EHRE eye) Ha Ei Fi © in 4 Ai RNIT Eu A Hr IM Kt: } ! Han Ye Hp Rau jede 4 . | | | En r nn His I E a HERE) ee 5 N H N Hi NEE E H aaa Hin A SL aSa 32 3222 2222725553 ir. SITaasE Man! NE ID» 7 5_pr:nb 1399 Ki) Populäre biologische Vorträge Von Dr. Hans Molisch o. ö. Professor und Direktor des pflanzenphysiologischen Institutes an der Universität Wien Zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage Mit 71 Abbildungen im Text LIBRARY KEW vYoRs BOTANICAI BARDEN Jena Verlag von Gustav ‚Fischer 1922 LIBKART NEW YORK BOTANICAL GARDEN ‚Klarheit ist die Höflichkeit derer, welche öffentlich reden.“ Arago. Vorwort zur ersten Auflage. Geeignete Kapitel der Biologie und neu gefundene Tatsachen “nicht bloß in wissenschaftlichen Zeitschriften den Fachgenossen mit- zuteilen, sondern auch einem größeren, gebildeten Laienpublikum in volkstümlicher, allgemeinverständlicher Form vorzutragen, hat mich stets mit Befriedigung erfüllt. So habe ich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte an verschiedenen Orten zahlreiche populäre Vorträge zumeist aus dem Gebiete der Biologie der Pflanze ge- halten, von denen ı7 ausgewählt hier in Buchform der Öffentlich- keit übergeben werden. Ich habe mich hierzu entschlossen, weil die meisten zuerst an Orten gedruckt wurden, wo sie nur einem kleinen Kreis von Naturfreunden zugänglich waren, und weil einzelne davon ver- griffen sind und viele Wünsche nach Sonderabdrücken laut wurden, die ich leider nicht. befriedigen konnte. Die Vorträge sind alle so gehalten, daß sie jeder gebildete Laie ohne weiteres verstehen kann. Vieles, was heute in populären Vorträgen geboten wird, ist in Wirklichkeit gar nicht dem Laien verständlich, weil es zu viel an speziellen Kenntnissen voraussetzt und in allzu gelehrter Sprache vorgebracht wird. Auch liebt man es leider, in volkstümlichen Vorlesungen über das Ziel hinauszu- schießen, um sensationell zu wirken. Solche Fehler zu vermeiden, war ich stets eifrig bemüht — zum Besten der Wahrheit und Klarheit. Wien, Weihnachten ı919. Hans Molisch. NOV4- 101 Eh Vorwort zur zweiten Auflage. Wenn diese Vorträge, zwei Jahre nach ihrem Erscheinen, vergriffen waren, so müssen sie bei einem größeren Leserkreis Interesse erweckt haben. Dies gab mir den Mut, der Einladung meines Herrn Verlegers, eine Neuauflage vorzubereiten, Folge zu leisten. Ich war ’in der glücklichen Lage, die Vorträge um zwei neue zu vermehren, die vielleicht dem Leser nicht unwillkommen sein werden. Der eine bezieht sich auf die letzte botanische Arbeit Goethes über die Spiraltendenz und ihren Zusammenhang mit einer von Ch. Darwin geäußerten Idee über die kreisende Urbewegung in der Pflanze. Der andere Vortrag „das lebende Reagens“ beschäftigt sich mit der Verwendung des Lebewesens zum Nachweis bestimmter Stoffe. Die Zahl der Abbildungen wurde gleichfalls vermehrt, sie ist von 63 auf 71 gestiegen. Zum Schlusse kann ich es nicht unterlassen, herzlichen Dank zu sagen meinen 4 Assistenten, den Herren Doktoren G. Klein, A. Limberger, J. Kisser und H. Brunswik, desgleichen meinem Herrn Verleger, der keine Mühe und Kosten gescheut hat, meinem Buche eine trotz der schweren Zeit vortreffliche Aus- stattung zu geben. Wien 1922. Hans Molisch. vo, un PB NND le - ° . Botanische Paradoxa. {men BEE Ba „Zee Bau Bee Be on Nun 19. Das lebende Reagens. Autorenverzeichnis . Goethe als Naturforscher. Das Leuchten der Pflanzen. . Ultramikroskop und Botanik. . Das Erfrieren der Pflanzen. . Über den Ursprung des Lebens. 1911 . Das Radium und die Pflanze. Se ; . Der Naturmensch als Entdecker auf Koniechen Gebiete . Der Scheintod der Pflanze. RR : u a . Die Verwertung des Abnormen und Pathologischen in em en 1919 1921 Inh 1899 . Eine Wanderung durch den javanischen Drbald‘ . Reiseerinnerungen aus China und Japan. 1907 1909 1910 1912 1914 . Die Wärmeentwicklung der Pflanze. alt. 1901 . Warmbad und Pflanzentreiberei. 1909 . 1917 1900 . . Biologie des atmosphärischen Staubes (Aöroplankton), 1916 . Über die Herstellung von Photographien in einem Tarot: . Über die Kunst, das Leben der Pflanze zu verlängern. 1918 1913 1914 . Goethe, Darwin und die Spiraltendenz im Pflanzenreiche. 1920 1915 E Goethe als Naturforscher’). Als Alexander v. Humboldt die deutsche Übersetzung: seiner Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde der Tropenländer an Goethe übersandte, fügte er dem Dedikations- exemplare eine von Thorwaldsens kunstgeübter Hand entworfene Vignette bei, welche auf die in Goethe vorhandene Vereinigung von Dichtkunst, Philosophie und Naturkunde anspielen und an- deuten sollte, daß es auch der Poesie gelingen könne, den Schleier der Natur aufzuheben. Wenige deutsche Dichter dürfen sich rühmen, dieses Talent zu besitzen. Albrecht v. Haller und Adalbert v. Chamisso gehörten dazu und in besonderem Grade Goethe. Wenn ich es versuchen will, Goethe als Naturforscher in ge- drängter Kürze zu schildern, geschieht dies nicht etwa in der Ab- sicht, Neues von wesentlicher Bedeutung über Goethe zu bringen, denn wer vermöchte dies bei dem großen Weimarer Dichter, der schon so oft und so glänzend von so vielen Gesichtspunkten aus beleuchtet wurde? Wenn ich über Goethes naturwissenschaftliches Talent spreche, so gilt es vornehmlich, den Tribut unserer Ver- ehrung in dem Jahre, in dem sich sein Wiegenfest zum ı50. Male jährt, zu zollen und die Erinnerung an den außerordentlichen Mann rege zu erhalten. Eine der hervorragendsten Eigenschaften Goethes ist sein Streben nach universeller Bildung. Rastlos arbeitet er sein langes Leben lang an seiner harmonischen Ausbildung; wo er darin eine Lücke bemerkt, sucht er sie zu beseitigen. IJnd eine solche Lücke war iin dem jungen Goethe vorhanden nach der naturwissenschaft- lichen Seite hin. Wir verdanken Goethe selbst eine anziehend !) Vortrag, gehalten in der Lese- und Redehalle der deutschen Studenten in Prag anläßlich der Feier des 150. Wiegenfestes Goethes 1899; zuerst erschienen in der Sammlung gemeinnütziger Vorträge, herausgegeben vom Deutschen Vereine zur Ver- breitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag, 1900. Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 1 — I} — geschriebene Geschichte seiner botanischen Studien und in dieser bekennt er offen: „Von dem hingegen, was eigentlich äußere Natur heißt, hatte ich keinen Begriff, und von ihren sogenannten drei Reichen nicht die geringste Kenntnis.“ Und weiter heißt es: „In das tätige Leben jedoch sowohl als in die Sphäre der Wissen- schaft trat ich eigentlich zuerst, als der edle Weimarische Kreis mich günstig aufnahm; wo außer anderen unschätzbaren Vorteilen mich der Gewinn beglückte, Stuben- und Stadtluft mit Land-, Wald- und Gartenatmosphäre zu vertaüschen!).“ Der Aufenthalt im Thüringer Wald, die Jagd, der Umgang mit Forstmännern und Geologen weckten alsbald den schlummern- den Sinn für Natur und insonderheit die. Lust zur Botanik. Das artenreiche Geschlecht des Enzians beginnt den Dichter zu fesseln, Linnes Terminologie begleiten ihn auf seinen Ausflügen und Linnes Philosophie der Botanik wird Gegenstand seines täglichen Studiums. In Karlsbad bringt der junge pflanzenkundige F. G Dietrich ganze Bündel gesammelter Gewächse zu Goethe, noch bevor dieser seine Becher heim Brunnen geleert hatte, und nennt ihm unter lebhafter Anteilnahme des Kurpublikums die Namen. Solche Tätigkeit, die nur aufs Bestimmen und Beschreiben hinauslief, konnte Goethe nicht auf die Dauer befriedigen. „Trennen und Zählen“ war nicht seine Sache, und die starre Terminologie Linnes, welche das Ungleichartigste oft gewaltsam verband, mußte unseren Dichter, dem die „Mobilität und Biegsamkeit“ der Gewächse allmählich auffiel, bald mit Widerwillen erfüllen. Immer mehr sieht er sich gedrängt, dem Grundplan in der Architektur der höheren Pflanze nachzuspüren, denn merkwürdiger- weise wußte man von diesem zu einer Zeit, da der innere Bau der Pflanze beiläufig bekannt war, recht wenig. Die Lehre von der äußeren Gestalt der Pflanze, die Morphologie als wissenschaft- liche Disziplin, fehlte; sie als einer der ersten mitbegründet zu haben, ist das große Verdienst Groethes. Wie überall zeigt uns die Pflanze in der Ausbildung ihrer Organe eine überaus große Mannigfaltigkeit. An einer einjährigen Blütenpflanze unterscheiden wir Wurzel, Stengel, Blätter, Kelch, Krone, Staubgefäße und Fruchtknoten. Dem gesunden Blick !) Goethes Werke, herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar. II. Abt. 6. Bd. Zur Morphologie. I. T. S. 98. Alle in diesem Vortrage nach Goethe zitierten Stellen beziehen sich auf diese Ausgabe. — 3 _— Goethes blieb die innere Verwandtschaft zwischen dem Laubblatt und den Blütenteilen nicht lange verborgen, er erkannte, daß Kelch, Krone, Staubgefäße und Fruchtknoten metamorphosierte Blatt- gebilde sind — eine Auffassung, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat und die auch von dem großen Morphologen Alexander Braun im Goetheschen Sinne weiter verwertet wurde. Das Grundorgan der Pflanze ist nach Goethe das Blatt mit dem damit verbundenen Stengelknoten; dieses ist gewissermaßen der Baustein, mit dem die Pflanze operiert und mit dem sie in beständiger Verwandlung gleichsam „wie auf einer geistigen Leiter“ emporsteigend, ihre Architektur vollendet. Alle diese Veränderungen der Blätter, von den Kotyledonen bis hinauf zum Fruchtblatt, machen die Metamorphose der Pflanze aus. Auch heute noch wird man den Kern der Metamorphosenlehre als richtig aner- kennen müssen, wenngleich der Dichter die Wurzel und den Stengel als Grundorgan nicht erkannte und beide beiseite liegen ließ, und auch über den Grund der fortschreitenden Verwandlung eine un- haltbare Ansicht aufstellte. Auf dem Wege der Metamorphosenlehre kam Goethe zu dem Urblatt und endlich zur Urpflanze, indem er das allen Blüten- pflanzen Gemeinsame, also den Bauplan .abstrahiert- Nach Goethe ist die Urpflanze ein Modell, „nach dem man Pflanzen ins Unend- liche erfinden kann, die alle eine innere Wahrheit besitzen, die alle, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten.“ Die Urpflanze Goethes ist also nichts Reales, sondern, wie es Schiller ganz richtig bezeichnete, eine Idee. Als Goethe und Schiller im Frühjahre 1794, bis dahin sich noch immer kalt gegen- überstehend, nach einem Vortrage des Botanikers Batsch in der naturforschenden Gesellschaft zu Jena auf dem Heimweg sich über naturwissenschaftliche Dinge unterhielten, setzte Goethe Schillern die Metamorphosenlehre auseinander, betrat im Eifer des Zwie- gesprächs zum ersten Male Schillers Wohnung und entwarf ihm rasch eine symbolische Zeichnung der Urpflanze. „Das sei keine Erfahrung, das sei eine Idee,“ bemerkte Schiller, worauf Goethe erwiderte, „dann könne er Ideen mit Augen sehen?).“ Seit jenem (Grespräche datiert die Freundschaft der beiden größten deutschen Dichter, die für das deutsche Volk so herrliche Früchte trug. Goethes Urpflanze darf demnach, nicht wie manche glauben, als Urpflanze im deszendenztheoretischen Sinne aufgefaßt werden, !) Vgl. Goethe-Jahrbuch II, S. 168. 1* eine solche wäre im Bereiche der Blütenpflanzen, an welche sich der Dichter bei seinen Studien ausschließlich gehalten hat, nicht zu suchen gewesen, denn, wenn es eine solche Urpflanze gibt oder gegeben hat, so ist dieselbe aller Wahrscheinlichkeit nach im Be- reiche der einzelligen Kryptogamen zu finden. In der Zelle er- blicken wir heute den Baustein der Pflanze und im einzelligen J.ebewesen sehen wir die Wurzel, aus welcher Pflanzen- und Tier- reich entsproß. | Nach Goethes Rückkehr aus Italien wurde 1790 seine Meta- morphose der Pflanze der Öffentlichkeit übergeben, doch der Er- folg, auf den der Verfasser sicher gerechnet hatte, blieb zunächst vollends aus. „Aus Italien, dem formenreichen, war ich in das gestaltlose Deutschland zurückgewiesen, heiteren Himmel mit einem düsteren zu vertauschen; die 'Freunde, statt mich zu trösten und wieder an sich zu ziehen, brachten mich zur Verzweiflung!).“ Abgesehen davon, daß sein früherer Verleger Göschen die Schrift nicht annahm, weil er an ihrem Erfolg zweifelte, fand er auch bei seinen Freunden kein Verständnis, hatte ja sogar einer seiner römischen Kunstfreunde gemeint, der Verfasser der Meta morphose habe die Absicht, den Künstler zu lehren, wie sprossende und rankende Blumenverzierungen zu erfinden sind. Seinen Freundinnen, die an seiner abstrakten Gärtnerei gleich- falls keinen Geschmack finden konnten, kommt Goethe, um sie zur Teilnahme zu bewegen, durch die bekannte Elegie entgegen, die mit den Versen beginnt: „Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung Dieses Blumengewühls über dem Garten umher; Viele Namen hörest Du an und immer verdränget Mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr. Alle Gestalten sind ähnlich und keine gleichet der anderen; Und so deutet der Chor auf ein geheimes Gesetz, Auf ein heiliges Rätsel.“ — — —u— Helmholtz?) hat darauf aufmerksam gemacht, daß genial veranlagte Personen auf ihre bewundernswerten Leistungen, die sie kraft ihres Genies gewissermaßen spielend vollbringen, nicht selten weniger Gewicht legen, als auf ihre geringeren, doch mühe- volleren. So bemerkte einst Richard Wagner, er schätzte seine !) Goethes Werke. ].c. Morphologie I. T. S. 131. 2) H. v. Helmholtz, Goethes Vorahnungen kommender naturwissenschaftlicher Ideen. Deutsche Rundschau. 72. Bd. 1892. S. 118. — 5 — Verse höher als seine Musik, und Goethe äußerte gegen Ecker- mann, er glaube in der Farbenlehre Bedeutenderes geleistet zu haben als in seinen Gedichten. Auch mit der Metamorphose hatte sich unser Dichter lange abgemüht, um so mehr schmerzte ihn daher der anfängliche Mißerfolg. Nach und nach jedoch begann der Widerspruch der Fach- gelehrten zu verstummen, und die Metamorphose übte schließlich einen bedeutenden Einfluß auf die Morphologie — trotzdem Goethes Schrift in der epochemachenden „Theoria generationis“ Caspar Friedrich Wolffs eine ausgezeichnete Vorläuferin hatte, die der Dichter aber erst nach der Veröffentlichung seiner Meta- morphose kennen lernte. Wie sehr Goethe das Studium der Pflanzengestalt fesselte, geht auch aus dem kurz vor seinem Tode geschriebenen Essai „Über die Spiraltendenz der Vegetation“ hervor. Angeregt durch Don, Lindley, Dutrochet und insbesondere durch einen Vor- trag Philipp von Martius’ in München (1827) über die Architek- tonik der Blüten, in welchem der berühmte Reisende und Ver- fasser der Flora Brasiliensis zeigte, daß die Blütenblätter oft nicht in Kreisen, sondern in Spiralen angeordnet sind, bemüht sich Goethe, an der Hand zahlreicher Beispiele zu zeigen, daß in der Pflanze überhaupt eine Spiraltendenz vorhanden sei. Die spiralige An- ordnung der Arum-, Mais- und vieler anderer Früchte um eine Mittelsäule, die schraubige Bewegung des Windlings, die Schrauben der Ranken der Leidensblume, des Weinstocks, die schrauben- förmige Anordnung der Blätter bei Pandanus odoratissimus, die Einrollung junger Farnblätter, die Schraubenwindungen eintrock- nender Hülsenfrüchte, der weiblichen Blütenstiele von Vallisneria, die schraubige Drehung vieler Baumstämme, der Holzfasern, die Spiralgefäße, die Bewegungen der Oszillarien — all das führte ihn auf die Idee einer Spiraltendenz. Neben dieser sollte auch eine Vertikaltendenz herrschen. „Diese ist anzusehen wie ein geistiger Stab, welcher das Dasein begründet und solches auf lange Zeit zu erhalten fähig ist. Dieses Lebensprinzip manifestiert sich in den Längenfasern, die wir als biegsame Fäden zu dem mannigfaltigsten Gebrauch benutzen; es ist dasjenige, was bei den Bäumen das Holz macht, was die einjährigen, zweijährigen auf- recht erhält, ja selbst in rankenden kriechenden Gewächsen die ‚Ausdehnung von Knoten zu Knoten bewirkt. Sodann haben wir die Spiralrichtung zu beobachten, welche sich um jene herum- u schlingt!).“ An anderer Stelle betrachtet er, da der männliche Blütenstiel der Vallisneria gerade bleibt, der weibliche sich aber schraubig windet, das vertikalstrebende System als das männliche und das spiralstrebende als das weibliche: „So können wir uns die ganze Vegetation von der Wurzel auf androgynisch insgeheim verbunden vorstellen; worauf dann im Verfolg der Wandlungen des Wachstums die beiden Systeme sich im offenbaren Gegensatz auseinander sondern, und sich entschieden gegeneinander über- stellen, um sich in einem höheren Sinne wieder zu vereinigen?).“ Solche Äußerungen beweisen wohl deutlich, daß auch Goethe im Banne der Naturphilosophie Hegel-Schellings stand. Befreien wir aber Goethes Abhandlung über die Spiraltendenz ihres einem nüchternen Naturforscher ungenießbaren Gewandes, so ergibt sich auch hier ein gesunder Kern, der wie eine Vorahnung jener Auf- schen erregenden Idee erscheint, die 5o Jahre später Darwin in seinem „Bewegungsvermögen der Pflanze“ auf breiter induktiver Basis auszuführen versuchte. Denn nach des großen Briten An- sicht ist die kreisende Bewegung der windenden Pflanzen nicht bloß auf diese beschränkt, sondern als eine Urbewegung der Pflanze überhaupt eigentümlich. Wie die neueren Forschungen auf Grund des Goethe-Archivs ergeben haben, trieb Goethe neben Alexander v. Humboldt als einer der ersten auch pflanzenphysiologische Studien. Über seine Versuche, betreffend die Einwirkung des Lichtes auf das Wachstum der Pflanzen, liegen sehr ausführliche und genaue Versuchsproto- kolle vor. Keimlinge der verschiedensten Art, zum großen Teile solche, die auch in modernen physiologischen Laboratorien zu be- liebten Versuchsobjekten gehören, werden im Finstern, in gewöhn- lichem Lichte und unter farbigen Gläsern gezogen und die Ein- wirkung geprüft. „Das Licht, indem es auf die Farben der Pflanzen wirkt, wirkt zugleich auf die Form; die Pflanzen, die im Finstern wachsen, entwickeln die Stengelglieder länger als billig; keine Seitenzweige werden erzeugt; die Metamorphose der Pflanzen findet nicht statt. Das Licht versetzt sie sogleich in tätigen Zustand, die Pflanze erscheint grün und der Gang der Metamorphose bis zur Begattung geht unaufhaltsam fort?).“ Die ausführlichen Versuchs- 1) Goethes Werke. I.c. 7. Bd. Morphologie II. T. S. 38. 2) Goethes Werke. ].c. S. 67. 3) Zitiert nach F. Cohn, Die Pflanze. Breslau 1896. II. Aufl. III. Goethe als Botaniker. S. 106. — ri — Ä protokolle lassen Goethe als einen ausdauernden und eine breite Basis liebenden Experimentator erkennen, ebenso wie bei seinen morphologischen, so erscheint er auch bei seinen physiologischen Arbeiten in Hinsicht der Arbeitsweise als ein Vorläufer moderner Forscher. Doch Goethe blieb bei der Pflanze nicht stehen. Schon früher wußte man und nun weiß man nach Aufschließung des Goethe-Archivs erst recht, daß unser Dichter nicht bloß dilettantisch und oberflächlich, sondern zielbewußt und ungemein intensiv Menschen- und Tieranatomie getrieben hat. Seine künstlerischen Bestrebungen, die Vorliebe für Zeichnen und Malen und das große Interesse für Lavaters Physiognomik, zu welchem Werke er selbst Beiträge lieferte, führten ihn zu Anfang der achtziger Jahre zur Knochenlehre und zu ernsten Untersuchungen darüber unter An- leitung des Jenenser Professors Loder. Zahlreiche von Goethes Hand herrührende Skizzen und Zeichnungen geben Zeugnis davon, daß er sich bis in die kleinsten Details des Menschen- und Säuge- tierskeletts vertieft hat. Noch bevor ihm die Idee der Pflanzen- metamorphose aufgegangen war, suchte er auch im Tierkörper nach dem einheitlichen Bauplan oder allgemeinen Typus. Auf diesem Wege wandelnd, entdeckt er den Zwischenkiefer oder das os intermaxillare, jenen zwischen die rechte und linke Hälfte des Oberkiefers eingeschobenen Knochen, welcher die Schneidezähne der Säugetiere trägt. Bis zur Zeit von Goethes Entdeckung hielt man das Fehlen des Zwischenkiefers beim Menschen für den einzigen osteologischen Unterschied gegenüber dem Affen. Der Mensch hat zwar Schneidezähne, sollte aber trotzdem keinen Zwischenkiefer haben. Das wollte unserem Anatomen nicht in den Sinn. Überzeugt von dem gemeinsamen Bauplan beim Menschen und den Säugetieren, deduziert er den Zwischenknochen auch für den Menschen und sucht nun mit geradezu leidenschaftlichem Eifer danach. Schädel der verschiedensten Art werden verglichen, von Sömmering in Cassel erbittet er einen Elefantenschädel und bei der Nachricht, in Braunschweig befände sich ein Elefanten- fötus in Spiritus, erwacht das Verlangen, dahin zu fahren, um „ihm in’s Maul sehen“. Bezeichnend für Goethes Naturell und für seine Freude am Forschen und Finden ist der Ausruf, den er nach der Entdeckung an Herder richtet: „Ich habe gefunden — weder Gold noch Silber, aber was mir unsägliche Freude bereitet, das os intermaxillare am Menschen.“ ER ee a 1785 gelangte das Manuskript, das in jeder Beziehung auch strengen modernen Anforderungen genügt, durch Merck an den berühmten Anatomen Camper. Doch Beifall und Anerkennung blieben zunächst ebenso wie bei der Metamorphose der Pflanze aus. Abgesehen von Loder, seinem wissenschaftlichen Beirat, der von der Arbeit und von der Präzision der anatomischen Beschreibung ganz entzückt ist und allen Ernstes bedauert, daß Goethe leider Minister und nicht Professor anatomiae ist, verhielten sich die Herrn von der „Gilde“ ablehnend. Camper rühmt zwar das ele- gante Manuskript, die wunderbare Handschrift, die Sauberkeit der Tafeln, die sorgfältige Untersuchung, kann sich jedoch mit der Anwesenheit des Zwischenkiefers nicht einverstanden erklären. Indes die Zustimmung sollte zur Freude des gekränkten Dichters schließlich nicht ausbleiben, denn als seine Arbeit mit den Originalzeichnungen in der Leopoldinischen Akademie ver- öffentlicht worden war, stellten sich die meisten Osteologen auf seine Seite. Schon in den aufgefundenen Materialien zur Zwischenkiefer- , arbeit finden sich Hinweise darauf, „daß auch andere Knochen des Schädels, so das das innere Gehörorgan umschließende Felsenbein, ferner die vor dem Schläfenbeine, an der Basis des Schädels ge- legenen Flügelbeine in mehrere Elemente aufgelöst werden müßten — wie es die vergleichende Anatomie und Entwickelungs- geschichte inzwischen getan hat“!'). Doch die Entdeckung des Zwischenkiefers war nur ein wichtiges Ergebnis in Goethes groß angelegten Knochenstudien, das zweite noch wichtigere war die Begründung der Wirbeltheorie des Schädels. Sowie das Gehirn als eine höhere Entfaltung des Rückenmarkes angesprochen wird, so erblickt auch unser Forscher in der Schädelkapsel die Fortsetzung der Wirbelsäule und in den Knochen des Schädels verwandelte Wirbel. „Es entsteht“ sagt Goethe, „die Frage, ob man denn wirklich die Schädelknochen aus Wirbelknochen ableiten und ihre anfängliche Gestalt, ohnge- achtet so großer und entschiedener Veränderungen, noch aner- kennen solle und dürfe? Und da bekenne ich denn gerne, daß ich seit 30 Jahren von dieser geheimen Verwandtschaft überzeugt bin, auch Betrachtungen darüber immer fortgesetzt habe.“ ı) K. v. Bardeleben, Goethe als Anatom. Goethe-Jahrbuch XIII. Bd. 1892. S. 165—166. mn 9 zZ Goethe nahm 6 Schädelwirbel an, wovon sich 3 bereits am Gesichtsskelett beteiligen. „Mit Sicherheit kann man“, sagt Virchow, „nur jene 3 Schädelwirbel aufstellen, welche Goethe, wie es scheint, bis 1790 der Hauptsache nach erkannt hatte; sehr zweifelhaft ist es schon, ob man noch einen vierten, rudimentären Wirbel zulassen darf, der in die Nasenbildung mit eingeht“). Wie Goethe selbst in einem Brief vom 4. Mai 1790 an Herders Gattin aus Venedig schreibt, kam er auf die Idee der Schädel- theorie, als ihm auf einem Friedhofe sein Diener einen Schafs- schädel vorwies. Der Dichter behielt jedoch vorläufig den Gedanken bei sich und sprach höchstens mit vertrauten Freunden davon. Es mußte ihm daher ungelegen kommen, als 1807 der berühmte Naturforscher Oken bei der Übernahme seiner Jenaer Professur die Wirbeltheorie des Schädels verkündete — in vielen Punkten über das Ziel hinausschießend und sich durchaus nicht in jener maßvollen Weise äußerte, wie dies später Goethe tat. Beiden Forschern gebührt jedoch das Verdienst, ganz unabhängig von- einander auf den Gedanken der Wirbeltheorie des Schädels ge- kommen zu sein, der in der Folgezeit in der vielumstrittenen Lehre vom Kopfskelett so anregend und fruchtbringend ge- wirkt hat. Das große Interesse für Natur und die reiche Veranlagung seines Geistes brachten Goethe nicht bloß mit den organischen Naturwissenschaften in Berührung, sondern leiteten ihn auch zur Meterologie, Mineralogie, Geologie und endlich auf rein physi- kalisches Gebiet, auf die Farbenlehre. Nicht weniger als drei stattliche Bände füllen seine Untersuchungen und Erwägungen über die drei zuerst genannten Wissenszweige und einen noch größeren Umfang nehmen seine Farbenstudien ein. Auf keines von seinen naturwissenschaftlichen Werken verwendete er so viel Mühe und Eifer, wie gerade auf die Farbenlehre. Er schreibt ihre Geschichte mit rühmenswerter Gründlichkeit, er beweist darin eine außerordentliche Belesenheit, er ist unerschöpflich in der Anstel- lung von Versuchen, deren Richtigkeit niemand bestreitet, wenn auch ihrer Interpretation eine falsche Theorie zugrunde liegt. Be- kanntlich hat Newton bewiesen, daß das weiße Sonnenlicht sich aus unzähligen Strahlen von ungleicher Brechbarkeit zusammen- Dr Viirchow, Rs Goethe als Naturforscher und in besonderer Beziehung auf Schiller. Berlin 1861. S. 104. setzt, welche zusammen die Empfindung von Weiß hervorrufen, hingegen einzeln für sich die Empfindung der Spektralfarben be- dingen. Von der Richtigkeit dieser Newtonschen Lehre war Goethe bis an sein Lebensende nicht zu überzeugen, er stellte Hunderte von optischen Versuchen an, um sie zu widerlegen, ja er tritt so- gar aus seiner gewohnten olympischen Ruhe heraus, um den großen britischen Forscher und seine Anhänger mit ätzender Schärfe zu verhöhnen. Newtons Farbenlehre zu vernichten, wird ihm sozu- sagen zur Lebensaufgabe. £ „Möget ihr das Licht zerstückeln, Farb’ um Farbe d’raus entwickeln, Oder andere Schwänke führen, Kügelchen polarisieren, Daß der Höhrer ganz erschrocken Fühlet Sinn und Sinne stocken. Nein! Es soll euch nicht gelingen, Sollt uns nicht beiseite bringen, Kräftig wie wir’s angefangen, Wollen wir zum Ziel gelangen !).“ Goethe geht in seiner Farbenlehre von seinem Urphänomen aus: Jedes trübe, d. h. schwach beleuchtete Medium erscheint vor dunkel blau, vor hell dagegen gelb bis rot. So erscheint Wasser in einem Trog, mit etwas Milch oder Mastix versetzt, vor einem dunkeln Hintergrund gesehen blau, vor einem hellen gelb. Ein Blick um Mitternacht gegen den klaren Zenith zeigt den schwarzen Himmelsraum, bei Tage das Himmelsblau. Ein Blick gegen die untergehende Sonne läßt uns dieselbe gelb bis rot er- scheinen. Auch hier haben wir Goethes Urphänomen vor uns; die trübe Atmosphäre erscheint vor dem dunkeln Weltenraum blau, vor der hellen Sonne gelbrot. Goethe kennt daher nur zwei einfache Farben: Gelb, d. h. Licht durch ein trübes Medium gesehen, und Blau, d.h. Dunkel- heit durch ein trübes erleuchtetes Medium gesehen. Die anderen Farben erklärt er aus seinem Prinzip der „Steigerung“. Durch Abschwächung des Hellen erhält man Gelb- (relbrot-Rot, durch geringe Aufhellung des Dunkeln entsteht Violett statt Blau. Rot und Violett sind nur Steigerungen von (relb und Blau nach dem Dunkeln hin. l) Goethes Werke. 1.c. II. Abt. 5. Bd. Chromätik, Zur Farbenlehre. S. 228. Demnach wären die Farben nur etwas „Schattiges“ oder cine Vermischung von weißem Licht und Dunkel. Allein schon Johannes Müller, der große Physiologe, hat darauf aufmerksam gemacht, daß die gegebene Erklärung schon deshalb nicht be- friedigen könne, weil weder der Schatten noch das Dunkel etwas Positives ist. In der Frage nach der Entstehung der prismatischen Farben hat Goethe entschieden geirrt, es hieße jedoch weit über das Ziel hinausschießen, wollte man, wie dies häufig geschah, all seine Untersuchungen über die Farbenlehre als belanglos hinstellen, denn kein Geringerer als Johannes Müller bemerkte, daß Goethes Bemühungen in Hinsicht der physiologischen Farben, der moralischen Wirkungen der Farben und der Geschichte der Farben- lehre von großer Bedeutung waren. Die heutige Naturforschung steht im Zeichen der Speziali- sierung. Fast jeder Forscher erwählt ein abgegrenztes relativ enges Gebiet, um es nach seinen Kräften zu bearbeiten. So gleicht das naturwissenschaftliche Feld einem großen, weit verzweigten Stromsystem, in dem die einzelnen Nebenflüsse, Bäche und Quellen die Spezialgebiete darstellen, deren Ergebnisse wieder dem Haupt- strom zugute kommen. Zu Goethes Zeiten war dies noch nicht in dem Maße der Fall. Goethe war kein Spezialist, sondern, wenn auch nicht in dem Grade wie Alexander v. Humboldt, ein Polyhistor. Bedenken wir nur, daß er auf dem Gebiete der Botanik und Zoologie als Morpholog und vergleichender Anatom tätig war, daß er fast mit Leidenschaft Physik betrieb, seiner umfangreichen Studien über Mineralogie, Geologie und Meteorologie gar nicht zu gedenken. Wer könnte es ihm da verargen, daß er — der unübertroffene Dichter, Beamte und Minister bei Verteilung seiner geistigen Kräfte auf ein so weites Feld der Naturwissenschaften auf dem Gebiet der Farbenlehre geirtt? Hat denn Newton, der auf dem Boden mathematisch-naturwissenschaftlicher Forschung uns wie ein Heros erscheint, nicht auch gefehlt? Hat er nicht, sich übereilend, die Achromasie geleugnet, nicht über die Wesen- heit des Lichtes falsche Vorstellungen entwickelt? (roethe gehört zu den vielseitigsten Naturforschern seiner Zeit, ein Umstand, der um so höher anzuschlagen ist, weil durch alle seine Arbeit ein großer gedankenreicher Zug geht. Er zielt nicht bloß auf Einzelbeobachtungen und begnügt sich nicht mit der Feststellung der Tatsache — nein, immer drängt es ihn, in der Vielheit die Einheit zu finden, daher das Suchen nach der Urpflanze, dem Urtier, dem gemeinsamen Typus und dem Urphänomen. Wer die Geschichte der Naturwissenschaften verfolgt, wer weiß, wie und auf welchen Wegen der Schleier der Natur ge- hoben wird, um ihr ein Geheimnis abzulauschen, der wird zuge- stehen müssen, daß die Phantasie hierbei keine geringe Rolle spiel. Wenn der Physiker darauf sinnt, Mittel und Wege zu finden, um den Durchmesser eines unsichtbaren Luftmoleküls zu bestimmen; wenn der Chemiker die Lagerung der Atome im Molekül einer Verbindung erforscht; wenn der Pflanzenphysiologe sich ein Bild darüber macht, wie es kommt, daß das von der Wurzel aufgenommene Wasser bis zu den Gipfeln turmhoher Bäume emporgehoben wird; wenn der Phylogenetiker aus der Fülle bestehender und untergegangener Formen sich den Stamm- baum einer Tier- oder Pflanzenreihe konstruiert — so spielt die Einbildungskraft hierbei, zumal wenn sie sich von gewagten Spekulationen fernhält und den Boden der Tatsachen nicht verläßt, sicherlich eine beachtenswerte fördernde Rolle. Bei der Lektüre Goethescher naturwissenschaftlicher Schriften drängte sich mir zu wiederholten Malen der Gedanke auf, daß die Phantasie, die dem Dichter und Künstler Goethe in so hohem Grade verliehen war wie selten einem anderen Menschen, den Charakter seiner Arbeiten, ihre Vorzüge und mitunter ihre Schatten- seiten bestimmte und ihn unter anderem zu der großen starke Phantasie erfordernden Aufgabe befähigte, aus der unendlichen Formenfülle blühender Pflanzen den gemeinsamen Bauplan und aus dem Knochenbau der höheren Tiere und des Menschen den einheitlichen Typus zu abstrahieren. ß Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, daß der Dichter auf seine Entdeckungen gewissermaßen spielend, mühelos und einer momentanen Inspiration folgend kam, denn er erzählt uns selbst, wie er einen großen Teil seines Lebens „mit Neigung und Leidenschaft auf Naturstudien“ verwendete, und seine Schriften geben Zeugnis davon, wie sorgfältig er Beobachtung um Beob- achtung sammelt und auf wie breiter induktiver Basis er zu seinen Schlüssen gelangt. Nicht eine flüchtige Umschau, nicht ein bloßes Tasten, nicht ein momentanes Interesse führten ihn zu seinen Ent- .— 13 EN deckungen, sondern eine mühevolle durch Dezennien fortgesetzte, echt naturwissenschaftliche Arbeit. Ihm, der menschliches Empfinden und Denken wie selten ‘einer in das herrliche Gewand unserer Sprache zu kleiden wußte, ihm, dem die deutsche Dichtkunst und Weltliteratur die herrlichsten Blüten verdankt, ihm verdankt auch die Naturforschung herrliche Gaben, und daher gilt der Lorbeer, der das olympische Haupt des unvergleichlichen Mannes schmückt, nicht bloß dem Dichter, sondern auch dem Naturforscher. 11. Eine Wanderung durch den javanischen Urwald’). Im Winter 1897/98 hatte ich das Glück, auf einem der schönsten Punkte der Erde, auf der Perle der Sundainseln, auf Java zu weilen. Etwa ı!