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Philosophie und Theologie im Mittelalter

Die historischen Voraussetzungen des Anti-Modernismus

von

Dr. Johannes Maria Verweyen

Privatdozenten für Philosophie an der Universität Bonn

BONN

Verlag von Friedrich Cohen

1911.

THE INSTITUTE OF «EDIAIVAL STUOlES 10 ELMSLEV PLACE TORONTO 6. CAN40A.

007131931

^'3

Aachener Verlags- und Druckerei-Qes., Aachen.

THE »NSTIIUTE OF MEDIAEVAL STUOJii

^ 10 ELMSLEy PLACE TORONTt) 6, CANADA.

Dem Andenken meines Vaters

MOTTO: Et drj Tig e$ dgxrj? rd Jigayfiara (pvöjueva ßXeymev, cootieq sv roTg äXXoiq xal iv jovTOig xdXhoz äv övrco d^ecoQ^oscev.

Wenn nun jemand zusehen würde, wie die Dinge von Anfang an wachsen, so würde er auf diese Weise hier wie auch sonst die beste Einsicht gewinnen.

Aristoteles, Po!itil<a, 1,2, 1252^24.

In den leidenschaftlichen Streit der Parteien das Licht der Besonnenheit und des gegenseitigen Verständnisses hineinzutragen, ist eine der vornehmsten und praktisch wichtigsten Aufgaben der Wissenschaft, nicht zum wenigsten der Philosophie.

Diesem Ziele soll auch die vorliegende Arbeit dienen, die sich auf die historischen Voraussetzungen des so- genannten Antimodernismus bezieht und demnach in engster Fühlung zu einer vielerörterten Tagesfrage steht.

BONN, April 1911.

Der Verfasser.

•V5

Der Erörterung unseres Themas mögen ein paar allgemeine historische Notizen vorangehen.

Unter mittelalterlicher Weltanschauung verstehen wir die Weltanschauung des christlichen Mittelalters in der Geschichte des christlichen Abendlandes. Denn das christliche Morgenland hat bisher noch keine mittelalterliche Epoche erlebt, weil dem 1453 beginnenden zweiten Abschnitte in seiner Geschichte noch kein dritter, neuzeitlicher, gefolgt ist.

Das christliche Mittelalter löst das christliche Altertum ab, das drei Perioden umfaßt: die apostolische und nachapostolische Zeit (l.Jahrh.), ferner die Zeit der Christenverfolgungen und Ausbildung einer christlichen Universalkirche im Kampfe mit römischer Kultur und römischem Staat (2. u. 3. Jahrh.); end- lich die Zeit der Entwicklung des kirchlichen Lebens unter römischem Schutz (seit Constantin 325).

Vier Ereignisse begründen die Ablösung des christlichen Altertums durch eine neue geschichtliche Zeitperiode, die von der vorausgehenden nach Schauplatz und Inhalt verschieden ist: die Völkerwanderung, insbesondere das Auftreten der Germanen; das durch letztere herbeigeführte Ende des west- römischen Reiches, der Eintritt der germanischen Völkerstämme in die Kirche, endlich die Tatsache, daß diese aus allen Stürmen siegreich hervorgeht und in ihrer altchristlich-lateinischen Ge- stalt fortbesteht.!

Da nun die Kirche, bereits im Besitze einer Kultur, dem germanischen Naturvolk wenigstens äußerlich überlegen war,

^ Vgl. die gedrängte, aber inhaltreiche Darstellung, die Albert Ehrhardt in seinem Buche „Das Mittelalter und seine kirchliche Ent- wicklung" (Mainz 1908) gibt. (Bd. VIII der von Martin Spahn heraus- gegebenen Sammlung „Kultur und Katholizismus".)

8 Einleitung

mußte sie die Führerrolle in der neuen Periode übernehmen. So erklärt sich die „Vorherrschaft des Klerikalismus", durch die das Mittelalter charakterisiert ist: die Durchdringung des ganzen national-profanen Lebens durch kirchlich-religiöse Ideen; die enge Verbindung von Philosophie (d. h. Wissenschaft überhaupt) und Theologie, von Staat und Kirche, Papsttum und Kaisertum.

Wie es unmöglich ist, irgendein bestimmtes Jahr als Beginn der mittelalterlichen Geschichtsperiode anzugeben jene genannten vier Ereignisse, deren jedes einzelne zwar durch eine Jahreszahl bestimmt werden kann, führen doch erst durch ein allmähliches Zusammenwirken eine neue Epoche herauf ebenso unmöglich ist es, den Beginn der mittelalterlichen Welt- anschauung bezw. Philosophie durch ein Datum festzulegen: auch hier ist die neue Periode des Geisteslebens durch all- mähliche Uebergänge mit der vorausgegangenen verknüpft.

Augustin ist der letzte, der vor dem Zusammenbruch des Römerreiches ein System der christlichen Weltanschauung ent- wickelt. Die nachaugustinische Zeit ist infolge der sich voll- ziehenden staatlichen Umwälzungen einer Fortbildung alter oder Entdeckung neuer Probleme nicht günstig. Die den Ausgang der patristischen Periode bildenden römischen und lateinischen Schriftsteller erblicken ihre Aufgabe hauptsächlich in didaktischen Zielen, d. h. in der schulmäßigen Ueberlieferung der kompilatorisch zusammengestellten Gedanken der Väter in Verbindung mit platonischen, neuplatonischen und zum Teil aristotelischen Elementen. Auch Alkuin ist im wesentlichen nicht über die Enzyklopädie hinausgekommen, wenn er auch in psychologischen Untersuchungen bereits eine gewisse Selb- ständigkeit verrät und insofern eine Uebergangserscheinung darstellt.

Die in den Schulen besonders gepflegte Dialektik behauptet in dem Systeme Eriugenas eine so selbständige und eigenartige Stellung gegenüber der Theologie, daß dieser Denker sich

Einleitung 9

deutlich von den Männern abhebt, die man der dritten Periode der Patristik zurechnet.

Johannes Scotus Eriugena gilt demnach zumeist als der Denker, mit dem die eigentliche scholastische Periode anhebt. Wenn wir im folgenden von der Bedeutung des Problems „Glauben und Wissen" innerhalb der mittelalterlichen Welt- anschauung reden, so verstehen wir dabei unter letzterer lediglich die philosophische bezw. philosophisch-theologische Spekulation der führenden Denker des Mittelalters, ohne auf die praktische Weltanschauung näher einzugehen, wie sie sich im mittelalter- lichen Volksleben und nicht zum wenigsten in den Dichtungen dieser Zeit widerspiegelt.

Bei der Gesamtdarstellung der mittelalterlichen Weltan- schauung verfährt man am besten, indem man der zeitlichen Reihenfolge nach die Stellung ihrer Vertreter zu gewissen Kardinalproblemen zu ermitteln sucht, welche die ganze Epoche bewegt haben. Diese Kardinalprobleme betreffen: Gott und Erlösung, das Verhältnis von Staat und Kirche, Willensfreiheit.

Bei einer solchen Untersuchung, in der die Methodik der mittelalterlichen Philosophie durch die Behandlung eines speziellen Problems beleuchtet wird, ^ gewinnt man den Ein- druck, daß alle einzelnen Probleme mittelalterlicher Weltan- schauung schließlich die Richtung ihrer Lösung von einem einzigen Hauptprobleme gewinnen, nämlich dem Probleme von Philosophie und Theologie oder was dasselbe ist von Glauben und Wissen. Die mittelalterliche Entwicklung dieses Problems in den wichtigsten Grundlinien zu zeichnen, soll der Zweck der folgenden Ausführungen sein.

^ Vergleiche mein Buch über „Das Problem der Willensfreiheit in der Scholastik" (Heidelberg 1909).

10 Patristik

I. Die Patristik.

Schon in der Väterzeit treffen wir eine ganz bestimmte, für die Folgezeit maßgebende Lösung unserer Frage an. Nur einige wichtige Punkte seien hervorgehoben.

Wenden wir den BHck zu den griechischen Apologeten, so begegnen wir zunächst Justin, dem Märtyrer (100—166). Bekannt ist der Satz seiner Apologie (I, c46): «Die nach dem Logos lebten, waren Christen, mochten sie auch für Atheisten gehalten werden, wie bei den Griechen Heraclit und Sokrates und die ihnen Aehnlichen«. Ein Ausspruch, der das Bestreben dieses mit griechischer Bildung ausgestatteten christlichen Apo- logeten zeigt, den Kreis der Zugehörigkeit zum Christentum ganz erheblich um nicht zu sagen mit historischer Ver- gewaltigung - zu erweitern. Definiert er doch geradezu den späteren vielgerühmten Ausspruch TertuUians: anima humana naturaliter christiana vorwegnehmend, das Christliche als das Allgemeinmenschliche (Apolog. II, c 13). Stoische Einflüsse führen ihn dazu. An dem Logos spermatikos hat das ganze Menschengeschlecht teil. Wie ein Samen ist die göttliche Vernunft durch das ganze Weltall verstreut, in allen Menschen wirksam, in einigen aber ganz besonders. Zu diesen Auser- wählten zählen Moses und die Propheten aber auch die griechischen Denker und Dichter. Freilich haben diese das Beste ihrer Gedanken dem alten Testamente entlehnt, wie Justin (Apol. I, c44) ausführt: «Die Lehre von der sittlichen Wahlfreiheit hat Plato Moses entnommen, wie denn jener über- haupt das ganze Testament gekannt hat; ferner stammt alles, was Philosophen und Dichter über die Unsterblichkeit der Seele, über die Strafen nach dem Tode, über die Betrachtung

Justin 11

der himmlischen Dinge und ähnliches gesagt haben, ursprüng- lich von den jüdischen Propheten her; von hier aus sind nach allen Richtungen »Samenkörner der Wahrheit' {oTteg/uara rfjg dh]&Eiag) gedrungen, wenn auch durch ungenaue Auf- fassung derselben Widerstreit unter den Ansichten entstanden ist.« So besteht nach Justin nicht nur ein innerer, sondern sogar ein äußerer, freilich von ihm mehr behaupteter als be- wiesener Zusammenhang zwischen dem Logos und den grie- chischen Lehren. Daß er ihnen gegenüber sich freundlich verhält, verdient besondere Beachtung. Das wahre Wissen aber leitet er dennoch aus einer anderen Quelle ab. Christus der von der Jungfrau Maria geborene Sohn Gottes, wie der bedeutsame Dialog mit dem Juden Tryphon ausführt ist der Fleisch gewordene Logos. Seine Mission war es, die „volle Wahrheit" zu bringen, und zwar allen Menschen, nicht bloß wenigen Auserwählten, auf die sich die Denker und Dichter beschränkten. Das Christentum darum die wahre, die allein »sichere und heilsame Philosophie".

So läßt bereits Justin Töne erklingen, die in der Folge- zeit immer wieder angeschlagen werden. Einerseits eine keines- wegs feindliche Haltung gegenüber dem menschlichen Wissen, aber dennoch ein stärkeres Vertrauen auf die göttliche, durch Christus verkündete Wahrheit, deren wir im Glauben gewiß werden.

Nicht alle Apologeten jener Zeit standen in solchem freundlichen Verhältnis zu der griechischen Wissenschaft. Schon gleich Justins Schüler, Tatian, ergeht sich in Verachtung aller Kunst und Philosophie, um desto lebhafter die Segnungen der christlichen Lehre zu preisen auch dies ein durchaus typisches Verfahren, das uns bei extrem asketisch gerichteten Geistern begegnet.

Nicht ganz so verächtlich spricht der Bischof von Lyon, Irenäus (etwa 125-202) von dem menschlichen Wissen, aber auch er wertet es gering gegenüber der wahren Gnosis,

12 Clemens von Alexandrien

wie sie nur durch die göttliche Offenbarung unter Vermittlung der Kirche zu erlangen ist. So kommt schon er bei seiner »Enthüllung und Widerlegung der falschen Gnosis" zu der Gleichung: die wahre Erkenntnis ist die Kirchenlehre!

Einen Schritt weiter führt uns Clemens von Alexandrien (t um 215), der einflußreiche Lehrer an der dortigen Kate- chetenschule. Er prägt das berühmte Wort von der erziehenden Bedeutung der griechischen Philosophie. Hatte Paulus bereits (Gal. 3, 24) das hebräische Gesetz einen naidaymyög eig Xqiozöv einen Erzieher auf Christus hin genannt, so wendet Clemens nunmehr die gleiche Bezeichnung auf die Philosophie an, die nicht minder, vor allem in Piaton, ihrem bei weitem besten Vertreter, die Mission gehabt habe, Hellas auf Christus vor- zubereiten. Und selbst nachdem dieser erschienen, bleibt die Bedeutung der Philosophie bestehen. Denn gerade mit ihrer Hilfe, fordert Clemens, soll man von dem Glauben zum Wissen fortschreiten, die Pistis in Gnosis verwandeln, dabei aber stets als Kriterium des wahren Wissens die Ueberein- stimmung mit dem Glauben, d. h. mit der Kirchenlehre, gegen- wärtig halten.

Damit ist, wohl zum ersten Male mit voller Deutlichkeit, die Idee einer „christlichen Philosophie" ausgesprochen! Dem Idealbilde des stoischen Weisen entnimmt Clemens Züge, um das Bild eines wahren Gnostikers, d. i. eines „christlichen Philosophen", zu entwerfen; ihn kennzeichnen innere Freiheit, Erhabenheit über alles Aeußere und ein Leben in Gott, so daß er selbst gleichsam Gott, ein {}eov/Lievog wird.

Von den übrigen griechischen Apologeten, einem Origines, der das erste, freilich in vielen Punkten nicht von der Kirche anerkannte System einer christlichen Weltanschauung entwirft, und seinen Schülern, den sog. drei Lichtern der Kirche von Kappadozien (Basilius, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa) sowie endlich von dem für das Konzil von Nycäa hoch bedeutsamen vierten griechischen Kirchenvater, Athanasius

Tertullian 13

dem Großen, können wir für unsere Zwecke gleich zu den lateinischen Apologeten übergehen. Da ist zunächst Tertullian (geb. 160 zu Carthago) erwähnenswert. Ist er es doch, der mit besonderer Schärfe und afrikanischem Advokatenfeuer so- wohl den Gegensatz zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit als auch zwischen göttlicher Offenbarung und menschlicher Ver- nunft betont, um sich in beiden Punkten mit der ganzen Leidenschaft seiner Beredsamkeit gegen das Heidentum zu richten. Wie er überhaupt von der Leistungsfähigkeit des Menschen außerordentlich gering denkt, so insbesondere auch von der menschlichen Vernunft. Der griechischen Philosophie bringt er darum keine Sympathie entgegen. Weit erhaben über die natürliche Gotteserkenntnis der Philosophen dünkt ihm die übernatürliche, wie sie uns durch Offenbarung zuteil wird; weit erhaben über das menschliche Wissen der gött- liche Glaube. Nicht die schwache und irrtumsfähige Vernunft eines sterblichen Weisen kann uns Führer in den höchsten Fragen des Daseins sein. Wir sind göttlicher Führerschaft in diesen Dingen gewürdigt worden. Christus, der Sohn Gottes, ist der wahre Philosoph; er allein antwortet auf alle Fragen über Gott, ohne zu irren. Das Wenige, was die heidnischen Philosophen über göttliche Dinge wußten, haben sie dem alten Testament entlehnt und ruhmsüchtig, wie sie waren, sich selbst zugeschrieben eine Anschuldigung, die uns in jener Zeit häufig begegnet (und bis heute sind ja „Verdächtigungen" im Uebereifer apologetischer Streitlust keine Seltenheit).

So lautet die Parole Tertullians: Glauben, nicht Grübeln! Was unserem Verstände eine Torheit erscheint, sollen wir gerade deshalb um so fester im Glauben für wahr halten. Wie es in jenem vielgenannten Ausspruch Tertullians zum Ausdruck kommt: Mortuus est dei filius; prorsus credibile est, quia ineptum est. Et sepultus resurexit; certum, quia im- possibile est. (De carne Christi V.) Tod und Auferstehung

14 Augustinus

des Gottmenschen erscheinen vor dem Forum unseres Wissens als eine Unmöglichkeit, aber der Glaube erhebt selbst diese zu der Gewißheit einer unbezweifelbaren Wirklichkeit. Es ist der Standpunkt des «Credo, quia absurdum est«, der später unter der Flagge der sog. doppelten Wahrheit wieder auftaucht und in dieser Fassung niemals offizielle Anerkennung in der Kirche gefunden hat; ebensowenig wie die prinzipielle Ge- ringschätzung des menschlichen Wissens, der wir auch bei Tertullians Zeitgenossen wie Arnobius und Lactantius be- gegnen. Auch sie stimmen wieder das Klagelied von der Eitelkeit menschlicher Wissenschaft an, die vor Gott nichts als arm- selige Torheit sei; ohne die Hilfe göttlicher Offenbarung gehe unsere Vernunft beständig in die Irre.

Die lateinischen Kirchenväter Hilarius, den Gegner des Arius im Abendlande, - Ambrosius, den Bischof von Mailand und den für die Exegese und Geschichte der Askese bedeut- samen Einsiedler Hieronymus (f 420) können wir für unsern Zweck übergehen. Um so mehr ist ein Wort über Augustinus geboten, in dem die Patristik ihren Höhepunkt erreicht. Zwei Punkte verdienen hier besonders hervorgehoben zu werden. Erstens jene charakteristische Fassung des Verhältnisses zwischen Wissen und Glauben, die Augustinus in einem Satz wie diesem zu formulieren pflegt: credimus ut cognoscamus, non cognos- cimus ut credamus. (In Joh. Ev. tract. 40, 9.) Damit will er, wie der Zusammenhang seiner Lehre ergibt, sagen: wir müssen zuerst glauben, um dann allmählich durch fortgesetzte Ver- tiefung in die Glaubensinhalte mit Hilfe göttlicher Gnade nach Möglichkeit, d. h. nach Maßgabe der individuellen Kräfte den Glauben in Wissen, in Erkenntnis, umzuwandeln. „Crede ut intelligas" (Sermo; 43, 4) lautet deshalb seine häufig wieder- kehrende Mahnung, bei der er sich gerne auf eine Stelle des Isaias beruft: „Wenn ihr nicht glaubet, werdet ihr nicht ein- sehen." (Is. 7, 9.) In einer besonderen Schrift „über den Nutzen des Glaubens" nennt er in gleichem Sinne den Glauben

Augustinus 15

„die Leiter zur Erkenntnis" und letztere „den Lohn des Glaubens", der uns voll und ganz freilich erst in der zu- künftigen ewigen Seligkeit zuteil werde.

Aber mit Paulus will auch Augustinus, daß der Glaube ein „vernünftiger", der. in ihm liegende Gehorsam gegen die göttliche Wahrheit ein rationabile obsequium sei. Das aber ist nur möglich, wenn irgend eine Erkenntnis dem Glauben vorangeht. Man muß wissen, daß in der Kirchenlehre und der christlichen Offenbarung überhaupt die göttliche Wahrheit enthalten ist. In diesem Sinne spricht Augustinus dann die Ergänzung zu dem soeben angeführten Grundsatz in Worten wie diesen aus: Si igitur rationabile est, ut ad magna quaedam, quae capi nondum possunt, fides praecedat rationem, procul dubio quantulacumque ratio, quae hoc per suadet, etiam ipsa autecedit fidem (Epist. 1 20, 3). Diese „Glaubensgründe" können nach Augustinusteils persönlich-subjektive, teils historisch- objektive sein, wie sie etwa in Wunder und Weissagungen sowie der siegreichen Ausbreitung und inneren Einheit der Kirche als Zeugen göttlicher Offenbarung enthalten sind. (De utilitate credendi 34, 35). Eine besonders wichtige Bedeutung mißt aber Augustinus unter diesen Gründen der „Autorität" zu. Nichts ist bezeichnender für die innere Verfassung dieses Mannes, der nach vielen Irrfahrten endlich die ersehnte Ruhe und den gewünschten Frieden im Schöße der Kirche gefunden hatte und darum allen Suchenden denselben Rettungsanker zu- werfen wollte, als sein Bekenntnis: „Ich würde dem Evange- lium nicht glauben, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche dazu bewöge" (In Joh. Ev. tract. 40, 9). In immer neuen Tonarten preist er die Bedeutung der Autorität für die sittliche und religiöse Erkenntnis - worüber man das Nähere in J. Mausbachs Darstellung der Ethik Augustins (Bd. I, S. 1 68 ff.) oder in Fr. Loofs Grundriß der Dogmengeschichte (4 A, S. 369 ff.) finden kann. Hier sei vor allem erwähnt, wie energisch Augustinus geradegegenüber den selbstherrlichen philosophischen

16 Augustinus

Spekulationen das Recht und die Bedeutung der kirchlichen Auto- rität verficht. Ihr müßten sich um der Schwachen willen auch die geistig Starken in Ehrfurcht nahen, zumal sie ja ohnehin leicht ihre Selbständigkeit überschätzten Gedanken, die bis auf unsere Tage immer wieder zur Verteidigung der kirchlichen Autorität angeführt werden mit dem beliebten Zitat: C'est la mediocrite qui fait l'autorite und in jedem Menschen stecke nun einmal ein gutes Stück Durchschnitts-Menschentum, wie auch beispielsweise Hermann Schell zu sagen pflegte. Man begreift, daß Augustinus von seinen Voraussetzungen aus in erster Linie die göttliche Offenbarung als autoritative Erkenntnis- quelle würdigt. Freilich hat er auch manches Wort der An- erkennung für die Leistungen der heidnischen Vernunft, die „gleichsam aus den Bergwerken der göttlichen Vorsehung, die überallhin sich ergossen hat, ausgegraben" habe. Wie er alle irdische Tätigkeit, wofern sie nur auf Gott, den einen End- zweck, bezogen wird, als sittlich wertvoll betrachtet und damit wohl zum ersten Male die Idee einer christlichen Kultur ausspricht, so billigt er auch an sich alles menschliche Wissen von den Kräften der Natur, sofern deren Erforschung wenigstens zugleich Aufklärung über Gott, die letzte Ursache alles Ge- schaffenen, gibt. Aber er beeilt sich doch sogleich hinzuzu- fügen, daß über alles menschliche Wissen der Glaube an die göttliche Offenbarunggeht. Der Christ kennt auch ohne Philosophie aus der heiligen Schrift Gott als den Schöpfer der Welt und Spender der Gnade. Also schon hier bei Augustinus zum wenigsten doch Ansätze zu einer „weltfremden" Abkehr von der menschlichen Wissenschaft. Eine kulturfeindliche Unterströmung, die sich durch das ganze Mittelalter hin- durchzieht — übrigens bis in die Neuzeit hinein. Dabei mutet es uns seltsam an, wenn wir Augustinus gelegentlich begeistert fragen hören, welche Erörterungen und Schriften der Philo- sophen, welche „Gesetze irgendwelcher Staaten" auch nur annähernd den beiden Gesetzen der Liebe zu Gott und zum

Augustinus 17

Nächsten zu vergleichen seien. Enthielten doch diese Gesetze nicht nur die wahre Moral, sondern auch die Grundwahrheit der „Physik" - ein heutiger „Physiker" wird dies nicht ohne einige Ueberraschung vernehmen , daß nämlich Gott die letzte Ursache aller Naturerscheinungen sei. (Es befremdet nicht, wenn bei solcher ,, Physik" keine großen Entdeckungen gemacht wurden.)

Die Grundtöne, die schon in dem christlichen Altertum zur prinzipiellen Lösung des Problems von Glauben und Wissen angeschlagen werden, klingen im christlichen Mittelalter fort, wie ja überhaupt der Unterschied zwischen Pa- tristik und Scholastik ein lediglich gradueller ist. Natürlich wurde dieses Problem um so wichtiger, die An- wendung des Prinzips um so schwieriger und gefahrvoller, je mehr die Kirchenlehre feste Gestalt annahm, während' die Väter vielfach erst durch ihre philosophische Spekulation die For- mulierung des Dogmas bestimmten.

Verweyen, Philosophie und Theologie im Mittelalter.

18 Scholastik

II. Die Scholastik.

Wenden wir uns nunmehr dem Hauptteile unserer Unter- suchung zu, 1 so müssen wir mit

1. Johannes Scotus Eriugena

beginnen, der am Hofe Karls des Kahlen lehrte und etwa 877 starb.

Folgende Punkte sind für seine Stellung zu unserem Gegenstande charakteristisch.

1. Eriugena unterwirft sich nicht bloß dem alten und neuen Testamente wie die Kirchenväter, die sich überdies gegenseitig als gleichberechtigt ansehen, sondern prinzipiell bereits, wie die Scholastik überhaupt, auch der Autorität der Väter. Freilich nur solange, als letztere nicht mit Offenbarung und Vernunft in Widerspruch stehen. (De div. nat. II, 16.)

Denn 2. betont er, das Verhältnis zwischen Vernunft und Autorität sei ein derartiges, daß die „richtige" Vernunft (die recta ratio) nicht der „wahren" Autorität (der vera autoritas) wider- sprechen kann, da beide aus derselben Quelle, nämlich der göttlichen Weisheit, stammen. ^

So begegnet uns gleich hier an seiner Schwelle eine für die ganze mittelalterliche Philosophie typische Begründung für die Behauptung, daß ein wirklicher Konflikt zwischen Glauben und Wissen, also eine doppelte Wahrheit, ausgeschlossen

^ Vergl. zum folgenden die einschlägigen Abschnitte in Albert Stöckis Geschichte d. Philos. d. Mittelalters, 3 Bde. Mainz 1864—66.

^ Vera enim auctoritas rectae rationi non obsistit neque recta ratio verae auctoritati. Ambo siquidem ex uno fönte, divina videlicet sapientia, manare dubium non est. De div. nat. I, 66.

Eriugena 19

sei. Sogar das beliebte Bild der gemeinsamen „Quelle", aus der letzten Endes die Inhalte des Wissens wie des Glaubens fließen, treffen wir bereits hier an. Dieses Bild ist nicht nur der Ausdrucksweise des alten wie neuen Testamentes geläufig, sondern es findet sich in etwas anderem Sinne ebenfalls innerhalb des Neuplatonismus, zu dem Eriugena enge Fühlung hatte. Uebersetzte er doch u. a. das Werk des einflußreichen Neuplatonikers Dionysius Areopagite „De divinis nominibus" ins Lateinische.

3. Die „wahre" Autorität aber ist keine andere als die göttliche Offenbarung. Von ihr muß deshalb alle Vernunft- forschung ausgehen. Menschliches Wissen kann fehl gehen; allein die Autorität der „göttlichen Schrift" ist eine unerschütter- liche. Die Theologen sind die heiligen Organe, durch die Gott, dessen Natur unaussprechlich ist, sich offenbart. Es wäre darum Anmaßung, von Gott in anderen Ausdrücken zu reden als in den in der hl. Schrift niedergelegten.

Nicht beim Wissen, sondern beim Glauben beginnt unser Heil.i

4. Aber die Vernunft ist darum nicht zu völliger Trägheit verurteilt. Ihre Aufgabe ist es, den Sinn der biblischen Lehren, und zwar aller, aufzudecken. Das der Vernunft zugewiesene Arbeitsfeld sind die Offenbarungen Gottes. Philosophie und Religion bezw. Theologie decken sich somit nach Umfang wie Inhalt. Daraus folgt die Identität der „wahren" Phi- losophie mit der „wahren" Religion. Ein Gedanke, der nichts Geringeres bedeutet und fordert als die Auflösung aller Glaubenslehren in Vernunftpostulate. Ja, Eriugena ist Ratio- nalist genug, um in einem Kollisionsfalle, wenn die Autorität

* Ratiocinationis exordium ex divinis eloguiis assumendum esse existimo. De div. nat. II, 15.

Inconcussa auctoritas divinae scripturae. 1. c. III, 17.

Salus nostra ex fide inchoat. De praed. I.

2*

20 Eriugena

mit der Vernunft in Widerstreit gerät, der letzteren den Vorzug

einzuräumen

1

Anderseits soll aber doch die Autorität der hl, Schrift eine unbedingte, „unerschütterlich" feststehende sein. Die gleich- zeitige Betonung der Rechte der Vernunft und damit die Vermeidung einer Kollision weiß Eriugena durch eine weit- gehende allegorische Interpretation der Offenbarungslehren zu ermöglichen. Diese wenden sich, wie er hervorhebt, in Bildern an das Auffassungsvermögen aller Menschen, wenn sie auch ihrem tieferen Gehalte nach nur von den „Philosophen" erfaßt werden. ^

Auch dieses Hilfsmittel allegorischer Betrachtungsweise hat durchaus typischen Charakter. Erfreute es sich doch zu allen Zeiten, bei den griechischen Philosophen nicht weniger als bei den christlichen Theologen bis auf den heutigen Tag mit seinen „Modernismus"- Streitigkeiten, nicht geringer Be- liebtheit, wenn es galt, die Resultate des Wissens mit den überlieferten Lehren des Glaubens auszusöhnen.

Mit erfreulicher Charakterfestigkeit hat sich gerade die katholische Kirche stets gegen eine derartige, die Grenzsteine verrückende Versöhnungs-Politik gerichtet. Bereits Eriugenas

^ Quid est aliud de philosophia tractare nisi verae religionis, qua summa et principalis omnium rerum causa, Deus, et humiliter colitur et rationabiliter investigatur, regulas exponere? Conficitur inde, veram esse philosophiam veram religionem conversimque veram religionem esse veram philosophiam. De praed. I, 1.

Omnis autoritas, quae vera ratione non approbatur, infirma esse videtur ... Nil enim aliud mihi videtur esse vera auctoritas nisi rationis virtute reperta veritas. De div. nat. I, 71; I, 63.

^ Sacrae siquidem scripturae in omnibus sequenda est auctori- tas . . . Non tamen ita credendum ist, ut ipsa semper propriis verborum seu nominum signis fruatur, divinam nobis naturam insinuans, sed quibusdam similitudinibus variisque translatorum verborum seu nominum modis utitur, infirmitati nostrae condescendens nostrosque adhuc rüdes infantilesque sensus simplici doctrina erigens.

De div. nat. I, 64.

Petrus Damiani 21

Standpunkt, der den „übernatürlichen'", Geheimnis-Charakter der biblischen Lehren nicht genügend wahrte, wurde von der Kirche nicht anerkannt; sein Hauptwerk „De divisione naturae" wurde von dem Pariser Provinzial-Konzil 1210 und von Honorius 111. 1225 verworfen.

Das zehnte Jahrhundert ist beherrscht von dem durch Eriugena angeregten Streite um Nominalismus und Realismus, d. h. um die Frage, ob das Allgemeine sich bloß in unserem Geiste als Produkt der Abstraktion vorfinde oder ob - und wie - es etwa in der transsubjektiven Wirklichkeit existiere. Diese sog. dialektischen Streitigkeiten wurden auch für theo- logische Fragen bedeutsam - vor allem durch den Nomina- listen Roscelli n, der aus seiner nominalistischen Voraus- setzung, nur das Individuelle existiere, das Allgemeine dagegen sei lediglich ein flatum vocis (wie seine Gegner sagten), den dem kirchlichen Dogma der Trinität widerstreitenden Schluß zog: also kann sich in der Gottheit nicht eine (allgemeine) Wesenheit in drei (besonderen) Personen finden, sondern man muß von „drei Göttern" (Tritheismus) reden, d. h. von drei göttlichen Wesen, die zwar alle an Macht gleich sind.

Gegen solche Dialektik, also gegen die Ansprüche eines kühnen Wissens, erhoben im 10. und 11. Jahrhundert manche Männer ihre warnende Stimme und forderten im Namen des Glaubens, man solle nicht die Pfade der hl. Väter und der Offenbarung verlassen. Zu ihnen zählte u. a. Gerberts, des späteren Papstes Sylvester 11. Schüler, der Bischof Fulbert; ferner ein berühmter Bußprediger, dessen Erwähnung gerade für unsern Zweck nicht unterbleiben darf. Gemeint ist Petrus Damiani, der in seiner Geringschätzung des menschlichen Erkennens bis zu der Behauptung ging, auf Gott finde das Prinzip des Widerspruches keine Anwendung, weshalb Gott man beachte diese erkenntnistheoretisch interessante Kon- sequenz ~ sogar Geschehenes ungeschehen machen könne. Außerdem aber gehört gerade Petrus Damiani in unseren

22 Berengar von Tours

Zusammenhang, weil er, wie es scheint, zum ersten Male die heute uns geläufige Wendung gebraucht, die Vernunft stehe zur Offenbarung in einem „Magdverhältnisse", die Philosophie sei die Dienerin der Theologie, Philosophia ancilla Theologiae!^

Wie sehr in jener Zeit das dialektisch gestimmte Wissen in das Gebiet des Glaubens einzudringen suchte, mag auch noch durch die folgenden Angaben beleuchtet werden. Ein bedeutender Schüler des genannten antidialektischen Fulbert war der Dialektiker Berengar von Tours (999 1088). Er wandte die Dialektik gegen das Dogma der Transsub- stantiation, indem er, ausgehend von seinem nominalistischen Substanzbegriff man sieht auch hierbei wiederum den Ein- fluss der Erkenntnistheorie auf die kritische Zersetzung theo- logischer Lehren - die Aenderung der Substanz ohne Aenderung der Accidentien, d. h. der sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften des Brotes und Weines, für vernunftwidrig hielt. Da sich gerade Berengar an das Eriugena zugeschriebene Buch „De eucharistia" angelehnt hatte, kam der Name Eriugenas noch mehr in Verruf bei den Vertretern der Kirchenlehre. Die Synode zu Vercelli (1050) verurteilte das genannte Werk und verbot die Lektüre der Schriften Eriugenas überhaupt ein „Index"-Bekämpfungsmittel, das ja in der Geschichte der Kirche bis heute zur Ausrottung der Ansprüche des Wissens immer wieder zur Anwendung kam.

^ Vgl. J. A. Endres, Petrus Damiani und die weltliche Wissen- schaft (Beiträge z. Gesch. d. Philos. d. Mittelalters Bd. VIII, 3). Quae tarnen artis humanae peritia siquando tractandis sacris eloguiis adhibetur, non debet ius magisterii sibimet arroganter accipere, sed velut an- cilla dominae quodam famulatus obsequio subservire, ne si praecedit, aberret. Opera, ed. Cajetan, Par. 1743, III S. 312.

- Berengar ist der erste offene Leugner der Transsubstantiation. Vgl. Gerhard Rauschen, Eucharistie und Bußsakrament in den ersten sechs Jahrhunderten der Kirche, Freiburg 1908, S. 23.

Anseimus 23

Endlich sei noch Berengars Gegner erwähnt, der spätere Erzbischof von Canterbury Lanfranc (1005 1089), der das Dogma als göttliche Offenbarung verteidigt. Lanfrancs Schüler ist nun der berühmte Gegner des Roscellin und Erzbischof von Canterbury Anselm, der gerade in der Geschichte unseres Problems eine hervorragende Stelle einnimmt.

