausführliche Arbeiten über den ganzen Gegenstand, na- mentlich von Biedermann und seinen Mitarbeitern, auch aus neuerer Zeit vorliegen, so würde ich von einer Veröffentlichung abgesehen haben, wenn ich nicht glaubte, daß das von mir gewählte Untersuchungsobjekt der Beobachtung einige besondere Vorteile gewährt und eine Mitteilung daher als Beitrag zur Methodik dieses Gebietes erwünscht sein möchte. Die mikroskopische Beobachtung an den Arterien der Schwimmhaut des Frosches (R. fusca), deren ich mich bedient habe, empfiehlt sich vor allem dadurch, daß man am unverletzten Tier arbeitend von den Ver- änderungen der Erregbarkeit, wie sie am bloßgelegten oder freipräpa- rierten Organ eintreten können, unbehelligt bleibt und die Versuche daher beliebig oft im natürlichen Zustande des Gewebes wiederholen kann. Be- sonders günstig aber ist der Umstand, daß die blutdurchströmte Arterie unter dauerndem Druck von innen steht, so daß sich jede Erschlaffung der Wand als Dilatation kundgeben muß und die hemmenden Wirkungen des elektrischen Stromes auf diese Weise ebenso sinnfällig werden wie die erregenden, ohne daß man es nötig hätte, die Muskelfasern vorher künstlich in den Zustand der Dauerkontraktion zu versetzen. Dieser Vorteil kommt uns freilich auch bei entsprechenden Beobachtungen am Herzen zugute, an dessen Kammermuskel durch die Anode eine lokale Diastole hervorgebracht wird; doch ist hier das Bild der Wirkung durch die Schwankungen des Kammerinnendruckes kompliziert!). Man überzeugt sich zunächst, daß an der Kathode Zusammenziehung, an der Anode Erweiterung der Arterien durch den Strom hervorgerufen wird. Diese Effekte sind in großer Stärke zu erhalten; es gelingt leicht, !) Über diesen besonders durch Biedermanns Arbeiten bekannt gewordenen Effekt vgl. neuerdings Palladin, Über die anodische Wirkung des konstanten Stromes auf das Froschherz, Zeitschr. f. Biologie 62, 418. 1913. P. v. Liebermann: Polare Erregung und Hemmung an Arterien. 131 die Arterie durch Einwirkung der Kathode zum Verschluß zu bringen, durch Einwirkung der Anode aufs Mehrfache ihres Durchmessers zu erweitern. Doch läßt sich die Wirkung durch Veränderung der Strom- stärke bis zu kaum merklicher Reaktion abstufen. An den Venen habe ich keine Wirkung beobachten können. Die Latenz weist für beide Wirkungen eine bedeutende Abhängigkeit von der Stromstärke auf, indem sie mit zunehmender Stromstärke kürzer wird. Bei gleichem Strom fand ich sie oft für die anodische Wirkung länger als für die kathodische, doch muß ich es unentschieden lassen, ob dieser Unterschied reelle Bedeutung hat, da vermutlich der Beginn einer Verengerung schärfer als der einer Erweiterung zu erkennen ist. Die kür- zesten Werte, die ich beobachtete, betrugen etwa 1 Sek.für die katho- dische, 2 Sek. für die anodische Wirkung (nichtin demselben Versuch): doch haben die Zahlen nach dem Gesagten keine absolute Bedeutung. Sowohl die kathodische als die anodische Reaktion ist bei nicht zu geringen Stromstärken Dauerwirkung des Stromes, sie bleibt bestehen, solange der Strom geschlossen ist; ich habe diesen Versuch bis zu einer Viertelstunde ausgedehnt. Für die kathodische Wirkung ist allerdings zu bemerken, daß der constrictorische Krampf bei anhaltender Durch- strömung in der Regel um ein weniges nachläßt. Mit ihrem Charakter als Dauerwirkungen steht es im Einklang, daß es mir nicht gelang, die Er- scheinungen durch Einschleichen des Stromes hintanzuhalten. Ich hatte einen gewöhnlichen Schieberwiderstand im Kreis und verwendete einen Zweigstrom zur Reizung, so daß die wirksame Spannung durch Schleifen des Schiebers zu verändern war; diese Anordnung genügte, den Strom in einen Nerven ohne Wirkung einzuführen, während die Arterien reagierten. Doch ist es freilich möglich, ja nach den Angaben Engelmanns wahr- scheinlich, daß bei noch allmählicherem Anwachsen der Intensität die Wirkung, wenigstens die kathodische, ausbleiben würde). Der Zeitverlauf der Reaktion ist, so wie dies von der Latenz gilt, je nach der Stromstärke verschieden, zumindest gilt dies für die con- strietorische Wirkung der Kathode, die bei den höheren Strominten- sitäten ihre volle Stärke sehr rasch erreicht, bei schwächeren Strömen dagegen einen gedehnten Verlauf nimmt und ganz allmählich ansteigt. Schließt man den Strom nur für kurze Zeit — in der Regel hielt ich ihn bis zur vollen Entwicklung der Reaktion geschlossen —, so kann man kathodische Verengerung, aber auch anodische Erweiterung bei schon geöffnetem Stromkreis noch zunehmen sehen, ehe sie von den gleich zu beschreibenden gegensinnigen Nachwirkungen abgelöst werden. War nämlich die Arterie kathodischer Einwirkung ausgesetzt ge- wesen, so wird sie nach Unterbrechung, ja selbst nach ‚Ausschleichen“ !) Beiträge zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie. Dieses Arch. 3, 247. 1870. Vgl. Punkt D, S. 268. 9* 132 P. v. Liebermann: des Stromes in der Regel erweitert, ebenso kräftig als ob die Anode einwirkte. Diese Nachwirkungist anhaltend und geht nur ganz allmählich zurück. Entsprechend sieht man nach anodischer Einwirkung oft starke Constrietion bis zum völligen Verschluß, der sehr lange anhalten kann. Hier muß jedoch erwähnt werden, daß diese Nacheffekte nicht immer in die Augen springen, ja vielleicht auch nicht immer zugegen sind. Nach kathodischer Einwirkung kommt es vor, daß die Arterie noch eine Zeitlang verengt bleibt; besonders aber ist eine solche gleich- sinnige Nachdauer nach anodischer Einwirkung das gewöhnliche, indem die Arterie nach der Öffnung des Stromes minutenlang erweitert bleibt und sich nur sehr allmählich wieder verengt. Es darf wohl an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß sich dies nach dilatatorischer Nerveneinwirkung ebenso verhält. Schon aus den Beobachtungen von Goltz mit Freusberg geht es hervor!); von seinen Versuchen sind die über Nervendurchschneidung hier nicht zu verwerten wegen der andauernden Reizwirkung des Schnittes, wohl aber der Versuch mit elektrischer Reizung (S. 184), da hier die Pfote der gereizten Seite nach 6 Stunden noch etwas wärmer als die andere war. Bayliss teilt in seiner Arbeit, die den Nachweis der antidromen Effekte enthält, das gleiche mit?), und wenn er auch geneigt ist, die aus seinen Kurven ersichtliche besonders lange Nachdauer als einen von der Methode vorgetäuschten Scheineffekt anzusehen, so wird doch ein Teil davon reeller Natur gewesen sein; er weist hierauf selbst als eine gewöhnliche Erfahrung bei gefäßerweiternden Nerveneinflüssen hin, und sie hat auch am Frosch für die entsprechende Wirkung der Hinter- wurzelfasern Geltung. Läßt nun auch das Angeführte für sich allein keine weitgehenden Schlüsse über die Natur der gefäßerweiternden Nervenwirkung zu, so haben wir doch die Übereinstimmung der ano- dischen und der nervösen Hemmungswirkung in dieser Einzelheit nicht unerwähnt lassen wollen. Ich möchte hinzufügen, daß die Wirkung der Kathode aufgehoben wird, wenn die Arterien extrem erweitert werden durch Reize, die ohne Zweifel an den sensibeln, also dilatatorischen Nervenelementen angreifen. So kann man durch wasserentziehende Mittel, wie konzentrierte Kochsalzlösung (etwa 8proz.), oder Glycerin, wenn ein Tropfen davon auf die Schwimmhaut gebracht wird, die Arterien zu äußerster Erweiterung veranlassen, und während dieses Zustandes ist die Kathode unwirksam; die Anode bewirkt natürlich auch keine weitere Veränderung. Ähnliches erhält man durch mecha- nischen Reiz (Kneifen), wodurch ebenfalls die Arterien erweitert werden ; 1) Über gefäßerweiternde Nerven. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., 9, 174. 1874. ?) On the origin from the spinal: cord of the vaso-dilator fibres of the hind- limb, and on the nature of these fibres. Journ. of Physiol. 26, 173. 1900—1901. Vgl. S. 180—181. Polare Erregung und Hemmung an Arterien. 133 auch dadurch wird die Kathodenwirkung zumindest stark beeinträchtigt. Ob hieran freilich der besondere Hemmungszustand schuld ist, worein die Muskulatur durch die Gefäßerweiterer versetzt wird, oder der gedehnte Zustand der Wandungan und für sich, muß vorläufig dahingestellt bleiben. Nicht ohne Interesse erschien nun besonders die Frage, ob die Wirkungen des Stromes auf den Ort der Pole beschränkt bleiben oder sich fortpflanzen und längere Strecken des Gefäßes ergreifen. Die beim Arbeiten am unverletzten Gewebe nicht zu vermeidenden Strom- schleifen haben diese Prüfung vereitelt, doch verdient das gefundene Verhalten eine nähere Beschreibung, da man hier bei flüchtigem Beobachten leicht auf irrtümliche Deutungen geführt wird. Einige Einzelheiten der Versuchsanordnung werden hierbei mit anzuführen sein. Folgende Einrichtung erwies sich als die beste. Die Elektrode, deren Wirkung beobachtet werden soll, wird von einer feinen Öffnung in der durchsichtigen Deck- platte eines kleinen Beckens gebildet, welches mit physiologischer Kochsalzlösung gefüllt ist und durch ein seitlich einmündendes Röhrchen mit der Leitung in Ver- bindung steht!), indem dieses Rohr am anderen Ende in ein Gefäß mit Kochsalz- lösung taucht; ein U-Röhrchen führt aus dieser in die Kupfer- oder Zinksulfat- lösung, wodurch die Verbindung mit der Stromquelle hergestellt wird. Die Seiten- wände des Kochsalzbeckens können aus einem paraffinierten Korkrähmchen be- stehen, welches der Glasplatte des Experimentiertischehens aufgeklebt wird, die vom darunter aufgestellten Mikroskopspiegel das Licht empfängt; das Deckplätt- chen schneidet man am bequemsten aus Celluloid, das leicht zu durchbohren ist. Die Fugen zwischen Deckplättchen und Rahmen werden mit Paraffin sorgfältig abgedichtet. Auf dem Plättchen liegt die nicht zu feuchte Schwimmhaut des mit Urethan betäubten Frosches auf, ohne besondere Befestigung, so daß jedes Blut- gefäß bequem an den Ort der Pore gebracht werden kann. Am einfachsten jedoch nicht am zweckmäßigsten ist es nun, die andere Elek- trode als indifferente einzurichten, indem der Frosch z. B. auf eine Metallplatte gelegt wird, die mit dem anderen Pol der Batterie verbunden ist?). Bringt man nun die Pore unter den Stamm einer Arterie zu liegen, nicht zu weit von ihrem Ursprung aus dem Hauptgefäß der Zehe, so findet man einen auffälligen Unterschied in der Ausbreitung der katho- dischen und der anodischen Wirkung. Während die kathodische Ver- engung auf das Stück der Arterie zunächst der Elektrode beschränkt i !) Die Pore als unpolarisierbare Elektrode ist von Pratt erfunden worden (The excitation of microscopic areas: a non-polarizable capillary electrode, Amer. Journ. of Physiol. 43, 159. 1917). Ich habe mich dieses Prinzipes bedient — ohne vorläufig mikroskopische Feinheit der Öffnung anzustreben, — und das Verfahren der Beobachtung im durchfallenden Lichte angepaßt. 2) Über den erforderlichen Strom möchte ich nur orientierend bemerken, daß die Effekte sehr empfindlich sind: bei dem bedeutenden Widerstand in der Zuleitung und im Tierkörper gab doch eine Spannung von einem Zehntelvolt bereits die ersten Spuren der Wirkung; die Pore hatte bei diesem Versuch einen Durchmesser von ungefähr 0,2 mm. In der Regel verwendete ich Spannungen bis zu 10 Volt, doch hätten genauere Angaben keinen Wert, da ich keinen Versuch gemacht habe, die resultierende Stromdichte zu bestimmen. — Bei messenden Versuchen würde man natürlich auch die indifferente Elektrode unpolarisierbar anordnen. 134 P.v. Liebermann: Polare Erregung und Hemmung an Arterien. bleibt, breitet sich die anodische Erweiterung abwärts bis in die prä- capillären Verzweigungen aus. Dies könnte entweder passive Entfaltung der distalen Teile oder einen wesentlichen Unterschied im Verhalten der beiden Pole vermuten lassen, doch trifft weder das eine noch das andere zu. Denn es müssen sich bei dieser unipolaren Einrichtung stets virtuelle Pole bilden, deren Lage man nicht beherrscht. Aus weiter nicht bekannten Gründen scheinen nun diese je nach der Stromrichtung etwas verschiedene Anordnung zu haben; jedenfalls machen sie sich häufig auf ungleiche Weise geltend. Ist die Elektrode anodisch, so entsteht proximalwärts sehr oft eine physiologische Kathode, unter deren Ein- fluß sich die Arterie alsbald vollkommen verschließen kann, was der fortgesetzten Beobachtung der Anodenwirkung hinderlich ist. Hierin liegt der Nachteil der unipolaren Anordnung. Man sieht diese störende Kathode besonders dann deutlich, wenn die Pore nicht ganz oben am Ursprung der Arterie gelegen ist. — Distal von der Anode verhalten sich nun die Stromschleifen in der Regel so zu der Arterie, daß sie beim Eintritt die größere Dichte haben; die distalen Partien der Arterie werden daher erweitert. Ist die Elektrode dagegen kathodisch, so findet man die nun entstehenden virtuellen Anoden symmetrisch zur Pore gelegen, beide anliegenden Gebiete werden daher erweitert: man hat das Bild einer örtlichen Kathodenwirkung. Worauf dieser Unterschied. beruht, läßt sich, wie gesagt, nicht leicht angeben. Tatsächlich kommt es vor, daß auch die anodische Wirkung lokal, in Gestalt einer spindelförmigen Erweiterung erscheint, der sand- uhrförmigen Einschnürung entsprechend, die bei lokaler Kathoden- wirkung zu sehen ist !). Um die Stromschleifen nach Wunsch zu lenken, empfiehlt es sich nach dem Ausgeführten, auch die andere Elektrode an der Schwimmhaut selbst anzubringen, etwa in Gestalt einer Fadenelektrode. Bringt man nun die Pore weit unten an der Arterie an, die Fadenelektrode aber noch weiter distalwärts, an den Rand der Schwimmhaut, so sieht man, wie sich beide Wirkungen, die kathodische wie die anodische, weit hinauf bis ins Stamm- gebiet der Arterie ausbreiten. Auch wird nicht immer das Gefäß, das über der Pore liegt, allein betroffen; oft sieht man fast in der ganzen Schwimmhaut die entsprechenden gleichsinnigen Veränderungen an den Arterien. Indem so durch diese Beobachtung der scheinbare Unter- schied in der Ausbreitung der kathodischen und der anodischen Wirkung wegfällt, läßt sich auf diesem Wege nichts beibringen, was auf eine Fort- pflanzung der einen oder anderen von ihnen hindeutete, und wir werden sie bis auf weiteres als rein örtliche Reaktionen ansehen dürfen. !) Man sieht diese Einschnürung besonders schön, wenn man eine sehr weite Arterie wählt, die von der Kathode nicht allzu stark verengt wird, so daß der Kreislauf ungestört bleibt. (Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Königsberg.) Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegel- muskulatur. Von Dr. Werner Teschendorf, Assistent am Institut, Mit 12 Textabbilduneen. (Eingegangen am 1. Juli 1921.) Isolierte zentrenfreie Stücke aus dem Hautmuskelschlauch des Blutegels (Hirudo medicinalis) stellen einfache Präparate aus glatter Muskulatur dar. Ihre Brauchbarkeit zu pharmakologischen Versuchen stellte Fühner!?) zuerst 1909 fest und verwandte sie seitdem, zum Teil auch in Verbindung mit ihren nervösen Elementen, zu Untersuchungen über die Wirkung verschiedener Gifte auf glatte Muskeln, wobei na- mentlich das Cholin, Cholinmuscarin, Acetylcholin, Pilocarpin, Chinin?!) und Physostigmin??) sowie Guanidin und Bariumchlorid.?®) geprüft wurden. Die Fühnerschen Blutegelpräparate erwiesen sich für die Mehrzahl dieser Substanzen empfindlicher, als Präparate aus der Froschmagenmuskulatur nach Schultz®). Eine besonders kohe Empfindlichkeit besitzt die Blutegelmuskulatur gegenüber der Ein- wirkung von Nicotin, die Fühner?*) später zu einer quantitativen Bestimmung dieses Alkaloids am Blutegel praktisch verwertete. Neuer- dings bestätigte Joachimoglu?!) in Untersuchungen über die Campher- wirkung den Wert des zentrenfreien Blutegelpräparates nach Fühner zu pharmakologischen Versuchen. Das Blutegelpräparat besitzt gegen- über dem früher von Straub®?) und von Trendelenburg#”) ver- wandten Regenwurmpräparat den Vorzug größerer mechanischer Leistungsfähigkeit und ausgezeichneter Haltbarkeit in indifferenten Salzlösungen. Dazu können Blutegel das ganze Jahr hindurch aus der Apotheke bezogen werden, während Regenwürmer im Winter kaum zu beschaffen sind. Beim Blutegel ist die Längsmuskulatur stark ent- wickelt, daher stellen die Präparate, wie sie Fühner zu seinen Ver- suchen verwandte, Längsmuskelpräparate dar, während solche beim Regenwurm leicht zerreißen, so daß von diesem nur die Ringmuskulatur gebraucht werden kann, wie auch beim Froschmagen nur Ringmuskel- 136 W. Teschendorf: präparate wegen der überwiegenden Entwicklung dieser Muskelschicht hergestellt werden können. Es hatte sich bei den genannten Untersuchungen am Blutegel- präparat das Bedürfnis bemerkbar gemacht, gewisse physiologische Daten über die Haltbarkeit, den Tonus, die chemische und elektrische Erregbarkeit und über das Absterben der glatten Muskulatur des Blut- egels als Grundlage für weitere Arbeiten in die Hand zu bekommen. Ich habe es daher auf Veranlassung von Herrn Professor Fühner unternommen, diese Dinge an der Blutegelmuskulatur unter Berück- sichtigung der besonders den Pharmakologen interessierenden Gesichts- punkte genauer zu untersuchen und soweit sie von anderen glatten Muskeln her bekannt sind, hervorstechende Übereinstimmungen und Abweichungen hervorzuheben. Das „zentrenfreie Blutegelpräparat‘ wurde nach den Angaben von Fühner ??) in folgender Weise hergestellt: Aus den mittleren Teilen eines Blutegels wurden je 10 Ringe abgezählt und der Körper des Tieres darüber und darunter durchtrennt. Das so erhaltene Teil- stück wurde an beiden Seiten aufgeschnitten und mittels einer Schere das gesamte helle Füllgewebe bis auf die sich deutlich abgrenzenden dunkeln Längsmus- keln des Hautmuskelschlauches (von Schneider”) als „Diagonalmuskeln‘ be- zeichnet) sorgfältig entfernt. In Fortfall kam also: das unterhalb der Längs- muskulatur gelegene Bindegewebe, das Plerom, das Enteron, das Bauchmark, die Dorsoventralmuskeln und die innere Längsmuskelschicht, welche an der Bauchseite den Diagonalmuskeln aufliegt. Zu den Versuchen wurde nur der Dorsalteil des Hautmuskelschlauches gebraucht, um 1. stets völlig gleich- mäßige Präparate zu erlangen, 2. weil dem Bauchteil des Hautmuskelschlauches die innere Längsmuskelschicht aufgelagert ist, deren Abgrenzung vielleicht nicht so sicher gelingt als die Isolierung der dorsalen Hälfte des Hautmuskelschlauches. Legt man ein solches Stück in eine den Tonus steigernde Giftlösung, so rollt es sich der Länge nach zusammen, ein Zeichen, daß der Zug der Längsmuskeln dem der erhaltenen Ringmuskulatur überlegen ist. Zu den Versuchen wurde über dem ersten und unter dem zehnten abgezählten Ringe in der Mitte je ein Faden hindurchgezogen, mit welchen das Präparat in einer Versuchsanordnung so befestigt wurde, wie sie Fühner (l. c.) beschrieben hat. Das Muskelstück kam in ein Becherglas mit Ringerlösung, welches aus einem Windkessel mit Luft durchlüftet wurde. Die Hebelübertragung war eine 10fache. Die Einwirkung des gebrauchten Aluminiumhebels auf das Präparat entsprach einem Zuge von 8,5 g. Der Tonus des Präparates. Die Präparate, die in der vorherbeschriebenen Weise hergestellt waren, wurden 15 Minuten vor Beginn jedes Versuches in Ringerlösung belassen, um sie von der mechanischen Reizung bei der Präparation sich erholen zu lassen. Wird. der Hebel danach an das Kymographion angelegt, so wird eine gerade Linie aufgeschrieben, die meist völlig wagerecht, bisweilen etwas nach abwärts verläuft. Dieser letzte Vor- gang ist auf die allmähliche Dehnung durch die Hebellast zurück- zuführen. Andererseits findet man aber auch Präparate, bei denen die Beiträge zur Plıysiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 137 Linie etwas ansteigt. Es scheint sich also in unserem Präparat ein gewisser Tonus herstellen zu können (Substanztonus [Biedermann®), Schultz‘!)]. Daß das Präparat nicht völlig erschlafft ist, geht im übrigen daraus hervor, daß es durch chemische Einflüsse, z. B. Magne- siumchlorid und Alkohol, zur völligen Erschlaffung gebracht werden kann, die sonst unter der Last des Hebelarmes erst in 4—5 Stunden eintritt. Der Hebelarm sinkt in dieser Zeit etwa um 3cm auf dem Kymographion ab. Eigenbewegungen, die man an vielen isolierten glattmuskeligen Organen sehen kann, treten an der Blutegelmuskulatur nicht auf, wenn sie von den nervösen Zentren befreit ist, eine Tatsache, die durch Straub (l. c.) und Budington?°) schon an der Regenwurm- muskulatur und von v. Uexküll’"!) am Retraktorenpräparat des Sipunculus nudus beschrieben worden ist. Ein Stück Blutegelmusku- latur, das mit Ganglienzellen in Verbindung steht, zeigt Eigenbewe- gungen ähnlich wie das Froschmagenpräparat, bei dem diese nach Haberlandt°!) hauptsächlich an das Bestehen des Auerbachschen Plexus gebunden sind, wasnach H echt?*) besonders für den Pylorusteil zutrifft. Verharrt also ein Blutegelpräparat in Ruhe, so hat man gleich- zeitig ein Kriterium, daß es in richtiger Weise hergestellt ist und keine Ganglienzellen mehr enthält. Aus den Arbeiten von Fürst?”), eines Schülers Biedermanns, lassen sich eine weitere Reihe von Ähnlichkeiten zwischen dem physio- logischen Verhalten der Blutegelmuskulatur und der des Regenwurm entnehmen, und auch bei Biedermanns®) klassischen Versuchen über die peristaltischen Bewegungen der Würmer finden sich zwischen Blutegel und Regenwurm weitgehende Analogien, wie sie auch gegen- über marinen Anneliden vorkommen?°). Nach Biedermann ist die Ring- und die Längsmuskulatur durch einen antagonistischen Reflex verbunden. Erschlaffung der einen bedingt Kontraktion der anderen. Wie Jordan??) hervorhebt, ist bisher über die inneren Vorgänge bei dieser Erscheinung nichts bekannt geworden. Wir wissen nur, daß sie an die Existenz des Bauchmarks gebunden ist. Der antagonistische Reflex zwischen Ring- und Längsmuskulatur fällt also in unseren zentrenfreien Präparaten fort, wie es auch inMagnus??°) Untersuchungen am Hautmuskelschlauch von Sipunculus nudus der Fall war. Im übrigen besteht nach Fürst (l. ec.) zwischen der Ring- und der Längs- muskulatur des Blutegels physiologisch kein Unterschied. War das am Hebelarm befestiste Präparat erschlafft, so war seine Erregbarkeit in keiner Weise geschwächt, eher waren die Präparate, die sich einige Zeit (bis 1—2 Tage) in. Ringerlösung befanden, empfind- licher geworden, ähnlich wie auch der Froschmagen, der sich 1— 2 Stun- den oder länger in Ringerlösung befindet, nach Haberlandt (l. c.) und Beck?) gesteigerte Automatie und Erregbarkeit erkennen läßt. 138 W. Teschendorf: Als zuverlässiges Mittel, um die chemische Erregbarkeit eines Blutegel- präparates beurteilen zu können, erwies sich Nicotin, dessen starke Wirksamkeit [Fühner!?)] auf die Blutegelmuskulatur schon erwähnt wurde. Eine Lösung von weinsaurem Nicotin 1: 100 000 in Ringer- lösung erzeugt fast maximale Kontraktion und das Versagen dieses chemischen Reizes zeigte eine Herabsetzung der Reizbarkeit und Lebens- fähigkeit an, die meist mit der Abnahme der elektrischen Erregbarkeit parallel geht. Nicotin läßt sich gut auswaschen, besonders wenn man nach Fühner der Ringerlösung 3% Alkohol zusetzt, der gleichzeitig die Muskulatur zur Erschlaffung bringt. Anders als die Belastung durch den dauernd einwirkenden Hebel- zug wirkt eine plötzliche starke Belastung. Die Wirkung eines der- artigen „Dehnungsreizes“ hat Biedermann (l. c.) am Regenwurm geschildert. Wurde eine einzelne Partie des Tierleibes der Dehnung unterworfen, so konnte man verfolgen, daß die Verlängerung des gedehnten Teiles unter Kontraktion der Ringmuskeln sich in Form einer Welle über den ganzen Körper fortsetzte. Danach trat, der- selben Richtung folgend, keine kräftige Kontraktion der Längs- muskulatur ein und man erhält das Bild der Peristaltik, wie wir sie vom Säugetierdarm her kennen und von Magnus??) mittels Einführung eines Ballons und Trendelenburg®®) durch Steigerung des Innendruckes im Darm (Dehnung) experimentell veranschau- licht worden ist. Am Präparat aus dem Hautmuskelschlauch des Regenwurms konnte Straub (l. ce.) auf eine Dehnung eine Kontrak- tion der Ringmuskeln folgen sehen, da die Längsmuskeln am Regen- wurm keine Verwendung finden. Er folgerte, daß eine solche Kon- traktion bei der Art des Präparates wahrscheinlich nicht auf nervöse Einflüsse zurückzuführen sei, sondern myogener Natur sei. Für die Längsmuskulatur des Blutegels gilt dasselbe. Der Einfluß der Temperatur. Der Einfluß der Schwankungen der Zimmertemperatur auf das Präparat ist sehr gering. Um 20° herum wird eine raschere Aus- dehnung des Präparates begünstigt. Sie wird deutlicher, wenn man die Temperatur der Ringerlösung auf 30—40° erhöht. Bei 45° erfolgt oft eine meist sehr kleine Kontraktion. Das Präparat wird bei dieser Temperatur für chemische Einwirkungen (Nicotin) und starke faradische Reize unempfindlich. Bei 52° dehnt sich das Präparat manchmal ein wenig aus. Weiteres Erhöhen der Temperatur hat bei ungefähr 60° eine weitere Kontraktion des Präparates zur Folge, die bei weiterer Tem- peraturzunahme immer weiter fortschreitet. Diese erreicht bei un- gefähr 80° ihren Höhepunkt. Das Präparat, das sich jetzt völlig starr anfühlt, dehnt sich beim Abkühlen etwas aus, erreicht jedoch auch Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. nach mehrstündigem Ein- wirken des Hebelgewichtes nicht mehr als die Hälfte der anfänglichen Ausdeh- nung. (Abb. 1). Die vorstehende Kurve zeigteine weitgehende Über- einstimmung mitdenUnter- suchungen Vernons®?), der für die Blutegelmus- kulatur den Punkt der ersten Kontraktion bei 44°, den der zweiten bei 57° und den Verlust der Erreg- barkeit bei 48° festlegt. Burdingston (l. ce.) unter- suchte die Muskulatur des Regenwurms in gleicher Weise und erhielt eine ähnlich verlaufende Kurve. Nach Vernon geht die Kurve, die die Regen- wurmmuskulatur bei zu- nehmender Wärme zeich- net, der der Blutegelmus- kulatur parallel, nur liegen die Punkte für die Kon- traktionen und das Ab- sterben einige Grade tiefer. Kurven, die in entspre- chender Weise für die glatte Muskulatur von Warmblütern aufgenom- men sind, zeigen gewöhn- lich einen recht abweichen- den Verlauf, z. B. erfolgt an der Bronchialmuskula- tur des Rindes nach Tren- delenburg®) zwischen 20 und 30° ein starker Tonusanstieg, der ungefähr bei Körpertemperatur sei- nen Höhepunkt erreicht, Zeitin Min. 1I Das Kymogr. in 78 50 82 85 den 76 rer 0 68 64 66 > 5655 60 6 {9} 5 Fe 52 42 4344 46 48 50 4l 40 Grad 20,5 139 Zwischen- zeiten abgestellt des Blutegels. = 3 = ES In ie) = e) S-| n IS E 8 » a © Bo 3 eb] E N g dehnt sich das Präparat etwas aus. lun dem Hautmuskelschlauch Abkül Nach aufbewahrten Stückes aus ansteigend. immer mehr feuchter Kammer Sehr geringe Zusammenziehung des Präparates zwischen 4 = S S Ss = = 3 0 er = - Fahr = oo es ar ar En oo da o Are aoo Ho Dede ei > Ss >= Fer Or he) m = 10 zentrenfreie Ringe 1% virken steigen einnend bei etwa 60° Abb. be 140 W. Teschendorf: bei 45—50° aber wieder absinkt. Erst bei 60° bewirkt die einsetzende Hitzestarre wieder eine stärkere Zusammenziehung. Nach de Zilwa®®°) sinkt der Tonus des Retractor penis des Hundes zwischen 26 und 30° stark ab und steigt zwischen 30—40° an. Abkühlung bis zum Gefrierpunkt hat keinen erheblichen Einfluß auf den Tonus der Blutegelmuskulatur. Die Froschmagenmuskulatur erschlafft beim Erfrieren unter Aufhören der Spontanrhythmik (Ha- berlandtl.ce.). Elektrische Erregbarkeit. Über die elektrische Erregbarkeit glatter Muskeln hat schon Grütz- ner?) ausführlich auf Grund eigener Untersuchungen und der darüber vorliegenden Literatur berichtet. Es genügt daher, die Erregbarkeit der Blutegelmuskulatur kurz zu skizzieren. Geprüft wurde sie nur deshalb, weil in den Versuchen der Grad der elektrischen Erregbarkeit bis zu gewissem Maße zur Beurteilung diente, wieweit nach chemischen und osmotischen Schädigungen die Lebensfähigkeit der Muskulatur noch erhalten geblieben war. Zu derartigen Beurteilungen werden jedoch gewöhnlich nur Induktionsschläge bzw. faradische Ströme herangezogen, zumal glatte Muskeln überhaupt für konstante Ströme wenig empfindlich sind und nach Winkler’) auch Induktionsschläge erst bei ziemlicher Stärke wirksam werden. Es zeigt sich, daß man in der Tat verhältnismäßig sehr starke Ströme braucht, um die Blut- egelmuskulatur zur Kontraktion zu bringen. Benutzt man ein Schlitten- induktorium (nach Du Bois-Reymont) mit einem Akkumulator von 2 Volt Spannung, so erhält man Schließungskontraktionen erst, wenn man die Rollen näher als 5 cm zusammenbringt. Meist wird die Schließungskontraktion erst bei 3cm Rollenabstand deutlich. Die Öffnungskontraktion fällt an glatten Muskeln bekanntlich stärker aus. Jedoch sind auch hierzu Rollenabstände von weniger als 10 cm not- wendig. Nach Fick!®), Engelmann!®) und Biedermann’) kann man am glatten Muskel ebenso wie am quergestreiften eine Summation von Reizen beobachten. In Abb. 2 wurden bei einem stark belasteten Präparat solange Öffnungsschläge ohne Rollenabstand im Abstand von mehreren Minuten ausgeübt, bis augenscheinlich eine Ermüdung eintrat, die sich in einem plötzlichen Nachlassen des Tonus darstellt. Das Absinken des Tonus erfolgt erst schnell, dann langsam. Dasselbe kann man erreichen, wenn man ein Präparat dauernd vom faradischen Strom durchfließen läßt. Der glatte Muskel gerät dadurch in einen Tetanus, der plötzlich nachläßt. Die Präparate sind danach für gleich- starke Ströme nicht mehr erregbar. Eine Öffnungskontraktion resp. die Gipfelzeit, wie Eckstein!?) die Zeit zwischen dem Augenblick des Reizes und dem Kulminations- Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 141 punkt der Kurve nennt, für sich allein betrachtet, besteht, worauf "Straub (l. ce.) an der Regenwurmmuskulatur hinweist, aus zwei Phasen. Nach dem Wirksamwerden des Reizes steigt die Kurve zunächst ziemlich steil und. plötzlich an. Die Zusammenziehung wird. dann langsamer und. geht in eine träge tonische Kontraktion über, die längere Zeit anhält und, wenn kein weiterer Reiz erfolgt, nur sehr allmählich nachläßt und. langsam zur anfänglichen Ausdehnung abfällt. Vielleicht ist die erste Phase als ein Analogon zur Zuckung der querge- streiften Muskeln zu be- trachten. Es ist ferner häu- fig zu beobachten, daß die Blutegelmuskulatur im An- schluß an eine elektrische Erregung sich weiter aus- dehnt als vor Beginn der Kontraktion. Es ergibt sich aus den beschriebenen Tatsachen, daß es notwendig ist, zum Nachweis, daß eine chemi- sche Einwirkung die elek- trische Erregbarkeit herab- Abb. 2. Bei A Öffnung des Induktionsstroms bei 3 cm Rollenabstand. Nach einem solchen Reize Abfall der gesetzt hat, die stärksten Kurve. Die letzte Öffnungserregung der Kurve ohne 0 . tollenabstand. Bei + 23g Achsenbelastung. Bei ++ mit dem beschriebenen In- 40 g Achsenbelastung. Zeit in Minuten. duktorium erreichbaren In- duktionsschläge anzuwenden. Die Angaben im folgenden beziehen sich demgemäß auf faradische Reize von 2—3 Sekunden Dauer mit dem genannten Schlitteninduktorium ohne Rollenabstand. Veränderung des osmotischen Druckes. Gegen Veränderung des osmotischen Druckes sind glatte Muskeln sehr verschieden empfindlich, je nachdem sie von Warm- oder Kalt- blütern stammen, so wird z. B. nach Dale!!) der Tonus des Meer- schweinchenuterus schon durch geringe Zunahme des osmotischen Druckes herabgesetzt und die Empfindlichkeit für kontraktionserregende Gifte vermindert. Herabsetzung des osmotischen Druckes steigert die Empfindlichkeit und kann direkt zu Kontraktionen führen. Ebenso ist die Bronchialmuskulatur des Rindes für Schwankungen des osmo- tischen Druckes sehr empfindlich [Trendelenburg®®)]. Glattmuskelige Organe von Kaltblütern scheinen demgegenüber für osmotische Druck- schwankungen weit weniger empfindlich zu sein, wie aus den Unter- suchungen von Fruböse!®) und Lussana®*) am Froschmagen und 1:42 W. Teschendorf: von Stiles®®) am Froschoesophagus hervorgeht. Nach letztem soll stärkere Hypertonie von Lösungen krampfhafte Kontraktionen aus- lösen, hypotonische Lösungen bewirken Erschlaffung des Oesophagus- präparates und schwache und unregelmäßige Kontraktionen. Nach Fruböse scheint sich die Froschmagenmuskulatur ähnlich zu verhalten, da er beim Einwirken hypertonischer Lösungen Zunahme der Kon- traktionshöhe und Verminderung der Frequenz, bei Herabsetzung des osmotischen Druckes Abnahme der Kontraktionshöhe und Vermehrung der Frequenz beobachtete. Nach der Erfahrung von Fühner (l. c.) eignet sich die frosch- isotonische Ringerlösung gut für die Blutegelpräparate. Nach Fr e&- dericq liegt der Gefrierpunkt des Blutegelgewebes (Gesamttier außer - Kopf und dem im Darm enthaltenen Blut) bei — 0,43 bis — 0,40°, der osmotische Druck ist somit etwas geringer als der des Froschblutes, dessen Gefrierpunkt nach Höber?”) bei — 0,465 ° liegt. Es wird. gezeigt werden, daß diese darin liegende kleine Differenz des entsprechenden osmotischen Druckes praktisch nicht ins Gewicht fällt, da weder der Tonus noch die Lebensfähigkeit der Präparate durch so geringe osmotische Druckschwankungen beeinflußt wird. Auch Bethe°), der die Gefrierpunktserniedrigung des Blutegelgewebes nach Fredericq erwähnt, fügt ausdrücklich hinzu, daß man beim Blutegel ungefähr dieselbe Kochsalz- resp. Ringerlösung benutzen kann, wie beim Frosch. Dementsprechend. wurde für die Versuche an der Blutegelmuskulatur froschisotonische Ringerlösung *) verwandt und der osmotische Druck im Blutegelgewebe und in einer Kochsalzlösung zwischen 0,6 und 0,7% als gleich stark angenommen. Der osmotische Druck anderer Salz- lösungen oder von Salzgemischen wurde auf eine 0,6proz. Kochsalz- lösung umgerechnet (s. bie Hamburger°?)]. Die Blutegelmuskulatur erwies sich nämlich Schwankungen des osmotischen Druckes gegenüber noch unempfindlicher als die Frosch- magenmuskulatur. Erhöhung des Kochsalzgehaltes der Ringerlösung auf 1% erzeugt keine Tonusveränderung. Erst zwischen 3 und 5% Kochsalzgehalt verändert sich der Tonus des Präparates, und zwar erfährt der an sich geringe Tonus im Gegensatz zu den Befunden von Stiles (l.c.) am Froschoesophagus in hypertonischen Kochsalzlösungen eine Abnahme. Wurde an einem Blutegelpräparat die Ringerlösung gegen hypo- tonische Kochsalzlösungen ausgewechselt, so konnte man die Lösung bis auf 0,3% Kochsalzgehalt verdünnen, ohne eine Tonusschwankung zu beobachten. Befand sich das Präparat in einer 0,2 proz. Kochsalz- lösung, so begann sich das Präparat zusammenzuziehen. Diese Kon- *) Zusammensetzung der Ringerlösung: NaCl 6,0; CaCl, 0,1; KCl 0,075; Natron. Bicarbon. 0,1; Aqu. dest. ad 1000,0. Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 143 traktion wurde mit weiterer Abnahme des Kochsalzgehaltes stärker. Für diese Kontraktion war jedoch nicht allein die Änderung des osmo- tischen Druckes der Lösung verantwortlich zu machen, sondern auch der Verlust an Na-Ionen. Machte man die Lösungen durch Trauben- oder Rohrzucker isotonisch, so trat die Zusammenziehung des Prä- parates beim Fehlen von Na-Ionen in gleicher Weise auf, wenn auch die Kontraktion jetzt erst bei einer etwas geringeren Konzentration als 0,2%, Kochsalz einsetzte. Die Stärke der Zusammenziehung des Präparates bei einer isotonischen Traubenzucker- oder Rohrzucker- lösung und einer Kochsalzlösung von weniger als 0,1%, welche durch Zucker isotonisch gemacht war, war ziemlich die gleiche. In destilliertem Wasser zog sich das Präparat stärker zusammen als in einer isotonischen Zuckerlösung. Es gerät dabei in die sog. Wasserstarre. Hatte diese noch nicht längere Zeit gedauert, besonders wenn der Höhepunkt der Zusammenziehung noch nicht überschritten war, so konnte man die Abb. 3. Ag. dest., welches bei A 1 Std. auf ein frisches Präparat einwirkt, ruft eine Zusammen- ziehung hervor, die in Ringerlösung (R.L.) zurückgeht. Die Erregbarkeit durch faradische Reizung ohne Rollenabstand (F. R.) und durch Nicotin tatar. 1:100000 (bei N.) ist danach stark herabgesetzt. Zeitmarkierung in Minuten. Kontraktion durch Zuführen von neuer Ringerlösung rasch beseitigen (Abb. 3). Solche Präparate waren für chemische und elektrische Rei- zungen empfindlicher geworden. Die Kontraktion in destilliertem Wasser sank unter der Last des Hebelarmes im Laufe einiger Zeit (30—60 Mi- nuten) wieder ab. Ein Präparat, das bereits im Zustand einer solchen Ausdehnung begriffen war, verlängerte sich auch jetzt noch in Ringer- lösung schneller, als wenn das Absinken der Kurve in Wasser erfolgte. Jedoch war die chemische und faradische Erregbarkeit aufgehoben, wenn die Kontraktionskurve in Wasser ihren Höhepunkt überschritten hatte. Die Kontraktion der Blutegelmuskulatur im Wasser ist keine maximale. Durch starke faradische Reizung (ohne Rollenabstand) kann man auf der Höhe der Zusammenziehung in Wasser noch eine stärkere Kontraktion des Präparates hervorrufen (Abb. 4). Präparate, die bereits eine Stunde in destilliertem Wasser gewesen waren, konnten mit der Zeit in Ringerlösung ihre Erregbarkeit wieder- gewinnen, wenn auch die völlige Restitution oft nicht mehr zu erreichen 144 W. Teschendorf: war. Die Blutegelmuskulatur zeigt also von der quergestreiften Frosch- muskulatur, an welcher Overton?°®) und Härtl??) diese Verhältnisse genauer dargelegt haben, in dieser Beziehung keine auffälligen Ab- weichungen. Schließlich wurde noch die Haltbarkeit von Präparaten in hyper- und hypotonischen Lösungen geprüft. Dies wurde so vorgenommen, daß die nach der angegebenen Vorschrift präparierten Muskelstücke in Bechergläschen mit 50 ccm der betreffenden Salzlösung eingelegt und im Eisschrank aufbewahrt wurden. Die Vergleichung geschah in der Weise, daß an aufeinanderfolgenden Tagen immer Präparate aus den Gläschen entnommen wurden, und zwar kamen am gleichen Tage nur Präparate, die aus der Muskulatur desselben Blutegels geschnitten waren, zur Prüfung. Ein Tier lieferte 4—5 Präparate, so daß 4—5 Lösungen gleich- zeitig geprüft werden konn- ten. Es zeigte sich, daß Präparate nach 4--6tägi- gem Aufbewahren in 0,6% Kochsalzlösung noch chemisch und faradisch gut Abb. 4. Ein frisches Präparat kommt bei A. in Ag. erregbar waren. In 1% dest. Bei a er Kochsalzlösung war dagegen schon am 2.—3. Tag die Erregbarkeit stark herabgesetzt bzw. aufgehoben. In 0,4% Kochsalz- lösung hielten sich Präparate schon erheblich besser, als in 1%, jedoch nicht ganz so lange, wie in 0,6%. Es ergibt sich also ein deutlicher Einfluß des osmotischen Druckes der Lösung auf die Haltbarkeit der Präparate, wenn sich dieses auch bei Anwendung von Lösungen zwischen 6 und 7% noch nicht nachweisen ließ. Ionenwirkungen. Zur Erhaltung der Lebensfähigkeit und des Tonus der Blutegel- muskulatur sind gewisse Kochsalzmengen erforderlich, die, wie gezeigt, ungefähr 0,3% im Minimum betragen muß. Daß dabei der wirksame Bestandteil des Kochsalzes das Na-Ion ist und demgegenüber dem C1-Ion nur eine sehr geringe Bedeutung zukommt, hat Overton (l. c.) am Froschskelettmuskel nachgewiesen. Von Anionen, welche als Na-Salze geprüft wurden, hatten an der Blutegelmuskulatur Cl und Br keinen Einfluß auf den Tonus des Präparates, ebensowenig PO,-Ionen. NO,-Ionen erzeugten in vielen Fällen einen leichten Tonusanstieg. C1O,-Ionen (in verschiedenen Verdünnungen bis 2% der Ringerlösung zugesetzt) veränderten den Tonus nicht. J- und SCN - Ionen steigern Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 145 den Tonus, die letzten beträchtlich, die ersten oft nur wenig, beide allerdings erst in verhältnismäßig starker Lösung. (1% in Ringerlösung.) Von einwertigen Kationen wurde Na, Li, K und NH, geprüft. Wir sahen, daß in einer 0,3% NaCl-Lösung keine Veränderung des Tonus erfolgt. Vergleicht man die Haltbarkeit von Präparaten, welche in 0,6% Kochsalzlösung und in 0,3% Kochsalzlösung, der zur Ausglei- chung des osmotischen Druckes 3% Rohrzucker zugesetzt ist, so findet man, daß die Präparate in 0,6% Kochsalzlösung sich erheblich besser halten. Lithium konnte in isotonischer Lösung die Erregbarkeit des Blut- egelpräparates einige Zeit in gleicher Weise erhalten wie NaCl. Jedoch zeichnete das Präparat, wenn auch nur sehr geringe, Veränderungen des Tonus auf. Auch die Lebens- fähigkeit von Präparaten, die in isotonischer Lithium- lösung aufbewahrt wurden, wurde weit schlechter er- halten, als die von Präpa- raten in isotonischer Koch- salzlösung. Zum Beispiel blieben die letzten in einer Versuchsreihe 5—6 Tage fa- radisch gut erregbar. Die in isotonischer Lithiumlö- sung aufbewahrten Muskel- stücke reagierten am zweiten Abb.5. Ein frisches Präparat kommt aus Ringerlösung Tage nur schwach auf fara- in 0,3% NaCl + 3,0% Rohrzucker. (Bei N + R.) Danach dische Reize und waren am an ee en g g. (Bei R. L.) Zeitmarkierung in Minuten. dritten Tage unerregbar. Kaliumchlorid macht nach Overton°?) in 0,89% Lösung, welche mit 0,7% Kochsalz isotonisch ist, Froschsartorien in kürzester Zeit unerregbar. Am Blutegelpräparat macht eine derartige Lösung einen steilen Anstieg der Kontraktionskurve. Unter Berücksichtigung des über die Notwendigkeit des Vorhandenseins gewisser Kochsalzmengen Gesagten, sei die Abbildung der Wirkung einer Lösung hier wieder- gegeben, welche neben 0,3% NaCl 0,45% KCl enthielt. Auch hierbei äußerte sich die Kaliumwirkung in einer starken Erregung des Präpa- rates (Abb. 5). Zur Ringerlösung zugesetzt, sind dagegen gewisse Kaliumchloridmengen unwirksam. Selbst 1% KCl in Ringerlösung hat in den meisten Fällen keinen Tonusanstieg zur Folge. In Versuchen über die Einwirkung von Kaliumchlorid auf die Haltbarkeit der Präparate war kein wesentlicher Unterschied durch Kaliumchlorid in Ringerkonzentration zu bemerken. Die chemische Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 10 146 W. Teschendorf: Erregbarkeit von Präparaten war herabgesetzt, wenn Kaliumchlorid- lösungen eingewirkt hatten, vorausgesetzt, daß keine anderen Kationen als Na-Ionen neben dem Kalium vorhanden gewesen waren. NH,-Ionen waren wirksam, wenn man 0,5% Ammoniumchlorid der Ringerlösung hinzusetzte. Es erfolgt ein Tonusanstieg. Die Kurve verlief jedoch nicht glatt, sondern etwas zackig bis treppenförmig. In Ringerlösung ging eine Kontraktion durch 0,5% Ammonium- chlorid wieder zurück, die Erregbar- r 5 keit wurde jedoch beträchtlich ge- schädigt, im vorliegenden Fall durch 2. Tag 15 Minuten langes Einwirken der Blutegel I genannten Konzentration. ai .' Von zweiwertigen Kationen wur- Der erw en Ca, Sr, Ba und Mg geprüft. N b) Eine ungefähr isotonische CaCl,-Lö- sung, die ca. 1% CaCl, sicc. enthält, bringt die Blutegelmuskulatur zu En a [ gleichmäßiger zunehmender Kontrak- & tion. Ist neben dem Calciumchlorid f aber Natriumchlorid vorhanden, so Ma bleibt die Kontraktion aus. Z. B. ver- F.R. F.R. N. ändert sich der Tonus nicht in einer N Lösung von 0,5% CaCl; + 0,3% NaCl, die ebenfalls ungefähr isotonisch ist. Be Desgleichen kann man zur Ringer- Blutegel II lösung so viel Caleiumchlorid hinzu- fügen, daß der Gesamtcalciumgehalt It 1 1% beträgt, ohne eine Veränderung F.R.N. F.R.N. des Tonus zu beobachten. Wird der Präparat a) Präparat b) in 0,6% NaCl in 0,6% Nacı Tonus der Blutegelmuskulatur durch + 0,1% CaC, ÖGaleiumchlorid selbst in starker Abb. 6. Die senkrecht übereinander gezeich- 3 : inf neten Kurven stammen von Präparaten, die Konzentration nicht beeinflußt, so sich in gleichen Lösungen befanden. Die ist doch die Bedeutung des Caleium- wagerecht nebeneinanderstehenden stammen R = R von ein und demselben Tier und sind am chlorids für die Erhaltung der Lebens- gleichen Tage aufgenommen. Ergebnis: Hin- fh yleait Br g zufügen von CaCl, zu 0,6% NaCl-Lösung ver- fähigkeit der Präparate leicht au längert die Lebensdauer der Präparate. erweisen. In einer Versuchsreihe F. R. = Faradische Reizung. N. = Nikotin. N . : tatar. 1: 100000. (Nach Kurven gezeichnet.) (Abb. 6) wurde die chemische und fara- dische Erregbarkeit von Präparaten verglichen, die in 0,6% Kochsalz und in 0,6%, Kochsalz mit einem Zusatz von 0,1% Caleiumchlorid im Eisschrank aufbewahrt wurden. Am zweiten, vierten und fünften Tage wurden Präparate gleicher Blutegel geprüft und gefunden, daß diejenigen, die sich in der caleiumhaltigen Lösung befunden hatten, sich erheblich besser erregbar gehalten hatten. Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 147 Die Menge Caleium, die in diesem Falle den 10fachen Gehalt des Calciumgehaltes der Ringerlösung betrug, ist dabei nicht von aus- schlaggebender Bedeutung, da sich Präparate in 0,6% Kochsalzlösung mit 0,01% CaCl, und solche in gleicher Kochsalzkontraktion mit 0,1% CaCl, 5 Tage hindurch gleichgut erregbar hielten. Für die Wichtigkeit der Caleiumionen soll noch ein weiteres Beispiel in Gestalt einer Ver- suchsreihe (Abb. 7) angeführt werden, bei welcher Präparate in der beschriebenen Weise a) in Ringerlösung, b) in Ringerlösung ohne a) b) c) d) 3. Tag Blutegel I m Ir M ft F.R.N. F.R.N. F.R.N. F.R.N. d) a) b) c) 5. Tag Blutegel II f u N mi et IRRGRSEN: MALENE IEIREON: BERN a) b) c) A) 7. Tag / Blutegel III N A u ia EORIN. F.R.N. F.R.N. BARENG Präparat a) Präparat b) Präparat c) Präparat d) in Ringer- in Ringer- in Ringer- in Ringerlösung: lösung lösung ohne lösung ohne +1% Gummi Calcium Kalium arabicum Abb.7. Nach Kurven gezeichnet. Die senkrecht übereinander gezeichneten Kurven stammen vor Präparaten, die in gleichen Lösungen aufbewahrt wurden. Die wagerecht nebeneinander stehenden stammen von ein und demselben Tier und sind am gleichen Tage aufgenommen. Ergebnis: Ringer- lösung ohne Caleium erhält das Präparat am schlechtesten. Kalium kann vermißt werden. Zusatz von Gummi arabicum ist vorteilhaft. F. R. = Faradische Reizung. N. = Nikotin. tatar. 1: 100 000. Caleium, e) in Ringerlösung ohne Kalium im Eisschrank aufbewahrt wurden. Zuerst starben die Präparate ab, welche in der caleiumfreien Lösung aufbewahrt wurden. Die Präparate in der caleiumhaltigen Lösung, in welcher jedoch das Kalium fehlte, schienen sich sogar besser erregbar zu halten, als in kaliumhaltiger Ringerlösung, was mir bei einer ganzen Reihe von Versuchen auffiel. In der Reihe der Kationen steht das Strontium dem Calcium am nächsten, da nach Overton (l.c.) die Verminderung der Erregbarkeit, 10* 148 W. Teschendorf: welche Froschmuskeln in hypertonischen Lösungen, sowie durch kleine Zusätze von KCl, NH,CI, RbCl erleiden, durch etwas CaCl, und SrCl, hintangehalten werden kann, nicht dagegen durch andere zweiwertige Kationen. Bei kürzerer Einwirkung auf die Blutegelmuskulatur macht Stron- tiumchlorid in geringer Konzentration ebensowenig Tonusschwankungen wie Caleiumchlorid. Für die Erhaltung der Lebensfähigkeit ist Strontium mit Caleium jedoch nicht als völlig gleichwertig zu betrachten. Wurde Caleiumehlorid in der Ringerlösung äquimolekular durch Strontium- chlorid vertreten, so fiel eine Vergleichung der Haltbarkeit von Musku- laturstücken, die in einer derartigen Flüssigkeit aufbewahrt wurden, mit in Ringerlösung aufbewahrten Präparaten zugunsten der letzten aus. In höheren Konzen- crationen einer Kochsalzlösung bis zur Herstellung des osmo- tischen Druckes zugesetzt, wirkt Strontium erregend und führt zu unregelmäßigen Be- wegungen (Abb. 8), im Gegen- satz zu äquivalenten Calcium- mengen. Einer Ringerlösung zugesetzt, vermag Strontium nicht in gleicher Weise das Präparat in Erregung zu ver- setzen. Die Präparate, welche in der strontiumhaltigen Flüs- Abb. 8. Frisches Präparat in 0,6% NaCl. Bei 5. 0,45% sigkeit aufbewahrt waren, NaCl + 1,2% SrCl,. Bei F.R. faradische Reizung ohne : $ : Rollenabstand. Zeitmarkierung in Minuten. wiesen nach kurzer Zeit eine Trübung auf und fühlten sich spröde und steif an. Starke faradische Reize erzeugten nur unvoll- kommene, träge Kontraktionen. Ebenso ging die Erregbarkeit für Nicotin. tartarie. 1:100000 bei diesen Präparaten früher verloren, als bei gleich lange in Ringerlösung aufbewahrten. Die Wirkung des Bariumchlorids an der Blutegelmuskulatur ist bereits von Fühner?!) 25) beschrieben worden. Es erzeugt noch in Verdünnungen bis 1::10000 kräftige Kontraktionen. Die Kurve ver- läuft jedoch nicht glatt wie beim Nicotin oder Kaliumchlorid, sondern zackig unter fortwährenden Tonusschwankungen. Im Gegensatz zu dieser starken erregenden Bariumwirkung steht die Wirkung des Magnesiumchlorids. Magnesium setzt in 1% Lösung (in Ringerlösung) den Tonus der Blutegelmuskulatur herab (Abb. 9). Die Veränderung des osmotischen Druckes einer Ringerlösung, der 1%, Magnesiumchlorid zugesetzt ist, darf nicht als Ursache für den Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 149 Tonusabfall angesehen werden, da äquivalente Mengen von Rohrzucker-, Caleium- oder Natriumchlorid einen solchen Tonusabfall nicht hervor- rufen. Es gilt dabei das für Ammoniumchlorid Gesagte, daß der Tonusabfall nur gering sein kann, da der Tonus der Blutegelmuskulatur bei unseren Präparaten an sich schon gering ist. Bei Prüfung von Magnesiumlösungen, die zur Herstellung des nötigen osmotischen Druckes hinreichende Mengen von Natrium- chlorid enthielten, zeigt sich, daß Magnesium- chlorid die Blutegelmuskulatur in größeren Mengen schädigt. Es wirkt jedenfalls weit giftiger als äquivalente Caleiummengen. Ein Ersatz des Caleiumchlorids in der Ringer- lösung durch Magnesiumchlorid kann, wie Versuche über die Haltbarkeit der Blutegel- präparate erwiesen, nicht vorgenommen werden. Dagegen sind kleine Zusätze von Magnesiumchlorid für die Haltbarkeit der Abb. 9. Ein frisches Präparat erhält zur Ringerlösung 0,5% Magnesiumchlorid hinzugesetzt (bei Mg). Bei R. L. reine Ringer- lösung. Bei F. R. faradische Reizung ohne Rollenabstand. Blutegelpräparate eher nützlich als schädlich, wie es in einzelnen Fällen den Anschein hatte. Ringerlösung und in solcher mit 0,0—0,1% Magnesiumchlorid gleich gut (bis über 8 Tage). Magnesiumchlorid vermag auch den durch Bariumchlorid erzeugten Tonusanstieg herabzusetzen. In einem Versuch (Abb. 10) kam ein frisches Blutegelpräparat in Bariumchlorid 1:5000, welches in Ringerlösung gelöst war. Es erfolgte eine starke Kontraktion mit den beschriebenen unregelmäßigen Bewegungen. Zu diesem Salzgemisch wurde, während die Kurve noch im Ansteigen war, Sonst hielten sich Präparate in reiner soviel Magnesiumchlorid hinzuge- setzt, daß der Magnesiumgehalt der Abb. 10. Bei Ba. Bariumchlorid 1:5000 23 in Ringerlösung, bei 1Mg. Weiterer Zusatz [0) 2 n ’ Lösung 1% betrug. Jetzt sank der von 1% Magnesiumchlorid zur vorigen Tonus des Präparates fast plötzlich ab und die unregelmäßigen Bewe- gungen hörten auf. Die elektrische Erregbarkeit des (Bariumwirkung ?) Präparates war durch den Lösung. Bei F.R. faradische Reizung ohne Rollenabstand, welche keine Kontraktion mehr auslöst. Zeitmarkierung in Minuten. Versuch erloschen 150 W. Teschendorf: Hydroxylionen bewirken an glatter Muskulatur starken Tonus- anstieg, eine Feststellung, die schon Schulz°®) an der Froschmagen- muskulatur machte. An der Blutegelmuskulatur erzeugt eine etwa !/o—"/ı normale Natronlauge starke Kontraktion. Geringere Kon- traktionen steigern den Tonus nur wenig, rufen aber vereinzelte Kon- traktionen hervor, wie sie in Abb. 11 bei einem Präparat durch eine 2/0. NaOH hervorgerufen wurden. Bei KOH habe ich diese Einzelkontraktionen nicht gesehen. Wie schon von verschiedenen Autoren gezeigt wurde, kommt den OH-Ionen des Natriumbicarbonats in der Ringerlösung eine nicht unwesentliche Rolle für den Tonus der Muskulatur zu und Schmidt?®) unternahm es an den Froschgefäßen, den Hydroxylionengehalt des Natriumcarbonates in der Ringerlösung titrimetrisch durch Natronlauge zu ersetzen, worauf Abb. 11. Bei NaOH !/,, normale Natronlauge in Ringerlösung. Bei R.L. Ringerlösung. BeiN. Nikotin. tatar. 1:100000. Zeitmarkierung in Minuten. sich an einem so empfindlichen Präparat, wie die Froschgefäße, kein Unterschied zwischen solcher und Ringerlösung erkennen ließ. In Haltbarkeitsversuchen ließ sich feststellen, daß das Natrium- bicarbonat der Ringerlösung durch Borax gut ersetzbar ist. Tyrode- lösung*), dieneben Magnesiumionen einen 20fachen stärkeren OH-Ionen- gehalt besitzt, wie die Ringerlösung, konservierte 8 Tage lang Präparate in gleicher Weise, wie Ringerlösung. Am zehnten Tage reagierten die Präparate aus der Ringerlösung etwas besser. Im Gegensatz zu der erregenden Wirkung der Alkalien, setzten Säuren in stärkerer Konzentration den Tonus herab und heben die Erreg- barkeit in kürzester Zeit auf. Eine 1/,—!/, normale Salzsäure bewirkte Erschlaffung der Blutegelmuskulatur und vernichtete die Erregbarkeit in kurzer Zeit (10—30 Minuten). Geringere Säurekonzentrationen *) Zusammensetzung nach OÖ. Hirz, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmako- logie 74, 318. 1913. Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 151 können anfangs aber auch eine geringe Zusammenziehung des Prä- parates bewirken. So machte z. B. eine ®/,,-HC] einen kleinen Tonus- anstieg. Ebenso bewirkte eine "/;no-HsSO, eine geringe Kontraktion, tötete aber innerhalb 15 Minuten das Präparat ab. "/ „Essigsäure machte keine Tonusveränderung und vernichtete die Erregbarkeit in etwa gleicher Zeit. Kontrahierend wirkte "/,,- ÖOxalsäure, in welcher ein unregelmäßiger Tonus- anstieg erfolgte. Die Präparate sprachen auf Oxalsäure verschieden gut an (Abb. 12). Weniger stark kontrahiert eine "/,„-Wein- säure, auch hier nach 10—30 Minuten langem Einwirken Verlust der chemischen und fara- dischen Erregbarkeit. Geringere Schwankungen der H-Ionenkon- zentration, die durch Zusatz von Na,PO, und NaH,PO, an Präparaten vorgenommen wurden, hatten keinen Einfluß auf den Tonus. Beide Abb. 12. präparat. Oxalsäure in Frisches Blutegel- Bei ©. !/,, normal Ringerlösung. Salze waren in dieser Hinsicht sehr unwirksam, da auch das saure Salz in 1% Lösung (in Ringerlösung) den Tonus sowie die Erregbarkeit in kürzerer Zeit nicht beeinflußte. ı/, Std. lang. Bei R. L. Ringer- lösung. Bei F. R. faradische Reizung ohne Rollenabstand, welche das Präparat nicht mehr erregt. Zeitmarkierung in Minuten. Wirkung der Narkotica. Alkohol lähmt, wie schon Biedermann (l. c.) am Regenwurm (in toto) zeigte, das Zentralnervensystem und bewirkt dabei eine völlige Erschlaffung des Hautmuskelschlauches dieser Tiere. Fürst (l. ce.) gikt an, daß 5—7%, Alkohol die Blutegelmuskulatur nicht schädigen, dagegen den Tonus völlig beseitigen. Die Beobachtung von Fürst am ganzen Blutegel läßt sich am herausgeschnittenen Muskelstück bestätigen. Jedoch verlieren solche Muskelstücke nicht ihre Erregbarkeit. Z. B. war ein Präparat, welches 4 Stunden in 10% Alkohol aufgehängt und dabei sofort völlig erschlafft war, faradisch in normaler Weise erregbar. Die Empfindlichkeit für weinsaures Nicotin (1:100 000) war an diesem Präparat eher etwas gesteigert. Äther lähmt nach Schultz (l. c.) die Nervenelemente des Frosch- magens, ohne die Erregbarkeit der Muskulatur aufzuheben. Chloroform wirkt als Reiz und tötet die Präparate bald ab. Am Blutegelpräparat führt Äther in einer 1%-Lösung (gelöst in Ringerlösung) zu unregelmäßigen Kontraktionen, die in ungleichen Abständen und Stärke auftreten. Bei dem jedesmaligen Absinken nach einer Kontraktion erreicht das Präparat mindestens die Anfangs- länge wieder, schien sich öfters sogar noch zu dehnen. 152 W. Teschendorf: Chloroform in einer 0,1%-Lösung ruft einen kleinen Tonusanstieg hervor, dem sehr bald ein Absinken folgte. Danach wird das Präparat in kurzer Zeit chemisch und faradisch völlig unerregbar. Besprechung der Versuchsergebnisse. Das am meisten auffallende Ergebnis der Versuche ist gegenüber der schon von Fühner beobachteten feinen Reaktion der Blutegel- muskulatur auf gewisse Alkaloide, die verhältnismäßig geringe Erregbar- keit durch den Induktionsstrom, der geringe Einfluß gewisser Schwan- kungen des osmotischen Druckes und die verhältnismäßig geringe Empfindlichkeit für Konzentrationsschwankungen mancher An- und Kationen, während die Anwesenheit anderer sich durch Veränderung des Tonus der glatten Blutegelmuskulatur schon in größeren Verdünnungen erkennen läßt. Öffnungsinduktionsschläge wurden erst bei 10—5 cm Rollenabstand wirksam, Schließungsströme erst bei 3-0 cm Rollen- abstand. Superposition der Kontraktionen auf aufeinanderfolgende Reize geschieht bei richtig gewählten zeitlichem Abstand der Reize regelmäßig. Der Einfluß des osmotischen Druckes tritt erst in Er- scheinung, wenn Präparate längere Zeit in hyper- oder hypotonischen Lösungen aufbewahrt werden. Bei kürzerer Versuchsdauer hält eine 0,3%-Kochsalzlösung den Tonus aufrecht. Hypertonische Lösungen setzten den Tonus herab, wie Trendelenburg (l. c.) auch für die viel empfindlichere Bronchialmuskulatur des Rindes nachwies, im Gegensatz zu manchen Beobachtungen an anderen glattmuskeligen Organen. Eine weitere Übereinstimmung bildet die starke Kontraktion in de- stilliertem Wasser, die allerdings keine maximale ist und, im Gegen- satz zur Wasserstarre beim quergestreiften Muskel, nach einiger Zeit wieder zurückgeht und bis über den Anfangsteil der Kurve hinaus absinken kann. Die chemische Erregbarkeit der Blutegelmuskulatur ist besonders groß für Nicotin. Nicotin ist nach Fühner??) noch in Verdünnungen von 1:500 000 bis 1:1 Million sehr stark wirksam. Ich habe deshalb eine Lösung von weinsaurem Nicotin 1 : 100 000 in Ringerlösung dazu benutzt, um im Anschluß an Versuche den Grad der chemischen Erreg- barkeit zu prüfen und konnte auf eine Schädigung dieser chemischen Erregbarkeit der glatten Muskulatur schließen, wenn das Präparat nicht mehr auf eine solche, 10 Minuten einwirkende Lösung mit einer kräftigen Kontraktion reagierte. Dieser Schluß war um so mehr be- rechtigt, als es sich herausstellte, daß in der übergıoßen Mehrzahl der Fälle eine verminderte bzw. aufgehobene Erregbarkeit durch eine solche Nikotinlösung mit Herabsetzung der Erregbarkeit durch starke fara- dische Ströme parallel ging. Von weiteren Alkaloiden macht nach Fühner das Acetylcholin?®) in Verdünnung 1:1 Million nur noch Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 153 kleine Tonusanstiege, ebenso wird Physostigmin erst jn der Konzentration 1:10 000 wirksam. Bei diesen beiden Giften tritt Wirkungspotenzierung ein, wenn man Gemische beider an die Blutmuskulatur heranbringt, so daß Vorbehandlung mit Physostigmin 1: 100 000 das Acetylcholin noch in Verdünnungen von 1: 10 Milliarden wirksam werden läßt. Ähnliche Wirkungspotenzierungen sind noch bei verschiedenen Substanzen mög- lich, z. B. Baryt und Guanidin. Diese große Empfindlichkeit für Alka- loide befähigen die Blutegelmuskulatur dazu, zum quantitativen biolo- gischen Giftnachweis zu dienen, wie Fühner für das Nicotin?®) und Cytisin?®) beschrieben hat. Solche Untersuchungen werden besonders durch den Umstand erleichtert, daß die Salze der Ringerlösung erst in verhältnismäßig hohen Konzentrationen den Tonus der glatten Blutegel- muskulatur beeinflussen, daß ferner mit dem Fortfall der nervösen Zentren jegliche Spontanbewegung aufhört und das Präparat, wenn es sich von den Dehnungsreizen und der Berührung bei der Vorbereitung erholt hat, auf dem Kymographion eine gerade horizontale Linie auf- schreibt. Es hat dabei einen gewissen, wenn auch geringen Tonus, der durch chemische Einflüsse gesteigert, aber auch herabgesetzt werden kann. Die Temperatureinflüsse auf den Tonus im Bereich der Schwan- kungen der Zimmertemperatur sind beim Blutegelpräparat gering. Beim Froschmagen beobachtete Schultz?®) eine Dehnung bis 20°, die am Blutegel nur angedeutet nachzuweisen war. Auf Grund der Ecksteinschen!?) Untersuchungen am Froschmagenstreifen nehmen die ‚„Gipfelzeiten‘“ bei steigender Temperatur ab, d. h. die Kontrak- tionen erfolgen schneller. Bei der hohen Empfindlichkeit gegenüber manchen Alkaloiden ist die geringe Anspruchsfähigkeit der Blutegelmuskulatur gegenüber an- organischen Substanzen auffällig. Von Anionen sind Cl, Br und PO, besonders unwirksam. J und NO, führen in stärkerer Konzentration zu Tonusanstiegen, stärker wirksam sind SCN-Ionen. Von Kationen ist Natrium besonders seit Overtons?