/, Eisenbahnstunden von Batavia entfernt befindet sich Buitenzorg, die „Stadt ohne Sorgen“. In der Nähe der vom Urwald bedeckten Vulkane Salak und Gede gelegen, mitten in einer der fruchtbarsten tropischen Landschaften, von Natur aus mit einem gesunden Klima bedacht, zieht diese Stadt jeden Besucher Javas an, insbesondere aber den Botaniker, denn hier haben die Holländer einen botanischen Garten geschaffen, der, aus kleinen Anfängen (1817) im Laufe der verflossenen letzten 82 Jahre sich nach und nach zu dem großartigsten tropischen Garten der Welt entwickelt hat. Ich spreche von einem botani- schen Garten, aber diese Bezeichnung erscheint heute bei genauerer Betrachtung nicht mehr richtig, denn er ist mehr als das. Ich will nur daran erinnern, daß sich im Garten mehrere Laboratorien vor- finden: eines für Kaffeekultur, ein zweites für Tabak, ein drittes für landwirtschaftlich-zoologische Untersuchungen, ein viertes für das Studium javanischer Forstgewächse, ein fünftes für Pharma- kologie und ein sechstes für fremde Gelehrte. Daran reihen sich ein botanisches Museum mit Sammlungen und großem Herbarium, ein photographisches Atelier mit den für Zinkographie und Auto- typie nötigen Apparaten, ein agrikulturchemisches Laboratorium mit einem Kulturgarten für tropische Nutzpflanzen und endlich ein in einer Höhe von etwa 1400 m vorhandener, aus Urwald be- stehender Gebirgsgarten, von dem noch später die Rede sein wird. !) Vortrag, gehalten im Vereine „Lotos“ in Prag, 1899; zuerst erschienen in der Sammlung gemeinnütziger Vorträge, herausgegeben vom Deutschen Vereine zur Ver- breitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag, 1900. In den angeführten Laboratorien und Abteilungen, in welchen ungefähr 27 Europäer von namhaftem Ruf beschäftigt sind, wird gearbeitet und geforscht, genau so wie dies in europäischen Hoch- schullaboratorien der Fall ist. Das botanische Landesinstitut „s’Lands- Plantentuin“ zu Buitenzorg, durch die Bemühungen seiner früheren Leiter, insbesondere aber durch die unermüdliche Tätigkeit und glänzende Leitung seines damaligen Direktors Dr. M. Treub in ungeahntem Aufschwung begriffen, umfaßt demnach nicht bloß einen botanischen Garten, sondern stellt bis zu einem gewissen Grade eine Art naturwissenschaftliche philosophische Fakultät einer Universität dar, jedoch ohne Schüler und Vorlesungen. Lange schon sehnte ich mich, die Tropen zu schauen, und nun brachte mich ein gütiges Geschick gerade nach dem botanischen Paradiese von Buitenzorg, wo ich vorzugsweise pflanzenphysio- logische Untersuchungen trieb, und von wo ich in die nahe und ferne Umgebung eine Reihe unvergeßlicher Ausflüge machte. Unter diesen Exkursionen blieb mir eine, die dem heute noch tätigen, etwa 3000 m sich erhebenden Vulkan Gede und seinen Urwäldern galt, in besonders lebendiger Erinnerung. Diese will ich schildern. Am 7. Januar ı898 bestieg ich bei Tagesanbruch um 6 Uhr in (Gresellschaft des Direktor Treub eine kleine javanische Kutsche. Vor uns am Kutschbocke saß, die Zügel führend, ein kräftiger Chinese. Wir fuhren zunächst durch den botanischen Grarten, wo die tropische Vegetation von ausgiebigem Tau bedeckt im Glanze der Morgensonne unsere Blicke anzog. Sobald wir den Garten verließen, gelangten wir in das chinesische Viertel von Buitenzorg. Auf der Straße fallen in bestimmten Abständen blatt- arme Wollbäume (Eriodendron) auf, die als Telegraphenstangen . dienen. Chinesen stehen vor ihren niedrigen Häusern und Läden, Kulis (Taglöhner) eilen geschäftig hin und her, und aus den Ver- kaufsläden dringen, wie dies in chinesischen Ansiedlungen immer der Fall ist, Gerüche verschiedener, meist unangenehmer Art, besonders der von trockenen Fischen, dem Reisenden entgegen. Nun ging es auf der Landstraße an ausgedehnten Kaffee-, Tee-, Reis- und Manihotplantagen vorbei, in raschem Tempo vorwärts. Wo solche Plantagen fehlten, zeigten sich kleine Kokoswäldchen oder Gärtchen, in denen die kleinen, aus Bambusstämmen und Palmenblättern gebauten Hütten der Eingeborenen standen. Die Straße war ungemein belebt. Man begegnet fast fortwährend ee Malayen, die ihre Waren, zumeist Obst und Gremüse, mittels eines horizontal auf den Schultern liegenden Bambusstockes gewöhnlich in raschem Schritte der Stadt zu tragen. So oft ich auf Java Spaziergänge oder Ausflüge machte, fiel mir überall die große Zahl von Menschen auf den Straßen auf. Man darf eben nicht vergessen, daß Java dank der ausgezeichneten Verwaltung der holländischen Regierung zu den bevölkertsten Gebieten der Erde gehört. Am Beginn dieses Jahrhunderts hatte Java etwa 3 Millionen und nun zählt es bereits 25 Millionen Menschen, ein deutlicher Beweis, welch raschen Aufschwung die Insel in den letzten go Jahren genommen hat. Die Straße begann sich mehr und mehr zu erheben und, nachdem wir eine kleine Ruhepause bei einem in der Nähe einer Chinabaumplantage befindlichen Gasthause gemacht und die Pferde gewechselt, fuhren wir vierspännig bis zum Passe Puntjak hinauf, womit wir eine Höhe von ungefähr ı5oo m erreichten. Von hier führt zur Linken ein schmaler Steg durch ein mäßig ausgedehntes Urwäldchen zu einem kleinen, vor einem mächtigen Felsabhange liegenden See, an dem noch vor 30 Jahren das Nashorn regel- mäßig zur Tränke erschien. Von der Paßhöhe brachte uns die Kutsche auf steil abfallender Straße bald nach Sindanglaja (1085 m), einem reizend gelegenen Ort, der wegen seiner beträchtlichen Höhe und der kühleren Temperatur besonders Malariakranken zum Aufent- halte und zur Erholung dient. In dieser höchst behaglichen „Sommerfrische“ beschlossen wir zu übernachten. Derjenige, welcher die Tropen nicht kennt, wird vielleicht der Meinung sein, daß es mit der Unterkunft und dem Leben in einem javanischen Hotel ziemlich mißlich bestellt sein . dürfte. Gerade das Gegenteil. Kaum hielten wir vor dem Hotel, traten malayische Diener an den Wagen heran, um das Gepäck in Empfang zu nehmen und uns unsere Zimmer anzuweisen. Diese liegen, wie in fast allen javanischen Hotels ebenerdig, sind außer- ordentlich rein gehalten, weisen ein gutes Bett mit Mosquitonetz und ein auch höheren Ansprüchen genügendes Mobiliar auf. Hat man sich nach holländischer Weise durch ein Duschbad erfrischt — man gießt einige Kübel voll Wasser über Kopf und Körper: — so macht man sich’s hierauf im Lehnstuhl auf der Veranda, wo man gewöhnlich seine Mußestunden zubringt, bequem. Die Bedie- nung ist wegen der zahlreichen Diener besser als in Europa, die „Reistafel“ billig und gut. Den nächsten Morgen ritten wir auf kleinen, aber ausdauernden javanischen Pferden, von einigen Dienern begleitet, auf mäßig steilem Pfade durch die Ansiedelung der Eingeborenen unserem nächsten Ziele zu, nach dem am Abhange des Ged& gelegenen Tjibodas (Weißenbach). Hier hat die holländische Regierung am Rande eines großartigen Urwaldes eine Station für wissenschaft- liche Forschungen eingerichtet, wie sie in so bedeutender Höhe (1425 m) in den Tropen an keinem Punkte der Erde existiert. Die Station umfaßt ein geräumiges Laboratorium, ausgerüstet mit 4 Arbeitsplätzen zum Mikroskopieren, mit den wichtigsten Glasge- räten, mit einem Wohn-, Speise-, 4 Schlaf- und einem kleinen Biblio- thekszimmer. In unmittelbarer Nähe davon befindet sich das Häuschen des Grärtners, der die angrenzenden Gartenanlagen und den hauptsächlich forstlichen Zwecken dienenden Urwaldgebirgs- garten beaufsichtigt, woran sich gleich die Hütten der inländischen (rartenarbeiter anschließen. Eine derartige Forschungsstätte am Rande des tropischen Urwaldes, in einer Höhe, die etwa dem Gipfel des Sonnwendsteins im Semmeringgebiete entspricht, ver- sehen mit den Mitteln zu botanisch-wissenschaftlicher Arbeit, — wo wäre dergleichen noch zu finden? Seit langer Zeit empfand ich hier wieder eine angenehme, an Europa mahnende Temperatur. Während unten in Buitenzorg die Schattemperatur abends und morgens das ganze Jahr hindurch etwa 24° C beträgt, zeigte das Thermometer hier in Tjibodas abends 17°— 18°, morgens ı5—16° C. Ich fand es zeitlich früh beinahe kühl und nachts leistete mir mein Wintermantel als Decke gute Dienste. | Nie werde ich den Eindruck vergessen, den ich jedesmal von neuem erhielt, wenn ich aus dem Hause tretend meine Schritte in den gleich unmittelbar daran gelegenen Urwald lenkte und hier die Wunder tropischer Vegetation schaute. Eine Wanderung durch den Urwald bietet so viel des Interessanten, des Belehrenden nd des (renusses, daß ich den Leser einladen möchte, mir auf einem solchen Ausflug, der uns bis zum Gipfel des Vulkans Gede führen soll, zu folgen. Begleitet von dem Malayen Sapihin, der in der Umgebung des Laboratoriums die Wege des Waldes in Ordnung zu halten hatte, und von 3 anderen Eingeborenen, welche den Proviant, meine Ausrüstung und die gesammelten Pflanzenobjekte zu tragen hatten, brach ich am ı2. Januar ı898 bei Morgengrauen auf. Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. MEER, 18 m Jeder — gleichgültig ob Laie oder Naturforscher — wird, wenn er zum ersten Male den feuchtwarmen Tropenwald betritt, überrascht sein von der großen Individuen- und Artenzahl von Pflanzen und von der außerordentlichen Üppigkeit des Pflanzen- wuchses. Hier, wo drei das Pflanzenwachstum in hervorragender Weise fördernde Faktoren zusammentreffen, Wärme, Feuchtigkeit und nahrhafter Boden, wuchert die Pflanze in zügelloser Freiheit, auch ist ihre Assimilationstätigkeit durch keinen Winter unterbrochen, sondern zumeist das ganze Jahr im Gange. Eine der charakteristischsten Eigentümlichkeiten des einheimischen Waldes liegt darin, daß man in ihm nach allen Seiten einen weiten Einblick gewinnt, weil sich im Hochwalde dem Auge nur die ziemlich weit auseinander stehenden Stämme entgegenstellen und der Blick unterhalb der Kronen wenig gehemmt erscheint. Ganz anders im tropischen Urwald. Es ist, als ob derselbe eineScheu vor dem Leeren hätte und bestrebt wäre, jedeLückeauszufüllen. Eine Unmasse krautartiger Pflanzen: Moose, Farne, Begonien, Tradescantien, Springkraut, Piper, Lobelia, Elettaria, Hedychium, Curculigo, Pilea, Polygonum, Nertera, Sanicula und Pflanzen vieler anderer Gattungen bedecken den Boden!). Dar- über erheben sich Musa-Arten, zierliche Baunfarne, einzelne niedrige Palmen, rankende und klimmende Sprosse verschiedener Kletter- pflanzen (Lianen), die in Form von Seilen, Tauen und Strängen gleich Guirlanden den Wald durchflechten, zahlreiche Sträucher und einen Wald über dem Walde bildend, höhere Bäume, Eichen, Kastanien, Ahorn, Podocarpus, zwischen deren Kronen endlich als höchste Spitzen des Urwaldes die berühmten Rasamalahbäume (Altingia excelsa), die höchsten Bäume Javas, bis zu der bedeu- tenden Höhe von 30 m emporragen. Staunend blickte ich zum ersten Male zu diesen mächtigen Baumriesen, empor von deren Zweigen der Baumbart (Usnea) reichlich herabhängt, und doch erschienen mir diese Bäume relativ klein, als ich einige Zeit später in Kalifornien die größten Baum- riesen der Pflanzenwelt, die weltberühmten Mammuthbäume (Sequoia gigantea u. S. sempervirens) die manchmal ein mehrtausendjähriges Alter und einen kolossalen Stammumfang von 35 m und eine Höhe bis ı44 m erreichen können, sah. !) Dazwischen traf ich einen alten Bekannten, das Franzosenkraut Galinsoga parviflora, das, ursprünglich in Peru einheimisch, seinen Weg nach Europa genommen und, wie ich mich überzeugte, seinen Einzug auch in den javanischen Urwald gehalten hat. Dieses Urwalddickicht wird noch bedeutend vermehrt, indem auf Baum und Strauch sich eine Unmasse von sogenannten Über- pflanzen (Epiphyten) ansiedeln, die die Stämme und Äste fast völlig überwuchern. Nicht selten findet man im Urwald gestürzte Baum- riesen quer über einen Bach oder über den Weg liegen und da hat man die beste Gelegenheit, sich von der Reichhaltigkeit der die Physiognomie des Urwaldes in so hohem Grade bestimmenden Über- pflanzen zu überzeugen. . Noch eine andere hervorstechende Eigentümlichkeit weist der tropische Urwald auf. Unser heimischer Wald setzt sich aus einer oder einigen wenigenBaumarten zusammen. Wenn wir von Eichen-, Buchen- oder Föhrenwald sprechen, so deuten wir dies schon an. Der Tropenwald hingegen weist eine Fülleder verschiedenstenBaumartenaufundhatdaher eine sehr komplizierte Zusammensetzung. Trotzdieser bedeutenden Artenzahlvon Sträuchern und Bäumen, trotz der Unzahl krautartiger Gewächse, welche den Boden bedecken und als Epiphyten die Baumstämme überwuchern, ist man im Urwaldüberraschtvonder Armutschöner, auffallend gefärbter Blüten. In unseren warmen Grewächshäusern, die ja meist Kinder der Tropen beherbergen, ist man gewöhnt, zumeist Pflanzen mit herr- lichen, in die Augen fallenden Blüten zu sehen. Allein man darf nicht vergessen, daß aus den Tropengegenden der ganzen Erde ge- rade die Pflanzen mit den schönsten Blumen in unsere Gewächshäuser getragen wurden, und in diesem die Pflanzen aller Erdteile auf kleinem Raume nebeneinander stehen. Im Urwald muß man längere Zeit suchen, bis einem eine Pflanze mit besonders schönen Blüten auffällt. Hie und da eine hübsche Aroidee, eine Medinilla, ein Springkraut, eine Orchidee und hoch oben in den Kronen der Rasamalahbäume die leuchtend roten Dolden von Rhododendron javanicum, das ganz im Gegensatz zu unseren, im Boden wurzelnden alpinen Alpenrosen in luftiger, feuchtwarmer Höhe als Epiphyt sein Leben fristet. Da- zu kommt noch ein Umstand, der die Armut schöner Blüten im Ur- wald erhöht. Bei uns im heimischen Klima, wo die Vegetationszeit in der Ebene etwa sechs Monate, auf hohen Alpengipfeln sogar nur drei Monate dauert, haben es die Pflanzen im allgemeinen viel eiliger mit dem Geschäfte des Blühens und Fruchtens, das Blühen muß sich in verhältnismäßig kurzer Zeit abspielen und dies ist der Grund, warum uns unter anderem 2#F unsere Flora so auffallend blütenreich erscheint im Gegensatze zu der tropischen. — Im tropischen, feuchtwarmen Urwald sind die Bedingungen des Pflanzen- lebens und einer üppigen Vegetation das ganze Jahr hindurch ge- geben; daher verteiltsichauchdasGeschäftdesBlühens aufalle Monate eines Jahres und dies wird zweifellos da- zu beitragen, Blüten von auffallender Größe und Farbe seltener erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich sind. Damen, welche den Urwald in der Absicht betreten, hier rasch einen schönblumigen Strauß zu pflücken, dürften eine Enttäuschung erleben und mit einer gewissen Sehnsucht der blumenreichen Frühlingswiesen unserer Heimat gedenken. Auf meiner Wanderung lernte ich bei zahlreichen Lianen eine Erscheinung kennen, die weiter bekannt zu werden verdient. Ich habe mich zu wiederholten Malen überzeugt, daß man ge- wisse Lianen (Cissus, Vitis pubiflora usw.) als Trinkwasser- quellen benützen kann. Wenn man einen nicht allzudünnen Stamm einer Liane mittels eines javanischen Hackmessers, wie es gewöhnlich jeder javanische Gartenarbeiter mit sich führt, rasch durchschneidet, so fließt in der Regel weder aus der unteren, noch aus der oberen Schnittfläche Wasser heraus. Sobald man aber in einer beträchtlichen Entfernung, am besten !/;,m bis 2m über der oberen Schnittfläche den Stamm neuerdings durchhackt und dann ‘das abgetrennte Stammstück lotrecht hält, so tropft oder strömt Wasser in mehr oder minder großen Mengen, nicht selten in über- raschend großen Quantitäten aus der unteren Schnittfläche hervor. In der ersten Minute relativ viel, dann weniger und nach fünf Minuten zumeist nichts mehr. So konnte ich bei einer Uncaria acida Hunter aus cinem 3 m langen und 5,5; cm dicken Zweigstück im ganzen 590 ccm, also mehr als einen halben Liter Wasser auf- fangen. Dieses Ausströmen von Wasser ist eine bei zahlreichen, verschiedenen Familien angehörenden Gattungen zu beobachtende Erscheinung und kann auch bei einheimischen Lianen (Weinrebe, Waldrebe), wenn auch in geringerem Maße, konstatiert werden). — Nach meinen Erfahrungen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß man tatsächlich unsere Lianen dazu benutzen kann, mit dem daraus sich ergießenden Wasser den Durst zu stillen. Sorgt man ‘!) Näheres darüber in meinen „Botanischen Beobachtungen auf Java“ (II. Ab- handlung): ‚‚Über das Ausfließen des Saftes aus Stammstücken von Lianen“. Sitzungsber. der kais. Wiener Akad. 2. Abt. 1898. dafür — was übrigens gewöhnlich nicht notwendig ist — daß aus der aufgeschnittenen Rinde .nicht verunreinigende Bestandteile, wie Milchsaft, Harz usw., in deri aus den Holzgefäßen stammenden Wasserstrom hineingelangen, so erhält man ein außer- ordentlich reines, von Bakterien sicherlich voll- ständig freies Trinkwasser. Ich habe einige Male solches Lianenwasser getrunken und mich öfters damit im Urwald gelabt. Es wäre wünschenswert, daß die wasserspendenden Lianen mehr bekannt würden, da keimfreies, reines Wasser zumal im tropischen Urwald eine sehr begehrenswerte Sache ist, die vor mancherlei Krankheit behüten kann. Wenn man davon liest, wie oft Tropen- reisende mit Wassermangel zu kämpfen haben und sich nicht selten in lianenreichen Gegenden mit einem Wasser voll Schlamm und Unrat begnügen — ich denke dabei an eine Schilderung von A. R. Wallace in: „Der malayische Archipel“, deutsche Ausgabe, Braunschweig 1869, II. Bd., S. 315 — so muß man sehr bedauern, daß solchen Reisenden die Lianen als Trinkwasserquellen nicht bekannt waren. Obwohl die Temperatur gegen ıo Uhr morgens gerade nicht sehr hoch war (etwa 20° C) und die Sonnenstrahlen in dem dichten Schatten der Urwaldbäume ihre Wirkung nicht direkt äußern konnten, begann ich dennoch, zumal der Weg anstieg und die Luft mit Wasserdampf ziemlich beladen war, tüchtig zu transpirieren — im Gegensatz zu meinen Dienern, die nur um die Lenden ein leichtes Tuch geschlungen hatten und daher so gut wie nackt waren. Wir konnten uns glücklich preisen, einen so schönen Tag getroffen zu haben, denn selbst bei Sonnenschein ist es im Urwald Javas naß, die Blätter triefen morgens von Tau und häufig von ausgeschiedenem Wasser und da es zur Zeit des Westmonsums fast jeden Tag reichlich regnet, tropft allenthalben Wasser. Damit hängt eine Erscheinung zusammen, auf welche zuerst der Botaniker Stahl aufmerksam gemacht hat, auf den Zusammenhang ‚zwischen Blattgestaltund Regenfall. Ihm war es aufgefallen, wie rasch die Blätter der meisten javanischen Urwaldpflanzen sich des Regenwassers entledigen. Betrachtet man die Blätter bei Regen, so sieht man beinahe: kontinuierliche Wasserfäden von der auffallend lang ausgezogenen Blattspitze herunter- träufeln und diese Träufelspitze — sehr schön ausgebildet bei Ficus religiosa, Begonia Rex, Cissus discolor, Orchideen, Araceen u. a. — steht offenbar im Zusammenhange mit dem raschen Ab- trocknen der Blätter: kurze Zeit nach dem Aufhören des Regens sind die Blattflächen schon wieder trocken, während australische und europäische Formen, die in Tjibodas kultiviert werden, noch ganz betropft erscheinen. Der feuchtwarme, regenreiche Urwald Javas stellt die Heimat der Träufelspitzen dar, sie bezwecken die rasche Abtrocknung der Blätter und ermöglichen damit den baldigen Eintritt der Transpiration, d. h. der Abgabe von Wasserdampf durch die Pflanze und hierdurch die Zuwanderung des Bodenwassers und der darin gelösten Nährsalze zu den Blättern. Ich war gerade in den Anblick der Träufelspitzen vertieft, als ich plötzlich oben in einer Baumkrone einen Schrei hörte. Ich blickte auf und sah ganz deutlich mehrere graue Affen, die still hielten und uns neugierig anglotzten. Im nächsten Augen- blicke stürzte ein ganzer Trupp von Affen in rasender Eile davon, von Baum zu Baum mit unglaublicher Behendigkeit sich schwingend, so daß der ganze Wald hierdurch in Bewegung kam. Sapihin blickte mich, da ich mich von meiner Überraschung noch nicht ganz erholt hatte, an und lächelte. Später konnte ich beobachten, wie Affen täglich in der Nähe des Laboratoriums in Tjibodas am Rande des Waldes weideten und der Gärtner erzählte mir, daß sie sogar in den Garten ein- brechen, um hier Obst und Gemüse zu naschen. Als ich Sapihin auf meiner Wanderung frug, ob er auch die Riesenregenwürmer Javas kenne, trat er zu meiner Überraschung tiefer in den Wald und kletterte auf einen Baum, auf welchem sich der bekannte Nestfarn (Asplenium nidus) in mehreren Pracht- exemplaren befand. Dieses merkwürdige Farnkraut, eine der schönsten Zierden des Urwaldes, lebt als Epiphyt auf den Ästen der Bäume, bildet hier mächtige, oft über Meter breite Blatt- rosetten, in deren Innern sich abfallende Baumblätter "anhäufen und sich nach ihrer Verwesung Humus ansammelt. Eine solche Nestfarnrosette holte nun Sapihin vom Baume, legte sie. vor mir nieder und deutete darauf. Ich war nun vollends über- zeugt, daß er mich mißverstanden, denn daß man, um Regen- würmer zu holen, auf Bäume steigt, wollte mir nicht in den Kopf. Groß war daher mein Erstaunen, als mein Begleiter die Rosette zerhackte, den in derselben vorhandenen Humus zerteilte und nach kurzem Suchen mir zwei kolossale Regenwürmer von etwa 3ocm Länge und etwa ı!/,cm Dicke überreichte! Dieses Vor- 25 kommen verdient die Aufmerksamkeit der Zoologen, denn Regen- würmer hoch auf Bäumen lebend, sind doch eine eigentüm- liche Sache. Wie mögen diese doch so schwerfälligen Tiere auf die Bäume hinaufkommen? Kriechen sie selbst zwischen dem die Stämme umgebenden Moos- und Flechtenfilz empor oder werden sie oder ihre Eier von anderen Tieren in die Baumkronen ver- schleppt ? So wie es an auffallend schönen Blüten ziemlich mangelte so waren auch, wenigstens zur Zeit meines Ausflugs im Januar, nicht viele bunte größere Schmetterlinge zu bemerken. Mir fielen im ganzen etwa 4 Formen auf, die den Waldwegen und Bach- ufern entlang sich hin und her bewegten. Einer von brauner Farbe setzte sich häufig auf den Boden nieder und war dann mit gefalteten Flügeln kaum zu sehen, da die Farbe der Flügel mit der Farbe des Bodens stimmte. Ein anderer hatte die sonderbare Gewohnheit, sich stets an der Unterseite von Blättern auszuruhen. Er scheute die Nässe. ÖOberseits sind die Blätter häufig naß, unterseits trocken, daher findet das Insekt hier einen trockenen Platz und Schutz gegen Regen. In den Baumkronen sah ich hier und da eine Wildkatze, von Tigern und Nashörnern war in diesem Urwald nichts zu merken, denn die auch auf Java vorschreitende Kultur drängt diese Tiere immer mehr zurück und auf dem Gede ist man davor vollkommen sicher. Relativ häufig begegnet man einem viverren- artigen Tiere, dem Loak (Paradoxurus musanga), dessen Kot man auf dem Wege von Zeit zu Zeit antrifft. Dieses Tier hat eine besondere Vorliebe für Kaffeefrüchte, treibt sich in den Kaffee- plantagen umher, und so wie sich unsere Sperlinge mit großer Findigkeit die süßesten Kirschen auswählen, so weiß sich auch der Loak die besten Kaffeefrüchte zu verschaffen. Die Samen (Bohnen) derselben finden sich regelmäßig in seiner Losung. All- gemein werden solche Bohnen als besonders gut gepriesen, sie werden mit Sorgfalt aufgelesen und teurer verkauft. Die Bohnen, welche ich in dem Kote bemerkte, hatten auffallenderweise immer die Form von „Perlkaffee‘“. Gegen ıı Uhr vormittags kamen wir zu einem höchst sehens- werten Punkte, der schon von weitem meine Aufmerksamkeit durch das Aufsteigen weißer Dampfwolken erregte. Es war die aus dem Fels an mehreren Stellen hervorbrechende heiße Quelle von Tjipanas. Auf eine ziemliche Strecke war der Weg der rasch abstürzenden Quelle durch aufsteigenden Dampf gekennzeichnet. Ich versuchte die Hand einzutauchen, aber ich mußte sie sofort, da das Wasser zu heiß war, zurückziehen. Ich steckte ein Thermo- meter hinein, es zeigte an einer Stelle 47° C, an einer anderen, wo es dem Fels entquoll, 48—30° C. Ich legte ein gepflücktes Begoniablatt hinein und sah, daß es nach kurzer Zeit verbrühte und seine grüne Farbe mit einer braunen vertauschte. Trotz dieser ziemlich hohen Temperatur war der Boden der Quelle über und über bedeckt mit einer dicken Lage von blaugrünen oder braunen Algen in üppigster Entwicklung. Wie eine spätere mikroskopische Untersuchung lehrte, bestand die Algenmasse vornehmlich aus einer außerordentlich dünnfädigen grünen und braunen Oscillariee. Das Vorkommen von Pflanzen in einem dampfenden, relativ so heißen Wasser ist jedenfalls eine merkwürdige Erscheinung. Die obere Temperaturgrenze des Pflanzenlebens liegt für die meisten Gewächse bei etwa 41—45° C, werden sie auf diese Temperatur gebracht, so sterben sie gewöhnlich binnen kurzer Zeit ab. Und nun sehen wir Algen, die sich einer so heißen Quelle angepaßt haben, in derselben nicht bloß leben, sondern geradezu wuchern. Auch im Karlsbader Sprudelwasser (Böhmen) lebt, wie ich mich überzeugt habe, eine ganz ähnlich aussehende Alge; ich habe hier im heurigen Frühjahr (1899) die Temperatur an solchen Stellen, wo die Alge eben aufzutreten beginnt, gemessen und habe merkwürdigerweise ungefähr dieselbe Temperatur ab- gelesen, wie auf Java, nämlich 49° C. Nachdem ich Proben von den Algen in Gläsern gesammelt, ging es weiter und immer höher in den Urwald hinan, bis zu einem etwa 2500 m hoch gelegenen Punkte, wo ich — den Ausblick auf den 3000 m sich erhebenden Gipfel des Vulkan Pangerango, dem Sitze der herrlichen Primula imperialis, vor mir — zu übernachten beschloß. Aus mitgebrachten Bambusröhren, aus rasch mit dem Hack-: messer gefällten Baumfarnen und anderen Stämmen hatten meine Träger mit wirklich bewunderungswürdiger Geschicklichkeit und Schnelligkeit in ı Stunde eine hübsche Hütte für mich gebaut. Nun wurde das Lager in der Hütte bereitet, eine Palmenmatte darüber gebreitet und kurze Zeit darauf hatten meine Diener auch schon aus Stämmen einen Tisch improvisiert, auf welchem Sapihin ein vortreffliches Mahl, bestehend aus Hammelbraten, Eiern, Schinken, Mangostinen, Bananen, Ananas und einer Flasche Bordeauxwein nebst Tee servierte. —— 2 5 — Als ich nach dem Mittagstisch vor die Hütte trat, fielen mir mehr als kindskopfgroße knollige Massen in den Zweigen eines mimosenartigen Baumes auf, der Albizzia montana, es waren dies durch einen Brandpilz hervorgerufene Gallen. Ich sammelte ferner neben vielen anderen Objekten ein merkwürdiges Farnkraut, dessen junge, aus der Knospe sich hervorschiebende Blätter mit einer dicken Schleimschicht bedeckt waren und war überrascht, auch an den Luftwurzeln eines auf Bäumen hoch emporkletternden Lycopodium ebenfalls klaren Schleim in dicker Lage vorzufinden, eine Vorrichtung, die vielleicht die genannten Organe vor dem Vertrocknen oder vor Tieren zu schützen hat. Abends nach 6 Uhr, als die Sonne eben untergegangen war, begab ich mich zu meinen Dienern, die wenige Schritte von meiner Hütte sich ebenfalls ein Lager errichtet und ein Feuer angemacht hatten. In Buitenzorg hatte es abends im Schatten gewöhnlich 24°C, in Tjibodas (1400 m) etwa 17° und hier in einer Höhe von etwa 2500 m war das Thermometer auf ı0° gesunken. Solche Temperatursprünge merkt man in den Tropen in auffallender Weise, selbst wenn ich mich in meinen steirischen Wettermantel einhüllte, fröstelte ich trotzdem. Kein Wunder, daß meine halb- nackten Javaner vor Kälte zitterten und ihre Füße und Hände am Feuer wärmten. Mir taten die armen Kerle leid, ich ließ sie zu mir in die Hütte kommen und bot jedem ein Gläschen Kognak an. Allein sie zögerten zuerst, da sie durchwegs Mohammedaner waren, davon zu nehmen, als ich ihnen aber bedeutete, es sei „obak“ (Medizin), tranken sie gleich, Zwei davon kosteten zuerst und husteten, Sapihin aber leerte das Gläschen so rasch und sicher, daß es den Anschein hatte, als ob ihm Kognak nichts Un- bekanntes wäre. | Sowie die Nacht sich über den Urwald gesenkt hatte, zündete ich in meiner Hütte die Laterne an. Sapihin servierte mir das Abendessen und dann begaben wir uns alle zur Ruhe. Es war auffallend still. Während in der Ebene und auch noch in Tjibodas mit Einbruch des Abends ein tausendstimmiges Konzert beginnt von Myriaden von Insekten, von Grillen und Fröschen, war es hier in dieser bedeutenden Höhe und bei der relativ so niederen Temperatur fast stille. Nur dann und wann hörte man den Schrei eines Vogels oder das Grunzen eines Wildschweines. Die verschiedenen Eindrücke, die ich auf meiner Wanderung während des Tages empfing, der Gedanke an das einsame, von — 26 —— Menschen ferngelegene Nachtlager im Urwald, Erinnerungen an die Heimat, gingen mir im Kopfe herum und verscheuchten an- fangs den Schlaf. Während ich so hinträumte, sah ich auf dem Boden vor der Hütte einen eigentümlichen Lichtschein, ein grün- lich gelbes Phosphoreszieren. Die Sache begann mich zu inter- essieren, ich stand auf und fand, daß das Licht einem Stück faulen Rasamalaholzes entströmte. Auch bei uns in Europa gibt es bekanntlich leuchtendes Holz und wir wissen, daß das Leuchten nicht vom Holze, sondern von Pilzen herrührt, die das Holz. durchwuchern. In den Tropen ist das Leuchten von Lebewesen keine seltene Erscheinung. Ich habe mich dafür während meines Aufenthaltes auf Java besonders interessiert und habe nicht bloß leuchtende Tiere (Skolopendren, Johanniswürmchen usw.), sondern auch leuch- tende Hutpilze, leuchtendes, von Pilzen durchwuchertes Holz, und was von besonderem Interesse ist, auch leuchtende, in Ver- wesung befindliche Blätter (Bambusa, Nephelium usw.) beob- achtet. Ich hatte in Buitenzorg in meinem Schlafzimmer in Gläsern zahlreiche leuchtende Blätter verschiedener Pflanzen; wenn ich nachts erwachte und von meinem Bette aus durch das Mosquito- netz den Tisch betrachtete, wo die Blätter standen, so kam es mir wie in einer Geisterstube vor. Die Objekte erglänzten wie in einem geheimnisvollen magischen Lichte und zwar so stark, daß ich die benachbarten Gegenstände deutlich unterscheiden und meine Uhr in der Nähe des Lichtscheines ganz gut ablesen konnte. Als ich in der Frühe erwachte, sah ich zu meiner großen Freude blauen Himmel über mir. Rasch wurde zusammengepackt, und um 6 Uhr setzte sich bereits unsere kleine Karawane in Be- wegung, um den Gipfel des Gede zu erreichen. War mir schon am vorigen Tage aufgefallen, daß die Flora mit zunehmender Höhe sich änderte, so war dies jetzt, da wir uns dem Gipfel näherten, noch bei weitem mehr der Fall. Palmen, Baumfarne, Lianen, Cur- culigo, Elettaria, Nestfarn und viele andere tropische Gewächse, für den tieferen Bergwald so charakteristisch, waren nunmehr ver- schwunden und an ihre Stelle traten Vertreter der temperierten Zone: Aspidium aculeatum, ‚Pteris aquilina, der auch in Europa so weit verbreitete Adlerfarn, Brombeerarten, und als ich gar die Blüten eines Hahnenfuß, eines Veilchens, eines Enzians, eines Wegerichs und zahlreicher heidelbeerartiger Pflanzen und einen = 27 _— drosselartigen Vogel hier unter dem Äquator erblickte, mutete es mich wie ein Gruß aus der Heimat an. Gegen 8 Uhr morgens kamen wir zu einer Waldlichtung mit einem Ausblick auf den majestätisch sich erhebenden Krater des Gede, aus dessen Tiefe sich von Zeit zu Zeit mächtige Dampf- wolken erheben. In der Umgebung der Krateröffnung wird der‘ Pflanzenwuchs immer spärlicher; kleine Sträucher, Stauden und krautartige Pflanzen, deren lederartige oder behaarte Blätter gegen allzustarke Wasserdampfabgabe ähnlich wie bei unseren Alpen- pflanzen sichtlich geschützt erscheinen, bilden selbst für den Laien einen überraschenden Kontrast im Vergleich zur Flora der tieferen Regionen. Je näher dem Krater, desto schwieriger fristet die Pflanze auf dem jungen vulkanischen Boden ihr Leben, beim Krater selbst verschwinden die höheren Gewächse endlich völlig. Nun war der Gipfel erreicht und mit Staunen blickte ich von der Höhe hinab in den weiten Trichter: Drunten in der Tiefe ein Tümpel, in dem es „wallet, siedet, brauset und zischt“, an den Wänden Felsspalten, aus denen wie aus Ventilen heißer Dampf zischend herausfährt, die Wände selbst stellenweise ganz gelb von aus- blühendem Schwefel. Gerne wäre ich in den Krater hinabgestiegen, um das schaurige Schauspiel ganz in der Nähe zu sehen, allein Sapihin hielt mich schon bei den ersten Schritten zurück und warnte eindringlich vor den bösen Geistern der Tiefe. Diese hätten mich allerdings nicht abgeschreckt, aber die abschüssigen Wände ließen den Abstieg fast unmöglich und in hohem Grade gefährlich erscheinen und deshalb gab ich meine Absicht auf. Ganz gefangen genommen von dem Spiel der unterirdischen Kräfte hörte ich plötzlich hinter mir ein eigentümliches Geräusch von Feuergeprassel und züngelnden Flammen: meine Diener hatten etwa so Büsche von Gmaphalium javanicum entzündet, die, rasch erfaßt vom verzehrenden Feuer, ebensoviele Rauch- säulen hoch in die -Luft entsandten. Es ist ganz auffallend, wie leicht diese Büsche Feuer fangen. Gnaphalium javanicum, das „Edelweiß“ der Javaberge, weist mit unserem heimischen Edel- weiß kaum eine Ähnlichkeit auf, denn es entwickelt über ı Meter hohe Büsche und armdicke Stämme. Die untersten Blätter sterben ab, vertrocknen so, daß sie rauschen, und brennen dann wie Zunder. Dies wissen die Javaner sehr wohl und es macht ihnen offenbar viel Spaß, die Büsche zu entzünden und in Flammen aufgehen zu sehen. i Be 28 ze Erst jetzt bemerkte ich, welch herrlichen Fernblick der er- stiegene Gipfel bot. Vor mir erhob sich die riesige Kuppe des erloschenen Vulkans Pangerango, bis zur 3000 Meter hohen Spitze über und über mit dichtem Urwald bedeckt. Während bei uns in den Alpen Mitteleuropas die Gipfel solch hoher Berge im ewigen Schnee und Eis begraben liegen, reicht hier das Pflanzenleben, relativ üppige Strauch- und Baumvegetation, bis zu so bedeutender Höhe, wo die Temperatur nur in den seltensten Fällen auf den Eis- punkt sinkt. Gegen Norden und Osten