OR. CH [pt 7,8 r *. vr F “wr LEER HL N #7 Vareer. I DAL wir u RR il ih RZ ER a EZ PFLÜGERS ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER HALLE A. 8. FRANKFURT A. M. KIEL 195. BAND MIT 161 TEXTABBILDUNGEN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1922 EAU D Inhaltsverzeichnis. Abderhalden, Emil, und Ernst Gellhorn. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit Se oe XIV. Mit- teilung. Mit 19 Textabbildungen ; VE NEE Meyerhof, Otto. Die Energieumwandlungen im "Muskel. m. Mitteilung. Über den Ursprung.der Kontraktionswärme. Mit 5 Textabbildungen. Sehilf, Erich, und Albert Schuberth. Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch und seine Beziehung zum vegetativen Nervensystem BUNTE EN en ee a N SE ES NER ae NE Gildemeister, Martin. Über die Messung der Atmung mit Gasuhr und ‚Ventilen. Mit 3 Textabbildungen David, Erich. Über die sekundär - eleklromotanischen Rigenschaften len menschlichen Haut. Mit 1 Textabbildung Gildemeister, Martin. Zur Theorie der sekundär- elektromotorischen Eigen- schaften der menschlichen Haut. Nachschrift zu der Arbeit des Herrn E. David, dieses Archiv 195, 101 IR. Sealıo Adam — , Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensa- toren. Mit 5 Textabbildungen — , Induktionsströme als Reize. IT. Mitteilung. Über den Einfluß der Selbstinduktion auf die Reizwirkung der Öffnungsströme — und Luise Hoffmann. Über Elastizität und Innendruck der Gewebe. Mit 1 Textabbildung Abderhalden, Emil, und Olga Schiffmann.. Studien über die, von Feinzeil nen Organen hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. Mitteilung. Mit 16 Textabbildungen . —, Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Na hennessLoften mit spezifischer Wirkung. XV. Mitteilung. Ernährungsversuche mit künst- lich dargestellten organischen Nahrungsstoffen und ferner mit aus zu- sammengesetzten organischen Nahrungsstoffen gewonnenen Bausteinen mit und ohne Zusatz von Nutraminen. Mit 4 Textabbildungen . Schaefer, I. George. Studien über den an von Paramäcium aurelia. Mit 8 Textabbildungen . ER Alverdes, Friedrich. Umierehmsen über F N mmaenhene egung. "Mit 1 Text- abbildung: f Weber, A. Ein V erfahren zur eenen Darstellung von Amen für das Saitengalvanometer. Mit 2 Textabbildungen . Handovsky, Hans. Quantitative Beiträge zur Frage des nennen von Ionen und organischen Giften. II. Mitteilung Behrens, B. Über den Einfluß der Verdünnungstlüssiekeit auf das Zähl- resultat bei Erythrocytenzählungen. Mit 2 Textabbildungen Hara, Yuzo. Der galvanische Hautreflex bei Katzen und Hunden (sog. psychogalvanischer Reflex). BR SERIE Kerle: o Krontowsky, A. und A. Rumianzew. Zur Technik der Gewepskultiren von Regenwürmern in vitro. Mit 4 Textabbildungen Seite 22 75 96 101 167 Inhaltsverzeichnis. Erlecks, U. Über elektrische Hautreizung $ ‚ Über Membranänderung und Fleischl-Effekt . Röthi, L . und E. Fröschels. Über einen Sänger, der einen Stimmunfang von fünf Oktaven besitzt 5 Kahn, R. H. Studien über die Innerv ation der Chromatophor en auf Grund eegensätzlicher Giftwirkungen —, Eine Methode der Spektroskopie des Hämoglobins im "lebenden Tiere. Mit 2 ' Textabbildungen ; REN SION LTD ; —, Zur Kritik der Arbeit: „Der Klanmerreflex nach Sympathieusextimpa- tion“ von Spiegel und Sternschein, aus dem neurolog. Institut der Wiener Univ. |Vorstand: Prof. Dr. O. Marburg] . —, Zur Contractilität der Capillaren De RATTEN Dusser de Barenne, J. 6. und D. 6. Cohen Meder Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Innervation und Chemismus der quer- gestreiften Muskeln. I. Mitteilung. Über den Kreatingehalt der Skelettmuskeln bei der Enthirnungsstarre und anderen Formen von Hyperinnervation. Mit 4 Textabbildungen A SE Re Re x Arai, K. Cholin als Hormon der Darmbewegung. VII. Mitteilung. Cholin- eehalt des Magendarmkanals im Hunger und nach Ben Mit 6 Textabbildungen . re EN eR Simonsohn, Ernst. Beobachtungen über die Herzbew egung. Mit 5 Text- abbildungen t : Löhner, L. mar E. Markovits. Zur Kenntnis der once Metall- Giftwirkungen auf die lebendige Substanz Eee METER : Abderhalden, Emil. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. Mitteilung. Ver- gleichende Untersuchungen über die Wirkung von erwärmter und nichterwärmter Kleie und Hefe und ferner von Organen von normal ernährten und von mit geschliffenem Reis ernährten Tauben. Mit 7 Textabbildungen —, und E. Wertheimer. Weitere Bar zur r Kenntnis von ansehen Nahrungsstoffen mit DI Wirkung. XVII. Mitteilung. Mit 15 Mextabbildungen R —., Weitere Beiträge zur Kenntnis von onsamischen "Nahrungsstoffen rt spezifischer Wirkung. XVIII. Mitteilung. Versuche mit reinen Nah- rungsstoffen. Mit 7 Textabbildungen —, und Ernst Wertheimer. Studien über den Verlauf des Gesamt- und des Zellgaswechsels im anaphylaktischen Schock. I. Mitteilung. Mit 6 Textabbildungen Fleisch, Alfred. Das Laby rinth als baschlenmnann sseuitndleniles Organ. Mit 7 Textabbildungen Bürker, K. Das Seas der Vereine des Hamoslobins auf die Oben Hächesder Eiryithrocyten » . oo... „ti... 20. KA . : Kure, K., T. Shinosaki, M. Kishimoto, U. Fujita ud M. 'Sato. Das Kleinhirn als Regulationszentrum des sympathischen Muskeltonus. Vorläufige Mitteilung . Judin, A. Über die Zerlegung der Alonssiromkurve der quergestreiften Muskeln in eine Reihe erlöschender Schwingungen und über eine eigne Periode des Aktionsstroms beim Tetanus. Mit 18 Textabbildungen Nippert, E. Einfluß der verschiedenartigen Haltungsweise (Stall und Weide) auf das Blutbild unseres Hausschweines, untersucht speziell am deutschen Edelschwein und veredelten Landschwein Ill Seite 300 324 337 361 366 368 480 487 499 2,3 ID Inhaltsverzeichnis. Seite Berg, W. Uber Anwendung der Ninhydrinreaktion auf mikroskopische Präparate zum Nachweis niederer Eiweißkörper: 1. In den Leberzellen (gespeichertes IHiweiß) 2. 1m "Blut. 2 nr Ebbecke, U. Membranänderung und Nervenerregung. Mit 2 Text- abbildungen Zr BR ei ee en 8 Wieehmann, Ernst. Über die Beseitigung von Giftwirkungen am Herzen durch Caleium und andere zweiwertige Kationen. Mit 9 Textabbildungen 588 Thörner, Walter. Leitungsverlangsamung und Verringerung des Stoft- umsatzes als Grundlage der scheinbaren „Gewöhnung‘“ des wärme- gelähmt gewesenen Nerven . . . Be el a 002 Shimbo, Masuo. Die Verteilung der Suseihischen Fasern | in peripheren Nerven. Mit 4 Textabbildungen . . ! 3 OR Külz, Fritz. Quantitative Untersuchungen über die Wirksamkeit, homologer quartärer Ammoniumbasen. Vorläufige Mitteilung .. .......623 Attıtorenwerzeichnisi 2.6.2 Wim ee ee 026 ” Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen N ahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. Mitteilung. Von .Emil Abderhalden und Ernst Gellhorn. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) (Mit 19 Textabbildungen.) (Eingegangen am 2. Februar 1922.) Es lassen sich aus Hefe und Kleie und anderen Produkten mit Wasser, verdünnten Säuren, Alkohol und wahrscheinlich noch anderen Lösungsmitteln Stoffe ausziehen, die ganz bestimmte Wirkungen entfalten. Es hat sich vor allen Dingen ais ein vorzügliches Ausgangs- material für alle derartigen Untersuchungen die Hefe erwiesen. Sie enthält Stoffe, die in geringer Menge die alkoholische Gärung durch Hefezellen sehr stark beeinflussen. Ferner wird der Sauerstoffverbrauch von Zellen und Geweben erheblich gesteigert. Besonders stark macht sich diese Wirkung geltend, wenn Zellen und Gewebe von Tauben verwendet werden, die ausschließlich mit Reis ernährt worden sind, und die im Gefolge dieser Art der Ernährung die bekannten Erschei- nungen der alimentären Dystrophie — Abfall der Körpertemperatur, herabgesetzten Gaswechsel — zeigen. Der stark herabgesetzte Gas- wechsel der Zellen solcher Tiere wird durch Zusatz von aus Hefe ge- wonnenen Produkten sofort. stark gesteigert. Es ist wohl möglich, daß die die Erscheinungen der alimentären Dystrophie verhindernde Wir- kung von Hefe und der aus ihr gewonnenen Produkten ausschließlich auf den Einfluß bestimmter, in der Hefe enthaltenen Stoffe auf die Zell- atmung und damit auf den Gesamtzellstoffwechsel zurückzuführen ist. Im gleichen Sinne würde sich dann die heilende Wirkung von Hefe- präparaten auf die bekannten Erscheinungen der alimentären Dystrophie erklären lassen. Es ist jedoch auch möglich, daß eine Mehrzahl von Stoffen bei den ganzen Vorgängen beteiligt ist, die an ganz verschiedenen Stellen angreifen. Von diesem Gesichtspunkte aus haben wir Versuche unternommen, die zum Ziele hatten, den Einfluß von aus Hefe ge- wonnenen Produkten auf die Erregbarkeit der quergestreiften und der glatten Muskulatur festzustellen. Die Versuche wurden am Gastro- enemius, am Oesophagus, am Gesamtherzen, am Herzstreifenpräparat Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 1l 2 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Weitere Beiträge zur Kenntnis und ferner am Froschbulbus ausgeführt. Die Ergebnisse der Versuche sind am Schlusse der Arbeit zusammengestellt. Es sei hier vorweggenommen, daß sich mit den angewandten, aus Hefe mittels verschiedener Methoden gewonnenen Produkten bestimmte Wirkungen erzielen lassen. Von besonderer Bedeutung ist ohne Zweifel der Nachweis, daß die wirksamen Stoffe einfacherer Natur sind. Es geht dies daraus hervor, daß sie sich dialysieren lassen. Es ergibt sich ferner aus unseren Versuchen, daß neben Stoffen, die die Erregbarkeit der Muskulatur steigern, auch solche vorhanden sind, die hemmend wirken. Manche entsprechenden Beobachtungen sind auch beim Studium der Wirkung von Hefeprodukten auf den Verlauf der alkoholischen Gä- rung gemacht worden. In welcher Art und Weise die aus Hefe gewonnenen Produkte auf die Erregbarkeit der Muskelzellen einwirken, an welchen Stellen sie eingreifen, und ob direkte oder indirekte Wirkungen vorliegen, läßt sich auf Grund der vorliegenden Untersuchungen nicht aussagen. Wir wissen, daß jene Produkte, die die Erregbarkeit der Muskulatur steigern, auch imstande sind, den Gaswechsel und damit den Gesamtstoffwechsel von Zellen zu steigern. Ob die Erregbarkeitssteigerung in Beziehung zu dieser Beobachtung steht, muß noch dahingestellt bleiben. Es ist an und für sich denkbar, daß in der gesteigerten Erregbarkeit nichts weiter als ein gesteigerter Zellstoffwechsel zum Ausdruck kommt. Es ist aber auch möglich, daß beide Vorgänge nicht ohne weiteres zusammen- gekoppelt sind, sondern selbständig nebeneinander herlaufen. Dafür spricht, daß z. B. der alkoholische Auszug aus Hefe, der die Zell- atmung anregt, auf die Muskulatur nicht im Sinne einer Steigerung der Erregbarkeit wirkt, sondern im Gegenteil Lähmung hervorrufen kann. Man muß, solange man ein Gemisch von Stoffen in seiner Wirkung auf bestimmte Vorgänge prüft, in der Beurteilung der Wirkung sehr vorsichtig sein. Es ist bekannt, daß Tauben im Verlauf der auftretenden alimentären Dystrophie nach ausschließlichem Genuß von geschliffenem Reis schwere Krampferscheinungen zeigen. Vielfach scheint auch der Muskeltonus herabgesetzt. Schon vor Ausbruch der Krämpfe beobachtet man zu- weilen eine erhöhte Ermüdbarkeit. Es lassen sich bisweilen, jedoch nicht immer, durch Herumjagen von Tauben, die längere Zeit aus- schließlich geschliffenen Reis erhalten haben, Krämpfe auslösen. Tauben, die 2—3 Wochen nur geschliffenen Reis erhalten haben, sitzen meistens am Boden des Käfigs, während normale Tauben mit Vorliebe auf der Stange sitzen. Es ist erstaunlich, wie außerordentlich rasch erkrankte Tauben nach Zufuhr von Hefe sich erholen. Oft sitzen sie wenige Minuten nach erfolgter Zufuhr der Hefestoffe auf der Stange und benehmen sich wie ganz normale Tiere. In den meisten Fällen dauert der Erholungs- von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. 3 prozeß- allerdings etwas länger. Es kommt ganz darauf an, in welchem Zustande die Tiere sich befinden. Ob diese rasche Erholung der Mus- kulatur nur darauf zurückzuführen ist, daß die Oxydationsprozesse durch die mit der Hefe zugeführten Stoffe wieder angefacht werden, oder aber ob eine direkte Reizwirkung auf die Zellen vorliegt, bleibt noch unentschieden. Es wird von Interesse sein festzustellen, ob diese Stoffe auch auf das Nervengewebe direkt erregungssteigernd wirken. In den nachfolgend beschriebenen Versuchen sind die folgenden Hefepräparate verwendet worden. Sie tragen in der Arbeit der Kürze halber die in Klammern gesetzte römische Nummer. I. Wässeriger Hefeextrakt. Der Extrakt wird aus Trockenhefe durch 24 stündiges Anziehen mit Wasser bei der Temperatur des Wasserbades bereitet. Filtration, Eindampfen des Filtrates bei niederem Druck und einer 40° nicht überschreitenden Temperatur zur Trockene. Wägen des Rückstandes und Lösen in Wasser. : II. Alkoholischer Hefeextrakt. Gleiche Bereitung wie die des Hefe- extraktesI. Nur wird als Extraktionsmittel Alcohol absolutus verwendet. III. Aceton-Hefeextrakt. Bereitung wie I. und II. Als Extraktions- mittel dient Aceton. IV. Alkoholischer Auszug aus Hefehydrolysat. Trockenhefe wird mit 10 proz. Schwefelsäure während 24 Stunden auf dem Wasserbad erwärmt. Die Schwefelsäure wird mit Baryt quantitativ entfernt und das Filtrat im Vakuum zur Trockene eingedampft. Der Rückstand wird in abso- ‚lutem Alkohol aufgenommen und das Filtrat im Vakuum zur Trockene _ eingedampft. Der nunmehr verbleibende Rückstand wird in Wasser gelöst (= IVa). Ein Teil des Filtrates der alkoholischen Lösung wird mit dem doppelten Volumen Aceton versetzt. Es fällt eine braune Masse aus. Der in Alkohol-Aceton lösliche Anteil wird von dem in diesem Gemisch unlöslichen Teil durch Filtration geschieden. Beide Teile werden im Vakuum zur Trockene verdampft. Der alkohol-aceton- lösliche Anteil erhält die Bezeichnung IVb, der unlösliche IVc. Beide werden gewogen und in Wasser aufgenommen. V. Trockenhefe wird mit der 3fachen Wassermenge bei 37° maceriert und der Macerationssaft filtriert. Zufügen des doppelten Volumens Alkohols und abermalige Filtration. Das Filtrat wird zur Trockene eingedampft, der Rückstand gewogen und in Wasser gelöst (Va). Aus dem alkoholischen Filtrat wird in gleicher Weise wie bei Extrakt IV ein acetonlöslicher Extrakt (V b) und ein Extrakt Vc bereitet, der denin Alkohol-Aceton unlöslichen, aber in Wasser löslichen Anteil enthält. VI. Trockenhefe wird in Chloroformwasser unter Überschichtung mit Toluol im Brutschrank bei 37° der Autolyse unterworfen, bis das Filtrat keine Biuretreaktion mehr zeigt. Das Filtrat wird im Vakuum zur Trockene eingedampft, der Rückstand gewogen und in Wasser 1* 4 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Weitere Beiträge zur Kenntnis aufgenommen (VI). Das Autolysat wird nun der Dialyse unterworfen, indem 2 ccm gegen 20 ccm Ag. dest. während 16 Stunden bei 37° dialysiert werden. Der in der Dialysierhülse verbleibende Anteil der Hefe erhält die Bezeichnung VIa, das Dialysat VIb. VII. In gleicher Weise wird ein aus Trockenhefe dargestellter Mace- rationssaft dialysiert und das Dialysat verwendet. VIII. Es wird ein alkoholischer Auszug aus Hefehydrolysat in der- selben Weise wie Extrakt IVa bereitet, nur wird die Hydrolyse mit 5proz. Salzsäure vorgenommen. I. Versuche an der quergestreiften Muskulatur. Zu den Versuchen über die Wirkung von Hefepräparaten auf die quergestreifte Muskulatur des Frosches benutzten wir ausschließlich den M. gastrocnemius von Rana esculenta. Die Versuchsanordnung stimmt in allen wesentlichen Punkten mit der von Bethe!) angegebenen überein. Der Muskel befindet sich zwischen 2 Platinhäkchen in Ringerscher Flüssigkeit suspendiert. Die Platindrähte stehen in Verbindung mit der sekundären Spule eines Du Bors- Reymondschen Schlittenindukto- riums. Als Stromquelle dient ein konstantes Trockenelement von 4 Volt. Die Unterbrechung geschieht mittels eines Kontaktes, der an einem Ludwigschen Kymographion angebracht ist, in regelmäßigen Abständen von 80 Sekunden. In dem primären Stromkreis ist gleichzeitig ein Markiermagnet eingeschaltet, so daß auf der Kurve auch das Reiz- moment genau ersichtlich ist. Wir suchten in unseren Versuchen stets die Öffnungsschwelle auf und fügten in geeigneter Konzentration die Hefelösung hinzu. Eine erregende Wirkung macht sich dann in einer Vergrößerung der Muskel- kontraktionen geltend, die bei besonders starker Wirkung auch mit einer Herabsetzung der Öffnungsschwelle verbunden sein kann. Um- gekehrt äußert sich die lähmende Wirkung in Verkleinerung der Kon- traktionen und Erhöhung der Öffnungsschwelle. Zunächst seien die Versuche mit wässerigem (I) und alkoholischem (II) Hefeextrakt besprochen. In den Versuchen, die der Abb. 1 und 2 zu- srunde liegen, wird bei + 0,25ccm wässerigen Hefeextrakts (I) auf 50 ccm Ringersche Flüssigkeit zugefügt. In beiden Fällen ist die Wirkung ausgesprochen. Die Schwellenzuckungen, die in Abb. 1 vor Einwirkung des Hefeextraktes zu beobachten sind, wandeln sich unter dem Einfluß der Hefe in maximale oder submaximale Kontraktionen um. Noch deutlicher ist der Erfolg in Abb.2. Hier waren bei 130 mm Rollen- abstand nur vereinzelte Reizungen wirksam, nachdem anfangs regel- 1) Vgl. G. Kopyloff, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 153, 219. 1913. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. 5 mäßige, wenn auch untermaximale Kontraktionen aufgetreten waren. Nach Zusatz von Hefelösung zu der Ringerschen Flüssigkeit ändert sich zunächst nichts. Denn 6 Reizungen in den angegebenen Abständen hatten nur eine Kontraktion zur Folge. Dann aber setzt die Hefe- wirkung ein. Sie zeigt sich nicht allein in der Wirksamkeit jedes Reizes, sondern auch in der steigen- den Kontraktionsgröße, die schließlich maximal wird. Während in der angegebe- nen Konzentration (0,25 ccm Abb. 1. Abb. 2. Abb. 1. Reizung des M. gastrocnemius jede achtzigste Sekunde. Rollenabstand 115 mm. Bei +0,25 Hefe I (N = 1%) auf 50,0 Ringer. Abb. 2. M. gastrocnemius. R.A. 130 mm. Bei +0,25 wässeriger Hefeextrakt I (N = 1%) auf 50,0 Ringer. auf 50,0 Ringer) stets die erregbarkeitssteigernde Wirkung des wässe- rigen Hefeextraktes nachgewiesen werden konnte, genügte die doppelte Dosis (0,5cem), um eine starke Herabsetzung der Erregbarkeit zu bewirken. So wurde in einem Versuche, in dem der Muskel auf Schwellen- reize mit kleinen Kontraktionen antwortete, der Öffnungsreiz nach Zusatz ven 0,5 ccm wässeriger Hefelösung völlig unwirksam. Es genügt aber die Ringersche Flüssigkeit zu wechseln, ohne daß der Rollen- abstand geändert wird, damit wieder regelmäßige Kontraktionen auf jeden Reiz eintreten. Der alkoholische Hefeextrakt (II) wird ebenfalls in den verschieden- sten Konzentrationen untersucht. Eine erregbarkeitssteigernde Wirkung wird jedoch niemals beobachtet. In sehr geringen Konzentrationen 6 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Weitere Beiträge zur Kenntnis ist er unwirksam, in der gleichen Dosis aber, in der der wässerige Extrakt stets die Erregbarkeitssteigerung hervorruft, wirkt der alkoholische Abb. 3. M. gastrocnemius. R.A. 140 mm. Bei +0,25 alkohol. Hefeextrakt II (N = 1%). Extrakt lähmend. Abb. 3 gibt ein Beispiel für diese Wirkung. Die vor der Hefeeinwirkung maximalen oder submaximalen Kontraktionen werden seltener; die Mehrzahl der Zuckungen sind als Schwellenzuckungen anzu- sehen, ein Beweis für die Erhöhung der Reizschwelle durch den alkoho- lischen Hefeextrakt. Weitere Versuche ergaben, daß ebenso wie dem wässerigen Hefe- extrakt (I) auch dem Hefemacera- tionssaft (V a) erregbarkeitssteigernde Wirkungen zukommen. Abb. 4 gibt hierfür ein interessantes Beispiel. Zu Beginn des Versuches ist die Schwelle bei 115mm Rollenabstand gelegen. Die Kontraktionen sind bei dieser Reizstärke im allgemeinen submaxi- mal, ja gelegentlich sogar unwirk- sam. Bei 120 mm Rollenabstand sind keine Kontraktionen zu erzielen. Nach Einwirkungvon 0,5 ccm Hefemacerationssaft (Va) werden allmäh- lich die Kontraktionen maximal. Weiter läßt sich aber auch die Herab- | | \ | \ı Abb. 4. M. gastrocnemius. Die ersten vier Reizungen finden bei R. A. = 120 mm statt. Bei + R.A. = 115 mm. Bei +2 0,02g Hefeextrakt Va. Bei +3 R. A. = 120 mm. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. 7 setzung der Öffnungsschwelle zeigen; denn, wie aus dem letzten Abschnitt der Kurve hervorgeht, sind jetzt noch bei 120 mm Rollen- abstand die Öffnungsreize wirksam. Es interessiertnun weiter die Frage, in welcher der vorher beschriebenen Frak- tionen dieses Mace- rationssaftes das er- regbarkeitssteigern - de Prinzip enthalten ist. Hierbei ergab sich, daß durch Aus- ziehen mit Aceton (Vb) kein Hefeprä- parat mit einer die quergestreifte Mus- kulatur erregenden Wirkung gewonnen wird. Vielmehr ist das Präparat Vb in den üblichen Kon- zentrationen un- wirksam, in stärke- ren aber, wie auch die übrigen Hefeex- trakte, lähmend. Da- gegen ist der nach Entfernung des ace- tonlöslichen Anteils in Wasser gelöste Rückstand des Hefe- macerationssaftes (Ve) im Sinne einer Steigerung der Er- regbarkeit wirksam. Die positive Wir- kung der letztge- nannten Extrakte (Vaund Vc) erscheint uns deshalb von besonderer Bedeutung, weil dieser Extrakt eiweißfrei ist und auch Eiweißabbauprodukte nur in geringem Grade besitzt. Wir folgern hieraus, daß die erregbarkeitssteigernde Wir- kung.der Hefepräparate bezüglich der quergestreiften Muskulatur nicht an Bei +5 R. A. = 160 mm. Bei +4 Reizung bei gleichem Rollenabstand 30 Min. später. » mm. 155 Die ersten acht Reizungen finden bei R. A. = 155 mm statt. Bei +1 R. A. = 150 mm. Bei +9 0,02 g M. gastrocnemius. Hefeautolysat VL Bei +3 R. A. Abb, 5. 8 E. Abderhalden und E. Gellhormn: Weitere Beiträge zur Kenntnis die Anwesenheit hochmolekularer Verbindungen etwa der Eiweißreihe ge- bunden ist, sondern durch Verbindungen einfacherer Konstitution verursacht wird. In gleicher Richtung müssen auch die Versuche mit Hefeautolysat VI) gedeutet werden, das ebenfalls im Sinne einer Steigerung der Frreg- barkeit und Herabsetzung der Schwelle wirksam ist. Abb.5 zeigt dies in besonders überzeugender Weise. Zu Beginn des Versuches liegt die Öffnungsschwelle bei 150mm, da Öffnungsreize bei einem Rollenabstand von 155mm völlig ohne Erfolg sind. Die Zufügung von nur 0,02g Hefe- autolysat zu 50 ccm Aingerscher Flüssigkeit bewirkt nun eine bedeu- tende Vergrößerung der Kontraktionen. Die Mehrzahl der Reize löst jetzt maximale Zuckungen aus. Vermehrt man nun den Rollenabstand auf 155mm, so treten Schwellenzuckungen auf. Gelegentlich zeigt sich aber auch ein Reiz als unwirksam. Verbleibt nunmehr der Muskel, ohne gereizt zu werden, in der Hefeautolysat enthaltenden Ringerschen Lösung, so sieht man nach weiteren 30 Minuten bei dem gleichen Rollen- abstand von 155 mm regelmäßig auf jeden Öffnungsreiz maximale oder fast maximale Zuckungen. Die Schwelle hat sich also noch weiter ver- mindert. Dies wird direkt dadurch bewiesen, daß nunmehr noch bei 160 mm Rollenabstand regelmäßig Kontraktionen durch Öffnungsreize erhalten werden. Sucht man auch das Hefeautolysat durch Dialyse in verschiedene Fraktionen zu teilen, so ergibt sich, daß das dialysierte Hefeautolysat niemals erregbarkeitssteigernd wirkt. Das Dialysat hingegen vermag ebenfalls noch die Muskelkontraktionen zu vergrößern, wenn auch so starke Ausschläge wie in den Versuchen mit dem unver- änderten Hefeautolysat nicht beobachtet werden. II. Versuche am Oesophagus des Frosches. Die Versuche werden mit derselben Methodik, die sich uns in mehreren früheren Arbeiten!) bewährt hat, ausgeführt. Deshalb sei auf diese verwiesen. Hier sei nur betont, daß in allen Versuchen die Schleim- haut erhalten geblieben ist. Da aus den an der quergestreiften Muskulatur ausgeführten Ver- suchen zur Genüge hervorgeht, daß die chemische Konstitution des in der Hefezelle enthaltenen bzw. aus ihr darstellbaren Stoffes eine relativ einfache sein muß, so beschränkten wir uns in diesen Versuchen auf die Entscheidung der Frage, ob auch die Erregung der glatten Muskulatur durch eiweißfreie Extrakte ausgelöst werden kann. Dies ist in der Tat,der Fall. Sowohl im Dialysat des Hefemacerationssaftes wie auch in alkoholischen Hefeextrakien, die vorher einem vollständigen Abbau durch 24stündige Hydrolyse mit 5proz. Salzsäure unterzogen worden !) Emil Abderhalden und E. Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 18%, 243. 1921. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. 9 waren, sind, Stoffe vorhanden, die erregend auf die glatte Muskulatur des Oesophagus des Frosches einwirken. Das gleiche gilt auch von dem Dialysat des Hefeautolysats. Einige Beispiele, aus einer größeren Zahl gleichartiger Versuche ausgewählt, mögen dies belegen. In Abb. 6 wird 0,5 ccm des alkoholischen, mit Salzsäure hydrolysier- ten Hefeextraktes (VIII) zu 50 ccm Ringerscher Flüssigkeit hinzugefügt. Nach einem kurzen Lähmungsstadium tritt sehr deutlich die erregende Wirkung des Hefeextraktes in Erscheinung. Sie zeigt sich erstens in einer Erhöhung der Frequenz, die in den einzelnen Versuchen zwischen 25 und 33% schwankt, zweitens aber in einer beträchtlichen Tonus- zunahme. Dabei nimmt nicht allein die Systole zu — dies zeigt sich in dem ansteigenden Verlauf der Verbindungslinie der Gipfelpunkte —, sondern ganz besonders die Erschlaf- fung ab. Denn die Fußpunkte erfahren eine wesentlich stär- kere Erhebung als die Gipfel- punkte. Infolgedessen wird in Abb. 6 eine geringe Verklei- Abb.6. Ringpräparat des Oesophagus. Bei +5 0,014 g z Hefeextrakt VIII auf 50,0 Ringersche Flüssigkeit. nerung der Kontraktionen be- obachtet. Doch steht dies natürlich weder im Widerspruch zu der allgemein erregenden Wirkung des Hefeextraktes VIII noch zu einer gelegentlich beobachteten Vergrößerung der Kontraktionen. Denn je stärker die erregende (systolische) Wirkung ist, um so mehr nähert sich die Kurve dem Stillstand in Systole. Es überwiegt also die Tonuszunahme und hat Verminderung der Kontraktionsgröße zur Folge, während in schwächeren Konzentrationen die Vergrößerung der Kontraktionen beobachtet wird und die Tonuszunahme ganz in den Hintergrund tritt!). In einem Teil der Versuche wird das sofort nach Hefezusatz vorübergehend feststellbare Lähmungsstadium ver- mißt. Tonuszunahme, Frequenzerhöhung usw. setzen in diesen Ver- suchen sofort ein. Eine Reihe weiterer Versuche galt dem Studium der Wirkung des Hefe- autolysats. Hier lehren die Versuche, daß das Wirkungsbild sehr stark I) ) N \ j | 1) Vgl. hierzu die analogen Befunde bei dem Studium von Optonen, vergl. z.B. Abb. 18 und 19 der früheren Mitteilung (Emil Abderhalden und E. Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 62—63. 1921), sowie die entsprechenden Ergebnisse in Versuchen über die Wirkung von BaCl, am Herzstreifen und Gesamt- herzen (cf. Emil Abderhalden und E. Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 328ff. 1920). 10 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Weitere Beiträge zur Kenntnis von der angewandten Konzentration abhängt. Es enthält das Hefeauto- lysat nämlich neben erregenden auch lähmende Stoffe. In sehr schwacher Konzentration (0,0044 g auf 50,0 cem Ringer) wird nur die lähmende Wirkung, die sehr schnell vorübergeht, sich aber in Tonus- und Frequenz- abnahme äußert, deutlich festgestellt. Nach Ablauf des kurzen Lähmungs- stadiums ist zwar auch hier bisweilen eine Erhöhung der Frequenz und eine geringe Vergrößerung der Kontraktionen wahrzunehmen. Die Ergebnisse sind aber doch etwas schwankend, weil die Emp- findlichkeit der verschiedenen Präparate sowie des gleichen Präparates, wenn N mehrere Versuche an ihm angestellt ee ee “7; werden, nicht dieselbe ist. Diese Ver- 50,0 Ringersche Flüssigkeit. hältnisse machen es nahezu unmöglich, bestimmte Grenzkonzentrationen, in denen die Hefepräparate eben noch wirksam sind, anzugeben. In mitt- leren Konzentrationen aber erhält man regelmäßig die typische er- regende Wirkung, die sich auch hier an ein Lähmungsstadium an- schließt. In Abb. 7 sind alle Anzeichen dieser erregenden Wirkung Abb. 8. Ringpräparat des Oesophagus. Bei + 0,22 g Hefeautolysat (VI) auf 50,0 Ringersche Flüssigkeit. (Tonuszunahme, Vergrößerung der Zuckungen, Frequenzerhöhung;) sehr ausgeprägt. Die Dosis beträgt 44 mg Hefeautolysat auf 50 ccm Ringer- sche Flüssigkeit. Wendet man noch stärkere Konzentrationen an (Abb. 8; Dosis 0,229 auf 50 ccm Ringer), so behält das erregende Prinzip nach dem kurzen Lähmungsstadium nicht dauernd die Ober- hand, sondern wird stark durch die lähmende Substanz beeinflußt. Sie von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. 11 beseitigt in Abb. 8 die Tonuszunahme und führt sogar eine beträcht- liche Abnahme der Frequenz der Zuckungen herbei. Sie vermag aber nicht die starke Vergrößerung der Zuckungshöhen zu unterdrücken. Abb. 9. Ringpräparat des Oesophagus. Bei + 0,008 g Hefeextrakt VIa auf 50,0 Ringersche Flüssigkeit. Nun trennten wir auch in diesen Versuchen das Hefeautolysat in 23 Fraktionen durch Dialyse. Abb. 9 und 10 geben Beispiele für die Wirkung der dialysierten Hefe aus Hefeautolysat in verschiedenen Konzentrationen wieder. Es geht aus diesen Versuchen hervor, daß das dialysierte Präparat in schwacher Dosis (0,008—0,016 g auf 50,0 ccm Abb. 10, Ringpräparat des Oesophagus. Bei + 0,22g Hefeextrakt VIa auf 50,0 Ringersche Flüssigkeit. Ringer) nur eine vorübergehende lähmende Wirkung besitzt. Eine geringe Abnahme des Tonus ist ebenso wie eine bedeutende Frequenz- verminderung aus Abb. 9 ersichtlich. Diese Wirkung klingt aber nach atwa 10 Minuten von selbst wieder ab. In stärkeren Konzentrationen aber kommt auch der dialisierten Hefe, wie Abb. 10 dartut, eine starke 12 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Weitere Beiträge zur Kenntnis erregende Wirkung zu. Die Kurve gleicht beinahe der Abb.7, so daß eine weitere Besprechung unnötig ist. Abb. 11 gibt ein Beispiel für die Wirksamkeit des Dialysates aus Hefeautolysat. Nach einem ganz ge- ringen Lähmungsstadium tritt auch hier wieder Zunahme der Frequenz und des Tonus auf. Bemerkenswert ist, daß auch in den Versuchen am über- lebenden Oesophagus der erregende Körper dialysabel ist. Zu dem gleichen Bei + 0,16g Hefeextrakt VIb auf 50,0 Ringersche Flüssigkeit, Abb. 11. Ringpräparat des Oesophagus. Schluß hatten auch die oben darge- legten Versuche an der quergestreiften Muskulatur genötigt. Ein drittes, ebenfalls eiweißfreies Hefepräparat, das Dialysat des Hefe- macerationssaftes (VII) zeigt in geeig- neter Konzentration wiederum starke erregende Wirkungen auf den über- lebenden Froschoesophagus. In dem a)'Ringpräparat des Oesophagus. Bei + 0,022 g Hefedialysat VII auf 50,0 Ringersche Flüssigkeit. b) Nach Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. Abb. 12a u. b. Versuche der Abb. 12 tritt die erregende Wirkung nach dem anfäng- lichen Lähmungsstadium nicht nur in Tonuserhöhung und Zu-. nahme der Frequenz, sondern auch in der Vergrößerung der Kon- traktionen in Erscheinung, die etwa 40%, der ursprünglichen Größe von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. 13 ausmacht. Nach Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit nimmt der Tonus sofort wieder ab, die Vergrößerung der Kontraktionen aber bleibt er- halten, bzw. sie erfährt noch eine Verstärkung. Auch dies Verhalten findet z. B. in Versuchen mit BaCl, seine vollständige Analogie. III. Versuche an Froschherzen nach Straub und am Herzstreifenpräparat nach Löwe!). 1. Versuche am Gesamtherzen. Zu den Versuchen am Froschherzen nach Straub benutzten wir folgende Hefeextrakte: i 1. Wässerigen Hefeextrakt (I); 2. alkoholischen Hefeextrakt (II); 3. alkoholischen Hefeextrakt aus mit H,SO, hydrolysierter Trocken- hefe (IV) mit seinen 3 Fraktionen a, b, c; 4. Hefemacerationssaft (eiweißfrei) V mit 3 Fraktionen. Von diesen Extrakten zeigen die beiden alkoholischen Extrakte nur lähmende, negativ-inotrope Wirkungen. In größeren Konzentrationen Abb.13. Herzpräparat nach Straub. Bei + 7 0,05 cem alkohcl. Hefeextrakt II auf 1 ccm Ringer 8. Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. kommt es zum Stillstand in Diastole. Doch ist die Wirkung stets reversibel. Es genügt lediglich, die Nährflüssigkeit ein oder mehrere Male zu wechseln. Frequenzänderungen im negativ-chronotropen Sinne werden an guten Präparaten nur bei sehr starken Konzentrationen beobachtet. Abb. 13, aus einem Versuche mit alkoholischem Hefe- extrakt (II) stammend, zeigt die charakteristische reversible, negativ- inotrope Wirkung. Dagegen vermag der wässerige Hefeextrakt (TI) in der gleichen Kon- zentration, in der der alkoholische Extrakt lähmt, eine starke positiv- 1) Bezüglich der Versuchsanordnung sei auf unsere früheren Mitteilungen verwiesen (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 28. 1920; 183, 303. 1920. 14 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Weitere Beiträge zur Kenntnis inotrope Wirkung auszulösen. Abb. 14 zeigt, daß auch an der Herz- muskulatur anfangs ein geringes Lähmungsstadium (negative Inotropie) b) b) Nach Wechsel PLETTITITIITTETI TRITT OTTIRTTTTIRIT IT PLTTITTIERTITURRPITTTTN 3 3 = E E E 3 E E A a) a) Herzpräparat nach Straub. Bei +18 0,005 ccm wässeriger Hefeextrakt I auf 1 ccm Ringer. JVEBTETRATOTATTTOTETLLTELUORTRTBLERTLTETITETITBTDTRERTTTG Abb. 14a u. b. der Ringerschen Flüssigkeit. beobachtet wird, bevor die Vergrößerung der Kontraktio- nen einsetzt. In etwas größe- rer Dosis (lcg pro Kubik- zentimeter Ringersche Flüssig- keit) ist das Lähmungsstadium viel erheblicher. Die Pulsgröße nimmt etwa um ein Drittel ab und erst nach 2—3 Minuten kommt es zu der charakteristi- schen Pulsvergrößerung. In die- sem Stadium macht sich die negativ-inotrop wirkende Sub- stanz noch indirekt geltend. Dies erkennt man daran, daß nach Wechsel der Ringerlösung noch eine weitere Zunahme der Pulsgröße eintritt. Fügt man aber 0,02 g Hefeextrakt (I) zu lccm KRingerscher Flüssigkeit, so tritt nur die Jlähmende Wir- kung in Erscheinung. Die Pulse nehmen, wie Abb. 15 zeigt, unter gleichzeitiger Verlangsa- mung schnell an Größe ab; der Wechsel der Ringerschen Flüs- sigkeit genügt aber, um die negativ-chronotrope und ino- trope Wirkung restlos zu be- seitigen. Dem Hefemacerationssaft (V), dessen nähere Bereitung oben angegeben wurde, kommt eben- so wie seinem acetonlöslichen Anteil (Vb) nur eine negativ- inotrope Wirkung am Herzen zu. Dagegen ruft der nach Abtrennung des acetonlös- lichen Anteils verbleibende Rückstand eine sehr deutlichePulsvergröße- rung hervor, wie Abb. 16 zeigt. Durch diesen Versuch dürfte also auch für die Herzmuskulatur der Nachweis erbracht sein, daß ebenso wie von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. 15 in den Versuchen an der quergestreiften und der glatten Muskulatur auch für die Herzmuskulatur eiweißfreie Hefeextrakte eine erregende, die Leistungsfähigkeit der Muskulatur erhöhende Wirkung besitzen. Abb. 15. Herzpräparat nach Straub. Bei +20 0,02ccm wässeriger Hefeextrakt I auf 1 ccm Ringer. 21. Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. Abb. 16. Herzpräparat nach Straub. Bei +13 0,0008 g des Hefemacerationssaftes V c. +14 Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. 2. Versuche am Herzstreifenpräparat nach Löwe. Wie erwartet, ergeben die Versuche am Herzstreifenpräparat ganz entsprechende Ergebnisse. Zur Darstellung des Ausmaßes der erregenden Wirkung beschränken wir uns auf die Wiedergabe der Abb. 17. Auch in den Versuchen am Herzstreifen zeigen die Pulse erst einige Minuten nach dem Zusatz des wässerigen Hefeextraktes (I) das Maximum ihrer Wirkung. Die alkoholischen, aus hydrolysierter Trockenhefe erhaltenen Ex- trakte zeigen wiederum sämtlich eine negativ inotrope Wirkung, ohne daß die Frequenz in mittleren Dosen, die zu einer bis 50% betragenden Pulsverkleinerung führen, herabgesetzt wird. 16 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Weitere Beiträge zur Kenntnis Versuche, die wir am Herzstreifen mit Hefeautolysat anstellten, hatten ein positives Ergebnis. Es zeigt sich nämlich, daß sowohl die dialysierte Hefe wie auch das Dialysat eine bedeutende Puls- vergrößerung auslösen, die auch hier wiederum erst nach einigen Minuten das Maximum erreicht. Ein quantitativer Unterschied zwi- schen dem dialysierten Präparat und dem Dialysat ist, wie die Abbil- dungen 18 und 19 lehren, nicht sicher vorhanden. Es läßt sich mithin auch am Herzstreifen durch eiweipßfreie Hefeextrakte eine positiv-inotrope Wirkung erzielen. Hervorgehoben sei weiter die Tatsache, daß die Wirkung der Hefe- präparate in gewisser Hinsicht auch von dem Zustande des Präparates abhängig ist. So gelingt es, ein Herzstreifenpräparat, das spontan oder aus bestimmten Ursachen (z. B. Sauerstoffmangel) eine unregelmäßige Tätigkeit aufweist, in günstigem Sinne durch positiv-inotrop wirkende Abb. 17. Herzstreifenpräparat nach Löwe. Bei +1 0,2ccm des wässerigen Hefeextraktes I auf 50,0 Ringer. Bei +2 5 Min. später. Bei +3 Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. Hefepräparate zu beeinflussen. Wir beobachteten, daß z. B. Pulsus alternans, völlige Irregularität der Kontraktionen und endlich auch Lucianische Perioden unter dem Einfluß der Hefe schwinden und völlige Regularität an ihre Stelle tritt. Andererseits zeigt sich, daß negativ-inotrop wirkende Hefepräparate an geschädigten Herzstreifen neben der Pulsverkleinerung noch eine erhebliche Verlangsamung der Kontraktionen herbeiführen. Dies läßt sich z. B. in folgender Weise zeigen. Ein durch Sauerstoffmangel geschädigter Herzstreifen schlägt, wie wir früher!) nachgewiesen haben, in ziemlich langsamem Rhythmus. Zugabe von alkoholischem Hefeextrakt bewirkt nun Verkleinerung und Verlangsamung der Pulse und führt schließlich zum diastolischen Stillstand. Wechselt man nunmehr die Flüssigkeit, so gelingt es, durch vorübergehende Einwirkung von Bariumchlorid die Frequenz und Pulsgröße zu vermehren. In diesem Zustande nun wird durch die gleiche Konzentration des Hefepräparates lediglich die Pulsgröße beeinflußt, nicht aber ihre Frequenz. ” 1) Emil Abderhalden und E. Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 303. 1920. 17 “ONSISEnLT aayasıadury I9p [osy99M E+ 190g loyyds usynumm g s+ Ted 'Iadumg 009 Fuv (N %eız0) AIA FesAfofneapH wa TO I+ KT SAOT yaeu yeıgde1duofla1lIszIaH, TREPPEN TOR IMPORTE TIRPERIIN EI TRNRETEIUTTURT RUN IT RT TI RRURT FTIR KETARRTIN PORTMI TI LU ua LU Mal a UT u LE BU LU DU TU EU TU LU UT [4 TITAN EIN l | N) "NONSISENIT ueyosladug Iop 19sy9aM 9+ 197 'ıoyads uognuım @g+ Tag Tadury 009 mu (N %SIE0) BIA JeskjomepH wa9 To F+ IT MAT yaeu yeredeıdupzlargsziay 8 "AAV von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. 6T ’aav Physiol. Bd. 195. Pflügers Archiv f. d. ges. I E. Abderhalden und E. Gellhorn: Weitere Beiträge zur Kenntnis Indem wir die Bedeutung des Zustandes des Herzstreifens für die Reaktion betonen, befinden wir uns in Übereinstimmung mit J. Ma- chiela!), der gleichsinnige Erfahrungen bei pharmakologischen Unter- suchungen am Herzstreifen machte. Gemeinsam ist den an quergestreifter, glatter und Herzmuskulatur ausgeführten Versuchen das Ergebnis, daß bestimmte Hefeextrakte imstande sind, die Leistungsfähigkeit der Muskulatur zu erhöhen. Dabei ergibt sich weiter die wichtige Tatsache, daß diese Wirkung der Hefezelleninhaltsstoffe ebensowenig wie seine gärungsbeschleunigende Wirkung und die Anregung der Zellatmung an eiweißhaltige Extrakte ge- bunden ist. Vielmehr wird sie auch mit Hefeautolysat (VI), dem Dialysat des Macerationssaftes (VII) sowie dem aus Hefemacerationssaft nach Entfernung des alkohol-acetonlöslichen Anteils dargestellten Extrakt Ve erzielt. Betonen aber möchten wir die Tatsache, daß die positiv-inotrope Wirkung eines Extraktes an der quergestreiften Muskulatur nicht seine Wirkung z. B. am Herzstreifen voraussehen läßt. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir stets mit komplizierten Gemischen arbeiten und vorerst keinen sicheren Anhaltspunkt für die Tatsache haben, daß es sich bei dem auf die quergestreifte, glatte und Herzmuskulatur positiv-inotrop wirkenden Stoffe um den gleichen, einheitlichen Körper handeln könne. IV. Versuche am überlebenden Froschauge. Nach der Methodik, die in einer früheren Mitteilung?) von uns geschil- dert wurde, sind auch eine Reihe von Versuchen an der Iris von Rana temporaria angestellt worden. Zur Verwendung kamen wässerige (T), alkoholische (II) und Acetonextrakte (III) aus Trockenhefe. Aus dem Versuche der Tab. I geht hervor, daß wässeriger Hefeextrakt am über- lebenden Froschauge mydriatisch wirkt. Zu bemerken ist aber, daß die Wirkung sehr langsam eintritt, dann etwa eine halbe Stunde anhält und schließlich spontan abklingt. Tabelle 1. Horizon- | Vertikaler taler Durch- Durch- messer messer in mm In mm 0 Min. Ringer 2,5 1,7 lin: Prim. wässer. Hefeextr. (N = 0,9%) 6 E2) „ » „ (N —= (0,9 %) 2,5 Isa 30 Er) „ „ „» (N — 0,9 %) 2,6 1,9 50 Er) ” ” er) (N == 0,9%) 2,6 19 60 ” ” „ „ (N == 0,9 YA) 2,5 1,9 67 „ ” ” „ (N — 0,9 Y%) 2,5 1,9 Ur ” ER) ER) ” (N = 0,9%) 2,4 1,9 1) J. Machiela, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. 14, 287. 1921. ®) E. Abderhalden u. E.Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 28. 1920. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. Tabelle I (Fortsetzung). 119) Kontrollauge. Horizon- | Vertikaler taler Durch- Durch- messer messer in mm in mm 0 Min Ringer 2 57 30 °;, E 2,4 I? 50.1, r 2,4 1,7 607°, ” 2,3 1lor/ ul is 2,3 167, ee Ki 2,3 17 - Entsprechende, mit alkoholischem Hefeextrakt (II) angestellte Ver- suche ergeben keine direkte Wirkung. Indirekt läßt sich aber auch von diesem Extrakt zeigen, daß er den M. dilatator pupillae erregt. Tab. II zeigt nämlich, wie die Vorbehandlung mit alkoholischem Hefeextrakt die Adrenalinwirkung verstärkt. Während am Kontroll- auge eine sehr geringe Mydriasis erst nach 19 Minuten einsetzt — es wurde eine alte, schwach wirksame Adrenalinlösung verwendet — be- wirkt die gleiche Adrenalinlösung an dem vorbehandelten Auge eine * sofort beginnende und maximale Mydriasis. Endlich konnte in einer weiteren Versuchsreihe mit Acetonhefe- extrakt wiederum direkt und zwar eine ziemlich starke Mydriasis erzeugt werden. Allerdings ist es auch bei diesem wirksamsten Extrakt nicht gelungen, eine maximale Mydriasis hervorzurufen, da durch Adrenalin, wie Tab. III zeigt, eine Zunahme der Mydriasis erzielt wird. Tabelle II. Horizont. Vertikaler Durch- Durchm.i. messer in mm mm 0 Min. Ringer 2,8 1,6 Sales; > 2,8 1,6 9 ,„ Prim. wässer. Hefeextr. (1% N) 16 „ » ER) „ 0% N) 2,8 1,6 20 „ „ ER) „ 7 N) 2,8 1,6 24 „ „ » » (1% N) 2,8 1,6 24 , Adrenalin 1/,oo 000 27 ” „ 1/00 000 2,9 1,8 30 » 1/ 100 000 3,0 2,2 3» > 100 000 3,6 3,0 37.» > T/ 100 000 3,6 31 41 „ »» "/100 000 3,8 3,2 I» ” 1/ 00.000 3,8 3,7 maximale Mydfriasis 73» » U 00.000 3,8 3,7 118, ,, Er loan 3 32 IF 20 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Weitere Beiträge zur Kenntnis Tabelle II (Fortsetzung). Kontrollauge. e Horixont. Vertikaler Durch- Durchm. i. messer in mm mm 0), Ringer 2,8 or 3 0 35 2,8 15% 13% “ 2.85% m 2A ,„ > 2,6 157 214 ,„ Adrenalin Y/,oo 000 23 „ » "/100 000 2,6 1,7 32 „ » \/100 000 2,6 1,7 3» » "/100 000 2,6 1,7 38 » „ "/100 000 2,6 1,7 43 5 » 1/100 000 2,6 2,0 48 ” : E2 1/ 100 000 2,6 2,0 53 ’ Ei} 1/ oo 000 2,1 2,0 Tone r en) 2,7 2,0 IST EB man 2,5 2,0 Tabelle III. Versuche am überlebenden Froschauge. Horizont. | Vertikaler Durchm.i. | Durchm. i. mm mm 0 Min. Ringer DD Ilor/ 2 ,„ | Primär. Acetonhefeextr. (N = 0,17%) Us > ” (N = 0,17%) 2,2 1,7 25 » » (N = 0,17%) 2,4 1,9 35 5 I“ (N 0,1795) 2,4 2,2 40 ,, » > (N = 0,17%) 2,5 2,2 49 .,, 0 35 (N = 0,17%) 2,5 2,5 60 ,, 55 25 (N = 0,17%) 2,5 2,5 70 ’ ” ” N= 0, 12700) 27 DT Adrenalin Y,o000 75,» E2) 2/10 000 2,9 3,0 80 „ » "10.000 2,9 3,2 Kontrollauge. 07 Me Ringer 285 1,8 27 ” ” 2,5 1,8 36 ” EE) 2,5 1,9 40 ,„ > 2,5 159 502 h, 2,5 1,9 60 , 5 2,3 1,9 71025; Ar 2,3 1,8 Ss ,, 5 2,3 1,8 Da es sich bei den Extrakten zweifellos um Gemische zahlreicher Stoffe handelt, erschien es uns nicht zweckmäßig, eine genauere pharma- kologische Analyse des Angriffspunktes der Extrakte auszuführen. Zusammenfassend ist also zu sagen, daß verschiedene aus Trockenhefe von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. 21 dargestellte Auszüge Stoffe enthalten, die teils direkt teils indirekt (durch Verstärkung der Adrenalinmydriasis) am überlebenden Froschauge eine Mydriasis hervorrufen. Zusammenfassung. Es wird über die Wirkung einer großen Reihe verschiedenartiger Hefeauszüge auf die Muskulatur des Frosches (Gastrocnemius, Oesophagus, Herz) berichtet. Dabei zeigt sich, daß, während einigen Extrakten nur eine lähmende, negativ-inotrope Wirkung zukommt, andere Auszüge in geeigneter Konzentration imstande sind, die Leistungsfähigkeit der quergestreiften, glatten und Herzmuskulatur zu erhöhen. Diese Wirkung kommt auch völlig eiweißfreien Extrakten zu. Sie ist durch folgende Befunde charak- terisiert: 1. Am M. gastrocnemius zeigt sich unter dem Einflusse der Hefeextrakte eine Herabsetzung der Öffnungsschwelle sowie eine Vergrößerung der Zuckungshöhe, wenn der Rollenabstand des Schlitteninduktoriums derselbe bleibt. 2. Am Oesophagus tritt nach einem durch Tonusabnahme und Fehlen von Kontraktionen charakterisierten Lähmungsstadium infolge des Hefe- zusatzes eine mächtige Erregung der glatten Muskulatur ein. Diese erkennt man an der Zunahme des Tonus, der Erhöhung der Frequenz und eventuell auch der Vergrößerung der Kontraktionen. 3. Am Gesamtherzen nach Straub wie auch an dem Löweschen Herz- streifenpräparat bewirken Hefeextrakte eine bedeutende Zunahme der Pulsgröße, die oft erst nach einer schnell vorübergehenden Verminderung der Kontraktionsgröße beobachtet wird. Die positiv-inotrope Wirkung erreicht nach etwa 3 Minuten ihr Maximum. Sind die Kontraktionen eines Herzstreifens durch Sauerstoffmangel unregelmäßig (Pulsus alternans, Lucianische Perioden usw.), so tritt unter dem Einflusse positiv-inotrop wirkender Hefeextrakte eine Regularisierung der Pulse in Verbindung mit der Steigerung der Pulsgröße ein. Weiter wird auf die Bedeutung des Zustandes des Herzstreifens für seine Reaktion auf den Zusatz von Hefe- präparaten hingewiesen. 4. Es wird der Nachweis erbracht, daß bestimmte Hefeextrakte am enucleierten Bulbus von Rana temporaria teils direkt teils indirekt durch Verstärkung der Adrenalinmydriasis eine Erweiterung der Pupille hervor- rufen. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. Mitteilung. Über den Ursprung der Kontraktionswärme!). Von Otto Meyerhof. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Kiel.) Mit 5 Textabbildungen. (Eingegangen am 18. Februar 1922.) Inhalt : Einleitung (S. 22) Kap. I. Bestimmung der Verbrennungswärme der Milchsäure (S. 24). Kap. II. Der kalorische Quotient der Milchsäure (S. 26). a) Der kalorische Quotient im gereizten Muskel (S. 28). b) Der kalorische Quotient in der zerschnittenen Muskulatur (S. 32). c) Wärme- und Milchsäurebildung im ruhenden Muskel (S. 40). Kap. III. Über Wärmebildung beim Eindringen von Säure in den Muskel (S. 44). Kap. IV. Über die Dissoziationswärme des Eiweißes (S. 49). a) Neutralisationswärme der Milchsäure in anorganischer Lösung (S. 49). b) Neutralisationswärme der Milchsäure in eiweißhaltigen Flüssig- keiten (S. 52). c) Die Dissoziationswärme der Aminosäuren (8. 53). d) Die Neutralisation der Milchsäure durch isoliertes Eiweiß (S. 57). Kap. V. Bemerkungen zu den chemischen Vorgängen bei der Kontraktion (S. 64). a) Keine Bildung anaerober Kohlensäure (S. 64). b) Kein meßbares anaerobes Verschwinden von Milchsäure (S. 65). c) Über die mutmaßliche Stellung der Eiweißentionisierung im Kon- traktionsvorgang (S. 67). d) Betrachtungen zum gesamten Kontraktionszyklus (S. 71). Zusammenfassung (S. 72). „ Einleitung. Wenn der Muskel unter anaeroben Bedingungen Arbeit leistet, so schwinden Kohlenhydrate, ganz vorwiegend das Glykogen, und es tritt eine äquivalente Menge Milchsäure auf. Prinzipiell der gleiche Vorgang spielt sich auch dann ab, wenn der Muskel durch Temperaturerhöhung oder chemische Substanzen in Starre versetzt wird und schließlich auch, wenn wir dem Muskel ohne jede Reizung bei niederer Temperatur den 1) Die Arbeit wurde mit Unterstützung der Jagorstiftung ausgeführt, der auch hier für die geleistete Hilfe gedankt sei. O. Meyerhof: Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 23 Sauerstoff entziehen; nur verläuft dieser Vorgang dann erheblich lang- samer. Die allgemeine Gleichung dieser anaeroben Stoffwechselphase lautet einfach '/„, (C,H,005)n + H,O = 2C,H,0,; gleichzeitig treten hierbei pro 1g Milchsäure gegen 400cal. auf, wobei wir vorläufig von den früher beobachteten Schwankungen absehen. Die Verbrennungs- wärme des Glykogens ist in einer Reihe von Versuchen von Stohmann!) für 1g Glykogen zu 4191 cal., also für 0,9 g entsprechend 1 g Glucose zu 3772cal. bestimmt. Die Verbrennungswärme der Milchsäure ist bisher noch niemals experimentell bestimmt worden. Dies ist nur von Louguinine für den Äthylester geschehen und hieraus ist lediglich rechnerisch die Verbrennungswärme zu 366l cal. pro 1g gefunden worden?). Die Differenz beider Werte ist 11l1cal. Wir finden aber für diese Reaktion 400 cal. Das hierin gelegene Problem wird in der fol- genden Arbeit behandelt, wobei sowohl die angeführten Zahlen auf ihre Richtigkeit experimentell geprüft als auch die Ursache für die Abwei- chung der thermochemischen und in der Muskulatur ermittelten Wärme- werte aufzuhellen versucht wird. Beides gelingt in erheblichem Umfange. Von verschiedenen Autoren ist darauf hingewiesen, daß der hier betrachtete Vorgang nicht der einzige zu sein braucht, der sich bei der Anaerobiose des Muskels abspielt, und unsere ausschließlich auf die Kohlenhydrat- und Milchsäurebilanz gegründete energetische Über- lesung ist einer gewissen Einseitigkeit geziehen worden. Es ist nun scharf zu unterscheiden, ob etwaige sonstige Vorgänge im Endresultat zur Geltung kommen oder nicht. Z. B. die von Embden angenommene Abspaltung anorganischer Phosphorsäure?) aus Hexosephosphorsäure bei der Kontraktion kommt im Endresultat nicht vor. Denn wie ich schon wiederholt hervorhob, schwindet ja in der Anaerobiose beim Auftreten der Milchsäure das Glykogen selbst und es kann bei weit- gehender Ermüdung eine viel größere Menge Milchsäure entstehen als überhaupt Phosphorsäureester vorhanden ist. Mithin muß sich bereits anaerob die freigemachte Phosphorsäure mit neu zersetztem Glykogen wieder synthetisieren und dementsprechend ist auch kurze Zeit nach Ablauf der Kontraktion der Gehalt an anorganischem Phosphat nicht vermehrt*). Behalten wir die Äquivalenz von Glykogen und Milchsäure im Auge, so könnte ein anderer für die Bilanz in Betracht kommender und uns bisher entgangener Vorgang nur ein solcher sein, der vom Kohlenhyäratstoffwechsel unabhängig ist. Hierbei müßte eine be- - trächtliche Stoffmenge umgesetzt werden, um die erforderliche Größen- 1!) Journ. f. prakt. Chem. (2) 50, 385. 1894; vgl. Landolt-Börnstein, 4. Aufl., 8. 922. 2) Cpt. rend. 101 (2), 1154. 1885. 32) Embden und Lavaczek, Klin. Wochenschr. 1, Nr. 1, S. 23. 1922. . *) Siehe Parnas und Wagner, Biochem. Zeitschr. 61. 1914 und Zaquer, Zeit- schr. f. physiol. Chem. 93, 1914/1915. 24 OÖ. Meyerhof: ordnung zu erreichen, und dies um so mehr, je geringfügiger die Ver- schiebung des Atomgefüges bei dieser Umsetzung und entsprechend die molekulare Wärmetönung der Reaktion sein würde. Von Winfield unter Leitung von Hopkins ist festgestellt worden, daß keinerlei Schwin- den von Fett!), von Parnas und Wagner?), daß keine Zersetzung von Eiweiß zu konstatieren ist. Nur ein sehr weitgehender anaerober Mole- külzerfall könnte bei verhältnismäßig kleinen Substanzmengen ein in Betracht kommendes Resultat bewirken. Aus diesem Grunde ist im folgenden noch einmal die etwaige Bildung anaerober Kohlensäure (nicht Austreibung!) geprüft worden, da sie im intakten Froschmuskel bisher noch nicht sicher ausgeschlossen worden ist. Abgesehen davon, daß es leicht gelingt, sie tatsächlich auszuschließen, werden sich überhaupt Resultate ergeben, die es als außerordentlich unwahrscheinlich er- scheinen lassen, daß noch andere chemische Prozesse als der hier allein in Betracht gezogene auf die energetische Bilanz von Einfluß sind. Kapitel I. Bestimmung der Verbrennungswärme der Milchsäure. Das wichtigste Postulat war zunächst die Verbrennungswärme der Milchsäure neu zu bestimmen, da das Louguininesche Verfahren der Berechnung per analogiam unbefriedigend erscheint, abgesehen von den möglichen Fehlern bei der Bestimmung der Verbrennungswärme des Äthylesters. Ich unterzog mich dieser ziemlich langwierigen Auf- gabe und habe die Ausführung der Messungen an einem anderen Ort beschrieben®), so daß hier nur die gefundenen Resultate mitzuteilen sind. Eine direkte Verbrennung der freien Milchsäure ist allerdings nicht möglich. Krafft und Dyes*) ist es zwar gelungen, reine krystallisierte Milchsäure darzustellen. Diese erwies sich jedoch als schlecht haltbar und enorm hygroskopisch; die durch Destillation wasserfrei gemachte Säure wandelte sich schon vor völliger Trocknung teilweise in das Anhydrid um. Dagegen ist das krystallisierte milchsaure Zink in hoher Reinheit im Handel zu haben. Ich benutzte das völlig analysenreine aus heißem Wasser umkrystallisierte Salz Zn(C,H,O,), + 3 H,O, das vor Gebrauch durch Erhitzen auf 110° von Krystallwasser befreit wurde. Es gelang mit einigen Kunstgriffen dieses in der Berthelotschen Bombe glatt zu verbrennen; alle nötigen Umsatzwärmen wurden in Dewargefäßen bestimmt. Die Bestimmungsmethode ist mithin indirekt, aber doch vollständig experimentell und unterscheidet sich somit von der von Louguinine angewandten. Folgende Reaktionswärmen wurden be- stimmt: | 1) Journ. of physiol. 49, 171. 1915. 2) Biochem. Zeitschr. 61, 416. 1914. 3) Biochem. Zeitschr. 129, 594. 1922, erscheint gleichzeitig. 4) Ber. d. chem. Ges. 28, 2589. 1895. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 25 I. Zn(C,H,O,), (fest) + 60, =ZnO (fest)+6 0, (gasf.) +5 H,O (flüss.). TI. 2 C,H,0, (coae.) + aq. =2C,H,O, ag. III. 2 C,H,O, aq. + Zn O (fest) = Zn (C,H,O,), aq. + H,0 (flüssig). IV. Zn(C,H,O,),aq. + 2HClaq. = ZnCl,aq. + 2C,H,O; ag. V. Zn(C,H,0,), (fest) +2 HClaq. = ZnCl,aqg. + 2C,H,O,ag. Bei Addition der 4 ersten Gleichungen und Subtraktion von V fallen alle Größen heraus außer den fettgedruckten und wir erhalten als Resultat 2 C,H,0, (conc.) +60, =6C0, (gasf.) + 6 H,O (fl.) Im einzelnen ist dazu zu bemerken, daß an Stelle der Gleichungen IV und V prinzipiell auch die direkte Lösung des festen Zink- lactats in Wasser hätte gewählt werden können, der Umweg ist durch die Schwerlöslichkeit des Zinklactats geboten. Ferner ist Gleichung II für die späteren Überlegungen nicht unbedingt nötig, da uns nur die Ver- brennungswärme der verdünnten Säure interessiert. Auch konnte die Ver- dünnungswärme nur für die 70 proz. käufliche anhydridhaltige Säure bestimmt werden. Nur zum Vergleich mit den Resultaten Louguinines und mit den sonst auf reine Substanzen bezogenen Verbrennungs- wärmen wäre die genauere Kenntnis der Verdünnungswärme erforderlich. Für Gleichung 1 ergab sich pro 1 g wasserfreies Zinklactat in 4 Ver- brennungen 2596, 2601, 2595, 2596 cal., im Durchschnitt 2597 cal. oder pro 1 Mol (Molekulargewicht 243,54) 632 540 cal. Für Gleichung II ergab sich bei 1l0facher Verdünnung der käuflichen 74 volumenproz. Säure pro 1 g reine Milchsäure 14,2 und 14,0 cal.; die 35 proz. Säure bei ähnlicher Verdünnung ergab pro 1g 9,2 ccal., die 17 proz. 5,75cal. Man kann für die 100 proz. Säure vielleicht den Wert 18,5 cal. extrapolieren, doch wird nur der experimentell bestimmte Wert der Verdünnungswärme der 74proz. Säure berechnet, dieser gibt für 2Mol entsprechend Glei- chung II 2520 cal. Für Gleichung III ergab sich in 5 Bestimmungen pro 1 g festes geglühtes Zinkoxyd 289, 291, 282, 279, 283 cal., Durchschnitt 285 cal. oder pro 1 Mol 23 180. Für Gleichung IV ergab sich nach Abzug der Verdünnungswärme der Salzsäure keine meßbare Wärmetönung (im Mittel von 3 Versuchen für 2 Millimol HCl etwa —0,1cal. oder pro 1 Mol Zinklactat —100 cal. Der Wert liegt in der Fehlergrenze). Für Gleichung V ergab sich in 4 Bestimmungen für 1 g wasserfreies Zinklactat 28,8, 29,7, 25,8, 26,6, im Durchschnitt 27,4 oder pro 1 Mol 6800. Da die Gleichung in umgekehrter Richtung geschrieben oder abgezogen werden muß, entsprechend der Ausfällung des Zinklactats also —6800 cal. Als Summe der 5 Gleichungen ergibt sich pro 2Mol C,H,0;: I + 632 540 1I + 2520 III + 23 180 IV 0 1% — 6800 Sa. 651 440 26 O. Meyerhof: pro 1 Mol Milchsäure also 325 720 cal. oder pro 19 3615 cal., unter Weglassung von Gleichung II die Verbrennungswärme der verdünnten Säure: 3601 cal. Der so ermittelte Wert der Verbrennungswärme mag zunächst als vorläufig und auf +0,3% genau angesehen werden. Eine gewisse Korrektur erfährt er vielleicht durch die nach Verabredung im Institut von Herrn Prof. Roth (Braunschweig) gleichzeitig aus-. geführten Bestimmungen, die auf verschiedenen Wegen das gleiche Ziel erstreben. Die Differenz der Verbrennungswärme des Glykogens und der Milchsäure (konz.) beträgt somit nicht wie bisher nach der Zahl von Louguinine berechnet wurde, 110 cal., sondern 157 cal., bzw. für verdünnte Säure 171 cal. Vielleicht ergibt aber die von Louguinine durch Analogie berechnete Zahl die Verbrennungswärme krystallisierter wasserfreier Säure, dies könnte den Unterschied wenigstens zu einem Teil erklären. Kapitel II. Der kalorische Quotient der Milchsäure. Methodik der Milchsäurebestimmung. Diese entsprach der früher angewandten. Abgesehen von den wenigen Fällen, in denen Zucker zum Muskel zugesetzt wurde, ließ sich die Milchsäure ohne vorangehende Amylalkoholextraktion bestimmen. Wiederholte Kontrollen ergaben immer wieder, daß bei Einhaltung der früher angegebenen Vorschriften so ein mindestens so genaues Resultat erzielt wird wie mit Extraktion. Bei wiederholten Kontrollbestimmungen unter den hier benutzten Konzentrationsbedingungen wurde sowohl mit umkrystallisierten milchsaurem Zink, wie auch mit dem bisher benutzten milchsauren Lithium, bei der Destillation ein durchschnittlicher Verlust von 8% erhalten, wie sich aus der nachfolgenden Übersicht ergibt (vgl. dazu auch Tab. I, Energieumwandlungen I, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 236). Alle für die Destillation und Titration verwandten Lösungen werden mit doppeltdestilliertem Wasser hergestellt. Der Gesamtverlust bei der Routinemethode in der jetzigen Ausführung wird, wie in der letzten Arbeit, Tabelle I. | * Benutzte Menge tes A u Fr IN | Salz m r ' Jod zn act | alz !/ıooo MOI. 100 % me Milchsäure cem Jinoy Jodanı Eynlustrn l Li 4,95 0,0515 | 9,55 1,00 9,27 1,3 2. Li 4,95 0,0515 9,4 1,00 9,13 87° 3 Zn s,1 0,0543 10,1 1,00 9,28 1702 4 Zn 81 0,0543 10,0 1,00 9,18 8,2 5 Zn 7,85 0,0528 9,3 1,03 9,16 84 62) Zn 7,85 0,0528 9,5 1,02 9,28 7,2 72) Zn 7,85 0,0528 9,5 1,02 9,28 7,2 82) Zn | 7,40 0,050 8,85 1,025 9,05 9,5 Durchschnitt 8,0 !) Theoretisch 10,0 ccm 2/,00-Jod. ?2) Nach Schenk verarbeitet. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 27. im Durchschnitt zu 16%, der Umrechnungsfaktor zu 1,19 berechnet. Demgegen- über müssen die Zahlen der Arbeit I, soweit sie im folgenden Verwendung finden, um durchschnittlich 3—4%, vergrößert werden, weil das Zurückbleiben einer ge- wissen Milchsäuremenge von etwa diesem Umfang in der Muskulatur damals bei der Ausrechnung nicht berücksichtigt war. Diese Korrektur ist im folgenden ange- bracht worden. Der Verlust von 16% bei der Routinemethode kommt zu etwa gleichen Teilen (je 8%) erstens auf Verluste bei der Verarbeitung a) Zurückbleiben von Milchsäure in der Muskulatur, b) Verluste beim Eindampfen des Alkohols und Filtration des mit Ammonsulfatlösung verriebenen Rückstandes, zweitens auf die Aldedydbestimmung. Infolge dieser Aufteilung sind die Verluste recht gleich- mäßig, so daß die Doppelbestimmungen meist innerhalb 4—5%, übereinstimmen. Diese Doppelbestimmungen wurden bei den meisten wichtigeren Versuchen, so den Wärmeversuchen des vorliegenden Kapitels, ausgeführt. Falls dabei Ab- weichungen von mehr als 6—-8%, vorkamen, wurde eine dritte Bestimmung ange- schlossen, durch die stets eine der beiden ersten als fehlerhaft eliminiert werden konnte. Der Fehler ist dabei in den meisten Fällen eine zu weit gehende Ein- dampfung des alkoholischen Extraktes!). Um ein Urteil über die Genauigkeit zu ermöglichen, habe ich als Beispiel in den späteren Tabellen für die Milchsäureend- werte der Wärmeversuche die titrierten ccm Jod (unkorrigiert) angegeben, und die Resultate der Doppelbestimmungen hierbei. Bei den andern Serien sind aus Raumersparnis die Titrationswerte nicht mit angegeben; sie ergaben dasselbe Bild. Die Ringersche Lösung wurde nach Schenk verarbeitet. Auch hier konnte die Milchsäure fehlerlos unter Weglassung der Amylalkoholextraktion direkt bestimmt werden; doch wurde nur je !/, oder !/, soviel 2proz. Salzsäure und 5 proz. Sublimat benutzt, wie Ringerlösung. Die zur Bestimmung benötigte Menge des Schenk- filtrats wurde, nachdem sie durch Schwefelwasserstoff entquecksilbert und durch Luftstrom von Schwefelwasserstoff befreit war, zunächst unter teilweiser Neu- tralisierung mit Natronlauge auf dem Wasserbad auf etwa 10—15 ccm eingedampft, dann mit Soda vollständig neutralisiert und die Lösung, etwa 15 ccm, unter Nach- spülen von 0,5proz. Schwefelsäure in den Claisenkolben übergespült und mit 0,5 proz. Schwefelsäure auf 30—35 cem aufgefüllt. Bei unmittelbarer Verwendung der salzsauren Lösung fällt die Bestimmung weniger genau aus. Bei den Versuchen mit zerschnittener Muskulatur liegt es nahe, das ganze Material inklusive die Muskeln als Schenkfiltrat zu verarbeiten und einen aliquoten Teil zur Milchsäurebestimmung zu verwenden. Diese Methode ist in einer kürzlich veröffentlichten Arbeit von Laguer?) angewandt worden, der an diese Verarbeitung die Ätherextraktion anschloß. Voraussetzung für die Brauchbarkeit dieses Ver- fahrens ist, daß die Milchsäure sich nach Zusatz von Salzsäure und Sublimat bei 12stündigem Stehen völlig zleichmäßig auf den Niederschlag und die überstehende Lösung verteilt. Ob dies bei größeren Mengen Muskulatur der Fall ist, erscheint fraglich, doch ergaben sich mir bei verhältnismäßig kleinen Muskelmengen in 1) Prinzipiell kann die Verarbeitung verlustlos geschehen, doch ist dieses sehr zeitraubend und erfordert besondere Aufmerksamkeit, so daß es bei sehr zahl- reichen Bestimmungen sich nicht immer durchführen läßt. Es ist deshalb zweifellos einwandfreier, möglichst gleichmäßig nach einem Routineverfahren zu arbeiten, und es ist selbstverständlich, daß der Umrechnungsfaktor nur für den Vergleich der Milchsäurebestimmungen mit anderen Größen benötigt wird, während sie unter sich direkt verglichen werden können. Wenn Autoren, die lediglich Milch- säurebestimmungen ausführen, dabei auf Umrechnungen verzichten, so folgt daraus natürlich nicht, daß ihre Bestimmungen genauer sind wie die hier mit- geteilten. ®) Zeitschr. f. physiol. Chem. 116, 169. 1921. 28 O0. Meyerhof: einigen Doppelbestimmungen mit Alkoholextraktion und Schenkverarbeitung gut übereinstimmende Werte, wenn als Umrechnungsfaktor für die erstere 1,19, für die letztere 1,10 benutzt wurde. Siehe die folgenden Beispiele, Tab. II. Der Tabelle II. Verarbeitung aliquoter Mengen zerschnittener Muskulatur mit Alkoholextraktion (A) und als Schenkfiltrat (B). A S is ee Alko- n/,, | Milchsäure Sehenk- n/,, | Milchsäure Fe hol 100 | im ganzen| flüssigkeit ‘0 |jim ganzen Veruen extrakt Ma (korr. | im ganzen vera 1300 (korr. ccm ccm ccm + 19%) ccm ccm ccm + 10%) 1. | 2,5 g in 10 12,8 | 10 | 9,15 1 8 ccm a | 10 12,5 } 13,53 2) 10 | 89 133 Phosphat- | lösung 2.| 1,4 gin| 20 10 3,8 4,1 25 10 | 3,35 4,15 7 ccm Na0l- Lösung Umrechnungsfaktor muß hier ungefähr derselbe sein, wie bei unmittelbarer Be- stimmung der Milchsäure nach Fürth-Charnass, weil an Stelle der Auslaugung der Muskelsubstanz ein aliquoter Teil der Lösung zur Verarbeitung kommt. Doch glaube ich nicht, daß diese Bestimmungen viel genauer sind als nach der von mir benutzten Methodik; denn die Unsicherheit liegt hier darin, ob eine vollständig gleichmäßige Verteilung der Milchsäure zwischen der Volumeneinheit Muskel- substanz und Lösung stattfindet. Ich selbst habe diese Verarbeitung der zer- schnittenen Muskulatur als Schenkfiltrat im Hinblick auf die inzwischen erschienene Publikation von Laquer probeweise in mehreren Fällen am Schluß dieser Arbeit vorgenommen, doch wurde es mir infolge einzelner Fehlschläge zweifelhaft, ob nicht — speziell bei länger dauernden Destillationen — der hohe Cl-Gehalt der Lösung zu Fehlern bei der Aldedydbestimmung führen kann (Übergang von HCl in die Vorlage), so daß dies Verfahren nur in Verbindung mit Extraktion der Milchsäure zuverlässig erscheint. Ich sah somit keine Veranlassung, von dem sonst benutzten Verfahren abzugehen. Die Methodik der Wärmeversuche ist, soweit sie von den früher benutzten abwich, bei den einzelnen Kapiteln angegeben. a) Der calorische Quotient im gereizten Muskel. In der ersten Arbeit dieser Serie sind bereits zahlreiche, im ganzen 32 vollständige Versuche mitgeteilt, in denen gleichzeitig die anaerob gebildete Milchsäure und die dabei aufgetretene Wärme gemessen und g cal. g Milchsäure wurde. Dies geschah bei der Chloroformstarre (6 Versuche), bei Er- müdung durch elektrische Reizung bei verschiedenen Temperaturen (Tetanus 7,5° 2 Versuche, 14° 9 Versuche, 22° 6 Versuche, Einzelschläge daraus der calorische Quotient der Milchsäure berechnet Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 29 14° 5 Versuche) und für die Ruheanaerobiose von enthäuteten Frosch- schenkeln bei 22° (4 Versuche). Die Übereinstimmung innerhalb der ein- zelnen Serien war in Anbetracht der Schwierigkeit der Messung im ganzen befriedigend. Gewisse Abweichungen ergaben dagegen die Mittel der verschiedenen Serien. Doch war nur in einem Fall diese Abweichung so groß und die Zahlen innerhalb der Serie so gut übereinstimmend, daß mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf einen außerhalb der Fehler- grenze gelegenen systematischen Unterschied geschlossen werden konnte, nämlich bei der Ruheanaerobiose. Das Resultat von 4 Versuchen ergab hier 260, 273, 310, 278 cal., im Durchschnitt 280 cal., während bei derselben Temperatur der calorische Quotient der tetanischen Ermüdung im Durchschnitt 390 cal. (340—450 cal.) betrug. Sonst ergaben nur noch die Chloroformstarreversuche ein unter sich recht gut überein- stimmendes Resultat von 340 cal. (6 Bestimmungen bei 3 Tempera- turen, 14° 360, 346, 22° 350, 338, 27° 290, 350 cal.), das von einer Bestimmung abgesehen innerhalb 8% konstant war. Ob bei den Rei- zungsversuchen die Änderung der Mittelwerte mit der Temperatur einen objektiven Grund hatte, mußte dahingestellt bleiben, da sich herausstellte, daß bei vom Thermostaten stark abweichender Zimmer- temperatur die Korrekturberechnung für den Wärmeausgleich leicht ungenau wird, und gerade diejenigen Versuche, bei denen die Zimmer- temperatur mit der Thermostatentemperatur fast übereinstimmte, hatten innerhalb der verschiedenen Serien einen sehr ähnlichen, calori- schen Quotienten ergeben. Dieser Punkt wurde daher neuerdings kontrolliert, zumal früher mit Einzelinduktionsschlägen bei 14° ein kleinerer Mittelwert wie bei der tetanischen Reizung erzielt war, der wahrscheinlich zufällig war. Es erschien richtig, für die Berechnung der Mittelwerte diejenigen. von den früheren Versuchen mitzubenutzen, die bei einer mit der Thermostatentemperatur übereinstimmenden Zimmertemperatur ausgeführt waren, dagegen die im heißen Hoch- sommer 1919 bei einer Thermostatentemperatur von 14° angestellten, und auch die Messungen bei 7° zu vernachlässigen und ferner einen nicht ganz zuverlässigen Versuch (wegen zu hoher Anfangsmilch- säure) mit Einzelreizung fortzulassen (Tabelle XIV, Versuch 3—8, S. 266 und Versuch 21). Eine teilweise Wiederholung erschien auch infolge der inzwischen erzielten Vereinfachungen der Milchsäurebestim- mung erwünscht. Tatsächlich ergab sich so, wie die folgenden Ta- bellen III und IV zeigen, kein Anlaß, für die Reizungsversuche unter verschiedenen Umständen (Einzelzuckungen oder Tetani, 14° oder 22°) einen verschiedenen kalorischen Quotienten anzunehmen. Unglück- licherweise sind die neuen Versuche bei 14° kaum als genauer zu be- trachten wie die früheren, da die diesmal verwandten Frösche im Spät- herbst die Neigung zeigten, selbst nach 1—2stündigem Aufenthalt in 30 O. Meyerhof: Eiswasser im Gefolge der Nervendurchtrennung in eine vorübergehende tonische Starre zu verfallen, die zu einer Milchsäureproduktion von etwa 0,04%, mit einer Unsicherheit von + 0,015% Anlaß gab. Die Ausführung der Wärmeversuche war gegen die frühere Arbeit im allgemeinen unverändert, nur wurde Sorge getragen, daß die Zimmer- temperatur innerhalb 1—2° mit der 'Thermostatentemperatur über- einstimmte. Die Froschschenkel wurden nicht abgehäutet, doch wurden die Füße in den Sprunggelenken abgeschnitten. Es wurde bei einem Rollenabstand von 18—13 cm mit einem Akkumulator mittels um die Beckenknochen gewundenen dünnen Kupferdrähten gereizt, niemals bis zur völligen Ermüdung, um die Bildung von meßbarer Joulescher Wärme durch zu starke Ströme zu vermeiden. Die Versuche wurden mit dem gleichen Calorimetergefäß wie früher ausgeführt (Wasserwert des Dewarkolben mit Reizanordnung und Thermometer — 20). In der Tabelle III sind die neuen Versuche zusammengestellt: Einzelreizung bei 22°, Tetanus bei 21° und 22°, Tetanus bei 14°. Für die meist 1 Stunde 40 Minuten betragende Vorperiode, die dem vollständigen Temperaturausgleich dient, ist auf Grund der Versuche über die anaerobe Ruhewärme die der benutzten Muskelmenge entsprechende Calorien- produktion in Tabelle III A, vorletzte Spalte, ausgerechnet; andererseits ist in III B, vorletzte Spalte, der Milchsäureanfangsgehalt auf Grund zahlreicher Kontrollversuche in Abzug gebracht. Wo keine besondere Komplikation durch Tötungskrämpfe usw. vorliegt, darf dieser Wert auf +0,005% genau angesehen werden; bei solchen Komplikationen (Versuch 6—8) aber nur auf +0,015%. Tabelle III. Neue Versuche zur Wärme- und Milchsäurebildung bei elektrischer Reizung. A. Wärmeversuche. Dr Ener Reizart Vers.- Musk. Gesamt- Dt ee Cal. pro Nr. und Zeit in in | wasser- | Anstie 2 Cal. fangs 1g 1921 Grad Dauer’) Min. g em: Grad zeit Muskel 12 SIODEXSE 52255) ORE2122 40 24,9 | 221 0,1015 21,8 2,5 | 0,995 40 pro 1’ 2 22x 2235) WET 40 22,6 | 219,5 | 0,0935 | 20,5 | 2,3 | 1,00% 50 pro 1’ i 30 7297 PX27\52225) SEEIDZ 35 26,9 | 222 0,0645 | 14,3 | 2,7 | 0,632 50 pro 1’ 4217 24.1. 1722557172 40 22,2 | 215 0,075 16,11 2,0 | 0,815 Sl 176 | Al 97 32 22,2 | 207 0,0565 11,7 | 2,2 | 0,62% 6 || 25.XT. | 14 Ra? 40 20,3 | 203 0,0625 12,7 | 0,3 | 0,65 770 102.6: 70x01 14 T® 30 22,6 | 213 0,048 10,3 | 1,1 | 0,505 8| 5. XL. 14 T 157 45 22,4 | 217 0,0515 | 11,2 | 0,3 | 0,555 ° 1) T = Tetanus, E = Einzelreize. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 31 B. Milchsäureversuche. Milchs. in Verarb.| Aliquoter Pingernlduung a ee | u | el | ankam menge des proBe-| 304 (Arena | ganzen | Anrang| &@: 1 sun. u | | en | 1 ge \ 25 | = | — | 20 [oma 0015| 30 ja > > 1 58,7 | 33,5) 0,95 | 2,4 | 0,322| 0,015 | 349 n» PL 3 \ 387 | — — | 20 [0226| 0,015! 300 rn En 43,9 | 33,5 1,05 | 2,8 | 0,210| 0,015| 418 =) 2 nen => \ 41,4 | 33,5| 0,95 | 2,2 | 0,197) 0,015| 344 | | 26 | 35) 215) 26 [0282| 0.04 | 2» : ee 10:3 1225| 37,0 | 33,5| 0,7 | 1,7 |o11| 0,04 | 385 = ' 387 | 335 0,8 | 20 |o182) 0,04 377 Tabelle IV. Übersicht über die unter vergleichbaren äußeren Bedingungen ausgeführten Reizungsversuche (ältere Zahlen korrigiert). Früh. Temperatur) 5 Milchsäure Durch- Nr. Daun Grad Beizart 72 wi schnitt 112 24. V. 1919 22 Tet. 0,223 393 13 28. V. 1919 22 5; 0,239 330 14 31. V. 1919 22 SE 0,185 352 377 15 14. VI. 1919 22 53 0,218 373 16 7. 11. 1920 20,5 ss 0,157 438 ılr/ 2. 11. 1920 20,5 = 0,175 375 1 10. IX. 1921 22,5 Einzelr. 0,274 377 2 22. IX. 1921 22,5 “ 0,322 349 3 29. IX. 1921 22,5 En 0,226 300 357 4 24. IX.1921 | - 22,5 Tet. 0,210 418 5 17. XI. 1921 21 = 0,197 34) m 9 11. X. 1919 13,9 Tet. 0,135 38 ) 10 14. X. 1919 13,9 en 0,143 365 378 11 24. X. 1919 14,1 > 0,250 381 18 20. IX. 1919 14 Einzelr. 0,233 355 19 23. IX. 1919 14 ss 0,173 320 355 20 26. IX. 1919 14 = 0,122 388 | 22 S. XI. 1919 14 5 0,292 359 6 25. XI. 1921 14 Tet. 0,232 334 7 26. XI. 1921 14 ep 0,171 385, | 36% 8 5. XII. 1921 14 8 0,182 37% J Gesamtdurchschnitt 370 32 OÖ. Meyerhof: Im Anschluß an Tabelle III und die Tabelle XIV, S. 265. Energie- umwandlungen I sind in der Tabelle IV für die am besten vergleichbaren Versuche bei 14° und 22°, Einzelreizung und Tetanus, die Resultate . zusammengestellt, wobei die älteren Versuche um 3% für die Milch- säurebestimmung korrigiert sind. Die Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Serien erscheint so gut, als bei der Schwierigkeit der einzelnen Messung und der dadurch bedingten erheblichen Fehlerbreite, bei der bedeutenden Variation des Milchsäureendwertes (zwischen 0,33 und 0,129%) und den wechselnden Versuchsbedingungen möglich ist. b) Der calorische Quotient in der zerschnittienen Muskulatur. Während sich im vorigen Abschnitt keine Anhaltspunkte für eine deutliche Variation des calorischen Quotienten bei verschiedenen Arten der Reizung und verschiedenen Temperaturen ergaben, und die etwa vorhandenen Unterschiede jedenfalls kleiner sein dürften als es nach den früher erhaltenen Mittelwerten erschien, ist es für das uns beschäf- tigende Problem von besonderer Wichtigkeit, Variationen des calorischen Quotienten von einem Umfange und unter Bedingungen zu erhalten, daß an ihrer Realität nicht gezweifelt werden kann. Unter diesem Ge- sichtspunkt ist der calorische Quotient in der zerschnittenen Muskulatur von hohem Interesse, der bisher noch nicht bestimmt worden ist. Wie früher gezeigt!), gelingt es, in der in ungefähr isotonischer Lösung von Natriumphosphat suspendierten zerschnittenen Muskulatur das gesamte präformierte Glykogen bei gewöhnlicher Temperatur in Milchsäure umzuwandeln und bei äußerem Zusatz von Glykogen eine weitere erhebliche Milchsäureausbeute zu erhalten. Während der Vorgang in wesentlichen Punkten mit der Milchsäureproduktion des intakten Muskels übereinstimmt, muß doch offenbar der Unterschied darin bestehen, daß die gebildete Milchsäure in die Lösung übertritt, ebenso wie ja umgekehrt das Phosphat an die Stätte der Milchsäurebildung gelangt, mag diese nun nur an der festen Struktur zu suchen sein oder in einem mehr oder weniger davon ablösbaren Ferment bestehen. Für das folgende ist es daher von Wichtigkeit festzustellen, wie die ent- standene Milchsäure sich auf die zerschnittene Muskulatur und die Lösung verteilt und ob die in der letzteren befindliche frei, d. h. nicht an kolloide Komplexe gebunden ist. Die folgenden 4 Verteilungsmessungen ergeben, daß bei längerer Versuchsdauer eine nahezu gleichmäßige Verteilung der Milchsäure zwischen der Volumeneinheit Lösung und Gewichtseinheit Muskulatur eintritt, bei den Sstündigen Versuchen (Nr. 3 mit Glykogenzusatz, Nr. 4 ohneGlykogenzusatz) ist offenbar ein vollkommener Ausgleich eingetreten. Versuch 1. 24. VI. In 3 Stunden bei 20,5° 12 g zerschnittene Muskulatur + 56 ccm 2,4proz. Phosphat. In 30 ccm der abfiltrierten Phosphatlösung sind 1) Energieumwandlungen IV., Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 188, 114. 1921. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 33 am Schluß 21.2 mg Milchsäure. Andererseits in den restierenden 26 ccm Lösung 32 — 12 g Muskulatur 28,8 mg. Da sich in 26 cem Lösung 18,4 mg befinden, bleiben 10,4 mg für die Muskulatur. Im ganzen sind danach 39,6 mg in 56 cem Lösung und 10,4 mg in 12 & Muskulatur. Der Gehalt der ersteren beträgt somit 0,0%1%, der letzteren 0,08%% bei einer Milchsäurebildung der Muskulatur von 0,44%, pro Gewichtseinheit Muskulatur. Versuch 2. 8. VII. In 6 Stunden bei 20,5° 12 g Muskulatur + 61 ccm 3,6 proz. Phosphat + 9% Alkohol + 0,25% Glukose. In 50 ccm abfiltrierter Lösung sind 39,6 mg Milchsäure, im Rest 21 mg. Es kommen auf 11 ccm Lösung 8,6 mg, also auf 12 & Muskeln 12,4 mg. Milchsäuregehalt der Lösung 0,08%, der Muskulatur 0,10% bei einer Milchsäurebildung von 0,504% pro Gewichtseinheit Muskeln. Versuch 3. 2. VII. In 8!/, Stunden bei 20,5° 15,0 g zerschnittene Muskulatur - 50 cem 3,6proz. Phosphat + 9%, Alkohol + 0,25% Glykogen. In 10 ccm der abfiltrierten Phosphatlösung sind 21,9 mg Milchsäure, im Rest 117 mg Milchsäure. Es kommen auf 40 cem 87,5 mg Milchsäure, auf 15 g Muskulatur 29,5 mg. Der Gehalt der Lösung ist also 0,22%, der Muskulatur 0,20% bei einer Milchsäure- bildung von 0,92% pro Gewichtseinheit Muskeln. Versuch4. 19. X. In 8 Stunden bei 20° 21,6 g Muskulatur + 210 ccm 3,6 proz. Phosphat + 4%, Alkohol. In 200 ccm abfiltrierter Lösung sind 212 mg Milchsäure, im Rest 35 mg Milchsäure. Davon entfallen auf 10 ccm Lösung 10,6 mg, auf 21,6 g Muskeln 24,4 mg. Milchsäuregehalt der Lösung 0,106%, der Muskulatur 0,113%, bei einer Milchsäurebildung von 1,14%, pro Gewichtseinheit Muskulatur. Daß die in der Phosphatlösung befindliche Milchsäure daselbst frei diffusibel ist, läßt sich durch Einhängen einer mit Phosphatlösung gefüllten Dialysierhülse (von Schleicher & Schüll) leicht erweisen. Z. B. Versuch 5. 20. IX. 16,5 g zerschnittene Muskulatur + 57 ccm 3,6 proz- Phosphat 9h bei 20°. Von der abfiltrierten Flüssigkeit werden 5 ccm sofort ver- “ arbeitet und enthalten 9,6 mg Milchsäure. (Dies entspricht einem Flüssigkeitsgehalt von 0,192%, bei totalem Ausgleich einem Gesamtgehalt von 133 mg Milchsäure = 0,837% pro Gewichtseinheit Muskeln.) 46 ccm Flüssigkeit werden gegen 15 ccm in der Pergamenthülse befindlicher 3,6 proz. Phosphatlösung 38 Stunden lang mit Toluolzusatz im Eisschrank dialysiert, dann 5 ccm des Hülseninhalts auf Milch- säure verarbeitet; ergeben %,0 mg. Berechnet 9,6 - *%/,, = 7,25 mg. Dem entsprechen nun andere Versuche, die später Erwähnung finden: Wenn man von außen zu zerschnittener Muskulatur in Phosphat- lösung Milchsäure zusetzt, so verteilt sie sich im besten Fall so, daß in der Volumeneinheit Muskulatur ebensoviel Milchsäure wie in der Lösung vorhanden ist, meist überwiegt der Gehalt in der letzteren. Die Muskula- tur bindet also weder chemisch noch durch Adsorption meßbare Mengen Milchsäure. Damit stimmt überein, daß beim Zufügen der Milchsäure zur Suspension der Muskulatur genau dieselbe Wärmetönung auftritt wie bei Zusatz zur reinen Suspensionsflüssigkeit ohne Muskulatur; ist diese Phosphatlösung, so erhalten wir die Wärmetönung der Reaktion Na,HPO, + HL=NaH,PO, + NaL, die ich zu 19 cal. pro 1 g Milchsäure bestimmt habe (mit L wird zur Abkürzung das Anion der Milchsäure bezeichnet). Während in den Reizversuchen des vorigen Kapitels die entstandene Milchsäure zu etwa 95% im Muskelinnern zurückbleibt, tritt hier ein aliguoter Teil der Säure in die Lösung über, wobei sich die Muskel- Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 3 34 O. Meyerhof: substanz kaum anders wie eine Phosphatlösung verhält. Die Milchsäure muß sich daher mit Biphosphat nach obiger Gleichung umsetzen. Wenn unsere Annahme zutrifft, daß die einzige energetisch in Betracht kommende Reaktion die Milchsäurebildung aus Glykogen ist, so müssen wir unter diesen Umständen eine Wärme finden, die sich zusammensetzt aus der Spaltungswärme Glykogen > Milchsäure, der Verdünnungs- wärme der entstandenen Milchsäure und der Umsatzwärme mit Phos- phat. Die Forderung, nur thermochemisch zugängliche Vorgänge zu benutzen, wird noch genauer erfüllt, wenn statt der Spaltungswärme des präformierten Glykogens die von zugesetztem, kolloid gelösten, gemessen wird. Denn dieses besitzt ja keine Lösungswärme, während sich das Glykogen im Muskel in einer Phase befinden könnte, durch die eine kleine Änderung seines Energieinhaltes bedingt wird!). Die isolierte Messung der Umsatzwärme gelösten Glykogens ließ sich nicht genau durchführen; dagegen gaben 2 Versuche, bei denen zur Hauptsache gelöstes, zum kleineren Teil präformiertes Glykogen zersetzt wurde, inner- halb der Fehlergenauigkeit der Messungen denselben Wert wie diejenigen, in denen nur präformiertes Glykogen in Milchsäure umgewandelt wurde. Methodik und Ausführung der Versuche. Die’Anordnung entsprach der früher beschriebenen mit zerschnittener Muskulatur. Als Suspensionsflüssigkeit diente 2,4—3,6 proz. Natriumphosphat, häufig mit Zusatz von 5—8%, Alkohol, welcher die Milchsäurebildungsgeschwindigkeit um etwa 30% steigert. Die Muskulatur — für jeden Versuch von nur einem großen Schenkelpaar stammend — wurde auf eisgekühltem Teller rasch und gleichmäßig zerschnitten, dann so eingeteilt, daß meist für die Wärmemessung die 8fache Menge wie für jede der Kontrollproben in Gaswaschflaschen verwandt wurde. Dementsprechend wurde auch die Menge der Suspensionsflüssigkeit ungefähr im Verhältnis 8 : 1 gewählt. Für die Wärmeversuche dienten kleine dreiwandige Dewarkolben (von C. Burger, Berlin) von 75 ccm In- halt mit einem Abkühlungskoeffizienten von 6,5% pro Stunde, der bei Durchleiten von Wasserstoff (30—40 Blasen pro Minute) auf 7,2%, anstieg. Nur in einem Versuch, wo der Einfluß einer größeren Lösungsmenge geprüft werden sollte, wurde einKolben von 240 ccm Inhalt mit 2,3% stündlichem Abkühlungskoeffizienten verwandt. Wurde nur die Umsatzwärme des präformierten Glykogens gemessen, so genügte neben dem Wärmeversuch eine Kontrollflasche, die sich ebenfalls im Thermostaten befand und deren Inhalt genau gleich wie der des Wärmeversuchs behandelt wurde. Diese wurde im Moment, wo die genaue Wärmemessung beginnen konnte (frühestens ?/,—1 Stunde nach Einhängen des Gefäßes in den Thermostaten) herausgenommen und auf Milchsäure, meist auch auf Glykogen verarbeitet. Sie gab den notwendigen Anfangswert. In der Regel wurde noch eine zweite Kontroll- flasche verwandt, die während des Wärmeversuchs im Thermostaten blieb und am Schluß wie diese auf Milchsäure verarbeitet wurde. Durch die ganze Anordnung strömte langsam vorgewärmter Wasserstoff t) Vielleicht besitzt es eine Hydratationswärme, die aber wohl nur sehr gering sein dürfte. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 35 hindurch. Die Wärmemessung wurde abgebrochen, wenn aus dem Temperaturverlauf zu ersehen war, daß mindestens die Hauptmenge des Glykogens umgesetzt und die Reaktionsgeschwindigkeit erheblich ver- langsamt war. Eine völlige Übereinstimmung des Wertes des Wärme- versuchs mit dem Endwert der Kontrollflasche war kaum zu erwarten und wurde auch nicht gefunden, da die Muskulatur im Dewargefäß sich nicht in ganz derselben Verteilung und obendrein bei einer langsam ansteigenden Temperatur befand gegenüber der direkt im Thermostaten befindlichen. Immerhin konnte dieser Endwert in Verbindung mit gleichzeitiger Glykogenbestimmung zur Kontrollierung des Anfangs- wertes benutzt werden. Die aus der Vorkontrolle und dem Endwert des Wärmeversuchs berechnete Milchsäurebildung in der Versuchszeit wurde mit der gleichzeitigen Wärmeproduktion verglichen. Die Wasser- werte der benutzten Dewarflaschen waren schon bei früherer Gelegen- heit bestimmt. Die spezifische Wärme der Volumeneinheit Flüssigkeit wurde gleich 1,0 gesetzt; die durch den Salzgehalt und die Muskelsub- stanz veranlaßte Verkleinerung wird durch den Alkoholzusatz annähernd kompensiert (spezifische Wärme von 5proz. Alkohol 1,015); der Fehler dürfte unter 1% gelegen sein. Umständlicher gestaltete sich die Bestimmung der Umsatzwärme von zugesetztem Glykogen. Zuerst wurde versucht, diese für sich zu messen, indem zunächst die Zersetzung des präformierten Glykogens abgewartet wurde, dann die eine Kontrolle zur Bestimmung des Milch- säuregehalts entfernt und nunmehr nach Glykogenzusatz die Wärme- messung begonnen wurde. Um nach dem Temperaturausgleich das Glykogen zuzufügen, befand sich dasselbe in konzentrierter Lösung (ca. 12%) in einer 2ccm fassenden Pipette im Dewargefäß und wurde zu Versuchsbeginn durch Wasserstoff herausgedrückt. Unter zahlreichen Versuchen dieser Art mißglückten die meisten oder gaben mindestens ungenaue Werte; es lag dies daran, daß der letzte Rest des präformierten Glykogens sehr langsam schwindet und daß bei vielstündigem Aufenthalt im 'Thermostaten die Milchsäurebildung im Wärmegefäß und Kontroll- gefäß nicht ganz genau gleich verlaufen, so daß der Anfangswert des Wärmeversuchs unsicher wird. Ist dann die Milchsäurebildung aus zugesetztem Glykogen verhältnismäßig gering, so wird der prozentische Fehler außerordentlich groß. Wartet man andererseits so lange, daß der Totalumsatz des präformierten Glykogens vollständig erreicht ist, so ist das Vermögen der Muskulatur, zugesetztes Glykogen zu zersetzen, stark verschlechtert. Von derartigen Versuchen führe ich in der nach- folgenden Tabelle nur 2 an, die relativ große Umsätze ergaben und einiger- maßen genau sein dürften. Doch sind dabei die kalorischen Quotienten wegen der Unsicherheit des Anfangswertes eingeklammert. Es gelang jedoch mehrmals recht gut, den Umsatz des präformierten und zu- 3*+ 36 Ö. Meyerhof: gefügten Glykogens im selben Versuch zu kombinieren, indem nach etwas längerem Aufenthalt im 'Thermostaten, wobei schon ein erheb- licher Teil des präformierten Glykogens umgewandelt wird, zu Beginn des Wärmeversuchs aus der im Dewargefäß befindlichen Pipette das Glykogen herausgedrückt und gleichzeitig in der Kontrolle der Milch- säure- und Glykogenanfangsgehalt bestimmt wird. Unter diesen Um- ständen wurde in 5 Stunden bei 22° bis zu 1% Milchsäure gebildet, wovon etwa ?/, aus dem zugesetzten Glykogen stammen. Die Messung gestaltete sich ebenso genau wie bei den Versuchen ohne Glykogen- zusatz. Das benutzte Glykogen von Merck war nicht rein, seine spezifische Drehung betrug 170° statt 196° ;es war also nicht ganz 90 proz. Die Möglichkeit dieser Versuche fußt auf den Resultaten von Kapitel III, Enersieumwandlungen IV, über die Umwandlung zugesetzten Kohlenhydrats in der zerschnittenen Muskulatur, und alle wesentlichen dort gezogenen Schluß- folgerungen ließen sich wieder bestätigen. Es sei daher anhangsweise auf die Kritik eingegangen, die Laquer in der oben zitierten Arbeit an diesen Versuchen übt. Er hebt in der Einleitung hervor, daß meine Ergebnisse mit den seinigen teils übereinstimmen, teils im Widerspruch stehen. Es.zeigt sich jedoch, daß, soweit ein Vergleich seiner 3stündigen, bei 30° und 45° angestellten Versuche mit den meinigen 8—22stündigen bei 14° und 22° statthaft ist, er alle meine Resultate be- stätigt, mit Ausnahme von einem einzigen, im Zusammenhang meiner Arbeit recht unwichtigen Punkt, wo die Diskrepanz offenbar durch die ungünstigeren Versuchs- bedingungen bei mir verursacht ist. Nachdem nämlich von mir gezeigt war, daß zugesetztes Glykogen von der Muskulatur in Phosphatlösung in Milchsäure trans- formiert wird, wurde versucht, dies unter Kautelen, die ein Aufkommen von Bakterien sicher ausschlossen, zu wiederholen. Es gelang nun nicht in zwei Ver- suchen bei Anwesenheit von Blausäure — während Hexosen dabei umgesetzt wurden — wohl aber dann mit Äthylalkohol. Laguer findet dagegen (bei 30—45° in 3 Stunden) keinen Einfluß der Blausäure auf die Milchsäurebildung aus zuge- setztem Glykogen. Weit entfernt davon, aus meinen Versuchen den mir von Laguer zugeschriebenen „völlig unberechtigten Schluß‘ zu ziehen, „daß Cyankali die Milchsäurebildung aus Traubenzucker unbeeinflußt läßt, dagegen die aus Glykogen hemmt, da die Muskeldiastase gegen Blausäure empfindlich sei‘, habe ich nur die Vermutung ausgesprochen, daß das Resultat offenbar nicht durch Interkurrenz von Bakterien in den blausäurefreien Versuchen bedinst wäre, sondern durch irgendeine Komplikation in den blausäurehaltigen. Seite 134: „und viel eher war an eine Komplikation, z. B. (!) eine gewisse Blausäureempfind- lichkeit der Muskeldiastase zu denken, zumal das Glykogen selbst die Milchsäure- bildungsgeschwindigkeit merklich herabsetzt und auch höhere Blausäurekonzen- trationen nicht unschädlich sind.‘“ Von dieser Vermutung, daß kombinierte Schäd- lichkeiten für das negative Resultat verantwortlich sind, wurde nur insoweit Ge- brauch gemacht, als sich zeigen ließ, daß unter Zusatz von 3,5— 1% Äthylalkohol, der ein Aufkommen von Bakterien in der Versuchszeit verhindert, eine beträcht- liche Milchsäurebildung aus Glykogen zu erhalten ist. Nach den Versuchen von Laguer und einigen späteren von mir selbst darf man annehmen, daß die haupt- sächlichste Komplikation in der Benutzung von Winterfröschen bestand, bei denen die Milchsäurebildung aus zugesetztem Glykogen schon an und für sich erheblich geringer als bei Sommerfröschen ist. Die übrige Kritik Laquers bezieht sich auf die Umwandlung von Hexosen in Milchsäure in meinen Versuchen, deren Resultate er, soweit er sie geprüft hat, bestätigt, dabei aber behauptet, daß die meinigen wegen Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. U zu „winziger Ausschläge‘ nicht genügend beweisend seien. Dies erkenne ich nicht als richtig an; denn die Mehrbildung von Milchsäure in Gegenwart von Zucker beträgt absolut 0,07—0,2% des Muskelgewichts, und 8—16% bezogen auf den Milchsäuregehalt der Kontrollen. Der geringste Ausschlag liegt schon über der Fehlergrenze. Nur eine Äußerung des Textes moniert er zu Recht. Die Differenzen, die in einem Versuch (38) zwischen der Wirksamkeit verschiedener Hexosen ge- funden wurden, liegen in der Tat unterhalb der Fehlergrenze und es war daher unzulässig zu sagen, daß auf Glucose ‚in absteigender Reihe‘“ Fructose, Maltose, Galaktose folgt. Schließlich erhebt Laguer noch gegen das von Parnas und Wagner, mir und anderen benutzte Verfahren der Kohlenhydratbestimmung den Vorwurf, daß damit das Gesamtkohlenhydrat des Muskels nicht sicher erfaßt würde, da bei der Säurehydrolyse eventuell nicht alle Kohlenhydrate zu Hexose zersetzt oder auch reduzierende Zucker abgespalten würden, die mit der Milchsäurebildung in keinem Zusammenhang stünden. Diesen Umstand habe ich jedoch nicht über- sehen, vielmehr (S. 121) darauf ausdrücklich Bezug genommen. Für die von mir studierten Zusammenhänge zwischen Milchsäure- und Kohlenhydratbilanz ist dies jedoch gleichgültig; denn alle dort gezogenen Schlüsse beruhen auf Differenz- bestimmungen, wobei zu Anfang und Schluß des Versuchs unter gleichen Um- ständen die Menge des durch Säurehydrolyse bestimmter Dauer zu gewinnenden reduzierenden Zuckers gemessen worden ist. Übrigens sind meine Versuche über den Zusammenhang von Kohlenhydrat- und Milchsäurebilanz im Froschmuskel inzwischen im Laboratorium von F..@. Hopkins in Cambridge mit ähnlichen Methoden, aber größeren Mengen Muskulatur wiederholt und völlig bestätigt worden. Er sagt darüber!): „We have been impressed by the exactness with which the amount of lactie acid formed under any circumstances corresponds with the amount of carbohydrate simultaneously disappearing.‘“ Andererseits ist von Laquer ein Fortschritt bezüglich der Umwandlung zugesetzten Kohlenhydrats in Milchsäure dadurch erzielt worden, daß er die Ursache für die erheblichen Unterschiede fand, die darin die Muskulatur ver- schiedener Frösche aufweist. Die geringe Milchsäureausbeute bei Winterfröschen ließ sich durch mehrtägigen Aufenthalt im Brutschrank bei 24°, also Umschaltung auf den Sommerstoffwechsel, bis zur Leistung von Sommerfröschen steigern. Diese Erfahrung habe ich mir einige Male zunutze gemacht und für mehrereVersuche dieses Kapitels dieFrösche 2—3 Tage vor der Verwendung im warmen Zimmer gehalten. Von den Versuchen dieses Abschnittes sei einer genauer geschildert, während die übrigen nur in der Tabelle V’ zusammengestellt sind. Versuch 7, Tab. V. 12. XI. 1921. Frosch mehrere Tage im warmen Zimmer gehalten, dann vor dem Töten 40 Minuten in Eiswasser, Muskeln 10h a. m. zer- schnitten, 19,6 5. Für Wärmeversuch 13,6 g, für drei Kontrollversuche je 1,7 g Suspensionsflüssigkeit 3,6% Phosphat mit 8 Volumenprozent Alkohol. Davon je 7 ccm in die Kontrollflaschen I, II, III und soviel in das Dewargefäß, daß die gesamte Flüssigkeitsmenge (mit Muskulatur) 66 cem beträgt. Vorher ist die Phos- phatlösung auf Thermostatentemperatur vorgewärmt und durch längeres Durch- leiten von Wasserstoff sauerstofffrei gemacht. Eingehängt eine Pipette mit 2 ccm 10proz. Glykogenlösung. Um 10% 20° werden die drei Kontrollflaschen und das Calorimetergeföß in den Thermostaten gehängt und an den Wasserstoffapparat angeschlossen. Thermostatentemperatur gleich 1,33° Beckmann. Die Temperatur des Dewargefäßes beim Einhängen 0,926°, steigt bis 11% 19’ auf 1,066°. Jetzt 1) John Hopkins Hospital bulletin 32, Nr. 368, S. 363. 1921. Herter lecture der John Hopkins Universität 13. IV. 1921. Ferner: D. L. Foster und D. M. Moyle, Biochem. Journ. 15, 672. 1921. 38 O. Meyerhof: wird das Glykogen durch Wasserstoff herausgedrückt und von da an das Gas (40 Blasen pro Minute) durchgeleitet. Gleichzeitig Kontrolle I in Eiswasser gestellt und verarbeitet, und in Kontrolle II 0,25 cem 10 proz. Glykogen eingefüllt. Kon- trolle III bleibt unverändert. Temperaturablesungen 11" 20° 1,066°; 114 50’ 1,154 °; 12h 20° 1,228°; 1% 20° 1,308°; 1h 40° 1,327°; 3 45° 1,385°; 4h 40’ 1,395°. 4440’ Wärmeversuch, Kontrolle II und III in Eiswasser und verarbeitet. Abkühlungskoeffizient 7,2%, gemessener Temperaturanstieg 5 Stunden 20 Min. (11 20° bis 4h 40’) 0,329°, ab Korrektur für Wärmeausgleich — 0,010° — 0,319°. 68 ccm Flüssigkeit + 10 Gefäßwasserwert — 78. Gebildet 24,9 Cal. oder pro 1 g 1,83 Cal. Milchsäureverarbeitung. Jodtiter 0,0103 n. Kontrolle I 20 ccm Alkohol- extrakt. Je 10 ccm geben 10,8 und 10,8 ccm Jod (unkorrigiert). Mit Titer und Verlustkorrektur auf 20 ccm berechnet 11,3 mg = 0,693% als Anfangswert. Gly- kogenbestimmung im Muskelrückstand I (nach Pflüger-Bertrand, Modifikation Möckel-Frank) gibt 6,8 mg Glykogenzucker auf 1,7 g — 0,40% Glykogen, mit Korrektur nach Pflüger 0,41%. Kontrolle III (ohne Glykogenzusatz). Von 20 ccm 5 ccm verarbeitet: 8,65 ccm Jod unkorrigiert. In 20 ccm 18,9 mg Milchsäure = 1,11%. Glykogenbestimmung 0,0%. Es sind also 1,11—0,69% — 0,42%, Milchsäure aus präformiertem Gly- kogen gebildet, bei einem gemessenen Glykogenschwund von 0,41%. Kontrolle II (mit Glykogenzusatz). 5 ccm von 20 ccm verarbeitet: 13,05 cem Jod unkorrigiert. Im ganzen 28,6 mg Milchsäure — 1,68%. Es sind im ganzen 0,99%. Milchsäure gebildet, davon 0,5%% aus zugesetztem Glykogen. Wärmeversuch. Je 5 ccm von 100 ccm verarbeitet geben: 20,05 ccm Jod; 20,2 cem Jod, im ganzen 220 mg Milchsäure — 1,65%. Es sind also im Wärme- versuch 0,93% Milchsäure, davon 0,51% aus zugesetztem Glykogen gebildet. Pro 1g Muskel erhalten 1,83 cal. und 0,0093 g Milchsäure, 1,83 I 0008 197. Tabelle V. Der kalorische Quotient in der zerschnittenen Muskulatur. A. Wärmeversuche. ri 3 a a = Ba Ge- Kor! Nr. Datum | Temp. nel Lösung no a Wärme: aut a cal. zusatz | Zer- | versu- | Wasser - Grad g schneid. ches |e’such| . c IK 76.0 22,5| 21,6 3,6% Phosphat| + |3h 5hA5’| 82,5 0,234 | 19,3 + 8% Alkohol 2 62% 20 26,3 | 3,6% Phosphat | + 1/6307 3115| 83 10,146 12,1 + 7% Alkohol 3 8 E20) 16,0 | 3% Phosphat — — /5h30°| 80 0,3075] 24,6 4 | 11.X. 20 12,8 3,6% Phosphat | — — Ba ea le | OD 51 13.X. 20 16,0 | 3,6% Phosphat | — — 7550| 81 [0,339 | 27,4 6 | 18.X. 20 21,6 +0. KCN + — — 7a 248 |0,1225) 30,4 3,5% Alkohol 7 | 12. XI. 20 13,6 | 3,6% Phosphat + |1h15’7 5h30’| 78 10,319 |.24,9 | + 6%, Alkohol 12 8 | 19. XII. 22 10,4 | 3,6% Phosphat + .|1h107)5h40°| 73 10,274 | 20,0 +5% Alkohol Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 39 B. Milchsäurekontrollversuche. Milchs. Milchs. Milchs. | Milchs. Ver- Milchs Milchs nachher | nachher | nachher | nachher | braucht I Muskel und x " |ohne Gly- ohne Gly-| mit Gly- | mit Gly- | präfor- Nr. en a yanlıen vorher kogen- kogen- | kogen- | kogen- | miertes zusatz zusatz zusatz zusatz |Glykogen mg % mg % mg % % 1| 248:6ccm 29, Oo | ana.) Don. ana 0 2 3,5g:7ccm 36,8 1,05 41,5 1,19 —_ — — 3 29:7ccm 6,52 | 0,326 | 23,7 1,185 — — — 4 1,68 :7 ccm 6,37 | 0,400 | 14,7 0,92 pa — 0,50 5 2,08:8ccm 5,35 | 0,268 | 20,7 1,035 — — — 6 152357 12:cem 4,3 0,36 13,5 1,13 — — 0,765 7 1,78:7 ccm 5,9 0,69 | 18,9 1,11 28,6 1,68 0,41 8 1,38 :7 ccm 8,15 0,627 — — 18,25 | 1,40 0,26 C. Milchsäureendwerte im Wärmeversuch und Gesamtbilanz. Milchs DEyON Aliquoter Teil | Darin Jod | Milchsäure ; äh : aus zu- Nr. || zur Milchsäure- unkotr. im ganzen Alleine: en Milchs. ges. Gly- ceQ bestimmung gebild. kogen ce mg % oA, (berechnet) 1 2:50 22,5 + 0,79 \ 3:50 22,1 \ 299 1,38 0,91 0,53 0,47 (170) 2 2 :100 12,55 336 1,28 1,05 0,23 0,09 (195) 3 5 : 100 16,4 \ 5100 16,5 176 1,10 0,326 0,774 0 199 4 5 : 100 9,35 100 0,78 0,40 0,38 0 205 5 5 : 100 15,65 5: 100 15 1 168 1,050 | 0,208 0,782 0 219 6 5 : 100 5 : 100 e 65 N z Schenk!) 1,145 | 0,36 0,785 0 180 10 : 400 10,6 10:400 | 10,9 \ _— 7 5 : 100 20,05 >. | 0 220 \162 | 0,098 |0,93 057 | ı% 8 10 : 190 NZ 10 : 190 17 Ger 161,5 1,552 | 0,627 0,925 0,66 208 Der kalorische Quotient ergibt Versuche zu 201 cal. sich vm Durchschnitt der 6 genauen !) Von den 230 ccm 200 ccm abfiltrierte Flüssigkeit nach Schenk verarbeitet. 40 - -. ©. Meyerhof: Da, wie oben gezeigt wurde, die gebildete Milchsäure in die Lösung übertritt, hier in diffusibler Form vorhanden ist und sich mit Phosphat umsetzt, muß sich die gebildete Wärme aus Spaltungs-, Verdünnungs- und Reaktionswärme mit Phosphat zusammensetzen. Die Verdünnungs- wärme wurde oben zu 14 cal. bestimmt, die Umsatzwärme mit Phos- phat ergibt sich zu 19 cal. Ziehen wir dieses von 200 cal. ab, so erhalten wir 167 cal. als Spaltungswärme, fast genau ebensoviel, wie wir oben als Differenz der Verbrennungswärme von Glykogen und Milchsäure festgestellt haben, 157 cal. Wir können auch die Verdünnungswärme der Milchsäure fortlassen und in Kap. I die Verbrennungswärme der verdünnten Säure benutzen, so daß wir in beiden Fällen 170—180 cal. für die Reaktionswärme Glykogen > verdünnte Milchsäure erhalten. Hiermit ist bewiesen, daß sich in der zerschmittenen Muskulatur kein weiterer energetisch in Betracht kommender Prozeß abspielt als der unter- suchte. c) Wärme- und Milchsäurebildung im ruhenden Muskel. Nunmehr erhebt sich die Frage: Beruht die Differenz von gegen 170 cal. zwischen dem kalorischen Quotienten bei der Kontraktion und in der zerschnittenen Muskulatur auf anderweitigen Stoffwechsel- vorgängen, die sich neben der Milchsäurebildung im intakten Muskel abspielen und beim Zerkleinern ausgeschaltet werden, oder auf einer eigentümlichen Reaktion der Milchsäure mit Substanzen des intakten Muskelgewebes? Zur Entscheidung dieser Frage kann uns die Milch- säureproduktion im ruhenden Muskel dienen. Bereits in der ersten Arbeit dieser Serie fand sich, daß die anaerobe Milchsäurebildung im ruhenden Muskel der des gereizten vollständig gleichzusetzen ist, mit dem einzigen Unterschied, daß sie weit langsamer vonstatten geht. In beiden Fällen ist das Glykogen die Quelle der Milchsäure. Trotzdem ergab sich das bemerkenswerte Resultat, daß der kalorische Quotient in einer die Fehlergrenze deutlich überschreitenden Weise herabgesetzt war, nämlich auf 280 cal. (260—310) gegenüber 390 cal. bei der teta- nischen Kontraktionswärme gleicher Temperatur. Schon dort wurde als Ursache dieser Abweichung die Hypothese aufgestellt, daß sie von dem Entweichen der Milchsäure aus dem Muskel herrührt, da sich in den 22stündigen Ruhewärmeversuchen mit enthäuteten Frosch- schenkeln etwa 40—50%, in der umgebenden Lösung finden. Diese Hypothese ist leicht zu prüfen. Wir brauchen dafür nur den kalorischen Quotienten bei der Ruheanaerobiose von nicht abgehäuteten Frosch- schenkeln in kürzeren Zeiträumen in neutraler Ringerlösung zu be- stimmen, wobei die Milchsäure zum größten Teil im Muskel zurück- bleiben muß, und ihn zu vergleichen mit dem Quotienten abgehäuteter Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 41 Froschschenkel in längeren Zeiträumen in alkalischer, carbonatreicher und (eventuell phosphathaltiger) Ringerlösung. In der letzten Arbeit konnte gezeigt werden, daß in eine derartige Lösung ein beträchtlicher Teil der Milchsäure übertritt. Daß dann der Umsatz zum Teil mit Bicarbonat, zu einem Teil mit Phosphat geschieht, spielt kalorisch keine Rolle, denn die Umsatzwärme der Milchsäure mit dem ersteren, beträgt ebenfalls um 20 cal. Die Resultate sind in der Tabelle VI zusammengestellt, wobei zu- nächst die mit nicht enthäuteten, dann die mit abgehäuteten Schenkeln aufgeführt sind. Im letzteren Fall wurden etwas kleinere Froschschenkel gewählt, um die Herausdiffusion der Milchsäure zu erleichtern. Die alkalische Carbonat-Phosphat-Ringerlösung bestand aus einem Gemisch von 185ccm Ringerlösung + 25ccm 2,4proz. Phosphat + 18 cem 4proz. NaHCO, + 2cem 4proz. Na,0O,, pp ca. 9,2—9,5 (stark trübe durch Ausfällung von Caleium). In der Übersicht Tab. VIC sind wiederum die älteren Versuche unter Korrektur der Milchsäurezahlen des Muskelextraktes und der dadurch bedingten geringfügigen Korrektur des kalorischen Quotienten mit aufgeführt. Die Versuche sind etwas genauer als die mit elektrischer Reizung infolge des Wegfalls der Reiz- anordnung. Durch Benutzung eines enghalsigen Dewargefäßes von nur 2,3proz. stündlichem Abkühlungskoeffizienten wurde der Einfluß der längeren Zeit auf die Größe des Korrekturfaktors kompensiert. Für die Milchsäurebestimmung wurde nur je ein Schenkel eines Paares verarbeitet. Tabelle VI. Wärme und Milchsäurebildung während der Anaerobiose bei 20° und 22°. A. Wärmebildung. sel =|25 ; 8: - E e 5 aus Gesamt- Korr. __ ... [Calorien Nr.|| Datum | 3 2 = za & Suspensions- des Ver- Muskel | wasser- | Temp.- | cal. Calorien Su prolg 35 Na = = Lösung suchs in wert |Anstieg Anfangszeit nei = u = Stunden = = > Grad | g Grad BE I23.1IX.ı n 3 | 22 |Neutr. Ringer) 66 30’) 51,9 | 231,5 10,111 |25,7|1%45’: 6,9 |0,635 + 2/2000. KCN 2|14X n 3 | 20 desgl. 6h 45’) 60,0 | 213. |0,1155| 24,6 1430’: 5,4 0,50 237 114.X. n 2 E20 desgl. 74207 42,4 |219 |0,077 |16,9\1%15’: 2,7 0,46 4 R ohne KCN 4 17.X. a 3 | 20 Alkal. Ringer/19h 45’) 46,75 | 224,5 | 0,197 |44.2 2h : 5,14 | 1,055 (ohne KCN) | | 5 18.XI. | a 522: desgl. 10h 307 47,3 | 224 [0,1605 35,9 |1%20’:4,9 0,865 mit KCN 617. XIT. a Sa 022 desgl. 13% 157 44,9 | 213 0,1915 40,7 1615’: 5,1 1,0245 mit KCN B. Milchsäureversuche. O. Meyerhof: Verarb. Aliquoter Ringer: Aliquoter Milch- Jod |Milch- Jod Issurein| Milch- | An- Nr. || Muskel nn Ks unkorr. | säure Are = ex unkorr. nina säure | fangs- £& stimmung ccm mg ccm stimmung ccm mg % sEHalt | 1 | 23,3 5:50| 6,8 N IBke geh | 10:50 | 12,5 1 79,1 | 152 : 100/50 :150| 4,45 | 10,9 | 0,174 | 0,010 2. 27,7 5: Te x € | 5:50 ne 85,2 1118 : 10050 :150| 4,8 8,5 | 0,156 | 0,010 3 19,6 |10:50| 7,65 E { | KW \ 44,3 | 150 : 100150 : 150| 3,4 7,65 | 0,123 0,010 a0 2163 5250 | | 5:50| 7,65 \| 86,5 | 160,5: 100120 : 200) 12,6 \| 102 | 0,403 | 0,010 | 5:50| 73 20 :200| 13,0 f 5 | 21,05) 5:50| 67 \ 20 :200| 10,1 \ 80,5 | 0,317 | 0,015 | 10::50.| 13,95 9] 6%2 | 158 : 100 190 . 900! 10,2 6 | 21,2 10 :50| 14,25 | 81,6 |151 : 100 |20 : 200| 11,1 1 85,5 | 0,373 | 0,010 I 20 :200| 11,45 C. Übersicht und Bilanz. Abge- Anteil | häutet: davon Frü Versuchs- . cal. pro here Datum 2 Tem- zeit mit | Milchsäure Be lgund | c.Q. Durch- Nr. peratur Vorperiode a 1 Std. schnitt e n % % 1 | 23. IX. 1921 n > sh 15° 0,174 12 0,080 | 384 2, 4. X. 1921 n 202 8h 15° 0,156 9 0,061 342 | 348 3 ı14.X. 1921 n 20° sh 35’ 0,123 15 0,055 | 40% 4 117. X. 1921 a 20° 2jh 45° 0,403 54 0,048 | 269 5 18. XT. 1921 a DON 11h 50° 0,302 54 | 0,073 | 286 | 2%9 6 | 17. X11.1921 a DD 14h 30° 0,373 51 0,069 | 282 1 | 14. III. 1919 a 2 22h 0,406 38 0,044 | 245 2 19. III. 1919 a) 22 254 0,552 4% 0,056 | 26% 235 3 2. VI. 1919 a Dom 94h 0,440 45 0,053 | 304 4 16. VI. 1919 a Do 22h 30° 0,443 48 0,052 | 2472 Das Ergebnis der Versuche der Tab. Vlist völlig eindeutig. Während der kalorische Quotient der Ruheanaerobiose nicht enthäuteter Frosch- schenkel genau ebenso groß ist wie der bei elektrischer Ermüdung, ist er beim Übergang von gut der Hälfte der gesamten Milchsäure in die umgebende Lösung um etwa 100 cal. herabgesetzt, also ist die Über- schußwärme gegenüber der zerschnittenen Muskulatur nur noch 80 cal. Übrigens ergibt sich in den älteren Versuchen, die unter ähnlichen Umständen, wenn auch mit weniger alkalischer Lösung angestellt sind, wie man sieht, genau derselbe Quotient; doch sind diese älteren Versuche im ganzen als weniger genau zu betrachten. Man kann nun noch auf einem anderen Wege beweisen, daß die Herabsetzung des Quotienten Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 43 durch den Austritt der Milchsäure aus dem Muskel und den Umsatz mit alkalischen Salzen der Lösung bedingt ist. Denn dieser Austritt wird allmählich und vorwiegend in der späteren Zeit erfolgen und dementsprechend zeigen die Versuche, daß die stündliche Wärme- produktion dauernd abfällt, während sich aus Kontrollmessungen ergibt, daß die Milchsäurebildung in diesen Zeiträumen (12—20 Stunden) bei 22° in alkalischer Ringerlösung ganz konstant ist. Andererseits zeigen die kürzeren Versuche mit nicht abgehäuteten Froschschenkeln ein viel langsameres Fallen oder sogar eine völlige Konstanz der stündlichen Wärmeproduktion. In Abb. 1 ist der gemessene (x x x x) und korrigierte (. — - — - —- ) Temperaturanstieg des Versuchs 6 dargestellt. Die gestrichelte Linie würde einem konstanten An- stieg entsprechen. Hier fällt der stündliche Temperatur- anstieg von 0,019° pro 1 Stunde auf 0,0115° am Schluß. In Versuch 4 geht dieser Abfall von 0,0145° auf 0,0085°, in Versuch 5, dem kürzesten Versuch der Serie, von 0,019° auf 0,0135°. Andererseits beträgt beinicht abgehäuteten Fröschen in Versuch 1 der stündliche Temperaturanstieg am An- fang 0,0185°%, am Schluß 0,015°. In Versuch 2am An- fang 0,0195°, am Schluß 0,015°. In Versuch 3 bleibt der Temperaturanstieg kon- 80 ya. Abb. 1. enthäuteter anstieg, Wärmebildung bei der Schenkel in alkalischer Ringerlösung. Vers.6, Tab. VI. Dorn Tnm. 3 5 7 E] 777 7 Ruheanaerobiose x x x x gemessener Temperatur- korrigierter Temperaturanstieg, theoretischer Temperaturanstieg ent- sprechend der Wärmebildung der ersten zwei Stunden. Abszisse Tageszeit in Stunden, Ordinate Grad Beck- mann-Thermometer. Temperatur 22°. Th » - » » Ther- mostatentemperatur. stant und beträgt die ganze Zeit 0,011° pro Stunde. Wenn auch dem einzelnen Wert keine hohe Genauigkeit zukommt, so ist doch der Unterschied in die Augen fallend. Für die Konstanz der Milchsäure- bildung in alkalischer Ringerlösung bei 22° sei der folgende Versuch angeführt. Versuch 7. Je ein Froschschenkelpaar in 50 ccm alkalischer Ringerlösung (mit KCN) bei 22°. 1. Nach 6!/, Stunden verarbeitet: 14,4 g enthalten 26 mg Milchsäure — 0,18%; nach Abzug des Ruheminimums 0,170% oder pro Stunde 0,0262%, Milchsäure gebildet. 2. Nach 21 Stunden verarbeitet: 11,4 g enthalten 64,3 mg Milchsäure — 0,565%, gebildet 0,555% oder in 1 Stunde 0,0264%. Rechnen wir dagegen aus, wie groß die Wärmeproduktion und der kalorische Quotient in den am längsten fortgesetzten Versuchen 4 und 6 mit abgehäuteten Schenkeln in alkalischer Lösung sein würde, wenn 44 OÖ. Meyerhof: die Calorienproduktion von der 1. Stunde an gleich bliebe, und anderer- seits, wenn sie im ganzen so gering sein würde, wie es dem Stundenwert am Schluß entspricht, der übrigens aus dem Durchschnitt der ganzen letzten Periode nach Ablauf der ersten 10 Versuchsstunden ermittelt ist, so ergibt sich: Versuch 4. Bei 0,0145° Stundenwert: 64,2 cal. statt 44,2. cQ statt 269: 372. Dagegen für den Schlußwert 0,085°: 37,6 cal. cQ = 229. Versuch 6. Bei 0,019° Stundenwert 53,6 cal. statt 40,7, cQ statt 282: 3%2. Dagegen bei dem Schlußwert 0,0155° 32,4 cal. cQ — 224. In beiden Fällen ist also der Anfangswert genau derselbe wie bei nicht abgehäuteten Froschschenkeln, der Schlußwert nur wenig höher wie in der zerschnittenen Muskulatur. Dies Ergebnis scheint von großer Wichtigkeit. Aus der Tab. VI und insbesondere aus der hier durch- geführten Berechnung läßt sich keine andere Deutung ableiten, als daß die Differenz zwischen der Kontraktionswärme und der Spaltungswärme Glykogen > Milchsäure allein durch eine Reaktion der Milchsäure mit Substanzen des intakten Muskelinnern bedingt ist und durch keinerlei weitere Nebenreaktionen. Da übrigens die Messung der Ruheanaerobiose als verhältnismäßig genau angesehen werden kann und die Gleichheit des kalorischen Quotienten mit dem der Kontraktionswärme bei nicht abgehäuteten Fröschen kaum zweifelhaft ist, möchte ich als Durch- schnittswert 370—380 cal. annehmen (ob auch der Übergang einer geringen Menge Milchsäure in die Lösung schon eine Verkleinerung hervorruft, wird später erörtert werden.) Im folgenden wird mit 375 cal. als Normalzahl gerechnet, die Unsicherheit dürfte weniger als +5% betragen. Von einer Neubestimmung des kalorischen Quotienten der Chloro- formstarre wurde Abstand genommen. Dieser ergab sich früher zu 340 cal., was nach der jetzigen Berechnung etwa 335 sein würde, und liegt also zwischen den beiden Werten des kalorischen Quotienten, die in diesem Abschnitt gefunden wurden. Dabei waren 60—70%, der Milchsäure in die umgebende Lösung übergetreten. Da aber gleichzeitig eine große Menge Eiweiß aus den Schenkeln ausgelaugt wird und der kolloidale Zustand des Muskeleiweißes stark verändert wird, lassen sich die Zahlen für die uns interessierende Reaktion der Milchsäure nicht verwerten. Kapitel III. Über Wärmebildung beim Eindringen von Säure in den Muskel. Da das H-Ion als der aktivste Teil der Milchsäure anzusehen ist, liegt es nahe, das erstere für das Zustandekommen der Wärmebildung in Anspruch zu nehmen. Wir fragen daher, ob beim Eindringen von Säure in den intakten Muskel eine Wärmetönung nachweisbar ist, die Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 45 beim Eindringen neutraler Substanzen sich nicht findet. Und dies ist in der Tat der Fall. Milchsäure selbst als eindringende Substanz zu benutzen, erscheint nicht zweckmäßig, weil dann der Nachweis einer positiven Wärmetönung nicht beweisend wäre. Denn es muß aus- geschlossen werden, daß die permeierende Säure eine Milchsäureproduk- tion im Muskel auslöst, die ihrerseits Wärme bildet. Als Säure, die diese Kontrolle leicht gestattet und bei der Milchsäurebestimmung nicht störend wirkt, die ferner gut permeabel ist und andererseits so stark dissoziiert, um mit der Milchsäure verglichen werden zu können, fand sich nach einigem Probieren die Valeriansäure. Ihr Eindringen ruft nicht nur keine Milchsäurebildnng hervor, sondern hemmt sogar den anaeroben Milchsäurebildungsvorgang sehr bald, vielleicht als Folge der hohen Wasserstoffionenkonzentration im Muskelinnern. Der einzige Übelstand war, daß sie verhältnismäßig schwer löslich ist (etwa 4%) und in meiner Anordnung der Zusatz konzentrierter Säure im Über- schuß notwendig war: 2ccm einer l15proz. oder 20 proz. Emulsion. Die Lösungs- und Verdünnungswärme mußte daher in Abzug gebracht werden. Das Eindringen der Valeriansäure in die Schenkelmuskulatur ruft bei den hier angewandten Versuchsbedingungen keine Starre, sondern höchstens mit der Zeit eine Gerinnung einzelner Muskel- partien hervor, führt aber rasch zur Lähmung. Nur in der etwa 1!/, Stun- den dauernden Vorperiode, die für den Temperaturausgleich erfordert wird, ehe die Valeriansäure zugesetzt werden kann, wird natürlich dauernd Milchsäure gebildet; deren Menge muß von dem Endwert des Milchsäuregehalts in Abzug gebracht werden, damit man die nach Valeriansäurezusatz produzierte Milchsäure und deren Wärmeäquivalent berechnen kann. Dieser Wert wird von der gemessenen Gesamtwärme in Abzug gebracht. Der Rest ist durch das Eindringen der Säure bedingt. In einer Reihe von Versuchen ergab sich, daß beim Zusatz von etwa 0,4 & Valeriansäure zu 40 cem Lösung mit 30 g intakten Schenkelmuskeln im ganzen 6—10 cal. oder pro 1 g Muskel 0,20—0,35 cal. auftreten, für die kein Milchsäureäquivalent vorhanden ist. Wenn auch der absolute Wert infolge der anzubringenden Korrektur nie ganz genau ist, so ist das Gesamtresultat zweifelsfrei; denn die auf Milchsäurebildung zu beziehende Wärme macht in der Regel nur !/,—!/, der gemessenen Wärme aus. Läßt man die Valeriansäure bei tieferer Temperatur (14°) eindringen, so ist auch die Milchsäurebildung der Vorperiode so gering, daß der gesamte Milchsäuregehalt bei weitem nicht ausreichen würde, um die allein in der Beobachtungszeit gemessene Wärme erklären zu können. In der Tab. VII sind die Versuche imsatrlıran Die Lösungs- und Verdünnungswärme der Säure in den benutzten Konzentrationen ist dabei (A letzte Spalte) in Abzug gebracht. In Abb. 2 und 3 sind die 46 O. Meyerhof: (gemessenen und: korrigierten) Temperaturanstiege zweier Versuche abgebildet, bei denen die für die Lösungs- und Verdünnungswärme abzuziehende Korrektur gestrichelt (nach links verschoben) eingezeichnet au m. 2 3 #4 Abb. 3. Abb. 2. Temperaturanstieg beim Eindringen von Valeriansäure. Versuch 2, Tabelle VII. x x x x gemessener Temperaturanstieg, -— -— : —- korrigierter Temperaturanstieg Th - » -© - Thermostatentemperatur, — — — — Temperaturanstieg durch Lösungs- und Ver dünnungswärme der Valeriansäure, A Einfüllen der Säure. Abb. 3. Vers. 5, Tab. VII. Bezeichnung wie Abb. 2. ist. Man sieht wie bei dem eigentlichen Versuch, hierdurch verursacht, die Temperatur unmittelbar nach Einfüllen der Säure steil ansteigt, der Anstieg sich dann aber weniger steil fortsetzt, ohne daß, wie die Milchsäurekontrollen ergeben, während dieser Zeit eine nennenswerte Milchsäurebildung statthat. Die Valeriansäure wird aus einer Pipette von beistehender Form mit Wasserstoff herausgedrückt. Die Abmessung des Flüssigkeitsvolumens der Vale- riansäureaufschwemmung in der Pipette sowie der Gehalt der sich schnell entmischenden Emulsion konnte einen Fehler von 10% enthalten. Doch hat dies für die Korrektur der Lösungswärme einen ganz unbeträchtlichen Einfluß. Es ergab sich bei Vermischung von 2 ccm 15proz. Emul- sion mit 65 cem Ringerläsung 1,8 cal, bei Vermischung von 20 proz. Emulsion 2,4—2,6 cal. Diese Beträge sind bei der Calorienzahl der Tabelle in Abzug gebracht und sie entsprechen den gestrichelten Temperaturanstiegen R j auf den Kurven. Die Valeriansäure stört die Aldehyd- er bestimmung nicht. Zwar ergibt sich in größeren Konzen- zum Einfüllen der Valerian- säure und des Essigesters. trationen ein Jodfehler, der aber bei der kleinen Menge, die beim Eindampfen des alkoholischen Extrakts zurück- bleibt, kaum in Betracht kommt. Erst als die fünffache Menge Valeriansäure, wie sie pro Milchsäurebestimmung in dem Ausgangsmaterial vorhanden ist, zu einer Muskelmenge hinzugefügt wurde, ergab sich ein Jodfehler von 0,5—0,8 ccm. Der größte Fehler, der also in einer Bestimmung auftreten kann, 0,15 ccm, macht nur 2—-3% der jeweils bestimmten Milchsäure aus. 47 Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. Tabelle VII. Wärmebildung beim Eindringen von Valeriansäure in den Muskel (mit Milch- säurekontrolle). A. Wärmeversuche. Zahl Ge- 2 ccm Ver- cal. nach wicht |n. | Vale- | Dauer | suchs- _| Was- | Abzug der Nr.|| Datum |Temp. Sn Mus- a rian- |d. Vor-| dauer RER SET BEE VZer- sche keln - säufe |periode| nach = wert | dünnungs- Grad g ccm |Vol.-% Zusatz | Grad | wärme Bea 50 | 2 |278 | 375| 15 |1E307)| 50,004 | 7 | 64 2.112.X. 20 2,026,1 42 15 12407 3h30710,1565 78 | 10,4 3.24.XT. | 14 2 29,0 38 20 |1% 50° | 35 50° | 0,184 | 77 | 11,8 4 PERS Du 082, 47 20 |1h35’| 64 10°) 0,166 | 89 | 12,4 5. 1.XIL, 14 2 | 32,0 33 20 [1% 30° 3n 40’ | 0,151 | 80 | 9,7 B. Milchsäureversuche. Milchsäure in | Milch- ß Milchsäure ge- s E er i ab % Milch- : = en. Milch- | Muskelmenge |säure in | y;jchsäure | säure für Ruhe-| _Pildet nach Nr. SE des Wärme- Ringer- Im eenzeEn | nieimmen wind! Valeriansäure- Muskeln versuchs lösung 5 Va erdde zusatz g mg | mg | mg % 2 % | 12,9 3 12,6 352 0,057 0,04 0,017 2. 23,4 13,3 14,9 3,8 0,0715 0,045 0,0265 3. 14,3 3,7 8,0 Pe) 0,036 0,027 0,009 4. | 15,7 6,07 13,0 4,4 0,054 0,025 0,029 5.| 14,9 6,1 13,1 4,0 0,0534 0,025 0,0285 C. Berechnung. ! cal.äquivalent für | .: cal.-Überschuß = Be nach die nach Säure- een cal. gebildet | für Eindringen zusatz gebildete z pro 1 g Muskel von Säure Pro Zusatz Milchsäure ven BINNE 1g Muskel 1l- 6,4 1,8 4,6 0,23 0,165 2, 10,4 2,6 7,8 0,40 0,30 3. 11,8 1,0 10,8 0,408 0,37 4. 12,4 3,5 8,7 0,384 0,28 >: 9,7 3,4 6,3 0,504 0,20 Daß die Valeriansäure die anaerobe Milchsäurebildung im Muskel nicht nur nicht fördert, sondern sogar hemmt, ergibt sich daraus, daß die berechnete Milchsäureproduktion während der 3—4stündigen Ver- suchszeit weniger als !/, so groß ist wie unter normalen Umständen bei gleicher Temperatur. Dabei war die Wärmeproduktion bei Versuchs- ende (mit Ausnahme vielleicht des längsten, aber wegen zu großer Flüssigkeitsmenge weniger genauen Versuchs Nr.4) noch nicht ab- gelaufen (siehe den Temperaturverlauf der Kurven). Doch, dürfte außer in Versuch 1, der nur 50 Minuten währte, die Hauptwärme, die die Valeriansäure auslöst, in der Versuchszeit gemessen sein. Diese Größe, etwa 0,3 cal. pro 1g Muskel, ist nun keineswegs unbeträchtlich. Es ist nicht viel weniger als die Hälfte der Wärme, die bei kompletter 48 O: Meyerhof: tetanischer Ermüdung des Muskels auftritt. Da nun nur die Hälfte der Kontraktionswärme für die in Frage stehende Reaktion in Betracht kommt, entspricht also die Wärme annähernd der, die beim tetanischen Ermüdungsmaximum die Bildung der Milchsäure im Muskel veranlaßt. Es kommt hier nur auf die Größenordnungan, da ja die Konzentration der Valeriansäure im Muskelinnern nicht bestimmt wurde (bei gleichmäßiger Verteilung zwischen Ringerlösung und Muskulatur wäre ihre Konzentra- tion etwa 0,25—0,3% = 0,025—0,03n, etwas höher als die Konzentra- tion der Milchsäure bei tetanischer Ermüdung). Die Dissoziationskon- stante der Valeriansäure ist allerdings nur 1,6 - 10-5, die der Milchsäure 1,4. 10-4. Gleichwohl können wir beide hier als starke Säuren betrach- ten, weil sie selbst fast keine Dissoziationswärme besitzen und daher bei Neutralisierung mit äquivalenten Mengen dieselbe Neutralisationswärme veranlassen wie starke Säuren. Dieser Umstand ist, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, für die in Frage stehende Reaktion von Bedeutug. Um nachzuweisen, daß es sich bei der gemessenen Wärmetönung um eine spezifische Säurewirkung handelt, mußte das Ausbleiben, der Wärme beim Eindringen neutraler Substanzen gezeigt werden. Ge- eignete Stoffe zu finden, ist nicht leicht, weil die gewöhnlichen perme- ierenden Substanzen, Alkohole, Aldehyde, Urethane usw., starke Milch- säurebildung hervorrufen. Brauchbar erwies sich Essigester. Allerdings ist eine langsame Spaltung desselben in Wasser nicht zu vermeiden. Die benutzte wässerige Emulsion (15 proz.) wurde zunächst mit Natron- lauge gegen Phenolphthalein neutralisiert. Viel neue Essigsäure wird , in der Versuchszeit offenbar nicht abgespalten; das vorhandene Natrium- acetat ist unschädlich. Die Muskeln, die schon durch recht schwache Essigsäure in Starre verfallen, zeigen in Gegenwart des Esters keine Veränderung. Auch der Essigester stört die Milchsäurebildung nicht, ruft keine Milchsäureproduktion im Muskel hervor, sondern unterbricht sie vielmehr. Er hat eine noch größere Lösungs- und Verdün- nungswärme als die Valeriansäure, die eben- falls in der folgenden Tab.VIII in Abzug ge- bracht und in Abb. 5 gestrichelt angegeben 4 16,5 mm 2 3 zr Abb. 5. Temperaturanstieg beim Eindringen von Essigester. x x x gemessener Temperatur- anstieg, -— » korrigierter Tem- peraturanstieg, Th - - - - Thermo- statentemperatur.. — — — Lösungs- und Verdünnungswärme des Essig- esters. ist. Beim Eindringen des Essigesters in den Muskel findet nun ebenfalls eine gewisse durch Milchsäure nicht gedeckte Wärme- produktion statt. Sie ist aber bei gleichen Mengenverhältnissen nur etwa !/,so groß wie bei der Valeriansäure, nämlich 0,1 cal. pro 1 g Muskel. Es liegt nahe, diese geringe Wärme teils auf Spaltungswärme des Esters, teils auf die Reaktions- wärme abgespaltener Essigsäure im Muskel zu beziehen. Jedenfalls 49 Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. ergibt sich ein so beträchtlicher Unterschied gegenüber der Valerian- säure, daß eine spezifische Säurewirkung nicht zweifelhaft ist, Bei Ver- dünnen von 2 ccm 15proz. Emulsion von Essigester mit 65 ccm Ringer- lösung wurden 4,4—4,5 cal. gebildet. Tabelle A. Wärmeversuche. VIII. Wärmebildung beim Eindringen von Essigester. Nomen Calorien Vers.- | stieg, nach : Dauer nach Abzug Nr.|| Datum |Temp. Zahl der Gewicht Ringer- der Vor- Dauer Abzugsder Wasser; der Ver- Frösche lösung Kiode nach Verdün- wert dünnunses- p Zusatz nungswärme ee Grad g ccm Grad IS IRSESXE 20 2 31,3 36 |1h45’|3h20’°| 0,065 78 5,1 2.19. XI. 14 2 27,8 40 |1h45’|3 20° 0,042 78 3,28 B. Milchsäureversuche. Milchsäure in | Milchsäure ab % Milch- | yilchsäure Verarbeitet | _ S Muskelmenge | in Ringer- | Milchsäure | *@ure zur gebild. nach Nr. | Muskein | Milchsäure | d. Wärmevers. lösung im ganzen Ruhe- Esterzusatz minimumund g mg mg mg % Vorperiode % ı| 815 | 63 12.8 | 4,6 0,0556 | 0.045 | ‚0,0106 2 12,8 2,96 6,40 \ . 1,84 0,0297 0,025 0,005 C. Berechnung. Cal.-Äquivalent für die nach Zusatz ge- Cal.-Uberschuß für | Cal, Korr. nach cal. gebildet Cal.-Überschuß für Eindringen d. Esters Esterzusatz Trike miles Binusihgen d. Esters Kür lg Muskel pro 1 g Muskel 1 5,1 | 1,3 | 3,8 0,165 0,12 2 3,18 0,53 2,95 0,118 0,10 Die Versuche dieses Abschnittes stehen, wie man sieht, in starkem Gegensatz zu den oben (Kapitel IIb) erwähnten mit zerschnittener Muskulatur. Dort fand sich, daß die Milchsäure überhaupt nicht meßbar mit dem zerschnittenen Muskel reagiert, dieser sich vielmehr wie eine Salzlösung verhielt. In der Tat erhält man z. B. wenn man Milchsäure zu zerschnittener Muskulatur in Phosphatlösung zusetzt, pro 1 g Milch- säure 23 cal., ähnlich wie bei reiner Phosphatlösung; suspendiert man den Muskel in Natriumchloridlösung, erhält man etwa 15 cal., was wohl zum großen Teil durch den Phosphatgehalt der Muskulatur bedingt sein wird. Welche Bedingungen für die Milchsäurereaktion im Muskel- innern maßgebend sind, wird sich in dem folgenden Kapitel zeigen. Kapitel IV. Über die Dissoziationswärme des Eiweißes. a) Neuitralisationswärme der Milchsäure in anorganischer Lösung. Um sich von dem Umsatz der Milchsäure mit Muskelsubstanzen nach der Kontraktion und den dabei auftretenden Wärmetönungen eine Vorstellung zu machen, hat man meist die Neutralisation mit Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 4 50 OÖ. Meyerhof: Bicarbonat als Schema herangezogen, einmal weil dies tatsächlich im Muskel vorhanden ist, zweitens wegen der naheliegenden Vermutung, daß bei einer ähnlichen Wasserstoffzahl und ähnlichen Pufferwirkungen auch andere Substanzen, vor allem anorganisches und organisches Phosphat und Muskeleiweiß, Reaktionswärmen von ähnlicher Größe hervorrufen würden. Es wird sich zeigen, daß diese Annahme hinsicht- lich des Eiweißes völlig fehl geht und daß durch das Ergebnis des vor- liegenden Kapitels ein sehr wesentlicher, ich möchte glauben ein ent- scheidender Schritt zur Aufklärung der uns beschäftigenden Umsatz- wärme der Milchsäure gemacht wird. Da es uns nicht auf ein Schema, sondern die tatsächlichen Vorgänge ankommt, ist zunächst zu fragen, welchen Umfang der Umsatz mit Carbonat im besten Fall annehmen kann. Der Carbonatgehalt der Froschmuskeln ist nicht immer gleich. Fletcher und Brown fanden Unterschiede im Sommer und im Winter; der von ihnen gefundene Gehalt an präformierter Kohlensäure in der ganzen Schenkelmuskulatur ist meist erheblich höher als der von. mir an Sartorien bestimmte!). Der Kohlensäuregehalt der Sartorien wurde nach der Warburgschen Methode durch Ansäuern mit 20 proz. Phosphor- säure am Barcroftmanometer bestimmt. Ich erhielt im September an frischen Sartorien von 4 verschiedenen Fröschen auf 1g Muskel 0,085; 0,095; 0,108; 0,133 ccem CO, = 0,17—0,27 mg?). Nach maxi- maler Ermüdung mit Einzelreizen enthalten die Sartorien nur noch einen ganz geringen Bruchteil hiervon, während gleichzeitig etwa 3,5 mg Milchsäure auf 1 g Muskel gebildet sind. Diese könnte nach der Gleichung NaHCO, + HL = NaL + H,0 + CO, (L = Milchsäureanion) 1,7 mg Kohlensäure austreiben. Es ist aber nur etwa !/,, der dazu nötigen Kohlensäure vorhanden. Die hier zur Verfügung stehende Menge ist von verschiedenen Autoren ganz bedeutend überschätzt worden. Da nun die Wasserstoffzahl des frischen Muskels nach Pechstein?) und Parnas*) 7,4—7,6, die des maximal ermüdeten etwa 6,9 ist, NaHCO, aber ein 94 8,3 besitzt (KHCO, wohl noch etwas alkalischere Reaktion), so ist anzunehmen, daß die Kohlensäure nur !) Journ. of physiol. 48, 177. 1914. Ich möchte fast glauben, daß die be- deutenden Beträge Kohlensäure, die bei diesen Autoren von Froschschenkeln während 24-48 Stunden in Stickstoff abgegeben wurden, insbesondere bei gleichzeitiger Anwesenheit von "/,,-Salzsäure, — bis zu 160 Vol.-Proz. der Muskeln (Tabelle S. 200) —, zu einem erheblichen Teil gar nicht aus der Muskulatur, sondern aus den Knochen stammen, was übrigens an ihren Schlußfolgerungen nichts ändert. 2) Beim Ansäuern mit verdünnter Milchsäure — etwa 0,3—0,4% — wird ebensoviel CO, ausgetrieben wie mit 20%, Phosphorsäure, in Übereinstimmung mit dem folgenden. ®) Biochem. Zeitschr. 68, 140. 1914. *) Biochem. Zeitschr. 116, 59. 1921. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 51 zum geringsten Teil als Alkalicarbonat vorhanden ist, im übrigen teils frei gelöst, teils an Eiweiß locker gebunden. Die Wärmetönung der angeführten Reaktion hat Hell zu 27 cal. pro 1g Muskel bestimmt!). Ich fand bei Neutralisierung mit äquivalenten Mengen etwa dieselbe Größe, bei Überschuß von. Bicarbonat sehr viel weniger, bis zu 8 cal. herab. Größer ist der Gehalt des Muskels an Phosphaten. Nach Laquer?) enthalten die Froschmuskeln etwa 0,3% anorganische Phosphorsäure. Gleichwohl kommt nur ein Teil hiervon für den Umsatz K,HPO, + HL = KH,PO, + KL in Betracht, da ja ?,) maximal nur von 7,5—6,9 verschoben wird. Pp 7,5 entspricht nach Michaelis etwa einem Gemisch von 8,6 ccm Na,HPO, + 1,4ccm NaH,PO,, -6,9 dagegen 6,2 Na,HPO, + 3,8 NaH,PO,. Mithin wird schon durch 2,4 ccm äquivalenter HCl oder auch Milchsäure auf 10 ccm Phosphat die Reaktion bis zu der des total ermüdeten Muskels verschoben; m/,,-Phosphat (entsprechend 0,3% H;PO,) wird somit durch etwa !/, der äquivalenten Menge Milchsäure von der Reaktion des frischen auf die des maximal ermüdeten Muskels gebracht. Dies entspräche etwa 0,07%, Milchsäure, also !/,—!/, der gesamten bei der Ermüdung gebildeten. Die Rechnung ist nicht genau, weil das Gemisch von Michaelis aus Na,HPO, + NaH,PO, besteht; für die Betrachtung im Muskel aber das System K,HPO, + KH,PO, zugrunde gelegt werden müßte. Für die Reaktion Na,HPO, + HCl = NaH,PO, + HCl fand ich (bei Überschuß von Phosphat) für 2 cem n-HCl 3,45 cal., d.h. pro I Mol 1725. Genau soviel berechnet sich nach dem Chemikerkalender aus der Summe von Na,HPO, + H,0 = NaH,PO, + NaOH — 12,0 kg Cal. NaOH + HCl = NaCl + H,O +13,7 kg Cal. + 1,7 kg Cal. Für die Reaktion Na,HPO, + HL = NaL + Na,HPO, in äquivalenten Mengen bzw. Überschuß von Phosphat fand ich ebensoviel, nämlich durchschnittlich 19 cal. pro 1 g Milchsäure, was pro Mol 1700 cal. ergibt. Nachdem diese Wärmetönungen von einer viel zu kleinen Größen- ordnung sind, ist an die Möglichkeit einer Adsorptionswärme zu denken. 2 ccm 10 proz. Milchsäure wurden zu 4 g Tierkohle in 67 ccm destilliertem Wasser gegeben. Hierbei wurde von 0,2g Milchsäure etwa 0,13 g adsorbiert und es ergab sich pro 1g Säure 16,5 cal., nach Abzug der Verdünnungswärme etwa 12 cal., also nur ein ganz geringfügiger Betrag. 1) Ergebn. d. Physiol. 15, 340, insbesondere 371. 1916. 2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 93, 60. 1914. 4* 52 ‘O0. Meyerhof: b) Neutralisationswärme der Milchsäure in eiweißhaltigen Flüssigkeiten. Wenn man Milchsäure zu genuinen, phosphat- und carbonathaltigen Eiweißlösungen setzt, Blutserum, Hefeextrakt, Eiereiweiß, Muskel- preßsaft, zeigt sich sofort, daß die Wärmetönung erheblich größer ausfällt, als durch den Umsatz mit anorganischen Salzen erklärbar ist. Mit frischem Pferdeserum ergibt sich 50—60 cal. (mit Ochsenserum weniger), mit Blut 80—90 cal., mit Eiereiweiß 60 cal., mit neutrali- siertem Muskelpreßsaft 67 cal. usw. Es lohnt nicht die zahlreichen derartigen Messungen anzuführen, nachdem das Prinzip mit einfacheren Systemen klargestellt werden konnte und obendrein damit erheblich größere Wärmetönungen erzielbar sind. Es ist klar, daß der Carbonat- und Phosphatgehalt dieser Flüssigkeiten störend wirkt, indem er einen Teil der Säure beansprucht und die durch Eiweiß bedingte Wärmetönung herabsetzt. Doch konnte schon mehreres aus diesen Messungen ent- nommen werden. Das Verhältnis der Konzentration des Eiweißes zu der der zugefügten Milchsäure spielte eine große Rolle: Wurden 60 ccm Serum mit 2,2ccm 7proz. Milchsäure versetzt, ergaben sich 47 cal. pro 1g Milchsäure, geschah es mit 3,5% Milchsäure, erhielt man 59 cal. Wurde Hühnereiweiß 1 : 1 verdünnt, sank bei gleichem Milch- säurezusatz die Wärmetönung von 6l cal. auf 41 cal. Wurde anderer- seits Pferdeserum im Faustschen Apparat eingedampft, so stieg beim Eindampfen auf die annähernd 3fache Konzentration die Wärmetönung pro 1 g Milchsäure bis zu 106 cal., bei noch etwas höherer Konzentration auf 114 cal. Übrigens blieb beim Säurezusatz das Serum vollständig klar und falls bei manchen Eiweißlösungen, z. B. Eiereiweiß oder Casein- lösung Fällungen auftraten, so verringerte sich offensichtlich die Wärme- tönung dadurch, daß ein Teil der Milchsäure im Niederschlag weg- gebunden wurde. Als konzentriertesten Eiweißextrakt verwandte ich Aufschwemmungen von Trockenhefe. Wurde Milchsäure direkt zu der Aufschwemmung, deren Wasserstoffzahl etwa 5—6 ist, zugegeben, traten nur 25 cal. auf; wurde soviel n-Natronlauge zugefügt, daß die Reaktion sich am Umschlagspunkt des Phenolphthaleins befand (Pa = 8,2), wurden über 100 cal. erhalten, während infolge der starken Pufferwirkung die Reaktion sich kaum erkennbar verschob. Für diesen Unterschied konnte der Phosphatgehalt der Hefe mitverantwortlich sein, weil das Phosphat bei ?, 6 eine viel stärkere Pufferwirkung besitzt als bei 97 8, und daher von einer bestimmten Menge zugefügter Säure viel mehr für sich beansprucht; es lag aber nahe, noch an eine andere Ursache zu denken. Das Prinzip, daß den Wärmetönungen zugrunde liest, wurde nun durch Versuche mit Aminosäuren geklärt, deren Resultate sich dann auf isolierte Eiweißkörper (frei von basischen Salzen) vollständig übertragen ließen. Mit diesen erhalten wir zugleich die größten Beträge an Wärme, die in wässeriger Lösung mit Eiweiß Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 53 erzielbar sind. Wir werden sehen, daß wir nichts anderes messen als die (umgekehrte) Dissoziationswärme des Eiweiß, die noch nie bestimmt, ja deren Vorhandensein, soweit mir bekannt, noch nie ernstlich in Be- tracht gezogen ist. c) Die Dissoziationswärme der Aminosäuren. Neutralisieren wir eine "/,-Glykokollösung (3,75 proz.) mit soviel Natronlauge, daß die Wasserstoffzahl 8,8 wird, wozu wir etwa !/,, der äquivalenten Menge Natronlauge . benötigen und fügen jetzt soviel Milchsäure oder auch Salzsäure hinzu, daß die Reaktion sich nur wenig, z. B. bis p, 8,4, verschiebt, so erhalten wir bei diesem letzteren Vorgang knapp 130 cal. pro 1 g Milchsäure (bei 20°). Eine ebenso große Wärme- tönung erhalten wir auch mit gleich neutralisiertem Alanin oder (über- sättigter) Leucinlösung und sicherlich mit allen Aminosäuren von ähn- liehen Dissoziationsverhältnissen. Da der isoelektrische Punkt des Glykokolls bei 9, 6,088 liegt!) und auf der alkalischen Seite desselben keine Reaktion zwischen der Aminogruppe und dem H-Ion sich abspielt, verhält sich das Glykokoll wie eine gewöhnliche schwache Säure und wir können den Vorgang formulieren als Na’G’ + HL’ = NaL’ + [GH] (G = Glykokollanion; L — Milchsäureanion) Die Milchsäure können wir als vollständig dissoziert auffassen, weil sie keine meßbare Dissoziationswärme zeigt. Die einzige Reaktion, die zu einer Wärmetönung Anlaß gibt, ist somit H’ + G’ = (GH). Wir erhalten also die umgekehrte Dissoziationswärme des Glykokolls für die Säuredissoziation (da die Dissoziationswärme selbst negativ ist und der Ausdruck ‚negative Dissoziationswärme‘“ daher mißverständ- lich, spreche ich von der umgekehrten Dissoziationswärme, also einer Entionisierungswärme). Die Dissoziationswärmen der Aminosäuren sind noch nie gemessen und für die Säuredissoziation liegen auch keine Daten vor, aus denen sie berechnet werden könnten. Dies könnte be- kanntlich nach der van’t Hoffschen Isochorengleichung geschehen IE) x am ana? wenn K für 2 Temperaturen bekannt ist. Dies ist nun für die Säure- dissoziationskonstante der Aminosäuren nicht der Fall, wohl aber zu- fällig für die Basendissoziationskonstante des Glykokolls nach den Messungen von Winkelblech und Walker bei 25° und 60°. Aus den beiden Werten K, 950 — 2,66 . 10-12 und K, 60° — 28 . 10-12 1) Sörensen in Asher-Spiros Ergebn. 12, 501. 1912. 54 OÖ. Meyerhof: berechnet sich nach Lunden!) die Dissoziationswärme — 13000 cal. (bei 40°). Ich maß die Wärme direkt, indem zu 70 ccm mit Salzsäure versetzter Glykokollösung von ?4 =3 (90 cem N/,-Glykokollösung + 10cem n-HCl) 2ccm n-NaOH zugesetzt wurde. Es ergaben sich 28,0 cal., oder korrigiert für die Verdünnungswärme der Salzsäure, —13 500 cal. als molare Dissoziationswärme bei 20°. Da ein ähnlicher Beleg für die Wärme der Säuredissoziation nicht möglich ist, können wir das Resultat nach der Formel prüfen: Neutralisationswärme (q neutr) — Dissoziationswärme (q diss) — Dissoziationswärme des Wassers (q,) oder: —Qy = q neutr — qdiss. q, ist bei 20° —13 700 cal. Fügen wir also zu unserer Glykokollnatriumlösung, die auf 94 8,83—8,6 ge- puffert ist, einmal HCl, ein anderes Mal NaOH hinzu, so erhalten wir im ersten Fall —q diss, im zweiten Fall q neutr (wir neutralisieren die schwache Säure Glykokoll). Beides zusammen muß —q, sein, was ja gleich der Neutralisationswärme starker Säuren mit starken Basen ist. In der Tat haben wir nichts anderes getan, als nach Zusatz von HCl und nachherigem Zusatz von NaOH das Glykokollgemisch wieder auf seinen Ausgangszustand zurückzuführen unter Vermehrung seines NaCl und HOH-Gehalts nach der Gleichung H'CY + NaOH’ = NaCl’ + [HOH]. Die mit Milchsäure gefundene Reaktionswärme 133 cal. pro 1g Säure, nach Abzug der Verdünnungswärme 129 cal., entspricht einer molekularen Dissoziationswärme des Glykokolls von —11550 cal. Außerdem wurde diese in 2 Versuchen mit Salzsäure bestimmt und ergab (nach Korrektur für die Verdünnungswärme der Salzsäure) —11 450 und —11 300 cal. Wurde nun andererseits zu dem Glykokollgemisch von pp 868,8 NaOH ohne stärkere Verschiebung der Reaktion zugefügt, ergab sich in 2 Versuchen +2900 und +2800 cal. als Neutra- lisationswärme. Dabei wurde im zweiten Versuch so verfahren, daß zu demselben Gemisch zuerst 2ccm n-HCl, dann 2ccm n-NaOH gegeben wurde, wobei im ersten Fall 23 cal. (korrigiert für Verdünnungswärme), im zweiten Fall 5,7 cal. auftraten. Also umgekehrte Dissoziations- wärme = 11 500, Neutralisationswärme = 2800; Summa 14 100 cal. In der Tat erhalten wir fast genau die Dissoziationswärme des Wassers, wenn auch ein bißchen viel zu. Ein solcher Überschuß von 3—5% trat übrigens bei mehreren Versuchen dieses Abschnittes auf, wäh- rend sich die Neutralisationswärme des Wassers sowohl bei Über- schuß von Natronlauge wie bei Salzsäure fast genau zu 13 700 cal. ergab. Dies liegt vielleicht an nicht ganz genauer Bestimmung des Wasserwertes bzw. der spezifischen Wärme, die ich nach einer Messung 1) Lunden, Affinitätsmessungen an schwachen Säuren und Basen. Chemisch- technische Vorträge 14, 85, siehe auch S. 68. 1908 (F. Enke). Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 55 an Alaninlösung = 0,97—0,98 setzte, oder auch an dem Kohlensäure- gehalt der Natronlauge, wodurch das System nicht mehr ganz so rever- sibel ist, wie esin der Betrachtung vorausgesetzt wurde. Da nun auch die Abmessungen in der Pipette des Wärmegefäßes leicht auf 2%, ungenau sein können und Präzisionsmessungen hier nicht in Betracht kamen, habe ich der Ursache dieser geringen Abweichung nicht weiter nach- geforscht. — Die gleiche Kontrolle können wir nun auch für die Basen- dissoziation des Glykokolls anstellen. Da sich die Dissoziationswärme zu —13 500 cal. ergibt, sollte die Neutralisationswärme nur eine äußerst geringfügige sein. In der Tat ergab sich bei Zusatz von 2ccm n-HCl zu Glykokoll-HCl-Gemisch von p% 3,5 nur 2,6 cal., also eine Neutrali- sationswärme (korrigiert für Verdünnungswärme) von 900 cal. pro Mol. Die Summe ist 14400 cal., die Dissoziationswärme des Wassers mit einem geringen Überschuß. Nunmehr ist klar, daß wir eine Reaktionswärme von Säure mit einem Glykokollpuffergemisch von angegebenem Umfang: 130 cal. pro 1g Milchsäure, nur erhalten können, wenn wir uns ganz auf der alkalischen Seite des isoelektrischen Punktes befinden. Denn über- schreiten wir diesen beim Säurezusatz, so gelangen wir in das Bereich der Basendissoziationswärme, wo die Säure nur die minimale Neutrali- sationswärme von 900 cal. pro Mol hervorruft. Auch dies läßt sich leicht feststellen. Setzen wir z. B. zu einem "/,-Glykokollgemisch von der Reaktion p4 = 8,0 2,5 ccm 7proz. Milchsäure, so wirkt die Glykokoll- lösung nicht mehr puffernd auf der alkalischen Seite, die Wasserstoff- zahl fällt auf etwa 3,7 und wir erhalten statt 130 cal. nur 22 cal. Die Wärmetönung ist also an die Pufferwirkung gebunden, was schon oben bei den Eiweißlösungen ersichtlich war. Man könnte den Einwand erheben, daß das hier untersuchte Reaktionsgebiet zu weit nach der alkalischen Seite läge, um für den Muskel in Betracht zu kommen. Das ist aber lediglich die Folge davon, daß der isoelektrische Punkt des Glykokolls bei 6,088, also dicht am Neutralpunkt liegt, und wir nicht so hoch konzentrierte Glykokollösungen verwandten, daß sie noch zwischen 95 8 und 7 puffern können. Der isoelektrische Punkt der meisten Eiweißkörper liegt weit mehr nach der sauren Seite verschoben!). Der von Serumalbumin z. B. bei p% = 4,7, der von Serumglobulin bei 25 5,4. In der Tat können wir mit diesen Körpern schon zwischen Pp 8 und 9, 7,5 (und wohl auch, was ich nicht geprüft habe, noch etwas dichter am Neutralpunkt) die gleichen Resultate erzielen, wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden. Ausführung der Versuche. Zu allen Messungen diente dasselbe dreiwandige Dewargefäß, das auch in den anderen Kapiteln benutzt wurde. In der in ihm hängenden Pipette befand sich die zuzusetzende Säure (oder Base). Erst nachdem 1) Siehe Höber, Physikalische Chemie der Zelle und Gewebe. 4. Aufl. 1914. S. 330. 56 - O0. Meyerhof: das Gefäß zum Temperaturausgleich eine gute Stunde im Thermostaten bei 20° (in einigen Versuchen 22°) gehängt hatte, wurde der Inhalt mit Wasserstoff her- ausgedrückt. Als Pipette diente teils eine gebogene von ähnlicher Form wie Abb. 4 von 2,5 ccm, teils eine gerade von 2 ccm. Um das Auslaufen von Säure vor dem Versuch zu verhindern, war nicht nur das obere Einde mit Schlauchquetschhahn verschlossen, sondern auch die Spitze mit etwas Hahnfett verschmiert. Nach dem Herausdrücken mischt der durchströmende Wasserstoff die Lösung sehr schnell und. gründlich, was durch Umschwenken des Gefäßes befördert wurde. Der ge- messene Temperaturanstieg brauchte nicht korrigiert zu werden. Die eingehängten Säure- (Basen-)lösungen waren vorher gegen ®/,„-Natronlauge titriert. Von Milch- säure wurde meist 1g käuflicher Säure auf 1lOccm verwandt, was einer 7 proz. Kon- zentration in Bezug auf reine Milchsäure entspricht. Die Aminosäurelösung im Dewargefäß war im Überschuß vorhanden, meist %/,-konzentriert. Sie wurde durch Zusatz von n-Natronlauge bzw. n-HCl unter Zugrundelegung der Sörensenschen Über- sichtstabelle !) auf eine bestimmte Wasserstoffzahl eingestellt und dies durch Indi- katoren kontrolliert. Die spezifische Wärme wurde nach dem Mischungsverfahren be- stimmt. Die Apparatur, in der ein auf 100° erwärmtes Stück Blei von vorher be- stimmter spezifischer Wärme in das Calorimeter mit der Versuchslösung herab- gelassen wird, war nach dem Praktikum von Roth?) angefertigt. Hiermit wurde auch die spezifische Wärme der Eiweißlösungen des folgenden Abschnittes be- stimmt. Für die Verdünnungswärme der Milchsäure wurde nach den Bestim- mungen des Kap. I eine Korrektur angebracht (für die Verdünnung von 2 ccm 7proz. Säure auf 70 Wasser 4 cal). Tabelle IX. „Neutralisierungswärme‘ der Milchsäure durch aminosaure Salze. Zuge- Cal.pr.1g | Bene Melare setzte a Was: Milchs. (n. Entspricht Nm) Aumass | Ienezen | ee ee a säure tration re ms Anstieg wert ns are | | g Grad wärme) 1. |Glykokoll 0,5 8:85 ,.8931 1.0413. 205 031 Eze|223%3 131 — 11 800 2. |Glykokoll 0,5 8,8 | 8,3 | 0,182 | 0,306 | 76 23,3 124 | — 11150 3. ıGlykokoll 0,9 8,9 | 8,7 I 0,175 | 0,317 74 | 23,5 130 | — 11700 4. | Alanıin 0,5 8,9 | 8,4 | 0,145 | 0,250 | 80 | 20,0 a | — 11210 5. ‚Alanin 0,5 8,9 | 8,4 | 0,140 | 0,221 83,5| 18,45 128 | — 11 500 6. |Alanin 0,5 8.9 | 8,4 | 0,136 | 0,231 77 17,8 127 || — 1400) 7. Leuein übersätt. | 9,0 | 8,5 | 0,077 | 0,147 | 71,5 | 10,5 1322 215900 8. |Leuein a ? 1 0,070 | 0,127 9,7 134 | —12 100 Durchschnitt 130 —- 11 700 Da die Differenz zwischen den 3 geprüften Aminosäuren in die Fehlergrenze fällt, erhalten wir somit als Durchschnitt für die Neu- tralisierung von 1g Milchsäure 130 cal., für die Dissoziationswärme der Aminosäuren —11 700, ein Wert, der immerhin auf Grund der Versuche der Tab. X um einige Prozent zu groß sein wird. Für die Versuche der Tab. X wurde stets die gerade Auslaufpipette von 2,0 cem l) a.a. O., S. 436. Fe 2) W. A. Roth, Physikalisch-chemische Übungen. 2. Aufl. Voss, Leipzig. S. 71. un U ud Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 57 benutzt. Für die Verdünnungswärme von 2ccm n-HCl auf 60 ccm Lösung wurde pro Mol Salzsäure 400 cal. in Abzug gebracht, für die Natronlauge keine Korrektur. Tabelle X. Dissoziations- und Neutralisationswärme von Glykokoll (%/,). Gemes- . Berechnete 1: Gehalt des) sener | Was- | oaL.ge- molare Wärme Nr. Zusatz Zusatzes Temp.- ser- | bildet I) (KoIT. für Ver- vorher nachher an Millimol | Anstieg wert | dünnungs- Grad wärme = 88 8,25 | HCl 2,00 0,304 78 23,7 |SD — 11 450 22 83 83 } NaOH 2,05 0,080 75,5 6,051 SN + 2900 3.| 89 8,4 | HCl 2,05 0,313 76,5 23,9 |SD — 11300 4.| 84 89 | NaOH 2,02 0,374 sel 507 SON + 2 800 | 3,3 NaOH 2,06 0,357 78 | 27,8 |BD — 13 500 Bo Bo 32 HC1 2,00 0,034 za 26 |BN — 900 Die ungewöhnliche Größe der (negativen) Dissoziationswärme der Aminosäuren, die fast alle bekannten übertrifft, beruht ohne Zweifel auf der Umlagerung der freien Säure zu einem Komplexsalz: CH, NH, EZ, c00 oder genauer, in der Schreibweise Werners: CH,—NH, et 9). co Diese letztere Formel ist insbesondere durch die Arbeit von Löffler und Spiro gut begründet). Auch Hantzsch hat bei seinem Studium der Pseudosäuren, die auf Grund einer ähnlichen Umlagerung bei der Abspaltung freier Säure aus ihrem Salz entstehen, ein ungewöhnliches Anwachsen der Dissoziations- konstanten mit der Temperatur festgestellt*), was nach der van t’Hoff- schen Gleichung auf eine große Dissoziationswärme schließen läßt. Die Ursache der großen Dissoziationswärme der Aminosäuren liest also in der Absättigung erheblicher Restaffinitätsbeträge beiderN.... H-bildung. d) Die Neutralisation der Milchsäure durch isoliertes Eiweiß. Die mit Aminosäuren gewonnenen Erfahrungen lassen sich nun voll- ständig auf konzentrierte Eiweißlösungen, die frei von basischen Salzen sind, übertragen. Der sonstige Salzgehalt scheint von keinem erheblichen 1) BD = Basendissoziationswärme; B N = Basenneutralisationswäme; S D = Säurendissoziationswärme SN —= Säurenneutralisationswärme. 2) Meyer-Jacobson, Lehrbuch der organ. Chemie I,. 2. Aufl. 1913. S. 734. Willstätter, Berl. Ber. 35, 585 (1902). 3) Helvetica Chimica Acta. vol. II. S. 533. 1919. #) Berl. Ber. 32, 575. 1899. 58 OÖ. Meyerhof: Einfluß. Die entscheidenden Versuche wurden mit Serumglobulin und Serumalbumin aus Pferdeserum sowie mit Muskeleiweiß aus Pferdefleisch angestellt. Zur Gewinnung des ersteren wurde Pferdeserum zunächst mit dem gleichen Volumen gesättigter Ammonsulfatlösung versetzt, der Glo- bulinniederschlag abgenutscht, ohne ihn zu waschen wieder durch Zugabe von destilliertem Wasser gelöst. Das Filtrat wurde bei 35° mit Ammon- sulfat gesättigt, der Albuminniederschlag ebenfalls abgenutscht, mit destilliertem Wasser verrührt und in mehreren Dialysierhülsen kurze Zeit dialysiert, so daß er sich völlig klar dunkelbraun in Wasser löste. Selbstverständlich sind die Eiweißlösungen keineswegs rein und ent- halten sehr viel Ammonsulfat (z. B. A —2,7°). Dieser Umstand stört aber nicht!), es ist nur nötig die spezifische Wärme pro Volumeneinheit für jede Lösung zu bestimmen, was mit dem im vorigen Abschnitt angeführten Rothschen Apparat geschah. Wird direkt zu 60 ccm einer konzentrierten Globulinlösung, die aus etwa der 7fachen Menge Serum stammt und gegen Neutralrot violett, gegen Methylrot gelb ist (p7 ca. 6) 2ccm 7proz. Milchsäure zugesetzt, so ergeben sich pro 1g Milchsäure nur 24 cal. Wurde dagegen vorher !/,, Volumen n-Natronlauge zu- gesetzt, wodurch die Reaktion etwa pP — 8,4 wird, ergab der gleiche Zusatz 141 cal., nach Abzug der Verdünnungswärme 137 cal. pro 1g Milchsäure. Genau die gleiche Wärmetönung und zwar stets zwischen 141 und 143 cal. wurde noch mit einer anderen Globulindarstellung sowie mit 2 verschiedenen Albuminpräparaten trotz verschiedener Konzentration und sehr verschiedener spezifischer Wärme erhalten und es ist nicht ohne Interesse, daß die Wärmetönung, wenn auch nicht viel, so doch deutlich größer war als bei den Aminosäuren. Sicherer als die unmittelbare Messung selbst, bei der Fehler in der Bestimmung der spezifischen Wärme das Resultat leicht fälschen können, ergibt sich das auch hier aus der Kontrollmessung nach der Formel: q neutr — q diss —qn. 60ccm Albuminlösung, etwa 2!/,fach konzentriert gegenüber Serum, war mit !/,, Volumen nNaOH versetzt, wodurch die Wasserstoffzahl dicht bei 8 lag (Neutralrot orange): und ergab dann mit 0,139 g Milchsäure 19,6 cal., pro 1g 141 cal., was (nach Abzug der Verdünnungswärme) einer Dissoziationswärme des Eiweiß von —12 350 cal. entspricht, bezogen auf Milchsäure äquivalente. p7 wurde dadurch auf etwa 7,5 verschoben (Neutralrot orangerot). Nachher wurde die Lösung mit 2 ccm n-NaOH versetzt und es ergab sich 2,75 cal., was einer Neutralisationswärme von + 1370 cal. entspricht. 12 350 + 1370 geben aber 13 720 cal., genau die Dissoziationswärme des „ 1) Soweit NH, statt Na zur Neutralisation der Säure dient, muß dies aller- dings die Dissoziationswärme etwas verringern. Doch gaben weitgehend dialy- sierte Albuminlösungen keine höheren Wärmebeträge. Im übrigen wird die etwaige, Beeinflussung der Dissoziationswärme durch Salzzusatz in einer weiteren Bearbeitung des vorliegenden Gegenstandes genauer geprüft. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 59 Wassers. Da die Neutralisationswärme für die Säuredissoziation bei den Aminosäuren doppelt so groß gefunden wurde wie hier, muß die Dissoziationswärme des Albumins um diesen Betrag, d. h. etwa 10% größer sein wie die der Aminosäuren. Wir haben es, wie man aus der genauen Übereinstimmung der Summe von Dissoziations- und Neu- tralisationswärme mit der berechneten ersieht, also auch hier mit einem völlig reversibeln System zu tun. Wurde die Albuminlösung nicht mit Natronlauge neutralisiert, erhielt man pro 1g Milchsäure 86 cal. Die größere Wärme gegenüber dem Globulin entspricht dem Umstand, daß die Albuminlösung weniger sauer als die genuine Globulinlösung ist und der isoelektrische Punkt weiter auf der sauren Seite liegt. Wurde andererseits zu einer genuinen Globulinlösung, zu der bereits 2 ccm 7 proz. Milchsäure hinzugesetzt sind (mit 24 cal. Wärmebildung) nochmal 2ccm 7proz. Milchsäure zugesetzt, so trat überhaupt keine meßbare Wärme mehr auf (?5 4-5). Da wir uns hier auf der sauren Seite des isoelektrischen Punktes befinden und keine Neutralisationswärme erhalten, folgt, daß die Basendissoziationswärme der Dissoziationswärme des Wassers annähernd gleich, also noch größer als die Säuredissozia- tionswärme ist, in Übereinstimmung mit dem gleichen Unterschied bei den Aminosäuren. In der Tat bestätigte sich dies mit einer stark dia- lysierten Albuminlösung, die mit HCl noch etwas mehr angesäuert war (Methylrot rot, Methylorange gelb PH 4,2). Bei Zusatz von 2 cm N), NaOH ergab sich 13,0 cal, — 13000 cal Basendissoziationswärme; beim Zusatz von "/, HCl 0,65 cal. = 650 cal. Basenneutralisationswärme; zu- sammen 13650 cal. Doch kommt die Basendissoziationswärme für unser Problem nicht in Betracht. Diese Versuche wurden mit Muskeleiweiß wiederholt und dies gab fast genau dasselbe Resultat, bemerkenswerterweise sogar eine zwar nur ganz wenig aber doch deutlich größere Dissoziationswärme als die Serumproteine. Hierzu wurde, ähnlich den Angaben von Fürth!) und Sazl?), Pferdefleisch mit der Fleischmaschine und mit Wiegemessern zerkleinert und dann mit dem 2fachen Volumen 10 proz. Ammonchlorid- lösung ausgelaugt und durch Koliertücher leicht abgepreßt. Ein Teil des abgelaufenen ‚„Muskelplasmas‘‘ wurde nach v. Fürth mit Ammon- sulfat fraktioniert gefällt. Die Hauptmenge jedoch direkt in Pergament- schläuchen 12 Stunden dialysiert und dann in toto verwandt. Während mit dem fraktioniert gefällten Eiweiß aus verschiedenen Gründen keine genauen Resultate erzielt wurden, gaben 2 verschieden konzentrierte Präparationen des dialysierten Muskelplasmas nach Versetzen mit Natronlauge (2,0 ccm n-NaOH auf 70—80 cem Eiweißlösung, p7 8,0 bis 8,35) pro 1g Milchsäure 144 cal., nach Abzug der Verdünnungwärme 2) Arch. f. exp. Patbol. u. Pharmakol. 36, 231. 1895. 2) Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 9, 1. 1906. 60 ©. Meyerhof: 140—141 cal. Die Genauigkeit dieser Messungen ließ sich wiederum kontrollieren, indem zu denselben Eiweißlösungen bei einer Wasser- stoffzahl von 7,5—8 im Thermostaten 2 ccm n-NaOH zugefüst wurden; hierbei ergaben sich 2,16 und 2,05 cal. Umgerechnet finden wir für das konzentrierte Muskelplasma (spezifische Wärme 0,89) eine Disso- ziationswärme pro Milchsäureäquivalent von —12 600 cal., eine Neu- tralisationswärme von 1080 cal., Summa 13 680 cal. Für das verdünnte Muskelplasma (spezifische Wärme 0,95) eine Dissoziationswärme —12 700 cal., Neutralisationswärme 1025 cal., Summa 13725 cal., in vorzüglicher Übereinstimmung mit dem theoretischen Wert. Da die Neutralisationswärme hier 1050 cal., bei Serumalbumin 1370 cal. beträgt, ersieht man, daß die Dissoziationswärme hier um die kleine Differenz, d.h. um 23%, größer ist. Wurde aber andererseits zu dem nicht mit Natronlauge versetzten dialysierten Muskelplasma (?4 = 6,5) 2ccm 8proz. Milchsäure zugesetzt, ergab sich nur 1,5 cal., d.h. pro 1g Milchsäure knapp 10 cal. Gleichzeitig schlägt die Reak- tion vollständig bis zur Rotorangefärbung von Methylorange, also bis zu 95 4 um und es tritt eine dicke Fällung auf, die sich bei Zugabe einer entsprechenden Menge Natronlauge wieder löst. Wir überschreiten hier also den isoelektrischen Punkt und bewegen uns jetzt im Gebiet der Basendissoziation des Eiweißes. Dieses Gebiet wird jedoch im lebenden Muskel niemals erreicht, da die Wasser- stoffzahl, wie oben betont, selbst bei der Starre nur auf etwa 6,5 herabgeht. Einige Versuche wurden auch mit Casein und Gelatine (letztere bei 30°) angestellt. In beiden Fällen war die Wärme beim Milchsäurezusatz weit geringer. Doch geht daraus nicht sicher hervor, daß die Disso- ziationswärmen hier kleiner sind. Bei Zusatz von 2,3 ccm 7 proz. Milch- säure zu 60 ccm 8Sproz. Caseinlösung, enthaltend 4 ccm n-Natronlauge (?p ©a. 8,5) ergaben sich nur 42 cal. pro 1g Säure. Die Pufferung war ausreichend, 975 nachher etwa 7,0, während der isoelektrische Punkt bei 4,7 liegt. Gleichzeitig entstand aber eine Fällung, nach deren Ab- filtrieren man wieder dieselbe Wärmetönung erhielt. Möglicherweise ist die geringfügige Wärme auf die Fällung zu beziehen. Gelatine- lösungen dagegen pufferten sehr schlecht. Eine lOproz. Gelatine mit ungefähr 4ccm n-NaOH auf 100 ccm (py ca. 8,5) schlug bei Zusatz von 0,14 g Milchsäure schon bis etwa 9, 5 um. Hierbei ergaben sich 73 cal. pro 1g Milchsäure. Tab. XI gibt eine Übersicht über die gemessenen Werte und die Berechnung pro 1g Milchsäure. In der Tab. XII sind die Versuche zusammengestellt, in. denen gleichzeitig die Dissoziations- wärme und die Neutralisationswärme für die Säuredissoziation des Ei- weißes bestimmt sind. tionswärme. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 61 Tabelle XI. Wärmebildung bei Zusatz von Milchsäure zu isoliertem Eiweiß, cal. prolg Pr Pr ‘Milch- | Tempe- | Spezif. “ ca], | Milchs. (n. an vor- | nach- | _. . ratur- | Wärme asser- “| Abzug der Nr. | Benutztes Eiweiß ne Her Aus in eiese Bro vor wert nd Verdin- ca. ca. = Grad C | Einheit nungs- 5 wärme) 1 | Albumin 83 | 83 0,140 | 0.263 | 0,92 75 19,75 137 2 Globulin 8,0 80 | 0,140 | 0,282 | 0,915 | 71 20,00 139 3 Globulin 84 | 8,0 | 0,136 | 0,296 | 0,85 65,5 | 19,3 137 4 Albumin 8,0 | 7,5 | 0,139 | 0311 | 0,81 63,2 | 19,6 137 5 Globulin 4,5 4 0,14 0,000 | 0,91 75 0 0 26 Globulin 6 4,5 |.0,136 | 0,062 | 0,845 | 62 3,85 24 7 | Albumin A 5—6 | 0,139 0,100 0,81 62 6,2 82 8 Muskeleiweiß | 8,2 | 8,0 | 0,156 | 0,310 | 0,89 ls | 2% 140 g Muskeleiweiß | 83 | 7,3 | 0,159 | 0,302 , 0,95 76,5 | 23,1 141 10 Muskeleiweiß | 8,0 | 7,5 | 0,078 | 0,164 | 0,89 66 10,8 139 11 Muskeleiweiß | 6,5 | 4,5 | 0,156 | 0,022 | 0,89 70 1,5 9,8 12 Casein 3,5 7,3 | 0,163 | 0,111 | ca.97 | 70 Use 42 13 Casein 7,0 | 6,0 | 0,084 | 0,056 | ca. 97 | 70 3,88 42 14 | Gelatine 85 | 4,5 | 0,140 | 0,118 | ca.96 | 84 99 | 67 Tabelle XII, Dissoziationswärme von Eiweiß. Gehalt | Gemess. w ’ Wärme- |Daraus Dis- Nr. Eiweißwert Zusatz d. Zus. | Temp.- DecE 1. |N®) tönung pro |soziationsw. Millimol Anstieg wert |gebildet; D Äquivalent [des Wassers 1 || Albumin Milchs. 1,54 0,301°| 63.2 19,6 ıD —- 123%0\ 13 720 > NaOH 2,0 |0,043°! 64 2,755:N + 1370 2 | Muskeleiweiß NaOH 2,0 .0,031°| 70 2,16 IN + 1080|, 13 680 IR m Milchs. | 1,73 |0,310°| 71,5 |22,6 |D — 12600| 3 |'Muskeleiweiß NaOH 2,0 |0,027° | 76 2,05 N -+ 1 025\ 4 Milchs. | 1,77 |0,302°| 76,5 123,1 |D —ı2200| 13725 4 | Albumin NaOH | 0,95 |0,165°| 75 12,35 |Bd — oe 13 650 53 HCl 10 )OOLT zz 0,85 |Bn + 650 Die gemessenen Dissoziationswärmen des Eiweißes, die von gleicher Größenordnung sind und ein völlig identisches Verhalten zeigen, wie die der Aminosäuren, bestätigen die von W. Pauli?) vertretene und in neuerer Zeit in noch präziserer Form von J. Loeb?) begründete Ansicht, daß sich das Eiweiß gegenüber Säuren und Basen nicht anders wie ein krystalloid gelöster Ampholyt mit einer bestimmten Valenzzahl von 1) N = Neutralisationswärme, D — Dissoziationswärme. Bd.: Basendissozia- Bn.: Basendissoziationswärme. 2) Vgl. Kolloidchemie der Eiweißkörper. Dresden 1920. 2) Vgl. zahlreiche Arbeiten im Journ. of gen. physiol. I—III, 1919/1921. 62 O. Meyerhof: mäßig stark saurem und basischem Charakter verhält. Auf einen Punkt sei besonders hingewiesen: Für Pferdeserumalbumin berechnet Pauli (a. a. O. S. 69) eine mittlere Basendissoziationskonstante von 1,57 - 10-1! bis 1,57. 10 -!° näher dem letzteren Wert. Nehmen wir 5. 10-4, so folgt, da der isoelektrische Punkt von Serumalbumin nach Michaelis ka bei 2. 10-3 liegt und für diesen die Gleichung gilt Br a (kaSäuren- dissoziationskonstante, kb Basendissoziationskonstante): ka — 5. 10-1! =5 x en — 10°%', Das Albumin wäre also eine nicht besonders schwache Säure. Die Größe der negativen Dissoziationswärme ist nun zwar nicht einfach reziprok der Stärke der Säure — dies wäre das Berthelotsche Prinzip — aber es ergibt sich doch aus den Zusammen- stellungen von Lunden!) sowie Landolt- Börnstein?), daß sehr große nega.- tive Dissoziationswärmen sonst nur bei ganz schwachen Säuren (bzw. Basen) vorkommen. Dort sind überhaupt nur 4 solche schwache Säuren verzeichnet, deren Dissoziationswärme über —10 000 cal. liegt, nämlich Saccharose, Blausäure, Asparagin und die zweite Dissoziationsstufe von Brenzcatechin, dessen Dissoziationswärme allein annähernd so groß wie die hier für Albumin und Globulin bestimmte ist (bei 12° —12 100 cal.). Die Eiweipkörper besitzen demnach die größte Disso- ziationswärme, die bisher bekannt vst, und das ist besonders auffällig, wenn sie so starke Säuren sind, wie es nach obiger Rechnung erscheint. Dies macht es außerordentlich wahrscheinlich, daß genau so wie bei den Aminosäuren das aus dem Alkalisalz durch Säure ausgetriebene Protein durch Betätigung von Restaffinitäten zwischen den Amino- und Corboxyl- (bzw. CO-)gruppen seinen sauren Charakter fast vollständig ein- büßt, ohne übrigens damit schon unlöslich mWasser zu werden. Doch folgt weiter nach der van’t Hoffschen Gleichung ein enormes Ansteigen der Dis- soziationkonstanten mit der Temperatur; und dies könnte für die Löslich- keit von Eiweiß bei verschiedenen Temperaturen von Bedeutung sein. Indes soll uns hier die Theorie dieses Verhaltens nicht weiter beschäf- tigen, sondern vielmehr die Frage, ob die hier aufgefundene umgekehrte Dissoziationswärme, also die Entionisierungswärme des Eiweißes aus- reicht, um die Reaktionswärme der Milchsäure im Muskelinnern zu erklären 3). Ich zweifle nicht, daß sie dieser letzten Endes zugrundeliegt, 1) a.a. O., 8. 66ff. 2) 4. Aufl. 1913. S. 904. ®) Es sei darauf hingewiesen, daß die hier vertretene Anschauung erheblich abweicht von den von O.v.Fürth über die Reaktion der Milchsäure in Muskelinnern gemachten Annahmen. Nach ihm sollen die Aminogruppen in einem echten Neu- tralisationsvorgang mit der Milchsäure reagieren (vgl. Asher-Spiros Ergebnisse 1%, 405 u. 406. 1919). Dies könnte sich aber erst auf der sauren Seite des isoelek- Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 63 aber eine völlige Interpretation derselben, auch in quantitativer Rich- tung, ermöglichen die bisherigen Versuche nicht. Denn es gilt, die Differenz zwischen der Kontraktionswärme 375 cal. und der thermo- chemischen plus Verdünnungswärme —= 170—180 cal., also den Ur- sprung von 200 cal. nachzuweisen, aber wir haben hier nur 140 cal. gefunden. Dieser Unterschied übersteigt bei weitem die Fehlergrenze. An sich ist es nun ganz gut möglich, daß die Dissoziationswärme einzelner Muskeleiweißkörper noch etwas größer ist als die des ganzen Muskel- plasmas oder des Serumeiweißes, die hier gemessen ist. Indes ist es doch unwahrscheinlich, daß diese in wässeriger Lösung jemals mehr als 153 cal. pro 1 g Milchsäure beträgt. In diesem Fall wäre die Dissozia- tionswärme nämlich gleich der des Wassers und bei noch höherem Be- trag würde sie diese übertreffen und damit die Neutralisationswärme der schwachen Proteinsäure auf Grund der mehrfach gebrauchten Formel negativ werden. Wahrscheinlicher ist es, daß die Entionisierungs- wärme des Eiweißes größer ausfällt, wenn es sich nicht in wässeriger Lösung befindet, sondern in einer anderen Phase, oder vielleicht auch unter der Wirkung von Oberflächenkräften steht. Faktoren, die eine möglichst enge Vereinigung des Wasserstoffatoms mit dem Protein- säurerest im entladenen Molekül herbeiführen, die also dahin streben, das Molekularvolumen zu verkleinern, ferner solche, die eine voll- ständigere Absättigung von Affinitätsresten gestatten, als sie in wässe- riger Lösung möglich ist, dürften in diesem Sinne wirksam sein. Dies muß weiterer experimenteller Prüfung vorbehalten bleiben. Das wich- tigste Ergebnis dieses Kapitels ist jedoch, daß statt der bisher an- genommenen Neutralisierungswärme der Milchsäure von etwa 20 cal. durch basische Salze, jedenfalls 140 cal. durch die Gegenwart von Eiweiß zur Verfügung stehen. Auch im einzelnen läßt sich noch nicht sagen, wie der Neutralisierungsvorgang im Muskelinnern vor sich geht. Als weitere Folgerung erscheint aber, daß die Milchsäure nicht an Eiweiß gebunden wird, sondern daß bei der Entladung des Proteins freies Alkalilactat entsteht. Es ist wahrscheinlich, daß dieses von vornherein in kleinen Mengen den Muskel verlassen und z. B. im lebenden Tier ins Blut übertreten kann, ohne daß deshalb die Kontraktionswärme sich verringert. Solange Alkali aus dem ionisierten Eiweiß abgespalten wird, muß diese Wärme auftreten, dagegen sich verkleinern, wenn anorganische basische Salze mit dem Eiweiß in Konkurrenz treten. Im intakten Muskel scheint dies unter normalen Umständen nur ganz unbedeutend vorzukommen, dagegen tritt dieser Fall in alkalischer trischen Punktes der Eiweißkörper abspielen, die bei der Ermüdung sicher nicht erreicht wird, da kaum der Neutralpunkt überschritten wird; ferner würde dieser Vorgangs nach obigem fast ohne Wärmetönung verlaufen und schließlich müßte die Milchsäure dadurch indiffusibel werden, während sie ja leicht ins Blut über- treten kann. 64 O. Meyerhof: Ringerlösung offenbar mehr und mehr ein, je mehr Milchsäure sich bereits gebildet und dem Muskeleiweiß Alkali entzogen hat und in zunehmendem Maße setzt sich dann die Milchsäure mit Phosphat und Carbonat um. Anderseits wird im zerschnittenen Muskel vielleicht der physikalisch-chemische Zustand des Eiweißes gleich verändert, indem es sich mit dem Phosphat der Lösung umsetzt, so daß es dann kein ab- spaltbares Alkali mehr besitzt. Schließlich kann man auch annehmen, daß das Ermüdungsmaximum, falls basische Salze nicht besonders zur Verfügung gestellt werden, durch den Alkalivorrat des Eiweißes der „Ermüdungsorte‘ bedingt ist. Es muß uns hier genügen, die Ver- hältnisse in groben Umrissen anzudeuten. Kapitel V. Bemerkungen zu den chemischen Vorgängen bei der Kontraktion. a) Keine Bildung anaerober Kohlensäure. Da eine restlose Aufhellung über den Ursprung der 200 cal. Milch- säurereaktionswärme uns nicht gelungen ist, kann gefragt werden, ob der unaufgeklärte Rest von 60 cal. nicht doch auf eine etwaige Neben- reaktion zurückgeführt werden könnte, und da kämen aus Gründen, die bereits in der Einleitung erwähnt sind, vor allem solche in Betracht, die zur Kohlensäureabspaltung führen. Diese Frage interessiert uns auch wegen des im nächsten Abschnitt zu erörteruden Gedankens, ob eine geringfügige Menge Milchsäure vielleicht auch anaerob verschwinden könnte. Als exotherme Reaktion wäre hier ehestens an eine Decarbo- xylierung zu denken. Fleicher hat in mehreren Arbeiten bereits nach- gewiesen!), daß die früher auf anaerobe Bildung bezogene Kohlensäure- abgabe eines Muskels in Stickstoff zwanglos dadurch erklärt werden kann, daß sie die Folge der zunehmenden Acidität ist, also lediglich eine Austreibung durch die entstandene Milchsäure. Doch vermisse ich in seinen Arbeiten den Nachweis, daß sie notwendig und restlos so erklärt werden muß. Hierfür muß der Gehalt präformierter Kohlensäure in identischen Muskeln vor und nach der Anaerobiose miteinander verglichen werden. Für die zerschnittene Muskulatur in Wasserstoff ist dies schon früher geschehen), für den intakten Sartorius in Stickstoff habe ich es jetzt nachgeholt. In einem 23stündigen und einem 27 stün- digen Anaerobioseversuch bei 17° war der Kohlensäuregehalt der symmetrischen Sartorien vor und nach dem Aufenthalt in Stickstoff vollkommen gleich. Die Übereinstimmung ist innerhalb eines Kubik- millimeters genau, während im gleichen Zeitraum bei gleicher Tem- peratur durck Atmung je 120—130 cmm CO, gebildet sein würden. 1) Journ. of physiol. 23, 10. 1898; 28, 354. 1902; 4%, 361. 1913; Fletcher und Brown, 48, 177. 1914. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%5, 20. 1919. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 65 b) Kein mepbares anaerobes Verschwinden von Milchsäure. Aus verschiedenen Gründen mußte die Frage untersucht werden, ob nicht auch schon anaerob ein gewisser Teil der bei der Kontraktion gebildeten Milchsäure verschwinden kann. Sollte dies allerdings in größerem Umfange stattfinden können, so müßte wegen der genauen Übereinstimmung der Kohlenhydrat- und Milchsäurebilanz auch in diesem Fall die Milchsäure zu Zucker regeneriert sein. Und da dieser Vorgang endotherm und unfreiwillig verläuft, ein anderer unbekannter anoxydativer Vorgang die Arbeit dafür liefern. Daß dieser zweite Prozeß dann sogar einen Überschuß von Energie besitzen sollte, ist wenig wahrscheinlich. Embden und Mitarbeiter glauben ein anaerobes Ver- schwinden, von Milchsäure aus dem Muskelbrei von Kaninchen beobach- tet zu haben !) und ferner haben sie neuerdings festgestellt, daß bei der Kontraktion anorganische Phosphorsäure auftritt, die sich schon anaerob wieder in organische zurückverwandelt. Dies letztere steht nun zwar in völliger Übereinstimmung mit meinen bisherigen Resultaten und es war eine schon wiederholt gezogene Folgerung von mir, daß die bei der Kontraktion aus dem Lactacidogen abgespaltene Phosphorsäure sich bereits anaerob mit neuem aus Glykogen gebildeten Zucker zur Hexosephosphorsäure resynthetisieren müßte. Wenn indes die Menge der bei der Kontraktion abgespaltenen Phosphorsäure analytisch faßbar sein sollte, war nur einer von folgenden 3 Fällen möglich: Entweder verschwindet die Phosphorsäure nicht im Erschlaffungsvorgang selbst, sondern unabhängig von ihm nach Ablauf der Kontraktion, was natür- lich bei längerer tetanischer Reizung teilweise noch in das Stadium der Verkürzung fallen könnte; oder die Phosphorsäure und Milchsäure sind nicht äquivalent, wie es bei der Hexosephosphorsäure als Milch- säurevorstufe vorausgesetzt wird, oder drittens es verschwindet mit der Phosphorsäure gleichzeitig Milchsäure. Dies folgt nämlich daraus, daß, wie früher berechnet wurde?), für die Erzeugung von 1000 g Spannung in 1 g Muskel, was etwa der maximalen tetanischen Leistung entspricht, nur 0,04 mg Milchsäure produziert werden. Damit sind 0,044 mg Phos- phorsäure in dem Hexosephosphorsäureester äquivalent. Auf 100g Muskel also 4,4 mg. Diese Menge beträgt nur 1%, der von Embden und seinen Mitarbeitern im Muskel bestimmten Phosphorsäure, etwa 3% der Lactacidogen-Phosphorsäure®?). Aus den folgenden Versuchen geht nun hervor, daß kein meßbares anaerobes Verschwinden von Milch- säure unmittelbar nach der Kontraktion zu konstatieren ist, und 1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 113, 45#. 1921. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 143. 1921. ?2) Siehe z. B. Wechselmann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 113, 156ff. 41921. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 5 66 O. Meyerhof: es bleibt somit von obigen Möglichkeiten nur eine der beiden ersten übrig!). Um festzustellen, ob auf der Höhe maximaler tetanischer Kontrak- tion mehr Milchsäure im Muskel vorhanden ist als unmittelbar danach, wurde so verfahren, daß die symmetrischen Gastroenemien mit ihren Nerven präpariert wurden; dann einige Zeit auf 0° abgekühlt wurden, um den Kontraktionsablauf zu verlangsamen. Die Nerven wurden darauf parallel über Drähte gebrückt, die auf einer Korkplatte befestigt waren. Der eine Muskel ruhte ebenfalls auf dieser gekühlten Korkplatte, der andere hing in eine flache gekühlte Reibschale herab. Es wurden zunächst einige Probereize gegeben, um festzustellen, ob beide Muskeln gleichmäßig zuckten, und dann ein maximaler Tetanus. Während des- selben wurde der in der Reibschale liegende Muskel mit Alkohol von —5° übergossen und momentan zerdrückt und gleichzeitig der Reiz- strom unterbrochen. Nach kurzer Zeit wurde der zweite Muskel mit dem gleichen Alkohol von —5° zerrieben. Es fand sich nun in mehreren Versuchen, daß der auf der Höhe der Kontraktion zerriebene Muskel meist weniger Milchsäure enthielt als der andere. Und das ist leicht erklärlich, denn der Reizstrom wurde abgestellt, während der mit Alkohol übergossene Muskel zerquetscht wurde, was immerhin etwa 1—2 Sekunden nach dem Aufgießen des Alkohols in Anspruch nahm. Hier wurde also die Milchsäureproduktion unterbrochen, während der Kontrollmuskel noch in Kontraktion war. Wenn nun hierdurch eine gewisse Unsicherheit des Resultats bedingt ist, so ist doch andererseits, wenn der Versuchsmuskel sehr rasch nach Beginn des Tetanus mit Alkohol übergossen wurde, sein Milchsäuregehalt gegenüber dem Ruheminimum so außerordentlich wenig erhöht, daß schon dadurch allein ein Verschwinden von mehr als 0,10 mg Milchsäure pro Gramm Muskel ausgeschlossen werden kann. Tabelle XIII. Milchsäuregehalt des Muskels während und nach der Kontraktion. Während der Kontrak- | Nach der Kontraktion Muskel- tion zerrieben zerrieben Nr. || Datum 3 gewicht| Milchsäure | Milchsäure | Milchsäure | Milchsäure mg % mg % a a 0,135 0,0135 0,28 0,028 2 W22DXE 0,22 0,022 — — 3 | 24.IX. 1,1- 0,495 0,045 0,875 0,079 4 9.1. 10 0,29 0,029 0,16 0,016 5 ER I 1,2 0,31 0,024 0,40 0,032 1) Aus der während des Druckes dieser Arbeit erschienenen ausführlichen Publikation von Embden und Lawaczek, Biochem, Z..12%, 181, ergibt sich noch eine weitere Möglichkeit, daß die freigemachte Phosphorsäure — bis zu 25% der gesamten anorganischen — nicht durch den Kontraktionsvorgang in vivo selbst Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 67 c) Über die mutmaßliche Stellung der Eiweißentionisierung im Kon- traktionsvorgang. Falls unsere Annahme richtig ist, daß neben der chemischen Zer- setzungswärme des Glykogens in Milchsäure und der Verdünnungswärme dieser letzteren als zweiter hauptsächlicher Wärmefaktor eine um- gekehrte Dissoziationswärme. von Eiweiß tritt, wenn auch vermutlich in nichtwässeriger Phase, muß die Stellung dieser Wärmen im Kon- traktionsprozeß sowohl in thermodynamischer wie in zeitlicher Beziehung erörtert werden. Zunächst interessiert die Frage, ob im Prinzip die freie Energie dieser Vorgänge ausreichen würde, um die Muskelarbeit leisten zu können. In der vorigen Arbeit wurde die Annahme gemacht, daß, wenn die chemische Wärme nur 100 cal. von 400 cal. ausmachen sollte, sie vielleicht überhaupt im Kontraktionsakt nicht ausgenutzt würde, da die restierenden 75%, ihn bestreiten könnten. Diese Annahme muß jetzt aufgegeben werden, denn die gefundenen 160 cal. von 375 stellen einen zu erheblichen Anteil der Gesamtwärme dar. Nun verläuft der Kontraktionsvorgang natürlich nicht so einfach, daß er sich energetisch lediglich aus den beiden betrachteten Prozessen zusammensetzt. Viel- mehr ist schon früher darauf hingewiesen, daß sich an, die Entstehung der Milchsäure mindestens noch 3 Vorgänge anschließen müssen. Der eine bestände in der Einwirkung der Milchsäure auf die Verkürzungs- flächen, wodurch deren elastische Ruhelänge sich plötzlich ändert, und er muß für sich allein bereits soviel Arbeitsfähigkeit besitzen wie als mechanische Leistung in Erscheinung tritt. Um die Erschlaffung zu ermöglichen, muß die Milchsäure von hier entfernt werden; dies ist aber nur durch Aufwand von Arbeit möglich, welche durch einen dritten Prozeß, eben, die ‚„Neutralisierung‘‘ im Muskelplasma geliefert wird!). Indes kommt es hier auf diese Zwischenglieder nicht an, da ja für die Änderung der freien Energie wie für die der Gesamtenergie der Satz gilt, daß sie eindeutig durch den Anfangs- und Endzustand des Systems bestimmt sind. Für die Spaltungswärme Glucose—Milchsäure kann man auf Grund des Nernstschen Wärmetheorems annehmen, daß beim Übergang von festem Zucker in feste Milchsäure die maximale Arbeit der Wärmetönung gleich ist, weil keine Gasmoleküle auftreten oder verschwinden. Da- gegen fehlt für den Vorgang in Lösung die Kenntnis der Lösungs- abgespalten worden ist, sondern durch die Abtötung des maximal kontrahierten Muskels vermittels flüssiger Luft. Der direkt, ungereizt, in flüssige Luft getauchte Muskel spaltet nämlich am meisten Phosphorsäure ab und kontrahiert sich hierbei am stärksten. Der Hexosephosphorsäureester würde sich danach auf der Höhe der Kontraktion in einer erhöhten Disposition zum Zerfall befinden. 1) Siehe hierzu auch v. Kries, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 66. 1921, der sich dieser allgemeinen Vorstellung anschließt. HF 68 (07 Meyerhof: affinitäten; falls sie gering sind oder sich wenig unterscheiden, würde die Gleichheit von Wärmetönung und maximaler Arbeit annähernd bestehen bleiben. | Andererseits berechnet sich die maximale Arbeit des Dissoziations- vorganges bzw. der Entionisierung (für binäre Elektrolyte) nach der C4:Cr Ce tionskonstante, ©, Konzentration des Anion, Cx Konzentration des Kation, Cu Konzentration des ungespaltenen Moleküls. Bei passender Wahl der Konzentrationen und kleiner Dissoziationskonstante können die Werte für A die Wärmetönung mehr oder weniger stark übersteigen. Für die Neutralisation von "/ „HCl und %/,„-NaOH, d. h. die Umkehr der Dissoziation des Wassers, findet man z. B., entsprechend der elektro- motorischen Kraft von 0,695 Volt, (bei 20°) eine Arbeit von 16 750 cal. bei 13 700 cal. Wärmetönung pro Mol. Die Arbeitsfähigkeit der beiden Prozesse erscheint also ausreichend. Die Entionisierung des Eiweißes muß den Abschluß des Kontraktionsvorganges bilden, da sie ja den Endzustand des Systems veranlaßt, den wir bei unserer thermischen und chemischen Analyse am Schluß der anaeroben Ermüdung vor- gefunden haben. Es liegt also nahe, den Prozeß dem Erschlaffungs- vorgang zuzuordnen. Dieser verhält sich nun, wie vor allem die Mes- sungen von Hartree und Hill zeigen, ganz ähnlich wie eine chemische Reaktion !). Sowohl seine Dauer selbst zeigt einen ausgesprochenen chemischen Temperaturkoeffizienten, als auch der offenbar durch die Geschwindigkeit des Erschlaffungsvorgangs regulierte Energieumsatz bei anhaltender tetanischer Kontraktion. Es ist nun zu sagen, daß zwar ein einfacher Diffusionsvorgang einen solchen Temperaturkoeffizienten nicht zeigen würde, daß man aber beim Eindringen von Substanzen in Zellen unter Umständen eine ähnliche 'Temperaturbeeinflussung findet wie es z. B. Masing für Blutzellen?) und Delf für Pflanzenzellen ®) nachgewiesen haben. Indes kann man sich fragen, ob die hier in Rede stehende Reaktion nicht vielleicht diesen chemischen Temperatur- koeffizienten veranlassen könnte. Nach den Versuchen von Benedicks *) sowie von Thiel und Strohhecker?) verlaufen Ionenreaktionen mit unmeßbar großen Geschwindigskeiten. Andererseits lehren aber die Untersuchungen der letztgenannten Autoren, daß mit diesen Ionen- reaktionen weitere verknüpft sein können, durch die die Geschwindig: bekannten Formel A=— RT.InK + RT In K = Dissozia- 1) Journ. of physiol. 55, 133. 1921; 55, 389, besonders 393 ff. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 156, 401. >) Ann. of botany 30, 283.. 1916. 4) Zeitschr. f. phys. Chem. %0, 12. 1912. 3) Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 4%, 945. 1914. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 69 keit der Ionenreaktionen beherrscht, und ihnen ein von der Tem- peratur abhängiger langsamer Gang aufgezwungen werden kann. Dies ist z. B. bei der Neutralisation von Kohlensäure mit Natronlauge der Fall. Momentan verläuft nur die Reaktion von [H,CO,] bzw. HCOZ mit Alkali. Sobald aber das präformierte Hydrat und dessen Ionen verbraucht sind, schließt sich die langsame Reaktion. CO, + OH’ — HCO; an und die neu entstandenen Ionen reagieren neuerdings mit der Natronlauge bis das ganze gelöste CO, verbraucht ist. Stellen wir uns den Vorgang in umgekehrter Richtung vor, so muß die Zersetzung von NaHCO, durch Säure ebenfalls mit meßbarer Geschwindigkeit verlaufen (wobei wir von der katalytischen Wirkung des H'-Ions ab- sehen), indem erst allmählich aus HCO;} CO, und OH’ entsteht und dadurch die Vereinigung von OH’ mit dem H'-Ion der Säure fort- schreiten kann. Es wäre nun ganz gut denkbar, daß die Isomerisation der freien Proteinsäure zum innern Ammoniumsalz diese langsame Reaktion darstellt; doch habe ich mich bisher vergeblich bemüht, beim schnellen Zusammengießen von Glykokoll-Lösung mit passend konzen- trierter Lauge oder Säure bei 0° einen Zeitverlauf der Reaktion — mittels zeitlicher Änderung von Indicatorfarben — zu entdecken. Von besonderem Interesse erscheint die Feststellung von Hartree und Hill, daß der Temperaturkoeffizient der Anspannungszeit pro 10° 2,5, der der Erschlaffungszeit aber 3,6 ist, wodurch deutlich 2 verschiedene Vorgänge getrennt werden. Ich habe auf Grund der Überlegung, daß im zerschnittenen Muskel sich lediglich der chemische Vorgang der Milchsäurebildung abspielt und dann nur noch die Ionenreaktion mit Phosphat, den Temperaturkoeffizienten dabei bestimmt. Leider waren die Ergebnisse wegen des allmählichen Nachlassens der Geschwindigkeit der Milchsäureproduktion in der zerschnittenen Muskulatur nicht sehr genau, immerhin ergab sich zwischen 0° und 22° ein Temperaturkoeffi- zient zwischen 2 und 2,5, wenn man für die Berechnung Messungen von annähernd gleichem Umsatz, der in verschiedenen Zeiten erreicht wird (und nicht den Umsatz gleicher Zeiten) zugrunde legt. Dies ist in der Tab. XIV für 3 Versuche geschehen. Man sieht hier, daß der Temperaturkoeffizient dem der Spannungs- zunahme ähnlich und erheblich kleiner als der der Erschlaffung ist. Damit wurde der Temperaturkoeffizient der Ruhemilchsäurebildung des intakten Muskels verglichen, da sich ja hier die Reaktion der Milch- säure mit dem Muskeleiweiß anschließt. Auch diese Versuche sollen unter günstigeren Umständen wiederholt werden. Es standen mir nur sehr kleine Frösche (Temporarien) zur Verfügung, von denen je 1—2 für jeden Temperaturversuch verwandt werden mußten. Infolge indi- vidueller Schwankungen der Milchsäurebildung und relativ kleiner Ausschläge sind auch diese Versuche nicht sehr genau. Immerhin ergab 70 OÖ. Meyerhof: Tabelle XIV. Temperaturkoeffizient der Milchsäurebildung in der zerschnittenen Muskulatur. ! Vorher Nachher a En Nr. || Muskel ea Milchs. | Milchs.| Zeit | Temp. |Milchs.| Milchs. gebildet ns E g mg % mg % % 1. 2,8 sehr fein 1,58 0,0565] Ih 50° 0°| 6,32 | 0,226 | 0,092 \ 2.25 3.XI.| 238 # 50’| 12,8°| 7,47 | 0,267 |0,267 J| = 2,8 55 1h 50° | 12,8° | 10,55 | 0,377 10,175 \ 24 2,8 ss 50’| 22,1 110,65 | 0,383 !0,179 J| © 2. 2,5 | grob zerschnitt. | 1,82 |0,073 [2% 0,2° [4,88 | 0,195 | 0,061 \ 21 17. II. 2,5 55 1a 12,3° |5,58 | 0,223 [0,150 J| ” 2,5 > 2h 22,1° 18,4 0,336 | 0,1315 2.03 2,5 55 In 22,1° 18,4 0,336 | 0,263 J 3% 2,4 | grobzerschnitt. | 0,71)|0,03 |2% 20 0,2° [3,94 | 0,164 | 0,0575\ 27 10. II. 2,4 4, ın 10,3° [4,54 | 0,189 |0,159 J| ” 2,4 55 2h 20° | 10,3° 17,2 0,300 | 0,116 \ 2.35 2,4 > ıh 22°\8,05 | 0,335 [0,305 J| ” sich das zweifelsfreie Resultat, daß der Temperaturkoeffizient in diesem Fall sehr erheblich größer ist, und zwar zwischen 3 und 4 gelegen ist. Diese Versuche sind auf Tab. XV angeführt. Es wurden nichtenthäutete Froschschenkel in blausäurehaltiger Ringerlösung im Thermostaten suspendiert und nach Ablauf der Versuchszeit auf Milchsäure ver- arbeitet. Tabelle XV. Temperaturkoeffizient der Milchsäurebildung intakter Muskeln. Nr. en Gewicht der Versuchs- Temp. | Milchsäure | Milchsäure de 5 r Be Arssehe Muskulatur zeit Grad mg 0, 9% Il; 1 2,5 0 0,43 0,017 10.1. 2 5 7h 50’ 0,2 1,64 0,028 | 0,011 2 5,45 72 50° | 10,4 3,53 0,065 0,048 4,3 2 4,9 7h 50° | 22,0 10,13 0,207 0,190 | 3,25 2. 1 5,3 0 | 0,513 0,010 16. IT. 2 14,75 19% 50° 0,8 Zoll 0,048 0,038 2 14,1 620° | 10,3 | . 8,07 0,057 0,047 4,1 2 10,95 62207 | 22,1 20,15 0,165 0,155 | 3,05 Da der Temperaturkoeffizient in der zerschnittenen Muskulatur auf den Vorgang der chemischen Milchsäurebildung bezogen werden muß, weil sich ja an diese nur noch die Ionenreaktion mit Phosphat anschließt und dieser vollständig übereinstimmt mit dem der Spannungszunahme des Muskels, so muß offenbar die Milchsäurebildung der Spannungs- 1) Nicht genau. Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. ze zunahme zuzuordnen sein. Da nun andererseits der Temperaturkoeffi- zient der Milchsäurebildung im intakten Muskel offenbar dem der Erschlaffung gleich ist, so liegt es nahe für beides den Umsatz der Milch- säure mit dem Muskeleiweiß in Anspruch zu nehmen. d) Betrachtungen zum gesamten Kontraktionszyklus. Wenn in der oxydativen Erholung die Milchsäure schwindet, muß unter Wiederzerlegung des Alkalilactats eine neue lonisierung von Fiweiß einsetzen und dieser Vorgang beansprucht dann neben dem Neuaufbau von Glykogen einen Teil der Energie des Oxydationsprozesses. Stets wurde unter günstigen Umständen gefunden, daß nach mehr oder weniger fortgeschrittener Ermüdung bei der oxydativen Erholung 4 Moleküle Milchsäure verschwinden, wovon eines verbrennt. Dies Verhältnis kann sich beim Zerschneiden, wo ja auch der Sauerstoff Milchsäure zum Verschwinden bringt, bis zu 5 :1 steigern!), was ich inzwischen mehrfach festgestellt habe. Indes kann der größere Nutz- effekt dieses Erholungsvorganges eventuell darauf bezogen werden, daß hier der Energieaufwand für die Eiweißdissoziation in Wegfall kommt und zum Teil auch darauf, daß die Milchsäure nicht mehr vollständig zu Glykogen zurückverwandelt wird, sondern zum Teil auf einer un- bekannten Zwischenstufe stehenzubleiben scheint. Jedenfalls habe ich bisher keine sicheren Anhaltspunkte dafür gefunden, daß im intakten Muskel das Verhältnis der verschwindenden zur verbrannten Milch- säure größer als 4:1 sein kann. Wenn auch diese Frage noch nicht erledigt ist, müssen also hierbei für 1g in Reaktion tretenden Zuckers 3772 bzw. 0,9g Glykogen —_ — 943 cal. auftreten. Da wir in der Er- müdung 375 fanden, müssen wir in der oxydativen Erholung 943 — 375 — 568 haben, d. h. genau 40%, der Wärme treten in der Ermüdungs- phase, 60%, in der Erholungsperiode auf. Während Hill in früheren Versuchen mit einzelnen Kontraktionen schätzungsweise ein Verhält- nis beider Wärmen von 1:1 fand, haben ganz neuerdings Martree und Hill bei photographischer Registrierung und genauer zeitlicher Analyse des Galvanometerausschlags festgestellt, daß im Durchschnitt einer srößeren Zahl von Versuchen das Verhältnis genau 1:1,5 (meist zwischen 1,4 und 1,6) ist?). Dies erscheint zunächst in vorzüglicher Übereinstimmung mit den Ergebnissen meiner Versuche. Ein Umstand beeinträchtigt diese Rechnung indes erheblich und warnt vorläufig vor einer gar zu bestimmten Vergleichung von Zahlen, die als Mittelwerte aus ziemlich weit voneinanderliegenden Daten gewonnen sind. Die ı Vgl. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 188, 135. 2) Journ. of physiol. 56 (Im Druck). 1922; siehe auch A. V. Hilt, Physio- logical reviews. 1922. 712 'O. Meyerhof: Autoren fanden nämlich auch in der Anaerobiose eine nicht unbeträcht- liche ‚„‚Erholungswärme“, die gegen 40—50% der initialen Wärme aus- macht. Der Ursprung dieser ist ziemlich unklar. Auch wenn die anae- robe Rückbildung der Hexosephosphorsäure aus abgespältener Phos- phorsäure und neugespaltenem Glykogen nach obigem sich wohl erst. nach Ablauf der Kontraktion vollziehen dürfte und als freiwilliger Vorgang exotherm verlaufen wird, kann ihre Wärme doch unmöglich höher sein als die Spaltungswärme Glykogen > Zucker. Das sind 30 cal. pro lg, was noch nicht 10% der anaeroben Kontraktionswärme aus- macht. Auch ist vorläufig noch nicht klargestellt, ob die „anaerobe Restitutionswärme“ auch in Sauerstoff als Teil der hierbei auftreten- den oxydativen Erholungswärme in Erscheinung tritt. Immerhin bleibt die Möglichkeit, daß nach ganz kurzer Reizung die Milchsäure mit noch weniger Sauerstoff schwinden kann, als ich es bei weitgehender Er- müdung feststellte. Hier kann erst weitere Forschung volle Klarheit schaffen. Zusammenfassung. In der Arbeit wird der Ursprung von etwa 400 cal. Wärme pro Bildung von lg Milchsäure aus Glykogen (,‚kalorischer Quotient der Milchsäure‘‘) bei der anaeroben Kontraktion des Muskels untersucht. Kapitel I enthält die Resultate einer Neubestimmung der Ver- brennungswärme der Milchsäure auf dem Weg über wasserfreies Zink- lactat. Es ergibt sich pro 1 Mol 325 700 cal. pro 1 g 3615 cal. (berechnet für 70 proz. Säure), für die Verdünnungswärme 14 cal. Die Differenz der Verbrennungswärme des Glykogens (nach Stohmann) und der Milch- säure (konzentriert) ist mithin 157 cal. In Kapitel II wird zunächst der kalorische Quotient der Milchsäure bei der elektrischen Ermüdung bei 14° und 22° teilweise neu bestimmt und beträgt bei Benutzung von 21 zuverlässigeren Versuchen, darunter 8 neuen, im Mittel 370 cal., ohne daß systematische Schwankungen erkennbar sind. Wird dagegen die Milchsäure- und Wärmebildung in der zerschnittenen Muskulatur in Phosphatlösung bestimmt, so findet man einen kalorischen Quotienten von fast genau 200 cal. (8 Versuche). Gleichzeitig läßt sich feststellen, daß die Milchsäure sich gleichmäßig zwischen Lösung und Muskelmasse verteilt, so daß die letztere nur die Rolle einer Salzlösung spielt. Die Milchsäure ist dabei in diffusibler Form in der Phosphatlösung vorhanden. Die aufgetretenen 200 cal. stimmen innerhalb der Fehlergenauigkeit überein mit der thermo- chemisch berechneten Wärme, die sich aus der Spaltungswärme des Glykogens 157 cal., Verdünnungswärme der Milchsäure 14 cal., Um- satzwärme mit Phosphat 19 cal. zusammensetzt: Summe I90 cal. Daß die Verringerung der Wärmebildung im zerschnittenen Muskel durch Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. 13 nichts anderes bedingt ist wie durch den Übergang der Milchsäure in die Lösung, wird durch den kalorischen Quotienten der Ruheanaerobiose bewiesen. Während dieser bei nichtabgehäuteten Fröschen'in kurzen Zeiträumen genau gleich ist dem der tetanischen Reizung (3 Versuche: Durchschnitt 378 cal.) ist er bei abgehäuteten Fröschen in alkalischer Ringerlösung und langen Zeiträumen 275 cal. (3 neue und 4 ältere Versuche). Daß hier die Verringerung um 100 cal. durch den Übergang von gut 50% der Milchsäure in die Lösung verursacht wird, geht auch daraus hervor, daß der berechnete kalorische Quotient der Anfangszeit 370 cal. ist wie bei nichtenthäuteten Fröschen, der der Schlußzeit aber gegen 225 cal., wenig größer wie in der zerschnittenen Muskulatur. Kapitel III. Die Reaktionswärme der Milchsäure mit Substanzen des intakten Muskelinnern ist ganz oder zum größten Teil auf das H-Ion zurückzuführen. Läßt man eine Säure, Valeriansäure, in den Muskel eindringen, so entsteht Wärme ohne gleichzeitige Produktion von Milch- säure, und zwar bei den hier benutzten Versuchsmengen gegen 0,3 cal. pro 1 g Muskel, annähernd halb so viel wie bei der tetanischen Ermüdung (die fragliche Reaktionswärme muß aber etwa die Hälfte des kalorischen Quotienten ausmachen). Beim Eindringen von Essigester in den Muskel wird bei etwa gleichen Konzentrationen nur 0,1 cal. pro 1g Muskel ohne Milchsäureäquivalent gebildet. Diese Wärme ist möglicherweise auch auf abgespaltene Säure zu beziehen. Kapitel IV. Die gesuchte Reaktionswärme der Milchsäure im Muskel, 190—200 cal., kann zum wesentlichen Teil erklärt werden als bedinst durch die Dissoziationswärme des Eiweißes. Während nämlich bei der Neutralisierung von lg Milchsäure durch Phosphat oder Carbonat etwa 20 cal. entstehen, steigt die Wärme beträchtlich schon bei be- liebigen eiweißhaltigen Flüssigkeiten wie Blutserum, Eiereiweiß, Hefe- extrakt, Caseinlösung u. dgl. Das Studium der Reaktionswärme ge- pufferter Aminosäurelösungen zeigt nun, daß bei dem Umsatz dieser mit Milchsäure oder Salzsäure Wärme auftritt, die als umgekehrte Dissoziationswärme der Aminosäuren zu erklären ist, und zwar gegen 130 cal. pro 1g Milchsäure (molare Dissoziationswärme —11 300 cal.). Im Prinzip die gleiche Wärme, die absolut noch etwas größer ist, erhält man mit gepufferten konzentrierten Lösungen von Serumglobulin oder Serumalbumin sowie Muskeleiweiß, frei von basischen Salzen, und zwar 137 bzw. 140 cal. pro 1 g Milchsäure, woraus sich die Dissoziationswärme der Proteine für die Säuredissoziation von —12 350 und —12 600 cal. berechnet, die größte bisher bekannte Dissoziationswärme. Es wird die Hypothese aufgestellt, daß die Dissoziationswärme des Eiweiß im Muskel um den hier noch fehlenden Betrag von etwa 60 cal. deshalb größer ist, weil die Entionisierung des Eiweiß in einer nichtwässerigen Phase oder auch an Strukturoberflächen zustande kommt. 74 O. Meyerhof: Die Energieumwandlungen im Muskel. VI. Kapitel V. Es wurde keine Nebenreaktion gefunden, durch die der fehlende Betrag von 60 cal. erklärt werden könnte. Anaerobe Kohlensäure wird nicht gebildet. Milchsäure verschwindet nicht in meßbarer Menge anaerob nach der Kontraktion. Daß dies unmittelbar in einer exothermen Reaktion geschehen sollte, widerspricht auch der früher gefundenen Äquivalenz der Kohlenhydrat- und Milchsäurebilanz. Daß aber ein anaerober Vorgang genügend Arbeitsfähigkeit besitzen sollte, um in gekoppelter Reaktion Milchsäure in Kohlenhydrat zurückzuver- wandeln und dabei noch einen Überschuß positiver Wärme liefern, ist wenig wahrscheinlich. — Der Temperaturkoeffizient der Milchsäure- bildung pro 10° in der zerschnittenen Muskulatur liest zwischen 2 und 3, in der intakten beträgt er gegen 4. Ersteres entspricht etwa dem von Hill und Hartree gefundenen Temperaturkoeffizienten der isometri- schen Spannungszunahme des Muskels, während der der Erschlaffung 3,6 wie der hier im intakten Muskel bestimmte ist. Da nun die vermut- lich der Erschlaffung zugrunde liegende Neutralisierung der Milchsäure mit Muskeleiweiß in der zerschnittenen Muskulatur in Wegfall kommt, spricht die Übereinstimmung der genannten Temperaturkoeffizienten dafür, daß die Entstehung der Milchsäure der zunehmenden und nicht der abnehmenden Spannung zuzuordnen ist. Frl. Blonda Meyer danke ich für ihre Hilfeleistung bei Ausführung der Arbeit. (Aus der operativen Abteilung des Physiologischen Instituts der Universität zu Berlin.) Über das sog. psyehogalvanische Reflexphänomen beim Frosch und seine Beziehung zum vegetativen Nervensystem. Von Erich Schilf, und Albert Schuberth, Assistent am Institut. cand. med. (Eingegangen am 4. März 1922.) Inhalt. A. Einleitung (S. 75). B. Methodik (S. 77). C. Versuchsergebnisse (S. 79). , 1. Curarewirkung (S. 79). 2. Entfernung der beiden Hemisphären und der Lobi optici (S. 80). 3. Erste Versuche mit Rückenmarkdurchschneidung (S. 81). 4. Der zentrifugale Schenkel des Reflexbogens S. 81). a. Der peripherische Teil (S. 81). %) Verlauf im Grenzstrang (S. 81). P) Übergang der Fasern des Grenzstranges auf den Nervus ischiadieus und Verlauf im Ischiadicus (S. 82). ’) Beteiligung der Hautdrüsen an dem Reflex (8. 85). ö) Weitere Beweise für den Verlauf des peripherischen Teiles des Reflexbogens im Grenzstrang durch den neurogalvanischen Versuch (S. 87). b. Der Verlauf im Rückenmark (S. 89). 5. Die Zentren des Reflexbogens (S. 92). 6. Der zentripetale Schenkel des Reflexbogens (S. 93). 7. Möglichkeit einer weiteren Verwendung der psycho- bzw. neurogalva- nischen Methode (S. 94). D. Zusammenfassung (S. 95). Einleitung. Nachdem Veraguth!) als erster das von ihm so benannte psycho- galvanische Reflexphänomen?) beim Menschen eingehend beschrieben hatte, lag es nahe, diesen Reflex auch bei Tieren zu untersuchen. Er 1) O. Veraguth, Das psychogalvanische Reflexphänomen. S. Karger. Berlin 1909. 2) Das psychogalvanische Reflexphänomen läßt sich kurz folgendermaßen beschreiben. Die Versuchsperson wird in einen Stromkreis geringer Spannung — im allgemeinen 2 Volt — eingeschaltet. Mit Hilfe eines Spiegelgalvanometers wird die Stromstärke gemessen. Wird die Versuchsperson gereizt (z. B. durch einen Nadelstich, durch Knall, aber auch durch Erwecken einer gefühlsbetonten Vor- stellung), so tritt nach einer Latenz von etwa 2 Sekunden ein Ausschlag des Meß- instrumentes im Sinne einer Verstärkung des elektrischen Stromes ein. 76 E. Schilf und A. Schuberth: hatte in seinem Buche mitgeteilt, daß sich das Phänomen auf Sinnes- reize bei Hunden, Katzen und Kröten zeige (S. 150), hat aber nur ein Protokoll über einen Versuch an einem Hunde mitgeteilt. Aus seiner Arbeit geht hervor, daß er die Bedeutung experimenteller Tierstudien richtig erkannte, doch ist von ihm nichts mehr darüber veröffentlicht worden, und man darf daher annehmen, daß er als Kliniker wenig Interesse hatte, Tierversuche über diesen Gegenstand anzustellen. Über solche findet man in der Literatur einen Hinweis in einer Arbeit von, Schwartz!). Er hat nämlich u. a. das Phänomen an Fröschen beobachtet. Mittels unpolarisierbarer Elektroden schickte er einen konstanten Strom durch den Frosch und durch ein Galvanometer und reizte das Tier dann durch leichtes Kneifen in die Extremität. „Eine plötzliche nach einer kurzen Latenzperiode einsetzende Zunahme des Stroms ist stets die Folge des Eingriffes.‘“ Kohlrausch und Schilf?) machten die Versuche mit einer anderen Untersuchungsmethode nach und konnten die von Schwartz beobachtete Tatsache bestätigen. Sie erweiterten den Versuch insofern, als sie auch optische Reize mit Erfolg anwendeten. Gleichzeitig machten sie die Erfahrung, daß die Curarisierung, die schon von Schwartz zur Vermeidung spontaner Bewegungen des Frosches empfohlen worden war, den Reflex aufheben kann, wenn eine zu starke Curaredosis gegeben wird. In der kurzen Mitteilung von Kohlrausch und Schilf wurde auch eine weitere Mitteilung über die Untersuchung des in Betracht kommenden Reflex- bogens in Aussicht gestellt. Inzwischen ist dann einige Monate später von A. Fauville®) in Löwen eine Studie über das psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch veröffentlicht worden. Der Autor, der die Mitteilung von Kohlrausch und Schilf nicht gelesen haben mag, stellte u. a. fest, daß Curare das Phänomen beim Frosche zum Verschwinden bringt, und zwar bevor das Tier bewegungslos wird, während Kohlrausch und Schilf den Reflex auch bei ziemlich tiefer Curarewirkung noch auslösen konnten. Schwartz hatte in seinem oben angegebenen Hinweis nichts von einem Einfluß des Curare auf den Reflex berichtet. Sich auf seine Versuche stützend, meint Fauville weiter, daß diese Curarewirkung eine peripherische sein 1) A. Schwartz, Über die Abhängigkeit der elektr. Eigenschaften der Frosch- haut von der Beschaffenheit der angrenzenden Medien und vom Nervensystem. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 16%, 547.:41915. 2) Arnt Kohlrausch und Erich Schilf, Galvanische Reflexe der Froschhaut bei Sinnesreizung. Aus demBericht über dieTagung der deutschen physiologischenGesell- schaftin-Hamburg vom 26. bis 28. V. 1920. Ronas Ber. über d. ges. Physiol. 3, H. 6/8, S. 591. und Pflügers f. d. ges. Physiol. 194, 326. 1922. 3) A. Fauville, Etude sur le phenomene psychogalvanique chez la grenouille. Arch. internat. de physiol. 16, I, 58. 1921. Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. Tim müsse. Inwieweit die Behauptungen Fauvilles den Tatsachen ent- sprechen, werden wir weiter unten erörtern. Wir erwähnen hier noch eine Arbeit über psychogalvanische Reflex- versuche an Pferden und Hunden aus dem Jahre 1920. Sie ist unter Cremers Leitung am physiologischen. Institut der tierärztlichen Hoch- schule zu Berlin von Erbs!) ausgeführt worden und beweist, daß man in der Deutung‘ eines scheinbar ‘erhaltenen galvanischen Reflexaus- schlages vorsichtig sein muß. Gleichzeitige Bewegungen der Tiere können Kontaktverschiebungen der Elektroden und damit Wider- standsänderungen hervorrufen, die einen psychogalvanischen Reflex vortäuschen können. Indessen ist in einigen Fällen ein sicherer psycho- galvanischer Reflex beobachtet worden. Nach den Untersuchungen von Gildemeister?) und Leva?) ist das Vorhandensein des Reflexvorganges an die Haut gebunden, und zwar müsse das Phänomen von der Tätigkeit der Schweißdrüsen abhängen. Allerdings ist schon von Veraguth diese Vermutung der Abhängigkeit des Reflexvorganges von der Schweißsekretion früher ausgesprochen worden (S. 186 seines Buches). Leva stellte aber genauer fest, daß die Größe des Reflexausschlages an verschiedenen Körperstellen mit der Anzahl der Schweißdrüsen daselbst parallel geht. Atropin brachte den Reflex zum Verschwinden. @Güldemeister erhärtete diese Feststellung durch seine Untersuchungen über die elektrischen Eigenschaften der menschlichen Haut. (Der Frosch hat keine Schweißdrüsen, also kann es sich bei ihm, wenn solche überhaupt beteiligt sind, nur um andere Drüsen handeln. Davon werden wir noch im Abschnitt C. 7 sprechen.) Wir versuchten in dieser Arbeit uns hauptsächlich über die beim sog. psychogalvanischen Reflex in Betracht kommenden Innervations- wege beim Frosch experimentell Klarheit zu verschaffen. B. Methodik. Als Versuchsanordnung benutzten wir, wie Gildemeister, die Wheatstonesche Brückenschaltung. Ein Bleiakkumulator lieferte die elektromotorische Kraft. In der Brücke lag ein Drehspulengalvanometer von Siemens und Halske mit pas- 1) W. Erbs, Der psychogalvanische Reflex bei Pferd und Hund. Inaug.-Diss. aus dem physiolog. Institut der tierärztl. Hochschule Berlin. 1920. 2) M. Gildemeister, 1. Über die im tierischen Körper bei elektrischer Durch- strömung entstehenden Gegenkräfte. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 389. 1912. — 2. Über die physikalisch-chemischen und physiologischen Vorgänge im menschlichen Körper, auf denen der psychogalvanische Reflex beruht. Münch. med. Wochenschr. 1913, Nr. 43, S. 2386. — 3. Der sog. psychogalvanische Reflex und seine physikalisch-chem. Deutung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 489 1915. — 4. Der menschliche Körper als Leiter der Elektrizität. Elektrotechnische Zeitschr. 1919, H. 38, S. 463. 3) J. Leva, Über einige körperliche Begleiterscheinungen psychischer Vor- gänge, mit besonderer Besücksichtigung des psychogalv. Reflexphänomens. Münch. med. Wochenschr. 1913, Nr. 43, S. 2386. 78 E. Schilf und A. Schuberth: sendem Nebenschluß. Der Galvanometerspiegel warf den Lichtreflex einer Lampe auf einen gebogenen und in Zentimeter geteilten Maßstab, der im Abstand von 1,40 m von dem Galvanometer an der Wand befestigt war. Die Stromempfindlich- keit des Galvanometers betrug in dieser aulsueulung für 1 cm Skalenausschlag ohne eingeschalteten Nebenschluß 0,23 - 10° Amp. Die Stromzuführung vermittels unpolarisierbarer Hlektroden gestalteten wir etwas anders, als es Kohlnussch und Schilf getan hatten. In zwei flache Glas- schalen mit einem Durchmesser von etwa 8 cm wurde eine Kochsalzlösung von sehr geringer Konzentration (0,1%) gefüllt. In jede Schale stellten wir je eine Glas- röhre von 1 cm lichter Weite. Die Glasröhre wurde durch eine ca. 2 mm dicke Tonplatte, die mit einer Wachsmasse an den Rändern der Glasröhre befestigt war, nach unten abgedichtet und mit konz. Zinksulfatlösung gefüllt. In die Lösung tauchte je ein Zinkstab. An beide amalgamierten Zinkstäbe wurden Drähte ge- lötet, die die Verbindung mit der Brückenanordnung herstellten. Der Widerstand solcher Elektroden ist von der Größenordnung von ungefähr 100 Ohmt). Wir haben sie den allerdings beweglichen Zink-Zinksulfat-Gelatineröhrehen von Kohl- rausch und Schilf vorgezogen, weil das Eintrocknen der Gelatine vermieden werden sollte. Man kann nun den Strom in den Frosch entweder zu beiden Vorder- oder beiden Hinterbeinen leiten, je nachdem man die vorderen oder hinteren Extremi- täten in die Glasschalen lest. Bei dieser Stromzuführung hatte der Frosch bei Ableitung von den Hinterpfoten einen Widerstand von einigen tausend Ohm. Tauchten die Vorderpfoten ein, so war der Widerstand im allgemeinen etwas ge- ringer. Für gewöhnlich befanden sich beide Unterschenkel bis zum Kniegelenk in der Salzlösung. In einigen Fällen wurden aber gerade nur die Pfoten von der Flüssigkeit benetzt. Als Vergleichswiderstand diente uns ein Rheostat mit einem Meßbereich bis zu 10 000 Ohm. Meist stellten wir einen gewissen Widerstand ein und verschoben nur den Kontakt der Meßbrücke, so lange wir uns dabei nicht zu sehr von der Mittelstellung zu entfernen brauchten. Als Reiz gebrauchten wir fast ausschließlich Schmerzreize; die Spitze eines Froschtöters wurde über einer Gasflamme erhitzt, dann die Froschhaut damit leicht berührt. Hierdurch wurden Bewegungen des Frosches durch die Versuchs- person bei dem Reiz vermieden, was z. B. beim Kneifen mit einer Pinzette nicht immer der Fall sein wird. Sie müssen aber ausgeschlossen werden, weil sie Wider- standsänderungen zur Folge haben, die einen psychogalvanischen Reflexausschlag vortäuschen können. Man kann diese Widerstandsänderungen durch Bewegungen des Tieres auch durch eine andere Elektrodenanordnung vermeiden, die wir in Kontrollversuchen ebenfalls zur Anwendung brachten?): Die beiden Zuleitungs- pfoten werden mit je einem Glasröhrchen umgeben, in dem sich NaCl-Gelatine befindet, die an ZnSO,-Gelatine stößt. In letzterer ist der Zinkstab, und wir haben auf diese Weise fest auf der Froschhaut sitzende Elektroden, die bei etwaigen Bewegungen des Tieres mitgehen, ohne daß Kontaktänderungen eintreten können. In der Regel benutzten wir die vorhin angegebene Elektrodenanordnung. Neben den Schmerzreizen wendeten wir noch taktile und optische Reize an. Wir: berührten mit einem nicht erwärmten Froschtöter die Haut des Frosches. Als optischen Reiz gebrauchten wir eine elektrische Glühbirne, die wir in die Nähe des Frosches stellten. Das Licht schalteten wir dann unter möglichster Vermeidung aller unnötigen Bewegungen ein. Manche Frösche reagieren nämlich auf Körper- bewegungen der um sie befindlichen Personen. Akustische Reize wendeten wir nicht an, da sie nicht einen sicher auftretenden Reflexausschlag zur Folge haben, den wir für unsere Versuche brauchten. t) Wir verdanken diese Elektroden Herrn cand. phil. 7. Lehmann. ®) Auf Vorschlag von Herrn Prof. Gildemeister. Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. 79 Das von uns angewendete Curare ist Kalebassen-Curare, das vor einigen Jahr- zehnten von einem Missionar mitgebracht worden ist. Wir benutzten eine im Institut vorrätige Lösung unbekannter Konzentration zu allen Versuchen mit gutem Erfolg. 0,5 ccm der Lösung genügte, einen 30 g schweren Frosch innerhalb von 10—20 Minuten zu lähmen. Die Lähmung hielt 2—-3 Tage an und ging dann vorüber, ohne bemerkbare Störungen des Allgemeinbefindens zu hinterlassen, Wir benutzten Frösche (R. esculenta), die Anfang Oktober gefangen worden sind und seit dieser Zeit in dem Froschkeller des Instituts gehalten wurden. Die Kochsalzlösung wurde jeden Tag vor Beginn der Versuche erneuert. Diese gestalteten sich nun so, daß wir den Frosch mittels der Elektroden in den ‘ Stromkreis der Brückenanordnung legten und einen Quecksilberschlüssel, der den Kontakt zwischen der Meßbrücke und dem Akkumulator herstellte, schlossen. Das Galvanometer wird zunächst noch auf größere Unempfindlichkeit gestellt. Erst allmählich schaltet man den Nebenschluß zum Galvanometer ganz aus, wenn es gelungen ist, durch passende Änderung des Rheostatenwiderstandes und durch Verschieben des Schiebers der Meßbrücke ein Brückengleichgewicht mit Null- stellung des Galvanometers zu erreichen. Man beobachtet dann, daß wie beim Menschen die Nullstellung des Galvano- meters nicht innegehalten wird, sondern einer stetigen Wanderung des Galvano- meterspiegels im Sinne einer scheinbaren Vergrößerung des Widerstandes des Tieres Platz macht. Der galvanische Reflex hingegen äußert sich in einem Gal- vanometerausschlag, der sich mit einer Latenz von 2—3 Sekunden im umgekehrten Sinne dieser stetigen Wanderung bemerkbar macht. Daß die stetige Wanderung des Galvanometerspiegels nur eine scheinbare Zunahme des Widerstandes bedeutet und in Wirklichkeit der Ausdruck einer Zunahme der Hautpolarisation ist, die während des psychogalvanischen Reflexes vorübergehend vermindert wird, ist von Güldemeister nachgewiesen worden. 6. Versuchsergebnisse. 1. Curarewirkung. Wir fanden, daß alle Frösche, die wir untersuchten, bei nicht zu tiefer Curarelähmung auf den Schmerzreiz im Sinne des galvanischen Reflexausschlages reagierten. Nicht alle Tiere antworteten dagegen auf taktilen oder optischen Reiz. Wir hatten den Eindruck, daß wir bei diesen Formen der Sinnesreizung bis zu einem gewissen Grade von indi- viduellen Eigentümlichkeiten des Versuchstieres abhängig waren, Deshalb benutzten wir zur Lösung unseres Problems am häufigsten den stets von einem Reflexausschlag gefolgten Schmerzreiz. Kohlrausch und Schilf hatten mitgeteilt, daß tiefe Curarisierung den Reflex auf Berührung oder Kneifen zuweilen aufheben könne. Sie wendeten nicht den intensiven Schmerzreiz an, der nach unseren Er- fahrungen erst bei mehr als 30facher Lähmungsdosis des Curare im Stich zu lassen pflegt. Diese Curaremenge ist von Kohlrausch und Schelf nie gegeben worden. Dagegen haben wir oft die Beobachtung gemacht, daß der galvanische Reflex auf taktile und besonders auf optische Reize bei manchen Tieren nicht eintritt. Da diese Frösche mit der gleichen Dosis curarisiert waren, welche bei anderen Fröschen von gleichem Ge- 70) E. Schilf und A. Schuberth: wicht kein Verschwinden des Reflexes hervorgerufen hatte, nehmen wir für dieses Versagen mancher Frösche nach Curarisierung die oben angeführte Variabilität der Frösche in Anspruch. Keineswegs können wir aber sagen, daß das Phänomen nach Curarisierung allgemein weg- fällt, wenn die Tiere noch nicht bewegungslos sind, wie Fauville es be- hauptet hat. Wir haben die Versuche von Fauville wiederholt, die beweisen sollten, daß der Grund des Verschwindens der psychogalva- nischen Reaktion nach Curarisierung peripherisch gelegen sein müsse. Es sind folgende: Umschnürung der beiden Oberschenkel mit Schonung des Ischiadicus. Darauf wird Curare in den, Rückenlymphsack gegeben; der Frosch ist nun außer an beiden Hinterpfoten motorisch gelähmt. Der Reflex wird erhalten, wenn von beiden Hinterpfoten abgeleitet und an den Vorderpfoten gereizt wird (Fauville reizte mit Induktions- schlägen). Injiziertt man nun in beide Hinterpfoten Curare, so zeigt sich nach Fauville kein Reflex, obgleich beide Beine nicht gelähmt seien. Wir können von unseren Versuchen berichten, daß wir auch nach der Curareeinspritzung in beide Hinterpfoten einen Reflex erhielten. Es steht dies im Einklang mit unserem oben angegebenen Befund an über 90 protokollierten Fröschen, daß nach Curarelähmung immer ein Reflex auftrat. Schwartz hatte, wie wir schon oben, mitgeteilt haben, ebenfalls nicht gefunden, daß Curare den Reflexausschlag aufhebt, sonst hätte er die Curarisierung ja nicht empfehlen können. Wir nehmen an, daß die von Fauville und die von uns gebrauchte Curarelösung verschiedene Wirkung haben muß. 2. Entfernung der beiden Hemisphären und der Lobi optiei. Dagegen können wir die Feststellungen desselben Forschers insofern bestätigen, als decerebrierte Frösche nicht die Eigenschaft verloren haben, auf taktile, optische und Schmerzreize in unserem Sinne zu reagieren. Wir entfernten hierzu in mehreren Fällen bei den Fröschen sorgfältig beide Hemisphären und erhielten immer den galvanischen Reflex. Eine Überempfindlichkeit in Analogie zum Quakversuch nach Goltz hinsichtlich des psychogalvanischen Phänomens haben wir nach dieser Herausnahme nicht beobachten können. Allerdings sind Urteile über die Abhängiskeit der Größe des Reflexausschlages von der Art und Stärke des Reizes oder vom Zustand des Gereizten nach unseren Erfahrungen schon beim Menschen nur sehr bedingt abzugeben. Dies ist noch weniger beim Frosch möglich. Entfernten wir beide Lobi optici, so hörte der Frosch auf, Licht- reizen gegenüber in unserem Sinne zu reagieren; auf Schmerzreize war ein Reflex noch zu erhalten. Wir achteten sorgfältig ‘darauf, daß beide Nn. optici unverletzt blieben. Die Annahme einer Beziehung der Lobi optici zu optischen Sinnesreizen bekommt hierdurch eine neue Stütze. Vielleicht könnte mit der psychogalvanischen Methode Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. 81 der Sehakt des Frosches in seiner Beziehung zu Mittel- und Zwischen- hirn näher untersucht werden, da nach Edinger!) die bisherigen Methoden biologisch nicht adäquat sind. (Die weitere zentrale Lokalisation des Reflexes siehe S. 92.) 3. Erste Versuche mit Rückenmarkdurchschneidungen. Wir gingen dann dazu über, Rückenmarkdurchschneidungen vor- zunehmen. Hierzu legten wir den Rückenmarkskanal frei und durch- trennten das Rückenmark, von dessen einem Ende noch ein Stück von ungefähr 1 mm Länge entfernt wurde, so daß beide Stümpfe sich nicht berührten, Zu den ersten orientierenden Durchtrennungen gehörten solche in der Höhe des 6. Wirbels, also etwas oberhalb vom Austritt des Plexus lumbosacralis. Leiteten wir von den Hinterpfoten ab, so machten wir die für uns zunächst erstaunliche Beobachtung, daß die Tiere bei Reizung oberhalb der Trennungsstelle sowohl bei Schmerz- reizen, als auch in der Mehrzahl der Fälle bei taktilen und optischen Beizen im Sinne des psychogalvanischen Reflexes reagierten; reizten wir unterhalb des durchtrennten Rückenmarkes, so trat selbst bei heftigen Verbrennungsreizen der Reflex nicht auf. Drehten wir den Frosch um und tauchten die Vorderpfoten in die Schalen, so erhielten wir wegen Durchtrennung der zentripetalen Reflexbahnen, auch nur dann einen, Ausschlag, wenn der Reiz oberhalb der Durchtrennungsstelle angebracht wurde (siehe Abschnitt 6). 4. Der zentrifugale Schenkel des Reflexbogens. a) Der peripherische Teil. a) Verlauf im Grenzstrang. Aus dieser Feststellung folgt zunächst, daß die galvanische Reaktion unabhängig von spinaler Leitung eintreten kann, denn beide Hinter- pfoten des Frosches sind durch die Durchschneidung des Rückenmarks von dem Vorderteil des Frosches hinsichtlich der spinalen Nervenleitung getrennt, und trotzdem beobachteten wir bei Reizung am Vorderteil einen Galvanometerausschlag, wenn von den hinteren Extremitäten abgeleitet wird. Diese Tatsache mußte zu der Frage führen, wie die Erregung an der Rückenmarkslücke vorbei zu den Hinterpfoten gelangt, Es liegen mehrere Möglichkeiten vor, denn die Haut, die großen Gefäße und der Grenzstrang können als Leiter der Erregung in Betracht kommen. Auch das übrige Gewebe, Muskulatur, Bindegewebe usw., könnte mög- licherweise zu einer Erklärung der Reizleitung herangezogen werden, doch ist diese Annahme von vornherein als wenig wahrscheinlich zu bezeichnen. - 1) Fritz Edinger, Die Leistungen des Zentralnervensystems beim Frosch, Zeitschr. f. allg.’ Physiol. 15, Sammelref, S. 15. 1913. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19%. 6 82 E. Schilf£ und A. Schuberth: Die Anteilnahme der Haut an der Erregungsleitung kann durch einen rinsförmigen Hautschnitt in Höhe der Rückenmarkdurchtren- nungsstelle ausgeschlossen werden. Der Hautschnitt bleibt ohne Einfluß auf das Erscheinen des Reflexes. Fauville hatte die Hautleitung durch ringförmige Hautschnitte an den Extremitäten, von denen er ableitete, zu verhindern gesucht, konnte aber, wie wir, trotzdem den Reflex beobachten. Durch ähnliche Versuche haben wir uns von dieser Tat- sache überzeugt. Die Annahme einer Erregunssleitung längs der großen Gefäße kann, durch eine Durchschneidung der Aorta abdominalis nach vorheriger Unterbindung widerlegt werden. Das Auftreten des Reflexes wird durch diese Operation nicht beeinflußt. Fauville hatte die beiden Artt. femorales abgebunden und trotzdem den Reflex erhalten. Wir haben auch diesen Versuch ausgeführt und können ihn bestätigen. Beim Menschen hatte schon Veraguth gezeigt, daß das Phänomen unabhängig von der Blutzufuhr auftritt (S. 182 seines Buches). Mit diesen Feststellungen wird gleichzeitig die Unmöglichkeit bewiesen, daß die Ursache des psychogalvanischen Reflexes in vasomotorischen Veränderungen zu suchen sei. Nach theoretischen Überlegungen sind ja auch die elektrophysiologischen Erscheinungen bei derartigen Gefäß- reaktionen sowohl nach ihrer Form als auch nach ihrer Größenordnung nicht mit der elektrophysiologischen Stromänderung beim psycho- galvanischen Reflex vereinbar!). Daß sich freilich an Reize, die peri- pherisch dem Frosch an beliebiger Stelle beigebracht werden, auch Gefäßreflexe anschließen können, hat Huwizinga?) bewiesen. ‚Er unter- suchte die Gefäße der Schwimmhaut des Frosches und fand, daß sich außer den rhythmischen Bewegungen der Gefäße in der Schwimmhaut auch leicht sehr ausgiebige Reflexbewegungen der Gefäßmuskeln beobachten lassen. Wenn man beim curarisierten Frosch, dessen Schwimmhaut unter dem Mikroskop ausgebreitet ist, durch Kneifen mit der Pinzette die Haut der Vorderextremität, des Kopfes, des Rumpfes oder des Oberschenkels mechanisch reizt, so tritt 1-2 Sekunden nach der Reizung eine Verengerung der Gefäße ein, welche sich über die ganze Schwimmhaut erstreckt und je nach der Stärke des Reizes bis zum vollständigen Verschwinden des Lumens gehen kann.‘ Nach dem Gesagten haben diese Reflexe mit dem psychogalvanischen Reflex unmittelbar nichts zu tun. Nachdem wir die Haut und die Gefäße experimentell als Leiter der Reflexerregung ausgeschlossen haben, bleibt für die Möglichkeit 1) K. Hürthle, Zusammenfassende Betrachtung über den Inhalt der vorher- gehenden Abhandlungen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 413. 1915 (be- trifft. Arbeiten über Gefäßströme). . 2) D. Huizinga, Untersuchung über die Innervation der Gefäße in der Schwimak haut des Frosches. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 11, 207. 1875. Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. 83 einer Erklärung des Reflexverlaufes bei durchtrenntem Rückenmark als wahrscheinlicher Leiter der Grenzstrang übrig und muß daraufhin untersucht werden. Um uns hierüber. Klarheit zu verschaffen, durch- schnitten wir beide Sympathici in Höhe des 6. Wirbels. Bleibt nach der Durchschneidung der Sympathici bei einem Frosch mit nicht durchtrenntem Rückenmark der Reflex bei Ableitung von den Hinter- pfoten aus, so gewinnt unsere Annahme der Beteiligung des Sympathicus am psychogalvanischen Reflexbogen einige Sicherheit. Die Durch- schneidungsversuche ergaben nun, daß der Reflex bei Ableitung von den Beinen auch bei sehr heftigen Verbrennungsreizen, die auf die Haut beliebiger Körpenteile gesetzt wurden, nicht in merklichem Grade zu erhalten war. Dagegen konnte das Phänomen bei Ableitung von den Vorderpfoten nach Sympathicusdurchschneidung in der oben an- gegebenen Höhe immer in normaler Stärke beobachtet werden, gleich- gültig wo wir reizten. Zu der Operation der een legten wir gewöhnlich die Grenzstränge in Höhe der Nieren frei. Dort sind beide Nervengebilde bei einiger Übung leicht zu finden; sie liegen hier durch die Aorta getrennt dichter beieinander als weiter oben. Den Eingriff überstehen die Frösche gut. Sie müssen allerdings in der ersten Stunde nach der Durchschneidung eine gewisse Schockwirkung überwinden, denn innerhalb dieser Zeit sind die Tiere in unserem Sinne im allgemeinen reflexlos (wenn von beiden Vorderpfoten abgeleitet wird), um dann allmählich wieder empfindlicher zu werden. Möglicherweise hängt diese Reflexlosigkeit hinsichtlich unseres Reflexes mit der Operation zu- sammen, die als länger anhaltender Reiz eine vorübergehende Er- schöpfung der Drüsensekretion zur Folge haben könnte. Wir haben Frösche in unserem Käfig gehalten, die nach der Sympathicusoperation noch eine Öurarelähmung überstanden haben und längere Zeit leben blieben, bis sie zu anderen Zwecken verwertet worden sind. Durch den beschriebenen Versuch wird die vorwiegende Beteiligung der Grenzstränge an der Leitung der Erregung beim psychogalvanischen Reflexphänomen sehr wahrscheinlich. Einen sicheren Beweis können wir, so scheint es uns, durch folgendes Experiment erbringent): Es läpt sich ein Frosch so in 2 Teile zerlegen, daß beide Grenzstränge die einzige Verbindung zwischen Vorder- und Hinterteil darstellen. Hierzu präpa- rierten wir beide Sympathici in Höhe des 6. Wirbels frei, unterbanden nach oben und unten die Aorta, durchschnitten dieselbe und die Wirbel- säule sowie alle Haut-, Muskel- und Nervenbrücken zwischen Vorder- und Hinterteil. Wir achteten darauf, daß der Grenzstrang die einzige Verbindung zwischen Vorder- und Hinterfrosch darstellte. Den Frosch legten wir auf eine Porzellanplatte, beide Grenzstränge stellten frei t) Auf Vorschlag von Herrn Prof. Gildemeister. 6* 84 E. Schilf und A. Schuberth: in der Luft eine Brücke bildend den alleinigen Kontakt zwischen vorn und hinten her. Brachten wir nun am Vorderfrosch den Schmerzreiz an, so trat der psychogalvanische Reflex auf, wenn von den Hinterbeinen ab- geleitet wurde. Diese Tatsache im Zusammenhang mit dem Versuch der Sympathi- cusdurchschneidung beweist, daß hauptsächlich der Grenzstrang bei unserem oben angeführten Rückenmarkdurchtrennungsversuch die Erregung an der Lücke vorbeileitet, und daß auch unsere letztere An- nahme der Erregungsleitung durch das Muskel- oder Bindegewebe, die wir noch nicht eingehender betrachtet hatten, durch den soeben erwähn- ten Versuch hinfällig wird. ß) Übergang der Fasern des Grenzstranges auf den Ischiadieus und Verlauf im Ischiadieus. An diese Feststellung schließt sich sofort die Frage nach dem wei- teren Verlauf des zentrifugalen Reflexbogens. Daß ein spinaler Verlauf unterhalb der Durchtrennungsstelle des Rückenmarks nicht in Betracht kommt, können wir dadurch beweisen, daß Ausbohrung des Wirbel- kanals mit vollständiger Zerstörung des Rückenmarks von der Höhe der oben angegebenen Durchtrennungsstelle nach dem Os coccygis zu ohne Einfluß auf das Erscheinen des Reflexes bleibt. Durchschnei- dungen des Rückenmarks über den 6. Wirbel hinaus in. der Richtung zum verlängerten Mark können bis zum 4. Wirbel ausgeführt werden, ohne daß ein Verschwinden des Reflexes zu beobachten ist, wenn von den Hinterpfoten abgeleitet und am Vorderteil des Frosches gereizt wird. Wir kommen hierauf bei der Erörterung der Zentren des psycho- galvanischen Reflexbogens noch zurück. Jetzt haben wir den zentri- fugalen Schenkel des Reflexbogens weiter zu verfolgen. Fauville hatte gezeigt, daß man von den Hinterpfoten, an denen beide Ischiadiei durchschnitten waren, keinen Reflex erhalten kann. Auch wir haben mit sehr intensiven Schmerzreizen nach der Durch- schneidung beider Hüftbeinnerven keinen Reflex erhalten, wenn wir von den hinteren Extremitäten .ableiteten und die Hautgebiete, die nicht vom Ischiadicus innerviert werden, reizten. Da der soeben an- geführte Versuch der Ausbohrung des Rückenmarks vom 4. Wirbel abwärts eine spinale Leitung ausschließt, so müssen die sympathischen Fasern mit dem Ischiadicus verlaufen und von der Durchschneidung ebenfalls betroffen sein. Der Übertritt sympathischer Fasern in die spinalen Nervenstränge findet im Plexus lumbosacralis statt, und zwar in der Art, daß in jedem spinalen Nerven die motorischen, sensiblen und Drüsenfasern derselben Gebiete vereinigt sind. An Froschpräparaten kann man den Zusammenschluß der Fasern des Grenzstrangs mit den spinalen Nerven deutlich erkennen. Nach vergleichend anatomischen Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. 85 Betrachtungen ist eine andere Möglichkeit des Übertrittes von sympathi- schen Fasern zum Hüftbeinnerven auch gar nicht in Betracht zu ziehen. Überdies hatte schon 1875 Huizinga in der obenerwähnten Arbeit im Ischiadieus sympathische Fasern für die Vasoconstriction der Schwimm- häute gefunden. Langley*) hat diesen Befund für die Vasomotoren des Frosches bestätigt: ‚The vasomotor nerves pass by the rami com- municantes of the corresponding spinal nerves to the sympathetic chain, they leave this in the rami communicantes of the Sth and 9th spinal nerves and run in the sciatif nerve to the periphery.‘ y) Beteiligung der Hautdrüsen an dem Reflex. Die Tatsache der vorwiegenden Beteiligung des Grenzstranges am zentrifugalen Schenkel des Reflexbogens stimmt mit dem von Gilde- meister und Leva festgestellten Zusammenhang von Schweißdrüsen und psychogalvanischem Reflex überein. Seit Goltz?), Kendall und Luch- singer?) ist bekannt, daß ohne Einfluß von der Blutversorgung, und seit Levy-Dorn?) wissen wir, daß unabhängig vom Blutdruck eine selbstän- dige Innervation und Sekretion der Schweißdrüsen besteht. Für die hintere Extremität der Katze liegen die Schweißnerven im Ischiadicus. Wir haben oben gezeigt, daß beim Frosch, der ja keine Schweißdrüsen, sondern nur andersartige Hautdrüsen hat, eine Abhängigkeit zwischen dem Auftreten des psychogalvanischen Reflexes und der Blutzufuhr nicht besteht. Wir haben weiter festgestellt, daß im Ischiadieus die- jenigen sympathischen Fasern verlaufen müssen, die die psychogalva- nische Erregung leiten. Ein weiterer Versuch beweist, daß diese Fasern den Reiz zur Haut leiten, und daß dort allein das psychogalvanische Phänomen lokalisiert ist. Dieser Versuch ist auch schon von Fauville ausgeführt worden: Entfernt man nämlich die Haut von beiden Unter- schenkeln und prüft dann bei Ableitung von denselben psychogalvanisch, so reagiert der Frosch nicht. Dagegen bleibt der Reflex bei Ableitung von den nicht enthäuteten Vorderpfoten bestehen, ein Beweis, daß nicht etwa die eingreifende Operation ihn unterdrückt. Von Leva und Fauville (a. a. O.) sind Atropineinspritzungen beim Menschen bzw. Frosch ge- macht worden, um die Lokalisation des psychogalvanischen Reflexes in den Schweiß- oder Hautdrüsen sicherzustellen. Beide Autoren 1) J. N. Langley, The origin and course of the vaso-motor fibres of the frog’s foot. Journ. of physiol. 41, II, 483. 1910. 2) Fr. Goltz, Über gefäßerweiternde Nerven. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 11, 52. 1875. >) A. G. Kendall und B. Luchsinger, Zur Theorie der Sekretionen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 13, 212. 1876. 4) Max Levy-Dorn, Über den Absonderungsdruck der Schweißdrüsen und über das Firnissen der Haut. Verh. d. Berl. Phys. Ges., 17. III. 1893. Arch. f. Anat. u. Physiol. 893, 383. s6 E. Schilf und A. Schuberth: fanden, daß Atropin den Reflex aufhebt. Wir haben ebenfalls Versuche mit Atropineinspritzung unternommen (0,5 ccm einer 2,5 proz. Lösung Atrop. sulf.). An der weiten und auf Licht nicht reagierenden Pupille überzeugten wir uns, daß das Atropin resorbiert worden war. Wir fanden wie Fauville, daß mit unserem intensiven Schmerzreiz der Reflex nicht mit derselben Regelmäßigkeit auszulösen war, wie es ohne Atropin jederzeit möglich ist. Sehr häufig trat ein psychogalvanischer Reflex überhaupt nicht auf. Wir fanden in der Literatur keine Versuche — Herr Prof. Joachimoglu vom Pharmakologischen Institut hat uns hierbei in liebenswürdiger Weise unterstützt —, die die Wirkung des Atropins auf die Froschhautdrüsen klargelegt haben. Nur bei Waller!) steht ein Hinweis, daß Atropin bei äußerlicher Anwendung die Fähig- keit der Hautdrüsen, auf Reizung einen Aktionsstrom zu liefern, auf- hebt?). Wir nehmen an, daß Waller in den beiden Versuchen, in denen er bei innerlicher Atropingabe keinen Einfluß auf die Drüsen gesehen hat, eine kleinere Dosis anwendete als Fauville und wir. Pilocarpin hat nach Drasch?) eine sekretionssteigernde Wirkung. Wenn auch durch diese beiden Angaben ein Einfluß des Atropins auf die Frosch- hautdrüsen wahrscheinlich gemacht wird, so glauben wir aber nicht, daß die Atropinversuche genügen, um die Lokalisation des psycho- galvanischen Reflexes als allein an die Hautdrüsen gebunden für ganz streng bewiesen zu halten. Denn in pharmakologischer Hinsicht sind nicht ohne weiteres die Schweißdrüsen des Warmblüters mit den Haut- drüsen zu vergleichen. Z. B. wirkt Adrenalin®) auf die Hautdrüsen- 1) A. D. Waller, Die Kennzeichen des Lebens vom Standpunkte elektrischer Untersuchung. Verlag Hirschwald. Berlin 1905. S. 85—86. 2) Nach Fertigstellung des Korrekturbogens sind wir durch Zufall in den Besitz von Langley’s Buch ‚Das autonome Nervensystem“ gekommen. (Herrn Prof. Rießer, Greifswald, haben wir für die Überlassung des Buches zu danken.) Langley erwähnt eine ältere Arbeit von Stricker und Spina (Untersuchungen über die mechanischen Leistungen der acinösen Drüsen. Wiener Mediz. Jahr- bücher, Jahrgang 1886, S. 355), nach der Atropin „die Nerven der Drüsen- zellen lähmt, die Drüsenzellen selbst aber nicht oder nur in geringem Grade beeinträchtigt“. Die Autoren wendeten eine 5% Atropinlösung an und spritzten 0,5 ccm in den Lymphsack und 0,8 cem unter die Unterschenkelhaut. Sie beobachteten die Tätickeit der Drüsen direkt unter dem Mikroskop, wenn die zugehörigen Sekretionsnerven gereizt wurden. Unsere Atropinversuche stimmen mit den alten Beobachtungen übereir. Die von uns vcr der Drucklesung als sehr wahrscheinlich ausgesprochene Ansicht der Wirkung des Atropins auf die Froschhaut gewinnt durch Strickers und Spinas Feststellung an Sicherheit. ®) Olto Drasch, Beobachtungen an lebenden Drüsen mit und ohne Reizung der Nervenzellen. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, S. 131. 4) R. Ehrmann, Über die Wirkung des Adrenalins auf die Hautdrüsen- sekretion des Frosches. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 53, 137. 1905. — H. Wastl, Über die Wirkung des Adrenalins auf die Drüsen der Krötenhaut. Zeit- schr. f. Biol. %4, H. 1-2, S. 77. 1921. a EEE Über das sog. psychogalvanische Reflesphänomen beim Frosch usw. 87 sekretion des Frosches anregend, auf die Schweißdrüsen des Warmblüters nur unter besonderen Umständen. Wir kommen hierauf noch einmal zurück. Aber per exclusionem schließen wir für unseren, Reflex, daß er an die zahlreich in der Haut sich findenden Drüsen gebunden sein muß. Es kommen, andere Organe nicht in Betracht, wenn man nicht die unwahrscheinliche Hypothese machen will, daß Chromatophoren oder glatte Muskeln daran beteiligt sind. Hiermit glauben wir bis jetzt dargetan zu haben, daß der zentrifugale Schenkel der psychogalvanischen Erregung der Hinterpfotendrüsen beim Frosch von der Höhe des 4. Wirbels an allein im Grenzstrang verläuft. Dann laufen diese Fasern mit dem Ischiadiecus zusammen, um zu den Hautdrüsen zu gelangen. 6) Weitere Beweise für den Verlauf des peripherischen Teiles des Reflexbogens im Grenzstrang durch den neurogalvanischen Versuch. Unsere Feststellung der vorwiegend sympathischen. Beteiligung am zentrifugalen Teil des psychogalvanischen Reflexbogens kann durch weitere Versuche erhärtet werden. Reizt man nämlich durch Induktionsschläge beide Ischiadici eines curarisierten Frosches — er wird am besten zu diesem Versuch getötet und halbiert — und leitet man von beiden Unterschenkeln ab, so erhält man einen, unserem psychogalvanischen Reflexphänomen gleichen Ausschlag mit derselben Latenz von 2—3 Sekunden. Ein ähnlicher Versuch ist schon vor uns von Schwartz!) an. der Rückenhaut des Frosches gemacht worden; auch den Zusammenhang zwischen der Galvanometerschwankung nach dem elektrischen Reiz und dem psychogalvanischen Reflex hat Schwartz richtig erkannt. Waller?) hat ebenfalls Versuche dieser Art bei der Katze und beim Menschen angestellt. Wir hätten nichts wesentlich Neues mit diesem neurogalvanischen Phänomen, wie Güldemeister es nennt, erhalten, wenn wir nicht in der Ischiadicusreizung, die wegen der Curarisierung keine motorische Reaktion zur Folge hat, eine Sym- pathicusreizung sehen würden, die die psychogalvanische Hautdrüsen- reaktion in Erscheinung treten läßt. Luchsinger?) hat an der Katze diesen Versuch der Ischiadicusreizung, natürlich ohne die neurogal- vanische Methode, schon früher angestellt und mit der Reizung eine Schweißabsonderung an der Katzenpfote hervorgerufen. Wir glauben in dem neurogalvanischen Frfolg der Ischiadicusreizung beim Frosch 1) A. Schwartz, Über das galvanische Verhalten der konstant durchströmten Froschhaut bei Reizung ihrer Nerven. Änderung der Polarisation durch die Er- regung. Zentralblatt f. Physiol. %%, Nr. 14, S. 734. 1913. 2) A. D. Waller, The lost time of the emotive response of the human subject (Proceedings of the physiological society). Journ. of physiol. 5%, 21—22. 1917. 2) B. Luchsinger, Neue Versuche zu einer Lehre von der Schweißsekretion. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 14, 369. 1877. SC E. Schilf und A. Schuberth: einen weiteren Beweis des sympathischen Verlaufs der psychogalvani- schen Erregung mit dem Ischiadicus zusammen erblicken zu sollen. Wir können aber auch weiter den Froschsympathicus allein direkt elektrisch reizen und erhalten dasselbe Phänomen. Wir haben dazu gewöhnlich den Grenzstrang in Höhe des 7. Ganglions frei präpariert, von seiner Unterlage abgehoben, durchschnitten und das peripherische Ende auf 2 feine Platindrahtelektroden gelegt. Diese waren 2 mm voneinander entfernt. Als elektrischen Reiz gebrauchten wir einzelne oder doppelte Induktionsschläge eines du Bois- Reymondschen Schlitten- induktoriums mit der Kroneckerschen Eichung nach Elektrizitäts- mengen. Ein Bleiakkumulator lieferte die elektromotorische Kraft. Auffallend war bei unseren Sympathicusreizversuchen die schon von P. Schultz!) angeführte Tatsache der viel geringeren, elektrischen Erregbarkeit des Sympathicus im Vergleich mit derjenigen der Nerven der quergestreiften Muskulatur oder mit sensiblen Nerven. Für die Reizung der Schweiß- nerven hat 1914 Waller?) diesen Unterschied zahlenmäßig angegeben. Sie erfordert eine Energie, die einige tausend Male größer ist, als die bei motorischen Nerven. Immerhin kamen wir mit Rollenabständen von 20 cm oder mehr aus. Wir haben den Grenzstrang nicht nur in Höhe des 7. Ganglions gereizt, sondern konnten bis zum 3. Ganglion, das etwas unterhalb des Plexus brachialis liegt, ein neurogalvanisches Phänomen erhalten. Als Luchsinger :seine Sympathicusreizversuche bei der Katze unter- nommen hatte, die den Nachweis der sympathischen Innervation der Schweißdrüsen erbrachten, war der Autor sich bewußt, daß Strom- schleifen sehr wohl den in der Nähe liegenden Plexus sacralis treffen konnten. Dadurch würde eine spinale Reizung zustande kommen, die eine sympathische Innervation vortäuscht. Doch da Muskelzuckungen bei der Sympathicusreizung nicht auftraten, konnte Luchsinger mit Recht behaupten, daß der elektrische Reiz allein den Sympathicus getroffen hat. Wir sicherten uns gegen den Verdacht der Stromschleifen, indem wir zur Kontrolle nichtcurarisierte Frösche nahmen; wir konnten dann dasselbe neurogalvanische Phänomen beobachten, ohne eine Muskel zuckung zu erhalten. Daß Muskelzuckungen bei Reizung des Sympathi- cus mit stärkeren Induktionsschlägen auftreten, davon kann man, sich leicht überzeugen, selbst wenn der Grenzstrang weithin freipräpariert und vollkommen isoliert gereizt wird. 1) Paul Schultz, Das sympathische Nervensystem in Nagels Handbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 4. S. 399. 1909. 2) A. D. Waller, Excitation of the sudomotor nerves of the cats foot by con- densor discharges. (Proc. of the physiological society.) Journ. of physiol. 48, Nr. 4, S. 98. 1914. Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. 89 In der Regel aber mußten wir mit curarisierten Fröschen arbeiten, da wir meist vor den Sympathicusreizversuchen an den Tieren psycho- galvanische Reflexversuche machten. Mit Sympathicusreizung können wir einen Atropinversuch so wiederholen, daß wir 5—6 Stunden nach der Injektion den Sympathicus elektrisch reizen. Das neurogalvanische Phänomen muß negativ ausfallen oder zum mindesten erst bei größerer Stromstärke auszulösen sein, wenn psychogalvanisches und neuro- galvanisches Phänomen nahe verwandt sind, und die Hautdrüsen des Frosches durch Atropin in lähmendem Sinne beeinflußt werden. Tat- sächlich findet nach der elektrischen Sympathicusreizung keine Galvano- meterschwankung statt bzw. sind viel stärkere Induktionsschläge notwendig, um das Phänomen zu beobachten. Die Atropingabe hat, nehmen wir an, eine spezifische, die Hautdrüsen lähmende Wirkung zur Folge. - - Aus unseren neurogalvanischen Versuchen geht hervor, daß minde- stens der größte Teil des Reflexbogens über den Grenzstrang verläuft; die von uns angeführten Versuche können wohl kaum anders gedeutet werden. Es mag hier noch erwähnt werden, daß nach Durchschneidung des Grenzstranges unterhalb der Reizungsstelle oder bei durchschnitte- nem Hüftbeinnerven das neurogalvanische Phänomen negativ ausfällt, wenn von beiden Hinterpfoten abgeleitet wird. b) Der Verlauf im Rückenmark. Ist nach unseren Versuchen der peripherische Teil des zentrifugalen Schenkels des psychogalvanischen Reflexbogens bis zu seinem Ende, wie es uns scheint, genügend klargelest, so werden unsere Feststellungen über das mehr zentral gelegene Stück lückenhaft. Es gelang uns nicht, durch Versuche zu einem befriedigenden Resultat zu kommen. Wir haben schon erwähnt, daß Rückenmarksdurchschneidungen bis zum 4. Wirbel vorgenommen werden können — wir fingen vom Sakralteil an — ohne daß die psychogalvanische Reaktion auf Schmerz- reize ausbleibt. Gingen wir mit der Durchschneidung noch höher hinauf — man kommt dann in das Gebiet der Brachialanschwellung —, so war selbst auf die heftigsten Reize kein sicherer psychogalvanischer Reflex zu erzielen, auch nicht, wenn wir die Kopfhaut reizten. Zu diesen Ver- suchen benutzten wir gewöhnlich jedesmal einen neuen Frosch. Bei einigen Tieren führten wir die Schnitte auch serienmäßig aus, d.h. an demselben Frosch wurden 3—4 Rückenmarksdurchschneidungen ge- macht. Wir fanden dabei nur eine Bestätigung der an den, Tieren mit nur einmal durchtrenntem Rückenmark gemachten Beobachtungen. Hieraus folgt, daß in der Höhe des 4. Wirbelkörpers — also ungefähr an der Stelle, wo das 3. Grenzstrangganglion liegt — die Erregungs- leitung das Rückenmark verlassen muß, um in den Grenzstrang, über- 90 BE. Schilf. und A. Schuberth: zugehen. Dies trifft nach unseren Versuchen beim Frosch zu. Nach Langley!) treten die Schweißfasern für die hintere Extremität der Katze zum größten Teil mit dem letzten. Thorakal- und 1. und 2. Lumbal- nerven aus, um nach Verlauf im Grenzstrang sich mit dem Plexus ischiadicus zu vereinigen. Sie haben also bei der Katze im Rückenmark einen etwas längeren Verlauf. Doch wenn man bedenkt, daß das Rücken- mark beim Frosch im allgemeinen ‚‚kürzer und gedrungener ist und die Tendenz zu einer Konzentration nach dem Gehirn hin erkennen läßt‘“?), so kann man vom vergleichenden physiologischen Standpunkt aus von einer gewissen Ähnlichkeit im Verlauf der Drüsenfasern von Katze und Frosch sprechen. Im Rückenmark der Katze entspringen nach Langley die prä- sanglionären Fasern aus spinalen Schweißzentren. Wir haben uns bemüht, beim Frosch die analogen Zentren elektrisch zu reizen, haben aber kein einwandfreies Resultat erhalten. Die Gefahr, durch Strom- schleifen den Sympathicus mitzureizen, ist bei dieser Reizung zu sehr gegeben, als daß man endgültige Schlüsse daraus ziehen könnte. Luchsinger®) hatte dieselben Bedenken bei Reizung des Rückenmarks: „Der Übergang wirksamer Stromschleifen auf den so benachbarten, schon sympathische Fasern führenden Plexus ischiadieus liegt bei Reizung des gesamten Sakralmarkes auf der Hand.‘‘ Eine isolierte Reizung der präganglionären Fasern mit evtl. Ausschaltung der Ganglien- zellen mittels Nicotin erschien uns wegen der sehr feinen Nerven aus- sichtslos, zumal uns nur sehr kleine Frösche zur Verfügung standen. Falls wir im Frühjahr große Frösche erhalten, werden wir diese Versuche erneut aufnehmen. Gleichzeitig damit wollen wir die Frage zu beant- worten suchen, bis zu welchem Grade die Erregung einseitig im Grenz- strang verläuft. Wir mußten uns also mit der Tatsache abfinden, daß der zentrifugale Schenkel des psychogalvanischen Reflexbogens ber Ab- leitung von den Hinterbeinen in der Hauptsache vom 4. Wirbelkörper abwärts nicht mehr im Rückenmark verläuft, sondern vom Sympathicus gebildet wird, wobei wir die Frage der spinalen Schweißzentren offenlassen. Eine gewisse Bestätigung für diese Beobachtung finden wir in den Fest- stellungen von Huizinga*), der für die Vasoconstrictoren der Schwimm- haut des Frosches experimentell mit einer Reflexmethode fand, daß. 1) J. N. Langley, 1. On the course and connections of the secretory fibres supplying the sweat glands of the feet of the cat. Journ. of physiol. 12, 347. 1891. 2. Further observations on the secretory and vasomotor fibres of the foot of the cat usw. Journ. of physiol. 1%, 296. 1894/1895. 2) Ecker-Gaupp, Anatomie des Frosches. III. Abt. Lehre vom Neben S. 3. 3. Auflage. Vieweg und Sohn. Braunschweig 1896. SB: Eonabsinaen. in.L. Hermanns Handbuch der Physiologie, 2. Abschn. Die Schweißabsonderung und einige verwandte Sekretionen bei Tieren. S. 432. 2) A.a.0. Av Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. 91 dieselben aus der Brachialanschwellung des Rückenmarks entspringen und dann im Grenzstrang nach hinten verlaufen, wo sie sich dem Plexus ischiadicus beigesellen. Die brachiale Anschwellung entspricht ungefähr der Höhe des Rückenmarks, bis zu welcher wir nach unseren Durch- trennungsversuchen gekommen sind. Fasern für die Vasoconstrictoren verlaufen beim Warmblüter mit den Schweißfasern zusammen in der vorderen Wurzel, während die hintere Wurzel Fasern für die Vaso- dilatation führt. Die Innervation für die Vasoconstrictoren ist sym- pathisch, während die Vasodilatatoren parasympathisch innerviert sein sollen. Die Versuche von Hwizinga sind von Langley*) mit der _ elektrischen Reizmethode am Frosch wiederholt worden. Langley fand, daß ‚the vasomotor fibres for the hind foot of the frog usually leave the spinal cord in the 3rd to the 7th spinal nerves.‘“ Für die Hautdrüsen der Kröte hat in neuester Zeit ebenfalls mit elektrischer Reizung Brücke?) die „sympathischen Dermatome‘“ festgestellt. Er reizte die vorderen Wurzeln mit tetanischen Strömen eines Induktoriums und erhielt eine Hautdrüsensekretion. ‚‚Es erwiesen sich im allgemeinen relativ starke und langdauernde Reizungen als nötig (R.A. ca. 15—10 cm bei einem Akkumulator im ersten Kreise eines großen, Induktoriums)“. In mehreren Fällen begann das Hervorquellen des Sekretes nach wenigen Sekunden, in manchen aber auch erst nach über eine Minute dauernden Reizungen.‘““ Die Reizversuche von Brücke stimmen mit unseren psycho- galvanischen Versuchen darin überein, daß die Fasern für die Haut- drüsen zum vegetativen Nervensystem gehören müssen. Nach unseren Untersuchungen verlassen allerdings die Hautdrüsenfasern schon früher das Rückenmark, um in den Grenzstrang überzugehen. Brücke reizte die 7. bis 9. vordere Wurzel mit der soeben beschriebenen Reizmethode und findet eine Körnerdrüsensekretion an der Hinterpfote, und zwar an entsprechend den einzelnen Wurzeln genau umschriebenen Haut- stellen. Brücke weist auch auf den Unterschied seiner Ergebnisse mit denen von Langley hin, daß nämlich nach seinen Untersuchungen unterhalb des 8. Segmentes noch sympathische Fasern (für die Haut- drüsen der hinteren Extremität) austreten, was Langley (für die Vaso- motoren) nicht gefunden hatte. Allerdings hatte Langley hauptsächlich die Vasoconstrictoren untersucht. Vasodilatatorische Fasern hat er nicht mit Sicherheit feststellen können. Nun hat Dov?) unter Leitung von Starling und Langley in London mit Hilfe der pletysmographischen Methode und mit Hilfe der direkten Beobachtung der Gefäße der 1) Siehe Fußnote 1, S. 85. 2) E. Th. Brücke, Über die sympathische Innervation der Krötenhaut. Zeit- schr. f. Biol. 44, H. 1 u. 2, S. 99. 1921. ®) Jasukazu Doi, On the existence of antidromic fibres in the frog and their influence on the cappillaries. Journ. of physiol. 54, Nr. 4, S. 227. 1920. 92 R FE. Schilf und A. Schuberth: Schwimmhaut der hinteren Extremität des Frosches festgestellt, daß die 7. bis 9. hinteren Wurzeln des Frosches die Vasodilatatoren führen. Hiermit gewinnt die Feststellung von Langley!), daß, wie bei den Vögeln und Säugetieren, der Frosch auch ein sakralautonomes Nervensystem besitzt, an Sicherheit. Wir haben auch die vorderen Wurzeln, nach deren Reizung nach Brücke eine Sekretion an den hinteren Extremitäten eintreten soll, gereizt und erhielten mit unserer neurogalvanischen Methode gleichfalls ein positives Ergebnis. Allerdings mußten wir viel stärkere Induktionsschläge gebrauchen, als wir sonst bei der Sympathicusreizung anwendeten. Reizung der hinteren Wurzeln ergab bei Voruntersuchungen kein neurogalvanisches Phänomen. Es werden also bei der Kröte und beim Frosch in den vorderen 7. bis 9. Wurzeln, vorausgesetzt daß die Versuche von Brücke nicht noch anders gedeutet werden können, auch sekretorische Fasern für die hintere Extremität verlaufen, die aber nach unseren Versuchen am Frosch an Zahl gegen die schon im Grenzstrang verlaufenden zurück- treten werden. Vielleicht kommen diese Fasern aus dem soeben er- wähnten sakralautonomen Nervensystem. Hiermit wäre die Vermutung ausgesprochen, daß beim Frosch eine doppelte — sympathische und parasympathische — Hautdrüseninnervation besteht, eine Annahme, die für die Schweißdrüsen von Meyer und Gottlieb?) ausgesprochen worden ist. Vielleicht liegen die Verhältnisse so, daß die eine Drüsenart des Frosches sympathisch, während die andere parasympathisch inner- viert wird. Wir werden weitere Studien darüber anstellen. Erwähnen möchten wir aber noch, daß bei Anwendung starker Reizströme, wie sie Brücke benutzt hat, die Gefahr von Stromschleifen von den gereizten vorderen Wurzeln aus auf die in der Nähe liegenden spinalen Nerven, denen ja nach unseren Feststellungen (Abschnitt 4a, P) die Sekretions- fasern beigemischt sind, sehr nahe liest. 5. Die Zentren des Reflexbogens. Wie wir den Verlauf der Reflexbahn im Rückenmark oberhalb des 4. Wirbelkörpers nicht mit genügender Gewißheit angeben konnten, die wir durch Versuche zu erlangen hofften, so war auch nichts sicheres über den Sitz der Zentren festzustellen. Entfernt man beide Hemi- sphären und die Lobi optici und verletzt dann das verlängerte Mark, so verhält sich das Tier meistens psychogalvanisch reflexlos. Elektrische Reizung ergibt wegen der oben angegebenen Gefahr der Stromschleifen, die den Sympathieus treffen können, keine sichere Grundlage für eine gute Beobachtung. Wir können nur annehmen, daß das Auftreten 1) J. N. Langley and U. A. Orbelli, Observations on the sympathetic and sacral antonomie system of the frog. Journ. of physiol. 41, 450. 1910/1911. 2) Meyer und Gottlieb, Experimentelle Pharmakologie. 5. Aufl. 1921. S. 423. Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. 93 eines Reflexes an, Zentren für die Hautdrüsensekretion gebunden sein wird. Diese Zentren müssen zwischen dem 4. Wirbel und dem Kleinhirn liegen. An der Tatsache, daß die Medulla oblongata der Sitz der wich- tigsten Zentren ist, möchten wir annehmen, daß hier die Zentren liegen, und zwar im unteren Teil. Bei einem Frosch gelang es uns nämlich, eine psychogalvanische Reaktion, zu erhalten, nachdem wir nach Ent- fernung des Gehirns und der Lobi optiei auch Dreiviertel der Medulla oblongata fortgenommen hatten. 6. Der zentripetale Schenkel des Reflexbogens. Wir kommen zum zentripetalen Schenkel des Reflexbogens. Er ist von Veraguth mit genügender Sicherheit, wie es uns scheint, klargelegt. „Der zentripetale Schenkel des Reflexbogens ist in der Sinnesbahn gelegen‘‘ (S. 175 seines Buches). Aus unseren Versuchen geht hervor, daß ohne Mitwirkung der von uns angenommenen Drüsenzentren der Reflex nicht auftritt, Wenn man nämlich das Rückenmark oberhalb des Plexus lumbosacralis durchtrennt und in den gelähmten Gebieten Reize anbrinst, so ist bei Ableitung sowohl von Vorderpfoten als auch von Hinterpfoten keine psychogalvanische Reaktion zu erhalten. Die Reize können zwar zu Rückenmarkszentren (unterhalb der Schnitt- stelle) gelangen, von denen aus auch motorische Reaktionen statt- finden können, aber sie erreichen nicht die obenerwähnten Drüsen- zentren. Durchschneidungen in einer Höhe oberhalb des 4. Wirbels, also in der Brachialanschwellung, haben hinsichtlich des Auftretens des Reflexes kein sicheres Ergebnis gebracht. Die Frage der Selbständig- keit spinaler Drüsenzentren oder das sichere Vorhandensein eines in der Medulla oblongata gelegenen Hautdrüsenzentrums müssen wir daher vorläufig außerhalb bestimmter Feststellungen lassen. Erwähnen möchten wir noch, daß durch Allgemeinnarkose mit Chloroform der psychogalvanische Reflex aufgehoben werden. kann. Kohlrausch und Schilf hatten, dieses schon in der eingangs erwähnten Mitteilung berichtet, Doch greift das Narkoticum nur zentral an, denn bei den betäubten Tieren trat das neurogalvanische Phänomen bei Reizung des Grenzstranges oder Ischiadicus immer ein. ‘ Wenn wir nun die von uns beim Frosch gefundenen Verhältnisse auf den Menschen übertragen, so liegt die Annahme sehr nahe, daß auch beim Menschen eine sympathische Beteiligung am Bogen des psychogalvanischen Reflexes vorhanden ist. Veraguth hatte sie denn auch bereits als Vermutung ausgesprochen, (S. 176 seines Buches). Das psychogalvanische Phänomen ist ein Reflex wie viele andere auch, deren zentrifugale Bahn größtenteils im Sympathicus verläuft. Vielleicht wird mit unserer experimentellen Erklärung des teilweisen sympathischen Verlaufs der psychogalvanischen Reflexbahn beim Frosch 94 E. Schilf und A. Schuberth: im Grenzstrang die Tatsache einigermaßen verständlich, warum bei manchen Menschen der Reflex schwerer auslösbar ist, während bei anderen der geringste Reiz einen solchen hervorruft. Es ist möglich, daß hier der von klinischer Seite aufgestellte Begriff der Vago- und Sympathikotonie herangezogen werden kann. 7. Möglichkeit einer weiteren Verwendung der psycho- bzw. neuro- galvanischen Methode. Zur Bestimmung des optischen Sinneszentrums beim Frosch ist die „Verwendungsmöglichkeit des psychogalvanischen Reflexes schon oben erörtert worden ($. 80 unten). Bei unseren Atropinversuchen ist das psycho- bzw. neurogalvanische Phänomen als Methode benutzt worden, um die Frage des Einflusses eines pharmakologisch wirksamen Stoffes auf die Hautdrüsensekretion zu studieren. Luchsinger hatte auf eine ähnliche Art bei der Katze dasselbe getan. Seine Versuche sind von Dieden!) wieder aufgenommen - worden. Der Autor untersuchte den Einfluß des Adrenalins auf die Schweißsekretion der Katze. Er fand, daß erst dann ein Einfluß des Adrenalins auf die Schweißsekretion einer Hinterpfote der Katze zu beobachten war, wenn vorher die Ischiadici durchschnitten wurden. Dieden nimmt zur Erklärung seiner Beobachtung, welche wie Dieden angibt, auch von Langley?) in ähnlicher Weise bei der Speichelsekretion gemacht sein soll, eine Hemmungsinnervation in Anspruch, ‚‚die ent- weder reflektorisch oder durch Einwirkung des Giftes auf die Hem- mungszentren des Rückenmarks zustande kommt“. Nach unseren Versuchen scheint das Atropin auf die Hautdrüsen des Frosches dieselbe Wirkung zu haben wie auf die Schweißdrüsen des Warmblüters. Für das Adrenalin ist im Verlauf der hier besprochenen Versuche auch begonnen worden, den Einfluß dieses spezifisch sympa- thisch wirkenden Giftes auf die Hautdrüsen des Frosches zu studieren. Wir hatten. beabsichtigt, die Adrenalinwirkung als Stütze für unsere Anschauung zu benutzen, daß der Sympathicus an dem Bogen des psychogalvanischen. Reflexes beteiligt ist. Doch sind die Verhältnisse bei der neurogalvanischen Methode nicht so einfach wie wir glaubten. Wir werden darüber später berichten und möchten nur hier noch be- tonen, daß nicht ohne weiteres die Innervationsverhältnisse der Schweiß- drüsen des Warmblüters mit den Hautdrüsen des Frosches verglichen werden können, wenigstens nicht in pharmakologischer Beziehung. Auf die verschiedene Wirkung des Adrenalins auf die Schweiß- bzw. Hautdrüsen ist schon hingewiesen worden. Der Frosch als wechsel- 1) A. Dieden, Über die Wirkung des Adrenalins auf die Schweißsekretion. Zeitschr. f. Biol. 66, 387. 1916. 2) J. N. Langley, Observations on the physiological action of extracts of the suprarenal bodies. Journ. of physiol. 2%, 237. 1901. Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. 95 warmes Tier hat ja eine Schweißabsonderung auch gar nicht nötig. Weiter hat Heubner!) 1913 die Ansicht geäußert, daß die Nerven der Schweißdrüsen pharmakologisch zum konsensuellen (parasympathischen) Nervensystem gehören, während die Hautdrüsen des Frosches sympa- thisch innerviert seien. Wir können aber unabhängig von diesen Theorien, die ja noch keineswegs endgültig feststehen, auf Grund unserer Beob- achtungen annehmen, daß bis zu einem gewissen Grade für das Auf- treten des psychogalvanischen Reflexes in den Hautdrüsen des Frosches Analoga der Schweißdrüsen der Warmblüter erblickt werden müssen. D. Zusammenfassung. 1. Man erhält nach einer im Abschnitt B beschriebenen} Methode einen Reflex der Froschhaut, der dem sog. psychogalvanischen Reflex beim Menschen analog ist. Dies ist von. Schwartz und von. Kohlrausch und Schilf bereits früher mitgeteilt worden. Curarisierung verhindert bei intensiver Schmerzreizung nicht das Auftreten des Reflexes. 2. Der zentripetale Schenkel des Reflexbogens ist die sensible Lei- tungsbahn (Veraguth). 3. Der peripherische Teil des zentrifugalen Schenkels verläuft für die hintere Extremität vorwiegend im Grenzstrang, der mehr zentral gelegene im Rückenmark. Der Übergang findet oberhalb des 4. Wirbels statt. 4. Über die Lage der Zentren, an die das Vorhandensein des Reflexes gebunden ist, konnten Feststellungen von genügender Sicherheit nicht gemacht werden. 5. Die psycho- bzw. neurogalvanische Methode kann zur Lösung von Fragen der Gehirnlokalisation beim Frosch und zu pharmakolo- gischen Untersuchungen der Hautdrüseninnervation herangezogen werden. 1) Wolfgang Heubner, Ein Vorschlag zur Nomenklatur im vegetativen Nerven system. Zentralbl. f. Physiol. 26, Nr. 24, S. 1180. 1913. Über die Messung der Atmung mit Gasuhr und Ventilen. Von Martin Gildemeister. (Aus der physikalischen Abteilung des Physiologischen Instituts der Universität Berlin.) Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 4. März 1922.) Will man an Versuchstieren oder Menschen Atemvolum und Atem- größe messen oder gar aufzeichnen, so macht das einige Schwierig- keiten. Diejenigen, Verfahren, bei denen dieselbe Luftmenge immer hin und her geatmet wird (Spirometrie, Aeroplethysmographie u. dgl.!) sind für Dauerversuche ungeeignet. Die sonst so zweckmäßige Methode von Dreser?) (Auffangen der Exspirationsluft mittels einer pneuma- tischen Wanne in einem bestimmten kurzen Zeitraum) liefert nur Stich- proben. So bleibt, in Verbindung mit 2 Ventilen für Ein- und Aus- atmung, nur die Gasuhr übrig, ein Apparat, der ja auch von vielen Forschern, z. B. von Zuntz und seinen Schülern, mit Erfolg zur Lösung derartiger Aufgaben herangezogen ist. Bei gemeinsam mit W. Heubner angestellten Versuchen über die Wirkung von sog. Kampfgasen auf Atmung und Kreislauf?) machten wir die Erfahrung, daß der übliche Gasuhrtyp zwar insofern allen billigen Anforderungen entspricht, als er einen äußerst geringen Wider- stand hat (weniger als 5mm Wasser), daß er aber viel zu voluminös ist und sich nur schwer für Aufzeichnung der Umdrehungen umändern läßt. Ich stellte deshalb eine kleine leichte registrierende Gasuhr aus Celluloid her, die hier ganz kurz deshalb beschrieben werden soll, weil sie sich auch in der Folgezeit gut bewährt hat. Etwas grundsätzlich Neues stellt sie nicht dar; sie zeichnet sich nur durch kleinen Atem- widerstand und kleines Volum aus, so daß auch die Atmung kleinerer Tiere messend verfolgt und aufgezeichnet werden kann. 1!) R. Tigerstedt im Handbuch der physiol. Methodik, I, 3. Abt., S. 80—83. 2) H. Dreser, Pharmakologische Untersuchungen über das Lobelin der Lobelia inflata. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. %6, 237., 1889. 3) M. Gildemeister und W. Heubner, Über Kampfgasvergiftungen. IV. Die Chlorpikrinversiftung. Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 13, 303 u. 305. 1921. M. Gildemeister: Über die Messung der Atmung mit Gasuhr und Ventilen. 97 Ebenso lehnten wir uns bei der Konstruktion der Atemventile an gegebene Vorbilder an. Mit den üblichen Typen machten wir recht schlechte Erfahrungen. Entweder setzten sie der Luft einen großen Widerstand entgegen, oder sie trockneten aus, wenn sie feuchte Mem- branen enthielten, oder die beweglichen Teile klebten fest, sobald sie durch die Atmungsluft feucht wurden, oder schließlich sie schlossen nicht ganz zuverlässig. R. du Bois-Reymond und Katzenstein!) haben den glücklichen Einfall gehabt, ein leichtes Hütchen aus Glas auf Quecksilber schwimmen zu lassen, wodurch der Forderung nach leichtem Gange und zuverlässigem Schlusse vollkommen Genüge getan ist. Um das Ankleben in feuchtem Zustande zu verhindern, wurde das Hütchen paraffiniert. Wir übernahmen den technischen Gedanken dieses Ventils und gaben den Einzelteilen nur leichter herstellbare Formen, wählten anstatt Glas Celluloid, wodurch das Gewicht und die Zerbrechlichkeit vermindert wurde, und brachten Sicherungen gegen Ankleben des beweglichen Teiles und gegen störendes Verspritzen des Quecksilbers an?). Die Gasuhr. Sie unterscheidet sıch in der inneren Einrichtung nicht von dem üblichen Modell, nur sind alle entbehrlichen Teile fortgelassen, ins- besondere der umschließende Kasten. Unser für mittlere Tiere, z. B. Katzen, bestimmtes Exemplar hat eine Celluloidtrommel von 16cm Durchmesser und 6cm Tiefe, die bis etwas über die Mitte in Wasser taucht. Die | L Vorkammer V nimmt die iti_ a Hälfte der Tiefe ein. Die Luft dringt durch 4 radiäre Schlitze bei E ein und verläßt die Trommel durch das Rohr R. x Jede Umdrehung entspricht jeitungsrohr im Längsschnitt, Rechts: Trommel einer Luftmenge von 420 eem. mantel in Aufsicht (schematisch). K, KR; K,K, auf- ; u e gekittete Kupferstreifen, «a b e d verschiedene Stel- Das Ableitungsrohr ist bei 8 lungen zweier Kupferbürsten. senkrecht aufwärts geführt und ragt einige Zentimeter über die Wasserfläche hinaus, damit das Wasser bei heftigen Inspirationsstößen, wobei es in der Vorkammer entsprechend Be,” ZALTLELTTLER !) R. du Bois-Reymond und J. Katzenstein, Über Atemvolummessung beim Sprechen und Singen. Arch. f. exp. u. klin. Phonetik 1, 27. 1913. 2) In der letzten Zeit hat W. Trendelenburg Ventile angegeben, die an- scheinend sehr gut sind. — W. Trendelenburg, Zur Methodik der Gewinnung von Alveolarluft. Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 14, 311. 1921. — L. Schall, Untersuchungen über die Methodik der Messung der Kohlensäurespannung in den Lungenalveolen. Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 14, 322. 1921. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 7 98 M. Gildemeister: dem entstehenden Unterdruck hinaufgesogen wird, nicht in die Atemleitung eintreten kann. Sollten doch einmal einige Spritzer hineindringen, so können sie durch B herauspipettiert werden. Dieses Seitenrohr dient auch zur Zuführung der Atemluft, wenn sie nicht gemessen werden soll. Das Ganze ist in einem Zinkkasten angebracht, der auch das Rohr R trägt. Seitlich auf seinem Rand sind schließlich 2 Klemmen befestigt, von denen eine verschoben werden kann. An beiden sind Bürsten von dünnstem Kupferdraht befestigt, derart, daß sie eben an der Peripherie der Trommel streifen. Dort sind in Abständen von je !/, Trommel- umfang 4 Kupferleisten K,, K,, K,, K, eingelassen, eine lange, eine mittlere und 2 kurze, wie es die rechte Abbildung andeutet (zur besseren Übersicht so gezeichnet, als ob sie dicht nebeneinander ständen). Die Bürsten werden mit einem Akkumulator und einem elektromagnetischen Schreiber verbunden, und so können verzeichnet werden: ganze Um- drehungen, wenn eine Bürste bei a steht, eine bei d; halbe Umdrehungen bei den Stellungen b und d; viertel Umdrehungen bei den Stellungen c und d. Der Atemwiderstand, gemessen an den Ausschlägen eines bei B an- gebrachten Manometers, ist sehr klein: bei 600—1000 cem minutlichem Luftdurchgang, entsprechend der normalen Atemgröße einer mittleren Katze, etwa 2 mm Wasser, bei 2000 cem/Min. etwa doppelt soviel. Dieser Widerstand rührt hauptsächlich von Flüssigkeitsreibung in der Trommel her; er könnte herabgesetzt werden durch Vergrößerung derselben, womit eine Verlangsamung der Flüssigkeitsbewegung einher- gehen, würde; jedoch würde man dann wegen der Seltenheit der Re- gistrierung schnelle Schwankungen der Atemgröße leicht übersehen können. Die Drehung der Trommel wird auch unnötig erschwert und damit der Widerstand vermehrt, wenn sie nicht gut vom Wasser benetzt wird, wie es nach langem Nichtgebrauch vorkommen kann. Abwaschen mit verdünntem Alkali oder Zusatz von etwas Seife oder Saponin (wässeriger Auszug aus Roßkastanien) zum Sperrwasser (dieses soll immer destilliertes sein!) schafft Abhilfe. Was die Eichung der Gasuhr anbetrifft, so wird diese am einfachsten so vorgenommen: Eine Bürette wird oben mit einem genügend langen Schlauch versehen, so daß man daran saugen kann. Unten wird ein T-Rohr angesetzt, dessen einer Schenkel zu dem langen Rohr .einer (gut gefüllten großen) Spritzflasche führt, während der andere Schenkel, durch ein kurzes Stück Schlauch mit Quetschhahn verlängert, als Ausflußrohr frei endet. Vom kurzen Rohr der Spritzflasche führt ein Schlauch zum Saugerohr der Gasuhr. Nun saugt man bei verschlossenem Ausflußrohr oben an der Bürette, wodurch eine ablesbare Menge Luft durch die Gasuhr in die Spritzflasche tritt, quetscht dann diese Leitung En a Die Messung der Atmung mit Gasuhr und Ventilen. 99 ab, läßt die Bürette auslaufen usf. Diese Eichung gilt natürlich nur für eine bestimmte Wasserhöhe, die durch Marken am Kasten gesichert wird. Die Ventile. Ihre Einrichtung geht aus den Abb. 2 und 3 hervor. Ein kurzes weites Glasrohr ist oben und unten durch die durchbohrten Stopfen a« verschlossen. Diese werden oben und unten von 2 'engeren Röhren durchsetzt; die untere, zur Luftzufuhr dienend, ragt 13mm in das Innere der Ventilkammer hinein. Auf den unteren Stopfen, ist Queck- silber in 4 mm dicker Schicht c gegossen, und darauf schwimmt ein oben geschlossenes Hütchen, Abb. 2b und 3, aus Celluloid. Die auf Abb. 3 % Abb. 3. Celluloidhütchen für das At- | mungsventil (perspektivisch gesehen). ' Seitenleisten zur Verhütung des Ankle- Abb. 2. Atmungsventil im Längsschnitt. bens an der Wand und des Verschlusses « Stopfen, b Hütchen, ce Quecksilber. des Abflußrohres. sichtbaren Seitenleisten sichern gegen das seitliche Ankleben in feuchtem Zustande und, da sie nach oben verlängert sind, gegen den Verschluß des Ausführungsrohres bei starker Hebung des Hütchens. Die Dimensionen für Katzen sind zweckmäßig etwa die folgenden: Kammermantel Länge 24mm (Innenmaß, ohne oberen, und unteren Stopfen), Lichtweite 44mm; Ab- und Zuführungsrohr, Lichtweite 10 mm; Hütchen Durchmesser 30 mm, Höhe I2 mm, Gewicht 0,68; Seitenleisten 4mm breit, Verlängerung nach oben um 6 mm. Das Zuführungsrohr ist, was man auf der Abbildung nicht sieht, + -förmig gestaltet; der untere Schenkel wird durch einen Stopfen ver- schlossen und dient zum Auffangen etwa verspritzter Quecksilber- tropfen. Aus den Dimensionen des Hütchens (Querschnitt 8 gem, Gewicht 0,6g) geht hervor, daß es schon durch einen Luftdruck von weniger als 1 mm Wasser gehoben wird. Für größere Tiere, für die man etwa den doppelten Querschnitt wählt, ergibt sich etwa derselbe Atemwiderstand. Der Verschluß ist sehr gut, wenn man für annähernd senkrechte Stellung sorgt!). 1) Gasuhr und Ventile werden von den Vereinigten Fabriken für Laborato- riumsbedarf, Berlin, Scharnhorststr. 22, hergestellt. T7F 100 M. Gildemeister:, Die Messung der Atmung mit Gasuhr und Ventilen. Die Gesamtanordnung. ur Nach unseren Erfahrungen ist es zweckmäßig, wenn nicht besondere Gründe dagegen sprechen, die Gasuhr in den Einatmungsweg zu legen. Daraus ergibt sich folgende Anordnung: Tier, Gabelrohr, einerseits verbunden mit dem Exspirationsventil (Zuleitung unten), andererseits mit dem Inspirationsventil, dahinter die Uhr. Zwischen zweitem Ventil und Uhr wird eine Leitung zu einer Mareyschen Kapsel abgezweigt, zur Aufschreibung der Atemfrequenz. Hier kann auch bei sehr unruhiger Atmung eine große Flasche als Windkessel angebracht werden. Sollte das Kondenswasser doch stören, so legt man in den Ausatmungsweg ein weites locker mit Chlorcalecium beschicktes Rohr. Über die sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der menschlichen Haut. Von Erich David. (Aus der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts der Universität Berlin.) Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 4. März 1922.) A. Einleitung. Seit Peltier (1834) ist es schon bekannt, daß tierische Teile, wenn sie elektrisch durchströmt werden, sich polarisieren und nach Abtrennung der Stromquelle einen Depolarisationsstrom liefern. Genauer untersucht sind diese Erscheinungen in erster Linie bei Nerven, in zweiter bei Muskeln!). Die tierische Haut ist bisher noch weniger untersucht worden. Es finden sich in der physiologischen Literatur außer der besagten, Arbeit von Peltier nur gelegentlich einmal Angaben über die Polarisierbarkeit dieses Organs?). Dagegen haben sich die Kliniker für die Polarisation der mensch- lichen Haut hin und wieder interessiert. Gelegentlich ist von diesen darauf aufmerksam gemacht worden, daß durch die Polarisation der Gleichstromwiderstand zu groß erscheinen muß. Aber in dieser Beziehung wurde die Rolle der Polarisation nur sehr gering eingeschätzt; denn, die Werte, die bisher am lebenden Menschen gefunden wurden, übersteigen nicht 0,3 Volt [G. Weiss, zit. bei Wertheim Salomonson?)] bis 0,75 Volt) bei einer angelegten Spannung bis zu 75 Volt. Also kurz zusammen- 1) Hermanns Handbuch der Physiologie, Bd. TI, S. 88; Bd. II, S. 165; Bieder- mann, Elektrophysiologie S. 376, 1896; M. Cremer, Nagels Handbuch der Physiolo- Files BdaV,. 8.911. 1909. 2) E. du Bois-Reymond, Untersuchungen über tierische Elektrizität, Bd. I, 8. 376, Bd. II, S. 379. — M. von Frey, Verh. d. Kongr. d. inn. Med. 1891, Bd. X, S. 377. — von Frey und Windscheid, Neurol. Zentralbl. 10, 292. 1891. 2) Wertheim Salomonson, Mesure de la resistance @lectrigue du corps. Ann. d’electrobiol. et de radiologie 10, 847. 1907. *) Chanoz, Sur la polarisation de ’homme vivant, soumis & l’action du courant continu (intensite et dissipation). Cpt. rend. des seances de l’acad&mie des sciences 147, 846. 1908. — Siehe auch die med. Inaug.-Diss. von Aebly. Zürich 1910. 102 E. David: gefaßt: Es ist das Bestehen von polarisatorischen Gegenkräften bei tierischen Organen insbesondere der Haut nachgewiesen, aber es sind immer nur einige Prozente der angelegten Spannung gefunden worden. Nach der Theorie von Gildemeister!) müßte es sich aber bei der mensch- lichen lebenden Haut um Spannungen handeln, die beinahe die angelegte Spannung erreichen können. Rechnerisch hat sich S. 396 der zuletzt angeführten Arbeit ergeben, daß die elektromotorischen Kräfte folgende Werte erreichen können: Angeleste Spannung Polarisations-Gegenspannung 1,95 Volt 1,83 Volt 3,388 — 3,85 Volt 3,58 — 3,46 Volt 5,75—5,63 ». 5,04 — 4,68 ‚, 7,57 — 1,17 „ 6,44 — 4,55 ,„ 9,10 — 8,57 ,, 6,60 — 4,59 „, Es besteht also ein Widerspruch zwischen der Theorie und den experimentellen Befunden, und ich habe mich auf Veranlassung von Herrn Prof. Grildemeister und unter seiner Leitung bemüht, diesen Wider- spruch aufzuklären. Es handelt sich also darum, die Größe der von der menschlichen Haut aufgebrachten Polarisationsgegenspannung unmittelbar zu messen und mit den theoretischen Werten zu vergleichen ?). Methodik. Allgemeines. Von den früheren Autoren wurde die Versuchsanordnung der- art eingerichtet, daß das Versuchsobjekt zuerst mit einer Stromquelle verbunden und dann durch eine Wippe zum Galvanometer abgeleitet wurde. Bei dieser Umschaltung aber vergeht eine geraume Zeit (mindestens 1/,, Sekunde), während welcher sich die Polarisation zerstreuen kann. Der erhaltene Wert wird aber um so richtiger sein, je kürzere Zeit zwischen Ladung und Entladung vergeht. Es war mein Bestreben, diese Zeit möglichst zu verkürzen. Zu diesem Zweck benutzte ich zunächst die Stimmgabelmethode. Eine Stimmgabel wurde derart in den Stromkreis eingefügt, daß sie jedesmal beim Schwingen zuerst die Versuchsperson mit der Stromquelle verband und dann mit dem Galvanometer. Durch diese Methode wurde die Zeit zwischen der Ladung und Entladung schon bedeutend verkürzt. Im Verlaufe der Untersuchung zeigte sich die Stimmgabel nicht besonders geeignet und wurde deshalb durch einen rotie- renden Umschalter ersetzt. Dieser bestand aus einer schräg durchgeschnittenen Metallröhre, die durch einen Motor in Umdrehung versetzt wurde. Die Schnitt- fuge war durch Isolationsmasse ausgefüllt. Auf ihr streiften drei Bürsten; zwei 1) M. Gildemeister, Über den scheinbaren und wirklichen Leitungswiderstand des menschlichen Körpers. Zentralbl. f. Physiol. 25, 1093. 1911. — Derselbe, Über die im tierischen Körper bei elektrischer Durchströmung entstehenden Gegenkräfte. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 389. 1912. 2) Der Ausdruck „sekundär-elektromotorische Eigenschaften“ ist im Titel dieser Arbeit in dem weiteren Sinne gebraucht worden, den ihm E. du Bovs- Reymonll gegeben hat. Siehe darüber die Nachschrift von M. Güldemeister. Über die sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der menschlichen Haut. 103 berührten dauernd das Metall, die eine auf der einen, die andere auf der anderen Seite der Schnittfuge. Die dritte steht zwischen den beiden und ist abwechselnd mit beiden Röhrenhälften in Berührung. Schließlich ging ich von dem Gedanken aus, ob es nicht möglich sei, die Polarisationsgröße ganz kurze Zeit (etwa Y/oo00 Se- kunde) nach einem einzigen, kurzen Stromstoß zu bestimmen und benutzte zu diesem Zweck das Helmholizsche Pendel. Der Stimmgabelunterbrecher. Die Versuchsanordnung mit der Stimmgabel- ' methode sah folgendermaßen aus. Wir bedienten uns einer elektromagnetischen Stimmgabel von 50 Schwingungen pro Sekunde, an der ein kleines Platindrähtchen befestigt war, das ganz zart und biegsam sein muß, um beim Anschlagen an zwei gut befestigte Metallblättchen die Schwingungen der Stimmgabel nicht zu sehr zu hemmen. Dieses schließt nun durch Anschlagen an das eine Platinplättchen den zuleitenden Stromkreis, dann aber kurz darauf, nachdem es den ersten Kon- takt verlassen hat, auf der anderen Seite die Ableitung nach dem Galvanometer. Die Versuchsanordnung ist in der Abbildung dargestellt. sm-MB, SQ sm-MB, Ez | SCHz Abb.1. Links: Schaltungsschema. E,, Z,, E, Akkumulatoren. MP,, MP, Metallplättchen. S Stimm- gabel, Sch, Sch, Schlüssel, A A Elektroden, X Körper. R Rheochord. @ Galvanometer. Rechts: Walze des rotierenden Umschalterss. MB,, MB, MB, Metallbürsten. MM Metallröhre, schräg durchschnitten, J Fuge, mit Isolationsmasse gefüllt. Von einer Stromquelle E, geht der Strom, wenn die Stimmgabel $ sich im Zustande der größten Spreizung befindet und der Schlüssel Sch, geschlossen ist, durch das Metallplättchen MP, zu den Elektroden AA und dem zu untersuchenden Objekt K, sodann wieder zu E, zurück. Schwinst die Stimmgabel zurück, so stößt sie an MP, und leitet dadurch die etwa vorhandene Ladungsspannung durch das Drehspulgalvanometer @ ab. Zu ihrer Messung wird ihr mittels des Elementes E, und des Rheochords R eine Gegenspannung entgegengestellt, die so bemessen wird, daß das Galvanometer während des Stimmgabelspiels in Ruhe bleibt. Genüst diese Spannung nicht, so können noch bei E, weitere Elemente dazugeschaltet werden. Da die Stimmgabel 50 Schwingungen in der Sekunde machte, und bei der gewöhnlich gebrauchten Einstellung die Zeit jedes Stromschlusses schätzungsweise eben so lange dauerte wie die der freien Schwingung, verging immer !/,,, Sekunde zwischen Ende der Polarisation und Beginn der Entladung. In dieser Zeit kann sich schon ein großer Teil der aufgespeicherten Elektrizität durch innere Neben- schlüsse usw. zerstreuen. Durch Annäherung von MP, an MP, kann man zwar die schädliche Zeit verkürzen, aber praktisch nicht viel.‘,, 104 E. David: Über den rotierenden Umschalter ist nichts besonderes zu sagen. Die Frequenz war 30—50 in der Sekunde, die Zeit der Stromunterbrechung (,‚Zerstreuungszeit‘‘) etwas kürzer als !/, der Periodenlänge. Die nächste Methode erlaubt, fast die ganze Polarisation abzufangen. Die Pendelmethode. Das Helmholtzsche Pendel besteht aus einem schweren Gestell, in dem ein Eisenprisma leicht beweglich um eine horizontale Achse dreh- bar aufgehängt ist. Vor dem Versuche wird es in abgelenkter Stellung durch einen Elektromagneten festgehalten. Wird es losgelassen, so schlägt es in der Nähe des tiefsten Punktes seiner Bahn gegen Kontakthebel und schließt oder öffnet dadurch Kontakte. Diese können durch feine Schrauben gegeneinander verstellt werden. Das hier benutzte Exemplar gehörte dem Königsberger physiologischen In- stitute und war uns in liebenswürdiger Weise von Herrn Professor Weiss zur Ver- fügung gestellt worden. Es besaß einen Schließ- und zwei Öffnungskontakte. Die nähere Beschreibung erübrigt sich, weil das Instrument schon früher zu physiolo- gischen Versuchen gedient hat und dabei ausführlich besprochen worden ist!). Es sollte nun folgendes geschehen: 1. Schließung des polarisierenden Stromes; 2. Öffnung desselben; 3. Verbindung des geladenen Körpers mit dem Galvano- meter und der Kompensationseinrichtung; 4. Öffnung dieses Kreises. Die Ver- suchsanordnung glich der in Abb. 1 skizzierten (es wurde also auch mittels der Kompensationseinrichtung auf Verschwinden des Galvanometerausschlags ein- gestellt), nur wurde an Stelle des Kontaktes zwischen 8 und MP, ein Öffnungs- kontakt des Pendels (als OeKyariabeı bezeichnet, weil seine Stellung im Verlaufe eines Versuches verändert wurde), an Stelle von S—MP, der Schließkontakt 8K gesetzt. Der zweite Öffnungskontakt (OeKtest) ist zwischen MP, und R gelegen. Der Vorgang 1 wurde durch Schließung des Schlüssels eine bis mehrere Sekunden vor dem Pendelfall mit der Hand vollzogen. Es wurde also ein „‚Differential‘‘ des Depolarisationsstromes (von der Schlie- Bung von SK bis zur Öffnung von OeKtest) in das Galvonometer geschickt. Seine zeitliche Länge blieb während jeder Versuchsreihe konstant (d.h. $SK und OeKftest wurden nicht verschoben) und betrug gewöhnlich Y/syoo oder 1/ı2000 Sekunden. Die Zeit, welche zwischen der Unterbrechung des Polarisationsstromes und der Ab- leitung verging, hing von der Stellung von OeK variabel ab, sie war Null, wenn dieser Kontakt gleichzeitig mit der Schließung von $SK betätigt wurde usf. Es war also nötig, die Schraubenstellungen zu finden, bei welchen die Kon- takte gleichzeitig in Tätigkeit gesetzt wurden. Die Nullpunktbestimmungen geschahen in folgender Weise: A) Ein Öffnungs- und ein Schließungskontakt gegeneinander (OeKtest und SK). Die beiden Kontakte wurden mit einem Akkumulator und einem Drehspulen- galvanometer (Siemens & Halske, 10 000 Ohm Widerstand) in Serie geschaltet. Erfolgt jetzt die Schließung von SK früher als die Öffnung von von OeK, so geht ein Stromstoß durch das Messinstrument und lenkt es ab (Pouilletsche Methode). Der Ausschlag verschwindet bei Gleichzeitigkeit beider Vorgänge. Nach dem Vorgange von @üldemeister und Weiss wurde parallel zum Galvanometer ein Kon- densator von 2 Mikrofarad gelest. Wie leicht einzusehen, nimmt dieser, sobald die Schließung auch nur ein wenig früher erfolgt als die Öffnung, eine beträchtliche Ladung auf, weil zwischen ihm und dem Element nur der geringe Widerstand der 1) M. Gildemeister und O. Weiss, Über die Fortpflanzungsgeschwindigskeit des Elektrotonus. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 94, 509. 1903; Dieselben, Über einen zuverlässigen Platinschließkontakt. Ann. d. Physik [4] 1%, 174. 1905; siehe dort auch die bei der Handhabung des Apparates zu beobachtenden Vorsichtsmaßregeln. — Eine Schraubenumdrehung bedeutete rund !/gyuo Sekunde. Über die sekundär-elektromotorischen Figenschaften der menschlichen Haut. 105 Leitungsdrähte liegt, und gibt sie nach der Öffnung an das Galvanometer ab, während er sich jenseits des Nullpunktes gar nicht mehr laden kann. Der Null- punkt ist auf diese Weise viel schärfer zu ermitteln. Ich begnügte mich damit, ihn auf !/,, Schraubenumdrehung — !/j5o000 Sekunde zu bestimmen. Wenn man jetzt $K auf dem Nullpunkt läßt und dagegen nach derselben Methode OeKvariabel bestimmt, so muß, wenn die Versuche ordnungsmäßig ver- laufen, OeKyariabel in demselben Augenblick geöffnet werden wie OeKtest. Zur Kontrolle, ob sich keine Versuchsfehler eingeschlichen hatten, verglich ich nun noch die beiden Öffnungskontakte unmittelbar nacheinander mit folgender von Herrn Prof. Gildemeister angegebenen Methode. B) Zwei Öffnungskontakte gegeneinander. Es wurde OeKtest mit der primären Spule eines Induktoriums ohne Kern und einem Akkumulator verbunden, OeKvyariabel mit der sekundären Spule und dem Galvanometer. Der Öffnungs- induktionsstrom fand also nur dann eine geschlossene Bahn, wenn OeKjest früher geöffnet wurde als OeKvyariabel-. Der letztere Kontakt wurde nun so lange ver- stellt, bis die Ausschläge eben verschwanden. Dann wurden die beiden Kontakte vertauscht und wieder auf verschwindende Ablenkungen eingestellt. Das Mittel zwischen den beiden so bestimmten Stellungen muß, wie leicht einzusehen, der gesuchte Nullpunkt sein. Diese Bestimmung stimmte sehr befriedigend mit der nach der Pouilletschen Methode überein. Bevor uns das Pendel zur Verfügung stand, improvisierten wir eine ähnliche Vorrichtung an einem senkrecht gestellten du Boisschen Federmyographium, das auch mit zwei Öffnungs- und einem Schließkontakt versehen war. Die Elektroden wurden den von Belouss!) benutzten nachgebildet: In 25 mm weiten Glasröhren waren Platten von 22 mm Durchmesser aus gut amalgamiertem Zink angebracht und mit Zinksulfatgelatine übergossen. Nach dem Erstarren wur- den sie in weitere Röhren (gewöhnlich 30 mm Durchmesser) eingesenkt, die mit Ringerscher Lösung von Zimmertemperatur gefüllt und unten mit Goldschläger- haut oder dünner Zellulosemembran verschlossen waren. Wie der Versuch S. 111 zeigt, waren sie so wenig polarisierbar, daß die von ihnen entwickelte elektro- motorische Gegenkraft gegen diejenige der Haut vernachlässigt werden kann. Ihr Widerstand betrug etwa 70 Ohm. Die menschliche Haut. Beugeseite des Unterarms und der Handfläche wurde zuerst mit Seife, Alkohol oder Aceton gewaschen, um die oberflächliche, eventuell als Dielektrikum wirkende schlechtleitende Fettschicht zu entfernen, dann gut abgetrocknet und zwischen den Berührungsstellen mit den Elektroden zur 1so- lation mit alkoholischer Schellacklösung bestrichen. Versuche. 1. Wiederholte Ladungen und Entladungen. Stimmgabel und rotierender Umschalter. Wie schon im vorigen Kapitel erwähnt, wurden die mit zimmer- warmer Ringerlösung gefüllten Elektroden auf die zu untersuchende Hautstelle mit mäßigem Druck aufgesetzt. Sobald dann die Stimmgabel in Gang gebracht und der Schlüssel Sch, geschlossen war, fand die ab- wechselnde Ladung und Entladung des Körpers statt und das Galvano- 1) A. Belouss, Untersuchungen über den Einfluß von Elektrolyten auf die elektrische Leitfähigkeit und die Polarisation der tierischen Haut. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 507. 1915. 106 ! E. David: meter, das durch einen passenden Nebenschluß so empfindlich gemacht worden war, wie es der Versuch gerade erforderte, schlug nach einer Richtung aus und zeigte dadurch an, daß aus dem Körper Elektrizität hineinströmte. Dann wurde der Schlüssel Sch, der Kompensations- einrichtung geschlossen und die kompensierende Spannung so ausprobiert, daß das Galvanometer wieder den. Nullpunkt erreichte. Diese Maßnahme dauerte etwa eine halbe Minute und deshalb wurde bei dieser Methode diejenige Spannung gemessen, die sich im Körper eine halbe Minute nach Versuchsbeginn ausgebildet hatte. Manchmal (s. das folgende Beispiel) wurde die Beobachtung noch eine oder mehrere Minuten fortgesetzt. Von den zahlreichen Versuchen will ich einen als typisch anführen: Versuch 12. 11. II. 1919. Stimmgabelmethode. Versuchsperson Schü. Rechter Unterarm, Beugeseite durch Abreibung mit Aceton entfettet. Elektrodenabstand Rand zu Rand 4 cm. Bolarısa Spann, 2247 2067287 21071 P EDEN VE SEE Gegenspann. d. Körp. (n. !/, Min. = Durchströmungs- > dauer) 1,11 2,88 4,00 4,40 4,40 4,00 3,50 2,70 2,64 2,60 2.10 1,86 1,10 Ebenso nach 1'/, Min. <4.00 3,50 2,70 Es zeigte sich hier wie in allen Fällen, daß die Gegenspannung; bei Vermehrung der polarisierenden Spannung bis zu einem gewissen Maximum ansteigt. Geht man von hohen polarisierenden Spannungen wieder zu niedrigeren zurück, so werden nicht die hohen Gegenspannun- gen erreicht wie auf dem Hinwege. Bei den Spannungen 10, 12 und 14 Volt sank die Gegenspannung hier (wie auch in allen sonstigen Fällen) bei langer Versuchsdauer (die Werte der zweiten Reihe sind kleiner als die entsprechenden der ersten). Hin und wieder wurden auch noch höhere Gegenspannungen erreicht als sie das eben angeführte Beispiel zeigt, z. B. in folgendem Versuch: Versuch 13: 14. II. 1919. Stimmgabelmethode. Versuchsperson Da. Hautstelle und Behandlungsart dieselbe wie im vorigen, Versuch. Polarisierende Spannung 2 4 6 8 10 12 14 Gegenspannung des Kör- pers nach !/, Minute Durchströmungsdauer 1,80 3,18 4,00 4,40 4,96 5,10 5,00 Das Maximum beträgt hier 5,10 Volt. In 2 Fällen wurde ohne erkennbare Veranlassung sehr niedrige Gegenspannungen beobachtet. Versuchsfehler waren nicht vorhanden, da kurz darauf eine andere Versuchsperson normale Werte zeigte. Beispiel: Versuch 7: 3. 11. 1919. Versuchsperson Da. Versuchs- anordnung wie vorige Versuche. Volt Über die sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der menschlichen Haut. 107 BplanisienendenSpannumss nr en 10 6 Gegenspannung des Körpers nach !/, Minute Durch- Volt SEROEIEIIIO Sa TIER ee 0,35 1,0 J Hier wird also bei 6 Volt nur 1 Volt erreicht, gegen 4 Volt in den vorigen, Beispielen. Wir vermuten, daß hier die Polarisation, wie beim psychogalvanischen Reflex, unter Nerveneinfluß herabgesetzt war!), vielleicht infolge einer Störung des Stoffwechsels. Einfluß der Durchströmungsdauer. Wie aus dem ersten Beispiel zu ersehen ist, ändert sich die Gegen- spannung mit der Durchströmungsdauer. Deshalb variierte ich diese absichtlich, indem ich den Schlüssel Sch, bei schwingender Stimmgabel entweder längere Zeit geschlossen hielt oder andererseits nur ganz kurze Zeit, auf weniger als 1 Minute, ja nur auf einige Sekunden, schloß. Beispiel für lange Durchströmungsdauer: Versuch 13: 14. II. 1919. Versuchsperson Da. Anordnung wie vorige Versuche. Polarisierende Spannung 14 Volt. Durchströmungsdauer, Minuten .... % 5l, Ti ) 1) Gegenspannung, Volt . ....... 5,00, 72,60 721187 >>2,182) 71,90 Ein anderer Versuch: Versuch 6: 31. I. 1919. Versuchsperson Schü. Bedingungen wie oben. Gegenspannungen nach einer Durchströmungs- dauersvonsMinuten. . . 2» 2.2... ..2. ie 1 2 3 4 bei einer angelegten Spannung von 2 Volt . 1,10 1,08 1,04 0,96 0,88 » » > >» Ar 37380896 Ss » > » > ee NOREEETTenes Man sah in allen Fällen, daß die Gegenspannung von der zweiten halben Minute an allmählich sinkt. Bei sehr kurzem Schluß gestalten sich die Verhältnisse folgender- maßen: Beträgt die polarisierende Spannung nur 2—4 Volt, so braucht die Gegenspannung mehrere Sekunden, um sich voll zu entwickeln. Beispiel: Versuch 14: 15.11. 1919. Versuchsperson Da. 2 Volt. Schließungsdauer !/, Sekunde), Gegenspannung 1,42 Volt; Schließungs- dauer 10 Sekunden, Gegenspannung 1,65 Volt. 1) M. Gildemeister, Der sog. psychogalvanische Reflex und seine physikalisch- chemische Deutung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 16%, 489. 1915. 2) Strom gewendet. 3) Hier wurde die mutmaßliche kompensierende Spannung schon vor Versuchs- beginn eingeschaltet und es wurde festgestellt, ob bei Schließung des Schlüssels (bei schwingender Stimmgabel) das Galvanometer nach rechts oder nach links ausschlug. Durch einige derartige Vorversuche wurde diejenige Komponsations- spannung gefunden, bei der das Galvanometer in Ruhe blieb. 108 E. David: Bei hohen Spannungen dagegen ergibt der ganz kurze Schluß höhere Werte als derjenige, der einige Sekunden andauert. Die volle Gegen- spannung entwickelt sich dann rasch, bleibt aber, wie schon erwähnt, nur kurze Zeit auf der Höhe. Die bisher besprochenen Versuche beziehen sich alle auf die Haut des Unterarms. Die Haut der Handfläche ergab verhältnismäßig niedrigere Werte, und die Entwicklung der Gegenspannung konnte “ auch bei 14 Volt noch im Verlaufe der ersten Sekunde messend verfolgt werden. Beispiel: Versuch 16: 15. II. 1919. Stimmgabelmethode. Versuchs- person Da. Rechter Daumenballen und Mitte des Handtellers, Methode sonst wie oben beschrieben. Bolarısierenden Spannung eo ae Gegenspannung (kurzer Schluß) (etwa 1”) . . .... 0,50 2,86 Volt Gegenspannung (längerer Schluß) ( ,, I er 078 4,14 In einem Falle haben wir auch an dieser Körperstelle bei 2 Volt nur 0,14—0,19, bei 14 Volt 0,94—1,20 Volt Gegenspannung gefunden, ohne den Grund ermitteln zu können (Versuch 15: 15. II. 1919. Versuchs- person Schü.). Einfluß der Temperatur. Nach den Versuchen von Boll und Hermann!) nimmt die Polarisier- barkeit des Muskels und der Nerven mit der Kälte zu und mit der Wärme ab. Ich habe deshalb vermutet, daß auch die menschliche Haut dasselbe Verhalten, zeigt, und diese Erwartung hat sich bestätigt. Versuch 17: 17. 11. 1919. Stimmgabelmethode. Versuchsperson Da. Beugeseite linker Unterarm. Vorbehandlung wie gewöhnlich. Polarisierende Spannung 2 Volt. Elektrodenflüssigkeit zimmerwarm, Gegenspannung . ..... 1,64 Volt = 4° LER Re us: es 32,5° EEE REN 2 ANA 140 „ B. Einzelne Ladungen und Entiadungen (Pendel). Wie im vorigen Kapitel erwähnt, schwingt die Stimmgabel 50 mal in der Sekunde. Während jeder Periode machte das an ihr befestigte feine Drähtchen zuerst Kontakt an einem Metallblech, dann schwang es frei, machte wieder Kontakt auf der anderen Seite und schwang wieder 1) F. Boll, Über den Einfluß der Temperatur auf den Leitungswiderstand und die Polarisation tierischer Teile. Med. Diss. Königsberg 1887. — L. Hermann, Untersuchungen über die Polarisation der Muskeln und Nerven. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 42, 1. 1887. Über die sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der menschlichen Haut. 109 frei. Nehmen wir an, was wohl einigermaßen der Wirklichkeit ent- sprechen wird, daß die 4 Phasen etwa gleich lange dauern, so vergeht zwischen Abtrennung des Körpers von den Elementen und Verbin- dungen mit dem Galvanometer !/,,, Sekunde. In dieser Zeit kann schon viel von. der aufgespeicherten Elektrizität verloren gegangen sein. Mit dem Helmholtzschen Pendel ist es leicht möglich, die schädliche Zwischenzeit (Zerstreuungszeit) auf Y/jogoo Dekunde und weniger zu verkürzen. Man hat deswegen bei Benutzung dieses Apparates bedeu- tend höhere Gegenspannungen zu erwarten. Die Versuche bestätigen auch diese Erwartung!). ‚ Beispiel I: Versuch 22: 8. VII. 1919. Versuchsperson Schü. Beuge- seite des rechten Unterarms. Sonstige Anordnung wie gewöhnlich. Strom hier wie gewöhnlich 2—3 Sekunden vor Pendelfall geschlossen. lnEsrisierendenSpannung au. ste ln ae ehe ai 10 Volt Ppleiiumsszeib2), zum Galy.: 0... 0. nn. leooo, Dek- DÄERSITENUNGSZEIL. . 2 clean ae BR) a ANNE RE 9000 sooo, Dek- Een paamunegoetundene rer 95 9,4 Volt Allgemein ergab sich immer, daß die Gegenspannung desto mehr der polarisierenden glich, je kürzer die Zerstreuungs- und die Ableitungszeit war. Beispiel II: Versuch 20—21. 8. VII. 1919. Versuchsperson Sa. Beugeseite des rechten Unterarms. Polarisierende Spannung . . ... 2 2 4 4 Volt Aplertumeoszeib) 2.12 2..!. Hl. sem ann ae See erstreuumneoszeit,‘, 4 - na... . 0 % Gegenspannung gefunden . ... . 2,0 1,96 > 3,80 3,80 Volt Mit der Stimmgabelmethode bei 2 Volt gefunden 1,32 Volt. Man sieht aus diesem Versuch, welche Unterschiede zwischen den Ergebnissen der Pendel- und der Stimmgabelmethode bestehen, und daß tatsächlich bei der letzteren ein Teil der Gegenspannung nicht in die Erscheinung tritt. Noch besser erhellt dies aus dem folgenden Versuch, der auch die Abhängigkeit der festgestellten Gegenspannung von Zerstreuungs- und Ableitungszeit zeigt. Es ist deutlich zu sehen, daß die Gegenspannung bei relativ langer Zerstreuungszeit (Umschaltermethode, etwa !/,,, Dek.) viel kleiner ist als bei kurzer (Pendel); daß sie bei niederen Spannungen (2 Volt) in den ersten 10 Sekunden wächst, bei mittleren (6 Volt) ziemlich konstant bleibt, bei höheren (10 Volt) abnimmt. I) Um die Empfindlichkeit des Galvanometers zu steigern, wurde der Vor- schaltwiderstand von 9700 Ohm entfernt. 2) D. h. diejenige Zeit, die der Strom durch das Galvanometer floß. 110 E. David: Beispiel III: Versuch 31. 17. VII. 1919. Versuchsperson Sa. Beuge- seite des rechten Unterarms. Polarisier. | Zerstreuungs- Ableitungs- Gefundene Spannung zeit zeit Gegenspannung Volt Sek. Sek. Volt 2 1,48 1/2” Stromschluß u 2 1,64 AR = 2 1,54 27 3 3 6 3,50 la » = 6 3,40 10” », = 6 2,90 112 5 = 10 3,48 11,7 5 = 10 2,40 10” 5 = 2 1,02. u s 3 2 1,02 10” 9 [a2] 2 0 1/6000 > 1,3 2 1/8000 » ; > 1,8 2 26000 >” ca. 1,8 2 ®/g000 > » 1,7 © 2 °/g000 » » 1,6 = 2 0 a „be E 2° °/ 000 > » 1,6 2 6000 > >’ 1,5 10 99 E} 8,0 10 8 /g000 „ 5,7 C. Kontrollversuche. Man könnte den Verdacht haben, daß es sich in allen den zitierten Versuchen gar nicht um Polarisation des Körpers handelt, sondern daß vielleicht das Metall der Elektroden sich polarisiert hätte oder daß sich die Elektroden plus den angrenzenden Teilen des Körpers wie Konden- satoren mit Elektrizität geladen hätten. Es wurde deshalb ein Modell des Menschen aufgebaut. 2 runde Glasgefäße von etwa 2 Liter Inhalt wurden mit NaCl-Lösung gefüllt und durch eine U-Röhre miteinander verbunden. Widerstand etwa 3200 Ohm, also von der Größenordnung des mit einem Induktorium zu messenden Wechselstromwiderstandes des Körpers unter unseren Ver- suchsbedingungen. Da hinein wurden die benutzten Elektroden getaucht. Dieses Modell wurde sowohl nach der Stimmgabelmethode als nach der Pendelmethode untersucht. Dabei ergaben sich folgende Werte: IBolanısierende)Spannunege DE ee 2 10 Volt Gegenspannung (Elektroden in einer Richtung) . . 0,002 0,016 ” Gegenspannung (Elektroden in der anderen Richtung) 0,0068 0,014 . „ Weitere Kontrollversuche zeigen, daß diese Spannungen nicht von den Elektroden herrühren, deren Metall sich vielleicht polarisiert haben könnte, denn, selbst bei der ungünstigen Versuchsanordnung, wie sie Über die sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der Haut. 111 der folgende Versuch zeigt (Widerstand nur ganz gering, also Strom viel größer als in Wirklichkeit), erhalten wir nur wenig Polarisation: Versuch 10: 10.11. 1919. Die Elektroden tauchen in eine photo- graphische Schale (7 : 10 cm), etwa 2 cm hoch mit Ringerlösung gefüllt, Rand zu Rand 2cm. Polarisation der Elektroden bei 2 Volt im Mittel 0,04—0,05 Volt. Bei den geringen Strömen dagegen, wie sie tatsächlich benutzt werden, hat die Polarisation der Elektroden, nach der Pendel- und der Stimmgabelmethode untersucht, wie der nächste Versuch zeigt, noch weit geringere Werte. Versuch 30: 16. VII. 1919. Polarisation der Elektroden mit Zwischen- schaltung von etwa 3200 Ohm bei 2 Volt im Mittel = 0,005 Volt, bei 10 Volt im Mittel = 0,015 Volt. Mitden letzten Versuchsreihen ist bewiesen, daß der eben geäußerteVer- dacht abzulehnen ist und daß wir tatsächlich Eigenschaften des Körpers untersucht haben. _ Zusammenfassung. Es wurde die lebende Haut des Menschen (Unterarm und Handflächen) auf ihre Fähigkeit hin untersucht, zugeführte Elektrizität aufzuspeichern. Dazu wurde sie mittels unpolarisierbarer Elektroden und zimmerwarmer Ringerlösung miteiner Stromquelle von 2-14 Volt verbunden, !/, Sekunde bis mehrere Minuten mit ihr in Verbindung gelassen, und dann nach einer kurzen Zeitspanne (Zerstreuungszeit) für eine gleichfalls kurze Zeitdauer (Ableitungszeit) mit einem Galvanometer verbunden, vor das eine Strom- quelle variabler Spannung geschaltet war. Die letztere wurde so abge- glichen, daß kein Ausschlag erfolgte (Spannungsmessung durch Kompen- sation). Diese Versuche wurden teils einmalig gemacht (Helmholtz sches Pendel), teils repetierend (Stimmgabel- und rotierender Unterbrecher). Nach einer Zerstreuungszeit von O0 bis !/soooßd? Sekunde wurden von der angelegten Spannung von 2 Volt über 90%, von 10 Volt 80% wiedergefunden, wenn der Strom durch den Körper nur einige Sekunden gedauert hatte. Die gefundene Spannung ist als Polarisationsspannung anzusehen; weder die Elektroden für sich, noch ein aus Elektroden und Flüssigkeitsgefäßen vergleichbaren Widerstandes aufgebautes Modell zeigen merkliche Beträge. Die Spannung wird geringer gefunden, wenn seit der Abtrennung von der Stromquelle einige Zeit verflossen ist; nach !/;y09n Sek. Verminderung um 20—30%. Die Polarisationsspannung des Körpers ist mit großer Wahrschein- lichkeit der Haut zuzuschreiben; sie nimmt mit der Dauer des Strom- schlusses zuerst zu, und zwar bei niederen Spannungen minutenlang, um dann konstant zu bleiben, bei hohen nur sehr kurze Zeit (<1 Sek.), um dann wieder zu fallen. Sie zeigt also denselben Gang, den Gildemeister aus Widerstandsveränderungen errechnet hatte. Zur Theorie der sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der menschlichen Haut. Nachschrift zu der Arbeit des Herrn E. David, dieses Archiv Bd. 195, S. 101. Von Martin Gildemeister. (Aus der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts der Universität Berlin.) . (Eingegangen am 4. März 1922.) Im Jahre 1883 begann E. du Bois- Reymond seine Mitteilung ‚‚Über die sekundär-elektromotorischen Erscheinungen an Muskeln, Nerven und elektrischen Organen‘) mit den Worten: ‚Ich halte die Zeit für gekommen, das Schweigen zu brechen, welches ich bisher über gewisse tierisch-elektrische Versuche beobachtete, mit denen ich- seit bald 40 Jahren beschäftigt bin, und denen ich große Wichtigkeit beilege“. Er führt dann weiter aus, daß es 3 Klassen von elektromotorischen Erscheinungen der Muskeln und Nerven gebe. Die einen ‚werden im Zustande der Ruhe oder der Tätigkeit ohne Mitwirkung eines fremden Stromes wahrgenommen.“ Das ist nach der jetzigen Ausdrucksweise _ der Verletzungs- und der Tätigkeitsstrom. Die zweite Klasse umfaßt „die extrapolar auftretenden Elektrotonusströme der Nerven, zu welchen der Muskel und das elektrische Organ kein sicheres Gegenstück bilden.‘ Zu der dritten Klasse gehören die sekundär-elektromotorischen Er- scheinungen. Das sind ‚‚elektromotorische Erscheinungen, welche ein fremder Strom in der durchflossenen Strecke selber erzeugt, und die daher meist nur erkannt werden, sofern sie den fremden Strom über- dauern ... Die sekundär-elektromotorischen Erscheinungen stellen sich zunächst unter dem Bilde von Polarisationsströmen dar“ 2). Nach der Entwicklung, die die Physiologie genommen hat, kann man der von du Bois-Reymond in den Einleitungsworten ausgesprochenen Ansicht von der großen Bedeutung des besagten Forschungsgebietes nur beipflichten. Es sei erinnert an die Kernleitertheorie, welche die Fort- leitung der Erregung im Nerven als durch die Polarisation bedingt 1) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1884, S. 1. 2) In neuerer Zeit wird die echte Polarisation manchmal nicht zu den se- kundär-elektromotorischen Erscheinungen gerechnet. Wir fassen hier den Be- griff so weit, wie es HE. du Bois-Reymond getan hat. M. Gildemeister: Sekundär-elektromotorische Eigenschaften d. menschl. Haut. 113 auffaßt und so die sekundär-elektromotorischen Erscheinungen in unmittelbare Beziehung zu einem Grundproblem der Physiologie bringt!). Weiter an die von Nernst?), Boruttau?), Bernstein*), Lapicque°), Bethe®) u. a. betonten mutmaßlichen Zusammenhänge zwischen Membran- polarisation und Erregung. Schließlich sei hingewiesen auf die neueren Untersuchungen von @üldemeister und Mitarbeitern über die Abhängis- keit der Hautpolarisation vom Nervensystem”), von der Narkose und von der Art der angrenzenden Elektrolyten®), Untersuchungen, die ein neues Licht auf die Frage der halbdurchlässigen Membranen zu. werfen versprechen. Am gründlichsten ist mit Rücksicht auf die Kernleitertheorie die Polarisation des Nerven untersucht worden. Jedoch klafft hier immer noch eine Lücke, auf die besonders M. Cremer in seinem Handbuchartikel hingewiesen hat: die von der Theorie geforderten großen Polarisations- beträge des Nerven konnten bisher nicht unmittelbar nachgewiesen, 1) Die ausgedehnte Literatur dieses Gebietes ist kritisch zusammengefaßt in den Artikeln von L. Hermann in Hermanns Handbuch der Physiologie, Bd. I, S. 88; Bd. II, S. 165. W. Biedermann, Elektrophysiologie, S. 376. 1896. M. C’remer, in Nagels Handbuch der Physiologie, Bd. IV, S. 911. 1909. Aus der letzten Zeit seien angeführt die Arbeiten von R. Lillie, The conditions determining the conduction in irritable tissues especially in Nerve. Amer. Journ. of physiol. 34, 414. 1914; 37, 348. 1915; 41, 126. 1916. — Ph. Broemser, Nervenleitungsgeschwindigkeit und osmotischer Druck. Ronas Ber. über d. ges. Physiol. 2, 165. 1920. Zeitschr. f. Biol. %2, 37. 1920. — M. Cremer, Diskussionsbemerkung zum vorerwähnten Broemserschen Vortrag. Ronas Ber. über d. ges. Physiol. 2, 166. 1920. Derselbe, Über die Berechnung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Nerven auf Grund der Stromtheorie der Erregunssleitung. Cremers Beitr. z. Physiol. 2, H.1. 1922. ?2) W. Nernst, Zur Theorie des elektrischen Reizes. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 122, 275. 1908. Vorher schon kurz dargestellt Gött. Nachr. Mathem. physik. Klasse 1899, H. 1. ; ®) H. Boruttau, Die Theorie der Nervenleitung. Vorl. Mitt. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. %6, 626. 1899. Derselbe, Die Aktionsströme und die Theorie der Nervenleitung. II. Die Kernleitertheorie. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 90, 233. 1902. 2) J. Bernstein, Elektrobiologie. Kap. 7. Braunschweig 1912. >) L. Lapieque, Recherches quantitatives sur l’exeitation &lectrique des nerfs traitee comme une polarisation (deuxieme me&moire). Journ. de physiol. et de pathol. gen. 1907, S. 565. 6) A. Bethe, Capillarchemische (capillarelektrische) Vorgänge als Grundlage einer allgemeinen Erregungstheorie. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 163, 147. 1916. ?) M. Gildemeister, Der sog. psychogalvanische Reflex und seine physikalisch- chemische Deutung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 16%, 489. 1915. 8) M. Güldemeister, Elektrische Messung der Permeabilität. Chemische Be- einflussung der Zellpermeabilität. (Hamburger Physiologentagung, Mai 1920.) Ronas Ber. über d. ges. Physiol. 2, H.2. . A. Belouss, Untersuchungen über den Einfluß von Elektrolyten auf die elektrische Leitfähigkeit und die Polarisation der tierischen Haut. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 507. 1915. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 8 114 3 M. Gildemeister: Zur Theorie werden. Nach der ‚Wippenmethode‘‘, wobei das Organ zuerst mit einer Stromquelle verbunden, dann von ihr getrennt und zu einem elektrischen Meßinstrument abgeleitet wird, sind höchstens einige Prozent der an- gelegten Spannung abgefangen worden. Es mußte also als fraglich gelten, ob in der Elektrophysiologie die Polarisation wirklich die große Rolle spiele, die ihr die erwähnten Theorien beimessen. Nun habe ich, wie oben schon erwähnt, mit mehreren Mitarbeitern ein besonders geeignetes Organ, nämlich die Haut des Frosches, einiger Säuge- tiere (Hund, Kaninchen, Meerschweinchen) und des Menschen elektrisch untersucht und sie stark polarisierbar gefunden). Darüber gab es nur wenige Vorarbeiten. Peltier hatte mit der Wippenmethode festgestellt, daß der von der Haut bedeckte gesamte Froschkörper sich polarisiere; du Bois- Reymond bestätigte das (s. Cremer a. a. O.). In der späteren Literatur findet sich hier und da die Vermutung, daß bei den auffälligen Widerstandsschwankungen des menschlichen Körpers die Polarisation beteiligt sei; ihr Einfluß in dieser Beziehung wurde aber immer sehr gering eingeschätzt, und zwar aus dem Grunde, weil nach der Unter- brechung des polarisierenden Stromes so wenig nachzuweisen war. So findet C'hanoz?) in der Polarisationsspannung nur etwa 2%, der angelegten wieder, und Wertheim-Salomonson?) stellt durch ein indirektes, nicht ganz einwandfreies Verfahren 0,214 Volt fest, während ein Strom von 1,995 Volt durch den Körper fließt. Diesen Befunden und Schlüssen gegenüber kamen wir zu der Auf- fassung, daß die Gegenkraft der Polarisation der Haut bei niedrigen Spannungen leicht 90% der äußeren überschreiten kann, so daß der bekanntlich beim Menschen anscheinend sehr hohe Gleichstromwider- stand nur ein scheinbarer ist. Diese hohe Polarisierbarkeit der mensch- lichen Haut — und wie es sich in der letzten Zeit gezeigt hat, auch die 1) H. Galler, Über den elektrischen Leitungswiderstand des tierischen Kör- pers. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 156. 1912. M. Gildemeister, Über die im tierischen Körper bei elektrischer "Dorche strömung entstehenden Gegenkräfte. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 389. 1912. — Derselbe, Über elektrischen Widerstand, Koran und Polarisation der Haut. I. Versuche an der Froschhaut. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%6, 84. 1919. — Derselbe, Der menschliche Körper als Leiter der Elektrizität. Elektro- techn. Zeitschr. 1919, H. 38. — Derselbe, Über die elektrischen Eigenschaften der Säugerhaut. (Nach Versuchen der Tierärzte Herren Dr. K. Kaselow und Dr. K. Gebhardt.) Pflügers Arch. f.d. ges. Physiol. 194, 323. 1922. — M. Gildemeister und R. Kaufhold, Über das elektrische Leitungsvermögen der überlebenden menschlichen Haut. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%9, 154. 1920. 2) O'hanoz, Sur la polarisation de l’homme vivant, soumis & l’action du courant continu (intensite et dissipation). Cpt. rend. hebdom. des seances de l’acad. des sciences 14%, 846. 1908. ®) Wertheim-Salomonson, Mesure de la resistance electrique du corps. Ann. d’electrobiol. et de radiol. 10, 847. 1907. der sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der menschlichen Haut. 115 der warmblütigen Laboratoriumstiere, die sehr viel höher ist als man für den Nerven vorauszusetzen braucht — würde die besagte Lücke teilweise schließen; ist erst an einem Organ hohe Polarisierbarkeit streng nachgewiesen, so besteht keine Schwierigkeit, sie grundsätzlich auch für andere Organe anzunehmen. Aber wir waren zu unseren Schlüssen nur auf indirektem Wege gelangt, indem wir Gleich- und Wechselstromwiderstand miteinander verglichen, und wir waren den strengeren Beweis durch Abfangen. des Polarisationsstromes noch schuldig geblieben. Diese Lücke hat nun Herr David geschlossen). Es hat sich gezeigt, daß sich die hypothetischen hohen Gegenspannungen abfangen lassen, wenn man nur die Zeitspanne zwischen Abtrennung von der Strom- quelle und Anlegung an das Meßinstrument genügend klein macht. David hat die ‚„Zerstreuungszeit“ durch die Verwendung eines Helmholtzschen Pendels bis auf etwa 1/,sooop? Sekunde herabsetzen können (in seinen Versuchen kurz als Zeit Null bezeichnet). Dann fand er in vielen Fällen mehr als 90% der polarisierenden Spannung wieder, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß die Polarisationsspannung ja während der Ableitungszeit zum Galvanometer herabgeht, so daß man als Mittelwert immer weniger finden muß als an ihrem Anfangs da- gewesen ist. Zwischen den jetzigen direkten Befunden und den früheren errech- neten Beträgen besteht auch sonst weitgehende Übereinstimmung. Aus der Anfangszacke, die man sieht, wenn man einen konstanten Strom einschaltet, hatte ich?) geschlossen, daß die Polarisation zum Entstehen merkliche Zeit braucht; aus der scheinbaren Zunahme des Stromes bei längerer Durchleitung beträchtlicher Intensitäten, daß sie unter diesen Umständen nach einiger Zeit wieder zu sinken beginnt). Genau dasselbe fand sich bei David an den abgefangenen Spannungen wieder. Es sei hier verwiesen auf die Mitteilungen S. 110 (Entwicklung der Gegenspannung in den ersten Sekunden), S. 106, Versuch 12 und S. 106—107 (Verhalten der Gegenspannung bei längerer Stromdauer). In dieser Hinsicht bemerkenswert ist der Versuch 13, von dem S$. 106 nur ein Auszug gegeben ist, weshalb er hier ausführlicher mitgeteilt werden mag: 14. 11. 1919. Versuchsperson Da. Linker Arm Beugeseite, unpolari- sierbare Elektroden von 7,1gqcm Querschnitt mit zimmerwarmer 1) Die Ergebnisse seiner Arbeit sind schon kurz im IV. Kapitel der S. 114, Anm. 1 an vierter Stelle zitierten Arbeit mitgeteilt. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 146, 89. 1919. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 395. 1912. — Kürzlich hat J. Strohl, anscheinend ohne die Vorarbeiten zu kennen, dieselben Befunde gemacht. (Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. 85, 125 u. 948. 1921.) 8* 116 M. Gildemeister: Zur Theorie Ringerlösung gefüllt. Repetierende Stimmgabelmethode, Frequenz 50/Sek., also Zerstreuungs- und Ableitungszeit schätzungsweise etwa je Y/aoo Sek. lang. Gefundene Gegen- spannung nach je Angelegte 1/, Min. Durch- Spannung strömung Volt Volt 2 1,80 nach 1!/, Min. 1,76 Volt 4 3,18 6 4,00 wird bald etwas kleiner 8 4,40 wird rasch kleiner 10 4,96 wird rasch kleiner 12 5,10 wird rasch kleiner i4 5,00 sinkt innerhalb 5 Min. ziemlich schnell auf 2,60 Volt, dann weiter langsam; nach 7 Min. 2,18 Volt. Nun wird (bei 14 Volt polarisierender Spannung) der Strom in den Elektroden gewendet. Gefundene Spannung zuerst > 2,18 Volt, dann schnell 1,70 Volt, bleibt ziemlich stationär. Nach 15 Min. wieder ge- wendet. Zuerst etwa 2 Volt, dann schnell auf 1,90 Volt, bleibt stationär. Zuletzt wieder erste Richtung, 2 Volt angelegt. Gefunden zuerst 0,82 Volt, steigt langsam auf 0,90 Volt. Man findet hier alle Schwankungen der Gegenspannung wieder, die bisher nur mittelbar aus den Widerstandsschwankungen erschlossen waren!); auch die Depression für geringe Spannungen nach vorheriger Anwendung größerer (Hysterese) und die nachfolgende Erholung ist hier angedeutet (in der letzten Zeile). Ich möchte auch auf den nach der Meinung der Kliniker widerstandsvermindernden, nach meiner Auffassung polarisationsstörenden Einfluß wiederholter Strom- wendungen hinweisen. Nun fragt es sich, ob mit diesen Versuchen das Bestehen von Polari- sationsspannungen des angegebenen Betrages erwiesen ist. Aus ihrer Größenordnung geht hervor, daß es sich nicht um Aktionsströme oder Wallers Flammströme?) handeln kann; überdies waren die Spannungen immer so niedrig, daß keine sensible oder motorische Reizung eintrat, woraus der Schluß zu ziehen ist, daß auch die trägeren Gebilde (Epithel-, Drüsen- und Gefäßzellen, glatte Muskeln) ungereizt geblieben sind. Es bleibt nur die Möglichkeit übrig, daß es sich um gewöhnliche elektrostatische Kapazität gehandelt hat, etwa in der Weise, daß die Elektroden die beiden Belege, der zwischengeschaltete Körperteil das Dielektrikum eines Kondensators gebildet hat. Gegen diese naheliegende Auffassung sprechen erstens die negativ ausgefallenen Kontrollversuche 1) Siehe die Einleitung zur Davidschen Arbeit. 2) A. D. Waller, Die Kennzeichen des Lebens vom Standpunkte elektrischer Untersuchung. Kap. IIIff. Berlin 1905. der sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der menschlichen Haut. 117 (Aufbau eines Modelles des Körpers aus Elektroden und Flüssigkeit, S. 110) und zweitens quantitative Beziehungen. Das kann durch folgende Rechnung nachgewiesen werden: Berechnung der Kapazität des hypothetischen Kondensators aus der Entladungszeit. Wenn ein Kondensator von der Kapazität C Farad mit der Anfangsladung E, sich über einen Widerstand von W Ohm entladet, so fällt seine Ladung E nach dem Gesetz E —= RB, - e-!!CW (e = 2,718.. .,t Zeit in Sek.). Daraus folgt OW = —0,4343 t/log (E/E,)- Nun läßt sich aus einigen Versuchen der Davidschen Arbeit der Wert E/E, annähernd entnehmen, z. B. aus Versuch 20/21 S. 109 und aus Versuch 31, S.110. Legen wir den letzteren unserer Berechnung zugrunde (der andere ergibt Werte gleicher Größenordnung), so beträgt (vorletzte und letzte Zeile der Tabelle S. 110) die Polarisationsspannung nach einer Zerstreuungszeit von 0 Sek. 8,0 Volt, nach !/5goo Sek. 5,7 Volt. Daraus folgt E/E, = 5,7/8,0 = 0,71, und auf Grund der eben ent- wickelten Gleichung CW = 1,46 - 10°? Farad. Ohm. Nun muß man für den Entladungswiderstand W einen plausiblen Wert annehmen. Der Kreis, durch den die Ladung erfolgt ist, kommt nicht in Betracht, weil er während der Zerstreuungszeit ja nicht geschlossen. ist, sondern nur die inneren Nebenschlüsse. Diese können nicht gute Leiter sein, weil ja durch den Körper nur schwer Gleichstrom hindurchzutreiben ist (der Gleich- stromwiderstand für niedere Spannung unter den Davidschen Versuchs- bedingungen beträgt 10 000—20 000 Ohm); wir werden deshalb mit einiger Wahrscheinlichkeit die Nebenschlüsse mit 10 000 Ohm in Ansatz bringen können. Nimmt man, diesen Wert an, so erhält man für die Kapazität des hypothetischen Kondensators 0,146 - 10% Farad — 0,146 Mikrofarad, einen Wert, der um so wahrscheinlicher ist, als er in der Größenordnung mit demjenigen übereinstimmt, den man bei einer anderen, die Kenntnis des Entladungswiderstandes nicht erfor- dernden, Methode erhält!). Berechnung der Dicke des Dielektrikums aus der Kapazität. Die Elektroden hatten 7,1 gem Querschnitt. Die Kapazität eines Platten- kondensators ist, wenn man. von den Randeinflüssen absieht, gleich der Dielektrizitätskonstanten D x Fläche F, dividiert durch 4 z mal den Plattenabstand a. Rechnet man Fläche und Abstand im Zentimetermaß, somuß man, um auch (in demselben Maße zu erhalten, die Mikro- farad mit 900 000 multiplizieren. Das ergibt in unserem Fall: « — De el 4 7. 900.000 - 0,146 !) Siehe z. B. den Versuch im Kap. IV der S. 115, Anm. 1 zitier- ten Arbeit. Dort wurde eine kleine und eine große Elektrode verwendet, weshalb im wesentlichen nur die Kapazität einer Hautschicht zur Geltung kommt. cm, also einen Wert, der sicher weit unter 1 u liegt. 118 M. Gildemeister: Zur Theorie Die ganze zwischen den Elektroden gelegene mehrere Zentimeter dicke Gewebsschicht kann also nicht als Dielektrikum aufgefaßt wer- den. Dagegen könnten wir annehmen, daß irgendwelche andere dün- nen Schichten, beispielsweise die Zellmembranen, wie die Zwischen- lage eines Kondensators wirken, und es ist von Interesse, unter dieser Voraussetzung ihre Dicke zu berechnen. Der Strom durchsetzt auf seinem Wege von einer Elektrode zur anderen zuerst die Hornschicht, ohne lebende Zellen, dann das Stratum germinativum mit nach Sobotta!) 10—12Zellagen, dann im wesentlichen Bindegewebe, Gefäße und Muskeln. Die hohe Polarisierbarkeit werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit den tätigsten Zellen, dem Stratum germinativum, zuschreiben können. Nehmen wir dafür im Mittel 15 Zellagen an und berücksichtigen, daß im ganzen die doppelte An- zahl zu durchströmen ist und von jeder Zelle 2 Oberflächen, so kommen 60 Schichten heraus. Für die hypothetische Schichtdicke erhalten wir dann !/,, des zuletzt errechneten Betrages, gleich 0,71 - D- 10-7 cm. Hält man die dielektrische Schicht für lipoid, so wird man für D etwa 5 einsetzen; hält man sie für wässerig, so wäre D — 80. Im ersten Fall ist dann die Dicke 3,5 - 10-” cm, im zweiten 57.10 °”cem. Beide Werte sind für abgegrenzte isolierende Schichten im üblichen Sinne recht unwahrscheinlich, der erste wegen seiner Kleinheit, die an mole- kulare Dimensionen heranreicht oder sie gar unterschreitet, da ja die Lipoide sehr große Moleküle haben, der zweite deswegen, weil man sich schwer vorstellen kann, wie dünne elektrolythaltige Schichten überhaupt auch nur einigermaßen isolieren können. Die ganze Schwierigkeit schwindet, sobald man die Theorie der metallischen Polarisation von F. Krüger?) (aus dem Nernstschen Laboratorium in Göttingen) auf die mit nur teilweise durchlässigen Membranen ausgestatteten Körperzellen überträgt, etwa in folgender Weise: Überall wo an einer Phasengrenze Potentialsprünge vorhanden sind, gibt es auch elektrische Doppelschichten. Die Vorbedingungen dazu sind an den Zellgrenzen gegeben, gleichgültig ob man sich ihre Mem- branen nach dem Schema des zweiten Lösungsmittels aufgebaut denkt?) 1) J. Sobotta, Histologie. München 1911, S. 201. (Lehmanns med. Atlanten, Bd. IX.) 2) F. Krüger, Über Polarisationskapazität. Inaug.-Diss. Phil. Fak. Göttingen 1903. — F. Krüger, Theorie der Polarisationskapazität. Nachr. d. Gött. Akad. d. Wiss., Math. phys. Kl. 1903, H. 2; Zeitschr. f. physik. Chem. 45, 1. 1903. 3) W. Nernst, a.a. ©. Siehe auch M. Cremer, Über die Ursache der elektro- motorischen Eigenschaften der Gewebe, zugleich ein Beitrag zur Lehre von den polyphasischen Rlektrolytketten. Zeitschr. f. Biol. 47, 1. 1905. — F. Haber und J. Klemensiewiez, Über elektrische Phasengrenzkräfte, Zeitschr. f. physikal. Chem. 67, 385. 1909. der sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der menschlichen Haut. 119 oder nach dem von Bethe!) verteidigten (Membran porös und geladen). Legt man jetzt an den Körper eine Spannung an, so laden sich erstens diese Doppelschichten, zweitens entstehen an ihnen Konzentrations- änderungen der angrenzenden Elektrolyte [Nernst und Riesenfeld?), Bethe] und der H-Ionen (Bethe) und damit Konzentrationsketten. Wird die Spannung wieder entfernt, so müssen beide Vorgänge wieder zurück- gehen; die Doppelschichten entladen sich rasch, die Konzentrations- änderungen gleichen sich auch zu einem Teile rasch aus, andernteils aber kommt etwas Neues hinzu. Nach den Arbeiten von Beutner?) wird man erwarten, daß beilänger bestehender .Konzentrationsänderung ein Teil der an die zweite Phase herangetriebenen Elektrolyte tief in sie hineindiffundiert und nur schwer wieder ausihr zu entfernen ist. Beutner hat gezeigt, daß manche Lösungs- mittel sich durch Ausschütteln nur sehr schwer wieder vom eingedrun- genen Elektrolyten befreien lassen. Für das Bethesche Schema dürften die gleichen Überlegungen gelten. Aus dieser Auffassung wird verständlich, warum sich nach langer Durchströmung des menschlichen Körpers noch stundenlang merkliche Spannungsdifferenzen der Stromzuführungsstellen nachweisen lassen. Chanoz*) führt folgendes Protokoll an. Es herrscht nach der Zeit 25” 5° 10’ 51’ noch die Potentialdifferenz 0,751 0,571 0,466 0,202 Volt Eine elektrische Doppelschicht verliert, wie gesagt, eine zugeführte Ladung so rasch wie ein gewöhnlicher Kondensator. Wir werden mithin den oben errechneten Wert 57. 10-? cm als Dicke der Doppelschicht auffassen. Bemerkenswert ist, daß die spärlichen in der Literatur angegebenen Berechnungen von Doppelschichten zu Zahlen derselben Größenordnung führen’). 1) A. Bethe und Th. T’oropoff, Über elektrolytische Vogränge am Diaphragmen. I. II. Zeitschr. f. physik. Chem. 88, 685. 1914; 89, 597. 1915. 2) W. Nernst und E. H. Riesenfeldt, Über elektrolytische Erscheinungen an der Grenzfläche zweier Lösungsmittel. Ann. d. Physik [4] 8, 600. 1902. ®) B. Beutner, Die Entstehung elektrischer Ströme im Gewebe und ihre künst- liche Nachahmung durch synthetische organische Substanzen. Stuttgart 1920. Ferner viele Mitteilungen in der Biochem. Zeitschr. 2) A.a.0. ?) Gouy, Sur la constitution de la charge &lectrique & la surface d’un &lectro- lyte. Cpt. rend. de l!’acad. des sciences 149, 654. 1909. Der Autor findet durch molekularphysikalische und energetische Überlegungen, daß eine Doppelschicht nicht scharf begrenzt sein kann. Ihr Schwerpunkt liegt desto dichter an der Wand, je konzentrierter die Lösung und je größer das von außen (durch Polarisation) erzeugte Potentialgefälle. Abstand für Y/,oo n-Lösungen und schwache Ladungen 96 - 10-” cm. Siehe auch M. von Simoluchowski, Handbuch der Elektrizität und des Magnetismus, herausgeg. von L. Graetz, Bd. II, S. 398. 1921. 120 M. Gildemeister: Zur Theorie Wir fassen also die Säugerhaut als ein polarisierbares Gebilde auf, in dem die Doppelschichten nicht nur statisch (hinsichtlich der Membran- potentiale, Kolloidladungen usw.), sondern auch dynamisch, und in dieser Beziehung nicht allein für tangentiale Einwirkungen (Elektrokinese), sondern auch für iransversale, nämlich für zugeleiteie Ströme, eine wichtige Rolle spielen, insofern als sie zunächst einen großen Teil des Stromes aufnehmen. Erst wenn sie geladen sind, kommt die Konzentra- tionsverschiebung merklich zu Geltung. Dafür verschwindet aber später, nach Aufhören der äußeren Einwirkung, die neue Ladung der Doppelschichten sehr schnell; die von den früheren Autoren nachgewiesene länger andauernde aber geringe Polarisationsspannung ist durch die Veränderung der Mem- branen bedingt, die durch die eingedrungenen Elektrolyte verursacht wird. Diese Sätze werden gestützt durch Versuche, zu denen auch die Krügerschen Arbeiten die Anregung gegeben haben. Durchströmt man polarisierbare Systeme, so speichern sowohl die Doppelschichten wie die Elektrolyte, letztere durch ihre Konzentrationsveränderungen, elektrische Energie auf. Man spricht deshalb von Doppelschichten- und von Diffusionskapazität. Krüger!) hat einen Weg angegeben, um zwischen beiden Arten zu unterscheiden. Doppelschichtenkapazität gibt mit einer Spule unter sonst günstigen Versuchsbedingungen (kleiner Ohmscher Widerstand usw.) elektrische Schwingungen, Diffusions- kapazität nicht. Wie ich schon in einer früheren Arbeit an wenig zu- gänglicher Stelle mitgeteilt habe?), ist es mir gelungen, die erwarteten Schwingungen hervorzurufen, indem ich den Öffnungsstrom eines Induktoriums sehr kleinen Widerstandes in die Haut schickte. Diese Versuche, die demnächst ausführlich mitgeteilt werden, beweisen, daß die Doppelschichtenkapazität bei kurzdauernden elektrischen Vorgängen in ihrer Wirkung überwiegt. Schließlich erhebt sich noch die Frage, wie die Verminderung der Polarisationsspannung bei längerer Durchströmung mit beträchtlicher Intensität zu erklären ist. Da sind 2 Auffassungen möglich: Entweder geraten die Hautzellen in Erregung und büßen dadurch im Sinne der Bernsteinschen Membrantheorie teilweise ihre Halbdurchlässigkeit ein, d. h. nach unserer Auffassung, die Potentialsprünge an ihren Grenzen nehmen ab, die Doppelschichten können sich weniger gut ausbilden. Oder dasselbe tritt ein nicht durch die Erregung, d. h. durch einen Vor- gang, der in der Richtung der normalen Lebensprozesse verläuft, sondern durch etwas Abnormes, z. B. die eingedrungenen Elektrolyte, die, wie oben ausgeführt, auch die lange nachdauernden Potentialdifferenzen verursachen dürften. Mir scheint, besonders wegen der lartgen Nachdauer 1) F. Krüger, Oscillatorische Entladungen polarisierter Zellen. Ann. d. Physik [4] ?1, 701. 1906. ?) Elektrotechn. Zeitschr. 1919, S. 463. Kap. V1l. der sekundär-elektromotorischen Eigenschaften der menschlichen Haut. 121 der verminderten Polarisierbarkeit und ihres allmählichen Einsetzens bei Steigerung der Spannung, das keine Schwelle erkennen läßt, die zweite Auffassung wahrscheinlicher). Die oben entwickelte Vorstellung von den Doppelschichten, die vom Strom geladen werden, ist auf die bei metallischer Polarisation. herr- schenden. Verhältnisse zugeschnitten, wo Metall und Elektrolyt in einer wohldefinierten Grenzfläche aneinanderstoßen. Es hat keine Schwierig- keit, sich ähnliche Verhältnisse bei Membranen aus einem zweiten Lösungsmittel vorzustellen; freilich ist zu berücksichtigen, daß außer der einen, relativ festen Doppelschicht, die zur Hälfte in einem, zur anderen Hälfte im anderen Lösungsmittel liegen wird, noch eine oder zwei, einer- oder beiderseits durch Adsorption oder dgl. angelagerte existieren können. Dann würden mehr Dep lichten als oben an- genommen in Serie geschaltet sein. Bei dem in mehr als einer Hinsicht bestechenden Betheschen Schema des porösen Diaphragmas sind die Porenkanäle mit Doppelschichten belegt. Der zugeleitete Strom geht durch die Kanäle längs der Doppel- schichten hin. “Hier ist die Vorstellung, diese Schichten, würden unmittel- bar durch den Strom beeinflußt, geladen oder entladen, meines Fr- achtens viel schwieriger, es fehlt die Stromkomponente senkrecht zur Doppelschicht. Man könnte annehmen, daß die an den Poreneingängen gestauten Ionen hier zur Bildung von mehr oder weniger quer zur Strom- richtung stehenden Doppelschichten Anlaß geben oder daß die in den Porenkanälen sitzenden Schichten durch tangentiale Kräfte sozusagen zu- sammengestaucht werden; jedoch scheint mir auch diese Annahme noch Schwierigkeiten zu haben. Von Bedeutung ist noch das Maximum der in der menschlichen Haut erreichbaren Polarisationsspannung. Weil wir immer Ströme verwen- deten, die noch unfühlbar waren, sind wir mit den Spannungen nicht sehr hoch gegangen und haben dem Körper höchstens 9,8 Volt wieder entnehmen können. Nach früheren Erfahrungen möchte ich vermuten, daß man nur an Hand- und Fußflächen, wo die Haut besonders dick und zellreich ist, wesentlich höher wird kommen können. Nehmen wir obigen Wert als das Maximum, so entfällt auf jede Zelloberfläche höchstens 9,8/60 = 0,16 Volt, ein durchaus plausibler Wert. Schließlich mag noch erwähnt werden, daß es an den Polarisations- strömen bei spielender Stimmgabel deutlich zu sehen war, wenn ein psychogalvanischer Reflex eintrat.) Unsere Versuche, die Froschhaut nach den gleichen Methoden zu untersuchen, sind vorläufig an der mangelnden Empfindlichkeit des 1) U. Ebbecke neigt mehr zur ersten Auffassung (Die lokale galvanische Reak- tion der Haut. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 230. 1921). ?) Siehe eine analoge Beobachtung bei Aebly, a. a. O. 122 M.Gildemeister: Sekundär-elektromotorische Eigenschaften d. menschl. Haut. Galvanometers und der unvollkommenen Polarisierbarkeit des Objekts gescheitert. Die Froschhaut läßt viel Dauerstrom durch und deshalb steht sie nur unter einem Bruchteil der an die Elektroden angelegten Spannung, der Rest fällt in den Elektroden und im Tierkörper ab. Es konnte etwas abgefangen werden, jedoch waren die Galvanometer- ausschläge zu genauen Messungen, zu klein. Wie weit sich die hier entwickelten Vorstellungen auf andere Organe, z. B. auf Nerven, übertragen lassen, muß mangels geeigneten experi- mentellen Materials noch unentschieden bleiben. » Der wesentliche Inhalt unserer Überlegungen ist auf S. 120 in Kursiv- druck wiedergegeben. Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung dureh Kondensatoren. Von Martin Gildemeister. (Aus der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts der Universität Berlin.) Mit 5 Textabbildungen. (Eingegangen am 4. März 1922.) Inhalt. Seite Einleitung .. . RN RL BE EI ERRENE A NERE Grundzüge der. These NEN Ep en Ale Re a ae u N SB a ae Biuxrelktiinlanımefgersilheorie- mer su zer te ve ae na 20126 Allgemeines . . ee A. Saitenbeweguns ae omdlmesrior ee a Er a Be wesumor ohne, äußere, KNIE 5 ee 1m PabBewesung mit konstanter äußerer EMRK TI 72108 c) Bewegung mit variabler äußerer EMK . . . 128 d) Die are Dämpfungskonstanten D im alheitisinen, ber Kr schluß und im offenen Kreis (in den Fällen Aa und Ab) . . 129 e) Experimentelle Bestimmuns der relativen Dämpfungskonstanten und.der Rrequenz . ae ee 2) B. Saitenbewegung mit ehloneren Kammern a le &) Aufstellung der Deren else . EN U EREE b) Untersuchung des Integrals . . . et eg 1 13 c) Die Beiinemgselichne der Ineradhztinn N ler Diskussion und graphische Darstellung der Aperiodisierungsgleichung . . 135 Zwei Näherungsformeln. . . . eo Vergleichung der theoretischen und neruenidlen Birmehniisse ee. 1577 Praktische Ausführung der a Mae I. ee ed Schlußbemerkungen . . RE En et Einleitung. Im Jahre 1905 teilte Einthoven mit, daß man ein Saitengalvanometer, dessen Saite periodisch schwingt, durch Nebenschaltung eines Konden- sators dämpfen könne, nötigenfalls bis zur Aperiodizität und darüber hinaus. Das erschien wichtig besonders in Hinsicht auf die Franksche Theorie der Registrierinstrumente, nach der für Vorgänge, die im Ver- hältnis zur Schwingungsdauer des registrierenden- Instrumentes langsam verlaufen, die Dämpfung des letzteren klein sein kann, unter Umständen 124 M. Gildemeister: sogar klein sein muß, während für solche Vorgänge, deren Periodenlänge an die des aufzeichnenden Apparates herankommt, ein ganz bestimmtes Dekrement optimal und wünschenswert ist. Da beim Saitengalvano- meter die dämpfenden Mittel (Nebenschlüsse, Verstärkung des magne- tischen Feldes) manchmal versagen oder nicht anwendbar sind, hätte man hier ein Mittel, um den Forderungen der Theorie gerecht zu werden. Einthoven!) hat keine Theorie des Vorgangs gegeben, sondern hat sich auf die Andeutung beschränkt, daß die mathematische Behandlung zu sehr verwickelten Gleichungen führe. Er teilt als experimentelle Er- gebnisse mit: Für den Betrag der Dämpfung komme es nur auf das Produkt von Kapazität des Kondensators und Widerstand zwischen den Galvanometerklemmen an, nicht auf die einzelnen Faktoren, wobei dann, wenn außer dem Saitenwiderstand noch ein äußerer vorhanden ist, dieser als dem ersten parallelgeschaltet in Rechnung zu ziehen ist. Dieses Produkt müsse desto größer sein, je träger die Saite (je geringer also ihre Eigenfrequenz), und je mehr die anderen Dämpfungsursachen (Luft- und elektromagnetische Dämpfung) zurücktreten. Einthoven faßt die Sache etwa so auf: Da der Kondensator einen Nebenschluß zum Galvanometer bildet, nimmt er, nachdem man eine Spannung an die Galvanometerklemmen angelest hat, im ersten Augen- blick den vollen Strom auf. Dieser wächst erst allmählich in dem Maße, wie sich der Kondensator füllt. Infolge des weniger plötzlichen Strom- anstieges wird die Saite allmählicher in Bewegung gesetzt und es kommt deshalb nicht zu Eigenschwingungen. Wenn diese Auffassung richtig ist, so müssen die Eigenschwingungen der Saite auch dann unterbleiben, wenn man den Strom auf irgendeine andere Weise verzögert beginnen läßt, z. B. durch Einschaltung einer Selbstinduktion in die Zuleitungen. Ich habe einige Versuche dieser Art gemacht, jedoch immer die charakteristischen kleinen Anfangs- zacken der periodischen Saite bekommen, superponiert auf die sanft ansteigende Kurve des durch die Spule verzögerten Stromes. Das folgt auch aus der Theorie der Registrierinstrumente: Registriert man irgend- einen Vorgang mit einem periodischen Instrument, so müssen min- destens anfangs die gedämpften Eigenschwingungen des Instruments sichtbar werden?). 1) W. Einthoven, Über eine neue Methode zur Dämpfung oszillierender Gal- vanometerausschläge. Ann. d. Physik [4] 16, 20. 1905. (Im folgenden mit E, bezeichnet.) 2) Siehe die Gleichung 12, S. 92 der Broemserschen Darstellung der Frank- schen Theorie der Registrierinstrumente (Abderhaldens Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden, Lief. 23, 1921). Das zweite Glied auf der rechten Seite spielt nach Broemser im weiteren Verlauf der Bewegung keine Rolle mehr (a. a. O., S. 92); kommt es aber auf die Einschaltungsvorgänge an, so darf es nicht unbeachtet bleiben, wie man leicht an Beispielen zeigen kann. Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensatoren. 125 Die Theorie der Kondensatordämpfung muß also anders in Angriff genommen werden. Hier habe ich mich vorläufig wie Einthoven der mathematischen Schwierigkeiten wegen nur mit der kritischen Dämpfung (d. h. derjenigen, die die Saite gerade aperiodisch macht) beschäftigt. Grundzüge der Theorie. Die Saite werde irgendwie aus ihrer Ruhestellung entfernt und dann sich selber überlassen. Dann wird sie durch die elastische Kraft, welche sie der Spannung verdankt, nach der Ruhelage hingezogen. Bei ihrer Bewegung dorthin erfährt sie 1. einen Luftwiderstand; 2. einen elektro- magnetischen Widerstand dadurch, daß in ihr, während sie die Kraft- linien des magnetischen Feldes durchschneidet, eine elektromotorische Kraft induziert wird, die einen Strom hervorruft, wenn für diesen eine Bahn vorhanden ist. Das wirkt also wie eine Stromquelle mit variabler elektromotorischer Kraft. Mit Hilfe der Kirchhoffschen Regeln findet man nun eine Differentialgleichung, deren Variablen der Abstand der Saite von der Ruhelage, der Strom in ihr und die Zeit sind. Eine zweite Differentialgleichung mit denselben Variabeln findet man aus den Schwingungsgesetzen der Saite, die nach den Untersuchungen von Einthoven!) und Fahr?) formal mit denen eines Massenpunktes übereinstimmen. Eliminiert man nun aus den beiden Differential- gleichungen den Strom, so bleibt eine lineare Differentialgleichung 3. Ordnung mit konstanten Koeffizienten übrig, mit den Variablen: Saitenausschlag und Zeit. Ihr Integral stellt die Lösung der Aufgabe dar, die Bewegung der Saite mit parallel geschaltetem Kondensator aus den physikalischen Daten abzuleiten. Nun fragt es sich, unter welchen Bedingungen Schwingungen auf- treten und unter welchen nicht. Das ist ein verhältnismäßig einfaches mathematisches Problem. Das besagte Integral besteht im allgemeinen Falle aus der Summe dreier Exponentialkurven. Die Exponenten können entweder alle 3 reell sein: keine Schwingungen; oder einer ist reell, die beiden anderen komplex: Schwingungen. Wie bei der gewöhnlichen Schwingungs- gleichung entsteht also hier die Frage, welche Beziehungen unter den Konstanten bestehen müssen, damit eine vorgelegte Gleichung (hier dritten Grades) komplexe Wurzeln hat. Das ist aber aus der Cardanı- schen Lösung leicht zu beantworten. Fragt man im besonderen nach dem Fall der Aperiodizität, d. h. nach den Beziehungen, bei deren Be- stehen das Imaginäre gerade verschwindet, so kommt man auf eine Gleichung vierten Grades zwischen den Konstanten, die am besten 1) W. Einthoven, Weitere Mitteilungen über das Saitengalvanometer usw. Ann. d. Physik [4] 21, 483 u. 665. 1906. (Im folgenden als E, bezeichnet.) 1) @. Fahr, Zur Theorie des Saitengalvanometers. Zeitschr. f. Biol. 64, 61. 1914. 126 \ M. Gildemeister: durch Tasten für angenommene numerische Werte aufgelöst wird. Das ist in der Praxis viel einfacher als es vorher aussieht, da man mit 3 in jedem Falle leicht bestimmbaren Konstanten — 2 bekannten, nämlich der Dämpfung der Saite in Serie mit einem äußeren Widerstande, desgleichen kurzgeschlossen, und einer unbekannten, dem Produkt von Widerstand, Kapazität und Periodenzahl — auskommt. Das Ergebnis der Rechnung ist schließlich eine Tafel, aus der man für jede Saite unter beliebigen Versuchsbedingungen die Kapazität entnehmen kann, die sie gerade aperiodisch macht. Es wird sich zeigen, daß die Theorie zu denselben Folgerungen führt, wie die obenerwähnten Versuche Einthovens. Durchführung der Theorie. Allgemeines. Die Untersuchungen Einthovens!) haben ergeben, daß die Saitenmitte bei nicht zu kleiner Saitenspannung sich bewegt wie ein unter der Ein- wirkung einer elastischen (dem Abstand von einer Ruhelage propor- tionalen) Kraft stehender Massenpunkt, und daß der Luftwiderstand mit großer Annäherung der Geschwindigkeit der Saitenmitte?) propor- tional gesetzt werden kann. Wir können demnach in bekannter Weise folgenden Ansatz machen: Die Saitenmitte, in der wir uns die äquivalente Saitenmasse M ver- einigt denken, sei von ihrem Ruhepunkt 0 in einer Ebene, die zu den magnetischen Kraftlinien senkrecht steht, in unserer Abb.1 in der M r oO Abb. 1. Zur Ableitung der Abb. 2. Abb. 3. Gleichung eines schwingen- Schema der Kondensator- Messung des! Dämpfungsver- den Massenpunktes. (S. 126). schaltung. (S. 131). hältnisses & = a/b. (S. 130). Papierebene, nach oben entfernt und dann sich selbst überlassen worden. Sie wird sich dann auf 0 zu bewegen und zur Zeit i beim Punkte 5 an- gelangt sein. Den Abstand OB von der Ruhelage rechnen wir nach oben positiv und nennen ihn s. Die Summe aller Kräfte, die auf M zur Zeit wirken, ist nach bekanntem Gesetze gleich Masse x Beschleunigung, : d’s also a De: I) Dips 2) E,, S. 503. Siehe auch weiter unten (S. 127, Anm. 1). Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensatoren. 127 Andererseits sind die Kräfte, einzeln betrachtet: Eine elastische Kraft, nach unten wirkend, proportional s, also gleich —Es. Ferner eine Kraft, die die Bewegung verzögert und vom Luftwiderstand her- rührt. Sie wirkt hier nach oben (der nach unten gerichteten Bewegung Ä Re RR entgegen), ist also positiv, und kann der Geschwindigkeit ir proportional ds,. te : 2 gesetzt werden. Da aber 2° Hier selbst negativ ist (s wird mit zunehmen- dt l i der Zeit kleiner), ist diese Kraft zu schreiben —K Er . Dann ist im all- gemeinen Falle noch eine dritte Kraft vorhanden, die von dem in der Saite fließenden Strome ? herrührt und ihm proportional gesetzt werden kann. Nennen wir den Strom, der die Saite nach oben treibt, positiv, so hat die sich der nach unten hin gerichteten Saitenbewegung entgegen- stemmende Kraft auch ein positives Vorzeichen. Sie sei bezeichnet mit pi. Setzen wir die Gesamtkraft und die Summe der Einzelkräfte einander gleich, so ergibt sich die Gleichung: d ds Ss N 1 di? di na: ) A. Saitenbewegung ohne Kondensator. a) Bewegung ohne äußere EMK. Nehmen wir zunächst an, daß keine elektromotorische Kraft an der Saite liegt, während sie sich bewegt, daß sie aber durch einen äußeren Widerstand W,„ geschlossen bleibt (wie bei der Empfindlichkeitsprüfung nach Öffnung des Elementschlüssels), so rührt der Strom ö nur von der EMK eher, die in der Saite durch das Schneiden der Feldlinien induziert wird. Es ist?—=e/(W,-+ W;). ekann aber proportional der Geschwin- digkeit der Saitenmitte gesetzt werden!). Also e= —q = [g eine posi- tive Konstante?)]. N de n Mithin 00 —= pEllWa —- W,) =— W, + W,dt Wird dies in Gleichung (1) eingesetzt, so haben wir d?s | pq IE = (() 2 N n !) Das nimmt Einthoven (E,, S. 503) ohne Beweis an. Nach Fahr (a. a. O.) ist das zulässig, obgleich die verschiedenen Punkte der Saite sich im magnetischen Felde verschieden schnell bewegen, wenn man annimmt, die Saite habe in jedem Augenblick die Form einer Parabel. Die Ausdrücke der beiden Autoren unter- scheiden sich nur durch einen Zahlenfaktor (E. hat 0,637, F. 0,667). 2) Das Vorzeichen der rechten Seite ist hier negativ, weil nach Voraussetzung der Strom i, mithin auch :, positiv ist; denn er wirkt einer nach unten gerichteten Bewegung entgegen. Da aber ds/dt hier negativ ist (siehe oben), muß die rechte Seite ein negatives Vorzeichen erhalten, damit das von e positiv wird. 128 M. Gildemeister: Das ist die aus der Mechanik bekannte Differentialgleichung elasti- scher Schwingungen mit Reibung, deren Behandlung in jedem Lehr- buche der Infinitesimalrechnung besprochen wird. Ihr Integral ist d bekanntlich, wenn wir den Koeffizienten von ” mit K’ bezeichnen, im Falle der Periodizität, der uns hier allein interessiert (X? < 4 ME) hun ) ER s— de 2a. sin ENERR + 0), (3) worin A und ® Integrationskonstanten. Setzt man nach dem Vorgange von Frank (Broemser a. a. ©. 8. 91): K’ —— = (4) 2/ME und ’E Va: (6) so hat man De Lu N s—4e -sin(» 1 — D2t F o) (6) Dies ist die Gleichung einer gedämpften harmonischen Schwingung. Bekanntlich ist »/1 — D2, der Faktor von tin der Klammer, die Schwin- gungszahl in 277 Sekunden (Kreisfrequenz), die mit »’ bezeichnet sei. Wird der Dämpfungskoeffizient K’ gleich Null, so verschwindet auch D, und es wird »’ =»; » ist also die Kreisfrequenz der ungedämpften Saite. b) Bewegung mit konstanter äußerer EMK. In diesem Falle besteht der Saitenstrom aus 2 Teilen: einem, von der induzierten EMK z herrührend, von dem oben angegebenen Be- trage, und einem zweiten, der gleich e’/W, ist, wenn &’ die an der Saite liegende konstante Spannung bezeichnet. Also ©=e/(W,+ W,) + e'/W,. Es tritt also zu der rechten Seite von Gleichung (1) noch das konstante Glied e’/W, hinzu, das dann auch auf der rechten Seite von Gleichung (2) erscheint. Bekanntlich unterscheidet sich das Integral der so veränderten Differentialgleichung von dem in Gleichung (6) angegebenen nur um einen konstanten Summanden; die folgenden Schlüsse bleiben davon unberührt. c) Bewegung mit variabler äußerer EMK. Der einfachste Fall ist, daß die EMK sinusförmig ist. Dann gelten fast buchstäblich die Frank-Broemserschen Überlegungen (a. a. O. S. 91—92). Das Integral ist leicht anzugeben; die Saitenbewegung verläuft, nachdem der Einschwingungsvorgang vorbei ist, gleichfalls sinusförmig, aber mit verschobener Phase und im allgemeinen veränder- ter Amplitude. Einzelheiten sind hier ohne Bedeutung. Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensatoren. 129 Ist die EMK anders gestaltet, so kann sie nach Fourier in Sinus- und Kosinusfunktionen zerlegt werden. Das Integral besteht dann aus einer Summe solcher Funktionen. Auch davon werden wir in der vorliegenden Untersuchung keinen Gebrauch machen. d) Die relativen Dämpfungskonstanten D im Arbeitskreis, bei Kurzschluß und im offenen Kreis (in den Fällen Aa und Ab). Die oben durch Gleichung (4) definierte Größe D spielt in unserm Problem der Kondensatordämpfung eine wichtige Rolle. Sie ist propor- ds tional X’, wie wir den Koeffizienten von ER in Gleichung (2) benannt G haben. Dieser setzt sich aus 2 Summanden zusammen, deren erster K von der Luftreibung abhängt, während der zweite den elektromagne- tischen dämpfenden Einflüssen sein Dasein verdankt. Da im Nenner des letzteren der äußere Widerstand vorkommt, so muß sich X’ und damit D mit diesem ändern. Wir brauchen die Werte von Din 3 Fällen: 1. Äußerer Widerstand gleich W, (‚Arbeitskreis‘); 2. äußerer Wider- stand gleich Null (‚‚Kurzschlußkreis“‘); 3. äußerer Widerstand unendlich groß (‚offener Kreis‘). Wir erhalten aus Gleichung (4) und (5) durch leichte Rechnungen: I pq 3 ä Wei Arbeitsk — = \ rbeitskreis ID), SM» (7) Ra Kurzschluß (Z = 0) D, == TE (8) 74 YV Offener Kreis (W,=x) D, = 2 (9) HT am, Die Größen D,, D,, D, seien die relativen Dämpfungskonstanten genannt. Es ergibt sich weiter unten, daß es für die Kondensator- dämpfung zunächst nur auf sie und auf die Kreisfrequenz v der unge- dämpften Schwingung (Gleichung 5) ankommt, nicht auf die einzelnen Konstanten des Instruments (M, K, E, p, q). Es werde deshalb hier gleich eingeschaltet, wie diese maßgebenden Größen den registrierten Saitenkurven zu entnehmen sind. e) Experimentelle Bestimmung der relativen Dämpfungskonstanten und der Frequenz. Die Saite wird durch einen Widerstand kurz geschlossen, der im Vergleich zu ihrem eigenen (W;), der als bekannt vorausgesetzt wird, sehr klein ist. Nun wird an die Saitenenden eine EMK angelegt, die trotz Nebenschluß einen hinreichenden Ausschlag ergibt. Jetzt werde ein zwischen Saite und Nebenschluß angebrachter Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 9 130 M. Gildemeister: Schlüssel geschlossen und geöffnet und die entstehenden Saitenbewegungen regi- striert. Die Schließungsbewegung wird wegen des Kurzschlusses stärker gedämpft sein als die nach Öffnung erfolgte, da dann der Kreis offen war. Wir nehmen zu- nächst an, daß beide Bewegungen periodisch waren, und messen das Größenver- hältnis k zweier aufeinander folgender Halbschwingungen, z. B. «und b (Abb. 3). Aus dem natürlichen Logarithmus 4 des Bruches «a/b ist D auf folgende Weise zu berechnen: In der Gleichung s—= A -e “*!- sin(ßt + 9) ist das Verhältnis zweier aufein- ander folgender Halbschwingungen gleich e’“/?. Der natürliche Logarithmus davon, das logarithmische Dekrement A ist za ß. Vergleicht man die eben ange- schriebene Gleichung mit Gl. 6, so ist = ID, ß=»y1—-D, also A=nDj/yl —-D. Daraus folgt durch einfache Rechnung D = Alla? + 42 (9a) Um die umständlichen Rechnungen zu ersparen, kann man für gegebene Schwingungsverhältnisse k die zugehörigen Werte von A und D aus folgender Tabelle entnehmen. Die hier nötige Genauigkeit erlaubt lineare Interpolation. Tabelle zur Bestimmung der relativen. Dämpfungskonstanten und der Frequenz aus den Schwingungskurven (S. 120 und 131). k A D vv’ Sehwingungs- Logarithmisches a Ft verhältnis Dekrement konstante 1/yL-D: 2 0,693 0,215 1,024 3 1,099 0,330 1,059 4 1,386 0,404 1,093 5) 1,609 | 0,456 1,124 6 1,792 0,495 1,151 8 2,079 0,552 1,199 10 2,303 0,591 1,240 12 2,485 0,620 1,275 16 2,113 0,662 1,334 20 2,996 0,690 1,382 24 3,178 0,711 1,423 30 3,401 0,735 1,474 35 3,555 0,749 1,510 40 3,689 0,761 1,542 50 3,912 0,780 1,597 70 4,249 0,804 | 1,682 100 4,605 0,826 1,774 200 5,298 0,860 1,960 300: 5,704 0,876 2,073 Dies Verfahren wird immer möglich sein bei Schwingung im offenen Kreise. Im kurzgeschlossenen aber fehlt unter Umständen die Periodik. Dann führt fol gendes einfache Verfahren zum Ziel: Man schreibt, außer den zwei schon oben erwähnten, noch eine dritte Schwin- gungskurve auf, indem man einen Außenwiderstand W. von solcher Größe wählt, Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensatoren. 131 daß die Bewegung periodisch wird.!) Zum Beispiel durch Anlegung eines Neben- schlusses W.; der Strom wird durch einen zwischen Stromquelle und Nebenschluß befindlichen Schlüssel unterbrochen. Aus der Kurve erhält man D. nach dem be- schriebenen Verfahren. D. ist schon vorher bestimmt worden. Aus Gl. 7 und 9 folgt DIRpP> pqg 2M»v (W.+W) also _ (W.+W,) a] Se —ıD,) m 3 M»W, 9 mithin unter Benutzung von Gl. (8) D,=D.+(1+9=) m. -D) Mit Hilfe dieser Gleichung kann man die unbekannte und aus der aperiodischen Kurve nicht ohne weiteres zu entnehmende relative Kurzschluß-Dämpfungskon- stante D, aus den vier bekannten Größen W., W;, D. und D. berechnen.?) Nun ist noch » zu berechnen. Durch Auszählen der in offenem Kreis auf- genommenen Kurve findet man »v’, die unkorrigierte Frequenz, in 6,28 Sekunden, und daraus (nach den letzten Zeilen des Abschnittes A.) durch Multiplikation mit dem Faktor 1//1 —D: , der dem vierten Stabe der Tabelle 1 zu entnehmen ist, den Wert von ®. Nach dieser für die Praxis wichtigen Einschaltung können wir zur Besprechung der Theorie fortfahren. B. Saitenbewegung mit angeschlossenem Kondensator. a) Aufstellung der Differentialgleichung. Liest an den Saitenenden noch ein Kondensator, so ist der Strom durch die Saite nicht proportional der induzierten Spannung &, sondern hängt auch noch von der Kondensatorladung ab. Er muß deshalb nach den Kirchhoffschen Regeln berechnet werden. Der Strom durch die Saite sei wieder mit © bezeichnet, der durch den äußeren Widerstand mit :, (s. Abb. 2 S. 126), der in den Kondensator !) Im allgemeinen wird dieser Außenwiderstand durch den geplanten Ver- such gegeben sein, und er wird so groß sein, daß die Saite periodische Schwin- gungen macht. Denn wäre sie aperiodisch, so brauchten wir ja nicht nach einem Hilfsmittel zur Aperiodisierung zur fragen. 2) Broemser gibt zur Berechnung der Dämpfungskonstanten aperiodischer und überaperiodischer Kurven ein umständlicheres, teils messendes, teils rechnen- des Verfahren an (a. a. 0. S. 155). Das hier vorgeschlagene einfachere ist nur bei Registrierinstrumenten mit elektromagnetischer Dämpfung anwendbar. Die An- nahme, die aperiodische Kurve sei eine einfache Exponentialkurve (Broemser, a. a. O., S. 146) ist beim Saitengalvanometer nicht zulässig; seine Konstanten sind derartig, daß in der theoretischen Gleichung der aperiodischen Schwingung s = (A + Bi) -e Pt das zweite Klammerglied nicht gegen das erste vernachlässigt werden kann (siehe auch Kohlrausch, Lehrbuch der praktischen Physik, 11. Aufl., $ 108, letzter Abschnitt). Die entgegenstehende Angabe Fahrs (a. a. O., S. 72) beruht auf einem Rechenfehler. Der Koeffizient des dritten Klammergliedes der Gl. (10) (S. 72 seiner Arbeit) heißt nicht 2 M/D, sondern D/2 M, infolgedessen übertrifft dieses Glied schon nach sehr kurzer Zeit an Größe das zweite. Seine Abb. 3 ist entsprechend anders zu zeichnen. Dementsprechend zeigen auch aperiodische Saitengalvanometerkurven. deutliche S-Form. 9* 132 M. Gildemeister: einfließende mit %.. Die in der Saite durch ihre Bewegung erregte EMK heiße &, die Ladung des Kondensators P, seine Kapazität ©. Die An- wendung der ersten Kirchhoffschen Regel ergibt: Dein, Nach der zweiten Kirchhof/schen Regel ist für den Kreis Saite-Konden- sator, wenn man die Zuleitungen zu dem letzteren als praktisch wider- standslos ansieht: iW,=e—-P (10) und für den Kreis Saite-Außenwiderstand: UNE Schließlich folgt aus dem Gesetz der Kondensatorladung: dP a “ dt Eliminiert man aus der ersten der soeben aufgestellten Gleichungen durch einfache Operationen i, (mit Hilfe der letzten) und :, (mit Hilfe der vorletzten), so erhält man: dP (We SE W)i—CWazz —eEe=0, und durch Differenzieren der Gleichung (10): Da die Mr ae Tee. DR: : dP Eliminiert man nun aus den letzten beiden Gleichungen —_-, so resultiert dt’ schließlich: (W;+W,.)i + WW. —e-Wmo—0, (11) welche Gleichung die gesuchte Beziehung zwischen e und i bei der Kondensatorschaltung angibt. d Nun kann, wie oben (S. 127) angegeben, e= —q — gesetzt werden. Dies in Gleichung (11) eingesetzt gibt: Bs ar Aus den Gleichungen (1) und (12), die beide die 3 Variablen s, © und i enthalten, können wir © eliminieren und erhalten zum Schluß eine Differentialgleichung mit den Variablen s und i, wie wir sie suchen. Dazu setzen wir in Gleichung (12) den Wert für © aus Gleichung (1) (WAWJHWW.O 49 +W.0g—0 (2) di ein. In die so erhaltene Gleichung, die noch GR enthält, setzen wir den Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensatoren. 133 Wert dieses Differentialquotienten ein, den wir dadurch erhalten, daß Gleichung (1) nach t£ differenziert wird. Das Resultat lautet, nachdem dasen as! & e W; Wi 18 dividiert ist und für WW, d. h. für den Widerstand, den W; und W,„ bei Parallelschaltung haben, die Bezeichnung W eingeführt ist: 2 N d?s E U W; l d’s & au WW | ds noch durch den Koeffizienten von dt3 m wa M WITT; 1 > m low a) 0 2) Gelingt es, diese Gleichung zu integrieren, so ist unsere Aufgabe gelöst, die Bewegung einer Saite mit parallelgeschaltetem Kondensator mathematisch darzustellen. Ehe wir uns damit beschäftigen, mag die Bedeutung ihrer Koeffizienten erörtert werden. Der Koeffizient des zweiten Differentialquotienten setzt sich aus 2 Gliedern zusammen; das erste ist nach Gleichung (8) S. 129 gleich 2»vD,, das zweite sei mit R bezeichnet. Der Koeffizient des ersten Differentialquotienten kann nach Gleichung (7) S. 129 und Gleichung (5) S. 128 geschrieben werden 2vD,R + v2, und schließlich der Koeffizient von s ist Rv?. Also heißt die Differentialgleichung: ds dis 9, IS 5 ; 1 +(2vD, + R) 1e + (2»D,R + »?) En I p2Rs—(,worn (14) ode Kapazität.desgesuchten Kondensator, mw Ye — 1/CW, O’die Kapazität desgesuchten Kondensators, W = WW. v —yB/M und D, und D, durch die Gleichungen (7), (8), S. 129 de- finiert sind. b) Untersuchung des Integrals. Die Gleichung ist linear hinsichtlich der Differentialquotienten und der abhängigen Variabeln s und hat konstante Koeffizienten, ihr Integral ist also ea Sen 2 end (15) worin &, &,, &, die 3 Wurzeln der Gleichung 021 (%»DIR)® &»DR+»2)at»R—0 (16) und ®, 8, T Integrationskonstanten sind. Diese Wurzeln können entweder alle reell sein, dann besteht s nach Gleichung (15) aus der Summe dreier Exponentialkurven, die Saitenschwingung ist also nicht- periodisch. Oder es sind 2 Wurzeln komplex, dann können die ent- sprechenden beiden Glieder in Gleichung (15) zudem Ausdruck für eine gedämpfte Schwingung vereinigt werden; die Saite schwingt dann nach 134 M. Gildemeister: einer Exponentialkurve, auf die sich eine gedämpfte Schwingung super- pomiert. Das entspricht den Einthovenschen Beobachtungen. c) Die Bedingungsgleichung der Aperiodizität. Wir wollen hier die Bedingungen für Aperiodizität ermitteln. Die Frage heißt dann: Unter welchen Bedingungen verschwinden gerade die komplexen Wurzeln der Gleichung (16)? Die Antwort ist aus der Cardanischen Lösung einer Gleichung dritten Grades zu entnehmen. Setzt man in der kubischen Gleichung +3aa2 +3ba+c=0 (17) x — afür &, so erhält man die reduzierte kubische Gleichung 3ab— 2a? — c x — 3(a —b)x —2- 5 =( (18) oder — 3m —2n—0 (19) | S a m= «a: — b; = = = en Die Cardanische Formel besagt, daß 2 Wurzeln komplex sind, wenn n?2 — m?>0. In unserem Falle heißt das, daß dann Schwingungen auftreten. Die Periodizität verschwindet gerade, d. h. es ist der aperio- dische Zustand erreicht, wenn n? — m? —= 0. Setzt man hier die hinter Gleichung (19) angegebenen Werte von n und m ein, so heißt die Be- dingung des Verschwindens der imaginären Ausdrücke —30b —6babc+4adc+46 + 2 —0 (20) Nun bestimmt man schließlich durch Vergleichung von Gleichung (16) und Gleichung (17) die Werte von a, b und c | 2»D, -R 2» D,R-+ v2 a — ee an 3 3 und setzt diese in Gleichung (20) ein, wodurch schließlich nach län- gerer, aber einfacher Rechnung, nachdem durch 4»? dividiert ist, folgt R*(1 — D3) +2 R3v(3D, — 2D,D?—5D,+4D}) +2 R®v»2?(1+6D}’— 2D:D; — 11D,D,-+6D;) +2 R»v2(4D} — 5D, — 2DD,+3D,-+ »!(1—- D)=0 In dieser Gleichung ist R die Unbekannte, in der der gesuchte aperiodisierende Kondensator steckt, und », D, und D, sind. bekannt. Sie wird noch einfacher, wenn man durch A* dividiert und für v/R —»(CW die neue Unbekannte z einführt. Man hat dann schließlich, nach fallenden Potenzen von z geordnet, die Schlußgleichung: (1 — D)+222(4D} —5D, — 2D;D,+3D,) +222(1+6D} -2D:D — 11D,D, + 6D,) + 22(8D, - 2D,D.—5D, +4D) +1 -D)=0 (21) ,„ = ‚en Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensatoren. 135 Diskussion und graphische Darstellung der Aperiodisierungsgleichung. Mit der Gleichung (21) sind wir grundsätzlich ans Ziel gelangt. Wir haben eine Gleichung vierten Grades zwischen der Unbekannten z und den bekannten, weil in jedem Falle ohne weiteres aus den registrierten Saitenkurven zu entnehmenden Größen D, und D, gefunden, aus der wir das z und damit auch denjenigen Kondensator berechnen können, der die Schwingung gerade aperiodisch macht. Es sei daran erinnert, daß wir z2=»ÜW gesetzt haben, und daß v die Schwingungszahl der ungedämpften Saite in 277 Sekunden, W den Ohmschen Widerstand zwischen den Saitenenden (d. h. Produkt dividiert durch Summe von innerem und äußerem Widerstand) und C die Kapa- zität des gesuchten Dämpfkondensators bedeutet. Ist also z gefunden, so bedarf es zur Ermittlung von C nur der Division durch die bekannten Größen v» und W. Die bekannten Größen D bedeuten, worauf auch noch einmal hin- gewiesen werden mag, folgendes: D, ist die relative Dämpfungskon- stante der Saite, wenn sie durch den Wider- 2« stand W, geschlossen ?* schwingt [Gleichung 72-4 (7)]; sie ist aus dem logarithmischen De- krement nach Glei- 98 chung (9) zu berechnen oder einfacher der Ta- belle S.130 zuentneh- 0# men. D, ist die ent- sprechende Konstante er bei Kurzschluß der 2) 02 04 06 08 10 42 14 16 18 Saite. Ist die Schwin- D, gungskurve im letzte- App. 4. Graphische Darstellung der Lösungen der Aperiodi- 0 2 sierungsgleichung (21). Koordinaten: D, und D;,. Nur im Ge- ven Falle aperiodisch, biete HGFK existieren brauchbare Lösungen. IS Ss N so hat man sich zur Ermittlung von D, des im Abschnitt A, angegebenen Verfahrens zu bedienen. Die Ausrechnung der z-Werte aus der Gleichung für gegebene Werte von D, und D, ist nach den Regeln des numerischen Rechnens!) nicht weiter schwierig, jedoch umständlich. Ich gebe deshalb eine Kurven- tafel, aus der für alle praktisch vorkommenden Fälle der gesuchte Wert z entnommen werden kann (Abb.4 u. 5). Über den allgemeinen Charakter der numerischen Lösungen der Gleichung (21) gibt zunächst die Abb. 4 Auskunft. Die D,-Werte 1) H. von Sanden, Praktische Analysis. Teubner. 1914. 136 M. Gildemeister: sind die Ordinaten, die D,-Werte die Abszissen. Da die Dämpfung bei Kurzschluß notwendig größer oder bei zu vernachlässigendem äußeren Widerstand mindestens ebenso groß ist, wie die bei Schwingung mit äuße- rem Widerstand, so hat der Fall D, > D, keinen Sinn. Das nicht in Be- tracht kommende Feld links von OB ist deshalb schwarz gezeichnet. Fer- ner ist. die Saite, wenn D, gleich oder größer als 1 ist, ohnehin nach Glei- chung (6) aperiodisch ; also kommt auch das Gebiet oberhalb D, = 1, hier schraffiert gezeichnet, nicht in Betracht. Schließlich zeigt die Rechnung, daß die Gleichung in dem schwarz gezeichneten Gebiet OFG keine reellen Ze 77/77/7777 damen, 78 az 77 Yrs 1, 5 7 ,/ r / 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 49 2,0 D d Abb. 5. Wie Abb. 4; die Kurvenschar bedeutet die resultierenden 2-Werte. positiven Wurzeln hat; für die entsprechenden Dämpfungen gibt es also keine Kapazität, die die Periodizität beseitigt. Es bleibt nun nur noch das Gebiet rechts und unterhalb von FGH für die Erörterung übrig. Hier sind wieder 2 Provinzen zu unterscheiden, punktiert und farb- los gezeichnet. Im punktierten Bereich hat die Gleichung zwei positive reelle Wurzeln. Diese beiden Werte machen die Schwingung aperiodisch, die dazwischenliegenden überaperiodisch. Verläßt man den durch die beiden Wurzeln begrenzten Zahlenbereich, so treten wieder Schwin- gungen auf. Wir kommen darauf später noch einmalzurück. Im farb- losen Gebiet GEKH schließlich existiert nur eine positive reelle Wur- zel; die entsprechenden z-Werte machen aperiodisch, alle größeren überaperiodisch. Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensatoren. 137 Nach diesem allgemeinen Überblick sei auf die Abb. 5 hingewiesen, die das in Betracht kommende Stück der Abb. 4 mit den zugehörigen 2-Werten darstellt. Ihr praktischer Gebrauch mag an einem Beispiel erläutert werden: Es sei eine Saite gegeben mit einem D, = 0,1 (d. h. äußerst geringe Dämpfung in der Gebrauchsschaltung) und einem D, = 1 (d. h. Aperio- dizität bei Kurzschluß). Durch den zugehörigen Punkt (0,1; 1,0) der Abb. 5 geht gerade die mit 7 bezeichnete Kurve. Also: Im vorliegenden Fall beträgt z=v0W = 17. Die Saite mache in der Sekunde ungedämpft 100, also in 2x Sekunden 618 Schwingungen, und habe einen Wider- stand von 10000 Ohm, während der Gebrauchswiderstand gleich : 10000 - 1000000 1 000 000 Ohm sei. Dann ist W = 10000 -- 1000000 ° 9901 Ohm, undC =z/vW =7:(618- 9901) Farad = 1,13 Mikrofarad. Gibt man dem Kondensator diesen Wert, so ist die Schwingung gerade aperiodisch ; macht man ihn größer, so ist sie überaperiodisch. Zwei Näherungsformeln. Die z-Kurven haben die Eigentümlichkeit, daß sie annähernd gerad- linig und. einander parallel verlaufen. Sie lassen sich näherungsweise durch folgende praktisch brauchbare Gleichung darstellen: = Aa en aa, sen, ne 02) Im obigen Beispiel (D, = 0,1; D, = 1,0) erhält man daraus 2 = 7,5 anstatt 7,0. Der Fehler überschreitet niemals 10%, außer wenn man in die äußerste Ecke links oben der Abb.5 kommt, d. h. wenn 1,5 D, — D, < 0,83 ist. Auch die Bedingung, unter der überhaupt Aperiodisierung möglich ist, kann man mit guter Annäherung darstellen durch die Bedingungs- gleichung I 7 (23) Vergleich der theoretischen mit den experimentellen Ergebnissen. Prüfen wir die Einthovenschen Befunde an der Abb.5, so zeigt sich zunächst eine sehr befriedigende Übereinstimmung. Durch die Dämpfungskonstanten ist das Produkt »CW festgelegt; es ist also, unveränderte Dämpfung vorausgesetzt, die aperiodisierende Kapazität umgekehrt proportional der Frequenz oder proportional der Schwin- sungsperiode. Ferner decken sich die Folgerungen der Theorie mit dem Einthovenschen Satz: ‚Bringt man die Veränderung der elektromagne- tischen Dämpfung, die durch einen Unterschied im Betrage von W,„ erzeugt wird, in Rechnung, so ist es weiter gleichgültig, wie man die einzelnen Faktoren w’ und c!) wählt. Wenn ihr Produkt wc = T nur !) Hier W und C genannt. 138 M. Gildemeister: einen unveränderlichen Betrag beibehält, wird auch der dämpfende Einfluß unverändert bleiben. Dieser wird also nur durch das Produkt 7 bestimmt“ (Z, 8. 29). Da nach der linken oberen Ecke G hin, mit der Vergrößerung der Dämpfungen, die Produkte »OW kleiner werden!), gilt auch der Eint- hovensche Satz: ‚„Vergrößert man die schon vorhandenen dämpfenden Einflüsse, z. B. verstärkt man die elektromagnetische Dämpfung, indem man den Widerstand im Galvanometerkreise verringert, so genügt beim selben Quarzfaden und bei unveränderter Spannung ein geringerer Betrag von T, um den Grenzwert der Aperiodizität zu erreichen.‘ Weiter hät Einthoven gefunden, daß eine Vergrößerung von OW nicht immer eine Vermehrung der Dämpfung zur Folge hat. Das ist in der Abb. 4 im punktierten Gebiet der Fall; der optimale Wert darf weder unterschritten noch überschritten werden (s. S. 136 unten). Befindet man sich im schwarzen Gebiet, dicht am punktierten, d.h. hat die Saite solche Dämpfungskonstanten, daß die linke Seite von Gleichung (21) durch keinen reellen positiven Wert von 2 zu Null wird, so findet man doch immer einen solchen Wert 2, der sie fast zu Null macht. Physikalisch muß sich das so geltend machen: Läßt man die Saite ohne Kondensator schwingen, so ist sie periodisch; legt man jetzt einen Kondensator an und vergrößert ihn ständig, so nehmen die Schwingungen ab, bis zu dem aus dem optimalen z sich er- gebenden OW- Werte, ohne doch ganz zu verschwinden. Mit weiter wachsenden Beträgen von OW werden sie wieder deutlicher. Das ent- spricht ganz der Einthovenschen Beschreibung. Soweit stimmen Theorie und Versuche sehr gut überein; sobald man aber die Einthovenschen numerischen Angaben vergleicht, zeigen sich Unstimmigkeiten. In der Tabelle S. 30 seiner Mitteilung finden sich folgende Beispiele, die sich auf dieselbe Saite, offenbar unter den- selben Versuchsbedingungen (Spannung, Feld), beziehen. Die -Daten links vom Strich sind der Tabelle entnommen, die Zahlen rechts sind daraus berechnet. w; Wa W (6) k Dämpfungs- Da Dy v” v v»CW Ohm Ohm Ohm uF verhältnis 8600 1110000 8500 0,12 3,1 0,339 2390 2540 2,6 8600 1327 1148 0,65 4,5 0,432 2320 2570 1,9 Der Autor gibt nur die Periodenlänge der gedämpften Schwingung an, durch Division in 1 und Multiplikation mit 2 ist daraus die ge- dämpfte Kreisfrequenz, und durch abermalige Multiplikation mit 1/ylı — D: (s. Abschnitt Ae) die ungedämpfte Kreisfrequenz berechnet worden (vorletzter und drittletzter Stab). Die relative Dämpfungs- 1) Der untere Grenzwert ist 1. Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensatoren. 139 konstante D, des hochohmigen Versuchskreises ist aus k mit Hilfe der Gleichung (9a) (S. 130, siehe auch die Tabelle S. 130) berechnet worden. Im zweiten Versuch ist der Außenwiderstand so gering, daß man die Saite wohl annähernd als kurzgeschlossen betrachten kann; D, ist hier aus k in derselben Weise berechnet. Nun zeigt ein Blick auf die Abb. 4 und 5, oder die Anwendung der Bedingungsgleichungen (22) und (23) (S. 137), daß bei so geringen Dämpfungen wie sie hier vorliegen, nach der entwickelten Theorie über- haupt keine Aperiodisierung möglich ist, während Einthoven in Stab 4 den aperiodisierenden Kondensator angibt und die betreffenden Kurven abbildet. Der Widerspruch klärt sich bei genauer Betrachtung der Kurven; sie sind im mathematischen Sinn nicht aperiodisch, sondern haben vor der Umbiegung kleine Zacken. Für praktische Zwecke können sie als aperiodisch angesehen werden, insofern als sie die Endlage nicht überschreiten. Es ist also hier zu unterscheiden zwischen wirklicher und scheinbarer Aperiodisierung, und nur besonders zu diesem Zweck angestellte Versuche können entscheiden, ob die Theorie auch quanti- tativ richtig ist. In allgemeinen Umrissen hat sie sich, wie oben gezeigt, ausgezeichnet bewährt. Meine Versuche reichen zu einer bestimmten Aussage noch nicht hin, und ich bin auch nicht in der Lage, in absehbarer Zeit entscheidende zu machen. Denn die registrierten Kurven leiden immer an einer gewissen Unschärfe, die das Erkennen feinster Zäckchen oder flacher bald verschwindender kurzperiodiger Wellen, wie man sie kurz vor Erreichung der kritischen Kondensatorgröße erwarten muß, nicht erlaubt. Ich möchte auf Grund meiner Versuche die Meinung aussprechen, daß die Übereinstimmung von Theorie und Versuch durch die gemachten Vereinfachungen (Annahme, daß Luftwiderstand der Geschwindigkeit streng proportional, daß das Feld über den ganzen Spalt hin homogen sei, daß die Saite keine Steifigkeit habe usw.) nur wenig gestört wird, so wenig, daß wenigstens die praktische Verwendung der gefundenen Formeln nicht in Frage gestellt ist. Praktische Ausführung der Aperiodisierung. Es müssen bekannt sein oder bestimmt werden: Saitenwiderstand W,;, Widerstand des Versuchskreises W,, relative Dämpfungskon- stanten der Saite im Versuchskreis (D,), bei äußerem Kurzschluß (D,) und im offenen Kreis (D,), schließlich Frequenz der ungedämpften Saite in 2 (6,28) Sekunden. Messungs- und Berechnungsmethoden der 6 wesentlichen Konstanten: 1. W, nach beliebiger Methode. Bequem ist die Methode des halben Ausschlags: Es wird eine Stromquelle mit zu vernachlässigendem 140 M. Gildemeister: Widerstand angelegt; der Ausschlag sei A. Dazu Vorschaltwider- stand V, so daß der Ausschlag auf A/2 zurückgeht. Dann ist W, = V. 2. W., der äußere Widerstand, ist wohl nach der Kohlrauschschen Wechselstrommethode zu bestimmen, falls der Versuchskreis polari- sierbare Objekte enthält. Denn es handelt sich hier ja um den Wider- stand gegen kurzdauernde elektrische Vorgänge. Aus W, und W, ist der resultierende Widerstand W= BeiE zu berechnen. 3. und 4. D,und D, nach Abschnitt Ae S. 129 (Registrierung der Schließung und der Öffnung eines konstanten Stromes durch einen kleinen Widerstand, wobei der Schlüssel dicht an der Saite liegt. Aus- messung der Kurven, Berechnung der logarithmischen Dekremente, Entnahme der D-Werte aus der Tabelle S. 130). Nötigenfalls wird D, aus D, und D, (siehe folgende Zeilen) nach der Gleichung am Schluß des Abschnittes Ae S. 131 berechnet. 5. D, nach Abschnitt Ae, 8. 131. 6.»: Bestimmung der unkorrigierten Frequenz aus der Schwingungs- kurve im offenen Kreis (siehe oben unter D,). Multiplikation mit Korrektionsfaktor 1/ y! — D? aus der Tab. S. 130, Stab 4, sowie mit 6,28. Nun sucht man für D, und D, in Abb. 5 das zugehörige z, oder berechnet es aus Formel (22) S. 137. Dann dividiert man z durch vW, und erhält als Schlußergebnis den aperiodisierenden Kondensator in Farad; um den Wert in Mikrofarad zu verwandeln, ist also noch Mul- tiplikation mit 1 000 000 nötig. In vielen Fällen, wie in den von Einthoven angeführten, wird unvoll- kommene Aperiodisierung ausreichen. Dann wird man den nach obiger Methode ermittelten O-Wert stufenweise verkleinern, bis die gewünschte Dämpfung erreicht ist. Kommt man beim Aufsuchen der 2-Werte in Abb. 5 auf schwarzes Gebiet oder ist die Bedingungsgleichung (23) S. 137 nicht erfüllt, so ist es nicht möglich, die Schwingung vollkommen aperiodisch zu machen. Für praktische Zwecke dürfte dann die der Einthovenschen Tabelle zu entnehmende Faustregel genügen, daß WC !/,—!/,mal so groß sein muß, als die Dauer einer Schwingungsperiode (Ü in Farad gerechnet). Schlußbemerkungen. Das allgemeine Ergebnis der vorliegenden Untersuchung ist, daß ein Registrierinstrument, bei dem die elektromagnetische Dämpfung eine Rolle spielt, durch einen passend angeschlossenen Kondensator für jeden Außenwiderstand aperiodisiert werden kann, wenn es bei Kurzschluß aperiodisch oder überaperiodisch ist. Wenn die letzte Bedingung nicht erfüllt ist, so ist die vollkommene Erreichung des Zur Theorie des Saitengalvanometers. Die Dämpfung durch Kondensatoren. 141 aperiodischen Zustandes nur bis zu bestimmten Dämpfungsverhältnissen des kondensatorfreien Kreises möglich, die näherungsweise in der Bedingungsgleichung (23) S. 137, streng in der Abb. 5 angegeben sind). Die beiden maßgebenden Parameter sind die relativen Dämpfungs- konstanten ohne angeschlossenen Kondensator, einerseits bei Kurz- schluß, andererseits in der dem beabsichtigten Versuch entsprechenden Schaltung (,‚Arbeitskreis“‘). Durch sie wird das Produkt von Frequenz, resultierendem Widerstand und Kapazität festgelegt, das gerade aperio- disch macht. Je größer die Dämpfungskonstanten, desto kleiner ist dies Produkt. Was hier für das Saitengalvanometer abgeleitet ist, gilt, wie schon Einthoven betont hat, auch für das Drehspulengalvanometer und den Oscillographen. Praktisch wäre die Aperiodisierung wohl nur in letz- terem Falle durchzuführen, weil ein Galvanometer wegen seiner niedrigen Frequenz zu große Kondensatoren erforderte. Die ganze Frage der Aperiodisierung, die bisher auch die Elektro- physiologen lebhaft interessierte, hat durch die Frankschen Arbeiten sehr an Bedeutung verloren. Wir wissen jetzt, daß zu große Dämpfung für die Treue der Registrierung viel schädlicher ist als zu kleine. Immer- hin ist es aus praktischen Gründen, insbesondere zur Ersparung von Korrektionsrechnungen, immer noch zweckmäßig, für Vorgänge, deren Periode sehr viel länger ist als die des aufnehmenden Apparates, aperiodische Instrumente zu verwenden, während beim Fehlen dieser Vorbedingung besser Instrumente mit einem kleinen Rest von Periodik gewählt werden. Im ersten Fall also behält das Einthovensche Verfahren seinen Wert; ob aber die optimale Dämpfung (D etwa gleich 0,75) mit dem gleichen guten Erfolg hinsichtlich der Treue der Aufzeichnungen durch einen Kondensator hervorgebracht werden kann wie durch die sonst üblichen Mittel, kann ohne langwierige mathematische und experi- mentelle Untersuchungen nicht beurteilt werden. Zum Schluß sei noch bemerkt, daß sich für den Fall, daß eine Selbst- induktion parallel zur Saite liegt, gleichfalls eine Differentialgleichung von der Form der Gleichung (13) ergibt. Das Integral liefert für Aperio- dizität wieder eine Bedingungsgleichung zwischen 2 Dämpfungskon- stanten und dem Ausdruck: (Selbstinduktion mal Frequenz, dividiert durch Widerstand). Hier wird aber umgekehrt als beim Kondensator die Dämpfung durch die Hinzufügung der Spule nicht vermehrt, sondern ‚vermindert; unter Umständen treten Schwingungen auf, wo vorher Aperiodizität herrschte. 1) Aus der Form der Differentialgleichung 13 geht hervor, daß unsere nur für konstante elektromotorische Kräfte abgeleiteten Sätze auch Geltung für variable haben werden. Induktionsströme als Reize. II. Mitteilung. Über den Einfluß der Selbstinduktion auf die Reizwirkung der Offnungsströme. Von Martin Gildemeister. (Aus den Physiologischen Instituten der Universitäten Straßburg und Berlin.) (Eingegangen am 4. März 1922.) Einleitung. In der ersten Mitteilung über Induktionsströme als Reize!) habe ich die physiologische Wirkung von Öffnungsströmen ohne Eisenkern quantitativ untersucht und bin dabei zu einigen allgemeinen Ergebnissen gekommen. Es sei mir gestattet, die wesentlichsten Resultate hier kurz zu wiederholen, da sie die Grundlage der vorliegenden Arbeit bilden. Obgleich die Induktionsströme täglich bei physiologischen Versuchen verwendet werden, und obschon man aus der Tatsache, daß diereizbaren Objekte bei gewissen Eingriffen mehr oder weniger empfindlich gegen sie werden, oft weitreichende Schlüsse zieht (insbesondere in bezug auf die Veränderung der ‚Erregbarkeit‘), fehlt es doch bis jetzt an einem zuverlässigen Maßstab für ihre Wirkung. Gewöhnlich beschränken sich die Experimentatoren darauf, mitzuteilen, mit welchem Rollenab- stande und welcher primären Stromstärke sie gearbeitet haben. Diese Daten sind, wie allgemein bekannt, durchaus unzureichend. Deshalb haben mehrere Autoren [Fick, Kronecker u. a.2)] vorgeschla- gen, die Apparate nach den Ablenkungen, die der einzelne induzierte Strom einem Galvanometer erteilt, zu graduieren. Offenbar ist dabei die Voraussetzung gemacht, daß bei den nach dieser Methode mit Skalen versehenen Apparaten den gleichen Eichzahlen auch gleiche physiologische Wirkungen entsprechen. Fände man also beispielsweise bei einem gewissen Primärstrom, daß irgendein Muskel bei der Skalen- zahl X eben zuckt, so müßte bei einem anderen Apparate, der nach demselben Prinzip graduiert ist, und bei gleichem Primärstrom (das 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., 131, 601. 1910. 2) Literatur bei $. Garten, Elektrophysiologie. Tigerstedts Handbuch der physiologischen Methodik. Bd. II, 3, S. 392. M. Gildemeister: Induktionsströme als Reize. II. 143 ist die Grundbedingung aller Eichmethoden) die Schwelle ebenfalls bei Skalenzahl X erreicht werden. Das ist aber, wie ich in der vorigen Arbeit gezeigt habe, durchaus nicht der Fall. Der allgemeine Grund ist nach dem jetzigen Stande der elektrischen Reizphysiologie leicht anzugeben: Die Galvanometerablenkung bei der Eichung mißt nur die in Bewegung gesetzte Hlektrizitätsmenge, nicht ihre Verteilung auf die Zeit; da es aber bei einem elektrischen Reiz, wie viele Untersuchungen gezeigt haben, durchaus nicht nur auf diese Größe ankommt, so ist von vorn- ‚herein klar, daß die besagte Voraussetzung nicht richtig sein kann. Von dieser Überlegung ausgehend untersuchte ich, von welchen Umständen die Wirkung eines Öffnungsinduktionsstromes abhängig ist, und zwar beschränkte ich mich, um von den Eigenschaften des Eisens unabhängig zu sein, auf Apparate ohne Kern. Ich verwendete 3 nach der Mengenmethode miteinander verglichene und geeichte Induktorien verschiedener Größe. Um die Frage recht gründlich auf- zuklären, benutzte ich nicht nur möglichst verschiedene Objekte (direkt und indirekt gereizte Säuger- und Amphibienmuskeln, menschliche sensible Endorgane), sondern ich variierte auch durch Einschaltung von Rheostaten die Widerstände im sekundären Kreise. Jedesmal wurde die Reizschwelle aufgesucht und teils galvanometrisch, teils, wo es angängig war und nur auf die relativen Werte ankam, durch Rechnung die dem Schwellenreiz entsprechende Blektrizitätsmenge be- stimmt. Das Ziel war, das Gesetz der Abhängigkeit dieser letzteren Elektrizitätsmenge (kurz Elektrizitätsbedarf genannt) von den anderen Variablen, das sind bei gegebenem Objekt und gegebenem primären Strom: sekundärer Widerstand und Größe des Induktoriums, zu er- mitteln. In bezug auf die letztere stellte es sich heraus, daß es nur auf die sekundäre Spule ankommt. Mit anderen Worten, es sollte fest- gestellt werden, nach welchen Gesetzen die Reizwirkung der Induktorien von derjenigen abwich, die man auf Grund der Eichzahlen hätte er- warten sollen, wenn man ihre Größe (oder vielmehr die Größe ihrer sekundären Spulen) und den Widerstand im sekundären Kreise änderte. Falls es glückte, diese Aufgabe zu lösen, so gewann dadurch nicht nur der schwankende Boden, auf dem man sich bisher bei der Verwen- dung des Induktionsreizes bewegt hatte, an Festigkeit, sondern man durfte auch hoffen, neue Einblicke in das umstrittene Gebiet der Lehre von der elektrischen Reizung zu tun, freilich erst dann, wenn die Frage nach dem zeitlichen Verlauf der physiologisch verwendeten Induktions- ströme geklärt war. Die ersten Ergebnisse ließen sich sehr einfach zusammenfassen: Bei großem Widerstande im sekundären Kreise (einige tausend Ohm, gleichgültig ob vom Objekt herrührend oder noch dazu geschaltet) sind die zu erwartenden Fehler der obenerwähnten Graduierungs- 144 M. Gildemeister: methode unmerklich klein, indem tatsächlich be! gleicher Eichzahl (gleicher Elektrizitätsmenge) auch die gleiche Wirkung zu beobach- ten ist. Je kleiner aber der sekundäre Widerstand ist, desto wirk- samer wird relativ ein kleinerer Induktionsapparat (mit windungs- ärmerer sekundärer Spirale) im Vergleich zu einem größeren. Der kleinere Apparat erzeugt dann also einen Schwellenreiz bei kleinerer Skalenzahl. Man sieht daraus, daß der Widerstand im sekundären Kreise, auf den die üblichen Eichmethoden keine Rücksicht nehmen und auch nicht nehmen können, da man es ja in der Praxis mit Objekten sehr ver- schiedenen und gewöhnlich unbekannten Widerstandes zu tun hat, eine wesentliche Rolle spielt. Deshalb wurden die weiteren Versuche so angelegt, daß zunächst nur der sekundäre Widerstand variiert wurde. Es wurde also die andere maßgebende Variable des Reizkreises, die Größe, oder schärfer ausgedrückt die Selbstinduktion der sekundären Spule, ungeändert gelassen, einfach dadurch, daß jetzt nur ein Indukto- rium zur Verwendung kam. Die Versuche verliefen also so: Mit einer primären Spule, in der die Stromstärke immer dieselbe blieb, wurde eine sekundäre verbunden, und diese an ein Objekt (Muskel usw.), einen Rheostaten und ein Galvanometer angeschlossen. Nun wurde bei gegebenem sekundären Widerstand derjenige Rollenabstand auf- gesucht, der einem Schwellenreiz entsprach, und, wenn dieser gefunden war, der zugehörige Galvanometerausschlag, d.h. die Elektrizitätsmenge, abgelesen. Dasselbe wurde bei anderem Widerstand wiederholt usw. Dabei kommt man aber nicht unter den Widerstand von Spule + Objekt herunter, und bekommt deshalb den Bereich der kleinsten Widerstände, bei dem, wie oben erwähnt, die Abweichungen von den Eichzahlen am größten sind, nicht zur Untersuchung. Dieser Mißstand wurde durch Anlegung einer Nebenschließung zum Objekt beseitigt. Die Einzelheiten der Methodik, von der an späterer Stelle noch die Rede sein wird, sind hier ohne Bedeutung; wir wollen hier nur das einfache Ergebnis erwähnen: Je größer der Widerstand im sekundären Kreise, desto kleiner die zur Minimalzuckung nötige Elektrizitätsmenge (der Elektrizitätsbedarf). Das hat aber eine gewisse Grenze; hat bei einem Induktionsapparat der üblichen Größe der sekundäre Widerstand einmal den Wert von einigen tausend Ohm erreicht, so wird durch Einschaltung von noch mehr Widerstand der Elektrizitätsbedarf nicht mehr merklich herabgedrückt. Der genauere Zusammenhang kommt bei graphischer Darstellung zutage; trägt man den reziproken Widerstand als Abszisse, den Elektri- zitätsbedarf als Ordinate in ein Koordinatennetz ein, so erhält man eine (fast) gerade Linie, die die Ordinatenachse oberhalb des Nullpunktes schneidet und dann nach rechts ansteigt. Daraus folgt die einfache Induktionsströme als Reize. I. 145 Formel (@ = Quantität = Elektrizitätsbedarf, W = Widerstand des sekundären Kreises; & und 5b sind zwei Konstanten): 9=a+b/W (1) Nun zeigte es sich, daß der Koeffizient db, der geometrisch die Steilheit der auf die eben bezeichnete Weise konstruierten Graden bezeichnet, desto größer ist, je größer die Selbstinduktion p der sekundären Spule, und ihr anscheinend proportional. Man hätte dann b = ßp zu setzen (ß eine Konstante), und die Formel, die die Wirkung eines Öffnungs- induktionsreizes wiedergibt, hieße dann: Qa=&%+PplW (2) Die Existenz der Gleichung (1) ist in der vorigen Arbeit bewiesen; dagegen fehlte für eine genauere Prüfung der Gleichung (2) noch das genügende experimentelle Material. Um dieses zu sammeln ist die vor- liegende Untersuchung angestellt. Die in der letzten Gleichung auf- gestellte Hypothese konnte bestätigt werden. Damit sind die quan- titativen Beziehungen zwischen den Konstanten des Induktionsreizes und seiner Wirkung vollständig aufgeklärt. Das aufgefundene Gesetz hat äußerlich eine sehr große Ähnlichkeit mit dem bekannten Hoorwegschen KondensatorgesetzQ = PÜ=a+bRC (2 = Schwellenelektrizitätsmenge, P Spannung, © Kapazität des Kon- densators, R Widerstand des Entladungskreises). Das ist schwerlich ein Zufall, sondern hängt mit dem ähnlichen zeitlichen Verlauf der Induktionsströme und der Kondensatorentladungen zusammen. Wie weit diese Ähnlichkeit geht, kann aber erst nach weiteren auf diesen Punkt gerichteten Untersuchungen entschieden werden. Darüber wird im nächsten Teil berichtet werden. Versuche über den Einfluß der Selbstinduktion einer Reizspule auf den Elektrizitätsbedarf eines Muskels. Wenn man irgendein beliebiges, zu physiologischen Zwecken die- nendes Induktorium nimmt und daraus den Eisenkern entfernt, so kann man damit leicht den folgenden Versuch anstellen: Man schalte in den primären Kreis eine recht konstante Stromquelle (Akkumulator), einen Schlüssel (Platin oder Quecksilber mit übergeschichtetem Alkohol oder Wasser) und einen Rheostaten mit einigen hundert Ohm Wider- stand ein. Mit den sekundären Klemmen verbinde man unpolarisier- bare Elektroden, die man einem Muskel oder Nerven anlegt. Jetzt schiebe man die Rollen übereinander und reize durch Öffnung des Schlüssels. Der Reiz wird im allgemeinen beträchtlich über der Schwelle liegen. Nun schalte man in den primären Kreis solange Widerstand ein, bis gerade eine Minimalzuckung eintritt. Darauf vertausche man das Präparat mit einem ballistischen Galvanometer. Man wird dann an Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 10 146 M. Gildemeister: diesem sowohl bei Schließung als bei Öffnung des Schlüssels einen ge- wissen Ausschlag A beobachten. Nun ziehe man die Rollen etwas auseinander. Jetzt wird der Öft- nungsreiz natürlich subminimal sein ; um ihn wieder wirksam zu machen, mußder primäre Strom verstärkt werden. Wird wieder das Galvanometer an die Stelle des Präparates eingeschaltet, so resultiert wieder derselbe Ausschlag A, und so fort bei steigendem Rollenabstand, gleichgültig wie groß er ist. Nur wenn der primäre Strom zu sehr verstärkt werden muß, so daß Öffnungsfunken merklich werden, gilt dies Gesetz nicht mehr. Der Muskel braucht also, wenn das Induktorium dasselbe bleibt und auch der Widerstand im sekundären Kreise nicht geändert wird, zur mini- malen Reaktion dieselbe Elektrizitätsmenge. Das gilt auch für sonstige reizbare Organe. Im Lichte der oben entwickelten Thee ist das verständ- lich, denn weder W noch p sind geändert [siehe Gleichung (2) S. 6]. Ganz anders, wenn der Eisenkern wieder an seine Stelle gebracht wird. In diesem Falle sinkt, unter sonst ungeänderten Versuchs- bedingungen, die am Galvanometer abgelesene Elektrizitätsmenge mit steigendem Rollenabstand. Zur Erläuterung sei ein Versuchsprotokoll eingefügt, aus dem dieses Verhalten zu ersehen ist. Froschgastrocnemius, nicht curarisiert, mit unpolarisierbaren Elektroden vom Nervenpunkte aus gereizt. Induktorium: sekundäre Spirale 2400 Windungen, 14 cm lang, 3,5 cm innerer, 7 cm äußerer Durchmesser. Widerstand 94,5 Ohm, Selbstpotential 0,51 Henry. Eisenkern aus Blumendraht 14 cm lang, 1,3 cm dick, Gewicht 125 g. Im primären Kreis ein Akkumulator und ein Stöpselrheostat mit dem Widerstande W (2. Spalte). Die erste Spalte gibt den Rollenabstand an, die dritte läßt die primäre Stromstärke erkennen, bei welcher die Minimalzuckung auftrat; in der vierten ist der zugehörige Galvanometerausschlag notiert. ZZ be- deutet, daß zwei aufeinander folgende Versuche Zuckungen ergeben hatten. Um die Willkürlichkeit in der Bestimmung der Schwelle einzuschränken, wurde jedes- malnoch eine um wenige Prozente geringere Stromstärke angegeben, bei welcher keine Zuckungen mehr zu beobachten sind (RR = zweimal Ruhe). Die wahre Schwelle, die sich ja nicht ermitteln läßt, liest dann sicher zwischen den beiden Grenzen. Primärer Widerstand Primäre Intensität Galvanometerausschl a Rollenabstand Ohm Milliampere Skalenteile cm ZZ RR ZZ RR ZZ RR 0 200 210 10,0 9,5 46 44 3 190 200 10,5 10,0 46 44 6 160 170 195 | 11,8 43 41 9 120 125 16,7 16,0 39 38 12 75 80 26,7 25,0 | 35 33 15 35 37 57,1 54,0 33 al 18 11 11% 181,8 166,7 38 35 0) 200 210 10,0 9,5 46 44 Die allmähliche Abnahme der Zahlen der letzten Spalte mit steigen- dem Rollenabstande ist nicht zu verkennen. Bei 13cm macht sich wohl Funkenwirkung geltend. Induktionsströme als Reize. II. 147 Bei indirekter Reizung ist die Abnahme des Elektrizitätsbedarfs mit steigendem Rollenabstande nur wenig ausgeprägt. Nach dem oben Gesagten liest das am großen Widerstand. des Nerven. Nun fragt es sich, weshalb der Eisenkern die beschriebene Wirkung hat. Die Erklärung ergibt sich aus den bisherigen Untersuchungen ziem- lich einfach. Auf den Verlauf des Induktionsstromes ist von wesent- lichem Einfluß der Selbstinduktionskoeffizient der sekundären Rolle. Diese Größe hat bei der kernlosen Rolle immer denselben Wert; der Rollenabstand hat darauf keinen Einfluß. Wenn der Eisenkern aber vorhanden ist, befindet er sich beim Rollenabstand Null ganz innerhalb der sekundären Spirale und erhöht ihr Selbstpotential. Je mehr man jetzt die Rollen voneinander entfernt, desto weniger ragt der Kern in die sekundäre Spule hinein. Deshalb sinkt ihr Selbstpotential, um schließlich merklich den Wert der leeren Spule zu erreichen, wenn die beiden Rollen nur noch mit den Stirnseiten zusammenstoßen. Das geht aus folgendem Protokoll hervor, wobei die Selbstinduktion der sekundären Rolle in der Wheatstoneschen Brücke durch Vergleich mit einer bekannten Rolle nach Kohlrausch (wie eine Leitfähigkeit, mit Induktoirum und Telephon) gemessen ist. Schweigt das Telephon, so verhalten sich die Ohmschen Widerstände und die Selbstinduktionen der beiden vergliche- nen Brückenzweige wie die entsprechenden Abschnitte des Meßdrahtes !). Rollenabstände . .... 0 3 6 9 12. 15118 cm Selbstinduktion \ { Re) ae ae le 75 ei in Henry/100 207720072 1272123784256) 477 7465 Zweite Reihe schwache Meßströme, dritte Reihe starke Meßströme. Aus diesem Protokoll sieht man, daß das Selbstpotential der sekun- dären Spule nicht nur vom Rollenabstand, d. h. vom mehr oder weniger tiefen Hineinragen des Kernes, sondern auch von der Stärke der in der Spule kreisenden Ströme, d.h. dem durch sie erzeugten magnetischen Feld abhängt 2). Aus diesem Protokoll in Verbindung mit dem auf S. 146 mitgeteilten geht hervor, daß Elektrizitätsbedarf und Selbstpotential symbat sind. Nach welchem Gesetz aber, das bedarf noch der genaueren Prüfung. Da bei Gegenwart von Eisen die Selbstinduktion, wie obiges Beispiel zeigt, nicht definiert ist, wenden wir uns jetzt eisenlosen Spulen mit variablem Selbstpotential zu und untersuchen die Abhängigkeit des Elektrizitätsbedarfs von dieser Variablen. Allgemeines über die Methodik. In den jetzt mitzuteilenden Versuchen wurden die Präparate so behandelt, daß sie möglichst lange frisch und konstant in ihrer Reiz- 1) Siehe F. Kohlrausch, Lehrbuch der prakt. Physik, 10. Aufl., S. 537, Nr. 5. 2) Die Permeabilität des Eisens ist bekanntlich keine Konstante, sondern steigt in dem hier in Betracht kommenden Bereich mit der Feldstärke. 105 148 M. Gildemeister: barkeit blieben. Wie schon früher einmal erwähnt, dürfen Frösche dazu nicht in metallnen Gefäßen gehalten werden, insbesondere nicht in solchen aus Zink. Während der kühleren Jahreszeit wurden sie einige Tage vor den Versuchen gefüttert, indem ihnen mit einer Pinzette Fleisch von der Größe eines Wadenmuskels tief in den Rachen geschoben wurde. Dann wurden sie bei konstanter mittlerer Temperatur aufbewahrt. In der ersten Zeit nach der Herstellung eines Präparates ist bekannt- lich die Konstanz mangelhaft. Es wurde deshalb entweder mehrere Stunden in Ringerlösung der Versuchstemperatur (gewöhnlich 8S—10°) gelegt, oder das Gleichgewicht wurde im wassergesättigten Versuchs- raum nach Anlegung der Elektroden abgewartet. Bei indirekter Reizung wurde absteigender Strom verwendet und die Kathode an eine unver- letzten Stelle des Hüftnerven angelest. Als Elektrode diente die Kombination Quecksilber-Kalomel-Ringer-spitzer Gelatinepfropf. Der Versuchsraum war eine Kammer mit doppelten Wänden und Wasserdurchspülung, mit gleichfalls doppelwandigem, wasserdurch- spültem Deckel. Die Zuckungen wurden teils beobachtet, teils mittels eines durch ein feines Loch geführten Fadens registriert. Was die Reizversuche selbst anbetrifft, so handelt es sich hier wie so oft in der Reizphysiologie um Ermittlung der Schwelle. Diese Aufgabe ist streng genommen gar nicht zu lösen. Denn wenn man einen Reiz als Schwellenreiz bezeichnet, so heißt das doch, daß ein um einen unendlich kleinen Betrag schwächerer unwirksam ist. Beim Abtasten aber springt man naturgemäß um Stufen von endlichem Betrage. Nun hat es bei der Genauigkeit und Konstanz, die auf diesem Gebiete zu erzielen ist, keinen Sinn, um weniger als 2, oft auch als 4%, zu springen. Findet man also einen Reiz von 100 (in irgendeinem Maß gemessenen) Einheiten wirksam, einen anderen von 96 aber unwirksam, so darf man eigentlich 100 nicht als Schwellenreiz bezeichnen; dieser liest, vielmehr vielleicht bei 97 oder 99. Deshalb gebe ich hier wie in früheren Arbeiten immer die beiden Grenzen an in der Form: 96 RR, 100 ZZ. Das soll heißen: Auf den Reiz 96 trat bei mehreren aufeinander folgenden Ver- suchen kein sichtbarer Erfolg ein (RR = Ruhe, Ruhe), während bei 100 mehrere Male ein Erfolg zu beobachten war (ZZ = Zuckung, Zuckung). Ist auch der Reiz 98 geprüft worden und war dabei der Erfolg schwan- kend, so findet sich in den Protokollen die Notiz 98 RZ. Erweist sich das Präparat als sehr konstant oder glaubt man ihm sehr viele Proben zumuten zu können, so kann man auch einmal um kleinere Stufen springen; jedoch wird man auch dann nur eine obere und eine untere Grenze für die Schwelle angeben können. Ich glaube, es würde viel zu der Klärung dieses Gebietes beitragen, wenn der angegebene Gebrauch allgemein würde. Ein sehr geeignetes Objekt, das ja auch schon oft benutzt ist, ist der uncurarisierte Froschgastroenemius, besonders wenn man nur die Induktionsströme als Reize. II. 149 Sehne, nicht das Muskelfleisch von der Tibia loslöst. An seiner medialen Seite, dieht am Knochen, an der Grenze zwischen mittlerem und oberem Drittel, ist eine Stelle, der ‚‚Nervenpunkt“, von der aus er ebenso leicht anspricht, als wenn man den Nerven reizt. Hier habe ich immer die zugespitzte Kathode angelegt, während die Anode in breiter Fläche dem Muskel an einer anderen Stelle oder dem Knochen anlag. Dieses Präparat bietet alle Vorteile der indirekten Reizung, besonders, im Gegensatz zum curarisierten Muskel, bei dem ein sehr breites Gebiet kleiner Zuckungen über der Schwelle liegt, eine sehr scharf ausgeprägte Schwelle, ohne doch wie das typische Nervmuskelpräparat sehr emp- findlich gegen Austrocknen zu sein. Versuche mit eisenfreien Spulen variabler Selbstinduktion. Es wurde eine Rolle aus 0,2 mm-Draht gewickelt, Gewicht 340 g, Länge 40 mm, innerer Durchmesser 32 mm, äußerer Durchmesser 65 mm, Ohmscher Widerstand 350 Ohm. Der Draht wurde in 7 Abschnitte geteilt und die Enden nach außen geführt, so daß die einzelnen Abtei- lungen gleich- oder gegensinnig zueinander geschaltet werden konnten. Waren alle Abteilungen gleichsinnig geschaltet, so betrug die Selbst- induktion 0,545 Henry; durch passende Gegenschaltung einzelner Abteilungen konnte sie bis auf 0,017 Henry herabgesetzt werden. Ferner konnten zahlreiche Zwischenwerte eingestellt werden, ohne daß sich der Ohmsche Widerstand änderte. Diese Spule wurde über die primäre eines gewöhnlichen Induktoriums geschoben, die mit einem Akkumulator, einem Widerstand von 20 Ohm und einem Platinschlüssel verbunden war, der durch einen Schlag sehr rasch geöffnet werden konnte. Wie man ausder Gleichung (1) S. 145 sieht, ist der Einfluß des zweiten Gliedes der rechten Seite auf @ desto größer, je kleiner derWiderstand,da ja W im Nenner steht. Verbindet man aber die Spule unmittelbar mit dem Ob- jekt, so arbeitet man mit dem Widerstand von Spule + Präparat, d.h. mit einigen tausend Ohm. Es muß deshalb durch eine passende Schaltung der Widerstand des Kreises, auf den die Spule arbeitet, herabgesetzt werden. Deshalb wurden wie in der vorigen Arbeit über Induktionsströme die Enden der Reizspule mit einem Widerstand von 100, in anderen Fällen 500, 700 oder 1500 Ohm verbunden. Dann wurde mittels zweier fliegender Kontakte davon abgegriffen und soviel Spannung abgenom- men, bis bei Öffnung des primären Schlüssels die Schwellenreizung ein- trat!). Das wurde bei verschiedenen Selbstinduktionen (aber, wie er- wähnt, konstantem Widerstand) der Reizspule wiederholt und zum Schluß wurde das Präparat durch ein ballistisches Galvanometer ersetzt und so die schwellenmäßige. Elektrizitätsmenge bestimmt (oder vielmehr 1) Die „Stärke“ der Induktionsströme wurde also hier nicht durch Rollen- verschiebung, sondern durch Abgreifen von einem Spannungsteiler verändert. 150 M. Gildemeister: eine ihr proportionale Größe, wenn der Widerstand des Präparats als konstant angesehen wird). Nun kann man ohne wesentlichen Fehler den Widerstand des sekundären Kreises gleich Spule + Nebenschluß setzen ; daß zu einem Teil des letzteren das Präparat mit seinem hohen Widerstand parallel liegt, kann unberücksichtigt bleiben. Die Ergebnisse sind aus der folgenden Tabelle zu ersehen. Der Gesamtwiderstand W setzt sich zusammen aus dem Nebenschluß und dem Spulenwiderstand von 350 Ohm. Die Selbstinduktion ? ist, wie schon erwähnt, durch verschiedene Verbindung der 7 Spulenabteilungen variiert. Im sechsten Stab findet man zuerst diejenige (galvanometrisch bestimmte) Elektrizitätsmenge, die noch nicht reizt, darauf die eben überschwellige. Die Q-Werte sind ersichtlich bei gleichem W symbat dem 7, bei glei- chem p (Versuche B, D, E, G)antibatdem W. Bei graphischer Darstellung ergibt jede Gruppe, die zu demselben W gehört, mit großer Annäherung eine nach rechts aufsteigende Gerade, die die Ordinatenachse über dem Nullpunkt schneidet, wenn man @ zur Ordinate, p zur Abszisse macht. Es ist also Q=a+tecp, worin & und c Konstanten. Nun ist sehr wesentlich und bestätigt die eingangs ausgesprochene Hypothese, daß in jedem Versuch mit variiertem W (B, D, E, G) die a&-Werte (siehe letzter Stab) einander gleich, und die c-Werte umgekehrt proportional W, also gleich $/W sind. Wir erhalten also die Formel Q=a+PßplW konform mit Gleichung (2) S.145. Die &- und P-Werte sind für alle Ver- suche ausgerechnet und finden sich im letzten Stabe; man sieht in den Versuchen B, D, E und G ihre sehr befriedigende Konstanz, und in der letzten Reihe des vorletzten Stabes die damit errechneten Q-Werte, die sich mit den gefundenen recht gut decken. Eine größere Übereinstim- mung, als wir sie hier finden, kann man nicht erwarten, da die Versuchs- fehler naturgemäß beträchtlich sind. So ist es z.B. fraglich, ob man für den Widerstand der Spule den mit Gleichstrom gefundenen ansetzen darf; wahrscheinlich hat eine Spule gegenüber einem kurzen Stromstoß ebenso einen vergrößerten Widerstand wie gegen frequente Wechselströme !). In bezug auf die Eichung von Induktorien kann man aus unserer Gleichung folgende Schlüsse ziehen: Nach der vorliegenden Untersuchung sind alle Elektrizitätsmengen, die von kernlosen Induktorien geliefert werden, und die die Gleichung (2) 8.145 befriedigen, reizphysiologisch äquivalent, d.h. sie veranlassen bei einem gegebenen reizbaren Objekt eine Schwellenerregung. Wenn 1) J. Zenneck, Lehrb. d. drahtlosen Telegraphie, 2. Aufl. 1913, S. 60. Induktionsströme als Reize. II. 151 Neben- I 2 5 a Formel: | one [Ati lormmeisuber| ziinataimean | ur Ohm | Ohm | Henry | RR ZZ = = A | Froschmuskel | 100 | 450 0,545 100 107 107 '" ohne Curare 0,384 | 79 82 82 23,3 |710 - 102 s°C 0,265 | 63 66 64 0,057 | 30 32 32 0,545 100 107 B1| Froschmuskel | 100 450 | 0,545 | 50,5 53 53,0 ohne Curara 0,265 | 30,5 33 31,0| 10,0 1356 - 102 s°C 0,057 15 15,5 14,5 | 0,545 | 50 50,5 2 400 750 0,545 | 34 35 35,0 0,265 | 21,5 23 2222) E00 342102 | | 0,057 | 12,5 13 12,6 | 0,545 | 34 35 3| | 700 | 1050 | 0,545 | 27,5 28 28,0 | 0,265 | 18,5 19,5 18,3| 10,0 1347 - 102 | 1E0:0570 DOSE IT 11,9 Ber.) | | | 0,545 | 26,5 27,5 C | Froschmuskel | 1500 | 1850 | 0,545 | 52 53 53 ohne Curare | 0,265 | 37 38 38 | 22,8 11023 -10? 10°C | 0,545 | 52 53 BL | 0,057 | 25 26 26 D1| Froschmuskel 500 | 850 | 0,057 | 18,5 19 18,3 ohne Curare | 0,265 | 32 33 32451, 1416215572102 10°C | 0,545 | 48 49 50,2 0,057 | 18,5 19 | 2 1500 | 1850 | 0,057 | 15,5 16 16,4, | 0,265 | 23 23,5 23.2 14,6 1|598 - 102 | 0,545 | 31,5 32,5 3222) | | 0,057| 15,5 16 E1l|| Froschnerv | 200 | 550 | 0,057| 2,8 29 IOTTE | 0,545) 64 6,5 6,3 2,16 |418 - 10 | 0,265| 4,0 44 4,2 0.057 25227 2,6 2 500 | 850 | 0,057 | 2,3 2,4 2,4 0,545) 5,0 5,2 4,6 2,16 |388 - 10 | 0,265 | 3,3 3,4 3,4 E00 50232 2,3 F | Krötenmuskel | 500 | 850 | 0,265 | 53 55 53 ohne Curare ' 0,545 | 72 74 76 31,3 1697 - 102 s°C | 0,057 | 34 35 36 0,265 | 53 55 G1l| Krötennerv 100 | 450 | 0,265| 7,6 7,8 1.3 8°C 0.545 FI 3 7 12,9 3,0 |735 -10 0.057057 08212 3,9 | 0,265 7,6 7,8 2 500 ı 850 | 0,265| 5,5 rl ı 0,545| 7,7 7.9 7,8 3,0 1748 - 10 00576. 