2. Anseimus. (1033-1109).i

Dasberühmte Wort: Credo ut intelligam geht in dieser Fassung wenn wir es auch in ganz ähnlicher bereits bei Augustinus fanden auf Anselm zurück und lautet vollständig: Neque enim quaero intelligere, ut credam; sed credo, ut in- telligam. (Proslogium c I.)-

In diesem Grundsatze der norma coelitus hausta, wie ihn die kirchliche Lektion am Festtage des hl. Anselm nennt, scheinen dem Wissen alle Rechte zugunsten des Glaubens genommen. Aber eben nur scheinbar. In Wahrheit weist Anselm der Vernunft eine doppelte Aufgabe zu.

Doch fragen wir zunächst, in welcher Hinsicht er das Wissen und Erkennen nicht als Bedingung des Glaubens be- trachtet, so ist zu erwidern: Bevor der Christ die Inhalte der göttlichen Offenbarung gläubig annimmt, braucht er sie nicht mit seiner Vernunft begriffen zu haben. Es ist keine Einsicht in die innere Wahrheit, in das „Wie" der Geheimnisse,

^ Vgl. Philos. Jhrb., Bd. 19, 2. u. 3. Heft.

- Rectus ordo exigit, ut profunda Christianae fidei credamus, priusquam ea praesumamus ratione discutere. Cur deus homo I, C. 1.

Christianus per fidem debet ad intellectum proficere, non per intellectum ad fidem accedere aut si intelligere non valet, a fide recedere. Ep. II ep. 41.

Man sieht sogleich die Uebereinstimmung mit dem Augustinus- wort: credimus ut cognoscamus, non cognoscimus, ut credamus. (Vgl. oben S. 14.) In Job. Ev. tract. 40, 9.

24 Anseimus

erforderlich als conditio sine qua non des Glaubens. ^ Man braucht nicht (modern geredet, ohne dem Gedankengange Anselms Gewalt anzutun) zu wissen und einzusehen, wie etwa die Trinität oder die Verwandlung des Brotes und Weines möglich ist, um an ihre Tatsächlichkeit zu glauben. Gerade in diesem Sinne, d. h. in bezug auf die Einsicht in die innere Möglichkeit der Dogmen ist jener oft mißverstandene Satz zu interpretieren: Non quaero intelligere, ut credam.

Aber dieser Satz selbst gibt die gesamte Auffassung An- selms nur halb wieder; denn er setzt bereits die Ueberzeugung von der Wirklichkeit einer göttlichen Offenbarung voraus.

Wie aber wird man dieser Wirklichkeit nach Anselm gewiß? Etwa wiederum durch bloßen Glauben? Keineswegs; sondern eben durch Wissen! Die schon vorhin angedeutete Aufgabe der Vernunft ist nämlich eine doppelte.

Erstens besteht sie darin, die Tatsache der Offenbarung festzustellen daß also, konkret gesprochen, Christus, als Sohn des wahrhaftigen Gottes, der weder lügen noch betrügen kann, eine Fülle von Lehren verkündet und an sie zu glauben be- fohlen hat. So gilt also vor dem Glauben geradezu der um- gekehrte Satz: intellige, ut credas! Suche die Tatsache der Offenbarung zu erkennen, um durch dieses Wissen zu dem Glauben an deren Inhalte zu gelangen !

Und selbst nach gläubiger Annahme der Offenbarungs- lehren wird die Vernunft von Anselm noch zur Betätigung aufgerufen. Sie soll nämlich zweitens die Dogmen spekulativ zu erfassen suchen. Schon zu dem Zwecke, um die Vernunft- einwände der Gegner zu widerlegen; aber auch deshalb, weil die Erkenntnis über dem bloßen Glauben steht. Von diesem Rechte der Vernunft keinen Gebrauch zu machen, scheint

^ Sufficere namque debere existimo rem incomprehensibilem inda- ganti, si ad hoc ratiocinando pervenerit, ut eam certissime esse cognoscat; etiamsi penetrare nequeat intellectus, quo modo ita sit.

Monol. c 64.

Anseimus 25

Anselm geradezu ein Zeichen von Pflichtvergessenheit zu sein.i Er selbst hat, seinem Prinzip getreu, vor das in den beiden inhaltsschweren Worten enthaltene Dogma Deus-homo ein cur gesetzt und in der gleichlautenden berühmten Schrift aus „bloßer Vernunft" die Notwendigkeit zu begründen versucht, daß Gott selbst Mensch wurde, um die sündige Menschheit zu erlösen. Ein Versuch übrigens, dessen Scheindialektik leicht aufzudecken ist. Denn warum sollte - um nur dies hervorzuheben - der endliche Mensch zwar unendliche, nur durch die Mensch- werdung des unendlichen Gottes tilgbare Schuld auf sich zu laden, nicht aber auch aus eigener Kraft entsprechende Sühne zu leisten vermögen? Von einer Denknotwendigkeit ist hierbei wahrlich nichts zu entdecken. Der Mystiker Bernhard von Clairvaux erkannte dies mit schärferem Blick, wenn er die 'rationalistischen Bemühungen Anselms abweisend sich in de- mütigem Glauben vor der Tatsache der Menschwerdung Gottes beugte und so ein angebliches Wissen und Begreifen entlarvte, um dem einfältigen Glauben sein Recht zu lassen.'

Freilich beeilt sich Anselm nun sogleich hinzuzufügen, daß jener Versuch einer innerlichen Begründung nicht bei allen Dogmen möglich sei. So widerstrebe z. B. das Geheimnis der Trinität einer apriorischen Vernunftkonstruktion, wie er in einer besonderen Schrift über die Trinität ausführt. Demnach schützt er das Glaubensgebiet vor einer restlosen rationalistischen Auf- lösung und sichert in diesem Sinne dem Glauben den Primat gegenüber dem Wissen. Die Vernunft bleibt, anders gewendet, dem Dogma, die Philosophie der Theologie untergeordnet. Wo immer eine angebliche Erkenntnis mit der hl. Schrift und

* Negligentiae mihi esse videtur, si postquam confirmati sumus in fide, non studemus, quod credimus intelLigere.

cur deus homo I, c 2.

■^ Vgl. R. Seeberg, Die Versöhnungslehre des Anseimus und die Bekämpfung derselben durch den hl. Bernhard. (Mitteilungen u. Nachrichten f. d. evang. Kirche in Rußland, 1888.)

26 Anseimus

der inhaltlich mit ihr identischen Kirchenlehre in Widerspruch gerät, ist sie dadurch ohne weiteres als eine nur scheinbare Erkenntnis erwiesen. Ein Grundsatz, der seitdem bis in die Kämpfe der Gegenwart hinein von der katholischen Theologie festgehalten wurde. ^

Es sei zum Schlüsse noch ein Wort Anselms mitgeteilt, das seinen Glauben an die kirchliche Autorität zu energischem Ausdruck bringt. «Kein katholischer Christ verkündet er mit fühlbarer innerer Wärme darf etwas, was die katho- lische Kirche im Herzen glaubt und mit dem Munde bekennt, in Frage stellen, sondern an diesem Glauben unzweifelhaft festhaltend, diesen Glauben liebend und nach demselben lebend, forsche er in Demut, soweit er es vermag, nach den Gründen für seinen Glauben. Kann er es zur Einsicht in demselben bringen, so sei er Gott dankbar, kann er es nicht, so renne er nicht dagegen an, sondern beuge sein Haupt und bete an. Denn eher wird die menschliche Weisheit an diesen Felsen selbst anrennen, als ihn umrennen.« (Vgl. De fide Trin. c. I u. II.)-

Werfen wir einen Rückblick auf die Stellung Anselms zu unserem Problem, so kann uns leicht die Ahnung beschleichen, ob nicht die von ihm so nachdrücklich angefeuerte Vernunft mit ihrer kühnen Frage Cur deus homo die gleich bis ins Herz der christlichen Weltanschauung drang leicht die ihr von Anselm gesteckten Grenzen zu überschreiten versucht sein konnte. Wie, wenn sie trotzig ein Nein dem Dogma entgegenschleuderte, wenn es in ihre Formen sich nicht fügen wollte? Noch stand für Anselm und die kommenden Denker des Mittelalters teilten seine Ueberzeugung die Tatsache der Offenbarung mit unerschütterlicher Gewißheit

^ Certus enim sum, si quid dico, quod sacrae scripturae absque dubio contradicat, quia falsum est, nee illud teuere volo, si cognovero.

Cur deus homo 1, c 38.

^ Cum ad intellectum valet (sc. christianus) pertingere, delectatur ; cum vero nequit, quod capere non potest, veneratur. Ep. C. 2, ep. 41.

Abaelard 27

fest. Ein vor allem durch Wunder und Weissagungen ge- stütztes Wissen schien dem Glauben eine unantastbare Grund- lage zu bieten. Aber die von Anselm so energisch zur Betätigung aufgerufene Vernunft mußte sich mit innerer Logik schließlich auch den historischen und philosophischen Voraus- setzungen des Dogmas, d. h. den angeblichen Offenbarungs- Tatsachen immer kritischer gegenüberstellen. So kam es all- mählich zu der religionsgeschichtlich orientierten kritischen Theologie unserer Tage, d. h. zu der Leugnung der Beweis- kraft der von den mittelalterlichen Theologen und ihren bis heute fortlebenden Nachfolgern für die Tatsache einer sog. übernatürlichen Offenbarung angeführten Argumente.

Schon ein Zeitgenosse Anselms gibt dessen semirationa- listischem Grundprinzip ein extrem rationalistisches Gepräge, das wir nunmehr ins Auge fassen wollen.

3. Abaelard (1079—1142).

Dieser in mancher Hinsicht, vor allem in seiner Ethik, modern anmutende Denker setzt die Methode Anselms, durch Anwendung der Dialektik auf die Glaubenslehren vom Glauben zum Wissen aufzusteigen, fort und ergänzt sie zu der für den späteren scholastischen Lehrbetrieb charakteristischen Methode des Sic et Non: die für und wider eine These sprechenden Autoritäten werden zunächst aufgeführt, um in der Solutio die wirklichen oder scheinbaren Widersprüche aufzulösen und dabei etwa zu einer vermittelnden Ansicht zu gelangen. «Diese Abaelardsche Methode wurde die Grundlage für die Art und Weise der Quaestionen und Disputationen der späteren Epoche auf theologischem, philosophischem, kanonistischem und zivil- rechtlichem Gebiete", um mit H. Denifle, dem um die mittel- alterliche Philosophie hochverdienten Forscher, zu reden. ^

1 Vgl. Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittel- alters. Bd. I, S. 620.

28 Abaelard

Während Anselm die spekulative Erfassung der Dogmen nicht als Bedingung des Glaubens, sondern nur als dessen wünschenswerten und nach Kräften zu erstrebenden Abschluß betrachtet hatte, erkennt Abaelard wenigstens an manchen Stellen überhaupt keine schlechthin übervernünftigen Ge- heimnisse an. Solche, unserem Verständnis völlig entzogene Offenbarungen zu geben, würde, wie er meint, ein völlig zweckloses Tun von selten Gottes bedeuten. (Wie wenig solcher Meinung etwa Thomas und Scotus beistimmen, werden wir später erfahren.) Stellenweise bezeichnet er es allerdings - ob nicht vielleicht im Gegensatze zu früheren oder späteren Aeußerungen, bleibe hier dahingestellt als Anmaßung, alle Geheimnisse begreifen zu wollen.

Im allgemeinen aber redet er von der Verpflichtung der Vernunft, den Inhalt der angeblichen göttlichen Offenbarung auf seine Glaubwürdigkeit zu prüfen, die erst dann gesichert ist, wenn die betreffenden Lehren mit der Vernunft begriffen sind. ^ Nur so entgeht man der Gefahr der Leichtgläubigkeit, vor der die Bibel warnt: Wer schnell glaubt, ist leichtsinnigen Herzens! (Introd. ad theolog. II, c 3).

Auch auf die Trinität wendet Abaelard sein rationalistisches Prinzip an und glaubt dazu um so eher berechtigt, als schon Piaton dieses Dogma erkannt habe: die eine Idee des Guten, die übrigen Ideen und die Weltseele entsprechen den drei göttlichen Personen. Eine Konstruktion, bezüglich derer Abae- lard mit Recht von Bernhard von Clairvaux angegriffen wurde.

Die Selbständigkeit ferner, mit der Abaelard das Urteil der Vernunft nicht nur über die Autorität der Väter stellte die man doch nicht mit den Aposteln verwechseln dürfe , sondern auch ganz und gar rationalistisch über die Glaub- würdigkeit des Offenbarungsinhaltes entscheiden ließ, hatte schließlich zur Folge, daß sein Hauptwerk Theologia es

^ Nee quia Deus id dixerat, creditur, sed quia hoc sie esse con- vincitur (se. resurrectionem futuram), aecipitur. Introd.ad.theol.II,e3.

Alanus ab insulis 29

handelt de fide, de sacramente und de caritate - von dem Konzil zu Sens 1141 verurteilt wurde.

In der Tat bedeutet der Versuch, alle Dogmen in Ver- nunftspostulate aufzulösen, die Leugnung des übernatürlichen Charakters der Kirchenlehre. Die Verurteilung Abaelards war deshalb eine einfache Konsequenz aus der kirchlichen Voraus- setzung des übernatürlichen und teilweise übervernünftigen Offenbarungscharakters der christlichen Religion.

Unter dem Einfluß der Schrift Abaelards Sic et non schrieb Petrus Lombardus (tll64 als Bischof von Paris) seine quattuor libri sententiarum, die im Mittelalter eine Haupt- autorität in theologisch-philosophischen Fragen bildeten und vielfach in den sog. Sentenzen-Kommentaren erläutert wurden.

In ähnlicher Weise stellte Alanus ab insulis die Re- sultate der christlichen Tradition in einem Sammelwerke de arte fidei catholicae zusammen, zum Zwecke der Verteidigung der Kirchenlehre durch Vernunftgründe, und zwar mit Hilfe einer an Spinoza erinnernden deduktiven Methode. Bemerkt sei auch, daß für Alanus im 12. Jahrhundert Piaton noch ,;der Philosoph" ist. ^

Diese Versuche der Dialektik, im Namen des Wissens das Recht des Glaubens zu schützen, gewannen nun erhöhte Be- deutung, seitdem gegen Ende des 12. Jahrhunderts durch Vermittlung der Araber dem Abendlande auch die metaphy- sischen, physischen und ethischen Schriften des Aristoteles bekannt wurden, während es bis dahin nur dessen logische Schriften sowie die eloaycoyr] elg rag ^ ÄQioroxekovg Karrjyogiag des Porphyrius in der lateinischen Uebersetzung des Boethius gekannt hatte.

Als Physiker und Metaphysiker wurde Aristoteles von der kirchlichen Behörde nicht mit derselben Freundlichkeit

^ Vgl. M. Baumgartner: Die Philosophie des Alanus de Insulis im Zusammenhang mit den Anschauungen des 12. Jahrh. dargestellt.

(Beiträge z. Gesch. d. Mitt., B. II, 4.)

30 Alexander von Haies

empfangen, mit der er als Logiker bis dahin behandelt war. Die Pariser Synode (1210) und der päpstliche Legat Robert de Courcon (1215) verboten die Aufnahme der aristo- telischen Metaphysik und Naturphilosophie in den Lehrplan der inzwischen gegründeten Pariser Universität; während die aristotelische Ethik nicht verboten wurde, obschon sie es ihres rein diesseitigen, „naturalistischen" Charakters wegen vom kirchlichen Standpunkte aus nicht minder verdient hätte.

Aber bereits 1254 zählte die aristotelische Metaphysik und Physik zu den offiziellen Unterrichtsgegenständen der facultas artium. Albertus Magnus durfte kurze Zeit darauf schreiben, die Natur habe in Aristoteles die höchste Vollendung des menschlichen Geistes, mithin gleichsam eine Regel der Wahrheit aufgestellt. Und der dem gleichen Jahr- hundert angehörige Roger Bacon (1214-1294), den man den größten Naturforscher des Mittelalters genannt hat, schloß sich diesem Urteile durchaus an, wenn er „dem Philosophen" wie Aristoteles seit jener Zeit schlechtweg genannt wird für das Gebiet des Wissens denselben Ehrenplatz anweist, den Paulus für den Glauben beanspruche. ^

Zu den aristotelischen Schriften gesellten sich ferner die arabischen Kommentare eines Alkendi, Alfarabi, Avicenna, Averroes, ferner die Schriften der jüdischen Scholastiker Avencebrol, Ibn Gebirol und vor allem Maimonides, der be- sonders auf Thomas von Aquino wirkte.

Alexander von Haies (f 1245) ist der erste mittel- alterliche Kenner des ganzen Aristoteles und benuzte als solcher

^ Roger Bacon schreibt: Hunc {sc. Aristotelem) natura formavit, ut dicit Averroes in III de anima, ut ultimam perfectionem hominis inveniret. Hie omnium philosophorum magnorum testimonio praefertur philosophis et philosophiae adscribendum est id, quod ipse affirmavlt, unde nunc temporis autonomatice philosophus nominatur in auctoritate philosophiae sicut Paulus in doctrina sapientiae sacrae.

Op. malus II, c 8.

Dominikaner und Franciskaner 31

zum ersten Male das gesamte Rüstzeug des griechischen Denkers zur Verteidigung des Glaubens, indem er unter diesem Einflüsse die erste große Summa Theologiae ver- faiSte. Sie bedeutet den Versuch einer logischen Begründung der Kirchenlehre mit Hilfe der syllogistischen Methode. Indes bietet Alexander von Haies keine neuen prinzipiellen Gesichtspunkte für unser Problem, so wenig wie etwa Vincenz von Beauvais.

Bevor wir indes zu dem für unsern Zweck wichtigen Albertus Magnus übergehen, müssen wir noch ein drittes Ereignis erwähnen, das neben der Rezeption des Aristotelis- mus und dem Bekanntwerden des Abendlandes mit den arabi- schen Kommentatoren für das geistige Leben des Mittelalters bedeutsam wurde. Es ist die Gründung des Dominikaner- und Franciskanerordens. Die verschiedene psycho- logische Struktur ihrer Stifter hat beiden Orden von vorne- herein ein verschiedenes Gepräge gegeben, das auch für die Geschichte unseres Problems keineswegs nebensächlich ist. Ist auch das Ziel beider dasselbe, ein Leben im Geiste des Evangeliums, so doch die Methode verschieden. Kurz und treffend hat man gesagt: »Dominikus wählte den Weg durch den Verstand, Franziskus durch das Herz." Die Devise der Dominikaner sei zu wirken : verbo et exemplo, die der Franciskaner dagegen: plus exemplo quam verbo.

Mit der Vorsicht, mit der man in solchem Falle all- gemeine Bezeichungen verwenden darf, könnte man sagen : der Dominikanerorden trage von Hause aus einen mehr intellektua- listischen Charakter, während der Franciskanerorden mehr voluntaristisch gerichtet sei. Aber auch unter den Söhnen des Dominikus fanden sich allen Vernunft-Grübeleien ab- geneigte Mystiker, wie unter den Nachfolgern des armen Franz von Assisi sich viele fanden und noch immer finden, die das Wissen zu fördern trachten.

Immerhin ist es kein Zufall, daß gerade aus den Reihen der Franciskaner Männer erstanden, die dem menschlichen

32 Albertus Magnus

Wissen ein weit geringeres Vertrauen schenkten und darum von dem Glauben weit mehr Aufschlüsse erwarteten als etwa die Dominikaner Albertus und Thomas. Man spricht deshalb wohl von einer „skeptischen Tendenz" des Franciskanerordens. Mit welcher Berechtigung, wird im folgenden deutlich werden. Nunmehr zu jenem Doctor universalis, wie man ihn ge- nannt hat, der die erste systematische Bearbeitung der aristo- telischen Schriften im Anschluß an die arabischen Kommen- tatoren gibt.

4. Albertus Magnus (1193-1280).

In der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Theologie und Philosophie läßt Albertus das rationalistische Prinzip Abaelards nicht gelten ; vielmehr stimmt er dem anseimischen Grundsatze: Credo ut intelligam zu, und zwar in jener uns bereits durch Anseimus geläufigen Interpretation, daß nicht alle Offenbarungslehren nachträglich durch die Vernunft be- gründet werden können, wie z. B. nicht das Dogma der Trinität und der Auferstehung des Fleisches. Und vollends der durch Eriugena im Anschlüsse an Augustinus voll- zogenen Identifizierung der wahren Religion mit der wahren Philosophie hält Albertus die Auffassung entgegen, es gebe Gegenstände des Glaubens, die der Vernunft durchaus un- zugänglich seien, d. h. schlechthin nur durch göttliche Offen- barung mit Hilfe des aus ihr stammenden „übernatürlichen Lichtes" gefunden werden könnten.

Die Offenbarung bildet nun die Erkenntnisquelle der Theologie, während die Vernunft und die Erfahrung, wie gerade Albertus betont, das ausschließliche Erkenntnisprinzip der Phi- losophie darstellt. Theologie und Philosophie sind darum getrennte Gebiete, zwischen denen kein ,,Uebergriff" wie der moderne Ausdruck lautet stattfinden soll.

Sind demnach theologische Sätze Gegenstände des Glaubens, so heißt das: sie können erstens nicht, wie die

Albertus Magnus 33

philosophischen, aus bloßer Vernunft bewiesen werden. Oleich- wohl versucht freilich auch die Theologie Vernunftgründe für die Glaubenssätze beizubringen, damit diese „besser erkannt" werden, zugleich glaubwürdiger erscheinen und endlich den Ungläubigen gegenüber besser verteidigt werden können. ^

Der Zweck der Theologie ist dabei stets ein ethisch- praktischer, die Beförderung des ewigen Heiles der Menschen, die Hebung der Frömmigkeit, und unterscheidet sich auch dadurch zweitens wesentlich von der Philosophie, deren Ziel die Vermehrung des Wissens, nicht die religiöse Er- bauung und sittliche Hebung des Menschen ist, '

Was aber drittens den Gewißheitsgrad betrifft, so ist dieser bei der unmittelbar auf göttlicher Offenbarung, auf „Inspiration", auf dem „übernatürlichen Lichte des Glaubens" beruhenden Theologie ungleich größer als bei der „bloß menschlichen" Wissenschaft, die sich lediglich des natürlichen Lichtes der Vernunft bedient. ^

^ Licet fidei innitatur (sc. theologia) ut principio, tarnen fides ipsa ex posterioribus credit! quaerit intellectum et rationem.

S. theol. I tr. 19, 5 m. 3.

Bene tres rationes assignaverunt (sc. antiqui) propter quas bonum est quaerere rationes credendorum. Una est, ut melius cognoscatur creditum. . . . Melius eniin cognoscitur, quod duabus viis cognoscitur quam quod cognoscitur fide sola. Secunda est propter inductionem simplicium ad fidem : qui facilius inducuntur per rationem persuasivam. Tertia est propter contradictionem infidelium convincendam.

S. th. I tr. 3, 15 m. 3 art. 2.

- Theologia scientia est secundum pietatem: hoc est non est de scibili simplicitur ut scibile est, nee de omni scibili, sed secundum quod est inclinans ad pietatem. ... Et hoc modo theologia scientia est de his, quae at salutem pertinent; pietas enim conducit ad salutem.

S. theol. I tr. 1, 2.

^ lUud quod scitur ex primo verius scitur quam id quod scitur ex aliquo secundorum, sed quod scitur per inspirationem, scitur ex primo: ergo verius scitur quam ex aliqua alia causa.

Comm. in Math. p. V.

Noster intellectus perficitur luminibus et elevatur: et ex lumine

Verweyen, Philosophie und Theologie im Mittelalter. 3

34 Albertus Magnus

Aber auch das letztere stammt aus göttlicher Quelle und vermittelt deshalb eine „natürliche Offenbarung". Es kann also viertens prinzipiell kein Widerspruch zwischen Philo- sophie und Theologie bestehen, da beide ihren Ursprung in Gott haben, der als unendliche Wahrheit und Wahrhaftigkeit sich nicht selbst widersprechen kann.

Eine Konstruktion, so können wir schon jetzt zu dieser Zwei-Quellen-Theorie kritisch bemerken, die formal-logisch durchaus unanfechtbar ist, die aber hinsichtlich ihres realen Erkenntniswertes steht und fällt mit der Voraussetzung, daß im Laufe der Geschichte einmal eine unmittelbare, „über- natürliche" Offenbarung auf Grund einer „Inspiration" bezw. in Christus, dem „Sohne Gottes", stattgefunden hat.

Außerdem aber ist die prinzipielle Leugnung eines Gegen- satzes zwischen theologischer und philosophischer Wahrheit auch insofern zunächst nur von formeller Bedeutung, als es in concreto einmal sehr umstritten sein kann, wo eine solche „Inspiration" vorliegt das Mittelalter löst diese Kanon-Frage letzten Endes durch die schon damals faktisch anerkannte, wenn auch noch nicht prinzipiell dogmatisch for- mulierte Unfehlbarkeit der kirchlichen Lehrentscheidung und weil es anderseits in concreto nicht minder umstritten sein kann, ob irgend ein Satz wirklich eine philosophische Wahr- heit, d. h. ein allgemein gültiges Urteil darstellt.

In jedem Falle verdient Albertus besondere Beachtung durch die nachdrückliche Betonung, Philosophie und Theologie seien verschiedene Gebiete mit verschiedenen Erkenntnisprinzi- pien. Woraus er die wichtige Konsequenz zieht, theologische Sätze müßten theologisch, d. h. unter Berufung auf die gött-

quidem connaturali non elevatur ad scientiam Trinitatis et incarnationis et resurrectionis. Ex lumine autem fluente a superiori natura ad super- mundana elevatur, quae potentia sola divina et voluntate sunt. Et bis lumine desuper fluente assentit et certius ea seit quam ea, quae ex lumine sibi connaturali accipit. S. theol. I tr. 1, 1.

Thomas v. Aquino 35

liehe Offenbarung, philosophische Sätze dagegen philosophisch, d. h. durch Vernunft und Erfahrung, begründet werden, deren Wert gerade er, der für seine Zeit bedeutende und eifrige Naturforscher, hervorhebt.

Das Erbe Albertus' tritt wie überhaupt, so auch speziell für unser Problem, dessen großer Schüler an, der „Fürst der Scholastiker", der „Meister aller Wissenden", wie Dante ihn nennt:

5. Thomas v. Aquino (f 1274). Die uns beschäftigende Frage erörtert Thomas unter Hinzuziehung eines aus der arabischen Scholastik stammenden Prinzips der sog. doppelten Wahrheit. ^ Wenn auch neuere Untersuchungen ergeben, daß Averroes keineswegs in dem ihm von Thomas unterlegten und später etwa durch Petrus Pomponatius berüchtigt gewordenen Sinne, vielmehr dem Grundgedanken nach genau wie die christliche Scholastik dieses Prinzip vertreten hat, so liegt letzteres doch in seiner angeblich averroistischen Fassung gleichsam als Gegenstand der thomistischen Lösung unserer Frage zugrunde.

In folgenden Punkten bringt Thomas seine Stellung zu jenem Prinzip zum Ausdruck.

1. Absolut genommen, gibt es keine doppelte Wahr- heit. Gott ist die Eine Wahrheit. Folglich ist prin- zipiell kein Widerspruch zwischen Philosophie und Theologie möglich, da sie eben beide von Gott, dem Wahrhaftigen, stammen.'-

^ Vgl. Max Maywald: Die Lehre von der zweifachen Wahrheit, ein Versuch der Trennung von Theologie und Philosophie im Mittelalter, ein Beitrag zur Geschichte der scholastischen Philosophie. Berlin 1871. L. Gauthier, la Theorie d'Ibn Rochd (Averroes) sur les rapports de la Religion et de la Philosophie, Paris 1909.

- Illud quod inducitur in animam discipuli a docente, doctoris scientia continet nisi doceat ficte; quod de Deo nefas est dicere. Principiorumautem naturaliternotorumcognitionobisdivinitusestindita, cum ipse Deus sit, auctor nostrae naturae. Haec ergo principia

3*

36 Thomas v. Aquino

2, Wohl aber gibt es in relativem Sinne eine doppelte Wahrheit, nämlich insofern eben die Eine Wahrheit objektiv in doppelter Weise dem erkennenden Subjekte vermittelt sein kann, nämlich

a) durch Offenbarung, und zwar entweder als »ver- nünftige", d. h. an sich auch der menschlichen Vernunft zugängliche, oder als «übervernünftige« Wahrheit, d. h. als Geheimnis,

b) durch die Vernunft.

Demnach sind die auf Offenbarung beruhende Theologie und die der natürlichen Vernunftbetätigung entspringende Philosophie die beiden objektiv verschiedenen Wege, auf denen die Eine Wahrheit zu uns kommt. ^

Man könnte die naheliegende Frage erheben, warum nicht der eine Weg genügt. Thomas ist bereits eifrig bemüht, diese Schwierigkeit zu lösen. Er sucht den Zweck einer solchen, im relativen Sinne, doppelten Wahrheit zu ergründen, d. h. die Frage zu beantworten, ob und warum überhaupt eine Offenbarung notwendig war.

etiam divinaSapientia continet. Quidquid igitur principiis hujus- modi contrarium est, est divinae sapientiae contrarium ; non igitur a Deo esse potest. Ea igitur, quae ex revelatione divina per fidem tenentur, non possunt naturali cognitioni esse contraria.

De Trin. 2. art. 3.

^ Dico autem Duplicem veritatem divinorum non ex parte ipsius Dei qui est una et simplexVeritas, sed ex parte cognitionis nostrae, quae ad divina cognoscenda diversimode se habet.

Contra Gent. I, c 9.

Est autem in his, quae de Deo confitemur duplex veritatis modus. Quaedam namque vero sunt de Deo, quae omnem facultatem humanae rationis excedunt, ut Deum trinum esse et unum. Quaedam vero sunt, ad quae etiam ratio naturalis pertingere potest, sicut est Deum esse, Deum esse unum et alia hujusmodi, quae etiam phi- losophi demonstrative de Deo probaverunt, ducti naturalis lumine rationis. c. Gent. I, c 3.

Ferner: de ver. 14. Sent. lib. III, dist. 24, 1. art. 3.

Thomas v. Aquino 37

Als allgemeinsten Qrund für die (moralische) Notwendig- keit — man beachte, nicht für die bloße Nützlichkeit der Offenbarung vernehmen wir: Nur wenige Menschen sind im- stande, über die höchsten Probleme des Daseins nachzu- denken, geschweige sie zu lösen. Mangel an Zeit, Begabung und Lust verhindern es. Und selbst die Wenigen, die sich damit zu beschäftigen vermögen, sind nicht vor Irrtum ge- schützt, beginnen immer wieder an ihren Resultaten zu zweifeln und sind überdies untereinander so uneinig, daß sie den übrigen nur schlechte Führerdienste leisten können. ^

Und doch ist die absolute subjektive Gewißheit und ob- jektive Wahrheit in den höchsten Fragen ein dringendes Be- dürfnis. Nur die göttliche Offenbarung ist ein zuverlässiger Retter in dieser intellektuellen Not.

Man beachte, wie rasch dieses Argument, den Wunsch zum Vater des Gedankens machend, über die Frage hinweg- springt, ob es nicht vielleicht das Los des Menschengeistes ist, sich in den »höchsten Fragen" mit einigem Stammeln oder doch, wie auch sonst, mit vorläufigen, immer der Ent- wicklung fähigen und bedürftigen Annahmen bescheiden zu müssen. Thomas hat zu viel von dem Blute des Dogma- tikers in sich, um dem Gedanken einer solchen Resignation, wie sie dem erkenntnis-theoretisch Besonnenen ziemt, auch nur als einem zum wenigsten doch diskutablen näher zu treten. Deshalb ist das soeben angeführte Argument für die Not- wendigkeit einer Offenbarung von vornherein hinfällig, weil es auf einer zweifelhaften Voraussetzung beruht.

Aehnlich steht es mit dem weiteren Argumente, das den Zweck der Offenbarung »übervernünftiger" Wahrheiten dartun soll, den wir früher z. B. Abaelard leugnen hörten. Der Mensch ist nach mittelalterlich-dogmatischer Vorstellung zu einem «übernatürlichen" Endziele, zu der „Anschauung Gottes" in dem zukünftigen, ewigen Leben berufen einem Ziele,

'■ c. Gent. I, 4.

38 Thomas v. Aquino

das er mit den Mitteln seiner bloßen Natur nicht erreichen könnte. Ueber die ,; übernatürlichen« Mittel aber vermag nur die Offenbarung Aufschluß zu geben. ^

Die petitio principii ist offensichtlich. Das „übernatür- liche" Ziel wird dem Menschen ja allererst durch „Offen- barung" bekannt, die Thomas demnach als Tatsache bereits voraussetzt, wenn er ihre nachträgliche Rechtfertigung unter- nimmt. Aber eben die Notwendigkeit dieser „Tatsache" ist ja gerade das Problem!

Ein weiteres Moment zugunsten der Offenbarung sucht Thomas durch den Hinweis auf die „Verdienstlichkeit" des Glaubens an unbegreifbare Geheimnisse geltend zu machen. Der Glaube sei zwar ein Akt des Verstandes man beachte gleich hier diesen intellektualistisch gefärbten thomistischen Glaubensbegriff im Gegensatze zu dem Luthers , der jedoch „auf Befehl des von Gott durch die Gnade bewegten freien Willens" zustande komme und darum als sittlich-freier Glaubens- akt „verdienstlich" sei. In den Geheimnissen trete dem Menschen das jenseitige Ziel als ein besonders erhabenes entgegen. Der Glaube an jene Geheimnisse sei darum ein besonderer Aus- druck des Verlangens nach jenem Endziel und mithin be- sonders „verdienstlich für den Himmel", wie gewöhnlich hinzu- gesetzt wird. '

^ Quia enim homini Deus providit finem qui est supra na- tu ram hominis scilicet plenam participationem suae beatitudinis oportet autem eum qui in finem tendit, si libero arbitrio agat, cognos- cere finem, ex cujus consideratione dirigitur in his quae sunt ad finem: ideo oportuit, ut homo alicujus rei cognitionem haberet quae natura- lem cognitionem ejus excedit, quae quidem cognitio homini datur per gratiam fidei. Sent. lib. III, dist. 24, 1. art. 3.

c. G. I, 5. S. th. I, 1. art. 1.

^ Dicendum quod actus nostri sunt meritorii, in quantum proce- dunt ex libero arbitrio moto a Deo per gratiam. Unde omnis actus humanus qui subjicitur libero arbitrio, si sit relatus ad Deum, potest meritorius esse. Ipsum autem credere est actus intellectus assentientis veritati divinae ex imperio voluntatis a Deo

Thomas v. Aquino 3Q

Endlich solle der Mensch durch den Glauben an die unbe- greifbaren Offenbarungswahrheiten zur„Demut" erzogen werden.