°°) und Stiles®®°) Untersuchungen am Froschmuskel resp. an der Ösophagusmuskulatur als das für die Erhaltung der Lebensfähigkeit wichtigste bekannt und kann nach Höber von anderen einwertigen Kationen am ehesten durch Lithium ersetzt werden. Auch am Blutegelpräparat war Lithium das einzige einwertige Kation, das den Tonus in ähnlicher Weise wie Natrium aufrecht erhielt. Die Haltbarkeit der Präparate ließ sich jedoch durch Lithiumchlorid in isotonischer Lösung nicht in gleicher Weise aufrecht erhalten wie durch Natriumchlorid. Kaliumchlorid wirkt nach Fruböse in kleinen Dosen erregend, in größeren lähmend. Nach Overton??) macht eine 0,89% -KCl-Lösung, welche mit 0,7% Kochsalz isotonisch ist, einen Froschsartorius in 154 W. Teschendorf: kürzester Zeit unerregbar. Auf das Herz wirkt KCl nach Greene???) im wesentlichen lähmend. In Kochsalzlösung mit 0,03% gibt der Streifen aus der Herzkammer der Schildkröte entweder gar keine Kontraktionen oder diese sind sehr schwach und treten erst nach einer langen Latenz- dauer auf; der Tonus des Streifens nimmt im höchsten Grade ab (Greene). Bei größerem Gehalt an Chlorkalium tritt dagegen keine Tonusabnahme auf [Lingle#°)]. Nach Stiles (l. ce.) setzen geringe Kaliummengen den Tonus der Magenmuskulatur des Frosches herab; sobald jedoch der Kaliumgehalt mehr als 0,2% beträgt, wird der Tonus beträchtlich ge- steigert. Nach Mathison®®) ruft 0,5—0,2% Kaliumchloridlösung aus- geprägte und momentane Kontraktion des Uterus und Oesophagus der Katze und des isolierten Meerschweinchenuterus hervor. Das Blut- egelpräparat gerät, wie wir sahen, durch stärkere Kaliumkonzentra- tionen, besonders bei Abwesenheit von Calcium, in Kontraktion, die mit der Zeit nachläßt, während das Präparat chemisch und faradisch unerregbar wird. Die schädigende Wirkung des Kaliums macht sich in der Verkürzung der Lebensdauer der Präparate bemerkbar, wenn man geringe Kaliumkonzentrationen der Ringerlösung zusetzt. Umgekehrt konnte die Notwendigkeit von K-Ionen in der Ringerlösung am Blut- egelpräparat nicht erwiesen werden, da es sich in Ringerlösung ohne Chlorkalium mindestens ebensolange hielt als in Ringerlösung mit Kalium. Nach Row°?) ist die Anwesenheit von Kaliumchlorid auch für die Erhaltung der Automatie der Froschmagenmuskulatur ohne Belang. Ammoniumchlorid wirkt an der glatten Muskulatur des Hühner- oesophagus [Fienga!”)] und der Bronchialmuskulatur [Trendelen- burg®®)] tonusherabsetzend. Am Blutegelpräparat machen stärkere Konzentrationen unregelmäßige und zackige Tonusanstiege. In der Reihe der zweiwertigen Kationen ist den bisherigen Unter- suchungen zufolge das Calcium das wichtigste. Einer 0,6 proz. Kochsalz- lösung hinzugesetzt, verlängert Calcium sichtlich die Lebensdauer von Präparaten, welche in einer solehen Lösung aufbewahrt werden. Die Konzentration kann in gewissen Grenzen ohne Einfluß auf den Zu- stand des Präparates variiert werden. Seit Overton (l. c.) sind diese Verhältnisse besonders in den Arbeiten Höbers?”) 38) 3°) genauer dar- gelegt worden, so daß darauf an dieser Stelle hingewiesen werden kann. Höhere Konzentrationen (mehr als 1 proz.) setzen die Lebensdauer der Präparate herab, ohne den Tonus merklich zu ändern. Calcium konnte auch die erregende Wirkung des Kaliums an der Blutegelmuskulatur aufheben. Dieser Antagonismus hängt nach Sakai?°) sowohl von dem absoluten Gehalt der Lösungen an Kalium und Calcium ab, als auch von dem Verhältnis der Konzentrationen beider Ionenarten zueinander. Wie Boehm?°) am Froschherzen gezeigt hat, kann man dabei dies Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 155 Verhältnis in beträchtlichen Grenzen variieren, so daß Überwiegen der einen Ionenart dasselbe Bild hervorruft, das beim Fehlen der anderen entsteht. Von den übrigen zweiwertigen Kationen kommt für die glatte Warm- blütermuskulatur, wie Trendelenburg (l. ec.) an der Bronchialmusku- latur des Rindes und Fienga (l. c.) am Hühneroesophagus zeigten, dem Strontium eine erregende, dem Magnesium eine tonusherabsetzende Wirkung zu. Die Barytwirkung ist bereits von Fühner?!) 2°) am Blut- egelpräparat geschildert worden. Sie äußert sich durch starke Tonus- zunahme und unregelmäßige Kontraktionen noch in Verdünnungen. bis 1:10 000 oder 20 000. Dem Caleium steht Strontium in der Reihe der zweiwertigen Kationen am nächsten [s. Höbers??) Lehrbuch]. Auch am Blutegelpräparat kann es von allen zweiwertigen Kationen am ehesten (das Caleium vertreten. Ersetzt man in der Ringerlösung das Calcium- chlorid. äquimolekular durch Strontiumchlorid, so wird der Tonus der Präparate nicht geändert. Jedoch ist Strontium kein vollkommener Ersatz für Calcium. Denn bewahrt man Präparate in einer Strontium- Ringerlösung auf, so verlieren sie erheblich schneller ihre Erregbarkeit als solche, die in calciumhaltiger Lösung aufbewahrt werden. In höheren Konzentrationen wirkt Strontiumchlorid erregend und macht ähnliche unregelmäßige Konzentrationen wie Bariumchlorid, das nach Fühner allerdings noch in Verdünnungen von 1:20 000 wirksam ist, während Calciumchlorid noch in stärkeren Konzentrationen Präparate für einige Tage normal erregbar halten kann; Magnesium setzt in geringeren Konzentrationen den Tonus herab. Es vermag jedoch ebensowenig wie Strontium das Calcium an der Blutegelmuskulatur vollwertig zu ver- treten, da es in molaren Konzentrationen, bei denen Calcium die Lebens- „fähigkeit der Präparate zusammen mit Natriumchlorid noch erhält, lähmend wirkt und die Lebensfähigkeit der Blutegelmuskulatur be- ‚einträchtigt. Diese Wirkung auf die glatte Blutegelmuskulatur scheint von der am Skelettmuskel des Frosches abzuweichen, da für die quer- gestreifte Muskulatur des Frosches nach Overton (l.c. 8.233) Magne- sium sich eher weniger giftig als Calcium erweist. In der Wirkung auf den Tonus ergibt sich vom tonusherabsetzenden Magnesium über ‚das den Tonus wenig beeinflussende Caleium eine Reihe zum Strontium und Barium, von denen das erste schwach, das zweite sehr stark er- regend wirkt, wie sie Trendelenburg (l.c.) an der Bronchialmusku- latur des Rindes aufstellte und von mir®*) auch am peripheren Frosch- gefäßsystem wiedergefunden wurde. Auch der an den Froschgefäßen beobachtete Antagonismus zwischen Barium und Magnesium fand sich am Blutegelpräparat wieder. Freie Alkalien wirken sowohl in größerer Verdünnung wie in stärkerer Konzentration erregend, in zweiter Linie lähmend. Natronlauge konnte 156 W. Teschendorf: am DBlutegelpräparat. Einzelkontraktionen auslösen. Säuren können in sehr schwachen Konzentrationen erregend wirken, setzen in stärkeren Lösungen aber gewöhnlich den Tonus herab und heben die Erregbarkeit der Präparate sehr schnell auf. Die erste Beobachtung deckt sich mit der von Heymann°’) am Froschmagen und Gefäßsystem, die zweite mit den Angaben von Morgen*?) und Schultz?) 61), die nur mit stärkeren Konzentrationen am Froschmagen arbeiteten. Einige orga- nische Säuren wirkten spezifisch erregend (Oxalsäure). Geringe Schwankungen der H-Ionenkonzentrationen wirken auf den Tonus der Blutegelmuskulatur nicht deutlich ein, es zeigt sich also auch hier an unserem Präparat ein wesentlicher Unterschied gegenüber der feinen Empfindlichkeit von Präparaten aus glatten Warmblütermuskeln. [S. z. B. die Darmversuche von Rona und Neukirch°%).] Von Narkoticis setzt Alkohol, wie von Fürst und von v. Uxküll für den ganzen Blutegel bekannt ist, auch den Tonus zentrenfreier Muskelstücke herab, ohne die Erregbarkeit der Muskelzellen stärker zu schädigen, wie er sich auch am Hautmuskelschlauch von Sipunculus nudus nach Magnus®) als peripheres Lähmungsmittel kennzeichnet. Äther wirkt erregend und führt zu unregelmäßigen Kontraktionen, wobei er die Erregbarkeit der Muskelstücke sehr bald aufhebt. Chloroform bringt im Anfang eine sehr geringe Toonussteigerung hervor, hat danach eine intensiv lähmende Wirkung und vernichtet die Erregbarkeit der Präparate in kurzer Zeit. Am Froschmagen sah Beck?) bei Chloroformeinwirkung den Tonus absinken und Chloroform- starre nur dann auftreten, wenn Froschmagenpräparate längere Zeit Chloroformdämpfen ausgesetzt wurden. Es finden sich also beim Äther und Chloroform an der Blutegel- muskulatur gerade umgekehrte Verhältnisse, wie sie Trendelenburg (l.c.) an der Bronchialmuskulatur beobachtete, und auch beim Frosch- magen sah Schultz53) auf Äther ein Absinken des Tonus. Im ersten Fall dürfte der Unterschied auf die verschiedene Empfindlichkeit der Warm- und Kaltblütermuskeln, im zweiten auf den Unterschied in der angewandten Konzentration zurückzuführen sein. Im übrigen sind beim Froschmagen die verschiedenartigen Nerveneinflüsse ein Faktor, der eine direkte Vergleichung mit den Ergebnissen am Blutegelpräparat erschwert. Wir haben im Blutegelpräparat ein Stück glatter Muskulatur vor uns, in welchem die Innervationsverhältnisse außerordentlich einfach sind. Es lassen sich in dem Präparat Ganglienzellen weder histologisch noch pharmakologisch nachweisen. Gifte, denen wir das Präparat aus- setzen, können also nur an der Muskulatur selbst oder den Endstücken der Nerven bzw. den Nervenendigungen angreifen. Fühner?°), der die Barytwirkung zusammen mit der des Guanidins an Froschmuskeln Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 157 und am Blutegelpräparat untersuchte, kommt zu der Ansicht, daß Baryt in der Hauptsache auf die Nervenendigungen einwirkt, kann aber eine direkte Muskelwirkung nicht ausschließen und läßt die Mög- lichkeit offen, daß die Barytwirkung sich teils muskulär, teils am Nervenende äußert. Da nun Strontiumsalze in stärkerer Konzentration ähnliche Erregungserscheinungen machen wie Baryt, liegt es nahe, Fühners Ansicht über den Angriffspunkt des Baryts auf das Strontium und damit auf die anderen im Prinzip nicht anders wirkenden Erd- alkalien zu übertragen. Jedoch dürften hier sich noch eingehendere Untersuchungen notwendig erweisen. Jedenfalls können wir bei Sub- stanzen, die das Blutegelpräparat beeinflussen, annehmen, daß ihre Wirkung mindestens zum Teil eine Nervenend- oder Muskelwirkung ist. Man hat also für Untersuchungen an glatten Muskeln im Blutegel ein glattmuskeliges Präparat, das so einfache Verhältnisse bietet, wie wir sie sonst am isolierten Froschmuskel zu finden gewohnt sind. Gegen- über dem Präparat aus der Ringmuskulatur des Regenwurms hat, wie eine Vergleichung mit den Untersuchungen von Straub (l. c.) und Trendelenburg‘”) an dem aus dieser Muskulatur in ähnlicher Weise hergestellten Präparat lehrt, das Blutegelpräparat den Vorzug, daß es sich weit besser konservieren läßt und länger erregbar bleibt. Hervorzuheben ist ferner die große mechanische Leistungsfähigkeit der Blutegelmuskulatur, die selbst bei starker mechanischer Belastung sehr langsam ermüdet. Auch in der Verwendung von Längsmuskeln liegt ein Vorteil, welcher gestattet, beliebig lange Muskelstücke zu verwenden und daher auch schwache Erregungen deutlich abbilden zu können. Es gelang, im Eisschrank Präparate in Ringerlösung S—12 Tage für chemische und elektrische Reize völlig erregbar zu halten. Das Präpa- rat kann ferner eine lange Zeit hindurch zu Versuchen verwertet werden. Ermüdung zeigte sich erst, wenn das Präparat durch Reize, die in regel- mäßigen Zeitabständen ausgeübt wurden (starke Öffnungsschläge), eine Zeitlang in den Zustand maximaler Kontraktion versetzt wird, wie es durch Superposition der einzelnen Kontraktionen möglich ist. Der Tonus ließ dann plötzlich nach und es trat eine völlige Erschlaffung ein (Abb. 2). Läßt man nach einem Öffnungsschlag das Präparat wieder erschlaffen, so werden die folgenden allmählich weniger wirksam und man erhält Ermüdungskurven, wie sie von Schultz (l. e.) her bekannt sind. Es sei erwähnt, daß sich die erschlaffende Wirkung des Alkohols darin bemerkbar macht, daß Superposition elektrischer Reize an mit Alkohol’ behandelten Präparaten nicht zu beobachten ist. Nach Burridge!?) kommt die Ermüdung von Muskeln besonders durch KCl und. durch Ansammlung von Milchsäure zustande, durch deren Entstehen beim Zerfall des von Embden!?) und seinen Schülern beschriebenen Lacta- 158 W. Teschendorf: cidogens Kontraktionen andererseits überhaupt erst zustande kommen. Auch die Totenstarre, die nach Mangold?) und Hecht?!) keine maximale Kontraktion und nicht die letzte vitale Muskelfunktion dar- stellt, kommt nach v. Fürth?®) durch explosive Milchsäurebildung zustande, wonach Fixation durch Quellung des Muskelgewebes eintritt. In Ringerlösung tritt am quergestreiften Muskel nach Tigerstedt®°) keine Totenstarre auf. So war sie auch am Blutegelpräparat bei der gewählten Versuchsanordnung nicht zu beobachten. Das Ausbleiben der Totenstarre beruht vielleicht mit auf dem OH-Ionengehalt der Ringerlösung, danach Baumann!) Alkalien in geringer Konzentration die Totenstarre hemmen. Zum Schluß wäre noch darauf hinzuweisen, daß die Blutegelprä- parate ebenso wie der Froschmagen nach der Art ihrer Herstellung an den Rändern und der Innenfläche durchschnittene Muskelzellen und -bündel aufweisen, daher auch aus isotonischen Lösungen Wasser auf- nehmen können, wie aus den Untersuchungen von Meigs (s. bei Fürth l.c.), die von ihm allerdings in anderem Sinne verwertet wurden, zu schließen ist. Dieser Nachteil wird. die Starre durch Quellung der Blutegelmuskulatur in schwach hypotonischen Lösungen bzw. destil- liertem Wasser begünstigen. Die Wasserstarre stellte keine maxi- male Kontraktion dar, da die Muskeln sich auf der Höhe der Wasser- starre auf elektrische Reize stärker kontrahieren konnten. Während quergestreifte Muskeln in destilliertem Wasser die einmal eingenommene Contracturstellung beibehalten, ging die Kontraktion der Blutegel- muskulatur in destilliertem Wasser bis zu einem Höhepunkt, von dem sie unter der Last des Hebelarmes allmählich wieder abfiel. Zusammenfassung. Es wurden als Grundlage für pharmakologische Untersuchungen am Hautmuskelschlauch des Blutegels die physiologischen Eigenschaften. der nach Fühner hergestellten Präparate untersucht. Die Präparate lassen sich von nervösen Zentren leicht vollkommen befreien, haben danach einen geringen Tonus, der durch chemische Einflüsse erhöht und herabgesetzt werden kann und zeigen normal keine spontanen Kontraktionen. Auf mechanische Dehnung reagiert das Präparat mit Kontraktion. Der Einfluß steigender Temperatur äußert sich in einer geringen Dehnung zwischen 33 und 44°, einer meist sehr geringen Zusammen- ziehung zwischen 45 und 51°, zu deren Beginn das Präparat seine Er- regbarkeit verliert. Bei 60° setzt Wärmestarre ein. Die elektrische Erregbarkeit ist im ganzen eine niedrige. Öffnungs- induktionsströme werden (bei Verwendung eines Du Bois-Reymondschen Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. 159 v Induktoriums mit einem Akkumulator von 2 Volt Spannung) wirksam bei 10—5 cm Rollenabstand. Schließungsströme bei 3—0 cm. Bei in Abständen aufeinander folgenden Öffnungserregungen tritt Summation der Kontraktionen ein. Ermüdung zeigt sich in plötzlichem Abfall solcher Kurven. Gegen Schwankungen des osmotischen Druckes ist der Tonus nur wenig empfindlich, so daß man bei pharmakologischen Prüfungen diese Fehlerquelle am Blutegelpräparat in ziemlich weiten Grenzen vernachlässigen kann. Die Schwankungen des osmotischen Druckes üben dagegen auf die Lebensdauer der Präparate einen weit stärkeren Einfluß aus. In destilliertem Wasser kommt es zur Quellung der Muskel- zellen und zu einer Kontraktion, die jedoch nie eine maximale ist und sich unter der Last des Hebelarmes wieder löst. Von Anionen steigern den Tonus NO,, J, SCN. Unwirksam sind Cl, Br, PO, und (10, .. Von einwertigen Kationen macht sich bei weniger als 0,3% NaCl in einer durch Rohrzucker isotonischen Lösung der Mangel an Na-Ionen in Form von Tonussteigerungen bemerkbar. Lithium kann in isotonischer Lösung den Tonus nicht in gleicher Weise aufrechterhalten wie Na, kommt aber der Natriumwirkung sehr nahe. Kalium bewirkt in stärkerer Konzentration Tonusanstieg, tötet danach aber die Präparate ab. Auch in größerer Verdünnung schädigt K die Lebensdauer der Präparate. NH,-Ionen wirken tonussteigernd, rufen unregelmäßige Kon- traktionen hervor und erweisen sich als stark giftig. Von zweiwertigen Kationen hat das Calcium keinen erkennbaren Einfluß auf den Tonus und verlängert die Lebensdauer der Präparate beträchtlich. Strontium löst in stärkerer Konzentration unregelmäßige Kontrak- tionen aus und beweist damit seine Mittelstellung zwischen Ca und Ba. Es vermag längere Zeit hindurch nicht, das Calcium zu ersetzen. Ba wirkt stark tonussteigernd und löst unregelmäßige Bewegungen aus. Magnesium setzt den Tonus herab und schädigt die Präparate in kleinen Konzentrationen kaum, kann das Calcium aber nicht vollwertig vertreten. Es hemmt die Bariumwirkung. Hydroxylionen steigern den Tonus und können zu Einzelkontraktionen führen. H-Ionen setzen den Tonus herab oder lassen ihn unbeeinflußt. Säuren wirken in schwachen Konzentrationen zum Teil erregend, in stärkeren stets lähmend und töten die Präparate sehr schnell ab. Die Haltbarkeit von Präparaten in Ringerlösung beträgt bei Auf- bewahrung im Eisschrank 8S—12 Tage. Ebenso wirkt Tyrodelösung. 160 W. Teschendorf: Zusatz eines Kolloids zur Ringerlösung beeinflußt die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Präparate günstig. Alkohol bewirkt Erschlaffung, Äther in Lösung wirkt erregend und löst unregelmäßige Bewegungen aus. Chloroform erregt nur wenig und tötet das Präparat schnell ab. Die Vorteile des Blutegelpräparates liegen in der Abwesenheit aller nervösen Zentren, dem geringen Einfluß von osmotischen Druck- schwankungen auf den Tonus und der feinen Reaktion auf erregende Muskel- oder Nervenendgifte, so daß es berechtigt sein dürfte, neben dem Froschmagen eine beachtenswerte Stellung für Untersuchungen an glattmuskeligen Kaltblüterorganen einzunehmen. Literaturverzeichnis. !) Baumann, W., Untersuchungen über die Muskelstarre. Pflügers Arch. 16%, 117. 1917. — ?) Beck, Zur Physiologie der glatten Muskeln. Zeitschr. f. allg. Physiol. 6, 450. 1907. — °?) Bethe, A., Wirbellose Tiere in Tigerstedts Hand- buch der physiol. Methodik Bd. I, S. 72. 1911. — ?) Biedermann, W., Zur Physiologie der glatten Muskeln. Pflügers Arch. f. d. ges. 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Journ. of physiol. 2%, 200. 1901/1902. Kurze Mitteilungen. Einem mehrfach geäußerten Wunsche aus dem Kreise unserer Mitarbeiter kommen wir nach und veröffentlichen von nun an außerhalb der Reihe „Kurze Mitteilungen“. Der Wunsch schien uns berechtigt, da die Drucklegung größerer Arbeiten, besonders wenn sie Abbildungen enthalten, jetzt mehrere Monate erfordert. Diese kurzen Mitteilungen sollen nach Möglichkeit im nächsten zur Aus- gabe gelangenden Hefte erscheinen, spätestens einige Wochen nach Einlieferung. Sie sollen einen Umfang von höchstens vier Druck- seiten haben; Beigabe von Abbildungen ist nur in Ausnahmefällen angängig. Auf dem Manuskript sind solche Arbeiten mit dem Ver- merk „Kurze Mitteilung“ zu versehen. Sie erscheinen am Schluß der Hefte. Hundert Sonderabdrucke, aber kein Mitarbeiterhonorar. Die Herausgeber: Abderhalden Bethe Höber Verlagsbuchhandlung Julius Springer. In dem Bestreben, den Herren Mitarbeitern die zur Zeit auber- ordentlich hohen Kosten der Sonderabdrucke nach Möglichkeit zu ersparen, hat sich die Verlagsbuchhandlung entschlossen, von allen Arbeiten, die nicht mehr als 1'/, Druckbogen Umfang haben, fortan 100 Sonderabdrucke kostenfrei zur Verfügung zu stellen; bei umfang- reicheren Arbeiten bleibt es bei den bisherigen 60 Exemplaren. ht N BUN RUE RI HE, Wat na Saas ASt nd) VE YV tn a S f I a de Re N IT ER DRIN (Aus dem physiologischen Institut der Universität Halle a. Saale.) Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. IX. Mitteilung. Von Emil Abderhalden. (Ausgeführt mit Mitteln der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.) Mit25 Textabbildungen. (Eingegangen am 6. Juli 1921.) In einer sechsten Mitteilung!) über den Gaswechsel von hungernden Tauben und solchen, die ausschließlich mit geschliffenem Reis gefüttert worden waren, ist auf das verschiedene Verhalten dieser Tiere eingehend hingewiesen worden. Tauben, die hungern, verlieren fortlaufend an Körpergewicht. Der Gaswechsel sinkt bei der Hungertaube bald nach Beginn der Hungerperiode stark ab. Es werden Werte erreicht, die wir bei den an alimentärer Dystrophie leidenden Tieren nur ausnahmsweise beobachten konnten. Während der ganzen Hungerperiode machten die Versuchstiere einen ganz frischen Eindruck. Die Körpertemperatur sank etwas, sie war jedoch kurz vor dem Tode noch etwas über 38°. Etwa 2 Stunden vor dem Tode stieg der Gaswechsel zumeist ganz beträchtlich an. Eingabe von Hefe hatte in einigen Fällen eine leichte Steigerung des Gaswechsels zur Folge. Ganz anders verhalten sich die Tiere, die ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt werden. Bei ihnen fällt das Körpergewicht ebenfalls ab, jedoch nicht so rasch. Der Gaswechsel sinkt immer mehr und mehr. Er zeigt häufig Unregel- mäßigkeiten. Charakteristisch ist das Abfallen der Körpertemperatur. Dieses zeigt im voraus an, daß bestimmte Erscheinungen, vor allen Dingen Krämpfe, zu erwarten sind. Sobald man Hefepräparate zuführt, steigt der Gaswechsel. Die Körpertemperatur nimmt wieder zu. Ferner zeigt sich ausnahmslos gesteigerte Freßlust. Es sei hier erwähnt, daß wir eine große Reihe von Versuchen der folgenden Art ausgeführt haben. 1) Festschrift der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissen- schaften zu ihrem 1lOjährigen Jubiläum, S. 1. 1921. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 122 164 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Es wurden Tauben hungern gelassen. Ein Teil davon erhielt gegen Schluß der Hungerperiode Hefepillen. Nach 10—12 Tagen erhielten dann die Tiere geschliffenen Reis. Die Tauben, die Hefepillen erhalten hatten, stürzten sich sofort auf die Nahrung, während die anderen zumeist nur zögernd an die Futternäpfe herantraten. Nicht so deutlich fielen die Ergebnisse aus, wenn den Tieren während der ganzen Dauer der Hungerperiode Hefepillen gegeben worden waren. Wir verfolgten ferner genau das Verhalten des Körpergewichtes bei den vollständig hungernden Tauben und denjenigen, die Hefepillen erhielten. Auf die Ergebnisse dieser Versuche kommen wir in einer weiteren Mitteilung zurück. Esseianeinpaar Beispielendas VerhaltendesGaswechsels während der Hungerperiode und während der Fütterung mit geschliffenem Reis dargestellt. Ich bemerke, daß die gewähl- ten Beispiele einzelne aus einer sehr großen Zahl ähnlicher Versuche sind. Die in Abb. 1-25 dargestellten Kurven geben einen Überblick über die Menge des täglich aufgenommenen Reises; ferner ist der Verlauf der Körpertemperatur dargestellt, und endlich ist die ausgeschiedene Kohlensäure, berechnet auf 1 kg Körpergewicht und 1 Stunde, wiedergegeben. Die vorliegend mitgeteilten Versuche sprechen für sich selbst. Besonders belehrend ist der an Taube 3 ausgeführte Versuch. Er umfaßt 78 Tage. Das Tier hungerte zunächst 8 Tage vollständig und erhielt dann geschliffenen Reis. Am 29. Tage traten Krämpfe auf, die durch Einspritzung von Hefeautolysat bekämpft wurden. Die Körpertempe- ratur, die stark gesunken war, stieg prompt an. Es wurde wiederum nur Reis gegeben, bis wieder bedrohliche Erscheinungen auftraten. Immer wieder wurden die Krämpfe durch Hefepräparate beseitigt. Das Bild ist bei den einzelnen Perioden immer das gleiche. Immer folgt der Zufuhr des Hefepräparates ein Aufhören der Krämpfe, eine Steigerung der Körpertemperatur und eine Zunahme der Aufnahme von Reis. Wir haben auch versucht, einige andere Stoffe, die nach den Ver- suchen von uns den Gaswechsel von Zellen zu steigern vermögen, zur Beseitigung von Krämpfen zu verwenden. Bei der Taube 3 ist die Glutaminsäure zur Anwendung gekommen und ferner Citronensaft. In beiden Fällen blieb die Körpertemperatur unbeeinflußt. Weitere Versuche nach dieser Richtung sind noch im Gange. Bei einer Reihe von normalen und von an alimentärer Dystrophie erkrankten Tauben haben wir die Zahl der roten Blutkörperchen und den Hämoglobingehalt teils nach Fleischl - Miescher, teils nach Sahli- Gower festgestellt. Bei den an alimentärer Dystrophieleidenden Tauben fanden wireine Verminderung der roten Blutkörperchenzahl bis zu 50% der normalen von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. IX. 165 Werte. Die Zahlenschwankten zwischen 2 800 000 und 4 400 000 roter Blutkörperchen. Der Hämoglobingehalt war teils proportional vermindert, zum Teil fanden sich etwas höhere Werte als der Blutkörperchenzahl entsprach. Ohne Zweifel kommt der ausgesprochenen Anämie der erkrankten Tiere auch ein Anteil an der Verminderung des Gaswechsels zu. In welcher Beziehung der herab- gesetzte Gehalt an roten Blutkörperchen zum gesamten Krankheitsbild steht, läßt sich nicht ohne weiteres sagen. Versuche, die Krämpfe durch intravenöse Einspritzungen von normalem Taubenblut zu beseitigen, waren ohne deutlichen Erfolg. Die Versuche werden fortgesetzt. Zu den mitgeteilten Versuchen ist aus den Protokollen das Folgende zu erwähnen: Taube 1. (Hellgrau und hellbrauner Hals, braune Streifen an den Flügeln.) Das Tier hungert vom 4. Januar bis zum 17. Januar 1921. Besonderheiten sind im Protokoll nicht vermerkt. Am 17. Jan. wurde die Taube im Käfig tot aufgefunden. Sektion ergab: Leerer Kropf, Federgewölle und einige Askariden im Magen, im Darm viel Askariden. Taube 2. (Grau mit schwarzgesprenkelten Flügeln.) Das Tier hungert vom 17. Januar 1921 an. Am ersten Versuchstag war das Tier zum Teil sehr lebhaft. Am 24. Jan. erhält die Taube 5 Pillen aus getrockneter Hefe (0,5 g). Dasselbe ist am 25. Jan. der Fall. An diesem Tage wird das Versuchstier bei der 5. Ver- suchsperiode sehr unruhig. Vom 26. Jan. an erhält die Taube geschliffenen Reis. Am 28. Jan. zeigt das Versuchstier während der 5. Versuchsperiode eine sehr große Unruhe. Das gleiche gilt von der 4. Versuchsperiode am 31. Jan. Am 4. Februar saß das Tier mit gesträubtem Gefieder da. Vom 14. Febr. bis 23. Febr. erhielt das Tier täglich 5 Pillen aus getrockneter Hefe — 0,5 g Hefe. Vom 24. Febr. an hungert das Versuchstier. Am 28. Febr. war es während der Versuche sehr unruhig. Die gleiche Be- merkung findet sich am 1. März verzeichnet. Am 2. März sah das Tier wieder sehr krank aus, es sträubte das Gefieder und duckte sich zusammen. Das Versuchstier erhielt am Ende dieses Tages 5 Pillen aus getrockneter Hefe. Am 3. März wurden wieder Hefepillen verabreicht. Vom 4. März ab erfolgt wieder Verfütterung von geschliffenem Reis. Am 12. März ist im Protokoll ein- getragen: Das Tier sitzt mit gesträubtem Gefieder im Käfig. Am 15. März erhielt das Tier frühmorgens 8 Uhr 15 Min. 2 ccm Hefeautolysat per os. Abends 5 Uhr 15 Min. wurde die Eingabe des Hefepräparates wieder- holt und ebenso am 16. März morgens 9 Uhr. Das Versuchstier zeigte am 16. März leichte Krämpfe, es erholte sich jedoch rasch und war am 17. März ganz munter. Am 21. März zeigten sich schwere Krämpfe. Am 23. März wurden wiederum Hefepillen gegeben und zwar 5 Stück. Ebenso am 24. März. An diesem Tage wurde der Versuch unterbrochen. Taube 3. (Dunkelgrau mit grünschimmerndem Hals.) Das Versuchstier wurde am 4. April 1921 in den Versuch genommen. Es hungerte zunächst vollständig bis zum Ende des 12. April. Am 9. April war das Versuchstier während der Periode 2 und 3 sehr lebhaft. Dieselbe Bemerkung findet sich am 11. April verzeichnet. Am 29. April erkrankte das Tier, es saß mit ge- sträubtem Gefieder im Käfig. Am nächsten Tage war das Bild das gleiche. 12* 166 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Am 2. Mai findet sich die Mitteilung, daß die Taube vollständig teilnahmslos dasaß. Am 3. Mai war das Tier ganz steif, von Zeit zu Zeit traten Krämpfe auf. Das Tier verdreht den Kopf nach allen Seiten, von Zeit zu Zeit wurde er hintenüber geworfen. Während der 4. Versuchsperiode zeigten sich sehr heftige Krämpfe. Um 1 Uhr wurde 1 ccm Hefeautolysat in den Brustmuskel gespritzt. Während der nun folgenden Gaswechsel-Periode hielten die Krämpfe noch an, sie hörten dann aber auf. Das Tier erholte sich wieder vollkommen. Am 12. Mai erhielt das Tier vor dem Versuch !/, g bei niedriger Temperatur zur Trockene verdampftes Hefeautolysat. Das gleiche war am 13. Mai der Fall. Am 14. Mai wurde das Hefeautolysat nach der zweiten Versuchsperiode ge- geben, und zwar folgte die Zufuhr immer per os. Am 23. Mai erhielt das Tier 1 g Glutamin und zwar gelöst in Wasser per os. Das Tier hatte vor der Zufuhr mit gesträubtem Gefieder dagesessen. Dieser Zu- stand dauerte nach der Eingabe von der Glutaminsäure an. Das Allgemeinbefinden blieb durch die Zufuhr von Glutaminsäure unbeeinflußt. Am 24. Mai treten plötzlich schwere Krampferscheinungen auf. Das Tier überschlägt sich fortwährend rückwärts. Es bekommt eine Einspritzung von 3ccm von eingedampftem Hefeautolysat in den Brustmuskel. Die Krämpfe bleiben bestehen. Nach der 6. Versuchsperiode werden 0,25 g eingedampftes Hefeautolysat per os verabreicht. Die Krämpfe lassen nach, das Tier erholt sich wieder. Vom 28. Mai an erhält das Versuchstier Reis, der mit 5 proz. Salzsäure aus- gezogen worden ist. Der Reis wurde mit der zehnfachen Menge Salzsäure stehen gelassen, dann wurde die Salzsäure abgegossen und der Reis mit Wasser salzsäure- frei gewaschen. Am 31. Mai erhält das Tier vor dem Versuch per os etwa 0,25 g eingedampftes Hefeautolysat. Das Tier sieht krank aus. Es treten am 31. Mai von der 3. Versuchs- periode ab Krämpfe auf. Nach der 6. Versuchsperiode hören sie auf. Das Tier erholt sich wieder vollkommen. Am 6. Juni sitzt das Versuchstier wieder ganz zusammengekauert mit ge- sträubtem Gefieder im Käfig. Nach der 2. Versuchsperiode werden 4 ccm Zitronen- saft per os zugeführt. Ein Einfluß auf die Atmung und auf das Befinden des Tieres ist nicht zu bemerken. Das Tier erhält wieder per os eingedampftes Hefeautolysat. Es erholt sich bald nach dieser Zufuhr. Am Schluß der am 2. Juni ausgeführten Versuche wird das Versuchstier künstlich mit Reis gefüttert. Am 11. Juni erhält das Versuchstier nach der 2. Versuchsperiode 10 ccm einer Lösung von eingedampftem Hefeautolysat per os. Die Zufuhr wird am 12. Juni wiederholt. Das Tier erholt sich dieses Mal nur schwer. Am 15. Juni erhält das Versuchstier neuen Reis, der mit 5proz. Salzsäure behandelt worden ist. Da der Reis durch die Behandlung pulverförmig geworden ist, wird er mit Wasser befeuchtet. Aus der feuchten Masse werden dann Pillen gedreht und diese verfüttert. Am Schluß des 15. Juni sieht das Versuchstier sehr mitgenommen aus. Die Körpertemperatur ist auf 36,2° gesunken. Es wird Hefe- autolysat per os zugeführt. Am 17. Juni wurde wiederum eingedampftes Hefeautolysat per os gegeben. Ebenso am 18. und 19. Juni. Am 21. Juni beträgt die Körpertemperatur 36,2°, das Körpergewicht ist auf 204 g gesunken. Das Tier ist sehr schwach und kann sich nur mühsam auf den Beinen halten. Die Zufuhr von Hefeautolysat hat keinen Erfolg mehr. Das Tier stirbt. Bei der Sektion wurde mit Ausnahme einer sehr weitgehenden Abmagerung und fast völliger Fettfreiheit nichts Bemerkenswertes festgestellt. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. IX. 167 | a ee] g 70 (4 12Um 1 2 g 4 6) Ab». 1. Körpergewicht der Taube 1 (Versuche Abb.2. Taube 1 hungert seit dem 3.1. 1921. 3.—15. I. 1921. vom 3.—15. I. 1921). ,80 a 3589 ‚70 18.7, ‚60 1,50 1,40 ‚30 2 297 ‚20 20 Ei pi Ven } 28.7, ,00 Ge Re Reisfüfferung fefe = t ee a bes Zoe ee "80 221. -297g 70 sol. SPllen N ee TAN N 3249 sol Hefe=039 zu7, Go m 12Uhr 1 2 3 p 9 oO ml 1 2 WE Abb. 3. Taube 2 (Versuche vom 18.—25. I. 1921). Abb. 4. Taube 2 (Versuche vom 26.—29. I. Reisfütterung). 168 E.Abderhalden: Weitere Beiträge z. Kenntnis von org. Nahrungsstoffen usw. ng 70 77 Abb. 5. 1zUhr 1 2 S 4 Taube 2 (Versuche vom 31. 1.—2. II. 1921). 2469 SPıllen Qus gelr 760 Area 150 2549 Me N 2559 1,30 120 g 70 7 12Uhr 7 2 3 4 Abb. 7. Taube 2 (Versuche vom 14.—19. II. 1921). Nach jeder Versuchsreihe bekommt die Taube 5 Pillen aus ge- trockneter Hefe = 0,52. ! ZA 72Uhr 17 2 S 4 Abb. 9. Taube 2 (Versuche vom 28. 11.—5. III. 1921). 2,70 224 170.2, g 70 7 12Uhr 1 2 3 Abb. 6. Taube 2 (Versuche vom 7.—12. II. 1921).9 2,40 2,30 2,20 2,10 2,00 1,70 1,60 1,50 1705 ReUhr 1 Abb.8. Taube 2 (Versuche vom’21.—26. II. 1921). VOR" 25. II. an hungert die Taube bis zum 2. III. An dies« Tage erhält sie 5 Hefepillen, | 12Uhr 1 2 3 4 Abb. 10. Taube 2 (Versuche vom 7.—12. III. 1921). 2ccm Hefe- Een Fol je 0 / 76.3. bb. 11. Taube 2 (Versuche vom 14.—19. III. 1921). 2069 17 er } 22.3 DE Y . Ya Eh EN ER mw; v4 3. Ya # 22 33 \ 7 77 12Uhr 7 2 3 4 I i 3879 149,8°) Du Eu. 3579 (4029 | | 3329(402%) FÜ | u 7 12Uhr 9 3 4 “ Taube 3 (Versuche vom 5.—9. IV. 1921). ÜTier hungert. Am 9. IV. 1921 ist es etwas lebhafter als an den übrigen Tagen. 3659 (497°) | 2099392) L 2789(3359 a /bb. 12. Taube 2 (Versuche vom 21.—23. IH. 21). 2,30 293913989) _ 3219 (40°) 3299 (395°) 3379409 1,10 N g l l — li —L 70 [/ uhr 17 2 3 4 Abb. 15. Taube 3 (Versuche vom 11.—16. IV. 1921). 12.IV. Während des 2. und 3. Versuches ist das Tier ruhig, während der 3 übrigen sehr lebhaft. Vom 13. IV. an wird das Tier vor den Versuchen mit Reis gefüttert. Der Reis bleibt über Nacht im Käfig stehen. 2,80 2,70 2,60 2,50 2,40 D 32093999 3759(40,3°) 313913357) 305913359) - >. II Bee I = 3059(39°) NM 2zUhr 1 4 Abb.16. Taube 3 (Versuche vom 18.—22. IV. 1921). Das Tier wird mit geschliffenem Reis gefüttert. 27293829 _. _. 2739/3859) „> 2869(3977 7>—2779(38,9%) 27793889) 286938,99) 70 7 72Uhr 1 2 3 4 Abb. 17. Taube 3 (Versuche vom 25.—30. IV. 1921). Das Tier wird mit Reis gefüttert. Am 30. IV. ist das Tier wäh- rend des letzten Versuches unruhig. 170 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis iR 4 +-vayıda/al] Ss —> — + + lass keiz-fesT - jE= ==1' | - +50 sad woshjoprnwafag 112937 | | Tesemelkzerei Bu — T 4 = _ Er + afayy w204j30 sno A uaylld S yayboy alay ab no vayllgsyaydaıT — Ir a7 14 =76, 18, 20. 22. 24 26. 28; 30, 32.34 36. ee a 44. 46. 48. 50. 52. 54 56. 58. 60. 62. 64 66. 68. 70. T 102212: Serte IE® afoy wy20436 sno afay uy20.4ab, sno SH%4 er ai SS VollId SxT I VaIJSxZ DS SH [ Bi — S S Ss Si Se 'F 17 Ir 71 | S Is NR 1 L se 4 2 & oo SUMES © n ISENEST iS 5 Me je En EEE || EEE} ER Ser SELSLSISIISHSES Q Q SS III IR [Ey SER PN BCE Ey SO EHE Le E, or TITLE RSSTH LIE RSSE SS STE SSH SS SS IE WWDID Abb, 13. Körpergewicht der Taube 2, von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. IX. 1 1 m 3,50 R YA R 3,40 N j N h \ Be # N 3,30 ! | a A “72599 (385% = Fi 7 — — 2689 (38,29) 300 3639 (3589 240 $ / IS) Kal / 77 12Uhr 7 2 3 5 330 8 / \ Abb. 18. Taube 3 (Versuche vom 2,—7. V.). 2207 SS | A\ ey, SSU/ ZN / 2,101 ISIS: 2 % \| f Sn 2,00\- Sl IRSHH Y , st / / 7,90 III / NIS, 135, ISCH! % \ f 780 + (38,5 Js1Xı 8/ \ ze 21.5 / Es SS / N _ 246913339) u) 1 nr \ 770 -\ PR zZ ee \ Y 1,60 i z 2359 33,59 1,50 Vrnedanefe - ZL Beau, 2399/3859 170 720hr 4 9 70 7 12Uhr 7 2 3 4 Abb. 20. Taube 3 (Versuche vom 19.—21. V. 1921). Abb. 19. Taube 3 (Versuche vom 9.—14. V. 1921). 2,50 - A (SH 290 \ N 2,30 ZEN \ 2,20 N I 210 en ! \ \ 2,00 \ N N Dans 22893889 190 37°)" N er 2339 (399) 244g [3929 180 265 Ä 770 % b 255. \ 160 er 285. N: 150 FIN x REEEN eingedamaftes \ (3789 = N Zokauklgar N Ar 130 : IN 08705 ,/ \ DE N h 25 V HZ, S 5% \ 72 SS 120 5 FIR 7a DIN NL 299 b ES, SU ML NT>73729 NL Sl DOES IL Q 0) 110 N Ri 2299/3659) BAR) VOR in a.Irust I /miektn 7 ın & 70 M 12Uhr 1 2 3 4 5 6 7 8 Abb. 21. Taube 3 (Versuche vom 23.—28. V. 1921). Am 23.V. bekommt das Tier 1g Glutamin- säure per os vor den Versuchen. Am 24.V. eine Injektion von 3ccm eingedampftem Hefe- autolysat in den Brustmuskel vor den Versuchen und nach dem 6. Versuch per os. Vom 27.V. an wird das Tier mit Reis gefüttert, der mit Salzsäure ausgezogen ist. 1 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis 2089 (3759) 2139.38,29 Vom La 2229/3729 S on Q 5 -feaufolysaf 2.08 = < u ‚eungedamg > #e handelt war. 1557 12Uhr 9) 70 77 12Uhr 7 2 3 4 5 Abb. 22. Taube 3 (Versuche vom 30. v4 NM. 1921). M Taube 3 (Versuche vom 13.—20. VI. 1921). 15. VI. an bekommt das Tier Reis, der mit 5% iger Salzsäure be- D & IS} mel B> 77.6. \ 70 He 2 240 30\L% 20 210 , 90 80 70 FAT: 50 zul BS Abb. 24 ımpjtem ÖSUNg-- 2159/3759 \ / Sy [28 IS} zu BR eıngeda aufolysaf per. 05 en com 1 D S T N von ei ER 22293859) 2129389) 2189[38% 450 eingedampfies [ Alejeaurolysaf £ ne Ben. \ I Ber = 214 T ae as 1389) 080- 6.6.1(37,59 070 es l 1 | | j | 0) 70 M 12Uhr 7 2 3 4 5 6 Abb. 23. Taube 3 (Versuche vom 6.—11. VI. 1921). 1) von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. IX. "g OAqNBL UOA IyPIMEZIIÄIOM CZ 'AAY Se _ lad --. — Bunsayunf (QO’Y+) | | yaspaß ua} = Id NZ mau pun \yapuD429 Qu fi dep Stay . SPAM WAISIBLH Q a uU u hl GL OU 9 99 99 29 09 85 95 #5 86 05 Dh 9 mh Ch Om BE GEHE TZEOEBE EM LEE LAU AU UAUB 9 A \ „abuny al] SOP zZ Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. X. Mitteilung. Von Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) (Eingegangen am 1. Juli 1921.) Emil Abderhalden und Ludwig Schmidt!) haben die Beobach- tung mitgeteilt, daß Muskelsubstanz von Tauben, die im Anschluß an die ausschließliche Ernährung mit geschliffenem Reis an alimentärer Dystrophie erkrankt waren, eine stark herabgesetzte Atemtätigkeit zeigt. Zusatz von Hefepräparaten steigerte die Atmung ganz außer- ordentlich. Wir haben diese Versuche fortgesetzt und auf Gehirnsubstanz ausgedehnt. Zum Vergleich wurden gesunde Tauben herangezogen und die entsprechenden Gewebe auf ihren Gaswechsel untersucht. Ferner haben wir die Atmung von Muskulatur und Gehirn von an Skorbut verstorbenen Meerschweinchen geprüft. Es handelte sich um Meer- schweinchen, die außer skorbutartigen Erscheinungen (Darmblutungen usw.) Krampferscheinungen gezeigt hatten, die sich durch Hefepräpa- rate beseitigen ließen. Vergleiche hierzu die VIII. Mitteilung über organische Nahrungsstoffe mit spezifischer Wirkung. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist weiter unten (8.176) zusammengestellt. Die Ergebnisse der Versuche an Tauben, über die wir zuerst be- richten wollen, waren ganz einheitlich. Besonders wichtig ist die Beobachtung, daß die Gewebsatmung sich auch dannals stark herabgesetzt erwies, wenn der Gewichtsverlust der Tiere noch unerheblich war. In der ersten Mitteilung über Atmungs- versuche an Muskelsubstanz war gefunden worden, daß Tauben, deren Muskeln noch wenig abgemagert waren, keine Herabsetzung des Sauer- stoffverbrauchs zeigten. Offenbar bildet diese Feststellung eine Aus- nahme. In der Regel ist bei der alimentären Dystrophie der Tauben, sobald sich die charakteristischen Erscheinungen geltend machen, die Gewebsatmung erheblich beeinträchtigt. Es gilt dies auch für andere !) Emil Abderhalden und Ludwig Schmidt, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 185, 141. 1920. E. Abderhalden u. E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis usw. 175 Zellen als für Muskel- und Gehirnzellen, wie die Versuche mit Leber- zellen beweisen. In allen Fällen steigerte der Zusatz von Hefe- präparaten die Gewebsatmung ganz erheblich, und zwarin manchen Fällen so außerordentlich stark, daß viel höhere Werte für den Sauerstoffverbrauch erhalten wurden, als beinormalen Tieren. Auch bei letzterenließ sich fast immer ein die Atmung steigernder Einfluß von Hefepräparaten nachweisen, jedoch wurden bei weitem keine so erheblichen Zunahmen des Sauerstoffver- brauches festgestellt, wie bei Organen von Tieren, die an alimentärer Dystrophie gelitten hatten. Nach unseren Befunden darf man somit zum Ausdruck bringen, daß diealimentäre Dystrophie beiTaubenim Gefolge ausschließ- licher Ernährung mit geschliffenem Reis dadurch charak- terisiert ist, daß die Zellatmung und damit der gesamte Gasstoffwechselherabgesetztist. Gleichzeitig zeigtsich ein Abfall der Körpertemperatur. Von besonderer Bedeutung ist es, die Frage zu entscheiden, ob die beobachteten Krampferscheinungen bzw. Lähmungen und die manchmal ohne Zweifel vorhandene Störung des Bewußtseins in direktem Zusammenhang mit der herabgesetzten Atmungdes Nervensystems stehen. Es spricht manches dafür, daß das der Fall ist. Ob nun der mangelhafte Gaswechsel an und für sich wirksam ist, oder aber ob darüber hinaus Substanzen in Frage kommen, die infolge der mangelhaften Oxydation liegen bleiben, läßt sich zur Zeit nicht entscheiden. Ebenso bleibt noch die Frage offen, ob die Zell- atmung primär gestört ist oder aber sekundär in Mitleidenschaft gezogen wird. Ohne Zweifel steht der Sauerstoffverbrauch der Zellen in engem Zusammenhang mit dem Zustande der einzelnen Bestandteile des Zell- inhaltes. Es könnte sein, daß die sogenannten Nutramine notwendig sind, damit die Zellinhaltsstoffe einen bestimmten Zustand beibehalten. Es ist aber auch denkbar, daß sie die Zellgrenzschicht beeinflussen und so den Stoffaustausch beherrschen. Wir haben, wie eingangs erwähnt, auch den Gaswechsel von Muskelsubstanz und Gehirn eines normalen Meerschwein- chens mit der Gewebsatmung der gleichen Organe bei an Skorbut verstorbenen Tieren der gleichen Art verglichen, und zwar handelte essich um Tiere, die neben Skorbut auch Krampferscheinungen gezeigt hatten. (Vergleiche hierzu auch Mitteilung VIII.!) Wie die angeführten Beispiele zeigen, besaß das erkrankte Meerschweinchen eine bedeutend geringere Gewebsatmung als das gesunde Tier. Zugaben eines unter absolutem Alkohol aus Trockenhefe erhaltenen Extraktes steigerte den Sauerstoffverbrauch ganz wesentlich. !) Vgl. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 278 (1921). 176 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis Atmung von Muskulatur und Gehirn bei einem im Skorbut verstor- benen Meerschweinchen. (Meerschweinchen J). Dauer | O,-Ver- des | Tem- Ab- | brauch Atmende Substanz . Zusatz Ver- |peratur| gelesen | pro Gramm suches | und Stunde ‚Min. Grad | in cmm 0,5 g Brustmuskel | 1,0 cem Ringerlösung 45 25 2,3 68 0,58 " [0,5 cem Hefe (alkohol.) u.| 45 25 5,2 156 | 0,5 cem Ringerlösung | 1,3g Gehirn . 1,0 cem Ringerlösung 45 25 11,0 132 So, 0,5 cemalkohol. Hefeextraktu. | 45 25 14,6 169 0,5 cem Ringerlösung Auszug aus dem Protokoll des Meerschweinchen J. Seit 5. V. miteingeweichtem Hafer gefüttert. Gewicht bei Versuchsbeginn 419g. 23. V. Leichte Darmblutungen. Das Tier erhält Saft einer Zitrone per os. 25. V. Die Durchblutung hat aufgehört. Das Tier ist sehr matt. Um 3" Krämpfe. Das Tier bekommt 5 ccm Hefeautolysat. Darnach noch einige Anfälle von Krämpfen; dann krampffreies Stadium. Nach kurzer Zeit Exitus. Ge- wicht 243 g. Die Sektion ergibt eine Blutung in der linken Kniegegend. Frische Pneumonie. Atmungsversuche an Gehirn und Muskel von Skorbut- meerschweinchen 2. Dauer O;,-Ver- | des Tem- Ab- brauch Atmende Substanz Zusatz | Ver- |peratur | gelesen pro Gramm \ suches | und Stunde Min. Grad in cemm Muskelsubstanz 0,5 & | 1,0 Ringerlösung 45 25 2,9 sl 0.5 alkoh. Hefeextrakt 5 5 N; en a 15 195.060 162 10,5 Ringerlösung Gehirnsubstanz 1,3 g | 1,0 Ringerlösung 45 25 9,6 123 { 0,5 alkoh. Hefeextrakt ie J DE A 45 25 12,1 171 10,5 Ringerlösung Atmungsversuche an Gehirn und Muskel eines normalen Meer- schweinchens. Dauer | O,-Ver- des | Tem- Ab- | brauch Atmende Substanz Zusatz Ver- | peratur gelesen , pro Gramm F suches und Stunde Min. Grad in emm Gehirn 1,3 g 1,0 cem Ringerlösung 45 25 12,2 164 a RR ı0,5 „. Ringerlösung 45 25 12,9 192 ' u.0,5 cem Hefeautolysat | | Oberschenkelmsk.0,5g 1,0 cem Ringerlösung 45 25 5,1 196 ” 0,52) 0,5 ccm Ringerlösung 45 25 s.1 288 | u.0,5ccm Hefeautolysat Atmungsversuche an Gehirn und von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. X. ET Muskel von Tauben mit und ohne alimentärer Dystrophie. Dauer O,-Ver- R Tem- des Ab- brauch Atmende Substanz Zusatz peratur, Ver- |gelesen pIo 8 suches und Stunde | Grad Min. in cmm Beirelativge- Taube Nr. 9 ‚zinger Ge- | (aliment. Dystrophie) Bachsab- Taubenhirn 1 g 1,2 ccm Ringerlösung 29 30 32 89 nahme (16°) “ 1g 0,6 ccm Ringerlösung u. 29 | 30 6,7 186 5 Protokoll) 0,6 ccm Hefeautolysat | Blark. Sinken Brustmuskel 0,5 & | 1,0 cem Ringerlösung 29 30 3,9 212 je mungs- » 058 | 0,5cem Ringerlösung u. | 29 | 30 | 70 389 zobe im Ver- 0,5 ccm Hefeautolysat leich z. nor- malen Tier Taube Nr. 3 (aliment. Dystrophie) Gehim 1g 1,2 ccm Ringerlösung 29 30 2,8 | 73 ae 0,6 ccm Ringerlösung u. 29 30 6,0 167 0,6 ccm Hefeautolysat Brustmuskel 0,5 g | 1,0 cem Ringerlösung 29 30 3,4 184 5 0,5 & | 0,5 ccm Ringerlösung u. 29 30 6,4 256 0,5 ccm Hefeautolysat | Taube Nr. 91 | (aliment. Dystrophie) | Gehirn 1 g 1,2 ccm Ringerlösung 29 30 4,0 104 al 0,6 cem Ringerlösung u. 29 30 8,8 236 0,6 ccm Hefeautolysat Brustmuskel 0,5 & | 1,0 ccm Ringerlösung | 29 30 36) 212 5 0,5 & |, 0,5 cem Ringerlösung u. | 29 3 7 1925) 654 0,5 ccm Hefeautolysat Taube Nr. 99 | (aliment. Dystrophie) | Gehirn 1 g 1,2 ccm Ringerlösung 29 30 1,8 49 | else 0,6 ccm Ringerlosung u. 29 30 | 12,5 289 | 0,6 ccm Hefeautolysat Brustmuskel 0,5 & | 1,0 cem Ringerlösung 29 30 3,8 201 3 0,5 & |, 1,0 ccm Ringerlösung u. | 29 302 191951772614 0,5 g Ringerlösung | Hefeautolysat | | IE P’amıbe, Nr. 71 | | (Taube an Diphterie gestorben) Gehirn 1g 1,2 ccm Ringerlösung 29 30 7,8 201 len; 0,6 ccm Ringerlösung u. 29 30 S8) 240 0,6 cem Hefeautolysat | 178 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis | | Dauer O,-Ver | des | Ab- | brauch Atmende Substanz Zusatz | Ver- |gelesen pro g | suches | u. Stde. | Min. incmm Atmung des Gehirns bei Taube | einer Taube, die wegen 1 & Gehirn ‚1,2ccm Ringerlösung 30 9,4 | 249 Diphtherie-Krankheit ge- a 2 5 19730%101011.954 schlachtet werden mußte | Atmung des Gehirns bei ı Taube Nr. 69 | | einer zweiten Taube 1 g Gehirn 12 cem Ringerlösung 30 85 236 (Nr. 69), die wegen der NT 10,6 „ Hefe(alkohol. 30 | 12,8 | 309 gleichen Krankheit ge- ' Extrakt) u. 0,6 ccm | | schlachtet werden mußte. | Ringerlösung | | | Gewicht anfangs 300 g, | | | vor d. Tode 248g, Unter- suchung jeweils 1 Stunde | nach dem Tode | Atmung des Gehirns bei | Taube Nr. 96 | | einer an aliment. Dystro- 1g Gehim 1,2cem Ringerlösung | 30 1,6 33 pbie verst. Taube Nr. 96 sa: 0,6 „ Hefe (alkohol. 30 0,1 | 281 Extrakt) u. 0,6 ccm Ringerlösung 1. Bei normaler Taube | 0,5 & Brustmuskel | 1,0 cem Ringerlösung | 30 73.1456 Nr. 69 (s. oben) 0,58 d E05 a 30 80 | 469 | 0,58 N 0,5 „ Hefe (alkohol.| . 30 9:172503 | Extrakt) u. 0,5 cem | Ringerlösung | Nach einem Fall bei Ab- | 0,5 eg ie 1.8ccm Ringerlösung| 30 | 10,4 | 592.2 derhalden Schmidt, Pflü- | eers Arch. 185, 141. 1920 | 2. Bei einer Taube mit 058 _. 10°. ö 30 39 | 202 alimentärer Dystrophie | 0,5g x 104% 5 30 4,1 209 Nr. 96 0,58 0,5 „ Hefe (alkohol. | 30 74 | 381 Extrakt) u. 0,5 cem | Ringerlösung Tem- Dauer des Ab- O,-Verbrauch Atmende Substanz Zusatz peratur | Versuches elesen | PFO EU. Stde. Grad Min. 0 in cmm Taube Nr. 90 | | (alim. Dystrophie) | 1g Gehim | 1,2 cem Ringerlösung 29 30 | 120 120 0 A 29 30 11,4 289 0,6 ” ” und | 0,6 ccm Hefeautolysat | 0,5 g Muskel 1,0 cem Ringerlösung 29 30 2,3 137 0,5 is 0,5 .. Hefeautolysat und 29 30 6,6 394 0,5 cem Ringerlösung | von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. X. 179 | Dauer | O.-Ver- Atmende Substanz Zusatz | Zeuip. Nr) Br I eng | Grad Min. emm Taube Nr. 101 | | | | (Alimentäre Dy- | strophie). | | 1 g Gehirn ' 1,2 cem Ringerlösung 8) 30 ra, | 90 l2s; 5; 0,6 ecm Hefeautolysat und DIE 230 8.4 224 0,6 cem Ringerlösung | | 0,5 g Muskel 1,9 eem Ringerlösung 10529 12.30) 3 1824,0 214 05 8 e ' 0,5 cem Hefeautolysat und 992. 300 a7 637 0,5 cem Ringerlösung Taube Nr. 100 | (Alimentäre Dy- strophie). | | | 1,0g Gehim | 1,0 cem Ringerlösung | 29 | 30 2,5 Zul er | 0,6 cem Hefeautolysat und | 29. | 30 | 12,3 295 0,6 cem Ringerlösung | | 0,5gMusk.(Brust) | 1,0 ccm Ringerlösung 12295210.30 3,4 176 One » \ 0,5 ecm’Hefeautolysat und. 29 | 30 8,3 | 422 ' 0,5 cem Ringerlösung | 0,5 & Leber 1,0 cem Ringerlösung 1 2290. 0730 52. : 0268 Oboe 0,5 cem Hefeautolysat und | 290.1230 70 | 364 0,5 cem Ringerlösung | | 0,5 & Herzmusk. 1,0 cem Ringerlösung | 29 SU 2,9 154 058 a 0,5 ccm Hefeautolysat und | 29 30 6.5 | 340 | 0,5 ccm Ringerlösung | Taube Nr. 101 | | | | (Alimentäre Dy- | | strophie) 0,52 Herzmusk. _ 1,0 ccm Ringerlösung 29 30721075:1007.292 058 “ 0,5 cem Ringerlösung und 292 10.30, 211252 1.2590 0,5 ccm Hefeautolysat | | | 0,5 g Leber ı 1,0 cem Ringerlösung 29 | 30 | .6,0 305 (in Würfeln) | | 0,5 g Leber | 0,5 ccm Ringerlösung und | 29 | 30 | 11,6 463 0,5 ccm Hefeautolysat | Normal- | 9 | | taube Nr. 88. | | 1,0g Gehirn | 1,2 cem Ringerlösung 29m E30 9,6 246 108 ”s | 0,6 cem Ringerlösung und | 29 | 30 14,1 351 | 0,6 cem Hefeautolysat | 0,58 Muskel | 1,0 cem Ringerlösung 1155992. 30 110,2. |72.:526 ÜB, | 0,5 cem Ringerlösung und | 29 ı 30 | 11,3 598 | 0,5 cem Hefeautolysat | | 0,5g Herzmusk. | 1,0 cem Ringerlösung I 2) 30 8.0 0 058 Y 0,5 cem Ringerlösung und 29 30 | 10,8 579 0,5 cem Hefeautolysat | | 0,5 & Lebersubst. | 1,0 cem Rineerlösung ı 29 30 165 374 (in Würfeln) | del. 0,5 ccm Ringerlösung und | 29 30 8,6 421 0,5 cem Hefeautolysat | | Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 13 180 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis Auszug aus dem Protokoll Taube Nr, 91 ((aliment. Dystrophie). 8. II. Beginn der Ernährung mit geschliffenem Reis. Temp. 39,5°. Gewicht 267 8. 22. II. Gesträubtes Gefieder. Temp. 34,5°. Gewicht 228 g. Erhält Hefe- autolysat, worauf sich das Tier erholt. 28. II. Ab heute Ernährung mit geschliffenem Reis und 0,5 g Hefe. Gewicht 228 g. Temp. 39,5°. 13. VI. Von heute ab Ernährung mit HCl-extrahiertem Reis (neutralisiert). 21. VI. Tier matt, zusammengekauert. Temp. 37,9°. Gewicht 205 g. 2. VI. Sehr matt. Zweimal 0,5 g Hefe. Künstliche Fütterung. Temperatur 36,9°. Gewicht 193 g. Auszug aus dem Protokoll Taube Nr. 99 (aliment. Dystrophie). 15. IV. Das Tier wird mit geschliffenem Reis und 0,5 g Hefe ernährt. Ge- wicht 315 g, Temperatur 39,0°. 13. VI. Ab heute Ernährung mit HCl-extrahiertem Reis (neutralisiert), ohne Hefe. Gewicht 296 g, Temp. 39,4°. 17. VI. Tier sehr matt, zusammengekauert. Temp. 38,0°, Gewicht 274 g, mittags Temperatur 37,1°. Tier sehr matt, taumelt. — 0,5 g Hefe. Das Tier erholt sich. 22. VI. Temp. 38,1°, Gewicht 246 g. 23. VI. Temp. 37,5°, Gewicht 218 g. Tier sehr matt. Wird künstlich ernährt. 24. VI. Exitus. Sektion ergibt nichts Besonderes. Auszug aus dem Protokoll der Taube Nr. 71 (normales Tier). Normale Versuchstaube, die keine Erscheinungen der alimentären Dystrophie bot. Sie starb an einer Geflügeldiphtherie am 5. VI. Gewicht 195 g, Temp. 39,0°. Gewicht bei Beginn des Versuches 270 g, Temp. 40,0° (1. VIII. 1920). Auszug aus dem Protokoll Taube Nr. 96 (aliment. Dystrophie). Wird seit 14. IV. mit geschliffenem Reis ernährt. Am 12. V. Lähmung beider Beine mit Krampferscheinungen. Mittags schwere Krämpfe. Erholung nach Darreichung von einem Hefepräparat. 23. V. Das Tier ist matt, kann sich nicht mehr auf den Beinen halten. Liegt regungslos am Boden des Käfigs. 24. V. Das gleiche Bild. Exitus 3" 15’. Gewicht bei Beginn der Fütterung mit geschliffenem Reis 254 g. Gewicht vor dem Tode 232 g. Auszug aus dem Protokoll der Taube Nr. 95 (aliment. Dystrophie). Die Taube wird am 9. II. mit geschliffenem Reis und 0,5 g Hefe ernährt. Gewicht 289 g. Temp. 40,0°. 13. VI. Ab heute erhält die Taube HÜOl-extrahierten Reis ohne Hefezusatz. Gewicht 261 g, Temp. 38,9°. 16. u. 17. VI. Das Tier sitzt zusammengekauert in seinem Käfig. Temp. 38,8° 18. VI. Krampfanfall. Erhält morgens und abends 0,5g Hefe. Temp. zwischen 35,9° und 35,5°. 19. VI. Schwere Krämpfe den ganzen Tag über. Zweimal 0,5 g Hefe. 20. VI. Fortgesetzte Krämpfe. Temp. 35,4°, Gewicht 236 g. Exitus. Auszug aus dem Proto kollder Taube Nr. 3 (aliment. Dystrophie). Ab 12. VI. 1921. Fütterung mit geschliffenem Reis. Gewicht 293 g. Temp. 38,9°. 26. IV. Gesträubtes Gefieder, Temp. 38,9°, Gewicht 286 g. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. X. 181 3. V. Krämpfe, Temp. 37,1° bis 36,3°, Gewicht 254 g. Injektion von Hefe- autolysat. Nachmittags hören die Krämpfe auf, Temp. 38,2°. 24. V. Abermals Krämpfe. Temp. 36,0°, Gewicht 245 g. Hefeautolysat. 31. V. Erneut Krämpfe. Temp. 35,5°. Hefeautolysat, abends Erholung, Temp. 40,0°, Gewicht 222 g. 9. VI. Tier frißt nicht mehr. Sondenfütterung. 11. VI. Das Tier sieht sehr hinfällig aus. Erhält Hefeautolysat. Temp. 36,8°, Gewicht 214 g. 15. VI. Temp. abends 36,2°, Gewicht 215 g. Erhält täglich eingedampftes Hefeautolysat per os. 21. VI. Das Tier ist sehr matt, schwankt unsicher hin und her. Temp. 36,2°, Gewicht 204 g. Exitus. Sektion ergibt nichts Besonderes. Auszug aus dem Protokoll von Taube Nr. 90 (aliment. Dystrophie). 9. II. Beginn der Fütterung mit geschliffenem Reis. Gewicht 339 g. Temp. 40°. Ab. 17. II. Zusatz von 0,5 ccm Hefeautolysat, später 0,5 g Hefe. 13. VI. Ab heute Ernährung mit 5 proz. HCl-extrahiertem Reis (neutralisiert) ohne Hefe. Gewicht 287 g. 17. VI. Das Tier ist matt. Gewicht 275 g, Temp. 36,9°. Die Taube erhält 5 Pillen aus getrockneter Hefe. Mittags 1 Krampfanfall, Temp. 35,7°. 3h 30’ erneut schwerer Krampfanfall. 645’ erneut schwerer Krampfanfall, erhält 5 Pillen Hefe. Temp. 36,9°. 18. VI. Das Tier hat sich erholt. Temp. 39°. 21. VI. Das Tier taumelt beim Laufen. — 5 Pillen Hefe. Temp. abends 33,9°, Gewicht 261 g. Erholung in den nächsten Tagen. 27. VI. Erneut schwere Krämpfe. Temp. 35,9°, Gewicht 247 g. — 5 Pillen Hefe. 28. VI. Besserung. — Temp. 39,0°. 30. VI. Erneut Krämpfe. Temp. 34,5°, abends Gewicht 232. Erhält 5 Pillen Hefe. 2. VII. Tier ist tot. Gewicht 1942. Auszug aus dem Protokoll von Taube Nr. 101 (aliment. Dystrophie). Ab. 10. IV. Geschliffener Reis und 0,5 g Hefe. Gewicht 243 g, Temp. 39°. 25. IV. Gefieder aufgeplustert. 13. VI. Mit HCl-extrahiertem, neutralisiertem Reis ernährt. Gewicht 277 g, Temp. 40,2°., 21. VI. Das Tier sitzt zusammengekauert in einer Ecke, Gewicht 231 g. Temperatur nachmittags 36,3°. Erhält 5 Pillen getr. Hefe (0,5 g). 28. VI. Das Tier ist dauernd sehr matt. Muß heute künstlich gefüttert werden. Temp. 37,8°, Gewicht 219 g. 2. VII. Tier sehr matt, künstliche Fütterung. — Erhält 5 Pillen Hefe. Temp. abends 36,3°, Gewicht 197 g. 3. VII. Tier immer sehr matt. Temp. 38°, Gewicht 197 g. 4. VII. Exitus. Sektion ergibt nichts Besonderes. Auszug aus dem Protokoll der Taube Nr. 100 (aliment. Dystrophie). Ab. 14. IV. wird das Tier mit geschliffenem Reis und 0,5 g Hefe (Pillen) er- nährt. Temp. 38,8°, Gewicht 241 g. 25. .IV. Temp. 40,5°, Gewicht 294 g. 20. V. Temp. 39,2°, Gewicht 304 g. Ab 13. VI. wird die Taube mit HCl behandeltem, dann neutralisiertem Reis ernährt (ohne Hefe). Temp. 39,5°, Gewicht 286 <. 13* 182 E. Abderhalden u. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis usw. 19. VI. Das Tier taumelt, kann sich schwer auf den Beinen halten. Temp. 38,4°. — Erhält 5 Pillen aus getrockneter Hefe. 21. VI. Das Tier ist matt. Temp. abends 36,3°, Gewicht 218 g. 5 Hefepillen. 27. VI. Das Tier hatte den ganzen Tag über Krampferscheinungen. Die Temp. war abends 36,8°. — Gewicht 218 g. 5 Pillen Hefe. 29. VI. Das Tier hat sich wieder erholt. Temp. 38,2°, Gewicht 223 g. Das Tier wird künstlich gefüttert. 4. VII. Das Tier sitzt zusammengekauert in der Ecke, ist sehr matt. Temp. abends 36,0°, Gewicht 201 g. 6. VII. Nach vorübergehender Besserung sitzt das Tier abends wieder matt und zusammengekauert im Käfig. Temp. 35,0°, Gewicht 192 g. 7. VII. Exitus. Die Sektion ergab nichts Besonderes. Normale Taube Nr. 88. Am 25. I. Gewicht 382 g, Temp. 41,5°. Gewicht am Todestage (5. VII.) 305 g, Temp. 40,9°. Die Taube hatte nie Erscheinungen von alimentärer Dystrophie. Das Alternansproblem. Von Dr. S. de Boer, Privatdozent der Physiologie. (Aus dem pathologischen Laboratorium der Universität in Amsterdam.) Mit 16 Textabbildungen. (Eingegangen am 23. Juni 1921). I. Einleitung. Im Jahre 1872 wurde zum ersten Male der Pulsus alternans beobachtet und beschrieben, und zwar von Traubet!). Seitdem ist dieses Phänomen von Klinikern und Experimentatoren eingehend studiert worden, wobei eine starke Abweichung der verschiedenen Ansichten zutage trat. Unter Pulsus alternans wird ein regel- mäßiges oder nahezu regelmäßiges Pulsbild verstanden, in welchem die einzelnen Pulsausschläge abwechselnd größer und kleiner sind; es ist also eine Erscheinung, die an den Arterien beobachtet wird. Daneben spricht man von Herzalternans und meint damit meistens einen Kammeralternans (obwohl auch Vorhofalternans besteht). Wir werden in der nachstehenden Auseinandersetzung zeigen, daß der Pulsus alternans immer mit einem Alternans der Kammer verbunden ist oder — anders ausgedrückt — durch einen solchen verursacht wird. Die beiden Hauptfragen betreffen das Wesen und die Ursache des Kammer- alternans. Über beide Fragen weichen die Ansichten erheblich voneinander ab. — Hinsichtlich des Wesens des Alternans bestehen die folgenden Auffassungen: 1. Gaskell?), der Kammeralternans zuerst beobachtete bei dem’ entbluteten Froschherzen, ist der Meinung, daß während der kleinen Alternanssystole ein Teil des Kammermuskels nicht zur Kontraktion kommt; Gaskell nimmt also eine partielle Asystolie an während der kleinen Alternanssystole. Engelmann?) gelangte zu einer ähnlichen Auffassung; laut derselben soll während jeder kleinen Alternanssystole ein Teil des Kammermuskels nicht zur Kontraktion gelangen infolge von Leitungsstörungen. Muskens?) gelangte zu demselben Schlusse wie Engelmann. Trendelenburg°’) beobachtete auch eine partielle Asystolie bei den Alter- nanssystolen bei Fröschen. Hering) beschrieb den Kammeralternans bei Säugetieren, bei denen er eine teilweise Asystolie während der kleinen Alternanssystolen wahrnahm. Dabei sah 1) Berl. klin. Wochenschr. 9, 185 u. 221. 1872. ?) Philosoph. Trans. R. S. 193, 993. 1882. 3) Pflügers Arch. f. d. ges., Physiol. 62, 543. 1896. *) Journ. of Physiol. 36, 104. 1907—1908. >) Arch. f. (Anatomie und) Physiol. 1903, S. 271. 6) Verhandl. XXV. Kongr. f. inn. Med. 1908, S. 323. Münch. med. Wochenschr. 1908, S. 1417. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therap. 12, 13. 1913. 184 S. de Boer: er entweder eine alternierende Spitzenasystolie oder alternierend Basis- und Spitzenschläge auftreten. Mines!) weist darauf hin, daß die Hypothese Gaskells von Muskens und Hering nicht richtig interpretiert ist. Nach Ansicht der beiden letzteren ist allein während der kleinen Alternanssystole ein Teil des Kammermuskels in Ruhe und hat der Alternans den folgenden Verlauf: V, V—v, V, V—v usw. Nach der Ansicht Mines ist dagegen gewöhnlich sowohl während der großen als während der kleinen Alternanssystole ein Teil des Kammermuskels in Ruhe und ist der Verlauf dann der folgende: V—v,, V—v,, V—v,, V—v, usw. Indessen war Hering schon 1909 zu einer gleichen Auffassung gelangt und erklärte, daß bei jeder Alternanssystole partielle Asystolie im Spiele sei. De Boer?°) nahm Kammeralternans beim entbluteten Froschherzen nach Er- wärmung des Sinus venosus wahr. Dann sah er während der kleinen Alternans- systolen meistens die Spitze der Kammer nicht zur Kontraktion kommen. Diese Wahrnehmung wurde durch die gleichzeitig aufgenommenen Elektrogramme be- stätigt, weil während der kleinen Alternanssystolen allein die basale Komponente des Kammerelektrogrammes registriert wurde. An zweiter Stelle untersuchte er den Kammeralternans nach Vergiftung mit Digitalis und Antiarin. Hierbei beobachtete er, daß während der kleinen Alternans- systole ein Teil des Kammermuskels, und zwar meistens die Kammerspitze, nicht zur Kontraktion kam. Dies war deutlich sichtbar, da während der kleinen Alternans- systole derjenige Teil des Kammermuskels, welcher schlaff blieb, mit Blut gefüllt wurde und infolge des hohen Druckes in der Kammer hernienartig ausbuchtete. Diese rotgefärbte hernienartige Ausstülpung hob sich deutlich gegen den Rest des Kammermuskels ab, der infolge der Kontraktion weiß gefärbt wurde. Hiermit wurde zum ersten Male durch eigenes Sehen der unverkennbare Beweis geliefert, daß während der kleinen Alternanssystolen ein Teil des Kammermuskels nicht zur Kontraktion kommen kann. Auch hier wurden gleichzeitig die Elektrogramme registriert. Während der kleinen Alternanssystolen kam allein die basale Kompo- nente des Kammerelektrogrammes zum Ausdruck. So wurde also sowohl durch Inspektion als durch Registration der Elektrogramme der unumstößliche Beweis geliefert, daß während der kleinen Alternanssystolen ein Teil des Kammermuskels oft nicht zur Kontraktion gelangt. Bruno Kisch [aus dem Institute Herings?