3.4.5375 3,5 0,265 5455 5,3) 1) Nach der im letzten Stab angegebenen Formel. 152 M. Gildemeister: Induktionsströme als Reize. 11. man nun Induktorien benutzt, bei denen p/W sehr klein ist (sekundäre Spule also entweder sehr windungsarm oder sehr widerstandsreich oder beides), so verschwindet das zweite Glied rechts gegen das erste. Die physiologisch äquivalenten Quantitäten sind dann auch physikalisch ein- ander gleich, d.h.die übliche Eichungsmethode nach Elektrizitätsmengen ist einwandfrei und zur Charakterisierung des Reizwertes eines Öffnungs- stromes geeignet. Dasselbe Ziel erreicht man, wenn man allen Apparaten das gleiche Verhältnis p/W gibt. Grundsätzlich sind beide Wege gangbar, jedoch hat jeder Vor- und Nachteile, die nur auf Grund von Versuchen gegeneinander ab- gewogen werden können. Ein Eisenkern, über den sich die sekundäre Spule verschiebt, ver- ändert ihre Selbstinduktion und ist deshalb für eichbare Instrumente nicht brauchbar. Das in der Gleichung (2) niedergelegte Ergebnis ist ohne irgendeine hypothetische Voraussetzung rein induktiv gewonnen und spricht nur die quantitativen Beziehungen zwischen der zu einem Schwellenreiz nötigen Elektrizitätsmenge und den Variablen eines Induktoriums aus. Weiter war das Ziel der vorliegenden Arbeit auch nicht gesteckt. Die Frage nach den tieferen Zusammenhängen physiologischer Art muß solange zurückgestellt werden, bis der zeitliche Verlauf der Induktions- ströme vollständig aufgeklärt ist. Das in der Literatur zerstreute Material ist spärlich und teilweise widerspruchsvoll. Darüber soll in einer besonderen Abhandlung berichtet werden. Zusammenfassung. In einer früheren Arbeit ist gezeigt worden, daß beim Schwellenreiz durch den Öffnungsstrom eines kernlosen Induktoriums die Gleichung erfüllt wird @ = & + b/W (Q Elektrizitätsmenge des Induktionsstroms, W Widerstand des sekundären Kreises, « und 5b Konstanten). Jetzt wird die damals geäußerte Vermutung, daß in der Konstanten b die Selbstinduktion p der sekundären Spule als Faktor stecke, durch neue Versuche erhärtet. Die Reizgleichung des Öffnungsinduktionsstromes heißt also, wenn & und ß zwei für das betreffende reizbare Objekt charakteristische Konstanten sind = & + Pßp/W. Daraus ergeben sich wichtige Gesichtspunkte für die Eichung von Induktorien. Die physiologischen Grundlagen für das gefundene Gesetz sind erst zu übersehen, wenn der zeitliche Verlauf der Induktionsströme genauer erforscht ist. Die Angaben in der Literatur sind widerspruchsvoll und deshalb vorläufig nicht zu verwerten. Die hier mitgeteilten Versuche sind noch im Straßburger Physio- logischen Institut angestellt worden. Über Elastizität und Innendruck der Gewebe. Von Martin Gildemeister und Luise Hoffmann. (Aus der physikalischen Abteilung des Physiologischen Instituts der Universität Berlin.) Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 4. März 1922.) Wenn man ein Organ, z. B. einen menschlichen Arm, betastet, so setzt es dem Eindringen des tastenden Fingers einen gewissen Wider- stand entgegen, nimmt aber im allgemeinen nach Aufhören des Druckes wieder seine frühere Form an. Die Autoren, die sich. zuerst mit dieser Eigenschaft genauer beschäftigt haben!), sprechen von der Härte der Gewebe und nennen z. B. den tätigen Muskel härter als den ruhenden. Der eine von uns hat vor einiger Zeit über diesen Gegenstand Unter- suchungen angestellt?) und hat darauf hingewiesen, daß man es hier nicht mit Härte im physikalischen Sinne zu tun hat, sondern mit Elasti- zität. Die physikalische Härte wird bestimmt, indem man dem zu prüfenden Gegenstand eine bleibende Deformation erteilt, einen Ritz, eine Delle, einen Sprung; sie gibt sich kund durch den Widerstand gegen Trennung vorher verbundener Teile, sie gehört in die Begriffs- kategorie der Festigkeit. Es ist also in diesem Sinne nicht richtig, nach der Härte eines Muskels oder eines Luftreifens zu fragen, denn beide nehmen keine dauernde Deformation auf Druck an. Die Widerstände dieser Objekte gegen Formveränderung rühren von elastischen Gegenkräften her; ebenso haben wir. in obigem Beispiel, dem menschlichen Arm (Haut + Unterhautgewebe + Muskel) von Elastizität zu sprechen, und zwar in diesem Falle (im Gegensatz zu der bei Zug zur Geltung kommenden Dehnunsselastizität) von Eindringungs- elastizität, für welche in der angeführten Arbeit die Bezeichnung Resistenz, allenfalls auch in Anlehnung an den populären Sprachgebrauch Tasthärte, vorgeschlagen wurde. R. Springer hat im Anschluß daran Versuche über die Resistenz menschlicher Muskeln mitgeteilt?), über den Einfluß von Geschlecht, 1) A. Noyons und J. von Uexküll, Die Härte der Muskeln. Zeitschr. f. Biol. 56, 139. 1911. 2) M. Gildemeister, Die sogenannte Härte tierischer Gewebe und ihre Messung. Zeitschr. f. Biol. 63, 183. 1914. ®) R. Springer, Untersuchungen über die Resistenz (die sogenannte Härte) menschlicher Muskeln. Zeitschr. f. Biol. 63, 201. 1914. 154 M. Gildemeister und L. Hoffmann: Lebensalter, Ermüdung, Nervenreizung, Belastung u. a. m. Die Er- gebnisse können hier übergangen werden; von der Methode wird noch unten die Rede sein. Das Wesentliche an ihr war, daß sie längeren Druck mit seinen unerwünschten Folgen — elastische Nachwirkung, Reizung, Wasserverschiebung — vermied. In der vorliegenden Arbeit haben wir uns der Körperdecke — Haut und Unterhautgewebe — zugewandt und ihre Resistenz zu bestimmen gesucht, hauptsächlich in der Erwartung, daraus Schlüsse auf den Druck der das Gewebe durchtränkenden Flüssigkeit ziehen zu können. Das ist uns unseres Erachtens innerhalb gewisser Grenzen gelungen. Im letzten Teil der Arbeit soll erörtert werden, wie sich unsere Gewebs- druckwerte zu den von anderer Seite gefundenen Werten des Capillar- drucks verhalten, wobei die Theorien der Lymphbildung in Betracht zu ziehen sind. Allgemeines über Messung «ler Resistenz. Der elastische Widerstand gegen Eindrücke wird bei unbelebten Objekten gewöhnlich so gemessen, daß ein Druckkörper einfacher Form, z. B. ein Kugelabschnitt, gegen dieselben gedrückt wird und gleichzeitig Druck und Tiefe des Eindrucks festgestellt werden!). Nach ähnlichen Grundsätzen verfuhren auch die Autoren, die sich mit der Tasthärte der Muskeln beschäftigten?). Jedoch macht sich bei solchem Verfahren die elastische Nachwirkung geltend, so daß bei gleichbleiben- dem Druck die Tiefe der Delle mit der Zeit wächst. Dadurch werden naturgemäß genaue Messungen unmöglich gemacht. Deshalb hat der eine von uns in der oben (8. 153 Anm. 2) zitierten Untersuchung eine Momentanmethode ausgearbeitet, bei der der Druckkörper nur eine sehr kurze Zeitspanne gegen das Gewebe angepreßt wird. Bei den Springer- schen Versuchen wurde ein kleiner Metalikörper, etwa von der Größe und Form eines flachen 2 g-Gewichtes, auf die Haut über dem zu unter- suchenden Muskel (Biceps brachii) geklebt und mit einer Stromquelle und einem elektrischen Meßinstrument verbunden. Ein gleichfalls in den Stromkreis eingeschaltetes Metallhämmerchen, das in der Ruhelage dicht vor dem Druckplättchen hing, wurde nun um einen jedesmal gleichen Winkel gehoben und prallte nach dem Loslassen gegen die Spitze des Plättchens, dieses in den Muskel eindrückend und für die Dauer der Berührung den Stromkreis schließend. Vorherige Modell- versuche hatten gezeigt, daß die Dauer der Berührungszeit und damit auch der Galvanometerausschlag dem Quadrate des Eindringungs- 1) M. Gildemeister, Über die Elastizität von Leimgallerten. Zeitschr. t. Biol. 63, 175. 1914. ?) Siehe die Literatur in den angeführten Arbeiten von Giüldemeister und Springer. Über Elastizität und Innendruck der Gewebe. 155 moduls umgekehrt proportional war. Oder kürzer: Je resistenter der Muskel, desto kleiner der abgelesene Ausschlag. Das Wesentliche bei dieser Anordnung ist, daß es nicht auf die Tiefe des Eindrucks, sondern auf einen Zeitfaktor ankommt, der gesetzmäßig mit der Elastizitäts- konstanten zusammenhängt und der sich nur wenig mit der Fall- geschwindigkeit des Hammers ändert. Das Instrument wurde das ballistische Elastometer genannt. | Wir hielten diese Methode zu dem vorliegenden Zweck für geeignet. Da wir die Eindrückbarkeit nur der obersten Körperschichten messen wollten, mußten wir natürlich das Trägheitsmoment des Hammers und seine Fallgeschwindigkeit so gering machen, daß er nicht bis auf die Unterlage (Fascie, Muskel, Knochen) durchschlug, was streng senommen wohl eine unmögliche Forderung ist. Denn es wird einen, wenn auch praktisch oft zu vernachlässigenden, Einfluß auf die Ein- drückbarkeit einer Körperstelle auch bei den kleinsten Eindrücken haben, ob das gedrückte Gewebe unter sich ein gleichartiges oder ein strafferes Widerlager hat. Innerhalb der Grenzen der hier überhaupt erreichbaren Genauigkeit glauben wir aber diesen Versuchsfehler ver- nachlässigen zu können. Auch die von den oben angeführten Autoren ausgebildeten Druck- methoden dürften sich, wenn man die Druckzeit soweit wie möglich verkürzt, von den durch die elastische Nachdehnung hervorgerufenen Fehlern befreien lassen. Über den Zusammenhang zwischen Druck der Gewebsflüssigkeit und Resistenz. Wir wollen in erster Annäherung annehmen, daß der Druck, den unser Finger beim zarten Betasten von Haut + Unterhautzellgewebe verspürt, davon herrührt, daß die Hohlräume dieser Gewebe mit Flüssig- keit unter einem gewissen hydrostatischen Druck erfüllt sind. Diese Annahme setzt voraus, daß wir nicht auf straffere Gewebe durchdrücken und ist zunächst nur zulässig für Stellen, an denen Fascien, Muskeln oder Knochen ziemlich tief liegen und das Unterhautgewebe gut ent- wickelt ist, wie z. B. die Beugeseite des Unterarms dicht unter dem Ellbogengelenk bei nicht zu fettarmen Personen. Es ist klar, daß in Wirklichkeit verschiedene Einflüsse sich geltend machen werden, die den Gegendruck des Gewebes größer erscheinen lassen, als ihn eine mit Flüssigkeit desselben hydrostatischen Druckes gefüllte Blase mit mem- branöser (also nicht mit Steifigkeit behafteter) Wand ausüben würde. Das sind: Die Steifigkeit der Oberhaut; die harte Unterlage; die Unter- teilung in kleinere Hohlräume, wodurch an den Grenzflächen durch Oberflächenwirkung gewissermaßen Häutchen mit den Eigenschaften fester Membranen entstehen; die Verbindung der in der Gewebsflüssig- 156 M. Gildemeister und L. Hoffmann: keit verteilten Zellen durch fasrige Brücken, die vielleicht nicht immer, aber doch sicher teilweise bei Verschiebung durch Außendruck an- gespannt werden. Daß das Gewebe von Strängen vielleicht höheren Innendrucks (Gefäßen) durchzogen ist, ist dann ohne Bedeutung, wenn sich auch hinter ihnen Gewebsflüssigkeit befindet, so daß sie aus- weichen können. Ebenso ist es — genügende Schlaffheit und Dehnbar- keit der Verbindungsstränge vorausgesetzt — in unserem Schema gleichgültig, daß die Zellen wahrscheinlich wegen ihres Gehaltes an gequollenen Kolloiden einen viel höheren hydrostatischen Innendruck haben als die umspülende Lymphe. Wir denken uns das Gewebe also vorläufig etwa so aufgebaut: Ein Hohlraum ist bekleidet mit einer Hülle von gewisser Steifigkeit (Haut). Darin liegen zahlreiche kleine Gebilde, durch nicht oder nur wenig gespannte dehnbare Brücken verbunden, unbekannten, aber hohen Innendrucks (Zellen, Fasern verschiedener Art). Zwischen ihnen bleiben zahlreiche kleine Hohlräume, die größtenteils miteinander in Verbindung stehen, erfüllt mit einer praktisch ruhenden Flüssigkeit, die unter dem zu messenden hydrostatischen Druck steht. Die vertikale Ausdehnung jedes Systems kommunizierender Hohlräume wird als so klein voraus- gesetzt, daß die Zunahme des hydrostatischen Drucks nach der Tiefe hin, die durch die Schwere verursacht ist, gegen den Gesamtdruck vernachlässigt werden kann. Alle die oben angeführten Umstände bewirken, daß die Hülle sich schwerer wird eindrücken lassen als bei dem Idealmodell, der Blase mit membranöser Hülle. Die Resistenz des Gewebes wird also größer erscheinen, als sie infolge des Gewebsdruckes eigentlich sein müßte. Man wird also bei jedem elastizitätsmessenden Verfahren zunächst nur einen oberen Grenzwert des Gewebsdruckes bestimmen. Nimmt man aber an, wie es wohl zulässig ist, daß die Fälschung hauptsächlich von der Steifigkeit der Oberhaut herrührt, so wird man durch Vergleich mit einem Modell, das eine Hülle noch größerer Steifigkeit hat, auch einen unteren Grenzwert finden. Dieses Verfahren, das weiter unten noch erläutert wird, haben wir hier angewendet. Methodik. Die meisten Versuche wurden am Unterarm gesunder männlicher und weib- licher Personen im Alter von 20—30 Jahren angestellt. Der Arm wurde möglichst zwanglos in Supination auf ein niedriges Tischchen gelegt und zunächst an der weichsten Stelle, einige Zentimeter distal von der Ellbeuge, mit einem ebenen Metallplättchen, das oben eine kleine Spitze trug, versehen. Dieses wurde durch Mastisol oder durch ein durchlöchertes Kautschukpflaster befestigt. Später wurde der Druckkörper anders angeordnet. Siehe darüber S. 157. Dicht über der Spitze schwebte, an einer kleinen weichen Spiralfeder hängend, ein Stahl- hämmerchen mit polierter Unterfläche an einem wagerechten, um eine gleichfalls wagerechte Achse drehbaren Stiel. Plättehen und Hammer bildeten zusammen Über Elastizität und Innendruck der Gewebe. 157 mit zwei Akkumulatoren, einem Widerstand und einem Milliamperemeter einen Stromkreis. Der Zeiger des letztgenannten Instrumentes wurde etwas beschwert, um die Schwingungsdauer zu verlängern und so die Ablesung der kurzen Aus- schläge zu erleichtern. Die Konstanten des Hammers wurden mehrfach geändert; zuletzt hatte er einen zylindrischen Kopf von 12,5 mm Dicke, 17 mm Höhe und 13,5 g Gewicht, einen Holzstiel von 165 mm Länge, der über den Drehpunkt um 90 mm verlängert war und in 50 mm Abstand von der Achse ein Gegengewicht von 39,4 g trug. Sein Trägheitsmoment betrug 4700 g cm?, seine Endgeschwindig- keit, wenn er bis zu einem Anschlag gehoben und dann auf das Plättchen fallen gelassen wurde, etwa 30—50 cm/sec. Die ersten Versuche ergaben sehr ungleichmäßige Zeigerausschläge. Das lag einerseits an dem schlechten Sitz des ebenen Plättchens auf der leicht gewölbten Armfläche, andererseits an der zu großen getroffenen Masse (Plättchen + bewegter Gewebeteil) im Vergleich zu der Hammermasse. Es machte den Eindruck, als ob der Hammer sich nach der ersten Berührung wieder von der getroffenen Spitze trennte, um sie dann etwas später wieder einzuholen. Bei den Springerschen Ver- Abb. 1. Ballistisches Elastometer für wagerechte Flächen. H metallener Hammerkopf, @, Gegen- gewicht, Pl Zelluloidplättchen, oben darauf eine Metallspitze, @; Gegengewicht, an sehr leichtem Rahmen, A Achse, um die sowohl der Hammer, als der das Plättchen tragende Rahmen drehbar sind. F Feder, die den Hammerstiel wagerecht hält. B Anschlag, um immer dieselbe Fallhöhe zu sichern. — H und Pi sind durch biegsame Drähte, die zuerst bis in die Nähe der Achse geführt sind, mit einer Stromquelle und einem Meßinstrument verbunden. suchen konnte das Trägheitsmoment und die Fallgeschwindigkeit des Hammers viel größer bemessen werden, und wahrscheinlich war das der Grund der viel gleich- mäßigeren Resultate gewesen. Nach vielen Versuchen verließen wir die Plättchenmethode ganz und gingen dazu über, die Haut mit feinen Netzen aus Kupferdraht (von 0,09 mm Durch- messer) oder Silberbändern (sog. Plätt, 0,01 x 1 mm stark) zu belegen. Diese wurden mit einem Stoffrand umgeben und dieser durch Binden oder Kleben am Arm be- festist. Das konnte nur mit einer gewissen Spannung geschehen, wodurch die Steifiskeit der Oberhaut in unerwünschter Weise vermehrt wurde. Der Hammer wurde bei diesen Versuchen unten leicht abgerundet. Wir möchten die Netz- methode, jedoch nur mit Kupferdraht, nicht mit dem zur Wellenbildung neigen- den Plätt, bei ziemlich resistenten Objekten für entwicklungsfähig halten. Schließlich fanden wir ein weit vollkommeneres Verfahren (siehe die Ab- bildung). Es wurde ein leichter, aber starrer Hebel aus durch Leisten verstärktem Papier angefertist, ebenso lang wie der Hammerstiel und um dieselbe Achse, aber unabhängig von ihm, drehbar. Er trug genau unter der ebenen Hammer- fläche ein Zelluloidplättchen von der Form einer Kugelkalotte (Kugelradius 6,5 mm, Durchmesser der oberen ebenen Fläche 12 mm, Höhe etwa 3 mm). Auf dieser letzteren war eine kleine Messingspitze befestist, die für den elektrischen Kontakt mit dem 158 M. Gildemeister und L. Hoffmann: Hammer sorgte. Das Plättchen wurde mit seiner Rundung auf die zu untersuchende Stelle gelegt und durch ein jenseits der Achse angebrachtes Gegengewicht der Auf- lagedruck beinahe auf Null herabgebracht. Durch die gemeinsame Drehungs- achse war nun genau zentrisches Auftreffen des Hammers gesichert, durch die rundliche Form gleichförmige Auflage und Berührung mit der Haut. Die Zeiger- ausschläge blieben jetzt bei ungeänderten Versuchsbedingungen bis auf 12% konstant, Versuche. Das im vorigen Abschnitt beschriebene Plättchen wurde auf die zu untersuchende Körperstelle, wie schon erwähnt, meistens die Beugeseite des Unterarms, einige Zentimeter von der Ellbeuge entfernt, gelegt, wo es dank des Gegengewichtes ohne merklichen Druck ruhte. Von dem Augenblick an, wo der fallende Hammer aufschlug, bildete er mit dem Plättchen zusammen gewissermaßen eine zusammenhängende Masse, die sich mit einer gewissen Geschwindigkeit im Sinne des Hammerfalls bewegte. Sie hatte dabei den mit zunehmender Tiefe des Eindrucks wachsenden Gegendruck des deformierten Gewebes zu überwinden, bis ihre lebendige Kraft erschöpft war und die Rückbewegung einsetzte. Nach einiger Zeit — bei vollkommener Symmetrie der Vor- und Rück- bewegung dann, wenn das Gewebe wieder in Normalstellung kommt — werden sich Hammer und Plättchen trennen und der elektrische Kon- takt ist unterbrochen. Das schwere System Hammer + Plättchen + bewegter Gewebeteil macht also, schematisch betrachtet, eine Halb- . schwingung. In einem Teil der Versuche beschäftigten wir uns mit der Frage, wie die Resistenz des Gewebes von der Blutfülle und dem Blutdruck abhängt, ohne zunächst den absoluten Werten der abgelesenen Zahlen Beachtung zu schenken. Die Blutfülle des Armes änderten wir in zweier- lei Weise, nämlich durch mehr oder weniger starkes Abschnüren der Oberarmvenen (Biersche Stauung), und durch vollständiges Abschnüren aller Oberarmgefäße nach vorherigem Hochhalten und Ausdrücken des Armes (Esmarchsche Blutleere). Wir möchten noch einmal darauf aufmerksam machen, daß je „härter“ das Gewebe, desto kürzer die Stoßzeit, also desto kleiner die Zahlen. Es wurden 9 Versuchspersonen untersucht. Stauung. Die Versuche verliefen ganz gleichartig, und wir können uns deshalb auf Beispiele beschränken. Starke Stauung. Herr J. E., 27 Jahre alt, mittleres Fettpolster. Linker Unterarm Beugeseite 31/, cm von der Ellbeuge. Ellbogen im Winkel von 150° gebeugt. Ungestaut 145 Skalenteile. Anlegen der Binde. Nach 2 Minuten 145, nach 5 Minuten 120—110, nach 8 Minuten 90. Armumfang um Über Elastizität und Innendruck der Gewebe. 159 lcm vergrößert. Abnahme der Binde. Starke Hyperämie, starke Rötung. Nach 2 Minuten 150. Schwache Stauung. Frl. E. P., 29 Jahre alt, mittleres Fettpolster. Dieselbe Stelle wie oben. Ungestaut 220. Nach Anlegung der Binde allmähliche Verkleinerung der Zahlen. Nach 30 Minuten 180. Nach Abnahme der Binde 220-230. Wir können unsere Beobachtungen so zusammenfassen: Sehr bald nach Anlegung der Stauungsbinde beginnt die Resistenz zu steigen, zuerst ganz langsam, so daß nach 2 Minuten nur eine kleine Veränderung zu bemerken ist, dann rascher. Von der 10. bis zur 30. Minute kaum eine Veränderung. Nach Abnahme der Binde Erreichung des Normalzustandes in etwa 2 Minuten. Manchmal, so auch in den obigen Beispielen, geht dann die Resistenz unter den Normalwert hinunter, aber nur so wenig, daß wir zweifelhaft sind, ob hier nicht Zufälligkeiten im Spiele sind. Daß die absoluten Zahlen in obigen Beispielen differierten, lag daran, daß die elektrischen Widerstände im Kreise nicht dieselben waren. Blutleere. Auch hier können wir uns der großen Gleichartigkeit der Ergebnisse wegen auf die Mitteilung von Beispielen beschränken. Frl. H. v. P., 27 Jahre alt. Gutes Fettpolster. Linker Arm Beuge- seite 31/,cm von der Ellbeuge. Unterarmumfang 24 cm. Vor Ab- schnürung 154 Skalenteile.. Nach Abschnürung, in Abständen von 1 Minute gemessen: 150, 150, 154, 156, 158, 158. Nach 10 Minuten 158. Abnahme der Binde, reaktive Hyperämie. Nach je !/, Minute gemessen: 158, 158, 158, 154, 152, 152, 154, 154, 154. Herr J. E., 27 Jahre alt, mittleres Fettpolster. Untersuchte Stelle wie vorher. Normalwert 145. Nach Abschnüren nach 1 Minute: 140, 2 Minuten 145, 3 Minuten 150, 5 Minuten 152, 7 Minuten 154, 8 Minuten 152. Abnahme der Binde, reaktive Hyperämie: Nach je 1 Minute 150, 148, 148, 145. Wir können die Beobachtungen bei Blutleere so zusammenfassen: Gleich nach dem Anlegen der Binde entweder noch keine Veränderung der Resistenz oder eine kleine Vermehrung. Dann innerhalb 5 Minuten eine geringe Verminderung, sodann längere Zeit Konstanz. Nach Wiederherstellung des Blutumlaufes in 3—5 Minuten Erreichung des status quo ante, manchmal in der Zeit des ‚„Kribbelns“ von vorüber- gehender Erhärtung unterbrochen. Was den Grund für diese Schwankungen der Resistenz anbetrifft, so werden wir zunächst an Veränderungen des Capillardrucks denken. Dieser geht nach der Stauung, wenn der Widerstand in den Venen vermehrt ist, zweifellos sehr schnell in die Höhe. Die Resistenz bewegt sich in derselben Richtung, aber mit deutlicher Latenz; erst nach 2 Mi- nuten beginnt sie zu steigen, um sich dann noch bis zur 10. Minute in demselben Sinne zu verändern. 160 M. Gildemeister und L. Hoffmann: Nach Abnahme der Binde dauert es auch 1—2 Minuten, ehe die alten Werte wieder erreicht sind. Vielleicht ist die oben erwähnte, nach Wiedereintritt der normalen Strömungsverhältnisse manchmal zu beobachtende kurze ‚„Erweichung‘ auf die voraufgegangene durch die Stauung hervorgerufene Dehnung der Haut zu beziehen, wodurch diese schlaffer und leichter eindrückbar geworden ist (elastische Nach- wirkung). Im blutleeren : Arm ist der Capillardruck vermindert; jedoch erst nach einigen Minuten sinkt die Resistenz. Umgekehrt bei Abnahme der Binde. Daß in der Zeit der sensiblen Reizung (sofort nach Ab- schnürung, sowie in der Zeit der Hyperämie) die Resistenz manchmal für kurze Zeit zuzunehmen scheint, liegt wohl daran, daß nach den Springerschen Versuchen die Muskeln resistenter werden, wenn sensible Nerven gereizt sind. Denn wenn unser Hämmerchen auch nur wenig in das Gewebe eindringt, so wird sich eine stärkere Veränderung in den elastischen Konstanten der Unterlage und der Nachbarschaft doch geltend machen müssen. Wir möchten noch bemerken, daß die Stauung bei einem 65jährigen Arteriosklerotiker die Resistenz in dem oben geschilderten Sinne ver- änderte, daß aber bei Andmisierung und nach Wiederzutritt des Blutes die Elastometerzahlen nur sehr wenig schwankten. Hautspannung. Wie schon oben erwähnt, muß man annehmen, daß außer dem hydrostatischen Innendruck auch die Beschaffenheit der obersten Schicht die Resistenz des Gewebes beeinflussen wird. In demselben Sinne sprachen die oben erwähnten Erfahrungen über die Nachwirkung der Stauung. Wir haben nun die Hautspannung dadurch verändert, daß wir den Ellbogen in verschiedenem Winkel beugen ließen, wobei die untersuchte Stelle immer die oben beschriebene war (Beugeseite des Unterarms, 3—4 cm vom Ellbogengelenk). Wie erwartet, wuchs die Resistenz mit zunehmender Streckung. Beispiel: Frl. M. Sch., 30 Jahre alt, mittleres Fettpolster. Arm zuerst gestreckt, dann immer mehr bis zu 90° gebeugt. Elastometerzahlen: 160, 180, 210, 220. In den obigen Versuchen betrug der Ellbogenwinkel immer 110 bis 150° und wurde in jedem einzelnen konstant gehalten. Verschiedene Körperstellen. In dieser Beziehung verfügen wir nur über wenige Erfahrungen, weil die Entkleidung unserer. Versuchs- personen äußerer Umstände halber sich nieht durchführen ließ und .die leicht zugänglichen Körperstellen sich wegen geringer Dicke des Unter- hautgewebes zur Untersuchung schlecht eignen. Die Elastometerzahlen scheinen an der üblichen Stelle des Armes und am Beine in der Gegend des Fibulaköpfchens ungefähr die gleichen zu sein. Ebenso fanden wir an den Wangen und am Öhrläppchen fast dieselben Werte. Über Elastizität und Innendruck der Gewebe. 161 Absolute Eichung des Elastometers. Wie schon oben erwähnt, kam es uns hauptsächlich darauf an, den hydrostatischen Innendruck des Gewebes zu ermitteln. Wir verfuhren dabei zuerst folgendermaßen: Eine Recklinghausensche Manschette, wie sie zur Bestimmung des menschlichen Blutdrucks dient, wurde mit einem Gebläse und einem Manometer verbunden und bei wechselndem Innendruck mit dem Elastometer untersucht. Hier nahm natürlich die Resistenz mit ver- mindertem Innendruck ab, jedoch war sie selbst bei dem mit nur 2 mm Quecksilberdruck aufgeblasenen Luftkissen immer noch größer als beim Arm. Das heißt also, der Arm verhielt sich nach diesen Versuchen als ob er einen Gewebsdruck von weniger als 2 mm Hg hätte. Das ist sehr unwahrscheinlich. Zweifellos kam das daher, daß das Kissen eine sehr steife Hülle hatte (Gummi von mehr als Imm Dicke). Die menschliche Oberhaut erwies sich beim Abheben einer Falte als viel biegsamer und dehnbarer. Deshalb fertigten wir dünnwandigere Modelle an, ohne aber rechten Erfolg zu haben. Kollodiumbeutel und Säcke aus Goldschlägerhaut (Peritoneum) hielten nicht dieht oder bekamen Brüche und Falten und ließen deshalb die notwendige Konstanz vermissen. Schließlich fanden wir, angeregt durch eine Bemerkung von Herrn Dr. Freise, das geeignete Material in den frischen Lungen gesunder Katzen und Kanin- chen, die geeignet gelagert und aufgeblasen sehr konstante Resultate lieferten. Sie mußten unter etwa 20 mm Hg Innendruck gesetzt werden, um dieselbe Resistenz zu zeigen wie das normale Unterarmgewebe. Den Maximalwerten (stärkste Stauung) entsprachen etwa 35 mm Hg. Nun ist aber die Pleura viel zarter als die Oberhaut, und man darf aus diesen Versuchen nicht schließen, daß der Arm einen Innendruck von 20 mg Hg habe. Seine Resistenz rührt her von der Steifigkeit der Haut und dem Innendruck, die der Lunge praktisch nur vom Innen- druck. Deshalb müssen wir 20 mm Hg als den oberen Grenzwert be- trachten, während 2mm He (Luftkissen mit sehr steifer Umhüllung) einen unteren Grenzwert darstellt. Wir werden wohl nicht fehlgehen, wenigstens nicht in der Größenordnung, wenn wir den Innendruck an der von uns gemessenen Stelle zu etwa 10 mm Hg ansetzen und weiter folgern, daß er bei stärkster Stauung um mindestens den gleichen Betrag steigen kann. Unsere Versuche, diese Schlüsse durch Herstellung von besseren Eichmodellen mit einer Umhüllung, die in bezug auf Steifheit und Elasti- zität etwa der Haut entspräche, zu erhärten, scheiterten. Klopft man auf wassergefüllte Gummibeutel, so geraten sie in Eigenschwingungen, deren Periodenlänge außer von der Spannung der Wand auch von der bewegten Masse abhängt. Die Stoßzeit ist also hier kein brauchbares Maß des Innendrucks. Füllt man sie aber mit Luft, so folgt ihre De- Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 15! 162 M. Gildemeister und L. Hoffmann: formation ganz anderen Gesetzen als tierisches Gewebe: bei lokalem Druck werden die benachbarten Teile der Hülle sich weniger hervor- zubuchten haben, weil der Inhalt kompressibel ist!). Besprechung der Ergebnisse. Wir sind auf Grund der beschriebenen Versuche zu dem Schlusse gekommen, daß der hydrostatische Innendruck des Unterhautgewebes am Unterarm unter normalen Verhältnissen etwa 10 mm Hg beträgt (mit einer Unsicherheit von einigen Millimetern nach unten und oben), und es hat sich weiter gezeigt, daß er bei venöser Stauung ansteigt (bis auf mehr als das Doppelte), jedoch mit deutlicher Latenz, um nach Wiederherstellung des normalen Blutlaufes wieder in wenigen Minuten auf die Norm zu sinken. Im blutleeren Arm sinkt er ein wenig und erreicht nach Abnahme der Binde wieder seinen Normalwert; auch hier vergeht eine meßbare Zeit bis zur Erreichung des Gleichgewichts. Das spricht dafür, daß wir es hier tatsächlich mit dem Gewebsdruck unrd nicht mit dem Druck in den Gefäßen zu tun haben. Steigt der Druck in den kleinsten Gefäßen, denen wir Wasserdurchlässigkeit zuschreiben, so wird Wasser in die Gewebsspalten gepreßt, wodurch auch der Gewebsdruck wächst. Umgekehrt ist es bei Herabsetzung des Gefäßdruckes, und diese Vorgänge werden Zeit erfordern. Wenn wir uns nach direkten Messungen des Gewebsdruckes früherer Autoren umsehen, so ist die Ausbeute nur sehr gering. Landerer?) hat Hohlnadeln unter die Haut geführt, sie mit einem mit Kochsalz- lösung gefüllten Steigrohr verbunden und denjenigen Außendruck aufgesucht, bei dem Flüssigkeit weder aus- noch einströmte. Er fand im Unterhautzellgewebe des Beines eines gesunden Menschen 55 cm Wasser gleich 40 mm Hg, und gibt weiter an, daß die Zahlen bei Stauung steigen, bei Blutleere sinken. Landerers Wert ist also mehrfach größer als der unsrige, jedoch mit einer ziemlich rohen Methode und an einer anderen Körperstelle gewonnen. L. Hill®) hat in neuester Zeit dasselbe Verfahren angewandt, es aber insofern verfeinert, als er im Rohre eine kleine Luftblase als Index anbrachte. Er fand nur einige Millimeter He. 1!) Denselben Einwand könnte man gegen die Verwendung der Lunge als Eich- modell erheben. Jedoch liegen hier wegen der Unterteilung in kleinste Hohlräume, in denen die Luft bei plötzlichen Stößen sozusagen kleben bleibt, die Verhältnisse wohl ähnlich wie im flüssigkeitsdurchtränkten Gewebe. Tür den tastenden Finger hat die aufgeblasene Lunge große Ähnlichkeit mit straffem Gewebe, eine luft- erfüllte Blase aber nicht. 2) A. Landerer, Die Gewebsspannung in ihrem Einfluß auf die örtliche Blut- und Lymphbewegung. Leipzig 1884. 2) L. Hill und J. M. Me Queen, The measurement of capillary bloodpressure in man. Brit. journ. of exp. pathol. %,1. 1921. — L. Hill, Blood vessels and pressure. The Lancet 1920, S.359. Über Elastizität und Innendruck der Gewebe. 163 Das Einstichverfahren läßt den Einwand zu, daß vielleicht größere Abflußwege der Lymphe eröffnet werden, in denen natürlich der Druck niedriger ist als in den engen Zellspalten, von deren hydrostatischem Druck ihrer großen Anzahl und Ausdehnung wegen der von außen meßbare Gewebsdruck in erster Linie abhängen wird. Wenn man dies annimmt, so harmoniert unser Wert gut mit dem Hillschen. Nun kann man den Gewebsdruck aus dem Capillardruck schätzen, wenn man sich auf den Boden einer physikalisch-chemischen Lymph- bildungstheorie stellt. Leider herrscht aber über den Betrag des Capillar- drucks sehr wenig Übereinstimmung zwischen den verschiedenen For- schern. Wir können uns die genauere Erörterung dieser Frage ersparen, weil R. Tigersiedt in jüngster Zeit darüber ausführlich be- richtet hat!). Es sind im wesentlichen 2 Methoden verwendet worden, die Druck- und die Ausflußmethode. Bei ersterer wurde aufeine Hautstelle gedrückt, bis sich eine Farbenveränderung zeigte; bei der zweiten wurde die Haut . verletzt und ein Flüssigkeitsgegendruck angebracht, der die Blutung gerade aufhören ließ. Methode 1 gibt hohe Werte (bis zu 40 mm Hg), wenn man bis zur vollständigen Erblassung drückt (N. v. Kries und spätere Autoren), niedrige (wenige Millimeter Hg), wenn man sich mit der ersten Abnahme der Rötung begnügt [Basler?2)]. Im ersten Fall jedoch komprimiert man, wie besonders ZL. Hill?) in neuester Zeit ausgeführt hat, zuerst die kleinen Gefäße niedrigsten Innendrucks, also die kleinen Venen. Dadurch steigt der Blutdruck auf den der Stelle, wo die nächsten Kollateralen abgehen, also auf den Arteriolendruck, und wenn man weiter bis zur völligen Erblassung drückt, findet man zu hohe Werte. Hill glaubt diesen Fehler durch so schnelle Kompression, daß der Druckanstieg sich nicht ausbilden kann, vermeiden zu können und benutzt dazu einen Wasserstrahl; er begeht aber den Fehler, den Druck, den dieser beim Anprall gegen das Gewebe ausübt, gleich dem- jenigen zu setzen, den eine ruhende Wassersäule gleicher Steighöhe ausüben würde, während er mindestens doppelt so hoch ist?). Deshalb 1!) R. Tigerstedt, Die Strömung des Blutes in den Capillaren und Venen. Ergebn. d. Physiol., herausgeg. von L. Asher und M. Spiro, 18. Jahrg., 1. 1920. ?) A. Basler, Untersuchungen über den Druck in den kleinsten Blutgefäßen der menschlichen Haut. I—III. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 147,393. 1912; 15%, 345. 1914; 191, 389. 1919. 3) A.a.0. *) Siehe A. Föppl, Vorles. üb. techn. Mechanik, 6. Aufl., 1920, S.375. Wenn ein Wasserstrahl senkrecht gegen eine Wand prallt, so ist unter der Annahme, daß die Wasserteilchen senkrecht zu der Strahlachse ausweichen, der hydrodyna- mische Druck gegen die Wand doppelt so groß, wie der hydrostatische Druck gegen diese Wand wäre, wenn sie so gegen das Gefäß hin verschoben würde, daß sie die Ausflußöffnung vollständig absperrte. In Wirklichkeit wird ein Teil des Wassers zurückprallen, wodurch der Stoßdruck noch vermehrt wird. alle 164 M. Gildemeister und L. Hoffmann : sind die niedrigen Hellschen Werte (1O mm Hg und weniger) nicht ver- trauenswürdig. Begnügt man sich mit der ersten Verfärbung der Haut, so läßt sich dagegen sagen, daß ein elastisches Rohr, das unter einem gewissen Innendruck steht, sich schon bei der geringsten Vermehrung des Außen- drucks verengen muß, und. daß deshalb die Baslerschen Werte wahr- scheinlich zu niedrig sind. Setzt man eine Hautwunde, so wird man Arterien, Capillaren und Venen eröffnen. Ob alle 3 Gefäßarten offen und durchgängig bleiben, ist sehr fraglich, es ist immerhin möglich, daß die Arterien wegen ihrer Enge und ihrer Muskulatur, die Capillaren wegen ihrer Enge sich schnell verstopfen, und daß man deshalb nur den Venendruck mißt. Die Frage des normalen mittleren Capillardrucks ist also noch un- geklärt, und man kann nur soviel sagen, daß er zwischen 40 und einigen Millimetern Hg liegen wird. Da nach den Versuchen von Moritz und v. Tabora!) der Druck in den Armvenen etwa 4mm Hg beträgt, wird man den mittleren Capillardruck des Armes bei Haltung in Herzhöhe unseres Erachtens auf 20—30 mm Hg schätzen können. Was nun die Beziehungen zwischen Capillar- und Gewebsdruck anbetrifft, so hat darüber schon vor längerer Zeit Starling?) eine plausible Theorie aufgestellt, die in letzter Zeit von Baylıss) wieder aufgenommen worden ist. Er nimmt an, daß die Wand der kleinsten Gefäße für Wasser und Salze durchgängig, für Kolloide undurchgängig ist. Dann muß sich zwischen Blut und Lymphe ein Gleichgewichtszustand einstellen: Wie in einem Osmometer Gleichgewicht besteht, wenn der innere hydro- statische Druck minus dem inneren osmotischen Druck gleich dem äußeren hydrostatischen minus dem äußeren osmotischen Druck ist, so auch hier. Wir haben also: innerer hydrostatischer Druck A minus dem inneren krystalloidosmotischen Druck kr minus dem inneren kolloidosmotischen ko muß gleich sein dem äußeren hydrostatischen H minus dem äußeren krystalloidosmotischen Kr minus dem äußeren kolloidosmotischen Druck Ko; h — kr — ko = H — Kr — Ko. Nun ist aber der Druck der Krystalloide innen und außen gleich, weil die Gefäße dafür durchgängig sind, also krr—=Kr. Das gibt h— ko= H— Ko oder H=h— (ko — Ko). Setzen wir den kolloidosmotischen Druck ko des Blutes gleich 32 mm Hg, den der Lymphe halb so groß, also 16 mm, 1) F. Moritz und D. von Tabora, Die exakte Venendruckbestimmung beim Menschen. Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. %6, 378. 1909. Dtsch. Arch. f. klin. Med. 98, 475. 1910. ®) E. H. Starling, On the absorption of fluids from the connective tissue spaces. Journ. of physiol. 19, 321. 1896. 3) W. M. Bayliss, The action of gum acacia on the circulation. Journ. of pharm. and exp. ther. 15, 29. 1920. — Siehe auch die klare Darstellung im Lehr- buch von M. v. Frey, Vorlesungen über Physiologie, 3. Aufl., 1920, S. 89. Über Elastizität und Innendruck der Gewebe. 165 so ist ko — Ko= 16mm. Die letzte Gleichung heißt also in Worten: Der Gewebsdruck muß wm 16 mm Hg niedriger sein als der hydrostatische Druck an der Stelle des Gefäßsystems, an der weder Wasser in die Gewebe hinaustritt noch ‘umgekehrt. Diesen Neutralpunkt werden wir in die Capillaren verlegen dürfen. Vergleichen wir dieses Ergebnis mit unseren Messungsresultaten, so erhalten wir eine sehr befriedigende Übereinstimmung. Wir haben _ den-Capillardruck gleich 20—30 mm Hg gesetzt und für den Gewebs- Druck etwa 10 mm Hg gefunden. Auch die Erhöhung des letzteren bei Stauung, seine Erniedrigung bei Blutleere fügt sich gut in dies Schema. Allerdings ist kürzlich eine Arbeit von #llinger und Heymann!) erschienen, die dieser Berechnungsart den Boden zu entziehen scheint?). Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß die Blutkolloide außer ihrem osmotischen noch einen mehr als eine Atmosphäre betragenden Quel- lungsdruck haben. Es würde dann in unserer Gleichung H = h — (ko— Ko) auf der rechten Seite ein negatives Glied stehen, das gleich der Differenz der Quellungsdrücke im Blut und in der Lymphe, also etwa gleich einer halben Atmosphäre, wäre. Dann verliert die Gleichung ihren Sinn. Das Starling-Baylisssche Schema wäre dann auf die Lymphbildung nicht anwendbar, und die Übereinstimmung unserer Messungsergebnisse mit den daraus errechneten müßte als zufällig gelten. Das würde aber unseres Erachtens den Wert unserer Befunde nicht beeinträchtigen. Zusammenfassung. Der elastische Widerstand der lockeren Gewebe gegen kurzdauernden Druck hängt in erster Linie ab von dem hydrostatischen Druck der Zwischenzellenflüssigkeit, in zweiter von der Beschaffenheit, insbeson- dere der Steifheit und Spannung, der obersten Schicht. Es wird eine Vorrichtung beschrieben, um die Druckelastizität (Resistenz) der Körperoberfläche zu messen. Das Prinzip derselben ist von @üldemeister schon früher angegeben worden: auf der Haut wird ein ganz oder teil- weise elektrisch leitendes, mit einer Stromquelle und einem Meßinstru- ment verbundenes Plättchen befestigt. Darauf wird mit einem leichten metallischen gleichfalls in den Stromkreis eingeschalteten Hämmerchen geklopft. Je größer der elastische Widerstand, desto kürzer die Be- rührungszeit (,‚Stoßzeit‘‘), desto kleiner also der Ausschlag des Meß- instruments. Dieses ballistische Elastometer wird dadurch verbessert, 1) A. Ellinger und P. Heymann, Die treibenden Kräfte für den Flüssigkeits- strom im Organismus. I. Osmotische Wirkungen und Quellungsdruck der Eiweiß- körper. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 90, 336—392. 192]. Hierin auch eine ausführliche Darstellung der Starling-Baylissschen Theorie. 2) Siehe auch die Bedenken von R. Höber gegen derartige schematische Be- trachtungsweisen. Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, 4. Aufl., 1914, S. 629, 166 M. Gildemeister u. L. Hoffmann: Elastizität u. Innendruck der Gewebe. daß das Druckplättchen nicht mehr auf der Haut befestigt wird, sondern durch ein leichtes Gestänge geführt, ihr nur lose aufruht. Damit wird festgestellt, daß die Resistenz des Unterarms sich bei Veränderung der Blutzirkulation in gesetzmäßiger Weise ändert. Legt man eine Binde zu venöser Stauung an, so beginnt die Resistenz sehr bald zu steigen, zuerst ganz langsam, so daß nach 2 Minuten nur eine kleine Veränderung zu bemerken ist, dann rascher. Von der 10. bis zur 30. Minute bei schwacher Stauung kaum eine Veränderung. Nach Abnahme der Binde Erreichung des Normalzustandes in etwa 2 Minuten. Schnürt man den Arm ganz ab (Esmarchsche Blutleere), so laufen Veränderungen umgekehrten Sinnes ab, aber in viel kleinerem Ausmaß. Die Resistenz geht anscheinend dem Capillardruck parallel. Be- merkenswert ist aber die zeitliche Verzögerung im Betrage von einigen Minuten. Das spricht dafür, daß wir es hier mit einer Wirkung des vom Capillardruck abhängigen Gewebsdruckes zu tun haben. Außerdem spielt die Hautspannung eine Rolle: Je mehr der Ellbogen gestreckt wird, desto größer erscheint die Resistenz. Um die absoluten Werte des Gewebsdruckes zu ermitteln, wurde das Elastometer an Modellen (luftgefüllten Gummibeuteln, frischen Lungen von Katzen und Kaninchen) geeicht. Der Gewebsdruck des Unterarms ergibt sich zu etwa 1O mm Hg mit einer Unsicherheit von einigen Millimetern nach oben und unten. Die einschlägigen unmittelbaren Messungen früherer Autoren weichen zu stark voneinander ab, als daß sie zum Vergleich herangezogen werden könnten. Nach der Starling- Baylissschen Theorie der Lymphbildung muß der hydrostatische Druck der Lymphe gleich dem Capillardruck sein, ver- mindert um die Differenz der kolloidosmotischen Drücke im Blut und in der Lymphe. Der letztere Subtrahend beträgt etwa 16mm Hg. Die zweite Unbekannte, der Capillardruck, ist noch nicht hinreichend bekannt. Es wird gezeigt, daß sich gegen alle bisher veröffentlichten Messungen Einwände erheben lassen. Die Mehrzahl der Messungen ergibt Werte zwischen 20 und 30 mm Hg. Das würde zu Werten des Gewebsdruckes führen, die mit den unsrigen gut übereinstimmen. Wir haben uns bisher eingehend nur mit dem Gewebsdruck an Körperstellen beschäftigt, die in Herzhöhe lagen. Einige orientierende Versuche schienen zu zeigen, daß er am Beine von derselben Größen- ordnung ist. Da so gut wie nichts darüber bekannt ist, wie hoch hier der Capillardruck ist, enthalten wir uns jeder Erörterung darüber, ob das Starling-Baylisssche Schema auch hier zu annehmbaren Werten führt. Studien über die von einzelnen Organen hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. Mitteilung. Von Emil Abderhalden und Olga Schiffmann. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) Mit 16 Textabbildungen. (Eingegangen am 6. Februar 1922.) Im Anschluß an die früheren Mitteilungen!) haben wir auf breiter Basis Versuche über die Einwirkung von Schilddrüsensubstanz und von aus diesem Organ durch vollständigen Abbau gewonnenen Stoffen auf die Metamorphose von Frosch- und Krötenkaulgquappen fortgesetzt und ferner Versuche über die Wirkung von veränderten Schilddrüsen (Basedow- schilddrüsen, Kropf) angeschlossen. Endlich interessierte uns die Frage, ob es möglich ist, ähnliche Wirkungen wie mit aus Schilddrüsen ge- wonnenen Produkten noch nicht definierter Natur durch Substanzen zu erhalten, über deren Struktur wir genau unterrichtet sind. Wir haben zunächst 3-5-Dijod-I-tyrosin, 3-5-Dijodtyramin und endlich das Dipeptid Glyeyl-3-5-dijod-I-tyrosin auf ihre Wirkung auf die Metamorphose von Kaulquappen untersucht. Ferner wurde von jodhaltigen Substanzen ß-Jodpropionsäure, Jodacetyl-3-5-dijodtyrosin, 3-5-Dijodtyrosin-methyl- ester und Alival = Joddihydroxypropan (Farbwerke Höchst a. M.; 63% Jod!) angewandt. Die Ergebnisse, die mit den hier erwähnten Ver- bindungen erhalten worden sind, sind weiter unten geschildert. Während unsere Untersuchungen zum Teil schon abgeschlossen, zum Teil noch im Gange waren, erschienen Mitteilungen von Forschern, die sich mit den gleichen oder ähnlichen Fragestellungen beschäftigt haben. So hat J. Abelin?) eine ganze Reihe von jodhaltigen Verbin- dungen, darunter auch Dijodtyrosin und Dijodtyramin, auf ihre Wirkung auf die Metamorphose von Froschlarven und auf solche von Axolotlen geprüft. Ferner haben ©. Wegelin und J. Abelin®) ausgedehnte Unter- 1!) Emil Abderhalden, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 162. 99. 1915; Emil Abderhalden und Olga Schiffmann, ebenda 183, 197. 1920. 2) J. Abelin, Biochem. Zeitschr. 102,58. 1919 u. 116, 138. 1921. ?) C. Wegelin und J. Abelin, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 89, 219. 1921. 168 E. Abderhalden u. O. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen suchungen über den Einfluß histologisch genau untersuchter, normaler und entarteter menschlicher Schilddrüsen auf die Entwicklung von Froschlarven durchgeführt. Wir kommen im Verlauf der Mitteilung unserer Ergebnisse noch an Ort und Stelle auf diese wichtigen Unter- suchungen zurück. i Es sei hier mit allem Nachdruck betont, daß es unbedingt notwendig ist, daß in Zukunft alle Untersuchungen über die Beeinflussung der Metamorphose von Tieren und von Pflanzen durch bestimmte Stoffe neben der Betrachtung der Veränderung der äußeren Form durch die Verfolgung der Entwicklung der einzelnen Organe und Gewebe ergänzt werden müssen. Die Betrachtung der Veränderungen der äußeren Form allein kann zu ganz groben Täuschungen Veranlassung geben. Nur dann, wenn zwei verschiedene Produkte in jeder Beziehung genau dieselbe Wirkung aufweisen, wird man annehmen dürfen, daß sie beide den gleichen Einfluß auf die Gesamtmetamorphose ausüben. Es kann ganz gut sein, daß bei Sammlung von noch mehr Erfahrungen es möglich sein wird, Stoffe anscheinend ähnlicher Wirkung zu differenzieren, d.h. nachzuweisen, daß sie doch in Einzelheiten einen verschiedenen Einfluß haben. Gelänge es z. B. nachzuweisen, daß 3-5-Dijodlyrosin qualitativ genau ebenso wirkt wie Schilddrüsensubstanz, dann wäre der Schluß naheliegend anzunehmen, daß die Wirkung der Schilddrüse und der aus ihr gewonnenen Stoffe auf die Metamorphose ausschließlich auf das Dijodtyrosin zurückzuführen ist. Ein weiteres Problem wäre dann, festzustellen, wie weit Dijodtyrosin in der Seitenkette abge- baut werden kann, ohne daß seine charakteristische Wirkung verloren geht. Umgekehrt. ist es denkbar, daß Dijodtyrosin und Schilddrüse manche gemeinsamen, daneben jedoch auch verschiedene Einflüsse entfalten. In diesem Zusammenhang haben wir uns folgenden Arbeitsplan vorgelegt: Es soll versucht werden, durch Jodierung von Eiweißkörpern und von Abbauprodukten von solchen zu Substanzen zu gelangen, die einen Einfluß auf die Metamorphose von Kaulguappen usw. aufweisen, und zwar in einer Weise, die der Wirkung des Dijodtyrosins möglichst entspricht. Es haben in den letzten Jahren F. Blum und Eduard Strauss!) und E. Strauss und R. Grützner?) in erfolgreichen Untersuchungen gezeigt, daß man die Jodierung von Eiweißstoffen in einer Weise leiten kann, daß man einen ziemlich genauen Einblick in die Bindungsweise des aufgenommenen Jods erhält. Es wird von großem Interesse sein, wohl charakterisierte, jodierte Eiweißkörper verschiedener Art auf ihren Einfluß auf die Metamorphose von Jugendformen zu verfolgen. Von allergrößtem Interesse wäre es auch, wenn das von Kendall und 2). F. Blum und E. Strauss, Zeitschr. f. physiol. Chem. 112, 111. 1921. 2) Eduard Strauss und Rudolf Grützner, ebenda 112, 167 1921. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VII. 169 Osterberg!) beschriebene Thyroxin einer Prüfung auf seine Wirkung auf die Entwicklung von Kaulquappen unterworfen werden könnte. Ein Ver- gleich mit der Wirkung von Dijodtyrosin wäre von ganz besonders großer Bedeutung. Es wird in absehbarer Zeit nicht möglich sein, das Thyroxin, ein jodiertes, vom Tryptophan sich ableitendes Produkt, aus Schild- drüsen herzustellen, weil das Ausgangsmaterial fehlt. Noch viel schwie- riger dürfte es sein, ein so hochjodiertes Indolderivat, wie es von Kendall und Österberg für ihr Thyroxin angenommen wird, synthetisch zu be- reiten. Man wird aber vielleicht durch Jodieren von Eiweißkörpern und durch das Studium der Wirkung verschiedener jodierter Produkte einen gewissen Aufschluß darüber erhalten, ob neben dem Dijodtyrosin noch andere jodierte Eiweißbausteine einen Einfluß auf die Entwicklung von Kaulquappen usw. besitzen. Wir haben uns ferner schon im vergangenen Jahr mit der wichtigen Frage beschäftigt, ob die Möglichkeit besteht, durch Zufuhr von Schild- drüsensubstanz, ferner von aus Schilddrüsen durch vollständigen Abbau gewonnenen Stoffen und von jodhaltigen Eiweißabbauprodukten und anderen jodhaltigen Verbindungen in den Organismus von Fröschen und Kröten vor der Eiablage einen Einfluß auf die Entwicklung der Eier zu gewinnen. Der Versuchsplan war folgender: Es sollten die erwähnten Produkte teils per os, teils parenteral längere Zeit vor der Eiablage zugeführt und dann die Entwicklung der Eier nach erfolgter Befruch- tung ohne weitere Zusätze verfolgt werden, um so feststellen zu können, ob die den Tieren beigebrachten Stoffe einen Einfluß auf die Eier aus- geübt haben, während diese noch im mütterlichen Organismus enthalten waren. Ferner behandelten wir in genau derselben Weise Männchen. Es sollte geprüft werden, ob der Same vorbehandelter Männchen mit Laich von nicht vorbehandelten Weibchen zusammengebracht, irgend- welche besonderen Erscheinungen hervorbrinst. Ferner sollten auch Laich und Samen von vorbehandelten Tieren vereinigt werden und end- lich, wie schon oben erwähnt, Laich von vorbehandelten Weibchen mit Samen von nicht vorbehandelten Männchen. Endlich sollte bei dieser "Gelegenheit auch verfolgt werden, ob die erwachsenen Tiere durch Zufuhr von Schilddrüsen-, Thymus- usw. Substanz oder von aus diesen Organen gewonnenen Stoffen nach irgendeiner Richtung beein- flußt werden. Leider konnten wir zu keinem brauchbaren Ergebnisse kommen, weil die Weibchen zum größten Teil nicht ablaichten. Die erwähnten Versuche sollen in diesem Jahr wieder aufgenommen und fortgesetzt werden. | 1) E. C. Kendall und A. E. Osterberg, Journ. of biol. chem. 39, 125. 1919; 40, 265. 1919. 170 E. Abderhalden u. OÖ. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen Experimenteller Teil. Versuchsanordnung. Nach unseren eigenen Erfahrungen, sowie nach denen von Jarisch!), werden Kaulquappen, die mit Schilddrüse gefüttert werden, häufig durch Funktionsuntüchtigkeit der Atmungsorgane geschädigt. Jarisch konnte Schilddrüsentiere länger am Leben erhalten, wenn er das Wasser durchlüftete oder die Tiere in Sauerstoff brachte. Wir gingen bei unseren Versuchen dazu über, alle Versuchstiere in dauernd durchlüftetem Wasser zu halten. Unsere Durchlüftungsvorrichtung (Abb. 1) war folgende: Die Luft wird mit einer Druck-Saugpumpe, die an die Wasserleitung angeschlossen ist, in ein 1,5 cm dickes Glasrohr gepreßt, das in der Mitte über 2 Reihen Schalen, in denen die Tiere gehalten werden, befestigt wird. Von diesem Hauptrohr zweigen in Abständen von 14cm nach beiden Seiten je ein dünneres Glasrohr von 0,Scm Durchmesser ab, die Il cm horizontal verlaufen und dann rechtwinklig nach unten gebogen sind. An jedes dieser Rohre wird mittels eines Stückes Gummischlauch eine kurze Capillarpipette angebracht, die in das die Kaulquappen enthaltende Wasser taucht. An dem Gummischlauch befindet sich eine Klemm- schraube, durch die die Luftzufuhr geregelt werden kann. Um die Handhabung zu erleichtern, haben wir eine Anzahl solcher Rohre, deren jedes für 12— 14 Schalen reicht, anfertigen lassen. Jenach der Anzahl der in Benützung befindlichen Schalen werden mehrere Rohre luft- dicht mit Gummischlauch verbunden. DasletzteRohr ist blind geschlossen, das erste wird mit der Saug-Druckpumpe verbunden. Wir machten gute Erfahrungen mit der Pumpe ‚‚Hergus‘‘ 2), durch die bis zu 200 Scha- len durchlüftet werden können. Da durch eingehende Untersuchung, besonders unter der binokularen Lupe und von der Bauchseite her, die Tiere leicht geschädigt werden, wurden die Beobachtungen möglichst an fixiertem Material vorgenom- men. Wo nichts Besonderes vermerkt ist, wurden zum Fixieren Tiere gewählt, die durchaus dem typischen Durchschnitt der Insassen der entsprechenden Schale entsprachen. Das Wasser wurde 2mal wöchentlich gewechselt. Die Tiere erhielten z. T. Froschmuskel, meist jedoch Piscidin als Futter. Die Substanzen, mit denen die Tiere behandelt wurden, wurden bei jedem Wasser- wechsel erneut, so daß die Tiere dauernd unter dem betreffenden Einfluß blieben. Wasserwechsel und Fütterung sind in den Protokollen nicht einzeln vermerkt. Dagegen ist die Fütterung mit frischen Organstücken jeweils angegeben. Die Organstücke wurden 2—3 Tage in den Schalen gelassen. In dieser Zeit erhielten die Tiere kein anderes Futter. 1) Jarisch, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 159. 1920. ?2) Zu beziehen von Hermann Härtel, Dresden N 30, Geblerstr. 6. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. ‚VIH. al Durehlültungsanlage. l. Abb. Da die durch Schilddrüsenfütterung an Kaulquappen bewirkten Veränderungen aus den Untersuchungen von Gudernatsch, Romeis, Abderhalden, Jarisch, Abderhalden und Schiffmann u. a. im allgemeinen bekannt sind, werden sie in den Protokollen nur in Stichworten angeführt. 172 E. Abderhalden u. O. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen Dagegen sei folgendes über die Veränderungen an der Leber bemerkt. Bekannt ist, daß die Leber bei Schilddrüsenfütterung an Größe abnimmt und bedeutend dunkler wird [| Romeis 1916 u. 1918]!). An Stelle der feinen Pigmentkörner in der normalen Leber treten dicke, dunkle Pigmentschollen auf. Diese gleichen durchaus den von uns nach der Umbildung des Darmepithels dort beobachteten Pigmenthaufen. Wir fanden?), daß das degenerierte Darmepithel bei Schilddrüsenfütterung nicht wie bei normalen Tieren durch das Darmlumen nach außen ab- gestoßen wird, sondern in der Darmwandung hinter dem neuen Epithel Abb. 2. Leberschnitt von Tier, mit Schilddrüsenextrakt I gefüttert. Darm metamorphosiert. Gefärbt mit Haematoxylin-Eosin, photographiert mit Zeiss Obj. 6. Ok. 2. in Gestalt von braunen, degenerierenden Rundzellen liegen bleibt und von hier aus allmählich resorbiert wird. Nun sind nach Braus?) die normalen Pigmentzellen der Leber dem Darm entstammende, pigmen- tierte Wanderzellen. Wir nehmen daher an, daß das degenerierte Epithel durch solche Wanderzellen zur Leber geführt wird und dort die starke Pigmentierung bedingt. Diese Annahme stimmt mit der "Tatsache überein, daß die starke Pigmentierung der Leber stets erst nach vollendeter Darmmetamorphose auftritt. Abb. 2 stellt die Leber 1) Romeis, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. 5, 99. 1916 u. 6, 101. 1918. ?) Emil Abderhalden und Olga Schiffmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 197. 1920. >) Braus, Unters. zur vergl. Histologie der Leber d. Wirbeltiere. Habili- tationsschrift. Jena 1896. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VII. 173 des gleichen, mit abgebautem Schilddrüsenextrakt I gefütterten Tieres dar, von dem wir 1920 (Abb. 6) das gefaltete Epithel mit nur geringen Pigmentresten gezeigt haben. Die übrigen degenerierenden Massen finden sich in der Leber. — Abb. 3 zeigt die Leber einer Kontrollarve, bei der das neue Darmepithel ebenfalls gefaltet ist. Die Leber zeigt kein vermehrtes Pigment. Hier sind die degenerierten Rundzellen durch das Darmlumen beseitist. Um für die Leberverkleinerung einen bequemen Maßstab zu haben, wurde mit dem Okularmikrometer die Länge und Breite der oberen Leberlappen gemessen. Da eine Volumangabe mit einfachen Mitteln kaum möglich ist, so mögen die gegebenen Zahlen die Verkleinerung der oberen Fläche an Stelle des ganzen Organs geben. Es sei über 3 Versuchsgruppen berichtet: Zunächst wurden Kaulquappen von Bufo vulgaris mit frischer Schilddrüse behandelt, und zwar wurden Tiere verschiedenen Alters der Behandlung ausgesetzt. Die Altersgrenzen bei Versuchs- beginn waren so, daß die jüngsten bereits überwachsene äußere Kiemen, die ältesten noch undifferenzierte Hinterbeine hatten. Ferner wurden Bufonen mit Basedow- und anderen Strumen sowie mit abgebauter, mit Schwefelsäure hydrolysierter Schilddrüse beeinflußt (Versuch 1). Versuch 2 bringt zum Vergleich die Wirkung von abgebauter Schild- drüse auf Rana temporaria-Larven. 174 E. Abderhalden u. O. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen Versuch 3 wurde mit jodierten Eiwerißabbauprodukten und anderen organischen Jodverbindungen angestellt. Versuch I an Kaulquappen von Bufo vulgaris verschiedenen Alters mit frischer Schilddrüse, Stuma, Basedow-Struma, abgebauter Schild- drüse. 1920. Gruppe 1—4, 11—14. Fülterung junger Kaulquappen mit frischer Schilddrüse. Protokoll (vgl. Tab. TI). 6. V. 1920. Kaulquappen von Bufo vulgaris aus einem Teich bei Seeben bei Halle gefangen. 20 Tiere zu jedem Versuch angesetzt. Gruppe lu. 2. Kontrolle I. Gesamtlänge 20 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpf- breite 5,5 mm. Hinterbeine eben sichtbar, < 1 mm. Gruppe 3 u. 4. Mit frischer Schilddrüse gefüttert, zu Kontrolle I. 7. V. Gruppe 11 u. 12. Kontrolle II. Gesamtlänge 8 mm. Rumpflänge 3—4 mm. Rumpfbreite 2—2,5 mm. Keine Hinterbeine. Saugnäpfe und äußere Kiemen zurückgebildet. Zähne gut entwickelt. Gruppe 13 u. 14. Mit frischer Schilddrüse gefüttert. Zu Kontr. II. 11. V. Alle Schilddrüsentiere zeigen Geigenform. 12. V. 13 u. 14. 2 Tiere fixiert. Zähne und Lippenpapillen rückgebildet. Ein bis beide Hornkiefer zurückgebildet. Afterröhre bei einem Tier normal, bei 2 N einem rückgebildet. Präpa- riert: Kiemenbogen normal. Kiemenblättchen stark rück- gebildet. Darm metamor- phosiert. Nur 2 Spiralwin- dungen. Leber klein. Ober- fläche 0,5 : 0,35 mm. Schwach pigmentiert. Pankreas redu- ziert 0,45mm lang, dunkel pigmentiert. Lunge sehr klein. Körpergröße nicht verändert, Abb. 4, 1. 14. V. Kontrolle I u. 2. Gesamtlänge 13mm. Rumpf- länge 8 mm. Rumpfbreite 5 mm. Hinterbeine 1 mm, undifferenziert. Zähne, Kie- fer, Mundpapillen kräftig ent- wickelt. Präpariert: Darm 9 Spiralwindungen. Lunge A 5, ganz kleine Anlage. Vorder- Abb. 4. Versuch I, Gruppe 13, am 6. 5. mit frischer Schild- beine kleine Anlage, Doch drüse gefüttert. Aufnahme: Tier 1 am 12. 5.; Tier 2 am nicht nach vorn reichend. 17. 5.; Tier 3 am 20. 5.; Tier 4 am 11. 6. fixiert. Leber und Pankreas normal. 3. u. 4. Die Tiere fressen nicht mehr. Körpergröße etwas reduziert. Gesamtlänge 13—14 mm. Rumpf- länge 5-7 mm. Rumpfbreite 4—5 mm. Hinterbeine gewachsen, 1,5—2 mm lang und weiter entwickelt. Fußplatte, bei manchen auch Zehen angelegt. Maul terminal, kleiner als normal. Zähne, Mundpapillen, Kiefer rückgebildet. Ober- kiefer und Augenstellung normal. Schwanzflossensaum zwischen den Hinterbeinen rückgebildet. Kiemenloch etwas erweitert. Abdomen schlank. 175 hervoreebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. 939[95uB JIIAPURIAA SeL FE yyaru | 1838 ydeu WoN | '3s9q ‘18591 [35941 | 'IIS9A = I3S9q ‘I5s9q | 'ISSIA Fe A9ITUOM = gez 7 or | TAT ‘yuaward | SeLoL [9xunp | U9gOYISI9A | ydaeu '15s9q | "13859 ‘ur M "3s9q 3590 |TeWIoN |[eULIoN | UI0oA Den | = | = |< [389q — | L "ALT JapILq93 “Yuauıdıd ' Pzına -yonı | 'yuowsrd | yoemy9s Norsoyd, -zueayas uaseL€ ua] uay9 [pyunp | @E0-C0 -I0oW ı9p u STWLIOF ydeu ayas | -MRIT |cFoueIM| “ur |-ePug n qaayonz => -uadIod) = a\o| 8 || Ak | | | uulsag addenbmey -SI9A | +/+)/+| odunl ayas _ 2 |Fe|ı 8 ON OR, uoymfob osnıpppyas oyosıuf zum “ofng FI pun gT oddnın °T yonsıay | uoyo9Ig "A, we | 92191dso3 [on | | | -yoand, gzanıı spe gropug | -UOyoSIOgO | SELF wı uroqIop -I9A J199191q -I9A Y.189S “np yuay9aS || yoeu Io A SOYUrT SEAT | -I9A SEN | —- | +) — TO9SILU9M ‘Zuepuuz | F|ee | : al | 9s5ung |U9WaILM sap 29019 & a .5= | Ioyun "Ad ei E -1990 IneM = it = 10p sndA], 19p 3unf 5 = ’= wnyeq 9019 S = 2 supgrpioA 9. © sıs|S -MOIMJUN aa | ® o E no = m iu) Ssıeı|ı & = = ER | o ko) 77 SEGEN 176 E. Abderhalden u. ©. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen Nach Präparation wird die undifferenzierte Vorderfußplatte seitlich eben sichtbar. Schultergürtel bereits vorhanden. Darm ganz kurz. 1 Spiralwindung. 15. V. 3. u4. Gesamtlänge 11 mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 4 mm. Hinterbeine und Schwanzflossensaum wie am 14. V. Schwanzlänge stark reduziert. Körperform sehr stark verändert, breit und gedrungen. Schwanz scharf abgesetzt. Oberkiefer ver- kürzt. Augen daher weiter vorn liegend. Maul terminal, klein. Rückbildungen wie am 14. V. Kiemenloch stark vergrößert. Vorderbeine wieam 14. V. Lunge klein angelest. Lebergröße 1,0 :1,1 mm. Wenig Pigment. Pankreas 1,0 mm normal. Darm- spirale ganz reduziert. Kiemen stark in Rückbildung. 17.V. Kontrolle lu. 2. Ge- samtlänge 13 mm. Rumpflänge S mm. Rumpfbreite 5,5 mm. Hinterbeine undifferenziert, so lang wie die Afterröhre, Abb. 5, 1. Darmspirale lang. Leber 1 3 Größe 1,75 :1,0 mm, Pankreas Abb. 5. Versuch I, Gruppe 3 am 17. 5. Tier 1 =Kon- 1,2 mm. Beide normale Form und trolle I. Tier 2 am 6. 5. einmal frische Schilddrüse. ohne Pigment. Kiemen gut. Vor- derbeine wie am 15. V. Abb. 6,1. 3. u. 4. Größe weiter reduziert. Gesamtlänge 8 mm. Rumpflänge 4 mm. Rumpfbreite 4 mm. Schwanz besonders stark reduziert. Flossensaum reduziert. Hinterbeine 1 mm, Fußplatte ent- wickelt. Oberkiefer stärker verkürzt. Augen und Nasenlöcher weiter nach vorn gerückt. Maul noch weiter ter- minal. Bei einigen vollständig brei- tes Froschmaul. Kiemenloch stärker erweitert. Kiemen fast von außen darin sichtbar. Pilzinfektion am Kiemenloch. Abk. 5, 2. Präpariert: Darm extrem kurz, nur U-förmige Schlinge vom Duode- num zum Rectum. Leber 0,7:0,8, hell- pigmentiert, Pankreas klein, 0,4mm lang, dunkel pigmentiert. Lunge sehr kleine Anlage. Kiemen noch vorhanden. Herz größer als bei der Kontrolle. Vorderfüße nach vorn reichend. 3 Zehen angelegt. Abb. 6, 2. 3 Tiere sind tot, durch Schild- drüsenwirkung nicht mehr lebens- [84] 1 Abb. 6. Dieselben Tiere, präpariert. fähig, die überlebenden weniger stark beeinflußt. Kontrolle 11, 12. Gesamtlänge 9 mm, Rumpflänge 4 mm, Rumpfbreite 3mm. Zähne, Papillen, Hornkiefer gut ausgebildet. Afterröhre normal lang. Hinterbeine hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. ET, noch nicht vorhanden. Darmspirale 4 Windungen. Leber 0,75 : 0,5 mm. Pankreas 0,5 mm lang. Beide ohne Pigment. Lunge eben angelest. 13 u. 14. Körpergröße reduziert. Gesamtlänge 7 mm. Rumpflänge 3 mm. Rumpfbreite2 mm. Abdomen schlank, etwas eingeschnürt. Kiefer, Zähne, Papillen rückgebildet. Maul etwas terminalwärts verschoben. Oberkiefer und Augen- stellung normal. Afterröhre rückgebildet. Kiemenloch erweitert. Darm sehr kurz, dunkel pigmentiert. Leber und Pankreas klein, dunkel pigmentiert. Abb. 4,2. 18. V. 13 u. 14. 2 Tiere tot. 20. V. Kontrolle 1 u. 2. Gesamtlänge 21 m. Rumpflänge 9mm. Rumpf- breite 6 mm. Hinterbeine 2 mm, undiffercenziert. 3 u. 4. Gesamtlänge 13,5 mm. Rumpflänge 5,5 mm. Rumpfbreite 4 mm. Hinterbeine 2 mm. Schenkel differenziert. Oberschenkel stehen senkrecht zur Körperachse. Maul etwas breiter, endständig. Oberkiefer etwas verkürzt. Augen dadurch nach vorn verschoben. Hornkiefer und Zähne rückgebildet. Reste von Papillen noch vorhanden. Kiemenloch vergrößert, Kiemen von außen darin sichtbar. Linkes Vorderbein im Durchbrechen. 20. V. Kontrolle 1 u. 12 wie am 17. V. 13 u. 14. Weniger stark verändertes Tier als am 17. V. fixiert. Gesamtlänge 9 mm. Rumpflänge 4 mm. Rumpfbreite 2,5 mm. Kiefer, Zähne rückgebildet. Rest von Papillen noch vorhanden. Afterröhre kurz. Schwanzflossensaum rück- gebildet. Darm reduziert. Leber klein, schwach pigmentiert. Pankreas klein. Abb. 4, 3. Damit ist der Höhepunkt der Veränderung erreicht. Die Tiere sind so stark pathologisch, daß sie nicht mehr lebensfähig sind. Es überleben einzig 2 Tiere in Gruppe 13 u. 14, die vielleicht weniger Schilddrüse gefressen haben und weniger stark verändert sind. Doch kommen auch bei Extrakten solche individuellen Unterschiede vor. Größe am 2. VI.: Gesamtlänge 11 mm, Rumpflänge 5 mm, Rumpfbreite 3 mm, also größer als die übrigen am 20, V. Am 11. VI. das letzte Tier flxiert. Gesamtlänge 1D mm, Rumpflänge 4 mm, Rumpfbreite 2,5 mm. Öberkiefer normal. Augen- und Nasenstellung normal, Hornkiefer vorhanden. Zähne und Papillen rückgebildet. Afterröhre rückgebildet, Kiemen rückgebildet. Lunge noch nicht angelest. Darm, Leber, Pankreas sehr klein und dunkel pigmentiert. Abb. 4, 4. Das Endresultat ist, daß die Tiere nicht so lange lebensfähig bleiben, um die Metamorphose zu beenden. Sie zeigen zum Schluß noch Kaul- quappentypus. Fertig metamorphosiert wird nur der Darm. Der Schwanz wird nicht ganz oder sogar nur wenig resorbiert, die Hinter- beine werden nicht fertig entwickelt. Vorderbeine kommen nicht zum Durchbruch. Das Maul wird stark verändert, bildet sich aber nicht zum fertigen Froschmaul um. Diese Veränderungen gehen bei den Tieren von Gruppe 3 und 4 weiter als bei denen von Gruppe 13 und 14. Versuch I, Gruppe 26 und 27. Fütterung etwas älterer Kaulguappen mit frischer Schilddrüse. Protokoll (vgl. Tabelle II). Am 4. VI. neu angesetzt: Gruppe 26. Kontrolle. Gesamtlänge 17 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpfbreite 5 mm, Hinterbeine 1 mm, undifferenziert. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 12 178 E. Abderhalden u. O. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen Gruppe 27. Mit frischer Schilddrüse gefüttert. 7. VI. und 11. VI. Nochmals mit Schilddrüse gefüttert. 12. VI. 27. Größe wenig reduziert. Gesamtlänge 17, Rumpflänge 7, Rumpf- breite 5 mm. Hinterbeine 1,5 mm. Fußplatte mit 3 Zehen angelest. Rumpf geigenförmig. Zähne und Papillen rückgebildet. Hornkiefer noch vorhanden. Ober- kiefer, Augen- und Nasenstellung normal. Schwanzflossensaum noch vorhanden. Nach Präparation Vorderbeine eben sichtbar. Fuß mit 3 Zehen angelegt. Kiemen gut. Lunge sehr klein. Darm reduziert, 3 Spiralwindungen. Leber groß, 1,6:1,0 mm, ohne Pigment. Pankreas 1,0 mm lang, ohne Pigment. Veränderungen haben deut- lich eingesetzt. 14. VI. Größe stärker reduziert, Schwanz stark in Rückbildung. Gesamtlänge 9 mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 4 mm. Hinterbeine 2 mm. Fußplatte und Zehen angelegt. Zähne und Hornkiefer rückgebildet. Oberkiefer etwas verkürzt, dadurch Augen etwas nach vorn gerückt. Schwanzflossensaum an der Schwanz- wurzel rückgebildet. Afterröhre rück- gebildet. Kiemenloch wenig erweitert. Abb. 7.23. Nach Präparation Vorderbeine wie ' am 12. VI. Darm weiter reduziert, 1!/, | . Spiralwindungen. Leber etwas kleiner als am 12. VI., 1,0: 1,0 mm, schwach pig- 1 b) 3 mentiert. Pankreas 0,5 mm, etwas dunk- Abb. 7. Versuch I, Gruppe 26 u.27 am 14. 6. ler pigmentiert, also stärker verändert Tier1 = Kontrolle.; Tier 2 u. 3 am 4. = 1. 4 als die Leber. Kiemen etwas rückge- und 11. 6. mit frischer Schilddrüse gefüttert. bildet Lunge has srößer learn ID, WII. Abk. 7, 2. Kontrolle dazu Abb. 7, 1. 16. VI. Größe weiter reduziert. Gesamtlänge 6 mm, Rumpflänge 4 mm, Rumpfbreite 3 mm. Schwanz stark reduziert, nur so lang wie die Hinterbeine. Schwanzflossensaum rückgebildet. Hinterbeine 2 mm, Schenkel und Zehen diffe- renziert. Bei einigen linkes Vorderbein durchgebrochen, 2 mm lang. Ebenso weit entwickelt wie die Hinterbeine. Schenkel sehr kurz. Maul terminal, etwas ver- breitert. Zähne, Hornkiefer, Wulst, auf dem Hornkiefer liest, rückgebildet. Fast fertiges Froschmaul. Oberkiefer verkürzt, Augen nahe dem vorderen Rand. Nach Präparation Schultergürtel sichtbar, aber noch sehr dünnes Gewebe. Bauchmuskulatur stärker entwickelt. Darm nur 1 Windung. Magen dicker. Leber 0,8 : 1,2 mm, Pankreas sehr klein, 0,3 mm. Lunge gut, Kiemen in Rückbildung. Die letzten Tiere fixiert. Da die Kontrolle sich während der Versuchsdauer nicht wesentlich verändert, wird kein Protokoll darüber gegeben. Ergebnis. Die Tiere sind bei Versuchsbeginn nicht größer, aber älter als die von Gruppe 3 und 4. Sie sind etwas weiter entwickelt, da die Hinterbeinanlagen etwas gewachsen sind. Da aber einerseits Tiere, die bereits einige Zeit im Laboratorium gehalten werden, stets weniger wachsen als im Freien, andererseits das Stadium, bei dem kleine, un- differenzierte Hinterbeinstummel vorhanden sind, stets längere Zeit dauert, so ist diese Versuchsgruppe tatsächlich als eine auf einem späteren Stadium begonnene zu betrachten. Das Endresultat zeigt, daß diese Tiere einem normal metamorpho- sierten wesentlich ähnlicher werden als die von Gruppe 3 und 4. Die Extremitäten werden weiter entwickelt, erreichen aber nicht normale hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VII. 179 Größe. Der Schwanz wird weiter, aber nicht vollständig resorbiert. Das Maul wird fast, aber nicht ganz, zum fertigen Froschmaul. Die Lunge wird weiter entwickelt. Die ganze Körperform ähnelt mehr dem Frosch- als dem Kaulquappentypus. Die Zeitdauer, während der die Schilddrüsenfütterung Veränderungen hervorruft bis die Tiere lebensunfähig werden, ist bei den 3 Basprochenen Versuchsgruppen ungefähr die gleiche. Versuch I, Gruppe 40. Fütterung mittlerer Kaulguappen mit frischer Schilddrüse. Protokoll (vgl. Tabelle II). Am 12. VI. neu angesetzt zu Kontrolle 37. (Siehe S. 183). Über Beobach- tungen an der Kontrolle gilt das bei Gruppe 26 und 27 Gesagte. Gruppe 40. Gesamtlänge 16 mm. Rumpflänge 6 mm. Rumpfbreite 4,5 mm. Hinterbeine noch nicht angelegt. Mit frischer Schilddrüse gefüttert. 14. VI. Ganz unverändert. 15. VI. Äußerlich nicht verändert. Hinterbeine eben sichtbar als undifferen- zierte kleine Stummel. Maul ganz normal. Kiemen gut. Lungen als winzige An- lagen eben sichtbar. Darm 7!/, 1 Spiralwindungen, also nicht ver- kürzt, aber nicht mehr tellerförmig über ganzem Abdomen liegend, son- dern auf die linke Seite hinüber ge- drückt. Wohl erster Anfang der Veränderungen am Darm. Leber hell, 1,0: 0,3mm. Pankreas hell, 1,0 mm lang. Abb. 8, 1. 16. VI. Die Tiere werden gei- genförmig. 18. VI. Gesamtlänge 12 mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 4mm. Hinterbeine 1 mm. Fuß- platte bereits angelest. Am Maul Zähne, Hornkiefer ganz rückgebil- det, kleiner Rest von Papillen noch ander: eier wenig Ar Abb. 8. Versuch erue 40 am 12.6. u. 15.6. mit kürzt. Afterröhre und Schwanz- frischer Schilddrüse gefüttert. Aufnahme: Tier 1 am flossensaum rückgebildet. Darm 15.6.; Tier 2 am 19.:6.; Tier 3 am 21. 6. fixiert. reduziert. Nur 2 Spiralwindungen. Leber 0,75 :1,0 mm. Pankreas 0,5 mm, kleiner als normal. Beide ganz wenig pigmentiert. Vorderbeine ganz kleine, undifferenzierte Anlage. Kiemen und Lunge gut entwickelt. Kiemenloch etwas vorstehend. 19. VI. Größe unverändert. Hinterbeine 1,5 mm. Zehen gerade angelegt. Am Maul Zähne, Hornkiefer und Papillen rückgebildet. Oberkiefer etwas verkürzt. Kiemenloch nicht erweitert aber etwas vorstehend. Nach Präparation Vorderbein eben vorn sichtbar, Fuß angelegt. Darm, Leber, Pankreas, Lungen, Kiemen wie am 18. VI. Abb. 8, 2. 21. VI. Das am weitesten entwickelte Tier fixiert. Gesamtlänge Il mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 4 mm. Hinterbeine 2 mm. Ober- und Unter- schenkel, Fuß und Zehen sind differenziert. Die Schenkel liegen noch der Mediane 12% ber die von einzelnen Organen ıen ü Studi 180 E. Abderhalden u. ©. Schiffmann yaoryuLowusıd Sunpitq a9ge ‘uaqgo g -1OnY IM ‘deig aa ur uoyd yden ed gz191ds93 "puogal ei -IIBIT -JydIS Y9OL y[9ddAndI9A J194T9IAQI9IA uosunIp33 | TEYUaUOS -I9qn adejuy ‘3u3 -S1d 41898 -U9WOIMN WI pun JzınyIoA SEM STULIOF -I940 Sızuta aUPIM | uedogq | uago arm _ ul9gT sayUurT uago aıM | JIaIZnpaY SeMIT rewwa]L |-|- -u95R9 |Duef wu Z 8 "IIA Sn puayoIaL zI9H suv deqyyaıs stq ‘uaut day uoyun "yugursed Std 9Uuuo uUoA uaonYy uaFunıp93 |JIOTZUITIFFIP SL 6 wu T To1unp "Zus IoJFIp “IZzıanM puaJfelM ZTWIOF EDEL BIS ypeu nY9 09 rat) T uayoZ uago aıM | UIIO aIM | -I9A Nıvıs 188 |< -U93199 uw x TL|| "IA 18 y39[93u® ‘yuotuoıd nem uay9z SL, UDEeMUOS ıI9p Iogun |-zueMmyog | JIOIznpaL JzInMI9A SIULIoF-N STW.IOF yıur ogyejd ydeu wu]>| m9 nn) q ayerdguT SEAIH SEAIA a9FoıyIoyuN | = | < -U9319 INT EI 1 || "IA '6T yuawstg "wopqy 'T ww] > LE auyo sau mu addenbmey| ‘adefuy yoeu wwj> „19 0‘L aaqe “)ın - [ewıoN TeunoN reumon |+/+ ofewlon |'zuedajyipun 97, "IA 'SI uumog addenbiney 39[9Iue -SIOA “> SF IIEULION Yy>aIN 91 "IA SL onmfob osnıpppyag soyasııf pw “ofng 05 addnıy "T yoansıaa U9Y90IIaS -y9anp uoyds S uosLura Tod puey we IFFeIN Sunpgiq [eyunp “zu9IoJJIp auraqısgurg| 9ser uasny | ‘IONOIq JASTZU9LOJFIP ‘La -MONnM aus [eyuayas ap SIE ‘Izıny -I9A SEMII Toyuayog ydeu m9 ur 0 L ‘Sue UNUG TODURL FYOIN| -IOA ION1R4S | TEUTULIOL ‘wu Z 9 |) "IA IT PPILISS "ward 19] rel "AL Ol 199015 | -yonı yunp ago) 5 -ZUB AUDS yzıny JZAnM SIwIor-N Z1uIOF "IA ZT OIM ydeu SEMIH | SEAIH ei) /ıT "TA ZI IM -I9A MILCIS | -I9A SEMIM | TOJoryaaguN | - | = -U93199 9sUOS "WULZ 6 || "TA PL z 439]93U%B yuawstd gneH I9p > EL EYA ‘SL 8 uro]M gugo ‘un u9yU9ZE Z1U1OF JLur aned ypeu ıay9s ng 01 @ uU NA [EwIoN TEWION [fewıaon |+|- -U93199 -InA ‘GI LT IA 'ZI uusydg addenbney| FSIZU9I9JFP -SI9 A ar ar 9JeULION ‚un wu] |@ LE IA F annfab osnıpppiyas doyasıuf pw “ofng Ic addnın "I yansıa — = u = — ——- — ——— —- _— — 7 — S {«b) ES 8 a aung 212% ne . | &0 sworyuedg 28 & = N Selle a -10JuIH, B al o3ung |uawe a | eo ee 2|2|8 -Iedıoy ! USE T worM sap S558 1949 ourod zueayos | OPMIIAIO meN le = 1op ı9p alz, 3 umgeq Rn) SIE | omon SIEIS| snaan | Fammm || E|: = = Is) n L Au 2} | =}65) & ud # E-IRe) | | EINES, hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VII. 181 an. Am Maul auch der Wulst, auf dem die Hornkiefer liegen, rückgebildet. Ober- kiefer stark verkürzt; Augen am Rande liegend, von unten her sichtbar. Rumpf geigenförmig, gedrungen. Nach Präparation Vorderfüße deutlich sichtbar, bis ans Herz reichend, aber noch ohne Pigment. Darm sehr kurz, 1 Spiralwindung. Leber wenig, verändert, 0,6:1,0 mm, schwach pigmentiert. Pankreas stärker verändert, klein, 0,2 mm lang, dunkel pigmentiert. Kiemen gut. Lunge gut entwickelt, 1 mm lang. Abb. 8, 3. 23. VI. Es leben noch 2 Tiere, die weniger stark verändert sind. Gesamtlänge 12—14 mm. Rumpflänge 5-6 mm. Rumpfbreite 3—4 mm. Hinterbeine 2 mm. Oberschenkel sind gespreizt. Oberkiefer verkürzt. Maul verbreitert, alles daran rückgebildet. Kiemenloch erweitert. Abdomen sehr schlank. 1. VII. Gesamtlänge 8 mm. Rumpflänge 4 mm. Rumpfbreite 3 mm. Hinter- beine 2 mm. Beine entwickelt wie am 28. VI. Maul stark verändert. Alles bis auf die Lippen daran rückgebildet. Terminale Stellung, etwas verbreitert. Unterkiefer etwas gebogen. Maul klafft. Oberkiefer verkürzt, aber etwas weniger als am 21. VI. Schwanz etwas verkrüppelt, gebogen. Kiemenloch etwas erweitert, linker Vorderfuß darin sichtbar. Nach Präparation Vorderbeine wie am 21. VI., aber schwach pigmentiert. Kiemen in Rückbildung. Lunge sehr kleine Anlage. Darm metamorphosiert, aber etwas länger als sonst. Leber 1,0 : 1,4 mm, also größer als am 21. VI., aber stark pigmentiert. Pankreas wie am 21. VI. Letztes Tier fixiert. Ergebnis. Die Tiere sind bei Versuchsbeginn zwar vermutlich etwas älter als die von Gruppe 27, aber kleiner und in der Entwicklung sowohl gegen Gruppe 27 als auch gegen Gruppe 3 und 4 zurück, da sie noch keine Hinterbeine haben. Sie sind größer und wohl entwickelter als Gruppe 13 und 14. Diese Tiere bringen die Metamorphose weiter als die von Gruppen 3, 4, 13, 14, aber weniger weit als die von Gruppe 27. Die letzten Tiere, bei denen die Beeinflussung länger, aber weniger intensiv war, entwickeln sich weiter, werden aber stärker pathologisch. Aus diesen Beobachtungen, die durch zahlreiche andere Versuche gestützt werden, geht hervor, daß die Kaulquappen, die auf frühen Stadien — vor Anlage der Hinterbeine — mit Schilddrüse gefüttert werden, langsamer darauf reagieren als ältere Tiere, daß sie die Meta- morphose nicht beenden, sondern nur stärker verkrüppeln. Je später die Schilddrüsenfütterung beginnt, um so weiter bringen die Tiere die Metamorphose. Es treten aber dann die typischen Schilddrüsenmerkmale in noch stärkerer und charakteristischerer Form auf. 4 Versuch I, Gruppe 34 u. 35. Fütterung mit frischer Basedow-Struma. Protokoli. 5. VI. Neu angesetzt zu Kontrolle 26. (Siehe S. 177.) Gruppe 34/35. Gesamtlänge 17 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpfbreite 5 mm. Hinterbeine 1 mm, undifferenziert. Mit frischer Basedow-Struma gefüttert. 12. VI. Kontrolle. Gesamtlänge 18 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpfbreite 5 mm. ’ 182 E. Abderhalden u. O. Schiffmann:: Studien über die von einzelnen Örganeh 34/35. Gesamtlänge 21 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpfbreite 5 mm. Hinterbeine 1 mm, wenig länger als der After, undifferenziert. Afterröhre und Schwanzflosse normal. Zähne rückgebildet, Papillen und Hornkiefer gut. Ab- domen wenig schlanker. Nach Präparation Vorderbeine sichtbar, 1 mm groß, noch nicht nach vorn reichend. Fußplatte ohne Zehen angelest. Darm 5 Windungen, also wohl noch nicht reduziert, aber nur links im Abdomen liegend. Leber normal, 16:12 mm. Pankreas normal, 0,8 mm. Kiemen gut. Lunge kleine Anlage, 0,4 mm. 14. VI. Kontrolle. Größe unverändert. Maul normal. Hinterbeine 1 mm, so lang wie der After. Fußplatte beginnt sich anzulegen. Nach Präparation große Darmspirale, tellerförmig, 6 Windungen. Leber hell, 1,2 : 1,8 mm. Pankreas hell, 1,0 mm lang. Kiemen gut. Lunge noch nicht angelegt. Vorderbeine ebenso groß und entwickelt wie die Hinterbeine. 34/35. Wenig verändert seit 14. VI. Zehen beginnen sich an Hinter- und Vorderbeinen zu differenzieren. 15, VI. und 19. VI. Tiere präpariert, keine Veränderungen beobachtet. 28 VI. Kontrolle. Die größten Tiere: Gesamtlänge 23 mm. Rumpflänge 9 mm. Rumpfbreite 6 mm. Durchschnitt: Gesamtlänge 19 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpfbreite 5 mm. Hinterbeine I mm. Fußplatte differenziert. 34/35. Gesamtlänge 23 mm. Rumpflänge 9 mm. Rumpfbreite 6 mm. Hinter- beine 3 mm. Schenkel differenziert, aber noch anliegend. Nur 2 Tiere beginnen, die Schenkel zu spreizen. Abdomen bei diesen schlanker. 7. VII. Kontrolle. Die 2 größten Tiere: Gesamtlänge 23 mm. Rumpflänge 10 mm. Rumpfbreite 7 mm. Hinterbeine 4 mm. Schenkel differenziert, aber nicht gespreizt. Die übrigen: Gesamtlänge 13 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpfbreite 6 mm. 34/35. Gesamtlänge 21—25 mm. Rumpflänge 9 mm. Rumpfbreite 6 mm. Die Hälfte der Tiere spreizt die Hinterbeine. 14. VII. Kontrolle: 2 Tiere von 11 spreizen die Hinterbeine. 34/35. Von 13 Tieren haben 2 die Metamorphose beendet, 5 spreizen die Hinterbeine. 19. VII. Kontrolle. 1 Tier hat die Metamorphose beendet, 1 spreizt die Hinter- beine, bei den übrigen 7 sind die Hinterbeine nicht mehr gewachsen. 2 Tiere sind tot. 34/35. 5 Tiere haben die Metamorphose beendet, 1 spreizt die Hinterbeine, bei 5 Tieren sind die Beine nicht weiter entwickelt. 1 Tier ist tot. Sowohl die metamorphosierten Fröschehen als auch die weniger weit ent- wickelten Kaulquappen sind vollkommen normal. Auch die letzteren zeigen an Zähnen, Schwanz, Darm usw. nicht die mindesten Symptome, wie sie bei Schild- drüsenfütterung vorkommen. Ergebnis. In den ersten Tagen nach der Fütterung mit Basedow-Struma zeigen sich ganz geringe Veränderungen, die aber bald wieder kompen- siert werden. Eine Größenreduktion findet nicht statt. Die Meta- morphose wird normal beendet, und zwar gegenüber der Kontrolle ein wenig beschleunigt. Doch liegt diese Beschleunigung wohl innerhalb der normalen Variationsbreite. Eine Wiederholung der Fütterung, die vielleicht das Resultat verändert hätte, war leider nicht möglich, da Basedow-Struma uns nicht wieder zur Verfügung stand und wir bei anderen Versuchen mit konserviertem Material schlechte Erfahrungen gemacht hatten. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. 183 Versuch I, Gruppe 37—39. Fütterung mil Sir uma. Protokoll. 10. VI. Neu angesetzt. Gruppe 37. Kontrolle. Gesamtlänge 16 mm. Rumpflänge 6—-7 mm. Rumpf- breite 4,5 mm. Beine noch nicht angelegt. 5 Tiere. Gruppe 38. 10 Tiere desgl., mit frischer Struma gelütiert. (,‚Stıuma“ wird als Sammelname für alle Nicht-Basedow-Strumen gebraucht.) 12. VI. 38 nicht verändert. Zum 2. Male mit Struma gefüttert. 14. VI. 38. Alle Tiere, mit Ausnahme eines einzigen tot. Die Tiere zeigen äußerlich keine Schilddrüsenmerkmale. Nach Präparation zeigt nur der Darm Reduktion 21/, Spiralwindungen. Alles übrige normal. Das überlebende Tier entwickelt sich vollkommen normal weiter, geht am 31. VII., kurz vor Durchbruch der Vorderbeine, ein. 12. VI. Neu angesetzt zu Kontrolle 37. Gruppe 39. 20 Tiere, mit frischer Struma gefüttert. 23. VI. 39. Genau wie Kontrolle entwickelt. 7. VII. Kontrolle 37. Gesamtlänge 24 mm. Rumpflänge 10 mm. Rumpfbreite 6 mm. Hinterbeine 3 mm. Schenkel differenziert. 39. 3 Tiere sind schlanker, zeigen schwache Schilddrüsenmerkmale. Bei diesen Gesamtlänge 16 mm. Rumpflänge 7 mm. Rumpfbreite 4 mm. Hinterbeine 3 mm, wie bei Kontrolle. Zähne und Hornkiefer rückgebildet. Papillen vorhanden. Oberkiefer wenig verkürzt. Schwanzflossensaum zwischen den Beinen rück- gebildet. Nach Präparation Vorderbeine vorn sichtbar. Füße und Zehen an- gelegt, noch ohne Pigment. Darm etwas reduziert, 3'/, Spiralwindungen. Leber normal, 1,1: 0,9 mm. Pankreas normal, 0,8 mm. Kiemen und Lungen gut. Die übrigen Tiere normal. 14. VII. Kontrolle. 1 Tier spreizt die Hinterbveine. 39 desgl. 19. VII. Kontrolle. 2 Tiere spreizen die Hinterbeine. 39. 4 Tiere spreizen die Hinterbeine. 5 Tiere tot. 26. VII. 39. 6 Tiere tot. 31. VII. 39. Gesamtlänge 14 mm. Rumpflänge5 mm. Rumpfbreite 4 mm. Hinter- beine 3 mm. Letzte Tiere fixiert. Zähne, Horukiefer, Papillen rückgebildet. Ober- kiefer etwas verkürzt. Hinterbeine wenig gespreizt, Vorderbeine wie am 7. VII., aber pigmentiert. Schwanzflossensaum, Kiemen, Lungen, Leber, Pankreas wie am 27. VII. Darm etwas weiter reduziert, 2 Spiralwindungen. Das Resultat dieser beiden Versuche ist folgendes: Eine einzelne Strumafütterung wurde gut vertragen. Nach der zweiten Fütterung gingen fast alle Tiere ein. Ob dies eine typische Strumawirkung ist, kann hiernach noch nicht entschieden werden, da auch bei Schilddrüsen- fütterung in vereinzelten Fällen ähnliches beobachtet wurde. Stärkere Giftigkeit der Strumen wurde auch in früheren Versuchen beobachtet!). Die Tiere zeigten nach der Strumafütterung ganz allmählich sehr geringe Merkmale wie nach Schilddrüsenfütterung, eine Entwicklungsbeschleu- nisung fand nicht statt. In einem weiteren Versuch wurde 9 Tage nach erfolgloser Struma- fütterung Schilddrüse gegeben. Danach traten die üblichen Schild- !) E. Abderhalden, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 236. 1919. 184 E. Abderhalden u. O. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen drüsenveränderungen auf. Die Tiere hatten also normale Reaktions- fähigkeit. Unsere Resultate mit Strumen und Basedow-Strumen stehen z. T. in Widerspruch zu denen von Wegelin und Abelin!). Insonderheit haben die Autoren in dem allerdings einzigen Versuch mit Basedow- Struma eine starke und schnelle Wirkung erzielt. Beiden übrigen Strumen war der Erfolg je nach der Art der verwendeten Strumen wechselnd. Da wir die benutzten Strumen nicht histologisch untersucht hatten, so können wir nicht angeben, ob sie evtl. zu den auch bei Wegelin und Abelin wenig wirksamen Strumen gehörten. Auch Romeis beschreibt 1916 einen Versuch mit Kolloidstruma, bei dem nur eine ganz geringe Entwicklungsbeschleunigung beobachtet wurde. Da Wegelin und Abelin mit Larven von Rana, wir aber mit Bufo arbeiteten, so scheint hier eine Reaktionsträgheit von Bufonen vor- zuliegen, wie sie auch aus den folgenden Versuchen mit abgebauter Schilddrüse (Versuch 1, Gruppe 5—8, 15—18) hervorgeht. Auch Romeis erwähnt schwächere Wirkung bei Bufo. Versuch I, Gruppe 5—8 und 15—18. Fütterung junger Kaulguappen mit abgebauter Schilddrüse. Protokoll. 6. V. Versuchsbeginn. Gruppe 1u. 2. Kontrolle I. Gesamtlänge 20 mm. Rumpflänge 8mm. RBumpf- breite 5,5 mm. Hinterbeine eben sichtbar, kleiner als 1 mm. Gruppe 5 u. 6. erhalten Schilddrüsenextrakt IT [nach Entfernung des in abso- lutem Alkohol löslichen Anteils in verdünntem Alkohol löslichen Teil der mit H,SO, hydrolysierten Schilddrüse]?). 1 ccm 1proz. Lösung zu 200 cem Wasser. Gruppe 7 u. 8 erhalten mit H,SO, hydrolysierte Schilddrüse, 1 ccm 1 proz. Lösung zu 200 cem Wasser. Gruppe 11 u. 12. Kontrolle II. Gesamtlänge 8 mm. Rumpflänge 3—4 mm. Rumpfbreite 2—2,5 mm. Keine Hinterbeine. Gruppe 15 u. 16 erhalten Schilddrüsenextrakt II, 1 ccm 1proz. Lösung zu 200 ccm Wasser. Gruppe 17 u. 18 erhalten hydrolysierte Schilddrüse, 1 ccm 1 proz. Lösung zu 200 ccm Wasser. Schale 5, 6, 7, 8 gehören zu Kontrolle I. Schale 15, 16, 17, 18 zu Kontrolle II. 12. V. 5. u. 6. Bei wenigen Tieren beginnt schwache Geigenform sich zu zeigen. Eins davon fixiert, ist aber noch normal. Vorderbeine und Lungen kleine Anlagen. 7. u. 8. Fast alle Tiere schlanker, einige etwas kleiner. Das kleinste Tier Gesamtlänge 15 mm. Rumpflänge 7mm. Rumpfbreite 4 mm. Hinterbeine noch kleiner als der After. Dies Tier präpariert. Fast normal. Nur die Darmspirale links liegend. Die anderen Tiere sind vollkommen normal. 1) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 89, 219. 192]. 2) Über die Herstellung der Extrakte vgl. Abderhalden, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 176, 236. 1919; und Abderhalden und Schiffmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 197. 1920. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. 185 20. V. Kontrolle I. Gesamtlänge 21 mm. Rumpflänge 9 mm. Rumpfbreite 6 mm. Hinterbeine 2 mm, undifferenziert. 5.u.6. Gesamtlänge 22 mm. Rumpflänge 10 mm. Rumpfbreite 6 mm. Hinter- beine 1,5 mm. Fußplatte eben angelegt. 1 Tier präpariert, ganz normal. 7.u.8. Gesamtlänge 22 mm. Rumpflänge 9 mm. Rumpfbreite 6 mm. Hinter- beine 1,5 mm, Fußplatte angelest. 1 Tier präpariert. Alles normal. 2. VI. Kontrolle I. Größte Tiere Gesamtlänge 23 mm. Rumpflänge 10 mm. Rumpfbreite 6 mm. .Kleinste Tiere Gesamtlänge 20 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpfbreite 6 mm. Von 38 Tieren spreizen 8 die Oberschenkel, bei 9 Tieren ist die Fußplatte noch nicht angelegt. Dazwischen alle Übergänge. 5. u. 6. Größte Tiere Gesamtlänge 26 mm. Rumpflänge 9 mm. Rumpf- breite 6 mm. Kleinste Tiere Gesamtlänge 13 mm. Rumpflänge 7 mm. Rumpf- breite 5 mm. Von 37 Tieren spreizen 6 die Oberschenkel, bei 6 Tieren ist die Fuß- platte noch nicht angelegt. Also keine Unterschiede gegenüber der Kontrolle. 7. u. 8. Größte Tiere Gesamtlänge 24 mm. Rumpflänge 10 mm. Rumpfbreite 6 mm. Kleinste Tiere Gesamtlänge 13 mm. Rumpflänge 7 mm. Rumpfbreite 5 mm. Von 38 Tieren spreizen 7 die Oberschenkel, 2 haben noch keine Fußplatte. Also keine Unterschiede gegen Kontrolle. Kontrolle II. Gesamtlänge 11—18 mm. Rumpflänge 5-7 mm. Rumpfbreite 3—5 mm. Bei den größten Tieren Hinterbeine eben angelest. 15. u. 16. Gesamtlänge 11—18 mm. Rumpflänge 4-7 mm. Rumpfbreite 3—5 mm. Hinterbeine auch wie Kontrolle. 17 u. 18. Gesamtlänge 10—19 mm. Rumpflänge 5-8 mm. Rumpfbreite 3—5 mm. Hinterbeine wie Kontrolle. 2. VI. KontrolleI. Gesamtlänge 13—26 mm. Rumpflänge 8-11 mm. Rumpf- breite 5-7 mm. 4 Tiere spreizen die Oberschenkel, 9 haben noch keine Fuß- platte, 4 sind tot. 5. u. 6. Gesamtlänge 19—26 mm. Rumpflänge S-10 mm. Rumpfbreite 5—6 mm. 4 Tiere spreizen die Oberschenkel, 6 haben noch keine Fußplatte, 2 sind tot. 7. u. 8. Gesamtlänge 19—25 mm. Rumpflänge 7—9. Rumpfbreite 5—6. 7 Tiere spreizen die Oberschenkel, 2 haben noch keine Fußplatte. Also ganz geringe Wachstumshemmung und Entwicklungsförderung. Sonst ganz normal. Kontrolle II. Gesamtlänge 11—18 mm. Rumpflänge 5—8 mm. Rumpfbreite 3—4 mm. 15. u. 16. Gesamtlänge 11—20 mm. Rumpflänge 4—-8 mm. Rumpfbreite 3—6 mm. 17 u. 18. Gesamtlänge 11—18 mm. Rumpflänge 4-8 mm. Rumpfbreite 3—5 mm. 14. VI. Kontrolle I. 6 Tiere spreizen die Oberschenkel. 5u. 6. 1 Tier hat beide Vorderbeine, 5 Tiere spreizen die Oberschenkel. 7 u. 8. 1 Tier hat beide Vorderbeine, 6 Tiere spreizen die Oberschenkel. Bei letzteren Afterröhre und Schwanzflossensaum am After rückgebildet. Darm wenig kürzer als bei entsprechender Kontrolle. 16. VI. Kontrolle II. Gesamtlänge 11—20 mm. Rumpflänge 4-8 mm. Rumpfbreite 3—5 mm. 15. u. 16. Gesamtlänge 14-20 mm. Rumpflänge 6-8 mm. Rumpfbreite 4--5 mm. 17 u. 18. Gesamtlänge 14 —20 mm. Rumpflänge 6—8 mm. Rumpfbreite5—6 mm. 21. VI. Kontrolle I. 1 Tier metamorphosiert, 1 Tier linkes Vorderbein durch- gebrochen. 5 Tiere spreizen die Hinterbeine. 5 u. 6. 3 Tiere metamorphosiert, 5 spreizen die Hinterbeine. 7 u. 8. 3 Tiere metamorphosiert, 3 spreizen die Hinterbeine. 22. VI. 5. 9 Tiere tot. 186 E. Abderhalden u. ©. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen 23. VI. 5. 2 Tiere tot. Da in Schale 6 alle normal, so beruht dies Absterben nicht auf Extraktwirkung. 25. VI. Kontrolle I. 4 Tiere metamorphosiert. 4 Tiere spreizen die Hinterbeine. 5 u. 6. 3 Tiere spreizen die Hinterbeine. 7 u. 8. 1 Tier metamorphosiert, 2 spreizen die Hinterbeine Die übrigen schwache Schilddrüsenmerkmale. Gesamtlänge 183—25 mm. Rumpflänge 6—8 mm. Rumpfbreite 5 mm. Hinterbeine 2mm. Schenkel differenziert. Kiefer und Zähne rückgebildet, Papillen vorhanden. Afterröhre und Schwanzflossensaum rück- gebildet. Vorderfüße grade nach vorn reichend. Leber und Pankreas noch gut entwickelt. Darm wenig reduziert, aber nur links im Abdomen liegend. Kontrolle II. Gesamtlänge 12—21 mm. Rumpflänge 5—9 mm. Rumpfbreite 4—6 mm. 15 u. 16. Gesamtlänge 16—23 mm. Rumpflänge 7—9 mm. Rumpfbreite 4 bis 6 mm. Zähne bei einigen in Rückbildung, sonst normal. 17 u. 18. Gesamtlänge 14-20 mm. Rumpflänge 6-9 mm. Rumpfbreite 4—5 mm. Zähne bei einigen in Rückbildung. Anlagen der Hinterbeine gerade sichtbar. 7. VII. Kontrolle II. Gesamtlänge 11—22 mm. Rumpflänge 5—8 mm. Rumpf- breite 3—5 mm. 15 u. 16. Gesamtlänge 13—27 mm. Rumpflänge 8-10 mm. Rumpfbreite 5—7 mm. Bei den größten Tieren Hinterbeine 1,5 mm. 17 u. 18. Gesamtlänge 19—22 mm. Rumpflänge S—-9 mm. Rumpfbreite 5 mm. Hinterbeine 1 mm. 14. VII. Kontrolle II. Durchschnitt Gesamtlänge 19mm. Rumpflänge 9 mm. Rumpfbreite 5 mm. 15 u. 16. Durchschnitt wie Kontrolle. 17 u. 18. Durchschnitt wie Kontrolle. Das Ergebnis dieses Versuchs ist folgendes: Die Größenschwankungen zwischen Kontrollen und Versuchstieren liegen innerhalb der normalen Variationsbreite. Die Extrakte bewirken keine Wachstumshemmung. Eine ganz geringe Entwicklungsförderung konnte beobachtet werden. Das nicht fraktionierte Schilddrüsenhydrolysat bewirkt geringe Ver- änderungen, wie sie typische Schilddrüsentiere zeigen. Doch müssen beide Extrakte als sehr wenig wirksam an Bufonen bezeichnet werden. Die geringe Wirkung wird aber weder durch besondere Eigenschaften der Versuchstiere noch durch prinzipielle Unwirksamkeit der Extrakte bedingt. Denn erstens zeigt Versuch I, Gruppe 3, 4, 13, 14, daß eben- solche Tiere auf Fütterung mit frischer Schilddrüse sehr stark reagieren, zweitens geht aus dem folgenden Versuch hervor, daß das gleiche Schilddrüsenextrakt II an Rana temporaria-Larven sehr wirksam ist. Es reagieren also Bufonen auf frische Schilddrüse sehr leicht, auf die angewandten Extrakte dagegen sehr träge. Versuch II an Rana-temporaria-Larven. Gruppe 2 und 3. Fütterung mit Schilddrüsenextrakt II. Protokoll (vgl. Tab. III). Kaulquappen aus einem Laichballen, den ein Pärchen am 13. III. im Institut abgelegt hatte. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VII. 18% 18. III. Länge der Kaulquappen 9 mm. Die äußeren Kiemen sind gut ent- wickelt. Die Tiere dieses Versuchs werden zunächst mit Froschfleisch gefüttert. 1. Kontrolle. 20 Tiere. 2. 20 Tiere erhalten 1 cem 1 proz. Lösung von Schilddrüsenextrakt II. 23. III. Bei allen Tieren sind die äußeren Kiemen bedeckt. Länge 13—14 mm. Neu angesetzt: 3. 20 Tiere wie Kontrolle am 23. III., erhalten 1 ccm 1 proz. Lösung Schild- drüsenextrakt 11. 27. III. In 2. und 3. treten geigenförmige Tiere auf. 8. IV. 1. Gesamtlänge 23—14 mm. Bumpflänge 8-6 mm. 2. Gesamtlänge 14 mm. Rumpflänge 5 mm. Also Durchschnitt wie die Klein- sten in der Kontrolle Anlage der Hinterbeine eben vorhanden. 3. Etwas größer als 2. Gesamtlänge 15 mm. Rumpflänge 6 mm. 2 Tiere haben Anlagen der Hinterbeine. 12. IV. 1. Durchschnitt: Gesamtlänge 23 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpf- breite 6 mm. Nirgends Beinanlagen. 2. Gesamtlänge 14—16 mm. Rumpflänge 6 mm. Rumpfbreite 4 mm. Alle etwas geigenförmig. Zähne in verschiedenem Grade in Rückbildung. Bei 2 Tieren auch Hornkiefer in Rückbildung. Bei 1 Tier Unterkiefer schnauzenartig vorge- wölbt. Schwanzflossensaum noch normal. Hinterbeine undifferenzierte Fuß- platten, bei 1 Tier 3 Zehen. Bei 1 Tier Vorderbeine durch die Haut sichtbar. Fuß mit 3 Zehen daran angelest. 3. Gesamtlänge 14—16 mm. Rumpflänge 4-5 mm. Rumpfbreite 3 mm. Entwicklung wie 2. Aber Zähne überall ganz rückgebildet. 15. IV. 1. Gesamtlänge 13—29 mm. Rumpflänge 6—10 mm. Bump 5—6 mm. Kleine Anlagen der Hinterbeine eben sichtbar. 2. Gesamtlänge 16 mm. Rumpflänge 6 mm. Rumpfbreite 4 mm. Hinterbeine kleiner als 1 mm. Wenig verändert seit 12. IV. 3. Gesamtlänge 14 mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 3 mm. Hinterbeine 1,5 mm. Fußplatte und Zehen bei den meisten differenziert. Stark geigenförmig. Maul bei 2 Tieren ganz, bei den übrigen fast terminal. Papillen noch vorhanden. Zähne und Hornkiefer überall rückgebildet. Unterkiefer U-förmis. Vorderbeine mit Fuß und Zehen angelegt, schimmern durch die Haut. Darm metamorphosiert. Kiemen gut. Lunge angelest. 22. IV. 1. Gesamtlänge 15—23 mm. Durchschnitt 21 mm. Rumpflänge 6 bis 10 mm. Durchschnitt 8 mm. Rumpfbreite 4-6 mm, Durchschnitt 5 mm. Das größte Tier hat 2 mm lange Hinterbeine mit differenzierter Fußplatte, die übrigen undifferenzierte Anlagen, kleiner als 1 mm. 2. Größe nicht verändert. Stark geigenförmig. Hinterbeine 2 mm, Fuß- platte differenziert. Maul terminal. Zähne und Hornkiefer rückgebildet. Papillen erhalten. Oberkiefer und Augenstellung normal. Darm metamorphosiert. 3. Nicht verändert. Herz stark vorgewölbt, schimmert deutlich durch die Haut. 28. IV. 1. Gesamtlänge 17—33 mm, Durchschnitt 26 mm. Rumpflänge6— 11mm Durchschnitt 9 mm. Rumpfbreite —-7 mm, Durchschnitt 6 mm. Entwicklung wie oben. 2. Gesamtlänge 14 mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 3,5 mm. Beine 2 mm, Ober- und Unterschenkel und Fuß differenziert. Schwanzflossensaum rück- gebildet. Breites, terminales Froschmaul. Letztes Tier fixiert. 3. Gesamtlänge 10 mm. Rumpflänge 3,5 mm. Rumpfbreite 2 mm. Fuß- platte mit Zehen entwickelt. Maul terminal, klafft, aber noch nicht verbreitert. Oberkiefer etwas verkürzt. Lunge gut entwickelt. Letztes Tier fixiert. : 188 E. Abderhalden u. O. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen Tabelle III. 2|E E | Gesamt- E E Entwicklung Typus S g 3 | } | Datum länge e: S der Hinterbeine der Körperform 5 = an Maul OberkicTä | = | ns Versuch II. Gruppe 2. Rana temporaria mit Schilddrüsenextrakt II gefüttert. 11, JUUT 9 Äußere Kiemen entwickelt | Versuchs- | Beginn | 12. IV. 14-16 | 6 | 4 | Undifferenzierte Geigenförmig | — | + + nach Fußplatten 24 Tagen DISINE 16 |6 | 4|2 mm Fußplatte Geigenförmig |—|+|-— | Terminal Normal nach 34 Tagen DE-HIVE 14 |5 /3,51 2 mm Schenkel | Geigenförmig, | — | — | — | Breites, ter- nach differenziert noch minales 40 Tagen Kaulquappentyp Froschmaul Versuch II. Gruppe 3. Rana temporaria mit Schilddrüsenextrakt II gefüttert. 93. IH. ||13-14| Äußere Kiemen überwachsen Versuchs- | Beginn | 12. IV. | 14-16 14-5| 3 | Undifferenzierte Geigenförmig | — | +|+ nach Fußplatten 21 Tagen 15. DIVE 14 |5| 3 | 1,5 mm Zehen | Stark —\+|— | Terminal, nach differenziert geigenförmig Unterkiefer 24 Tagen U-förmig: 28V: 10 [3,5| 2 | 1,5 mm Zehen Stark — \—| — |) Terminal, Etwas nach differenziert geigenförmig, klafft verkürzt 35 Tagen Kaulquappentyp 5 Ergebnis. Dieser Versuch zeigt die typische Wachstumshemmung. Zu Beginn des Versuchs wachsen die Tiere noch etwas, aber langsamer als die Kontrollen. Dann erfolgt Stillstand. Erst gegen Ende des Versuchs findet eine geringe Größenreduktion statt. Die Entwicklung ist be- schleunigt. Die Hinterbeine treten früher auf und entwickeln sich schneller als bei den Kontrollen, bleiben aber schließlich klein und unfertigs. Am Maul treten die üblichen Anomalien auf. Der Darm wird frühzeitig metamorphosiert. Die Tiere, die erst nach Überwachsung der äußeren Kiemen Schilddrüsenextrakt bekommen haben, zeigen die Erscheinungen stärker. Wie bei Bufonen bei nicht abgebauter Schild- drüse (Versuch 1, Gruppe 3 und 4, 13 und 14) sehen wir auch bei Rana bei abgebauter Schilddrüse, daß die Tiere, die sehr jung beeinflußt werden, starke Erscheinungen zeigen, aber als Krüppel zugrunde gehen, hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. 189 ohne die Metamorphose beenden zu können. Auch hier sehen wir wieder die gleichsinnige Wirkung von abgebauten gegenüber nicht abgebauten Organen, wenn auch an einer anderen Spezies. Versuch III, mit. proteinogenen Aminen und organischen Jodverbin- dungen an Rana arvalis und Bufo vulgaris. 1921. Protokoll. Alle Tiere werden in 200 ccm Wasser gehalten und erhalten weder Alsen noch Futter. 6. VII. Rana arvalis am Galgenberg b. Halle gefangen. 1. Versuch. 1. Kontrolle. 3 Tiere. Gesamtlänge 40 mm. Rumpflänge 15 mm. Rumpfbreite 9 mm. Hinterbeine gespreizt, Zehenabstand 13 mm. 2. 3 Tiere desgl. 20 mg Dijodtyrosin hinzugefüst. 2. Versuch. 1. Kontrolle. 2 Tiere. Gesamtlänge 35 mm. Rumpflänge 14 mm. Rumpfbreite 8 mm. Zehenabstand der gespreizten Hinterbeine 5—6 mm. 2. 3 Tiere desgl. 15 mg Dijodtyramin hinzugefüst. 3. Versuch. 1. Kontrolle. 4 Tiere. Gesamtlänge 35 mm. Rumpflänge 14 mm. Rumpfbreite 8 mm. Länge der Hinterbeine 5—6 mm, beginnen zu spreizen. 2. 4 Tiere desgl. erhalten 20 mg Dijodtyrosin. 3. 4 Tiere desgl. erhalten 15 mg Dijodtyramın. 9. VII. 1. Versuch 1. Bei 1 Tier das linke Vorderbein durchgebrochen. 2. Bei 1 Tier das linke Vorderbein im Durchbrechen. 2. Versuch. Keine Unterschiede. 3. Versuch. 2. 1 Tier tot. Ganz normal. Darm nicht verändert. Keine Unter- schiede. Neu angesetzt: 4. Versuch. 1. Kontrolle. 3 Tiere. Gesamtlänge 30 mm. Rumpflänge 13 mm. Rumpf- breite 7 mm. Hinterbeine 2 mm. Fußplatte angelest. 2. 3 Tiere desgl., erhalten 20 mg Dijodtyrosin. 5. Versuch. 1. Kontrolle. 6 Tiere. Gesamtlänge 28 mm. Rumpflänge 12 mm. Rumpfbreite 8 mm. Hinterbeine 2 mm, undifferenziert. 2. 6 Tiere desgl. erhalten 20 mg Dijodtyrosin. 11. VII. 1. Versuch, 1. Kontrolle. 1 Tier hat beide Vorderbeine, ist tot. Ein Tier ohne Vorderbeine, auch tot. Kontrolle von Vers. 2, 3, 4 und Schale 2 von Vers. 4, je 1 Tier tot. 12. VI. 1. Vers., 1. Kontrolle. Das einzige Überlebende hat beide Vorderbeine. 2. Bei allen 3 Tieren linkes Vorderbein durchgebrochen. 2. Vers. 1. Zehenabstand der Hinterbeine 9 mm. 2. 1 Tier linkes Vorderbein durch, die übrigen wie die Kontrolle. 3. Vers. !. Kontrolle. Länge der Hinterbeine 5—6 mm. 2. 1 Tier Zehenabstand der Hinterbeine 9 mm, 2 Tiere wie Kontrolle. 3. Länge der Hinterbeine 6 mm, beginnen zu spreizen. 1 Tier tot. Darm kurz vor Metamorphose. Muscularis bereits kontrahiert. Alles normal. Abb. 9 u. 10, Tier 1. 4. Vers. Kontrolle nicht verändert, Hinterbeine 2 mm. 2 Hinterbeine 4 mm. 5. Vers. 2. 1 Tier tot mit aufgedunsenem Bauch. Sonst normal. 190 E. Abderhalden u. ©, Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen Ergebnis nach 6 Tagen: Die beeinflußten Tiere des 2., 3. und 4. Ver- suchs sind gegen die Kontrolltiere in der Entwicklung gefördert. Im 3. Versuch fördert Dijodtyrosin stärker als Dijodtyramin. 13. VII. 1. Versuch. Kontrolle Das Tier hat beide Vorderbeine. Schwanz noch nicht reduziert. 2. 1 Tier hat beide Vorderbeine, tot. Die übrigen nur linkes Vorderbein, aber der Schwanz ist stärker reduziert als bei der Kontrolle. Vgl. Schilddrüsen- wirkung! 3. Vers. Kontrolle. 1 Tier tot. Hinterbeine 6 mm. 2. 2 Tiere haben linke Vorderbeine, beim 3. Vorderbein im Durchbrechen, dieses fixiert. Abb. 9 u. 10, Tier 2. Ren | 4 3 2 1 Abb. 9. Versuch 3 und 5. Tier 1: Versuch 3 Gruppe 3 erhält 15 mg Dijodtyramin seit 6. 7. aufgenommen 12. 7. RR2E: E 3 Fe ana de 20 „ Dijodtyrosin „ 6.7. Er ler U lar Er 5 a DIENEN 20 „ 5 neh Ta 5 16. 7. 4: 5 ZU, 20% ES >. 9 % er 18. 7. 3. Zehenabstand 5—7 mm. 5. Vers. 2. 1 Tier tot, aufgedunsen. Abb. 13, }. 14. VII. 1. Vers. Kontrolle. Gesamtlänge 25 mm. Rumpflänge 13 mm. Rumpfbreite 6 mm. Schwanz in Reduktion, 12 mm lang. 2. 1 Tier beide, 1 Tier 1 Vorder- FE = 2 3 bein. Schwanz stärker redu- ziert als bei der Kontrolle, 5—10 mm lang. 2. Vers. Kontrolle. Gesamtlänge 32 mm De Rumpflänge 14 mm. Rumpfbreite we S mm. Zehenabstand 9 mm. * : 2. Größe wie Kontrolle. Zehen- i ü. abstand 1O—12 mm. 1 Tier hat linkes Vorderbein. 3. Vers. Kontrolle. Gesamtlänge 34mm. Rumpflänge 14mm. Rumpf- 1 = 3 4 breite 8mm. Hinterbeine 6 mm lang. Abb. 10. Dieselben Tiere, präpariert. 1 Tier beginnt sie zu spreizen. Abk. 11, 1 lebend. 2. Gesamtlänge 24 mm. Rumpflänge 10 mm. Rumpfbreite 6 mm. Bei beiden Tieren linkes Vorderbein durchgebrochen. Maul und Körperform frosch- artig. Abb. 11, 2, lebend. 3. Gesamtlänge 27 mm. Rumpflänge 12 mm. Rumpfbreite 7 mm. Zehen- abstand der Hinterbeine 4, 8 und 12 mm. Maul und Körperform noch kaul- quappenartig. Abb. 11, 3, lebend. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. 191 4. Vers. Kontrolle. Gesamtlänge 25 mm. Rumpflänge 13 mm. Rumpfbreite 8 mm. Hinterbein 3 mm. Fuß differenziert. Abb. 12, 1, lebend. 2. Gesamtlänge 22 mm. Rumpflänge 11 mm. Rumpfbreite 7 mm. Hinter- beine 4 mm lang. Schenkel differenziert. Beil Tier Zähne, bei 1 Tier Zähne und Hornkiefer rückgebildet. Körper etwas geigenförmig. Abb. 12, 2, lebend. 3 2 1 1 2 Abb. 11. Versuch 3, am 14. 7. lebend photographiert. Abb. 12. Versuch 4, am 14.7 Tier 1 = Kontrolle; Tier 2 erhält 20 mg Dijodtyrosin seit lebend photographiert. Tier 1 6. 7.; Tier 3 erhält 15 mg Dijodtyramin seit 6.7. =Kontrolle; Tier 2 erhält 20 mg Dijodtyrosin seit 9. 7. 5. Vers. Gesamtlänge 26 mm. Rumpflänge 13 mm. Rumpfbreite 7 mm. Hinterbeine 2 mm, undifferenziert. 2. Gesamtlänge 19 mm. Rumpflänge 9 mm. Rumpfbreite 6 mm. Hinterbeine 2 mm. Bei 1 Tier Fußplatte differenziert. Bei diesem Zähne und Kiefer, bei dem anderen nur Zähne rückgebildet. Typische Schilddrüsenform. Ergebnis nach 8 Tagen: Bei Versuch 1 ist nur die Schwanzreduktion stärker. Bei Versuch 2 ist die Entwicklung weiter gefördert. Bei Ver- such 3 sind die Jodtyrosin-Tiere stärker in der Entwicklung gefördert, aber normal. Nur die Körpergröße ist reduziert. Die Jodtyramin-Tiere zeigen beide Erscheinungen in schwächerem Grade. Die Jodtyrosintiere von Versuch 4 sind bereits nach 3 Tagen in der Entwicklung gefördert, nach 5 Tagen geigenförmig; die von Versuch 5 dasselbe in stärkerem Grade, dazu zeigen diese Größenreduktion. 15. VII. 1. Vers. Alle Tiere haben beide Vorderbeine. Versuch erledigt. 2. Vers. 2. 1 Tier hat beide Vorderbeine, Froschgestalt. 3. Vers. 2. Gesamtlänge 22 u. 17 mm. Rumpflänge 11 u. 10 mm. Rumpfbreite 6 mm. Bei beiden Tieren nur linkes Vorderbein vorhanden, aber Schwanz in Re- duktion. Unterkiefer etwas vorgewölbt. Schwach pathologisch. Tiere sehr ruhig. 4. Vers. Kontrolle. 1 Tier tot. 2. Schwanz weiter reduziert. Hinterbeine 5 mm. Schenkel differenziert. Stärker geigenförmig. 192 E. Abderhalden u. O. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen 5. Vers. 2. Schwanz weiter reduziert. Hinterbeine 2,5 mm. Kleineres Tier Ge- samtlänge 14 mm, Rumpflänge 8 mm, Rumpfbreite 5 mm. Linkes Vorderbein ganz undifferenziert, eben aus dem Kiemenloch heraus. Unterkiefer ty- pisch U-förmig. 1 Tier tot. 16. VII. 2. Vers. Kontrolle Unverändert. Zehenabstand 9 mm. 2. 1 Tier hat beide, 2 Tiere das linke Vorderbein. Maul metamorphosiert. Schwanz in Reduktion, 8 mm lang. 3. Vers. Kontrolle. Unverändert seit 14. VII. 2. 1 Tier tot, 1 fast tot, noch vor Durchbruch des zweiten Vorderbeins. Beide fixiert. Rumpflänge und Schwanz weiter reduziert. Schwanzlänge 5und 6 mm, kaum länger als die Hinterbeine. Maul meta- morphosiert. Organe normal. Darm kurz vor der Metamorphose, links im Abdomen liegend. Gesamtlänge 14—16 mm. Rumpflänge9— 10mm. Rumpfbreite 7—8 mm. Abb. 13, 2 u. 3. 3. Nicht weiter verrändert, Größe wie 2., aber Schwanz nicht länger. Abb. 14, 2. 4. Vers. Kontrolle unverändert seit 14. VII. IL = | 2. 1 Tier sehr ruhig, fixiert. Hinterbeine E o 3 eben gespreizt. Am Maul Papillen, Kiefer, Abb. 13. Zähne rückgebildet. Kiemenloch erweitert, Vorderbein schimmert durch. Oberkiefer ver- kürzt. Darmspirale auseinandergezogen. Abb. 15, 2. 5. Vers. 2. Gesamtlänge ID mm. Rumpflänge 7 mm. Rumpfbreite 5 mm. Hinterbeine 2 mm, Schenkel differenziert. Schwanz sehr kurz. An dem un- differenziert durchgebrochenen linken Vorderbein Fuß entwickelt. Maul klafft. Abb. 9 und 10, Tier 3. Das 2. Tier längerer Schwanz. Kein Vorderbein. 0) 1 A) 3 2 1 Abb. 14. Versuch 3 u.5. Tier 1: Versuch 3 Abb. 15. Versuch 4, Gruppe 1, Tier 1 = Kon- Gruppe 3 erhält 15 mg Dijodtyramin seit 6. 7. trolle am 18. 7.; Tier 2 u.3 = Gruppe 2, er- aufgenommen 17.7. Tier 2: Versuch 3, Gruppe 3 halten 20 mg Dijodtyrosin seit 9. 7.; Tier 2 am erhält 15 mg Dijodtyramin seit 6. 7. aufgenom- 16. 7.; Tier 3 am 18. 7. fixiert. men 16. 7. ® 17. VII. 2. Vers. Kontrolle unverändert. 2. 1 Tier tot. Die beiden übrigen haben beide Vorderbeine, das eine einen stark reduzierten, das andere noch einen langen Schwanz. 3. Vers. Kontrolle unverändert. 3. Die beiden letzten Tiere tot. Nicht mehr stark verändert. Vorderbeine noch nicht durch, Gelenk im Kiemenloch sichtbar. Sonst normal. Abb. 14, Tier 1. 4. Vers. 2. Linkes Vorderbein durch. 18. VII. 2. Vers. 2. Schwanz noch nicht ganz reduziert. Maul nicht ganz breit. Aber normales Tier. hervorgebrachten Substanzen mit. spezifischer Wirkung. VII. 193 3. Vers. Erledigt. 4. Vers. Kontrolle letztes tot. Abb. 15,1. 2. Letztes tot. Abb. 15, 3. 5. Vers. 2. Letztes tot. Abb. 9 u. 10, Tier 4, Ergebnis. Die Dijodtyramintiere von Versuch 2 beenden die Meta- morphose schneller als die Kontrollen, aber normal. In Versuch 3 sind die Dijodtyrosintiere stärker beeinflußt. Die Entwicklung verläuft schneller, die Tiere gehen aber vor Beendigung der Metamorphose ein. Sie zeigen an Schwanz und Maul ähnliche Veränderungen wie Schild- drüsentiere. Die Dijodtyramintiere stehen in der Entwicklungsgeschwin- digkeit zwischen Kontrollen und Dijodtyrosintieren. Sie zeigen noch keine Schilddrüsenmerkmale. Die Körpergröße ist bei beiden gleich- mäßig reduziert. Versuch 4 und 5 zeigen Entwicklungsförderung, Größenreduktion, pathologische Veränderungen wie Schilddrüsentiere im weitaus stärkstem Maße, und zwar die Tiere von Versuch 5 noch stärker als die von Versuch 4. Zusammenfassung von Versuch I—5. Dijodtyrosin und Dijodtyramin bewirken bei Kaulquappen ähnliche Veränderungen wie Schilddrüsenfütterung!). Die Entwicklung wird beschleunigt, das Wachstum gehemmt bzw. Körpersubstanz abgebaut. Es treten bei Dijodtyrosin ähnliche pathologische Veränderungen am Maul, Kopf und Schwanz auf wie nach Schilddrüsenfütterung. Dijod- - tyrosin wirkt stärker als Dijodtyramin. Je früher die Fütterung erfolgt, um so wirksamer ist sie. Bei Tieren von Versuch 1, die bereits die Hinterbeine spreizten, war keine Beeinflussung mehr möglich. Die jüngsten untersuchten Tiere hatten bei Versuchsbeginn undifferenzierte Anlagen der Hinterbeine. Protokoll. 6. Versuch. Bufo-vulgaris-Larven, im Institut aus Laich gezogen. 15. VII. 1921. Kontrolle. 4 Tiere. Gesamtlänge 22—24 mm. Rumpflänge 8-10 mm. Rumpfbreite 6 mm. Hinterbeine 1 mm, undifferenziert. 2. 7 Tiere desgl., 20 mg Dijodtyrosin hinzugefügt. 17. VII. In 2. hat ein Tier ein schlankes Abdomen. 18. VII. 2. 3 Tiere geigenförmig. 19. VII. 2. Alle Tiere geigenförmig. Ferner neu angesetzt zur gleichen Kontrolle: 3. 5 Tiere, 15 mg Dijodtyramin hinzugefügt. (Da uns kein frisches Dijod- tyramin mehr zur Verfügung stand, wurden die Tiere in die Reste der Lösungen von Versuch 2 und 3 gebracht. Da die Tiere kein Futter erhalten hatten, waren die Lösungen noch sauber genug. Wasserwechsel fand bei diesem Versuch nicht statt.) 1) Vgl. Abelin, Biochem. Zeitschr. 102, 58. 1919. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 13 194 E. Abderhalden u. Ö. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen 4 Tiere, erhalten 20 mg Jodacetyl-dijodtyrosin. 4 Tiere, erhalten 20 mg Glycyl-dijodtyrosin. 4 Tiere, erhalten 20 mg Dijodtyrosin-methylester. 4 Tiere, erhalten 20 mg P-Jodpropionsäure. 5 Tiere, erhalten 20 mg Tyrosin. ZEIEIZIn 20. VII. 2. Stärker schilddrüsenartig. Größe reduziert. Gesamtlänge 11 mm. Rumpflänge 6 mm. Rumpfbreite 4,5 mm.- Schwanz etwas resorbiert. Entwick- lung fortgeschritten. Hinterbeine 2 mm. Schenkel differenziert. Zähne, Papillen, Kiefer Tuekpehilden, Unterkiefer schwach U-förmig. Maul klafft etwas. Ober- kiefer verkürzt. 1 Tier präpariert. Darm metamorphosiert. Leber und Pankreas wenig pigmentiert. Pankreas noch wenig rückgebildet. Kiemen gut. Lunge kleine Anlage vorhanden. Vorderfüße gerade angelegt. Abb. 16, 2. 21. VII. 2. Sehr stark verändert. Schwanz stark reduziert, so lang wie die Hinterbeine. Schwanzflossensaum rückgebildet. Maul froschartig. Augen frontal- wärts verschoben. Liegen viel auf dem Rücken, zeigen Atemnot. 3. Abdomen etwas schlanker. 4. Nicht verändert. 5. Abdomen wenig schlanker. 6. Bei 3 Tieren Abdomen schlanker. 7. und 8. Nicht verändert. 22. VII. 2. Schwanz etwas kürzer als die Hinterbeine. 1 Tier spreizt die Hinterbeine. Gesamtlänge 7 mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 4 mm. Kiemenloch erweitert. Abb. 16, 3. 3. Etwas geigenförmig. Die undifferenzierten Hinterbeine werden manchmal gespreizt. 4. Nicht verändert." Erhalten beim Wasserwechsel 40 mg se dijod- tyrosin. 5. u. 6. Sehr gleichmäßig. Etwas geigenförmig. 7. Nicht verändert. Erhalten beim Wasserwechsel 40 mg Jodpropionsäure. 8. Nicht verändert. Neu angesetzt zu Kontrolle I. 9. 5 Tiere, erhalten 20 mg Alival. 23. VII. 2.] Die 4 letzten Tiere sind tot. Gesamtlänge 7 mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 3 mm. Das am stärksten veränderte Tier: Hinterbeine 2 mm. Schenkel differenziert, anliegend. Schwanz so lang wie die Hinterbeine. Linkes Vorderbein durchgebrochen, Fuß und Zehen eben differenziert. — Bei den übrigen Tieren Hinterbeine2—3 mm. Oberschenkel beginnen zu spreizen. Vorderbein erst undifferenziert im Kiemenloch sichtbar. 1 Tier präpariert. Darm metamorphosiert. Leber mäßig dunkel. Lunge klein. Kiemen stark rückgebildet. Kiemenbogen noch vorhanden. Abb. 16, 4-6. Die übrigen Versuchstiere nicht verändert. 25. VII. 3. Körperform nicht verändert. Fußplatte differenziert. Maul normal. 4. Nicht verändert. Z 5. Stark verändert. Gesamtlänge 7 mm. Rumpflänge 5 mm, Rumpfbreite 4,5 mm. Hinterbeine 1,5 mm. Schenkel differenziert. Schwanz etwa so lang wie die Hinterbeinee Am Maul Zähne, Papillen, Kiefer rückgebildet. Unterkiefer U-förmig, klafft. Oberkiefer stark verkürzt. Augen randständig. Kiemenloch er- hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. 195 weitert, Vorderfuß schimmert durch. Brust auffallend breit im Vergleich zu dem sehr schlanken Abdomen. Liegen viel auf dem Rücken, zeigen Atemnot. Abb. 16, 71—8. 6. Typus ähnlich wie 5. Abdomen etwas weniger schlank. 2 Tiere sind etwas weiter entwickelt und weniger pathologisch als die übrigen. Bei diesen Ge- samtlänge 9 mm, Rumpflänge 6 mm, Rumpfbreite 4,5 mm, Hinterbeine 3 mm, Schenkel differenziert, beginnen zu spreizen. Abb. 16, 11. ser 1 2 3 4 5 6 7 fo) 9 10 11 12 13 14 Abb. 16. Versuch 6. Tier 1, Gruppe 1 Kontrolle, aufgenommen 29. 7. 2 a 2 erhält 20 mg Dijodtyrosin seit 15. 7. aufgenomm. 20. 7. präpariert. oa » Da 20; 2 a 1 5 22. 7. dorsal. 4; er De 20, = 5 5% » 23. 7. präpariert. 5: 55 De 120) 5; R o I % * 23. 7. dorsal. » & 55 DIE 290%; 5 on 5 % Er 23. 7. ventral. ANaZE a De 20%, Glyeyl-dijodtyrosin 5». % re 25. 7. dorsal. o 5 Da 20);, = en . % “ 25. 7. ventral. 9: er 5 2, en r on. en 26. 7. präpariert. ‚10, 5 DER; 15 B „Nr se 26. 7. dorsal. ulll® 55 6 » 20 „ Dijodtyrosin-methylester „ 19.7. 5 25. 7. dorsal. we FR 6 Br 20, EN \s Be > 26. 7. ventral. Bam 6, 100: > > 0% & 26. 7. dorsal. ‚14, Br 6 le 5 5 o N 5 : 26. 7. präpariert. 26. VII. 3. Nicht weiter verändert. 4. Nicht verändert. Erhalten beim Wasserwechsel 50 mg Jodacetyl-dijod- tyrosin. 5. Die drei letzten Tiere sind tot. Gesamtlänge 6 mm. Rumpflänge 4 mm. Rumpfbreite 3 mm. Unterschied der Breite zwischen Brust und Abdomen etwas ausgeglichen. Maul wie am 25. VII. Hinterbeine 2 mm. Schenkel eben angelegt. Schwanz so lang wie die Hinterbeine. Bei 2 Tieren ist das linke Vorderbein durch- gebrochen, der Fuß ist entwickelt. 1 Tier wird präpariert: Darm ganz kurz. Leber und Pankreas wenig pigmentiert. Pankreas nicht rückgebildet. Abb. 16, 9—10. O2 196 E. Abderhalden u. O. Schiffmann: Studien über die von einzelnen Organen 6. 2 Tiere tot. Gesamtlänge 6 mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 4 mm. Hinterbeine 2 mm. Schenkel eben differenziert. Schwanz so lang wie die Hinter- beine. Maul und Augen wie 5. 1 Tier präpariert wie 5. Abb. 16, Tier 14. Die beiden überlebenden Tiere fixiert. Gesamtlänge 7 und 5,5 mm. Rumpf- länge 5 und 4 mm. Rumpfbreite 3,5 mm. Das größere Tier Hinterbeine 3 mm, spreizt, Zehenabstand 3 mm. Das kleinere Tier Hinterbeine 2 mm. Schenkel eben differenziert. Bei beiden Schwanz 2 mm. Maul klafft wie bei 5. Maul etwas ver- breitert. Augen stark über den Rand vorstehend. Kiemenloch erweitert. Abb. 16, Tier 12—13. 7. Nicht verändert. Erhalten beim Wasserwechsel 50 mg Jodpropionsäure. Die übrigen nicht verändert. 27. VII. 3. Etwas geigenförmig. 4. Abdomen sehr schlank (Hunger), Zähne, Kiefer rückgebildet. Fußplatte entwickelt. 7. 1 Tier tot. 2 andere sehr schlankes Abdomen (Hunger), Hinterbeine noch undifferenziert. 29. VII. 1. Gesamtlänge 13 mm. Rumpflänge 8 mm. Rumpfbreite 5 mm. Hinterbein 1,5 mm. Fußplatte mit Zehen differenziert. Am Maul alles normal. Nach Präparation Vorderbein bis zur Seite sichtbar, Fuß differenziert. Darm dick, 2 Windungen. Leber und Pankreas ohne Pigment. Pankreas groß. Kiemen gut. Lunge kleine Anlage. Abb. 16, 1. 7 rs 3. Gesamtlänge 14 mm. Rumpflänge 7 mm, Rumpfbreite 4,5 mm. Sehr geringe Größenreduktion. Hinterbeine 2,5, Schenkel gerade angelegt. Am Maul Kiefer, Zähne, Papillen rückgebildet, aber Form und Augenstellung normal. Nach Präparation Vorderbeine wie bei Kontrolle. Darm ohne Windungen. Leber, Pankreas normal. Kiemen sehr gut. Lunge kleine Anlage. 4. Gesamtlänge 12 mm. Rumpflänge 6 mm. Rumpfbreite 5 mm. Hinterbeine 1,5 mm, Schenkel eben angelegt. Am Maul nur noch Rest von Papillen und oberer Hornkiefer erhalten. Sonst normal. 7. Gesamtlänge 13 mm. Rumpflänge 5 mm, Rumpfbreite 4 mm. Hinterbeine l mm, nicht differenziert. Maul wie bei 4. Nach Präparation undifferenzierte Vorderbeinanlagen sichtbar. Darm ohne Windungen. Leber und Pankreas etwas pigmentiert. Sonst normal. Die übrigen Tiere nicht verändert. 2. VIII. 3. Gesamtlänge 9 mm. Rumpflänge 5 mm. Rumpfbreite 4 mm. Starke Größen-, besonders Schwanzreduktion. Hinterbeine nicht verändert. Unter- kiefer U-förmig, Maul klafft. Nach Präparation Vorderfüße nach vorn reichend, Zehen entwickelt. Leber dunkel pigmentiert. 3. VIII. 3. Das letzte Tier ist tot. Seit 2. VIII. einzige Veränderung: Pankreas etwas reduziert. Dunkel pigmentiert. Die übrigen Tiere werden weiter beobachtet, bis am 9. VIII. die letzten tot sind. Es treten aber keine Schilddrüsenerscheinungen mehr auf. Die Reduktions- erscheinungen am Maul und die starke Abmagerung am Abdomen treten auch bei den Kontrollen auf und sind auf Hunger zurückzuführen. i Es wurden außerdem noch Bufo-Larven, die grade die Hinterbeine spreizten, und Rana-temporaria-Larven, deren Hinterbeine 2—3 mm lang waren mit eben angelesten Schenkeln, mit 20 mg Alival gefüttert. Auch in diesen Versuchen zeigte sich keine Wirkung. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. VIII. 97 Ergebnis. Dijodtyrosin wirkt bei Bufo ebenso wie bei Rana. Dijod- tyramin zeigt auch hier typische, aber schwächere Wirkung. Dieser Versuch ist zwar nicht quantitativ zu bewerten, da vermutlich die Ranalarven bereits Dijodtyramin aus der Lösung aufgenommen hatten, zeigt aber bei Bufo prinzipiell die gleiche Beeinflussung wie bei Rana. Von den angewandten Derivaten des Dijodtyrosins zeigen Glycyl- dijodtyrosin und Dijodtyrosin-methylester dieselbe Wirkung wie Dijod- tyrosin. Jodacetyl-dijodtyrosin dagegen zeigt keine Dijodtyrosinwirkung, höchstens vielleicht verstärkte Dissimilation, aber keine Entwicklungs- förderung und keine typischen pathologischen Erscheinungen. Das Jodacetyl-dijodtyrosin wurde bis zur 21/,fach stärkeren Konzentration als das einfache Dijodtyrosin angewandt. Da die Molekulargewichte Dijodtyrosin — 431, Jodacetyl-dijodtyrosin = 598 betragen, so kann die negative Wirkung bei der stärkeren Konzentration unmöglich auf einem nicht ausreichenden Gehalt an Dijodtyrosin beruhen. Die Jod- acetylgruppe dürfte das ganze Molekül so verändert haben, daß es unwirksam wird. Sie wird offenbar in den Geweben nicht abgespalten, während Glyzyl-I-dijodtyrosin ohne Zweifel in Zellfermenten gespalten werden kann. Die angewandten Jodverbindungen, die keine jodierten Eiweiß- abbauprodukte sind, nämlich P-Jodpropionsäure und Alival, hatten keine ‘ Wirkung auf die Kaulquappen. Die negative Wirkung von Tyrosin ist durch Abelin bekannt und sicher auf den Mangel an Jod zurückzuführen. Diese Ergebnisse stimmen durchaus mit denen von Abelin!) überein, der fand, daß 1. Jodgehalt, 2. bestimmter ‚physiologisch ähnlicher“ Atomaufbau notwendig ist, um die schilddrüsenartige Wirkung zu erzielen. Er erzielte sie nur mit Dijodtyramin, Dijodtyrosin und Jod- albacid, das nach Oswald?) ebenfalls Dijodtyrosin enthält. Zusammenfassung. Werden Bufokaulguappen verschiedenen Alters mit frischer Schild- drüse behandelt, so zeigen jüngere Tiere die Wachstumshemmung und Entwicklungsförderung langsamer als ältere. Sie verkrüppeln stärker und sterben vor Beendigung der Metamorphose. Ältere reagieren schneller und zeigen die Schilddrüsenveränderungen in typischerer Form. Strumen und Basedow-Strumen zeigen keine oder nur sehr geringe Wirkung auf Bufo-Kaulquappen. 2) Biochem. Zeitschr. 102, 57. 1919, u. 116, 138. 1921. 2) Zeitschr. f. physiol. Chem. %0, 310. 1910. 198 E. Abderhalden u. O. Schiffmann : Studien üb. die von einzelnen Organen usw. Auf Schilddrüse, die mit Schwefelsäure hydrolysiert war, reagierten Bufonen sehr schwach, Rana-temporaria-Larven dagegen in durchaus typischer Weise. Dijodtyrosin und Dijodtyramin wirken sowohl bei Bufo als bei Rana in gleicher Weise wie Schilddrüse. Je früher die Beeinflussung erfolgt (untersucht von undifferenzierter Anlage der Hinterbeine an), um so stärker wirkt sie. Von Abkömmlingen des Dijodtyrosins zeigen Glycyl- dijodtyrosin und Dijodtyrosin-methylester die gleiche Wirkung wie Dijodtyrosin. Jodacetyl-dijodtyrosin dagegen hat keine Wirkung. Negativ verliefen ferner die Versuche mit ß-Jodpropionsäure, Alival und Tyrosin. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. XV. Mitteilung. Ernährungsversuche mit künstlich dargestellten organischen Nah- rungsstoffen und ferner mit aus zusammengesetzten organischen Nahrungsstoffen gewonnenen Bausteinen mit und ohne Zusatz von Nutraminen. Von Emil Abderhalden, Halle a. S. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Halle a. S.). Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 10. Februar 1922.) Es wurde von jeher als ein besonders erstrebenswertes Ziel der Wissen- schaft hingestellt, sämtliche organischen Nahrungsstoffe synthetisch im Laboratorium bereiten zu können. Bei jedem großen Fortschritt auf dem Gebiete der experimentellen Chemie und Physik wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß es in absehbarer Zeit möglich sein werde, unsere Nahrung künstlich darzustellen. Die Verwirklichung dieses Gedankens schien jedoch in unabsehbar weiter Ferne zu liegen. Bis vor kurzem war nämlich die Lösung des Problems der künstlichen Darstellung der Nahrungsstoffe gleichbedeutend mit der Herstellung von Eiweiß, Stärke, Fettsubstanzen usw., d. h. man glaubte die Dar- stellung der zusammengesetzten Nahrungsstoffe anstreben zu müssen. Nun besteht auch heute noch wenig Aussicht hochmolekulare zusammen- gesetzte Kohlenhydrate und Eiweißstoffe im Reagensglas gewinnen zu können, weil doch noch manche Frage der Gesamtstruktur ungelöst ist. In dem Augenblick, in dem es mir gelungen war, den einwandfreien Beweis zu führen, daß an Stelle von Eiweiß, die es zusammensetzenden Aminosäuren treten können, erhielt das Problem der künstlichen Dar- stellung der Nahrungsstoffe ein ganz anderes Gesicht. Es ist bekanntlich geglückt, Tiere und vor allen Dingen Hunde, mit nur aus Bausteinen der zusammengesetzten Nahrungsstoffe bestehenden Produkten zuernähren!), wobeiallerdings nur dann auf lange Zeit hinausein voller Erfolg zu erzielen 1) Vel. die Literatur: Emil Abderhalden, Lehrbuch der physiol. Chemie. 4. Aufl. 1, 534#f. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 14 2 Lo 00 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis war, wenn die Bausteine, und insbesondere die Aminosäuren, nicht aus rei- nen zusammengesetzten Nahrungsstoffen, sondern aus Nahrungsmitteln, wie z. B. Fleisch, gewonnen waren. Versuche, Tiere mit aus gereinigtem Casein, Edestin usw. gewonnenen Aminosäuren längere Zeit zu ernähren, ergaben regelmäßig nach mehr oder weniger langer Zeit Mißerfolge. Es sind von mir noch eine Reihe derartiger Versuche durchgeführt worden, und zwar erhielten die Versuchstiere mehrfach umkrystalli- sierten Rohr- und Traubenzucker, ferner stickstoffreien Speck. Endlich ein Aminosäurengemisch, das aus sorgfältig gereinigten Eiweißkörpern bereitet war. Dazu kam ein Gemisch von Mineralstoffen der weiter unten mitgeteilten Zusammensetzung. Es gelang mit diesem Gemisch Mäuse, Ratten und Hunde einige Zeit im Stickstoffgleichgewicht zu halten. Als Versuchstiere wurden ausschließlich erwachsene Tiere verwendet. Bei den Mäusen zeigten sich schon nach 2—-3 Wochen Störungen. Die Tiere schliefen viel, sie vernachlässigten die Pflege des Felles. Sie machten schließlich einen direkt kranken Eindruck. Ihr Appetit nahm ab. Das Körpergewicht fiel. Die Stickstoffbilanz wurde negativ. Bei den Ratten traten dieselben Erscheinungen durchschnittlich zwischen der 3.und 4. Woche auf. Bei Hunden wurden zumeist in der 6. Woche Störungen beobachtet. Auch bei ihnen fiel das Körpergewicht, und die Stickstoffbilanz wurde negativ. Viele Versuche mußten auf- gegeben werden, weil die Nahrungsaufnahme mehr oder weniger voll- ständig zum Stillstand kam. Zusatz von geringen Mengen von Rüböl, von Hefe oder von Kleie verhinderten das Zustandekommen der er- wähnten Störungen. Sie konnten ferner, falls schon aufgetreten, durch die Zugabe dieser Stoffe zur Nahrung überwunden werden. Die Haupt- versuche mit den erwähnten Zusätzen sind an Mäusen und Ratten durchgeführt worden. Es ließ sich so auch auf diesem Wege die bereits bekannte Tatsache feststellen, daß neben den uns bekannten Nahrungs- stoffen noch solche notwendig sind, die uns einstweilen in ihrer Zu- sammensetzung noch unbekannt und die in ganz geringer Menge absolut unentbehrlich sind. An und für sich war es kaum noch notwendig, nachdem bewiesen - war, daß die Bausteine der bekannten, zusammengesetzten organischen Nahrungsstoffe unter Zugabe der notwendigen Mineralstoffe, des erfor- derlichen Wassers und des Nahrungsstoffes Sauerstoff plus den noch unbekannten Nahrungsstoffen zur normalen Ernährung ausreichen, den direkten Beweis zu führen, daß das Problem der künstlichen Dar- stellung der Nahrungsstoffe nunmehr bis auf die Herstellung der zuletzt erwähnten Stoffe und den wenigen durch Synthese aus einfacheren Stoffe noch nicht dargestellten Bausteine von organischen Nah- rungsstoffen bekannter Natur gelöst ist. Wir haben trotzdem im Laufe der letzten Jahre immer wieder Versuche in dieser Rich- a ne von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 201 tung unternommen, und zwar von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Zunächst war es an und für sich interessant, Tiere im wesent- lichen mit synthetisch dargestellten Nahrungsstoffen zu ernähren. Es war vorauszusehen, daß die Durchführung dieser Versuche mit vielen Enttäuschungen verdunden sein würde. Einmal bietet die Zu- führung einer künstlich dargestellten Nahrung viel Schwierigkeiten. Bei den hohen Kosten und den relativ geringen Mengen an einzelnen Nahrungsstoffen, die sich in einem gewöhnlichen Laboratorium her- stellen lassen, kamen für die Versuche nur kleine Versuchstiere in Frage, und zwar Mäuse und Ratten. Beide Arten von Versuchstieren sind für exakte Stoffwechselversuche nicht sehr brauchbar. Einmal ist es schwer, sie zur Aufnahme einer Nahrung zu bringen, die ihnen nicht zusagt. Man muß durch Vorversuche besonders gefräßige Tiere aus- suchen. Viele Versuche gingen trotz allen möglichen Kunstgriffen, die der Aufnahme der verabreichten Nahrung galten, verloren, weil die Versuchstiere nach wenigen Tagen die Aufnahme der Nahrung ver- weigerten. Bei jeder Versuchsreihe blieben immer nur ganz wenige Tiere übrig, bei denen die beabsichtigte Untersuchung zu Ende geführt werden konnte. Ratten und Mäuse erschweren außerdem die Durch- führung von exakten Stoffwechselversuchen dadurch, daß sie Harn und Kot auffressen. Außerdem stört außerordentlich, daß die Tiere vielfach das Futter im Käfig verstreuen. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Tiere während der ganzen Futterverabreichung unablässig zu beobachten und, nachdem die Nahrungsaufnahme beendet ist, sofort etwa noch vorhandene Nahrungsreste zu entfernen. Bei den meisten Versuchen mußte ich mich mit der Verfolgung des Körpergewichtes und der Beobachtung des Verhaltens der Tiere begnügen. Eine große Zahl von Stickstoffstoffwechselversuchen mußte als nicht einwandfrei verworfen werden. Es war a priori zu erwarten, daß mit den künstlich dargestellten Nahrungsstoffen kein Tier auf längere Zeit vollwertig zu ernähren war, weil wir noch nicht imstande sind, die auch heute noch in ihrer Zu- sammensetzung unbekannten Nahrungsstoffe, die in der Hefe, in der Kleie usw. enthalten sind, synthetisch herzustellen. Sobald der künst- lich dargestellten Nahrung etwas Hefe oder Kleie hinzugefügt wurde, dann blieben die Versuchstiere bedeutend länger in einem guten Er- nährungszustande, als wenn jene Stoffe in der Nahrung fehlten. Oft zeigten sich im letzteren Falle nach überraschend kurzer Zeit schwere Erscheinungen. Zu beachten ist auch, daß die Resorption der künstlich dargestellten Nahrung nicht immer eine gute ist. Es konnten wiederholt aus den Faeces schwerlösliche Aminosäuren zurückgewonnen werden. Ein wesentlicher Grund für die Durchführung der außerordentlich mühevollen Versuche war der folgende: 14* 202 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Es wird ohne Zweifel eines schönen Tages der Schleier von den bisher unbekannten Nahrungsstoffen gelüftet werden. Man wird ihre Natur erkennen und dann in absehbarer Zeit ihre Synthese in Angriff nehmen können. Es würde von ganz besonderer Bedeutung sein, wenn es gelänge, durch ihren Zusatz zu einer künstlich dargestellten Nahrung, in der die unentbehrlichen, bekannten organischen und anorganischen Nahrungs- stoffe in ihren Bausteinen alle vertreten sind, ein vollwertiges Nahrungs- gemisch herzustellen. Verwendet man die durch Abbau von Eiweiß- . stoffen gewonnenen Aminosäuren, dann ist immerhin noch der Einwand möglich, daß diesen Spuren jener unbekannten Nahrungsstoffe anhängen. Wir müssen damit rechnen, daß eine ganze Reihe von unbekannten Nahrungsstoffen mit ganz verschiedenen Aufgaben im Zellstoffwechsel eine Rolle spielen. Es muß sich am klarsten herausheben, ob noch solche Stoffe fehlen, wenn man als Grundlage ausschließlich wohldefinierte, bekannte chemische Verbindungen zur Verfügung hat. Es war beabsichtigt, von dieser Grundlage ausgehend, eine Reihe von Produkten, die aus Hefe und Kleie gewonnen worden sind, auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Leider wird es in absehbarer Zeit nicht möglich sein, derartige Versuche zu wiederholen, denn die synthetische Dar- stellung aller Aminosäuren erfordert heutzutage so große Geldsummen, daß sie unmöglich geworden ist. Die zu den einzelnen Untersuchungen verwendeten Aminosäuren sind im Laufe der letzten 12 Jahre nach bekannten Methoden dargestellt worden. Selbst das T’ryptophan wurde einmal synthetisch bereitet. Die Ausbeute an dieser Aminosäure war leider sehr gering. Schon dadurch war der Durchführung unserer Ver- suche eine ziemlich enge Grenze gesetzt, weil bekanntlich Tryptophan ein durch andere Aminosäuren nicht ersetzbarer Eiweißbaustein ist!). Fehlt Tryptophan in der Nahrung, dann zeigen sich überraschend bald Störungen. Nach dieser Richtung konnte ich im Laufe der letzten Jahre: noch eine ganze Reihe wichtiger Einzelbeobachtungen machen. Beim Fehlen von Tryptophan in der Nahrung wurden nach wenigen Tagen Erscheinungen beobachtet, die sich nicht einfach dadurch erklären lassen, daß der Organismus infolge des Fehlens dieser Aminosäure die übrigen Eiweißbausteine nicht ausreichend verwerten kann und dadurch in gewissem Sinne hungert. Es zeigten sich nämlich wiederholt auffallend stark negative Stickstoffbilanzen. Wurden die Versuche über längere Zeit hinaus durchgeführt, dann zeigte es sich, daß die Hungertiere sich bedeutend besser hielten als Tiere, die Kohlenhydrate, Fette und ein Aminosäurengemisch erhielten, dem der Baustein Trypto- phan fehlte. Die Tiere machten nach relativ kurzer Zeit einen krank- 1) Vgl. hierzu Willkock und F. G. Hopkins, Journ. of Physiol. 35, 88. 1907. — Emil Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 5%, 348. 1908; 47, 22. 1912; 83, 444. 1913. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 203 haften Eindruck. Mäuse und Ratten starben mehrmals schon nach 5 bzw. 10 Tagen. Hunde waren nach 2—3 Wochen ganz matt und ver- weigerten jegliche Nahrungsaufnahme. Zugabe von Tryptophan zur Nahrung brachte nach kurzer Zeit Erholung. Man hat den Eindruck, als ob das Tryptophan als gänzlich unentbehrlicher Nahrungsstoff in ähnlicher Weise wirkt, wie die bis jetzt unbekannten Nahrungsstoffe. Ganz geringe Mengen davon genügen. Würde dieser wichtige Nahrungs- stoff nicht als Eiweißbaustein bekannt sein, sondern vielmehr für sich isoliert vorkommen, dann würde ernach seiner ganzen Wirkungsweise und nach seiner Bedeutung gewiß ohne weiteres in die Gruppe der sog. Vitamine bzw. Nutramine eingereiht werden. Tryptophan kommt ganz sicherlich nicht nur als Baumaterial von Zelleiweiß in Frage. Es hat ohne Zweifel darüber hinaus noch besondere Aufgaben im Zellstoff- wechsel zu erfüllen. Ganz entsprechend liegen die Verhältnisse offenbar auch beim COystin!) und beim Lysin?). Die Zahl jener Aminosäuren, die spezifische, unersetzbare Wirkung haben, ist damit sicherlich noch nicht erschöpft. Es seien (vgl. die Kurventabellen S. 218—223) einige der durchge- führten Versuche, soweit sie einigermaßen gelungen sind, mitgeteilt. Er- wähnt sei, daß in den Hauptversuchen nur diejenigen Aminosäuren zur Verabreichung gelangten, die im Eiweiß enthalten sind, d.h. es wurden diesynthetisch dargestellten Aminosäuren in ihre optisch-aktiven Kom- ponenten gespalten. Nur die Aminosäuren Lysin, Arginin, Tryptophan, Oxyprolin, Cystin wurden ausschließlich in der Razemform verabreicht, weil die Zerlegung in die optisch-aktiven Formen noch nicht ausgeführt ist: Ferner mußte auf die Synthese von Glutaminsäure verzichtet werden, weil sie noch nicht bekannt ist. Nicht dargestellt und auch nicht verfüttert wurde Oxyglutaminsäure. Das Fehlen dieser Aminosäure machte sich nicht bemerkbar. Wurden racemische Aminosäuren ver- füttert, dann konnten aus dem Harn regelmäßig die in der Natur nicht vorkommenden Komponenten isoliert werden. Unsere Versuche zeigen, daß wenigstens für einige Zeit die künstlich dargestellten Bausteine der zusammengesetzten organischen Nahrungs- !) Vgl. hierzu Emil Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 96, 1. 1915. — Thomas B. Osborne und Laf. B. Mendel: .J. of biol. chem. 20, 351. 1915. — Carl O. Johns und A. J. F. Finks: Ebenda, 41, 379. 1920. — Howard B. Lewis: Ebenda 31, 363. 1917; 42, 239. 1920. — Barnett Sure, The J. of biol. chem. 50, 103. 1922. 2) Lysin, Arginin und Histidin haben beim Wachstum eine besondere Be- deutung. Vgl. Thomas B. Osborne und Laf. B. Mendel, J. of biol. Chem. %5, 1. 1916; 26, 293. 1916. — H. H. Mitchell, Ebenda, %6, 231. 1916. — A. Akroyd und F. @. Hopkins, Biochem. J. 10, 551. 1916. — Vgl. auch Howard B. Lewis und Lucie E. Root: J. of biol. chem. 43, 79. 1920. — Vgl. weitere Literatur über die Be- deutung einzelner Aminosäuren: Emil Abderhalden, Lehrbuch d. physiol. Chemie 4. Aufl., I, 546 u. 2, 467 ff. 204 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis stoffe für diese eintreten können, sofern die uns noch nicht bekannten Nahrungsstoffe der Nahrung zugefügt werden. Es ist uns dagegen nicht gelungen, diese Art der Ernährung ohne Zugabe der zuletzt genannten Stoffe auf lange Zeit hinaus durchzuführen. Es zeigten sich Störungen von seiten des Appetits. Wahrscheinlich ist es auch nicht gleichgültig, wenn auf die Dauer ausschließlich Bausteine zur Verabreichung kommen, denn es wird dadurch eine wichtige Einrichtung im Magendarmkanal umgangen. Der Magen entläßt normalerweise den Speisebrei in nur geringen Mengen in den Darmkanal. Dort wird der zum Teil schon eingeleitete, stufenweise Abbau der zusammengesetzten Nahrungsstoffe durchgeführt. Es werden fortgesetzt Spuren von Traubenzucker, von Aminosäuren, von Glycerin, von Fettsäuren usw. in Freiheit gesetzt. Die entstandenen Bausteine gelangen zur Resorpiton und werden rasch durch die Leber hindurch in den Gesamtkreislauf übergeführt. Indem wir ausschließlich Bausteine verabreichen, überschütten wir den Or- ganismus mit diesen. Interessant ist, daß mehrfach Schädigungen der Nieren beobachtet werden konnten. In einzelnen Fällen waren die Nieren mit schwerlöslichen Aminosäuren vollgepfropft!). Es ließen sich in den Harnkanälchen krystallisiertes Tyrosin und C'ystin nachweisen. Es ist wohl möglich, daß die Verwendung der verabreichten Bausteine im Zellstoffwechsel keine so ergiebige und geregelte ist, wie wenn zusammen- gesetzte Nahrungsstoffe verabreicht werden. Man könnte diesem Punkt natürlich Rechnung tragen und dafür sorgen, daß die Nahrungsaufnahme so geregelt wird, daß immer nur kleine Mengen zur Aufnahme gelangen. Selbstverständlich geben unsere ganzen Erfahrungen keinen An- haltspunkt dafür, daß die künstliche Darstellung von Nahrungsstoffen, ins Praktische übertragen, ein erstrebenswertes Ziel darstellt. Es wird im Gegenteil der Beweis geführt, daß die künstliche Darstellung von Nahrungsstoffen wohl für immer ein Laboratoriumsexperiment bleiben wird. Die Pflanzenwelt ist uns in dieser Hinsicht weit überlegen. Sie arbeitet mit Energie (Sonnenenergie), die in jeder beliebigen Menge zur Verfügung steht. Sie baut aus einfachen Stoffen (Kohlensäure, Wasser usw.) unausgesetzt die mannigfaltigsten Verbindungen auf. Wir erhalten mit der natürlichen Nahrung alle notwendigen Stoffe in der geeigneten Mischung. Dazu kommt, das mag nicht unerwähnt bleiben, daß die Vorstellung mancher Phantasten, als würde mit der künstlichen Herstellung von Nahrungsstoffen das Problem der Er- nährung in der Gestalt gelöst sein, daß man nur noch einige kleine Pillen zum Leben brauchte, ganz unsinnig ist. Ein erwachsener Mensch müßte etwa 500g Zucker,: 50 g Bausteine der Fette und gegen 100g Aminosäuren aufnehmen. Dazu kämen dann noch die Mineralstoffe. 1) Vgl. hierzu Emil Abderhalden und Otto Kankeleit, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. 5, 173. 1916. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 205 Es wird auch in Zukunft außerordentlich viel bedeutungsvoller bleiben, möglichst weite Ackerflächen für den Anbau von Nahrungs- mitteln (Kartoffeln, Getreide usw.) dadurch zu erobern, daß die An- pflanzung von solchen Gewächsen, die Produkte liefern, die zur Er- nährung von Mensch und Tier keine Verwendung finden, überflüssig wird. Es sei an die synthetische Darstellung von Farbstoffen (Indigo, Alizarin), von Alkaloiden usw. erinnert. Würde es gelingen, alle jene Äcker in Deutschland, die zur Anpflanzung von Tabak, Hopfen usw. Verwendung finden, ausschließlich zur Erzeugung von Nahrungsmitteln zu verwenden, dann würde auf diesem Wege die Ernährung des deutschen Volkes auf eigener Scholle wohl ermöglicht werden können. Es knüpfen unsere Versuche an jene an, dieim Jahre 1912!) und 19152) mitgeteilt worden sind. In der zuerst genannten Mitteilung sind bereits Erfahrungen mitgeteilt, die bei der Verabreichung eines Gemisches von Aminosäuren gewonnen worden sind, und zwar wurden reine, aus Eiweiß gewonnene Aminosäuren gemischt verabreicht. In der späteren Mit- teilung wurde in der Hauptsache versucht, festzustellen, welche Amino- säuren unentbehrlich und welche ersetzbar sind. Ferner wurde der wichtigen Frage nachgegangen, ob bestimmte Aminosäuren sich durch ihre nächsten Abbaustufen ersetzen lassen. Geprüft wurden Ketosäuren. In der Zwischenzeit hat H. H. Mitchell?) über Untersuchungen berichtet, die zum Zweck hatten, Mäuse mit einigen Aminosäuren zu ernähren. So wurden u. a. die 6 Aminosäuren Tyrosin, Cystin, Glutaminsäure, Tryptophan, Histidin und Arginin verabreicht. Dieses Gemisch an Eiweißbausteinen reichte nicht aus, um die Versuchstiere im Körper- gleichgewicht zu erhalten. Wurde die Zahl der Aminosäuren vermehrt und wurden die Mengenverhältnisse, in denen die verschiedenartigen Aminosäuren miteinander vermischt wurden, verändert, so blieb im wesentlichen das Versuchsergebnis das gleiche. Die Versuchstiere verloren mehr oder weniger rasch an Körpergewicht. Es war z. B. ohne besonderen Einfluß, ob das Aminosäuregemisch Tyrosin und Phenyl- alanin enthielt. Eine Sonderstellung wird nur dem Tryptophan zuerkannt, dessen Fehlen sich scharf im Verlauf der Körpergewichtskurve abhebt. Mitchell hebt die Möglichkeit hervor, daß die Ergebnisse seiner Versuche dadurch bedingt sein könnten, daß die Versuchstiere zu wenig von den einzelnen Aminosäuren aufnahmen. Es ist leicht möglich, daß der Umstand, daß nicht alle Aminosäuren in der in der Natur vorkommenden optisch-aktiven Form zur Verwendung gekommen sind, ganz beson- ders im erwähnten Sinne wirkte. Es müssen die von Mitchell verfüt- terten Aminosäuremengen, soweit razemische Verbindungen verabreicht 1) Emil Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 9%, 22. 1912. 2) Emil Abderhalden, ebenda 96, 1. 1915. ®) H. H. Mitchell, J. of biol. chem. 26, 231. 1916. 206 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis wurden, durch zwei geteilt werden, weil sehr wahrscheinlich nur je die Hälfte davon für die Zellen verwertbar war. Die nicht in der Natur vor- kommenden optisch-aktiven Formen verlassen den Körper zum großen Teil und vielleicht auch ganz unverändert. So wurden Alanin, Leucin, Isoleucin und Phenylalanin und auch Valin offenbar in der Ra- cemform verfüttert, denn alle diese Eiweißbausteine wurden durch Synthese gewonnen bzw. als Handelsprodukte gekauft. Es geht ferner nicht aus der Mitteilung von Mitchell hervor, ob die verwendeten Aminosäuren ganz rein waren. Vom verwendeten Prolin wird angegeben, daß es unrein war, indem der alkoholische Auszug eines Aminosäure- gemisches ohne weitere Reinigung zur Verwendung kam. Bekanntlich werden die verschiedensten Aminosäuren in Alkohol gelöst, wenn Ge- mische vorliegen. Es findet ein Mitlösen statt. .Auf der anderen Seite gehen in den Alkohol Zersetzungsprodukte hinein, die es oft sehr schwer machen, das Prolin zu reinigen. Es ist wohl möglich, daß die Ergebnisse der Versuche von Mitchell durch die erwähnten Momente ganz wesent- lich beeinflußt worden sind. Mitchell erwähnt ferner, daß die Mäuse genau unterschieden, ob den stickstoffreien Nahrungsstoffen Aminosäuren zugefügt waren oder nicht. Im ersteren Falle war die Nahrungsaufnahme geringer. Wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß Gerüche, die nicht den Amino- säuren eigen sind, von entscheidendem Einfluß waren. So ist das reine Phenylalanin ganz geruchlos, während das im Handel befindliche einen ganz intensiven Geruch aufweist. Man muß das Handelsprodukt ein- gehend reinigen, wenn man es ganz rein erhalten will. Es ist absolut notwendig, daß alle Versuche über den Nährwert von Aminosäuregemischen und über die biologische Bedeutung der einzelnen Aminosäuren ausschließlich mit absolut reinen Aminosäuren durchgeführt werden. Ferner wird man nur im Notfall zu Racemverbin- dungen greifen, weil ganz sicher in diesem Fall ein erheblicher Teil und vielleicht 50% des in dieser Form zugeführten Stickstoffs unver- wertbar ist. Man wird ferner kaum mit der Beobachtung der Versuchs- tiere und der Verfolgung des Körpergewichts auskommen. Es ist durch- aus notwendig alle Versuche an Hand von Stickstoffstoffwechsel- versuchen zu verfolgen, um einen tieferen Einblick in die Wirkungs- weise der einzelnen Nahrungsarten zu erhalten. Man wird endlich, falls eine bestimmte Nahrung sich als ungenügend erweist, versuchen müssen, durch Änderungen in der Menge der einzelnen Nahrungsstoffe eine Besserung herbeizuführen. Handelt es sich um die Prüfung der biologischen Wertigkeit von Eiweißarten und Eiweißabkömmlingen, dann wird man vor allem versuchen müssen, durch Steigerung der Menge der stickstoffreien organischen Nahrungsstoffe ein etwa nicht vorhan- denes relatives Stickstoffminimum zu erreichen. eu VERS ee u N I RE >, von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 207 Auf einen Punkt sei noch ganz besonders hingewiesen. Kurzfristige Stickstoffbilanzversuche haben bei Verabreichung von Aminosäure- gemischen keinen Wert. Wir konnten oft feststellen, daß die Ausschei- dung des Stickstoffs sich über längere Zeit hinzog. Besonders eindeutig werden solche Feststellungen, wenn man Aminosäuren verfüttert, die Komponenten enthalten, die im Harn zur Ausscheidung gelangen. Gibt man dl-Leucin, dl-Phenylalanin, dl-Tyrosin, dann kann man oft 8 Tage lang nach der letzten Zufuhr der betreffenden Aminosäure noch solche im Harn nachweisen, ein Zeichen dafür, daß die Ausscheidung ganz allmählich vor sich geht. Die in der Natur nicht vorkommende optisch- aktive Komponente des Racemkörpers wird nach Abbau der ‚‚natür- lichen Form offenbar irgendwo im Körper — wahrscheinlich in der Leber — zurückgehalten und in kleinen Mengen dem Blute übergeben. Geraten auf einmal größere Mengen schwerlöslicher Aminosäuren zur Ausscheidung durch die Nieren, dann kommt es zur Verstopfung der Harnkanälchen!). Einer besonderen Prüfung auf ihren Nährwert bedürfen unter allen Umständen die nicht stickstoffhaltigen Anteile der Nahrung. Wir gingen so vor, daß wir zu dem Mineralstoffgemisch und den stickstoff- freien organischen Nahrungsstoffen ein vollwertiges, möglichst gereinig- tes Eiweiß hinzugaben und prüften, ob das verabreichte Gemisch zur Erhaltung des Körpergewichtes genügte und sich ferner Stickstoff- gleichgewicht erzielen ließ. War die Stickstoffbilanz negativ, dann wurde die Nahrung so lange in ihren Bestandteilen und im Verhältnis der einzelnen Komponenten zueinander verändert, bis ein biologisch vollwertiges Gemisch an Nahrungsstoffen vorlag. Erst dann wurde das Eiweiß — z. B. Casein — durch das zu prüfende Gemisch von Aminosäuren ersetzt. In keinem Falle wurde dabei die gleiche Stick- stoffmenge in Form von Eiweißbausteinen zugeführt, wie sie sich bei Verabreichung von Eiweiß als genügend erwiesen hatte, sondern stets eine etwas größere Menge. Es muß damit gerechnet werden, daß ein Teil der Aminosäuren ein Opfer der Darmflora wird, und zwar in einem höheren Maße, als wenn die Aminosäuren aus Eiweiß und Peptonen im Verlaufe der Verdauung allmählich entstehen. Dazu kommt, daß die schwerlöslichen Aminosäuren vielleicht schwerer resorbiert werden, wenn sie in größerer Menge auf einmal im Darmkanal zugegen sind, als wenn sie durch Abbau von Eiweiß und Peptonen an Ort und Stelle in geringen Mengen fortlaufend entstehen. Unsere Versuche lassen sich am besten nach folgenden Fragestellungen überblicken: I. Gelingt es, erwachsene Tiere mittels der Bausteine der zusammen- gesetzten organischen Nahrungsstoffe unter Hinzufügung der anorganischen 1) Vgl. hierzu Emil Abderhalden und Otto Kankeleit, ]. c. 208 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Nahrungsstoffe in einfachster Form im Stoffwechselgleichgewicht zu er- halten und, wenn ja, wie lange? Zur Beantwortung dieser Frage sind die folgenden Versuche unter- nommen worden: 1. Es wurden die Bausteine der zusammengesetzten organischen Nah- rungsstoffe soweit als möglich synthetisch bereitet und in jene Form über- geführt, die in der Natur vorkommt. 2. Es wurden alle Bausteine, die sich als unentbehrlich erwiesen haben, aus Naturprodukten gewonnen und peinlich genau gereinigt. In der Haupt- sache handelte es sich darum, die einzelnen Aminosäuren aus bestimm- ten, an einzelnen Eiweißbausteinen besonders reichen Proteinen dar- zustellen und durch Umkrystallisieren und, wo es notwendig war, durch Darstellung von Derivaten zu reinigen. Die Monoaminosäuren wurden zum großen Teil über ihre Ester vollständig von Verunreinigungen befreit. Man arbeitet dabei allerdings unter ganz erheblichen Verlusten. Das Ergebnis dieser Versuche war, daß es gelingt, erwachsene Tiere einige Zeit im Stoffwechselgleichgewicht zu erhalten, wenn entweder synthe- tisch gewonnene Aminosäuren oder aus Evweip erhaltene, sorgfältig ge- reinigte Bausteine als einzige stickstoffhaltige Nahrungsstoffe neben Glucose, Glycerin, Fettsäuren und Mineralstoffen verabreicht werden. Gleichzeitig durchgeführte Bestimmungen der Stickstoffbilanz ergaben, daß bei Ratten im Durchschnitt 14 Tage lang Stickstoffgleichgewicht bestehen kann. Das Maximum der Zeit, das bisher festgestellt werden konnte, betrug 21 Tage. Es setzen dann zunächst kleine Minusbilanzen ein, die-dann zumeist rasch zunehmen. Parallel verläuft das Verhalten des Körper- gewichtes. Es hält sich im Durchschnitt etwa 14 Tage auf seiner Höhe, um dann allmählich zu fallen. Schließlich setzt dann oft ein ganz rascher Abfall des Körpergewichtes ein. | Das Wesentliche ist, daß bei Ersatz des Aminosäuregemisches durch ein biologisch als vollwertig bekanntes Eiweiß, falls es sorgsam gereinigt ist, zwar Stickstoffbilanz und Körpergewicht sich etwa 10 Tage länger halten, es kommt aber dann auch zu Gewichtsabnahmen und zu nega- tiven Bilanzen. In beiden Fällen, sei nun ein Aminosäuregemisch oder Eiweiß ver- abreicht worden, gelingt es nicht, durch Steigerung der Menge der einzelnen Nahrungstoffe wesentlich bessere Ergebnisse zu erzielen. Übrigens sind die individuellen Schwankungen recht groß. Bei einzelnen Tieren, die gut fraßen, war die Stickstoffbilanz fast vom ersten Versuchstage ab etwas negativ. Das Körpergewicht fiel sehr bald. Unberücksichtigt sind alle jene an Zahl die Mehrzahl bildenden Ver- suche, bei denen die Verweigerung der Aufnahme der gesamten dar- gebotenen Nahrung große Unsicherheiten in die Versuchsergebnisse hineingetragen wurden. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 209 Die oben erwähnten Versuche wurden auch an wachsenden Tieren ausgeführt. Es gelang in keinem Falle, das Wachstum beizubehalten. Entsprechende Versuche wurden an Mäusen ausgeführt. Die Ergebnisse waren bei ausgewachsenen und wachsenden Tieren die gleichen, wie bei den Ratten. Es gelang durchschnittlich etwa 9 Tage Stickstoffgleich- gewicht beizubehalten. Das Maximum betrug 15 Tage. Es folgten auch hier einige Tage mit geringen negativen Stickstoffbilanzen. Dann ging das Körpergewicht rascher zurück und zugleich wurde die Stickstoff- bilanz stärker negativ. Welchen Einfluß hat auf das Gesamtergebnis der oben erwähnten Ver- suche der Zusatz von Hefepräparaten? Verwendet wurden Hefeautolysat, alkoholisches Hefeextrakt und vor allem Trockenhefe. Wir wollen hier in erster Linie die mit dieser erhal- tenen Ergebnisse berücksichtigen, weil sie die bei weitem besten und zugleich eindeutigsten waren. Verabreicht wurde 0,19 Trockenhefe — 0,0072 g Stickstoff. In einigen Fällen wurde auch nur die Hälfte dieser Menge gegeben. In besonderen Versuchen wurde festgestellt, daß auch noch geringere Mengen genügen, um eine deutliche Wirkung zu entfalten. Es zeigte sich, daß bei Zusatz von Hefe Ratten und Mäuse mit einem Gemisch von Aminosäuren, Glucose, Glycerin, Fettsäuren, Mineralstoffen lange Zeit im Stickstoffgleichgewicht bleiben, ihren Körperbestand aufrecht erhalten, ja verlorenes Körpergewicht ersetzen können. Wachsende Tiere wachsen bei Verabreichung der erwähnten Nahrung weiter. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Ergebnisse noch bessere sein würden, wenn nicht die Ernährungsweise und damit die ganzen Lebens- bedingungen der Versuchstiere so sehr von der Norm abwichen. Die Auf- nahme des Futters bereitete große Schwierigkeiten. Sie erschienen mir lange Zeit für unüberwindlich, gingen doch zahlreiche Versuche im Laufe der Zeit dadurch verloren, daß die Nahrung nur teilweise auf- genommen und schließlich verweigert wurde. Man muß unter allen Umständen die Menge der Nahrung möglichst klein halten und die Tiere durch Vorversuche an die Aufnahme von etwas weichem Futter ge- wöhnen. Eine weitere Frage, die sich hier anschließt, ist die, welche biologische Bedeutung die einzelnen Aminosäuren haben. Verwendet man Gemische von Aminosäuren, die man sich durch Zusammenmischen von reinen Aminosäuren bereitet, dann hält es leicht, die eine oder andere Amino- säure fortzulassen und zu prüfen, welche Folgen ‘eintreten. Wir haben zunächst derartige Versuche ohne jeden Zusatz von Nutraminen durch- geführt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren jedoch oft vieldeutig, weil bei Verabreichung nutraminfreier Nahrung stets nach wechselnder Zeit Körpergewichtsabnahmen und negative Stickstoff- 210 - E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis bilanzen eintreten. Es war deshalb schwer, zu entscheiden, ob eine Gewichtsabnahme nach Fortlassung einer Aminosäure auf ihr Fehlen zurückzuführen war oder nicht. Nicht immer gelang es, durch Wieder- zugabe der fortgelassenen Aminosäuren einen eindeutigen Erfolg zu erzielen. Aus diesen Gründen haben wir die Hauptversuche unter Zugabe von Hefe und in einigen Fällen unter Zusatz von Butter durchgeführt. Die Darstellung der einzelnen Bausteine der organischen Nahrungsstoffe er- folgte nach folgenden Methoden: Glykokoll aus Monochloressigsäure und Ammoniak (K. Kraut, Annalen der Chemie und Pharmakol. 266, 292. 1891; J. Mauthner, Monatshefte f. Chemie 9, 727. 1889; J. Mauthner und W. Suida, ebenda 11, 373. 1890; vgl. auch Emil Abderhalden, Physiologisches Praktikum S. 119, 3. Aufl. J. Springer. Berlin 1922). Glykokoll wurde, da der tierische Organismus diese Aminosäure selbst bilden kann, nicht immer der Nahrung zugefügt. Alanin aus Azetaldehyd (Cyanhydrinmethode) (N. Zelinsky und @. Stadnikoff, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges.41, 2061. 1908). Die Spaltung in die optisch-aktiven Komponenten erfolgte über die Benzoylverbindung wel Bruein. (E. Fischer: Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 32, 2456. 1899). Serin aus Chlorazetal (H. Leuchs und W. Geiger, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 39, 2644. 1906). Spaltung in d- und 1-Serin über die Nitrobenzoylverbindung mittels Chinin. (E. Fischer und W. A. Jacobs, ebenda 39, 2942. 1906.) &-Diamino-P-dithiodilaktylsäure = Cystin aus Benzoylserinester nach Erlen- meyer jun., Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 36, 2720. 1913. Die dl-Verbindung ist noch nicht in ihre optisch-aktiven Komponenten zerlegt. &-Aminobuttersäure aus n-Buttersäure (E. Fischer und A. Mouneyrat, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 33, 2383. 1900) und Spaltung über die Formylverbindung mittels des Brucinsalzes. (Emil Abderhalden, H. Lang Chang und E. Wurm, Zeitschr. f. physiol. Chem. %2, 24. 1911.) &-Amvnoisovaleriansäure = Valın aus &-Bromisovaleriansäure und Ammoniak (E. Fischer, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 39, 2320. 1906). Spaltung in d- und 1-Valin über die Formylverbindung mittels Brucin (E. Fischer, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 39, 2320. 1906). &- Aminoisobutylessigsäure = Leuzin aus Isovaleraldehyd (Cyanhydrinmethode) (Limpricht, Annalen d. Chemie und Pharmazie 94, 243. 1855; E. Fischer, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 33, 2372. 1900). Spaltung in die optisch-aktiven Kompo- nenten über die Formylverbindung mittels Brucin (E. Fischer, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 39, 2928. 1906; E. Fischer und O. Warburg, ebenda 38, 3997. 1905. Vgl. auch Emil Abderhalden, Physiol. Praktikum, 3. Aufl. J. Springer 1922.) &-Amino-ß-methyl-ß-aethyl-propionsäure — Isoleuzin aus sekundärem Butyl- alkohol (F. Ehrlich, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 41, 1453. 1908; E. Abderhalden, P. Hirsch und P. Schuler, ebenda 42, 3394. 1909). Spaltung in die optisch-aktiven Komponenten über die Formylverbindung mittels Brucin (R. Locquin, Bull. de la soc. chim. (4.) 1, 595. 1907). &-Aminocapronsäure — Norleuzin aus Gärungskapronsäure und Spaltung der dl-Verbindung über die Formylverbindung mittels Brucins (E. Fischer, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 33, 2370. 1900; Emil Abderhalden, C. Froelich und Dionys Fuchs, Zeitschr. f. physiol. Chem. 86, 454. 1913.) Aminobernsteinsäure = Asparaginsäure: Erhitzen von Fumarsäure mit Am- moniak auf 150°. (Engel, Bull. de la soc. chim. 48, 98. 1887; 50, 150. 1888.) Spaltung in l- und d-Asparaginsäure über die Benzoylverbindung mittels Brucins (E. Fischer, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 32, 2451. 1899.) . en von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 21 Aminoglutarsäure = Glutaminsäure: Keine Methode zur direkten syntheti- schen Bereitung vorhanden. Ihre Darstellung ist jedoch möglich, indem man Pyrrolidonkarbonsäure gewinnt und diese aufspaltet. Man könnte z. B. &-Pyrro- lidinkarbonsäure —=Prolin synthetisch gewinnen und diese durch Oxydation in Pyrro- lidonkarbonsäure überführen. Versuche nach dieser Richtung waren allerdings bis jetzt nicht erfolgreich. Sie werden fortgesetzt. In tierischen Organismen scheint Glutaminsäure durch Prolin ersetzbar zu sein. &-Amino-B-phenyl-propionsäure — Phenylalanin aus Benzylmalonsäure (Emil Fischer, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 3%, 3052. 1904). Spaltung in d- und I-Phenyl- alanin über die Formylverbindung mittels Brucins (E. Fischer und Schoeller, Ann. d. Chem. u. Pharm. 35%, 1. 1907.) &-Amino-ßB-p-oxyphenylpropionsäure = Tyrosin aus p-Oxybenzaldehyd und Hippursäure (Erlenmeyer jun. und Halsey, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 30, 2981. 1897; Ann. d. Chem. u. Pharmaz. 30%, 138. 1899). Spaltung in die optisch-aktiven Komponenten über den Benzoylkörper mittels Brucins (E. Fischer, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 32, 2451. 1899). &-e-Diaminocapronsäure — Lysin aus y-Cyanpropylmalonsäureester (Emil Fischer und Weigert, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 35, 3772. 1902). Die Zerlegung des Lysins in beide optisch-aktiven Komponenten ist noch nicht durchgeführt. &-Amino-Ö-guanidino-n-valeriansäure = Arginin: Die Darstellung erfolgte nach den von 8. P. L. Sörensen (Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 43, 643. 1910) an- gegebenen Methode. Ornithursäure, gewonnen aus y-Brompropylpktalimid (S. Gabriel und J. Weiner, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 21, 2671. 1888), wurde nach S. P. L. Sörensen (Z. f. physiol. Chemie 44, 448. 1905) in Monobenzoyl- ornithin verwandelt. Dieses ergibt mit Cyanamid a-Benzoylamino-ö-guanidino- valeriansäure. Beim Kochen dieser Verbindung mit Salzsäure entsteht dl-Arginin. &-Amino-ß-imidazolylpropionsäure = Histidin ist nach der Methode von Frank Lee Pyman (J. chem. soc. 99, 1386. 1911) und Spaltung mittels Weinsäure (Frank Lee Pyman,]. c. und Emil Abderhalden und Arthur Weil, Zeitschr. f. physiol. Chem. %7, 135. 1912) gewonnen worden. &-Amino-B-indolpropionsäure — Tryptophan: aus #-Indolaldehyd und Hippur- säure nach A. Ellinger und Flamand, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 40, 3029. 1907; Zeitschr. f. physiol.Chem. 55, 8. 1908). Ausbeute gering. Spaltung nicht durchgeführt. &-Pyrrolidincarbonsäure = Prolin. Seine Darstellung erfolgte zum Teil nach Sörensen (C. r. du Laborat. de Carlsberg, 6, 148. 1905) aus Natriumphtalimid- malonsäurediaethylester und Trimethylenbromid, zum Teil nach R. Willstätter (Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 33, 1160. 1900) aus &-ö-Dibrompropylmalonsäureester und Ammoniak und endlich nach E. Fischer und @. Zemplen (Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 42. 1909) aus m-Nitrobenzoyl-ö-amino-&%-bromvaleriansäure und Zerlegung des dl-m-Nitrobenzoylprolins mit Cinchonin. Oxy-&-pyrrolidinkarbonsäure = Oxyprolin: Darstellung nach H. Leuchs, Michele Giua und J. F. Brewster (Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 45, 1960. 1912; AH. Leuchs und J.F. Brewster, ebenda 46, 986. 1913). Ausbeute an a-Verbindung gering. Es scheint, daß Oxyprobin entbehrlich ist. Es konnte der geringen Menge wegen, die zur Verfügung stand, nur bei einem Versuch zur Nahrung hinzugefügt werden. Zur Darstellung der a-Oxyisokapronsäure bezw. &-Oxyisobutylessigsäure wurde von synthetisch dargestelltem Leuzin ausgegangen. Dieses wurde in der bekannten Weise aus Isoamylalkohol dargestellt. Bei der Bildung des Isovaleraldehyds wurde die Ausbeute ganz wesentlich erhöht, indem beim Überdestillieren des Aldehyd- Alkoholgemisches die Temperatur bis auf 110° gesteigert und gleichzeitig beim Zutropfenlassen des Chromsäuregemisches Wasserdampf durch den Kolben strömen gelassen wurde. Die Ausbeute konnte so von 30 auf 50%, erhöht werden. Das 212 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis dl-Leuzin wurde in der üblichen Weise über die Formylverbindung in seine optisch- aktiven Komponenten gespalten. Bei der Abscheidung des optisch-aktiven Leuzins aus seinem salzsauren Salz wurde mit Vorteil eine Aufschwemmung von Lithium- carbonat verwendet. Die Darstellung der x-Oxyisokapronsäure erfolgte zunächst in der gleichen Weise, wie es von mir und Weil!) beschrieben worden ist. Es wurde jedoch, nach- dem die Nitritlösung unter guter Kühlung tropfenweise zugeführt worden war, das Reaktionsgemisch nicht direkt eingeengt und ausgeäthert, vielmehr wurde das Gemisch mit n-Natronlauge neutralisiert. Der Neutralisationspunkt läßt sich ziemlich scharf an dem Auftreten einer orangefarbenen Tönung erkennen. Unter- läßt man das Neutralisieren, dann entsteht Anhydrid. Dieses erschwert die Reini- gung der &-OÖxyisokapronsäure. Das neutralisierte Produkt wurde mit Tierkohle gekocht. Dann wurde filtriert, und das klare und fast farblose Filtrat zur Trockene eingedampft. Das zurückbleibende a-oxyisokapronsaure Natrium löst sich in viel heißem Alkohol. Beim Erkalten scheidet sich das Salz in feinen Krystallen aus. Die Ausbeute an diesem beträgt etwa 70%, der Theorie. Das d-a-oxyisokapron- saure Natrium zeigte eine spezifische Drehung von + 15,2°. Die Linksverbindung drehte — 15,4°. Aus dem Natriumsalz läßt sich die freie Säure leicht durch ver- dünnte Schwefelsäure in Freiheit setzen und durch Ausschütteln mit Äther iso- lieren. Bei der Gewinnung der Oxyisokapronsäure erfreute ich mich der Mit- arbeit von Herrn F. Bilski, dem auch an dieser Stelle gedankt sei. Die Zusammensetzung der Nahrung war die folgende: 1. Aminosäuregemisch: Die einzelnen Aminosäuren wurden in folgenden Men- gen mit einander vermischt: Glykokoll 1 Teil, Alanin 5 Teile, Serin 1, Cystin 5, &-Aminobuttersäure 1, Valin 5, Leuzin 15, Isoleuzin 5, Norleuzin 3, Asparaginsäure 2,5, Glutaminsäure 10, Pyr- rolidinkarbonsäure 2, Phenylalanin 5, Tyrosin 5, Lysin 5, Arginin 2,5, Histidin 5, Tryptophan 5, Prolin 5 und Oxyprolin 5 Teile. Die einzelnen Aminosäuren wurden nach erfolstem Abwiegen in dem er- wähnten Mengenverhältnis innig gemischt und dann in einer Reibschale staubfein zerrieben. Um das Gemisch so gleichmäßig als nur möglich zu gestalten, wurde das Pulver durch einen Satz Siebe hindurchgeschickt. Gröbere Teilchen wurden so lange zerrieben, bis schließlich die gesamte Masse durch das engmaschigste Sieb hindurch ging. 2. Ersatz für Fett: Es wurden Palmitin-, Stearin- und Ölsäure in gleichen Mengen angewandt. Die beiden ersten wurden auch sehr fein gepulvert und dem Aminosäuregemisch in gleicher Korngröße hinzugefügt. Ölsäure und Glyzerin wur- den tropfenweise unter Umrühren dem Aminosäure-Fettsäure-Gemisch hinzu- gefügt. Vom Glyzerin wurde mehr genommen als der auf ein Molekül Fett be- rechneten Menge entsprach, und zwar kamen auf ein Teil Fettsäuregemisch:0,5 Teile Glyzerin. 3. Die Kohlehydrate waren in allen Versuchen durch Glukose oder Lävulose oder ein Gemisch von beiden vertreten. 4. Mineralstoffe. Sie wurden zum Teil in Form von Brunnenwasser zur Ver- fügung gestellt, zum Teil der Nahrung beigemischt. Das Salzgemisch bestand aus gleichen Mengen MgSO, und Eisenzitrat, dazu kam die anderthalbfache Menge NaCl und NaH,PO,, die doppelte Menge von Kalziumphosphat und die vierfache Menge von K,HPO, und CaCO,. Endlich wurde von NaFl und NaJ der zehnte Teil der Kochsalzmenge angewandt. V. In einem Teil der Versuche sind auch die Bausteine der Nukleinsäuren, und zwar Adenin und Guanin, ferner Urazil, Zytosin, Thymin bzw. Adenosin und !) Emil Abderhalden und Artur Weil, Zeitschr. f. physiol. Chem. 84, 39. 1913. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV, 213 Guanosin, ferner Zytidin und Uridin verfüttert worden. Endlich wurde vereinzelt Cholesterin der Nahrung zugesetzt, ganz vereinzelt auch Kreatin. Von den er- wähnten Bausteinen haben wir Urazil (aus Harnstoff und Akrylsäure nach Emil Fischer und Georg Roeder, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 34, 3752. 1901) synthetisch dargestellt. Es zeigte sich, daß alle erwähnten Verbindungen fehlen konnten, ohne daß sich Störungen bemerkbar machten. Es besteht jedoch durchaus die Möglich- keit, daß solche eingetreten wären, wenn die Versuche über eine noch längere Periode hindurch hätten durchgeführt werden können. Schließlich wurde in einigen Versuchen der Nahrung fruktosediphosphor- saures Natrium hinzugefügt. Besondere Wirkungen ließen sich weder bei wachsen- den noch bei erwachsenen Tieren feststellen. Von den einzelnen Nahrungsstoffgemischen und einzelnen Nahrungsstoffen erhielten: die Ratten: . die Mäuse; Aminosäuregemisch 0,3—0,5 g Stickstoff 0,1—0,15 g Stickstoff Glukose bzw. Lävulose 5—7,5 & 1—1,2 g Fettsäuren elg=33g 0,3 8 Glyzerin 0,5 g 0,1 g (Adenin, Guanin, Uracil, Zytosin, Thymin, Cholesterin, Kreatin je 0,05 g, falls angewandt.) Mmeralstoffe 3,5 8 1 Knochenasche 190 0,2 g Wurden nicht die optisch-aktiven Aminosäuren verwendet, sondern Razem- körper, dann wurde die zweifache Menge an Aminosäuregemisch gegeben. Aus den unten mitgeteilten Versuchen geht hervor, daß, wie schon mehrfach betont, Tryptophan eine absolut unentbehrliche Aminosäure ist. Ferner erwiesen sich die homocyclischen Aminosäuren Tyrosin und Phenylalanın als nicht ersetzbar, wohl aber scheinen die beiden er- wähnten Bausteine sich gegenseitig vertreten zu können. Als nicht entbehr- lich muß auch Cystin bezeichnet werden. Das Fehlen von Glykokoll und Alanın machte sich nicht bemerkbar. Es scheint, daß diese beiden Aminosäuren entbehrlich sind bzw. vom tierischen Organismus ersetzt werden können. Es wurde ferner geprüft, ob das gewöhnliche Leuein —= &-Aminoisobutylessigsäure die übrigen Monoaminosäuren mit 6 Kohlen- stoffatomen vertreten kann. Es scheint dies in der Tat der Fall zu sein. Ferner wurden Lysin und Arginin aus dem Aminosäurengemisch fort- gelassen. Es trat Abnahme des Körpergewichtes und zugleich negative Stickstoffbilanz auf. Nach Hinzufügung der erwähnten Hexonbasen blieb das Körpergewicht auf gleicher Höhe und die Stickstoffbilanz wurde wieder = 0 bzw. schwach positiv. Wurde Lysin allein weggelassen, so fiel das Körpergewicht gleich wieder ab. Die Zugabe von Lysin äußerte sich sofort im Aufhören des Gewichtsverlustes. Ebenso konnte gezeigt werden, daß Arginin für sich aus der Nahrung fortgelassen, ein Fallen des Körpergewichtes bedingt. Vom Histidin konnte die Unentbehrlichkeit auch nachgewiesen werden und ebenso von den beiden Dicarbonsäuren Asparagin- und Glutaminsäure. In einigen Untersuchungen wurde geprüft, ob sich Glutaminsäure durch 214 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Prolin ersetzen läßt. Leider ist kein einziger von diesen Versuchen glatt verlaufen. Es trat meist sehr frühzeitig Verweigerung der Nahrung auf. Es hält schwer Prolin in größeren Mengen in ganz reinem, geruch- losem Zustande zu erhalten. Das Eindampfen einer prolinhaltigen Lösung bedingt schon, daß ein lebhafter, an Pyridin erinnernder Geruch auftritt. Wir haben selbstverständlich die Lösungen unter stark ver- mindertem Druck eingedampft. Aber selbst dann gelingt es namentlich bei Gewinnung von optisch-aktivem Prolin nur schwer, es von jeder Spur von Zersetzungsprodukten freizuhalten. Wahrscheinlich hat dieser Geruch die Abneigung der Tiere gegen das größere Mengen dieser Aminosäuren enthaltende Futter bedingt. Immerhin gelang es bis zu 5 Tagen die Tiere im Körpergleichgewicht zu erhalten, so daß die Mög- lichkeit gegeben ist, daß Prolin für Glutaminsäure eintreten kann. Man könnte sich vorstellen, daß Prolin unter Oxydation in Pyrrolidoncarbon- säure übergeht, die unter Aufspaltung Glutaminsäure liefert. Es soll ganz ausdrücklich betont werden, daß man mit allen Schluß- folgerungen über die biologische Wertigkeit von Aminosäuren außer- ordentlich vorsichtig sein soll. Zeigtessich, daß beim Fortlassen einer bestimmten Aminosäure sich Störungen ergeben, die durch das Hinzu- fügen des fehlenden Eiweißbausteines glatt behoben werden, dann darf man wohl annehmen, daß die betreffende Aminosäure eine be- stimmte Bedeutung hat und nicht ersetzbar ist. Wenn dagegen beim Fortlassen einer bestimmten Aminosäure aus der Nahrung sich keine Folgen zeigen, dann darf daraus nicht geschlossen werden, daß dem betreffenden Eiweißbaustein keine besonderen Funktionen im Zell- stoffwechsel zukommen. Es besteht die Möglichkeit, daß der tierische Organismus die betreffende Aminosäure aus anderen Verbindungen herstellt. Ferner muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß sich Folgeerscheinungen zeigen würden, wenn die Versuche über längere Zeit ausgedehnt werden könnten. Es bleibt der zukünftigen Forschung vorbehalten, die engeren Be- ziehungen zwischen bestimmten Eiweißbausteinen und Inkretstoffen in exakter Weise aufzuklären, und ferner festszustellen, welche Rolle jede einzelne Aminosäure mitsamt den aus ihr hervorgehenden Abbaustufen im Zellstoffwechsel spielt. Würde es gelingen, größere Tiere mit einem Gemisch von Aminosäuren zu ernähren, und ließen sich die Versuche auf ein größeres Material ausdehnen, dann könnten wahrscheinlich beim Weglassen bestimmter Aminosäuren Feststellungen gemacht - werden, die für unsere ganze Auffassung des Zellstoffwechsels und der Zusammenarbeit der einzelnen Organe von allergrößter Bedeutung sein würden. Vor allen Dingen wäre es von großer Wichtigkeit, herauszubringen, wieweit man mit jenen Eiweißbausteinen an Menge heruntergehen kann, die sich als unentbehrlich erwiesen haben, von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 215 ohne daß sich Störungen geltend machen. Ohne Zweifel werden beständig Eiweißbausteine zur Bildung von Zelleiweiß verwendet. Fehlen in der Nahrung unersetzbare Aminosäuren, dann ist die Eiweißsynthese in den Zellen gefährdet. Man könnte daran denken, daß beim Abbau von sog. Zellumsatzeiweiß jene Bausteine vor dem weiteren Abbau bewahrt werden, die in der Nahrung nicht zugeführt werden. Es wäre dann alles Baumaterial zum Aufbau neuen Eiweißes zugegen. Nach allen unseren Erfahrungen wird von der Zelle dieser Weg offenbar nicht beschritten. Es könnte sich sonst das Fehlen bestimmter Eiweißbausteine in der Nahrung nicht so rasch geltend machen. Man muß allerdings hierbei noch bedenken, daß die Amino- säuren außer zum Aufbau von Eiweiß noch anderen, sehr wichtigen Zwecken dienen. Vielleicht ist es der Ausfall derartiger Leistungen, der sich so früh geltend macht und zu Störungen im Organismus führt. Wir lernen immer mehr und mehr erkennen, daß im Zellstaate Stoffe verschiedener Art in kleinsten Mengen entscheidenden Einfluß auf die einzelnen Funktionen ausüben. Allem Anschein nach sind viele Amino- säuren direkt oder indirekt in Form von Umwandlungsprodukten an der Bildung jener, allgemein als Inkretstoffe bezeichneten Produkte beteiligt. Die mitgeteilten Beobachtungen geben eine weitere Grundlage zum Studium jener unbekannten, einstweilen Viiamine, Nutramine usw. genannten Stoffe. Es läßt sich die Wirkung der sog. Wachstumsstoffe und diejenige jener Produkte, die einen entscheidenden Einfluß auf die Zellatmung und andere Zellfunktionen haben, bei Verabreichung einer aus reinen Komponenten bestehenden Bausteinnahrung besonders scharf herausheben. Die Idee, daß die ganzen Erscheinungen, die bei Tauben und anderen Tieren nach einseitiger, ausschließlicher Ernährung mit geschliffenem Reis und anderen Nahrungsmitteln auftreten, die Folge des Vorhandenseins von giftig wirkenden Substanzen in der Nahrung sein könnten, gewinnt auf Grund unserer Versuche mit reinen Bau- steinen der zusammengesetzten organischen Nahrungsstoffe wenig an Wahrscheinlichkeit. Es spricht vielmehr alles dafür, daß mit der °Hefe und anderen Produkten Stoffe zugeführt werden, die absolut unentbehrlich sind, und die in den zusammengefügten Nahrungsbestand- teilen noch nicht enthalten sind. Es sei erwähnt, daß wir ganz ent- sprechende Versuche auch mit Rüböl, Butter, Lebertran, mit Zusatz von ganz geringen Mengen von Kohl, Löwenzahn, Rüben, ausgeführt haben. Es handelte sich jedoch bei allen diesen Versuchen um solche, die nicht mehr als 3 bis höchstens 4 Wochen umfaßten. Ein großer Teil davon mußte noch frühzeitiger abgebrochen werden, weil die Tiere die Nahrung verweigerten. In allen Fällen zeigte es sich, daß das Wachstum in Gang kommt, sobald die betreffenden Produkte der nutraminfreien Nahrung zugefügt werden. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 15 216 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Es sei im folgenden die Versuchsanordnung kurz geschildert, und im Anschluß daran aus der sehr großen Anzahl von Einzelversuchen diejenigen in Kurvenform dargestellt und kurz besprochen, die einen ausreichenden Zeitraum umfaßten, um bestimmte Schlußfolgerungen zuzulassen. Hierzu sei bemerkt, daß auch sehr viele von den mißglückten Versuchen bestimmte Schlüsse ermöglichten. Bald gelang es bei dem einen Tier eine bestimmte Periode über längere Zeit hinaus durch- zuhalten, bald hatte man bei einem anderen Versuchstier bei einer anderen Periode Glück. Durch Kombination der aus den verschiedensten Ver- suchen gewonnenen Erfahrungen ließen sich auch schon manche sehr wertvolle Erfahrungen gewinnen. Es sei des Platzmangels wegen auf die Wiedergabe aller dieser Versuche verzichtet. Ebenso wollen wir davon absehen, die Tabellen über die Verfolgung der Stickstoffbilanz wiederzugeben. Es muß genügen, wenn darauf hingewiesen wird, daß die Stickstoffbilanz bei Erhaltensein des Körpergewichtes annähernd gleich Null war. Mit dem Eintreten von Körpergewichtsverlusten wurde die Stickstoffbilanz meistens sofort negativ. Mit der Zunahme an Körpergewicht ging eine positive Stickstoffbilanz parallel. Wir haben übrigens nach vielen Mißerfolgen, und nachdem wir trotz pein- licher Überwachung immer wieder feststellen mußten, daß Mäuse und Ratten Urin und Kot fressen, darauf verzichtet, den Stickstoffgehalt der erwähnten Aus- scheidungen täglich festzustellen. Vielmehr wurden mehrere Tage und manchmal ganze Perioden zusammengefaßt. Der Kot wurde stets in seiner Gesamtheit der Kjeldahl-Methode unterworfen. Ich habe vielfach beobachtet, daß Mäuse und Ratten den Urin direkt aus der Harnröhrenmündung weglecken. Nach unseren, nunmehr sehr ausgedehnten Erfahrungen kann man sich bei Untersuchungen der vorliegenden Art im allgemeinen auf die Bestimmung des Körpergewichtes ver- lassen, nachdem man in Vorperioden festgestellt hat, welche Stickstoffmengen bei einer bestimmten, zusammengesetzten Nahrung zugefügt werden müssen, damit die Versuchstiere im Stickstoffgleichgewicht bleiben. Ohne derartige Vorunter- suchungen läuft man Gefahr, einfach deshalb zu negativen Ergebnissen zu kommen, weil das Stickstoffminimum unterboten ist. Wir haben kein Versuchstier eher verwendet, bevor nicht festgestellt war, daß es mit Mineralstoffen, Glucose, Glycerin, Fettsäuren, und gereinigtem Eiweiß in Stickstoffgleichgewicht und bei Steigerung der Nahrungsmenge zur Zunahme des Körpergewichtes gebracht werden kann. Bei diesen Vorversuchen schied ein großer Teil der Versuchstiere aus. Es stellte sich meistens bald heraus, welche Tiere vor- aussichtlich die künstlich zusammengesetzte Nahrung aufnehmen würden und welche nicht. Es versagten auch dann noch genug Tiere nach mehr oder weniger langer Zeit die Aufnahme der Nahrung. Manche Versuche konnten noch dadurch gerettet werden, daß die Nahrung in kleinen Portionen künstlich zugeführt wurde, d. h. sie wurde mittels eines Siedestabes möglichst weit in den Rachen hinabgeführt und dabei der Schluckreflex ausgelöst. Glücklicherweise brechen Mäuse und Ratten offenbar nur sehr schwer. Es kam aber vor, daß die Nahrung wieder herausgewürgt wurde. In diesem Fall gingen die Versuche verloren. In einigen Fällen sahen wir uns gezwungen, überhitztes reines Olivenöl in ganz kleinen Mengen der Nahrung zuzufügen, um auf diese Weise die Freßlust der Tiere anzufachen. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. zart Im allgemeinen hatten wir wenig unter Darmkatarrhen zu leiden. Es kam zumeist zur Bildung von festem Kot. Um die Darmperistaltik glatt in Gang zu halten, erhielt ein Teil der Tiere Hornspäne, außerdem stellten wir ihnen Fischbein, das gründlich ausgekocht war, zum Nagen zur Verfügung. Ferner erhielten die Tiere mit der Nahrung sorgsam ausgeglühtes Knochenpulver. Die Hauptsorge war die Verabreichung der Nahrung. Bei Mäusen von etwa 25 g Gewicht muß darauf geachtet werden, daß die tägliche Menge der Nahrung möglichst 3—4 g nicht überschreitet. Je kompendiöser die Nahrung ist, um so mehr wächst die Wahrscheinlichkeit, daß sie in der vorgeschriebenen Zeit vollständig aufgenommen wird. Bei Ratten von durchschnittlich 200 g Gewicht kann man etwa 15 g Nahrung im Tage zur Aufnahme bringen, jedoch ist es auch hier von größter Bedeutung, daß sie möglichst wenig voluminös ist. Es erwies sich als zweckmäßig, aus den verschiedenen Nahrungsstoffen Pillen zu formen. Es wurde die Nahrung alle 2—3 Stunden gereicht. Der nicht aufgenommene Anteil wurde, sobald das Tier nicht mehr fraß, aus dem Käfig fortgenommen und später wieder angeboten. Sobald der Nahrung etwas Hefe zugesetzt war, erfolgte die Nahrungs- aufnahme leichter. Wir haben uns diese Erfahrungen zunutze gemacht und Tiere, bei denen die eigentlichen Versuche mit hefefreien Perioden begannen, zur Ge- wöhnung an das Futter zunächst ein paar Tage mit dem gleichen Futtergemisch, das sie nachher erhalten sollten, plus Hefe gefüttert. Versuchsreihe I (Abb. 1 u. 2). Fütterungsversuche mit Aminosäurengemisch, Glucose, Fettsäuren, Glycerin und Mineralstoffgemisch mit und ohne Zusatz von Hefe. In einzelnen Fällen (mit & bezeichnet) wurden außerdem noch Purin- und Pyrimidinbasen zugefügt; f bedeutet, daß Cholesterin ge- geben wurde. Versuche an Ratten Abbildung 1 (S. 218). Ratiea, (2, 9 Monate alt). erhielt zunächst 19 Tage lang das erwähnte Nah- rungsgemisch (x) ohne Hefe. Das Körpergewicht sank bis zum 11. Versuchstage um 5 g. Die Stickstoffbilanz war in dieser Zeit durchschnittlich = + 12 mg. N. Vom 1. Versuchstage an fiel das Körpergewicht ziemlich rasch ab. Bis zum 19. Ver- suchstage hatte das Versuchstier 20 g verloren. Besonders Erscheinungen zeigte es nicht, nur ließ der Appetit sehr stark nach. Wir mußten in den letzten 5 Tagen dem Futter eine ganz geringe Menge auf höhere Temperatur erhitztes Fett hinzu- fügen. Die Stickstoffbilanz war in dieser ganzen Zeit negativ, und zwar im Durchschnitt — 78 mg. Das Versuchstier erhielt dann (a) die gleiche Nahrung weiter, nur wurde 0,1 g Hefe hinzugefügt. Die Nahrung wurde gut aufgenommen. Der Versuch dauerte 19 Tage. Nunmehr erhielt Ratte a 0,1 g Butter. Am 79. Ver- suchstage mußte der Versuch abgebrochen werden, weil das Tryptophan ausge- gangen war. Von Zeit zu Zeit wurde die Stickstoffbilanz geprüft. Sie war mehr oder weniger stark positiv. Ratte B, (S‘, 8 Monate alt), erhielt zunächst 21 Tage lang das erwähnte Nah- rungsgemisch (#) ohne Hefe. Das Körpergewicht fiel ständig ab. Es verlor nicht weniger als 58 g. Das Tier hatte vom 3. Tage an die Nahrung nur widerwillig auf- genommen, es mußten verbliebene Reste der Tagesportion zwangsweise zugeführt werden. Die Stickstoffbilanz war ständig negativ. Wir gaben dann (a) 0,1 g Hefe der Nahrung hinzu. Das Körpergewicht stieg sofort an und die Stickstoffbilanz 155 218 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis wurde positiv. Diese Periode dauerte 23 Tage. Nunmehr wurde die Hefe wieder weggelassen (b). Das Körpergewicht fiel nach kurzer Zeit andauernd ab. Am Schluß der 24tägigen Periode hatte man den Eindruck, daß das Tier zugrunde gehen würde, wenn die Ernährung in derselben Weise fortgesetzt würde. Bei Zusatz von Hefe (c) erfolgte wieder Körpergewichtszunahme. Ratte C, (2, 9 Monate alt), erhielt 21 Tage lang ausschließlich das obener- wähnte Nahrungsgemisch (&) plus 0,1 g Hefe. Das Tier nahm in dieser Zeit 40 g zu. Als dann (a) die Hefe weggelassen wurde, fiel das Körpergewicht und die vorher positive Stickstoffbilanz wurde negativ. Gramm 230 IEN j N ar. IDzm SIRNHEBETUMENEH EEE TH Abb. 1. 272 Ratte A (S, 12 Monate alt) erhielt 39 Tage lang unter Zusatz’von 0,1 g Hefe fast Bausteinnahrung. Das Körpergewicht hielt sich während der ganzen Zeit die auf der gleichen Höhe. Das Tier befand sich im Stickstoffgleichgewicht. Nach Weglassen der Hefe (a) fiel zunächst das Körpergewicht ziemlich tief ab, um sich dann wieder 9 Tage lang auf ziemlich derselben Höhe zu halten. Die Stickstoff- bilanz war in den ersten 11 Tagen stark negativ (durchschnittlich — 98 mg N). Während der zuletzt erwähnten Periode trat Stickstoffgleichgewicht ein. Auf Hinzufügung von Hefe (b) stieg das Körpergewicht wieder rasch an. Raite E, (2), erhielt 30 Tage lang ausschließlich die obenerwähnte Nahrung ohne Hefezusatz. Das Körpergewicht sank mehr und mehr ab. Zeitweise hielt es von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 219 sich auf gleicher Höhe, bzw. es zeigten sich kleine Zunahmen. Vom 26. Tage ab war die Körpergewichtsabnahme eine außerordentlich schnelle. Bis zum 26. Tage hatte das Versuchstier 21 g verloren. Am 30. Versuchstage war es außerordentlich matt. Es zeigte Lichtscheu, verklebte Augen. Es ging in der Nacht vom 30. zum 31. Ver- suchstage zugrunde. Ratte F, ©, wurde 23 Tage lang ohne Hefe ernährt. In dieser Zeit verlor das Versuchstier fast 50% seines Körpergewichts. Nach Zusatz von Hefe (a) stieg das Körpergewicht an. Nach 28 Tagen, Dauer dieser Periode, wurde die Hefe weg- gelassen. Das Körpergewicht stieg 6 Tage weiter. Es trat dann ein geringfügiger Abfall des Körpergewichtes ein. Leider mußte der Versuch unterbrochen werden weil wichtige Aminosäuren fehlten. Das Versuchstier erhielt dann noch Fleisch an Stelle des Aminosäuregemisches und zeigte nunmehr eine rasche Körpergewichts- zunahme. Ratte G, 5, erhielt zunächst 30 Tage lang das obenerwähnte Nahrungsgemisch (&) plus 0,1 g Hefe. Das Körpergewicht stieg in dieser Zeit von 50 auf 82 g. Nunmehr wurde (a) die Hefe weggelassen. Das Körpergewicht hielt sich während der 25 Tage umfassenden Periode ziemlich auf der gleichen Höhe. Diese Versuchs- periode ist von allen an wachsenden Ratten ausgeführten als die am besten ge- lungene zu bezeichnen. Das Versuchstier nahm die Nahrung widerstandslos auf. Das Versuchstier erhielt dann (b) die gleich eNahrung weiter, nur waren die Fett- säuren weggelassen worden. An ihre Stelle trat die isodyname Menge Glucose. Auch in dieser Periode war nur eine geringe Gewichtsabnahme feststellbar. Sie dürfte wohl kaum auf das Fehlen von Fettsäuren zu beziehen sein. Jedenfalls ist der Versuch nicht entscheidend, weil die Möglichkeit besteht, daß bei der sehr langen Versuchsdauer das Versuchstier auch so etwas an Körpergewicht verloren inne. Wichtig ist, daß beim Weglassen der Hefe das Wachstum unterblieb. Die Ratten E, F und @ waren 6 Wochen alt. Versuche an Mäusen. Abbildung 1 (S. 218). Maus I, ©, erhielt 14 Tage lang ausschließlich das Nahrungsgemisch ohne Hefe. Bis zum 11. Tage wurde das Körpergewicht beibehalten, es fiel aber dann ziemlich rasch ab. Die Maus war 3 Monate alt. Bi Maus II, ©, erhielt die gleiche Nahrung während 18 Tagen. Das Körper- gewicht hielt sich auch hier in den ersten 11 Tagen ziemlich auf der Höhe, um dann abzufallen. Das Tier war 4 Monate alt. "al Maus III, 5, erhielt während 17 Tagen das übliche Nahrungsgemisch ohne Hefe. Das Körpergewicht blieb in den ersten 13 Tagen so gut wie unverändert, um dann etwas abzufallen. Das Versuchstier erhielt dann (a) 0,05 g Hefe. Es trat Zunahme des Körpersgewichtes ein, die Versuchsperiode dauerte 24 Tage. Nach Weglassung der Hefe (b) hielt sich das Körpergewicht 4 Tage auf seiner Höhe. Es erfolgte dann ein Zurückgehen des Körpergewichtes. Die ganze Periode dauerte 13 Tage. Es wurde wiederum Hefe gegeben, wieder trat Zunahme des Körper- gewichtes auf. Nach 15 tägiger Dauer dieser Periode wurde die Hefe weggelassen (d). Das Körpergewicht fiel wieder. Das Tier war 3 Monate alt. Maus IV, ©&. Das Versuchstier erhielt das übliche Nahrungsgemisch (Pf) plus Hefe. Das Körpergewicht stieg von 18 gauf 30 g. Am 21. Versuchstage wurde die Hefe weggelassen, das Körpergewicht fing fast sofort an zu fallen. Am 33. Ver- suchstage wog die Maus 19g. Sie erhielt nunmehr wieder Hefe, das Körpergewicht betrug am 50. Versuchstage 283g. Nach Weglassung der Hefe ging das Körper- gewicht wieder zurück. Das Versuchstier war 2 Monate alt. 2320 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Abbildung 2. Ratte I, S, 8 Monate alt, erhielt 27 Tage lang Bausteinnahrung ohne Hefe, Sie behielt bis zum 13. Versuchstage das Anfangskörpergewicht ziemlich bei. Es sank dann allmählich ab. Es folgte nun ene 22tägige Periode mit Hefe. Während dieser Zeit nahm das Körpergewicht etwas zu. Es schloß sich eine 31tägige Periode mit der Bausteinnahrung allein an. Vom 68. Versuchstage an fiel dann das Körper- gewicht unter gleichzeitigem Auftreten negativer Stickstoffbilanz ab. Es wurde dann wiederum Hefe hinzugegeben, wobei das Körpergewicht langsam anstieg. Die Stickstoffbilanz wurde wieder schwach positiv. Ratte II, ©, 8 Monate alt, erhielt zunächst 49 Tage lang Bausteinnahrung plus Hefe. Es folgte dann eine 26tägige Periode (a) ohne Hefezusatz. Es folgte dann TSG 32252 IE ERSTEN ES 9 53157 ROT 65 EI 73 RETTET EIG 70707, Abb. 2 on (b) eine Periode, während der 0,1 g Hefe hinzugefügt wurden, die eine Stunde bei 150° erhitzt worden war. Während der ersten Periode war das Körpergewicht von 160 g auf 180g gestiegen. Während der Periode a—b nahm das Körpergewicht nur wenig ab. Der Versuch war sehr glatt verlaufen, das Tier hatte die Nahrung bis auf wenige Tage {reiwillig aufgenommen. Nach Zugabe von erhitzter Hefe fiel das Körpergewicht. Das Tier starb am 98. Versuchstage. Der Absturz des Körper- gewichtes ist sicherlich nicht auf die Zugabe der erhitzten Hefe zurückzuführen. Es dürfte nach unseren Erfahrungen der Umstand maßgebend gewesen an daß das Versuchstier bereits 25 Tage ohne Hefe ernährt worden war. Ratte III, ©, 4 Monate alt, erhielt während 27 Tagen die Bausteinnahrung. Das Körpergewicht fiel während dieser Zeit langsam ab. Es wurde dann (a) auf 100° erhitzte Hefe hinzugegeben. Das Körpergewicht hielt sich während 6 Tagen auf seiner Höhe, um dann ziemlich rasch abzufallen. Nunmehr wurde (b) der Nahrung nichterhitzte Hefe hinzugegeben. Diese Periode dauerte im ganzen von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 221 61 Tage. Das Tier zeigte Körpergewichtszunahme, die Stickstoffbilanz war fast durchweg positiv. Ratte IV, S, 9 Monate alt, wurde während 30 Tagen mit Bausteinnahrung ohne Hefe ernährt. Das Körpergewicht fiel von Anfang an langsam und später schneller ab. Die Stickstoffbilanz war in den ersten Tagen negativ (durch- schnittlich minus 25 mg). Von da an wurde die negative Bilanz größer (durch- schnittlich bis zum 19. Tage 42 mg). Von diesem Zeitpunkt an ging dem stärkeren Sinken des Körpergewichtes parallel eine noch bedeutendere negative Stickstoff- bilanz. Sie wurde nur in Stichproben festgestellt. Nunmehr erhielt das Versuchs- tier Hefe (a). Das Körpergewicht blieb bis zum 40 Versuchstage in gleicher Höhe, um dann ganz erheblich anzusteigen. Es folgte dann eine Periode mit Zugabe von 0,1g Hefe, die eine Stunde auf 80° erwärmt worden war. Das Körpergewicht blieb längere Zeit auf gleicher Höhe, um dann allmählich abzusinken. Dieser Versuch dau- erte 19 Tage. Es wurde dann (c) die Hefe ganz weggelassen. Das Körpergewicht fiel langsam. Am 98. Versuchstage starb das Tier. Es hatte in der letzten Zeit die Nahrung nur noch unter Zwang aufgenommen. Es zeigte Lichtscheu und Haar- ausfall und war recht hinfällig geworden. Ratte V, 2, 2 Monate alt, erhielt während 24 Tagen ausschließiich die Baustein- nahrung. Das Körpergewicht fiel bis zu den letzten 3 Versuchstagen nur wenig ab. Bis dahin hatte das Versuchstier die Nahrung freiwillig aufgenommen. In den letzten Tagen war künstliche Fütterung notwendig. Es folgte nun eine 26- .tägige Periode (a) mit Hefezusatz. Das Körpergewicht blieb zunächst sich gleich, um dann ziemlich rasch in die Höhe zu steigen. Es wurde dann (b) der Baustein- nahrung Hefe hinzugefüst, die 12 Stunden lang auf 80° erwärmt worden war. Das Körpergewicht blieb auf ziemlich gleicher Höhe. Die Versuchsperiode dauerte 19 Tage. Es schloß sich dann (c) noch eine Periode ohne Hefezugabe an. Das Körper- gewicht fiel rasch ab. Ratte VI, 5', 2 Monate alt, wurde zunächst mit der Bausteinnahrung plus Hefe ernährt. Das Körpergewicht stieg an. Es folgte dann (a) eine Periode ohne Hefezusatz. Sie umfaßte 31 Tage. Das Körpergewicht hielt sich zunächst 10 Tage ziemlich auf der Höhe, um dann mehr und mehr abzufallen. Vom 44, Versuchstage an konnte das Tier nur mühsam ernährt werden. Es mußte der Nahrung, um sie zur Aufnahme zu bringen, etwas erhitztes Fett zugefügte werden. Schließlich wurde ein Teil der Nahrung zwangsweise verabreicht. Das Versuchstier war am 60. Ver- suchstage recht matt und würde ohne Zweifel zugrunde gegangen sein, wenn njcht nunmehr der Nahrung (b) Hefe hinzugegeben worden wäre. Das Tier erholte sich und nahm auch an Körpergewicht etwas zu. Diese Versuchsperiode dauerte 21 Tage. Nunmehr wurde (c) die Hefe weggelassen. Das Versuchstier nahm während der l4tägigen Dauer dieser Periode nicht viel an Körpergewicht ab. Versuehsreihe II. Untersuchungen über die biologische Wertigkeit der einzelnen Amino- säuren mittels Fütterungsversuchen mit Aminosäurengemisch, Glucose Fettsäure, Glycerin und Mineralstoffgemisch unter Zugabe von Hefe. Versuche an Ratten. Abbildung 3 (S. 222). Raiie I, 3 Monate alt, erhielt während 11 Tagen das Bausteingemisch plus 0,05 g Hefe. Es wurde dann (a) die gleiche Nahrung minus !-Tryptophan verab- reicht. Der Stickstoffgehalt des weggelassenen Tryptophans wurde durch die ent- sprechende Stickstoffmenge in Gestalt von Tyrosin ersetzt. Das Körpergewicht 222 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis fiel sofort steil ab. Während vorher die Stickstoffbilanz annäherrd gleich Null gewesen war, wurde sie jetzt stark negativ. Nach Zusatz von Tryptophan, wobei jene Menge Tyrosin weggelassen wurde, die für diese Aminosäure eingesetzt worden war, erfolgte schon vom 2. Versuchstage ab eine Zunahme des Körpergewichtes. Es wurden dann (c) 0,1 g Butter zu dem Futter hınzugegeben, worauf eine ganz erhebliche Zunahme des Körpergewichtes einsetzte. Nach Weglassung von Tryp- tophan (d) fiel das Körpergewicht wieder rasch ab. Ratte II, 4 Monate alt, erhielt 15 Tage lang das Bausteingemisch (x) plus 0,05 g Hefe. Es wurde dann das gesamte Tyrosin und Phenylalanin fortgelassen (a). An Stelle dieser beiden Aminosäuren wurde Tryptophan, entsprechend dem Stickstoffgehalt der beiden homocycelischen Aminosäuren, zur Nahrung hinzu- gefügt. Das Körpergewicht fiel zuerst langsam und dann schneller ab. Nach Zugabe Gramm 240 4 230 5 je b Dalkalı ol | 740 | . z 2 a: b | 28 | IT mo = L VII 3 ET ERZIEEZIEZ IE 3 TESTEN STETS 3 ES TE TEST I 73772887 bb. 3 age Abb. 3. von Tyrosin (b) unter Verminderung der Tryptophanmenge hielt sich das Körper- gewicht zunächst auf gleicher Höhe, um dann etwas anzusteigen. Diese Versuchs- periode dauerte 15 Tage. Nunmehr wurde das Tyrosin (c) weggelassen und dafür Phenylalanin verabreicht. Auch jetzt blieb das Befinden des Tieres gut. Das Körpergewicht nahm sogar etwas zu. Schließlich wurden die beiden Aminosäuren Phenyalanin und Tyrosin (d) der Nahrung zusammen zugesetzt. Das Körper- gewicht hielt sich auf annähernd der gleichen Höhe. Ratte III, 4 Monate alt, erhielt zunächst 14 Tage lang das Bausteingemisch plus 0,05 g Hefe. Nunmehr wurde C'ystin aus der Nahrung fortgelassen. Der Stick- stoffgehalt dieser Aminosäure wurde durch Serin ersetzt. Das Körpergewicht fiel steil ab. Es wurde nunmehr die Menge der Hefe auf 0,1 g gesteigert (b), ein Erfolg war nicht zu verzeichnen. Nach Zusatz von Cystin (ce) stieg das Körpergewicht etwas an. Diese Versuchsperiode dauerte 20 Tage. In dieser Periode war die Hefe- menge wieder auf 0,05 g herabgesetzt worden. Schließlich erhielt das Versuchstier die übliche Bausteinnahrung und 0,1 & Hefe. Nunmehr stieg das Körpergewicht ganz erheblich an. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 223 Ratte IV, 4 Monate alt, erhielt das übliche Bausteingemisch plus 0,1 g Hefe. Das Körpergewicht stieg während der 17 Tage umfassenden Periode ganz erheblich an. Nun wurde aus der Nahrung das C'ystin weggelassen. Es wurde seinem Stick- stoffgehalt entsprechend durch Serin ersetzt. Das Körpergewicht fiel. Nunmehr wurde Cystin der Nahrung wieder zugesetzt (c) und gleichzeitig das gesamte Gly- kokoll und Alanin dem Stickstoffgehalt beider Aminosäuren entsprechend durch Leuein ersetzt. Das Körpergewicht blieb bis zum 14. Versuchstage fast auf gleicher Höhe, um dann allmählich herabzugehen. Wie dieser Abfall des Körpergewichtes zu erklären ist, muß dahin gestellt-bleiben, weil das Versuchstier am 44. Versuchs- tage die Aufnahme der Nahrung verweigerte. Es wurde von da ab zwangsweise gefüttert. Es sträubte sich sehr. Es ließ sich nicht vermeiden, daß die Nahrung nicht vollständig zur Aufnahme kam. Das Versuchstier erhielt dann (d) die doppelte Menge Hefe und gleichzeitig 0,1 g Butter. Das Körpergewicht stieg dann rasch an. Ratte V, 6 Monate alt, erhielt zunächst 9 Tage lang die Bausteinnahrung («) plus 0,05 g Hefe. Dann wurde an Stelle von Norleuein und Isoleucin gewöhnliches Leucin gegeben, und zwar während 9 Tagen. Das Körpergewicht hielt sich an- nähernd auf gleicher Höhe. Nunmehr wurde das gesamte Leucin aus der Nahrung fortgelassen und entsprechend der Stickstoffmenge durch Alanin ersetzt. Das Körpergewicht fiel langsam ab. Nach Zusatz von Leucin (ec) hielt sich das Körper- gewicht annähernd auf gleicher Höhe. Es wurde dann (d) die Menge der Hefe auf die Hälfte reduziert. Das Körpergewicht sank zunächst steil ab, um sich aber dann 7 Tage lang auf annähernd gleicher Höhe zu halten. Nunmehr (e) wurde 0,1 g Butter der Nahrung hinzugefügt. Das Körpergewicht stieg ganz beträchtlich an. Ratte VI, 2 Monate alt, erhielt während 10 Tagen die Bausteinnahrung plus 0,05 g Hefe. Nunmehr wurde (a) C'ystin aus der Nahrung fortgelassen und durch Serin ersetzt. Das Körpergewicht fiel ab. Jetzt wurde der Nahrung (b) 0,1 g Cystin hinzugefügt. Das Körpergewicht stieg etwas an. Die Menge des Cystins (c) wurde nunmehr auf 0,5 g gesteigert. Nunmehr zeigte die junge Ratte lebhaftes Wachstum. Abbildung 4. Ratte VII, 5 Monate alt, erhielt zunächst 11 Tage lang das übliche Baustein- gemisch plus 0,05 & Hefe. Es wurde dann die Gesamtmenge von Lysin und Ar- Gramm 220 7 5 9 13 m 21 25 29 33 37 41 W 49 53 537 61 65 69 73 77 81 85 89 Abb. 4. . Tage ginin (a) aus der Nahrung fortgelassen und dem Stickstoffgehalt entsprechend durch Histidin ersetzt. Das Körpergewicht fiel langsam ab. Nach Zugabe der beiden fortgenommenen Aminosäuren unter Weglassung jener Menge Histidin 224 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis die für die erwähnten Aminosäuren gegeben worden war, hielt sich das Körper- gewicht auf der gleichen Höhe. Es wurde dann (c) das Lysin weggelassen und seiner Stickstoffmenge entsprechend durch Arsinin ersetzt. Das Körpergewicht fiel langsam ab. Es hielt sich wieder (d) auf gleicher Höhe, nachdem Lysin der Nahrung wieder zugegeben worden war. Die Wegnahme von Arginin (e) führte auch zu einer Gewichtsabnahme, die wieder aufhörte, nachdem Arginin der Nah- rung wieder zugefügt wurde. Es wurde dann (g) Alanin, Glykokoll und Aminobutter- säure aus der Nahrung fortgelassen, und dafür entsprechend der weggenommenen Stiekstoffmenge Cystin und Lysin in gleicher Menge zugefügt. Das Körpergewicht stieg ganz erheblich an. Es fiel wieder (h) ab, als das gesamte Lysin aus der Nah- rung weggelassen wurde. Ein Ersatz des Lysins hatte, entsprechend der Stickstoff- menge, durch gleiche Teile Arginin und Histidin stattgefunden. Ratte VIII, 8 Monate alt, erhielt zunächst die übliche Bausteinnahrung (x) plus 0,05 g Hefe. Es wurde dann (a) die Hefemenge auf 0,005 g herabgesetzt. Das Körpergewicht fiel nur unbedeutend ab. Nunmehr wurde (b) Histidin aus der Nahrung fortgelassen und an seiner Stelle, dem Stickstoffgehalt entsprechend, Arsinin gegeben. Das Körpergewicht fiel langsam ab, um sich (c) nach Zusatz von Histidin zur Nahrung annähernd auf gleicher Höhe zu halten. Nun wurde (d) 0,1 g Hefe verabreicht. Das Körpergewicht stieg langsam an. Ratte IX,7 Monate alt. Nach einer Periode von11 Tagen, während der die übliche Bausteinnahrung verabreicht worden war, erhielt das Versuchstier (a) eine Baustein- nahrung plus 0,05 g Hefe, in der die beiden Dicarbonsäuren, Asparaginsäure und Glutaminsäure, weggelassen und, ihrem Stickstoffgehalt entsprechend, durch Leuein ersetzt worden waren. Das Körpergewicht fiel ab, um nach Zusatz (b) der beiden Dicarbonsäuren sich auf ziemlich der gleichen Höhe zu halten. Es wurde nunmehr die doppelte Menge Hefe gegeben (c). Das Körpergewicht stieg an, um nach Fort- lassung der Hefe (d) schließlich rasch abzufallen. Schließlich sei noch erwähnt, daß eine weitere Reihe von Versuchen im Anschluß an früher mitgeteilte!) unternommen worden ist, die der Fragestellung des Ersatzes von Aminosäuren durch Abbaustufen von solchen galten. In den bereits bekanntgegebenen Versuchen ließen sich Aminosäuren durch die entsprechenden Ketosäuren + Ammoniak nicht ersetzen. Wir haben nun weiterhin versucht, das Leucin durch die entsprechende aus ihm dargestellte Oxysäure zu ersetzen. Der Versuch fiel negativ aus. Ferner wurde versucht, an Stelle von Aminosäuren die zugehörigen Amine zu verabreichen. Bei diesen Versuchen ergaben sich Schwierigkeiten, weil bei Zufuhr größerer Mengen von p-Oxyphenyl- äthylamın, Phenyläthylamin und JImidazolyläthylamın Störungen auf- traten. Es scheint aber, daß auch das aus Leucin gewonnene Amin nicht nur nicht für diese Aminosäure eintreten kann, sondern zu Ver- änderungen des Stoffwechsels führt, denn es gingen die Versuchstiere auffallend frühzeitig zugrunde. Leider genügte das zur Verfügung stehende Material nicht zu genaueren Studien. Zusammenfassung. Es gelingt mit den synthetisch dargestellten Bausteinen der zusam- mengesetzten Nahrungsstoffe, unter Hinzufügung von Mineralstoffen 1) Emil Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 96, 1. 