breitete sich das Gelände der Preanger-Regentschaft aus, eines der fruchtbarsten Grebiete- der Erde. Soweit das Auge reicht: herrliche Kokoswälder, unter- mischt mit Kaffee-, Tee-, Zuckerrohrplantagen, Reis- und Manihot- feldern — ein tropisches Kulturland von paradiesischer Schönheit. Es war gegen ı2 Uhr mittags. Von Pangerango schob sich eine dunkle Wolke vor und Nebel begannen zu ziehen, die Vor- boten eines nahenden Gewitters. Eilig rüsteten wir zum Abstieg; kaum hatten wir unseren Lagerplatz von gestern erreicht, fielen die ersten großen Regentropfen und nun begann es unter Donner und Blitz zu „schütten“, daß das Fortkommen mitunter recht be- schwerlich wurde. Überrascht war ich von dem Eintritt des Ge- witters durchaus nicht, denn ausgiebige Regengüsse sind ja zur Regenzeit in Westjava eine fast täglich wiederkehrende Erschei- nung. Völlig durchnäßt kamen wir gegen 4 Uhr nachmittags in Tjibodas wieder an. Nun ging es an das Auspacken der gesam- melten Schätze, an das Trocknen und Konservieren der gesam- melten Pflanzen. Als ich abends auf der Veranda des Laboratoriums von Tji- bodas saß und die Abendstimmung genoß, mich dem Spiel der zieheiiden Nebel hingab und die herrlichen Farben des sich all- allmählich klärenden Himmels betrachtete, kehrten meine Gedanken immer wieder von neuem zu meinem eben beendigten Ausflug zurück und verweilten in genußreicher Erinnerung noch lange bei all dem, was sich der tropische Urwald erzählt. III. Reiseerinnerungen aus China und Japan’). Die außerordentlichen Ereignisse, die sich gegenwärtig in China abspielen und vor kurzem abgespielt haben: der Aufstand der Boxer, die Verfolgungen der fremden Europäer, der Missionäre und der Christen, insbesondere das eigenartige Schicksal der in Peking gefangen gehaltenen Gesandten sowie deren endliche Be- freiung — all das hat das Interesse für China auf das lebhafteste geweckt. Und das mit Recht. Denn abgesehen von den jetzt da- selbst herrschenden Kriegswirren, verdient ja dieses merkwürdige Land unsere volle Aufmerksamkeit. Bedenken wir, daß China eine bereits mehrtausendjährige Kultur aufzuweisen hat, zu den größten Reichen der Erde gehört, nach beiläufiger Schätzung etwa 400 Mil- lionen Menschen faßt und daß der Kaiser von China sich rühmen darf, nahezu ein Drittel der gesamten Menschheit auf unserer Erde zu regieren. Die Bevölkerung ist ungemein dicht. Obwohl Epidemien und elementare Ereignisse, wie Überschwemmung und Hungersnot, oft empfindliche Lücken in der Zahl der Menschen schaffen, werden die Lücken nicht bloß gestopft, sondern es wandern alljährlich noch viele Tausende von Chinesen aus. Mit Ausnahme von Europa hat sich der Auswandererstrom nach allen vier Erdteilen gewendet. In Afrika, Amerika, Australien und Südasien, desgleichen auf den benachbarten Inseln, finden sich überall chinesische Ansiedelungen und da der chinesische Arbeiter überaus anstellig, fleißig und an- spruchslos ist und da ferner der chinesische Kaufmann den Ver- trieb der Ware ausgezeichnet versteht und an Intelligenz nichts zu wünschen übrig läßt, so entpuppt sich der bezopfte Mann als ein unangenehmer Konkurrent. Dies ist wohl der eigentliche Grund, 1!) Vortrag, gehalten 1901 im Prager Schriftstellerverein ‚‚Concordia“. Zuerst gedruckt im Prager Tageblatt, Jahrgang 1901. warum die Holländer in Niederländisch-Indien und die Amerikaner in den Vereinigten Staaten, die sonst jedem die Tore gastlich öffnen, die Einwanderung der Chinesen beschränkt und erschwert haben. Vor etwa drei Jahren, 1897/98, machte ich eine Reise um die Erde. Pflanzenphysiologische Studien führten mich zunächst nach Java. Auf dem Wege dahin lernte ich bereits in Penang eine vor- wiegend chinesische Stadt kennen, Singapore; dieser Knotenpunkt des Welthandels und der Weltschiffahrt machte geradezu den Eindruck einer chinesischen Tropenstadt und in größeren Städten der Sunda- inseln finden sich allerorts ausgedehnte, fast ausschließlich von Chinesen bewohnte Stadtviertel. So hatte ich in Batavia, besonders aber in Buitenzorg Monate hindurch Gelegenheit, mit Chinesen zu verkehren ‘und ihre Sitten und Gebräuche kennen zu lernen. Das erwachende Interesse für diesesmerkwürdige und wahrhaft originelle Volk führte mich später nach China selbst und von hier in das Land der aufgehenden Sonne, nach Japan. In China besuchte ich Hongkong, Canton, Macao und Shanghai. Bei dem gegenwärtigen aktuellen Interesse für China erlaube ich mir den Leser einzuladen, mich im Geiste auf meinen Wanderungen daselbst zu begleiten, mit mir zu schauen und zu beobachten und die gewonnenen Eindrücke zu analysieren. Zwischen Hongkong und Canton findet regelmäßig jeden Tag ein Dampferverkehr statt. Wir benützen zur Fahrt nach Canton einen englischen Dampfer und machen es uns darauf bequem. Bei der Musterung des Dampfers fällt uns die etwas kriegerische Ausrüstung auf. Im Salon I. Klasse finden sich allerlei Waffen vor: Säbel, Bajonette, Revolver und Gewehre. Der Deckraum, auf welchem sich gegen hundert Chinesen, zumeist Kulis (Taglöhner), eingefunden haben, ist durch ein eisernes Gitter von den Europäern abgetrennt und vor dem Gitter hält ein bewaffneter Matrose Wache. Noch vor nicht langer Zeit kam es nicht selten vor, daß Passagierdampfer von Piraten überfallen wurden und daß sich Seeräuber als Kuli verkleidet auf dem Dampfer einschmuggelten, um einen Überfall um so wirksamer gestalten zu können. Nach mehrstündiger Fahrt auf dem mächtigen, durch lehmgelbe Färbung ausgezeichneten Pearl- oder Cantonfluß 'ge- langen wir nach Canton. Schon von weitem gibt sich diese kolossale Stadt durch die mächtige, zweitürmige Kathedrale zu erkennen, die wie eine feste Burg des Christentums alle anderen Grebäude Cantons hoch überragt. Canton, eine Stadt von etwa ı!/, Millionen Einwohnern, ist eine typische Chinesenstadt, die wie kaum eine andere in Südchina von chinesischer Eigenart, chinesischem Leben, von der hier aus- gebildeten Kunst einen Begriff zu geben vermag. Was aber Canton besonders auszeichnet, ist eine hier vorhandene Vorstadt, deren Bewohner — etwa 300000 an Zahl — ständig auf dem Flusse wohnen. In einer Ausdehnung von etwa 6—8 Kilometer befinden sich etwa 80 000 Boote und Flöße, die diesen Flußbewöhnern zum Aufenthalte dienen. Der Hafen von Canton bietet infolgedessen ein ungemein fesselndes Bild. Dschunken und Samyane gleiten beladen mit Obst, Gemüse, Reis, Indigo oder Öl, vor unseren Blicken dahin. Zwischen den beiden Ufern des Flusses vermitteln Fahrboote den Verkehr. Von weitem fallen größere, durch grün angestrichene Jalousien ausgezeichnete „Bettboote“ (Tanpu) auf. In Canton werden die Stadttore abends bald geschlossen. Ein spät am Abend ankommender Reisender würde in der Stadt keine Unterkunft mehr finden, es ist ihm daher sehr willkommen, gleich im Hafen, in den Bettbooten übernachten zu können. Die Flußbewohner werden von den Landbewohnern als Parias angesehen. Das Betreten des Landes wird ihnen von diesen ver- wehrt. Daher bringen denn die Flußbewohner ihr ganzes Leben auf ihren Booten und Flößen zu. Sie werden hier geboren, leben und sterben darauf. Die kleinen Kinder werden angeseilt, oder mit einem Brettchen am Rücken versehen, damit sie, falls sie über Bord fallen, leichter von den Angehörigen gerettet werden können. Wehe dem Kinde, das ins Wasser fällt, wenn die Eltern nicht da sind. Ein solches Kind ist verloren, denn kein fremder Chinese würde den Finger rühren, um es zu retten. Der Chinese lebt in dem Aberglauben, daß die Seele eines Ertrunkenen ruhelos über dem Wasser umherirrt, bis es ihr gelingt, einen Menschen zu er- tränken und dadurch die Ruhe wieder zu gewinnen. Würde man den Geist des Verstorbenen daran hindern, so hätte man seine Rache zu gewärtigen, und daher läßt man den ins Wasser Fallenden einfach ertrinken. In Canton weilend, konnte ich es mir nicht versagen, die im Hafen verankerten berühmten Blumenboote zu besuchen. Diese stellen eine Art schwimmender Restaurants dar, die durch ihre elegante Einrichtung, bedeutende Größe, durch den architekto- nischen Schmuck und abends durch ihre grell leuchtenden Arm- luster das Auge jedes Fremden auf sich ziehen. Der Chinese ladet seine Freunde zum Mahle nicht in sein Haus, sondern in den Fluß- städten auf ein Blumenboot. Hier kommen die reichen Chinesen in ihren seidenen blumengestickten Gewändern zusammen, begrüßen sich unter nicht endenwollenden Verbeugungen, plaudern und geben sich den Tafelfreuden hin, während kleine chinesische Mädchen von Zeit zu Zeit Lieder vortragen und ihre unangenehm klingende Stimme mit einer ebenso unangenehmen kleinen Guitarre begleiten. Die Chinesen versicherten mir, diese Mädchen seien sehr schön. Sie behaupteten, sie hätten „Wangen wie Mandelblüten, Lippen wie Pfirsichblüten, Augen glänzend wie die Welle im Sonnenglanze und Füße wie die Fußstapfen von Lotosblumen“. Ich habe von diesen Schönheiten nichts bemerkt. Ich sah nur, daß die Mädchen eine unansehnliche Gestalt besaßen, im Gesichte grell geschminkt waren und verkrüppelte Füße hatten. Doch verlassen wir den Flußhafen und wenden wir uns der Stadt selbst zu. Mein Führer, ein gebildeter Chinese, der der englischen Sprache ziemlich mächtig war, bestellte für uns zwei Sänften mit je vier Kulis, und so wurden wir denn von diesen durch Canton getragen, um die Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Die Straßen erscheinen zumeist auffallend schmal, gerade breit genug, um zwei sich begegnenden Sänften das Ausweichen zu gestatten. Selbstredend kommt es in so schmalen Gäßchen zu einem dichten Menschenstrom, allein trotzdem wir uns in einer Riesenstadt befinden, kommt es zu keinem Gedränge, und nur an den Kreuzungsstellen wird es lebendiger und lärmender, weil die hier zusammentreffenden Lastträger sich anrufen, um nicht zu- sammenzustoßen. Chinesische, zumeist aus Kaufmannsläden be- stehende Gassen haben immer etwas von Illuminationsstimmung. Die oft reich verzierten Auslagen, die bunten Lampions und die in grellen Farben leuchtenden Schilder, welche im Gegensatz zu den unseren nicht quer über dem Laden hängen, sondernin breiten Bändern, versehen mit den uns rätselhaften hieroglyphenartigen Schriftzeichen, oft mehrere Meter vertikal herabreichen, bieten ein lebendes Bild. Und was läßt sich hier nicht alles beobachten! Hicr ein Fleischerladen, in dem uns neben appetitlich hergerichteten Spanferkeln auch abgehäutete Katzen, Hunde und Ratten auf- fallen, dort eine Rasierstube, in der sich Chinesen ihre Haupthaare rasieren lassen, hier eine Werkstätte, in der Arbeiter in unermüd- lichem Fleiße bis spät in die Nacht tätig sind, hier ein Geldwechsler, dort ein Wahrsager und manches andere. Einen wahren Genuß a gewährt es dem Fremden, Straßen mit eleganteren Läden durch- wandern zu können. Hier haben wir Gelegenheit, die Erzeugnisse der Seiden-, Atlas- und Porzellan-Industrie, ferner Elfenbeinschnitze-. reien, Nephritwaren, zierliche Schwerter und dergleichen mehr besichtigen zu können. China ist ja das Land der Seide und Kanton der Mittelpunkt der Seidenmanufaktur. Wir betreten einen Seidenladen. Bei der Türe fallen uns rote Zettel mit verschiedenen Sprüchen auf: „Reelle Ware“, „Fixe Preise“, „Dein Aus- und Eingang möge sich glücklich gestalten“, „Tausend Verdienste machen Reichtum“. Im Hintergrunde des Ladens steht der reich verzierte Ahnenaltar, in dem die Ahnen- täfelchen mit Namen der Vorfahren unseres Kaufmanns aufbe- wahrt und angebetet werden. Der Kaufmann empfängt uns auf das Zuvorkommendste, er wird nicht müde, uns die verschiedensten Waren: Kragen, Schärpen, Theater-, Mandarinanzüge, Polster, Wandschirme und anderes zu zeigen, uns auf die Schönheiten aufmerksam zu machen und die Preiswürdigkeit anzupreisen. Um uns länger an sein Geschäft zu fesseln, wird auch Tee in kleinen Täßchen angeboten. Die Kaufleute, mit denen ich in Kanton zu tun hatte, machten einen guten Eindruck auf mich. Der geforderte Preis schien mäßig und war in der Regel fix. Man muß sich jedoch hüten, solche Einzelbeobachtungen zu verallgemeinern. In Java habe ich ganz andere Wahrnehmungen gemacht. Sowie man in einem javanischen Hotel angekommen ist, sich durch ein Bad erfrischt und auf der Veranda Platz genommen hat, erscheint der erste Besuch in Gestalt eines chinesischen Hausierers. Er bietet Tropenanzüge, Zahnbürstchen, Wäsche oder japanische Schwerter an, und wenn er für ein solches Schwert ı2 holländische Gulden fordert, so kann man sicher sein, daß er es binnen kurzem um - ı Gulden hergibt. Neben den Seidenläden ziehen hauptsächlich die Porzellan- waren unsere Aufmerksamkeit auf sich. Haben ja doch die Chinesen das Porzellan erfunden, reicht doch die Erzeugung dieses für die Keramik so wichtigen Körpers in China schon ins 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurück, während das Porzellan in Europa erst am Beginne des ı8. Jahrhunderts das Licht der Welt erblickt hat. Wer in Kanton verweilt, versäumt es nicht, auch der Exa- minationshalle einen Besuch abzustatten. Indem wir mehrere Tore passieren, gelangen wir auf einen großen Platz, auf welchem sich ein Wachtturm mit dem Grotte der Literatur befindet. Um diesen Molisch, Populäre biologische Vorträge, 3 Turm liegen etwa ı000 ein Meter breite und zwei Meter lange gemauerte Zellen, es sind die Prüfungszellen für die Studenten. Alle 3 Jahre versammeln sich hier oft bis achttausend Kandi- daten, um hier die Prüfungen zur Erlangung des 2. literarischen Grades abzulegen. Bevor der Student die Zelle betritt, wird er einer genauen Leibesvisitation unterzogen, damit er sich nicht un- erlaubter Hilfsmittel bediene. Bei Tagesanbruch erhält er sein Thema und den nächsten Tag hat er um dieselbe Zeit seine Arbeit abzuliefern, um sodann neue Klausurarbeiten durchzuführen. Aus der großen Zahl der Kandidaten ist es relativ wenigen beschieden, die Prüfung zu bestehen, da diese an das Gedächtnis große An- forderungen stellt. Das Auswendiglernen spielt eben in China eine bedeutende Rolle. Schon der 6jährige Chinese, der die Schule betritt, wird gleich im Auswendiglernen gedrillt. Die chinesische Schrift hat ja keine Buchstaben, sondern nur Bilder und damit werden hohe Anforderungen an das Gedächtnis gestellt. Der kleine Junge muß, um Schreiben und Lesen zu lernen, eine Un- zahl von Bildern durchpausieren und auswendig lernen und, da ‚das letztere immer laut geschieht und jeder für sich etwas anderes lernt, so herrscht in einer Chinesenschule gewöhnlich ein Heiden- spektakel. Doch das geniert die Chinesen nicht, sie haben ja keine Nerven, ihr Empfindungsvermögen scheint wirklich graduell von unserem verschieden zu sein. Bei den Prüfungen um einen literarischen Grad hat der Student hauptsächlich seine Vertraut- heit mit den Problemen der Moralphilosophie, mit den Büchern des weisen Konfuzius, seiner Schüler und anderer chinesischen Philosophen zu beweisen und auch zu zeigen, daß er Gedichte machen kann. Die wenigen, welche einen oder mehrere literarische Grade erreichen, werden von ihren Eltern und sämtlichen Ver- wandten beglückwünscht und auch bei dem Volke steht der Be- sitzer von literarischen Graden hoch im. Ansehen; denn nur durch ° solche kann man zu Beamten-, Ehrenstellen und den höchsten Staatsämtern gelangen. Geht alles seinen normalen Weg und finden nicht Bestechungen statt, so entscheiden in China bei Ver- leihung von Ämtern Kenntnisse, Geburtsrechte oder einen Ge- burtsadel gibt es hier nicht. Von der Prüfungshalle begab ich mich in das Kantoneser Gefängnis. Wer China von verschiedenen Schattenseiten kennen lernen will, der hat hier reichlich Gelegenheit. Da finden wir keinen soliden Bau, in dem auch die Hygiene und die Humanität [@ >} 1 zur Geltung kommen; wir finden hier keine menschenwürdige Be- handlung der Gefangenen, sondern allerlei Grausamkeiten und ent- setzliche Folterqualen, wie sie im Mittelalter bei uns leider auch vorhanden waren. Ein kleines Trinkgeld veranlaßt den Gefängnis- wärter, uns eine große Zelle, eine Art Schupfen zu öffnen. Mitten auf einer Plattform saßen etwa ı5 Gefangene, teilweise an Händen und Füßen mit Ketten gefesselt und mit dem sogenannten „Cangue“ oder Holzkragen versehen. Es ist dies ein um den Hals gelegtes viereckiges Brett, welches dem Gefangenen viel Pein verursachen - muß. Es ermüdet ihn beim Stehen, beim Sitzen und im Schlafen und verhindert ihn, die Hände zum Munde zu führen. Nur wenn es dem Verbrecher gelingt, sich teilweise in die Erde einzuscharren, gelangt er in eine leidlich bequeme Lage. Die Leute sehen schrecklich aus. Seife und Kamm scheinen hier unbekannte Dinge zu sein, an Schmutz und Ungeziefer ist kein Mangel. Da die Ge- fangenen ihre Kopfhaare, wie dies sonst in China allgemein üblich ist, nicht rasieren, sondern wild durcheinander wachsen lassen, so sehen sie ungemein wild aus. Ich werde nie den grausigen An- blick vergessen, den mir diese Verbrecher darboten, als ich in ihre Zelle eintrat und sie sich, mit ihren Ketten rasselnd, erhoben und mir die Hände entgegenstreckten, um zu betteln. Und überall, wo wir die Gefängnisgänge passierten, wurden uns hunderte Hände durch die Holzgitter der schuppenartigen Zellen in der Hoffnung auf ein Almosen entgegengestreckt. Zum Schluß wurde uns noch der Besuch des Richtplatzes gestattet, doch habe ich davon wenig zu berichten und das Wenige, was ich hier gesehen, die an einer hohen Mauer lehnenden roh gezimmerten Kreuze, auf welchen Verbrecher erdrosselt werden, bewog mich nur, um so rascher diese traurige Stätte des Elends zu verlassen. EN. Zu den sehenswertesten Tempeln in Kanton gehört der „Wa- Lam-Tsz“ oder „der Tempel der 300 Gottheiten oder Genien“. Im allgemeinen darf man sich unter chinesischen Tempeln keine gewaltigen umfangreichen Bauten vorstellen. Monumentalgebäude fehlen ja in China nahezu ganz. Ebenso haben sich solche auch aus älterer Zeit wegen des unsoliden Baumateriales nicht erhalten. Man gelangt zunächst zu einem Tempelgebäude mit drei mäßigen Buddhastatuen, sodann zur siebenstöckigen Marmorpagode und endlich in den eigentlichen Tempel, der 300 Holzfiguren, die 300 Schüler Buddhas, enthält. Unter diesen zum Teil reich ver- goldeten und mitunter komisch aussehenden Statuen haben meine Aufmerksamkeit hauptsächlich drei gefesselt. Zunächst die des großen Venetianers Marco Polo, der, ein zweiter Odysseus, weite Reisen unternahm, bereits im ı3. Jahrhundert Asien der Länge nach durchquerte und sich in China solcher Beliebtheit erfreute, daß er es hier -bis zum Statthalter brachte. Die Fußbekleidung macht in der Figur den Europäer leicht kenntlich. Eines großen Zuspruches erfreut sich auch die Figur des weißen Confucius, des Gottes der Gelehrsamkeit, und förmlich umschwärmt von chine- sischen Männlein und Weiblein erscheint die Statue des Gottes der Fruchtbarkeit. Auf seinem Haupte, seinen Schultern, Armen und Knien trägt er kleine Kinder. Reichliche Opfer fließen gerade diesem Gotte zu, denn eine zahlreiche männliche Nachkommen- schaft ist das Ziel und die Sehnsucht jedes Chinesen, gleichgültig ob arm oder reich. Ich sage männliche. Die Geburt eines Mädchens gilt nicht als etwas Erfreuliches, eher als ein notwendiges Übel. Die ganze Familie wird hierdurch deprimiert, und in vielen Fällen geht die Mißstimmung der Eltern so weit, daß sie sich in der Tötung und Beseitigung des unschuldigen Geschöpfes Luft macht. Auch sonst ist die Stellung der Frau in China gewöhnlich eine höchst beklagenswerte. Gehört das Mädchen einer besseren Familie an, so werden ihre Füße frühzeitig einbandagiert und infolgedessen derart verkrüppelt, daß ihr das Gehen schwer fällt und sie für das ganze Leben an das Haus gefesselt wird. Will sie einen Besuch machen oder im Tempel die Götter anbeten, so muß sie sich in einer Sänfte tragen oder auf dem Rücken einer Sklavin dahinbringen lassen. Bei ihrer Verheiratung hat sie keine freie Wahl. Sie sieht an ihrem Verlobungstage ihren künftigen Mann, der ihr von ihren Eltern bestimmt wurde, in der Regel zum ersten Male. Als ich auf Java einmal einen alten, reichen Chinesen fragte, warum man denn den jungen Leuten bei der Vermählung nicht freie Wahl lasse, war er über meine Frage höchst erstaunt und meinte: Das sei ganz in der Ordnung, denn eine Heirat sei eine sehr ernste Sache und es gehöre viel Weisheit und Überlegung dazu, zu bestimmen, ob zwei fürs Leben zusammen passen, und darauf verstünden sich die Eltern besser als junge unerfahrene Leute. Und ist die Chinesin nun Frau geworden, so winkt ihr gerade auch kein freundliches Los. Sowie sie das Haus ihres Gatten bezieht, muß sie sich nicht bloß diesem, sondern auch seinen Eltern und deren Kindern unterordnen. Es kommt. gar nicht selten vor, daß die Frau nicht mit ihrem Gratten, ja nicht einmal mit ihren Söhnen zusammensitzen darf, sondern ihr Mahl in einer Zimmerecke allein für sich nehmen muß. — Wenn wir uns nun fragen, was die Ursache dieser so erniedrigenden Behandlung der Frau in China ist, so liegt dieselbe hauptsächlich in der bei den Chinesen so hoch im Ansehen stehenden Ahnenverehrung. Um dies verständlich zu machen, gestatte mir der Leser folgende Betrachtung. Die Chinesen glauben an ein Leben nach dem Tode. Sie haben auch die Ansicht, daß ‘die Seelen der Verstorbenen Einfluß nehmen auf das Wohl und Wehe der Hinterbliebenen und daß diese durch Gebete und Opfer, d.h. durch eine liebevolle Ahnenverehrung das Schicksal der Verstorbenen im Jenseits besser gestalten könnten. So empfiehlt sich schon aus egoistischen Gründen die Verehrung und Anbetung der Ahnen, und in der Tat spielt diese in China eine das ganze Familienleben beherrschende große Rolle. Wenn ein Chinese stirbt, so wird er zunächst in den Sarg gelegt. Handelt es sich um einen Greis, so hat er sich den Sarg entweder schon bei Lebzeiten angeschafft oder er wurde ihm von seinen Kindern zu seinem 60. Geburtstag zum Geschenk gemacht. Sodann wird ein Priester geholt und dieser sucht zunächst die eine von den drei Seelen, welche in jedem Chinesen vorhanden sein sollen, durch Gebete zu veranlassen, ihren Weg ins Elysium zu nehmen. Ist dies geschehen, so wird der Geomant oder Erd- wahrsager gebeten, einen möglichst passenden Grabplatz aus- findig zu machen. Darauf wird in China großes Gewicht gelegt; der Erdwahrsager sucht mit dem Kompaß in der Hand oft wochen-, ja mitunter auch monatelang nach einem solchen Platze. Die Chinesen leben in dem Aberglauben, daß ein an einem un- günstigen Orte befindliches Grab für die Nachkommen von Un- heil sei, und deshalb behandeln sie die Erdwahrsager mit großer Aufmerksamkeit und beschenken sie reichlich, damit sich diese beim Aufsuchen einer glückbringenden Begräbnisstätte möglichst viel Mühe geben. Während dieser Zeit bleibt der Verstorbene entweder im verschlossenen Sarge zu Hause liegen oder er wird vorläufig in einem Totenaufbewahrungshaus deponiert, bis der Geomant seine Aufgabe gelöst hat. Am Grabe werden papierne Nachahmungen von Gold, Dienern, Palankins, Pferden und Wagen verbrannt, damit diese dem Toten im Jenseits zugute kommen mögen; der Priester betet, daß die 2. Seele des Verstorbenen in der Leiche verbleibe und die 3. sich in dem Ahnentäfelchen nieder- lasse. Dieses wird zunächst bis zum hundertsten Trauertage in einem Zimmer des Hauses aufbewahrt und jetzt erst wird es auf den Ahnenaltar niedergelegt. Damit ist aber die Trauerzeit keines- wegs beendet, denn diese währt über zwei volle Jahre. Da die Frau in China von diesen so überaus wichtigen 7/eremonien der Ahnenverehrung so gut wie ausgeschlossen ist und die Anbetung in erster Linie von den Söhnen besorgt wird, so wünscht sich schon aus diesem Grunde der Chinese eine männ- liche Nachkommenschaft, weil er damit eine Art Garantie erhält, daß auch im Jenseits für sein Wohl gesorgt werden wird. Von Kanton etwa 20 Meilen entfernt, liegt an der Mündung des Pearlflusses die uralte portugiesische Stadt Macao. Schon von weitem zieht diese Stadt durch ihre reizende Lage, durch ihre zahlreichen Klöster und Kirchen sowie durch den prächtigen Hafen die Blicke des Reisenden auf sich. Allein dieser Hafen, der einst nahezu allein den Seehandel ‘zwischen Ostchina und Europa vermittelte, ist ziemlich still geworden, seitdem die Eng- länder aus Hongkong, einem elenden Fischernest, eine herrliche, man kann sagen, eine europäische Stadt gemacht und den ganzen Handel hierdurch an sich gerissen haben. Auf einer Anhöhe von Macao, in einem herrlichen Garten, liegt die berühmte Grotte, wo der größte portugiesische Dichter Camoens seine Lusiaden schuf, jenes herrliche epische National- gemälde, das portugiesisches Heldentum in so wunderbarer Weise feiert. A Als ich eines Abends.in den Straßen Macaos spazieren ging, fiel mir ein grell beleuchtetes Haus auf. Es war, wie ich erfuhr, die bekannte Spielhölle Macaos. Rasch entschlossen trat ich ein. In einem kleinen Zimmer saßen um einen Tisch einige spielende Chinesen, der Croupier und seine beiden Gehilfen. Der eine Gehilfe prüft das Gewicht und die Echtheit der Einsatzmünzen, der andere bucht die Einsätze und zahlt die Gewinste aus. Bei dem »Tschingtau« — dieses bei den Chinesen sehr beliebte Hasardspiel wurde gerade gespielt — legt der Croupier einen Haufen von Münzen auf den Tisch und bedeckt dieselben sofort mit einem Becher. Die Spieler setzen nun auf die Zahlen ı, 2, 3 undy. So- dann hebt der Croupier den Becher von dem Haufen und sondert mit einem Stäbchen je vier Münzen ab. Bleibt nun kein Bruch- teil übrig, so gewinnt der, welcher auf die Zahl 4 gesetzt hat. Bleiben ı, 2 oder 3 Münzen übrig, so gewinnen die, welche die — 39 — entsprechenden Zahlen gewählt haben. Nachdem ich mich mit dem Spiele einigermaßen vertraut gemacht, wagte ich auch einige Dollars, allein das Glück war mir nicht hold, weshalb ich Rech wieder aufs Beobachten beschränkte. Die meisten Chinesen sind vom Spielteufel förmlich besessen. Schon die Kinder erfreuen sich am Würfelspiel und nicht selten kann man sehen, daß der kleine Chinesenjunge die Orange nicht kauft, sondern darum würfelt. Häufig wettet man, daß die Orange eine bestimmte Anzahl von Kernen enthält. Die Orange wird geöffnet und die Kerne werden gezählt. Der glückliche Errater erhält das Fünffache des Einsatzes und die Orange. Auf meiner Fahrt von Indien über China, Japan, Honolulu nach Amerika konnte ich oft wochenlang die chinesischen Kulis, von denen mancher Dampfer oft ein bis mehrere Hundert mit sich führt, in ihrem Leben und Treiben beobachten. Abgesehen vom Öpiumrauchen besteht ihr Hauptzeitvertreib im Spiel. Man würfelt, spielt Karten oder Tschingtau. Nach den Mitteilungen der Kapitäne kommt es gar nicht selten vor, daß ein Kuli seinen in der Fremde durch mehrere Jahre mühsam erworbenen Lohn auf dem Schiffe verspielt und aus Verzweiflung darüber den Tod in den Wellen sucht. Großes Interesse bekundet der Chinese, besonders im Süden, für die Kämpfe der Grillen, der Wachteln, der Wild- tauben und Hähne, dagegen fehlt ihm für körperliche Übungen wie Boxen, Turnen, Ringen, Tennis, Fußballspiel und anderes der Sinn. Ein Chinese kann nicht begreifen, wie man stundenlang Tennis spielen kann, ohne dafür bezahlt zu werden. Nur ein einziges Spiel erfreut sich großer Beliebtheit, das Werfen des Federballs. Sonder- barerweise werfen die Chinesen den Federball nicht mit dem Racket, sondern mit den Füßen, und hierin bekunden sie so großes Geschick, daß sie den Ball minutenlang in der Luft erhalten können. Ich muß es mir an diesem Orte versagen, meine Erinnerungen aus Hongkong und Shanghai wiederzugeben, und ich wende mich da- her gleich zu dem zweiten Wunderland des Ostens, zu Japan. Um dahin zu gelangen, benützte ich den Dampfer „China“ der Pacific Mail, einen der größten und schönst eingerichteten Passagierdampfer, der mir auf meiner Reise um die Erde untergekommen ist. In Eu- ropa herrscht vielfach die Meinung, daß eine derartige Reise eine ‚ununterbrochene Kette von Entbehrungen, von Widerwärtigkeiten und von Gefahren mit sich bringe. Im allgemeinen ist dies nicht richtig. Wenn man von Haus aus gesund und nicht anspruchs- voll ist, wenn man ein offenes Auge für Land und Leute und die Natur behält, dabei vernünftig lebt, so werden die relativ geringen Reisestrapazen reichlich aufgewogen durch die vielen Genüsse der verschiedensten Art, die eine solche Reise gewährt. Auf dem Dampfer „China“ — und dies gilt ja für die meisten Ozeandampfer guten Rufes — ist für Komfort nach jeder Richtung gesorgt. Man hat eine hübsche Kabine mit gutem Bett, das Schiff birgt einen Salon, ein Musik-, Spiel-, Rauch- und Bibliothekszimmer und einen großen Speisesaal. Für die Verköstigung ist, da ja Essen und Trinken auf einer langen Seereise eine wichtige, für viele sicherlich die wichtigste Rolle spielt, in ausgezeichnetster Weise gesorgt. Manche Kapitäne verstehen es, die Geselligkeit zu fördern; sie veranstalten Wettspiele, regen gymnastische Übungen an, ja auf der Fahrt nach Honolulu improvisierte der Kapitän sogar eine Kegelbahn auf dem etwa 100 Schritte langen Deck, die uns viel Vergnügen machte. Auch die umgebende Natur gibt Anlaß zu interessanten Betrachtungen: wie gerne ruht das Auge auf dem Wellen- und Farbenspiel des Meeres, bei Tag ergötzt man sich an dem Fluge der Möven, an dem Spiel der Delphine, an der Flucht der aufgescheuchten fliegenden Fische, an dem Treiben der Quallen und nachts an dem Leuchten des Meeres. Indes, wenn die Fahrt lange währt, so fühlt man sich doch auf dem Schiffe, das einem großen schwimmenden Hotel gleichkommt, gelangweilt und eine unaussprechliche Sehnsucht nach dem Lande erwacht. So erging es auch uns, als wir uns dem Lande der aufgehenden Sonne näherten und die Küste des japanischen Insel- reiches vor unseren Blicken auftauchte. Immer deutlicher wurden die Umrisse der Küste, und endlich passierten wir die Insel Papen- berg, jene blutige Stätte, auf welcher zur Zeit der Christen- verfolgungen in Japan Tausende von Christen den Märtyrertod erlitten, und fuhren dann in den Hafen von Nagasaki ein. Gleich Rio de Janeiro und Hongkong darf auch Nagasaki sich rühmen, einen der schönsten Häfen der Welt sein eigen zu nennen. Die binnenseeartige Bai, der terassenförmige Aufstieg der Stadt, der Abschluß durch eine stimmungsvolle Berglandschaft und das Leben im Hafen selbst nehmen den Ankommenden ganz gefangen. Unter dem Heer von Schiffen fesseln uns vor allem die riesigen englischen Dampfer, die japanischen Kriegsschiffe und die in ein düsteres Rauchgrau gehüllten russischen Kriegs- dampfer. Dazwischen ein Wald von Seglern, von Booten und zierlichen hin und her gleitenden Propellern. Kaum war unser Dampfer verankert, so war er bereits umringt von zahlreichen Kohlenbooten; Japaner und Japanerinnen bildeten eine auf- steigende Kette von den Booten zu dem Kohlenraum des Dampfers und nun flogen die Kohlenkörbe von Hand zu Hand mit einer ‚Schnelligkeit und Geschicklichkeit, die unser Staunen erregte. Was unser Interesse auf einer Reise in ferne Länder stets in ganz besonderem Grade erregt, ist der Mensch. Zumal in China und Japan, wo alles so eigenartig und originell ist, tritt uns der Mensch ebenso wie im Tropengürtel gewissermaßen als eine neue Spezies entgegen. Und so wie der Naturforscher sich an einer neuen Pflanzen- oder Tierart erfreut und sie staunend betrachtet, so fühlt sich wohl jedermann auch angeregt, eine ihm entgegen- tretende Menschenrasse zu analysieren. In Japan lassen sich leicht zwei Typen unterscheiden. Bei den mehr im Norden lebenden Japanern tritt der mongolische Typus deutlicher hervor: die dunklere Hautfarbe, die vorstehenden Backen- knochen, die niedrige Stirn, die mehr gerade liegenden Augen und der stärkere Körper erinnern an die angeblichen Ureinwohner Japans, an die Ainos. Der mehr im Süden vorherrschende Typus hat eine hellere Hautfarbe, schmaleres Gesicht, höhere Stirn, eine leicht gekrümmte Nase, sehr schwachen, fast nur aufs Kinn be- schränkten Bartwuchs und eine schmächtigere Gestalt. Der Japaner hat nach unseren Begriffen unschöne Gesichtszüge. Die ihm eigen- tümliche Intelligenz verrät sich jedenfalls in seinem Antlitze nicht. Dasselbe läßt sich durchaus nicht von der Japanerin sagen. Man findet oft reizende Gestalten mit feiner Modellierung der Formen und besonders feiner Gliederung der Hände und Füße. Mitunter mahnt das feingeschnittene Gesicht mit der sorgfältig gehaltenen Frisur und den dunklen seelenvollen Augen an europäische Schön- heiten. Tadeln möchte ich an den japanischen Mädchen die etwas vorgebeugte Haltung, die in der hier so allgemein üblichen hocken- den Stellung auf dem Boden ihren Grund haben dürfte. Seine helle Freude kann man in Japan an den Kindern haben. Man nennt Japan das Paradies der Kinder und sagt, daß die Kinder hier nie weinen. Tatsache ist, daß die Kinder sich glücklich fühlen und mit lächelndem Gesicht in die Welt blicken ebenso wie die Eltern, deren Frohnatur ja bei vielen Gelegenheiten zutage tritt. Was bei den Kindern besonders auffällt, ist der ausgesprochene Sinn für Gehorsam. Im Gegensatz zu den Chinesen machen die Japaner keinen Unterschied zwischen Knaben und Mädchen, behandeln beide mit gleicher Liebe und Sorgfalt und sorgen auch für das Vergnügen