°)] bestätigte die Beobachtung de Boers voll und ganz. Er erhielt Kammeralternans nach Vergiftung von Frosch- herzen mit Veratrin. 2. Alternans der Kammer infolge einer alternierenden totalen Hyposystolie. Hofmann) beschrieb den Kammeralternans, der oft nach einer Extrasystole vorkommt. Vorausgeschickt sei, daß Hofmann der erste war, der darauf hinwies, daß die Größe einer Kammersystole durch die Dauer der unmittelbar vorangehenden Kammerpause bedingt wird. Nun hat nach der kompensatorischen Pause die Dauer der postkompensato- rischen Systole zugenommen; infolgedessen fängt die darauffolgende Kammer- systole nach einer verkürzten Kammerpause an. Die Contractilität hat deshalb dabei abgenommen und die Dauer der Kammersystole ebenfalls. Dann ist die folgende Kammerpause wieder verlängert, worauf also eine vergrößerte Systole !) Journ. of Physiol. 46, 349. 1913 u. Trans. Roy. Soc. of Canada. ”) Koninkl. Akad. v. Wetensch. te Amsterdam; Proceedings. Vol. 18, 1915, S. 231; Zentralbl. f. Physiol. 30, 149. 1915; Nederl. Tijdschr. v. Geneesk. 1916, Eerste Helft, S. 370; Archives Neerl. d. Physiol. 1, 27. 1916. 2) Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therap. 20, 483. 1919. 4) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 84, 130. 1901. Das Alternansproblem. 185 der Kammer folgt. Somit kommt dieser Kammeralternans nach Hofmanns An- sicht durch eine alternierende totale Hyposystolie zustande. Dieser Auffassung des Kammeralternans schlossen Wenckebach!) und Henri Fredericq?) sich an, welch letzterer nachdrücklich das Vorkommen einer partiellen Asystolie wäh- rend der kleinen Alternanssystolen leugnet. 3. Alternans der Kammer infolge einer alternierenden Verlangsamung der Reizleitung. Im Jahre 1918 untersuchte de Boer°) näher unter gleichzeitiger Registrierung der Elektrogramme den Kammeralternans, der oft nach einer postkompensatori- schen Systole auftritt. Er fand hierbei, daß während der postkompensatorischen Systole die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer zugenommen hatte; dagegen nahm sie ab, während der darauffolgenden Kammersystole und endlich wieder zu während der dritten Kammersystole. So kam hier der Alternans des Kammerelektrograms als eine gleichzeitige Folge einer alternierend verschiedenen Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer zustande. Diese alternierend verschiedene Reizleitung entstand unter dem Einflusse einer alternierend ver- schiedenen Dauer der Kammerpausen. Aber diese alternierend verschiedene Dauer der Kammerpausen hatte zugleich zur Folge, daß alternierend die Contractilität des Kammermuskels verschieden war, Nach einer längeren Kammerpause nahm also die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer zu, aber zugleich die Contractilität, während umgekehrt nach einer kürzeren Pause die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer und gleichzeitig die Contractilität abnahm. Auch nach Vergiftung des Froschherzens mittels Digitalis wurde dieser Kammeralternans wahrgenommen. Der Alternans der Suspensionskurven wurde hier in der folgenden Weise erklärt: Während der großen Alternanssystolen, bei denen die Erregung schneller durch die Kammer fortgeleitet wurde, kamen alle Teile des Kammermuskels mehr gleichzeitig zur Kontraktion; während der kleinen Kammersystolen kontrahierten infolge der langsameren Reizleitung durch die Kammer die verschiedenen Teile des Kammermuskels mehr nacheinander. Daher waren die Suspensionskurven des letzteren niedriger und breiter und hatten einen stumpferen Gipfel. Diese Alternansformen, bei denen die alternierend verschiedene Geschwindig- keit der Reizleitung durch die Kammer sich zweifellos aus den Elektrogrammen ergab, wurden schon 1918 publiziert. 1920 gelangte Koch) (aus dem Laborato- rium Herings) zu einer gleichen Ansicht, ohne auch nur einen Schein eines Be- weises dafür zu liefern, daß bei seinen Alternanskurven die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer alternierend verzögert war. 4. Alternans infolge hämodynamischer Ursachen. Wie schor mitgeteilt wurde, war Wenckebach ursprünglich der Ansicht, paß Alternans durch eine gestörte Herzkraft verursacht werde und daß dann infolge eines Unterschiedes in der Dauer der Kammerpause Kammeralternans auf- trete. Während dieses Kammeralternans sollte bei den kleinen Kammersystolen eine völlige Hyposystolie bestehen. 1914 ist Wenckebach°) aber von seiner Ansicht zurückgekommen und hat eine neue Erklärung für das Entstehen von Pulsus alternans aufgestellt, indem er diesen jetzt nämlich auf hämodynamische 1) Zeitschr. f. klin. Med. 44, Heft 3 u. 4. 1901. 2) Arch. Intern. de Physiol. 1912, S. 96. 3) Nederl. Tijdschr. v. Geneesk. 1915, Tweede Helft, S. 362. Arch, Neerl. de Physiologie 2, 511, 1918, 3, 167, 1919. 4) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 181, 106. 1920. 5) K!F. Wenckebach, Die unregelmäßige Herztätickeit und ihre klinische Bedeutung. 1914, S. 198—223. 186 S. de Boer: Verhältnisse zurückführt. Er geht dabei aus von den Untersuchungen von Moritz und von de Heer (aus dem Laboratorium Magnus). Sein Gedankengang ist der folgende: Nach einer längeren Pause ist die Füllung und also das Schlagvolumen größer und, die Entleerung des Ventrikels vollkommener als nach einer kleinen Pause. Dadurch entsteht eine größere Pulswelle. Bei der folgenden Systole wird nun infolge der kürzeren Pause das Schlagvolumen kleiner. Aber gleichzeitig ist nach einer längeren Pause der Druck in der Aorta weiter gesunken. Auch hierdurch wird das Schlagvolumen vergrößert. Bei der folgenden Systole sind diese Verhält- nisse umgekehrt: Durch das große Schlagvolumen wurde die Aorta stark gefüllt, der Druck stark erhöht. Diese Systole findet also mit ihrer geringeren Füllung einen höheren Druck vor sich. Daher ist nun das Schlagvolumen kleiner. So entsteht nach dieser Theorie Wenckebachs der Pulsus alternans bei unge- schwächter Herzkraft. Während die vorstehend besprochenen Erklärungen den Herzalternans be- treffen, handelt diese Erklärung Wenckebachs ausschließlich über den Pulsus alternans. Über die Theorie Wenckebachs weiter auf Seite 224. II. Eigene Untersuchungen. A. Kammeralternans infolge teilweiser Asystolie während der kleinen Alternanssystole. l. Experimente bei dem entbluteten Froschherzen. Wenn man ein entblutetes Froschherz suspendiert, pulsiert die Kammer zuweilen spontan im Alternans, wie seit den Untersuchungen Gaskells und Engelmanns bekannt ist. Die Periode der kleinen Alternanssystole dauert dann meistens etwas kürzer als diejenige der sroßen, indem die kleine Alternanssystole etwas verspätet anfängt infolge einer Verlängerung des a-v-Intervalles. Ein Beispiel eines solchen Kammeralternans finden wir in Abb. 1. aaa Abb. 1. Nach vier Alternansgruppen werden in dieser Abbildung alle Kammersystolen gleich hoch. Wir sehen nun, daß die großen Alternanssystolen größer und die kleinen kleiner sind als die Systolen des normalen Rhythmus, die hierauf folgen. Wenn wir nun die Elektrogramme eines solchen Alternans registrieren, erhalten wir während der großen Alternanssystolen vollständige Kammerelektrogramme mit einem R. und einem T-Ausschlag und während der kleinen Alternans- systolendiebasaleKomponentedesKammerelektrogrammes!). Diese objektive Tatsache lehrt uns, daß während der kleinen Alternans- systolen dieKammerspitze gar nicht oder nur teilweise kontrahiert. Übrigens ergibt genaue Beobachtung des Herzens ein völlig gleiches Resultat. !) Die Elektrogramme eines solchen Alternans wurden publiziert in Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Proccedings. Vol. 18, S. 231. Das Alternansproblem. 187 Wollen wir nun aber den Kammeralternans mit dem Saitengalvano- meter untersuchen, dann ist es erforderlich, denselben regelmäßig erzeugen zu können, da er nämlich spontan nur selten auftritt. Hierzu können nun Gifte benutzt werden wie Digitalis (Muskens), Antiarin (W. Straub), Glyoxylsäure (Adler). Dabei ist aber zu beachten, daß auch in diesem Falle der Kammeralternans nur in einem Teile der Fälle auftritt. Daher bin ich von der bekannten Wahrnehmung in der Klinik ausgegangen, daß Alternans oft bei paroxysmaler Tachykardie vor kommt!). Ich erwärmte bei dem suspendierten Froschherzen während sehr kurzer Zeit den Sinus venosus, indem ich denselben mittels einer Pipette mit einem kleinen Strahle 0,65 proz. Kochsalzlösung von 25—30° bespritzte. Durch dieses Verfahren konnte ich fast alle suspendierten entbluteten Froschherzen im Alternans schlagen lassen. Wenn darauf der Sinus venosus wieder abgekühlt wurde, kehrten die gleichhohen Kammersystolen zurück. Dieser Kammeralternans blieb während kürzerer oder längerer Zeit bestehen, konnte dann zu gleich hohen Kammersystolen zurückkehren, aber auch zum halbierten Kammerrhythmus übergehen, nachdem die kleinen Alternanssystolen immer kleiner geworden waren. Ein Beispiel dieses Überganges zum halbierten Kammerrhythmus finden wir in Abb. 2. Derartige spontane Übergänge von Kammeralternans und dem hal- bierten Kammerrhythmus wurden auch von W. Straub?) und Tren- AAN Abb. 2. delenburg?) publiziert. Es läßt sich nun aus Abb. 2 leicht ablesen, daß der metabole Zustand des Kammermuskels während des Alternans verschlechtert war; nach dem Übergang zum halbierten Kammer- ıhythmus nimmt nämlich die Größe der Kammersystolen von Systole zu Systole zu, ein Beweis, daß die Kammer sich nun während der längeren Kammerpausen schon mehr und mehr erholt. Da wir nun mit Sicherheit bei fast jedem entbluteten Froschherzen Kammeralternans hervorrufen können, sind wir imstande, dabei die ") In einer späteren Untersuchung erzeugte ich eıne Form von paroxysmaler Tachykardie (gehäufte Extrasystolie) bei Froschherzen duren einen Induktions- reiz und fand hierbei ebenfalls Kammeralternans infolge teilweiser Asystolie. *) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol., 45, 346. 1901. ®\ Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, S. 271. 188 S. de Boer: Elektrogramme in großer Zahl aufzunehmen und zu studieren. Während der Jahre 1914 und 1915 nahm ich die Elektrogramme von Kammer- alternans auf, den ich in dieser Weise bei 150 Fröschen hervorgerufen hatte. In 145 von diesen Fällen erhielt ich übereinstimmende Resultate, hiervon gebe ich nebenstehend eine Abbildung. . Abb. 3 gibt die Suspensionskurven und Elektrogramme eines Froschherzens wieder, dessen Kammer nach Erwärmung des Sinus venosus Alternans aufweist }). Wir sehen während der großen Alternanssystolen normale Kammerelektrogramme erscheinen mit einem R-Ausschlag und einem T-Aussch'ag, der hier negativ ist. Während der kleinen Alternanssystolen zeigt das Kammerelektrogramm die basale Komponente, aus welchem Umstande wir schließen, daß, wie schon im Vorhergehenden auseinandergesetzt wurde, während der kleinen Alternanssystolen allein die Basis kontrahiert Diese Schlußfolgerung steht völlig mit demjenigen im Einklange, was durch Inspektion wahrgenommen wird. Auch die Elektrogramme, die sowohl von Hering?) als von Kahn und Starkenstein?°) hei dem Alternans von Säugetieren registriert wurden, lassen häufig einen deutlichen Alternans er- erkennen. Diese Kurven jedoch lehren uns nicht mehr, als daß auch die Elektro- gramme bei ihren Alternanskurven alternieren. Über das Kontrahieren oder Nicht- kontrahieren bestimmter Muskelgebiete der Kammer während der kleinen Alternans- kurven geben uns diese Kurven keinen Aufschluß. Übrigens vermochte auch keiner der beiden Untersucher aus ihren Elektrogrammen derartige Folgerungen zu ziehen. Merkwürdig ist daher denn auch wohl die Folgerung, welche Kisch?) aus den von Kahn publizierten Elektrogrammen zieht: „Kahn hebt hervor, daß das Elektrokardiogramm der im Alternans schlagen- den Herzen sich sowohl bei der großen als auch bei der kleinen Kontraktion, wenn !) In allen Aufnahmen war die Spannung der Saite eine derartige, daß Ein- schaltung von 1 m V einen Ausschlag von 1!/,;, mm bewirkte. Zeit !/, Sek. In diesen Experimenten, bei denen der Sinus venosus erwärmt wurde, ward eine unpolarisierbare Elektrode auf die Kammerspitze und eine auf die Basis der Kammer placiert. Daher kommen die P-Ausschläge in den Elektrogrammen oft nicht zum Ausdruck. 2) Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therap. %, 363. 1909. 3) Pflügers Arch. f d. ges. Physiol., 133, 579. 1910. *) Ergebn. d. inn. Med. u. .Kinderheilk.. 19. 311. 1921. Das Alternansproblem. 189 auch in geringem Maße, so doch regelmäßig von jenem unterscheidet, das von dem gleichen Tiere vor der Erzeugung des Alternans aufgenommen worden war, und zwar hauptsächlich durch die Höhe der T-Zacke. Diese wesentliche Fest- stellung stimmt recht gut mit der schon erwähnten Beobachtung Herings überein, daß dem Auftreten eines Alternans im Tierexperiment oft eine Hyposystolie des Herzens vorangeht, und mit seiner Ansicht, daß wir es beim Alternans mit einer kontinuierlichen totalen Hyposystolie und einer alternierenden partiellen Asystolie zu tun haben, daß also auch die große Kontraktion des Alternans nicht den nor- malen Kontraktionen des gleichen Herzens entspricht.‘ Ich muß hier nachdrücklich darauf hinweisen, daß es nicht gestattet ist, aus den verschiedenen und noch dazu geringen Unterschieden in Höhe der T-Ausschläge auf eine totale Hyposystolie oder auf eine partielle Asystolie zu schließen. Wann Kisch eine totale Hyposystolie und wann er eine partielle Asystolie aus jenen Elektrogrammen heraus- liest, wird nicht dabei vermeldet. Ich weise daher nachdrücklich daraufhin, daß ich allein darum aus meinen Elektrogrammen eine teilweise Asystolie ablese, weil während der kleinen Alternanssystolen allein die basale Komponente des Kammer- elektrogrammes zum Ausdruck kommt, von der die apikale Komponente nicht subtrahiert ist. Unterschiede in Höhe der T-Ausschläge können wenigstens bei den Elektrogrammen der Froschherzen auch infolge verschiedener Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer zustande kommen, wie ich dies ausführlich beschrieben habe. Die Verhältnisse sind jedoch bei den Säugetierherzen viel komplizierter, so daß wir bei diesen einstweilen besser daran tun, aus geringen Unter- schieden der Elektrogramme keine weitgehenden Schlüsse zu ziehen. Aus meinen Kurven kann man direkt ablesen, daß die elektrische Pause, welche den großen Alternanssystolen vorhergeht, länger dauert als diejenige, welche den kleinen Alternanssystolen vorangeht. Diese Unterschiede werden dadurch verursacht, daß die Elektrogramme der großen Alternanssystolen länger dauern als diejenigen der kleinen. Diese Wahrnehmung stimmt völlig mit derjenigen Kahnst!) überein, der durch andere Methoden (Registrieren der Herztöne) nachwies, daß die großen Alternanssystolen länger dauerten als die kleinen. Später wurde dies von H. Straub?) bestätigt. Wenn der Alternans nach Kammerkurven von gleicher Höhe über- geht, nimmt die Höhe der großen Alternanssystolen ab und die der kleinen zu. Die Veränderungen, welche die Kammerelektrogramme hierbei erleiden, sind die folgenden: Die T- Ausschläge der großen Alternanssystolen verändernin positivem Sinne,d.h. wenn diese T- Ausschläge positiv waren, werden sie größer, und wenn sie vorher negativ waren, werden sie kleiner. Bei den !) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., 140, 471. 1911. ?) Dtsch. Arch. f. klin. Med. 123, 403. 1917. 190 S. de Boer: kleinen Alternanssystolen werden während dieses Über- gsanges dielangsamen Ausschläge der basalen Komponente niedriger. Ebenso wie die Suspensionskurven konvergieren die Elektro- sramme der kleinen und großen Alternanssystolen zu einer Form, welche die Mitte zwischen beiden hält. Verschiedene Beispiele hiervon habe ich 1916 publiziert !). Die langsamen Ausschläge der basalen Komponenten der kleinen Alternanssystolen werden bei dem Übergang nach gleichhohen Kammer- systolen kleiner, weil während dieses Überganges ein stets größerer Teil der Kammerspitze zur Kontraktion gelangt. Immer mehrinter- feriert also die. apikale Komponente mit der basalen. Die Veränderungen der Elektrogramme der großen Alternans- systolen kommen während dieses Überganges in folgender Weisezustande: Während der großen Alternanssystolen kontrahiert der ganze Ventrikel, und während der kleinen die Kammerspitze (oder ein Teil derselben) nicht. Die Kammerspitze pulsiert also im halbierten Rhythmus und kontrahiert somit während der großen Alternanssystolen sehr stark (partielle Hypersystolie). Wenn nun der Übergang zu gleichhohen Kammersystolen stattfindet, wird der Spitzenteil, welcher im halbierten Rhythmus pulsiert, stets kleiner. Derjenige Teil des Kammermuskels, welcher während der großen Alternanssystolen eine verstärkte Kon- traktion aufweist, wird also auch immer kleiner. Dadurch wird also die apikale Komponente des Elektrogrammes der großen Alternanssystolen immer kleiner und verändern also die T-Ausschläge im positiven Sinne, während die Verbindungslinien zwischen R und T steigen. So konvergieren also die Alternanselektrogramme zu einer Durchschnittsgröße. Wenn wir den Kammeralternans durch Abkühlung des Sinus venosus zu gleichhohen Kammersystolen zurückführen, besitzen danach die Kammerelektrogramme auch größere T-Ausschläge als die der großen Alternanssystolen. Hierbei ist aber außer dem Übergang zu gleichhohen Kammersystolen noch ein anderer wichtiger Faktor im Spiele. Infolge der Verlangsamung der Schlagfrequenz stellt sich der metabole Zustand des Kammermuskels wieder her, so daß die Contractilität des letzteren und die Geschwindigkeit der Reizleitung durch den Kammermuskel zunehmen. Die Suspensionskurven können denn auch bei weitem diejenigen der großen Alternanssystolen an Höhe übertreffen. 2. Alternans der Kammer beim Froschherzen infolge Vergiftung mit Digitalis oder Antiarin. Bei den Experimenten, die im vorigen Kapitel beschrieben wurden, ward das metabole Gleichgewicht des Kammermuskels dadurch gestört, !) Archives neerl. de physiol. 1, 27 (1916), Abb. 8, 9, 10, 13 und Zentralbl. f. Physiol. 30, 151, Abb. 3. Das Alternansproblem. 191 daß die Frequenz der Kammerschläge zunahm. Die Kammerpausen wurden infolgedessen stark verkürzt, so daß die Kammer nur kurze. Zeit für Wiederherstellung zur Verfügung hatte, die denn auch vor dem Anfange jeder Kammersystole nur noch mangelhaft stattgefunden hatte. Diese Störung des metabolen Zustandes ist für das Entstehen von Kammeralternans notwendig, wie schon in meinen vorigen Arbeiten auzführlich dargelegt wurde. Wir können jedoch den metabolen Zustand des Kammermuskels auch noch auf andere Weise stören, und zwar durch Vergiften, wofür in erster Linie diejenigen Gifte in Betracht kamen, welche den Kammermuskel zu erhöhter Tätigkeit anspornen, die also eine Reizwirkung auf den Kammer- muskel ausüben. Hierzu gehören die Gifte der Digitalisgruppe, BaCl,, Veratrin usw. Wenn wir eines dieser Gifte anwenden, wird also der Kammermuskel zu größerer Aktivität angeregt, während sich das Schlagtempo nur äußerst wenig verlangsamt, wenigstens beim Frosch- herzen. Wenn diese erhöhte Aktivität einige Zeit bestanden hat, ist der Kammermuskel vor dem Anfang jeder Systole noch nicht hinreichend wiederhergestellt und ist also das metabole Gleichgewicht gestört. Das, was an dieser Erholung fehlt, wurde von mir das Residu- Refraktärstadium genannt. Diesem füst jede Systole das peri- odische Refraktärstadium hinzu. Beide zusammen bilden das gesamte Refraktärstadium. Sobald nun das metabole Gleichgewicht gestört ist, nimmt die Contractilität der Kammer und die Geschwindig- keit der Reizleitung durch die Kammer ab. (Siehe Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 173, 78. 1918.) Schließlich nimmt die Dauer des Residu- Refraktärstadiums durch Akkumulation derartig zu, daß die Dauer des gesamten Refraktärstadiums eines Teiles des Kammermuskels (und dies ist meistens die Kammerspitze) größer als die Dauer einer Sinusperiode wird. Dann kontrahiert dieser Teil der Kammerspitze allein nach jedem zweiten Sinusimpuls, so daß dann der Rhythmus dieses Kammerteiles halbiert ist. Wir sehen hierbei nun eine sehr merkwürdige Erscheinung zutage treten, die neben den gleichzeitig registrierten Kammerelektrogrammen einen sicheren Be- weis für das Bestehen einer teilweisen Asystolie während der kleinen Alternanssystolen liefert. Derjenige Teil näm- lich, der während der kleinen Alternanssystolen schlaff bleibt, zeichnet sich als eine hernienartige rotgefärbte Ausstülpung ab gegen den Teil des Kammermuskels, der durch die Kontraktion weiß gefärbt wird. Offenbar war also während der kleinen Alternanssystolen ein Teil des Blutes in der Kammer geblieben und wurde dies nach dem schlaffen Teile gepreßt, der sich dadurch hernienartig hervorwölbte. Meistens sehen wir diese hernienartige Aus- 192 S. de Boer: buchtung während der kleinen Alternanssystolen an der Kammerspitze,zuweilen auchan der Basis. Diese Beobachtung wurde schon 1917 von mir publiziert!). Br. Kisch bestätigte diese Wahrnehmung 1919 (Dezember). Er erhielt Alternans der Kammer bei Froschherzen, die er mit veratrin- haltiger Ernährungsflüssigkeit von der Vena cava aus durchströmte. Die soeben genannte Ausstülpung wird von ihm als eine ballon- oder divertikelartige Ausbuchtung beschrieben. Es ist ohne weiteres deutlich, daß diese hernienartige Ausstülpung in meinen Experimenten deutlicher zu sehen ist als in den seinigen, da sie bei meinem Verfahren mit Blut vollgepreßt wird und sich daher durch ihre rote Farbe besser gegen den kontrahierenden Teil abhebt. In den Experimenten, die Kisch später publizierte, befindet sich in der Ausstülpung die ungefärbte Ernährungs- flüssigkeit. Mit Rücksicht darauf, daß nach meinen Mitteilungen eine Reihe Publikationen aus dem Laboratorium Herings im Jahre 1919 erschienen ist unter der jedesmal wieder etwas variierenden Über- schrift: Partielle Dilatation der Kammerwand beim Herzkammeralter- nans, weise ich nachdrücklich daraufhin, daß diese Mitteilungen alle nach den meinigen erschienen sind. Im weiteren Verlaufe dieser Mit- teilung wird sich zeigen, daß meine Untersuchungen zugleich verrichtet wurden unter gleichzeitiger Registrierung der Elektrogramme, welche die Wahrnehmung a vue völlig bestätigte. In dem Laboratorium Herings wurden allein die Suspensionskurven registriert, die, wie nun des nähern dargelegt werden soll, keine ganz zuverlässigen objektiven Tatsachen ergeben. Von mir wurden nämlich Kurven publiziert nach Vergiftung mit Digitalis oder Antiarin, bei denen der Alternans allein in der Dilatation zum Ausdruck kam: Die Dilatation der kleinen Alter- nanskurven war dann vollständig, diejenige der großen Alternans- kurven unvollständig; die erreichte Höhe der Alternanskurven war dann gleich 2). Merkwürdiger aber ist eine Beobachtung, die ich beieinem suspendierten Frosch- herzen, das mit Antiarin vergiftet war, machte. Hierbei pulsierte die Kammer in Alternans 20 Minuten nach der Injektion von !/,, mg Antiarin unter die Schenkel- haut. Während dieses Alternans nahm ich die folgende merkwürdige Erscheinung wahr: Nachdem dieser Kammeralternans 10 Minuten bestanden hatte, blieb jedes- mal derselbe Teil der Kammer schlaff während einer der Alternanssystolen. Dieser Teil, der sich an der Basis befand, war während jeder zweiten Systole rot gefärbt und liegt als eine hernienartige Ausbuchtung der Basis an. Dieser Teil kontrahiert also offenbar nicht während jeder zweiten Systole, wohl aber während der anderen. Es ist nun sehr merkwürdig, daß die Suspensionskurven der Systolen, bei denen ein Teil der Basis nicht kontrahiert, die größte Höhe erreichen. Ich konnte diese !) Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 80—83. 1918; Nederl. Tijdschr. v. Genees- kunde, 1918, %, 362 und Arch. neerl. de physiol., 1, 502. 1917 und 3, 167. 1919. 2) Arch. neerl. de physiol., 3, 99—101. 1918, Abb. 5, 6 u. 7. Das Alternansproblem. 193 Erscheinung, da dieselbe wohl eine halbe Stunde andauerte, in Ruhe beobachten und meinen Mitassistenten demonstrieren. Abb. 4 gibt die Suspensionskurve dieses Alternans wieder. Ich glaube diese paradoxale Erscheinung in folgender Weise erklären zu müssen: während einer der Kammersystolen bleibt ein Teil der Kam- merbasis inaktiv. Dieser Teil nimmt nicht die ganze Basis in Anspruch, sondern nur einen Teil an einer Seite. Außer diesem Teile kontrahiert wohl während dieser Systole eine breite muskuläre Zone der Basis, der ganze Mittelteil der Kammer und die ganze Spitze. Nur ein Teil der Basis bleibt schlaff und dieser Teil füllt sich mit Blut während der Kontraktion des Restes. Da also eine breite muskuläre Zone über die ganze Länge der Kammer von der Spitze bis zur Atrio-Ventrikular- grenze kontrahiert. ist dies schon genügend zur Erreichung der normalen Kurven- höhe. Daß sich daneben ein Teil der Basis zusammenzieht oder nicht, tut nichts zur Sache. Das würde allein dann von Einfluß sein, wenn der inaktive Teil in der Verlängerung desjenigen Teiles gelegen wäre, der kontrahiert. Aber indirekt wird die erreichte Höhe der Suspensionskurve wohl beeinflußt durch den Teil der Basis, der schlaft bleibt. Dieser Teil nämlich füllt sich mit Blut und dehnt sich dadurch Abb, 4. stark aus. Dies hat zur direkten Folge, daß die Spitze noch stärker nach unten gezogen wird. Daß die starke Blutfüllung diese Wirkung hat, wurde von mir durch ein Experiment bewiesen, das ich in Abb. 1 meiner Mitteilung über Digitalis repro- duzierte!). Wir haben also zu berücksichtigen, daß eine teilweise Asystolie be- stehen und daß dann doch die Höhe der Suspensionskurve größer sein kann, als wenn die ganze Kammer kontrahiert. Darum wurde bei meiner Untersuchung mit dem Saitengalvanometer die Kammer des Froschherzens während der Alternanskurven genau beobachtet und das Wahrgenommene sofort aufgezeichnet. Ich führte diese Versuche in folgender Weise aus: Bei den übrigens intakten Fröschen wurde das Herz bloßgelegt und an der Spitze suspendiert. Danach ward eine Ableitungselektrode auf den Vor- höfen und eine an der Kammerspitze angebracht. Die Zeit wurde neben den Suspensionskurven und Elektrogrammen in !/, Sekunden registriert. Hierauf erfolgte Registrierung der Kurven des noch nicht vergifteten Froschherzens. Nun- mehr spritzte ich Digitalis oder Antiarin unter die Schenkelhaut und fertigte ich mit bestimmten Zwischenräumen Aufnahmen an. Während des Verlaufes des Vergiftungsprozesses wurde das Herz mittels eines Reflektors beleuchtet und jedesmal genau beobachtet. Wenn ich dann während des Kammeralternans die oben angedeutete hernienartige Ausstülpung der Kammer (Spitze oder Basis) anliegen sah, wurde dies verzeichnet. Ein Beispiel solch eines Kammeralternans möge hier folgen. In Abb. 5 sind die Suspensionskurven und Elektrogramme eines Froschherzens nach Vergiftung mit Antiarin wiedergegeben. Während der kleinen 1) Recherches pharmaco physiologiques sur la contraction rythmique du coeur de grenouille. II. L’action de la digitale. Arch. neerl. de physiol., I, 507. 1917. 194 S. de Boer: Alternanssystolen sah ich eine dunkle hernienartige Ausbuchtung an der Kammer- spitze, die sehr groß war. Wir bemerken nun während der großen Alternanssystolen vollständige Kammerelektrogramme mit einem R- und einem negativen T-Aus- schlag.‘ Während der kleinen Alternanssystolen kommt allein die basale Kom- ponente des Kammerelektrogrammes zum Ausdruck. Hierdurch wurde zum ersten Abb. 5. Male sowohl durch die Wahrnehmung der hernienartigen Ausbuchtung an der Spitze als durch die gleichzeitig aufgenommenen Kammerelektrogramme der über- zeugende Beweis geliefert, daß während der kleinen Alternanssystolen ein Teil der Kammer nicht zur Kontraktion kommen kann. Zugleich können wir aus dieser Figur ablesen, daß die sroßen Kammersystolen länger dauern als die kleinen, und zwar genau soviel länger als die Kammerpause nach den großen Kammersystolen kürzer dauert als diejenige nach den kleinen (was an den Elektrogrammen zu messen ist). Diese Unterschiede der Dauer der Alternanselektrogramme entstehen wohl dadurch, daß neben der teilweisen Asystolie während der kleinen Alternanssystolen eine Hyposystolie besteht und während der großen Alternanssystolen eine teilweise Hypersystolie. Diese Tatsache wurde bei allen meinen Alternanselektrogrammen wahrgenommen, wobei während der kleinen Alternanssystolen ein Teil der Kammer nicht kontrahierte. Alternanselektrogramme, die nach Vergiftung mit Digitalis entsprechende Verhältnisse aufwiesen, wurden von mir 1918 publiziert!). Es genügt hier also, auf diese zu verweisen. Nach Vergiftung mit Digitalis und Antiarin entstand dadurch ein Alternans der Kammer, daß während jeder zweiten Kammer- systole die Erregung auf ein Gebiet des Kammermuskels stieß, welches noch refraktär war und also nicht auf die fortgeleitete Erregung antwortete. !) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 173, 81. Das Alternansproblem. 195 B. Kammeralternans, bei dem die kleine Kammersystole durch eine Verzögerung der Reizleitung durch die Kammer entsteht. In einer ausgedehnten Untersuchung wurde von mir festgestellt, daß Veränderung der Leitungsgeschwindigkeit bestimmte konstante Veränderungen des Kammerelektrogrammes zur Folge hat. Bei Ver- zögerung der Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer wird der R-Ausschlag breiter, verändert der T-Ausschlag in negativem Sinne und sinkt die Verbindungslinie zwischen dem R- und dem T-Ausschlag. Eine Beschleunigung der Reizleitung führt entgegengesetzte Verände- rungen des Kammerelekrogrammes herbeit). Im Jahre 1901 wurde nun von F. B. Hofmann?) festgestellt, daß nach einer künstlichen Extrasystole die Kammer eines Froschherzens Abb. 6. oft einen vorübergehenden Alternans zeigt. Bei einer Untersuchung, die ich im Sommer 1914 ausführte?), fand ich diesen Alternans der Kammer ebenfalls, und namentlich trat er bei den Kammerelektro- grammen deutlich hervor. Ich habe seinerzeit hirüber nichts mehr mitteilen können, als daß der Alternans auch, und zwar sehr deutlich, in den Kammerelektrogrammen zum Ausdruck kam. Diese Alternans- kurven vermochte ich 3 Jahre lang nicht zu deuten, sie waren mir immer ein Stein des Anstoßes. Nach meiner vorigen Untersuchung über den Einfluß der Geschwindigkeit der Reizleitung auf die Form des Kammerelektrogrammes ist mir dieser Alternans völlig deutlich ge- worden. Ich werde dieselbe Abbildung, die ich früher publizierte, hier nochmals reproduzieren. In derselben (Abb. 6) wurde durch Extrareizung der Kammerspitze eine Extrasystole der Kammer erzeugt. Man achte darauf, daß die R-Ausschläge 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1. c. ?) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., 84, 130, 1901. 3) Zeitschr. f. Biol., 65, 428. 1915. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 14 196 S. de Boer: nach unten gerichtet sind und die positiven T-Ausschläge ebenfalls. Wenn ich also von einem Sinken der Verbindungslinie zwischen dem R- und dem T-Ausschlag spreche, dann meine ich damit eine größere Annäherung an den Ruhestand der Saite. In dieser Abbildung ist dann die Verbindungslinie auf einem höheren Niveau gelegen. Bei einem Steigen der Verbindungslinie kommt diese weiter vom Ruhe- stand der Saite entfernt zu liegen. In der Abbildung befindet sich dann die Ver- bindungslinie auf einem niedrigeren Niveau. Wir wollen nunmehr die Elektro- gramme der Alternanssystolen einmal näher betrachten. Während der postkom- pensatorischen Systole hat sich der R-Ausschlag verschmälert (im Vergleich zum R-Ausschlag des Kammerelektrogramms, das vor der Extrasystole registriert wurde). In Übereinstimmung hiermit ist der positive T-Ausschlag größer geworden und die Verbindungslinie zwischen dem R- und dem T-Ausschlag gestiegen. Wir finden bei diesem Kammerelektrogramm die Veränderungen, die bei einer Be- schleunigung der Reizleitung zum Vorschein kommen. Nach der postkompensa- torischen Systole ist durch die lange Dauer derselben die Kammerpause verkürzt. Wir sehen nun zwischen dem T-Ausschlag der postkompensatorischen Systole und dem erstfolgenden R-Ausschlag die Saite viel kürzere Zeit im Ruhestand verbleiben als zwischen zwei Kammerelektrogrammen des normalen Kammerrhythmus, ehe der Extrareiz verabfolgt wurde. Infolgedessen und unter dem Einfluß der ver- größerten postkompensatorischen Systole hat die Geschwindigkeit der Reizleitung während der erstfolgenden Kammersystole abgenommen. Wirklich hat nun die Breite des R-Ausschlages zugenommen, ist der T-Ausschlag kleiner geworden und die Verbindungslinie zwischen dem R- und dem T-Ausschlag gesunken. Das Elek- trogramm dieser Systole, die nach einer verkürzten Kammerpause auftritt, zeigt also alle Kennzeichen einer Verzögerung der Reizleitung. Das dann folgende Kammerelektrogramm tritt wieder nach einer längeren Kammerpause auf und zeigt die Kennzeichen einer Beschleunigung der Reiz- leitung. Das vierte Kammerelektrogramm beginnt wieder nach einer kürzeren Pause als das dritte. Der T-Ausschlag ist dann auch kleiner und die Verbindungs- linie zwischen dem R- und dem T-Ausschlag mehr gesunken als bei dem dritten. Die alternierende Verlängerung und Verkürzung der Kammerpausen erhellt be- sonders aus den Rlektrogrammkurven (ab >cd gh). Wir sehen bei diesem vorübergehenden Kammeralternans die Dauer der Kammerpausen um einen Gleichgewichtspunkt schwanken und ebenfalls die Kam- merelektrogramme. Unmittelbar nach der postkompensatorischen Systole sind diese Schwankungen viel stärker als zwei Kammerperioden später. Dieser vorübergehende Kammeralternans kommt also durch eine alternierende Beschleunigung und Verzögerung der Reizleitung durch die Kammer zustande. Diese alter- nierenden Veränderungen des Leitungsvermögens werden durch eine alternierende Verlängerung und Verkürzung der Kammerpausen verursacht. Ein Kammeralternans, der seine ganze Erklärung in einer alternierenden stärkeren Verzögerung der Reizleitung findet, kommt nach Vergiftung mit Digitalis vor. Ein Beispiel hiervon finden wir in Abb. 7. Während der kleinen Alternanssystolen ist der R-Ausschlag deutlich breiter als bei den Elektrogrammen der großen Alternanssystolen. In völliger Überein- stimmung hiermit sind während der kleinen Alternanssystolen die negativen T- Ausschläge viel größer als während der großen Alternanssystolen. Ebenfalls ist die Verbindungsstelle zwischen dem R- und dem T-Ausschlag bei den kleinen Das Alternansproblem. 197 Kammersystolen stärker gesunken. Auch ist die Dauer der Kammerelektrogramme bei den kleinen Alternanssystolen viel größer als die der großen Alternanssystolen. Diese längere Dauer kommt dadurch zustande, daß die Spitzenkomponente mehr nach hinten verschoben ist. Die Elektrogramme der kleinen Kammersystolen zeigen also alle Kennzeichen einer stärkeren Verzögerung der Reizleitung als diejenigen der großen Alternanssystolen!). Wir haben hiermit also eine bis heute unerklärbare Form von Kammeralternans erläutert, die in erster Linie nach einer künstlichen Extrasystole und dann sehr vorüber- gehend vorkommt. Ferner tritt dieser Kammeralternans auch nach Vergiftung mit Digitalis auf. Schließlich noch eine kleire Erläuterung. Es ist begreiflich, daß die alter- nierende Verzögerung der Reizleitung einen Alternans für die Kammerelektro- gramme herbeiführt. Aber, wird man fragen, wie kann durch eine alternierende Verzögerung der Reizleitung der Alternans in den Suspensionskurven zum Aus- durck kommen? In Abb. 7 bemerken wir nämlich deutlich den Alternans in den Suspensionskurven. Die Antwort auf diese Frage kann nicht anders lauten, als daß notwendigerweise infolge des alternierenden Wechsels der Geschwindigkeit der Reizleitung auch in den Suspensionskurven der Kammeralternans zutage treten muß. Wenn nämlich die Reizleitung verlangsamt ist, kommen die verschiedenen Teile der Kanımermuskulatur mehr nacheinander zur Kontraktion und entstehen niedrigere Kammerkurven mit stumpfen Gipfeln. Bei einer schnelleren Reiz- leitung dagegen kommen die verschiedenen Teile des Kammermuskels mehr gleich- zeitig zur Kontraktion und entstehen also höhere Kurven mit schmäleren Gipfeln. Dieses Bild kommt deutlich zum Ausdruck in den Suspensionskurven von Abb. 7. Der Alternans der in dieser Abbildung vorkommenden Suspensionskurven kann also völlig durch die alternierend verschiedene Verzögerung der Reizleitung er- klärt werden. 1) In meinen Aufzeichnungen finde ich nichts über eine hernienartige Aus- buchtung an der Kammer erwähnt, die in fast allen anderen Fällen von Kammer- alternans nach Digitalisvergiftung deutlich zu sehen war. 14* 198 S. de Boer: Nunmehr wollen wir noch kurz die Elektrogramme dieses Kammer- alternans betrachten. Die R-Ausschläge der großen Alternanssystolen sind breit und die T-Ausschläge negativ. Offenbar ist also während der großen Alternans- systolen auch eine bedeutende Verzögerung der Reizleitung durch die Kam- mer vorhanden. Während der kleinen Alternanssystolen sind aber die R-Aus- schläge noch viel breiter und die negativen T-Ausschläge noch größer. Die Verbindungslinien zwischen den R- und den T-Ausschlägen befinden sich auf einem niedrigeren Niveau. Offenbar ist also die Reizleitung durch die Kammer während der kleinen Alternanssystolen viel stärker verzögert äls während der großen. Zugleich dauern die kleinen Alternanselektrogramme viel länger als die der großen. Dies wird dadurch verursacht, daß infolge der Verzögerung der Reizleitung durch die Kammer die apikale Komponente des Kammerelektrogram- mes weiter nach hinten verschoben wird, so daß das Kammerelektrogramm in die Breite gezogen wird. Durch diese Verbreiterung der Kammereleßtrogramme der kleinen Alternanssystolen werden die Kammerpausen nach den kleinen Alternans- systolen verkürzt. Wir haben hier also eine sehr merkwürdige Form eines Kammer- alternans vor uns, bei welchem die großen Kammersystolen auf kleinere Pausen der Kammer folgen. als die kleinen Kammersystolen. Ich weise hier mit Nachdruck darauf hin, daß die Kammerpausen hier nicht Pausen des ganzen Kammermuskels sind. Wir wissen allein, daß beim Ende der Kammerelektrogramme der Kontrak- tionszustand der Kammerspitze aufhält und beim Beginn der Kontraktionszustand der Kammerbasis anfängt. Auch in den Suspensionskurven kommen diese Ver- hältnisse teilweise gut zum Ausdruck. Hier sind die kleinen Alternanskurven stark verbreitert und die darauffolgenden Pausen verkürzt. Ich mache hier nachdrück- lich darauf aufmerksam, daß allein dann die Kammerelektrogramme infolge einer Verlangsamung der Reizleitung durch die Kammer verbreitert werden können: 1. Wenn die T-Ausschläge vorher schon negativ waren. In diesem Falle wird das Kammerelektrogramm dadurch verbreitert werden, daß sich die apikale Komponente weiter über die basale hinweg verschiebt; 2. wenn die T-Ausschäge vorher positiv waren und wenn dann die Verzögerung der Reizleitung so stark ist, daß diese positiven T-Aus- schläge in negative umschlagen. Auch dann werden die Kammerelektro- gramme in die Breite gezogen dadurch, daß die apikalen Komponenten über die basalen hinwegschieben. Ist dagegen die Verzögerung der Reizleitung durch die Kammer geringer, dann werden die positiven T-Ausschläge nur kleiner, aber sie bleiben positiv. Von einer Verbreiterung der Kammerelektrogramme in- folge der Verlangsamung der Reizleitung durch die Kammer kann dann keine Rede sein. Es schiebt sich ja dann die apikale Komponente zwar weiter über das Kammer- elektrogramm; aber sie kommt nicht über das Ende der basalen Komponente hin- aus, weil der T-Ausschlag positiv bleibt. Nur dann, wenn die apikale Komponente über die basale hinwegschiebt, so daß sie später endigt als die letztere, wenn also der T-Ausschlag negativ wird, dann kann das Kammerelektrogramm verbreitert werden durch die Verlangsamung der Reizleitung durch die Kammer. Ich habe oben absichtlich gesprochen von Verbreitert-werden-können, denn wenn die Reiz- leitung durch die Kammer verzögert wird, dann wird auch fast immer die Contrac- tilität abnehmen. Diese Abnahme der Contractilität wirkt der Verbreiterung der Kammerelektrogramme wieder entgegen. Jedes Kammermuskelelement verharrt dann kürzere Zeit im Kontraktionszustand. Infolge der Verlangsamung der Reiz- leitung durch die Kammer folgt dann die Kontraktion der Kammerspitze auch zwar später nach derjenigen der Kammerbasis; aber die Breite der Kammerelektro- gramme nimmt dann nicht zu, weil jeder Unterteil des Kammermuskels während Das Alternansproblem. 199 kürzerer Zeit kontrahiert bleibt. Die Abbildungen 17 und 18 meiner Mitteilung in Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 133, 107 u. 108, 1918 bieten während der ver- frühten Kammersystolen nach Extrareizung der Vorhöfe gute Beispiele eines Um- schlages der positiven T-Ausschläge in negative. Hierbei ist eine starke totale Hyposystolie im Spiele, so daß die Dauer der verfrühten Kammersystolen nicht zugenommen hat. Was ich hier oben für das Kammerelektrogramm besprach, gilt natürlich eben- falls für die mechanische Formveränderung: die Suspensionskurven. Auch diese Kurven werden durch eine starke Verzögerung der Reizleitung durch die Kammer breiter, wenigstens, wenn diese starke Verzögerung nicht mit einer starken völligen Hyposystolie verbunden ist. Nach dieser vorangehenden Besprechung ist es nun noch nötig, kurz nach Abb. 6 zurückzukehren. Hier ist die Reizleitung beschleunigt während der großen Alternanssystolen und verlangsamt während der kleinen. Diese Verlangsamung der Reizleitung beeinflußt aber nicht die Dauer der Kammerelektrogramme, weil während der kleinen Alternanssystolen die T-Ausschläge positiv bleiben. Aber hierneben ist für den Alternans noch ein anderer wichtiger Faktor vorhanden. Nach den langen Kammerpausen ist während der großen Kammersystolen das Kammerelektrogramm stark verbreitert. Diese Verbreiterung des Kammerelek- trogrammes, während gleichzeitig die Reizleitung durch die Kammer beschleunigt ist, weist darauf hin, daß die Contractilität des Kammermuskels zugenommen hat. Wir haben also während der postkompensatorischen Systole eine Hypersystolie (im Vergleich zu der Systolengröße, die unmittelbar der Extrasystole voranging). Infolge der Verbreiterung der postkompensatorischen Systole ist die darauf- folgende Kammerpause verkürzt. Daher ist das darauffolgende Kammerelektro- gramm. verschmälert, infolge einer völligen Hyposystolie. (Wie wir vorher sahen, ist die Verlangsamung der Reizleitung durch die Kammer hier ohne Einfluß für die Dauer des Elektrogrammes, weil der T-Ausschlag positiv bleibt.) So haben wir also in dem Kammeralternans von Abb. 6 neben einer alternierend ver- schiedenen Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer eine alternierend totale Hyper- und Hyposystolie!). Der Kammeralternans, der nach einer kompensatorischen Pause auftritt, weist meistens Verhältnisse auf, wie ich diese im Vorstehenden darlegte. In dem folgen- den Kapitel werden wir sehen, daß diese Form von Kammeralternans nach einer kompensatorischen Pause, wenn der metabole Zustand der Kammer noch schlechter wird, in einen Alternans übergehen kann, bei welchem während der kleinen Kammer- systole teilweise Asystolie vorhanden ist. Die vorhin behandelten Alternansformen, bei denen die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer und die totale Kontraktilität des Kammermuskels solche große Rolle spielten, wurden schon 1918 von mir publiziert?). Die Besprechung von seiten Kochs [aus dem Laboratorium Herings?®\] über den Einfluß dieser beiden Faktoren auf den Kammeralternans kam also erst zwei Jahre später. Infolge der mangelhaften Methodik (einfache Suspension) können wir aber aus den Kurven Kochs nichts erfahren über die Geschwindigkeit der Reiz- leitung durch die Kammer während seiner beiden Alternanskurven, und nament- lich können wir auch nicht aus jenen Kurven ablesen, ob eine teilweise Asystolie !) Mehrere Alternanselektrogramme nach einer postkompensatorischen Sy- stole wurden publiziert in der Jubiläumsnummer über Prof. Pekelharing, Arch. neerl. de physiol., 2, 511. 1918. ?) Arch. neerland. de physiol. %, 511. 1918 und 3, 167. 1919 und Nederlandsch. Tijdschr. v. Geneesk. 1918, 2. Hälfte, S. 362. 3) Pflügers Arch. f. die ges. Physiol., 181, 119 u. £. 200 S. de Boer: vorhanden ist (Abb. 20 u. 21 seiner Mitteilung). Auch eine lokale Störung der Reiz- leitung durch die Kammer nach Vergiftung der Froschherzen mit Digitalis wurde von mir schon 1916 beschrieben !) (mißgestaltete Systolen, fraktionierte Systolen). Ich verweise auch noch darauf, daß die Experimente, die ich bei 150 verschie- denen Froschherzen mit Erwärmung des Sinus venosus ausführte Resultate er- gaben, die nicht in das Schema hineinpassen, welches Koch in Abb. 18 wieder- gibt über Alternans bei dem plötzlichen Übergange zu schnellerer Schlagfolge. Es ist auch wohl sehr die Frage, ob die beiden von Koch wiedergegebenen Kurven in dieses Schema hineinpassen. ‚Jedenfalls ist dafür keine Andeutung in diesen Kurven selbst zu finden. Meine bereits zwei Jahre früher publizierten Kurven lassen keinen Zweifel übrig, da hierbei zugleich die Elektrogramme registriert wurden. C. Übergang des Kammeralternans, bei dem eine verzögerte Reizleitung durch die Kammer während der kleinen Alter- nanssystole besteht, nach dem Kammeralternans, bei wel- chem während der kleinen Alternanssystole teilweise Asystolie vorhanden ist. Wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, besteht während des Kammeralternans nach einer kompensatorischen Pause neben einer alternierenden Hyper- und Hyposystolie zugleich eine alternierend verschiedene Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer. In der weitaus größten Mehrheit der Experimente, die ich in großer Zahl ausführte (mit einigen hundert Fröschen), fand ich die Verhältnisse so, wie ich dieselben im vorigen Kapitel wiedergab. Jedoch konnten sich diese Verhältnisse in einigen Fällen, wenn das Froschherz während langer Zeit suspendiert und entblutet war, ändern. Anfangs erhielt ich dann einen Alternans nach einer kompensatorischen Pause, bei dem alternierend die Reizleitung wechselte. Wenn dann, z. B. nach einer Stunde, der metabole Zustand solch eines entbluteten Froschherzens mehr verschlechtert war, konnte der Alternans in eine Form übergehen, bei der während der kleinen Alternanssystole eine teilweise Asystolie der Kammer bestand. Ein Beispiel hiervon gebe ich hier wieder in Abb. 8. Die Kurven (Suspensions- und Elektrogrammkurven) dieser Abbildung wurden 1!/, Stunde nach der Ent- blutung registriert. Diese Reihe Kurven beginnt mit zwei Systolen, die gleichgroß sind und deren Elektrogramme keine Unterschiede aufweisen Allerdings fällt es auf, daß die T-Ausschläge negativ und sehr groß sind. Dann wird bei 1 ein Induk- tionsreiz an der Basis der Kammer appliziert, worauf eine kleine Extrasystole ent- steht, der eine kompensatorische Pause folgt. Das Elektrogramm dieser Extrasystole der Kammer hat ein anderes Aussehen wie gewöhnlich. Wir erkennen hierin die basale Komponente des Elektrogrammes. Während dieser Extrasystole haben wir also allein eine Kontraktion der Kammer- basis durch den Reiz hervorgerufen. In diesem frühzeitigen Augenblicke der Kammerperiode war also die Kammerspitze offenbar noch refraktär für die zuge- !) Arch. neerland. de physiol. 1, 30. 1917 und Koninkl. Akademie van Wetenschappen te Amsterdam. Proceedings 19, 1029. 1916. Das Alternansproblem. 201 leitete Erregung. Die postkompensatorische Systole ist vergrößert und verbreitert, Es liegt hier also fraglos eine Zunahme der Contractilität vor. Das betreffende Kammerelektrogramm zeigt einen R-Ausschlag, der schmäler geworden ist, so daß also die Reizleitung durch die Kammer wohl beschleunigt ist. Aber nun ist der negative T-Ausschlag stark vergrößert, so daß er im negativen Sinne verändert ist, und dieseVeränderung ist ziemlich stark. Auch dieVerbindungslinie zwischen dem R- und dem T-Ausschlag ist gesunken. Während also der R-Ausschlag eine Beschleu- nigung der Reizleitungdurch die Kammer verrät, stehen dieVeränderungen des T-Aus- schlages und der Verbindungslinie zwischen R und T hiermit nicht im Einklanget). Die Systole, welche auf die postkompensatorische Systole folgt und in einem frühen Zeitpunkt der Kammerperiode anfängt (schon in der Mitte der aufsteigenden Linie des vorangehenden negativen T-Ausschlages), zeigt ein Elektrogramm, das aus der basalen Komponente besteht. Offenbar hat also während dieser Kammer- systole ein großer Teil der Kammerspitze nicht kontrahiert. Wir haben hier also eine teilweise Asystolie der Kammerspitze vor uns. Die dritte Systole ist wieder vergrößert und weist wieder ein Elektrogramm mit einem großen negativen T- Ausschlag auf. Die vierte Systole läßt wieder in der Form des Kammerelektro- Abb. 8. grammes eine teilweise Spitzenasystolie erkennen, aber weniger als die zweite Systole. So nähern sich die Alternanselektrogramme in ihrer Form allmählich immer mehr und schaukelt der Alternans gleichsam in immer kleineren Abweichungen, bis zu völligem Ausgleich hin. So gestaltet sich die äußere Beschreibung der Elektrogramme und Suspensionskurven dieser Aufnahme. Aber was ist nun in Wirklichkeit in dem Kammermuskel während dieses Experimentes geschehen ? Wir müssen uns noch eben kurz die Umstände vor Augen führen. Gewöhnlich — und so war es auch bei diesem Herzen zu Anfang nach dem Entbluten — entsteht nach einem Induktionsreiz eine Extra- systole, bei welcher der Reiz verzögert durch die Kammer fortgeleitet wird. Während des Kammeralternans, der dann auf die kompensato- rische Pause folgt, sehen wir eine Beschleunigung der Reizleitung während der großen und eine Verzögerung der Reizleitung während der kleinen Alternanssystolen. 1) Siehe S. de Boer, Über den Einfluß der Geschwindigkeit der Reizleitung auf die Form des Kammerelektrogrammes. Pfiügers Arch. f. d. ges. Physiol. 173, 732. 1918. 202 S. de Boer: Bei diesem Herzen ist nun eine lange Zeit verlaufen zwischen dem Entbluten und dieser Aufnahme. Im Momente der letzteren hat sich also der metabole Zustand des Kammermuskels im hohen Grade ver- schlechtert. Daher entsteht nach dem Induktionsreiz auch nur eine Extrasystole der Basis allein. Wir könnten nun vermuten, daß während der beiden Kammer- systolen, mit welchen diese Aufnahme beginnt, schon eine teilweise Spitzenasystolie vorhanden ist. Indessen ist dies ausgeschlossen, da dann die T-Ausschläge nicht so stark negativ wären. Besteht dann eine teilweise Basisasystolie? Dies wäre wirklich in Übereinstimmung mit der starken Negativität der T-Ausschläge. Aber dann müßten wir erwarten, daß sich die Kammerbasis nach und unter dem Einflusse der verlängerten kompensatorischen Pause erholen würde und daß dann der T-Ausschlag im positiven Sinne verändern müßte (also, da der T-Ausschlag negativ war, müßte dieser dann kleiner werden). Dies ist nun nicht der Fall; im Gegenteil: der T-Ausschlag der postkompensatorischen Systole ist in Wirklichkeit im negativen Sinne verändert. Auch eine teilweise Basisasystolie ist also nicht anzunehmen. Die beiden Anfangssystolen dieser Abbildung bestehen also aus Kontraktionen der ganzen Kammer, während die Contractilität ab- genommen hat. Nun wird die Extrasystole erzeugt, der eine verlängerte Pause folgt. Nach dieser verlängerten Pause hat sich der metabole Zustand des Kammermuskels gebessert, so daß die Contractilität und das Leitungsvermögen zunehmen. Aber besonders bessert sich auch die Contractilität der Kammerspitze sehr stark, so daß der negative T-Ausschlag größer wird. Nach dieser postkompensatorischen Systole beginnt die folgende Systole in einem sehr frühen Zeitpunkt der Kammer- periode. Die Kammerspitze, die kurz vorher eine große Kontraktion ausgeführt hat, mit der ein länger dauerndes Refraktärstadium ver- bunden war, ist jetzt noch refraktär, wenn die Erregung durch die Basis hindurch die Spitze erreicht. Daher entsteht allein eine Kon- traktion der Basis und nicht der Spitze. Wir haben also eine Halbierung des Spitzenrhythmus vor uns. Während der dritten Systole kontrahiert wieder die ganze Kammer, obwohl nach der kürzeren vorangehenden Kammerpause die Contractili- tät schon wieder abgenommen hat. Während der vierten Kammer- systole bleibt wieder ein Teil der Kammerspitze, obwohl ein kleinerer als bei der zweiten Systole, asystolisch. Derjenige Teil der Kammer- spitze, der im halbierten Rhythmus pulsiert, wird also immer kleiner, bis sich der Alternans in immer kleiner werdenden Schwankungen verloren hat. Wir haben hier also analoge Verhältnisse vor uns wie bei den Experimenten, die ich über die künstliche Umwandlung des nor- malen Kammerrhythmus in den halbierten nach Vergiftung mit Veratrin, Das Alternansproblem. 203 Digitalis, Antiarin und BaC], und nach dem Entbluten des Froschherzens ausführte!). Hier wurde der normale Rhythmus in den halbierten durch die postkompensatorische Systole, deren Refraktärstadium ver- längert ist, umgewandelt; dann prallte der nächste Sinusimpuls hieran ab. Auf die verlängerte Kammerpause folgte dann wieder eine ver- größerte Kammersystole mit einem verlängerten Refraktärstadium mit dem Erfolge, daß der halbierte Kammerrhythmus aus dem normalen hervorgerufen war. Was in jenen Experimenten mit der ganzen Kammer vorgegangen war, geschah nun in diesem Experiment mit der Kammer- spitze. Nach der verlängerten kompensatorischen Pause hat die Kon- traktion der Spitze zugenommen und damit zugleich das Refraktär- stadium der letzteren. Dann prallt der folgende Impuls, der durch die Basis geht, an der noch refraktären Kammerspitze ab, so daß diese nun inaktiv bleibt. Hierdurch entsteht also eine verlängerte Pause für die Kammerspitze. Danach erfolgt bei der nächsten Systole, also unter dem Einflusse der unmittelbar vorhergehenden verlängerten Kammer- spitzenpause, eine vergrößerte Kontraktion der Kammerspitze, nach- dem ebenfalls die Basis kontrahiert hat. Diese vergrößerte Kontraktion der Kammerspitze ist wieder mit einem verlängerten Refraktärstadium verbunden, und an diesem prallt dann wieder der folgende Impuls ab. Derjenige Teil der Kammerspitze, der während der kleinen Alternans- systolen inaktiv bleibt, wird immer kleiner und kleiner; die Halbierungs- ebene steigt also mehr und mehr nach der Spitze hinauf, infolge des Umstandes, daß bei jeder kleinen Alternanssytole die Erregung immer weiter in die Spitze hindurchdringt. Je näher sie also der Spitze ist, desto länger dauert das Refraktärstadium. Dieser Art waren die Ver- hältnisse gewöhnlich auch in den Alternansuntersuchungen nach Er- wärmung des Sinus venosus nach Vergiftung mit Digitalis oder Antiarin. Es erhebt sich nun folgende Frage: Ist diese besondere Alternans- form mit teilweiser Asystolie der Spitze nach der kompensatorischen Systole dadurch entstanden, daß auf den Extrareiz bei 1 nur eine basale Kontraktion folgte? Wir würden uns dies denken können. Oder ist diese teilweise Extrasystole der Basis nur eine Nebenerschei- nung? Mit anderen Worten, entsteht nach dem Extrareiz eine teilweise Kontraktion, so wie nach der postkompensatorischen Systole eine teil- weise Kontraktion entsteht, weil in beiden Fällen in einem frühen Zeit- punkt der Kammerperiode die Systole anfängt? In Abb. 9, die von demselben Herzen aufgenommen wurde, können wir den Beweis liefern, daß die teilweise Extrasystole nicht die Ursache dieser besonderen Alternansform ist. !) Arch. neerland. de physiol. 1, 271, 502. 1917; 3, 90. 1918 und Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 18%, 283. 1921. Americ. Journ. of Physiol. 5%, 189. 1921. 204 S. de Boer: In Abb. 9 entsteht nämlich nach einem Induktionsreiz (bei 1) von gleicher Stärke, der etwas früher in der Kammerperiode verabfolgt wurde, Flimmern der Kammer. Hierauf folgt eine verlängerte Kammerpause. Darauf sehen wir nun einen -Kammeralternans auftreten, der denselben Charakter trägt wie derjenige von Abb. 8, bei dem also auch der Rhythmus der Kammerspitze halbiert ist. Wir schließen hieraus also, daß auch in Abb. 8 zwischen der teil- weisen Extrasystole und der besonderen Alternansform, die nach der kompensatorischen Pause folgt, kein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ich habe in meinen früheren Untersuchungen nachgewiesen, daß der normale Kammerrhythmus in den halbierten spontan übergehen oder durch eine verbreiterte postkompensatorische Systole verwandelt werden kann, wenn der metabole Zustand der Kammer verschlechtert ist und infolgedessen die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer zugenommen hat. Nun ist meistens die Dauer des Refraktärstadiums der Kammerspitze länger als diejenige der Basis. Daher geht der normale Kammerrhythmus spontan in den Kammeralternans über, wobei die Kammerspitze inaktiv bleibt, wenn der metabole Zustand der Kammer weniger verschlechtert ist, so daß auf alle Impulse die Basis noch zur Kontraktion gelangt. Diese Alternansform können wir, wie oben nach- gewiesen wurde, experimentell aus dem normalen Kammerrhythmus hervorrufen nach einer verbreiterten postkompensatorischen Systole. Ist nun der metabole Zustand der Kammer weniger verschlechtert, dann folgt auf eine postkompensatorische Systole ein Kammeralternans, bei welchem eine alternierend verschiedene Reizleitung besteht. Dann wird also während der kleinen Alternanssystole die Erregung verzögert durch die ganze Kammer fortgeleitet. Somit kennen wir also 2 Alternans- zwischenstadien zwischen dem normalen Kammerrhythmus und dem halbierten; die Reihenfolge ist also: normaler Kammerrhythmus > Kammeralternans mit alternierend verschiedener Reizleitung durch die ganze Kammer > Kammeralternans mit teilweiser Spitzenasystolie während der kleinen Alternanssytole > halbierter Kammerrhythmus. Das Alternansproblem. 205 Diese Auffassung wird auch durch die Erfahrungen bestätigt, welche ich nach Vergiftung der Froschherzen mit Digitalis machte. Hierbei tritt in einem gewissen Stadium der Vergiftung Halbierung des Kammer- rhythmus ein, sobald die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer die Dauer einer Sinusperiode übertrifft. Als Übergang zwischen dem normalen und dem halbierten Kammerrhythmus fand ich oft Kammer- alternans, der ausführlich von mir im Jahre 1917 publiziert!) und mit vielen Kurven erläutert wurde. Dieser Kammeralternans stellte sich erst dann ein, wenn der metabole Zustand des Kammermuskels schon stark gelitten hatte. Diese Verschlechterung des metabolen Zustandes kam zum Ausdruck in einer Verlängerung des Refraktärstadiums der Kammer, in einer Abnahme der Contractilität und der Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer. Wenn dann der Alternans ein- getreten war, erreichten die großen Alternanssystolen eine größere Kontraktionshöhe und -dauer, die kleinen Alternanssystolen dagegen eine kleinere Kontraktionshöhe und -dauer als die gleichhohen Kammer- systolen, die unmittelbar dem Alternans vorangingen. Während dieses Kammeralternans war meistens die Kammerspitze asystolisch bei den kleinen Alternanssystolen?). Aus diesen Untersuchungen zeigte sich also, ebenso wie aus denjenigen, in welchen bei dem entbluteten Frosch- herzen der Sinus venosus erwärmt wurde, daß die Dauer des Refraktär- stadiums der Kammerspitze meistens diejenige der Kammerbasis übertraf. Daher wurde in den 3 Versuchsreihen (nämlich nach Er- wärmung des Sinus venosus beim entbluteten Froschherzen, nach Ver- giftung mit Digitalis und mit Antiarin), in denen der metabole Zustand des Kammermuskels verschlechtert wurde, meistens zuerst die Kammer- spitze zum halbierten Rhythmus gebracht. Wenn danach, wenn sich der metabole Zustand des Kammermuskels noch weiter verschlechterte, auch die Dauer des Refraktärstadiums der Kammerbasis die Dauer einer Sinusperiode übertraf, stellte sich der halbierte Kammerrhythmus ein. Nun wurde von mir in einigen Fällen, noch ehe Asystolie eines Teiles der Kammer während der kleinen Alternanssystolen wahrgenom- men wurde, Kammeralternans gefunden, bei dem alternierend die Reizleitung durch die Kammer stärker verlangsamt war (siehe Abb. 7). Nach Vergiftung mit Digitalis fanden wir daher die beiden Alternans- formen nacheinander, welche in Kapitel II Bund A beschrieben wurden. Merkwürdig ist nun wohl diejenige Übergangsform des Kammer- alternans, bei welcher die Reizleitung alternierend stärker verzögert 1!) Arch. neerland. de physiol. 