1915. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XV. 225 und Wasser, Mäuse und Ratten einige Zeit im Körper- und Stickstoff- gleichgewicht zu erhalten. Es macht sich jedoch bald der Mangel an Nutraminen geltend. Durch Zusatz kleiner Mengen von Hefe und auch von anderen Stoffen, wie Butter, Lebertran, Rüböl, Kleie usw., läßt sich die Bausteinnahrung viel erfolgreicher durchführen. Die bei reiner Bausteinnahrung auftretenden Verluste an Körpergewicht werden durch Zusatz von ganz geringen Mengen der erwähnten Produkte nicht nur aufgehalten, vielmehr finden Körpergewichtszunahmen statt. Negativ gewesene Stickstoffbilanzen werden positiv. Sobald die nutramin- haltigen Produkte aus der Nahrung fortgelassen werden, fällt nach mehr oder weniger langer Zeit das Körpergewicht wieder ab und es treten Verluste an Stickstoff ein. Genau dieselben Ergebnisse wurden erhalten, wenn an Stelle der synthetisch dargestellten organischen Nahrungsstoffe Bausteine zur Verwendung kamen, die durch Hydrolyse aus zusammengesetzten organischen Nahrungssstoffen gewonnen und auf das sorgfältigste gereinigt worden waren. Auch bei diesen Versuchen ergab sich, daß die bisher bekannten Nahrungsstoffe nicht ausreichen, um den tierischen Organismus auf voller Höhe seiner Funktionen zu halten. Erst durch Zusatz von nutraminhaltigem Material zur Nahrung wird diese vollwertig. Bei wachsenden Tieren ergab sich, daß die Bausteinnahrung das Wachstum nicht unterhalten kann. Erst bei Zusatz von ganz geringen Mengen von Hefe bzw. von Butter usw. kam das Wachstum in Gang. Es wird gezeist, daß die Verwendung einer Nahrung, die ausschließ- lich aus reinen Bausteinen der organischen, zusammengesetzten Nah- rungsstoffe plus etwas Hefe besteht, besonders geeignet ist, die bio- logische Wertigkeit der einzelnen Aminosäuren zu prüfen. Es zeigte sich, daß, wie ja bereits mehrfach festgestellt worden ist, die Amino- säure l-Tryptophan unentbehrlich ist. Ihr Fehlen führt zu schweren Störungen. Ebenso unentbehrlich ist offenbar I-Cystin. Es kommt ihm ohne Zweifel bei wachsenden Tieren noch eine besondere Bedeutung für das Wachstum zu. Die beiden aromatischen Aminosäuren I- Tyrosin und I-Phenylalanin können sich nach unseren Erfahrungen gegenseitig ersetzen. Fehlen beide Aminosäuren in der Nahrung, dann macht sich das im Verhalten des Körpergewichtes und der Stickstoffbilanz geltend. Es können offenbar die beiden homocyclischen Aminosäuren wohl einzeln, aber nicht insgesamt entbehrt werden. Auch Lysin und Arginın sind offenbar nicht ersetzbar. Das gleiche gilt vom Histidin. Es scheint dagegen, als ob Norleuein und Isoleucin ersetzbar sind, wenn das gewöhnliche Leucin = x-Aminoisobutylessigsäure an ihrer Stelle zugeführt wird. Das Fehlen der gesamten Monoaminosäuren der Sechskohlenstoffreihe machte sich dagegen in einem Abfallen des Körpergewichtes bemerkbar. Asparagin- und Glutaminsäure sind offen- 226 E. Abderhalden: Beiträge zur Kenntnis von Nahrungsstoffen usw. bar auch nicht ersetzbar, denn es fiel das Körpergewicht beim Fehlen dieser Dicarbonsäuren ab. Es scheint dagegen, daß Glykokoll, Alanin und ferner Oxyglutaminsäure ersetzbar sind. Wir sagen ausdrücklich „scheint“, weil immerhin die Möglichkeit besteht, daß bei Versuchen, die sich über eine noch längere Zeit erstrecken, als wir die Beobachtung ausdehnen konnten, sich doch noch Erscheinungen zeigen könnten, die mit dem Fehlen der genannten Aminosäuren in Verbindung stehen. Bei den erwähnten drei Aminosäuren kann man sich allerdings einen Ersatz leicht vorstellen. Vom Glykokoll wissen wir ganz bestimmt, daß es neu gebildet werden kann. Man wird immer nur dann von einer besonderen Bedeutung eines Eiweißbausteines sprechen können, wenn sein Fehlen in der Nahrung Störungen verursacht, die sich durch Hinzufügen des fehlenden Bausteines beheben lassen. Das Fehlen der Purin- und Pyrimidinbasen und von Cholesterin in der Nahrung machte sich nicht bemerkbar. Es kann dies zum Teil daran gelegen haben, daß die Beobachtungszeiten zu kurz waren. Erst langfristige, Monate umfassende Versuche vermöchten wohl über die Bedeutung der einzelnen Bausteine der Nukleinsäuren für den Zellstoffwechsel Auskunft zu geben. Ebenso darf nicht aus unseren Versuchen ohne weiteres auf die Entbehrlichkeit des Cholesterins ge- schlossen werden. Hervorgehoben sei noch, das Ratten und Mäuse, die bei Fort- lassung von COystin aus der Nahrung unter Erscheinungen alimentärer Dystrophie zugrunde gegangen waren, in ihren Geweben und insbe- sondere in der Leber und den Muskeln nur eine ganz auffallend schwache COysteinreaktion mit Nitroprussidnatrium und Ammoniak bzw. Oyankalium gaben. Die Anwendung von Cyankalium macht die Re- aktion besonders empfindlich und haltbarer. Der Befund der Herab- setzung des Cysteingehaltes von Zellen ist in Hinsicht auf den Be- fund!) eines bei den Zelloxydationsvorgängen offenbar eine ausschlag- sebende Rolle spielenden, aus Cystein und Glutaminsäure bestehenden Körpers, besonders bedeutungsvoll. Bei Mangel an Cystin in der Nahrung leidet offenbar die Bildung der genannten Substanz und dadurch wird auch die Zellatmung in Mitleidenschaft gezogen. 1) F. @. Hopkins: The biochem. J. 15. 286. 1921. Studien über den Geotropismus von Paramäecium aurelia. Von I. George Schaefer, Buesum (Nordsee). Mit 8 Textabbildungen. (Eingegangen am 3. März 1922.) Inhalt : I. Teil (S. 227) a) Einleitung und Problemstellung (S. 227) b) Methodik (S. 228) II. Teil (S. 229) _ a) Interferenz des Geotropismus mit andern Tropismen (S. 229) b) Umstimmungsfaktoren und ihr Einfluß auf die Schwimmgeschwindig- keit (S. 231) III. Teil (S. 238) &) Zur Theorie des Geotropismus (S. 238) b) Zusammenfassung und Schluß (S. 243) Einleitung. Mit den geotropischen Richtungsbewegungen der Protisten beschäf- tigten sich als erste im Zusammenhange die Untersuchungen Jensens!). Er wies bei Paramäcien den negativen Geotropismus nach. Bald darauf machte Sosnowski?) die Beobachtung, daß unter bestimmten Bedin- gungen auch positiv geotropische Erscheinungen bei Paramäcien zustande kommen können. Es gelang ihm, durch Erschütterung negativ geotropischer Ansammlungen, also durch mechanische Reizung eine Umwandlung des negativen in den positiven Geotropismus zu erzielen. Dasselbe erreichte er durch Einwirkung hoher ‚Temperaturen. Ge- nauere Temperaturangaben fehlen jedoch. Auch der Einfluß ver- schiedener chemischer Stoffe führte eine Umstimmung herbei. Da Sosnowski bestrebt war, bei seinen Versuchen Interferenzwirkung anderer richtender Reize möglichst auszuschalten, so glaubte er bewiesen zu haben, daß unter den angegebenen Bedingungen tatsächlich eine Umstimmung des negativen Geotropismus vorliege. 1903 beschäftigte sich Anne Moore?) anscheinend unabhängig von den Beobachtungen 1) P. Jensen, Über den Geotropismus niederer Organismen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 53. 1893. ®) I. Sosnowski, Studya nad zmiennoscia geotropizmu u Paramäcium aurelia Bull. internat. de l’acad. des sciences de Cravovie. Mars. 1899. 2) Anne Moore, Some facts concerning geotropie gatherings of Paramecia. Amerie. Journ. of physioi. 9. 1903. 228 George Schaefer : Lo] Sosnowskis mit den Umstimmungsfaktoren. Sie stellte fest, daß der negative Geotropismus bei einer Temperatur von 26—28° bestehen bleibt, die geotropische Ansammlung sogar beschleunigt wird. Eine Umstimmung erreichte sie dagegen durch Temperaturerniedrisung bis 1° und durch mechanische Reize, die aber sehr schnell vorüberging. Problemstellung. Es lag nun nahe, zu untersuchen, ob wirklich bei Paramäcien unter den angegebenen Bedingungen ein positiver Geo- tropismus, also die aktive Bewegung in der Richtung der Schwerkraft zum Erdmittelpunkt hin zustande kommt, oder ob diese Faktoren den lokomotorischen Wimperapparat so beeinflussen (erregend oder lähmend ?), daß ein negativer Geotropismus unmöglich wird. Jensen. streifte diese Frage nach den Veränderungen, die das Zustandekommen des negativen Geotropismus vereiteln könnten, indem er schrieb!): ...so könnte etwa eine herabgesetzte Energie der Wimperbewegung, bei welcher die Tiere auf die Dauer ihre Körperschwere nicht zu über- winden vermöchten, ein langsames Absinken zur Folge haben.‘‘ Diese von Jensen angedeutete Möglichkeit könnte bei Umstimmungsfaktoren realisiert sein. In diesem Falle gäbe es nur eine scheinbare Umstimmung. Wie verhält sich also die Energie der Flimmerbewegung zu den Er- scheinungen des Geotropismus ? Die vorliegende Arbeit wurde im Jahre 1918/19 im Physiologischen Institut Bonn ausgeführt. Ich möchte es nicht unterlassen auch an dieser Stelle meinem hochverehrten Lehrer Herrn Prof. Max Verworn für die Anregung zu diesem Problem sowie für seine Ratschläge sowohl metho- discher wie wissenschaftlicher Art, die erst die Ausführung der Arbeit sowie deren Resultate ermöglichten, meinen Dank auszusprechen. Methodik. Um die Intensität der Cilienbewegung hinsichtlich ihres locomotorischen Fffekts quantitativ festzustellen, wurde die galvanotaktische Schwimmgeschwin- digkeit bestimmt. Dieser Methode bediente sich Nagai?) in seiner Untersuchung über die erregende und lähmende Wirkung der Narkotica auf Paramäcien. Nagat. brachte ein einzelnes Paramäcium in ein schmales Objektträgerkästchen für gal- vanische Reizung, an dessen Seite, parallel der Schwimmbahn des Tieres, eine: Millimeterskala angebracht war. Er verfolgte das Infusor mit der Lupe und stellte die Schwimmgeschwindiskeit nach den Schlägen eines Metronoms fest, das halbe Sekunden angab. Im Prinzip benutzte ich diese Methode, die Einzel- heiten jedoch mit einigen Variationen. Die Paramäcien wurden in einem Verwornschen Objektträgerkästchen, dessen Länge 2 cm, dessen Breite !/, cm betrug, mikroskopisch beobachtet. Benutzt wurde Zeiss Okular 2 und Objektiv A, dessen untere Linse abgeschraubt war. Die Ver- größerung war so gewählt, daß das Gesichtsfeld gerade 4 mm Durchmesser hatte. Alle Zeitbestimmungen beziehen sich auf einen Weg von 4 mm. In den Strom- 1) Jensen, 1. c. 8. 440. 2) Nagai, H. Der Einfluß verschiedener Narkotica, Gase und Salze auf die Schwimmgeschwindigkeit von Paramäcien. Zeitschr. f. allg. Physiol. 6. 1907. Studien über den Geotropismus von Paramäcium aurelia. 229 kreis von drei Akkumulatorenzellen waren eingeschaltet eine Pohlsche Wippe, ein Widerstand, ein Quecksilberschlüssel und ein paar unpolarisierbare Pinsel- elektroden mit Durchspülung. Letztere Maßnahme war notwendig, da bei einer längeren Versuchsreihe immer Spuren von Zinksulfat in die Pinsel diffundieren, gegen die Paramäcien sehr empfindlich sind und die daher bei der Schwimm- geschwindigkeitsbestimmung zu Fehlerquellen Anlaß geben. Auch der Gebrauch von Elektroden angebracht, die einen konstanten Widerstand gewährleisteten. Aus der Kombination der ur- sprünglichen Tonstiefelelek- trode mit der Pinselelek- trode erhielt ich eine ver- hältnismäßig brauchbare Form (Abk. 1). In ein Glasrohr A von etwa 6cm Länge und 1!/,cm Durchmesser wird oben, wie gewöhnlich, durch einen Kor- ken ein Zinkstab mit Klemme gesteckt. Unten war mit Pa- raffin eine Tonleiste Zi ein- gekittet, so daß sie mit einem Ende in der Glasröhre sich befand, mit dem anderen aus dem Paraffinpfropf her- ausragte. Die Elektrode wird mit Zinksulfatlösung, in der Gelatine aufgelöst ist, gefüllt. Dann wird A in ein zweites, passendes Glasrohr geschoben, an dem seitlich ein Zufluß und Abfluß angebracht und in dessen sich verjüngendes Ende ein Pinsel eingeklemmt ist (5). Die Füllung und Durchspülung von B geschieht mit Wasser oder physiologischer NaCl-Lösung. Bei Nichtgebrauch entfernte ich die Flüssigkeit aus B und drehte die Elektrode um, so daß die Tonleiste nach oben kam. Die Elektroden werden mit einer Klemme an den Stativen für unpolarisierbare Elektroden angebracht. Eine genauere Zeitbestimmung suchte ich zu erreichen auf dem Kymogra- phion durch Registration mittels eines Jaquetschen Chronographen und einer Stimmgabel mit 50 Schwingungen. Es wurden immer mehrere Paramäcien in das Tonkästchen gebracht und von mehreren Individuen hintereinander die Schwimm- geschwindigkeit bestimmt. Trat ein Tier in das Gesichtsfeld, so markierte ich den Augenblick mit einem Deprezschen Signal über der Zeitschreibung auf dem Kymo- graphion. Der Stromkreis des Signals blieb so lange geschlossen, bis das Tier die 4 mm lange Strecke durchschwommen hatte. Dann wurde die Wippe mehrmals umgelest, und die Zeiten verglichen. I. Teil. a) Interferenz des Geotropismus mit anderen Tropismen. Als Faktoren, die bei Paramäcien einen positiven Geotropismus vortäuschen können, kommen der Ohemotropismus und Thermotropismus in Betracht. Eine scharf begrenzte Ansammlung am Boden (wie über- haupt im Reagenzglas) ist verdächtig und typisch für den Chemo- tropismus. Ich stellte die Schwimmgeschwindigkeit von Paramäcien 230 George Schaefer: aus einem Reagensglase mit scheinbar positiv geotropischer Ansamm- lung fest; sie war normal. (Die normale Geschwindigkeit beträgt nach ungefähr 50 graphisch ausgeführten Bestimmungen bei den angegebenen Versuchsbedingungen 2,56 Sekunden für 4mm.) Dann brachte ich negativ geotropische Paramäcien aus einem anderen Glase hinzu. Nach einer halben Stunde hatten sich die vorher negativ geotropischen zu den übrigen Tieren am Boden angesammelt, infolge der chemotropischen Wirkung der Kulturflüssigkeit, die wohl hauptsächlich durch die von den Paramäcien ausgeschiedene Kohlensäure bedingt ist. Durch ab- wechselndes Überschichten der Kulturflüssigkeit mit kohlensäure- haltigem Wasser kann man künstlich die oft spontan eintretenden Ansammlungen hervorrufen. Eine weitere Erscheinung des Chemo- tropismus kann man beobachten, wenn in einem Glasrohr auf die Kultur- flüssigkeit vorsichtig Wasser geschichtet wird, so daß eine möglichst scharfe Grenze entsteht. Infolge der großen Konzentrationsdifferenz bleibt der negative Geotropismus lange Zeit aus, bis eine Diffusion eingetreten ist. Spirostomum ist nach Jensen negativ geotropisch. Aber dieses Infusor hält sich vorwiegend am Boden auf, im Schlamm verkrochen. Jensen schrieb diese Vernichtung des geotropischen Effekts dem Chemotropismus (Trophotropismus) nach Bakterien und Algen zu, die sich am Boden aufhalten. Pütters!) Untersuchungen haben gezeigt, daß schon der Sauerstoffgehalt der Luft schädlich auf Spirostomum einwirkt. Der interferierende Reiz wäre also ein negativer Chemo- tropismus gegen Sauerstoff, infolgedessen sich diese Infusorien immer am Boden befinden, der also den negativen Geotropismus aufhebt. Analoges haben wir bei der interferierenden Wirkung des Thermo- tropismus. Gegen Temperaturen bis 28° verhalten sich Paramäcien positiv thermotropisch [Mendelssohn?)]. Besteht nun am Boden des Reagensglases eine um wenige Grade höhere Temperatur, so sammeln sich die Paramäcien dort an. Stellt man die Schwimmgeschwindigkeit fest, so bekommt man einen normalen Wert oder einen größeren infolge der Erregbarkeitserhöhung durch die Wärme. Für manche Protozoen kommt als interferierender Faktor noch der Heliotropismus in Betracht. Z. B. bei der flagellaten Alge Euglena kommt der negative Geotropismus nur zustande bei einer Lichtinten- sität, bei welcher sie nicht mehr heliotropisch gereizt wird. Aus den mannigfachen Interferenzwirkungen, die das Bild des Geo- tropismus verwischen, scheint hervorzugehen, daß der Schwerkraftreiz nur sehr schwach auf die niederen Organismen einwirkt. 1) A. Pütier, Die Wirkung erhöhter Sauerstoffspannung auf die lebendige Substanz. Zeitschr. f. allg. Physiol. 3. 1904. 2) M. Mendelssohn, Über den Thermotropismus einzelliger Organismen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 60. 1895. Studien über den Geotropismus von Paramaecium aurelia. 231 b) Umstimmungsfaktoren und ihr Einfluß auf die Schwimmgeschwindigkeit. Die Umstimmung des negativen Geotropismus wurde von den in der Einleitung erwähnten Autoren erreicht durch Temperaturänderung und mechanische Reize. Was die Anwendung hoher Temperaturen (Sosnowski) anbetrifft, so wird man hierbei von vornherein vermuten dürfen, daß es sich um eine Wärmelähmung der Cilien handelt. Eine Nachprüfung durch Schwimmgeschwindigkeitsbestimmungen konnte nicht ausgeführt werden, da Sosnowski, wie schon erwähnt, keine Temperaturangaben macht. Sicher ist, daß eine Temperatur bis 30° den negativen Geotropismus nicht beeinflußt. Erst bei 38° konnte ich bei meinen Versuchen eine Wärmelähmung und eine Ansammlung am Boden des Reagensglases beobachten. Mäßige Temperaturerhöhung bewirkt, daß durch die Schwimm- geschwindigkeitssteigerung der negative Geotropismus beschleunigt wird. Nach Messung betrug diese 1,5 : 1,8 - 2. Moore!) beschreibt folgende Beobachtung, die ich allerdings bei meinen Versuchen nicht bestätigt fand. ‚... Einige Röhrchen ließ man 3 Stunden lang in einem Thermo- staten bei einer Temperatur von 26—28°. Die Paramäcien sammelten sich, oben in dichten Haufen. Als man aus dem Thermostaten wieder auf Zimmertemperatur brachte, strömten sie sofort nach dem Boden hin. Sie wurden wieder in den Brutschrank gebracht und blieben dort über Nacht. Am nächsten Morgen fand man sie oben am Rand, als sie aber herausgenommen wurden, schwammen sie wieder nach unten... (in Übersetzung). Wie gesagt, bleibt die negativ geotropische Ansamm- lung bestehen, wenn die Reagensgläschen vorsichtig herausgenommen werden und man Erschütterungen vermeidet. Der Wechsel der Tem- peratur ist hierbei ganz ohne Einfluß. Daß durch eine Erschütterung die geotropische Ansammlung verwischt wird, ist ohne weiteres ver- ständlich. Aber durch solch einen mechnischen Reiz eine länger an- haltende positiv geotropische Erscheinung herbeizuführen, gelang mir nicht. Daß Paramäcien sich an höhere Temperaturen gewöhnen, bemerkte Mendelssohn?). In seiner Versuchsanordnung (Ebonitwanne, in der sich durch Heizröhren ein Temperaturgefälle herstellen läßt, das eine Differenz von 24—36° aufweist) sammeln sich die Paramäcien infolge ihres Thermotropismus an einer Stelle an, wo die Temperatur 24—28° beträgt, diese entspricht ihrem Optimum. Bringt man darauf die Versuchstiere 4—6 Stunden in eine Temperatur von 36—38°, so kann man sehen, wenn sie wieder wie vorhin in ein Temperaturgefälle von 24—36° gebracht werden, daß die Paramäcien sich nicht bei ihrem ursprünglichen Temperaturoptimum (24—28°) ansammeln, sondern Liege: 2) Mendelssohn, Über den Thermotropismus einzelliger Organismen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 60. 1895. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 16 232 George Schaefer: „es sammelt sich der Teil, der sich auf der kühleren Seite befindet, an einer Stelle, die etwa der Temperatur von 30—32° entspricht, die- jenigen Individuen aber, die in dem Ende waren, wo die Temperatur 36° beträgt, bleiben dort und zeigen keinen Thermotropismus. Die Temperatur von 36° liegt für sie jetzt ın den Grenzen des Optimums‘““. „Dieser Versuch zeigt mit großer Klarheit den Einfluß der An- passungsfähigkeit auf den Thermotropismus der Paramäcien. Dieselben können sich an gewisse Temperaturen so gut gewöhnen, daß das Opti- mum verschoben wird“ (Abb. 2). Im Anschluß daran fand Mendelssohn, daß die Geschwindigkeit des Tempe- raturanstieges von Bedeutung ist. Es ist wichtig, ob die Paramäcien plötzlich. oder langsam erwärmt werden. Die Wirkungen bezüglich der Verschiebung des Optimums sind in beiden Fällen nicht dieselben. „Das Optimum kann nämlich bei sehr langsamer Erwärmung im gegebenen Falle höher liegen als bei schneller Abb. 2. Parmamaecien in Mendelsohnscher,Versuchsanordnung. a) Vor Erwärmen auf 36 °C, b) nach Erwärmen. Erwärmung, weil sich im ersten Fall bereits eine Gewöhnung an die höhere Tem- peratur bemerkbar macht.“ Ich erwähne diese Beobachtungen, die streng genommen nichts mit den Tropismen zu tun haben, nur, weil T’hörner!) im hiesigen Laboratorium Analoges beim Kaltblüternerven gefunden hat. Es entwickelt sich unter dem Einfluß hoher Temperaturen beim Nerven eine Anpassung an dieselbe. „Läßt man mehrere Erwärmungen mit eingeschalteten Abkühlungszeiten zwecks Erholung hinter- einander folgen, so sieht man, daß jede folgende Wärmelähmung bei einer etwas höheren Temperatur eintritt. Und zwar ist der Temperaturunterschied zwischen erster und zweiter Wärmelähmung größer als der zwischen zweiter und dritter, und nimmt mit jeder folgenden weiter ab. Daraus ergibt sich schon, daß dieser Erscheinung eine Grenze gesetzt ist. In günstigsten Fällen läßt sich durch vier bis sechs aufeinanderfolgende Erwärmungen die Temperatur für den Leitfähig- keitsverlust um 3° empordrücken. Es muß jedoch eine hohe Temperatur gewählt werden und ein bestimmter tiefer Grad der Wärmelähmung entstanden sein, damit eine Gewöhnung deutlich resultiert. Am geeignetsten ist daher die Tem- peratur, die zwischen reversibler Wärmelähmung und irreversibler Wärmelähmung, dem Wärmetod, liest. Ganz ebenso, wie bei der Mendelssohnschen Beobachtung u j ! 1) W. Thörner, Untersuchungen über Wärmeerresung und Wärmelähmüng, in dem Erscheinungskomplex der Gewöhnung bei der letzteren. “Zeitschr. f. allg. Physiol. 18. 1918. Studien über den Geotropismus von Paramaecium aurelia. 233 an der einzelnen Zelle, ist beim Nerven die Schnelligkeit des Temperaturanstieges von Bedeutung, wie T'hörner zeigte. Schwache Frösche, besonders Frühjahrs- frösche, die eine relativ geringe Erregbarkeit aufweisen, sind gegen höhere Tem- peraturen wenig, widerstandsfähig. Ihre Nerven verlieren die Leitfähigkeit bei langsamer Erwärmung, 1° in 2-3 Minuten, schon bei einer etwa 1/,—1° niedri- seren Temperatur, als bei einem schnelleren Temperaturanstieg von 1° in 1/,—1 Mi- nute. Dies erscheint durchaus verständlich, da in dem ersten Falle die hohe Tem- peratur längere Zeit einwirkt. Anders verhalten sich die kräftigeren Herbst- und Winterkaltfrösche. Ihre Nerven verhalten sich umgekehrt, sie verlieren ihre Leit- fähigkeit bei langsamer Erwärmung erst bei einer höheren Temperatur als bei schnellerer. Der Grund hierfür liegt eben darin, daß sich im widerstandsfähigen Nerven bei langsamer Erwärmung bereits eine Gewöhnung an die hohe Tem- peratur bemerkbar macht, und daher der Leitfähigkeitsverlust später eintritt. Vor kurzem gelang es mir, auch bei Medusen ein ganz analoges Verhalten fest- zustellen!). Diese Erscheinungen zeigen deutlich die Anpassungsfähigkeit der lebendigen Substanz an die Wärme, wenn auch Mendelssohn nicht die absolute Anpassungs- fähigkeit der Paramäcien, sondern nur den Zusammenhang von Anpassung und Thermotropismus untersuchte. Er versuchte keine Erklärung seiner Beobachtung. Thörner führt die Gewöhnung auf eine der während Wärmelähmung entstehende und nachher bestehen bleibende Herabsetzung des Sauerstoffbedürfnisses im Nerven zurück, Dagegen tritt die Wirkung der Temperaturerniedrigung beim negativen Geotropismus sehr prompt ein. Mehrere Reagensgläser mit stark negativ geotropischen Paramäcien wurden in eine Einmischung von 1° gestellt. In wenigen Minuten hatten die Tiere sich am Boden der Röhrchen angesammelt. Dort blieben sie so lange, bis sie wieder in Zimmer- temperatur gebracht wurden. Erniedrigte ich die Temperatur noch mehr, ungefähr bis zu —15° und ließ die Paramäcien teilweise einfrieren, so beobachtete ich nach Auftauen bei Zimmertemperatur 2 Ansamm- lungen, eine negativ geotropische und eine am Boden des Glases. Auf- fallend ist die Widerstandsfähigkeit gegen Kälte und Einfrieren bei Paramäcien. Als Temperatur, die nötig war, um eben noch eine Ansamm- lung am Boden zu veranlassen, fand ich 4!/,° bei einer Stunde Wirkungs- dauer, während bei 3° nur 15—20 Minuten, bei 2° 10 Minuten, bei 1° 8, höchstens 10 Minuten, bei —2° 3 Minuten, bei 0° 5 Minuten erforderlich waren. Es stellt sich die Abhängigkeit des Geotropismus von der Tem- peratur nicht in Form einer geraden, sondern einer logarithmischen Kurve dar (Abb. 3). Diese Beobachtung illustriert die Beziehung zwischen Dauer und Intensität des Reizes, der in unserem Falle durch Lähmung (wie wir später sehen) den nega- tiven Geotropismus zum Verschwinden brinst. Wird die Intensität herabgesetzt, so muß die Dauer der Einwirkung entsprechend verlängert werden, damit stets das gleiche Produkt entsteht, d. h. die gleiche Kältemenge, die eben gerade die Schwimmgeschwindigkeit so beeinflußt, daß ein positiv geotropischer Effekt resultiert. 1) 7. G. Schaefer, Untersuchungen an Medusen. I. Teil. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 188. 1921. I62 234 George Schaefer: Sie bildet den Schwellenreiz für den positiven Geotropismus. Mathematisch .dar- gestellt, ist dieses Verhältnis von Reizintensität und Reizdauer, wenn in ein Ko. MB 1. |]. aus Sg Be BED REN > on 0 20 30 40 :50 60 Minuten —> Abb. 3. 708090700 ordinatensystem die Zeitdauer als Ordinaten, die Intensität als Abszisse einge- tragen wird, eine Kurve von der Form (2 y = konstant, eine Hyperbel). Dieses von Froeschel!) formulierte Hyperbelgesetz: ‚„‚Gleiche Energiemengen rufen gleiche Reizadauer — > DES ERZOEEREO Abb. 4. Erregungen hervor“, ist zuerst von diesem an tropistischen Rei- zen geprüft worden. Er zeigte an der heliotrophischen Krümmung des Stengelgliedes von Lepidium sativum, daß das Produkt aus Lichtintensität und Belichtungs- dauer konstant ist. Bach?) be- stätigte dieses Gesetz für das Produkt der Werte von Intensität und Dauer der Zentrifugalkraft, die zur Erzeugung der gleichen geotropischen Krümmung bei der Pflanze erforderlich war. Die Kurve, wie sie die Abhängigkeit des positiven Geotropismus von Kältemenge und Einwirkungs- dauer ergibt, ist folgendermaßen (Abb. 4). Wie schon gesagt, werden die Paramäcien bei normaler Temperatur wieder negativ geotropisch, bei höherer desto schneller. Die Versuche, 1) Paul Froeschel, Über allgemeine, im Tier- und Pflanzenreich geltende Ge- setze der Reizphysiologie. Zeitschr. f. allg. Physiol. 11. 1910. (E23; ?) H. Bach, Jahresber. f. wissenschaftl. Botanik 44. 1907. Studien über den Geotropismus von Paramaecium aurelia. 235 in denen ich festzustellen versuchte, ob die Zeit, welche zum Zustande- kommen des negativen Geotropismus hierbei nötig ist, in einem ähn- lichen Verhältnis zur Temperaturerhöhung steht, wie sie bei der Um- stimmung zur Temperaturerniedrigung sich verhält, führten zu keinem eindeutigen Ergebnis. Jedoch halte ich diese Annahme für wahrschein- lich. Nach vorheriger Abkühlung ist die Empfindlichkeit für thermo- tropische Reize sehr gesteigert. Als ich die Schwimmgeschwindigkeit der dunch Kälte umgestimmten Paramäcien feststellte, ergab sich, daß diese enorm verlangsamt war und zwar je nach dem Grade der Abkühlung: 3, 4, 4,5, 5 Sekunden. Fanden sich in einem Reagensglase zwei entgegengesetzt geotropische Ansamm- lungen, so war die Schwimmgeschwindigkeit der negativ geotropischen größer als die der anderen, niemals langsamer als 3 Sekunden. Der Objektträger wurde während der Schwimmgeschwindigkeitsbestim- mungen in eine kleine Schale gestellt, die mit Einmischung gefüllt war, um die Temperatur beim Versuche konstant zu halten. Durch mechanische Reizung (Schütteln usw.) konnte ich keine Umstimmung erzielen. Zentrifugieren bewirkt, daß die geotropische Reaktion (negative) um so schneller eintritt. Bei zentrifugierten Para- mäcien konnte ich durchweg eine Schwimmgeschwindigkeitserhöhung konstatieren, sie betrug 1,8, 2, 2,2. Unmittelbar nach dem Zentrifugieren kann man sehr deutlich die Achsenrichtung der Tiere beim Aufwärts- schwimmen und ihre Orientierung in Richtung der Schwerkraft be- obachten. Trotzdem kam A. Moore!) zu der unverständlichen Annahme: . the gathering at the top seemed not always to be the direct effect of an orientation ... .“ Einen weiteren Umstimmungsfaktor fand Moore in der Entziehung der Nahrung. Sie ließ Paramäcien mehrere Tage in destilliertem Wasser stehen und beobachtete regelmäßig eine Ansammlung am Boden des Reagensglases. Sie schloß hieraus, daß the sense of geotropism differs in Paramecia, when deprived of food and when food is supplied in abundance. Die natürliche Annahme, daß durch den Hunger der Organismus geschädigt wird und so die Flimmerkraft zu gering ist, analog der Kältelähmung, ließ sich leicht bestätigen. Die Schwimm- geschwindigkeit betrug je nach dem Inanitionszustande 3,5, 4, 4,5, 4,8, 5, 5,5. Um gleichsam die Probe darauf zu machen, daß mit verminderter Wimpertätigkeit auch der negative Geotropismus sich verliert, wurde die Flimmerbewegung durch Narkotica beeinflußt. Am geeignetsten hierzu ist Alkohol (Äther und Chloroform lassen sich wegen der geringen Löslichkeit in Wasser schlecht anwenden). Erst in einer 3 proz. alko- holischen Lösung sammelten die Paramäcien sich in 15 Minuten am 1) .c., 8.238. 236 George Schaefer: Boden an, während die Konzentrationen, die Nagai zur Beschleunigung der Wimpertätigkeit angab, keinen Einfluß auf den negativen Geo- tropismus hatten. Die Schwimmgeschwindiskeit betrug bei einer Kon- zentration von 3% 3,5, 4, 4,8, 5, 5,8, 6,0. Diese Umstimmung ist bei einer nicht letalen Konzentration sofort reversibele Da die positiv geotropischen Paramäcien sich am Boden des Reagensglases befinden, kann man leicht mit der Pipette die obenstehende alkoholhaltige Flüssig- keit abnehmen und neues Wasser oder filtrierte Kulturflüssigkeit zugießen. In kurzer Zeit bilden die Tiere wieder eine negativ geotropische Ansammlung. Auch bei der Alkoholnarkose läßt sich dieselbe Beziehung zwischen Reizintensität und Reizdauer feststellen wie bei der Kältelähmung. In bezug auf die Muskelfaser ist es Verzar!) gelungen, das Verhältnis von Konzentration des Narkoticums und der Zeit der Einwirkung zahlenmäßig zu belegen. In einfach normalem Alkohol verliert ein Froschmuskel seine Erregbarkeit in 15 Minuten. Dasselbe erreicht man mit wenig schwächerem 3/,n-Äthylalkohol erst in 2 Stunden. In !/,n-Äthylalkohol erhält sich die Erregbarkeit über 14 Stunden, in Y/,n-, !/,n-, Y,sn-Konzentration 24—36 Stunden. An Paramäcien stellte Nagaı?2) fest, daß die durch Alkohol hervor- gerufene Lähmung mit der Steigerung der Konzentration nicht gleichen Schritt hält. Bis zu einem gewissen Stadium geschieht dies sehr langsam dann tritt plötzlich eine hochgradige Lähmung ein. Aus dem zweiten Teil unserer Untersuchung ergibt sich, daß ein enges Verhältnis besteht zwischen dem Geotropismus und dem Erreg- barkeitszustande der Paramäcien, so daß die Behauptung A. Moores, die geotropische Reaktion sei independent of active swimming?) abzu- lehnen ist. Das aktive swimming ist die erste Bedingung für das Zu- standekommen des negativen Geotropismus. Im folgenden sind die Schwimmgeschwindigkeiten nochmalzu einer Tabelle (S. 327) zusammen- gestellt. Welche Faktoren auch immer den Erregbarkeitszustand, dessen Aus- druck die Schwimmgeschwindigkeit ist, beeinflussen mögen, sie wirken gleich auf die Richtung des Geotropismus, wenn sie an Intensität übereinstimmen. Wird die Schwimmgeschwindigkeit kleiner, so muß folglich, da der Reibungswiderstand gleich bleibt, die absolute Kraft des Paramäciums kleiner werden, sie wird durch die Umstimmungsfaktoren reduziert. Die absolute Kraft hat Jensen!) zu 0,00158 mg berechnet. Er hatte 2) F. Verzar, Über die Wirkung von Methyl und Äthylalkohol auf die Muskel- faser. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 128. 1909. ?) H. Nagai, Der Einfluß verschiedener Narkotica, Gase und Salze auf die Schwimmgeschwindigkeit von Paramäcien. Zeitschr. f. allg. Physiol. 6. 1907. 3) 1. c., 8.239. *) P. Jensen, Die absolute Kraft einer Flimmerzelle. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 54. 1893. Studien über den Geotropismus von Paramaecium aurelia. 237 mit Hilfe der Zentrifugalmaschine die von dem Wimperapparat zu bewegende Last soweit gesteigert, bis die Steigerung der lokomotorischen Kraft das Gleichgewicht hielt. Denn infolge des Zentrotropismus (wel- cher dem negativen Geotropismus identisch ist) haben die Paramäcien | Negativ geotropisch Positiv geotropisch 1 1 normal 21)|2,5 12,813 | | 2 mechan. Reiz. 1,8 FAIRE DIR Erregung 4 3 Wärmereiz 15189 | 455/556 4 Narkose a = 3.5 |4 4,8.5,5,816 Lähmung 5 Kältereiz 3 3,8 | 41 4,5 4,8 5| 5,5 6 Inanition 3.5 |41 4,5 14,815] 5,5. 7 chem. Reiz. | | 13,5 | 4] 4,5 |5| 6 (Veratrin usw.) | | | > | das Bestreben, der Zentrifugalkraft (Schwerkraft) entgegenzuschwimmen. Ist diese Kraft gering, so gelangen die Tiere mit Hilfe ihrer lokomoto- rischen Kraft zum Zentrum, ist sie groß, so werden sie passiv zur Peri- pherie der Zentrifugalscheibe geschleudert. Kompensieren sich dagegen lokomotorische und Zentrifugalkraft, so bleiben die Paramäcien in der Mitte des Gläschens. Die erforderliche Zentrifugalkraft entspricht der absoluten Kraft, die jener das Gleichgewicht hält. Durch Berechnung dieser Kraft nach der Formel we DRIN 2 ergab sich als Resultat 4 - 3,142 - 80 - 0,000175 k‘ — Ä — 0,00141 me + 0,00017 9810 - 0,2? (Addition des nach Archimedes Prinzip reduzierten Gewichtes des . Paramäcienkörpers) — 0,00158 mg. Dieser Wert scheint zu ungenau zu sein, da p, das Gewicht des Paramäciums schwer zu bestimmen ist. Das spezifische Gewicht ist mit 1,25 zu hoch angeschlagen. Die Methoden dieser Bestimmung sind unzuverlässig, da durch die Abtötung nicht unerhebliche Veränderungen im Organismus vorgehen können (Wasser- entziehung), die das spezifische Gewicht beeinflussen. Benutzt man lebende Paramäcien in Gelatine und Gummi arabicum-Lösungen, so wirkt die Veränderung des Reibungswiderstandes störend. Setzt man in die Jensensche Berechnung statt 0,0007 - (1,25 — 1) = 0,000175 mg 1) Nach Angaben von Nagai. 2) Die Zahlen bezeichnen die Zeit, ie für den Weg von 4 mm von den Paramäcien gebraucht wurde. 238 George Schaefer: das von Platt!) gefundene spezifische Gewicht 1,017 ein, so erhält man folgenden Wert: Volum = 0,0007 cbm -(1,017 — 1) = 0,000119 4 - 3,14? .80 -1,19- 10? 9810 - 0,22 Dazu kommt noch das Gewicht 0,00096 + 0,000119 mg —= 0,001079 mg. Da das Zentrifugieren eine Steigerung der Wimpertätigkeit bewirkt, so bedeutet dieser Wert das Maximum an absoluter Kraft. Dieser entspräche eine Schwimmgeschwindigkeit von 2,2 mm für die Sekunde, während die normale Schwimmgeschwindigkeit 1,6 mm/sec. beträgt. Unverändert bleibt in der Jensenschen Berechnung, daß die absolute Kraft das 9fache des Gewichts der Paramäcienzelle darstellt, das der Wimperapparat zu heben hat. 0,000119 - 9 = 0,00107. Wir sehen also, daß mit Verringerung der absoluten Kraft über ein gewisses Maß hinaus der negative Geotropismus verschwindet. Die Fak- toren, die diese Umstimmung herbeiführen, bedingen ausnahmslos eine Lähmung. Weichen diese wieder normalen Bedingungen, so kommt auch der negative Geotropismus zur Geltung. — 0,00096 mg . III. Teil. a) Zur Theorie des Geotropismus. Wie löst nun die Schwerkraft die geotropische Reizwirkung aus? Mit der Frage nach dem Mechanismus der geotropischen Richtungs- bewegung beschäftigten sich zuerst Aderhold?) und Massart?). Beide verneinten die Annahme einer Orientierung infolge passiver Achsen- einstellung aus physikalischen Gründen. Es wäre denkbar, daß bei den negativ geotropischen Protisten, z. B. Paramäcien das Hinterende größer und deshalb schwerer ist. Dadurch ist die Spitze immer nach oben gerichtet und so die Schwimmrichtung im Sinne der Schwerkraft vorgeschrieben. Bei einigen Organismen, z. B. Daphnia pulex und Culex pipiens ist diese Art von mechanischer Orientierung realisiert. Für die Protozoen wies Jensen nach, daß der Schwerpunkt von vielen Infusorien nicht im Hinterende liest. Er tötete sie ab und beobachtete die Achseneinstellung der fallenden Tiere. Die meisten fielen ohne bestimmte Achseneinstellung. In bezug auf Paramäcien habe ich diese Versuche wiederholt und dasselbe beobachtet. Bei Euglena liest der Schwerpunkt gerade im Vorderteil. Kann auch eine Orientierung aus !) Julia B. Platt, On the specific gravity of Spirostomum, Paramaecium and the Tadpole in relation to the problem of geotaxis. The Americ. naturalist 33, 31. 1899. *) Aderhold, Beiträge zur Kenntnis richtender Kräfte bei der Bewegungn nie- derer Organismen. Jenaische Zeitschr. f. Naturwiss. %2. 1888. 2) Massart, Recherches sur les organismes inferieurs. Bull. de l’acad. roy. de med. de Belgique 3M® Ser., T. 22, Nr. 8. 1891. Studien über den Geotropismus von Paramaecium aurelia. 239 mechanischen Gründen nicht abgestritten werden, so beweist das Vor- kommen des negativen Geotropismus bei Organismen, deren Form einer passiven Achseneinstellung aus physikalischen Ursachen gerade zuwider läuft (Euglena) die Perzeptionsfähigkeit der lebendigen Substanz für den Schwerkraftreiz. Jensen entwickelte eine Theorie, die sich auf die Annahme stützte, daß Intensitätsdifferenzen im Verlauf der richtenden Kräfte den wirk- samen Faktor darstellen. Er nimmt an, daß der Geotropismus eine durch den hydrostatischen Druck des Wassers hervorgerufene Reiz- wirkung sei. Da die Druckgröße in bestimmter Richtung variiert, stellen die Druckdifferenzen richtende Kräfte dar, die die geotropische Orientierung in bestimmter Richtung bedingen. Negativ geotropische Organismen haben das Bestreben, sich von Orten höheren hydrostati- schen Druckes nach solchen von geringerem hydrostatischen Drucke zu begeben. Der Mechanismus ist nach Jensen hierbei folgendermaßen (s. Abb. 5): Ein Para- maecium befinde sich in der in Abb. 4angegebe- nen Lage im Wasser. Da der Vorderpol nach un- ten, also dem größeren Drucke zugewendet ist, werden dessen Wimpern Abb. 5 (nach Jensen). Der Pfeil bedeutet die Richtung der R r Wendung des Vorderpols. Die Dieke der Wimpern soll die stärker erregt, ebenso die verschiedene Schlagintensität derselben ausdrücken. ganze untere Seite. Der Vorderpol wendet sich infolge des stärkeren Cilienschlages nach oben, und zwar so lange, bis die senkrechte Stellung erreicht ist. Jetzt werden die Wimpern auf beiden Seiten gleichmäßig erregt, das Infusor muß also nach oben schwimmen. Diese Theorie mutet der Paramäcienzelle eine überaus große Empfindlichkeit zu. Befinde sich etwa das Tier in der horizontalen Lage, so müßte, damit die untere Wimperreihe stärker erregt werde, die Druckdifferenz einer Wassersäule von ca. 0,06 mm Höhe (der Durch- messer des Querschnitts von Paramäcium) wahrgenommen werden. Man könnte noch die Empfindlichkeit auf einen so unglaublich schwachen Reiz zugeben, wenn dieser längere Zeit einwirken könnte. Aber bekannt- lich haben die Paramäcien eine schraubenförmige, rotierende Bewegung, so daß jeden Augenblick andere Wimpern dem Reiz ausgesetzt sind. Wenn man immerhin der Empfindlichkeit der einzeinen Zelle alle nur möglichen Zugeständnisse macht (Wirkungen schwacher Konzentra- tionen chemischer Stoffe) erscheint diese Theorie etwas gewagt. Wohl ist es a priori denkbar, daß ein höherer hydrostatischer Druck erregend auf die Orlientätigkeit einwirkt. Wenn aber eine minimale Druckdifferenz 240 George Schaefer: den lokomotorischen Apparat so beeinflußt, daß eine Achseneinstellung zustande kommt, so müßte doch eine absolute Druckerhöhung im allgemeinen erregend auf die Wimpern wirken. Beobachtet man in einer 2 cm langen Röhre die geotropische Aufwärtsbewegung, so müßte diese wenigstens im Anfang sehr beschleunigt sein, da zweifellos am Ende des Rohres ein großer hydrostatischer Druck herrscht. Eine allgemeine Erregung würde den geotropischen Effekt beschleunigen. Davon ist aber gar keine Rede; man sieht, daß die geotropische Ansammlung relativ zur selben Zeit beendet ist wie im Reagensglasversuch. Jensen sagt selbst!), da seine Versuche bezüglich der Einwirkung der künstlichen Varüerung des hydrostatischen Druckes auf den Erregbarkeitszustand negativ ausfielen, daß die Paramäcien kein ‚absolutes Druckoptimum‘ be- sitzen. Daß Paramäcien auf der Zentrifugalmaschine eine Erregbar- keitssteigerung erfahren, läßt sich auf ganz andere Weise erklären, als durch die Annahme, daß dies eine Folge des vorübergehend gesteigerten Drucks sei, wie wir gleich sehen werden. Die Wahrnehmung einer Ver- änderung des hydrostatischen Druckes von der Zelle kann nicht be- zweifelt werden, wohl aber eine Erklärung der Achseneinstellung durch partielle Beeinflussung des Bewegungsapparates durch so minimale Druckdifferenzen aus ebengenannten Gründen. Lyon?) verwirft diese ‚‚pressure theory‘ und betrachtet den Geo- tropismus im Zusammenhang mit den statischen Reflexen der höheren Tiere. Analog den Statocysten bei den Metazoen glaubt er im Proto- plasma der Paramäcien Richtungskörper nachgewiesen zu haben, spezi- fisch schwerere Stoffe, die durch Zug und Druck im Innern des Para- mäcienorganismus die Achseneinstellung besorgen. Den Differenzierungen im Protoplasma einer einzelnen Zelle eine otolithenähnliche Wirkung zuzuschreiben, ist zwar in theoretischer Beziehung aussichtsvoll, erscheint aber bei der mikroskopischen Betrachtung eines Infusors und besonders Paramaeciums wenig ermutigend. Auch dürfte der Druck oder Zug von spezifisch schwerem Entoplasma auf das leichtere Ektoplasma eine noch geringere Reizintensität darstellen als die Verschiedenheit des hydrostatischen Druckes. Von außen hinzutretende Faktoren beein- flussen die Wimpertätigkeit bedeutend mehr als dies von innen geschieht. Ein solcher Faktor ist auch die Reibung im Wasser. Im folgenden werde ich versuchen, durch sie eine Erklärung für die geotropische Reaktion zu geben. Daß der Reibungswiderstand sehr beträchtlich sein muß, geht daraus hervor, daß der abgetötete Paramäcienkörper, der im luftleeren RKaume eine Beschleunigung von 9,8 m erführe, im Wasser beim Sinken nur mit 1) Jensen, 1. c., S. 467. ®) Lyon, On the theosy of geotropism in Paramaecium. Americ. Journ. of physiol. 14. 1905. a a ne un Ed a m u 1 en Ze Han sinn ee ee ee ee Studien über den Geotropismus von Paramaecium aurelia. ' 241 einer Geschwindigkeit von Imm in der Sekunde fällt. Eine große Kraft- menge muß also zur Überwindung des Reibungswiderstandes auf- gewandt werden. Berechnen wir diese Kraft nach der Gleichung: Absolute Kraft = Gewicht + die zur Überwindung der Reibung die- nende Kraft. Die letztere x = 0,001079 — 0,000119 = 0,00096 mg. Wir sehen, daß die Kraft, die zur Überwindung des Wasserwiderstandes erforderlich ist, 0,00096 mg beträgt, während die gesamte absolute Kraft Abb. 7. Abb.6—8. Die punktierten Linien bezeichnen die Stel- len, wo die Reibung des fallenden Tieres mit dem Was- ser am stärksten ist. Die verschiedene Dicke der Wim- pern stellt die Schlagintensität dar. Die Pfeile geben die Richtung der Gravitation und der Kraft des loko- motorischen Wimperapparates an. des Paramaeciums den Wert 0,001079 hat. Fast 90%, der letzteren werden zur Be- wältigung der Reibung im Wasser gebraucht. Denken wir uns ein Paramaecium ruhig im Wasser (siehe Abb. 6). Da es spezifisch schwerer wie Wasser ist, sinkt es in Rich- tung der Schwerkraft. Hierbei ist die Reibung der Wimpern am Wasser je nach der Lage an den verschiedenen Körper- teilen sehr verschieden. In Abb. 6 liegt der Vorderpol nach unten. Dort ist der mechanische Reiz durch die Reibung am größten (punktierte Reibungslinien). Die Wimpern des Vorderpols und in geringerem Maße auch der ganzen Unterseite schlagen stärker als die übrigen. Kommt also das Tier in die horizontale Lage, so schlagen die Wimpern der ganzen Unterseite gleich, aber stärker als oben, da die Reibung beim Sinken auf der Unterseite gleich groß ist (Abb. 7). Der Vorderpol richtet sich folglich so lange auf, bis die Abb. 8. 242 George Schaefer: senkrechte Lage erreicht ist (Abb. 8). Dann ist die Reibung auf beiden Seiten gleich, die Wimpern haben gleichmäßig verteilte Arbeit mit dem Effekt, daß das Tier der Schwerkraft entgegen schwimmt. Tritt an Stelle der Gravitation, die den Paramäcienkörper zum Erdmittelpunkt zieht, die Zentrifugalkraft, welche vom Zentrum zur Peripherie wirkt, so entstehen dieselben Vorgänge. Der Zentropismus ist also mit dem Geotropismus identisch. Beim Zentrifugieren entsteht eine sehr große Reibung des Paramäcienkörpers mit dem Medium, die wenigstens im Anfang eine erhöhte Erregbarkeit bedingt. Daß diese unmittelbar nach dem Zentrifugieren größer ist und sich allmählich verliert, zeigt folgender Versuch. Ein Gläschen wurde in der Mitte mit einer Marke versehen. Darauf wurde es mit paramäcienhaltiger Kulturflüssigkeit gefüllt und zentrifugiert. Sofort nach dieser Manipulation wurde das Aufsteigen der Tiere beobachtet. Dabei zeigte sich, daß die Zeit, die die Tiere brauchten, um vom Ende bis zur Mitte zu schwimmen, kürzer war als diejenige, welche zur Aufwärtsbewegung von der Mitte bis oben erforderlich war. Daß die Cilien empfindlich gegen Reibungs- und Strö- mungsreize sind, beweisen die rheotropischen Erscheinungen, die Jennings!) an Infusorien (Paramäcien) beobachtet hat. Auch würde dafür eine noch unveröffentlichte Beobachtung Verworns sprechen, daß nämlich Paramäcien auf Strömungsreize reagieren. Macht man mit einem Uhrschälchen, in dem sich paramaecienhaltige Kulturflüssigkeit befindet, einige rotierende Bewegungen (in einer Richtung), womöglich auf dunkler Unterlage, so kann man sehen, daß, sobald die der Kultur- flüssigkeit mitgeteilte Bewegung nicht mehr stark genug ist, um die Tiere passiv mit sich zu führen, diese sich umdrehen und in umgekehrter . Kreisrichtung weiterschwimmen. Eine experimentelle Bestätigung dieser Ansicht versuchte ich, indem ich das Verhalten des Wimperschlages bei teilweiser Strömung beobachtete. Aber die großen technischen Schwierigkeiten ließen zu keinem Resultat kommen. Denn da eine Untersuchung der Cilien starke optische Systeme (Ölimmersion) erforderte, so war der Gebrauch von Deckgläsern vorgeschrieben und so die Herstellung einer Strömung an einer Seite des zufällig daliegenden Tieres sehr erschwert. Wäre es möglich, durch eine experimentell erzeugte Strömung an einer Wimper- reihe (z. B. der Längsseite des Paramäciums) deren Beschleunigung wahrzunehmen, wäre damit unsere Theorie des Geotropismus gesichert. Nach dieser ist der Geotropismus zurückgeführt auf die Reizung der Wimpern durch Reibung. Er fällt in das Gebiet der mechanischen Reize, die teilweise zu tropischen Bewegungen führen, so der Tigmo- tropismus und Rheotropismus. Diesem letzteren wäre er am nächsten verwandt. Zentrotropismus ist ein künstlicher Geotropismus. Daß ı) H. 8. Jennings, Behavior of the lower Organism. New York 1901. A er Studien über den Geotropismus von Paramaecium aurelia. 243 durch den negativen Geotropismus eine Anpassung an den geringsten hydrostatischen Druck des umgebenden Mediums sich gebildet hat, und daß die Tiere eine Veränderung dieses Druckes wahrnehmen, soll nicht geleugnet werden. Man kann sich denken, daß ein etwa größerer hydrostatischer Druck den geotropischen Effekt beschleunigt, indem er als mechanischer Reiz die Frequenz der Cilienbewegung im allgemeinen erhöht, nicht aber im besonderen eine partielle Beeinflussung der Wimpern durch Druckdifferenzen bewirkt. Um ein annähernd vollständiges Bild von den Anschauungen über den Mechanismus der geotropischen Reaktion zu bringen, sei noch W. Ostwalds!) Theorie erwähnt. Bei dem Versuch einer physikalischen Analyse der Schwimmbewegungen hebt er unter den hierbei in Frage kommenden Faktoren die ‚innere Reibung‘ hervor. Die negativ geotropischen Infusorien suchen nach seiner Theorie das Optimum der inneren Reibung auf. Der lokomotorische Apparat werde auf der Seite, die diesem Optimum zugewendet ist, stärker erregt. Bekanntlich aber hat die Steigerung der Wimperntätigkeit einer Seite den Effekt, daß das Infusor sich von dieser, also in unserem Falle weg vom Optimum wendet. Um diese Tatsache zu umgehen, macht Ostwald die Annahme, daß die Bewegung des Infusors bei einseitiger Bewegung der Schwimmorgane in gleichem Sinne wie diese, also um die Ruderorgane als Zentrum, erfolge. Denn rudert man z. B. in einem sehr kleinen Boote mit einem unverhältnis- mäßig schweren Ruder, so rotiert das Boot, da der Formwiderstand des Ruders größer ist als der des zu bewegenden Körpers, um das Ruder als Zentrum herum. Wenn sich auch bei Fischen beobachten läßt, daß bei Winkelbewegungen die der gewählten Richtung entsprechenden Flossen in Tätigkeit treten, so lassen sich diese Verhältnisse nicht auf Infusorien übertragen, da zweifellos in unserem Falle der Formwider- stand des Paramäcienkörpers größer ist als der der Lokomotionsorgane, also der Cilien. Hiervon kann man sich überzeugen, wenn man den Cilienschlag eines sich drehenden Paramäciums beobachtet. b) Zusammenfassung und Schluß. Ausgangspunkt unserer Untersuchung war die Frage nach den Umstimmungsfaktoren. Wir erkannten in ihnen ausnahmslos Läh- mungen. Die anscheinende Umstimmung bestand darin, daß der statische Mechanismus geschädigt wurde, so daß der geotropische Effekt nicht zustande kommen konnte. Es liegt hierbei gar kein posi- tiver Geotropismus vor, sondern eine Lähmung des lokomotorischen 1!) W. Ostwald, Zur Theorie der Richtungsbewegungen niederer schwimmen- der Organismen. I. u. II. Teil. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 95. 1907; 111. 1905. 244 George Schaefer: Studien über d. Geotropismus von Paramaecium aurelia. Apparates. Es tritt eine Überkompensation ein zwischen absoluter Kraft des Paramäciums und der Schwerkraft zugunsten der letzteren. Dieses passive Absinken kann man nicht als positiven Geotropismus ansprechen. Es ist also nicht zweckmäßig, von einer Umkehr des Sinnes des Geotropismus (Moore) zu sprechen, wie auch schon Ostwald!) hervor- hebt. Es tritt bei den geotropischen Richtungsbewegungen das Maschinenmäßige und die physikalische Grundlage, die nach unserer Theorie in der „äußeren Reibung‘‘ besteht, so deutlich zutage, daß die Bezeichnung der erwähnten Experimente als Umkehr- oder asia mungsversuche unnütz erscheint. Y 1) W. Ostwald, Zur Theorie der Richtungsbewegungen niederer schwimmen- der Organismen. II. Teil. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 11%. 1907. Untersuchungen über Flimmerbewegung. Von Friedrieh Alverdes, Halle a. 8., Zool. Institut. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 28. Februar 1922.) Bei Gelegenheit von Untersuchungen über Infusorien, welche an anderer Stelle eine Wiedergabe finden sollen [ Alverdes 1922!)], gelangte ich zu einigen Feststellungen, die einen Beitrag zur Lösung des Problems der Flimmerbewegung abgeben dürften. Lest man ein Paramaecium caudatum unter dem Deckglase durch Druck fest, so treten an seiner Oberfläche sehr bald helle Tropfen auf. Zunächst sind diese klein, sie vergrößern sich jedoch rasch und nehmen zugleich auch an Zahl zu. Ihre Natur soll hier unerörtert bleiben, da dies Thema nicht zur Sache gehört; es ist über diese Gebilde viel ge- stritten worden?); ich will sie als ‚„‚hyaline Tropfen‘ bezeichnen. Wenn ein solcher Tropfen unmittelbar nach seiner Bildung platzt, so mischt sich sein Inhalt ohne weiteres mit dem umgebenden Wasser, und nur ein feinstes Oberflächenhäutchen bleibt zurück; daß dasselbe zunächst flüssig ist, werden wir sogleich sehen. Bringt man einen hyalinen Tropfen einige Minuten nach seiner Bildung durch leichtes Klopfen auf das Deckglas zum Zerplatzen, so kann man konstatieren, daß jetzt eine verfestigte Haut die Tropfenoberfläche einnimmt, und je länger man wartet, um so mehr schreitet der Gerinnungsprozeß von außen nach innen fort, bis der ganze Tropfeninhalt fest geworden ist. Manche Tropfen lösen sich kurz nach ihrer Entstehung von der Körperoberfläche des Tieres ab und flottieren dann frei im Wasser. Wo die hyalinen Tropfen sich bilden, gehen die die ganze Körper- oberfläche bedeckenden Cilien verloren. Die meisten fallen ohne ihr Basalkorn aus und sind dann nicht mehr zum Schlagen befähigt; in einigen Fällen schien es mir, als führte die eine oder andere derartige Cilie unmittelbar nach ihrem Ausfall noch eine konvulsivische Zuckung .1) F. Awverdes, Studien an Infusorien über Flimmerbewegung, Lokomotion und Reizbeantwortung. Arb. a. d. Geb. d. exp. Biol. Herausg. v. J. Schazel. Heft 3, Berlin 1922. 2) Vgl. den von Kölsch gegebenen historischen Überblick in: K. Kölsch, Untersuchungen über die Zerfließungserscheinungen der ciliaten Infusorien. Zool. Jahrb. Anat. 16, 273. 1902. . 246 F. Alverdes: aus. Doch konnte ich nicht endgültig Klarheit darüber erlangen, ob diese Cilien nicht vielleicht bloß durch die Strömungen, welche von den der Körperoberfläche noch aufsitzenden Cilien erzeugt werden, herum- gewirbelt wurden. Auch Peter!) berichtet über einen Fall bei Anodonta, wo es ihm schien, als habe eine isolierte Cilie ohne Basalkörperchen sich noch zusammengekrümmt und wieder gestreckt. Lösen sich Cilien mit Basalkorn einzeln oder in kleinen Gruppen von der Körperoberfläche ab, so schlagen sie ein wenig länger, aber höchstens !/, Minute und schwimmen dabei mit der Basis voran durch das Wasser dahin. Fabre- Domergue?) und Kölsch schieben manche Autoren die Angabe zu, daß auch ‚‚völlig isolierte‘ Cilien eine Zeitlang noch zu schlagen imstande sind. Nun waren aber zu jener Zeit, als die betreffenden beiden Arbeiten erschienen, bei den Protisten Basalkörperchen noch gar nicht entdeckt; Fabre-Domergue und Kölsch unterschieden also noch gar nicht zwischen isolierten Cilien mit und ohne Basalkörper, und deshalb lassen sich ihre Angaben überhaupt nicht in dem erwähnten Sinne verwerten. Es bleibt also dabei, daß Cilien ohne Basalkörper nicht mehr schlagen ; Cilien, welche dieses behielten, sind zum Schlagen noch kurze Zeit befähigt. ab Manchmal gelangen einzelne Cilien, wofern Abb.1. Paramaecium caudatum. sienoch ein Basalkorn besitzen, oder auch ganze Exkursionsbreite einer Cilie, wel- Su ee o % . - che auf einem „hyalinen Trop- Cllienbüschel auf die Oberfläche der sich bilden- nen en den hyalinen Tropfen und beginnen dort um- a nach b und zurück. herzuwandern. Dies ist ein Beweis dafür, daß das Oberflächenhäutchen des Tropfens zu- nächst flüssig sein muß. Die Eigenbewegung der Cilien auf der Tropfen- oberfläche wird wohlhauptsächlich dadurch hervorgerufen, daß die Wirk- samkeit des Schlages bald nach der einen, bald nach der anderen Seite ein wenig überwiegt; doch sind diese Differenzen im großen und ganzen genommen nur geringfügige; denn im übrigen schlagen die Cilien völlig automatenhaft hin und her. Bei jedem Schlage gleitet der Fußpunkt der Cilie entsprechend herüber und hinüber (in der Abbildung von a nach 5 und zurück); bei der jedesmaligen Umkehr der Schlagrichtung ist das Flimmerhaar S-förmig gebogen, wie dies auch Weber?) für die Peristomceilien der Heterotrichen beschreibt. Unmittelbar, nachdem die Cilien auf die Tropfenoberfläche gelangten, befinden sie sich in rasend schneller Tätigkeit; allmählich aber sinkt !) K. Peter, Das Zentrum für die Flimmer- und Geißelbewegung. Anat. Anz. 15. 277. 1899. ?) Fabre-Domergue, Recherches anatomiques et physiologiques sur les In- fusoires ceilies. Ann. sci. nat. VII, Zool., T. 5. 1888. 2) G. Weber, Die Bewegung der Peristomeilien bei den heterotrichen Infusorien. Sitzungsber. d. Akad. Wiss. Wien, 121, III, 1912, S. 14. EP 2 A A Untersuchungen über Flimmerbewegung. DAT die Schlagfrequenz, bis es nach einigen Minuten zu vollständigem Still- stande kommt. Solange die Cilien auf einem Tropfen noch arbeiten, bleibt dessen Oberflächenhäutchen beim Zerplatzen in Form feinster Tröpfchen zurück; sind die Cilien aber abgestorben, so ist meist ein solideres Oberflächenhäutchen nachzuweisen. Die Cilien auf den Tropfen stehen bezüglich ihrer Tätigkeit im Gegensatz zu denjenigen, welche noch der lebenden Zelle anhaften; denn letztere sind abhängig von dem ihnen übergeordneten Protoplasma und. schlagen dementsprechend wirksam in der einen oder anderen Richtung, und zwar bald schneller, bald. langsamer, oder sie stehen still. Denn die Flimmer- bewegung der Protisten ist ja, im Gegensatz zu derjenigen der Mollusken, Wirbeltiere usw., nicht eine ‚„unwillkürliche“, sondern eine „willkürliche‘“. Die Cilien auf den hyalinen Tropfen schlagen dagegen automaten- haft hin und her, bis der vorhandene Energievorrat aufgezehrt ist. Cilien, welche ins freie Wasser gelangen, gehen nach wenigen Sekunden zugrunde; diejenigen auf der Oberfläche der Tropfen erhalten sich mehrere Minuten schlagend. Dieser Unterschied wird wohl weniger dadurch hervorgerufen, daß die Tropfensubstanz der Cilie neue Energie zu bieten vermag, als daß sie für Wundverschluß gegenüber dem schädi- genden Wasser sorgt. Eine Cilie mit Basalkorn besitzt also auch nach der Isolierung für kurze Zeit die Fähigkeit zur Flimmertätigkeit. Des- halb aber das Basalkorn als ein kinetisches Zentrum anzusprechen, wäre verfrüht; denn solange wir so wenig über das Zustandekommen der Flimmerbewegung wissen, vermögen wir betreff einer etwaigen funktionellen Überordnung des einen Teils über den anderen noch gar nichts auszusagen. "Während die Cilien auf der Tropfencberfläche hin und her gleiten, können die einen oder anderen zusammengeraten und sich zu einem Büschel vereinigen. Kölsch!) weist auf diese Erscheinung nur ganz kurz hin. Die Bedeutung derselben scheint mir darin zu liegen, daß Cilien, welche zuvor in verschiedenem Tempo schlugen, dabei in einen gemein- samen Rhythmus verfallen können; immer muß dies allerdings nicht der Fall sein, sondern es kann eine jede auch nach der Aneinanderlage- rung für sich weiterschlagen, bis sie sich wieder trennen. Der harmo- nische Schlag zuvor verschieden arbeitender Flimmerhaare stellt sich nun nicht etwa dadurch her, daß bei der Aneinanderlagerung ein ent- sprechender Impuls von einem Basalkörper zum anderen überspringt; denn die Harmonie tritt manchmal bereits ein, bevor sich die beiden Partner einander völlig genähert haben. Also dürfte der neue Rhythmus rein mechanisch durch die im Wasser hervorgerufene Druck- und Saug- wirkung und durch die leichte Erschütterung der Tropfenoberfläche 1) S. 288. Fflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 17 248 Fr. Alverdes: sich herstellen und den Kompromiß darstellen zwischen den beteiligten Einzelkräften. Nicht nur 2 Cilien vermögen in der geschilderten Weise zusammen- zutreten, sondern auch deren mehrere und gelegentlich ganze Cilien- büschel. Manchmal wird eine Gleichheitlichkeit des Schlages dabei auf keine Weise hergestellt; dann kommt es schließlich zur Abspaltung der widerspenstigen Elemente oder zur Auflösung der ganzen Gruppe. Es gewährt ein sehr anziehendes Bild und erinnert durchaus an ent- sprechende Vorgänge in der menschlichen Gesellschaft, wenn zu einer bisher in größter Harmonie arbeitenden Gruppe ein Neuankömmling sich gesellt, um sogleich das größte Durcheinander hervorzurufen. Erst wenn einer oder mehrere der bisherigen Angehörigen des Cilienbüschels sich abgetrennt haben, kommt ein neuer Rhythmus zustande, der nun wohl wesentlich von dem Eindringling bestimmt ist. So sind unter Umständen auf einem Tropfen kleinere und größere Ciliengruppen in beständiger Bildung und Auflösung begriffen. Liegen 2 Paramaecien nahe beieinander, so kann es geschehen, daß bei Einsetzen des Deckglasdruckes die einen oder anderen unter den von den beiden Tieren aus sich bildenden Tropfen zusammenfließen. Dabei konnte ich in einem Falle mit größter Deutlichkeit beobachten, daß Cilien, welche von 2 Individuen herstammten, sich auf der Oberfläche eines Tropfens in gemeinsamem Rhythmus zusammenfanden. Die mitgeteilten Beobachtungen scheinen mir deshalb von. Wichtig- keit zu sein, weil hier bei schlagenden Cilien übereinstimmendes Arbeiten rein mechanisch erzielt wird. Damit soll aber noch keineswegs gesagt sein, daß sich die Metachronie des Cilienschlages in allen Fällen allein auf diesem Wege herstellt. Im Gegenteil dürften bei Auftreten derselben am intakten Tier das Maßgebende die vom Protoplasma her übermittel- ten Impulse sein; nebenbei mag dann als unterstützendes Prinzip das mechanische hinzukommen. Verworn!) konnte dadurch, daß er bei Ötenophoren über eine breite Wundfläche hinweg 2 Flimmerplatten durch Schleim- oder Baumwollfäden miteinander verband, dieselben in gleichen Takt bringen; Parker?) zeigte aber, wenn man durch Abkühlung einen Abschnitt einer Plattenreihe am Arbeiten hindert, daß dann trotzdem der Impuls zum Schlagen sich in der Basalsubstanz ungehemmt fortpflanzt. Meine Beobachtungen erinnern an diejenigen von Ballowiiz?) bei Colymbetes, wo sich an den im Vas deferens durch eine Klebmasse !) M. Verworn, Studien zur Physiologie der Flimmerbewegung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 48, 168. 1891. 2) G.H. Parker, The movements of the swimming-plates in ctenophores, with reference to the theories of ciliary metachronism. Journ. exp. Zool. 2, 417. 1905. 2) E. Ballowitz, Die Doppelspermatozoen der Dyticiden. Zeitschr. f. wiss. Zool. 60, 479. 1895. Untersuchungen über Flimmerbewegung. 349 ) zu großen Walzen vereinigten Spermatozoen ebenfalls ein gemeinsamer Rhythmus nicht durch eine protoplasmatische Reizleitung, sondern rein mechanisch herstellt. In einem wesentlichen Punkt unterscheiden sich bei Paramaecium die Cilien auf den hyalinen Tropfen von denjenigen auf der Körper- oberfläche, daß sie nämlich nicht mehr zu thigmotaktischen Reaktionen befähigt sind, d. h. sie vermögen bei Berührung mit einem Fremdkörper nicht mehr still zu stehen. Flimmerhaare, welche noch im Zusammen- hang mit der Protistenzelle sich befinden, können diese Reaktion zeigen, selbst wenn die Zelle durch den Druck in voller Auflösung begriffen ist. Die genannte Reaktion gibt sich dadurch als eine indirekte kund; es fällt also nicht von seiten der Cilie selbst aus die Entscheidung, ob durch Stillstehen auf den Berührungsreiz reagiert werden soll, sondern der letztere wird dem Protoplasma übermittelt, und von diesem hängt alles Weitere ab. Die isolierte Cilie ist gar nicht in der Lage, die Art ihrer Funktion selbst zu modifizieren, sondern sie schlägt hemmungslos und gleichförmig weiter, bis ihre Auflösung erfolgt. Ich kann daher Parker!) nicht beistimmen, wenn er von seinen Beobachtungen an Ctenophoren aus schließt, daß Tätigkeit auf Reizung, Ruhe bei Fehlen von Reizen eintritt. Dies trifft zu, wenn man intakte Tiere betrachtet. Das isolierte ‚‚Flimmerelement‘ schlägt dagegen automatenhaft hin und her, solange der Energievorrat reicht. Bei Pleurobrachia konnte ich mich selbst überzeugen, daß Flimmerplatten, welche mit daran- haftenden Basalzellen isoliert waren, in beständigem Schlagen sich befanden. Es scheint mir danach richtiger, die ältere Ansicht Verworns beizubehalten, wonach das Flimmerelement autonom schlägt. Diese Tätigkeit wird aber am intakten Tier von übergeordneten Teilen be- ständig kontrolliert. 1) 8.413. Id Ein Verfahren zur bequemen Darstellung von Aluminiumfäden für das Saitengalvanometer. Von Prof. Dr. A. Weber. (Aus dem balneologischen Institut zu Bad-Nauheim.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 3. März 1922.) Die Darstellung von Saiten für das Edelmannsche Galvanometer aus den käuflichen Wollastondrähten ist ohne besondere Hilfsmittel schwierig. Der im folgenden beschriebene Apparat erleichtert die Arbeit so wesentlich, daß die Darstellung von beispielsweise 3 u dicken Alu- miniumsaiten keine Schwierigkeit mehr bietet. Arbeitsweise: Von dem käuflichen Wollastonsilberdraht mit Al.- Seele werden Stücke von genau 9,3 cm abgeschnitten, wenige Minuten auf 200° im Trockenschrank erhitzt (um die Elastizi- Wollastondrafit tät des Silbers zu beseitigen); dann werden die Stücke mit dem einen Ende an die Messingstifte angelötet, Messingstff die später in die Fadenträger des Galvanometers Abb. 1. eingeklemmt werden. Die Länge der Verlötung soll 3mm betragen (so lang ist die Kerbe im Messinsstift); der Draht muß zentrisch an dem Messingstift befestigt sein, d. h. im Grund der Kerbe des Stiftes liegen (s. Abb. 1). Als Lötmasse dient Woods Metall: (0 al Ne BR De SE RL org N Möglichst geringe Erhitzung des Messingstiftes in kleiner Bunsen- flamme, den Wollastondraht in die Kerbe des Messingstiftes legen, ohne ihn in die Flamme zu bringen. Das freie Ende des Drahtes auf eine Strecke von 1,5—2 mm in dünnes Collodium elasticum kurz eintauchen, diese Strecke wird dann von der Salpetersäure nicht angegriffen. Nun wird der Faden abgeätzt. Dazu benutze ich einen mir von der Firma A. Weber: Verfahren zur Darstellung von Aluminiumfäden usw. 251 Leitz konstruierten Apparat!). Derselbe besteht aus einem Uhrwerk, eingebaut in einen Kasten, ähnlich einem Mikroskopschrank. An der Vorderwand ist eine vertikale feststehende Säule (siehe A der Abbildung) angebracht, während aus dem Dach dicht hinter der Säule A eine zweite ebenfalls vertikale Säule (B der Abbildung) herausragt, die durch das Uhrwerk gehoben und gesenkt werden kann. An ihr befindet sich ein galgenartiger Fortsatz mit einem Klemmring am vorderen Ende, der den Messingstift mit dem angelöteten Draht aufnimmt. An Säule A befindet sich an einem bis zum Anschlag in der gewünschten Stellung drehbaren Arm (C) der Glaszylinder' (D) der 3cm lichte Weite besitzt und bis nahe an den Rand mit konzentrierter HNO, gefüllt wird. Der Arm mit dem Glasgefäß wird bis zum Anschlag vertikal unter dem Galgen herumgeschwenkt, in dieser Lage mit der Stellschraube festgestellt; nun wird durch Betätigung des Uhrwerks Galgen (B) gesenkt; der Faden soll nahezu vollständig in die Säure tauchen, _ der Messingstift soll gerade über dem Flüssigkeits- niveau bleiben. Man richtet nun das durch eine Konvexlinse gesammelte Licht einer Leitz-Liliputbogenlampe auf den Glaszylinder, um das Abätzen des Silber- belags verfolgen zu können; in etwa 4 Minuten ist die Aluminiumseele bloßgelegt bis auf das durch Kollodium geschützte freie Ende des Fadens. Oberhalb des Säuregefäßes befindet sich an dem Schwenkarm E der Heizwiderstand F mit einem Klemmring am oberen Ende; derselbe nimmt den Messingstift auf, an den das untere Ende des Abb. 2. Fadens angelötet werden soll. Nach dem Ein- tauchen des Drahtes in die Säure schaltet man sofort den Heizwider- stand ein; innerhalb von 2—3 Minuten ist der Messingstift bis zum Schmelzen der Lötmasse erhitzt. Man verteilt das Lot gleichmäßig in der Kerbe mit einem feinen Schraubenzieher. Inzwischen ist (nach Ablauf von 4 Minuten) der Faden abgeätzt; jetzt löst man das Uhrwerk wieder aus, das ganz langsam und ohne Erschütterung durch Heben der Säule B den Faden aus der Säure herauszieht. Noch ehe das letzte Ende des Fadens die Flüssigkeit verlassen hat, muß man ihn mit einem ca. 1 cm langen Frauenhaar, das an eine Präpariernadel gekittet ist, auffangen und kann ihn nun leicht dirigieren. Sowie der Faden ganz aus der Flüssigkeit herausgehoben 1) Herr Barnak von der Firma Leitz hat mich beim Entwurf des Apparates sehr wesentlich unterstützt, wofür ich ihm auch an dieser Stelle herzlich danke, ebenso danke ich der Firma Leitz für das Entgegenkommen, das sie mir bei Aus- führung der Versuche erwies. 252 4A. Weber: Verfahren zur Darstellung von Aluminiumfäden usw. ist, schwenkt man mit der linken Hand das Säuregefäß beiseite und holt den Halter E mit dem Heizwiderstand bis zum Anschlag heran; der untere Messingstift steht dann genau vertikal unter dem oberen und nachdem man Halter E festgeschraubt hat, leitet man den Faden in die Kerbe des Messingstiftes, was mühelos gelingt; er legt sich hier sofort fest an. Der Heizstrom wird jetzt ausgeschaltet. Nun drückt man mit Hilfe eines feinen Schraubenziehers, den man wie einen Spatel gebraucht, noch etwas Lötmasse gegen die Kerbe (nie streichen, das zerreißt den Faden), wartet einige Minuten bis zum Erstarren des Lotes und kann dann die Fadenbüchse überschieben. Die ganze Herstellung einer Saite ist in etwa !/, Stunde vollendet. Bei mindestens der gleichen Widerstandsfähigkeit wie Platinsaiten haben Aluminiumsaiten infolge ihrer wesentlich geringeren Einstellungs- dauer den Vorteil, daß sie schon mit wesentlich schwächeren Magnet- feldern ein unentstelltes Ekg schreiben, so daß für klinische Zwecke künftighin das kleine Elektromagnetsaitengalvanometer von Edelmann ausreichen dürfte. Quantitative Beiträge zur Frage des Zusammenwirkens von Ionen und organischen Giften. II. Mitteilung }). Von Hans Handovsky. (Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Göttingen.) (Eingegangen am 28. Februar 1922.) In dieser Mitteilung soll die giftverstärkende Wirkung verschiedener . Salze auf die Saponinhämolyse der Rz.-Bl.?) besprochen werden, nach- dem in der vorhergehenden einige Gesetzmäßigkeiten im bezüglichen Verhalten des Kochsalzes aufgedeckt wurden. Zunächst seien im Hinblick auf eine Reihe inzwischen erschienener Arbeiten über das Verhalten von Bl. in vitro einige Bemerkungen zur Methodik voraus- geschickt. Bei Untersuchungen an Bl. sind zweierlei Momente zu berücksichtigen: 1, Aus dem strömenden Blut entfernte Bl. verändern sich ungemein leicht, wie aus eigenen Vorversuchen, besonders aber aus Untersuchungen von Hamburger und seinen Schülern Brinkman, van Creveld, ferner von Ege hervorgeht. So haben Brinkman und van Dam?) darauf hingewiesen, daß schon die beginnende Ge- rinnung des Blutes die Bl. so verändert, daß sie Traubenzucker aufnehmen. Ham- burger, dann van Creveld*) haben auf die große Bedeutung des CO,-Gehaltes der Suspensionsflüssigkeit für den Cl-Gehalt der Bl. hingewiesen. van Oreveld (a. a. O.) läßt darum das Blut durch paraffinierte Kanülen in paraffinierte Zentrifugier- röhrchen unter Paraffinöl einfließen und zentrifugiert sofort schnell; dies dürfte die schonendste Methode sein; für unsere Versuche waren, wie die Gleichmäßig- keit der Resultate beweist, diese Vorsichtsmaßregeln nicht nötig, zumal wir ja nicht den Elektrolytaustausch, sondern den Endzustand der Veränderung, die Hämolyse, als Indicator benutzten. Der Behauptung von Brinkman und van Dam?), daß die Blutkörperchen durch Auswaschen mit Salzlösungen ihre Lecithinhülle verlieren sollen, durch Auswaschen mit Rz. nicht, bin ich nicht nachgegangen. Die einzige Vorsichtsmaßregel, auf die ich achtete, war, daß die einzelnen Proze- duren nach der Uhr vorgenommen wurden und strenge darauf gesehen wurde, daß sie in allen Versuchen gleich lang dauerten. !) I. Mitteilung, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 173. 1921. 2?) Rz. bedeutet im folgenden Rohrzucker, Bl. rote Blutkörperchen. 2) Arch. internat. de physiol. 15, 105. 1919. *) Biochem. Zeitschr. 123, 304. 1921. 5) Biochem. Zeitschr. 108, 35. 1920. 254 RH. Handovsky: Quantitative Beiträge zur Frage des Zusammenwirkens Ich ließ 10—15 ccm Blut aus der Ohrvene von Kaninchen in ein Zentrifugen- glas mit Glasperlen einfließen, was stets nur 1—1!/, Minuten dauerte. Das Blut wurde dann 2 Minuten geschüttelt, koliert, dann je 2,5 cem in Zentrifugengläser pipettiert, mit Waschflüssigkeit auf ca. 50 ccm aufgefüllt und noch dreimal mit erneuter Waschflüssigkeit je 10 Minuten lang zentrifugiert; hierauf wurde die Waschflüssigkeit abermals abpipettiert. der Bl.-Brei in ein spitzes Zentrifugenglas von ca. 15 ccm Inhalt gespült und 15 Minuten scharf zentrifugiert, dann die Wasch- flüssigkeit mit einer Capillarpipette möglichst vollständig abgesaugt. Nun wurde auf zweifache Weise weiter gearbeitet: Methode I: Die gewaschenen Bl. wurden in den verschiedenen isotonischen Lösungsgemischen aufgeschwemmt, mit ihnen auf 100 cem aufgefüllt und dann mit 1 Volumprozent verschieden konzentrierter Saponinlösungen versetzt. Methode IL: Die Bl. wurden in doppeltisotonischer Rz.- bzw. Salzlösung auf- geschwemmt, auf 100 ccm aufgefüllt, darauf durch Mischung beider und Ver- dünnung mit Wasser oder Saponinlösungen unter Vermeidung örtlicher Hämolyse die gewünschten Konzentrationen hergestellt. Die Aufstellung einer Versuchsserie dauerte 25—30 Minuten, nie länger. Beide Methoden ergaben, wie aus zahlreichen Kontrollversuchen hervorgeht, stets die gleichen Resultate. Meist wurde zur Kontrolle mit beiden Methoden gearbeitet, bei größeren Serien nur mit Methode II. Daß dabei die durch das Pipettieren der Bl.-Suspensionen begangenen Fehler gering waren, erhellt aus folgender Zu- sammenstellung der Versuche in Tab. I. In dieser Tabelle zeigen die Zahlen der ersten Säule an, wie oft in den 53 Versuchen die in der zweiten Säule angegebene Anzahl Bl. in 0,004 cmm gezählt wurden. Die Zählung war stets in der Thoma- Zeissschen Zählkammer in der üblichen Weise vorgenommen worden. Tabelle I. In 0,004 emm sind enthalten; Zahl des Versuche Erythrocyten 424 425 426 427 428 432 436 438 440 441 442 443 445 446 Mittel 436 Die Versuchsserien wurden dann in den Brutschrank von 37° gebracht, darin 2 Stunden belassen, nachdem sich herausgestellt hatte, daß die Hämolyse 2 mal nach 4 Stunden und 2mal nach 6 Stunden nicht weiter zugenommen hat. Hier- auf wurden die Serien mindestens 10 Stunden im Eisschrank belassen und dann der Hämolysegrad mittels Zählung der Bl. bestimmt, nachdem sich aus früheren Unter- suchungen ergeben hatte, daß es eine partielle Hämolyse einzelner Bl. in vitro nicht gibt, daß also die Bestimmung der Hämolyse durch Zählung der nicht hämoly- sierten Bl. und durch colorimetrische Bestimmung des ausgetretenen Hämoglobins - Ve owoQrTHmHpN 2] [34] RR von Ionen und organischen Giften. II. 255 vollkommen übereinstimmt. Stets wurden die Empfindlichkeiten der in den ver- schiedenen Suspensionsflüssigkeiten aufgeschwemmten Bl. mit der von Rz.-Bl. derselben Entnahme verglichen; wenn Bl. in Rz. eine abweichende Empfindlich- keit zeigten, was in 61 Versuchen nur 8mal der Fall war, wurden diese Reihen ver- worfen. Die gute Übereinstimmung der Hämolysegrade von Bl. verschiedener Ent- nahme in der gleichen Suspensionsflüssigkeit zeigen die folgenden Tab. II und Ill. - Tabelle II. Hämolyse in 7,8 proz. Rohrzucker. Saponingehalt Hämolysegrad % Mittel 0,006°/,0 I. 18, a, 15 el 1 ea, 22 10 Dooso 19, 20..'20,. 21, 23, 23 | 21% 0.0100 | 22. 24 24, 25, 26, 28, 28, 28, 30 26%, 0,06%, | 39%, 40, 41, Al, 44 41%, 0,025%/, | 61, 62, 62, 62 62%, Tabelle III. Hämolyse in 0,9 proz. NaCl. Saponingehalt | Hämolysegrad % | Mittel 000300 WE snst 129 8% 0,004%/5 | 55, 56, 59, 59, 62, 8 | 59% 0,006%/,, 90, 90, 90, 90% Auf diese Weise war es möglich, methodische Unzukömmlichkeiten, die beim Arbeiten mit Bl. zu so vielen Fehlschlüssen Anlaß gegeben haben, — wenigstens für unsere Zwecke — zu vermeiden. UT Beim Forschen nach Gesetzmäßigkeiten im Verhalten von Bl. stehen wir aber noch einer zweiten Schwierigkeit gegenüber; wir haben es nämlich nicht etwa wie bei chemischen Reaktionen mit vollkommen gleichwertigen Reaktionseinheiten (Molekülen) zu tun, sondern mit notwendigerweise verschieden alten und darum verschieden reaktions- fähigen!). Wir wollen diesen Zustand Heterovitalität nennen; die Bl.- Suspension ist ein heterovitales System, und zwar sind die jungen Bl. in NaCl-Lösung gegenüber dem Saponin, gegenüber NaOH und gegenüber den Serumhämolysinen resistenter als die alten. Die ersten hierher gehörenden Versuche aus dem Jahre 1912?) hatten D) Vgl. Anm. 2. 2) Handovsky, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 69, 412. 1912. Dort wur- den zum ersten Male die Unterschiede der Giftresistenz von Rz.- und NaCl-Bl. systematisch untersucht; danach hat sich Ph. Eisenberg (Zentralbl. f. Bakteriol. usw. Abt. II, 69, 187. 1913) prinzipiell mit der Frage der Beeinflussung der durch ver- schiedene Stoffe hervorgerufenen Hämolyse durch Salze vom Standpunkt der Desinfektionslehre beschäftigt und prinzipiell das gleiche qualitative Verhalten beobachtet, daß die Resistenz der Bl. in NaCl kleiner ist als in Rz. Schließlich hat Herr H. Rhode in unserem Institut gelegentlich einer Untersuchung über die hämolysierenden Eigenschaften verschiedener Salze von Alkaloiden auch die 256 NH. Handovsky: Quantitative Beiträge zur Frage des Zusammenwirkens folgende Gesetzmäßigkeit ergeben!): Die Verstärkung der hämolytischen Saponinwirkung durch NaCl (gegenüber Rz.) ist innerhalb gewisser Konzentrationsintervalle der NaCl- und der ‚Wirkungskonzentration“ des Saponins proportional. Es ließ sich für die damaligen Versuche, die mit Saponinum purissimum Merck ausgeführt wurden, folgende Formel aufstellen: 4 = H,-+ 2500c€: cg,p, wobei die Schwellen- konzentration 0,0048°/,, Saponin betrug. H bedeutet hierbei den Hämo- lysegrad (%) in Salzlösung, HZ, den in Rz.-Lösung, c die Millimole Salz in 100 ccm, c3,p die Wirkungskonzentration des Saponins. Als die Versuche jetzt wieder aufgenommen wurden (1921), ergaben sich für die Verstärkung der Saponin-Rz.-Bl.-Hämolyse andere Kon- stanten in der Formel, und zwar: H = H,+495c-cz3,p, wobei die Schwellenkonzentration 0,0014°/,, Saponin entspricht (vgl. Tab. IV). Das zu diesen Versuchen verwendete Saponinpräparat, das ich im Institut vorfand, Saponinum purissimum albissimum Merck, wirkte also auf NaCl- und Rz.-Bl. stärker giftig ein; dementsprechend war die Giftverstärkung, da ja die Auflösung der Zellen der Giftwirkung ein Ende setzte, geringer. Die weiteren Versuche wurden alle mit demselben giftigeren Saponinpräparat gemacht. 1. Versuche mit NaCl. Tabelle IV. H=H,+ 495 c:csap (Schwellenwertkonzentration 0,0014°/g,). 0,006°/u Sap 0,008°/,, Sap 0,01°/,, Sap 0,012°/,, Sap '0,016°/,. Sap H=H,+224c| H=H,+324c| H=H,+424c!| H=H,+524c| H=H,+724c H, = 16 3,21 H, = 26 H,=31 DH, = 40 c E H H H H H 33 38 39 50 54 39 55 48 70 69 58 73 72 — — gef. ber. gef. ber. gef. | ber. gef. ber. gef. ber. 1,54 20 20 25 26 | 33 3,08 23 23 30 31 45 7,70 29 33 44 46 61 12,32 42 44 12 71 Diese Befunde entsprechen, wie schon erwähnt, sehr gut der Formel: H = H,-+ 495 c : Cg,p (Schwellenkonzentration 0,0014°/,, Saponin). 2. Versuche mit NaJ. Diese Versuche entsprechen der Formel H =,H - 2506 Cap wobei die Schwellenkonzentration 0,0048°/,, beträgt. Auffallend ist die geringe verstärkende Wirkung des NaJ gegenüber dem NaCl und Resistenz der Bl. gegenüber denselben in Rz. und NaCl untersucht und gleichfalls gefunden, daß sie in ersterem wesentlich größer ist; da ich das gleiche für die NAOH- und Serumhämolyse beobachtet habe, bilden diese Untersuchungen somit eine ergänzende Bestätigung des qualitativ scheinbar allgemein gültigen Befundes, daß Bl. in Rz. resistenter sind als in Salzlösungen. 1) Dies. Arch. 190, 173. 1921. von Ionen und organischen Giften. II. 257 die ausgezeichnete Übereinstimmung der gefundenen und berechneten H-Werte (vgl. Tab. V). Tabelle V. H=H,+ 250c:csap (Schwellenwertkonzentration 0,0048°/,o)- 0,006°/,, Sap 0,008°%/ 9. Sap 0,01°%/,0 Sap 0,012°/,, Sap 0,016°/,, Sap H=H,+032c| 2=H,+0,82c| =H,+130c|34=H#,+1-70c|H4 =H,+2,860c H, = 16 H,=21 H, = 26 H,=31 H,= 40 H H H H H gef. ber. gef. ber. gef. ber. gef. ber. gef. ber. 1,54 16 16 20 22 27 28 34 34 39 40 3,08 16 7 23 23 30 30 37 36 48 48 7,70 18 18 27 27 34 36 42. 44 58 60 12,32 21 20 30 sl 39 42 Sl 52 72 74 15,40 22 21 34 34 46 46 57 57 82 s0 Viel schwieriger ist die Aufstellung einer entsprechenden Formel für die Wirkung von Na,SO,. 3. Versuche mit Na,S0,. Tabelle VI. 0,002 0,004 0,006 0,008 0,010 0,012 0,016 ce %/o0 Sap %/oo Sap go Sap °/oo Sap %/go Sap oo Sap oo Sap H gefunden 3,08 23 15 26 32 39 45 58 7,70 — 17 30 47 55 72 88 12,32 Ai. 25 40 55 77 88 96 15,40 18 36 5l 70 83 96 100 Aus diesen Versuchen konnte ich eine einheitliche allgemeingültige Formel nicht berechnen. Bei den gegen 0,01—0,016% Saponin eben empfindlichen Bl. entspricht die Verstärkung der Giftwirkung sehr gut der Formel H— H, + 710 €: cs,),, wobei sich als Schwellenkonzentration 0,0048°/,, ergibt. Für die älteren Bl., die bereits durch 0,004 —0,008°/go Saponin vergiftet werden, stimmt diese Formel gar nicht; hingegen stimmen die H-Werte in diesen Fällen ganz gut mit den nach einer Formel 4 = H, + 345 c - cs,» berechneten überein, wenn als Schwellen- konzentration Null gesetzt wird; das würde bedeuten, daß es Bl. gibt, die in Na,SO,-haltigen Medien schon durch die geringsten Spuren Saponin gelöst werden. Daß wir bei den Na,SO,-Versuchen zu keiner einheitlichen Formel kamen, wie beim NaCl oder NaJ, dürfte seinen Grund darin haben, daß Bl., die in einer NaCl-Lösung noch zu den mittelalten gehören, in Na,SO,-haltigen Lösungen bereits gealtert sind; die Alterserscheinungen können daher in verschiedenen Medien in ver- schiedenen Lebensaltern eintreten. Noch komplizierter sind die Verhältnisse beim NaSON. 258 NH. Handovsky: Quantitative Beiträge zur Frage des Zusammenwirkens 4. Versuche mit NaSCN. Tabelle VII. € oo Sap °/oo Sap °/oo 8ap °/oo SAP "oo Sap oo Sap H geiunden 3,08 — I) 26 32 39 52 7,70 — 19 33 45 58 78 12,32 — 34 65 sl 90 98 15,40 15 48 s0 96 100 — Auch beim NaSCN ist eine giftverstärkende Wirkung vorhanden, die mit zunehmender Salz- und Saponinkonzentration zunimmt; aber diese Zunahme ist der Konzentrationszunahme nicht proportional, wie wir dies bei den bisher besprochenen Salzen gesehen haben, sondern sie ist stärker, als es der Salzkonzentration entspricht; es muß also wohl das SCN-Ion nicht nur eine giftverstärkende, sondern auch selbst eine Giftwirkung im Sinne einer Hämolyse ausüben. Eine entsprechende Sonderstellung des SCN-Ions beobachtete auch I. Runnström!) bei Untersuchung der durch Salze bewirkten Stabilisierung von Bl. gegen die Sedimentation. Was nun die Wirkung von Salzen mit anderen Kationen anlangt, paßt sich das LiCl sehr schön dem NaCl an. 5. Versuche mit Lil. Tabelle VI. H = H,-+ 1260 c : cap (Schwellenwertkonzentration 0,008°/,, Sap). 0,006 °/,. Sap 0,008 °/,0 Sap 0,01 %/00 Sap 0,012 °/,. Sap H=H,+1,45c H=H,+4,05c H = H, +6,65 e H=H,+925 c . En = 18 2m Zail H, = 26 H,=31 m H H H gef. ber. gef. ber. gef. ber. gef. ber. 3,08 16 20 29 33 46 46 59 59 7,70 29 27 51 öl 74 77 85 — 12,32 43 34 73 71 85 — 97 — 15,40 89 88 | 96 — 100 — — — Zur Charakterisierung der Wirkung des LiCl genügt die Formel H = H, + 1260 c- c;,, ganz gut, wobei sich als Schwellenkonzentration 0,0048°/,, errechnet; die giftverstärkende Wirkung des LiCl ist größer als die des NaCl, was sehr gut mit anderen biologischen Wirkungen des Li-Ions übereinstimmt. Viel komplizierter gestalten sich die Beziehungen bei Salzen, die selbst hämolytisch wirken. Hierher gehören die Mg- und Ca-Salze, mit denen folgende Versuche gemacht wurden. . 2) Biochem. Zeitschr. 123, 1. 1921. 0,004 0,006 0,008 0,010 0,012 0,016 von Ionen und organischen Giften. II. 259 6.—13. Versuche mit Mg- und Ca-Salzen. 6. MgS0, und Rz.-Bl. Tabelle IX. | sap > 5 0,006 %/0 | 0,010%/,5 | 0,012%/ e nn Oro K0.00 2100 7 ee Volum 0,0154n 7,02% 10 14 51 s0 90 0,0060 0,0308 n 6,24% 16 28 56 95 95 0,0058 0,0770n 3,90% 21 52 63 — 96 0,0060 0.1232 n 1,56% 93 s0 S6 78 96 0,0077 0,1540 n 0 100 100 100 100 100 — 7. Mg(SCN), und Rz.-Bl. Tabelle X. se ee 0,000 0,004%/60 | 0,008%/, | 0,010%, | 0,012%/0 | 0,016%,, | 0,025%/5 Y | 0,0308n 28 16 | 37 50 65 78 96 0,0770n 33 20 42 55 73 94 96 0,1232n 35 28 53 65 82 — _ 0,1540 n 96 88 80 s0 80 85 90 8. MgSO, und NaCl-Bl. Tabelle XI. e, "sap > 0 0,004%/0 | 0,006%/,, | 0,0109 | 0,0129), Volum *) Nacı Y On 0,154n 0 | 50 91 100 — 0,0072 0,0154 0,1386 25 5l 64 84 96 0,0063 0,0308 0,1232 9 38 55 76 80 0,0074 * 0,0770 0,0770 61 64 75 78 sl 0,0055 0,1232 0,0308 0,1540 f) ms 9. CaBr, und Rz.-Bl. Tabelle XII. e, = Te f) 0,004 0/5 | 0,006 %/60 | 0,008°%/,5 | 0,010%,, | Voium*) Rg 0,0154 n 7,02% 0) al 58 79 96 0,0046 0,0308 n 6,24% 0 40 | 73 83 96 0,0770 n 3,90% 14 5 | 84 96 100 0,0062 0,1232 n 1.56% 21 SS 93 96 100 0,1540n | 24 68 | 88 100 100 0,0062 0% 260 H. Handovsky: Quantitative Beiträge zur Frage des Zusammenwirkens 10. Ca(SCN), und Rz.-Bl. Tabelle XIII. e, | > 0 0,004 °/0 | 0,006 %/,0 | 0,008%/0 | 0,010 %/go Volum *) Rz. Yy 0,0308 | 6,24%, 28 44 65 88 96 0,0056 0,0770 | 3,90% 34 41 67 90 96 0,0043 0,1232 1,56% 42 68 85 90 96 0,1540 0% 85 87 91 95 96 11. CaCl, und Rz.-Bl. Tabelle XIV. Sp > % Opzy 0 0,004 Yo | 006° | 0,008%/o0 | 0,010%an 0,0154 7,02% 0 61 80 92 98 0,0308 6,24%, 0 48 70 82 95 0,0770 3,90% 24 25 68 78 90 0,1232 1,56% 60 62 86 98 100 0,1540 05% 90 98 100 — — 12. CaBr, und NaCl-Bl. Täbelle XV. sap > e 0 0,004 °/o0 | 0,006 %/0 | 0,008 %/0 | 0,010%/ | Volum*) Y Nacı y - On 0,154n 0 52 91 95 100 0,0088 0,0154 0,1386 0 14 65 ) 96 0,0808 0,1232 40 13 91 96 100 0,0052 0,0770 0,0770 (0) öl 84 96 100 0,0088 0,1232 0,0308 0 5l 18 — 100 0,1540 0 20 54 12 100 100 0,0078 14. Kombinierte MgSO, und CaBr,-Wirkung auf Rz.-Bl. Tabelle X VI. MsSO, CaBr; Rz NaCl Sap H Volum 0,077 n — 3,92% _ 0 28 0,0083 0,004 35 0,006 50 0,010 62 0,046n | 0,031 suaoıı min 97 2 0,004 35 0,006 48 0,010 8l von Ionen und organischen Giften. II. 261 Tabelle XVI (Fortsetzung). MeSO, | CaBr, Rz NaCl Sap H Volum 0,015 0,062 3,92% — 0) 10 — 0,004 44 0,006 sl 0,010 92 — 0,077 n 3,92% — 0 10 0,0077 0,004 51 0,006 sl 0,010 96 Aus der Fülle von Einzelheiten, die in diesen Versuchen beobachtet werden konnten, seien folgende hervorgehoben: 1. Alle Mg-Salze verstärken die Wirkung des Saponins gegenüber Rz.-Bl., und zwar MsSO, mehr als Mg(SCN),. 2. Es besteht eine ausgesprochene antagonistische Wirkung von Rz. und Mg auf die Saponinempfindlichkeit der Bl.; schon Spuren von Rz. hemmen die Mg-Hämolyse beträchtlich, während die Ca Hämolyse ent- sprechend dem Ca-Gehalt zunimmt, recht unabhängig vom Rz.-Gehalt. Diese Annahme wird auch durch folgenden instruktiven Versuch gestützt: In einer 0,154n-MgSO,- sowohl als auch in einer 0,154 n-CaCl,-Lösung werden die Bl. in kurzer Zeit schon bei Zimmertemperatur komplett gelöst; werden zu beiden einmal Rz das andere Mal NaCl in Mengen, hinzugefüst, so daß alle Mischungen doppelt isotonisch sind, dann wird die MgSO,-Hämolyse durch Rz., nicht aber durch NaCl-Überschuß gehemmt, die CaCl,-Hämolyse weder durch Rz., noch durch NaCl. Der Antagonismus erstreckt sich insbesondere auf die mittelalten und jungen Bl., denn obwohl z. B. in einer 0,154n-Mg(SCN),-Lösung 96% Bl. gelöst werden, sind in derselben Lösung + 0,01% Saponin nur 80% Bl. gelöst (Tab. X). Die Mg-Salze schützen also besonders die jungen Bl. vor der Saponinvergiftung. 3. Wird ein Teil des NaCl durch die gleiche Anzahl Mole MgSO, .„. MsSO ersetzt, dann hängt die hämolytische Wirkung vom Verhältnis N, en a MsSO, 4 ; ., MgSO, ab; sie hat, wenn Na 0,11 ein Maximum, nimmt dann bis Nach — (0,25 ab und steigt von da wieder an (Tab. XI). 4. Wird ein Teil des NaCl durch die gleiche Anzahl Mole MgSO, ersetzt, dann wird die Giftempfindlichkeit der jüngeren Bl. vermindert, die der älteren gesteigert; die verstärkende Wirkung nimmt mit zu- nehmendem Mg-Gehalt ab. 5. Die Ca-Salze üben auch stets eine verstärkende Wirkung auf die Saponinvergiftung der Rz.-Bl. aus, die von der Salzkonzentration 262 H. Handovsky: Quantitative Beiträge zur Frage des Zusammenwirkens ziemlich unabhängig ist. Beim CaCl, geht sie durch ein Maximum. Von den untersuchten Konzentrationen wirkt die am stärksten lytisch wirkende Konzentration am schwächsten verstärkend (Tab. XIV). 6. Ersatz von NaCl durch kleine Mengen CaBr, vermindert die Giftempfindlichkeit der Bl. beträchtlich; in höheren Konzentrationen, also bei zunehmendem Verhältnis ıs wird die Giftempfindlichkeit der alten Zellen beträchtlich gesteigert, die der jungen, wenn auch in geringem Ausmaß, vermindert (Tab. XV). 7. Der bekannte biologische und allgemein kolloidchemische Ant- agonismus von ein- und zweiwertigen Ionen gilt also auch für die Beein- flussung der Giftempfindlichkeit von Bl. gegenüber Saponin. Ein Ant- agonismus von Ca und Mg konnte nicht beobachtet werden, höchstens in bezug auf die jungen Zellen, deren Giftempfindlichkeit durch Mg-Salze beträchtlich herabgesetzt wird, nicht aber durch Ca-Salze. Wenn wir jetzt daran gehen, die obigen Versuche durch kolloid- chemische Überlegungen auf eine einheitliche Basis zu stellen, müssen wir zunächst noch unsere Erfahrungen über den Zusammenhang von Giftempfindlichkeit und Volumen der Bl. sammeln. Die Volumina der Rz.-Bl. sind bei den verschiedenen Blutproben natürlich nicht gleich, ebensowenig die der NaCl-Bl., wohl aber ist das Volumen der Bl. derselben Entnahme in 7,8 proz. Rz. stets um ca. 20% geringer als in 0,154n-NaCl-Lösung (vgl. Tab. XVII). Tabelle XVII. Hier und im folgenden ist unter Volumen stets das Volumen von 109 Millionen BI., und zwar in Kubikzentimeter gemeint. 109 Millionen sind in 1 ccm einer 2,5 proz. Kaninchenblutsuspension durchschnittlich vorhanden. Volumina der Blutkörperchen in 1 ccm 2,5proz. Blut aufgeschwemmt in 7,8% Rohrzucker 0,9% NaCl 0,0045 — 0,0046 0,0060 0,0058 0,0070 0,0060 0,0072 0,0060 0,0073 0,0060 0,0074 — 0,0076 — 0,0076 — 0,0076 0,0072 0,0086 0,0072 0,0091 Mittel: 0,0059 0,0073 Eine Ursache für das verschiedene Volumen der Bl. verschiedener Kaninchen im gleichen Milieu konnte ich nicht auffinden. Nachdem ich ’ von Ionen und organischen Giften. II. 263 die Arbeit von Ege!) gelesen hatte, habe ich Kontrollen der Volum- bestimmung von NaCl und auch Rz.-Bl. gemacht, indem ich das Volumen zu Beginn des Versuches, etwa °?/, Stunden nach dem Vermischen der Bl. mit ihrer Suspensionsflüssigkeit, nach Herausnehmen aus dem Brutschrank, also etwa 2!/, Stunden später und nach etwa 1l0stündigem Verweilen im Eisschrank bestimmte. Ich konnte keinerlei Unterschiede in der Größe des Bl.-Volumens zu diesen 3 verschiedenen Zeitpunkten finden, was ja schließlich den Befunden Zges nicht direkt widerspricht. Die Volumbestimmung geschah stets in selbst nachtarierten Hamburger- schen Chronohämatokriten mit 0,02 bzw. 0,04ccm Capillarinhalt; ich mußte stets 11/,—1?/, Stunde bis zur Volumkonstanz zentrifugieren. Eine darauf gerichtete Durchsicht der oben mitgeteilten Tabellen lehrt allenthalben, daß ein Zusammenhang zwischen Volumen und Gift- empfindlichkeit der Bl. nicht besteht. Besonders eklatant erscheint ein Versuch, in dem Bl. derselben Entnahme unter 2 verschiedenen Bedin- gungen ein Volumen von 0,0072 ccm hatten, aber durch 0,008°/,, Saponin im einen Fall zu 30%, im anderen zu 96% hämolysiert wurden. Das gleiche beweist der Einfluß der Konzentration des Rz. auf Gift- empfindlichkeit und Volumen der Bl. (vgl. Tab. XVIII). Tabelle X VIII. CRz Volum H (Versuch 4) % Versuch 28 | Versuch 43 | 0,12% Sap | 0,025%/u. Sap 5,85 0,0049 0,0059 Bas 7,8 0,0047 0,0056 34 62 15,6 0,0037 I 0,0087 32 62 Trotz des mit zunehmender Rz.-Konzentration kontinuierlich ab- nehmenden Volums, eine Erscheinung, die inzwischen von T. Takei?) im Hamburgerschen Institut systematisch untersucht wurde, ist die Giftempfindlichkeit in hypo- bis hypertonischen Lösungen gleich, in hypotonischen erscheint die Resistenz der jungen Bl. vermindert. In diesem Zusammenhang muß noch ein Versuch erwähnt werden: Es ist, wie ich mich wiederholt überzeugen konnte, für Volumen und Saponinempfindlichkeit der Bl. gleichgültig, ob diese vor dem Auf- schwemmen in Rz. in NaCl oder in Rz. serumfrei gewaschen wurden. Nicht gleichgültig ist dies jedoch für Bl., die in NaCl aufgeschwemmt werden sollen. Schon Gürber?) hatte beobachtet, daß in Rz. gewaschene Bl. gegen CO, ungemein empfindlich sind. Ich konnte zweimal beobach- ten, daß in Rz. bis zur Cl-Freiheit der Waschflüssigkeit gewaschene 1) Biochem. Zehn, 115, 109. 1920 und ebenda 115, 175.. 1921. 2) Biochem. Zeitschr. 123, 126. 1921. 2) Habilitationsschrift. Würzburg 1904. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 18 264 NH. Handovsky: Quantitative Beiträge zur Frage des Zusammenwirkens Bl. gegenüber 0,154n-NaCl sehr empfindlich geworden sind; das NaCl wirkt dann so wie sonst Salze mit zweiwertigen Kationen (vgl. Tab. XIX). Tabelle XIX. Rohrzucker-Waschung'!) NaCl-Waschung !) Rz 5) gap Na H H Ya DA Vol. 07, Vol. a 0 0,0058 () | 0,0058 DR 0,004 0) 0,0050 (Ü) | 0,006 16 16 0010 21 2] ao 10 0 BR 02003 26 | 25 2,5 0 14 ' 0,0072 0 0,0069 2,5 | 0,008 30 32 A 36 0 4 0,008 62 65 0 0 96 0 0,0072 5 0,004 9% 56 0,008 100 - 96 Interessanterweise bleibt die Saponınempfindlichkeit die gleiche, cb die NaCl-Bl. in Rz. oder in NaCl gewaschen wurden. Die Ursachen der Hämolyse durch Salze und die der giftverstärkenden Wirkung der Salze sind also verschieden. Die hämolysierende Wirkung von Ionen beruht, wie Stewart?) und neuerdings besonders Haffner*) nachgewiesen haben, auf Fällung oder Quellung von Hämoglobin oder Stroma, die verstärkende Wirkung jedoch, wie ich wahrscheinlich gemacht zu haben glaube°), auf einer Vergrößerung der freien Oberfläche, als Angriffspunkt des oberflächenaktiven Giftes®). Wie können wir uns diese Ober- flächenvergrößerung vorstellen? Da müssen wir uns zunächst der Frage zuwenden, in welchem kolloidehemischen Zustand sich die Rz.-Bl. befinden. Die Rz.-Bl. haben stets ein ca. 20% geringeres Volumen als NaCl-Bl. Um eine Entquellung im gewöhnlichen Sinn kann es sich hier schwer handeln; denn 1. ist von einer entquellenden Wirkung von Rz. 1) Blut derselben Entnahme. 2) x bedeutet das Verhältnis von Kubikzentimetern isotonischer Rohrzucker- zu isotonischer NaCl-Lösung. 2) Americ. Journ. of physiol. 11, 374. 1904. *) Verhandl. d. dtsch. pharmakol. Ges. 1921, S. XXIX, >) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 173. 1921. 6) Über die Unterschiede dieser verschiedenen Ursachen vgl. des Verf. Leitfaden der Kolloidchemie f. Biol. u. Med. Dresden 1922, S. 185. von Ionen und organischen Giften. II. 265 nichts bekannt, 2. wäre eine Entquellung reversibel, während die Rz.-Bl. eine nachherige Aufschwemmung in 0,154n-NaCl nicht vertragen. Wir stellen uns vielmehr vor, daß die Rz.-bl. mehr gelatiniert sind als die NaCl-Bl.; die Volumabnahme dürfte so vor sich gehen, daß beim Gelatinieren oder erst beim Zentrifugieren — das wird sich experimentell schwer entscheiden lassen — der Rz.-Bl. Wasser aus- gepreht wird. Daß die Volumabnahme der Rz.-Bl. mit zunehmender Rz.-Konzentration fortschreitend zunimmt, spricht nicht gegen die Auffassung einer Gelatinierung; dafür gibt es vielmehr in der Kolloid- chemie viele Beispiele). Die Gelatinierung ist stets mit einer Dispersitätsgradverminderung verbunden?). Die Salze wirken dieser Gelatinierung entgegen, erhöhen den Dispersitätsgrad und vergrößern die Angriffsfläche des Giftes. Für den mehr gelatinierten Zustand der Rz.-Bl. spricht auch der Ant- agonismus des Rz. gegenüber den Mg-Salzen (vgl. oben S. 259); denn die Ms-Salze sind als Verflüssiger des Protoplasmas bekannt?). Auch der oben angeführte (Tab. X) eigentümliche Befund, daß hämolysierende Ms(SCN),-Konzentrationen durch geringe Saponinkonzentrationen in ihrer Wirkung antagonistisch beeinflußt werden, läßt sich in unserem Sinne deuten, da wir nach Untersuchungen von Knaffl-Lenz*) annehmen können, daß oberflächenaktive Stoffe in niedrigen Konzentrationen eine Verfestigung des Protoplasmas bedingen. Wir kommen also zu folgender Vorstellung über die Ursachen der oben beschriebenen Phänomene: Der Rz. bewirkt innerhalb der wohl ständig hin und her pendelnden Sol-Gelumwandlung des Protoplasmas einen mehr gelatinierenden Zustand, dieser ist mit einer Verminderung des Dispersitätsgrades verbunden, die die Bl. für das oberflächenaktive Gift weniger empfindlich macht. Salze beeinflussen diesen Zustand in der entgegengesetzten Richtung; sie machen daher die Rz.-Bl. wieder gift- empfindlicher, und zwar, was zugleich als Wahrscheinlichkeitsbeweis für diese Annahme angeführt sei, wenn sie selbst keine hämolytischen Wir- kungen ausüben, nach den für die Adsorptionsverstärkung geltenden Gesetzmäßigkeiten. Dabei ist es für diese Probleme natürlich belanglos, ob der Zustand der Rz. — oder der der NaCl — Bl. dem der Bl. im strömenden Blut näher kommt. 1) Vgl. Leitfaden, S. 173. 2) Vgl. Leitfaden, S. 163ff. 3) Vgl. z. B. Hannsteen-C'ranner, Jahrb. f. wiss. Botan. 53, 536. 1914. *) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%1, 54. 1918. 18* (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Gießen.) Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit auf das Zähl- resultat bei Erythroeytenzählungen. Von B. Behrens, Medizinalpraktikant aus Gießen. Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 6. März 1922.) Inhalt: Zur Einführung, (S. 266) Plan der Untersuchung (S. 267) Durchführung der Untersuchung (S. 270) Ergebnisse der Untersuchung (S. 273) . Zusammenfassung und Schluß (S. 285) SUHzS Satin 1. Zur Einführung. Die im hiesigen Physiologischen Institut durchgeführten Unter- suchungen Marloffs!) haben ergeben, daß die bisher am meisten ver- wandte Thomasche Zählmethode mit einem um so größeren Fehler behaftet ist, je größer die Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten in der Verdünnungsflüssigkeit ist. Die Senkungsgeschwindigkeit hat sich aber als eine Funktion des Hämoglobingehaltes der Erythrocyten erwiesen, sie ist auch von der Größe der Erythrocyten abhängig insofern, als je größer beide Werte sind, um so größer sich auch die Senkungs- geschwindigkeit ergibt. Die Marlo/fschen Versuche wurden alle in derselben Verdünnungsflüssigkeit, in Hayemscher Lösung, durchgeführt. Hat sich so die Beschaffenheit der Erythrocyten als maßgebend für das Zählresultat erwiesen, so ist andererseits klar, daß auch die Beschaffenheit der Verdünnungsflüssigkeit von Einfluß auf das Resultat sein muß. Bei Verwendung anderer Verdünnungsflüssigkeit als Hayem- scher Lösung wird daher auch das Zählresultat anders ausfallen können. Weiterhin hat sich die für menschliches Blut und für manche Tier- blutarten im allgemeinen so geeignete Hayemsche Lösung nun aber nicht als eine ideale, für alle Blutarten brauchbare Verdünnungsflüssigkeit erwiesen. Schon Marloff hat festgestellt, daß es bei Verdünnung von !) R. Marloff, Die früheren Zählungen der Erythrocyten im Blute verschie- dener Tiere sind teilweise mit großen Fehlern behaftet. Pflügers Arch. : d. ges. Physiol. 1%5, 355. 1919. B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit usw. 267 Rinder- und Ziegenblut mit Hayemscher Lösung zu Agglutination der Erythrocyten und zu Stechapfelformen derselben kommt. Dasselbe hat @. Fritsch!) bei Hühner- und Taubenblut beobachtet. In der hiesigen medizinischen Klinik hat ferner Fräulein Dr. med. T'haer festgestellt, daß auch die Erythrocyten des Menschenblutes in Fällen von .Sepsis agglutinieren, wenn das Blut mit Hayemscher Lösung verdünnt wird, eine Beobachtung, die Hayem?) selbst schon gemacht hat. Dies alles legt es nahe, nach einer vielleicht noch geeigneteren Ver- dünnungsflüssigkeit zu suchen. Auf Veranlassung von Herrn Professor Dr. Bürker habe ich Untersuchungen nach dieser Richtung hin angestellt. 2. Plan der Untersuchung. Die Eigenschaften, welche eine brauchbare Verdünnungsflüssigkeit aufweisen muß, sind die folgenden: 1. Muß die Flüssigkeit die Erythrocyten möglichst gut konservieren.. 2. Muß die Verteilung der Erythrocyten in ihr und auf der Zählfläche eine möglichst gleichmäßige sein, Agglutination muß unter allen Um- ständen vermieden werden. 3. Muß die Dichte und auch die Viscosität der Verdünnungsflüssig- keit, so beschaffen sein, daß auf der einen Seite ein zu schnelles Ent- mischen durch Sedimentieren nicht zustande kommt, auf der anderen Seite müssen aber die Körperchen dem Zählnetz doch möglichst fest aufliegen. 4. Darf der Brechungsexponent nicht zu groß sein, da sonst das Zählnetz schwer zu sehen ist. 5. Muß die Flüssigkeit haltbar sein, sie darf nicht zu rasch ver- dunsten, darf keine Niederschläge ausfallen lassen und muß einer Entwicklung von Algen und anderen Kleinlebewesen vorbeugen. 6. Darf die Flüssigkeit beim Schütteln nicht Schaum entwickeln. 7. Darf die Flüssigkeit nicht schmieren und muß leicht wieder aus den Pipetten und der Zählkammer entfernt werden können. Von ausschlaggebender Bedeutung ist in der Praxis der Erythro- ceytenzählung, wie die Erfahrungen ergeben haben, der Punkt 3, ihm sollen daher hauptsächlich unsere Untersuchungen gewidmet sein. Die Bedingungen, von welchen die Senkungsgeschwindigkeit kugelig gedachter Gebilde in einer Suspensionsflüssigkeit abhängig ist, sind durch die bekannte Stokessche Formel a DEN, m) ® 9 g 7 7 1) G. Fritsch, Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. II. Untersuchung des Kaninchen-, Hühner- und Taubenblutes. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 181, 88. 1920. 2) @. Hayem, Recherches sur l’Evolution des hematies dans le sang de ’homme et des vertebres. Arch. de physiol. norm. et pathol. 5, 700. 1878. 268 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit gegeben, worin v die Senkungsgeschwindigkeit, g die Beschleunigung der Schwere, D die Dichte der Körperchen, d die Dichte der Flüssigkeit, n den Koeffizienten der inneren Reibung und r den Radius der Kügelchen bedeutet. Auch die Temperatur spielt noch insofern eine Rolle, als die Werte D, d und n Temperaturkoeffizienten aufweisen. Sind streng genommen die Erythrocyten auch keine kugeligen Gebilde, so läßt sich doch ein Ersatzkügelchen ermitteln mit dem Äquivalentradius r. Von besonderem Einfluß ist demnach, was die Körperchen angeht, ihr Radius, denn dieser kommt in der 2. Potenz vor. Hiermit stimmt überein, daß in der Marloffschen Versuchsreihe die Senkungsgeschwin- digkeit sich immer um so größer ergeben hat, je größer der Radius der betreffenden Erythrocyten war. Dazu kommt noch bei gleicher Größe ihr Hämoglobingehalt, mit dessen Zunahme die Senkungsgeschwindigkeit auch noch wächst. Da bei einem gegebenen Blut an den Erythrocyten nichts geändert werden kann, so ist die passende Senkungsgeschwindigkeit nur durch geeignete Wahl der Dichte und der Viscosität der Verdünnungsflüssig- keit zu erzielen, wobei auch die Temperatur zu berücksichtigen ist. Es handelt sich nunmehr darum, durch Versuche die geeignete Verdünnungsflüssigkeit zu ermitteln. Zu diesem Zweck sollte einerseits die Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten ein und desselben Blutes in Verdünnungsflüssigkeiten verschiedener Beschaffenheit be- stimmt und in Beziehung zum Zählfehler der Thomaschen und der Bürkerschen Zählmethode gesetzt werden, andererseits sollten die Senkungsgeschwindigkeiten möglichst verschiedener Erythrocyten in ein und derselben geeigneten Verdünnungsflüssigkeit geprüft und gleich- falls in Beziehung zum Zählfehler der beiden Methoden gebracht werden. Das mit der Thomaschen Methode gewonnene Zählresultat hat sich bisher als abhängig von der Senkungsgeschwindigkeit erwiesen, das mit der Bürkerschen Methode erzielte aber nicht. Zunächst wurde Ausschau nach den bisher zur Zählung von Erythro- cyten verwendeten Verdünnungsflüssigkeiten gehalten. Man kann diese Flüssigkeiten in 6 Hauptgruppen einteilen: 1. Körperflüssigkeiten, wie Serum, Ascitesflüssigkeit vom Mensch, Amnionflüssigkeit von der Kuh, Urin von Diabetikern, schwach phos- phathaltiger Urin, die heute nur noch historisches Interesse haben. 2. Einfache und zusammengesetzte, dem Blute isotonische oder wenigstens annähernd isotonische Salzlösungen wie 0,9proz. K.ochsalz- lösung, Ringersche oder Tyrodesche Lösung, 5,1 proz. Rohrzucker- lösung. 3. Lösungen, die noch ein Fixationsmittel wie Sublimat, Formol oder Osmiumsäure enthalten. Solche Lösungen haben Gowers, Malassez und Hayem angegeben. auf das Zählresultat bei Erythrocytenzählungen. 269 4. Lösungen, die man durch Zusätze von Glycerin, Gummilösung oder Zucker spezifisch schwerer und viscöser gemachthat. Von Potain, Pacini, Mayet, Toison, Bürker und Krotkow wurden solche Lösungen benutzt. 5. Lösungen, welche Farbstoffe wie Eosin, Gentianaviolett, Methyl- violett, Toluidinblau oder Kresylblau enthalten, entweder zum Anfärben der Erythrocyten (Eosin) oder zum Färben der Leukocyten (die anderen Farbstoffe), um die Leukocyten von den Erythrocyten besser unter- scheiden zu können [siehe A. Pappenheimt)]. 6. Lösungen, welche besonders gerinnungshemmende Stoffe ent- halten. Diese Stoffe verhindern den Zerfall und die Agglutination der Thrombocyten, was für eine gleichmäßige Verteilung der Erythroeyten auch von Bedeutung ist. Eine solche Lösung hat A. Pappenheim (a. a. OÖ. S. 237) angegeben: NENNE, OMA, or 0 0 0 0 e 0,3 Ammon. oxal. . .... 0,1 Cal el ni: 0,1 Aguandest2 2-2 2.2: 100,0 Für meine Zwecke kommen nur die unter 2., 3. und 4. genannten Lösungen in Frage. Eine Reihe von diesen Lösungen kann man auf Grund der neueren Erfahrungen von vornherein ausschließen. Mit den anderen habe ich die Frage zu beantworten gesucht, welchen Einfluß diese Verdünnungsflüssigkeiten auf das Zählresultat sowohl bei Ver- wendung der Thomaschen als auch bei Verwendung der Bürkerschen Methode haben. Diese Lösungen sind: Aus Gruppe 2 Kochsalzlösung 0,9 proz., T’yrode- lösung; aus Gruppe 3 Hayemsche Lösung; aus Gruppe 4 rolkanısche Lösung?), bestehend aus: Nabrssultumer 8,0 NatıXenloratsrese ar 1,0 Eiydrsbiehlorze. 2.2. 0,5 Ghycerinie rer: 30,0 ANguandesuller.sı 180,0 Es war ferner wichtig zu prüfen, wie diese Lösungen sich bei Zählung möglichst verschiedenartiger Erythrocyten verhalten. Zu dem Zwecke wurden neben Erythrocyten des Menschen, welche ein mittleres Sen- 1) A. Pappenheim, Grundriß der hämatologischen Diagnostik und praktischen Blutuntersuchung. Verlag von Dr. Werner Klinkhardt. Leipzig 1911. S. 236. 2) Über die genaue Zusammensetzung aller bisher genannten Verdünnungs- flüssigkeiten siehe K. Bürker, Zählung und Differenzierung der körperlichen Ele- mente des Blutes. Tigerstedts Handbuch der physiol. Methodik, Bd. II, Abt. 5, S. 10, 11, 12, 14, 15, 18, 19, 21, 52. — Ferner K. Bürker, Über weitere Verbesserun- gen der Methode zur Zählung roter Blutkörperchen nebst einigen Zählresultaten. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 142, 362. 1911. — Über die Krotkowsche Lösung siehe 8. F. Krotkow, Zur Methodik der Blutkörperchenzählung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 153, 627. 1913. 270 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit kungsbestreben aufweisen, auch noch Froscherythrocyten, welche sich sehr rasch, und Ziegenerythrocyten, welche sich sehr langsam senken, in den Kreis der Untersuchung gezogen. 3. Durchführung der Untersuchung. Zur Charakterisierung der verwendeten Verdünnungsflüssigkeiten war es mit Rücksicht auf die S. 267 erwähnten Punkte zunächst nötig, das morphologische Verhalten der Erythrocyten in diesen Flüssigkeiten zu prüfen, was ohne weiteres bei der Zählung mit Hilfe des Mikroskopes geschah. Dabei ergab sich dann auch, ob Agglutination vermieden war oder nicht. In dieser Beziehung waren auch besonders die neueren Untersuchungen R. Höbers und seiner Schule über Suspensionsstabilität und -instabilität der Erythrocyten zu berücksichtigen. Die Dichte der Verdünnungsflüssigkeit wurde mit der Mohrschen Wage, die Viscosität mit dem Ostwaldschen Viscosimeter, der Brechungs- exponent mit dem Pulfrichschen Eintauchrefraktometer bestimmt. Ganz besonders wichtig aber war die genaue Ermittlung der Senkungs- geschwindigkeit der Erythrocyten in der betreffenden Verdünnungs- flüssigkeit. R. Marloff hat in seiner oben zitierten Arbeit, S. 358, diese Geschwindigkeit auf folgende Weise bestimmt: ‚Unter einem Leitzschen „Binokularmikroskop, in dessen Gesichtsfeld die Erythrocyten plastisch „erscheinen, wurde auf das Zählnetz der Bürkerschen Zählkammer „ein Tröpfehen der Blutmischung gebracht, ein Blutkörperchen, das „in der Kuppe des Tröpfchens scharf im Gesichtsfelde erschien, ins „Auge gefaßt, mit Hilfe der Mikrometerschraube das Körperchen bei „der Senkung verfolgt und mit einer Stoppuhr die Zeit bestimmt, „innerhalb welcher das Körperchen die Zählfläche eben erreichte oder „auch nur sich um eine bestimmte Strecke senkte.‘“ Für die Marloffschen Zwecke — es handelte sich damals besonders um die Gewinnung relativer Werte in ein und derselben Verdünnungs- flüssigkeit — genügte diese Methode, sie war die einzig mögliche, wenn die Verhältnisse auf der Zählfläche, wie sie sich bei der Füllung der Zählkammer ergeben, berücksichtigt werden sollten. Zur annähernden Ermittlung der absoluten Senkungsgeschwindigkeit hätte die Tubus- verschiebung mit dem Brechungsexponenten der Verdünnungsflüssig- keit multipliziert werden müssen. Auch konnte Marloff bei seiner Versuchsanordnung die Temperatur, welche einen wesentlichen Einfluß auf die Senkungsgeschwindigkeit hat, nicht genügend genau in Betracht ziehen. Ich bin daher zu der Methode übergegangen, welche Marloff auch schon angewendet, aber aus den obengenannten Gründen wieder verlassen hatte, nämlich zur Beobachtung der Senkung des Blut- körperchenspiegels in der Verdünnungsflüssigkeit nach vorheriger guter Mischung des Blutes mit dieser Flüssigkeit. auf das Zählresultat bei Erythrocytenzählungen. DTEl Zur Erzielung eines möglichst ebenen und scharf begrenzten Blut- körperchenspiegels erwies es sich als nötig, die Senkung in einem relativ weiten Glasröhrchen vor sich gehen zu lassen, sonst machte sich die Adhäsion an der Wand und die dadurch bedingte Konkavität des Flüssigkeitsspiegels störend geltend. Das Röhrchen war ca. 140 mm lang, der innere Durchmesser betrug 7,3, der äußere 9,0 mm. In seiner unteren Hälfte war das Röhrchen mit einer Millimeterskala versehen. Um parallaxenfrei ablesen zu können, war die Millimeterteilung auf der Vorder- und Rückseite in gleicher Höhe angebracht, die gemeinsamen Zentimeterteilstriche waren ringsherum geführt. Die Temperatur wurde dadurch konstant erhalten, daß das Röhrchen in ein mit Wasser gefülltes, etwa 3 cm weites Becherglas möglichst tief eingetaucht wurde, das seinerseits in einem mit einem Thermoregulator versehenen Wasser- bad (etwa doppelt so weites wasserhaltiges Becherglas) stand. Im inneren und äußeren Becherglas befand sich zur Kontrolle der Temperatur je ein Thermometer. In späteren Versuchen wurde das Röhrchen im inneren Becherglas mit einem Luft- statt einem Wassermantel umgeben. Mit einer Pipette wurde nun die Blutmischung in das Glasröhrchen luftblasenfrei so eingefüllt, daß sie etwa Imm über dem Nullstrich der Skala stand. Von dem Augenblick an, wo der Blutkörperchen- spiegel bei der Senkung den Nullstrich passierte, wurde mit der Ermitt- lung der Senkungsgeschwindigkeit begonnen. Die Beobachtungszeit erstreckte sich meist auf 60 Minuten. Aus der Senkungsstrecke und Senkungszeit ergab sich dann leicht die Senkungsgeschwindigkeit in Millimetern pro Minute. Daß nun die auf diese Weise ermittelte Senkungsgeschwindigkeit in der Tat mit der von Marloff auf der Zähifläche ermittelten überein- stimmt, sofern man die Tubusverschiebung mit dem Brechungsexponen- ten der Verdünnungsflüssigkeit multipliziert, habe ich durch eine Reihe von Versuchen festgestellt. In 4 vom 8. bis 10. I. 1920 im Senkungs- röhrehen durchgeführten Versuchen fand ich für mein 200fach mit Hayemscher Lösung verdünntes Blut die Senkungsgeschwindigkeit bei 15° zu 0,125, 0,125, 0,128 und 0,125 mm pro Minute, im Mittel 0,126. Als Gesamtmittel einer größeren Zahl von Versuchen (50 Beobach- tungen) auf der Zählfläche ergab sich bei einer mittleren Temperatur von 14,4° 0,093 mm. Den Brechungsexponenten der Hayemschen Lösung bestimmte ich zu 1,3362 bei 15°, daraus ergibt sich die Sen- kungsgeschwindigkeit zu 0,093 - 1,3362 = 0,124 mm, ein Wert, der mit dem nach der anderen Methode gewonnenen von 0,126 recht gut über- einstimmt. Die Ermittlung der Senkungsgeschwindigkeit in einem Glasröhrchen hat aber den weiteren Vorteil, daß sie die Zeit und Geduld des Be- obachters viel weniger in Anspruch nimmt. Wie schon erwähnt, ist 212 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit es aber besser, das Glasröhrchen möglichst weit zu wählen. Von Vorteil ist ferner, das Blut möglichst stark zu verdünnen, man erzielt so besser einen ebenen Blutkörperchenspiegel. Es empfiehlt sich außerdem, die Beobachtungszeit möglichst lange zu wählen, doch ist hier mit 40—60 Minuten insofern eine Grenze gesetzt, als der Blutkörperchen- spiegel nach dieser Zeit immer verschwommener wird. Daß nun die Senkungsgeschwindigkeit derselben Erythrocyten in der- selben Verdünnungsflüssigkeit unter Beachtung der genannten Momente eine konstante ist, wie auch nach der Stokesschen Formel zu erwarten ist, hat Marloff bereits gezeigt. Die damit in Widerspruch stehenden, von W. Roerdansz!) erzielten Resultate sind unter so absonderlichen Ver- hältnissen gewonnen, daß man sich über die Abweichung nicht wundern kann. Roerdansz hat nämlich auffallenderweise die Senkung in dem unteren Capillarrohr der Mischpipette für weiße Blutkörperchen be- obachtet, also unter Verhältnissen, wie sie für die Zählkammer gar nicht in Betracht kommen. Es ist ja leicht mit Hilfe des Mikroskops zu beobachten, sei es, daß man die Blutmischung in ein Capillarrohr oder in ein Trögchen mit planparallelen Wänden bringt, daß in der Nähe der Wand ein Strom entsteht, der die Erythrocyten nicht nach abwärts, sondern nach aufwärts führt, obwohl sich der Blutkörperchenspiegel als Ganzes beständig senkt. Schon im Jahre 1868 hat A. Schklarewsky?) interessante, im Helmholizschen Laboratorium gewonnene Beobach- tungen über den in einem Capillarrohr entstehenden, nach abwärts gerichteten axialen und den nach aufwärts gerichteten Randstrom mitgeteilt, ja an einer Stelle, der Stillstandzone, kann es zu einem rela- tiven Stillstand der Bewegung kommen. Die von Roerdansz angewandte Methode ist also nicht geeignet für die Bestimmung der mittleren Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. Die Konstanz der Senkungsgeschwindigkeit ergab sich innerhalb der genannten Zeit auch für meine Versuchsanordnung, wie später (S. 275) noch gezeigt werden soll. In der Stokesschen Formel für die Senkungsgeschwindigkeit kommt die Temperatur nicht vor, sie ist aber insofern implicite in der Formel enthalten als die Dichte der Körperchen und der Verdünnungsflüssig- keit und besonders die Viscosität abhängig von der Temperatur ist. Es muß daher in genaueren Versuchen für Temperaturkonstanz gesorgt oder die Versuchstemperatur genau ermittelt werden. Um den Einfluß der Temperatur auf die Senkungsgeschwindigkeit zu prüfen, habe ich noch einige Versuche angestellt, von denen einer, 1) W. Roerdansz, Die Vorbereitung des Blutes zur Zählung seiner Formelemente und die den einzelnen hierbei gebräuchlichen Methoden innewohnenden Unsicher- heiten. Fol. haematol., 18, 38. 1914. 2) A. Schklarewsky, Über das Blut und die Suspensionsflüssigkeiten. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1, 616. 1868. auf das Zählresultat bei Erythrocytenzählungen. 2 in Abb. 1 graphisch wiedergegeben, mitgeteilt sei; es handelt sich um mein eigenes, 200fach mit Hayemscher Lösung verdünntes Blut. Bei einer Senkung der Temperatur von 20 945 auf 10° nimmt demnach die Senkungs- geschwindigkeit um 10% ab, bei einer a4 Erhöhung von 20 auf 30° um 22% zu. R Man könnte nun unserer Methode, 3035 die Senkungsgeschwindigkeit zu be- x stimmen, den Einwand machen, daß S 0,30 mit ihr ja nur die Geschwindig- N N0,25 keit der sich am langsamsten senken- den Erythrocyten ermittelt werde. Marloff hat diesen Einwand schon dis- kutiert (a. a. OÖ. S. 358) und sich be- müht, die Senkungsgeschwindigkeit der am raschesten fallenden Erythro- cyten festzustellen, es gelang das aber ""wo 20 nicht einwandsfrei. Die mitgeteilten Beobachtungen von Schklarewsky wei- sen aber darauf hin, daß durch den nach unten gerichteten axialen und den nach oben gerichteten Randstrom eine gewisse Mischung der sich senkenden Erythrocyten zustande kommt, wodurch der Ein- wand einigermaßen entkräftet, wenn auch noch nicht ganz behoben wird. Del Jenk. geschwi S SQ 0,15 30 40 50 60 Temperatur in °C Abb. 1. 4. Ergebnisse der Untersuchung. Was zunächst das morphologische Verhalten der Erythrocyten in den 4 von mir besonders untersuchten Verdünnungsflüssigkeiten betrifft, so konservieren die Kochsalz- und Tyrodelösung die Erythrocyten des Menschen und der genannten Tiere ungenügend, in der ersteren kommt es leicht zu Stechapfelformen und Geldrollenbildung, in beiden tritt schon nach 24 Stunden Hämolyse ein. Sehr viel geeigneter ist die Hayemsche Lösung, die tagelang die Erythrocyten gut konserviert, freilich in Glockenform. Der Glycerin- zusatz in der Krotkowschen Lösung bedeutet in morphologischer Hin- sicht eine Verschlechterung, wie auch die glycerinhaltige Pacinische Lösung die Form der Erythrocyten schlechter bewahrt als die Zayemsche. Agglutination wird noch am besten von der Tyrodelösung vermieden. Hayemsche Lösung agglutiniert Ziegenerythrocyten, Krotkowsche Lö- sung agglutiniert Menschen- und besonders Ziegenerythrocyten. Über die Dichte, die Viskosität, den Brechungsexponenten und die Senkungsgeschwindigkeit bei 15° gibt die folgende Tabelle Auskunft, die Werte sind Mittelwerte aus einer größeren Zahl von Bestimmungen in mehrfach frisch bereiteten Lösungen. 274 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit Senkungsgeschwindig- Verdünnungsflüssigkeit Dichte | Viscosität N. keit in mm pro Minute Frosch ?) Mensch | Ziege 1. Kochsalz 0,9% 1,006 | 1,023 1,3349 0,33 0,07 | 0,02 2. Tyrodelösung 1,007 1,024 1,3350 0,30 0,06 | 0,02 3. Hayemsche Lösung 1,015 1,049 1,3362 0,58 0,10 | 0,04 4. Krotkowsche Lösung !) 1,050 1,535 1,3512 0,10 0,03 | 0,02 Aus der Tabelle geht die relativ große Dichte und Viscosität der Krotkowschen Lösung, welche an sich durch Verzögerung der Ent- mischung die Zählung der Erythrocyten günstig beeinflussen müssen, hervor, ein Nachteil bei dieser Lösung ist aber schon das schmierende Glycerin und der hohe Brechungsexponent, der das Sehen des Zähl- netzes sehr erschwert. Noch viel stärker als die genannten Werte variiert die so maßgebende Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten in den verschiedenen Ver- dünnungsflüssigkeiten, und das gilt besonders für Froscherythrocyten; diese senken sich in Hayemscher Lösung etwa doppelt so rasch als in Kochsalz- und Tyrodelösung. Ihre Senkungsgeschwindigkeit ist ferner “in den gleichen Verdünnungsflüssigkeiten 5—6mal größer als die der Menschen- und 15mal größer als die der Ziegenerythrocyten. In der Krotkowschen Lösung sind diese Unterschiede nicht so groß. Dieses verschiedene Verhalten hängt besonders mit der Größe bzw. dem Durch- messer und dem Hämoglobingehalt dieser Erythrocyten zusammen, welche Werte bei denen des Frosches 23,0 und 16,3 u bzw. in einem besonderen Falle 213-10°'?g Hb, bei denen des Menschen 7,5 u bzw. 30,0. 10°!” g und bei denen der Ziege 4,3 u bzw. 8- 10°!” g betragen. Vom Standpunkte der Senkungsgeschwindigkeit aus allein be- trachtet wäre die Hayemsche Lösung bei Verwendung der T’homaschen Zählmethode als nicht so besonders geeignet zu bezeichnen, wenn sie nicht andere wesentliche Vorteile darböte. Von Bedeutung ist noch eine andere Beobachtung, welche mit der Hayemschen Lösung gemacht werden konnte. An sich ist die Senkungs- geschwindigkeit in dieser Lösung auffallend groß, sie ist aber auch noch eine Funktion der Zeit, welche. von der Herstellung der Blutmischung bis zur Anstellung des Versuches verstreicht, insofern als mit zunehmender Zeit die Senkungsgeschwindigkeit in Hayemscher Lösung wächst, wie aus der folgenden Tabelle und aus der graphischen Darstellung mehrerer !) Das für die Krotkowsche Lösung verwendete Glycerin konnte im Jahre 1919, in welchem diese Versuche angestellt wurden, in nicht ganz reinem Zustande erhalten werden, es war schwach gelblich gefärbt und hatte eine geringere Dichte als das ganz reine. 2) Es handelt sich hier um Frühjahrsfrösche, die Herbstfrösche weisen höhere Werte auf, so wurde in einem Falle, der auf S. 280 dieser Arbeit verwertet wurde, 0,33 mm pro Minute in der Krotkowschen Lösung gefunden. auf das Zählresultat bei Erythrocytenzählungen. 275 Versuchsergebnisse in Abb. 2 deutlich hervorgeht. Nach 24 Stunden hat aber die Senkungsgeschwindigkeit einen konstanten Wert. erreicht. Senkungsgeschwindigkeit meiner Erythro- Laufende cyten bei 15°C in mm pro Minute Nummer sofortnach dem Mischen | 24 Stunden später 1 0,11 0,14 2 0,10 0,13 3 0,09 0,13 4 0,08 0,15 5 0,09 0,13 Mittel 0,09 0,14 Diese mit meinen Erythrocyten erhaltenen Ergebnisse gelten mutatis mutandis auch für die anderen Erythrocytenarten. Die Kurven zeigen auch, wie innerhalb einer Stunde die Senkungsgeschwin- digkeit in derselben Blutmi- schung ziemlich konstant ist. Diese Zunahme der Sen- kungsgeschwindigkeit, welche Ss nach der Tabelleim Mittel 40% 3, beträgt, also bei Anwendung & 5 der Thomaschen Zählmethode x, sich störend geltend machen N 6 muß, könnte auf einer Zu- S; nahme der Dichte und beson- I, ders des Radius der Körper- 3 chen beruhen, auch könnte 2 Asglutination in Betracht 7 kommen. Von letzterer ist 9 45 60 nach 24 Stunden mikrosko- Zeit in Minuten . = D Abb. 2. A in Hayemlösung 24 Stunden nach dem pisch noch nichts zu sehen, Mischen. B in Hayemlösung sofort nach dem nach etwa 1 Woche ist sie in Mischen. € in Hayemlösung ohne Sublimat 16 Stun- R: - den nach dem Mischen. D in Hayemlösung ohne der Hayem schen Lösung ZWel- Sublimat sofort nach dem Mischen. fellos vorhanden. Auch von einem Größerwerden der Erythrocyten ist ohne weiteres nichts zu beob- achten. Dagegen scheint eine Bindung des Sublimates bzw. des Queck- silbers an die Erythrocyten stattzufinden, denn bei Verwendung von Hayemscher Lösung ohne Sublimat ist 1. die Senkungsgeschwindigkeit kleiner, 2. tritt eine nennenswerte Änderung der Senkungsge- schwindigkeit mit der Zeit nicht ein und 3. bleibt die Farbe der Blutmischung rot, während sie unter dem Einfluß des Sublimats mit der Zeit brauner. wird. Es ist nun in der Tat bekannt, daß die semipermeable Membran der Erythrocyten für Sublimat durchgängig ist. 276 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit Noch sei darauf hingewiesen, daß die Ermittlung der Senkungs- geschwindigkeit auch von praktischer Bedeutung ist, indem man aus ihr auf den mittleren Gehalt eines Erythrocyten an Hämoglobin bzw. den Färbeindex schließen kann, bestehen doch fast 40% der feuchten Erythrocyten aus Hämoglobin. Ich verdanke Fräulein Dr. med. T'haer, welche im hiesigen Institut mit solchen Versuchen begonnen hat, folgende Angaben: Färbeindex 1,28 Senkungsgeschwindigkeit 0,13 » 0,61 en 0,07 in Hayemscher Lösung. Durch einen relativ einfachen Versuch kann so unter Umständen die Differentialdiagnose zwischen Chlorose und perniziöser Anämie gestellt werden. Nachdem nun durch die mitgeteilten Versuche die Art und Größe des Einflusses der Verdünnungsflüssigkeiten auf die Senkungsgeschwin- digkeit der Erythrocyten ermittelt war, sollte nunmehr geprüft werden, inwieweit das Zählresultat bei vergleichenden Zählungen mit der Thomaschen und Bürkerschen Methode von der Senkungsgeschwindigkeit und damit auch von der Natur der Verdünnungsflüssigkeit abhängig ist. Bürker und Marloff haben gezeigt, daß das mit der Thomaschen Methode gewonnene Zählresultat weitgehend von dem Senkungsbestreben der Erythrocyten abhängig ist. Bei vergleichenden Zählungen im Blute der Haustiere ergaben sich P. Kuhl!) und G. Fritsch?) durchschnittlich kleinere Ery- throcytenwerte, als sie bisher, meist mit der T’homaschen Methode, ermittelt wurden. Bei all diesen Versuchen wurde aber mehr Rücksicht auf die Erythrocyten als auf die Verdünnungsflüssigkeit genommen. Es war zu erwarten, daß die Thomasche Methode auch in allen den Fällen zu hohe Werte geben würde, in welchen die Verdünnungsflüssig- keit eine rasche Senkung der Erythrocyten zuließ. Von vornherein war beabsichtigt, den Einfluß aller der auf S. 273 genannten und untersuchten Verdünnungsflüssigkeiten, nämlich der 0,9proz. Kochsalz-, Tyrode-, Hayem- und Krotkowschen Lösung, auf das Zählresultat zu prüfen, und zwar bei den schweren Frosch-, den mittelschweren Menschen- und den leichten Ziegenerythrocyten, es ergaben sich aber Schwierigkeiten, die nur einen Teil der beabsichtigten Versuche zuließen. So stellte sich heraus, daß die Kochsalz- und Tyrode- lösung hämolytisch und zwar auf alle Erythrocytenarten wirkte, wodurch die Zählungen illusorisch wurden, es zeigte sich ferner, daß die Hayem- sche Lösung die Ziegen-, die Krotkowsche Lösung die Menschen- und besonders die Ziegenerythrocyten agglutinierte, was auch das Zähl- 1) P. Kuhl, Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. Untersuchung des Pferde-, Rinder- und Hundeblutes. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%6, 263. 1919. 2) @G. Fritsch, a. a. O. auf das Zählresultat bei Erythrocytenzählungen. 97 resultat sehr ungünstig beeinflussen mußte. Es blieb daher nichts anderes übrig, als sich auf die extremen Fälle zu beschränken und die Zählung der Frosch- und Menschenerythrocyten in Hayemscher und Krotkowscher Lösung vergleichend nach der Thomaschen und der Bürkerschen Methode vorzunehmen. Dabei wurde, um unter sonst identischen Verhältnissen zählen zu können, folgendermaßen verfahren: Die eine Abteilung einer Bürker- schen Zählkammer wurde nach Art der Thomaschen Methode gefüllt, d. h. es wurde ein Tröpfchen der Blutmischung auf die Zählfläche gebracht und dann erst das Deckglas aufgelegt und mit Hilfe der Klam- mern dauernd unter Erzeugung schönster Newtonscher Streifen auf- gedrückt. Die andere Abteilung wurde unmittelbar darauf, während das Deckglas liegen blieb, nach Bürker, also durch Capillarität, gefüllt. Nach Auszählung der beiden Abteilungen — es wurden in jeder 160 Qua- drate berücksichtigt — wurde eine zweite analoge Füllung vorgenommen, nur wurde jetzt insofern gewechselt, als die Abteilung, welche vorher nach Bürker gefüllt worden war, jetzt nach Thoma gefüllt wurde und umgekehrt. Das Resultat wurde aus dem Erythrocyteninhalt von je 320 Quadraten berechnet. Bei dieser Art der Füllung zeigte sich wieder, wie schwer es war, einwandfrei nach Thoma zu füllen, es mußte die Füllung oft mehrere Male vorgenommen werden, bis sie allen Anforderungen entsprach. Mit Rücksicht auf die relativ großen Froscherythrocyten wurde bei Zählung derselben durch Auflegen des mit einem Einschliff von 0,100 mm Tiefe versehenen Deckglases die doppelte Kammerhöhe von 0,200 mm hergestellt. Gezählt wurde in diesem Falle in den großen Quadraten von !/,;, qmm, 125 solcher Quadrate wurden in jeder Abteilung berück- sichtigt, also gerade lcmm Blutmischung. Da im allgemeinen alle Blutarten 200fach verdünnt waren, so brauchte im letztgenannten Falle die ermittelte Erythrocytenzahl nur noch mit 200 multipliziert zu werden. In Wahrheit liegen die Verhältnisse bei Zählungen in der Thomaschen Kammer selbst wegen des 9mal kleineren Zählnetzes und der Unsicherheit, das Deckglas richtig aufzulegen und in gleicher Lage zu erhalten, noch ungünstiger. In der Tabelle (S. 278) sind die Resultate der Zählungen mitgeteilt. Aus den am Blute von 7 verschiedenen Tieren gewonnenen Zählresul- taten ergibt sich, daß unter 17 nach Thoma angestellten Versuchen 16 ein höheres Resultat lieferten als die nach Bürker durchgeführten, nur Ver- such 11 lieferte einen niedrigeren Wert. Im Durchschnitt von allen Zäh- lungen beträgt die Differenz 10,3% bei einer mittleren Senkungs- geschwindigkeit der Froscherythrocyten von 0,60 mm pro Minute. Die Versuche Nr. 8—17 sind an derselben Blutmischung durch- geführt, sie sind daher zur Berechnung des mittleren Fehlers jeder 278 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit einzelnen Zählung (fm) und des Mittelwertes (#Fm) nach der Gaussschen Fehlerquadratmethode geeignet!). Nach dieser beträgt der erstere Fehler für die Thomasche Methode bei einem Mittelwert von 348,5 Erythro- cyten + 25,6 Erythrocyten oder + 7,3%, der letztere + 8,1 Erythro- cyten oder + 2,3%. Zu diesen zufälligen Fehlern kommt aber noch ein der Thomaschen Methode zur Last fallender systematischer Fehler von + 10,3% - Vergleichende Zählungen von Froscherythroeyten in Hayemscher Lösung. Erythrocytenzahl in Senkungs- Nr. des Datum Millionen Unterschied in | geschwindigkeit Versuches der Blutentnahme Prozenten in mm nach Thoma | nach Bürker pro Minute l 5. XII. 1919 0,473 0,422 + 12,1 — 2 9. XII. 1919 0,489 0,446 + 9,6 — 3 11. XII. 1919 0,624 0,526 —+ 18,6 — 4 13. I. 1920 0,341 0,315 + 8,3?) 0,64 5 19. IV. 1920 0,312 0,283 + 10,3 0,55 6 20. IV. 1920 - 0,391 0,371 + 5,4 0,60 7 26. IV. 1920 0,371 0,332 + 11,8 0,60 8 26. IV. 1920 0,324 0,320 + 1,3 — 9 26. IV. 1920 0,362 0,322 + 12,4 — 10 26. IV. 1920 0,375 0,308 + 21,8 — 11 26. IV. 1920 0,320 0,325 — 1,5 — 12 26. IV. 1920 0,333 0,329 + 12 — 13 26. IV. 1920 0,321 0,318 + 0,9 — 14 26. IV. 1920 0,332 0,315 + 5,4 _ 15 26. IV. 1920 0,358 0,316 + 13,3 — 16 26. IV. 1920 0,369 0,315 + 17,1 — 17 26. IV. 1920 0,391 0,313 | + 24,9 — im Mittll +10,3 | 0,0 Für die nach der Bürkerschen Methode gewonnenen Zählresultate ergibt sich fm = + 6,1 Erythrocyten bzw. 1,9%, Ffm = + 1,9 Erythro- cyten bzw. 0,6%, ein systematischer Fehler kommt hier nicht hinzu. Die zufälligen Fehler sind hier also wesentlich kleiner als bei der Thoma- schen Methode. Die größte von mir beobachtete Differenz zwischen den nach Thoma und nach Bürker gewonnenen Zählresultaten betrug 24,9%. Wie Marloff (a. a. ©. S. 362) zu der außerordentlich hohen Differenz von 136%, kam, ist schwer zu entscheiden, soviel ist aber gewiß, daß die Thomasche Methode viel unsicherer ist und an die Geschicklichkeit des !) Die Fehler seien im folgenden unterschieden als persönliche und sachliche Fehler, die letzteren als systematische und zufällige Fehler. Siehe F. Auerbach, Maß und Messen, Handwörterbuch d. Naturwiss., 6, 744. Verlag von G. Fischer. Jena 1912. 2) Einfache Kammerhöhe statt doppelte. auf das Zählresultat bei Erythroeytenzählungen. 279 Untersuchers viel größere Anforderungen stellt, eine geringe Verzögerung im Auflegen des Deckglases führt schon große Fehler herbei. Es haftet eben dieser Methode nicht nur ein systematischer, sondern auch ein der Natur der Sache nach sehr variabler persönlicher Fehler an. Jeden- falls müssen die am Froschblut meist mit der Thomaschen Methode erzielten Zählresultate einer Revision unterzogen werden, um zu Stan- dardwerten zu kommen. Die folgenden Versuche beziehen sich auf die Zählung menschlicher Erythrocyten aus meinem Blute in Hayemscher Lösung. Vergleiehende Zählungen von Menschenerythroeyten in Hayemscher Lösung. Erythroeytenzahl Unterschied Senkungs- Nummer des Datum der in Millionen in geschwindigkeit are un inne aonalame | mern tier Prozenten inmm pro Min. 1 7. XI. 1919 4,72 4,36 Io + 8,3 0,09 2 11. XI. 1919 4,30 4,17 + 3,1 0,08 3 16. X. 1919 4,82 4,58 | + 5,2 0,11 4 4. XI. 1919 4,51 4,12 + 9,5 0,10 5 13. XI. 1919 4,48 4,21 + 6,4 0,09 6 19. XI. 1919 4,53 4,31 + 5,1 — 7 26. XI. 1919 4,63 4,46 + 3,8 — 8 13. III. 1920 4,50 4,24 + 6,1 0,10 9 21. EV. 1920 4,74 4,71 + 0,6 0,10 10 22.0.1900 | 415 4,01 13,5 0,12 11 = 4,26 3,95 + 7,8 — 12 Fr 4,19 4,05 + 3,5 — 13 53 4,26 4,08 + 4,4 _ 14 2 4,12 4,11 + 0,2 = 15 B> 4,32 3,93 —- 10,0 — 16 AR 4.29 4,00 + 7,3 — 17 35 4,17 4,14 0,7 — 18 ee 4,36 4,08 + 6,9 — 19 | En 4,23 4,06 +42 — im Mittel +51 | 010 Die 19 an meinem Blute durchgeführten Doppelzählungen führten ohne jede Ausnahme zu einem höheren Resultat nach der Methode von Thoma, die Differenz beträgt im Mittel 5,1% bei einer Senkungsgeschwindigkeit der Menschenerythrocyten in der Hayemschen eng von durch- schnittlich 0,10 mm in der Minute. Auch hier seien die an derselben Blutmischung durchgeführten Versuche Nr. 10—19 zur Fehlerberechnung herangezogen. Bei der Thomaschen Methode beträgt fm = 4;:7,7 Erythrocyten für einen Durchschnittswert von 4,235, also + 1,8%, , fm aber + 2,4 Erythroceyten Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 19 280 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit oder + 0,6%. Dazu kommt der der T'homaschen Methode anhaftende systematische Fehler von + 4,8%. Nach der Bürkerschen Methode ergab sich bei 4,129 Durchschnitts- wert fm = + 6,8 Erythrocyten oder + 1,7%, Fm = + 2,2 Erythrocyten oder + 0,5%. Der geringeren Senkungsgeschwindigkeit der menschlichen Erythro- cyten entspricht auch ein geringerer systematischer und zufälliger Zählfehler nach Thoma, aber immerhin ein für genaue Zählungen sehr in Betracht kommender. A. Die von Marloff gefundenen Differenzen sind auch für Menschenblut größer, nämlich 15—18%. Bürker!) hat seinerzeit etwas größere Differenzen als ich, nämlich durchschnittlich 7%, gefunden, was wohl damit zusammenhängt, daß der Hämoglobingehalt seiner Erythro- cyten mit 32. 10°” g und damit das Senkungsbestreben etwas größer ist als das der meinigen, deren mittlerer Hb-Gehalt 29. 10°"? g beträgt. Neuere Zählungen im Blute von Bürker ergaben für die- selbe Blutmischung nach der Bürkerschen Methode fm = +1,4 und Fm = +0,4%°). Um den Einfluß der spezifisch schwereren Krotkowschen Lösung auf das Zählresultat zu prüfen, wurden die folgenden Versuche angestellt: Vergleichende Zählungen von Froscherythroeyten in Krotkowscher Lösung. Nr. des | Datum der Erythrocytenzahl in Millionen Unterschied in Be. Versuches | Blutentnahme | nach Thoma nach Bürker Prozenten in mm pro Min. 1 10. IV. 1921 0,323 0,325 - z0% 0,10 2 dgl. 0,329 0,313 + 51 _ 3 A 0,320 0,319 — 0,3 — 4 4. I. 1922 0,605 0,536 + 12,9 0,33 5 dgl. 0,581 0,504 + 15,3 — 6 ER 0,502 0,544 — 7,7 — Z $ 0,565 0,541 + 44 —_ 8 i 0,529 0,505 a 9 53 0,562 0,518 4 85 _— 10 3 0,541 0,480 —+ 12,7 — 11 | ” | 0,564 0,501 —+ 12,6 12 | & 0,550 0,510 An mi au 13 | > | 0,566 | 0,526 + 7,6 — 14 | " 0,548 0.467 + 17,3 — !) K. Bürker, Das Grundübel der älteren Zählmethoden für Erythrocyten und seine Beseitigung mit besonderer Rücksicht auf Versuche im Hochgebirge; Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 152, 273. 1913. 2) K. Bürker, Über die Notwendigkeit exakter absoluter Hämoglobinbestim- mungen und Erythrocytenzählungen. Münch. med. Wochenschr. 68, 571. 1921. auf das Zählresultat bei Erythrocytenzählungen. 281 Betrachtet man zunächst die Resultate der 3 ersten Zählungen, die am Blute eines Frühjahrsfrosches vorgenommen wurden, so ergibt sich bei einer Senkungsgeschwindigkeit von 0,10 mm eine relativ gute Übereinstimmung nach beiden Methoden. Die Erythrocytenzahl ist im Mittel 0,319 Millionen nach Bürker, 0,324 nach Thoma. Die wenigen Versuche lassen weitere Schlüsse nicht zu. Die am Blute des Winterfrosches angestellten Versuche ergaben nach beiden Methoden wesentlich größere Differenzen, auch war die Senkungsgeschwindigkeit mehr als 3mal so groß, die Erythrocytenzahl 1,6mal so groß als bei dem Frühjahrsfrosch. Die Winterfrösche weisen offenbar höhere Werte auf als die Frühjahrsfrösche, die letzteren sind auch für thermodynamische und viele andere Versuche sehr wenig geeignet. In 10 von den im ganzen 11 Versuchen lieferte die Thomasche Methode ein höheres Resultat, und zwar ergab sich als Mittel bei dieser Methode 0,5508 Millionen, bei der Bürkerschen Methode 0,5096 Millionen, damit also für erstere Methode ein systematischer Fehler von 8,1%. Nach Gauss berechnet sich für die T’homasche Methode fm = + 22,6 Ery- throeyten oder +4,1%, Fm = +7,2 Erythrocyten oder +1,3%, für die Bürkersche Methode fm = +24,3 Erythrocyten oder +4,8%, Fm = +7,17 Erythrocyten oder +1,5%. Hier sind also die zufälligen Fehler nach der Thomaschen Methode eher etwas kleiner als nach der Bürkerschen Methode, es kommt als sehr erschwerend für die Zählung in Betracht, daß infolge des hohen Brechungsexponenten das Zählnetz kaum zu sehen ist. Auch der Umstand, ob bei Tages- oder künstlichem Licht untersucht wurde, spielt hier schon eine Rolle. Als letzte Versuchsreihe sei die an Menschenblut unter Verwendung von Krotkowscher Lösung mitgeteilt: Vergleichende Zählungen von Menschenerythroeyten in Krotkowscher Lösung. Nr. des Datum der Einirezmerzehl 12 WiNIenGT Unterschied N Versuchs Blutentnahme | nach Thoma nach Bürker , In Prozenten m im HS ulm. 1 DEN arg2: 359 377 — 4,8 0,03 2 | dgl. 377 371% +16 -_ 3 is 381 367 ER — 4 % 368 _ 356 + 3,4 — 5 e= | 367 354 + 3,7 — 64 + 373 SO 256 — 7; - 357 361 — 51 — 8 = 365 370 — 1,4 — ie) > 368 375 — 18) —— 10 | > 367 370 ==058 - 11 12. III. 1920 424 412 + 2,9 0,03 12... 22. IV. 1920 427 402 + 6,2 — 102 2823 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit ud Wie zu erwarten sind hier bei der geringen Senkungsgeschwindigkeit von 0,03 mm pro Minute die Differenzen zwischen den nach beiden Me- thoden gewonnenen Zählresultaten recht gering, ergab doch in den 10 ersten Zählungen die Thomasche Methode einen Mittelwert von 3,682 Millionen, die Bürkersche 3,668, die Differenz beträgt nur noch 0,4%, der syste- matische Fehler ist also nahezu verschwunden. Auch die zufälligen Fehler stehen einander mit fm + 7,4 Erythrocyten oder 2,0% und Fm = +2,3 Erythrocyten oder 0,6% für die T’homasche und fm = +7,6 Erythro- cyten oder 2,1% und Fm = +2,4 Erythrocyten oder 0,7% für die Bürkersche Methode sehr nahe. Soviel ist jedenfalls sicher, daß durch Verwendung einer Verdünnungsflüssigkeit, in welcher sich die Erythro- cyten langsam senken, die T’'homasche Methode von dem systematischen Fehler, der ihr sonst anhaftet, fast befreit werden kann. Freilich muß die Verdünnungsflüssigkeit dann so beschaffen sein, daß das Zählnetz gut sichtbar bleibt. Die folgende Tabelle gewährt einen Überblick über die bei den ver- gleichenden Zählungen gewonnenen Resultate. Hayemsche Lösung Krotkowsche Lösung Saal: Zufälliger Fehl ‚s8| 8°. Zufälliger Fehl o08| Sae ufälliger er I) ufälliger Fehler Erythro- Se = s E SER 5 a = u eytenart Se a 2285 Ei = Rs ae! iSg= as nach Thomanach Bürker ee EEE: 2 S nach Thoma| nach Bürker o=& = 8 Fee % A el % % Frosch | 0,60 |+103| +7,3 1,9 1033| 781| 241 + 4,8 Mensch | 0,10 |+ 51| +18 ze) 0,03. | 0,4 | =122:0 + 2,1 Aus der Tabelle geht mit Bestimmtheit hervor, welch großen Einfluß die Verdünmungsflüssigkeit auf das Zählresultat bew Anwendung der: Thomaschen Methode ausübt, die Bürkersche Methode dagegen ist von der Verdünnungsflüssigkeit unabhängig, es müßte denn sein, daß diese Flüssigkeit einen zu großen Brechungsexponenten aufweist und dann das Zählnetz schwer erkennen läßt. Der systematische Fehler, der der Thomaschen Methode anhaftet, ist um so größer, eine je größere Senkungsgeschwindigkeit die Verdünnungsflüssigkeit zuläßt. Es ist aber möglich, durch passende Wahl der Verdünnungsflüssigkeit die Thomasche Methode von diesem Fehler zu befreien, wobei freilich die anderen Fehler, die durch Verwendung der Mischpipette, des zu kleinen Zählnetzes und durch die Schwierigkeit der Zusammen- setzung der Kammer in die Methode hineingetragen werden, bestehen bleiben. Auf Grund der mitgeteilten Versuche muß die bei der Bürkerschen Methode zur Anwendung kommende Hayemsche Lösung als eine sehr auf das Zählresultat bei Erythrocytenzählungen. 283 brauchbare Verdünnungsflüssigkeit bezeichnet werden, sofern es sich um menschliches Blut handelt, denn sie besitzt so ziemlich alle Eigen- schaften, welche auf S. 267 von einer geeigneten Verdünnungsflüssigkeit verlangt werden. Bisher ist mir nur ein Fall bekannt geworden, bei dem in Hayemscher Lösung Agglutination menschlicher Erythrocyten eintrat, nämlich bei Sepsis!). Von großer Bedeutung ist ferner, daß diese Lösung die Erythrocyten so gut konserviert, wenn auch in Glockenform, was auf das die Lipoidmembran der Erythrocyten passierende und sich wohl auch zum Teil mit ihr, hauptsächlich aber mit dem Hämoglobin verbindende Sublimat zurückzuführen ist. Leider veranlaßt nun diese Lösung, wie schon S. 266 erwähnt wurde, in manchen Tierblutarten Agglutination, die Stabilität der Suspension ist darin eine ungenügende, und es erhebt sich die Frage, wodurch diese Instabihtät bedingt ist und wie sie verbessert werden könnte. A priori liegen 2 Möglichkeiten vor: 1. Die Instabilität hat ihre Ursache in der Beschaffenheit der Verdünnungsflüssigkeit und der in ihr suspendierten Erythrocyten; 2. die Beschaffenheit der Zählkammer ist für die Ungleichmäßigkeit in der Verteilung der Erythrocyten ver- antwortlich zu machen. Was den ersteren Fall betrifft, so ist besonders durch die Unter- suchungen Höbers?) und seiner Schule mit Hilfe von Kataphorese- versuchen sichergestellt, daß die Erythrocyten eine negative Ladung aufweisen, sie wandern nach der Anode hin. Aber was nun für uns von besonderer Wichtigkeit ist, es bestehen artspezifische Differenzen in der Größe. der Gesamtladung der Blutkörperchen, die Art und Kon- zentration der Binnenelektrolyte erteilt eben den Zellkolloiden eine ganz bestimmte Ladung. Daß diese Binnenelektrolyte in den Erythroeyten der verschiedenen Tiere in quantitativ verschiedener Menge vorhanden sind, geht schon aus den Analysen E. Abderhaldens?) hervor, der bei Rind, Hammel und Ziege in 1000 Gewichtsteilen Blutkörperchen 0,3—0,4 Ge- wichtsteile anorganische Phosphorsäure und 0,7 Kali, bei Hund und Katze 1,2—1,3 Phosphorsäure und 0,3 Kali, bei Pferd, Schwein und Kaninchen sogar 1,7 Phosphorsäure und 4,1—5,2 Kali fand. Mit Hilfe von ein- und mehrwertigen Kationen, H* und La*t'*, war es nun möglich, eine Umladung herbeizuführen, so daß jetzt die Erythrocyten zur Kathode wanderten. Wurde diejenige Wasser- 1) Siehe auch S. 267. 2) R. Höber und O. Nast, Beiträge zum arteigenen Verhalten der roten Blut- körperchen. I. Hämolysen bei gleichzeitiger Einwirkung von Neutralsalzen und anderen cytolysierenden Stoffen. Biochem. Zeitschr. 60, 131. 1914. — 8. Ko- zawa, II. Kataphorese und Hämolyse. Ebenda S. 146. — R. Fahraeus, The suspen- sion-stability of the blood. Acta med. scandinav. 55. 1921. 2) E. Abderhalden, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 2. Aufl., S. 733. 1909. 284 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssigkeit stoffionenkonzentration bestimmt, bei welcher weder eine Bewegung zur Anode noch zur Kathode erfolgte, so zeigte sich diese Konzentration von Tier- zu Tierart verschieden; wie das Ausflocken der Zellkolloide, so erfolgt auch die Agglutination beim isoelektrischen Punkt am stärksten, man wird sich von diesem also möglichst fern zu halten suchen. Es lag nun nahe zu prüfen, wie die Erythrocyten sich in Hayemscher Lösung verhalten. Mit der von L. Michaelis!) beschriebenen Methode habe ich nun festgestellt, daß auch in Hayemscher Lösung Menschen- und Froscherythrocyten, die ich bisher nur untersucht habe, zur Anode wandern, also negativ geladen sind. Man muß nun annehmen, daß in denjenigen mit Hayemscher Lösung hergestellten Blutmischungen, in welchen Agglutination zustande kommt, der isoelektrische Punkt erreicht oder nahezu erreicht ist. Nach den im hiesigen Institut durch- geführten Untersuchungen müßte dies für Rinder-, Hühner- und Tauben-, besonders aber für Ziegenblut zutreffen. Es war nun zu erwarten, daß Zusatz von H- oder: OH-Ionen eine Verschiebung des isoelektrischen Punktes und damit Beseitigung oder wenigstens Minderung der Agglutination herbeiführen würde. Versuche, welche ich mit Ziegenblut angestellt habe, ergaben nun, daß Zusatz von einigen Kubikzentimetern "/,„- NaOH zu 100 ccm der mit Hayem- scher Lösung hergestellten Blutmischung die Agglutination verstärkte, dagegen Zusatz von %/,„. HCl sie so verminderte, daß gut gezänlt werden konnte. Auch Herrn Welsch, der im hiesigen Institut das Ziegen-, Schaf- und Schweineblut näher untersucht und in der .Ziegen- und Schafbiutmischung mit Agglutination zu kämpfen hatte, ergab sich durch Zusatz von "/o HCl eine Besserung der Verhältnisse. Nach alledem muß angenommen werden, daß die Katienen der Verdünnungs- flüssigkeit es sind, welche auf die elektrische Ladung und damit auf die Stabilität der Erythrocytensuspension Einfluß haben. Eine besondere Stellung nimmt noch das Sublimat in der Hayem- schen Lösung ein, wie schon früher (S. 275) gezeigt wurde. Als Schwer- metallsalz kommt ihm entsprechend der Hofmeisterschen Fällungsreihe ?) eine stark ausflockende Wirkung zu. In der Tat ist in einer Hayemschen Lösung mit weniger oder gar ohne Suhlimat die Agglutination geringer. Fräulein Dr. Thaer hat auch beobachtet, daß in Fällen von Sepsis die Asglutination menschlicher Erythrocyten ausbleibt, wenn diese in Hayemsche Lösung ohne Sublimat aufgenommen werden. In einer 1) L. Michaelis, Praktikum der physikalischen Chemie, insbesondere der Kolloidchemie. S. 100. Verlag von J. Springer. Berlin 1921. ?) Siehe auch die aus dem Hamburgerschen Institut stammende Arbeit von W. Radsma, Über die Agglutination roter Blutkörperchen und die Hofmeister- schen Reihen. Biochem. Zeitschr. 89, 211. 1918. auf das Zählresultat bei Erythrocytenzählungen. 285 solchen Lösung ist aber die Konservierung der körperlichen Elemente eine schlechte. Versuche, das Sublimat durch ein anderes für vor- liegende Zwecke geeignetes Fixationsmittel zu ersetzen, haben bisher kein brauchbares Resultat gezeitigt. Noch könnte man daran denken, in Fällen von Agglutination ein Schutzkolloid zu veiwenden, ich habe aber bisher nur einige orientierende Versuche ohne gute Resultate in dieser Richtung an- stellen können. Schließlich war auch noch in Betracht zu ziehen, wie schon erwähnt, ob nicht etwa die Beschaffenheit der Zählkammer für die ungleichmäßige Verteilung der Erythrocyten in den genannten Fällen verantwortlich zu machen war, um so mehr als nach den Untersuchungen von F. Schwy- zer!) im lebenden Gefäße die Erythrocyten durch kontaktelektrische Ladung auseinandergehalten und von der Gefäßwand abgestoßen werden, in Berührung mit Glas aber durch Abgabe von OH-Ionen entladen und dadurch der Agslutination zugänglich gemacht werden. Auch ist mit der Abgabe von Alkali von seiten des Glases zu rechnen, und es ist ja durch die Untersuchungen Deetjens bekannt, daß auch die Thrombocyten gegen dieses Alkali sehr empfindlich sind. Inwieweit alle diese Verhältnisse in der Zählkammer eine Rolle spielen, bedarf noch der genaueren Untersuchung, es wurde aber jedenfalls öfters beobachtet, daß unmittelbar nach der Füllung der Kammer Agsgluti- nation nicht bestand, nach einiger Zeit aber eintrat; ich behalte mir in dieser und in den anderen genannten Beziehungen weitere Unter- suchungen vor. 5. Zusammenfassung und Schluß. Es wird die Herstellung einer möglichst rationell zusammengesetzten und allgemein anwendbaren Verdünnungflüssigkeit für Erythrocyten- zählungen angestrebt, da die in vielen Fällen sehr brauchbare Hayem- sche Lösung bei manchen Blutarten dadurch versagt, daß sie Agglu- tination veranlaßt. Zu dem Zwecke wurde zunächst in der vorliegenden Arbeit der Einfluß möglichst verschiedener Verdünnungsflüssigkeiten | auf möglichst verschiedene Erythrocyten bei der Zählung derselben geprüft. Die Bedingungen, die vor allem an eine solche Flüssigkeit gestellt werden müssen, sind gute Konservierung unter Vermeidung von Agglu- tination, möglichst kleiner Brechungsindex, um das Zählnetz gut sehen zu können und eine gewisse mittlere Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. Die Diskussion der Stokesschen Formel über die Sen- kungsgeschwindigkeit körperlicher Gebilde in einer Suspensionsflüssig- 1) F. Schwyzer, Die Geldrollenbildung im Blute vom kolloidehemischen Standpunkte aus. Biochem. Zeitschr. 60, 297. 1914. 286 B. Behrens: Über den Einfluß der Verdünnungsflüssiekeit keit ergibt, daß auf die Dichte nu Viscosität derselben der größte Wert zu legen ist. Aus der großen Zahl der bisher zur Anwendung gelangten Ver- dünnungsflüssigkeiten wurde isotonische Kochsalz- und Tyrodelösung, durch Sublimat im allgemeinen gut konservierende Hayem- und durch Glycerin dichter und viscöser gemachte Krotkowsche Lösung aus- gewählt und genauer untersucht. Als möglichst verschiedene Erythro- cyten kamen Frosch-, Menschen- und Ziegenerythrocyten zur Ver- wendung. Um zu exakten Werten für die Senkungsgeschwindigkeit zu gelangen, erwies sich die Beobachtung der Senkung des Blutkörperchenspiegels in einem relativ weiten Glasrohr bei möglichst langer Beobachtungszeit als am günstigsten. Bei Temperaturkonstanz ist unter diesen Bedin- sungen die Senkungsgeschwindigkeit derselben Erythrocyten in der- selben Verdünnungsflüssigkeit eine recht konstante. Bei steigender Temperatur nimmt die Senkungsgeschwindigkeit rascher zu als bei sinkender ab. Besondere Verhältnisse liegen in der Hayemschen Lösung vor, da diese durch das die semipermeable Membran passierende Sublimat die Erythrocyten beschwert und sie rascher sinken läßt, als man nach den sonstigen Eigenschaften dieser Lösung erwarten sollte. Da das Durch- treten des Sublimats offenbar Zeit erfordert, so ist die Senkungsgeschwin- digkeit 24 Stunden nach Herstellung der Blutmischung größer als unmittelbar nachher, von 24 Stunden an ist sie aber ziemlich konstant. Die Senkungsgeschwindigkeit in Hayemscher Lösung steht auch in naher Beziehung zum Hämoglobingehalt eines Erythrocyten, so senkten sich die Erythrocyten in einem Fall von Anämie etwa doppelt so rasch als in einem Fall von Chlorose, woraus sich eine Methode zur u des Färbeindex ergeben kann. Beachtenswert ist, daß in isotonischer Kochsalz- und Tyrodelösung schon nach 24 Stunden Hämolyse eintritt. Die diehtere und viscösere Krotkowsche Lösung beseitigt unter Umständen den systematischen Fehler der Thomaschen Methode, sie veranlaßt aber Agglutination der Menschen- und besonders der Ziegenerythrocyten und macht die Zählmethode dadurch wieder ungenauer, daß sie das Zählnetz nur schwer erkennen läßt. Daß in der Tat die Beschaffenheit der Verdünnungsflüssigkeit von großem Einfluß auf das Zählresultat bei Verwendung der Thomaschen Methode ist, das haben die vergleiehenden Zählungen nach dieser und der Bürkerschen Methode ergeben; die letztere Methode ist aber von der Verdünnungsflüssigkeit viel unabhängiger. Als beste Verdünnungsflüssigkeit hat sich immer noch die Hayem- sche Lösung erwiesen. Um sie von dem Fehler der Agglutination, die E influß d.V erdünnungsflüssigkeit auf d. Zählresultat b. Erytrocytenzählungen. 287 in naher Beziehung zum isoelektrischen Punkt steht, zu befreien, wurde versucht, die Ladung der Erythrocyten durch Zusatz von H-Ionen zu ändern, was sich in der Tat als günstig erwies, während Zusatz von OH-Ionen das Gegenteil bewirkte. Auch durch Herabsetzung des Sublimatgehaltes ließ sich die Lösung verbessern. Schließlich mußte auch noch damit gerechnet werden, daß das Glas der Zählkammer die Ladung der Erythrocyten beeinflußt und auch durch Abgabe von Alkali in den Zählraum ausflockend wirkt. Es bedarf aber noch weiterer Versuche, um dem Ziel, eine rationell zusammengesetzte und zugleich allgemein anwendbare Verdünnungsflüssigkeit herzustellen, näher- zukommen. Kurze Mitteilung. Der galvanische Hautreflex bei Katzen und Hunden (sog. psychogalvanischer Reflex). Von Dr. med. Yuzo Hara, aus Tokio (Japan). (Aus der operativen Abteilung des Physiologischen Institutes der Universität Berlin.) (Eingegangen am 22. Mai 1922): Veraguth!) hatte in seinem Buche eingehend das von ihm so benannte psychogalvanische Reflexphänomen beim Menschen beschrieben und zugleich mitgeteilt, daß der Reflex auch bei Hunden, Katzen und Krö- ten zu erhalten sei. (S. 150).) Nähere Beobachtungen aber hat er an- scheinend nicht gemacht, denn es fehlen außer einem Protokoll über einen Versuch an einem Hunde weitere Feststellungen. Von Kohl- rausch und Schilf?) ist das Phänomen bei Fröschen eingehend stu- diert und die Methode genügend ausgearbeitet worden. Schilf und Schubert?) haben den in Betracht kommenden Reflexbogen verfolst. Außer den soeben angeführten Mitteilungen ist noch unter C’remers Leitung*) bei Pferden und Hunden versucht worden, den psychogal- vanischen Reflex nachzuweisen. Es kam aber häufig zu Bewegungen des Versuchstieres. Diese Bewegungen können Kontaktverschiebungen und damit Widerstandsänderungen hervorrufen, die einen psycho- galvanischen Reflex vortäuschen können. Es ist aber doch in einigen Fällen das Auftreten eines psychogalvanischen Reflexes mit Sicherheit festgestellt worden. Die Methode zum Nachweis des Reflexes bei Fröschen war durch Schilf und Mitarbeiter?) gegeben. Sie konnte auch für Katzen und Hunde benutzt werden. Ich gebrauchte sie zu den vorliegenden Ver- suchen. 1) O. Veraguth, Das psychogalvanische Reflexphänomen. S. Karger, Berlin 1908. € 2) Arnt Kohlrausch und Erich Schilf, Der galvanische Hautreflex beim Frosch auf Sinnesreizung. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. 194, 326. 1922. 3) Erich Schilf und Albert Schuberth, Über das sog. psychogalvanische Reflex- phänomen beim Frosch und seine Beziehung zum vegetativen Nervensystem. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 75. 1922. *) W. Erbs, Der psychogalvanische Reflex bei Pferd und Hund. Inaug.-Diss. aus dem Physiologischen Institut der tierärztl. Hochschule Berlin. 1920. SD) AL 25 (0% Y. Hara: Der galvanische Hautreflex bei Katzen und Hunden. 289 Die Versuchstiere mußten curaresiert werden. Hierzu benutzte ich das im Institut vorhandene Kalebassencurare. Fünf Gramm der Substanz wurden verrieben und in 600 ccm Wasser gelöst. Im all- gemeinen genügten bei Katzen durchschnittlicher Größe 4—6 ccm der Lösung zur vollständigen Lähmung innerhalb einer Viertelstunde. Es empfiehlt sich, eher etwas zu wenig Curare zu geben, da ich die Be- obachtung machte, daß bei einer größeren Dosis Curare der Reflex nicht auszulösen ist. An den weiten reaktionslosen Pupillen!) erkannte ich das Zuviel der Curaregabe. Für gewöhnlich gab ich Katzen 4 ccm der Curarelösung — bei Hunden entsprechend mehr — und spritzte, wenn das Tier innerhalb einer Viertelstunde nicht gelähmt war, noch einen Kubikzentimeter ein. Bei meinen Versuchen ereignete es sich oft, daß die Tiere nach einigen Stunden anfingen, spontan Bewegun- gen zu machen. Ich gab erneut I—2 ccm Curare, um weiter experi- mentieren zu können. Das Versuchstier wurde durch künstliche Atmung am Leben erhalten. Die Ableitung geschah entweder von den Hinterpfoten oder von den Vorderpfoten. Als Reize wendete ich akustische, optische, tak- tile und Schmerzreize an. Bei Hunden gebrauchte ich noch folgende Reizart: Leitete ich den Strom von den Hinterbeinen ab, so reizte ich mittels eines tetanischen Stromes entweder den freigelegten Ul- naris oder den Medianus einer Seite zentralwärts. Es tritt dann nach der üblichen Latenz der Reflex ein. Es kamen bis jetzt sechs Hunde zur Untersuchung, zwei ältere und vier junge noch nicht ausgewachsene Tiere. Die älteren Tiere gaben keinen Ausschlag, auch nicht bei Reizung des Medianus oder Ulnaris, wenn von den Hinterpfoten abgeleitet wurde. Bei den vier jungen Hunden erhielt ich bei einem Hund einen deutlichen psycho- galvanischen Reflex nur auf akustischen Reiz — Händeklatschen. Die anderen drei Tiere gaben auf Sinnesreizung keinen Reflex. Aller- dings war der Reflex bei diesen drei Tieren bei Ableitung von den Hinterbeinen und Reizung des Medianus bzw. Ulnaris einer Seite zu erhalten. Da ich mir aber noch nicht über den Vorgang dieser Reizung klar bin, möchte ich den auf diesen Reiz hin auftretenden psychogal- vanischen Reflex nicht mit dem Reflexausschlag vergleichen, den ich nach einer Sinnesreizung bekomme. Bei den zehn Katzen, die ich untersuchte, erhielt ich außer bei einer, auf optische, akustische und taktile Reize immer einen psycho- galvanischen Reflex. Aus diesen positiv verlaufenen Reflexversuchen folgt für das Curare, daß es bei Katzen, in kleinen Gaben gegeben, das Sinnesgebiet unbeeinflußt lassen kann. 1) Curare und Curarealkaloide im Handb. d. exp. Pharmakol. von Heffter 2, 1. Hälfte, S. 213. 1920. 290 Y. Hara: Der galvanische Hautreflex bei Katzen und Hunden. Beim Menschen ist das Auftreten des Reflexes an die Schweiße drüsen gebunden!). Beim Frosch sind es die Hautdrüsen?). Meine Beobachtungen an Katzen und Hunden bestätigen die Befunde von Luchsinger?). Er fand bei diesen Tieren eine Schweißsekretion an den Pfoten, wenn er den zugehörigen Nerven elektrisch reizte. Allerdings sei die Sekretion bei Hunden ‚,‚sehr selten an ihren nackten Pfoten“ zu erhalten. Dieser letztere Befund stimmt mit meinen Beobachtungen über den sog. psychogalvanischen Reflex überein. Der Reflex ist nach meinen Versuchen an sechs Hunden nur einmal mit Sicherheit nach- zuweisen gewesen. Ich habe weitere Untersuchungen über den in Betracht kommen- den Reflexbogen angestellt. Ich werde darüber ausführlich später berichten. Herrn Dr. Schilf, Assistenten des Institutes, spreche ich für die Überlassung des Themas und die vielfache Anregung und Unterstützung während der Arbeit meinen ergebensten Dank aus. Bir. | 1) a) J. Leva, Über einige körperliche Begleiterscheinungen psychischer Vor- gänge mit besonderer Berücksichtigung des psychogalvanischen Reflexphänomens. Münch. med. Wochenschr. Nr. 43, S. 2386, 1913. — b) M. Gildemeister, Der sog. psychogalvanische Reflex und seine physikalisch-chemische Deutung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 489. 1915. 2) Siehe Schilf und Schuberth a. a. O. >) B. Luchsinger, Die Schweißabsonderung in Hermanns Handbuch der Physiol. 5, 421. Zur Technik der Gewebskulturen von Regenwürmern in vitro. Von A. Krontowsky, Kiew und A. Rumianzew, Moskau. Mit 4 Textabbildungen. {Aus dem Bakteriologischen Institut zu Kiew.) Die von Harrison vorgeschlagene und von Carrel und Burrows vervollkommnete Methode der Gewebskulturen lenkte die Aufmerk- samkeit zahlreicher Forscher auf sich. In verhältnismäßig kurzer Zeit ist über das Kultivieren der Gewebe in vitro eine zahlreiche Literatur entstanden, die viele interessante biologische Ergebnisse darbietet. Die Methodik besteht wie bekannt in folgendem: Ein Stückchen Gewebe wird aseptisch in einen Tropfen geronnener Lymphe oder in einen Tropfen geronnenen Plasmas eingelegt. Als bestes Medium wird ein Tropfen geronnenen Blutes angesehen. Wie die Beobachtungen vieler Autoren gezeigt haben, dient das geronnene Plasma den in ihm sich befindenden Gewebsstückchen einerseits als Nährboden, während gleichzeitig sein geronnenes Fibrinnetz ein mechanisches Substrat darstellt. In flüssigen Medien wachsen die Gewebsstückchen nicht (Harrison 1914)!). In Fällen, wo das Plasma zum Kultivieren nicht benutzt werden kann, entweder wegen seiner ungenügenden Quantität oder infolge seines schwierigen Beschaffens — kann man sich als Nährboden künstlicher Mischungen bedienen. Es sind ziemlich viele solcher künstlichen Medien vorgeschlagen worden. Carrel?), Ingebrigtsen.°) beobachteten ein gutes Wachtum der Embryonalgewebe in einer aus Agar und Serum bestehenden Mischung. M. Lewis und W. Lewis?) kultivierten das Embryonalgewebe von Hühnern in Agar + Muskelbouillon mit Zusatz von Dextrose und Pepton (dieses Medium ist als Lokke-Lewis-Medium be- ı) R. Harrison, The reaction of embryonie cells to solid structurs. The Journ. of exp. zool. 1%. 1914. 2) A. Carrel, Neue Methoden zum Studium des Weiterlebens von Geweben in vitro. Handbuch der biochem. Arbeitsmethoden von Abderhalden. Bd. VI. 1912. 3) Ingebrigisen, Studies upon the Characteristics of Different Culture Media and their Influence upon the growth of Tissue autside of the Organism. Journ. of exp. Med. 16. 1912. ' 4) M. Lewis und W. Lewis, The growth of Embryonie chick tissues in artifical media, agar and bouillon. Bull. of Johns Hopkins hosp. S. 125. 1911. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 20 2923 A. Krontowsky und A. Rumianzew: kannt). Smith!) kombinierte das Agar mit Hühnereiweiß und mit in Trypsin ge- kochtem Pepton + Ringersche Flüssigkeit und erhielt ziemlich gutes Wachstum. Holms?) benutzte bei seinen Versuchen statt des Agars Grüblers Nährgelatine + Serum und konnte das Wachstum, nicht nur der Embryonalgewebe. sondern auch der Gewebe erwachsener Rana und Hyla beobachten. Krontowsky und Schustowa?) fertigten ein Medium aus Agar + Muskelgewebe- extrakt an und kultivierten darin die Gewebe von Axoloteln, obgleich mit weniger Erfolg, als wie im Blutplasma. Die genannte Methodik ist ausschließlich für die Gewebe der Wirbeltiere aus- gearbeitet worden. Was die Wirbellosen anbelangt, so finden sich in der Literatur bis 1916 keine Hinweise hierüber. Im Jahre 1916 versuchte Dobrowljanskaja®) bei seinen Arbeiten über Kultivieren der Fischgewebe, Gewebskulturen von See- wirbellosen, wie Octopus, Krevetten u. a. anzulegen — es gelang ihr jedoch nicht, bei ihren Versuchen ein Gewebswachstum zu erzielen, da das von ihr erhaltene Blutplasma nicht gerann. Der erste, dem es gelang, explantierte Stückchen ver- schiedener Gewebe zu erhalten, war Lewis’). Er benutzte zu diesem Zweck ein künstliches Medium, zubereitet aus 90 ccm bis zur Isotonie verdünnten See- wasser + 10 ccm aus den Muskeln desselben Tieres gewonnener Bouillon + 0,02% NaNCO, zur Neutralisierung der sauren Stoffwechselprodukte + 0,25% Dextrose zur Förderung des Wachstums. In dem auf solche Weise zubereiteten Medium beobachtete Lewis ein wirk- liches Gewebswachstum folgender Explantate: Teilstücke von Aktiensepten vom Gewebe aus Scheeren von Hermites und Limulus, von sich teilenden Eiern usw. Im Jahre 1917 beschrieb Goldschmidt®) seine Versuche mit Kultivieren von Testikel- follikeln des Schmetterlings ‚Lamia cecropia in einem Tropfen geronnener Hämo- Iymphe desselben Tieres. Die Sexualzellen lebten bis 3 Wochen und vollendeten ihre Spermatogenesis. Nach Absterben der Sexualzellen begann das Wachstum der Follikelzellen, was zur Entstehung von Syncytialgewebe führte. Weitere Literatur stand uns zu Anfang unserer Arbeit nicht zur Verfügung. Als Objekt wählten wir Regenwürmer aus der Familie Lumbricidae, und zwar aus folgenden Überlegungen: Erstens ist es bekannt, daß alle Lumbrieiden das vordere sowie das hintere Ende ihres Körpers gut regenieren, und zweitens standen uns zu jeder Zeit beliebige Mengen des Materials zur Verfügung. Bei der Bildung der Regenerationsknospe entdifferenzieren sich die Gewebe der Regenwürmer und aus diesem 1) Smith, A new medium for the cultivation of chick tissues ‚‚in vitro“, with some additions to the technie. Journ. of med. research. 31. 1914. Zit. nach Bull. de P’Inst. Pasteur S. 13. 1915. 2) Holms, The behaviour of Epidermis of amphibians when cultivated outside the body. Journ. of exp. zool. 1%. 1914. 3) Krontowsky und Schustowa, Zur Technik der Kulturenzubereitung der Axolotelgewebe. 1916. Siehe Krontowsky und Polew, Methode der Gewebskul- turen. Kiew 1917. (Zusammenfassung bis 1914—1915.) (russ.) *) Dobrowljanskaja, Zur Frage über die Gewebskulturen bei Fischen und Wirbellosen. Arch. biol. Wiss. 20. 1916 (russ.). 5) W. Lewis, Sea water as a medium for tissue cultures. Anatom. Reacord. 10. 1916. 6) R. Goldschmidt, Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen in Ge- webskulturen von Insekten. Biol. Zentralbl. 36. 1916. — Ders., Versuch zur Sper- matogenesis in vitro. Arch. f. Zellforsch. 14. 1917. Zur Technik der Gewebskulturen von Regenwürmern in vitro. 293 verjüngten Gewebe entstehen weiterhin viele Organe [Zielinskat), Rumjanzew?)]. Durch Amputieren des Kopf- oder Hinterendes des Wurmes bekamen wir auf diese Weise ein Material in die Hand, welches seinem morphologischen Bau nach dem Embryonalmaterial nahestand. Bei der Wahl der Mediumzubereitungsmethode blieben wir auf dem von Kron- towsky und Schustowa angewandten Medium stehen, nämlich auf der Kombination von Agar mit Gewebsextrakt (Organplasma, Preßsaft der deutschen Autoren). Bei dieser Kombination gibt das Agar das mechanische Stroma, während der Gewebeextrakt die Nährsubstanzen liefert. Um die Nährsubstanzen möglichst wenig verändert zu bewahren (die im Zellprotoplasma und im Gewebesaft enthal- tenen genuinen Eiweißstoffe u. a.) sterilisiert man besser mittelst Filtrieren durch eine Chamberlandkerze, als durch Kochen, oder wenn man die Bouillon aus den Muskeln desselben Tieres entnimmt, wie dies Lewis vorschläst. Statt des Agars kann man, um die erwünschte Dichtheit zu erlangen, gleichfalls das Blutplasma eines anderen Tieres hinzusetzen, indem man empirisch ein solches aufsucht, welches sich zu diesem Zweck eignet und keine citotoxische Wirkung ausübt. Bei unseren Versuchen gab jedoch letztere Kombination keine positiven Resultate. Bei Anwendung künstlicher Medien stößt man auf ein ziemlich großes Hindernis, nähmlich auf die Notwendigkeit einer genauen Kenntnis des osmotischen Drucks des Gewebssafts, der zur Herstellung von isosmotischem Gewebsextrakt erforder- lich ist. Auf dieses Hindernis stießen auch wir bei der Zubereitung des Gewebs- extraktes aus Würmern. In der diesbezüglichen Literatur fanden wir keine genauen Angaben über die Größe des osmotischen Drucks für die Gewebe des Regenwurms?). Zur Zubereitung der physiologischen Salzlösung benutzten wir Ringersche Lösung mit 0,7—0,8% NaCl, in der Annahme, daß, wenn wir auch einen etwaigen Fehler zuließen, dieser doch nur sehr gering sein könnte, da der Zusatz des Gewebssafts ihn bedeutend ausgleichen müßte. Eine weitere nicht minder wichtige Aufgabe war das Erhalten bakterien- freier Würmerstückchen. Jedoch ist es uns gelungen, auch dieses Hindernis auf sehr einfache Weise zu beseitigen. Die zum Anstellen der Versuche gewählten Würmer wurden im Laufe von 2—3 Tagen zwischen feuchtem Filtrierpapier ge- halten: während dieser Zeit entleeıte sich ihre Darmröhre. Vor der Operation wurde der Wurm längere Zeit in fließendem Wasser abgespült, hiernach wurde seine Oberfläche mit Sublimat desinfiziert, mit Jod bestrichen, und der Wurm an einem dichten desinfizierten Korken befestigt. . Die Operation wurde mit sterilen Instru- menten vollzogen. Das abgeschnittene Stückchen des notwendigen Gewebes übertrugen wir in sterile Ringersche Lösung. In den Fällen, wo eine Regenerations- knospe amputiert wurde, spülten wir den Wurm sorgfältig mit Wasser ab, wonach die Oberfläche der Regenerationsknospe mit 6proz. Jodtinktur übertüncht wurde. Die entnommenen Stückchen wurden bis zur gewünschten Größe zerkleinert und darauf in Petrischalen mit steriler Ringerlösung mehrfach abgespült. Wir nahmen gewöhnlich 15 solcher Waschungen vor. Die ausgewaschenen Stückchen wurden in einem Tropfen des Mediums auf ein Deckglas aufgetragen und mit Vaselin abge- schlossen. Die auf solche Art angelesten Kulturen gaben ein nur geringes Prozent von Verunreinigung. Im ganzen stellen wir fünf Serien von Versuchen mit Gewebe- extrakten + Agar an und zwei Serien mit Zusatz zum Gewebeextrakt von Pferde- 1) Zielinska, Über Regeneratinosvorgänge bei Lumbrieiden. Jen. Zeitschr. 44. 1909. 2) Rumjanzew, Observation on the Regeneration of the anterior end in the Lumbrieidae. Rev. Zool. Russe. 1. 1917. 3) Siehe die Monographien von Beihe, Boiazzi, Führt u. a. 20* 294 A. Krontowsky und A. Rumianzew: resp. Hundeplasma. Die Versuche umfaßten über 90 einzelne Kulturen. Der Ge- webeextrakt war seinem Gehalt nach verschieden. In dieser Arbeit werden wir die Zubereitung vom Gewebeextrakt Nr. 4 anführen, des dicksten von allen ange- wandten Extrakten, mit dem wir die besten Resultate erzielten. Zu einer Her- stellung wurden 22,5 g des vorderen bis zum 9.—10. Segment amputierten Kopf- endes der Würmer genommen. Wir wählten die vorderen Segmente, um Sand und Humus zu vermeiden, welche trotz des I—2tägigen Hungerns doch noch im Darmkanal zurückbleiben. Die amputierten Teile wurden in einer Porzellanschale sorgfältig mit Glas zerrieben. Zu dieser Mischung fügten wir 22,5 ccm Ringer- lösung hinzu. Der erhaltene Brei wurde gut durchmischt und blieb 1 Stunde lang zum Sedimentieren stehen. Zu dieser Mischung gossen wir während des Sedimen- tierens 20 ccm einer hauptsächlich aus reiner Hämolymphe des Wurmes bestehen- den Mischung hinzu. Die Hämolymphe erhielten wir folgendermaßen: Die nach der Amputation des Kopfendes zurückgebliebenen Würmerreste wurden in Glas- schalen in kleine Stücke zerschnitten; der aus Stückchen bestehende Brei wurde auf ein feines Messignetz aufgetragen, in letzteres eingehüllt und in einen konischen Meßzylinder leicht eingedrückt. Nach Verlauf einiger Minuten begann durch das Netz eine braunrote, dicke, klebrige, doch vollkommen sand- und fremdkörper- freie Flüssigkeit durchzusickern. Die mikroskopische Analyse zeigte das Vorhan- densein verschiedener Zellelemente. Im Laufe von 1 Stunde sind 20 cem abfiltriert worden. Nach Zusatz dieser 20 ccm Hämolymphe zum zerriebenen Brei wurde letzterer sorgfältig durchmischt und 15 Minuten lang zentrifugiert. Die abzentri- fugierte Flüssigkeit filtrierten wir durch einen Chamberlandfilter. Das endgültige Filtrat ist durchsichtig und strohgelbfarben. Beim Einbetten des Stückchens ver- mischten wir entweder im voraus das Agar mit dem Extrakt, oder wir trugen auf das Stückchen einen Tropfen Extrakt auf und fügten alsdann das Agar hinzu. Hierbei sei bemerkt, daß der Prozentgehalt des Agars im Medium nicht 0,5% über- schreiten darf. Bei Anwendung der beschriebenen Methodik ist es uns gelungen, folgendes zu kultivieren: Regenerationsgewebe von 5—6tägiger Dauer, Gewebe der Knospe des Hinterendes unreifer Individuen, Dissepimente und Blutgefäße mit chloragogenem Gewebe. Am nächsten Tage (manch- mal schon nach 12 Stunden) nach der Explantation konnte man um die Stückchen herum eine kleine Wachstumszone bemerken. Die mikro- skopische Untersuchung ergab ein gutes Wachstum der Gewebe in den aus regenerativen Knospen des Hinterendes zubereiteten Kulturen (Mikroph. 1, 2); in den Kulturen, die aus Stückchen von Blutgefäßen angelegt waren, konnte man eine deutliche Emigration der chlorago- genen Zellen wahrnehmen (Mikroph. 3). Am 2. Tage vergrößerte sich die Wachstumszone noch bedeutender, so daß sie an Breite das zum Versuch genommene Stückchen übertraf. In einer der Kulturen ver- kleinerte sich das Stückchen um so viel, daß es dünn und durchsichtig wurde (Mikroph. 1). Beim Durchsehen aller Kulturen konnte man sich leicht davon überzeugen, daß die die Wachstumszone formierenden Zellen ihrer Größe und Form nach verschiedenartig sind. Bald sind sie abgerundet, bald spindelförmig, bald keilförmig. Hier und da anastomosieren sie miteinander. Ihrer Struktur nach gleichen die Zellen der Wachstumszone im allgemeinen dem mesenchymatösen Zur Technik der Gewebskulturen von Regenwürmern in vitro. 295 Embryonalgewebe: Ihr Protoplasma ist feinkörnig in der Nähe des Zentrums und homogen an den Rändern. Der Kern ist abgerundet und feinkörnig. Am 3. Tage vergrößert sich der Wuchs noch mehr und in Abb. 1. Abb. 2. Abb. 1, Dreitägige Kultur der Knospe des Hinterendes in Agar + Gewebeextrakt. Man erblickt die Wachstumszone; rechts inmitten der Wachstumszone die konzentrische und radiale Schichtung. Die Grenze des Stückchens ist fast verschwunden. Die Wachstumszone befindet sich auf der Oberfläche des Deckglases. Abb. 2. Dreitägige Kultur. Dle Knospe des Hinterendes. Das Wachstum in der Umgebung des Stückchens. Die konzentrische Schichtung in der Wachstumszone. einigen Kulturen wurde ein Differenzieren bemerkbar — in der Wachs- tumszone erschien eine konzentrische. Schichtung (Mikroph. I u. 2) Zur Charakteristik der Intensität des Wachstums seien hier einige Messungen (in Millimetern) angeführt. _ Die Kultur der Knospe des Hinterendes: 1. Länge des Stückchen 1,0 mm, Breite 0),5mm Der Radius der Zone von den | Grenzen des Stückchens an gerechnet 0,5; 0,6 mm. DR ag a 1,1 mm, Emm 075,055: 03mm Mieroga) Die Regenerationsknospe des Kopfendes: 1. Länge des Stückchens 0,9 mm, Breite 1,1 mm 0,6; 0,5; 0,4 mm 2. ne = a 1,0 mm, » 0,3 mm 0,2; 0,4 mm In einer der Kulturen ging das Wachstum keilförmig vor sich; die Länge dieses Keils von den Rändern an gerechnet beträgt bis 2 mm, während das Stückchen selbst nicht über 0,5 mm lang ist. Dort, wo das Explantant geringe Größe hatte (weniger als 0,5 mm im Durch- messer) veränderte es sich so stark, daß es schwer fiel, seine alten Um- risse von der neuformierten Zone zu unterscheiden. 296 A. Krontowsky und A. Rumianzew: Am 5. Tage dauerte das Wachstum noch fort; in einigen Kulturen wurde eine radiale Schichtung sichtbar. Am 7. Tage erschien in den Kulturen eine große Anzahl degenerierender Zellen. Die vorgenommenen Passagen konnten dem Untergang nicht vorbeugen, und in den Wachs- tumszonen wurde am Ende der 2. Woche ein deutlicher Zerfall be- merkbar. In denjenigen Kulturen, wo chloragogene Zellen vorhanden waren, hauptsächlich Blutgefäßstückchen, lassen sich andere Vorgänge be- obachten. In den ersten Tagen beginnen die chloragogenen Zellen sich von den Rändern des Stückchens als ununterbrochene Schicht ab- zuteilen. Am 2. bis 3. Tage zerfällt diese Schicht des chloragogenen Gewebes in einzelne Individuen, die auf bedeutendem Abstande auf Abb. 3. Abb. 4. Abb. 3. Dreitägige Kultur aus der „Herzwand.“ Die auf die Oberfläche des Glases emigrierten birnförmigen chloragogenen Zellen. Abb. 4. Eine einzelne chloragogene Zelle mit nach vorn ausgedehntem und am Ende sich ast- artig teilendem Auswuchs. der Oberfläche des Deckglases emigrieren (Mikroph. 3). In der Nähe der Ränder des Stückchens sind die Zellen der Form nach verschieden; hier kann man alle Übergänge von abgerundeten Zellen bis zu polygonen vorfinden. Je weiter sie sich vom Explantant entfernen, desto mehr nehmen sie eine spindel- bis birnenartige Form an. Der in der Richtung der Bewegung ausgedehnte Auswuchs ist körnig und teilt sich manchmal troddelförmig in einige protoplasmatische Fädchen (Mikroph. 4). Dieses zugespitzte Ende verändert sich fortwährend, indem es sich bald vergrößert, bald verkleinert, bald ausbiegt. Die Kulturen, in denen sich eine starke Emigration der chloragogenen Zellen beobachten ließ, lebten verhältnismäßig kurze Zeit, 7—9 Tage, da der Agar sich ver- dünnte und kurz darauf die Zellen rasch zu zerfallen begannen. Nur Zur Technik der Gewebskulturen von Regenwürmern in vitro. 297 in einer Kultur, wo die Anzahl der chloragogenen Zellen nicht groß war, konnte im Laufe von 3 Wochen kein Zerfall beobachtet werden. Das Wachstum anderer Gewebe, des Muskel-, Nerven- und des Bindegewebes, konnten wir in unseren Kulturen nicht konsta- tieren. Da uns vor allem daran gelegen war, den Charakter des Wachstums und die Lebensdauer der Gewebskulturen aufzuklären, hatten wir nur wenig die Möglichkeit fixiertes Material zu sammeln, die meisten Kulturen wurden von uns bis zum deutlich ausgedrückten Untergangsmoment aufbewahrt. Wir fixierten mit Carnoy und mit Helly, färbten mit Böhmers Hämatoxylin. Das mikroskopische Studium der fixierten und in toto gefärbten Objekte gab folgende Resultate. Die Wachstumszone ist ihrem Zellmaterial nach bei den verschiedenen Kulturen nicht gleich- artig. In den einen Kulturen (aus der Knospe des Hinterendes) sind die Zellen ihrer Größe und Form nach gleichartig; ihre Kerne sind rund, enthalten einen kleinen Nucleolus und kleine Chromatinkörnchen; das Protoplasma ist ohne Einschlüsse, enthält aber manchmal Vakuolen. Inmitten der frischen Zellen befinden sich Zellen mit Kernhyper- chromatolysis und Kernpiknosis. In den übrigen fixierten Kulturen fanden wir neben den oben- beschriebenen Zellen noch andere, größere Zellen, mit einem großen Kern und einem sich vorzüglich färbenden Nucleolus. Große Zellen waren gewöhnlich in Gruppen in der Nähe des Stückchens sichtbar. Wie vermehren sich die Zellen in der Wachstumszone? In unseren Präparaten konnten wir keine karyokinetischen Figuren beobachten; dafür stießen wir ziemlich oft auf Kernfiguren, die außerordentlich den verschiedenen amitotischen Stadien glichen. Die von Goldschmidt!) beschriebene Kernfragmentation in Kulturen aus Testikelfollikeln konnten wir in unseren Präparaten gleichfalls nicht beobachten. Die Versuche mit dem Kultuvieren in heterologischem Plasma gaben keine positiven Resultate, da bei Kombination des Plasmas (eines Pferdes oder Hundes) mit Gewebeextrakt das Plasma nur langsam gerann und in der Regel sich am 2. Tage veränderte. Die in reinem Plasma kultivierten Stückchen wuchsen nicht fort, zeigten aber trotzdem keine merklichen Zerfallserscheinungen während der 3 Experimental- wochen. Außer den Versuchen mit dem Kultivieren der Lumbricidengewebe versuchten wir noch Gewebskulturen aus den Geweben der Anodonta mit Hilfe derselben Methode, d. h. mit Agar + Gewebsextrakt aus den Fußmuskeln zu bekommen. In den angelegten Kulturen konnte eine Emigration der Lymphocyten beobachtet werden, weiter gingen jedoch Dale. 298 A. Krontowsky und A. Rumianzew: die Veränderungen in den Explantanten nicht, obgleich die Stückchen ziemlich geraume Zeit in frischem Zustande verblieben. Bei der Zusammenfassung unserer Beobachtungen müssen wir vor allem folgende Frage beantworten: War das, was wir beobachtet haben, nur eine Gewebsintegration infolge nicht genügender Mediumdichtheit und Fehlen eines mechanischen Substrats (wie dies in Harrisons Ver- suchen bei ausschließlicher Anwendung des Serums als Medium der Fall war!) oder haben wir wirkliche Gewebskulturen erhalten? Das Gewebs- wachstum des Explantants wird durch die Zellvermehrung und das aktive Hineinwachsen der Zellen in das umgebende Medium charak- terisiert. Beides fand zweifellos in den Explantanten der Regenerations- knospe und der Knospe des Hinterendes statt. In den aus Blutgefäß- stückchen verfertigten Kulturen ist es uns nicht gelungen, die Kern- teilung zu beobachten, dafür waren die aktive Bewegung und Form- änderung der Zellen besonders scharf ausgedrückt. Bei der Desinte- gration ist keine aktive Bewegung zu beobachten. Uns scheint, daß unsere Kulturen auch vor dem Einwande /ngebrigtsens, daß Kulturen in Salzlösungen nicht wirkliche Kulturen, sondern nur Überlebungs- erscheinungen seien, geschützt sind. Wenn es sich bei den Kulturen aus der Regenerationsknospe nur um ein ‚Überleben‘ handelte, so wären keine Differenzierungserscheinungen in der Wachstumszone zu beobachten, d. h. es gäbe keine radiale oder schichtartige Gestreiftheit. In unseren Kulturen enthielt der Gewebeextrakt zweifellos nährreiche und stimulierende Substanzen. Das Kultivieren ebensolcher Stückchen in stark mit Ringerscher Lösung verdünnten Extrakten gab gar keine Resultate außer der Emigration freier Blutzeilen. Der Zeitraum, in dem eine große Wachstumszone entsteht, hängt von der Konzentration des Gewebeextraktes ab. So begann die Emi- gration bei Anwendung eines mit Ringerlösung stark verdünnten Gewebeextraktes erst am 3. Tage, während die Wachstumszone erst am 7. Tage bemerkbar wurde; in konzentrierterer Lösung begann das Wachsen am 7. Tage schon nachzulassen. Außer den 2 obenbeschriebenen Arten von Kulturen kann man noch eine mittlere Art unterscheiden, in welcher neben den chlorago- genen Zellen noch eine sich gut entwickelnde Wachstumszone vor- handen ist. In solchen Kulturen emigrieren vor allem die chloragogenen Zellen, woraufhin die Bildung der Zone rings um das Stückchen beginnt. Stellen wir einen Vergleich zwischen dem Wachstumstypus der von uns erhaltenen Kulturen und dem für die Wirbeltiere beschriebenen an, so müssen wir feststellen, daß unsere Kulturen letzteren nicht entsprechen. Vom gewöhnlichen, besonders charakteristischen sogenannten Binde- DT. e. Zur Technik der Gewebskulturen von Regenwürmern in vitro. 299 gewebswachstumstypus [Lombert und Hanes!), Maksimow?)] unter- scheiden sie sich durch eine dichte Wachstumszone, obgleich diese Zone auch nicht unterbrochen, wie in den Epithelialkulturen fortläuft. Gleichfalls ist der Kampf unserer Kulturen — nicht wesentlich mit den Prozessen bei Kulturen in vitro, wie von Goldschmidt und Lewis für Wirbellose beschrieben. Es ist möglich, daß das Wachstum des explantierten Stückchens sich für jede Klasse der Wirbellosen als verschieden erweisen wird, sowohl nach dem Charakter der Zellelemente als auch nach der Archi- tektonik ihrer Vereinigung zum Gewebe. ENTE) 137 1) Lambert und Hanes, Beobachtungen an Gewebskulturen in vitro. Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 211. 1913. .2) A. Maksimow, The cultivation of connective tissue in vitro. Arch. Russ. d’anat. d’histolog. 1. 1916. Über elektrische Hautreizung. Von U. Ebbecke. (Aus dem Physiologischen Institut in Göttingen.) (Eingegangen am 13. März 1922.) Wenn ein elektrischer Strom durch lebendes Gewebe fließt, er- geben sich chemische, physikalische und biologische Änderungen, elektrolytische Erscheinungen, thermische und kataphoretische Er- scheinungen und Reizerscheinungen. Das Ziel, das dem Physiolo- gen vorschwebt, die letzte Gruppe der Erscheinungen auf die beiden anderen möglichst zurückzuführen, ist noch weit entfernt, zumal die primäre Wirkung des elektrischen Stroms schwer von den sich weiter anschließenden, nur ausgelösten Vorgängen zu trennen ist. Doch ist ein wichtiger Fortschritt der neueren Forschung die Erkenntnis, daß als wesentliches Moment die Zwischenschaltung von Membranen in den Stromweg die elektrischen Wirkungen im lebenden Gewebe cha- rakterisiert. Ist doch der Organismus, ja, jede einzelne Zelle ein he- terogenes Gemisch von Substanzen mit ungleichem Gerüstbau und un- gleichartiger Flüssigkeit. Nachdem Ostwald auf den Einfluß der Nieder- schlagsmembranen beim Durchgang eines elektrischen Stromes auf- merksam gemacht hatte, hat sich die Betrachtung dieses Membran- einflusses nach manchen Richtungen hin als fruchtbar erwiesen. Es sei an die Theorie der elektrischen Reizung von Nernst und die neuer- dings von Bethe aufgestellte Erregungstheorie, an die Aktions- und Ruhestromtheorie von Bernstein und Höber und an die Untersuchungen von Loeb und Beutner erinnert. So wie beim Durchgang des elektri- schen Stromes durch poröse Wände oder durch wasserunmischbare Flüssigkeitsschichten Konzentrationsänderungen entstehen, so müssen umgekehrt Konzentrationsänderungen, die aus anderen Gründen ent- standen sind, oder Änderungen in der Beschaffenheit der Membran zum Auftreten elektrischer Potentialdifferenzen führen. Eine Auf- klärung der mannigfachen verwickelten Erscheinungen wird von der physikalisch-chemischen Seite durch Modellversuche zu erfolgen haben. Doch auch von der entgegengesetzten Seite her wird die Forschung sich bemühen, die durch den elektrischen Strom hervorgerufenen phy- siologischen Erscheinungen bis ins einzelne zu verfolgen. Hier fehlt, im Gegensatz zu den zahlreichen Arbeiten, die sich mit der elektrischen Reizung von Muskeln, Nerven und Sinnesorganen U. Ebbecke: Über elektrische Hautreizung. 301 und der Verschiedenheit von Anuden- und Kathodenwirkung beschäf- tigen, eine physiologische Untersuchung der elektrischen Hautreizung noch so gut wie ganz. Man weiß, daß beim Stromdurchgang durch den menschlichen Körper Hautrötungen oder auch Schwellungen und Ätzungen entstehen können; näher darauf einzugehen, fehlte die Ver- anlassung, solange man das Wesentliche in der Reizung sensibler oder vasomotorischer Hautnerven erblickte und das übrige als pathologi- sche Hautschädigung unbeachtet ließ. Nun kann man sich aber auf den Standpunkt stellen, daß neben der Nervenreizung auch eine Rei- zung der Haut selbst, genauer des Epidermisepithels, in Betracht kommt, die kennenzulernen nicht unwichtig wäre. Diesen Standpunkt, zu welchem mich vorhergehende Arbeiten über ‚‚die lokale vasomoto- ıische Reaktion‘!) und über ‚die lokale galvanische Reaktion‘) ge- führt haben, vertritt die folgende Arbeit, die meinem verehrten Lehrer Franz Hofmeister zu seinem 70. Geburtstag in Dankbarkeit gewidmet ist. Die Untersuchung der elektrischen Hautreizung kann an drei Grup- pen von Symptomen anknüpfen, an die Reizerscheinungen, die sub- jektiv durch Aussagen der Versuchsperson feststellbar sind, an die Erscheinungen, die sich als Änderungen der Hautbeschaffenheit dem Auge des Beobachters darbieten, und an die eigenartigen Änderungen des elektrischen Widerstandes, die sich während und nach Stromdurch- gang herausstellen und, seit langer Zeit der elektrodiagnostischen und elek- trotherapeutischen Praxis auffällig, in ihrer Deutung noch immer Gegen- standder Diskussion sind. Alledrei Gruppen von Symptomen müssen gleich- mäßig berücksichtigt und nach Möglichkeit miteinander verknüpft werden. Methode. Zunächst ist eine für die Haut passende Reizmethode zu wählen. Der faradische Strom hat eine starke Reizwirkung auf die Hautnerven, was sich in allerlei Sensationen äußert und bis zu lebhaften Schmerzen und ausgebreiteter reflektorischer Hautrötung führen kann; dagegen ist, wie sich herausstellt, seine direkte Reiz- wirkung auf die Haut gering. Daher kommt hier der konstante gal- vanische Strom zur Verwendung. Mit Hilfe eines Schieberrheostaten, der als Potentiometer geschaltet ist, wird von einer Stromquelle (Ak- kumulatoren oder städtische Leitung) eine beliebig zu variierende, am Voltmeter abgelesene Spannung abgezweigt und durch den mensch- lichen Körper geleitet. Der den Menschen durchfließende Strom wird durch ein genügend empfindliches Zeigergalvanometer (Milliampere- meter und Mikroamperemeter) gemessen. Als Elektroden geben die üblichen umwickelten befeuchteten Metallscheiben Fehlerquellen durch den Einfluß der Polarisation und des mechanischen Druckes. Durch die Polarisation und Elektrolyse kann, außer einer Beeinflussung der 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 169, 1—81. 1917. 2) Ebenda 190, 230—269. 1921. 302 U. Ebbecke: Elektroden und der Stromstärke, die die Elektroden durchtränkende Flüssigkeit ins Saure oder Alkalische verändert werden und nun ihrerseits chemisch auf die Haut einwirken. Durch den Druck wird, da die Elektrodenplatten zwecks guten Kontakts fest der Haut anliegen müssen, die Haut auch ohne Strom schon gereizt und gerötet und die elektrische Reizwirkung überdeckt. Beides vermeiden die Gelatineelektroden, bei denen der durch einen Korkstopfen gebohrte amalgamierte Zinkstab eintaucht in ein Glasrohr, das mit Zinksulfatgelatine ausgegossen und an seinem unteren Ende mit Schweinsblase zugebunden ist. Bewahrt man die Elektroden in physiologischer Kochsalzlösung auf, so wird durch Diffusion das Zinksulfat im unteren Abschnitt der Röhre durch Kochsalzlösung ersetzt und durch leichte Quellung der Gelatine die Schweinsblase so weit vorgebuchtet, daß sie sich beim Aufsetzen der Elektroden sanft und gleichmäßig der Haut anlegt. Am vorteilhaftesten für die meisten Zwecke erwies sich mir der Gebrauch von „freien Flüssigkeitselektroden‘‘, die ich den im kleinsten Maßstab für Reizung isolierter Nerven zuerst von A. Munk!) angewendeten Flüssigkeitselektroden nachbildete. Spannt man eine Glasröhre von etwa 6cm Länge und 1-3 cm Durchmesser in ein Stativ, das in mehreren Gelenken verstellbar ist, und sorgt dafür, daß der Hebelarm, welcher die Röhre hält, frei von oben nach unten be- weglich und mit konstantem Druck belastet ist, so kann man die Röhre auf die daruntergeleste Fläche etwa des Vorderarmes herabsinken lassen; sie schließt dann mit abgerundeten Rändern auf der elastisch nachgiebigen Haut so fest an, daß sich ohne weiteres Flüssigkeit von oben in die Röhre einfüllen läßt, ohne aus- zulaufen. Durch die obere Öffnung taucht als Stromzuleitung ein zweites kleineres Glasröhrchen, das die Zinksulfatgelatine und den Zinkstab enthält. Zum Ent- leeren der Flüssigkeit wird ein Becherglas dicht an den unteren Rand der Röhre gehalten und die Haut an einer Stelle leicht herabgedrückt. Auf diese Weise ist während der Durchströmung eine kreisförmige Hautfläche von einer beliebig zu wählenden und auszuwechselnden Flüssigkeit mit gutem Kontakt und ohne Druck bespült; die Umgrenzung des durchströmten Bezirkes markiert ein schmaler Druckring. Die Einrichtung hat den Vorzug der Einfachheit und Sauberkeit, wenn es sich darum handelt, viele Versuchspersonen zu untersuchen, die Haut reichlich und gleichmäßig befeuchtet zu halten und den Einfluß der Elektroden- flüssigkeit zu berücksichtigen. Für manche Zwecke schließlich tauchte in be- kannter Weise die eine Hand in ein weites Gefäß mit Salzlösung, dem der Strom durch ein großes Zinkblech zugeführt wurde. Als Versuchspersonen dienten außer Patienten der medizinischen Klinik vorwiegend Studenten, denen ich für ihre bereitwillige Hilfe sehr zu Dank verpflichtet bin. 1. Reizempfindung. Von den Reizsymptomen seien als erste Gruppe die aus dem sub- jektiven Indikator der Reizempfindung beurteilten Stromwirkungen geschildert. Zur Reizung werden zwei gleichartige mit Kochsalz- oder Ringerlösung gefüllte Flüssigkeitselektroden von 1,3 cm innerem Durch- messer auf die Innenseite des rechten und des linken Unterarms auf- gesetzt. Schickt man nun Strom hindurch, so ist selbst bei Strom- stärken, die schon mit dem Milliamperemeter meßbar sind, von einer Schließungs- oder Öffnungswirkung nichts zu spüren. Erst wenn der Strom eine, individuell wechselnde, Schwelle erreicht hat, die bei dieser !) H. Munk, Untersuchungen über das Wesen der Nervenerregung. Leipzig 1868, S. 384. Über elektrische Hautreizung. 303 Stromdichte gewöhnlich zwischen 0,2 und 0,4 M.A. liest, kommt es bei Stromschluß zu der Empfindung eines kurzen, dumpfen, ganz leichten Schlages, der bei stärkerem Strom deutlicher wird und meist als Ruck oder Zuck bezeichnet wird. Muskelkontraktionen pflegen dabei nicht aufzutreten. Der Schlag wird an der Kathode lokalisiert, also beispielsweise nur am linken Arm empfunden, und überschreitet nicht merklich den Bereich der Elektrodenstelle. Bei einer erheblich größeren Stromstärke, etwa 1 M. A., tritt an der Anode eine Öff- nungsempfindung auf, die deutlich schwächer ist als die Schließungs- empfindung und meist nicht als Schlag, sondern als leiser Stich oder Pik angegeben wird. Oberhalb dieser Schwelle, oft aber auch schon unterhalb, kommt es auch an der Anode beim Schließen zu einer leich- ten Empfindung, welche das Vorhandensein von ‚physiologischen Ka- thoden‘“ unter der physikalischen Anode anzeigt. Unter Umständen kommen hinzu Empfindungen, die von der Elektrodenstelle auszustrahlen scheinen oder entfernt distal von ihr lokalisiert werden. Das ist bei hohen unangenehmen Stromstärken der Fall und bei niedrigeren dann, wenn die Elektrode über oder nahe an einem Hautnervenstamm gelegen ist. Auch hier folgt, solange die Stromstärke nahe der Reizschwelle ist, nur im Augenblick des Schlie- Bens eine Empfindung, bei höheren Stromstärken stellt sich ein Vibrie- ren und Kribbeln ein, das bei geschlossenem Strom einige Zeit anhält und sich dann in ein dumpfes, gleichsam rheumatisches ‚‚Nervenziehen“ abschwächt und sich verliert, Je stärker der Strom, um so lebhafter und längerdauernd wird das Nervenschwirren, das den durch Nerven- druck, etwa beim „Einschlafen“ eines Gliedes, auftretenden Par- aesthesien vergleichbar ist. Bei Stromöffnen wird das Gefühl, das nur an der Kathode bestand, sofort und ohne Nachwirkung unterbrochen. Soweit liefern die Beobachtungen nichts, was nicht mit dem be- kannten Pflügerschen Zuckungsgesetz übereinstimmte: Schließungs- wirkung an der Kathode, Öffnungswirkung an der Anode, schwächere, vielleicht auch qualitativ nicht ganz gleiche, Wirkung an der Anode alsan der Kathode. Das Nervenschwirren gibt ein Gegenstück zu dem moto- rischen, unregelmäßigen ‚Schließungstetanus“. Die Übereinstimmung er- laubt, die Pflügersche Regel in rechteinfacher Weise und nicht weniger eindringlich als am üblichen Nervmuskelpräparat zu demonstrieren, und zeigt den Wert des subjektiven Indikators, der bei beobachtungs- geübten und vor Suggestion geschützten Versuchspersonen!) ebenso genaue Resultate gibt wie andere, objektive Reizsymptome. Ersicht- 1!) Freilich ist es leicht, bei ungeübten Versuchspersonen, die mit gespannter Erwartung und leiser Besorgnis an die ungewohnte elektrische Apparatur heran- treten, durch scheinbares Schließen und Öffnen (Umlegen eines Schlüssels) die bestimmtesten Angaben über Reizempfindungen zu erhalten, obgleich in der sanzen Zeit kein Strom geflossen war. 304 U. Ebbecke: lich handelt es sich sowohl bei den an der Elektrode lokalisierten als auch bei den hier unterschiedenen und für Schwellenbestimmungen streng zu trennenden, in die Umgebung projizierten Reizempfindungen um Reizung sensibler Nerven, nur daß es im einen Fall die in der Haut liegenden Nervenendigungen, im anderen Fall die unter der Haut verlaufenden Nervenäste sind, die gereizt wurden. Freilich ist in der Beschreibung bisher eine Art von Eriphindunden ausgelassen, auf deren Analyse es uns besonders ankommt und die nun den bekannten Nervenreizwirkungen gegenübergestellt werden können. Schon bei Stromstärken, die weder beim Schließen noch beim Öffnen einen unmittelbaren Erfolg geben, stellt sich, nachdem der Strom einige Zeit geflossen üst, ein leises, eben merkliches, mit der Dauer des Stromes deutlicher werdendes Jucken oder Prickeln ein, das ganz auf die direkt gereizte Fläche unter der Elektrode beschränkt ist. Es tritt sowohl an der Kathode als auch, unter Umständen einige Zeit später, an der Anode auf, ist bald an der Anode, bald an der Kathode stärker, wobei unter anderm die Beschaffenheit der Elektrodenflüssigkeit von Ein- fluß ist; es schwankt stark in seiner Intensität, steigert sich zunächst und kann bei langer Stromdauer zeitweilig mit einer Art Gewöhnung ganz gering werden, um darnach ohne ersichtlichen Grund anzuschwel- len. Wenn es sich verstärkt, geht es in ein Gefühl von leichtem Bren- nen über. Die höheren Grade werden als „Brennen“ oder ‚‚Beißen“ empfunden. Diese letzten unangenehm schmerzenden Empfindungen bei größeren Stromstärken sind allbekannt und pflegen als Beispiel dafür zu gelten, daß der elektrische Strom die motorischen Nerven beim Entstehen und Vergehen, die sensibeln aber auch während seiner Dauer errege; die anfänglichen Empfindungen des leichten Juckens und Prickelns sind, so oft sie auch vermutlich schon beobachtet sein mögen, unbeachtet geblieben. Aber gerade sie sind für uns besonders wichtig, da sie mit ihrer langen Latenz, ihrem Auftreten auch an der Anode und ihrer Zunahme bei Stromdauer den Gegensatz zum Pflüger- schen Gesetz am deutlichsten zeigen. Dadurch, daß sich die leichten Grade der Juckempfindung mit allen Übergängen allmählich bis zum schmerzhaften Brennen steigern lassen, ist die Zusammengehörigkeit dieser Art von Empfindungen ohne Zweifel. Der Gegensatz zu den Nervenreizwirkungen wird noch verschärft, wenn man als Elektroden- flüssigkeit verdünnte Säure, etwa 1% Essigsäure oder 2/00 Dchwefel- säure, wählt; dann tritt das Prickeln fast oder ganz ausschließlich an der Anode auf. Man könnte für diese Juckempfindung von einer Um- kehrung des Erregungsgesetzes durch Säurewirkung sprechen, sieht aber, wenn man die Nervenreizschwelle überschreitet, daß für die sensibeln Nerven im Augenblick des Stromschließens nach wie vor die Kathode der erregende Pol ist. Über elektrische Hautreizung. 