Auch zu diesen Argumenten sei ein kurzes Wort andeu- tender Kritik hinzugefügt. Man kann sehr wohl die Ehr- furcht vor dem Unbegreifbaren, die demütige Hingabe an die dunklen und geheimnisvollen Seiten und Mächte des Daseins als sittlich wertvoll bezeichnen und erleben, ohne darum doch mit Thomas das „sacrificium intellectus" in dem Sinne zu fordern und zu bringen, daß man sein eigenes Denken festbannt auf einen historisch ein für alle Mal festge- legten Vorstellungskreis und es in diesen gefangen gibt. Man kann, anders gewendet, die erzieherische Bedeutung des Glaubens an ein Unbegreifliches als sittlich wertvolle Grund- form zugeben, ohne deshalb gerade, wie Thomas und das Mittelalter, ja die christliche Orthodoxie überhaupt, die „Ge- heimnisse" in bestimmten, historisch aufgetretenen Lehren, die sich als göttliche Offenbarung ausgaben, zu erblicken und zu verehren. (Vergl. unten Kap. V).

3. Zu der Einen Wahrheit kann sich das erkennende Subjekt in dreifacher Weise verhalten, nämlich je nach der Art und Stärke, mit der es jener „zustimmt" (assentire). Meinen, Glauben und Wissen heißen diese drei Zustände, die sich folgendermaJäen unterscheiden. Hat das Sub- jekt keine innere Einsicht in den Gegenstand gewonnen,

motae per gratiam et sie subjacet libero arbitrio in ordine ad Daum; unde actus fidei potest esse meritorius.

S. th. II, II 2. art. 9. Nullus enim desiderio et studio in aliquid tendit nisi sit ei praecognitum. Quia ergo ad altius bonum quam experiri in praesenti vita possit humana fragilitas homines per divinam providentiam or- dinantur . . . oportuit mentem evocari in aliquid altius quam ratio nostra in praesenti possit pertingere, ut sie disceret aliquid desiderare et studio tendere in aliquid, quod totum statum praesentis vitae exeedit. Et hoe praecipue christianae religioni eompetit, quae singulariter bona spiritualia et aeterna promittit. c. Gent. I, 5.

40 Thomas v. Aquino

kommt es mit seinem Verstände über verschiedene Annahmen, es verhalte sich möglicherweise so oder anders, nicht hinaus, so kann es doch auf Grund eines voluntaristischen Ein- schlages, wie man das „voluntarie" modern übersetzen würde, mehr zu der einen Annahme neigen. So entsteht die „Meinung", wenn dabei noch ein Zweifel zurückbleibt, die entgegengesetzte Annahme könnte vielleicht auch richtig sein; der Glaube dagegen, wenn ein Zweifel ganz ausgeschlossen ist. Von beiden Arten der Zustimmung, des assensus, zur Wahr- heit ist das Wissen unterschieden: es schließt jeden Zweifel aus und zugleich die innere Einsicht in die Wahrheit ein. ^

' Assentit autem intellectus alicui dupliciter: uno modo quia ad hoc movetur ab ipso objecto, quod est per seipsum cognitum, sicut patet in primis principiis, quorum est intellectus; ve! per aliud cognitum, sicut patet in conclusionibus, quarum est scientia. Alio modo in- tellectus assentit alicui non quia sufficienter moveatur ab objecto proprio, sed per quandam electionem voluntarie declinans in unam partem magis quam in aliam; et siquidem hoc sit cum dubitatione et formidine alterius partis, erit opinio; si autem sit cum certitudine absque tali formidine, erit fides. S. theol.II, II l.art.4. dever. 14.

credere est . . . actus intellectus secundum quod a voluntate determinatur ad unum. S. theo). II, II 2 art. 1.

in cognitione fidei principalitatem habet voluntas, intellectus autem assentit per fidem bis, quae sibi proponuntur, quia vult, non autem ex ipsa veritatis evidentia necessario tractus. c. Gent. III, 40.

Dieser Zusatz «quia vult" ist überaus bedeutsam.

Die „natürliche Vernunft" kann also gleichsam nur bis an die Schwelle des Heiligtums führen. Ob der Mensch es betritt, d. h. ob er die geoffenbarten Wahrheiten innerlich anerkennt ohne sie be- greifen zu können darüber entscheidet zuletzt sein Wille. Gerade darin besteht nach Thomas das „Verdienst" des Glaubens. (Vgl. oben S. 38.) In Uebereinstimmung mit dieser thomistischen Lehre definierte das Vatikanische Konzil, der Glaube sei eine zum Heile gehörige Tat, durch welche der Mensch Gott selbst einen freien Gehorsam leistet, indem er seiner Gnade zustimmt und mit ihr mitwirkt, ob- wohl er ihr widerstehen könnte.

Conc. Vatic. sess. 3, c 3. Vgl. V. Cathrein, Glauben und Wissen Freiburg 1903, S. 162.

Thomas v. Aquino 41

Man sieht, der Verfasser des Buches wde veritate« hat auch seinen Ausführungen über Glauben und Wissen eine Art erkenntnistheoretische Grundlage zu geben versucht, wie denn überhaupt bekanntlich die Scholastik nicht ohne Erkennt- nistheorie war, mochte letztere auch noch nicht als so selbst- ständige Disziplin behandelt werden, wie es in der modernen Philosophie seit Locke bezw. Bacon üblich ist. Ein moderner Erkenntnistheoretiker wäre geneigt, die zuletzt erwähnte tho- mistische Formel, es sei ein dreifacher Assensus zu der Einen Wahrheit möglich, in die andere, sachlich sich mit jener deckende zu übersetzen: es gebe drei Grade der Gewißheit oder ein Wissen erster, zweiter und dritter Ordnung, wie man auch wohl zu sagen pflegt.

4. Glauben und Wissen sind nicht nur subjektiv in der zuletzt geschilderten Weise mit Rücksicht auf das verschiedene Verhalten des zustimmenden Subjekts sondern auch objektiv verschieden, zunächst hinsichtlich ihres -Ursprungs. Der Glaube beruht auf Autorität, der christliche auf der höchsten; denn der Grund, warum der Christ glaubt, ist die göttliche Wahrhaftigkeit. Der Gegenstand seines Glaubens daher die «erste Wahrheit" selbst, die «veritas prima«. Das Wissen dagegen entspringt der Vernunft. ^

^ Dicendum quod cujuslibet cognoscitivi Habitus objectum duo habet, scilicet id quod materialiter cognoscitur, quod est sicut ma- teriale objectum; et id per quod cognoscitur, quod est for- malis ratio objecti; sicut in scientia geometriae materialiter scita sunt conclusiones, formalis vero ratio sciendi sunt media demonstra- tionis, per quae condusiones cognoscuntur. Sic igitur in fide si con- sideremus formalem rationem objecti, nihil est aliud quam veritas prima. Non enim fides, de qua loquimur, assentit alicui nisi quia aDeo est revelatum. Unde ipsi veritati divinae fides innititur tamquam medio. Si vero consideremus materialiter ea, quibus fides assentit, non solum est ipse Deus, sed etiam multa alia, quae tarnen sub assensu fidei non cadunt, nisi secundum quod habent aliquem ordinem ad Deum prout scilicet per aliquos Divinitatis effectus homo adjuvatur ad tendendum in divinam fruitionem. Et ideo etiam ex

42 Thomas v. Aquino

Glauben und Wissen beziehen sich ferner auf verschiedene Objekte oder auf dasselbe Objekt, aber in verschiedener Hin- sicht. Der erste Fall liegt bei den Geheimnissen vor, die in keiner Weise Gegenstand unseres Wissens sind; der zweite Fall entsteht folgenderweise. Ist es auch an sich nicht ohne Widerspruch denkbar, daß derselbe Gegenstand in derselben Hinsicht zugleich Objekt des Meinens, Glaubens und Wissens ist denn diese drei «assensus« sind einander diametral entgegengesetzt so können doch dieselben Gegenstände verschieden behandelt werden; nämlich einmal, sofern sie in der Philosophie durch das «Licht der natürlichen Vernunft« oder sofern sie in der Theologie durch das «Licht der gött- lichen Offenbarung" erkannt werden. Denn manche Vernunft- wahrheiten, wie das Dasein Gottes, die Unsterblichkeit der Seele, sind zugleich auch geoffenbart. Als Grund hierfür vernahmen wir bereits die Irrtumsfähigkeit der Vernunft. ^ (S.37.)

hac parte objectum fidei est quodammodo veritas prima, in quantum nihil cadit sub fide nisi in ordine ad Deum.

S. theol. II, II 1, art. 1. de ver. 14; S. theol. I, 99, art. 1.

^ De eodem secundum idem non potest esse simul in uno homine scientia nee cum opinione nee cum fide.

S. theol. II, II 1, art. 5 ad 4.

Dicendum, quod diversa ratio cognoscibilis diversitatem scien- ciarum inducit. Eandem enim conclusionem demonstrat astro- logus et naturalis, puta quod terra est rotunda; sed astrologus per medium mathemadcum, id est a materia abstractum; naturalis autem per medium circa materiam consideratum. Unde nihil prohibet de eisdem de quibus philosophicae disciplinae tractant, secundum quod sunt cognoscibilia lumine naturalis rationis, etiam aliam scientiam tractare, secundum quod cognoscuntur lumine divin ae revelationis. S. theol. I 1, art. 1 ad 2.

Man beachte bei Thomas die häufige Gegenüberstellung des lumen naturale (bzw. lumen naturalis rationis) und des lumen supra- naturale (bzw. lumen divinae revelationis). Wendungen, die wir bis

Thomas v. Aquino 43

Als Charakteristikum der beiden zuletzt erörterten Punkte können wir dies bezeichnen, daß auch Thomas reinliche Ge- bietsteilung zwischen Glauben und Wissen herzustellen sucht, um alle Konfusion und Grenzüberschreitung im Prinzip von vorneherein abzuwehren.

5. Stellen wir nunmehr, das Bisherige teils neu beleuchtend, teils ergänzend, die abschließende Frage nach der Stellung von Glauben und Wissen im Systeme der thomistischen Theologie, so haben wir folgendes festzuhalten.

Prinzipiell ist ein Wissen möglich von den Grundlagen des Glaubens und folglich auch der Theologie, ein historisch- philosophisches Wissen von der Tatsache der göttlichen Offenbarung.

Thomas bezeichnet dieses Wissen als ein solches, das sich auf die praeambula fidei d. h. eben auf das bezieht, was dem Glauben vorangeht. Ist es auch nicht Sache der »natür- lichen Vernunft", die Inhalte des natürlichen Glaubens restlos zu begreifen, so doch diesen schließlich auf einem Willensakte beruhenden Glauben vorzubereiten durch den Nachweis, daß

in die neuere Philosophie hinein antreffen, z. B. bei Descartes, Tschirnhaus, Leibniz u.a. Vgl. J. Verweyen, E. W. v. Tschimhaus als Philosoph. Bonn 1905.

Investigationi rationis humanae plerumque falsitas admiscetur propter debilitatem intellectus nostri judicando et phantasmatum per- mixtionem. Etideoapud multos in dubitatione remanent ea, quae sunt verissime etiam demonstrata, dum vim demonstrationis Ignorant et praecipue cum videant a diversis qui sapientes dicuntur, diversa doceri. Inter multa etiam vera, quae demonstrantur, immiscetur aliquando aliquid falsum, quod non demonstratur, sed aliqua probabili vel sophistica ratione asseritur, quae interdum demonstratio reputatur. Et ideo oportuit per viam fidei, fixa certitudine, ipsam veritatem de rebus divinis hominibus exhiberi. Salubriter ergo divina providet dementia, ut ea etiam, quae ratio investigare potest, fide tenenda praeciperet; ut sie omnes de facili possent divinae cognitionis participes esse et absque dubitatione et errore.

c. Gent. I, 4.

44 Thomas v. Aquino

es der wahrhaftige Gott selbst ist, dessen Worten der Christ glaubt. 1

Es handelt sich also hierbei um nichts Geringeres, als um Beweise für die Offenbarungs-Tatsache. Und wie be- weist Thomas sie?

Die göttliche Weisheit hat sich, wie er ausführt, durch überzeugende Argumente geoffenbart, durch sichtbare Werke, wdie das Vermögen der ganzen Natur übersteigen", d. h. durch Wunder. Welcher Art aber sind diese? Wunderbar sind die Krankenheilungen, von denen die hl. Schrift erzählt, die Toten-Erweckungen, die Verwandlung von Himmelskörpern, wie die plötzlichen Verfinsterungen der Sonne oder deren Stillestehen auf Befehl eines Menschen. Wunderbarer aber ist noch die Wirkung der Inspiration-, daß infolge Erleuch- tung durch den heiligen Geist ganz unbegabte und einfältige Menschen (idiotae et simplices), wie die Jünger Jesu, die höchste Weisheit verkündigten, die sogar die „weisesten" Menschen zu Anhängern des Christentums machten. Das Wunderbarste jedoch ist, daß eine ungeheure Schar von Menschen (innumerabilis turba) nicht durch Waffengewalt, nicht durch Aussicht auf irdischen Lohn, sondern unter völliger Verachtung aller weltlichen und „fleischlichen" Genüsse nur die unsichtbaren zukünftigen Güter ersehnt hat. Fürwahr das „größte Wunder und ein offenkundiges Werk göttlicher

^ Rationes demonstrativae inductae ad ea quae sunt fidei praeambula, non tarnen ad articulos, etsi diminuant rationem fidei, quia faciunt esse apparens id quod proponitur; non tarnen diminuunt rationem caritatis, per quam voluntas est prompta ad ea credendum, etiamsi non apparerent; et ideo non diminuitur ratio meriti.

S. theol. II, II 2 art. 10.

Cognitio fidei praesupponit cognitionem naturalem sicut et gratia naturam. de ver. 14 art. 9.

Dicendum quod fides non habet inquisitionem rationis naturalis demonstrantis id quod creditur, habet tarnen inquisitionemquandam eorum, per quae inducitur horao ad credendum, puta, quia sunt dicta a Deo et miraculis confirmata. S. th. II, II 2 art. 1.

Thomas v- Aquino 45

Inspiration", wie Thomas schließt! Um so wunderbarer aber ist dies alles, weil es bereits lange vorher durch die Weis- sagungen der Propheten verkündigt war.

Wunder und Weissagungen, nicht zum wenigsten die wunderbare Ausbreitung des Christentums trotz aller Ver- folgungen und trotz seiner Anforderungen an die mensch- lichen Leidenschaften, sind also nach Thomas von Aquino ein hinreichender Beweis, sie bieten, wie er sagt, „rationes de- monstrativae" oder „convenientia argumenta" für die „göttliche Wahrheit des Christentums", d. h. für die Tatsache einer über- natürlichen Offenbarung, deren Inhalt nicht auf dem sonst üblichen Wege einer sogen, immanenten und «natürlichen" Entwicklung entstanden; m. a. W. für die Tatsache, daß »Gott selbst gesprochen hat", wie die häufig bei Thomas wieder- kehrende Wendung lautet.^

^ Hace enim divinae sapientiae secreta ipsa divina Sapientia, quae omnia plenissime novit, dignata est hominibus revelare, quae sui praesentiam et doctrinae et inspirationis veritatem convenientibus argumentis ostendit, dum ad confirmandum ea, quae naturalem cognitionem excedunt, opera visibiliter ostendit, quae totius naturae superant facultatem; videlicet in mirabili curatione languorum, mortuorum suscitatione, coelestium mirabili immutatione et quod est mirabilius humanarum mentium inspiratione, ut idiotae et sim- plices, dono Spiritus sancti repleti, summam sapientiam et facundiam in instanti consequerentur . . . praedictae probationis efficacia non ar- morum violentia, non voluptatum promissione et quod est mira- bili ssim um inter persecutorum tyrannidem, innumerabilis turba non solum simplicium, sed etiam sapientissimorum hominum ad fidem, christianorum convocavit; in qua omnem humanum intellectum excedentia praedicantur, voluptates carnis cohibentur et omnia quae in mundo sunt, haberi contemptui docentur. Quibus animos mortalium assentire et maximum miraculum est et manifestum divinae inspira- tionis opus, ut contemptis visibilibus sola invisibilia cupiantur. Hoc autem non subito neque casu, sed divina dispositione factum esse manifestum est ex hoc quod hoc se facturum Deus multis ante Pro- phetarum praedixit oraculis, quorum libri penes nos in veneratione habentur, utpote fidei testimonium adhibentes. c. Gent. I, 6.

46 Thomas v. Aquino

Man würde dem mittelalterlichen Denker nicht gerecht werden, wollte man folgendes übersehen. Wenn alle die Tatsachen einwandfrei festständen, die wir Thomas soeben an- führen hörten; wenn m. a. W. in der Geschichte der Religion im allgemeinen und der christlichen im besonderen Ereignisse nachweisbar wären, die schlechthin die Grenzen möglicher »natürlicher" Leistung überschritten, dann wäre selbstverständlich die Annahme eines »übernatürlichen« Prinzips zu ihrer Er- klärung erfordert. Die Göttlichkeit des Christentums wäre dann gleichsam analytisch in seinem übernatürlichen Ursprung enthalten und der thomistische Beweisgang müßte von jedem Denkenden angetreten werden.

Aber es fragt sich, ob nicht jene Voraussetzung im höchsten Maße anfechtbar ist. Wie ein Axiom stand sie freilich im ganzen Mittelalter unerschütterlich fest. Nicht als ob man sie immer in der christlichen Theologie unbeachtet und ungeprüft gelassen hätte. Man bemühte sich vielmehr eifrig um ihre Rechtfertigung, wie wir u. a. schon bei Augusti- nus sahen. Aber man setzte dabei immer die Zuverlässig- keit der neutestamentlichen Ueberlieferung, namentlich sofern es sich um „wunderbare Krankenheilungen'' und ähnliches handelt, voraus. Die moderne kritische Theologie aber war und ist bemüht, die früher als unbezweifelbar angesehene Glaubwürdigkeit der Evangelien zu erschüttern und damit zugleich die Grundlagen zu zersetzen, auf denen Thomas die Lösung unseres Problems aufbaut.

In eine sachliche Erörterung dieses Punktes einzutreten, muß einer besonderen Darstellung vorbehalten bleiben. Hier handelt es sich in erster Linie darum, den Werdegang des Verhältnisses von Glauben und Wissen zu begreifen und die Stellen zu markieren, an denen die spätere bezw. heutige Kritik früherer Lösungsversuche einsetzt.

Nehmen wir den früheren Faden wieder auf, um uns nochmals zu vergegenwärtigen, daß an der Pforte des

Thomas v. Aquino 47

thomistischen Lehrgebäudes das Wissen um die praeambula fidel steht. Aber es dringt auch in das Heiligtum selbst hinein.

Ein prinzipielles Wissen ist nämlich auch bezüglich der sogenannten „vernünftigen* nicht übervernünftigen « Glaubenswahrheiten möglich. Zu ihnen zählt z. B. die Existenz eines einzigen und unkörperlichen Gottes. Um der geistig Schwachen willen sind aber auch derartige Wahrheiten geoffenbart, die darum für jene die prima credibilia, die ersten Gegenstände des Glaubens bilden, während sie für die größere geistige Fassungskraft anderer zu den praeambula fidei gehören.

Folglich verflüchtigen sich die an und für sich Gegen- stand des Wissens sein sollenden praeambula fidei je nach der geistigen Stufe des betreffenden Menschen zu den ersten Gegenständen des Glaubens. Die geistig Schwachen sind darum in weit geringerem Maße imstande, ihrem Glauben eine vernünftige Wissens-Grundlage zu geben, sie sind um so mehr an die Autorität gewiesen. ^

(Man ist geneigt, im Sinne des Thomas hinzuzufügen, daß dies sich auch in anderen Dingen so verhält, nicht nur in religiösen.)

' Sciendum autem, quod aliquid est credibile dupliciter. Uno modo simpliciter quod scilicet excedit facultatem omnium hominum in statu viae existentium sicut Deum esse trinum et hujusmodi. Et de bis impossibile est ab aliquo homine scientiam haberi: sed quilibet fidelis assentit hujusmodi propter testimonium Dei, cui haec sunt praesto et cognita. Aliquid vero est credibile non simpliciter, sed respectu alicujus, quod quidem non excedit facultatem omnium, sed aliquorum tantum sicut illa, quae de Deo demonstrative sciri possunt, ut Deum esse unum aut incorporeum et hujusmodi. Et de his nihil prohibet, quin sint ab aliquibus scita, qui horum habent demon- strationes et ab aliquibus credita, qui horum demonstrationes non perceperunt; sed impossibile est, quod sint ab eodem scita et credita.

de ver. 14 art. 9.

Ueber die mittelalterlichen Versuche, das Dasein Gottes im Sinne der praeambula fidei zu beweisen vgl. M. Grunwald, Geschichte der Gottesbeweise im Mittelalter.

(Beitr. z. Gesch. d. Philos. d. Mittelalters, Bd. VI, 3.)

48 Thomas v. Aquino

Unmöglich aber können die eigentlichen Geheimnisse Gegenstand des Wissens sein. Wer es etwa unternehmen wollte, sagt Thomas gegen den Rationalismus etwa eines Abaelard, die Dreiheit der göttlichen Personen, das Dogma der Trinität, zu »beweisen«, würde dem Glauben zuwider- handeln. Derselbe Grundsatz: sola fide tenetur gilt z. B. auch von der Lehre der zeitlichen Weltschöpfung; kann auch die Schöpfung der Welt mit Hilfe der Vernunft erkannt werden, so doch nicht der zeitliche Anfang der Welt. Es bliebe eine ewige Weltschöpfung denkbar. Nur die Offenbarung belehrt uns, wie Thomas im Anschluß an die Lehren des jüdischen Scholastikers Maimonides ausführt, über die zeitliche Welt- schöpfung. Ebenso verhält es sich beispielsweise mit dem Dogma der Erbsünde, der Menschwerdung des Logos, dem Fegefeuer, der Auferstehung des Fleisches etc. ^

Es zeugt von dem lebhaften Wissensdrange, von dem intellektualistischen Charakter des mittelalterlichen Denkers, wenn er sogar derartigen Geheimnissen gegenüber die Ver- nunft nicht zu völliger Untätigkeit verurteilt sehen will, ihr vielmehr eine doppelte Aufgabe zuweist. Erstens vermag und soll die Vernunft die Einwände der Gegner widerlegen und wenigstens die Möglichkeit, d. h. innere Widerspruchslosigkeit der betr. Dogmen dartun, um so durch Abweisung des falschen Wissens der Gegner gleichsam die Bahn frei zu machen

* Impossibile est per rationem naturalem ad cognitionem divinarum personarum pervenire; per rationem naturalem cognosci possunt de Deo ea, quae pertinent ad unitatem essentiae, non ea quae pertinent ad distinctionem personarum; qui autem probarenititur trinitatem personarum naturali ratione, fidei derogat.

S. theol. I, 32 a. L

Mundum incepisse est credibile, non autem demonstrabile vel scibile. Et hoc utile est ut consideretur, nisi forte aliquis quod fidei est demonstrare praesumens rationes non necessarias inducat, quae praebeat materiam irridendi infidelibus existimantibus nos propter hujusmodi rationes credere, quae fidei sunt. S. theol. I, 46 art. 2.

Thomas v. Aquino 49

für den Glauben. ^ Dieses Ziel erreicht die Vernunft noch mehr, wenn sie zweitens auch Analogien zu den dogma- tischen Wahrheiten in der Natur aufzufinden sucht; überdies ist es schon eine Freude, meint Thomas, über die höchsten Dinge in schwachen Lauten einiges stammeln zu können. Nur soll man sich hüten, derartige Analogien, die dem Gläubigen zur Uebung und zum Tröste gereichen, als Be- weise auszugeben; die Gegner würden dann ja erst recht nicht für den Glauben gewonnen werden, wenn sie ihn durch so schwache Gründe gestützt fänden. ^

Aber so sehr sich auch der wissensdurstige Mensch be- müht, das Dunkel der Geheimnisse aufzuhellen, über schwache

' Dicendum quod rationes, quae inducuntur ad auctoritatem fidei non sunt demonstrationes, quae in visionem intelligibilem intellectum humanuni reducere possunt; et ideo non desinunt esse non apparentia; sed removentimpedimenta fidei ostendendo non esse impossibile, quod in fide proponitur. S. theol. II, II 2 art. 10. c Gent. I 9.

- Considerandum etiam videtur, quod res quidem sensibiles, ex quibus humana ratio cognitionis principium sumit, aliquale vestigium divinae imitationis retinent (videlicet quod sunt et bonae sunt), ita tamen imperfectum, quod ad declarandam ipsius Dei substantiam omnino insufficiens invenitur . . . Humana igitur ratio ad cogno- scendum fidei veritatem, quae solum videntibus divinam substantiam potest esse notissima, ita se habet, quod ad eam potest aliquis veras similitudines colligere; quae tarnen non sufficiunt ad hoc quod praedicla veritas quasi demonstrative vel per se intellecta comprehen- datur. Utile tarnen est, ut in hujusmodi rationibus quantumcumque debilibus se raems humana exerceat, dummodo desit comprehendi vel demonstrandi praesumptio, quia de rebus altissimis etiam parva et debili consideratione aliquid posse inspicere jucun- dissimum est. c. Gent. I, 8.

Sunt tarnen ad hujusmodi veritatem (quae supra rationem humanam est) manifestandam rationes aliquae verisimiles inducendae ad fidelium quidem exercitium et solatium, non autem ad adversarios convincendos; quia ipsa rationum insufficientia eos magis in suo errore confirmaret, dum aestimarent nos propter tarn debiles rationes veritati fidei consentire.

c. Gent. I, 9.

Ueber die visio beatifica vgl. Sent. lib. III, dist. 31, 2, art. 1.

Verweyen, Philosophie und Theologie im Mittelalter. 4

50 Thomas v. Aquino

Versuche kommt er dabei in Anbetracht der Tiefe götth'cher Lehren doch nicht hinaus. Wenigstens nicht in diesem irdischen Leben. Erst im zukünftigen ewigen Leben, im ,, Vaterlande", in patria, wie es bezeichnenderweise heißt, wird es den Guten vergönnt sein, in der „beseligenden An- schauung Gottes", der visio beatifica, nach dem diesseitigen Glauben, den schon Paulus mit dem Sehen in einem Spiegel vergleicht, eines erfüllten, „von Angesicht zu Angesicht" gehenden „Schauens", nach dem credere eines höheren con- templari, gewürdigt zu werden, soweit dies die endliche Kreatur überhaupt zuläßt.

Als allgemeinster Grundsatz aber ist immer festzuhalten: Der Glaube ist die Norm des Wissens, die Theologie die „Herrin" der Philosophie. Die wahre Philosophie befindet sich immer in Uebereinstimmung mit den richtig verstandenen Glaubensiehren aus Gründen, die bereits erörtert wurden, ^

Die Grundsätze, die Thomas von Aquino über unser Problem entwickelt, leben bis heute in der ka- tholischen Theologie fort. Darüber später genaueres (Kap. III u. IV).

Bevor wir zu dem größten mittelalterlichen Theologen des Franciskanerordens übergehen, möge hier noch eine Zwischenbemerkung Platz finden, nämlich ein Hinweis dar- auf, wie sehr z. B. Nietzsche auch den uns beschäftigenden historischen Tatbestand vergewaltigt, wenn er in dem 89. Apho- rismus der „Morgenröte" über den «Zweifel als Sünde" schreibt: „Das Christentum hat das Aeußerste getan, um den Zirkel zu schließen, und schon den Zweifel für Sünde erklärt.

^ Unde et theologia maxima sapientia dici debet, utpote semper altissimam causam considerans; et propter hoc ipsi quasi principali philosophia humana deservit. c. Gent. 11,4.

S. theo). II, II 2 art. 10.

Man erkennt hierin sogleich des Petrus Damiani Wort wieder: philosophia ancilla theologiae.

Duns Scotus 51

Man soll ohne Vernunft, durch ein Wunder, in den Glauben hineingeworfen werden und nun in ihm wie im hellsten und unzweideutigsten Elemente schwimmen; schon der Blick nach einem Festlande, schon der Gedanke, man sei vielleicht nicht zum Schwimmen allein da, schon die leise Regung unserer amphibischen Natur ist Sünde! Man merke doch, daß damit die Begründung des Glaubens und alles Nach- denken über seine Herkunft ebenfalls schon als sündhaft ausgeschlossen sind. Man will Blindheit und Taumel und einen ewigen Gesang über den Wellen, in denen die Vernunft ertrunken ist!" Wie wenig dies auf Thomas von Aquino, den Hauptrepräsentanten des mittelalterlichen, katholischen Christen- tums zutrifft, geht aus unserer Darstellung deutlich hervor. Zeigte sie doch, welchen breiten Raum «die Begründung des Glaubens und alles Nachdenken über seine Herkunft" inner- halb der thomistischen Theologie einnimmt, die keinen ./blinden", sondern in der geschilderten Weise einen durch „Wissen« begründeten und erleuchteten Glauben verficht. Ganz in Uebereinstimmung mit dem Christentum eines Paulus, der ja gerade die Forderung eines »vernünftigen Glaubens" eines rationabile obsequium erhebt.

6. Duns Scotus (f 1308 zu Cöln). Unter den Scholastikern ist wohl keiner so vielen Miß- verständnissen begegnet wie Scotus. Haben doch jüngste Forschungen von P. Minges ergeben, daß die landläufigen Darstellungen dieses Denkers, wie sie zahlreich in den letzten Jahrzehnten von Theologen und Historikern gegeben wurden, in wesentlichen Punkten einer Korrektur bedürfen. Da findet man z. B. durchweg die Ansicht verbreitet, Scotus verteidige die sog. Willensfreiheit in einem von Thomas, dem «princips scholasticorum", wesentlich abweichenden extrem-indetermi- nistischen« Sinne! Wie wenig dies zutrifft, wie sehr vielmehr die beiden großen Scholastiker in diesem Punkte überein-

4*

52 Duns Scotus

stimmen, habe ich in meinem bereits erwähnten Buche quellen- mäßig nachgewiesen und dadurch die Einheit der scholastischen Lehrentwicklung an einem Zentral-Punkte dargetan. Ebenso hat der Franziskanerpater Minges in mühsamen Untersuchungen die scotistische Freiheitslehre in zwei Arbeiten dargestellt, deren Titel lauten: „Ist Duns Scotus Indeterminist?" (Münster 1905) und »Der Gottesbegriff des Duns Scotus auf seinen angeblich exzessiven Indeterminismus geprüft« (Wien 1907). Aehnlich hat derselbe Verfasser die üblichen Auffassungen von der Gnadenlehre des Scotus einer kritischen, auf eingehenden Quellenstudien beruhenden Revision unterzogen in der Schrift: »Die Gnadenlehre des Duns Scotus auf ihren angeb- lichen Pelagianismus und Semipelagianismus geprüft (Münster 1906). Für die Geschichte der Erkenntnistheorie sei noch die spätere Abhandlung des genannten Autors erwähnt: »Der angebliche exzessive Realismus des Duns Scotus" (Beiträge z. Gesch. d. Philos. d. M.-A. Bd. Vll).

Es ist von vornherein wahrscheinlich, daß auch über die Stellung des Duns Scotus zu unserem Problem die verschie- densten Entstellungen im Umlauf sind. Schon Max Maywald schrieb in einer 1868 erschienenen Schrift über »Die Lehre von der zweifachen Wahrheit«, diese Lehre sei zwar nicht innerhalb der Franziskanerschule entstanden, aber doch von ihr begünstigt worden. Eine Auffassung, über die spätere Historiker bis in die Gegenwart erheblich hinausgingen, wenn sie gerade als die Lehre des Scotus ausgaben, Religion und Philosophie seien in dem Sinne getrennte Gebiete, daß in jener wahr sein könne, was in dieser falsch sei und umgekehrt. Die »antirationalistische" Richtung dieses Scholastikers gebe dann natürlich der Philosophie den Vorrang in einem solchen Konflikt.

Was nun die sogenannte „skeptische Tendenz« bei Duns Scotus anbetrifft, so ist folgendes zu beachten. Schon der Ehrentitel doctor subtilis deutet seine Geistesrichtung an, die sich in scharfsinnigen, manchmal spitzfindigen Unterschei-

Duns Scotus 53

düngen offenbart. Dabei kommt er zugleich zu einer kriti- schen Stellung zu den üblichen Traditionsbeweisen für gewisse Lehren. Als ein mathematisch geschulter Kopf stellt er scharfe Anforderungen an einen «Beweis" - schärfere vielfach als sein großer Vorgänger Thomas von Aquino, dessen Argumente ihm nicht selten zu wenig stringent erscheinen und zur Polemik herausfordern. Nicht in dem Zweifel an der Wahrheit theo- logisch-philosophischer Lehren, sondern in der vorsichtigeren Prüfung der für sie vorgebrachten traditionellen Begründungen besteht die vielgenannte „skeptische Tendenz" des Duns Scotus,

Ein paar Beispiele. Aus den bekannten Worten des neuen Testaments könne man einen Beweis für das Gebot der Beichte nicht ableiten. Nur die kirchliche Autorität sei ein zureichender Grund für diese Forderung; zumal auch das Naturgesetz nur Gott, nicht dem Priester, die Sünden zu be- kennen gebiete. Auch sei der Schluß aus den Abendmahls- worten Christi auf die Transsubstantiation nicht zwingend; bliebe die Möglichkeit einer symbolischen Interpretation, hätte nicht die vom hl. Geiste erleuchtete Kirche unter Innocenz III. auf dem Laterankonzil diese Lehre der Wesensverwandlung des Brotes und Weines in das Fleisch und Blut Christi als Wahrheit verkündet, weshalb es nunmehr ebenfalls ein sünd- hafter Irrtum wäre, anzunehmen, daß Brot und Leib Christi gleichzeitig nebeneinander existierten. Ja selbst den sogen. Gottesbeweisen steht Scotus sehr kritisch gegenüber. Zwar bemüht er sich um Vernunftbeweise für das Dasein Gottes, wie aus seinem Gebete im 3. Kap. der Schrift de primo principio hervorgeht: «Herr, unser Gott, der du verkündet hast, du seiest der erste und der letzte, lehre deinem Diener dasjenige aus der Vernunft zu zeigen (ostendere ratione), was er mit gewissestem Glauben festhält, daß du bist die erste bewirkende Ursache, das erste eminente Wesen und das letzte Endziel". So schließt Scotus von dem Endlichen und

54 Duns Scotus

Zeitlichen auf ein Ewiges und Unendliches, indem er im Anschluß an die aristotelischen Gottesbeweise ein erstes Wesen zu beweisen unternimmt, dessen Persönlichkeit ihm jedoch im Gegensätze zu Thomas und Aristoteles erst auf Grund moralischer Argumente gesichert erscheint. Aber auch diese führen nicht zu der Erkenntnis aller Eigenschaften Gottes: seine Allmacht, Unermeßlichkeit, Allgegenwart, Wahrheit, Gerechtig- keit, Barmherzigkeit und Vorsehung sind dem Lichte der natürlichen Vernunft nicht zugänglich. Aehnlich verhält es sich mit der Unsterblichkeit der Menschenseele. Auch für diese von Scotus keineswegs weder philosophisch noch theo- logisch angezweifelte Lehre genügen ihm die Beweise des Aristoteles und Thomas nicht. Wenn man z. B. argumen- tiere, den Bösen gehe es oft viel besser in der Welt als den Guten, weshalb die ausgleichende Gerechtigkeit eine jenseitige Verwaltung verlange, so sei das keine stichhaltige Begrün- dung. Denn die natürliche Vernunft könne nicht das Dasein eines vergeltenden Lenkers der Welt beweisen. Und selbst einen solchen voraussetzend, könne man noch immer auf die immanente Belohnung und Bestrafung hinweisen, die in der guten wie bösen Tat selbst liege. Vollends aber sei es un- möglich, die übernatürliche Seligkeit des Himmels sowie die Ewigkeit der Höllenstrafen der natürlichen Vernunft zu be- weisen. Während Scotus die Unsterblichkeit der Seele in einigen Werken wie dem Sentenzen-Kommentar, nicht mit metaphysischer Strenge, wenn auch als moralisch wahrschein- lich, gegen die Einwände der heidnischen Philosophen ver- leidigen zu können glaubt, hat er in anderen Schriften die natürliche d. h. philosophische Erkennbarkeit der Unsterblichkeit gelehrt.