und die Spiele ihrer Kleinen. Ball-, Kreisel- und Papier- drachenspiel gehören zu den Hauptergötzungen der Jugend. Wenn man in.Japan sich nicht bloß mit dem Besuche der Küstenorte Nagasaki, Kobe, Tokio und Yokohama begnügt, sondern auch das Innere des Landes kennen lernen will, so bedarf es eines speziellen japanischen Passes. Als ich in Kobe landete, war es daher meine erste Sorge, mir einen solchen Paß für das Inland zu verschaffen. Zu meinem großen Bedauern mußte ich nun in Kobe erfahren, daß Österreich hier in der Endstation des Öster- reichischen Lloyd kein Konsulat unterhalte und daß ich mich daher des Passes wegen an das englische Konsulat zu wenden hätte. Sowie man Europa verläßt, sieht man auf Schritt und Tritt, daß die Engländer in der Welt die erste Rolle spielen. Nicht mit Unrecht. Denn sie haben dank ihrer wunderbaren Kolonisierungs- kunst sich an den schönsten Plätzen unseres Erdenrunds festgesetzt, die wichtigsten Kohlenstationen sich angeeignet und damit eben die Welt erobert. Der englische Konsul in Kobe folgte mir in liebenswürdigster Weise einen Paß für Japan aus und mit diesem gelangte ich alsbald nach Kioto, der alten Hauptstadt des Reiches. Durch etwa 1000 Jahre herrschten die Mikados hier, bis zum Jahre 1865. Von diesem Zeitpunkte an gilt Tokio als Herrscher- sitz des Kaisers. Wer japanische Eigenart, japanische Kunst und das in Japan auf so hoher Stufe stehende Kunstgewerbe kennen lernen will, wird bei einem Besuche dieses originellen Landes es nicht versäumen, Kioto zu besuchen. Etwa 1000 Tempel, darunter 945 Buddhatempel, nennt die Stadt ihr eigen. Der alte historische Mikadopalast, zahlreiche Theater, eine Unzahl von Teehäusern, herrliche Kunstschätze und das blühende Kunst- gewerbe lassen auch heute noch Kioto als ehemaligen Herrscher- sitz erkennen. Unter den Erzeugnissen der Kunstindustrie nimmt neben dem Porzellan die Lackarbeit den ersten Rang ein. Für den Fremden bietet es einen hohen (Grenuß, die verschiedenen Läden oder Curioshops zu besuchen, besonders, wenn sie auch mit den betreffenden Werkstätten verbunden sind. Hier erst ge- winnt man einen tieferen Einblick in die außerordentliche Sorg- falt und in die Geschicklichkeit, mit welcher die Cloison&-, Damas- zener-, Schnitzerei-, Lack- und andere Arbeiten ausgeführt werden. All diese Waren üben, weil sie vielfach einen feinen künstlerischen Geschmack bekunden, eine so große Anziehungskraft auf uns, daß wir immer von neuem verlockt werden, zu kaufen. Wie in so vielen Punkten war auch in der Kunst China die Lehrmeisterin von Japan. Aber auch hier hat die gelehrige Schülerin die Lehrerin überflügel. Die chinesische Kunst er- wärmt uns nicht. Das Groteske, das Bizarre, die eigenartige Formgebung und das starre Festhalten an den herkömmlichen Motiven und Ornamenten zieht uns nicht an. Hingegen entzückt uns in der japanischen Kunst der frische Naturälismus und das liebevolle Erfassen der aus Wald und Flur, aus dem Pflanzen-, Tierreich und dem menschlichen Leben entnommenen Motive. Während die Japaner in der Musik keinerlei Talent bekunden und auf einer tiefen Stufe stehen, nehmen sie auf dem Gebiete der Malerei, obwohl sie die Verwendung des Schlagschattens und des Helldunkels nicht kennen, sich auf die Linearperspektive nicht verstehen und mit der Ölmalerei erst vor kurzem bekannt ge- worden sind, eine achtunggebietende Stellung ein, ja im Reiche des Kunstgewerbes können sie uns Europäern vielfach als Muster dienen. Der Einfluß der japanischen Kunst ist auch in Europa unverkennbar und in der Tat können wir heute fast in jeder modern eingerichteten Wohnung allenthalben Anklänge an Japan vorfinden, sei es in Form eines Paravents, eines Fächers, einer Cloisonearbeit, einer Waffe oder einer lackierten Teebüchse. Der in Japan so vielfach verwendete Lack stammt von dem Lackbaum Rhus vernicifera. Jeder Lackzapfer kauft vom Bauer einige 100 Bäume und zapft sie im Hochsommer an. Der Arbeiter reinigt zu diesem Zwecke den Stamm, macht mit einem Messer zunächst über dem Boden in die Rinde einen horizontalen bogen- förmigen Schnitt und sodann auf den entgegengesetzten Seiten des Stammes, immer um etwa 20 Zentimeter entfernt, weitere Ritze und zwar so hoch als er reichen kann. In derselben Weise werden nacheinander etwa ı5 Bäume behandelt. Dann erst kehrt der Zapfer zu dem ersten Baume zurück und kratzt den in der Ritze inzwischen hervorgequollenen Milchsaft zusammen. Der aus der Wunde fließende Lacksaft ist anfangs weißlich, an der Luft dunkelt er bald nach und wird endlich schwarz. Ein guter voll- ständig ausgenutzter Baum liefert beiläufig 25 bis 5o Gramm Roh- lack. Derselbe wird zunächst einem Klärungsprozeß, und wenn er für feine Lackierungsarbeit gebraucht werden soll, auch einem Verdampfungsprozeß unterworfen sowie mit verschiedenen Sub- stanzen, Perillaöl, Eisenvitriol usw. versetzt. Der japanische Lack ist jedenfalls ein ganz besonderer Saft, denn die japanischen Lackarbeiten erfreuen ebenso durch große Eleganz, schimmernden (Glanz, wie durch eine außerordentliche, bis an Unverwüstlichkeit streifende Solidität. Um von Kioto nach Tokio zu gelangen, benützte ich die Eisenbahn. Im Gegensatz zu den konservativen Chinesen haben die Japaner alsbald die große Bedeutung dieses europäischen Verkehrsmittels erkannt und in den letzten 25 Jahren über ihr Reich bereits ein weitverzweigtes Schienennetz gespannt. Die Be- haglichkeit läßt namentlich in den kalten Wintermonaten auf der Eisenbahn noch manches zu wünschen übrig. Die Warteräume mögen im Sommer ganz angenehm sein, im Winter jedoch bleiben sie ungeheizt und entbehren häufig der Türen, so daß sie dem Reisenden keinerlei Schutz gegen die Kälte und den Wind ge- währen. Eine längere Eisenbahnfahrt bietet manches Interessante. Sobald ein Japaner oder eine Japanerin den Waggon betritt, werden die Sandalen oder Holzpantoffel genau wie beim Eintritt in ein Zimmer abgelegt. Der Passagier hebt dann die Beine auf die Bank und setzt sich darauf. Die meisten vertreiben sich die Zeit mit Plaudern und Essen. Orangen und Kakifrüchte werden in Menge verzehrt. Dazwischen raucht man eine Zigarette oder das kleine japanische Pfeifchen, das mit ein paar Zügen schon aus- gepafft ist. In den größeren Stationen werden bei den Fenstern kleine flache Holzkistchen mit dampfendem Reis, Curri und den unvermeidlichen zwei Eßstäbchen hineingereicht. Von Zeit zu Zeit erscheint ein Bahnbediensteter, der den um den Spucknapf angesammelten Unrat von Speise- und Tabakresten wegkehrt, eine Gepflogenheit, die wirklich notwendig ist, da die im Mittelgange herumliegenden Örangenschalen, Zündhölzchen und _Zigarren- stümpfe bald ein Verkehrshindernis abgeben würden. Wenn ich im Waggon saß und meine Umgebung beob- achtete, konnte ich bemerken, daß sich viele mit meiner Person beschäftigten und über mich sprachen, ja zu wiederholten Malen ist es mir passiert, daß mir mein Nachbar, ohne mit mir früher ein Wort gewechselt zu haben, plötzlich ganz unvermittelt seine Visitenkarte zuschob, in der Erwartung, dafür auch meine zu er- halten. Die Neigung zu Frohsinn und Spaß kommt auch bei den Passagieren oft zum Durchbruch und mitunter in ganz unerwarteter Weise. So war ich auf meiner Fahrt nach Tokio sehr überrascht zu sehen, wie ein Japaner seiner Reisetasche einen Papierdrachen entnahm, darauf mit einem Kohlenstift einen fliegenden Kranich zeichnete und den Drachen dann vom offenen Waggonfenster hoch in die Luft steigen ließ. Zur Freude der Mitfahrenden be- gleitete uns der Drache während der Fahrt durch eine halbe Stunde Man kann daraus ersehen, daß die Schnelligkeit der japanischen Züge — wir benützten einen Schnellzug — ver- glichen mit der der europäischen, eine sehr mäßige sein muß. Auf der langen Fahrt von Kioto nach Tokio hat man reich- lich Gelegenheit, die Fruchtbarkeit und die Schönheit der Land- schaft zu beobachten. Obwohl ich die Fahrt zur Winterszeit im Februar machte, konnte ich mich vielfach überzeugen, daß der Acker auf das Sorgfältigste bestellt und namentlich die Düngung und die Bewässerung in einer Weise durchgeführt waren, an der man sich ein Muster nehmen könnte. Selbst im Winter bot die Vegetation mancherlei Interessantes und manche (regensätze: Hier ein Wald von Pinien, Kryptomerien, dann wieder haushohes Buschwerk von an den Süden gemahnender Bambusa, gleich darauf ein Bestand von rotblühenden Kamelienbäumen, vor den Bauernhöfen ein blühender Pflaumen-, Kirschbaum oder eine Palme, die seltsam mit dem im Norden sich erhebenden schnee- bedeckten Gebirge und den zeitweise fallenden Schneeflocken kontrastiert. Nachmittags klärte sich der Himmel und im Osten erhob sich der heilige Berg von Japan, der Fusi-Yama, ein wahres Modell eines (erloschenen) Vulkans. 3700 Meter sich erhebend, den größten Teil des Jahres mit Schnee bedeckt, bietet dieser in den Augen der Japaner ‚heilige Berg einen erhabenen Anblick und man begreift, daß gerade dieser Berg, der vor etwa 200 Jahren seinen letzten Ausbruch hatte und in alter Zeit der Erde plötzlich entstiegen sein soll, von den Japanern so verehrt und in der japa- nischen Kunst als Motiv so häufig verwertet wird. Endlich war Tokio erreicht und ich war glücklich, in einem vornehmen, europäisch eingerichteten Hotel meinen ausgefrorenen Körper wieder ordentlich erwärmen zu können. Tokio, an der Bai von Jeddo gelegen und von Yokohama nur ı!/, Eisenbahn- stunden entfernt, hat gegenwärtig etwa 1400000 Einwohner und gehört, weil in jedem Hause durchschnittlich nur vier Personen wohnen und innerhalb der Stadt große Gärten und Parkanlagen sich vorfinden, nächst London zu den ausgedehntesten Städten der ee Erde. Bei einem so großen Umfang besteht das Bedürfnis nach einem flinken und billigen Gefährt, und ein solches ist auch in wunderbarer Weise verwirklicht in dem Jinriksha. Es ist dies ein kleiner, zweiräderiger Handwagen, eine für ı—2 Personen be- rechnete Kalesche, gezogen von einem Japaner. Dieses kleine japanische Fuhrwerk hat sich bereits über Japan hinaus auch in den chinesischen Städten, in Singapore, Pe- nang und auf Ceylon eingebürgert. Ich erinnere mich noch heute, wie sehr ich überrascht war, als ich, sowie ich in Colombo das Land bestieg, plötzlich von einer Schar Jinrikshas oder, wie man kurz zu sagen pflegt, von Rikshas umringt war. Der Mensch trat mir hier als Zugtier, das Pferd ersetzend, entgegen und mein Mitgefühl sträubte sich anfänglich dagegen, ihn als solches zu be- nützen. Schließlich beruhigte mich der Gedanke, daß ja auch bei uns in Europa viele Arbeiter nicht auf Rosen gebettet sind und in Bergwerken oft auf Kosten ihrer Gesundheit arbeiten. Und da ich nun bald zu sehen Gelegenheit hatte, wie sich in Colombo die Europäer allgemein der Tamils und Singhalesen bedienten, um im rasenden Tempo im Riksha durch die Straßen zu fliegen, so ließ ich endlich mein Bedenken fallen und ließ mich auch von Menschen ziehen. Die Leistungsfähigkeit des Riksha-Kulis ist eine erstaunliche. Er kann ı— 2 Stunden so schnell wie ein Fiaker- pferd laufen. Jeder von uns hat einmal versucht, eine größere Strecke zu laufen und jeder weiß, daß man nach ıo Minuten schon ziemlich ausgepumpt ist. Der Riksha-Kuli aber läuft ı— 2 Stunden und zieht dazu noch einen Wagen und einen Fahrgast. Ich habe, als ich in der japanischen Tempelstadt Nikko weilte, englische Familien in Rikshas ankommen sehen, deren Kulis durch fünf Stunden über die mit Schnee bedeckten Straßen ihre kleinen Fuhrwerke zogen. Wenn auch eine derartige Inanspruchnahme des Menschen zu den Seltenheiten gehören dürfte — in dem er- zählten Falle war sie durch einen Bahnstreik bedingt — 30 kann doch der Beruf des Riksha-Kulis, da er Lunge und Herz in ganz ungewöhnlicher Weise in Anspruch nimmt, gewiß nicht als ein gesunder betrachtet werden. Trotzdem ergeben sich in Japan und den Tropen tausende Menschen diesem Erwerb und die Konkurrenz auf diesem Gebiete ist so groß, daß dadurch die Fahrten außerordentlich billig werden. Zu den schönsten Ausflugsorten in Tokio gehört der Uyeno- park. Sowie die Berliner ihren Tiergarten und die Wiener ihren Prater aufsuchen, um sich nach des Tages Mühen in frischer freier Luft zu ergehen, so strömen auch die Bewohner von Tokio der Erholung wegen in den Uyenopark. In diesem baumreichen, an stimmungsvollen lauschigen Plätzchen so reichen Parke finden sich einige Grabtempel ehemaliger Shogune, verschiedene andere Tempel, ein großartig eingerichtetes Museum, eine öffentliche Bibliothek, ein zoologischer Garten und zahlreiche Teehäuser nebst Restaurants: Was aber den Japaner besonders in den Uyenopark lockt, sind die Blumen und die Blumenfeste. Zur Zeit, wenn die Pflaume ihren Blütenschnee entfaltet, wenn die Lotosblumen im Teiche von Uyeno tausende ihrer Kelche öffnen und das Auge sich abwechselnd an dem Anblicke dieses herrlichen Blütenflors und dem in der Ferne grüßenden wolkenumsäumten Fusi-Yama weidet, zur Zeit, wenn die Blüte des Fuji (Wistaria chinensis) in Tausenden von blauen Blütentrauben die Veranden schmückt, die Schwertlilien in den verschiedensten Farben prangen und bei anbrechendem Herbst die Ahornbäume ihr Laub in den verschiedenen roten Tinten leuchten lassen, dann wandert ganz Tokio ins Freie, um die Natur zu genießen und sich an der Schönheit der Blumen zu erfreuen. Die Freude an der Natur und an den Blumen ist dem Japaner nicht anerzogen, sondern fußt schon im Volkscharakter: Sie kommt auch in den japanischen Liedern vielfach zum Ausdruck: „Sind erst die Blüten dahin, die Sehnsucht bringt sie nicht wieder, Willst Du sie brechen, so brich heute, sonst ist es zu spät.“ ‚Die leidenschaftliche Liebe für die Wistaria-(Fuji)-blüte besingt der Dichter mit den Worten: „So wie die Woge zum Strand, so kehren die Leute stets wieder, Wandelnd am Hause vorbei, staunen, den Fuji sie an.“ In Tokio weilend, versäumte ich es nicht, meinen Fachge- nossen, den japanischen Pflanzenphysiologen Prof. Manabu Miyoshi, den ich bei der letzten Naturforscherversammlung in Wien kennen zu lernen die Ehre hatte, zu besuchen, unter anderem, um durch ihn Gelegenheit zu erhalten, die Einrichtung der kaiserlichen Uni- versität besichtigen zu können. Prof. Miyoshi war nicht wenig über- rascht, als ich in ‚seinem kleinen Stübchen plötzlich vor ihm stand. Er empfing mich auf das Zuvorkommendste und Herzlichste und lud mich für den nächsten Tag in den botanischen Garten und sein Laboratorium ein. Hier lernte ich auch den Direktor des botanischen Gartens Prof. Matsamura kennen, der in liebenswür- . Be digster Weise den Führer machte. Von den wissenschaftlichen Instituten kann ich nichts Originelles berichten, da dieselben genau so eingerichtet sind, wie die der wenn ich gleich mehrere Lampen auf die zu photographierenden Objekte einwirken ließ. Enthält das Pilzlicht auch merkwürdige, durch dunkle Körper auf die photographische Platte einwirkende Strahlen? Nach Ent- deckung der Röntgen-, Becquerel- und anderer Strahlungen hat man auch das Bakterien- und Johanniskäferlicht auf dunkle Strah- lungen geprüft und glaubte tatsächlich solche gefunden zu haben. Allein eine genaue Nachprüfung ergab mir durchaus negative Resultate; die scheinbar positiven Ergebnisse, welche einzelne Forscher erhalten hatten, waren auf Fehlerquellen, wie sie durch die direkte Beeinflussung der photographischen Platte durch die bei der Photographie benützten Kartone und Metallplatten gegeben waren, zurückzuführen. Es wirkt also das Bakterienlicht wie ge- wöhnliches Tageslicht auf die photographische Platte und seine Strahlen vermögen dunkle Körper nicht zu durchdringen und auf die lichtempfindliche Schicht zu wirken. SEEERUFTEE | PRLANZENPHYSIOLOGISCHE ABHANDLUNGEN 1. Bloten des Rebstockes, j D. Bewegungen der Mimosa pudica. | II. Elementarorganismen, | \ IV. Brennhaare von Urtica, Voa | ERNST vON-BRÜCKE. I6H+- 1852, VERLAG VON WILHELM ERGELMANN | | | | | | | Horausgegehcn R | | 3 | | | | Fig. 6. Fig} 7. Fig. 6. Photographie eines Thermometers, hergestellt im Bakterienlichte. Fig. 7. Photographie eines Buchdruckes, hergestellt im Bakterienlichte. Hingegen konnte ich mich überzeugen, daß dem Bakterien- lichte gerade so wie vielen anderen Lichtquellen physiologische Wirkungen zukommen. Die Pflanze ist dem Lichte gegenüber ungemein empfindlich. Stellt man Keimlinge der Wicke oder Linse in der Dunkelkammer etwa ı m entfernt vor einem kleinen Leuchtgasflämmchen auf, so krümmen sich die Stengel alsbald in nahezu rechtem Winkel 5* BE: zu der Flamme hin, wir sagen, sie sind positiv heliotropisch. Genau so verhalten sich Keimlinge verschiedener Pflanzen (Erbse, Linse, Wicke), ferner mehrere Pilze (Xylarıa, Phycomyces), wenn man statt der Flamme in einer Entfernung von etwa ı—ıo cm eine Bakterienlampe oder eine Petrischale mit Strichkulturen aufstellt. Die Pflanzen wachsen dann positiv heliotropisch auf die leuchtenden Bakterien zu und es bietet sich der wunderbare Anblick dar, daß eine Pflanze durch strahlende Energie eine andere bewegt, auf sie zuzuwachsen und so eine anlockende Wirkung äußert (Fig. 8). Fig. 8. Positiver Heliotropismus von Erbsenkeimlingen, hervorgerufen durch das Licht mehrerer leuchtender, in einer Petrischale (rechts) befindlicher Strichkulturen von Leucht- bakterien. Alle Keimlinge erscheinen zum Bakterienlichte hingekrümmt. Während die Lichtintensität des Bakterienlichtes ausreicht, Heliotropismus hervorzurufen, genügt sie, wahrscheinlich wegen zu geringer Stärke, nicht, sichtbare Chlorophylibildung” zu ermög- lichen. Ich bekam, auch wenn ich mehrere Bakterienlampen auf die Keimlinge einstrahlen ließ, stets negative Ergebnisse. Die Lichtentwicklung eines Lebewesens erscheint uns so merkwürdig, daß man sich unwillkürlich fragt, ob denn dieses Licht für die Lebewesen einen bestimmten Nutzen habe. Das plötzliche Ausstoßen eines leuchtenden Sekretes, das funken- oder blitzartige Aufleuchten vieler Tiere, sowie die wunderbaren Leuchtapparate der Tiefseewelt deuten darauf, daß die Tiere aus der Lichtentwick- lung einen bestimmten Nutzen ziehen, sei es, daß sie andere Tiere damit anlocken oder abschrecken, sei es, daß sie in der Tiefe des Meeres ihre Umgebung beleuchten, um sich die Nahrung leichter zu verschaffen. Die Zoologen zweifeln nicht daran, daß dem Tier- lichte die angedeutete biologische Bedeutung zukommt. j Nicht so leicht ist die Frage bei den Pilzen zu beantworten. Der Annahme, daß die Bakterien, die auf den vom Meere ausge- worfenen toten Seetieren wuchern, durch die Lichterregung leichter verbreitet werden, weil die leuchtenden Leichen von Nachttieren besser gesehen und verschleppt werden, wird man wohl schwer beipflichten können. Für die Verbreitung der Bakterien ist ja durch verschiedene Umstände, besonders durch die Wellen- und Sandbewegung sowie durch die Meeresströmungen ohnedies in aus- gezeichneter Weise gesorgt. Bei den höheren Leuchtpilzen hatte man an eine Verbreitung der Sporen durch Pilzkäfer und Pilzmücken gedacht. Das von den Blätterschwämmen ausstrahlende Licht sollte als Anlockungsmittel und Wegweiser für die in der Nacht fliegenden Insekten dienen und indem sie von einem Pilz zum andern fliegen, sollten sie die Sporen verschleppen und auf ein größeres Areal verbreiten. Wenn nun wirklich das Pilzlicht diesen Zweck hätte, dann wäre nicht einzusehen, warum beim Hallimasch der Fruchtkörper mit den Sporen nicht leuchtet, wohl aber das unter der Wurzel- und Stamm- rinde den fliegenden Insekten verborgene Myzel. Solange nicht anderweitige Erfahrungen vorliegen, scheint es mir besser, einfach einzugestehen, daß wir heute keine plausible biologische Erklärung kennen; ja es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Licht der Pilze einfach eine Folge ihres Stoffwechsels ist, die aber nicht eine Anpassung an bestimmte Lebensverhältnisse darstellt. Betrachten wir zum Schlusse!) die Entwicklung von Licht durch die Pflanze vom energetischen Standpunkte, so ergibt sich eine interessante Tatsache. Bekanntlich reduziert die grüne Pflanze mit Hilfe des einstrahlenden Sonnenlichtes die Kohlensäure und macht daraus organische Substanz. Hierbei wird die lebendige Kraft des Sonnenstrahles in chemische Energie umgewandelt und in der organischen Substanz als Spannkraft deponiert. Der farb- lose Pilz und das Tier nehmen organische Nahrung auf und ent- !) Der Leser, der sich eingehender über das Problem der Lichtentwicklung in der Pflanze und die einschlägige Literatur zu unterrichten wünscht, sei aufmerksam ge- macht auf mein Buch: „Leuchtende Pflanzen“, 2. Aufl. Jena ıgıı. Verlag von G. Fischer. wickeln aus der darin aufgespeicherten Spannkraft wieder Wärme und Licht. Wir haben also hier einen wahren Kreislauf von Lichtzu Lichtin der Pflanze. DasJohanniskäferchen, das einem beseelten Sterne gleich in der Nacht durch die Luft seine leuch- tenden Bahnen zieht; die Qualle, die, vom Schiffskiele oder der Brandung gereizt, meteorartig aufleuchtet; der Tiefseefisch, der in der unheimlichen Meerestiefe seine lebende Lampe entzündet; die Bakterie, die auf dem toten Fische in bläulichgrünem Lichte er- glänzt und der Hutpilz, der im einsamen Urwalde einen magischen Schein verbreitet — sie alle strahlen im Grunde genommen ein Licht aus, das als Sonnenlicht in die grüne Pflanze eintrat und nach vielfachen Wandlungen aus den leuchtenden Lebewesen wieder in die Form von Licht austritt. v. Warmbad und Pflanzentreiberei’). Wo wir auch immer die Vegetation betrachten mögen, auf sonniger Bergeshöh oder in der Tiefebene, im tropischen Urwald oder in der arktischen Zone, in der wasserlosen Wüste oder im sumpfigen Torfboden, am Strande des Meeres oder in der Steppe, überall erscheinen die Gewächse ihrer Umgebung, dem Klima und Standort aufs beste angepaßt. Die Strand-, Urwald-, Steppen-, Wüsten- und die Hochgebirgsflora, jede hat ihre bestimmten Merkmale und ein ganz charakteristisches Gepräge, jede hängt mit ihrer Umgebung auf das innigste zusammen und erhält durch sie ihren Charakter. Im heimischen Klima unserer gemäßigten Zone, wo der Wechsel der Jahreszeiten oft mit großer Schroffheit auftritt, hat der regelmäßig auftretende Gegensatz zwischen warmer und kalter Jahreszeit, zwischen Sommer und Winter im Laufe der Jahrtausende einen nachhaltigen Einfluß besonders auf die mehrjährigen Ge- wächse ausgeübt, der sich in einer ausgesprochenen Periodizität ihrer vegetativen Tätigkeit kundgibt. Abgesehen von den immer- grünen Holzgewächsen verlieren unsere Bäume und Sträucher im Herbst ihren Laubschmuck, verfallen in eine Art Winterschlaf, in einen Ruhestand, um sich im kommenden Frühling wie mit einem Zauberschlag in kurzer Zeit wieder zu belauben. Viele -unserer heimischen Pflanzen machen eine Ruheperiode durch, während welcher ihre Tätigkeit zwar nicht vollständig unterbrochen, aber im großen und ganzen auf ein Minimum beschränkt ist. Ihre Ruhe ist oft so fest, daß sie in ihr auch dann weiter verharren, wenn sie unter die günstigsten Wachstumsbedingungen gebracht werden. Ich will mir erlauben, dies durch einige Beispiele zu begründen. Der immergrüne Mistelbusch (Viscum album), der auf ver- schiedenen Bäumen als Parasit sein Leben fristet, trägt im Herbste !) Vortrag, gehalten anläßlich der Herbstausstellung der k. k. Gartenbau-Gesell- schaft in Wien am 14. November 1908. Erschienen in der „Österr. Gartenzeitung‘‘ 1909. bekanntlich weiße Beeren, in deren klebrigem Fruchtfleisch der Same eingebettet ist. Man kann die Mistelsamen im Monat April auf einem Holzbrettchen oder einer Glasscheibe bei zeitweiser Be- feuchtung im Lichte leicht zur Keimung bringen. Wenn man aber den Versuch im Herbst oder Winter macht, so gelingt er nicht; erst Ende März, noch besser im April und Mai, tritt die Keimung ein. Der Same sieht im Herbst genau so aus wie im Frühjahr und doch keimt er, selbst wenn man ihn den günstigsten natürlichen Wachstumsbedingungen aussetzt, im Herbst und Winter nicht; erst nachdem er eine gewisse Ruheperiode durchgemacht hat, erwacht der Same zu neuem Leben). Ähnlich verhalten sich viele Kartoffelsorten. Werden Knollen im Herbst, nachdem sie ihre volle Größe erreicht hatten, der Erde entnommen, gleich darauf wieder in Blumentöpfe gepflanzt und ins Warmhaus gestellt, so treiben die „Augen“ gewöhnlich nicht aus, während sie im Februar oder später, obwohl sie sich in- zwischen gar nicht verändert haben, willig treiben. Ähnliches läßt sich bei den Zweigen unserer Obstbäume beobachten. Es ist eine alte Sitte, um Barbara herum, d. i. am 4. Dezember, Zweige der Kirsche, der Aprikose und anderer Bäume in ein Gefäß mit Wasser zu stellen und dann im warmen Zimmer zu halten. Öffnen sich nun in der Weihnachtswoche die ersten Blütenknospen, so gilt dies als ein glückliches Omen und abergläubische Mädchen sind dann überzeugt, daß ihre geheimsten Wünsche in Erfüllung gehen werden. Stellt man die Zweige aber schon unmittelbar nach dem herbstlichen Laubfall, also in der ersten Hälfte des Oktober, in das warme Zimmer, so öffnen sich die Knospen nicht und verharren lange in Ruhe. Auch die meisten Holzgewächse müssen eben einige Zeit ruhen und erst, wenn sie ihre Ruheperiode einigermaßen überstanden haben, zeigen sie das Streben zu treiben. Im Einklang damit stehen auch gewisse gärtnerische Erfahrungen. Man hört häufig darüber klagen, daß die Hyazinthen, die der Gärtner gerade zu Weih- nachten auf den Markt bringen will, ihre Blüten nicht vollkommen entwickeln oder ihren Blütenschaft nicht zur genügenden Streckung !) Vor kurzem ist aber durch Heinricher gezeigt worden, daß Mistelsamen schon im Dezember einige Tage nach der Aussaat zur Keimung zu bringen sind, wenn man sie im dunstgesättigten Raum beständig starkem elektrischen Lichte aussetzt. Danach sieht es so aus, als ob die Ruheperiode des Mistelsamens nicht durch innere, sondern durch äußere Umstände bedingt wäre, bringen und daß die Hyazinthen infolgedessen, wie der Praktiker sich ausdrückt, „sitzen bleiben“. Auch die-aiglöckchen erscheinen mit ihren Blüten oft nicht rechtzeitig zu Weihnachten, zum großen Verdruß des Gärtners. Die Ursache liegt häufig darin, daß die Ruheperiode noch nicht abgelaufen ist. Werden die Hyazinthen- zwiebeln und Maiblumenkeime schon vor Beendigung der Ruhezeit in die Treiberei gestellt, so entsprechen sie nicht den Wünschen des Gärtners und bleiben „sitzen“. Nach Neujahr, im Januar oder Februar, gibt es keine Schwierigkeiten mehr, dann treiben sie, weil die Ruheperiode ihr Ende völlig oder zum großen Teil erreicht hat, willig und bringen vollkommene Blumen und schönes Laub. Mit fortschreitender Kultur hat der Mensch ein immer stärkeres Verlangen danach gezeigt, Pflanzen zu ganz ungewohnten Zeiten blühend und fruchtend zu erhalten und seine Wohnungen auch im Winter mit Blumen zu schmücken. Und da eine Frühlings- oder Sommerblume, im Winter auf den Markt gebracht, viel besser bezahlt wird, so kamen die Gärtner den Wünschen des Pubiikums gerne entgegen und schenkten der Kunst, Pflanzen zu treiben, große Aufmerksamkeit. Nicht durch planmäßige Untersuchungen, sondern zumeist durch zufällige Erfahrungen oder aufmerksame Beobachtung lernten sie verschiedene Kunstgriffe kennen, um die Ruheperioden zu ver- schieben oder zu verkürzen: Langsamen Wasserentzug, Einfrieren- lassen, künstliche Auslese, Züchtung frühblühender Individuen und Kreuzung von solchen. Auch haben die Gärtner gelernt, gewisse Pflanzen fast zu jeder Zeit blühend zu erhalten, einfach dadurch, daß sie das Aus- treiben der betreffenden Gewächse, z. B. des Flieders und der Mai- glöckchen durch Kälte künstlich lange Zeit verhindern. In den meisten Großstädten stehen jetzt große Kühlräume für die Auf- bewahrung von Lebensmitteln zur Verfügung. Hier können nun auch gewisse ruhende Pflanzen eingestellt und viele Monate auf- bewahrt werden. Bei der knapp um den Eispunkt herum liegenden Temperatur werden die Lebensprozesse auf ein Minimum einge- schränkt und künstlich zurückgehalten. Entnimmtman einem solchen Kühlraum im Sommer oder Herbst die aufbewahrten Fliedersträucher und Maiglöckchenkeime, die unter normalen Verhältnissen im ver- flossenen Frühling zur Blüte gekommen wären, und stellt sie ins Warmhaus, so treiben sie, von der aufgezwungenen künstlichen Ruhe endlich erlöst, in kurzer Zeit mit großer Geschwindigkeit aus. 2 — ae Viele Fliederbäumchen und alle Convallarien, die wir im Oktober und November in den Blumenläden bewundern, werden auf die geschilderte Weise gewonnen. Die Gärtner haben ganz unabhängig von der Wissenschaft, ganz empirisch im Laufe der Jahrhunderte eine große Summe von Erfahrungen auf den verschiedensten Gebieten des Gartenbaues gemacht und jeder Pflanzenphysiologe kann vom Gärtner vieles lernen, denn hinter den praktischen Künsten und Kniffen des Gärtners stecken oft wichtige nnd anregende Probleme, deren wissenschaftliche Auswertung noch vielfach brach liegt, ja ich scheue mich nicht, es offen auszusprechen, daß jeder Pflanzen- physiologe einige Zeit zum Gärtner in die Schule gehen .sollte, um sich mit der Kultur der Pflanzen auch praktisch vertraut zu machen und dahin zu streben, die gärtnerischen Arbeiten mit seinen wissenschaftlichen Erfahrungen in Einklang zu bringen. Die Pflanzenphysiologie ist noch eine relativ junge Wissen- schaft und es hat eine Zeit gegeben,- wo der Gärtner und Land- wirt sich um diesen Wissenszweig gar nicht gekümmert hat, weil er sich hier keinen Rat holen konnte. Heute steht die Sache schon wesentlich anders, die Beziehungen zwischen Theorie und Praxis werden täglich innigere und die Wissenschaft gibt schon heute im reichlichen Maße der Praxis zurück, was sie seinerzeit von ihr empfangen. Das zeigt sich auch in der Geschichte der Treiberei. Hermann Müller (Thurgau) fand beim Studium über das Süß- werden der Kartoffelknollen die höchst interessante Tatsache, daß man die Ruheperiode der Kartoffel dadurch beseitigen kann, daß man sie unmittelbar nach der Ernte in einen Eiskeller bringt und hier ı4 Tage knapp über dem Eispunkt beläßt. Bei dieser niederen Temperatur häufen sie in ihrem Innern Zucker an, werden süß und vermögen nun, unter günstige Wachstumsbedingungen ge- bracht, sofort auszutreiben. Macht man diesen Versuch mit Früh- kartoffeln Ende Juni, so kann man im Herbste noch eife zweite Ernte einheimsen. Durch die Experimente des großen französischen Physiologen Claude Bernard über die wunderbaren Wirkungen des Äthers und Chloroforms auf Tier und Pflanze wurde der ausgezeichnete dänische Botaniker W. Johannsen angeregt, speziell Versuche über die Einwirkung des Äthers auf ruhende Pflanzen zu machen und fand zu seiner Überraschung, daß Flieder und einige andere Holzgewächse, wenn sie in der Ruheperiode ı—2 Tage Äther- % dampf ausgesetzt und dann wie gewöhnlich weiter kultiviert werden, aus ihrem Winterschlafe erwachen und rasch zu treiben beginnen). Dieses von Johannsen eingeführte „Aetherisieren“ hat sich in der Praxis bald eingebürgert und sehr gute Erfolge ergeben. Ein neues Verfahren der Pflanzentreiberei?), von mir als Warmbad bezeichnet, besteht im wesentlichen darin, daß man die noch in Ruhe befindlichen Pflanzen durch mehrere Stunden (6—12, zumeist 9) im Wasser von etwa 30—35° C untergetaucht läßt und dann wie gewöhnlich treibt. Werden solche Versuche mit Mai- glöckchenkeimen oder Fliederbäumchen ausgeführt, so treiben die gebadeten Pflanzen schon nach kurzer Zeit, während die nicht gebadeten noch längere Zeit in Ruhe verharren. Der so deutlich in Erscheinung tretende Einfluß des Lau- bades und die große Bedeutung dieses hochinteressanten physio- logischen Phänomens für die Praxis regten mich an, die Sache von rein wissenschaftlichem Standpunkte aus zu verfolgen. Bei meinen Untersuchungen, die bereits bis 1906 zurückreichen, bin ich zu einigen Ergebnissen gelangt, die vielleicht auch die Prak- tiker interessieren dürften und die ich daher heute zum Gegen- stande eines populären Vortrages gemacht habe. Es zeigte sich zunächst, daß das Warmbad nicht bloß auf Flieder und Konvallarien, sondern auch auf eine große Reihe anderer Pflanzen einwirkt, so auf ruhende: Corylus Avellana, Forsythia suspensa, Prunus avıum, Cornus alba, Rıbes Grossularia, Larix decıdua, Alnus glutinosa (Kätzchen), Rhamnus Frangula, Aesculus Hippocastanum, Salıx-Arten, Fraxıinus excelsior, Azalea mollıs und andere. Werden Zweige oder bewurzelte Stöcke dieser Holzgewächse zur Zeit ihrer Ruheperiode in warmem Wasser von 30— 35° C (selten bis 40°) untergetaucht und dann etwa 9—ı2 Stunden darin belassen und hierauf bei mäßiger Temperatur (15—ı8° C) weiter- kultiviert, so wird das Austreiben der Knospen in hohem Grade beschleunigt. Doch werden nicht alle Holzgewächse in gleicher Weise beeinflußt. Auf manche wirkt das Bad ausgezeichnet, auf manche mäßig, auf einzelne gar nicht oder erst gegen Ende der Ruheperiode. Zagus sılvatıca und Tila parvifolia beharren mit 1) Johannsen, W., Das Ätherverfahren beim Frühtreiben mit besonderer Be- rücksichtigung der Fliedertreiberei. Jena 1905. II. Auflage 1908. ?2) Molisch, H., Das Warmbad als Mittel zum Treiben der Pflanzen. Jena 1909. Verl. bei G. Fischer. großer Hartnäckigkeit in ihrer Ruhe und erst gegen Ende der Ruheperiode macht sich das Bad im