305 Auch bei dieser Art von Empfindungen muß es sich ja um Reizung sensibler Nervenendigungen handeln, doch legen es die beobachteten Tatsachen nahe, die Nervenwirkung hierbei nur als den mittelbaren Ausdruck einer andersartigen primären Wirkung anzusehen. Die aus- gesprochene Summation, die in der langen Latenz und der Zunahme bei Stromdauer zum Vorschein kommt, läßt chemische Produkte, die sich beim Stromdurchgang anhäufen, als erregendes Agens vermuten. Vor einer endgültigen Deutung sind die beiden anderen Symptomgruppen, sichtbare Hautänderungen und elektrische Widerstandsänderungen, zu untersuchen. Doch sei schon hier die, später noch weiter begründete, Auffassung ausgesprochen, daß es sich bei den während der Stromdauer bestehenden Reizempfindungen der Haut, die sich je nach der Stromstärke in Jucken und Prickeln oder Brennen und Beißen äußern, um eine Reizung der Hautepidermis selbst handelt, welche vom galvanischen Strom in erster Linie betroffen wird, in welcher der elektrische Widerstand haupt- sächlich lokalisiert ist und an deren Zellmembranen elektrochemische Änderungen stattfinden. Wenn in unserer Analyse drei Arten von Reizempfindungen — Reizung von Nervenästen, Nervenendigungen und Epidermis — auseinandergehalten werden, so trägt das vielleicht auch klinisch zur Klärung der Sachlage bei. So beschränkt sich Sahlı in seinem bekannten Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden bei der Prüfung der elektrischen Erregbarkeit im wesentlichen auf die motorischen Nerven und Muskeln und bemerkt von der elektrischen Me- thode der Sensibilitätsprüfung, daß ‚‚wir eigentlich nicht recht wissen, was wir mittels dieser Methode prüfen und die Methode physiologisch noch viel zu wenig ausgearbeitet ist“. Mit Hilfe der vorliegenden Analyse läßt sich die elektrische Sensibilitätsprüfung erneut in Angriff nehmen. Ferner ist es gewiß kein Zufall, daß gerade die Hautkrankheiten von Juckempfindungen als häufigstem und lästigem Symptom begleitet sind. Beispielsweise sagt Unna!), daß der Dermatologe gern auf die Kenntnis der Tast- und Temperaturempfindungen verzichten würde, wenn ihm dafür die Physiologie der Juckempfindungen bekannt wäre. Ohne daß ich hier näher darauf eingehen kann, scheint mir doch der Hinweis von Wichtigkeit, daß die Juckempfindung als Symptom einer Gewebsreizung auftritt. Wie sonst Jucken oder Kribbeln durch leise, diskontinuierliche, bald hier, bald dort auftretende Hautberührungen, krabbelnde Tierchen, leichteste Nadelstiche und dergleichen zustande kommt, so kann die Juckempfindung auch durch einen inneren Haut- reiz veranlaßt sein, indem auf die allmählich und gleichmäßig wirkende chemische Änderung bald diese, bald jene Zelle oder Zellgruppe in un- regelmäßigem Wechsel stärker reagiert und die entsprechenden Nerven- 1) Unna, Zur feineren Anatomie der Haut. Berl. klin. Wochenschr. 1921. 306 U. Ebbecke: endigungen in Mitleidenschaft gezogen werden. Ähnliche Verhältnisse mögen bei manchen Hauterkrankungen vorliegen. Um die hier gegebene Analyse an einem unzerlegten Versuchsbei- spiel zu veranschaulichen, sei ein Protokoll mitgeteilt. A. Flüssigkeitselektroden mit Ringerlösung auf rechtem und linkem Unter- arm. Vp. U.E. 10.IX. Durchströmung bei den verschiedenen Spannungen je eine Minute. Volt 10 15 20 25 30 10 5 M.A. 0,01—0,03 0,10—0,21 0,40—1,05 1,50—2,75 3,20—5,00 0,90—0,98 0,38—0,38 2,5 0,10—0,10 B. Flüssigkeitselektroden mit Ringerlösung auf rechter und linker Hand- innenfläche. Volt 20 25 30 40 50 60 60 70 80 90 M. A. 0,10-0,07 0,15 0,15 0,19-0,20 9,300,35 0,50—0,60 0,65 0,80 0,90-1,00 1,10—1,45 1,85 2,80 3,20—4,10 Bemerkungen . Prickeln an der Kathode, nachher auch an der Anode angedeutet. Prickeln erst gegen Schluß deutlicher. S. und Ö. nichts. S. spürbar, Ö. auch, nur an Kathode bzw. Anode. Prickeln steigert sich zum leichten Brenzen. Nach !/, Min. 2,3 M. A. S. stark mit einem in den ersten Sekunden lebhaften, durch den Unterarm gehen- den Gefühl von Schwirren und Zittern, das nach 5—10 Sekunden einem dumpfen Ziehen Platz macht. Dies nur links (Kathode). Daneben rechts und links, aber von wechselnder Stärke an den direkten Reizstellen ein teil- weis unangenehmes Brennen. Ö. an der Anode. Schwirren bleibt auch während des dumpfen Ziehens ganz schwach spürbar. Brennen schmerzhaft an der Anode. Ö. verhältnismäßig schwach. S. als schwacher Schlag, Ö. als leises Piken verspürt. S. spürbar, Ö. nicht. Nichts gespürt. Bemerkungen Nichts Deutliches. Nichts Deutliches. Vielleicht etwas Prickeln. Prickeln an der Kathode während der Stromdauer jetzt deutlich. Ö. und $. nichts. Prickeln an der Kathode beginnt 2—3 Sekunden nach Stromschluß. Nach längerem Stromfließen auch an der Anode leichtes Jucken. Prickeln an der Anode beginnt nach 20 Sekunden. S. und Ö. nichts. Versuchspause bei unverändertem Aufliegen der Elektroden. Störung durch lebhaftes Gespräch. S. als kleiner Zuck gespürt, Ö. nichts. Prickeln stärker, Ö. nichts. S. stark. Kathodenprickeln sofort. Anodenprickeln nach 10 Sekunden, dann allmählich an Kathode und Anode ziemlich gleichstarkes Brennen. Jetzt erst Ö. als schwacher Zuck gespürt. Nach !/, Minute 3,9 M. A. S. sehr stark, verbunden mit lebhaftem Nervenkribbeln in der Spitze des linken Zeige- fingers, was sich allmählich abschwächt. Das Brennen überwiegt allmählich an der Anode, nach dem Öffnen vielleicht für kurze Zeit ein Gefühl von Kühle. Über elektrische Hautreizung. 307 Volt M.-A. Bemerkungen 100 ca.5M.A. S.links, Ö. rechts. Wie bei 90 V., nur stärker. rasch steigend 20 0,380,38 Leichtes Prickeln. S. und Ö. nichts. An dem mitgeteilten Versuchsbeispiel ist beim Vergleich von Handinnenfläche und Unterarm, außer dem später zu besprechenden Verhalten des elektrischen Widerstandes, der höhere Schwellenwert der Handfläche deutlich. Zugleich zeigt der Versuch, besonders die zufällige psychogalvanische Reaktion bei 60 Volt, daß für die Reizschwelle nicht die Spannung, sondern die Stromstärke maßgebend ist. Als Nebenbeobachtung, die mehr für die Sinnesphysiologie in Betracht kommt, sei das von 3 meiner Versuchspersonen unabhängig voneinander und spontan an- gegebene, von mir niemals deutlich wahrgenommene Kältegefühl erwähnt, das zuweilen an der Anode nach Stromöffnen entsteht. 2. Sichtbare Hautänderungen. Um den Unterschied der Hautwirkung von Anode und Kathode augenfälliger zu haben, kann man hier, wo eine Störung und Ver- mischung benachbarter Empfindungen nicht mehr schadet, die Flüssig- keitselektroden unweit voneinander der Haut desselben Unterarms aufsetzen. Schickt man nun den Strom hindurch, so läßt sich, unge- stört durch die sonst überlagerte mechanische Reizung, die elektrisch bewirkte Hautrötung beobachten. Als erster Befund sei hervorgehoben, daß es für die Lebhaftigkeit und Dauer der Rötung nicht so sehr auf die Stromstärke ankommt — auch ein schwächerer aber genügend langdauernder Strom macht lebhafte Reizröte —, als auf die Strom- menge. Auch hier sind schon Stromstärken wirksam, die noch unter- halb der Nervenreizschwelle bleiben. Schon hierin zeigt sich die Ver- wandtschaft mit der zuletzt geschilderten Gruppe von Reizempfindungen. Sowohl Anode wie Kathode sind als hautrötender Reiz wirksam, zeigen aber bei näherer Betrachtung charakteristische Unterschiede. Bei Stromstärken über 0,5—1 M. A. sind unmittelbar nach dem Abheben der Elektroden leichte Unebenheiten der gereizten Flächen wahrnehm- bar, die unter zunehmender Rötung schon innerhalb der ersten Minute zu verschwinden pflegen und nur dann rein für sich erscheinen, wenn die reaktive Röte durch Abschnüren des Blutstroms am untersuchten Arm verhindert wird. Innerhalb der blaß gebliebenen Reizkreise sind unter der Anode zahlreiche, etwa 15, winzige Hautvertiefungen ent- standen, die wie mit der Stecknadelspitze eingedellt aussehen und, wenn sie größer ausfallen, genau kreisrund sind. Gegenüber unter der Kathode haben sich mehrere, meist etwa 10, blasse Höckerchen vor- gebuchtet, die zum Teil den Haarfollikeln entsprechen. Auf den Be- fund möchte ich deswegen Wert legen, weil er die „Kataphorese‘‘ oder ‚„Elektroendosmose‘, die Fortführung von Flüssigkeitsteilchen in der ‚durchströmten Haut, auf einfache Weise demonstriert. Die von der Anode weg mit einem gewissen Druck transportierte Flüssigkeit hat Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 1%. 21 308 U. Ebbecke: die Haut an einigen Stellen gleichsam eingezogen — man kann sich dabei an die zuerst von E. Dubois- Reymond!) beschriebene Anoden- würgung durchströmter Eiweißzylinder erinnern —, die zur Kathode hingetriebene Flüssigkeit hat die kleinen Hautstellen vorgewölbt. Wäh- rend für die Anodeneinziehungen, soviel ich sehe, keine andere Deu- tung möglich ist, könnte man bei den Kathodenhöckern auch an eine Reizung glatter Hautmuskelfasern denken; doch sprechen die im wei- teren Verlauf eintretenden reaktiven Änderungen gegen diese Mög- lichkeit. Hat man den Versuch am normal durchbluteten Arm vorgenommen, so sind es gerade diese, zunächst passiv physikalisch veränderten Stel- len, welche die stärkste Reaktion zeigen. Zwar wenn die Wirkung ge- ring war, gleichen sich die Unebenheiten in der im ganzen geröteten Fläche nur rasch aus. War aber die Reizung stärker, so sieht man innerhalb der ersten Minuten nach Abheben der Elektroden die Ka- thodenhöcker sich etwas vergrößern und verbreitern, so daß sie, wenn sie zahlreich genug sind, miteinander konfluieren können und der ganze Kreis eine gleichmäßige leichte quaddelige Erhabenheit zeigt. Die Anodenvertiefungen umgeben sich mit schmalen Umwallungen, so daß sie aussehen wie kleine Krater, deren Mitte zuweilen durch ein austretendes Haar markiert ist?). Später verschwindet die vertiefte Mitte. Unter Umständen können auch die Anodenhöcker verschmel- zen, doch tritt die allgemeine Anodenquaddel erst bei recht schmerz- haften Reizstärken ein, die mit langdauernder Hautschädigung und Schorfbildung, ähnlich den Brand- oder Ätzschorfen, einhergehen. Bei schmerzhaften Reizen kommt zu den direkten Reizwirkungen noch eine diffuse, sich fleckig in die Umgebung verlierende Rötung hinzu, die rein reflektorisch bedingt ist, sich innerhalb weniger Minuten ver- liert und in ihrer Ausdehnung ein recht gutes objektives Maß für die Stärke der mit der Durchströmung verbundenen Schmerzempfindung abgibt. Die direkten Reizwirkungen aber halten sich längere Zeit und zeigen in ihrem weiteren Verlauf noch einige bemerkenswerte Eigen- tümlichkeiten. Sieht man ab von den mit Hautätzung verbundenen Reizgraden, so erscheint anfänglich nach Abheben der Elektroden die Kathodenwirkung ihrer Rötung und unter Umständen Quaddelbil- dung nach als die stärkere. Wartet man aber einige Zeit, so kehrt sich das Verhältnis um. Die Kathodenschwellung ist nach einer halben Stunde zurückgegangen und auch die Rötung etwa nach einer Stunde fast verschwunden, während zu dieser Zeit die Anodenstelle noch leb- 1) E. Dubois- Reymond, Monatsber. d. Akad. d. Berl. Wiss. 1860, S. 846—906. ?) Schon bei Untersuchung der lokalen vasomotorischen Reaktion hatten sich die Haarfollikel auch für mechanische Reizung als besonders empfindlich erwiesen („follikuläre Quaddelbildung‘). Über elektrische Hautreizung. 309 haft gerötet bleibt. Die geschwollene Kathodenstelle ist etwas unter- empfindlich, so daß spitz und stumpf verwechselt wird, die Anoden- stelle ist gegen Berührung deutlich überempfindlich und gleichsam wund; recht charakteristisch ist die von einigen Versuchspersonen ge- machte Bemerkung, daß hier die Wirkung eines kleinen Nadelstichs noch sekundenlang nachklingt. Hatte die Durchströmung nicht wie bei meinen meisten Versuchen nur wenige Minuten, sondern längere Zeit gedauert, beispielsweise eine halbe Stunde mit 22 Volt Spannung, wobei der Strom von 0,2—3,7 M. E. anstieg, so ist an der Kathoden- stelle am nächsten Tage keine Änderung mehr zu sehen, während die An- odenrötung sich erst in einigen Tagen verliert. Selbst wenn die Wir- kung scheinbar ganz verschwunden ist, zeigt eine gelegentlich, beim Erwärmen oder Waschen der Haut, wiederauftauchende Rötung eine als letzte Nachwirkung zurückgebliebene ‚„Überregbarkeit‘ dieser An- odenstelle an; eine bemerkenswerte Umstimmung, welche dem Ver- halten lichtbestrahlter Hautstellen ähnlich ist. Wie aus den Beobach- tungen hervorgeht, ist ın ihrer unmittelbaren Wirkung die Kathode, in ihrer Nachwirkung und unter Umständen Schädigung aber die An- ode der wirksamere Reız. j Der erste Teil dieses Satzes entspricht dem, was auch an anderen erregbaren Gebilden von der Kathodenreizwirkung bekannt ist und was Waller an seinen Hautflammströmen gefunden hat; die zweite Feststellung, die mich zunächst überraschte, scheint nicht weniger wich- tig, da sie vielleicht mit der vom Muskel und Nerven her bekannten Anodenöfinungswirkung in Zusammenhang steht. Nachdem wir den Verlauf der elektrischen Hautreizung bei Ver- wendung einer indifferenten Elektrodenflüssigkeit kennengelernt haben, ist es lehrreich, hiermit die Wirkung bei einer differenten sauren oder alkalischen Elektrodenflüssigkeit zu vergleichen. Füllt man in die Glasröhren lproz. Essigsäure- oder Ammoniaklösung oder Schwefel- säure oder Natronlauge in 2/,,- oder "/,o0- Konzentration, so ist die Wirkung der Flüssigkeit für sich nach zehn Minuten bei den Säuren noch nicht merklich, bei den Laugen zeigt sich schon eine Quellung und Rötung, immerhin ist die Wirkung gering gegenüber den bei gleich- zeitigem Stromdurchgang auftretenden Veränderungen. Ihrer Schil- derung sei ein typischer Fall zugrunde gelegt, bei dem nacheinander vier benachbarte Paare von Hautstellen desselben Unterarms mit 15 Volt Spannung durchströmt wurden; als Elektrodenflüssigkeit diente zuerst 1%, NaCl, dann %/,.o HsSO, dann "/,. NaOH, zuletzt wieder 1% NaCl. Die Durchströmung dauerte je zwei Minuten, nur bei der Säure drei Minuten. Wie sich dabei die Stromstärken verhielten, zeigt nebenstehende Tabelle, in der die Stärken in M. A. von 15 zu 15 Sekunden verzeichnet sind. Was die Empfindungen der Versuchs- 212 310 U. Ebbecke: person betrifft, so ist das Brennen bei der Lauge am unangenehmsten und recht schmerzhaft, aber auch noch bei der Säure trotz dem schwä- cheren Strom viel stärker als bei der Salzlösung. Während nun die Wirkung unter den Salzelektroden den üblichen Verlauf nimmt — die mäßige Rötung ist an der Kathode schon nach einer halben Stunde bis auf drei verschwommene rote Fleckchen verschwunden —, kommt 1% NaCl 1/00 H,SO, n/ı0? NaOH 1% NaCl 0,1 0,15 0,2 0,2 0,7 0,4 0,8 0,6 1,2 0,5 1,0 1,0 1,6 0,55 1,15 1,25 2,0 0,6 1,2 1,55 2,3 0,65 1,2 1,8 2,8 Oo 1,25 1,9 2,1 0,9 11,25 2,05 2,9 1,0 3 209) 1,15 1,3 1,35 1,42 es bei der Säure zu einer starken Anoden-, bei der Lauge zu einer star- ken Kathodenwirkung. Bei der Säure verhält sich die Kathodenstelle in gewohnter Weise, die anfangs blassen Höckerchen werden rötlich und verlieren sich schnell, auch die schmale matte Umgebungsröte ist unauffällig. Die reflektorische Röte der Anodenstelle ist lebhafter und bildet einen 1—2 cm breiten Saum um die direkt gereizte Stelle. Diese selbst zeigt neun sehr kleine, kreisrunde, wie mit einer kleinen Stanze eingedrückte Vertiefungen von bräunlicher Farbe. Innerhalb der ersten drei Mi- nuten nach Abheben der Elektrodengläser erhebt sich um jede Ein- ziehung herum ein schmaler, harter, weißer, ziemlich hoher Quaddel- wall, in dessen Mitte die ursprünglichen kraterförmigen Vertiefungen sich allmählich ausgleichen. Nach einer Viertelstunde bestehen neun Quaddelkuppen, die, mit etwas unscharfen Rändern sich ausbreitend, ein wenig miteinander verschmelzen; von den braunen Verfärbungen ist nichts mehr zu sehen. Nach einer halben Stunde sind die Erhebun- gen unter allmählicher Abflachung miteinander verschmolzen, so daß sie sich nicht mehr einzeln abheben. Schon nach 11/, Stunden ist die Schwellung fast ganz verschwunden und sind an Stelle der Quaddel- kuppen lebhaft rote Flecke vorhanden, die nur langsam abblassen. An diesen Stellen kommt es schließlich zur Bildung von neun winzigen trocknen Schorfen. In anderen Fällen, wo die Reizung stärker war, wird innerhalb fünf Minuten die ganze Anodenstelle von einer einheit- Über elektrische Hautreizung. 311 lichen Quaddel überzogen, und es kommt vor, daß die Quaddel an einigen Stellen auch die durch den Glasrand mechanisch bedingte Rinsfurche überbrückt. Im stärksten Reizgrad sehen die vertieften Stellen von vornherein nekrotisch aus, umgeben sich mit einem schmal- stem, eben sichtbarem blutigrotem Saum und bleiben in den nächsten Tagen, wenn die übrigen Reaktionen längst abgeklungen sind, als weiße, für Berührung unempfindliche Kreise mit rotem Saum kennt- lich, bis sie allmählich verschorfen. Solche Ätzungen sind in ihrem Verlauf zwar schmerzlos, aber von sehr langsamer Heilungstendenz. Bei der Lauge verhält sich die Wirkung fast, als seien Anode und Kathode vertauscht. Während nun an der Anode nur eine schwache Rötung und nichts von Einziehungen zu sehen ist, — in einem anderen Protokoll sind im Gegenteil die noch während der Durchströmung bemerkten, durch die Glaswand hindurch gesehenen Höckerchen an der Anodenstelle notiert—, sind an der Kathodenstelle drei, im ersten Anfang etwas vertiefte, glasig schmutzig aussehende kleine Kreise vorhanden, die sich mit einem ganz schmalem blutigrotem Saume umgeben. Aus diesen Stellen gehen durch Bildung von Quaddelwällen und Ausgleichung der mittleren Einsenkung drei Quaddeln hervor, die im Verlauf einer Viertelstunde miteinander verschmelzen. Auch der weitere Verlauf bis zur Verschorfung ist an der Laugenkathode ganz ähnlich wie an der Säurenanode. Die Versuche mit den Säure- und Laugenelektroden ergaben bei den verschiedenen Versuchsper- sonen übereinstimmende Resultate, wobei auch die Natur und Ver- dünnung der angewendeten Säure oder Lauge nur quantitative Un- terschiede gibt. Die nächstliegende Deutung der Befunde ist, daß bei den Säure- elektroden die positiven, von der Anode weg in die Haut hinein wan- dernden Wasserstoffionen, bei den Laugenelektroden die negativen, von der Kathode weg in die Haut hinein wandernden Hydroxylionen das wirksame Agens sind. Wir hätten somit, nachdem wir zuerst die Kataphorese hervorgehoben hatten, nunmehr eine Wirkung der ‚„‚Jon- tophorese‘‘ vor uns. Deren Wirksamkeit sei noch an einigen Beispielen kurz erläutert. So nahm ich nacheinander salizy!saures Natrium und salzsaures Anilin in 2/00 Konzentration als Elektrodenflüssigkeit; einige Zeit nach einer drei Minuten dauernden schwachen Durchströmung (bis 0,4 M. A.) ent- standen rote Hautflecken, beim salizylsauren Natrium aber nur an der Kathode, beim salzsauren Anilin nur an der Anode. Also auch diese organischen, schwächer dissozierten Substanzen werden als Ionen, nicht als Moleküle in die Haut eingeführt. Es ist bekannt, daß Adre- nalin auf diese Weise einverleibt werden kann (Leduc, Bouchet). Füllte ich die Flüssigkeitselektroden mit Adrenalinlösung 1: 10000 und durch- 312 U. Ebbecke: strömte vier Minuten lang, so kam es zu einer einige Minuten nach der Durchströmung noch zunehmenden maximalen Hautblässe, aber nur an der Anode. Ebenso hatten die in Ringerlösung gelösten Substanzen Uraethan 25%, Peptonlösung 5% und Histamin 1 : 2000, die ich we- gen ihres Einflusses auf die Kapillaren untersuchte, nur Anodenwir- kung. Die Histaminwirkung sei etwas eingehender beschrieben, einmal, weil diese Substanz neuerdings durch die Untersuchungen von H. H. Dale!) besondere Bedeutung gewonnen hat, und sodann, weil die bis- her noch nicht versuchte elektrische Einführung des Histamins, dessen Hautwirkung bei intrakutaner Injektion Eppinger?) fand, besonders einfach und wirksam ist. Nach zehn Minuten dauernder Durchströmung mit mäßigem Strom (bis 0,6 M. A.) findet. sich die Kathode kaum verändert, die Anode dagegen ist unregelmäßig geschwollen und schwillt weiter innerhalb der nächsten Minute zu einer hohen, harten, weißlichen Quaddel an, die gleichmäßig die ganze Reizfläche ausfüllt. Trotzdem bei der Durch- strömung keinerlei Schmerz, nur Jucken an der Anode, empfunden war, ist auch die Umgebung weithin mit fleckigen Ausläufern gerötet. Daß die Rötung keine Reflexrötung ist, zeigt sich darin, daß sie, wenn auch eingeengt, noch nach 1!/, Stunden besteht. In dieser Zeit ist die Quaddel flacher geworden und hat einen rosa Farbton angenommen, hat sich aber mehrere Millimeter weit über den früheren Druckring aus- gebreitet. Nach drei Stunden ist die Wirkung spurlos verschwunden; trotz der ungemein starken Quaddelbildung ist die Haut darnach in keiner Weise geschädigst. Versuchen wir nun die Befunde dieses zweiten Abschnittes der Ar- beit zu verwerten, so zeigen sie in den passiv gebildeten punktförmigen Vertiefungen und Höckern die Wirksamkeit der Kataphorese, in der Verschiedenheit von Säuren- und Laugenwirkung die Wirksamkeit der Iontophorese, und die Streitfrage, ob die von H. Munk entdeckte elek- trische Einführung von Substanzen in den Körper der Kataphorese [7. Munk,3) P. Meißner*)] oder der Iontophorese zuzuschreiben sind [Frankenhäuser,?) Leduc®)], beantwortet sich dahin, daß beide Ein- flüsse mitwirken, wie es ja auch theoretisch zu erwarten ist, wobei für !) Journ. of physiol. 52, 100 und 355. 1918. 2) Eppinger, Wien. med. Wochenschr. 1913, Nr. 23. 3) H. Munk, Über die galvanische Einführung differenter Flüssigkeiten in den unversehrten menschlichen Organismus. Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 1873, S. 505. 4) P. Meissner, Über Kataphorese und ihre Bedeutung für die Therapie. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1899, S. 11. >) Frankenhäuser, Leitung der Elektrizität im lebenden Körper. Zeitschr. f. Elektrotherapie 2, Heft 1. 1900. 6) St. Leduc, Die Ionen- oder elektrolytische Therapie. Leipzig 1905. Über elektrische Hautreizung. 313 die stärker dissozierten Substanzen die Ioneneinführung überwiegt; eine etwa in Frage kommende einfache Resorption ist bei den Haut- wirkungen, die nur unter einer Elektrode zustande kommen, ohne weiteres widerlegt. Ferner zeigen die Versuche den Verlauf von ex- perimentell herbeigeführten und gut dosierbaren kleinsten Entzün- dungen mit Kapillarerweiterung, Ödem und kapillarer Blutung bis zur Nekrose und Verschorfung. Gerade daß bei dieser Versuchsanord- nung, welche durch den Druck des Glasrandes den Blutzufluß zu dem durchströmten Hautkreis einigermaßen behindert, die reaktiv eintre- tenden Veränderungen sich erst nach der Reizung langsam vor unsern Augen abspielen, gibt den kleinen Erscheinungen etwas recht Ein- drucksvolles.. Und schließlich liefern die Beobachtungen Material zur Beantwortung der sich schon im ersten Abschnitt erhebenden Frage, welcher Art die elektrisch bewirkten Änderungen sind, die nicht als primäre Nervenreizung aufgefaßt werden können, und wie sie zustande kommen. Hatte schon die Analyse der Reizempfindungen zu der Folgerung geführt, daß neben der Hautnervenreizung noch eine andersartige Hautreizung vorliege, so wird die Folgerung durch den zweiten Ab- schnitt bestätigt. Denn hier ist von einer Schließungs- oder Öffnungs- wirkung des Stromes nichts zu sehen, im Gegenteil wirken Stromdauer und Strommenge, mit einer für die gewöhnlichen Reizobjekte un- bekannten Langsamkeit der Reaktionsverstärkung und Länge der Re- aktionsnachdauer. Dennoch ist nicht zweifelhaft, daß wir es mit einer echten physiologischen Reizung zu tun haben, da die Änderungen bei mäßigen Graden ohne jede Hautschädigung reversibel sind. Anderer- seits wird man verhindert, in der mit Rötung und Schwellung einher- gehenden Reaktion nur eine Wirkung auf die Blutgefäße zu sehen, da die Reaktion durch Reizverstärkung bis zu deutlichen Gewebsände- rungen (Ätzungen, Nekrosen) geführt werden kann. So ergibt sich der Schluß, daß wir es mit einer Reaktion der Hautzellen zu tun haben, als welche in erster Linie die Epithelzellen der Epidermis dastehen. Daß für diese Zellreizung die Pflügersche Regel nicht zutrifft, über- rascht nicht mehr, wenn wir uns erinnern, daß dasselbe schon von Kühne und besonders von Verworn!) für die Reizung einzelliger Lebe- wesen festgestellt ist. Die Übereinstimmung mit dem Verhalten der Protisten — erregende Wirkung auch der Stromdauer, sowohl an der Anode wie an der Kathode, geringe oder fehlende Wirkung der In- duktionsschläge — bestärkt uns in der Überzeugung, daß die Haut ein neues physiologisches Reizobjekt darbietet, das den einzelligen Lebewesen an die Seite zu stellen ist und als Bestandteil des mensch- lichen Körpers um so weniger vernachlässigt werden darf. 1) Vgl. Verworn, Allgemeine Physiologie. V. Kapitel. 314 | Wanppeeker Noch eine andere Vergleichsmöglichkeit bietet sich, wenn wir an die bekannten Erfahrungen über elektrische Geschmacksreizung den- ken, bei der der subjektive Indikator die gegensätzliche Wirkung von Anode und Kathode demonstriert. Heben wir nur die für uns wich- tigsten Punkte heraus, die schon von Hermann!) und Laserstein?) be- obachtet sind und die ich durch eigene Versuche leicht bestätigen konnte, so zeigt der elektrische Geschmack geringe oder fehlende Er- regbarkeit gegenüber Induktionsstößen und Stromschwankungen, da- gegen eine sämtliche anderen Sinnesorgane und die sensibeln Zungen- nerven übertreffende Empfindlichkeit gegenüber dem konstanten Strom, welcher aber während seiner ganzen Dauer, sogar mit einer anfangs noch zunehmenden Intensität, und an der Anode stärker als an der Kathode wirkt. Daß sich bei den ein wenig stärkeren Strömen ein Ge- fühl des Prickelns in die reine Geschmacksempfindung mischt, ist nach unseren Untersuchungen ohne weiteres verständlich. Die Übereinstim- mung mit der elektrischen Hautreizung ist so groß, daß auf eine Ver- wandtschaft der zugrunde liegenden Prozesse geschlossen werden darf. Wie bei der elektrischen Hautreizung dürfte es sich daher bei der elek- trischen Geschmacksreizung nicht um eine unmittelbare Reizung von Geschmacksnerven, sondern um eine Zellerregung, nämlich der End- apparate, der Schmeckzellen, handeln. Damit wird auch die Frage, welche Änderungen in oder an den Zellen durch den elektrischen Strom primär bewirkt werden, die weiter- hin den Erregungsvorgang auslösen, für alle drei Objekte, Hautzellen, einzellebende Zellen und Schmeckzellen, zugleich zu erörtern sein. Der Beitrag, den unsere Untersuchung zu der Frage liefert, ist der Nach- weis der Ähnlichkeit einer gewöhnlichen elektrischen Hautreizung mit der Wirkung elektrisch eingeführter Wasserstoff- oder Hydroxylionen. Wenn deren Wirkung soviel Ähnlichkeit hat und die Reizung bei pas- sender Dosierung beliebig entweder nur an der Anode (bei Säure- elektroden) oder nur an der Kathode (bei Laugenelektroden) hervor- zurufen ist, so wächst die Wahrscheinlichkeit, daß auch bei der ge- wöhnlichen elektrischen Reizung solche Ionen sich innerhalb oder außer- halb der Zellen ansammeln und nun ihrerseits erregend wirken. Wie das möglich ist, da doch eine Elektrolyse sonst nur an metallischen Polen auftritt, lehren die Versuche von Bethe und Toropoff.2) Bethet) sieht an den Stengelzellen von Tradescantia myrtifolia, daß bei elek- !) Vgl. Hermann, Lehrbuch der Physiologie 1900, S. 490. 2) Hermann und Laserstein, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 49, 36. 3) Beihe und Toropoff, Über elektrolytische Vorgänge an Diaphragmen. Zeitschr. f. physikal. Chem. 88, 686 und 89, 597. *) Bethe, Capillarchemische (capillarelektrische) Vorgänge als Grundlage einer allgemeinen Erregungstheorie. Pilügers Arch. f. d. ges. Physiol. 163, 147. 1916. Über elektrische Hautreizung. 315 trischer Durchströmung der rotviolette Farbsaft dieser Zellen an der der Anode zugewandten Seite grün, an der Kathodenseite mehr röt- lich wird, was eine Alkali- bzw. Säurebildung anzeigt, erklärt die an Modellversuchen näher analysierte Erscheinung durch die verschiedene Bewegungsverzögerung, welche die Ionen beim Durchgang durch struk- turierte Membranen erleiden, wobei sowohl Wasserverschiebungen als Änderungen der Salzkonzentration als auch besonders der [H'] und [OH ] entstehen, und betrachtet in seiner Erregungstheorie diese letztere Änderung als das erregende Moment. Da bei unseren Versuchen sowohl die Haut als Ganzes als auch jede einzelne Epidermiszelle mit ihren Plasmahäuten als Membran wirkt, lassen sich die Befunde mit jener Theorie in Zusammenhang bringen. Mit der so gewonnenen Vorstellung können wir nun an die letzte Symptomgruppe herantreten. 3. Elektrische Widerstandsänderungen. Die während der Durchströmung auftretenden Änderungen des elektrischen Hautwiderstandes waren in der vorhergehenden Arbeit über lokale galvanische Reaktion als Reizsymptome gedeutet. Die ergänzenden Bemerkungen, die hier gegeben werden sollen, beziehen sich auf den Unterschied von Anoden- und Kathodenwirkung, auf den Einfluß der Elektrodenflüssigkeit und auf das Verhältnis der Wider- standsänderungen zu den beiden andern soeben geschilderten Sym- ‚ ptomgruppen. Methodisches. Verwendet man zur Durchströmung zwei gleichartige Elek- troden, so kann man aus den dabei auftretenden Änderungen des Hautwiderstandes nur bedingte Schlüsse ziehen. Es könnte etwa der Fall eintreten, daß der Wider- stand scheinbar unverändert bleibt, obgleich er an einer Elektrode gesunken, an der anderen um ebensoviel gestiegen war; oder der Widerstand könnte erst sinken, dann steigen, wenn die entgegengesetzten Änderungen verschiedene Geschwindig- keit haben. Allgemein gesprochen, ist die entstehende Kurve die Resultante zweier Komponenten, die erst jede für sich klargestellt werden müssen. Diesem Zweck dient die schon von Martius!) und Leduc?) befolgte Verwendung einer differenten und einer indifferenten Elektrode, wobei am besten, wie es Belouss?) getan hat, als indifferente Elektrode eine Salzlösung genommen wird, in die eine Hand ein- taucht. Tauchen beide Hände in zwei mit Salzlösung gefüllte Gefäße, denen der Strom durch sroße Zinkbleche zugeleitet wird, so ist der Gleichstromwiderstand des ganzen Körpers nur gegen 3000 Ohm. Taucht aber nur eine Hand ein, während am anderen Unterarm eine Flüssigkeitselektrode aufliest, so ist der gesamte Widerstand gegen 100 000 Ohm, d.h. der Widerstand an der großen Elektrode (1500 Ohm) kann vernachlässigt werden gegenüber dem Widerstand an der kleinen 1) Martius, Arch. f. Psychiatr. u. Nervenkrankh. 1%, 1886 und Dtsch. med. Wochenschr. 1877, S. 608. 2) St. Leduc, Die Ionen- oder elektrolytische Therapie. Leipzig 1905. 2) A. Belouss, Untersuchungen über den Einfluß von Elektrolyten auf die elektrische Leitfähigkeit und die Polarisation der tierischen Haut. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 507. 1915. 316 U. Ebbecke: Elektrode, dessen Schwankungen rein für sich zum Ausdruck kommen!). Die andere Methode, die hier zur Verwendung kommt, besteht darin, daß zuerst ein stärkerer Reizstrom mit gleichartigen Flüssigkeitselektroden durch die Haut geschickt und danach abwechselnd der Widerstand der früheren Anoden- und der früheren Kathodenstelle mit einem schwachen Meßstrom festgestellt wird. Zahlreiche Fehlversuche lehrten mich, daß man gut tut, nur dicht benachbarte Hautstellen zum Vergleich zu wählen, wenn man nicht überhaupt Anode und Kathode und verschiedene Flüssigkeiten nacheinander auf dieselbe Hautstelle wirken läßt, da die Haut verschiedener, oft sogar unweit entfernter Körperstellen in ihrer elektrischen Leitfähigkeit auch ohne ersichtlichen Grund erhebliche Ab- weichungen zeigen kann. Daß Stellen mit Hautverletzungen, Narben oder pig- mentierte Hautstellen veränderten Widerstand zeigen, sei nur erwähnt. Die an ein und derselben Versuchsperson zu verschiedenen Zeiten gefundenen, von der Hauttemperatur, dem Zustand der Schweißdrüsen und vielleicht noch anderen Faktoren abhängigen Verschiedenheiten des elektrischen Widerstandes erschweren häufig die Beurteilung. Bei der Untersuchung der durch die Durchströmung bewirkten Leitfähigkeitsänderungen wiederholte ich zunächst die von Leduc und Belouss gemachten Versuche, aber mit dem Unterschied, daß ich tau- send- bis hundertfach kleinere Stromstärken anwendete als jene Au- toren, was mir durch Verwendung eines hochempfindlichen Zeiger- galvanometers (1° = 10-8 A) ermöglicht war. Es zeigt sich, daß selbst solche schwachen Ströme, die weder durch Empfindung noch. durch Rötung ihre Anwesenheit verraten, und bei denen von einer Haut- schädigung nicht die Rede sein kann, für die Leitfähiskeitsänderung deutlich wirksam sind und dieselben Befunde geben wie die stärkeren mit Rötung oder sogar Schmerz verbundenen Ströme. Dabei hat die Verwendung schwacher Ströme den Vorteil, daß der sich ändernde Widerstand sich schneller in ein Gleichgewicht einstellt und, was für die Versuchsperson besonders bei wiederholten Versuchen nicht gleich- gültig ist, daß die Haut geschont wird. Als gesetzmäßige Befunde er- geben sich: Sowohl die Anode als die Kathode setzen den Hautwider- stand herab, die Kathode aber mehr als die Anode. Das entspricht den Beobachtungen von Martius, Leduc und Belouss. Beispielsweise stellt sich mit NaCl-Elektroden bei 2 Volt der Strom bei anodischer Wirkung auf 50°, bei kathodischer auf 85° ein. Die Unterschiede zwi- schen dem Kathodenwiderstand und dem Anodenwiderstand werden kleiner oder ganz ausgeglichen, wenn Kaliumchlorid als Elektroden- flüssigkeit gewählt wird, wie Leduc zuerst angab; sie werden größer, wenn Caleiumchlorid die Elektrodenflüssigkeit ist, wie Belouss fest- stellte. Die von Leduc angegebene, von Belouss bestrittene und auf Elektrodenfehler zurückgeführte Umkehrung des Verhältnisses von Anoden- und Kathodenwirkung durch CaCl, konnte auch ich nicht 1) Martius betrachtet auf Grund einer falschen Überlegung umgekehrt die große Elektrode als diejenige, welche den Haupteinfluß auf den Hautwiderstand hat. Über elektrische Hautreizung. 317 finden. Statt der von Leduc gemachten Annahme, daß das Verhalten des Widerstandes einen Aufschluß über die Wanderungsgeschwindig- keit der Ionen im kolloidalen Gemisch der Gewebssubstanzen gebe, ergibt sich nunmehr als die wahrscheinlichste Deutung, daß, wie in der Arbeit über lokale galvanische Reaktion näher ausgeführt, der Gleichstromwiderstand von der Permeabilität der Zellmembranen in der Epidermis abhängt und daß von den von der Anode in die Haut einwandernden Kationen die Ca-Ionen die Zellmembranen mehr ver- dichten und damit den Widerstand erhöhen, die K-Ionen die Mem- branen mehr auflockern und den Widerstand vermindern, als es die Na-Ionen tun. Wir stoßen mit dieser Annahme, die auch Höber!) vertritt, auf typische, an der menschlichen Haut demonstrierte Ionen- wirkungen. Zu diesen Befunden können einige weitere hinzugefügt werden. Für die NaCl und CaCl,-Wirkungen macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die Lösungen 1-, 2- oder 10 proz. sind, abgesehen von der widerstandsvermindernden Wirkung aller hypertonischen Lö- sungen. Physiologisch wichtiger scheint mir der Befund, daß selbst die geringen Mengen von CaÜl,, die in der Ringerlösung vorhanden sind, genügen, um die relative anodische Widerstandserhöhung hervorzu- rufen. Wenn bei gewöhnlichen Kochsalz- oder Ringerelektroden die Anode während des Stromfließens den Widerstand weniger herabsetzt als die Kathode, so erfährt dies Verhältnis nach der Unterbrechung des Stroms eine bemerkenswerte Umkehr. Schickt man einen mäßigen (einige Zehntel M. A.) oder stärkeren Strom wenige Minuten lang mit- tels gleichartiger Flüssigkeitselektroden durch die Haut und mißt dann mit schwachem Strom (1 Volt Spannung) ‚„unipolar““ den an- odischen und kathodischen Widerstand, indem man die differente Elek- trode abwechselnd auf die frühere Anoden- und Kathodenstelle bringt und die andere Hand in Salzlösung tauchen läßt, so sieht man nun den Hautwiderstand an der früheren Anode kleiner als an der Ka- thode. Ein nach der Stromunterbrechung noch weitergehendes Ab- sinken des Widerstands an der Anode konnte ich niemals feststellen, obgleich ja die sich anschließenden Gefäßwirkungen, Rötung und Schwel- lung, eine nachträgliche Zunahme zeigen. So muß der Umschlag im Widerstandsverhältnis der Kathode und Anode dadurch erfolgt sein, daß der während des Stromflusses kleinere kathodische Widerstand sich nach Stromunterbrechung erheblich rascher in der Richtung zum größeren Anfangswiderstand ‚erholt‘ als der anodische Widerstand, und wir erhalten hierin eine Bestätigung des im zweiten Abschnitt nach der Betrachtung der sichtbaren Hautänderungen aufgestellten !) R. Höber, Zur physikalischen Chemie der Erregung und der Narkose. Zeitschr. f. Blektrochemie 1916, S. 296. 318 U. Ebbecke: Satzes, daß in ihrer unmittelbaren Wirkung die Kathode, in ihrer Nachwirkung die Anode der stärkere Hautreiz ist. Wie im zweiten Abschnitt soll auf die Wirkung des elektrischen Reizes mit Normalelektroden die mit Säureelektroden folgen. Hier- über liegt bisher nur die kurze Bemerkung von Belouss vor, daß bei der Froschhaut schwache Ansäuerung oder Alkalisierung den Unter- schied zwischen anodischem und kathodischem Widerstand vermin- dere. Bei meinen Versuchen zeisten sich jedoch einige charakte- ristische Eigentümlichkeiten. Die Wirkung fällt sehr verschieden aus, je nachdem %/,000; /ıoo oder %/]o HzSO, in die Glasröhren gefüllt wird. Bei den sehr verdünnten Lösungen ist der Unterschied von anodi- schem und kathodischem Widerstand außerordentlich groß, im sel- ben Sinne, nur noch stärker wie bei Verwendung von CaCl,. So gab beispielsweise mit 2/,oo H>sSO, und 2 Volt Spannung (differente Elek- trode an Unterarminnenseite, indifferente Elektrode an der eintau- chenden Hand) die Kathode einen Strom, der innerhalb 15 Sekunden von 30° auf über 100° stieg; bei Stromwendung fiel die Stromstärke innerhalb 15 Sekunden auf 12°, innerhalb einer Minute auf 7°; die Leitfähigkeit war also im einen Fall über zehnfach größer als im andern. Umgekehrt ist es mit stärkeren Säuregraden. Man sieht den Strom zunächst sowohl an der Anode als an der Kathode ansteigen, wie es bei jeder elektrischen Durchströmung vor Erreichen des Gleichge- wichts der Fall ist, und es überwiegt die Kathode. Allmählich aber, unter Umständen erst nach mehrmaligem Stromwenden, verschiebt sich das Verhältnis, so daß nun die Anode überwiegt. Das verzögerte - Eintreten der Säurewirkung — die Streckseite des Unterarms braucht dazu noch längere Zeit als die Beugeseite — ist recht charakteristisch dafür, daß die Wasserstoffionen erst weit genug in die Haut einge- drungen und in genügender Konzentration vorhanden sein müssen, bevor sie ihre Wirkung auf die Zellen entfalten können. Bei der "/;o0 H,SO, ist es von den Individuen, von der Stromstärke und, wie es scheint, auch von der Hauttemperatur abhängig, ob die erste (starkes Überwiegen der Kathode) oder zweite Wirkung (Überwiegen der An- ode) erfolgt, bei "/,ooo habe ich nur die erste, bei "/,, nur die zweite Wirkung erhalten. Nachdem dies festgestellt ist, kann man den Be- fund noch in einer anderen Versuchsanordnung bestätigen. Man füllt in zwei der Haut des Unterarms aufgesetzte gleichgroße Glasröhren rechts "/,, links 2/00 oder "/o0o HzSO, und schickt einen Strom hin- durch, dessen Richtung durch Wippe gewendet werden kann. Dann summieren sich die Wirkungen und man erhält außerordentlich große Unterschiede, je nachdem unter beiden Elektroden der größere (K rechts, A links) oder der kleinere (K links, A rechts) Widerstand gelegen ist. Über elektrische Hautreizung. 319 Zur Deutung dieser Befunde war mir die Bemerkung Bethes!) wich- tig, der aus seinen Versuchen über Nervenpolarisationsbilder den Schluß zieht, daß die an der Anode eingeführten H-Ionen ähnlich wie Ca die Plasmahaut beim Nerven verdichten. Unsere Beobachtungen mit den schwachen Säuregraden führen für die Haut auf ganz anderem Wege zu demselben Schluß; bei den stärkeren Säuregraden aber bewirken die H-Ionen eine Reizung mit reversibler Auflockerung der Mem- branen. Da die Wasserstoffionenkonzentration für die Gefäßweite, das Atemzentrum und das Zentralnervensystem eine so wichtige Rolle spielt, ist es nicht ohne Bedeutung, auf diese Weise auch in die Ge- webswirkung der H-Ionen einen Einblick zu bekommen. Auch für die Untersuchungen über die ‚Gleichrichterfunktion“ der Haut (Ga- leotti2), Baylıp?), Schwartz*) können unsere Beobachtungen heran- gezogen werden; im letztgeschilderten Versuch wird der ganze mensch- liche Körper, in einen Strom von wechselnder Richtung eingeschaltet, künstlich zu einem ‚Gleichrichter‘ gemacht. Bei den Laugenversuchen zeigt sich zunächst, daß auch ohne Strom eine stärkere Lauge (1% Ammoniak, "/,, NaOH), in die Haut ein- dringend, innerhalb weniger Minuten den Hautwiderstand außer- ordentlich stark herabsetzt. Der Befund ist erwähnenswert wegen seiner Beziehungen zu den neueren Untersuchungen von Sollmann und von Jacoby über die resorptionsfördernde Wirkung von Alkalien. Sollmann?) fand, daß Lokalanästhetika, einem Frosch auf die Haut gepinselt, leichter anästhesieren, wenn sie durch Zugabe von NaHCO, alkalisch gemacht waren, daß dagegen bei subeutaner Injektion am Menschen der alkalische Zusatz nichts nützt. Ähnlich sah Jacoby) eine auf die Schwimmhaut des Frosches gebrachte Adrenalinlösung schon in weit geringeren Konzentrationen vasoconstrietorisch wirk- sam, wenn sie mit NaHCO, versetzt war. Können die pharmakolo- gischen Befunde auch durch die Annahme erklärt werden, daß die freien Basen jener Alkaloide besser in die Haut einzudringen vermö- gen, so führen die hier gefundenen Widerstandsherabsetzungen zu der Vorstellung, daß die Laugen die Durchlässigkeit der Zellmem- branen erhöhen und so den Weg vorbereiten für das Eindringen und 1) Bethe, Nervenpolarisationsbilder und Erregungstheorie. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 297. Bethe verwendete zur Nervendurchströmung Flüssig- keitselektroden, welche Lockesche Lösung mit 2/;oo HC1 enthielten; stärkere Konzentrationen wurden nicht untersucht. 2) Galeotti, Zeitschr. f. physikal. Chem. 49. 1904. 2) Bayliss, Biochem. Zeitschr. 11. 1908. 2) A. Schwartz, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 16%, 547. 1915. >) Sollmann, Anästhesie der Froschhaut. Journ. of pharmacol. a. exp. therap. 11, 9. 1918 und Anästhesie der menschlichen Haut. Ebenda S. 69. 6) Jacoby, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 88, 333. 320 U. Ebbecke: die Diffusion der pharmakologisch wirksamen Agentien. Ganz all- gemein müßte hiernach eine alkalische Reaktion die Aufnahme von Nahrungsbestandteilen und Giften in den Zellen begünstigen, so daß es vielleicht auch in diesem Sinne nicht bedeutungslos ist, wenn der nicht resorbierende Magen saure, der resorbierende Dünndarm alka- lische Reaktion hat. Schickt man durch die Laugenelektroden einen Strom, so entstehen durch widerstandserhöhende Niederschlagsbildung an der Zinksulfat- gelatine Versuchsfehler, so daß hier das kleinere, in die Lauge tauchende Glasröhrchen wie bei den üblichen unpolarisierbaren Elektroden mit Zinksulfatlösung gefüllt und mit einem Kochsalztonpfropf verschlossen wurde. Auch so geben die Laugenelektroden nach einiger Durchströ- mung deutliche Eigenströme, doch fällt der Fehler nicht mehr ins Ge- wicht. Man findet dann, nachdem die Stromstärke zuerst keine auf- fälligen Schwankungen gezeigt hat, zu irgendeinem Zeitpunkt ein mit explosiver Plötzlichkeit einsetzendes Abfallen des Widerstands, was von lebhaftem Prickeln und einem unter Umständen recht schmerz- haften Brennen begleitet ist. Es überwiest die widerstandsherabsetzende Wirkung der Kathode, obgleich auch der Anodenwiderstand klein bleibt. Zur Erläuterung diene die beigefügte Tabelle, welche die von 15 zu 15 Sekunden abgelesenen Werte der Stromstärke in 10-6 A bei 4 Volt Spannung für 1% NaCl (TI), %/,o HsSO, (II) und "/, NaOH (III) als Elektrodenflüssigkeit angibt. K bzw. A bedeutet, daß die differente, dem Unterarm aufgesetzte Flüssigkeitselektrode Kathode bzw. An- ode ist, während die andere Hand der Versuchsperson in Kochsalz- lösung eintaucht. Der Strom wurde nach je einer Minute gewendet. Überstieg die Stromstärke 100 x 10-8 A, so wurde die Empfindlichkeit des Mikroamperemeters durch Nebenschließung auf ein Zehntel reduziert. T 17% NaCl. K A K A K A K A 0 4,5 | 10,0 6.0 | 12,0 7,5 | 13,0 8,5 | 15,0 15 5,5 7,0 7,5 8,0 9,0 9,57 211.02 21150 30 8,0 6,0 9,5 To | AED 7,8 | 13,0 9,0 45 8,0 5,5 | 11,0 6,5 | 12,5 7,5 | 15,0 8,9 60 10,0 5,5 | 12,0 6,0 | 13,0 7,5 | 15,0 8,5 II 2/.H,80,. Tel ER IN IR A K N K AN TERE | # BATIN Re | 0.) 219,0.) 17,0 | 19 002% 7300| 7400 0555 oo eo ai 15204. .19,0. 12,0 ,.19) | 1er) A696 12831 uLrome Aıllose Kon 302 0.7 318.0) 171235 |, 22100 Paz, Brom 92 So 0 io > 45, | 14. 017,5 | 13,54 25 17 Dose 25 1105 oe 60. | 18: 17,0 | 15.0. | 32° | 180 Er 69a #7 or 27 En 25 Über elektrische Hautreizung. 321 III 2/0 NaOH. Zeit K A EN K N K N 0 22 21 35 | 560 | 450 | 670 | 500 | 950 15 20 23 300 | 380 | 600 ı 560 ı 820 900 30 18,5| 25 420 | 370 | 620 | 520 | 900 | 910 45 18 27 520 | 340 | 620 | 530 | 870 | 880 60 18 32 550 | 300 | 630 | 550 | 900 | 500 75 350 350 90 300 310 105 290 300 120 | 270 300 Aus den übrigen Versuchen seien erwähnt die Widerstandsver- hältnisse bei Adrenalin und Histamin. Hat man den Strom durch Adrenalinelektroden der Haut zugeführt und ist danach die maxi- male Hautblässe unter der Anode entstanden, so gibt nichtsdestotrotz die blasse Anodenstelle einen geringeren Widerstand als die leicht ge- rötete Kathodenstelle, nicht anders als wenn gewöhnliche Flüssig- keitselektroden eingewirkt hätten. Dies ist ein besonders deutlicher Beweis dafür, daß der Hautwiderstand mit der Gefäßfüllung entgegen der früheren, auch heute noch vielfach vertretenen Meinung nichts zu tun hat. Andererseits gibt bei Histaminelektroden die unter der Anode entstandene maximale Quaddel in den meisten Fällen auch keinen deutlich geringeren Widerstand als eine gewöhnliche, mit glei- chem Strom behandelte Anodenstelle, was, ebenso wie die Flüchtig- keit der Quaddel und das Fehlen jeder Ätzwirkung, dafür spricht, daß das Histamin wirklich als Capillargift spezifisch auf die Endothel- zellen und ihre Durchlässigkeit einwirkt, ohne zunächst die übrigen Gewebszellen unmittelbar anzugreifen. Bei fast allen hier geschilderten Versuchen lagen die Reizstellen an der Innen- seite des Vorderarmes. Das auf S. 306 angeführte Protokoll kann als Beleg für das abweichende Verhalten im elektrischen Widerstand der Handinnenfläche dienen. Während diese, wie bekannt, bei schwächeren und kurzdauernden Strömen weitaus besser leitet als die übrigen Hautstellen wegen der reichlich vorhandenen Schweiß- drüsen, bleibt sie bei stärkeren Strömen in ihrer Leitfähigkeit erheblich zurück, was sich aus der, zum Teil durch die Dicke der Hornschicht bedingten, geringeren Reizbarkeit der palmaren Epidermis erklärt. Ein Vergleich des letzten Abschnittes mit den beiden anderen Ab- schnitten zeigt, daß die aus den verschiedenen Symptomgruppen ge- zogenen Folgerungen einander bestätigen und ergänzen und sich zu einem einheitlichen Bilde der Hautreizung vereinigen lassen. Außer der Reizung von Hautnerven bewirkt der galvanische Strom eine Rei- zung der Hautepithelzellen, die sich in Änderungen der elektrischen Leitfähigkeit äußert und weiterhin auch die zugehörigen Nerven (Emp- findung von Jucken, Prickeln und Brennen) und Gefäße (Capillar- 22 U. Ebbecke: erweiterung und Ödem) in Mitleidenschaft zieht. Dabei werden ka- taphoretische und Ionenwirkungen deutlich. Als erregendes Agens er- scheint die durch den Strom an Membranen bewirkte Entstehung von Wasserstoff- und Hydroxylionen. So können die Untersuchungen bei- tragen zur Kenntnis der Zellreizung und zur Kenntnis der bei Durch- strömung von Membranen sich abspielenden Vorgänge. Zusammenfassung. Als Erfolg einer galvanischen Durchströmung der Haut zeigen sich Reizempfindungen, sichtbare Hautänderungen und elektrische Wider- standsänderungen der Haut. Unter den Reizempfindungen werden unterschieden solche, die durch Reizung von Hautnervenstämmen oder -ästen, solche, die durch Reizung von Hautnervenendigsungen, und solche, die durch Reizung der Haut selbst (Epidermis und Gefäßendothel) veranlaßt sind. Durch Auseinanderhalten dieser drei Arten wird die elektrische Bestimmung der sensibeln Reizschwelle diagnostisch verwertbar. Die dritte Gruppe von Reizempfindungen besteht in Jucken und Prickeln und bei Verstärkung in Brennen. Indem diese Juckempfindung auf Zelländerungen zurückgeführt wird, erklärt sich ihr häufiges, dem Der- matologen bekanntes Vorkommen bei allerlei Hauterkrankungen. Während die Reizung der Nervenäste (distal projizierte Empfin- dung) und Nervenendisungen (lokal beschränkte Empfindung) dem Pfiügerschen Gesetze folgt, verhält sich die nur indirekt in Nerven- erregung umgesetzte Hautreizung abweichend, gehört in eine Gruppe mit der elektrischen Geschmacksreizung und der elektrischen Reizung einzelliger Lebewesen und läßt sich nach der Betheschen Theorie als Erfolg von H- und OH-Ionen, die an Zellmembranen entstehen, deuten. Als sichtbare Hautänderungen bewirkt die galvanische Durchströ- mung bei Verwendung von Flüssigkeitselektroden Einziehungen an der Anode und Erhebungen an der Kathode, die sich physikalisch durch Flüssigkeitstransport (Kataphorese) erklären, und allerlei ent- zündliche Reizungen und Schädigungen (Capillarerweiterung, Schwel- lung, Quaddelbildung, Ätzung, Nekrose), die elektrochemisch bedingt sind. Bei Verwendung von Säuren oder Laugen als Elektrodenflüssig- keit verstärken sich die Erscheinungen; bei den Säuren ist die Anode, bei den Laugen die Kathode der wirksame Pol, indem die H-Ionen von der Anode, die OH-Ionen von der Kathode her in die Haut ein- geführt werden. Bei Verwendung von Kochsalzlösung wirkt während der Durchströmung die Kathode mehr als die Anode, die Nachwirkung dagegen ist an der Anode größer. Aus den unter Verwendung verschiedener Flüssigkeitselektroden beobachteten elektrischen Widerstandsänderungen der Haut lassen Über elektrische Hautreizung. 323 sich Schlüsse auf die Wirkung der Elektrolyte auf die Zellmembranen ziehen. Die auflockernde Wirkung der Kaliumionen, die verdichtende der Caleiumionen wird demonstriert. H-Ionen in geringer Konzentra- tion verdichten, in größerer Konzentration lockern die Zellmembran. Durch Verwendung zweier Flüssigkeitselektroden von verschiedener Säurekonzentration läßt sich die Haut willkürlich in einen Gleich- richter für diese oder jene Richtung umwandeln. Auf die Haut ge- brachte Laugen führen auch schon ohne Strom zu einer Widerstands- herabsetzung (Durchlässigkeitserhöhung). Die elektrische Einführung von Histamin in die Haut ist ein ge- eignetes Mittel zur Erzeugung und Untersuchung von Hautquaddeln. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 1%. 22 Über Membranänderung und Fleisehl-Effekt. Von U. Ebbecke. (Aus dem Physiologischen Institut in Göttingen.) (Eingegangen am 13. März 1922.) Über die Membranen tierischer Zellen kann das Mikroskop nichts aussagen, so daß wir auf indirekte Methoden angewiesen sind. Diese semipermeablen, kolloidalen, vermutlich aus einem Mosaik von Ei- weißen und Lipoiden bestehenden Plasmahäute oder Grenzschichten sind durch ihre Durchlässigkeit oder Undurchlässigkeit entscheidend für Aufnahme und Abgabe von Stoffen; die Narkose, die Elektrolyt- wirkung der Natrium-, Kalium- und Calciumionen steht in Beziehung zur Zellmembran; äußere Reize greifen in erster Linie die Zellober- flächen an. Es ist auch schon bekannt, daß das Verhalten dieser Mem- branen veränderlich ist, abhängig von äußeren Einflüssen und auch vom inneren Zustand der Zelle. Eizellen’ bei der Furchung, Pflanzen- zellen bei der Belichtung, Drüsenzellen bei der Sekretion vermehren die Durchlässigkeit ihrer Membranen. So ist aus vielen Gründen wich- tig, Näheres über deren Eigenschaften zu erfahren. Hier hilft die plas- molytische Methode, die aus Volumänderungen der Zelle auf das Ein- dringen bestimmter Stoffe schließt, die Färbmethode, die aus Farb- änderungen das Austreten intracellularer, das Eintreten extracellularer Farbstoffe beurteilt, die Messung der Phosphorsäureausscheidung (Embden) und die elektrische Methode, welche Leitfähigkeitsände- rungen auf Membranänderungen zurückführt. Mit dem Ausbau der letzteren Methode beschäftigen sich meine Versuche. In einer früheren Arbeit!) war gezeigt, daß der hohe Widerstand der menschlichen Haut gegenüber Gleichstrom durch irgendeine lokale mechanische, chemische oder elektrische Reizung erheblich herabgesetzt wird. Der Befund war, in Analogie zu der psycho-galvanischen Reak- tion, als eine Abnahme des durch "Polarisation entstehenden Gegen- stromes gedeutet worden; die Membranen der Epithelzellen werden bei der Reizung der Haut durchlässiger und weniger polarisierbar. 1) U. Ebbecke, Die lokale galvanische Reaktion der Haut. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 230. 1921. U. Ebbecke: Über Membranänderung und Fleischl-Effekt. 325 Mit der Methode läßt sich eine Zellreizung messen und in ihrem Ablauf verfolgen, wie es sonst nur für Muskel- oder Nervenreizung möglich war. Freilich war die Deutung nicht ohne weiteres einleuchtend, da die früheren Erklärungen des Hautwiderstandes aus dem Grad der Hautdurchfeuchtung oder Hautdurchblutung fester eingewurzelt waren, und es war erwünscht, weitere Stützen für diese Ansicht zu finden. Im Mittelpunkt der hier in Betracht kommenden physikalischen Überlegungen steht die Polarisation. An einer Polarisationszelle, etwa zwei Platinspitzen, die in verdünnte Säure tauchen, zeigt sich, wie bekannt, die Wirkung der an den Elektroden stattfindenden elektro- lytischen Zersetzung darin, daß im Ausgleich der Konzentrationsdiffe- renzen ein entgegengesetzter Strom entsteht, der sich nach Öffnung des polarisierenden Stromes als Polarisationsnachstrom verrät, aber auch schon vorher dem polarisierenden Strom entgegenwirkt und ihn schwächt, ganz als ob der Widerstand der Polarisationszelle zugenom- men hatte. Nur wenn die Zeit, während deren der polarisierende Strom fließt, zu klein ist, als daß sich Polarisationsprodukte abscheiden könn- ten, oder der Wechsel in der Richtung des durchfließenden Stroms so rasch erfolgt, daß innerhalb der Polarisationszelle jedesmal die Ionen- bewegung in der einen Richtung durch die folgende Bewegung in der anderen Richtung ausgeglichen wird, zeigt sich der kleinere, wahre Widerstand. Gegenüber dem Gleichstrom folgt also die Stromstärke nicht dem Ohmschen Gesetz, sondern der modifizierten Formel e—E = ‚ wobei &e die elektromotorische Gegenspannung bedeutet. Aus dieser Formel geht ohne weiteres ein für polarisierbare Gebilde charakteristisches Verhalten hervor: Ist einmal das Polarisations- maximum erreicht, so wächst bei weiterer Zunahme der angelegten Spannung die Stromstärke schneller als die Spannung, indem allmäh- lich die polarisatorische Gegenspannung zahlenmäßig hinter der an- gelegten Spannung verschwindet; für einen höher gespannten Strom erscheint der Widerstand kleiner als für einen Strom von niedrigerer Spannung. Aus schon länger bekannten Tatsachen geht hervor, daß alle diese Umstände auf die Haut zutreffen. Ein Polarisationsstrom läßt sich unmittelbar nach dem Durchgang eines konstanten Stroms von den beiden durchflossenen Hautstellen abfangen, wie Peltver und du Bois- Reymond sahen. Der Widerstand der Haut ist sehr hoch für Gleich- strom, erheblich kleiner für Induktionsströme und Kondensator- entladungen und am kleinsten, wenn, wie Gildemeister zeigte, die Fre- quenz des Wechselstroms genügend rasch ist; er scheint für Gleich- strom um so geringer, je höher die angelegte Spannung ist. Ohne Zwei- fel ist die Haut stark und rasch polarisierbar. Da eine Abscheidung von 22 326 U. Ebbecke: Ionen an Berührungsflächen von Metall und Flüssigkeit wie bei den gewöhnlichen Polarisationszellen innerhalb des Körpers nicht in Frage kommt, wir aber durch Ostwald wissen, daß semipermeable Membranen bei Stromdurchgang polarisiert werden, so ist die Beziehung zwischen Membran und Polarisation hergestellt. Statt an den metallischen Elek- troden tritt der Potentialsprung, die elektrische Doppelschicht, zu bei- den Seiten der Zellmembranen auf. Die entgegengesetzt geladenen Ionen suchen sich auszugleichen, können das aber durch die Mem- bran hindurch um so weniger, je undurchlässiger diese ist. Daß auch Grenzflächen zwischen zwei Flüssigkeiten, innerhalb deren die Ionen verschiedene Löslichkeit und verschiedene Wanderungsgeschwindig- keit haben, ähnlich wie strukturierte Membranen wirken, sei nur er- wähnt. Nachdem zuerst die Abnahme des Gleichstromwiderstands bei un- verändertem Wechselstromwiderstand zur Demonstration der Polari- sierbarkeitsänderung gedient hatte, soll hier das Charakteristikum ver- wertet werden, daß der scheinbare Widerstand eines polarisierbaren Gebildes bei höherer Spannung geringer ist. Ändert sich auch dieses Merkmal nach Hautreizung? Die Frage konnte um so eher in Angriff genommen werden, als sie keine großen Hilfsmittel erfordert — der gewöhnliche du Bois-Reymondsche Schlittenapparat und ein empfind- liches Galvanometer können genügen — und ein wichtiger Befund in Gestalt des ‚‚Fleischl-Effekts‘“ bereits vorliegt. Wie verschieden infolge der Selbstinduktion in der primären Spule die von der sekundären Spule abgeleiteten Stromzacken bei Schließung und Öffnung des primären Kreises aussehen, zeigt jedes physikalische Lehrbuch. Zwar die Strommenge, die im Schließungsinduktionsstoß und Öffnungsinduktionsstoß durch den sekundären Kreis fließt, das Zeitintegral ji i-dt, ist gleich und ein in den Kreis geschalteter Galvanometerzeiger macht gleich große nur entgegengesetzt gerichtete Ausschläge. Aber, wenn man von dem kurvenförmigen Verlauf des Anstiegs und Abstiegs absieht, so kann man schematisch sagen, dab diese Strommenge beim Öffnungsschlag durch einen etwa fünffach höher gespannten, in etwa fünffach kürzerer Zeit fließenden Strom zustande kommt, als beim Schließungsschlag. Wird aber ein Nerv [v. Flevischl!)] oder die Haut [Gärtner?)] in den sekundären Kreis geschaltet, so zeigt das Galvanometer ein Überwie- gen des Öffnungsschlags an. Es liegt nahe, besonders nach den voran- gegangenen Erörterungen, dies auf die relativ stärkere Polarisation 1) v. Fleischl, Untersuchungen über die Gesetze der Nervenerregung. 4. Abh. Wiener Akad. Sitzungsber. %6. 1876. 2) G. Gärtner, Über den elektrischen Widerstand des menschlichen Körpers gegenüber Induktionsströmen. Wien. med. Jahrb. 1888, S. 509. Über Membranänderung und Fleischl-Effekt. 327 beim Schließungsschlag zurückzuführen, wie es auch schon von Fleischl vermutet und Waller!) vertreten hat. Aber neben dieser Erklärung sind mehrere andere möglich und von verschiedenen Autoren aus- gesprochen. So bezeichnet Hermann?) die erste Erklärung als ‚sehr gekünstelt“ und ‚leicht zu widerlegen“ und nimmt eine Verstärkung des Öffnungsschlags durch einen gleichgerichteten Aktionsstrom an; Hoorweg?) vergleicht mit Kondensatorwirkung, COremer*), auf dessen zusammenfassende Übersicht besonders verwiesen sei5), schreibt einer thermischen Komponente einen wesentlichen Anteil zu; auch die Mög- lichkeit, daß beim Öffnungsschlag mikroskopische Fünkchen schlecht- leitende Schichten durchsetzen, ist erörtert. Grldemeister und Schükrt$) weisen darauf hin, daß ein jedes System, bei dem Spannung und Wider- stand nicht in gleichem Verhältnis wachsen, einen positiven oder nega- tiven Fleischl-Effekt ergeben muß, was eine formale Erklärung des Effekts gibt. Unsere Frage ist nun: Ändert sich der Fleischl-Effekt der Haut nach Hautreizung? Wenn der Effekt auf Polarisation beruht und wenn die Hautreizung die Membranen und ihre Polarisierbarkeit än- dert, so muß eine Änderung des Effekts eintreten. Es könnte sein, daß der Effekt nicht von Polarisation abhängt. Es könnte auch sein, daß Hautreizung die Membranen nicht beeinflußt. Findet sich aber eine Änderung, so spricht das für die Richtigkeit der Prämissen. Für die experimentelle Prüfung wurden die Induktionsstöße mittels der in einer früheren Arbeit”) beschriebenen Flüssigkeitselektroden durch den Unterarm geleitet, wobei ein langsam schwingendes Zeigergal- vanometer (1° = 10 °7A) ballistisch die relative Strommenge anzeigte. Die an verschiedenen Versuchspersonen innerhalb mehrerer Monate durchgeführten Messungen hatten übereinstimmendes Ergebnis, so daß hier zwei Beispiele genügen können. 1. R.A. N. R, R, S 1 9 14 DES 14 19 19 eo S 3 11 25 26 24 30 33 1) A. D. Waller, Influence of polarisation on the electrical resistance of nerve. Proc. phys. soc., Journ. of physiol. 23. 1898. 2) Hermann, Handbuch der Physiologie, %, 167. 3) Hoorweg, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 5%, 546. 1894. *) Cremer, Zeitschr. f. Biol., 45, 298 u. 511; 46, 77. >) Nagels Handb. d. Physiol. 4, 919—922. 6) @ildemeister und Schükri, Biochem. Zeitschr. 1911. ?) Ebbecke, Über elektrische Hautreizung. Pflügers. Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 300. 1922. 328 U. Ebbecke: 1. R.A N. R S 0 3,5 100 Ö un 5,5 Ss Spur 10,5 er) 2,5 13 S 1y, 14 10 5 18 S 1 At er) 13,5 Ya) DIES 2, 37 er) 22 45 S 6 54 0 Ö 30 59 j: An den Tabellen bedeutet R. A. den Rollenabstand in mm, S Schließungsschlag, O Offnungsschlag. Unter N stehen die Werte für die normale Haut, unter R die für die geriebene Haut. R, heißt einmalige Reizung, R, wiederholte Reizung. Der Erfolg ist derselbe, ob nun die Reizung der Haut mechanisch durch Reiben, elektrisch durch einen stärkeren galvanischen Strom oder chemisch durch eine differente Flüssigkeit (auf die Haut gebrachte Lauge) ausgeführt wird. Immer wird der Unterschied zwischen Öff- nungs- und Schlveßungsschlag durch die Reizung verringert, ja in einigen Fällen wurden die Ausschläge für beide ganz gleich. Sowohl Öffnungs- wie Schließungsschlag werden nach der Reizung besser geleitet als vor- her, die Zunahme des Schließungsschlages ist aber stärker als die des Öffnungsschlages. Beispielsweise wird in Tabelle II bei Rollenabstand 30 durch die Reizung der Schließungsschlag mehr als verzehnfacht, der Öffnungsschlag nur verdoppelt; die absolute Zunahme beträgt bei dem einen 35, bei dem anderen 25, das Verhältnis von Schließungs- zum Öffnungsschlag ist vor der Reizung 1:10, nach der Reizung 7:9, die Differenz vor der Reizung 20, nach der Reizung 8. Als Leitfähig- keitsänderung infolge vermehrter Durchfeuchtung oder Durchblutung ist das Resultat nicht zu erklären, als Polarisierbarkeitsänderung wird es gut verständlich. Ein schematisiertes Zahlenbeispiel kann zur Erläuterung dienen. Setzen wir, indem wir die Kurven der Stromzacken in Rechtecke um- formen, die Spannung des Schließungsschlags mit 10 Volt, die des Öffnungsschlags mit 50 Volt, die Gegenspannung in der Haut mit 5 Volt an, rechnen als wahren Widerstand der durchflossenen Körper- strecke 500 Ohm und nehmen an, daß der Schließungsschlag fünfmal “ länger fließe als der Öffnungschlag! Durch die Reizung werde infolge der größeren Membrandurchlässigkeit die polarisatorische Gegen- spannung von 5 auf 2 Volt herabgesetzt. Die den Körper durch- Über Membranänderung und Fleischl-Effekt. 329 Im t, kann dann, da der wahre Widerstand fließende Strommenge gleich bleibt, den Wert (e — &) . t proportional gesetzt werden, und es ergeben sich die Werte: N R Ss (10-5)-5=25 (10-2)-5 = 40 6605) -1 45 (50-2)-1=48 Die Verschiebung der Zahlen entspricht dem Verhalten im Experiment. Je geringer die Gegenspannung wird, um so mehr nähert sich der Schlie- Bungsschlag dem Öffnungsschlag und nähert sich der scheinbare Wider- stand dem wahren Widerstand. Wenn der Unterschied zwischen Schließungs- und Öffnungsschlag, wie schon Gärtner sah, normalerweise am kleinsten an der Haut der Innenhand und an der Gesichtshaut ausfällt, so erklärt sich nun, wes- halb die dieksten und die dünnsten Hautstellen in dieser Beziehung übereinstimmen. An der Handinnenfläche ist die Polarisation verhält- nismäßig klein, weil bei der Dicke der schlecht leitenden Hornschicht und der großen Zahl der Schweißdrüsen der Strom zum größten Teil auf dem Wege der Drüsengänge und der nur aus einer Zellenlage be- stehenden Schweißdrüsen geleitet wird, an der Gesichtshaut deshalb, weil hier die Zahl der übereinandergelagerten Epidermiszellschichten, in denen sich die an den einzelnen Zellen entstehenden Gegenspan- nungen summieren, auch nur klein ist. Obgleich die hier angewandte Methode an dem physikalischen Feh- ler leidet, daß selbst bei genügender Konstanz des verwendeten Trocken- elements die Stromzacken infolge Ungleichmäßigkeiten im Öffnen und Schließen des primären Stroms nicht völlig gleich ausfallen, und weder Spannung noch Zeitdauer der Induktionsstöße genau bekannt sind, so ist doch, sofern es sich nicht darum handelt, die Größe der polari- satorischen Gegenkraft zu messen, die einfache, leicht zur Verfügung stehende Apparatur durchaus hinreichend. Es ist kaum nötig zu bemerken, daß die so gemessenen Membran- änderungen ebenso wie bei der L.G.R. reversibel sind. Die Ergeb- nisse unterstützen somit die Auffassung des Fleischl-Effekts als einer Polarisationswirkung und die Auffassung der L.G. R. als einer Mem- branänderung. Der Fleischl-Effekt wurde entdeckt und fast ausschließlich unter- sucht am Nerven, der ja der Physiologie näher lag als die Haut. Es ist daher zu erörtern, wie die für die Haut entwickelten Vorstellungen auf den Nerven anwendbar sind, da ja eine Erklärung für beide Organe - zutreffen muß. Im ganzen scheint der Nerv (Ischiadikuspräparat vom 330 U. Ebbecke: Frosch) für die Untersuchung weniger geeignet, da bei ihm der Unter- schied zwischen Schließungs- und Öffnungsschlag geringer ausfällt als bei der Haut und erst bei ziemlich hohen, für den Nerven nicht gleich- gültigen Stromstärken deutlich wird. Für Einzelschläge erhielt ich, obwohl die einzelnen Nerven sich verschieden verhalten, eine ausge- sprochene Wirkung meist erst, wenn, mit einem einzelligen Akkumu- lator als Stromquelle, die Spulen ziemlich dicht gekoppelt waren; für tetanisierenden Strom (dauernder Ausschlag im Sinne der Öffnungs- schläge) liegt die ‚Schwelle‘ zwar niedriger!), aber doch immer noch über der zur Erzielung von Muskelkontraktion zu überschreitenden Schwelle. Während die Haut nach dem Hindurchschicken eines In- duktionsstoßes nahezu unverändert zurückbleibt, sind solche Ströme für den Nerven ein starker Reiz, der unmittelbar den Zustand des Ner- ven verändert, aber auch eine, sich in Erregbarkeitsänderungen und Nachströmen äußernde Nachwirkung oder Schädigung hinterläßt. Der Vergleich des Fleischl-Effekts am ungereizten und gereizten Objekt ist daher am Nerven nicht wie an der Haut möglich. Aus den zahl- reichen Versuchen, die ich anstellte, sei hier nur der Befund hervor- gehoben, daß der Fleischl-Effekt, der zunächst beispielsweise bei 100 mm Rollenabstand auftrat, nach Behandlung des Nerven mit 80 oder 50 mm Rollenabstand, nun bei 100 mm nicht mehr positiv ausfällt, daß also die Schwelle des Fleischl-Effekts sich nach längerer oder stärkerer Nerven- reizung erhöht. Man kann dabei an ein beginnendes Absterben des Ner- ven denken, hat aber zu berücksichtigen, daß diese Schwellenerhöhung im Anfang durch Einschieben einer längeren Erholungspause, wenn auch beim ausgeschnittenen Nerven nicht mehr vollkommen, rück- gängig zu machen ist. Dafür, daß auch andere Einflüsse in ähnlichem Sinn den Fleischl- Effekt verändern, läßt sich ein Beispiel aus der Literatur heranziehen. Waller?), der den elektrischen Widerstand des Nerven mit der Wheat- stoneschen Methode mißt, findet ihn am größten für Gleichstrom, kleiner für den Schließungsschlag und am kleinsten für den Öffnungs- schlag eines Induktoriums und erwähnt dabei, daß durch Äther und Chloroform der Widerstand vermindert werde, am meisten für den Gleichstrom, weniger für den Schließungsschlag und am wenigsten für 1) Bei Verwendung eines Trockenelements etwa bei 100 mm Rollenabstand. Zur Vermeidung der Störung durch negative Schwankung eines Demarkations- stromes empfiehlt es sich, die beiden unpolarisierbaren Pinselelektroden an gegen- einander stromlosen Stellen eines an beiden Seiten durchschnittenen Ischiadicus anzulegen. Verminderung des Längswiderstandes (geringer Abstand der zuführen- den Elektroden) läßt den Erfolg früher eintreten. Zur Strommessung diente bei den Nervenversuchen statt des Zeigergalvanometers ein Deprez-d’Arsonvalsches Spiegelgalvanometer mit subjektiver Fernrohrablesung. 2) Waller, Journ. of physiol. 23, 11. Über Membranänderung und Fleischl-Effekt. 331 den Öffnungsschlag, ohne weitere Folgerungen aus dem Befund zu ziehen. Nun ist zwar die erste Wirkung einer Narkose auf die Zell- membran noch strittig, die starke Wirkung aber ist, wie jede Äther- hämolyse zeigt, eine Lockerung der Plasmahaut, und als eine Durch- lässigkeitszunahme und Polarisationsabnahme ist der Befund ganz wie an der Haut erklärbar. Es ist nicht verwunderlich, wenn die Übereinstimmung im Ver- halten der Haut und Nerven nicht bis in die Einzelheiten geht. Das, worin Haut und Nerven aber übereinstimmen, ist ihre Polarisierbar- keit. An der Haut findet eine Querpolarisation der in mehreren Schich- ten übereinanderliegenden Epidermiszellen statt, am Nerven eine Längspolarisation, für welche seit Matteucci und Hermann der Kern- leiter ein anschauliches Modell gibt. Was den Nerven vom Kernleiter unterscheidet, ist die Unbeständigkeit seiner Polarisierbarkeit, die aus dem Verhalten des galvanischen Elektrotonus am deutlichsten hervor- geht und wofür auch der Fleischl-Effekt hier ein Beispiel liefert. Wenn auch der zerhackte Nerv, wie schon v. Fleischl sah, und der sicher tote Formalinnerv, wie Cremer findet, für sehr starke Ströme noch den Ef- fekt ergeben und erst der mit destilliertem Wasser gewaschene und geriebene Nerv ganz versagt, so spricht das nicht gegen die Polarisation, da Versuche an der Leiche zeigen, daß selbst in toter Haut, zumal bei Einwirkung von fixierenden Flüssigkeiten, noch polarisierbare Mem- branreste erhalten sein können, die erst durch Reiben zerstört werden. Lassen sich doch auch am Formalinnerven bei Durchleitung eines stär- keren Gleichstroms noch Spuren eines galvanischen Elektrotonus ent- decken. Ein Punkt erfordert noch besondere Besprechung. Bei einem be- stimmten Rollenabstand findet sich am Nerven für tetanisierende Ströme schon ein positiver Fleischl-Effekt, für Einzelschläge aber noch nicht. Ebenso sah ich nach Hautreizung den Effekt für Einzelschläge zwar deutlich vermindert, für tetanisierende Ströme aber im Gegenteil häufig vermehrt. Nachdem ich lange Zeit vergeblich nach einer Er- klärung dieses Widerspruchs gesucht hatte, indem ich auch für Einzel- schläge den primären Strom durch. den, mechanisch gehemmten, Wag- nerschen Hammer schickte oder den Hammer durch ein Metronom- pendel ersetzte, glaube ich nun folgende Erklärung geben zu können. Bei genügend rascher Aufeinanderfolge der Stromstöße kommt zu der Wirkung jedes einzelnen Stoßes die Nachwirkung des vorhergehenden Stoßes in Form des Polarisationsrückstandes hinzu, der sich infolge seiner Flüchtigkeit bei getrennten Einzelschlägen schon längst aus- geglichen hat. Dieser Polarisationsnachstrom hat die entgegengesetzte Richtung wie der vorhergehende, ihn hervorrufende Stromstoß, also die gleiche Richtung wie der folgende Stoß, den er verstärkt. Die Wir- 332 U. Ebbecke: Über Membranänderung und Fleischl-Effekt. kung der Nachströme würde sich aufheben, wenn sie sich nur in ihrer Richtung unterschieden. Nun ist aber der länger fließende Schlie- Bungsstoß der stärker polarisierende. Das zeigt der Befund v. Fleischls, wonach die elektrotonisierende Wirkung der Schließungsinduktions- ströme stärker ist als die der Öffnungsinduktionsströme und der Wech- selstrom des Induktionsapparats in bezug auf den abgeleiteten Elektro- tonus so wirkt, als wenn ein konstanter Strom von der Richtung der Schließungsströme flösse. Infolgedessen erfährt der Öffnungsstoß durch den Polarisationsstrom des Schließungsstoßes eine größere Unter- stützung als umgekehrt, und die schon für sich überwiegenden Öffnungs- stöße erscheinen bei tetanisierenden Strömen noch weiter verstärkt. So wird der Fleischl-Effekt unter Umständen verschieden ausfallen, je nachdem man ihn mit Einzelschlägen oder mit tetanisierenden Strömen untersucht. Rückblickend auf die Untersuchungen können wir sagen, daß sich der Fleischl-Effekt für Haut und Nerven in gleicher Weise erklärt, und gerade die hierin sich äußernde Gemeinsamkeit legt es nahe, die Durch- lässigkeits- und Polarisierbarkeitsänderungen der Membranen wie an der Haut so auch am Nerven entsprechend der Membrantheorie der Erregung weiter zu verfolgen, womit sich eine weitere Arheit beschäf- tigen soll. Zusammenfassung. Durch Reiben der Haut und ebenso durch galvanische und che- mische Einwirkungen wird der Hautwiderstand wie für Gleichstrom so auch für die Stromstöße eines Induktionsapparats herabgesetzt. Dabei erfährt aber die Leitfähigkeit für den Schließungsschlag einen größeren Zuwachs als für den Öffnungsschlag, so daß das anfängliche Überwiegen des Öffnungsschlags gegenüber dem Schließungsschlag (Fleischl-Effekt) zurücktritt. Der Befund erklärt sich durch die Voraussetzung, daß bei der Haut- reizung die durch Polarisation an Membranen entstehende Gegenspan- nung abnimmt; er spricht für die Auffassung des Fleischl-Effekts als einer Bolselsallenscnohsiumg: und für die Auffassung der ulesmds: änderung als eines Membranvorgangs. An einem durch starke Reizung beeinträchtigten Nerven ist die Schwelle für den Fleischl-Effekt höher als am frischen Nerven, was sich ebenfalls durch eine Zustandsänderung (Permeabilitätszunahme) von Membranen erklärt. Über einen Sänger, der einen Stimmumfang von fünf Oktaven besitzt. Von Prof. Dr. L. Rethi und Dozent Dr. E. Fröschels. (Aus dem phonetischen Laboratorium des Physiologischen Institutes der Wiener Universität. [Vorstand: Prof. Dr. A. Durig.]) (Eingegangen am 20. März 1922.) Der Stimmumfang gut geschulter Sänger und Sängerinnen ist in der Regel 21/, Oktaven groß. Die Grenzen liegen naturgemäß je nach der Stimmgattung höher oder tiefer; nach Stockhausens Statistik reicht die Stimme eines Bassisten durchschnittlich von E bis e, die eines Bari- tons von G bis g, die eines Tenors von H bis d; der durchschnittliche Umfang des Kontraaltes, Alts, Mezzosoprans und Soprans bewegen sich zwischen den Noten d-d’”, g-f”, a-a’”’ und c’-c”’”’”. Ausnahmsweise wird einmal eine besondere Höhe oder besondere Tiefe erreicht. Zur Zeit Mozarts lebte eine Sängerin namens Ajugari, welche auf dem f’” trillerte und das c’””’ sang. Die Patti erreichte das g’”’, Miß Jaw das e’’”’ und ein Bassist, namens Fischer, welcher am Ende des 18. Jahrhunderts lebte, sang das Kontra F (42 Schwingungen in der Sekunde). In Varietes hört man nicht selten Frauenstimmenimitatoren, die über eine große, der Frauenstimme ähnliche Höhe verfügen, auch in der Mittellage noch den Charakter der Frauenstimme nach- ahmen können und außerdem über eine Männerstimme verfügen, die aber, soweit unsere Erfahrung reicht, als solche keinen außergewöhnlichen Umfang aufweist. Einzelne von ihnen imitieren die Frauenstimme mit einem dieser äußerst ähnlichen Timbre, während die meisten anderen nur Töne von piepsendem Klang hervor- bringen. Uns ist ein Gesangsmeister bekannt, welcher Lieder in Baß- und in Tenor- höhe singen kann und dessen Umfang etwa 3!/, Oktaven groß ist. Kürzlich aber hat sich uns ein Sänger vorgestellt, dessen Stimm- umfang von bisher unerreichter Ausdehnung ist. Sein Stimmumfang reicht von den tiefsten Tönen, die je ein Bassist gesungen hat, bis zu so hohen Tönen, wie sie nur selten ein Sopran erreicht. Der Sänger heißt Michael Prita, ist 44 Jahre alt, gebürtiger Serbe, hat grie- chische, romanische und slawische Ahnen; seine Mutter ist geschulte Sopranistin und soll noch heute, in ihrem 76. Lebensjahre, gut singen. Michael Prita hat schon mit 3 Jahren Klavier gespielt und sich selbst beim Gesang begleitet; seine erste Lehrerin war seine Mutter. In der Schule sang er sowohl Sopran als Alt. Mit 14 Jahren beginnt die Mutation und die Mutter verbietet ihm das Singen, bis mit 18 Jahren die Mutation beendet ist. Dann übt er das Singen durch 5 Jahre ohne Unterweisung. Er studierte in dieser Zeit an verschiedenen Fakultäten der Wiener 334 L. Rethi und E. Fröschels: Universität. Damals erreichte er leicht das b’, ja das c’’. Hierauf wird er durch 4 Jahre Schüler des Wiener Gesangsmeisters Dr. Josef Gänsbacher, der ihm erklärt, er sei von Natur aus Baritonist. Er studiert 4 Jahre bei diesem Lehrer. Hierauf setzte er seine Studien bei Gustav Grube durch 6 Jahre fort. Zu Hause übt er oft 5—6 Stunden täglich, doch die tiefsten und höchsten Töne nie länger als 5—10 Minuten. Nikotin und Alkohol hat er stets gemieden. Der körperliche Befund bietet nichts Auffallendes. Sein Kehlkopf, der Körpergröße durchaus entsprechend, zeigt beim Abtasten nichts Außergewöhnliches. Der laryngoskopische Befund ergibt kurze, aber breite Stimmbänder, so daß schon daraus auf einen großen Stimmumfang geschlossen werden mußte. Denn ist einerseits das kurze Stimmband geeignet, hohe Töne zu erzeugen, so können andrerseits Stimmbänder, je breiter sie sind, je größer also die schwingende Masse ist, naturgemäß auch desto tiefere Töne erzeugen. Bei den tiefsten Tönen, die Prita singt, ist sowohl die Pars ligamen- tosa, als auch die Pars cartilaginea offen und man sieht schon mit freiem Auge die vibrierenden Stimmbandbewegungen. Es liegt hier natur- gemäß nur ein sehr geringer Grad von Spannung der Stimmlippen vor. Bei den hohen Tönen berühren sich die Stimmbänder auch in der Pars membranacea hinten über eine große Strecke, sie sind stark gespannt und der schwingende Teil ist, wie man bei den hohen Tönen noch stro- boskopisch feststellen kann, kurz. Bei den allerhöchsten Tönen war eine Beobachtung nicht möglich, da sich bei Prita der Kehldeckel so stark über den Kehlkopfeingang lest, daß ein genauer laryngoskopischer Be- fund nicht mehr erhoben werden kann. Dieses Verhalten des Kehl- deckels ist wohl auf die Anstrengung zurückzuführen, mit der diese Töne produziert werden und die zu allerlei Mitbewegungen, von denen besonders starke Anspannungen der vorderen und seitlichen Halsmusku- latur auffallen, führen. So wird auch der Kehldeckel niedergedrückt oder niedergezogen, während er sonst gerade bei den hohen Tönen an- nähernd senkrecht steht. Herr Prita hat einen Stimmumfang von fünf Oktaven. Nicht alle darin ent- haltenen Töne sind künstlerisch verwertbar, besonders die drei tiefsten sind sehr schwach und die obersten Töne gepreßt. Der Umfang reicht von Kontra F, das 42 Schwingungen in der Sekunde hat, bis zum f””, einem Tone von 1408 Schwingun- gen in der Sekunde. Sein Brustregister reicht bis zum c’”’, was ebenfalls ganz un- gewöhnlich ist und nicht minder ungewöhnlich ist es, daß er das Mittelregister bis zum g’”’ ausdehnen kann. Doch kann er die Töne c’”’ bis g’’ auch in reiner Kopf- stimme produzieren, ja er kann die Kopfstimme bis hinab zum c’ ausdehnen, wo- bei diese Töne dann so klingen, als ob sie von einer Altistin gesungen würden. Sie sind von künstlerischer Schönheit, wodurch sich Prita von zahlreichen Frauen- stimmenimitatoren unterscheidet. Sein Kopfregister ‘umfaßt regelmäßig noch die Töne bis zum d’”” und bei guter Disposition gelingen ihm noch e’’”’ und f””, ja selbst das dreigestrichene a konnte einmal festgestellt werden. Seine aller- höchsten Töne haben Soprancharakter und erinnern ebenso wie die im Kopf- Über einen Sänger, der einen Stimmumfang von fünf Oktaven besitzt. 335 register produzierten Töne e’ bis g”’ in der Klangfarbe an die Stimme von Kastratensängern und speziell an die des berühmten Kastraten Moreschi (des Sängers in der Sixtinischen Kapelle in Rom), welche Haböck im Phonogramm in der österreichischen Gesellschaft für experimentelle Phonetik vorgeführt hat. Zu erwähnen ist noch, daß Prita bei einer Stimmaufnahme im Phono- grammarchiv der Akademie der Wissenschaften in Wien (Vorstand Prof. Dr. S. Exner) das Kontra Es mit 38 Schwingungen pro Sekunde gesungen hat, welches beim Abhören der Platte noch gut erkennbar ist. Die tiefsten Töne -Pritas gehören dem Strohbaßregister an, bei dem die Stimmlippen sehr wenig gespannt sind. Das Brustregister zeigt normale Verhältnisse. Beim Kopfregister ist be- kanntlich relativ kräftiges Vibrieren der Kopfknochen vorhanden, hochaufgerich- tete Epiglottis, starke Spannung der Stimmlippen, kurze aber relativ weite Glottis und Schwingung bloß der inneren Randpartien der Stimmlippen; die überaus kräftige Aktion des M. thyreo-aryt.) internus hindert, wie einschlägige Unter- suchungen ergeben haben‘), die Schwingung der Stimmlippen in ihrer ganzen Breite. Bei stroboskopischen Untersuchungen kann nämlich diese Art des Schwingens auch nachgewiesen werden, wenn man am herausgeschnittenen Kehlkopf durch Einstoßen einer Nadel die Stimmlippen ihrer ganzen Länge nach im äußeren Anteile fixiert, so daß nur der innere Teil schwingen kann. Dabei findet ein Ablauf von wellenförmigen Bewegungen an der oberen Stimmlippenfläche statt, die beim Brustregister niemals vorhanden sind. Das Mittelregister hält auch bei der laryngo- skopischen Untersuchung die Mitte zwischen Brust- und Kopfregister; es schwingt ein relativ breiter Randteil und es treten die erwähnten Wellen auf. Die stroboskopischen Untersuchungen zeigten ferner, daß es sich auch bei den höchsten Tönen, bei der Untersuchung von Sängerinnen mit hohem Sopran (bis zum e’””’ und f”’) um den Mechanismus einer Zungenpfeife, d. h. eine rhyth- mische Unterbrechung der Luftsäule durch abwechselndes Öffnen und Schließen der Glottis?), nicht aber um den Mechanismus einer Lippenpfeife handelt; und auch die stroboskopischen Untersuchung der viel kleineren Kehlköpfe der Vögel ®), deren Stimme oft tatsächlich den Eindruck von Pfeiftönen macht, zeigten, daß es sich auch da um den Mechanismus einer Zungenpfeife und um Partial- schwingungen der Stimmfalten handelt. Prita muß, um seine tiefsten Töne hervorzubringen, immer erst von weniger tiefen ausgehen; die höchsten Töne gelingen ihm nur, wenn er mit weniger hohen beginnt, d.h. es gelingt ihm nicht, sie einzeln an- zuschlagen, sondern nur im Bereiche einer Skala oder eines Liedes. Er erzeugt die tiefsten Töne nicht dadurch, daß sein Kehlkopf auffallend groß ist und daß seine Stimmbänder länger als die der Durchschnitts- menschen sind, sondern dadurch, daß er sie sehr stark zu entspannen vermag und daß sie eine große Masse haben und dadurch sehr langsam schwingen können. !) L. Rethi, Experimentelle Untersuchungen über die Schwingungsform der Stimmbänder bei den verschiedenen Gesangsregistern. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wiss. in Wien 1896 u. 1897. ?) Ob durch Schwingungen der Stimmlippen im Bogen nach oben außen und innen unten oder durch Verschiebung der polsterartigen Stimmlippengebilde nach außen (Kompression) und innen (elastisches Zurückschnellen), kommt dabei nicht . in Betracht. 2) L. Rethi, Experimentelle Untersuchungen über die Stimme der Vögel. Ebenda 1908. 336 L. Rethi und E. Fröschels: Ein Sänger mit fünf Oktaven Stimmumfang. Tiefe Töne und solche mittlerer Höhe erzeugt er wie jeder andere Mensch, indem sowohl die Glottis cartilaginea als auch die membranacea schwingt; allmählich wird die Spannung erhöht, dann die Glottis cartila- ginea verschlossen; die Spannung nimmt fortwährend zu und der Ton wird durch starkes Anblasen weiter in die Höhe getrieben. Der weitere Mechanismus besteht darin, daß sich die hinteren Teile der inneren Ränder der Pars membranacea aneinanderpressen ; hierdurch wird die Stimmritze immer mehr verkürzt. Straffeste Spannung der lateralen Partien der Stimmbänder durch den Cricothyreoideus und Thyreoarytaenoideus bedingen schließlich, daß nur mehr der medialste Rand im vorderen Abschnitte der Stimmlippen schwingen kann und so bei starkem Anblasen die ganz hohen Töne erzeugt werden können. Der Fall bietet aus dem Grunde ganz besonderes Interesse, weil bei einem Sänger, dessen Kehlkopf keinerlei anatomische Abnormität zeigt, der ganz ungewöhnliche Stimmumfang von 5 Oktaven nachgewiesen wurde. Der Fall wurde nicht bloß von uns beiden untersucht, sondern auch in der österreichischen Gesellschaft für experimentelle Phonetik!) einem musikalisch- wissenschaftlichen geschulten Auditorium vorgestellt, von diesem geprüft, und es wurde auch die Stimme auf der phonographischen Platte aufgenommen, wodurch dieses einzig dastehende Stimmphänomen einwandfrei und objektiv dauernd fest- gehalten werden konnte. !) In der Sitzung vom 17. Jänner 1922. Studien über die Innervation der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. Von Prof. Dr..R. H. Kahn. (Aus dem Physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) (Eingegangen am 20. März 1922.) Die allgemeine Meinung geht bekanntlich dahin, daß die Innervation der Chromatophoren der Wirbeltiere — so weit eine solche genauer be- kannt ist, — sich auf sympathischen Wegen vollzieht, daß also die Innervationswege hier dem vegetativen Nervensystem angehören. An den Melanophoren der Froschhaut, an welchen die Innervationsverhält- nisse am meisten und am besten studiert sind, soll diese sympathische Innervation ballend wirken, Wegfall derselben daher Expansion der Farbzellen zur Folge haben, während ein im Sehhügel gelegenes ‚Tonus- zentrum‘ auf sympathischen Nervenwegen die Melanophoren dauernd in einem gewissen „tonischen‘“ Ballungszustande erhält. Die zahlreichen Untersuchungen, auf denen als Grundlagen die eben erwähnten Anschau- ungen fußen, sind durch van Rynberk!) sowie durch R. F. Fuchs?) in ausführlichen Abhandlungen zusammengestellt worden. Auf Grund solcher Anschauungen über die Innervationsverhältnisse sollte man meinen, daß die Farbzelle bei völliger Expansion sich im „Ruhezustand“ befinde, während sie auf dem Wege ihres Nerven zu stärkerer oder schwächerer Ballung gebracht und durch ‚tonischen‘“ Einfluß des Zentralnervensystems in einem gewissen mit Ballung einher- gehenden Erregungszustande gehalten werde. Zahlreiche Forscher auf unserem Gebiete sind auch dieser Meinung. Andere aber vertreten die entgegengesetzte Ansicht, nach welcher der Zustand der Ballung dem „Buhezustande“ gleich zu setzen sei, und wieder andere betrachten einen mittleren Ballungszustand als den Zustand der Ruhe). Indessen scheint es doch von vornherein gar nicht nötig, nach einem solchen ‚Ruhezustande‘‘ der Farbzelle zu suchen. Beim Muskel ist der 1) G. van Rynberk, Über den durch Chromatophoren bedingten Farbenwechsel der Tiere. Ergebn. d. Physiol. 5, 347, 1906. 2) R. F. Fuchs, Der Farbenwechsel und die chromatische Hautfunktion der Tiere. Wintersteins Handb. d. vergl. Physiol. 3, 1189. 1914. SETZEHSHuchs, a2 2..02 8. 1485. 333 R. H. Kahn: Studien über die Innervation Zustand von „Ruhe“ und ‚Tätigkeit‘ recht eindeutig charakterisiert. Das Organ ist in einem Falle schlaff, weich, lang, im anderen Falle ist es gespannt, hart, verkürzt und zeigt auffallende Erscheinungen des Stoffwechsels.. Und da man die Produktion von mechanischer Energie mit Recht als die auffallendste und wichtigste Erscheinung bei gewissen Zuständen des Muskels auffassen muß, kann man hier mit Recht Ruhe und Tätigkeit voneinander unterscheiden. An einer Drüse lassen sich ebenfalls auf Grund der bekannten Erscheinungen bei verschiedenen Zuständen des Organs Ruhe und Tätigkeit scharf charakterisieren. Bei einer Zelle aber, deren bisher bekannte Änderungen ihres Zustandes bloß in einer vorläufig noch nicht einmal klar erkannten Änderung ihres Aussehens bestehen, ist es wohl durchaus nicht zwingend, wie bei der Muskel- und Drüsenzelle zwischen Ruhe und Tätigkeit zu unterscheiden. Denn es ist doch die Möglichkeit nicht von vornherein abzuweisen, daß gewisse in der Zelle ablaufende Prozesse, etwa je nach der Richtung ihres Ablaufes, oder sonstwie, das Aussehen der Zelle in verschiedener, gegensätzlicher Richtung beeinflussen, Dann könnte die jeweilige scheinbare Zellform das Resultat der jeweiligen gegenseitigen Beein- flussung solcher Prozesse, oder ihres gegenseitigen Verhältnisses usw. darstellen, ohne daß man irgendwie zwischen ‚Ruhe‘ und ‚Tätigkeit“ unterscheiden müßte. Ein Ablauf derartiger etwa gegensätzlicher Prozesse könnte zum Teile auf verschiedener Innervation der Zelle beruhen, also etwa auf zweigegen- sätzlich wirkenden Innervationsarten, so daß die jeweilige Zellform auch den Ausdruck gleichzeitiger gegensätzlicher Innervation mit Über- wiegen der einen Innervationsart darstellen könnte. Wie man sieht, wäre für eine solche Anschauung, welche mit dem Be- griffe „Ruhezustand“ der Farbzelle aufräumen würde, eine gewichtige Stütze gefunden, wenn es gelänge, eine doppelte und gegensätzliche Inner- vation der O'hromatophore nachzuweisen. Von Versuchen Derartiges fest- zustellen, soll im folgenden die Rede sein. Von dem Wege der Nervenreizung war für unser Problem zunächst nichts zu erwarten. Denn die künstliche Reizung der bekannten zu ge- eigneten Hautpartien ziehenden Nerven verursacht stets nur eine Bal- lung der Pigmentzellen. Daher wurde versucht, die Chromatophoren der Froschhaut durch Gifte von bekannter charakteristischer Nerven- endwirkung zu beeinflussen. Unter den zahlreichen bisher auf ihre Wirksamkeit auf den Farbenwechsel geprüften Giften, sind zwei her- vorzuheben, deren Wirkung uns vor allem interessiert, das Adrenalin und das Nicotin. Während die Wirkungen sonstiger Gifte wenig charak- teristisch zu sein scheinen, und, wie aus den verschiedenen Untersuchun- gen hervorgeht, über dieselben vielfach ganz verschiedene Angaben vorliegen, sind die Folgen der Adrenalinvergiftung auf die Melanophoren der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 339 der Haut von Rana fusca und Rana esculenta ganz bestimmt und ein- deutig. Nachdem Corona und Moroni!) nach mehrmaliger Injektion wässeriger Neben- nierenextrakte bei Rana esculenta festgestellt hatten, daß sich die Haut der so behandelten Tiere aufhellte, habe ich seiner Zeit durch Lieben?) diese aufhellende Wirkung genauer untersuchen lassen. Es ergab sich, daß ganz unabhängig von den durch injizierte Extrakte von Adrenalintabletten (Bourroughs Wellcome) ver- ursachten Änderungen des Blutkreislaufes kurze Zeit nach der Injektion eine Ballung der Hautmelanophoren eintrat, welche schließlich zum völligen Ver- schwinden aller Fortsätze führte und nach 30—60 Minuten wieder völlig abge- klungen war. Schon damals wurde festgestellt, daß die Wirkung eine direkte, das heißt nicht vom Zentralnervensystem her ausgelöste sei, denn Bestreichung der Schwimmhaut des lebenden aber auch des toten Frosches, auch eines abgeschnitte- nen Beines, brachte die Melanophoren in kürzester Zeit zur Ballung. Damit war die direkte Wirkung erwiesen, wenn auch R. F. Fuchs?) dagegen einen in Anbetracht der eben hier geschilderten, aber von ihm nicht vollständig referierten Sachlage unzutreffenden Einwand macht. In der Folge hat es sich dann herausgestellt, daß die Anwendung reiner Adre- nalinlösungen die gleiche, aber in viel feinerer Weise abstufbare Wirkung hat. Kahn und Lieben *) haben die Möglichkeit, die Melanophoren in bis dahin unerreicht prompter Weise durch Adrenalin völlig zur Ballung zu bringen und bei entsprechen- der Dosis nach kurzer Zeit wieder völlig expandiert zu sehen, dazu benützt, um an der Hand von Serien mikrophotographischer Aufnahmen einzelner Melanophoren während ihrer Veränderungen den Nachweis der prästabilisierten Form derselben zu führen. Vor und nach völliger Ballung erwies sich eine völlige Formgleichheit im Expansionszustande der Zelle. Wir haben auf Grund dieser Versuche uns der Meinung angeschlossen, daß die Fortsätze der Zelle präformiert seien, und Ballung und Expansion auf einer Körnchenströmung beruhe. Trotz der von mehreren Seiten °) dagegen erhobenen Einwände halte ich auch heute noch an dieser Schluß- folgerung fest. Die Untersuchungen von W. J. Schmidt®) haben übrigens neuer- dings die Tatsache des Bestehens der körnchenfreien Ausläufer der Melmapheren bei den Fröschen auf das Bestimmteste erwiesen, Keine andere Giftwirkung hat eine Melanophorenveränderung von solcher Promptheit, Intensität und Sicherheit zur Folge wie die des Adrenalins. Rana fusca und esculenta hellen sich bei Dosen von 0,2 bis 0,5 cem einer Lösung von 1:10 000 (2—5 Zentimilligr.) in kürzester Zeit (10—20 Minuten) maximal auf. Dabei wird Rana fusca, auch wenn man besonders dunkle Exemplare ausgesucht hat, deren dunkle 2) Corona und Moroni, La riforma medica 14. 1898. 2) S. Lieben, Über die Wirkung von Extrakten chromaffinen Gewebes (Adre- nalin) auf die Pigmentzellen. Zentralbl. f. Physiol. 20, Nr. 4. 1906. 8) R. F. Fuchs, a. a. o. S. 1530. 2) R. H. Kahn und $. Lieben, Über die scheinbaren Gestaltänderungen der Pigmentzelien. Arch. f. Anat. u. Physiol. (Physiol. Abt.) 1907. 104. 5) W. Biedermann, Vergleichende Physiologie der irritablen Substanzen. Ergebn. d. Physiol. 8, 1, S. 94. 1909. — R. F. Fuchs, a. a. O. S. 1490. — A. Fischel, Beiträge zur Biologie der Pigmentzelle. Merkel u. Bonnet, Anat. Hefte 58, H. 174, S. 64ff. 1919. 6) W. J. Schmidt, Über pigmentfreie Ausläufer, Kerne und Zentren der Mela- nophoren bei den Fröschen. Arch. f. Zellforsch. 15, H. 3, S. 269. 1920. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 23 340 R. H. Kahn: Studien über die Innervation Färbung sich seit Tagen gegen die vielen Einflüsse, welche die Hellig- keit der Tiere verändern (Licht, Temperatur, Feuchtigkeit), vollkommen resistent verhalten hatte, hellgelbbraun, hellgelbgrau, öfters auch hellgelbgrün, je nach dem Vorhandensein und der Verteilung verschie- dener Farbzellen neben den Melanophoren. Rana esculenta erlangt eine schöne, helle, grüne Farbe bzw. einen hellgrauen Bronzeton. Am leicht kurarisierten Tiere und bei Injektion des Giftes in die Vena ab- dominalis, namentlich bei Rana fusca, erkennt man in der Schwimmhaut unter dem Mikroskope, daß die Ballung der Melanophoren bereits nach 20 Sekunden beginnt. Sie ist meist nach 2—3 Minuten vollendet, und die Melanophoren zeigen nach 30 Minuten wieder volle Expansion. Das ganze Phänomen läßt sich bei sorgfältig abgepaßter Dosierung im Laufe von 12 Stunden ohne Schaden für das Tier bis zu 5mal: wiederholen, so daß man Gelegenheit hat, wichtige Beobachtungen an demselben und an bestimmten Stellen derselben Melanophore anzustellen. Bei solcher öfteren Wiederholung des Vorganges läßt sich folgende wichtige Beob- achtung machen. Vielfach findet man während weitgehender Expan- sion der Cutismelanophoren ein zusammenhängend aussehendes Netz von Pigmentausläufern. Man hat den Eindruck, als wären die Endver- zweigungen der Ausläufer ineinander geflossen und hätten sich proto- plasmatisch vereinigt. Diese Verbindungsbrücken benachbarter Melano- phoren erweisen sich bei der Beobachtung solcher Stellen während öfterer Ballung und Expansion als vorgetäuscht. Man erkennt nämlich entsprechend der von uns früher festgestellten Stabilität der Zellform im Expansionsstadium, daß sich diese scheinbaren Verbindungen immer an der gleichen Stelle lösen und daß bei der Ballung die Richtung der Körnchenströmung in den pigmentierten Ausläufern zweier benach- barter einander berühender Zellen stets von demselben Punkte aus in der gleichen Richtung erfolgt. Solche Beobachtungen, welche eben auf Grund der durch Adrenalin immer wieder von neuem erfolgenden Ballung angestellt werden können, beweisen, wie mir scheint, auf das sicherste, daß es sich bei der scheinbaren Netzbildung nicht um ein echtes Ver- schmelzen amöboid ausgesendeter Zellfortsätze, sondern bloß um das An- einanderlagern der in hohem Grade verästelten stabilen Fortsätze be- nachbarter Melanophoren handelt. Bei dieser Gelegenheit sei auf eine Beobachtung, welche wir!) seinerzeit an den bei der Ballung strömenden Pigmentkörnchen machten, nochmals zurück- gegriffen, weil sie auch später immer wieder angestellt werden konnte. Wir haben damals ausführlich das sonderbare Verhalten der Pigmentkörnchen beschrieben, welches man beobachtet, wenn man bei sehr gut durchsichtiger Schwimmhaut die Zellfortsätze mit sehr starker Vergrößerung während der Zellballung betrachtet. Es zeigte sich nämlich, und diese Beobachtung konnte auch später immer wieder angestellt werden, daß man an den ‚„wandernden‘‘ Körnchen bei unbefangener !) R. H. Kahn und $. Lieben, a. a. O. S. 109. der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 341 Beobachtung gar nicht den Eindruck hat, sie würden durch eine Strömung mit- genommen. Vielmehr geraten die vorher völlig ruhig liegenden Körnchen (keine Brownsche Bewegung!) in Bewegung, indem sozusagen ein jedes seine eigene Richtung einschlägt. Diese kann auch senkrecht auf die Achse des Fortsatzes und zeitweilig sogar gegen die Peripherie gerichtet sein, nur der Gesamteffekt ist ein langsames Fortschreiten gegen das Zentrum der Zelle. Dabei wechseln die Körn- chen natürlich ihre gegenseitige Lage. Man hat durchaus den Eindruck, daß die in Bewegung geratenen Körnchen unter einem gewissen Zwange bei ihrer Bewegung eine bestimmte Richtung bevorzugen, durchaus nichts aber erweckt die Vorstellung, daß die Körnchen von einer Strömung erfaßt, rein passiv weggeschwemmt würden. Oft kommt es vor, daß ein peripherer Teil eines Fortsatzinhaltes nicht mehr gegen das Zentrum der Zelle abgeht. Die Körnchen dieses Teiles verdichten sich nun an Ort und Stelle, so daß die liegengebliebene Masse sich in sich selbst zusammen- schließt und abrundet. Es entstehen also aus liegengebliebenen Körnchen neue, kleine Verdichtungszentren. . Diese Beschreibung der Tatsachen und unsere dieselbe abschließenden Worte: „Es hat den Anschein, als würden durch bisher unbekannte Gründe die Körnchen veranlaßt, sich zusammenzuschließen, der Hauptsache nach im Zentrum des Zell- körpers aber auch an anderen Stellen der Zelle, z. B. in den Ausläufern der Fort- sätze, falls dort aus irgend einem Grunde Körnchen zurückgeblieben sind‘, hat insofern nicht die Zustimmung von Biedermann!) gefunden, als dieser meint, es sei schwer ersichtlich, was Kahn und Lieben eigentlich unter aktiver Bewegung der doch sicher nur tote Einschlüsse des Protoplasmas darstellenden Pigmentkörn- chen verstehen wollen. Leider scheint also unsere Darstellung der Sache die Ver- mutung wachgerufen zu haben, wir wären der Meinung, es handle sich bei der Ballung der Melanophoren um einen aktiven?) Vorgang an den Pigmentkörnchen. Vielmehr sollte aus den tatsächlichen Befunden geschlossen werden, daß die Be- wegung der Körnchen nicht rein passiv durch die bloße Flüssigkeitsströmung erfolge. Wie oben bemerkt, lassen sich die von uns damals geschilderten Befunde immer wieder erheben. Und wir sind heute noch der Meinung, daß sich die Pigment- ballung nicht einfach daraus erklären läßt, daß die Pigmentkörnchen durch eine nach dem Zellzentrum gerichtete Flüssigkeitsströmung weggeschwemmt würden. Das Adrenalin hat also bei Rana fusca und esculenta eine ballende Wirkung auf die Melanophoren der Cutis, welche so stark ist, daß sie alle anderen etwa gleichzeitigen Einflüsse auf den Zustand dieser Zellen bei weitem übertönt. Ob Lichtmangel herrsche, oder die Außentemperatur hoch sei, das Tier wird durch Adrenalin im höchsten Maße aufgehellt?). 1) W. Biedermann, a. a. O. S. 95. Das Wort: aktiver ist im Original gesperrt gedruckt. 2) Das Wort „aktiv“ findet sich in unserem Aufsatze überhaupt nicht. — Siehe auch: W. J. Schmidt, Die Chromatophoren der Reptilienhaut. Arch. mikr. Anat. 90, 98. 1918; Spez. S. 227 u. 245ff. 3) Sonderbarerweise erwähnt W. Jacobj (Arch. f.exper. Pathol. u. Pharmakol. 86, 49. 1920), welcher ausgedehnte Untersuchungen über die Adrenalinwirkung auf die Schwimmhautgefäße angestellt hat, das Verhalten der Melanophoren mit keinem Worte. — In der Arbeit von E. Abderhalden und E. Gellhorn (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 47. 1921) auf S. 78 u. 79 sind zwei sehr interessante Mikro- Pphotogramme zweier Schwimmhäute von Rana fusca zu sehen, welche lokal (durch Auftropfen) mit Adrenalin bezw. einer Mischung von Adrenalin mit Placenta N-Opton behandelt wurden. Sie zeigen den von den Autoren entdeckten Unter- 23* 342 R. H. Kahn: Studien über die Innervation Wie Fuchs!) hervorgehoben hat, kommt der von uns beschriebenen charakteristischen Adrenalinwirkung auf die Melanophoren eine beson- dere Bedeutung zu, weil sie die experimentell erhobene Innervation dieser Zellen durch das vegetative Nervensystem erhärtet. Und zwar weist die Wirkung dieses sympathomimetischen Giftes darauf hin, daß die Melanophoren sympathisch innerviert, also auf dem Wege sympa- tischer Nerven zur Ballung gebracht werden. Die Aufhellung der Haut durch Adrenalin und die Ballung der Mela- nophoren ist, wie schon erwähnt, bei Rana fusca ganz besonders auf- fallend. Bei Rana esculenta ist die Ballung ebenfalls unter dem Mikro- skope prompt nachweisbar, die Aufhellung der Haut aber weniger auf- fällig. Der grüne Wasserfrosch wird nach Adrenalingaben sehr hell- grün, gelegentlich wandelt sich seine Färbung mehr oder weniger ins Gelbliche. Je dunkler grün das Tier vor der Vergiftung war, desto auf- fälliger ist natürlich die Giftwirkung. Jene im Laboratorium zahlreichen Exemplare von Rana esculenta aber, deren Haut pathologisch ?) verfärbt ist, welche einen schmutzig graubraunen Ton mit bronzenem Überzug aufweisen, zeigen unter Adrenalin bloß eine größere oder geringere Auf- hellung. Das scheint das Phänomen zu sein, welches seinerzeit von Corona und Moroni®) an Rana esculenta gefunden worden ist. Ähnlich wie die grüne Rana esculenta verhält sich der Laubfrosch gegen Adrena- lin. Dieses Tier, welches ebenfalls nach Adrenalinvergiftung heller wird, zeigt die Zellballung unter dem Mikroskope aufs deutlichste. Dabei wird die grüne Färbung der Haut etwas gelblich, ohne jedoch in ein ausge- sprochenes Gelb überzugehen. Da das Verhalten des Laubfrosches unter Adrenalinwirkung meines Wissens noch nicht beschrieben wurde, mag hier eine Schilderung desselben gegeben sein. Diese Tiere sitzen bekannt- schied in der Wirkung des Adrenalins und der genannten Kombination auf die Blutgefäße der Froschschwimmhaut. Von den auf den Photogrammen prächtig hervortretenden Melanophoren und ihrem merkwürdigen Zustande sagen die Autoren kein Wort. Die Pigmentzellen sind in beiden Fällen in maximaler Ballung, kreisrund. Die Adrenalinschwimmhaut zeigt daneben auch leichte Sternformen. Das ist das typische Adrenalinbild der Melanophoren. Während also die Placenta N. sowie andere Optone, wie die Autoren meinen, die Adrenalinwirkung auf die Schwimmhautgefäße hemmen, ist das für die Melanophoren am gleichen Orte offenbar nicht der Fall. Vielmehr sieht man an dem Placenta-Mikrophotosramm das überraschende Bild weiter Gefäße mit, wie die Autoren angeben, sehr stark be- schleunigtem Kreislaufe bei völlig geballten Melanophoren. Da in dem bezüglichen Versuchsprotokoll Nr. XT leider gar nichts über dieses sonderbare Verhalten der Melanophoren während der Versuchsdauer angegeben ist, mögen einige naheliegende Betrachtungen über die Art der Wirkungs,,hemmung‘‘ des Placenta N-Optons is solchen Versuchen unangestellt bleiben. 1) A. a. O. S. 1530. -—.. 2) Siehe E. Gaupp, Anatomie des Frosches I, 8. 9 und VI, $. 446. ®) A. a. O. — Diese Arbeit habe ich nicht im Original gelesen. der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 343 lich mit angezogenen Extremitäten an der Wand der sie beherbergenden Gefäße, indem sie mit den Haftscheiben ihrer Zehenspitzen am Glase haften und den Leib eng an dasselbe andrücken. 5 Minuten nach In- jektion einer Adrenalindosis von 0,1—0,2 mg gleitet das Tier an der Glaswand abwärts und ist trotz aller Bemühungen nicht mehr imstande, sie zu ersteigen. Diese Erscheinung steht vermutlich mit der durch Adrenalin hervorgerufenen verstärkten Sekretion jener Drüsen in Zu- sammenhang, welche an den Flächen der Haftscheiben mündend, seiner- zeit von v. Wittich!) entdeckt worden sind. Zugleich wird der Rücken, der bei Hyla stets recht trocken ist, zusehends feuchter und das Herz, dessen Schlag bei normalen Tieren an der Brustwand kaum sichtbar ist, hebt dieselbe mit einer Frequenz von etwa 80 in der Minute sehr kräftig. Nach längstens 30 Minuten ist das Tier wenig beweglich, an die Glaswand gesetzt, gleitet es sofort herab. Das auffallendste sind seine großen tiefschwarzen Augen in dem hellgrünen oft etwas gelblichen Kopfe. Die Augen des normalen Laubfrosches heben sich der stets recht breiten lebhaft pigmentierten Iris halber wenig vom übrigen Tiere ab. Aber die nach Adrenalingaben auftretende maximale Mydriasis bringt die Iris fast völlig zum Verschwinden, sodaß die weite tiefschwarze Pupille lebhaft mit der hellgrünen Färbung des Tieres kontrastiert. Die Ballung der Melanophoren läßt sich makroskopisch am besten an den dunklen Pigmentstreifen erkennen, welche zu den Seiten des Rückens die grüne Rückendecke in geschwungener Linie einfassen. Diese werden stets sehr blaß; dabei deutlich bräunlich. Schließlich ist das Tier stark mit schaumigem Hautsekrete bedeckt. In diesem Zustande verharrt es, am Boden des Gefäßes sitzend, stundenlang, bis endlich die Adrenalin- wirkungen wieder abklingen. Während nun das Adrenalin als sympa- thicotropes Gift in allen Fällen maximale Ballung der Melanophoren verursacht, ist die Wirkung des Nicotins eine ganz andere. R. F. Fuchs?) hat die Wirkung dieses Giftes an Rana esculenta genauer unter- sucht. In 14 von 16 Fällen folgte der Vergiftung eine deutliche, lange anhaltendeVer- dunkelung der Haut. Die hellgrünen Tiere verfärbten sich bis zu einem dunklen Schwarzgrün. Diese Verfärbung zeigte sich unabhängig von der durch das Nicotin verursachten motorischen Lähmung und wurde von Fuchs als eine direkte starke Verdunkelunsswirkung auf den koloratorischen Apparat aufgefaßt. Später hat dann Fuchs?) darauf hingewiesen, daß es sich bei dieser Giftwirkung auf die Mela- nophoren um die bekannte Nicotinlähmung zwischen prä- und postganglionären Fasern des vegetativen Nervensystems handeln dürfte. Die Nicotinwirkung komme einer Ausschaltung jener Innervationswege gleich, deren periphere Enden durch das Adrenalin erregt würden. Daher hätte die Adrenalinvergiftung eine t) ». Wittich, Der Mechanismus der Haftzehen von Hyla arborea. Müllers Arch. 1854, S. 170. 2) R. F. Fuchs, Zur Physiologie der Pigmentzellen. Festschrift f. J. Rosenthal, Leipzig 1906, S. 381. 2) R. F. Fuchs, Handk. d. vergl. Physiol. 3, 1528. 344 R. H. Kahn: Studien über die Innervation Ballung, jene durch Nicotin aber eine Expansion der Melanophoren zur Folge!). Von den Untersuchungsresultaten von Fuchs wäre noch anzuführen, daß die Injektion sonst wirksamer Nicotindosen bei zwei weiblichen Exemplaren von Rana esculenta wirkungslos blieb, während eine Rana fusca die Verdunkelung deutlich zeigte. Bei Anstellung einer größeren Reihe derartiger Vergiftungsversuche ließen sich die Befunde von Fuchs im allgemeinen bestätigen. Sowohl Rana esculenta, Männchen wie Weibchen, als auch Rana fusca zeigten lange andauernde Verdunkelung durch entsprechende Nicotindosen. _ Aber beide Arten von Fröschen variierten sehr in der Tiefe der Ver- dunkelung und es zeigten sich auch Tiere, welche keine Spur einer solchen erkennen ließen. In einem Falle, bei Rana fusca wurde das vorher hell- braune Tier nach der Vergiftung viel heller, blieb auch während der motorischen Lähmung sehr hell, gelbbraun und zeigte während der gan- zen vielstündigen Versuchsdauer keinerlei Verdunkelung. Hellbraune Rana fuscae wurden im allgemeinen dunkelbraun, selten schwärzlich- braun, die hellgrüne Rana esculenta bis schwärzlichgrün. Auch bei Hyla habe ich die charakteristische Nicotinwirkung gesehen. 0,3 mg Nicotin tartaric. verursachten nach 10 Minuten eine leichte Pupillenerweiterung, reichliche Feuchtigkeit des Rückens und ein leichtes Dunkeln der vorher hellgrünen Rückendecke. Nach einer Stunde war das Tier dunkel-laub- grün und die Streifen an den Rändern der grünen Rückendecke waren sehr gedunkelt. Der Meinung von Fuchs, die Verdunkelung der Tiere nach Nicotingaben beruhe auf der Ausschaltung der vegetative Inner- vation ist wohl im allgemeinen zuzustimmen. Der verschiedene Ausfall der Verdunkelungsgröße und das öftere Ausbleiben jeder Verdunkelung erklärt sich offenbar zunächst aus dem Umstande, daß die Melanophoren bezüglich ihres jeweiligen Zustandes neben ihrer Innervation auch noch von anderen Bedingungen abhängig sind. Licht, Temperatur und Feuch- tigkeit, welche ja nie genau gleichmäßig gehalten werden können, spielen hier eine große Rolle, und die direkte Einwirkung solcher Faktoren wird niemand unterschätzen, der den einfachen Versuch macht, eine Rana fusca mit völlig zerstörtem Zentralnervensystem aber gut erhaltenem Kreislaufe unter der Wasserleitung mit kaltem Wasser zu berieseln. Das Tier wird in kurzer Zeit tief dunkel. Auch die Kreislaufsverhältnisse spielen hier eine wichtige Rolle. Aber abgesehen von allen diesen Fak- toren hat auch eine Änderung des ‚inneren Milieus‘ des Tieres großen Einfluß auf die jeweilige Färbung desselben. Hier handelt es sich um !) In dieser Weise glaube ich die Ausführungen von Fuchs richtig verstanden zu haben. Bei Erörterung der Nicotinwirkung spricht Fuchs von der Lähmung des autonomen Nervensystems (,‚Autonom‘‘ im Sinne der englischen Physiologen, „ Vegetativ“ im Sinne der deutschen Physiologie). In der Adrenalinballung aber sieht Fuchs ebenfalls einen Beweis der Unterordnung der Melanophoren unter das auto- nome Nervensystem. (Soll hier wohl heißen: sympathische, als einen Teil des autonomen — vegetativen Systems). der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 345 gar nicht übersehbare Bedingungen, welche in Vorgängen liegen müssen, für die keinerlei äußere Anzeichen gegeben sind. Das hat gewiß schon ein jeder beobachtet, welcher die Tiere im Laboratorium selbst dauernd hält und ihre Wartung selbst besorgt. Denn nur auf diese Weise ist man über alle ihre Verhältnisse genau orientiert. Wenn man die drei Froscharten Rana fusca, esculenta und Hyla monatelang im Laboratorium in großen Aquariengläsern bei mittlerer Helligkeit und genügender Feuchtigkeit hält, und die Wartung (Reini- gung der Gläser, Wasserwechsel, Bad der Tiere) in regelmäßigen Zeit- intervallen stets in der gleichen Weise vornimmt, so ist die Hautfärbung der Tiere im allgemeinen dauernd die gleiche. Es gibt Exemplare von R. fusca, welche wochenlang sehr dunkel sind, andere, welche ihre hell- braune Farbe unter ganz den gleichen Lebensbedingungen beharrlich ‚festhalten. Rana esculenta bleibt fast dauernd grün und wird nur selten spontan für längere Zeit viel dunkler. Bei Hyla ist ein Verlassen der charakteristischen ‚laubfroschgrünen“ Färbung bei Konstanz der ge- schilderten Bedingungen eine außerordentliche Seltenheit. Aber mitten in der Schar der dunklen Exemplare von Rana fusca hellt sich plötzlich ohne erkennbare Ursache ein oder das andere Tier völlig auf und sitzt hell gelbbraun zwischen seinen dunkleren Genossen. Das kann eine halbe Stunde dauern, aber auch 12 Stunden, ohne daß jemand den Grund dafür angeben könnte. Dabei herrscht keinerlei besondere Beweglich- keit, Aufregung des Tieres oder sonst eine Erscheinung, welche darauf hindeuten würde, daß es sich um Änderungen in den Innervations- verhältnissen handle. Bei Rana esculenta und Hyla ist eine solche Er- scheinung nur sehr selten zu beobachten. Geht schon aus diesen Umständen hervor, daß es nichts Befremd- liches an sich haben kann, daß die Ausschaltung der vegetativen Inner- vationsbahnen durch Nicotin nicht stets zu dem gleichen Erfolge führt, auch wenn man die sonstigen Bedingungen, unter denen sich das Tier befindet, so konstant als möglich zu erhalten sucht, so wird an späterer Stelle dieser Arbeit noch gezeigt werden, daß die Innervationsverhält- nisse der Farbzellen derart liegen dürften, daß ein konstanter Ausfall der Nicotinvergiftung gar nicht erwartet werden kann. Da nun alle vorliegenden Thatsachen auf die wesentliche Beteiligung des vegetativen Nervensystems an der Innervation der Chromatophoren hinwiesen, war es gewiß von Interesse, zu prüfen, ob nicht auch andere im Bereiche dieses Teiles des Nervensystems wirksame Gifte eine cha- rakteristische Wirkung auf die Melanophorenin Erscheinung treten ließen, aus welcher weitere Schlüsse über die Innervation dieser Zellen gezogen werden könnten. Wie man sieht, handelt es sich um die Gifte der Mus- caringruppe. Von diesen ist das Eserin von Fuchs!), allerdings mit un- 1) R. F. Fuchs, Festschrift S. 374. 346 R. H. Kahn: Studien über die Innervation sicherem Erfolge’ bezüglich seiner Wirkung auf die Färbung von Rana fusca und esculenta geprüft worden. Eine gesetzmäßige Beeinflussung des Farbenwechsels konnte nicht nachgewiesen werden. Vorversuche, welche ich mit Muscarin, Physostigmin und Pilocarpin angestellt habe, ergaben, daß die ersten beiden Gifte sich zu unseren Untersuchungen deshalb nicht eigneten, weil ihre Anwendung so erhebliche Störungen des Kreislaufes zur Folge hatte, daß eine einigermaßen reine Beein- flussung der Chromatophoren nicht zu erwarten war. Das Pilocarpin erwies sich als viel geeigneter. So wurde denn an 37 Exemplaren von Rana fusca, 25 Exemplaren von Rana esculenta und 15 Exemplaren von Hyla arborea die Wirkung des Pilocarpins auf die Melanophoren und die Hautfärbung studiert. ’ Verwendet wurde ein Mercksches Pilocarpinum hydrochloricum. In einer Serie von Versuchen wurden die Tiere (R. fusca) mit solchen Dosen eines Curarede- koktes vergiftet, daß eben Lähmung der quergestreiften Muskulatur eintrat. Dabei änderten meistens die hellbraunen bis gelbbraunen Tiere ihre Färbung gar nicht. Gelegentliches leichtes Dunkeln kam vor!). Die unbeweglichen in der gebräuch- lichen Weise zur mikroskopischen Untersuchung der Schwimmhaut vorbereiteten Tiere blieben sorgfältig in stets feucht gehaltenes Filterpapier verpackt durch mehrere Stunden (bis zu 12) liegen. Nachdem die Beständigkeit der Färbung seit Stunden festgestellt worden war, erhielten die Tiere die Injektion von Pilocarpin in den Rückenlymphsack. In allen untersuchten Fällen verlief die Wirkung der Pilo- carpinvergiftung an den Melanophoren in gleicher Richtung. Ein Versuchsprotokoll als Beispiel: 24. IX. 1920. R. fusca, Curare. Die Melanophoren der Schwimmhaut in starker Ballungssteiiung. Eckig. 10h. 0,8 ccm einer 4proz. Lösung von Pilocarpin in Ringer in den Rücken- lymphsack, kurze völlige Ballung. 10h 15. Expansion beginnt, wird immer mächtiger, nach °/, Stunden ist sie maximal. Die verzweigten Fortsätze der Melanophoren scheinbar konfluierend. 18h 30. Es ist wieder völlige Ballung eingetreten. 0,7 ccm Pilocarpin. 19h. Expansion ist eingetreten. Kleine Fortsätze sichtbar. 19h 45. Maximale Expansion, Fortsätze konfluierend. 25. IX. 9" 10. Melanophoren völlig geballt, kreisrund. 9h 12. 0,2 ccm Pilocarpin. 9h 55. Expansion beginnt, Zellen eckig. 10h 05. Kurze verzweigte Fortsätze. 11h. Weit expandiert, konfluierend. !) Die zahlreichen Angaben der Literatur über die Wirkung des Curares auf die Hautfärbung der Frösche sind einander sehr widersprechend. Das liest ver- mutlich (wie auch R. F. Fuchs, Festschrift a. a. O. S. 379 andeutet) an der sehr ver- schiedenen Zusammensetzung der als Curare käuflichen Präparate. Unser Curare war ein Präparat aus Bambusrohr von Schuchardt in Görlitz. Eine Abkochung von 1 g desselben in 100 g Wasser lieferte eine vorzüglich wirksame Lösung, welche bei vorsichtiger Dosierung lähmte und dabei die Vasomotoren, den Herzvagus und die Melanophorennerven (durch Ischiadieusreizung bei R. fusca geprüft) völlig intakt ließ. Es bewirkte keine oder gelegentlich nur eine ganz leichte Verdunkelung bei R. fusca. der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 347 Dazu ist zu bemerken, daß sich bei mikroskopischer Betrachtung der Blut- gefäße folgende Wahrnehmungen bezüglich der Pilocarpinwirkung auf den Kreislauf machen ließen. Unmittelbar nach der Injektion kommt es zu einer beträchtlichen Verlangsamung des Herzschlages mit entsprechender Verschlechterung des Kreis- laufes. Auf diese dürfte die anfängliche kurzdauernde Ballung der Melanophoren zurückzuführen sein. Diese Bradykardie hält stets lange Zeit an, und der Kreis- lauf bleibt entsprechend träge. Trotzdem kommt es zu bedeutender Expansion. In dem geschilderten Versuche betrug die Herzschlagfrequenz am 25. IX. 9h 10: 24 Pulse pro Minute, der Kreislauf war gut, die Strömung rasch. 3 Minuten nach der Pilocarpininjektion sank die Herzfrequenz auf 14 Pulse, dann weiter bis auf 11 Pulse, der Kreislauf verschlechterte sich und trotzdem erfolgte neuerliche Expansion. Die- sem Sinne nach verliefen alle derart angestellten Versuche. Dabei kamen gewöhn- lich Dosen von etwa 1—2 cg Pilocarpin in Verwendung. Es stellte sich also heraus, daß das Pilocarpin auf die Melanophoren der Schwimmhaut bei Rana fusca charakteristisch einen Einfluß im Sinne der Anregung der Expansion aufwies. In weiterer Verfolgung dieses Phänomens wurden nun solche Tiere nach Pilocarpinvergifturg bezüglich der Änderung ihrer Hautfarbe systematisch untersucht. Die Untersuchung erfolgte in einer großen feuchten Kammer von etwa 3000 ccm Rauminhalt bestehend aus einem ebenen Porzellanteller mit aufgesetzter nieht dicht schließender Glasglocke. Der Boden war mäßig feucht gehalten, die Kammer stand im Laboratorium im mittleren Tageslicht. Größere Temperatur- schwankungen fanden nicht statt. In diese Kammer wurden die Frösche meist paarweise eingebracht und möglichst unbelästigt gelassen. Von Rana fusca wurden hell-selbbraune Exemplare ausgesucht, von Rana esculenta lebhaft grüne. Nach- dem die Tiere lange Zeit in der Kammer gesessen waren, ohne ihre Färbung zu verändern, erhielt das eine Tier eine Injektion von Pilocarpin in den Bauch- oder einen Seitenlymphsack. Die Spritzenkanüle wurde ins Maul eingeführt, durch den Mundboden bis in den Kehllymphsack durchgestoßen und von hier in die der In- jektion dienenden Lymphsäcke mit Durchbohrung der betreffenden Septa ein- geführt. Bei Rana fusca zeigte es sich nun, daß die Versuche durch die Lebhaftig- keit der Tiere, welche sich bei der Injektion sehr erregten und auch später öfters lebhaft in der Kammer herumsprangen, sehr litten. Denn jede Erregung hat bei diesen Tieren eine Aufhellung zur Folge. Es zeigte sich aber bei genügender Würdi- gung des Verhaltens der Tiere der dunkelnde Einfluß des Pilocarpins in zweifel- loser Weise. Wir setzen wieder ein Versuchsprotokoll als Beispiel ein. 30. IX. 1920. 2 R. fusc., © hell gelbbraun. Kontrolltier etwas heller. 11% 15. 2 cg Pilocarpin, Bauchlymphsack (1 ccm). Kontrolle: Die gleiche Flüssigkeitsmenge Kochsalzlösung. 11h 30. Pilocarpintier viel dunkler. 12h, Sehr dunkel. 12h 30. Sehr dunkel, Schwimmhaut Melanophoren maximal expandiert. Kontrolle: unverändert geballt. 16 45. Dunkelbraun. 17h 15. Fast schwarz. 19% 15. Ebenso. Kontrolle unverändert. Ein anderes Versuchsprotokoll. 29. IX. 1920. 2 R. fuse., © hellbraun. Kontrolle etwas dunkler. 91 46. 1,1 cg Pilocarpin, Bauchlymphsack (0,6 ccm). Kontrolle: Die gleiche Flüssigkeitsmenge Kochsalzlösung. 348 R. H. Kahn: Studien über die Innervation Die Tiere wurden durch die Manipulation etwas heller. Sie sind sehr lebhaft, springen öfters herum und hellen sich dabei immer wieder auf. 10% 15 sind beide Tiere gleich hell. 10h 40. Das Pilocarpintier ist dunkler. 11". Viel dunkler. Auf solche Weise verliefen die Versuche nicht genügend klar. Bei sehr ruhigen Tieren war die Pilocarpindunkelung sehr ausgesprochen, bei lebhaften, leicht schreckbaren viel weniger, oft auch gar nicht. Um diesen Überständen zu begegnen, wurden die Tiere leicht bis zur Muskel- lähmung curarisiert. Solche Tiere behalten ihre Färbung sehr hart- näckig bei. Die Aufhellung durch Erregung entfällt bei ihnen vollkom- men, das angewendete Curare hatte bei ihnen keine Änderung der Hellig- keit, selten ein ganz leichtes Dunkeln zur Folge. Es zeigte sich bei allen zwölf derartigen Versuchen eine Verdunkelung durch Pilocarpin. In einem Falle war die Verdunkelung mäßig ausgesprochen. In den anderen aber wurden die vergifteten Tiere schwarzbraun, einzelne tintenschwarz. Diese tiefe Verdunkelung hielt viele Stunden an. Sie begann meistens an den Hinterbeinen und breitete sich über das Tier aus. In einem Falle blieb sie auf Kopf und Rücken beschränkt. In drei weiteren Fällen, bei welchen nach der Curarisierung der Kreislauf in der Schwimmhaut von vornherein sehr schlecht war, kam es nach der Injektion von Pilo- carpin zu völliger Sistierung desselben. Bei diesen Tieren dunkelte lediglich die Haut über dem injizierten Lymphsacke. Da sie alle in einen Seitenlymphsack injiziert worden waren, lagen sie hellbraun mit einer tiefschwarzen Flanke in der Curarelähmung. Natürlich änderte sich die Hautfarbe bei diesen Tieren nicht mehr. Deuten diese zuletzt erwähnten Versuchsresultate auf eine periphere Wirkung des Pilocarpins auf die Melanophoren, so geht eine solche aus weiteren Versuchen mit Sicherheit hervor. 11. X. 1920. 2 R fusc. ©. 12h. Zerstörung des Zentralnervensystems durch Ausbohren mit heißer Nadel. Einstich zwischen Atlas und Hinterhaupt. 17h 35. Beide Tiere hell-gelbbraun. Kreislauf träge in erweiterten Gefäßen. Melanophorenrund. Das eine Tier erhält 1,1 cg Pilocarpin in einen Seitenlymphsack. 174 45. Verdunkelung beginnt. 15h, Sehr dunkel, einige mm breit neben denWundrändern die Haut hellbraun. 18h 10. Rechter Oberschenkel etwas heller. 18h 25. Fast schwarz. 19h 45. Beine viel heller geworden. 21" 45. Hellbraun-gelb. Das zweite Tier blieb hell-gelbbraun bis 18h 15. 1,1 cg Pilocarpin. 18h 40. Dunkelung, besonders stark an den hinteren Extremitäten. 19h 45. sehr dunkel, fast schwarz. 21% 45. Noch sehr dunkel, aber heller geworden, bräunlich. ° 12. X. 1920. 9%. Beide Tiere sind hell-gelbbraun. Kreislauf gut. Melanophoren ‘rund und eckig. der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 349 Ein anderes Versuchsprotokoll: 12. X. 1920. R. fusca ©, leicht curarisiert. Durchschneidung der Weichteile des rechten Oberschenkels und des N. ischiadicus bis auf die Art. und Ven. ichia- diea. Verätzung der Gefäßwände mit Formol. Tiere ziemlich gedunkelt, Melano- phoren der Schwimmhäute expandiert. Kreislauf träge in beiden hinteren Ex- tremitäten. 12h 06. 0,1 mg Adrenalin. 12h 15. Haut stark aufgehellt. Ballung der Melanophoren beider Schwimm- häute. 12h 35. Melanophoren kreisrund. 1% 30. Ebenso, Haut sehr hell, sehr guter Kreislauf. 19h 15. Ebenso. 13. X. 1920. Haut hellbraun, Melanophoren links eckig. Rechtes Bein etwas dunkler. Kreislauf gut. 10h 45. 1,1 cg Pilocarpin. 10h 55. Expansion der Melanophoren beiderseits. Fortsätze verästelt. Kreis- lauf träger. 11h 15. Expansion schreitet fort. Kreislauf fast Null. 1145. Kein Kreislauf. Expansion schreitet fort. 172 00. Kein Kreislauf bei weiter Expansion. Aus solchen Versuchen ergibt sich die Tatsache, daß Vergiftung von Rana fusca mit Pilocarpin zur Expansion der Melanophoren führt. Diese Expansion vollzieht sich auch dann, wenn das Zentralnervensystem zerstört, oder die Nervenleitungen zu den Melanophoren ausgeschaltet sind. Jedoch ist die Stärke der Wirkung des Pilocarpins mit jener des Adrenalins nicht zu vergleichen. Während dieses jegliche andere gleich- zeitige Beeinflussung der Pigmentzellen auch in sehr kleinen Dosen mit Leichtigkeit überwindet und die Zelle ballt, bedarf es größerer Dosen von Pilocarpin zur Erzielung eines ausgesprochenen Effektes. Auch ist um denselben rein hervortreten zu lassen, die Ausschaltung sonstiger Einflüsse nach Möglichkeit notwendig. Jedoch ist unter günstigen Um- ständen eine maximale Expansion der Melanophoren zu erreichen, welche mit einer tiefschwarzen Hautfärbung einhergeht. Ganz analog liegen die Verhältnisse bei Rana esculenta. Hier ist der Effekt der Pilocarpinvergiftung noch auffälliger, weil es gelingt, die grüne Färbung des Tieres völlig zum Schwinden zu bringen. Sie kehrt nach Abklingen der Giftwirkung wieder zurück. Auch bei Rana escu- lenta sichert eine leichte Curarisierung das Eintreten des Erfolges, ob- wohl die Dunkelung nach Pilocarpin auch ohne Curare, aber nicht mit der gleichen Sicherheit zu erzielen ist. Wir bringen wieder zwei Versuchsprotokolle als Beispiel. 1. XI. 1920. R. escul. ©, groß, hellgrün. 16h 45. 1,1 cg Pilocarpin in den rechten Seitenlymphsack. 17" 30. Bronzefarben. 19h 30. Grün verschwunden. Dunkelbronzefarben. Durch Manipulation mit dem Tiere (Reinigung der Kammer) wird es deutlich grün. 21445. Tief dunkel-bronzefarben. Das Tier wird im Laufe des nächsten Tages wieder grün. 350 R. H. Kahn: Studien über die Innervation 5. XI. 1920. Hellgrün. Verändert sich bis zum 12. XI. 1920 nicht. 12. XI. 1920. Hellgrün. 9 53. 1,1 cg Pilocarpin in den rechten Seitenlymphsack. 10h 50. Gedunkelt, Bronzefarbe breitet sich aus, noch grün. 13h 00. Sehr dunkel, etwas grün. 20h 00. Schwärzlich. 13. XI. 1920. 800. Schwärzlich. 132 00. Stiefelwichsfarben, kein Grün, nur die Schnauzenränder etwas grün- lich. Kein grüner Rückenstreifen. 17 00. Wieder grünlich. Beim Versuch, das Tier zu ergreifen, wird es unruhig, strampelt stark und er- srünt zu hellgrün. Das Tier wurde im Laufe der nächsten 14 Tage noch zweimal erfolgreich mit Pilocarpin vergiftet. Am 29. XI., 5 Tage nach dem letzten Ergrünen wurde es tot in der Kammer aufgefunden. Ein anderes Versuchsprotokoll: 21. X. 1920. R. esculenta, leicht curarisiert, seit Tagen hellsrün, grüne Hinter- beine etwas bräunlich. 11% 45. 1,1 cg Pilocarpin in den rechten Seitenlymphsack. 12h 00. Stark gedunkelt. 12h 15. Sehr dunkel schwärzlich. Rücken caudal schwarzgrün, oral grün. 13h 00. Schwarz, die oralen Partien des Rückens noch grünlich. 17 00. Stiefelwichsfarben. Zwischen den beiden Oss. ilei ein grünlicher Streifen. 19h 15. Kreislauf träge. Der grünliche Streifen schwindet. . 22. X. 1920. 9» 00. Kreislauf träge. Schwarzgrün. Grüner Rückenstreifen. Im Laufe des Tages ergrünt das Tier. 20h 00. Hellgrün wie vorher. Bleibend. Auch für Rana esculenta gilt, daß die Pilocarpindosis relativ weit größer sein muß, als die Adrenalindosis, um einen Effekt zu erreichen. Auch erreicht die Pilocarpindunkelung langsamer ihr Maximum, als die Adrenalinaufhellung. Charakteristisch für das Maximum der Pilo- carpindunkelung ist die „Stiefelwichsfarbe“. Da die Tiere in solchen Fällen tiefschwarz werden, dabei die Hautdrüsen deutlich sezer- nieren, liest über der tief schwarzen Farbe ein feuchter Glanz. Das Aussehen der Haut am Rücken erinnert tatsächlich an frischgewichste Stiefel. Aus den mit Rana esculenta angestellten Versuchen geht ferner deut- lich hervor, daß sehr kleine (junge) Tiere gegen die Pilocarpinwirkung ganz besonders resistent sind. Das bezieht sich auf jene kleinen Tiere von etwa 4—5cm Rumpflänge, deren Grün einen leicht bläulichen Stich hat. Die Hautfärbung dieser offenbar jungen!) Tiere scheint gegen alle Einwirkungen sehr resistent zu sein. Sie sind unter allen äußeren Umständen immer gleich unveränderlich bläulichgrün. 1) Siehe R. H. Kahn, Ein neues Geschlechtsmerkmal bei Fröschen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 164, 347. 1906. der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 351 Nun erübrigt es sich noch, über die am Laubfrosch angestellten Pilo- carpinversuche zu berichten. Am normalen Laubfrosch ist die Injektion von Pilocarpin bezüglich der grünen Färbung des Tieres wirkungslos, ebenso am leicht curarisierten. Allerdings verträgt Hyla das Gift schlecht und höhere Dosen als Img wirken gelegentlich tötlich. Indessen gibt es eine Methode, um auch bei diesem Tiere die dunkelnde Wirkung des Pilocarpins nachzuweisen. Man muß den Frosch in einen Zustand ver- setzen, in welchem er seine Melanophoren nicht so hartnäckig in Ballung erhält, wie im normalen Zustande. Es ist nötig, seine Melanophoren gleichsam ‚‚labiler‘ zu machen. Das gelingt häufig bei Anstellung des glänzenden Experimentes von @. Steiner!), welches darin besteht, daß man am Frosche die Sehhügel von den Zweihügeln trennt, oder erstere zerstört. Dann dunkelt die hellgrüne Rana esculenta fast ausnahmslos bis zu einem tiefen Dunkelbraun bzw. Schwarz. Biedermann?) hat ge- zeigt, daß nach solcher Operation beim Laubfrosch der gleiche Effekt eintritt. Indessen weiß wohl ein jeder, der diese Versuche am Laubfrosch häufig anstellt, daß der Versuch öfters „mißlingt“. Zwar erzielt man fast ausnahmslos eine Dunkelung des Tieres, jedoch ist diese manchmal rasch vorübergehend, oft ist sie nicht sehr tief, und nicht selten zeigen die operierten Laubfrösche die Neigung, die Helligkeit ihrer Färbung leicht zu wechseln. Ohne Änderung der äußeren Bedingungen geht die durch die Operation erzielte tiefdunkle Grünfärbung in ein helles Laubgrün oder auch in das typische Laubfroschgrün über. Stundenlang verharrt das Tier in dieser Färbung, um nach Stunden, manchmal auch nach Tagen, wieder ohne ersichtlichen Anlaß zu dunkeln. Dabei kann es tiefschwarz werden und längere oder kürzere Zeit jedes Grün ver- missen lassen, um dann plötzlich wieder heller zu werden und irgend eine Stufe von Grün neuerlich zu erreichen. Derartig operierte Tiere, welche das eben beschriebene Verhalten zeigen, unterscheiden sich also vom normalen Laubfrosche, welcher seine charakteristische grüne Färbung hartnäckig festhält, dadurch, daß bei ihnen die Färbung viel labiler ist. Die Ursache dafür, daß der größere Teil der Laubfrösche nach der Steinerschen Operation dauernd, wie Biedermann es beschreibt, tiefschwarz wird, ein Teil aber die be- schriebene Labilität der Hautfärbung aufweist, ist unklar. Ein bestim- mender Einfluß der Einzelheiten der Operation (Abtrennung der Seh- hügel, Zerstörung derselben durch Schnitte oder heiße Nadel usw.) scheint nicht vorzuliegen. An so operierten Tieren läßt sich nun der dunkeinde Einfluß der Injektion von Pilocarpin deutlich zeigen. “ 1) J. Steiner, Untersuchungen über die Physiologie des Froschhirns. Braun- schweig 1885. 29. 2) W. Biedermann, Über den Farbenwechsel der Frösche. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 51. 502. 1892. 292 R. H. Kahn: Studien über die Innervation 28. IX. 1921. Hyla 3, schön grün. 18h. Zerstörung der Sehhügel durch Schnitte und Nadelstiche. Vorüber- gehende starke Dunkelung. 29. IX. 1921. Schön grün. 30. IX. 1921. Schön grün (etwas dunkler als vorher). 9h, 2 mg Pilocarpin (Bauchlymphsack). 12h 30. Braungrau. Anfangs braungraue Flecken, dann diffus braungrau. 1. X. 1921. Braungrau. Das Braungrau schwindet wieder, Grün breitet sich aus und das Tier ist am 4. X. 1921 hellgrün mit einigen hellgrauen Flecken. 8h, 2 mg Pilocarpin. 10h 30. Stark dunkelgrün. 12%. Ebenso. 13h 30. Etwas heller. 21%. Rücken fast schwarz, Grün verschwunden. Kieferstreifen (Hautpartie am Oberkiefer zwischen dem Lippenrande und der Linie Nasenloch-Lidspalte- Trommelfell) grün. Oberarme an den Streckseiten dunkelbraun, Oberschenkel braungrünlich. 5. X. 192]. 8, Rücken dunkelgrün, sonst schön grün. Von da ab bleibt das Tier hellgrün bis zum 7. X. 1921. Hellgrün (Rücken leicht grau gesprenkelt). 13h. 2 mg Pilocarpin. 16h 30. Kopf schwarzgrün. Rücken ebenso (etwas heller). 17h 30. Beine schwarz gefleckt, Kopf schwarz, Rücken in den oberen Partien schwarz, in den unteren schwarzgrün. In anderen Fällen ist zwar die Pilocarpinwirkung nicht so ausge- sprochen, wie in dem eben mitgeteilten Versuchsbeispiele, aber sie ist doch ohne Zweifel vorhanden. Die injizierten Tiere dunkeln stark, häufig zuerst fleckig bis zu schwärzlichgrün, andere, welche dauernd eine braungraue Rückenfarbe aufweisen, zeigen an den grünen Streckseiten der Extremitäten und an dem grünen Kieferstreifen die Pilocarpin- wirkung ganz prompt. Am wenigsten sind auch hier, wie es oben von Rana esculenta erwähnt wurde, die kleinen, offenbar jungen Exemplare brauchbar, welche viel hartnäckiger, als die großen, ihr Grün festzuhalten bestrebt sind. In allen Fällen ist die Pilocarpinwirkung ebenso wie die des Adrenalins vorübergehend, nur zeigt sich hier ebenso wie bei den anderen Froscharten, eine weit langsamer und erst bei relativ größeren Dosen verlaufende Wirkung des Pilocarpins. Aus allen den geschilderten Experimenten ergibt sich also eine gegen- sätzliche Wirkung von Adrenalin und Pilocarpin auf die Chromatophoren. Während das Adrenalin die schwarzen Pigmentzellen zur Ballung bringt, verursacht das Pilocarpin Expansion derselben. Für beide Gifte gibt es, wie oben auseinandergesetzt wurde, genügende Anhaltspunkte für die Annahme peripheren Angriffspunktes, also direkter oder doch ganz nahe an der Zelle angreifender Wirkung. Nach Zerstörung des Zentral- nervensystems, nach Durchschneidung der zu einer hinteren Extremität führenden Nervenbahnen wirkt das Adrenalin unverändert ballend auf der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 353 die Melanophoren der Schwimmhaut. Und mit Sicherheit geht dessen peripherische Wirkung aus dem Umstande hervor, daß die direkte Auf- bringung auf die Schwimmhaut selbst zu dem gleichen Resultat führt. Für das Pilocarpin ist oben an Rana fusca ebenfalls gezeigt worden, daß dieses Gift seine expandierende Wirkung auf die Melanophoren auch an Tieren ausübt, deren Zentralnervensystem zerstört wurde, ferner auch an Extremitäten, deren Nervenbahnen durchschnitten bzw. verätzt worden waren. Endlich sprechen die oben erwähnten Versuchsresultate an Rana fusca, deren Kreislauf unter der Giftwirkung völlig sistierte, und bei denen es lediglich zu einer tiefen Dunkelung der Haut über jenem Seitenlymphsacke kam, in welchen das Gift injiziert worden war, mit Sicherheit für die periphere Wirkung des Pilocarpins auf die Melano- phoren der Haut. Haben wir nun bisher die Melanophorenwirkung der beiden Gifte einer experimentellen Feststellung unterzogen, so ist nunmehr die cha- rakteristische Giftwirkung auf die sog. Farbzellenvereinigungen zu er- örtern, welche sich vornehmlich bei Experimenten an Hyla und Rana esculenta geltend macht. Diese Tiere zeigen bekanntlich unter ver- schiedenen Bedingungen nicht bloß einen Helliskeitswechsel ihrer Haut- färbung, sondern auch einen ganz charakteristischen Farbenwechsel, welcher seine Ursache nicht bloß darin hat, daß durch den wechselnden Formzustand der Melanophoren andersfarbige Zellen mehr oder weniger verhüllt werden, sondern vielmehr auch darin, daß diese Farbzellen durch Änderung ihrer Form und Stellung sich aktiv an der Änderung der Haut- farbe beteiligen. Auch in dieser Hinsicht zeigen Vergiftungsversuche ganz bemerkenswerte Resultate. Der Laubfrosch, welcher unter gewöhnlichen Umständen seine hellgrüne Hautfarbe sehr beharrlich festhält, wird nach der Steinerschen Operation, wie Biedermann gezeigt hat, in der Regel dunkelgrau bis schwarz. Dabei ist von der grünen Färbung in gelungenen Fällen keine Spur mehr zu bemerken. Nun hat schon Biedermann!) darauf aufmerk- sam gemacht, daß das tiefe glänzende Schwarz der Laubfroschhaut an der hinteren Extremität bei Reizung des Ischiadicus in Hellgrün übergeht. Da nun das gelbe Pigment bei schwarzer Hautfarbe sich stets im Zustande der Ballung befindet, bei grüner Färbung dagegen diffus verbreitet ist, so muß durch die Nervenreizung im vorliegenden Falle eine entgegen- gesetzte Wirkung auf beiderlei Pigment ausgeübt worden sein. Eine solche außerordentlich charakteristische Wirkung nun ergibt die Ver- giftung mit Adrenalin. 20. IX. 1921. Hyla, hellgrün. 17h. Zerstörung der Sehhügel. Spaltförmige Pupillen. Dunkelung nach einigen Stunden. 1) A. a. O. $. 493 u. 502. 354 R. H. Kahn: Studien über die Innervation 21. IX. Schwarz-schiefergrau. Keine Spur von Grün. 9h. 0,25 mg Adrenalin, Bauchlymphsack. 9h 10. Heller grau, Mydriasis beginnt. 9h 15. Viel heller grau, grünlich. Pupille mittelweit. 9h 25. Hellsrün-grau. Pupille kreisrund. 9h 50. Hellgrün, Spur grau. 13h 45. Hellsrün, starker Herzspitzenstoß. Pupille kreisrund. 21h 15. Etwas dunkler grün. 23. IX. 82 30. Schwarz-schiefergrau. Pupillen spaltförmig, keine Spur grün. Zeigt das angeführte Versuchsbeispiel, daß das lebhafte Hellgrün des Laubfrosches, welches nach der Zerstörung der Sehhügel völlig ge- schwunden war, durch Adrenalin vollkommen, aber vorübergehend, wieder in Erscheinung tritt, so erhärten andere Protokolle das gleiche für Rana esculenta. Auch hierfür ein Beispiel. 20. X. 1920. R. esculenta 9, ‚hellgrün mit grünen Beinen und schwarzer Bänderung an denselben. 12h. Schnitt hinter den Sehhügeln. 17h. Tintenschwarz, der mediane Rückenstreifen grünlich-schwarz. Haut feucht, stiefelwichsfarben. 21. X. Tintenschwarz. 12h. 0,1 mg Adrenalin in den Bauchlymphsack. 12h 15. Dunkelgrün, die Bänderung an den Beinen tritt hervor. 13h. Gelbgrün, etwas schmutzig. 17h. 'Tintenfarben, noch etwas grünlich, Rückenstreifen grün. 19h 15. Stiefelwichsfarben. 22. X. Ebenso. 18h. 1 mg Adrenalin, Bauchlymphsack. 18415. Grünlich, heller. 20h. Schön grün (etwas gelblich) mit einzelnen schwärzlichen Flecken. 23. X. Hellgrün-gelb. Runde Pupillen. 18h. Schwarzgrün. 24. X. Schwarz, grüner Rückenstreifen, Oberschenkel mit grünem Stich. Aus solchen Versuchen ergibt sich also die bemerkenswerte Tatsache, daß das Adrenalin nicht bloß eine Aufhellung, sondern auch eine Um- färbung der Tiere zur Folge hat!). Es wirkt also nicht bloß auf die Me- !) An dieser Stelle sei einer Besonderheit gedacht, welche sich im Laufe der in Rede stehenden Versuche zugetragen hat. Einer männlichen hellgrünen Rana esculenta wurden am 21. X. 1920 durch einen Schnitt die Sehhügel von den Zwei- hügeln abgetrennt. Dabei kam es offenbar zu einer Verletzung eines der beiden Lobi optici, denn das Tier zeigte am nächsten Tage neben der stiefelwichsartigen Hautfärbung eine deutliche Zwangsstellung des Kopfes. Nach einer Adrenalingabe von 0,1 mg wurde es im Laufe des Tages grünlich und war am 23. X. 1920 wieder schwarz. Dabei zeigte es leichte Zwangsbewegungen (Drehung nach rechts). Am 28. X. 1920, tiefschwarz gefärbt, umklammerte das Tier plötzlich ein ebenfalls operiertes tiefschwarzes Weibchen, mit dem es zusammen den ganzen Tag unter einer Glasglocke gesessen war, abends um 8 Uhr fest und regelrecht. Dabei er- grünte es im Laufe von etwa 30 Sekunden zu Hellgrün, während auch das Weib- chen deutlicheinen grünlichen Stich bekam. Das Männchen zeigte starken Erregungs- der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 355, lanophoren der Haut in charakteristischer Weise, sondern auch auf das Verhalten anderer Farbzellen. Über das Verhalten’der verschiedenen Farbzellen in der Haut des Laubfrosches bei verschiedener Färbung derselben sind wir durch Biedermanns mehrfach erwähnte Untersuchungen, ferner durch jene von Ficalbi!), besonders genau aber durch die neuen histologischen Unter- suchungen von W. J. Schmidt?) unterrichtet. Die Änderungen der Haut- farbe kommen dadurch zustande, daß dreierlei Farbzellen, die Melano- phoren, Guanophoren und Lipophoren, die gegenseitige Anordnung und dabei zum Teile die Lage der Pigmentkörnchen im Zelleibe wechseln. Bei hellgrüner Hautfärbung sind die Melanophoren mäßig expandiert, die Lipophoren gleichmäßig von gelben Pigmentkörnchen erfüllt und die Melanophoren schmiegen sich nur der Unterseite der Guanophoren an, während diese auf ihrer konkaven Außenseite genau von den Lipo- phoren gedeckt (Xantho-leukosom nach Schmidt) sind. Je dunkler die srüne Färbung wird, um so reichlicher expandieren sich die Melano- phoren indem die schwarzen Pigmentkörnchen in ihren Ausläufern die Farbzellvereinigungen umhüllen. Weiterhin aber weisen die Lipophoren eine Ballung ihrer Pigmentkörnchen im Zelleibe auf, so daß nur ein Teil der Zelle von ihnen erfüllt erscheint, so daß bei grau-schwarzer und schwar- zer Hautfärbung die Melanophoren reich expandiert sind, die Lipophoren aber eine Ballung ihres Pigmentes, des gelben Lipochroms, erkennen lassen. Zugleich kommt es zu einer Verlagerung der Lipophoren, welche von ihrer Unterlage, den Guanophoren, gleichsam heruntergleiten und, mehr oder weniger zwischen den übrigen Farbzellen eingekeilt, also ver- lagert erscheinen. Es zeigt sich also hier beim Wechsel der Hautfärbung aus Grün in Schwarz bzw. umgekehrt ein ausgesprochen gegensätzliches Verhalten an den Farbzellen. Die Pigmentkörnchen der Melanophoren sind bei Schwarzfärbung expandiert, jene der Lipophoren geballt, während bei Grünfärbung der Haut eine Ballung des Pigmentes der Melanophoren sowie Expansion des Pigmentes der Lipophoren zu beobachten ist. Be- züglich des Verhaltens der Farbzellen in der Haut von Rana esculenta bei den gleichen Färbungen liegen bisher keine speziellen Untersuchungen zustand. Abgerissen, umklammerte es, auf das Weibchen gesetzt, von neuem. Sodann ließ es los und zeigte klonische Krampfanfälle der hinteren Extremitäten. Am folgenden Tage wurde es früh, immer noch hellgrün gefärbt, tot aufgefunden. 1) E. Ficalbi, Ricerche sulla struttura minuta della pelle degli anfibi. Atti d. R. Ace. Peloritana in Messina. Anno XT, 1896. Diese Arbeit war mir im Original nicht zugänglich. 2) W. J. Schmidt, Über die sogenannten Xantholeukophoren beim Laubfrosch. — Derselbe, Über das Verhalten der verschiedenartigen Chromatophoren beim Farbenwechsel des Laubfrosches. Arch. f. mikr. Anat. 93, I. Abt., 93 u, 414. 1919—1920. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 94 356 R. H. Kahn: Studien über die Innervation vor. Es dürfte jedoch wohl zunächst die Annahme gerechtfertigt erscheinen, daß es sich hier ebenso verhalten wird, wie beim Laub- frosche. Die erwähnte Gegensätzlichkeit des Geschehens an den Pigment- körnchen der Farbzellen vollzieht sich also im Experimente durch Nervenreizung. Denn Biedermann hat gezeigt, daß die hintere Extremität der schwarzen Hyla nach Ischiadicusreizung ergrünt. Diese Erscheinung läßt sich leicht bestätigen. Ebenso vollzieht sie sich durch Adrenalin, Denn es ist oben gezeigt worden, daß die schwarze Hyla bzw. Rana esculenta nach Adrenalingaben wieder vorübergehend hellgrün wird. Aber auch auf dem umgekehrten Wege der Umwandlung der grünen Hautfärbung in die schwarze wird das gegensätzliche Geschehen auf dem Nervenwege hervorgerufen. Denn die Zerstörung (vielleicht auch Reizung?) des Zentralnervensystems in der Sehhügelgegend verursacht die vollkommene Schwärzung der zuvor hellgrünen Hyla bzw. Rana esculenta. Das gleiche bewirkt das Pilocarpin. Der hellgrüne Frosch wird schwarz. Die beiden erwähnten Gifte wirken also nicht bloß, wie es aus den oben geschilderten Versuchen an Rana fusca hervorgeht, gegensätzlich auf die Melanophoren der Haut, indem das Adrenalin die- selben zu Ballung, das Pilocarpin aber zur Expansion bringt, sondern sie zeigen auch bei jenen Tieren, in deren Haut eine während des Farben- wechsels stattfindende Änderung der Pigmentstellung in verschiedenen Farbzellen nachgewiesen wurde, eine gegensätzliche Wirkung auf diese Zellen. Das Adrenalin bringt die Pigmentkörnchen der Melanophoren zur Ballung, jene der Lipophoren zur Expansion, das Pilocarpin expan- diert die Melanophorenkörnchen und ballt jene der Lipophoren. Zu- gleich verursachen die beiden Gifte die aus den Untersuchungen von W. J. Schmidt nunmehr genau bekannten gegenseitigen Stellungs- änderungen der beiden Zellen des Xantho-leukosoms. Zu den speziellen Verhältnissen der geschilderten Vorgänge wäre noch folgendes zu bemerken. Während das Adrenalin die Melanophoren der Schwimmhaut der untersuchten Frösche zu maximaler Ballung bringt, so daß die Leiber der Zellen kreisrund ohne jegliche Fortsätze erscheinen, ist das an den Melanophoren der übrigen Haut nicht der Fall. Denn hier kommt es auch bei sehr hohen Giftdosen nicht zu maximaler Ballung. Das geht aus den Versuchen an Hyla und Rana esculenta hervor. Denn die erwähnten histologischen Untersuchungen haben gezeigt, daß maximale Ballung der Melanophoren zu gelber Färbung der Haut führt. Eine solche tritt aber nach Adrenalin nicht ein. Allerdings kommt es hier manchmal zu einem deutlichen Stiche der grünen Haut ins gelbliche, aber jenes Zitronengelb, welches so leicht z.B. durch Erwärmung auftritt, findet sich nach Adrenalin niemals. Auch durch Nervenreizung ist diese gelbe Farbe nicht zu erzielen. der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 357 Schon ». Wittich!) stellte fest, daß die grüne Haut von Hyla nach direkter Reizung mit dem Induktionsapparat an den Stellen der Elek- troden und zwischen denselben gelb werde und nachher durch orange, rostbraun und braun wieder in grün übergehe. Die Nervenreizung verursachte bei Rana esculenta kein Gelbwerden der Haut, sondern nur eine partielle Aufhellung derselben. Allerdings gibt v. Wittich an, daß sich ‚Frösche‘ während des Strychnitetanus intensiv hellgelb färben. Ob hier Hyla oder Rana esculenta gemeint ist, kann man aus dem Zusammenhang kaum erkennen. Es scheint sich um letztere Froschart gehandelt zu haben. Bemerkenswert ist aber die Mitteilung v. Wittichs, daß Frösche, welche er durch Chloroformdämpfe oder einen Kohlensäurestrom tötete ‚über und über gleichmäßig grüngelb wurden,“ wenn unter beiden Bedingungen tetanische Erscheinungen an den Mus- keln des Rumpfes aufgetreten waren. Es scheint also hier bei der Gelb- färbung noch eine andere Bedingung eine Rolle gespielt zu haben. Viel- leicht kommt in solchen Versuchen das Auftreten von Anämie mit in Betracht, zumal ja seit Biedermann?) bekannt ist, daß sich bei Hyla die grüne Farbe der Haut bei Anämie in ein helleres Gelbgrün ver- wandelt. Es hat also den Anschein, als ob die gelbe Hautfärbung weder durch Nervenreizung noch durch Adrenalin zustande käme, sondern daß ihr Auftreten durch andere Momente (Anämie, Wärme usw.) direkt bedingt sei. Des weiteren ist hervorzuheben, daß die Adrenalin- bzw. Pilocarpinwirkung je nach der eben vorhandenen Hautfärbung ver- schieden stark ausgesprochen ist. Der grüne Frosch zeigt durch Ad- renalin geringe Veränderungen, der dunkle durch Pilocarpin. Es ist daher zweckmäßig, um die Wirkung des ersteren Giftes möglichst stark hervortreten zu lassen recht dunkle, für die Dunkelung durch das letztere, aber helle bzw. grüne Frösche zu verwenden. Aus unseren Untersuchungen ergibt sich also die gegensätzliche >) charakteristische Wirkung von Adrenalin und Pilocarpin auf die Pig- 1) v. Wittich, Die grüne Farbe der Haut unserer Frösche. Müllers Arch. 1853, S. 41. 2) A. a. O. S. 477. ®) Eine eigentümliche Gegensätzlichkeit bei Reizung von Melanophoren hat Ferdinand Winkler (Beobachtungen über die Bewegungen der Pigmentzellen, Arch. f. Dermatol. 101, 255. 1910) beschrieben. Faradische und galvanische direkte Reizung der Schwimmhaut von R. esculenta bzw. der ausgeschnittenen Rücken- haut von Hyla soll gegensätzlich wirken. Erstere ballend, letztere expandierend. Bei letzterer Gelegenheit will Winkler an den Melanophoren neue, früher nicht an der gleichen Zelle während der Expansion beobachtete Fortsätze haben entstehen sehen. Indessen sind diese Versuchsresultate ganz unbrauchbar. Die Methodik der „Galvanisation“ ist weiter nicht beschrieben, und mit R. A. Spaeth (The responses of single melanophores to electrical stimulation. Amer. journ. of physiol. 41, 577. 1916) wird man gewiß der Meinung sein, daßes sich bei der „Expansion“ von Winkler um elektrolytische Erscheinungen gehandelt hat. 94* 358 R. H. Kahn: Studien über die Innervation mentzellen der Haut. Es erübrigt nunmehr, jene Schlußfolgerungen zu ziehen, welche sich aus dieser Erkenntnis für die Frage nach der Inner- vation der Chromatophoren ergeben. Das Adrenalin hat bekanntlich im Tierkörper typisch jene Wirkungen, welche bei Reizung sympathischer Nerven zu erzielen sind. Sein Angriffspunkt liest in der Gegend der peripheren Nervenenden. Daraus ist zu schließen, was ja längst durch zahlreiche Untersuchungen sehr wahrscheinlich gemacht wurde, daß der Einfluß des Nervensystems, welcher Ballung der Melanophoren zur Folge hat, diese Zellen auf sympathischen Wegen erreicht. Unsere Adrenalinversuche und die zahlreichen vorliegenden Experimente über Nervendurchschneidung und -reizung stimmen also überein und ergän- zen einander. Indessen folst aus dem Nachweise, daß das Adrenalin die gelben Farbkörnchen der Lipophoren zur Expansion bringt, gleicher- weise für diese Farbzellart eine sympathische, hier expandierend wir- kende Innervation. Das Hellerwerden der Haut bei Rana fusca, das Er- grünen der schwarzen Rana esculenta und Hyla wird, im Falle es durch das Nervensystem erfolgt, durch Einwirkung sympathischer Nerven auf die Farbzellen hervorgerufen. Diese Einwirkung ist auf Melano- phoren und Lipophoren gegensätzlich. In den ersteren ballt sich das Pigment in den letzteren expandiert es sich. Das Pilocarpin ist ein peripher angreifendes Gift, dessen Wirkungen jenen gleichzusetzen sind, die man bei Reizung parasympathischer (autonomer) Nerven erhält. Da dieses Gift auf die Melanophoren expandierend auf die Lipophoren aber ballend wirkt, liegt der Schluß nahe, daß an diesen Farbzellen neben der erwähnten sympathischen Innervation auch noch eine bisher nicht bekannte, gegensätzliche parasympathische Innervation besteht. Auf parasympathischen (autonomen) Nervenwegen also würde das Pigment der Melanophoren zur Expansion jenes der Lipophoren zur Ballung gebracht werden. Auch hier also wäre wiederum die Wirkung des Nervensystems auf Melanophoren und Lipophoren gegensätzlich. Zugleich bewirkt die sympathische und parasympathische Innervation eine entgegengesetzte Verteilung des Pigmentes in den die Helligkeit und Färbung der Haut beherrschenden Farbzellen. Betrachtet man die Chromatophore als von zwei verschiedenen Inner- vationsbahnen her gegensätzlich innerviert, so ergibt sich daraus die gewiß befriedigende Anschauung, daß der jeweilige Zustand der Farb- zelle bezüglich der Verteilung ihres Pigmentes eine Resultierende der gleichzeitigen, gegensätzlichen Innervationsverhältnisse darstellt. Über- wiegt die sympathische Innervation, dann sind die Melanophoren mehr in Ballungs- die Lipophoren mehr in Expansionsstellung. Dagegen zeigen die Melanophoren reichere Pigmentierung ihrer Ausläufer, die Lipophoren aber eine Anhäufung ihres gelben Pigmentes wenn sich die parasympathische Innervation stärker geltend macht. Es gibt keinen der Chromatophoren auf Grund gegensätzlicher Giftwirkungen. 3509 „Ruhezustand“ der Farbzellen. Ihr jeweiliger Zustand und der ihres Pigmentes ist vielmehr ein Gleichgewichtszustand zwischen solchen Prozessen, welche im Gefolge der sympathischen Innervation auftreten, und solchen, welche die parasympathische (autonome) Innervation zur Folge hat. Auf Grund solcher Anschauungen wird man solchen Tieren, welche beharrlich größere Helligkeit der Hautfärbung bzw. die grüne Farbe festhalten ein Überwiegen der sympathischen Farbzellinnervation zu- schreiben. Wie schon oben erwähnt, zeichnen sich unter vielen Exem- plaren von Rana fusca, die unter ganz gleichen äußeren Bedingungen gehalten werden, stets einige durch andauernd helle Hautfarbe aus. Aber viel beharrlicher halten die grünen Exemplare von Rana esculenta und die Hyla ihre hellgrüne Färbung fest. Es überwiegt also bei diesen Tieren der zentrale sympathische Tonus auf die Farbzellen der Haut. Namentlich bei jungen Exemplaren scheint das in besonderem Maße der Fall zu sein. Ein solches starkes Überwiegen der zentralsympathi- schen Innervation ist die Ursache dafür, daß öfters, bei der normalen Hyla in der Regel, die Pilocarpinwirkung, welche ja, wie oben erwähnt, an Stärke jener des Adrenalins nicht vergleichbar ist, versagt. Auch die Aufhellung oder Ergrünung findet man bei gleichen Adrenalindosen öfters von sehr verschiedener Stärke. Daß das nicht häufiger der Fall ist, dürfte daran liegen, daß hier wie auf anderen Gebieten der enormen ı Wirksamkeit auch sehr kleiner Adrenalinmengen gegenüber eine Inner- vation von gegensätzlicher Wirkung fast stets vollkommen versagt. Über die Wege parasympathischer Innervation der Chromatophoren ist vorläufig nichts bekannt. In der Peripherie dürften beide Innerva- tionsbahnen gemeinschaftlich verlaufen. Bei künstlicher Reizung eines Nervenstammes scheint die Wirkung der Reizung der sympathischen Elemente zu überwiegen. Indessen ist es ja auch sonst (z. B. bei den Vasomotoren führenden Nerven) bekannt, daß bei künstlicher Reizung die Wirkung der einen Kategorie von Nervenfasern bei weitem über- wiegt. Es wird Sache besonderer Untersuchung sein, die Bedingungen festzustellen, unter denen die Wirkung der beiden Arten der Chromato- phorennerven bei künstlicher Reizung rein hervortritt. Dann wird es vielleicht auch möglich sein, die vermutliche tonische Einwirkung des Zentralnervensystems auf die Farbzellen als eine gegensätzliche genauer zu charakterisieren. Auf dem Umstande, daß beide gegensätzlich wir- kenden Nervenbahnen im allgemeinen die gleichen Nervenwege be- nützen, dürfte auch der Grund für die längst bekannte Erscheinung be- ruhen, daß Nervendurchschneidungen meistens an der Hautfärbung nur wenig ändern. Denn die Ausschaltung eines Nerven, nach welcher ja beide gegensätzlich wirkende Innervationen wegfallen, kann, falls sich diese annähernd das Gleichgewicht hielten, ganz wirkungslos ver- 360 R.H. Kahn: Studien über die Innervation der Chromatophoren usw. laufen. Hieraus wird auch die wechselnde, oft kaum angedeutete Wir- kung der Vergiftung des Tieres mit Nikotin erklärlich. Die Ausschaltung des vegetativen Nervensystems betrifft ja den sympathischen und para- sympathischen (autonomen) Anteil desselben in gleichem Maße. Daher gilt hier für die Nicotinwirkung das gleiche, das eben für die Nerven- durchschneidung erörtert wurde. Indessen hängt der Ausfall derartiger Versuche auch noch von einer Reihe anderer Umstände ab. Denn schließlich sei nochmals darauf hingewiesen, daß die eben entwickelte Anschauung von der gegensätzlichen Innervation der Pigmentzellen nicht etwa gleichbedeutend mit der Meinung ist, die Helligkeit und Farbe der Haut werde bloß durch den Gleichgewichtszustand der gegen- sätzlichen Innervationsfolgen beherrscht. Vielmehr machen sich neben diesem auch noch andere den jeweiligen Zustand der Farbzelle beein- flussende Umstände geltend. Licht, Luftfeuchtigkeit, "Temperatur, Blutversorgung und gewiß auch sonstige den Stoffwechsel der Zellen direkt beherrschende Einflüsse machen sich hier in verschiedenem Aus- maße geltend. Die Veränderungen im Protoplasma der Farbzellen, welche die Pigmentkörnchenströmung bedingen und damit die Haut- färbung ändern, sind von den jeweiligen Innervationsverhältnissen und mancherlei direkter Einwirkung abhängig. Ergebnis. Das Studium der Wirkung verschiedener Gifte auf Chromatophoren rechtfertigt den Schluß, daß diese Zellen unter der Herrschaft einer doppelten gegensätzlichen Innervation stehen. Soweit nicht auch noch andere den jeweiligen Zustand der Farbzelle beeinflussende Umstände sich geltend machen, ist die jeweilige Verteilung des Pigmentes im Zelleibe derselben als Resultierende der Wirkungen zweier gegensätzlich arbeitender Inner- vationsarten anzusehen. Eine solche Anschauung macht den Begriff des Ruhezustandes der Farbzelle entbehrlich und eine Reihe von Erscheinungen nach Vergiftung und Nervendurchschneidung leicht erklärlich. Eine Methode der Spektroskopie des Hämoglobins im leben- den Tiere. Von Pıof. Dr. R. H. Kahn. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 20. März 1922.) Die Physiologie besitzt kein brauchbares Verfahren, um das Hämo- globin des im Tierkörper kreisenden Blutes spektroskopisch zu unter- suchen. Eine einfache und sehr brauchbare Methode hierzu habe ich in letzter Zeit ausgearbeitet und lege sie hiermit zur Prüfung und weiteren Benutzung vor. Ihre Anwendung ermöglicht zunächst einen prächtigen und auf seinem Gebiete einzigartigen Demonstrationsversuch, welcher in klarer und durchsichtiger Weise eine fundamentale Tatsache der Physiologie des Blutes, nämlich die Sauerstoffverarmung des Hämo- globins bei der Erstickung des lebenden Tieres und die neuerliche An- reicherung an Sauerstoff bei ausreichender Atmung spektroskopisch erkennen läßt. Des weiteren läßt sich durch die Möglichkeit, das spek- troskopische Verhalten des strömenden Blutes zu beurteilen, eine Reihe von Untersuchungen ausführen, welche sich auf die Beziehungen sonstiger körperlicher Zustände zum Sauerstoffgehalte des Blutes bzw. zu den Verhältnissen der Sauerstoffaufnahme bzw. Abgabe erstrecken. End- lich läßt sich das Auftreten von Derivaten des Hämoglobins, sowie von pathologischen Verbindungen derselben im lebenden Tiere in bequemer Weise verfolgen. Die Anwendung der Methode gestaltet sich folgendermaßen. Ein albinotisches Kaninchen wird auf dem Tierhalter gefesselt und ein Auge vor die Lider luxiert. Das läßt sich bekanntlich ganz leicht und ohne jede Schädigung des Auges mit einem passend zugeschnittenen spatelförmigen Holzstäbchen ausführen. Um ein Zurückgleiten des Bulbus in die Orbita zu verhindern, wird die Lidspalte hinter dem Äquator des Auges etwas verengt, indem man die Lider in einem der beiden Augen- winkel mit einer weichen Klemme faßt (Arterienklemme). Nun setzt man auf die die Sclera deckende, vorher durch einen Tropfen 1 proz. Cocainlösung anästhetisch gemachte Bindehaut den Kegel einer 362 R. H. Kahn: Sachsschen!) Durchleuchtungslampe zwischen Cornealrand und Bulbus- äquator auf. Die Lampe wurde vorher in ein auf dem Tische stehendes Stativ gefaßt, so daß ihr Beleuchtungskegel bequem so dem Auge genähert werden kann, daß er rechts oder links jenen Teil der Bindehaut berührt, welcher vor der Luxation in der Lidspalte sichtbar war. Sofort leuchtet der ganze Bulbus auf. Schon bei mäßiger Verdunkelung des Zimmers gewährt das strahlend rubinrot leuchtende Auge einen ganz über- raschenden Anblick. Sclera, Iris und Pupille nehmen an dem Phänomen in gleicher Weise teil, die Iris läßt eine feine Zeichnung erkennen, die Pupille ist stark verengt. Diese Durchleuchtung kann ohne jede Schädi- gung des Auges auch bis zu einer Stunde und darüber fortgeführt werden, wenn man von Zeit zu Zeit die Anästhesie erneuert und durch gelegent- liches Auftropfen von Ringerlösung ein Austrocknen der Oberfläche der Hornhaut vermeidet. Das aus dem Auge herausdringende rote Licht wird spektroskopiert. Man stellt ein gutes Handspektroskop, in ein Stativ gefaßt, derart dem Auge gegenüber auf, daß der Spalt desselben gegen die leuchtende Iris oder Pupille gerichtet, von ihr einige Zentimeter entfernt ist. Das In- strument zeigt auch bei engem Spalte in überraschender Helligkeit das Absorptionsspektrum des Oxyhämoglobins. Die beiden Absorptions- streifen zwischen D und E entsprechen in Breite und Schwärze einer zur Demonstration gut abgestimmten O,Hb-Lösung. Die zur Verfügung stehende Lichtstärke gestattet eine völlig ausreichende Verengerung des Spaltes. Ein Unterschied in der Brauchbarkeit des Lichtes, welches aus der Iris herausstrahlt und welches die Pupille verläßt, ist kaum zu kon- statieren. Erweiterung der Pupille durch Atropin bringt keinen Vorteil. Das Tier erträgt die beschriebenen Manipulationen in der Regel ohne Abwehr, gelegentliche kleine Änderungen der Augenstellung müssen durch entsprechende Änderung der Lampenstellung korrigiert werden. Zur Illustration der Brauchbarkeit der Methode seien vorläufig einige Demonstrationsversuche geschildert. Man curarisiert das Tier durch die Ohrvene (am curarisierten Tiere erfolgt die Luxation des Bulbus bei ganz leichtem Hebeldrucke am Orbitalrande fast von selbst) und leitet durch eine Trachealkanüle künstliche Atmung ein. Während der Beobachtung des Absorptionsspektrums des Oxyhämoslobins wird nun die künstliche Atmung ausgesetzt. Längstens 30 Sekunden später beginnt das Grün zwischen den beiden Absorptionsstreifen sich zu trüben, dunkelt immer mehr, die Streifen werden blasser und konfluieren all- mählig, während sich das kurzwellige Spektrumende aufhellt. Nach 60— 90 Sekunden ist das Absorptionsspektrum des reduzierten Hämo- globins mit gut ausgeprägtem breiten Absorptionsbande in Gelbgrün 1) Sachs, Über eine neue Durchleuchtungslampe und ihre Verwendung in der Augenheilkunde. Münch. med. Wochenschr. 1903, S. 741. Eine Methode der Spektroskopie des Hämoglobins im lebenden Tiere. 363 sichtbar. Nun setzt man mit der künstlichen Atmung wieder ein. Nach wenigen Atemstößen sieht man das Grün mitten im Absorptionsbande wieder auftauchen und etwa 6 Sekunden nach Wiederbeginn der Atmung ist das Absorptionsspektrum des Oxyhämoglobins wieder wie vor dem Versuche vorhanden. Der beschriebene Vorgang läßt sich beliebig oft wiederholen!) und weist stets die gleichen geschilderten Verhältnisse auf. Ein weiterer sehr anschaulicher Versuch besteht in der Kombination des eben Beschriebenen mit der Registrierung des arteriellen Blutdruckes. Es wird also eine Kanüle in die Arteria carotis eingebunden und der Blutdruck mit dem Hg-Manometer registriert. Es ist ganz gleichgültig, ob hierzu die Carotis der gleichen oder der anderen Seite benützt wird. ernlureeneehnurerusleununnlunumil: Abb. 1. Albinot. Kaninchen, curarisiert, künstliche Atmung. In die Blutdruckkurve des Hg- Manometers sind folgende Marken übertragen: 1. Spektrum des O,Hb. Aussetzen der künst- lichen Atmung. 2. Die Veränderung des Spektrums wird merkbar. 3. Das Spektrum des redu- zierten Hb ist ausgebildet. 4. Einsetzen der künstlichen Atmung. 5. Das Spektrum des O,Hb ist vollendet. Denn unser Phänomen am Auge zeigt sich von der Durchgängigkeit dieses Gefäßes vollkommen unabhängig. Man kann die Carotis der zum Augenversuche dienenden Seite temporär verschließen und wieder öffnen, ohne daß sich im Absorptionsspektrum der mindeste Unterschied zeigt. Durch ein passend angebrachtes elektromagnetisches Signal, welches der Beobachter des Spektrums betätigt, lassen sich ganz leicht in der Blutdruckkurve Marken anbringen, welche die wichtigsten Mo- mente während der Veränderung der Atmung und des Absorptions- spektrums anzeigen. Die Kurvenausschnitte Abb. 1 und Abb. 2 mögen die zu beobachtenden Verhältnisse illustrieren. 1) Ich habe dieses Experiment am 24. I. 1922 in einer Sitzung der biologischen Sektion des deutschen naturw.-medizin. Vereins „Lotos‘ in Prag demonstriert, wobei im Laufe von 45 Minuten etwa 25 Personen nacheinander der beschriebene Vorgang vorgeführt wurde. 364 R. H. Kahn: Es zeigt sich in solchen Versuchen, daß die ersten Zeichen der begin- nenden Umwandlung des O,Hb-Spektrums zu der Zeit merkbar werden, zu welcher die dyspnoische Blutdrucksteigerung beginnt. Zur Zeit der völligen Ausbildung des Spektrums des reduzierten Hb hat die Blut- drucksteigerung ihren Höhepunkt erreicht. Der Anstieg des Blutdruckes vollzieht sich also während der Umwandlung des einen Spektrums in das andere. Wenige Sekunden nach neuerlichem Einsetzen der künst- lichen Atmung erfolgt fast regelmäßig ein mehr oder weniger jäher Blut- druckabfall. Er pflegt in jenem Zeitpunkte besonders ausgeprägt zu sein, in welchem das O,Hb-Spektrum wieder völlig aufgetreten ist, also nu iR Rn 2 i % il Ba EI Abb. 2. Albinot. Kaninchen, curarisiert, Künstliche Atmung. In die Blutdruckkurve des Hg- Manometers sind folgende Marken übertragen: 1. Spektrum des O,Hb. Aussetzen der künst- lichen Atmung. 2. Das Spektrum des reduzierten Hb ist ausgebildet. 3. Einsetzen der künst- lichen Atmung. 4. Das Spektrum des O,Hb ist vollendet. etwa 6 Sekunden nach Beginn der Ventilation. Indessen hält sich be- kanntlich der Blutdruck auch nach Beginn derselben meistens noch einige Zeit auf beträchtlicher Höhe, während also das Blut spektro- skopisch betrachtet sich als ausreichend sauerstoffhaltig erweist. Im Hinblicke auf die bekannten Anschauungen über die Blutbeschaffenheit als Atemreiz ist es auffällig, daß die dyspnoische Blutdrucksteigerung als zum großen Teile zentral ausgelöstes Phänomen doch in ihren einzel- nen Phasen so enge parallel mit dem spektroskopisch zu erhebenden Sauerstoffgehalte des Hämoglobins einhergeht. Als weiteres Beispiel der Verwendbarkeit der Methode sei folgender instruktive Versuch angeführt. Es läßt sich ohne Schwierigkeit eine teilweise oder völlige Umwandlung des O,-Hb in Met-Hb im Tierkörper durchführen und spektroskopisch beobachten. Nach Beobachtung des Eine Methode der Spektroskopie des Hämoglobins im lebenden Tiere. 365 Absorptionsspektrums des O,Hb wird durch die Ohrvene oder mittels einer in die Vena jug. ext. eingebundenen Spritze Natriumnitrit in den Kreislauf eingebracht. Nach Injektion von 2 ccm einer äquimolekularen wässerigen Lösung (6,9%) erscheint nach etwa 5 Minuten neben den O,Hb-Streifen der Met-Hb-Streifen in Rot. Zu dieser Zeit ist an der etwa gleichzeitig registrierten Blutdruckkurve noch nichts Abnormes zu sehen. Weitere Dosen von Natriumnitrit lassen das O,Hb-Spektrum völlig schwinden, den Blutdruck sinken, bis man schließlich nach Ein- gabe von etwa 6ccm der Salzlösung bei etwa 50 mm Blutdruck den interessanten Anblick des Met-Hb-Spektrums im noch lebenden Tiere hat. Von hier ab fällt dann der Blutdruck rapid und das Tier geht während andauernder künstlicher Atmung zugrunde. Die angeführten Beispiele mögen genügen, um die Brauchbarkeit der Methode zu erweisen. Von der weiteren Ausdehnbarkeit derselben auf gewisse Probleme wird bei späterer Gelegenheit die Rede sein. Zur Kritik der Arbeit: ‚Der Klammerreflex nach Sympathieus- exstirpation“ von Spiegel und Sternschein, aus dem neurolog. Institut der Wiener Univ. [Vorstand: Prof. Dr. ©. Marburg]. Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) (Eingegangen am 20. März 1922.) Auf S. 115 des 192. Bandes von Pflügers Archiv anschließend an eine Arbeit von mir!) über den gleichen Gegenstand haben E. A. Spiegel und E. Sternschein eine Untersuchung veröffentlicht, als deren Resultat sie angeben, daß ‚‚der efferente Schenkel des Klammerreflexes des brünstigen Frosches nicht über den Grenzstrang verläuft“. Diesen Schlußsatz, dessen Richtigkeit aus meinen erwähnten Ausführungen her- vorgeht, an das Ende ihrer Arbeit zu stellen, sind Spiegel und Sternschein durchaus nicht berechtigt. Nämlich in dem Sinne, in dem sie ihn ver- standen wissen wollen, als einen Beitrag zur Frage der tonischen Inner- vation. Denn die Untersuchungen der beiden Autoren sind methodisch so unvollkommen, daß aus ihnen für oder wider eine sympathische Inner- vation der Umklammerungsmuskeln garnichts hervorgeht. Spiegel und Sternschein haben 12 „Frösche“ derart operiert, daß sie an dem Tiere, ‚„‚dessen Klammerreflex durch Athernarkose gelöst‘‘ war, von der rechten Seite her nach Eröffnung der Peritonealhöhle und des Sinus subvertebralis das III. und IV. sympathische Ganglion nebst einem Stücke des Grenzstranges der rechten Seite exstirpierten. Vom Gelingen dieser Operation überzeugten sie sich „durch den histologischen Nachweis der exstirpierten Ganglien, sowie durch die Beobachtung einer vorübergehenden Gefäßstase an den Schwimmhäuten der operierten Extremitäten.‘‘ (Die „‚Frösche‘“ von Spiegel und Sternschein hatten also an den vorderen Extremitäten Schwimmhäute). Die Verengerung der Pupille der operierten Seite aber, das am meisten charakteristische Phänomen nach einseitiger Ausrottung der Pars brachialis des Sympathicus haben die Autoren übersehen. An den so operierten Fröschen stellten die Autoren fest, daß die Tiere nach Erholung von der Äthernarkose, an den Beinen in die Höhe gehalten, die „um ein Vielfaches“ schwereren Weibchen umklammert trugen, ohne daß sich die Extremität der operierten Seite gegenüber der der gesunden schwächer erwiesen hätte. Ebensowenig ließ sich, wenn man durch symmetrisches Vorschieben eines Keiles zwischen den Rücken des Weibchens und den Bauch des Männchens das letztere abzuheben suchte, die Umklammerung auf der Seite des operierten Armes früher !) R. H. Kahn, Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. II. Zustand und Inner- vation der Muskeln der vorderen Extremitäten des Frosches während der Um- klammerung. Pflügers Arch. f. d. des. Physiol. 192, 93. 1921. R.H.Kahn: Kritik d. Arbeit: „Klammerreflex n. Sympathicusexstirpation“ usw. 367 lösen, als auf der Gegenseite. War der Reflex nach der Operation nicht gleich wieder auslösbar, dann haben die Autoren von der Injektion einer Aufschwemmuns von Testikelsubstanz nach Steinach prompte Erfolge ge- sehen. Die Reflexerregbarkeit ließ sich dadurch wieder herstellen, wobei keine Differenz an den beiden vorderen Extremitäten festzustellen war. Aus der Anstellung dieser Untersuchungen geht hervor, daß Spiegel und Sternschein der Unterschied zwischen der Umklammerung aus tetanischer, alterativer Innervation der Armmuskeln und dem ruhigen, tonischen, dauernden Verkürzungs- bzw. Spannungszustande, der „Sperre“ der umklammernden Muskeln gar nicht klar geworden ist. Das, was die Autoren bei ihren Untersuchungen geprüft haben, war der Umklammerungsreflex, welcher bei allen von den Autoren verwendeten Maßnahmen in tetanischem Festhalten des Weibchens besteht. Und je mehr man versucht, die Umklammerung zu lösen, desto mehr wird diese tetanische Muskelaktion verstärkt. Haben die Autoren etwa er- wartet, daß dieses Phänomen nach einseitiger Ausrottung eventueller sympatischer Innervationswege der Muskeln leiden könnte ? Von den für die Untersuchung wichtigen Punkten erwähnen sie kein Wort. Ob die Tiere spontan umklammerten, ob sie in ruhiger, un- gestörter Umklammerung tagelang fest verharrten, ob sich hier etwa ein Unterschied zwischen links und rechts zeigte, das sind die Punkte, welche zu untersuchen gewesen wären. Denn hierin und nicht im Fest- halten des Weibchens bei gewaltsamen Lösungsversuchen liegt das Charakteristische der tonischen Dauerverkürzung bzw. -spannung der Umklammerungsmuskeln. Man möchte meinen, daß diese Verhältnisse Spiegel und Sternschein wenigstens nach der Lektüre meiner, der ihren vorangehenden Untersuchung klar geworden sei. Denn aus ihr hätten sie ersehen können, daß sie daß, was sie untersuchen wollten, gar nicht untersucht haben, und daß für sie kein Grund vorlag, sich ‚‚jenen Autoren anschließen zu müssen, welche eine Beteiligung des Sympathicus am Zustandekommen der tonischen Innervation der Skelettmuskulatur be- zweifeln“. Indessen scheinen die Autoren die erwähnten springenden Punkte doch nicht erkannt zu haben, denn Spiegel!) schreibt am Fuße seiner nächsten Arbeit über den Muskeltonus, in welcher er seiner in Rede stehenden Untersuchungen mit Sternschein gedenkt: ‚Interessan- terweise kommt Kahn im gleichen Heft“ (des Archivs) „an demselben Objekt wie wir zu ganz ähnlichen Schlüssen“. Aus diesem Grunde habe ich es für nötig gehalten, nochmals darauf hinzuweisen, daß in dem Phänomen der Umklammerung zwei grundverschiedene Komponenten enthalten sind. Spiegel und Sternschein haben die eine untersucht und aus den Resultaten einen Schluß auf die andere gezogen. !) E. A. Spiegel, Untersuchungen über den Muskeltonus I. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 7. 1921. Zur Contractilität der Capillaren. Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) (Eingegangen am 20. März 1922.) Die echte Contractilität der Blutcapillaren ist vor nahezu 20 Jahren von Steinach und Kahn!) erwiesen worden. Die Untersuchungen dieser Autoren wurden seitdem vielfach zitiert und zur Grundlage weiterer Überlegungen gemacht, ihre Resultate sind in die Lehrbücher der Physiologie übergegangen. Kein Ge- ringerer als R. Tigerstedt hat Abbildungen dieser Untersuchungsresultate für würdig befunden, in sein Lehrbuch der Physiologie aufgenommen zu werden. End- lich hat aus Herings patholog.-physiol. Institute in Cöln J. Kukulka?) Unter- suchungen veröffentlicht, welche zeigten, daß das Adrenalin in typischer Weise die Capillaren der Froschnickhaut zu Kontraktion bringt. Dabei beobachtete er den Vorgang der Verengerung in allen von uns beschriebenen Einzelheiten. Es wäre wohl ganz unnötig gewesen, diese allen Fachgenossen wohlbekannten Tatsachen zu erörtern, wenn sich nicht in jüngster Zeit gegen die Contractilität der Capillaren ein Widerspruch erhoben hätte. In Adderhaldens Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden, also an einer ganz anderer Art von Erörterungen gewidmeten Stelle, an welcher eine Entgegnung nicht möglich ist, hat R. Klemen- siewicz?) in einem eigenen kleinen Aufsatze die Kontraktilität der Capillaren be- stritten. Es sei also mit einigen Worten an diesem Orte der seinerzeitigen Ver- öffentlichung unserer Untersuchungsresultate auf seine Argumente eingegangen. Klemensiewiez findet bei Beobachtung der Froschschwimmhaut am curari- sierten Tiere nach Reizung der Medulla oblongata an den Blutcapillaren dieses Organes keine Spur einer Kontraktion. Das ist vollkommen richtig. Diese Tatsache war uns schon vor 20 Jahren bekannt. In dem eigentümlich starren Gewebe der Schwimmhaut, in welchem die Capillaren zwischen straffem Bindegewebe und den vielfach verzweigten Ausläufern der Melanophoren eingebettet liegen, ist von einer Capillarkontraktion nie etwas zu sehen. Die große Kürze der einzelnen capillaren Gefäße, die merkwürdig enge Schlingenbildung, die Füllung mit strömen- dem Blute, die außerordentlichen Störungen des Kreislaufes bei eintretender Vasokonstriktion an den arteriellen Gefäßen dieses Organes machen dasselbe zu Untersuchungen über unser Phänomen völlig ungeeignet. Wir haben es daher niemals in den Kreis der untersuchten Objekte einbezogen. Weiter hat Klemensiewicz unsere Versuche an der Froschnickhaut wiederholt „und bei elektrischer Reizung der Nickhaut stets auch solche Strecken der Blut- gefäße gefunden, in denen keine Kontraktionserscheinungen der Wand zu sehen waren.“ Auch haben ihn vielfache Beobachtungen der Gefäßwandbewegungen an verschiedenen Blutgefäßbezirken überzeugt, „daß die Arteriolen in dünnwandige 1) E. Steinach und R. H. Kahn, Echte Contractilität und motorische Inner- vation der Blutcapillaren. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 9%, 105. 1903. 2) J. Kukulka, Über die mikroskopisch feststellbaren, funktionellen Verände- rungen der Gefäßkapillaren nach Adrenalineinwirkung. Zeitschr. f. exp. Pathol. 21, 332. 1920. 3) Rudolf Klemensiewiez, Über die sogenannte Kontractilität der Kapillar- wand. Handb. d. biol. Arbeitsmethoden v. EZ. Abderhalden, II. Aufl., Abt. V, Teil 4, H. 1, S. 43 (siehe auch S. 45, 76). R. H. Kahn: Zur Oontractilität der Oapillaren. 369 Gefäße übergehen, auf die sich die Kontraktion der Wandelemente von den Arte- riolen nicht fortsetzt.‘‘ Ferner erklärt Klemensiewicez: „Zwischen Arterienenden und Anfängen der Venen sind dünnwandige Röhren eingeschaltet, deren Füllung mit Blutflüssigkeit durchaus von den hämodynamischen Verhältnissen der zu- und abführenden Gefäße und dem gleichzeitig herrschenden Gewebsdruck, nicht aber von kontraktilen Elementen der Wand abhängig ist.‘““ Endlich findet er, daß auch die Wirkung von Adrenalininjektionen für die Existenz muskelloser Haargefäße spricht. Denn nach solchen verengt sich eine große Anzahl der kleinsten Arterienästchen (in der Schwimmhaut), während sich das Gebiet der Kontraktion gegen die Haargefäße zu abgrenzt. Alle diese tatsächlichen Feststellungen von Klemensiewicez stimmen mit den von uns erhobenen und von Kukulka bestätigten Befunden völlig überein. Es gibt in jedem Capillargebiete weite Strecken, welche niemals eine Kontraktion er- kennen lassen. Die zu beobachtende Kontraktion der Arteriolen setzt sich niemals auf die Haargefäße fort, ein großer Teil derselben hängt in seiner Weite nur von den erörterten hämodynamischen Verhältnissen ab. Das ist alles in unserer Ver- öffentlichung dargestellt. Hieraus aber geht doch nicht hervor, daß es keine Con- tractilität der Capillaren gibt. Denn wir haben gezeigt, daß die echte Contractilität dieser Gefäße sich im Experimente nur an einzelnen bestimmten Stellen bemerk- bar macht, daß gewisse Strecken des ganzen Capillargefäßsystems eines Organes eine eigene immer wieder auf diesen Ort beschränkte Disposition zur Zusammen- ziehung besitzen, daß sich die letztere öfters auf eine streng lokale Einkerbung, einem Schnürringe am Darmtrakte vergleichbar, beschränkt und sich von hier mehr oder weniger auf eine gewisse Strecke hin ausbreitet. Auch aus den unserer Arbeit beigegebenen Abbildungen sind diese Umstände ebenso zu ersehen, wie aus den von Kukulka veröffentlichten. Mit ausdrücklichen Worten haben wir darauf hingewiesen, daß „einzelne Capillaren oder gewisse Strecken einer Capillare von der Kontraktion ergriffen werden und bei Wiederholung der Reizung fast immer in gleichem Maße und Umfange reagieren, während andere Capillaren oder Capillar- strecken, welche in Weite, Beschaffenheit und Verlauf mit jenen völlig übereinstim- men, von der Kontraktion gänzlich verschont bleiben. Auch haben wir diese eigentümliche Disposition gewisser Capillarstrecken ausdrücklich mit der von S. Mayer aufgezeisten diskontinuierlichen Anordnung der spezifischen contrac- tilen Elemente in Zusammenhang gebracht. Von allen diesen ausführlichen tatsächlichen Befunden erwähnt Klemensiewiez kein Wort. Auch von den Untersuchungen Kukulkas scheint ihm nichts bekannt geworden zu sein. Von der lokalen echten Kontraktion der Capillaren hat er nichts gesehen. Wir haben zum Zwecke der Nachuntersuchung sehr genau alle in Be- tracht kommenden Umstände, welche diesen mühevollen und zeitraubenden Unter- suchungen das beschriebene Resultat sichern, angegeben. Wir haben auch auf die geeignetste Form der künstlichen Reizung hingewiesen. Bei der von uns ab- sichtlich breit angelegten Schilderung aller in Betracht kommenden Verhältnisse hätte es sich doch wohl gelohnt, bei abweichender Meinung der in Rede stehenden wichtigen Sache etwas ausführlichere Erörterungen zu widmen, als dies Klemen- siewicez getan hat. Die Beobachtung vasomotorischer Erscheinungen an den Gefäßen der Mem- brana hyaloidea des Froschauges, welche Klemensiewiez mit Recht bisher vermißt, wäre sehr erwünscht. Indessen sind hier die technischen Schwierigkeiten, welche auch wir schon seiner Zeit erprobt haben, außerordentlich groß. Von einer Unter- suchung mit dem Augenspiegel ist hier für die größeren Gefäße kaum etwas, für die Capillaren wohl sicher nichts zu erwarten. Die Behauptung von Klemensiewiez. daß hier „Atropineinträufelung unwirksam‘ wäre, wird kaum mit allgemeiner Zustimmung zu rechnen haben. Untersuehungen über die Beziehungen zwischen Innervation und Chemismus der quergestreiften Muskeln. I. Mitteilung!). Über den Kreatingehalt der Skelettmuskeln bei der Enthirnungs- starre und anderen Formen von Hyperinnervation. Von J. G. Dusser de Barenne und D. 6. Cohen Tervaert. (Aus dem Physiologischen Laboratorium der Reichsuniversität Utrecht.) Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 25. März 1922.) Einleitung. Die Untersuchungen von Boeke?) haben dargetan, daß die querge- streiften Körpermuskeln außer von den gewöhnlichen cerebrospinalen motorischen Nervenfasern und Endplatten noch innerviert werden von dünnen, marklosen Nervenfasern und Endplatten. Die experimentell- anatomischen Untersuchungen von Boeke und dem einen von uns?) sowie von Agduhr!) haben bewiesen, was allerdings schon aus Boekes Angaben wahrscheinlich war, daß diese zweite, ‚„akzessorische‘‘ Inner- vation eine autonome ist; für die Intercostal- und Extremitätenmuskeln ist durch diese Untersuchungen sichergestellt, daß die akzessorischen Nervenfasern und Endplatten dieser Muskeln postganglionäre Neurone sind, deren Perikarya (Ganglienzellkörper) im Grenzstrang des Sympa- thicus liegen. Nach Durchschneidung der vorderen Wurzeln und Exstirpation der korre- spondierenden Spinalganglien und nach Degeneration aller cerebrospinalen moto- rischen und sensiblen Apparate findet man in den betreffenden Nerven und Mus- !) Der Inhalt der ersten 2 Mitteilungen dieser Reihe wurde mitgeteilt in der Sitzung der Sektion für Medizin des XVIII. ‚„Nederlandsch Natuur- en Geneeskundig Congres“ zu Utrecht am 1. April 1921; siehe die Verhandlungen dieses Kongresses, 1921, S. 130. (Harlem, Kleijnenberg.) ®) Für die betreffende Literatur sei hingewiesen auf: Nervenregeneration und anverwandte Innervationsprobleme von J. Boeke, Ergebn. d. Physiol. 19, 448. 1921. 2) J. Boeke und J. G. Dusser de Barenne, The sympathetic innervation of the cross-striated muscle fibres of vertebrates. Proc. roy. Acad. of Amsterdam 21, 1227. 1919. *) E. Agduhr, Are the cross-striated muscle fibres of the extremities also innervated sympathetically? Proc. roy. Acad. Amsterdam 21, 1231. 1919. Dusser de Barenne u. Cohen Tervaert: Beziehung zwisch. Innervation usw. 371 keln die Boekeschen akzessorischen Nervenfasern und Endplatten in ‚Reinkultur‘“ erhalten!). Die akzessorischen nervösen Apparate der genannten Muskeln sind somit zentrifugalleitende Apparate. Welche ist ihre Funktion? ist die noch immer nicht gelöste Frage. Während der letzten 2 Jahre haben wir uns wieder eingehend mit dieser Frage beschäftigt. Der Ansicht de Boers?), nach der der Tonus der quergestreiften Muskeln vom autonomen Nervensystem beherrscht sein sollte, können wir auch bei weiterer experimenteller Erfahrung nicht beistimmen. Bei unseren zahlreichen Exstirpationen des Bauchstranges am Warm- bluter der letzten Jahre, die alle fast ohne einen Tropfen Blut zu ver- lieren, sehr glatt verliefen, haben wir fast niemals, auch nicht im akuten Versuch, die geringste Spur einer Tonusabnahme in den Muskeln der betreffenden Hinterpfote auffinden können. Aus diesem Versuchs- ergebnisse geht hervor, daß die Fortnahme des Sympathicus in vielen Fällen nicht von einer merkbaren Abnahme des Muskeltonus befolgt zu sein braucht; daß in einzelnen Versuchen eine ganz leichte Abnahme sich wohl beobachten läßt, kann u. E. gegenüber das positive Ergebnis, das ungeschwächt Erhaltenbleiben des Muskeltonus nach dem speziell darauf gerichteten Eingriff, nicht ins Feld geführt werden. Wie die in einigen Versuchen, auch beim Frosch zu beobachtende ganz leichte initiale Hypotonie zu erklären sei, ist auch jetzt noch eine ungelöste Frage. Es sei für die Diskussion derselben auf die Mitteilung von Dusser de Barenne in Pflügers Archiv 166, S. 145, 161ff., 1916, verwiesen. Wir sind noch immer nicht überzeugt, daß die Lösung dieser- Frage in der Annahme Langelaans (Brain 38, 1915, S. 235), nach der diese Hypotonie eben den vom sympathischen System beherrschten „plastischen“ Tonus representieren soll, während sein ‚contractiler“ Tonus über die motorischen Nervenfasern ablaufen sollte, zu finden ist. Es lassen sich gegen die ZLangelaansche Auffassung mehrere experimen- telle Tatsachen anführen (s. die zitierte Mitteilung von Dusser de Ba- renme aus 1916, S. 164 u. 165). Nach diesen weiteren experimentellen Erfahrungen am Warmbluter, wonach, wie gesagt, auch diese ganz leichte initiale Hypotonie in der übergroßen Mehrzahl der Fälle nicht auftritt, also nicht als ein gesetz- mäßig eintretendes Phänomen nach Sympathicusexstirpation zu betrach- ten ist, können wir bis auf weiteres, d.h. bis nähere experimentelle Er- gebnisse uns eines anderen belehren, nur als unsere Meinung aussprechen, daß der Muskeltonus, so wie er sich in dem Widerstand der Muskeln !) Ob in den Extremitätenmuskeln auch noch autonome nervöse Apparate anderer Herkunft vorhanden sind, ist zur Zeit Gegenstand einer experimentell- anatomischen Untersuchung von Prof. Boeke und einem von uns (D. de B.). 2) 8. de Boer, Zeitschr. f. Biol. 65, 239. 1915. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 25 372 Dusser de Barenne und Cohen Tervaert: Untersuchungen über die gegen Dehnung kundgibt, nicht vom sympathischen Nervensystem be- herrscht ist. Nachdrücklich wollen wir hier noch hervorheben, daß, wie auch die Frage nach der initialen Hypotonie gelöst werden mag, folgendes fest- steht. Die in einigen Versuchen zu beobachtende Tonusabnahme ist eine ganz geringe; es handelt sich also dann nur um eine ganz leichte Hypotonie. Von einer Atonie, d. h. von einem totalen Tonusverlust nach Sympathicusexstirpation, wie de Boer behauptet hat, ist nicht die Rede. Wer in dieser Hinsicht ein für allemal überzeugt werden will, mache nur den Versuch, der schon in Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 166, 1916 auf S. 149 be- schrieben und für den Frosch auf S. 150 abgebildet ist. Besonders am Warm- bluter ist er sehr instruktiv. Bei einer Katze exstirpiere man auf einer Seite den ganzen Bauchgrenzstrang und überzeuge sich, daß nach diesem Eingriff man entweder keinen Tonusunterschied zwischen linker und rechter Hinterpfote oder in einzelnen Versuchen eine ganz leichte Hypotonie (initiale Hypotonie D. de B.s) auffindet. Dann werden auf der der Grenzstrangexstirpation gegenüberliegenden Seite die Hinterwurzeln der betreffenden Hinterpfote durchtrennt. Daraus resul- tiert in der ersten Zeit nach dem Eingriff eine totale Erschlaffung dieser Extre- mität (Brondgeesische Atonie). Der Unterschied zwischen beiden Hinterpfoten ist jetzt enorm. Wo die akzessorischen autonomen Apparate Boekes, deren zentri- fugale Leitungsrichtung jetzt somit sichergestellt ist, unseres Erachtens an dem Zustandekommen des Muskeltonus als mechanisches Phänomen nicht beteiligt sind, lag es auf der Hand zu denken, daß sie vielleicht zu den chemischen Prozessen im Muskel in Beziehung; stehen, und dies um so mehr, als schon einige Angaben in der Literatur sich vorfinden, die in dieser Richtung hinweisen. Es ist z. B. von Mansfeld und Lukasz!) angegeben worden, daß die respiratorischen Prozesse im Muskel unter autonomen Einfluß stehen sollten, eine Angabe, die allerdings in aller- letzter Zeit von Nakamura?) im Laboratorium Langleys bestritten wurde; weiter haben Jansma?) und Riesser?), fußend auf die Untersuchungen von Pekelharing?) und seinen Schülern (van Hoogenhuijze, Verploegh, 1) @. Mansfeld und A. Lukasz, Untersuchungen über den chemischen Muskel- tonus. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 161, 467. 1915. 2) H. Nakamura, The oxygen use of muscle and the effect of sympathetic nerves on it. Journ. of physiol. 55, 100. 1921. 3) J. Jansma, Untersuchungen über den Tonus und über die Leichenstarre der quergestreiften Muskeln. Zeitschr. f. Biol. 65, 365. 1915. 4) O. Riesser, Über Tonus und Kreatingehalt der Muskeln in ihren Beziehungen zu Wärmeregulation und zentralsympathischer Erregung. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 80, 183. 1916/1917. 5) ©. A. Pekelharing und C. J. ©. van Hoogenhuijze, Die Bildung des Kreatins im Muskel beim Tonus und bei der Starre. Onderzoekingen Physiologisch Lab. der Universität Utrecht.. V. Reeks, XI, 1910, S. 1; auch in Zeitschr. f. physiol. Chemie 64, 262. 1910. — ©. A. Pekelharing (und J. Harkink), Die Kreatinausscheidung beim Menschen unter dem Einfluß von Muskeltonus. Onderzoek. Physiol. Lab. Utrecht V, XII, 1911, S. 30; auch in Zeitschr. f. physiol. Chemie, 45, 207. 1911. Beziehungen zwischen Innervation u. Chemismus d. quergestreift. Muskeln. I. 373 Harkink) angegeben, daß der Kreatinchemismus in den quergestreiften Muskeln vom sympathischen Nervensystem beeinflußt werde. Wir müssen hier auf die Hauptergebnisse der Untersuchungen von Pekelharing und seinen Mitarbeitern eingehen, weil diese Mitteilung sich gerade mit den darin behandelten Problemen beschäftigt. Pekelharing und van Hoogenhuijze haben angegeben, daß der Kreatin- gehalt der quergestreiften Muskeln bei der gewöhnlichen, schnellen Kon- traktion unverändert bleibt, bei der ‚„tonischen‘‘ Kontraktion eine Ver- mehrung zeigt. Hieraus schließen die Autoren, daß es sich bei diesen beiden Arten der Muskelkontraktion um zwei wesensverschiedene Pro- zesse handle. Sie gründen diese Ansicht auf folgende experimentelle Er- gebnisse. Während der Gehalt an Kreatin bei rhythmischen Kontrak- tionen des Muskels durch indirekte Reizung, also vom Nerven aus, hervorgerufen, keine Änderung erfährt, fanden sie daß eine deutliche Kreatinvermehrung eintritt, wenn der Muskel während der rhythmischen indirekten Reizung vergiftet wird mit ‚„tonus“steigernden Stoffen, wie Coffein, Nicotin, Veratrin, CaCl,. In Lösungen dieser Substanzen ein- gehängt, wird der gereizte Muskel starr, gerät er in ‚Tonus‘, ohne diese Substanzen nicht. Im ‚,„Tonus‘“ spielen sich also nach Pekelharing offenbar andere chemische Prozesse im Muskel ab als bei der gewöhn- lichen Kontraktion. Pekelharing bringt noch weitere Beweise für diese Ansicht bei. In Versuchen mit Harkink hat er beim Menschen, wo sich das Muskelkreatin nicht direkt experimentell bestimmen läßt, das Kreatinin im Harn bestimmt und gefunden, daß dasselbe nach ange- strengtem Spazieren nicht zunimmt, während eine deutliche Vermehrung auftritt, wenn die Versuchsperson während längerer Zeit in strammer Haltung gestanden hatte. Weiter soll bei einer anderen Form der ‚‚to- nischen‘‘ Muskelkontraktion, nämlich bei der Enthirnungsstarre Sher- ringtons, nach Pekelharing und van Hoogenhuijze eine deutliche Vermeh- rung des Muskelkreatins auftreten. Bei der decerebrierten Katze, wobei die Hinterwurzeln einer Vorderpfote durchschnitten waren und somit in dieser Extremität die Enthirnungsstarre weniger ausgesprochen war als in der kontralateralen Vorderpfote, fanden die Autoren im Tri- ceps der schlafferen Pfote weniger Kreatin als im Triceps des anderen Vorderbeines, das sich während der ganzen Dauer des Versuches in Enthirnungsstarre befunden hatte. Das sind die hauptsächlichsten Angaben in der Literatur, die uns veranlaßten, in erster Linie den evtl. Einfluß der akzessorischen auto- nomen Muskelapparate auf den Kreatingehalt der Muskeln zu unter- zuchen. Dazu haben wir in mehreren Versuchsreihen die gewöhnliche motorische bzw. die autonome Innervation der Muskeln isoliert aus- geschaltet und den Einfluß dieser Eingriffe allein oder kombiniert mit verschiedenen Formen von Hyperinnervation auf den Kreatingehalt der 2.9 374 Dusser de Barenne und Cohen Tervaert: Untersuchungen über die Muskeln untersucht. Als verschiedene Hyperinnervationen haben wir benutzt einerseits die Enthirnungsstarre als kontinuierliche Hyperinner- vation, andererseits langedauernde Reflexversuche am Tier mit in der Höhe von C. I durchtrenntem Rückenmarke (geköpftes Präparat nach Sherrington) bzw. längeres Laufen des Tieres in einer Trittmühle als phasische Hyperinnervationen!). Diese erste Mitteilung beschäftigt sich mit dem Einfluß der Ent- hirnungsstarre und der phasischen Innervation auf den Kreatingehalt der Muskeln; in der zweiten Mitteilung dieser Reihe werden wir dann unsere Versuchsergebnisse über den Einfluß der autonomen nervösen Apparate auf den Kreatingehalt der Muskeln bringen. Diesen beiden ersten Mitteilungen liegen 76 Versuche zugrunde, 5 davon sind am Hunde, alle 71 übrigen an der Katze gemacht worden?). Das Muskelkreatin wird hier überall in Promille Gesamtkreatinin angegeben werden. Alle Kreatininbestimmungen sind von Cohen Tervaert im Laboratorium für Physiologische Chemie der hiesigen Universität, der operative Teil der Experimente ist von Dusser de Barenne ausgeführt. Methodische Bemerkungen. Die Bestimmung des Gesamtkreatinins der Muskeln geschah in den ersten 55 Versuchen mit der auch: von Pekelharing?) angewandten Me- thode, in den letzten 21 Versuchen nach Folins*) einfacherer Methodik. Von jedem Muskelextrakt wurden immer 2 Bestimmungen gemacht. Bei den Vorarbeiten, um sich in der Technik einzuüben, ergaben sich verschiedene Schwierigkeiten, die allmählich beseitigt wurden, und die wir an dieser Stelle kurz besprechen möchten. Pekelharings Methode ist folgende. Der zerkleinerte und gewogene Muskel wird im Wasserbade mit Salzsäure von 1% gekocht, bis er zerfallen ist, die Flüssigkeit dann zur Enteiweißung bei fast neutraler Reaktion nochmals gekocht, nach Erkalten gemessen und filtriert. Vom Filtrat wird eine bekannte Menge auf dem Wasserbade eingeengt, bis zu einer vermutlichen Kreatinkonzentration von etwa 1°/,, und von dieser Flüssigkeit Portionen von 10 ccm mit 20 cem norm. Salzsäure im Autoklav 30 Minuten lang auf etwa 115° erhitzt. Nach Abkühlung wird die zur Neutralisation nach vor- heriger Bestimmung ausreichende Menge sehr starker Natronlauge zugegeben und zu jeder Portion 15 ccm gesättigter Pikrinsäure und 5 ccm Natronlauge von 10% zugesetzt und 5 Minuten später aufgefüllt bis 500 cem. Die Intensität der 1) Wir werden uns auch weiter dieser nichts präjudizierenden Nomenklatur bedienen und nicht des Ausdruckes ‚‚tonische‘‘ Innervation. ?) Die ersten 17 Versuche sind im Pharmakologischen Institut der hiesigen Universität ausgeführt; wir möchten auch hier Herrn Prof. Magnus für sein Interesse an unserer Arbeit bestens danken. 