Alle diese Punkte hat P. Minges auf Grund eingehender und quellenmäßiger Untersuchungen in der besonderen Abhand- lung erörtert: Das Verhältnis zwischen Glauben und Wissen, Theologie und Philosophie nach Duns Scotus (Forsch, zur

Duns Scotus 55

Christi. Lit. u. Dogmeng. Bd. VII, Paderborn 1908). Das Resultat dieser jüngsten Forschungen faßt der Autor in folgenden Thesen zusammen: I. »Es ist falsch, daß nach Scotus Glaube und Wissen einander widersprechen können oder daß etwas philosophisch wahr sein könne, was theologisch falsch ist oder umgekehrt. IL Es ist falsch, daß Scotus auf den Nachweis der Harmonie zwischen Wissen und Glauben kein großes Gewicht legt. III. Es ist falsch, daß, wie Schwane meint, Scotus auf eine spekulative Theologie gar kein großes Gewicht legt. IV. Diejenigen Stellen, die einen scheinbaren Gegensatz zwischen Theologie und Philosophie enthalten, einer Trennung beider das Wort zu reden scheinen oder eine gewisse Vernachlässigung der Philosophie und spekulativen Theologie bekunden, lehren in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Sie sagen speziell nur, daß die katholische Lehre nicht übereinstimmt mit so manchen Behauptungen der heid- nisch-arabischen Philosophen. V. Es ist falsch, daß es Scotus vornehmlich auf die demütige Unterwerfung unter die Autori- tät Gottes und der Kirche ankomme oder daß er von vorn- herein die Tendenz habe, die natürliche Erkenntnis zugunsten der übernatürlichen zu schmälern und die spekulative Theo- logie in Zweifel aufzulösen. Scotus glaubt nur, daß manche philosophische oder theologische Beweise anderer Gelehrten nicht genügend oder stringent sind; an deren Stelle bringt er andere Beweise vor und sieht auf philosophischem wie auf theologischem Gebiete manche Sätze als beweisbar an, die von anderen Philosophen und Theologen als unbeweisbar gelten."

Zum Schlüsse sei die Stellung des Duns Scotus zu unserem Problem noch durch folgendes Schema kurz er- läutert. Er betont

L Die Verschiedenheit von Glauben und Wissen, Theologie

und Philosophie, und zwar

a) hinsichtlich ihres Ursprunges oder Erkenntnisprinzips,

56 Duns Scotus

das dort übernatürliche Offenbarung, hier natürliche Vernunft lautet.^ Folglich

b) nach ihrem Objekt: die Theologie handelt von Offen- barungswahrheiten, die Philosophie von Vernunftwahr- heiten,

c) nach Gewißheit: diese ist bei der Theologie am höch- sten, weil sie unmittelbar auf der göttlichen Wahr- haftigkeit beruht. 2

d) nach ihrem Zweck: die Theologie ist zwar eine Wissen- schaft, wenn man darunter ein System von wirklichen Erkenntnissen versteht; freilich keine Wissenschaft Am allerstrengsten Sinne", weil sie als »Glaubenswissen- schaft« ein Ausdruck, den wir später noch in der Theologie unserer Tage antreffen werden - sich nicht lediglich auf natürlichen und in sich evidenten Prin- zipien aufbaut und keine volle innere Einsicht in die Offenbahrungslehren gewährt. Endlich - eben ihrem Zwecke nach - eine praktische, von der rein theore- tisch gerichteten Philosophie verschiedene Wissenschaft, die zugleich die religiös-sittliche Erziehung des Menschen, sein Seelenheil im Auge hat.^ Gerade dieser Zweck

^ Haec scientia (theologia) nulli subalternatur. Quia licet sub- jectum eius possit aliquo modo contineri sub subjecto Metaphysicae, nulla tarnen principia accipit a Metaphysica, quia nuUa passio theo- logica demonstrabilis est in ea per principia entis vel per rationem sumptam ex ratione entis. Nee ipsa aliam (scientiam) sibi subalternat: quia nulla alia scientia accipit principia ab ipsa. Nam qraelibet alia in genere cognitionis naturalis habet resolutionem suam ultimo ad aliqua principia immediata naturaliter nota. Sent. prol. 3.

* Cum Sit duplex prioritas in scientia scilicet ex nobilitate objecti et ex certitudine notitiae, haec (sc. theologia) est utroque modo cer- tissima, quia habet objectum nobilissimum et principia secundum se certissima sunt. Rep. prol. 3.

^ Fides non est habitus speculativus nee credere est actus specu- lations nee visio sequens credere est visio speculativa, sed practica.

Vgl. Minges 1. c. S. 79, 104, 106, 111 u. 118. ^^"^- P''^^' ^-

Duns Scotus 57

war ohne Offenbarung nicht erreichbar. Darum be- tont Scotus IL DieNotwendigkeit der Offenbarung und Theologie. Jedes erkennende Wesen darin gipfelt sein Gedankengang - muß den Zweck seines Handelns erkennen, wenn es ihn überhaupt anstreben soll. Nun hat aber der Mensch objektiv ein übernatürliches Ziel, die „Anschauung Gottes* ist also mit den Mitteln seiner bloßen Natur nicht fähig, jenes zu erkennen. Also ist eine übernatürliche Hilfe notwendig, eine Offenbarung als eine doctrina super- naturaliter addita, und zwar

a) hinsichtlich des übernatürlichen Zieles selbst (- das aber doch seinerseits erst aus der Offenbarung erkannt ist, weshalb auch Scotus wie Thomas bei dieser Argumentation in den Fehler der petitio principii fällt!),

b) hinsichtlich der Mittel, die mit Rücksicht auf das Ziel ebenfalls übernatürlich und deshalb auch geoffenbart sein müssen.

III. Als Beweise der Tatsache der Offenbarung führt Scotus an:

a) die Erfüllung der Weissagungen sowie die zahlreichen Wunder, von denen das alte und neue Testament berichtet,

b) dieUebereinstimmung der biblischen Schriftsteller, welche die Wahrheit sagen „konnten" und «wollten",

c) die Uebereinstimmung der christlichen Lehre mit der „gesunden Vernunft", die alle Einwände der Gegner als nichtig erkennt,

d) die Fortdauer der Kirche trotz aller Anfeindung.

Es erübrigt sich für unseren Zweck, hier in eine nähere Kritik dieser „Beweise« einzutreten. Nur bleibe nicht uner- wähnt, daß letztere die wir im Prinzip ja bereits bei den früheren Denkern antrafen - ihrem Kerne nach durch das Vatikanische Konzil approbiert wurden, (sess. 3, c. 2.)

58 Bonaventura

7. Bonaventura (tl274). Auch Bonaventura stellt fest, daß es Wahrheiten gibt, die sowohl durch die Vernunft als auch durch die Offenbarung gelehrt werden, wie z. B. das Dasein Gottes. Aber weil die Philosophie doch nie absolut klare und irrtumsfreie Erkenntnis über Gott und göttliche Dinge gibt wir würden heute sagen: weil die Metaphysik nie zu apodiktischen Urteilen gelangt , so ge- währt die übernatürliche «Erleuchtung des Glaubens" größere Gewißheit als das natürliche Wissen. Wenn auch einige Philo- sophen ,; viele Wahrheiten« über Gott erkannten, so irrten sie doch auch in vielen Punkten, weil sie «den Glauben entbehrten«.^ Aber wie, wenn es sich um Wahrheiten handelt, die aus- schließlich Gegenstand der Philosophie, des natürlichen Er- kennens sind? Dann, antwortet Bonaventura, ist eine doppelte Gewißheit zu unterscheiden. Fragt man nach dem Grade der inneren Anhänglichkeit an die betreffenden Wahrheiten, so ist die certitudo adhaesionis bei dem Wissenden geringer als bei dem Gläubigen. Denn der Gläubige läßt sich nicht einmal durch die größten Folterqualen von seinem Glauben abbringen. Der Wissende dagegen geht nicht in den Tod für die Ver- nunftwahrheiten. (An den Martertod des Sokrates denkt Bonaventura nicht, und Giordano Bruno hatte der Welt noch

^ Ratio autem, quare talis scientia simul potest esse de eodem cum ipsa fide et quod una cognitio alteram non expellit, est, quia scientia manuductione ratiocinationis licet aliquam certitudinem et evidentiam faciat circa divina; illa tarnen certitudo et evidentia non est omnino clara, quamdiu sumus in via. Quamvis enim aliquis possit rationibus necessariis probare Deum esse et esse Deum unum, tarnen cernere ipsum divinum esse et ipsam Dei unitatem et qualiter illa unitas non excludit pluralitatem personarum, non potest nisi per iustitiam fidei emundetur. Unde illuminatio et certitudo talis scientiae non est tanta, quod habita illa superfluat illuminatio fidei, imo valde est cum illa per necessaria. Et hujus Signum est, quia licet aliqui philosophi de Deo sciverunt multa vera, tamen quia fide caruerunt, in multis erraverunt vel etiam defecerunt.

Sent. lib. III dist. 24, art. 2, 3.

Bonaventura 59

nicht das Schauspiel seiner Charakterfestigkeit gegeben.) Ander- seits sei die certitudo speculationis vielfach in der Wissenschaft größer wegen der inneren Einsicht in die natürlichen Wahr- heiten. ^

Gleich den anderen großen Theologen des Mittelalters hat auch Bonaventura sich um die spekulative Durchdringung der christlichen Lehren bemüht. Schrieb doch auch er einen Kommentar zu den Sentenzen des Petrus Lombardus; war doch auch er neben Thomas ein berühmter Lehrer und Nachfolger seines Ordensgenossen Alexander von Haies auf dem Lehr- stuhl zu Paris! Dennoch liegt der Schwerpunkt dieses Doctor seraphicus so lautet Bonaventuras Ehrentitel - nicht in der begrifflichen Zergliederung und Begründung der Glaubens- wahrheiten, nicht im diskursiven Denken über sie, sondern in ihrer unmittelbaren Erfassung, nicht in der verstandesmäßigen Spekulation, sondern in der gemütstiefen Intuition.

Ihm gilt es als die tiefste Weisheit, sich anbetend in die Geheimnisse des Glaubens zu versenken, insbesondere in das Leben und Sterben Christi, um schon hienieden in inniger Gemeinschaft mit diesem „Bräutigam der Seele" zu leben wie das beliebte Bild lautet und darin bereits einen „Vorgeschmack" der künftigen himmlischen Seligkeit zu besitzen. Den Höhepunkt aber erreicht dieses Schauen in jenem begnadeten Zustande der Ekstase, wenn die Seele gleichsam alle Bande des irdisch-leiblichen Lebens abgestreift hat, ganz in die Tiefe der göttlichen Geheimnisse untertaucht und in unbeschreiblichem Jubel die Gottheit selbst zu „um- armen" fühlt. Solche hehren Augenblicke kann man nicht mit dem Verstände begreifen, sondern nur mit tiefstem Gefühle erleben. So bekennt Bonaventura in seinem Itine- rarium mentis ad Dominum: „Möchtest du diesen Vorgang kennen, so frage die Gnade, nicht die Lehre; das Verlangen, nicht das Erkennen; die Seufzer des Gebetes, nicht das

* Sent. IIb. III dist. 23, art. 1, 4.

60 Bonaventura

Studium; den Bräutigam, nicht den Leiirer; Gott, nicht den Menschen; nicht das Licht, sondern jenes hoch lodernde Feuer, das in überströmender Salbung und glühenden Affekten zu Gott hinreißt, dessen Glutherd zu Jerusalem ist, wo der Gottmensch es durch die Glut seines brennenden Leidens angezündet hat." So gewährt die contemplatio, das Schauen, in glaubensvoller Hingabe an die göttlichen Wahrheiten ein höheres Wissen, als die irdische, auf sich gestellte Vernunft zu erreichen vermag. Alle menschliche Weisheit ist nicht nur Stückwerk, sondern zugleich Torheit im Vergleich zu jener mystischen Erleuchtung. Denn „Mystik" heißt die ge- schilderte Richtung, in der Bonaventura sich bewegt, an- knüpfend an Augustinus, der bereits unter dem Einfluß neu platonischer Gedankengänge, in denen die Ekstasis eine zentrale Stellung einnimmt, von jenem ekstatischen Erlebnisse des amplexus Dei und raptus in Deum begeistert redet (de mor. eccl. cath. I, 22. de gen. ad lit. XII, 26), und in Bern- hard von Clairvaux sowie den Victorinern Nachahmer fand.

Es wäre irrig, zwischen mittelalterlicher Scholastik und Mystik einen feindlichen Gegensatz anzunehmen. Beide be- zeichnen vielmehr lediglich verschiedene Wege, die Offen- barungslehren dem menschlichen Geiste innerlich nahezu- bringen. Dort unternimmt man es vorwiegend mit Hilfe des spekulierenden Intellekts, hier in erster Linie mit der Glut eines von Liebe zum Göttlichen entbrannten Gemütes, das weniger ein begrifflich - spekulatives als ein kontemplatives Geistesleben liebt. Beide Wege ergänzten sich. So konnte auch der „Intellektualismus" eines Thomas von Aquino in derselben Persönlichkeit neben mystischen Elementen bestehen.

Indes das harmonische Band zwischen diesen beiden verschiedenen Geistesrichtungen blieb in der Folgezeit nicht immer bestehen. Nicht zum wenigsten in diesem Umstände liegt der Einfluß, den die mittelalterliche Mystik ungewollt auf die spätere Entwicklung unseres Problems ausgeübt hat. Waren

Roger Bacon 61

es doch gerade die späteren Mystiker, die immer mehr die von den bisherigen mittelalterlichen Theologen anerkannten Rechte der Vernunft zugunsten des Glaubens beschnitten ein Verfahren, das dann für die einflußreiche Gedankenwelt Luthers vorbildlich wurde.

Doch bevor wir hierauf eingehen, müssen wir uns von dem großen Mystiker Bonaventura einem der größten Natur- forscher des Mittelalters zuwenden, der ebenfalls dem Francis- kanerorden angehörte und in Oxford lehrte.

8. Roger Bacon (f 1294).

In ihm begegnen wir einem begeisterten Verehrer der Naturwissenschaft, speziell der Astronomie. ^ Auch er faßt den Begriff der „Philosophie" in einem sehr weiten Sinne und versteht darunter den Inbegriff aller Vernunftwahrheiten. Letztere aber werden, wie er nachdrücklich hervorhebt, nicht etwa allein durch logische Beweise ermittelt, sondern wesent- lich unter Hinzuziehung einer zweiten natürlichen Erkenntnis- quelle, nämlich der Erfahrung. Bloße Vernunft-Spekulation führt nicht zu einem „sicheren Schauen der Wahrheit"; ohne Erfahrung, sagt schon dieser mittelalterliche Bacon, wie sein späterer Landsmann Bacon von Verulam (1561-1626), kann nichts Bestimmtes gewußt werden. Sine experientia nihil sufficienter sciri potest. ^

Was den Zweck der Philosophie betrifft, so soll sie nicht als Selbstzweck das Wissen um des bloßen Wissens willen zu erweitern trachten, sondern alle ihre Bemühungen sollen letzten Endes der sittlichen Bestimmung des Menschen dienen.

^ Vgl. Franz Strunz, Geschichte der Naturwissenschaften im Mittelalter, Stuttgart 1910, S. 93 ff.

- Duo sunt modi cognoscendi, scilicet per argumentum et per experientiam. Argumentum concludit et facit nos concludere quaestionem, sed non certificat neque removet dubitationem, ut quiescat animus in intuitu veritatis nisi eam inveniat via experientiae ... Sine ex- perientia nihil sufficienter sciri potest. Op. mains VI c 1.

62 Roger Bacon

Gott gilt es aus seiner Schöpfung zu erkennen und zugleich das Verhältnis, in dem der Mensch zu Gott steht. Nur eine solche ethisch-religiös orientierte Philosophie hat Wert. Die Philosophie der „Ungläubigen" ist durchaus schädlich und darum völlig wertlos; sie stammt aus der Finsternis und ver- dunkelt den Geist. „Ungläubig" aber und darum verderblich ist jede Philosophie „an sich" secundum se - , die ihre eigenen, selbständigen Wege geht, ohne Rücksicht auf die Lehren der göttlichen Offenbarung. Nur diese schützt das endliche menschliche Denken vor Irrtum. Die „wahre" Philosophie bleibt darum in engstem Zusammenhange mit der Theo- logie. Sie beweist die Wahrheit des christlichen Glaubens, vorab die Tatsache der Offenbarung, und arbeitet der Theologie durch Ermittelung der auf Gott bezogenen Vernunftwahr- heiten vor, indem sie vor allem zu der Erkenntnis Gottes aus dem sichtbaren Werke seiner Schöpfung gelangt und daraus zugleich die Pflicht der Gottesverehrung für den Menschen ableitet. ^

Aufgabe der Theologie aber ist es alsdann, unter Berufung auf die göttliche Offenbarung die Vernunftwahr- heiten zu vertiefen und zu ergänzen. Die Theologie ist dem- nach infolge ihrer göttlichen Grundlage hoch erhaben über der

^ Philosophia habet dare probationes fidei Christianae.

Op. malus II, c 8.

Totius philosophiae decursus consistit in eo, ut per Cognitionen! suae creaturae cognoscatur creator, cui propter reverentiam majestatis et beneficium creationis et futurae felicitatis serviatur in cultu honorifico et morum pulchritudine et legum utilium honestate, ut jin pace et honestate, vivant homines in hac vita. Philosophia enim specu- lativa decurrit usque ad cognitionem creatoris per crea- turas. Et moralis philosophia morum honestatem, leges justas et cultum Dei statuit et persuadet de futura felicitate utiliter et magnifice, secundum quod possibile est philosophiae. Op. maius II, c 7.

Philosophia infidelium est penitus nociva. II, c8.

Philosophia secundum se ducit ad caecitatem infernalem et ideo oportet, quod secundum se sit tenebra et caligo. I.e.

Roger Bacon 63

Philosophie als einer rein menschlichen Wissenschaft. Von solchen Voraussetzungen aus kommt dann auch Roger Bacon zu der eigenartigen Konsequenz, die wir bereits in dieser Formulierung früher bei den alten Kirchenschriftstellern antrafen: die „wahre" Philosophie ist allein in der hl. Schrift enthalten; die vom „hl. Geiste erleuchteten", gottgesandten Patriarchen und Propheten sind die „wahren Philosophen, die alles wußten" - wie Bacon wörtlich sagt -, und zwar kannten sie eben „nicht nur das Gesetz Gottes, sondern auch alle Teile der Philosophie"; ja, sie hatten sogar die „volle Herrschaft über die Natur". ^ (Man wird hierbei an eine ähnliche optimistische Bibel-Auslegung Richards von St. Victor [t 1173] erinnert.*)

Wenn auch Roger Bacons Ausführungen uns sachlich nichts „Neues" brachten, so waren sie doch um einiger interessanter Formulierungen willen erwähnenswert. Ist doch „die Philosophie der Ungläubigen" philosophia in- fidelium est penitus nociva, hörten wir Bacon verkünden bis auf den heutigen Tag ein stark gefühlsbetonter Begriff

1 Dico igitur, quod eisdem personis a Deo data est potestas philoso- phiae, quibus et Sacra scriptura, scilicet sanctis ab initio, ut sie appareat una esse sapientia completa hominibus necessaria. Soli enim patri- archae et prophetae fuerunt veri philosophi qui omnia sciverunt, scilicet non solum legem Dei, sed omnes partes philosophiae. Hoc enim ipsa sacra scriptura satis evidenter ostendit, quae dicit Joseph erudivisse principes Pharaonis et senes Aegypti prudentiara do- cuisse et Moysem fuisse peritum in omni sapientia Aegyptiorum. Et Bezaleel et Aholiab hoc demonstrant, qui omni intellectu et sapientia rerum naturalium fuerunt illustrati; uno enim f latu SpiritusSanctus eos illuminavit et docuit totam potestatem naturae in rebus metallicis et caeteris mineralibus. Sed et Salomon sapientior omnibus praecedentibus et subsequentibus secundum testimonium scripturae plenam obtinuit philosophiae potestatem.

Philosophiae cum theologia affinitas c IX.

^ Vgl.J. Verweyen, Das Problem der Willensfreiheit.

Freiheit in der Scholastik, Heidelberg 1909, S. 74.

64 Raymundus Lullus

geblieben, der vom Standpunkte der Offenbarungs-Theologie notwendig abgelehnt werden muß.

Sachlich bedeutsamer ist für die Geschichte unseres Problems der Verfasser der bekannten „Ars magna".

9. Raymundus Lullus (f 1315).

In Rede und Gegenrede läßt Lullus die w Zwölf Prinzipien der Philosophie" zu Worte kommen. Die Vernunft bezw. die Philosophie beklagt sich, daß die Averroisten ihr vorge- worfen hätten, sie sei eine Feindin des Glaubens und der Theologie, bis sie schließlich Lullus bittet, nötigenfalls mit Gewalt diese Verleumder zu bekämpfen.

Auch Lullus definiert den Glauben als eine über die natürlichen Verstandeskräfte hinausweisende Erkenntnisquelle. ^ Aus eigener Kraft könnte die Vernunft die Wahrheiten des Glaubens nicht ermitteln. Dennoch aber ist der Glaube nur eine, obzwar notwendige Vorstufe aller höheren Erkenntnis; mithin keine absolut übernatürliche Erkenntnisquelle, aus der dem Menschen etwa schlechthin übervernünftige Geheimnisse zufließen. Denn nicht der Glaube, sondern die Einsicht, nicht das credere, sondern das intelligere bildet das Ziel des Intellekts. Aber gleichwohl ist der Glaube eine nützliche vorläufige Er- kenntnisstufe, gleichsam ein Instrument, dessen sich der Ver- stand vorübergehend auf dem Wege zu den höchsten Wahr- heiten bedient.* Aber das Endziel des Verstandes besteht darin, apodiktische Beweise für alle Glaubenswahrheiten zu finden. Das ist möglich; denn so meint Lullus mit vielen

^ Fides est Habitus a Deo datus per quem intellectus intelligit super vires suas ea, quae per suam naturam attingere non potest, ut puta articulos fidel et hujusmodi. Philos. princ. c IIL

^Credere non est finis intellectus, sed intelligere; verumtamen fides est suum instrumentum ad elevandum suum intelligere cum credere; et ideo sicut instrumentum consistit inter causam et effectum; sie fides consistit inter intellectum et Deum, influxa fide a Deo in subjectum ut per ipsum quiescat in objecto primo. Ars magna IX, c 63.

Raymundus Lullus 65

extremen Rationalisten unter seinen Vorgängern alle Dogmen sind Vernunftpostulate. Aber eben darum ist auch ein Wider- spruch zwischen Glauben und Wissen unmöglich.

So kommt auch Lullus zu der Harmonie zwischen Philo- sophie und Theologie, aber eben - mit wesentlicher Ab- weichung von der kirchlich approbierten Lösung des Problems nur so, daß er die Glaubensinhalte restlos auf rationalem Wege in Gegenstände des natürlichen Denkens verwandelt. Er hebt insofern in einem umgekehrten Verfahren wie demjenigen Kants den Glauben auf, um für ein höheres, durch den Glauben vorher angeregtes Wissen Platz zu bekommen. Ein Verfahren, das er durch einen interessanten Vergleich zu ver- deutlichen sucht: Wie das Oel in einem mit Wasser gefüllten Gefäße um so höher steigt, je höher das Wasser dringt, ebenso steigt der Glaube mit zunehmender rationaler Einsicht in seine Wahrheit. Genauer gesprochen, löst sich dabei aber der Glaube offensichtlich in Wissen auf.

Diesen Standpunkt erneuert später im wesentlichen der spanische Arzt Raymundus von Sabunde, derum 1430 Lehrer der Philosophie und Medizin in Toulouse war. In seiner »natürlichen Theologie« (Theologia naturalis) spricht er von zwei Büchern, in denen der Mensch die Wahrheit lesen kann. «Natur und Offenbarung" lautet der Titel. Beide Bücher sind ihrem Inhalte nach durchaus gleich; die Methode der Lektüre dagegen ist verschieden. Hier läßt sich der Leser von der Autorität, dort von der Vernunft leiten. Das Buch der Natur aber ist die Pforte zum Buche der Offenbarung, weil jenes die Beweise für das Dasein Gottes, seine Wahr- haftigkeit sowie vor allem für die Tatsache der Offenbarung enthält. Die Glaubwürdigkeit der Offenbarung ist freilich erst durch den rationalen Nachweis bezeugt, daß es sich bei den Dogmen lediglich um Vernunftpostulale handelt. Anderseits sollen doch wieder einige Dogmen, wie die Trinität, Eucharistie, Inkarnation u. a. keine Vernunftpostulate sein. Aber dies

Verweyen, Philosophie und Theologie im Mittelalter. 5

66 Wilhelm Occam

meint Raymundus offenbar nur in dem Sinne, daß die Ver- nunft nicht aus sich zu derartigen Wahrheiten gelangt, diese vielmehr durch die Offenbarung als eine äußere Anregung zuvor kennen lernen muß, um sie darauf ihrerseits rationa- listisch zu begründen.!

Hatten wir es soeben mit Denkern zu tun, die ein starkes Vertrauen in die Kraft der menschlichen Vernunft gegenüber den geoffenbarten Lehren setzen, so kommen wir nunmehr zu einer wesentlich anders gerichteten Gruppe von Theologen.

10. Wilhelm Occam (tl347).

Occam, ein Schüler und Ordensgenosse des Duns Scotus, der Hauptvertreter des damaligen Nominalismus und Lehrer in Paris, hat sich den Beinamen eines doctor singularis und venerabilis inceptor erobert. Für seine Haltung gegen- über den geistigen Kämpfen seiner Zeit ist charakteristisch, daß er dem Papste jede direkte und indirekte Herrschaft über die wehlichen Fürsten abspricht. Im Kampfe Bonifaz VIIL gegen Philipp den Schönen stellte er sich auf die Seite des letzteren. Ebenso ergriff er später gegen Johann XII. die Partei Ludwigs des Bayern, dem er das kühne Wort entgegen- rief: Tu me defendas gladio, ego te defendam calamo.

Dieser kirchenpolitischen Selbständigkeit entspricht es, wenn Occam auch als Denker eigene, von der Tradition ab- weichende Wege geht. Schon sein nominalistischer Stand- punkt, der das Allgemeine nur in den sprachlichen Fassungen des erkennenden Geistes, nicht irgendwie in den Dingen selbst erblickt und damit den naiv-objektiven Gegenstand der Erkenntnis preisgibt, befindet sich im Gegensatze zu dem Realismus nicht nur in dessen extremer, sondern auch in der gemäßigten Form, etwa eines Thomas von Aquino.

Mit dieser Versubjektivierung des Erkenntnisprozesses verbindet Occam zugleich eine skeptische Beurteilung der

' Stöckl, 1. c. II S. 1057.

Wilhelm Occam 67

menschlichen Vernunft. Die natürhche Erkenntnis scheint ihm hinsichtlich der höchsten Fragen des Daseins zu versagen. Zwingende Gottesbeweise gibt es nicht, weder bezüglich des Daseins noch der Eigenschaften Gottes. Auch ist ein Beweis für die Nicht-Ewigkeit der Welt nicht zu erbringen: eine ewige Weltschöpfung wäre ein widerspruchsloser Begriff. Ebenso verfehlt sind nach Occam die üblichen Beweise für die Existenz einer immateriellen Seelensubstanz. Endlich ist auch kein stichhaltiger Beweis dafür zu erbringen, daß nur Gott den menschlichen Willen und seine Sehnsucht befriedigt; denn ein übernatürliches Ziel läßt sich nicht durch natürliche Vernunft begründen.

Wie Occam mit den extremen sog. Spiritualen den «natürlichen« Privatbesitz in irgendeiner Form als dem Geiste Christi zuwider bezeichnete, so sucht er auch die Kraft der natürlichen Erkenntnis zugunsten des übernatürlichen Glaubens herabzusetzen. Für den »Weisen dieser Welt, der sich nur auf die natürliche Vernunft stützt" pro sapientibus mundi et praecipue innitentibus rationi naturaH sind die Glaubenssätze nicht einmal wahrscheinlich, geschweige denn rational auflösbar. Aber gerade ihr irrationaler Charakter be- gründet die Verdienstlichkeit des Glaubens ein Gedanke, der an Tertullians Wort credo quia absurdum est anklingt.

Occams Standpunkt deckte sich nicht mit dem kirchlichen. Seine Lehrbücher wurden bereits 1339 verworfen. In dem betreffenden Dekret für die Lehrer an der Pariser Universität finden sich die für die mittelalterliche Methode der Be- kämpfung charakteristischen Sätze: »Gegen die von unseren Vorfahren gemachte Vorschrift, daß nur die von den Obern vorgeschriebenen oder sonst gewohnten Schriften gelesen werden dürfen, haben sich einige erdreistet, die Lehre des Occam vorzutragen, ob sie gleich von den Ordinarien nicht erlaubt noch sonst von uns und anderen geprüft worden ist. Darum wird dieselbe vorzutragen, wie zum Gegenstände der

68 Gerson

Disputationen zu machen oder auch nur den Occam zu zitieren, bei Strafe verboten." ^

Eine systematische Bearbeitung erfuhren Occams Werke später durch den Tübinger Theologieprofessor Gabriel Biel (t 1495), den sog. letzten Scholastiker, der auf Luther und Melanchton großen Einfluß gewann.

11. Spätere Mystiker.

Hinsichtlich seiner Wirkung auf Luther verdient unter Occams Nachfolgern auch vor allem der Mystiker Gerson (1363 1429)2 Erwähnung. Er wirft den Scholastikern eine falsche Wißbegierde (curiositas) vor. Wichtiger als philo- sophische und dialektische Streitigkeiten ist ihm die bußfertige Gesinnung. Wichtiger als die spekulative ist ihm die mystische Theologie, die den Weg zur Vereinigung des Gemütes mit Gott weist; nämlich dadurch, daß sie sich nicht auf den Verstand und seine «rationalen« Beweise, sondern auf die innere Erfahrung und ihre »irrationale" Gewißheit stützt. Sie allein gewährt Weisheit, nicht bloße Wissenschaft.

So dringt Gerson weniger auf das rational auflösbare Wissen als auf das irrationale, nicht weiter beweisbare, viel- mehr nur erlebbare unmittelbare Innewerden Gottes und gött- licher Wahrheiten. So legt er gegenüber allem Grübeln den Nachdruck auf die mystische Vereinigung der Seele mit Gott. Nicht begriffliche Erkenntnis, sondern das Schauen gewährt die höchste Einsicht und Seligkeit. Solches Schauen aber entstammt einer Erleuchtung, wie sie nur eine in glühender Liebe zu Gott entbrannte Seele erfährt, die sich von allen äußeren Zerstreuungen in ihre eigene Tiefe zu einem stillen Beisichselbstsein zurückgezogen hat.

Freilich fehlt das spekulative Moment auch bei Gerson nicht ganz. Auch er bemüht sich, die innere Erfahrung der

M. C.S. 1037; 1011, 1018, 1020 ff. ^ 1. c. S. 1080 ff.

Meister Eckhardt 69

Seele in ihrem Verkehre mit Gott auf eine begriffliche, psychologische Formel zu bringen. Er rühmt die Verbindung des Spekulativen und Mystischen vor allem an Augustinus und Bonaventura. Aber er legt den Nachdruck doch eben auf die Erlebnisse selbst und betont um so stärker die gläubige Versenkung in das Göttliche als seine verstandesmäßige Be- gründung. Anderseits spricht er doch auch dem Nachweis der Uebereinstimmung zwischen Glauben und Wissen keines- wegs alle Bedeutung ab. Ebenso fordert er mit allen Vor- gängern, daß die auf die trügerische menschliche Vernunft aufgebaute Philosophie ihre Resultate beständig prüfe an der aus göttlicher Offenbarung schöpfenden Theologie.

Während Gerson sich wie die früher erwähnten Mystiker des Mittelalters strenge in den Bahnen der Kirchenlehre hält, ist der Begründer der sog. deutschen Mystik, Meister Eckhardt (f 1329) mit ihr in Konflikt geraten. Auch er sucht mit seinen Vorläufern die mystische, nicht durch gelehrtes Wissen zu gewinnende Vereinigung der Seele mit Gott. Während aber jene die Wesens Verschiedenheit zwischen Gottheit und Mensch bei aller Innigkeit ihrer geistigen Verbindung aufrecht hielten, bedient sich Eckhardt Wendungen, die darüber hinaus- gehen und pantheistischen Charakters sind. Die Frucht des mystischen Schauens, als dessen Organ er das ungeschaffene „Seelenfünklein" bezeichnet, bedeutet nach ihm nichts Geringeres als die Geburt des Sohnes Gottes in uns. Diese kommt nur dadurch zustande, daß die Seele sich ganz von allem Aeußeren loslöst und in stiller „Gelassenheit" nur den gött- lichen Willen in sich walten läßt. „Wenn wir alle Dinge und auch uns selbst sehen als ein Nichts, dann sehen wir Gott.'' „Gott allein muß wirken; der Mensch folge nur und widerstehe nicht." So wird der Mensch erst eins mit Gott, ja geradezu Gott selbst. Es beginnt die „Vergottung" des Menschen, der in der mystischen Ekstase nicht nur filius adoptivus wird, sondern sogar filius naturalis Dei wird. Der historische

70 Johannes Tauler

Christus ist lediglich ein Ideal. Jeder Mensch soll und kann dieselbe Stufe der Qottessohnschaft erlangen wie er.

Kein Wunder, daß die Schriften und Predigten Eckhardts wegen solcher Lehren Anstoß erregten. Er wurde als Domini- kanermönch zunächst vor das Ordenskapitel in Venedig, dann 1327 vor das Inquisitionstribunal geladen, von dem er an den Papst appellierte, ohne dadurch die Verurteilung vieler seiner Lehren verhüten zu können.