mäßigen Grade geltend. Allein auch da, wo das Laubad sich ausgezeichnet bewährt, hängt das Gelingen des Versuches nicht bloß von der Jahreszeit und von der Natur der Knospe, sondern noch von einer Reihe anderer Umstände ab. a) Von der Dauer des Bades. Ein Bad von g—ı2 Stun- den hat sich bei den meisten der genannten Pflanzen bewährt. Doch darf man nicht nach der Schablone arbeiten und glauben, daß dies für alle Pflanzen gilt. So erwies sich bei den männ- lichen Kätzchen von Corylus ein Bad von 30°C durch 6 Stunden als ein Optimum, schwächer wirkte ein neun- und dreistündiges. So war es bei einem Versuch im Anfang des Dezember. Im Oktober hingegen wirkt ein neunstündiges besser als ein sechsstündiges. Bei Flieder kann man das Bad auch auf ı5 Stunden aus- dehnen, doch darf man im allgemeinen das Bad nie länger als gerade nötig ist wirken lassen, weil die Knospen infolge der re- lativ hohen Temperatur zu energischer Atmung angeregt werden, ihr Atmungsbedürfnis aber unter Wasser, wo der Sauerstoffzufluß bedeutend gehemmt ist, nicht befriedigen können. Sie leiden dann an Atemnot, fangen vielleicht auch intramolekular zu atmen an. Dies halten die Knospen aber nicht lange aus; kommen sie dann nicht rechtzeitig aus dem Wasser heraus, so leiden sie Schaden oder sterben unter Braunfärbung völlig ab. b) Von der Temperatur des Bades. Auch bezüglich der Temperatur muß man das Optimum für jede Pflanzenart aus- probieren. Für die meisten Pflanzen, mit denen ich experimentierte, bewährte sich ein Bad von 30°C. So für die männlichen Kätzchen von Corylus, für die Knospen von Zorsythıa suspensa, Rıbes Gros- sularıa, ein Bad von 30—35° ergab bei Flieder die besten Resultate, bei Detula alba, Cornus alba und Rhamnus Frangula aber ver- sagte ein Bad von 30°, während ein Bad von 35—40°C ‘hier stark reizend wirkte. c) Von der Tiefe der Ruheperiode. Bei Flieder konnte ich schon im Monate Juli an den angelegten, für das nächste Frühjahr bestimmten Knospen, also lange vor dem herbstlichen Laubfall einen deutlichen Einfluß des Warmbades bemerken und die Knospen zum Austreiben veranlassen. Dagegen konnte ich im September gebadete Corylus-Kätzchen nicht zum Auswachsen und Stäuben bringen, obwohl sie sich gegen Ende Oktober schon recht gut, im November und Dezember aber ausgezeichnet treiben lassen. Bei Aesculus und Zraxınus versagt das Warmbad im Vorherbst, hingegen wirkt es im Dezember und Januar, besonders wenn man ein Laubad von etwas höherer Temperatur, von 35 bis 40° C anwendet. Ist die Ruheperiode ihrem Ende nahe, so nimmt die günstige Einwirkung bei den Pflanzen, die sich relativ früh leicht treiben lassen, mehr und mehr ab, ja im Februar wirkt das Warmbad auf ge- ‘wisse (Grewächse wie auf die männ- lichen Corylus- Kätzchen, gewisse Salıx-Arten, die Laubknospen von Cornus alba hem- mend ein, während es vorher einen ausgezeichneten Einfluß ausübte. Sehr schwer läßt sich die Wald- buche (Zagus sıl- vatıca) und die Linde/(Trha parvı- Jolıa) treiben, hier gibt merk- würdigerweise das Bad erst kurze Zeit vor dem normalen a b Austreiben gute Fig. 9. Forsythia: a der gebadete Zweig, 5b der Kontroll- Resultate Aus zweig, a steht ı2 Tage nach dem Bade in voller Blüte, b hat zu dieser Zeit noch geschlossene Blüten. dem Gesagten er- hellt, wie sehr verschieden sich die Pflanzen dem Warmbade gegenüber mit Rücksicht auf die Ruheperiode verhalten und wie auch hier. das Experiment bei jeder Art erst Klarheit verschaffen kann. Daß verschiedene Gattungen und Arten auf das Warmbad in verschiedener Weise reagieren, darf nicht wundernehmen, wenn man bedenkt, daß selbstan einem und demselben Zweige verschiedene Knospen sich ganz verschieden verhalten. So weckt das Warm- bad im November die männlichen Kätzchen von Corylaus rasch aus dem Schlafe, die weiblichen kaum und die Laubknospen gar nicht. Erst später, wenn die Ruheperiode auszuklingen beginnt, wirkt das Bad auch auf die Laubknospen. Um einen anschaulichen Begriff von dem wirklich über- raschenden Einfluß des Warmbades zu geben, seien hier einige Spezialversuche geschildert und illustriert. Fig. 10. Flieder. Das Exemplar links blüht 40 Tage nach dem Bade, während das ungebadete rechts noch nicht treibt. Versuche mit Forsythia suspensa. Am ıg. November 1907 wurden sechs Zweige abgeschnitten. Drei davon wurden durch zwölf Stunden in Wasser von 25—32° C vollständig untergetaucht gehalten, während die drei anderen innerhalb dieser Zeit bei Zimmertemperatur in Luft verblieben. Hierauf wurden alle im Warmhaus weiterkultiviert. Der Erfolg war überraschend und wird durch vorstehende Fig. g versinnlicht. Versuch mit Flieder. Die Fig. ı0 zeigt zwei Fliederstöcke. Die Krone des Exemplares links wurde am 4. Dezember 1907 durch zwölf Stunden in Wasser von 31—37° C gebadet, der andere Stock nicht. Sodann verblieben beide bei mäßiger Temperatur (15 bis ı8°C) im Warmhaus im Lichte. Der gebadete Stock stand 40 Tage nach dem Bade in vollem Laub- und Blütenschmucke, während der ungebadete noch kaum trieb. Treibt man den Flieder nach dem Bade, wie dies in den Gärtnereien gewöhnlich geschieht, im Finstern und bei relativ hoher Temperatur (20—28° C) an, so ist der Unterschied nicht so kraß, doch kommen die ge- badeten Bäumchen immer noch um durchschnittlich zehn Tage früher zur Blüte als die unge- badeten, was natürlich für den Gärtner eine bedeutende Er- sparnis an Heizmaterial, also einen großen, ökonomischen Vorteil be- deutet. Versuchmit Corylus Avel- /ana. Von Wichtigkeit ist es auch, daß bei einem Zweige nur die gebadeten Knospen im Trei- ben gefördert werden, die un- gebadeten aber im Winterschlafe verharren. Die Fig. ıı zeigt dies in höchst anschaulicher Weise bei der Haselnuß. Die eine Hälfte des Zweigsystems wurde am 27. November 1907 durch zwölf Stunden bei etwa 30° C gebadet. Am 3. Dezember, also sechs Tage nach dem Bade, waren Ri, ul ne A a die gebadeten Kätzchen in voller Sechs Tage nach dem Bade steht die Blüte. stäubten und hatten eine gebadete Hälfte in Blüte, die andere j erscheint unverändert. durchschnittliche Länge von 5 bis 7!/; em erreicht, während die nicht gebadeten sich noch nicht merklich verändert hatten. Zu wiederholten Malen habe ich mit sehr schönem Erfolge solche Experimente über den lokalen Einfluß des Bades auch mit Flieder gemacht (Fig. ı2) und in der Tat vermag nichts so Et Wi PER a Pr en na ut ae, 80 EEE sehr die „treibende Kraft“ des Bades in anschaulicher Form dar- zutun, wie solche halbseitig gebadete Bäumchen. Es erscheint wie ein Wunder, wenn man nach einiger Zeit die gebadete Hälfte im schönsten Laub- und Blütenschmuck, im Bilde des Frühlings sieht, während die andere Hälfte sich noch kaum zum Austreiben anschickt und uns das Bild des Winters gewährt. | Aus dem Verhalten dieser lokal gebadeten Pflanzen ist deut- lich zu ersehen, wie unabhängig voneinander physiologische Pro- zesse in benachbarten Stücken eines Zweiges verlaufen können, denn es ist doch höchst auffallend, daß man in einer Knospe eines Zweiges durch das Bad jene Revolution des Stoff- wechsels, die zum Wachstum der Knospe führt, hervorrufen kann, wäh-. rend in der ungebadeten Nachbar- knospe gleichzeitig alles in tiefer Ruhe verharrt. Beim Baden bewurzelter Pflanzen könnte man im Zweifel sein, ob man nur die Krone oder die ganze Pflanze samt dem Wurzelballen dem Bade aus- setzen soll. Meine Erfahrungen über den lokalen Einfluß des Laubades lassen schon vermuten, daß das Baden der Bee a ederbieehen. Wurzeln keinen Vorteil gewährt, zu- Die rechte Hälfte wurde gebadt, mal ja die vorhandenen Wurzeln für die linke nicht, 40 Tagenachdem die Wasseraufnahme vollkommen 'aus- Bade treibt die ungebadete kaum, die gebadete aber steht in voller reichen. Und in der Tat habe ich Blu mich durch speziell darauf gerichtete Versuche überzeugt, daß das Baden der Wurzeln nicht nur keinen Nutzen gewährt, sondern im Ge- genteil die Wurzeln häufig schädigt, weil sie im Gegensatz zu den ruhenden Zweigen und Knospen ein so hoch temperiertes Wasserbad nicht leicht ertragen. Saftige, weiche Wurzeln sind ebenso wie die meisten krautigen Blätter und Sprosse viel emp- findlicher als die widerstandsfähigeren Winterknospen. Ich gebe daher den Rat: niemals die Wurzeln zu baden, sondern nur die Krone, Es wird auch die Praktiker interessieren zu erfahren, daß on der Einfluß des Bades in versteckter Form wochenlang erhalten bleibt. Ich meine so: Wenn man gebadete Pflanzen von Corylus, Forsythia, Salıx und andere nach dem Bade ins Freie bringt, sie hier der gewöhnlichen Temperatur des Nachherbstes oder des Winters aussetzt, sie daselbst ı bis 6 Wochen beläßt und erst dann in die Treiberei stellt, so verhalten sie sich im großen und ganzen so, wie sie sich verhalten hätten, wenn sie unmittelbar nach dem Bade ins Warmhaus gestellt worden wären. Die Ein- wirkung des Bades bleibt, einmal hervorgerufen, lange Zeit er- halten, sie bleibt, wie man zu sagen pflegt, latent. Diese Tatsache hat vielleicht auch eine praktische Bedeutung. Man könnte, falls eine Gärtnerei ihre Pflanzen nicht selbst baden will, diese an einem anderen Orte, wo das Warmbad im Großbetrieb durchge- führt wird, baden lassen und dann von dort beziehen. Wie ich aus gärtnerischen Fachzeitschriften ersehe, ist Übereinstimmendes mit ätherisiertem Flieder tatsächlich geschehen: in Dresden, wo gewisse Spezialisten der Fliedertreiberei sich auf das Ätheri- sieren im großen eingerichtet haben, werden Fliederbäumchen ätherisiert und dann nach Ungarn und anderen Ländern ausge- führt. Ein derartiger Export wäre auch mit gebadeten Pflanzen durchführbar. Wenn es sich nicht um einen Großbetrieb handelt und wenn die Durchführung der Warmbadmethode möglichst wenig kosten soll, so ist es nach meinen Erfahrungen am zweckmäßigsten, die zu treibenden Pflanzen direkt im Warmhaus unter Zuhilfenahme der Warmwasserheizung zu baden. Heute sind wohl die meisten Warmhäuser mit Wasserheizung versehen und solche Gewächs- häuser enthalten auch gewöhnlich ein oder mehrere Wasserbassins, die durch eingeleitete Rohre leicht auf eine bestimmte Temperatur erwärmt werden können. Hat das Wasser den erwünschten Wärmegrad angenommen, so taucht man die Pflanze bloß mit der Krone ein und läßt die Wurzelballen in die Luftragen. Nach- her wird das ganze Bassin mit Brettern oder Strohdecken zuge- deckt, wodurch die Wassertemperatur während der Badezeit nur wenig sinkt. Das Verfahren ist, wie man sieht, höchst einfach, nur muß man sorgfältig darauf achten, daß man nicht zu warmes Wasser anwendet, weil sonst die Knospen leicht Schaden leiden. Besondere Vorsicht erheischt dieser Punkt bei Gewächsen, die man noch nicht ausprobiert hat und beim Treiben wintergrüner, also beblätterter Pflanzen, wie z. B. gewisser empfindlicher Azalea Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 6 u; 32 Pen ındıca-Sorten, da ihre Blätter bei manchen Hybriden schon bei einem sechsstündigen Aufenthalt im Wasser von 30° infolge der gehemmten Atmung sichtlich leiden und vornehmlich an der Ober- seite des Blattes braunfleckig werden. Ich kann daher die An- wendung der Warmbadmethode für Azalea zndıca nicht empfehlen, zumal das Laubad auf das Austreiben der Knospen gar nicht oder fast gar nicht günstig wirkt. Wennich von den Versuchen, die ich wohl mit vielen hunderten von gärtnerisch unwichtigen Pflanzen nur aus wissenschaftlichen Gründen durchgeführt habe, absehe und mich nur auf gärtnerisch wichtige beschränke, so kann ich das Warmbadverfahren bisher wärmstens empfehlen für S'yrınga, Forsythıa, Azalea mollıs, Spiraea palmata und japonıca und Convallarıa. Flieder ist eine Treibpflanze par excellence, wird zum Treiben im großen kultiviert und liefert mit dem Laubad ausgezeichnete Resultate. Forsythia suspensa, dieser bekannte japanische Strauch, der im ersten Frühling durch seine mit gelben Glocken überschütteten Blütenzweige jeden entzückt, wird auffallenderweise von den Gärt- nern nicht als Treibpflanze kultiviert. Ich habe so ausgezeichnete Treib- resultate mit dieser Pflanze erhalten, daß ich die Gärtner ermuntern möchte, mit diesem Strauche Versuche anzustellen. Mit Hilfe des Warmbades wäre es ein leichtes, im Oktober, November und im Winter blühende Topfpflanzen oder abgeschnittene blühende Zweige zu erzielen und in Anbetracht der Schönheit dieses blühenden Strauches zweifle ich nicht, daß die Forsyihıa erfolgreich mit dem Flieder in Wettbewerb treten könnte und vom Publikum auch gerne gekauft würde. Sehr gute Ergebnisse liefert auch das Warmbad mit Convallaria- keimen. „Keime“, die am ı4. November 1904 einem 16!/,stündigen Warmbad von 31° C ausgesetzt wurden und dann nach’der Weise der Gärtner bedeckt mit Moos bei einer Bodentemperatur von 20 bis 25° C im Warmhaus getrieben wurden, kamen sehr gleich- mäßig mit Laub und Blüten. Die ersten Blätter öffneten sich schon am 16. Dezember. Die nicht gebadeten Keime blieben viel- fach „sitzen“; wenn sich die Blütentrauben entwickelten, so waren sie häufig unvollkommen, auch blühten sie durchschnittlich 5 bis ıo Tage später. Wer also nicht mit sogenannten „Eismai- glöckchen“, die in Kühlräumen künstlich vom Austreiben zurück- gehalten werden, arbeiten will, wird sich mit dem Warmbad- verfahren auch hier bald befreunden. Wir wollen nun auch die Frage streifen, warum das Laubad einen so überraschenden Einfluß auf ruhende Pflanzen ausübt? Durch welche Umstände wird der chemische Stoffwechsel in solche Bahnen gelenkt, daß das Wachstum erfolgt? Die Beantwortung der Frage ist nicht so einfach wie sie auf den ersten Blick er- scheint, denn mit dem Bade ist nicht eine Veränderung, sondern ein ganzer Komplex von Veränderungen gegeben. Es wird nicht bloß die Temperatur geändert, sondern auch der Sauerstoffzufluß unter Wasser gehemmt. Überdies tritt in dem Bade Wasser in die Zellen ein, viele Bestandteile der Zelle: die Wand, das Plasma und der Kern werden infolge der gesteigerten Wasseraufnahme quellen und ihren Zustand verändern. Die ganze Zelle wird auch ihren Innendruck oder Turgor erhöhen. Die Atemnot, welcher die untergetauchten Zweige ausgesetzt werden, spielt nach Versuchen, die ich in sauerstoffreiem oder sauer- stoffarmem Raume ausgeführt habe, augenscheinlich keine besondere das Austreiben fördernde Rolle. Wenn es die höhere Temperatur allein wäre, so sollte man vermuten, daß das Wasserbad gar nicht nötig sei und daß ein dem Wasserbad entsprechender längerer Aufenthalt in Luft von höherer Temperatur denselben Effekt er- zielen würde. Dies trifft nun in der Zeit vor dem herbstlichen Laubfall und dann nach diesem in den Monaten Oktober, November und Dezember, also in der Hauptzeit des Treibens, nicht zu; da kann das Wasserbad nicht durch ein entsprechendes Luftbad er- setzt werden; ein solches warmes Luftbad nützt bei den meisten Gewächsen nichts oder sehr wenig, erst in der Zeit, da die Ruhe- periode schon auszuklingen beginnt und die Ruhe nicht mehr fest ist, kann auch das warme Luftbad eine ähnliche Wirkung äußern, ja in manchen Fällen kann es sogar vorteilhafter sein. Für die Praxis hat dies aber keinen Wert, der Gärtner wird sich stets an das Warmbad halten müssen, weil er seine Pflanzen möglichst bald zur Blüte bringen will und sie daher zu einer Zeit treiben muß, wo eben nur das Wasser- und nicht das Luftbad wirkt. Verschiedene Erfahrungen drängen zu der Annahme, daß in ‚erster Linie die vielstündige Berührung mit lauem Wasser als Reiz wirkt, die in Verbindung mit höherer Temperatur in den ruhenden Knospen jene Vorgänge auslöst, die zum Treiben führen. — 6* Re = Daß wir in der Warmbadmethode ein für viele Gewächse und auch für gärtnerisch wichtige ein ausgezeichnetes, praktisch verwertbares Treibverfahren besitzen, unterliegt wohl keinem Zweifel. Dasselbe gilt auch von dem bekannten Ätherverfahren W. Johannsens. Dem Theoretiker sind beide Methoden von höchstem Interesse, dem Praktiker bieten beide große Vorteile. Wegen seiner Billigkeit, Einfachheit und Gefahrlosigkeit wird das Warmbad mit dem Ätherbad nicht nur erfolgreich kon- kurrieren, sondern es wird das Warmbad wahrscheinlich das Ätherverfahren in der Praxis bald verdrängen. Vergleichende Versuche mit Syrınga und Forsythia haben mich gelehrt, daß das Warmbad dieselben oder bessere Resultate ergibt, wie der Äther. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, daß bei an- deren Pflanzen sich vielleicht wieder die Äthermethode besser bewähren wird. So sehen wir denn auf dem Gebiete der Treiberei einen ge- waltigen Fortschritt!),, Schon jetzt gelingt es dem Gärtner durch Züchtung sogenannter Treibsorten und frühblühender Rassen, durch vorbereitende Behandlung der Pflanzen, durch langsame Wasser- entziehung, durch gewisse Treibverfahren oder durch Zurückhaltung der normalen Vegetation infolge niederer Temperatur sich bei verschiedenen Gewächsen von der Jahreszeit unabhängig zu machen. Es ist heute möglich z. B. im Monate April gewisse Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterpflanzen, also Grewächse die unter normalen Verhältnissen zu ganz verschiedenen Jahres- zeiten blühen und fruchten, gleichzeitig in Blüte und Frucht vorzuführen. Auch sind Märzveilchen, Maiglöckchen, Flieder und gewisse Lilien fast das ganze Jahr erhältlich. Würde die Licht- intensität im Herbst und Winter in Mittel- und Nordeuropa nicht so gering und der Tag nicht so kurz sein, so könnten die Treib- methoden noch auf viele andere Pflanzen angewendet werden, die zur Entwicklung ihrer Blüten einer relativ großen Liöhtmenge bedürfen. Hier wird vielleicht einmal die Elektrotechnik helfend einspringen, denn wenn sie uns in der Zukunft für den Garten- bau das Bogenlicht in genügender Intensität und billig liefern sollte, dann wird auch die Pflanzentreiberei neuen Erfolgen und Triumphen entgegengehen: wir werden dann, wenn draußen alles. 1) Eine kurze Übersicht darüber bis in die neueste Zeit findet man in meinem Buche: „Pflanzenphysiologie als Theorie der Gärtnerei.“ 4.Aufl. Jena 1921. S. 177— 191. in Eis und Schnee starrt und die Bäume des Waldes in tiefster Ruhe verharren, uns mitten im Winter den Frühling oder Sommer in die Stube zaubern und im Anblicke dieses zu dieser Zeit uns doppelt erfreuenden Blütenreichtums werden wir mit Uhland rufen: „Die Welt wird schöner mit jedem Tag, Man weiß nicht, was noch werden mag, Das Blühen nimmt kein Ende.“ WE Ultramikroskop und Botanik’). I. Die ultramikroskopische Methode. Der Fortschritt der Naturwissenschaften beruht hauptsächlich auf neuen Entdeckungen, der Aufstellung glücklich ersonnener Hypothesen und Theorien und auf der Auffindung neuer und feiner Methoden. Eine einzige neue Tatsache, ein fruchtbarer hypothetischer (redanke, ein neues Verfahren vermag die Wissen- schaft oft um einen gewaltigen Schritt vorwärts zu bringen. Ich erinnere nur an die Röntgenstrahlen, an die Deszendenztheorie und an die Spektralanalyse. Welch großartige Fortschritte waren mit ihrer Einführung in die Wissenschaft verknüpft! Von dem Bestreben geleitet, die Leistungsfähigkeit des Mikroskops in der Sichtbarmachung kleinster Teilchen zu erhöhen, haben Siedentopf und Zsigmondy?) eine Methode eingeführt, die heute allgemein als ultramikroskopische bezeichnet wird und die großes Aufsehen erregt hat. Sie ermöglicht uns heute, Teilchen von einer Kleinheit zu sehen, deren Größe früher weit jenseits der Grenze mikroskopischer Wahrnehmung lag. Ich habe mir nun heute die Aufgabe gestellt, hier zu erörtern, was diese Methode für die Botanik bisher geleistet hat, ob die Hoffnungen, die man an die Er- findung des Ultramikroskops geknüpft hat, sich er- füllt haben und ob wir von ihr in Zukunft Resultate !) Vortrag, gehalten am I5. Dezember 1909 im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Daselbst IgIo erschienen. ?) Siedentopf, H., und Zsigmondy, R., Über die Sichtbarmachung und Größenbestimmung ultramikroskopischer Teilchen, mit besonderer Anwendung auf Gold- rubingläser. Annalen d. Physik, 4. Folge, Bd. 10, 1903. Siedentopf, H., Über die physikalischen Prinzipien der Sichtbarmachung ultra- mikroskopischer Teilchen. Vortrag. Berliner klin. Wochenschrift 1904, Nr. 32. Zsigmondy, R., Zur Erkenntnis der Kolloide. Jena: 1905. zu erwarten haben, die uns einen tieferen Einblick in den Bau und das Leben der Zelle verschaffen werden. Das Prinzip, das der ultramikroskopischen Methode zugrunde liegt, kann leicht an den jedermann bekannten Sonnenstäubchen klargemacht werden. Denken Sie, wir befänden uns in einem vollständig finstern Raum. Lassen wir dann durch den Spalt eines Fensterladens einen direkten Sonnenstrahl einfallen, so werden, wie bekannt, innerhalb dieses Strahles unzählige Sonnenstäubchen sichtbar. Diese Stäubchen finden sich in unserer Umgebung ständig vor, sie sind sozusagen allgegenwärtig, wir atmen sie mit jedem Atemzug in ungeheurer Zahl ein, aber trotz alledem sehen wir sie gewöhnlich nicht. Unter bestimmten Bedingungen, wie in dem vorhin erwähnten Versuch, treten sie wie mit einem Zauberschlag plötzlich in Erscheinung und erfreuen das Auge durch ihr ruhiges Schweben oder bei bewegter Luft durch ihren Wirbeltanz und durch ihr scheinbares Selbstleuchten. Die Sonnen- stäubchen werden sichtbar, weil das höchst intensive Sonnenlicht an ihnen abgebeugt wird, sie umgeben sich mit glänzenden Beu- gungsringen und Beugungsbüscheln, erscheinen dem Auge größer, als sie wirklich sind und ungemein deutlich, weil wir sie auf schwarzem Hintergrunde betrachten. Die Kontrastwirkung zwischen Hell und Dunkel spielt bei der Sichtbarmachung eine wesentliche Rolle. Auf dieser Kontrastwirkung beruht auch der herrliche Glanz des nächtlichen Sternenhimmels. Die Sterne sind auch bei Tage am Himmel, allein wir sehen sie nicht. Bei Tage werden sie vom Sonnenlichte überstrahlt, das ganze Himmelsgewölbe ist beleuchtet, es kommt zu keiner Kontrastwirkung, daher bleiben die Sterne unsichtbar. Ganz anders in der Nacht, da erscheint das Himmelsgewölbe schwarz und die Sterne heben sich mit ihrem relativ schwachen Lichte trotzdem auf dem dunklen Grunde leuchtend ab. Auch beim Mikroskope hat man von der Dunkelfeldbeleuch- tung schon lange Gebrauch gemacht. Sie wurde zuerst nament- lich von England aus empfohlen, allein sie hat sich lange keiner häufigeren Anwendung erfreut. J. B. Reade!) lenkte schon 1838 !) Goring und Pritchard, Mikrographia, 1837, S. 227—231, ferner Queckett, John, Handbuch über Mikroskopie, 1855, beide Werke zitiert nach Siedentopf, H., Die Vorgeschichte der Spiegelkondensoren. Zeitschr. f. wissensch. Mikroskopie usw., 1908, S. 382—395. Bee. 2 (oder 1837?) die Aufmerksamkeit der Mikroskopiker auf eine Be- leuchtung, die er „Dunkelfeldbeleuchtung“, „Blackground illumina- tion“ nannte. Indem er das mikroskopische Objekt sehr stark und derart beleuchtet, daß von den beleuchtenden Strahlen nur die- jenigen eindringen, welche von dem Objekte in geänderter Rich- tung ins Mikroskop eingesandt werden, erzielt er eine grelle Be- leuchtung des mikroskopischen Objektes auf dunklem Untergrunde. Auch die Spiegelkondensoren von heute haben, wie Sieden- topf!) gezeigt hat, wenn auch in weniger vollkommener Form ihre Vorläufer gehabt. Trotz alledem hat aber die Dunkelfeld- beleuchtung im allgemeinen wenig Beachtung gefunden. Da trat im Jahre 1903 ein Wendepunkt ein. Siedentopf und Zsigmondy hatten durch besondere Einrichtungen am Mikroskope, durch welche die Dunkelfeldbeleuchtung bei möglichst gesteigerter Lichtintensi- tät soweit als möglich vervollkommnet wurde, es dahin gebracht, Teilchen sichtbar zu machen, die viel kleiner waren als die bis dahin gesehenen. Die Dunkelfeldbeleuchtung kann nun in verschiedener Weise bei ultramikroskopischen Beobachtungen erreicht werden. So ist zuerst von Siedentopf und Zsigmondy eine Anordnung am Mikroskope angegeben worden, bei welcher durch Abbildung eines Spaltes in einem festen oder flüssigen Präparate gewisser- maßen ein Dünnschnitt von 2—4 u?) Dicke auf optischem Wege hergestellt wird, der grell beleuchtet und auf dunklem Grunde betrachtet wird. Diese Art des Ultramikroskops ist besonders zur Beobachtung von Farbstofflösungen und kolloidalen Objekten geeignet und hat bereits zahlreichen Untersuchungen mit Erfolg gedient. f Eine zweite Methode der Dunkelfeldbeleuchtung versinnlicht die Abbildung des Spiegelkondensors, der von Reichert?) in Wien zuerst in den Handel gebracht wurde (Fig. 13). -_ Dieser Kondensor besteht im wesentlichen aus einer Plan- konvexlinse Z, von der der mittlere Teil der Krümmung abge- I) Siedentopf, H., Die Vorgeschichte der Spiegelkondensoren. Zeitschr. f. wissensch. Mikroskopie usw., 24. Bd. 1908, S. 382. 2) Mit dem griechischen Buchstaben u bezeichnet man den tausendsten Teil eines Millimeters, mit zu. den millionsten Teil. ®) Reichert, K., Neuer Spiegelkondensor zur Sichtbarmachung ultramikro- skopischer Teilchen usw., Sonderabdr. aus den Vierteljahrsberichten des Wiener Vereins zur Förderung des physikal. und chem. Unterrichtes, XI, 4. schliffen ist. Die dadurch entstandene Planfläche ist parallel mit der Frontfläche der Objektivlinse des Mikroskops und der übrig bleibende Teil der Krümmung der Linse ist versilbert. Reichert beschreibt den Strahlengang im Kondensor in folgender Weise: Ein von der Lichtquelle ausgehender Strahl wird vom Spiegel ‚Sp bei d reflektiert nach Ö’ und 2’; dasselbe geschieht auch mit einem zweiten Strahl, der von ce kommt, dieser wird nach 5’ reflektiert. Die Blende 3/ schaltet alle Strahlen aus dem Beleuch- tungsbüschel aus, deren Apertur geringer als ı -o5 ist. Sie ist dicht vor die erste Planfläche der Spiegellinse gesetzt, damit keine störenden Reflexe auftreten können. Die Blende kann nach Bedarf weggeklappt und derart die gewöhnliche Spiegelbeleuchtung wieder hergestellt werden. Aus der Fig. 13 geht auch hervor, daß alle Bahl D Strahlen, welche in den Kondensor DB — SE eintreten und die Aperturen von 1:05 bis ı-30 haben, an der Ober- fläche des Deckglases eine totale Reflexion erleiden, somit ein Ein- treten der beleuchtenden Strahlen N in das Beobachtungsobjektiv voll- kommen ausgeschlossen ist. Das Objektiv kann nur Strahlen auf- nehmen, welche innerhalb des Prä- = RE FF eerreren Ye 8 } | I i I ‘ ! =-- + --- L t } l i } | I ! t | [2) ------ I - parates eine Ablenkung von ihrer x ursprünglichen Richtung durch Beu- a gung erfahren haben, und diese Fig. 13. Spiegelkondensor. abgebeugten Strahlen sind es auch, Nach Reichert (Wien). welche im Mikroskop wahrgenom- men werden. Die Spiegellinse des Kondensors entwirft von der Lichtquelle ein stark leuchtendes Bild in der Ebene des Prä- parates. Ich habe nicht die Absicht, näher auf die Einrichtungen für Dunkelfeldbeleuchtung zum Zwecke ultramikroskopischer Beob- achtung einzugehen; es genügt hervorzuheben, daß insbesondere die Mikroskopfirma Zeiß!), ferner Reichert und Leitz darin Vor- zügliches geleistet haben, und es ist heute (1909) bereits möglich, sich !) Für die gütige Beistellung vorzüglicher ultramikroskopischer Hilfsapparate zum Zwecke meines Vortrages erlaube ich mir, der Firma Zeiß meinen besten Dank aus- zusprechen. um einen verhältnismäßig geringen Preis — ein Spiegelkondensor kostet etwa 40—50 Kronen — eine Einrichtung für Ultramikro- skopie zu verschaffen‘). Wie aus dem Gesagten hervorgeht, beruht das Ultramikroskop auf einer vollkommenen Ausnützung der Dunkelfeldbeleuchtung, die gestattet, die mikroskopischen Objekte hell auf dunklem Grunde abzubilden. Durch diese Kontrastwirkung werden die Sichtbarkeitsbedingungen, aber nicht das Auflösungsvermögen erhöht. Das sogenannte Ultramikroskop ist daher nicht, wie das vielfach in Laienkreisen angenommen wird, ein neues, auf einem bisher unbekannten Prinzip beruhendes Mikroskop, sondern ein gewöhnliches Mikroskop, bei dem nur die Dunkelfeldbeleuchtung unter Zuhilfenahme möglichst starker Lichtquellen in vorzüglicher Weise zur Anwendung kommt. Die Leistungsfähigkeit der besten Mikrageede bei durch- fallendem Lichte ist eine beschränkte. Die Grenze der mikro- skopischen Wahrnehmung läßt sich aus Abbes Theorie direkt ab- leiten, sie beträgt bei Anwendung der besten aus der Zeißschen Werkstätte herrührenden Mikroskope praktisch genommen t/, u, bei schiefer Beleuchtung und unter Zuhilfenahme von einer Mono- bromnaphtalinimmersion und violettem Lichte als äußerste Auf- lösbarkeitsgrenze 0 - ı2 u. Was darunter liegt, bezeichnet man als ultramikroskopisch. Mit Hilfe des Ultramikroskops wurde ein Riesenschritt in das Reich des Unsichtbaren gemacht, denn nach Siedentopf kann man mit dem Ultramikroskop noch Teilchen sehen, die nur einen Durchmesser von 4 uu haben, das ist aber eine Größe, die bereits in das Gebiet der molekularen Dimensionen der Eiweißmoleküle fällt. So eröffnet sich für den Forscher bei eventueller noch weite- rer Steigerung der Lichtintensität die Aussicht, im Dunkelfeld des Ultramikroskops jene theoretisch erschlossenen Teilchen, die unserem Auge für immer entrückt zu sein schienen, ich meine die Mole- küle, wenigstens die großen, zu sehen und ihre Bewegungen, d.h. das Spiel ihrer anziehenden und abstoßenden Kräfte sichtbar zu verfolgen. Bei alledem dürfen wir aber die große Schattenseite des Ultramikroskops nicht vergessen, daß es keine genaue geometrische Abbildung gibt und uns namentlich sehr kleine Teilchen nur an !) Siehe das Preisverzeichnis der Firma C. Zeiß über Einrichtungen für Ultra- mikroskopie und Dunkelfeldbeleuchtung, 3. Ausgabe, 1907. ihren Beugungsscheibchen und Beugungsbüscheln zu erkennen gibt, so daß sich die wahre Gestalt der Ultramikronen oft nur schwer und beiläufig beurteilen läßt. Wir wollen nun im folgenden erörtern, welche Dienste dieses in gewisser Beziehung so ausgezeichnete Instrument der Botanik geleistet hat, und wollen zunächst zeigen, daß es bereits in einem sehr wichtigen Punkte, nämlich in der Frage nach der Existenz von unsichtbaren Lebewesen oder Ultramikroorganismen sehr wichtige Aufschlüsse gebracht hat. Die Ergebnisse der Ultramikroskopie in anderen Wissens- zweigen bis zum Jahre 1906 finden sich zusammengestellt in dem vortrefflichen Buche von Cotton und Mouton!) über die Ultra- mikroskope und die ultramikroskopischen Objekte. II. Gibt es unsichtbare, das heißt ultramikroskopische Lebewesen? Schon vor Einführung der ultramikroskopischen Methode hat man die Frage aufgeworfen, ob es nicht vielleicht Lebewesen gibt, die unsichtbar sind, d. h. die mit unseren besten optischen Hilfsmitteln bei gewöhnlicher Beleuchtung nicht gesehen werden können, weil solchen Mikroskopen in ihrer Leistungsfähigkeit eine Grenze gezogen war. Die Möglichkeit, daß es solche Organismen jenseits der Grenze der gewöhnlichen mikroskopischen Wahrneh- mung gibt, ist nicht von der Hand zu weisen und erfordert ein- gehende Prüfung. Die Frage ist tatsächlich von großer Wichtig- keit, denn der Biologe möchte gerne wissen, bis zu welcher Klein- heit Zellen herabsinken können, ob nicht gewisse Krankheiten der Pflanzen, die man bisher noch auf kein Lebewesen hat zurück- führen können, wie die Mosaikkrankheit des Tabaks, die infektiöse Panaschüre der Malvaceen und anderer (Grewächse, vielleicht durch mikroskopische Lebewesen hervorgerufen werden. Und auch der Mediziner hat ein großes Interesse daran, zu erfahren, ob gewisse Krankheiten der Tiere und des Menschen, wie die Maul- und Klauenseuche, die Pocken, der Scharlach und andere nicht vielleicht durch Lebewesen bedingt sind, die im Bereiche des Ultramikroskopischen liegen. Auch wäre es ja von vorne- herein nicht unmöglich, daß — die Existenz von Ultramikroben vorausgesetzt — diese bisher unsichtbar gebliebenen Lebewesen !) Cotton, A., et Mouton, H., Les ultramicroscopes et les objets ultramicro- scopiques. Paris 1906. von einer neuen, noch nie geschauten Organisation wären und daß sie neue Gruppen von Organismen bilden. Ich habe diese Fragen schon früher auf Grund eigener Unter- suchungen und Erwägungen behandelt und meine Ergebnisse in einem Artikel „Über Ultraorganismen“ zusammengestellt!). Die folgenden auf ultramikroskopische Lebewesen bezugnehmenden Angaben stützen sich vornehmlich auf diese Abhandlung, ja sind ihr zum Teile wörtlich entnommen. Bekanntlich gehören die Bakterien zu den kleinsten Lebe- wesen und manche unter ihnen nähern sich schon der Grenze der mikroskopischen Wahrnehmung. Eine der kleinsten Bakterien ist der Influenzabazillus mit ı-2 « Länge und o-4 u Dicke. Die von Esmarch vor nicht langer Zeit entdeckte Schraubenbakterie (Sperillum parvum) hat bloß eine Dicke von o-1-0:3 «u und passiert Berkefeld- und Chamberlandfilter. Mzerococcus progrediens soll nur 0-15 « dick und ZPseudomonas indıigofera sogar nur 0-08 u dick und 0-18 « lang sein; ich möchte jedoch auf die letzteren Messungen kein großes Gewicht legen, weil bei so kleinen Objekten die subjektive Schätzung schon eine zu große Rolle spielt und die Messung daher ungenau sein muß. Auch werden so kleine Bakterien gewöhnlich nicht in lebendem Zustande ge- messen, sondern häufig in geschrumpftem oder in gequollenem (gebeiztem), man erhält daher in dem einen Falle zu geringe und in dem anderen zu große Werte. Der vorhin angegebene Wert 0:06 u für Pseudomonas kann ja gar nicht richtig sein, weil dieser Organismus dann schon ultramikroskopische Dimensionen hätte. Aber alle die erwähnten winzigen Bakterien wurden mit gewöhn- lichen Mikroskopen ohne Dunkelfeldbeleuchtung, ohne ultramikro- skopische Methodik entdeckt und gemessen, sie müssen daher noch von mikroskopischer Dicke sein. Ich will nun eine Reihe von Fällen betrachten, wo noch am ehesten ultramikroskopische Lebewesen gefunden werden könnten, und möchte zunächst die Aufmerksamkeit auf die Untersuchungen von Nocard und Roux über den Erreger der Lungenseuche der Rinder lenken. Die beiden Forscher züchteten den Erreger dieser Krankheit in Kollodiumsäckchen, die in der Bauchhöhle lebender Tiere (z. B. Kaninchen) untergebracht wurden. Später gelang ihnen die Kultur unter Anwendung der Peptonbouillon l) Molisch, H., Über Ultramikroorganismen. Botan. Zeitg. 