1, 502. 1917. ®) Die vorstehend erwähnten Beobachtungen wurden auch bei Froschherzen gemacht, die mit Antiarin vergiftet waren. (Arch. neerland de physiol., 3, 90. 1918. In einem Falle, der in Abb. 4 wiedergegeben wurde, war während der großen Alternanssystolen ein Teil der Kammerbasis asystolisch. 206 S. de Boer: war, nach dem Alternans, bei welchem ein Teil der Kammerspitze asystolisch war. Hiervon sehen wir ein Beispiel in Abb. 10. Diese Aufnahme wurde von einem mit Digitalis vergifteten Froschherzen gemacht. Während der kleinen Alternanssystolen beobachtete ich eine sehr kleine hernienartige Ausbuchtung an der Kammerspitze. Diese war also zum Teile asy- stolisch während der kleinen Alternanssystolen. Dementsprechend sehen wir hier die Elektrogramme der kleinen Kammersystolen eine Ausbuchtung nach oben aufweisen. Außerdem sind die R-Ausschläge der Elektrogramme der kleinen Alter- nanssystolen bedeutend breiter als diejenigen der großen. Daher ist die Reizleitung durch die Kammer während der kleinen Alternanssystolen viel träger als während der großen. Die kleinen Alternanssystolen zeigen also eine trägere Reizleitung durch die Kammer und zugleich teilweise Spitzenasystolie. Wäre daher keine Asystolie eines Teiles der Kammerspitze während der kleinen Alternanssystolen vorhanden gewesen, dann hätten wir einen negativen T-Ausschlag und eine Sen- kung der Verbindungslinie zwischen dem R- und dem T-Ausschlag in den Elektro- TamaiBar "u zu en BER Bi ud grammen der kleinen Alternanssystolen bekommen. Die teilweise Kammerspitzen- asystolie hat aber bewirkt, daß die Verbindungslinie zwischen dem R- und dem T-Ausschlag und gleichzeitig der letztere steigt!). Wir folgern daher: Nach Vergiftung des Froschherzens mittels einer toxischen Dosis Digitalis verschlechtert sich der metabole Zustand der Kammer, was zum Ausdruck kommt in einer Zunahme der Dauer des Refraktärstadiums der Kammer, einer Abnahme der Contractilität des Kammermuskels und zugleich der Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer. Danach kann Alternans der Kammer auftreten. Wir bemerken dann erst eine Form von Kammeralternans, bei der alternierend die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer stärker verzögert ist während der kleinen Alternanssystolen. Diese Form geht über in Kammeralternans, bei welchem während der kleinen Kammersystolen meistens Asystolie der Kammerspitze oder eines Teiles !) Siehe S. de Boer, Über den Einfluß der Geschwindigkeit der Reizleitung auf die Form des Kammerelektrogrammes. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., 173, 1S-L9TS: Das Alternansproblem. 207 je derselben besteht!). Zwischen diesen beiden Alternansformen kommt eine Übergangsform vor. Wenn dann der metabole Zustand des Kammer- muskels infolge des Fortschreitens der Vergiftung noch schlechter wird, übertrifft schließlich auch die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer- basis die Dauer einer Sinusperiode, so daß der halbierte Rhythmus der ganzen Kammer in die Erscheinung tritt. Wir sehen also, daß auch nach Vergiftung mit Digitalis infolge einer Verschlechterung des metabolen Zustandes dieselben beiden Alternansformen in derselben Reihenfolge vorkommen als Übergangs- form zwischen dem normalen und dem halbierten Kammerrhythmus, wie wir diese nach der postkompensatorischen Systole bei dem unver- gifteten Froschherzen kennengelernt haben. Es ist wohl sehr wahrscheinlich, daß nach Erwärmung des Sinus venosus beim entbluteten Froschherzen auch bei weniger starker Er- wärmung, also bei geringer Verschlechterung des metabolen Zustandes der Kammer auch ein Alternans mit einer alternierend verschiedenen Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer vorkommt. Dieser würde dann das Vorstadium des Kammeralternans mit teilweiser Spitzenasystolie sein, den ich unter II A, 1 beschrieb. Hierüber werden nähere Untersuchungen angestellt werden. D. Kammeralternans infolge totaler Hyposystolie während der kleinen Alternanssystole. Wir haben im vorstehenden gesehen, daß bei dem Kammeralternans, der durch Erwärmung des Sinus venosus oder durch Digitalis- oder Anti- arinvergiftung herbeigeführt wurde, auf die großen Kammersystolen eine kleine und auf die kleinen Kammersystolen eine große Kammer- pause folgt. Nun ist es seit Bowditch und Hofmann bekannt, daß nach einer großen Kammerpause die Contractilität der Kammer stärker ist als nach einer kleinen. Wir sind also wohl gezwungen, für die kleinen Alternanssystolen, bei denen teilweise Asystolie besteht, für denjenigen Teil des Ventrikels, der kontrahiert, auch noch eine Hyposystolie anzunehmen. Diese Ansicht drängt sich uns auch darum auf, weil die Elektrogramme der kleinen Alternanssystolen in diesen Experimenten kürzer dauern als die der großen. Auch in Abb. 6 bei dem Kammeralternans, der vorübergehend nach der kompensatorischen Pause auftritt, sind diese Verhältnisse besonders deutlich. Hier kontrahiert während der kleinen Alternanssystolen der ganze Kammermuskel, während die Erregung in verlangsamten Tempo !) In einigen Fällen bemerkte ich, daß der asystolische Teil (der also hernien- artig ausbuchtete) so groß war, daß nur ein schmaler ringförmiger Teil der Basis, dicht bei der Atrio-Ventrikularfurche kontrahierte. In diesem Umstande sehe ich eine Bestätigung der schon bekannten Tatsache, daß die Kammer längs der ganzen Atrio-Ventrikularfurche physiologisch mit den Vorhöfen verbunden ist. 208 S. de Boer: durch die Kammer fortgeleitet wird. Bei diesem Kammeralternans nun ist die Dauer der großen Kammersystolen größer als diejenige der vorangehenden Kammersystolen, die gleichhoch sind. Während der großen Kammersystolen besteht hier also eine Hypersystolie. Die kleinen Kammersystolen aber sind nicht allein kürzer von Dauer als die großen Alternanssystolen, sondern haben zugleich kürzere Dauer als die Kammer- systolen, die der Extrasystole vorangehen. Während der kleinen Kammersystolen besteht daher eine Hyposystolie. Wir haben es also fast nie mit reinen Alternansformen zu tun, bei denen eine Erklärung allein ausreicht. Neben der teilweisen Asystolie kommt eine Hyposystolie der kleinen Alternanssystolen und neben der alternierend verschiedenen Reizleitung durch die Kammer eine Hyper- bzw. Hyposystolie vor. Vielleicht haben wir in Abb. 7 eine Alternansform vor uns, bei der keine Hyposystolie während der kleinen Alternanssystolen im Spiele Be “ A R = = 4 AR AT AR B FH a A P——# == Ss sa = A erregen ja Pi Seesen seen Sr Berges esbezenmessgnn a ee te ee en tn DAN I. 1. 0.8 Mala en Se EI u ı kl y Y ars = - ill I 1 Ill N ll ist. Mit Sicherheit kann ich dies nicht sagen, da hier, wie ich schon oben darlegte, eine Verkürzung der Kammerpausen nach den kleinen Kammersystolen vorliegt. Diese verkürzten Kammerpausen sind hier ausschließlich eine Folge der verzögerten Reizleitung durch die Kammer während der kleinen Alternanssystolen. Hierdurch werden nämlich die Kammerelektrogramme und Suspensionskurven in die Breite gezogen. Es sind denn auch Pausen zwischen dem Ende der Spitzenkontraktion und dem Beginn der Basiskontraktion, so daß der Einfluß der Kammer- pausen auf die Contractilität hier völlig unberechenbar ist. Die Form und die Dauer der Elektrogramme und zugleich der Suspensionskurven, die ich oben ausführlich beschrieb, scheinen wohl darauf hinzudeuten, daß wir ausschließlich mit einem Kammeralternans infolge einer alter- nierend verschiedenen Reizleitung durch die Kammer zu tun haben. Zu diesem Kapitel gehört auch Abb. 11. Wir sehen in derselben die Suspensions- kurven und Elektrogramme eines entbluteten Froschherzens. Anfangs zeigen die Das Alternansproblem. 209 Kammerkurven einen geringen Alternans, bei welchem die Kammerelektrogramme allein Unterschiede in Dauer aufweisen. Die Dauer der Kammerpausen ist auch alternierend verschieden: den großen Kammerkurven gehen etwas größere Pausen voran als den kleinen. Nun wird bei x der Sinus venosus etwas erwärmt durch Bespritzen mit einem kleinen Strahle erwärmter Ringerscher Flüssigkeit. Dadurch nimmt die Frequenz der Kammersystolen stark zu und gleichzeitig wird der Alter- nans stärker ausgeprägt, wenigstens was die Suspensionskurven betrifft. Für die Kammerelektrogramme aber sind diese Unterschiede viel geringer. Bei ihnen ist hauptsächlich die Dauer der Kammerelektrogramme alternierend verschieden. Auch die Pausenunterschiede sind alternierend nun viel stärker. Außerdem unter- scheiden sich die T-Ausschläge etwas in Höhe. In bezug auf die R-Ausschläge und die Breite derselben können wir keine Unterschiede wahrnehmen; auch beginnen die T-Ausschläge überall in derselben Höhe der absteigenden Linie der R-Ausschläge. Wir können hier also keine alternierende teilweise Asystolie des Kammermuskels wahrnehmen; auch erhellt nicht aus den Elektrogrammen, daß eine alternierend verschiedene Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer besteht. Höch- stens verraten die kleineren T-Ausschläge während der kleinen Alternanssystolen eine sehr geringe Verlangsamung der Reizleitung durch die Kammer. Das Auffallendste bei diesem Alternans ist also der Unterschied der Dauer der Alternanselektrogramme. Hieraus glaube ich schließen zu müssen, daß dieser Alternans hauptsächlich durch eine totale Hypo- systolie während der kleinen Alternanssystolen zustande kommt. Die kurzen Kammerpausen, welche den kleinen Alternanssystolen voran- gehen, verursachen hier also diese totale Hyposystolie. E. Einige abweichende Formen von Kammeralternans. Wenn man das Alternansproblem lange Zeit hindurch studiert und darüber experimentiert, trifft man dann und wann auf Alternansformen, die von den gewöhnlichen Formen stark abweichen. Ich werde hier ein paar Beispiele dieser abweichenden Formen näher besprechen. I kn KILtTH e LIRFFTERFT EN KILH EENHHLFN Mil I ERERL f N = FLERSELRERLKELLLLEN all Alm EH ann eur re en = ı i - } af RRHENUN ij ' In Abb. 12 sind die Suspensionskurven und Elektrogramme eines entbluteten Froschherzens wiedergegeben, nachdem kurze Zeit vorher der Sinus venosus etwas erwärmt wurde. 210 S. de Boer: Die Abbildung beginnt mit 3 Alternansgruppen, die in den Suspensionskurven große Unterschiede zwischen den großen und den kleinen Alternanssystolen auf- weisen. In den Elektrogrammen sind die Unterschiede auch deutlich vorhanden, aber nicht so stark ausgeprägt wie in den Suspensionskurven. Die T-Ausschläge der kleinen Alternanssystolen sind negativ, während die der großen positiv sind. Die R-Ausschläge der kleinen Alternanssystolen haben eine etwas größere Breite als die der großen. Wir könnten nun den Alternans der Elektrogramme durch eine alternierend verschiedene Reizleitung erklären; jedoch genügt dies nicht zur Er- klärung der großen Unterschiede in Höhe zwischen den Suspensionskurven. Wir müssen daher hierneben wohl noch andere Momente annehmen. Esist nun möglich, daß während der kleinen Alternanssystolen zugleich eine totale Hyposystolie vor- handen ist (die elektrischen Pausen, die den kleinen Alternanssystolen vorangehen, dauern nämlich kürzer als die vor den großen Alternanssystolen.) Eine andere Möglichkeit besteht auch noch. Es kann auch sein, daß während der kleinen Alternanssystolen ein Teil der Kammerbasis nicht kontrahiert. Auch hierdurch wird, das Mehrnegativwerden der T-Ausschläge begünstigt. Namentlich der fernere Verlauf deutet stark in die Richtung dieser Erklärungsmöglichkeit. Bei 0 schlägt nämlich die Negativität des T-Ausschlages mit einer scharfen Linie nach oben plötzlich in eine Positivität um. Dies würde darauf hindeuten, daß ein Teil der Kammerbasis, der noch nicht zur Kontraktion gelangt war, nun plötzlich zur Kontraktion übergeht. Darauf verändert der Typus des Alternans völlig. Von der nächsten Kammer- systole ist der T-Ausschlag stark negativ geworden. Offenbar ist hierbei ein Teil der Kammerbasis nicht zur Kontraktion gekommen. Dann folgt eine Kammer- systole mit einem stark positiven T- Ausschlag; dieser kommt also dadurch zustande, daß die Basiskontraktion stark über die Spitzenkontraktion, die dann teilweise asystolisch bleiben würde, überwiegt. Wir haben hier also einen Kammeralternans vor uns, bei welchem abwechselnd Kammersystolen vom basalen und vom apikalen Typus zustandekommen. Dieser Gegensatz nimmt von der ersten bis zur letzten Gruppe zu. Die Systolen des apikalen Typus weisen einen positiven R-Ausschlag auf. Darauf beginnt der stark negative T-Ausschlag, in welchem eine kleine Sa- mojloffsche Hacke ausgeschnitten ist. Dies weist darauf hin, daß auch bei den apikalen Systolen die Kontraktion in einem Teile der Kammerbasis anfängt und daß danach die Spitzenkontraktion stark überwiegt. Die Erregung verläuft daher auch während der apikalen Systole in der Richtung von der Basis nach der Spitze. Wenn wir nun die Suspensionskurven näher betrachten, dann sehen wir, daß der Alternans bei ihnen längst nicht so stark zum Ausdruck kommt wie bei den Elektrogrammen. Die basalen Kurven erreichen hier eine etwas kleinere Höhe als die apikalen; die Dauer von beiden Alternanskurven zeigt keinen deutlichen Unterschied. Dies deutet also darauf hin, daß die Kontraktion des Basisteiles bei den basalen Kurven ungefähr ebenso stark ist wie diejenige des Spitzenteiles bei den apikalen Kurven. Es walten hier also Verhältnisse ob, die genau denjenigen des Alternans zu Beginn dieser Aufnahme entgegengesetzt sind. Im Anfange kam der Alternans viel stärker zum Ausdruck in den Suspensionskurven und weniger in den Elektrogrammen; am Ende der Aufnahme alternieren die Suspensionskurven viel weniger als die Elektrogramme. Die Ursache dieses Gegensatzes liegt in dem Umstande, daß durch die Suspension etwas ganz anderes registriert wird als mit dem Saitengalvanometer. Bei der Suspension werden die Zustandsveränderungen der Basis und der Spitze addiert, bei der elektrischen Registrierung aber von- einander subtrahiert. Erst dann, wenn wir beide Registrationsmethoden zugleich anwenden, erhalten wir einen richtigen Einblick in die Zustandsveränderungen, die in den verschiedenen Gebieten des Kammermuskels stattfinden. Das Alternansproblem. 2A: Ein zweites Beispiel einer von der Norm abweichenden Alternansform, die ebenfalls nach Erwärmung des Sinus venosus erhalten wurde, finden wir in Abb. 13 wiedergegeben. In den Suspensionskurven wechseln hier sehr große Kammer- systolen mit sehr kleinen ab. Zu Beginn der Dilatationslinie der großen Kammer- systolen sehen wir die Vorhofsystolen, die den kleinen Kammersystolen voran- gehen. Auf die kleinen Kammersystolen folgen die Vorhofsystolen, die den großen Kammersystolen vorhergehen. Die Elektrogramme der großen Kammersystolen weisen Elektrogramme mit einem positiven R- und T-Ausschlag auf. Während dieser großen Alternanssystolen kontrahiert der ganze Kammermuskel. Von diesem selben Froschherzen nämlich registrierte ich, auch nach Erwärmung des Sinus venosus, die Suspensionskurven und Elektrogramme, während die Kammer im halbierten Rhythmus pulsierte. Die Elektrogramme dieser Kammersystolen hatten nun genau dieselbe Form wie diejenige der großen Alternanssystolen in diesen Abbildungen!). Die Kammerelektrogramme der kleinen Alternanssystolen haben eine sehr eigentümliche Form. Sie beginnen schon in der absteigenden Linie des T-Ausschlages der großen Alternanssystolen. Erst bemerken wir einen kleinen Ausschlag nach oben, der bald in einen viel größeren nach unten übergeht. Auf diesen negativen Ausschlag folgt ebenfalls ein negativer T-Ausschlag. Während der kleinen Alternanssystolen kommen also Elektrogramme zum Vorschein, die außer dem kleinen positiven Anfangsausschlag umgekehrt sind. Die Erklärung hierfür ist die folgende: Die Erregung erreicht die Kammer von den Vorhöfen aus und gelanst also erst in die Basis der Kammer. Die vorangehende große Alternanssystole hat dann noch nicht aufgehört, so daß der metabole Zustand noch schlecht ist. Deshalb kann die Erregung sich nur längs einem schmalen Wege nach der Spitze fortpflanzen; sobald sie die Kammerspitze erreicht hat, ist der kleine positive Vorschlag entstanden. Danach — und jetzt ist allmählich der metabole Zustand des Kammermuskels besser geworden — pflanzt sich die Erregung von der Spitze an nach der Basis fort und entsteht dadurch der negative R-Ausschlag mit darauffolgendem ebenfalls negativen T-Ausschlag. Ob während dieser kleinen Alternanssystolen neben der 1) Publiziert in Arch. neerland de physiol. 1, 64. 1916. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 15 212 S. de Boer: totalen Hyposystolie auch noch eine teilweise Asystolie vorhanden ist, läßt sich zwar vermuten, ist aber schwer zu beweisen. Das Auffallende dieses Kammeralternans besteht darin, daß die Elektrogramme der kleinen Alternanssystolen umgekehrt sind, daß sich die Erregung also, nachdem sie erst längs einem schmalen Streifen die Kammerspitze erreicht hat, in die Richtung der Basis fortpflanzt. Außer diesem Alternans wurden noch einige abweichende Formen von Kammeralternans von mir publiziert im Jahre 1916!). So wurden ein paar Alternanskurven wiedergegeben, die nach Erwärmung des Sinus venosus erhalten wurden, wobei die Elektrogramme der kleinen Alternanskurven reine diphasische Aktionsströme ergaben. Diese diphasischen Aktionsströme bestanden aus zwei einander entgegen- gesetzt gerichteten Phasen, die direkt ineinander übergingen. Sie unter- schieden sich in keinerlei Weise von den diphasischen Aktionsströmen der Skelettmuskeln. Die Erklärung hierfür ist meiner Meinung nach die folgende: Bei den Skelettmuskeln ist die Aktionsstromkurve der einfachen Zuckung darum diphasisch, weil das Muskelgebiet, welches von der Erregung durchlaufen wird, nur sehr kurze Zeit in Kontraktion bleibt. Dadurch folgen die beiden Negativitäten, welche an den beiden Ableitungspolen zum Ausdruck kommen, aufeinander. Die beiden Komponenten, die diesen diphasischen Aktionsstrom ergeben, decken einander nur sehr wenig. Ganz anders ist dies bei dem Herzen. Hier bleibt jedes Muskelelement während langer Zeit im Kontraktionszustand verharren und also zugleich elektronegativ. Die Elektronegativität, welche bei der Basis beginnt, dauert hier noch fort, wenn auch die Spitze schon negativ geworden ist. So fallen die beiden Negativitäten hier während des größten Teiles der Kammersystole zusammen. Die Rich- tung der Ausschläge wird hier also durch die Interferenz der beiden einander entgegengesetzt gerichteten Komponenten bestimmt. (Siehe hierüber Arch. neerland. de physiol. 1, 27. 1916.) Wenn nun Kammerelektrogramme rein diphasische Aktionsströme ergeben, so wie wir diese bei den Skelettmuskeln kennen, dann geschieht dies allein unter sehr eigentümlichen Umständen. Dann hat die Contractilität (und die Geschwindigkeit der Reizleitung) stark abge- nommen, so daß jedes Muskelelement kurze Zeit in Kontraktion bleibt. Dann kommen, ebenso wie beim Skelettmuskel, die Nega- tivitäten, die an den beiden Ableitungspolen mit entgegengesetzten Zeichen zum Ausdruck kommen, nacheinander. Wir bemerken dann auch in den publizierten Kurven nichts von einer Samojloffschen . Hacke. Während der apikalen Negativität dauert die basale nicht mehr fort. 1!) Arch. neerland. de physiol., I, 55, 1916, Abb. 29 u. 30. Das Alternansproblem. 213 F. Einfluß einer veränderten (meistens verlängerten) Kammerpause auf das Entstehen oder Verschwinden von Kammeralternans (Verstärken oder Verschwächen von Kammeralternans). Von Rihl!) wurde zuerst nachgewiesen, daß nach einer Extrasystole entweder ein Kammeralternans hervorgerufen werden kann (in Über- einstimmung mit der früheren Wahrnehmung Hofmanns) oder ein zuvor bestehender Kammeralternans verschwächt werden kann. In der Literatur wird diese verschiedene Wirkung einer Extrasystole auf den Kammeralternans von verschiedenen Untersuchern als eine merk- würdige Tatsache vermeldet, für die man keine Erklärung zu geben weiß. Rihlund Kisch meinen sogar, daß die Extrasystole selbst diesen verschiedenen Einfluß ausübt. Kisch spricht in seiner kurzen Über- sicht auch immer von dem Einfluß einer Extrasystole auf den Alternans. Um jedes Mißverständnis hierüber aus dem Wege zu räumen, sei hier gleich bemerkt, daß das Auftreten oder das Verschwinden bzw. Verstärken oder Verschwächen eines Kammeralternans in der Regel durch die Dauer der Kammerpause verursacht wird. Diese ver- änderte Dauer der Kammerpause kann man hervorrufen nach einer Extrasystole oder auch ohne Extrasystole. Während der letzten 7 Jahre, in denen ich das Problem des Kammeralternans immer wieder von einer anderen Seite aus studierte, kam ich in bezug auf die vorstehend genannte Erscheinung zu den folgenden Resultaten: l. Es wurde die Wahrnehmung Hofmanns bestätigt, daß nach der kompensatorischen Pause, die auf eine Extrasystole folgt, sich Kammeralternans einstellen kann, wenn dieser vorher nicht vorhanden war; oder auch ein bestehender Alternans konnte dadurch verstärkt werden. (Livre jubilaire en l’honneur de €. A. Pekelharing, Arch. neerland. de physiol. 2, 5l4. 1918 [Abb. 3].) Gleichzeitig wurde die Beobachtung Rihls bestätigt, daß nach einer kompensatorischen Pause, die auf eine Extrasystole folgt, ein vorhandener Kammeralternans zum Verschwinden gebracht oder ver- schwächt werden kann. 2. Kammeralternans kann nach einer Extrapause der Kammer?) auftreten oder dadurch verstärkt werden (siehe Abb. 16 dieser Mit- teilung). Gleichzeitig kann nach einer Extrapause ein vorhandener 1) Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therap. 3, 83. 1906. ”) Extrapause nenne ich die verlängerte Kammerpause, welche nach einer . Extrasystole der Vorhöfe auftritt, wenn dieser keine vorzeitige Kammersystole folgt. In anderen Publikationen (Koninklyke Akademie van Wetenschappen, in Amsterdam, Teil 29, S. 195, 1920 und Proceedings, 23, 542, und Pflügers Arch. f.d. ges. Physiol, 18%, 286 u. 287, 1921) wurde dargelegt, daß diese Extrapause auf zwei Weisen hervorgerufen werden kann, auf welche Veröffentlichungen ich hier verweise. i5z 274 S. de Boer: Kammeralternans zum Verschwinden gebracht oder verschwächt werden (siehe Abb. 15 u. 16 dieser Mitteilung). 3. Kammeralternans kann sich einstellen oder verstärkt werden nach einer deformierten, fraktionierten Kammersystole. Auf solche frak- tionierte Kammersystolen, die nach Vergiftung mit Digitalis auftreten können, folgt fast immer eine verlängerte Kammerpause. Außerdem kann ein vorhandener Kammeralternans nach einer verlängerten Kammerpause, die auf eine fraktionierte Systole folgt, zum Verschwinden gebracht oder verschwächt werden (siehe Abb. 14 dieser Mitteilung und Abb. 13, S. 526 Arch. neerland. de physiol. 1. 1917). 4. Ein Kammeralternans kann auftreten oder verstärkt werden nach Kammerflimmern, auf das eine postundulatorische Pause folgt (siehe Abb. 9 dieser Mitteilung). Umgekehrt kann ein vorhandener Kammer- alternans nach einer postundulatorischen Pause zum Verschwinden gebracht oder verschwächt werden. Ich habe diese Tatsachen vorangestellt, um zu zeigen, daß das Auf- treten oder Verschwinden von Kammeralternans nach einer Extrasystole nur ein besonderer Fall einer mehr allgemeinen Erscheinung ist. Wenn nämlich, durch welche Ursache es denn auch sei, wie oben angegeben wurde, die Dauer der Kammerpause verändert wird (und dann fast immer verlängert), dann kann ein vorhandener Alternans verschwächt oder aufgehoben werden, oder auch kann dann ein Alternans erzeugt oder verstärkt werden. Diese Wahrnehmungen, die aufs engste in Zu- sammenhang stehen mit den mehr allgemeinen Fragen bezüglich des Entstehens des Kammeralternans und des Mechanismus, der demselben zugrunde liegt, verdienen deshalb eine nähere Analyse und wenn möglich aufgeklärt zu werden. Und diese Wahrnehmungen betreffen nicht isoliert dastehende Tatsachen. Während meiner umfassenden Alternans- untersuchungen habe ich diese a priori paradoxal erscheinende ent- gegengesetzte Beeinflussung einer veränderten (fast stets verlängerten) Kammerpause unter den vorstehend angegebenen Verhältnissen so häufig wahrgenommen, daß hierfür bestimmte Ursachen allgemein physiologischer Art vorhanden sein müssen. Wir werden nun versuchen, diese an der Hand unserer Wahrnehmungen aufzuspüren. Es wird sich dabei herausstellen, daß es sich hier nicht um eine Erscheinung handelt, die allein für Kammeralternans gilt, sondern daß dies nur ein besonderer Fall einer mehr allgemeinen Erscheinung ist. Ich führte nämlich meine Alternansuntersuchungen bei Froschherzen aus, nachdem ich erst den allgemeinen metabolen Zustand des Kammermuskels verschlechtert . hatte. Ich erreichte dies entweder dadurch, daß ich die Herzen ent- blutete oder den Sinus venosus erwärmte und so dem Herzen eine hohe Frequenz aufdrängte, oder durch Gifte, nämlich Digitalis, Antiarin oder BaÜl, in toxischer Dosis. Nur dann, wenn der metabole Zustand Das Alternansproblem. 215 ge des Kammermuskels erst verschlechtert war, konnte der Alternans der Kammer auftreten. In allen diesen Fällen konnte ich auch den halbierten Rhythmus der Kammer erzielen. Nun bildete der Kammeralternans eine Übergangsform zwischen dem normalen Kammerrhythmus mit gleichhohen Kammersystolen und dem halbierten Rhythmus der Kam- mer. Solch ein Übergang des Kammeralternans zu dem halbierten Kammerrhythmus nach Erwärmung des Sinus venosus wurde an anderer Stelle!) von mir publiziert. Ein derartiger Übergang nach Vergiftung mit Digitalis?) und Antiarin?) wurde auch schon veröffent- licht. Auch W. Straub) gibt ein Beispiel eines solchen Überganges nach Vergiftung mit Antiarin. Daß Kammeralternans eine Mittel- stellung zwischen dem normalen Kammerrhythmus mit gleichhohen Kammersystolen und dem halbierten Kammerrhythmus einnimmt, geht auch aus den Experiementen hervor, welche ich ausführte, nach- dem ich die Froschherzen mit BaCl, vergiftet hatte. Hierbei konnte ich, durch das Hervorrufen einer Extrasystole der Kammer, den normalen Rhythmus der Kammer in Kammeralternans verwandeln. Anderer- seits konnte ich Kammeralternans wieder in den halbierten Rhythmus der Kammer überführen. Zu diesem Zweck erzeugte ich eine Extra- pause der Kammer; nach dieser verlängerten Extrapause war die erst- folgende Kammersystole vergrößert und verbreitert, der ein verlängertes Refraktärstadium entsprach. Diese verbreiterte Kammersystole zwang nun der Kammer den halbierten Rhythmus auf?°). Alle diese Tatsachen führten zu der Ansicht, daß Kammeralternans eine Zwischenform zwischen dem normalen Kammerrhythmus mit gleich- hohen Kammersystolen und dem halbierten Rhythmus der Kammer ist. Wir erzielten nun den halbierten Rhythmus der Kammer aus dem normalen, nachdem erst der metabole Zustand der Kammer verschlech- tert war. Infolge dieses verschlechterten metabolen Zustandes nahm die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer zu. Diese Zunahme der Dauer des Refraktärstadiums der Kammer verursachte nun das Er- scheinen des halbierten Kammerrhythmus. Es ist nun klar, daß für das Eintreten von Kammeralternans der metabole Zustand der Kammer weniger verschlechtert werden muß als für den halbierten Rhythmus. Um nun den Einfluß einer verlängerten Pause auf das Zustandekommen oder Verschwinden von Kammeralternans zu begreifen, müssen wir erst die Sachlage darlegen für den halbierten Kammerrhythmus. Wir verfolgen für diesen Zweck z. B. den Vergiftungsprozeß, wie sich dieser !) Arch. neerland. de physiol. 1, 31, Abb. 2. 1916. ®) Arch. neerland. de physiol., 1, 517, Abb. 9, 1917. ?) Arch. neerland. de physiol., 3, 96, Abb. 3, 1918. 2) W. Straub, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmol. 45, 346. 1901. >) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 18%, 290 u. 291. 1921. 216 S. de Boer: mit Digitalis beim Froschherzen abspielt, und zwar in bezug auf die Kammer!). Wenn wir einen Frosch mit einer toxischen Dosis Digitalis vergiften, wird der metabole Zustand der Kammer schlechter, was in einer Zu- nahme des Refraktärstadiums, einer Abnahme der Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer und einer Abnahme der Contractilität zum Ausdruck kommt. Zum Schlusse ist das metabole Gleichgewicht der Kammer gestört, so daß zu Beginn jeder Kammersystole der Kam- mermuskel noch nicht ganz wiederhergestellt ist. (Deshalb nimmt dann die Contractilität ab und die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer ebenfalls.) Dasjenige nun, was an der Erholung der Kammer zu Anfang jeder Systole fehlt, nennen wir das Residu- Refraktärstadium. Diesem fügt jede Systole das periodische Refraktärstadium hinzu. Das gesamte Refraktärstadium besteht also nach dieser Störung des metabolen Gleichgewichtes aus diesen beiden Komponenten. Dann nimmt die Dauer des Residu-Refraktärstadiums der Kammer durch Akkumulation derart zu, daß endlich die Dauer des gesamten Refraktärstadiums der Kammer die Dauer einer Sinus- periode übertrifft. Sobald dieser Augenblick angebrochen ist, reagiert die Kammer auf den erstfolgenden Sinusimpuls nicht mit einer Systole und entsteht eine verlängerte Pause der Kammer. Durch diese ver- längerte Pause der Kammer werden die beiden Komponenten des Refraktärstadiums der Kammer in entgegengesetztem Sinne verändert. Der Kammermuskel restauriert sich nämlich in der verlängerten Pause und entledigt sich eines Teiles des Residu- Refraktär- stadiums, das also verkürzt wird. Nach der verlängerten Kammerpause nimmt jedoch die Contractilität des Kammermuskels zu: die nächste Kammersystole ist dann auch vergrößert und meistens verbreitert. Das periodische Refraktär- stadium dieser Kammersystole ist also vergrößert. Wenn nun die Zunahme des periodischen Refraktärstadiums die Abnahme des Residu-Refraktärstadiums übertrifft, ist auch nach der verlängerten Pause die Dauer des gesamten Refraktärstadiums größer als eine Sinus- periode. Dann folgt dem nächsten Sinusimpuls wieder keine Kammer- systole und bleibt deshalb die Kammer im halbierten Rhythmus pul- sieren. So kommt der plötzliche Übergang vom normalen zum halbierten Kammerrhythmus zustande. Wenn dagegen die Abnahme des Residu-Refraktärstadiums die Zunahme des periodischen Refraktärstadiums übertrifft, wird nach der verlängerten Kammerpause die Dauer des gesamten Refraktärstadiums !) Für die Vorhöfe ist dieser Prozeß derselbe; bei ihnen kommt die Halbierung aber erst später zustande, da das Refraktärstadium der Vorhöfe kürzer dauert als dasjenige der Kammer. Das Alternansproblem. 217 wieder kleiner als die Dauer einer Sinusperiode. Dann bleibt also der normale Rhythmus der Kammer fortbestehen. Jedoch hat sich nach der verlängerten Kammerpause der metabole Zustand des Kammermuskels gebessert. Wir sehen somit, daß infolge einer verlängerten Kammerpause bei einem Herzen, dessen metaboler Zustand vorher verschlechtert ist, der Effekt in bezug auf den Rhythmus der Kammerpulsationen ganz verschieden sein kann. Die Kammer kann danach entweder im halbierten Rhythmus zu pulsieren anfangen oder es kann der normale Rhythmus der Kammerschläge erhalten bleiben. Wenn indessen der normale Rhythmus erhalten bleibt, dann hat sich der metabole Zustand des Kammermuskels gebessert; die Dauer des Refraktärstadiums hat ab- genommen, die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer hat zugenommen und gleichzeitig die Contractilität. Die Kammer pulsiert dann daher im normalen Rhythmus, aber unter besser metabolen Verhältnissen. Ist der Übergang zum halbierten Rhythmus zustande gekommen, dann pulsiert die Kammer in einer Weise, wie sie es tut, wenn der metabole Zustand des Kammermuskels schlechter geworden ist. Die Verhältnisse, welche ich obenstehend kurz darlegte, wurden von mir schon ausführlich in meinen pharmako-physiologischen Publikationen mitgeteilt. Ich beschrieb dabei den Übergang vom normalen Kammerrhythmus zum halbierten. Dieser entsteht spontan nachdem die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer größer geworden ist als die Dauer einer Sinusperiode. Dann entsteht eine ver- längerte Kammerpause. Der halbierte Kammerrhythmus kann dann entweder plötzlich zutage treten oder mehr allmählich längs dem Wege der Gruppenbildung. In letzterem Falle schlägt die Kammer nach einer verlängerten Kammerpause wieder einige Zeit im normalen Rhythmus weiter. Dies dauert so lange, bis wieder durch Akkumulation das Residu-Refraktärstadium derart verlängert ist, daß aufs neue die Dauer des gesamten Refraktärstadiums länger geworden ist als die Dauer einer Sinusperiode. Zum zweiten Male entsteht dann eine verlängerte Kammer- pause und wieder schlägt dann die Kammer im normalen Rhythmus weiter. So entstehen Gruppen von Kammersystolen, die durch längere Kammeıpausen von- einander geschieden sind. Zu Anfang jeder Gruppe — also direkt nach jeder ver- längerten Kammerpause — ist der metabole Zustand des Kammermuskels besser als am Ende jeder Gruppe. Am Ende jeder Gruppe ist der metabole Zustand des Kammermuskels jedesmal derselbe, und zwar so, wie er in dem Augenblicke war, in welchem das erste Mal ein Sinusimpuls nicht von der Kammer mit einer Systole beantwortet wurde!). Wir haben also gesehen, daß bei dem plötzlichen Übergang nach dem halbierten Kammerrhythmus ein weiter fortgeschrittenes Stadium des Vergiftungsprozesses nach einer verlängerten Kammerpause erreicht wurde. Da- gegen ist bei der Gruppenbildung nach einer verlängerten Kammerpause, also im Beginne jeder Gruppe, der allgemeine metabole Zustand des Kammermuskels und das Schlagtempo so, wie diese in einem früheren Vergiftungsstadium waren. Wir !) Während der Gruppen verschlechtert sich also jedesmal der metabole Zu- stand des Kammermuskels. Ich sah denn auch oft gegen das Ende der Gruppen Kammeralternans auftreten, der zu Anfang der Gruppen nach der verlängerten Kammerpause wieder verschwunden war. Dann waren die Kammersystolen wieder gleich groß und gingen sie gegen das Ende der Gruppen wieder in Alternans über. 218 S. de Boer: können also ein Fortschreiten und einen vorübergehenden Rückgang des Ver- giftungsprozesses nach einer verlängerten Kammerpause erhalten. Dieser Rück- gang ist aber nur vorübergehend; denn am Ende der Gruppen ist der metabole Zustand jedesmal wieder derselbe. Die Größe der Gruppen nimmt aber ab, so daß endlich Gruppen von 4, dann von 3 und 2 Kammersystolen entstehen. Danach tritt der halbierte Kammerrhythmus auf. Hier sei noch hinzugefügt, daß auch beim entbluteten Froschherzen der Übergang zum halbierten Kammerrhythmus ebenfalls plötzlich und auf dem Wege der Gruppenbildung stattfinden kann. Wir haben hierbei also dieselben Verhältnisse wie nach Vergiftung mit Veratrin, Digitalis, Antiarin oder BaC],. Wenn wir nun gut beachten, daß nach einer verlängerten Kammer- pause für die Kammer ein früheres oder auch ein weiter fortgeschrittenes Stadium der Vergiftung eintreten kann, dann können wir auch den Einfluß begreifen, den eine verlängerte Kammerpause für den Kammer- alternans hat. Ist nämlich der metabole Zustand des Kammermuskels wohl verschlechtert, doch noch nicht soviel, daß nach einer verlängerten Kammerpause schon der halbierte Rhythmus der Kammer eintritt, dann kann wohl nach einer verlängerten Kammerpause Kammer- alternans erscheinen. Ein Beispiel hierfür gab ich kürzlich wieder nach Vergiftung mit BaCl, (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 187, 290). Wenn aber der metabole Zustand des Kammermuskels schon so weit fort- geschritten ist, daß sich Kammeralternans eingestellt hat, dann können wir durch eine verlängerte Kammerpause diesen Alternans entweder in den halbierten Kammerrhythmus verwandeln (siehe Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 187, 291) oder auf den normalen Rhythmus mit gleich- hohen Kammersystolen zurückführen. Von diesem letzteren Fall werde ich hier ein paar Beispiele wiedergeben. In Abb. 14 sind die Suspensionskurven eines Froschherzens nach Vergiftung mit Digitalis wiedergegeben. Die Kammerkurven zeigen einen deutlichen Alter- nans. Nach fünf Alternanspaaren ent- steht eine fraktionierte Kammersystole mit zwei Gipfeln. Nach dieser fraktio- nierten Kammersystole entsteht eine verlängerte Kammerpause. Unter dem Einflusse derselben entledigt die Kam- mer sich ihres Residu-Refraktärstadi- ums, so daß danach Kammerkurven Abb. 14. mit gleich hohen Kammersystolen zum Vorschein kommen. Hier übertrifft also die Abnahme des Residu-Refraktärstadiums die Zunahme des periodischen Refraktärstadiums, so daß ein voriges Vergiftungsstadium zurückkehrt, in welchem die Kammersystolen noch gleich hoch waren. Abb. 15 gibt ebenfalls Kammerkurven nach Vergiftung mit Digitalis wieder. Die Kammer beginnt zu alternıeren. Nun wird bei 1 eine Extrapause der Kammer erzeugt durch Verabfolgung eines Induktionsreizes in der Atrioventrikularfurche'). 1) In Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 18%, 286 u. 287 wurde das Entstehen einer Extrapause nach einem Induktionsreiz in der Atrioventrikularfurche aus- einandergesetzt, so daß es hier genügt, auf diese Publikation zu verweisen. Das Alternansproblem. 219 Nach dieser verlängerten Kammerpause kehrt vorübergehend ein früheres Ver- giftungsstadium zurück, in welchem noch alle Kammerkurven gleich hoch waren. Nach sieben Kammerkurven trittaber der Kammeralternans schon wieder zutage, der auch bei 2 in gleicher Weise wie bei 1 wieder zu gleich hohen Kammerkurven geführt wird !). Die obige Auseinander- setzung über den Einfluß einer verlängerten Kammerpause auf den Kammeralternans, der nach Vergiftung mit Digitalis Abb. 15. auftritt, gilt ebensosehr für Kammeralternans, der auf andere Weise zustande kommt. Denn stets, wenn Kameralternans erscheint, ist dies eine Folge davon, daß vorher der metabole Zustand des Kammermuskels verschlechtert ist. Dies gilt sowohl für den Kammeralternans, der nach Erwärmung des Sinus venosus bei dem entbluteten Froschherzen auftritt, wie auch für den- jenigen, der nach dem Verabfolgen von Giften erscheint. Besonders deutlich erhellt auch aus den Kurven von Abb. 16, daß unter dem Einfluß einer verlängerten Kammerpause ein Kammeralternans verstärkt oder aufgehoben werden kann. Diese Kurven wurden bei einem entbluteten Frosch- herzen registriert. Anfangs zeigen diese Kammerkurven einen geringen Alternans, der zumal in der Dilatation zum Ausdruck kommt. Beim ersten Ausschlage des Signals nach oben wird ein Extrareiz in der Atrio-Ventrikularfurche verabfolgt, NAH Abb. 16. wodurch eine Extrapause der Kammer entsteht. Nach dieser verlängerten Kammer- pause übertrifft die Zunahme des periodischen Refraktärstadiums der Kammer- spitze die Abnahme des Residu-Refraktärstadiums, so daß die Kammerspitze im halbierten Rythmus zu klopfen anfängt und der Kammeralternans stark ausgeprägt auftritt. Während dieses Alternans stellt sich der metabole Zustand der Kammer- spitze unter dem Einflusse der langen Pausen der letzteren wieder her. Wenn nun bei dem zweiten Ausschlage des Signals nach oben durch einen Öffnungsinduktions- reiz wieder eine Extrapause der Kammer erzeugt wird, stellt sich danach der nor- male Kammerrhythmus mit gleich hohen Systolen wieder ein. Dann hat sich somit der metabole Zustand der Kammerspitze wieder soweit restauriert, daß sie jeden Sinusimpuls mit einer Kontraktion beantworten kann. Jedoch kehrt nach einigen Systolen der Kammeralterans wieder zurück. Dann lasse ich den Alternans der Kammer während längerer Zeit bestehen, so daß der metabole Zustand der Kammerspitze noch mehr Gelegenheit zur Erholung bekommt. Beim dritten !) Wir haben hier also künstliche Gruppen vor uns, die auch spontan er- scheinen können, bei denen der Alternans ebenfalls am Ende der Gruppen vor- kommt. (Siehe Fußnote auf S. 217.) 220 S. de Boer: Ausschlage des Signals nach oben wird nun wieder eine Extrapause der Kammer erzeugt. Nun hält danach der normale Kammerrhythmus mit gleich hohen Sy- stolen oder wenigstens die Verschwächung des Kammeralternans auch länger an. Dies ist eine Folge davon, daß während des länger dauernden vorangehenden Alternans die Kammerspitze sich besser erholen konnte. Wir konnten hier also bei demselben Froschherzen durch eine verlängerte Kammerpause entweder den Alternans verschwächen oder auch verstärken. Ich weise hier noch mit Nachdruck daraufhin, daß erst der metabole Zustand des Kammermuskels bis zu einem bestimmten Grade ver- schlechtert sein muß, ehe sich Alternans einstellt. Wenn dann der meta- bole Zustand noch weiter verschlechtert, tritt unter übrigens denselben Umständen nicht mehr Kammeralternans auf, sondern Halbierung des Kammerrhythmus. Der alternansverschwächende Einfluß nach einer ver- längerten Kammerpause macht sich also geltend, wenn die Abnahme des Residu - Refraktärstadiums der Kammer die Zunahme des periodischen Refraktärstadiums übertrifft, .so daß während der Kammersystole, welche auf die ver- längerte Kammerpause folgt, die Dauer des gesamten Refraktärstadiums abgenommen hat. Der alternansverstärkende Einfluß (bzw. der Übergang von Kammeralternans zum halbierten Kammerrhythmus) macht sich geltend, wenn die Zunahme des periodischen Refraktärstadiums die Abnahme des Residu- Refraktär- stadiums übertrifft, so daß während der Systole, welche auf die verlängerte Kammerpause folgt, die Dauer desgesamten Refraktärstadiums zugenommen hat. Die Verschwächung bzw. Verstärkung des Kammeralternans tritt dann darum ein, weil das Refraktärstadium der verschiedenen Gebiete der Kammer nicht gleichlange dauert. Dies ist die Erklärung der a priori paradoxal scheinenden entgegengesetzten Beeinflussung einer ver- längerten Kammerpause auf Kammeralternans. Ich habe im vorstehenden immer über den Einfluß einer veränder- ten (und dann fast stets verlängerten) Kammerpause auf den Kammeralternans gesprochen. Danach habe ich Experimente gezeigt über den Einfluß einer verlängerten Kammerpause auf den Alternans und hierfür eine Erklärung gegeben. Ich weise hier daher noch eben nachdrücklich daraufhin, daß ich absichtlich von veränderter (und dann fast stets verlängerter) Kammerpause sprach. Ich kann mir nämlich auch vorstellen, daß eine Verkürzung der Kammerpause den Alternans zu beeinflussen vermag und dies ebenfalls in beiden Richtungen, nämlich verstärkend oder verschwächend. In den vorstehend vermeldeten Versuchen änderte ich nämlich nach einer verlängerten Kammerpause die Dauer des Refraktärstadiums Das Alternansproblem. 22 der großen Alternanssystole. Verkürzte ich das Refraktärstadium derselben, dann stellte sich der normale Kammerrhythmus mit gleich- hohen Kammersystolen ein; wenn ich dagegen das Refraktärstadium der großen Alternanssystole verlängerte, wurde der Kammeralternans verstärkt oder in den halbierten Kammerrhythmus überführt. Aber nun kann man auch die kleine Alternanssystole als Angriffs- punkt nehmen. Wenn man z. B. nach einer kleinen Alternanssystole die erstfolgende Kammerpause durch einen Induktionsreiz verkürzt ist es möglich, eine Kammersystole zu erzeugen, deren Refraktärstadium kürzer als dasjenige der großen Alternanssystole und länger als das der kleinen Alternanssystole dauert. Um dies zu verdeutlichen, bin ich genötigt, bei meiner Besprechung nochmals auf die Experimente zurückzukommen, die ich seit 1915 über die künstlichen Rhythmusumwandlungen ausführte (siehe Litera- turverzeichnis Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 187, 283, Fußnote 2). Die Kammer fängt nämlich an, im halbierten Rhythmus zu schlagen, sobald der metabole Zustand soweit verschlechtert ist, daß die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer die Dauer einer Sinusperiode übertrifft. Wenn nun der halbierte Kammerrhytnmus zustande ge- kommen ist, sind die Kammerpausen erheblich verlängert. Der Kammer- muskel hat dann also mehr Gelegenheit zur Erholung und dies geschieht auch in der Tat. Denn nach der Halbierung des Kammerrhythmus nimmt von der ersten Kammersystole an die Größe und die Dauer dieser Kammersystolen und zugleich die Geschwindigkeit, mit welcher die Erregung durch die Kammer fortgeleitet wird, zu. Der metabole Zustand des Kammermuskels verbessert also in dem halbierten Rhythmus. Die Kammer geht aber darum nicht spontan nach dem normalen, doppelt so schnellen Rhythmus zurück, weil die Dauer des periodischen Refraktärstadiums infolge der Verbesserung des metabolen Zustandes im halbierten Rhythmus so sehr zugenommen hat. Der Kammer ist also gleichsam der halbierte Rhythmus aufgezwungen, da nämlich ent- sprechend dem verbesserten metabolen Zustande die Kammer wohl im- stande ist, in dem doppelt so schnellen normalen Rhythmus zu pulsieren. Wir können nun durch das Erzeugen einer kleinen Kammersystole mit einem kürzer dauernden Refraktärstadium den normalen doppelt so schnellen Kammerrhythmus zurückbekommen, wodurch zugleich die Verbesserung des metabolen Zustandes des Kammermuskels in dem hal- bierten Rhythmus bewiesen wird!). Es zeigt sich daher, daß bei diesem verschlechterten metabolen Zustande des Kammermuskels das Pulsieren im halbierten Rhythmus ein günstigeres Schlagtempo für die Kammer ist als das Pulsieren in dem zweimal so schnellen normalen Rhythmus. !) Ausführlicher wurden diese Verhältnisse, u. a. auch die spontanen Rhyth- muswechsel, in meinen früheren Mitteilungen skizziert. (Siehe u. a. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 187, 283. 1921. 222 S. de Boer: aa Wie die Verhältnisse während des halbierten Kammerrhythmus für die ganze Kammer sind, so sind sie auch während Kammeralternans (mit teilweiser Spitzenasystolie während der kleinen Kammersystolen) für die Spitze. Hierbei nämlich pulsiert die letztere im halbierten Rhythmus. Sobald nämlich dieser Alternans aus dem normalen Kammer- rhythmus mit gleich hohen Kammersystolen durch die Verschlechterung des metabolen Zustandes des Kammermuskels (Apex ventriculi) ent- standen ist, erholt sich der metabole Zustand. der Kammerspitze wieder, infolge der viel längeren Pausen derselben während des Alter- nans. (Der Kammeralternans ist also auch bei diesem verschlechterten metabolen Zustand des Kammermuskels ein für die Kammer günstigeres Schlagtempo.) Indessen bleibt die Kammerspitze im halbierten Rhyth- mus pulsieren und der Kammeralternans somit bestehen, weil während der großen Kammersystolen die Contractilität der Kammerspitze (infolge ihrer längeren Pausen) und deren Refraktärstadium zugenommen haben). Wenn man nun nach einer kleinen Alternanssystole die nächste Kammerpause durch einen Induktionsreiz verkürzt, entsteht eine Kam- mersystole, während welcher die Kammerspitze eine kleinere Kon- traktion ausführt als während der großen Kammersystolen. Dann dauert das Refraktärstadium dieser Kammerspitzenkontraktion auch kürzer. Infolgedessen wird die Kammerspitze auch während der darauf- folgenden Kammersystole kontrahieren. So erhält man denn gleichhohe Kammersystolen durch das Erzeugen einer Extrasystole mit einer kleinen Spitzenkontraktion. Der Kammeralternans stellt ‚sich dann aber wieder ein, sobald die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer- spitze die Dauer einer Sinusperiode übertrifft. Wir können den Kammer- alternans aber auch verstärken, und zwar dadurch, daß wir die der kleinen Alternanssystole vorangehende Kammerpause verkürzen. Wir ver- abfolgen dann der Kammer, kurz bevor eine kleine Alternanssystole anfangen würde, einen Induktionsreiz. Hierdurch erzeugen wir dann eine Kammersystole, die kleiner ist als die kleine Alternanssystole (ein größerer Teil der Kammerspitze kontrahiert dann nicht). Dieser größere Kammerspitzenteil wird dann während der folgenden Kammersystole (der großen Alternanssystole) eine starke Kontraktion ausführen. Deren Refraktärstadium ist dann verlängert, so daß auch während der folgenden kleinen Alternanssystole dieser größere Spitzenteil nicht kontrahiert. So entsteht ein Kammeralternans, bei welchem während !) Auch kann sich die Kammerspitze während eines Alternans wieder so weit erholen, daß spontan der normale Kammerrhythmus mit gleich hohen Systolen zurückkehren kann. Dieser spontane Wechsel zwischen Kammeralternans und dem normalen Kammerrhythmus mit gleich hohen Systolen kommt oft vor und muß in derselben Weise erklärt werden wie der spontane Wechsel zwischen dem halbier- ten Kammerrhythmus und dem normalen Rhythmus der Kammer. Das Alternansproblem. 223 der kleinen Alternanssystole also ein größerer Spitzenteil nicht kon- 'trahiert. Wir haben also den Kammeralternans verstärkt. Daher ist es auch möglich, den Kammeralternans zu verstärken oder zu verschwächen, indem man eine Kammerpause durch einen Induktions- reiz verkürzt. Die veränderte Dauer der Kammerpause übt nicht allein einen verstärkenden oder verschwächenden Einfluß auf den Kammeralternans aus, bei welchem teilweise Kammerasystolie während der kleinen Alternanssystole vorkommt. Was ich hier oben auseinandersetzte, gilt ebenfalls für die anderen Formen von Kammeralternans, so auch für den Kammeralternans mit totaler Hyposystolie während der kleinen Alternanssystole, verbunden oder nicht verbunden mit einer Verlang- samung der Reizleitung durch die Kammer. G. Schlußbemerkungen. Der Kammeralternans bildet einen Übergang vom normalen Kammer- rhythmus mit gleichhohen Systolen zum halbierten Rhythmus der Kammer. Ehe die Kammer zum Alternans übergeht, nimmt die Con- tractilität des Kammermuskels ab und ebenso die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer; die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer nimmt zu und nähert sich mehr und mehr der Dauer einer Sinusperiode. Diese drei Veränderungen weisen darauf hin, daß der meta- bole Zustand des Kammermuskels verschlechtert; dies ist die einzige Ursache, durch welche der Alternans der Kammer auftritt. Diese Fol- gerung wurde schon 1917 von mir publiziert!). Wenn nun der Prozeß, welcher den Alternans hervorruft, nicht schnell fortschreitet, dann können wir ihn leicht künstlich zu dem normalen Kammerrhythmus mit gleich- hohen Systolen zurückführen. Auch kann dann spontan dieser Übergang zustandekommen. Während des Alternans verbessert sich also der meta- bole Zustand des Kammermuskels. Wir dürfen hieraus also schließen, daß bei dem verschlechterten metabolen Zustand des Kammermuskels der Kammeralternans ein für den allgemeinen Zustand des Kammermuskels günstigerer Rhythmus ist als der normale Rhythmus mit gleich hohen Kammersystolen. Dasselbe gilt auch für den halbierten Rhythmus. Ungefähr zur selben Zeit gelangte H. Straub zu einer anderen Fol- gerung. Er meinte, daß nur dann Kammeralternans auftrete, wenn die Frequenz der Kammerschläge so hoch sei, daß jede zweite Kammer- systole in dem Augenblicke beginne, in welchem der Kammermuskel nach der unmittelbar vorhergehenden Systole noch nicht völlig erschlafft war. Von einem Kontraktionsrest nach den großen Alternanssystolen ist in vielen der von mir publizierten Kurven nichts zu verspüren, so daß die Auffassung Straubs sicherlich nicht allgemein gültig ist. Aus 1) S. de Boer, Rhythm and metabolism of cardiac muscle. Quart. Journ. of exp. physiol. 10, 383. 1917. 224 S. de Boer: Das Alternansproblem. meiner ersten Untersuchung über den Kammeralternans 1915, in welcher ich den Sinus venosus erwähnte, habe ich den Schluß gezogen, daß infolge der Frequenzzunahme der allgemeine metabole Zustand des Kammermuskels schlechter wird. Und dieser verschlechterte metabole Zustand des Kammermuskels ist die einzige Bedingung, unter welcher der Alternans auftritt. Wenn hierbei oft die kleine Alternanssystole in einem Augenblicke anfängt, wo noch ein Kontraktionsrest der Kammer vorhanden ist, ist dies nur ein nebensächliches Moment. Wenn der allgemeine metabole Zustand der Kammer verschlechtert und also die Dauer des Refraktärstadiums verlängert ist, kommt der Kammer- alternans mit teilweise Asystolie leicht zustande, da für die verschiedenen Gebiete des Kammermuskels das Refraktärstadium nicht gleich lange dauert. Fast immer dauert das Refraktärstadium der Kammerspitze am längsten, so daß die Halbierung zuerst für die Kammer spitze auftritt. Für den Übergang zu dem Kammerlalternans, bei welchem totale Hyposystolie und verlangsamte Reizleitung während der kleinen Alter- nanssystole besteht, haben kleine Unterschiede von der Dauer der Sinus- perioden einen großen Einfluß, wenn der metabole Zustand des Kammermuskels verschlechtert ist. Sobald eine Systole entstanden ist, deren Dauer verlängert ist, wird die Kammerpause danach verkürzt. Die darauffolgende Kammersystole hat wieder kürzere Dauer. So haben die Kammerpausen von selbst alternierend verschiedene Dauer und bleibt der Alternans von selbst bestehen, wenn der metabole Zustand des Kammermuskels hinreichend verschlechtert ist. Der Kammeralternans nach einer kompensatorischen Pause kann zeitweilig auftreten, weil während der vorangehenden Kammersystolen das Optimum von Contractilität und Geschwindigkeit der Reizleitung noch nicht erreicht war. Der zeitweilige Alternans ist dann eine mehr oder weniger künstliche Erscheinung. Wir erzeugen dann eine stark verlängerte Kammerpause und zwingen der Kammer dadurch vorüber- gehend einen Alternans auf. Ist aber vorher der metabole Zustand des Kammermuskels durch Gifte hinlänglich verschlechtert, dann bleibt der Kammeralternans nach einer Extrasystole viel länger bestehen. Einen Punkt möchte ich noch näher kurz besprechen. Wenckebach sucht die Ursache des Pulsus alternans inhämodynamischen Verhältnissen, aber die Folge hiervon ist dann doch entschieden ein Kammeralternans; ist doch, wenn die Kammerfüllung zugenommen hat, die Dilatation des Kam- mermuskels verstärkt. Die dann folgende Kammerkontraktion ist ver- stärkt. Wenn dagegen die Kammerfüllung weniger stark ist, ist die Dilata- tion des Kammermuskels geringer und die demnächst folgende Kammer- kontraktion daherschwächer. Auch bei dieser Theorie bestehtein Kammer- alternans. Wir dürfen also wohl mit Sicherheit schließen, daß bei einem bestehenden Pulsus alternans stets ein Kammeralternans vorhanden ist. (Aus dem Neurologischen Institute der Universität Wien [Vorstand: Prof. O. Marburg].) Physikalisch-chemische Untersuehungen am Nervensystem. I. Mitteilung. Quellung und Doppelbrechung der Markscheide. Von E. A. Spiegel, Assistenten des Institutes. (Eingegangen am 27. Juli 1921.) Für die Untersuchung des physikalischen Zustandes der Gewebe bieten die optischen Methoden den Vorteil, daß sie eine Beobachtung gestatten, ohne die intra vitam, resp. im Augenblicke des Todes gegebenen Verhältnisse zu verändern. Speziell am Nervensystem scheint ihre An- wendung aussichtsreich, da die markhaltigen Nerven in ihrer Myelin- scheide ein Gebilde von relativ starkem Doppelbrechungsvermögen besitzen. In den folgenden Arbeiten wird daher der Versuch unter- nommen, mittels der Untersuchung im polarisierten Lichte physikalisch- chemische Zustandsänderungen am Nerven zu studieren. Die erste Frage, die beantwortet werden mußte, schien die, wie ver- hält sich der lebende markhaltige Nerv bezüglich seiner Doppelbrechung gegenüber dem toten, und weiter, welches sind die Ursachen seiner doppelbrechenden Eigenschaften, schließlich, was bedeutet eine Ver- änderung dieser Eigenschaft ? Die Doppelbrechung ist eine Eigenschaft des lebenden Nerven. Von den Objekten, an welchen die Beobachtung des lebenden Nerven ver- sucht wurde, erwiesen sich Zunge, Schwimmhaut und Nickhaut des Frosches infolge relativen Reichtums an sonstigen stark doppelbrechen- den Fasern (Bindegewebe, Muskel) ungeeignet. Eher gelang es manchmal, am ausgespannten Mesenterium des Frosches feine Fäserchen zu finden, die zwischen gekreuzten Nicols in der Richtung parallel zur optischen Achse eines untergelesten Gipsplättchens Rot I. Ordnung die Inter- ferenzfarbe Gelb I. Ordnung, in der dazu vertikalen Richtung Blau II. Ordnung gaben. Mit Sicherheit läßt sich dagegen am Ischiadicus- Gastrocnemiuspräparat zeigen, daß der für den elektrischen Strom noch deutlich erregbare Nerv dieselbe Doppelbrechung hat wie der abgestorbene. Es gelingt leicht, den mit der Unterschenkelmuskulatur 226 E. A. Spiegel: noch in Verbindung stehenden Nerven in genügend feine Bündel zu zerzupfen, so daß deutlich deren Doppelbrechung beobachtet werden kann, während die gleichzeitige Reizung dieser Bündel durch die darunterliesenden, am ÖObjektträger fixierten Elektroden die Erreg- barkeit des Präparates beweist. Damit ist die Möglichkeit gegeben, die Doppelbrechung des lebenden Nerven und ihre Ver- änderung durch verschiedene Eingriffe zu studieren. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, was Änderungen der Doppelbrechung bedeuten. Sie hängt innig zusammen mit der Frage nach der Art und der Ursache der Anisotropie des markhaktigen Nerven. Die Untersuchungen von Klebst!), Ebner?), Ambronn?), Göthlin?*) haben erwiesen, daß das Nervenmark nur scheinbar optisch negativ ist, wie Valentin?) glaubte, denn Querschnitte durch den markhaltigen Nerven zeigen ein positives Kreuz [blau in der Richtung der kürzeren Achse der Fresnelschen Schnittellipse des Gipsplättchens, also in der Paragonallage®), gelb in der darauf normalen Epigonallage]. Es ergibt sich also, daß die Markscheide positiv doppelbrechend ist, die optischen Achsen liegen im Querschnitt radiär, senkrecht zur Längs- achse des Nerven. Eine Ebene, welche durch die Längsachse der Nerven- faser gelest wird, steht senkrecht zu den Querschnittsebenen, in welchen die optischen Krystallachsen liegen, sie schneidet diese Ebenenin Geraden, die normal zur Längsrichtung der Markscheide stehen. Liegt demnach die Markscheide parallel zur kürzeren Achse der Fresnelschen Schnitt- ellipse des Gipsplättchens, so stehen die für das Zustandekommen des mikroskopischen Bildes in Betracht kommenden, zur Ebene des Gips- plättchens parallel liegenden optischen Achsen normal zur Längsachse der Markscheide und damit zur kürzeren Achse der Fresnelschen Schnittellipse des Gipsplättchens und täuschen so eine negative Brechung der Markscheide vor. Als jenen Teil der Markscheide, welcher als Träger der Doppel- brechung zu betrachten ist, müssen wir lecithinähnliche Substanzen ansprechen. Schon Ebner’) wies darauf hin, daß das Protagon wegen seiner geringen Löslichkeit in kaltem Äther nicht die gesuchte Substanz sein könne. Ambronn?) zeigte, daß Cholesterin bei Aufstreichen auf !) Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 3%, 1865. °) Ebner, V., Untersuchungen über die Ursachen der Anisotropie. Leipzig 1882. ?) Ber. d. sächs. Akad., math.-physik. Klasse. Leipzig 1890. 4). loc. :cit. ?) Die Untersuchung der Tier- und Pflanzengewebe im polaris. Licht. Leipzig 1861. 6) Ich folge der Nomenklatur Göthlins (Kungl. Svenska Vetenskaps Akad. Handlingar 51, H. 1. 1913); bzgl. der sonstigen, die Doppelbrechung betreffenden Begriffe siehe Schaffer (Vorlesungen über Histologie. Leipzig 1920). 2). loc. cit. 8) loc. cit. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. 1. 