Aber die von ihm verkündigten Ideen gewannen bald einen neuen Vertreter in Johannes Tauler (f 1361). Ihm gilt das »Gemüt" als der vornehmste Teil der Seele, als ihr tiefster Grund, der zugleich mit dem Urgründe des göttlichen Wesens identisch ist. Wie sich nun in den dunklen Tiefen der gött- lichen Natur durch deren Selbsterfassung die Geburt des Sohnes vollzieht, so lehrt Tauler mit Eckhardt Analoges von der mensch- lichen Seele. Auch in ihrem Grunde wird Gott geboren. Darin gipfelt alles mystische Leben, das nicht durch begriff- liches Wissen, sondern nur durch »gelassenes« Aufnehmen göttlicher Einwirkungen erlangt wird. »Das natürliche Licht der Vernunft muß ganz zu nichte werden, soll Gott eingehen mit seinem Lichte." Ja, ein völliges Nichtwissen ist die Be- dingung jener Gottesgeburt in uns. «Der Mensch soll ent- weichen allen Sinnen und einkehren alle seine Kräfte und kommen in ein Vergessen aller Dinge und seiner selbst." „Und nicht etwa bildlich ist die Geburt des Sohnes Gottes in uns zu verstehen, sondern ganz real." „Gott der Vater gebäret seinen Sohn in der Seele, nicht als die Kreaturen tun im Bilde und im Gleichnis, sondern vielmehr in aller Weise, als er ihn gebärt in der Ewigkeit, noch minder noch mehr." „Und wie der Sohn wird geboren aus dem Vater und fließt wieder in den Vater, also wird der Mensch in dem Sohn von dem Vater geboren, und fließt wieder in den Vater mit dem Sohn und wird Eins mit ihm."

Heinrich Suso. Johannes Ruysbroek 71

Aehnlich die übrigen „deutschen Mystiker", wie Heinrich Suso (tl365), Johannes Ruysbroek (f 1381) der indes die Wesens Verschiedenheit zwischen Gott und dem mystisch sich mit ihm vereinigenden Menschengeiste festhält und nicht zuletzt der unbekannte Verfasser der wieder stark pan- theistisch, aber auch zugleich ethisch-dualistisch gefärbten sog. „deutschen Theologie", deren erste gedruckte Ausgabe aus dem Jahre 1516 von Luther stammt. „Wer Gott leiden will und soll heißt es darin - , der muß und soll alle Dinge leiden, das ist: Gott, sich selber und alle Kreatur, nichts ausge- nommen; und wer Gott gehorsam, gelassen und Untertan sein soll und will, der muß und soll auch allen Dingen ge- lassen, gehorsam und unteran sein in leidender Weise und nicht in tätiger Weise, und dies Alles in einem schweigenden Innebleiben in dem inwendigen Grund seiner Seele und in einer heimlichen, verborgenen Geduldigkeit, alle Dinge oder Widerwärtigkeit williglich zu tragen und zu leiden und in allen diesen Dingen keinen Behelf noch Entschuldigung noch Widerrede oder Rache zu tun oder zu begehren, sondern allezeit in einer lieblichen wahren Demütigkeit zu sprechen: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Solche demütige Gelassenheit allem Geschehen gegenüber be- zeichnet auch die „deutsche Theologie" als die notwendige Bedingung jener uneigennützigen Liebe, durch die sich die Seele mystisch mit Gott verbindet. Diese Vereinigung kommt darin zum Ausdruck, ,,daß man lauterlich und ein- fältiglich und gänzlich in der Wahrheit einfältig sei mit dem einfältigen ewigen Willen Gottes oder zumal ohne Willen sei, und daß der geschaffene Wille geflossen sei in den ewigen Willen und darin verschmolzen sei und zu nichte geworden sei also, daß der ewige Wille allein daselbst wolle, tue und lasse". Darin besteht das Wesen der „Vergottung des Menschen".

So spinnen sich die historischen Fäden von der deutschen Mystik hinüber zu Luther und gewinnen einen wesentlichen

72 Zusammenfassung

Anteil an der reformatorischen Lösung unseres Problems. Sind es doch gerade die deutschen Mystiker, welche das in der Scholastik weit höher geschätzte Wissen immer mehr hintan- setzen zugunsten der gemütvollen Hingabe an das Göttliche. Und wenn wir in der protestantischen Theologie des 19. Jahr- hunderts - bis hinein in unsere Tage - die „innere Erfah- rung", das „religiöse Erlebnis" als besondere Erkenntnis- quelle preisen hören, so erkennen wir darin sogleich den Geist jener Mystiker wieder, die wir soeben an unserem Auge vor- überziehen sahen. Doch bevor wir hierauf näher eingehen, wollen wir einen zuzammenfassenden Rückblick auf die bis- herigen Ausführungen werfen.

12. Zusammenfassung.

Unter den Stellungen, die mittelalterliche Denker zu dem Probleme von Glauben und Wissen, d. h. zu dem Verhältnis von Vernunft und Offenbarung, Philosophie und Theologie einnehmen, trafen wir drei verschiedene Gruppen an.

Wir begegneten erstens dem Bestreben, alle Dogmen in Vernunftpostulate aufzulösen; so bei Eriugena, Abaelard, Lullus, Raymund von Sabunde. Es ist der Standpunkt eines Rationalismus, der mit derVernunft alle Offenbarungslehren glaubt einsehen zu können und folglich dem von der Kirche gelehrten „übervernünftigen" Charakter vieler Dogmen nicht gerecht wird.

Nicht so radikal war zweitens der Versuch, nur einige Dogmen durch das Licht der natürlichen Vernunft aufzuhellen, ohne den absoluten Geheimnis-Charakter anderer anzutasten. Anseimus, Albertus Magnus und vor allem Thomas von Aquino waren Vertreter dieser - prinzipiell von der Kirche aner- kannten — Richtung. Auch Scotus gehörte zu ihnen, obschon sich zu den üblichen „Beweisen" seiner Vorgänger, wie wir sahen, sehr kritisch stellte.

In dieser Richtung gingen dann drittens Spätere derart weiter, daß sie schlechthin den irrationalen Charakter aller

Petrus Pomponatius 73

Glaubenslehren festhielten, ohne irgendein Dogma als Vernunft- postulat begreifen zu wollen. So Occam, Biel und spätere Mystiker.

Demnach befindet sich der thomistische Lösungs- versuch in der Mitte zweier Extreme, von denen das erste extrem-rationalistisch dem Wissen, das zweite extrem- antirationalistisch oder irrationalistisch dem Glauben eine ein- seitig dominierende Stellung anweisen.

Diese mittlere Richtung - man hat sie wohl als einen Sem i rati 0 na lism US bezeichnet- ist von der katholischen Kirche offiziell anerkannt worden. Anders ausgedrückt: Die Stellung des „Fürsten der Scholastiker" Thomas von Aquino zu unserem Problem bedeutet prinzipiell zugleich dessen katholische Lösung.

Gegenüber irrigen Vorstellungen die noch immer nicht ganz ausgestorben sind zunächst der Hinweis darauf, daß die katholische Kirche niemals das Prinzip der sog. »doppelten Wahrheit« anerkannt hat. Wenn Thomas von duplex veritas redet, so versteht er darunter, wie wir uns überzeugten, etwas wesentlich anderes als Averroes (wenigstens so wie Thomas diesen arabischen Denker inter- pretiert). Das «averoistische" Prinzip der doppelten Wahrheit aber wurde bereits 1270 durch Bischof Templer von Paris und 1275 durch Papst Johann XXI. verworfen. Als dann später der berühmte Lehrer zu Padua und eifrige Verfechter des Aristotelismus Petrus Pomponatius (1462 1525) aus- drücklich die Lehre vertrat, es könne in der Philosophie falsch sein (wie die Annahme der persönlichen Unsterblichkeit, der Wunder und der Willensfreiheit), was in der Theologie wahr sei und umgekehrt da wandte sich 1512 das Lateran- Konzil abermals gegen einen solchen Dualismus: eine Wahrheit könne der anderen nicht widersprechen; daher müsse jede dem Glauben entgegengesetzte Behauptung notwendig falsch sein. ^

^ Quumque verum vero minime contradicat, omnem assertionem veritati illuminatae fidei contrariam omnino falsam esse defendimus.

Con,c. Lat. 1512, V, sessio VIII.

74 Petrus Pomponatius

Um nunmehr unsere Untersuchung auf den lebendigen Ton der Gegenwart zu stimmen, dürfen wir vor allem nicht die folgenden päpstlichen Kundgebungen übergehen, durch welche die thomistische Lösung des Problems noch in unserer Zeit direkt oder indirekt ihre kirchliche Approbation gefunden hat.

Thomas von Aquinos kirchliche Bestätigung 75

III. Thomas von Aquinos kirchliche Bestätigung.

1. In dem berühmten Sy Ilabus vom 8. Dezember 1864 hat Pius IX. die «hauptsächlichsten Irrtümer unserer Zeit« verurteilt. ^ Unter ihnen finden sich manche Sätze, die mit unserem Thema in engstem Zusammenhange stehen. Verworfen werden z. B. folgende Thesen, deren kontradik- torischer (nicht konträrer) Gegensatz dann - wie noch immer nicht allen über diese Dinge Redenden und Schreibenden geläufig ist die katholische Lehre bedeutet. Als Irrtümer werden Sätze bezeichnet wie diese: „Alle Wahrheiten der Religion fließen aus der natürlichen Kraft der menschlichen Vernunft (ex nativa humanae rationis vi); daher ist die Vernunft die vorzüglichste Norm (princeps norma), wonach der Mensch die Erkenntnis aller Wahrheit jeglicher Art sich erwerben kann und soll." (Nr. 4.) „Der christliche Glaube widerspricht der menschlichen Vernunft und die göttliche Offenbarung nützt nicht allein nichts, sondern sie schadet auch der Vervollkommnung des Menschen." (Nr. 6.) „Die in der heiligen Schrift mitgeteilten und erzählten Prophe- zeiungen und Wunder sind Erfindungen von Dichtern, und die Geheimnisse des christlichen Glaubens sind die Zusammen- fassung von philosophischen Forschungen; in den Büchern beider Testamente sind mythische Erfindungen enthalten, und Jesus Christus selbst ist eine mythische Erdichtung." (Nr. 7.)

^ Vgl. L. K. Götz, Der Ultramontanismus als Weltanschauung auf Grund des Syllabus. Bonn 1905. Ferner die Gegenschrift dazu von F. Heiner, Der Syllabus in ultramontaner und antiultramontaner Be- leuchtung. Mainz 1905.

76 Syllabus Pius IX

„Alle Dogmen der christlichen Religion ohne Unterschied sind ein Gegenstand der natürlichen Wissenschaft oder der Philo- sophie; und die bloß historisch gebildete menschliche Vernunft kann aus ihren eigenen natürlichen Kräften und Prinzipien zu der wahren Erkenntnis in betreff aller, auch der dunkleren Dogmen gelangen, wofern nur diese Dogmen der Vernunft selbst als Objekte vorgelegt werden." (Nr. 9.)

„Da etwas anderes der Philosoph und etwas anderes die Philosophie ist, so hat jener das Recht und die Pflicht, sich der Autorität, welche er selbst für die wahre erkannt hat, zu unterwerfen; aber die Philosophie kann und darf sich keiner Autorität unterwerfen." (Nr. 10.) ^ „Die Kirche muß sich nicht allein niemals gegen die Philosophie wenden, sondern muß auch die Irrtümer der Philosophie dulden und es ihr überlassen, sich selbst zu korrigieren." (Nr. 11.) „Die Philosophie muß ohne Rücksicht auf die über- natürliche Offenbarung betrieben werden." (Nr. 14.)

Bringen wir diese Verurteilungen auf einen kurzen Aus- druck, so können wir sagen: es wird darin 1. die Gleich- berechtigung der Vernunft mit der Offenbarung als Erkenntnis- quelle abgelehnt; vielmehr 2. die Unterordnung der Philo- sophie unter die Offenbarung im Kollisionsfalle gefordert. Es wird 3. gegenüber dem Rationalismus der übernatürliche Ur- sprung der katholischen Religion behauptet und 4. der Versuch, alle Dogmen aus bloßer Vernunft zu konstruieren, zurückge- wiesen. Alle diese Punkte aber bedeuten eine Rechtfertigung der Stellung, die Thomas von Aquino zu dem Probleme einnimmt.

^ Vgl. das die katholische Lehre über diesen Punkt enthaltende, gegen Günther gerichtete Breve Pius IX. vom 15. Juni 1857 an den Fürstbischof von Breslau (zitiert in der im folgenden zu be- sprechenden Modernismus-Enzyklika § 10): „Es kommt der Philosophie in allem, was die Religion angeht, nicht zu zu befehlen, sondern zu gehorchen, nicht vorzuschreiben, was zu glauben ist, sondern es mit vernünftigem Gehorsam zu erfassen, nicht die Tiefe der Geheimnisse Gottes zu durchforschen, sondern sie in aller Frömmigkeit zu verehren."

Encyclica Aeterni Patris 77

2. Die Encylcica Aeterni Patris, die Leo XIII. am 4. August 1879 in die Welt sandte, bedeutet eine weitere autoritative kirchliche Empfehlung des Aquinaten im allgemeinen und seiner Lehre über das Verhältnis von Philosophie und Theologie im besonderen.^

Weil nach den Worten des Apostels Paulus (Coloss. II, 8) - heißt es in der Einleitung - „durch Weltweisheit und leeren Trug die Gemüter der Christgläubigen häufig getäuscht und die Reinheit des Glaubens in den Menschen verletzt wird, darum haben die obersten Hirten der Kirche immerdar es für ihre Amtspflicht erachtet, auch die wahre Wissenschaft mit allen Kräften zu fördern, und zugleich mit besonderer Wachsamkeit dafür zu sorgen, daß alle menschlichen Wissen- schaften überall der Regel des katholischen Glaubens gemäß gelehrt würden, besonders aber die Philosophie, von welcher nämlich zum großen Teile der richtige Bestand der übrigen Wissenschaften abhängt." „Allerdings" lautet dann aber die bedeutsame Einschränkung „schreiben wir der menschlichen Philosophie nicht einen so großen Einfluß und solches Ansehen zu, daß wir dafür hielten, sie sei hinreichend, alle Irrtümer zu überwinden und auszurotten. Vielmehr besteht die Aufgabe der Philosophie man glaubt des Clemens von Alexandrien Wort über den Uaidaycoyog eig Xqiozov oder eben Thomas von Aquino über die ,praeambula fidei' zu hören vor allem darin, den ,Weg zum Glauben' zn weisen, , Erzie- herin zum Evangelium' zu sein. Dabei ,ergibt sich zunächst als große und herrliche Frucht des Gebrauches der mensch- hchen Vernunft der Beweis für das Dasein Gottes; aus der Größe der Schönheit der Geschöpfe kann man schlußweise den Schöpfer erkennen . . . (d. h.) die Wahrheit selbst, welche nicht getäuscht werden noch täuschen kann. Hieraus folgt augenscheinlich, daß die menschliche Vernunft dem Worte

^ Die autorisierten Ausgaben der päpstlichen Rundschreiben (la- teinischer und deutscher Text) erscheinen bei Herder, Freiburg i. B.

78 Encyclica Aeterni Patris

Gottes die höchste Glaubwürdigkeit und Autorität zuerkennt. In gleicher Weise erklärt sie, daß die evangelische Wahrheit durch wunderbare Zeichen (mirabilia signa) zum gewissen Beweise der gewissen Wahrheit schon seit ihrem Ursprung hervorgeleuchtet hat, und daß darum alle, welche dem Evan- gelium glauben, nicht unbesonnen glauben, als ob sie gelehrten Fabeln folgten, sondern in vollständig vernunftgemäßem Gehorsam ihren Geist und ihr Urteil der göttlichen Autorität unterwerfen. Auch das ist offenbar von nicht geringerem Be- lange, daß die Vernunft augenscheinlich beweist (quod ratio in perspicuo ponat), daß die von Christus eingesetzte Kirche (wie die Kirchenversammlung vom Vatikan festsetzte) wegen ihrer wunderbaren Ausbreitung, hervorragenden Heiligkeit und unerschöpflichen Fruchtbarkeit, die sie allenthalben entfaltet, wegen der katholischen Einheit und unüberwindlichen Festig- keit ein großer und fortdauernder Beweggrund der Glaubwürdigkeit ist (magnum quoddam et perpetuum mo- tivum credibilitatis) und ein unwidersprechliches Zeugnis ihrer göttlichen Sendung (divinae suae legationis testimonium irrefragabile)."

Ferner ist die Philosophie berufen, als Instrument der Theologie die Offenbarungslehren zu einem organischen Ganzen zu verbinden und sie gegen Angriffe zu verteidigen. „In dieser Beziehung verdient die Philosophie großes Lob, da sie als eine Schutzwehr des Glaubens und ein festes Bollwerk 4er Religion gilt". Freilich nur so lange, als die menschliche Vernunft „im Bewußtsein ihrer Schwäche es nicht wagt, sich über ihre Schranken zu erheben noch diese Wahrheiten zu leugnen, noch sie mit ihrem eigenen Maße zu messen, noch nach Willkür zu erklären; vielmehr soll sie dieselben mit vollem und demütigem Glauben annehmen, und es sich zur höchsten Ehre rechnen, daß sie gleich einer Dienerin den himmlischen Lehren nachfolgen (in morem ancillae et pedisequae famulari caelestibus doctrinis), ihnen ihre Dienste

Encyclica Aeterni Patris 79

leisten und von ihnen durch Gottes Gnade einigermaßen ein Verständnis gewinnen darf." Zwar hat die Philosophie man beachte besonders diesen oft übersehenen Grundsatz ihre eigenen, von der Theologie verschiedenen „Methoden, Prinzipien und Beweise"; dennoch muß sie ihre Resultate beständig an der Offenbarung orientieren. Dies tut wenigstens der „katholische Philosoph" (philosophius catho- licus, den die Encyclica ausdrücklich fordert); ein solcher ist überzeugt, „daß er die Rechte des Glaubens und der Vernunft zugleich verletzt, wenn er einen Satz annimmt, von dem er weiß, daß er der Offenbarung widerspricht". „Jene philosophieren daher am besten, welche das Studium der Philosophie mit der Hingabe an den christlichen Glauben verbinden, in dem der Glanz der göttlichen Wahrheiten, welche die Seele durchdringt, auch die Intelligenz selbst erhebt und sie in ihrer Würde nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern dieselbe vielmehr in hohem Grade adelt, schärft und kräftigt."

Es folgt ein historischer Rückblick auf die Apologeten der alten christlichen Kirche, die Glauben und Wissen in der „richtigen" Form zu vereinigen wußten. Vor allem aber werden die mittelalterlichen Scholastiker gepriesen und unter ihnen eben in erster Linie Thomas von Aquino, von dem gerühmt wird: „Es gibt kein Gebiet der Philosophie, das er nicht scharf- sinnig und zugleich gediegen behandelt hätte; seine Unter- suchungen über die Gesetze des Denkens, über Gott und die unkörperlichen Substanzen, über den Menschen und die übrigen sinnlichen Dinge, über die menschlichen Handlungen und ihre Prinzipien sind derart, daß in ihnen sowohl eine Fülle von Stoff als passende Anordnung der Teile, die zweckmäßigste Methode, Sicherheit der Grundsätze und Kraft der Beweise, Klarheit und Genauigkeit im Ausdruck wie nicht minder eine Leichtigkeit sich findet, auch das Dunkelste aufzuhellen." Und weiter - gerade mit Rücksicht auf unser Problem: Indem er genau, wie es sich gebührt, zwischen Vernunft und Glaube unter-

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schied, beide aber in einem Freundschaftsbunde einte, hat er sowohl die Rechte beider gewahrt, als für beider Würde Sorge getragen, so zwar, daß die Vernunft, auf den Flügeln des heiligen Thomas zu ihrer höchsten menschlichen Vollendung emporgetragen, nun kaum mehr höher zu steigen vermag, noch der Glaube von der Vernunft kaum weitere oder triftigere Beweise fordern kann, als er schon durch Thomas erlangt hat."

Zum Schlüsse warnt die Enzyklika vor jener verderblichen «neuen Methode ohne Rücksicht auf den Glauben zu philosophieren", wie sie im 16. Jahrhundert anhob, und fordert statt dessen eine »gesundere und dem kirchlichen Glauben mehr entsprechende Lehre (sanior et magisterio Ecclesiae conformior doctrina), wie sie die Werke des heiligen Thomas von Aquino enthalten«.

Fassenwirzusammen,so weist auch die soeben erörterte Encyclica Aeterni Patris der Vernunft die gleiche prinzipielle Aufgabe und empfiehlt die gleichen Beweise für die Wahrheit der Kirche wie Thomas. Und ebenso hat der gegenwärtige Papst Pius X. durch mehrere Erlasse die Autorität und Grund- sätze des Aquinaten unserer Zeit aufs neue einzuschärfen gesucht. In der Enzyklika vom 4. Oktober 1903 wendet sich Pius X. gegen die „lügnerische Wissenschaft" der modernen Exegese, die im Namen des historisch -kritischen Wissens die Urkunden des Glaubens zu untergraben drohe. Gegen denselben Feind wendet sich

3. der sog. „neue Syllabus" oder das Decret Lamen- tabili Pius X. vom 4. Juli 1907. ^ Er stellt in der Einleitung die „betrübende" Tatsache fest, „daß es auch unter den Katho- liken gar nicht wenige Schriftsteller gibt, welche die von den Vätern und von der Kirche selbst gezogenen Grenzlinien über-

^ Vgl. Anton Michelitsch, Der biblisch - dogmatische Syllabus Pius X. samt der Enzyklika gegen den Modernismus.

Graz und Wien 1908.

Neuer Syllabus Pius X 81

schreiten und unter dem Vorwande historischer Betrach- tungsweise einen solchen Fortschritt der Dogmen suchen, der in Wahrheit deren Zerstörung ist".

Dann werden Sätze verworfen wie diese: „Das kirchliche Gesetz, welches vorschreibt, Bücher über die Heilige Schrift einer vorausgehenden Zensur zu unterbreiten, erstreckt sich nicht auf die Vertreter der Bibelkritik und der wissenschaft- lichen Exegese der Bücher des Alten und Neuen Testaments." (Nr. 1). „Die Kirche kann, wenn sie Irrtümer verwirft, von den Gläubigen nicht eine innere Zustimmung zu diesem ihren Urteil verlangen." (Nr. 7.) „Von aller Schuld frei sind jene zu erachten, welche über die Verurteilungen der heiligen Kongregation des Index oder der anderen heiligen römischen Kongregationen sich hinwegsetzen." (Nr 8.)

Verurteilt wird ferner die Leugnung der sogenannten Inspiration d. h. des übernatürlichen Eingreifens Gottes bei der Entstehung der alt- und neutestamentlichen Schriften. Die Inspiration muß selbst dem Exegeten immer als unantastbare Glaubensüberzeugung gegenwärtig sein. Als irrig bezeichnet darum der Syllabus den entgegengesetzten Satz: „Der Exeget muß, wenn er den biblischen Studien mit Nutzen obliegen will, vor allem jede vorgefaßte Meinung von einem über- natürlichen Ursprung der Heiligen Schrift beiseite lassen und diese nicht anders auslegen als wie die übrigen rein menschlichen Urkunden." (Nr. 12.)

Festgehalten wird der alte Begriff der transzendenten „göttlichen Offenbarung" gegenüber einer immanenten, rein „natürlichen" Entwicklung des religiösen Bewußtseins der Menschheit; darum verworfen die These: „Die Offenbarung konnte nichts anderes sein als das vom Menschen erworbene Bewußtsein über seine Beziehungen zu Gott." (Nr. 20.)

Gegenüber allen Versuchen, die (früher im Anschluß an Thomas von Aquino erörterten) sog. praeambula fidei d. h. die philosophisch-historischen Wissensgrundlagen des Glaubens

Verweyen, Philosophie und Theologie im Mittelalter. 6

82 Encyclica Pascendi gregis Dominici Pius X

zu bloßen Wahrscheinlichkeiten bezw. Unwahrscheinlichkeiten zu verflüchtigen, wird der Satz verurteilt: „Die Glaubens- zustimmung stützt sich schließlich und endlich auf eine Reihe von Unwahrscheinlichkeiten." (Nr, 25.)

Besondere Aufmerksamkeit erregte endlich wie noch hinzugefügt sei die Verwerfung der 58. These: „Die Wahrheit ist nicht mehr unveränderlich als der Mensch selbst, da sie ja mit ihm, in ihm und durch ihn sich entwickelt." Eine Verurteilung, der im Prinzip jeder beipflichten wird, für den die Wahrheit als Idee jeder Zeitlichkeit und insofern jeder Veränderlichkeit entrückt ist. Etwas anderes ist freilich die jeweilige Erfassung dieser Idee durch den Menschen. Insofern kennt auch die kirchliche Lehre eine „Entwicklung" der Wahr- heit, die sie freilich in wesentlichen Punkten durch die Dogmen ein für allemal festgelegt hat. Nur die immer schärfere und allseitigere geistige Verarbeitung des dogmatischen Lehrinhaltes bedeutet darum vom kirchlichen Standpunkte aus „Ent- wicklung der Wahrheit" wenigstens insoweit religiöse Erkenntnisse in Frage kommen.

Von den 65 Sätzen dieses neuen „Syllabus" Pius X. sind nicht weniger als 30 den Werken des in den letzten Jahren vielgenannten französischen Forschers Loisy entnommen, der Professor der Exegese am Institut Catholique zu Paris war. Bereits am 4. Dezember 1903 waren 5 seiner Schriften auf den Index gesetzt worden, nämlich: La Religion d'Israel; L'Evangile et l'Eglise; Etudes evangeliques; Autour d'un petit livre; Le quatrieme Evangile.

4. Einige Monate nach Erscheinen des Syllabus erließ Pius X. am 8. September 1907 die viel erörterte Encyclica Pascendi gregis Dominici kurzweg als Enzyklika gegen den sog. Modernismus bekannt (de Modernistarum doctrinis, wie es im Urtext heißt).

Unter „Modernisten" sind darin nicht etwa „moderne" Gegner der Kirche verstanden, die nicht zu ihr gehören, viel-

Encyclica Pascendi gregis Dominici Pius X 83

mehr die weit gefährlicheren, weil versteckteren „Feinde im eigenen Hause", d. h. „die große Anzahl katholischer Laien, und was noch mehr zu bedauern ist, katholischer Priester, die unter dem Vorgeben der Liebe zur Kirche, ohne solide philo- sophische und theologische Vorbildung, dafür aber bis ins Mark vom Gifte eines Irrtums durchtränkt, das sie bei den Gegnern des katholischen Glaubens geschöpft haben, sich höchst un- bescheiden zu Kirchenreformern aufwerfen, sich in keckem Ansturm an alles wagen, auch an das Heiligste, an Christi Werk, die nicht einmal vor der Person des göttlichen Erlösers haltmachen und ihn sakrilegisch zu einem ganz gewöhnlichen Menschen herabsetzen". 2.)

Als Charakteristikum der „modernistischen Philo- sophie" werden dann bezeichnet der „Agnostizismus", der die menschliche Vernunft auf den Kreis der sichtbaren Erscheinungen beschränke und die Möglichkeit einer „natürlichen Theologie", also auch einer metaphysischen Gotteserkenntnis und damit auch die Möglichkeit einer Offenbarung im transzendenten Sinne bestreite 4); ferner der Standpunkt der „vitalen Immanenz" (immanentia vitalis), der an Stelle der äußeren Offenbarung die innere im Menschen setze, wie sie in dem religiösen Gefühl, dem „Bedürfnis nach dem Göttlichen" (in- digentia divini) wurzele. „Dieses Gefühl hat das an sich, daß es Gott als Gegenstand und als innerste Ursache in sich schließt und gewissermaßen den Menschen mit Gott eint. Dieses Gefühl ist für den Modernisten der Glaube und der so ver- standene Glaube der Beginn der Religion." 5.) „Das reli- giöse Gefühl, das auf diese Weise mittels vitaler Immanenz aus den Tiefen des Unterbewußtseins hervorsprudelt, ist der Keim jeglicher Religion, wie es der Grund alles dessen ist, was in irgendeiner Religion war oder jemals sein kann. Dunkel, beinahe ungestaltet im Ursprung, hat dieses Gefühl sich fortschreitend entwickelt unter dem geheimen Einfluß des Prinzips, das ihm das Sein gab und im gleichen Schritt mit

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84 Encyclica Pascendi gregis Dominici Pius X

dem menschlichen Leben, von dem es, wie gesagt wurde, eine Form bildet. So entstanden alle Religionen, die über- natürlichen Religionen eingeschlossen. Alle sind sie nichts als Ausflüsse dieses Gefühls.'' 6.) Aber auch der Ver- stand hat nach den Modernisten einen Anteil an dem Akte des Glaubens; denn sie fordern, der Mensch solle seinen „Glauben denken". „Der Verstand kommt also dem Gefühl zu Hilfe, neigt sich gewissermaßen über dasselbe, arbeitet darin nach Art eines Malers, der auf einer alten Leinwand die ver- blichenen Linien der Zeichnung wiederfindet und sie auf- frischt." (§ 7.) So entstehen dann die religiösen Dogmen als ein intellektueller Niederschlag des in beständiger „Evolution" befindlichen religiösen Gefühls (des sensus religiosus). Dogmen bedeuten den Modernisten nichts weiter als Symbole (symbola, imagines veritatis) der durch das religiöse Gefühl ergriffenen Wahrheit, nicht aber die absolute Wahrheit selbst.

So setzen die Modernisten im Unterschiede von den Rationalisten und zugleich in Uebereinstimmung mit «der Lehre der Protestanten und Pseudomystiker« an Stelle der intellektuellen Grundlage des Glaubens wie sie in der Er- kenntnis Gottes und der Tatsache seiner Offenbarung von dem Vatikanischen Konzil aufs neue im Anschluß an die kirchlich- approbierten mittelalterlichen Denker festgelegt wurde - eine gefühlsmäßige; an Stelle des beweisenden Verstandes das schauende religiöse Gefühl, eine gewisse Intuition des Herzens (in sensu religioso quendum esse agnoscendum cordis in- tuitum) 9) ; an Stelle der überindividuellen Verstandes- erkenntnis die individuelle Erfahrung, das persönliche innere «Erlebnis« (privata cuisque hominis experientia).

Es leuchtet ein, daß damit die alleinige Wahrheit der katholischen Religion im Keime preisgegeben wird. Darum fragt die Enzyklika - von ihren Voraussetzungen aus mit Recht: „Trifft man nicht in allen Religionen Erfahrungen dieser Art? . . . Mit welchem Rechte könnten also die Modernisten

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den religiösen Erfahrungen ihre Wahrheit bestreiten, die man z. B. in der mohamedanischen Religion macht? Und auf welche Prinzipien könnten sie sich stützen, um den Katho- liken allein das Monopol der wahren Erfahrungen zu- zuschreiben?" (§ 9).

Aus den Praemissen ergibt sich nun auch die Stellung der Modernisten zu dem Verhältnis von Glauben und Wissen. „Zunächst sind ihre Objekte untereinander vollkommen fremd, eines gegen das andere abgeschlossen. Objekt des Glaubens ist nämlich nur das allein, was die Wissenschaft für sich als unerkennbar erklärt. Daher zwei ganz verschiedene Gebiete. Die Wissenschaft kümmert sich nur um die Er- scheinungen, der Glaube hat mit ihnen nichts zu tun. Der Glaube geht ganz auf das Göttliche, über welches die Wissen- schaft ganz und gar nichts weiß. Daraus schließt man, daß zwischen Wissenschaft und Glauben ein Streit unmöglich sei: denn wenn jeder Teil in seinem eigenen Hause bleibe, könne niemals einer auf den anderen stoßen, beide sich also auch niemals widersprechen. . . . Die Frage (beispielsweise), ob Jesus wirklich Wunder getan und wahrhaftige Prophezeiungen ausgesprochen, ob er auferstanden und in den Himmel auf- gefahren sei, wird die agnostische Wissenschaft mit ,Nein', der Glaube mit ,Ja' beantworten. Daraus wird aber durchaus kein Kampf zwischen beiden entstehen. Die Verneinung kommt von dem Philosophen, der zu Philosophen spricht und Jesus Christus nur nach der geschichtlichen Realität ins Auge faßt. Die Bejahung kommt von dem Glaubenden, der sich an Glaubende wendet und der das Leben Jesu Christi aufs neue durch den Glauben und in dem Glauben erlebt an- sieht." (§ 10.)

Wenn aber die Modernisten von lieber- oder Unter- ordnung zwischen Glauben und Wissen reden, dann fordern sie, „daß die religiöse Evolution sich in Uebereinstimmung zu setzen hat mit der intellektuellen und moralischen Evo-

86 Motu proprio vom 18. Nov. 1907 und 1. Sept. 1910

lution". „Also gegenüber dem Glauben schrankenlose Freiheit der Wissenschaft; demgegenüber, gleichviel, ob man beide als einander ganz fremd hingestellt hat, Unterjochung des Glaubens unter die Wissenschaft." 10.) Offensichtlich ein Standpunkt, der dem der Kirche und des von ihr approbierten Thomas von Aquino gerade entgegengesetzt ist. Fordern diese doch gerade im Kollisionsfalle die Unterordnung des menschlichen Wissens unter den auf göttlicher Offenbarung beruhenden Glauben!

5. In einem Motu proprio vom 18. November 1907 hat Pius X. dem Syllabus wie der Enzyklika eine weitere autoritative Bestätigung verliehen und endlich in dem praktisch bedeutsamen iMotu proprio vom 1. September 1910 „Gesetze zur Abwehr der Modernistengefahr" erlassen. Darin heißt es z. B.: „Unter der scholastischen Philosophie, die Wir vorschreiben, verstehen Wir in erster Linie die Philosophie, wie sie Thomas von Aquino gelehrt hat, was Wir haupt- sächlich betonen. Alles, was darüber von Unserem Vorgänger verfügt wurde, soll auch unter Unserer Regierung in Kraft bleiben, und wo es nötig ist, erneuern und bekräftigen Wir dasselbe und gebieten dessen genaue und allgemeine Beobach- tung. Wo in den Seminarien diese Vorschriften nicht beachtet worden sind, werden die Bischöfe ihre Befolgung künftighin einschärfen und durchsetzen. Das Gleiche schreiben Wir den Leitern der religiösen Orden vor. Die Lehrer aber mahnen Wir ernstlich, sich an den Grundsatz zu halten, daß vom Aquinaten, besonders in metaphysischen Dingen, auch nur wenig abzuweichen, nie ohne großen Schaden ist." „Mehr als zuvor muß heute der positiven Theologie Beachtung geschenkt werden, doch darf dadurch die scholastische Theologie nicht geschädigt werden, und jene alle, welche die positive Theologie mit Geringschätzung der scholastischen anpreisen, sind wie Parteigänger der Moder- nisten zu tadeln."

Motu proprio vom 18. Nov. 1907 und 1. Sept. 1910 87

Es folgen praktische Maßnahmen im einzelnen. Den Bischöfen wird die Pflicht eingeschärft, „die Lesung von Schriften der Modernisten und Büchern, welche modernistischen Geist verraten oder den Modernismus befördern, zu verhindern, wenn sie schon herausgegeben sind, oder die Herausgabe zuvor zu verhindern. Desgleichen sollen alle Bücher, Zeitungen, Zeitschriften dieser Art den Jünglingen in den Seminarien und den Hörern an den Universitäten verboten bleiben."