2) 0. A. Pekelharing und van Hoogenhuijze, Zeitschr. f. physiol. Chemie, 64, 262. 1909. *) O. Folin, Journ. of biolog. Chem. 1%, 480. 1914. Beziehungen zwischen Innervation u. Chemismus d. quergestreift. Muskeln. I. 375 entstandenen Farbe wird dann im Kolorimeter in der üblichen Weise gemessen durch Versleichung mit einer !/, norm. Kaliumbichromatlösung. Folins Methode ist folgende: Der gewogene Muskel (5—10 g) wird im Autoklav bei 130—135° © mit !/,norm. H,SO, während einer halben Stunde erhitzt. Nach Abkühlung wird aufgefüllt bis auf 200—250 ccm (Ag. destill.), sodann wird filtriert. Es werden dann Portionen von l10ccm Filtrat mittels Natronlauge von 10% (Phenolphthalein) titriert. So- dann werden neue Portionen des Filtrats mit der gefundenen Menge Natronlauge neutralisiert und zu jeder Portion noch 1,5 ccm dieser Natronlauge in Überschuß zugesetzt. Dann werden je 20 ccm gesättigter Pikrinsäure zu den Portionen hinzu- gesetzt und nach Entwicklung der Farbe mit Wasser aufgefüllt bis auf 100 ccm und dann colorimetrisch das Gesamtkreatinin bestimmt. Mit d’eser einfacheren Methode werden auch sehr gute Resultate erhalten, wie wir noch zeigen werden. Beim Gebrauch des Autoklavs haben wir, gleich wie Pekelharing, darauf geachtet, daß das Volum der Flüssigkeit in den Erlenmeyerkolben sich so wenig wie möglich ändern konnte. Die Kolben wurden mit passenden Becher- gläsern bedeckt. Nach Ablauf der für die Erhitzung bestimmten Zeit wurde die Gasflamme abgeschlossen und sogleich der Dampfhahn geöffnet, bis die Temperatur resp. der Druck bis auf 100° resp. O0 Atmosphären abgefallen waren. Dann wurde der Autoklav geöffnet. In Übereinstimmung mit dem, was Folin darüber sagt, braucht man keineswegs Kreatinverlust zu befürchten, wenn man einige Grade höher als 115° erhitzt. Dies ergibt sich aus folgender Tabelle. Einfluß der Temperatur auf gleiche Mengen Kreatin in Salzsäure. Temperatur Gefundene mg Kreatinin a 6,11 114—116 6,14 S 6,17 129—132 6.15 Nach Zusetzen der Pikrinsäure und der Lauge wartet man 5—10 Minuten zur Entwicklung der Farbe und füllt bis auf 500 ccm auf. Wir wählten dabei immer eine Wartezeit von 10 Minuten. Die Reaktionstemperatur. Auch die Temperatur, bei der sich die Farbe ent- wickelt, beeinflußt deren Stärke; untenstehende Tabelle zeigt diesen Einfluß. Die darin angegebenen Werte wurden dadurch gewonnen, daß drei gleiche Portionen von 30 ccm bei verschiedenen Temperaturen 10 Minuten lang mit Pikrinsäure und Lauge behandelt wurden; sodann wurde mit Wasser aufgefüllt. Die Intensität der Farbe ist in mg Kreatinin angegeben. Einfluß der Reaktionstemperatur. Temperatur mg Kreatinin 127 8,1 20° 8,5 26° 8,9 Die Temperatur des Wassers, mit dem aufgefüllt wird. Schon Pekelharing erkannte die Notwendigkeit, zum Auffüllen Wasser von Zimmertemperatur zu benutzen. Nun ist aber die Zimmertemperatur sehr schwankend; ist sie niedrig, so nimmt man innerhalb der ersten Minuten nach der Auffüllung noch eine Zu- nahme der Färbung wahr, während das bei höheren Temperaturen des Wassers nicht der Fall ist. Bei Anwendung zu kalten Wassers ergeben sich, bei Ablesung innerhalb der ersten Minuten, unzuverlässige Werte. Man muß daher stets Wasser 376 Dusser de Barenne und Cohen Tervaert: Untersuchungen über die von gleicher und nicht zu niedriger Temperatur nehmen. In Abb. 1 sind diese Verhältnisse veranschaulicht. Harn und Wasser, in gleichen Portionen zu 30 cem, welche unter den im obigen beschriebenen 7 Bedingungen mit Pikrinsäure und Lauge e behandelt worden waren, wurden mit Wasser x von verschiedener Temperatur aufgefüllt; die 370 Intensität der Farbe ist wiederum in mg 8 | 7° Kreatinin ausgedrückt. Am zweckmäßigsten S ist also die Anwendung einer Wassertempera- I £ g° tur von 18°. Zur Prüfung der Fehlergrenze für das 8 Verfahren nach Pekelharing wurden mehrere ‚Mız £ 1 RE a Re Doppelbestimmungen an Muskelfleisch aus- Abb. 1. Einfluß der Temperatur des geführt, deren Zahlen aus untenstehender Wassers, mit dem aufgefüllt wird. Tabelle hervorgehen. Doppelbestimmungen an Muskelfleisch. Differenz in °/, des Mittel- Nosellaeisinin In ko wertes (Versuchsfehler) 1, 4,098 4,097 0,024 2. 3,400 3,383 0,501 3. 2,766 2,875 3,864 4. 3,917 3,935 0,459 d. 4,687 4,512 3,804 6. 3,616 3,727 3,023 Ts 2,272 2,273 0,044 8. 4,410 4,957 0,181 [in Versuch 8. war 0,555 mg Kreatin (als Kreatin) pro g Muskel zugefüst.] Aus obiger Versuchsreihe ergibt sich eine mittlere Differenz einer Doppel- bestimmung von 1,5% des Mittelwerte. Zur Prüfung der Fehlergrenze von Folins Verfahren wurde auch hierfür eine Doppelbestimmung an Muskelfleisch ausgeführt, die für die eine Portion 3,579°/,0, für die andere 3,497°/,, ergab. Weiter wurde eine Bestimmung gemacht unter Zusatz einer bekannten Kreatinmenge. In der ersten Portion fanden wir 3,358°/,,, in der zweiten, zu der 0,490°/,, Kreatin zugesetzt worden war, 3,813°/g- Daß tatsächlich die Leistungen auch dieser Methodik sehr gute genannt werden dürfen, zeigte sich in einer Bestimmung, wo das Totalkreatinin von den Tricepsmuskeln der beiden Vorderpfoten einer nor- malen Katze bestimmt wurde. Für den rechten Triceps fand sich ein Betrag von 3,562°/90; für den linken Triceps ein solcher von 3,537°/g0; d. i. eine Differenz von nur 0,4% des Mittelwertes der beiden Kreatininzahlen. Rose!) hat angegeben, daß bei den Kreatinbestimmungen im Harn die Werte sich bei Anwesenheit von Dextrose ändern. Es dürfte also bei Erhitzung mit Säure aus der Dextrose eine Substanz entstehen, welche Pikrinsäure in der Kälte reduziert. Da Muskeln immer Glykogen enthalten, so war es angezeigt, zu prüfen, ob dieser Faktor auch bei Muskelextrakten eine Rolle spielt. Wir nahmen dafür zwei Extrakte von bekanntem totalem Kreatiningehalt und setzten vor der Er- hitzung zum einen eine Menge Glykogen, zum anderen eine Menge Glykose, ent- sprechend dem ungefähren Gehalt des Muskels an Glykogen. Es zeigte sich, daß durch die Zusätze keine Änderung der ursprünglichen totalen Kreatininmenge aufgetreten war. 1) W.C. Rose, Journ. of Biolog. Chem. 12, 73. 1912. Beziehungen zwischen Inneryation u. Chemismus d. quergestreift. Muskeln. I. 377 Einfluß von Zusatz von Glykogen und Glykose auf das Totalkreatinin. UrsprünelichemWerters een 3,880%/ 0 4,014°/o0 Gefunden nach Zusatz von 1,49% Glykose. . . . 3,917%/go Gefunden nach Zusatz von 1,02% Glykogen . . . 4,005°/oo Aus diesen Zahlen geht außerdem nochmals die Genauigkeit unserer Kreatinin- bestimmungen hervor. Ergebnisse. Versuchsreihe T). In dieser Versuchsreihe wurde die cerebrospinale, motorische Inner- vation für den Gastrocnemius einer Hinterpfote isoliert, d.h. ohne Störung der autonomen Innervation des betreffenden Muskels, aus- geschaltet. Dies wird für einen großen Teil der Muskeln der Hinter- pfote, unter anderem auch für den Gastrocnemius erreicht, wenn man die vorderen Wurzeln caudal von Lumbalis IV (durchschnittlich die letzte vordere Wurzel, die präganglionären sympathischen Fasern führt) durehtrennt. Hierauf wurden die Tiere dieser Reihe enthirnt und nach der Decerebrierung einige Stunden am Leben erhalten. In diesen Ver- suchen war also fast die ganze Muskulatur einer Hinterpfote, jedenfalls der betreffende Streckmuskel, gelähmt, während die andere hintere Extremität sich während mehrerer Stunden in Enthirnungsstarre be- fand. In einigen Versuchen wurden beiderseits die Gefäße der Hinter- pfoten unterbunden, ohne daß diese Maßnahme sich aber von Einfluß auf das Resultat gezeigt hat. Als Beispiel sei das Protokoll eines dieser Versuche angeführt. Versuch XXVI. 4. XI. 1920. Katze. Athernarkose. Trachealkanüle. künstliche Atmung. Vagi durch- schnitten. Carotiden abgebunden. A. und V. femoralis beiderseits abgebunden. Rechts vordere Rückenmarkswurzeln caudal von Lumbalis IV durchtrennt. Ent- hirnung um 1155’ a. m. Äther abgestellt. Künstliche Erwärmung des Tieres. Kopf gerade?). 12h 5’ Sehr gute Enthirnungsstarre in beiden Vorderpfoten und in der linken Hinterpfote. Rechte Hinterpfote sehr schlaff. Winkel am linken Sprunggelenk (bei gestrecktem Kniegelenk) etwa 140°, Winkel am rechten Sprunggelenk (bei gestrecktem Kniegelenk) etwa 90°. 34 55’. Winkel am linken Sprunggelenk (gestrecktes Knie) etwa 170°, Winkel am rechten Sprunggelenk (gestrecktes Knie) etwa 100°. 4h, Tier durch Herzstich getötet. Versuchsdauer (d. h. Zeit nach der Ent- hirnuns) 4 Stunden. Sektion: Vordere Wurzeln rechts durchschnitten von Lum- !) Die Numerierung der Versuchsreihen ist nicht die chronologische, sondern eine durch publikatorische Zwecke bedingte. 2) In allen Versuchen, wo das nötig war, wurde dafür Sorge getragen, daß der Kopf des Tieres sich in symmetrischer Stellung zum Rumpf während der ganzen Versuchsdauer befand, damit eventuelle Differenzen durch Einfluß von tonischen Reflexen (Magnus und de Kleijn) auf die chemischen Prozesse in den Muskeln vor- gebeugt wurden. In allen betreffenden Protokollen wird diese Maßregel durch die Bezeichnung ‚Kopf gerade‘ angeführt werden. 378 Dusser de Barenne und Cohen Tervaert: Untersuchungen über die balis V, VI, VII, Sacralis I und II. Das Tier hat 13 rippentragende Wirbel und 7 Lendenwirbel. Kreatiningehalt des rechten Ne 4,778°/o0> Kreatiningehalt des linken Gastrocnemius: 4,767°/oo- Differenz: 0,011°/0; d. h. also praktisch 0. Das Ergebnis der 6 Versuche dieser Reihe geht aus untenstehender graphischer Darstellung (Abb. 2) hervor. Man sieht daraus, daß in 2 Versuchen ein Unterschied im Kreatingehalt des linken und rechten Gastrocnemius gefunden wurde, der außerhalb der mittleren Differenz, %o Hreannın M 4767 4778 SS so Ne x AT AXmW* XXV7* XXVI" XXX Versuchsnummer Abb. 2. Graphische Darstellung der Versuchsreihe I. (Einseitige Ausschaltung der motorischen Innervation des Gastrocnemius bei intakter sympathischer Innervation kombiniert mit Ent- hirnung). Mit schwarz ist der Kreatiningehalt der während mehreren Stunden in Enthirnungs- starre verbliebenen Gastrocnemii angegeben, mit G der Kreatiningehalt der motorisch gelähmten gegenseitigen Gastrocnemii. Unter. M ist der mittlere Kreatiningehalt für die sechs starren resp. gelähmten Muskeln wiedergegeben. In den mit * angeführten Versuchen wurden im An- fang des Experimentes beiderseits die Art. und V. femoralis unterbunden. aber in entgegengesetzter Richtung lag; in den 4 übrigen Versuchen dieser Reihe war der Unterschied zwischen den linken und rechten Wadenmuskeln weit innerhalb der mittleren Differenz’ liegend. Wenn man die gefundenen Zahlen mittelt (Spalte 7 [M]der Graphik), dann ergibt sich, daß die Muskeln die während einigen Stunden sich in Enthirnungs- starre befunden haben, denselben Kreatingehalt aufweisen als die, die wäh- rend derselben Zeit motorisch gelähmt waren. Aus diesem Ergebnis geht hervor, daß unter diesen Umständen eine Vermehrung des Kreatingehaltes der starren Muskeln gegenüber den der schlaffen (motorisch gelähmten) Muskeln sich nicht zeigt. Es Beziehungen zwischen Innervation u. Chemismus d. quergestreift. Muskeln. I. 379 wäre aber möglich, daß der "Kreatingehalt nicht von den cerebro- spinalen, motorischen Nervenfasern beeinflußt wird, sondern von den autonomen, zentrifugalen, ‚„akzessorischen‘' Apparaten, und daß, weil diese in diesen Versuchen auf beiden Seiten ungeschädigt erhalten waren, der Kreatingehalt der Muskeln beider Beine nach der Enthirnung in die Höhe gegangen wäre. Allerdings müßte man sich dann vorstellen, daß die Kreatinvermehrung im Muskel nach Enthirnung auftritt, sowohl wenn der Muskel starr wird als wenn er, infolge peripherischer, moto- rischer Lähmung, schlaff geblieben ist. Wir haben daher diese Frage noch auf eine andere Weise zu beant- worten versucht; es ist dies möglich, indem man den Gastrocnemius oder einen anderen Streckmuskel einer Pfote aus dem Körper heraus- nimmt und dessen Kreatinzahl als Normalzahl betrachtet, dann das Tier decerebriert und nach einigen Stunden den symmetrischen Muskel herausnimmt und auf seinen Kreatingehalt untersucht. Wir haben diesen Versuch bei 5 Tieren angestellt und werden hierüber untenstehend be- richten. Versuchsreihe II. Es sei folgendes Experiment als Paradigma aus’ dieser Reihe heraus- gegriffen. Versuch XXXVII. 2. II. 1921. Katze. Äthernarkose. Tracheotomie. Künst- liche Atmung. Vagi durchschnitten. Carotiden unterbunden. Rechter M. gastro- enemius entfernt. Danach Enthirnung des Tieres um 1130’ a. m. Ather ab- gestellt. Künstliche Erwärmung des Tieres. Kopf gerade. 11h 37°. Präparat in gutem Zustande. Starke Enthirnungsstarre in beiden Vorderbeinen und der linken Hinterpfote. 3h 40’ linker Gastrocnemius aus dem Körper genommen; danach erst Tier durch Herzstich getötet. Versuchsdauer: 3 St. 50 Min. Kreatiningehalt des rechten Gastrocnemius (normaler Muskel): 3,641°/go» Kreatiningehalt des linken Gastrocnemius (starrer Muskel): 3,601°/go- Differenz: 0,040°/,., d. h. innerhalb der mittleren Differenz. Das Gesamtergebnis der 5 Experimente dieser Reihe geht aus der folgenden graphischen Darstellung, Abb. 3 (S. 380), hervor und ist, daß auch hier unter den betreffenden Versuchsumständen sich eine Er- höhung des Kreatiningehaltes der während einigen Stunden sich in Ent- hirnungsstarre befunden habenden Muskeln nicht nachweisen läßt. Herr Prof. Pekelharing erhob, als wir ihm unsere Befunde mitteilten, gegen diese letzte Versuchsreihe den Einwand, daß es möglich wäre, daß von der ziemlich großen Wundfläche, durch die Exstirpation des Waden- muskels gesetzt, Reize nach dem Zentralnervensystem emporstiegen, die einen deprimierenden Einfluß auf den Kreatingehalt des kontra- lateralen starren Muskels ausüben könnten. Um diesen Einwand zu prüfen, haben wir in erster Linie an zwei Katzen einen Versuch gemacht, wobei durch Durchschneidung der hinteren Rückenmarkswurzeln der 380 Dusser de Barenne und Cohen Tervaert: Untersuchungen über die Pfote, dessen Gastrocnemius danach exstirpiert wurde, der Einfluß solcher Reize von der peripheren Wundfläche aus, verhindert wurde. %o Kreanhin - Zum ZI AL AN” ZLIT” Versuchsmummer Abb. 3. Graphische Darstellung der Versuchsreihe II. (Exstirpation‘ des einen Gastrocnemius vor der Enthirnung des Tieres.) Mit schwarz ist der Kreatiningehalt derjenigen Muskeln angegeben, die während einiger Stunden in Enthirnungsstarre sich befanden, mit N der Kreatiningehalt der vor der Enthirnung exstirpierten Muskeln. Unter M ist der mittlere Kreatiningehalt der fünf starren resp. normalen Muskeln wiedergegeben. Die mit * gemerkten Versuche sind am Triceps der Vorderpfote ausgeführt. Die Protokolle dieser zwei Versuche lauten. Versuch LXI. 30. IV. 1921. Katze. Äthernarkose. Tracheotomie. Links die hinteren Rückenmarkswurzeln caudal von Lumbalis IV durchschnitten, danach Exstirpation des linken Gastrocnemius. Künstliche Atmung, Vagi durchtrennt, Carotiden abgebunden. Enthirnung um 10h 20’ a. m. Äther abgestellt. Künst- liche Erwärmung des Tieres. Kopf gerade. Während des ganzen Versuches besteht im rechten Gastroenemius eine sehr starke Enthirnungsstarre, bis um 3b 10’ dieser Muskel ausgeschnitten wird und das Tier getötet. Versuchsdauer also 4 Std. 50 Min. Kreatiningehalt des linken (normalen) Gastrocnemius: 4,469%/g0 Kreatiningehalt des rechten (starren) Gastrocnemius: 4,576°/oo- Differenz: 0,107°/g9- Versuch LXX. 25. V. 1921. Äthernarkose. Künstliche Atmung. Vagi durch- schnitten. Carotiden abgebunden Links hintere Wurzeln durchtrennt von Cerv. VI, VII, VIII und Thor. I. Linker M. triceps exstirpiert. Enthirnung um 2h 52’ p. m. Mäßige Starre im rechten Vorderbein. 5R rechter Triceps herausgenommen. Versuchsdauer 2 Std. 8 Min. Kreatiningehalt des linken (normalen) Triceps: 4,568°/go> Kreatiningehalt des rechten (starren) Triceps: 4,786°/go- Differenz: 0,218%/go- Beziehungen zwischen Innervation u. Chemismus d. quergestreift. Muskeln. I. 381 Derselbe Zweck wurde dann auch noch in zwei weiteren Versuchen auf eine schonendere Weise erreicht, indem der N. ischiadicus und der N. femoralis hoch oben am Becken durchschnitten wurden und danach der betreffende Muskel an dieser Extremität herausgenommen wurde. Die Protokolle dieser beiden Versuche folgen hierunter. Versuch LXXII. 28. V. 1921. Katze. Äthernarkose. Künstliche Atmung. Links N. ischiadicus und N. femoralis durchtrennt. Linker Gastrocnemius ex- stirpiert. Vagi durchschnitten. Carotiden abgebunden. Enthirnung um 9h 12’ a. m. Äther ab. Künstliche Erwärmung des Tieres. Kopf gerade. Bis 10h 15’ sehr starke Starre im rechten Hinterbein, die dann innerhalb einiger Minuten sehr stark abnimmt. Darum schon um 10h 23’ Exstirpation des rechten Gastrocnemius. Kreatiningehalt des linken (normalen) Muskels: 4,259%/ go; Kreatiningehalt des rechten (starren) Muskels: 4,300°/go- Differenz: 0,041°/go- Versuch LXXIII. 31. V. 1921. Katze. Äthernarkose. Links N. ischiadicus und N. femoralis hoch am Becken durchschnitten. Linker Gastrocnemius exstir- piert. Enthirnung um 2" 30’. Ather ab. Künstliche Erwärmung des Tieres. Kopf gerade. Maximale Enthirnungsstarre bis zuletzt. Winkel im rechten Sprnnggelenk 170°(!). 5h 7’ Exstirpation des rechten Gastroenemius. Versuchsdauer 2 St. 37 Min. Kreatiningehalt des linken (normalen) Muskels: 4,141°/go» Kreatiningehalt des rechten (starren) Muskels: 4,234 /go- Differenz: 0,093%/go- Aus diesen Versuchen geht hervor, daß tatsächlich nach der Durch- schneidung der hinteren Wurzeln bzw. der peripheren Nerven der kontralaterale, enthirnungsstarre Gastrocnemius bzw. Trizeps einen etwas höheren Kreatiningehalt aufweist als in anderen Versuchen ohne diese Nervendurchschneidung. Es muß aber bemerkt werden, daß auch diese Erhöhung des Kreatiningehaltes nur eine sehr niedrige ist, die weit hinter der zurückbleibt, die von Pekelharing und van Hoogen- huijze in ihren fünf betreffenden Versuchen gefunden wurde. Besonders der letzterwähnte Versuch LXXIII ist unseres Erachtens beweisend;; der Unterschied im Kreatingehalt ist zwar zugunsten des starren Muskels, liest jedoch nur wenig außerhalb der mittleren Differenz zwischen rechten und linkem Gastroenemius (in diesem Versuche 0,063°/,0); auf der anderen Seite muß man aber bedenken, daß hier während 21/, Stunde eine fast maximale Enthirnungsstarre im rechten Gastrocnemius be- standen hatte. Wenn irgendwo, dann hätte man doch in diesem Versuche einen sehr deutlichen, schlagenden Unterschied erwarten dürfen. "Man könnte vielleicht auf Grund von Versuch LXX, wo am Triceps ein größerer Unterschied als in den Versuchen am Gastrocnemius gefunden wurde, sich fragen, ob in dieser Hinsicht etwa Unterschiede zwischen beiden Muskeln bestehen sollten. Wir glauben diesen Gedanken als sehr unwahrscheinlich zurück- weisen zu können, denn 1. haben wir auch Versuche am Triceps (siehe Versuch XLII, XLIII aus Abb. 3, sowie unten in Versuchsreihe III), wo auch nur kleine Differenzen für diesen Muskel bestehen, 2. werden wir später in dieser Mitteilung noch Versuchsumstände anführen, unter denen auch am Gastrocnemius sehr deut- liche Unterschiede zwischen rechtem und linkem Muskel auftreten. Schließlich 382 Dusser de Barenne und Cohen Tervaert: Untersuchungen über die ist es doch auch nicht gut anzunehmen, daß Differenzen im Kreatinchemismus zwischen homologen Muskeln d. h. Streckmuskeln der vorderen und hinteren Gliedmaßen eines Tieres vorliegen sollten. Auf Grund der bis jetzt mitgeteilten Ergebnisse, besonders die der Versuchsreihe I, glauben wir annehmen zu dürfen, daß durch die Ent- hirnungsstarre nicht eine Steigerung des Kreatiningehaltes in den quer- gestreiften Muskeln herbeigeführt wird. Aus diesem Versuchsergebnis würde sich dann noch eine andere Folgerung ergeben, nämlich daß in den Enthirnungsversuchen mit ein- seitiger Hinterwurzeldurchschneidung Pekelharing und van Hoogenhuijzes nicht in den starren Muskeln mehr Kreatinin gebildet worden ist als in den durch die Ausschaltung der Proprioceptoren weniger starren Muskeln, sondern daß in diesen letzteren der Kreatiningehalt abgenommen hat. Pekelharing und van Hoogenhuijze haben die Möglichkeit dieser Ansicht zwar erwähnt, aber sofort fallen gelassen; sie schreiben (l. c. S. 273) ‚Wir glauben also aus diesen Versuchen schließen zu können, daß von den in Tonus sich befindenden Muskeln mehr Kreatin gebildet wird als von den ruhenden. Für die Annahme, daß der verschiedene Kreatingehalt einer erhöhten Zersetzung des Kreatins in den erschlaff- ten Muskeln zugeschrieben werden müsse, scheint uns kein einzelner Grund zu finden zu sein,“ Versuchsreihe III. Im Hinblick auf die Wichtigkeit dieser Frage haben wir den betreffenden Versuch von Pekelharing und van Hoogenhuijze in dieser Versuchsreihe wiederholt und ihr Ergebnis im wesentlichen bestätigen können, denn in 4 von den 8 Versuchen lag der Unterschied im Sinne von den genannten Autoren, in den 4 anderen Versuchen waren die Differenzen zwischen rechtem und linkem Muskel kleiner, in zwei der- selben innerhalb, in den zwei anderen gerade außerhalb der mittleren Differenz bzw. genau so groß wie diese. Außerdem lagen diese beiden letzten Differenzen in entgegengesetzter Richtung zu der Angabe von Pekelharing und van Hoogenhuijze. Untenstehende Tabellen geben die von Pekelharing und van Hoogenhuijze in ihren Versuchen erhaltenen Zahlen, sowie die von uns in der betreffenden Versuchsreihe III gefun- denen Werten wieder. Tabelle von Pekelharing und van Hoogenhuijze des Kreatiningehaltes der Muskeln in so: ee a |Schlaffer Muskell Differenz I | 3,690 3,090 0,600 II 4,340 3,048 0,492 III 4,219 3,902 0,317 IV 3,806 3,185 0,621 V | 3,198 2,963 0,235 Beziehungen zwischen Innervation u. Chemismus d. quergestreift. Muskeln. I. 383 Tabelle der in unserer Versuchsreihe III gefundenen Kreatininzahlen (in °/go)- che en Kreatiningehalt | Kreatiningehalt Differenz 7 des starren des schlaferen 5 £ Nummer Muskel Muskels Muskeis ei a, triceps Mo a os 2 xvil gastrocn. 4,097 4,175 | -— 0,078 XIX?!) triceps 4,029 3,840 0,189 — XX gastrocn. 4,636 4,585 0,051 — XXT) triceps 4,496 | 4,099 | 0,397 — XXI | triceps ad | | — XXIII!) | triceps 4.033 | 3,973 0,060 __ XXXII | triceps 3,664 3,720 — 0,056 1) In diesen Versuchen am Triceps der Katze wurde das Rückenmark im caudalen Brustmark durchtrennt, auch in all diesen Versuchen wurde dafür Sorge getragen, daß der Kopf des Versuchstieres nach der Enthirnung während der ganzen Versuchsdauer gerade gehalten wurde. Aus dieser Versuchsreihe III geht somit hervor, daß wir die Angabe Pekelharing und van Hoogenhuijzes, daß in den starren Muskeln mehr Kreatin vorhanden ist als in den schlafferen de facto im wesentlichen bestätigen können; auf Grund unserer schon oben mitgeteilten Ergeb- nisse der Versuchsreihen I und II können wir ihre Deutung dieser Tat- sache nicht beistimmen. Die Enthirnungsstarre hat nicht eine Vermeh- rung des Muskelkreatins zur Folge, sondern wir meinen, daß in den durch die Hinterwurzeldurchschneidung schlafferen Muskeln Kreatin bzw. Kreatinin verloren gegangen ist. Sehr interessant istin dieser Hinsicht folgender Versuch XIV, der eigentlich auch in diese Reihe III gehört, die wir aber.aus bald ersicht- lichen Gründen gesondert besprechen wollen. Außerdem kann das Protokoll als Paradigma der Versuche dieser Reihe dienen. Versuch XIV. 22. IV. 1920. Hund. Äthernarkose. Tracheotomie. Künst- liche Atmung. Vagi durchschnitten. Carotiden abgebunden. Beabsichtigt wird, die hinteren Wurzeln von Lumbalis IV, V, VI, VII und S. I auf der rechten Seite zu durchschneiden. (Siehe Sektion!) Muskel- und Hautnaht. Enthirnung um 12h 30’. Kopf gerade. 44 35’ p. m. sehr starke Starre in den beiden Vorderbeinen und im linken Hinterbein. Rechte Hinterpfote sehr schlaff, wenn auch nicht ganz schlaff. 4h 50’ Tier durch Herzstich getötet. Versuchsdauer 4 Std. 20 Min., während derselben war immer ein sehr stark ausgesprochener Unterschied in Starre zwischen rechter und linker hinterer Extremität vorhanden. Bei der Sektion wurde festgestellt, daß, wie D. de B. bei der Operation schon vermutet hatte, er zu hoch operiert hatte, denn es zeigte sich, daß die hinteren Wurzeln von Lumbalis I, II, III, IV und V durchschnitten waren. Kreatiningehalt des rechten Gastrocnemius: 2,947%/go; Kreatiningehalt des linken Gastrocnemius: 2,964°/go- Differenz: 0,017°/,, d. h. praktisch 0. Daß in diesem Versuche auf der Seite der Wurzeldurchschneidung der schlaffere Gastroenemius nicht eine Verminderung seines Kreatin- 384 Dusser de Barenne und Oohen Tervaert: Untersuchungen über die gehaltes aufweist, wäre vielleicht folgenderweise zu deuten. Der Gastro- enemius wird nach Sherrington motorisch und sensibel von den Wurzeln von Lumbalis VI, VII und Sacralis I innerviert. Die hinteren Wurzeln von Lumbalis VI, VII und Sacralis I, deren Durchschneidung zwar be- absichtigt aber nicht ausgeführt wurde und die also mit dem Gastro- cnemius in Verbindung stehen, blieben in diesem Versuche intakt. Es liegt auf der Hand, es diesem Umstande zuzuschreiben, daß der Kreatin- gehalt des betreffenden Gastrocnemius nicht abgenommen hat. Wie die Durchschneidung der hinteren Wurzeln zu einer Kreatinabnahme im betreffenden Muskel führt, wollen wir hier nicht besprechen; dafür ver- weisen wir auf die 2. Mitteilung dieser Reihe. Aus diesem Versuche geht auch noch in Bestätigung unserer obigen Ergebnisse hervor, daß die Enthirnungsstarre an sich nicht zu einer Kreatinvermehrung im Muskel Anlaß gibt, denn der Gastrocnemius der linken Pfote war während mehreren Stunden sehr starr, der rechte Gastrocnemius sehr schlaff gewesen und dennoch der Kreatingehalt der beiden Muskeln derselbe. Dieses Ergebnis wird natürlich nicht im geringsten dadurch tangiert, daß in diesem Versuche das Nichtauftreten der Enthirnungsstarre im rechten Wadenmuskel nicht von einer Ausschaltung seiner Propriozeptoren herrührt, son- dern wahrscheinlich auf Shock, durch die Durchschneidung der unmittelbar cra- nial angrenzenden Hinterwurzeln, bezogen werden muß. Nachdem wir den Einfluß der Enthirnungsstarre auf den Kreatin- gehalt der Muskeln besprochen haben, gelangen wir jetzt zur Frage, wie sich der Kreatingehalt verhält bei phasischer Hyperinnervation. Über diesen Punkt gibt uns Versuchsreihe IV eine Antwort. Versuchsreihe IV. In dieser Versuchsreihe haben wir an drei Katzen einen Gastro- cnemius exstirpiert und seinen Kreatingehalt als Normalzahl betrachtet. Den Tieren wurden dann nach Sherringtons Methode das Rückenmark am ersten Cervicalsegment durchschnitten (‚decapitate preparation‘, Halsmarktier nach Magnus) und durch längere rhythmische, faradische Reizung des zentralen Stumpfes des durchschnittenen N. peroneus an der intakten, zur Muskelexstirpation kontralateralen Hinterpfote rhythmische Beugereflexe hervorgerufen, d. h. es wurde an dieser Hinter- pfote eine phasische Hyperinnervation gesetzt. Die Protokolle dieser 3 Versuche folgen hierunter. Versuch XLIV. 22. II. 1921. Katze. In Äthernarkose Exstirpation des linken Gastrocnemius. Dann Trachealkanüle. Vagi durchtrennt und Carotiden abgebunden. Durchschneidung des Rückenmarks an C. I. unter Abbindung der Vertebralarterien. Künstliche Erwärmung des Tieres. Kopf gerade. Ather ab. Rechter N. peroneus präpariert, durchschnitten und zentraler Stumpf auf Sher- ringtonsche Elektrode. Rhythmische faradische Reizung (RA —=55 mm) des rechten Nervus peroneus mittels Metronom, Reizperiode je 1 Sek., Ruheperiode Beziehungen zwischen Innervation u. Öhemismus d. quergestreift. Muskeln. I. 385 je 1,5 Sek. Reizung angefangen 2h 50’, Reizung geendigt um 3b 50’; bis zuletzt gute Beugereflexe der rechten Hinterpfote. 3% 51’ Exstirpation des rechten Gastro- enemius. Versuchsdauer somit 1 Std. Kreatiningehalt des linken (normalen) Gastrocnemius: 3,936°/g0» Kreatiningehalt des rechten (gereizten) Gastrocnemius: 3,931%/go- Differenz: 0,005°/,. d. h. praktisch 0. Man könnte noch einwenden, daß der linke Muskel noch bei normaler Durchblutung exstirpiert worden ist, während der zweite Muskel während einer Stunde nicht nur gereizt wurde, sondern außerdem während dieser Periode bei durch die Rückenmarksdurchschneidung viel niedrigerem Blutdrucke durchströmt wurde, wodurch sein Kreatiningehalt vielleicht ungünstig beeinflußt sein könnte. Um diesen Einwand zu prüfen, wurde in den beiden folgenden Versuchen die Exstirpation des ersten (normalen) Muskels erst nach der Rückenmarksdurchschneidung vorgenommen, so- daß jetzt auch dieser Muskel längere Zeit beim niedrigen Blutdrucke des Rückenmarkspräparates im Körper verblieb. Versuch XLIX. 18. III. 1921. Katze. Äthernarkose. Trachealkanüle. Vagi durchtrennt. Carotiden abgebunden. Künstliche Atmung. Rechter N. peroneus präpariert, durchschnitten und zentralen Stumpf auf Sherrington-Elektrode gelegt. Querschnitt des Rückenmarks in Höhe von C. I nach Sherringtons Methode um 2h 30’ p. m. Kopf gerade. Äther abgestellt. Künstliche Erwärmung des Tieres, das bis 4h 7’ ruhig liegen bleibt. Dann 4’ 10h Exstirpation des linken Gastroenemius. Rhythmische, faradische Reizung des rechten N. peroneus sofort angefangen. (Reizungen je 1 Sek., Ruheperioden je 1,5 Sek., Rollenabstand 100 mm [Reiz- schwelle bei 298 mm]). 55 10’ Reizung beendet; bis zuletzt gute Beugereflexe des rechten Hinterbeines. Versuchsdauer 1 Std. Kreatiningehalt des linken (normalen) Gastrocnemius: 4,500°%/0 Kreatiningehalt des rechten (gereizten) Gastrocnemius: 4,614°/,9- Differenz, wobei der gereizte Muskel mehr Kreatinin enthält: 0,114%/,9- Versuch LII. 22. III. 1921. Katze. Äthernarkose. Trachealkanüle. Vagi durchtrennt. Carotiden abgebunden. Rechter N. peroneus präpariert und dessen zentralen Stumpf auf Sherringtonsche Elektrode. Rückenmarksdurchschneidung an ©. I um 95 20’ a. m. Künstliche Erwärmung des Präparates. Äther ab. Kopf gerade. Linker M. gastrocnemius herausgenommen um 10h 55’. Rhythmische, faradische Reizung begonnen um 10h 56’ (Reizungs- und Ruheperioden, sowie Reizstärke wie im vorigen Protokoll). 11h 40’ zwar noch kleine Reugereflexe, aber offenbar starke Reflexermüdung, deshalb Exstirpation des rechten Gastrocnemius. Kreatiningehalt des linken (normalen) Gastrocnemius: 4,660°/o0» Kreatiningehalt des rechten (gereizten) Gastrocneumius: 4,440°/g9- Differenz, wobei der gereizte Muskel weniger Kreatinin enthält: 0,220°/oo- Aus dieser Versuchsreihe geht unseres Erachtens hervor, daß pha- sische Hyperinnervation, sowie sie in diesen Versuchen bewirkt wurde, den Kreatiningehalt der Muskeln unverändert läßt, jedenfalls keinen ein- deutigen Einfluß darauf hat. Im ersten Versuch trifft das erste ganz zu, in den beiden letzten Versuchen findet sich zwar eine Änderung, die aber in entgegengesetzter Richtung liest. Mitteln wir die Zahlen dieser Versuche, dann bekommt man für den Kreatiningehalt der ruhenden Muskeln 4,365 Promille, für den der gereizten Muskeln 4,328 Promille, 386 Dusser de Barenne und Cohen Tervaeıt: Untersuchungen über die d.h. eine Differenz von 0,037 Promille, die weit innerhalb der mittleren Differenz bei diesen Kreatininwerten liegt. Es kam uns unnötig vor, die Schlußfolgerung aus dieser Reihe ge- zogen, durch weitere ähnliche Versuche noch näher zu begründen, um so mehr als sie in guter Übereinstimmung ist mit der schon erwähnten Angabe von Pekelharing und van Hoogenhuijze, daß länger dauernde rhythmische, indirekte Reizung von Froschmuskeln, also nicht reflek- torisch, sondern von den efferenten Nervenfasern aus, keine Änderung des Kreatingehaltes dieser Muskeln bewirkt. Auch könnte man als in Übereinstimmung mit unserer Ansicht noch an- führen, daß Pekelharing und seine Mitarbeiter gefunden haben, daß angestrengtes Spazieren nicht von einer Vermehrung der Kreatininausscheidung im Harn, Ein- nahme einer strammen, militärischen Haltung während mehrerer Stunden (so stark und so lange als möglich), dagegen von einer deutlichen Zunahme des Harn- kreatinins befolgt wird. So interessant an sich die Befunde von Pekelharing und Harkink sind, so möchten wir hier doch bemerken, daß wir einige Bedenken haben, ohne weiteres einen Parallelismus zwischen der Ausscheidung des Kreatinins im Harn und dem Kreatingehalt der Körpermuskeln anzunehmen. Übrigens zeigen die abweichenden Ergebnisse von Weinberg!) und Schulz?), wie verwickelt die vorliegenden Verhältnisse sind; vorläufig scheint uns ein Rückschluß auf den Kreatingehalt der Muskeln aus der Kreatininausscheidung im Harn noch auf große Beschwerden zu stoßen. Also: Weder die Enthirnungsstarre (kontinuierliche Hyperinner- vation) noch phasische Innervation bzw. Hyperinnervation ändern den Kreatiningehalt der quergestreiften Muskeln. Ist dies auch der Fall, wenn die beiden Innervationsformen sich kombinieren? Um so mehr ist diese Fragestellung interessant, wenn man bedenkt daß kontinuier- liche und phasische Innervationen sich im täglichen Leben der Tiere öfters kombinieren, miteinander interferieren bzw. abwechseln. Wir wollen dieser Frage also in der nächsten Versuchsreihe einer experimen- tellen Prüfung unterwerfen. Versuchsreihe V. In dieser Reihe wurde die Kombination dieser beiden Innervationen und ihr Einfluß auf den Kreatiningehalt der Muskeln in folgender Weise ermittelt. Bei den Versuchstieren wurde in Narkose zuerst der Gastrocnemius einer Hinterpfote exstirpiert und dessen Kreatiningehalt als Normal- zahl betrachtet. Dann wurden die beiden Nervi peronei präpariert, durchschnitten und die zentralen Stümpfe je auf eine Sherringtonsche Elektrode gelegt. Mittels zwei Induktorien konnten nun durch ein Metro- 1) A. A. Weinberg, 'The influence of the nervous system on the excretion of creatinine. The biochem. Journ. 15, 306. 1921. 2) W. Schulz, Der Verlauf der Kreatininausscheidung im Harn des Menschen mit besonderer Berücksichtigung des Einflusses der Muskelarbeit. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 126. 1921. Beziehungen zwischen Innervation u. Chemismus d. quergestreift. Muskeln. I. 387 nom mit Kronecker-Kontakten die beiden Nerven abwechselnd gereizt werden, so daß einmal der kontralaterale, das andere Mal der homo- laterale Nerv. peroneus der Pfote mit intaktem Gastrocnemius gereizt wurde. Jetzt wurde das Tier in üblicher Weise enthirnt, und nachdem die Enthirnungsstarre sich entwickelt hatte mit der rhythmischen Rei- zung der beiden Nerven angefangen. Durch zweckmäßige Abstufung der beiden Reizstärken kann man dann erreichen, daß durch die Reizung des kontralateralen Beinnerven eine Verstärkung, durch Reizung des homolateralen Peronealnerven eine Verminderung der Enthirnungs- starre hervorgerufen wurde. Am Ende des Versuches wurde der be- treffende Gastroenemius auch auf seinen Kreatiningehalt untersucht. Untenstehendes Protokoll möge als Beispiel für alle Versuche dieser Reihe angeführt werden. Versuch LXVI. 17. V. 1921. Katze. Athernarkose, Trachealkanüle, künst- liche Atmung, Vagi durchschnitten, Carotiden abgebunden. Rechter Gastrocnemius exstirpiert. Beide Nervi peronei präpariert, durchschnitten und zentrale Stümpfe auf Sherrington-Elektroden gelegt. Enthirnung. Kopf gerade. Künstliche Er- wärmung des Tieres. Ather abgestellt. Jede Elektrode im sekundären Kreis eines Induktoriums, in dessen primären Kreis ein Kontakt von einem nach Kronecker eingerichteten Metronom und ein Accu von 2 Volt eingeschaltet ist. Automatisch wird jetzt, wenn das Metronom in Gang gesetzt wird, abwechselnd der eine und der andere N. peroneus gereizt. Reizung angefangen um 10h 2’. Durch Ausbalan- zierung der antagonistischen Reize gelingt es, sehr schöne alternierende Beuge- und Streckreflexe der Hinterpfote zu erzeugen, also phasische Verminderung und Verstärkung der Enthirnungsstarre hervorzurufen. 11444” Exstirpation des linken Gastrocnemius. Danach Tötung des Präparates durch Herzstick. Versuchs- dauer I St. 42 Min. Kreatiningehalt des rechten (ruhenden) Gastrocnemius: 4,294!/g9 Kreatiningehalt des linken (gereizten) Gastrocnemius: 4,561°/oo- Differenz: Der gereizte Muskel enthält mehr: 0,26%°/oo- Das Ergebnis dieser Reihe ist, wie aus untenstehender Graphik (Abb. 4, S. 388) hervorgeht, daß in allen 9 Versuchen eine Erhöhung des Kreatiningehaltes der gereizten Muskeln aufgetreten ist, die nur in einem derselben, Versuch LX VII, innerhalb der mittleren Differenz lag. Daß die Größe des Unterschiedes in den einzelnen Versuchen nicht einfach von der Versuchsdauer beherrscht wird, sondern daß wahrschein- lich besonders die Intensität der funktionellen Vorgänge in dieser Hin- sicht maßgebend ist, geht aus einem Vergleich der Versuchszeiten in den respektiven Versuchen, besonders aus den Versuchen LXIX und LXXVI gegenüber LXV und LXVI hervor. Interessant ist der Versuch LXVII. Die Enthirnungsstarre war in diesem Falle nur anfangs und dann noch nur sehr mäßig entwickelt, so daß sie schon 34 Minuten nach der Decerebrierung nicht mehr vorhanden war, während die alternierenden Reflexe, wenn auch nicht sehr stark, doch sehr deutlich während der ganzen Reizungsperiode vorhanden waren. Wir hatten in diesem Ver- Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 26 388 Dusser de Barenne und Cohen Tervaert: Untersuchungen über die suche also nur phasische Innervation, nicht mit kontinuierlicher Hyper- innervation kombiniert. Unsere Erwartung, daß hier der Kreatinin- unterschied zwischen den beiden Gastrocnemiü sich innerhalb der wahr- scheinlichen Differenz finden würde, ist, wie aus der Graphik ersichtlich, vollauf bestätigt. Dieser Versuch ist nun allererst ein weiterer Beleg für unsere Schluß- folgerung aus Versuchsreihe IV, daß phasische Innervation allein nicht SR N %o Kreatının 8 M S N SR N Q 80 8 > Ro S% Q Sen 0 Q AN >) Ss \ S &@ I SS Q Sale) 9 8 45 Na NS Sn SQ SO NS RS DaeS: 7 NS AYeS)) N N SN EN St Ss RS Q SS NS SS SERS> DES N DI o S 2 4 Sn 3,5 3 2,5 2 | 15 | ; > Be Mr Me a a W 0 LXV LXVI (LAU) LAVIT LXX LXXT LAAV LAXV LAAI Versuchsnummer Zn USE HDe 1508151492 3797304 154290781: 50' Versuchsdauer Abb. 4 Graphische Darstellung der Versuchsreihe V. (Einfluß von Enthirnungsstarre mit phasischer Hyperinnervation kombiniert.) Mit Schwarz ist der Kreatiningehalt derjenigen Muskeln angegeben, die während einiger Zeit in Enthirnungsstarre sich befanden, die von rhyth- mischen, plastischen Beugereflexen durchbrochen wurde, mit N der Kreatiningehalt der vor der Enthirnung herausgenommenen Muskeln. Unter M ist der mittlere Kreatiningehalt der acht starren resp. normalen Muskeln angegeben. Versuch (LXVII) ist nicht mit berechnet (siehe dafür Text). von einer Erhöhung des Muskelkreatins befolgt wird. Außerdem aber verstärkt dieser Versuch LX VII durch ihr negatives Ergebnis sehr hübsch das positive Resultat der anderen Versuche, daß, falls eine Erhöhung des Kreatiningehaltes in diesen Versuchen auftreten will, das Vorhanden- sein einer gut ausgebildeten Enthirnungsstarre ein notweniger Faktor ist. Aus allem geht also hervor, daß bei Kombination von Enthirnungs- starre mit phasischer Innervation bzw. Hyperinnervation eine deutliche Erhöhung des Kreatingehaltes der Muskeln eintritt. Wir möchten hier noch darauf hinweisen, daß dieses Ergebnis in Analogie steht zu den schon erwähnten Versuchen von Pekelharing und van Hoogenhuijze, worin sie gefunden haben, daß bei indirekter Beziehungen zwischen Innervation u. Ohemismus d. quergestreift. Muskeln. I. 389 Reizung von Froschmuskeln, also von den efferenten Nervenfasern aus, keine Änderung des Muskelkreatins eintritt, während dies wohl der Fall ist, wenn die Muskeln sich in Lösungen von ‚tonuserhöhenden‘“ Sub- stanzen zusammenziehen. Dann geht der betreffende Muskel allmählich in Kontraktur; während einer gewissen Zeit hat man dann somit eine Kombination von Muskelzuckungen und einer Art kontinuer Kontrak- tion. Obwohl wir natürlich nicht daran denken, die Prozesse, um die es sich in den betreffenden Versuchen Pekelharings und in unserer Versuchs- reihe V handelt, zu identifizieren, scheint uns die Analogie doch zu interessant, um sie nicht kurz hier hervorzuheben. Zusammenfassung. 1. Die Enthirnungsstarre läßt den Kreatingehalt der quergestreiften Muskeln (als Gesamtkreatinin bestimmt) unverändert. 2. Phasische Innervation am hohen Rückenmarkspräparat (geköpftes Präparat nach Sherrington) läßt den Kreatingehalt der Muskeln unver- ändert. 3. Wird aber diese phasische Innervation superponiert auf Ent- hirnungsstarre, dann tritt eine deutliche Erhöhung des Muskelkreatins auf. 26* Cholin als Hormon der Darmbewegung. VII. Mitteilung. Cholingehalt des Magendarmkanales im Hunger und nach Morphin. Von Dr. K. Arai, Tokio. (Aus dem Pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Mit 6 Textabbildungen. (Eingegangen am 28. März 1922.) In der V. Mitteilung dieser Reihe hat v. Kühlewein!) gezeigt, daß bei der Magendarmlähmung nach tiefer Chloroformnarkose der Cholin- gehalt des Magendarmkanals normal ist. Dasselbe konnte ich?) für die Magendarmlähmung nach Laparotomie und bei Jodperitonitis nach- weisen. Ferner hat sich bei den zahlreichen Versuchen, welche im letzten Jahre im hiesigen Institut ausgeführt wurden, eine auffallende Konstanz des Cholingehaltes im Magendarmkanal der verschiedensten Versuchs- tiere gefunden. Da wir über die Quelle des Darmcholins vorläufig noch nichts wissen, vor allen Dingen auch nicht entschieden ist, ob dasselbe aus der Nahrung oder dem intermediären Stoffwechsel stammt, so mußte zunächst einmal festgestellt werden, ob bei bestimmten Bedingungen sich eine Zu- oder Abnahme des Cholinbestandes der Magendarmwand nachweisen läßt. Der Cholingehalt des Magens und Dünndarmes normaler Katzen nach der Fütterung und im Hunger. Jacobj?) hat angegeben, daß hungernde Katzen und Kaninchen, welchen man die Bauchhöhle im Kochsalzbade eröffnet, träge Magen- darmbewegungen zeigen. Katsch*) gibt nach Beobachtungen am Bauch- !) M.v. Kühlewein, Cholin als Hormon der Darmbewegung. V. Mitteilung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 99. 1921. ?2) K. Arai, Cholin als Hormon der Darmbewegung. VI. Mitteilung. Ex- perimentelle Therapie der Magendarmlähmung nach Peritonitis und Laparotomie. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 359. 1922. ®) Jacobj, Beiträge zur physiologischen und pharmakologischen Kenntnis der Darmbewegung. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 29, 171. 1891. *) @. Katsch, Beiträge zum Studium der Darmbewegungen. IV. Mitteilung. Psychische Beeinflussung der Darmmotilität. Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 12, 72. 1912. — K. Arai: Cholin als Hormon der Darmbewegung. VII. 391 fenster an, daß bei Hungerkaninchen der Darm träge und regungslos daliegt, und höchstens ein schwaches Längspendeln zeigt. Trotzdem hat der Darm in diesem Zustande seine Bewegungsfähigkeit nicht verloren; es genügt, dem Tiere eine Mohrrübe vorzuhalten, um sofort lebhafte und ausgiebige Dünndarmbewegungen auszulösen. Daß auch ohne Anwesenheit von Speisen Magendarmbewegungen eintreten können, hat Boldireff!) in Pawlows Laboratorium festgestellt. Die sog. Leer- oder Hungerkontraktionen des Magens sollen nach Cannon und Washburn?) das Hungergefühl bewirken. Sicher ist, daß, wenn man dem hungernden Tiere Magen- oder Darm- stücke entnimmt und in Ringer- oder Tyrodelösung suspendiert, die Präparate lebhafte Bewegungen ausführen. Das hat Magnus?) am Darm von Katzen nach 3tägigem Hunger und Sick?) am Katzenmagen nach 18stündigem Hunger nachgewiesen. Auch Hecht?) konnte bei seinen Versuchen keinen deutlichen Unterschied im Verhalten von Präparaten feststellen von Tieren, welche kurz vor dem Versuchsbeginn gefüttert waren oder bis zu 36 Stunden gehungert hatten. Hieraus ergibt sich, daß der Magendarmkanal beim intakten Hunger- tier, wenn er nicht gerade in einer Boldireffschen Bewegungsperiode begriffen ist, meistens ruhig daliegt, daß er aber keineswegs die Bewegungs- fähigkeit verloren hat. In der IV. Auflage des Lehrbuches der experimentellen Pharmakolo- gie von Meyer und Gottlieb®) findet sich die Angabe: ‚Der Darm eines hungernden Tieres ist bewegungslos: vermutlich fehlt dann das Cholin.“ Und ferner: ‚Möglich ist auch, daß das Cholin während des Verdauungs- vorganges in größeren Mengen als im nüchternen Zustande produziert wird.‘ Diese hier ausgesprochene Vermutung ist bereits in.der Arbeit von Hecht weiterzitiert worden, und daher in die Literatur übergegangen. Da wir gerade im Anfange der Bearbeitung eines derartigen Gebietes mit Schlußfolgerungen sehr vorsichtig sein müssen, schien es erwünscht, 1) Boldireff, Le Travail periodique de l’appareil digestif en dehors de la digestion. Arch. de Sc. biol. de St. P&tersbourg 11, 1. 1904 und Zentralbl. f. Physiol. 18, 457. 1904. 2) W. B. Cannon und A.L. Washburn, An explanation of hunger. Americ. journ. of physiol. 29, 441. 1912. ®) R. Magnus, Versuche am überlebenden Dünndarm von Säugetieren. I. Mitteilung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 102, 123. 1904. *) Sick und Tedesco, Studien über Magendarmbewegungen mit besonderer Berücksichtigung der Ausdehnungsfähigkeit des Hauptmagens. Dtsch. Arch. f. klin. Med. 68. 1908. (Zitiert nach Hecht, siehe unten.) >) P. Hecht, Die Wirkung des Atropins auf den überlebenden Magen. Dtsch. Arch. f. klin. Med. 136. 1921. 6) H. Meyer und Gottlieb, Die experimentelle Pharmakologie als Grundlage der Arzneibehandlung. Berlin 1920, S. 206 und 210. 392 K. Arai: die Frage experimentell zu prüfen. Über das Ergebnis soll im nach- stehenden berichtet werden. Daß der Hungerzustand keinen wesentlichen Einfluß auf den Cholin- gehalt des Magendarmkanals hat, ließ sich schon mit großer Sicherheit aus meinen früheren Versuchen schließen. In den Experimenten mit Laparotomie hatten die Tiere mindestens 24 Stunden gehungert und zeigten nachher doch noch normalen Cholingehalt. Bei den Peritonitis- versuchen nahmen die Tiere in den ersten 2—3 Tagen nach der Jodein- spritzung keine Nahrung zu sich, trotzdem ließ sich keine Verminderung des Darmcholins bei ihnen feststellen. j Die folgende Versuchsreihe beschäftigt sich mit dem Verhalten normaler Katzen. Es handelt sich um 14 Einzelversuche, und zwar um 2 Katzen, welche abends um 5 Uhr mit Fleisch, Brot und Milch gefüttert und am nächsten Morgen um 10 Uhr, also nach 17 Stunden getötet waren; um 4 Katzen, welche 48 Stunden, um 2 Katzen, welche 90 Stunden gehungert hatten und zur Kontrolle um 6 Katzen, welche 2 Stunden vor dem Tode gefüttert waren. Die Tiere wurden durch Nacken- schlag getötet und aus den Carotiden entblutet. Der Magen mit einem genügend langen Oesophagusstück und der ganze Dünndarm wurden herausgenommen, von innen und außen mit körperwarmer Tyrodelösung zweimal gereinist und getrennt in 35 ccm (Magen) bzw. 50 ccm (Darm) destillierten Wassers von 38° C genau 1 Stunde lang so aufgehängt, daß die abgebundenen Enden des Magens und Dünndarmes nicht in die Flüssigkeit eintauchten. Die so erhaltene etwas opalisierende, schwach gefärbte Flüssigkeit wurde in einer Porzellanschale auf dem Wasserbade zur Trockne gedampft, dann in absolutem Alkohol aufgenommen, filtriert und der Alkohol auf dem Wasserbade verjagt. Der hellbraune Rückstand wurde jedesmal in 2ccm Tyrodelösung gelöst und zur Prüfung verwendet. Die Acetylierung des Dialysates fand immer in der Weise statt, daß ich 0,5 ccm der Tyrodelösung des Dialysates in einem Porzellanschälchen eindampfte und zweimal mit Essigsäureanhydrid zur Trockene brachte. Der Rückstand wurde in Tyrodelösung auf die gewünschte Verdünnung gebracht. Diese Dialysate und acetylierten Dialysate ließ ich stets auf überlebende Dünndarmschlingen vom Kaninchen in 70 ccm Tyrodelösung unter Luftdurch- leitung einwirken und bestimmte meistens die nicht-wirksame, die minimal- wirksame und die deutlich-wirksame Dosis der einzelnen Dialysate, wobei ich die Empfindlichkeit des Kaninchendünndarmes von Zeit zu Zeit mit reinem Cholin- chlorid kontrollierte (Grenzdosis des reinen Cholinchlorids auf den Kaninchen- darm in 70 ccm Tyrodelösung ist nach meinen zahlreichen Erfahrungen fast stets 0,1 mg). Ein großer Vorteil bei der Verwendung des Kaninchendünndarmes liegt neben der so konstanten Empfindlichkeit desselben noch darin, daß er sehr regel- mäßige Pendelbewegungen ausführt, so daß die kleinsten Änderungen in der Größe der Kontraktionen und des Tonus mit Sicherheit auf der Kurve erkannt werden können. Bei der Eröffnung der Bauchhöhle direkt nach dem Tode der Tiere sieht man in der Regel den Magen ganz oder fast ganz bewegungslos daliegen, während der Dünndarm mehr oder weniger träge peristaltische Bewegungen zeigt. Wenn nun der Magen und Darm zur Reinigung in die körperwarme Tyrodelösung gebracht wird, so sind die Bewegungen des Darmes sofort viel lebhafter, während der Magen immer noch ganz oder nahezu bewe- gungslos bleibt. Es macht dabei keinen Unterschied, ob der Magen und Darm ge- füllt oder leer sind, also ob das Tier auf der Höhe der Ver- dauung getötet wird. oder vorher gehun- gert hat. In 6 Doppelver- suchen wurde ver- gleichsweise an der- selben Kaninchen- dünndarmschlinge das Dialysat von dem gefütterten und dem Hungertiere mitein- ander verglichen. Die Wirkungs- stärke der Magen- und Dünndarmdialy- sate vor und nach dem Acetylieren von hungernden und ge- fütterten Katzen auf den überlebenden isolierten Kaninchen- dünndarm in 70 ccm Tyrodelösung ist in nebenstehender Ta- belle summarisch zu- sammengefaßt. Die Zahlen in ( ) bezie- hen sich auf die ent- sprechenden Dosen der acetylierten Dia- Lysate. Aus Tab. I ergibt sich, daß0,1—0,3ccm des Magendialysates Tabelle T. Cholin als Hormon der Darmbewegung. VII. 393 E DESSEN a Anm e seeeo I eooos 5 seee®ee e oo@e9o« =! SREAS ZIERT es | Sosocse MISST a=) ut Dt ut u — Dt ut u u E AERARRIFE FATAL > geeesosse eooeoee = —n un un mn n na! 2 I I - = sSeeo®8®& =) = sSeoeeae® =) Es | je8e2 Es Del eat le De ——— — m — = = - - a & & ® =: dual LOERBSLUWTAaOO9O0X9 BA FISHER 5% & ko) & D DoBALnm m mm . =) =) oSsoeossseoaeoe © = S sSsoeseososoese 3 =) — QDEALDAOSSA2 3 58 © seeesosoooeo 5 g®© — — u u u u u unun = = ara ARAERTIE a Seseeeedoo eeose {eb} u E DE N [77] I mn N Or Bor More) De) > = Sooo soo 599 ©5.°%6 le sSoso so oo ©» =| #8 aaa azazeaa. 8 2| 8 esse sesese SS: Sa ERRC aSBenNen ten enter e ien 5 = 3 seedesceceoseoeese = © E = Sasse Ss 5 & Sierisjenie = ER | =) sooo, Ss zZ E — DL & 28 Ss seee N «S — Se g e ee Mu er =) oo ©e S E 32 Su) BAatHwon non oo «4 n© = 5& PrrerrrrerernHärearmHmirnm 8 SE Z rS . n4AS e 55% OENDPNPONONSNSADD sHoas an) any any an (e2) (er) Am = A in = 25 S s=8 N ae) AAUMEBZBAFLABASAE SEM ÄMrmHrrerHnieHerm Hermann 8 M oo A & ie ea ao m © in allen Versuchen 394 K. Arai: eine minimale Erregung hervorruft (geringe Vergrößerung der Kon- traktionen), während 0,3—0,5 ccm deutlich erregend wirkt (deutliche Zunahme der Kontraktionen mit oder ohne Tonuszunahme). Ebenso wirkt 0,1—0,3 ccm des Dünndarmdialysates minimal, 0,3 bis 0,5 cem desselben deutlich erregend. Durch Acetylieren wird die Wirkung der Dialysate ungefähr 1000 mal gesteigert. Hieraus ist zu entnehmen, daß die erregende Wirkung der Dialysate hauptsächlich auf Cholin beruht. Aus der Tabelle ergibt sich mit voller Deutlichkeit, daß der Cholin- gehalt des Magens und des Dünndarmes sich bei Hunger von 17, 48, 90 Stun- den nicht ändert, und daß daher die Bewegungsträgheit des Magendarm- kamals beim intakten Hungertiere (mit Ausschluß der Boldireffschen Be- wegungsperioden) nicht auf einer Herabsetzung des Cholingehaltes beruhen kann. In den in der Tabelle wiedergegebenen Doppelversuchen wurde fast stets der gleiche Cholingehalt beim Hungertier und beim gefütterten Tiere gefunden. Nur je einmal war der Cholingehalt im Magendialysat des gefütterten Tieres größer und im Darmdialysat des Hungertieres größer. Nimmt man als mittleren Wert für die minimal erregenden Dosen 0,2cem und berücksichtigt man die Erfahrung, daß die Grenz- dosis von Cholin-HClam Kaninchendünndarm 0,1 mg auf 70 ccm Tyrode- lösung beträgt, so folgt, daß sowohl der Magen wie der Dünndarm der Katze bei einstündiger Dialyse an die Außenflüssigkeit etwa 1 mg Cholin abgeben. Auch hieraus ergibt sich, daß der Cholingehalt des Magendarm- kanals bei der Katze geringer ist als beim Kaninchen, denn der Kaninchen- dünndarm gibt nach Le Heux etwa 3 mg Cholin bei der Dialyse ab. Abb. 1 diene zur Veranschaulichung der Ergebnisse. Wie man sieht, ist irgendein deutlicher Unterschied in der Wirkungs- stärke gleichkonzentrierter Dialysate vom Hungertier und dem ge- fütterten Tier nicht vorhanden. Einfluß des Morphins auf den Cholingehalt im Magendarmkanal. Während, wie im vorigen Abschnitt gezeigt werden konnte, der Cholingehalt des Magendarmkanals sich im Hungerzustand nicht ändert, tritt dieses unter dem Einfluß der Morphinvergiftung ein. E. Zunz und P. György!) haben folgende interessante Ergebnisse veröffentlicht. 15—20 cm lange Darmstücke von Hunden, denen verschiedene Zeit vor dem Tode 4—6mg pro kg Morphinum hydrochloricum subcutan eingespritzt war, und zur Kontrolle ebensolange Darmschlingen von normalen Hunden wurden herausgenommen und in 50— 100 cem Tyrode- t) E. Zunz et P. György, A propos de l’action de la Morphine sur l’intestine. Travaux de l’Institut de therapeutique Bruxelles. 12. 1913—1914. "9resA[eIq, U9FIOITAI9II® IOP ZIESNZ Aylay 9Layun ‘ayesAjerq Iap ZyesnZ ayray 210gO "yey odunyo3 uapungs ZT ayopM ‘ozyeyy Ioulo pun ‘9ZIJey7} UIISHNFSZ uEPuUngg Z I0A Aeum ayesAferpuneq pun -uOIeM IOp ypropsaA "U—eL ‘day "ZunsgJapoIAL WII 0), ur wIepuunpuaydumuey me Nas ‘azyey} uayIaggngos x = “ 80000 “ “ (u | '9zyey} uoyıoygnged & i “ 20000 “ em [op) ‘9zyey1Tosung I9p YesAfeipuneq S3J1a1[A439e wO9 80000 “ = ‘9zyeyIadung I9p YesAjeipusden SOJ19TTAI99e ud 80000 “ ad ap) "ozyey u941999nJ03 [73 “ [73 eo [73 {12 (F "9zJey U991999nJ93 [73 [73 [t eo es “ (q "9zyey1Iadung I9p YesAfeipuneq UI CE) UOA zyesnz (9 ‘9zyeyIosung I9p YesAfeıpussen WI E0 UOA Zyesnz (® "wIeq '31994nJ93 4IO1LTAI998 WII 80000 "wIepıosung '[4999e WU) 80000 "U9seN 'J1o44NJeZ JIalTA4998 W99 80000 "U93rWI9ASUnH "A499 _W99 80000 Y Y Y Y — | / u (p c) "wel 1941944n793 ud ‘0 "wIepiodung UI E0 "U9IeN I991949nJ93 U E0 uosewpsung wor ey Y Y Y Y Cholin als Hormon der Darmbewegung. \ 396 K. Arai: lösung von 32° !/,—1 Stunde lang biodialysiert. Die Wirksamkeit dieser Extrakte wurde an überlebenden isolierten Dünndarmschlingen von normalen und morphinisierten Hunden in Tyrodelösung geprüft. Dabei ergab sich folgendes: 1— 16 Stunden nach der subcutanen Morphin- injektion zeigten die isolierten Darmschlingen Störungen des Tonus und der Bewegungen im Vergleich mit normalen Darmschlingen. Der Unterschied glich sich nach 24 Stunden wieder aus. Die Bildung der peristaltikerregenden Substanz wurde im morphinisierten Darme für die Dauer von 24 Stunden aufgehoben und auch die Erregbarkeit der Darmschlingen morphinisierter Hunde für normale Hundedarmdialysate deutlich herabgesetzt. Die Versuche von Zunz und György sind zu einer Zeit ausgeführt, als noch nicht bekannt war, daß der wirksame Bestandteil des Darm- dialysates Cholin ist. Nach unseren heutigen Kenntnissen müssen wir die Versuche so deuten, daß unter der Morphinwirkung der Cholingehalt der Magendarmwand herabgesetzt wird. Es muß sich daraus natürlich sofort die Frage erheben, ob dieses irgendeine Bedeutung für die Erklärung der Stopfwirkung von Morphin und Opium besitzt. Bei der Wichtigkeit dieser Frage habe ich zunächst die Angaben von Zunz und György an Hunden nachgeprüft, und die Versuche an Katzen fortgesetzt. Über das Ergebnis wird im nachfol- genden berichtet. a) Versuche an Hunden. Versuch 1. Hündin (18,0 kg) hat 3 Stunden vorher 6 mg prokg Morphinum hydrochlorieum subcutan erhalten und wird in Äther-Chloroformnarkose aus den Carotiden verblutet. Magen und Dünndarm herausgenommen, mit körperwarmer Tyrodelösung von innen und außen zweimal gereinigt, der Magen mit einem genügend langen Oesophagusstück (zusammen 200 s) in 200 ccm Tyrodelösung, und ein Dünndarmstück von 150 gin 100 ccm Tyrodelösung von 38° genau 1 Stunde lang dialysiert, wobei die abgebundenen Enden des Magens und Dünndarmes nicht in die Flüssigkeit untertauchten. Die Flüssigkeit wurde alle 10 Minuten vorsichtig geschüttelt. Zwei Dünndarmschlingen von etwa 4cm Länge von demselben Hunde wurden in 150 ccm Tyrodelösung von 38° unter Luftdurchleitung am Schreibhebel sus- pendiert. Zur Kontrolle wurde einem normalen Hunde (9,5kg) der Magen und Dünn- darm entnommen, der ganze Magen (98 g) und ein Dünndarmstück von 150g in 98 bzw. 100 ccm Tyrodelösung genau in der gleichen Weise behandelt. Auch von diesem normalen Hunde wurden zwei 4cm lange Dünndarmschlingen in Tyrodelösung am Schreibhebel suspendiert. Die erhaltenen Magen und Darmdialysate des morphinisierten und normalen Hundes wurden abwechselnd an den Darmschlingen des morphinisierten und normalen Hundes geprüft. Der Zusatz der Dialysate, welche vorher stets auf 38° erwärmt waren, geschah am Rande des Glasgefäßes aus Pipetten, nachdem vorher eine ebenso große Flüssigkeitsmenge aus dem Versuchsgefäß herausgesaugt war. Vor jeder neuen Prüfung wurden die Versuchsgefäße zweimal in Abständen von etwa 10 Minuten mit frischer erwärmter Tyrodelösung ausgewaschen, so daß sich das Organ vor jedem Zusatz des Dialysates in reiner Salzlösung befand. 397 Cholin als Hormon der Darmbewegung. VI. "SOpunH uUSIIOISTuTydIOU Sop mIepuundg ug ayonsıaA (4 (9 (p (wIepuunpapung uspWwIou une ayonsıoy (0. (q (® "ZunsofopoLAL W99 09T ULSEPUnH uoyoısturydıow pun uoeuu -JIou sap uoduyoswIepuund spusgeptoqn »411[osT Ing (37 oad Zur 9) sopungg uayIaTsturydıou souly pun UATBULIOU KOUTD HFBSATeIpuneq Top ZungumM "T—8Z 'ggy ‘sapunyumydIom S9p WIEPUUNG UANIOITOST ‘SIOPUNYUIYdIOM S9P ULIEPUUNCT U9LIITOST ‘sapunyurydiow s9p WIePuUnNG uayıaıy usp ne punyurmydıoy WOA JesAfeıpuned UDO 0% wop me Ppunufeunon WOA YesAfeipunmeel WO 0‘ -OSf UHP ne punyfewion WoA gesAfeipunee uno c‘) Y Y Y ($ (P "ugpuunpepung usfeullou uop "wIwpuunpapung uojewlou usp Me "wIepuunpapung me punyumydiomw WOA yesAjeipuneet WO 0‘0f pun und 0(‘g punyfewion WOA yesAfeipunleq WII (‘SG UPTEULIOU up ne punyJeuLloN WOA JesAfeipwieq u09 g‘y) Y Y Y 398 K, Arai: Die Ergebnisse sind in folgender Tabelle zusammengestellt. Tabelle II, Wirksamkeit des Magen- und Darmdialysates des normalen und morphinisierten Hundes, Magendialysat Dünndarmdialysat Dialysate nicht minimal deutlich nicht minimal deutlich vom wirksam wirksam wirksam wirksam wirksam wirksam ccm ccm ccm ccm ccm cem 1. Auf den normalen Hundedünndarm. normal. Hund — 5,0 10,0 0,5 1,0 5,0 morphin. Hund 5,0 10,0 — 5,0--10,0 — — 2. Auf den morphinisierten Hundedünndarm. normal. Hund — 5,0 10,0 0,5 — 1,0 morphin, Hund — 10,0 20,0 20,0 — — Hieraus ergibt sich, daß das Magendialysat von dem Morphinhund nur halb so wirksam war, als das des Normalhundes. Sehr viel größer ist der Unterschied der Darmdialysate: das des Morphinhundes ist mindestens 15—20 mal weniger wirksam als das des Kontrolltieres. Auf der oberen Reihe von Abb. 2 sieht man, daß am normalen Hundedünndarm 5cem Darmdialysat vom Normaltier außerordentlich stark erregend wirkt (b), während 5cem Darmdialysat vom Morphin- hund ohne jede Wirkung ist (c) und daß auch Zusatz von weiteren 10 cem keine Erregung herbeiführt. Auf der unteren Reihe sieht man Versuche am isolierten Dünndarm des Morphinhundes: I ccm Darmdialysat vom Normaltier wirkt stark erregend (e), während 20 cem Darmdialysat vom Morphinhund ohne jede Wirkung sind (f). Versuch 2. Ein Hund (3,95 kg) hatte 17 Stunden vor dem Tode 6 mg pro Kilo- gramm Morphinum hydrochloricum subcutan erhalten. Danach wurden Magen und Tabelle IL. Magendialysat Dünndarmdialysat Dialysate nicht minimal | deutlich nicht minimal | deutlich vom wirksam wirksam wirksam wirksam wirksam wirksam ccm ccm ccm ccm ccm ccm 1. Auf den normalen Hundedünndarm. normal. Hund — 5,0 10,0 0,5 3,0 5,0 (0,005) (0,01) (0,005) morphin. Hund 0,5 10,0 J 10,0 (0,01) — (0,005) (0,02) 2. Auf den morphinisierten Hundedünndarm. normal. Hund 3,0 5,0 3,0 5,0 (0,003) (0,005) — — (0,005) morphin. Hund 5,0 10,0 5,0 10,0 15,0 (0,005) (0,01) — (0,01) (0,02) Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf die acetylierten Dialysate. Cholin als Hormon der Darmbewegung. VI. 399 Dünndarm herausgenommen und gereinigt. Der Magen (55 g) wurde in 85cem und ein Dünndarmstück von 150g in 150 cem Tyrodelösung bei 38° 1 Stunde lang dialysiert. Ebenso wurden von einem Normalhund (5,2 kg) der Magen (65 g) und ein Dünndarmstück von 150 g in 100 bzw. 150 ccm Tyrodelösung 1 Stunde dialy- siert. Die Wirksamkeit der so erhaltenen Dialysate wurde an 4 überlebenden isolierten Dünndarmstücken (2 vom Normalhund und 2 vom Morphinhund) geprüft. Aus der Tabelle III zeigt sich, daß das Magendialysat des Morphin- hundes nur halb so wirksam war als das des Normalhundes. Auf Abb. 3 sieht man nach 5 cem Magendialysat des Normalhundes schwache Erregung, nach 10 cem Magendialysat des Morphinhundes so gut wie keine b) 5,0 ccm Magendialysat vom Normalhund. 10,0 ccm Magendialysat vom Morphinhund. Abb. 3a u. b. Wirkung der Magendialysate des normalen und des morphinisierten Hundes auf den normalen überlebenden Hundedünndarm in 150 ccm Tyrodelösung. Erregung auftreten. Nach der Tabelle ist das Dünndarmdialysat des Normalhundes etwa 3mal stärker wirksam als das des Morphinhundes. Um nun wirklich nachzuweisen, daß die Erregungswirkung auch in diesem Falle auf Cholin beruht, wurden die Dialysate auf die oben S. 392 angegebene Weise acetyliert. Auch hierbei ergab sich, daß das acety- lierte Magendialysat des Morphinhundes 2mal schwächer wirkte, das acetylierte Dünndarmdialysat des Morphinhundes etwa 3 mal schwächer wirkte als die entsprechenden Dialysate des Normaltieres. Es beruht also der gefundene Unterschied in der Wirksamkeit wirklich auf Cholin, dessen Gehalt in der Magendarmwand bei der Morphinvergiftung deut- lich abnimmt. Versuch 3. Hund (4,6 kg), welcher 24 Stunden vor dem Tode 6 mg pro kg Morphinum hydrochloricum subcutan erhalten hatte, und ein normaler Kontroll- hund (5,2kg) wurden in Äther-Chloroformnarkose verblutet. Herstellung des Magen- und Darmdialysates wie in den früheren Versuchen: Magen des Morphinhundes (65 g) in 100 ccm Tyrode, Magen des Normalhundes (64 g) in 98cem Tyrode, Dünndarm des Morphinhundes (125 g) in 100 ccm Tyrode, Dünndarm des Normalhundes (125 g) in 100 cem Tyrode, 1 Stunde lang bei 38° dialysiert. 400 K. Arai: 10 ccm jedes Dialysates wird in der oben beschriebenen Weise acetyliert. Die Wirksamkeit der 4 Dialysate vor und nach dem Acetylieren ersieht man aus nachstehender Tabelle. Tabelle IV. Magendialysat Dünndarmdialysat Dialysate nicht minimal | deutlich nicht minimal, | deutlich vom wirksam wirksam wirksam wirksam wirksam wirksam ccm ccm ccm ccm ccm ccm 1. Auf den normalen Hundedünndarm. normal. Hund 5,0 10,0 10,0 0,5 3,0 5,0 (0,005) (0,01) (0,005) morphin. Hund 15,0 20,0 — 10,0 20,0 — (0,02) (0,02) 2. Auf den morphinisierten Hundedünndarm. normal. Hund 5,0 10,0 _ 1,0 — 5,0 (0,005) (0,01) (0,005) morphin. Hund 15,0 20,0 — 25,0 — (0,01) | (0,02) | (0,02) (0,035) Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf die acetylierten Dialysate. Aus der Tabelle ergibt sich, daß noch 24 Stunden nach der Injektion von 6 mg pro kg die Wirksamkeit des Magendialysates vor und nach dem a) 0,005 ccm acetyliertes Darmdialysat des Normalhundes. b) Ya HIN 0,035; ccm acetyliertes Darmdialysat des Morphinhundes. Abb. 4a u. b. Wirkung der acetylierten Darmdialysate auf den isolierten Dünndarm des morphinisiertten Hundes. Acetylieren etwa auf die Hälfte gesunken ist, während der Unterschied bei den Darmdialysaten mindestens das 7fache beträgt. Der Acety- lierungsversuch lehrt, daß es sich auch hier im wesentlichen um Unter- schiede im Cholingehalt handelt. Abb. 4 zeigt den Wirkungsunterschied der acetylierten Dünndarmextrakte. Beim Morphintier braucht man eine 7 mal größere Dosis, um die gleiche Wirkung hervorzurufen. Die Versuche haben insofern eine vollständige Bestätigung der An- gaben von Zunz und György gebracht, als sich ergab, daß die Menge der peristaltikerregenden Substanz des Magens und Dünndarms bei den mor- Cholin als Hormon der Darmbewegung. VII, 401 phinisierten Hunden deutlich vermindert ist. Aus den Acetylierungsver- suchen läßt sich schließen, daß es sich hierbei hauptsächlich um eine Abnahme des Cholingehaltes im Magendarmkanal durch subeutane Ein- spritzung der verwendeten Morphindosen handelt. Dagegen habe ich im Gegensatz zu den Angaben von Zunz und György keinen Unterschied in den Bewegungen der isolierten Dünndarm- schlingen von morphinisierten und normalen Hunden gefunden. Sowohl der Tonus wie die Amplitude der Bewegungen verhielt sich ungefähr gleich. Nach unseren ausgedehnten Erfahrungen darf man auf gelegent- liche kleinere Unterschiede bei solchen Versuchen keinen zu großen Wert legen, da die Kontraktionen, besonders wenn die Technik nicht sehr sorgfältig ausgebildet ist, von Fall zu Fall verschieden sein können. Ebensowenig fanden sich Unterschiede in der Empfindlichkeit des normalen Darmes und des Darmes von Morphintieren gegen die ver- schiedenen Dialysate. Sowohl qualitativ als quantitativ war der Effekt genau derselbe. Die Empfindlichkeit des isolierten Darmes gegen Cholin wird also durch vorherige Einspritzung von Morphin bei den Versuchstieren nicht verändert. Die Verminderung des Cholingehaltes war in meinen Versuchen noch 24 Stunden nach der Morphininjektion im Magen und im Dünndarm nachweisbar. b) Versuche an Katzen. Bekanntlich wirkt Morphin bei Katzen erregend auf das Zentral- nervensystem, während es bei Hunden hauptsächlich narkotisch wirkt. Es erhebt sich deshalb die Frage, ob der bei Hunden festgestellte Ein- fluß der Morphininjektion auf den Cholingehalt des Magendarmkanals auch bei Katzen nachzuweisen ist. Ich habe daher den Cholingehalt des Magens und Dünndarmes bei normalen und morphinisierten Katzen untersucht. Bezüglich der Ergebnisse an den normalen Katzen sei auf den ersten Abschnitt dieser Arbeit verwiesen, in welchem sich ergeben hat, daß sich unter Einhaltung konstanter Versuchsbedingungen außerordentlich konstante Werte für den Cholingehalt feststellen lassen. Die hierbei erhal- tenen Ergebnisse liefern die Normalwerte für die nachfolgenden Versuche. Wirkung des Morphins auf den Cholingehalt des Magendarmkanales bei Katzen. Als mittlere Morphindosis verwendete ich 6 mg, als große 20 mg, als kleine 1-3 mg pro kg subceutan. Die Injektion wurde zu verschie- denen Zeiten vor dem Tode vorgenommen und zwar 3—5, 17—171/,, und 24—25 Stunden vorher. Nach Dosen über 3 mg pro kg ließ sich stets eine mehr oder weniger deutliche Erregung der Katzen beobachten. Nachstehende Tabelle (welche mit Tab. I, S. 393 verglichen werden muß) veranschaulicht das Ergebnis. Arai: 402 ı rg [ [U [] . Kr .. U on » en [] 1 _ ı a 1 an ı | —» ) [u . 1 ‚© [ ] an — [) un] [@) 1 1 {1} [ns] ; SS ,- » on © = => _ S, .'- S, ur o ‘= » = ME REEuS Apdssczeüstgsggeensn, SR.=Si-3augr neues Er Nerg= 4a = | Ro) ke) a 8 SeaSEn Sa So. und Eerna,nn° Währunege . 0 (8) nd 8 . m 2 1, « S | EEE ee ee ee Eee Sea), m. Buisissy,ge ei nsdn . nan szene are ee 3 Done Basda ES BEeSHSÄAÄSzEn SEES ES EHH SEES Kengoas:soas. San a Saale äreasa ns eaaenen also ee: "oyesÄferq oy104 4908 ne yaIS uo9y9Tzag UIDWUEIM ur uafyez IT (8000°0) & (T000°0) TO 08 (8000°0) 8‘0 | (g000°0) 30 | IL LI & FI FL (8000°0) & (T000°0) T‘O ya] (80000) 80 | (T000°0) To <ı LI T ge el (8000°0) & (1000°‘0) 1‘0 (20000°0) 08 (8000°0) 80 | (T000‘0) (20000‘0) el Ai T In al (E000°0) 8 (8000°0) (T000°0) &°0 34 (8000°0) € (2000°0) € 91 77 0% 9°I Til (100°0) 8°0 (8000°0) g‘0 IS (1000) (8000°0) € (2000°0) € 1 | La 0% 1 01 (100°0) € (8000°0) (2000°0) 80 6 (100°0) (8000°0) 8 (2000°0) € be 0% 1 6 (8000°0) (2000°0) g‘0| (8000°0) 80 39 (100°0) 8‘0 | (80000) € 9L v 0% vi | ® (2000°0) co) (e0000) eo | 08 (100°0) 8°0 | (2000°0) € Sı g 08 | ZI |ı (8000°0) € (1000°0) T‘O 08 (2000°0) 80 . 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Die Wirksamkeit der Magen- und Darmdialysate bleibt unverändert, Nach Einspritzung von 3 mg pro kg war in einem Falle bereits eine geringe Beeinträchtigung der Wirksamkeit des Magendialy- sates festzustellen. Hieraus ergibt sich, daß der Einfluß des Morphins auf den Cholin- gehalt des Magendarmkanals auch bei der Katze nachweisbar ist, und zwar wirken die kleineren Morphindosen ausschließlich auf den Cholin- gehalt des Magens, während erst größere Dosen (20 mg pro kg) auch den des Dünndarmes deutlich herabsetzen. Lassen sich die gefundenen Tatsachen zur Erklärung der stopfenden Wir- kung des Morphins heranziehen ? Da große Morphindosen den Cholingehalt des Darmes deutlich herab- setzen, kann die Frage aufgeworfen werden, ob sich hierdurch die stop- fende Wirkung des Morphins erklären läßt. Nach den Feststellungen von Magnus!) läßt sich sowohl am gesunden Versuchstiere als auch an Katzen mit Milchdurchfall keine sichere Still- stellung der Darmbewegungen mit stopfenden Morphindosen erzielen, dagegen tritt als Hauptwirkung ein Krampf des Sphincter antri pylorici und des Pylorus auf, welcher eine hochgradige Verzögerung der Magen- entleerung zufolge hat. Ebensowenig lassen sich Durchfälle, welche durch Erregung der Dünndarmperistaltik [Rieinusöl]?) oder der Dick- darmbewegungen [Sennainfus]?) hervorgerufen werden, bei Katzen durch Morphin stopfen. Padtberg*) konnte im Anschluß hieran feststellen, daß der Magnesiumsulfatdurchfall bei Katzen nur dann gestopft wird, wenn durch Morphin die Bittersalzlösung im Magen festgehalten wird, daß dagegen Morphin wirkungslos ist, wenn das Salz bereits in den Darm übergetreten war. In allen diesen Fällen greift die Morphinwirkung nicht wesentlich am Darm an und kann daher auch nicht durch eine Verminderung des t) R. Magnus, Die stopfende Wirkung des Morphins. II. Mitteilung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 122, 210. 1908. 2) R. Magnus, Der Einfluß des Ricinusöls auf die Verdauungsbewegungen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 122, 261. 1908. 2) R. Magnus, Der Einfluß des Sennainfuses auf die Verdauungsbewegungen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 122, 251. 1908. *) J. H. Padtberg, Der Einfluß des Magnesiumsulfates auf die Verdauungs- bewegungen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 129. 476. 1909. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 37 404 : K. Arai: Cholingehaltes der Darmwand erklärt werden. Das Wesentliche ist der Krampf der Magensphincteren, welcher natürlich nicht auf einer Ver- minderung des Cholingehaltes in der Magenwand beruhen kann. Hieraus folgt, daß die Stopfung des Milch- und Magnesiumsulfat- durchfalls bei gesunden Katzen durch Morphin nicht auf einer Beeinflus- sung des Cholingehaltes im Magendarmkanal zurückgeführt werden darf. Nun hat aber Padtberg!) die wichtige Beobachtung gemacht, daß unter bestimmten Umständen Morphin auch den Darm mit Sicherheit ruhigzustellen vermag. Der durch Koloquinten hervorgerufene und mit entzündlicher Nebenwirkung wie Hyperämie, Transsudation ins Darm- lumen usw. einhergehende Durchfall läßt sich stets und schnell durch subceutane Einspritzung von Morphin oder Opiumtinktur stopfen, Der Angriffspunkt liegt hierbei nicht im Magen, sondern in der Darm- wand selbst. Die Stopfwirkung des Morphins nach Koloquinten ist so stark, daß die Darmbewegungen stundenlang stillstehen, sodaß Colo- cyntin, welches sonst mit den Faeces entleert wird, resorbiert wird und zu tötlicher Koloquintenvergiftung führt. Es ist zweifellos anzunehmen, daß wir in diesen experimentellen Er- gebnissen die sichere Grundlage für die Stopfwirkung des Morphins und Opiums bei entzündlichen Darmkatarrhen des Menschen vor uns haben. Falls also die Stopfwirkung des Morphins irgend etwas mit Veränderungen des Cholingehaltes des Magendarmkanals zu tun hat, so mußte sich das in diesem Falle nachweisen lassen. Daher habe ich in einer weiteren Versuchsreihe bei Katzen durch Koloquintenextrakt Durchfälle hervor- gerufen, danach den Cholingehalt des Magens und Dünndarmes bestimmt, und dann untersucht, ob sich dieser unter dem stopfenden Einfluß des Morphins verändert. Koloquintendurchfall. Die Versuchskatzen erhielten nach 24stündigem Hungern morgens unmittel- bar nach der Fütterung mit dem Kontrastbrei (25 ccm Kartoffelbrei, 10 g Barium- sulfat) 0,15 g Koloquintenextrakt in 10 ccm Wasser mit der Schlundsonde. Auf dem Röntgenschirm sieht man, daß unter dem Einfluß des Koloquintenextraktes die Magenentleerung im Mittel nach 4 Stunden vollendet ist, also nicht wesentlich anders als in den Normalversuchen. Aus der Kurve auf Abk. 5, welche die Gesamt- länge der Dünndarmschatten in Zentimetern angibt, sieht man, daß der Einfluß des Koloquintenextraktes (— — — — — ) auf den Dünndarm sehr ausgeprägt ist. Dieser füllt sich vom Magen aus schnell, seine maximale Füllung wird 2 Stunden nach der Fütterung erreicht, aber der Höhepunkt der Kurve liegt viel niedriger als in den Normalversuchen (——-——:——). Die Passage des Darminhaltes durch den Dünndarm erfolgt so schnell, daß dieser sich niemals ebenso stark füllen kann wie unter normalen Umständen, und schließlich bereits 4 Stunden nach der Fütterung so gut wie leer geworden ist. Die Dünndarmbewegungen sind sehr kräftig, die Dünndarmschatten an manchen Stellen durch Exsudation in den 1) J. H. Padtberg, Über die stopfende Wirkung von Morphin und Opium bei Koloquintendurchfällen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 139, 318. 1911. Cholin als Hormon Darmkanal breit und blaß. Der ganze Dünn- darminhalt wird sehr schnell nach dem Dick- darm herübergetrieben, so daß hier die ersten Schatten durchschnitt- lich 2Stunden nach der Fütterung auftreten. Nach weiteren 1!/, Stun- den wird ein Schatten im distalen Kolonteil sichtbar, manchmal ist dann sogar schon das ganze distale Kolon bis an das Rectum gefüllt. Sehr auffallend war, daß ich in 2 von 6 Versuchen gelegentlich im Magen noch einen Teil des Kon- trastbreies sah, während der Dünndarm bereits vollständig leer und der Diekdarm schon bis zum Querkolon gefüllt war. Die Kotentleerung er- folgte in 3 von 6 Fäl- len zwischen 3!/, und 4!/, Stunden nach der Fütterung. Die Faeces waren dünn bis flüs- sig, enthielten häufig Schleim, aber niemals Blut. Die Tiere wurden dann 5 Stunden nach der Fütterung getötet, der Magen und Dünn- darm herausgenommen und auf die oben an- gegebene Weise in 35 bzw. 50 ccm destillier- tem Wasser 1 Stunde lang bei 38° © gehalten. Die Wirksamkeit der ein- fachen und acetylierten Dialysate von Magen und Dünndarm auf den isolierten Kaninchen- dünndarm in 70 ccm Tyrodelösung ist aus der Tabelle ersichtlich. Tabelle VI. der Darmbewegung. VII. m I nn Vs Ve Pen II nenn — rn a ma N N ala Tate) =s sSossse eleyerere S= S5895955 S855585 =) SAD SAD 258 seco ed See eg, ii, aaa 0 mamam eielerercie esese San an Sam = 8 sScoose S®8 86 35 S585855 so 8 SEE: SAD an, 3% 3 | 35583 SHORTS Sem ae ee rer = sSeoeeese eeoeoe = = a ERIENEN -_ He Mar) A R So s5& Ru: S s55 2:8| Ill IS Diese Es 9 SAIS > -_ & ar SE 8 Ri nmoo.m mo 858% KETTE) IR352 = | oo: 5A RE en I —n I = In Lo 1a ı9 ia 19 Oo Rn [0,0] ee o. && S& > oO mi & D=| 8 © n se © Zelte 28 o) an BESsS|ı so 2 oO 2 SS ES >= ılEnamuaua 5 © cksosssoenh © = 5 [«D} m nn nn o 2 -—_ nn en es anan oe) " . 19 0 fe) ee 219988 SS Jdso9ooso 35 Leooo SS 88888 »|238 el RS 2 E 22528 3|3E85| 9 SS ©O S = ee oe SS 7 FF |4E aazgearn Susann = : seoeecse® a csccsse —_ 5 x ; Ss man. 99% = ee == SAT SAD eich See SO 2 LSTOSCeQS z 4 anadn S Seeoe n #8 ee vowonn Ye oe) BE -.---.-— mei -„-=-—— {«b} >38 ke) 5 2 Ss ee} [o) b = III 2enee SS &n =) = 5 en SmoanNen Sn Sen See See N | og HM Fr | || 2 | mandıovo man» Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf acetylierte Dialysate. 406 K. Arai: Aus der ersten Hälfte der Tabelle ergibt sich, daß 0,1—0,3 ccm des Magendialysates minimal, 0,3—0,5 ccm deutlich erregend auf den Kanin- chendarm wirken, und daß 0,l ccm des Darmdialysates eine minimale, 0,3 ccm eine deutliche Erregung am Kaninchendarm in Tyrodelösung hervorruft. Diese erregende Wirkung der Dialysate wird durch Acety- lieren beinahe 1000fach gesteigert, beruht also auf Cholin. Vergleicht man diese Zahlen mit den Befunden an normalen Versuchstieren (s. oben Tab. IS. 393) so ergibt sich, daß der Cholingehalt des Magendarmkanales bei Katzen durch abführende Dosen von Koloquintenextrakt nicht ver- ändert wird. Gibt man nun zwischen 1!/, und 2 Stunden nach der Fütterung 6 mg pro kg Morphinum hydrochloricum subcutan, so erhält man auf dem Röntgenschirm ein ganz anderes Bild. Unmittelbar nach der Morphin- injektion hören die vorher lebhaften Magen- und Darmbewegungen auf, und im Laufe von weiteren 3Stunden wird bei jeder folgenden Beleuch- tung stets das unveränderte Bild des Magendarmkanals angetroffen. Der Magen enthält mehrere Stunden lang die gleiche Menge des Kon- trastbreies und die Gesamtlänge der Dünndarmschatten und ihre An- ordnung in der Bauchhöhle bleibt unverändert. Enthielt der Dickdarm vor der Morphineinspritzung schon Inhalt, so nimmt dieser nicht an Länge zu und wird auch nicht weiter nach unten befördert. Kot- 0 AR 1 2 & 4 5 6 7 [6% Abb.5. -:-.-.— Normalyversuche --- - — Koloquintenversuche. Koloquinten- Morphinversuche. Die Kurven geben die Gesamtlänge der Dünndarmschatten in Zentimetern an, der Pfeil den Zeitpunkt der subeutanen Morphininjektionen. entleerung erfolgt nicht. Man sieht während der ganzen Zeit fast keine Bewegungen im ganzen Verdauungskanal. Diese Unterschiede erkennt man deutlich aus Abb. 5, in welcher die — - — -— Kurve den Mittelwert der 6 Normalversuche, die ——- — — Kurve den Mittelwert aus 6 Kolo- quintenversuchen und die Kurve den Mittelwert aus 5 Kolo- quinten-Morphinversuchen angibt. Die Katzen erhielten 0,16g Koloquintenextrakt in 10ccm destilliertem Wasser mit der Schlundsonde unmittelbar nach der Fütterung und in der letzten Cholin als Hormon der Darmbewegung. VII. 407 Versuchsreihe 6 mg pro kg Morphinum hydrochloricum subeutan 1!/,—2 Stun- den später. ; £ Die ausgezogene Linie ( ) des Diagramms läßt erkennen, daß tatsächlich durch Morphin eine maximale Stopfwirkung des Koloquinten- durchfalles erreicht worden ist. Sämtliche Tiere wurden 5 Stunden nach der Fütterung, also un- gefähr 3 Stunden nach der Morphininjektion, getötet, und die Magen- und Dünndarmdialysate hergestellt. Die Wirksamkeit derselben wurde am Kaninchendünndarm in Tyrodelösung geprüft, das Ergebnis sieht man auf der zweiten Hälfte von Tab. VI. Diese zeigt, daß in den meisten Fällen 0,3 cem des Magendialysates nicht, und 0,5 ccm desselben minimal erregend wirkt. Dagegen ruft bereits 0,1—0,3cem des Dünndarm- dialysates eine minimale, 0,3—0,5 ccm eine deutliche Erregung des Kaninchendünndarmes hervor. 0,001 ccm acetyliertes Magendialysat. d) 6% II SE ee Se = 5 A ERLITT A 0,3 ccm Darmdialysat. 0,0005 ccm acetyliertes Darmdialysat. Abb. 6a—-d. Koloquinten-Morphinversuch I. Kaninchendünndarm in 70 cem Tyrodelösung. 408 K. Arai: Der Vergleich dieser Tabelle mit Tab. V auf S. 402 ergibt, daß die Dosis von 6 mg pro kg Morphin bei Normalkatzen und bei Katzen mit Koloquintendurchfall genau den gleichen Einfluß auf den Cholingehalt des Magendarmkanales ausübt, d.h. sie vermindert den Cholingehalt des Magendialysates bereits deutlich, läßt aber den Cholingehalt des Dünndarmes vollständig ungeändert. Da also der Cholingehalt des Dünndarms weder durch abführende Koloquintendosen noch durch Morphindosen, welche den Koloquintendurchfall maximal stopfen, irgendwie verändert wird, so kann die Stopfwirkung des Morphins beim Koloquintendurchfall nicht auf Veränderung seines Cholingehaltes beruhen. Bei der Sektion der Katzen, welche nur Koloquintenextrakt erhalten hatten und 5 Stunden später getötet wurden, fanden sich wenig Veränderungen der Darmschleimhaut, nur manchmal war die Dickdarmschleimhaut, besonders im proximalen Kolonteil, schwach injiziert. Nur selten sieht man auch im unteren Jeumteil eine fleckige Hyperämie der Schleimhaut, welche übrigens blaß aussieht. Nur in einem Falle ließ sich im Magen, und zwar in der Pylorusgegend, eine Hyper- ämie mit einigen Ecchymosen feststellen. In den Versuchen mit Morphinein- spritzung zeigte sich ungefähr derselbe anatomische Befund. Es ist dieses kein Gegensatz zu den Angaben von Padiberg, weil dieser abwartete, bis seine Tiere spontan an Colocynthinvergiftung eingingen und daher schwere Veränderungen fand, während ich meine Katzen stets 3 Stunden nach der Morphininjektion tötete. Zusammenfassung. 1. Zur Bestimmung des Cholingehaltes von Magen und Dünndarm wurde 1stündige Dialyse verwendet. Hierbei findet man bei Katzen außerordentlich konstante Werte. 2. Der Magen und Dünndarm von Katzen enthält nach 17-, 48- und 90stündigem Hunger ebensoviel Cholin wie unmittelbar nach der Fütterung. 3. In Bestätigung der Angaben von 'Zunz und Györgyi fand sich bei Hunden nach subcutaner Einspritzung von 6 mg pro kg Morphin der Cholingehalt des Magens und Dünndarmes 24 Stunden lang deutlich vermindert. Dagegen fand sich kein Unterschied in der Empfindlich- keit isolierter Darmstücke von normalen und morphinisierten Hunden gegen Magen- und Darmdialysate normaler und morphinisierter Hunde. 4. Bei Katzen verursacht 6.mg pro kg Morphin eine geringe Ver- minderung des Cholingehaltes des Magens, 20 mg pro kg eine deutliche Herabsetzung in der Magen- und Dünndarmwand. 1 mg pro kg Morphin ist ohne Einfluß auf den Cholingehalt des Magens und Dünndarmes. 5. Beim Koloquintendurchfall der Katze ändert sich der Cholin- gehalt des Magens und Dünndarmes nicht. 6. Wenn man den Koloquintendurchfall durch Morphin stopft, wobei die Darmbewegungen vollständig stillstehen, so ändert sich dabei der Cholingehalt des Darmes nicht, der des Magens nimmt entsprechend Nr. 4 geringgradig ab. Cholin als Hormon der Darmbewegung. VII. 409 7. Die stopfende Wirkung des Morphins kann daher nicht auf einem Cholinverlust in Magen und Dünndarm beruhen. 8. Die bisherigen Erfahrungen über den Cholingehalt des Magen- darmkanales unter verschiedenen Dedizzung 2: lassen sich folgender- maßen zusammenfassen: Chloroformlähmung: normal. Laparotomie: normal. Jodperitonitis: normal. Hunger: normal. Koloquintendurchfall: normal. : Morphin 1 mg pro kg: normal. Morphin 6 mg pro kg: Verminderung im Magen, Dünndarm normal, Morphin 20 mg pro kg: Verminderung im Magen und Dünndarm. Koloquintendurchfall durch Morphin (6 mg pro kg) gestopft; Ver- minderung im Magen (wie oben), Dünndarm normal. Beobachtungen über die Herzbewegung. Von cand. med. Ernst Simonsohn. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Greifswald.) Mit 5 Textabbildungen. (Eingegangen am 31. März 1922.) Im folgenden soll eine Methode zur Untersuchung der Verschie- bungen der einzelnen Teile der Herzoberfläche gegeneinander be- schrieben werden, welche es gestattet, diese Bewegungen am freige- legten Herzen ohne Schädigung des Herzgewebes und ohne Ver- zerrungen durch angelegte registrierende Vorrichtungen oder dergleichen wiederzugeben. | Der mitzuteilenden Methode kommt am nächsten das Verfahren von Haycraft!). Haycraft konstruierte ein „Kardioskop‘; es ist ein Mikroskop mit schwacher Vergrößerung, dessen Gesichtsfeld in kleine Quadrate geteilt ist; das Herz wird dadurch beobachtet und die jewei- ligen Veränderungen festgestellt. Haycraft untersuchte zuerst, wie wir, Froschherzen. Auch ihn interessierte die Ventrikelbewegung mehr. Seine Resultate sind kurz folgende: Das blutgefüllte Herz schwillt in der Diastole an und rötet sich, die Spitze entfernt sich von der Ba- sis; in der Systole schrumpft der Ventrikel zusammen, Basis und Spitze einerseits und rechte und linke Seite andererseits bewegen sich gegen- einander, die linke Seite aber stärker als die rechte. Die Bewegung der Spitze ist außerdem ein wenig nach links gerichtet. Beim blut- leeren Herzen fällt die diastolische Füllung fort, statt dessen zeigt sich eine systolische Anschwellung und eine diastolische Abflachung, die eine Wirkung der Schwerkraft sei. Diese Methode ist insofern unvollkommen, als eine genaue Beob- achtung der einzelnen Punkte der Herzoberfläche dabei nicht mög- lich ist, weil sie sich nicht hinreichend markieren. Eine solche Mar- kierung einzelner Punkte der Herzoberfläche und Beobachtung ihrer Bewegungen versuchten wir zuerst auf folgende Weise. 12-13 mm lange, spitz zulaufende Papierfähnchen von nur wenigen Millisrammen Gewicht waren aufgeleimt auf sehr dünne kreisrunde Pappstückchen von einer Fläche von 2—3 qmm. Solch ein Fähnchen wurde auf be- 1!) Haycraft, Movements of the heart. Journ. of physiol. 12, 438. E. Simonsohn: Beobachtungen über die Herzbewegung. 411 stimmte Punkte der Herzoberfläche aufgesetzt und die Exkursionen der Fähnchenspitze sowohl in der Längs- wie in der Querrichtung des Herzens an einer dahinterstehenden Skala von Millimeterpapier abgelesen. Wir haben aber diese Methode später wieder verlassen, weil die Resultate kein übersichtliches Bild gaben. Die Bewegung der Fähn- chen ist nämlich abhängig einmal von den horizontalen Verschie- bungen des Grundplättchens, und zweitens von den Veränderungen in der Tiefendimension, d. h. also von den Wölbungsveränderungen an der Auflagestelle, ist also komplizierterer Natur. Einiges konnten wir aber doch aus diesen Versuchen entnehmen: Deutlich zeigten die Fähnchen, was man einigermaßen auch schon mit bloßem Auge er- kennen kann, die Dreizeitigkeit der Ventrikelbewegung. Im Anfangsteil der Ventrikeldiastole legt sich während seiner Ent- spannung der Ventrikel ähnlich wie ein schlaffer Sack auf seine Un- Aym Avr Avl PS Ss S Mr MI /Sn N z N = ‚lo 0I#s PS DIPS o|ps Zr Zi Arm M Sp Mr M Mt a) b) Sp Abb. 2, PS = Präsystole. y S = Systole Abb. 1. D = Diastole. terlage. Wir hatten beim Froschherzen den Eindruck, daß die Fül- lung des Ventrikels in der Hauptsache erst bei der Vorhofssystole stattfindet, die sich bei der Beobachtung des Ventrikels deutlich als eine gesonderte Bewegungsphase des Ventrikels markiert. Wir wer- den daher im folgenden diese drei Zeiten der Herztätigkeit unter- scheiden: Präsystole (Zeit der Vorhofssystole), Systole und Diastole. Diastole ist dann also die Zeit der Blutleere des Ventrikels, soweit nicht Residualblut in Betracht kommt. Wie schon oben erwähnt, sind wir bei unseren Untersuchungen auf die Bewegungen der Vorhöfe nicht näher eingegangen. Zur Beobachtung wählten wir die im oben- stehendem Schema gekennzeichneten Punkte. (Abb. 1.) Die Fähnchen zeigen nun stets andere Richtungen und Geschwin- digkeiten der Exkursionen bei den verschiedenen Phasen. Im obenstehenden Schema (Abb. 2) stellen die senkrechten Striche die Fähnchen und die Dreiecksfiguren an der oberen Spitze deren Ex- kursionen dar. a) zeigt die Exkursionen bei Beobachtung der Ver- änderungen in der Längs- und b) in der Querrichtung. Einiger- maßen konstant fanden wir nur die Bewegung der Mitte (M). Doch 412 E. Simonsöhn : stets konnten wir, entsprechend den obenerwähnten drei Phasen der Herzbewegung, Dreiecksfiguren feststellen. Statt dieser Fähnchenmethode benutzten wir in unseren weiteren Versuchen das einfachere Verfahren, einzelne Punkte der -Herzober- fläche zu. markieren und deren Bewegung zu beobachten. Wir verfuhren dabei folgendermaßen: Der Frosch bekam 1 ccm 10proz. Urethanlösung subcutan; sodann wurde sein Herz unter Vermeidung von Blut- verlust freigelegt. Auf die vorhin bezeichneten Punkte legten wir kleine, drei- eckige Papierschnitzelchen, deren Bewegung unter dem Mikroskope bei dreißig- facher Vergrößerung beobachtet wurde, wobei wir uns im wesentlichen auf die Bewegungsvorgänge während der Systole beschränkten. Da der Frosch in Rücken- lage aufgespannt war, wurden dabei die Bewegungen der markierten Punkte der vorderen Herzoberfläche beobachtet, d.h. diese Bewegungen in die. horizontale Ebene projiziert gedacht; auf die Messung der Tiefenbewegung wurde also ver- zichtet. Gemessen wurde die Bewegung an einer Mikrometerskala in zwei zu- einander senkrechten Koordinaten (längs und quer), aus deren Resultante sich dann die wirkliche Bewegung des beobachteten Punktes in der horizontal ge- dachten vorderen Herzfläche ergab. Gemessen wurde die systolische Herzbewegung, die präsystolische war meist die annähernd entgegengesetzte. Sämtliche Versuche gaben ein einheitliches Bild: die systolischen Bewegungen sämtlicher Punkte strahlten in einen zwischen M-MI-ZI-Z gelegenen ‚„Konvergenzpunkt“ aus. Die Basis bewegte sich stark cau- dalwärts, durchschnittlich 7—11 Teilstriche (1 Teilstrich !/,, mm), die Mitte Mr-M-MI ebenfalls, aber nur 3—5 Teilstriche, die Punkte ZI- Z-Zr und die Spitze (Sp) in entgegengesetzter Richtung, die Spitze stärker als die Punkte ZI-Z-Zr. Die Bewegungen von Avm, M und Z waren meist, die der Spitze stets nach links gerichtet. (Vgl. Fig. 1 Abb. 3, die Pfeile zeigen Richtung und 30fache Vergrößerung der Be- wegungen an.) Individuelle Schwankungen bezüglich der Lage des Konvergenzpunktes waren vorhanden, bisweilen glückte es auch, ein Schnitzelchen direkt auf ihm anzubringen, welches dann unbeweglich blieb, zum mindesten aber keine eindeutige Bewegung in einer Rich- tung ausführte. Fast stets aber lag er noch zwischen den genannten vier Punkten. In wenigen Fällen war er auch nicht ganz so circum- script vorhanden, es lag dann eine Konvergenzlinie vor, doch waren das zweifelsohne Ausnahmen. Bisweilen erfolgte um den Konvergenz- punkt eine Rotationsbewegung, die dann so verlief, daß sich die untere Herzhälfte nach links, die obere nach rechts bewegte. Nach diesen Feststellungen lag es nahe, die Veränderungen zu unter- suchen, die beim Verbluten des Tieres eintreten. Da die präsystolische Bewegung des Ventrikels hauptsächlich durch die Blutfüllung vom Vorhof aus verursacht ist, war zu erwarten, daß bei Blutleere hier eine wesentliche Änderung eintreten würde. Die Blutentziehung fand entweder durch Eröffnung der Aorta oder der Femoralis statt. Sehr wenige Augenblicke nach Durchschneidung der Aorta verschwindet Beobachtungen über die Herzbewegung. 413 tatsächlich die präsystolische Wölbung. Eine präsystolische Bewe- gung erfolgt höchstens noch insofern, als das Herz, wenn die Fixation zwischen den Leberhälften nicht fest genug ist, durch die Kontrak- tionen der Vorhöfe in toto etwas verschoben wird. Die Ventrikel- bewegung wird damit von einer dreizeitigen zu einer zweizeitigen, was durch die Beobachtung mittels der Fähnchenmethode sehr gut zu sehen ist. Die systolische Bewegung wird um das drei- bis vierfache geringer, erfolgt aber noch eine Zeitlang regelrecht; sehr schnell schwindet die systolische Spitzenelevation, wenn sie vorhanden war, d.i. eine Er- hebung der Herzspitze, also Bewegung in vertikaler Richtung, schon mit bloßem Auge auch beim normalen Froschherzen bisweilen sichtbar. Bei der Beobachtung der Bewegung der durch Papierschnitzel markierten Herzpunkte zeigt sich folgendes: Der unbewegt bleibende Punkt, der oben als Konvergenzpunkt bezeichnet wurde, verschwindet, und mit ihm die oben beschriebene Rotationsbewegung, falls eine solche bestand, und zwar um so schneller, je mehr Blut in der Zeiteinheit verloren geht. Meist kann man sehen, daß der Kon- vergenzpunkt, ehe er verschwindet, nach der rechten Basis hinwandert. Dieser Vorgang spielt sich folgendermaßen ab (vgl. Abb. II—IV): Die Bewegungen von ZI-Z-Zr erfahren nur eine kleine. Richtungs- änderung; MI kehrt sich um, der Konvergenzpunkt gelangt dadurch auf M, das Schnitzelchen M wird unbeweglich (Abb. IT). M schließt sich dann der Bewegungsrichtung der unteren Herzhälfte an; der 414 E. Simonsohn: Konvergenzpunkt gelangt dadurch zwischen M-Mr- Avr-Avm (Abb. III). Im letzten Stadium kehren auch die übrigen Punkte ihre Bewegung um, womit der Konvergenzpunkt von der Herzoberfläche verschwun- den ist (Abb. IV). Bei der Beobachtung beiliegender Abbildungen- ist zu beachten, daß, wenn I das normale Herz darstellt, die Bewegun- gen auf II—IV weit geringer im Verhältnis zu I sind, als abgebildet. Bisweilen waren nach der Entblutung Avr und Mr unbewegte Punkte, während häufig auch diese eine Bewegung nach oben zeigten (Ver- schwinden des Konvergenzpunktes von der Ventrikeloberfläche). Bis- weilen erfolgte Herzstillstand vor dem völligen Verschwinden des Kon- vergenzpunktes (Stadium III, selten II). Bisweilen endlich war nach Durchschneidung der Aorta ein Wandern nicht festzustellen, vielmehr erfolgte die Kontraktion sofort gleichsinnig. In einem Falle erfolgte vor dem Verschwinden der Rotation eine Umkehrung derselben, so daß sich die Basis nach links, die Spitze nach rechts bewegte. Im übrigen verhalten sich die Herzen mit Rotation nicht anders wie die anderen. Der Konvergenzpunkt verschwindet nach Durchschneidung der Femoralis durchschnittlich in etwa 20—30 Minuten. Ausnahmen von dem regulären Verhalten beim Entbluten sind sehr selten. In einer weiteren Versuchsreihe wurde der Einfluß der Überfüllung des Gefäßsystems untersucht. Es wurde in die Bauchdeckenvene langsam physiologische Kochsalzlösung injiziert und die Ventrikel- bewegung dabei beobachtet. Bei den Versuchen war der Konvergenz- punkt auf dem Herzen nicht immer so circumskript vorhanden, son- dern eher eine Konvergenzlinie zwischen MI-M-Mr und ZI-Z. Nach Injektion von ca 0,2 ccm trat der Konvergenzpunkt deutlich und eircum- script hervor. Nach Injektion von 1,5 ccm erweiterte sich das Herz stark, es vergrößerte sein Volumen um das drei- bis vierfache und richtete sich, da es in die natürliche Lage nicht paßte, in toto empor. Die Herzaktion war während des Injizierens stets stark verlangsamt. Nach den Injek- tionen schwindet die Dreizeitigkeit der Ventrikelbewegung. Bisweilen geschieht dies dadurch, daß der Blutdruck im Venensystem so hoch wird, daß die Kontraktion der Vorhöfe sich unmittelbar an die Ven- trikelkontraktion anschließt, daß also Präsystole und Systole unmittel- bar einander abwechseln. Bisweilen schwindet auch die präsystolische Bewegung des Ventrikels, indem bei der Diastole sich bereits das Herz derart füllt, daß die Präsystole kein Blut mehr in den Ventrikel hinein- pressen kann. Die Kontraktionsbewegungen des Ventrikels sind, den gesteigerten Anforderungen entsprechend, zehn- bis zwanzigmal so groß als normal, verlaufen aber sonst entsprechend wie oben bei gewöhnlicher Blutfüllung beschrieben wurde; der Konvergenzpunkt ist deutlich vorhanden. Auch die systolische Erhebung der. Spitze war stark gesteigert. Man konnte fast von einer Einkrümmung Beobachtungen über die Herzbewegung. 415 gegen das übrige Herz sprechen, sie erreichte einen Winkel von 130° (s. Abb. 4). Die Spitze wird auch hier zuerst anämisch. Nach Injek- tion von 7 cem Kochsalzlösung war die Füllung des Gefäßsystems so stark, daß das Herz stillstand. ventral Nach Eröffnung der Femoralis kehrte KP KP die Bewegung sofort wieder. Bei wei- Bi terem Blutverlust stellte sich auch ne die normale Dreizeitigkeit w'’eder ein. KP Schließlich, beim Verbluten, verhielt ae He Herz in Systole sich das Herz nicht anders wie bei den Abb. 4. K.P. = Konvergenzpunkt. ohne Injektion entbluteten Tieren. Das ausgeschnittene Herz zeigt zweizeitige Bewegung; ein Konvergenz- punkt ist nicht mehr vorhanden; vielmehr erfolgt die Bewegung sofort gleichsinnig basalwärts. Bei einem Kaninchen wurde die Schnitzelmethode auch auf das Säugetierherz angewandt. Wir fanden ein analoges Verhalten wie beim Froschherzen. Der Zweizahl der Ventrikel entsprechend waren auch zwei Kon- vergenzpunkte vorhanden, auf jedem Ventrikel einer. Sie lagen etwa 0,25—0,5 cm vom Septum ziemlich nahe der Basis. Die Bewegungen in der Septumnähe waren im basalen Abschnitt der Ventrikel diver- gierend, an der rechten Seite zum rechten, an der linken Seite zum linken Konvergenzpunkt verlaufend. Die Bewegungen der rechten Seite schienen aber stärker. Die Spitze bewegte sich nach links zu, im unteren Viertel des rechten Ventrikels war ein Wirbelpunkt vorhanden, und links neben ihm über der Spitze, eine Divergenzgegend (s. Abb. 5). Dann wurde die Carotis durchschnitten. Die Konvergenzpunkte verschwanden, nachdem sie höher hinaufgewandert waren, und zwar der linke zuerst, nach Verlust von etwa 20 cem Blut; da das Kaninchen 1,5 kg wog, wird man diese Menge auf etwa !/, bis !/, des Gesamtblutes veranschlagen Abb. 5. können. Nach Injektion von 20 ccm physiolo- K = Konvergenzpunkt. ; = . W = Wirbelpunkt. gischer Kochsalzlösung waren beide Konvergenz- D = Divergenzgegend. punkte wieder vorhanden. Die Bewegung nach Schwund des Konvergenzpunktes verläuft gleichsinnig basalwärts, auch der Wirbelpunkt schwindet allmählich, allerdings nicht so schnell wie die Konvergenzpunkte. Nach Überfüllung des Gefäßsystems erfolgt die Herzaktion langsamer, die Konvergenzpunkte sind deutlich vorhanden, die Dilatation der Vorhöfe weit größer als die der Ventrikel. Die Injektion erfolgte in die Jugularis. Das ausgeschnittene Herz zeigt keine Konvergenzpunkte, verhält sich also wie das in situ stark entblutete. 416 E. Simonsohn: Beobachtungen über die Herzbewegung. Als Ergebnis der Untersuchungen können wir feststellen, daß es bei dem Ventrikel des Froschherzens wie auch bei denen des Kaninchen- herzens Stellen gibt, welche bei der Herzaktion ihren Ort im Raum nicht verändern, solange das Kreislaufsystem seine normale Blutfül- lung behält. Auch bei Überfüllung des Gefäßsystems ist ein ähnliches Verhalten zu beobachten. Nach Blutverlusten aber ändert sich dieses, indem die unbewegten Stellen nach rechts und basalwärts wandern und schließlich verschwinden; dann bewegen sich alle Punkte des Ven- trikels basalwärts, und wir können dann von einer Totalverschiebung des Ventrikels in dieser Richtung reden. Die Ursache dieser Erscheinung darf wohl darin gesucht werden, daß bei normaler Blutfüllung die cranialwärts von der Atrioventri- kulargrenze gelegenen Teile (Aorta und Vorhöfe) durch ihre größere Spannung der basalwärts gerichteten Kraftkomponente einen Wider- stand entgegensetzen und damit eine Totalverschiebung des Herzens verhindern, während bei abnehmender Füllung dieser Widerstand fortfällt. Es ist mir Bedürfnis, an dieser Stelle Herrn Geheimrat Prof. Dr. bleibtreu, in dessen Institut die Untersuchungen erfolgten, und Herrn Prof. Dr. Atzler, der mir im Prinzip die Methodik angegeben, für ihre Ratschläge und ihr Interesse meinen Dank auszusprechen. Zur Kenntnis der oligodynamischen Metall-Giftwirkungen auf die lebendige Substanz. 1. Mitteilung. Paramäecienversuche, Von L. Löhner und B. E. Markovits (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Graz.) (Eingegangen am 2. April 1922.) Inhaltsverzeichnis. . Vorbemerkungen (S. 417). . Über oligodynamische Kupferwirkungen auf Paramäcien (S. 419). . Zum Nachweis des oligodynamisch gespeicherten Kupfers (S. 423). . Zusammenfassung (S. 428). . Übersicht über die seit 1917 erschienene Oligodynamieliteratur (S. 429). ap m 1. Vorbemerkungen. (Von L. Löhner), Im Jahre 1917 hat P. Saxl!) eine neue Hypothese zur Erklärung der seit Nägeli?) bekannten ‚oligodynamischen Metallwirkungen“ ver- öffentlicht und durch spätere Mitteilungen ?) zu stützen gesucht, wonach es sich hier nicht um Lösungsvorgänge, sondern um irgendwie anders geartete, physikalische ‚„Fernwirkungen‘“ handeln solle. Diese Angaben haben begreiflicherweise, zum Teile auch wegen der praktischen Be- 1) P. Saxl, Über die keimtötende Fernwirkung von Metallen (Oligodynamische Wirkung). Wien. klin. Wochenschr. 1917, 30. Jahrg., Nr. 23, S. 714—718. 2) ©. v. Nägeli, Über die oligodynamischen Erscheinungen an lebenden Zellen. Neue Denkschr. d. allgem. Schweizer Gesellsch. f. d. ges. Naturwissensch. 33, Abt.I. 1893. 2) P. Saxl, Über die Verwendung der keimtötenden Fernwirkung des Silbers für die Trinkwassersterilisation. Wien. klin. Wochenschr. 1917, 30. Jahrg., Nr. 31, S. 965/66. — Über die keimtötende Fernwirkung von Metallen und Metallsalzen. Med. Klinik 1917, 13. Jahrg., Nr. 28, S. 764/65. — Über die Herstellung von Vaceinen (Impfstoffen), Diagnostiecis und agglutinierenden Seris mit Hilfe der keimtötenden Fernwirkung der Metallsalze. Med. Klinik 1917, 13. Jahrg., Nr. 46, S. 1209/11. — Die oligodynamische Wirkung der Metalle und Metallsalze. Wien. klin. Wochenschr. 1917, 30. Jahrg., Nr. 45, S. 1426—27. — Neue Beobachtungen über die Fernwirkung oligodynamisch wirkender Substanzen. Wien. klin. Wochen- schr. 1919, 32. Jahrg., Nr. 40, S. 975—78. 418 L. Löhner und B. E. Markovits: Zur Kenntnis deutung dieser Frage für die Keimsterilisierung, zu einer großen Anzahl von Nachuntersuchungen angeregt. Fast alle späteren Untersucher sind aber übereinstimmend zu einem ablehnenden Standpunkt gegen- über der Saxlschen Hypothese gelangt, insofern als zwingende Gründe für die Unvereinbarkeit der oligodynamischen Phänomene mit der Lösungstheorie nicht gefunden werden konnten. So war ich!) z. B. in der Lage, für die vielgenannten Erscheinungen der ‚„keimfreien Höfe‘ und ‚„Randwulstbildungen“ im bakteriologischen Plattenkulturversuch den Nachweis zu erbringen, daß es sich hier um Folgen der Lösung des Metalles im Nährboden handeln müsse und daß die Erklärung im Sinne des Arndt-Hueppeschen biologischen Gesetzes zu geben sei. Es besagt, daß Substanzen, die in bestimmten Konzen- trationen Protoplasma töten, in geringeren die Entwicklungsfähigkeit aufheben und in noch geringeren als die Lebenstätigkeit fördernde Reize wirken. Sämtliche nach diesem Gesetze theoretisch zu konstru- ierenden Möglichkeiten zeigten sich im oligodynamischen Plattenkultur- versuch mit eingegossenen Metallstücken verwirklicht und entsprechend einem Giftkonzentrationsgefälle, waren Zonen mit Keimabtötung, Wachstumshemmung, Wachstumsförderung und Indifferenz feststell- bar. Dieser Deutung haben sich Baumgarten und Luger?), Luger?) und andere angeschlossen und neuerdings hat auch Seiffert*) nach eingehen- der Nachprüfung und Bestätigung meiner Versuche sich in diesem Sinne ausgesprochen. Das Problem der Oligodynamie besteht demnach heute nicht mehr in den wohl außer Frage stehenden primären physikalischen Grund- lagen der Erscheinungen, sondern nur in der Erforschung der in den quantitativen Verhältnissen tatsächlich vielfach an das Wunderbare grenzenden Giftwirkung. Nägeli®) hatte sich seinerzeit bei seinen grundlegenden Versuchen, die ihn zur heute meist wohl nicht mehr aufrecht erhaltenen Unterschei- 1) L. Löhner, Über oligodynamische Wirkungen von Metallen auf lebende Zellen. Med. Feldbl. d. 10. Armee 1917, Nr. 23, S. 10 (Ref.: Zentralbl. f£. Physiol. 33, 161/62. 1918). — Über ‚„keimfreie Höfe‘ und „Randwulstbildungen“ als biologische Folgen oligodynamischer Metallwirkungen. Wien. klin. Wochenschr. 1919, 32. Jahrg., Nr. 37, S. 911/15. 2) A. Baumgarten und A. Luger, Zur Theorie des sogenannten oligodynami- schen Phänomens. Wien. klin. Wochenschr. 1918, 31. Jahrg., Nr.7, S. 188. 3) A. Luger, Über die durch Metalle, Metallsalze und flüchtige Desinfizientien hervorgerufenen keimfreien Höfe auf Bakterienplatten. Wien. klin. Wochenschr. 1920, 33. Jahrg., Nr. 38, S. 834. *) W. Seiffert, Untersuchungen über den Einfluß oligodynamischer Metall- wirkungen auf das Wachstum von Bakterien. Münch. med. Wochenschr. 1920, Jahrg. 50, S. 1437/38. — E. Friedberger, Demonstration oligodynamischer Metall- wirkungen an Leuchtbakterien. Berl. klin. Wochenschr. Jahrg. 58, S. 897. 1921. SC. v2 Nägel, 1. c. der oligodynamischen Metall-Giftwirkungen auf die lebendige Substanz. I. 419 dung zwischen spezifischen und oligodynamischen Metallgiftwirkungen führten, des pflanzlichen Objekts, der Süßwasseraigen, bedient. Viel- leicht war das mit der Grund, daß auch alle späteren Untersucher das gleiche Material bevorzugten und hauptsächlich mit Spirogyren, dann mit Hefen und Bakterien arbeiteten, während tierische Objekte wenig herangezogen wurden. Zum Zwecke, das Verhalten des tierischen Protoplasmas gegen oligo- dynamische Giftwirkungen zu studieren, schien mir der bewährte Weg zur Lösung so vieler Probleme der allgemeinen Physiologie, die Ver- wendung von Protozoen zu den einleitenden Versuchen am meisten empfehlenswert. In dieser Beziehung liegen einige nebenbei angestellte, orientierende Vorversuche von /srael und Klingmann!) und, ohne Kennt- nis dieser Arbeit, von mir?) vor, die soviel besagen, daß die Abtötung von Amöben, Difflugien, Ziliaten usw. durch oligodynamische Kupfer- wirkung sehr leicht gelingt. Mich interessierte nun mit Bezug auf die bei Bakterienkulturen ge- machten Erfahrungen über Wachstumsförderung und -hemmung in erster Linie die Frage, ob am tierischen Objekt ein dem Lähmungs- stadium vorausgehendes Exzitationsstadium nachweisbar wäre. Über die Ergebnisse einiger unter meiner Leitung von B. E. Markovits in dieser Richtung durchgeführter Versuche und damit verknüpfte sonstige Beobachtungen soll nachstehend berichtet werden. 2. Über oligodynamisehe Kupferwirkungen auf Paramäeien. (Von B. E. Markovits und L. Löhner.) Die im folgenden geschilderten Versuche wurden mit einer ‚reinen Linienkultur“ von Paramaecium caudatum Ehrbg. und reinem Kupfer als bestwirksamen oligodynamischen Metall angestellt. Nach mannigfachen Bedingungsänderungen waren wir zu der Ver- suchszusammenstellung gekommen, die das umstehende Protokoll wiedergibt; sie wurde in der Regel angewendet. In vorausgegangenen Versuchsreihen hatten wir den Einfluß der Variation der Wasser- und Kupfermenge und Einwirkungsdauer studiert und uns dabei als Indikator für die Stärke der Giftwirkung der Bestimmung der Absterbezeiten be- dient. Wir glauben, ob der heute gebotenen Kürze von der Besprechung dieser Reihen absehen zu sollen und möchten nur auf die Ergebnisse unserer typischen Versuchsanordnung kurz hinweisen. Bei allen diesen Versuchen wurde neben der Durchschnittsbeobachtung auch nach der !) O. Israel und Th. Klingmann, Oligodynamische Erscheinungen (v. Nägel) an pflanzlichen und tierischen Zellen. Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 147 (Folge 14, Bd. 7), S. 293—340. 1897. 2) L. Löhner, ].c., 1917, S. 10. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 28 420 L. Löhner und B. E. Markovits: Zur Kenntnis Methode der ‚Beobachtung des letzten Exemplares“ aus an anderer Stelle!) dargelegten Gründen vorgegangen. Das nachstehend wiedergegebene Versuchsprotokoll gibt ein Bild von den Absterbezeiten bei einem typischen Versuche. Versuchsprotokoll Nr. 29. 13. V. 1920. Zimmertemperatur 15°C. In pa- raffinierte Widalröhrchen (Nr. I—15) werden je 2ccm destilliertes Wasser ein- gefüllt; die Röhrchen Nr. 1—12 werden sodann mit blanken Kupferdrahtspiralen von je 20 mm Drahtlänge und 0,3 mm Durchmesser (Oberfläche rund 51 qmm) beschickt, die nach 5 Stunden wieder entfernt werden. In diese Röhrchen, wie in die Kontrollröhrchen Nr. 13—15 wird hierauf eine Menge von je 0,5 cem einer durch 1 Stunde ‚„geotaktisch“ gereinigten, dichten Paramäciensuspension ein- gebracht. Widalröhrchen Nr.: 1 2 Saar 5 6 7 = 9 0 | Mi 2 13 | 14 | Abtötungszeiten für: Erstes Exemplar. 38° 35’ 21’ 7 Di 9 7? 15% 23. 15 | 17° 19’ — | — | Abtötungszeiten für: Hauptmasse. Ba 40’ 20484 0307 307 20’ 207 ar | 2% 207 20” 307 bis bis bis bis bis bis bis bis | bis bis bis bis — | — oh 12 30° a 9gh 3 | Rn 307 | 1a 50: | 145 | ah oh ıı 30’ an Abtötungszeiten für: Letztes Exemplar. sh, 2ulgr | 302 5037 | Dt 17 Ein 55 | nz ae 5252 21037 en on Die Absterbezeiten zeigen die bei allen derartigen Versuchen zu beob- achtenden, relativ beträchtlichen Schwankungen, die neben gleich zu erwähnenden äußeren Umständen hauptsächlich durch individuelle Unterschiede bedingt sind. Die Abtötungszeit wurde hier für die ‚ersten Exemplare‘ zwischen 7 und 38 Minuten (Durchschnittswert 18 Minuten 45 Sekunden), für die ‚letzten Exemplare“ zwischen 1 Stunde 32 Mi- nuten und 3 Stunden 5 Minuten (Durchschnittswert 2 Stunden 9 Minuten) liegend bestimmt, während für die Hauptmasse die Durchschnittszahl 1 Stunde 7 Minuten gefunden werden konnte. Bei dieser Zusammen- stellung sind die schädlichen Wirkungen und das Absterben der Haupt- masse der Tiere also durchschnittlich innerhalb der ersten 2 Stunden zu beobachten. In den Kontrollproben war ein Absterben während der Versuchsdauer nicht festzustellen. Destilliertes Wasser wurde bei diesen Versuchen dem Leitungswasser vorgezogen, da unter diesen Umständen eine gewisse Gleichmäßigkeit und besser untereinander übereinstimmende Ergebnisse zu erzielen waren. Bei Verwendung von Leitungswasser fanden wir die Absterbe- zeiten in der Regel beträchtlich länger, gelegentlich aber auch ausneh- :) L. Löhner, Vergleichende Untersuchungen über Erstickung, Wärme- Jähmung und Narkose mit Protozoen. Zeitschr. f. allg. Physiol. 15, 209. 1913. der oligodynamischen Metall-Giftwirkungen auf die lebendige Substanz. I. 421 mend kurz. Der schwankende Gehalt des Leitungswassers an gelösten oder kolloidal verteilten Substanzen spielt offenbar eine wichtige Rolle bei der spurenweisen Kupferlösung, aber auch der Bindung und phy- siologischen Ausschaltung bereits gelöster Teilchen. Das in reinem "Wasser sich bildende Cu‘'-Iondispersoid wird, wie schon anderen Ortes!) erwähnt wurde, durch gleichzeitig vorhandene andere Ionen in seiner Wirksamkeit weitgehend beeinflußt. Neben einer Verstärkung der Giftwirkung kann durch echten Ionenantagonismus, durch Antiergismus, Komplexionenbildung usw. eine beträchtliche Wirksamkeitsverminde- rung eintreten. Praktisch bedeutungsvoll ist für diein Betracht kommen- den Versuche die von Spiro?) wenigstens für einige Formen nachge- wiesene entgiftende Wirkung geringer Kochsalzzusätze (lonenantagonis- mus zwischen Chlor und Kupfer) zu „gekupfertem Wasser“. Da destil- liertes Wasser für sich allein bei der geschilderten Verwendungsweise bis zu 20 Stunden eine merkliche Schädigung der Paramäcien nicht mit sich brachte, entschieden wir uns aus den angeführten Gründen dafür. Für die Erzielung gleichmäßiger Resultate ist ferner, wie Pfeiffer und Kadletz?) hervorheben, wegen der verschiedengradigen Kupfer- speicherung und Alkaliabgabe durch die Glaswand, die Paraffinierung der Gefäße nicht zu umgehen). Differenzen der Absterbezeiten kön- nen ferner durch Ab- und Adsorption der Kupferteilchen an etwa vor- handene, unbelebte Suspensionen bedingt sein, worauf verschiedene Autoren’) hinweisen. Schon Nägeli stellte fest, daß die gleichzeitige Gegenwart unlöslicher Körper (Kohlenteilchen, Stärke usw.) im Wasser die oligodynamischen Erscheinungen vermindert oder selbst aufhebt. Im Zusammenhange damit möchten wir die von uns gemachte Beobach- tung hervorheben, daß auch die suspendierte lebende Substanz in ganz gleicher Weise wirkt. Die Abtötungszeiten der Hauwptmasse der Paramäcıen erfahren eine Verlängerung, wenn die im gleichen Flüssigkeitsgquantum enthaltene Individuenzahl eine größere ist. Darin kann ein Hinweis auf 1) L. Löhner, 1. c., 1919, S. 8. ?) K. Spiro, Die oligodynamische Wirkung des Kupfers. Ein Beitrag zur Lehre vom Antagonismus. Biochem. Zeitschr. %4, 275. 1916. 3) H. Pfeiffer und H. Kadletz, Über die oligodynamische Wirkung verdünnter Kupfersalzlösungen. Wien. klin. Wochenschr. 1917, 30. Jahrg., Nr. 39, S. 1222. *) Auf verschiedene technische. Einzelheiten, deren Kenntnis bei einschlägigen Arbeiten unerläßlich ist, kann zwecks Platzersparnis nicht eingegangen werden; es sei nur auf die verschiedenen Angaben und Winke in der Literatur seit 1917 hingewiesen. Ausdrücklich erwähnt sei nur die Tatsache, daß zur Entfernung der oligodynamisch wirksamen, gespeicherten Kupfermengen aus bereits be- nützten, unparaffinierten Gefäßen, das gründlichste Auswaschen und Auskochen allein nicht genügt. Wir bedienten uns zur Erreichung dieses Zieles immer des Einlegens der Gläser in 10 proz. HCl-Lösung durch mindestens 1 Stunde. 3) Vgl. A. Baumgarten und A. Luger, 1. c., (1917, Nr. 39), S. 1225. 28: 422 L. Löhner und B. E. Markovits: Zur Kenntnis ein primär wohl durch Oberflächenadsorption eingeleitetes, elektives Aufnahmevermögen der lebendigen Substanz für die minimalen in der ersten Zeit gelösten Kupfermengen gesehen werden (vgl. S. 424). Israel und Klingmann!) erwähnen, daß sie positiven C'hemotropismus von Paramäcien gegen ‚„Kupferwasser‘‘ mit Hilfe der Capillarmethode feststellen konnten. In diesem Sinne ist wohl auch die gemachte Beob- achtung zu deuten, daß sich nach Einbringen einer Kupferspirale an- fänglich oft mehrere Tiere in deren Nähe ansammeln, ja dieselbe be- rührend thigmotaktisch stille stehen. Sehr bald, gewöhnlich schon nach Ablauf einiger Minuten, ändert sich aber das Bild. Die Ciliaten meiden jetzt nicht nur das Metallstück selbst, sondern auch eine umgebende Ringzone, die allmählich größer wird. Wenn man im Uhrschälchen bei schwacher Vergrößerung und bei Anwesenheit von nur wenigen Tieren, so daß stärkere Flüssigkeitsströmungen unterbleiben, beobachtet, ist die an ziemlich eng begrenzter, erst allmählich sich ausbreitender Ringzone eintretende Fluchtreaktion oft zu verfolgen. Unser weiteres Bestreben war auf eine genaue Analyse des Ver- haltens von Paramäcien nach Einbringen in gekupfertes Wasser gerichtet. Zu diesem Zwecke wurden sowohl mikroskopische Untersuchungen im „hängenden Tropfen“ und in der „feuchten Kammer“ durchgeführt, als auch makroskopische Beobachtungen in (nicht paraffinierten) Widalröhrchen im durchfallenden Lichte angestellt. Während die Feststellung des einsetzenden Lähmungsstadiums beim Vergleiche mit Kontrollproben ohne weiteres gelinst, bereitet die Frage, ob hier auch noch von einem vorausgehenden Erregungsstadium ge- sprochen werden kann, einige Schwierigkeiten. Sicherlich liegt hier ein Exzitationsstadium, vergleichbar dem, das durch 'Temperaturerhöhung über 30°C, durch Ätherdämpfe usw. auszulösen ist, nicht vor und dementsprechend kann auch keine derartige Beschleunigung der Loko- motionsgeschwindigkeit festgestellt werden. Bei oberflächlicher Beob- achtung ist man geneist, bis zum Einsetzen des Lähmungsstadiums überhaupt keinerlei Unterschiede gegenüber den Kontrolltieren anzu- nehmen. Das sorgfältige Studium einer größeren Anzahl von Widal- röhrenproben mit verschiedenstarker Kupferung macht aber doch auf solche aufmerksam. So erfährt das Phänomen der negativen Geotaxis im Kupferröhrchen eine gewisse Verzögerung und die Prozentzahl der nicht emporsteigenden Tiere ist wesentlich größer als in den Kontrollen. Von einem bestimmten Zeitpunkt an, — beim unten erwähnten Ver- suche nach 1/, Stunde, — gewinnt man den Eindruck, daß sich die Kupfer- tiere etwas lebhafter als die andern bewegen. Durch Schwimmbahnmes- sungen konnte auch die objektive Bestätigung hierfür erbracht werden. 1) O. Israel und Th. Klingmann, 1. c., 8. 327. der oligodynamischen Metall-Giftwirkungen 'auf die lebendige Substanz. I. 423 Protokoll Nr. 51. (B. E. Markovits) 16. X. 1920. Zimmertemperatur 13°C. Schwimmbahnmessungen von Paramaecium caudatum Ehrbg. am Objektträger mit Hilfe eines Reichertschen Okularmikrometers und einer Stoppuhr. Wasser- Kupferung usw. wie Protokoll Nr. 29. Entnahme des Tropfens aus den Widal- röhrchen !/, Stunde nach Versuchsbeginn. Die Messungen ergaben für die Kontrolltiere eine durchschnittliche Sekunden- geschwindigkeit von 600-800 u, für solche auf der Höhe des Exzitationsstadiums von 700—1000 u. Auffälliger werden die Unterschiede beim Widalröhrchenversuch, wenn nach eingetretener negativer Geotaxis eine gewisse „Beruhigung“ der Kontrolltiere einsetzt und viele davon an den Glasflächen thigmo- taktisch stille stehen (etwa ?/,—1 Stunde nach Versuchsbeginn). Die Kupfertiere zeigen dieses Verhalten nicht, sondern wimmeln wie vorher in leicht gesteigerter Bewegungsgeschwindiskeit durcheinander. Im weiteren Verlaufe, — in den einzelnen Versuchen zu oft recht verschiedenen Zeitpunkten, — kann man dann das Einsetzen des Lähmungsstadiums feststellen. Es ist der bekannte, ziemlich unspezi- fische Symptomenkomplex, der auf rasch wirkende, schädigende äußere Einflüsse hin immer in Erscheinung tritt. Die verminderte Energie- produktion findet ihren Ausdruck in einer Verlangsamung des Cilien- schlages und damit in einer Abnahme der Bewegungsgeschwindigkeit und Bewegungsfähigkeit der Tiere, die zu deren allmähligem Zuboden- sinken führt. Störungen in der Tätigkeit der exkretorischen Orga- nellen äußern sich als Verlangsamung des Systolettenspieles und Größen- zunahme der kontraktilen Vakuolen. Die Anhäufung der Exkretstoffe führt schließlich zu einer walzenförmigen Auftreibung des Gesamt- körpers und mitunter zu hernienartigen Vorwölbungen (,‚Zellhernien‘); schließlich erfolgt Austritt von Plasmamassen nach Platzen der Pellicula und Zerfließen des Organismus. Es sind also ganz ähnliche Bilder, wie sie auch bei Erstickung, Wärmelähmung, Narkose usw. beobachtet werden können!). Werden Tiere während des Exzitationsstadiums oder der ersten An- fänge des Lähmungsstadiums dem gekupferten Wasser entnommen, gewaschen und in reines Wasser übertragen, so erholen sie sich voll- ständig. Nicht mehr das gleiche gilt aber nach der Halbzeit. Sobald die Paramäcien die charakteristische Auftreibung zeigen und Pendel- und Rotationsbewegungen an Ort und Stelle vollführen, erweist sich die Schädigung irreversibel. 3. Zum Nachweis des oligodynamisch gespeicherten Kupfers. (Von L. Löhner.) Nach der derzeit wohl als herrschend hinzustellenden Anschauung hat man es bei der oligodynamischen Vergiftung der lebendigen Substanz 1) L. Löhner, 1. c. 1913, S. 216. 424 L. Löhner und B. E. Markovits: Zur Kenntnis mit einem in zwei Phasen ablaufenden Vorgange zu tun. Der einleitende Prozeß wäre eine Adsorption der gelösten Metallteilchen an die suspen- dierten Organismen, der zweite Akt dann erst die eigentlich chemische Einwirkung des Metalles auf die lebendige Substanz. Mit der einleitenden Metalladsorption haben sich schon zahlreiche Forscher, so in jüngster Zeit K. Süpfle!) befaßt. Dieser Forscher betont, daß in einer Suspensionsflüssigkeit, in der auch noch Stoffe gelöst sind, Adsorptionsvorgänge möglich seien; für Schwermetalle wären sie bereits nachgewiesen. Die Adsorption konzentriere die gelösten Metall- salze z. B. an die Bakterienoberfläche und mache dadurch eine schwach desinfizierende Lösung beträchtlich wirksamer. Im Sinne dieser Vorstellungen hätte man es bei der oligodynamischen Vergiftung jedenfalls mit einer elektiven Aufnahme und Anreicherung des Metalles in der lebendigen Substanz zu tun, wofür auch die von uns auf S. 421 angeführten Versuchsergebnisse sprechen. Es schien mir daher von Interesse, zu untersuchen, ob sich in den oligodynamisch abgetöteten Par- amäcien Kupfer feststellen läßt. Meines Wissens war ein derartiger Nach- weis bisher nur Spiro?) für Hefezellen mit der Pagenstecher schen Reaktion gelungen. Immerhin erschien mir bei der verhältnismäßigen Größe der Paramäcien ein positiver Ausfall von vornherein nicht unwahrscheinlich. Das in erster Linie in Angriff genommene mikrochemische Kupfer- nachweisverfahren an Paraffinschnitten nach den Methoden von Boyce und Herdmann?) (Ferrocyankalium-Methode, Ammoniumsulfit-Me- thode und Hämatoxylin-Methode) lieferte Bilder, die von einem positiven Ausfall zu sprechen, nicht erlauben. Negativ fiel auch die in der Oligodynamieliteratur vielgenannte Pagenstechersche Reaktion ®) aus, die von B. E. Markovits mit mehreren ccm einer dichten Paramäzienleichen-Suspension in „gekupfertem‘“ Wasser, wie auch mit diesem letzteren allein, angestellt wurde. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei ausdrücklich betont, daß es sich hier immer um die Grenzfälle jener minimalen ‚„Kupferung‘‘ des Was- sers handelt, die gerade zur oligodynamischen Abtötung der Paramäcien genügt. Nach längerwährendem Einlegen von Kupferstücken in Wasser gelingt, wie dies Baumgarten und Luger?) zeigen konnten, mit Hilfe 1) K. Süpfle, Über oligodynamische Metallwirkungen auf Bakterien. Münch. med. Wochenschr. 1920, 67. Jahrg., Nr. 41, S. 1166/68. ®) K. Spiro, Die oligodynamische Wirkung des Kupfers. Münch. med. Wochenschr. 1915, 62. Jahrg., Nr. 47, S. 1602. 2) Vgl. A. B. Macalum, Die Methoden der biologischen Mikrochemie. E. Ab- derhalden, Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. Bd. 5, Teil2. Urban und Schwarzenberg, Berlin-Wien 1912, S. 1130. *) K. Spiro, 1. ec. 1916, S. 274. — E. Schaer, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 2, 230. 1869; 3, 21. 1870. Ri >) A. Baumgarten und A. Luger, Über die Wirkung verdünnter Metallsalz- lösung auf Diastase. Wien. klin. Wochenschr. 1917, Nr. 39, S. 1224. der oligodynamischen Metall-Giftwirkungen auf die lebendige Substanz. I. 425 der Pagenstecherschen Guajakreaktion in der Modifikation von Spiro der Kupfernachweis in diesem Wasser meist unschwer. Herr Doz. Dr. H. Lieb, dem ich auch noch an dieser Stelle hierfür den besten Dank aussprechen möchte, hatte die Güte, im med.-chem. Institute der Universität Graz ihm zur Verfügung gestelltes, oligo- dynamisch abgetötetes Paramäcienmaterial, das durch Ansetzen einer größeren Anzahl von Standgefäßen und Abzentrifugieren der Leichen gewonnen worden war, mikroanalytisch auf Kupfer zu verarbeiten. Die mir freundlichst zur Verfügung gestellte Mitteilung lautet: „Die dichte Paramäzienaufschwemmung wurde zum Zwecke der Zerstörung alles Organischen in der Porzellanschalle mit konzentrierter Schwefelsäure und konzentrierter Salpetersäure eingedampft und ab- geraucht. Der kaum sichtbare, rein weiße Rückstand wurde in einigen Tropfen Aqua dest. gelöst und nach der Behrensschen Methode die Krystallfällung von Kaliumkupferbleinitrit [K,PbCu(NO,),] angestrebt. Die genau nach den Emichschen Vorschriften!) angestellte Reaktion, die zu den empfindlichsten gehört und der wegen der Unwahrscheinlich- keit einer Verwechslung vor der Farbenreaktion der Vorzug zu geben ist, hatte ein negatives Ergebnis. Negativ fiel auch die Ammoniak- reaktion und die Ferrocyankaliumprobe (Empfindlichkeitsgrenze der letzteren etwa bei 0,01 mg Cu) aus. Die Uhlenhutsche Reaktion (Chem. Ztg. 34, 887) mit 1,2-Diamino- 3-anthrachinonsulfosäure konnte mangels dieses Präparates nicht ver- sucht werden.‘ Bemerkenswert im Hinblick auf alle diese negativen Ergebnisse erscheinen die von mir mit der Pfeifferschen Fuchsinreaktion?) gemach- ten Erfahrungen. Die Reaktion ist gewiß nicht als spezifische, den früher genannten vergleichbare Kupferprobe aufzufassen; sie hat sich aber „in allen Belangen als echte oligodynamische Erscheinung von höchster Empfindlichkeit. im Sinne Nägelis‘®) bewährt und erlaubt bei gewissen Versuchen, Rückschlüsse auf die Anwesenheit von Kupfer zu ziehen. Es handelt sich bei dieser Probe um das Auftreten der roten Fuchsin- farbe, nachdem die Entfärbung des Reagens durch vorherigen Zusatz von reduzierender Natriumsulfitlösung erreicht worden war®). Bei- 1) F. Emich, Lehrbuch der Mikrochemie. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1911, S. 91. 2) A. Pfeiffer und H. Kadletz, Das reduzierte Fuchsin als Indikator der oligo- dynamischer Wirkung des Kupfers. Wien. klin. Wochenschr. 1917, 30. Jahrg., Nr. 32, S. 997/99. 2) H. Pfeiffer und H. Kadletz, 1. c. 1917, Nr. 39, S. 122]. *) Die Zusammensetzung des Reagens ist nach H. Pfeiffer und H. Kadletz (l.c. 1917, Nr. 32, S. 998) folgende: 200 ccm Ag. dest. + lccm konzentrierte alkoholische Fuchsinlösung + 5ccm 10 proz. Natriumsulfitlösung. Die erkaltete frisch bereitete Lösung zeigt einen eben noch erkennbaren rosenfarbenen Stich. Das Reagens kann, wie andere reduziertes Fuchsin enthaltende Präparate, nur 426 L. Löhner und B. E. Markovits: Zur Kenntnis oligodynamischen Versuchen mit Kupfer und Kupfersalzen hat es sich gezeigt, daß wir in dem Farbenumschlag einen sehr feinen Indikator für die Anwesenheit von Kupfer gegeben haben und daß aus der Inten- sität der Rötung unter sonst gleichen Bedingungen sogar Schlüsse auf die quantitativen Verhältnisse gezogen werden können. Anhaltspunkte über die vermutliche Größenordnung der Kupferkonzentration in diesen Fällen sind den Angaben von Pfeiffer und Kadletz!) zu ent- nehmen, die bei Auswertungsversuchen mit Kupfersulfatlösungen fest- stellen konnten, daß bei Verdünnungen bis etwa zu den Werten von 10°"? stark positive, bis etwa 10°'? eben noch deutlich positive Reak- tionen zu erhalten sind. Einige einschlägige Versuche mit diesem Reagens seien hier in tabel- larischer Form wiedergegeben und kurz besprochen. Protokoll Nr. 57. 8. XI. 1921. Zimmertemperatur 20°C. Verwendung findet - durch negative Geotaxis gereinigte Paramäziensuspension in Aqua destillata. Widalröhrchen vor Tageslicht nicht geschützt. Kupferdrahtspirale wie Protokoüi Nr. 29. Röhr. Ergebnis nach 1 Tage Ergebnis nach 2—3 Tagen chen | ul Flüssiskeit Paramäzien Flüssigkeit Paramäzien ll, 1 ccm Paramäzien- | ‚suspension + 1 cem Pfeiffersches Rea- \gens + 1 Cu-Spirale| hellrosa labgetötet und rot abgetötet, rot | rosa gefärbt verfärbt. 2. \dgl.,ohneCu-Spirale| unverändert lebend unverändert lebend 3. |2ccm gereinigte Pa- ramäziensuspension | allein en x Na = 4, |l ccm Pfeiffersches Reagens + 1 ccm Aqua dest. hs — : — 5. |2 ccm Pfeiffersches Reagens + 1 Cu- Spirale hellrosa — rot _ Der Versuch lehrt, daß bei Anwesenheit einer Kupferspirale nach 24 Stunden bereits eine deutliche Verfärbung des Reagens festgestellt werden kann. Der Farbenton ist anfänglich hellrosa, später, nach dem 2. bis 3. Tage tief fuchsinrot. Die kupferfreien Röhrchen zeigen während der ersten 3 Tage noch keine kenntliche Verfärbung; darüber hinaus beginnt sie sich allerdings, wie schon erwähnt, bemerkbar zu machen. frisch zubereitet verwendet werden. Allem Anschein nach ist es der Luftsauerstoff, der allmählich, besonders bei höherer Temperatur, etwa vom 3. Tage an Rötung hervorruft. 2) H. Pfeiffer und H. Kadleiz, 1. c. 1917, Nr. 39, S. 1222. der oligodynamischen Metall-Giftwirkungen auf die lebendige Substanz. I. 427 Das Reagens als solches scheint für die Paramäzien indifferent zu sein. Die Paramäzienleichen aus Röhrchen 1 zeigen intensive Rotfärbung und mitunter, nicht immer, das Bild, daß eine blaßrosa gefärbte Rand- zone viel stärker gefärbte Zentralpartien umschließt. Die helle Rand- zone bleibt auf 2—3 Zehnteile des Querdurchmessers beschränkt. Die Verfärbung der Leichen kann nicht ohne weiteres als ein Beweis für eine Kupferanreicherung hingestellt werden. Bringt man nämlich Paramäzienleichen sonstiger Herkunft (nicht oligodynamisch abge- tötete) in bereits verfärbtes, kupferfreies Reagens ein, so nehmen sie gleichfalls Farbe an, nur sah ich in diesem Falle nie die oben erwähnten Zonenunterschiede. Es handelt sich hier also um die gewöhnliche Fuchsin- färbung, die die verschiedenstartigen, in eine Fuchsinlösung eingebrach- ten, leblosen Partikel annehmen. Lebende Paramäzien zeigen in diesem Medium ganz normales Verhalten. Die Gesamtheit ihres Zelleibes bleibt ungefärbt, die Nahrungsvakuolen und ihr Inhalt erscheinen dagegen in verschiedenen Abstufungen von Rotviolett, so daß verdauungsphy- siologische Vorgänge an diesen Objekten gut verfolgt werden können. Daß beim oligsodynamischen Versuche die Kupferspeicherung in der lebenden Substanz tatsächlich eine Rolle spielt, beweist aber folgender Versuch. Protokoll Nr.59. 16. XI. 1921. Zimmertemperatur 20°C. Es wird in der üblichen Weise eine größere Menge oligodynamisch abgetöteter Paramäzien ge- wonnen und dieselbe durch Abzentrifugieren und 5maliges „Waschen“ mit Aqua dest. von jeder Spur von „gekupfertem Wasser“ befreit. Eine zweite Partie Paramäzien wird durch gelindes Erwärmen abgetötet und gleichfalls gewaschen. Von beiden Partien findet eine sehr dichte Suspension in destilliertem Wasser Verwendung. Ergebnis nach 1 Tage Ergebnis nach 2 Tagen Inhalt ; Er BE Flüssigkeit | Paramäcien- | jüssigkeit | Faramäcien- leichen leichen m |Röhrchen l ccm Pfeiffersches Reagens + 0,5 ccm oligodynam. getötet. Paramäciensuspens. | deutlich rosa | deutlich rosa| stark rot stark rot 2.|1 ccm Pfeiffersches Reagens + 0,5 ccm hitzegetötete Para- mäciensuspension. | unverändert | unverändert | unverändert | unverändert 3.,1 ccm Pfeiffersches ‚Reagens + 0,5 ccm | Aqua dest. | unverändert — unverändert — In weiteren Versuchen mit verschieden dichten Suspensionen von oligodynamisch abgetöteten Paramäzien konnte der Nachweis erbracht werden, daß sich die Intensität der Färbung beziehungsweise der Zeit- punkt der Reagensfärbung proportional der Suspensionsdichte erweist. 428 L. Löhner und B. E. Markovits: Zur Kenntnis Es zeigt sich also hier, daß gründlich gewaschene, oligsocdynamisch abgetötete Paramäzien im Gegensatz zum „Hitzematerial‘ die Reagens- verfärbung auszulösen imstande sind. Da bei dieser Versuchsanordnung die Mitübertragung von ‚„gekupfertem Wasser‘ ausgeschlossen ist, kann nur an die Leibessubstanz gebundenes Kupfer, das allmählich an die Umgebungsflüssigkeit wieder abgegeben wird, hierfür verantwortlich gemacht werden. Der Auslaugungsprozeß geht durchaus nicht sehr rasch vonstatten und Spuren des Kupfers werden von intakten Leibern offenbar sehr lange festgehalten. Das geht daraus ‚hervor, daß eine ge- waschene und durch 3 Tage mehrmals abgewässerte Paramäziensus- pension nach Übertragen auch noch die Reagensverfärbung am 2. Tage hervorrief. Zusammenfassung. 1. Im oligodynamischen Versuch mit Paramäzien tritt die Kupfer- giftwirkung zuerst in einem Fxzitations-, dann in einem Lähmungs- stadium, das mit der Lebensvernichtung endet, in Erscheinung. 2. Das leicht zu übersehende Exzitationsstadium äußert sich in mäßig beschleunigter Cilienbewegung und damit zusammenhängend, in geringgradig gesteigerter Lokomotionsfähigkeit, ferner in einer Verminderung der Neigung zu negativer Geotaxis und zu positiver Thigmotaxis. 3. Das Lähmungsstadium tritt als Symptomenkompiex in Er- scheinung, der schon als Folge anderer Schädigungen (Erstickung, Wärmelähmung, Narkose) bekannt ist. Es äußert sich a) durch Verlangsamung des Cilienschlages und damit Abnahme der Bewegungsgeschwindiskeit, durch Verminderung der Bewegungsfähig- keit und Absinken zu Boden. b) durch Verlangsamung des Systolettenspieles und Größenzunahme der kontraktilen Vakuole, schließlich durch walzenförmige Auftreibung des Gesamtkörpers als Folge der Anhäufung von Exkretstoffen. 4. Auf das vorgeschrittene Lähmungsstadium folgt entweder unmerk- liches . Absterben oder nach vorausgegangener ‚„Zellhernienbildung‘“ Platzen der Pellikula, Zerfließen der Plasmamassen und damit der plötzliche Tod. 5. Die in den Lähmungsanfangsstadien nach Übertragung in reines Wasser noch reversible oligodynamische Schädigung erweist sich als irreversibel, sobald morphologische Veränderungen in der Richtung der erwähnten Quellungserscheinungen deutlich werden. 6. Die herrschende Anschauung, daß die oligodynamische Gift- wirkung mit einer durch Adsorption eingeleiteten Anreicherung des Metalles in der lebendigen Substanz zusammenhängt, kann durch zwei Beobachtungen gestützt werden: der oligodynamischen Metall-Giftwirkungen auf die lebendige Substanz. I. 429 a) Die Abtötungszeiten der Paramäzienhauptmasse im oligodyna- mischen Kupferversuch erfahren eine Verlängerung, sobald die in der gleichen Flüssigkeitsmenge enthaltene Individuenzahl eine größere ist. b) Gründlich gewaschene, oligodynamisch abgetötete Paramäzien geben, im Gegensatze zu auf andere Weise (Hitze) getöteten, bei Ein- bringen in Pfeiffersches Reagens positive Fuchsinreaktion. Übersicht über die seit 1917 erschienene neue Oligodynamie - Literatur. 191%: !) Saxl, P., Über die keimtötende Fernwirkung von Metallen (Oligo- dynamische Wirkung). Wien. klin. Wochenschr. 1917, Jahrg. 30, Nr. 23, S. 714/18. — 2) Sazl, P., Über die Verwendung der keimtötenden Fernwirkung des Silbers für die Trinkwassersterilisation. Wien. klin. Wochenschr. 1917, Jahrg. 30, Nr. 31, S. 965/66. —) Saxl, P., Über die keimtötende Fernwirkung von Metallen und Metall- salzen. Med. Klinik 1917, Jahrg. 13, Nr. 28, S. 764/65. — *) Pfeiffer, H. und H. 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Hyg. 82, 283—326. 1916. — Schloßberger, H. (Nr. 18 dieses Verz.) — Gräfin v. Linden, M. (Nr. 29 dieses Verz.). — Drechsel, O. (Nr. 53 dieses Verz. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. d. S.) Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. Mitteilung. Vergleichende Untersuehungen über die Wirkung von erwärmter und niehterwärmter Kleie und Hefe und ferner von Organen von normal ernährten und von mit geschliffenem Reis ernährten Tauben. Von Emil Abderhalden. (Ausgeführt mit Mitteln der Kaiser Wilhelm - Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. ) Mit 7 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. März 1922). Durch unsere Untersuchungen!) steht fest, daß bei Tieren — unter- sucht sind in der Hauptsache Tauben —, die ausschließlich mit ge- schliffenem Reis ernährt werden, schwere Störungen im Zellstoffwechsel auftreten. Die Störungen machen sich in einem stark herabgesetzten Sauerstoffverbrauch sämtlicher Körperzellen geltend. Der Sauerstoff- transport zu den Zellen ist ohne Zweifel durch den herabgesetzten Blut- körperchengehalt und damit des Gehaltes an Hämoglobin vermindert. Außerdem sind aber auch die Oxydationsvorgärgse in den einzelnen Gewebszellen stark herabgesetzt. Es lassen sich ohne Zweifel die meisten und vielleicht alle bei der alimentären Dystrophie der Tauben auf- tretenden Erscheinungen von der erwähnten Feststellung der herab- gesetzten Oxydationsprozesse der Zellen aus erklären. Besonders stark ist das Nervengewebe in Mitleidenschaft gezogen. Es ist längst bekannt, daß die Nervenzellen gegen Sauerstoffmangel besonders empfindlich sind. Es sei hier noch ganz besonders hervorgehoben, daß das Ein- treten von Störungen häufig frühzeitig daran erkannt werden kann, daß das Örientierungsvermögen der Tiere gestört ist. Die Tauben vermeiden, wenn immer möglich, das Fliegen. Sie fliegen ungeschickt. Läßt man sie gehen, dann bemerkt man, daß ihnen das Aufsuchen eines bestimmten Ortes schwer fällt. Stellt man den Futternapf in einiger t) Vgl. Mitteil. I--XV in Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. 178—184. E. Abderhalden : Weitere Beiträge z. Kenntnis v. organ. Nahrungsstoffen usw. 433 Entfernung vom Tiere auf, dann läuft es häufig in seinem Bestreben, diesen zu erreichen, in ganz anderer Richtung. Ebenso hat man den Eindruck, daß das Sehvermögen der Tiere häufig nicht normal ist. Wahrscheinlich sind die entsprechenden Zentren und vielleicht auch die peripheren Ganglienzellen und vielleicht sogar das Sinnesepithel infolge der mangelhaften Sauerstoffversorgung geschädigt. Es ist von aller- größter Bedeutung, daß aus verschiedenen Produkten hergestellte Präparate imstande sind, die gesamten Erscheinungen, sofern nicht Lähmungen eingetreten sind, auffallend rasch zu beseitigen. Gleich- zeitig steigt die Körpertemperatur. Der Gaswechsel hebt sich wieder. Auch Gaswechselversuche mit einzelnen Zellen und Geweben zeigen den Einfluß von aus Hefe oder Kleie bzw. anderen Produkten hergestellten Präparaten deutlich. Mit den erwähnten Feststellungen ist der ganzen Forschung auf- diesem Gebiete eine bestimmte Richtung gewiesen. Sie befindet sich erstin den Anfängen. Es genügt nicht, festzustellen, daß die Oxydations- vorgänge in den Zellen im Anschluß an die Ernährung mit geschliffenem Reis stark herabgesetzt sind, vielmehr muß ergründet werden, worauf dieser Umstand zurückzuführen ist. Es kann eine Verarmung von Stoffen stattgefunden haben, die bei der Durchführung der Oxydations- vorgänge direkt beteiligt sind. Es kommt dabei eine ganze Reihe von Stoffen in Betracht. Man kann an die Oxydationsfermente denken, an Aktivatoren, an Kofermente usw. Man kann sich aber auch vorstellen, daß der ganze Zustand der Zellinhaltsstoffe so verändert ist, daß die Oxydationsvorgänge nicht in normalen Grenzen verlaufen können. Es besteht auch die Möglichkeit, daß der Abtransport der Kohlensäure nicht normal vor sich geht und deshalb die Oxydationsvorgänge sekun- där gestört sind. Mit der Prüfung dieses Problems sind wir beschäftigt. Es schien uns von großem Interesse, der Frage nachzugehen, wie sich Tauben verhalten, denen man geschliffenen Reis und außerdem Organe von ganz normal ernährten, gesunden Tauben gibt. Zum Vergleich wurden Reistauben mit Organen gefüttert, die Tauben entstammten, die ausschließ- lich geschliffenen Reis erhalten hatten und im Anschluß an diese Ernährung an Krämpfen erkrankt waren. Es müßte auf diesem Wege möglich sein, die Frage zu entscheiden, ob in den Organen normal ernährter Tauben Stoffe vorhanden sind, die den entsprechenden Geweben von Reis- tauben fehlen, bzw. in diesen in viel geringerer Menge zugegen sind. Zu unserer großen Überraschung zeigte es sich, daß Tauben, die in der erwähnten Weise ernährt wurden, kein charakteristisches Verhalten zeigten. Die Versuche wurden wiederholt auch in der Art durchgeführt, daß ein und dasselbe Versuchstier neben geschliffenem Reis bald Organe von normal ernährten Tauben, bald solche von erkrankten Reistauben erhielt. Es wurden bei den Versuchen einzelne Gewebsarten, wie Muskel, A34 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Leber usw., verfüttert, ferner auch ein Gemenge aus allen Organen. In ganz vereinzelten Fällen hielt sich nach Verabreichung der erwähnten Zusätze das Körpergewicht längere Zeit auf der gleichen Höhe. Ganz vereinzelt kamen auch vorübergehend Körpergewichtszunahmen vor. In der überwiegend großen Zahl der Fälle fiel das Körpergewicht ab, und zwar ganz gleichgültig, ob die verfütterten Gewebe normal ernährten Tauben oder erkrankten Reistauben entnommen worden waren. Es sind im experimentellen Teil aus der großen Anzahl der ausgeführten Versuche einige Protokolle und Versuchsergebnisse mitgeteilt. Es muß bei allen diesen Versuchen mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß im Organismus der Versuchstiere verschiedene Mengen der noch un- bekannten Nahrungsstoffe zugegen sind. In den einen Fällen wird durch die Zufuhr von geringen Mengen davon mit der Nahrung ein Zustand geschaffen, der eben genügt, um den Stoffwechsel im Gleichgewicht zu erhalten. Das Körpergewicht hält sich ungefähr auf gleicher Höhe. In anderen Fällen genügen die zugeführten Stoffe plus den schon im Körper vorhandenen nicht. Es kommt rasch zu Gewichtsverlusten. Es wird das für die Durchführung des Zellstoffwechsels absolut notwendige Maß an noch unbekannten, unentbehrlichen Stoffen nicht erreicht. Ganz bestimmt spielt auch das Alter der Tiere eine bedeutsame Rolle. Junge Tauben werden leichter geschädigt. Vergleicht man mit den erhaltenen Ergebnissen die mit Hefe und auch mit Kleie und Grünkohl erzielten Erfolge, dann erkennt man ohne weiteres den Unterschied in der Wirkung der verabreichten Organe und der in den erwähnten Produkten enthaltenen Stoffe. Sobald vor allem Hefe verabreicht wurde, stieg das Körpergewicht sogleich ganz erheblich an. Gegeben wurde in den zu vergleichenden Ver- suchen in der Hefe, der Kleie und im Fleisch bzw. in dem Organgemenge dieselbe Stickstoffmenge. Beim Versuche, eingetretene Krämpfe durch ein Organgemisch von Reistauben bzw. von normal ernährten Tauben zu bekämpfen, zeigte sich das erstere als weniger wirksam. Eine Erholung der Tiere in dem Maße, wie sie nach Zufuhr von Hefepräparaten eintritt, konnte nicht festgestellt werden. Die Krämpfe ließen nach, die Körpertemperatur stieg allmählich an. Auch der Gaswechsel hob sich. Mehrfach gingen die Tiere dann doch noch zugrunde. Die ausgeführten Versuche genügen nicht zur Entscheidung der Frage, ob Organe von Reistauben und von normalen Tauben überhaupt nicht imstande sind, die Erscheinungen der alimentären Dystrophie zu verhindern, bzw. die schon vorhandenen zu bekämpfen, weil immerhin die Möglichkeit besteht, daß von den erforderlichen Stoffen zu wenig zugeführt wurde. Wir gaben 1—-2g Fleisch bzw. Organgemenge. Hinzu kommt noch, daß man. bei allen Schlußfolgerungen über die Beeinflussung der Erscheinungen der von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. 435 alimentären Dystrophie sehr vorsichtig sein muß, weil es sehr darauf ankommt, wie schwer die vorhandenen Störungen sind. Es gelingt auch nicht in jedem beliebigen Stadium des Krampfzustandes, mit Hefe die Tiere zu retten. Wir werden der Frage nach dem Werte von Organ- gemengen von Reistauben und Normaltauben in der Bekämpfung von Krämpfen usw. bei Reistauben weiter nachgehen. Es wird vielleicht möglich sein, zwei verschiedene Wirkungen der bisher unbekannten Nahrungsstoffe der Hefe, der Kleie usw. auch beim erwachsenen Tier zu trennen, nämlich eine solche, deren Ausfall sich in Gewichtsabnahme bemerkbar macht, und eine weitere, die in Zusammenhang mit den Oxydationsvorgängen steht. Zunächst scheinen Gewichtsabnahme und gestörter Gaswechsel in den Zellen voneinander direkt abhängig zu sein. So wahrscheinlich diese Annahme auch ist, muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß auch Stoffe wirksam sind, die die Zellneubildung beherrschen. Von diesem Gesichtspunkte aus ist das Problem bedeu- tungsvoll, ob die Abnahme der Zahl der roten Blutkörperchen bei der alimentären Dystrophie nur auf einer vermehrten Zerstörung von solchen beruht, was nach der reichlichen Bildung von Gallenfarbstoff der Fall zu sein scheint, oder ob dazu noch eine verminderte Neubildung hinzu- tritt. Versuche, durch Verabreichung von Eisen, Histidin, Glutamin- säure, Tryptophan (vermutliches Baumaterial für Hämoglobinbildung) die Anämie zu bekämpfen, waren ohne Erfolg. Bei Ratten dagegen, die nur mit Milch ernährt wurden, hatte die Zulage der erwähnten Stoffe plus Eisen einen günstigen Einfluß auf die Blutbildung. Bei dieser Gelegenheit sei einer größeren Anzahl von Versuchen gedacht, die schon einige Zeit zurückliegen und deshalb nicht mit- geteilt worden sind, weil ihre Ergebnisse nicht eindeutige waren. Es handelte sich um Versuche der folgenden Art: Wir konnten durch eine sehr große Anzahl von an Ratten durch- geführten Untersuchungen mit einseitiger Ernährung zeigen!), daß nach mehr oder weniger langer Zeit Störungen eintreten. Sie äußern sich verschieden, je nach dem Individuum. Der größte Teil der Versuchs- tiere zeigte als erstes Symptom mangelhafte Pflege des Fells. Die Tiere wurden von Tag zu Tag ruhiger. Sie schliefen sehr viel. Es trat Licht- scheu auf. Bald zeigte sich dann ausgesprochene Bindehautentzündung. In manchen Fällen trat Entzündung der Hornhaut hinzu. Mehrfach kam es zur Vereiterung des ganzen Bulbus. Bei fast allen Tieren zeigte sich eine herabgesetzte Widerstandsfähigkeit gegen Infektionen von seiten der Haut. Es trat Räude auf. Vereinzelt kamen Krämpfe und ferner auch Lähmungen vor. Ferner wurde beobachtet, daß die Fort- pflanzungsfähigkeit der Tiere mehr und mehr erlosch. Die Unter- suchung der Hoden ergab deutliche Anzeichen für eine ausgesprochene 1) Emil Abderhalden, Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. 145, 187. 1919. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 29 436 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Degeneration des Keimepitheis, doch müssen die ganzen Forschungen nach dieser Richtung noch ausgebaut werden, weil ein großes, ver- gleichendes Material, das zu verschiedenen Lebenszeiten der Ratten entnommen ist, notwendig ist, um vor Täuschungen sicher zu sein. Erwähnt sei, daß selbstverständlich alle Schlußfolgerungen über herab- gesetzte Fortpflanzungsfähigkeit nur auf Grund einer sehr großen Er- fahrung über das Halten und die Pflege und vor allen Dingen die Auf- zucht von Ratten gezogen worden sind. Es müssen die Tiere selbst- verständlich unter Bedingungen gehalten werden, die den natür- lichen möglichst entsprechen. Ferner müssen die Tiere auch fortge- setzt beobachtet und gewogen werden, da es bekanntlich vorkommt, daß Ratten ihre Jungen auffressen. Besonders groß ist diese Gefahr, wenn die Tiere einseitig ernährt werden und ferner die geworfenen Tiere schwächlich sind. Wir legten uns nun die Frage vor, ob sich die beobachteten Erschei- nungen durch Verfütterung von Fleisch bzw. Organgemenge von normalen Tauben verhindern bzw. falls sie schon vorhanden sind, beheben lassen. Zum Vergleich erhielten entsprechende Ratten Fleisch bzw. Organ- gemenge von Reistauben, die erkrankt waren. In der größeren Zahl der Fälle war ein Unterschied im Verhalten der Tiere nicht feststellbar. Nur in einzelnen Fällen erwies sich das Fleisch bzw. Organgemenge von normalen Tauben in seiner Wirkung als günstiger als die entsprechenden Produkte von Reistauben. Ganz vereinzelt erhielten wir auch das um- gekehrte Resultat. Es haben unterdessen W. R. Hess und N. Taka- hashi ganz entsprechende Versuche ausgeführt!). Die erwähnten Autoren fütterten Mäuse und Ratten mit gekochtem Reis und setzten der Nah- rung Gewebe von gesunden Tauben und solches von Reistauben hinzu. Sie kommen zu dem Schlusse, daß normal ernährte Tauben in ihren Organen und insbesondere im Muskelgewebe Produkte enthalten, die den entsprechenden Geweben von Reistauben fehlen, bzw. in diesen in einer geringeren Menge vorhanden sind. Sie beobachteten bei den Reismäusen und Reisratten, die Gewebe von normalen Tauben erhielten, eine längere Lebensdauer als bei den entsprechenden Tieren, die mit Gewebe von Reistauben neben gekochtem Reis als Grundnahrung ernährt wurden. Die Zahl der Versuchstiere ist nicht ausreichend, um Zufälligkeiten auszuschließen. Vielleicht sind die von Hess und Taka- hashi erhaltenen Ergebnisse auch deshalb andere als die unsrigen, sich im ganzen auf 105 Ratten beziehenden Befunde, weil die Gewebe in ganz verschiedener Menge und in verschiedenem Zustande verabreicht wurden. Unsere Versuchstiere erhielten die Organe stets frisch, und zwar erhielten 6 Monate alte Ratten pro Tag eine Menge davon, die 0,035 g Stickstoff enthielt. Eine andere Versuchsserie (Alter der Ratten 1) Biochem. Zeitschr. 12%, 193. 1921. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. 437 10 Monate) erhielt pro Tag 0,053 g Stickstoff in gleicher Form in Gestalt von Muskelgewebe oder einem Gemenge sämtlicher Organe. Die er- wähnten Autoren haben die Organe getrocknet, und zwar bei einer 40° nieht übersteigenden Temperatur. Die Tiere erhielten an jedem fünften "Tage unter entsprechender Reduktion der Reismenge die fünffache Tagesdosis. Die Tagesdosis betrug bei Ratten 0,02—0,06 & Trocken- ÖOrgangewicht. Infolge dieser unterschiedlichen Art des Zustandes des verfütterten Materials ist ein direkter Vergleich nicht gut möglich. Wir halten unsere Untersuchungen nicht für abgeschlossen, weil, wie gesagt, die Ergebnisse nicht ganz einheitliche waren. Auch die an Tauben durchgeführten Versuche sind, wie schon er- wähnt, in ihren Ergebnissen nicht restlos übereinstimmend. Wir dachten daran, daß unter Umständen die Menge der als wirksam erkannten Stoffe in 1—2 Grammen des Organgemenges zu gering ist, um aus- reichende Wirkungen zu entfalten. Es sind jedoch von uns schon früher Versuche mit größeren Organmengen angestellt worden, ohne daß die Ergebnisse sich änderten. Leider stehen nicht genügend Mittel zur Verfügung, um den naheliegenden Versuch in Angriff zu nehmen, Tauben ausschließlich mit einem Organgemenge von normal ernährten Tauben zu füttern und daneben andere mit dem entsprechenden Material von Reistauben zu ernähren. Ich hoffe jedoch auch diese Versuche noch durchführen zu können, und ebenso andere Tiere, wie Mäuse und Ratten, in entsprechender Weise zu ernähren. Eine Insuffizienz der Reistaubenorgane würde sich auf diesem Wege am besten zeigen. Man könnte ferner herausbringen, welche Organe ganz besonders betroffen sind. Mir scheinen die ausgeführten Versuche an Tauben insofern von Interesse zu sein, als aus ihnen hervorgeht, daß entweder die einzelnen Zellen von den wirksamen Stoffen nur sehr wenig brauchen und ent- halten, so daß ihre Zufuhr in Gestalt eines Teiles (1—2g) des gesamten Gewebes nicht ausreicht, um den Bedarf des Organismus an den in Frage kommenden Stoffen in jedem Fall zu decken. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß jene unbekannten Stoffe in den Zellen des tierischen Organismus wenigstens zum Teil in einer Form vorhanden sind, in der sie vielleicht nicht mehr jene Wirkungen entfalten können, die den noch unbekannten Nahrungsstoffen in der ursprünglichen Form zukommen. Es spricht ja vieles dafür, daß die noch unbekannten Nahrungsstoffe im wesentlichen und vielleicht auch ganz dem Pflanzen- reich entstammen. Vielleicht können auch die Pflanzen jene Produkte nicht selbst bilden. Es besteht die Möglichkeit, daß sie diese aus dem Erdboden aufnehmen. Es ist ja wiederholt die Ansicht geäußert worden, daß jene noch unbekannten Stoffe der Tätigkeit der Bodenbakterien ihre Entstehung verdanken. Freilich liegen in dieser Richtung noch 23, 438 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis keine zwingenden Beweise vor. Betrachtet man das ganze Problem von dem erwähnten Gesichtspunkt aus, dann könnte man auf die Idee kommen, daß die unbekannten Nahrungsstoffe in der Nahrung in einer Form vorhanden sind, in der sie in den Zellen bestimmte Vorgänge auslösen. Sei es, daß sie den physikalisch-chemischen Zustand der Zellen beeinflussen, sei es, daß die unbekannten Nahrungsstoffe als Reizstoffe zu betrachten sind, sei es, daß sie als Material für Produkte in Frage kommen, die an Fermentvorgängen an irgendeiner Stelle beteiligt sind. Vielleicht bedürfen die Zellen der fortwährenden Zufuhr kleinster Mengen noch nicht verwandelter Stoffe. Gegen diese Auf- fassung lassen sich freilich Bedenken äußern. Einmal wissen wir, daß die Fleischfresser nur indirekt mit dem Pflanzenreich in Verbindung stehen, und zwar dadurch, daß sie Tiere verzehren, die ihrerseits, direkt oder indirekt, ihren Körper aus Produkten aufgebaut haben, die der Pflanzenwelt entstammen. Immerhin erhält der Fleischfresser, sofern auch bei ihm jene unbekannten Nahrungsstoffe eine so entscheidende Rolle spielen, niemals direkt Pflanzenstoffe. Es ist wohl nicht zweifel- haft, daß auch der Carnivore unbekannter Nahrungsstoffe bedarf. Es ist jedoch denkbar, daß sich bei jeder Tierart zwischen der Nahrungs- art, von der sie lebt, und ihr innige Wechselbeziehungen herausgebildet haben. Es ist besonders interessant, diese außerordentlich engen Be- ziehungen bei niederen Tieren und auch Vertretern der Pflanzenwelt zu verfolgen. Wir wissen, wie spezifisch oft ein Nährboden für bestimmte Bakterien zusammengesetzt sein muß, damit Kulturversuche von Erfolg sind. Wir wissen, daß die Raupe jeder Schmetterlingsart einen oft auf eine einzige Pflanze beschränkten Nährbereich hat. Es wäre außer- ordentlich verlockend, gerade bei diesen Lebewesen und bei niederen Tieren überhaupt den Beziehungen zwischen der ganzen Körper- beschaffenheit, den Stoffwechselvorgängen und der Art der Ernährung nachzugehen. Leider ist dieses ganze Forschungsgebiet zur Zeit ver- schlossen, weil ein sehr großes Material notwendig ist, um zu bestimmten Schlußfolgerungen zu ‘kommen. Ich hatte selbst an vielen hundert Raupen von Wolfsmilchschwärmern Untersuchungen in dieser Rich- tung unternommen. Bekanntlich wechselt die Farbe der Raupe dieser Schm:ttarlingsaıt außerordentlich stırk. Es gibt Raupen, deren Grund- farbe schwarz ist, andere sind mehr rötlich und wieder andere mehr gelb gefärbt. Zwischen diesen Grundtypen gibt es alle möglichen Über- gänge, und vor allen Dingen sind die großen farbigen Tupfen auf dem Körper verschieden gefürbt. Versuche, diese Raupen mit anderen Wolfsmilcharten als der gewöhnlichen Futterpflanze Euphorbia cy- parissias zu ernähren, waren nur zum Teil erfolgreich. Es schien, als ob eine Änderung in der Art der Nahrung eine Änderung der Fär- bung der Raupe bewirken würde. Bei der erwähnten Wolfsmilchart von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. 439 treten bekanntlich infolge der Infektion mit dem Rostpilz (Aecidium Euphorbiae) Formen auf, die von der ursprünglichen stark abweichen. Diese veränderte Form wird, soweit meine Beobachtungen reichen, von der Woltsmilchschwärmerraupe verschmäht. Versuche, durch Aus- züge von normalen Pflanzen jene veränderten Formen in gewissem Sinne zu ergänzen, schlugen fehl, weil die Versuchstiere die betreffende Wolfsmilchpflanze nicht aufnahmen. Wir weisen auf diese Versuche nur hin, weil der außerordentlich enge Ernährungsbereich mancher Tiere vielleicht über die grundlegende Bedeutung der noch unbekannten Nahrungsstoffe am ehesten Aufschluß geben kann. Eine außerordentlich wichtige Fragestellung in dem ganzen Problem der alimentären Dystrophie nach ausschließlicher Verab- reichung von geschliffenem Reis scheint mir die folgende zu sein: Enthält geschliffener Reis keine der unbekannten Nahrungsstoffe mit besonderen Wirkungen oder sind sie vorhanden, jedoch in einer unzu- reichenden Menge? Nach Verabieichurg von g: schliffenem Reis treten bei Tauben, aber auch bei anderen Tieren, bekanntlich nach einiger Zeit Störungen auf. Bei den Tauben kommt es sehr auf die Rasse an. Im allgemeinen erkranken weiße Tauben früher als dunkel gefäibte. Manche Tauben können mehrere Wochen mit geschliffenem Reis ernährt werden, ohne daß sich bestimmte Erscheinungen zeigen. Sie bleiben jedoch niemals aus. Es ist nun die Frage zu entscheiden, ob die Ver- suchstiere einen Vorrat an jenen unentbehrlichen Stoffen besitzen, der im Laufe der Zeit immer mehr und mehr abnimmt. Eine solche An- nahme erklärt nur schwer, weshalb Tauben, die vollständig hungern, niemals entsprechende Erscheinungen aufweisen, wie Reistauben, ob- wohl sie innerhalb von ganz kurzer Zeit, etwa 10 Tagen, außerordentlich viel an Körpergewicht verlieren. Versuche, Tauben durch Unterernäh- rung unter Verabreichung einer nicht ausreichenden Menge von Getreide- körnern über eine längere Zeit hinaus in einem ungenügenden Ernäh- rungszustande zu erhalten, brachten auch insofern keinen Erfolg, als sich die typischen Erscheinungen, die bei Reistauben auftreten, nicht hervorrufen ließen. Ganz vereinzelt waren Andeutungen von Lähmungen vorhanden. Man könnte daran denken, daß auch der geschliffene Reis jene unbekannten Stoffe enthält, jedoch in nicht genügender Menge, so daß im Laufe der Zeit ein immer größerer Mangel an diesen Stoffen in den Zellen auftritt. Nun ist bekannt, daß die Reis- tauben in der ersten Zeit immer mehr oder weniger lange die Nahrung gern aufnehmen. Es erfolgt dann eine immer geringere Nahrungs- aufnahme. Manche Tiere stellen schon recht bald die Aufnahme des Reises ein. Füttert man die Tiere künstlich und verabreicht man ihnen pro Tag diejenige Menge Reis, die der normalen Tagesration entspricht, dann treten trotzdem die bekannten Erscheinungen der alimentären A440 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Dystrophie auf. Allerdings bemerkt man, daß die Verdauung der ver- abreichten Nahrung gelitten hat. Es scheint auch die Assimilation der Nahrungsstoffe nicht in normalen Grenzen zu verlaufen. Nun ist bekannt, daß die unbekannten Nahrungsstoffe sich durch Erwärmen auf höhere Temperatur in ihrer Wirkung ausschalten lassen, und das besonders leicht dann, wenn man Sauerstoff zutreten läßt. Wir haben im Anschluß an frühere Erfahrungen Kleie und Hefe im nicht erwärmten und erwärmten Zustande in ihrer Wirkung verglichen. In den mitgeteilten Kurven sind einige dieser Versuche berücksichtigt. Es zeigt sich deutlich, daß nach erfolgter Erwärmung die Wirkung der erwähnten Produkte so gut wie aufgehoben ist. Von dieser Erfahrung ausgehend, haben wir den Einfluß von erwärmtem Reis auf das Befinden von Tauben im Vergleich zu nicht erwärmtem Reis verfolgt. In der Hauptsache verglichen wir das Verhalten des Körpergewichtes und der Körpertemperatur, ferner wurde das Auftreten der charakteristischen Erscheinungen der alimentären Dystrophie zeitlich verfolgt. Es ergab sich, daß der erwärmte Reis in der Tat gegenüber dem nicht erwärmten minderwertiger ist. Je länger der Reis auf höhere Temperatur erwärmt wurde, um so rascher fiel das Körpergewicht ab, und um so frühzeitiger zeigten sich die Erscheinungen der alimentären Dystrophie. Wurde nicht eingegriffen, dann starben die Tiere. In Parallelversuchen zeigte es sich ganz deutlich, daß die mit erwärmtem Reis ernährten Tiere viel früher zugrunde gingen als Tiere, die nicht erwärmten Reis erhalten hatten. Der Reis wurde bei den Hauptversuchen 48 Stunden lang auf 140° erwärmt. Man darf wohl aus dem Ausfall des Versuches schließen, daß auch der geschliffene Reis von den unbekannten Nahrungsstoffen geringe Mengen enthält. Man gewinnt bei der Zusammenfassung aller Erfahrungen auf dem Gebiete der Erforschung der im Gefolge von ausschließlicher Füt- terung mit geschliffenem Reis auftretenden Erscheinungen den Ein- druck, daß die unbekannten Nahrungsstofie, oder wenigstens einzelne davon, das Material zur Bildung bestimmter Substanzen in den Zellen mit ganz bestimmter Wirkung abgeben. Mit dieser Annahme läßt sich am besten in Einklang bringen, daß auf der einen Seite in den tierischen Geweben die wirksamen Stoffe in der ursprünglichen Form offenbar nur in geringer Menge vorhanden sind, und auf der anderen Seite bei Zufuhr von geschliffenem Reis relativ lange Zeit vergeht, bis sich Störungen geltend machen. Der Organismus scheint allmählich an jenen Steifen, die für die Aufrechterhaltung des Zellstoffwechsels und insbesondere der Oxydationen notwendig sind, zu verarmen. Es drängt sich der Gedanke auf, daß im übertragenen Sinne ähnliche Verhältnisse vorliegen, wie z. B. bei der ausschließlichen Ernährung mit Milch. Milch enthält bekanntlich auffallend wenig Eisen. Sie ist in dieser Hinsicht ein von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. 441 insuffizientes Nahrungsmittel. Sie genügt dem Säugling eine gewisse Zeit als Nahrung, weil der Mindergehalt an Eisen durch einen hohen Gehalt des neugeborenen Organismus an Eisen ausgeglichen wird. Das neugeborene Wesen hat einen ganz auffallend hohen Hämoglobin- gehalt!). Die Eisenzufuhr mit der Milch genügt schließlich nicht mehr, um ausreichend Hämcosglobin zu bilden und gleichzeitig die einzelnen Körperzellen mit Eisen zu versorgen. Es tritt; Blutarmut mit allen ihren Folgeerscheinungen auf. Es bleibe hierbei dahingestellt, ob der Milch nicht vielleicht auch noch andere wichtige Grundstoffe zur Bildung des Blut- farbstoffes und des Stromas der roten Blutkörperchen fehlen. Das Eisen erweist sich im erwähnten Fall ausgesprochen als lebenswichtiger und funktionswichtiger Nahrungsstoff. Die Minderwertigkeit der Milch in bezug auf den Eisengehalt wird in dem Augenblick offenkundig, in dem das wachsende Tier in gewissem Sinne die vorhandene Hämoglobin- menge überflügelt. Der wachsende Organismus wächst über den vor- handenen Hämoglobinvorrat hinaus. Es ist den blutbildenden Geweben aus Mangel an Baumaterial und insbesondere an Eisen nicht möglich, mit den wachsenden Geweben Schritt zu halten. Die Sauerstoffver- sorgung der Gewebe leidet. Sobald man die notwendigen Baustoffe für die Blutbildung zuführt, tritt rasch Besserung ein. Ob hierbei auch bestimmte Anregungsstoffe eine Rolle spielen, ist zur Zeit nicht zu ent- scheiden. Es ist aber wohl möglich, daß jeder Baustoff gleichzeitig Reiz- und Anregungsstoff ist. Die Anwesenheit der zum Aufbau bestimmter Verbindungen notwendigen Stoffe wirkt vielleicht von sich aus als Anreiz zur Bildung jener Verbindungen und Fermente, die zur Synthese erforderlich sind. Dieser ‚Anreiz‘ ist vielleicht nichts weiteres als die Herstellung jener Bedingungen, die notwendig sind, damit ein bestimm- ter Vorgang zum Ablauf kommt. Es sind gewiß auch hier die engsten Beziehungen zwischen Baustoffen und jenen Werkzeugen, die den Auf- bau vollziehen, vorhanden. Beim Eisen darf nicht übersehen werden, daß es außer zur Hämoglobinbildung auch noch in jeder einzelnen Körperzelle eine sicher funktions- und lebenswichtige Rolle zu erfül- len hat. Stellen wir uns vor, daß das normal ernährte Tier vom gesamten Fermentapparat eine bestimmte Menge, die zur Durchführung der Stoffwechselvorgänge notwendig ist, für die einzelnen Zellen des Organis- mus zur Verfügung hat, dann läßt sich verstehen, daß bei Zufuhr einer Nahrung, die Mangel an jenen Produkten, die zur Ergänzung von Stoffen, die in irgendeiner Weise in den ganzen Fermentvorgang ein- greifen, aufweist, sich zunächst längere Zeit keine nach außen hin aus- wirkenden Störungen zeigen. Die außerordentlich starke Abmagerung 1) Vgl. Emil Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 500. 1902. — Vgl. auch Lehrbuch der physiologischen Chemie. 4. Aufl., Bd. 2. Vorlesung 2. 1921. A439 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis bei den ‚„Reistauben‘‘, die namentlich die Muskulatur betrifft, ist viel- leicht so aufzufassen, daß einzelne Zellen lebenswichtige Stoffe zugunsten anderer Zellen der gleichen Art abgeben. Auf diese Weise würde eine von Tag zu Tag kleiner werdende Anzahl von Zellen mit den zur Durch- führung der Zellfunktionen notwendigen Stoffe versehen. Schließlich wird eine Grenze erreicht, unter die der Stoffwechsel nicht sinken kann, ohne daß schwerste Folgeerscheinungen gezeitigt werden. Im geschlif- fenen Reis werden von den unbekannten, lebenswichtigen Nahrungs- stoffen kleine Mengen zugeführt, infolgedessen wird der Zusammen- bruch der Zellfunktionen hinausgeschoben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Zufuhr des Reises insofern noch besondere Folgen hat, als der Organismus genötigt wird, durch die Verdauungsdrüsen Fermente nach außen abzugeben. Ferner finden in den Zellen Umsetzungen statt. Der Umstand, daß die Tätigkeit der Verdauungsdrüsen im Laufe der ausschließlichen Verfütterung mit geschliffenem Reis mehr und mehr zurückgeht, deutet vielleicht auf eine Art von Schutz im Sinne einer Einsparung bestimmter Stoffe hin. Wahrscheinlicher ist die Annahme, daß die Bildung der Fermente mehr und mehr aus Mangil an notwen- digem Material eingeschränkt wird. Es darf auch nicht außer acht gelassen werden, daß die mangelhafte Sauerstoffversorgung der Gewebe zur Bildung von Produkten führen kann, die an und für sich schädigende Wirkungen entfalten können. Der Versuch,‘ aus an alimentärer Dystrophie verstorbenen Tauben Stoffe auszuziehen, die bei parenteraler und enteraler Zufuhr bei normal ernährten Tauben schädigende Wirkungen entfalten, war bis jetzt allerdings ohne Erfolg. Es ist aber wohl möglich, daß die wirk- samen Stoffe in nur sehr geringen Mengen auftreten. Vielleicht sind sie auch leicht veränderlich. Je mehr es gelingt, die Folgeerscheinungen, die bei der Verfütterung von geschliffenem Reis auftreten, in ihrem Wesen gegenüber jenen Erscheinungen, die bei der Hungertaube sich einstellen, aufzuklären, um so mehr wird man in der Lage sein, jene unbekannten, in Spuren wirkenden Nahrungsstoffe in ihrer ganzen Bedeutung zu er- fassen. Man soll Schwierigkeiten in der Erklärung bestimmter Er- scheinungen nie aus dem Wege gehen. Man soll ihnen im Gegenteil größtes Gewicht beilegen. Nach unseren Erfahrungen muß klar und deutlich hervorgehoben werden, daß ein absolutes Hungertier, ferner ein Organismus, der über längere Zeit hinaus mit einer an und für sich voll- wertigen Nahrung stark unterernährt wird, und endlich ein solcher, der eine insuffiziente Nahrung erhält, ein ganz verschiedenartiges Verhalten zeigen. Bei der Verabreichung von geschliffenem Reis (und bei anderen Tieren bei einseitiger Ernährung mit anderen Nahrungsmitteln) kommt es zu ganz charakteristischen Störungen im Zellstoffwechsel. Es handelt von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. 443 sich ganz entschieden nicht nur um eine Art von Hungerzustand, viel- mehr ist anzunehmen, daß infolge des Fehlens bestimmter Stoffe die Stoffwechselvorgänge in eine Richtung gedrängt werden, die schließlich zu schwersten Störungen führen. Von fundamentaler Bedeutung ist die Beantwortung der Frage, ob die Störung der Oxydationsvorgänge vorausgeht, oder aber, ob sie nachfolgt. Erst dann, wenn man in der ganzen Kette der mannigfaltigen Erscheinungen das Anfangsglied klar erkannt haben wird, dann wird man die Bedeutung der bisher unbekann- ten Nahrungsstoffe klar übersehen. Wir haben uns fortlaufend, wie seinerzeit bei der Inangriffnahme der ganzen Studien über das Vorkommen bisher unbekannter Nahrungs- stoffe!), die Frage vorgelegt, ob nicht die im Gefolge der Ernährung mit geschliffenem Reis auftretenden Erscheinungen in Zusammenhang mit Stoffen gebracht werden könnten, die im geschliffenen Reis enthalten sind und toxische Wirkungen entfalten. Die Verfolgung dieses Ge- dankens führte uns mehr und mehr zu der Überzeugung, daß die er- wähnte Annahme nicht zu Recht besteht. Alle unsere in der erwähnten Richtung durchgeführten Versuche zeitigten das Ergebnis, daß die Beobachtungen auf dem Gebiete der Erforschung der Ursache der im Gefolge der einseitigen Ernährung auftretenden Erscheinungen am besten erklärt werden können, wenn man das Bestehen bisher un- bekannter Nahrungsstoffe annimmt. Wenn das ‚Medical Research Committee“ in seinem ‚Report on the present state of knowledge concerning accessory food factors“ zum Ausdruck bringt, ich hätte seinerzeit die Vitaminlehre in heftigster Weise bekämpft, so entfernt es sich von den Tatsachen überaus weit?). Richtig ist, daß wir zu einer Zeit, in der noch viele Forscher die Vitaminlehre nicht ohne weiteres anzuerkennen geneigt waren, alle Möglichkeiten der Erklärung der beobachteten Erscheinungen der alimentären Dystrophie ins Auge faßten und ganz unvoreingenommen forschten. Wir haben im Laufe der Zeit immer wieder geprüft, ob nicht doch bei der Verabreichung von geschliffenem Reis Stoffe in Frage kommen könnten, die schädigend auf Zellfunktionen einwirken, denn es könnten mancherlei verschiedene Wirkungen durch die ausschließliche Verabreichung von geschliffenem Reis bedingt sein. Ich halte es für ganz selbstverständlich, daß man ständig allen Möglichkeiten nachgeht und immer wieder durch Versuche sich vor etwaigen Irrtümern schützt. Zu leicht können unrichtige Wege 1) Emil Abderhalden und Arno Ed. Lampe, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 1, 296. 1913. — Emil Abderhalden und G. Ewald, Ebenda 5, 1. 1916. 2) London 1919, S. 37. Auch der Vorwurf, in der von H. Schaumann und mir (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%2, 1. 1918) mitgeteilten umfangreichen Mit- teilung sei die Arbeit manches Forschers auf dem in Frage kommenden Gebiet nicht berücksichtigt, ist mir unverständlich, denn in jener Veröffentlichung nimmt die Besprechung der vorliegenden Literatur einen ungewöhnlich breiten Raum ein. 444 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis in der Forschung eingeschlagen und beibehalten werden, nur weil man, von einer ganz bestimmten Meinung ausgehend, immer in derselben Richtung forscht. So haben wir geschliffenen Reis mit Wasser aus- gekocht und dann das ganze Produkt dialysiert. In einem anderen Fall macerierten wir den Reis bei 37° und ferner bei Zimmer- temperatur mit Wasser und dialysierten ebenfalls. Die Dialysate wurden unter vermindertem Druck bei 40° stark eingeengt und dann Tauben eingespritzt, die teils mit geschliffenem Reis ernährt worden waren, teils handelte es sich um Tiere, die normale Nahrung erhielten. In keinem Falle ließen sich die charakteristischen Erscheinungen der alimentären Dystrophie herbeiführen. Mit Ausnahme eines vorüber- gehenden Abfalles der Körpertemperatur, der jedoch auch bei Ein- spritzung von Kochsalzlösung zu beobachten ist, ließen sich keine be- sonderen Feststellungen machen. Es sind noch Versuche im Gange, geschliffenen Reis möglichst vollständig durch Fermente abzubauen und dann die gewonnenen Produkte parenteral verschieden ernährten Tauben zuzuführen. Zum Schluß möchte ich noch darauf hinweisen, daß die Benennung der als funktions- und lebenswichtig erkannten, bisheı in ihrem Aufbau noch unbekannten Nahrungsstoffe nach gewissen Erscheinungen, die auftreten, wenn ihre Zufuhr mit der Nahrung zu sering ist, wenig berechtigtist. Man hat z. B. von antineuritischen, von antiskorbutischen, antirachitischen usw. Stoffen gesprochen usw. Was die sogenannten antineuritischen Stoffe anbetrifft, so ist der Ausdruck durchaus ver- fehlt, denn hei der alimentären Dystrophie im Gefolge der ausschließ- lichen Ernährung mit geschliffenem Reis sind echte neuritische Er- scheinungen selten. Wir wissen jetzt ganz genau, daß die ganzen Er- scheinungen der erwähnten alimentären Dystrophie in engstem Zu- sammenhang mit einem mangelhaften Gaswechsel der Zellen stehen. Die in dieser Hinsicht besonders empfindlichen Zellen des Nerven- gewebes zeigen besonders deutlich Ausfallserscheinungen. Die Störungen des Gleichgewichtssinnes, Krämpfe, der veränderte Atemtypus usw. sind alles Folgeerscheinungen, die mit einer Entzündung von Nerven (Neuritis) nichts zu tun haben. Degenerationserscheinungen im Gebiete des Nervensystems zeigen sich erst sekundär, wenn die ganze Störung des Gaswechsels längere Zeit andauert. Man findet dann auch Läh- mungen mit entsprechenden Muskelatrephien. Solche Fälle erholen sich erst nach längerer Zeit, während jene Störungen, die der verminderten Sauerstoffversorgung und insbesondere dem verminderten Gaswechsel der Nervenzellen unmittelbar folgen, sich innerhalb ganz kurzer Zeit beheben lassen. Man könnte daran denken, einen Namen für jene Stoffe zu wählen, die in irgendeinem direkten oder indirekten Zusammenhang mit der von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. 445 Zellatmung stehen, der in engster Beziehung zu ihrer Bedeutung für den Zellstoffwechsel, und insbesondere den Gaswechsel, steht. Ich dachte z. B. an den Namen Oxygene. Ob eine besondere Bezeichnung für diese Gruppe von Nabrungsstoffen notwendig ist, muß die Zukunft zeigen. Es läßt sich vielleicht noch eine bessere Bezeichnung finden, wenn man die Bedeutung der betreffenden Stoffe noch genauer kennt. Mir liegt nur daran, daß ein für allemal mit den ganz unberechtigten Bezeichnungen wie Polyneuritis und antineuritischen Stoffen aufgeräumt wird. Beide Be- zeichnungen sind gänzlich unzutreffend. Wir müssen daran festhalten, daß bis jetzt zwei Arten von Nahrungsstoffen, die wir zurzeit noch nicht kennen, nach ihren Funktionen gut charakterisiert sind. Auf der einen Seite haben wir die sogenannten Wachstumssioffe und auf der anderen Seite jene Stoffe, die den Zellstoffwechsel und insbesondere den Gasstoff- wechsel anregen und unterhalien. Die letzteren Stoffe wirken offenbar nach allen unseren Erfahrungen auf Fermentwirkungen ein. Ob die Wachstumsstoffe nicht auch in ähnlicher Weise wirksam sind, und schließlich beide Gruppen von Nahrungsstoffen in bezus auf ihre Wirkung nahe verwandt oder identisch sind, muß dahingestellt bleiben. Unaufgeklärt ist zur Zeit das Wesen der Wirkung jener Stoffe, die im- stande sind, die beim Skorbut auftretenden Erscheinungen zu beeinflussen bzw. ihre Entstehung zu verhindern. Ein Problem für sich ist die Frage, ob auch bei der Entstehung der Rachitis bisher unbekannte Nahrungs- stoffe eine Rolle spielen. Es kann nicht genug davor gewarnt werden, bestimmte Beobachtungen zu verallgemeinern. Man darf erst dann von einer unmittelbaren Bedeutung von bisher unbekannten Nahrungs- stoffen für bestimmte Funktionen im Organismus sprechen, wenn aus- reichende und zwingende Beweise für die Annahme von solchen vor- liegen. Sobald man die genaue Wirkung dieser Stoffe kennen wird, dann wird die scheinbar vorhandene Sonderstellung dieser Produkte fort- fallen. Man wird dann erkennen, daß bestimmte Stoffe zur Durch- führung bestimmter Zellfunktionen dem Organismus zugeführt werden müssen. Es besteht dann kein prinzipieller Unterschied gegenüber allen jenen Erscheinungen, die wir hervorrufen können, indem wir bekannte Nahrungsstoffe aus der Nahrung fortlassen. Führen wir dem Organismus kein Tryptophan zu, bzw. zu wenig von dieser Aminosäure, dann zeigen sich schwere Störungen. Lassen wir aus der Nahrung andere, nicht ersetzbare Aminosäuren, wie C'ystin, Lysin, Histidin usw., fort, dann bilden sich Störungen bestimmter Art heraus. Eine ganze Reihe von Aminosäuren gehört ohne Zweifel in die Gruppe der Wachstumstoffe. Nach neueren Versuchen von Hopkins!) kommt dem Cystein in Ver- bindung mit Glutaminsäure eine große Bedeutung bei den Oxydations- 1!) F.G. Hopkins, T’'he Biochem. Journ. 15, 286. 1921. 446 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis vorgängen in den Zellen zu. Vielleicht liegt hier einer jener Stoffe vor, der den Stoffwechsel bzw. Gasstoffwechsel der Zellen beherrscht. End- lich können wir aus der Nahrung Mineralstoffe fortlassen und auf diesem Wege bestimmte Störungen erreichen. Bei Eisenmangel finden wir eine mangelhafte Bildung von Blutfarbstoff und damit eine gestörte Blut- bildung überhaupt. Die Folgeerscheinungen sind sehr mannigfaltige. Lassen wir Calcium, Phosphorsäure usw. aus der Nahrung weg, bzw. geben wir von diesen Mineralstoffen zu wenig, dann ergeben sich ganz bestimmte Störungen, insbesondere beim wachsenden Tier in der Ent- wicklung der Knochen usw. Wir haben in allen diesen Fällen bekannte Nahrungsstoffe vor uns, die selbstverständlich samt und sonders den Namen Vitamine bzw. umentbehrliche Nahrungsstoffe verdienen. Auch sie sind ohne Zweifel in recht geringer Menge wirksam, wenn wir ihre spezifischen Funktionen von ihrer Bedeutung als Baustein zum Aufbau zusammen- gesetzter Verbindungen und damit zur Herstellung von Zellmaterial außer acht lassen. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch der Sauerstoff, und ebenso muß das Wasser angeführt werden. Ich möchte durch diese Bemerkungen klar zum Ausdruck bringen, daß die bisher unbekannten Nahrungsstoffe durchaus keine Sonderstellung einnehmen. Vielleicht sind manche dieser Stoffe auch in zusammen- gesetzten Nahrungsstoffen in irgendeiner Form enthalten, d. h. sie kommen nicht ausschließlich im freien Zustand vor, sondern werden gewiß zum Teil erst beim Abbau zusammengesetzter Verbindungen im Magen-Darmkanal in Freiheit gesetzt. Es gelingt nicht, die wirksamen Stoffe mit Lösungsmitteln den sie enthaltenden Nahrungsmitteln ganz zu entziehen, sofern diese nicht die zusammengesetzten Verbindungen verändern. Man wird das Hauptaugenmerk als Quelle für diese Stoffe aut Bestandteile der Nahrungsmittel richten müssen, die noch mangel- haft erforscht sind. Gewiß steckt in den Phespkatiden und den Nukleo- proteiden noch manches Rätsel. Man wird ferner auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk auf eventuelle Beziehungen bisher noch un- bekannter Nahrungsstoffe zu Inkretstoffen richten müssen. Hierzu möchte ich noch bemerken, daß man sehr wahrscheinlich zwei Arten von Inkretstoffen zu unterscheiden hat, nämlich solche, die jene Zelle, die sie gebildet hat, nach außen, d. h. in die Lymph- oder Blutbahn, abgibt. Es spricht manches dafür, daß außerdem in den Zellen Produkte mit spezifischen Wirkungen gebildet werden, die an Ort und Stelle ihre Wirksamkeit entfalten. Man könnte diese Endokretstoffe nennen. Bestimmte Bezeichnungen haben oft den Vorteil, daß sie besser als bloße Beschreibungen und Darlegungen bestimmter Vorstellungen solchen zur Beachtung verhelfen. Es wird die Anregung gegeben, sich mit einer bestimmten Idee zu beschäftigen. Ob sie tragfähig ist, muß die weitere Forschung ergeben. Man muß aber damit rechnen, daß bei von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. 447 Verwendung von Gewebs- und Zellauszügen zu biologischen Studien nicht nur und vielleicht überhaupt nicht Inkretstoffe zur Beobach- tung gelangen, sondern Endokretstoffe. Schließlich sind auch die genuinen Zellfermente mit ihrer besonderen Einstellung zu diesen Stoffen zu rechnen. Man kann ganz allgemein zum Ausdruck bringen, daß wir dem Organismus in der Nahrung eine ganze Reihe von Stoffen zuführen, die spezifische Wirkungen entfalten. Dazu gehören z. B. bestimmte Amino- säuren. Wahrscheinlich kommen auch noch andere Bausteine der zusammengesetzten Nahrungsstoffe in Frage. Vor allen Dingen ent- falten auch die Mineralstoffe spezifische Wirkungen. Außer diesen bekannten Nahrungsstoffen kennen wir noch spezifische Wirkungen, die auf bisher unbekannte Bestandteile der Nahrung zurückzuführen sind. Endlich kommt noch hinzu, daß offenbar auch im Zellstoffwechsel selbst beim stufenweisen Abbau der einzelnen Verbindungen Produkte ent- stehen, die in irgendeiner Weise ganz spezifisch auf den weiteren Verlauf der einzelnen Stoffwechselvorgänge einwirken. Der Ablauf der ge- samten Stoffwechselvorgänge wird automatisch durch bestimmte Reizstoffe qualitativ und quantitativ geregelt. Experimenteller Teil. Aus der großen Zahl der ausgeführten Versuche seien einige in den Abb. 1—7 mitgeteilt. Abb. 1 (Taube 15 und 20) zeigt den Einfluß von Grünkohl auf das Körpergewicht und die Körpertemperatur. Der z01= 2 “ ı | Grünkohl wurde bei niederer _ Renee Temperatur getrocknet und NZ von dem getrockneten Präpa- rat jel ro Tag verabreicht. S Jeisp 8 Szsol Das verfütterte Produkt ent- ® s hielt 3,39% N. Taube 15 zeigte I am 54. Versuchstag schwere OS x \\ Krämpfe, denen sie erlag. FR a & Taube 20 erkrankte am 50. Ver- a NS Ss suchstag. x R IH In der Abb. 2 (Taube 2, 4 zu18S und 22) sind Versuche darge- ws set SE D . I x RENS stellt, bei denen die Tauben „.|\S nn [ SS . D Do £ ee SE Ss erwärmten und nicht erwärm 29° tem ten geschliffenen Reis, mit und 2] V ohne Zusätzen: Hefe, Kleie — erwärmt und nicht erwärmt an Abb. 1. Taube Nr. 15. Hellgrau, zwei ‚schwarze Streifen auf den Flügeln, gelber Ring. Organgemenge von normalen Taube Nr. 20. Grau-schwarz gesprenkelt. 448 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Tauben und von Krampftauben, erhielten. Abb. 3 (Taube 5, 18 und 19) und Abb. 4 (Taube 9, 12 und 17) zeigen entsprechende Versuche. Abb.5 (Taube 11, 13 und 16) berichtet über Versuche, bei denen über längere Zeit hindurch Organsubstanz von normal ernährten Tau- MO 430 90 700 70 400 Tauben 2 -————- ” 0) Y4 —— » ”„ 22 mE R350 zul x NS) Ss N 300 - S | & N 2 \ N N Äh ; su, S SR |SS ıQ S x SS SS ri IS S S SIE © ' N N S n X S S N S N VOR—RI- N B EN I Ra N S SS N x ESS SS N 8 58 SS ISIS x S |) SS 888 S Se 429 N ! SER A Su 40 = | 38 AS AL ol LEN & l Ze & Rt SS SS SSI SS ESS 5 ® S IS % Se ugolSS SS ISIS rn 2. 4 Ha S S S Sn IN S 49° = IE SSR III el STAA SZ I 2 er, WNTTOR o “ DEN Z I 37° SI AS 8 8 3 Sıa Sax SS S S&s SINSHS ERINR I RSSHIS ESTSR > Sy SIURLE RN NSIR S \ 8 asless ISIS yzaln EN SIR SOSISR, 3 SS S N S uge\: Y SISS S SANS N L Da iarelsir A A I y0°X ne Bun a Fer BE a a _ u, a ER ER % 7 DE ie Abb. 2. Taube Nr. 2. Hellgrau, dunklere Schwanzspitzen, lila Ring. Taube Nr. 4 Hellgrau-schwarz gesprenkelt. Taube Nr. 22, Schwarz-grau, braun gesprenkelt. ben gegeben wurde. In Abb. 6 (Taube 33, 34 und 35) ist die Wirkung von 1g und 2g Kleie verglichen. Abb. 7 (Taube 29) zeigt den Einfluß der Erhitzung auf die Wirkung der Hefe. In Abb. 8 sind an Taube 8 und 10 ausgeführte, 145 Tage umfassende Versuche dargestellt. Alles Nähere über den Verlauf der Versuche ergibt sich aus den folgenden Protokollen (S. 452 ff.). von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. IS Y [1 - l Selm = Mi2.0sL D ISIS \{ S \ | stay Br# stay WasaD\ Ta IS} SIWIES S Ss i S | | Say WISE — si R Say 1928260 | } Al S S zuimimn a {| an L <| | nn 7 BGTID] 'WAOU | zsgnspaysny Dr —eA 17 vosNorwaßy bie \ 2oOnL io pisen| 2 Q Stay psaD —? De] 7 [ aeg) BsE0+ Say rSaB: ‘| Del uaralı Von Q , VagazöLrsiay Mosab , ray Bir ISO: obvauebunbupn \) A Be % ya) SW Ür MOND 15 BISan Stay 15a’ r N aonoy n wabuoßIg) 1 a Mn) n-JaY Sry} ÖZ# = S IASeH Say NPSSE—N IS Lagmalı Ken 22 n S FE | | saynasss— SS IS} Ss S 80009899 SO 08 000986 SS S SQ SI ZASESS SIIRS SISASS yamabuaduoy) 6 Say ma yoyundg DIA Say Mors IQNE] UL. TeysywbL+ say 9526 voR\ abuzluebuobp nt S N S Zyoimsßusduoy b a SS la tl DHL DLR 84 S Gay neseh il | > LLLL ’ SL .. I net /| | | mouna de mh. = za \ aa DE Er => Zu era 36116004 ] ’ F 4A ar \ \, EL +S12] ma N 5 ZU N aoge7 Dr Stand < { agmku/äuuy von Sons ; | B Yeleny TEEN ar Sgmoy soypunou A K I ee Vera rauen Dir \j TOR HeW Dr IT Halmone ma, mo DISBn ; awosy) | 229172 2 ei FTreraiee; VZAZE TA LE zorZ Be NZ TBiSsn Stay 1ps2b_— 2| Zaysnwdzz (Gestorben am 18. I. 1922.) Taube Nr. 12. Dunkel- Taube Nr. 9. Schwarz-grau. Abb. 4. Hellgrau, zwei schwarze Streifen auf den Flü- Hellgrau, zwei schwarze Streifen auf den Flügeln. Braun-grau, schwarz gesprenkelt, blauer Ring. (Gestor- Taube Nr. 5. Abb. 3. 449 Schwarz, Taube Nr. 17. 1921.) (Gestorben am 16. XII. braun, weiße Schwanzspitzen. geln. Taube Nr. 18. Taube Nr. 19. grüner Ring. ben am 19. XII. 1921.) 450 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis N Pd SLR a SL Eu SIR = 5 Dog ES EITEREN aayybe: S a stay ZI ? < ne = SQ Eh Sa }< In ü BWEREENS : S N EN x a] SZ .\ f l /| ‘ T 1 (wm D MO, 0SL D AS‘! > A MOD arayy Di z \ | seybizsey X \ageaay 6 Say SED — Mseb—H | Say Nosab—>- SQ Ss Ss 00090 S SH o S ° Q 908 S S Sg ISSSR SIIS SSIIRS Zyaımabusdıoy B x — NER ET NS ( N IF L . — 1 3 ı EL 1 a a auay) Di\# 3 Saıyoss6\ a S—- N | i — SM 14/2S2b N > IS / S Zar N > N - N Vz u Mi2o0eL D BLS2 3 SQ AN“ 3 Say Al Sl SL +2 S 5 Eu u Fe te! 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Taube Nr, 1% Schwarz-grau ge- auf jedem Flügel, von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. 451 S i Bl N Mi } Ä Ki day DL O+ Stay as —-, S a “ i er“ N F PN ? Fi mas0s1 0 BIS5_N & at DA-#S12/ SO IS > g £ N [ . | B 0604 ey Ma ? / N Bi . A B o\ > ; { 5 > S \ £ > Mid, 0SL D PISS } — ED) ie sa > Taube Nr. 8. Braun-grau. Taube Nr. 10. : al, | 7 7 Stay Woseb >; 104 ? > 22 K ke En A| gnay\saypunonn | 2) : ZSGNSJEYSTIy DLR 7 —, BEIN Er $% ENDE “ lau E fr Ss Ds IS BER + S12) Uoscb m N vum azsonsyaysmyy Dir: ; FgROJ won Ir N Jagay Dit Stay 1osab gray woun sans! VEN SW Di:% S123 12Sah S | £ S ; N N. mut Se = Q IS) Ss Q N Su S S 8 = wemsbsadıoy D Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 30 Hellgrau, braune Brust; zwei braune Streifen auf den Flügeln. Taube Nr. 29. Hellgrau, zwei schwarze Streifen auf dem Rücken. Abb. 7. 452 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Versuchsprotokolle. Taube Nr. 15. Te Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g GeschliffenerReis, — 30 — 93 | Das Tier ist munter. 48 Stund. auf 140° erwärmt Desgleichen 1 g getrockn. 15 —7 Grünkohl | | Desgleichen ohne Zusatz 9, — 40 31. XII. schwerste Krämpfe. Tod. Taube Nr. 20. Geschliffen. Reis, — 30 — 120 48 Stund. auf 140° erwärmt Desgleichen lg getrockn. | 15 —7 Grünkohl Desgleichen ohne Zusatz 5 — 28 |Tod unter Krämpfen. Taube Nr. 2. Geschliffen. Reis | — 7 |—13 Geschliffen. Reis, — 9 il 6 Stund. auf | 120° erwärmt | Desgleichen 1g Musel- 5 |— 11 |Das Tier ist munter. substanz von norm. Taube Desgleichen |1gLeber von, 4 — 4 |Das Tier ist munter. norm. Taube Desgleichen 5 Hefepillen | 31 | +32 Das Tier ist munter. (getr. Hefe) 84. Versuchsiag: —=0,5 g Hefe Das Tier ist matt. T. 38,2° Desgleichen 1g Organ- | 4 0 | Tele ne gemenge von 85. Versuchstag: Taube Nr. 14 Das Tier ist sehr matt. Tempe- Desgleichen 1 g Orsan- | 10 — 10 | ratur 39,0°. gemenge von | 3h Das Tier hat Krämpfe. Tem- normaler peratur 35,3°. . Taube Das Tier wird zwecks anderer Ver- Desgleichen 15 — 87 | suche geschlachtet. Taube Nr. 4. Geschliffen. Reis — 7 — 48 Geschliffen. Reis, — 9 — 38 6 Stund. auf 82. Versuchstag: | 120° erwärmt Das Tier hat Krämpfe. Gespritzt Desgleichen 1 g Musel-| 5 — 11| mit 1ccm Hefeautolysat intra- substanz von muskulär. Krampftaube Das Tier erholt sich danach. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. 453 Taube Nr. 4 (Fortsetzung). Was Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g "E Geschliffen. Reis 1gLebe vn 2 | +5 85. Versuchsiag: 6 Stund. auf | Krampftaube Das Tier hat leichte Krämpfe. 120° erwärmt Temperatur 10% — 38,0° Desgleichen 1 g Muskel- 2 — 17 05 11h = 36,2° es erhält ısubstanz von 0,5 Hefe per os Krampftaube Temperatur 12h — 36,8° Desgleichen 5 Pillen von| 45 | + 67 » 3ı — 37,8°. Die Tau- getr. Hefe “be hat sich erholt; ist jedoch |=0,5g Hefe noch etwas matt. Desgleichen lggetr.Grün-| 2 — 9 |7h Das Tier fängt wieder an den kohl Kopf zu verdrehen. Es erhält Desgleichen — 14 —79| 0,5g Hefe per os. Desgleichen 1g Kleie 5 +17 86. Versuchstag: Desgleichen — 24 — 31 | Das Tier ist munter. 96. Versuchstag: Das Tier ist matt. 98. Versuchstag: Das Tier hat Krämpfe. Es erhält 5Pillen aus getr. Hefe—=0,5g Hefe Temperatur 10% — 38,7° E) E2) 4h schwere Krämpfe. = N Su 38.02 10 ccm Hefeautolysat per os. Es erhält 7a Temperatur 38,5°. 99. Versuchstag: Das Tier hat sich erholt und ist ganz munter. 112. Versuchstag: Das Tier hat leichte Krämpfe. Es erhält 5 Pillen aus‘ getr. Hefe —segkiefe: Temperatur 10% — 37,5° 2 it = 0° > 3ı — 38,5° > 602 233,07 113. Versuchstag: Das Tier hat sich erholt. 115. Versuchstag: Das Tier ist etwas matt; es wird mit Adrenalin gespritzt und stirbt dabei. Taube Nr. 22. en Köıpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme IRRE g Geschliffen. Reis, — 9 | 85 Das Tier ist munter. 48 Std.auf140° 23. Versuchstag: erwärmt Das Tier ist sehr matt; es be- Desgleichen — 14 —69| kommt 5 Pillen aus getr. Hefe Desgleichen lg Kleie 15 —31 —(,5g Hefe per os. Desgleichen lg Kleie 8 — 46 24. Versuchstag: 5 Stund. auf Das Tier ist munter. 150° erwärmt. 37. Versuchstag: Desgleichen 5 Pillen aus| 3 — | Das Tier hat im Hals eitr. Geschw. getr. Hefe 46. Versuchstag: —=(,5 g Hefe Das Tier ist sehr matt. 50. Versuchsiag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig. 30* 454 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Taube Nr. 5. Zahl Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen | Tage | nahme | nahme g g Geschliffen. Reis — 7 — 10 Geschliffen. Reis, — 9 — 48 6 Stunden auf 120° erwärmt Desgleichen 1 g Muskel- 5 — 12 |Das Tier ist munter. substanz von Krampftaube Desgleichen lg Leber von| 2 —9 Krampftaube Desgleichen 1 g Muskel-| 2 —6 |Das Tier ist munter. substanz von Krampftaube Desgleichen 5 Pillen von | 31 |+ 62 getr. Hefe —0,5g Hefe Desgleichen 1 g Organ-| 12 — 49 gemenge von normaler Taube Desgleichen 1 Grünkohl| 3 —5 Desgleichen Iohne Zusatz| 3 — 43 Taube Nr. 18. Geschliffen. Reis, — 1 — 19 48 Stund. auf 140° erwärmt Desgleichen 2 g Organ- 4 +16 gemenge von Taube Nr. 7 Desgleichen — 2 — 16 Desgleichen 2 8 ÖOrgan- | 4 — 16 gemenge von Taube Nr. 3 Desgleichen 1 g Organ- |ı 45 — 61 gemenge von normaler | Taube Desgleichen ohne Zusatz | 5 — 45 |Schwerste Krämpfe. 35°. Taube Nr. 19. Geschliffen. Reis, — 11 — 48 48 Stund. auf 140° erwärmt Desgleichen lg Orsan- | 20 — 60 gemenge von norm,. Taube von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. Taube Nr. 19 (Fortsetzung). Körpergewichts- Zahl Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g Geschliffen. Reis 1ggetr.Grün- | 10 1 —6 48 Stund. auf kohl 140° erwärmt 31. Versuchstag: Das Tier ist matt und taumelt. 10 Temperatur 38,0° 12 » hat Krämpfe 3b Temperatur 36,5°; 35,9°; das Tier schwere Krämpfe; es erhält 2 g Grünk. 5h Temperatur 34,9°; das Tier wird auf dem Heizkörper künst- lich erwärmt. 7ı Temperatur 36,8° ; die Krämpfe dauern an, es erhält noch 1 g setr. Grünkohl. 32. Versuchstag: 9n Temperatur 38,2°; das Tier hat sich erholt 10h Temperatur 38,7 ° za = 36,5° . 38. Versuchstag: Das Tier ist matt. 42. Versuchstag: Das Tier hat Krämpfe und ist sehr schwach. Es wird mit 1 ccm Hefemacerationssaftdialysat in- tramuskulär gespritzt. 9h Temperatur 37,8° m ” 35,0° 230° „ 32,0°; das Tier wird künstlich erwärmt 3 30° Das Tier ist tot. 455 Taube Nr. 9. en Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme 8 g Geschl. Reis = 16 | se Desgleichen |1 3 Muskelsubst.| 5 — 12 Das Tier ist munter. von norm. Taube | Desgleichen |lg Leber v.nor- 4 — 10 maler Taube Desgleichen |5 Pillen v. getr.| 12 | +55 Iie® = VB E® Hefe Desgleichen |1g Muskelsubst. | 33 — 56 Das Tier ist munter. v. norm. Taube 85. Versuchstag: F g ug Das Tier ist matt, es kann nicht Desgleichen |1 g Kleie 5 Std. | 14 —| ehr out laufen. auf 150° erwärmt Desgleichen |5 Pillen v. getr. 9 — gl 9. Versuchstag: \ Hefe — 0,5 g Das Tier hat weißen Belag im RR Ai __jg9| Hals; die Augen sind morgens etwas verklebt. 98. Versuchstag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig. 456 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Taube Nr. 12. Ten Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage nahme | nahme g g Geschliffen. Reis — 16 — 60 Desgleichen 120227 Muskel. 257) — 10 Das Tier ist munter. substanz von | Krampftaube Desgleichen 1gLebe vn| 2 | — | —. |Das Tier ist munter. Krampftaube | Desgleichen 1 Musel- 2 | —9 substanz von | Krampftaube | 31. Versuchstag: Desgleichen 5 Pillen von| 12 +46 Das Tier zeigt ausgedehntes Em- zetr. Hefe | physem der Haut. — 0ossstlefe | Desgleichen 1 g Muskel- | 27 — 73 substanz von norm. Taube Das Hautemphysem nimmt zu; 62. Versuchstag: das Tier kann sich fast nicht Die Luft wird durch Punktieren mehr bewegen. entfernt 59. Versuchstag: Starker Bindehautkatarrh. Der 65. Versuchstag: Schnabel ist dick geschwollen Das Tier liegt morgens im Sterben; und voll belester Geschw. um 10% ist es tot. Taube Nr. 17. Körpergewichts- Zahl | Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g Geschliffen. Reis, — N...) — 48 Stund. auf | 140° erwärmt. | Desgleichen 2 9 Organ-| 4 +19 | gemenge von Taube Nr. 7 | Desgleichen — 2 | Desgleichen 2 g Orsan- | 4 ı| — un | gemenge von Taube Nr. 3 44. Versuchstag: Desgleichen 1 g Orsan- | 19 __74 Das Tier ist etwas matt; Tem- gemenge peratur: 37,0°. von normaler Taube 45. Versuchstag: Desgleichen 1 Tablette | 14 — 12 |Das Tier liegt morgens tot im Hefeautoly- Käfig. sat—=1g | von organischen Nahrungsstoffen ınit spezifischer Wirkung. XV1. Taube Nr. 11. 457 ai Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage |nahme | nahme g g Geschliffen. Reis — 16 — 85 Desgleichen 1 g Muskel-' 5 —2 |Das Tier ist munter. substanz von Krampftaube Desgleichen 1g Leberv. 4 — 11 Krampftaube Dessleichen 5 Pillen von 12 ‚+40 Das Tier ist munter. getr. Hefe —=(,5g Hefe. Desgleichen 1 g Muskel- | 33 — 34 | Das Tier ist munter. subst. v. nor- 103. Versuchstag: maler Taube Das Tier hat weißen Belag im Hals Desgleichen SU 14 — 47 | und wird in einen Einzelkäfig Desgleichen lg Kleie 20 — 19 | gesetzt. 104. Versuchstag: Der Belag nimmt zu. Das Tier schaltet wegen Geflügeldiphthe- rie aus dem Versuch aus. Taube Nr. 13. Geschliffen. Reis, — 20 — 112 Das Tier ist munter. 6 Std. auf 120° erwärmt | 49. Versuchstag: Desgleichen 1 g Organ- | 34 —58 | Das Tier taumelt und ist matt. gemenge von | Schwerste Krämpfe. 36°. Hefe- norm. Taube | autolysat gespritzt und 5 Hefe- Desgleichen ohne Zusatz De — 60 , pillen zugeführt. Tod 29. XII. Taube Nr. 16. Geschliffen. Reis, — 1 — 25 48 Stund. auf 140° erwärmt Desgleichen 2 g Organ- 4,+6 gemenge von Taube Nr. 7 Desgleichen — 2 — 13 Desgleichen 2 g Organ- 4 | —7 gemenge von Taube Nr. 3 Desgleichen 1g Organ- | 19 — 71 gemenge von norm. Taube Desgleichen 21/, Pillenv.| 15 |+6 getr. Hefe — 0,25 g Hefe | Desgleichen ohne Zusatz 5 |-—37 129. XII. Liest am Boden. Keine | | \ Krämpfe. Lähmung der Beine. 458 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Taube Nr. 33. en Körpergewichts- Nahrung Zusatz der | Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g Geschliffen. Reis| 1g Kleie 29 —7 Desgleichen lg Kleie 19 — 46 Das Tier ist munter. 5 Stund. auf 150° erwärmt 50. Versuchstag: Desgleichen 2g Kleie 13 +18 Gaswechselversuche nach Einat- men von CO,. 5 Das Tier ist munter. Taube Nr. 34. Geschliffen. Reis 1g Kleie 40 m — 86 5 Tier ist munter. Das Tier ist munter. Das Tier ist munter. Taube Nr. 35. [. 107 Das Tier ist munter. — 14 |Das Tier ist munter. Das Tier ist munter. Taube Nr. 8. 5 Stund. auf | 150° erwärmt | Desgleichen | 1g Kleie 8 | Desgleichen | 2g Klee | 13 |+26 Geschliffen. Reis | 1 g Kleie | 29 | 5 Stund. auf 150° erwärmt | Desgleichen | 1g Kleie 19 | Desgleichen 2g Kleie 13 | Geschliffen. Reis, — | 35 Desgleichen | 1gKkleie |33 Desgleichen 1 g Organ- | 2 gemenge | von normaler | | | Taube Desgleichen — 14 Desgleichen 1 g Kleie | 20 5 Stund. auf ı 150° erwärmt 36. Versuchstag: Das Tier kann den Kopf nicht aufrecht halten; es liegt matt im Käfig. 10h Temperatur 35,0°; es erhält 5 Pillen getr. Hefe = 0,5 g H. 12h Schwere Krämpfe 4h 9 E23) Temperatur: 36,1° zu es 36,3°. +27 Aa — 151 29. Versuchstag: Das Tier taumelt etwas beim Laufen. Temperatur: 37,0°. m 31. Versuchstag: __99 ‚Das Tier ist wieder munter. Temperatur: 38,8°. 37. Versuchstag: Die Krämpfe haben aufgehört; das Tier taumelt aber noch und ist sehr matt. 39. Versuchstag: Das Tier ist munter. 99. Versuchstag: Das Tier ist matt und zittert. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVI. Taube Nr. 8. 459 Körpergewichts- Zahl — [| Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme 8 g N Geschliffen. Reis 5 Pillen aus 20 | +55 105. Versuchstag: getr. Hefe Das Tier liegt matt im Käfig —10,5,25 Hefe, und zeigt Streckkrämpfe der Desgleichen lg Kleie 21 | +15 Beine. Temperatur: 37,0°. Es bekommt 0,5 g Hefe täglich. 