227 eine Glasplatte in bestimmter Richtung optisch positiv, Lecithin dagegen optisch negativ wird. Aus Lecithin, nicht aber aus Cholesterin kann man durch Zusatz von Wasser ähnliche Myelinfiguren erhalten wie aus markhaltigen Nervenfasern. Diese Myelinformationen geben über einem Gipsplättchen Rot I. Ordnung ebenso wie die markhaltigen Nerven ein lebhaftes Gelb I. in der Additions-, Blau II. in der Subtraktions- richtung. Ambronn!) kommt daher ähnlich wie Gad) und Hey- mans?) zu dem Schlusse, daß das Lecithin der im Nervenmark vor- handene, optisch wirksame Körper sei. Neuerdings hat Göthlin?) an den aus der weißen Substanz des Ochsengehirns dargestellten Substanzen untersucht, welcher Körper die Anisotropie der Markscheiden bedinst. Er findet, daß die für den Markscheideninhalt charakteristische Myelinbildung von Glycerophos- phatiden ausgeht und keine andere organische Substanz als Glycero- phosphatide neben Wasser anwesend zu sein braucht, um die charak- teristische Doppelbrechung zustande kommen zu lassen. Es ist nach ihm wahrscheinlich, daß es vor allem das Ölsäureradikal ist, welches die myelogenen Eigenschaften in das Lecithinmolekül einführt. Als Ursache der Anisotropie der in die Markscheide eingelagerten Glycerophosphatide kommen 2 Möglichkeiten in Betracht, ihre kry- stallinische Struktur oder das Vorhandensein bestimmt orientierter Druck- oder Zugkräfte. Klebs®), Kühne?) knüpften an die Vorstellung Ehrenbergs®) und Naegelis’) an, daß die organisierten Substanzen aus krystallinischen Molekülagsgregaten (Micellen) bestehen, und führten die Doppelbrechung des markhaltigen Nerven auf die Einlagerung kleinster, krystallinischer, radiär angeordneter Teilchen zurück. Ebner) der den Einfluß wechselnder Druck- und Zugwirkung auf die Doppel- brechung von Sehnen, Muskeln und Nerven zeigte, greift auf die Vor- stellung Brewsters?) zurück und sieht die in den Geweben vorhan- denen Druck- und Zugkräfte als Ursache der Anisotropie an. Die Span- nungshypothese ist zwar in ihrer ursprünglichen Form nicht haltbar und die Anisotropie kann nicht auf Spannungen zurückgeführt werden, welche auf Gegenwirkung großer Massenbezirke der Substanz beruhen, da die organisierten Substanzen, z. B. durch Spannung doppelbrechend gewordener Leim, weitgehend zerkleinert werden können, ohne daß ihre D2loe.cit. 2) Arch. f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abt. 1890, S. 530. 3) loc. cit. „)Eloe. Cib: ?) Kühne, Lehrb. d. physiol. Chemie. Leipzig 1868. °) Monatsber. d. preuß. Akad. Berlin 1849, S. 60. ?) Zit. bei Ebner. Saloexccit: °) Philos. Transact. Roy. Society of London 1816, 1, 315. — Proc. Roy. Soc. of Edinbourgh, 20, 535. 1853. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 16 228 E. A. Spiegel: Doppelbrechung verschwindet. Daher modifiziert Ebner!) die Span- nungshypothese dahin, daß er an den Elementarteilchen wirkende Druck- und Zugkräfte annimmt, welche die Anisotropie der organisierten Substanz erklären könnten. Welchen Ursprungs diese Kräfte sind, läßt sich natürlich schwer sagen; Ebner!) denkt an die Zug- und Druck- wirkungen der wachsenden Elementarteilchen, an Spannungen, bedingt durch die Art, wie die Masse der Molekülkomplexe vermehrt wird (intussusceptionell oder appositionell). Speziell für das Nerven- mark erwächst dieser Vorstellung die Schwierigkeit, daß bei Annahme eines intussusceptionellen Wachstums der Markscheide erwartet werden müßte, daß das Mark optisch zweiachsig ist, wie Ebner!) selbst hervor- hebt. Nur wenn man mit Ebnert) die weitere Hypothese macht, daß die Zahl der sich einlagernden Teilchen von den Widerständen beeinflußt wird, welche sich der Einlagerung entgegensetzen, kommt man über diese Schwierigkeit hinweg. Denn dann würde der Widerstand für die Einlagerung der Teilchen in der tangentialen Quer- und Längsrichtung nicht mehr verschieden sein und ein optisch einachsiges Gebilde resul- tieren können. Diese Schwierigkeiten, welche sich der Anwendung der Ebnerschen Hypothese auf die Markscheide entgegenstellen, fallen hinweg, wenn wir unter Beibehaltung des wesentlichen Kerns dieser Lehre, nämlich, daß die Druck- und Zugwirkungen an den Elementar- teilchen angreifen, uns nur von der Art dieser Kräfte eine andere Vor- stellung machen. Das Nervenmark zeigt bekanntlich dieselben optischen Eigenschaften wie in der Markscheide, auch wenn es aus derselben aus- geflossen ist. Im letzteren Falle können an ihm wohl nicht mehr die durch intussusceptionelles Wachstum entstandenen Kräfte wirken, wohl aber müssen Kräfte vorhanden sein, welche die „Myelinfiguren“ in ihren seit Virchow?) bekannten, charakteristischen Formen erhalten. Quincke?) hat an künstlich erzeugten Seifengallerten gezeigt, daß Myelinformen sich im polarisierten Lichte analog wie schrumpfende und queliende Leimgallerte verhalten, ihr optisches Verhalten also auf Druck- und Zugwirkungen zurückzuführen ist. Jene Kräfte, welche die charakteristische Form der Myelinschläuche bedingen, müssen in engstem Zusammenhange mit jenen molekularen Anziehungskräften stehen, welche die Oberflächenspannung an der äußeren Grenzfläche bedingen, sie müssen mithin senkrecht zur Oberfläche gegen die Zentral- achse der Markschläuche gerichtet sein. Die Annahme, daß diese radiär zur Längsachse gerichteten Kräfte es sind, deren Wirkung auf die Elementarteilchen die Doppelbrechung des Nervenmarks bedingt, würde es verständlich machen, daß die optischen Achsen am Nervenquer- 1) ]oc. eit. ?) Siehe bei Göthlin. ®) Ann. d. Physik u. Chemie, IV. Folge, 14, 349. 1904; 15, 1. 1904. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. I. 229 schnitt radiär, also vertikal zur Oberfläche des Markes stehen. Daß das Mark positiv doppelbrechend ist, steht mit der Annahme der Entstehung dieser Doppelbrechung durch einen von der Oberfläche gegen das Zen- trum gerichteten Druck nicht in Widerspruch, nachdem Ambronn!) am Lecithin gezeigt hat, daß dieses durch Ausstreichen in einer be- stimmten Richtung auf einer Glasplatte, also durch Zugwirkung, ent- sprechend dieser Richtung optisch scheinbar negativ wird, woraus sich ergibt, daß es auf Druck entgegengesetzt reagiert, also in der Druck- richtung positiv doppelbrechend werden muß. Wir kommen also zur Vorstellung, daß die optische Anisotropie des Nervenmarks durch radiär gerichtete Druckkräfte bedinstwird, welehemitderdurchdiemolekulare Attraktion bedingten Oberflächenspannunginenger Beziehung stehen. Von den Einwänden, welche gegenüber der Spannungshypothese erhoben wurden, ist dem von Ambronnt), daß sie nicht erklärt, warum durch Alkohol-Ätherbehandlung Verlust der Doppelbrechung eintritt, wohl unschwer zu begegnen. Bei längerer Einwirkung wirken diese Sub- stanzen lösend auf Glycerophosphatide der Markscheide, entfernen also das wirksame Substrat der Doppelbrechung. Bei kurzdauernder Ein- wirkung handelt es sich aber, wie in der zweiten Mitteilung noch näher zu zeigen Sein wird, um einen reversiblen Prozeß, der sich wohl mit der Änderung der Oberflächenspannung des Leeithins durch die er- wähnten Substanzen in Beziehung bringen läßt. Neuerdings vertritt wieder Göthlin?) die Anschauung einer kry- stallinischen Struktur des Markscheideninhalts, allerdings sieht er in ihm, der Vorstellung O. Lehmanns?) folgend, einen flüssigen Misch- krystall. Diese Vorstellung erscheint mir aber mit der Spannungs- hypothese in der hier vorgebrachten Form nicht so unvereinbar, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Betont ja Göthlin?) selbst, daß die Myelinformen, solange sie wohl abgegrenzte Bildungen darstellen, unter dem Einfluß der komprimierenden Kräfte stehen müssen, die infolge der Kohäsion von ihrer Oberflächenschichte ausgehen. Er findet auch in Übereinstimmung mit älteren Befunden, insbesondere Am- bronns!), daß die myelinogenen Glycerophosphatide bei der Ein- wirkung von Druck- und Zugkräften sich entgegengesetzt wie Glas und Gelatine verhalten. Er kommt also selbst zur Vorstellung, daß die an Wasser gebundenen Glycerophosphatide innerhalb der Markscheide unter dem Einfluß eines auf der Kohäsionskraft beruhenden Oberflächen- drucks stehen, der radiär gerichtet ist, so daß sich ihre optische Achse radiär zur Achse dieser Nervenfasern einstellt. Ob man eine krystalli- Eirloczeit: 2) loc. eit. 3) Ann. d. Physik, IV. Folge, 16, 160. 1905; Biochem. Zeitschr. 63, 74. 1914. 16* 230 E. A. Spiegel: nische Struktur annimmt, die in diesem Falle so klein ist, daß sie durch unsere optischen Hilfsmittel nicht aufgelöst werden kann, oder nicht, scheint mir von geringerer Bedeutung. Das Wesentliche scheint vielmehr die Tatsache, daß innerhalb der Markscheide am Querschnitt radiär zur Längsachse gerichtete Druckkräfte vorhanden sein müssen, denn ohne die Existenz dieser Kräfte kann man, auch bei Annahme einer krystallinischen Struktur, die dauernde Anisotropie der Markscheide nicht erklären. | Die Doppelbrechung der Markscheide kann demnach auf zweierlei Weise verändert werden: durch chemische Prozesse, die an den Glycero- phosphatiden angreifen, oder durch physikalische Zustandsänderungen, welche die in der Markscheide wirksamen, radiär zur Längsachse gerich- teten Druckkräfte ändern. Die Wirkung der Quellung ist ein Beispiel für das Parallelgehen der chemischen mit der physikalischen Zustandsänderung. Rein chemisch betrachtet, ist die Quellung durch die Aufnahme von Wasser, wenn auch in lockerer, leicht reversibler Bindung charakterisiert, physikalisch äußert sie sich in einer Volums- und Oberflächenveränderung, welche mit gleichzeitiger Veränderung der Druck- und Zugkräfte einhergehen muß. Diese Wirkung kann am einfachsten an einem Lecithintropfen studiert werden, dem man einen Tropfen destillierten Wassers zusetzt. Das Auftreten der bekannten schlauchförmigen Auswüchse ist nichts anderes als der Ausdruck der Oberflächenvergrößerung, was also gleich- bedeutend ist mit einer Abnahme jener Kräfte, die den Lecithintropfen in der Kugelform zusammenzuhalten suchen!). Tatsächlich zeigt sich auch die zu erwartende Abnahme der Anisotropie des Nerven- marks bei der Quellung. Die Untersuchung wurde in der Weise vorgenommen, daß der N. ischiadicus normaler, ausgewachsener Ratten intra vitam gleich nach der Tötung des Tieres durch Herzstich auspräpariert und in physiologischer NaCl-Lösung zerzupft wurde. Nachdem alle Teile in physiologischer NaCl-Lösung suspendiert, im polarisierten Licht unter- sucht und ihre gleichstarke Doppelbrechung festgestellt war, wurden die zerzupften Fasern zum Teil in die physiologische NaCl-Lösung zurückgebracht, zum Teil auf die Untersuchungsflüssigkeiten verteilt, so daß man nach verschiedenen Zeiten immer die Wirkung der Unter- suchungsflüssigkeit mit der der physiologischen NaCl-Lösung vergleichen kann. Die neuerliche Untersuchung der Fasern wurde immer in einem Tropfen der betreffenden Flüssigkeit vorgenommen. Die Farben- differenzen erwiesen sich in der Epigonallage des Nerven, welche die !) Manche Autoren [vgl. Ostwald?)] erwägen auch die Wirkung besonderer Extensionskräfte. ?) Grundriß der Kolloidehemie. Dresden 1909. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. 1. 23]: Additionsfarben zeigt, deutlicher ausgeprägt als in der Paragonallage, weshalb vor allem die erstere in den folgenden Tabellen beschrieben werden soll. Um sicher immer Fasern gleicher Dicke miteinander zu vergleichen, wurde ein Okularmikrometer verwendet, dessen Teilstriche gleichzeitig die Richtung der optischen Achse des Gipsplättchens angaben. Die meisten Untersuchungen wurden bei schwachen Ver- srößerungen (30—80fach) ausgeführt. Einige Versuche seien in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Tabelle I. Quellung. || Dauer der Einwir- Optisches Verhalten in Untersuchungsflüssigkeit | kung der Unter- | suchungsflüssigkeit Paragonallage | Epigonallage Su Sau ualeralEiugpby | einige Minuten | Hellgelb I Blau I siologischer NaÜl-Lösung 2 | | 6 Stunden Aufhebung der Doppelberechnung 2 | 17 ” ” ” ” ea Casllaii ce I 28 5 Einzelne Fasern zeigen Um- | 90 " f kehrung der Doppelbrechung | VE OS ANAOKe | 6 Stunden | Purpur I Es zeigt sich demnach, daß die Markscheide bei fortschreitender Quellung in destilliertem Wasser oder in hypotonischer Salzlösung ihre Anisotropie einbüßt, ja daß diese Doppelbrechung schließ- lich ihren Charakter ändert und entgegengesetzten Charakter annimmt. Die Tatsache der Abnahme der Doppelbrechung im Zustande der Quellung steht im Einklang mit analogen Befunden am Bindegewebe, an Sehnen und am Muskel[W. Müller!), Brücke?), Nasse°), Ebner), Engelmann)]. Wir müssen schließen, daß während der Quellung die Druckkräfte in der Markscheide, welche deren Anisotropie bedingen, abnehmen. Es wurde schon früher angeführt, daß ein Lecithintropfen bei Berührung mit destilliertem Wasser allseitig seine Oberfläche zu vergrößern sucht. Es müssen also bei der Bindung von Wasser an die Glycerophosphatide der Markscheide Kräfte auftreten, die jenen entgegenwirken, welche die ursprüngliche Anisotropie bedingen. Das schließliche Auftreten einer schwach positiven Doppelbrechung scheint darauf zurückzuführen zu sein, daß die Glycerophosphatide 1) Zeitschr. f. rationelle Medizin. 3. Reihe. 10, 43. 1861. ?) Denkschr. d. Wien. Akad. d. Wissensch. Math.-naturw. Klasse. 15, 1858. ®2) Nasse, O., Zur Anatomie u. Physiol. d. quergestreiften Muskelsubstanz. Leipzig 1882. 2) ]oc. eit. >) Sitz.-Ber. d. preuß. Akad. 1906, S. 694. 232 E. A. Spiegel: in optisch positiver Substanz eingebettet sind, deren relativ schwaches Brechungsvermögen normalerweise von dem viel stärkeren der Glycerophosphatide überdeckt wird, wie es sich schon Ambronn!) vorstellte, der die Umkehrung der Doppelbrechung nach Äther- extraktion des Myelins beobachtete, teils darauf, daß die positive Doppelbrechung der Neurofibrillen hervortritt. Daß der neurofibrilläre Apparat optisch positiv doppelbrechend ist, geht schon daraus hervor, daß die marklosen Nervenfasern von Embryonen optisch positiv sind [Valentin?)], sie ist neuerdings durch die Untersuchungen von Göthlin?) nahegelest, während Apäthy*) noch die Anisotropie der Nervenprimitivfibrillen leugnet. Man könnte einwenden, daß die Herabsetzung der Doppelbrechung nach längerer Einwirkung von Wasser auf einer Zerstörung der lecithin- ähnlichen Substanz beruht, nachdem wir ja wissen, daß diese Substanzen bei längerer Berührung mit Wasser zerlegt werden [vgl. J. Bang?)]. Die leichte Reversibilität des Prozesses beweist, daß es sich um eine physikalische Zustandsänderung und nicht um einen chemischen Abbau handelt. Denn ebenso wie die verschiedenen Phasen der Quellung der Markscheide kann im polarisierten Licht auch die Rückbildung dieses Prozesses verfolgt werden. Eine Entquellung wird bewirkt durch konzentrierte (kalt gesättigte) NaCl-Lösung, Glycerin, konzentrierte Formollösungen (vgl. Tab. II). Daß die Wirkung dieser verschiedenen Flüssigkeiten prinzipiell die gleiche ist, nämlich einfach auf Entziehung des locker gebundenen Wassers beruht, geht daraus hervor, daß man durch einfaches Ver- dunstenlassen die gleiche Rückkehr der Doppelbrechung erzeugen kann. Die leichte Reversibilität der Quellung lest ihre große Bedeutung in der Physiologie und Pathologie nahe. Reichardt®) hat bekanntlich zuerst die Bedeutung der Hirnschwellung in der Pathologie der Psychosen erkannt und die scharfe Abgrenzung dieses Begriffs vor allem vom Ödem durchzuführen versucht. Als Hirnschwellung haben wir nach ihm einen Sammelbegriff für solche Volumsvermehrungen des Gehirns zu verstehen, welche nicht Folge von Hyperämie, von Anwesen- heit freier Flüssigkeit sind, welche auch nicht durch Geschwulstbildungen oder Entzündungen restlos erklärt werden können. Die Hirnschwellung unterscheidet sich nach ihm vom Hirnödem durch das Fehlen freien ÖOrganwassers. Man muß sich also vorstellen, daß die Volumsvergröße- 1) loc. eit. 2) loc. eit. 3) loc. cit. *) Biol. Zentralbl. 9, 625. 1889. >) Biochemie der Zellipoide in Ergebn. d. Physiol. 6. 1907. 6) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. Ref. 3, 1. 1911; Allg. Zeitschr. f. Psych. %5, 34. 1919. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. I. 233 Tabelle II. Reversibilität der Quellungswirkung. Eee Epigonallage ' Ausgangsmaterial in phy- | siol. Na0l-Lösung . . | einige Min. blau II Vers. I ı Aqua destiliaene n Var fehlende Doppelbrechung ı Konzentrierte (kalt ge- | sättigte) Na0l-Lösung 3 Tage purpur I-violett I | nen in phy- Ser siol. NaÜl-Lösung . . , einige Min. blau II Ian destill. . . . . .. | 17 Stunden | fehlende Doppelbrechung lGlycerinn 2 Stunde indigo I | Ausgangsmaterial in phy- Vers. II | siol. NaCl-Lösung . . | einige Min. blau II 0,32% Na0Ol-Lösung . . 102 Stunden | tiefrot I IE 300 Rormolee a | 2 Tage indigo I-violett I Ausgangsmaterial in phy- EDV: | siol. NaCl-Lösung . . | einige Min. | blau II | Aqua destllap > ar 0 1 Tag fehlende Doppelbrechung Verdunstenlassen . . . | einige Min. blau II rung des Gehirns vor allem durch Flüssigkeitsaufnahme in die Substanz des Gehirns, durch intravitale Quellungsvorgänge zustande kommt. Der Nachweis dieser Zustände und das Studium ihrer Entstehungs- bedingungen ist bisher nur mit Hilfe der Wägungsmethoden mösglich, Methoden, die eine genauere Differenzierung, welche Gewebselemente an der Quellung beteiligt sind, vor allem aber ein Studium des feineren Mechanismus dieser Prozesse und ihre Abtrennung vom Ödem nicht ermöglicht haben. So bezweifelt beispielsweise Reichardt!), ob die von Pötzl und Schüller!) als Hirnschwellung angesprochenen Fälle nicht vielmehr Hirnödem waren. Auch die bisherigen mikroskopischen Befunde bei der Hirnschwellung sind ungenügend, ein für die Hirn- schwellung charakteristischer histologischer Befund ist bisher nicht bekannt. Die amöboide Glia, welche von Alzheimer?) zum Verständnis der Pathogenese der Hirnschwellung herangezogen wurde, kann deren Entstehung wohl nur zum Teil erklären und wurde auch ohne nachweis- liche Hirnschwellung gefunden. Die Tatsache, daß Quellung der Markscheide mit einer Abnahme resp. Umkehrung ihrer Doppelbrechung einhergeht, scheint uns ein Mittel in die Hand zu geben, um die Abtrennung der Hirnschwellung vom Hirnödem schärfer durchzuführen und festzustellen, ob und inwie- !) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. Orig. 3. 1910. 2) Nissls Arbeiten 3, 401. 234 E. A. Spiegel: fern eine vorhandene Volumsvermehrung auf Quellung der Markscheide zurückzuführen ist. Meint ja Reichardt!) selbst, daß unter den Begriff der Hirnschwellung verschiedenartige Vorgänge fallen, deren Gemein- sames nur die Volumsvergrößerung des Gehirns ist. Inwiefern in einem bestimmten Falle tatsächlich Quellungsvorgänge beim Zustandekommen der Hirnschwellung beteiligt sind, wird sich voraussichtlich durch Be- stimmung der Doppelbrechung der Markscheide entscheiden lassen. Weiterhin gewinnen wir aber damit auch eine Methode, um die Ent- stehungsbedingungen der Hirnschwellung näher zu analysieren. So wurde insbesondere in Anlehnung an die Theorien Martin Fischers?) die Säuerung des Organismus, also die Vermehrung der H--Ionen, als ein ursächliches Moment bei der Entstehung der Hirn- schwellung vermutet [z. B. Klose und Vogt?)], Pötzl und Schüller®)]. J. Bauer?) konnte seinerzeit wahrscheinlich machen, daß diese Ver- mutung nicht zutrifft. Er studierte die Gewichtszunahme von Rücken- marks- bzw. Gehirnstückchen in verschiedenen Flüssigkeiten nach verschiedenen Zeiten und fand, daß die Gewichtszunahme in Säuren von einer Normalität über 5. 10°!"n geringer war als bei gleichlanger Einwirkung von destilliertem Wasser. Im Anschluß an die Unter- suchungen von Porges und Neubauer®), die fanden, daß Lecithin- suspension durch Säure ausgeflockt wird, und jene von Handovsky und Wagner”), welche die innere Reibung von Lecithinemulsion durch Säurezusatz abnehmen sahen, führt er diese Erscheinungen auf die ent- quellende Wirkung der Säure auf das Lecithin zurück. Die ausnahms- weise beobachtete Quellungsförderung durch Säure (bei niedriger Konzentration) erklärt er damit, daß bei dem im Nervengewebe vor- handenen Gemenge von Kolloiden und Eiweißkörpern nicht immer die Lipoide überwiegen müssen, und denkt, ob bei diesen minimalen Kon- zentrationen nicht vielleicht die Wirkung der Säuren auf Eiweißkörper den Ausschlag geben. Tatsächlich findet man auch unter seinen Kurven einige, welche zeigen, daß bei steigendem Säurezusatz ein Maximum des Quellungsvermögens überschritten wird, ähnlich wie wir es von der Wirkung von Säuren auf Eiweiß kennen. Bauer®) hat auch selbst, auf eine Bemerkung Liesegangs?°) hin, seine ursprüngliche Schlußfolgerung, daß Säuren entquellend auf Nerven- 1) loc. eit. 2) M. H. Fischer, Das Ödem. Dresden 1910. ®) Bruns Beitr. z. klin. Chirurg. 69. 1910. =j2locleit. >) Arb. aus der Neurolog. Instit. Wien. 19, 87. 1911. 6) Bioch. Zeitschr. %, 152. 1908. ?) Bioch. Zeitschr. 31, 32. 1911. ®) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. Orig. 13, 498. 1912. 9%) Ergebn. d. Neurol. u. Psychiatr. %, 157. 1912. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. 1. 235 gewebe wirken, dahin modifiziert, daß Säure die Quellbarkeit des Nerven- gewebes gegenüber Wasser herabsetzt. Einem weiteren Einwand des letztgenannten Autors, daß seine Untersuchungen sich nur auf totes Material beziehen, sucht er damit zu begegnen, daß sich aus den Tabellen von Hooker und Fischert), die an frisch abgestorbenem Material arbeiteten, anscheinend ebenfalls ergab, daß Nervengewebe in Säure über 5 - 10°*n weniger stark als in Wasser quelle. Schließlich glaubt Bauer, daß dieselbe Gesetzmäßiskeit wie für die exogene Säuerung auch bei endogener Säuerung, d. h. also bei Bildung der Säure aus dem Gewebe selbst, gelte, weil die Beobachtungen Reichardts?), sowie Murachis?) ergeben, daß die Quellbarkeit des Gehirns mit der seit dem Tode verstrichenen Zeit abnimmt, post mortem aber die ‚„endogen“ bedingte Acidität des Gehirns zunimmt. Immerhin muß aber Bauer) gestehen, daß die von ihm angewendete Wägungsmethode nur über die Quellungsbedingungen des toten Nerven Aufschluß gibt, und auch die von ihm zitierten Untersuchungen von Hooker und Fischert) beziehen sich auf abgestorbenes Gewebe. Er muß darum die Frage offen lassen, wie die Verhältnisse intra vitam liegen. Mittels der von Tabelle III. Säurewirkung. ee Epigonallage n H,S0, . . . | 16 Stunden | blau II 2>SOR2 le 5 | » DAEIESO ee lo | violett no H3S O4 ae 16 n | ” RIEIN Os blau II 10-!nHNO, .|4 „ 4 10 nINOs Dr indigo II 10-3n HNO, .|| 24 B | indigo I[-violett I 1027 EIN OS 024 a violett \ durch Trock- 10G2EIN Os 024 R | fast Aufhebung J nen reversib. O2 nyEI@ ee la blau Il-indigo II NOT say 5 | indigo II DEE | tiefrot I 1O7omIalıll 2 my fast Aufhebung IT blau II-indigo II LO nDELe EI |, purpur I-tiefrot I IO==n 1210 7 en rot I \ durch Trocknen Im: Aufhebung reversibel 1) Zeitschr. f. Chemie u. Industrie d. Kolloide, 10, 283. 1912. a\0Ioe.zeit. 3) Arb. a. d. Wiener Neurol. Institut 19, 327. 1912. ainloe.zcit: 236 E. A. Spiegel: uns angewendeten optischen Methode gelingt es unschwer, diese Frage zu beantworten, soweit es sich um das Quellungsvermögen der Mark- scheide handelt. Zuerst wurde zum Vergleich mit den Resultaten Bauers!) die Wirkung der Säure auf die Quellung des abgestorbenen Nerven studiert. Die Resultate sind im Prinzip konform jenen Bauers, indem bei steigender Säurekonzentration die Abschwächung der Doppelbrechung, also die Quellung des Marks geringer wird, wobei natürlich betont werden muß, daß unsere Beobachtung sich nur auf die Glycerophos- phatide dei Markscheide als dem die optische Anisotropie beherrschenden Faktor bezieht (vgl. Tab. III). Die Untersuchung des noch erregbaren Nerven wurde so vorgenom- men, daß Ischiadieus-Gastrocnemiuspräparate vom Frosch angefertigt, die Sehne des Muskels an einem Korkstöpsel aufgehängt wurde, der eine breithalsige, die Untersuchungsflüssigkeit enthaltende Flasche verschloß. Die Länge des Fadens, welcher den Muskel trug, wurde so Tabelle IV. Säurewirkung am Ischiadicus-Gastrocnemiuspräparat. Untersuchungsflüssigkeit: De ar Erresharkäitdes 50 cem fach verdünnte Einwirkung Nervus ischiadicus Epigonallage Ringerlösung + | | 5 cem Aqua destill.. . | 3" + blau Il-indigo Ii el LO 3b negativ bis auf den violett | proximalsten, aus der Flüssiekeit ra- | genden Anteil en Mn KO EEE 3b negativ indigo DE MEGA Sn n indigo-violett 5 „Aqua destill. . \| 6" == indigo II-violett 5,210 Surlel.....| 66 + 52,10 2 HOW NR oAs en i i 5 7 10 =3 n HCI BABEN | bh 45 SI ” ” EN RL ÜnEE 5 LI N | Hralb“ + h N 5.8 10-20 2 a spurweise violett Bo UNION 26er — violett-purpur Bi nk See old = 5 E ba 2 ur 6A = indigo II 10, .Aquardestill. . | skr1b2 | + indigo-violett 102, 10-21 HE]. Solar aha — violett-purpur 100, na Ole 2 ll — indigo-violett 10% 72m HOLE ee = N N 10 „Aqua destill... . hu = violett 10. . 10s!n He. Al 58 | = violett-purpur 10. nel. | 5h -- indigo II-violett 10 Pr 2n HC1 N er N 5h Fe „ ” t) loc. eit. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. I. 237 gewählt, daß der Muskel selbst über der Flüssigkeit suspendiert war und nur der Nerv in diese tauchte (ähnliche Anordnung bei Urano, Zeitschr. f. Biol. 50, 459. 1908). Nach verschieden langer Zeit, während der sich die Präparate im Kühlschrank befanden, wurden Lichtbrechungs- vermögen und Reizbarkeit des N. ischiadicus in der eingangs beschrie- benen Weise geprüft. Ein Teil der Versuche ist in der linksstehenden Tabelle zusammengestellt. Es zeigt sich demnach beim Versuch am Ischiadicus-Gastrocnemius- präparat, daß wohl eine Zone vorhanden ist, innerhalb welcher der Säurezusatz in geringem Grade quellungsfördernd. wirkt, daß aber diese Zone der Säurekonzentration schon in den Beginn jenes Bereiches fällt, in dem durch den Säurezusatz die Lebensfähigkeit des Nerven vernichtet wird (soweit aus der Erregbarkeit des Nerven geschlossen werden kann). Bei weiterem Säurezusatz nimmt wieder die Quellung der Markscheide ab, ein Verhalten, das aber schon den nicht mehr erregbaren Nerven betrifft. Innerhalb der Grenze der erhaltenen Erregbarkeit konnte dagegen durch Säurezusatz kein sicherer Unterschied gegenüber der Wirkung der bloß durch destilliertes Wasser verdünnten Ringerlösung auf die Quellung der Markscheiden festgestellt werden. Um auch die von M. Fischer!) geübte Methode der ‚endogenen Säuerung‘ anzuwenden und die Wirkung von im Gewebe intra vitam entstehender Säure zu studieren, wurden Frösche nach dem Vorgang von M. Fischer mit Urannitrat vergiftet. Araki?) hat bekanntlich gezeigt, daß es bei Sauerstoffmangel zu Milchsäureausscheidung im Urin kommt, und Fischer fand, daß Sauerstoffmangel erzeugende Gifte, welche exzessive Bildung von Säuren im Gefolge haben sollen (Morphium, Strychnin, Cocain, Arsen, Uranylsalze), bei Fröschen zu einer Wasserbindung führen, welche 15—60% des normalen Frosch- gewichtes ausmacht. Ich verwendete vor allem jenes Gift, das nach Fischer die stärkste Gewichtszunahme bei Fröschen zur Folge habe, nämlich Uranylnitrat. Die Tiere wurden einige Tage in destilliertem Wasser gehalten, täglich gewogen und erhielten, sobald annähernd Gewichtskonstanz eingetreten war, eine Urannitratinjektion in den dorsalen Lymphsack. Hierauf wurden sie in getrennte Gläser gesetzt, welche 100 ccm destilliertes Wasser enthielten, das täglich gewechselt wurde. 2 Versuche seien beispielsweise angeführt. Versuch I. Rana escul. 11. III. 1921. 25,17 g. 132 1711224:83572: 14. III. 24,8 g. 515’ p. m. 0,05 g Urannitrat in den Dorsallymphsack. 1) Joe. eit. ?) Zeitschr. f. physiol. Chemie 15, 335. 1891. 238 E. A. Spiegel: 15: :IM. 710.727,5%8: 16. III. 11". 28,6 g. Das Tier wird getötet, der sofort auspräparierte N. ischiadieus zeigt normale Doppelbrechung (blau II/ gelb I). Versuch Il. Rana escul. 5. VI. 1921. 70,5 g. 6. VI. 70,58. 7 Uhr abends 0,07 g Urannitrat in den Dorsallymphsack. 7. VI. 11 Uhr 71,5 g. Injektion von 0,05g Urannitrat. 8. VI. 1 Uhr 87,5 g. Der dem eben getöteten Tier entnommene Nervus ischia- dicus zeigt in Epigonallage blau II. Auch bei Vergiftung mit noch stärkeren Dosen Urannitrat, die schließlich zum Exitus führten, konnte keine sichere Änderung der Doppelbrechung gefunden werden. Schließlich wurde an Kaninchen perorale Säuerung nach der Methode von Walter!) ausgeführt. Ein Versuch, bei dem die Säuerung bis zum spontanen Tod des Tieres durchgeführt wurde, sei wiedergegeben. Weißes Kaninchen, Gewicht 1,13 kg. 5. I. 1921. 11h 60 ccm "/;, HCl mittels Schlundsonde eingeführt. 10. I. 6% p. m. 65 ccm %/,, HCl mittels Schlundsonde eingeführt. 11. I. 66 70 ccm "/,, HCl mittels Schlundsonde eingeführt. 13. I. 11 a. m. und 6% p. m. 80 ccm mittels Schlundsonde eingeführt. 13. I. 11h a. m. und 6" p. m. 100 ccm mittels Schlundsonde eingeführt. 14. I. 11% a. m. und 6% p. m. 100 ccm mittels Schlundsonde eingeführt. 15. I. 6% p. m. 60 ccm. Spontaner Exitus. Der Nervus ichiadicus zeigt keine Veränderung der Doppelbrechung gegenüber der Norm. Es zeigt sich demnach, daß sowohl peroral zugeführte als auch endo- gen entstandene Säure innerhalb der mit dem Leben des Tieres ver- träglichen Grenzen zu keiner nachweislichen Änderung des Licht- brechungsvermögens der Markscheide führt. Es konnte am lebenden Tiere jene Zone nicht erreicht werden, innerhalb welcher wir am aus- geschnittenen Ischiadicus-Gastrocnemiuspräparat eine leichte Erhöhung der Quellbarkeit durch den Säurezusatz feststellten. Soweit sich aus der Beobachtung der Doppelbrechung Schlüsse ziehen lassen, kann mandemnachintravitalentstehendeund wiederrückbildungs- fähige Quellungszustände der Markscheide nicht auf eine Vermehrung der H-Ionen zurückführen. Zusammenfassung. 1. Die Doppelbrechung ist eine Eigenschaft des lebenden Nerven, ihre Beobachtung ermöglicht daher das Studium physikalischer Zu- standsänderungen unter gleichzeitiger Registrierung der Erregbarkeit, also des Funktionszustandes des Nerven. 2. Änderungen der Doppelbrechung sind der optische Ausdruck für Änderungen der normalerweise in der Myelinscheide herrschenden, normal zur Längsachse des Nerven gerichteten Druckkräfte. 1) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. %, 148. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. TI. 239 3. Die Quellung geht mit einer Herabsetzung der Anisotropie des Nerven einher, welche schließlich ganz aufgehoben werden und sogar entgegengesetzten Charakter annehmen kann. 4. Säurezusatz zu verdünnter Ringerlösung wirkt auf den lebenden Nervus ischiadicus erst in Konzentrationen in geringem Grade quellungs- fördernd, welche die Erregbarkeit des Nerven schon zu schädigen be- ginnen. Bei noch höherer Acidität nimmt die Quellungsförderung wieder ab. Am lebenden Tier konnte weder durch endogene noch exogene Säuerung innerhalb der mit dem Leben des Tieres verträglichen Grenzen die Zone der quellungsfördernden Wirkung der Säure erreicht werden. (Aus dem Neurologischen Institut der Universität Wien [Vorstand: Prof. OÖ. Marburg|.) Physikalisch - chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. Mitteilung. Der Einfluß der Narkotiea auf die Anisotropie des Nervenmarks. Von . E. A. Spiegel, Assistent am Institut. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 27. Juli 1921.) Noch immer bildet der ‘Versuch H. H. Meyers!), welcher zeigt, daß die Wirkungsstärke der Narkotica bei verschiedenen Temperaturen mit der Größe ihres Teilungskoeffizienten zwischen Öl und Wasser weitgehend parallel geht, den schlagendsten Beweis für die Bedeutung der Lipoidlöslichkeit der Narkotica beim Zustandekommen der Narkose, wie auch Höber?) bei kritischer Betrachtung der Narkosetheorie zugeben muß. Neuerdings haben K. Meyer und H. Gottlieb - Bill- roth?®) für die Inhalationsanästhetica gezeigt, daß Wirkungsstärke und Löslichkeitskoeffizient nicht nur gleichsinnig, sondern auch annähernd proportional verlaufen. Dieser weitgehende quantitative Parallelismus zwischen Wirkungsstärke und Teilungskoeffizient spricht wohl dafür, wie H. Meyer näher ausführt, daß die Lipoide nicht nur das Lösungs- mittel, sondern das Wirkungssubstrat der Narkotica darstellen. Damit wird aber natürlich nichts darüber gesagt, an welchem Teile des Nervensystems die Narkotica angreifen. Wir müssen berücksichtigen, daß die Lipoide eigentlich in der weißen Substanz viel reichlicher an- zutreffen sind als in der grauen. Die weiße Substanz ist beispielsweise 10 mal so reich an Lipoid-S als die graue [Weil*)] und doppelt so reich !) H. Meyer u. Gottlieb, Exper. Pharmakol. 1920. IV. Aufl. ®2) Höber, Physik. Chemie d. Zelle u. d. Gewebe. 1914. IV. Aufl. ®2) K. Meyer u. H. Gottlieb-Billroth, Zeitschr. f. physiol. Chemie 112, 55. 1921; Münchn. med. Wochenschr. 68, 8. 1921. *) Weil, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. Referate, 7, 1, 1913. E. A. Spiegel: Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. 241 [nn an Cholesterin [S. Fraenkel!)] als diese. So fanden Frison und Nicloux?) tatsächlich, daß sich Chloroform auf die weiße und graue Substanz zugunsten der ersteren verteile.. Im Momente des Todes entfällt nach einer Messung von Nicloux?) auf das Gehirn 46—59 mg, auf das Kopfmark 75—85 mg, auf das Rückenmark 80,5 —83 mg Chloro- form pro 100 g Substanz. Damit werden wir eigentlich schon darauf hingewiesen, daß die Lipoide der Plasmahaut der Nervenzellen nicht die alleinige Angriffsstelle der Narkotica sein können, sondern daß ihre Wirkung sich auch auf den markhaltigen Nerv äußern muß, um so mehr als ja die Existenz einer Lipoidmembran in der Ganglienzelle bis jetzt noch unbewiesen ist, wie erst neuerdings Ariens Kappers*) hervor- hebt. Die Narkoticumwirkung auf den peripheren Nerven erweisen eigentlich direkt die Versuche von Moral’), welche den von Me yer®) nachgewiesenen Parallelismus zwischen Wirkungsstärke und Teilungs- koeffizienten bei verschiedenen Temperaturen auch am Nervenmuskel- präparat, bei Einlegung des Nerven allein in die zu prüfende Lösung, also an einem Präparate zeigen, an welchem die zentrale Ganglienzelle gar nicht vorhanden ist. Wenn Unger?) auch Abweichungen von dieser Gesetzmäßigkeit beim Versuch am Nerven-Muskelpräparat findet, so dürften die direkten Wirkungen der wechselnden Temperatur auf den Stoffwechsel und die Erregbarkeit des Nerven mit eine Rolle spielen, wie der Autor selbst hervorhebt. Wenn wir bedenken, daß die Mark- scheide des Nerven dessen lipoidreichsten Teil bildet, muß demnach die Wirkung der Narkotica auf die Markscheide auch für den Mechanismus der Narkose von Bedeutung sein. Um in diesen Mecha- nismus selbst einen gewissen Einblick zu gewinnen, wurde die Be- einflussung der Doppelbrechung der Markscheide durch die Narkotica studiert. Die Untersuchung wurde zunächst in gleicher Weise wie die in der I. Mitteilung näher beschriebenen Quellungsversuche an den zerzupften Ischiadieis eben durch Entbhlutung getöteter Ratten vorgenommen, indem ein Teil der Fasern in die zu prüfenden Flüssigkeiten, ein Teil zum Vergleich in physiologische NaCl-Lösung gelegt und nach ver- schiedenen Zeiten das optische Verhalten der Nerven zwischen gekreuzten Nicols über einem Gipsplättchen Rot I. Ordnung studiert wurde (siehe Tabelle). 1) 8. Fraenkel, Bioch. Zeitschr: 46, 253. 1912. 2) Frison u. Nicloux, C. R. Soc. de biologie 62, 1153; 63, 220. 1907. 3) Nicloux, ©. R. soc. de biol. 60, 206. 1906. *2) A. Kappers, Vergl. Anat. d. Nervensyst. Haarlem 1920. >) Moral, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%1, 469. 1918. 6) Loe. eit. ?) Unger, Bioch. Zeitschr. 89, 238. 1918. 242 E. A. Spiegel: Tabelle. Epigonallage !) Se 1 Stunde | Aufhebung der Doppelbrechung Aa) 3 \ 17 Stunden | teils Aufhebung, teils Umkehrung ln g ; 6 a teils glasig verändert, teils blau II u El! e | 30 > deutlich leuchtend blau II ” 7 b) Verdunsten einige Min. blau II Umkehrung auf gelb keine Veränderung Äther . RR: 17 Stunden Reversibilität durch Trocknen | 1 Stunde Physiolog. NaCl-Lösung mit\f} 1 Stunde | blau II Äther geschüttelt Reversibilität durch Verdun- stenlassen . N 20 Stunden einige Min. violett-purpur blau II 5°%/, Stunden indigo II-violett ß lH s tiefrot on lulsn 24 3 fast Aufhebung 48 ’ Aufhebung Reversibilität der durch 48 stün- dige Acetoneinwirkung ver- lorengegangenen Doppelbre- | chung durch: | Verdunstenlassen . einige Min. | blau II 1/, Stunde | tiefrot 1 Stunde | purpur Formol 40°, 2 Stunden en '231/,Stunden| einzelne Fasern blau IH, übrige indigo II 10 proz. wässerige Acetonlösung 5°/, Stunden ne 24 n einzelne Fasern blau II, einzelne violett [indigo II purpur-tiefrot, durch Verdunsten reversibel auf blau II Äthylalkohol Aqua destill. 96 0 24 Stunden ZA, 24 ’ 24 ” | 24 ” an I 2A en, | 24 ” 24 0, Be Aufhebung irreversibel blau II tiefrot Aufhebung teils Aufhebg., teils Umkehr: gelb 1) Bpigonallage bedeutet nach der Nomenklatur Göthlins (Kungl. Svenska Vetensk. Akad. Handlingar 51, H. 1. 1913) die Richtung senkrecht zur kürzeren Achse der Fresnelschen Schnittellipse des Gipsplättchens; der normale Nerv zeigt in Epigonallage über einem Gipsplättchen Rot I. Ordnung die Inter- ferenzfarbe Blau II. Ordnung Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. 243 Tabelle (Fortsetzung). Dauer der Einwirkung Epigonallage '" 48 Stunden Aufhebung, durch Trocknen nicht reversibel 36°) 2.09% 48 en Aufhebung, durch Trocknen reversibel L DO: 48 : purpur Athylalkohol NaRS U os ere 48 ef teils Aufhebung, teils Spur von Brechung 052 48 a 31/0 & Q 48 „ A 48 en Aufhebung ONE 48 hs NSquardestllier 032: 48 „ 100°/, 1!/, Stunden | Aufhebung, doch noch teilweise durch Verdunsten reversibel 70%), ES blau II 50°, 1!/s x blau II-indigo Methylalkohol | 25°/o |1% „| indigo-violett 19,5% ES re purpur 6°), 1% tiefrot 3°) 1'% ” „ LTE, 11/, % Aufhebung teils Aufhebung, teils Umkehr, reversibel Methylalkohol 10°% 24 “ purpur reversibel (Verdünnung 50/0 z 2 indigo An 2501 24 durch physio- 0 u . 12,5%) 24 logische NaÜl- 6 90, 94 ” 6 © ZN) ” LoSuneya 125 10): ae blau II 159% 24 5 om, u Physiol. NaQl-Lösung 24 > 70°%/o 48 Stunden | Aufhebung reversibel Methylalkohol | 300 438 „| indigo I (Verdünnung 3/0 48 : durch physio- 13,5 /o 48 ” logische NaCı- | &1% a blau II Lösung) „1°/o 48 » : 1,50 SO ONuy/, 48 = Cocain hydrochlor. 1°/, bis ge- sättigte Lösung ..... 24 Stunden | blau II Magnesium-Sulfatlösung in phy- siol. NaCl-Lösung in 1,2 bis DON ElEösunsm ra 19 Stunden | blau II Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19%. 17 244 E. A. Spiegel: Tabelle (Fortsetzung). Dauer der NERE Einwirkung Episonallaze 20 RER: 18 Stunden | Aufhebung der Doppelbrechung, LO > reversibel nach 41/, stünd. Lie- et gen in physiol. NaUl-Lösung en a 510 18 en | purpur-tiefrot N en 27er ll O0 | purpur eye: 18 N | violett-purpur Es zeigt sich demnach, daß die lipoidlöslichen Narkotica und die ihnen verwandten Schlafmittel, wie das Chloralhydrat die Doppel: brechung der Markscheide herabsetzen und. schließlich aufheben, während ein Narkoticum wie das Magnesiumsulfat keine analoge Ver- änderung der Anisotropie bewirkt. Auch Cocain ist diesbezüglich in den anästhetisch wirkenden Konzentrationen ohne Einfluß. Ebenso wurde ein Einfluß von Kälteeinwirkung vermißt. Diese Aufhebung der Doppel- brechung durch die lipoidlöslichen Narkotica ist bei Wahl entsprechender Konzentrationen durch Einlegen des Nerven in Glycerin, rasches Ver- dunstenlassen des Narkoticums reversibel ; so läßt sich noch die durch 17stündige Chloroformeinwirkung bei Zimmertemperatur bewirkte Auf- hebung der Anisotropie rückgängig machen. Bei Äther ließ sich die um- kehrbare physikalische Wirkung in der Weise demonstrieren, daß Nerven in physiologische NaCl-Lösung, die mit Äther geschüttelt war, eingelegt wurden. Die Tatsache der reversibeln Lipoid-Narkoticumbindung, welche zur temporären Aufhebung der Doppelbrechung führt, ohne daß die Glycerophosphatide aus der Markscheide extrahiert werden, kann aber am besten durch die Wirkung des Acetons gezeigt werden, welches ja bekanntlich Leeithin nicht löst [vel. Bang!)]. Äthylalkohol führt bei langdauernder Einwirkung in hoher Konzentration zu einer irrever- sibeln Aufhebung der Anisotropie; läßt man weiter fortschreitende Verdünnungen verschieden lange wirken, so erhält man eine Zone, in welcher die Doppelbrechung des Nerven anscheinend nicht verändert ist, während noch weitere Verdünnung schließlich zu reversibler Auf- hebung der Doppelbrechung führt, wie sie durch das immer stärkere Hervortreten der quellenden Wirkung des Wassers erklärlich ist. Deut- lich zeigt sich auch bei der Einwirkung von Methylalkohol nach 1!/, Stun- den, wie in höherer Konzentration eine durch das Narkoticum bewirkte reversible Aufhebung der Doppelbrechung eintritt, bei 70 proz. Lösung die Wirkung von Methylalkohol und Wasser sich das Gleichgewicht halten, bei fortschreitender Verdünnung des Methylalkohols die quellende Wirkung des Wassers immer deutlicher hervortritt. Es zeigt sich also, IyBang,d., Biochemie d. Zellipoide. Ergebn. d. Physiol. 6. 1907. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. 245 daß Äthyl- und Methylalkohol in bestimmten Konzentrationen der quellenden Wirkung des Wassers entgegenwirken, ein Verhalten, das mit den Versuchen von Knaffl- Lenz!) in Analogie gebracht werden kann, der fand, daß Gelatine in ätherhaltigem Wasser ein geringeres Quellungsvermögen besitzt als in reinem Wasser und der auf die entquellende Wirkung des Äthers gegenüber Gelatine schloß. Die reine Alkoholwirkung läßt sich aber zeigen, wenn man die Alkoholverdün- nung statt mit destilliertem Wasser mit physiologischer NaCl-Lösung vornimmt. Diese leichte Reversibilität der Aufhebung der Doppelbrechung läßt darauf schließen, daß diese Aufhebung auf einer relativ lockeren Bindung der genannten Narkotica an das Myelin beruht. In der voran- gegangenen Mitteilung wurde auseinandergesetzt, daß Änderungen der Doppelbrechung als der optische Ausdruck für Änderungen der normaler- weise in der Myelinscheide herrschenden, normal zur Längsachse gerich- teten Druckkräfte anzusehen sind. Die Bindung der Narkotica an das Myelin führt also zu einer Abnahme der in der Markscheide normaler- weise herrschenden Druckkräfte. Den Mechanismus dieser Wirkung müssen wir uns wohl ganz ähnlich dem bei der Quellung erörterten vorstellen. So wie ein Lecithintropfen in destilliertem Wasser seine Oberfläche zu vergrößern trachtet, so zeigt er auch, in Aceton gebracht, ein Auswachsen von Schläuchen nach allen Richtungen, analog den Virchowschen Myelinfiguren, ein Verhalten, das anscheinend auf die Verringerung der Oberflächen- spannung des Lecithins durch das Narkoticum zurückzuführen ist. Ob wir in diesem Verhalten das Auftreten besonderer Extensionskräfte [vgl. Ostwald2)] oder nur eine Herabsetzung der gegen das Zentrum wirkenden Kräfte zu sehen haben, soll, als für unsere Fragestellung nicht wesentlich, nicht näher erörtert werden. Jedenfalls muß diese Tendenz nach allseitiger Ausbreitung den in der Markscheide vorhan- denen, radiär gerichteten Druckkräften entgegenwirken und damit die Doppelbrechung abschwächen. Die Doppelbrechung des Lecithins wird allem Anscheine nach soweit herabgesetzt, daß sie durch die positive Doppelbrechung der Grundsubstanz, in welche das Myelin der Mark- scheide eingelagert ist, schließlich aufgehoben wird oder gar die optischen Eigenschaften der letzteren hervortreten, wie wir ähnliches bei der Quellung beobachtet haben. In diesem Zusammenhang sei nur kurz an die Anschauung von Traube?) erinnert, daß die Narkotica die Oberflächenspannung und den Binnendruck herabsetzen (auf die weitere Schlußfolgerung dieses !) Knaffl-Lenz, Bioch. Zeitschr. 105, 88. 1920. ?2) Ostwald, Wo., Kolloidehemie. 1909. Dresden. ®) Traube, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 153, 299. 7 246 E. A. Spiegel: Autors soll, als nicht zu unserer Frage gehörig, hier nicht eingegangen werden). Ferner sei auf die Versuche von Calugareanut!) hinge- wiesen, der bei Zusatz von Chloroform zu wässerigen kolloidalen Lösungen von Lipoiden die vorher mikroskopisch homogene Lösung durch Vergrößerung der kolloidalen Teilchen sich in eine Emulsion verwandeln sah. Auch aus den stalagmometrischen Messungen von Berzeller?) zeigt sich, wenn auch infolge der Labilität der Lecithin- emulsion seine Werte keine sehr gute Übereinstimmung aufweisen, daß auf Zusatz der Narkotica eine Vergrößerung der Teilchen in einer Lecithinemulsion erfolgt, noch bevor eine sichtbare Fällung eintritt. Es entsteht von selbst die Frage, ob und inwiefern die daıgelegte Wirkung der fettlösenden Narkotica auf die Markscheide mit dem Mecha- nismus der Narkose in Zusammenhang ge- bracht werden kann. ° Die bisher nur am toten Nerven studierten Änderungen der Doppelbrechung lassen sich nur unter einer Bedingung verwerten, wenn nämlich gezeigt werden kann, daß sich eine Veränderung der Anisotropie parallel mit dem Eintritt der Narkose feststellen läßt und wenn diese Veränderung ebenso rasch wieder zurück- geht wie die Narkose selbst. Die bisher geschil- derten Versuche zeigen nur, daß die Abnahme und Aufhebung der Doppelbrechung durch ® Verdunstenlassen sehr rasch wieder rückgängig gemacht werden kann, sie schließt aber nicht a ee 2 aus, ob die Einwirkung der Narkotica, die Polarisationsmikroskops, von Zur Abschwächung der Doppelbrechung führt, u Ne nicht gleichzeitig so tiefgreifende Veränderungen schale, P=Polarisator, F=Fe- setzt, daß durch sie die Erregbarkeit des Nerven a I irreversibel aufgehoben wird. Es mußte darum eine Methode ausgearbeitet werden, um die Erregbarkeit des Nerven während der Narkose zu prüfen und gleich- zeitig seine Doppelbrechung zu beobachten. Die folgende Versuchsanordnung erwies sich am zweckmäßigsten (Abb. 1). Das übliche Ischiadieus-Gastroenemiuspräparat legt auf einem großen Objektträger (50 x SO mm), aus welchem 2 Öffnungen von 5 mm Seitenlänge in einer Entfernung von !/,cm geschnitten sind. Der auf der Brücke zwischen den beiden Öffnungen liegende Teil des Nerven und dessen anschließendes proximales Stück werden mit feinen Präparier- nadeln soweit zerzupft, daß die Doppelbrechung dieser Fasern deutlich 1) Calugareanu, Bioch. Zeitschr. %9, 96. 1910. ?) Berzeller, Bioch. Zeitschr. 66, 225. 1914. nam nn nn en ande m ln ns an nn Mn en Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. DAR beobachtet werden kann. Das proximale Ende liest auf 2 Elektroden, die am Objektträger befestigt und mit Ausnahme des vom Nerven bedeckten Anteils durch Paraffin isoliert sind. Der Objektträger selbst bedeckt ein mit Äther resp. Chloroform gefülltes Schälchen, das seinerseits auf dem Objekttisch des Polarisationsmikroskops steht. Um die Wirkung der Ätherdämpfe auf den Nerven selbst zu konzen- trieren, ist derselbe mit einem zweiten kleinen Schälchen bedeckt, dessen Wandung nur eine kleine Rille trägt, damit der Nerv, ohne ge- drückt zu werden, austreten kann. Will man mit Sicherheit die Ein- wirkung der Ätherdämpfe auf den Muskel vermeiden, so kann man die bedeckende Schale mit einer Saugpumpe in Verbindung setzen. Eine zwischen dem durchlochten Objektträger und dem Ätherschälchen eingeschobene Glasplatte hindert zu Beginn des Versuches das Aus- strömen der Ätherdämpfe. Durch Entfernen dieser Platte wird die Ein- wirkung der Ätherdämpfe auf den Nerven durch die Löcher des Objekt- trägers hindurch eingeleitet. Durch neuerliches Unterschieben der Platte und Entfernen des bedeckenden Schälchens kann die Narkose wieder sistiert werden. Wenn man darauf achtet, daß die beiden ver- wendeten Schalen einen ebenen, planparallelen Boden besitzen und die Wand der Deckelschale genügend niedrig ist, so wird durch diese An- ordnung die Beobachtung im polarisierten Licht nicht gestört. Jener Teil des Objektträgers, auf welchem der distale Anteil des Nerven mit dem M. gastrocnemius ruht, ist mit Filtrierpapier bedeckt, das mit Ringerscher Flüssigkeit durchtränkt ist, von Zeit zu Zeit kann man überdies den distalen Teil des Präparates durch Betupfen mit Ringer- scher Lösung anfeuchten. Die Zuckung des Muskels kann direkt beob- achtet oder auch mittels Schreibhebels registriert werden. In letz- terem Falle wird das mit dem M. gastrocnemius noch in Zusammenhang stehende Stück des Femurs an einer am Öbjektträger angekitteten Klemme befestigt, die Sehne des vertikal hängenden Muskels an einen Seidenfaden gehakt, der über eine Rolle zu einem vertikal über der Klemme angebrachten Schreibhebel führt. Um den Muskel und das zu ihm führende Nervenende vor Austrocknung zu schützen, wird am einfachsten von Zeit zu Zeit mit Ringerlösung bespült. Vorversuche ohne Narkose zeisten, daß durch wiederholte und dauernde faradische Reizung die Doppelbrechung des Nerven nicht verändert wird, eine Beobachtung, die übrigens schon von Valentin!) gemacht wurde. Dagegen ließ sich erweisen, daß die Abschwächung der Doppelbrechung bis indigo-violett schon zu einer Zeit einsetzt, wo die Erregbarkeit des Nerven erst abzunehmen beginnt; mit dem Aufhören der Narkose !) Valentin, Untersuchung der Pflanzen- u. Tiergewebe im polaris. Licht. Leipzig 1861. 248 E. A. Spiegel: dagegen kehrt die Anisotropie fast gleichzeitig mit der Erregbarkeit des Nerven wieder). Die Schnelligkeit dieser Rückkehr erklärt es auch, daß man an Tieren, die durch Narkose getötet sind, beim nachträglichen Unter- suchen des dem toten Tiere entnommenen Nerven keine Veränderungen der Doppelbrechung mehr beobachten kann. So erklärt sich auch die Angabe von Göthlin?), daß er in wiederholten Versuchen nach der kurzdauernden Äthereinwirkung, die nötig ist, um das zu untersuchende Tier regungslos zu machen, keinen Einfluß auf die doppelbrechenden Eigenschaften seiner Nerven nachweisen konnte. Diese Versuche betreffen, wie Herr Professor Göthlin die Freundlich- keit hatte, mir auf meine Anfrage näher auseinanderzusetzen, nur die Doppelbrechung der grauen Nerven von Evertebraten. Um die Nerven in der natürlichen Spannung zu erhalten, wurden ganze Nervenstämme, so wie sie sich an dem Tiere in situ befinden, an einem Silberdrahtbügel aufgebunden und dann erst herausgeschnitten, so daß sie an dem Silber- drahtbügel in ihrer natürlichen Spannung untersucht werden konnten. Der Vergleich von Präparaten, die von unbetäubten Tieren stammten, mit solchen, die nach Ätherbetäubung hergestellt wurden, ergab keinen Unterschied. Unsere Versuche am Nervus ischiadieus des Frosches zeigten, daß schon wenige Sekunden nach Sistieren der Äthereinwirkung die während der Narkose zu beobachtende Abschwächung der Doppel- brechung rückgebildet ist. Die Beobachtungen Göthlins an Nerven, die erst nach Entnahme aus dem betäubten Tiere gemacht wurden, können darum für die Frage der Änderung der Anisotropie des Nerven während der Narkose nichts aussagen, während natürlich seine Schluß- folgerung, daß die Ätherbetäubung die Doppelbrechung des Nerven nicht beeinflußt, für die Untersuchung des dem Untersuchungstiere entnommenen, also der Äthereinwirkung wieder entzogenen Nerven vollkommen zu Recht besteht. Denn ich selbst konnte mich in Ver- suchen an Ratten überzeugen, daß der Ischiadicus von Tieren, welche durch Inhalationsnarkose getötet worden waren, im Zupfpräparat keine Änderungen der Doppelbrechung mehr zeigte. Wir müssen uns vor- stellen, daß bei einer protrahierten Narkose, die zum Tode führt, schließ- lich im Protoplasma der Zellen irreversible Zustandsänderungen gesetzt werden, während die Veränderungen der Markscheide, welche während. der Narkose gesetzt werden, nach Verdunstung des Narkoticums auch am abgestorbenen Nerven noch reversibel sind. Der beobachtete Parallelismus zwischen Aufhebung der Erregbarkeit und Änderung der Anisotropie des markhaltigen Nerven mag es nicht ungerechtfertigt erscheinen lassen, wenn die während der Narkose 1) Demonstriert in der Wiener neurolog. Gesellschaft 24. V. 1921. 2) loc. eit. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. 249 beobachteten optischen Erscheinungen herangezogen werden, um den feineren Mechanismus aufzuklären, durch den die lipoidlösenden Nar- kotica auf den markhaltigen Nerven wirken. Es soll keineswegs versucht werden, eine neue Theorie der Narkose zu geben, sondern es soll nur ein Teil der Narkosewirkung, nämlich die Wirkung auf den markhaltigen Nerven analysiert werden. Vielleicht, daß aber auch bei der Wirkung auf den marklosen Nerven ähnliche Mechanismen mitspielen, nachdem Göthlin!) gezeigt hat, daß auch die sog. marklosen Nerven von einer Lipoidhülle umscheidet sind. Die Tatsache, daß während der Narkose die Anisotropie der Mark- scheide vermindert ist, weist daraufhin, daß in diesem Zustand die normalerweisein der Markscheide herrschenden Druckkräfte 2) vermindert sind, was wir am ehesten durch die Herabsetzung der Oberflächen- spannung der Glycerophosphatide erklären zu können glaubten. Diese Änderung der physikalischen Eigenschaften der Markscheide kann nicht ohne Einfluß sein, einerseits auf die Funktion der Markscheide, andererseits auf den Zustand des Axoplasmas. Wir haben die Herabsetzung der Doppelbrechung der Markscheide unter der Wirkung der Narkotica auf das Streben der lecithinähnlichen Substanzen der Markscheide nach Oberflächenvergrößerung, wie es durch die Versuche von Berczeller®), Calugareanu®), Moore und Roaf5), Pribram und Goldschmidt®), Traube”) nahegelest wird, zurückgeführt. Die Oberflächenvergrößerung der Lipoide unter der Wirkung der Narkotica bildet aber gleichzeitig die Grundlage jener Theorien, welche die Wirkung der Narkotica in einer Verminderung der Permeabilität der Plasmahaut sehen [Höber®), Lillie®), Winter- stein) u.a.], eine Vorstellung, der sich auch H. H. Me yer !!) genähert hat. Der funktionelle Ausdruck der beobachteten Aufhebung der Aniso- tropie der Markscheide ist also zum Teil in einer Verminderung deren Permeabilität zu suchen, doch ist zweifelhaft, ob diesem Faktor, soweit wenigstens die Markscheide in Betracht kommt, eine wesentliche Be- deutung zukommt, da die Markscheide ja schon normalerweise für den Stoffaustausch nur wenig durchgängig ist. 1) Ioe. eit. ?) Vgl. 1. Mitteilung. 3) loc. eit. 2) loc. eit. >) Moore and Roaf, Proc. Roy. Soc. London (B) %3, 1904; %%, 1906. 6) Pfibram, Wien. klin. Wochenschr. 1908, S. 1079. 7) loc. eit. 8) Höber, loc. eit. °) Lillie, Amer. Journ. of Physiol. 24. 1909; 30. 1912; 31. 1913. 10) Winterstein, H., Die Narkose. Berlin 1920. Il) Joc. eit. 250 E. A. Spiegel: Die Bedeutung der Markscheide für den Ablauf von Erregungen ist ja vielmehr in der Richtung zu suchen, daß sie als relativer Isolator wirkt. Unsere Beobachtungen antagonistischer Wirkung von Alkohol und Wasser schienen ein Hinweis dafür, daß die Lösung der Narkotica in der Markscheide zu einer Entquellung der Lipoide, zu einer Ver- drängung des im Myelin locker gebundenen Wassers führt. Schon dadurch muß die isolierende Funktion der Markscheide geändert werden. Ferner hat Göthlin!) darauf hingewiesen, daß das Myelin infolge seiner niedrigen Dielektrizitätskonstante die Kapazität der Nervenfasern herabsetzt ; damit muß aber auch die Leitungsgeschwindigkeit im Nerven beeinflußt werden (da ja aus der Theorie der elektrischen Schwingungen folgt, daß die Fortplanzungsgeschwindigkeit elektrischer Wellen in Drähten der Quadratwurzel aus der Dielektrizitätskonstante des um- gebenden Mediums umgekehrt proportional ist). Die Verminderung der Kapazität des Kabelleiters muß daher eine Vergrößerung der Fort- pflanzungsgeschwindiskeit für die elektrischen Stromstöße zur Folge haben. Und tatsächlich zeigten seine Untersuchungen, daß im all- gemeinen ein Parallelismus zwischen dem Lipoidgehalt der motorischen Nerven und der Flinkheit der Bewegungen der untersuchten Tiere besteht, so daß die Vermutung gestützt wird, daß die Entwicklung der Markscheide mit dem Bedürfnis nach einer großen Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Nerven zusammenhängt. Insofern durch die Lösung der Narkotica in der Markscheide die Dielektrizitätskonstante derselben verändert wird, muß demnach dadurch auch die Leitungsgeschwindig- keit im Nerven beeinflußt werden. Wir wollen, solange keine feste experimentelle Basis vorhanden ist, vorderhand diese Frage ebenso wie die des engeren Zusammenhanges zwischen Anisotropie und Ver- schiedenheit der Dielektrizitätskonstante in verschiedenen Richtungen nicht näher erörtern. Jedenfalls zeigen die Untersuchungen von Ambronn und Held?) an Katzenembryonen, daß die Entwicklung der Anisotropie der Markscheide der einzelnen Bahnen mit dem Beginn ihrer Funktionen zeitlich zusammenfällt, so daß also auch die Aufhebung der Anisotropie der Markscheide für deren Funktionen von Bedeutung sein muß. Die Bindung der Narkotica an die Markscheide scheint aber auch den Zustand des Axons nicht unbeeinflußt zu lassen. Eine Reihe von Tatsachen spricht dafür, daß der Zustand des Axoplasmas und der Mark- scheide in inniger gegenseitiger Abhängigkeit stehen. Sofand Stransk y?) bei Vergiftung von Meerschweinchen mit Blei den Achsenzylinder nur im Bereiche der affizierten Markscheidensegmente schwer verändert, Dirloe. Neit: ?) Ambronn u. Held, Arch. f. Anat. u. Physiol. Anat. Abt. 1896, S. 202. ®) Stransky, Journ. f. Psychol. u. Neurol. 1, 167. 1903. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. 251 also eine lokale Veränderung der Markscheide auf jene Strecke beschränkt, innerhalb der die Markscheide geschädigt ist. Auch bei der multiplen Sklerose, für welche vor allem der diskontinuierliche Zerfall der Mark- scheide charakteristisch ist [Marburg!)], zeigen sich Schwellungen des Achsenzylinders [Marburg!), Doinskow?), Leiner?®)]. Umgekehrt tritt bei Zerfall des Achsenzylinders im distalen Teil eines durch- schnittenen Nerven auch ein Zerfall der Markscheide ein, der nicht auf die direkte Läsion des Markes zurückgeführt werden kann, da dieses an den einzelnen Ranvierschen Schnürringen eine totale Unterbrechung er- leidet, sondern auf die Alteration des Achsenzylinders bezogen werden muB, wie an anderer Stelle gezeigt werden soll. Schließlich kommt es auch beim Ablauf einer Erregung im Nerven zu Veränderungen der Mark- scheide, Veränderungen, die sich allerdings mittels der Doppelbrechung bisher nicht nachweisen ließen, die sich jedoch aus den Befunden Stübels*) ergeben, der eine Erweiterung des Netzwerkes der Mark- scheide schon wenige Sekunden nach Beginn der Reizung feststellen konnte. Eine Erklärung für diese wechselseitige Abhängigkeit von Mark- scheide und Achsenzylinder bietet unter der Voraussetzung, daß wir es mit 2 Medien zu tun haben, die sich analog den allgemeinen Eigen- schaften des Protoplasmas dem flüssigen Zustand nähern [Rhumbler>), Tschermak®)] die folgende Überlegung. Was geschieht, wenn von zwei nicht mischbaren Flüssigkeiten A und B mit gemeinsamer Grenzfläche die eine, A beispielsweise, durch Auflösen einer dritten, mit B nicht mischbaren Flüssigkeit Cin A derart verändert wird, daß ihre Oberflächenspannung wechselt ??”) Gewöhnlich betrachtet man wegen der Schwierigkeiten, die vorderhand einer isolierten Messung der Öberflächenspannung jeder einzelnen der aneinander grenzenden Phasen entgegenstehen, nur die zwischen A—B herrschende Grenzflächenspannung, die wohl in der Regel durch diesen Eingriff verändert werden wird. Was aber geschieht innerhalb des Systems B? Wenn die Kräfte geändert sind, welche die Molekel an der Oberfläche von A gegen dessen Zentrum zu ziehen trachten, so muß auch die An- ziehungskraft dieser oberflächlichsten Teilchen von A gegenüber den darangrenzenden oberflächlichsten Teilchen von B variieren. Damit !) Marburg, Jahrb. f. Psychiatrie %%. ?), Doinikow, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. 2%, 151. 1915. ?2) Leiner, im Gange befindliche Untersuchungen. *) Stübel, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 1. 1912; 151, 115. 1913. 5) Rhumbler, Erg. d. Physiol. 14, 474. 1914. 6) Tsehermak, A., Allg. Physiol. I. Berlin 1916. ”) Für ihren Rat bei Besprechung dieser Frage erlaube ich mir auch an dieser Stelle den Herren Hofräten Jäger und Lecher meinen ergebensten Dank aus- zusprechen. 