Um aber vor allem das Erscheinen solcher Bücher zu verhindern, sollen vin allen bischöflichen Kanzleien offizielle Zensoren zur Prüfung herauszugebender Schriften bestellt werden. . . . Katholische Zeitungen und Zeitschriften sollen, soweit es möglich ist, ihren bestimmten Zensor haben. Diesem obliegt die Pflicht, die einzelnen Blätter oder Hefte, nachdem sie erschienen sind, ganz und aufmerksam durchzulesen. Findet sich ein gefährlicher Satz, so soll er im nächsten Blatt oder Heft eine Berichtigung fordern.«

Um aber diesen Verordnungen die entsprechende Durch- führung zu sichern, soll »in jeder Diözese ein Rat bewährter Priester aus dem Welt- und Ordensklerus eingesetzt werden, dessen Pflicht es ist, Umlauf, Verbreitung und Ver- breitungsweise neuer Irrtümer wachsam festzustellen und den Bischof davon zu unterrichten. In Beratung mit ihnen soll dann der Bischof die Maßregeln treffen, welche dieses Uebel schon in seinem Entstehen ersticken lassen, daß es nicht zum Verderben der Seele immer weiter greift und, was noch schlimmer ist, mit der Zeit sich fest einlebt und aus- wächst. — Wir beschließen daher, daß ein solcher Rat, den Wir die Aufsichtsbehörde (consilium quod a vigilantia dici placet) nennen wollen, sobald als möglich in jeder Diözese errichtet werde.« Außerdem sollen «alle Lehrer, bevor sie im Beginn des Studienjahres ihre Vorlesungen aufnehmen, dem Bischof die Abfassung dessen vorlegen, was sie als Gegenstand des Unterrichts behandeln wollen, oder die Gegen-

88 Modernismus

stände ihrer Abhandlungen oder die Thesen; dann soll im Verlauf des Jahres die Lehrweise jedes Dozenten zur Kenntnis genommen werden; weicht sie von der gesunden Lehre (a sana doctrina) ersichtlich ab, dann soll der Dozent sofort entfernt werden. Endlich müssen sie außer dem Glaubensbekenntnis ihrem Bischof nach der untenstehenden Formel einen Eid leisten und mit ihrem Namen unterzeichnen."

Hiermit wären wir bei dem vielbesprochenen und viel- gescholtenen sog. Antimodernisteneid angelangt, von dem im Verlauf der folgenden Darstellung genauer die Rede sein soll. Zuvor noch einige überleitende Ausführungen.

Es ist überaus lehrreich, sich die besprochenen päpst- lichen Kundgebungen aus der letzten Zeit zu vergegenwärtigen, um zu erkennen, mit welcher Beharrlichkeit die katholische Kirche die mittelalterlichen Grundsätze über das prinzipielle Verhältnis von Philosophie und Theologie, von Glauben und Wissen festhält. Wir begegneten bei dieser Uebersicht sogar ganz gleichlautenden Wendungen wie bei den Theologen des Mittelalters oder gar des christlichen Altertums. Dieselben Grundsätze wie damals sind noch heute in der katholischen Theo- logie wirksam, nur in veränderter Anwendung eben auf „die hauptsächlichsten Irrtümer unserer Zeit" (wie wir im Syllabus Plus IX. hörten), auf die Irrungen des „Modernismus" (wie es in der Enzyklika Pius X. hieß).

An dieser Stelle sei mit Rücksicht auf nicht seltene Miß- verständnisse nachdrücklich vor einer zu weiten Fassung des Begriffs „Modernismus" gewarnt. Es wäre historisch unbe- rechtigt und würde nur der Verwirrung dienen, wollte man darunter etwas anderes verstehen, als die gegen ihn gerichtete Enzyklika beabsichtigt. Diese aber nennt einen „Modernisten" keineswegs jeden „Irrlehrer", sofern er etwa in „modernem" Gewände auftritt etwa als „Josephiner, Gallicaner, Febro- nianer, Amerikanist, Traditionalist, Ontologist, Arianer, Pela- gianer, Rationalist, Altkatholik" usw. Sondern im Sinne jener

Modernismus 89

Enzyklika Modernist sein „heißt bestreiten, daß es irgendeine religiöse Erkenntnis gebe, die mit der Wirklichkeit überein- stimmt, heißt jede wahre unveränderliche und überall gültige religiöse Wahrheit in Abrede stellen, heißt behaupten, Gott und die ganze überweltliche Wahrheit könne in keinem, auch nicht im geringsten Punkte von uns wirklichkeitsgetreu erfaßt werden. Modernist sein heißt bekennen : jede religiöse Wahrheit sei nur relativ wahr, d. h. für mich, für hier und heute; vielleicht schon morgen sei alle religiöse Wahrheit in Fluß und Entwicklung, in Wandel und Wechsel. Modernismus ist in erster Linie religiöser Relativismus.

In zweiter Linie ist der Modernismus religiöser Sub- jektivismus oder Immanentismus, d. h. alles Religiöse und alle Religion, die natürliche wie die übernatürliche, hat ihre eigentliche und tiefste Quelle im eigenen Selbst des Menschen; alle religiösen Kräfte, die erzeugenden wie die aufnehmenden Kräfte der religiösen Handlungen, Gaben und Güter wurzeln ganz und gar oder doch der entscheidenden Hauptsache nach in unserem Innern; hier, nämlich im Strudel des blinden religiösen Instinktes, religiöser Erfahrung und religiöser Be- dürfnisse, wird die Religion geboren; allein oder doch in entscheidender Weise von hier aus empfängt sie Anstoß und Richtung, Leben und Vollendung. Dem Wirken und der Stimme Gottes begegnet die Seele ausschließlich nur in ihrem Innern; Gegenstand und tiefsten Beweggrund ihres religiösen Glaubens und Gehabens zieht die Seele aus ihrem eigenen Schöße; eine von außen an den Menschen herantretende, religionerzeugende Einwirkung Gottes gibt es nicht. Religion ist ein bloßer Ausfluß des Innenlebens, ein subjektives Gespinst. Organ zur Erfassung Gottes und der religiösen Werte im Innern des Menschen ist das Gefühl.

Damit fällt alles Uebernatürliche: Glaube, Offen- barung, Kirche, Sakramente, Heilige Schrift. Auch alle natürliche Religion wird aufgelöst; nirgends mehr ein fester Pol im

90 Theologische Wissenschaft

Gebiete der Religion. Damit wird der Modernismus wirk- lich die Sammelstätte, der Inbegriff aller wirklichen und möglichen Häresien."^

Noch engere Fühlung wird unser Thema mit der Gegen- wart gewinnen, wenn wir nunmehr auch noch kurz folgende Grundsätze über die Eigenart der theologischen Wissenschaft bei einem angesehenen katholischen Dogmatiker unserer Tage verfolgen. Als Beispiel diene die Dogmatik von Professor Esser (Bonn). ^

Darin heißt es: „Die Theologie ist Glaubenswissen- schaft. Sie geht von den Qlaubenswahrheiten als ihren ersten und absolut gewissen Prinzipien aus, wie die Philosophie von den ersten und evidenten Vernunftprinzipien. Jede Wissen- schaft geht von sichern und bekannten Prinzipien aus, um auf Grund derselben Unbekanntes zu beweisen. So geht die Theologie von den Glaubenssätzen aus, welche dem Gläubigen durch das höhere Glaubenslicht wie die Vernunftprinzipien dem Menschen durch das Licht der Vernunft gewiß sind. Daher hat nur der Gläubige theologisches Wissen im strengsten Sinne. Wer den Glauben nicht hat oder wer die Glaubensgnade verloren hat, kann nur ein natürliches (historisches, literarhistorisches usw.) Wissen um theologische Dinge haben.

Die Theologie ist also jenes Wissen (subjektiv) oder jene Wissenschaft (objektiv) von Gott und den Dingen in ihrer Beziehung zu Gott, welche auf Grund der göttlichen Offenbarung durch die vom Glauben erleuchtete Vernunft erworben wird.

Da die Theologie von den Glaubenssätzen als ihren Prinzipien ausgeht, so hat sie mit dem Glauben drei Er- kenntnisquellen gemeinsam, nämlich: die Heilige Schrift, die

^ Vgl. den Aufsatz von Prof. A. Qisler, Wer ist ein Modemist? (Schweizerische Rundschau, 1911, Nr. 1.)

^ Als Manuskript gedruckt und verlegt bei P. Hanstein, Bonn.

Theologische Wissenschaft 91

Tradition (regula remota fidei) und die Lehraussprüche der Kirche (regula proxima fidei). Als Glaubenswissenschaft hat sie außer den genannten mit dem Glauben gemeinsamen Prinzipien noch eines, welches ihr als Wissenschaft eigen ist, nämlich die menschliche Vernunft, deren Gebrauch in der Theologie nach dem Verhältnis zu bestimmen ist, in welchem die Vernunft zum Glauben steht.

Die Theologie trägt den Charakter einer wahren Wissenschaft an sich, da sie wie jede Wissenschaft von sicheren Prinzipien ausgehend neue Erkenntnisse in wissen- schaftlicher Beweisführung gewinnt, dieselbe ordnet und zu einem System verbindet. Das Prinzip fides quaerens intel- lectum. Vergl. Vatic. Denzinger 1796.

Da ihre Prinzipien nicht innerlich evident sind, so ist die Theologie von den profanen Wissenschaften wesentlich verschieden. Aus dieser Verschiedenheit erklären sich die unerheblichen Differenzen unter den Scholastikern über den wissenschaftlichen Charakter der Theologie. Sie ent- lehnt ihre Prinzipien einem höheren Wissen, der scientia Dei et beatorum und ist in dieser Beziehung jenen Subalternwissen- schaften vergleichbar, die ihre Prinzipien aus anderen Wissen- schaften herübernehmen. (Thomas S. theol., I. q. 1 a. 7.) Daß die Annahme dieser Prinzipien ein obsequium rationabile, daß der Glaube ein c'redibile und ein credendum ist, beweist die Fundamental-Theologie oder Apologeti k, die Vorhalle der eigentlichen Theologie.

Die Theologie überragt alle menschlichen Wissenschaften nicht nur wegen der Erhabenheit des Objektes (de Deo) und des Zieles (ad Deum), sondern auch wegen der Größe der Gewißheit (a Deo). Theologiae principium proximum quidem est fides, sed primum est intellectus divinus. (Thomas sup. Boeth. de trin. qu. 2 a. 2.)!

Man sieht: es sind im wesentlichen wiederum dieselben Grundsätze, die uns bei Thomas von Aquino begegneten. Eine

92 Theologische Wissenschaft

kurze Erläuterung aber möge die zuletzt zitierten Aus- führungen vor naheliegenden Mißverständnissen schützen. 1. Die „eigentliche" Theologie wird von der „Fundamental- Theologie oder Apologetik" unterschieden. Hat diese die Auf- gabe, die Tatsache einer göttlichen Offenbarung d. h. die Pflicht und das Recht des Glaubens zu „beweisen" durch ein „natür- liches" Wissen, so hat jene als Theologie im engeren Sinne nunmehr von den als „göttlich" bereits „bewiesenen" Inhalten des Glaubens auszugehen, um sie spekulativ zu verarbeiten und systematisch zu ordnen. Von hier aus wird der zunächst etwa paradox klingende Ausdruck „Glaubens - Wissenschaft" verständlich (dem wir bereits früher in dem Abschnitte über Duns Scotus begegneten). 2. Als Glaubenswissenschaft ist die Theologie, wie wir soeben hörten, „von den profanen Wissen- schaften wesentlich verschieden" (ein Zugeständnis, das nun eben für viele Anlaß zu der praktischen Forderung bietet, es solle sich die Theologie dann auch konsequenterweise von der Stätte der „profanen Wissenschaften" d. h. von den Universi- täten in die Seminare zurückziehen). Ebenso überraschte nicht die Konsequenz, daß die eigentliche Theologie als Glaubens- wissenschaft eben „nur für Gläubige möglich" sei: „Wer den Glauben nicht hat" - hieß es - „besitzt" kein theologischesWissen im strikten Sinne, sondern höchstens „ein natürliches Wissen um theologische Dinge".

Der Eid wider den Modernismus 93

IV. Der Eid wider den Modernismus.

Um die Grundsätze, welche die soeben besprochene Dog- matik in üebereinstimmung mit den Prinzipien eines Thomas von Aquino verficht, gerade allen «modernistischen" Bestre- bungen gegenüber innerhalb der Kirche sicherzustellen, hat Pius X. den bereits erwähnten sog. Anti-Modernisteneid ge- fordert. Und zwar sollen ihn leisten außer den Lehrern an theologischen Lehranstalten (nach späteren Einschränkungen wenigstens, sofern diese nicht staatliche Fakultäten einer Uni- versität sind): „1. die künftig zu weihenden Kleriker, 2. die Beichtväter und Kanzelredner, bevor sie die Ermächtigung zur Ausübung dieses Amtes erhalten, 3. die Pfarrer, Kanoniker und Benefiziaten, ehe sie in den Besitz ihrer Pfründe eintreten,

4. die Beamten der bischöflichen Kanzleien und der kirchlichen Gerichtshöfe mit Einschluß des Generalvikars und der Richter,

5. die Fastenprediger für die vierzigtägige Fastenzeit, 6. alle Beamten der römischen Kongregrationen und Gerichtshöfe vor dem Kardinalpräfekten oder dem Sekretär der Kongregation des Gerichtshofes, 7. die Leiter und Lehrer der religiösen Orden und Kongregationen vor Uebernahme ihres Amtes." Eine praktische Maßnahme, durch die der Papst eben allen früheren Erlassen eine größere Aussicht auf peinliche Durch- führung in «Unterricht, Wort und Schrift" verschaffen will. Der Wortlaut dieses Eides pflegt (wie man sich fast täglich überzeugen kann) nicht immer allen, die über ihn schreiben oder reden, bekannt zu sein. Da er außerdem gleichsam eine praktische Illustration unserer bisherigen Ausführungen ist, so erscheint es angezeigt, ihn an dieser Stelle nicht vorzuenthalten.

Die Eidesformel lautet: «Ich ... , bekenne mich uner- schütterlich, zu allen und jeden Wahrheiten, die die Kirche

94 Der Eid wider den Modernismus

durch ihr unfehlbares Lehramt definiert, aufgestellt und erklärt hat, hauptsächlich zu jenen Grundpfeilern der Doktrin, die sich direkt gegen die Irrtümer dieser Zeit richten. Vor allem bekenne ich, daß Gott, der Anfang und das Ende aller Dinge, erkannt und daher auf sichere Weise durch das natürliche Licht der Vernunft, durch das Mittel der Dinge, die geschaffen wurden, d. h. durch ihre sichtbaren Werke der Schöpfung wie die Ursache durch ihre Wirkung erkannt, ja auch bewiesen werden kann (certo cognosci adeoque demonstrari posse).i

Zweitens anerkenne ich die äußeren Argumente der Offenbarung d. h. die göttlichen Tatsachen, unter ihnen in erster Linie die Wunder und Prophezeiungen, als die sehr sicheren Zeichen (tamquam signa certissima) des gött- lichen Ursprungs der christlichen Religion. Die gleichen Argumente erachte ich als hervorragend der Intelligenz aller Zeiten und aller Menschen, auch der gegen- wärtigen Zeit, angepaßt.2

* Dieser Satz, der sich auf die Möglichkeit einer sog. natürlichen Gotteserkenntnis bezieht, hat durch das Vatikanische Konzil folgende dogmatische Formulierung gefunden: „Si quis dixerit Deum unum et verum, Creatorem et Dominum nostrum, per ea quae facta sunt, natural i rationis humanaelumine certo cognosci non posse, anathema sit. De Revel. can. I (Denzinger, Enchiridion n 1653).

Bereits die Encyclica Pascendi gregis Dominici 4j hatte an diese dogmatische Bestimmung, die Gott mit dem Verstände zu er- kennen als möglich bezeichnet, erinnert gegenüber dem Modernismus, der lediglich von der „inneren Erfahrung" Gottes spreche. Die obige Eidesformel fügt zu dem vatikanischen „cognosci" (erkannt werden) noch verstärkend richtiger: verdeutlichend das „demonstrari" (bewiesen werden) hinzu. Sie will also ausdrücklich auf die Lehre verpflichten, daß „Gott, der Anfang und das Ende aller Dinge, durch das natüdiche Licht der Vernunft erkannt und bewiesen werden könne". Vgl. zu dieser Abänderung des certo cognosci posse in das „stärkere" demonstrari posse die in diesem Punkte freilich irreführende Schrift von Clericus Germanicus, Der Modernisteneid. Augsburg 1910,

S. 11 ff.

^ Auch diese Möglichkeit, die Tatsache der göttlichen Offenbarung durch „äußere Zeichen«, also auf intellektuellem Wege, beweisen bezw.

Der Eid wider den Modernismus 95

Drittens: Ich glaube fest, daß die Kirche, Hüterin und Lehrerin des geoffenbarten Wortes, auf direkteste Weise von dem wahren und historischen Christus in Person während seines Lebens unter uns gestiftet wurde, und ich glaube, daß diese Kirche auf Petrus, das Oberhaupt der apostolischen Hierarchie, und auf seine Nachfolger bis ans Ende der Zeiten gebaut ist.

Viertens: Ich nehme aufrichtig die Doktrin des Glaubens auf, wie sie uns die Apostel und die rechtgläubigen Väter überliefert haben, ich nehme sie in dem gleichen Sinne und in der gleichen Auslegung auf wie sie (fidei doc- trinam eodem sensu eademque semper sententia ad nos usque transmissam). Deshalb verwerfe ich die absolut haeretische Annahme von der Evolution der Dogmen, nach der diese Dogmen den Sinn wechselten, um einen anderen zu erhalten, der verschieden von jenem ist, den ihnen zuerst die Kirche gegeben. ^ Gleichzeitig verwerfe ich jenen Irrtum,

»glaubhaft machen" zu können, hat das Vatikanische Konzil dog- matisch behauptet gegenüber der („modernistischen") Lehre, nur „innere Erfahrung oder private Offenbarung" könne den Menschen von jener Tatsache überzeugen. Das Dogma lautet : „Si quis dixerit revelationem divinam extemis signis credibilem fieri non posse ideoque sola interna cuiusque experientia aut inspiratione privata homines ad fidem moveri deberi, anathema sit. De fide, can. III (Denzinger, Enchir. 1659). Und auch diesen Satz hatte bereits die Encyclica Pascendi 4) aufs neue ein- geschärft gegen den „Modernismus", der eben nur die „innere Er- fahrung", das „Erlebnis", als Erkenntnisquelle für die Tatsache gött- licher Offenbarung gelten läßt. Siehe oben S. 84.

^ Man beachte diese wichtigen Relativsätze zu der „Evolution der Dogmen". Denn in einem anderen Sinne spricht Pius X. selbst von einer „Evolution" (evolvi) der Dogmen. Vgl. weiter unten.

Bereits das Vaticanum hat neben der „wesentlichen Einheit und Beharrlichkeit des Dogmas" doch ein „akzidentelles Wachstum des dogmatischen Bewußtseins" für möglich erklärt (wie es J. Mausbach scharf ausdrückt), nämlich in dem Satze: „Crescat igitur . . . etmultum vehementerque proficiat . . . intelligentia, scientia sapientia ... in eodem dogmate, eodem sensu eademque sententia (Denzinger 1810).

96 Der Eid wider den Modernismus

der darin besteht, an Stelle des göttlichen Glaubensschatzes, der der Braut Christi und ihrem wachsamen Hüter anvertraut ist, eine philosophische Fiktion oder eine Schöpfung des mensch- lichen Gewissens zu setzen, die nach und nach durch die Be- mühungen der Menschen gebildet, in der Zukunft einem un- beschränkten Fortschritt ausgesetzt wäre.

Fünftens: Ich halte mit aller Sicherheit fest und ich bekenne aufrichtig, daß der Glaube kein blinder religiöser Sinn ist (Fidem non esse coecum sensum religionis), der aus den dunklen Tiefen des menschlichen Unterbewußtseins auf- steigt unter dem Druck des Herzens und des moralisch bestimmten Willens, sondern daß er eine wahrhafte Zu- stimmung der Intelligenz zu der Wahrheit ist, die durch die empfangene Unterweisung erworben wurde (ex auditu), eine Zustimmung, durch die wir wegen der Autorität Gottes, dessen Wahrhaftigkeit absolut ist, alles für wahr halten, was gesagt, bezeugt und geoffenbart wurde durch Gott per- sönlich, unsern Schöpfer und Meister. Ich unterwerfe mich noch mit all der gewollten Ehrfurcht und pflichte aus ganzer Seele allen Verurteilungen, Erklärungen und Vorschriften bei, die in der Encyclica Pascendi und im Decret Lamentabili enthalten sind, besonders jenen, die die sog. Dogmen- geschichte betreffen. (Me etiam qua par est, reverentia subiicio totoque animo adhaereo). Gleichzeitig verwerfe ich den Irrtum derer, die behaupten, daß der von der Kirche vorgetragene Glaube der Geschichte zuwider sei, und daß die katholischen Dogmen, wie sie heute verstanden werden, mit den authentischen Ursprüngen der christlichen Religion nicht in Einklang zu bringen sind. Ich verurteile auch und verwerfe die Anschauung jener, die vorgeben,die Persönlichkeit des christlichen Gelehrten in die des Gläubigen und die des Historikers ver- doppeln zu können, als ob der Historiker das Recht habe, das auf- rechtzuerhalten,was derUeberzeugung des Gläubigen widerspricht (quae credentis fidei contradicant), oder als ob es ihm gestattet sei.

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Der Eid wider den Modemismus 97

unter der einzigen Bedingung, nicht direkt ein Dogma zu leugnen, Praemissen aufzustellen, aus denen sich die Schluß- folgerung ergeben würde, daß die Dogmen falsch oder zweifelhaft sind. Gleicherweise verwerfe ich jene Methode (die Heilige Schrift zu beurteilen und auszulegen), die im Gegensatz zu der Tradition der Kirche, der Analogie des Glaubens und der Regeln des apostolischen Stuhles, sich auf die Arbeits- methode der Rationalisten gründet und mit ebensoviel Kühnheit als Verwegenheit als höchste und einzige Regel nur die Textkritik annimmt. Außerdem verwerfe ich den Irrtum jener, die behaupten, daß der Lehrer der historischen Theologie (disciplina historica theologica) oder der Schrift- steller auf diesem Gebiete sich zuerst jeder zuvorgewonnenen („vorgefaßten") Meinung (opinio ante concepta) entledigen muß, sei es hinsichtlich des übernatürlichen Ursprungs der katholischen Tradition, sei es hinsichtlich des göttlichen Bei- standes, der für die ständige Bewahrung jedes Punktes ge- offenbarter Wahrheit versprochen wurde, und die dann behaupten, die Schriften jedes Kirchenvaters müßten außerhalb jeder geheiligten Autorität nach den Prinzipien der Wissen- schaft allein und mit jener Unabhängigkeit des Urteils ausgelegt werden, die man beim Studium irgendeines profanen Dokumentes anzuwenden gewohnt ist. Endlich bekenne ich, vollständig frei von diesem Irrtum der Moder nisten zu sein, der behauptet, daß es in der geheiligten Tradition nichts Göttliches gibt oder, was noch schlimmer ist, daß es Göttliches nur in pantheistischem Sinne gibt, so daß nur noch eine reine und nackte Tatsache übrig bleibt, vergleichbar den gewöhnlichen Tatsachen der Geschichte, nämlich die Tatsache, daß die Menschen durch ihre Arbeit, durch ihre Geschicklichkeit, durch ihr Talent durch die späteren Jahre hindurch die von Christus und seinen Aposteln begonnene Schule fortgesetzt haben. Schließlich halte ich mit der größten Festigkeit und bis zum letzten Atemzuge den

Verweyen, Philosophie und Theologie im Mittelalter. 7

98 Der Eid wider den Modernismus

Glauben der Kirchenväter über das sichere Charisma (Kriterium) der Wahrheit fest, das ist und immer sein wird „im Episkopat, überliefert durch die Nachfolgerschaft der Apostel" (Iren. 11c 20; fidem Patrum firmissime retineo et ad extremum vitae spiritum retinebo); nicht so, daß man nur das festhalte, was für die Kultur des jeweiligen Zeitalters besser und passender erscheint, sondern so, daß niemals anders ge- glaubt und anders verstanden werden soll die absolute und unveränderliche, im Anfang durch die Apostel verkündete Wahrheit (non ut id teneater quod melius et aptius videri possit secundum suam cuiusque aetatis culturam, sed ut nunquam aliter credatur nunquam aliter intelligatur absoluta et immutabilis veritas ab initio per Apostolos praedicta). Alle diese Dinge verpflichte ich mich treu, unverkürzt und aufrichtig zu beobachten, sie unverletzlich zu bewahren und mich weder im Unterricht noch auf andere Weise durch Wort oder Schrift davon zu entfernen. So gelobe und schwöre ich, so wahr mir Gott helfe etc."

Vergleicht man diese Eidesformel mit den früheren Erlassen Pius X. und seiner unmittelbaren Vorgänger , so findet man darin schlechthin keinen Grundsatz aus- gesprochen, der neu und unerhört wäre.^ Wer diesen Vergleich einmal unternommen hat, muß daher nicht wenig staunen über das Entrüstungsgeschrei, mit dem gerade diese praktische Konsequenz und Zusammenfassung des Früheren, namentlich von selten der Gegner katholischer Lehren, bedacht wurde. Man kann dabei nur wieder konstatieren, wie wenig die von unkritischem Parteieifer eingegebene ' laute Tages- polemik den Voraussetzungen und der Eigenart des Gegners gerecht zu werden pflegt.

^ Vgl. den Aufsatz von Prälat Dr. Franz Heiner, Der neue Eid der Theologieprofessoren. (Münchener Allgemeine Rundschau Nr. 50, 1910).

Die obigen Sperrungen stammen von mir.

Der Eid wider den Modernismus 99

Freilich glaubten manche in der Eidesformel einige Ueber- bietungen früherer katholischer Festlegungen anzutreffen. Namentlich in folgenden Punkten. Zunächst hinsichtlich der sog. natürlichen Gotteserkenntnis. Hatte das vatikanische Konzil als Dogma formuliert, daß Gott „durch das natürliche Licht der menschlichen Vernunft sicher erkannt" werden könne (certo cognosci posse), so fügt die Eidesformel noch hinzu: und „daher auch bewiesen werden könne" (adeoque demon- strari etiam posse). Dieser von dem Vatikanum absichtlich ^ vermiedene Zusatz aber erklärt sich sehr einfach aus der „antimodernistischen" Grundabsicht des Eides wie der ihm vorausgehenden Encyclica Pascendi. Letztere hatte die in der rein subjektiven „inneren Erfahrung", im „Gefühl" wurzelnde Gottes„erkenntnis" der Modernisten zurückgewiesen (vergl. oben S. 84). Das vatikanische „cognosci posse" aber bedeutete eine objektive, allgemeingültige Erkenntnis Gottes wie die Ency- clica Pascendi durch das gegen die entgegengesetzte Auf- fassung gerichtete Zitat jener vatikanischen Konzilbestimmung ausdrücklich bestätigt. Um nun die gemeinte objektive und als solche eben „beweisbare" Erkenntnis unzweideutig zum Ausdruck zu bringen, hat die Eidesformel zu dem „Er- kennen-können" noch das „Auch-beweisen-können" hinzugefügt.

Einen besonderen Stein des Anstoßes bot ferner der vor- letzte Satz der Formel, der von der „absoluten Wahrheit" spricht, die „von Anfang an durch die Apostel gepredigt wurde". Auch dieser Satz legt dem katholischen Theologen keineswegs

^ Die Absicht des Vatikanums war, den sog. Traditionalismus zu verwerfen, der jegliches Erkennen des Daseins Gottes leugnete und das Gottesbewußtsein lediglich auf die »Tradition", die natürliche und kirchliche, gründete. Vgl.Granderath, Const. dogm. S.S. Con.Vatic. 1902, p. 32n. Im übrigen braucht ja das Vatikanum selbst schon den Ausdruck „demonstrare" (beweisen) von den „Grundlagen des Glaubens". Dazu zählt es aber auch die „Erkenntnis" (und demnach die „Beweisbarkeit") des Daseins Gottes. Vgl. unten S. 101, 104.

7*

100 Der Eid wider den Modemismus

eine „neue Verpflichtung" auf, noch „unterbindet er seine Be- wegungsfreiheit" irgendwie mehr als bisher. Denn, wer auch nur einigermaßen mit der katholischen Gedankenwelt vertraut ist, weiß, daß in ihr stets das sog. depositum fidei, die „Hinter- lage des Glaubens" d. h. die durch die Apostel verkündigte Lehre, als unantastbar, aller menschlichen Kritik entzogen galt. Man kann diese Voraussetzung angreifen, aber auf Grund der- selben fordert der Eid nichts, was über bisherige Verpflich- tungen innerhalb dieser Gedankensphäre hinausginge. Beide Dinge sind scharf auseinanderzuhalten, will man nicht unheilvolle Konfusion in eine derartige reli- giöse Polemik hineintragen.

Was übrigens jenen Begriff der „absoluten Wahrheit" betrifft, so verurteilt er den katholischen Theologen nicht schlechthin zur Untätigkeit. In einem Worte vom 14. Juni 1907 hat Pius X. in dieser Hinsicht lediglich seine und seiner Vor- gänger amtlichen Kundgebungen erläutert, wenn er sagt, die kirchliche Lehre solle „nicht in dem Sinne unveränderlich bleiben, daß sie keine Fortschritte macht", sie solle vielmehr „nach der Eigenart der Völker und Zeiten immer offener dargelegt und in gesetzmäßiger Auslegung entwickelt werden (evolvi)".^ (Freilich bedeutet Entwicklung hier, wie auch sonst innerhalb des katholischen Dogmas, lediglich die Entfaltung d. h. immer tiefere, mit den Erkenntnismitteln der Zeiten, Völker und Individuen fortschreitende geistige Er- fassung eines ursprünglich geoffenbarten und deshalb „ab- soluten" Wahrheits-Kernes.)

Endlich hat noch jene Stelle der Eidesformel starke Er- regung hervorgerufen, die dem historisch-exegetischen Theo- logen die Entledigung „jeder vorgefaßten Meinung" (opinio ante concepta) verbietet, ehe er an die Urkunden des Christen- tums herantritt als wären es „nur profane" Literatur-Denk-

^ Vgl. Mausbach a. a. O. S. 51.

Der Eid wider den Modernismus 101

mäler. Auch dieses Verbot ist kein anderes, als bereits in dem früher erörterten Syllabus Pius X. zum Ausdruck kommt, wenn darin die These verworfen wird: „Der Exeget muß, wenn er den biblischen Studien mit Nutzen obliegen will, vor allem jede vorgefaßte Meinung von einem übernatürlichen Ursprung der Heiligen Schrift beiseite lassen und diese nicht anders auslegen als wie die übrigen rein menschlichen Urkunden." (Nr. 1 2.) Als positive Lehre der katholischen Kirche ergibt sich daraus folglich der Satz: Der katholische Exeget darf die „vorgefaßte Meinung von einem übernatürlichen Ursprung der Heiligen Schrift nicht beiseite lassen und muß diese anders auslegen als wie die übrigen rein menschlichen Urkunden". Aber man beachte! eben der katholische Exeget (wenn es in der soeben zitierten Stelle nur heißt „der Exeget", so ist offensichtlich der katholische gemeint)! Also ein solcher Exeget, der bereits auf dem allgemeinen Boden der „katholischen Glaubensüberzeugung" steht. Daß aber die ,; Glaubensüberzeugung" nicht zuletzt wiederum auf einem Glauben, sondern auf einem „Wissen" von der Tatsache einer göttlichen Offenbarung beruhen soll, fanden wir gerade in Thomas von Aquinos Lehre von den praeambula fidei oder den motiva credibilitatis nachdrücklich gefordert. Ein Stand- punkt, den das vatikanische Konzil in dem Satze als Dogma anerkennt: die richtige Vernunft beweist die Grundlagen des Glaubens. (Recta ratio fidei fundamenta demonstret. Sess. 3, C. 4.)

Also auch der zuletzt erwähnte Punkt ist keineswegs eine eigentümliche Neuerung des »Antimodernisteneides*, sondern inhaltlich bereits frühere Lehre der katholischen Kirche. Weil es sich bei jenem Punkte nun besonders um das Verhältnis von Glauben und Wissen handelt, ist die in Rede stehende Eidesformel gerade der äußere Tages-Anlaß geworden zu einem Feldzuge, um nicht zu sagen Feldgeschrei, gegen die katholische Fassung von Glauben und Wissen. Ein Geschrei,

102 Der Eid wider den Modernismus

das, wie nicht überrascht, am lautesten von den Unkundigen angestimmt wird; nämlich von solchen, die der Meinung sind, es würde durch diesen Eid den ihn Leistenden irgend- ein Inhalt aufgezwungen, den sie nicht ohnehin als „gläubige Katholiken« innerlich anerkennen müßten! Daß letzteres der Fall ist, wurde im Vorhergehenden an entscheidenden Punkten gezeigt und ließe sich leicht auf alle übrigen ausdehnen. Es wirkt daher im höchsten Maße befremdend und zeugt von seltsamer Unkenntnis dieser Dinge, wenn an politisch hoch- bedeutsamer Stelle bereits erwogen wurde, ob man fürderhin die durch den Eid sich verpflichtenden katholischen Lehrer wenigstens für den Unterricht in Deutsch und Geschichte in „staatlicher Anstellung" dulden könne. ^ Nach unseren Dar- legungen müßte diese Erwägung ja doch auf alle katholischen Lehrer wenigstens für die genannten Fächer übertragen werden und würde schließlich konsequenterweise wieder auf die »Kulturkampf «-Frage führen, inwieweit sich die Ueber- zeugung eines gläubigen Katholiken mit dem «Staatsdienste" verträgt.

In der Richtung der zuletzt angedeuteten Gedanken liegt nun auch eine weitere Frage, die durch den Antimodernisten- Eid wiederum zu einer aktuellen Angelegenheit geworden ist. Abermals ist nämlich das Recht der theologischen, speziell der katholischen Fakultäten im Organismus der Universitäten in Frage gestellt und zu einem Gegenstande lebhafter Tages- erörterung erhoben worden. Diese praktische Frage aber steht in allerengstem Zusammenhange mit dem theoretischen Probleme unseres Themas. Eine Tatsache, die schon darin ihren äußeren

1 Vgl. die kirchenpolitische Rede des Ministerpräsidenten von Bethmann-HoUweg im Abgeordnetenhause vom 7. März ds. Js., die im übrigen den Antimodernisteneid an sich als eine »rein innerkirchliche Angelegenheit" betrachtet, wenn auch bei der Ausführung derartiger päpstlicher Erlasse sich Konsequenzen ergäben, die mit dem staatlichen Interesse zusammenhingen.