111. Versuchstag: Das Tier hat sich erhoit, ist wieder Temperatur: 40,6°. munter. Geschliffen. Reis — Desgleichen 1 5 Muskel- subst. v. nor- maler Taube Desgleichen 1 g Leber von norm. Taube Desgieichen 1 g Muskel- subst. v. nor- maler Taube Desgleichen 5 Pillen von getr. Hefe —=(,5 g Hefe Desgleichen 1 g Muskel- subst. v. nor- maler Taube Desgleichen 21/, Pillen v. getr. Hefe — 0,25 g Hefe Desgleichen — Desgleichen lg Kleie Desgleichen 1gKleie 5Std. auf 150° erw. Desgleichen 0,1 g Hefe (1 Pille aus getr. Hefe) Taube Nr. 10. 16 5 [S) 12 19 14 14 29 19 13 — 140 —_ 9 ENT, a A. Ai ln + 36 —_ fl +12 — 29 il Bei der Durchführung der Versuche erfreute Frl. Jahn und Frl. Obermeier. 145. Versuchstag: Das Tier ist munter. Das Tier ist munter. Das Tier ist munter. Das Tier ist munter. Das Tier ist munter. Das Tier ist munter. Das Tier ist munter. 125. Versuchstag. Gespritzt mit 0,8 mg Adrenalin, daran anschließend Gaswechsel- versuche. Das Tier ist munter. ich mich der Mitwirkung von Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. XVII. Mitteilung. Von Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) Mit 13 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. März 1922). Im Anschluß an die in Mitteilung XIII erwähnten Versuche), in denen eine einfache Methode mitgeteilt wurde, mit Hilfe derer man die bedeutend höhere Empfindlichkeit von Reistauben gegenüber von normal ernährten Tauben gegen Sauerstoffmangel demonstrieren kann, haben wir Versuche der folgenden Art ausgeführt: Es wurden normal ernährte Tauben und ferner solche, welche ausschließlich mit ge- schliffenem Reis ernährt worden waren, unter eine luftdicht ab- schließende Glasglocke gebracht. Diese ruhte auf einem Brett, in dem eine Rille angebracht war, in die sie genau hineinpaßte. Mittels Quecksilbers ließ sich der Abschluß absolut luftdicht gestalten. Durch das Brett führte ein Rohr in das Innere des Raumes. Durch dieses leiteten wir ganz allmählich Kohlensäure unter die Glasglocke. Ein zweites Rohr stellte die Verbindung mit der Außenwelt her. Lange Zeit bevor die normal ernährte Taube irgendwelche Erscheinungen zeigte, traten bei der Reistaube alle Anzeichen der Erstickung auf. Das Tier kauerte sich an den Boden und sperrte den Schnabel weit auf. Wurde der Versuch nicht abgebrochen, so trat Erstickung ein, und zwar zu einer Zeit, in der die normal ernährte Taube nur geringe Erscheinun- gen zeigte. Wir dachten an die Möglichkeit, daß der mit verschiedenen Me- thoden nachgewiesene darniederliegende Gaswechsel der Zellen der an alimentärer Dystrophie erkrankten Tauben in Zusammenhang mit einem mangelhaften Abtransport gebildeier Kohlensäure in den Geweben stehen könnte. Zu der Annahme einer solchen Möglichkeit kamen wir auf Grund von Beobachtungen über den Gaswechsel von roten Blut- körperchen von Diabetikern und besonders von solchen, die im Sta- 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194. 647. 1922. E. Abderhalden u. E. Wertheimer: Zur Kenntnis von Nahrungsstoffen usw. 461 dium des Koma diabetikum entnommen waren.!) Wir haben auf ver- schiedene Weise versucht, festzustellen, ob die Ausatmung von in den Organismus hineingebrachter Kohlensäure bei Reistauben verzögert ist. So ließen wir z. B. gleichzeitig normal ernährte Tauben und solche, die ausschließlich geschliffenen Reis erhalten hatten, eine an Kohlen- säure reiche Luft einatmen. Wir steigerten ihren Kohlensäuregehalt bis die Reistaube Erscheinungen von Atemnot zeigte. Nun wurden beide Tauben unverzüglich in den Gaswechselapparat hineingebracht und verfolgt, wie rasch die aufgenommene Kohlensäure zur Ausschei- dung gelangt. Es zeigten sich keine Anzeichen dafür, daß die Kohlen- säureausscherdung bei der Reistaube irgendwie erschwert ist. Es dürfte die herabgesetzte Sauerstoffatmung in den Zellen direkt bedingt sein, d. h. es sind jene Stoffe oder vielleicht jener Stoff, der bei den Oxy- dationsvorgängen eine maßgebende Rolle spielt, in zu geringer Menge vorhanden. Es ist natürlich naheliegend unter anderem an jene Ver- bindung zu denken, die F. G. Hopkins?) aus Hefe isoliert hat. Sie besteht aus Zystein und Glutaminsäure. Vielleicht liest ein Dipeptid vor. In der Tat erhält man mit Geweben von Reistauben eine auffallend geringe Zysteinreaktion mittels Nitroprussidnatriıum und Ammoniak bzw. Kalilauge bzw. Piperidin, doch müssen weitere Erfahrungen gesam- melt werden. Bestimmte Schlußfolgerungen werden erst dann mög- lich sein, wenn gleiche Mengen von Geweben etwa bezogen auf ihren Gehalt an Stickstoff bei Reistieren und normal ernährten Tieren zur Vergleichung gelangen. Wie wiederholt mitgeteilt, zeigen die ausschließlich mit Reis er- nährten Tauben eine starke Veränderung der Atmung. Die Zahl der Atemzüge sinkt mehr und mehr ab. Wir zählten beispielsweise bei einer in Versuch genommenen Taube 62 Atemzüge in der Minute. Nach- dem sie zwei Wochen lang geschliffenen Reis erhalten hatte, betrug die Atemfrequenz nur noch 38. Im Krampfstadium ist die Atmung ganz außerordentlich stark verlangsamt. Wir zählten in der Minute 24 und 18 Atemzüge. Die Atmung ist gleichzeitig stark vertieft. Kurz vor dem Tode wird die Atmung beschleunigt und oberflächlich. Die stark verlangsamte Atmung findet ihre Erklärung wohl in dem Um- stande, daß die stark herabgesetzten Oxydationen in den Zellen zu einer entsprechend verminderten Bildung von Kohlensäure führen. Das Atemzentrum wird infolgedessen weniger oft als unter normalen Verhältnissen zur Tätigkeit angeregt. Die stark vertieften Atemzüge hängen vielleicht mit einer herabgesetzten Empfindlichkeit des Atemzentrums zusammen. Die verminderten Oxydationsvorgänge 1) Vgl. hierzu Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 647. 1922. 2) F.G. Hopkins, Biochem. Journ. 15, 286. 1921. 462 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis ziehen ohne Zweifel auch die Zellen des Atemzentrums in Mitleiden- schaft. ° Es ist wohl möglich, daß zwei Vorgänge die Zahl der Atemzüge vermindern und gleichzeitig eine vertiefte Atmung bedingen. Einer- seits entsteht bei der Reistaube (gemeint sind natürlich immer Tiere, die über längere Zeit hinaus ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt worden sind) infolge der herabgesetzten Oxydationsvorgänge in der Zeiteinheit weniger Kohlensäure. Es vergeht Zeit bis jene Be- dingungen hergestellt sind, die für die Zellen des Atemzentrums den Anstoß zur Tätigkeit geben. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, daß die Reizschwelle des Atemzentrums verschoben ist. Es bedarf wahr- scheinlich eines größeren Reizes, bis es zur Auslösung eines Atemzuges kommt. Wenn auch ein eigentlicher Cheyne-Stokesscher Atemtypus nur ausnahmsweise zu beobachten ist, so liegen dennoch wahrschein- lich insbesondere bezüglich der Tiefe der Atemzüge ganz ähnliche Ursachen vor, wie bei dem erwähnten Atemtypus. Im Verfolg früherer Beobachtungen, wonach in sensibülistertem Blut durch gelinde Bestrahlung mit diffusem Licht die Atmung der Blut- körperchen ansteigt, haben wir geprüft, ob Reistauben, die einen herabgeselzten Gaswechsel und eine verminderte Körpertemperatur zei- gen, durch Bestrahlung sich beeinflussen lassen. Zuvor prüften wir am Menschen, welchen Einfluß die Bestrahlung auf die Atmung der roten Blutkörperchen hat. Wir gingen so vor, daß nicht bestrahlten, gesun- den Individuen Blut entnommen wurde. Es wurde die Atmung der Blutkörperchen festgestellt und dann die Bestrahlung wiederholt vor- genommen und nunmehr wiederum die Atmung der Blutkörperchen bestimmt. Es zeigte sich, daß nach erfolgter Bestrahlung eine Steige- rung des Sauerstoffverbrauchs der roten Blutkörperchen eintritt (vergl. die näheren Daten im experimentellen Teil). Die Reistauben (wir benutz- ten meistens solche, die im Krampfstadium waren) zeigten nach er- folgter Bestrahlung ein allmähliches Ansteigen des Gaswechsels unter gleichzeitigem Steigen der Körpertemperatur. Der erzielte Erfolg war jedoch nur von kurzer Dauer. Wir betrachten als eines der wichtigsten Probleme in der Eirfor- schung des Wesens der Bedeutung der noch unbekannten Nahrungs- stoffe, deren Mangel die bekannten Erscheinungen der alimentären Dystrophie hervorrufen, die Feststellung, an welcher Stelle des Zell- stoffwechsels jene Produkte mit ihrer Wirkung einsetzen. Es genüst nicht, die herabgesetzte Zellatmung mit allen ihren Folgeerscheinun- gen zu betrachten, vielmehr muß aufgeklärt werden, ob der herab- gesetzte Sauerstoffverbrauch primär bedingt ist oder sekundär sich einstellt. Ferner muß geprüft werden, ob nicht bestimmte Stoff- wechselvorgänge besonders benachteiligt bzw. verändert sind. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVII. 463 Znächst knüpften wir an die bekannte Tatsache!) an, daß Adre- nalin parenteral zugeführt, die Körpertemperatur herabsetzt. Ferner ist festgestellt worden, daß eine Gewöhnung eintritt, wenn Adrenalin wiederholt eingespritzt wird. Es war nun von Interesse festzustellen, wie sich normal ernährte Tauben und Reistauben dem Adrenalin ge- genüber verhalten. Zunächst ergab sich, daß auch die Tauben eine Temperatursenkung zeigen, wenn Adrenalin eingespritzi wird. Bei nor- mal ernährten Tauben zeigte die Temperaturkurve nach intramusku- lärer Einverleibung von Adrenalin ein ganz typisches Verhalten. Die Temperatur sank zunächst ziemlich rasch!) (je nach der eingespritz- ten Dosis mehr oder weniger tief) ab. Dann folst ein Ansteigen der Temperaturkurve auf ein höheres Niveau, auf dem sie oft mehrere Tage beharrt, um dann schließlich zur normalen Höhe zurückzukehren. Weder Pilocarpin noch Atropin, noch Hefepräparate zeigen einen Ein- fluß auf den durch Adrenalin bewirkten Temperatursturz. Auch bei den Tauben konnte gezeigt werden, daß bei wiederholter Zufuhr der gleichen Menge Adrenalin seine Wirkung sich vermindert. Es trat eine Art von Gewöhnung ein. Vielleicht ist sie dadurch bedingt, daß das zugeführte Adrenalin rascher zerstört wird. Es ist aber auch denk- bar, daß ein Stoff mobil gemacht wird, der die Wirkung des Adrena- lins ausgleicht. Man könnte an das Cholin denken, doch ist ein An- tagonismus zwischen Adrenalin und Cholin nicht genügend erwiesen. Um das Wesen des Teemperatursturzes nach Einspritzung von Adre- nalın aufzuklären, haben wir Gaswechselversuche an Tauben vorgenom- men, denen die erwähnte Verbindung eingespritzt worden war. Der Gas- wechsel sinkt entsprechend der Temperatursenkung. Die erwähnte Wirkung des Adrenalins auf Gaswechsel und Körpertemperatur ist kaum peripher bedingt. Man könnte daran denken, daß das Adrenalin zentral angreift und jene Zentren beeinflußt, die mit der Regulierung der Körpertemperatur in Zusammenhang stehen. Man könnte auch eine Einwirkung auf die Schilddrüse vermuten, sofern diesem Organ, wie aus einigen Beobachtungen hervorzugehen scheint?), ein Einfluß auf die Regulierung der Körpertemperatur zukommt. Versuche mit Adrenalin an schilddrüsenlosen Tieren werden diese letztere Möglich- keit klarstellen. Wir haben auch mit AReistauben entsprechende Versuche mit Adrenalin durchgeführt. Die Körpertemperatur sank jäh ab, und es trat nach kurzer Zeit der Tod ein. Selbst wenn wir einer normal ernähr- 1) Vgl. Emil Abderhalden und Slavu, Zeitschr. f. physiol. Chem. 59, 129. 1909. — Emil Abderhalden und Karl Kautzsch, Ebenda 61, 119. 1909. 2) Vgl. G. Mansfeld und L. v. Pap, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 184, 281. 1920. — Leo Adler, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 86, 159. 1920; 8%, 406. 1920. 464 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis ten Taube eine tödlich wirkende Dosis von Adrenalin gaben, verlief der Temperatursturz ganz anders. Der Tod erfolgte erst nach Stun- den. Wir fragten uns, worauf das besondere Verhalten der mit Reis ernährten Tauben gegenüber der Adrenalinwirkung beruht. Es ist naheliegend, an eine verminderte Zerstörung des Adrenalins in den Geweben der Reistauben zu denken, weil bei diesen die Oxyda- tionsvorgänge stark herabgesetzt sind. Wir beobachteten, daß Adre- nalin, das außerhalb des Körpers oxydiert und dann zugeführt wird, zunächst eine stärkere Wirkung zeigt, dann aber sinkt sie rasch ab. Es wäre denkbar, daß die normal ernährte Taube die Fähigkeit besitzt, das eingeführte Adrenalin rasch anzugreifen und so zu verändern, daß es weniger wirksam und schließlich ganz unwirksam wird. Im Verfolg dieses Gedankenganges prüften wir, wie normal er- nährte Tauben und Reistauben sich bei der Zufuhr von Benzoesäure verhalten. Bekanntlich bilden Vögel nach Zufuhr dieser Verbindung Ornithursäure = Dibenzoylornithin. Während in einem Falle im Klo- akeninhalt der Reistaube keine Ornithursäure auffindbar war, zeigte in einem anderen Falle das Reistier gegenüber dem normalen Tier keinen Unterschied. Es ist wohl möglich, daß bei dem negativ ver- laufenen Falle das Tier schon zu sehr geschädigt und dadurch viel- leicht auch die Resorption der Benzoösäure herabgesetzt war. Jeden- falls kann auch die im fortgeschrittenen Stadium der alimentären Dy- strophie befindliche Taube noch die Synthese der Ornithursäure durch- führen. Es ist natürlich sehr naheliegend und verlockend, an größeren Vögeln genaue Stoffwechseluntersuchungen, die sich über möglichst viele Stoffe erstrecken, durchzuführen. Gewiß würde die Verfolgung des gesamten Stickstoffstoffwechsels mit Einschluß der Feststellung des Verhältnisses der Ammoniak- und Harnsäuremenge wichtige Finger- zeige geben. Ebenso wäre es sehr bedeutungsvoll, den Mineralstoff- wechsel zu verfolgen. Ferner lockt die Beobachtung, wonach unzwei- felhaft während der alimentären Dystrophie die Gallenbildung und vor allen Dingen diejenige des Gallenfarbstoffes gesteigert ist, zu wei- teren Forschungen. Es ist naheliegend, die vermehrte Gallenfarbstoff- bildung in Zusammenhang mit der starken Abnahme der roten Blut- körperchen und damit des Hämoglobins zu bringen. Es ist ferner notwendig, daß die Zusammensetzung der einzelnen Gewebe und Zel- len und insbesondere des Nervensystems an einzelnen Stoffen und insbesondere an Mineralstoffen geprüft wird. Wir haben weiterhin das Verhalten der Herztätigkeit bei normal ernährten Tauben mit derjenigen von Tauben verglichen, die lange Zeit ausschließlich geschliffenen Reis erhielten. Sie wird bei den letzteren Tieren mehr und mehr verlangsamt. Im Stadium der ali- von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVII. 465 mentären Dystrophie zählten wir oft nur 100—120 Herzschläge. So- bald Hefe zugeführt wird, nimmt ihre Zahl ganz erheblich zu. Inner- halb kurzer Zeit kommt man zu Zahlen, wie sie bei normal ernähr- ten Tauben zu finden sind. Wir haben die Herztätigkeit zum Teil durch Behorchen kontrolliert, zum Teil haben wir in das Herz eine Nadel eingestoßen und ihre Bewegungen verfolgt. Endlich haben wir in besonderen Versuchen die Frage geprüft, ob Reistauben im vorgeschrittenen Stadium gegen Drehbewegungen empfindlicher sind als normal ernährte Tauben. Es ist dies in der Tat der Fall. Wir brachten die zu vergleichenden Tauben unter eine Glas- glocke und setzten diese auf eine drehbare Scheibe auf. Während der Umdrehungen zeigten die Reistauben Erscheinungen, die bei den normal ernährten erst viel später, d. h. bei längerer Dauer oder rascheren Um- drehungen zustande kamen. Die Reistauben duckten sich an den Boden. Sie fielen auch um. Beim Anhalten der Umdrehungen zeigten sie eigen- tümliche ruckweise Kopfbewegungen und Lidschlag, während die Nor- maltauben sich ganz ruhig verhielten. Bei ihnen ließen sich die glei- chen Erscheinungen erst bei rascheren oder länger andauernden Um- drehungen auslösen. Bei einem Teil dieser Versuche erfreuten wir uns der Mithilfe von Frl. Jahn und Frl. Obermeier. Experimenteller Teil. 1. Versuche über die erhöhte Empfindlichkeit von Reistauben gegen vermehrte CO, in der Atemluft. Eine Reistaube a, Gewicht 235g, Temperatur 39.1°, Farbe grau, dunkelgefleckt, braune Streifen an den Flügeln und eine Kontroll- taube b, Gewicht 231 g, Temperatur 40.0°, Farbe schwarzgrau, werden in eine luftdichte Trommel gesetzt. Es sei noch bemerkt, daß Taube a vor drei Tagen Krämpfe hatte, die auf Hefezulage zu dem geschliffenen Reis, mit dem die Taube er- nährt wurde, wieder vorübergingen. Die Temperatur stieg wieder an. Die Taube erholte sich. Seither wieder ausschließliche Ernährung mit geschliffenem Reis. Die Taube geht noch nicht auf die Stange. Das Gefieder ist etwas aufgeplustert, das Tier ist aber ziemlich lebhaft. Taube b wird schon seit Wochen zu Versuchen anderer Art benutzt. Sie ist ziemlich abgemagert und nicht sehr lebhaft. Zeichen von ali- mentärer Dystrophie hat sie entsprechend ihrer Ernährung nie geboten. In die Trommel, in der beide Tauben ruhig sitzen, wird langsam Kohlensäure eingeleitet. Nach wenigen Minuten zeigt Taube a ver- tiefte und beschleunigte Atmung, der Schnabel wird weit aufgesperrt. Taube b sitzt vollkommen ruhig da. Bei Taube a wird die Atmung 466 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis immer lebhafter, die Schnabelatmung immer deutlicher. Schließlich springt das Tier auf, der Kopf wird in tonischem Krampf nach rück- wärts geschlagen (ähnlich wie bei den typischen Krämpfen der ali- mentären Dystrophie). Das Tier sinkt zusammen, der Kopf bleibt in seiner Krampfstellung. Bei Taube b ist die Atmung unterdessen auch beschleunister und tiefer geworden, und kurz vor Abbruch des Versuchs, war auch Schnabelatmung zu beobachten. Da der Zustand der Taube a bedenklich wurde, wurde die Trommel geöffnet. Nach Herausnehmen machte Taube a noch einige tiefe Atemzüge, dann tritt Atemlähmung ein. Trotz künstlicher Atmung und Sauerstoff- zufuhr kommt die Atmung nicht mehr in Gang. Taube b ist nach wenigen Stunden wieder vollkommen normal und sitzt in ihrem Kä- fig wieder auf der Stange, wie das gesunde Tauben zu tun pflegen. 2. Versuche über die Kohlensäureausscheidung bei Reistauben und normal ernährten Tauben. Wir brachten eine Krampftaube und eine normale Kontrolltaube in eine Kohlensäureatmosphäre. Nach einer bestimmten Zeit kamen beide gleichzeitig in je einen Gaswechselapparat, wo in bestimmten Zeitabschnitten die CO-,Ausscheidung verfolgt werden konnte. Die Einzelheiten des Versuches waren folgende: Taube a (Krampftaube) grau, schwarz gesprenkelt (roter Ring). Gewicht des Tieres vor den Vorversuchen 247g. Temperatur 37°. Die Taube hatte früher schon Krämpfe gehabt, wurde dann wie- der seit 21/, Wochen ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt. Heute (22. 2.) zeigt die Taube wieder deutliche Zeichen der alimen- tären Dystrophie. Sie sitzt zusammengekauert mit aufgeplustertem Gefieder da, der Kopf macht die bekannten eigenartigen Drehun- gen. Die Temperatur ist gefallen. Taube b (Kontrolltaube) graubraun, zwei schwarze Streifen auf den Flügeln. Gewicht des Tieres vor den Vorversuchen 252g; Tem- peratur 40.0°. Die Taube wird schon längere Zeit zu anderen Versuchen verwendet. Ihre Ernährung war so, daß sie nicht an alimentärer Dystrophie erkran- ken konnte. Die Vorversuche am 22. 2. zeigen (s. Kurve 1 und 2), worauf auch hier wiederum hingewiesen sei, den verminderten Gaswechsel der Reis- taube a. Es ist hier besonders schön zu sehen, wie der Gaswechsel im Laufe des Tages entsprechend der Verschlimmerung des Zustandes der alimentären Dystrophie fällt. Am 23. 2. hatte die Taube a bereits die ersten Krampferscheinun- gen. Das Gewicht war gefallen auf 236 g; die Temperatur ging im Laufe des Tages von 37.0° auf 36.3° zurück. DS IS D [S\ 9 CO, pro kg/ötde. [SJ 9 82 I S) 3,7 x Ir OS Z2\Z, 83,0 N & T SS IS 2,9 = N DR | 2,8 Ti 430h fahlensäure S LIE eingeatimei 27 23.1, le Si 8 Se L- 2,6 - 2) 1 z 2,4 air ‘- 2,3 4 - 2,2 REINER YO kanlensäupt 27 AL de eingeatmer ; MZ 20 az 3° u. 5 6% DEN EA EEG Kurve 1. Reistaube a. Kurve 2. Kontrolltaube b. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVII. 467 Taube b zeigte keine Veränderungen. Gewicht 258g; Tempera- tur 41.2°. Entsprechend der Verschlimmerung des Zustandes bei Taube a war ihr Gaswechsel noch weiter gesunken; der Unterschied gegenüber dem Gaswechsel der Taube b wurde damit noch größer. Nachmittags wurden beide Tauben unter eine luftdicht abge- schlossene Glasglocke gesetzt, dann allmählich Kohlensäure zugeleitet. 22.7 Taube a, die schon vorher leichte Krämpfe hatte, zeigte sehr bald die bekannten Krampferscheinungen, zunächst Schnabelatmung, dann bäumte sie sich heftig auf bei starken Krampferscheinungen, um bald in sich zusammenzusinken. Taube b stand aufrecht und zeigte erst ganz zuletzt Schnabel- atmung, war aber vollkommen ruhig. Als für Taube a Lebensgefahr bestand, wurde die Glocke aufgehoben und beide Tauben gleichzeitig in einen Gaswechselapparat gebracht. Taube a lag zunächst wie leblos auf der Seite, erst nach fünf Mi- nuten erholte sie sich allmählich, d. h. sie kam auf ihren früheren Zu- Pflügers Archiv f.d. ges. Physiol. Bd. 19. 31 z7R 468 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis stand. Taube b war sofort vollkommen normal und machte beim Herausnehmen Versuche, wegzufliegen. ' Der Gaswechsel wurde in !/,stündigen Perioden untersucht. Die Kurven zeigen, wie überraschend gleichmäßig die Kohlensäure bei beiden wieder ausgeschieden wurde. 3. Beobachtungen über die Atmung von Tauben mit alimentärer Dystrophie. Durch fortgesetzte Beobachtungen konnten wir bemerken, daß sich die Atmung von Tauben, die ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt wurden, mehr und mehr verlangsamt. Während z. B. bei Abb. 1. NATAAVAANAA NG VUNUVVNANNANNANMANAANANAANANAAMANNUMUMANARAN Abb. 2. Registrierung der Atmung. a bei einer Reistaube; b bei einer Normaltaube. einer Reihe von Tauben die durchschnittliche Zahl der Atemzüge in der Minute zu Beginn der Reisfütterung 62 war, fiel sie innerhalb von zwei Wochen auf einen Durchschnittswert von 38. Vergleichen wir normal ernährte Tauben, so finden wir diese Ver- langsamung nicht, erst bei Tauben, die seit Monaten eingesperrt sind, tritt eine Verminderung in der Zahl der Atemzüge ein, die aber nie so niedrig wird, wie bei der alimentären Dystrophie. Im ausgeprägten Krampfstadium ist die Atmung meist maximal verlangsamt, so daß Atmungszahlen von 36, 30 und 24 in der Minute das Gewöhnliche sind. Im Krampfstadium bemerken wir außerdem noch eine bald mehr, bald weniger starke Vertiefung der Atmung. Erst sub finem tritt eine stark beschleunigte, jagende, oberflächliche Atmuns ein. Die Abbildungen 1 und 2 geben Atemkurven von Reistauben (a) und normal ernährten Tauben (b) wieder. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVII. 469 4. Bestrahlungsversuche an Tauben mit alimentärer Dystrophie. Vor- versuche an Menschen. Aus früheren Untersuchungen!) war hervorgegangen, daß sensi- bilisiertes Blut durch intensive Bestrahlung in seiner Atmung rever- sibel gehemmt wird; bei gelinder Bestrahlung im diffusen Licht war die Atmung oft gesteigert. Anschließend hieran mußte geprüft werden, ob auch am lebenden Organismus ein Einfluß intensiver Bestrah- lung auf die Atmung der roten Blutkörperchen nachweisbar ist. Die Versuche wurden derart angestellt, daß von Gesunden zu- nächst Blut entnommen, und die Atmung der Blutzellen sofort fest- gestellt wurde. Dann wurde dreimal oder mehrmals an aufeinanderfol- senden Tagen bestrahlt und nach der letzten Bestrahlung die Blut- zellenatmung sofort wieder untersucht. “Versuch I. Gesunde Frau (22 Jahre alt). Vor der Bestrahlung war der O,-Verbrauch von 1,5 ccm Blut bei 30’ Versuchsdauer bei einer Temperatur von 18° — 108 cmm. Nach dreitägiger Bestrahlung mit einer Hanauer Quarzlampe (6’, 12’, 20) war der O,-Verbrauch der gleichen Menge Blutes unter glei- chen Bedingungen = 158 cmm. Bei der Versuchsperson war ein deutliches Erythem aufgetreten. Versuch II. Gesunde Frau (32 Jahre alt). Vor der Bestrahlung war der O,-Verbrauch von 1,5 ccm Blut bei 30’ Versuchsdauer bei einer Temperatur von 20° — 112 cmm. Nach dreitägiger Bestrahlung (6, 12’, 20’) betrug der O,-Ver- brauch 168 cmm. Bei der Versuchsperson war ein ausgedehntes Erythem aufgetreten. Versuch III. Gesunde Frau. Versuchsperson 29 Jahre alt. Vor der Bestrahlung war der O,-Verbrauch von 1,5cem Blut bei ' 30° Versuchsdauer bei einer Temperatur von 19° = 96 cmm. Nach viertägiger Bestrahlung (6’, 12’, 20’, 20’) betrug der O,-Ver- brauch 129 cmm. Die Versuchsperson hatte ein leichtes Erythem. Vier Wochen nach der Bestrahlung war der O,-Verbrauch unter der gleichen Bedingung 94 cmm. Versuchsperson IV (28 Jahre alter Mann). Vor der Bestrahlung war der O,-Verbrauch von 1,5 ccm Blut bei 30° Versuchsdauer bei einer Temperatur von 18° = 98 emm. Nach dreitägiger Bestrahlung (6, 15’, 30’) war der O,-Verbrauch 135 cmm. 1) E. Abderhalden und E. Wertheimer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 258. 1921. 3l* 470 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis Die angegebenen Werte sind immer Mittelwerte aus zwei oder drei gleichzeitigen Ablesungen. | Die Untersuchung des Sauerstoffbindungsvermögens nach der Barcroftschen Differentialmethode gab vor und nach der Bestrahlung die gleichen Werte. Eine Vermehrung der Erythrocyten, die die angegebene Atmungs- steigerung an sich erklären könnte, ist sehr unwahrscheinlich, wurde auch von anderen Beobachtern nicht gefunden. Aus den Versuchen geht hervor, daß nach der Bestrahlung mit einer Quarzlampe die Atmung der Blutzellen deutlich erhöht ist. Es sei hier an den günstigen Einfluß der Quarzlampenbestrah- lung bei rachitischen Kindern erinnert, der seit den exakten Unter- suchungen Huldschinskys*) ganz allgemein anerkannt ist und sowohl therapeutisch als auch prophylaktisch ausgewertet wird. Es ist wahr- scheinlich gemacht?), daß die Ca- und P-Retention nach Bestrahlung rachitischer Säuglinge deutlich zunimmt, ganz ähnlich, wie es bei der Lebertrandarreichung und bei der Zulage von frischen Gemüsen der Fall ist. Vielleicht liegt eine gemeinsame Ursache dieser Einwirkungen in Hinsicht auf die Beeinflussung von Oxydationsvorgängen vor. Namentlich aus der Erwägung heraus, daß durch Bestrahlung eine zeitliche Steigerung des Sauerstoffverbrauchs von Zellen nachgewiesen ist, haben wir den Einfluß einer solchen Bestrahlung auf den Zustand von Krampftauben untersucht, wobei es von vornherein klar war, daß eine günstige Beeinflussung nicht von längerer Dauer sein konnte. Als Kriterium des Erfolges der Bestrahlung benutzten wir Tem- peraturmessungen und die Untersuchung des Gaswechsels mit folgen- dem Ergebnis: Reistauben im ausgeprägten Krampfstadium bei stark herab- gesetztem Gaswechsel und bei stark gesunkener Temperatur zeigen nach Bestrahlung mit einer Quarzlampe ein allmähliches Ansteigen des Gasstoffwechsels (Kurve 3) mit gleichzeitigem Steigen der Tem- peratur (Kurve 4 und 5). Der Erfolg ist jedoch nur von kurzer Dauer, da schon nach Stunden die Temperatur und auch der Gaswechsel zur alten Höhe zurückgehen. Der Einfluß der Bestrahlung im günstigen Sinne ist auf alle Fälle unverkennbar (s. Kurve 3, 4 und 5). Offenbar entstehen, wie auch aus den beschriebenen Versuchen am Menschen hervorgeht, infolge der Licht- wirkung im Blute Stoffe, die die Zellatmung anzufachen vermögen). 1) Zeitschr. f. orthop. Chirurg. 89, 426. 1920; siehe auch die Tierversuche von Hess, Journ. of biol. chem. 50, 76. 1922. 2) Lasch und Wertheimer, Verhandl. d. Gesellsch. f. Kinderheilkunde, Jena. Mai 1921. ®) Freund, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 91, 272. 1921. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVII. 471 Ob die Haut dabei im Sinne eines Sensibilisators wirkt, oder ob in ihr der Entstehungsort der fraglichen Stoffe ist, konnte in besonders dazu angestellten Versuchen, indem wir Blut in einem Gefäß bestrahl- ten, das mit einer Hautmembran überzogen war, nicht entschieden werden. Protokoll zu den Kurven3, 4u.5. 1. Versuch: Taube 28. Gewicht 244g; Tem- peratur 37°. Das Tier ist ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt. Es ist seit heute im Stadium ausgespro- chener Krämpfe. 16 N RS] mm Q > Ss Sn og S gs 373 IS 20Min sonne 2 10 76.1, OU RS) Kurve 3. Taube 25 (alimentäre Dystrophie). Nach dem Vorversuch wird das Tier 20° mit der Quarzlampe bestrahlt. Verlauf von Temperatur und Gaswechsel ist aus den Kurven zu ersehen. 9. Versuch: Gewicht des Tieres 237 g; Temperatur 36,8°. Die Taube zeigt alle Erscheinungen der alimentären Dystrophie, sie ist bereits sehr matt. 39% Nach dem Vorversuch 20’ bestrahlt. Kurz Kurve 4. Taube 28. nach der Bestrahlung ist das Tier noch matter geworden. 20'be n TO 7270007 2 3 4 5 Kurve 5. Taube 28. Gegen Mittag wird das Tier unter Ansteigen der Temperatur und des Gas- wechsels auffallend munterer. Verlauf von Temperatur und Gaswechsel siehe die Kurven. 8. Versuche über erhöhte Adrenalinempfindlichkeit von Reistauben. Zunächst konnten wir feststellen, daß auch Tauben auf größere Dosen von dl-Adrenalin mit einer 'Temperatursenkung antworten. Wir benutzten zu unseren Untersuchungen Mengen von 0,1—-2 mg dl-Adrenalin pro Taube. Weiter konnten wir sehen, daß der Verlauf der Temperaturkurve ein ganz typischer ist, der uns immer wieder begegnete (s. Kurve 6). Die Temperatur sank zunächst, je nach der 472 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis Dosis, verhältnismäßig rasch mehr oder weniger tief, dann erfolste ein Ansteigen der Kurve auf ein höheres Niveau, auf dem sie einen und selbst mehrere Tage verharren konnte, um ganz allmählich zur ursprünglichen Höhe zurückzukehren. Sonst boten die Tauben we- nig auffallende Symptome. Bei Überdosierung erfolgte die Umbiegung der Kurve nicht, sie stürzte vielmehr allmählich weiter bis zum Tode (s. Kurve 7). Das Nähere über das Vergiftungsbild siehe die Protokolle. Durch Pilocarpin, auch durch Atropin, konnten wir den Tempe- ratursturz nicht beeinflussen. Ebensowenig hatten Hefepräparate ei- nen Einfluß. Weiter konnten wir beobachten, daß unsere dl-Adrenalinlösungen (beim Stehen bei schwach rötlicher Farbe) eher eine Zunahme an Wirk- 42 7? ET, gr Ir Kurve 6. Temperaturverlauf bei mit Adrenalin vergifteten Tauben. samkeit erfuhren, wenigstens in den ersten Tagen. Langes Stehen der” Lösung bei ausgesprochen alkalischer Reaktion (Farbe dunkelbraun) setzte die Wirkung auf ein Minimum herab. Ähnliches in bezug auf andere Wirkungen des Adrenalins ist auch von anderen Beobachtern mitgeteilt worden!). Weiterhin fiel uns bei unseren Versuchen auf, daß, wenn Tiere meh- rere Tage hintereinander mit der gleichen oder mit kleinerer Dosis gespritzt wurden, die Wirkung bedeutend geringer und kürzer dauernd wurde. Zur Aufklärung des Temperatursturzes bei adrenalinvergifteten Tauben haben wir Gaswechselversuche bei solchen Tieren vorgenommen. Diese haben ergeben, daß der Gaswechsel entsprechend der Temperatur- senkung sinkt: bei niederen Dosen mit geringem Temperaturabfall 1) F.v.Gröer und J. Matula, Biochem. Zeitschr. 102, 13. 1920. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVO. 473 nur wenig, bei Temperatursturz durch größere Dosen herbeigeführt, findet sich ein starkes Absinken des Gaswechsels (s. Kurven 8 und 9). Nun verfolgten wir bei Reistauben, die die ersten Zeichen der ali- mentären Dystrophie boten, die Vergiftungserscheinungen bei Adre- nalininjektion, in der Erwartung, daß Adrenalinvergiftung und die Wirkung der alimentären Dystrophie sich von verschiedenen Angriffs- punkten aus verstärken würden. Kurve 10 und 11 geben ein deutliches Bild von dem Unterschied der Wir- kung einer gleichen Dosis Adrenalin bei einer Reistaube und einer gleich kräftigen Normaltaube. Bei der Reistaube jähes Absinken der Tem- peratur und Tod nach kurzer Zeit, bei der Normaltaube der oben be- schriebene Kurvenverlauf. Selbst wenn wir einer Normal- 729 taube die letale Dosis verabreichten, war das Kurvenbild ein ganz an- ?9 deres. Die Temperatur sank zuletzt viel allmählicher. Der Tod erfolgte erst nach Stunden (s. Kurve 7). 17 /Stde. NSITEN 8 pro kg IS) & 9% [SSJ 12 N PR DONE TOR Kurve 8. Taube IV. Kurve 9. Taube 10. Gaswechsel bei mit Adrenalin-vergifteten Tauben. Im Anschluß an diese Untersuchungen haben wir geprüft, ob die Giftwirkung des Adrenalins sich nach Vorbehandlung mit verschiedenen Adsorbentien ändert. Dabei ergab sich, daß Tierkohle das Adrenalin vollkommen zu adsorbieren ver- mas (geprüft mit der Eisenchloridreaktion). Das adsorbierte Adrenalin kann von der Kohle durch Spülen mit dest. Wasser wieder entfernt werden, wenigstens wird die Eisenchloridprobe nach dem Waschen sofort positiv. Nach Behandeln mit Kaolin und Kieselgur ist die Eisenchloridreaktion vor und nach der Behand- lung gleich, ebenso bei Anwendung von Casein. Talkum nimmt eine eigenartige Stellung ein. Schüttelt man eine 1°/ „ige Adre- nalinlösung mit reichlich Talkum, so erhält man mit der abfiltrierten Lösung eine tief blauviolette Färbung mit Eisenchlorid, und zwar gleichgültig ob die Reaktion alkalisch oder sauer ist. Spritzt man Tauben 1,5 mg der mit Talkum behandelten Adrenalinlösung ein, so tritt die bekannte Temperaturreaktion nicht mehr ein. Offenbar wird das Adrenalin durch Talkum tiefgehend verändert. 474 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis Zu Kurve 10. Taube a (Kontrolltier) hellgrau, blauer Ring. Gewicht 285 g; Tem- peratur 40,8°C. Taube b (Reistaube). Gewicht 2768; Temperatur 39,8°. Diese Taube hatte vor vier Tagen ausgesprochene Krämpfe, die auf Hefe zurückgingen. Sie wird seither wieder mit geschliffenem Reis ernährt. Das Tier ist noch matt, das Gefieder aufgeplustert, es geht noch nicht auf die Stange. Noch keine Krampferscheinungen. 12h 40’ Injektion von 1 mg Adrenalin in den Brustmuskel. Der Temperaturverlauf ist aus der Kurve zu ersehen. Taube a zeigte bald nach der Injektion Zittern am ganzen Körper. Sonst läßt sich zunächst nichts Besonderes feststellen. Das Tier läuft 0,9 mg Adrenalin o 47 40 0,1 mg Adrenalin intram. \ 39 ja ma, Adrenalin 36 ae N ZU GE Kurve 10. Kurve 11. a Kontrolltaube, b Reistaube. I Kontrolltaube, II Reistaube. ruhig umher. Gegen 3" wird es etwas matter. — Am anderen Tag vormittags 10% Temperatur 38,2°. Das Tier ist noch matt. Gewicht 285 g; abends 6h Temperatur 39,8°. Das Tier ist munter. Ganz anders Taube b. Zehn Minuten nach der Injektion wird das Tier plötzlich matter. Es treten Anzeichen von Krämpfen auf, dann sinkt es zusammen. Starke Atemnot; Schnabelatmung. Die Pupillen werden weit. Die Taube liest matt zur Seite. Um 1%5’ Exitus. Taube a läuft zur gleichen Zeit im Käfig ohne Besonderheiten ganz munter umher. Zu Kurve 11. Taube I (Kontrolltier). Gewicht 258g; Temperatur 41,1°. Taube II (Reistaube). Gewicht 232 g; Temperatur 38,4°. Taube II ist nach längerer Fütterung mit geschältem Reis eben im Stadium der beginnenden Krämpfe. Die Temperatur ist bereits gefallen. Das Tier sitzt zusammengekauert mit aufgeplustertem Ge- von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVII. 475 fieder. Der Kopf macht die eigentümlichen Drehbewegungen, die die Krämpfe ankündigen. Taube I erhält 0,9 mg Adrenalin in den Brustmuskel. Taube II 0,7 mgr Adrenalin. Der Temperaturverlauf ist aus der Kurve zu ersehen. Taube I zeigt nichts sehr Auffallendes, sie geht umher, zittert et- was, wird auch etwas matter. Taube II liest 20 Minuten nach der Injektion ab. Es tritt Schnabel- atmung ein. Das Tier wird immer matter. Die Atmung ist ober- flächlich, hastig. Die Pupillen werden maximal weit. Exitus 12h 30’. Pilocarpineinfluß auf den Temperatursturz durch Adrenalin be- steht nicht, auch Atropin hindert den Temperaturabfall nicht. Taube a hellgrau mit blauem Ring. Gewicht 285g. Temperatur 39,9°. Taube b hellgrau mit weißem Ring. Gewicht 270 g. Temperatur 40,8°. Taube a bekommt eingespritzt 0,7 mg Adrenalin. Taube b 0,7 mg Adrenalin und !/, mg Atropin. Temperaturverlauf: Taube a. Taube b. INEUUDY. 2 ea 3a» LEROON 2 ARERNENE 40,8° NIE 30 Ve 38,5° 1a DI en) per Be a 39,8° Ka 2 a 38,0° EINEN N ee N 38,8° IE UT 22 Se A IUO> EIGENE erste s 38,6° 2 107, SR en 39:05 ZINK ne 38,8° ON ee 39,1° GODS ra 39,5° 12h 5’ Injektion von 1 mg Adrenalin in den Brustmuskel. 12h 5° beträgt die Temperatur 40,3°. 1h 5’ 38,4°, 2h 38,6°, 3h 38,5°, 4h 37,8°. 4h 5’ Injektion von 0,01 g Pilocarpin. 7 "Temperatur 35,6°. 7h 307 34,9°. Vorm. 9b 39,6°. Taube hellgrau. Gewicht 270 8; Temperatur 40,0°. 11h Injektion von lmg Adrenalin und 0,01 g Pilocarpin. 112 50’ beträgt die Temperatur 38,0°. 12h 5’ 37,5°; 1b 35,0°; 1240’ 34,6°. 1% 45’ Injektion von 1,2 cenı Hefeautolysat. 2h 20° Temperatur 34,0°; 320° 33,2°; 4b 30,0°. 45’ Exitus letalis. Hellgraue Taube, ohne Schwanz. Gewicht 300 g; Temperatur 40,7°. 12h Injektion von 1,5 mg Adrenalin, das vier Tage bei alkalischer Reaktion gestanden hat. Farbe der Lösung tiefbraun. Die Temperatur betrug um 12h 40,5°; 1h 39,2°; 3h 39,6°; 4h 38,5°; 5h 38,9°; 6h 38,4°; 7b 39,1°. 476 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis Auch durch Hefepräparate, Pankreasextrakt, Thyreoideaopton wurde die Adrenalinvergiftung nicht beeinflußt. Gewöhnungsversuche: Dunkelgraue Taube, blauer Ring. Temperatur 39,5°; Gewicht 278 g. Das Tier war an den Tagen zuvor mit 0,25, 0,3 ind 0,5 mg Adre- nalin gespritzt worden. Mit 0,5 mg Adrenalin war ein Absinken der Temperatur nicht mehr zu beobachten, während sonst auf diese Dosis noch eine deutliche Re- aktion erfolst. Jetzt 12% Injektion von 1 mg Adrenalin. Temperatur: 12h 39,5°; 1h 38,8°; 3b 39,2°; 4h 37,8°; 5h 38,5°; 6h 38,6°; 76 39,3°. (Man vergleiche die Reaktion der übrigen Tau- ben auf 1 mg Adrenalin.) Hellgraue Taube mit zwei braunen Streifen. Gewicht 287 g; Tem- peratur 41,4°. Die Taube war vorbehandelt mit 0,3 mg Adrenalin. Die Tempe- ratur war gesunken von 40,2 auf 35,3°. Jetzt Injektion von 1 mg Adrenalin. 10/0022 Remperapur ser 40,9° 4h 00’ 38,7° 11h 00° a 1 LE 38,5° 5h 007 39,1° 12h 00° BEL HR EN DONE 7 Sc NEE 38,2° 7 00° 39,6° 1h 00° a N 38,3° morgens 9h 00° (am folgen- den Tag) 40,3°. Protokolle zu den Gaswechselversuchen an RL OnOLIN LE u Tau- ben (Kurve 8 und 9). Taube IV, grauschwarz, blauer Ring. Gewicht des Tieres 302 g; Temperatur 40,2°. 10h 48° gespritzt mit 0,25 mg Adrenalin. 3h 43’ mit 0,3 mg Adrenalin. I. Versuch 10h 50’—11% 50’, Temperatur nach dem Versuch 38,8°, vor dem Versuch 40,2°. II. Versuch 12—1%, Temperatur um 1b 38,0°. III. Versuch 3b 45’—4h 45’, Temperatur um 4h45’ 38,1°. IV. Versuch 4b 50’—5h 50’, Temperatur um 55 50’ 37,6°. V. Versuch 6h—7h, Temperatur um 75h 37,6°. Verlauf des Gaswechsels siehe die Kurve 8. Taube 10. Hellgrau, zwei. braune Streifen auf den Flügeln. Ge- wicht des Tieres 281 g; Temperatur 39,7°. 11h 55’ Injektion von 0,8 mg Adrenalin. I. Versuch 12b—Ih, Temperatur vor dem Versuch 39,7°, nach dem Versuch 36,5°. II. Versuch 1% 15’—2h 15’, Temperatur 2h 15’ 36,5°. III. Versuch 2h 30’—3h 30’, Temperatur 3h 307 35,8°. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVIL 477 IV. Versuch 4—5h, Temperatur 5b 37,5°. V. Versuch 5h 10’—6h 10’, Temperatur 6 10’ 37,5°. Höhe des Gaswechsels siehe die Kurve 9. Zu Kurve 6. Taube dunkelgrau, weiß gefleckt, rote Ringe. Ge- wicht 325 g; Temperatur 40,6°. Injektion von 1mg Adrenalin pro 300g Körpergewicht in den Brustmuskel. Der Temperaturverlauf geht aus der Kurve hervor. Während des Sinkens der Temperatur wird das Tier matter und ist viel weniger lebhaft, sonst war nichts Auffälliges an der Taube zu bemerken. Am folgenden Tag betrug die Temperatur morgens 9h 38,5°, abends 5h 39,6°. Am übernächsten Tag war die Temperatur morgens 10h 39,5°, abends 6h 39,3°. Es war also immer noch nicht die Ausgangstemperatur erreicht. Das Gewicht betrug 315 9. Zu Kurve 7. Dunkelgraue Taube, nicht gefleckt. Gewicht 375g; Temperatur 42°. Injektion von 2mg Adrenalin um 12h. Der Temperaturverlauf ist aus der Kurve zu ersehen. Gegen 1 zittert die Taube lebhaft am ganzen Körper. Um 2h hat sich die Taube beruhigt, sie ist sehr matt. Schnabel- atmung. Sie erscheint gelähmt an beiden Beinen. Um 3h ist das Tier ganz abgemattet, es schließt die Augen. Die Pupillen werden weit. Um 4% Exitus. 6. Versuche über die Bildung von Ornithursäure nach Eingabe von Benzoesäure bei mit Reis und mit gewöhnlicher Nahrung ernährten Tauben. Reistauben und Normaltauben erhielten benzoösaures Natron. Im ersten Versuch verfütterten wir an zwei Tagen in drei Teil- portionen je 0,58 benzoesaures Na. Die Reistaube war am dritten Morgen tot. Die Kontrolltaube war matter geworden, die Temperatur gesunken; sie erholte sich aber langsam. Im Kloakeninhalt der Normaltaube konnten wir Ornithursäure nach der von Jaffe!) angegebenen Methode einwandfrei auffinden. Bei der Reistaube fanden wir sie nicht. In einem zweiten Versuch verfütterten wir täglich 0,25 g benzoe- saures Natron während fünf Tagen. Schließlich ging es beiden Tauben gleich schlecht Sie erholten sich nach Aufhören der Zufuhr von Ben- zo&säure nicht mehr. Ornithursäure wurde bei beiden Tauben im Kloaken- Yoshikawa, Zeitschr. f. physiol. Chem. 68, 79. 1910. 478 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Beiträge zur Kenntnis inhalt gefunden. Worauf die Unterschiede der Ergebnisse in beiden Versuchen beruhen, ist schwer zu sagen. Es besteht die Möglichkeit, daß die Reistaube im ersten Versuch in der alimentären Dystrophie schon weiter vorgeschritten war. Beobachtungen über die Herztätigkeit bei Tauben mit alvmentärer Dystrophie. Man kann bei Tauben die Herztätigkeit einmal an der Flügel- arterie am Brustansatz des Flügels, wo der Puls meist leicht zu fühlen ist, kontrollieren. Manchmal genügt auch das Auflegen der Hand auf das Brustbein. Am einfachsten und deutlichsten ist die Auskultation über dem Brustbein. Bei Normaltauben ist die Zahl der Herzschläge meist nicht zu zählen, so rasch ist sie. Einzelne Ausnahmen wurden beobachtet, doch wurden nie weniger als 240 Pulse gezählt, aber immer nur bei Tieren, die längere Zeit einseitig ernährt waren. Man kann sagen, daß Normaltauben über 270 Herzschläge in der Minute haben, die meisten sehr viel mehr. Wir haben dann die Herzaktion bei Krampf- tauben verfolgt, wie folgendes Beispiel es zeigen soll: Dunkelgraue Taube, Flügel gesprenkelt. Gewicht 202 9. Die Taube wird seit vier Wochen mit geschliffenem Reis ernährt. Sie zeigt heute die typischen Krämpfe. Die Temperatur ist stark ab- gefallen; sie beträgt 37,0°. Die Herzaktion ist auffallend langsam, der Puls ist leicht zu zählen. In mehreren Beobachtungen werden 112—120 Schläge in der Minute gezählt. Gegen Abend bekommt das Tier Hefepillen. Am anderen Morgen hat sich das Tier erholt. Der Gang ist noch unsicher. "Temperatur 40,0°. Die Zahl der Herzschläge beträgt jetzt 240 in der Minute. Nachmittags 4" ist das Tier wieder ziemlich normal. Die Zahl der Herzschläge beträgt jetzt über 300. Sie sind nicht mehr mit Sicherheit zu zählen. Wir können sagen, daß im Krampfstadium der alimentären Dy- strophie die Herztätigkeit stark verlangsamt ist. Nach Hefezulage geht die Zahl der Pulse rasch in die Höhe. Studium über das Verhalten von normal ernährten Tauben und von solchen mit alimentärer Dystrophie gegen Drehbewegungen. Reistaube a. Dunkelgrau, gesprenkelt. Gewicht 202 8; Tempera- tur 40,0°. Die Taube hatte gestern typische Krämpfe. Sie hatte sich aber nach Hefezulage rasch erholt. Die Temperatur stieg von 37,0 auf 40,0°. Die Taube geht noch nicht auf die Stange. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVII. 479 Kontrolltaube b. Gewicht 206g; Temperatur 40,8°. Die Taube wird normal ernährt. Beide Tauben werden unter eine Glasglocke auf eine Drehscheibe gesetzt und dann wird gleichmäßig gedreht. Da bei den Tauben kein Nystagmus auftritt, war es zunächst schwierig einen Maßstab zum Vergleich zu haben, wie er beim Meerschweinchen zum Beispiel be- nutzt wird. Wir bemerkten aber bald, daß auch bei der Taube eigen- artige Erscheinungen auftreten. Besonders deutlich und auffallend sind eigenartige langsame Nickbewegungen mit dem Kopf, die bei der Normaltaube sehr bald wieder verschwinden. Ferner kann man den Lidschlag beobachten, während vor der Drehung das Lid voll- kommen ruhig steht. Beide Erscheinungen treten bei Normaltauben erst bei längerem und rascherem Drehen auf. Wir machten zunächst zehn langsame Umdrehungen. Es fiel zuerst auf, daß Reistaube a sehr bald umfiel, während die andere Taube aufrecht stand. Nach dem Drehen zeigte Taube a deutliches Kopfnicken, das auffallend lange anhielt (20 Sekunden), auch der Lidschlag war deutlich zu beob- achten. Taube b zeigte keines der beiden Symptome, auch nach der doppelten Umdrehungszahl nicht. Bei größerer Geschwindigkeit der Um- drehungen war das Kopfnicken bei Taube b nicht deutlich zu sehen, Lidschlag bestand auch nicht. Erwähnt sei noch, daß wir bei einer Taube mit alimentärer Dy- strophie (Gewicht 202g; Temperatur 37,0°), deren Krämpfe durch Hefe beseitigt waren, durch Drehen auf der Scheibe die heftigsten Krämpfe auslösen konnten. Diese Beobachtung wurde mehrfach ge- macht. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. X VIII. Mitteilung. Versuche mit reinen Nahrungsstoffen. Von Emil Abderhalden, Halle a. S. Mit 7 Textabbildungen. (Ausgeführt mit Mitteln des Reichsausschusses für Ernährungsforschung.) (Eingegangen am 9. März 1922.) Es wird wohl jetzt allgemein angenommen, daß die im Anschluß an die ausschließliche Ernährung mit geschliffenem Reis auftretenden Störungen auf das Fehlen bzw. auf die ungenügende Zufuhr von noch unbekannten Stoffen zurückzuführen sind. Wenn auch der Umstand, daß die Ausfallserscheinungen sich durch die Zufuhr bestimmter, die erwähnten, noch unbekannten Stoffe enthaltenden Produkte verhin- dern, bzw. wenn schon vorhanden, beseitigen lassen, eine wesentliche Stütze für die eben erwähnte Annahme darstellt, so erschien es mir doch von größter Bedeutung zu sein, anzustreben, entsprechende Er- scheinungen ohne Verabreichung von geschliffenem Reis hervorzurufen. Zu diesem Zwecke erhielten Tauben ein künstliches Gemisch von Nah- rungsstoffen der folgenden Art: 5g mehrfach gereinigtes Oasen, 10 & ganz reine Maltose, 5 ccm Olivenöl bzw. an seiner Stelle je ein Gramm Stearin-, Palmitinsäure und 1 cem Ölsäure, ferner 1 ccm Glycerin. Dazu kamen dann noch 5 g Mineralstoffgemisch. Dieses enthielt die folgenden Bestandteile: Je 1 Teil Magnesiumsulfat und Eisenzitrat, je 1,5 Teile Koch- salz und Natriumphosphat, 2 Teile Caleiumphosphat, je 4 Teile Ka- liumphosphat, Caleiumcarbonat, je 0,1 Teil Fluornatrium und Jod- natrium. Aus dieser Nahrung wurden Pillen geformt. Sie wurden den Tieren in den Kropf eingeführt, und zwar erhielten sie im Verlauf des Tages wiederholt solche Pillen. Im großen und ganzen verlief die Fütterung ohne besondere Zufälle. In einzelnen Fällen würgten die Tiere etwas von der aufgenommenen Nahrung aus. Es ist von größtem Interesse, daß die so ernährten Tiere nach etwa 14 Tagen schwer erkrankten, und zwar zeigten die Tauben, sofern sie nicht an allgemeiner Schwäche starben, genau dieselben Erscheinungen wie Reistauben. "Taube Nr. 47 zeigte am 15. Versuchstage außerordentlich schwere Krämpfe. Sie überschlug sich fortwährend. Abbildung 1 zeigt E. Abderhalden: Zur Kenntnis v. organischen Nahrungsstoffen usw. 481 die Taube in Krampfstellung. Die Körpertemperatur war auf 37° gesunken. Der Gaswechsel war in charakteristischer Weise herab- gesetzt. Die Atmung war stark verlangsamt und vertieft. Das Versuchstier unterschied sich in diesem Stadium in keiner Weise von einer Krampftaube, die ausschließlich geschliffenen Reis erhalten hatte. Wir gaben dem Versuchstier 5g Rindfleisch. Die Krämpfe dauerten weiter an. Es wurden noch einmal 5g Fleisch verabreicht. Das Tier beruhiste sich etwas. Am 16. Versuchstage wurde das Tier tot im Käfig aufgefunden. Bei Taube Nr. 40 und 48 traten die Krämpfe am 16. Versuchstage auf. Gleichzeitig zeigte sich sehr starke Schwäche in den Beinen. Die Tiere konnten sich nur mit [en BE —_ RE IEN Abb. 1. Taube Nr.47 (17. II. bis 4. III. 1922). 15 Tage gefüttert mit: 5 g Kasein, 10 g Zucker, bg Mineralstoffe, 1 g Stearinsäure, 1 g Palmitinsäure, 1 ccm Oleinsäure, 1 ccm Glycerin. Mühe auf diesen halten. Nach Einspritzung von Hefemacerations- saft ließen die Krämpfe bei Taube 46 nach. Das Tier schien sich zu erholen, es wurde jedoch am anderen Tage tot im Käfig aufgefunden. In anderen Fällen (Taube Nr. 45 und 50) zeigten sich keine eigent- lichen Krämpfe. Die Tiere taumelten. Man hatte den Eindruck einer großen Schwäche. Der Tonus der Muskulatur war stark herabgesetzt, die Körpertemperatur fiel. Die Atmung war stark verlangsamt und vertieft. Die Tiere gingen zugrunde, ohne daß eigentliche Krämpfe zu beobachten waren. Von ganz besonderer Bedeutung ist der Umstand, daß die erwähnte Nahrung unter Zugabe von 0,5g Hefe pro Tag sich auf lange Zeit hinaus als ausreichend erwies, um das Auftreten der erwähnten Erscheinungen, zu verhindern. So erhält z. B. Taube 49 seit 24 Tagen künstliche Nahrung, davon 11 Tage mit Hefezusatz. Das Tier ist noch ganz munter und zeigt keine Anzeichen einer Erkran- 482 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis kung!). Die Versuche werden von verschiedenen Gesichtspunkten aus fortgesetzt. Vor allem interessierte mich das Problem, ob von den zuge- führten Nahrungsstoffen das Eiweiß bzw. seine Bausteine oder die Bau- steine der Fette oder die Kohlenhydrate an dem frühen Auftreten der Krämpfe Schuld tragen. Vielleicht läßt sich auf diesem Wege ein genauerer Einblick in die Beziehungen der einzelnen Stoffwechselvor- länge zu jenen unbekannten Stoffen gewinnen. Durch die vorliegenden Untersuchungen wird bewiesen, daß sich genau die gleichen Folgeerscheinungen, die nach ausschließlicher Ernäh- rung mit geschliffenem Reis bei Tauben auftreten, auch erzielen lassen, ZI ESS GW SAT TAN Me EEE 300 TAG BSOSHHGM. BP MB Temperatur = ji 44° 59 Kasein SALE DT a a stattOiverd). 280 Oliveno ; ; 19 Sfearinsöure 5 59 Mineralstoffe | '3 eg \ 5 g g Mineralstoffe STarf Olivenöl: 290 | 79 Ratmitinsäure| 7039 1g Sfearinsäure TglOIEIGSate 79 Palmitinscure 380 719 Glycerin 3 - .. fm 7cm > Oleinsaure 1cm>3 Glycerin 7? 5 = VMTOMUSKUIGRr = 0,5c0m3 Hefe - Hramaje / mazerrationssaff Zmal 6g Fleisch Abb. 3. Taube Nr. 48. (Weiß mit braunen Abb. 2. Taube Nr. 47. (Schwarz-grau gesprenkelt.) Flecken.) wenn ausschließlich reine Nahrungsstoffe verabreicht werden. Dieses Er- gebnis schließt aus, daß die bei der alimentären Dystrophie nach aus- schlveßlicher Verabreichung von geschliffenem Reis auftretenden schweren Erscheinungen auf Stoffe im erwähnten Nahrungsmittel zurückzuführen sind, die giftige Wirkungen haben. Vielmehr ist durch die vorliegenden Versuche einwandfrei bewiesen, daß es sich wirklich wm bisher unbe- kannte Stoffe handelt, deren Fehlen bzw. zu geringe Menge zu jenen schweren Störungen führt. !) Anmerkung bei der Korrektur: Taube Nr. 49 war bis zum ua April (Beginn des Versuches 18. Februar) ganz munter. An diesem Tage erschien- sie etwas matt. Am 6. April taumelte sie beim Gehen. Die Körpertemperatur fiel auf 36,2°. Die Taube erhielt l1cem Hefeautolysat intramuskulär. Die Körpertemperatur stieg wieder an. Am 8. April starb das Tier. Das Körper- gewicht war von 407g auf 365g gesunken. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVIII. 483 Experimenteller Teil. (Protokolle und Kurven.) Taube Nr. 47. Abb. 2. Körpergewichts- Ihe; 1 ze I ————————— Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g 5g Casein _- 4 —6 14. Versuchstag: 10 g Zucker Das Tier ist munter. Tempe- 5cem Olivenöl ratur: 40,5°. i Istoff m nn 15. Versuchstag: a Dein Das Tier hat schwere Krämpfe; 108 LUERE: # es wird photographiert, danach 2 nn g Gaswechselversuche. Se 9h 30° Temperatur: 37,0° lg Patti. ._ 11 — 49 | on 307 » . 38,2° 1 ccm Olein- 11h 30’ R . 38,0° Il cem Glycerin 1n 00° & . 37,0° 12h 00° erhält das Tier 5 g Fleisch. 58 Casein 10 g Zucker 5cem Olivenöl ög Mineralstoffe 58 Casein 10 g Zucker 5g Mineralstoffe 1 g.Stearinsäure lg Palmitin- säure l ccm Oleinsäure l ccm Glycerin 32 00° Die Krämpfe dauern an; das Tier schlägt mit den Flügeln um sich, überkugelt sich. Gas- wechselversuche. 32.00’ Temperatur: 38,8° 4h 00° 8 : 87,5° 5h 007 > : 37,8° 6h 007 > 2 Be 7u 00° bekommt es nochmals 5 g Fleisch. 16. Versuchstag: Das Tier liegt morgens totim Käfig. Taube Nr. 48. Abb. 3. 5 Pillen aus getr. Hefe —=0,5g Hefe 4 +2 Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. — 46 — 17 15. Versuchstag: Das Tier ist matt, taumelt und zeigt vereinzelt Krämpfe. 9 00” Temperatur: 38,0° 11% 00° „ 734.0: 12h 00° Das Tier liest am Boden des Käfigs und bricht. Es wird mit 0,5 cem Hefemacerations- saft gespritzt. Einige Minu- ten danach ist es tot. Sektion ergab: stark durchblu- teten Darm. Sonst o. B. 32 484 2 BES NE M 712 4 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis 76, 330 42° 47° 5g Kasen 710g Zucker 40° 5cm>Ohvenol _\ 5g Mineravstoffe Tees start Olivenöl: 1g Sfeaninsäure 39% 38° | | 37° Abb.4. Taube Nr. 46. Abb. 6. Taube Nr.50. (Hellgrau, 2 braune Streifen 77 Falmitinsäure ig Oleinsaure Ilm Glycerim VMramUSKUlOr 05cm> Hefe - mozerationssaft Streifen auf den Flügeln.) NAIESAENMEO MW 12 (Hellgrau, 2 schwarze 74 39 fi asern 70g Zucker 50m30hivendl 5g Mineralstoffe 19 Palm 79, 0leins, 719.6) s7arf Olivenöl: 19, Stearinsöur Tir7SOUN Aure iMrOmUSkKUlär 050m? Hefe- mazeratonssaff auf den Flügeln.) Abb.5. Taube Nr. 45. 123 2 BOYS DM 1 Bez pr Hörpergewicht N 72 3g Nasen | 70g Zucker Sam? Olivenöl oe star Olivenöl: 79 Srearinsoure DEE 14 Falmitinsaure jr Qleinsäure SINS 8 8 888 8 DEIN EEE NEE Q SONS ESTER NIS N N N S 78 76 74 12 1 234567897% al Körpergewicht Saure start Olivenöl: 79 Olein 5g Mineralstojfe 995, (Schwarz-grau gesprenkelt.) Abb.7. Taube Nr. 49. (Grau-braun.) von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XVII. 485 Taube Nr. 46. Abb. 4. Körpergewichts- Zahl — Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g 559 Casein — 4 | +24 15. Versuchstag: 10 g Zucker Das Tier ist matt. Temperatur: 5ccem Olivenöl 39,8°. 5g Mineralstoffe 16. Versuchstag: 5g Casein — 10 — 25 | Das Tier liegt am Boden des Kä- 10 & Zucker figs; es kann nicht mehr laufen. 5g Mineralstoffe Es zeist zeitweise heftige 1g Stearin- ) © Krampferscheinungen. lg Beim 10h 00° Temperatur: 37,8° 1 cem Olein- )2 1» 00’ 53 231.92 l ccm Glycerin 0,5 8 Hefe 2 ee gespritzt mit 0,5 ccm Hefema- (5 Pillen aus cerationssaft; danach erholt es getr. Hefe) sich etwas. 17. Versuchstag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig. Taube Nr. 45. Abb. 5. 5g Casein — 4 | +19 10 g Zucker 14. Versuchstag: 5cem Olivenöl Das Tier ist munter. Tempera- 5g Mineralstoffe tur: 40,0°. 98 ee "m; 11 U 15. Versuchstag: 10 5 em: Das Tier liest morgens sterbend 5g Mineralstoffe im Kafi lg Stearin- ) © 1 ale = 9" 15° Temperatur: 37,0° = = 1 78 . BE Olein. = 9h 45’ ist das Tier tot. lcem Glycerin Taube Nr. 50. Abb. 6. 5g Casein E 4 |+45 | 10 g Zucker | 5ccm Olivenöl | 5g Mineralstoffe 15. Versuchstag: 5 Casein ee 9 __ 114 Das Tier ist sehr matt, zittert stark 10 & Zucker und kann nicht mehr laufen. 5g Mineralstoffe ı Temperatur: 39,0°. 1 g Stearinsäure , 1" 007 gespritzt mit 0,5 ccm Hefe- 1 Palmitin- macerationssaft. säure 1 ccm Oleinsäure i 16: lag R: I lcem Glycerin |5 Pillen aus) 2 | +67 Das Tier liegt morgens tot im Käfig. sehr, ‚Hefe — 0,5g Hefe 32* 486 E. Abderhalden: Zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen usw. Taube Nr. 49. Abb. 7. Körpergewichts- Zahl — — — — Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme nahme g g 5g Casein — 4 —1 Das Tier ist munter. 10 & Zucker 5cem Olivenöl 4 5g Mineralstoffe 59 Casein _ 9 — 19 Das Tier ist munter. 10 g Zucker 5 g Mineralstoffe 1g Stearin- | © 1g Bel. E 1 ccm Olein-)@2 1 ccm Glycerin 59 Casein 5 Pillen aus| 11 — 12 Das Tier ist munter. 108g Zucker getr. Hefe 5g Mineralstoffe) =0,5gHefe | Bei der Durchführung der Versuche erfreute ich mich der Mit- arbeit von Frl. Jahn und Frl. Obermeier. - Studien über den Verlauf des Gesamt- und des Zellgaswechsels im anaphylaktischen Schock. I. Mitteilung. Von Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) Mit 6 Textabbildungen. (Eingegangen am 9. März 1922.) Seit den grundlegenden Beobachtungen von Charles Richet über den anaphylaktischen Schock sind eine große Reihe von Forschern bemüht gewesen, das Wesen der ihm zugrunde liegenden Erscheinung zu er- sründen. Es ist nicht unsere Absicht, an dieser Stelle auf das von den verschiedensten Gesichtspunkten aus so außerordentlich wichtige Anaphylaxieproblem und die vorliegenden Ansichten über das Wesen des Schockes näher einzugehen. Wir behalten uns das für eine spätere Mittei- lung vor. Uns interessierte in erster Linie die Ursache des Temperatur- abfalles im Stadium des anaphylaktischen Schocks. Ein Vergleich mit Vorgängen, die dem Temperaturabiall nach Einspritzung von Adrenalin und ferner bei Tauben im Anschluß an ausschließliche Zufuhr von geschlif- fenem Reis bzw. eines Gemisches der bisher bekannten, reinen Nahrungs- mittel zugrunde liegen, eröffnet vielleicht die Möglichkeit, in das We- sen des anaphylaktischen Schoks einen Einblick zu gewinnen. Die Versuche wurden in der Art durchgeführt, daß an Meerschweinchen Gaswechselversuche vorgenommen wurden, dann wurde Serum, zum Beispiel vom Rind, intraperitional eingespritzt. Die Gaswechselver- suche wurden fortgesetzt. Nach etwa drei Wochen wurde dasselbe Serum zumeist direkt in das Herz eingespritzt. Wir studierten wiederum das Verhalten des Gaswechsels. Ein Teil der Tiere ging nach wenigen Minuten im Stadium des anaphylaktischen Schocks zugrunde, andere Tiere überwanden die sehr schweren Erscheinungen und blieben am Leben. Außer diesen Gaswechseluntersuchungen an ganzen Tieren stellten wir mittels des Dacroftschen Apparates die Gewebs- atmung von nicht gespritzten, gleichaltrigen Tieren fest.!) Ferner unter- suchten wir die Zellatmung von einmal gespritzten Tieren kurz vor der !) Es stellte sich nämlich heraus, daß junge Tiere einen bedeutend lebhafteren Gewebsgaswechsel haben als ältere. 488 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Studien über den Verlauf des Zeit der Reinjektion. Endlich prüften wir diese im Stadium des anaphy- laktischen Schocks. Teils kamen Tiere zur Untersuchung, die nach wenigen Minuten im schweren Anfall starben, zum Teil töteten wir Tiere, bei denen trotz sehr schwerer Anfälle der Tod nicht von selbst eintrat. Wie sich aus dem experimentellen Teil eindeutig ergibt, fiel der Gesamtgaswechsel während des Schockstadiums ab. Es ist das weiter nicht auffallend, weil die ganze Atmung an sich stark gestört ist, doch kann diese Störung allein nicht in Frage kommen, denn wir konnten feststellen, daß die Herabsetzung des Gaswechsels dann am ausgesprochen- sten ist, wenn die stärkste Atemnot überwunden ist. Bei Meerschwein- chen 14 z. B. zeigte sich sogar zunächst ein Ansteigen des Gaswechsels während großer Atemnot. Eine Abnahme trat erst im Anschluß an das akute Stadium auf. Kann somit das Abfallen des Gesamtgas- wechsels nicht durch die erschwerte Atmung etwa verursacht durch einen bronchialen Muskelkrampf allein bedinst sein, so kommt sicher auch nicht eine Vasomotorenlähmung dafür in Betracht, denn sie ist nicht immer nachweisbar. Sie fehlte bei starkem Abfall des Gaswechsels ganz (z. B. Meerschweinchen 7, 14, 15, 27). Von besonderem Interesse ist, daß die Gewebsatmung in allen untersuchten Fällen stark herabgesetzt war s. Abb.6. Sie ließ sich durch Zusatz von Hefepräparaten nicht wesentlich in die Höhe treiben. Es liest also ein anderes Verhalten vor, als wir es bei der herabgesetzten Gewebsatmung bei Tauben festgestellt haben, die sich im Stadium der alimentären Dystrophie und insbesondere im Krampfzustand befanden. In diesem Falle konnte durch Zusatz von Produkten aus Hefe, Kleie usw. die herabgesetzte Gewebsatmung stark in die Höhe getrieben werden. Unsere Befunde eröffnen die Möglichkeit einer Erklärung mancher beim anaphylaktischen Schock auftretenden Erscheinungen. Es legt offenbar eine Störung vor, die die gesamten Körperzellen betrifft. Da diese sehr rasch, sozusagen augenblicklich auftritt, ist es nicht möglich, daß im Gehalt der Zellen an jenen Stoffen, die zur Durchführung der Oxy- dationsvorgänge notwendig sind, eine Änderung eintritt. Naheliegender ist der Gedanke, daß die Reinjektion Zustandsänderungen im Blute und darüber hinaus in sämtlichen Gewebszellen hervorruft, die den Ablauf der Oxydationen stören. Ohne Zweifel sind auch die Zellen des Nervengewebes beteiligt. Vielleicht beruhen auf Störungen im Stoff- wechsel jener Zellen die Krampferscheinungen. Vielleicht ist der Tod im Stadium des anaphylaktischen Schocks durch ein Versagen der Zellen verschiedener wichtiger Zentren und vor allen Dingen des Atem- zentrums bedingt. Wir beabsichtigen, unsere Studien in der erwähnten Richtung weiter auszubauen. Es wird vor allen Dingen von großem Interesse sein, fest- zustellen, ob die unter dem Namen des anaphylaktischen Schocks be- Gesamt- und des Zellgaswechsels im anaphylaktischen Schock. I. 489 schriebenen Fälle sich wirklich, wie man bis jetzt wohl allgemein an- genommen hat, in ihrem Wesen entsprechen. Wenn es sich als eın ganz allgemeines Gesetz erweist, daß im echten anaphylaktischen Schock die Zellatmung stark herabgesetzt ist, dann hat man eine neue Methode in der Hand, um in einzelnen Fällen von schockähnlichen Zuständen zu prüfen, ob wirklich ein anaphylaktischer Schock vorliegt, der in seinem Wesen genau dem experimentellen Schock entspricht, oder aber ob Wesensverschieden- heiten vorliegen. So wird man prüfen können, ob jene Schockerschei- nungen, die in neuerer Zeit namentlich von P. Schmidt!) mittels stick- stoffreier Stärke bezw. stickstoffreiem Agar-Agar hervorgerufen wer- den konnten, mit dem klassischen anaphylaktischen Schock identisch sind. Ein erster, in dieser Richtung unternommener Versuch, bei dem jedoch das Versuchstier trotz schwerster Symptome nicht von selbst einging, ergab fast keine Herabsetzung der Gewebsatmung. Die Ver- suche müssen wiederholt werden. Man wird auch bei Verdacht eines anaphylaktischen Schocks beim Menschen mittels der Kontrolle der Gewebsatmung nachprüfen können, ob die erwähnte Diagnose zu Recht besteht. Es genügen ja kleine Gewebsstücke zur Durchführung der Versuche. Freilich müssen sie möglichst kurze Zeit nach dem Tode entnommen sein. Bei den Gaswechselversuchen erfreuten wir uns der Mithilfe von Frl. Jahn und Fıl. Obermeier. Experimenteller Teil. 1. Gesamtgaswechsel. Meerschweinchen 6 (Kurve 1). Braun-weiß, schwarze Flecke an beiden Augen, weiße Schnauze. Zahl der Versuchstage: 24 (28. XL.—21. XII.). Anfangsgewicht des Tieres: 554 g. Endgewicht des Tieres: 487 9. Art der Fütterung: Rüben und Heu. Am 9. Versuchstag (6. XII.) gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma (1. Reinjek- tion); daran anschließend Gaswechselversuche. Beobachtungen während des Versuches 1. I. 10 35° —11" 05. Das Tier ist sehr unruhig. Es liest zeitweise auf der Seite, richtet sich wieder auf, putzt sich, dreht sich mehrmals um, streckt den Kopf vor und verdreht den Kopf. Temperatur: 37,3°. II. 112 20’—11% 50’. Das Tier ist während des Versuches etwas ruhiger, aber sehr matt; es liest mit halb geschlossenen Augen im Atmungskasten. Tem- peratur: 36,0°. III. 12h 10”—12h 40°. Das Tier hat sich erholt, ist aber noch etwas matt. Temperatur: 36,5°. IV. 3h 40 -4h 10°. Temperatur: 38,7° V. 4h 30’—-5h 00°. Temperatur: 38,7° 1) Vgl. insbesondere Paul Schmidt und H. Happe, Zeitschr. f. Hyg. u. Infek- tionskrankh, 94, 253. 1921. 1 Das Tier verhält sich normal. 490 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Studien über den Verlauf des Am 24. Versuchstag (21. XII.) gespritzt mit lcem Rinderplasma (2. Re- injektion); daran anschließend Gaswechselversuche. Beobachtungen während der Versuche: I. 10" 45°— 11" 15°. Das Tier ist sehr unruhig; es dreht sich wiederholt um und putzt sich die Schnauze. Es legt sich häufig auf die Seite und bleibt minuten- lang ausgestreckt am Boden liegen, richtet sich dann aber immer wieder auf. Temperatur: 38,2°. II. 11h 30°—12" 00°. Das Tier ist sehr unruhig. Es kratzt sich, putzt sich die Schnauze, dreht sich mehrmals um, zuckt mit den Ohren, schüttelt sich, schließt D SS (0) USE & Id ge RS) RS} Sg SQ 70 ET ZT aREZ Kurve 1. Meerschweinchen 6. die Augen halb, hebt zeitweise ruckartig die Vorderpfoten und läßt sich mehrmals auf die Seite fallen. Temperatur: 37,7°. III. 12h 15°—12h 45°. Das Tier ist wieder sehr unruhig, wie im vorhergehenden Versuch. Es sträubt die Haare und hat zeitweise leichte Zuckungen. Tempe- ratur: 37,6°. IV. 31 15 —3h 45°. "Temperatur: 39,2° V. 4h 00’—4h 30°. "Temperatur: 39,1° Das Tier verhält sich normal. VI. 4h 45°—5h 15°. Temperatur: 38,6° Meerschweinchen 7 (braun-weiß) mit Kurve 2. Zahl der Versuchstage: 24 (28. XT.—21. XII. 1921). Anfangsgewicht des Tieres: 624 9. Eindgewicht des Tieres: 557 2. Art der Fütterung: Rüben und Heu. Gesamt- und des Zellgaswechsels im anaphylaktischen Schock. L. 491 Am 9. Versuchstag (6. XII.) subeutan gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma. Am 24. Versuchstag (21. XII.) subcutan gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma (Re- injektion). Daran anschließend Gaswechselversuche. Beobachtungen während des Versuches 1. 10% 50”— 11% 20”. Temperatur des Tieres: 38,0°. Das Tier ist sehr unruhig, hat heftige Zuckungen und deutliche Springkrämpfe. Es lest sich wiederholt auf die Seite und ist sehr matt. Das Tier schließt zeitweise die Augen. Stoßweise heftige Zuckungen. AS) n /oSrde 70 Kı S 9 S ICP D Ss za. Tom® (Reinjekt, Soritzr erserum NS © Bin (Z 08 OR ER ZIE TEEN Kurve 2. Meerschweinchen 7. Beobachtungen während des Versuches II. 11h 35°—12h 05°. Temperatur des Tieres: 36,0°. Das Tier ist sehr matt, sträubt die Haare. Die Zuckungen lassen etwas nach. Das Tier kneift die Augen zu. Beobachtungen während des Versuches III. 12h 25—12h 55°. Temperatur des Tieres: 36,0°. Das Tier hat zeitweise heftige Zuckungen und ist sehr matt. Es putzt sich wiederholt die Schnauze und kneift die Augen zu. Beobachtungen während des Versuches IV. und \V. 3u 45’—4h 15’ und 41 45-5h 15”. Temperatur des Tieres: 35,4°. Das Tier ist noch sehr matt. Das Tier wurde zwecks Bestimmung der Gewebsatmung getötet. 492 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Studien über den Verlauf des Meerschweinchen 14 (Kurve 3). (Dunkelbraun-schwarz, zwischen den Augen weißer Streifen) linkes Hinterbein weiß. Zahl der Beobachtungstage: 30 (21. XII. 1921 bis 19. I. 1922). Anfangsgewicht des Tieres: 424 g. Endgewicht des Tieres: 379 g. Art der Fütterung: Rüben und Heu. Am 1. Versuchstag gespritzt mit lcem Rinderplasma. Am 30. Versuchstag (19. I.) 10% 12° mit 1 cem Rinderplasma (Reinjektion). Daran anschließend Gaswechselversuche. D S ‚gespritzt mit Icm 3 Ringerplasma 9 CO, pro kg/ötde. 70 4 Kurve 3. Meerschweinchen 14. Beobachtungen während der Versuche: I. 9 30’—10h 00°. Vor dem Spritzen. Temperatur: 38,5°. II. 10% 15°—10h 45’. Das Tier ist sehr unruhig, dreht sich fortgesetzt unter den heftigsten Zuckungen im Atmungskasten herum. Die Zuckungen dauern während des ganzen Versuches an, nehmen aber gegen Ende etwas an Heftigkeit ab. Temperatur: 38,5°; nach dem Versuch: 38,2°. Der Gaswechsel steigt. III. 11h 00-11" 30°. Das Tier sitzt ruhig, etwas matt mit leicht gesträubtem Haar im Atmungskasten. Leichte Zuckungen. Temperatur: 37,6°; nach dem Versuch: 34,9°. Starkes Absinken des Gaswechsels, trotzdem die akuten Er- scheinungen abgeklungen sind. IV. 12h 00-12 15’. Das Tier ist sehr matt, sträubt die Haare stark. Die Zuckungen sind nur noch sehr schwach. Temperatur: 32,3°. Das Tier wird zwecks Bestimmung der Gewebsatmung geschlachtet. Nach dem Versuch: 32,0°. Gesamt- und des Zelleaswechsels im anaphylaktischen Schock. IL. 493 Meerschweinchen 15 (Kurve 4). Schwarz-braun-weiß. Zahl der Versuchstage: 19 Tage (13. I.—31. I. 1922). Anfangsgewicht des Tieres: 219 g. Endgewicht des Tieres: 214g. Art der Fütterung: Rüben und Heu. Am 1. Versuchstag (13. I.) gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma. Am 19. Ver- suchstag (31. I.) 10" 28° gespritzt mit 1 cem Rinderplasma (Reinjektion). Daran anschließend Gaswechselversuche: I. 10 30 —11" 00°. Das Tier ist sehr unruhig und hat heftige Zuckungen. Es lest sich wiederholt auf die Seite; richtet sich aber immer wieder auf. Nach einiger Zeit erholt es sich etwas, sitzt zusammengeduckt da und sträubt die Haare. Es hat leichte Zuckungen und schließt zeitweise die Augen. Temperatur des Tieres vor dem Versuche: 37,9°. Temperatur des Tieres nach dem Versuche: 36,0°. N R g Co, pro kg/örtde D Ss 2 .Q NS SS ISES SS IR IN SS SE 1, FR 70 RN ANNETTE RR Kurve 4. Meerschweinchen 15. II. 11» 00° — 114 30. Das Tier ist sehr matt und sträubt die Haare. : Tem- peratur des Tieres vor dem Versuche: 36,0°; Temperatur des Tieres nach dem Versuche: 34,0°. III. 11% 3512" 05°. Das Tier ist sehr matt, sträubt die Haare und schließt zeitweise die Augen. Temperatur des Tieres vor dem Versuch: 34,0°; Temperatur des Tieres nach dem Versuch: 34,1°. Das Tier wurde zwecks anderer Versuche (Bestimmung der Gewebsatmung) getötet. Meerschweinchen 17. Weiße Schnauze, schwarzer Kopf, Körper weiß, Hinterteil rechts braun, links schwarz. Zahl der Beobachtungstage: 21 (13. 1.—2. II. 1922.). Anfangsgewicht des Tieres: 214 g. Endgewicht des Tieres: 188 g. Gefüttert mit Rüben und Stroh. 494 E. Abderhalden und F. Wertheimer: Studien über den Verlauf des Am 1. Versuchstag (13. I. 1922) gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma. Am 21. Versuchstag (2. II. 1922) 10% 15’ gespritzt mit 1 cem Rinderplasma. Daran anschließend Gaswechselversuch. I. 9b 30° — 10h 00°. Vor dem Spritzen Temperatur: 38,1°. II. 10h 15°—10h 20°. Temperatur vor dem Versuch: 38,1°. Das Tier hat sehr heftige Zuckungen, wirft den Kopf hin und her, putzt sich, dreht sich fort- während herum, fällt mehrmals auf die Seite, richtet sich aber wieder auf. Nach 4 Minuten bleibt es ausgestreckt liegen, läßt Harn, tut dann noch einige krampf- hafte Atemzüge und ist nach 5 Minuten tot. Meerschweinchen 19. (Braun, Schnauze weiß, Kopf schwarz, am rechten Ohr weißer Fleck.) Zahl der Beobachtungstage: 23 (13. 1..—4. II. 1922). Anfangsgewicht des Tieres: 240 g. Endgewicht des Tieres: 227 g. Gefüttert mit Rüben und Stroh. Am 13. I. 1922 wird gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma. Am 4. II. 1922 114 10’ wieder gespritzt mit 1 cem Rinderplasma (Reinjektion). Temperatur vor dem Spritzen: 38,2°. Nach der Injektion setzen sofort die heftigsten Zuckungen ein, die das Tier im Atmungskasten herumwerfen. Es richtet sich einige Male wieder auf, bleibt dann aber ausgestreckt auf der Seite liegen, schnappt noch einige Male krampfhaft nach Luft und ist nach 3 Minuten tot. I Meerschweinchen 20 (Kurve 5). (Schwarzer Kopf ; weiß, rechts braun, links schwarz, beide Hinterbeine weiß.) Zahl der Beobachtungstage: | | Si en AL 26 Tage (13. IL.—7. II. 1922). Sy Ai \/ Anfangsgewicht des Tieres: DIV, ig D 282 9. 77H | Endgewicht des Tieres: 274 9. N rag rt Art der Fütterung: Rüben S m 46 und Stroh. NS Am 1. Versuchstag (13. 1.) Br + gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma. 2 Am 26. Versuchstag (7. II.) 10% 18° 74 "S —t gespritzt mit 0,25 cem Rinder- in 3 plasma. 73 SIB Daran anschließend Gaswech- SI S selversuche (Reinjektion). u T. 10h 20” 10% 50°. Das Tier SS ist sehr unruhig und hat heftige 11 ES T Zuckungen. (Springkrämpfe.) Nach 5 Minuten erholt es sich, sitzt zu- BT I sammengeduckt da und sträubt die Haare. Temperatur des Tieres 02 Ah 0 Mh ıq 2 3% sh vor dem Versuch: 38,2°; Tempe- Kurve 5. Meerschweinchen 20. ratur des Tieres nach dem Ver- such: 35,2°. II. 11 00°”— 11h 30°. Das Tier ist matt und sträubt die Haare. Temperatur des Tieres vor dem Versuch: 35,2°; Temperatur des Tieres nach dem Versuch: 33,0°. III. 11% 45°—12" 15°. Das Tier ist matt und sträubt die Haare. Temperatur des Tieres vor dem Versuch: 33,0°; Temperatur des Tieres nach dem Versuch: 33,2°. Das, Tier wurde zwecks Bestimmung der Gewebsatmung getötet. Gesamt- und des Zellgaswechsels im anaphylaktischen Schock. I. 495 Meerschweinchen 21. (Schnauze weiß, Kopf braun, an beiden Augen schwarze Flecke, im Nacken kleiner weißer Fleck, Hinterteil weiß.) Zahl der Beobachtungstage: 27 (13. 1.—8. Il. 1922). Anfangsgewicht des Tieres: 257 g. Endgewicht des Tieres: 200 g. Gefüttert mit Rüben und Stroh. Am 13. I. 1922 gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma. Am 8. II. 1922 11 00’ gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma. (Reinjektion.) Daran anschließend Gaswechselversuch. Temperatur des Tieres vor der Injektion 38,1°. Nach der Injektion setzen sofort heftigste Zuckungen ein, die das Tier im Atmungskasten herumwerfen. Nach 3 Minuten wird das Tier sehr matt, fällt einige Male auf die Seite, kann sich aber wieder aufrichten. Nach ca. 4 Minuten bleibt es ausgestreckt liegen, schnappt noch ein paarmal krampfhaft nach Luft und ist nach 5 Minuten tot. Meerschweinchen 25. (Blind, schwarzen Kopf, rechtes Ohr braun, Rücken weiß.) Zahl der Beobachtungstage: 20 (10. II.—1. III. 1922). Anfangsgewicht des Tieres: 248 g. Endgewicht des Tieres: 220 2. Gefüttert mit Rüben und Stroh. Am 1. Versuchstag (10. II.) gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma. Am 20. Ver- suchstag (1. III.) 11% 00° gespritzt mit 0,5 ccm Rinderplasma. Das Tier hat sehr heftige Zuckungen, die es im Atmungskasten hin und her werfen. Es fällt, macht noch einige krampfhafte Atemzüge und ist nach 2 Mi- nuten tot. Meerschweinchen 26. (Schnauze weiß, Kopf schwarz-weiß-braun.) Zahl der Beobachtungstage: 22 (10. II.—3. III. 1922). Anfangsgewicht des Tieres: 248 go. Enndgewicht des Tieres: 240 2. Gefüttert mit Rüben und Stroh. Am 1. Versuchstag (10. II.) gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma. Am 22. Ver- suchstag (3. III.) 11h 00° gespritzt mit 0,5 ccm Rinderplasma. Das Tier hat sehr heftige Zuckungen (Springkrämpfe), die es im Atmungs- kasten hin und her werfen. Es fällt, macht noch einige krampfhafte Atemzüge, und ist nach 2!/, Minuten tot. Meerschweinchen 27. (Weiß, am linken Auge schwarzen, am rechten Auge braunen Fleck, linkes Hinter- bein braun.) Zahl der Versuchstage: 27 (10. II.—8. III. 1922). Anfangsgewicht des Tieres: 281 g. Enndgewicht des Tieres: 255 @. Gefüttert mit Rüben und Stroh. Am 1. Versuchstag (10. II.) gespritzt mit 1 cem Rinderplasma. Am 27. Ver- suchstag (8. III.) 10h 23° gespritzt mit 0,5 cem Rinderplasma (Reinjektion). Daran anschließend Gaswechselversuche. I. 10% 25°—10h 55°. Das Tier hat heftige Zuckungen. Die nach einiger Zeit nachlassen. Es sitzt zusammengeduckt da und sträubt die Haare. Temperatur des Tieres vor dem Versuch: 38,1°; Temperatur des Tieres nach dem Versuch: 35,7°. 496 FE. Abderhalden und E. Wertheimer: Studien über den Verlauf des II. 11% 00°— 11" 30’. Das Tier ist sehr matt und hat zeitweise noch leichte Zuckungen. Temperatur des Tieres vor dem Versuch: 35,7°; Temperatur des Tieres nach dem Versuch: 35,4°. III. 11h 45° —12h 15°. Das Tier ist matt und sträubt die Haare. Temperatur des Tieres vor dem Versuch: 35,4°; Temperatur des Tieres nach dem Versuch: 36,2°. 350 Das Tier wurde zwecks Bestimmung der x Gewebsatmung getötet. Sao 2. Die Gewebsatmung bei anaphylak- & tischen Meerschweinchen. (Abb. 6.) S Die Gewebsatmung wurde im Baecrojt- Sr schen Apparat bestimmt). Als Kon- S trolle diente uns die Gewebsatmung nor- Som) maler Meerschweinchen. Es ist von Be- R deutung, immer möglichst gleichaltrige 2 n Tiere zum Vergleich zu benutzen, denn IN es stellte sich heraus, daß beim jungen, noch wachsenden Tier die Gewebs- 0 atmung höher ist als beim ausge- Abb. 6. I Atmung des Gehirns. IT At- wachsenen. mung des Muskels. a beim anaphylak- Die Dauer der Versuche war in allen tischen Tier. b beim normalen Tier. ee 5 (Durehschittswerte). Fällen 30 Minuten. Meerschweinchen 7 (siehe Protokoll) im Schock getötet. Temperatur 35,4°. Atmende Substanz Zusatz Dur: Ab- ne & en Grad saeseı cmm Oberschenkelmuskulatur 0,5 8 1,0 cem Ringerlösung 18 4,2 | 164 Herzmuskel. . . . . . 0,58 | 1,0ccm Ringerlösung | 18 4,8 206 Veberze ro el OLcemekincerlosunez zes 6,1 | 256 Gehienegr 022022201304 5 0lcemgRıngerlosungg 1 4,0 108 Die Sektion ergab nichts besonderes. Meerschweinchen 14 (siehe Protokoll) im Schock getötet. Temperatur 32,0°. Muskel vom Oberschenk. 0,58 | 1,0 ccm Ringerlösung | 19 4,0 167 Herzmuskel. . . . 2.058 1,0 ccm Ringerlösung 19 4,8 214 Vebers Eee aiOlcemwRinserlösungg mel 5,9 249 Gehirn 13702 Be RULccmaRImeerlosuns u) 3,8 | 106 Bei der Sektion ergab sich eine deutliche Lungenblähung. Zum Vergleich wurde die Atmung von Gewebe eines normalen Meerschwein- chens von entsprechender Größe und entsprechendem Gewicht bestimmt. Farbe dunkelbraun, weiß gefleckt. Gewicht 456 g. Temperatur 38,3°. Oberschenkelmuskulatur 0,58 | 1,0 ccm Ringerlösung 18 8,2 286 Herzmuskel. . . . 2.052) 1,0’cem Rinserlösunsg:| 7218 9,4 295 Beben, 2 2200.0202270.5, 50 5 .0lcemWRunserlosuns, 18 9,8 298 Gehirner SE el El OlcEmYRinserlosungg San 0.6 206 Zu den mitgeteilten Versuchen wurden große, ausgewachsene Meerschwein- chen verwendet. 1) Siebeck in Abderhaldens Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. Bd. 8, 8. 12. Gesamt- und des Zellgaswechsels im anaphylaktischen Schock. TI. 497 Zu den folgenden Versuchen wurden junge wachsende Meerschweinchen benützt. Meerschweinchen 15 (siehe Protokoll) im Schock getötet. O,-Verbr. Atmende Substanz Zusatz Nom, Ab- pro gu. Std. Grad gelesen cmm Oberschenkelmuskulatur 0,5 8 1,0 ccm Ringerlösung | 19,5 | 6,6 221 Oberschenkelmuskulatur 0,5 g { 0,8 cem Ringerlösung | 19,5 | 7,7 254 +0,2 ccm Hefeautolys. Herzmuskel. ..... . 0,58 1,0 ccm Ringerlösung | 19,5 | 6,8 223 Beberä . .....%. 0,58 1,0 cem Ringerlösung | 19,5 | 5,9 210 Gehrms . 2.10. % 1,08 1,0 ccm Ringerlösung | 19,5 | 9,0 186 Blutungen im Zwerchfell und in der Lunge, Lungenblähung sehr gering. Leber ohne Besonderheit. Meerschweinchen 17 im Schock gestorben (siehe Protokoll). Oberschenkelmuskulatur 0,5 g 1,0 ccm Ringerlösung| 18,5 | 3,1 116 0,8 ccm Ringerlösung Oberschenkelmuskulatur 0,5 g De 0,2 ccm Hefeautolys. | 18,5 | 3,3 123 _ Herzmuskel. . . 0,38 1,0 ccm Ringerlösung| 18,5 | 3,2 124 Leber . . 0,58 1,0 cem Ringerlösung) 18,5 | 3,8 132 0,8 ccm Ringerlösung Leber . 0,58 a 0,2 ccm Hefeautolys. | 18,5 | 4,3 146 Geben zn. nr. 1.00, 1,0 ccm Ringerlösung, 18,5 | 3,2 76 Gehen.» 10 0,8 ccm Ringerlösung + 0,2 ccm Hefeautolys. | 18,5 | 5,5 118 Starke Lungenblähung; Leber groß und blutreich. Meerschweinchen 19, im Schock gestorben (siehe Protokoll). Muskel vom Oberschenk. 0,5 8 1,0 cem Ringerlösung| 18 7,0 208 0,8 ccm Ringerlösung Muskel vom Oberschenk. 0,5 g ie 0,2 ccm Hefeautolys. 18 13,1 380 Herzmuskel. . 0,58 1,0 cem Ringerlösung| 18 5,4 186 Bebermr un... . 0,58 1,0 cem Ringerlösung 18 6,1 194 0,8 ccm Ringerlösung 18 10,0 298 we: 58 Kr 0,2 ccm Hefeautolys. Gehirn . 1,08 1,0cem Ringerlösung|) 18 5,5 116 ä 0,8 cem Ringerlösung 18 6,5 138 an ale In 0,2 ccm Hefeautolys. Die Lunge war gebläht; die Leber nicht auffallend groß. Zum Vergleich wurde die Gewebsatmung bei einem normalen jungen Meer- schweinchen bestimmt; schwarz-weiß gefleckt. Gewicht 223 g; Temperatur 38,4. Muskel vom Oberschenk. 0,5 g Herzmuskel. . .... 0,58 ILelseı. 2 2 2 0,58 Gelmnen.g 0 0 Ar 1,08 Meerschweinchen 20 im Schock getötet, Temperatur 33° Muskel vom Oberschenk. 0,5 g Ikierzmuskel. ... . . . 0,58 Webers 2. ..% 0,58 Seltene a An 1,08 1,0 ccm Ringerlösung 1,0 ccm Ringerlösung 1,0 ccm Ringerlösung 1,0 cem Ringerlösung 1,0 ccm Ringerlösung 1,0 cem Ringerlösung 1,0 ccm Ringerlösung 1,0 cem Ringerlösung Lungenblähung unmerklich; die Leber ist normal. 18,5 18,5 18,5 18,5 18 18 18 18 13,8 398 14,4 422 9,8 304 16,1 324 (siehe Protokoll). 5,2 160 6,8 202 4,5 136 10,0 188 498 E. Abderhalden u. E. Wertheimer: Verlauf d. Gesamt- u. Zellgaswechsels usw. Meerschweinchen 21 im Schock gestorben (siehe Protokoll). O,-Verbr. Atmende Substanz Zusatz Tenr: Er pro g u. Std. Grad |geresen cmm Muskel vom Oberschenk. 0,58 | 1,0 ccm Ringerlösung | 18 6,0 1825: Elerzmuskelbuper re . 0,58 1,0 cem Ringerlösung 18 5,1 155 Beberäunr Aa naeh 0,58 1,0 ccem Ringerlösung 18 9,0 272 Gehirnegse gr . . . 10g | 1,0cem Ringerlösung | 18 7,3 148 Die Lunge war nur mäßig gebläht, die Leber ziemlich groß und dunkel rot- bräunlich. ; Meerschweinchen 25 im Schock gestorben, siehe Protokoll. Muskel vom Oberschenk. 0,5g | 1,0ccm Ringerlösung | 18 4,5 140 Herzmuskel. . . . . VER 1,0 cem Ringerlösung 18 3,9 122 lebers ar ar ee 0: He 1,0 cem Ringerlösung 18 ID; 220 Gehuneme en BER: 1,08 | 1,0ccm Ringerlösung | 18 8,9 176 Es bestand deutliches Emphysem; die Leber war groß und blutreich. Meerschweinchen 26 im Schock gestorben (siehe Protokoll). Muskel vom Oberschenk. 0,5 8 1,0 ccm Ringerlösung | 18,5 5,0 154 Herzmuskel. . .... 0,58 1,0 ccm Ringerlösung | 18,5 4,7 146 leben, nat: derer 0,58 1,0 cem Ringerlösung | 18,5 | 5,1 154 Gehirn) FR VlcempRmgerlosumnss alSton na 149 Es bestand eine deutliche Lungenblähung, die Leber war blutreich. Meerschweinchen 27. Im Schock getötet (siehe Protokoll). Temperatur 36,2°. Oberschenkelmuskel . . 0,58 | 1,0ccm Ringerlösung | 18. 6,2 187 IHerzmuskeles u ur 0,58 1,0cem Ringerlösung | 18 4,3 136 eben. As 0,58 1,0 ccm Ringerlösung 18 4,7 144 Gehiene: a ea lan 1,08 | 1,0ccm Ringerlösung | 18 4,8 108 Die Sektion ergab nur eine sehr minimale Lungenblähung; die Leber war blaß. Anschließend sei zum Vergleich die Atmung von Gewebe eines normalen jungen Meerschweinchens mitgeteilt. Farbe hellbraun, weiß gefleckt. Gewicht 275g. Temperatur 38,2°. Das Meerschweinchen ist vor 26 Tagen mit Rinder- serum gespritzt. Eine Reinjektion wurde nicht gemacht. Oberschenkelmuskel . . 0,5g | 1,0ccm Ringerlösung | 19 | 13,8 398 Fierzmuskeleg er 0,58 | 1,0cem Ringerlösung | 19 | 11,9 356 Leber ta. Some. 0,58 1,0 cem Ringerlösung 19 12,8 376 Gehirn 2 1,08 1,0 ccm Ringerlösung 19 15,0 302 Weiterhin wurden junge Meerschweinchen untersucht, die künstlich langsam ‚erstickt worden waren, ferner solche, die durch Blutverlust starben. Das Ergebnis dieser Untersuchungen stimmte mit dem oben angeführten überein. Endlich sei noch ein Fall von Stärkeanaphylaxie angeführt. Das Gewicht des Tieres betrug 225 g. Die Temperatur war auf 31,5° !) gefallen. Das Tier hatte einen Schock nach der Injektion und wurde im Schock getötet. Oberschenkelmuskel . . 0,58 | 1,0ccm Ringerlösung | 18 | 11,0 336 Hlerzmuskeleye re 0,58 | 1,0ccm Ringerlösung | 18 | 10,5 316 Ikeberi 2 2 22..2.22.20582 5 POlkemeRınzerlosuned es 9,8 300 Gehimer 2227 2.2.2 .22.22.213:,0/88,31°OlcemeRinzerlosuncg u21 320148 298 .- 43) Wir verdanken dieses Tier der Freundlichkeit der Herren Prof. P. Schmidt und Dr. Happe. 5 Das Labyrinth als beschleunigungsempfindendes Organ. Von Dr. Alfred Fleisch, Privatdozent. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Zürich.) Mit 7 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. April 1922.) Es ist heute wohl eine gesicherte Erkenntnis, daß die Bogengänge die Drehbewegungen des Kopfes perzipieren. Dabei kann aber eine Drehung, die mit konstanter Geschwindigkeit erfolgt, nicht wahr- genommen werden, indem nach der Mach-Breuerschen Theorie, die durch Ewald aufs glänzendste bestätigt wurde, nur die positive bzw. negative Beschleunigung der adäquate Reiz für die Bogengänge bildet. In Bezug auf die Otolithenapparate Utriculus und Sacculus wurde entsprechend der Mach-Breuerschen Theorie in den letzten Jahren durch Magnus, de Kleijn und Mitarbeiter in zahlreichen Untersuchun- gen der experimentelle Nachweis dafür erbracht, daß durch dieselben die Richtung der Vertikalen perzipiert wird. Die ganze Entwicklung dieses Problems anzugeben, darf hier füglich unterbleiben, da erst vor Jahresfrist von A. de Kleijn und R. Magnus!) eine ausführliche Zu- sammenfassung mit Literaturangabe veröffentlicht worden ist. Während wir heute sehr genaue Kenntnisse darüber besitzen, daß Utrieulus und Sacculus bei der Perzeption der Vertikalrichtung mit- beteiligt sind, sind wir über die Rolle dieser Organe bei der Perzeption von linearen Beschleunigungen nur sehr schlecht unterrichtet. Delage konnte allerdings feststellen, daß translatorische Beschleunigungen vom Menschen empfunden werden können, doch bezieht er diese Emp- findungen nicht auf einen spezifischen statischen Sinn. Es war das Verdienst von Mach?) und Breuer?), eine vom physika- lischen Standpunkt aus klar umschriebene Theorie der Otolithen- 1) A. de Kleijn und R. Magnus, Über die Funktion der Otholithen I. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 6. 1921. ?2) E. Mach, Physikalische Versuche über den Gleichgewichtssinn des Men- schen. Wien. akad. Sitzungsber. III, S. 68, 124. 1873. — Grundlinien der Lehre von der Bewegungsempfindung 1875. — Beitrag zur Analyse der Empfindung. Jena 1886. 2) J. Breuer, Beitrag zur Lehre von dem statischen Sinn. Wien. med. Jahrb. 1874, S. 72 und 1875, S. 87. — Über die Funktion der Otolithenapparate. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 48, 195. 1891. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 33 500 A. Fleisch: funktion aufgestellt zu haben. Breuer folgert, daß, wenn die Otolithen auf die Richtung der Vertikalen ansprechen, sie auch lineare Beschleu- nigungen perzipieren müssen. Hingegen fehlt, wie Breuer selbst sagt, der Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme. Trotz eifrigen Suchens gelang es nicht, den experimentellen Nachweis dafür zu erbringen, daß die linearen Beschleunigungen durch die Otolithenapparate perzipiert werden. So fand die Theorie Breuers immer mehr Ablehnung, und Nagel!) präzisiert das Endresultat dieser eifrigen Diskussion, wenn er sagt: „Das Otolithenorgan, das uns durch die Empfindung der Lage wertvoll ist, würde unnütz und unzweckmäßig, wenn es auch bei der Progressivbewegung in Tätigkeit träte. Ich glaube also, daß die Otolithenapparate uns überhaupt nur Lageempfindung vermitteln, daß aber die Erregung durch Progressivbewegung ganz oder doch fast ganz verhindert ist.‘ In neuester Zeit wurde durch de Kleijn und Magnus?) das Problem wieder aufgenommen, indem sie Reflexe aufsuchten, die durch Pro- gressivbewegungen ausgelöst werden. A. de Kleijn und R. Magnus konnten folgende Labyrinthreflexe auf Progressivbewegungen fest- stellen: a) Liftreaktion. Wird ein in Normalstellung sitzendes Tier vertikal nach oben bewegt, so gehen im Anfang der Bewegung die Vorderbeine in stärkere Beugestellung über und der Kopf nähert sich der Unter- lage. Beim Aufhören der Liftbewegung nach oben werden die Vorder- beine stark tonisch gestreckt, der Vorderkörper gehoben, manchmal auch der Kopf dorsalwärts gebeugt. Umgekehrt ist die Reaktion bei Liftbewegung nach unten. b) Muskelschwirren. Bei Progressivbewegungen tritt an Nacken und Schultern des Tieres ein Muskelschwirren auf; es handelt sich hierbei grundsätzlich um dieselbe Reaktion wie bei der Liftreaktion. c) Zehenspreizen. Befindet sich ein Tier in Hängelage mit Kopf oben und wird es dabei nach abwärts bewegt, so werden die Zehen gespreizt. d) Sprungbereitschaft. Hält man ein Tier am Becken in Hängelage mit dem Kopf nach unten und wird das Tier vertikal nach unten be- wegt, so gehen die Vorderbeine im Schultergelenk nach vorn, und die vorderen Extremitäten werden als Ganzes gestreckt, manchmal tritt auch Spreizen der Zehen auf. Da diese Reaktion geeignet ist, beim Sprung nach unten das Gewicht des Tieres mit den Vorderbeinen auf- zufangen, wird sie als Sprungbereitschaft bezeichnet. !) W. Nagel, Die Lage-, Bewegungs- und Widerstandsempfindung. In Nagels Handbuch der Physiologie des Menschen Bd. 3, S. 798. 1904. i 2) A. de Kleijn und R. Magnus, Labyrinthreflexe auf Progressivbewegungen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 39. 1921. Das Labyrinth als beschleunigungsempfindendes Organ. 501 Alle diese Reflexe auf Progressivbewegungen sind nach de Kleijn und Magnus Labyrinthreflexe, da sie nach beidseitiger Labyrinth- exstirpation verschwunden sind. Fast alle diese Reflexe lassen sich sowohl am Meerschweinchen als auch am Kaninchen und am Hunde nachweisen. Nach Ausschaltung der Muskelsensibilität durch Novo- caineinspritzung oder Hinterwurzeldurchschneidung treten diese Re- aktionen in dem desensibilisierten Muskel doch auf. Exstirpation des Großhirns am Hunde, oder Entfernung des größten Teiles des Klein- hirnes brachten diese Labyrinthreflexe nicht zum Verschwinden. Durch die Labyrinthreflexe auf Progressivbewegungen wurden sichere objektive Anhaltspunkte dafür gefunden, daß das Labyrinth auf Beschleunigungen reagiert und zur Auslösung von Reflexen ver- anlaßt wird. A. de Kleijn und Magnus untersuchten nun weiter, durch welchen Teil des Labyrinthes die Perzeption der Progressivbewegung ausgelöst werde. Es kamen dafür entweder der Bogengangapparat oder die Otolithenorgane von Utriculus und Sacculus in Frage. Zur Entscheidung wurden Meerschweinchen nach der Methode von WMitt- maack zentrifugiert. Es gelang in vielen Fällen, einen Zustand hervor- zurufen, in welchem die tonischen Labyrinthreflexe der Lage, die sicher von Utriculus und Sacculus ausgehen, fehlten. Hingegen waren die Labyrinthreflexe auf Bewegung, wie Drehreaktionen und Drehnach- reaktionen auf den Kopf und die Augen und die Reaktionen auf Pro- gressivbewegungen, noch voll vorhanden. In diesen Fällen ergab nun die histologische Untersuchung des Labyrinthes, daß durch das Zen- trifugieren alle vier ÖOtolithenmembranen abgeschleudert oder durch Blutungen zerstört waren, während die Cristae der Bogengänge sich als intakt erwiesen. De Kleijn und Magnus ziehen deshalb den Schluß, daß die geschilderten Reflexe auf Progressivbewegungen vom Bogen- gangapparat ausgelöst werden. Der Otolithenapparat hingegen ist verantwortlich für die Reflexe der Lage, nämlich tonische Labyrinth- reflexe auf die Körpermuskeln, Stellreflexe und kompensatorische Au- genstellungen. Dieser Auslegung von de Kleijn und Magnus wurde durch Quiz!) widersprochen, der sich vollkommen ablehnend dazu verhält, daß die genannten Reflexe auf Progressivbewegungen von den Bogengängen ausgelöst werden. Quix betrachtet diese Liftreaktionen als von den Oto- lithen ausgehend und führt für seine Ansicht gute Gründe an. So wird die Beweiskraft der histologischen Bilder der Meerschweinchenlaby- rinthe, bei welchen nach Zentrifugieren die Otolithenmembranen ab- gelöst waren, bestritten. Denn in fast allen Präparaten von nicht zen- 1) F. H.Quix, La fonction des otolithes. Arch. Neerland. de Physiol. de l’homme et des anim. 6, Liefg. 1, S.1. 1921. 33 502 A. Fleisch: trifugierten Tieren, deren Labyrinth mit einwandfreier Technik prä- pariert und geschnitten worden war, findet man losgelöste Otolithen- membranen, die nur Kunstprodukte sind. Theoretiseher Teil. Wenn auch die Interpretation von Quix, wonach die Liftreaktionen Otolithenreflexe sind, mehr Wahrscheinlichkeit besitzt als die Annahme von de Kleijn und Magnus, daß es sich um Bogengangreflexe handelt, so ist es heute doch noch unbewiesen, daß durch den Otolithenapparat lineare Beschleunigungen perzipiert werden. Und doch wäre die Ent- scheidung dieser Frage von grundlegender Bedeutung für das Verständ- nis der Labyrinthfunktion. Wenn die Frage nach der Perzeption der linearen Beschleunigungen durch die Otolithenapparate einer theoretischen Betrachtung unterworfen wird, so folgt daraus die bestimmte Forderung, daß Utriculus und Sac- culus, wenn sie auf die Richtung der Vertikalen ansprechen, ebenfalls die linearen Beschleunigungen perzipieren müssen. Es wird fast allgemein angenommen, daß der ÖOtolith von Utri- eulus und Sacculus, wie dies für niedere Tiere z. B. Krebse sicher zu- trifft, spezifisch schwerer ist als die ihn umgebende Endolymphe. Infolgedessen wird der Otolith durch die Erdanziehung stärker nach unten gezogen als die ihn umgebende Endolymphe. Diese Differenz in der Größe der Erdanziehnug sei als die auf den Otolithen wirkende Schwerkraft 5 bezeichnet. Sie ist bei allen Lagen des Labyrinthes kon- stant. Außer von der Fallbeschleunigung ist sie nur von der Differenz im spezifischen Gewicht von Otolith einerseits und Endolymphe an- dererseits abhängig. Diese Schwerkraft $ wird fast ausschließlich her- angezogen, um die Funktionswirkung der Otolithen zu erklären. Nur in der speziellen Auswertung bestehen Differenzen. Während Breuer das Gleitbestreben des Otolithen auf den Sinneshaaren der Macula, also die Verbiegung der Sinneshaare, als den adäquaten Reiz betrachtet, haben de Kleijn und Magnus!) die Theorie aufgestellt, daß der Zug des Ötolithen an den Sinneshaaren der Macula der wirksame Reiz sei, in- dem das Maximum der Erregung dann existiere, wenn der Otolith an den Sinneshaaren der Macula hänge. Dieser Anschauung wird aber von Quix?) energisch widersprochen, indem Quix den Druck des Otolithen auf die Sinneshaare der Macula als den adäquaten Reiz ansieht. Es bleibe hier dahingestellt, ob der Zug, der Druck oder das Gleitbestreben der Otolithen der adäquate Reiz sei, indem die folgenden Ableitungen für sämtliche Fälle Gültig- !) A. de Kleijn und R. Magnus, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 6. 1921. ?) F. H. Quix, De beteekenis van het evenwichtszinting voor de Geneeskunde. Publication de l’imprimerie Universitas, & Utrecht. 1920. — Arch. Neerland. de Physiol. 6, Liefg. 1, S.1. 1921. Das Labyrinth als beschleunigungsempfindendes Organ. 503 keit besitzen. Soweit die Haut- und die Tiefensensibilität bei der Per- zeption von linearen Beschleunigungen mit im Spiele sind, fallen sie ebenfalls in den Rahmen dieser Betrachtung. In Abb. 1 ist das Otolithenorgan um Zwecke der Erklärung ganz schematisch wiedergegeben. Der Otolith O ist durch die Sinneshaare SH an die Macula M befestigt. Er wird, da er spezifisch schwerer ist als die ihn umgebende Endolymphe, um die Schwerkraft S stärker senkrecht nach unten gezogen als die Endolymphe. Entsprechend der allgemeinen Auffassung wird die Richtung dieser Schwerkraft S8 auf irgendeine Art und Weise empfunden. Wenn nun dem betreffenden Organismus eine lineare Beschleunigung, z. B. nach links im Sinne des gestrichelten Pfeiles, gegeben wird, so wird die Macula M, da sie mit dem Labyrinth in fester Verbindung ist, diese Beschleunigung ohne weiteres mitmachen. Hingegen hat der Otolith O und die Endolymphe in- folge des Beharrungsvermögens die Ten- denz in Ruhe zu verharren. Das Be- harrungsvermögen des Otolithen ist aber wegen seines größeren spezifischen Ge- wichtes größer. Er wird infolgedessen in der Richtung Z an den Sinneshaaren der Maeula ziehen. Am Otolith O greifen jetzt zwei Kräfte an, einmal die Schwerkraft 8 senkrecht nach unten und das Beharrungs- vermögen Z in horizontaler Richtung nach RER rechts. Diese beiden Kräfte sind physi- Abb. 1. kalisch äquivalent der Resultanten AR. Während dieser Beschleunigung nach links wirkt also auf den Otolithen O eine einzige Kraft von der Größe und der Richtung der Resultanten R. Die Richtung der auf den Otolithen wirkenden Kraft ist also von 8 nach R, d.h. um den Winkel 5 verändert worden. In Bezug auf die Perzeption und deren Auswertung sind die Ver- hältnisse folgendermaßen: Ein Kaninchen und überhaupt ein sich im Raum orientierender Organismus wird vermittels der Otolithenapparate die Richtung der Vertikalen nie als ‚schief‘ empfinden können. Sondern diejenige Rich- tung, welche die Otolithenapparate perzipieren, wird als die Verti- kalrichtung empfunden. Wenn diese empfundene Vertikalrichtung nicht mit der dorso-ventralen Achse des Kaninchens zusammenfällt, so wird das Kaninchen empfinden, daß sich der Körper in einer Schief- lage zur Vertikalrichtung befindet. Dies entspricht auch vollständig unseren täglichen Erfahrungen, wonach wir die Vertikalrichtung immer als die wirkliche Vertikale empfinden und unseren Körper eventuell ee —— 504 A. Fleisch: als sich in einer Schieflage befindlich annehmen. Das Kaninchen wird somit die Richtung der Resultanten R in Abb. 1 als die ‚Vertikal- richtung‘ empfinden. Es findet also eine Fälschung in der Empfin- dung der Vertikalrichtung um den Winkel ß statt. Da die dorso- ventrale Achse des Kaninchens mit der Richtung der Resultanten nicht zusammenfällt, so wird es seinen Körper als in einer Schieflage befindlich beurteilen. Das Kaninchen muß somit seine Stellung im Raume empfinden, wie in Abb. 2 angedeutet ist: Die Resultante R ist die Vertikalrichtung, der Körper ist um den Winkel ß im Sinne des gestrichelten Pfeiles gedreht. Das Kaninchen ist somit nicht mehr in Normalstellung in bezug auf die Resultante R. Wenn das Ka- ninchen in Abb. 1 und 2 sich in Normalstellung (Bauchlage) befindet und die Beschleunigung nach seiner linken Körperseite ausgeführt wird, so bekommt das Kaninchen die Empfindung, daß der Körper um den Winkel ß gedreht sei, und zwar in der Richtung: rechte Körperseite ventralwärts. Bei dieser Drehung wird aber ein tonischer Labyrinth- reflex ausgelöst, der eine Vertikalabweichung des rechten Auges nach oben bewirkt.!) Wenn also das Kaninchen eine Beschleunigung nach links erfährt, so muß das rechte Auge eine Vertikalabweichung nach oben ausführen. Wenn umgekehrt eine Beschleunigung nach rechts vorhanden ist, so wird das rechte Auge vertikal nach unten abweichen. Der Winkel f, d. h. die Größe der Fälschung der Vertikalemp- findung ist leicht zu berechnen, wenn wir die Größe der Beschleuni- gung kennen. Für die Berechnung ist das relative Verhältnis der bei- den auf den ÖOtolithen wirkenden Kräfte Z und S notwendig. Wenn wir S gleich der Fallbeschleunigung — 981 cm/s? setzen, so ist die Größe von Z gleich der linearen Beschleunigung in cm pro Sekunde gemessen. Es ist dann: Beschleunigung cm/s? = 981 cem/s? Bei solchen linearen Beschleunigungen nach der Seite wird die Re- sultante R von Abb. 1 etwas größer sein als die Schwerkraftswirkung $, da R die Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreieckes ist, in welchem $ und Z die beiden Katheten darstellen. Aus diesem rechtwinkligen Dreieck ergibt sich: Z mol = te sin !) Dieser tonische Labyrinthreflex ist durch de Kleijn und van der Hoeve (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 169, 241. 1917) und de Kleijn und Magnus (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 6. 1921) genau untersucht worden. Diese Autoren betrachten diesen Reflex als einen reinen Sacculusreflex. Ich habe diesen Reflex (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 554.) in seiner Abhängigkeit vom Drehungsgrad des Kaninchens quantitativ genau verfolgt. Das Labyrinth als beschleunigungsempfindendes Organ. 505 Da bei sehr kleinen Winkeln der Sinus gleich dem Tangens ist, so ist bei kleinem Winkel ß die Resultante R gleich der Schwerkrafts- wirkung S. In den folgenden Experimenten wurden Beschleunigungen verwendet, die eine Größe des Winkels $ von 3—5° bewirkten. Die Rechnung ergibt, daß dabei die Resultante R um 0,14—0,38%, größer ist als die Schwerkraftswirkung S. Wir haben somit eine doppelte Ver- änderung; erstens eine Richtungsänderung der Resultanten R um 3 bis 5°, die zu dem genannten Augenreflex führen muß, und zweitens eine Vergrößerung der ursprünglichen Schwerkraftswirkung S um 0,14 bis 0,38%. Diese Vergrößerung von R gegenüber 5 ist äquivalent einer Liftbewegung nach oben mit einer Beschleunigung von 1,4 bis 3,7 cm pro Sekunde (gleich 0,14—0,35% von 981 cm pro Sekunde). Wie weit dies von nachweisbarem Einfluß ist, wurde nicht untersucht. Experimenteller Teil. Wenn die Richtung der Vertikalen durch die Ötolithenapparate Utrieulus und Sacculus empfunden wird, und wenn die obige theore- tische Ableitung richtig ist, woran m. E. nicht gezweifelt werden kann, so muß eine lineare Beschleunigung in horizontaler Richtung zu einer Fälschung der Vertikalempfindung führen. Es ist somit der experimentelle Nachweis dafür zu erbringen, daß eine solche Fälschung der Vertikalempfindung tatsächlich eintritt. Als objektiver Indikator für die Fälschung der Vertikalempfindung schien mir die Vertikalabweichung der Augen des Kaminchens beson- ders geeignet. Denn in einer früheren Arbeit!) wurde gezeigt, daß die Vertikalabweichung des Kaninchenauges ein sehr empfindliches Re- agens auf die Richtung der Vertikalen ist, ein Reagens, das uns um so willkommener ist, als die kleinsten Ausschläge stark vergrößert op- tisch registiert werden können. Wie groß die zu erwartenden Aus- schläge sein werden, wird später noch zu erörtern sein, nachdem die wesentlichen Gesichtspunkte der Methodik erläutert sind. Methodik. Um bei Kaninchen Beschleunigungen von bekannter Größe zu er- zeugen und dabei die Augenstellung fortlaufend registrieren zu können, wird das Kaninchen und die ganze Apparatur auf einen fahrbaren Tisch montiert (Abb. 3). Der Tisch 7 läuft mittels Rädern R auf Ei- senschienen S, damit Erschütterungen nach Möglichkeit vermieden werden. Das Kaninchen X ist in Bauchlage mit Schnüren und Bän- dern an das Haltebrett Z befestigt, das Haltebrett selbst wird durch Zwingen unverschieblich an den Tisch gepreßt. Die Längsachse des 1) A. Fleisch, Tonische Labyrinthreflexe auf die Augenstellung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 554. 1922. 506 A. Fleisch: Kaninchens verläuft senkrecht zur Ebene der Abb. 3, so daß das Ka- ninchen auf dieser Zeichnung im Querschnitt getroffen ist. Die rechte Körperseite des sich in Bauchlage befindlichen Kaninchens schaut gegen das Kymographion PK hin. Von der Lampe Z fällt das Licht durch eine Sammellinse, die nicht gezeichnet ist, auf den kleinen 2 mm großen Spiegel Sp, welcher auf der rechten Cornea des Versuchstiers sitzt. Vom Spiegelchen Sp wird der Lichtstrahl reflektiert und fällt in den Spalt des Photokymographions PK. Eine besondere Einrichtung mußte verwendet werden für die quan- titative Feststellung der Beschleunigungen. Das Licht von der Bogen- lampe L’ wird durch die Linse 1 gesammelt; im Brennpunkt wird’durch den Mikrospalt MS eine sehr feine Linie ausgeschnitten und diese Lichtstrahlen durch die Linse 2 parallel gemacht. Dieses! Parallel- machen der Lichtstrahlen bezweckt in jeder Entfernung von der Linse ein scharfes Bild zu bekommen. Dieser gestrichelte Lichtstrahl fällt ebenfalls in den Spalt des Photokymographions PK. Im Verlauf dieses gestrichelten Lichtstrahles ist noch ein Metronom M angebracht, das durch die Pendelbewegungen den Lichtstrahl rhythmisch unterbricht und dadurch auf der photographischen Kurve durch helle Unter- brechungen der Kurve die Zeit markiert. Dieses System, bestehend aus Bogenlampe Z’, Linse 1 und 2, Mi- krospalt MS und Metronom M, ist im Gegensatz zum fahrbaren Tisch festmontiert. Dadurch wird der vom fahrbaren Tisch zurückgelegte Weg registriert. Der gestrichelte Lichtstrahl von Z/, ist nämlich, wie aus der Abb. 3 zu ersehen ist, schräg nach rechts unten gerichtet. Wenn nun der fahrbare Tisch 7 in der Richtung des Pfeiles B nach links bewegt wird, so wandert der gestrichelte Lichtstrahl am Kymogra- phion PK in die Höhe. Aus dieser Verschiebung kann nachher auf der registrierten Kurve der pro Sekunde zurückgelegte Weg des Ti- sches bestimmt werden. In Bezug auf den kleinen Spiegel Sp der Cornea sind noch einige Details bemerkenswert. In den ersten Versuchen war der Spiegel direkt Das Labyrinth als beschleunigungsempfindendes Organ. 507 auf die Cornea oder auf ein Zelluloidplättchen geklebt, das auf die Cornea genäht war. Da diese Methode, wie später noch auseinander- gesetzt wird, schlechte Resultate lieferte, wurde am blinden Kanin- chen experimentiert. Über die rechte Cornea des Kaninchens war ein Blechkappe von gleichem Krümmungsradius wie die Cornea selbst gestülpt und an drei Stellen an die Cornea-Scleragrenze festgenäht. Auf diese Blechkappe wurde der Spiegel mit Gummilösung aufgekittet. Nicht einfach istes, den Spiegel immer so zu richten, daß der von ihm reflektierte Lichtstrahl bei Normalstellung des Auges in den Spalt des Photokymographions fällt. Die Lider des untersuchten rechten Auges waren zum Teil durch einen Lidhalter geöffnet, zum Teil waren sie weggeschnitten. Dabei war die Wundfläche wie auch immer das ganze Auge cocainisiert. Das linke Auge des Kaninchens war in allen Fällen mit Leukoplast verschlossen, so daß das Kaninchen gar nicht sehen konnte. Narkose wurde nie verwendet. Die Beschleunigung des fahrbaren Tisches T und somit des Ka- ninchens K wurden von Hand erzeugt, indem der Tisch in der Richtung des Pfeiles B (Abb. 3) rasch nach links geschoben und dann wieder angehalten wurde., Der zurückgeleste Weg betrug 1—1,5 m. Dabei erfährt das Kaninchen beim Anfahren eine positive Beschleu- nigung nach seiner linken Körperseite, beim Anhalten hingegen eine negative Beschleunigung nach links, d. h. eine positive Beschleunigung nach rechts. Wenn der Tisch nach rechts bewegt wird, so resultiert beim Anfahren eine negative Beschleunigung nach links (gleich po- sitive Beschleunigung nach rechts) und beim Anhalten eine positive Beschleunigung nach links. Es wurden nur die Beschleunigungen nach der linken und rechten Körperseite des Kaninchens untersucht. Umreehnung der erhaltenen Kurven. Mittels dieser Methode werden zwei optisch registrierte Kurven er- halten, die in Abb. 4 wiedergegeben sind. Die eine Kurve (x von Abb. 4) gibt die Stellung des rechten Auges, bzw. den Winkel dessen Vertikal- abweichung an. Die andere Kurve, mit W bezeichnet, stellt den zu- rückgelesten Weg dar. Aus dieser Wegkurve W muß die Beschleu- nigung ausgerechnet werden, indem nach unserer theoretischen Ab- leitung die Beschleunigung, die das Kaninchen erfährt, den wirksamen Reiz für die Otolithenapparate darstellt. Die Beschleunigung wird erhalten durch Bildung des zweiten Dif- ferentialquotienten des Weges nach der Zeit. Wird die Beschleunigung mit y bezeichnet, so ist: AZs a: wenn t das Zeitelement und s der während der Zeit t zurückgelegte Weg bedeutet. 508 A. Fleisch: Auf der Wegkurve werden genau im Abstande von 5 mm die Or- dinaten exakt gemessen, diese Ordinatenwerte zweimal differenziert und das Resultat durch das Quadrat des Zeitelementes dividiert, wo- bei der Wert y’ erhalten wird. Dieses Zeitelement, das 5 mm der Ab- szisse entspricht, wird berechnet aus den Zeitmarken, die das Metro- 7 TER ULEEE EEE TEE a M h( zu — umEIEEN er er een, Abb. 4: Registrierte Kurven der Augenabweichung x und des zurückgelesten Weges W. Die Kurven sind von links nach rechts zu lesen. Der fahrbare Tisch wird nach links geschoben (Abb. 5). Während des Anfahrens bei 2 ist eine positive Beschleunigung nach links, während des Anhaltens bei r eine negative Beschleunigung nach links vorhanden. Ein Sinken der Augen- kurve bedeutet, daß das Auge sich abwärts (= ventralwärts) bewegt. Zwei Zeitsignale zusammen (=T in Abb. 4) umfassen eine Zeitspanne von 0,667 Sekunden. Die Kurve ist auf ?/, verkleinert. nom als helle Linien in die Wegkurve einzeichnet. Die Frequenz des Metronomes und damit der Zeitmarken wird mit der Stoppuhr genau bestimmt. Das Resultat y’ entspricht aber noch nicht der effektiven Beschleunigung, da die Wegkurve den zurückgelegten Weg verkleinert registriert. Wenn z. B., wie dies in einigen Versuchen der Fall war, 1 cm Ordinate der Wegkurve einem durch den Tisch zurückgelegten Weg von 11,43 cm entspricht, so muß y’ noch mit 11,43 multipliziert werden. Dann wird die tatsächliche Beschleunigung y in Zentimeter pro Sekunde erhalten. Da die Beschleunigung der adäquate Reiz für die Otolithenapparate ist, so könnte die Beschleunigung y, die das Kaninchen in jedem Mo- ment erfährt, direkt graphisch aufgetragen und verglichen werden mit der Vertikalabweichung des Auges. Doch werden die Verhältnisse übersichtlicher, wenn anstatt der Beschleunigung y der Winkel ß aufgetragen wird, um welchen die Resultante R (Abb. 1) von der Ver- tikalrichtung abweicht. Dieser Winkel ß gibt uns direkt die Größe der Fälschung der Vertikalempfindung infolge der Beschleunigung an. Der Winkel 5 wird erhalten aus der Formel: Das Labyrinth als beschleunigungsempfindendes Organ. 509 wobei y die berechnete Beschleunigung in em/s? und s die Fallbe- schleunigung von 981 cm/s? bedeutet. In bezug auf die registrierte Kurve der Augenstellung des Ka- ninchens ist folgendes hervorzuheben: Wenn das untersuchte Auge seine Stellung ändert und um den Winkel x nach oben oder unten abweicht, so verändert der vom Corneaspiegel reflektierte Lichtstrahl seine Richtung um den Winkel 2&. Der Abstand zwischen Cornea- spiegel und lichempfindlichem Papier betrug in meinen Versuchsn 57 cm. Wenn der Winkel, um den sich der vom Coneasspiegel reflektierte Lichtstrahl dreht, mit 2& und die Ausschlaggröße auf der Kurve mit a bezeichnet wird, so haben wir die Beziehung: a t 2 = $) ven Für eine Ausschlaggröße von «=1 cm ist der Winkel 2x=1°, und der Winkel «x, um den sich das Auge in vertikaler Richtung bewegt hat, beträgt somit 30’. Ein Ausschlag der Kurve der Augenstellung um l cm entspricht also einer Drehung des Auges um einen Winkel von 30. Experimentelle Resultate. Durch den beschriebenen Umrechnungsmodus werden zwei Kur- ven erhalten. Die eine gibt die Vertikalabweichung & des rechten Auges in Winkelminuten an. Ein Anstieg dieser &-Kurve entspricht einer Vertikalabweichung des rechten Auges nach oben. Die zweite Kurve, die -Kurve, gibt die Größe des Winkels # an, um welchen die Rich- tung der Resultanten R von der Vertikalrichtung S abweicht (Abk. 1). Bei Beschleunigungen nach der linken Körperseite des Kaninchens ist der Winkel ß von der Nullinie aus nach oben aufgetragen. Da die Be- schleunisung nach rechts als eine negative Beschleunigung nach links definiert werden kann, so sind die Winkel, die bei der Beschleunigung nach rechts resultieren, als negative Winkel von der Nullinie aus nach abwärts aufgetragen. Entsprechend der geschilderten Theorie ist als experimentelles Re- sultat zu erwarten, daß bei Beschleunigungen nach links (Anstieg der P-Kurve) eine Vertikalabweichung des rechten Auges nach oben (An- stieg der &-Kurve) eintreten sollte. Umgekehrt muß bei negativen Be- schleunigungen nach links die &-Kurve gemeinsam mit der P-Kurve abfallen. In den ersten Versuchen wurde am sehenden Kaninchen experi- mentiert, indem das Spiegelchen auf ein Zelluloidstreifehen geklebt wurde, welches an der Cornea-Scleragrenze festgenäht war. Das Re- sultat war aber ein sehr unbefriedigendes. In den meisten Versuchen trat überhaupt keine deutliche Reaktion des Auges auf lineare Be- 510 A. Fleisch: schleunigungen ein. Kaum in einem Zehntel der Versuche kam eine Vertikalabweichung zustande, wie sie entsprechend der Theorie ge- fordert werden mußte. Aber diese Vertikalabweichung & des Auges war fast durchwegs sehr gering verglichen mit dem Winkel f, um welchen die Vertikalempfindung gefälscht wurde. Der Winkel & be- trug gewöhnlich nur O0 bis 10% des Winkels 5. Nur in seltenen Fällen wurde ein größerer Nutzeffekt erhalten. Die Ursache dieser ungenügenden Reaktion wurde im Fixations- bestreben des Kaninchens gefunden. An anderer Stelle!) habe ich dar- getan, daß das sehende Kaninchen ein intensives Bestreben aufweist, einen leuchtenden Punkt im Gesichtsfelde dauernd zu fixieren. Dieses ' \ 1 \ de ad L I UREE / L J ! 1Sek AN v” Na Abb. 5. Bewegen des fahrbaren Tisches (Abb. 3) nach der linken Seite des in Bauchlage sich befindenden Kaninchens, Die gestrichelte Kurve £ gibt die Größe des Winkels £ an, um welchen die Resultante R von der Vertikalrichtung S (Abb. 1) abweicht. Werte der 5-Kurve über der Nullinie bedeuten positive Beschleunigungen nach links, Werte unter der Nullinie negative Be- schleunigung nach links (gleich positive Beschleunigung nach rechts). 1 cm Ordinate der #-Kurve entspricht einem Winkel £ von 1°. Die &-Kurve gibt die Vertikalabweichung des rechten Auges an. Anstieg der x-Kurve um 1 cm bedeutet Heben des rechten Auges um den Winkel «=20’ Die Kurven sind von links nach rechts zu lesen. Verkleinert auf ?/,. Fixierbestreben ist, wie dort gezeigt wurde, genügend stark, um Laby- rinthreflexe auf die Augenstellung zu unterdrücken, sofern Fixier- bestreben und Labyrinthreflex in ihrer motorischen Auswirkung zueinander antagonistisch sind. Bei diesen linearen Beschleunisungen sucht der dadurch ausgelöste Labyrinthreflex eine Vertikalabweichung des Auges auszulösen. Infolge des Fixierbestrebens aber will das Auge seine Stellung beibehalten, und der Labyrinthreflex wird unterdrückt. Nachdem die große Bedeutung des Fixierbestrebens erkannt war, wurde am blinden Kaninchen (Metallkappe über Cornea) experimen- tiert, und sofort traten die gesuchten Labyrinthreflexe auf. Die jetzt resultierenden Vertikalabweichungen & waren angenähert in der zu erwartenden Größenordnung, und namentlich gingen sie immer nach derjenigen Richtung, die nach der geäußerten Theorie gefordert wer- den mußte. Im folgenden seien einige Kurvenbilder wiedergegeben. 1) A. Fleisch, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 554. 1922. Das Labyrinth als beschleunigungsempfindendes Organ. 511 Aus dieser Abb. 5 geht einmal deutlich hervor, daß auf lineare Beschleunigungen nach der Seite des Kaninchens eine Vertikalab- weichung des rechten Auges resultiert. Dieses Resultat steht im Gegen- satz zu den Angaben von de Kleijn und Magnus!). Diese Autoren konn- ten bei linearen Beschleunigungen an Kaninchen keine Reflexe auf die Augen nachweisen. Das negative Resultat von de Kleijn und Magnus erklärt sich wahrscheinlich dadurch, daß sie wohl nicht mit spezieller Apparatur darnach gefahndet haben. Diese reflektorischen Augenbewegungen bei linearen Beschleunigungen sind aber, wie im theoretischen Teil ausgeführt wurde, klein und nicht von bloßem Auge, sondern nur mit spezieller hochempfindlicher Apparatur nach- weisbar. In bezug auf die Raschheit, mit der das Auge auf die Beschleu- nigung antwortet, ist hervorzuheben, daß eine Latenzzeit von etwa 0,5 Sekunden vorhanden ist. Das Auge setzt mit der Vertikalabwei- chung erst 0,5 Sekunden nach Beginn der Beschleunigung ein. In diesem Moment hat die Beschleunigung bereits ihr Maximum erreicht. Die Vertikalabweichungen werden somit stark verspätet ausgeführt. Die Richtung der Augenabweichung ist jedoch so, wie nach der Theorie zu erwarten steht. Infolge der Beschleunigung nach links (-Kurve über der Nullinie) muß das rechte Auge, wie dies in Abb. 5 tatsächlich zutrifft, eine Vertikalabweichung nach oben ausführen. Bei der nega- tiven Beschleunigung nach links (#-Kurve unter der Nullinie) sollte das rechte Auge stärker nach unten gehen. Tatsächlich geht aber in Abb. 5 das Auge nur angenähert in die Normalstellung zurück. Dieses‘ Ausbleiben der Vertikalabweichung nach unten ist wohl da- mit zu erklären, daß wegen der großen Latenzzeit das Auge dem ra- schen Wechsel der Beschleunigungen nicht zu folgen vermag. So er- reicht infolge der Beschleunigung nach links das Auge die maximale Abweichung nach oben erst in einem Zeitmoment, in welchem die Be- schleunigung nach links schon in eine negative Beschleunigung nach links übergegangen ist. Der in Abb. 5 realisierte Nutzeffekt beträgt angenähert 30%, in dem der Winkel, um welchen sich das Auge nach oben bewegt, etwa 1/, des Winkels 5 (gemessen von der Nullinie nach oben) beträgt. Wenn in Abb. 5 die Augenabweichung nach unten durch den allzu raschen Ablauf der Beschleunigungen verwischt wurde, so kommt diese Augenabweichung immer dadurch zustande, daß zuerst die nega- tive Beschleunigung nach links wirksam ist, wie in Abb. 6. Im Gegensatz zu Abb. 5 wird bei Abb. 6 der fahrbare Tisch nach rechts geschoben, so daß zuerst eine negative Beschleunigung nach 1) A. de Kleijn und R. Magnus, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 46. 1921. 512 A. Fleisch: links resultiert. Entsprechend der Theorie soll dadurch eine Vertikal- abweichung des rechten Auges nach unten erzeugt werden. Dies trifft tatsächlich zu, indem die &-Kurve abfällt. Aber auch hier macht N Ss? Abb. 6. Bewegen des fahrbaren Tisches (Abb. 3) nach der rechten Seite des in Bauchlage sich befindenden Kaninchens. Der Versuch beginnt mit einer negativen Beschleunigung nach links, die eine Vertikalabweichung des rechten Auges nach unten zur Folge hat. Im übrigen gleiche Legende wie bei Abb. 5. sich wiederum eine starke Latenzzeit und infolgedessen eine Verschlep- pung der &-Kurve geltend. So tritt die maximale Abweichung der &-Kurve fast eine Sekunde später ein als die maximale Abweichung der -Kurve. Auch in Abb. 6 ist der Nutzeffekt angenähert 30%. ß----- \ „= ----- - --- 0 1Sek van Abb. 7. Gleiche Legende wie bei Abb. 5, nur mit dem Unterschied, daß 1 cm Ordinate der p-Kurve einem Winkel 5% von 100° entspricht. Diesem Kaninchen war vor 8 Tagen das linke Labyrinth exstirpiert worden. Wie die beiden Abb. 5 und 6 zeigen, geht die Augenabweichung sehr häufig nur nach einer Seite, aber immer in derjenigen Richtung, welche die zuerst wirkende Beschleunigung verlangt. In etwa !/, der Versuche ist aber doch eine Augenabweichung nach beiden Seiten vorhanden, wie Abb. 7 demonstriert. Das Labyrinth als beschleunigungsempfindendes Organ. 513 Während der Beschleunigung nach links (f-Kurve oberhalb der Nullinie) findet eine Vertikalabweichung des rechten Auges nach oben statt. Nachdem die Beschleunigung nach links negativ geworden ist, geht das rechte Auge ziemlich stark nach unten, um nach dem Auf- hören der Beschleunigung, wenn die P-Kurve die Nullinie erreicht hat, zur Normalsteilung zurückzukehren. Die Exkursionen der &- Kurve sind hier überall gleichsinnig denjenigen der B-Kurve. Das Re- sultat, das die T'heorie fordert, ist hier erfüllt. Eine Abweichung könnte darin erblickt werden, daß die &-Kurve der Augenstellung ihre Exkur- sionen später beginnt und später vollendet als die P-Kurve. Auf den Abbildungen erscheinen die &-Kurven nach rechts verschoben. Diese Verschiebung rührt aber von der langen Latenzzeit dieses Reflexes von etwa 0,5 Sekunden her. Spezielle Beachtung verlangen noch die quantitativen Verhältnisse. Es wurde früher gezeigt!), daß bei der Drehung eines Kaninchens um die occipito-nasale Achse von der Normalstellung aus das Auge ent- gegengesetzte Vertikalabweichungen ausführt. Die Größe dieser kom- pensatorischen Augenabweichung betrug 30—100%, d. h. wenn das Kaninchen z. B. um 3° gedreht wird, so führt das Auge eine gegen- sinnige Vertikalabweichung von etwa 1—3° aus. Es ist nun zu for- dern, daß bei linearen Beschleunigungen, in welchen es zu Fälschungen der Vertikalempfindung kommt, eine quantitativ ähnliche Ausnutzung resultiert. Wenn also die Fälschung der Vertikalempfindung durch die Beschleunigung gleich dem Winkel P ist, so soll die Vertikal- abweichung & des Auges gleich !/;—!/, des Winkels ß sein. Aber eine solche vollständige Ausnützung von 30— 100%, ist allerdings nur zu erwarten, wenn bei der linearen Beschleunigung sich keine stören- den Faktoren geltend machen. In den wiedergegebenen Abbildungen beträgt der Nutzeffekt, d. h. die Größe des Winkels & verglichen mit dem Winkel p, 30% (Abb. 5 und 6) und 15% (Abb. 7). Im ganzen wurden über 100 Einzelversuche ausgeführt, wobei der resultierende Nutzeffekt variierte zwischen 10 bis 100%. Ein Nutzeffekt von 100%, wurde allerdings nur sehr selten erhalten. In den meisten Versuchen war die Reaktion auf die zuerst wirkende Beschleunigungsart ziemlich ausgeprägt, entsprechend den Abbildungen 5 und 6; auf die folgende umgekehrte Beschleunigungs- art war die Reaktion hingegen gewöhnlich schwach oder gar nicht vorhanden. Wenn nur die Reaktion auf die zuerst wirkende Beschleu- nigung in Betracht gezogen wird, so ergibt sich dabei ein durchschnitt- licher Nutzeffekt von 30—40°%. Der erhaltene Nutzeffekt ist im Durch- schnitt etwas geringer als der entsprechend der Theorie geforderte von 1) A. Fleisch, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 554. 1922. 514 A. Fleisch: durchschnittlich 50—60%. Doch dürfte dies sicher z. T. damit zu- sammenhängen, daß die Beschleunigsungen wegen ihrer kurzen Dauer sich nicht voll auswirken können. Tatsächlich zeigen die registrierten Kurven, daß eine Beschleunigung schon verschwunden bzw. schon ins Gegenteil umgeschlagen hat, bevor das Auge infolge der zuerst wirkenden Beschleunigung die maximale Abweichung erreieht hat. Die lange Latenzzeit dieses Reflexes, verbunden mit der kurzen Dauer der Beschleunigungen, vermag den Nutzeffekt zweifellos zu vermindern. Vielleicht wirken auch noch andere Momente, wie z. B. die Erschüt- terung, hemmend auf den Reflex ein. Immerhin darf gesagt werden, daß die entsprechend der T’'heorie gestellten Forderungen durch das Ex- periment in qualitativer Hinsicht vollständig und in quantitativer Hin- sicht sehr angenähert erfüllt sind. Damit ist der experimentelle Beweis erbracht, daß die Otolithen- apparate auf lineare Beschleunigungen ebenso ansprechen wie auf Än- derung der Körperlage zur Vertikalrichtung. Auf den ersten Blick scheint die Funktion der Otolithen dadurch kompliziert, doch ist gerade das Gegenteil der Fall. Denn die Schwerkraft, die auf einen Körper wirkt, können wir uns ersetzt denken durch eine dauernde Beschleunigung des betreffenden Körpers nach oben von 981 cm pro Sekunde. Ein Gravi- tationsfeld ist äquivalent einer dauernden Beschleunigung. Diese Äquivalenz zwischen Gravitation und Beschleunigung wurde schon wiederholt klar ausgesprochen, ich erinnere nur an Breuer (l. e.) und Einstein, in dessen Relativitätstheorie dieser Äquivalenzsatz eine bedeutende Rolle spielt. Da wir das Gravitationsfeld also als eine dauernde Beschleunigung nach oben definieren können, so vereinfacht sich die Funktion der Otolithen. Die Otolithen von Utriculus und Sacculus perzipieren die lineare Beschleunigung, und zwar nur die lineare Beschleunigung, da für sie, wie meine Experimente ergeben haben, Gravitation und lineare Beschleunigung äquivalent sind. i Für die Bogengänge ist schon seit den Untersuchungen von Ewald sichergestellt, daß ihr adäquater Reiz die Winkelbeschleunigung ist. Damit wird die Funktion des ganzen Labyrinthes auf folgende einheit- liche Formel] gebracht!): Die Bogengänge und die Otolithenorgane Utriculus und Saceulus sind beschleunigungsempfindende, accelero-sensible Organe. Die Bogengänge perzipieren die Winkelbeschleunigung, Utriculus und Sacculus die lineare Beschleunigung. !) Unter dem Vorbehalt, daß die Bogengänge, wie Quix im Gegensatz zu Magnus annimmt, keine linearen Beschleunigungen perzipieren. Das Labyrinth als beschleunigungsempfindendes Organ. 515 Zusammenfassung. Es wird die Frage, ob die Otolithen von Utriculus und Sacculus auf lineare Beschleunigungen ansprechen, einer theoretischen und ex- perimentellen Prüfung unterzogen. Aus der theoretischen Erörterung folgt die bestimmte Forderung, daß Utrieulus und Sacculus, wenn sie auf die Richtung der Vertikalen ansprechen, ebenfalls lineare Beschleunigungen perzipieren müssen. Wenn z. B. ein sich in Bauchlage befindliches Kaninchen eine Beschleu- nisung nach der linken Körperseite erfährt, so muß das Kaninchen die Empfindung haben, daß der Körper gedreht sei in der Richtung: rechte Körperseite ventralwärts. Bei dieser Drehung muß aber ein tonischer Labyrinthreflex ausgelöst werden, der eine Vertikalabwei- chung des rechten Auges nach oben bewirkt. Diese Vertikalabweichung der Augen wird in den Experimenten als Kriterium für die Richtigkeit der theoretischen Forderungen benützt. Die quantitativen Verhältnisse zwischen Größe der Beschleunisung und Größe der Vertikalabweichung der Augen finden eingehende Be- rücksichtigung. Es wird die verwendete Apparatur beschrieben, mit deren Hilfe Beschleunigungen inszeniert werden können. Dabei kann die Augen- stellung des Versuchstieres stark vergrößert fortlaufend optisch re- gistriert werden; aus der gleichzeitig geschriebenen Kurve des zurück- gelesten Weges wird die Größe und die Zeitdauer der Beschleunigung berechnet. Die Experimente ergeben, daß bei linearen Beschleunigungen nach der Seite des Versuchstieres tatsächlich Vertikalabweichungen der Augen auftreten, die in der Richtung vollständig und in der Größe sehr angenähert den aus der Theorie resultierenden Forderungen entspre- chen. Diese reflektorischen Augenabweichungen haben eine ziemlich sroße Latenzdauer von etwa 0,5 Sekunden. Damit ist der experi- mentelle Beweis erbracht, daß die Otolithenapparate auf lineare Be- schleunigungen ebenso ansprechen wie auf Änderung der Körperlage zur Vertikalrichtung. Da ein Gravitationsfeld, wie die Erdanziehung eines darstellt, äqui- valent ist einer dauernden Beschleunigung, so reduziert sich die Funk- tion des Labyrinthes auf folgende Formel: Die Otolithen von Utriculus und Sacculus perzipieren die und nur die linearen Beschleunigungen, die Bogengänge hingegen die Winkel- beschleunigungen (und lineare Beschleunigungen ?). Utrieulus, Sacculus und die Bogengänge sind accelero-sensible Organe. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 34 Das Gesetz der Verteilung des Hämoglobins auf die Oberfläche der Erythrocyten. Von K. Bürker, Gießen. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Gießen.) (Eingegangen am 19. April 1922.) Im hiesigen Institute während der letzten Jahre durchgeführte vergleichende Blutuntersuchungen haben zur Aufdeckung eines für den Menschen und für alle bisher untersuchten Säugetiere gültigen wichtigen biologischen Gesetzes geführt. Es läßt sich dieses Gesetz kurz so aus- drücken: Ist die mittlere absolute Erythrocytenzahl und der mittlere absolute Hämoglobingehalt beim Menschen und bei diesen Säugetieren auch noch so verschieden, so fällt doch auf die Einheit der Oberfläche all dieser Erythrocyten die ungefähr gleiche Hämoglobinmenge von 32-10 -!!g, oder mit andern Worten, es verhalten sich die mittleren absoluten Hämoslobingehalte eines Erythrocyten beim Menschen und den Säugetieren wie die Quadrate der Durchmesser ihrer Erythro- eyten. Dieses Gesetz erfährt noch eine besondere Beleuchtung dadurch, daß nach unsern Untersuchungen der mittlere absolute Hämogiobin- gehalt eines Erythrocyten eine für den Menschen und für jede Säugetier- art eigentümliche Konstante ist. Im folgenden werde ich die ersten Unterlagen für dieses Gesetz bei- bringen, ich behalte mir weitere Untersuchungen auf diesem Gebiete vor. Die Versuche gehen auf eine aus dem hiesigen Institut stammende Arbeit R. Marloffs!) vom Jahre 1918 zurück, der fand, daß die Thoma- sche Methode zur Zählung der Erythrocyten mit einem um so größeren Fehler behaftet ist, je größer die Senkungsgeschwindigkeit der Ery- throcyten in der Verdünnungsflüssigkeit ist. Die Senkungsgeschwindig- keit erwies sich aber in derselben Verdünnungsflüssigkeit — es war 1) R. Marloff, Die früheren Zählungen der Erythrocyten im Blute verschie- dener Tiere sind teilweise mit großen Fehlern behaftet. Allgem Arch. f. d. ges. Physiol. 1%5, 355. 1919. K. Bürker: Das Gesetz der Verteilung des Hämoglobins usw. 517 Hayemsche Lösung — als abhängig von dem absoluten Hämoglobin- gehalt eines Erythrocyten, sie ist auch abhängig von dem Durchmesser desselben, was auf Grund der Stokesschen Formel über die Senkungs- geschwindigkeit zunächst kugelig gedachter Gebilde in einer Suspensions- flüssigkeit 2 D-d — — 2 od - r zu erwarten war, worin v die Senkungsgeschwindigkeit, g die Beschleu- nisung durch die Schwere, D die Dichte der Körperchen, d die Dichte der Verdünnungsflüssigkeit, 7 den Koeffizienten der inneren Reibung und r den Radius der Kügelchen bedeutet. In der folgendn Tabelle seien zur Übersicht die von M arloff erzielten Werte, soweit sie unser Thema betreffen, zugleich mit genauen Angaben von M. Bethe!) und ©. Schmidt?) über den Durchmesser der im Blut- ausstrichpräparat gemessenen Erythrocyten zusammengestellt, und zwar geordnet nach dem mittleren absoluten Hämoglobingehalt eines Ery- throcyten. Erythrocyten- Hämoglobin- Hämosglobin- Senkungs- Durchmes- Blutart zahl in lcmm gehalt in gehalt eines [geschwindigkeit | ser der Ery- Blut in 100 cem Blut in |Erythrocytenin in 1 Stunde in 'throcyten in Millionen g 10-12 g mm w Mensch °) 5,00 15,0 30 6,0 7,92 klunden. .. 6,65 16,9 25 5,3 7,26 Kaninchen . . 5,85 1 21 3,9 6,60 Schwein . . . 6,20 11,6 19 3,7 6,60 Bterde 2 2.0: 7,32 14,3 19 3,7 5,94 Rind 6,51 RT 18 3,5 5,94 Ziege 13,10 8,5 7 2,5 4,00 Die Marloffschen Untersuchungen, die sich nur auf wenige Menschen bzw. einzelne Tiere der betreffenden Tierart bezogen, führten zu der an sich betrübenden Konstatierung, daß alle bisher nach der T’honi«- schen Methode erhaltenen Erythrocytenzahlen des Menschen und der Tiere mehr oder weniger falsch sind, hier mußten also neue Untersuchun- sen zur Ermittlung exakter absoluter Werte einsetzen. Solche Unter- suchungen wurden in den darauffolgenden Jahren von P. Kuhl, @. Fritsch und W.Welsch in Angriff genommen, wobei die Erythrocytenzahl nach meiner Methode, der Hämoglobingehalt mit einem verbesserten 1) M. Bethe, Beiträge zur Kenntnis der Zahl und Maßverhältnisse der roten Blutkörperchen. Med. Diss. Straßburg S. 29. 1891. 2) C. Schmidt, Die Diagnostik verdächtiger Flecke in Kriminalfällen, S. 2. Verlag von G. A. Reyher, Mitau u. Leipzig 1848. 2) Durchschnittswerte eingesetzt. 34* 518 i K. Bürker: Das Gesetz der Verteilung ° Hüfnerschen Spektrophotometer, das mit krystallisiertem Hämoglobin auf absolute Werte geeicht war, bestimmt wurde. Die Resultate der Arbeiten von Kuhl und Fritsch sind in diesem Archiv schon veröffent- licht *), die Arbeit von Welsch harrt noch der Veröffentlichung. Bisher wurden folgende Säugetiere in den Kreis der Untersuchung ge- zogen: Hunde, Schweine, Kaninchen, Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen und zwar jeweils 10 meist ausgewachsene Tiere verschiedener Rasse und Geschlechts. Die Resultate der Untersuchung sind unter Weglassung des hier Unwesentlichen in den folgenden Tabellen enthalten. Hunde. ! Erythrocyten- | Hämoglobin- si Tier zahl in lcmm| gehalt in einer Dani ne: Blut in 100 cem Blut in eyten in Nr. Millionen g 10-12 g 1 5,85 12,9 22 2 5,99 13,1 22 3 6,18 17,9 29 4 6,55 15,5 24 5 5,39 12,9 24 6 ode 19,3 25 Z 7,74 18,3 24 8 6,61 15,9 24 9 6,50 14,9 23 10 | 7,37 17,4 24 Von Bedeutung ist, daß, obwohl die Erythrocytenzahl (E-Zahl) und der Hämoglobingehalt (Hb-Gehalt) von Tier zu Tier beträchtlich schwanken kann (Hb-Gehalt z.B. von 12,9 bis 19,3 g), doch der mittlere Hb-Gehalt eines Erythrocyten (Hb„-Gehalt) bei all diesen Tieren einen recht kon- stanten Wert aufweist, wenn ich von dem einzigen aus der Reihe fallenden Wert bei Hund 3 absehe. Es ist damit zu rechnen, daß der Hb„-Wert beim Hunde und den anderen Säugetieren bei der Schwierigkeit einwandsfreier Gewinnung von Tierblut zur Erythrocytenzählung und Hämoglobinbestimmung um einige Einheiten schwankt, denn die Zählung und Bestimmung ist unter diesen Umständen nur auf einige Prozent genau. Die mittlere E-Zahl beträgt bei den Hunden 6,59 Mill., der mittlere Hb-Gehalt 15,8 g und der mittlere Hb„-Gehalt 24. 10" 9. 4) P. Kuhl, Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. Untersuchung des Pferde-, Rinder- und Hundeblutes. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%6, 263. 1919. — @. Fritsch, II. Untersuchung des Kaninchen-, Hühner- und Taubenblutes. Ebenda 181, 78. 1920. des Hämoglobins auf die Oberfläche der Erythrocyten. 519 Schweine. f || Erythrocyten- | Hämoglobin- en Tier | zahl in Icmm | gehalt in | nes Erythro- | Blut in 100 cem Blut in eytenlin Nr. Millionen g 10-12 g 1 6,88 16,1 23 2 6,93 15,4 22 3 | 7,03 14,7 21 4 | 8,65 19,1 22 5 6,92 12,3 19 6 7,95 17,8 22 Z 7,0 15,5 ‚20 8 | 6,76 15,7 23 9 8,03 17,4 2 \ 10 7,46 16,5 21 Auch bei diesen Tieren sind die Verhältnisse ganz ähnlich wie bei den Hunden. Im Mittel ergibt sich bei den Schweinen eine E-Zahl von 7,44 Mill., ein Hb-Gehalt von 16,09 und ein Hb,„-Gehalt von 22. 10°"? g. Kaninchen. . Erythrocyten- | Hämoglobin- = Den E Tier zahl in lcmm gehalt in Ancs Heim 42 Blut in 100 cem Blut in eyten in Nr. Millionen g 10-12 g 1 6,06 12,3 20 2. 6,25 12,2 20 3 5,96 13,1 22: 4 6,15 118,2 al 5 5,26 9,8 19 6 5,60 10,8 19 Z 5,75 11,9 al 8 5,84 13,2 23 ) 6,13 11,6 19 10 5,59 10,5 19 Bei den Kaninchen schwanken die Werte von Tier zu Tier viel weniger als bei Hunden und Schweinen. Es ist allerdings zu beachten, daß die untersuchten Tiere von fast gleichem Alter waren. Auch hier besteht eine auffallende Konstanz im Hb-Gehalt eines Erythrocyten. Mittelwerte für Kaninchen: E-Zahl 5,86 Mill., Hb-Gehalt 11,99, Hb„-Gehalt 20 - 10"? g. 520 K. Bürker: Das Gesetz der Verteilung Rinder. h | Erythrocyten- | Hämoglobin- N r en Tier | zahl in 1 cmm gehalt in I rer Blut in 100 ccm Blut in cyten in Nr. Millionen g 10-12 o 1 5,30 10,4 20 2 4,99 10,5 21 3 6,20 10,5 17 4 5,92 10,6 18 5 6,03 10,4 17 6 4,85 9,8 20 7 5,94 11,7 20 8 5,44 11,9 22 9 5,70 10,3 18 10 6,80 11,8 17 Auch diese Tiere weisen ein recht konstant zusammengesetztes Blut auf, das ergibt sich besonders aus dem genauer zu bestimmenden Hb- Gehalt. Die mittlere E-Zahl beträgt bei den Rindern 5,72 Mill., der mittlere Hb-Gehalt 10,8 g, der mittlere Hb„-Gehalt 19 10"? g. Pferde. Erythroeyten- | Hämoglobin- Denn Tier zahl in 1 cmm gehalt in Ka as Eryihr S Blut 100 cem Blut in aryem m Nr. Millionen g 10-12 g 1 7,26 13,5 19 2 733 13,2 18 3 6,50 13,3 20 4 7,39 11,7 16 5 6,28 11,4 18 6 7,43 13,1 18 7 7,19 12,3 17 8 6,34 11,2 18 9 8,55 13,2 15 10 6,77 11,4 17 Die Blutwerte sind auch bei den Pferden relativ konstant, die Ten- denz, den Erythrocyten eine bestimmte Hb-Menge zuzumessen, besteht auch hier. Mittelwerte für die Pferde sind: 6,94 Mill. Erythrocyten, 12,49 Hb- Gehalt und 18: 10°” g Hb„-Gehalt. des Hämoelobins auf die Oberfläche der Erythrocyten. 521 Schafe. ' Erythrocyten- | Hämoglobin- NE Tier zahl in 1 cmm gehalt in Er ae fin 2 Blut in 100 ccm Blut in en Nr. Millionen g weit g 1 11,24 11,5 10 2 11,48 11,3 10 3 11,64 13,4 12 4 10,94 12,3 11 5 12,74 14,4 11 6 9,95 10,6 11 27 8,66 9,5 11 8 9,73 11,9 12 9 10,92 13,0 12 10 9,71 11,9 12 Die Schwankungsbreite der Blutwerte ist auch hier eine relativ ge- ringe, besonders konstant ist der mittlere Hb„-Gehalt. Mittelwerte für die Schafe: 10,70 Mill. Erythrocyten, 12,0 9 Hb-Gehalt, 11:10” g Hb„-Gehalt. Ziegen. \ Erythrocyten- | Hämaglobin- a Tier zahl in 1cmm gehalt in Ms Erythro- Blut in 100 ceem Blut in ceyten in Nr. Millionen % re 1 13,24 10,5 8 9 14,25 12,1 8 3 13,48 9,4 x 4 15,76 10,7 ! 5 15,70 12,4 . 6 14,13 11,5 3 7 14,09 10,9 © 8 14,01 11,6 ° 9 12,03 9,2 2 10 12,70 10,5 S Noch übereinstimmender als bei den Schafen sind die Blutwerte bei den Ziegen, auffallend konstant ist der mittlere Hb,-Gehalt. Die mittlere E-Zahl beträgt bei den Ziegen 13,94 Mill., der mittlere Hb-Gehalt 10,9 g und mittlere Hb„-Gehalt 8: 10"? g. Zusammenfassend ergibt sich ein auffallendes Parallelgehen der Ery- throcytenzahlen mit den Hämoglobingehalten bei jeder Tierart, woraus die Konstanz des mittleren Hämoglobingehaltes eines Erythrocyten re- sultiert. Die folgende Tabelle enthält zur Übersicht die Mittelwerte für die einzelnen Säugetierarten. 522 K. Bürker: Das Gesetz der Verteilung Erythrocyten- Hämoslobin- nn Tierart Zu „ann sehalt in . eines Erythro- Blut in 100 cem Blut in eyten in Millionen g 10-12 g Flundy. 20... 6,59 15,8 24 Schwein . . 7,44 16,0 22 Kaninchen . 5,86 11,9 20 Tg no es DT. 10,8 19 Pferd 6,94 12,4 18 Schal © nn. 10,70 12,0 11 Ziege 13,94 10,9 8 Beim Menschen beträgt nach meinen Erfahrungen die E-Zahl 5,00 Mill., der Hb-Gehalt 15,0g und der Hb,-Gehalt 30 - 10°"? g. Es handelt sich nunmehr darum, den mittleren Hb-Gehalt eines Erythrocyten für jede Tierart in Beziehung zur Einheit der Oberfläche des Erythrocyten zu bringen. Wenn das Blut in dünner Schichte auf einem Objektträger oder Deck- gläschen ausgebreitet wird und die Erythrocyten zum Antrocknen kommen, so kann die dritte Dimension, die Dicke, praktisch vernach- lässigt werden. Die Oberfläche ergibt sich dann aus der doppelten Kreis- fläche. Es ist dann also nur nötig, den Durchmesser d im Ausstrichprä- parat zu messen, woraus sich die Oberfläche zu berechnet. Für die untersuchten Tierarten liegen schon solche eingehende Messungen des Durchmessers vor, ich lege den Berechnungen die Werte von M. Bethe und (©. Schmidt zugrunde, die schon in die Tabelle auf Seite 517 eingetragen sind. Die Resultate der Berechnung sind in der fol- genden Tabelle enthalten. Mittlerer Hb- Gehalt eines Mittlerer Durch- messer eines Mittlere Ober- fläche eines Mittlerer Hb- Gehalt pro u? Ilona Erythroeytenin Erythrocyten in Erythrocytenin | Oberfläche in 10-12 5 u u? 10-14 g Hundyaanı a: 24 7,26 82,7 29 Schwein . . . 22 6,60 68,4 32 Kaninchen . . 20 6,60 68,4 29 Rind 19 5,94 55,4 34 Interedi n 18 5,94 55,4 33 Schafe 11 4,62 33,6 33 Ziege 3 4,00 25,1 32 Mittel 31,7: Beim Menschen ergibt sich nach meinen Erfahrungen bei einem mittleren Hb„-Gehalt von 30 - 10°1? g und bei einem Durchmesser der des Hämoglobins auf die Oberfläche der Erythrocyten. 523 Erythrocyten von 7,92 u eine Oberfläche von 98,4 «2 und eine Hb-Menge pro u Oberfläche von 31 10!" g, ein Wert, der mit dem der Säugetiere fast vollkommen übereinstimmt. Aus alledem geht hervor, daß das Hämoglobin beim Menschen und den untersuchten Säugetieren in einer streng gesetzmäßigen Weise auf die Ober- fläche der Erythrocyten verteilt ist, der Quotient Hämoglobingehalt eines Erythrocyten (Hb,) : Oberfläche eines Erythrocyten (O,) ist konstant, also H a — Fond, = 39: VER. Or Es sei dieses Gesetz Hämoglobin-Verteilungsgesetz genannt. Da die Erythrocyten des Menschen und der Ziege, was die Zahl und die Größenverhältnisse betrifft, Extreme darstellen, für diese Erythro- cyten das Gesetz aber ebenso gilt wie für alle andern bisher untersuchten Säugetiere, so darf man erwarten, daß hier ein für den Menschen und die Säugetiere gültiges biologisches Gesetz vorliegt. Es wird freilich noch einer Reihe von Versuchen bedürfen, um die Allgemeingültigkeit zu erweisen. Wenn nun in der Tat das Hämoglobin-Verteilungsgesetz für Mensch und Säugetiere allgemein anwendbar ist, dann muß sich aus dem bekann- ten Hb-Gehalt und dem Durchmesser der menschlichen Erythrocyten der Hb-Gehalt von Säugetiererythrocyten berechnen und für eine noch nicht untersuchte Säugetierart voraussagen lassen, wenn man nur den Durchmesser der Erythrocyten dieser Art kennt, denn es müssen sich die Hb-Gehalte wie die Quadrate der Durchmesser verhalten, also Hb,;n d2 d.; sein, worin die Indices s und m den Hb-Gehalt bzw. den Durchmesser von Menschen- und Säugetiererythrocyten bedeuten sollen. Die Werte für Hb;„ und d„ sind 30-10"? g und 7,92 u. Wendet man diese Berechnung auf das Blut der bisher untersuchten Säugetiere an, so ergibt sich eine recht gute Übereinstimmung der berechneten mit den wirklich gefundenen Werten, wie aus folgender Tabelle hervorgeht: Eilg, = | Durchmesser | Hämoglobingehalt eines Tierart | en | re, in 10-12 g | m | berechnet | gefunden > == = Zn = - = = = =—— Eumdl. ... . | 7,26 25 | 24 Schwein... . | 6,60 Du | 22 Kaninchen. . . | 6,60 | 21 20 in N | 5,9 EN RT rerdn es ee. | 5,94 17 | 18 Schar sn | 4,62 | 10 11 Mecet ...... | 4,00 | 8 8 524 K. Bürker: Das Gesetz der Verteilung des Hämoelobins usw. ‚Eine bessere Übereinstimmung wird man in Anbetracht der Verhält- nisse kaum erwarten dürfen. Für die Ratte — es ist das kleinste der bisher untersuchten Säugetiere, das größte ist das Pferd — habe ich 18-101? g vorausgesagt, die Untersuchung, welche eben in meinem Institut im Gange ist, hat als Mittel für zehn Tiere in der Tat 18 - 10" g ergeben. Es liegt nahe, nach weiteren Gesetzmäßigkeiten zu fahnden und die gefundenen Werte in Beziehung zum spezifischen Sauerstoffbedürfnis des Organismus und seiner einzelnen Organe, zur respiratorischen Ober- fläche der Lungen, zur sauerstoffübertragenden Oberfläche des Schlag- volumens und des Gesamtblutes und zu der gesamten Körperoberfläche zu bringen. Es müssen sich hier Zusammenhänge mit dem Rubnerschen Oberflächengesetze des Stoff- und Energiewechsels ergeben. Kurze Mitteilung. Das Kleinhirn als Regulationszentrum des sympathischen Muskeltonus. Vorläufige Mitteilung. Von Prof. Dr. K. Kurc, Privatdoz. Dr. T. Shinosaki, Dr. M. Kishimoto, Dr. U. Fujita und Dr. M. Sato. (Aus der I. med. Klinik der Kaiserlichen Universität zu Fukuoka.) (Eingegangen am 13. Juni 1922.) Wir experimentierten an 5l Hunden und bekamen folgendes Re- sultat: 1. Wir sahen nach der einseitigen Exstirpation des Kleinhirns die Rigiditätsabnahme der homolateralen Muskeln und deutliche Herab- setzung, ja manchmal vollständiges Verschwinden des homolateralen Patellarreflexes; nur selten bemerkten wir die Steigerung des homo- lateralen Patellarreflexes mit gleichzeitiger Hypotonie. Die Herab- setzung der Rigidität und des Patellarreflexes wird nach einigen Tagen undeutlich, was durch das kompensatorische Steigen des motorischen Tonus zu erklären ist, weil die Rigidität und der Patellarreflex der operierten Seite nach der Adrenalininjektion stärker wurden als an der gesunden Seite. Nach einem Monate wurde die Herabsetzung der Rigidität und des Patellarreflexes noch undeutlicher, was durch das Auftreten des sekundären Zentrums im Rückenmark zu erklären ist, weil die Rigidität und der Patellarreflex der operierten Seite zwar durch Adrenalininjektion deutlich gesteigert werden, jedoch schwächer als an der gesunden Seite. 2. Die erwähnte Herabsetzung der Rigidität und des Patellarreflexes verschwand nach der Injektion von Adrenalin, das der allgemeinen Regel nach die Endigung der sympathischen Faser zu erregen pflest. 3. Der Kreatingehalt der Muskeln der homolateralen Seite ist auf- fallend vermindert, was der Herabsetzung des sympathischen Tonus entspricht!). 4. Bei der Kleinhirnreizung (Declive des Wurmes) bekamen wir im- mer eine langsame Kontraktion der homolateralen Muskeln, besonders 1) Kure, Maeda und Toyama. Zeitschr, f. d. ges. exper. Med. Bd. XXVI, H. 3/6. 526 K. Kure—M. Sato: Das Kleinhirn als Regulationszentrum usw. der Nacken-, Rücken- und Oberarmmuskeln, die mit relativ langer Latenzzeit beginnt und das Sistieren des Reizes länger überdauert. Besonders charakteristisch ist es, daß diese Kontraktion bei bioelek- trischer Untersuchung mittels des Saitengalvanometers keinen dis- kontinuierlichen Aktionsstrom begleitet. Die eigentümliche tonische Kontraktion wurde an Nacken- und Oberarmmuskeln vermißt, wenn man den Halssympathicus mitsamt dem Ganglion stellatum exstirpiert. Gelegentlich sei bemerkt, daß der sympathische Tonus keinen diskonti- nuierlichen Aktionsstrom begleitet, was von Fujita an der Zwerchfell- innervation bestätigt wurde. Aus den erwähnten Tatsachen schließen wir, daß das Kleinhirn als Regulationszentrum des sympathischen Tonus zu betrachten ist. Nach unserer Annahme empfängt das Kleinhirn die proprioceptiven Reize durch die Gowersche Bahn und Flechsigsche Kleinhirnseitenstrang- bahn hindurch und verschiedene zentripetale Einflüsse von Hirnnerven durch den Tractus cerebellonuclearis, und außerdem die Nachricht über die Kopfstellung im Raume durch das Labyrinth, evtl. durch die Region des dritten Ventrikels; durch diese Impulse orientiert, gibt es jedem Muskel den sympathischen Tonus. Die Regulation im Kleinhirn wird mittels der betreffenden Bahn nach dem Großhirn gemeldet, der Befehl des Großhirns wird umgekehrt durch die entsprechende Bahn hindurch nach dem Kleinhirn geleitet, so daß die willkürliche Bewegung durch das Kleinhirn hindurch indirekt von dem sympathi- schen Tonus unterstützt wird. | “meter durch eine einphasische Über die Zerlegung der Aktionsstromkurve der quergestreiiten Muskeln in eine Reihe erlöschender Schwingungen und über eine eigne Periode des Aktionsstroms beim Tetanus. Von A. Judin. (Aus dem Physiologischen Institut der 1. Universität Moskau.) Mit 18 Textabbildungen. | (Eingegangen am 25. März 1922.) Die Natur der chemischen Prozesse, die in den quergestreiften Mus- keln verlaufen, ist im allgemeinen dem Physiologen bislang ein Rätsel. Eine Reihe von mir angestellter Versuche leitet zudem Gedanken, daß die erwähnten Prozesse einen periodischen Charakter besitzen, insoweit man auf Grund der Erforschung der elektromotorischen Eign- ae ae nm schaften der Muskeln sich ein BERN Urteil darüber bilden kann. Es ist bekannt, daß eine jede einzelne Muskelkontrak- tion von einem Aktionsstrom begleitet wird, der je nach der Art der Verbindung des Muskels mit dem Galvano- oder eine zweiphasische Kurve ausgedrückt wird. Es erweist sich aber, daß diese Vorstel- lung einer bedeutenden Kor- : ii sr rektur bedarf. Unter Beob- Abb. 1. achtung der verschiedensten Erklärung der Abbildungen 1—18: Az tiousstron: B M=Myogsramm. R=Reizmoment. S=Stimmgabel Vorsichtsmaßregeln und von = 100 VD. dem Wunsche getrieben, ein so vorzügliches Instrument, wie es das Einthovensche Saitengalvano- meter ist, möglichst auszunutzen, entdeckte ich, daß dieses Galvano- meter die einphasische Kurve des Aktionsstroms in eine Reihe er- löschender Schwingungen zerlegt (Abb. 1). Es ist bekannt, daß zu einer genauen Registrierung periodischer Prozesse das registrierende System notwendigerweise eine eigene, um viele Male kürzere Periode, Pflügers Archiv f. d. ges. Physio]. Bd. 195. 35 528 A. Judin: Über die Zerlegung der Aktionsstromkurve der quergestreiften als die zu registrierende Erscheinung, besitzen muß. Da aber das Eint- hovensche Galvanometer bei sehr großer Spannung des Fadens, d.h. bei sehr kurzer eigener Periode, wenig empfindlich wird, so muß man sich begnügen, das Saitengalvanometer aperiodisch zu machen. Mit einem solchen aperiodischen System wurden alle meine Versuche auch aus- geführt. Man war von vornherein genötigt, auf eine gewisse Ungenauigkeit der Registration der zu registrierenden Erscheinung gefaßt zu sein. Der Grad der Dämpfung des Galvanometers unter der Bedingung der voll- ständigen Aperiodizität dessel- ben kann ein verschiedener sein, was den allgemeinen Charakter der Registration der gegebenen Erscheinung nicht beeinflußt. Der Einfluß des Grades der Dämpfung erhellt aus einem Vergleich der Kurven Abb. 1 und 2. Beide Kurven wurden nacheinander von einem und demselben Präparat bei gleicher Empfindlichkeit des Galvano- meters (10°° Amp. bewirkt einen Ausschlag von 30 mm) aber verschiedenen Graden der Dämpfung registriert. Dieser Versuch ist in der Beziehung lehrreich, daß er auf die Unmög- lichkeit hinweist, über die Größe der elektromotorischen Kraft des Muskels auf Grund der Amplitude der Oscillation des Galvanometers zu urteilen. Die- sen Satz bestärkt noch mehr Abb. 4. die Kurve Abb. 3, die von dem- selben Muskel wie die Kurve Abb. 1, aber bei einer viermal geringeren Empfindlichkeit des Galvano- meters registriert wurde. Die Amplitude wurde nicht um 4 mal geringer. Bemerken wir, daß hier das Bild erlöschender Schwingungen verschwun- den ist und die Kurve das gewöhnliche Aussehen einer einphasischen Kurve angenommen hat. Betrachten wir die Kurven Abb. 1 und 2 Muskeln in eine Reihe erlöschender Schwingungen usw. 529 sowie eine Reihe unterstehender, so können wir deutlich vier Gipfel — vier Oscillationen unterscheiden. Die fünfte Oscillation ist kaum wahr- nehmbar. Die angestellten Messungen geben die Dauer einer Oscillation von 0,006—0,007 Sekunden. Es muß hervorgehoben werden, daß die erste Oscillation, die die maxi- male Amplitude hat, imVergleich mit den übrigen eine größere Schwingungsdauer hat. Lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf den Umstand, daß der ganze elektrische Prozeß der einfachen Muskelzuckung wenigstens bis zu dem Moment der Muskel- zuckung dauert, wo der aufstei- gende Schenkel des Myogramms (die Kontraktionszeit) durch den Umbiegungspunkt geht. Dies erhellt deutlich genug aus den meisten, um nicht zu sagen aus allenerhaltenen Aufzeichnungen, Betrachten wir nun die Resultate der Summation zweier sukzessiver maximaler Reize, die auf ein Nervenmuskelpräparat einwirken. Die Reizintervalle waren 0,0009 Sekunden, 0,0018 Sekunden usw., jedesmal sich um 0,0009 Sekunden vergrö- Bernd. Die ersten Kurven, den Einzelreiz mit eingerechnet, wa- ren ganz identisch mit den Kur- ven Abb. 4 (Einzelreiz) und Abb. 5 (Reizintervalle 0,0027 Se- kunden) in bezug sowohl auf die elektrische als auf die mecha- nische Kurve. Beim Reizinter- vall von 0,0036 Sekunden (Ab- bildung 6) erfolgte eine Ver- änderung in dem Grade der Verkürzung des Muskels und zugleich trat eine neue Oscilla- tion der elektrischen Kurve zutage (der zweite Aktions- strom). Es kann daraus auf die Existenz einer Periode von Unerregbar- keit des Muskels (irresponsive Periode nach Keith Lucas) nach dem erhal- tenen Reiz, einer Periode, die zwischen 0,0027 Sekunden und 0,0036 Se- kunden liegt, geschlossen werden. Von der Betrachtung ausgehend, daß die 35* Abb. 6. 530 A. Judin: Über die Zerlegung der Aktionsstromkurve der quergestreiften Periode einer Oscillation 0,006—0,007 Sekunden dauert, darf man mit. ziemlich großer Wahrscheinlichkeitsagen, daß die Periode der Unerregbar- keit so lange währt als nötig ist, damit die erste Oscillation ihr Maximum erreiche. Esist dies vom Standpunkt desim Muskel sich abspielenden che- le ec A ee ee rim er! a > a as EEE BET DELETE TELEELZELNITELN u er ER ER ERDE RETTET ee mischen Prozesses ganz begreiflich. Nach dem ersten maximalen Reiz ver- läuft der Prozeß in einer bestimmten Richtung mit maximaler Stärke und kann dieses Maximum nicht gesteigert werden. Anders verhält sich die Sache, wenn der chemische Prozeßin entgegengesetzter Richtung verläuft: der neue Reiz veranlaßt den chemischen Prozeß zurfrüheren Richtung zu- rückzukehren. Aber das Bestreben des Muskels, den Charakter seines perio- Muskeln in eine Reihe erlöschender Schwingungen usw. 531 dischen Prozesses (eine Periode von 0,006 — 0,007 Sekunden) zu bewahren, = bedingt, daß der zweite Aktionsstrom sich verspätet. Diese Verspätung : hört in dem Moment auf, wo das Intervall zwischen zwei Reizungen der » eigenen Periode des Muskels gleichkommt. Man ersieht dies aus den Kurven Abb. 7 und 8, wo die Reizintervalle 0,0072—0,0081 Sekunden ausmachten. Die nächstfolgenden Kurven (Abb. 9 und 10) vervoll- ständigen die Vorstellung von der Summierung der Reize. Aus Abb. 9 TE A a Abb. 14. "ist besonders deutlich zu ersehen, wie der in der anfänglichen (geraden) Richtung mit geringer Stärke verlaufende Prozeß durch eine neue Reizung verstärkt wird. _ DieVergrößerung sowohl des mechanischen als des elektrischen Effekts im Muskel gehen einander parallel mit der Verstärkung der Reizung, j von der Reizschwelle an beginnend (Abb. 11), mit dem mittleren Reiz } fortfahrend (Abb. 12) und mit dem maximalen endigend (Abb. 13]. ie Weitere Versuche hatten zum Gegenstand, die Bildung der Aktions- ) A ströme beim Tetanus aufzuhellen. Die Kurve Abb. 14 gibt das Anfangs- 532 A. Judin: Über die Zerlegung der Aktionsstromkurve der quergestreiften stadium des Tetanus bei Intervallen von 0,04 Sekunden bei Öffnungs- schlägen. Die Schließungsschläge entsprechen ihrer Stärke nach der Reizschwelle, was an der elektrischen Kurve im Punkt A deutlich zu sehen ist. Aus der mechanischen Kurve kann man schließen, daß bei nz u ne _— u De ] . BB Bm; = Pr GR | h ; u RS u mu ı Bersmen erg ine 23 u 00 : Ft u zus 1 TS 30 000 28 TE US 8 BEE TREE 2 GER 1 GENE LEN NEE ae RR - BEE ER SE RT u BEE 1 ER LE EEE w | . ENTER an En a a an. Pr e u Zu zu mm zaeza. Im a TE En ee smart re ee. % Br, ER . RE remeennanenuenneen i nn] je ne ee uu——————... narragga Be mn anne en ne ge ern ee en SEERUNE EEE IE UFER Rx SI) e ee 3 EI Wr. RR ’ RES Se Abb. 16. der gegebenen Frequenz der Reizung ein unvollständiger Tetanus erhal- ten wird. Zugleich ist an der elektrischen Kurve klar zu sehen, daß einer jeden Reizung vier gut sichtbare Osecillationen und eine fünfte schwach ausgedrückte entsprechen. In den 0,04 Sekunden dauernden Intervallen zwischen zwei Reizungen können sechs Oscillationen stattfinden, und ist es offenbar, daß zur Erreichung eines vollständigen Tetanus diese Intervalle um so viel verkürzt werden müssen, daß fünf oder sogar nur Muskeln in eine Reihe erlöschender Schwingungen usw. 533 vier Oscillationen hineinkommen. Mit andern Worten, damit ein voll- ständiger Tetanus erhalten werde, ist es notwendig, daß jede folgende Reizung noch vor Beendigung des im Muskel durch die vorhergehende Reizung hervorgerufenen elektrischen Prozesses erfolge. Bei frequenteren Reizungen, z. B. 90, 120, 160 und 180 in einer Sekunde fährt der Muskel fort eine jede neue Reizung zu beantworten, d.h. die Zahl der Oscillationen ist gleich der Zahl der Reizungen. Bei weiterer erhöhter Frequenz der Reizungen wird ein ganz anderes Bild erhalten. Bei einer Anzahl von Reizungen gleich 350, 450, 600 und 2500 in 1 Sekunde (Abb. 15 = 600 Reizungen, Abb. 16 = 2500 Rei- zungen in 1 Sekunde) ant- wortete der Muskel mit 155, 170, 150 und 157 Os- eillationen in 1 Sekunde, d. h. fast mit der glei- chen Anzahl Oscillationen. Nimmt man im Durch- schnitt 160 Oscillationen in 1 Sekunde an, so erhält man als Zeitdauer einer Öscillation 0,00625 Sekun- den. Es ist derselbe Wert, der bei einer einfachen Muskelzuckung erhalten wurde. Daraus kann der bestimmte Schluß gezogen werden: frequente Reizungen beantwortet der Muskel mit einer Anzahl von Öscillationen, welche der Periode ihres eigenen Prozesses entspricht. Ich führe noch eine demonstrative Kurve (Abb. 17) an, die einen Tetanus vorstellt, mit welchem der Muskel infolge seiner erhöhten Reiz- barkeit auf einen Einzelreiz antwortete. Hier sehen wir dieselben 160 Os- eillationen in 1 Sekunde. Alle beschriebenen Versuche wurdenam M. gastrocnemius des Frosches bei indirekter Reizung ausgeführt. An den Muskeln des Menschen beob- achtet man dieselben Erscheinungen, wie dies aus der vonden Muskeln eines menschlichen Vorderarms erhaltenen Kurve ersichtlich ist (Abb. 18). Im Interesse derjenigen, die diese Versuche wiederholen möchten, muß ich hier bemerken, daß es notwendig ist, erstens, den Widerstand der unpolarisierbaren Elektroden möglichst zu verkleinern (meine Elektroden stellten mitsamt dem Muskel einen Gesamtwiderstand von 10 000 bis 12 000 Ohm vor) und zweitens, einen Faden von nicht zu gro- ßem Widerstand zu benutzen. (Ich bediente mich eines versilberten Quarzfadens mit einem Widerstand ca. 500 Ohm.) Abb. 18. Einfluß der verschiedenartigen Haltungsweise (Stallund Weide) auf das Blutbild unseres Hausschweines, untersucht speziell am deutschen Edelschwein und veredelten Landschwein. Von cand. med. et agr. E. Nippert. (Aus den Landwirtschaftlichen Instituten zu Breslau.) (Eingegangen am 10. April 1922.) „Über die Zahl der roten Blutkörperchen in einem gegebenen Blutvolumen hat zuerst Vierordt!) Untersuchungen angestellt, mit denen die späteren von Welker und nach einer vereinfachten Methode von Malassez, Hayem u. a. ausge- führten Bestimmungen genügend übereinstimmen.“ In der ersten Periode solcher Forschungen kam man dazu, charakteristische Normalzahlen für die einzelnen Spezies aufzustellen. Es zeigte sich nämlich sehr bald, daß die Erythrocytenzahlen sehr verschieden waren. Es seien nur die Ergebnisse, die man beim Schwein erzielte, hier angegeben, da sie für das Verständnis der Entwicklung der Blutforschung recht brauchbar sind und von dieser Tierspezies nachher noch im Besonderen die Rede sein soll. Stöltzing ?) stellte den Gehalt des cmm Blutes beim Schwein auf 5,440,000 Zellen fest. Er fand nie mehr als 6, nie weniger als 4 Millionen. Bethe ?) zählte 6,960,000 Ery- throcyten, also schon mehr. Storch) fand folgende Zahlen: a) männliche Tiere 8,430,000, b) weibliche 7,661,000, c) Ferkel 4,923,000. Dieser letztere Autor will die sich ergebenden Differenzen auf Alter und Geschlecht zurückführen; doch erhält er im Mittel noch höhere Zahlen als seine Vorgänger. So unbestimmt sieht das Bild aus. Wenn man nun glauben möchte, daß dies nur bei dieser Tierspezies der Fall ist, weil hier relativ wenig Unter- suchungen angestellt worden sind, so ist es ein Irrtum; denn je mehr man sich auf diesem Gebiete bemühte, desto unklarer wurden die Vorstellungen. Als man später auch den Hämoglobingehalt bestimmte und feststellte, daß dieser sich parallel der Zahl der roten Blutkörperchen bewegte, glaubte man daraus schließen zu dürfen, daß nur einer von beiden Faktoren bei diesen Forschungen untersucht zu werden brauchte. So ist es gekommen, daß die Blutforschung nicht nur falsche Schlüsse aus den Untersuchungen zog, da man von falschen Vorsus- setzungen ausging, sondern daß man für den unerquicklichen Wirrwarr der Er- gebnisse die Unzuverlässigkeit der Apparate haftbar machte. Bürker?) zeigte meines Wissens zum erstenmal die Bedeutung des Hämoglobingehaltes eines roten Blutkörperchens, da er feststellte, daß dieser Wert „keine wesentliche Änderung erfuhr‘. Man gab diese neu eingeführte Größe mit 10° gan, wenn man auch nicht viel damit anzu- fangen wußte. Aber um auszudrücken, von welcher Bedeutung der Hämoglobingehalt eines Erythrocyten ist, werde ich ihn in meiner Ar- beit ‚„‚Blutwert‘““ nennen. Der Blutwert stellt also den Quotienten. aus dem Hämoglobingehalt und der Erythrocytenzahl vor. Nur er gestattet es, die Beziehungen der Blutwertkomponenten zueinander richtig zu betrachten. Erythrocytenzahl und Hämoglobingehalt gehören bei der E. Nippert: Einfluß d. verschiedenartigen Haltungsweise (Stallu. Weide) usw. 535 Auswertung der Ergebnisse von Messungen ebenso eng zusammen, wie es physiologisch schon durch die Funktion bedingt ist. Rein theoretisch darf man, da der Blutwert den Quotienten aus dem Hämoglobingehalt und der Zahl der Erythrocyten vorstellt, zwei Er- scheinungsformen irgendwelcher Einflüsse erwarten. Entweder ändert sich der Blutwert, der dem ausgerechneten Bruchwert entspricht, oder er ändert sich nicht. Dies zu entscheiden scheint sehr einfach, wenn überhaupt nötig. Daß es mitunter sehr schwer ist, sieht man, wenn man die Geschichte des Teiles der Blutforschung, der sich mit der Bestimmung des Hämoglobingehaltes und der Erythrocytenzahl befaßt, studiert; denn an diesem Problem ist man meistens gescheitert. Es ist nun ersichtlich, daß, wenn der Blutwert sich nicht ändert, das unter Umständen darauf beruhen kann, daß die Erythrocytenzahl und der Hämoglobingehalt parallel steigen oder fallen, und wenn er sich ändert, so liegt es zwar rechnerisch angesehen nahe zu sagen, daß Zähler oder Nenner sich änderten, aber physiologische Vorgänge gehen sehr selten, vielleicht nie so offenkundig vor sich, daß wir sagen können, die Änderung ist durch Steigen oder Fallen des Hämoglobingehaltes oder der Erythrocytenzahl allein veranlaßt, sondern meistens sind beide Komponenten beteiligt. Ich führte meine Untersuchungen in dem seit langen Jahren wärm- sten und bezüglich des Wetters sich gleich bleibenden Sommer 1921 schnell hintereinander aus. Daher darf man wohl erwarten, daß die Witterung keinerlei störenden Einfluß gehabt hat. Von sonstigen meteo- rologischen Einflüssen war die Wirkung des Unterschiedes der Höhen- lage an den Orten, die ich aufsuchte, durch Benutzung der Bürker schen®) Zählkammer ausgeschaltet. Außerdem hat man bei Verwendung der- selben den Vorteil, daß es möglich ist, Kontrollzählungen leicht vor- zunehmen. Die Zählkammer besitzt nämlich zwei Netzteilungen, die durch einen Schlitz getrennt sind. Den Hämoglobingehalt bestimmte ich nach Sahlı. Ich habe meinen Apparat mit zwei Hämometern im physiologischen Institut zu Breslau verglichen und gefunden, daß die Werte annähernd übereinstimmten. Nur insofern besteht vielleicht eine Unvollständigkeit, als wir bei Be- nutzung jeder kolorimetrischen Methode nicht wissen, ob und wieweit das Tier andere Farbennuancen zeigt als der Mensch. Aber es wird ja die Färbekraft jeweils chemisch gleicher Verbindungen, nämlich salz- sauren Hämatins verglichen. Da über die Größe der physiologischen Einflüsse, die in Frage kom- men konnten, zu wenig meßbare Anhaltspunkte vorhanden sind, blieb mir nichts anderes übrig, als auszuschalten, was stören konnte. Als hierher gehörige Faktoren sind zu nennen: Krankheit, Trächtigkeit, Geschlecht, Kastration, Mast und Rasse. Die gründliche Auswahl hatte 536 E. Nippert: Einfluß der verschiedenartigen Haltungsweise zur Folge, daß ich selbst in alten großen Herdbuchzuchten nur verhält- nismäßig wenig brauchbare Tiere fand. So mußte ich um so mehr Be- triebe aufsuchen. Jedoch war dadurch der Richtigkeit meiner Unter- suchung nur geholfen, weil so Zufälligkeit und besonderer Einfluß der einzelnen Haltung ausgeschlossen wurden. Im ganzen habe ich 120 Tiere untersucht. Da 30 aus Übergangswirtschaften, d.h. Haltungen, die weder als Weide- noch Stallbetriebe bezeichnet werden können, stammen, habe ich nur 90 zur Berechnung der Mittelwerte für Stallhaltung und Weidebetrieb herangezogen. Ich habe die ziemlich vielseitigen Angaben rein zahlenmäßig in einer Tabelle zu geben versucht, um so zu ermög- lichen, daß zunächst eine genügende Übersicht erzielt wird. Übersichtstabelle. rBl= Erythrocytenzahl in 1000000; Hgl=Hämoslobingehalt in g. Veredeltes weißes deutsches Landschwein. Stallhaltungen Weidebetriebe Blut- |Zeit der | Blut- |Zeit der nn a rBl Hei | wert in [Blutent- Es en rBl Hgl | wert in de me 5 10-12g| nahme 2) © 10-12g&| nahme -- \ ll s 9,00 | 13,76 15,3 9 32 6 10,0 | 12,9 12,9 8 2 7 9,50 , 14,79| 26,9 9 33 6 9,0 12,04 | 13,5 8 3 123 5,50 | 13,56 | 25 11 34 S 7,25 | 11,18| 15,4 11 4| 13 6,25 | 12,04 19,3 2 35 77 6,25 | 11,42| 18,3 11 5) 14 5,35 : 12,04 | 22,5 11 36 8 7,15 !' 10,32 | 13,3 1 6 13 6,75 | 13,24 19,6 2 37 8 6,50 | 12,04 | 18,5 1 7 18 6,75 ! 12,55, 18,6 4 38 7 7,25 , 11,18) 15,4 4 3 17, 8,75 | 13,96 15,8 4 39 7 4,00 | 10,32 | 25,8 4 9| 11 6,50 | 12,04, 18,5 8 40 12 6,75 | 14,62 | 21,% 8 10 1l 17,25 | 14,28 | 19,% s 41 12 6,00 | 13,76 22,9 8 11 11 7,25 | 14,10 | 19,5 10 42 14 5,50 | 11,52 | 20,9 10 12 20 7,75 | 13,59 | 19,5 10 43 14 6,75 | 12,38 | 18,3 10 13 20 6,00 | 13,46 22,9 11 44 6,00 | 12,90 | 21,5 12 14 | 20 6,00 | 11,18 | 18,6 12 45 3,75 | 10,32\ 27,5 12 15|| 30 5,75 | 11,18 19,4 8 46 5,00 | 13,24| 26,5 2 16|| 31 6,25 | 12,04 | 19,3 8 47 5,75 | 11,52 | 20,0 2 17 || 40 5,50 | 10,32 18,8 10 48| 48 6,25 | 14,45 | 23,1 2 18| 40 | 6,00 | 11,18| 18,6 | 10 H49| 72 | 6,00 | 12,56 20,9 6 19| 11 7,00 | 13,76 | 19,% 1 50 | 10 6,50 | 13,59 | 20,9 7 20| 30 7,25 | 13,76 18,9 1 51 8 7,00 | 13,93 | 19,9 2 all ll 7,25 | 12,04 | 16,6 3 52 9 5,30 | 12,90 | 24,3 2 22 7,00 | 13,976 | 19,% 3 53 9 5,75 | 12,90 | 22,4 7 >3| 6,75 | 12,04 1%,8 6 154 9 7,00 | 14,62 | 20,9 7 24| 28 6,75 | 12,04 | 1%,8 6 55 11 6,00 | 12,90 | 21,5 9 25| 28 6,75 | 12,04 | 1%,8 56 11 6,50 | 14,62 | 22,5 10 26 | 72 5,50 | 12,04 | 21,9 8 Du 12 6,50 | 14,62 | 22,5 8 Far | 20 5,25 | 11,18 | 21,3 8 58 12 6,00 | 14,28 | 23,8 9 28 17 | 6,25 | 11,18 | 14,9 10 591 24 4,25 | 10,66 | 25,0 3 29 | 22 6,25 | 12,04 | 19,3 10 60|| 27 | 5,00 | 12,04 | 24,1 3 30 | 18 6,50 | 12,04 18,5 12 61 235 | 5,30 | 12,9 24,3 3 31 | 18 | 5,50 | 11,18 | 20,4 12 62 30 5,75 | 12,9 22,4 3 (Stall und Weide) auf das Blutbild unseres Hausschweines usw. 537 Weißes deutsches Edelschwein. Stallhaltungen W eidebetriebe | Blut- |Zeit der Blut- |Zeit der Lfd. | Alterin rBl He] | wert in |Blutent- Lfd. Alter in rBl Hsı |wert in |Blutent- Nr. | M t 5 Monat g 2 -unal, 10-12g| nahme ; 10-12g| nahme 63| 12 | z00 | ı3,76| 19,7 | 2 I 95) 20 [6,50 | 1202| 18,5 64| 12 | 7,00 | 12,9 | 18,4 10 9594| 20 [6,00 | 11,18] 18,6 65 18 | 7,00 | 1336| 19% | 11 | 95| 16 [7,00 | 13,42| 19,2 66| 10 | 7,00 | 13,07 186 | 8 | 96, 14 16,50 | 13,04! 20,0 67| 10 | 7,50 | 1324| mr | 8 | o7| 14 |%00 | 14,10| 20,1 68 10 | 650 | 129 | 1999| 2 | os| 22 [6,25 | 12,9 | 20,6 691 8 | 8755| 141) 1661| 6 | cool 8 [5,25 | 12,04| 23,9 7270| 35 | 6,00 | 11,52| 9% 6 Iıoo\ 13 |625 | 9,46| 15,1 0 1 z1| 48 | 6,00 | 11,18| 18,6 101 | 13 |550 | 12,04) 21,9 72| 48 | 6,00 | 11,18| 18,6 102| 40 |5,50 | 12,38) 22,4 73| 10 | 6,00 | 11,18) 18,6 1 1103| 36 |575 | 11,87 | 20,6 74| 10 | 2,50 | 1336| 18,3 1 104 60 [6,00 | 11,0 | 183 75| 15 | 5,75 | 10,84| 18,9 | 10 |ıo5| 36 16,00 | 12,04! 20,0 7161 15 725 | 1204| 16,6 | 10 Jıos| 15 |6,50 | 14,62| 22,5 77| 28 | 650 | 16,34| 235,1 1 I107| 48 |5,50 11,35 | 20,1 78) 22 | 625 | 12,04| 19,3 | 10 Jıos| 35 5,75 | 12,04| 20,9 29| 9 | 9,50 | 12,9 | 13,6 8 Iıoo| 12 5,75 | 12,04| 20,9 s0| 10 | 6,75 | 129 | 19,1 Se Io | 2125,25 711652) 021.9 | 8 | 725 | 1461 202 10 AJıı1, 36 |4,50 | 10,32) 229 11 82 021022127:00 | 12,9 184 10.4712) 9 625 129% 20,7 8s3| 14 7,00 | 14,61| 20,9 6 1613, 00.989 165252 012, 9/71,002000 m 84| 14 | 7,25 | 14,10| 19,5 6 fJı1a| 60 15,00 | 12,04 241 | 12 85| 16 | 7,00 | 14,10 18,8 9 A115) 48 14,00 | 8,94| 22,4 2 Sb 162 76,75 | 14,51. 21,7 9 Iıı6| 14 16,50 | 13,24) 04 2 87| 16 | 7,00 | 14,51| 209 | 11 J117| 14 [6,00 | 12,04| 20,1 4 s8| 18 | 7,00 | 1376| 19,% 6 Iııs| 12 6,00 | 12,38| 20,6 4 6 | 8 0 6 0 - ie SODDBDBDBOSSO DS POT RW ee m OL 2 89| 15 7,25 | 14,10 19,5 9 16,50 | 13,76| 21,2 90 18 6,50 | 12,9 19,9 1 1290| 9 1550 | 11,52| 21,0 8 I © ) 91 8 6,50 | 11,35 | 19,5 6,75 | 12,9 gl 10 92| 16 7,50 | 13,76 | 18,3 1 6,75 | 13,76) 20,4 10 Bei der Schwierigkeit der Methode ist zunächst festzustellen, inwieweit Fehler gemacht sein können. Nach der Gaußschen Formel ergibt sich für den Stallbetrieb eine Fehlerbreite von 0,1455 - 10 "12 des Mittelwertes. Bei Weidehaltung muß man einen Fehler von 0,1674 - 10” 1? in Rechnung setzen. Nimmt man selbst den dreifachen Wert der möglichen Fehler an, so bleibt noch ein genügend starker Unterschied zwischen den Blutwerten beider Haltungsweisen übrig. Ergebnisse. Überfliegt man die Tabelle, so wird man bemerken, daß sich die Blutwerte der Tiere aus Stallhaltungen meistens unter 20 halten, während die Weidetiere Blutwerte über 20 aufweisen. Als Mittelwerte ergaben sich für Stallhaltungen 18,8 - 10 °12g, für Weidebetrieb 21,6. 10”12 9. Bevor ich die causae moventes dieser Erhöhung des Blutwertes bei [2 538 E. Nippert: Einfluß der verschiedenartigen Haltungsweise Weidegang gegenüber der Stallhaltung abhandle, will ich kurz klar- stellen, daß bei der Art der Beweisführung durch Vergleichen der Blut- werte das Alter des Tieres ohne Belang ist, da es keinen Einfluß auf den Blutwert ausübt. Das mag folgende Tabelle demonstrieren: Lid. | INTZ der rBl in 0, Hal Blut- Alterin ÄLfd. Nr. der | rBlin %H Blut- | Alterin Nr. | Sau 1000000 | Hel wert | Monat{nr.|| Sau [1000000 | % Hel | wert | Monat 1 iz 5,50 | 10,52 | 18,8 40 9135 9 6,50 | 12,04 | 18,5 11 2| 75 5,75 | 10,84 | 18,9 15 #14|| 37 6,50 | 12,04 | 18,5 8 3 18 6,00 | 11,18 | 18,6 40 4115| 93 6,50 | 12,04 | 18,5 20 4| 73 6,00 | 11,18 | 18,6 IK | a ee 9 51 94 6,00 | 11,18 | 18,6 20 J17| 14 6,75 |, 12,55, 18,6 18 6 | 104 6,00 | 11,00 | 18,3 60 H18| 43 6,75 12,38 | 18,3 14 7 6,00 | 11,18 | 18,6 48 1419| 64 7,00 | 12,9 | 18,4 12 8 85 | 6,25 11,42| 18,3 7 .120| 66 7,00 | 13,07 | 18,6 10 ) 4.2, 6.252 112/04 119,3 2713 211 2108 9529772002 013421 5192 25 10 || 16 | 6,25 | 12/04 | 19,3) 31 122) 207 | 7,257 013,76, 18,9 30 11|| 29 | 6,25 | 12,04 | 19,3 22 4123| 92 | 7,25 | 13,76 | 18,3 16 12 || 30 6,50 | 12,04 18,5 18 1 - Sämtliche aufgeführten Tiere weisen einen Blutwert auf, der sich dicht an den mittleren für Stallbetrieb hält. Trotzdem haben sie ein sehr verschiedenes Alter. Keineswegs steht dies mit den bisherigen An- sichten über den Einfluß des Alters im Widerspruch, denn man sieht, daß die Zahl der roten Blutkörperchen und der Hämoglobingehalt trotz gleichen Blutwertes stark variieren können. Es ist also möglich, daß mit zunehmendem Alter die Zahl der Erythrocyten fallen, der Blutwert aber derselbe bleiben kann. Mir scheint aber, als wenn dies nicht anders sein wird und darf. Der Blutwert.als physiologischer Faktor muß be- strebt sein, möglichst stabil zu sein, da er den Stoffwechsel des Organis- mus auf dem Wege der Osmose garantiert. Einflüsse, die derartig in den Organismus einzugreifen imstande sind, daß sie den Blutwert abändern, wirken sich ganz allmählich aus, können aber auch mit dem Fortbestehen des Lebens unvereinbar werden. Einen derartigen eingreifenden Einfluß übt der Wechsel der Haltungsweise bei unseren Haustieren aus. Durch die praktische Erfahrung ist dies schon bestätigt. Es ist bekannt, daß Tiere, die aus dem Stall auf Weide gesetzt werden, mitunter den neuen Lebensbedingungen nicht gewachsen sind und eingehen. Untersuchungen solcher Tiere müßten uns dem Verständnis der Regulation des Blut- apparates näher bringen. Ich habe derartige Tiere untersuchen können. In der Übersichts- tabelle sind 7 Sauen aufgeführt, die 11/, Monate vor der Blutentnahme vom Besitzer aus Stallhaltungen Westdeutschlands angekauft und auf Weide gesetzt worden waren. Es sind dies die Nummern 32—38. Da die Anpassungsfähigkeit an die neue Lebensweise individuell verschieden (Stall nnd Weide) auf das Blutbild unseres Hausschweines usw. 539 ist, so ist anzunehmen, daß das eine Tier sich schon mehr daran gewöhnt hat als das andere. So habe ich gewissermaßen zeitlich auseinander- liegende Zustände fixiert, die uns einen Einblick in den Werdegang des für die Weide bekannten Blutbildes geben sollen. Es ist ohne weiteres auffällig, daß diese Tiere sehr hohe Erythrocytenzahlen aufweisen. Der Blutwert ist sehr wechselnd, eher kleiner denn größer, als man erwarten sollte. Der Hämoglobingehalt ist relativ gering. Da bei Weide- ein höherer Blutwert gefunden wurde als bei Stalltieren, sollte man ein allmähliches Ansteigen desselben erwarten. Im Gegenteil sieht man, daß sich beide Blutwertkomponenten zu einem Befunde summieren, der dem Endeffekt diametral gegenübersteht. Sau Nr. 36 zeigt sogar das Minimum an Hämoglobin, Sau Nr. 32 das Maximum an Erythro- cyten, das ich überhaupt gefunden habe. Der zu erwartende Endzustand kann also nur erreicht werden, wenn sich das Verhältnis umkehrt. Daß dies wirklich der Fall ist, sehen wir an der Höhe der Komponentenwerte vergleichsweise aus Stall- und Weidehaltung. Wie aus der Übersichts- tabelle ersichtlich ist, variieren bei Weidetieren die Erythrocytenzahlen zwischen 4 und 7 Millionen, während sie bei Stalltieren zwischen 5,5 und 7,5 gefunden wurden. Es muß also eine Verschiebung um mindestens eine halbe Million nach abwärts beim Übergang von Stallhaltung zu Weidegang vor sich gehen. Eine Abnahme der Erythrocytenzahl be- deutet aber ein Ansteigen des Blutwertes. Soll der Hämoglobingehalt auch zur Steigerung des Blutwertes beitragen, so muß er steigen. In der Tabelle steht er im Maximum bei Stallbetrieb bei 13,76 g, für Weide- haltung bei 14,62 g. Aus diesem Verhalten der Komponentenwerte darf man also folgen- des entnehmen: Nach der anfänglichen Rückwärtsbewegung tritt schließ- Jich eine Vorwärtsbewegung zur Erhöhung des Blutwertes ein. Die Abänderung des Blutwertes deutet auf Neubildung der Elemente hin, die Abnahme der Erythrocyten auf Konzentrationsänderung des Blutes, Zunahme des Plasmas. Zerlegen wir den Begriff ‚Haltungsweise‘‘ in untergeordnete Kom- ponenten und betrachten jede für sich, so finden wir die Bestätigung dafür, daß wirklich Zunahme des Blutplasmas stattgefunden hat. Doch ich will hier nicht vorgreifen, sondern wir wollen die causae moventes nacheinander betrachten. In Betracht zu ziehen sind die Abänderung in der Luftzusammen- setzung, die Art der Beleuchtung und die verschiedenen Fuiterverhältnisse. Letztere sind schnell zu erledigen. Wie ich schon auseinandersetzte, war es infolge der Witterung, die ‚schlechten Futterwuchs mit sich brachte, nötig, ebenso wie in Stall- . ‘betrieben auch auf Weide Kraftfutter zu geben. Wenn die Tiere auf der Weide doch noch im ganzen eiweißreichere Nahrung zu sich nahmen, 540 E. Nippert: Einfluß der verschiedenartigen Haltungsweise so bewirkte dies seinerseits eine Steigerung des Blutwertes. Wenn die Beobachtungen Subbotins und Forsters’) richtig sind, so geht mit Zu- nahme des Eiweißgehaltes der Nahrung auch eine solche des Hämo- globingehaltes einher. Das bedeutet aber eine Erhöhung des Blutwertes. Man darf aber annehmen, daß die Futterverhältnisse in Stall- und Weidebetrieben zu wenig verschieden waren, als daß man diese Differenz hätte berücksichtigen können. Deswegen braucht darüber nichts mehr gesagt zu werden. Am größten sind wohl die Unterschiede in der Luftzusammensetzung in den beiden Haltungsarten. Die Untersuchungen über die Wirkung des Höhenklimas haben ergeben, daß die Herabsetzung des Sauerstoff- druckes im Sinne einer Erhöhung des Blutwertes wirkt, wenn Neubildung der Blutelemente erfolgt. Ich bin der Ansicht, daß eine Änderung des Partialdruckes des Sauerstoffes auch bei unserer Erhöhung des Blut- wertes mitgespielt hat. Doch können sich andrerseits auch durch die sich in den Ställen anhäufenden Ausdünstungen und in den Stoffwechsel- schlacken irgendwelche Umsetzungen bilden, die auch ihrerseits im Blute die bekannten Reaktionen auslösen. Man darf wohl den Weidebetrieb als das physiologisch Normale be- trachten, wohingegen die Stallhaltung schon auf dem absteigenden Aste des Natürlichen zu liegen scheint. Der Gesundheit förderlich ist sicher ein dauernder Aufenthalt im Stalle nicht; ja er kann sogar, wenn er ge- wisse Grenzen überschreitet, nachteilig werden. Dies ist der Fall bei gänzlichem Entzug des Lichtes und der frischen Luft. Graffenberger?) und Schönenberger!) haben übereinstimmend fest- gestellt, daß sowohl Dunkelheit als auch alleiniger Ausschluß des Lichtes vom Auge ein progressives Zunehmen von Zellen und festen Bestand- teilen im Blut ergaben, das ganz gewiß einem zunehmenden Wasserver- luste zuzuschreiben war, da das Serum eine ganz bedeutende Zunahme der Konzentration aufwies. Borissow!!) fand an Hunden im wesent- lichen dasselbe. Marti!) stellte fest, daß intensive und dauerhafte Beleuchtung sowohl die Zahl der Erythrocyten als auch den Hämo- globingehalt vermehrt, zu deuten im Sinne von Neubildung°?) trotz Plasmazunahme. Bevor ich zusammenfasse, will ich noch auf die Arbeit Dettweilers!?) aufmerksam machen, der an Rindern Hämoglobinbestimmungen vorge- nommen hat. Dettweiler war dabei von dem Gedanken geleitet, den Faktor ‚Gesundheit‘ zu erfassen und nahm deshalb an Tieren aus Weide- und Stallbetrieben vergleichsweise Blutproben. Wenn mir auch seine Arbeit erst in die Hände kam, als ich mit meinen Untersuchungen be- reits fertig war, so ist es mir doch eine Genugtuung, zu sehen, daß ich in der Disposition meiner Experimente richtig vorgegangen bin, sodaß auch nicht ein Punkt aus Deitweilers Notiz vernachlässigt wurde. (Stall und Weide) auf das Blutbild unseres Hausschweines usw. 541 Dettweiler stellt fest, daß Tiere, die auf Weide gehen, einen höheren Hämoglobingehalt aufweisen. Ja er geht so weit, daß er sagt: ‚Der Standplatz der Tiere scheint schon eine Rolle zu spielen; denn je näher die Tiere im Stalle der Tür, und in je günstigerer Belichtung sie standen, umsomehr wichen sie nach oben von der nach dem Exterieur geschätzten Ziffer ab. Die Tiere mit dem günstigeren Platz im Stalle haben einen entschieden höheren Hämoglobingehalt als die ungünstiger aufgestellten“. Zusammenfassung. Auf Grund des Materials, das ich gesammelt habe, gelange ich zu folgender Auffassung von dem Zustandekommen der Reaktionen des Blutbildes, für die uns die Erythrocytenzahl und der Hämoglobingehalt ein Kriterium sind: 1. Wir haben absolute und relative Änderungen des Blutes zu unter- scheiden. Überwiegend absolut ist die Änderung, wenn der Blutwert nicht derselbe bleibt, relativ, wenn er sich gleichbleibt. Bei den meisten Regulationen des Blutapparates gehen aber beide Formen nebeneinander her, manchmal auch zeitlich verschieden beginnend. 2. Wichtig ist die Bestimmung des Blutwertes, weil man aus seinem Verhalten auch auf Veränderungen der Blutmenge schließen kann. Diese sind auf diesem Wege sicherer und leichter zu erkennen, als nach irgend sonst einer Methode. 3. Eine Abänderung des Blutwertes läßt am gesunden Individuum immer auf Neubildung schließen. Es tritt hier immer zuerst Zunahme der Erythrocytenzahl, dann des Hämoglobingehaltes ein. 4. Das Entscheidende in allen Fällen ist die bestmögliche Konzen- tration zwecks Aufnahme des Sauerstoffs. Diese muß sich in den Grenzen halten, sodaß das osmotische Gefälle zu den Geweben erhalten bleibt, 3. Je höher der Blutwert und seine Komponentenwerte sind, desto besser ist es für das Fortbestehen des Organismus. In der praktischen Tierzucht ist wiederholt versucht worden, einen Schluß auf die Leistungsfähigkeit des Tieres nach den Blutwerten zu machen. Dies scheint mir noch sehr verfrüht. So wertvoll, wie in der Praxis eine derartige Festhaltung sein würde, so gewissenhaft muß diese Fragestellung auch bei der Beantwortung genommen werden. Leider liegen schon Meinungsverschiedenheiten über die Erscheinungsform der Leistungsfähigkeit im Blute vor. Ich kann mir wohl vorstellen, daß je nach den Erfordernissen der gewünschten Leistungsfähigkeit Unterschiede vorhanden sind. Ein Rennpferd wird seine andersgearteten physiologischen Unterlagen im Vergleich zu einer Milchkuh oder einem Mastschwein auch in den Blut- werten zum Ausdruck bringen. Sodann muß man 2 Formen von 542 E.Nippert: Einfluß d. verschiedenartigen Haltungsweise (Stall u. Weide) usw. Leistungsfähigkeit unterscheiden, eine, die in ihren Grenzen durch Ver- erbung festgelegt ist. Diese offenbart sich in der Höhe des Blutwertes. Die andere Form ist durch das Alter festgelegt und zeigt sich in der Höhe der Blutwertkomponenten. Literaturverzeichnis. t) Physiologie des Menschen und der Säugetiere von Munk 1888, S. 19. — 2) Zeitschr. f. rat. Med. 1864. — °) Bethe, Zahl und Maßverhältnisse der roten Blutkörper. Inaug.-Diss 1891. — *) Storch, Über den Blutkörpergehalt des Blutes der landw. Haussäugetiere. Inaug.-Diss. 1891. — °) Bürker, Die physiologischen Wirkungen des Höhenklimas. Zentralbl. d. Physiol. 325, 1107.— ®) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 152, 271—278. — ”) Zitat bei Schwinge. — °) Krehl, Lehrbuch der pathologischen Physiologie, 1920, 5.491. — ?) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 114, 1—63. — 10) Ebenda S. 2. — 1!) Schönenberger, Der Einfluß des Lichts auf den tierischen Organismus. Inaug.-Diss. Berlin 1898, S. 120. — 1?) Jeshenedelnik 1900, Nr. 12. — 13) Marti, Verhandl. d. 15. Kongr. f. inn. Med. 1981, S. 598. — 14) Detiweiler, Über Hämoglobinbestimmungen beim Rinde. Fühlings Jandw. Zei- tung 1912, 'S. 193. Über Anwendung der Ninhydrinreaktion auf mikroskopische Präparate zum Nachweis niederer Eiweißkörper: 1. In den Leberzellen (gespeichertes Eiweiß); 2. Im Blut. Von W. Berg. (Aus dem Anatomischen Institut zu Königsberg i. Pr.) (Eingegangen am 10. April 1922.) Die histologische Methodik begnüst sich, was die Charakterisierung der Strukturen in den üblichen Canadabalsampräparaten betrifft, in der Regel damit, sie durch Färbung zu bewirken und spricht dann — von Spezialfärbungen wie diejenigen collagener und elastischer Fasern, von Fett, Glycogen, Myelin usw. kann in diesem Zusammenhang abgesehen _ werden — von Acidophilie, Basophilie usw., je nachdem die Zell-, bzw. Gewebsbestandteile sich mit sauren oder basischen Farbstoffen färben lassen. Diese Färbungsdifferenzen sind sehr wertvoll und haben eine Fülle von wichtigen Resultaten gezeitigt — man denke an den Begriff des Chromatins —; über chemisch faßbare Differenzen im Zelleiweiß sagen sie aber kaum etwas aus, wie denn nur ein Teil der chemischen Eiweißreaktionen auf das Gewebe anwendbar ist, wenn es seine Struktur behalten soll (z. B. die Millonsche Reaktion). Bei dem großen Interesse, welches das Geschehen an den Eiweiß- körpern in der Zelle und im Gewebe hat, ist die Feststellung chemischer irgendwie faßbarer Unterschiede an ihnen, wenn sie mit Beziehung auf die mikroskopische Struktur vorgenommen werden kann, von erheblicher Wichtigkeit. Auf Grund von früher gemachten Erfahrungen!) waren solche Qualitätsunterschiede aus Strukturdifferenzen zwischen den feinen Strukturen des fixierten Protoplasmas und den plumpen, tropfen- ähnlichen Gebilden zu erschließen, welche in den Leberzellen gut ge- 1) A. Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Jena 1399; G. Wetzel, Verhandl. d. physiol. Ges. zu Berlin 1902/03, Nr. 10/11; W. Berg, 3) Arch. f. mikr. Anat. 62; b) 65; c) Verhandl. d. physiol. Ges. zu Berlin 1903/04, Sr. 11. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 36 544 W. Berg: Über Anwendung der Ninhydrinreaktion nährter Tiere — bei Kaninchen und Kaltblütern — vorhanden sind, beim Hungern allmählich verschwinden und bei Hungertieren nur nach Fütterung von Eiweiß oder Eiweißabbauprodukten wiederkehren!). Diese Befunde sind jüngst von Stübel?) für weiße Ratten bestätigt worden. Durch sie habe ich den Nachweis der Eiweißspeicherung in der Leber auf mikroskopischem Wege geführt. Durch ihr Verhalten bei den histologischen Prozeduren und durch den positiven Ausfall der Millonschen Reaktion hatte ich im Präparat di- rekt gezeigt, daß die Tropfen aus Eiweiß beständen; aus dem morpho- logischen Verhalten hatte ich geschlossen, daß dieses Eiweiß weniger hoch aufgebaut sein müßte als dasjenige der Protoplasmastrukturen. Wenn diese Annahme mir auch bewiesen zu sein schien, so hatte ich doch von vornherein in Aussicht genommen, die Tropfen durch weitere mikrochemische Methodik qualitativ näher zu charakterisieren. Teil- weise ist dies inzwischen schon durch Stübel geschehen, welcher fand, daß sie durch Pepsinsalzsäure verdaut wurden. Im folgenden möchte ich nun über ziemlich lange ausgedehnte Untersuchungen berichten, welche bezweckten, die an gelösten Stoffen makroskopisch so mannig- faltig angewandte Ninhydrinreaktion in mikroskopisch brauchbarer Form auch auf das Gewebe anzuwenden, unter Bedingungen, welche den Nachweis erlauben, daß die Tropfen des in den Leberzellen gespei- cherten Eiweißes aus Stoffen bestehen, welche als niedrig aufgebaute Eiweißkörper oder Eiweißabbauprodukte anzusprechen sind. Dabei ergaben sich weitere Befunde für das Blut, welche gleichfalls erörtert werden sollen. Über Anwendung der Ninhydrinreaktion auf mikroskopisches Ma- terial sind mir nur drei Mitteilungen bekannt geworden ?°). O. Loew (1915) untersuchte die Giftwirkung des Ninhydrins gegen- über Bakterien, Algen, Phanerogamen, Protozoen plus Algen, Maus und Meerschweinchen. Bei Spirogyra fand er als Nebenbefund nach Zusatz von Ninhydrin zur Kulturflüssigkeit bisweilen nach Absterben der Zellen Blaufärbung von Kern und Protoplasma, beim Meerschweinchen nach subeutaner Injektion eine Blaufärbung des Blutergusses an der Ein- stichstelle. O. Loew[1918] *) empfiehlt die Ninhydrinreaktion als mikrochemisches 1) W. Berg, d) Anat. Anz. Nr. 42; e) Münch. med. Wochenschr. 1913, 2; f) Biochem. Zeitschr. 61; g) Münch. med. Wochenschr. 1914, Nr. 19; h) Zeitschr. f. Morphol. u. Anthropol. 18; i) Arch. f. mikrosk. Anat. 96; k) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194; 1) W. Berg und ©. Cahn-Bronner, Biochem. Zeitschr. 61; ©. Cahn- Bronner, Biochem. Zeitschr. 66. 2) H. Stübel, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 185. 3) 0. Loew, Biochem. Zeitschr. 1915, Nr. 69. 2) O. Loew, Flora, N. F. 10. 1918. auf mikroskopische Präparate zum Nachweis niederer Eiweißkörper. 545 Reagens auf Aminosäuren nach Versuchen an solchen rein dargestellten Körpern. Auf die Abhandlung von Laserstein!) ist ausführlicher einzugehen. Laserstein untersuchte in der Absicht, eine Gewebsreaktion mit Nin- hydrin zu erhalten, verschiedenes animalisches Gewebsnaterial, indem er ca. 1,1 cm Durchmesser haltende Stücke in 3—4 ccm einer Nin- hydrinlösung von 0,1 :50ccm Wasser für 2—21/, Minuten kochte. „Die Zelldurchdringung wird von der wässerigen Lösung und dem Koch- prozeß entschieden stark beeinträchtigt.“ Nach dem Kochen färbten sich die Stücke fast plötzlich blau. Die Stücke wurden sofort in destil- liertem Wasser mit dem Gefriermikrotom geschnitten und in Glycerin untersucht. Beließ man die Stücke nach dem Kochen einige Zeit in destilliertem Wasser, so teilte sich die blaue Farbe demselben mit. Bei Wiederholung des Kochens mit Ninhydrinlösung trat wiederum Blau- färbung des Stückes auf; an deparaffinierten Schnitten von Material, welches in Paraffin eingebettet war, mißlang die Reaktion. Froschmuskel ergab so behandelt: die Muskelfaserquerschnitte sind himmelblau ge- färbt, keine Reaktion der Zwischensubstanz; Tubenquerschnitt und Ligamentum rotundum von der Frau: die Muskelzüge sind himmelblau gefärbt, die Randzone ungefärbt; Froschdarm dicht am Magen: gefärbt ist die Muskularis, weniger deutlich die Muskularis mucosae und die Becherzellen; Ausstrichpräparat von Blut, luftgetrocknet mit Alkohol behandelt, mit Ninhydrinlösung gekocht: scharfe Randfärbung der Blut- körperchen von Frosch, Kaninchen, Mensch. Beim Frosch ist die Um- randung der Kerne der Erythrocyten dunkelblau, das Stroma matter gefärbt, in den Kernen befindet sich eine große Zahl dunkelblauer Stränge. Blutarme Frauen haben eine schwächere Blaureaktion. Zotten einer ausgetragenen menschlichen Placenta: der Epithelsaum und die Blut- gefäße reagieren; die kleineren Blutgefäße sind im ganzen Lumen ge- färbt, die größeren im Bereich der Muscularis. Bei Injektion von Nin- hydrinlösung in die Lymphsäcke des Frosches war nach 15 Minuten Reaktionslosigkeit des Tieres eingetreten; die Pigmentzellen färbten sich blau, die Muskulatur, namentlich von Bauch und Brust dunkel- violett. Injektion von Ninhydrinfarbstoff, durch Kochen mit Gewebe hergestellt, ergab dasselbe Resultat. Verfasser meint, daß die durch die Reaktion im Gewebe produzierte Färbung der Eosinfärbung ähnelt. Der Farbstoff löst sich in Wasser und kann andere Gewebe färben. Ver- fasser stellt die Hypothese auf, daß eine Reaktion auf Aminosäuren vorliegt, da diese weit empfindlicher als die höheren Eiweißstoffe auf Ninhydrin reagieren. Die Veröffentlichung von Laserstein macht kritische Erörterungen notwendig: 1) Laserstein, Zeitschr. f. wissensch. Mikroskop. 1915, Nr. 32. 36* 546 W. Berg: Über Anwendung der Ninhydrinreaktion Das Ninhydrin ist nach Adderhalden!) und anderen Autoren ein äußerst scharfes Reagens auf Verbindungen, welche in «-Stellung zum Carboxyl eine Aminogruppe tragen. Es reagiert nicht nur mit Eiweiß- abbauprodukten, sondern, wenn auch schwächer, auch mit genuinem Eiweiß. Will man daher einen Schluß auf den Aufbau der die Reaktion gebenden Körper machen, so muß man Gruppen derselben von der Re- aktion ausschließen und kann dann die Reaktion auf die restierenden Gruppen beziehen. Diesen Gesichtspunkt hat Abderhalden bei dem Nach- weis der Abwehrfermente in der folgerichtigsten Weise durchgeführt. Da im Gewebe diffusible Körper vorhanden sind, welche die Reaktion geben, so wird bei Herstellung der Substrate (z. b. Placenta für die Schwangerschaftsreaktion) das abzubauende Gewebe gründlichst ge- waschen, bis es — nach etwa 3 Stunden — schneeweiß und frei von Biut und Lymphe ist. Dann werden die enthaltenen Eiweißkörper durch wiederholtes Kochen (zunächst in 100facher Menge von Wasser für un- gefähr !/, Stunde) koaguliert und jede Spur auskochbarer Substanzen entfernt, welche die Ninhydrinreaktion geben. Wird das Substrat dann durch das zu untersuchende Serum fermentativ abgebaut, so werden die diffusiblen Abbauprodukte mittelst Dialyse durch Hülsen, welche für Pepton durchgängig sind, von ihm isoliert und im Dialysat nachgewiesen. Dabei sind mannigfaltige Kautelen notwendig, um nicht fehlerhafte Resultate zu erhalten. In lebenden Organen sind, entsprechend ihrem Stoffwechsel, Eiweiß- stoffe und deren Derivate in verschiedenstem Aufbauzustand vorhanden. Wird nun frisches Gewebe in der 3- oder Sfachen Menge von Ninhydrin- lösung 2—-2!/, Minuten lang gekocht, so werden die höheren Eiweißkörper wohl zum Teil koaguliert, die reaktionsfähig bleibenden Eiweißkörper aber und die Abbauprodukte werden mit Ninhydrin reagieren und eine Blaufärbung ergeben. Diese aber auf die Anwesenheit von Aminosäuren zu beziehen, scheint nicht erlaubt zu sein, da man sich dann eigentlich nur auf die Unterschiede in der Minimalkonzentration der die Reaktion gebenden Körper stützt, und es völlig unübersichtlich ist, in welchen Mengen und Formen diese im Gewebe vorhanden sind. Außerdem ist aber noch ein weiterer Umstand zu berücksichtigen: Der bei der Reaktion auftretende Farbstoff löst sich in Wasser und kann auch andere Struk- turen färben. Es ist auffällig, daß bei Zasersteins Versuchen Dinge die Blaufärbung gaben, welche durch saure Farbstoffe besonders elektiv gefärbt werden, z. B. Muskulatur und rote Blutkörperchen. Verfasser macht ja selbst auf die Ähnlichkeit mit der Eosinfärbung aufmerksam. Die diffusiblen Eiweißabbauprodukte geben die Reaktion beonders leicht. Ihnen ist Laserstein begegenet, als er fand, daß das destillierte Wasser, in dem er seine gekochten Stücke bisweilen einige Zeit liegen ließ, eine 1) Abderhalden, Abwehrfermente. 4. Aufl. Berlin 1914. auf mikroskopische Präparate zum Nachweis niederer Eiweißkörper. 547 blaue Farbe annahm. Wenn nun auch bei der gewöhnlichen Anordnung des Verfassers diese gefärbten Körper im Stück blieben, so ist doch die Möglichkeit vorhanden, daß sie sich innerhalb des Stückes durch Dif- fusion verbreiteten und auf beliebige Gewebsbestandteile als Farbstoff wirkten. Es ist daher notwendig, diese sekundäre Färbung von der Reaktion von Gewebs- bzw. Zellgewebsbestandteilen in situ zu unter- scheiden. Es scheint daher die Anordnung, die Ninhydrinreaktion an frischem Gewebe durch Kochen desselben in einer geringen Menge von Ninhydrinlösung vorzunehmen, nicht geeignet zu sein, um Resultate zu liefern, aus denen man verwertbare Schlüsse ziehen kann. Will man die Reaktion am Gewebe zum Nachweis niederer Eiweiß- körper usw. rationell anwenden, so muß man die höheren Eiweißkörper von der Reaktion ausschließen, die niederen Aufbauzustände reaktions- fähig erhalten und außerdem die sekundäre Färbung ausschließen. Ich. möchte nun im folgenden zeigen, wie man diese Forderungen er- füllen kann. Erleichtert wurden mir die dabei notwendigen Überlegungen durch meine langjährige Beschäftigung mit den Grundlagen der histo- logischen Fixation. Fixiert man ein Gewebe, so sollen vor allem die in ihm enthaltenen Eiweißkörper (im weitesten Sinne) in eine irreversible Form gebracht werden. Im Idealfall braucht es hierbei infolge von Vorgängen, welche von geringerer als mikroskopischer Größenordnung sind, nicht zur Änderung der mikroskopischen Struktur zu kommen. Je höher die Eiweißkörper aufgebaut sind, um so leichter lassen sie sich in unlösliche Form überfüh- ren; die verschiedenen in außerordentlich großer Zahl zur Anwendung vorgeschlagenen Fixierungsmittel sind dabei je nach ihrer Zusammen- setzung in verschiedener Intensität wirksam. Dieses läßt sich übersicht- licher zeigen, wenn man statt lebendes, in seinem chemischen und physi- kalischem Aufbau unendlich kompliziertes Gewebe zu fixieren, Lösungen von isolierten Eiweißkörpern mit Fixationsflüssigkeiten zusammen- bringt und das Eintreten oder Nichteintreten der Ausfällungen beob- achtet!). Stellt man Gemische von gelösten Eiweißkörpern her, welche miteinander nicht reagiern, so behalten die Komponenten die für sie charakteristischen Eigenschaften der Fällbarkeit, der Löslichkeit oder Unlösbarkeit des Niederschlages, der mikroskopischen Fällungsform usw.2). Genuine Eiweißkörper lassen sich also aus ihren Lösungen leichter ausfällen als Albumosen und Peptone, diese wieder leichter als z. B. Polypeptidgemische, wie sie z. B. im Erepton vorhanden sind. Man kann demnach die Fixation so leiten, daß die höheren Eiweißkörper in irr- versible Form gebracht werden, die niederen reaktionsfähig bleiben. Es kann — wie dies auch aus den weiter unten zu besprechenden Resul- 1) Vgl. A. Fischer und W. Berg, a—c. 2) Vgl. Fischer ]. c. 548 W. Berg: Über Anwendung der Ninhydrinreaktion taten hervorgeht — angenommen werden, daß entsprechende Körper im Gewebe sich bei der Fixation ähnlich verhalten, wenn durch die- selbe das chemische und physikalische Gefüge der lebenden Substanz gesprengt wird, wie die isoliert untersuchten Bruchstücke derselben. Ich habe daher die früher gemachten Erfahrungen durch Fällungs- versuche ergänzt, welche der vorliegenden Aufgabe angepaßt waren, und mit möglichster Vereinfachung mich auf zwei Körpergruppen als Testobjekte beschränkt: Die Produkte der Pepsinverdauung in Gestalt von Witte-Pepton als Vertreter der hochmolekulären, diejenigen der Erepsinverdauung in Gestalt von Erepton als Vertreter der kleinen Eiweißspaltstücke. Durch die Wahl des Witte-Pepton wurde die Reihe der höheren Eiweißkörper nur nach unten begrenzt, da ja die genuinen sich noch leichter ausfällen lassen. Als fällende Fixierungsmittel wählte ich: 5 proz. wässerige Sublimatlösung; 10 proz. wässerige Formollösung;; ein Gemisch von 5proz. Kaliumbichromatlösung plus 20% Formol (Fixierungsflüssigkeit nach Ciaccio). Ausgefällt wurde 5proz. Witte- Peptonlösung und 5proz. wässerige Ereptonlösung mit der 5Sfachen Menge der Fixierungsflüssigkeiten. Das Resultat zeigt folgende Tabelle: 5% Sublimat 10% Formol Ciaccio 5% Witte-Pepton + == + 5% Erepton + — —_ Sublimatlösung gab mit Witte-Pepton und Erepton eine starke, wasserunlösliche Fällung, das Filtrat keine Ninhydrinreaktion. Die Formol- und Ciaccio-Fällung des Witte-Peptons war zunächst nicht sehr stark ; die Formolfällung wurde es aber nach 15—20 Minuten, die Ciaccio- fällung nach 2-3 Stunden; am nächsten Tage gab das Filtrat der Formol- fällung keine Ninhydrinreaktion; der Niederschlag war nicht wasser- löslich. Ereptonlösung mit Formol versetzt blieb klar und gab trotz Anwesenheit des Formols deutlich Ninhydrinreaktion. Nach Zusatz von Ciaccioscher Flüssigkeit war wegen der starken gelben Eigenfärbung derselben die Ninhydrinreaktion nicht sicher zu beurteilen; Erepton- Ciaccio wurde nach dem Kochen dunkel. Mikroskopisch bestanden die Fällungen meist aus kleinen Granulis, die zu gerinnselähnlichen Bildungen zusammengefugt waren (vgl. A. Fischer). Danach war als passende Fixation diejenige mit Formol oder nach Ciaccio zu wählen. Um nun im Reagensglasversuch zu ersehen, wie sich koaguliertes Witte-Pepton in Anwesenheit von gelöstem Erepton, entsprechend dem Zustand, welcher bei passender Fixation für die verwandten Körper im mikroskopischen Präparat anzunehmen wäre, bei Vornahme der Ninhydrinreaktion verhält, habe ich kleine Quanten von Sublimat- und Formalinniederschlag von Witte-Pepton gewaschen, in 1Ocem 1 proz. Ereptonlösung eingetragen und an der Aufschwemmung auf mikroskopische Präparate zum Nachweis niederer Eiweißkörper. 