1908, I. Abt., S. 131—139. Hier auch die einschlägige Literatur. Martins, der noch Serum von der Kuh oder vom Kaninchen zugesetzt worden war, im Glase. Er verleiht der Kulturbouillon ein opalisierendes Aussehen und gibt sich bei sehr starken mikroskopischen Vergrößerungen in beweglichen, lichtbrechenden Pünktchen von solcher Kleinheit zu erkennen, daß es selbst nach durchgeführter Färbung schwer ist, ihre Form zu bestimmen. Nach dem Gesagten hätten wir es also hier mit einem außer- ordentlich kleinen Organismus zu tun, der zwar an der Grenze der mikroskopischen Wahrnehmung steht, der aber als Pünktchen eben noch gesehen werden kann. Es ist daher den Tatsachen nicht entsprechend, wenn der Erreger der Pleuropneumonie als unterm Mikroskop nicht mehr erkennbar, also gewissermaßen als ultramikroskopisch hingestellt wird. Nocard und Roux sagen ja ausdrücklich, daß der erwähnte Organismus noch als Pünktchen (ohne Ultramikroskop) zu erkennen ist, und sie schließen nur aus dem Vorkommen dieses überaus kleinen Lebewesens, daß es viel- leicht andere Organismen gibt, die ihrer Kleinheit wegen für das bewaffnete menschliche Auge unsichtbar sind. Von größtem Interesse für unsere Betrachtungen erscheint auch die Maul- und Klauenseuche, deren Ansteckungsstoff vielleicht ein ultramikroskopisches Lebewesen ist. Nach den sorgfältigen Untersuchungen von Löffler und Frosch verliert die Lymphe, die die Klauenseuche hervorzurufen imstande war, diese Fähigkeit nicht, wenn sie durch Filtration von den in ihr enthaltenen körper- lichen Teilchen befreit worden war. Wenn die Lymphe 2—3mal durch sterilisierte Kieselgurkerzen filtriert war, so konnten mit dieser Lymphe die Tiere (Kälber, Schweine) ebenso angesteckt werden wie mit nicht filtrierter. Würde es sich um ein Gift handeln, so müßte dieses von einer geradezu erstaunlichen Wirk- samkeit sein, von einer derartigen, daß sie, wie Berechnungen ergaben, von vorneherein die Annahme eines Giftes unwahrscheinlich machen. „Es läßt sich deshalb die Annahme nicht von der Hand weisen, daß es sich bei den Wirkungen der Filtrate nicht um die Wirkungen eines gelösten Stoffes handelt, sondern um die Wirkung vermehrungsfähiger Erreger. Diese müssen dann freilich so klein sein, daß sie die Poren eines auch die kleinsten Bakterien bisher zurückhaltenden Filters zu passieren vermöchten. Die kleinsten bisher bekannt gewordenen Bakterien sind die von Pfeiffer auf- gefundenen Bazillen der Influenza. Sie haben eine Länge von 0,5—ı u. Wären die supponierten Erreger der Maul- und Klauen- seuche nur 1/,, oder selbst nur !), so groß wie diese, was ja durchaus nicht unmöglich wäre, so würden sie nach der Berech- nung des Professors Abb& in Jena über die Grenze der Leistungs- fähigkeit unserer Mikroskope auch mit den besten Immersion- systemen nicht mehr erkennbar sein“. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche wäre also nach der Annahme von Löffler und Frosch ein Organismus, und zwar ein ultramikroskopischer. Obwohl ich die Möglichkeit der Existenz eines solchen Lebewesens ohne weiteres zugeben muß, so ist doch vorläufig zu berücksichtigen, daß noch niemand den Erreger der Maulseuche gesehen hat und daß noch andere Erklärungen für die Ansteckung und Übertragung dieser Krankheit möglich sind, analog wie bei dem Zustande- kommen der infektiösen Panaschüre der Malvaceen und bei der Mosaikkrankheit des Tabaks. Dasselbe gilt von anderen an- steckenden Krankheiten, deren Erreger oder deren Ursache noch zweifelhaft ist. Ich erinnere an die afrikanische Pferdesterbe (Horse sıckness), an das vırus myxomaleux der Kaninchen, an das Gelbfieber, die Rinderpest und an die Schafpocken. Bekanntlich besitzt Abutzlon Thompson: grünscheckige Blätter, deren Fleckigkeit sich auf rein grüne Blätter anderer Abutilon- Arten, ja sogar auf andere Gattungen von Malvaceen durch Pfropfung übertragen läßt. Wir verdanken über die Infektion dieser Buntblättrigkeit Lindemuth und in jüngster Zeit Baur sehr lehrreiche Versuche, aus welchen mit ziemlicher Sicherheit hervorgeht, daß die von Baur als infektiöse Chlorose bezeichnete Krankheit des Abutilon nicht durch einen Organismus hervor- gerufen wird. Ich habe selbst die gelbgrün gefleckten Blätter einer genaueren mikroskopischen "Untersuchung unterworfen, sie im lebenden, im fixierten und gefärbten Zustande auf das ge- naueste untersucht, aber von einem Organismus keine Spur ge-. funden. Von dem Gedanken ausgehend, es könnte doch ein Lebe- wesen, aber ein unsichtbares, vorhanden sein, habe ich Entweder sehr kleine Gewebestückchen des scheckigen Abutilonblattes oder den Saft eines solchen auf verschiedene feste Nährböden, dem noch Extrakte von Abutilonlaub zugesetzt waren, überimpft, auf diese Weise aber niemals Kolonien eines ultramikroskopischen Organismus bekommen, sondern nur Kolonien von gewöhnlichen Bakterien, die natürlich von der Blattoberfläche herrührten. Wenn in diesen Beobachtungen auch noch kein Beweis für die Ab- wesenheit eines ultramikroskopischen Erregers liegt, denn es wäre ja möglich, daß meine Nährmedien dem fraglichen Erreger nicht zusagten, so sprechen doch meine Ergebnisse sehr zugunsten der von Baur auf ganz anderem Wege gewonnenen Ergebnisse, die dahin lauten, daß die infektiöse Chlorose durch einen Organismus nicht veranlaßt wird. Als Ursache dieser Ansteckung könnte nach Baur ein Stoff- wechselprodukt der Pflanze selbst bezeichnet werden, das die jungen Chlorophylikörner beeinflußt und gleichzeitig veranlaßt, das Stoffwechselprodukt wieder zu erzeugen. Dieselbe Möglich- keit nahm später auch Hunger für das Zustandekommen der Mosaikkrankheit des Tabaks an. Es ist das eine der gefährlichsten Krankheiten der Tabakpflanze. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß die erkrankenden Pflanzen zunächst am Blattrande scharf ab- gegrenzte saftgrüne und dunkelgrüne Flecken erhalten. Bei durch- fallendem Lichte erscheinen die Farbenunterschiede noch deut- licher, auch läßt sich schon mit den Fingerspitzen feststellen, daß die dunkelgrünen Stellen etwas dicker als die bleichen sind. Diese Krankheit hat sich als sehr ansteckend erwiesen. Die Ansteckung kann in verschiedener Weise, unter anderem auch durch die Arbeiter erfolgen, wenn sie beim Ausbrechen der Seitenzweige (Ausgeizen) Wundstellen erzeugen und den Saft .kranker Pflanzen auf die Wunden gesunder mit ihren Händen übertragen. Bakterien oder andere Lebewesen scheinen nach exakten Untersuchungen nicht die Ursache der Krankheit zu _ sein. Hunger glaubt, daß in den mosaikkranken Pflanzen ein Stoff entsteht, der zwar auch in der normalen Pflanze auftritt, sich aber bei gesteigertem Stoffwechsel anhäuft, dadurch zu einem Gift wird und in jungen Zellen die Entstehung desselben Giftes hervorruft. Wie dem auch sei, für meine Zwecke genügt es zu wissen, daß wir allen Grund haben, anzunehmen, daß es sich weder bei der infektiösen Chlorose, noch bei der Mosaikkrankheit um einen Organismus handelt, auch nicht um einen ultramikroskopischen, und es ist klar, daß auch die Maul- und Klauenseuche in die Kategorie der Stoffwechselkrankheiten gehören könnte. Gleich nach Erfindung des Ultramikroskops kam mir der Gedanke, daß jetzt die Frage nach der Existenz von Ultramikroben einer Lösung entgegengeführt werden könnte, denn durch die ultramikrosko- pische Methode wurde ein Riesenschritt in der Sichtbarmachung kleinster Teilchen nach vorwärts gemacht, sind wir doch wie bereits bemerkt, nach Siedentopf und Zsigmondy bereits imstande, die Sichtbarmachung kleinster Teilchen bis zur Grenze von etwa 4 uu möglich zu machen. Mit dem Ultra- mikroskope könnten daher Ultramikroben, falls solche existieren sollten, leicht gesehen werden. In der Tat glaubte Raehlmann!) in faulenden Eiweiß- lösungen mehrere Arten bisher unbekannter ultramikroskopischer Lebewesen nachgewiesen zu haben, von denen mehrere typische Veränderungen ihrer Körperform erkennen ließen. Er glaubte, daß es sich in einzelnen Fällen nicht eigentlich um Bakterien, sondern vielleicht um höher organisierte Plasmodien handelt. Auch Gaidukov?) glaubt den Nachweis erbracht zu haben, daß Mikroben von ultramikroskopischer Größe sehr häufig, ja sozusagen allge- mein verbreitet seien. „Es genügt“ — sagt er — „in einen Tropfen ganz optisch leeren, destillierten Wassers ein lebendes Objekt (Algen, Flagellaten, Pilzzellen, Pflanzengewebeschnitte usw.) zu legen, um die ultramikroskopischen Wesen zu sehen. Die ultramikrosko- pischen Wesen gehen gleich ins Wasser oder sie befinden sich innerhalb der Zellen der genannten Körper. Als ultramikro- skopisch kann ich gewiß nur solche Organismen bezeichnen, die ich bei Dunkelfeldbeleuchtung gesehen habe, bei der gewöhnlichen Beleuchtung mit Hilfe der stärksten Vergrößerung (Zeißsches Ölimmersionsystem 2 mm, Komp.-Ok. 18, 2250fache Vergrößerung), die mir zur Verfügung stand, aber nicht konstatieren konnte. Meistens hatten diese ultramikroskopischen Wesen die schon oben beschriebene Form (Doppelförmigkeit der flachen Seite und ty- pischer Beugungsbüschel,. Wenn sogar diese Wesen sich nicht im Fokus befanden, so zeigten doch die schönen Beugungsbüschel das Vorhandensein der ersteren. Sie sind auch stets beweglich. Daraus schließe ich, daß die Mehrzahl der ultramikroskopischen Organismen zu den Bakterien gehört und eine ähnliche Form hat wie die mikroskopischen Bazillen und die Mikrospiren. Die anderen ultramikroskopischen Wesen sind faden- oder stabförmig, !) Raehlmann, E., Die ultramikroskopische Untersuchung nach H. Sieden- topf und R. Zsigmondy und ihre Anwendung zur Beobachtung lebender Mikroorga- nismen. Münchener mediz. Wochenschr., 51. Jahrg. 1904, S. 59—60. ?) Gaidukov, N., Über die ultramikroskopische Untersuchung der Bakterien und über die Ultramikroorganismen. Zentralbl. f. Bakteriologie usw., II. Abt., Bd. 16, 1906, S. 667. beweglich oder unbeweglich und ähneln vollständig den ebenso aussehenden langen Bakterien aus der Myxomyzetenkultur.“ Es sei nun gleich bemerkt, daß meine Bemühungen, Ultra- mikroben aufzufinden, im Gegensatze zu Raehlmann und Gaidukov zu einem durchwegs negativen Ergebnisse geführt haben, obwohl ich dieselben Behelfe dazu verwendet habe, wie der zuletzt genannte Forscher. Betrachtet man einen Wassertropfen aus einem Heu- oder Algeninfus mit dem Ultramikroskop, so sieht man darin sehr ver- schiedene Lebewesen: Infusorien, Flagellaten, Algen und Bakterien von relativ großen bis zu sehr kleinen herab. Nie habe ich aber Organismen gesehen, die nicht auch mit den stärksten Objektiven eines gewöhnlichen Mikroskops ohne Dunkelfeldbeleuchtung sichtbar gemacht werden können. Es gehört eine gewisse Übung, speziell in der Beobachtung sehr kleiner lebender Bakterien, dazu, um so kleine Organismen nicht zu übersehen. Im Ultramikroskop treten kleine Teilchen und Organismen wegen der Kontrastwirkung zwischen dem Dunkelfeld und den grellen Beugungsscheibchen oder Beugungsbüscheln des wie selbstleuchtend erscheinenden Objektes viel deutlicher hervor. Wenn sehr kleine Lebewesen mit einem gewöhnlichen Mikroskope betrachtet werden, so können sie bei oberflächlicher Betrachtung in ungefärbtem Zustande, be- sonders wenn sie nur vereinzelt vorkommen und sich infolge ihrer Bewegungen auf verschiedene optische Ebenen verteilen, sehr leicht übersehen werden. Wenn ich im Tropfen außerordentlich kleine Bakterien mittels der ultramikroskopischen Methode sah, so konnte ich diese bei sorgfältiger Beobachtung auch stets wieder mit einem gewöhnlichen Objektiv im durchfallenden Licht auf- finden. Gaidukov sagt: „Diese ultramikroskopischen Wesen gehen“ — wenn man ein lebendes Objekt, z.B. eine Alge oder einen Pflanzenschnitt, in einen Wassertropfen legt — „gleich ins Wasser, oder sie befinden sich innerhalb der Zelle der genannten Körper.“ Wenn dem wirklich so wäre, so hätte der Genannte eine Entdeckung von fundamentaler Bedeutung gemacht, denn sie besagt nichts Geringeres, als daß innerhalb der Zellen Ultra- organismen allgemein verbreitet wären. Auch hier liegt zweifellos eine Täuschung vor. Bringt man einen Gewebeschnitt, z. B. einen frisch angefertigten Blattquerschnitt von Tradescantıa vırıdıs, in einen Tropfen optisch leeren Wassers, so sieht man bei ultra- mikroskopischer Beobachtung verschiedene Inhaltskörper aus den Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 1 aufgeschnittenen Zellen heraustreten: Raphiden und andere Kriställ- chen, Chlorophylikörner und Teile von solchen, Stärkekörnchen, kleine Körperchen und ultramikroskopische Teilchen verschiedener Art. Viele dieser Partikelchen zeigen die Brownsche Molekular- bewegung. Diese ist auch im Ultramikroskop für den Geübten leicht von der aktiven Bewegung einer Bakterie oder eines anderen Lebewesens zu unterscheiden. Waren die Teilchen wirklich ultra- mikroskopisch, so habe ich nie eine aktive Bewegung an ihnen wahrgenommen, und zeigten die Teilchen nach Art der Bakterien oder Flagellaten eine aktive Bewegung, so konnte ich sie auch stets mit einem gewöhnlichen Mikroskop konstatieren, mit anderen Worten: Ultraorganismen waren auf diese Weise nie festzustellen. Ich habe im Laufe der letzten zwei Jahre viele Präparate ver- schiedener Art betrachtet: Fluß-, Sumpf- und Teichwasser, ver- schiedene tierische und pflanzliche Infuse, faulende Algenwässer und frische Pflanzenschnitte — immer mit demselben Resultate — von beweglichen Ultraorganismen, auch von solchen, die nur in der Dicke von ultramikroskopischer Größe waren, war nie etwas zu bemerken. Die im Ultramikroskope als leuchtende Pünktchen oder Stäbchen erscheinenden aktiv beweglichen Mikroben waren auch mit den korrespondierenden gewöhnlichen Systemen ohne Dunkelfeldbeleuchtung zu sehen, ich bemerke jedoch, daß sie von jemanden, der in der Beobachtung so kleiner Lebewesen nicht geübt und bewandert ist, leicht mit einem gewöhnlichen Mikroskope übersehen und dann für ultramikroskopisch gehalten werden können. Auch bei der Kontrolle der Raehlmannschen Beobachtun- gen konnte ich dartun, daß auch in faulenden Eiweiß- und Pepton- lösungen bei Betrachtung im Ultramikroskope verschiedenartige Mikroben in lebhafter Bewegung begriffen zu sehen sind, daß aber auch die kleinsten von ihnen mit den besten Systemen eines gewöhnlichen Mikroskops ohne Dunkelfeldbeleuchtung zu sehen waren. Es fällt mir nicht ein, aus diesen meinen Beobachtungen die Möglichkeit der Existenz von ultramikroskopischen Mikroben überhaupt zu leugnen, vom theoretischen Standpunkte muß man die Möglichkeit des Vorkommens solcher Wesen zugeben, denn die heutige Leistungsfähigkeit der Mikroskope ist ja eine unter anderem durch unsere technischen Hilfsmittel und unsere der- zeitigen Kenntnisse bedingte, und die Größe der in der Natur eventuell vorkommenden Mikroorganismen muß ja nicht gerade mit der derzeitigen Grenze der Auflösbarkeit unserer Mikroskope zusammenfallen. Für den Holländer Leeuwenhoek, der die mikroskopische Lebewelt in der zweiten Hälfte des ı7. Jahr- hunderts entdeckt hat, waren viele Kleinwesen, die wir heute mit einem gewöhnlichen Mikroskop sehen, unsichtbar, für ihn waren sie ultramikroskopisch und so wäre es ja auch denkbar, daß noch kleinere Lebewesen existieren als die, die gegenwärtig an der Grenze der mikroskopischen Wahrnehmung stehen. Das Ultra- mikroskop aber belehrte mich im Gegensatze zu den beiden ge- nannten Forschern, daß Ultraorganismen bis heute nicht nachzu- weisen waren, und daß diese, wofern sie wirklich existieren sollten, jedenfalls sehr selten sein müssen. Dafür spricht auch folgende Tatsache. Wären Ultramikroben ungemein: häufig und allgemein verbreitet, so müßte man bei bakteriologischen Plattenkulturen auch ihren Kolonien nicht selten begegnen, man hätte dann die Ultramikroorganismen noch vor der Erfindung des Ultramikroskops aller Wahrscheinlichkeit nach entdecken müssen. Während meiner vieljährigen bakteriologischen Praxis gingen tausende Platten- kulturen durch meine Hände, allein immer, wenn ich Kolonien, die außerordentlich kleine Bakterien vermuten ließen, mikroskopisch prüfte, waren diese mit einem gewöhnlichen Mikroskope ohne Dunkelfeld zu sehen. Man könnte nun allerdings einwenden, daß vielleicht alle Ultralebewesen einer künstlichen Kultur wider- streben oder daß wir die für sie notwendigen Kulturbedingungen noch nicht kennen, allein von vorneherein erscheint es doch sehr unwahrscheinlich, daß gerade nur die Ultramikroben trotz ihrer angeblichen großen Verbreitung der Kultur Schwierigkeiten be- reiten und niemals in Kolonien erscheinen sollten. Dieses nega- tive Resultat, gestützt durch Millionen Kulturversuche aller Bak- teriologen, harmoniert in ausgezeichneter Weise mit meinen Be- funden, denen zufolge das Ultramikroskop uns bis jetzt nur Mikroben verrät, die auch schon mit einem gewöhnlichen Mikro- 'skop gesehen werden können. Errera!) weist auf eine Anzahl von angeblichen Krankheits- erregern wie den der Klauenseuche, der Peripneumonie der Rinder, der Schafblattern und anderer Krankheiten hin, die so klein sein sollen, daß sie mit unseren besten Mikroskopen unsichtbar bleiben, . und wirft die Frage auf, ob es berechtigt ist, die Existenz von !) Errera, L., Sur la limite de petitesse des organismes. Recueil de l’institut botanique L&o Errera (Universit@ de Bruxelles). T. VI 1906, S. 73. 7 = HI O OF Organismen anzunehmen, die im Verhältnis zu den gewöhnlichen Mikroben ebenso äußerst klein sind wie diese im Verhältnis zu den großen Tieren und Pflanzen. Bakterıum Thermo mißt 1-5 u bis 2 u in der Länge, es ist also linear 1000000 mal kleiner als ein Mensch und 100000000mal kleiner als die höchsten Bäume Eucalyptus oder Sequoia. Die Frage Erreras lautet nun, ob es Lebewesen gibt, die 1000000 mal oder auch nur 100000 oder ıoooomal kleiner sind als die ge- wöhnlichen Bakterien. Er berechnet aus der Größe und dem Gewichte der Moleküle, daß ein hypothetischer Micrococcus von o-ı u Durchmesser höchstens 10000, ein solcher von 0-05 u nur 1000 Eiweißmoleküle und ein solcher von o-oı u nur ıo Eiweiß- moleküle enthielte. „Man muß daraus mit einem Grade von Wahrscheinlichkeit, welcher von der Ordnung ist wie die Wahr- scheinlichkeit der Molekulartheorie der Materie, schließen, daß es keine Organismen geben kann, welche sich zu den gewöhnlichen Bakterien verhalten wie diese zu den höheren Organismen.“ Errera fügt hinzu, daß unsichtbare Mikroben, die die erwähnten Krank- keiten erregen, wahrscheinlich nicht viel kleiner sind als die kleinsten sichtbaren Mikroben. Dazu möchte ich bemerken, daß Errera hierbei von der Voraussetzung ausgeht, daß es sich bei den FEr- regern dieser Krankheiten wirklich um Lebewesen handelt, was aber, wie ich früher auseinandergesetzt habe, mit Ausnahme der Rinderpneumonie, wo es sich zwar um einen sehr kleinen, aber noch mikroskopischen Organismus handelt, noch zu beweisen ist. Nägelit) hat gelegentlich der Besprechung des Problems der Urzeugung, für welche er wärmstens eintritt, den Gedanken ausgesprochen, daß wir nicht annehmen dürfen, daß die zuerst durch Urzeugung entstandenen Lebewesen die uns heute bekannten niedersten Organismen gewesen seien. Bakterien, Chroococcaceen und auch Häckels Moneren können es nicht gewesen sein, da sie schon eine viel zu hohe Organisation besitzen. „Die Wesen, die einer spontanen Entstehung fähig sind, kennen wir also nicht. Sie müssen eine noch einfachere Beschaffenheit haben als die niedrigsten Organismen, welche uns das Mikroskop zeigt; darin liegt zugleich auch der Grund, daß sie noch nicht entdeckt sind. Je einfacher die Organismen, um so kleiner sind sie auch. Da nun die Größe der bekannten niedrigsten Pflanzen und Tiere schon t) Nägeli, C. v., Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. München-Leipzig 1884, S. 86. >— 7, WO 2— an der Grenze der Sichtbarkeit sich befindet und da es so kleine Spaltpilze gibt, daß sie kaum gesehen und bloß durch ihre zer- setzenden Wirkungen sicher erkannt werden, so können, wenn es noch einfachere Wesen gibt, dieselben unter der mikroskopisch‘ er- kennbaren Größe sich befinden.“ Das durch Urzeugung entstehende Lebewesen muß nach Nägeli vollkommen einfach gewesen sein, es konnte nur aus einem Tröpfchen homogenen, sich aus Albuminaten aufbauenden Plasmas bestehen. Er nennt diese Urwesen Probien. Ich will Nägelis Spekulationen nicht weiter folgen, ich habe sie nur herangezogen, weil es doch von Interesse ist, alle diese vor der Erfindung des Ultramikroskops gemachten Annahmen nun mit Hilfe dieses für die Auffindung eventuell vorhandener ultramikroskopischer Lebewesen so wichtig gewordenen Instru- mentes zu überprüfen. Offenbart uns nun das Ultramikroskop irgendwo Ultramikroben einfachster Art? Können wir solche ultra- mikroskopische Vorstufen des Lebendigen, wie es Nägelis Probien sein sollen, heute nachweisen? Bis auf den heutigen Tag ist dies nach meiner Ansicht nicht gelungen. Die lebende Substanz scheint in Form des individuellen Lebens zum mindesten in der Regel über eine untere Grenze, die mit der mikroskopischen Leistungsfähigkeit unserer besten Immersionssysteme so ziemlich zusammenfällt, nicht hinauszugehen, vielleicht weil das Lebendige eine so komplizierte chemische Zusammensetzung und Organisation aufweist, daß diese nur innerhalb eines gewissen Volumens möglich ist, das schon an die Grenzwerte der mikroskopischen Wahr- nehmung knapp heranrückt oder mit ihnen zusammenfällt. Wir können also sagen: Wenn auch die Möglichkeit, daß es ultramikroskopische Lebewesen gibt, nicht bestritten werden soll, so wird doch die künftige Forschung zeigen, daß sie, falls sie überhaupt existieren sollten, keineswegs häufig, sondern relativ selten und daß sie nicht viel kleiner sein dürften als die kleinsten bisher bekannten. Lebewesen. Derzeit ist bisher meines Wissens kein einziger Ultraorganismus mit Sicherheit nachgewiesen und auch das Ultramikroskop hat uns keine kennen gelehrt. II. Über den Aufbau der Zelle aus Ultramikronen. Alle Lebewesen bestehen, wofern sie nicht einzellig sind, aus Zellen. Die Zelle ist der Baustein der Pflanzen und Tiere. —— O2 Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob denn die Zelle schon den letzten Baustein darstellt, oder ob sie nicht vielleicht selbst wieder aus kleinen unsichtbaren Bausteinchen, aus physiologischen Einheiten von minimaler Größe besteht. Schon Brücke hat die Zelle als einen Organismus, als einen Elementarorganismus hin- gestellt und er wollte damit andeuten, daß die Zelle durchaus nicht so einfach gebaut ist, wie sie bei oberflächlicher Beobachtung erscheint. Er schrieb daher, über das direkt Sichtbare hinausgehend, dem Plasma einen besonderen kunstvollen Bau und eine bestimmte, seinen Aufgaben entsprechende Struktur zu. Der Biologen, die im Plasma heute nur eine Flüssigkeit oder eine Emulsion sehen, gibt es nicht gerade viele, die Mehrzahl neigt zur Ansicht, daß das Plasma aus unsichtbaren lebendigen Teilchen besteht, die assi- milieren, wachsen und sich durch Teilung vermehren. Ich erinnere an die Plasomen Wiesners und an die Biophoren Weismanns. Auch Nägeli denkt sich die Zellen aus unsichtbaren Teilchen zusammengesetzt. Nach ihm bestehen die Teile der Zelle (Wand, Plasma, Kern) aus unsichtbaren Molekülgruppen, die er Mizellen nennt. Diese stellen kristallinische oder polyedrische unquellbare Teilchen dar, die sich im wasserfreien Zustande berühren, im Kon- takte mit Wasser aber sich mit Wasserhüllen umgeben und dadurch die Quellung hervorrufen. Wiesner!) hat darauf mit Recht hin- gewiesen, daß die Fortschritte auf dem Gebiete der Zellenlehre immer mehr und mehr dartun, daß in der Zelle immer kleinere Organe entdeckt werden, die die Eigenschaften des Lebens auf- weisen: Wachstum, Assimilation und Vermehrung. Es sind dies der Zellkern, Chlorophylikörner, Leukoplasten, Stärkebildner, Chro- mosomen und Zentrosomen. Er sieht sich daher genötigt, anzu- nehmen, daß das Plasma noch andere teilungsfähige organisierte Lebenseinheiten birgt, ja aus solchen ganz und gar zusammen- gesetzt ist. Diesen Anschauungen hat sich in letzter Zeit auch O. Hertwig?) und M. Heidenhain angeschlossen. Ähnliche Gedanken über elementare‘ Lebenseinheiten äußerten Darwin, Spencer, de Vries, Weismann und Roux, ja es ist unver- kennbar, daß die moderne biologische Forschung immer mehr die Annahme physiologischer Individualitäten, die außerhalb des Sicht- baren liegen, fordert. Das Plasom Wiesners, .oder wie es Hert- !) Wiesner, J., Die Elementarstruktur und das Wachstum der lebenden Sub- stanz. Wien 1892. 2) Hertwig, O., Allgemeine Biologie. 3. Aufl. 1909, S. 59. wig nennt, der Bioblast stellt die letzte Lebenseinheit der Zelle, das letzte Teilstück, mit dessen weiterer Teilung die Eigenschaften des Lebens verloren gehen, dar. Sowie der Chemiker und Phy- siker bei der Analyse der Materie schließlich, die Grenze des Sichtbaren überschreitend, zur hypothetischen Annahme von Mole- kül, Atom und Elektron gelangt, so ist auch der Biologe einen ähnlichen Weg gegangen, er bleibt bei der Zelle nicht stehen, sondern denkt sich aus theoretischen Gründen die Zelle aus un- sichtbaren Lebenseinheiten aufgebaut. Wiesner betrachtet im Gregensatz zu Nägeli als letzte physiologische Einheit nicht ein kristallisiertes Gebilde, das wie ein Kristall spontan entsteht, sondern Teilchen, die leben, aus ihresgleichen durch Vermehrung entstehen, assimilieren und wachsen. Ob man nun Wiesner oder Nägeli beipflichtet, beide stimmen in dem Punkte überein, daß sich die Zelle aus unsicht- baren Teilchen aufbaut, die jenseits der mikroskopischen Wahr- nehmung liegen. Bei dieser Sachlage war es gewiß wünschenswert, die theo- retischen Ansichten mit Hilfe des Ultramikroskops auf ihre Stich- haltigkeit zu prüfen. Die Grenze der Sichtbarmachung ultramikroskopischer Teil- chen ist etwa 4—6 uu. Das sind außerordentlich kleine Größen, die sich den molekularen Dimensionen komplizierter organischer Verbindungen schon nähern oder sie vielleicht sogar erreichen. Ein Wasserstoffmolekel hat einen hypothetischen Durchmesser von o » ı au (O.E. Meyer), ein Alkoholmolekel von o » 5 uu, ein Chloroformmolekel von 0 +8 uu (Jäger) und ein Stärkemolekel von 5 -+o uu (Lobry de Bruyn). Gaidukov!) hat meiner Meinung nach mit vollem Rechte den Schluß gezogen, daß die Mizellen Nägelis und, wie ich hinzu- fügen möchte, auch die Plasomen Wiesners, falls sie existieren sollten, mit Hilfe des Ultramikroskops sichtbar gemacht werden dürften. Und in der Tat spricht das Aussehen vieler Zellmem- !) Gaidukov, N., Über Untersuchungen mit Hilfe des Ultramikroskops nach Siedentopf. Berichte der deutsch. botan. Gesellsch. 1906, S. 107. Derselbe, Über die ultramikroskopischen Eigenschaften der Protoplasten. Ebenda S. 192. Derselbe, Ultramikros’sopische Untersuchungen der Stärkekörner, Zellmembranen und Protoplasten. Ebenda S. 581. Derselbe, Über die Anwendung des Ultramikroskops nach Siedentopf usw. Zeitschr. f. angew. Chemie, XXI. Jahrg. 1908, Heft 9, S. 393 ff. branen, des Plasmas und anderer Zellorgane im Ultramikroskop wirklich zugunsten der Ansicht, daß die Zelle aus außerordentlich kleinen Teilchen, aus Ultramikronen besteht. Nach Gaidukov, der die einschlägigen Verhältnisse zuerst untersucht hat, bestehen Plasma, Zellkern, Stärke- und Chlorophyli- körnchen aus ultramikroskopischen Teilchen. Das Plasma erscheint bei Anwendung der Dunkelfeldbeleuchtung, abgesehen von Mikro- somen, voll von beweglichen Teilchen, man glaubt den Sternen- himmel im kleinen zu sehen. Auch bei der Untersuchung der Holz- und Korkmembranen, von Textilfasern, wie Baumwolle, Jute und anderen Fasern fand der genannte Forscher, daß die Wand sich aus Ultramikronen aufbaut, die entsprechend den hypothetischen Annahmen Nägelis und Wiesners in bestimmter Weise zu Fibrillen oder Netzen angeordnet sind. Ich betrachte diese Untersuchungen keineswegs als abge- schlossen, es sind weitere detaillierte Beobachtungen über die einzelnen Zellorgane unter ständiger Beachtung der im ultrami- kroskopischen Bilde so störend auftretenden Beugungserscheinungen, die die deutliche geometrische Abbildung der Teilchen verhindern, notwendig, um in die angeregte Frage nach dem ultramikrosko- pischen Aufbau der Zelle einen tieferen Einblick zu gewinnen. IV. Sichtbarmachung der Geißeln lebender Bakterien im Dunkelfelde. Ursprünglich hielt man die Bakterien für geißellos. Allein schon Ehrenberg hat 1836 bei Monas (Chromatıum) Oken:ı am lebenden Objekte eine Geißel gesehen. Er entdeckte diese große Purpurbakterie unweit Ziegenhayn und später bei Berlin. „Die Bewegung geschieht mittels eines sehr feinen, die Hälfte der Körperlänge erreichenden Rüssels, welcher peitschenförmig be- wegt wird und gleichzeitig einen in getrübtem Wasser sichtbaren Wirbel erregt, welcher die Nahrungsstoffe zum Munde führt.