Der Eid wider den Modernismus 103

Ausdruck findet, daß Vertreter der katholischen Theologie gerade durch den Nachweis eines prinzipiell unanfechtbaren Verhältnisses zwischen Glauben und Wissen, Vernunft und Offenbarung dem Vorwurfe der w Unwissenschaftlichkeit" zu begegnen suchen, die allein die Aufhebung ihrer Fakultät sachlich rechtfertigen würde. Daß dies der Fall sei, scheint nun freilich nicht wenigen gerade die antimodernistische Eidesformel zu beweisen, dieser „offene und blutige Hohn auf die unantastbare Freiheit des Denkens, Forschens und Lehrens«, eine Maßnahme, die dem theologischen Hoch- schullehrer etwas zumute, was „alles bisher Dagewesene weit übersteige". ^

Gegenüber solchen Anklagen hat der katholische Theo- logieprofessor Joseph Mausbach (Münster) vor kurzem eine bedeutsame Schrift veröffentlicht unter dem Titel: «Der Eid wider den Modernismus und die theologische Wissenschaft" (Köln, 1911). 2 Der Verfasser stellt ebenfalls fest, daß die Eidesformel dem Theologen nicht neue und fremde Gedanken vorlegt, sondern zum Teil wörtliche Entlehnungen aus den Beschlüssen des Vatikanischen Konzils, zum Teil Anwendungen und Folgerungen aus denselben gegen den Modernismus, die vom Standpunkte des Glaubens und der bisherigen Theologie fast selbstverständlich erscheinen. Die Professoren der theologischen Fakultät zu Paderborn konnten mit Recht vor ihrer Eidesleistung schreiben: »Wir sind der Ueberzeugung, daß mit diesem Eid eine inhaltlich neue Verpflichtung nicht übernommen wird, die nicht schon jetzt besteht; der Eid ist nur eine Bekräftigung dessen, wozu

* Wie der Verfasser eines Artikels in der Kölnischen Zeitung (Nr. 1211 1910) irrigerweise meint. In der Tat ein «abschreckendes Beispiel oberflächlicher Kritik", wie Mausbach mit Recht sagt.

- Vgl. auch: Der Modernismus, Zwei Kundgebungen des Kardinals Mercier, Köln 1911. Ferner die soeben erschienene Schrift von Karl Braig, Der Modernismus und die Freiheit derWissenschaft, Freiburg 1911.

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eine Gewissensverpflichtung schon jetzt vorliegt." Der Grund, weshalb die Theologieprofessoren der Staatsuniversitäten von der Eidesleistung entbunden wurden, kann demnach nicht in dem Gedanken liegen, «der Eid würde von ihnen als eine Aenderung der bisherigen Grundsätze der theologischen Wissenschaft und Forschung empfunden worden sein". „Die faktische Ausnahme aber läßt sich durch die Absicht erklären, der eigenartigen Lage und staatsrechtlichen Stellung der Fakultäten gerecht zu werden und den Kirchenfeinden jeden Anlaß zu kirchenpolitischer Agitation zu nehmen." (S. 11.) Aus dem dann folgenden Abschnitt über den „Autoritäts- glauben und die Forschungsfreiheit" interessieren uns hier, historisch wie sachlich, einige prinzipielle Ausführungen, die sich auf die Begründung des Glaubens beziehen, wie sie einer besonderen Disziplin, der Apologetik, zufällt. Sie hat die Aufgabe, „die Selbstbesinnung des Katholiken über das Recht des Glaubens methodisch durchzuführen und dem die Wahr- heit Suchenden die Gründe der Glaubwürdigkeit syste- matisch zu entwickeln. Diese Wissenschaft verlangt von den Draußenstehenden nicht , von vornherein' die Annahme eines ,übernatürlich Gegebenen'; sie sucht vielmehr, von den Tat- sachen der äußeren und inneren Wirklichkeit ausgehend, eine natürliche Ueberzeugung vom göttlichen Ursprung der Kirche zu begründen. Der größte Teil dieses Nachweises gehört dem Gebiete der Geschichte an; die Beweismittel, die darin gebraucht werden, dürfen nach dem Programm der Apologetik und nach den deutlichen Aussprüchen desVatikanums nur dem Gebiete der Vernunft, nicht dem des kirchlichen Glaubens entnommen sein ,recta ratio fidei fundamenta demonstret'! (sess. 3, c 4)i Die eigentliche

' Diese hochbedeutsame Bestimmung des Vatikanischen Konzils lautet vollständig so: „Neque solum fides et ratio inter se dissidere numquam possunt, sed opem quoque sibi mutuam ferunt, cum recta ratio fidei fundamenta demonstret eiusque lumine illustrata

Der Eid wider den Modernismus 105

Theologie, die Dogmatik und Moral, legt allerdings das Dogma zugrunde; aber soweit sie Wissenschaft ist, soweit sie erklärt, widerlegt, philosophisch und historisch beweist, muß auch sie die Gesetze der Wissenschaft befolgen, darf sie nur Einsicht vermitteln, nicht Glauben fordern wollen." (S. 26.)

Was weiterhin „Die Eidesformel und die historische Methode" betrifft, so erinnert Mausbach^ sowohl an die vati- kanische Entscheidung, die jeder Wissenschaft mithin auch der historischen ihre eigenen Prinzipien, Me- thoden und Beweise zugesteht, als auch an ein Wort Leo XIII. über die Geschichtswissenschaft, das lautet: „Besonders ist darauf Gewicht zu legen, daß alles Erdichtete und Falsche durch Zurückgehen zu den Quellen der Geschichte widerlegt wird, vor allem erinnere sich der Schriftsteller, es sei das erste Gesetz der Geschichtsschreibung, daß sie nichts Falsches zu sagen wagt, sodann daß sie nichts Wahres zu sagen sich scheut und im Schreiben keinen Verdacht irgend- welcher Vorliebe oder Gegnerschaft auf sich ladet . . . Beweis- kräftigen Gründen (firmis ad probandum argumentis) muß notwendig die Willkür der Meinungen weichen, und die anhaltenden Angriffe auf die Wahrheit wird überwinden und

rerum divinarum scientiam excolat, fides vero rationem ab erroribus liberet ac tueatur eamque multiplici cognitione instruat. Qua propter tantum abest, ut Ecclesia humanarum artium et discipli- narum culturae obsistat, ut hanc multis modis iuvet atque promoveat. Non enim commoda ab iis ad hominum vitam dima- natia aut ignorat ant despicit; fatetur immo, eas quemadmodum a Deo scientiarum Domino profectae sunt, ita, siriteper- tractentur, ad Daum iuvante eins gratia perducere. Nee sane ipsa vetat, ne huiusmodi disciplinae in suo quaeque ambitu propriis utantur principiis et proprio methodo; sed iustam hanc libertatem agnoscens id sedulo cavet, ne divinae doctrinae re- pugnando errores in se suscipiant, aut fines proprios transgressae ea quae sunt fidei occupent et perturbent. sess. 3. (24. Apr. 1870.)

' Vgl. auch N. Peters, Die grundsätzliche Stellung der katho- lischen Kirche zur Bibelfoischung, Paderborn 1905.

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brechen die Wahrheit selbst, die bisweilen verdunkelt, aber nie ausgelöscht werden kann." (S. 33.)

An der Uebertragung dieser Forschungs-Methode auf die Dogmengeschichte ändert die Eidesformel nichts. Sie will gegenüber den „apriorischen" Konstruktionen der „moder- nistischen" Historiker im Sinne einer „bestimmten phaenomena- listischen, religionsphilosophischen Voraussetzung" (S. 38) ledig- lich einschärfen, „daß der katkolische Gelehrte bei geschichtlich- theologischen Studien das Forschungsergebnis an dem Inhalt und den Normen des Glaubens prüft und kontrolliert". (S. 34.) Einen solchen Anspruch erhebt die katholische Kirche in bezug auf den Dogmenhistoriker, weil sie überzeugt ist, ,,die legitime, organische Entfaltung jenes himmlischen, vom Erlöser in die Welt gesenkten Senfkörnleins zu sein, den Geist Christi für die Lösung der wesentlichen religiösen Fragen bis heute in sich zu tragen. Muß nicht jeder Unparteiliche (— so fragt der Verfasser - ) ihr von diesem Standpunkte aus das Recht zuerkennen. Gewicht darauf zu legen, daß der katho- lische Theologe bei „Interpretation" die altkirchlichen Denk- mäler d. h. bei der vollen Erschließung ihres Sinnes diese G lau bensvorstellung nicht ausschaltet, sondern in erster Linie berücksichtigt? Muß er nicht sogar vom allgemein- methodischen Standpunkte aus zugestehen, daß es auf Erden keine Institution gibt, die mit ähnlichem Rechte behaupten kann, in geschlossener Entwicklung aus jener Wurzel zu stammen, den Geist, die Ideen, die Einrichtungen jener Zeit uns nahe- zubringen? Läge nicht eine unwissenschaftliche und für den Theologen unwürdige Bescheidenheit darin, die katholische Auffassung nur ,, sozusagen probeweise neben Dutzend anderen Erklärungsmöglichkeiten an die Quellen anzulegen", wo diese anderen Möglichkeiten, seien sie aus dem subjektiven Denken des Forschers oder aus dem supponierten Geiste der alten Zeit geschöpft, viel eher die Gefahr einschließen, das Urteil in die Irre zu führen? Es muß ihm vielmehr gestattet sein, bei der

Der Eid wider den Modernismus 107

Fragestellung und Vergleichung diese Möglichkeit in erster Linie in Betracht zu ziehen, natürlich ohne den Quellen Ge- walt anzutun oder irgendein Moment innerer Wahrscheinlich- keit abzuschwächen." (S. 44.)

Daß aber überhaupt die durch den Antimodernisteneid geleistete Verpflichtung zu einem Glaubensbekenntnisse «im religiösen Leben der Gegenwart nicht etwas ganz Unerhörtes" bedeutet, sucht der folgende Abschnitt zu zeigen. Er handelt über die «bekenntnismäßige Verpflichtung der prote- stantischen Theologen" und zitiert eine Reihe der bei diesen üblichen Schwurformeln, deren Geist bis in die Satzungen der theologischen Fakultäten der Universitäten hineinragt. So lautet z. B. der Wortlaut des Gelübdes, das die Theologieprofessoren der Leipziger Fakultät abzulegen haben: »Ich gelobe vor Gott, daß ich das Evangelium von Christo, wie dasselbe in der Heiligen Schrift enthalten und in der ersten ungeänderten Augsburgischen Konfession und sodann in den übrigen Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist, nach bestem Wissen und Gewissen lauter und rein lehren und verkünden will." Aehnlich heißt es in den Satzungen der Bonner evangelisch-theologischen Fakultät: »Die Fakultät bekennt sich zu der unierten evangelischen Kirche und ist verpflichtet, ihre Lehre mit den Grundsätzen dieser Kirche, wie sie in deren anerkannten Bekenntnis- schriften übereinstimmend und schriftgemäß aufgestellt worden sind, in Einklang zu erhalten." (Man vergleiche damit die folgende Bestimmung der Bonner katholisch- theologischen Fakultät: „Der neuangestellte . . . Professor wie auch jeder Privatdozent ist gehalten, ehe er seine Vorlesungen beginnt, das katholische Glaubensbekenntnis nach Vorschrift des Triden- tinischen Kirchenrats und in der in der Kirche üblichen Form in die Hände des Dekans . . . abzulegen.")

Wenn in letzter Zeit heftige Angriffe auf derartige „römische" Ueberreste im heutigen Protestantismus erfolgten;

108 Der Eid wider den Modernismus

wenn jene Angriffe sich dabei nicht zum wenigsten gegen die „Umdeutungskünste und Halbheiten" der sogen, liberalen Theologie richteten, so ist es interessant, aus dem Munde eines material ganz anders gerichteten katholischen Theologen dennoch die formale Anerkennungjener Angriffe zu vernehmen. „Sollte man schreibt Mausbach im Anschluß an die soeben erwähnten Satzungen und Verpflichtungen von freisinnigem Standpunkt erwidern, diese Forderungen der evangelischen Kirche würden nicht so streng und ernsthaft aufgefaßt und durchgeführt wie die der katholischen, so läge darin vom Standpunkt vollkommen freier Religiosität und Theologie offenbar keine Rechtfertigung jener Bindung des Glaubens und Lehrens. Im Gegenteil müßte dann erst recht die Aufhebung jener statut- und gesetzmäßigen Verletzung der protestantischen Lehrfreiheit verlangt werden." (S. 56.)

Was endlich „die Stellung und Bedeutung der katholisch- theologischen Fakultäten" angeht, so gibt Mausbach zu, daß, abgesehen von der bei allen Fakultäten gleichen objektiven Gebundenheit des Forschers durch den tatsächlichen Sachver- halt seines Gebietes, doch „die subjektive Gebundenheit beim katholischen Theologen insofern eine andere und strengere ist, als er verpflichtet ist, die von der Offenbarung und dem kirchlichen Lehramte verkündigte Wahrheit im Denken und Lehren festzuhalten, seine wissenschaftliche Arbeit mit dieser Glaubensgrundlage im Einklang zu erhalten. Gegen diese Bindung seines Urteils, seiner inneren Beziehung zum Wissens- stoff, richten sich insbesondere die geläufigen Anklagen. Nun ahnen zunächst die meisten Gegner nicht, wie viele Gebiete Tatsachen und Probleme auch in der katholischen Theologie der freien, gelehrten Beurteilung unterstehen, nicht bloß bei Ergründung und Auffassung des Geschichtlichen, sondern auch bei Beurteilung dogmatischer und sittlicher Fragen." Sodann ist zu beachten, „daß das Schlagwort von der Voraussetzungs-

Der Eid wider den Modernismus 109

losigkeit der Wissenschaft auf Verkennung zweifelloser psycho- logischer Tatsachen beruht, und daß die Vertreter der katho- lischen Theologie nicht nur subjektiv von der Wahrheit ihres Glaubens überzeugt und zur wissenschaftlichen Rechtfertigung desselben bereit sind, sondern daß sie auch in demselben Momente, wo sie diese Ueberzeugung verlieren würden, die Freiheit, ja die Pflicht haben, ihr Lehr- amt aufzugeben". (S. 59.) Mit Paulsen ist Mausbach der weiteren Meinung, daß der Staat nicht nur durch das Prinzip der Parität gezwungen sei, auch der mit der protestantischen verfassungsmäßig gleichberechtigten katholischen Religion an der Universität die Möglichkeit eines wissenschaftlich vor- gebildeten Klerus zu bieten, sondern vor allem auch im Inter- esse des Wachstums der Kultur an dem Fortbestande der ka- tholisch-theologischen Fakultäten im Ganzen der Hochschule Anteil nehmen müsse. Denn gerade „die Eingliederung in das umfassende Ganze einer Universität, die engere Be- rührung mit den vom Staate für die Wissenschaft getroffenen Veranstaltungen, die reichere Gelegenheit, die deutsche Kultur unserer Zeit und die Angehörigen anderer Stämme, Berufe und Konfessionen kennen zu lernen, bietet immerhin sachliche Vorzüge für die Allgemeinbildung des künftigen Geistlichen, die der moderne Kulturstaat nicht geringschätzen kann." (S. 65.)

Es erschien angezeigt, im vorhergehenden möglichst die Vertreter des antimodernistischen Standpunktes selbst zu Worte kommen zu lassen. Auf diese Weise entging unsere Dar- stellung am sichersten dem Vorwurfe mangelnder Objektivität. Zugleich aber vermittelte sie eine lebendige Erkenntnis, in welch' innerem Zusammenhang alle diese Kund- gebungen mit der mittelalterlichen, speziell tho- mistischen, Bestimmung des Verhältnisses von Theo- logie und Philosophie stehen. Gerade dieser wie sie glaubt „gesunde" Konservativismus bildet die Eigenart und

110 Das Prinzip der löblichen Unterwerfung

zugleich den Stolz der katholischen Kirche gegenüber den kühnen „Neuerungen" - eben des Modernismus.

Wie nun im allgemeinen die antimodernistischen Erlasse der letzten Zeit zum Stein des Anstoßes geworden sind, so pflegen im besonderen die einzelnen Persönlichkeiten, die sich ihnen fügen, als „Schwächlinge" und „kulturfeindliche, mittel- alterliche Typen" gebrandmarkt zu werden. Dabei sind auf Seiten der Gegner oftmals um nicht zu sagen meistens Haß und Spott stärker als ein unbefangenes und gründliches Verständnis des bekämpften Standpunktes. Dies ist freilich für den keine Ueberraschung, der weiß, welche hohen sittlichen Anforderungen der ehrliche Wille zur Wahrheit in sich schliei3t.

Gerade unsere historische Orientierung ist nun geeignet, ein wirkliches Verständnis für die Haltung derer anzubahnen, die sich in religiösen Fragen, insbesondere im Falle eines schein- baren oder wirklichen Konflikts zwischen Philosophie und Theologie auf die Seite der wie sie historisch und philo- sophisch in den praeambula fidei bewiesen zu haben meinen göttlicher Autorität entstammenden kirchlichen Lehre stellen.

Es ist das Prinzip der „löblichen Unterwerfung" (laudabiliter se subjecitheißtesin der Sprache der Kurie), bei dem wir angelangt sind. Um es richtig sowohl positiv wie negativ zu würdigen, muß man folgende beiden Punkte festhalten.

Erstens. Als die entscheidende Voraussetzung der mittel- alterlichen Lösung unseres Problems fanden wir auf allen Etappen seiner historischen Entwicklung die Annahme, daß zu einer bestimmten Zeit Gott selbst sich durch Propheten und vor allem durch seinen „menschgewordenen Sohn" Jesus Christus geoffenbart habe. „Gott selbst hat gesprochen" lautete die charakteristische Formulierung. Gott aber ist die „absolute Wahrheit" und zugleich die ewige Wahrhaftigkeit selbst, die nicht lügen noch betrügen kann. Also darf und muß der Mensch ihr Glauben schenken. Der „Sohn Gottes" aber hat weiterhin eine Kirche gestiftet zu dem Zwecke, seine Lehre

Das Prinzip der löblichen Unterwerfung 111

bis zum Ende der Tage unverfälscht fortzupflanzen. Also darf und muß der Mensch auch den Lehren dieser Kirche glauben um der Autorität Gottes selbst willen.

Dies die Schlußkette, mit der jene „löbliche Unter- werfung" innerlich aufs engste verknüpft ist.

Es ist hier nicht der Ort und würde die Uebersicht des historischen Zusammenhanges stören, genauer die Haken zu prüfen, an denen die obige Kette hängt. Um so mehr halten wir uns gegenwärtig, daß die katholische Kirche und demnach auch der gläubige katholische Forscher diese Schlußkette als gesichert ansieht. Philosophische (vornehmlich das Dasein eines überweltlichen „persönlichen" Gottes be- treffende) und historische Erkenntnisse (die aus Wundern und Weissagungen erschlossene Tatsächlichkeit einer „übernatür- lichen" Offenbarung) gelten, wie wir genugsam hörten, als die Wissensgrundlage des katholischen Glaubensgebäudes.

Dann aber folgt: die kirchliche Autorität als göttliche vorausgesetzt (nicht mit Willkür, sondern auf Grund angeblich sicherer „Beweise") bedeutet die Unterwerfung unter sie eine unabweisbare Konsequenz. Demnach formal ge- nommen — nichts von vornherein Verächtliches, sondern einen Akt höchster Sittlichkeit, weil subjektiver Wahrhaftigkeit. ^

Zweitens aber kann folgender Fall eintreten. Ange- nommen, ein Forscher oder ein denkender Katholik überhaupt kommt zu einem Resultate, das direkt oder indirekt in Wider- spruch zur Kirchenlehre steht. Dann bestehen zwei Mög- lichkeiten. Einmal kann jemand eben solange seine Ueberzeugung von der „göttlichen Autorität" der Kirche bestehen bleibt unter mehr oder minder großen inneren Kämpfen sein eigenes, bloß „menschliches" Resultat zugunsten der „göttlichen" Lehre preisgeben. Sodann aber kann, wie psychologisch jeder leicht nacherleben kann, gerade eine solche

^ Vergl. J. M. Verweyen, «Wissenschaft und Ethos" (in der von Ernst Horneffer herausg. Zeitschrift „Die Tat" II. Jahrg., Heft 8).

112 Das Prinzip der löblichen Unterwerfung

Diskrepanz zwischen eigenem Denken (vorab wenn es sich um das methodisch geschulte des Forschers handelt) und der Kirchenlehre zu einem erneuten Anlaß werden, die Sanktion der kirchlichen Autorität, d. h. die bisher angenommene Tat- sache der übernatürlichen Offenbarung und deren Identität mit dem Dogma einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Vielleicht tritt in manchen erst bei einem solchen Konflikte eine völlige Unbefangenheit ein gegenüber den Argumenten für die Offenbarungs-Tatsache und die Unfehlbarkeit der Kirchenlehre, so daß letztere nun nicht mehr genügend sank- tioniert erscheinen, um ihnen die eigenen Forschungsresultate zu unterwerfen. Sofern diese in ehrlicher Arbeit errungen werden, können sie zudem manchmal ein weit „persönlicheres" geistiges Eigentum sein als die üblichen Argumente für eine Oifenbarungstatsache und vermögen dann leicht Zweifel an einer solchen aufkommen zu lassen.

Erst wenn das Zentrum des geistigen Menschen und dazu gehört auch sein gewissenhaft errungenes Wissen in Konflikt gerät mit „Autoritäten", zeigt sich, inwieweit letztere wirk- lich dem betreffenden Menschen ihre Sanktion erweisen können.

Freilich wird man auch dies nicht kurzsichtig übersehen dürfen, daß jener Konflikt auch infolge einer selbstgefälligen raschen Ueberschätzung der eigenen Resultate gerade eine gewisse Befangenheit gegenüber den früher anerkannten Gründen für die kirchliche Autorität hervorrufen kann. Ander- seits aber ist doch wohl bei höchster Ehrlichkeit und Ge- wissenhaftigkeit gerade ein Konflikt des eigenen Denkens mit dem kirchlichen Dogma geeignet, jene Unbefangenheit gegenüber den Offenbarungs-Argumenten zu erzeugen.

So wenig in dem ersten Falle der »Ungläubige" über die »Unterwerfung« hat aber im zweiten Falle der „Gläubige" in formal-ethischer Hinsicht berechtigten Grund, sich über die Nicht-Unterwerfung sittlich zu „entrüsten".

Die katholische Lösung des Problems als Typus 113

V. Die katholische Lösung des Problems als Typus.

Unsere Untersuchung hatte zunächst die historische Absicht, aus den mittelalterlichen Voraussetzungen die gegenwärtige Problemlage zu verstehen. Aber eine vertiefte geschichtliche Betrachtung philosophischer Fragen wirft gleichzeitig noch einen andern Ertrag ab. Sie begnügt sich nicht damit, die Reihenfolge der Ideen in ihrem zeitlichen Aufeinander und in ihrer etwaigen inneren Abhängigkeit aufzudecken. Die Ge- schichte der Philosophie kann vielmehr zugleich in hohem Maße der sachlichen Orientierung dienen, indem sie die historisch aufgetretenen Ideen sowie ihre Vertreter als Typen möglicher Lösungen und Denkweisen zu begreifen lehrt.

Wenden wir diese Methode auf unsere Frage an, so dürfen wir folgendes sagen. Das allgemeine Problem von Glauben und Wissen hat im Mittelalter eine ganz bestimmte, zeitgeschichtlich bedingte Lösung erfahren. Indem man diese zeitgeschichtlichen Faktoren von dem allgemeinen Wesen des Problems trennt, gewinnt man leicht ein Schema, das die Eigenart abweichender Lösungen deutlich hervortreten läßt.

Wenn das viel zitierte Wort eine erkenntnistheoretische Wahrheit bedeutet: „Das ist das Ende aller Philosophie, zu wissen, daß wir glauben müssen" so fragt sich doch in jedem Falle: woher der betreffende Glaube? und welcher Inhalt des Glaubens? Ursprung und konkreter Inhalt des Glaubens müssen sich auch dann noch vor dem kritischen Forum ausweisen, wenn die allgemeine Funktion des Glaubens überhaupt bereits gerechtfertigt ist. Denn nicht das allein ist

Verwcyen, Philosophie und Theologie im Mittelalter. 8

114 Die katholische Lösung des Problems als Typus

das Entscheidende, ob man überhaupt „glaubt", sondern auch an welchem Punkte und in bezug auf welchen Gegenstand dies geschieht zugleich auf Grund welcher Voraussetzungen. Kurz: warum man dies oder jenes glaubt. Solltees auch eines kritischen Kopfes nicht unwürdig sein, „Geheimnisse" anzu- nehmen, so gälte es doch stets mit Besonnenheit die Stelle, an der - und die Motive, aus denen ein ,, Geheimnis" Anerkennung verdient, festzulegen.

Was nun den Ursprung des Glaubens betrifft, so erblickte ihn das Mittelalter, wie wir sahen, in einer durch die „natür- liche Ordnung" der Dinge nicht erklärbaren „übernatürlichen" (transcendenten) Offenbarung Gottes. Aus dem „Jenseits", ver- suchte man zu beweisen, sind im Laufe der Geschichte durch gottbegnadete, „vom heiligen Geiste inspirierte" Propheten, vor allem durch die „zweite Person in der Gottheit" selbst die wichtigsten religiösen Lehren in das „Diesseits" zu der suchen- den und irrenden Menschheit gedrungen.

Die christliche sogen. Orthodoxie die katholische wie die protestantische hält bis in unsere Tage an diesem Ursprünge des „wahren" religiösen Glaubens unver- rückbar fest; während die konsequente Nicht-Orthodoxie, wie wir kurz sagen wollen, keinen ,, göttlichen" Ursprung dieser Art kennt. Der Begriff der „übernatürlichen Offen- barung" ist darum im tiefsten Grunde der Kardinal- punkt, um den in der Gegenwart der Kampf um den „religiösen Glauben" tobt.

Denn alle, die auch die religiösen Vorstellungen und Gefühle der Menschheit einem natürlichen d. h. rein „dies- seitig" zu fassenden Entwicklungsprozesse einordnen, sind infolge dieses Forschungsprinzips bezw. Forschungsresultats durch eine unüberbrückbare Kluft von denen getrennt, die einen völlig einzigartigen, mit den Mitteln sonstiger Kausal- analyse prinzipiell nicht faßbaren Ursprung des religiösen Glaubens verfechten. Auf der einen Seite das Lager derer, die

Die katholische Lösung des Problems als Typus 115

alle Religionen - einschließlich der christlichen - in keinem wesentlich anderen Sinne auf „Offenbarung" zurückführen, wie etwa die Schöpfungen großer Künstler, die ihr Werk ja geradezu auf eine aus den Tiefen ihres Wesens hervorquellende, zuletzt nicht weiter analysierbare „Inspiration" zurückführen. ^ Auf der anderen Seite jene, die in einem wesentlich verschiedenen, meta- physischen Sinne die „Inspiration" verstanden wissen wollen und eine völlig einzigartige, sonst nie in der Geschichte an- zutreffende Entstehung der jüdischen und christlichen ,,Offen- barungs"-Religionen, wie man sie im Unterschiede zu den „bloß natürlichen" gerne nennt, annehmen.

Es wäre eine sehr zeitgemäße Untersuchung, vom Stand- punkte unseres heutigen Wissens aus, die Gründe aufzudecken, welche gegen eine „übernatürliche" zugunsten einer „natür- lichen" Offenbarung sprechen. Eine solche Aufgabe würde zu- gleich auf eine Kritik der vom Mittelalter und seinen von der katholischen Kirche bis heute verfochtenen Argumente hinaus- laufen. Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit genüge es, die Richtlinien einer solchen Kritik anzugeben. Im wesent- lichen würde es sich dabei um den Nachweis handeln, daß die angeblichen „Wunder und Weissagungen" keineswegs so unerschütterliche Argumente bedeuten (testimonia irrefragabilia, wie sie die Encyclica Pascendi in Uebereinstimmung mit ähn- lichen Aeußerungen des vatikanischen Konzils und des Thomas von Aquino nennt. (Vgl. oben S. 78.) Abgesehen von der philosophischen Frage der Möglichkeit und Wahrschein- lichkeit — von „Wundern" und der durch sie zu bezeu- genden „göttlichen Offenbarung" ist es offensichtlich die rein historische Frage nach der Tatsächlichkeit beider, die hier die entscheidende Instanz bildet. Somit wäre es schließlich Sache der geschichtlichen, möglichst unvoreingenommenen, „voraussetzungslosen" Betrachtung, über die Tatsache einer

' Man lese z. Bsp. Nietzsches Schilderung über die Zustände seiner .Inspiration".

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116 Die katholische Lösung des Problems als Typus

übernatürlichen Offenbarung zu entscheiden. Nun finden sich unter den religiösen Urkunden der Menschheit solche, wie eben auch die christlichen die ihre Entstehung unmittelbar auf „göttliche Eingebung" zurückführen und zu ihrer Beglaubigung auf nicht „natürlich" zu erklärende Taten und Ereignisse, die Wunder, hinweisen. Da entsteht die hochbedeutsame Frage nach der Glaubwürdigkeit solcher Ueberlieferungen; eine Frage, bei deren Entscheidung sowohl historische, den Berichten selbst entnommene sog. textkritische als auch philosophische sowie allgemeine, dem gegenwärtigen Stande des Wissens überhaupt (z. B. der Psychologie der Zeugenaussage oder Psychopathologie) entnommene Argumente mitsprechen. Wer „V/under" in jenem „übernatürlichen" Sinne aus philosophischen Erwägungen heraus für unmöglich oder doch was nicht minder in die Wagschale fällt für unwahrscheinlich hält, wird von vornherein Wunderberichten gegenüber sich skeptisch verhalten. ^ So wird die philosophische Weltauffassung des betreffenden Religionshistorikers von grund- legender Bedeutung für seine Stellung zu den Urkunden dieser Art. Es handelt sich hierbei um einen bei den verschiedenen Forschern verschiedenen philosophischen Einschlag in der historischen Einzelforschung, der nicht immer scharf genug herausgearbeitet wird und darum leicht die gegen- seitige Verständigung trübt.

Nicht unerwähnt bleibe schließlich noch, daß im 19. Jahr- hundert — das man wohl als das saeculum historicum zu charak- terisieren pflegt eine ganz neue historische Disziplin sich ent- wickelte, durch welche die Frage nach dem „übernatürlichen Offenbarungs"-Ursprung speziell der jüdischen und christlichen Religion in eine ganz neue Beleuchtung getreten ist. Gemeint

^ Vgl. meine demnächst erscheinende Untersuchung über »Das Problem des Möglichen". Ferner das soeben erschienene Buch von F. Kiefl, Die philosophischen Voraussetzungen im Kampf um die Christusmythe, Mainz 1911.

Die katholische Lösung des Problems als Typus 117

ist die vergleichende Religionsgeschichte. Sie läßt immer mehr von dem, was die christliche Theologie als Einzig- artigkeit des „Christentums" behauptet hatte, als Gemeingut vieler Religionen erkennen und ist dadurch zu einem bisher in dieser Art unbekannten Gegner der „übernatürlichen" Offen- barung geworden. Die vergleichende Religionswissenschaft zeigt uns immer deutlicher die ganze JVlannigfaltigkeit der konkreten Gestaltungen, welche die allgemeine religiöse Grundform beiden verschiedensten Völkern angenommen hat. Vom Standorte dieser Betrachtungsweise erscheint es dann will- kürlich, gerade die konkrete christliche Gestalt dieser Grundform auf eine einzigartige, „übernatürliche" Offenbarung zurückzu- führen. „Denn wie man auch über Wunder denken möge, jedenfalls ist es der Historie unmöglich, die christlichen Wunder zu glauben und die nicht-christlichen zu leugnen, und, wie sehr man in den ethischen Kräften des inneren Lebens etwas Ueber- natürliches finden möge, es gibt kein Mittel, die Er- hebungen des Christen über die Sinnlichkeit als übernatürlich und die Piatons oder Epiktets als natürlich zu konstruieren."^ Im einzelnen müßte dabei natürlich gezeigt werden, daß eben auch die angeblichen Besonderheiten des Urchristentums aus den verschiedensten (historischen und philosophischen) Gründen nicht eine solche Ausnahmestellung im Sinne eines „göttlichen" Ursprunges recht- fertigen. —

Nunmehr gilt es auch in inhaltlicher Beziehung die mittelalterlich-katholische Lösung des Problems als Typus zu begreifen. Als Inhalte des religiösen Glaubens fanden wir Lehren über Gott, seinen „menschgewordenen Sohn" Jesus Christus und des Menschen Verhältnis zu beiden Lehren, die einer übernatürlichen Offenbarung, unmittelbar göttlicher Belehrung zu entstammen, demnach über alles menschliche

^ E. Troeltsch, Die Absolutheit des Christentums und die Religions- geschichte, Tübingen 1Q02.

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118 Die katholische Lösung des Problems als Typus

Wissen erhaben und die eigentliche „wahre Philosophie" zu sein schienen, wie wir bereits in der Zeit der Patristik vernahmen, (vgl. oben S. 1 1 ff.).

Wenn auch viele dieser Glaubenslehren als übervernünf- tige bezeichnet wurden d. h. als solche, zu deren Auffindung und Erkenntnis die menschliche Vernunft nicht imstande sei, so war und ist man im Rahmen dieser Problem-Lösung doch der Ueberzeugung, der paulinischen Forderung eines „vernünftigen Glaubens" entsprochen zu haben. Ein Widerspruch zwischen wirklichen und gesicherten Resultaten des Wissens einerseits und den richtig verstandenen In- halten des Glaubens anderseits gilt als grundsätzlich ausge- schlossen. Dies bedeutet die prinzipielle Verfechtung einer Harmonie zwischen zwei verschieden gearteten, aber nicht durch einen unüberbrückbaren Gegensatz getrennten Sphären unserer geistigen Betätigung. In anderem Bilde gesprochen: keine dualistische Zweiweltentheorie in dem Sinne, daß die Welt des Wissens die Existenz der Welt des Glaubens be- drohen könnte. Vielmehr ein beständiges gegenseitiges Stützen beider Welten: das Wissen imstande, „die Fundamente des Glaubens zu beweisen"; der Glaube ein göttlicher Gnade und Unterweisung entspringendes „übernatürliches Licht" (ein lumen supranaturale), das dem „natürlichen" Wissen neue Be- leuchtung und Vertiefung sowie zugleich Anregung zu weiteren Spekulationen über göttliche Dinge zuteil werden läßt.

Man kann die Eigenart dieses prinzipiell har- monisierenden Lösungsversuches unseres Problems durch die katholische Kirche nicht genug unter- streichen gegenüber einem Dualismus der „doppelten Wahrheit", der Glauben und Wissen zu feindlichen Gegensätzen stempelt.

Diese prinzipiellen Fassungen sind offensichtlich auch dann möglich, wenn die Inhalte des Glaubens nicht die Lehren und Dogmen der Kirche bilden.