252 E. A. Spiegel: aber müssen die Anziehungskräfte, welche die Teilchen in der Ober- flächenschicht von B sowohl untereinander als auch auf die Teilchen eines in B gelösten Stoffes X ausüben, wechseln. Es werden die Ent- stehungsbedingungen, die beispielsweise zur Anreicherung der Substanz X auf der Oberfläche von B, entsprechend dem Gibbs - Thomsen- schen Theorem, führten, geändert, es muß also die Konzentration der Teilchen von X in der Oberfläche von B geändert werden. Zwei anein- ander grenzende, nicht mischbare Flüssigkeiten sind demnach in ihrem physikalischen Zustand innig untereinander verkettet, indem eine Änderung der Oberflächenkräfte von A zu einer Änderung der Oberflächenkräfte von B und damit zu einer Konzen- trationsänderung der auf der Oberfläche von B angereicher- ten Stoffe führt. Diese Änderung kann auch eintreten, wenn eine Membran zwischen A und B eingeschaltet ist, solange die Dicke dieser Membran den Aktionsradius der molekularen Anziehungskräfte nicht übersteigt. Diese Verkettung zweier aneinander grenzender, nicht mischbarer Flüssigkeiten sei als Zygiosis, die miteinander verbundenen Medien als Zygoten, die verbindende Fläche als Zygont bezeichnet. Übertragen wir diese Erörterungen über die Grenzbeziehungen zweier flüssiger Medien auf das Verhältnis von Markscheide zu Axo- plasma, so muß eine Herabsetzung der Oberflächenspannung der Mark- scheide, wie sie durch die Änderung der Doppelbrechung wahrscheinlich gemacht wird, zu einer Änderung der Oberflächenspannung im Axo- plasma führen. Diese Wirkung wird eintreten, gleichgültig ob das Myelin direkt an das Axon grenzt oder durch eine unterbrochene oder kontinuier- liche allerfeinste Schicht vom Protoplasma der Schwannschen Zellen von demselben geschieden ist. Im letzteren Falle würde die Spannungs- änderung im Myelin direkt die Oberflächenspannung der umziehenden Protoplasmaschicht und damit sekundär wieder die auf der Oberfläche des Axoplasmas wirkenden Kräfte beeinflussen. Tatsächlich fand ja auch Mayr!) Quellungserscheinungen der Achsenzylinder durch Ein- wirkung der Narkotica, allerdings als groteske Verzerrung der tatsäch- lichen Verhältnisse, wie der Autor selbst zugibt. Diese Erscheinungen werden wir wohl zum Teil auf die Herabsetzung der Oberflächenspannung der Markscheide, zum Teil direkt auf die Wirkung der Narkotica auf das Axoplasma zurückführen müssen. Beide Wirkungen werden aber die Verteilung der im Axon gelösten Stoffe ändern müssen, die Herabsetzung der Oberflächenspannung in der Markscheide nach dem oben angeführten Prinzip, die direkte Lösung der Narkotica im Axoplasma nach dem Gesetze, daß ein Stoff einen anderen um so mehr aus einer Oberfläche t) Mayr, Journ. f. Psychol. u. Neurol. 11, 15, 1%. Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. 253 verdrängt, je oberflächenaktiver er ist [vgl. Michaelis und Ronat), Ramsden zit. nach Zangger?)]. Es kommt demnach teils indirekt durch Herabsetzung der Öberflächenspannung der Markscheide, teils direkt durch Lösung der Narkotica im Axon zu einer Änderung der Ionenverteilung im Axoplasma. Seitdem Nernst?) die Erregungen durch den elektrischen Strom mit Änderungen in der Kon- zentration der natürlichen Elektrolyte in Beziehung gesetzt hat, neigt man immer mehr dazu, ganz allgemein die Erregungserscheinungen auf Konzentrationsänderungen an Grenzflächen zurückzuführen [vgel. Höber*)]. Wenn es demnach richtig ist, daß Änderung der Ionen- konzentration im Axon Erregungsvorgänge zur Folge hat, so müßte die Lösung der Narkotica in der Markscheide resp. im Axoplasma, die, wie wir ausgeführt haben, Änderungen der Verteilung der im Axo- plasma gelösten Stoffe nach sich ziehen wird, zu einer Erregung führen, bis die durch Lösung der Narkotica bedingten Änderungen der Ver- teilung ausgeglichen sind. Damit aber wäre das Erregungssta- dium der Narkose erklärt. Wir müssen gestehen, daß die bisherigen Erklärungsversuche dieses Stadiums nicht befriedigen. Winterstein°), der die Narkose auf Grund seiner Versuche an Muskelmembranen auf eine Herabsetzung der Zellpermeabilität zurückführt, stellt sich vor, daß ein leichter Grad von Permeabilitätsverminderung nur die schwer per- meierenden Ionen betrifft und durch Verlangsamung ihres Eintritts zu einer Er- höhung des Oberflächenpotentials führt, die mit einer Erregbarkeitssteigerung ver- bunden ist. Diese Theorie enthält aber zwei noch unsichere Annahmen; erstens, daß die anfänglich geringe Verminderung der Permeabilität nur die schwer permeieren- den Ionen betrifft, und zweitens, daß durch die Verminderung der Durchlässigkeit für die schwer permeierenden Ionen das Oberflächenpotential erhöht wird. Wenn Knaffl-Lenz®), der auch die Wirkung der Narkotica in einer reversiblen Per- meabilitätsverminderung der Zelle sieht, die initiale Erhöhung der entquellenden Wirkung der Narkotica auf Zellkolloide zuschreibt, so ist damit das Zustande- kommen von Erregungsvorgängen wohl noch nicht restlos in seinem feineren Mecha- nismus aufgedeckt. Verzär”) weist darauf hin, daß sowohl bei der Erregung als auch der Narkose die Polarisierbarkeit des Nerven abnimmt, meint also, daß Er- regung und Narkose bezüglich der Permeabilitätsänderung gleiche Vorgänge seien. Die Narkose würde nach ihm die Erregung verhindern, weil sie selbst dieselben Zustandsänderungen bedingt als jene. Damit glaubt er auch das Erregungs- stadium der Narkose erklärt zu haben. Doch müßte, wenn diese Theorie richtig ist, der Nerv während der Narkose sich in einem konstanten Erregungszustand befinden, der eigentlich bisher noch nicht beobachtet wurde. Man dürfte im Erregungs- und Lähmungsstadium der Narkose keine Differenzen der Polarisations- 1) Michaelis u. Rona, Bioch. Zeitschr. 15, 196. 1908. ?) Zangger, Ergebn. d. Physiol. %, 99. 1908. ®2) Nernst, Göttinger Nachrichten math.-phys. Klasse 1899. H. 1. #) loc. eit. 5) loc. eit. S)Eloc. cit: ?) Verzär, Bioch. Zeitschr. 10%, 98. 1920. 254 E.A. Spiegel: Physikalisch-chemische Untersuchungen am Nervensystem. II. ströme beobachten, tatsächlich aber hat Boruttau wie Verzär!) selbst zugibt, eine initiale Steigerung der elektrotonischen Ströme im Beginn der Narkose wahr- genommen. Die Analyse der während der Narkose beobachteten Änderungen der Doppelbrechung führte zur Betrachtung der physikalischen Vor- gänge an den Grenzflächen zweier Flüssigkeiten. Das Prinzip der Zygiosis scheint nicht nur für die Frage der Narkose allein, sondern für eine Unzahl biologischer Probleme nicht ohne Bedeutung. Nicht nur die Beziehungen zwischen Axon und Markscheide, sondern auch jene zwischen Kern und Protoplasma, zwischen Zelle und Nachbarzelle, wie sie sich unter pathologischen Verhältnissen beispielsweise als Phagocytose oder Neuronophagie äußern, die Wechselwirkungen zwischen 2 Neuronen, die sich an der gemeinsamen Grenzfläche, der Synaps, abspielen, die Beziehungen zwischen Nerv und Muskel, die ebenfalls an einer Grenzfläche vor sich zu gehen scheinen, alle diese Pro- zesse sind wahrscheinlich Vorgängen in flüssigen Medien mit gemeinsamen Grenzilächen analog zusetzen. Für diese aber müßten die oben aus- geführten Erörterungen gelten, welche auf die innige Verkettung des physikalischen Zustands an der Grenzfläche der einen Flüssigkeit mit dem physikalischen Zustand des darangrenzenden Mediums hinweisen. Diese Beziehungen sollen Gegenstand weiterer Mitteilungen sein. Zusammenfassung. 1. Die lipoidlöslichen Narkotica bewirken eine Herabsetzung der Anisotropie der Markscheide. Dieser Vorgang ist sehr leicht wieder reversibel. Er kann auch während der Narkose des lebenden Nerven beobachtet werden. Beim Zustandekommen der Narkose ist wahr- scheinlich die Wirkung der Narkotica auf die Markscheide mitbeteiligt. Diese Wirkung kann man sich so vorstellen, daß durch Verringerung der in der Markscheide herrschenden Vektorialität deren Funktion gestört, durch Herabsetzung der Oberflächenspannung an der Grenze gegen das Axoplasma sekundär auch dessen Oberflächenspannung und damit die Ionenkonzentration im Axon verändert wird. Damit wird das Erregungsstadium der Narkose zu erklären versucht. 2. Zwei nicht mischbare Flüssigkeiten, die eine gemeinsame Grenz- fläche haben, sind in ihrem physikalischen Zustand innig miteinander verkettet (Zygiosis), eine Verkettung, die sich darin ausdrückt, daß eine Änderung der Oberflächenkräfte des einen Systems auch zu einer Änderung der gegenseitigen Anziehungskräfte der Oberflächenteilchen der Nachbartlüssigkeit und damit auch zu einer Konzentrationsänderung der auf der Oberfläche dieser zweiten Flüssigkeit angereicherten Stoffe führt. No. cıb. (Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Graz.) Über den Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie. | Von Privatdozent Dr. Adolf Jarisch, Assistent am Institut. (Ausgeführt mit Unterstützung der Dr. Julius Berze-Stiftung.) Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 1. August 1921.) Der Anlaß, den Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie näher zu verfolgen, war durch den Umstand gegeben, daß die Analogie in der Wirkung von Narkotieis und höheren Temperaturen, welch letztere sich bekanntlich als Wärmenarkose äußert, auch am roten Blutkörperchen zu bestehen scheint: Arrhenius und Bubanovict) einerseits haben gefunden, daß niedr’ge noch nicht hämolysierende Konzentrationen von Narkoticis die Resistenz der roten Blutkörper- chen gegen Hypotonie erhöhen und Haffner!®) andererseits hat mit- geteilt, daß die Hämolyse in hypotonischer Lösung bei 51° eine deutliche Hemmung gegenüber der Hämolyse bei 18° erkennen lasse. Von einem Einblicke in das Wesen dieser Analogie konnte sowohl ein Beitrag zum Verständnisse des Narkoseproblemes erwartet werden, da hier offensichtliche Beziehungen zu Permeabilitätsänderungen zu bestehen scheinen, als auch ein besseres Verständnis für die Erhöhung der Hypo- tonieresistenz roter Blutkörperchen durch Narkotica, Seifen und Lipoid- emulsionen!”). Die Analogie mit der narkotischen Wirkung der Wärme schien darum besonders vollkommen zu sein, da Hamburger!?) an- gegeben hat, daß rote Blutkörperchen bei 0°, 14° und 37 "in Salzlösungen gleicher Konzentration ihr Hämoglobin austreten lassen, somit an Blutkörperchen gleichfalls nur abnorm hohe, über der Körpertemperatur gelegene Wärmegrade wirksam zu sein schienen. Die Methodik bestand darin, daß die bei verschiedenen Temperaturen zur Erzielung der Maximumhämolyse nötigen NaCl-Verdünnungen ermittelt und diese als Maß der Resistenz betrachtet wurden. Es wurden Reihen von Reagensgläsern, enthaltend je 3 ccm 2proz. Aufschwemmung in NaCl] gewaschener Blutkörperchen in Wasserbäder verschiedener Temperatur gebracht und nach 30 Minuten ent- sprechend temperiertes destilliertes Wasser in um 0,1 cem steigenden Mengen 256 A. Jarisch: zugesetzt. Nach weiteren 15—20 Minuten wurde jenes Röhrchen, in dem eben vollkommene Aufhellung eingetreten war, notiert und, die zugehörige NaCl-Kon- zentration berechnet. Dieses Vorgehen wird dadurch ermöglicht, daß bei der- artigen Versuchen die Hämolyse rasch bis zu einem Maximum verläuft, bei dem sie dann während der nächsten Stunden stehen bleibt, weshalb eine Ablesung von „Punkten“ vorgenommen werden kann. Außerdem wurde die zum Eintritte der Hämolyse nötige Zeit bestimmt. Die Versuche waren mit Kaninchenblutkörperchen begonnen worden, doch hat es sich bald, als zweckmäßig erwiesen, auch das Blut anderer Tierarten heran- zuziehen. Das Ergebnis dieser Versuche ist in der folgenden Tabelle zusammen- gestellt. Temp | Hammel Rind Hund Mensch Kaninchen Meer- Pterd schweinch. 60° 0,690 55° | 0,647 | 0,509 0,529 | 0,540 | 50° 0,64 0,473 | 0,473 0,473 ' 0,408 45° | 0,647 | 0,443 0,380 0,435 0,435 0,408 | 0,415 40° ı | 0,473 | 0,435 0,441 0,415 | 0,421 35° 0,650 0,450 30° 0,675 0,490 0,390 0,457 0,457 0,435 0,457 25° 0,466 20° 0,473 0,473 0,450 0,457 152 0,675 0,519 0,421 0,490 | 10° 0,675 0,519 0,421 0,481 0,49 | 0,473 0,490 2 0,499 0° 0,675 0,519 0,421 0,490 0,499 0,481 0,490 maximale Diesen, 9028,).0,046 0,049 0,055 0,064 0,073 0,075 Die Zahlen geben den NaCl-Gehalt der bei den verschiedenen Temperaturen eben vollkommen hämolysierenden Lösungen in Prozent an. Es ergibt sich somit, daß bei höherer Temperatur Hämolyse erst in dünnerer Salzlösung eintritt, wie bei niedrigerer. Es ändert sich die Resistenz zwischen 0° und 10° wenig oder gar nicht, steigt dann bis zu einem bei 45—50° gelegenen Maximum an, um bei weiterem Temperaturanstieg rasch abzunehmen. Der Grad dieser Resistenz- steigerung ist in der Tabelle durch die Differenz der hämolytischen Grenzkonzentrationen ausgedrückt und ist bei den verschiedenen Tierarten ein verschiedener. Die Resistenzsteigerung ist relativ groß beim Pferd, Meerschweinchen und Kaninchen, geringer bei Hund und Mensch, am kleinsten bei Hammel und Rind. Das beigegebene Diagramm veranschaulicht den Gegensatz von Hammel, Rind, Kaninchen und Pferd. Die Resistenzsteigerung läßt sich in gleicher Weise am ungewaschenen Blute nachweisen, wenn man prüft, wieviel destilliertes Wasser zur Erzielung der Hämolyse bei verschiedenen Temperaturen zu unverdünntem defibriniertem Blute zugesetzt werden muß. In diesen dichten Lösungen ist jedoch oft eine genaue Grenzbestimmung nicht möglich. Über den Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie. 257 Der Unterschied in der Resistenz bei verschiedenen Temperaturen zeigt sich auch, wenn man Blutkörperchen in die gleiche hypotonische Lösung bringt das eine Mal bei 0°, das andere Mal bei 45°, nach !/, Stunde rasch zentrifugiert und den Hämolysegrad bestimmt. So ergab z. B. Rinderblut in 0,56 proz. NaCl bei 0° 15%, bei 45° 3% Hämolyse oder Meerschweinchenblut in 0,48 proz. NaCl bei, 0° 100%, bei 45° 52% Hämolyse. Unsere Beobachtungen stehen im Widerspruche zur Angabe Hamburgers!?), daß die Blutkörperchen bei verschiedenen Temperaturen in den gleichen hypo- tonischen Lösungen ihr Hämoglobin verlieren*) und namentlich in direktem 72 Gegensatze zu der Angabe, daß, wenn man Blut in denselben Lösungen von Salpeter, Chlornatrium oder Zucker bei 0°, 14° und 34° absitzen läßt, die überstehende Flüssigkeit bei 34° stets stärker rot gefärbt ist wie bei 14°. Die Ursache dieses Gegensatzes dürfte in den abweichenden Versuchsbedingun- gen gelegen sein: Hamburger hat 10 proz. Verdünnungen defibrinierten Blutes durch 20 Stunden in der Wärme gehalten, dadurch ist aber die Möglich- keit sekundärer Veränderungen, z. B. Bildung und Anreicherung der nach Hamburger so stark die Hypotonie- resistenz vermindernden CO, gegeben, was bei meiner Versuchsanordnung 9560 (2proz. Aufschwemmung serumfrei te gewaschener Blutkörperchen, !/, Stunde 9,80 Wärme) nicht in Betracht kommt. ; j 5 "20 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 emp. Die Beachtung der zeitlichen Na Verhältnisse ergab, daß die Hämo- lyse in den Grenzkonzentrationen bei 0° binnen 12—15, bei 45° binnen 3—5 Minuten vollständig wird, und zwar ohne Unterschied der Tierart, somit eine Beschleunigung des Vorganges auf ungefähr das drei- bis vierfache eintritt. In weiteren Versuchen ließ sich zeigen, daß die Resistenzsteigerung reversibel ist, und zwar stellte sich bei wiederholtem Erwärmen und Abkühlen die Resistenz nicht nur immer wieder auf den entsprechenden Punkt ein, sondern es trat auch an Proben, die nach dem Zusatze des destillierten Wassers in der Wärme ungelöst geblieben waren, Hämolyse auf, sobald sie abgekühlt wurden. So hellte sich z. B. eine Aufschwemmung von Kaninchenblutkörperchen in 0,44%, NaCl, die bei 45° dauernd trüb blieb in wenigen Minuten auf, sobald sie in Eiswasser gestellt wurde. *) Diese Angabe wurde später von van’t Hoff (Zeitschr. f. physikal. Chem. 1, 481, 1887) unter den Beweisen für die Gültigkeit der Gay-Lussacschen Regel für Lösungen aufgezählt und ist dann in die Lehrbücher der physikalischen Chemie übergegangen. 258 A. Jarisch: Zusammenfassend ergibt sich aus den Versuchen eine Temperatur- abhängigkeit der Hypotoniehämolyse in zweifacher Hinsicht: eine solche des Reaktionsgrades (Resistenz) und eine solche der Reaktionsge- schwindiekeit. Was die letztere anlangt, so kann sie ohne weiteres auf Beschleunigung der Diffusion in das Innere der Blutkörperchen sowie auf Beschleunigung der am Hämolysevorgange beteiligten Quellung bezogen werden. Sie steht in Überein- stimmung mit der Erhöhung der Wasserpermeabilität bei steigender Temperatur die Rysselberghe®°), Troendle®!) und Krabbe!?) auf pflanzen-, Bialascewicz?) auf zoophysiologischem Gebiete beobachtet haben. Ferner steht sie in Analogie zur Erhöhung der Permeabilität der roten Blutkörperchen für Traubenzucker [Masing??] und Phosphate [Wiechmann®?] sowie schließlich auch mit der bekannten Beschleunigung anderer Hämolysen in der Wärme, die der van’t Hoffschen Regel folgt. (Für die Hämolyse durch NH, und Ha,CO, Versuch von Gros’) für Saponin eigene Versuche.) Was die Beeinflussung des Resistenzgrades anbetrifft, so ist zu- nächst die rasche Abnahme (Förderung der Hypotoniehämolyse) bei Temperaturen über 50° nicht weiter bemerkenswert, da diese Tem- peraturen für sich allein schon hämolytisch wirken. Dagegen mußte die allmähliche Steigerung der Resistenz bei Temperaturen bis 50° als unerwartet und höchst auffällig bezeichnet werden*). Es war in erster Linie daran zu denken, daß eine Veränderung des osmotischen Druckgefälles der Erscheinung zugrunde liegen könne und die Resistenzsteigerung derart nur vorgetäuscht sei. Auf Grund der folgenden Überlegungen mußte dies jedoch als ausgeschlossen be- trachtet werden. Die Temperatur wirkt auf den osmotischen Druck im Sinne der Gay - Lussac- schen Regel sowie durch Veränderung des Dissoziationsgrades der gelösten Salze. Die erste Möglichkeit kommt für unsere Erscheinung nicht in Betracht. Solange sich die Blutkörperchen noch in hypotonischer Lösung befinden und ein Druck- gefälle zwischen Zellinnerem und Außenflüssigkeit besteht, muß dieses Gefälle mit der Temperatur größer werden. Ist aber der osmotische Ausgleich einmal durch Quellung erfolgt, dann kommt der Temperatureinfluß nicht mehr in Frage, da im Blutkörpercheninneren und in der Außenflüssigkeit gleiche Temperatur herrscht und deshalb weitere Druckdifferenzen nicht mehr eintreten. Danach kann die Temperatur höchstens die Geschwindigkeit des Eintrittes der Hypotonie- hämolyse, nicht aber ihren Grad beeintlussen. Bezüglich der Rolle, die eine Änderung des Dissoziationsgrades spielen könnte, ist zu bedenken, daß eine solche sowohl die Binnensalze der Blutkörperchen als auch die der Außenflüssigkeit betreffen muß. Mit Rücksicht auf die artspezifischen Differenzen müssen jedoch die Binnensalze besonders ins Auge gefaßt werden und man hätte, weil zur Erklärung unserer Erscheinung Abnahme des osmotischen *) Die wenigen in der Literatur auffindbar gewesenen Analogien betreffen die seltenen Fälle von Gelatinierung bei Temperaturerhöhung (Wo. Ostwald?®), ferner die Angabe von Falta und Quittner?), daß die Blutkörperchen bei Eis- temperatur für N, Zucker, Cl und Ca permeabel werden, sowie schließlich die Beobachtung von Heilbrunn!!), daß die Viscosität des Protoplasmas von See- igeleiern beim Abkühlen abnimmt. Über den Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie. 259- Druckes im Zellinneren zu fordern wäre, anzunehmen, daß die Dissoziation der Binnensalze zurückgeht. Ein solcher Vorgang muß in der Tat in Betracht gezogen werden, da die betreffenden Salze positive Dissoziationswärmen besitzen?!), somit bei steigender Temperatur Dissoziationsrückgänge erleiden müssen und außer- dem, wie noch besprochen werden wird, artspezifische Differenzen der Binnen- salze bestehen. Dieser Rückgang kann aber quantitativ für den Ausfall der Hämo- lyseversuche nicht ins Gewicht fallen, denn einerseits sind derartige Dissoziations- rückgänge, soweit sie von Noyes??) beobachtet wurden, nur geringfügig, anderer- seits aber der größte Teil der Salze in den Blutkörperchen so weit dissoziiert, daß die durch Dissoziationsrückgang eintretende Verminderung der Teilchenzahl nur einen minimalen Einfluß auf den osmotischen Druck ausüben kann. An eine Verschiebung des osmotischen Gleichgewichtes infolge vermehrter Adsorption der gelösten Substanzen an die Plasmakolloide in der Wärme sowie an Veränderungen der Oberflächenspannung der Plasmagrenzfläche als Ursache der beobachteten Erscheinung kann gleichfalls aus quantitativen Gründen nicht gedacht werden. Man muß also in der Tat annehmen, daß die roten Blutkörperchen in der Wärme eine höhere Resistenz gegen Hypotonie besitzen, wie in der Kälte, d. h. sich in einem Zustande befinden müssen, in dem sie weniger leicht ihr Hämoglobin austreten lassen *). Bei der Suche nach einer Erklärung war durch die artspezifische Differenz der Temperaturabhängigkeit der Weg vorgezeichnet, denn die beobachtete Reihenfolge der Tierarten mußte als schon gut bekannt bezeichnet werden. Die Reihenfolge, in der sich die Tierarten hinsicht- lich der Beeinflußbarkeit ihrer Blutkörperchen durch Wärme ordnen, ist so ziemlich gleichlaufend mit der Reihe, die Rywosch?®) erhielt, als er die Tiere nach der natürlichen Resistenz ihrer Blutkörperchen gegen Hypotonie ordnete: Meerschweinchen, Kaninchen, Pferd gehören zu den resistentesten und ändern beim Erwärmen ihre Hypotonieresistenz am stärksten, bei Rind und Hammel ist es umgekehrt. In einer früheren Mitteilung!”) wurde die Vermutung ausgesprochen, daß die natürliche Resistenz der Blutkörperchen gegen Hypotonie mit den Lipoiden zusammenhinge; je mehr fettartige Substanz die Blut- körperchen in ihrer Oberfläche hätten, um so resistenter sollten sie gegen Wasser sein. Es schien nun a priori vorstellbar, daß die Tem- peratur ihren Angriffspunkt in den Lipoiden hätte, wodurch der Par- *) Auch noch folgende Möglichkeit einer Täuschung mußte bedacht werden. Bekanntlich lassen die roten Blutkörperchen, wenn es zur Hämolyse kommt, schon vor dem Hämoglobin unter Verlust der Semipermeabilität Salze austreten, wobei sich ihr osmotisch wirksamer Inhalt vermindert. Es hätte nun sein können, daß die Wärme diesen Vorgang so sehr beschleunigt, daß die Blutkörperchen in dem der Hämolyse unmittelbar vorhergehenden Stadium sozusagen poikilo- osmotisch werden und nun in dünnerer Lösung bestehen können, weil auch ihr Inhalt ein dünnerer wird. Die Versuche über die Reversibilität der Resistenz- steigerung bereits in hypotonischer Lösung befindlicher Blutkörperchen, die auf Grund derartiger Überlegungen angestellt worden waren, schließen jedoch diese Möglichkeit aus. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 18 260 A. Jarisch: allelismus der Reihen verständlich würde. Denn es wäre denkbar, daß sich die Lipoide, wenn sie sich in der Wärme verflüssigen, in diesem Zu- stande besser über die protoplasmatischen Bestandteile der Blutkörper- chenoberfläche ausbreiten und. diese vollkommener gegen den Angriff des Wassers schützen. Auch daran war zu denken, daß die Plasmahaut in der Wärme, wenn die Lipoide erweicht sind, vielleicht geschmeidiger ist und eine Dehnung infolge osmotischer Volumzunahme des Zellinneren besser ertragen könne, ohne Risse zu bekommen, worauf ja der Hämoglobin- austritt vielfach bezogen wurde. — Mit derartigen Vorstellungen, wie sie ähnlich ganz neuerdings von H. H. Meyer?*) sowie von Fröhlich und Kreidl®) in Angelegenheit des Narkoseproblemes geäußert worden waren, war Verf. an die Analyse der Erscheinung herangetreten. Versuche mit Seifen und Lipoidemulsionen. Die Frage, ob die Temperatur unter Vermittlung der Lipoide wirke, wurde derart zu entscheiden gesucht, daß Blutkörperchen von Hammel und Rind, die sich von Haus aus nur wenig von der Temperatur be- einflußbar gezeigt hatten, mit Lipoidemulsionen und Seifenlösungen vorbehandelt und nach dieser Anreicherung mit lipoider Substanz auf Verstärkung der Temperaturwirkung geprüft wurden. Das Ergebnis war ein negatives: die Blutkörperchen, deren absolute Resistenz, entsprechend den seinerzeit mitgeteilten Beobachtungen!”), größer geworden waren, wurden bei Temperaturverschiebung im selben Ausmaße geändert, wie normale. Diese Versuche berechtigten zwar nicht, dem Aggregatzustande der Lipoide jede Bedeutung für die Hypotonieresistenz abzusprechen, da es einen Unterschied bedeuten kann, ob sich die Lipoide in physiolo- gischer Mischung mit den übrigen Zellbestandteilen befinden oder ob sie erst von außen hinzugefügt werden, ließen aber doch eine Beteiligung der Lipoide im gedachten Sinne als unwahrscheinlich erscheinen und forderten dazu auf, den zweiten, bereits sicher festgestellten artspezi- fischen Unterschied der Blutkörperchen in Betracht zu ziehen. Versuche mit Phosphaten. Die Reihe von Rywosch und damit die Reihe der Temperaturabhängigkeit erhält man nämlich auch wenn man, worauf Port??) hingewiesen hat, die Blut- körperchen entsprechend den Analysen von Abderhalden?) nach ihrem Gehalte an Phosphorsäure ordnet. 1000 Teile Blutkörperchen enthalten: one N Kalium Natrium Kaninchen 72 902.4 215433 5,229 0 Pferden. 2er 18687 4,130 0 IEiunden 2998 0,273 2,839 Rinder... ee 212105350. 0,722 2,232 Hammel . .... 0,365 0,741 297 Über den Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie. 261 Die Tabelle zeigt, daß Kaninchen und Pferd als gegen Hypotonie resistente Tiere viel, Rind und Hammel dagegen als gegen Hypotonie empfindliche Tiere nur wenig Phosphorsäure enthalten. Auf Grund dieser Tatsache hatte Höber!?) die Meinung ausgesprochen, die natürliche Resistenz der Blutkörperchen gegen Hypotonus hänge mit der entquellenden Wirkung der Phosphationen auf die Protoplasmakolloide zusammen. Es war nun naheliegend, die Temperaturabhängigkeit im Sinne Höbers mit den Phosphaten in Zusammenhang zu bringen und zu prüfen, ob sie sich durch künstlichen Phosphatzusatz beeinflussen lasse. Die Anordnung der Ver- suche war folgende: Ein Gemisch von 1 Teil ”/-primärem und 8 Teilen ”/;-sekun- därem Natriumphosphat, entsprechend einer [H'] von 0,25 x 10°’ wurde mit Hilfe von Gefrierpunktsbestimmungen einer 0,9proz. NaCl-Lösung isosmotisch gemacht, was durch Zusatz von destilliertem Wasser im Verhältnisse von ca. 1:1,6 erreicht wurde und dann mit 0,9proz. NaCl derart vermenst, daß 100 ccm des Gemisches 1,5, 10, 25 und 50 cem Phosphatlösung enthielten. Zu diesen Gemischen wurden gewaschene Rinderblutkörperchen zu 2%, zugesetzt und bei 12° und 45° / der Hypotonieversuch in der eingangs geschilderten Weise angestellt. Es zeigte sich, daß in der Tat bei 45° zu den phosphathaltigen Röhrchen im Verhältnisse viel mehr destilliertes Wasser zugesetzt werden mußte, um vollständige Hämolyse zu erzielen, wie bei den reinen NaCl-Lösungen: Phosphat auf 100 cem 0,9% NaCl 0 ee Ne 30250 ; 45 2,8 332 3:0... 2858u na 4,5 Zusatz von Agq. dest bei | 12° | 22 | 2,3 | | | ae 31 Differenz in der Wärme .....1][ 06 | GH L2) 2 a Diese Verdünnungszahlen geben jedoch kein richtiges Bild der osmotischen Verhältnisse und damit der Resistenzänderung. Denn einerseits hat die Flüssig- keit, die beim Vermischen der isosmotischen NaÜl-Lösung und der Phosphat- lösungen entsteht, keineswegs mehr denselben osmotischen Druck wie die 0,9proz. NaCl-Lösung, sondern einen höheren, da hierbei die Phosphatlösung verdünnt wird und infolge vermehrter Dissociation die Teilchenzahl steigt und andererseits ändert sich beim Zusatze des destillierten Wassers der osmotische Druck bei den Phosphatgemischen aus dem nämlichen Grunde in anderer Weise wie bei der reinen NaCl-Lösung. Darauf ist es zum Teil zurück- zuführen, daß auch bei 12° mit steigendem Phosphatgehalte stärker verdünnt werden mußte. Weiter ist zu bedenken, daß bei steigenden Mengen der als Diffe- renz berechnete Mehrzusatz von destilliertem Wasser immer weniger ausmacht, was die Verdünnung der Gesamtflüssigkeit anlangt. Um bei diesen verwickelten Verhältnissen einen Anhaltspunkt für den osmotischen Druck der erhaltenen Verdünnungen zu bekommen, wurde für die gefundenen Verdünnungszahlen mit Hilfe des Beekmannschen Apparates die Gefrierpunktserniedrigung bestimmt. Phosphat auf 100 cem 0,9% NaCl 0 | nr 1 See A der hämolysierenden | 45° | —0,288 | 0,269 | —0,244 | 0,240 | 0,230| 0,229 Lösungen 17° | 0,303 | 0,303 | 0,292) — 0,285 | 0,282 | 0,283 Differenz: 0,015 0,054 | 0,048 0,045 | 0,052, .0,054 18* 262 A. Jarisch: Aus den Gefrierpunktsbestimmungen geht somit hervor, daß die Differenz im osmotischen Drucke der Lösungen, die bei 12° und 45° vollständig hämolysieren, mit steigendem Phosphatgehalte größer wird. In bezug auf die Resistenz der Blutkörperchen heißt dies, daß der Unterschied in der Resistenz bei 12° und 45° in Phosphatgegenwart ein größerer ist wie in reinen NaCl-Lösungen, welcher Eindruck ja schon aus den Verdünnungszahlen allein zu gewinnen war. Zur Beurteilung der mit der Gefriermethode erhaltenen Werte ist zu be- merken, daß sie weit außerhalb der Fehlergrenze der Methode liegen und daß sie nicht so klein sind wie es vielleicht den Anschein hat, da einer Gefrierpunkts- differenz von 0,001° schon ein Unterschied im osmotischen Drucke von 9 mm Quecksilber entspricht. Ferner ist zu bedenken, daß die Lösungen im Hämolyse- versuche bei 12° bzw. 45° angewandt wurden, somit noch Veränderungen des osmotischen Druckes durch Änderung des Dissociationsgrades in Rechnung zu ziehen ist. Da jedoch die Salze unserer Mischungen positive Dissociationswärme besitzen, infolgedessen der osmotische Druck in der Wärme zurückgehen muß, dürfte die Differenz des Druckes bei den Versuchen nur noch größer gewesen sein als der Gefrierversuch ausgewiesen hat. Dieser Temperatureinfluß ist aber, wie schon erwähnt wurde, so gering, daß er vernachlässigt werden kann. In einer besonderen Versuchsreihe wurde geprüft, ob die [H'] des Phosphat- gemisches auf den Ausfall des Versuches von Einfluß sei. Es wurden nach dem Diagramm von Sörensen Phosphatgemische mit 9. 6,5, 6,63, 6,8, 7, 7,2, 7,4, 7,75 dargestellt und bei einem 'Zusatze von 5 auf 100 cem NaCl der beschrie- bene Temperaturversuch angestellt. Du | e5 | 033 es] vo | 72 | 4 | oe Zusatz v. dest.|47° | 2,8 | 2,9 | 3,0 | 34a | 3,5 | 3:5 3,0 Wasser bei |14° 1,8 | 2,1 2,1 | 2,43 1.2555,1202X6 2,6 2,6 Ditierenz . ... . 1,0 0,8 0,9 09 03 | 09 09 0,4 Dabei zeigte sich wie aus der Tabelle hervorgeht zunächst, daß bei ver- schiedener p., entsprechend den Angaben von Haffner!°) die Hypotonie- resistenz mit zunehmender Alkalescenz ansteigt, ferner aber, daß die in der Wärme eintretende, durch das Phosphat verstärkte Resistenzsteigerung bei allen p, nahezu gleich ausfiel. Die Resistenz war in der Wärme um den gleichen Betrag größer wie in der Kälte. Phosphat in 100 cem 0 1 5 10 25 50 5.0.7499) 30]. 218,0) 7 20 18.00 I FE 2%), 45° |2,5 |-0,308| 2,9 3,4 |—0,286 | 3,5 | —0,285 [| 3,7 |— 0,263 | 4,7 Blutk. I 12° |2,0 |—0,328] 2,0 | 2,3 |—0,328 | 2,3 | Differenzen [0,5 0,020 0,9 1,1) 0042|12| 0,035]12 I 0,058 3,3 |—0,280 | 3,5 |— 0,255 [4,0 |—0,238 | 4,5 2,7 |—0,300 | 2,8 | — 0,280 | 2,9 | —0,280 | 3,3 0,025|1,1| 0,042|1,2 50%, 45° [3,1 |—0,28213,1 Blutk. \ 12° 12,5 10,307 | 2,5 Differenzen |0,6| 0,025]0,6| [0,6 |—0,020| 0,3 | Über den Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie. 263 Da für den Grad der Temperaturabhängigkeit der Blutkörperchenresistenz bei den einzelnen Tierarten die Menge der Phosphate eine Rolle zu spielen schien, war bemerkenswert, daß in den Versuchen ebenfalls der Einfluß der Phosphate bei größerer Menge ein stärkerer war. Um diese quantitative Abhängigkeit noch deutlicher hervortreten zu lassen, wurden in weiteren Versuchen die Blutkörper- chen außer in 2- auch in 50 proz. Aufschwemmung verwendet. Die gleiche Phos- phatmenge war hier demnach für die 25fache Blutmenge da. In der vorstehenden Tabelle sind die Verdünnungszahlen und die zugehörigen Gefrierpunktsernied- rigungen eines derartigen Versuches angegeben. Die unter H,O verzeichneten Zahlen bedeuten die Kubikzentimeter destillierten Wassers, die erforderlich sird, um 3 ccm der Aufschwemmung komplett zu lösen. A bezeichnet die Gefrierpunkte dieser Verdünnungen. Während bei der 2proz. Aufschwemmung schon der Phosphatzusatz 1: 100 wirksam ist, zeigt sich in der 25mal so starken Aufschwemmung ein Einfluß erst bei einem Phosphatzusatze von 25: 100. Die Bedeutung des Verhältnisses Phosphatmenge : Blutkörperchenmenge tritt hier klar hervor. Je mehr Phosphat auf ein Blutkörperchen kommt, um so stärker ist die Resistenzsteigerung in der Wärme. Genau so wie beim Temperaturversuch in reiner NaCl-Lösung war auch in Phosphatgegenwart die hierdurch verstärkte Resistenz- erhöhung durch Abkühlen reversibel. So blieb z. B. in einer Mischung mit einem Phosphatgehalte von 10 auf 100 das Röhrchen mit dem Zusatze von 2,5 ccm destillierten Wassers auf 3 ccm Aufschwemmung bei 45° vollkommen ungelöst und hellte sich beim Abkühlen in Eis gänzlich auf. Das Ergebnis der Phosphatversuche war somit folgendes: Zusatz von Phosphaten verstärkt den Einfluß der Temperatur auf die Hypotonieresistenz der roten Blutkörperchen. Nun lag die Frage nach der Natur dieses Einflusses vor. Versuche mit schwefelsaurem und weinsaurem Natrium. Höber!*) hat die Ansicht ausgesprochen, daß die Menge der Phosphate als quellungshemmende Anionen die Konsistenz der Blutkörperchensubstanz und damit deren Hypotonieresistenz bestimme. Es war nun durchaus denkbar, daß diese quellungshemmende Wirkung in der Wärme eine Verstärkung erfahre und dadurch die Resistenzerhöhung bedinge*). Für die mit der Quellungs- hemmung symbate Fällungsförderung von Kolloiden durch Neutralsalze ergeben sich aus den Untersuchungen von Spiro°®®), Pauli?), Freundlich’), Wo. Ostwald?®) in der Tat Gesetzmäßigkeiten, die an einen derartigen Zusammen- *) J. Loeb??) hat jüngst die spezifisch „dichtende‘“ Wirkung der Anionen der Hofmeister - Paulischen Reihe in Abrede gestellt und die Quellungsbeein- flussung der Gelatine auf die unter Eintritt des Donnanschen Membraneffektes in der Gelatine induzierte [H'] zurückgeführt. Auf Grund von Versuchen über den Einfluß der Neutralsalze auf die Wärmehämolyse glauben wir jedoch für die Blutkörperchen noch an einer spezifischen Wirkung der Anionen festhalten zu sollen. Es wurden Kaninchenblutkörperchen in isotonischen Neutralsalz- lösungen durch 30 Minuten auf 55° erwärmt, dann zentrifugiert, worauf die Hä- molyse in Prozenten abgelesen werden konnte. Es ergab sich folgende Reihe: Differenz 10,5| 0,#20[05| Jo5, ooıs]os, [eo 264 A. Jarisch: hang denken ließen. War diese Überlegung richtig, so mußten die beiden Nachbarn des Phosphations in der Hofmeisterschen Reihe, nämlich Sulfat und Tartrat in gleichem Sinne wirksam sein. Zur Entscheidung wurden nun mit Natrium- sulfat und Natrium tartrat den Phosphatversuchen nachgebildete Versuche an gestellt. Zwei derartige Versuche sind in den beiden folgenden Tabellen dar gestellt. Die pn der Salzlösungen waren nach Sörensen beim Sulfat pr =]17, beim Tartrat (Kahlbaum ‚„neutral“) pa = 7,2. TMartratversuch. Na tart. in 100 cem 0 N 5 10 25 50 75 #0 4 [80|4|80] 4 0] 4 |mo| 4 Boa 30 4 | 15° 132 |-0,278 32 s4|-0368l35| |a1!-0225|47| -0220l5,8| 0215‘ 2° 1271-0298[27, |29|-0286[29 [3.4 | -024313,7 —0.236|4,6| 0,233 < ooı8]1,0| ooi6|ı2 0o,0ısS I I Sulfatversuch. Na,SO, in 100 ccm i 0 | Rene | 10, a ee as | For 3 2,6 2,9 3,0 3,4 | 3,9 zube. H m° | 22 22. | 21 2,3 2.4 | 2 Differenz | 05 | 05 | 05 | vs | o6 | os | os Die Versuche zeigen, daß durch die Anwesenheit der Sulfat- und Tartrationen die Temperaturabhängigkeit der Rinderblutkörperchen nicht verändert wird*). Daraus mußte geschlossen werden, daß die Wirksamkeit der Phosphate nichts mit der quellungshemmenden Eigenschaft des Phosphations zu tun haben könne und es wurde nach — Na0SN 100%, NaJ 100%, NaBr 100%, NaNO, 100%, Acetat 70%, NaCl 60%, Na,SO, 50%, Tartrat 20%. Somit beeinflußt die Reihe der Neutralsalze die Hämolyse durch Wärme in gleichem Sinne wie die Hämolyse durch Hypotonie (Höber!®) und Narkotica (Miculicich?®), und dies spricht dagegen, daß der Loeb-Donnansche Mechanismus für die Resistenzänderung der roten Blut- körperchen in Betracht komme, denn die Resistenzsteigerung in SO, oder Tartrat müßte auf vermehrte Alkalinität bezogen werden und diese müßte nach den Untersuchungen von Jodlbauer und Haffner®) eine verminderte Resistenz gegen Wärme, nach den Versuchen von Haffner!°) gegen Narkotica mit sich bringen. *) Aus unseren Versuchen mit Sulfat, Phosphat und Tartrat ergibt sich ferner eine Bestätigung älterer Angaben von Höber!s) über den hemmenden Einfluß der genannten Neutralsalze auf die Hypotoniehämolyse und erweitert sie für die Bedingungen des akuten Versuches, in dem bei Erzeugung starker Hypotonie die Hämolyse rasch eintritt: Es ergaben sich in derartigen Versuchen als hämoly- tische Grenzkonzentrationen bei 12° für NaCl A = — 0,303, für SO, A = — 0,248, für Phosphat (pa — 7,4) A= —0,208 und für Tartrat A = — 0,200 (SO, Phosphat und Tartrat ohne NaCl-Zusatz). Über den Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie. 265 weiteren Erklärungsmöglichkeiten gesucht. Eine derartige Möglichkeit ergab sich unter Berücksichtigung der Dissociationsverhältnisse der Phosphate aus folgender Überlegung. Da sich bei steigender Temperatur die [H'] einer Phosphatpuffer- mischung nur wenig ändert, die Dissoziationskonstante des Wassers jedoch stark ansteigt, muß damit die Gleichung [H'] x [OH] = k, erfüllt bleiben, die Konzentration der OH-Ionen zunehmen, d. h. die Lösung muß alkalischer werden. Nun wissen wir aus älteren Unter- suchungen von Hamburger!?), sowie neueren Bestimmungen von Haffner!®), daß die Hypotonieresistenz der roten Blutkörperchen in alkalischer Lösung ansteigt und es liegt nahe, die Zunahme der Hypo- tonieresistenz in der Wärme auf die Zunahme der OH-Ionen zu beziehen. Die [H'] unserer Phosphatmischung beträgt nach Michaelis?) bei 18° 0,25. 10-7, bei 37° 0,30. 10°”. Daraus berechnet sich unter Zugrundelegung der Dissoziationskonstante des Wassers bei 18° mit 0,74. 10-1, bei 37° mit 31322105 22210H4] für2 182% mit ..0,29.-1027 und für 37°) mit 1,047 1077. Im Temperaturintervall von 13—37° steigt demnach die [OH’] auf das 3,5fache. In annähernder Berechnung für das Temperaturintervall unserer Versuche von 12—45° ergibt sich eine Steigerung der [OH’] auf das 18fache. Für eine derartige Auffassung des Vorganges liegt eine Analogie in Unter- suchungen Skrabals?’) vor. Skrabal konnte zunächst auf Grund thermo- dynamischer Gesetzmäßigkeiten berechnen und dann experimentell beweisen, daß der Temperaturkoeffizient säure- oder alkaliempfindlicher Reaktionen in Gegen- wart von Puffern weitgehende Änderungen erleiden. Derartige Reaktionen sind komplexkinetischer Natur, in denen als geschwindigkeitsbestimmende Faktoren außer der Eigenart der Reaktion auch aus den Dissoziationsverhältnissen sich ergebende Bedingungen auftreten. (Beim Temperaturwechsel freiwerdende H- bzw. OH-Ionen greifen in den Ablauf der Reaktion ein.) Voraussetzung für den angenommenen Mechanismus der Resistenz- steigerung roter Blutkörperchen in der Wärme gegen Hypotonie ist, daß die Phosphate im Inhalte der Blutkörperchen dissoziert und nicht irgendwie gebunden auftreten. Dies trifft jedoch, was ihre Hauptmenge anlangt, sicher zu, da Rona und Takahashi?”) nachweisen konnten, daß es zu einer irgendwie nennenswerten Bindung von Phosphaten an Eiweißkörper in nicht diffusibler Form nicht kommt. Auch Höbers?°) Untersuchungen über die innere Leitfähigkeit der Blutkörperchen be- weisen eine weitgehende Dissoziation der Binnensalze. Nur H. Straub und K. Me yer?°) schlossen auf indirektem Wege auf eine Bindung der Phosphate. Dagegen ergeben sich zwei andere wichtigere Bedenken, die sich jedoch beim näheren Zusehen mit der gemachten Annahme als ver- träglich erweisen. Zunächst die Reversibilität beim Abkühlen. Da Hamburger!?) gefunden hat, daß die Resistenzsteigerung in alkalischer Lösung bei Säurezusatz sofort wieder verschwindet, also reversibel ist, und da 266 A. Jarisch: ferner beim Abkühlen der oben geschilderte Vorgang in umgekehrter Reihenfolge ablaufen muß — Michaelis und Rona?®) haben gefunden, daß im Blutserum bei Temperaturverschiebung auftretende Schwan- kungen der elektromotorischen Kraft bei öfterem Hin- und Zurückgehen innerhalb der Versuchsfehler auf den Ausgangswert zurückkehren —, müssen die Blutkörperchen beim Abkühlen ‚saurer‘ werden, und deshalb erscheint die Reversibilität mit unserer Auffassung des Vorganges durchaus vereinbar. Das zweite Bedenken betrifft die Abhängigkeit des Grades der Resistenzsteigerung von der absoluten Menge der vorhandenen Phos- phate, also den springenden Punkt, was den Zusammenhang vom Phosphatgehalt der Blutkörperchen mit der artspezifischen Differenz der Temperaturabhängigkeit anlangt. Hiermit läßt sich unsere An- nahme unter Hinweis auf die Tatsache in Einklang bringen, daß die Eiweißkörper die Fähigkeit besitzen, OH-Ionen zu binden. Diese Bindung findet auch bei der Einwirkung von Alkali auf rote Blut- körperchen statt und wurde für die Hämolyse von Gros?) für die Resistenzsteigerung gegen Hypotonie durch ältere Versuche des Ver- fassers!”) bewiesen. Da die Hydroxylionen, die beim Erwärmen frei werden, dem sekundären Phosphate entstammen, diese also das Re- servoir der OH-Ionen darstellen, können bei größerer Phosphatmenge absolut genommen größere Mengen von OH-Ionen gebildet werden, unter der Voraussetzung natürlich, daß diese aus der Lösung verbraucht werden. Dies ist aber bei der Resistenzsteigerung durch Alkali der Fall und es besteht dabei auch eine direkte quantitative Abhängigkeit !?) (a. a. ©. S. 313), so daß verständlich erscheint, daß die Resistenz- steigerung beim Erwärmen in konzentrierteren Phosphatlösungen stärker ausfällt wie in dünneren. Mit Rücksicht auf das Bindungsvermögen der Eiweißkörper für OH-Ionen hätten wir unsere Anschauung dahin zu ergänzen, daß es beim Erwärmen von Eiweißkörpern in Gegenwart von Phosphat- puffern zur Bildung von OH-Proteinkomplexen kommt. Über den Zusammenhang von OH-Ionenbindung und Resistenzsteigerung der roten Blutkörperchen ergeben sich aus den Untersuchungen von Michaelis und Takahashi?), Kozawa?®), Jodlbauer und Haffner!®), die auf eine innige Beziehung des Hämolysevorganges zum elektrischen Verhalten der Protoplasma- kolloide hinweisen nähere Vorstellungen, die in den genannten Arbeiten besprochen sind. Aber auch daran ist zu denken, daß nach Pauli?*) Zusatz geringer Säure- und Laugenmengen das Kolloidfällungsvermögen der Elektrolyte stark fördert, somit bei den Blutkörperchen das Phosphation auf den Komplex Kolloid-Hydroxyl- ion verstärkt, quellungshemmend wirksam sein könnte. Die Resistenzsteigerung in der Wärme wäre in diesem Falle ein zusammengesetzter Vorgang, bei dem die Abhängigkeit von der Phosphatmenge besonders gut zu verstehen wäre (Gegen die seinerzeit geäußerte Vermutung einer Beteiligung von spurenweiser oberfläch- licher Seifenbildung haben sich dem Verf. inzwischen gewisse Bedenken ergeben.) Über den Einfuß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie. 267 Danach hätte man sich die Resistenzsteigerung roter Blutkörper- chen gegen Hypotonie in der Wärme etwa folgendermaßen vorzustellen: Weil die Phosphate bei steigender Temperatur die H-Ionenkonzentration festhalten, werden, da die Disso- ziation des Wassers zunimmt, OH --Ionen frei. Diese gehen nun an die Protoplasmakolloide heran und wirken resi- stenzsteigernd, ebenso wie von außen hinzugesetzte. Für die tatsächliche Wirksamkeit dieses theoretisch gut begründbaren Mechanismus wurde durch einen Gegenversuch mit Ammoniumgemischen ein experimenteller Beweis zu erbringen gesucht. Versuche mit Ammoniumgemischen. In Ammoniumgemischen nach Fels®) ist entsprechend ihrem Basencharakter die [OH’] nur wenig von der Temperatur abhängig, weshalb beim Erwärmen die [H'] zunimmt In einer Mischung von 32 Teilen Ammoniumchlorid und 1 Teil Ammoniak ist bei 18° [H] = 1,02 - 10 8 bei 37°, 4,9. 10-8 (Michaelis?®). Es ist also gerade umgekehrt wie bei den Phosphaten und es mußte erwartet werden, daß die Resistenz der roten Blutkörperchen in Gegenwart von Ammonium- gemischen mit der Temperatur weniger stark ansteige, daß m. a. W. Zusatz von Ammoniumgemischen umgekehrt wirken müsse wie Zusatz von Phosphaten, also die Temperaturabhängigkeit der Resistenz herabsetzen müsse, und das war in der Tat der Fall. Das Gemisch wurde derart bereitet, daß zunächst eine n-Ammoniumchlorid- lösung durch Zusammengießen von gleichen Mengen n-HCl und n-Ammoniak dargestellt wurde und diese im Verhältnisse 32:1 mit n-Ammoniak gemischt wurde. Hierauf wurde durch Zusatz von destilliertem Wasser (ca 2,7 ccm auf l ccm Gemisch) unter Kontrolle von Gefrierpunktsbestimmungen möglichst genau auf Isotonie mit der 0,9 proz. NaCl-Lösung eingestellt und hierauf wie bei den entsprechenden Phosphatversuchen Mischungen mit 0,9proz. NaCl im Verhält- risse von 1,5 und 10: 100 hergestellt. Es kam Kaninchen-, Rinder- und Hammel- blut zur Anwendung. Eine Bestimmung der Gefrierpunkte für die einzelnen Verdünnungen war hier nicht nötig, da NaCl und NH,Cl nahezu die gleichen Molekulargewichte besitzen und sich deshalb der osmotische Druck beim Ver- mischen nicht wesentlich ändert. Deshalb können in den folgenden Tabellen die Verdünnungszahlen als Maß der Resistenz gelten. Kaninchenblut. Rinderblut. Amm.-Gemisch in 100 cem Amm.-Gemisch in 100 ccm ren 0 10 ger 3310 Bo 20 | 22 38 s° [37 | 38 | 31 | 2,8 198 al | Sl ao | 12° 23 | 2,6 | 2.90 29,6 Differenz | 09 | 06 | 06 | 06 Differenz | 04 | 02 | 02 | 02 Hammelblut. Amm.-Gemisch in 100 cem Ger € 45° 1,4 12° 1,0 Differenz | 0.4 268 A. Jarisch: Es ergibt sich somit, daß die in der Wärme eintretende Resistenz- steigerung in Gegenwart von Ammoniumgemischen kleiner ausfällt. Beim Hammel geht dies so weit, daß die in reiner NaCl-Lösung be- stehende Differenz von kalt und warm ganz verschwindet und sich die Blutkörperchen in der Kälte und in der Wärme beim gleichen Hypotoniegrad lösen. Bi: Im einzelnen ist noch zu bemerken, daß das anfängliche Ansteigen der Re- sistenz bei zunehmender Menge des Ammoniumgemisches durch die schwach alkalische Reaktion des Gemisches bedingt ist, ferner, daß das Ammoniumgemisch nicht wie die Phosphatgemische in stärkerer Konzentration angewandt werden konnte, da es selbst schon hämolytisch wirkt. Diese Schädigung der Blutkörperchen durch das Ammoniumgemisch ist schon beim Zusatze 10: 100 an der Abnahme der Resistenz, die für warm und kalt gleichmäßig erfolgt, zu erkennen. Diese Feststellung, sowie die Beobachtung, daß die Schädigung der Blut- körperchen erst bei höherem Zusatze von Ammoniumgemisch nachweisbar wird, ist darum hervorzuheben, weil sie dem Einwande begegnet, es könne die bekannte spezifisch schädigende Wirkung der Ammoniumverbindungen auf die roten Blut- körperchen mit im Spiele sein. In der starken Verdünnung von 1 und 5 ccm des isotonischen Gemisches auf 100 ccm NaCl kommt diese wohl nicht in Frage. Phosphatmischungen und Ammoniumgemische zeigen also in ihrem Einflusse auf die Temperaturabhängigkeit der Blutkörperchenresistenz eine entgegengesetzte Wirkung, die sich am einfachsten dadurch cha- rakterisieren läßt, daß man sagt: Rinderblutkörperchen verhalten sich in Phosphatgegenwart wie Kaninchenblutkörperchen, Kaninchenblut- körperchen in Gegenwart von Ammoniumgemischen wie Rinderblut- körperchen. Dieser Gegensatz ist der Ausdruck im Verhalten der Phos- phat- und Ammoniumgemische: diese halten beim Erwärmen die Konzentration der H-Ionen, jene die der OH-Ionen fest, dement- sprechend steigt in Abhängigkeit von der Dissoziation des Wassers bei diesen die Konzentration der OH-, bei jenen die der H-Ionen. Der Ausfall der Ammoniumversuche spricht wohl sehr zugunsten der tatsächlichen Wirksamkeit des angenommenen Mechanismus bei der Resistenzänderung roter Blutkörperchen unter Temperaturwechsel. Die vorliegende Untersuchung war in der Absicht begonnen worden, Beziehungen von Permeabilitätsänderung und Wärmenarkose, die durch Verflüssigung der Lipoide in der Wärme vermittelt sein sollten, aufzusuchen. Die Versuche brachten jedoch hierfür keinerlei Anhaltspunkte, sondern ergaben einen weiteren Beitrag zur Frage nach der Bedeutung der Binnensalze in den Zellen, auf welche Höber in letzter Zeit wiederholt hingewiesen hatte, und würden auf der Suche nach dem Wesen der Analogie von Wärme und Narkosewirkung auf ganz andere Wege, vorwiegend kolloidchemischer Natur, führen, die hier unbesprochen bleiben sollen. Dagegen sollen die Ergebnisse unserer Über den Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie. 269 Untersuchung noch etwas weiter gefaßt werden. Es hat sich für die Darstellung als zweckmäßig erwiesen, immer von Veränderungen der Blutkörperchen beim Erwärmen von niedrigerer auf höhere Temperatur zu sprechen, es ergibt sich aber sinngemäß, daß das Gesagte für jede Temperaturverschiebung gelten muß. Daim Organismus gleichfalls die Bedingungen für Alkalinitätsschwankungen mit der Temperatur ge- geben sind [Henderson*), Höber®) a.a.O.S. 184, Corral‘), neuestens auch Evans, Journal of Physiol. 55, 162, 1921] wird man daselbst analoge Veränderungen an den Zellen annehmen müssen, wenn sich die Körpertemperatur von der Norm entfernt, im Fieber wie bei der Abkühlung, auch der lokalen, zumal die Erfahrungen über den Einfluß der Hydroxylionen auf die roten Blutkörperchen verall- gemeinert und auf andere Zellen übertragen werden dürfen, da es sich hierbei um ganz elementare kolloidchemische Vorgänge handelt. Es er- gibt sich somit, daß wir bei Temperaturveränderungen im Organismus mit stärkeren Veränderungen an den Kolloiden rechnen müssen, als dem bloßen Einflusse der Temperatur auf den Dispersitätsgrad entsprechen würde. Damit sind wir aber, was die übernormalen Temperaturen be- trifft, wieder am Narkoseproblem, was die unternormalen dagegen be- trifft, an einem neuen Gesichtspunkte für das Erkältungsproblem an- gelangt. Gerade der Umstand, daß wir bei Temperaturen, die nicht weit unter der normalen Körpertemperatur liegen und die bei der sog. Er- kältung in Betracht kommen können, schon deutliche Zustandsände- rungen der Blutkörperchen nachweisen konnten und daß sich die Vor- gänge auch bei örtlicher Abkühlung abspielen müssen, verleihen dem Ge- danken an Beziehungen zum Erkältungsproblem besondere Anziehungs- kraft. Auch bei Beurteilung des Temperatureinflusses als formbildenden Faktors (Entstehung der Variationen von Tier- und Pflanzenformen bei Einwirkung verschiedener Temperaturen im Entwicklungsstadium) werden die Ergebnisse dieser Untersuchung berücksichtigt werden müssen. Zusammenfassung. Es wurde gezeigt, daß die Resistenz der roten Blutkörperchen eine Funktion der Temperatur ist, und zwar konnte dargetan werden, daß sie beim Erwärmen, ausgehend von 0° bis zu einem bei 45—50° ge- legenen Maximum ansteigt, um bei Erreichung an sich hämolytisch wirksamer Temperaturen rasch abzunehmen. Die einzelnen Tierarten ordnen sich hinsichtlich dieser Beeinflußbarkeit der Resistenz ihrer Blutkörperchen, mit dem am wenigsten empfindlichen beginnend, in folgender Reihe: Hammel, Rind, Hund, Mensch, Kaninchen, Meer- schweinchen und Pferd. Da sich die Blutkörperchen der einzelnen Tierarten durch ihren Gehalt an Phosphorsäure unterscheiden, indem Hammel und Rind 270 A. Jarisch: wenig, Kaninchen und Pferd dagegen mehr enthalten, wurde die Er- scheinung mit den Phosphaten in Zusammenhang gebracht und es ließ sich in der Tat zeigen, daß durch Zusatz von Phosphaten in Form von Puffergemischen der Temperatureinfluß bei Rinderblutkörperchen ver- stärkt werden kann. In Versuchen mit Na,SO, und Na. tart. wurde eine derartige Wirkung vermißt und es wurde daraus geschlossen, daß die Erscheinung nichts mit der spezifisch quellungshemmenden Wirkung der Phosphations zu tun haben könne. Dagegen ließ sich folgende Auffassung begründen: die Phosphat- puffer halten bei steigender Temperatur die H-Ionenkonzentration konstant, deshalb muß, entsprechend der Zunahme der Dissoziation des Wassers, die Menge der OH-Ionen ansteigen. Diese binden sich nun an die Protoplasmakolloide und wirken dadurch resistenzsteigernd, ebenso wie von außen hinzugesetztes Alkali in den Versuchen von Hamburger sowie von Haffner. Als Stütze für die Richtigkeit dieser Annahme wurden Versuche mit Ammoniumgemischen gemacht. Diese halten, im Gegensatz zu den Phosphaten, beim Erwärmen die OH-Ionen konstant und lassen deshalb die Konzentration der H-Ionen ansteigen; deshalb war zu erwarten, daß die Ammoniumgemische, umgekehrt wie die Phosphat- gemische, den Temperatureinfluß abschwächen, und das konnte tat- sächlich beobachtet werden. Literaturverzeichnis. !) Arrhenius und Bubanovic, Meddelanden f. k. Vetenskapsakademiens Nobelinstitut 1, Nr. 10. 1908. — ?) Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chemie 25, 65. 1898. — ?) Bialaszewicz, Bull. de l’Acad. Scienc. Cracovie 1908. — *) Corral, Biochem. Zeitschr. 11%,1. 1921. — °) Faltaund Quittner, Biochem, Zeitschr. 114, 145. 1921. — ®) Fröhlich und Kreidl, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 18%, 90. 1921. — ”) Freundlich, Kolloid-Zeitschr. 1, 321. 1907. — s) Fels, Zeitschr. f. Elektrochemie %. — ?) Gros, Biochem. Zeitschr. 29, 350. 1910. —- 10) Haffner, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 19, 144. 1920. — !!) Heil- brunn, Biologie. bull. 39. 1920. — 1?) 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Die ersten experimentellen Untersuchungen am Tiere wurden von Barany Reich und mir!) unternommen. Es wurden Störungen der Reaktionsbewegungen nach Exstirpation, oder Durchschneidung des Kleinhirnwurmes nach Exstirpation der Kleinhirnhemisphären und nach Zerstörung der Kleinhirnrinde über dem Kleinhirnwurm beobachtet. Nach Zerstörung der Rinde über dem Wurm mittels Galvanokater oder durch Vereisung mit Chlorethyl waren die Fallreaktionen und die Reaktion nach vorne und rückwärts herabgesetzt oder fehlten voll- kommen; wurde nachher der Wurm in der Mittellinie durchschnitten, so konnten dann wieder diese Reaktionen ausgelöst werden. Die Ex- stirpation der Großhirnhemisphären zwischen den vorderen und hin- teren Vierhügeln verursachte einen Ausfall der Reaktionsbewegungen. Nach darauffolgender Zerstörung der Gegend des roten Kernes traten die Reaktionsbewegungen nach vorne und rückwärts stark auf; die- selben ließen sich noch nach Entfernung des ganzen Kleinhirns aus- lösen. Wir gelangten auf Grund dessen zur Ansicht, daß die Fallreak- tionen und die Reaktionen nach vorne und rückwärts in der Medulla oblongata lokalisiert sind und vom Kleinhirn beeinflußt werden. 1) Neurologisches Zentralblatt Nr. 17, 1912. J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß usw. 273 Meine eigenen Untersuchungen über den Einfluß experimenteller Läsionen des Deitersschen Kerns auf die vestibularen Reaktions- bewegungen!) ergaben, daß die experimentellen Manegebewegungen zur lädierten Seite schwächer sind als zur gesunden, daß die Fallreaktion zur lädierten Seite gesteigert ist, zur gesunden entweder fehlt oder stark herabgesetzt ist. Es ergibt sich aus diesen Untersuchungen, daß der Deiterssche Kern einen Einfluß auf die Entstehung der in Rede stehen- den Reaktionen hat, daß jedoch die Reaktion nach vorne und rück- wärts von demselben unabhängig ist. Da ich in der genannten Arbeit nur einseitige Läsionen verursachte, so ist es nicht ausgeschlossen, daß beiderseitige vollkommen symmetrische Läsionen des Gebietes des Deitersschen Kerns auch Störungen in den Reaktionen nach vorne und rückwärts zufolge haben können. Diese Frage bedarf noch einer Bearbeitung. Was den Wes betrifft, auf welchem sich die labyrinthären Impulse auf die Körpermuskulatur fortsetzen, so konnte ich feststellen 2), daß für die Halsmuskulatur dieselben durch den Fasciculus longitudinalis posterior, die für die Körpermuskulatur wahrscheinlich durch den Tractus deitero-spinalis derselben Seite geleitet werden. Obwohl die Ergebnisse dieser Untersuchungen bis zu einem gewissen Grade den Entstehungsmechanismus der Reaktionsbewegungen auf- klären, so sind sie noch weit entfernt von der Lösung der Frage der Lokalisation der in Rede stehenden Reflexe. Es müßten — wie das be- reits in der Arbeit von Barany, Reich und mir betont wurde —, die Reaktionsbewegungen nach isolierter Exstirpation des Stirnhirns, des Schläfenlappens, der motorischen Region, der Großhirnhemisphären, des Mittel- und Zwischenhirns untersucht werden. In der vorliegenden Arbeit soll über den Einfluß dieser Hirnabschnitte berichtet werden. Es sei kurz die Methode der Untersuchungen der Tiere angeführt, wie sie von Barany, Reich und mir bearbeitet wurde. Auf einem Drehstuhl wird ein Mann gesetzt, der auf die Rotationen umempfind- lich ist; vor dem Mann wird am Drehstuhl ein Brett befestigt, auf welches das zu untersuchende Tier gebracht wird; der Mann hat die Aufgabe, das Tier zu halten und den Kopf während der Drehung zu fixieren. Es werden am Drehstuhl Drehun- gen bei 1) horizontaler Kopflage, 2) bei vertikal nach oben gedrehten Kopfe und 3) bei Seitenlage des Kopfes am rechten oder linken Auge. Ad. 1). 10 mal rechts bei horizontaler Kopflage hat einen horizontalen Augen- und Kopfnystagmus nach links zur Folge, das Tier dreht sich nach rechts (Manegebewegungen). Sowohl der Augen- wie auch der Kopfnystagmus besteht aus einer langsamen und raschen Komponente; die Richtung des Nystagmus wird nach der Richtung der raschen Komponente bezeichnet. Zehnmal links hat dieselben Erscheinungen zur Folge, nur nach entgegengesetzter Richtung. Ad 2). Zehnmal rechts bei vertikal nach oben t) Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. Krakau 1914. 2) Verh. der Gesell. deutsch. Naturforsch. u. Ärzte. Wien 1913. 274 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen gedrehtem Kopfe hat einen vertikalen Augennystagmus zur Folge, am linken Auge zum Oberlid, am rechten gegen das Unterlid; das Tier fällt oder wälzt sich um seine Längsachse nach links, nach Linksdrehung nach rechts. Ad 3) 10 mal rechts bei linksseitiger Kopflage bewirkt einen rotatorischen Nystagmus nach rückwärts, der Kopf wird ventralwärts gebeugt, die Wirbelsäule mit der Kon- vexität nach oben gekrümmt, das Tier rennt nach vorne, wobei der Rumpf nach rechts und links geneigt wird. Linksdrehung bei derselben Kopflage bewirkt einen rotatorischen Nystagmus nach vorne, der Kopf wird dorsal gehoben, die Vorder- beine werden gestreckt, die Wirbelsäule mit der Konvexität nach vorne gebeugt, das Tier zeigt die Tendenz, sich nach rückwärts zu überschlagen. Wir werden diese Reaktionsbewegungen kurz nennen: Ad 1) Experimentelle Manegebewe- gungen. Ad 2) Fallreaktionen. Ad3) Reaktion nach vorne resp. nach rückwärts. Es sei hier bemerkt, daß im Laufe der vorliegenden Untersuchungen sich gezeigt hat, baß bei Abschätzung der genannten Reaktionsbewegun- gen die Beurteilung einzelner Komponenten der Reaktionsbewe- gungen notwendig ist und zwar die Reaktion einzelner Körperteile, be- sonders die des Kopfes. So muß bei den experimentellen Manegebewe- sungen besonders auf die Reaktionsbewegung des Kopfes geachtet werden, auf seine Intensität und auf das Verhältnis zwischen der raschen und langsamen Komponente des Kopfnystagmus. Es zeigte sich weiter, daß der experimentelle Kopfnystagmus, die Wendungen des Kopfes, das Resultat einer gleichzeitigen Bewegung des Kopfes um die vertikale und um die Längsachse sind, also das Resultat einer Wendung und Drehung des Kopfes. Es muß also auf das Verhältnis dieser beiden Komponenten besonders geachtet werden, da bei gewissen Läsionen des Großhirns die eine oder andere Komponente überwiegt. Die Zerglie- derung jeder Reaktionsbewegung auf einzelne Komponenten ist, wie wir das nachweisen wollen, für das Verständnis dieses so komplizierten Mechanismus von großer Bedeutung. Aus diesem Grunde wurde die Reaktionsbewegung des Kopfes isoliert untersucht in der Weise, daß nach erfolgten Drehungen am Drehstuhl nur der Kopf freigelassen wurde, der Rumpf weiter fixiert blieb; zur Feststellung der Manege- bewegungen wurde neuerlich gedreht und das Tier ganz freigelassen. Unsere Experimente umfassen nachstehende Gruppen: 1. Exstirpation der Großhirnhemisphären ohne Schädigung des Hirnstammes, 2. Exstirpation der Stirnteile der Hemisphären, 3. Exstirpation der Großhirnhemisphären: a) samt den vordersten Partien des Thalamus opticus, b) samt dem ganzen Thalamus opticus, c) samt den Vierhügeln. 