“ Auch bei Ophrdomonas jenensıs hat Ehrenberg das Bewegungs- organ gesehen und als „Rüssel“ gedeutet. Ich habe im heurigen Herbste in Wien, im Heustadlwasser des Praters Chromatıum (Monas) Okeni in Gesellschaft von Beggra- foa, Achromatium oxalıferum Schew.!) und einem großen, Schwefel- !) Dieser Organismus enthält neben relativ großen farblosen Kügelchen, die aus - kohlensaurem Kalk (Bersa) bestehen, nach meinen Beobachtungen sicher Schwefelkörnchen und gehört daher in die nächste Nähe der farblosen Schwefelbakterien. körnchen führenden Spirillum gefunden und an dem lebenden Objekt ebenfalls sehr deutlich die Geißel gesehen. Später, nach Ehrenberg, wurden von Cohn an ‚Sparzllum volutans, an Ophrdomonas sanguinea, bei Monas Warmıingi und Rhabdomonas rosea und von Warming bei einigen Schwefelbak- terien Geißeln entdeckt. Koch photographierte 1877 zum ersten Male ungefärbte Geißeln an eingetrockneten Exemplaren von Sprrillum undula und an zwei Stäbchenbakterien. Später gelang es, durch Beizung und Färbung bei fast allen beweglichen Bakterien Geißeln nachzuweisen, doch war es nicht möglich, an ungefärbten Stäbchenbakterien, Vibrionen, Coccaceen oder Spirochäten Geißeln zu sehen oder ihre Bewegung, zumal bei den allseitig begeißelten Bazillen zu beobachten. Diese Lücke hat Karl Reichert!) mit Hilfe der ultramikroskopischen Methode, und zwar mittels des von der Mikroskopfirma Reichert (Wien) in den Handel gebrachten Spiegelkondensors auszufüllen versucht. In einer sorgfältigen Arbeit, auf die sich die folgenden Ausführungen stützen, hat er gezeigt, daß man mit Hilfe des Spiegelkondensors bei vielen Bakterien direkt am lebenden Objekte die Geißeln und ihre Bewegungen sieht. So bei ‚Spzrillum volutans, Bacıllus typhi, B. prodigiosus, proteus vulgarıs, Bacterıum coli, Pseudomonas syn- cyanea, Spirillum concentricum, Sp. rubrum, Sarcına mobılıs, S. Haeckeli, Vıbrio-Arten und anderen. Es hat sich herausgestellt, daß die Geißeln am lebenden Objekt nicht in jedem Medium zu sehen sind. Betrachtet man z. B. Sprrıllum volutans, das auf Agar gezüchtet wurde, in destil- liertem Wasser, so kann man trotz deutlich wahrnehmbarer Eigen- bewegungen der Bakterien von Geißeln nichtserkennen. Im Leitungs- wasser hingegen treten an einzelnen Individuen die Geißeln als lange, wellige, nach rückwärts gerichtete Fäden in Erscheinung. Noch besser sind sie in Salzlösungen und in Lösungen organischer Säuren zu sehen. Hingegen kommen in den genannten Medien die Geißeln der Gattung Bacillus nicht zur Anschauung, wohl aber im Agar-Kondenswasser. So verhält sich der Typhus- bazillus. Die Geißeln aller untersuchten Bazillenarten sind am besten bei lebhaft beweglichen Individuen zu sehen. Beginnt die Bewegung 1) Reichert, K., Über die Sichtbarmachung der Geißeln und die Geißelbewegung der Bakterien. Zentralbl. f. Bakteriologie usw., I. Abt., Bd. 51, 1909, Heft ı. — 106 — langsamer zu werden oder kommen die Bakterien gar zur Ruhe, so verschwinden die Geißeln. Reichert hat auch eingehende Beobachtungen über die Zahl und die Zopfbildung der Geißeln gemacht. ‚Sfereıllum volutans besitzt bekanntlich Geißelbüschel, die aus einer großen Anzahl von Einzelgeißeln bestehen, nach Migula aus 8, nach Reichert bis aus 20. Am lebenden Objekte sieht man scheinbar nur eine Geißel, weil sich alle Geißeln zu einem Zopfe vereinigen. Unter bestimmten Verhältnissen entfaltet der Zopf die Einzelgeißeln. Auch bei Pseudomonas-Arten, Bazillen und Sarcinen, über- haupt bei allen Bakterien, bei denen ein Geißelbüschel ausgebildet wird, tritt Zopfbildung ein und durch diese Beobachtungen wurden manche irrige Vorstellungen über Geißeln beseitigt. Die Frage, warum die Geißeln in gewissen Medien zu sehen sind, in anderen nicht, wurde auch eingehend geprüft. Dabei hat sich merkwürdigerweise gezeigt, daß nicht, wie man von vorneherein anzunehmen geneigt war, die Lichtbrechung der verschiedenen Medien oder deren osmotische Wirkungen eine Rolle spielen, sondern die Geißeln kommen zum Vorschein, weil sie sich zu einem Zopfe vereinigen, und ferner, weil gewisse Stoffe der Lösung (Elektrolyte) auf die Geißelsubstanz in bestimmter Weise verändernd einwirken und so zur Sichtbarmachung beitragen. Die Beobachtung der Geißeln am lebenden Objekte erscheint auch deshalb von Wert, weil sie uns zeigt, daß die Geißeln wirklich Bewegungsorgane sind. Es hat eine Zeit gegeben, wo die Ansicht über die Bedeutung der Geißeln noch geteilt war und wo manche Forscher, darunter so bedeutende wie de Bary und van Tieghem, in den Geißeln unnütze Anhängsel sahen. Bei Betrachtung leben- der Geißelbakterien aber kann man sich im Dunkelfelde leicht überzeugen, daß die Bewegung der Bakterien immer erst eintritt, wenn die Geißel ihre Bewegung begonnen hat, und daß die Be- wegung des Bakterienkörpers ganz und gar von der Bewegung der Geißel abhängig ist. | Über die Art der Bewegung, über die Abhängigkeit der Schnelligkeit der Körperbewegung von den Größen des Körpers und den Geißeln, über das Umkehren des Bakterienkörpers bei der Bewegung und einiges andere gibt uns Reicherts Arbeit eingehende Aufklärungen, ein deutlicher Beweis, daß die ultramikro- skopische Methode unsere Kenntnisse über Geißeln und ihre Be- wegung wesentlich gefördert hat. V. SchluBbemerkungen. Im vorhergehenden habe ich in Kürze auseinandergesetzt, welche Ergebnisse bisher mit dem Ultramikroskop in der Anatomie der Pflanze und Botanik überhaupt erzielt worden sind. Auffallend ist die äußerst geringe Zahl von Botanikern, die die ultramikro- skopische Methode auf die Pflanze angewendet haben. Während auf dem Gebiete der Kolloidchemie und Kolloidphysik das Ultra- mikroskop überaus zahlreiche Freunde gefunden hat und die er- zielten Ergebnisse im allgemeinen als bedeutende bezeichnet werden können, sind die Resultate, abgesehen von den beiden Fundamen- talfragen nach der Existenz von Ultramikroorganismen und dem Aufbau der Zelle aus Ultramikronen, recht mager, es scheint gerade, als ob unter den Botanikern nicht bloß Gleichgültigkeit, sondern geradezu eine Abneigung gegen das Ultramikroskop bestünde. In noch höherem Maße scheint das bei den Zoologen der Fall zu sein, wenigstens hört man von ultramikroskopischen Untersuchungen zellulärer Objekte auf zoologischem Gebiete so gut wie gar nichts. Ich glaube, daß hauptsächlich zwei Umstände daran schuld tragen. Die Ultramikroskope waren, wie sie zuerst in den Handel kamen, recht kostspielig.. Die meisten Institute mußten, mit Rücksicht auf ihre im allgemeinen kärglich zugemessenen Dotationen, von vornherein auf die Anschaffung solcher Hilfsapparate verzichten. Jetzt (1909) steht jedoch die Sache in dieser Hinsicht bereits vielbesser, da die sehr zweckmäßigen Spiegelkondensoren relativ billig zu haben sind und ausgezeichnete Dienste leisten. Zweitens dürfte die Eigenart des mikroskopischen Bildes, welches, wie bereits bemerkt, uns keine genaue Abbildung der Teilchen, sondern deren Beugungsbilder ge- währt, dazu beigetragen haben, die Forscher abzuschrecken. In der Tat liegt ja für den Mikroskopiker, insbesondere für den Biologen und Anatomen darin ein höchst mißlicher Umstand, aber das ist noch kein Grund, von der Anwendung des Ultramikroskops über- haupt abzusehen, es wird eben das Ultramikroskop nur für gewisse Aufgaben herangezogen werden müssen, wie sie beispielsweise in den vorigen Kapiteln behandelt worden sind. Ich zweifle nicht, daß das Ultramikroskop noch für manche andere Aufgaben wird dienstbar gemacht werden können; zur Er- leichterung der Sichtbarmachung sehr kleiner Organismen überhaupt. Hierbei leistet die Dunkelfeldbeleuchtung ausgezeichnete Dienste und in der Tat hat man behufs leichteren Auffindens des Syphiliserregers, der ‚Sprrochaete pallıda, das Ultramikroskop mit Vorteil verwendet. — 1089 — Auch über die nähere Beschaffenheit gewisser Pflanzensäfte, der Milchsäfte!) der Pflanze und gewisser Sekrete, wird die ultra- mikroskopische Methode vielleicht noch nähere Aufschlüsse bringen, vielleicht auch über den Zellsaft selbst. Es ist nicht undenkbar, daß im Zellsaft mancher Pflanzen unter gewissen Bedingungen, z.B. bei niederen Temperaturen, nach der Nahrungsaufnahme, bei Wassermangel und eintretendem Welken und bei der Einwirkung gewisser Stoffe Fällungen entstehen, die man bei gewöhnlicher Be- leuchtung nicht wahrnehmen wird, wohl aber im Dunkelfeld. Solche Fällungen in ihrer Abhängigkeit von äußeren Faktoren in der lebenden Zelle konstatieren zu können, wäre gewiß von Interesse. Obwohl das Ultramikroskop in der Botanik bereits einige wichtige Resultate ergeben hat und vielleicht noch ergeben wird, wird man doch die Erwartungen, die man an die Einführung dieses Hilfsapparates in die Wissenschaft geknüpft hat, nicht allzu hoch spannen dürfen, und zwar hauptsächlich deshalb, weil wir leider im ultramikroskopischen Bilde auf die genaue Abbildung sehr kleiner Teilchen verzichten und uns bloß mit den Beugungs- bildern zufrieden geben müssen, die uns die wahre Grestalt der Ultramikronen mehr oder minder verschleiern. Immerhin wird man, wenn man das Ultramikroskop nicht bloß vom Standpunkt des Botanikers, sondern von dem des Naturforschers überhaupt betrachtet, zugeben müssen, daß es der Wissenschaft, insbesondere einzelnen Zweigen, wie der Kolloidchemie vorzügliche Dienste ge- leistet hat. Den Bau und die Struktur der Materie immer ge- nauer kennen zu lernen, entspricht sozusagen auch einem philo- sophischen Bedürfnis und hierhin hat uns das Ultramikroskop einen gewaltigen Schritt vorwärts gebracht, indem es uns von der Grenze der mikroskopischen Wahrnehmung in das Land des bisher Unsichtbaren, des Ultramikroskopischen geführt hat, bis in jene geheimnisvolle Welt des Kleinsten, in der schon die Moleküle in sichtbarer Form auftauchen. !) Wertvolle ultramikroskopische Untersuchungen über tierische und menschliche Milch liegen bereits vor. Siehe Kreidl, A., und Neumann, A., Über die ultra- mikroskopischen Teilchen der Milch (Laktokonien). Sitzber. der kais. Akad. d. Wissensch. in Wien, mathem.-naturw. Kl., Bd. CXVII, Abt. III, 1908. Dieselben, Ultramikroskopische Beobachtungen über das Verhalten der Kasein- suspension in der frischen Milch und bei der Gerinnung. Archiv f. d. ges. Physio- logie, Bd. 123. vo. Das Erfrieren der Pflanzen’). I. Einleitung. Wenn in einem warmen Gewächshause während einer kalten Winternacht nicht geheizt und die Temperatur auf etwa —5° C sinken würde, dann würden die meisten hier befindlichen tropischen und subtropischen Pflanzen steif gefrieren und nach dem Auftauen würden die Blätter und krautigen Stengel schlaff herabhängen, sich verfärben und sich als getötet erweisen. Unsere Holzgewächse aber und viele Kräuter, die dem heimischen Klima angehören, widerstehen im Walde viel niedrigeren Temperaturen, _ können beinhart gefrieren, in diesem Zustande Tage, ja Wochen verharren und können, wenn sie auftauen, wieder weiterwachsen. Das Gänse- blümchen (Bells perenn:ıs), das gemeine Kreuzkraut (.Senecıo vulgarıs), die Goldnessel (Galeobdolon luteum), der Efeu, die Brom- beere, die Tanne, Fichte, Föhre und Hunderte anderer Kräuter, Sträucher und Bäume vermögen sehr tiefe Temperaturen unter Null zu ertragen, ohne Schaden zu erleiden. Daraus geht hervor, daß die Pflanzen sich niederen Temperaturen gegenüber sehr ver- schieden verhalten und daß es vielen in unserer Flora gelungen ist, sich der Kälte anzupassen und ihr erfolgreich zu widerstehen. Das Leben kann nur innerhalb gewisser Temperaturgrenzen bestehen, sowohl nach oben als nach unten hin. Die meisten saftreichen Pflanzen sterben schon bei + 45 bis 49° C. Gewisse wärmeliebende (thermophile) Bakterien, die im Heu, Pferdemist und anderen organischen Abfällen leben, wachsen am besten bei Temperaturen, bei denen schon andere Pflanzen absterben, sie entwickeln, vermehren und bewegen sich bei + 60 bis 70° C, also bei einer Temperatur, bei der man sich die Finger verbrennt. Eine solche dampfende Nährlösung mit lebhaft beweglichen Bak- 1) Vortrag, gehalten am 14. Dezember 1910 im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Im Verlage des Vereins IgII erschienen. —I BON terien, die für andere Lebewesen wegen ihrer hohen Temperatur tödlich wäre, nimmt sich unterm Mikroskop wunderbar aus und stellt ein hochinteressantes Beispiel von Anpassung an extrem hohe Temperaturen dar. Gewisse in heißen Quellen vorkommende Algen sollen Temperaturen von 57, 70, 85, ja sogar bis 93° C ertragen. Derlei Angaben bedürfen aber einer sorgfältigen Nach- untersuchung, da die Temperaturbestimmungen nicht immer mit der nötigen Kritik durchgeführt werden. So gibt man an, daß die Algen, die in den aus der Erde hervorquellenden heißen Wässern zu Karlsbad in Böhmen ‚gedeihen, bei viel höheren Temperaturen vorkommen, als ich sie beobachten konnte. Da, wo ich in Karlsbad Oscillarien und Kieselalgen zuerst auftreten sah, war die Temperatur 49 bis 50°, niemals höher und dasselbe stellte ich in einer mächtigen heißen Quelle auf dem Vulkan Gedeh auf Java fest. Wenn man hier schon von weitem weiße Dampfwolken von der Quelle aufsteigen sah, bildete man sich unwillkürlich die Meinung, daß die Quelle ungemein heiß sein müsse. Dennoch zeigte das Thermometer bei sorgfältiger Beob- achtung-an den Stellen, wo eine dünnfädige, in herrlichem span- grünem Rasen wachsende Oscillarie wuchs, nur 49° C. — Lufttrockene Samen verschiedener Pflanzen, ferner gewisse Moose, Flechten, .Pilzsporen und Bakterien können eine oder mehrere Stunden allmählich auf 80 bis 100, ja sogar kurze Zeit auf 120° C erhitzt werden, ohne daß sie ihr Leben einbüßen. Bei noch höheren Wärmegraden büßen schließlich alle Pflanzen ihr Leben ein, jede hat ihre obere Temperaturgrenze des Lebens. Aber auch eine untere und mit dieser wollen wir uns heute be- schäftigen. Il. Das Erfrieren von Pflanzen bei Temperaturen knapp über dem Eispunkt. Unter Erfrieren einer Pflanze versteht man eine Schädigung oder ein Absterben infolge niederer Temperatur oder Kälte, unter Gefrieren hingegen die Erstarrung ihres Saftes zu Eis. Damit kann eine Schädigung verknüpft sein, es muß aber nicht der Fall sein. Eine Pflanze, die gefriert, muß also nicht erfrieren. Es kann vorkommen, daß gewisse Pflanzen schon bei Tempe- raturen knapp über Null erfrieren, also bei einer Temperatur, wo von einer Eisbildung noch keine Rede ist, und hierbei können wir wieder zwei Fälle unterscheiden. 3 —>+ ERE A. Das Verwelken von Pflanzen infolge von niederer Temperatur. Läßt man nach Sachs Tabak-, Kürbis- oder Schmink- bohnenpflanzen in Blumentöpfen in einem Zimmer stehen und sinkt. hier die Temperatur auf etwa + 4 bis + 2° C, so welken die Blätter. Wird die Temperatur der Topferde auf 18° C erhöht, während die Temperatur des Zimmers in der Umgebung der Blätter die ursprüngliche Tiefe behält, so werden die Blätter wieder straff. Diese Erscheinung ist so zu erklären. Wenn die Temperatur auf einige wenige Grade über Null sinkt, verlieren die Wurzeln das Vermögen, genügende Mengen Wasser aufzu- nehmen, die Blätter aber fahren bei dieser Temperatur fort, Wasser relativ reichlich durch Verdampfung abzugeben. Das Laub transpiriert stark, die Wurzeln nehmen wenig Wasser auf, daher muß es zu einem Welken und, wenn dieser Zustand zu lange andauert, zueinem Verwelken kommen. Die Pflanze vertrocknet schließlich und geht zugrunde Daß wirklich dieses Absterben eine Transpirationserscheinung, ein Welken ist, davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man über die genannten Pflanzen Glasglocken stülpt und dadurch ihre Transpiration hemmt oder völlig unterdrückt, dann welken die Pflanzen trotz der niederen Temperatur nicht. . Bs-Das- Erfrieren -von Pflanzen. bei Temperaturen über dem Eispunkt bei Ausschluß der Transpiration. Es gibt auch Pflanzen, die knapp über Null erfrieren, ohne daß sie transpirieren. Ich habe diesen Gegenstand im Winter 1896/97 eingehender studiert und namentlich in der Gesneriacee Epıscia bicolor Hook. (Physoderra breolor) ein geradezu klassisches Versuchsobjekt kennen gelernt. Bringt man eine gesunde Topf- pflanze dieser Art aus dem Warmhaus in das Kalthaus, dessen Temperatur etwa + 3°C ist, und sorgt man durch Überstülpen mit Glasglocken, Absperren mit Wasser und durch Bedecken mit Dunkelstürzen aus Pappe dafür, daß die Transpiration und Wärmeausstrahlung möglichst gehemmt werden, so werden die bei dieser niederen Temperatur stehenden Pflanzen schon nach 12—24 Stunden geschädigt: die meisten Blätter zeigen dann zahlreiche meist hellergroße Flecke, diese werden immer größer und größer, bis das Blatt seine grüne Farbe vollends einbüßt und eine braune Farbe annimmt. Nach vier Tagen waren alle Blätter ZN 111125 —— ganz braun und hatten ihre Lebensfähigkeit eingebüßt, während die Pflanzen des Warmhauses unter sonst gleichen Verhältnissen ganz unversehrt blieben. Man kann die Versuche auch so machen, daß man die Epıscıa-Blätter in Eiswasser legt und dafür sorgt, daß die Tempe- ratur konstant o oder höchstens + ı C verbleibt. Die Blätter beginnen sich dann schon nach drei Stunden zu verfärben, nach 24 Stunden waren alle großenteils oder vollständig abgestorben. Ebenso, jedoch graduell verschieden verhalten sich andere tropi- sche, auf höhere Temperatur gestimmte Pflanzen, wie ‚Sanchezıa nobılıs, Eranthemum trıcolor, E. Coopert, Coleus-Hybriden, Achz- menes und zahlreiche andere. Es ist daher sichergestellt, daß zahlreiche warmen Gegenden angehörige Pflanzen bei Temperaturen knapp über Null auch bei Ausschluß der Transpiration und Wärmeausstrahlung zugrunde gehen, und nach verschiedenen Erwägungen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, neige ich zu der Ansicht, daß dasEr- frieren über Null unabhängig von der Transpiration auf durch niedere Temperatur hervorgerufene Störungen im Stoffwechsel der lebenden Substanz zurückzuführen ist. Ill. Das Erfrieren der Pflanze nach vorherigem Gefrieren. Von viel größerer Wichtigkeit und einschneidenderer Be- deutung als das Erfrieren über Null ist der Eistod der Pflanze. Es wurde schon früher hervorgehoben, daß viele Pflanzen ge- frieren können, ohne abzusterben und daß wieder andere mit dem Gefrieren, mit der Eisbildung, sicher dem Tode anheimfallen. Das Gänseblümchen, das Löffelkraut, die Fichte und viele andere Pflanzen können beinhart gefrieren, nach dem Auftauen aber leben sie weiter. Nach Chodat werden Sporen von dem Schimmelpilz Mucor Mucedo durch — 110° C nicht getötet. Ge- wisse Diatomeen können nach Pictet auf — 200° C abgekühlt werden, ohne zu erfrieren. Dasselbe gilt von bestimmten Bak- terien. Hingegen sind Kartoffelknollen, Kürbis-, Tabakpflanzen und junge Nußbaum- oder Weinstockblätter rettungslos verloren, falls sie gefrieren. ı. Ein Gefrierapparat für mikroskopische Beobachtungen. Um einen tieferen Einblick in den Gefrierprozeß der Zellen, Gewebe und Organe zu gewinnen, ist es notwendig, den Gefrier- vorgang direkt unterm Mikroskop zu beobachten, und zu diesem mich des in den Figuren 14— 16 abgebildeten Zwecke bediene ich Gefrierappara- tes. Er besteht im wesentlichen aus einem dop- pelwandigen würfelähnlichen Holzkasten, 27 cmhoch, 33 cm breit und ebenso tief (Fig. ı4). Der 7 cm breite Raum A (Fig. 15) zwischen den bei- den Wänden ist mit Sägespänen gefüllt, um den inneren Raum mit einem schlech- ten Wärmeleiter zu umgeben. Der innere, mit Zink- blech ausgekleidete Hohlraum des KRastensma.Presd (Fig. ı5) enthält einen aus Zink- blech bestehenden, hauptsächlich durch die Säule s und durch den den Lichteinfall vermit- telnden Zinkblech- fensterkanal edg/ (Fig. ı5), zum Teil auch durch die Metallröhren 7 7, ATI TURN IE wer By Fig. 15. Gefrierapparat im senkrechten Durchschnitt. (Fig. ı5) und >,, (Fig. 16) getragenen Einsatz A A, ?_f (Fig. ı5), dazu bestimmt, das Mikroskop aufzunehmen. Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. N 8 Der zwischen dem Mikroskopraum A A, 2 / (Fig. ı5) und der Doppelwand des Kastens vorhandene Zwischenraum Z dient zur Aufnahme der Kältemischung. Mikroskop und Eisraum werden mittels eines Deckels D (Fig. ı4) geschlossen, der durch einen Ausschnitt dem Tubus und der Mikrometerschraube des Mikro- skops den Durchtritt gestattet und überdies ein Loch zur Auf- nahme eines empfindlichen Thermometers (Fig. 14) besitzt, dessen Kugel das gefrierende Präparat nahezu berührt. Durch passende Schlüssel 7 7; und 7,,ist es möglich, den Spiegel richtig einzustellen und das Präparat nach Belieben zu verschieben, während sich das Mikroskop im geschlossenen Gefrierapparat befindet. Wenn das Instru- ment während des Winters in einem un- geheizten Zimmer steht und der Eisraum mit einer passenden Kälte- mischung beschickt ist, so erreicht man in der Umgebung des Präparates leicht eine Temperatur von — ı2° und. es ist dann mög- lich, bei allerdings nach und nach sehr langsam steigender >»% Temperatur mehrere Fig. 16. Gefrierapparat im Querschnitt. Stunden in einem Zuge zu arbeiten. 2. Das Gefrieren lebloser Körper. .„_ Bevor ich auf das Gefrieren von Zellen und Geweben eingehe, möchte ich zunächst das Verhalten lebloser Substanzen beim Gre- frieren besprechen, da dies für die richtige Beurteilung des Gefrier- vorganges in der Pflanze von Wichtigkeit ist. Wie verhalten sich zunächst kolloidale Körper? Betrachtet man eine 2proz. wässerige Gelatinelösung, die schon bei gewöhnlicher Zimmertemperatur eine steife Grallerte bildet, in einem mikroskopischen Präparat meines eben geschilderten Gefrierapparates, so kann man im Momente des Gefrierens folgendes beobachten: An zahlreichen Punkten tauchen unter Abscheidung von Luftblasen rundliche Eismassen auf, die, der benachbarten Gelatinegallerte das Eis entziehend, sich rasch vergrößern und dabei die immer wasserärmer werdende Gelatine ringsum zur Seite schieben, so daß diese, wenn die Eisbildung ihr Ende erreicht hat, als ein höchst kompliziertes Maschenwerk zwischen den Eisklümpchen aus- gespannt erscheint. Die ursprünglich homogene Gelatine ist nun in eine Art Schwamm umge- wandelt, in welchem das höchst verwickelte Ge- rüstwerk aus Gelatine, die Hohlräume aber aus _ e er Re F £ ig. 17. ässerige 2proz. Grelatinelösung gefroren Eis. bestehen. (Siehe und dann aufgetaut. (Vergr. etwa 300.) Fig. 17.) Gießt man eine 2proz. Grelatinelösung auf einer Glasplatte in dünner Lage aus und läßt man dann gefrieren, so bilden sich in der Gelatine herrliche Eisblumen. Ich konnte sie in ihren feinsten Einzelheiten fixieren und dauernd aufbewahren, indem ich die Innenwand eines Erlen- Fig. 18. Milchsaft von Ficus elastica. (Vergr. etwa 300.) a Milchsaft frisch, db Milch- saft gefroren, e Eis, n Netz von zusammengedrängten Kautschuktröpfchen. meyerkolbens mit flüssiger 2proz. Gelatinelösung ausspülte, dann den Kolben, mit der Öffnung nach unten gekehrt, im Freien der Kälte aussetzte und schließlich, nachdem die Eisblumen ent- standen waren, in den Kolben absoluten Alkohol goß, um damit e 8* — 19 — die gefrorene Gelatine zu benetzen. Nachher wurde beim Auftauen das Eis herausgelöst und das Gelatinenetzwerk in Form der Eis- blumen gleichzeitig dauernd fixiert. Ich habe derartig fixierte Eisblumen, die einen wunderbaren Anblick gewähren, schon seit 25 Jahren in Aufbewahrung, ohne daß auch nur das geringste Detail verloren gegangen wäre. Die Fixierung an der Innenwand eines Kolbens hat auch den Vorteil, daß die Eisblumen vor Staub und der Berührung mit den Händen geschützt bleiben. Zu ähn- lichen Ergebnissen wie bei der mikroskopischen Betrachtung ge- frierender Gelatine gelangt man auch bei anderen kolloidalen Körpern: Stärkekleister, Tragant, arabisches Gummi und Hühner- eiweiß. Es ergab sich als wesentliches Resultat, daß beim Ge- frieren eine Scheidung eintritt zwischen Wasser und Kolloid!), in dem an zahlreichen Punkten Eiskristalle entstehen, die mehr minder rasch (unterm Mikroskop oft blitzartig rasch) den gequollenen Kolloiden, bzw. ihren Lö- sungen das Wasser entziehen, sich auf Kosten dieses ver- größern und, das immer wasserärmere Kolloid vor sich herdrängend, als Netzwerk zwischen sich einschließen. Analog wie die Kolloide verhalten sich Emulsionen, Farb- stoff- und Salzlösungen. Emulsionen stellen die Milchsäfte der Pflanzen dar. Der in unseren Wohnungen so häufig kultivierte Gummibaum, Zzeus ela- stıca, enthält reichlich Milchsaft, der aus einer wasserklaren Flüssig- keit und darin eingebetteten, meist aus Kautschuk gebildeten Kügelchen besteht (Fig. ı8@).. Wenn dieser Milchsaft gefriert, hört die gleichmäßige Verteilung der Kügelchen auf; es entsteht ein aus Kautschukkügelchen bestehendes unregelmäßiges Netz, dessen Maschen von Eis ausgefüllt sind, in der Weise, wie es die Figur 1ı8Ö versinnlicht. Nach dem Auftauen gewinnt der Milchsaft wieder sein natürliches Aussehen. Ob wir es nun mit einer Emul- sion, einem Kolloid oder mit einer Lösung zu tun haben, immer kristallisiert reines Eis heraus, so daß es stets zu einer Scheidung kommt zwischen Wasser und dem betreffenden anderen Körper. Spielt sich dieser Vorgang unterm Deckglas ab, so entsteht ein kompliziertes netzartiges Grerüstwerk dieses Körpers, in dessen hohlen Maschen das Eis liegt. Das wachsende Eis duldet nichts Fremdes in Ro kryohydratischen oder eutektischen Punkt ist hier abgesehen. Man ver- steht darunter jene Temperatur, bei der aus einer gekühlten Salzlösung nicht mehr Wasser und Salz getrennt für sich, sondern der letzte flüssige Rest als einheitliches Gemisch erstarrt. seiner Architektur und schiebt daher, sich vergrößernd, alles Fremde vor sich her; da an verschiedenen nahegelegenen Punkten fast gleich- zeitig Eiskristalle entstehen, so schließen diese, endlich aufeinander treffend, den Fremdkörper als eine Art Zwischensubstanz zwischen sich ein. 3. Das Gefrieren lebender Objekte. a) Zellen. Nach den mit leblosen Substanzen über das Gefrieren ge- machten Erfahrungen war zu erwarten, daß bei Zellen, da sie kolloidale Körper, Lösungen und Emulsionen enthalten, ähnliche Vor- gänge beobachtet werden dürften. Brachte ich eine Amöbe (Fig. ı9@) in den Gefrierapparat, der auf — 9° C eingestellt war, so verlangsamte sich zunächst die Be- wegung und nach wenigen Minuten setzte sie völlig aus. Nach etwa 25 Minuten gefror die umgebende Flüssigkeit und gleich darauf er- A ER PH: Nuke De: Ol = us u S Fig. 19. Amöbe. a intakt. Die kleinen zahlreichen Körper sind Kristalle, dazwischen - liegen Vakuolen und Nahrungsballen. (Vergr. etwa 300.) b gefroren. Innerhalb der Amöbe bildet sich an zahlreichen Punkten unter Abscheidung von Luftbläschen / Eis auf Kosten des Plasma- und Vakuolenwassers. Dadurch wird das Plasma & samt seinen festen Einlagerungen zwischen die Eisklümpchen e als unregelmäßiges Gerüstwerk zu- sammengedrängt. c aufgetaut. Die Amöbe zeigt deutlich die Hohlräume, die vorher von 'Eis erfüllt waren, dazwischen das tote Plasmagerüst. starrte die ganze Amöbe, dabei das Aussehen eines unregel- mäßigen Netzes annehmend (Fig. 196). Das Netz kommt da- durch zustande, daß innerhalb der lebenden Substanz an zahl- reichen Punkten Eisschollen entstehen, die sich auf Kosten des das Plasma durchtränkenden und die Vakuolen erfüllenden — II — Wassers rasch vergrößern, und das nun seines Wassers beraubte Plasma samt seinen verschiedenen festen Einschlüssen und konzen- trierten Salzlösungen zwischen sich einzwängen. Die Amöbe stellt somit im gefrorenen Zustande ein Eisklümpchen dar, das von einem höchst komplizierten Gerüstwerk, be- stehend aus sehr wasserarmem Plasma, konzentriertem Zellsaft und Luftbläschen, durchsetzt ist (Fig. ı9e). Die aufgetaute Amöbe sieht ganz anders aus als die lebende. Während die lebende, abgesehen von den Vakuolen und festen Ein- schlüssen, ein ziemlich homogenes Aussehen darbietet, gleicht die aufgetaute einem grobporigen Schwamm: das im Eise einge- schlossene Plasmagerüst bleibt ziemlich erhalten und die da- zwischen liegenden, früher von Eis erfüllten Räume führen nun- mehr Wasser. Gefrorene Amöben dieser Art erweisen sich nach dem Auftauen als abgestorben. — Höchst lehrreich gestaltet sich der Gefriervorgang bei ‚Spzro- gyra, einer in unseren Weasser- tümpeln häufigen Alge (Fig. 20a). Im Gefrierapparat sieht man zu- erst das Einbettungswasser zu Eis Fig. 20. Spivogyra sp. (Vergr.etwazo0.) erstarren. Die Eiskristalle dringen Se en nun Wolken gleich in dem Gesichts dieser bildet sich kein Eis. c aufgetau. feld vor, bis sie unter reichlichem Zellen wieder angeschwollen, der Proto- Abscheiden von Luftbläschen die plast samt dem Chlorophyliband und dem i k 4 Zellkern desorganisiert. Spirogyra völlig umschließen. Stellt man nun auf den Faden scharf ein, so bemerkt man deutlich, wie die Zellen binnen einer Minute oder in noch kürzerer Zeit schrumpfen, indem ihnen von dem die Zelle umgebenden Eis das Wasser entzogen wird. Das Chlorophyliband, früher samt dem Kern sichtbar, ist jetzt auf ein sehr enges Volum zusammengesunken und nur mehr als eine grüne undifferenzierte Masse kenntlich (Fig. 205). Luftblasen bilden sich innerhalb der Zellen nicht. Unmittelbar nach dem Auftauen hat die Zelle ungefähr ihr früheres Volumen angenommen, die Chlorophylibänder werden in vielen Zellen wieder deutlicher, aber während sie früher scharf begrenzt waren, erscheinen sie jetzt ebenso wie der Zellkern gequollen, mitunter zu Klumpen zu- sammengeschlossen und verraten durch ihr Aussehen nur zu deut- lich den eingetretenen Tod (Fig. 20c). Schon durch den bloßen Anblick der beim Gefrieren geschrumpften ‚S’rrogyra-Fäden erhält man einen deutlichen Begriff davon, wie groß die Wassermenge sein muß, die der Zelle entzogen wird. Eine in der angegebenen Weise erfrorene ‚Spzrogyra sieht einer eingetrockneten täuschend ähnlich. Ich will auf weitere Fälle und Einzelheiten nicht ein- gehen, wenn ich aber alle meine Erfahrungen zusammenfasse, so kann man drei Arten von Erfrierungsvorgängen der Zellen unter- scheiden: a) Die Zellen gefrieren und erstarren faktisch, indem sich innerhalb des Zellinhaltes Eis bildet (Amöbe, Phycomyces, Staub- fadenhaare von Tradescantıa). b) Das Erfrieren erfolgt, ohne daß die Zelle selbst gefriert. In diesem sehr häufigen Falle tritt Wasser aus der Zelle heraus und gefriert dann an der äußeren Oberfläche der Wand. Die dabei oft kolossal schrumpfende Zelle ist dann von einer knapp anliegenden, aus ihrem eigenen Wasser gebildeten Eisröhre um- schlossen (Sprrogyra, Cladophora, Derbesia). c) Es können die unter @ und 5 angegebenen Vorgänge in ein und derselben Zelle Platz greifen. — Ob nun eine Zelle in der einen oder anderen Weise erfriert, stets ist dies, ebenso wie bei toten Objekten, mit einem sehr starken Wasserentzug ver- knüpft. Schon aus der großen Eismenge, die sich innerhalb oder außerhalb der Zelle bildet, sowie aus der mit der Eisbildung verknüpften Schrumpfung des ganzen Protoplasten oder seiner Teile ist zu ent- nehmen, daß die Wasserentziehung eine sehr be- deutende, in vielen Fällen geradezu kolossale sein muß. b) Gewebe. Früher war allgemein die Meinung verbreitet, daß sich das Eis regelmäßig im Innern der Zellen bildet, die Zellen hierdurch zerrissen werden und daher absterben. Das Eis entsteht aber für N gewöhnlich gar nicht in der Zelle, sondern außerhalb. Die Zell- haut ist von Wasser durchtränkt, die äußerste Wasserschichte der Membran, die an die Zwischenräume (Interzellularen) zwischen den Zellen grenzt, gefriert zuerst, diese Eisschicht vergrößert sich auf Kosten des Zellwassers, sie kann schließlich eine so große Mächtigkeit erreichen, daß man zentimetergroße und noch größere Eisklümpchen mitten zwischen den Zellen finden kann, und das Ent- stehen solch mächtiger Eisbrocken ist, wenn nicht schon früher so ausgedehnte Interzellularen vorhanden waren, nicht selten mit einem Zerreißen früher geschlossener Gewebemassen verbunden. Diese außerhalb der Zelle stattfindende Eisbildung tritt besonders ‘bei langsamer Abkühlung ein, bei rascher kann das Eis auch im Innern der Zellen entstehen. — Reines Wasser gefriert unter hie Verhältnissen bei o°. Durch gelöste Stoffe aber wird der Gefrierpunkt erniedrigt und da in den Zellen nie reines Wasser vorhanden ist, so folgt schon daraus, daß die Pflanze nicht bei Null, sondern bei einer etwas tieferen Temperatur (Gefrierpunkt) erstarren wird, wie H. Müller- Thurgau ausführlich gezeigt hat. — Auch die Erscheinung der Unterkühlung (Überkältung) be- dingt, daß das Gefrieren oft bei noch tieferen Temperaturen statt- hat. Bekanntlich können Wasser- oder Salzlösungen oft bedeutend unter ihren Gefrierpunkt abgekühlt werden, wenn Erschütterungen, die Berührung mit Eis oder mit Kristallen der gelösten Substanz vermieden werden. Der Grad der Unterkühlung kann besonders in Kapillaren bedeutend verstärkt werden. Wir dürfen uns da- her nicht wundern, daß alle diese Momente auch in der Pflanze eine Erniederigung des Gefrierpunktes durch eine Unterkühlung ermöglichen können. So liegt nach Mitteilung des genannten Autors bei der Kartoffelknolle der Gefrierpunkt bei — ı° C, der Überkältungs- oder Unterkühlungspunkt bei ungefähtfs — 3°C. Wenn also eine Kartoffel gefriert, so muß sie zuerst auf — 3° abgekühlt werden; erst dann erstarrt sie, wobei die Temperatur infolge der Eisbildung plötzlich auf den Gefrierpunkt von — ı° steigt. IV. Stirbt die gefrorene Pflanze erst beim Auftauen? Der Pflanzenphysiologe J. Sachs war der Meinung, die auch in gärtnerischen Kreisen verbreitet war, daß die Pflanze nicht im Momente des Gefrierens in noch gefrorenem Zustande abstirbt, sondern erst beim Auftauen. Eine gefrorene Pflanze könne am a VE Leben bleiben, wenn man sie ganz allmählich auftauen läßt, sie werde aber getötet, wenn sie rasch zum Auftauen ge- bracht wird. Ganz entgegengesetzter Ansicht war Göppert, der sich lange Zeit mit dieser Frage beschäftigt hat. Nach diesem Forscher tritt der Tod der Pflanze schon beim Gefrieren oder im Zustande des Gefrorenseins ein, das rasche oder langsame Auftauen spielt dabei keine Rolle. Göppert machte einen sehr hübschen Versuch. Manche Orchideenblüten haben milchweiße Blüten (Calanthe veratrıfolia) und wenn man sie zwischen den Fingern zerquetscht, werden sie augenblicklich blau, weil sich aus dem in den Zellen vorhandenen farblosen Indikan Indigblau bildet. Dasselbe zeigt sich beim (Ge- frieren der Blüte. Sie wird im gefrorenen Zustande alsbald dunkel- blau. Göppert ging von der Ansicht aus, daß der Indigo sich nur in der abgestorbenen Zelle entwickelt und betrachtete daher die Blaufärbung der gefrorenen Blüte als ein Zeichen des Todes. Diese Deutung wurde bestritten, aber da ich später in einer spe- ziellen Arbeit über den Nachweis und das Vorkommen des Indi- kans in der Pflanze gezeigt habe, daß in der lebenden Zelle unter normalen Verhältnissen niemals Indigblau auftritt und daß das Erscheinen des blauen Farbstoffs als ein sicheres Zeichen des Todes betrachtet werden muß, kann wohl an der Richtigkeit der Deutung Göpperts nicht mehr gezweifelt werden. Eine Bestäti- gung fand der eben geschilderte Versuch durch ein Experiment mit Begonta, das wir Detmer verdanken. Viele Degon:a-Blätter haben die Eigentümlichkeit, sich beim Absterben zu verfärben, die ursprünglich grüne Farbe geht in eine bräunliche über. Dies geschieht, wenn man sie durch Chloroformdampf oder durch höhere Temperatur abtötet. Beim Absterben werden die Chlorophyll- körner für die im Zellsaft reichlich vorhandenen organischen Säuren durchlässig und infolgedessen mißfarbig braun. Läßt man nun ein Begonıa-Blatt gefrieren, so tritt die Braunfärbung schon im gefrorenen Zustande und nicht erst beim Auftauen ein. Detmer fügt jedoch hinzu, daß er auch Tatsachen kennen gelernt habe, „durch welche die Angaben von Sachs eine Bestätigung finden, nach denen gefrorene Pflanzenteile, während sie infolge schnellen Auftauens zugrunde gehen, durch langsameres Auftauen am Leben erhalten werden können“. Welcher Art aber diese Beobachtungen waren, darüber spricht sich der genannte Forscher nicht aus. =— ee Überaus eingehend hat sich mit unserer Frage H. Müller- Thurgau beschäftigt, wobei er zu einem der Sachsschen Ansicht ganz entgegengesetzten Standpunkt gelangte. Er sagt: „Seit Jahren habe ich mich mit der Lösung dieser Frage beschäftigt, viele Hunderte von Pflanzen bei verschiedensten Temperaturen gefrieren und langsam auftauen lassen und — es möge dies gleich der Besprechung dieser Versuche vorausgeschickt werden — nie- mals eine Pflanze, respektive einen Pflanzenteil durch langsames Auftauen retten können, der bei schnellerem Auftauen zweifellos sich als getötet erwiesen hätte.