Die katholische Lösung des Problems als Typus 119

Die übliche Sprache der christlichen Orthodoxie pflegt solche, die nicht den christlichen Kirchen- und Dogmenglauben teilen, schlechthin und dazu nicht selten im verächtlichen Sinne als „Ungläubige" zu bezeichnen. Darin aber liegt eine ungeheure Willkür, um nicht zu sagen, Anmaßung. Denn in der christlichen Dogmatik findet sich zwar ein aber nicht „der" Glaube. Auch ein „Ungläubiger" kann, paradox gesprochen, sehr „gläubig" sein. Denn die von allen konkreten Inhalten unabhängige Grundform des Glaubens in dem hier in Rede stehenden Sinne ist der zuletzt nicht rationalen, sondern irrationalen Quellen entspringende Wille, die empirische Wirklichkeit im Lichte einer sittlichen Idee zu betrachten und nach Möglichkeit unter deren Einfluß umzugestalten. Von hier aus versteht man, daß im kirchlichen Sinne Ungläubige mit Rücksicht auf ihren starken diesseitigen „Lebensglauben" ^ nicht auf das Recht verzichten wollen, sich Gläubige nennen zu dürfen. Von hier aus ist auch das Wort zu verstehen: „Nur der Mensch ohne Ideal ist der wahre Atheist und der Mensch ohne Glauben an die Vervollkommnung seiner selbst und der Gattung der wahrhaft Ungläubige." ^

Wer ferner in Abrede stellt, daß der in einem christ- lichen Dogma formulierte Inhalt objektive, historische, oder metaphysische, Wahrheit enthält kann dennoch lebendig an die dem Dogma zugrunde liegende Idee als an eine ethische Macht glauben.

Wer sich als „ungläubiger Forscher" beispielsweise gegen- über dem als historische Tatsache behaupteten „geboren aus Maria der Jungfrau" schlechthin ungläubig verhält, kann doch die Grundidee bejahen, die dem ex carne natum ein ex Deo natum überordnet. Die gleiche Betrachtung ließe sich auf alle christlichen Dogmen ausdehnen.

^ Als Beispiel diene etwa Ellen Keys Buch „Der Lebensglaube". ^ Friedrich Jodl, Wissenschaft und Religion, 1909.

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120 Die katholische Lösung des Problems als Typus

Nicht der christliche Dogmenglaube, sondern der Glaube in dem allgemeineren Sinne der vertrauensvollen Hingabe an das aufwärts steigende Leben im Gegensatze zu der „un- gläubigen" Resignation einer matten Alltäglichkeit dieser Gegensatz ist es, den das viel zitierte, oft in unberechtigter Weise gerade zur Apologie des christlichen Glaubens ausge- beutete Wort Goethes meint: „Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchem der Glaube herrscht, in welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herz- erhebend und fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt."

Wie der kirchliche Glaube nur ein Spezialfall des reli- giösen Glaubens überhaupt ist, so ist nun auch das religiöse Problem von Glauben und Wissen nur ein Spezialfall eines umfassenderen Problems, dessen Grundform sich an den mannigfachsten Inhalten und Verhältnissen auswirken kann. Welcher Art diese auch immer sein mögen: von einem höheren Standpunkte aus gesehen verhalten sich Glauben und Wissen zueinander wie Irrationalismus und Rationalismus, wie Instinkt und Vernunft, wie unmittelbare Erlebnis-Gewißheit und nach- trägliche Reflexion, wie Schauen und Beweisen. Die nähere Begründung dieser Behauptung bleibe einer besonderen Unter- suchung über das Wesen des Irrationalismus vorbehalten. Nur dies sei hier noch bemerkt, daß unser geistiges Leben be- ständig von irrationalen Wert-Elementen durchzogen wird, die sich in weiterem Sinne als ein „Glauben" gegenüber der kritischen Zersetzung durch das Wissen zu behaupten suchen. In diesen Zusammenhang gehört das psychologisch außer- ordentlich wichtige und interessante Phaenomicn des Zweifels, das ja gerade auch in der Seele des religiösen Menschen eine große Rolle spielt. In doppelter Weise kann der Zweifel auf- treten: als Instinktunsicherheit d. h. als eine unmittelbare reflexionslose Erschütterung der Glaubensgewißheit und der

Die katholische Lösung des Problems als Typus 121

in ihr festgehaltenen Eindeutigkeit einer Wertbeziehung oder als ein intellektuelles Schwanken d. h. als ein durch rationale Ueberlegungen eintretender Zustand der intellektuellen Ungewißheit, die sich als Mehrdeutigkeit in Gedanken an die Möglichkeit des Auch-anders-sein-könnens äußert. Bald siegt, wie uns aus mannigfaltigen Beispielen des täglichen Lebens geläufig ist, die schließlich auf irrationaler Grundlage beruhende, nicht weiter beweisbare, sondern nur erlebbare „Glaubens- überzeugung", bald die rationale Ueberlegung. Die Stärke- verhältnisse beider zählen im letzten Grunde zu den Geheim- nissen der Individualität und sind überdies oft für die ver- schiedenen Sphären unseres geistigen Seins verschieden.

Die Psyche des katholischen Christen ist nun dadurch charakterisiert, daß sie sich gegenüber allen Zweifeln an der Wahrheit der Dogmen immer wieder zu einem energischen „Und dennoch !" aufschwingt, das den Grübeleien der Vernunft zum Trotz unerschütterlich den Glauben an das „Wort Gottes" bewahrt. Diese katholische Glaubensenergie aber ruht auf der rationalen Basis der angeblichen Beweise, „daß Gott wirklich gesprochen hat". So durchdringen sich Rationalismus und Irrationalismus in eigenartiger Weise in der Seele des Menschen, der sich die katholische Lösung unseres Problems sei es nur in formaler oder auch zugleich in materialer Hinsicht zu eigen macht.

Noch schärfere Beleuchtung gewinnt die Eigenart dieser Lösung durch den Vergleich mit der Luthers, der dem Irrationalismus allein das Wort redet.

„Das gerade war das Wichtigste, das Neue, das Reforma- torische in Luthers Gedanken: praktisches Christentum war ihm seinem eigentlichen Wesen nach nicht Annahme einer auto- ritativ gegebenen Erkenntnis von Gott und Welt und daneben Uebung ethischer Tugenden; es war ihm das erfahrbare und nur durch Erfahrung erlangbare Wurzeln im religiösen Glauben. Hinter diesem religiösen Vertrauen

122 Die katholische Lösung des Problems als Typus

auf Gottes Gnade in Christo trat das ganze Gebiet der Ethik im engeren Sinne als das Bedingte hinter dem Bedingenden zurück. Das Neue im Lutherschen Christentum war primär dies religiöse Verständnis des Evangeliums."^ Der „Glaube allein" ist es, der nach Luther „selig macht", d. h. die Zuver- sicht (fiducia) zu der Gnade Christi, das „Vertrauen, daß wir Gott gefallen um Christi willen". Die einzige Sünde ist schließlich der entsprechende Unglaube: „Sündige nur tapfer, aber glaube noch tapferer." Sogar alle sog. „guten Werke", die ohne Glauben geschehen, sind tot und nützen nichts zur Seligkeit. Anderseits aber bringt der lebendige Glaube von selbst die „Werke" als Früchte hervor: Opera sunt facienda non ut causa, sed ut fructus iustitiae. (Comm. in ep. ad. Gal.) Extra causam iustificationis nemo potest bona opera a Deo praecepta satis magnifice commendare. Opera vero extra fidem peccatum peccato addunt. (1. c.) In diesem Sinne ist auch Luthers Wort in den Tischreden zu verstehen: „Glaube an den Herrn Jesum Christum und tue die Werke deines Berufes"! Dem echten Christen ist bei seinem Tun und Lassen „die lebendige Zuversicht auf Gottes Gnade so gewiß, daß er tausendmal darüber stürbe".

Luthers Formel: Der Glaube allein (sola fides) richtet sich aber nicht nur gegen die katholische Lehre von den „guten Werken", sondern auch zweitens gegen die von dem katholischen Dogma behauptete Möglichkeit eines Wissens von der Offenbarungstatsache. Luther stellt sich in entschiedenen Gegensatz zu der mittelalterlich-katholischen Tradition, wenn er auch die sog. Heilstatsachen als Gegenstand eines bloßen Fürwahrhaltens betrachtet. Die an Stelle der kirchlichen Auto- rität tretende Autorität der Bibel als des „Wortes Gottes" ist ihm durch ein inneres Erlebnis, durch eine unmittelbare (irra- tionale) Gewißheit sanktioniert. Augustinus hatte bekannt: „Ich würde dem Evangelium nicht glauben, wenn mich nicht

1 F. Loofs, Grundriß der Dogmengeschichte 4 A. S. 714.

Die katholische Lösung des Problems als Typus 123

die Autorität der katholischen Kirche dazu bewöge." Solcher Standpunkt dünkt Luther „falsch und unchristlich; es muß ein jeglicher allein darum glauben, daß es Gottes Wort ist und daß er inwendig befinde, daß es Wahrheit sei". „Darum muß dir's Gott ins Herz sagen: das ist Gottes Wort."^ Also: eine auf persönlicher Gnadenwirkung und Offenbarung beruhende, in innerem Erleben wurzelnde Gewißheit von der Tatsache einer historischen Kundgebung Gottes an die Mensch- heit; — kein Versuch, diese Tatsache durch Wunder und Weissagungen zu „beweisen", wie die katholische Theologie es unternimmt!

Endlich drittens ist auch der „Glaube allein" das Organ zur Erfassung des Offenbarungsinhaltes. Ein natürliches Wissen von den Wahrheiten, die göttlicher Offenbarung ent- stammen, gibt es nicht. Die Theologie hat lediglich die Auf- gabe, den Sinn des Wortes Gottes zu ermitteln, ohne ihn spekulativ weiter auszudeuten.

Man beachtet im allgemeinen noch immer nicht genug, wie sehr Luther bei der Schätzung der natürlichen Kräfte des Menschen von der mittelalterlich-katholischen Tradition abweicht. Diese nannte „Natur und Gnade" nicht unversöhnliche Feinde, sondern bekannte sich zu der klassischen Formulierung Thomas von Aquinos, nach der die Gnade die Natur nicht zerstöre, sondern „vollende" und ,, erhebe": gratia naturam non destruit, sed perficit.'- Daher finden wir auch bei den mittelalterlichen Denkern die „natürliche" Vernunft in ver- schiedener Beziehung im Dienste des „übernatürlichen"Glaubens.

Luther dagegen schilt die „natürliche Vernunft Frau Hulde", „die Hure des Teufels" und „Erzfeindin des Glaubens".

' a. a. O. S. 743;. vgl. zum folgenden auch S. 747, ^ Eine lehrreiche Beleuchtung dieses Grundsatzes gibt der katho- lische Theologe A. Rademacher in seiner Schrift: Gnade und Natur, ihre innere Harmonie im Weltlauf und Menschheitsleben, M.-Qlad- bach 1908.

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Philosophie und Theologie scheinen ihm unversöhnliche Feinde. Aristoteles im Mittelalter mit Stolz „der Philosoph" genannt - gilt Luther als „die gottlose Wehr der Papisten". Die aristo- telische Ethik sei eine pessima inimica gratiae: Aristoteles ad theologiam est tenebrae ad lucem. Luther erkennt im Unter- schiede von der kathoHschen Theologie das arabische Prinzip der „doppelten Warhrheit" an und tadelt deshalb die Sorbonne: sie habe „die höchst verwerfliche Lehre aufgestellt, daß das, was in der Philosophie ausgemachte Wahrheit sei, auch in der Theologie gelten müsse".

Erst unter Melanchthons Einflüsse hat Luther wenigstens zugegeben, daß die logischen und rhetorischen Schriften des Aristoteles nützlich sein könnten, „junge Leut zu üben, wohl reden und predigen".

Die altprotestantische Dogmatik eines Johann Gerhard und Ph. Melanchthon fordert einen „richtigen Gebrauch der Philosophie" (verus usus philosophiae). Die Philosophie soll die Vorhalle der Theologie sein und der Schrift- auslegung zugute kommen. Dabei wird ein Dualismus zwischen Vernunft und Offenbarung festgehalten, „der halb theoretisch, halb praktisch begründet ist und den Zweck hat, sämtliche Glaubenslehren in ihrem Detail als wahr zu sichern, die Wahrheitsfrage in dem Sinne zu lösen, daß von vorn- herein jedes Glaubensobjekt in seiner Wahrheit garantiert ist und der auf diese Objekte sich richtende praktische Glaube von Hause aus aller am Detail erwachenden und von da aus vielleicht gefährlich weitergreifenden Zweifel überhoben ist". „Die Frage der doppelten Wahrheit hat Melanchthon hierbei noch nicht ins Auge gefaßt. Bei seiner Ueberzeugung von der Harmonie aller Wissenschaften in ihrem obersten Zweck macht sie ihm keine Sorge. Ebenso hat er eine Regulierung eventueller Einzelkonflikte nicht vorgesehen ; in seiner geschmack- vollen sinnigen Weise nimmt er dieselbe überall unter der Hand vor. Wohl aber hat er die Frage der doppelten Offen-

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barung erwogen, die bei der Deckung so mancher Elemente des heiligen Buches mit dem natürlichen Erkennen unvermeid- lich war. Doch auch hier hält er sich nur an das Große. Nicht eine Schwierigkeit findet er hierin, sondern eine köst- liche Bestätigung des besten Inhalts der natürlichen Erkenntnis, gerade wie die Benutzung der dialektischen Regeln durch den heiligen Geist nur eine göttliche Bezeugung der Herrlichkeit dieser Gottesgabe ist. Er kümmert sich nicht um Kleinig- keiten, sondern lebt und webt in der Ueberzeugung, daß die gereinigte Wissenschaft und das gereinigte Gottes- wort aufs innigste verbunden sind als die beiden gottgegebenen Wege zum irdischen und ewigen Wohl."^ Von solchen Voraussetzungen aus wird Melanch. thonzum Begründer der sog. protestantischen Scholastik. ^ Die Philosophie, die Luther und anfangs auch Melanchthon als heidnische Verirrung aus dem Heiligtum der Theologie gebannt wissen wollte, wird abermals zur „Dienerin" nun- mehr des neuen Glaubens. Und wiederum entstanden neue dogmatische Systeme, die den Inhalt der neuen Lehre be- grifflich zu fassen suchten.

Luthers Grundgedanken über das Verhältnis von Glauben und Wissen wurden von Kant zu Ende gedacht und dem Systeme des Kritizismus eingeordnet. Man hat deshalb Kant den „Philosophen des Protestantismus" genannt^ im Gegensatze

^ E. Troeltsch, Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon, Untersuchung zur Geschichte der altprotestantischen Theologie, Göttingen 1891, S. 73 und 95. Ferner H. Maier, Melanchthon als Philosoph (Archiv für Gesch. d. Philos,, Bd. X und XI).

- Vgl. E. Weber, Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus im Zeitalter der Orthodoxie, Leipzig 1907.

' Vgl. F. Paulsen, Philosophia militans, Berlin 1901, S. 31 ff. (auch Kantstudien IV (1899) und VI (1901). Bruno Bauch, Luther und Kant, Leipzig 1903. Ernst Saenger, Kants Lehre vom Glauben, Leipzig 1903. Rudolf Eucken, Kant und Thomas von Aquino, Ein Gegensatz zweier Welten. Ders. : Thomas von Aquino und die Kultur der Neuzeit.

(

126 Die katholische Lösung des Problems als Typus

zu Thomas von Aquino, dem Philosophen des Katholizismus. Für diese Charakteristik ist nicht zum wenigsten gerade die Stellung beider Denker zu unserem Probleme maßgebend. In der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft schreibt Kant: „Ich kann Gott, Freiheit und Un- sterblichkeit zum Behuf des notwendigen praktischen Gebrauchs meiner Vernunft nicht einmal annehmen, wenn ich nicht der spekulativen Vernunft zugleich ihre Anmaßung benehme, weil sie sich, nur zu diesen zu gelangen, solcher Grundsätze bedienen muß, die, indem sie in der Tat bloß auf Gegen- stände möglicher Erfahrung reichen, wenn sie gleichwohl auf das angewandt werden, das nicht ein Gegenstand der Er- fahrung sein kann, wirklich dieses jederzeit in Erscheinung verwandeln, und so alle praktische Erweiterung der reinen Vernunft für unmöglich erklären. Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu be- kommen, und der Dogmatismus der Metaphysik d. i. das Vorurteil, in ihr ohne Kritik der reinen Vernunft fortzu- kommen, ist die wahre Quelle alles der Moralität wider- streitenden Unglaubens, der jederzeit sehr dogmatisch ist." Kants kritisches Bemühen ist darauf gerichtet, ein anmaßendes Wissen und den in seinem Namen auftretenden Unglauben zu besei- tigen, um für einen kritisch fundierten Glauben Platz zu ge- winnen und „allen Einwürfen wider Sittlichkeit und Religion auf sokratische Art, nämlich durch den klarsten Beweis der Unwissenheit der Gegner, auf alle künftige Zeit ein Ende zu machen". Eine reinliche Gebietsteilung zwischen Wissen und Glauben soll allen unnützen Fehden dieser Art ein für allemal vorbeugen. Kants kritisches Resultat lautet: ein dogmatisches metaphysisches Wissen ist unmöglich. Gott, Freiheit und Un- sterblichkeit, die vornehmsten Probleme der bisherigen Meta- physik, sind keine Gegenstände möglichen Erkennens. Die Transcendenz bleibt dem erkennenden Menschengeiste ewig verschlossen. Aber als sittlich wol lendes Wesen gewinnt der

Die katholische Lösung des Problems als Typus 127

Mensch einen Zugang zu der jenseitigen Welt des Uebersinn- lichen, zu dem mundus intelligibilis. Der kategorische Impe- rativ, das Bewußtsein des Sollens, führt zu einem „praktischen Vernunftglauben" an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. An Stelle der vermeintlichen metaphysischen Erkenntnisse treten diese drei Vernunftpostulate d. h. „theoretische, als solche aber nicht erweisbare Sätze, sofern sie einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich anhängen". Auch die Religion verbleibt „innerhalb der Grenzen der bloßen Ver- nunft". Alles, was die historischen Religionen außer einem guten Lebenswandel vorschreiben, ist bloßer „Afterdienst Gottes". Die religiösen Dogmen sind lediglich Symbole sittlicher Ideen. Der dem sittlichen Bewußtsein entsprechende praktische Vernunft- glaube ist allein von Wert. Gänzlich wertlos dagegen ist der Glaube in dem früheren Sinne des Fürwahrhaltens angeblich historischer Begebenheiten und ihrer spekulativen Andeutungen, als könnten sie metaphysische Wahrheit beanspruchen. Dies die Grundgedanken der Kantischen Religionsphilosophie.

Zweierlei ist an ihnen für unseren Zusammenhang be- merkenswert. Erstens: ihre augenscheinliche Uebereinstimmung mit den Prinzipien der Reformation. Beiden scheint die Vernunft außerstande, „Beweise" für das Dasein Gottes und die Tat- sache einer göttlichen Offenbarung zu erbringen. Statt der Ratio bildet ein Irrationalismus, die nicht weiter beweisbare innere Erfahrung vom „Worte Gottes", wie Luther sagt von einem überindividuellen sittlichen Sollen, dem kate- gorischen Imperativ in der Sprache Kants, die Grundlage des Glaubens.

Damit aber hat Kant zweitens (wie Luther) die mehrfach hervorgehobenen rationalen Fundamente der mittelalterlich- katholischen Problemlösung preisgegeben.

Der Kantische Dualismus zwischen theoretischer und praktischer Vernunft hat den stärksten Einfluß auf die Ent- wicklung unseres Problems innerhalb der protestantischen

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Theologie des 19. Jahrhunderts bis in unsere Tage gewonnen. Einige Beispiele mögen dies erläutern.

Schleiermacher (1768—1834) war es, der nach den abermaligen rationalistischen Versuchen Hegels i, die philoso- phische Spekulation in die Welt des religiösen Glaubens hinein- zutragen, wiederum auf die Kantische Trennung beider Gebiete zurückging. Die Religion, deren Wesen sich in einer Mannig- faltigkeit „positiver Religionen" offenbart, wohnt nach ihm in einer von dem Erkennen völlig verschiedenen geistigen „Provinz". Sie bedeutet „Sinn und Geschmack für das Unendliche" und besteht in einem absoluten Abhängigkeitsgefühl gegenüber dem Unendlichen. Da Gefühle nicht wahr oder falsch sein können, ist der Unterschied zwischen wahrer und falscher Religion hinfällig. Er stammt aus einer intellektualistischen Fassung der Religion. Wissen um die Religion und die Religion selbst sind aber gänzlich verschiedene Dinge. Der religiöse Glaube kann deshalb seinem Wesen nach nie mit dem Wissen in Konflikt geraten. Erst wenn die evangelische Theologie die völlige Verschiedenheit von Glaubenssätzen und Wissenssätzen begriffen hat, wird sie, wie Schleiermacher in der Schrift über den christlichen Glauben ausführt, einsehen, „daß zum Bei- spiel eine so wunderliche Frage wie die, ob derselbe Satz in der Philosophie wahr sein könne und in der christlichen Theo- logie falsch und umgekehrt, deswegen nicht mehr vorkommt, weil ein Satz, so wie er in der einen ist, in der anderen keinen Platz finden kann, sondern, wie ähnlich er auch klinge, die Verschiedenheit doch immer vorausgesetzt werden muß". Denn die Glaubenslehre „hat es ebenso wenig mit dem objektiven Bewußtsein unmittelbar zu tun als die reine Wissenschaft mit dem subjektiven". Deshalb hält Schleiermacher es für verfehlt, wenn man die Glaubenslehre „mit wissenschaftlichen Sätzen

* Vgl. H. Hadlich, Hegels Lehren über das Verhältnis von Religion und Philosophie. (Abhandl. z. Philos. und ihrer Geschichte, herausg. V. B. Erdmann, Bd. 24.)

Die katholische Lösung des Problems als Typus 129

durchschießt oder sie von der Grundlage der Wissenschaft abhängig machen will". Beweise für das Dasein Gottes sind nach ihm für die Glaubenslehre völlig überflüssig, ja überhaupt gar nicht möglich; denn metaphysische Erkenntnis gibt es nicht, wie Schleiermacher im Anschluß an Kants Erkenntnistheorie zu zeigen sucht.

In den Bahnen Kants und Schleiermachers bewegt sich auch ein so einflußreicher Theologe wie Albrecht Ritschi (1822-1889)1. £i- bezeichnet Glauben und Wissen, religiöse Weltanschauung und wissenschaftliche Welterkenntnis als zwei „heterogene Erkenntnisarten", als „entgegengesetzte Geistes- tätigkeiten" oder „verschiedene Geistesfunktionen". Auf der Verwechslung dieser verschiedenen Erkenntnisarten beruht die Feindschaft zwischen Philosophie und Theologie. Beide können nur so lange in Frieden leben, als jede in ihrem eigenen Ge- biete bleibt.

Das religiöse Erkennen besteht nun nach Ritschi „in selbständigen Werturteilen", während das rein theoretische Er- kennen ganz „uninteressiert" ist. Die Wahrheit des religiösen Erkennens besteht demnach lediglich darin, daß wir den sitt- lichen Wert der betreffenden religiösen Vorstellungen in uns erfahren oder „erleben", wie die in der Gegenwart beliebte Wendung lautet. Wer an Gott glaubt, sagt z. B. Ritschis Schüler, der Marburger Theologieprofessor Wilhelm Herr- mann^, hat „in seinen Erlebnissen die Spuren einer geisti- gen Macht gefunden, durch die er sich zu völliger Hingabe in Ehrfurcht und Vertrauen gezwungen sieht". Nicht das

^ Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, dargestellt von Albrecht Ritschi, Bonn L A. 1874, 2. A. 1882/83. Auch: Theologie und Metaphysik, Bonn 1887. Vgl. dazu E. Boutroux, Wissen- schaft und Religion in der Philosophie unserer Zeit, Leipzig 1910.

^ Die Religion in ihrem Verhältnis zum Welterkennen und zur Sittlichkeit, 1871. Vgl. auch Werturteile und Glaubensurteile. Eine Untersuchung von Prof. D. Max Reischle, Halle 1900.

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„Welterkennen", sondern die Sittlichkeit führt zur Religion. Das Sittengesetz aber ist in sich selbst fest verankert. „Es steht, wie Kant sagt, obgleich es durch alle Anstrengungen der theo- retischen, spekulativen oder empirisch unterstützten Vernunft nicht bewiesen werden kann, dennoch für sich selbst fest." Mit Kant ist Herrmann der Ueberzeugung, daß wir nur durch den im Sittengesetze liegenden praktischen Glauben die Gewii3- heit einer übersinnlichen Welt gewinnen. Ein Konflikt zwischen „Welterkennen" und religiösem Glauben ist deshalb im letzten Grunde gar nicht möglich. „Daß die Auffassung der Welt für den Menschen als erkennendes Subjekt eine völlig andere sei wie für den Menschen als sittliche Person - , diese von Kant errungene Erkenntnis vindiziert auf der einen Seite der exakten Wissenschaft die Pflicht der Selbständigkeit, welcher sie sich mit reichem Erfolge unterzogen hat. Auf der anderen Seite wird durch diese Errungenschaft Kants die Theologie in die Freiheit entlassen, nach der sie in der Reformations- zeit hinausgeblickt hatte."

Endlich seien noch zwei Denker der letzten Zeit erwähnt, bei denen wir dieselbe Betonung des religiösen „Erlebnisses" oder, wie es auch oft heißt, „Bedürfnisses" antreffen. Zunächst H. Spitta, der Verfasser eines viel beachteten Buches „Mein Recht auf Leben". Darin finden sich subjektivistische Sätze wie diese: „Die Religion, der ich angehöre, habe ich nicht, weil sie die wahre ist, wie man doch meinen sollte, sondern sie ist die wahre, weil ich sie habe, und ich habe sie, weil sie und insofern sie meinem Bedürfnis entspricht; das und nichts anderes ist der wahre Sachverhalt. Es hat hiermit die gleiche Bewandtnis wie mit der Frage nach dem „wahren" Gott, Gott ist stets und kann nur sein irgend jemandes Gott, ihm hilft er, darum ist er sein Gott." „Der religiöse Mensch hat seinen Gott, dieser sein Gott ist dann hinterher Gott schlechthin; es sind Erfahrungstatsachen des inneren persönlichen Lebens, um die es sich überall handeh

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der fremde Mensch mag sie für sich ebenfalls an- nehmen oder ablehnen, je nachdem, zu ändern vermag er sie nicht."

Die an Kant und Schleiermacher orientierte Lösung unseres Problems hat in jüngster Zeit nicht zum wenigsten durch die Werke Friedrich Paulsens weiteste Verbreitung gefunden. Indem er eine scharfe Grenzscheide zwischen Wissen und Glauben zieht, schreibt er in seiner (in 15 Auflagen er- schienenen) Einleitung in die Philosophie: „Die kritische Philosophie zeigt die gleiche Unmöglichkeit des positiven und des negativen Dogmatismus. Eben damit begründet sie die Möglichkeit des Glaubens, eines Glaubens, der ohne theoretische Beweise im Geist als wollendem, wirkendem, Werte schaffendem und empfindendem Wesen gesetzt ist: ich könnte nicht leben und nicht wirken in einer Welt, die nichts als eine ungeheure, sinn- und seelen- lose Maschine wäre, darum kann ich nicht glauben, daß es so mit ihr sich verhält, darum glaube ich, daß sie die Offen- barung eines Allweisen und Allguten ist, auch wenn meine Augen ihn nicht sehen und mein Verstand ihn nicht fassen kann." Und an anderen Stellen: „Das Evangelium ist und hat kein System der Kosmologie und Biologie, es ist die Predigt vom Reiche Gottes, das im Gemüt und Leben der Menschen wirklich werden will." „Darf ich das Wort sprechen und meinen, wie ich es verstehen und fassen kann, dann mag ich, unbeirrt durch den Spott der Verächter und den Haß der Hüter des Buchstabenjoches, auch heute noch mich zum Glauben an Gott, der sich in Jesu offen- bart hat, bekennen. In Jesu Leben und Sterben ist mir der Sinn des Lebens, ist mir der Sinn der Dinge überhaupt auf- gegangen, das aber nenne ich Gott und Gottes Erscheinung, was mir das Leben möglich macht und seine Bedeutung zeigt: so kann der aufrichtigste und frommste Mann heute so gut als zu irgendeiner Zeit sprechen."

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Schon aus den bisher angeführten Beispielen erhellt zur Genüge, wie prinzipiell verschieden der durch Luther und Kant eingeleitete Lösungsversuch von dem mittelalterlich- katholischen ist. Es schien und scheint der katholischen Kirche noch heute der religiöse Glaube in einer bewiesenen Objek- tivität verankert, während er bei den erwähnten nachkantischen protestantischen Theologen letzten Endes in der Subjektivität der inneren religiösen Erfahrung, des Erlebnisses oder Be- dürfnisses wurzelt, die dann höchstens durch die Ueberein- stimmung in vielen Menschen eine gewisse Allgemeinheit erlangen und zu einer kirchlichen Gemeinschaft führen können.

Es fördert in dem gegenwärtigen lebhaften Kampfe um das religiöse Problem außerordentlich die gegenseitige Verständigung, wenn man bei den verschiedensten „ortho- doxen", „liberalen" wie „freien" religiösen Richtungen gleichsam Jagd macht auf diesen subjektiven Erlebnis- Faktor.

Wer sich hinter seiner inneren religiösen Erfahrungs- Gewißheit verschanzt, dem ist schließlich gar nicht beizukommen. Höchstens kann man dem Bekenntnis des anderen das eigene gegenüberstellen. (Solche offene Aussprache ist zudem ge- eignet, neues und ursprüngliches religiöses Leben zu ent- zünden.)

Auch ist zunächst gegen die subjektive Ehrlichkeit derer nichts einzuwenden, die sich auf ein Erlebnis berufen, das mit den Erfahrungen der ersten Christen übereinstimmt. So- lange das Bekenntnis nichts als ein Ausdruck innerer Vorgänge zu sein beansprucht, ist es relativ ungefährlich. Seine unge- heure Gefahr beginnt erst dann, wenn das B e kenntnis in die Sphäre der objektiven E r kenntnis störend eingreift, wenn es den Blick für objektive sachliche Beweise zu trüben beginnt. Um dieser erfahrungsgemäß nicht geringen Gefahr zu begegnen, ist die strengste Orientierung an den in der Wissenschaft geübten Methoden allgemein-gültigen Erkennens geboten.

Die katholische Lösung des Problems als Typus 133

Die zuletzt besprochene Erlebnis-Theorie findet in der katholischen Lösung unseres Problems keinen Platz. ^ Ja sie ^st es gerade, die in der Encyclica Pascendi als „mo- dernistische" Verirrung gekennzeichnet wird.

Es ist bewundernswert, mit welcher immanenten Logik die katholische Kirche auf Grund dieser Voraussetzungen ihr Dogmensystem entwickelt und es gegen „allzu kühne Neue- rungen" schützt. Der „Modernismus" strebt nun gerade jene Voraussetzungen direkt oder indirekt zu untergraben. Kein Wunder, daß er als der „Inbegriff aller möglichen Häresien" mit den schärfsten Mitteln bekämpft wird. „Modernistischen" Strömungen Tür und Tor öffnen, würde für die katholische Kirche eine ungeheure Inkonsequenz und allmähliche Selbst- vergiftung bedeuten.

Man braucht kein Anhänger der katholischen Glaubens- lehren zu sein, um die antimodernistischen Bestrebungen in unseren Tagen so seltsam dies auch vielen Ohren klingen mag freudig zu begrüßen. Jeder wird dies tun müssen, der auch auf religiösem Gebiete konsequente Durchführung der Grundsätze als eine dringende Forderung erhebt. Gerade in den religiösen Gärungen der Gegenwart dient es offen- sichtlich der Klärung, wenn jede Richtung möglichst unzwei- deutig Farbe bekennt und ihre letzten Ziele zum offenen Ausdruck bringt. „Liberale Verwaschungspolitik" ist hier am wenigsten heute am Platze, da die Klage der inneren Un- wahrhaftigkeit des religiösen Lebens in seinen überkommenen Formen eindringlich an unser Ohr tönt. -

Wer immer aber gegen eine religiöse Weltanschauung

^ Vgl. auch V. Cathrein S. J., Glauben und Wissen, Freiburg 1903 und die dort angeführte Literatur katholischer Autoren.

* Als besonders beachtenswertes Sympton unserer Zeit darf in dieser Hinsicht die von Ernst Horneffer herausgegebene Zeitschrift »Die Tat" genannt werden. Vgl. darin (II. Jhrg., 11. Heft) den Auf- satz »Jesus und Nietzsche über das Unbedingte« von J. M. Verweyen.

134 Die katholische Lösung des Problems als Typus

kämpft, tut gut, die Axt an die Wurzel zu legen, statt nur den einen oder anderen Ast abzusägen, der aus ihr mit innerer Notwendigkeit hervorwächst. Der „Anti-Modernismus" ist gleichsam eine solche periphere Ast-Erscheinung im heutigen Katholizismus und weist auf das Zentrum der katholischen Lösung des Problems von Philosophie und Theologie, Glauben und Wissen. In der Kritik dieser Problemlösung aber bohrt am tiefsten, wer ihre Voraussetzung ir „übernatürlichen Offenbarung und Kirche" mit ' ' .len und erkenntnis-

theoretischen Mitteln als unzulänglich nachweist.

Inhalt 135

ii Mts- Verzeichnis.

Vorwort. Seite

Eioleltung. - Mittelalterliche Weltanschauung im allgemeinen . 7 I. Die Patristik.

l: Justin 10

2. IrenäUc 11

3. Clemens v. A. . 12

4. Tertullian 13

5. Augustinus . 14

II. Die Scholastik.

1. Eriugena 18

2. Anseimus 23

3. Abaelard 27

4. Albertus Magnus 32

5. Thomas v. Aquino 35

6. Duns Scotus . . . . 51

7. Bonaventura 58

8. Roger Bacon 61

9. Raymundus LuUus 64

10. Wilhelm Occam 66

1 1 . Spätere Mystiker 68

12. Zusammenfassung 72

III. Tliomas Ton Aquinos kirchliclie Bestätigung.

1. Syllabus Pius IX 75

2. Encyclica Aeterni Patris 77

3. »Neuer Syllabus" (Decret Lamentabili) 80

4. Encyclica Pascendi gregis Dominici 82

5. Motu proprio vom 18. November 1907 86

6. Modernismus 88

136 Inhalt

IT. Der Eid wider den Modernisrnns.

1. Die Eidesformel Qc

2. Ihre Uebereinstimmung mit früheren Erlassen QF

3. Mausbachs Schrift IC

4. Das Prinzip der löblichen Unterwerfung . . .

T. Die katholische Lösung des Problems als Typ^;

1. Ursprung und Inhalt des Glaube»^'

2. Richtlinien einer Kritik ~'

3. Irrationalismus und Rationalismus 2'^

4. Luther und Kant . ... 12'

5. Schleiermacher und verwandte Theologen .... 2'1

6. Die Erlebnis-Theorie oi

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