549 die Ninhydrinreaktion angestellt. Diese wurde an der Flüssigkeit stark positiv. Entfernte man gleich nach dem Eintreten der Blaufärbung die Flöckchen des bei Sublimatfällung gröberen, sich mikroskopisch in der Peripherie anfärbenden, bei der Formolfällung lockeren, sich im ganzen leicht violett anfärbenden Niederschlages und untersuchte ihn in Wasser nnter dem Mikroskop, so verlor sich die schwache Anfärbung sehr bald, namentlich wenn man Wasser zwischen Deckglas und Objektträger durchsaugte. Aus diesen Vorversuchen ging also hervor, daß es möglich sein müsse, durch Fixierung mit Formol und nach Ciaccio den für die erstrebte An- wendung der Ninhydrinreaktion passenden Zustand der Eiweißstoffe des Gewebes herbeizuführen: daß die höheren Eiweißkörper von der Reaktion ausgeschaltet würden und nur die kleineren Bruchstücke reagierten. Der Versuch mit Peptonfällung plus Ereptonlösung zeigt, daß bei der Reaktion des Ereptons keine störende Sekundärfärbung des Niederschlags zu erfolgen brauchte bzw. daß sie leicht durch Wasser zu entfernen wäre. Trocknete man allerdings Proben der gewaschenen Fällung von Sublimat-Witte-Pepton, Formol-Witte-Pepton, Sublimat-Erepton auf Objektträgern auf und färbte mit der stark blauvioletten Flüssigkeit, welche man durch Ninhydrinreaktion mit Ereptonlösung erhalten kann, und welche als Ninhydrinfarbe bezeichnet werden soll, so erhielt man je nach der Konzentration der verwandten Ereptonlösung nach 5—15 Mi- nuten Einwirkungeine violettblaue Färbung der Niederschläge, welche auf Durchsaugen von Wasser etwas verblaßte, aber für die nächsten Stunden nicht verschwand. Hieraus erhellt die Notwendigkeit, besonders bei Trockenpräparaten und dergleichen, parallel mit der ‚Reaktion‘ Fär- bungen mit dem Ninhydrinfarbstoff anzustellen, um die Effekte der letzteren zu konstatieren und bei den Effekten der Reaktion eine se- kundäre Färbung ausschließen zu können. Auf diese Weise waren die Richtlinien gegeben, nach denen das histologische Material zu bearbeiten war. Ich habe zur Untersuchung der Tropfen des in Leberzellen gespeicherten Eiweißes Lebern von Salamandra maculata, welche wie die kontrollierenden Parallelpräpa- rate zeigen, die Eiweißtropfen reichlich (6 frisch gefangene gut genährte Tiere), oder nicht (4 Tiere, welche 9—10 Monate gehungert hatten) enthielten, in Würfeln von etwa 2—3 mm Kantenlänge für 13— 24 Stun- den in 50ccm 1Oproz. Formollösung oder Ciaccio-Flüssigkeit fixiert. Das Material wurde also für eine verhältnismäßig lange Zeit der Wirkung einer verhältnismäßig großen Menge des Fixationsmittels unterworfen. Danach wurde 1/,—1 Stunde lang in fließendem Wasser ausgewaschen und das Material mit einem Gefriermikrotem 10 und 15 u dick, zu be- stimmten Zwecken auch dicker, geschnitten. Die Schnitte wurden in 550 W. Berg: Über. Anwendung der Ninhydrinreaktion kleinen gläsernen Abdampfschalen mit Ninhydrinlösung 0,1: 50 einheit- lich eine Minute lang gekocht und dann in Glycerin untersucht. Es ist darauf hinzuweisen, daß man das histologische Material sehr genau kennen muß, an welchem man die Ninhydrinreaktion anstellen will, und daß diese inder angewandtenForm nur eine ergänzende Methode der Untersuchung darstellt. Das Kochen ist für die Schnitte nicht gleich- gültig; sie schrumpfen gewöhnlich recht stark und falten sich sehr leicht und sind deswegen bisweilen vielleicht nur in der Hälfte ihrer Fläche bequem bei starker Vergrößerung zu untersuchen. Am unempfindlich- sten und dabei am besten konserviert waren die Ciaccioschen Präparate. Lebermaterial, in dessen Parenchymzellen viel Fett enthalten war, verändert sich weniger stark, da das inerte Reservematerial die Proto- plasmastrukturen am Schrumpfen hindert. Befunde an Salamanderlebern. Vorausgeschickt sei, daß die Tropfen (oder Schollen) des in den Leber- zellen gespeicherten Eiweißes plumpe, vielgestaltige homogene Gebilde sind, die sich deutlich von den feinen Strukturen des Protoplasmas unterscheiden. Läßt man Salamander, die sich wegen der Größe ihrer Leberzellen zu diesen Beobachtungen besonders gut eignen, ungefähr einige Wochen hungern, so verschwinden die homogenen Tropfen all- mählich, indem sie sich vacuolisieren, gelbliche Eigenfarbe annehmen und andere als die bisherige histologische Färbbarkeit zeigen!). Stellte man an Schnitten von frisch gefangenen Salamandern die Reaktion wie oben beschrieben an, so waren die homogenen Eiweißtropfen in den Leberparenchymzellen deutlich violettblau gefärbt. Bei ihren Umwand- lungsprodukten, den gelblichen vacuolisierten Tropfen, trat die Färbung bisweilen auf, bisweilen fehlte sie. Diese Differenz zeigte sich in gleicher Weise bei allen untersuchten Tieren und war bei den einzelnen von der Fixation unabhängig. In den Zellkernen war ab und zu die Substanz außerhalb der corpusculären Elemente des Kerns (Kernsaft) leicht violett getönt. Das Protoplasma der Leberparenchymzellen blieb un- gefärbt. Es waren aber regelmäßig die Körper der (kernhaltigen) Erythrocyten stark violett mit einem Stich ins Rotbraune gefärbt. Die Stelle des Kernes blieb hell. Besonders tief blauviolett gefärbt waren die groben Granula der eosinophilen Leukocyten, die sich in und an den Blutgefäßen und in der Iymphoiden Randschicht der Salamander- leber ziemlich zahlreich finden. In diekeren Schnitten zeigt das Lumen der Gefäße außerhalb der Blutkörperchen einen blauen Hauch. In entsprechenden Schnitten von Hungertieren, deren Parenchym- zellen weder homogene Eiweißtropfen noch deren Umwandlungspro- dukte enthielten, ergab sich in den Parenchymzellen keine Färbung. 1) Siehe Berg d), i), k). auf mikroskopische Präparate zum Nachweis niederer Eiweißkörper. 551 Dagegen verhielten sich die Erythrocyten und eosinophilen Leukocyten wie bei den gut genährten Tieren. Färbte man nun mit Ninhydrinfarbstoff (er wurde für diese Zwecke immer durch Kochen von 10 ccm 2proz. Ereptonlösung plus 0,5 ccm lproz. Ninhydrinlösung für eine Minute, Abkühlen der tief violetten Flüssigkeit hergestellt), bei Zimmertemperatur für 10 Minuten, so wurden die Schnitte makroskopisch violett gefärbt, mikroskopisch zeigte sich eine violette Färbung des Protoplasmas der Parenchym- und lymphoiden Zellen. Eine Färbung der homogenen Eiweißtropfen bei gut genährten Tieren trat nicht auf, wohl aber ab und zu eine solche der vacuolisierten Umwandlungsprodukte derselben. Die Färbung der Blutzellen war unabhängig vom Ernährungszustand deutlich und schien mit der beim Anstellen der Reaktion an ihnen auftretenden übereinstimmend zu sein. Die Gewebsfärbung mit Ninhydrinfarbstoff ähnelt — und hierin kann ich Laserstein beistimmen — durchaus einer Färbung durch einen sauern Farbstoff wie das Eosin: Färbung des Protoplasmas, besonders Färbung der Erythrocytenleiber und der Granula der eosinophilen Leukocyten. Wie ist das Färbungsresultat nach Anstellung der Ninhydrinreak- tion an den Schnitten zu beurteilen ? Was die homogenen Eiweißtropfen betrifft, so färben sie sich, wie ich schon in meiner ersten Mitteilung feststellte!), an fixierten Präpa- raten mit basischen Farbstoffen. Bei Färbung mit Methylgrün- Pyronin werden sie leuchtend rot, bei Eisen-Hämatoxylin-Färbung geben sie den Eisenlack etwas früher ab, als das Chromatin; nach Biondi gefärbt, werden sie rot mit einem Stich ins violette, wie der Nucleolus; Nach Saffraninfärbung gehen sie bei der Differenzierung in absolutem Alkohol die Farbe etwas früher ab, als das Chromatin. Nach Hämato- xylin-Eosin-Färbung nehmen sie einen blaßvioletten Farbton an. Wenn diese homogenen Tropfen sich nach einiger Zeit des Hungerns in vacuoli- sierte umwandeln, so verlieren sie allmählich, wie ich beschrieben und abgebildet?) habe, ihre Färbbarkeit durch Pyronin. Da die homogenen Tropfen basophil sind, sich beim Anstellen der Ninhydrinreaktion färb- ten, durch Ninhydrinfarbstoff sekundär nicht gefärbt wurden, so glaube ich das Resultat für die Tropfen des in Leberzellen gespeicherten Eiweißes so deuten zu sollen, daß unter Bedingungen, welche den oben aufgestellten Kautelen entsprechen — Reaktionsunfähigkeit der höheren Eiweiß- körper, Ausschluß der sekundären Färbung — sie beim Salamander die Ninhydrinreaktion wirklich geben, also aus niederen Aufbauzuständen des Eiweißes bestehen oder wenigstens einen starken Gehalt an solchen Stoffen aufweisen. Zu bemerken ist, daß nach Fixation mit 5proz. Sublimatlösung die sonst eintretende Reaktion nicht zu erzielen war, ebenso, daß die zur 1) Berg, d. DeBorgiiie 992 W. Berg: Über Anwendung der Ninhydrinreaktion “ Vorbereitung der Einbettung in Celloidin oder Paraffin üblichen Be- handlung für einige Tage mit Alkohol von steigender Konzentration das Material für die Reaktion untauglich machte. Was nun den Befund an den Blutelementen betrifft, so ist durch Abderhalden!) in seiner Anweisung zur Herstellung der Substrate für das Dialysierverfahren mit aller Schärfe darauf hingewiesen worden, daß die Substrate absolut blut- und lymphfrei sein müssen, um nicht auch ohne Fermentwirkung im Dialysat einen positiven Ausfall der Nin- hydrinreaktion zu veranlassen. Bei der großen Wichtigkeit der Frage für die morphologische Hämatologie, welcher von den Bestandteilen des Blutes die Ursache der Blaufärbung ist, bzw. wo im Blut niedrig aufgebaute Eiweißkörper usw. nachzuweisen sind, ob speziell die eosino- _philen Granula aus solchen bestehen oder solche enthalten, habe ich den Befund der Färbung der Erythrocytenleiber und der eosinophilen Granula an Blutpräparaten selbst untersucht, da an den Schnittpräpa- raten von der Leber in Anbetracht des Ausfalles der Färbung mit dem Ninhydrinfarbstoff nicht festzustellen war, ob eine Reaktion auf niedere Eiweißkörper oder eine sekundäre Färbung vorläge. Befunde an Blutpräparaten. Ich habe daher von menschlichem Blut in der üblichen Weise Aus- strichpräparate auf Deckgläsern hergestellt, die ich a) auftrocknen ließ und durch die Flamme zog; b) in feuchtem Zustand sofort für 10 Minuten auf 5 proz. Sublimat- lösung oder 10 proz. Formollösung;; c) in der von Weidenreich?) empfohlenen Weise durch Osmiumsäure- Dämpfe (nach Räucherung der Deckgläser) fixierte. Wurden diese Deckgläser in Ninhydrinlösung 0,1:50 Wasser eine Minute lang gekocht, so war das Resultat nach Sublimatfixation negativ; nach Osmiumräucherung von 15—20 Sekunden Dauer waren die Erythrocyten violettbraun getönt und ebenso die bisweilen entstehenden blutkörper- chenfreien Plasmazonen am Rand der Präparate. Eine deutliche Färbung trat ein nach Formalinfixation, nach kurzer Osmiumräucherung (5 Se- kunden), besonders aber bei den bloß getrockneten Präparaten: Die Erythrocyten waren violett mit einem Stich ins Rotbraune, die Granula der eosinophilen Leukocyten tief blauviolett, die Körper der Leuko- cyten erhielten oft einen bläulichvioletten Ton. Die Färbung, auch die- jenige der eosinophilen Granula, war deutlich stärker dort, wo die Blut- körperchen dichter angehäuft waren. Zu bemerken ist, daß die Präparate, am meisten die Trockenpräparate zu a) durch das Kochen litten, ein Teil der Schicht abgelöst wurde und die Form der Erythrocyten (am 1) Abderhalden, 1. c. 2) Weidenreich, Die Leukocyten und verwandte Zellformen. Wiesbaden 1911. auf mikroskopische Präparate zum Nachweis niederer Eiweißkörper. 553 wenigsten die 20 Sekunden lang in Osmiumsäure geräucherten) verzerrt wurde. Durch Behandlung mit Formol quollen die Erythrocyten viel- fach auf und wurden zum Teil in Blutschatten verwandelt. Es kam also bei vollständiger Fixation wie bei der Leber zu einem negativen oder fast negativen Ausfall der Reaktion, bei entsprechend abgestufter Fixation trat eine Färbung ein. Färbte man nun Blutausstrichpräparate mit Ninhydrinfarbstoff, so erhielt man nach beliebiger Fixation eine Färbung, welche derjenigen glich, die man in optimalen Fällen durch Kochen mit Ninhydrin erhalten hatte (Erythrocyten und eosinophile Granula waren entsprechend ge- färbt, die Leukocytenleiber rötlichviolett getönt). In den Sublimat- präparaten waren auch die bisweilen vorhandenen Plasmagerinnsel rotviolett gefärbt — also eine Färbung wie durch einen sauren Farb- stoff. Unter diesen Umständen war die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß bei der „Reaktion“ eine sekundäre Färbung der Körperelemente vorläge. Es konnten die mit Ninhydrin reagierenden Stoffe aus dem Plasma stammen und rote Blutkörperechen plus eosinophile Granula färben, aber auch Stoffe, welche aus den Erythrocyten stammten, die Färbung der eosinophilen Granula sekundär bewirken. Ich habe daher den Versuch gemacht, Blutplasma und Blutkörperchen einerseits, Erythrocyten und Leukocyten getrennt vom Plasma andererseits, zu isolieren und für sich zu untersuchen. Es wurde Blut von Katzen, Hunden, Kaninchen aus der Carotis in Lösung von Ammonceitrat in Reagensgläsern aufgefangen und im Eisschrank sedimentiert. Nach 20 Stunden wurden von der überstehenden hellen Flüssigkeit und von den Erythrocytenbrei Proben entnommen, in 5proz. Formollösung, sowie in 5 proz. Kaliumbichromatlösung plus 10 proz. Formol eingetragen, das ausgeflockte sedimentiert, die überstehenden Flüssigkeiten abge- sossen. Dann wurde mit Wasser aufgeschüttelt, zentrifugiert und dies so lange (5—6mal) wiederholt, bis die überstehende Flüssigkeit keine Ninhydrinreaktion mehr gab. Vom schließlich erhaltenen Bodensatz wurden Deckglaspräparate hergestellt und an diesen, wie oben, die Ninhydrinreaktion angestellt. Das Resultat war, daß die so isoliert fixierten und gewaschenen Erythrocyten ähnlich wie die nicht vom Plasma getrennten gefärbt wurden. Die Reaktion war schwächer, was aber bei der vorausgegangenen Behandlung kaum auffallen kann. Die Leukocyten und Erythrocyten voneinander vollständig zu tren- nen, gelang nicht. Entnahm man vom gekühlten sedimentierten Blut aus dem unteren Teil der hellen, an Leukocyten sehr reichen Flüssigkeit Proben, fixierte sie, und wusch das Ausgeflockte wie den Erythrocyten- brei, so zeigte sich, daß die Anzahl der Erythrocyten zwar stark ver- mindert, daß sie aber nicht verschwunden waren — es fanden sich etwa 554 W.Berg: Anwendung d. Ninhydrinreaktion auf mikroskopische Präparate usw. ebensoviel Erythrocyten wie Leukocyten im Präparat —. Es ist dies um so auffallender, als Formollösungen, namentlich schwach konzen- trierte, hämolytisch auf die Erythrocyten wirken und ein großer Teil von diesen in Blutschatten verwandelt wird. Beim Anstellen der Nin- hydrinreaktion wurden die eosinophilen Granula gefärbt, aber schwächer als in Präparaten von totalem Blut. Danach glaube ich schließen zu sollen, daß bei der Färbung der Erytrocyten durch Ninhydrinreaktion keine sekundäre Färbung, son- dern eine wirkliche Reaktion auf nicht koagulierte niedrige Eiweiß- körper vorliegt, während die Entscheidung hierüber für die eosinophilen Granula noch nicht getroffen werden kann. Zusammenfassung. Es ist möglich, die Ninhydrinreaktion auch an histologischen Prä- paraten zum mikrochemischen Nachweis von niederen Eiweißkörpern bzw. Abbauprodukten in animalischem Gewebe zu verwenden. Es ist dabei notwendig, die höheren Eiweißkörper, und nur diese, reaktions- unfähig zu machen. Dies gelingt durch passende Behandlung der zu untersuchenden Organstücke bei der vorzunehmenden histologischen Fixation. Ungeeignet ist demnach frisches und nicht entsprechend fixiertes Gewebe, aber auch solches, welches nachträglich eine längere Alkoholbehandlung mit oder ohne Einbettung in Celloidin oder Paraffin erfahren hat. Es erwies sich demnach als notwendig, die Reaktion an Gefrierschnitten von entsprechend fixiertem und kurz ausgewaschenem Gewebe bzw. an Ausstrichpräparaten vorzunehmen. Der bei der Ninhydrinreaktion entstandene Farbstoff kann, wenn er sich aus diffusiblen Körpern im animalischen Gewebe bildet, auch auf andere beliebige Strukturen färbend wirken, wenn er die genügende Konzentration hat und genügend lange Zeit einwirken kann. Er verhält sich dann wie ein histologischer saurer Farbstoff. Bei Beurteilung der Färbungseffekte in mikroskopischen Präparaten muß daher zwischen der eigentlichen Reaktion in situ und dieser sekundären Färbung unter- schieden werden. Unter Einhaltung dieser Voraussetzungen konnte gezeigt werden, daß die Tropfen des in Leberzellen gespeicherten Eiweißes bei Salaman- dra maculata die Ninhydrinreaktion wirklich geben, ebenso die Erythro- cyten von Salamandra, Katzen, Hunden, Kaninchen und Menschen, während für die Granula der eosinophilen Leukocyten nicht entschieden werden konnte, ob eine Reaktion auf niedere Eiweißkörper bzw. Abbau- produkte in situ oder eine sekundäre Färbung vorliegt. Membranänderung und Nervenerregung. Von U. Ebbecke. (Aus dem Physiologischen Institut in Göttingen.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 15. April 1922.) Inhaltsverzeichnmis. A. Membranänderungen während der Reizung (S. 557). 1. Änderungen des elektrischen Nervenwiderstandes (S. 557). 2. Änderungen des galvanischen Elektrotonus (S. 564). 3. Änderungen der Erregbarkeit (S. 567). B. Membranänderungen nach einer Reizung oder Schädigung (S. 570). 4. Elektrisch sich äußernde Nachwirkungen (Negativitätsrückstand) (S. 570). 5. In der Erregbarkeit sich äußernde Nachwirkungen (lokale Dauererre- gung) (S. 577). In der Nervenphysiologie wurde die physikalische Richtung, die in der klassischen Zeit unter Helmholtz und du Bois- Reymond herrschte, von der chemischen abgelöst; Pflüger, Hermann und Hering betonten das chemische Geschehen, die Stoffwechselvorgänge als die Grundlage für die Lebensäußerungen des Nerven. Nachdem eine Zeit lang eine ge- wisse Stagnation und Enttäuschung Platz zu greifen schien, ging der neue Anstoß von der physikalisch-chemischen Richtung aus. Nernst, der seine Erfahrungen über galvanische Elemente und Konzentrations- ketten auf die elektrische Reizung der Nerven anwendete, gelang es, die experimentell gefundenen Tatsachen in einen überraschend ein- fachen Zusammenhang zu bringen. Dadurch wurde ein Gebiet der Nervenphysiologie der exakten mathematischen Formulierung zugäng- lich; wichtiger noch war, daß durch die aufgedeckte Gesetzmäßigkeit der alte Gedanke du Bois- Reymonds, daß die elektrische Reizung die erste Stufe einer Elektrolyse sei, deutlichere Form gewann, indem eine Konzentrationsänderung von bestimmtem Betrag als das die Erregung auslösende Moment erschien. Wenn diese Ansicht auch nicht erklären konnte, weshalb die Konzentrationsänderung nur an einem und nicht am anderen Pol, nur beim Entstehen und Vergehen und nicht während der Dauer wirksam ist, und wenn auch die strenge Gültigkeit der Reiz- gesetze auf einen engeren Bereich nicht zu kurz und nicht zu lang dauern- 556 U. Ebbecke: der Ströme beschränkt blieb, so war doch der Fortschritt groß genug, um weitere Hoffnungen zu erwecken. Ungefähr zur gleichen Zeit stellte Bernstein seine Membrantheorie der bioelektrischen Erscheinungen auf, die durch Untersuchungen Höbers wichtige Stützen erhielt. Obgleich Bernstein insofern zu Nernst im Gegensatz steht, als er nicht die ver- schiedene Löslichkeit und Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen in ver- schiedenen aneinandergrenzenden Lösungsmitteln betont, sondern unter Beibehaltung des ursprünglichen Ostwaldschen Gedankens den semi- permeabeln Membranen die Hauptrolle zuschreibt, so scheint es doch lohnend, diese beiden Gedankenreihen nahe mit einander zu verknüpfen, zumal Beihe gezeigt hat, daß die Vorgänge an strukturierten Membranen denen an der Grenze zweier Lösungsmittel sehr ähnlich sind, ja in man- cher Beziehung den experimentell gefundenen Tatsachen der Nerven- reizung besser gerecht werden. Wenn den folgenden Untersuchungen die Betrachtung der Mem- branen und Membranänderungen zugrunde gelegt ist, so geschieht das in der Erwägung, daß die Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit eines Gedankens sich erst dann herausstellen kann, wenn er, unter Hintan- setzung anderer Möglichkeiten, bis in seine Konsequenzen verfolst ist, und mit der fast selbstverständlichen Einschränkung, daß die Vorgänge an den Membranen nicht das ‚Wesen‘ der aus vielerlei protoplasma- tischen Vorgängen zusammengesetzten Erregung bedeuten, sondern nur eine Äußerung, ein Symptom, aber ein recht wichtiges Symptom der Erregung darstellen. Fragestellung. Den Ausgangspunkt bildete meine Beschäftigung mit dem Verhalten der Haut. Haut und Nerv, so verschieden sie im übrigen sind, haben das Gemeinsame, beide stark polarisierbar zu sein; die erste Wirkung eines elektrischen Stromes wird also in beiden Fällen die Konzentrations- änderung an polarisierbaren Grenzflächen sein, als welche bei der Haut die Plasmahaut der Epithelzellen, beim Nerven die Grenze zwischen „Hülle“ und ‚Kern‘ der Nervenfasern oder Nervenfibrillen in Betracht kommen. Die Frage war nun: Geht die Analogie vielleicht weiter ? sind vielleicht einige Erfahrungen von der Haut auf den Nerven übertrag- bar? Für die Haut hatte sich herausgestellt, daß irgendwelche Reizung die Membranen verändert, sie durchlässiger und damit weniger polari- sierbar macht: Der Potentialsprung zu beiden Seiten der Membran und die elektrische Gegenspannung gegen einen durchfließenden Strom werden geringer, sobald die entgegengesetzt geladenen Ionen der elek- trischen Doppelschicht sich durch die Membran hindurch leichter aus- gleichen können. Ist dasselbe am Nerven der Fall? Nach der Membran- theorie, die den Ruhestrom und Aktionsstrom aus einer Zerstörung oder Membranänderung und Nervenerregung. 557 flüchtigen Permeabilitätszunahme von Membranen erklärt, ist es recht wahrscheinlich. Lassen sich Polarisierbarkeitsänderungen am Nerven nachweisen ?, und wenn das der Fall ist, müssen solche Membranände- rungen nicht das Zustandekommen der erregungsauslösenden Ionenan- sammlungen, ganz allgemein die Reizbedingungen verändern, sich in Erregbarkeitsänderungen äußern ? Nachdem seit langem ein Zusammen- hang zwischen Polarisation und Erregung erkannt ist, handelt es sich hier darum, Änderungen der Polarisierbarkeit und Erregbarkeit nachzu- weisen und zueinander in Beziehung zu setzen. Dies soll im folgenden ge- schehen, wobei zuerst die Membranänderungen während der Reizung und dann dieMembranänderungen nach der Reizung betrachtet werden sollen. A. Membranänderungen während der Reizung. 1. Änderungen des elektrischen Nervenwiderstandes. Hermann!) zeigte, daß der elektrische Gleichstromwiderstand von Nerven bei Querdurchströmung 5mal größer ist als bei Längsdurch- strömung, und führte diese Abweichung auf einen ‚Übergangswider- stand‘ an der Grenze verschieden leitender Schichten, auf Polarisation zwischen Hülle und Kern zurück. Wie von der Haut läßt sich vom durchströmten Nerven unmittelbar nach dem Öffnen ein sehr flüchtiger Polarisationsnachstrom ableiten und scheint der Widerstand für hohe Spannungen kleiner als für niedrige Spannungen. Ähnlich wie die tote Haut einen wesentlich geringeren Gleichstromwiderstand hat als die lebende Haut, so vermindert sich der Unterschied zwischen Quer- und Längswiderstand nach Abtöten des Nerven. Zum Vergleich mit den Hautbefunden erscheint auch die Bemerkung Hermanns beachtenswert (l. ec. S. 227 und 259), daß bei sehr schwachen Strömen, die noch keine Zuckung hervorrufen, der Widerstand während der Stromdauer ansteigt, bei starken (galvanische Ketten aus 13—72 Grennetschen Elementen) aber abnimmt, indem der starke Strom zerstörend auf das Nervengewebe einwirkt und dessen innere Polarisierbarkeit für die Zukunft vermindert oder vernichtet. Nachdem so viele Analogien zutreffen, liegt es nahe, auch nach einem Gegenstück für die galvanische Reaktion der Haut zu suchen. Wie ein tätiges Drüsenepithel oder eine gereizte Epidermis einen ver- minderten Gleichstromwiderstand zeigt, leitet so auch der Nerv einen konstanten Strom im tätigen, gereizten Zustande besser als in der Ruhe ? Sobald die Frage in dieser Form gestellt wird, zeigt sich, daß ein ent- sprechender Befund, wenn auch unter anderer Deutung, bereits vorliegt. Wirklich nimmt, wie Grünhagen zuerst sah und Hermann genauer unter- 1) Hermann, Über eine Wirkung galvanischer Ströme auf Muskeln und Nerven. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 5, 229. 1872. 558 U. Ebbecke: suchte, ein durch eine Nervenstrecke fließender Gleichstrom zu, wenn der Nerv gleichzeitig an einer entfernten Stelle tetanisiert wird; er er- fährt eine ‚positive Schwankung‘‘. Die erste Erklärung, daß es sich um eine Verminderung des Ohmschen Widerstandes handle, hatte Her- mann!) widerlegt. Also, schloß er, ist nur der scheinbare Widerstand vermindert, indem bei der Erregung eine aus dem Nerven stammende elektromotorische Kraft sich zu der von außen wirkenden addiert. Als diese Kraft betrachtet er die Aktionsströme des tetanisierten Nerven. Denn da nach seinem Satz vom Inkrement und Dekrement die anodisch polarisierte Strecke stärker in Tätigkeit gerät als die kathodisch polari- sierte, so überwiegt der von der Anode ausgehende Aktionsstrom den entgegengesetzten, der von der Kathodenstelle ausgeht, und der anodische Aktionsstrom hat in der Tat die gleiche Richtung wie der zugeleitete Strom. Aber wenn es auch sicher ist, daß nur der scheinbare Widerstand verändert wird, so kann man doch mit demselben Rechte sagen, daß die Zunahme des Stroms statt vom Hinzukommen einer elektromoto- rischen Kraft vom Wegfall einer entgegengesetzt gerichteten Kraft verursacht ist, und insofern plus = minus minus ist, steht die Erklärung durch den Inkrementsatz, den Hermann auch auf den Fleischleffekt anzuwenden vergeblich bemüht war, nicht in einem wirklichen Wider- spruch zu der Fassung, zu der wir hier gelangen, daß nämlich der Zu- nahme des durchgeleiteten Stromes während der Erregung eine Abnahme der Polarisierbarkeit des Nerven zugrunde liegt, nur daß freilich diese Erklärung, soviel ich sehe, die einfachere ist. Damit wird die ‚positive Schwankung‘““ Hermanns ein Spezialfall einer allgemeinen Gesetzmäßig- keit und wird den Aktionsströmen nicht nach, sondern nebengeordnet, da ja nach der Membrantheorie Ruhestrom und Aktionsstrom selbst auf dem Durchlässigerwerden — und weniger polarisierbar werden — der gereizten oder absterbenden Nervenstelle beruhen. Der Polarisations- gegenstrom des Nerven nimmt während der Reizung ab, aber die Be- ziehung zu Hermanns Satz wird hergestellt durch die Annahme, daß die Kathode des durchfließenden Stroms ohnehin schon die Durchlässig- keit dieser Nervenstelle erhöht hat, sodaß eine weitere Durchlässigkeits- zunahme bei der Reizung nun hauptsächlich die Anode betrifft. So gelangen wir zu der Folgerung, daß der polaren Gegensätzlichkeit von Anoden- und Kathodenwirkung eine Zunahme der Membran- durchlässigkeit, eine Auflockerung der Membran an der Kathode und andererseits ein Fehlen der Auflockerung, vielleicht sogar eine Verdich- tung der Membran an der Anode entsprechen könne. Dieser Gedanke, 1) Hermann, Das galvanische Verhalten einer durchflossenen Nervenstrecke während der Erregung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 6, 560. 1872 und: Fort- gesetzte Untersuchungen über die Beziehung von Polarisation und Erregung. Ebenda 10, 215. 1875. Membranänderung und Nervenerregung. 559 den schon Bernstein!) berührt und der mit den Höberschen?) Vorstellungen über Kolloidzustandsänderungen der Plasmahaut im Einklang ist, wird hier zum Kernpunkt, für den es experimentelle Belege herbeizu- schaffen gilt. Die Absicht der Versuche war, ebenso vorzugehen wie bei den Haut- versuchen, bei denen die galvanische Reizung das Überwiegen der widerstandsherabsetzenden Kathodenwirkung während des Strom- fließens und das nachträgliche Überwiegen der Anodenwirkung ergeben hatte®). Freilich war gerade für diese Frage die Haut nicht das geeig- netste Untersuchungsobjekt gewesen, da an ihr physiologische Kathoden und physiologische Anoden an den einzelnen Zellen gar zu nahe benach- bart liegen und nur durch verschiedene Stromdichte in ihrer Wirksam- keit differenziert werden. Der Nerv selbst, an der Anoden- und Kathoden- stelle sich weit von einander entfernen lassen, mußte sich für die Unter- suchung der Frage besser eignen. Eine experimentelle Schwierigkeit zeigte sich darin, daß nicht wie an der Haut einfach eine kleine differente und große indifferente Elektrode zur Anwendung kommen konnte. Die ersten Versuche, bei denen nur eine Elektrode unmittelbar dem Nerven anlag, während die andere Elektrode zugleich mit dem Nervenende oder mit dem Fuß des Schenkelpräparates in ein Schälchen mit Kochsalz- lösung tauchte, mißrieten; der Unterschied in der Stromdichte an den physiologischen Ein- und Austrittsstellen des Stromes ist, wie schon der motorische Reizerfolg zeigt, nicht erheblich genug. Nach mancherlei Umwegen ergab sich schließlich doch eine recht einfache Versuchsan- ordnung, wie sie sonst zum Nachweis des ‚polaren Versagens‘‘ üblich ist. Tötet man das Nervenende durch Eintauchen in heiße Kochsalz- lösung (thermischer Querschnitt), Bepinseln mit Ammoniak oder durch Quetschen einer Nervenstrecke ab, so gewinnt man in der Tat eine dif- ferente und eine indifferente Elektrode; die der toten — oder auch be- täubten, ‚„parabiotischen“ — Nervenstrecke anliegende Elektrode ist unwirksam und, wie bei der dritten Stufe des Zuckungsgesetzes, nur die dem Muskel näher liegende Elektrode für den Reizerfolg maßgebend. Da auch bei dieser Anordnung die physiologische Eintrittsstelle an der Grenze von abgetötetem und lebendem Nervengebilde eine ziemlich große Stromdichte hat, ist für die Unwirksamkeit der indifferenten Elek- trode wohl in Betracht zu ziehen, daß hier die Stromfäden unmittelbar den bloßgelegten Kernen zugeführt werden, ohne erst Membranen zu durchsetzen und zu polarisieren. Hierfür spricht auch, daß es sich zur Demonstration des polaren Versagens, die nicht in jedem Falle gleich 1) J. Bernstein, Flektrobiologie 1912, S. 135. 2) Höber, Physik. Chemie der Zelle und Gewebe. Kap. XI. 3) Ebbecke, Über elektrische Hautreizung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 296. 1922. ; Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 37 560 U. Ebbecke: gelingt, empfiehlt, den zu untersuchenden Nerven gerade zu strecken, vermutlich, damit nicht die Stromfäden an den Krümmunsgsstellen ge- wellt verlaufender Fasern physiologische Anoden oder Kathoden bilden. DieVersuche verliefen nun in folgenderWeise. Nachdem die untenstehend (Abb. 1) skizzierte Apparatur aufgebaut und der Nerv in einer recht feuchten, fest schließen- den Cambridgekammer mit dem thermischen Querschnitt auf die eine, mit seiner Mitte auf die andere unpolarisierbare Elektrode gelegt war, wurde zunächst mit der subjektiven Fernrohrablesung am Spiegelgalvanometer der Demarkationsstrom (&) des Nerven gemessen. Je nach der Wippenstellung ging der Nervenstrom in der einen oder anderen Richtung durch das Galvanometer, der Abstand zwischen den beiden entgegengesetzten Einstellungen betrug also 23. Nun wurde ein äußerer Stromzweig (b) von bestimmter Spannung durch Nerv und Galvanometer geleitet, und zwar einmal in gleicher, das andere Mal in entgegengesetzter Richtung wie der Nervenstrom. Im ersten Fall (x) war die differente Elektrode die Kathode, im zweiten (&) die Anode, wie die schematischen Zeichnungen (Abb. 2) andeuten. — -—---> Ze Abb. 2. Tabelle I. G V I | II & x 2a »—-o 23 red. 7% 17, 101/47 |+4,7 |34,4(8) 14,6(10) |9,4 (2)|10,2 (2) 17. 029,4 | +24 140,8(19) 46,5(21) 48 |5,70) | 96 | 114 Yo | 0,3|-0,25| 4 0,25) 6,8 (33) | 7,4(36) 105 \0,86() [10 |12 Yo | 0,4 0,25 + 0,25| 8,55 (a1) | 9,2(44) 0,5 |0,85(8) |10 |13 Yo &5 0,25] + 0,25110,4 (50) 11,1 (53,5)0,5 | 0,7(3,5) |10 | 14 Yo 661 0,25| + 0,25112,3 (59) |13,0 (62,5) 0,5 | 0,7(3,5) |10 | 14 1/0 | &72.1-0,25| + 0,25114,4 (68,5)15,1(72,5)0,5 | 0,7(4) |10 |14 1/00 | 150. 0,25! + 0,25|20,2 21,1 0,5 | 09 on is Yo | 15 0,22] — 0,22129,6 30,6 0,44 | 1,0 88 | 20 |x 0 | 30. 0,22| + 0,22|38,9 40,0 0,4 | 11 8,8 | 22 |x Um | 6,5 | 0,22| 1 0,22) 9,7 10,3 0,44 | 0,6 8,8 | 12 Un | 0,2 | 2,05| + 2,05|39,0 41,8 4.10 4,8 82 | 96 7 oa | rar 30,6 39,5 82 |89 2 | 89 Membranänderung und Nervenerregung. 561 Die Stromstärke des äußeren Stromes wurde somit um den gleichen Betrag des Ruhestromes vermehrt oder vermindert, und wenn keine anderen Beziehungen hinzutreten, muß der Abstand zwischen den beiden Einstellungen (b-+ a) — (b — a) gleich 2a sein. Dies ist aber nicht der Fall. Der Abstand erwies sich regelmäßig größer als 2a. Der Befund sei durch die Zahlen eines Versuchsbeispiels (s. vor- stehende Tab. I) erläutert. In der Tabelle I bedeutet G die durch Shunt abgestufte Empfindlichkeit des Spiegelgalvanometers, V die Spannung des zugeleiteten Stromzweigs, I die durch den Nervenstrom verursachte Galvanometerablenkung in der einen, Il in der an- deren Richtung, 23 den Abstand beider Ablenkungen, & die Ablenkung bei diffe- renter Anode, x die bei differenter Kathode, —«& den Abstand beider Ablenkungen. Die eingeklammerten Zahlen geben den Ausschlag (1° = 10-7” A) eines gleich- zeitig in den Stromkreis geschalteten Zeigergalvanometers an. Die Veränderung der Stromstärke — und damit des scheinbaren Widerstandes des Nerven — bei länger dauerndem Stromfluß zeist Tab. II. Tabelle II. 1V NN; 2V & r & z & rz 0 | 20,53 | 20,95|| 29,5 | 30,0 || 38,7 | 39,4 15 | 20,15| — || 29,25, 30,15 || 38,4 | 39,6 30 | 20,05| 21,0 || 29,1 | 30,25|| 38,2 | 39,75 — — || 29,0 | 30,3 || 38,0 | 39,85 60 | 19,9 | 21,05|| 28,9 | 30,3 || 37,8 | 39,95 In der Tab. II ist unter x und x die von 15 zu 15 Sekunden abgelesene Stromstärke angegeben, während je 1 Minute ein Strom von gleichbleibender Spannung (1, 1,5 und 2 Volt) den Nerven in der einen oder anderen Richtung durchfloß. Die Messungen waren an dem mit x bezeichneten Stellen der Tab. I eingeschoben. Vor der Diskussion des Befundes sind zwei Täuschungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen, welche die Zuverlässigkeit der Versuche beein- trächtigen könnten. Da es immer der stärkere von beiden Strömen ist, welcher im Verhältnis zu stark erscheint, könnte es sein, daß die gerade, nicht kreisförmige Skala die mehr in die Peripherie fallenden Ausschläge verzerrt und vergrößert wiedergäbe. Es wurde daher ein bestimmter Ausschlag des Galvanometers hervorgerufen, während abwechselnd durch Torsion des den Spiegel tragenden Fadens der Ausschlag in die Mitte und an die Seite der Skala verschoben wurde; der Ausschlag blieb in beiden Fällen gleich, die Skala kann praktisch als ein Segment eines Kreises angesehen werden, der, entsprechend dem Abstand von Fern- rohr und Skala, einen Radius von fast 2m hat. Auch der Ausschlag des Zeigergalvanometers widerlegt den Einwand. Der zweite Einwand wäre, daß der Nerv wie jedes polarisierbare Gebilde einen höhergespann- allen 562 U. Ebbecke: ten Strom besser leitet als einen Strom von niedrigerer Spannung. Zur Probe wurden an symmetrische Stellen eines Nerven die Elektroden angelegt und nun, während ein Strom durch den Nerven geschickt wurde, mit Hilfe eines zweiten gleichzeitig eingeschalteten Potentiometers mit Stromquelle ein zweiter Strom zum ersten abwechselnd addiert und subtrahiert; der Ausschlag nach rechts und links, den dieser zweite Strom verursachte, blieb sich gleich. Innerhalb der verwendeten Span- nungen kommt also diese Fehlerquelle nicht merklich in Betracht. Der Einwand wird weiter widerlegt durch das Verhalten der Stromstärke bei längerdauerndem Stromfließen und dadurch, daß bei einem ange- legten Strom von 2 Volt Spannung ein Plus oder Minus von höchstens einigen hunderstel Volt nicht mehr viel bedeuten kann. Die physikalisch nicht zu erwartende Ungleichheit von 2a und x—& tritt in den Zahlentabellen mit voller Deutlichkeit zutage und läßt sich in folgenden Sätzen formulieren. Der Gleichstromwiderstand des Nerven hängt bei „unipolarer‘“ Stromzuleitung von der Stromrichtung ab; er ist größer, wenn die Anode, kleiner, wenn die Kathode die differente Elek- irode ıst. Während des Stromfließens nimmt der Widersiand des Nerven an der Kathode ab, an der Anode zu. Der Unterschied zwischen anodischem und kathodischem Widerstand wird um so größer, je stärker der Strom ist und je länger er dauert. So ist der Quotient — bei 0,1 V nur wenig größer als 1, bei Spannungen unter 0,05 V meist noch nicht deutlich von 1 unterschieden, bei 2 V aber 2 und mehr. Die Abnahme des ano- disch zugeleiteten Stromes innerhalb einer Minute beträgt bei 1V ın dem angeführten Beispiel 4, bei 2V 9 Teilstriche und ist unterhalb 0,5 V nur sehr langsam und unauffällig. Aus dem so formulierten Tatbestand geht hervor, daß der galvanische Strom den Nerven, den er durchfließt, an seinen beiden Polen in entgegen- gesetztem Sinne verändert, oder auch, daß der Nerv an den beiden Polen mit entgegengesetzten Änderungen reagiert. Eine Erklärung durch Aktionsstrom oder Inkrementsatz wie bei der ‚positiven Schwankung‘“ ist nicht mehr anwendbar; denn abgesehen davon, daß der Aktions- strom nur in der ersten Zeit des Stromschlusses fließen würde, müßte er durch Verminderung des Ruhestroms gerade die entgegengesetzte Wir- kung auf die Stärke des zugeleiteten Stromes ausüben als sie hier gefunden ist. Mit dem Leben des Nerven hängt freilich die Erscheinung zusammen. Am abgetöteten Nerven gelingen die Versuche nicht mehr, wie sich schon aus der Möglichkeit ergibt, die eine der beiden Elektroden durch Anlegen an eine abgetötete Nervenstrecke unwirksam zu machen. Sogar wenn der Nerv nur einer längeren Behandlung mit galvanischen Strömen aus- gesetzt war, ist die Erscheinung weniger ausgesprochen als am Anfang des Versuchs, wie die beiden untersten Zahlenreihen der Tab. I zeigen. Membranänderung und Nervenerregung. 563 Es ist eine Lebenserscheinung, wie auch die Polarisierbarkeit eine Lebens- erscheinung ist, die beim Tode bis auf geringe Spuren verschwindet. Und als Polarisierbarkeitsänderung ist unsere Erscheinung ganz im Sinne der Fragestellung, die zu den Versuchen führte, verständlich. Der Wider- stand des Nerven infolge des polarisatorischen Gegenstroms nimmt zu oder ab, je nachdem die Polarisierbarkeit der Membran zu- oder abnimmt; die Polarisierbarkeit wiederum hängt von der Durchlässigkeit oder dem Dichtegrad der Membran ab. So führen die Beobachtungen und Über- lesungen zu dem zusammenfassenden Satz: Unter der Einwirkung des elektrischen Stromes kommt es zur Membranverdichtung an der Anode, zur Membranauflockerung an der Kathode. Man könnte im Sinne von H. Munk an die Möglichkeit denken, daß der kataphorische Wassertransport hierbei eine Rolle spielt, zumal bei Anwendung außerordentlich starker galvanischer Ströme das Heraus- quellen des Faserinhaltes an der Anode unmittelbar beobachtet werden kann. Erst die im folgenden Abschnitt behandelten Änderungen des galvanischen Elektrotonus widerlegen diese Möglichkeit und bestätigen, daß Membranänderungen zugrundeliegen. Auch auf die von Munk!) und Hermann?) gefundene, neuerdings von Broemser?) mit exakter Methodik bestätigte und bei der Nervennarkose beobachtete Zunahme des Längswiderstandes eines absterbenden oder narkotisierten Nerven ist hier hinzuweisen, obgleich die Beziehung zwi- schen jenem und unserem Befund noch nicht deutlich ist und die Zu- nahme des Längswiderstands bei abnehmendem Querwiderstand ver- mutlich auf einer Leitfähigkeitsänderung des gesamten Nervenfaser- inhalts beruht. Wenn wir die mit Widerstandsänderungen einhergehenden Membran- änderungen als Lebenserscheinung auffassen, so ist wichtig, daß zu ihrem Entstehen nicht etwa unphysiologische Reizstärken nötig sind. Denn selbst Ströme von 2 Volt Spannung wirken bei dem durchschnittlichen Elektrodenabstand im Sinne des Zuckungsgesetzes erst als ‚„mittel- starke‘“ Ströme, so daß man nicht von einer mechanischen Zerstörung der Membranen durch starken Strom oder von einer rein physikalischen Schädigung wird sprechen wollen. Es liegt eine typische, rasch einsetzende Reizreaktion vor. Sie wächst mit zunehmender Stromstärke, wie auch ein motorischer Reizerfolg zu wachsen pflest, hält aber auch an und wächst während der Stromdauer, was der motorische Reizerfolg nicht tut. Bei höheren Stromstärken geht die Reizwirkung ohne scharfe Grenzen in eine mehr oder weniger reversible Schädigung und schließ- !) H. Munk, Unters. über das Wesen der Nervenerregung. Leipzig 1868. 2) Hermann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 5, 229. 1872. ®) Ph. Broemser, Der spezifische Widerstand des Nerven und seine Beziehung zur Erregungsleitung. Zeitschr. f. Biol. %4, 49. 1921. 564 U. Ebbecke: lich Abtötung über, wie solche Übergänge sich häufig finden und uns auch bei der lokalen galvanischen Reaktion der Haut begegneten. Erst zum Schluß sei die Frage erörtert, ob wir berechtigt sind, diese Reaktion als eine Erregung zu bezeichnen. Zunächst erweitern wir die in diesem Abschnitt gewonnene Auffassung durch ihre Anwendung auf jene Er- scheinung, die am besten geeignet ist, etwas über Nervenpolarisier- barkeit auszusagen und zu deren Verständnis unser Befund den Schlüssel gibt. 2. Änderungen des galvanischen Elektrotonus. Die von du Bois- Reymond entdeckten elektrotonischen Ströme wurden durch den Befund von Matteucei und besonders durch die ein- gehenden Untersuchungen von Hermann und später von Boruttau als Polarisationserscheinungen erkannt, physikalisch erklärbare Polarisa- tionserscheinungen, die insofern zugleich Lebensäußerungen sind, als sie am toten Nerven fehlen. In der Tat ist die Übereinstimmung zwischen dem elektrischen Verhalten des Nerven und eines Modells aus gutleiten- dem metallischem Kern mit schlechter leitender Flüssigkeitshülle so groß, daß eine Zeitlang die Neigung bestand, Nerv und Kernleiter mit- einander zu identifizieren. Doch werden für unsern Zusammenhang gerade die Punkte bedeutsam, in welchem das Verhalten des Nerven von dem des Kernleiters abweicht. Das sind erstens das Überwiegen des galvanischen Anelektrotonus über den Katelektrotonus, zweitens die Abnahme des Katelektrotonus, die anfängliche Zunahme des An- elektrotonus bei längerem Stromfließen und drittens die als Nach- wirkung hinterbleibenden, ‚sekundärelektromotorischen‘“ Ströme. Solche Abweichungen haben dazu geführt, einen physikalischen und einen physiologischen Elektrotonus (Hering, Biedermann, Garten, Waller) oder eine physikalische und eine physiologische Komponente des Elektrotonus zu unterscheiden oder von einer physiologischen Polarisation im Gegen- satz zur physikalischen Polarisation zu sprechen (C’remer!), wobei freilich „physiologisch“ zunächst nicht viel mehr bedeutet, als daß die Erschei- nung nur dem lebenden Nerven eigentümlich, im übrigen aber unbekann- ten Ursprungs ist. Bei der Nachprüfung der bekannten Erscheinungen ergaben sich Versuche, die ganz in Parallele zu denen des vorigen Abschnittes ge- setzt werden können und die ein Versuchsbeispiel demonstrieren soll. Als polarisierender Strom dienten die von einem einzelligen Akkumu- lator durch Potentiometer abgeleiteten Stromzweige; die Richtung des polarisierenden Stroms wurde durch eine eingeschaltete Wippe gewendet. Die beiden unpolarisierbaren Elektrodenpaare mit über die Pinsel ge- !) Zur Literatur vgl. Cremer in Nagels Handb. d. Physiol. 4. Membranänderung und Nervenerregung. 565 legten Nerven blieben während der ganzen Versuchsdauer unverändert in der feuchten Cambridgekammer liegen; die ableitenden Elektroden waren an zwei gegeneinander nahezu stromlosen Nervenstellen angelegt. Tabelle III. 4A V G 4A K A-K x aa 2,6 een 0,06 | Yı 5,4 5,0 0 0 OR 029% 9,0 8,2 0,8 | 1, Day 17,6 15,8 ver 3% me 27,5 24,1 34 | 9R A 35,2 0. Bed, 1 U ee oe Wo 2 | a | Nareeie) | 808 |. 37 In der Tabelle III bedeutet G die durch Shunt abgestufte Empfindlichkeit des Galvanometers, A den Betrag der anelektrotonischen Ablenkung, X den der entgegengesetzt gerichteten katelektrotonischen Ablenkung; die beiden letzten Spalten enthalten die Differenz und den auf einfache Zahlen reduzierten Quotient von Anelektrotonus und Katelektrotonus. Wo unter A und K zwei Zahlen an- gegeben sind, entspricht die zweite der Ablenkung, nachdem der Strom !/, Minute lang geschlossen geblieben war. Wegen der veränderten Galvanometerempfindlich- keit sind in den beiden untersten Reihen die Zahlen für A, K und A—K zum Ver- gleich mit 5 bezw. 10 zu multiplizieren. Was wir der Tabelle außer den bekannten Tatsachen vom Über- wiegen des Anelektrotonus und vom verschiedenen Verhalten des An- und Katelektrotonus bei längerdauerndem Strom entnehmen können, ist folgendes: A | 120 der bei schwachen Strömen noch kaum größer als 1 ist, und um so größer wird die Zunahme des Anelektronus, die Abnahme des Katelektrotonus während der Stromdauer. Diese Sätze entsprechen ganz den Befunden des ersten Abschnittes, wonach die Ungleichheit des anodischen und kathodischen Widerstandes und die Widerstandsänderung während der Stromdauer um so größer ist, je stärker der Strom. Es ist nun zu zeigen, daß die Ähnlichkeit nicht nur äußerlich ist. Die Beziehung wird überraschend einfach, sobald wir auf die membranauflockernde Wirkung der Kathode, die membran- verdichtende Wirkung der Anode zurückgreifen. Die zeitliche Abnahme des Katelektrotonus geht der Abnahme des scheinbaren Widerstandes, die zeitliche Zunahme des Anelektrotonus der Zunahme des scheinbaren Wider- standes parallel; beide Tatsachen sind nur ein verschiedener Ausdruck. der Polarisierbarkeitsabnahme an der Kathode und der Polarisierbarkeits- zunahme an der Anode. Da die Änderungen außerordentlich rasch ein- Je stärker der polarisierende Strom, um so größer wird der Quotient 566 U. Ebbecke: treten, sind sie für den träge registrierenden Spiegelgalvanometer schon von vornherein ausgesprochen, wenn sie auch mit der Dauer des Stromes noch zunehmen. Um die ausgesprochene Beziehung zwischen scheinbarem Widerstand und Elektrotonus anschaulicher zu machen, haben wir die Polarisations- vorgänge an Kernleiter und Membranen näher ins Auge zu fassen. In einem System aus Zinkdraht, der in Zinksulfatlösung liegt, durchquert ein der Flüssigkeit zugeleiteter Strom die schlechter leitende Hülle, um im übrigen im gut leitenden Metall entlang zu fließen. Anders in einem System aus Platindraht in Säure oder wie beim Nerven in einem System, bei dem Hülle und Kern durch eine schlecht durchlässige Membran getrennt sind. Hier stauen und häufen sich an der Stelle des Übergangs- widerstandes die Ionen, die positiven gegenüber der Anode, die negativen gegenüber der Kathode, erzeugen einen entgegengesetzten Diffusions- strom (Widerstandserhöhung) und drängen, sich gegenseitig abstoßend, die den Strom transportierenden Ionen nach den Seiten hin ab, so daß die Stromfäden gezwungen sind, Umwege zu machen und sich in einer Art von polarisatorischen Stromschleifen, die nach außen ableitbar sind, auszubreiten. Dies fällt weg, sobald das zur Stauung führende Hindernis beseitigt oder vermindert wird, das heißt, sobald das ‚Ionensieb“ grob- poriger wird und sich die elektrische Doppelschicht durch die Membran hindurch ausgleichen kann. Da nun wirklich die Kathode die Membran durchlässiger macht, ist es nur natürlich, wenn sowohl die Stärke als die Ausbreitung des Elektrotonus an der Kathode geringer gefunden wird als an der Anode. Als ‚‚physiologischer Faktor‘ des Elektrotonus stellt sich somit die veränderliche Membrandurchlässigkeit heraus. Da diese Membranänderungen, Verdichtung und Lockerung, nicht wie die ge- wöhnliche Nervenerregung nur im Augenblick des Stromschlusses auf- treten, sondern mit der Dauer des Stromes weiter fortschreiten, muß der Anelektrotonus nach Stärke und Ausbreitung weiter anwachsen, der Katelektrotonus weiter abnehmen. So betrachtet, werden die Vorgänge in einfacher Weise verständlich. Während für das Anwachsen des Anelektrotonus und Abnehmen des Katelektrotonus bisher keine physikalische Erklärung bestand und Hermann!) sogar ausdrücklich betont, daß es zwar Kernleiter gebe, in denen der Elektrotonus mit Stromdauer zunehme, und andere, in denen er abnehme, aber nicht solche, bei denen die eine Seite Zunahme, die andere Abnahme zeige, pflegte für die verschiedene Größe von An- und Katelektrotonus der Hinweis zu genügen, daß das Gleiche auch bei be- stimmt kombinierten Kernleitern vorkommt. So ist für Platin in Säure die Ablenkung auf beiden Seiten gleich stark, für Zink- oder Kupfer- draht in verdünnter Schwefelsäure dagegen der abgeleitete Strom auf der 1) Hermann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 6, 357. Membranänderung und Nervenerregung. 567 Kathodenseite wesentlich schwächer als auf der Anodenseite. Doch hätte schon dieser Befund als Hinweis dafür dienen können, daß der Unterschied durch eine Polarisierbarkeitsänderung bedinst ist. Denn durch die Abscheidung von SO,-Ionen an der Kathodenseite des Drahtes kommt es zur Bildung von Zinksulfat oder Kupfersulfat, so daß dort der von einer Lösung seines eigenen Salzes umgebene Draht weniger polarisierbar geworden ist. “ Die von Bernstein gefundene negative Schwankung der elektroto- nischen Ströme bei Nervenerregungen ist, von diesem Standpunkt aus betrachtet, auch nur ein weiterer Ausdruck der mit der Erregung ver- bundenen Durchlässigkeitszunahme der polarisierten Membranen, was nun kaum noch einer besonderen Ausführung bedarf. Hervorzuheben ist nur die bekannte Tatsache, daß die negative Schwankung im Anelek- trotonus größer ist als im Katelektrotonus. Gerade dieser Befund, den beispielsweise Verzar !) in graphischer Registrierung demonstriert, war für Hermann der Anlaß, seinen Satz aufzustellen, wonach die negative Erregungswelle an einer Nervenstelle um so stärker anlangt, je stärker positiv und je schwächer negativ die letztere polarisiert ist. Erinnern wir uns an die Befunde über die Membranpermeabilität der Hautzellen, so ist es nicht schwer, den Zusammenhang herzustellen: Die Durchlässig- keitszunahme einer Nervenstelle kann nicht mehr erheblich sein, wenn die Stelle ohnehin schon durch den Katelektrotonus durchlässiger ge- worden und dem bei einer Erregung erreichbaren Polarisierbarkeits- minimum angenähert war. Umgekehrt ist der Abstand zwischen diesem Minimum und dem vorher bestehenden Polarisierbarkeitsgrad im An- elektrotonus vergrößert. 3. Änderungen der Erregbarkeit. Seit Pflüger sind elektrotonische Ströme und elektrotonische Erreg- barkeitsänderungen so eng miteinander verknüpft, daß sie auch in unse- rem Zusammenhang sich aneinanderschließen müssen. Hier fällt vor allem der Widerspruch auf, der zwischen der bekannten Erregbarkeits- steigerung an der Kathode einerseits, dem von Hermann?) gefundenen „Scheitern der Erregung‘ an der Kathode und der durch die Unter- suchungen Werigos?) festgestellten ‚depressiven Kathodenwirkung‘“ andrerseits besteht. Handelt es sich dabei um zwei verschiedene Wir- kungen der Kathode oder kann ein und dieselbe Wirkung so verschiedene 1!) Verzar, Aktionsströme des Nerven im Elektrotonus. Zentralbl. f. Physiol. 1312557399: 2) Hermann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 10, 226. 1875. 2) Werigo, Die sekundären Erregbarkeitsänderungen an der Kathode eines andauernd polarisierten Froschnerven. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 31, 417. 1883; Werigo, Die depressive Kathodenwirkung, ihre Erklärung und ihre Bedeu- tung für die Elektrophysiologie. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 84, 547. 1901. 568 U. Ebbecke: Folgen haben? Nach dem Befunde Hermanns, demzufolge bei starken Strömen die Kathodengegend für oberhalb gesetzte Erregungswellen un- durchgängig wird, bevor noch die Anodengegend mit ihrer herabgesetzten Erregbarkeit leitungsunfähig geworden ist, konnte es scheinen, daß eine Art Schädigung oder Erschöpfung durch starke Ströme vorliege. Um so wichtiger sind die Befunde Werigos, der durch Anwendung mäßiger Ströme zeigen konnte, wie mit der Dauer des Stromes ganz allmählich an Stelle der typischen Erregbarkeitssteigerung die ‚„paradoxe‘“ Erreg- barkeitsherabsetzung tritt und bei weiterer Stromdauer von der unmittel- baren Nachbarschaft der Kathode auf die entferntere Umgebung über- greift. Gleichzeitig kann sich die Kathodenstelle und ihre Nachbarschaft in einem Zustand herabgesetzter Erregbarkeit und etwas weiter abge- legene Nervenstrecken im Zustand gesteigerter Erregbarkeit befinden. Auch dadurch wird der Befund bemerkenswert, daß sich ähnliche Ver- hältnisse, anfängliche Steigerung, spätere Herabsetzung, in der Nach- barschaft eines Nervenquerschnitts finden, hervorgerufen durch den vom Querschnitt ausgehenden, sich innerhalb der Nervenbündel aus- gleichenden Ruhestrom. Dabei ist die depressive Kathodenwirkung eine reversible Erscheinung, die je nach Stromstärke und Stromdauer verschieden lange Zeit zu ihrer Beseitigung braucht. Gerade diese Be- funde Werigos, zusammen mit den später zu besprechenden Nachwir- kungen der galvanischen Durchströmung, waren es, die mich ursprüng- lich zur Beschäftigung mit dem Thema veranlaßten. Denn hier wird die Beziehung zu der Wirkung galvanischer Durchströmung auf die Haut- zellen, sobald man darauf aufmerksam geworden ist, besonders deutlich, so daß man fast von einer lokalen galvanischen Reaktion des Nerven sprechen könnte. Beurteilt man den Grad der Zellreizung nach der elektrischen Widerstandsherabsetzung, so sind Hautstellen, deren Zell- membranen durch irgend eine Reizung schon durchlässiger gemacht sind, insofern erregbarer geworden, als nun schon schwächere Ströme ausreichen, um eine Widerstandsherabsetzung zu bewirken oder das Wiederanwachsen eines herabgesetzten Widerstandes zu verhindern. Da aber die Widerstandsherabsetzung durch einen Strom von bestimm- ter Stärke nur bis zu einem bestimmten Minimum geht, so ist unter Um- ständen ein Reiz unwirksam, wenn das betreffende Minimum schon vor- her annähernd erreicht war. Übererregbarkeit und Unerregbarkeit sind verschiedene Stadien derselben Wirkung. Durch Übertragung der Haut- befunde auf den Nerven beantwortet sich die im Anfang des Abschnittes gestellte Frage, wieso Steigerung und Depressivwirkung an der Kathode nebeneinander bestehen können. Der erste Fall tritt ein, wenn die Nervenmembran infolge der kathodischen Polarisation ein wenig durch- lässiger geworden ist, wie es bei schwächeren oder kürzerdauernden Strömen die Regel ist; der zweite Fall dann, wenn die Kathode die Membranänderung und Nervenerregung. 569 Membran erheblich gelockert hat, wie es stärkere oder längerdauernde Ströme tun. Es besteht daher kein Grund, aus der anfänglich noch zu- nehmenden Erregbarkeit der katelektrotonisierten Nervenstrecke auf eine entsprechende anfängliche Zunahme des galvanischen Katelektro- tonus zu schließen; in dieser Beziehung gehen Stärke der Erregbarkeits- steigerung und des abzuleitenden Stromes durchaus nicht parallel. Bei stärkeren Strömen verhält sich schließlich die aufgelockerte Katho- denstelle ähnlich wie ein künstlicher Nervenquerschnitt, nur daß der ‚Querschnitt‘ temporär und reversibel ist. Die Umkehrung der Verhältnisse an der membranverdichtenden Anode ergibt sich hiernach ohne Schwierigkeit. Die anodisch polarisierte Membran ist weniger geeignet, auf einen zweiten Reiz hin durchlässiger zu werden; es ist aber einleuchtend, daß, sobald nur der Reiz stark genug einwirkt, der Abstand zwischen dem bestehenden Polarisierbarkeits- grad und dem erreichbaren Minimum, die Leistungsfähigkeit der Nerven- strecke, vergrößert ist. Etwas Ähnliches wird in der Nomenklatur von Waller als ‚‚zinkartig‘“ und ‚‚zinkfähig‘‘ bezeichnet. Nachdem die Überlegungen bis zu diesem Abschluß gekommen waren, stellte sich die einfache Erklärung für eine bisher nur als Tatsache hin- genommene Erscheinung ein: Der intrapolare Indifferenzpunkt, an dem die Erregbarkeit weder erhöht noch erniedrist ist, liest für schwache polarisierende Ströme etwa in der Mitte der durchflossenen Strecke; je stärker aber der durchgeleitete Strom wird oder je länger er dauert, um so mehr verschiebt sich der Indifferenzpunkt nach der Seite der Kathode hin. Zwar hat sich in den meisten Lehrbüchern der Physiologie noch die ursprüngliche Pflügersche Zeichnung der Erregbarkeitskurven erhalten, nach denen bei schwachen Strömen der Indifferenzpunkt der Anode näher liest. Doch haben die späteren Untersuchungen Tiger- siedts!), der sein Augenmerk besonders auf diesen Punkt richtete, er- geben, daß der Indifferenzpunkt auch bei schwachen Strömen, sofern er nicht genau in der Mitte liegt, eher schon nach der Kathodenseite verschoben ist 2). Nun lehrten die Befunde der ersten beiden Abschnitte, daß der Unterschied zwischen anodischem und kathodischem Widerstand, und zwischen galvanischem An- und Katelektrotonus mit der Dauer und mit der Stärke des Stromes zunimmt, und die Parallele mit der Ver- schiebung des Indifferenzpunktes wird deutlich. Weil mit zunehmender Auflockerung der Kathodenstelle die leichter durchtretenden Ionen immer weniger genötigt sind, nach der Seite auszuweichen, während an der Anodenstelle das Umgekehrte der Fall ist, nimmt die Ausbreitung der kathodischen Polarisation ab, die der anodischen Polarisation zu, und der intrapolare mittlere Gleichgewichts- oder Neutralpunkt rückt zur I) R. Tigerstedt, Mitteil. v. physiol. Labor., Stockholm 1882, Bd. 1. 2) Vgl. Gotch in Schäfers textbook of physiol. %, 495, Fig. 259. 570 U. Ebbecke: Kathodenseite. So geben die intrapolaren Erregbarkeitsänderungen ein Spiegelbild der einer direkten Messung schwer zugänglichen physika lischen Vorgänge. Natürlich wird mit dieser Auffassung die zur Erklä- rung der depressiven Kathodenwirkung von vielen Autoren vertretene, schon von Hermann bekämpfte Meinung, daß die anodische Erregbar- keitsherabsetzung, an die Kathode heranrückend, schließlich über die Kathode hinausgreife, zu einer physikalischen Unmöglichkeit, da ja an der Kathode niemals anodische Polarisation bestehen kann. B. Membranänderungen nach einer Reizung oder Schädigung. 4. Elektrisch sich äußernde Nachwirkungen (,‚Negativitätsrückstand‘“‘). Der sehr flüchtigen und darum schwieriger meßbaren Negativität, die im Aktionsstrom die Reizwirkung anzeigt, steht die langdauernde Negativität gegenüber, die als Nachwirkung einer Überreizung oder Schädigung hinterbleibt. Sie dauert im Ruhestrom solange, bis die durch Schneiden, Quetschen, Brennen, ätzende oder narkotische Sub- stanzen beeinträchtigte Nervenstrecke völlig abgestorben ist. Eine tote Strecke, die scharf an eine normale angrenzt, liefert keinen Strom mehr, sondern verhält sich wie ein indifferenter Leiter. Insofern ist auch der Ruhestrom einer absterbenden Strecke eine Lebenserscheinung, etwa wie die Totenstarre eines absterbenden Muskel als letzte Lebens- äußerung aufgefaßt werden kann. Viel deutlicher noch wird: die Be- ziehung zwischen dem Ruhestrom, den die Membrantheorie als eine Schädigung von Membranen gut erklären kann, und dem Aktionsstrom, wenn als Bindeglied die vorübergehende reversible Negativität ins Auge gefaßt wird, auf dieWedenski!) aufmerksam gemacht hat und die immer dann eintritt, wenn eine Nervenstrecke durch vorsichtiges Komprimieren, durch Erwärmen auf 40°, durch kurzdauerndes Bepinseln mit Ammoniak- lösung, durch dosierte Einwirkung von Äther, aber auch durch über- starke elektrische Reize zeitweise betäubt oder gelähmt ist. Hier folst auf die Schädigung die Erholung, auf die Störung der Membranen die Widerherstellung, was sich in seinem langsamen Ablauf gut verfolgen läßt. Etwas Ähnliches, nur in weit rascherem Verlauf, wird sich nach einer flüchtigen Erregung, welche die Membran aufgelockert hat, ab- spielen müssen, und dieses zweite Stadium der Reizreaktion ist für die Kenntnis des gesamten Erregungsverlaufes nicht weniger wichtig, auch wenn es nicht wie das erste Stadium auffällige Außenwirkungen entfaltet. Es sollen daher im folgenden die an den Membranen hinter- bleibenden Nachwirkungen betrachtet werden, wobei Reizung, Über- reizung, vorübergehende und bleibende Schädigung herangezogen werden, 1) Wedenski, Erregung, Hemmung, Narkose. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 100, 1. 1903. Membranänderung und Nervenerregung. 571 zwischen denen am Nerven ebensowenig wie an einem anderen reiz- baren Gebilde eine scharfe Grenze zu ziehen ist. Zunächst soll über einen Befund berichtet werden, der die lange Dauer der Nachwirkung nach faradischer Reizung deutlich zeigt und der sich mir bei der Untersuchung des Fleischleffektes!), ursprünglich nur als störender Versuchsfehler, ergab. In den sekundären Kreis eines Induktionsapparates wurde ein Spiegel- salvanometer und der über zwei unpolarisierbare Elektroden möglichst stromlos gelegte Nerv eingeschaltet und durch Ingangsetzen des Wag- nerschen Hammers im primären, von einem Trockenelement gespeisten Kreis wurde der Nerv bei etwa 100 mm Rollenabstand tetanisiert. Dann zeigte sich außer der von Fleischl beschriebenen dauernden Ablenkung des Galvanometers im Sinne der Öffnungsschläge eine geringe Zunahme der Ablenkung während des Tetanisierens. Nach Unterbrechung im primären Kreis aber, während der den Nerven enthaltende Kreis dauernd geschlossen blieb, kehrt der Lichtzeiger statt auf die vorige Nullstellung nur bis zu einer auf halbem Wege gelegenen Stellung zurück und brauchte ein bis mehrere Minuten, bis er wieder die Ausgangsstellung erreicht hatte. Der Befund war bei frischen Nerven und bei Induktionsströmen, die nur wenig über der ‚Schwelle‘ des Fleischleffekts lagen, recht regel- mäßig, während er bei erschöpften Nerven fehlte. Tabelle IV. Während der Reizung | Nach der Reizung a2 26, 1,7 98 25, ee TE 2 22 (Reizung dauert 15’) | 18, 3/,” 10, 1’ 1 San 722212. 28 a 1 O1) 4 | 160, !/,° 155, 1/,’ 155 1257210001476, 1261, 1251.21249871731 In dem angeführten Versuchsbeispiel der Tab. IV wurde der Nerv 3mal bei 100 mm Rollenabstand und dann einmal bei SO mm Rollenab- stand tetanisiert, wobei die Galvanometerablenkungen und die zwischen . zwei Ablesungen verstrichene Zeit in Minuten notiert sind. Wie aus der Tabelle hervorgeht, übertrifft die Dauer der Nachwirkung weitaus die Dauer der Reizung selbst. Nach einem nur 15 Sekunden dauernden Tetanisieren bei 100 mm Rollenabstand dauert die Rückkehr bis zur Norm ungefähr zwei Minuten; nach einem Tetanisieren von 1 Mi- nute Dauer und SO mm Rollenabstand ist noch nach 6 Minuten die Norm längst nicht erreicht. Nach Art von Diffusionsvorgängen vollzieht sich die Rückbildung hyperbelähnlich anfangs am raschesten und verschwin- 1) Ebbecke, Über Membranänderung und Fleischleffekt. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 320, 1922. 572 U. Ebbecke: den die letzten Spuren nur sehr langsam. Umkehr der Stromrichtung verändert nur die Richtung, aber nicht den Sinn der Ausschläge. Zur Deutung dieser Erscheinung, die wohl nicht weniger beachtens- wert ist als der Fleischeffekt selbst, hilft der weitere Befund, daß eine ähnliche Nachwirkung auch schon eintritt, wenn eine Reihe gleichge- richteter Induktionsstöße durch den Nerven geschickt wird. Es genügt schon, fünf bis zehn Öffnungsschläge bei abgeblendeten Schließungs- schlägen!) oder auch ebensoviel Schließungsschläge bei abgeblendeten Öffnungsschlägen wirken zu lassen, um danach die Verschiebung der Ruhestellung in der Richtung der vorigen Ausschläge zu bemerken. Nur in gelegentlichen Ausnahmen, für die ich einen sicheren Grund noch nicht ausfindig machen konnte, war die Verschiebung der Richtung der Reizstöße entgegengesetzt. Die Verschiebung ist in der Regel erheb- lich größer, wenn Öffnungsschläge, als wenn Schließungsschläge ein- gewirkt hatten, ist aber in beiden Fällen kleiner als nach Tetanisieren und beträgt nur einige wenige Teilstriche der Skala. Ihre Größe hängt von der Stärke der Induktionsstöße und von ihrer Zahl ab. Auch nach einem einzelnen Induktionsstoß ist sie, freilich erst bei unphysiologisch hoher Reizstärke, andeutungsweise zu sehen. Da die nachträgliche Verschiebung dem Reizstrom gleichgerichtet ist, kann sie nicht auf einem physikalischen Polarisationsstrom beruhen. Der Erfolg der tetanisierenden Ströme erklärt sich dadurch, daß wie in der Wirkung so in der Nachwirkung die Öffnungsstöße ausschlag- gebend sind. Da die Art der Messung nichts über die Veränderung an jeder der beiden Elektrodenstellen, sondern nur etwas über die Differenz zwischen ihnen aussagt, so läßt sich der Tatbestand folgendermaßen formulieren: Nach Reizung des Nerven mit einer Reihe starker Induk- tionsschläge bleibt die Anode für längere Zeit negativ gegenüber der Kathode. Der ‚Negatwitätsrückstand‘‘ an der Anode, wie er in Analogie zum Ver- kürzungsrückstand des Muskels genannt sein möge, ist um so stärker und längerdauernd, je stärker die Reizstöße waren und je schneller und häufiger sie aufeinander folgten, worin sich eine deutliche Summation ausdrückt. Der Anschluß unseres Befundes an bekannte Tatsachen wird her- gestellt, wenn wir bedenken, daß nur recht starke Induktionsschläge den Effekt geben, Schläge von solcher Stärke, wie sie nach Fick außer der Kathodenschließungszuckung, der einzigen Wirkung bei mäßiger Reizstärke, auch schon Anodenöffnungszuckung zur Folge haben. In dem Negativitätsrückstand kommt also das zum Ausdruck, was für konstante Ströme bekannt und von du Bois-Reymond als ‚positive !) Die Abblendung geschah durch manuelles Schließen des Vorreibeschlüssels, wobei die einzelnen Schläge im Abstand von etwa einer Sekunde aufeinander folgten. WBEELDGEEE WEEEE EONWERWEREGLKET PT BEI VRR Dh EEE ERBE LZETEBE BET Membranänderung und Nervenerregung. 573 Polarisation“, von Hermann und Hering als ‚„postanodischer Aktions- strom‘ bezeichnet ist. Auch für diese Nachwirkung konstanter Ströme ist vielleieht der Name Negativitätsrückstand geeigneter, da leicht zu sehen ist, daß die Negativität der Anode weit länger anhalten kann als die Öffnungszuckung oder der Öffnungstetanus des zugehörigen Muskels. Der Rückstand ist auch nicht auf die Anode beschränkt, denn, wie Werigo zeigte, kann nach längerer galvanischer Durchströmung eines Nervenabschnittes bei Ableitung von der Kathode und einer extra- ‘ polaren Nervenstelle die Kathodenstelle bis zu einer halben Stunde negativ gegenüber dem normalen Nerven bleiben, um sich erst ganz allmählich von der Nachwirkung der Durchströmung zu erholen. Wir können demnach sagen, daß nach einer Durchströmung des Nerven, die sich durch ihre lange Dauer oder, wie in unserem Fall, durch die Häufig- keit ihrer Wiederholung auszeichnet, sowohl Anode wie Kathode negativ zurückbleiben, wobei aber die Anodenstelle die negativere ist, und kön- nen, wenn wir die Negativität als Membranauflockerung betrachten, auch den Grund dieses Verhaltens verstehen. Nehmen wir wieder das Schema des Kernleiters zu Hilfe, so ist während der Durchströmung die Kernmembran an der Kathode aufgelockert und elektrotonische Ströme haben sich nach beiden Seiten ausgebreitet, an der Anode mehr als an der Kathode. Im Augenblick des Stromöffnens fließt zwischen Anode und Kathode in entgegengesetzter Richtung der Polarisationsstrom, und auch die elektrotonischen Ströme fließen im ersten Augenblick noch weiter. Für alle diese Ströme aber, die bei ge- nügender Stärke wie jeder äußere Strom reizen müssen, ist die Stelle des Stromeintrittes in den Kern die frühere Kathode, die Stelle des Stıomaustrittes die frühere Anode; die physiologische Anode und Kathode haben ihren Platz gewechselt; die frühere Kathodenstelle wird relativ verdichtet und mehr oder weniger vollkommen restituiert, an der Anoden- stelle findet die Membranauflockerung und damit Erregung und Nega- tivität statt. Wenn man gegen derartige Anschauungen, die schon seit langem die Anodenöffnungszuckung als Reizwirkung des Polarisations- stromes deuteten, den Einwand erhoben hat, daß nicht die Unterbrechung nötig sei sondern schon die schnelle Abschwächung des Stromes genüge, so kann der Einwand nicht stören, da im letzteren Fall die Wirkung physikalisch dieselbe ist, als wenn bei unverändert fließendem Strom ein zweiter schwächerer Strom in entgegengesetzter Richtung durch den Nerven geschickt wird und den, doch nicht unerregbar gewordenen Nerven wie gewöhnlich reizt, und da auch eine relative Membranauf- lockerung als Anstoß zu einer Erregungswelle genügt. So erklärt sich außer der Anodenöffnungserresung und der ‚positiven Polarisation“ die mit dem Schema des physikalischen Kernleiters nicht in Überein- stimmung zu bringende Tatsache, daß die nach Öffnen des polarisieren- 574 U. Ebbecke: den Stromes auftretenden extrapolaren Nachströme im Nerven an der Anode dem polarisierenden Strom entgegen, an der Kathode gleich ge- richtet sind und daß der anodische Nachstrom stärker ist als der katho- dische. Beides ist ein Ausdruck für den Negativitätsrückstand, der nach einer elektrischen Reizung an der Anode und an der Kathode, nur in verschiedenem Grade, hinterbleibt. Es möge hier daran erinnert sein, daß sich bei der galvanischen Reizung der Haut!) die Nachwirkung der Anode, wie sie an der sicht- baren Rötung und Schwellung und an dem Grad der elektrischen Wider- standsherabsetzung meßbar ist, ebenfall stärker und länger anhaltend fand als die Nachwirkung der Kathode. Wir kommen so zu der Vorstellung, daß eine durch eine Reizung einmal aufgelockerte Membran noch längere Zeit durchlässiger bleibt als zuvor, und können aus der faradischen Nachwirkung schließen, daß mehrere aufeinanderfolgende Nachwirkungen sich summieren, also die Erholung und Restitution umso längere Zeit beansprucht, je mehr der Nerv schon durch vorhergehende Reize beeinflußt war. Durch dieses Prinzip lassen sich eine Reihe von Tatsachen einheitlich zusammen- fassen. Bei einer Erregung wird die Membran ein gewisses Durchlässigkeits- maximum oder Polarisierbarkeitsminimum erreichen, das zwar von völliger Durchlässigkeit und Membranzerstörung noch weit entfernt ist. Befindet sich nun die Membran bereits infolge vorhergehender Einflüsse in einem Zustand der Auflockerung, so wird sie auf ein weiteres auf- lockerndes Agens nur noch mit einem geringeren Negativitätszuwachs reagieren, andererseits auch von einem verdichtendem Agens weniger beeinflußt werden. Hatte schon die Betrachtung der elektrotonischen Veränderungen und des Inkrement-Dekrementsatzes zu diesem Schluß geführt, so reiht sich hier die bisher nicht recht verständliche Beob- achtung von Biedermann?) und Waller?) an, daß der elektrotonische A Quotient x verkleinert wird, wenn die polarisierende Nervenstrecke durch Narkose, Kohlensäure, höhere Temperatur, starke tetanische Reizung vorbehandelt war oder, wie hier: hinzugesetzt sei, durch eine beliebige Einwirkung (langdauernde galvanische Durchströmung, viel- stündiges Liegen des isolierten Nerven) „parabiotisch‘‘ gemacht war, um schon hier den Wedenskischen Ausdruck ) zu gebrauchen. In allen Fällen kommt die Annäherung von An- und Katelektrotonus so zustande, 1) Ebbecke, Über galvanische Hautreizung. 2) Biedermann, Elektrophysiologie. Jena 1895. 3) Waller, Kennzeichen des Lebens. Berlin 1905. 4) Wedenski, Erregung, Hemmung, Narkose. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 100, 1. 1903. Membranänderung und Nervenerregung. 575 daß der ursprünglich weit überwiegende Anelektrotonus stark abgenom- men hat, während der Katelektrotonus nur wenig verändert ist, was nun aus dem vorangestellten Prinzip ohne weiteres folgt. Im Grunde ist die schon im zweiten Abschnitt erwähnte Tatsache, daß die Bernstein- sche negative Schwankung des Anelektrotonus größer ist als die des Katelektrotonus, nichts anderes; auch hier ist während der allerdings sehr kurzen Zeit der Erregung der Quotient & verkleinert. Der Unter- schied ist nur, daß hier zuerst der Elektrotonus besteht und zu ihm die Erregung hinzukommt und daß im anderen Fall zuerst die Reizung in Form einer Dauerreizung gesetzt und dann der Elektrotonus hergestellt wurde. Der Begriff der Dauerreizung wird später noch zu erörtern sein; doch zeigt schon jetzt die neue Verknüpfung zweier alter Tatsachen, daß Wirkung und Nachwirkung einer Reizung sich in bezug auf die Membranbeschaffenheit nur quantitativ unterscheiden. Ein weiterer Ausdruck für die nach tetanischer Reizung, aber auch nach allerlei ganz verschiedenartigen Einwirkungen hinterbleibende längerdauernde Membranlockerung ist das Verhalten der negativen Schwankung. In solchen reversiblen Zuständen ist die negative Schwankung zeitweise ganz aufgehoben. Nach minder starken Ein- wirkungen ist die mit dem Spiegelgalvanometer gemessene negative Schwankung häufig vergrößert (Waller!), was für den mit dem Saiten- galvanometer gemessenen Aktionsstrom gewöhnlich nicht der Fall ist [Boruttau und Fröhlich?)]. Der Widerspruch zwischen diesen Messungen ist nur scheinbar; denn da ein so langsam schwingendes Instrument wie das Spiegelgalvanometer bei kurzdauernden Strömen nicht die Strom- stärke, sondern das Zeitintegral, die Strommenge, anzeigt, so liegt der Vergrößerung der negativen Schwankung, die Waller registrierte und die ihn zu Trugschlüssen verleitete, eine Zunahme der Dauer, auch bei abnehmender elektromotorischer Kraft der Aktionsströme, zugrunde, und der Schluß, den wir daraus ziehen dürfen, ist: Die als Nachwirkung hinterbleibende Membranauflockerung verhindert entweder eine weitere Lockerung durch hinzukommenden Reiz — Aufhebung der negativen Schwankung — oder, bei geringeren Graden, vermindert und verlang- samt die Fähigkeit, aus dem durch die Erregung gesetzten Zustand der Membranlockerung in den normalen Ruhezustand zurückzukehren — Verlängerung, und für das Spiegelgalvanometer scheinbare Verstärkung der negativen Schwankung. Daß aber für das Auftreten derartiger Nachwirkungen nicht über- mäßig starke Reize erforderlich sind, sondern daß sie, wenn auch viel t) Waller, Tierische Elektrizität. Leipzig 1899. ?2) Boruttau und Fröhlich, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 105. 1904. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 38 576 U. Ebbecke: schwächer und darum schwieriger nachweisbar, schon nach einer ge- wöhnlichen, in Form des Aktionsstroms den Nerven durchlaufenden Erregungswelle zustandekommen, geht aus einer kurzen Mitteilung von Verzär!) hervor, die in unserm Zusammenhang besonders wichtig wird. Verzäar findet, daß an einer im Elektrotonus befindlichen Nervenstrecke, über die eine Negativitätswelle hinweggelaufen ist, die Ablenkung sowohl des Anelektrotonus wie des Katelektrotonus noch eine die Dauer eines Aktionsstromes weit übertreffende Zeit hindurch um einen zwar sehr geringen aber doch deutlichen Betrag vermindert bleibt. Wenn Verzär daraus schließt, daß eine Nervenerregung zwei Wirkungen habe, erstens rufe sie einen Aktionsstrom hervor und zweitens eine längerdauernde Abnahme der Polarisierbarkeit, so befinden wir uns in voller Überein- stiiamung bis auf den Punkt, daß wir den Aktionsstrom selbst als eine Äußerung der Polarisierbarkeitsabnahme und Membranlockerung auf- fassen und daher Wirkung und Nachwirkung als den sozusagen akuten und chronischen Teil eines einheitlichen Geschehens ansehen. Es wird vielleicht überrascht haben, daß bei den elektrischen Nach- wirkungen immer nur von Negativitätsrückstand und Membranlockerung die Rede war und niemals von einer nachträglich einsetzenden zunehmen- den Positivität. Und doch gibt es am Nerven, im Gegensatz zum Muskel, bei dem nach einer längerdauernden negativen Schwankung der Ruhe- strom häufig für lange Zeit vermindert bleibt, die von Hering gefundene und von Garten eingehend untersuchte „positive Nachschwankung‘“. Unter Umständen tritt sogar während der Reizung selbst an die Stelle der gewöhnlichen negativen eine positive Schwankung des Ruhestromes (Waller, Wedenski). Sicher ist dies ein Punkt, der noch weiterer Klärung bedarf, zumal die Vergrößerung der abgeleiteten Spannungsdifferenz zwischen der normalen und der im Absterben begriffenen Nervenstrecke nichts unmittelbar darüber aussagt, ob sie auf der vergrößerten Positivi- tät jener oder Negativität dieser beruht. So sei hier nur auf die Wahr- scheinlichkeit hingewiesen?), daß am Nervenende, das ja zwischen totem Querschnitt und normalem Nerv sämtliche Grade der Membranauf- lockerung nebeneinander haben muß, sofern nicht schon eine scharfe Demarkation eingetreten ist, zwar bei der Erregung der Negativitäts- zuwachs im Verhältnis zum Negativitätszuwachs der normalen Strecke nur gering ist (negative Schwankung), sich aber als Negativitätsrück- stand noch dann hält, wenn die normale Strecke schon wieder in den Ruhezustand zurückgekehrt ist (positive Nachschwankung). Die Um- stände, welche eine positive Nachschwankung verhindern, wie Ab- 1) Verzär, Aktionsströme des Nerven im Elektrotonus. Zentralbl. f. Physiol. 1912, 8. 3%. 2) Vgl. Gotch in Schäfers Textbook of physiol. 2, 540 und Cremer, Nagels Handb. d. Physiol. 4, 903. Membranänderung und Nervenerregung. 577 kühlung der normalen Nervenstrecke (Garten) oder Vorbehandlung des ganzen Nerven mit Kohlensäure oder starken faradischen Strömen (Waller) lassen sich mit dieser Ansicht gut in Übereinstimmung bringen ; denn die Abkühlung verlangsamt ebenfalls die Rückkehr aus dem Reiz- zustand zur Ruhe, sodaß normales und Querschnittsende sich hierin nicht mehr unterscheiden, und die Vorbehandlung stellt eine maximale Negativität des Querschnittsendes her, die bei Reizung nicht mehr zu- nehmen kann. 3. In der Erregbarkeit sich äußernde Nachwirkungen („lokale Dauer- erregung‘‘). Das elektrische Verhalten des Nerven und das Verhalten der mit dem Nerven verbundenen peripheren oder zentralen Erfolgsorgane sind zwei verschiedene, aber eng zusammengehörige Indicatoren, die etwas über die Vorgänge im Nerven aussagen, sodaß wir uns nun den als Nach- wirkung hinterbleibenden Erregbarkeitsänderungen zuzuwenden haben. Zunächst sei ein neuer Befund mitgeteilt, der besonders auffällig eine längere Zeit anhaltende experimentelle Umstimmung der Erregbarkeit anzeigt. Als Versuchsobjekt dienten die sensiblen Hautnerven des Menschen, deren Reizschwelle vor und nach Hautreizung bestimmt wurde. Den Versuchspersonen wurde der Strom durch eine differente und eine in- differente Elektrode zugeleitet, wobei als differente Elektrode die auf die Haut des Unterarms aufgesetzte, in einer früheren Arbeit!) beschrie- bene Flüssigkeitselektrode aus Zink, Zinksulfatgelatine und Kochsalz- lösung verwendet wurde; zum Teil kamen auch zwei solche gleichartige Flüssigkeitselektroden zur Verwendung, die dem rechten und linken Unterarm auflagen, wobei abwechselnd für rechten und linken Arm der Reizerfolg bestimmt wurde. Übrigens genügten für viele Zwecke schon die in der Elektrodiagnostik üblichen, unter gleichmäßigem Druck aufgesetzten, polarisierbaren, 'lederumwickelten Metallelektroden. Als Reiz dienten einesteils Induktionsstöße, wobei der Rollenabstand und mittels der ballistischen Ausschläge eines in den sekundären Kreis ge- schalteten hochempfindlichen Zeigergalvanometers (1°—1077 A) die Stromstärke, richtiger die Strommenge, bestimmt wurde, andernteils die Schließung oder Öffnung eines konstanten Stroms, bei dem die Spannung am Voltmeter, die Stromstärke am Milliamperemeter ab- gelesen wurde und der Strom nicht länger geschlossen blieb, als zur Ein- stellung des Zeigers erforderlich war. Die Versuchspersonen hatten anzugeben, wann sie zuerst einen Reizerfolg als leichten plötzlichen, auf die Elektrodenstelle beschränkten 1) Ebbecke, Über elektrische Hautreizung. Pflügers Archiv f. d. ges. Phy- siol. 195, 296. 1922. 38* 578 U. Ebbecke: Schlag spüren konnten. Von den während der Dauer einer galvanischen Durchströmung entstehenden Reizempfindungen wurde abgesehen. So wurde der Schwellenwert einer Hautstelle des Unterarms für Öffnungs- schlag und Schließungsschlag des Induktionsapparates und für Kathoden- schließung und Anodenöffnung des konstanten Stroms bestimmt. Nun wurde die Hautstelle bis zum Eintreten einer lebhaften Hautröte gerieben ; hierbei ist die Rötung unwesentlich, da der Versuch ebensogut am ab- gebundenen Arm gelingt, und gibt nur einen Anhaltspunkt für die Stärke der mechanischen Reizung. In andern Fällen wurde die Hautstelle durch einen durchgeleiteten konstanten Strom von !/;,—2 Minuten Dauer und 2—4M.-A. Stärke oder durch Behandeln mit Lauge galvanisch oder chemisch gereizt. Nachdem dies geschehen, wurde die Bestimmung der Reizschwellenwerte wiederholt. Der Erfolg war deutlich und bei den verschiedenen Versuchspersonen übereinstimmend und wird durch die beiden Tabellen veranschaulicht. Tabelle V. Vor der Reizung | Nach der Reizung R. A. G | RERA | G 1 Ö 110 1/, (0) 130 2 (1) S 50 3 (46) 90 10 (12) 2Ö 100 u, 3. (3) S 70 |5(15) 100 7(8) 3Ö 90 1 (0) 100 2 (1,5) S 200 035102) 60 7 (22) Tabelle VI. Vor der Reizung | Nach der Reizung V M. A V M. A 1 KS — 0,4 — 0,3 AO — 0,9 — 0,5 2 KS — 0,3 — 0,3 AÖ — 1,4 — 0,7 3 Ks 6 0,4 2 0,4 AÖ — 1,3 5 1,0 4 KS 29 0,2 8 0,5 AÖ — 1,1 — 0,6 5KS 10 0,1 4 0,3 AÖ 25 1,2 7 0,8 6 KS 8 0,1 4 0,2 AÖ 25 1,6 10 0,8 Membranänderung und Nervenerregung. 579 In Tab. V ist der Rollenabstand (RA) der sekundären Spule und der ballistische Ausschlag des Galvanometers (G) angegeben, bei dem der Offnungs- schlag (Ö) oder Schließungsschlag (S) eben empfunden wurde; die eingeklammer- ten Zahlen bedeuten die Ausschläge des zugehörigen Schließungs- oder Offnungs- schlages bei dem gleichen Rollenabstand und lassen die Änderung des Fleischl- effekts durch Hautreizung erkennen. Tab. VI enthält die Spannung in Volt und die Stromstärke in Milliampere, bei der die erste Wirkung der Kathodenschließung (KS) oder Anodenöffnung (AO) eines konstanten Stromes auftrat, für 6 Versuchspersonen. Wie die Tabellen zeigen, ist die Reizschwelle für die sensiblen Haut- nerven nach einer Hautreizung deutlich verändert. In allen Fällen ist die zum ersten Reizerfolg erforderliche Spannung (Voltzahl, Rollenabstand) vermindert, die Stromstärke dagegen ist nur für die Anodenöffnungs- wirkung vermindert, für Induktionsschläge aber vermehrt und für die . Kathodenschließungswirkung teils vermehrt, teils vermindert. Der Befund hat eine gewisse Beziehung zur Praxis der Elektrodia- snostik, die unter der Inkonstanz der bei der elektrischen Funktions- prüfung gefundenen Schwellenwerte leidet. Denkt man an den häufigen Brauch, beim Elektrisieren des Menschen die bessere Durchtränkung der im trockenen Zustand schlecht leitenden Hornschicht durch ‚‚Ein- reiben der Flüssigkeit in die Haut‘ zu bewerkstelligen, so wird man die erhebliche Fehlerquelle, die darin liegt, einsehen. Zweitens zeigt sich, wie widersprechend die Beurteilung ausfällt, je nachdem der Strom- spannung oder der Stromstärke das Hauptgewicht beigelegt wird. Klinisch ist es üblich, sich beim Faradisieren nur nach der Spannung, dem Rollenabstand, beim Galvanisieren fast nur nach der Stromstärke zu richten, und es ist ein lebhafter Streit zwischen Dubois-Bern!) und Hoorweg?) darüber geführt, ob der an den meisten Elektrisierapparaten fehlende Voltmeter entbehrlich sei. Um den vorliegenden Befund zu deuten, hat man zu berücksichtigen, daß die zu den Hautnerven gelangende effektive Reizstärke von dem Hautwiderstand abhängt, der größtenteils ein polarisatorischer ist und durch Hautreizung herabgesetzt wird, und daß die Nervenreizung in das erste Stadium des ‚variablen Hautwiderstandes‘‘ fällt, in dem die Polarisation noch im Entstehen begriffen ist, sodaß das Galvanometer wenig darüber aussagen kann, wieviel Strom im Augenblick der Nerven- reizung durch den Nerven floß. Nur bei der Anodenöffnung gibt das Galvanometer ein sicheres Maß. Das Voltmeter wiederum würde nur dann einen Maßstab geben, wenn die Nervenreizung in einem Zeitpunkt einsetzte, in dem eine Polarisation überhaupt noch nicht vorhanden wäre, was nicht der Fall ist. Doch ist schon jetzt die wahrscheinlichste Deutung, die durch Untersuchungen über den Einfluß der Hautreizung 1) Dubois-Bern, Über den galvanischen Reiz. Zeitschr. f. Elektrotherapie 1, 2. 2) Hoorweg, ebenda 1, 59 u. 102. 580 i U. Ebbecke: auf die motorischen und die nichtelektrischen Reizschwellen zu ergänzen wäre, die, daß durch Hautreizung die Reizschwelle für Anodenöffnung herabgesetzt, für Kathodenschließung aber, nach der Wirkung eines In- duktionsstoßes beurteilt, erhöht wird. In dieser Deutung werden wir bestärkt durch die in mancher Hinsicht übersichtlicheren Verhältnisse am isolierten Froschnerven. Denn wenn gewöhnlich das Pflügersche Zuckungsgesetz am frischen Nerven demon- striert und ein abweichendes Verhalten als nicht normal vernachlässigt wird, werden nun gerade die Abweichungen bedeutungsvoll. Und unter ihnen kann man zwei typische Erscheinungen immer wieder finden. An einem mit starken Strömen vorbehandelten Nerven des Nervenmuskel- präparates wirken Ströme, die vorher die erste oder zweite Stufe des Zuckungsgesetzes gaben, als ‚‚starke‘‘ Ströme, insofern trotz schwacher Muskelzuckung jeweils nur die dem Muskel näher gelegene Elektrode wirksam bleibt, und wirkt Anodenöffnung nicht mehr schwächer als Ka- thodenschließung, oft sogar stärker. Auch hier ist die Reizschwelle für Anodenöffnung herabgesetzt, wenn sie für Kathodenschließung schon erhöht ist. In Anbetracht der an solchen Nerven bestehenden Membran- lockerung ist verständlich, daß an der durchlässigeren Membran der zur Reizung erforderliche Grad von Polarisation und Ionenstauung schwerer erreicht wird, Depolarisation und Ionenausgleich aber, worauf es bei der Anodenöffnungswirkung ankommt, erleichtert und beschleunigt ist. Nachdem von mehreren Autoren!) das verschiedene Verhalten von Schließungs- und Öffnungsschwelle an vorbehandelten Nerven gefunden war, hat neuerdings Laugier?) in einer Arbeit, die mir erst während der Korrektur der vorliegenden Arbeit zur Hand kam, diesem Punkt be- sondere Aufmerksamkeit zugewendet und die Herabsetzung der Öffnungs- schwelle bei erhöhter Schließungsschwelle im Anschluß an die von Lapieque?) vertretene Ansicht in ähnlicher Weise auf Membranänderun- gen zurückgeführt; eine Übereinstimmung, die in Anbetracht der ver- schiedenen Ausgangspunkte um so erfreulicher ist. Die experimentelle Erregbarkeitsänderung sensibler Hautnerven war als Spezialfall vorangestellt. Es seinun versucht, die sonst bekannten Erregbarkeitsänderungen, die als Nachwirkung einer Reizung hinter- 1) Engelmann, Über den Einfluß örtlicher Verletzungen auf diejelektrische Reizbarkeit der Muskeln. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 26, 97; Rumpf, Über die Einwirkung der Zentralorgane auf die Erregbarkeit der motorischen Nerven. Arch. f. Psychiatrie u. Nervenkrankh. 8, 567. 1878; Biedermann, Über die Be- dingungen des Auftretens der Öffnungserregung am markhaltigen Nerven. Sitzungs- bericht d. k. Akad. d. Wissensch. 82, 3. 1880. 2) H. Laugier, Electrotonus et excitation; recherches sur l’exeitation d’ouver- ture. Doktordissertation Paris 1921. 3) L. Lapicque, L’inefficacite physiologique des courants electrigues progressifs. Revue generale des Sciences, 30 juill. 1913 (zitiert nach Laugier). Membranänderung und Nervenerregung. 581 bleiben, in das Schema einzuordnen, das wir auf Grund der Vorstellung von den Membranänderungen entwerfen können (vgl. Abschn. 3, $. 568). Das Schema lautet: Eine aufgelockerte Membran hat die Tendenz, leichter in jenen Zustand der Auflockerung überzugehen, welcher dem Zustand bei maximaler Erregung entspricht, und ihn länger beizubehalten. Eine wenig aufgelockerte Membran spricht infolge ihrer Labilität auf geringe Reize stärker an: erstes Stadium der Erregbarkeitssteigerung. Bei weiterer Auflockerung ist der für die Erregungswelle maßgebende Abstand zwischen dem schon bestehenden und dem bei der Erregung erreichbaren Grad vermindert: zweites Stadium der Erregbarkeitsherab- setzung. Eine schon annähernd maximal aufgelockerte Membran wird durch einen weiteren Anstoß nur noch wenig beeinflußt: drittes Stadium der Unerregbarkeit. Der Wert des Schemas wird von der Zahl der Tat- sachen abhängen, die es einheitlich und übersichtlich zusammenzufassen gestattet. Da jeder Reiz, der in Stärke oder Dauer gewisse Grenzen überschreitet, zu Schädigung und selbst zum Absterben führen kann, so ist hier zu- nächst die alte Erfahrung anzuführen, daß nach den verschiedensten Einwirkungen chemischer, elektrischer oder mechanischer Art sowohl Erregbarkeitssteigerungen als -herabsetzungen als auch Unerregbarkeit des Nerven beobachtet sind, wobei es nur auf den Grad der Einwirkung ankommt. Hierzu in Parallele tritt nun die neuerdings von Adrian und Lucas!) gefundene Tatsache, daß eine über den Nerven hinweglaufende Erregungswelle ein nur wenige tausendstel Sekunden dauerndes ‚‚Refrak- tärstadium‘“ hinterläßt, welches sich innerhalb etwa einer hundertstel Sekunde allmählich verliert und vor dem endgültigen Erreichen der Norm für etwa zwei hundertstel Sekunden ins Gegenteil umschlägt. Es sind die typischen drei Stadien der Nachwirkung, die als Ausdruck der Mem- branänderung, auch nach den verschiedensten Einwirkungen, nur in verzögertem und darum leichter zu beobachtendem Ablauf, auftreten- So ist schon für das ‚‚Scheitern der Erregung an der Kathode“ (Hermann) festgestellt, daß zur Erzielung dieser Wirkung anfangs ein starker oder längerdauernder Strom erforderlich ist, daß aber, um die Wirkung zu unterhalten oder um sie nach einer Erholungspause, die den Nerven leitfähig machte, wieder hervorzurufen, schwächere Ströme genügen; es war also eine Nachwirkung zurückgeblieben, die sich zur Wirkung des schwachen Stromes addiert. Ebenso genügen, nachdem einmal die depressive Kathodenwirkung am Nerven erzielt und eine Erholungspause eingeschoben war, nun schon schwächere und kürzerdauernde Ströme, um dasselbe Stadium von neuem herbeizuführen, sogar wenn sich der Nerv in der Zwischenzeit völlig erholt zu haben schien. Diese von 1) Adrian und Lucas, On the summation of propagated disturbances in nerve and muscle. Journ. of physiol. 44, 68. 1912. 582 U. Ebbecke: Werigo!) festgestellte Tatsache, die sich als geringere Widerstandskraft oder vermehrte Labilität der einmal aufgelockerten Membran deuten läßt, wird ein Analogon zu der in der Arbeit über lokale galvanische Reaktion beschriebenen Erscheinung, daß eine Hautstelle, deren elek- trischer Widerstand durch galvanische Durchströmung herabgesetzt war, nun schon durch schwächere Ströme an der Wiederherstellung ihres früheren Widerstandes verhindert wird oder, nachdem sie zur Norm zurückgekehrt schien, nun schon auf schwächere oder kürzer dauernde Ströme mit einer gleichen Widerstandsherabsetzung reagiert. Die zunächst überraschende Parallele läßt, soviel ich sehe, keine andere Deutung zu als die, daß beide Erscheinungen Ausdruck einer Erregbar- keits- und Membranänderung sind. Vor allem sind hier die Untersuchungen von Wedenski?) heranzu- ziehen, die geradezu als Illustrationen unserer Anschauung dienen können und auf die, da sie hier nur kurze Erwähnung finden können, besonders hingewiesen sei. Durch galvanische oder faradische Ströme von genügen- der Stärke, durch höhere Temperatur, Kompression, durch allerlei chemische Reizmittel sowie durch die typischen Narkotica gerät der Nerv in einen Zustand, den Wedenski als Parabiose bezeichnet und dessen drei Phasen, Transformierungs-, paradoxes und Hemmungsstadium, sich sowohl beim Eintreten der Parabiose als bei der allmählichen Resti- tution beobachten lassen. Im paradoxen Stadium reagiert der Muskel nicht auf schwache, oberhalb der parabiotischen Nervenstrecke angrei- fende faradische Reize und auf starke höchstens mit einer Anfangs- zuckung, auf mittlere Reize hin aber verfällt er in Tetanus. Die Unwirk- samkeit der schwachen Reize entspricht der gewöhnlichen Schwellen- erhöhung, die der starken läßt sich, wie schon Verworn?) getan hat, nur so deuten, daß die vorhergehenden Reizstöße den Nerven für die folgen- den refraktär nachen. Demnach ist der Unterschied gegenüber dem normalen Nerven nur der, daß am vorbehandelten Nerven die Nach- wirkungen, die der einzelne Reiz hinterläßt, verlängert und vertieft sind. Im selben Sinne findet Wedenski, daß eine faradische Reizung, selbst wenn sie sich nicht in einem motorischen Erfolg äußert, einen schon in Erholung begriffenen Nerven wieder in den Zustand der Un- erregbarkeit zurückwirft oder eine bestehende Unerregbarkeit weiter steigert, wie nach den ‚‚nebenparabiotischen‘‘ Erscheinungen beurteilt werden kann. Als Anfangszuckung oder Anfangstetanus erscheint nun auch die ge- wöhnliche Reizwirkung eines konstanten Stromes, der wenigstens ge- danklich, nach Art der intermittierenden Kettenströme Weri gos, in eine 1) Werigo, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 31, 417. 1883 u. 84, 547. 1901. 2) Wedenski, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 82, 134. 1900, u. 100, 1. 1903. ®) Verworn, Erregung und Lähmung. Jena 1914. Membranänderung und Nervenerregung. 583 Reihe äußerst zahlreicher, dicht aneinander anschließender Stöße zer- lest werden kann. Innerhalb der Reihe kann jeder folgende Stoß nur die Nachwirkung des vorangehenden vertiefen, die Membran an der Kathode weiter auflockern, die Nervenstelle selbst immer weiter ‚,‚er- regen‘, aber keine neue, sich auf die Nachbarschaft fortpflanzende Veränderung schaffen, ganz wie wir im ersten Abschnitt die Kathoden- wirkung kennengelernt hatten. Dabei zeigt die von Garten!) gefundene rhythmische Natur von Schließungszuckung und Schließungstetanus deutlich, daß nicht eine rein physikalische Wirkung, sondern eine physio- logische, der Eigenart des erregbaren Gebildes entsprechende Reaktion des Nerven vorliegt. Ähnlich erwähnt Werigo das Vorkommen von ruck- weisen Vertiefungen der Erregbarkeitsherabsetzung und Wedenski die „spontanen“ Schwankungen des parabiotischen Zustandes. Hiernach bleibt bei der Dauerwirkung des konstanten Stromes die Erregung auf die direkt betroffene Nervenstelle beschränkt, ohne sich auf die Nach- barschaft fortpflanzen zu können, wie es auch wohl beim ‚‚Einschleichen“ eines Stromes der Fall ist. Auf die Möglichkeit, die relative Unwirksam- keit langsam ansteigender Ströme auf eine schon während des Strom- anstieges entstehende Durchlässigkeitszunahme zurückzuführen, welche den erforderlichen Grad von Ionenstauung hintanhält, sei hier nur hin- gewiesen. An diesem Punkte berühren wir die schon auf S. 564 angeregte wichtige Frage, ob die längerdauernden, auf eine Nervenstelle oder Nervenstrecke beschränkten Zustandsänderungen als Erregung bezeichnet werden sollen oder nicht. Obgleich verschiedene Autoren, als erster wohl Einngel- mann, dafür eingetreten sind, die an der Kathode während der Strom- dauer bestehenden Veränderungen als eine Art Erregung aufzufassen, ist doch die Ansicht nicht durchgedrungen. Nach den vorangehenden Ausführungen aber erscheinen alle die Nachwirkungen mit unvoll- kommener Restitution der aufgelockerten Membran als eine Art Dauer- reizung. Membranlockerung und Negativität erscheinen als Ausdruck einer gewöhnlichen Erregung; Membranlockerung und Negativität hinterbleiben als sehr flüchtige Nachwirkung einer Erregung, aber auch als längerdauernde, doch reversible Zustände nach tiefergreifender Ein- wirkung. Es wäre willkürlich, aus der Verschiedenheit des zeitlichen Ablaufs eine Trennung zu konstruieren. Was an der Anerkennung des Begriffs der lokalen Dauererregung hindert, ist die Gewohnheit, den Er- folg am Endorgan oder die Welle des Aktionsstromes als Maßstab der Nervenerregung zu nehmen. So verständlich das in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Methoden ist, so ist es doch sozusagen nur eine technische Unvollkommenheit, die uns nicht erlaubt, einer einzelnen _ Nervenstelle ihren Erregungszustand anzusehen. Die Verhältnisse liegen 1) Garten, Zeitschr. f. Biol. 52, 534. 1909. 584 U. Ebbecke: aber im Grunde nicht anders als am Muskel, der durch seinen Kathoden- wulst die während der Stromschließung andauernde Erregung anzeigt. Auch darin zeigt sich die Gemeinsamkeit, daß diese ‚idiomuskuläre‘“ Kontraktion gewöhnlich ebensowenig auf die Nachbarschaft übergreift wie die lokale Nervenerregung. Wenn wir uns der Hermannschen Strömchentheorie der Erregungs- leitung anschließen, wird verständlich, warum nach Ablauf der ersten Negativitätswelle, die sich als rasch ausgeglichener Erregungsvorgang von Ort zu Ort fortpflanzte, die Veränderung auf ihren Ursprungsort beschränkt bleiben muß. Denn die längerdauernde Negativität einer Nervenstelle kann, ohne die weiter entfernte Umgebung in Mitleiden- schaft zu ziehen, nur die unmittelbare Nachbarschaft nach Art eines künstlichen Querschnittes beeinflussen, indem sie sie verhindert, aus dem Zustand der Membranlockerung, der sie bei der ersten Negativitäts- welle ergriff, ganz in den Ruhestand zurückzukehren. Die Tiefe der Membranlockerung wird sich dabei vom Tiefpunkt nach beiden Seiten hin ausgleichen. Da nun aber die Erregungswelle nichts anderes ist als die von Stelle zu Stelle entzündete Kette flüchtiger lokaler Nerven- erregungen, so ist damit zugleich gesagt, daß jede Stelle in dem Maße an der Fortleitung teilnehmen wird, als sie noch von dem relativen oder absoluten Tiefpunkt der Membranlockerung entfernt ist — hier kommt wieder der Inkrement-Dekrementsatz zu seinem Recht — daß zwar jede Nervenstelle dem Gesetz folgt, wonach die Erregung einer Faser zugleich „maximal‘ ist, daß aber der für die Fortleitung entscheidende Zuwachs an Membranlockerung, der an den einzelnen Nervenstellen noch möglich ist, ganz vom Zustand ihrer derzeitigen lokalen Erregung oder von ihrem „Erregungsrückstand“ abhängt. So wird eine in maximaler lokaler Erregung befindliche Nervenstrecke zugleich unerregbar sein und als eine Strecke wirken, über die eine zu ihr gelangende Erregungswelle nicht herauskommt; die in ein parabiotisches Gebiet einlaufende Welle wird mit Dekrement, die aus ihr auslaufende mit Inkrement geleitet. Ist eine Welle durch eine Kette verschieden erregbarer Nervenstrecken hindurchgelaufen, so wird sie in der Regel mit einer bestimmten durch- schnittlichen Größe am Muskel anlangen, die dem möglichen Erregungs- zuwachs einer im gewöhnlichen Ruhezustand befindlichen Nervenstrecke entspricht; insofern kann man von einem ‚Alles- oder Nichtsgesetz“ der Nervenfaser sprechen. Für die lokale Nervenerregung aber gilt das Alles- oder Nichtsgesetz keineswegs. Denn erstens ist die Tiefe der Membranlockerung, die durch stärker eingreifende Einwirkungen er- reichbar ist, größer als die bei einer gewöhnlichen Erregungswelle er- reichte, obgleich die immer weiter fortschreitende lokale Erregung keinen Ausdruck im Verhalten der entfernten Nervenstrecken und des Erfolgsorgans mehr findet. Zweitens ist das, was nach einer Erregung Membranänderung und Nervenerregung. 585 zurückbleibt, nicht ein Nichts, sondern eine je nach der Stärke der lokalen Reizung zuweilen nahezu maximale, in den meisten Fällen freilich mini- male ‚„Nacherregung‘““ und ‚Dauererregung“. Das Pflügersche Gesetz drückt nur das Verhalten der Erregungswelle, nicht aber das der lokalen Erregung aus. So ergeben sich selbst für den Nerven, für den die Flüchtigkeit des Erregungsablaufes im Gegensatz zum Verhalten der Nervenzellen so charakteristisch ist, die beiden Begriffe der Nacherregung und Dauer- erregung, zu denen die Untersuchungen über lokale vasomotorische Reaktion und lokale galvanische Reaktion geführt hatten und deren Bedeutung für die zentralnervösen und insbesondere psychophysischen Erregungen eine frühere Arbeit!) ausführlich darzulegen versuchte. Es liegt nahe, die hier für den peripheren Nerven gefundene Anschauung auf die zentralnervösen Vorgänge anzuwenden und etwa die Labilität einer aufgelockerten Membran mit ihrer verlängerten und vertieften Nachwirkung zu der ‚reizbaren Schwäche‘ der Psychasthenie oder die nach einer scheinbar vollständigen Restitution hinterbleibende ‚‚latente‘“ Nachwirkung zu den Gedächtnisresiduen in Beziehung zu setzen. Andrerseits reizt die Analogie zwischen der lokalen Nervenerregung und den mannigfaltigen Zuständen von Dauerverkürzung des Muskels zu einer weiteren Durchführung, zumal es nicht unwahrscheinlich ist, daß zur Beseitigung des Erregungs- oder Verkürzungsrückstandes plas- matische Stoffwechselprozesse mit Sauerstoffverbrauch eine Rolle spielen. So beruht vermutlich die Ähnlichkeit in der Wirkung von Ermüdung, Erstickung, Abkühlung und Narkose darin, daß alle diese Einflüsse die zur Membranrestitution führenden Vorgänge im Stadium der Nach- wirkung verzögern oder verhindern. Doch sind das Fragen, die hier nur angedeutet werden können. Die zweite Gruppe von Fragen, die sich anschließen, sind physikalisch- chemischer Natur. Rein physikalisch-chemisch betrachtet, ist unsere An- schauung von der Ionenstauung an Membranen variabler Durchlässig- keit ersichtlich erst eine grobe Annäherung, da weder über die Beschaf- fenheit der Membran noch über die Vorgänge, die zu ihrer Veränderung führen, genügende Kenntnisse vorliegen. Auch ist die der Membran- theorie eigentümliche Schwierigkeit hervorzuheben, die darin liest, daß zu beiden Seiten der Membran entgegengesetzte Konzentrationsänderun- gen der Elektrolyte entstehen müssen, die sich dennoch in ihrer Wirkung auf die Membran nicht aufheben können. Macht man die durch das Ver- halten des elektrischen Geschmackes nahegelegte Annahme, daß die auf der Innenseite der Membran stattfindende Konzentrationsänderung für die Beschaffenheit der Membran entscheidend sei, so läßt sich vielleicht an 1) Ebbecke, Die corticalen Erregungen. Leipzig 1919. 586 U. Ebbecke: Membranänderung und Nervenerregung. das von Loeb!) aufgestellte Gesetz anknüpfen, wonach die Abnahme des Wertes — erregend wirke. Denn mit der nach Loeb an der Kathode Ca zustandekommenden Abnahme, an der Anode sich entwickelnden Zu- nahme der Calciumionenkonzentration steht die Membranlockerung an der Kathode, die Membranverdichtung an der Anode gut im Ein- klang. Aber auch diese Fragen können hier nur gestreift werden. Zusammenfassung. Befunde: Wird ein konstanter Strom durch einen Nerven so durch- geleitet, daß eine der beiden Elektroden an einer abgetöteten Nerven- strecke anliegt, so ist der Widerstand des Nerven bei sehr schwachen Strömen für beide Stromrichtungen nahezu gleich, bei etwas stärkeren Strömen aber größer, wenn die Anode als wenn die Kathode die diffe- rente, dem normalen Nerven anliegende Elektrode ist. Das Überwiegen des anodischen Widerstandes wird um so beträchtlicher, je stärker der Strom ist oder je länger er dauert. Bei unveränderter Spannung nimmt der Strom mit der Zeit zu, wenn die Kathode, und ab, wenn die Anode die differente Elektrode ist. Fließt ein konstanter Strom durch einen Nerven, so ist der galvanische Elektrotonus auf der Anoden- und Kathodenseite bei sehr schwachen Strömen nahezu gleich. Das Überwiegen des Anelektrotonus wird um so beträchtlicher, je stärker der Strom ist und je länger er dauert. Wird eine Nervenstrecke mit starkem Wechselstrom faradisiert, so bleibt danach die Stelle des Nerven, die der Anode der Öffnungsschläge entspricht, negativ gegenüber der Stelle, die der Kathode der Öffnungs- schläge entspricht. Diese Nachwirkung — Negativitätsrückstand — dauert bei stärkeren faradischen Strömen viele Minuten. Durch Reiben der Haut wird die elektrische Reizschwelle der sen- siblen Hautnerven verändert, und zwar die Schwelle für Induktions- stöße und Kathodenschließung erhöht, die für Anodenöffnung aber er- niedrigt. Folgerungen: Beim Durchfließen eines Stromes durch den Nerven wird die Nervenmembran an der Kathode aufgelockert, an der Anode verdichtet. Durch die Membranänderung ändert sich die Polarisierbarkeit des Nerven. Das Überwiegen des Anelektrotonus beruht auf der größeren Polarisierbarkeit der anodisch verdichteten Nervenstrecke und ver- schwindet infolge aller der verschiedenartigen Einflüsse, welche die Nervenmembran durchlässiger machen. 1) J. Loeb, Dynamik der Lebenserscheinungen. Leipzig 1909 und: Über physiologische Ionenwirkungen in Oppenheimers Handb. d. Biochem. 2,1, S. 132. U. Ebbecke: Membranänderung und Nervenerregung. 587 Durch elektrische, mechanische, thermische oder chemische Ein- wirkungen von größerer Stärke wird die Nervenmembran für längere Zeit reversibel aufgelockert. Die betroffene Nervenstrecke befindet sich in einer lokalen, parabiotischen Dauererregung. Unerregbarkeit, Erregbarkeitsherabsetzung und Erregbarkeitssteige- rung sind die drei Stadien, die verschiedenen Graden der Membran- auflockerung entsprechen. Der Übergang von katelektrotonischer Er- regbarkeitssteigerung zu depressiver Kathodenwirkung und zeitweiliger kathodischer Unerregbarkeit ist ein Beispiel hierfür. Herabsetzung der Öffnungsschwelle bei erhöhter Schließungssch welle ist charakteristisch für den Zustand der Membranlockerung, in welchem der für die Reizwirkung der Kathodenschließung erforderliche Grad von Ionenstauung schwerer, der für die Anodenöffnungswirkung maß- gebende Ausgleich der gestauten Ionen dagegen leichter zustandekommt. Die auch vom ‚‚einschleichenden“ Strom bewirkte Durchlässigkeits- steigerung steht vermutlich im Zusammenhang mit der Nernstschen Akkommodation. Eine aufgelockerte Nervenstelle behält auch nach ihrer Restitution eine latente Nachwirkung, indem die Membranlockerung auf erneuten Reiz vertieft und zeitlich verlängert eintritt. Durch die hier gegebene Anwendung und Erweiterung der Membran- theorie lassen sich eine große Zahl bekannter Tatsachen aus der Elektro- physiologie des Nerven einheitlich zusammenfassen. (Aus der I. Medizinischen Klinik der Universität München [Direktor: Professor Dr. Ernst von Romberg].) Über die Beseitigung von Giftwirkungen am Herzen durch Caleium und andere zweiwertige Kationen. Von Dr. Ernst Wiechmann, Assistent der Klinik. Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 6. April 1922.) I. Einleitung. Im Jahre 1901 zeigte J. Loeb!) in seinen Versuchen am befruchteten Fundulusei, daß das Calcium des Meerwassers geradeso durch ein anderes zweiwertiges Kation vertreten werden kann, wie bei der Ausflockung eines Suspensionskolloids ein zweiwertiges Kation ein anderes ersetzen kann. Seitdem gibt es eine physikalisch-chemische Hypothese der Calciumwirkung und der Ionenwirkungen überhaupt. Auf eine breitere, und zwar kolloid-chemische Grundlage wurde diese Hypothese erst durch Höber?) gestellt. Die Argumente zugunsten dieser Theorie faßt Höber?) in drei Gruppen von Beobachtungen zusammen: Erstens stuft sich der Einfluß der Anionen und Kationen der neutralen Alkalisalze auf Zellen und Gewebe nach den sog. Hofmeisterschen Reihen ab, zweitens hat der isoelektrische Punkt der Zellkolloide für die Existenz und Funktion der Zellen eine besondere Bedeutung, und vor allem drittens, man kann, wie in der Kolloidchemie, so auch in der Physiologie von einer Wertig- keitsregel in den Ionenwirkungen sprechen. Loebs Versuche waren an befruchteten Funduluseiern angestellt und damit von den physiologischen Schulbeispielen weit entfernt. Höbers Versuchsobjekte aber waren Blutkörperchen von Säugetieren und Herz, Magen und Muskeln vom Frosch. Im einzelnen zeigte Höber *), daß die Hämolyse von Blutkörper- chen durch Narkotica oder durch Hypotonie bei einem gerinsfügigen t) J. Loeb, Arch. f. d. ges. Physiol. 88, 68. 1901 und Amer. Journ. of physiol. 6, 411. 1902. ®) R. Höber, Physikal. Chemie der Zelle und der Gewebe, Leipzig und Berlin 1914. — Derselbe, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 166, 531. 1917. ®) R. Höber, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 104. 1920. — Derselbe, Dtsch. med. Wochenschr. 1920, Nr. 16. *) R. Höber, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 166, 531. 1917 u. 182, 104. 1920. E. Wiechmann: Über die Beseitigung von Giftwirkungen am Herzen usw. 589 Zusatz von einem Salz mit einem zweiwertigen Kation aufgehalten werden kann. Ebenso wird der durch Kalisalze erzeugte Ruhestrom des Mus- kels wie auch die Lähmung des Muskels durch Kalisalze von zweiwertigen Kationen gehemmt. Desgleichen kann der antagonistische Einfluß des Calciums bei der Kaliumvergiftung des Herzens und Magens auch durch alle möglichen anderen zweiwertigen Kationen ausgeübt werden. Bei allen diesen Prozessen handelt es sich nach Höber um eine Auflockerung der Plasmahautkolloide, die durch die zweiwertigen Kationen auf- gehoben wird. Sei es nun in den Versuchen von Loeb oder Höber, immer kann das Calcium nicht nur durch die ihm chemisch verwandten Erdalkalien Sr und Ba und das ihnen nahestehende Mg, sondern auch durch Mn, Co und Ni vertreten werden. Nur noch in der Kolloidehemie ist der Ein- fluß der Wertigkeit so offenbar wie in diesen Versuchen. Dennoch läßt sich dieses Prinzip von der gegenseitigen Vertretbarkeit der mehr- wertigen Kationen nicht verallgemeinern. Ich erinnere hier nur an die Beobachtung von Hamburger und de Haan!), daß von den zweiwertigen Kationen die Phagocytose der Leukocyten allein durch Ca gefördert wird. Ich erinnere ferner an die Feststellung von Höber, daß bei der Er- haltung der Contractilität von Herz und Magen des Frosches das Ca einzig und allein durch Sr und Ba ersetzt werden kann, und an meine eigenen?) Untersuchungen über die Magnesiumnarkose, aus denen her- vorgeht, daß Co, Mn und Ni auf das Herz ähnlich wirken wie Mg und wie dieses Antagonisten des Ca, Sr und Ba sind. Höber?) hat die eben erwähnte Beobachtung neuerdings als einen chemischen Vorgang gedeutet. Er ist damit in ähnlicher Weise zu einer Unterscheidung zwischen mehr chemischer und mehr physiko-chemischer Wirkung der Ionen gelangt, wie ich bei meinen schon angeführten Versuchen über die Magnesium- wirkung. In den hier genannten Versuchen handelte es sich immer um den Antagonismus resp. die Vertretbarkeit von Kationen. Neuerdings zeigte nun 8.G. Zondek*) — offenbar durch pflanzenphysiologische Untersuchungen veranlaßt —, daß die Wirkung des Chinins und Arsens, die beide zu einem diastolischen Herzstillstand führen, durch Ca kom- pensiert werden kann. Da die Chinin- und Arsenwirkung durch Zufuhr sonst kaum wirksamer Kaliummengen deutlich verstärkt wird, sucht Zondek die Wirkungsweise des Chinins und Arsens in der gleichen Richtung 1) Hamburger und de Haan, Biochem. Zeitschr. 24, 470. 1910. 2) E. Wiechmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 74. 1920. — Ferner Vortrag auf der Tagung d. Dtsch. Physiol. Ges. in Hamburg 1920. Ber. über d. ges. Physiol. II, 2. 1920. 3) R. Höber, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 104. 1920. 4) 8. G. Zondek, Arch. f. exper. Pathol. und Pharmakol. 8%, 342. 1920 u. 88, 158. 1920. — Derselbe, Dtsch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 30. 590 E. Wiechmann: Über die Beseitigung von Giftwirkungen am Herzen wie die der Kaliumionen. Er nimmt an, daß die Wirkungsart des Arsens und Chinins ebenso wie die des Kaliums und Calciums eine physikalisch- chemische ist. Die im folgenden mitgeteilten Beobachtungen suchen diesen Antago- nismus zwischen so heterogenen Stoffen wie dem anorganischen Anion AsO, und dem Alkaloid Chinin auf der einen, dem anorganischen Kation Ca auf der anderen Seite weiter aufzuklären. II. Versuche!). 1. Der Einfluß mehrwertiger Kationen auf die Lähmung des Herzens durch Chinin. Die Versuche wurden an spontan schlagenden, aufgeschlitzten Tem- porarienherzen (durchschnittliches Gewicht der Frösche 30—45 g) nach der von Amsler?) angegebenen Methode ausgeführt. Diese Versuchs- anordnung, die sich mir?) auch schon früher bewährt hatte, hat gegen- über der üblichen Straubschen *) den Vorzug, daß alle Teile des Herzens von der Nähr-, bzw. Giftlösung umspült werden. Zunächst kamen die Herzen in Ringerlösung von der Zusammensetzung 0,7% NaCl + 0,02% KCl + 0,02% CaCl,; + 0,01% NaHCO,. Dann wurde diese durch eine Ringerlösung mit einem Zusatz von Chinin. hydrochlor. ersetzt, und der Zeitpunkt abgewartet, wo Lähmung des Herzens eintrat. Die Emp- findlichkeit der Froschherzen gegenüber Chinin ist nach meinen Be- obachtungen, ähnlich wie es F. B. Hofmann?) für das Säugetierherz gezeigt hat, außerordentlich verschieden. Mit einem Zusatz von 0,02% bis 0,04%, Chinin. hydrochlor. zur Ringerlösung habe ich jedoch stets in- nerhalb weniger Minuten Lähmung des Herzens erzielt. Wird die Ringerlösung nicht gegen die Chinin-Ringerlösung ausgetauscht, so schlägt das Herz in unveränderter Stärke weiter. Diese Feststellung ist des Vergleiches wegen wichtig. War das Herz vollkommen oder fast vollkommen gelähmt, so wurde m/200 CaCl, zum Chinin-Ringergemisch zugesetzt und, in Überein- stimmung mit den Angaben von Zondek, trat eine weitgehende Erho- lung des Herzens ein. Zwar machten sich hier und da Rhythmusstö- rungen bemerkbar, aber da es sich hier nicht um eine Analyse der Kompensation des Chinins, sondern nur um die Tatsache der Kompen- sation handelt, ist das von nebensächlicher Bedeutung. Wie weit kann nun das Ca durch andere mehrwertige Kationen vertreten werden? Als Ersatz für Ca wurden die Chloride von Strontium, !) Die Versuche wurden in den Monaten Januar bis April 1922 ausgeführt. 2) Amsler, Zentralbl. f. Physiol. 31, 467. 1917. 3) E. Wiechmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 74. 1920. 2) W. Straub, Biochem. Zeitschr. 28, 394. 5) F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Biol. 66. 293. 1916. durch Calcium und andere zweiwertige Kationen. 591 Barium, Magnesium, Kobalt, Mangan, Nickel sowie Hexamminkobalti- chlorid geprüft. Von ihnen war nach den Versuchen von Loeb und Höber am ehesten, nicht dagegen von Kupfer, Blei, Quecksilber und Uranyl eine Vertretbarkeit zu erwarten. Das Kobaltiaksalz wurde gewählt, weil aus den Untersuchungen von Höber und Spaeth!) hervorgeht, daß dieses, geradeso gut wie das Calcium, einen lähmenden Kaliüber- schuß zu neutralisieren vermag, und weil nach den Angaben von Zondek die Wirkung des Kaliums und Chinins eine gleichsinnige sein soll. VA 3 0int7 VERBREITET AN A cha MLEhEME d) Abb. 1a—d. In a) zunächst Herzschlag in Ringerlösung. Bei 1 an Stelle von Ringerlösung Ringerlösung + 0,02% Chinin. hydrochl. — In b) ist die Chininlähmung eingetreten. Bei 2 Zu- satz von m/200 SrCl,. Darauf Erholung, — In c) bei 3 an Stelle des Chinin-Ringergemisches + SrCl, neue Ringerlösung. — Darauf in d) erneute Lähmung. Wird nach Eintritt der Chininlähmung m/200 Strontiumchlorid zum Chinin-Ringergemisch hinzugefügt, so beginnt das Herz bald wieder zu schlagen. Ein Austausch der Chinin-Ringerlösung + SrCl, gegen reine Ringerlösung hat baldige erneute Lähmung zur Folge (Abb. 1). Barium- chlorid vermag bei m/700 in ähnlicher Weise wie SrCl,, jedoch nicht in gleicher Vollkommenheit, die Herzkontraktionen zu restituieren. Ein Beispiel hierfür gibt Abb. 2. Prüft man weiter das zwischen den Gruppen der Erdalkalien und Alkalien stehende Magnesiumchlorid, so läßt sich damit die Herztätigkeit nicht wiederherstellen. Dieses Ergebnis ließe sich allenfalls noch mit den 1) Höber und Spaeth, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 159, 433. 1914. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 39 "453 ’aqV 592 E. Wiechmann: „Über die Beseitigung von Giftwirkungen am Herzen eigenartigen Dissoziationsverhältnissen der Magnesiumsalze erklären. Aber auch durch die Chloride von Co, Mn, Ni und Hexamminkobalt kann J ie ve zu u Nele. SN\ı ö Der [ ’ ‘ IR [ ie E die Chininwirkung auf das Herz nicht kompensiert wer- den. Dies ist auch nicht der Fall, wenn man Chinin und die mehrwertigen Kationen gleichzeitig auf das Herz einwirken läßt, anstatt dies, wie oben beschrieben, nacheinander zu tun. Die Fähigkeit, die Chininwiırkung aut das Herz zu neutralisieren, bleibt also nur auf die chemische Gruppe der Erdalkalien beschränkt. Dieses Ergebnis ist von großer Bedeutung; denn Zondek faßt die Wirkung des Chinins und des Kaliums als eine gleichsinnige auf. Da nun nach den Untersuchungen von Höber!) das durch einen Kaliumüberschuß der Ringerlösung stillgestellte Herz außer durch Ca auch durch Sr, Ba, Co, Mn, Niund [Co(NH,),]Cl, zum Schlagen gebracht wird, das gleiche Abb. 2a. Abb. ?a und b. In a zunächst Herzschlag in Ringerlösung. — In.b fast völlige Lähmung unter 0,02% Chinin. Bei 2 Zusatz von m/700,BaCl.. Darauf Erholung. aber nach den obigen Ergebnissen nicht für das Chinin gilt, erscheint es mehr als zweifelhaft, ob die Auffassung Zondeks berechtigt ist. Will man darüber hinaus ver- suchen, für die obigen Befunde eine Deutung zu geben, so wird man sich fragen müssen, ob nicht die Chinin- wirkung auf das Herz viel eher als ein chemischer Vor- gang anstatt eines physiko-chemischen. aufzufassen ist. 2. Der Einfluß mehrwertiger Kationen auf die Lähmung des Herzens durch Chinidin. Die oben mitgeteilten Versuche hatten ergeben, daß die durch Chinin hervorgerufene Lähmung des Herzens durch die Chloride der Erdalkalien Ca, Sr und Ba mehr oder weniger weitgehend kompensiert werden kann. Es lag nahe, weiterhin zu untersuchen, ob auch die Läh- mung des Herzens durch Chinidin, das stereoisomere des Chinins, in gleicher Weise neutralisiert werden kann. Zur Anstellung derartiger Versuche drängten auch klinische Beobachtungen. !) R. Höber, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 104. 1920. durch Calcium und andere zweiwertige Kationen. 5995 Seit W. Frey!) das Chinidin zur Beseitigung der Arhythmia perpetua in die Therapie eingeführt hat, konnte damit in zahl- reichen Fällen, meist jedoch nur vorüber- gehend, eine Regularisierung der Herztätigkeit erzielt werden. Aber wie so oft in der Therapie stehen auch hier Nutzen und Schaden dicht nebeneinander. Frey?) selbst berichtet über vier Patienten mit sehr schweren Symptomen, die mit Sicherheit auf das verabreichte Chini- din zurückgeführt werden mußten. Drei von diesen. Patienten zeigten neben einer Zirkula- tionsschädigung als hervorstechendstes Sym- ptom eine schwere Atemlähmung. Von Frey?) am Kaninchen ausgeführte experimentelle Un- tersuchungen ergaben jedoch, daß das Chinidin in erster Linie die Herztätigkeit lähmt und erst hinterher die Atmung stillstellt. Damit war. die Notwendigkeit gegeben, experimentell fest- zustellen, wie derartigen Herzschädigungen entgegengearbeitet werden kann. Meine Versuche wurden in gleicher Weise wie oben (S. 590) beschrieben angestellt. Ver- wandt wurde das Chinidin. sulfur., das ich?) seinerzeit wegen seiner besseren Löslichkeit und dadurch bedingten gründlicheren Resorption zur therapeutischen Verwendung empfohlen habe, und das wohl heute ausschließlich ange- wandt wird. In Übereinstimmung mit den Angaben von Santesson *) konnte ich nachweisen, daß die Wirkung des Chinidins eine beträchtlich schwächere als die des Chinins ist. Individuell sind die einzelnen Herzen gegen Chinidin genau so verschieden empfindlich wie gegen Chinin. Setzt man 0,06%, bis 0,2% Chinidin. sulfur. zur Ringerlösung zu, so erhält man meist in einigen Minuten eine prompte Lähmung. In vereinzelten Fällen ging der Lähmung eine Erregung, kenntlich durch Zunahme der Kon- traktionsstärke, voran. (Vgl. Abb. 9.) Ähnliche 1) W. Frey, Berl. klin. Wochenschr. 1918, Nr. 18, 19, 36. 2) Frey und Hagemann, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 25, 290. 1921. ?) E. Wiechmann, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. %, 155. 1918. *) Santesson, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 32, 321. 1893. > Abb. 3a und b. In a) zunächst Herz in Ringer. — In b) ist die Chinldinlähmung (0,06 %) eingetreten. Zusatz von Bei 2 Darauf Erholung. m/100 CaCl, 594 E. Wiechmann: Über die Beseitigung von Giftwirkungen am Herzen Darauf Erholung. Bei 2 Zusatz von m/140 SrCl,. In a) Herz in Ringerlösung. — In b) Lähmung durch 0,18% Chinidin. sulfur. 4a und b. Abb. Beobachtungen hat auch Santesson!) am querge- streiften Muskel des Frosches gemacht. Genau so wie die Chloride der Erdalkalien die Chininlähmung des Herzens zu kompensieren ver- mögen, so sind sie auch imstande, die durch Chinidin. . sulfur. hervorgerufene Läh- mung des Herzens mehr oder weniger weitgehend zu beseiti- gen. (Vgl. Abb. 3, 4, 5.) Frag- lich konnte es nur noch sein, ob es sich bei der Neutralisie- rung der Chinidin. sulfur.-Wir- kung durch BaCl, tatsächlich um eine Bariumwirkung han- delte. Denn Bariumchlorid fällt aus Lösungen von Chinidin. sulfur. weißes, unlösliches Ba- riumsulfat aus, was im Expe- riment an der eintretenden Trü- bung erkenntlich ist. Wird die in Abb. 5 sichtbare Erholung des Herzens nun durch die übriggebliebenen Spuren ° von Bariumchlorid bedingt, oder handelt es sich dabei um ganz andere Vorgänge? Zur Ent- scheidung dieser Frage habe ich in einem weiteren Versuch Chinidin. hydrochlor. statt Chi- nidin. sulfur. verwendet und dann mit Bariumchlorid den- selben Effekt wie in Abb. 5 erzielt. Damit ist der Beweis geliefert, daß es sich tatsächlich um eine Bariumwirkung han- delt. Wegen Raummangels verzichte ich auf die Wiedergabe dieser Kurve. Außer den Erdalkalien sind alle anderen mehr- wertigen Kationen — geprüft habe ich auch hier die Chloride von Mn, Co, Ni und Hexamminkobalt — nicht imstande, die lähmende Wirkung des Darauf Erholung. Bei 2 Zusatz von m/250 BaC],. Abb. 5a und b. In a) Herz in Ringerlösung. — In b) Lähmung nach 20 Minuten langem Verwei en in Ringer + 0,06% Chinidin. sulfur. 1) Santesson, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. . 30, 411. 1892. durch Calcium und andere zweiwertige Kationen. 595 Chinidins auf das Herz zu beeinflussen. Für die theoretischeWertung dieser Versuche gilt das bereits bei den Chininversuchen Gesagte. Ihre klinische Bedeutung!) liegt darin, daß es experimentell möglich ist, die schädigende Wirkung des Chinidins auf das Herz mehr oder weniger aufzuheben. Wenn es Frey?) nicht geglückt ist, am Kaninchen den durch intravenöse Injektion von Chinidin. lactic. hervorgerufenen Herzstillstand durch weitere intravenöse Injektion von Calc. lactic. aufzuheben, so mag das an der Dosierung liegen. Unter allen Umständen müssen meine Beobach- tungen dazu ermuntern, gegebenenfalls auch am Menschen zu versuchen, ob die durch Chinidin bedingte Schädigung des Herzens durch Calcium und eventuell auch Strontium kompensiert werden kann. Eine Beobachtung, die hauptsächlich von klinischer Bedeutung ist, sei hier noch erwähnt. Erhöht man den Kaliumgehalt der Ringerlösung um eine nicht wirksame Menge, so sind schon sonst sicher unterschwellige Chinidindosen imstande, das Herz zu lähmen. Da die Dämpfung einer extremen Hyperkinesie Endzweck jeder Chinidintherapie ist, ist damit die theoretische Grundlage für die schon 1919 durch v. Bergmann?) für den Menschen empfohlene Kombination der Chinidinmedikation mit einer Kali- anreicherung des Organismus geliefert. 3. Der Einfluß mehrwertiger Kationen auf die Lähmung des Herzens durch Arsen. Nach den Beobachtungen von Zondek kann die Lähmung des Herzens durch Arsen, genau so wie jene durch Chinin, mit Hilfe von Calcium kompensiert werden. Kann auch hier das Calcium durch andere mehrwertige Kationen vertreten werden? Die Versuche wurden, wie früher beschrieben, angestellt. Verwandt wurde die arsenige Säure, die als Natriumsalz zur Ringerlösung zugefügt 127 ) Abb. 6a—c. Nach längerem Verweilen in Ringerlösung (a), kommt das Herz in Ringerlösung + 0,03% AsO,, wo es schnell gelähmt wird (b). Bei 2 Zusatz von m/200 SrCl,. Sofortige Er- holung. In c) 6 Minuten später. 1) Auf die klinische‘ Bedeutung dieser Versuche werde ich ausführlich in der Klinischen Wochenschrift eingehen. 2) Frey und Hagemann, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. 25, 290. 1921. 3) v. Bergmann, Münch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 26. 596 E. Wiechmann: Über die Beseitigung von Giftwirkungen am Herzen wurde. Die gebrauchten Konzentrationen betrugen 0,03% bis 0,04%. Als Ersatz für Calcium wurden wiederum die Chloride von Strontium, Barium, Magnesium, Kobalt, Mangan, Nickel und Hexamminkobalt- ichlorid geprüft. Eine Schwierigkeit ergab sich insofern, als sich beim Zusammenbringen der üblichen Ringerlösung von der Zusammen- setzung 0,7% NaCl + 0,02% KCl + 0,02% CaCl, + 0,01% NaHCoO, mit Natriumarsenit und CoCl, und MnCl, Niederschläge von Karbo- naten des Kobalts und Mangans bilden. Deswegen wurden in den Kobalt- und Manganversuchen die gleiche Ringerlösung, jedoch ohne NaHC0O,, und statt des Natriumarsenits reine arsenige Säure, und zwar wegen der besseren Löslichkeit ihre amorphe, glasige Form verwandt. I) b) Abb. 7a und b. Bei a) schlägt das Herz in Ringerlösung. — In b) Herzlähmung durch 0,03% AsO,. Bei 2 Zusatz von m/600 Bariumchlorid : Erholung. Die Versuche (vgl. Abb. 6 u. 7) lehrten, daß das Calcium in seiner kompensatorischen Wirkung gegenüber dem Arsen durch Sr und Ba, jedoch nicht durch die geprüften anderen mehrwertigen Kationen vertreten werden kann. 4. Der Einfluß der Digitalisglykoside auf die Lähmung des Herzens durch Chinidin. Bei der theoretischen Deutung der experimentellen Untersuchungen über die Wirkung der Digitaliskörper handelt es sich heute im wesent- lichen um die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Digitalis- und Caleiumwirkung. Nach Löwi!) besteht die Wirkung des Strophan- 1) O. Löwi, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 82, 131. 1917 u. 83, 366. 1918. — Vgl. ferner A. v. Konschegg, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. %1, 251. 1913. durch Caleium und andere zweiwertige Kationen. thins in einer Sensibilisierung des Herzens für Caleium. Ich!) habe kürzlich die Ver- suche Löwis und seiner Schüler so gedeutet, daß es sich dabei um einen katalytischen Vorgang handelt, derart, daß das Calcium in seinen kleinsten Spuren katalytisch wirkt. S. G. Zondek?) dagegen nimmt an, daß sich Calcium und Strophanthin in ihrer Wirkung auf das Froschherz identi- fizieren lassen. Nachdem in den oben beschriebenen Ver- suchen gezeigt war, daß das Calcium im- stande ist, die durch Chinidin hervorge- rufene Herzlähmung zu kompensieren, erhob sich weiterhin die Frage: Sind auch hier- bei die Digitaliskörper imstande, die gleiche Wirkung wie das Calcium auszuüben? Zur Beantwortung dieser Frage wurden Ver- suche in derselben Anordnung wie früher angestellt. Für die Auswahl der Digitalis- körper war ihre Wasserlöslichkeit entschei- dend. Dementsprechend wurden Strophan- thin (Böhringer), Digifolin und ein wäßriges Digitalisinfus verwandt. Das Infus wurde wegen der bekanntlich schon nach 24 Stun- den um die Hälfte herabgesetzten Wirksam- keit vor den Versuchen frisch hergestellt. Die beiden anderen Präparate wurden mir liebenswürdigerweise von der Firma (©. F. Böhringer in Mannheim und der Gesell- schaft für Chemische Industrie in Basel in rein wäßriger Lösung zur Verfügung gestellt. Von Digifolin entspricht nach Angabe der Firma 1 ccm 0,0012 g Digifolinsubstanz und dem Wirkungswert von 0,1g Fol. Digit. titr.?). 1) E. Wiechmann, Arch. f.d. ges. Physiol. 194, 435. 1922. 2) 8. G. Zondek, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 8%, 342. 1920 und 88, 158. 1920. — Derselbe, Dtsch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 30. ®) Siehe hierzu Lehnert und Loeb, Therapeu- tische Monatshefte 28, 164. 1914. 597 Bei 2 Zusatz Ahb. 8. Nach längerem Verweilen in Ringerlösung a) kommt das Herz in Ringerlösung + 0,2%, Chinidin. sulfur., wo es schnell gelähmt wird b). von 0,00016% Strophanthin Erholung. 598 E. Wiechmann : Über die Beseitigung von Giftwirkungen am Herzen Wie die Abb. Sund 9 eindrucksvoll zeigen, gelingt es, mit Digifolin und Strophantkin die Chinidinlähmung des Herzens zu kompensieren. Das Digitalisinfus ist jedoch in einer der verwandten Digifolinmenge entsprechenden Dosierung dazu nicht imstande. Ob dies die Folge des im Infus fehlenden Digitoxins ist, läßt sich vorerst nicht ent- scheiden. Was die klinische Bedeutung dieser Versuche anbetrifft, so gilt für sie das gleiche, was oben (S. 595) von den Chinidin-Caleiumversuchen gesagt wurde. Im allgemeinen ist es sicherlich nicht ratsam, therapeu- tisch gleichzeitig Chinidin und Digitalis zu verordnen, da die Beurteilung €) A2 Abv. 9a—d. Nach längerem Verweilen in Ringerlösung a) kommt das Herz in Ringerlösung + 0,2% Chinidin. sulfur., wo es nach einem kurzen Erregungszustand b) schnell gelähmt wird. Bei 2 Zusatz von 0,0009% Digifolin. 14 Minuten später schlägt das Herz regelmäßig. d) Diese Erholung dauert 25 Minuten an. der Wirksamkeit dieser differenten Mittel auf das kranke Herz dadurch nurunliebsam erschwert wird (v. Romberg!), Frey?), Benjaminu.v. Kapff?°). Bei so bedrohlichen, in einer Herzlähmung gipfelnden Zuständen, wie sie z. B. von Frey*) beschrieben sind, wird man dennoch künftig den Versuch machen müssen, die akute Chinidinschädigung des Herzens durch Digitaliskörper zu beheben. Ob in den beschriebenen Versuchen die Wirkung der Digitaliskörper in einer Sensibilisierung des Herzens für Calcium besteht (Zöwi), oder 1) v. Romberg, Sitzung der Fachärzte für innere Medizin, München 2, II. 1922. Münch. med. Wochenschr. 1922, Nr. 9. *) W. Frey, loc. cit. 3) Benjamin und v. Kapff, Dtsch. med. Wochenschr. 1921. Nr. 1. — Ferner v. Kapff, Dtsch. med. Wochenschr. 1922, Nr. 14. !) Frey und Hagemann, loc. cit. durch Calcium und andere zweiwertige Kationen. 599 ob Digitaliskörper und Calcium dabei gleichsinnig wirken (Zondek), oder ob es sich schließlich dabei um eine katalytische Wirkung des Caleiums handelt (Wiechmann), läßt sich nicht entscheiden. III. Schlußfolgerungen. Das Wesen der Kationen ist durch zwei Komponenten gekennzeich- net: Erstens durch ihren speziell chemischen Charakter und zweitens durch ihre physikalischen Eigenschaften. Dadurch ist es auch verständlich, daß die Kationen teils die eine und teils die andere Seite ihres Wesens stärker hervorkehren können. Von den physikalischen Eigenschaften ist es vor allem die Wertigkeit, die für die Physiologie von Bedeutung ge- worden ist. Die entscheidende Rolle, die sie bei vielen physiologischen Versuchen spielt, führte Loeb und vor allem Höber zu der Anschauung, daß die Salze über die Zellkolloide hinweg ihre physiologischen und patho- logischen Einflüsse entfalten. Wie steht es nun mit den oben beschriebenen Versuchen über die Ver- giftung des Herzens durch Chinin und Arsen ? Die Wirkung dieser Stoffe ist im pharmakologischen Geschehen bisher wohl stets als eine chemische aufgefaßt worden. Zondeks Verdienst ist es, die Frage aufgeworfen zu haben, ob diese Stoffe nicht physiko-chemisch wirken. Ob es sich tat- sächlich um einen physikalisch-chemischen Prozeß handelt, läßt sich vorläufig nur entscheiden, wenn man ihre Antagonisten betrachtet. Da lehren meine Versuche, daß es immer nur eine bestimmte chemische Gruppe, die der Erdalkalien, ist, die den Herzschädigungen durch Chinin und Arsen als Antagonist entgegentritt. Alle anderen mehrwertigen Kationen können diese Schädigungen nicht bekämpfen. Danach ist offenbar die chemische Natur des kompensierenden Ions viel entschei- dender als der physiko-chemische Charakter. Schließt man weiter, so wird man wohl sagen dürfen, daß die Chinin- und Arsenwirkung viel eher ein chemischer Vorgang als ein physiko-chemischer ist. Wenn man sich jedoch eine Vorstellung von der Art dieses chemischen Prozesses machen will, so erscheint das vorerst unmöglich. Allenfalls könnten Untersuchungen an Pflanzenzellen einen Fingerzeig geben, in welcher Richtung vielleicht eine nähere Erklärung, wenigstens der Chininwirkung, zu suchen ist. Aus den Untersuchungen von v. Eisler und v. Portheim!) wissen wir, daß das Chinin. hydrochlor. auf das Proto- plasma von Elodea canadensis eine desorganisierende Wirkung ausübt, die sich im Auftreten kleiner Körnchen äußert. Dieser Prozeß wird durch Calcium gehemmt. Andererseits hat Hansteen?) nachgewiesen, daß die Kolloide der Zellwände mit gewissen Ionen in bestimmten gegen- seitigen Mengenverhältnissen in Verbindung treten müssen, damit die 1) v. Eisler und v. Portheim, Biochem. Zeitschr. 21, 59. 1909. 2) Hansteen, Jahrbücher f. wiss. Botanik 47, 289. 1910 u. 53, 536. 1914. 600 E. Wiechmann: Über die Beseitigung von Giftwirkungen am Herzen Zellwände ihren richtigen Gelzustand bekommen. So quellen die Zell- wände junger Wurzelzellen durch eine reine Mgs- oder K-Salzlösung auf und geben an die schädliche Lösung Stoffe ab, die immer denselben chemischen Körperklassen, nämlich den Pektinstoffen, den Fettsäuren und Phytosterinen angehören. Dabei wirkt Ca dem schädigenden Ein- fluß des Mg und K entgegen. Das gleiche gilt, wie ich!) an den Wurzeln von Gerstekeimlingen gezeigt habe, für Sr und Ba. Offenbar handelt es sich dabei um die Bildung chemischer Verbindungen; denn nach den Angaben Kreftings?) bildet die als eine Pektinsäure anzusehende Tangsäure, die sich in der Intercellularsubstanz der Braunalgen befindet, mit Kalk und Barium unlösbare, mit Kalium und Magnesium dagegen sehr leicht lösliche Verbindungen). Vielleicht spielen sich ähnliche Vorgänge, wie sie hier von den Pflan- zen geschildert sind, unter dem Einfluß des Chinins und des Ca, Sr und Ba auch am Herzen ab. Ob das gleiche vom Arsen gilt, läßt sich noch nicht einmal vermuten. Als Stoffe, die mit dem Chinin und dem Ca, Sr, Ba in Reaktion treten könnten, wird man wohl in erster Linie Phosphatide, die freie basische Valenzen der Phosphorsäure enthalten, in Betracht ziehen müssen. Daß z. B. Calcium und Fettsäuren im Herzen unlösliche chemische Verbindungen eingehen können, ist aus den Unter- suchungen von Clark*) bekannt. Es erscheint nicht verwunderlich, daß das Chinidin genau so wie das Chinin wirkt. Denn beide sind stereoisomer, sie haben dasselbe Mole- kulargewicht und dieselbe Zusammensetzung und unterscheiden sich nur durch ihre räumliche Anordnung. Da die Chinin-und Arsenwirkung durch Zufuhr sonst kaum wirksamer Kaliummengen deutlich verstärkt wird, nimmt Zondek an, daß die Wir- kung dieser Körper eine gleichsinnige ist. Wenn Kalium, Chinin und Arsen wirklich identisch wirken, so mußein Kaliumüberschuß der Ringer- lösung einem Zusatz von Chinin und Arsen entsprechen. Das ist jedoch nicht der Fall. Während nach den Untersuchungen von Höber am Herzen ein Kaliumüberschuß der Ringerlösung außer durch Ca, Sr, Ba auch durch Co, Mn, Ni und Hexamminkobalt aufgehoben werden kann, wird nach meinen Untersuchungen ein Zusatz von Chinin und Arsen zu 1) E. Wiechmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 74. 1920. 2) Krefting, Vgl. Hansteen, loc. cit. ®) Allerdings kann nach den Untersuchungen von v. Eisler und v. Portheim die Chininschädigung der Elodea canadensis außer durch Ca auch durch Mn gehemmt werden, und nach meinen Beobachtungen (l. ce.) wird die Schädigung der Zell- wände in einer reinen Mg-Salzlösung außer durch Ca, Sr und Ba auch durch Co, Mn, Ni kompensiert. Darin liegt ein gewisser Widerspruch zu den hier von mir mitgeteilten Befunden, der aber, da es sich um ganz differente Zellen handelt, wohl nicht allzusehr ins Gewicht fällt. 2) Olark, Journ. of Physiol. 4%, 66. 1913. durch Calcium und andere zweiwertige Kationen. 601 der das Herz speisenden Ringerlösung nur durch Ca, Sr, Ba kompen- siert. Mit anderen Worten: Kalium, Chinin und Arsen wirken hier, nicht identisch. Zusammenfassung. 1. Die Lähmung des Herzens durch Chinin und Arsen wird durch Ca kompensiert. Hierbei kann das Ca nur durch die anderen Erdalkalien Sr und Ba, nicht dagegen durch andere mehrwertige Kationen vertreten werden. Dies wird so gedeutet, daß es sich bei der Chinin- und Arsen- schädigung eher um einen chemischen als um einen physiko-chemischen Vorgang handelt. 2. Im Gegensatz zu den Angaben von Zondek kann die Wirkung des Kaliums, Chinins und Arsens auf das Herz nicht als prinzipiell identisch angesehen werden. Dies wird damit begründet, daß, während nach den Untersuchungen von Höber die Lähmung des Herzens infolge von K-Über- schuß durch eine größere Zahl mehrwertiger Kationen kompensiert wer- den kann, jene durch Chinin- und Arsenzusatz zur Ringerlösung nur durch die Erdalkalien Ca, Sr und Ba aufgehoben wird. 3. Die Lähmung des Herzens durch Chinidin wird durch die Erdalka- lien Ca, Sr und Ba, nicht dagegen durch andere mehrwertige Kationen antagonistisch beeinflußt. 4. Das durch Chinidin stillgestellte Herz kann durch Digifolin und Strophanthin wieder zum Schlagen gebracht werden. Wäßriges Digi- talisinfus ist dazu nicht imstande. 5. Wird der Kaliumgehalt der Ringerlösung um eine nicht wirksame Menge erhöht, so sind schon sonst sicher unterschwellige Chinidindosen imstande, das Herz zu lähmen. Diese Beobachtung liefert die theoreti- sche Grundlage für die schon 1919 durch v. Bergmann für den Menschen empfohlene Kombination der Chinidinmedikation mit einer Kalianrei- cherung des Organismus. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Bonn.) Leitungsverlangsamung und Verringerung des Stolfumsatzes als Grundlage der scheinbaren „Gewöhnung“ des wärmegelähmt gewesenen Nerven. Von Dr. med. Walter Thörner, Priv.-Doz. an der Universität Bonn. (Eingegangen am 1. Mai 1922) Erwärmt man einen Abschnitt des Nerven eines Nervmuskelpräpa- rates in indifferentem Medium, so erlischt bekanntlich bei einer bestimm- ten Temperatur, deren Höhe von verschiedenen Faktoren — Froschart und Zustand, Länge der Strecke, Geschwindigkeit des Temperaturanstiegs, Sauerstoffgehalt des Mediums — abhängt, das Leitvermögen, d.h. die erwärmte Nervenstrecke vermag zentra! von ihr angebrachte Er- regungen nicht mehr hindurchzulassen, sie ist wärmegelähmt. Geringe Abkühlung bringt das Leitvermögen zurück und zwar vollständig, soweit das an der Größe der Muskelzuckung gemessen werden kann. Wiederholt man nun aber die Erwärmung unter gleichen Bedingungen, so verschwindet das Leitvermögen jetzt bei einem höheren Temperatur- grade als bei der ersten Erwärmung und zwar ist diese Zunahme der Widerstandsfähigkeit des Nerven gegen die Wärmewirkung um so größer, je stärker und länger innerhalb gewisser Grenzen die Übererwärmung über den Temperaturgrad des ersten Leitfähigkeitsverlustes vorgenom- men war. Diese Beobachtungen sind als scheinbare ‚„Gewöhnung‘“ be- zeichnet und samt den Bedingungen, unter denen sie zustande kommen, a. a. O.!) ausfürlich behandelt. Hier diene zur Erläuterung dieser Erscheinungen eine kurze zahlen- mäßige Zusammenstellung der damaligen Ergebnisse, wobei aber wegen des Vergleiches mit der vorliegenden Untersuchung nur die Versuche an Winterexemplaren von rana temporaria berücksichtigt seien (rana escu- lenta verliert das Nervenleitvermögen erst bei einer um 6—8° höheren Temperatur und bei Sommerfröschen liegt die Wärmelähmungstem- t) Thörner, Wärmeerregung, Wärmelähmung und der Erscheinungskomplex der „„Gewöhnung‘‘ bei der letzteren. Zeitschr. f. allgem. Physiol. 18, 1919, Heft 2, S. 226f. W. Thörner: Leitungsverlangsamung u. Verringerung d. Stoffumsatzes usw. 603 peratur um ca. 2° niedriger). Ferner sei aus demselben Grunde nur auf die Gruppe der damaligen Versuche Bezug genommen, die mit gleich- mäßigem Temperaturanstieg von 1—2° pro 1 Min. an einer beeinflußten Strecke von 3cm ausgeführt waren, da besonders bei Kaltfröschen ein langsamerer Temperaturanstieg infolge „Gewöhnung‘“ leicht zu einer erhöhten Wärmelähmungstemperatur führt und diese andrerseits um ‚so höher liegt, je kürzer die erwärmte Strecke ist fein Ausdruck des ‚dekrementiellen Erresungsablaufes in derselben). Unter den angenebenen Bedingungen stellten wir damals fest, daß der Nerv (N. ischiadicus) bei durchschnittlich 35°C seine Leit- fähigkeit verlor (Sommertemporarien bei 33°C, Eskulenten bei 42°C). Ließ man die Temperatur nur wenig weiter ansteigen, etwa auf 36°, kühlte dann schnell ab, etwa bis auf 18°, was zu voller Erholung führte, und erwärmte den Nerven aufs neue, so büßte er sein Leitvermögen bei wenig erhöhter Temperatur, etwa bei 35° ein. Trieb man jedoch die Erhitzung stark über den ersten Wärmelähmungsgrad hinaus, etwa bis 40°, so erfolgte bei einer abermaligen Erwärmung des inzwischen durch Abküh- lung erholten Nerven die neue Lähmung erst bei einer um mehrere Grade, im Höchstfall um 4°, erhöhten Temperatur, also etwa bei 38—39°. Auch nach so starken Übererwärmungen erholte sich der Nerv vollstän- dig, nach Maßgabe der Muskelzuckung. Nach noch höheren Tempera- turen ließ diese aber an Größe nach, als Zeichen eines irreversiblen Ausfalls einer Anzahl von Nervenfasern in der behandelten Strecke. Mit Überschreiten der 40° betreten wir das Gebiet der Dauerschädigun- gen, hier liegt für den Temporarianerven die Todestemperatur, gegenüber der Wärmelähmungstemperatur bei 34—35°. Von 34° bis 40° aber erstreckt sich innerhalb bestimmter Zeitgrenzen das Reich der reversiblen Schädigungen mit dem wir uns im folgenden wesentlich zu beschäftigen haben. Die hier durch die Wärme bedingten Störungen bilden sich bei erniedrigter Temperatur zurück, falls sie nicht zu lange bestanden haben. Zur Deutung der in diesem Tempe- raturbereich beobachteten ‚Gewöhnungs‘-Erscheinungen hatten wir!) als solche reversible Schädigungen vor allem zwei herangezogen: Erstens eine funktionelle Störung im Stoffwechsel, die in dem Überwiegen des Sauerstoffbedarfs zufolge der gesteigerten Lebensprozesse über die mögliche Zufuhr, also in relativem Sauerstoffmangel, besteht und als Erstickung den Hauptfaktor für das Zustandekommen der Wärme- lähmung ausmacht. Und zweitens eine beginnende Gerinnung, eine all- mähliche Teilchenvergrößerung kolloidaler Protoplasmastoffe, die zu- nächst reversibel bleibend zu einer Stoffwechselverlangsamung führt und mit der Temperatur zunehmend erst in höheren Graden zu 1) Thörner. a. a. O. S. 271. 604 W. Thörner: Leitungsverlangsamung und Verringerung des Stoffumsatzes als gröberer Ausflockung und damit zum Wärmetode hinüberleitet. Also fließende Übergänge aus dem Bereich der Wärmelähmung in das des Wärmetodes; vermutlich wird durch die Erstickungsprodukte der Aus- flockungsvorgang noch befördert, wodurch der Wärmetod auch bei den niedrigeren Temperaturen der Wärmelähmung erklärt wird, wenn sie rur lange genug unterhalten werden. Eben die zweite der reversiblen Schädigungen, die beginnende Zu- standsänderung in den kolloidalen Lösungsverhältnissen des Protoplas- mas, erschien uns geeignet zur Erklärung der ‚„Gewöhnung‘‘, indem wir der Meinung waren, daß die Verschlechterung der Lösungsbedingungen im Protoplasma eine Erschwerung der Stoffwechselvorgänge zur Folge habe und daß der durch diese Stoffwechselverlangsamung gegebene geringere Sauerstoffbedarf den Nerven widerstandsfähiger gegen die Erstickungsgefahr der Wärmewirkung mache, also gerade gegen jene erste Wärmeschädigung, auf der die Wärmelähmung beruht. Es arbeitet also gewissermaßen dieser beginnende Gerinnungsvorgang als stoff- wechselherabsetzend, der die Umsetzungen steigernden Wärmewirkung entgegen. So erklärt es sich, daß bei langsam steigender Temperatur (1° in 2—3 Min.) die Lähmungstemperatur hinaufgeschoben werden kann. Natürlich müssen diese ersten Gerinnungsstufen immerhin einen gewissen Grad und Umfang erreicht haben, durch genügend lange Einwirkung möglichst hoher (in den angegebenen Grenzen) Temperaturen, damit die Stoffwechselverlangsamung den Sauerstoffbedarf soweit einschränke, daß es nach außen bemerkbar wird; so verstehen wir, daß nach starken Übererwärmungen bei sehr langsamer Abkühlung die Leitfähigkeit schon wiederkehrt bei Temperaturen, die 1—2° höher liegen als die, bei denen sie im Aufstieg verschwunden war, und daß der Umfang der Gewöhnung um so größer ist, je höher die Übererwärmung war. Und schließlich ist zu fordern, daß im Gegensatz zu der funktionellen Störung der Erstickung die durch die Wärme bedingte kolloidale Zustandsände- rung auch nach der Abkühlung bestehen bleibe, wenn sie bei einer er- neuten Erwärmung irgendwie zum Ausdruck kommen soll, eine Forde- rung, deren Erfüllung durchaus im Wesen derartiger Vorgänge liegt. Und dennoch müssen wir diese ersten Gerinnungsstadien, wenn wir sie der „Gewöhnung‘ zugrunde legen wollen, im Gegensatz zu den zum Wärme- tod führenden höheren irreversiblen Graden als reversibel bezeichnen, weil wir sehen, daß die durch eine starke Übererwärmung gewonnene erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen erneute Erwärmung allmählich zurückgeht, wenn wir das Präparat einige Stunden bei Zimmertemperatur ruhig liegen lassen. So zeigt z.B. ein Nerv, der bei der zweiten Wärmelähmung eine „Gewöhnung‘ um 3,5° aufwies, bei einer dritten Erwärmung, die nach fünfstündigem Liegen bei 13° vorgenommen Grundlage d. scheinbaren „Gewöhnung“ d. wärmegelähmt gewesenen Nerven. 605 wird, nur noch eine „Gewöhnung“ um 1° gegenüber der ersten Wärmelähmungstemperatur. Wenn aber die „Gewöhnung‘“ zurückgeht, müssen auch die sie bedingenden Momente rückbildungsfähig sein. Und sie müssen das auch aus dem Grunde, daß wir sie ja sonst den irreparablen Dauerschädigungen zurechnen müßten, während wir doch sehen, daß ein wärmegelähmt gewesener Nerv nicht nur viele Stunden funktionsfähig bleibt, sondern, wie im folgenden gezeigt werden soll, an Funktionstüchtigkeit wieder zunimmt. Wenn wir nun das Wesen der Wärmelähmung in. einer Erstickung sehen und andererseits die nach starken Erwärmungen beobachtete scheinbare ‚Gewöhnung‘‘ an höhere Temperaturen zurückführen auf eine durch kolloidale Zustandsänderungen bedingte Stoffwechselverlang- samung, die den Sauerstoffbedarf des Nerven einschränkt, so ist zu fordern, daß ein wärmegelähmt gewesener „gewöhnter‘ Nerv auch wider- standsfähiger gegen Sauerstoffmangel bei Zimmertemperatur sei und z. B. ein Verweilen in reinem Stickstoff länger aushalte, ohne Erregbar- keit und Leitvermögen zu verlieren, als ein nicht vorbehandelter Ver- gleichsnerv. Über solche Versuche ist bereits berichtet worden!). Es hat sich tatsächlich ergeben (an Sommerfroschnerven), daß ein „gewöhn- ter‘ Nerv in reinem Stickstoff der Erstickung länger trotzt als ein nor- maler Nerv und zwar um ca. 8%, der Erstickungszeit des letzten. Auch an Winterfröschen werden neuerdings gleichgerichtete Versuche ange- stellt, die ebenfalls, wenn auch mit größeren Schwankungen, ergaben, daß der ‚‚gewöhnte‘‘ Nerv die größere Widerstandskraft gegen Sauerstoff- entziehung besitzt. Erschwerend machen sich allerdings bei den Kalt- fröschen die sehr langen Erstickungszeiten, 4—5 Std., bemerkbar, da während dieser langen Zeit sich die Gewöhnungsbedingungen z.T. zurückbilden und somit dem gewünschten Resultat entgegengewirkt wird. Zudem kommen mit Zunahme der Erstickungsdauern individuelle Verschiedenheiten im Sauerstoffbedarf der Vergleichsnerven stärker zur Geltung und verdecken leicht den kleinen Zeitzuwachs des ‚‚gewöhnten“ Nerven. Um das Zustandekommen des Erscheinungskomplexes aer ‚„Gewöh- nung‘ weiter aufzuhellen und die gegebene Deutung zu stützen, wurde versucht, die geforderte Stoffwechselverlangsamung in anderer Weise zu demonstrieren. Der Nerv, und speziell der markhaltige, ist diejenige Form der lebendigen Substanz, die am längsten allen Versuchen, durch Veranlassung zu dauernder Arbeitsleistung Ermüdungssymptome an ihm hervorzurufen, getrotzt hat. Seine geringe Ermüdbarkeit beruht auf der außerordentlichen Kürze seines Refraktärstadiums, das absolut nur etwa 0,001 und relativ 0,1 Sek. beträgt (Temporaria). Das heißt 1) Thörner, a. a. O. S. 264. 606 W. Thörner: Leitungsverlangsamung und Verringerung des Stoffumsatzes als aber nichts anderes als daß in dieser kurzen Zeit bereits alle Spuren einer Erregung an der betroffenen Stelle geschwunden sind und sie wieder voll funktionsfähig ist. Wenn wir den Erregungsvorgang als eine Stoff- wechselschwankung ansehen, die in Zerfall und Wiederaufbau besteht, so ist also der Nerv mit einem außerordentlich geschwind ablaufenden Stoffumsatz (Funktionsstoffwechsel) begabt. Und eben darauf beruht auch die große Schnelligkeit, mit der der Nerv eine Erregung über seine ganze Länge fortpflanzt und in der er alle andern Formen der lebendigen Substanz übertrifft. Erst als man Methoden anwandte, durch die das Refraktärstadium in die Länge gezogen, d. h. der Stoffwechsel verlangsamt wurde — Abkühlung, Erstickung — gelang eine Ermüdung durch Dauerreizung ohne weiteres. Gleichzeitig ließ sich durch dieselben Mittel eine Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit erzielen. Wir wissen somit, daß eine Verlangsamung des Nervenstoffwechsels u.a. in einer Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit zum Ausdruck kommt und können diese Erfahrung für unsere Frage herbeiziehen, die wir nun folgender- maßen formulieren würden: Läßt sich am Nerven nach einer starken Wärmelähmung gleichzeitig mit der ‚„Gewöhnung‘ eine auch nach völliger Erholung zurückbleibende Leitungsverlangsamung nachweisen, die nach mehrstündiger Ruhe bei Zimmertemperatur zugleich mit der Gewöhnung wieder zurückgeht ? = Einige Bemerkungen zur Methodik. Die Versuche, die der Beantwortung der gestellten Frage galten, wurden in den Monaten Januar— März 1922 an kühlgehaltenen Keller- fröschen (Temporaria) ausgeführt. Der Nervus ischiadicus eines Gastrocnemiuspräparates wurde durch eine a. a. O.!) genauer beschriebene doppelwandige Glaskammer gezogen, so daß eine 3,5 cm lange Nervenstrecke durch Umspülung mit warmer Kochsalzlösung in fein abstufbarer Weise erwärmt werden konnte. Außerhalb der Wärmekammer lagen, gegen Miterwärmung und Austrocknung durch besondere feucht gehaltene Gehäuse geschützt, oberhalb und unterhalb und in gleichen Abständen von der erwärmbaren Strecke die Nervenabschnitte, an denen durch die Platinelektrodenpaare c (central) und p (peripher) der elektrische Reiz (etwas übermaximaler Öffnungsinduktions- schlag) zur Bestimmung der Latenszeiten angebracht wurde. Die Elektrode c diente zugleich für den Prüfungsreiz bei der Wärmelähmung. Der Polabstand jeder Einzelelektrode betrug bei c 2,5 mm, beip2 mm. Die Nervenstrecke zwischen den beiden Kathoden, den für die Bestimmung in Betracht kommenden Ausgangs- punkten der Erregung maß 4,1 cm, von denen etwa 3,2 cm der Wärmewirkung unterworfen wurden. Der Reizstrom wurde von einem einfachen kleinen Schlitten- induktorium mit schwachen Wickelungen und Eisenkern geliefert, dem der primäre Strom aus einem Akkumulator durch Widerstand gedrosselt zufloß. Die Reiz- schwelle lag i. D. für c bei 260 mm, für p bei 220 mmR. A. (Rollenabstand). Dem- entsprechend wurde für den etwas übermaximalen Reiz zur Latenzzeitbestimmung 2), Thorner, a. a. ©. S. 248. Grundlage d. scheinbaren „Gewöhnung‘ d. wärmegelähmt gewesenen Nerven. 607 ein R.A. für e von ca. 200 mm und für p von 190 mm angewandt. Die Strom- schleifengrenze lag für p unterhalb 40 mm R.A. Vom unverletzten Gastrocnemius, der in feuchter Kammer bei konstanter Zimmertemperatur gehalten wurde, erfolgte durch unpolarisierbare Elektroden die Ableitung der Aktionsströme zum Saitengalvanometer von Einthoven. Es hatte sich herausgestellt, daß die Aktionsströme bei Ableitung von der Oberfläche des intakten Muskels gleichmäßiger bleiben und mit der Versuchsdauer viel langsamer an Intensität abnehmen als die anfänglich vielleicht kräftigeren bei Querschnitt- Längsschnittableitung. Die Schwankung der mäßig gespannten Saite wurde mit der Gartenschen Registriervorrichtung auf Papierfilm bei großer Umdrehungs- geschwindigkeit aufgenommen. Der Reizmoment wurde durch den Kontaktapparat (von Garten) mit 0,7 °o Verspätung (kontrolliert durch Einbruch des verstärkten Reizstromes in den Galvanometerkreis) markiert. Diese Zahl wäre daher den Latenzzeiten der Protokolle hinzuzurechnen, um ihre wirkliche Größe zu erhalten, die jedoch für unsere Betrachtungen nicht in Frage kam. Um möglichst zuverlässige Werte zu gewinnen, wurde für jede Latenzzeit eine Doppelbestimmung, gemacht und der Mittelwert eingesetzt. Dies Verfahren ermöglichte zugleich eine Berechnung der Fehlerbreite. Unter 90 Doppelbestim- mungen ergab sich im Durchschnitt eine Differenz der zusammengehörigen Werte von 0,12 0, was bei den im allgemeinen gemessenen Latenzzeitunterschieden für die Leitgeschwindiskeitsbestimmung ca 7,2%, ausmachen würde. In vereinzelten Fällen erreichte obige Differenz 0,25 0. Während in all diesen Doppelbestimmun- gen die beiden sich entsprechenden Kurven gleiche Form und Höhe hatten, zeigten sich in 4 Fällen Ungleichheiten im Höhen- und Zeitmaß der Kurven, derart, daß zu der flacheren Kurve die längere (bis 0,55 °) Latenzzeit gehörte. Solche Be- stimmungen mußten natürlich als unverwert#ar ausscheiden. Die Richtung des Reizstromes wurde für alle unsere Frage angehenden Latenzbestimmungen derart gewählt, daß bei ce mit ) und bei p mit 4 Strom gereizt wurde, also jedenorts der wirksamsten Richtung, deren Überlegenheit besonders bei c deutlich in der erheblich niedri- geren Reizschwelle zum Ausdruck kommt und mit Grützner!) auf die entsprechend gerichteten Nerveneigenströme zurückgeführt wird. In den Versuchen 11—15 aber wurde neben dem obigen Modus zu Beginn vergleichsweise auch die Latenzzeit für den umgekehrten Reizstrom, also bei c für 4 und bei p für |, Richtung, festgestellt. Dabei ergab sich übereinstimmend, daß diese für Reizstelle c bei 4 Strom erheblich länger ist als für ,, nämlich i. D. 5,13 o gegen 4,26 0. Es kann diese Verlängerung von 0,87 o nicht auf Rechnung der beim f Strom um den Elektrodenabstand von 2,5 mm vergrößerten Nervenstrecke gesetzt werden, da hierfür nur eine Latenzverlängerung von 0,092 o anzusetzen ist. Es bleibt somit ein Wert von 0,78 o, der weit außerhalb der Fehler- grenzen liegt und vielleicht erklärt werden kann durch Einflüsse des dem Reizstrom entgegenfließenden Nerveneigenstromes und evtl. besondere Einwirkungen des näheren Querschnittes auf den Erregungs- ausgangspunkt. Für diese Deutung spricht, daß die Latenzverlängerung größer ist und 1 o überschreitet gerade in den Versuchen, in denen die 1) Grützner, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 28. 1882. Pfiügers Archiv. f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 40 608 W.Thörner: Leitungsverlangsamung und Verringerung des Stoffumsatzes als Reizschwellenprüfung eine große Differenz der Erregbarkeit, i.D. 270mm R.A. für |, gegen 150 mm für 4, ergibt und in denen bei deutlich übermaximalem Reiz für ) die gleiche Reizintensität für t eine wesentlich kleinere Aktionsstromkurve erzeugt, während andrer- seits da, wo diese beiden Erscheinungen weniger ausgesprochen sind, auch die Latenzzeitverlängerung geringer ist. Mag durch die obigen Fak- toren — Gegenstrom und andere Querschnittswirkungen — eine Schwä- chung der lokalen Wirkung des Reizstromes herbeigeführt werden, so ist betreffs der dadurch bedingten Latenzverlängerung damit nicht entschieden, wieweit diese auf einem verspäteten Aufbruch der Erre- gungswelle vom Entstehungsorte beruht, wie weit auf einer Dehnung der Muskellatenz (verspätete Saitenschwankung infolge teilweiser innerer Abgleichung des an sich untermaximalen Aktionsstromes in unbeteilig- ten Muskelelementen) und in wie weit in der erschwerten Ausmeßbarkeit der weniger steilen Kurven. Vielleicht aber steckt in dem Wert von 0,57 6 noch ein weiteres latenzverlängerndes Moment, eine elektroto- niche Hemmung der Erregung an der Anode, falls hier die depressive Wirkung lange genug anhält. Für dieses dürften wir nach dem folgenden nur einen geringen Zeitbetrag einsetzen, kaum mehr als 0,25 o. An der Elektrode p finden wir, viel weniger ausgesprochen und nicht so kon- stant, das umgekehrte Verhalten, daß nämlich bei | gerichtetem Reizstrom die Latenzzeit um i. D. 0,25 0 kürzer ist als bei dem im allgemeinen von uns be- nutzten ? Strom. Auch dieser Betrag ist nur zum kleinsten Teile durch die Ver- kürzung der Strecke um 2 mm zu erklären, für die leicht eine Latenzzeit von ca. 0,07 © berechnet: werden kann. Der an dieser Stelle im Nerven meist dem \ Reizstrom entgegen verlaufende Eigenstrom ist schwach und von geringer Wirkung, wie sich auch aus dem kleinen Unterschied der Schwellenerregbarkeit für ! und y Reizstrom ergibt. Seine die Latenz verlängernde Wirkung mag daher nicht groß sein und leicht durch die verkürzenden Faktoren überkompensiert werden. Als solche aber kämen in Frage etwa der Wegfall verzögernder Anoden- wirkung und vielleicht in Fällen naher Lagerung der Kathode an den Muskel ein Übergreifen von Stromschleifen bis auf diesen. Für die letzte Möglichkeit spricht die Beobachtung, daß mehrfach der Aktionsstrom bei y maximalem Reiz zu einem größeren Saitenausschlag führte, als bei 7 Reizstrom, obwohl der letzte eine etwas höhere Schwellenerregbarkeit aufwies. Es ist etwas ausführlicher auf diese Nebenbeobachtungen eingegangen, weil sie die von uns angewandte Lage der Elektrodenpole rechtfertigen sollen. Diese erweist sich demnach für Bestimmungen der Leitgeschwin- digkeit am Nerven als zweckmäßig in der Art, daß die Reizstromriehtung mit der der Nerveneigenströme übereinstimmt, was besonders für das zentrale Nervenende wichtig ist und erkannt wird an der jeweils größten Schwellenerregbarkeit, und daß möglichst die Ausgangspunkte der Erregung einander zugewandt die beobachtete Nervenstrecke begrenzen, so zwar, daß Ausbreitung erregender Stromschleifen auf das Erfolgs- organ möglichst vermieden werden. Grundlage d. scheinbaren „Gewöhnung‘ d. wärmegelähmt gewesenen Nerven. 609 Die Versuche. Der Gang der Versuche geht aus dem folgenden hervor. Nachdem das frische Nervmuskelpräparat 10—20 Min. bei gleicher Temperatur, der Grundtemperatur, ungestört in der beschriebenen Versuchsanordnung gelegen hatte, wurden die Reizschwellen und die Latenzzeiten, letztere in doppelter Aufnahme, von jeder Reizstelle, ce und p, aus bestimmt (Kurven I). Gleich darauf wurde eine Erwärmung der 3,2 cm’ langen Nervenstrecke in der Wärmekammer vorgenommen mit (oberhalb 28) gleichmäßigem Temperaturanstieg von 1° in !/, Min., der Temperatur- grad für den Eintritt der Wärmelähmung!) notiert, mehr oder weniger hoch und lange über diesen Grad hinaus weitererwärmt, bis 39 oder gar 41°, um möglichst starke ‚‚Gewöhnung‘ zu erzielen, und dann rasch auf Zimmertemperatur abgekühlt, wobei die Muskelzuckung auf zentralen Reiz (beic) voll wieder auftrat. Bald darauf wurde von neuem in gleichem Tempo erwärmt, um den Umfang der ‚„Gewöhnung‘ festzustellen, und unmittelbar nach Erreichung des Temperaturgrades des Leitfähig- keitsverlustes schnell wieder abgekühlt?). Nachdem nun das Präparat bei der Grundtemperatur 15—20 Min. geruht hatte, um sich völlig auf diese abkühlen zu können, wurden als Kurven II erneute Latenz- zeitbestimmungen vorgenommen, welche die Leitungsverlangsamung erweisen sollten. In den orientierenden Versuchen 1—5 begnügten wir uns hiermit und bestimmten auch nur die Veränderungen, die die Latenzzeit eines bei c gesetzten Reizes durch die Wärmebeeinflussung der unterhalb gelegenen Nervenstrecke erfährt. Es ergab sich, daß diese Zeit nach der Überer- wärmung tatsächlich erheblich verlängert ist, i. D. um 0,55 0 (Tab. I Stab k)=ca. 12,5% der durchschnittlichen Latenzzeit von 4,23 oe zu Beginn. Diese Verlängerung bietet wohl einen Hinweis auf das erwartete Resul- !) Aufhören der letzten Muskelzuckung auf Reiz beic, eigentlich nicht Beginn, sondern schon etwas vorgeschrittenes Stadium der Lähmung, in welchem das De- krement eben so stark geworden ist, daß die Erregungswelle in der alterierten Strecke erlischt. ®) Es mag hier anmerkend erwähnt sein, daß bezüglich der Gewöhnung unsere früheren Erfahrungen, s. o., vollauf bestätigt wurden, ja daß wir diesmal in regel- mäßigerer Weise noch größere Ausschläge erreichten infolge energischerer Über- erwärmung bei exakter arbeitender Methodik und besserem Froschmaterial. Im Durehschnitv von 16 Versuchen erfolgte die erste Wärmelähmung bei 34,8° C. Die zweite aber trat erst bei 37,9° ein, was einen Umfang der „Gewöhnung‘ von 3,1° bedeutet nach einer durchschnittlichen Übererwärmung von 4,8° in 3!/, Min. (Vgl. Tab. I.) Ziehen wir aber aus dieser Gesamtzahl die Versuche mit den höch- sten und längstdauernden Übererwärmungen heraus, etwa Versuch 8, 10, 11, 15 und 16, so sehen wir, daß bei einer durchschnrittlichen Übererwärmung von 5,5° und 4 Min. Dauer eine ‚„Gewöhnung‘“ um gar 4° eintritt. Damit scheint allerdings das Maximum erreicht. 40* 610 W. Thörner: Leitungsverlangsamung und Verringerung des Stoffumsatzes als tat, braucht jedoch nicht unbedingt und sicher nicht in vollem Umfange auf die Wärmealteration des Nerven bezogen werden, da anzunehmen ist, daß sowohl die Latenzzeit des Nerven überhaupt und besonders am querschnittsnahen Reizpunkt wie auch vor allem die des Nervenend- apparates und Muskels allein durch die natürlichen Absterbeprozessc während der Versuchsdauer allmählich größer wird. Tabelle I. Übersicht über die Ergebnisse aller Versuche zur Darstellung der Abhängigkeit der Gewöhnung und Leitungsverlangsamung von Tiefe und Dauer der 1. Wärmelähmung. | a b ce d e f g h i Kk 1 Em: =) 2 8 oDa rsson] se eg zZ u 8 - Ba SE a Pa = NSS |ıS Se ao sn S, = ae ıSnei 838 o :S oB= IB ERSS ssese&s2ssns > | Ba | s0= 8852| SE | SS | sc8 | Ess |ssäslsstäl.s5n e Sa | Sme nee non BE |ga8 | 255 |SSESJesS°Siinähn © S Se ei © © =o© sea DO ser sid 2neE 5 555 2 Sn s|i& [E55 |[A'1® IS53 |s8>Hlaean zZ Grad Grad | Grad Grad in Min. Grad Grad m. p. Sek in o Grad 1 | 185 | 35,4 38 2,6 3 36,8 1,4 — 0,60 E= 2 | 12,5 | 38 39 4 > 37,4 2,4 — 0,65 — 3 | 6) | 85 3, 4,5 Dun DB 28 —_ 0,45 — 4 18 34 38,4 4,4 4 37,3 8) —_ 0,40 — 5b || 18 34,7 39 4,3 4 38,2 3) — 0,54 — Durchschnitt 0,53 a (Eee ae on 85 Sa all) 35,5 Als 55h 3 39 3 4 0,18 31 | 10 7 88,8 40 | 4,5 3 38,6 Dal 5 0,31 35,7 10° | ıl7 34,8 So N 6 3 0,82 36,7 u | 8 A N 3, 8881 40 3,6 0,33 37,0 12. 118 34,5 AU, 20,9 3 38,2 BU ED 0,22 36,5 ia 115 sro" AU De > ee 14 | 14 34,5 39 AD | Ze er ah — Da ee 32 AU a 38,5 A000 0,50 = 16.2018 | 34,2 AD ra al 4,5 0,76 36,0 Durchschnitt | | | 1-16 34,8 — 4,8 3a | 349 3a 3.15 | 0,46 36,6 Durchschnitt der Versuche | IHR: | | & 140) 0, il, 310 55, 4 Ir 3) 3.8420.0,52 _ Es wurden daher in allen weiteren Versuchen, 6—16, außerdem die Latenzzeiten für einen peripher der Wärmestrecke bei p gesetzten Reiz bestimmt und damit einerseits die zwischenzeitlichen Veränderungen am peripheren Abschnitt des Präparates kontrollierbar und andrerseits eine direkte Berechnung der Leitungsgeschwindigkeit in der untersuch- ten Nervenstrecke möglich gemacht. Grundlage d. scheinbaren „„Gewöhnung‘ d. wärmegelähmt gewesenen Nerven. Tabelle II. Zusammenstellung der an den Aktionsstromkurven ausgemessenen Werte für die Veränderungen der Latenzzeiten und daraus berechneten Leitungs- 611 geschwindigkeiten der einzelnen Versuche unter dem Einfluß der Wärmelähmungen und der mehr-stündigen Ruhepausen. a De d e | f g ag i | k | I nn n : , Zunah- : Zunah- | Leitung | ur Nr.des, iür den Reiz Meder für den Reiz | meder e-p Leitungsgeschwindigkeit GeYölr een. | Batens gpelain?e Latens Zunahme in m. pr. Sek. | Grad ec | Dauer Sstielis __|, al @ ___| fürp |d.Latens| ar der Ver- , nach vor , nach nach | vor nach | nach | vor | nach | nach nach suchs- AN | der ersten Wärmelähmung und Übererwärmung S Ss | Kurve Il| Kurve I Dim. b—e | Kurve | Kurve I | Diff. e—f | Diff. d—g | Kurve I | Kurve II Abnahme Zunahme 6 256 [419 04 | 280 | 262 | o1s | 626 | 273 |asa | a9 | 25 Bong | 0.18 | 2,68. | 2,64 0,04 0,14 | 28,7 | 26,2 2, | 39 Beer | 2,418. 229,1 0.19) 0102| 052 Sa 18 | 31 10 | 5.08 | 4,26 | 0,82 249065 122462.12.0534 0,48 | 25.0 | 19,3 DI 4,0 Bee 053 | 256 255 oT | 022 | 280 92° 36 | 20 | mar237 04,35 | 0.22 2.22, 2488 | O0 0,18 | 27,8 | 25,4 2A | AN | Does | 0,53 | 3,05) 2,62 | 043 | 0,10 | 273:| 25,6%) 1,2. 2800) 14 4.68 | 450 | 0,18 | 3,02 | 2,99. | 0,03 a 2.25 1515,10) 4,60 | 0,50 | 3,32 | 3,03 | 0,29 Var Al ar 16 | 523 |a47 |0,76 | 3,14 | 2,77 | 037 | 0,39 | 95.5 21.0, 25 0 Durchschnitt: 4,21 | 0,43 2,67 | 0,20 028 | 208 Brlalde Bi | 11,8% | Abnahme | | nach vor nach nach vor nach nach | nach vor nach nach B der mehrstündigen Zwischenpause, in der sich Gewöhnung und Leitungsverlangsamung zurückbilden Kurve III| Kurve II Diff. b—c Kurve IIT | Kurve IT | Diff. e—t | Diff. d—g |Kurve II | Kurve II | Zunahme | Abnahme 6 4,97 | 4,56 0,41 | 3,29 | 2,80) 0,49 | 0,08 | a ae Te 1,0 au 8 413 | 425 | 0,48| 3,27 2.68 0,592.05217 17.28.0217 262 7158 1,5 32 h) 4,50 | 423 | 0,271 282 | 2,48| 0,34 | 0,07 | 24,4 | 22,5| 1,9 2,9 Dale 10 6,32 5.08 | 1,24| 446 | 2,96) 1,50 | 0,26 | 22,0 | 19,3 DA 2A 42 12 Zar 015, 3,15 | 216 019-004 | 262 | 2541 0,8 11. as 13 4.72 | 4,65 | 0.0720 3,207| 3,05] 0,15 | 0,08 | 26,2 | 25.6) 0,6 1,0 3m 16 ODE ZI 402273192083 00ER EEUETNO DD, 4°), Durchschnitt: 0,34 (E0R23 0810, "ara 933 2 es, N Oro RE x Zunahme | nach vor nach nach vor nach nach vor | nach | &: der zweiten Wärmelähmung und Übererwärmung | Kurve IV) Kurve ur Dist, b-ce Kurve IV KurveIII Diff. e-f | Diff. d—g [Kurve III [Kurve IV Abnahme Zunahme nor 0173,32 3,29) 0,08 0,121 285 | 2,5000 1 | Bes 518 | 47 | 0,43 864 | 3,27 | 0,37 0,14 28:05 002.60) sl Be 9 4,95 4,50 | 0,45 EA 24827 10:32 0.13 DArd 7 72251 29 12,6 | 10, | 628,632 046 480 | 4146| 034 | 0,12 | 2230| 20,7) 13 | 18 | Brreıeeo 042 7322| 315 002 \ 055 | 269 On a8 >21 13 || 5.29 | 4,76 ı 0,53 | 3902 02352,0) E00 0,43 20120 20,0, 23,5 1 2218 16 || 6,89 | 6,00 | 0,89 | 4,09 | 4,02] 0,07 | 0,82 22402 15,6) EA Durchs | 018 | 030| 247 | 21,4133=| 20 I1R RO) 15,6% 612 W.'Thörner: Leitungsverlangsamune und Verringerung: des Stoffumsatzes als Versuchsprotokoll 12. “| m ® = K; > E 5 Saale S = 3 Latenszeit für = BaS #58 82_| 26| © IRRE Seala35 35 24 |24 ck Zeit 22 IR : : E E E E Bi ar e & Bemerkungen e0o5|08 . 9 17} i i aA : ti Grad taGrad 5 | ® ri | &0 ee a 208 ce 200.R.. A. ur | er) 2. LS I RL A JKnrZ.n anl 145 | + | 275 | 180 | 4,35. | 2,88 278 | Kurven I ee, 3 | = | 20 | | | 11n551/,7| 34,5 | 34,8 | — | Eintritt der | | ' Wärmelähmung 11457 | 40 40,5 | | | 11n581/l 36,8 | 35,7 | + | Leitungs- ty, 9200 Wo rückkehr le | | ehe | 38 31 Ir Da | 73802 1882, Er Asa ' Eintritt der | | | | | | ı Wärmelähmung 1925157 a0 BnlAs = | | ra 122 al 14,5 | + | 285 | 180 | 4,57 2,96 | 254 Kurven II are re EN ls | 22 inneren, IDET 3h 50” || 30 30 rn m | Saal I 88 34 + | | | 3n531/7| 36,5 | 36,5 | — | | | Eintritt der | | | Wärmelähmung: a A en SE 25 As 270280 46907 || 15 16 2 09702 1902541405 3095 791029 Rn. yentarkyz 4N 30° || 30 al | | 4n 337 ||, 33 34 | + | 4h 367 | | | Eintritt der | | | | | Wärmelähmuneg 4n 38” | 20 15 + | 280 | 185 In Bestätigung der obigen Überlegung zeigte sich denn auch, daß nach der Wärmelähmung auch die von dieser nicht betroffenen peri- pheren Teile abwärts p ein verlängertes Latenzstadium aufweisen, und zwar verlängert durchschnittlich um 0,20 o = 4,7%, der anfänglichen Latenzzeit des Gesamtpräparates 4,21 + 0,70 (vgl. Tabelle II A.). Dessen Latenzzeit, Reizpunkt c, ist dagegen in diesen Versuchen um 0,43 o = 109%, gewachsen, so daß sich ein Überschuß von 0,23 0 = 5,3%, ergibt und wir somit gut die Hälfte der am ganzen Präparat gefundenen Latenzzeitzunahme für Reizpunkt ce auf Rechnung der beeinflußten Nerven- streckec p setzen dürfen. Die in dieser durch die Übererwärmung bedingte und zurückgelassene Leitungsverlangsamung ist es, die neben Grundlage d. scheinbaren „‚Gewöhnune“ d. wärmegelähmt gewesenen Nerven. 13. lo} ab} [o) > (>) einer gewissen Absterbequote in der Differenz der Latenzzeitenzunahme (Tab. II A, Stab h) zahlenmäßig zum Ausdruck kommt. Den Betrag der Absterbequote kennen wir nicht, er kann aber nach Maßgabe des- jenigen von Endorgan und Muskel und nach Ausweis einer Wiederkehr größerer Leitungsgeschwindigkeit, wovon noch zu sprechen, nicht erheb- lich sein. Noch übersichtlicher erscheinen die Ergebnisse, wenn wir aus den sewonnenen Latenzdaten die Geschwindigkeiten der Nervenleitung für die bewußte Strecke berechnen (Tab. II A, Stabi, k, 1). Betrug diese für den frischen Nerven im Durchschnitt 26,8 m p.S., so durchläuft die Erregung die gewöhnte Strecke nach der Übererwärmung nur noch mit 23,7 m p.S., also mit einer Verlangsamung von 3,15 m p. 8., d. h. um 11,8%, des Anfangswertes. Um dieses arithmetische Mittel schwankt der Betrag dieser Verlangsamung in den einzelnen Versuchen, während‘ zwischen den Grenzfällen von 6,1% und 22,3% der Dichtemittelpunkt etwa bei 10% liegt. Diese Schwankungen gehen über den Bereich der Bestimmungsfehler hinaus, in ihnen macht sich vielmehr die verschiedene Tiefe der Wärmelähmung geltend. In der Tab. I läßt ein Vergleich der Stäbe h,i, e und f erkennen, daß im allgemeinen die Werte für den Um- fang der „Gewöhnung“ und für die Größe der Leitungsverlangsamung parallel gehen und in gleichem Sinne abhängen von der Stärke der vorauf- gegangenen Übererwärmung. Während im Gesamtdurchschnitt die „Gewöhnung‘‘ 3,1° und die Leitungsverlangsamung 3,15 m p.S. bei einer Übererwärmung in Höhe von 4,8° und 31/, Min. Dauer beträgt, ergibt eine Zusammenstellung der Versuche mit stärkerer Übererwär- mung (8, 10, 11, 15, 16) um 5,5° in 4 Min. neben einer „Gewöhnung‘“ um 3,9° auch eine Abnahme der Leitgeschwindiskeit um 3,84 m pr. S. Nachdem insoweit die Versuche übereinstimmend das Ergebnis geliefert hatten, daß unter den gleichen Bedingungen wie die „Gewöh- nung‘ auch eine Verlangsamung der Erregungsleitung sich während der Wärmelähmung entwickelt und nachher zurückbleibt, wäre der Einwand zu berücksichtigen, die beobachtete Leitungsverlangsamung könne zum größeren Teil durch natürliches, vielleicht durch die Erwär- mung beschleunigtes, Absterben der Nervenstrecke ep bedingt sein. Dieser Einwand würde aber auf keine Weise besser widerlest werden als durch den Nachweis der Fähigkeit dieser Strecke zu einer erneuten Zunahme der Leitungsgeschwindigkeit, wie sie nach den obigen (R. 604) Ausführungen zugleich mit dem Rückgang der ‚„Gewöhnung“ zu er- warten wäre, wenn man das Präparat mehrere Stunden unberührt bei Zimmertemperatur ruhen ließe. Ein positiver Ausfall derartiger Versuche würde zudem eine neue Stütze für die gemutmaßten Zusammenhänge abgeben. Und so wurden denn in 7 Fällen (6, 8, 9, 10, 12, 13, 16,) die Versuche dementsprechend fortgesetzt und führten zu Resultaten, 614 W. Thörner: Leitungsverlangsamune und Verringerung des Stoffumsatzes als wie sie in Tab. II unter B und © zusammengestellt sind. Als Beispiel diene auch Protokoll 12. Nach dem ersten Teil des Versuches, an dessen Schluß die Latenzzeiten als Kurvenserie II 10—20 Min. nach Abfall der Erwärmung bestimmt waren und die Leitungsverlangsamung ergeben hatten, blieben die Präparate vor allen äußeren Schädigungen möglichst geschützt in der Versuchsanordnung bei Zimmertemperatur 3—6 Stun- den liegen. Diese Ruhepause (Stab n) länger auszudehnen, wie vielleicht zur vollständigeren Reduktion der Gewöhnungsbedingungen wünschens- wert gewesen wäre, ging nicht an, da die Aktionsströme des Muskels mit der Versuchsdauer immer kleiner wurden, während doch ihre Größe im Interesse einer präzisen Kurvenwertung nicht unter ein gewisses Maß absinken durfte. — Der Nerv allein hätte wohl länger ausgehalten, wenigstens zeigte seine Erregbarkeit (Prot. 12) auch nach vielstündigen Versuchen kaum eine Einbuße. Aber Nervenaktionsströme lieferten uns für den Zweck zuverlässiger Kurvenmessung zu kleine Saitenaus- schläge. — Die Versuchspause in den angebenen Grenzen genügte aber vollkommen, um neben einem deutlichen Rückgang der Gewöhnungs- erscheinungen eine einwandfreie Zunahme der Leitungsgeschwindigkeit zustande zu bringen. In der Ruhepause von i. D. 4!/, Stunde haben die Latenzzeiten infolge der Absterbeprozesse natürlich weiter zugenommen, aber im Gegensatz zu früher jetzt die für den Reizpunkt c weniger als für p (Tab. II B, Stab d, g, h); das spricht unbedingt für eine relative Erholung der Zwi- schenstrecke c p, derart, daß die Erregung, um diese zu passieren, jetzt ca. 0,10 o weniger gebraucht als vor der Pause. Noch anschaulicher läßt sich das durch Berechnung der Leitungsgeschwindigkeiten dar- stellen, wie sie in Tab. IIB, Stabi als Kurve Ill notiert sind. Diese zeigen, verglichen mit den Werten von Kurve II, Stab k, vor der Pause eine Zunahme i. D. um 1,4 mp. S. = 6% früheren Wertes, womit demnach trotz der fortschreitenden Absterbeprozesse fast die Hälfte des durch die Übererwärmung bedingt gewesenen Leitgeschwindigkeitsverlustes wieder eingeholt ist. — Es geht aus diesen letzten Bestimmungen übrigens hervor, daß die Absterbevorgänge eine Verlangsamung der Erregungs- und Leitungsabläufe vor allem wohl im Endorgan und Muskel hervor- rufen und viel weniger die Nervenfaser treffen, zumal wir, wenn wir von den willkürlichen Beeinflussungen der Strecke c p einmal Abstand nehmen, die Latenzzeiten für c und p fast gleichmäßig zunehmen sehen und nicht etwa wesentlich schneller für c, wie den Längenverhältnissen nach zu erwarten wäre. — Im einzelnen schwankt die Größe der Zunahme der Leitgeschwindigkeit und wir bemerken, daß sie im allgemeinen um so beträchtlicher ist, je länger die Ruhepause gedauert hat (vgl. Stab l, m, n). Während der Gewinn in Versuch 6, 8, 12, 13 nach ca. 3%/, Stunde Pause bei 1,3° Gewöhnungsrückgang nur 1,1mp. S. = 4,4% Grundlaee d. scheinbaren „Gewöhnune“ d. wärmegelähmt gewesenen Nerven. 615 5 )) 8 5 5 0) beträgt, steigt er in den drei übrigen Versuchen mit ca. 5 Stunden Pause neben einem Rückgang der Gewöhnung um 2,4° auf 1,9mp.S. — An die Latenzzeitbestimmungen, die eine derartige Wiederkehr höherer Leitungsgeschwindigkeit nach der mehrstündigen Pause ergeben hatten, wurde in den genannten Versuchen eine abermalige Erwärmung angeschlossen, welche die durch die Versuchspause herbeigeführte Rückbildung der ‚Gewöhnung‘‘ zum Ausdruck brachte. War vor der Pause die Wärmelähmung zuletzt bei einer erhöhten Temperatur von durchschnittlich 38,2° eingetreten, so erfolgte sie jetzt wieder bei niedriger Temperatur, i. D. bei 36,4° (Tab. II, Stab 1), was einen Verlust der anfangs gewonnenen ‚„Gewöhnung‘ um 1,8°, d.h. um etwa die Hälfte des ursprünglichen Betrages (vel. Tab. IIB, Stab m, n, |) entsprechen und sehr gut zu der ebenfalls um fast die Hälfte des Verlo- renen gesteigerten Leitungsgeschwindigkeit passen würde. Ja, in dem Versuche 9 mit der längsten Ruhepause von 5?/, Stunde ist die ,‚Gewöh- nung“ fast ganz zurückgegangen und die letzte Wärmelähmung nahezu wieder bei der Temperatur der ersten eingetreten; hier finden wir gleich- zeitig einen ziemlich beträchtlichen Zuwachs der Leitgeschwindigkeit. Eine über diese letzte Wärmelähmung hinaus forgeführte Übererwär- mung hatte naturgemäß von neuem ‚„Gewöhnung‘ zur Folge. Nur konnten deren Beträge, i. D. 2°, nicht so groß sein wie an frischen Prä- paraten, da sie sich auf die durch nicht völligen Rückgang der ersten Gewöhnung erhöht gebliebenen Wärmelähmungstemperaturen auf- setzten und daher der Spielraum bis zur Todestemperatur eingeengt war. Gleichzeitig sehen wir aber eine kräftige Leitungsverlangsamung in die Erscheinung treten, die die ersterzeugte vielleicht an Umfang noch übertrifft (vgl. Tab. IIC). Sie beträgt i.D. 3,3 mp. S. = 15,6%. Es scheint, daß der lange im Versuch befindliche Nerv mit dem Fortschrei- ten der natürlichen Absterbevorgänge empfindlicher gegen die Wärme- schädigungen wird, indem diese umfangreicher und mehr und mehr irreversibel werden (Gerinnung). Ein solcher Nerv würde also durch erneute Wärmelähmung beschleunigt dem Tode entgegengeführt werden und wohl nicht mehr imstande sein, durch längere Ruhe bei Zimmertem- peratur einen beträchtlicheren Teil der verlorenen Leitungsgeschwindig- keit wiederzugewinnen. Überblieken wir die Versuche, so kann als deren wesentliches Ergebnis folgendes als festgestellt gelten: Nach einer über den Eintrittspunkt der Wärmelähmung um einige Grade fortgesetzten Erwärmung (Über- erwärmung) bleibt der Nerv nach Abkühlung in einem Zustand zurück, in dem er einer erneuten Erwärmung mit größerem Widerstand begegnen kann (Eintritt der zweiten Wärmelähmung bei um 3—4° höherer Tempera- tur). Dies Verhalten wurde als ‚„Gewöhnung‘‘ bezeichnet. Der gewöhnte 616. W.Thörner: Leitungsverlangsamung u. Verrinzerung des Stoffumsatzes usw. Nerv erweist sich ebenfalls als widerstandsfähiger gegen direkte Sauer- stoffentziehung (um 8%, verzögerte Erstickung in reinem Stickstoff). Gleichzeitig mit der Gewöhnung zeigt ein solcher Nerv eine Verlang- samung der Leitungsgeschwindigkeit um 3,15 m p. S. = 11,8%. Gewöh- nung und Leitungsverlangsamung sind in gleichem Sinne abhängig von der Intensität der voraufgegangenen Übererwärmung. Beide bilden sich um gut die Hälfte ihres Betrages zurück, wenn der Nerv mehrere Stunden bei Zimmertemperatur ruht. Diese Ergebnisse stützen die Annahme, daß die Gewöhnungserschei- nungen auf eine Stoffwechselverlangsamung zurückzuführen sind, die den Sauerstoffbedarf einschränkt. Diese Stoffwechselverlangsamung muß reversibel sein, da mit den Gewöhnungserscheinungen auch die Leitungsverlangsamung zurückgebildet werden kann. Es müssen ihr also reversible Vorgänge im Protoplasma zugrunde liegen. Welcher Art diese sein können, läßt sich nicht näher bestimmen. Wahrscheinlich handelt es sich um reversible Zustandsänderungen der Protoplasma- kolloide (Gerinnungen). Unsere Anschauungen darüber sind in der Einleitung ausführlicher dargestellt. Die Verteilung der sympathischen Fasern in peripheren Nerven. Von Dr. Masuo Shimbo. (Aus der I. Medizinischen Klinik der kaiserlichen Universität in Fukuoka. [Vorstand: Prof. Ken Kure.]) Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 6. Mai 1922). Einleitung. Gaskell!), der den Zusammenhang zwischen den Oerebrospinalnerven und dem Sympathicus histologisch verfolgte, hat darüber folgendes festgestellt. Die Vorderwurzeln des Brust- und Lendenmarkes enthalten spärliche feine markhaltige sympathische Fasern, die durch den Ramus communicans albus hindurch verlaufen und im Grenzstrange des Sympa- thicus endigen. Und von diesem letzteren entspringen die neuen mark- losen postganglionären sympathischen Fasern und verlaufen durch den Ramus communicans griseus hindurch weiter in die peripheren Nerven. Langley’) hat durch pharmakologische Untersuchung den anato- mischen Befund Gaskells gesichert. Bis vor kurzem glaubte man, daß solche sympathische Fasern im peripheren Nerven im allgemeinen für Vasokonstriktion, Haarbewegung und für Drüsensekretion bestimmt sind. »z 1909—1913 hat Boeke?) festgestellt, daß der willkürliche Muskel auch vom Sympathicus innerviert wird. So fand er an quergestreiften Muskeln zwei Endplatten, ein großes netzartiges Gebilde, welches sich zu markhaltigen Fasern verfolgen ließ und von ihm motorische Endplatte genannt wurde, und ein kleines schlingenartiges Gebilde, welches bis zur marklosen sympathischen Faser verfolgbar war, und von ihm akzes- sorisches Endplättchen genannt wurde. Aoyagi*) hat solche zweiartige Endplatten im Zwerchfell und in Intercostalmuskeln der menschlichen Leiche vorgefunden. Diese Mitteilungen haben das Interesse vieler Physiologen hervor- gerufen. Genaueres darüber hat Prof. Kure°) in der gleichzeitig erschei- nenden Mitteilung ‚Doppelte tonische und trophische Innervation der willkürlichen Muskeln‘ auseinandergesetzt. In dieser Mitteilung haben Kure, Shinosaki u. a. behauptet, daß die willkürlichen Muskeln auch vom Sympathicus tonisch und trophisch innerviert werden. Sie wollen gleich- 618 M. Shimbo: zeitig die quantitative Verteilung der akzessorischen Endplättchen in verschiedenen Muskeln feststellen, die betreffende Untersuchung ist noch im Gange. ; Ich beabsichtigte hier, solche quantitative Verteilung der sympathi- schen Fasern nicht gerade in den Muskeln, also an der Zahl der akzes- sorischen Endplättchen, sondern in den Nerven zu studieren. So habe ich verschiedene Nervenstämme und die Nervenäste für verschiedene Muskeln genau untersucht und ein befriedigendes Resultat darüber erhalten. Eigene Untersuchung: A. Methode und Material. Das Nervenstück wurde in 10 proz. Formalinlösung oder Müäüllersche oder Erlickysche Flüssigkeit gebracht und daraus Celloidinschnitte hergestellt. Nach der 24 Stunden langen Beizung der Schnitte in 50 proz. Lösung von Lig. ferri sesqui- chlorati färbt man sie 24 Stunden lang in der Weigertschen Lösung, die aus glei- chen Teilen von 1 proz. frisch bereiteter Hämatoxylinalkohol-Lösung und 4 proz. ebenso frisch bereiteter Liq.-ferri-sesquichlorati-Lösung besteht. Nach dem Waschen differenziert man die Schnitte im Weigertschen Borax-Ferriceyankal- Gemisch. Dann wurde gründlich gewaschen, entwässert und geschlossen. Als Material wurden 5 menschliche Leichen benutzt (Sektionsdiagnose: Meningitis, Herzleiden, chronischer Darmverschluß, Leberleiden, Invagination des Darmes). Natürlich war Krankheit des Nervensystems streng ausgeschlossen. B. Ergebnisse und Besprechung. Im Querschnittspräparate der Nerven sieht man fast immer drei Arten der markhaltigen Nervenfasern, d. h. große, mittelgroße und kleine, jede dieser Fasern hat wieder dicke und dünne Markscheiden. Die sym- pathische Faser mit Neurilemmkernen wird man leicht als helle Zone zwischen tief blauviolett tingierten Herden erkennen. Die Verteilung solcher sympathischen Fasern im Nerven ist je nach den Nerven verschie- den. Einzelne Nerven enthalten eine äußerst große Zahl von sympathi- schen Fasern, so daß die Querschnitte des Nerven stellenweise fast bis zum Viertel heller aussehen. In anderen Nerven sind die sym- pathischen Fasern sehr spärlich, so daß man sie kaum deutlich feststellen kann. Nervus phrenicus enthält in seinem Wurzelteile bloß wenige sym- pathische Fasern, dagegen in seinem unteren Halsteile die größte Zahl von sympathischen Fasern, der Querschnitt in diesem Teile hat einen eigentümlichen Bau, so daß die sympathischen Bündel als einzelne Herde in der Peripherie des Nerven isoliert sind, was auf Hinein- mischen der sympathischen Fasern im unteren Halsteile zurückzu- führen ist. Genaueres darüber findet man in unserer‘) Mitteilung „Lrophischer Einfluß des Sympathieus auf das Zwerchfell‘“. Die Verteilung der sympathischen Fasern in peripheren Nerven. 619 Im gewöhnlichen peripheren Nerven kommen die sympathischen Fasern nicht herdweise isoliert, sondern diffus oder als mehr oder minder dicke Bündel mit den markhaltigen Fasern gemischt vor. Nervus phre- nieus und N. intercostales enthalten große Mengen von sympathischen Fasern, so daß sie an Zahl die markhaltigen Fasern übertreffen. Diesen gegenüber enthalten die Nerven für die Rückenmuskeln, der Nervus femo- ralis, besonders die Muskeläste für M. ileopsoas und für M. quadriceps femoris, N. peroneus und N. radialis, N. tibialis mäßige Mengen von sympathischen Fasern, die manchmal als Bündel nachweisbar sind. N. ischiadieus, N. ulnalis und N. medianus enthalten nur geringe Mengen von sympathischen Fasern, die diffus mit den markhaltigen Fasern gemischt vorkommen und schwerer nachweisbar sind. Es ist sehr auffallend, daß man im N. peroneus und N. tibialis die sympathischen Fasern leichter und zahlreicher wahrnimmt, als im N. ischiadieus. Auch die Muskeläste von N. femoralis enthalten relativ mehr sympathische Fasern gegenüber den markhaltigen als der Stamm des N. femoralis. Diese Tatsache zeigt uns, daß diese sympathischen Fasern im Nerven- stamme außerhalb von Gefäßen, Haar und Drüsen ziemlich reichlich nach den Muskeln hinziehen und diese ziemlich reichlich innervieren. Welche Wirkung haben solche sympathischen Fasern auf die Mus- keln ? Das muß die physiologische Untersuchung beantworten. Kure wollte gewisse Spannungen der willkürlichen Muskeln ohne Willensimpuls durch den sympathischen Tonus erklären, weil er mit seinen Mitarbeitern die doppelte Innervation des willkürlichen Muskels bestätigt hat. Er ist der Meinung, daß die Rückenmuskeln, Muskeln des Lendengürtels und der M. quadriceps femoris, die beim Stehen ohne Willensimpuls sich spannen müssen, mehr sympathisch innerviert seien als die Klein- handmuskeln, die für die Haltung des Körpers belanglos sind. In glei- chem Sinne müssen die Atemmuskeln sich immer ohne Willensimpuls spannen, um nicht beider Exspiration dem negativen Druck in der Thorax- höhle zu folgen. Diese Vorstellung tatsächlich zu bestätigen, hat Hoshino von unserer Klinik unternommen, den Kreatingehalt der verschiedenen Körpermuskeln zu vergleichen, weil der Kreatingehalt des Muskels nach der Angabe Pekelharings u.a. einen gewissen Zusammenhang hat mit dem Muskeltonus, und nach der Untersuchung von Kure, Maeda und Toyama durch den sympathischen Tonus beeinflußt wird. Hoshinofand an Katzen, Hunden, Kaninchen, Affen und an Menschenleichen, daß die Rücken- muskeln und großen Muskeln, die dem Körperstamme näher stehen, z. B. M. ileopsoas und M. quadriceps, mehr Kreatin enthalten als die Kleinhandmuskeln. Dieses Resultat Hoshinos stimmt gut mit dem Re- sultate meiner histologischen Untersuchung. Die Nerven für die Rücken- muskeln, die Nervenäste für M. ileopsoas und M. quadriceps femoris 620 M. Shimbo: enthalten bedeutend viel sympathische Fasern, während N. medianus und N. ulnaris, die die Kleinhandmuskeln versorgen, äußerst spärliche sympathische Fasern einschließen. Abb. 1a. Querschnitt des Nervus phrenicus in der Höhe des Lungenhilus (aus Fall A). Weigert- sche Markscheidenfärbung. Vergrößerung 81 mal. AZ GDM Abb. 1b. Dasselbe Präparat. Vergrößerung 600 mal. Die Verteilung der sympathischen Fasern in peripheren Nerven. 621 S S Abb. 3. Querschnitt des Nervenastes für Rückenmuskeln. Weigertsche Markscheidenfärbung. Vergrößernng 104 mal. Abkürzung der Zeichen: AZ = Achsenzylinder. M = Markhaltige Faser. $S = Sympathische Faser. GDM = Große dicke markhaltige Faser. GdM = Große dünne markhaltige Faser. KDM = Kleine dicke markhaltige Faser. Kdm = Kleine dünne markhaltige Faser. NK = Neurilemmkern. 622 M.Shimbo: Die Verteilung der sympathischen Fasern in peripheren Nerven. Was die Atemmuskeln betrifft, so hat Hoshino an Hunden festgestellt, daß die Intercostalmuskeln und das Zwerchfell weniger Kreatin enthal- ten als gewöhnliche Muskeln. Diese Tatsache spricht gegen starken sympathischen Tonus der ersteren, während er physiologisch höchst wahrscheinlich ist. Es ist möglich, daß der geringe Kreatingehalt dieser Muskeln von ihrem interstitiumreichen Bau abhängig ist, der die Prä- paration erschwert und den Kreatingehalt scheinbar kleiner ausfallen läßt. Oder es ist noch wahrscheinlicher, daß die Atemmuskeln, die fort- während zu arbeiten pflegen, von besonderen Zirkulationsbedingungen beherrscht sind, die die Abbauprodukte des Stoffwechsels, auch das Kreatin, sehr rasch fortschaffen. Im großen und ganzen stimmt das Resul- tat unserer Untersuchung mit den verschiedenen physiologischen Tat- sachen. So behaupte ich, daß meine hier beschriebene Forschung eine gute Stütze gibt für die tonische Innervierung des willkürlichen Muskels. Zum Schluß erlaube ich mir, meinen hochverehrten Lehrern Ken Kure für die freundliche Leitung, H. Nakayama, 8. Tawara für die vielfache Unterstützung bei dieser Arbeit meinen verbindlichsten Dank auszu- sprechen. Literaturverzeichnis. 1) Gaskell, The involutary nervous system. 1920. — ?) 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Es ist allgemein bekannt, daß die aliphatischen quartären Ammo- niumbasen in ihrer pharmakologischen Wirkung teils quantitative, teils qualitative Unterschiede aufweisen, die sich bisher keiner Gesetzmäßig- keit zu fügen schienen. Bei den Gliedern einer homologen Reihe von weitgehender Ähnlichkeit der physikalischen und chemischen Eigen- schaften ist ein solches Verhalten immerhin auffallend. Da es nun eine häufig beobachtete Erscheinung ist, daß die ersten Glieder homologer Reihen sich nicht den Gesetzmäßigkeiten der folgenden unterwerfen, untersuchte ich eine Anzahl quartärer aliphatischer Ammoniumbasen unter dem Gesichtspunkt, ob sich nicht bei Ausschaltung der ersten Glieder eine Gesetzmäßigkeit im pharmakologischen Verhalten nach- weisen ließe. Es wurde die ‚„Curare‘“- und „Muskarin“-Wirkung folgender Körper quantitativ untersucht und außerdem einige orientierende Ver- suche über ihre Contracturwirkung angestellt. Tetramethylammoniumjodid Triäthylmethylammoniumjodid Trimethyläthylammoniumjodid Tetraäthylammoniumjodid Trimethylpropylammoniumjodid Triäthylpropylammoniumjodid Trimethylbutylammoniumjodid | Triäthylbutylammoniumjodid Trimethylamylammoniumjodid Triäthylamylammoniumjodid Trimethylheptylammoniumjodid Trimethyloktylammoniumjodid Triäthyloktylammoniumjodid Die Prüfung von Trimethylhexyl- und Triäthylhexyl- und Heptyl- ammoniumjodid konnte aus äußeren Gründen noch nicht abgeschlossen werden. Das Ergebnis der Prüfung auf Curarewirkung ist aus der folgenden Übersicht zu entnehmen. Es wirkten noch eben lähmend am isolierten Nerv = Muskelpräparat (Gastrocnemius): Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 195. 41 624 F. Külz: Quantitative Untersuchungen TM 2/5000 - sooo TAM 3/5300 _ 300 TMA "sooo TAA %/;oo - z00 TMP /z00 TAO "soo TMB P/gooo TAB "/zooo TMAm N/,0000 TAA 2,000 TMHp "/10000 ‚N TMO %/jo- 12000 TAO "/75000 Diese Zahlen sind natürlich nicht absolut genau. Sie lassen aber mit Sicherheit eine Wirkungssteigerung mit Vergrößerung der Seitenkette erkennen. Der verstärkende Einfluß der Methylgruppe ist deutlich er- sichtlich. Sehr sonderbar verläuft die Kurve der ‚„Herzhemmungswirkung‘‘, die nach der quantitativen Methode von Fühner geprüft wurde. Um gleiche negativ inotrope Wirkung zu erzielen, brauchte ich von TMÄ 9/,_ 3000 TMA N/go-50 TMP n/300 - 600 TMB 2/50 000 TMAm 2 3000 — 4000 TMHex konnte noch nicht geprüft werden; nach Jordan (unter Schmiedeberg) ist es unwirksam. TMHept. reizt nicht mehr in sämtlichen geprüften Konzentrationen von "/, 000 "/ıoooooo: #5 hat aber vaguslähmende Eigenschaften, wirkt also atropinartig. Ebenso wirkt TMO. Und dasselbe gilt für sämtliche Glieder der Triäthylalkylammoniumreihe. Dieses von einigen Gliedern bereits bekannte Verhalten (Allylhomocholin-Pohl, Tetraäthylammo- nium-Schäller) kommt also allen höheren Homologen zu. Eine ungefähre Bestimmung der Wirkungsstärke der ‚Atropin“- basen aus der Stärke der antagonistischen Wirkung gegenüber einer „Muskarin“-Base ergab folgendes: Um gleiche Aufhebung der negativ inotropen Wirkung einer Lösung von TMB "/,;o000 Zu erhalten, brauchte ich von TÄM n/4- 5000 TAA A / 000 TAP nz - 6000 TAB io 000 TAAm D/g0- 50.000 TAO 2/go- 100 000 Es handelt sich auch hier natürlich nicht um absolut genaue Werte. Das Wichtigste ist die Reihenfolge. Die Frage, ob die atropinartige Wirkung auf einer Lähmung der gleichen Elemente beruht, die durch die niederen Glieder der Trimethyl- alkylammoniumreihe gereizt werden, oder ob sich den höheren Homo- logen neue Angriffspunkte bieten, oder ob schließlich, wofür vieles über die Wirksamkeit homologer quartärer Ammoniumbasen. 625 spricht, bei sämtlichen Basen Erregung und Lähmung gleichzeitig auf- treten und die beobachtete Wirkung immer die Resultante zweier ent- gegengesetzt verlaufender Prozesse ist, kann ich noch nicht beant- worten. Am Skelettmuskel rufen die Glieder der Trimetylalkylammonium- reihe bis zum Heptylderivat eine mehr oder minder starke Contraetur hervor, die durch TMO und Glieder der TÄ-Reihe (es konnten noch nicht alle geprüft werden) aufgehoben wird. Es ist bemerkenswert, daß der Umschlagspunkt hier nicht an der gleichen Stelle liegt, wie am Herzen. Ob der Umschlagspunkt in Abhängigkeit von den jahreszeitlichen Schwankungen der Erregbarkeit des Herzvagus steht, ist noch nicht geprüft. In gewissen Konzentrationen wirkt auch TMO kontrakturierend. Auf allgemeinere Folgerungen, die sich aus diesen Beobachtungen ergeben, einzugehen, behalte ich einer ausführlichen Veröffentlichung vor. Berichtigung. In der Arbeit „Bürker, Das Gesetz der Verteilung des Hämoglobins auf die Oberfläche der Erythrocyten‘ (dieses Archiv 195, 516) muß es auf S. 518, letzte Textzeile heißen: Hb,-Gehalt 24 . 10 °12 g, und nicht 0220, 41* Autorenverzeichnis. Abderhalden, Emil. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. XV. Mitteilung. Ernährungsversuche mit künstlich dargestellten organischen Nahrungsstoffen und ferner mit aus zusammengesetzten organischen Nah- rungsstoffen gewonnenen Bausteinen mit und ohne Zusatz von Nutraminen. 8 6R) — Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spe- zifischer Wirkung. XVII. Mitteilung. Versuche mit reinen Nahrunssstoffen. S. 480. — Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spe- zifischer Wirkung. XVI. Mitteilung. Vergleichende Untersuchungen über die Wirkung von erwärmter und nicht- erwärmter Kleie und Hefe und ferner von Organen von normal ernährten und von mit geschliffenem Reis er- nährten Tauben. S. 432. — und Ernst Gellhorn. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nah- rungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIV. Mitteilung. 8. 1. — und Olga Schiffmann. Studien über die von einzelnen Organen hervorgebrach- ten Substanzen mit spezifischer Wir- kung. VII. Mitteilung. S. 167. — und E. Wertheimer. Weitere Bei- träge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wir- kune. XVII. Mitteilung. S. 460. — — Studien über den Verlauf des Gesamt- und des Zellgaswechsels im anaphylaktischen Schock. I. Mittei- lung. S. 487. Alverdes, Friedrich. Untersuchungen über Flimmerbewegune. S. 245. Arai, K. Cholin als Hormon der Darm- bewegung. VII. Mitteilung. Cholin- gehalt des Magendarmkanals im Hun- ger und nach Morphin. S. 390. Berg, W. Über Anwendung der Nin- hydrinreaktion auf mikroskopische Präparate zum Nachweis niederer Ei- weißkörper: 1. In den Leberzellen (ge- speichertes Fiwesß); 2.im Blut. S.543. Behrens, B. Über den Einfluß der Ver- dünnungsflüssiekeit auf das Zählresul- tat bei Erythrocytenzählungen. S: 266. Bürker, K. Das Gesetz der Verteilung des Hämoglobins auf die Oberfläche der Erythrocyten. S. 516. David, Erich. 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