4. Läsionen des Hirnstammes ohne Schädigungen der Großhirn- hemisphären. Diese letzteren Läsionen wurden in der Weise ausgeführt, daß nach Frei- legung des Großhirns die Hemisphären mittels einer zwischen die Hemisphären über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 275 eingeführten Spatel zur Seite geschoben wurden und ein Gräfesches Messer in den Hirnstamm eingestochen wurde. Diese Operation wurde natürlich ohne genauere Kontrolle des Auges ausgeführt; erst die histologische Untersuchung zeigte den Sitz und Ausbreitung der Läsion. Die sub 1) bis 3) angeführten Operationen wurden ein- und beiderseitig ausgeführt, die sub 4) angeführten nur einseitig. Vor der Operation wurde jedes Tier am Drehstuhl untersucht, um die normalen Reaktionsbewegungen bei diesem Tiere festzustellen. Nach der Operation wurde das Tier eine gewisse Zeit in Ruhe gelassen; es wurde besonders auf spontane Erscheinungen geachtet, und zwar ob die Tiere spontane Bewegungen ausführen, ob Lähmungen vorhanden sind, ob Zwangsbewegungen oder Gleichgewichts- störungen auftreten, es wurde weiter der Tonus der Extremitätenmuskulatur ge- prüft, die Stellung des Kopfes und der Augen, das Vorhandensein von spontanem Nystagmus oder solchem nach Kopfbewegungen notiert. Erst nach Feststellung dieser, durch die Operation bedingten Erscheinungen, wurde die Untersuchung am Drehstuhl vorgenommen. Nach mehrmaligen Prüfungen und nach Feststellung unzweifelhafter Veränderungen der Reaktionsbewegungen wurde das Tier getötet, das Gehirn zwecks histologischer Untersuchung aufbewahrt. In der Mehrzahl der Fälle wurde das Tier nur einen Tag beobachtet; ausnahmsweise wurde es zwecks neuerlicher Untersuchung 2—3 Tage am Leben gelassen. Es wurden im allgemeinen 80 Tiere operiert; für die vorliegende Arbeit kom- men jedoch nur 65 Experimente in Betracht, da die übrigen teils infolge des schlechten Zustandes der Tiere nach der Operation, teils infolge mangelhafter histologischer Bilder, teils wegen asymmetrischer Schnitte bei beiderseitigen Operationen nicht berücksichtigt werden konnten. Es sollen hier nur beispiels- weise einige Protokolle von jeder Gruppe angeführt werden. Aus den Experimenten über die Exstirpation des Großhirns führe ich keine Protokolle an, da, falls dieselben ohne Schädigung des Corpus striatum entfernt werden, keine Störungen der vestibularen Reaktionsbewegungen auftreten. Gruppe I. Die Gruppe umfaßt Experimente, in welchen die frontalen Teile der Großhirnhemisphären auf einer oder auf beiden Seiten entfernt wurden in der Weise, daß nach Entfernung des Stirnknochens einige Millimeter hinter der Sutura coronalis und nach Durchtrennung der Dura mittels einer Spatel in die Tiefe eingedrungen wurde und den vorderen Teil beseitigte, oder in der Weise, daß die ganze Hemisphäre auf einer Seite samt dem vorderen Teil des Thalamus opticus, oder unter Schonung desselben exstirpiert wurde. Kaninchen Nr. 6. 14. III. 1920. Exstirpationdes Stirnhirnteilesderrechten Hemisphäre. (!/, Stunde nach der Operation.) a)!) 1Omal rechts: Kopfwendung nach rechts, kein Kopfnystagmus, Augennystagmus 25 Zuckungen. !) Zur Abkürzung werden wir in den Protokollen die Drehung bei normaler Kopflage durch a), bei dorsal gedrehtem Kopfe durch b), die Drehung bei Seiten- lage des Tieres durch c) bezeichnen. Wenn keine anderen Bemerkungen verzeichnet sind, so ist unter c) die Lage des Tieres auf der linken Seite zu verstehen. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 19 276 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen 10 mal links: Kopfnystagmus deutlich, 30 Zuckungen Augennystagmus 35 Zuckungen. i Andere Reaktionsbewegungen wurden nicht geprüft. (5 Stunden nach der Operation.) a) 1Omal rechts: Kopfwendung nach rechts, kein Kopfnystagmus. Augen- nystagmus 20 Zuckungen; das Tier fällt nach links. 10 mal links: Kopfnystagmus deutlich 32 Zuckungen. Augennystagmus 42 Zuckungen. b) 10 mal rechts: Fallen links, dann Augen- und Kopfnystagmus nach rechts. 10 mal links: Fallen nach rechts (schwächer), kein Nystagmus, wie bei 10 mal rechts. c) 10 mal rechts: Reaktion nach vorne kräftig, jedoch in der Intensität wech- selnd. 10 mal links: Reaktion nach rückwärts deutlich, jedoch mit einer Wendung des Körpers um ca. 180° nach links. Histologischer Befund. Fehlen des rechten Corpus striatum. Die ersten nor- malen Schnitte durch den Hirnstamm fallen auf die vorderen Teile des Thalamus opticus, bis zur Höhe, auf welcher der Nuc!. anter. und Nucl. later. thalami zu unterscheiden sind. In dem angeführten Versuche wurden nachstehende Veränderungen in den Reaktionsbewegungen festgestellt: l. nach 10 mal r. bei normaler Kopflage tritt an Stelle des Kopf- nystagmus nach links nur eine Wendung des Kopfes nach rechts auf. Da normalerweise der Kopfnystagmus nach links aus einer raschen Kopfwendung nach links und einer langsamen nach rechts besteht, so bedingte in unserem Falle die Entfernung des vorderen Teiles einer Großhirnhemisphäre samt dem vorderen Teile des Thalamus opticus auf derselben Seite einen Ausfall der raschen Komponente des Kopf- nystagmus nach links, während die langsame Komponente erhalten blieb. 2. Nach 10 malr. tritt an Stelle der Manegebewegungen nach rechts Fallen nach links auf. 3. Bei der Reaktion nach rückwärts tritt gleichzeitig eine Wendung des ganzen Körpers nach links auf. In dieser Gruppe der Untersuchungen konnten wir noch einige Untergruppen unterscheiden, welche entsprechend dem histologischen Bilde verschiedene Symptome bezüglich der Reaktionsbewegungen zeigten. Zusammenfassend: l. wird der vordere Teil einer Großhirnhemisphäre durch das Corpus striatum entfernt, an der Höhe des entwickelten Nucleus caudatus und Nucleus lenticularis, wo die innere Kapsel sich zu verzeichnen beginnt, so fehlen vollständig Abweichungen von den normalen Reaktions- bewegungen. 2. Bei etwas distaleren Schnitten und zwar durch den Globus pallidus und Putamen tritt eine Differenz in der Intensität des Kopf- nystagmus, und zwar ist der Kopfnystagmus zur gesunden Seite minimal, der zur operierten kräftig. über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. DU, 3. Bei weiter distal verlaufenden Schnitten durch den Beginn des Thalamus opticus fehlt die rasche Komponente des Kopfnystagmus zur gesunden Seite, es bleibt bloß die langsame Komponente zur operierten Seite. Die rasche Bewegung des Kopfnystagmus zur Seite der Operation ist erhalten, wie in dem oben als Beispiel angeführten Protokolle. Beiderseitige Entfernung des Stirnteils der Großhirnhemi- sphären. Zu diesen Versuchen wurden Tiere verwendet, bei welchen zuerst eine einseitige Operation vorgenommen wurde und welche durch einige Tage beobachtet wurden, oder es wurde die beiderseitige Operation bei gesunden Tieren ausgeführt. Es sei hier zusammenfassend über die Experimente berichtet, bei welchen die Höhe der Läsionsstelle der bei Kaninchen 6 entspricht. Unmittelbar nach der Operation ist eine Beugung der Wirbelsäule mit der Konvexität nach oben zu bemerken, die hinteren Extremitäten sind abduziert, der vordere Körperteil gegen den hinteren genähert, die Kopflage normal, der Kopf ist eingezogen. Die Tiere behalten diese Körperstellung ad exitum. Keine Lähmungen; zu Bewegungen gereizt, laufen die Tiere gut, jedoch oft meiden sie Hindernisse nicht. Spontane Bewegungen sind selten. Die Prüfung am Drehstuhl ergibt folgenden Befund: a) 10 mal rechts: Kopfwendung nach rechts, der Kopf bleibt nach rechts ge- wendet, solange der Augennystagmus, welcher normal auslösbar ist, besteht; keine Manegebewegungen. 10 mal links: Kopfwendung nach links, keine Manegebewegungen, Augen- nystagmus normal. b) Die Fallreaktionen sind zu beiden Seiten normal. ce) Die Reaktionen nach vorne und rückwärts sind entweder herabgesetzt oder sie fehlen vollkommen. Beiderseitige Entfernung der Stirnhirnteile der Großhirnhemisphären samt den vordersten Teilen der Thalami optiei bewirkt demnach: Fehlen der raschen Komponente des Kopfnystagmus, Fehlen der experimentellen Manegebewegungen zu beiden Seiten, Herabsetzung bzw. Fehlen der Reaktionsbewegungen nach vorne und rückwärts. Der wichtigste Ausfall ist das Fehlen der raschen Komponente des Kopfnystagmus; nach einseitiger Operation tritt nach Reizung der Labyrinthe durch Drehung an Stelle des horizontalen Kopfnystagmus nur eine Wendung des Kopfes zur operierten Seite auf. Diese unzweifel- haft festgestellte Tatsache berechtigt zur Annahme, daß die rasche Kom- ponente des Kopfnystagmus in dem vordersten Teil der Thalami optici bzw. im Corpus striatum lokalisiert ist und daß die rasche Komponente nach links von der rechten, die nach rechts von der linken Seite der ge- nannten Zentren ausgelöst wird. Diese Annahme wird durch beider- seitige Entfernung der frontalen Teile der Großhirnhemisphären samt den vordersten Teilen der Thalami optici bekräftigt, in welchen Ver- suchen die rasche Komponente des Kopfnystagmus zu beiden Seiten fehlt. [95 278 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen Es sei hier bemerkt, daß der Augennystagmus bei diesen Läsionen keiner Änderung unterliegt, so, daß der Kopfnystagmus vom Augen- nastagmus unabhängig ist, daß also der zentrale Mechanismus für die Entstehung dieser, beim normalen Tiere gleichzeitig, unter dem Ein- flusse eines und desselben Reizes auftretenden Reflexe ein wesentlich verschiedener ist. Ein weiterer Ausfall der normalen Reaktionsbewegungen, welche durch Drehung bei normaler Kopflage auftreten, ist das Fehlen der experimentellen Manegebewegungen. Es drängt sich die Frage auf, ob der Ausfall der Manegebewegungen eine unmittelbare Folge der Ent- fernung der frontalen Teile der Großhirnhemisphären ist, oder mittelbar durch das Fehlen des Kopfnystagmus bedingt ist. Auf Grund einer ge- nauen Analyse der Reaktionsbewegungen bei Tieren!) kam ich zur Überzeugung, daß die Reaktionsbewegung des Kopfes zur Entstehung der normalen Reaktionsbewegungen des Körpers und der Extremitäten unentbehrlich ist, und daß der Ausfall der Reaktionsbewegung des Kopfes ein Fehlen der ganzen Reaktionsbewegung zur Folge hat. Die vesti- bularen Reaktionsbewegungen sind nämlich durch zwei Faktoren be- dingt, erstens durch den unmittelbaren Einfluß der labyrinthären Im- pulse auf die Muskulatur des Körpers und der Extremitäten, zweitens durch die, durch die Kopfbewegungen bedingten Tonusveränderungen der Körper- und Extremitätenmuskulatur. Die Reizung der Labyrinthe löst einerseits die Reaktionsbewegung des Kopfes aus und beeinflußt anderseits die Körper- und Extremitätenmuskulatur in der Weise, daß sich diese labyrinthären Impulse zu den durch die Änderung der Kopfstellung bedingten Tonusänderungen addieren. Diesen Einfluß der Reaktionsbewegung des Kopfes auf die Entstehung der Reaktions- bewegung des Körpers habe ich in der Weise nachgewiesen, daß die Nackenmuskulatur beim Kaninchen durchtrennt wurde und der Kopf in- folgedessen stets hinunterfiel, so, daß nach Reizung der Labyrinthe keine horizontalen Kopfbewegungen auftreten konnten; es fehlten die experi- mentellen Manegebewegungen, obwohl der periphere Vestibularapparat und das Zentralnervensystem unbeschädigt war. Auf Grund dieser Unter- suchungen kam ich zum Schluß, daß die Reaktionsbewegung des Kopfes für den Ablauf der vestibularen Reaktionsbewegung des Körpers und der Extremitäten absolut notwendig ist und habe angenommen, daß jede Unterbrechung des Reflexbogens für die Reaktionsbewegung des Kopfes nicht nur den Ausfall der Reaktion seitens des Kopfes, sondern auch den Ausfall der ganzen Reaktions- bewegung zur Folge haben muß. Diese Vermutung wird durch die vor- liegenden Experimente bestätigt, in welchen durch Entfernung der !) Rothfeld, Über den Einfluß der Kopfstellung auf die vestibularen Reak- tionsbewegungen beim Tiere. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1914. über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 279 frontalen Teile der Großhirnhemisphären sarat den vordersten Teilen des Thalamus opticus das Zentrum für die rasche Komponente des Kopfnystagmus zerstört wurde, was nicht nur einen Ausfall des Kopf- nystagmus, sondern auch einen Ausfall der experimentellen Manege- bewegungen zur Folge hatte. Der Ausfall der experimentellen Manege- bewegungen ist demnach nur eine mittelbare Folge der Zerstörung der Zentren für die rasche Komponente des Kopfnystagmus und eine unmittelbare Folge des Ausfalles der Reaktionsbewegungen des Kopfes. Was die anderen Veränderungen betrifft, welche durch die Entfernung der frontalen Teile der Großhirnhemisphären bedingt sind, und zwar die Veränderungen der Reaktionsbewegungen nach vorne und rück- wärts, so sei bemerkt, daß normalerweise zur Entstehung dieser Reak- tionsbewegungen symmetrische Innervationen der ganzen Körper- muskulatur notwendig sind. Nach Entfernung der frontalen Teile auf einer Seite wird die Reaktionsbewegung insofern verändert, daß das Tier zur gesunden Seite sich wendet, oder während der Reaktion zu dieser Seite abweicht. Es tritt also eine gewisse Asymmetrie in der Re- aktionsbewegung auf, welche vermutlich die Folge einer ungleichmäßigen Verteilung der labyrinthären Impulse und ungleichmäßige Ein- wirkung auf den Muskeltonus ist. Gruppe II. 20. III. 1920. Kaninchen Nr. 11. Entfernung der rechten Großhirnhemisphäre vor den Vierhügeln. Keine Lähmungen, keine pathologische Körper- oder Kopfstellung; häufig spontane Manegebewegungen nach rechts. Bei normaler Kopflage kein Augen- nystagmus, ebenso bei linksseitiger Lage des Kopfes; wird der Kopf am rechten Auge gelegt, so tritt ein rotatorischer Nystagmus nach rückwärts auf. Die Prüfung am Drehstuhl: a) lOmal rechts: (Nach dem Stehenbleiben wird nur der Kopf freigelassen), Drehung des Kopfes nach rechts, kein Kopfnystagmus; Augennystagmus 38 Zuk- kungen. 10 mal links: Kopfnystagmus nach rechts vorhanden, 20 Zuckungen. Augen- nystagmus 31 Zuckungen. a) 10 mal rechts: (Nach dem Stehenbleiben wird das Tier freigelassen), häufig Manegebewegungen nach rechts, wie spontan, hier und da Kopfnystagmus nach links angedeutet. 10 mal links: Fallen nach rechts, Kopf- und Augennystagmus nach rechts kräftig. Eine halbe Stunde ach der Operation: Spontane Manegebewegungen nach rechts immer deutlicher. Spontaner Augennystagmus nach rechts bei horizontaler Kopflage, deutliche, jedoch seltene Zuckungen; nach Kopfbewegungen nach rechts rotatorischer Nystagmus nach rückwärts, bei Bewegungen nach links kein Augennystagmus. b) 10 mal rechts: Kräftiges Fallen nach links, das Tier richtet sich auf, es erscheint ein horizontaler Kopf- und Augennystagmus nach rechts. Vertikaler Augennystagmus fehlt. 2830 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen 10 mal links: Fallen nach rechts, jedoch schwächer als nach links, vertikaler Augennystagmus vorhanden. c) 1O mal rechts: Besonders starke Reaktion nach vorne mit gleichzeitiger Wendung des Körpers nach rechts. 10 mal links: Kräftige Reaktion nach rückwärts, Wendung des Körpers nach links. c) Das Tier liegt auf der rechten Seite. 10 mal rechts: Reaktion nach rückwärts vorhanden mit gleichzeitiger Wendung des Körpers nach links. Bei weiteren Prüfungen erfolgt die Reaktion nach rückwärts ohne Wendung des Körpers. 10 mal links: Reaktion nach vorne mit Wendung des Körpers nach rechts. 21. III. 1920. Die Kopf- und Körperstellung sind verändert. Der Kopf ist nun nach links gewendet und etwas nach links gedreht. Von Zeit zu Zeit wird der Kopf nach rechts gewendet, um dann wieder die ursprüngliche Wendung und Drehung nach links auszuführen. Diese Bewegungen wiederholen sich öfters, erfolgen langsam, jedoch nach rechts etwas rascher als nach links.. Gleichzeitig mit diesen Kopf- bewegungen treten Manegebewegungen auf und zwar bei Bewegungen des Kopfes nach links zur linken, bei Bewegungen nach rechts zur rechten Seite, wohei die Manegebewegungen nach links im großen Kreise, die nach rechts im kleinen Kreise erfolgen; nach den Manegebewegungen nach links, eriolgt ein Fallen auf die linke Seite. Wird das Tier sich selbst überlassen und zu keinen Bewegungen gereizt, so nimmt der Kopf die oben verzeichnete Stellung ein und zwar Wendung mit ange- deuteter Drehung nach links, die Wirbelsäule ist mit der Konkavität nach links gebeugt. a) 1Omal rechts: Drehung des Kopfes nach rechts. Kein Kopfnystagmus. Das Tier fällt nach rechts. Augennystagmus 10—14 Zuckungen. 10 mal links: Kräftige Drehung und Wendung des Kopfes nach links, deut- licher Kopfnystagmus nach rechts, Wendung des Körpers nach links (angedeutete Manegebewegungen nach links). Augennystagmus nach rechts deutlich. b) 10 mal rechts: Fallen nach links. 10 mal links: Fallen nach rechts. c) 10 mal rechts: Reaktion nach vorne deutlich, mit gleichzeitiger Wendung des Körpers nach links. 10 mal links: Schwache Reaktion nach rückwärts; zuweilen fehlt die Reaktion vollkommen. Histologischer Befund: Die rechte Großhirnhemisphäre fehlt, ebenso der rechte Thalamus opticus. Im Bereich der vorderen Vierhügeln teilweise Zer- störung auf einer Seite, sonst ist der Querschnitt in diesem Bereiche auf beiden Seiten intakt. In diesem Versuche treten die Störungen der Reaktionsbewegungen des Kopfes in den Vordergrund; an Stelle des Kopfnystagmus zur linken Seite tritt eine Drehung des Kopfes nach rechts auf. Es fehlt demnach die rasche Bewegung nach links und die langsame nach rechts. Unmittel- bar nach der Operation ist manchmal ein Kopfnystagmus nach links auslösbar und zwar wenn nach dem Stehenbleiben das Tier freigelassen wird. Am zweiten Tage nach der Operation ist der Kopfnystacsmus nach links nicht mehr auslösbar. Die nach der Operation nor- male Stellung des Kopfes wird am 2. Tage verändert, der Kopf ist zur linken, also zur gesunden Seite gewendet und etwas gedreht; über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 281 die spontanen Manegebewegungen nach rechts, zur operierten Seite, die nach der Operation beobachtet wurden, waren am 2. Tage haupt- sächlich zur gesunden Seite gerichtet, woraus zu schließen ist, daß die nach der Operation beobachteten spontanen Erscheinungen die Folge eines Reizzustandes waren, umso mehr, daß wir bei anderen analogen Versuchen stets spontane Manegebewegungen zur gesunden Seite beobachtet haben. Eine weitere Störung im Ablauf der Reaktionsbewegungen nach Drehung bei horizontaler Kopflage ist das Fehlen der Manegebewegungen, an deren Stelle ein Fallen auftritt. Die Fallreaktionen nach Drehung bei vertikal gehobenen Kopfe, sind zu beiden Seiten gleich; die Reaktionsbewegungen nach vorne und rückwärts sind erhalten, die Reaktion nach vorne ist mit einer Wen- dung des Körpers zur operierten, die nach rückwärts mit einer Wendung zur gesunden verbunden. Charakteristisch für die, in diese Gruppe fallenden Experimente, in welchen die Großhirnhemisphäre vor den Vierhügeln auf einer Seite entfernt wurde, sind nachstehende Veränderungen: 1. Spontane Manegebewegungen zur gesunden Seite. 2. Fehlen des Kopfnystagmus zur gesunden Seite und zwar Fehlen der raschen Komponente zur gesunden und der langsamen zur operier- ten Seite. Die Drehung des Kopfes zur operierten ist erhalten; es tritt an Stelle des Kopfnystagmus zur gesunden Seite eine Drehung zur operierten auf. 3. Der Kopfnystagmus zur operierten ist erhalten. 4. Fehlen der experimentellen Manegebewegungen zur operierten Seite, das Tier fällt zur gesunden. Die Manegebewegungen zur gesunden Seite treten nicht konstant auf. 5. Die Fallreaktionen sind zu beiden Seiten erhalten. 6. Die Reaktion nach vorne und rückwärts sind normal auslösbar. Der Unterschied zwischen der Gruppe II und Gruppe I ist der, daß in der Gruppe I an Stelle des Kopfnystagmus zur gesunden Seite eine Wendung des Kopfes zur operierten (die langsame Komponente) auf- tritt, in der Gruppe II dagegen sowohl die rasche, wie auch die langsame Komponente fehlt, es tritt an Stelle des Kopfnystagmus zur gesunden Seite eine Drehung des Kopfes zur operierten auf. Dies berechtigt zur Annahme, daß durch Entfernung des Thalamus opticus ein Zentrum sowohl für die rasche, wie auch für die langsame Komponente des Kopf- nystagmus zur gesunden Seite vernichtet wird, so, daß dadurch die Ent- stehung des Kopfnystagmus unmöglich ist. Da an Stelle dieses Kopf- nystagmus eine Drehung des Kopfes zur operierten Seite auftritt, so muß angenommen werden, daß außer den erwähnten Zentren für die rasche und langsame Komponente des Kopfnystagmus, noch ein Zentrum 282 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen für die, durch vestibulare Reizung bedingte Drehung des Kopfes exi- stieren muß, welches von den zwei anderen Zentren unabhängig ist. Wenn die Annahme richtig ist, daß die genannten Zentren abgeson- derte, eigene physiologische Bestimmungen haben, so müßte durch ein entsprechendes Experiment eine ioslierte Zerstörung des Zentrums für die langsame Komponente des Kopfnystagmus möglich sein und dadurch seine Existenz bewiesen werden. Als Beispiel derartiger gelungener Versuche sind die nachstehenden zwei Experimente, in welchen der Hirnstamm in der Gegend des Thala- mus opticus ohne Entfernung der Großhirnhemisphären an beschrie- bener Stelle lädiert wurde. Kaninchen Nr. 40. 6. VI. 1920. Stich in der Gegend des Thalamus opticus auf der rechten Seite. Unmittelbar nach der Operation spontane Manegebewegungen nach links, welche anfallsweise auftreten; nach denselben Kopf- und Augennystagmus nach rechts. Der Kopf ist, nachdem sich das Tier beruhigt hat, etwas nach links ge- wendet. a) 10 mal rechts: Kopfnystagmus nach links in kleinen Zuckungen. Der Kopf wird nicht nach rechts gewendet, erreicht jedoch die Mittellinie. Augennystagmus 11 Zuckungen. 10 mal links: Kopfwendung nach links deutlich, kräftiger Kopfnystagmus nach rechts. Augennystagmus 20 Zuckungen. Bei mehrmaligen Prüfungen wird festgestellt, daß nach 10 maliger Links- drehung die langsame Wendung nach links kräftiger ist, als die Rechtswendung nach 10 maliger Rechtsdrehung, und daß der Kopfnystagmus zur rechten Seite stärker ist, als der zur linken. b) 10 mal rechts: Kräftiges Fallen nach links; Augennystagmus 7 Zuckungen. 10 mal links: Schwaches Fallen nach rechts, Augennystagmus 4 Zuckungen. Histologischer Befund: Der Schnitt geht durch den Pulvinar thalami und die hintere Commissur; zwischen Corpus geniculatum mediale und hinterer Kommissur kleine Blutung. A Hervorzuheben sind in diesem Versuch die Veränderungen in der Reaktionsbewegung des Kopfes und zwar der Unterschied in der In- tensität der langsamen Komponente beim Kopfnystagmus nach rechts und der nach links. Die langsame Wendung des Kopfes nach links, während des Kopfnystagmus nach rechts ist viel deutlicher als die lang- same Bewegung nach rechts während des Kopfnystagmus nach links. Dies spricht für eine Herabsetzung der Funktion des Zentrums für die langsame Bewegung nach rechts bzw. für ein Überwiegen des Zentrums für die langsame Komponente nach links, welcher Unterschied sich auch durch die spontane Wendung des Kopfes nach links äußert. Durch Reizung der Labyrinthe, durch Drehung am Drehstuhl wird der Tonus des Zentrums für die Linkswendung des Kopfes herabgesetzt, so, daß nach 10 maliger Rechtsdrehung der Kopf sich nach rechts wendet und die Mittellinie erreicht, dieselbe jedoch nicht überschreitet. Der über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 283 Kopfnystagmus nach links — die rasche Bewegung nach links, die lang- same nach rechts — ist schwächer als der Kopfnystagmus nach rechts. Da die Zentren für die rasche Bewegungen erhalten sind, soist die Differenz in der Intensität des Kopfnystagmus auf die Störungen in den Zentren für die langsame Bewegung zurückzuführen. Es ergibt sich aus diesem Versuche, daß dieser Kopfnystagmus stärker ist, dessen langsame Kom- ponente kräftiger ist: in unserem Versuche ist es der Kopfnystagmus nach rechts, weil die langsame Komponente nach links stärker ist als die langsame Komponente nach rechts. Die Auslösbarkeit des Kopf- nystagmus nach links ist in unserem Versuche dadurch ermöglicht, daß durch Reizung der Labyrinthe der Tonus des Zentrums für die langsame Bewegung nach links nachläßt und der Kopf nach rechts bis zur Mittellinie gewendet wird; es genügt also zur Auslösung des Kopf- nystagmus, daß der Kopf während der langsamen Komponente die Mittel- linie erreicht; der Kopfnystagmus ist jedoch in diesem Falle schwach. Im Versuche bei Kaninchen 40 ist demnach eine Schädigung des Zentrums für die langsame Komponente des Kopfnystagmus auf der rechten Seite anzunehmen, welches Zentrum in den oralen Partien des Thalamus optieus bzw. am Übergang desselben in das Mittelhirn loka- lisiert ist. Kaninchen Nr. 41. 6.2 1920. Operation links, Stich knapp vor den Vierhügeln. Keine pathologische Kopf- oder Körperstellung. Prüfung am Drehstuhl. a) 1Omal rechts: Kräftiger Kopfnystagmus nach links, 16—35 Zuckungen. Dabei deutliche Wendung des Kopfes nach rechts (langsame Komponente). 10 mal links: Kopfnystagmus nach rechts fehlt. Keine Wendung des Kopfes nach links, es besteht nur eine Drehung des Kopfes, die näher nicht zu charakte- risieren ist. 10 mal rechts: Bei freigelassenem Kopfe während der Drehungen ist ein Kopf- nystagmus nach rechts angedeutet, nach dem Stehenbleiben kräftiger, langdauern- der Kopfnystagmus nach links. 10 mal links: Während der Drehungen kräftiger Kopfnystagmus nach links, nach dem Stehenbleiben kein Kopfnystagmus nach rechts, keine langsame Wen- dung nach links. Die Manegebewegungen nach Rechtsdrehung fehlen vollkommen, nach Links- drehung Neigung des Körpers, oder Fallen auf die linke Seite. b) 10 mal rechts: Schwaches Fallen nach links. 10 mal links: Wälzen nach rechts; die Drehung des Kopfes nach rechts, ist stärker als die nach links. c) 1O mal rechts: Kräftige Reaktion nach vorne, dabei sehr oft Wälzen des Körpers nach rechts. 10 mal links: Sehr starke Reaktion nach rückwärts. Histologischer Befund: Am Übergang des Thalamus opticus in das Mittelhirn auf einer Seite lineare quer vom Corpus geniculatum mediale gegen die Mittellinie verlaufende Blutung, welche oral bis zum Pulvinar thalami reicht; daselbst Beginn des Einstiches. 284 J. Rothfeld:: Experimentelle Untersuchungen Durch eine Läsion am Übergange des Thalamus opticus ins Mittel- hirn auf der linken Seite wurde der Ausfall des experimentellen Kopf- nystagmus nach rechts und zwar sowohl der raschen Komponente nach rechts, wie auch der langsamen nach links verursacht. Der Kopfnystag- mus nach links ist erhalten. Wir haben bei der Besprechung der Be- funde bei Kaninchen 40 angenommen, daß dieser Kopfnystagmus kräftiger ist, dessen langsame Kemponente stärker ist; in weiterer Konsequenz müssen wir auch annehmen, daß dort, wo die langsame Komponente fehlen wird, der Kopfnystagmus überhaupt nicht auslös- bar ist. So ist es zu verstehen, daß im Versuch 41 der Kopfnystagmus zur rechten Seite fehlt, trotzdem das Zentrum für die rasche Kopfbewe- gung unbeschädigt ist (die vordersten Teile des Thalamus opticus). Es ergibt sich aus diesen Versuchen, daß die langsame Komponente für die Auslösung der raschen Komponente des Kopinystagmus unentbehrlich ist, und daß der Ausfall dieser langsamen Komponente den Ausfall der raschen Be- wegung bedingt. Eine Herabsetzung derlangsamen Kompo- nente bewirkt eine Herabsetzung der raschen Bewegung (Versuch Nr. 40). Die zwei angeführten Beispiele, Versuch 40 und 41, beweisen, daß eine isolierte Schädigung des Zentrums für die langsame Komponente des Kopfnystagmus möglich ist; weiter läßt sich auf Grund dieser Versuche das gegenseitige Verhältnis des Zentrums für die langsame und für die rasche Komponente des Kopfnystagmus zu einander nachweisen. Be- zeichnen wir das Zentrum für die rasche Bewegung durch ‚„KNy‘ (Kopfnystagmus), das für die langsame Bewegung durch ‚„W‘“ (Wendung) » (Schema 1). In der Gruppe I unserer Versuche haben wir mit den Folgen des Ausfalles des Zen- yo“ KNy trums „KNy‘“ auf einer Seite zu tun, daher tritt an Stelle des Kopfnystagmus z. B. nach rechts nur W<=—0 o—>W einelangsame Wendung des Kopfes nach links auf. Schema Damit also der Kopfnystagmus nach rechts auf- tritt, ist die unbeschädigte Funktion des links- seitigen „KNy“ und linksseitigen ‚„W° notwendig. Wenn außer des linken „KNy“ gleichzeitig auch das linke Zentrum ‚„W“ lädiert wird, so tritt über- haupt kein Kopfnystagmus auf, denn es fehlen beide Komponenten des Kopfnystagmus, in unserem Beispiel, dierasche Komponente nach rechts, die langsame nach links. Als Beispiel für diese Möglichkeit sind dieVersuche der Gruppe II unserer Experimente. Wird das Zentrum ‚„W' auf einer Seite lädiert, so, daß ein ,„W‘“ über das andere überwiegt, z. B. das linke überwiegt über das rechte, so läßt sich diese Differenz durch Labyrinth- reizung nachweisen und zwar wird die Wendung nach links — die langsame Komponente — stärker sein als die nach rechts, und der Kopf- über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 285 nystagmus nach rechts wird kräftiger sein, als der nach links (Versuch 40). Die Wirkung des Zentrums für die rasche Komponente ist dann aus- giebiger, wenn die langsame Komponente kräftiger ist, und umgekehrt ist bei herabgesetzter Funktion des Zentrums ‚„W° auch die Wirkung des Zentrums „KNy“ auf derselben Seite schwächer. Es ist demnach zur Auslösung der Wirkung des Zentrums „KNy“ die unbeschädigte Tätigkeit des Zentrums ‚„W‘“ notwendig. Ein Ausfall des Zentrums ‚„W“ hat einen Ausfall des ‚„KNy‘“ auf derselben Seite zur Folge (Versuch 41). Diese zwei angeführten Versuche sind noch aus diesem Grunde von Bedeutung, weil die Tiere nach der Operation fast gar keine Störungen in der Kopf- und Körperhaltung zeigen und erst durch Untersuchung am Drehstuhl Störungen der Reaktionsbewegungen nachweisbar sind, als Beweis einer Schädigung des Zentralnervensystems. Gruppe II. Bei der Besprechung der Ausfallerscheinungen bei Kaninchen 11 wurde bemerkt, daß nach gleichzeitiger Läsion des Zentrums für die rasche und langsame Kopfbewegsung an Stelle des Kopfnystagmus eine Kopfdrehung auftritt, was die Vermutung rechtfertigt, daß außer der genannten zwei Zentren auch ein Zentrum für die Kopfdrehung besteht. Wird eine Großhirnhemisphäre durch die Vierhügel derselben Seite entfernt, so hat diese Operation eine Drehung des Kopfes — Bewegung um die Längsachse — zur Folge, wodurch eine Reihe von Bewegungs- störungen bedingt ist. Derartige Versuche sind in der vorliegenden Gruppe unserer Experimente enthalten. Kaninchen Nr. 7. 14. III. 1920. Entfernung der rechten Großhirnhemisphäre durch den vorderen Vierhügel derselben Seite. Unmittelbar nach der Operation liegt das Tier auf der linken Körperseite; der Kopf ist nach links gedreht, die rechte vordere Extremität maximal gestreckt, ob in der rechten hinteren Extremität der Tonus gesteigert ist, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, da das Bein gebrochen ist. Das linke Auge ist nach unten, das rechte nach oben und nach links gewendet. Bei gewöhnlicher Kopflage und bei Drehung des Kopfes nach rechts treten nur selten einige nystaktische Zuckungen der Augen auf. Eine halbe Stunde nach der Operation: Bei horizontaler und vertikaler Kopf- lage, ist am rechten Auge ein vertikaler Nystagmusnach unten und nach rückwärts, am linken ein rotatorischer nach rückwärts zu sehen. Die einzelnen Zuckungen treten in seltenen Schlägen auf, werden bei Seitenlage des Kopfes stärker, besonders wenn der Kopf auf die rechte Seite gelegt wird. Das Tier kann nicht sitzen, in Bauchlage gehalten, streckt es die vordere Extremität, die linke vordere Extre- mität ist eingezogen, der Kopf ist stark nach links gedreht. Wird das Tier frei- gelassen, so fällt es sofort auf die linke Seite. 286 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen Die Prüfung am Drehstuhl: a) 1O mal rechts: Der Kopf wird nach links gedreht wie spontan. 10 mal links: Dasselbe Resultat wie nach 10 mal rechts. 10 mal rechts: Rascher, kleinschlägiger Augennystagmus nach links. 10 mal links: Horizontaler Augennystagmus nach rechts, zuerst kleinschlägig, dann immer stärker. Keine Manegebewegungen; sowohl nach Rechts-, wie auch nach Linksdrehung erfolgt Fallen nach links, wie spontan. b) 10 mal rechts: Das Tier fällt nach links. Der vertikale Nystagmus fehlt, es fehlen auch die spontanen Augenbewegungen. 10 mal links: Neigung des Körpers nach rechts, dann Fallen nach links wie spon- tan. Spontaner Nystagmus sehr kräftig, schnellschlägig, kehrt langsam zur ursprüng- lichen Intensität zurück. c) 10 mal rechts: Fällt nach links. 10 mal links: Dasselbe Resultat. Bei linksseitiger Lage des Kopfes ist am rechten Auge ein diagonaler Nystag- mus nach oben und nach rückwärts zu sehen. c) 10 mal rechts: Zwei rotatorische Zuckungen nach rückwärts, kurze Pause — dann Augenbewegungen wie vor der Drehung. 10 mal links: Einige rotatorische Zuckungen nach vorne, dann spontane Er- scheinungen. Histologischer Befund: Die rechte Hemisphäre ist durch den vorderen Vier- hügel entfernt worden. Die ersten beiderseits erhaltenen Querschnitte des Hirn- stammes fallen auf die vorderen Vierhügel, von welchen der rechte durch eine Blutung zerstört ist, welche in den weiteren, distalen Schnitten gegen die ventralen Teile des Querschnittes sich ausbreitet und an der Höhe des Okulomotorius-Kernes in der Substantia nigra Soemeringii und in den lateralen Teilen der Haube liegt. Der hintere Vierhügel auf derselben Seite ist durch eine Blutung durchtrennt, der Aqueductus Sylviae durch eine Blutung gefüllt. Aus dem obigen Versuche ergibt sich: 1. Die durch die Operation bedingte pathologische Kopfstellung, Drehung nach links und das Fallen nach links, läßt sich durch La- byrinthreizung, durch Drehen bei horizontaler Kopflage nicht be- einflussen. 2. Das spontane Fallen nach links wird durch Linksdrehung bei vertikal gehobenem Kopfe beeinflußt, das Tier neigt den Körper auf die rechte Seite. 3. Die Drehung bei Seitenlage des Tieres beeinflußt das spontane Fallen nicht. Kaninchen Nr. 15. 21. 1111920: Entfernung der rechten Großhirnhemisphäre durch die Vierhügel. Der Muskeltonus aller vier Extremitäten gesteigeit. Drehung des Kopfes nach links; das Tier liegt stets auf der linken Seite, fällt spontan nach links. Spon- taner horizontaler Nystagmus nach rechts, welcher nach Kopfbewegungen nicht verändert wird. Prüfung am Drehstuhl. a) 10 mal rechts: Keine Reaktionsbewegung des Kopfes, der Kopf fällt nach unten. Kein Augennystagmus nach links. Hier und da sind im Momente des Stehenbleibens 2—3 Zuckungen nach links zu sehen, der linke Bulbus ist nach über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 287 vorn, der rechte nach hinten gewendet; nach den erwähnten 2—3 Zuckungen geht der linke Bulbus nach hinten, der rechte nach vorn, und der spontane Ny- stagmus beginnt von neuem. 10 mal links: Kopfnystagmus nach rechts vorhanden, schwach, der Kopf ist dabei nach links ‚gewendet, der Augennystagmus nach rechts wird durch das Drehen stärker. b) 1Omal rechts: Fallen nach links. 10 mallinks: Schwaches Fallen nach rechts, dabei Drehung des Kopfesnach links. Bei dorsaler Kopfdrehung ist der linke Bulbus gegen das Unterlid, das rechte gegen das Oberlıd gewendet, es besteht ein Nystagmus nach rechts, welcher nach lOmal rechts sich nicht verändert, nach 10 mal links führt der linke Bulbus eine rotatorische Bewegung aus, der Nystagmus nach rechts wird stärker, jedoch ist kein vertikaler Nystagmus zu sehen. ce) Es ist nur eine Reaktion des Kopfes zu sehen und zwar Ventral- resp. Dorsaldrehung des Kopfes. Das Tier bleibt auf der linken Seite liegen, falls es auf der linken Seite gedreht wurde, dreht sich auf die linke Seite um, falls die Drehungen bei rechtsseitiger Lage des Körpers ausgeführt wurden. Rotatorischer Nystagmus nicht auslösbar. Histologischer Befund. Die rechte Großhirnhemisphäre fehlt bis in die Gegend der Vierhügeln. An der Höhe des Oculomotorius-Kernes fehlt der rechte Vierhügel. Die Haube ist rechts fast vollkommen durch Blutung durchsetzt. Durch die Sub- stantia reticularis tegmenti zieht ein Schnitt distalwärts und endigt in der Haube an der Höhe des Trochleariskernes. Charakteristisch für diese Gruppe ist: a) Spontane Erscheinungen. 1. Drehung des Kopfes mit gleichzeitiger Wendung des Kopfes zur gesunden Seite. 2. Gleichgewichtsstörungen, das Tier fällt zur gesunden Seite. b) Reaktionsbewegungsstörungen. 3. Fehlen des Kopfnystagmus nach Drehung bei normaler Kopflage, in der Mehrzahl der Fälle zu beiden Seiten. 4. Fehlen der Manegebewegungen, an deren Stelle meistens Fallen zur gesunden Seite auftritt. 5. Die Fallreaktion ist stärker zur gesunden als zur operierten Seite. 6. Die Reaktion nach vorn und rückwärts ist durch die Kopf- reaktion, Ventralbeugung bzw. Dorsaldrehung des Kopfes angedeutet. Die Prüfung dieser Reaktionen ist nur bei Lage des Tieres auf der ge- sunden Seite möglich. Wir wollen die obigen Erscheinungen nacheinander analysieren. Wir haben auf Grund der Experimente der I. und II. Gruppe ein Zentrum für die langsame und eins für die rasche Bewegung des ex- perimentellen Kopfnystagmus angenommen. Die Tatsache, daß nach Zerstörung beider Zentren auf einer Seite an Stelle des Kopfnystagmus eine Drehung des Kopfes zur operierten Seite auftritt, ließ an die Mög- lichkeit denken, daß ein separates Zentrum für die vestibular bedingte Drehung des Kopfes besteht, welches wahrscheinlich im Mittelhirn, das in den Experimenten der Gruppe I und II unverletzt blieb, loka- #7 288 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen lisiert ist. Diese Vermutung erwies sich als richtig, da jede Verletzung des Mittelhirns eine Drehung des Kopfes zur gesunden Seite verursacht. Wir müssen also im oben angeführten Schema noch ein Zentrum für die Drehung einzeichnen: ‚D“ (Schema 2). In der Gruppe III sind sämtliche drei Zentren auf einer Seite zer- stört. Nehmen wir an, daß die rechte Seite zerstört ist. Als unmittel- bare Folge ist eine Zwangsstellung, eine Drehung des Kopfes zur gesunden Seite, das ist nach links. Diese Kopfdrehung ist als Folge des Überwiegens des linksseitigen Zentrums für die Kopfdrehung W<—O y des linken ‚„D' aufzufassen. Als weitere Folge dieser Kopfdrehung ist das Fallen zur gesunden Seite aufzufassen. Die Reaktionsbewegung des Kopfes nach Drehung bei normaler Kopflage, also der horizontale Kopfnystagmus ist ‘gegen RE EN die gesunde, das ist gegen die linke Seite auf- gehoben, weil das Zentrum für die rasche Bewe- gung nach links (das rechte „KNy‘“) und das für die langsame Bewegung nach rechts (das rechte ‚„W“) zerstört ist. Es fehlt ebenfalls der Kopfnystagmus nach rechts, trotzdem die linksseitigen Zentren unbeschädigt sind. Diese Tatscahe ist durch das Überwiegen des zurückgebliebenen Zentrums für die Kopfdrehung auf der linken Seite zu erklären. Dieses Überwiegen des linken „D‘ ist so stark, daß die Kopfdrehung nach links durch Labyrinthreizung nicht verändert werden kann. Es ist anzunehmen, daß dieser Zustand im Zentrum ,„D“ eine Hemmung des gleichseitigen Zentrums „W“ verursacht, welch letzteres für die Entstehung des Kopfnystagmus, und zwar für die Auslösung der raschen Komponente, in diesem Falle nach rechts, unentbehrlich ist. Diese Erklärung des Ausfalles des Kopf- nystagmus zur operierten Seite, obwohl die linksseitigen Zentren un- beschädigt sind, erklärt uns auch das gegenseitige Verhältnis der Zentren „W“ und ‚„D' zueinander. Das Zentrum ‚„D“ wirkt hemmend auf das Zentrum „W‘“ derselben Seite so, daß zur ungestörten Funktion des Zentrums „W“ eine Herabsetzung des Tonus des Zentrums ‚„D“ not- wendig ist. In diesen Fällen, wo der Tonus des ‚„D‘ Zentrums durch Labyrinthreizung herabgesetzt werden kann, kann auch eine Wendung des Kopfes zur selben Seite auftreten in unserem Beispiele nach links, wodurch das Zentrum für die rasche Kopfbewegung nach rechts (das linke „KNy‘‘) gereizt und der Kopfnystagmus nach rechts ausgelöst wird, wie das bei Kaninchen Nr. 15 der Fall ist, wo der Kopfnystagmus zur operierten Seite auslösbar ist. Das Fehlen der Manegebewegungen ist eine unmittelbare Folge der pathologischen Kopfstellung und der Störungen in den Reaktions- D Schema 2. über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 289 bewegungen des Kopfes. In diesen Fällen, in welchen die pathologische Kopfstellung durch die Labyrinthreizung nicht beeinflußbar ist, dort wird auch das spontane Fallen zur gesunden Seite nicht verändert; läßt sich dagegen die Kopfstellung durch Labyrinthreizung verändern, so ist auch das spontane Fallen beeinflußbar. Dasselbe bezieht sich auch auf die Fallreaktionen. Wie in der Gruppe II war auch hier unser Bestreben, eine isolierte Läsion des Zentrums „D“ zu erzielen, als Beispiel sei nachstehender Versuch angeführt. Kaninchen Nr. 45. 14. VI. 1920. Stich auf der rechten Seite des Mittelhirns ohne Schädigung der Groß- hirnhemisphären. Unmittelbar nach der Operation Neigung des Körpers auf die linke Seite, der Kopf ist etwas nach links gedreht. Von Zeit zu Zeit Manegebewegungen nach links in großen Kreisen, bis endlich das Tier auf die linke Körperseite fällt. Parese der linksseitigen Extremitäten deutlicher an der linken hinteren, als vorderen Extremität. Zu Bewegungen gereizt, tritt Flankengang nach links auf. Sich selbst überlassen, liegt das Tier auf der linken Körperseite; kein Wälzen. Kein spontaner Augennystagmus, die Stellung der Augen normal, kein Nystagmus nach Kopf- bewegungen. Wird das Tier in Bauchlage gebracht, so ist der Kopf nach links gedreht und nach unten gerichtet. Prüfung am Drehstuhl: a) 10 mal rechts: Der nach unten gerichtete Kopf wird bis zur Mittellinie ge- wendet, wobei Kopfnystagmus nach links angedeutet ist. 10 mal links: Die Drehung des Kopfes nach links wird verstärkt; kein Kopf- nystagmus. Bei wiederholten Prüfungen tritt der Kopfnystagmus nach links immer deut- licher auf und wird besonders im Momente, als der Kopf die Mittellinie erreicht, kräftig. Der Kopfnystagmus nach rechts ist nicht auslösbar. b) 10 mal rechts: Drehung des Kopfes nach links, das Tier wälzt sich nach links. 10 mal links: Drehung des Kopfes nach rechts, schwaches Fallen oder Manege- bewegungen nach links. c) 10 mal rechts: Die Reaktion nach vorne deutlich. 10 mal links: Nur die Dorsaldrehung des Kopfes ist angedeutet, sonst keine Reaktionsbewegune. Histologischer Befund: Stich durch den hinteren Vierhügel auf der rechten Seite. In der Haube Blutung, welche die lateralen und ventralen Teile ein- nimmt; die Decussatio bracc. conj. dors. ebenfalls durchblutet. Die Blutung erschörft sich in der Gegend der vorderen Vierhügeln. Wir haben demnach in diesem Versuche nachstehende Störungen der Reaktionsbewegungen: 1. Spontane Drehung des Kopfes nach links und Wendung desselben nach unten. 2. Spontane Manegebewegungen nach links bzw. Flankengang nach links. 3. Fehlen der Reaktionsbewegung des Kopfes, des Kopfnystagmus nach rechts, es tritt nur eine Wendung des Kopfes nach links und nach 290 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen unten auf. Der Kopfnystagmus nach links ist erhalten, dabei wird der Kopf bis zur Mittellinie gewendet. 4. Die Fallreaktion nach links ist kräftig, die nach rechts sehr schwach. 5. Die Reaktion nach vorne ist erhalten, die nach rückwärts stark herabgesetzt. Die sub 3 erwähnten Störungen der Reaktionsbewegungen des Kopfes lassen sich durch den Ausfalldes rechten ‚D‘“-Zentrums und durch das Überwiegen des gleichnamigen, linksseitigen SS Zentrums erklären. So ist auf das Überwiegen KNy dieses Zentrums die spontane Drehung des Kopfes zur gesunden, das ist zur linken Seite zurück- <-0 < o->w zuführen (s. Schema 3). Der Ausfall des rechten ‚D“ IR hat außer dem Überwiegen des linken „D‘ auch > a. ein Überwiegen des rechten ‚„‚W‘“ über dem linken \ D N, zur Folge, welch letzteres auch durch das Schema 8, Übergewicht des linken ‚„D‘ in dem Maße ge- hemmt wird, daß die Wirkung des Zentrums für die langsame Bewegung nach links, also des linken ‚‚W‘ und in weiterer Folge auch die Wirkung des gleichseitigen „KNy° nicht zum Vorschein kommen kann, und daher das Fehlen des Kopfnystagmus nach rechts. Der Kopfnystagmus nach links ist erhalten, weil das rechte „W“ und das rechte „KNy“ erhalten sind. “ Die sub 4 erwähnten Störungen sind von der Kopfstellung abhängig, die Fallreaktion ist zur Seite der spontanen Drehung des Kopfes, also zur linken stärker als zur rechten. Wir haben bisnun die einseitigen Experimente der Gruppe II und III besprochen; eine ganze Reihe von Experimenten wurde beiderseitig ausgeführt. Es zeigte sich aber, daß absolut symmetrische, beider- seitige Läsionen ungemein schwer auszuführen sind; die geringste Asym- metrie beim Durchschneiden des Hirnstammes, oder eine nachfolgende Blutung auf einer Seite verursacht ungleichmäßige Reaktionsbewegun- gen, welche bei der Prüfung am Drehstuhl und bei genauer Analyse der einzelnen Komponenten der Reaktionsbewegungen zum Vorschein kommen. Derartige Versuche haben dann den Wert eines Experimentes mit einseitiger Läsion. Die Erscheinungen, die in solchen Fällen in den Vordergrund treten, hängen von dieser Seite ab, auf welcher die Läsion tiefer, distalwärts greift. Diese Versuche wurden, um Wiederholungen zu vermeiden, in der vorliegenden Arbeit nicht mit eingerechnet. Diese Versuche sprechen aber dafür, daß die von uns angewendete Analyse der einzelnen Komponenten der Reaktionsbewegungen von besonderer Bedeutung für die Lokalisation der in Rede stehenden Reaktionen ist, da auf diese Weise auch geringfügige Störungen nachgewiesen werden über den Einfluß. der Großhirnhemisphären usw. 291 können; weiters beweisen diese Versuche, daß einseitige Läsionen der betreffenden Hirnteile sich besser für die Lösung der uns interessieren- den Lokalisationsfrage eignen. Über einige gelungene Versuche beiderseitiger, symmetrischer Läsion des Zwischenhirns, welche nach den Symptomen und nach den anatomischen Befunden der Gruppe II zuzuzählen sind, sei hier zusammen- fassend berichtet. Es ist uns in diesen Versuchen gelungen, auf beiden Seiten die Zentren „KNy“ und „W° zusammen zu zerstören, was ein Fehlen des Kopfnystagmus zu beiden Seiten zur Folge hatte, und zwar fehlte sowohl die rasche, als auch die langsame Komponente des Kopf- nystagmus. Sowohl nach Rechts- wie auch nach Linksdrehung bei normaler Kopflage trat an Stelle des Kopfnystagmus eine Drehung des Kopfes auf. Im Zusammenhang mit dieser Störung der Reaktions- bewegung des Kopfes fehlte auch die Manegebewegung, während andere Reaktionsbewegungen, also die Fallreaktionen, die Reaktionen nach vorne und rückwärts erhalten waren. In diesen Fällen waren die Groß- hirnhemisphären mit den Thalami optici exstirpiert. In keinem Falle ist es uns gelungen die Großhirnhemisphären in der Gegend der Vierhügel symmetrisch zu entfernen. Es trat stets eine Asymmetrie in der Kopfstellung auf, was auf eine Asymmetrie der Läsion hinwies. Weder der Kopfnystagmus noch die Drehungen des Kopfes waren nach Drehung am Drehstuhl bei normaler Kopflage auslösbar. Die Fallreaktionen waren atypisch, die Reaktionen nach vorne und rückwärts erhalten. Magnus führt in seiner 1. Mitteilung über das Problem der Körper- stellung!) an, daß die Kopfdrehreaktion nach Decerebrierung sowohl vor den Thalami, vor den Vierhügeln, wie auch vor der Brücke bzw. vor der Medulla oblongata (Thalamustier, Vierhügeltier, Kleinhirn- Brückentier bzw. Kleinhirn-Oblongatatier, nach Magnus) erhalten sind, mit anderen Worten, daß während der Drehung der Kopf eine Bewegung in entgegengesetzter Richtung, nach dem Stehenbleiben in der Richtung der vorausgegangenen Drehung ausführt. Diese Kopfbewegung das ist die langsame Komponente des normalerweise auftretenden Kopfnystagmus. Bei Thalamuskaninchen beobachtete Magnus außer- dem häufig Kopfnystagmus während und nach der Drehung. Die Thalamuskaninchen entsprechen unseren Experimenten der Gruppe I, wo die Decerebrierung vor den Thalami oder samt den vordersten Ab- schnitten derselben erfolgte. Wie wir nachgewiesen haben, ist in diesen Fällen die rasche Komponente des Kopinystagmus erhalten oder erloschen, was davon abhängt, ob die vordersten Teile der Thalami lädiert sind oder nicht. So ist es zu verstehen, daß in den Experimenten von Magnus der Kopfnystagmus bei Thalamuskaninchen häufig auslösbar war. 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., 163. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 20 292 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen Bei Vierhügeltieren war in den Experimenten von Magnus während und nach der Drehung eine Kopfreaktion auslösbar. Diese Versuche entsprechen unserer Gruppe II, in welcher wir an Stelle des Kopfnystag- mus eine Drehung des Kopfes festgestellt haben, und zwar eine Drehung in der Richtung der langsamen Komponente des zu erwartenden Kopf- nystagmus. Abweichend von unseren Befunden ist die Beobachtung von Magnus, daß bei Vierhügeltieren in 2 Fällen Kopfdrehnystagmus in einem Falle Kopfdrehnachnystagmus, bei einem Kleinhirnbrücken- tier bzw. Kleinhirnoblongatatier Kopfdrehnachnystagmus festgestellt wurde. Die vereinzelten Beobachtungen gehören jedoch, wie aus den Angaben von Magnus ergeht, zu den Ausnahmen; wenn wir nämlich von den 50 gelungenen Versuchen von Magnus die 29 Versuche mit Entfernung des Großhirns vor den Thalami abstrahieren, bei welchen das häufige Vorkommen des experimentellen Kopfnystagmus auf Grund unserer Versuche der Gruppe I verständlich ist, und was mit unseren Befunden übereinstimmt, so hat Magnus auf 21 gelungene Versuche bloß 2mal Kopfnystagmus nach erfolster Drehung (Kopfdreh- nachnystagmus) beobachtet. Es mußten hier besondere, nicht näher zu erklärende Bedingungen eingetreten sein, welche das ausnahms- weise Auftreten des Kopfnystagmus in den erwähnten Fällen ermög- lichten, so daß auch auf Grund dieser Versuche als Regel das Fehlen des Kopfnystagmus anzunehmen ist, was sich mit unseren Resultaten deckt. Übereinstimmend mit unseren Befunden hat Magnus hei Klein- hirnbrückentieren bzw. Kleinhirnoblongatatieren in der Regel keine Kopfreaktion nach erfolgter Drehung beobachtet, dagegen beobachtete Magnus regelmäßig, daß die Kopfreaktion, und zwar Rechts- und Links- wenden des Kopfes während der Drehung bei horizontaler Kopf- lage und Ventral- bzw. Dorsalbeugung während der Drehung bei Seitenlage des Kopfes erhalten ist. Diese Reaktionen traten also nur während der Drehung auf, nach dem Stehenbleiben wurde eine Realkt- tion des Kopfes, Kopfdrehnachreaktion bloß in 2 Fällen beobachtet. Bei der von Barany, Reich und mir angegebenen Methode der Tieruntersuchung und bei dem von mir stets praktizierten Untersu- chungsverfahren wird hauptsächlich auf diese Reaktionen Wert gelegt, welche nach erfolgter Drehung auftreten, da, wie oben bemerkt wurde, der Kopf während der Drehung fixiert wird. Ich habe zwar bei den, dieser Arbeit zugrunde liegenden Versuchen sehr häufig Drehungen des Tieres auch bei freigelassenem Kopfe vorgenommen, jedoch waren für die Schlußfolgerungen die Reaktionen nach erfolgter Drehung maß- gebend. Es stimmen also auch in dieser Beziehung unsere Befunde mit den Magnusschen Angaben überein, daß nach Decerebrierung hinter den Vierhügeln keine Kopfreaktion nach erfolgter Drehung auftritt, über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 293 mit Ausnahme der Ventral- und Dorsalbeugung nach Drehung bei Seitenlage des Tieres, welche Reaktionen nach den hier vorliegenden Versuchen, wie auch nach den mit Barany und Reich gemeinsamen Experimenten auch nach Decerebrierung hinter den Vierhügeln erhalten sind. Die von Magnus gemachte interessante Beobachtung, daß beim Kleinhirnbrückentier bzw. Kleinhirnoblongatatier während der Dreh- ung eine Kopfwendung auslösbar ist, dagegen der Kopfdrehnystagmus, die Kopfdrehnachreaktion, wie auch der Kopfdrehnachnystagmus (mit anderen Worten sowohl die langsame wie auch die rasche Kompo- nente des Kopfnystagmus) fehlt, legt den Gedanken nahe, daß die unter physiologischen Verhältnissen während der Drehung entstehende Kopfdrehreaktion (die langsame Komponente des Kopfnystagmus während der Drehung) von der Medulla oblongata ausgelöst wird, daß dagegen die nach der Drehung beobachtete Drehnachreaktion (also die langsame und die rasche Komponente des Kopfnystagmus nach erfolgter Drehung) und der Kopfdrehnystagmus (die rasche Kom- ponente des Kopfnystagmus während der Drehung) von den, im Hirn- stamm gelegenen Zentren im Sinne unserer Ausführungen ausgelöst werden. Ich habe mich beim Vergleich unserer Befunde mit den von Magnus länger aufgehalten, um nachzuweisen, daß keine prinzipiellen Differenzen vorliegen. Ich muß bemerken. daß zur Zeit der Ausführung meiner Versuche, infolge des Krieges und Unterbrechung des. Verkehrs mit dem Auslande, die Arbeit von Magnus mir noch nicht bekannt war, und daher konnte der letztbesprochene Gesichtspunkt während der Experimente nicht berücksichtigt werden, so daß diese Frage noch einer gründlicheren Bearbeitung bedarf. Zusammenfassung. Aus der unzweifelhaft erwiesenen Tatsache, daß durch Entfernung des Corpus striatum bis inkl. die vordersten Teile des Thalamus opticus ein Ausfall der raschen Komponente des Kopf- nystagmus zur gesunden Seite verursacht wird, geht hervor, daß die Annahme eines im vorder- Od Ay sten Teile des Thalamus opticus lokalisierten Zentrums für die rasche Komponente des vesti- y<=__o o—>W bular erzeugten Kopfnystagmus gerechtfertigt ist. Die Wirkung dieser Zentren ist eine gekreuzte, N d.h. daß das linke Zentrum die rasche Kopf- 5 I \ bewegung nach rechts, das rechte die nach links bewirkt. Wir haben in dem oben angeführten Schema dieses Zentrum durch ‚„KNy“ bezeich- net (Schema 4). Die Zerstörung z.B. des rechten „KNy‘“ hat den Ausfall der raschen Komponente des Kopfnystagmus nach links 20* Schema 4. Das rechte „KNy“ ist zerstört. 294 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen zur Folge; durch Reizung der Labyrinthe wird in diesem Falle an Stelle des Kopfnystagmus nach links nur eine langsame Kopf- bewegung nach rechts ausgelöst. Daraus ist weiter der Schluß zu ziehen, daß separate Zentren für die langsame Kopfbewegung nach rechts und links bestehen müssen, deren Wirkung sich derart ge- staltet, daß das rechtsseitige Zentrum eine langsame Wendung des Kopfes nach rechts, das linksseitige eine langsame Wendung nach links während des Kopfnystagmus bewirkt. Diese Zentren wurden im Schema durch ,„W‘‘ bezeichnet. Die Annahme dieser Zentren ist durch die in der zweiten Gruppe bewiesene Tatsache gerechtfertigt, wo infolge der Operation eine Wendung des Kopfes zur gesunden Seite auftritt, welche als Folge des Überwiegens des zurückgebliebenen kontralateralen „„W“-Zentrums aufzufassen ist. Für das Bestehen dieser Zentren spricht auch diese Tatsache, daß in der Gruppe II, nach Drehung am Dreh- stuhl bei normaler Kopflage keine Wendung des Kopfes mehr auftritt (wie das in der Gruppe I der Fall war), sondern eine Drehung des Kopfes um die Längsachse (Hinterhaupt-Schnauze), so daß in dieser Gruppe sowohl die rasche wie auch die langsame Komponente auf- gehoben ist. Diese soeben angeführte Tatsache, daß wir die langsame Wendung des Kopfes durch entsprechende Läsion aufheben können, die vestibular bedingte Drehung des Kopfes dagegen erhalten bleibt und durch entsprechende Labyrinthreizung auslösbar ist, spricht dafür, daß auch ein isoliertes Zentrum für die vestibulare Kopfdrehung be- stehen muß (,,D“). Die Wirkung dieser Zentren für die Kopfdrehung ist eine derartige, daß das rechte ‚„D“-Zentrum den Kopf um die Längs- achse nach rechts, das linke nach links dreht. Die Annahme dieser letzteren Zentren hat ihre Begründung in den Versuchen der Gruppe III, wo durch Verletzungen des Mittelhirns stets eine spontane Drehung des Kopfes zur gesunden Seite hervorgerufen wird. Da in der Gruppe II der Versuche die Großhirnhemisphäre samt dem Thalamus opticus, in der Gruppe III samt den Vierhügeln entfernt wurde, so ist anzu- nehmen, daß das ‚„W“-Zentrum in den hinteren Teilen des Thalamus opticus, das ‚„D“-Zentrum im Mittelhirn lokalisiert ist. Für das Bestehen dieser Zentren spricht auch weiter die genaue Beobachtung des hori- zontalen Kopfnystagmus beim normalen Kaninchen. Die Kopfbewe- gung bei diesem Kopfnystagmus ist keine absolut horizontale, weil die lange Kopfachse nicht in der Horizontalebene liegt, sondern mit derselben einen Winkel von ca. 45° einschließt; daher sind auch die Bewegungen von rechts nach links und umgekehrt als Resultat zweier Komponenten anzusehen, einer Bewegung um die Längsachse und um die Vertikalachse, so daß die nystaktische Kopfbewegung aus einer gleichzeitigen Wendung und Drehung des Kopfes besteht. So ist bei der Wendung des Kopfes nach links gleichzeitig eine, wenn auch geringe über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 295 Drehung des Kopfes nach rechts zu sehen, woraus zu schließen ist, daß durch entsprechende Labyrinthreizung, z. B. 10 mal r. bei normaler Kopflage gleichzeitig das rechte „W“-Zentrum und das linke ‚„D“-Zen- trum gereizt wird, daß also das rechte ‚„W“-Zentrum und das linke ‚‚D“- Zentrum eine konjugierte Wirkung haben. Diese gleichzeitige Wirkung der beiden Zentren kann die Folge eines und desselben Impulses sein, oder sie kann auch auf die Weise zustande kommen, daß durch Reizung des rechten ‚‚W“-Zentrums das rechte ‚„D°-Zentrum gehemmt wird und dadurch die Wirkung des linken ‚„D“-Zentrums zum Vorschein kommt. Wird ein normales Tier bei dorsal gehobenem Kopfe am Drehstuhl gedreht, so wird vor allem das ‚D“-Zentrum gereizt, es erfolgt eine Dre- hung des Kopfes, wobei jedoch eine Wendung zur entgegengesetzten Seite angedeutet ist; hier erfolgt eine Hemmung des ‚„W°-Zentrums auf der Seite, auf welcher das ‚„D°-Zentrum gereizt wird, und es über- wiegt das kontralaterale ‚W°‘-Zentrum. Versuchen wir nun an der Hand dieses Schemas die Störungen in den Reaktionsbewegungen bei unseren Experimenten zu erklären. Die Erscheinungen der Gruppe I sind bereits oben genügend erklärt worden. In der Gruppe II tritt nach der Operation eine Wendung des Kopfes zur gesunden Seite auf; nach Labyrinthreizung durch Drehen bei normaler Kopflage fehlt der Kopfnystagmus zur gesunden und die langsame Bewegung zur operierten Seite, dagegen ist die Drehung zur operierten erhalten. Der Kopfnystagmus zur operierten Seite ist nor- mal auslösbar. Wir haben in diesen Fällen mit dem Ausfall der Zentren „KNy“ und „W“ auf einer Seite zu tun, z. B. auf der rechten. Der Ausfall des rechtsseitigen ‚„W‘‘ erklärt uns die spontane Wendung des Kopfes nach links, welche nach der Operation auftritt und als Folge des Überwiegens des linksseitigen ‚„‚W‘“-Zentrums aufzufassen ist (s. Schema 5). Nach Labyrinth- reizung durch Drehung fehlt die langsame Wen- yo arm dung des Kopfes nach rechts, also die langsame Komponente des Kopfnystagmus nach links. w<—0 W Das Fehlen der raschen Kopfbewegung nach links ist durch den Ausfall des Zentrums für diese a nn D D 7 Bewegung, des rechten „KNy“ bedingt; auf der rechten Seite ist nur das ‚„D“-Zentrum tätig, so Schemasi dab an Stelle des Kopfnystagmus nach links, eine Drehung des Kopfes nach rechts auftritt. Der Kopfnystagmus nach rechts ist erhalten, weil die linksseitigen Zentren „KNy‘ und ‚„W‘“ erhalten sind. Wir kommen nun zur Gruppe III unserer Versuche, wo samt dem Thalamus opticus auch teilweise das Mittelhirn zerstört wurde. Als konstantes Symptom tritt eine Drehung des Kopfes zur gesunden Seite auf, welche die Folge der Zerstörung des ‚D‘- Zentrums 296 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen ist. Außerdem wurde in diesen Versuchen ein Ausfall des hori- zontalen Kopfnystagmus zu beiden Seiten festgestellt, trotzdem nur eine Seite des Zwischen- bzw. Mittelhirns zerstört wurde. Nehmen wir an, daß die Zerstörung die rechte Seite betrifft (Schema 6). Der Ausfall des rechten ‚‚D°-Zentrums bewirkt eine spontane Drehung des Kopfes zur linken Seite, weil das linke ‚„„D“-Zentrum überwiegt, was anderseits eine Hemmung des linken ‚„W°“-Zentrums zur Folge hat; das linke ‚,‚W“-Zentrum verliert infolge des Ausfalles des rechten ‚„D“-Zentrums die Im- pulse, welche ihm normalerweise infolge der kon- jungierten Wirkung mit dem kontralateralen ‚D“- Zentrum zufließen. Infolge der Hemmung des „W‘“-Zentrums fehlt die langsame Bewegung des Kopfes nach links, also die langsame Komponente des Kopfnystag- mus nach rechts, was, wie bereits oben ausgeführt wurde, für die Wirkung des Zentrums für die rasche Komponente auf derselben Seite, in unserem Beispiel des linken „KNy‘“, unentbehrlich ist. So ist es zu erklären, daß in dieser Gruppe der Kopfnystagmus zur operierten Seite, sowohl die rasche wie auch die langsame Komponente, fehlt, trotzdem die Zentren auf der gesunden Seite unbeschädigt sind. Dafür, daß hier das linke „W‘-Zentrum durch das Überwiegen des linken ‚D“-Zentrums gehemmt ist, spricht die, in der Gruppe III festgestellte Tatsache, daß die spontane Kopfdrehung zur gesunden Seite durch keine Labyrinth- reizung zu ändern ist. Der Kopfnystagmus nach rechts könnte also nur in diesem Falle auftreten, wenn das linksseitige ‚‚D‘-Zentrum durch Labyrinthreizung beeinflußt werden könnte, wodurch die Hemmung des gleichseitigen „W“-Zentrums eine geringere wäre und der Kopf infolgedessen nach links gewendet werden könnte; dies würde die Wir- kung des linken „KNy“ auslösen. Wird der Kopf, welcher spontan zur gesunden Seite gedreht ist, infolge der Labyrinthreizung zur Mittel- linie gewendet, so kann ein Kopfnystagmus zur operierten Seite auf- treten, wie das im Versuch bei Kaninchen Nr. 15 der Fall ist. Der Kopfnystagmus zur gesunden Seite, zur linken, in der Gruppe III fehlt vollkommen, weil die Zentren auf der operierten (auf der rechten Seite) zerstört sind. Wir haben bisher diese Experimente besprochen, in welchen gleich- zeitig mit dem Zentrum für die rasche Komponente des Kopfnystagmus das Zentrum für die langsame Bewegung oder auch das Zentrum für die Drehung des Kopfes zerstört wurde. Wir kommen nun zu diesen Versuchen, wo einzelne dieser Zentren Ausfälle zeigen. Bezüglich des „KNy‘“ wurde ausführlich in der Gruppe I nachgewiesen, daß mit Zer- störung derselben ein Fehlen der raschen Kopfbewegung verbunden Schema 6. über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 297 ist. Wird ein ‚„W-Zentrum auf einer Seite lädiert, so daß das kontra- laterale Zentrum überwiegt, z. B. das linke überwiegt über dem rechten (Schema 7), so tritt eine spontane Wendung des Kopfes oder evtl. Manegebewegungen nach >. links auf. Der Kopfnystagmus ist zu beiden Kny Kny Seiten auslösbar, jedoch ist der zur rechten Seite kräftiger als der zur linken, weil die lang- w<-o om same Komponente, die von dem linksseitigen „W‘“-Zentrum abhängige langsame Wendung nach links, während des Kopfnystagmus nach Ka n rechts, kräftiger ist als die Wendung nach Schema 7. rechts während des Kopfnystagmus nach links; wir haben bereits oben nachgewiesen, daß dieser Kopfnystagmus kr äftige T: ist, dessen langsame Komponente stärker ist (Kaninchen Nr. 40). Nehmen wir nun an, daß das rechte ‚,‚W°'-Zentrum vollkommen zer- stört ist (Schema 8); der Kopfnystagmus nach rechts, also zur ope- rierten ist erhalten, der nach links fehlt, weil die langsame Komponente nach rechts nicht auslösbar ist. Als Beispiel sei auf das Kaninchen Any Any Nr. 41 hingewiesen, bei welchem der Kopf- nystagmus zur gesunden Seite fehlt, und zwar W<=-o BA>w sowohl die rasche wie auch die langsame Kom- ponente, der Kopfnystagmus zur operierten Seite erhalten ist. Dieser Versuch spricht dafür, daß eh nn für die Wirkung des Zentrums für die rasche Komponente, die Wirkung des gleichseitigen Zen- trums für die langsame Bewegung unentbehrlich ist, so daß, falls das rechte ‚„W“-Zentrumfehlt, die Wirkungdes rechten „KNy“nichtzum Vor- schein kommen kann und daher der Kopfnystagmus nach links fehlen,muß. Wir können uns nun eine isolierte Zerstörung des ‚„D“-Zentrums z. B. des rechten vorstellen (Schema 9). Es überwiegt dann das linke „D“-Zentrum, wodurcn das linke ,„W°-Zentrum gehemmt wird, so daß die Wirkung des linken a „KNy“ nicht zum Vorschein kommen kann und Any KNy der Kopfnystagmus zur rechten fehlt. Infolge der Hemmung des linken ‚„W“ überwiegt das <= 0 «K o->w rechte ‚„W“, der Kopfnystagmus nach links Schema 8. ist kräftig (Kaninchen Nr. 45). >» A Aus den obigen Ausführungen ergibt sich os S die wichtige Tatsache, daß die langsame Kom- Schema! ponente des Kopfnystagmus für die Entstehung der Reaktionsbewegung des Kopfes maßgebend ist und daß diese Be- wegung die primäre ist, wie es beim Augennystagmus der Fall ist. 298 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen Wir haben nämlich festgestellt, daß dort, wo die langsame Komponente fehlt, der Kopfnystagmus nicht zustande kommt, obwohl das Zentrum für die rasche Kopfbewegung unbeschädigt ist. Dies könnte gegen das Bestehen eines Zentrums für die rasche Komponente des Kopfnystagmus sprechen, und man könnte annehmen, daß der Kopfnystagmus lediglich durch die beiden ‚„W‘-Zentren bewirkt wird, daß z. B. die langsame Wendung des Kopfes nach rechts einen Impuls für das linksseitige „W“-Zentrum darstellt, so daß der Kopf rasch nach links gewendet wird, und daß diese Bewegung wieder das rechtsseitige Zentrum reizt. Gegen eine derartige Annahme spricht die Tatsache, daß wir einen iso- lierten Ausfall der raschen Komponente des Kopfnystagmus hervor- zurufen imstande sind, ohne dadurch die langsamen Wendungen des Kopfes zu schädigen (Gruppe I). Das Zentrum für die rasche Kopf- bewegung reguliert die Wirkungen beider ‚„W“-Zentren und hat die Auf- gabe, die durch Labyrinthreizung bewirkte pathologische Kopfstellung zu korrigieren. Die rasche Komponente des Kopfnystagmus hebt die langsame Komponente auf, was für die Erhaltung des durch die La- byrinthreizung gestörten Gleichgewichtes des Körpers von besonderer Bedeutung ist. Wir gelangen nun zu den weiteren Schlüssen, welche uns die Analyse der Reaktionsbewegungen des Körpers und der Extremitäten auf Grund unserer Versuche gestatten. Die Reaktionsbewegung des Körpers ist, wie das bereits oben nachgewiesen wurde, von der Reaktionsbewegung des Kopfes absolut abhängig. Aus den vorliegenden Versuchen ergibt sich, daß falls die Reaktionsbewegung des Kopfes nach Drehung bei normaler Kopflage fehlt oder abnorm verläuft die Manegebewegungen ebenfalls fehlen. Wir haben fast in allen derartigen Versuchen an Stelle der Manegebewegungen ein Fallen zur gesunden Seite festgestellt; der Kopfnystagmus fehlte in diesen Fällen ebenfalls zur gesunden Seite. Fehlt z. B. der Kopfnystagmus nach links, so tritt an Stelle der Manege- bewegungen nach rechts ein Fallen nach links auf, so daß anzunehmen ist, daß die Labyrinthreizung durch Drehen bei normaler Kopflage eigentlich ein Fallen in entgegengesetzter Richtung als die voraus- gegangene Drehung verursacht; (in unserem Beispiel fehlt der Kopf- nystagmus nach links; nach 10 malr. tritt anstatt der Manegebewegungen nach rechts ein Fallen nach links auf). Das spricht dafür, daß normaler- weise dieses Fallen nach links durch die raschen nystaktischen Kopf- bewegungen nach links und die darauffolgenden Wendungen des Körpers nach rechts aufgehoben wird. Fehlt aber der Kopfnystagmus, so be- wirkt eine Labyrinthreizung bei normaler Kopflage ein Fallen, und zwar nach 10 mal r. ein Fallen nach links, nach 10 mal l. ein Fallen nach rechts, also eine Reaktion, wie sie bei normalem Kaninchen nach Drehung bei dorsal gehobenem Kopfe auftritt. So ist also der Kopf- über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 299 nystagmus als wichtiger Faktor für die Erhaltung des Körpergleichgewichts, welches durch Labyrinthreizung ge- stört ist, anzusehen. Aus den obigen Ausführungen geht weiter hervor, daß die Manege- bewegungen ein modifiziertes Fallen darstellen, eine Bewegung, welche zur Aufhebung des Fallens dient. Für dieses Verhältnis der Manege- bewegungen zum Fallen spricht der Vergleich einzelner Gruppen unserer Versuche miteinander; so haben wir in der ersten Gruppe einen Ausfall des Kopfnystagmus zur gesunden und ein Fallen zur gesunden, an Stelle der Manegebewegungen zur operierten; in der Gruppe II treten außer diesen Erscheinungen auch spontane Manegebewegungen zur gesunden Seite auf, in der dritten Gruppe tritt spontanes Fallen zur gesunden Seite in den Vordergrund. Während also in der I. und II. Gruppe das Fallen zur gesunden Seite erst durch Labyrinthreizung bei normaler Kopflage nachgewiesen wird, tritt es in der Gruppe III spontan auf. Nachdem wir angenommen haben, daß die Manegebewegungen als abgeschwächtes Fallen aufzufassen sind, so wäre es zu erwarten, daß in diesen Fällen, wo spontane Manegebewegungen zu einer Seite bestehen, die Fallreaktion zu dieser Seite stärker sein wird als zur anderen. Das ist aber nicht der Fall. Sowohl in der Gruppe I und besonders in der Gruppe II, wo spontane Manegebewegungen häufig auftreten, sind die Fallreaktionen zu beiden Seiten erhalten; erst in der Gruppe III, in welcher infolge der Operation und infolge der Schädigung des von uns angenommenen ‚„D“-Zentrums eine Drehung des Kopfes entsteht, sind auch Störungen der Fallreaktionen festzustellen. Dies spricht dafür, daß die Fallreaktionen mit der Reaktionsbewegung des Kopfes nach Drehung bei normaler Kopflage, also mit dem experimentellen Kopf- nystagmus in keinem Zusammenhange stehen, und daß sie mit dem Zentrum für die Kopfdrehung zusammenhängen. Auf Grund dieser Annahme haben wir während der Beobachtung der Fallreaktionen be- sonders auf die Reaktionsbewegung des Kopfes geachtet. Es wurde öfters festgestellt, daß nach Drehung bei dorsal gehobenem Kopfe die Drehung zu einer Seite stärker war als zur anderen oder zu einer Seite fehlte. So konnten wir im Versuch 41 feststellen, daß neben einer Dif- ferenz in der Intensität des Kopfnystagmus auch eine solche in der In- tensität der Kopfdrehungen während der Auslösung der Fallreaktionen bestand, und zwar war die Drehung nach rechts stärker als die nach links und im Zusammenhang mit dieser Kopfreaktion war auch das Fallen zur rechten Seite stärker als zur linken. Es folgt daraus, daß in diesen Versuche auch das ‚D‘-Zentrum mit lädiert war. Für die Ab- hängigkeit der Fallreaktion vom ‚D“-Zentrum sprechen besonders die Versuche, in welchen das ‚D“-Zentrum isoliert auf einer Seite geschädigt wurde (Versuch 45). 300 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen Die angeführten Befunde sprechen für die Richtigkeit unserer An- nahme betreffend das Bestehen eines separaten Zentrums für die vesti- bulare Drehung des Kopfes und bestätigen die Richtigkeit der Theorie über die Abhängiskeit der Reaktionsbewegung des Körpers von der des Kopfes. Es bleibt nun zur Besprechung der Einfluß unserer experimentellen Läsionen auf die Reaktionsbewegungen nach vorne und rückwärts, welche normalerweise nach Drehung bei Seitenlage des Tieres auftreten. Wenn die Reaktionsbewegungen des Körpers unmittelbar von der Kopf- reaktion abhängen und wir für den experimentellen Kopfnystagmus, wie auch für die experimentelle Drehung des Kopfes spezielle Zentren angenommen haben, so sollte man erwarten, daß auch für die Ventral- beugung bzw. Dorsaldrehung des Kopfes Zentren existieren, welche für die Auslösung der Reaktion nach vorne und rückwärts maßgebend sind. In unseren Versuchen haben wir zwar in vereinzelten Fällen Veränderungen der Kopfstellung beobachtet, und zwar Wendung des Kopfes nach unten bei gleichzeitiger Drehung des Kopfes um seine Längsachse, jedoch waren dabei die Reaktionen nach vorne und rück- wärts erhalten. In keiner hier angeführten Gruppe unserer Experimente konnten wir konstante Ausfälle der in Rede stehenden Reaktionen feststellen. Eine ursprüngliche Vermutung, daß diese Reaktionsbewegun- gen durch symmetrische, gleichzeitige Wirkung der „W- und „D“-Zen- tren auf beiden Seiten zustande kommen — (bei horizontaler Kopilage wird vorwiegend das „W“-Zentrum, bei dorsal gehobenem Kopfe das ‚„„D"-Zentrum gereizt, und bei Seitenlage des Kopfes wäre anzunehmen, daß gleichzeitig beide Zentren gereizt werden) — findet keine Begründung in unseren Experimenten, da auch nach beiderseitiger Entfernung der Großhirnhemisphären samt dem Mittelhirn keine Störungen dieser Reaktionsbewegungen auftreten. Die Versuche von Barany, Reich und mir zeigten, daß nicht nur nach Decerebrierung, aber auch nach nachträglicher Entfernung des Kleinhirns die Reaktion nach vorn und rückwärts auslösbar war, woraus wir geschlossen haben, daß sie wahr- scheinlich in der Medulla oblongata ausgelöst werden. Auch die vor- liegenden Versuche weisen darauf hin; da — wie meine Versuche nachgewiesen haben — einseitige Läsionen im Deiterskerngebiet keine Störungen verursachen, müßte man durch symmetrische Läsionen in der Medulla oblongata diese Frage zu lösen suchen. Es muß jedoch bemerkt werden, daß Läsionen im Mittel- und Zwischenhirn nicht ohne Einfluß auf die Reaktion nach vorn und rückwärts bleiben; so konnten wir in der Gruppe I und II feststellen, daß fast konstant bei diesen Reaktionen eine Wendung des Körpers zur gesunden Seite auftritt und in der Gruppe III die Reaktionen oft mit einem gleichzeitigen Wälzen des Körpers um die Längsachse ablaufen. Es ist nicht ausgeschlossen, über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 301 daß die von uns im Mittel- und Zwischenhirn angenommenen Zentren die Aufgabe haben die Bewegungen während der Reaktion nach vorne und rückwärts zu regulieren, während die Reaktion selbst von der Me- dulla oblongata aus ausgelöst wird. Wenn wir die Folgen der experimentellen Läsionen des Mittel- und Zwischenhirns mit den der experimentellen Läsionen des verlängerten Markes oder des Labyrinthes vergleichen, so zeigt sich, daß die Erschei- nungen dieselben sind, nur die Richtung der zu beobachtenden Störungen eine entgegengesetzte ist. In meinen Versuchen über den Einfluß ex- perimenteller Läsionen der Medulla oblongata auf die vestibularen Reaktionsbewegungen!) habe ich drei größere Gruppen von Symptomen- komplexen zusammengestellt, entsprechend dem Sitz und Ausbreitung der Läsion. In der dort bezeichneten Gruppe A sind folgende Symptome aufgezählt: Drehung des Kopfes zur operierten Seite, spontane Manegebewegungen zur operierten, Fehlen der experimentellen Manegebewegungen zur operierten, Fehlen der Fallreaktion zur ge- sunden. In der Gruppe B: Drehung des Kopfes zur operierten, Fehlen der experimentellen Manegebewegungen zu beiden Seiten (das Tier wälzte sich zur operierten, Fehlen der Fallreaktion zur ge- sunden). In der Gruppe ©: Wendung des Kopfes zur operierten, die experimentellen Manegebewegungen sind schwächer zur ope- rierten, die Fallreaktion ist zur operierten stärker. Der Unter- schied zwischen diesen 3 Gruppen ist nur ein quantitativer, denn für alle ist die pathologische Kopfstellung zur operierten, Fehlen bzw. Herabsetzung der experimentellen Manegebewegungen zur ope- rierten (in der Gruppe B zu beiden Seiten), Fehlen bzw. Herabsetzung der Fallreaktion zur gesunden Seite, gemein. Wenn wir diese Symp- tomenkomplexe mit den in den vorliegenden Versuchen zusammen- stellen, so haben wir nur eine Differenz in der Richtung der spontanen Störungen bzw. der Störungen in den Reaktionsbewegungen; in unseren Versuchen ist die pathologische Kopfstellung und das spontane Fallen zur gesunden Seite gerichtet, die Fallreaktion ist zur gesunden Seite stärker. Das Fehlen der experimentellen Manegebewegungen zu beiden Seiten in der Gruppe B findet eine Analogie in der Gruppe III der vorliegenden Versuche, in welchen ebenfalls die experimentellen Manegebewegungen durch ein Fallen vertreten sind. Wenn wir nun die Symptomenkomplexe bei Läsionen der Medulla oblongata mit den Folgeerscheinungen einer Labyrinthläsion vergleichen, so decken sich dieselben in den Hauptzügen miteinander, so daß Läsionen des Labyrinthes analoge Erscheinungen wie die des Mittel- und Zwischen- hirns zur Folge haben, jedoch ist die Richtung derselben eine entgegen- gesetzte. Dec“ 302 J. Rothfeld: Experimentelle Untersuchungen Läsionen einzelner Bogengänge verursachen Symptomenkomplexe, welche solchen bei gewissen Läsionen der Medulla oblongata analog sind, bzw. gewissen Läsionen des Mittel- und Zwischenhirns gleichen, jedoch in der Richtung verschieden sind. Ähnlich wie zwischen den ein- zelnen Gruppen A, B und Ü der Läsionen der Medulla oblongata nur quantitative Unterschiede bestehen, so besteht auch zwischen den Folge- erscheinungen nach Läsion einzelner Bogengänge nur eine quanti- tative Differenz. So sehen wir die heftigsten Erscheinungen nach Zer- störung des vorderen vertikalen Bogenganges auftreten, Symptome, welche sich mit dem Symptomenkomplex der erwähnten Gruppe B decken, welch letzterem eine Läsion in der Medulla oblongata zwischen dem Glossopharyngeuskerne und dem Knie des Facialis zugrunde liegt. Vollkommen analoge Erscheinungen wie nach Zerstörung des vorderen vertikalen Bogenganges bzw. wie in der Gruppe B, finden wir in der Gruppe III unserer vorliegenden Experimente, jedoch ist die Richtung eine entgegengesetzte. Eine ähnliche Analogie läßt sich auch zwischen anderen Erscheinun- gen nach Läsion einzelner Bogengänge, nach Läsionen der Medulla oblongata und nach solchen des Mittel- und Zwischenhirns durchführen. ich habe hier nur einige Beispiele in allgemeinen Zügen angeführt; auf Einzelheiten kann nicht eingegangen werden, aus diesem Grunde, weil mir zur Zeit meiner Untersuchungen am Labyrinthe und an der Meduila oblongata der Wert einzelner Symptome nicht genügend be- kannt war, deren Bedeutung ich erst während der vorliegenden Arbeit kennen gelernt habe. So habe ich z. B. früher auf das Verhältnis des Kopfnystagmus zu den experimentellen Manegebewegungen oder auf das Verhältniß zwischen der raschen und langsamen Komponente des Kopfnystagmus und vieles andere nicht geachtet. Unzweifelhaft aber spricht schon die angeführte Analogie bezüglich der einzelnen Erscheinungen und die Differenz in der Richtung derselben für einen innigen Zusammenhang des Labyrinthes und Medulla oblongata einer- seits mit dem Mittel- und Zwischenhirn anderseits, und zwar muß die Verbindung zwischen denselben eine gekreuzte sein, so daß das linke Labyrinth und die linksseitigen Zentren in der Medulla oblongata mit den rechtsseitigen Zentren im Mittel- und Zwischenhirn in Verbindung stehen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß einzelnen Bogengängen Zell- gruppen im Deiterskernsgebiet entsprechen, und daß dieselben mit den kontralateralen Zentren im Hirnstamm zusammenhängen. Die gekreuzte Verbindung ist nach unseren bisherigen Kenntnissen durch das Kleinhirn und das gekreutze Bracchium conjunctivum mög- lich. Auf diese Weise wird auch der Einfluß des Kleinhirns auf die vestibularen Reaktionsbewegungen, welcher so oft in der Pathologie des Kleinhirns festgestellt wurde, verständlich. Es wird eine Aufgabe über den Einfluß der Großhirnhemisphären usw. 303 weiterer Untersuchungen sein, das Verhältnis zwischen dem Kleinhirn und den von uns angenommenen Zentren im Hirnstamm festzustellen. Es sei hier bemerkt, das nach den neueren Untersuchungen von Magnus das Kleinhirn keinen Einfluß auf die Labyrinthreflexe hat. Da ich vor- läufig über keine eigenen Experimente das Kleinhirn betreffend verfüge, sei mir eine Stellungnahme zu den neuen Anschauungen von Magnus für spätere Zeit vorbehalten. Schlußfolgerungen. 1. Die Großhirnhemisphären haben beim Kaninchen keinen Ein- fluß auf die vestibularen Reaktionsbewegungen. 2. Läsionen des Hirnstammes haben Störungen in den Reaktions- bewegungen zur Folge, wobei als primäre Störung die der Reaktions- bewegung des Kopfes anzusehen ist. a) Läsion des Corpus striatum und des vordersten Teiles des Thalamus opticus auf einer Seite bedingt einen Ausfall der raschen Komponente des Kopfnystagmus zur entgegengesetzten Seite. In dem vordersten Teil des Thalamus opticus bzw. im Corpus striatum befindet sich ein Zentrum für die rasche Komponente des Kopf- nystagmus. b) Läsion des hinteren Teiles des Thalamus opticus auf einer Seite hat den Ausfall der langsamen Komponente des Kopfnystagmus zur Folge, hier befindet sich ein Zentrum für die langsame Bewegung. c) Die rasche Komponente des Kopfnystagmus kann nur bei un- beschädistem Zentrum für die langsame Bewegung auftreten; der Aus- fall dieses Zentrums bewirkt demnach ein Fehlen des Kopfnystagmus zur entgegengesetzen Seite. d) Läsion des Mittelhirns auf einer Seite bewirkt eine Drehung des Kopfes zur gesunden und Fehlen des Kopfnystagmus zur operierten Seite, bzw. zu beiden Seiten. Im Mittelhirn befindet sich ein Zentrum für die experimentelle vestibulare Drehung des Kopfes, welches hemmend auf das homolaterale Zentrum für die langsame Bewegung des Kopf- nystagmus wirkt. 3. Im Zusammenhang mit der Reaktionsbewegung des Kopfes stehen auch die Störungen in der Reaktionsbewegung des Körpers und der Extremitäten: a) bei Störungen in der Reaktionsbewegung des Kopfes nach Dre- hung bei horizontaler Kopflage trittan Stelle der experimentellen Manegebewegungen ein Fallen auf; die Fallreaktion nach Drehung bei dorsal gehobenem Kopf ist erhalten, so daß die Fallreaktion vom Kopfnystagmus, also von den Zentren für den Kopfnystagmus: unab- hängis ist. 304 J. Roth£feld: Experimentelle Untersuchungen usw. b) Störungen in den Fallreaktionen treten bei Schädigung des „D'-Zentrums auf, so daß die Fallreaktionen von dem Zentrum für die experimentelle vestibulare Kopfdrehung abhängig sind. c) Die Reaktionen nach vorne und rückwärts sind bei Läsionen des Hirnstammes unverändert, es tritt nur eine gewisse Asymmetrie während des Rennens nach vorne und während des Sichüberschlagens nach rück- wärts auf, so daß dem Hirnstamm ein gewisser Einfluß auf den Ablauf der Reaktionen zuzuschreiben ist. 4. Die vorliegenden Versuche bestätigten die Annahme, daß die vestibulare Kopfreaktion für den Ablauf der ganzen vestibularen Re- aktionsbewegung maßgebend ist, und daß Störungen in den Reaktions- bewegungen des Kopfes, gleichgültig, aus welchem Grunde sie entstanden sind, Störungen bzw. Ausfälle der Reaktionsbewegungen zur Folge haben. Beiträge zur Physiologie der Leber. IV. Mitteilung. Das Verhalten der Leber bei Eiweißfütterung nach voraufgegangener Glykogenmast. Von P. Junkersdorf. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Bonn.) (Eingegangen am 2. September 1921.) Im Verlauf unserer Untersuchung: „Über die Muttersubstanzen des Glykogens’'!) machten wir die Beobachtung, daß eine auf eine voraufgegangene Glykogenmast folgende einseitige Eiweißzufuhr den Glykogenbestand der Versuchshunde wesentlich vermindert. Im folgenden wollen wir auf Grund der bisher ermittelten Kenntnisse über das Verhalten der Leber im Hunger und bei verschiedener Er- nährung?) und unter Berücksichtigung neuerer diesbezüglicher Versuchs- ergebnisse anderer Autoren dieses zuerst von uns beobachtete eigen- tümliche Verhalten der Leber des näheren zu analysieren versuchen. Die Untersuchungsbefunde stellen wir in Tabellenform voran. Tabelle S. 306. Die Hunde hungerten 4 Tage, wurden dann 3 Tage auf Glykogen gemästet und erhielten die darauffolgenden 3 Tage Eiweiß in Form von Ochsen- bzw. Kabeljaufleisch. Die Tabelle ergibt, daß die Tiere, die durch die 4tägige Karenz im Mittel 10,04% des Körpergewichtes eingebüßt hatten, durch die darauf- folgende 6tägige Mast sämtlich wieder, teilweise sogar recht beträcht- lich, aber wie ersichtlich und bei der Verschiedenheit des früheren Er- nährungszustandes zu erwarten war, individuell sehr verschieden an Gewicht zunahmen (im Mittel 17,23%) und so ihr Körpergewicht bei Beginn des Versuches überholten. !) E. Pflüger und P. Junkersdorf, Über die Muttersubstanzen des Gly- kogens. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., 131, 201. 1910. ?2) P. Junkersdorf, Beiträge zur Physiologie der Leber. I. Mitteilung. Das Verhalten der Leber im Hungerzustande. Pflü- gers Arch. f. d. ges. Physiol., 186, 238. 1921. 1u6 Das Verhalten der Leber bei einseitiger Ernährung mit Eiweiß. Ebenda, 186. 254. 1921. III. * Das Verhalten der Leber bei Glykogenmast. Eben- da, 18%, 269. 1921. 306 P. Junkersdorf: TabelleI. Versuche mit Glykogenmast und nachfolgender Fleischfütterung }). &&| . 2| Gewichts- | Gewieht | __. m | Leberprozente |, + a = 2|8 | verlust |nach der HL =8 des Körper- z S = | Glykogengehalt |= 3%: ns = | a während d. \Glykogen- EN Se N gewicts — < 24H AS £ | ®5 2:=| 4täg. Ka- | Fleisch- Er 5 der |d.glyko- Sur = Fat anna 3 = De &5«| renzin mast ne es ” I frisch. | genfreien a ee ken |#= 8" kg | kg % kg g Leber Leber % Pol. | Tit. Pol. % a) Versuche mit nachfolgender Ochsenfleischfütterung. 130| 4,6] 401 180 | 48 | 20,0 1|2280| 4,7 4,47 26,9 15,8 |5,.29| 0,68 14,9 1331.0.0| 5,41. 10:0 276,1 11,47. |1983,0| 3,3 3,16 30,4 12,41 12,40 | 0,60 71,54 134!12,1110,9 9,92 12,7 14.17. >1.406,01,3,3 3,15 28,9 1.40, 0.0:98 17,42 135|| 4,8| 4,1] 14,6 5,1 | 24,4 210,51 412 17.40 27,0 [3,05 13,00 | 2,02 15,40 136110,4| 9,2| 11,53 11,8 | 28,29 |343,0 | 2,90 | 2,90 26,4 10,19| — | 0,42 16,12 19,01 8,5 7.50 2009:322104724:0 213,0| 2,93: | 23,82 32,0 | 3,88 13,77 | 0,65 14,01 | | | 138| 8,8| 8,4 4,54 |. 29,0%) 227,14 207,01 2,3 2,24 31,5 1241| — | 0,68 17,0% 139|| 8,9| 8,4 55. 2 59,8. 16,66..1.380,5.| 3,88 | 3,6 35,4 [9,46 |9,74 | 1,25 9,38 b) Versuche mit nachfolgender Kabeljaufleischfütterung. 142] 9,9| 9,0 9,09 9,2 2,2 270,5 | 2,94 | 2,90 —e 1118, 01.0.0 — 143! 5,5 | 5,0 9,09 6.2 24,0 2090| 3,4 | 3,32 — 11,37| — | 1,29 _ Mittel aus all. Versuch. : | 10,4 | 2 17.23 | n een 3.301 .3,2D Dieser allgemeinen Körpergewichtszunahme ist nun nicht in allen Fällen eine entsprechende Steigerung des Lebergewichtes parallel gegangen. Dies darf man wenigstens bei den Tieren annehmen, deren Lebergewicht im Verhältnis zum Körpergewicht gering ist und trotz der Mast noch unter dem Durch- schnittsnormalwert?) von 3,3% liegt. Weiter unten soll davon die Rede sein. Was das Verhältnis des Glykogengehaltes der Leber zum relativen Lebergewicht angeht, so entspricht auch in dieser Versuchsreihe wie bei den Versuchen mit alleiniger Glykogenmast?) bei den Tieren mit hohem Leberglykogengehalt diesem auch ein höheres relatives Leber- gewicht, aber das Lebergewicht ist auch hier nicht dem Gly- kogengehalt proportional bei Vergleich der einzelnen Ver- suche untereinander. Der nach der Glykogenmast und der darauffolgenden Eiweißzufuhr zu erwartende Glykogengehalt der Leber ist nun — und das ist das auffallend Merkwürdige bei dieser Versuchsanordnung — im Vergleich zu der in Mitteilung III ab- gehandelten Versuchsreihe, wo die Fütterung mit Fleisch nach der eigentlichen Glykogenmast unterblieb, — außerordentlich niedrig. Der Glykogengehalt beträgt im Mittel aus den 8 Versuchen nur 3,58% !) Versuchsprotokolle siehe: Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 131, 201. 1910. ®?) P. Junkersdorf, Beiträge zur Physiologie der Leber; Mitteilung Il. c. 3) Mitteilung III. c. Beiträge zur Physiologie der Leber. IV. 307 {der der Muskulatur 0,91%), während er bei Glykogenmast ohne nach- folgende Eiweißfütterung im Durchschnitt aus unseren und Schön- dorffs!) Versuchen 12,0%, beträgt?). Dieser Unterschied im Glykogengehalt der Leber kann nicht etwa durch die kürzere Dauer der voraufgegangenen Karenz und der Fütterung allein bedingt sein, denn Hund 140 der Versuchsreihe mit auschließ- licher Glykogenmast?), der auch nur 4 Tage lang hungerte und nur einen Tag länger auf Glykogen gemästet wurde, bot 16,47%, Lebergly- kogen. Es muß mithin angenommen werden, daß die auf die Glykogenmast gefolgte einseitige Fütterung mit reichlich Eiweiß irgendwie die Leberzellen in ihrem Chemismus be- einflußt hat. Des weiteren ergibt sich aus den Versuchen, daß diese Wirkung von Eiweiß nicht von der Natur des verfütterten Eiweißes abhängig ist, nicht spezifisch für eine bestimmte Eiweißart ist, denn bei Hund 142 und Hund 143 wurde an Stelle von Ochsenfleisch Kabeljaufleisch ge- geben. Auch hier enthält die Leber nur relativ wenig Glykogen, durch- schnittlich 3,11%, so daß als Mittel aus allen Versuchen 3,25% resul- tiert. Dieser auffallende Unterschied im Glykogengehalt der Leber in den beiden Versuchsreihen ist, wie gesagt, erfahrungsgemäß unver- ständlich. Man hätte in diesen Versuchen keine Abnahme des Gly- kogengehaltes erwarten dürfen, sondern eine Steigerung, weil sich zu dem bereits vorhandenen Glykogen der vorauf- gegangenen Glykogenmast strenggenommen noch das- jenige hinzu addieren mußte, was erfahrungsgemäß aus dem nachträglich zugeführten Eiweiß sich bilden konnte. — Daß wirklich Eiweiß im Überschuß zugeführt wurde, erhellt aus der Gewichtszunahme der Tiere während der Eiweißfütterung. — Aber selbst wenn keine Neubildung aus Eiweiß stattfände, hätte der durch die Glykogenmast erzielte Bestand nicht abnehmen dürfen, da ja bei dem überschüssigen Eiweißgehalt der Nahrung der Stoffwechsel sich vornehmlich auf Kosten des Eiweißes vollzog, wodurch das vorhandene Glykogen gespart werden mußte. Es muß mithin wenigstens ein Grund für den Glykogen- schwundin einer spezifischen Wirkung der nachträglichen Eiweißzufuhr gesucht werden. — Auf die Frage, was aus dem Glykogen wird, soll weiter unten eingegangen werden. — 1) B. Schöndorff, Über den Maximalwert des Gesamtglykogeng. altes von "Hunden. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 99, 191. 1908. ?) Mitteilung III. e. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 192. 21 308 P. Junkersdorf: Schon bei Gelegenheit der Besprechung des Verhaltens der Leber bei ausschließlicher Eiweißnahrung!) wiesen wir darauf hin, daß neuere Arbeiten, hauptsächlich von Asher und seinen Mitarbeitern es wahr- scheinlich machen, daß bestimmte Abbauprodukte vom Eiweiß einen spezifischen Einfluß auf die Leber ausüben. Asher und seine Schüler nehmen an, daß stickstoffhaltige Verdauungsprodukte, insbesondere, wenn sie in größerer Menge den Leberzellen zugeführt werden, diese mit Beschlag belegen und unter bestimmten Bedingungen zum Kohlen- hydratstoffwechsel in Beziehung treten. Da die Ergebnisse dieser Arbeiten mit dazu beitragen können, die vorliegende Frage zu klären, soll das näheren darauf eingegangen werden. Ausgehend von dem Befund Messerlis?) und anderer Autoren ?), wonach der Beweis für die Möglichkeit der Resorption von Albumosen und Peptonen erbracht ist, zog Pletnew*), um die Rolle der Leber am Eiweißstoffwechsel festzustellen. den Kohlenhydratstoffwechsel derselben bei Ernährung mit Eiweißabbauprodukten heran und fand, daß die Zuckerassimilationsgrenze bei reichlicher Zufuhr bestimmter Abbauprodukte, besonders von Peptonen, herabgesetzt wurde. Zur Erklärung macht er die Annahme, daß durch überreiche oder ‚‚unphysio- logische‘ Zufuhr derartiger Produkte die Leistungsfähigkeit der Leber über die Norm hinaus in Anspruch genommen wird, so daß dadurch die „Glykogenbildung oder Glykogenanhäufung‘ beeinträchtigt wird. Pletnew stellte seine Versuche an kleinen Hunden an. Tschannen?’), der an den Befund Pletnews anschloß, konnte an Ratten in Fütterungsversuchen mit Pepton und hydrolysierten Kasein, also für bestimmte Eiweißabbauprodukte eine ausgesprochene Hemmung in der Glykogenbildung nachweisen und die Rattenleber mit Pepton „praktisch glykogenfrei‘‘ machen. Zu einem ähnlichen Resultat kam Richardson‘) auf einem anderen Wege. In Durchsträömungsversuchen an der überlebenden Schildkrötenleber mit denselben Stoffen in Ringer- !) P. Junkersdorf, Beiträge zur Physiologie der Leber. II. Mitteilung, 1. c. 2) Messerli, Über die Resorptionsgeschwindigkeit der Eiweiße und ihrer Abbauprodukte im Dünndarm. Bioch. Zeitschr. 54, 446. 1913. 3) Literatur siehe in Abderhaldens Lehrbuch d. physiol. Chemie, 3. Aufl., S. 491. *) L. Asher, Beiträge zur Physiologie der Drüsen. XIV. Mitteilung: Dimitri Pletnew, Untersuchungen über den Einfluß von Eiweiß und Eiweißabbau- produkten auf die Tätigkeit der Leber. Bioch. Zeitschr. %1, 355. 1909. 5) A. Tschannen, Der Glykogengehalt der Leber bei Ernährung mit Eiweiß-- abbauprodukten, ein Beitrag zur Frage der Funktion der Leber bei Verarbeitung von Eiweiß und Eiweißabbauprodukten. Bioch. Zeitschr. 59, 262. 1914. 6) H. Richardson, Der Einfluß von Eiweiß und Eiweißabbauprodukten auf die Glykogenbildung in der überlebenden Schildkrötenleber, eine weiterer Beitrag zur Frage der Funktion der Leber bei der Verarbeitung von Eiweiß und Eiweiß- abbauprodukten. Bioch. Zeitschr. %0, 170. 1915. Beiträge zur Physiologie der Leber. IV. 309 Zuckerlösung fand auch er eine deutliche Hemmung in der Glykogen- bildung. Später beobachteten Abelin und Corralt!) dieselbe Erscheinung bei Durchströmungsversuchen an der Hundeleber und Corral?) kam auf Grund von Respirationsversuchen am Hund zu dem gleichen Resultat. Aber nicht nur die Funktion der Leberzellen wird durch derartige, ,un- physiologische‘ Stoffe beeinträchtigt, auch ihre Struktur erleidet unter ihrer Einwirkung durchgreifende Veränderungen. Dafür sprechen eigenartige histologische Befunde, wie sie von Kusmine, Boehm und neuerdings von Stübel festgestellt wurden. K usmine?) führte auf intravenösem Wege der Leber Witte-Pepton zu. Sie fand nach der Injektion typische morphologische Zellveränderun- gen (Verdichtung des Protoplasmas, Verschwinden der Vakuolisierung der Zellen, Undeutlichwerden der Zellgrenzen und anderes mehr) und damit einhergehend Schwinden des Glykogens aus den Zellen. Sie kommt zu dem Schluß: ‚Im Zusammenhang mit physiologischen Tat- sachen betrachtet, scheinen die morphologischen Bilder einem veränder- ten Tätigkeitszustande der Leber zu entsprechen.“ Boehm*), der die Rattenleber bei verschiedener Ernährung histo- logisch studierte, konnte nach Verfütterung bestimmter Eiweißabbau- produkte ebenfalls charakteristische Veränderungen im Aussehen der Leberzellen feststellen. Er hebt vor allem den Befund nach Albumosen- verfütterung hervor, wobei sich ‚Anzeichen eines besonderen Reiz- zustandes“ finden. Aus seinen Beobachtungen glaubt er schließen zu dürfen, „daß die Albumosen einen besonderen Einfluß auf die Leber- zellen haben‘. Des weiteren fand Stübel°) bei histologischen Studien über die Mobilisierung der in den Leberzellen der Ratte nach reichlicher Eiweiß- fütterung gespeicherten Eiweißkörper, daß die Präparate, deren Zellen alle reichlich mit Pyronin färbbare ‚Eiweißschollen“ enthielten „unter Umständen fast frei von Glykogen waren“, eine Beobachtung. !) J. Abelin und J. de Corral, Untersuchungen über den Kohlenhydratstoff- wechsel an der überlebenden Hundeleber. Bioch. Zeitschr. 83, 62. 1915. ?2) J. de Corral, Respiratorische Stoffwechselversuche über die Frage der Bildung von Zucker aus Eiweiß und Eiweißabbauprodukten. Bioch. Zeitschr. 86, 176. 1918. ®) Kath. Kusmine, Untersuchungen über die Eigenschaften und die Ent- stehung der Lymphe. VI. Mitteilung. Über den Einfluß der Lymphagoga (Leber- gifte) auf die Leber. Zeitschr. f. Biol. 46, 554. 1905. ...*) Asher, L., Beiträge zur Physiologie der Drüsen. X. Mitteilung: P. Boehm, Über den feineren Bau der Leberzellen bei verschiedenen Ernährungszuständen; zugleich ein Beitrag zur Physiologie der Leber. Zeitschr. f. Biol. 51, 409. 1908. 5) H. Stübel, Die Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber gespeicherte Eiweiß. Pilügers Arch. f. d. ges. Physiol. 185, 74. 1920. 21* 310 P. Junkersdorf: die durch Resorption von Peptonen, wie wir sehen werden, infolge un- vollkommenen Eiweißabbaues ohne weiteres erklärlich wäre. Auf Grund der Versuchsergebnisse dieser zuletzt ange- führten Autoren halten wir uns für berechtigt, auch in unserem Falle für den Glykogenschwund gewisse Eiweiß- abbauprodukte, wahrscheinlich Peptone, verantwortlich zu machen. Ihr Vorkommen im Blute wäre dann, wie wir schon bei Besprechung unserer Versuche mit ausschließlicher Eiweißzufuhr auseinandersetzten!), dadurch zu erklären, daß durch die Überschwemmung des Organismus mit Eiweiß der Abbau der Eiweißstoffe im Darm nicht so durchgreifend vor sich geht, wie bei Ernährung mit gemischter Kost oder nur geringen Eiweißmengen, und daß infolgedessen Peptone in größerer Menge zur Resorption gelangen, die in diesem Falle die Leberzellen ebenso beein- flussen, als wenn sie, wie in den oben zitierten Arbeiten, isoliert ver- abfolgt werden. Wir werden fernerhin zur Erklärung der Wirkungsweise der Peptone und ähnlicher ‚‚unphysiologischer‘“ Abbauprodukte annehmen dürfen, daß sie, falls sie zur Resorption kommen, eine um so intensivere Wirkung entfalten, je größer ihreMenge ist, und je weniger die Leberzellen imstande sind, sie zu verarbeiten. Sind sie nur in Spuren vorhanden und treffen funktionstüchtige Leberzellen, so werden sie wahrscheinlich ohne weiteres verwertet, in- dem sie entweder als Eiweiß angesetzt oder abgelagert oder in Glykogen umgeformt werden. Gelangen sie aber in größerer Menge ins Pfort- aderblut, so wirken sie als „Reizstoffe‘“, indem sie die Leberzellen zu erhöhtes Funktion anregen. — Diese Annahme machten wir für die Erklärung unserer Versuchsergebnisse bei einseitiger Zufuhr mit Ei- weiß?) und stellten hierbei eine ‚physiologische‘ Hyperplasie der Leber fest mit Ansatz und evtl. Ablagerung von Eiweiß und Aufspeicherung von Glykogen. Auf die gleiche Weise suchten wir uns auch das Verhalten der Leber bei der Glykogenmast?) verständlich zu machen, wo wir als Folge der kombinierten Mast eine sehr beträchtliche Glykogenabla- gerung (bis zu 18%) und dadurch mitbedingt eine Lebergewichtszunahme bis auf das 3—4fache des Normalgewichtes beobachteten — ‚„patholo- gische‘‘ Hyperplasie in extremster Form — Treffen die hochmolekularen Verdauungsprodukte, Peptone und an- dere schließlich, wie wir in den vorliegenden Versuchen mit Eiweiß- zufuhr nach voraufgegangener Glykogenmast annehmen, auf Leber- zellen, die schon infolge der Mast mit Reservestoffen (Glykogen, Eiweiß) 1) Mitteilung II. 1. c. 2) Mitteilung II. 1. c. 3) Mitteilung II. 1. c. Beiträge zur Physiologie der Leber. IV. 311 beladen sind, und die dadurch schon weit über die physiologischen Grenzen hinaus in Anspruch genommen sind, so wirken sie direkt schäd- lich, als Giftstoffe, als spezifische ‚Lebergifte‘‘ (Asher). Durch die dadurch bedingte Funktionsstörung würde in unseren Versuchen einmal in Übereinstimmung mit den Versuchsergebnissen von Pletnew!), Tschannen?) und der übrigen oben angeführten Autoren der Glykogen- schwund oder besser ausgedrückt die Glykogenumwandlung erklärlich — „die Lebergifte würden (nach Kusmine) als Mittel zu bezeichnen sein, die den Glykogengehalt beeinflussen — und andererseits würden die von Kusmine?) und Boehm!) beobachteten morphologischen Ver- änderungen der Zellen und des Zellprotoplasmas auch die durch den Glykogenschwund allein nicht zu erklärende Abnahme des Lebergewichts bis zu einem gewissen Grade dadurch verständlich machen, daß man als Folge der Giftwirkung auch eine Einschmelzung evtl. vorhandenen Reserveeiweißes, bzw. des Leberzellenprotoplasmas verbunden mit Zellschrumpfung oder gar Zelluntergang annähme. Wenn, wie früher gesagt, in den Versuchen mit ausschließlicher Eiweißzufuhr ohne voraufgegangene Glykogenmast eine Neubildung von Glykogen und eine Zunahme des Lebergewichts zutage trat, so ist dies — um es nochmals hervorzuheben — wohl so zu erklären, daß dort die durch die voraufgegangene Hungerperiode glykogenarmen Leberzellen vollkommen funktionstüchtig sind, sich also in einem ganz anderen Zustande befinden, so daß sie sich den an sie durch die vermehrte Zufuhr der „unphysiologischen‘ Eiweißabbauprodukte gestellten An- forderungen vollkommen gewachsen zeigen und dadurch imstande sind, diese „BReizstoffe‘ ab- resp. umzubauen (Glykogenbildung, erhöhte Gallenproduktion, Lebergewichtszunahme). Auch der Befund bei den Versuchen mit alleiniger Glykogenmast ) nach vorauf- gegangener Karenz widerspricht unseren jetzigen Darlegungen nicht. Auch hier treffen die Verdauungsprodukte der Eiweißkörper wieder auf Leberzellen, die sich durch die voraufgegangene Karenz in einem wesentlich anderen Zustand befinden, ein Punkt, der, wie wir früher °) ausführten, ausschlaggebend mitbestimmend für die Funktion und Ausbildung der Leber ist; zudem wurde aber auch in diesen Versuchen nicht Eiweiß allein, sondern eine gemischte Nahrung verabfolst, die qualitativ eher den physiologischen Anforderungen entspricht. In diesen beiden Fällen haben wir es nach unseren früheren?) Darlegungen mit einer durch die Reizwirkung wahrscheinlich vorhandener Peptone oder Peptide bedingten An- passung an die geforderten erhöhten Ansprüche zu tun und beobachten infolge- dessen eine Zunahme des Lebergewichts und eine Neubildung von Glykogen. Bei dieser Gelegenheit müssen wir nochmals auf zwei Glykogen- mastversuche Schöndorffs®) zurückkommen, die wir bei Besprechung 1) Pletnew I. c. 2, Tschannen]. c. 3) Kusminell c. =) Boechmelge: 5) Mitteilung III. 1. c. 6) B. Sehöndorff, Über den Maximalwert des Gesamtglykogengehaltes von Hunden. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 99, 191. 1903. 312 P. Junkersdorf: unserer Versuche mit Glykogenmast!) nicht glaubten mit verwerten zu dürfen, weil die Tiere anders gefüttert waren. Hundl erhielt ohne voraufgegangene Hungerperiode 16 Tage lang 500, dann 700 g Fleisch und 100 bzw. 150g Reis. HundlIlI, ebenfalls ohne voraufgegangene Karenz 14 Tage lang Pferdefleisch und dann 9 Tage lang viel Fleisch und 300 bzw. 400 & Reis, also beide Tiere längere Zeit hindurch viel Fleisch und wenig Kohlenhydrat. Bei dieser Art der Mast bieten sie einen Durchschnittsglykogengehalt der Leber von 5,97%, also einen viel niedrigeren wie die eigentlichen Glykogenmasthunde mit im Mittel 13,52%, Leberglykogen und einen höheren wie die Hunde mit Glykogen- mast und nachfolgender Fleischzufuhr, die durchschnittlich 3,12% Leberglykogen aufweisen. Eis ist ohne weiteres klar, daß man aus den Ergebnissen dieser zwei Versuche keine weittragenden Schlüsse ziehen darf. Immerhin ist die Übereinstimmung in dem relativ niedrigen Glykogengehalt und dem überaus niedrigen relativen Lebergewicht — es beträgt im Mittel nur 2,42%, — bei dieser Vorbehandlung im Versuch auffällig, zumal die Tiere, was das Körpergewicht betrifft, so verschieden schwer waren, 10 bzw. 53 kg. Was den Glykogengehalt der Leber angeht, der, wie ge- sagt, im Vergleich zu den Hunden mit eigentlicher Glykogenmast niedrig ist, so könnte man auch hier einen spezifischen hemmenden Ein- fluß der überreichen Fleichnahrung auf die Glykogenbildung annehmen. Dies würde etwa in Einklang zu bringen sein mit der Beobachtung von Tschannen?®), daß Pepton bei Zugabe von nur geringen Mengen von Kohlenhydraten den Glykogengehalt der Ratten- leber herunterdrückt. Was dagegen das bei diesen beiden Tieren beob- achtete geringe Lebergewicht betrifft, so würde eine befriedigende Er- klärung dafür sich nur auf bloße Vermutungen stützen können. Viel- leicht spricht die Tatsache hierbei mit, daß diese beiden Tiere vor der Mast keine Hungerperiode durchgemacht haben, so daß auch in diesem Falle der verschiedene Zustand der Leberzellen hierfür mit verant- wortlich zu machen ist. Es drängt sich nun noch die Frage auf, was aus dem aus den Leberzellen schwindenden Glykogen wird. Das Nächstliegende wäre, anzunehmen, daß es aus der Leber in die Muskulatur auswandert. Hiergegen spricht, daß der Gehalt der Muskeln an Glykogen ebenfalls ein sehr geringer ist. Im Mittel aus unseren 10 Versuchen ergibt sich 0,91%, wie aus der Tabelle zu ersehen ist, während er in den 9 Versuchen mit ausschließlicher Glykogenmast?) im Mittel 1,74% beträgt. Mithin kommt ein Abtransport des Glykogens aus der Leber in andere Depots t) Mitteilung III, 1. c. 2) Tschannen |. c. 3) Mitteilung III. 1. c. Tabelle 8. 270. Beiträge zur Physiologie der Leber. IV. 313 unter der Einwirkung der Peptone wohl nicht in Frage. Da der Gly- kogenschwund unter diesen Umständen erfahrungsgemäß auch nicht durch oxydativen Abbau erklärt werden kann, bleibt wohl nur die An- nahme übrig, daß unter derPeptonwirkung das Glykogen in Fettübergegangen ist. Durch zahlreiche geeignete Stoffwechselversuche ist die Neubildung von Körperfett aus Kohlenhydraten längst einwandfrei bewiesen. Die Ansichten aber, wo diese Neubildung stattfindet, gehen noch ausein- ander. Es liegt nahe, auch hierbei an die Leber zu denken, wenn man auch auf Grund bestimmter Befunde und Überlegungen mehr dazu neigt, diese Neubildung aus Kohlenhydraten an den Ort der haupt- sächlichsten Fettablagerung, vornehmlich also in die Fettzellen des Unterhautzellgewebes zu verlegen und die Leber nur als Durchgangs- depot für überschüssiges in der Nahrung präformiertes Fett ansieht, das jederzeit verfügbar ist. Was am meisten gegen die Annahme einer Fettbildung aus Kohlen- hydraten in der Leber ins Feld geführt wird, ist der Antagonismus im Fett- und Glykogengehalt derselben. In der Tat scheint die Überlegung, die Rosenfeld!) sowohl auf Grund von Bleibtreus?) Befunden als auch gestützt auf eigene Beobachtung an kohlenhydrat- gemästeten Gänsen anstellt, manches für sich zu haben, nach der eine ausgiebige Glykogenanhäufung in den Leberzellen dieselben nicht in den Stand setzen, Fett aufzunehmen. Auch die anderen Beobachtungen an Schweinen und Seetieren, die von Rosenfeld in diesem Zusammen- hang angeführt werden, sprechen in demselben Sinne und histologische Befunde von Gierke?) machen die Bildung in den Fettzellen des Fett- gewebes recht wahrscheinlich. In unseren eigenen Versuchen fanden auch wir den Antagonismus zwischen Glykogen und Fett durchgehends bestätigt (vgl. die Versuchs- ergebnisse von Mitteilung I, II und III). Wir fanden, daß sowohl in den Versuchen mit ausschließlicher Eiweißfütterung die dadurch be- dingte Glykogenanhäufung eine Abnahme des Fettgehaltes zur Folge hatte, als auch, daß insbesondere in den Versuchen mit Glykogenmast einem hohen Glykogengehalt ein niedriger Fettgehalt entsprach. In beiden Fällen muß also, da der Fettgehalt unter der Norm, ja sogar unter dem in unseren Hungerversuchen festgestellten W ertliegt (vgl. die diesbezüglichen Versuchsergebnisse von Mitteilung I), !) G. Rosenfeld, Fettbildung. Ergebn. d. Physiol., Jahrg. 1, Abt. I, S. 655. 1902. ?) M. Bleibtreu, Fettmast und respiratorischer Quotient. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 85, 346. 1901. 3) Gierke, Zum Stoffwechsel des Fettgewebes. Freiburg, Verhandlungen der patholog. Gesellschaft 1906. S. 182. 314 P. Junkersdorf: Fett aus der Leber ausgewandert sein, da es nach unseren anderen Er- fahrungen nicht fortoxydiert sein kann. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß dieses Fett in der Leber aus Kohlenhydrat entstanden ist. Indes sind wir der Ansicht, daß unsere vorliegenden Versuche mit Glykogenmast und nachfolgender Eiweiß- fütterung für eine Bildung von Fett aus Kohlenhydraten in der Leber sprechen. Wie schon angeführt ist in diesen der Glykogengehalt der Muskulatur ein geringer, so daß ein Abtransport von Glykogen nach dorthin nicht in Frage kommt. Der Fettgehalt der Leber selbst aber liest weit über der Norm, er berechnet sich im Mittel zu rd. 22% und be- trägt selbst bei Nichtberücksichtigung des abnorm hohen Fettgehaltes bei Hund 133 von 71,45%, der das Mittel stark beeinflußt, immerhin noch 15% , ein Wert, der weit über dem bei reiner Glykogenmast gefun- denen Mittel von 9,64%, (vgl. Tabelle in Mitteilung IEI) bzw. über dem bei Eiweißmast ermittelten von 8,38% liest (vgl. Tabelle in Mitteilung II). Da somit das Glykogen in der Menge, wie es vor der Eiweißfütterung vorhanden war, nachher weder in der Leber noch auch in der Musku- latur nachweisbar ist und eine Einwanderung von Fett von anderen Fettdepots her unwahrscheinlich ist — man müßte denn schon anneh- men, daß das Glykogen aus der Leber auswandere, an anderen Orten in Fett übergehe und nachträglich wieder in die Leber einwandere — so bleibt wohl keine andere Annahme übrigals die, daß im vorliegenden Falle unter dem Einflußchemischer Reize (Peptonwirkung!) inden Leberzellen selbst eine Umformung von Glykogenin Fett stattgefunden hat. In Versuchen, die wir später über „Das Verhalten der Leber im Phlorrhizindiabetes bei verschiedener Ernährung‘‘ mitteilen, werden wir hierauf zurückkommen und hierfür wie für manche anderen in dieser Arbeit diskutierten Fragen Ergänzungen und weitere Beiträge bringen. Wenn schon die Versuche mit einseitiger Eiweißzufuhr und vor allem auch die mit Glykogenmast, wie wir dies schon damals hervorhoben, uns zeigten, daß die Menge und Zusammensetzung der Nahrung von wesent- lichem Einfluß auf die Ausbildung bestimmter Organe wie der Leber sind, und uns die individuellen Unterschiede in der Größe und der chemischen Zusammensetzung der Organe verständlich machen, so erhellt dies in noch ausgesprochenerer Weise aus den vorliegenden Versuchsergebnissen. Dies kommt wohl am deutlichsten in einer Gegenüberstellung der Lebergewichte (in Prozenten der Körpergewichte) in unseren vier Ver- suchsreihen zum Ausdruck: I. Hungerversuche (Mitteilung I): relatives Lebergewicht 2,7%. II. Eiweißfutterungsversuche ‘Mitteilung II): relatives Lebergewicht: 4,2%. Beiträge zur Physiologie der Leber. IV. 315 IIT. Glykogenmastversuche (Mitteilung IIl) relatives Lebergewicht 6,58% (Höchstwert 12,43%). IV. Versuche mit Glykogenmast und nachfolgender Eıweißfütterung (vor- liegende Mitteilung 1V) relatives Lebergewicht 3,88%. Unter Zugrundelegung des Pav yschen Normalwertes für die Hunde- leber von 3,3%, mithin sehr stark divergierende Zahlen. Nicht minder auffällig ist die verschiedene chemische Zusammen- setzung: der Wassergehalt bzw. die Menge der Trockensubstanz, der Glykogen- und Fettgehalt. Ein Vergleich der Tabellen in den einzelnen Mitteilungen gibt hierüber übersichtlich Aufschluß. Was uns vor allem bemerkenswert erscheint, und worauf wir schon früher aufmerksam machten, ist der Einfluß, den ein plötzlich ein- setzender Wechselin der Ernährungsweise auf die Leber und wahr- scheinlich auch auf andere Organe insbesondere die Verdauungsorgane ausübt. Wir sehen am Beispiel der Leber, daß dadurch nicht nur eine durchgreifende Veränderung der chemischen Zusammensetzung und auch in ihrer Größe bedingt sein kann, sondern, was viel wichtiger er- scheint, daß damit auch evtl. ausgesprochene Funktionsstö- rungen mit folgeschweren Reiz- bzw. Ausfallserscheinungen verbunden sein können, die wohl meist noch der Aufklärung bedürfen — Gesichtspunkte, die auch klinisch wohl Beachtung verdienen. Die spezifische Wirkung der Peptone auf die Leberzellen läßt auch noch andere Schlußfolgerungen zu. Aus einer Reihe von Gründen nehmen wir bekanntlich heute fast allgemein an, daß die Eiweißstoffe im Verdauungstraktus fermentativ bis zu den eigentlichen Bausteinen, den Aminosäuren, abgebaut werden, und daß Peptone als solche normalerweise nicht zur Resorption gelangen. Diese vornehmlich von Abderhalden!) begründete und stets vertretene Ansicht erfährt durch die Untersuchungen der Asherschen Schule und unseren Befund eine wesentliche Stütze. Gerade die „Giftwirkung‘‘, die die Peptone und andere Eiweißabbauprodukte auf die Leberzellen ausüben, und deren weittragende Folgeerscheinungen nicht nur bezüg- lich des Kohlenhydratstoffwechsels, sondern auch in mancher anderen Beziehung, sind unseres Erachtens ein schwerwiegendes Argument, das für einen durchgreifenden Eiweißabbau durch die Verdauungsorgane spricht. Aus unseren Versuchen geht aber andererseits auch hervor, daß unter bestimmten Bedingungen wie bei einseitiger, über- reicher Eiweißzufuhr die Resorption von höhermolekularen Ab- bauprodukten möglich ist, oder besser gesagt, „erzwungen' werden kann. Die Verdauungsfermente zeigen sich unter diesen Umständen !) E. Abderhalden, Lehrbuch der physiol. Chemie mit Einschluß der physikalischen Chemie der Zellen und Gewebe und des Stoff- und Kraftwechsels des tierischen Organismus. In Vorlesungen. IV. Aufl., I. Teil, S. 525. 316 P. Junkersdorf: der Menge des zu verarbeitenden Materials nicht gewachsen, sie werden durch die Fülle der bereits mehr oder weniger abgebauten Stoffe, die vielleicht auch aus physikalisch-chemischen Gründen die Resorption verzögern, in ihrer Wirksamkeit gehemmt, und es kann schon im Darm selbst zu Reizerscheinungen und nach der Resorption zu den besproche- nen Zellwirkungen in der Leber kommen. Dies wird sich unserer An- sicht nach vor allem bei plötzlichem Wechsel und Übergang zu einer der Art und Menge nach ungewohnten Nahrung bemerkbar machen, wie in den vorliegenden Versuchen, wo auf die Kohlenhydratmast eine ein- seitige Eiweißzufuhr erfolgt, auf die die Verdauungsorgane noch nicht eingestellt sind; es lassen sich hierfür aber auch klinische Erfahrungen, besonders aus der Kinderheilkunde anführen. In der vorliegenden Mitteilung kam es uns hauptsächlich darauf an, zu zeigen, daß es verschiedene Zustände der Leberzellen gibt, die wesent- lich bedingt sind durch die Art und Menge der Nahrung und die Art und Weise ihrer Zufuhr, und daß gewisse Beziehungen zwischen diesen verschiedenen Funktionszuständen der Leber und dem feineren Bau ihrer Zellen bestehen (Asher und seine Schüler), wie das zum Ausdruck kommt sowohl morphologisch in der Größen- bzw. Gewichtsverände- rung und der chemischen Zusammensetzung des Organs als auch funk- tionell in der Veränderung der Assimilationsgrenze bzw. dem Auf- speicherungsvermögen für Kohlenhydrate und anderes mehr und damit im Stoffwechsel des Gesamtorganismus. Die Tatsache, daß ‚„unphysiologische‘‘ Abbauprodukte der Eiweiß- körper, ja selbst natives Kiweiß, wenn sie im physiologischen Experiment oder bei unzweckmäßiger Ernährung dem Organismus zugeführt werden, in einem Organ von der physiologischen Bedeutung wie der Leber mit ihren vielseitigen, komplizierten und ineinandergreifenden Funktionen unter bestimmten Bedingungen schwerwiegende Folgeerscheinungen der verschiedensten Art!) auslösen können, erheischt es, diesem kom- plexen Problem mehr Aufmerksamkeit als bisher zu widmen. Der Rätsel, die hier noch zu lösen, gibt es viele; aber es bedarf eingehender, einwandfreier experimenteller Grundlagen, weil ihre Beantwortung sich sonst nur auf unbeweisbare Hypothesen stützen könnte. Die Physiologie wird die Grundlagen dafür liefern. Die Lösung wird jedoch das Werk einer umfassenden Analyse sein, bei der neben der physiologischen Chemie in nicht ge- ringem Maße die Zusammenarbeit mit der experimentellen Pathologie und der Klinik von ausschlaggebender Bedeu- tung sein wird. !) Wir werden späterhin a. a. O. ausführlicher über die klinische Bedeutung „unphysiologischer‘ Eiweißabbauprodukte berichten. Beiträge zur Physiologie der Leber. IV. S3ujet Kurze Zusammenfassung: 1. In der Leber findet nicht nur eine Neubildung von Glykogen aus Eiweiß statt, unter bestimmten Bedingungen (voraufgegangene Glykogenmast) kann durch unphysio- logische Eiweißzufuhr auch der Glykogenbestand der Leber und der Muskulatur beträchtlich vermindert werden. Eine Erklärung hierfür wird durch die spezifische Wir- kung „unphysiologischer“ Eiweißabbauprodukte (Leber- gifte Ashers) auf die Struktur und die Funktion der Leber- zellen gegeben. 2.DienachGlykogenmast mitnachfolgenderEiweißzufuhr festgestellte Abnahme des _Leber- und Muskelglykogens und die damit einhergehende Zunahme des Fettgehaltes der Leber spricht für eine in den Leberzellen selbst vor sich sehende Umformung von Kohlenhydraten in Fett. 3. Die Versuchsergebnisse beweisen noch deutlicher wie die der früheren Mitteilungen, daß die Art und Menge der Nahrung und die Art und Weise ihrer Verabfolgung von wesentlichem Einfluß auf die Ausbildung und die Funktion bestimmter Organe wie der Leber sind; sie machen uns die individuellen Unterschiede in derGröße und der chemischen Zusammensetzung der Organe verständlich und zeigen uns, daß gegebenenfalls unzweckmäßige Ernährung, vor allem aber plötzlich einsetzender Wechsel und Übergang zu un- gewohnter Ernährung durchgreifende Veränderungen nicht nurin der chemischen Zusammensetzung und damitin der Größe derLeber, sondern, was wichtiger erscheint, evtl.auch ausgesprochene Funktionsstörungen mit folgeschweren Reiz- bzw. Ausfallserscheinungen bedingen können. 4. In der spezifischen Reiz bzw. Giftwirkung „unphysio- logischer“ Riweißabbauprodukte auf die Struktur und die Funktion der Leberzellen wird ein wichtiges Argument mit dafür gesehen, daß normalerweise der Eiweißabbau bis zu denAminosäuren erfolst; andererseits aber auch ein Beweis für die Möglichkeit der Resorption von höher mole- kularenVerdauungsprodukten unterbestimmtenBedingun- gen wie bei einseitiger überreicher Eiweißzufuhr erbracht. 5. Die Resultate der früheren Mitteilungen über die Be- ziehungen zwischen dem Glykogen- und Fettgehalt der Le- ber und dem Leber- bzw. Gesamtkörpergewicht werden bestätigt und zum Teil ergänzt. Autorenverzeichnis. Abderhalden, Emil. Weitere Bei- träge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wir- kung. IX. Mitteilung. S. 163. — und Ernst Wertheimer. Wei- tere Beiträge zur Kenntnis von or- ganischen Nahrungsstoffen mit spe- zifischer Wirkung. X. Mitteilung. 8. 174. Bergansius, F. L. Die Messung von roten Blutkörperchen mittels der dadurch erzeugten Beugungs- erscheinungen. 8. 118. de Boer, S. Das Alternansproblem. 8.183. Jarisch, Adolf. Über den Einfluß der Temperatur auf die Hämolyse durch Hypotonie. S. 255. Junkersdorf,P. Beiträge zur Phy- siologie der Leber. IV. Mitteilung. Das Verhalten der Leber bei Eiweiß- fütterung nach voraufgegangener Glykogenmast. S. 305. Kahn, R. H. Über Schilddrüsen- fütterung an Wirbellosen. 8. 81. — Beiträge zur Lehre vom Muskel- tonus. II. Zustand und Innervation der Muskeln der vorderen Extre- mitäten des Frosches während der Umklammerung. 8. 93. v. Liebermann, Paul. Polare Er- regunge und Hemmung an Arterien. 8. 1S0. Rothfeld, Jaköb. Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß der Großhirnhemisphären, des Mittel- und Zwischenhirns auf die vestibu- laren Reaktionsbewegungen. 8. 272. Scheunert, Arthur und Alfred Trautmann. Zum Studium der Speichelsekretion. I. Mitteilung. Über die Sekretion der Parotis des Pferdes. SEE — — Zum Studium der Speichel- sekretion. II. Mitteilung. Über die Sekretion der Parotis und Mandibu- laris des Schafes. S8..33. Zum Studium der Speichel- sekretion. III. Mitteilung. Kritik und Schlußfolgerungen. S. 70. Spiegel, E. A. Physikalisch-che- mische Untersuchungen am Nerven- system. I. Mitteilung. Quellung und Doppelbrechung der. Markscheide. 85,220: — Physikalisch-chemische Untersuchun- gen am Nervensystem. II. Mitteilung. Der Einfluß der Narkotica auf die Anisotropie des Nervenmarks. 8.240. — und E. Sternschein. Der Klam- merreflex nach Sympathicusexstir- pation. Ein Beitrag zur Frage der tonischen Innervation. S. 115. Sternschein, E., siehe Spiegel und Sternschein. Teschendorf, Werner. Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Blutegelmuskulatur. S. 135. Trautmann, Alfred, siehe Scheu- nert und Trautmann. Wertheimer, Ernst, siehe Abder- halden und Wertheimer. DE ER 7 EN N Ar 7 vn zen - tee ® = e) as} En Tr »_* e> kr X WEL, ® REKEN 2% 3 ® 4 . £> we “- va ae ee . Er x w a ee REF R NER KB zur Sue Zu Se 2 3 Me A de ie he. Br 2 de we RE ie» #. er art, Pa" ’% A)" "ee 1 a ARE S - . IE gr - KR Fe & ee FE FE ..* Sn BERT BEREIT a ; BE, > RER ER 1 ? En te I; ER eh ” num. er er HEHE Hr N 4 Fi " $ He + vo. u 2 2 Br s P Au RER Due en % £ .. Es ar Fa » Der ara © Er b * D * N ‚s ne 0 ” ” 2% # “ babe 4 ty + » ua ne PR; f) De » ie) K je ER, IR RS Ei. ni s Fe he een + Bee) ) Ken \ er ur 5 Ra Fi neh N jr Brit, ie ER & * ne? 4 Er 7 ee ; ‚* se Ha a + hy N # j 2 „ R, m * oh ea er 2 — KNG; u de nee 3 u ek “ir Pe IE DE NE no ee “4 re 7 2 # wi K- ERBEN „er “. N “ ® y: “ + » 25 3 “ * + » Bu. Fr} Ya 2* er v u, Er »%