“ Es ist vielfach die Meinung verbreitet, daß gefrorene Pflanzen im kalten Wasser von o° sehr langsam auftauen. Dies ist aber wie Müller-Thurgau betont und an gefrorenen Äpfeln, Birnen und Kartoffelknollen zeigt, nicht der Fall und aus physikalischen Gründen auch gar nicht zu erwarten. Im Wasser geht das Auf- tauen viel rascher vor sich als in entsprechend kalter Luft. Ge- frorene Pflanzenteile überziehen sich nämlich, in kaltes Wasser von 0° gelegt, rasch mit einer ziemlich dicken Eiskruste, wobei Wärme gebildet wird, die zum Auftauen des Eises in den Ge- weben führt und eben deshalb ein rascheres Auftauen im Wasser bedingt. Müller-Thurgau fand aber auch einen Fall, der tatsächlich lehrt, daß in gewissen Fällen die Art des Auftauens von Einfluß für die Rettung gefrorener Objekte sein kann. Dieser Fall be- trifft gefrorene Äpfel und Birnen. In möglichster Anlehnung an natürliche Verhältnisse wurden die genannten Früchte allmählich steigender Kälte ausgesetzt und zum Gefrieren gebracht. Wurde nachher ein Teil in lauwarmes Wasser, ein zweiter in Wasser von 0 gebracht, ein dritter mit den Stielen in warmer Zimmer- luft von 20° und ein vierter in solcher von o° aufgehängt, so er- gab sich folgendes: Während bei Temperaturen von »— 5° bis — 7° die widerstandsfähigen Sorten unbeschädigt blieben, unab- hängig davon, ob sie rasch oder langsam auftauten, zeigten bei den empfindlicheren Sorten durchgehends nur die im warmen oder kalten Wasser aufgetauten Früchte Schädigungen, die in warme oder kalte Luft gebrachten hingegen nur geringe oder gar keine. Gerade der von Müller-Thurgau aufgefundene Ausnahme- fall und die noch immer im Kreise der Praktiker vielfach ver- teidigte Anschauung, daß. die gefrorene Pflanze erst beim raschen Auftauen stirbt, bewog mich vor ı3: Jahren, die Frage neuerdings einem genaueren Studium zu unterwerfen und wenn möglich durch neue Experimente zu klären. Eigene Versuche. a) Mit Nefophyllum. Unter den Meeresalgen haben die Rot- algen oder Florideen seit jeher die Aufmerksamkeit auch der Laien wegen ihrer schönen Formen und ihrer in verschiedenen - Tönen des Rot erscheinenden Farbe auf sich gelenkt. Fine solche ungemein zierliche Alge ist Nifophyllum punctatum. Der in dieser Alge vorhandene grüne Farbstoff, das Chlorophyll, ist. durch einen gleichzeitig vorhandenen roten Farbstoff, das Phyko- erythrin, vollständig verdeckt. Der rote Farbstoff zeigt in wässe- riger Lösung im durchfallenden Lichte eine karminrote Farbe, im auffallenden hingegen eine prachtvoll orangerote Fluoreszenz. Nimmt man einen lebenden Rasen dieser rotgefärbten Alge aus dem Meerwasser und legt ihn in süßes oder destilliertes Wasser, so stirbt die Alge ab, der rote Farbstoff geht aus den Chlorophyli- körnern in den Zellsaft über, er geht in Lösung, fluoresziert und das ist der Grund, warum die ganze Alge nun orangerot zu fluo- reszieren beginnt. Das Auftreten der Fluoreszenz ist ein sicheres Zeichen des Todes. Aus diesem Grunde glaubte ich diese Alge für die Entscheidung der Frage verwerten zu können, ob die Pflanze schon in gefrorenem Zustande abstirbt oder erst beim Auftauen, denn wenn sie schon beim Gefrieren vom Tode ereilt wird, mußte sich schon bei der gefrorenen Alge der Farbenumschlag von rot. zu orange zeigen. Als ich die Alge in der Luft einer Temperatur von — 16° aussetzte, trat bei der steifgefrorenen Pflanze eine pracht- voll orangerote Fluoreszenz ein, ein Zeichen, daß der Tod nicht erst beim Auftauen, sondern schon vorher eintritt. — b) Mit Ageratum mexıcanum. Diese zur Einfassung von Teppichbeeten in unseren Parkanlagen und Stadtgärten ihrer schönen blauen Blüten wegen häufig verwendete Pflanze hat eine besondere Eigentümlichkeit: Im lebenden Zustande haben die Blätter keinen besonderen Duft, im toten aber duften sie intensiv nach Cumarin, jenem Körper, dem der Wealdmeister (Asperula odorata) seinen angenehmen Geruch verdankt. Läßt man einen lebenden beblätterten Sproß völlig verwelken oder taucht man ihn für ein paar Sekunden in siedendes Wasser, so duftet er einige Zeit nach Eintritt des Todes nach Cumarin. Dieser Geruch ist ein sicheres Merkmal des eingetretenen Todes dieser Pflanze. Als ich nun in einer kalten Winternacht eine Topfpflanze unter einem Glassturz einer Temperatur von — 7°C aussetzte, gefror die ganze Pflanze steif und bedeckte sich mit Reif. Und als ich am frühen Morgen bei der erwähnten Temperatur von der vollständig er- starrten Pflanze den Glassturz abhob, duftete der innere Luft- raum ebenso wie die Pflanze intensiv nach Cumarin, wieder ein Beweis, daß die Pflanze schon in gefrorenem Zustande ab- gestorben war. c) Mit anderen Pflanzen. Auch die anderen Versuche, die ich mit verschiedenen Pflanzenarten angestellt habe, stehen im Einklang mit denen von Nitophyllum und Ageratum. Hunderte der verschiedensten Objekte wurden im Laufe mehrerer Winter daraufhin geprüft, ob langsames oder rasches Auftauen für die Erhaltung des Lebens von Bedeutung ist, und übereinstimmend hat sich ergeben, daß es in der Regel für die Erhaltung des Lebens gleichgültig ist, ob man rasch oder langsam auftaut. Es gibt aber Ausnahmen. Wie bereits (S. i22) bemerkt wurde, hat Müller-Thurgau bei den Früchten gewisser Äpfel- und Birnen- sorten eine solche festgestellt und ich bin in der Lage, eine zweite Ausnahme namhaft machen zu können, die die Blätter der soge- nannten ıoojährigen Aloe, Agave amerrcana, betrifft. Hier zeigte sich, daß tatsächlich die Geschwindigkeit des Auftauens für die Erhaltung oder Nichterhaltung des Lebens von Bedeutung sein kann. Alles in allem genommen wird man aber, auch wenn noch weitere Ausnahmen gefunden werden sollten, doch zugeben müssen, daß derartige Vorkommnisse Seltenheiten sind. > V. Die Ursachen des Erfrierens. Rn Zum Schlusse wollen wir noch die Frage erörtern, wodurch denn eigentlich der Gefriertod der Pflanze herbeigeführt wird. Ich sehe dabei von dem Erfrieren über Null ab, da ich mich ja darüber bereits früher (S. ııo) geäußert habe, und will hier nur den mit der Eisbildung verknüpften Tod in Betracht ziehen. Die von älteren Botanikern (Duhamel, Senebier, Rafn und anderen) vertretene Ansicht, daß das Frfrieren eigentlich auf — 12353 — einem Zerreißen der Zellwand infolge des sich im Zellinnern bildenden und ausdehnenden Eises beruhe, hat wohl nur mehr historisches Interesse, da diese Anschauung insbesondere von Göppert, ferner von Caspary, Sachs und Nägeli widerlegt wurde. Es muß ja diese Ansicht schon deshalb aufgegeben werden, weil ja das Eis sehr häufig gar nicht innerhalb, sondern außerhalb der Zelle entsteht. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß durch das Gefrieren nicht tatsächlich auch mechanische Verletzungen der Gewebe erfolgen können, denn nicht selten bilden sich in den Interzellularen (Lufträumen zwischen den Zellen) so große Eismassen, daß Gewebe sich voneinander abheben oder zerreißen. — Es ist von Sachs behauptet worden, daß das Absterben der Pflanze gar nicht beim Gefrieren oder im gefrorenen Zustande erfolge, sondern erst beim Auftauen, aber wie ich früher dargetan habe, ist diese Ansicht bereits widerlegt, denn das rasche oder langsame Auftauen ist für die Erhaltung des Lebens eines ge- frorenen Pflanzenteils gewöhnlich gleichgültig. Müller-Thurgau hat hingegen den Gedanken ausgesprochen und zu begründen gesucht, daß das Erfrieren eigentlich auf einen Wasserentzug infolge der Eisbildung hinauslaufe. „Sämtliche das Erfrieren betreffende Tatsachen sind mit der Anschauung, daß die Wasserentziehung als Todesursache zu betrachten sei, leicht in Einklang zu bringen; immer ist jedoch dabei zu berücksichtigen, daß beim Gefrieren das Wasser, wenigstens der größte Teil, rasch den Zellinhalten entrissen wird.“ — Daß der große, mit der Eisbildung verbundene Wasserverlust der Zelle sehr häufig die Ursache des Gefriertodes ist, geht auch aus meinen mikroskopischen Beobachtungen hervor. Ich sprach mich seinerzeit darüber folgendermaßen aus: „Mag die Eisbildung in der Zelle oder außerhalb der Zelle Platz greifen, immer werden dem Protoplasma bedeutende Wassermengen entzogen. Beobachtet man, wie in einer gefrierenden Amöbe oder in einem gefrierenden Staubfadenhaar das Zellwasser blitzschnell zu Eis erstarrt, oder beobachtet man, wie sich eine gefrierende ‚Sprrogyra auf Kosten ihres eigenen Wassers mit einer Eisröhre umgibt und wie sie in kaum einer Minute infolge dieses Wasserverlustes derartig schrumpft, daß sie mit Rücksicht auf ihre Kontraktion und auch sonst in ihrem Aussehen einer an der Luft verwelkten und eingetrockneten S’prrogyra täuschend ähnlich ist (siehe Fig. 20), so drängt sich — 126 — einem der Gedanke förmlich auf, daß der Tod hier durch Wasser- entzug bedingt wird... Nun ist es aber eine lange bekannte Tatsache, daß die lebende Substanz eine zu weitgehende Entziehung des Wassers in der Regel gar nicht verträgt und daß das mole- kulare Gefüge, die Architektur des Protoplasmas für immer zer- stört wird, wenn der Wasserverlust eine gewisse Grenze über- schreitet.“ Eigentlich ist es ja bei dem Verwelken der Pflanze auch so. Ein Blatt, eine Blüte oder eine Wurzel stirbt beim Ver- welken, weil eine gewisse Menge Wasser für die Zellen notwendig ist. Wenn diese der lebenden Substanz entzogen wird, so bricht ihre Struktur zusammen und der Tod tritt ein. Die Wasserent- ziehung kann noch andere Schädigungen im Gefolge haben. Infolge des Gefrierens können sehr konzentrierte Lösungen der Zelle ge- schaffen werden, die vielleicht giftig wirken, und früher gelöste Körper können sogar ausgeschieden werden. ‘ Durch eingehende Untersuchungen von Schaffnit an Preßsäften verschiedener Pflanzen ist auch gezeigt worden, daß mit niederer Temperatur Zustandsänderungen der gelösten Eiweißstoffe eintreten, wodurch sie ausgesalzt werden. Wenn der Eistod der Pfianze auf einem allzu starken plötz- lichen oder raschen Wasserentzug beruht, so findet man es be- greiflich, daß der Wassergehalt einer Pflanze oder eines Organs für den Gefriertod nicht gleichgültig ist. Die von den Knospen- schuppen umhüllten Knospenblätter sind sehr wasserarm und halten große Winterkälte aus. Sowie sich aber diese Blätter aus den Knospen hervorschieben und wasserreicher werden, werden sie frostempfindlich. Lufttrockene Samen sind beige sehr kältewiderstands- fähig, im gequollenen Zustande aber erfrieren sie leicht. Pflanzen, die ein Austrocknen vertragen, widerstehen auch der Kälte ge- wöhnlich ausgezeichnet. Nun scheint aber dem die Tatsache zu wider- sprechen, daß zwar gequollene Samen schadlos lufttrocken werden können, daß sie aber, wenn sie gequollen gefrieren, dennoch ge- tötet werden. Es darf aber nicht vergessen werden, daß beim langsamen Eintrocknen das Wasser langsam entzogen, beim Ge- frieren jedoch sehr rasch entrissen wird, was eben mit einer Schädigung verbunden ist. Mit dem Gesagten soll aber nicht behauptet ee daß die mit der Eisbildung verbundene rasche Wasserentziehung stets die Ursache des FErfrierens sein muß. Es hat Pfeffer darauf auf- merksam gemacht, und ich bin auch seiner Meinung, daß auch noch andere Ursachen hierbei eine Rolle spielen können. Er hat darauf hingewiesen, daß ein bestimmtes Temperaturminimum Schädigungen und Tötung herbeiführen kann. Diesen Gedanken von einem spezifischen Minimum hat dann später Mez eingehend durch eine feinere Methodik zu begründen versucht. Nach Mez erfrieren Pflanzen, die ohne Schaden Eisbildung ertragen, erst, wenn die steifgefrorenen Teile unter das spezifische Minimum, das für verschiedene Pflanzen ein spezifisches und verschiedenes ist, abgekühlt werden. Auch Mez’ Schüler Apelt, Bartetzko und Voigtländer schlossen sich mehr oder weniger ihrem Lehrer an, allein es wird von dem letzteren doch schon wieder zugegeben, daß der Wasserentzug beim Gefrieren als Todesursache häufiger in Betracht kommen dürfte und daß die Eisbildung kein so neben- 'sächlicher Faktor ist, wie es Mez angenommen hat. So kommt Voigtländer auf Grund seiner Versuche mit Agave, Echeverıa, Tradescantıa, Rıcınus und TZropaeolum, bei denen mittels nadel- förmiger Thermoelemente und Galvanometerskala der Todespunkt und der Unterkühlungsgrad festgestellt wurde, zu dem wichtigen, aber allerdings nicht neuen Resultate, daß im Zustande der Unterkühlung, selbst wenn diese tief unter den Todes- punkt herabgetrieben wird, der Tod nicht eintritt, wohl aber, wenn auch die Eisbildung hinzukommt. Voigt- länder scheint übersehen zu haben, daß ich bereits bei den Staubfadenhaaren von Zradescantıa darauf aufmerksam gemacht habe, daß die Zellen im Zustande der Unterkühlung nicht gleich absterben, wohl aber sofort, wenn es in den Zellen selbst bei höherer Temperatur zur Eisbildung kommt. Da diese Tatsache für die Theorie des Erfrierens von Bedeutung ist, so will ich diese Stelle aus meinem Buche wörtlich anführen: „Ich habe mir durch direkte mikroskopische Untersuchung zahlreicher Zellen (Vallısneria-, Elodea-Blätter, Farnprothallien, Moose, Spzrrogyra usw.) den Beweis erbracht, daß die Objekte im Gefrierapparat erst dann eine Schädigung erlitten, wenn sie wirklich gefroren. Staub- fadenhaare von Tradescantıa crassula blieben, durch 6 Stunden einer Temperatur von —5 bis —g9° Cin Luft ausgesetzt, am Leben, während sie sich immer als abgestorben erwiesen, wenn sie bei —5° C im Wasser wirklich gefroren“ (S. 68). In jüngster Zeit wurde auch Schaffnit durch neue Versuche zu dem Ergebnis geführt, daß für den Kältetod verschiedene — 1238 — Ursachen in Frage kommen: primär Wasserentziehung, sekundär chemische Stoffumlagerungen und- für Pflanzen, die unbeschadet ihrer Lebensfähigkeit austrocknen können, auch ein spezifisches Minimum. So sehen wir denn, daß in letzter Zeit wichtige Tatsachen bekannt geworden sind, die uns in der Kenntnis des Erfrierens der Pflanze ein Stück vorwärts gebracht haben; die Frage aber, warum die Pflanzen der Kälte gegenüber so verschieden wider- standsfähig sind, warum die einen schon knapp über Null erfrieren, die anderen, wenn sie zu Eis erstarren, und warum wieder andere selbst wochen-, ja monatelang im steifgefrorenen Zustande außer- ordentlich tiefe Temperaturen ertragen, ist heute noch ein unge- löstes Rätsel und wird erst gelöst werden, wenn wir einmal einen tieferen Einblick in die spezifische Konstitution des Protoplasmas der verschiedenen Gewächse, die noch tief verschleiert vor dem Auge des Forschers liegt, gewinnen sollten. Die spezifische Zusammensetzung des Plasmas, seine Archi- tektur, Chemie und Physik, mit einem Worte seine Konstitution ist der große, noch dunkle Punkt der biologischen Forschung, vor dem wir in so vielen Fällen bei der Analyse der Lebenserschei- nungen Halt zu machen gezwungen sind. Die Frage, warum das Eichenblatt uns in einer ganz bestimmten Form entgegentritt, warum die Lilienblüte gerade 6 Blumenblätter und 6 Staubgefäße besitzt, warum die Sinnpflanze auf einen Berührungsreiz ihre Blätt- chen rasch zusammenschlägt, warum der Hopfen nach rechts, die Bohne nach links windet, warum die Kinder den Eltern gleichen, warum eine Pflanze schon über Null erfriert, die andere tief unter Null der Kälte erfolgreich widersteht, all das vermögen wir heute noch nicht klar zu durchschauen, wir wissen nur, daß es mit dem spezi- fischen Bau der lebenden Substanz auf das innigste zusammenhängt. Literatur. Diejenigen Leser, die sich eingehender über das Erfrieren der Pflanze zu unter- richten wünschen, seien auf einige in diesem Vortrage berührte Schriften aufmerksam gemacht, von denen meine unter I. genannte die einschlägige Literatur bis zum Jahre 1897 enthält. . Molisch, Hans, Untersuchungen über das Erfrieren der Pflanzen. Jena 1897. —, —, Über das Gefrieren in Kolloiden. Flora 1907, S. 121. —, Pflanzenphysiologie als Theorie der Gärtnerei. 5. Aufl. Jena 1923. I. 2. 3- 58 3 4. Pfeffer, W., Pflanzenphysiologie, 2. Bd., 1904, 2. Aufl. S. 297. Io. II. u 129 — . Mez, C., Neue Untersuchungen über das Erfrieren eisbeständiger Pflanzen. Flora 1905, . Maximow, N. A., Experimentelle und kritische Untersuchungen über das Gefrieren und Erfrieren der Pflanzen. Jahrb. f. wiss. Botanik. ı914. Bd. 53, S. 327. . Apelt, A., Neue Untersuchungen über den Kältetod der Kartoffel. Inaug.-Disser- : tation, Halle a. S., 1907. . Bartetzko, H., Untersuchungen über das Erfrieren von Schimmelpilzen. Jahrb. f. wiss. Bot. 1909. . Voigtländer, H., Unterkühlung und Kältetod der Pflanzen. Beitr. z. Biologie d. Pflanzen 1909. Schaffnit, E., Studien über den Einfluß niederer Temperaturen auf die pflanzliche Zelle. Sonderabdr. aus Bd. 3, Heft 2 d. Mitteilungen des Kaiser Wilhelm- Instituts f. Landwirtschaft i. Bromberg, S. 93. Fischer, H. W., Gefrieren und Erfrieren, eine physiko-chemische Studie. Beitr. z. Biologie der Pflanzen. X. Bd., 2. Heft, 1911. Die neueste Literatur über das Erfrieren der Pflanze bis zum Jahre 1921 findet man berücksichtigt in meinem Buche: Pflanzenphysiologie als Theorie der Gärtnerei. 4. Aufl. 1921, p. 205—216. Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 9 vIM. Über den Ursprung des Lebens'). Das eben ist das Charakteristische der Natur- forschung, daß sie in den gewöhnlichsten Erscheinungen ein Problem sieht, daß der Physiker in einer Welt der Rätsel wandelt, wo für den unbefangenen Menschen sich alles von selbst versteht. Dove, Über Wirkungen aus der Ferne. I. Die Urzeugung. Seit den ältesten Zeiten beschäftigt die Menschheit die Frage: Woher kam das Leben? Wie entstand es? Lange, lange vor unserer Zeitrechnung, schon bei den Naturvölkern hat man sich bereits darüber Vorstellungen gemacht, wie Himmel und Erde sich gebildet haben und wie das Leben in Erscheinung getreten sei. Es kommt dies in der Mythologie und in den Sagen der alten Völker zum Ausdruck und fast allgemein wird darin an- genommen, daß das Leben auf der Erde einem Schöpfungsakt seinen Ursprung verdanke. Ich will heute nicht davon sprechen, wie die Philosophen?) des Altertums über die Schwierigkeiten, die sich unserem Problem entgegenstellen, hinwegglitten. Es wird genügen, wenn ich hervor- hebe, daß einer der bedeutendsten, Aristoteles, auf dem Boden der Urzeugung stand. Nach ihm entstehen aus dem Regenwasser, das auf den Schlamm oder ins Meer fällt, aber nicht aus dem Schlamme als solchem, Würmer, Insekten und Fische. Höhere und niedere Tiere entstehen aus ihresgleichen durch Fortpflan- zung, die niedersten aber durch Urzeugung. Sein Schüler und !) Vortrag, gehalten am 13. Dezember ıgtıı im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Im Verlage dieses Vereines I9I2 zuerst er- schienen. ?) Die Ansichten, die die Philosophen des Altertums über die Urzeugung hatten, hat A. Stöhr in seinem Buche: ‚Der Begriff des Lebens“, Heidelberg 1909, S. 62, übersichtlich und kritisch erörtert. Nachfolger im Lehramte Theophrast hatte ungefähr dieselben Ansichten und lehrte gleichfalls die Entstehung der niedersten Lebewesen durch Urzeugung!). Dieser naiven kindlichen Auffassung, die sich der Schwierig- keit der Frage gar nicht bewußt ist, kann man auch heute noch vielfach im Volke begegnen, denn wie oft erhielt ich von einem Bauer, den ich frug, wie die Blattläuse auf den Gurken oder die Pilze auf den Rosenblättern entstehen, die Antwort: „Von selbst.“ Eine solche spontane elternlose Entstehung von Lebewesen aus lebloser Substanz bezeichnet man als Urzeugung oder als gene- ratıo spontanea, generatio aequivoca oder Abrogenesıs. Im Jahre 1675 machte der Holländer Leeuwenhoek in seiner Vaterstadt Delft eine Entdeckung von außerordentlicher Tragweite. Von lebhaftem Forschertrieb beseelt und mit großem Geschick begabt, beschäftigte er sich in seiner freien Zeit mit dem Schleifen von Mikroskoplinsen und durch Fleiß und Ausdauer gelang es ihm, ein einfaches Mikroskop von einer Vollendung herzustellen, das alles bisher Erreichte übertraf. Mit einem Mikro- skop oder besser gesagt mit dieser Lupe betrachtete er eines Tages einen Wassertropfen, den er einer im Garten stehenden Tonne entnahm. Er war aufs höchste überrascht, darin zahlreiche, überaus kleine Lebewesen verschiedener Art sich lebhaft bewegen zu sehen, die früher keines Menschen Auge geschaut. Um zu erforschen, woher wohl der brennende Geschmack des Pfefferpulvers rühre, übergoß er es mit Wasser und entdeckte einige Tage darauf in dem Pfefferaufguß gleichfalls eine Menge kleiner Tierchen, die wir nach diesem Versuche auch heute noch ‘ als Infusionstierchen oder Aufgußtierchen bezeichnen. Als er seine Entdeckungen in begeisterten Briefen der königlichen Ge- sellschaft der Wissenschaften in London mitteilte, war man ge- neigt, an eine Täuschung zu glauben, aber als es schließlich im Jahre 1677 dem Sekretär dieser Gesellschaft Robert Hooke gelang, ein Mikroskop von ähnlicher Leistungsfähigkeit herzu- stellen, wie sie dem Instrumente Leeuwenhoeks zukam, sah er auch die „Animalcula“ und konnte sie seinen Zeitgenossen vor- 1) Welch phantastischen Vorstellungen man bezüglich der Entstehung der Lebe- wesen noch im 16. Jahrhundert huldigte, geht unter anderem daraus hervor, daß der bekannte Chemiker van Helmont (geb. zu Brüssel 1577) mitteilt, daß in einem Gefäß, welches Mehl und ein schmutziges Hemd enthält, Mäuse entstehen. g* zeigen. So wurde Leeuwenhoek!) der Entdecker einer neuen Lebewelt, der Bakterien, Flagellaten, Infusorien, kurz aller jener mikroskopisch kleinen Lebewesen, die wir heute als Mikroorga- nismen zusammenfassen. Es dürfte wenige Entdeckungen geben, die für die Wissenschaft und die ganze Menschheit von so weit- tragender und grundlegender Bedeutung waren, wie diese Leistung des holländischen Forschers. Da nun in den Aufgüssen Leeuwen- hoeks Millionen von Wesen auftraten, ohne daß man vorher irgendwelche Keime gesehen hätte, war man nunmehr erst recht davon überzeugt, daß es eine Urzeugung gibt und daß die Auf- gußtierchen elternlos aus leblosem Stoff entstehen. Der anglikanische Geistliche John T. Needham trat 1745 besonders energisch für die Urzeugung ein und stützte sich dabei auf folgendes Experiment. Er setzte in hermetisch verschlossenen Gefäßen einen Fleischaufguß oder Abkochungen verschiedener organischer Stoffe der Siedehitze aus und ließ sie darnach Tage oder Wochen hindurch stehen. Nach Eröffnung solcher Gefäße fanden sich trotz der vorhergehenden Erhitzung lebende Infusorien vor. Da nun nach Needhams Ansicht die vorhandenen Keime durch die Erhitzung getötet worden sein mußten und keine neuen in die Gefäße hineingelangt sein konnten, so schloß er auf eine Entstehung von Infusorien durch Urzeugung. Der italienische Geistliche Spalanzani bekämpfte 1765 Need- "hams Versuche und machte darauf aufmerksam, daß sich in einer durch ®/, Stunden in Siedehitze erhaltenen Infusion nur dann Tierchen entwickeln, wenn man Luft hinzutreten läßt, die vorher nicht der Grewalt des Feuers ausgesetzt war. Zu demselben Re- sultat kam 1836 Schwann. Gleichzeitig ergänzte Franz Schulze Spalanzanis Versuche. Er zeigte, daß es nicht gerade nötig sei, die zutretende Luft zu erhitzen, sondern daß sich dasselbe er- reichen läßt, wenn man die Luft durch konzentrierte Schwefel- säure oder Kalihydrat filtriert. Schröder und Dusch ließen die Luft durch eine Glasröhre streichen, die mit Baumwolle voll- gepfropft war, und erzielten damit denselben Effekt wie Schulze mit den erwähnten Flüssigkeiten. Hiermit war die wichtige Tat- sache festgestellt, daß in der Luft ein „Etwas“ vorhanden ist, das zur Entstehung von Lebewesen in den leblosen Aufgüssen den Anstoß gab; was aber dieses „Etwas“ ist, blieb vorläufig ein un- !) Antoni van Leeuwenhoek, Arcana naturae detecta, Delft 1695. gelöstes Rätsel. Obwohl aus diesen Versuchen mit der Baum- wolle zu entnehmen war, daß dieses „Etwas“ kein Gas ist, so zögerte man doch, diesen Schluß zu ziehen, da der Baumwoll- versuch nicht mit allen Nährlösungen, z. B. nicht mit der Milch gelang. Damit aber erscheinen die Versuche von Schulze wieder in Frage gestellt und eine Nachprüfung mit verschiedenen Flüssig- keiten ergab, daß die Nährflüssigkeiten bald von Lebewesen frei blieben, bald nicht, und dieser Umstand machte die Anhänger der Urzeugung um so siegesgewisser. Um dieser Ungewißheit ein Ende zu machen, stellte die Pariser Akademie der Wissenschaften die Preisaufgabe: „zu untersuchen durch wohlgelungene Experimente neues Licht auf die Frage von der Urzeugung zu werfen“. Diese Aufgabe wurde von dem be- rühmten Physiologen Pasteur durch ebenso einfache wie sinnreiche Experimente gelöst. In einer wahrhaft klassischen Abhandlung!) zeigte er, daß die atmosphärische Luft verschiedene Keime in an- sehnlicher Menge enthält. Er filtrierte Luft in großer Menge durch Schießbaumwolle, löste diese in Äther und Alkohol auf und unter- suchte den sich absetzenden Rückstand mikroskopisch. In diesem fanden sich stets Sporen vor, die von Schimmelpilzsporen nicht zu unterscheiden waren. Pasteur faßt die Ergebnisse seiner Ver- suche in folgenden zwei Punkten zusammen: ı. „In der Luft sind beständig organisierte Körperchen vor- handen, welche man nicht von den wirklichen Keimen der Organis- men aus den Aufgüssen unterscheiden kann. 2. Wenn man die Körperchen und die amorphen Brocken, welche ihnen beigemischt sind, in gekochte Flüssigkeiten aussäet, welche in vorher geglühter Luft unverändert bleiben würden, wenn man diese Aussaat nicht vornähme, sieht man in diesen Flüssig- keiten genau dieselben Wesen auftreten, wie sie sich bei Zutritt von frischer Luft entwickeln.“ Das unbekannte „Etwas“ in- der Luft, das in keimfreien Nähr- lösungen das Aufkommen von Lebewesen ermöglichte, war nun aufgefunden: es waren lebende Keime von Pilzen und andere mikroskopische Lebewesen. Zur Erläuterung des Gesagten diene folgender Versuch, den ich in meinen Vorlesungen seit Jahren zeige. Vor etwa 1) Pasteur, L., Die in der Atmosphäre vorhandenen organisierten Körperchen, Prüfung der Lehre von der Urzeugung, 1862. Übersetzt von A. Wieler, als 39. Bänd- chen in Ostwalds Klassikern der exakten Wissenschaften 1892 erschienen. zehn Jahren habe ich diese beiden Glasgefäße (Erlenmeyerkolben) mit einer guten Pilznährlösung zum Teile gefüllt, mit Wattepfropfen verschlossen und dann durch 2 Stunden gekocht. Bei diesem Vorgang wurden alle Keime, die in der Flüssigkeit oder an der inneren Oberfläche des Glases oder im Wattepfropf vorhanden waren, getötet. Nach dem Abkühlen der Lösung öffnete ich das eine Gefäß durch Abheben des Pfropfens auf ı5 Minuten und verschloß es hierauf wieder. Und heute nach zehn Jahren sehen Sie, daß die Nährlösung in dem nicht geöffneten Kolben voll- kommen klar geblieben ist, während sich in dem anderen Kolben eine ganze Decke verschiedener Kleinwesen entwickelt hat: Schim- melpilze, Bakterien, Sproßpilze und Infusorien. Das Offenlassen des Kolbens nur durch eine Viertelstunde genügte, um den in der Luft vorhandenen schwebenden Keimen Eintritt zu verschaffen und sie hier in dem günstigen Nährboden zum Ausgangspunkt einer reichen Lebewelt werden zu lassen. Aber dieser Versuch gelingt nicht immer. Nimmt man z. B. bei unserem Experiment anstatt der Pilznährlösung Milch, so kann es vorkommen, daß diese trotz ı—2stündiger Erhitzung infolge des Auftretens bestimmter Bak- terien gerinnt und fault.e. Aber schon Pasteur hat mit richtigem Blicke erkannt, daß es sich in diesem Falle um Keime handelt, die einer Temperatur von ı00° C längere Zeit widerstehen, daß aber auch hier eine Entwicklung von Lebewesen vollständig aus- bleibt, wofern man nicht auf 100°, sondern auf ıı0° erhitzt. Es gibt aber Keime, die noch widerstandsfähiger sind. Verwendet man bei dem eben geschilderten Versuch einen Heuaufguß, so bildet sich nach dem Sterilisieren bei 100° nach einiger Zeit eine Haut, die fast aus einer Reinkultur des Heubazillus, Dacıllus subhıls, besteht. Diese in der Natur ungemein häufige und ständig auf Heu vorkommende Bakterie bildet Dauersporen, die einer Tempe- ratur von 100° gut widerstehen und die weitere Entwicklung dieses Spaltpilzes ermöglichen. Erhitzt man aber den Heuaufguß auf 150°, so bleibt die sterile Flüssigkeit klar und der Heubazillus taucht nicht mehr auf. So war durch Pasteurs Versuche, die im Laufe der Zeit vollständig bestätigt wurden, endgültig dargetan, daß sich nur dort Lebewesen entwickeln, wo früher ihre Keime vorhanden waren, und das geflügelte, in dreifacher Form ausgespröchene Wort: „omne vivum ex vivo“, „omne vivum ex ovo“ oder „omnis cellula e cellula“ war nun fest gestützt. Eine Urzeugung war also nicht nachzuweisen. Trotzdem behaupten heute noch viele Natur- forscher, daß es einmal eine Urzeugung gegeben hat und viel- leicht sogar heute noch gibt, und Haeckel ist der Ansicht, daß es einmal eine Urzeugung auf der Erde gegeben haben muß, weil nach der Entwicklungsgeschichte unserer Planeten einmal Zustände herrschten — hohe Temperaturen und Mangel an tropf- barem Wasser — die die Existenz lebender Substanz ausschlossen. Der Botaniker C. v. Nägeli verteidigte nach Pasteur gleichfalls die Urzeugung und spricht sich darüber folgendermaßen aus: „Die Entstehung des Organischen aus dem Unorganischen ist in erster Linie nicht eine Frage der Erfahrung und des Experiments, sondern eine aus dem Gesetze der Erhaltung von Kraft und Stoff folgende Tatsache. Wenn in der materiellen Welt alles in ursäch- lichem Zusammenhange steht, wenn alle Erscheinungen auf natür- lichem Wege vor sich gehen, so müssen auch die Organismen, die aus denselben Stoffen sich aufbauen und schließlich wieder in dieselben Stoffe zerfallen, aus denen die unorganische Natur besteht, in ihren Uranfängen aus unorganischen Verbindungen entspringen. Die Urzeugung leugnen heißt das Wunder verkünden. So wie die Abkühlung der früher feurig-heißen Erdoberfläche bis zu der das Leben gestattenden Temperatur fortgeschritten war, entstanden die ersten Organismen an den die nötigen Bedingungen enthaltenden Stellen; und auch später und jetzt noch muß Urzeu- gung überall stattfinden, wo die Verhältnisse die nämlichen sind wie in der Urzeit. Die dagegen vorgebrachten Beobachtungen und Versuche, welche das Nichteintreten der Urzeugung ergaben, beweisen nichts, da sie nur für bestimmte Annahmen gültig sind, für welche die Theorie selbst schon das freiwillige Entstehen als unmöglich behaupten muß!).“ Nach Nägeli darf man bei der Urzeugung nicht an Bak- terien und andere uns gegenwärtig bekannte Kleinlebewesen denken, weil die schon einen viel zu komplizierten Bau besitzen, sondern er meint, die durch Urzeugung entstandenen ersten Lebe- wesen müssen noch viel kleiner und viel einfacher gebaut gewesen sein als die. uns bekannten jetzt lebenden Bakterien. Diese Ur- wesen bestanden bloß aus einem Tröpfchen homogenen, sich aus Albuminaten aufbauenden Plasmas. Er nennt diese Urwesen Probien. 1) C. v. Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre, 1884, S. 83. == 136 = Heute, nach der Erfindung des Ultramikroskops, das uns noch Teilchen von 4 Millionstel eines Millimeters erscheinen läßt, könnte man nach Probien suchen, aber, wie ich!) dargetan habe, gelang es bisher weder ultramikroskopische Lebewesen mit Sicher- heit aufzufinden, noch die Existenz von Probien zu erweisen. Man wird wohl Nägeli in dem Punkte beistimmen müssen, daß die uns bisher bekannten kleinsten Organismen viel zu kom- pliziert sind, als daß sie durch Urzeugung hätten entstehen können. Denn je weiter wir in der Kenntnis der Zelle fortschreiten, desto mehr zeigt sich, wie kompliziert dieser auf den ersten Blick so einfache Elementarorganismus gebaut ist. Aber die Annahme, daß die ersten Urwesen „aus Albuminaten ohne Beimengung von anderen organischen Verbindungen als den Nährstoffen“ bestehen, steht meiner Meinung nach auf schwachen Füßen, denn woher kamen die organischen Körper, aus denen sich die Probien bilden, und wo und wie entstand das erste Eiweiß und wie ward ihm die Kraft, zu assimilieren und zweckmäßig zu reagieren? Wir stehen da vor lauter Rätseln. Pflüger?), der gleichfalls die Urzeugung verteidigte, meint, daß zu einer Zeit, da die Erde oberflächlich noch hohe Tempera- turen aufwies, Cyan (CN), entstand und daß sich nach der Ab- kühlung aus diesem und Kohlenwasserstoffen durch Polymerisie- rung schließlich lebendes Eiweiß entwickelte. Aber so einfach dürfte wohl dieser Prozeß nicht zu denken sein, wenn man die kolossalen, auch heute trotz der großen Fortschritte der Chemie noch immer nicht überwundenen Schwierigkeiten, zu einer Syn- these des Eiweißes zu gelangen, berücksichtigt. Und wenn es auch dereinst dazu kommen sollte, Eiweiß im Glase zu bereiten, so wird dies eben totes Eiweiß sein, und vom totem zum lebenden Eiweiß ist noch eine weite Kluft. Überhaupt wird der- Abstand zwischen Lebendem und Leblosem mit fortschreitender Erkenntnis der Natur eher größer als kleiner und daher mag es wohl kommen, daß die Zahl der Anhänger einer Urzeugung in neuester Zeit immer mehr und mehr zusammenschrumpft. l) Molisch, H., Über Ultramikroorganismen. Botan. Zeitung 1908, I. Abteil., S. 131—139. ?) Pflüger, Über die physiologische Verbrennung in den lebendigen Organismen. In Pflügers Archiv, Bd. X, 1875. Auch Reinket) hat sich zu wiederholten Malen sehr be- stimmt gegen eine spontane Entstehung des Lebens ausgesprochen und ist vielmehr der Ansicht, daß dasselbe durch eine kosmische Intelligenz geschaffen wurde. In der vom Menschen kon- struierten Maschine wirken nicht bloß die Energien, sondern es sind auch Zwecke und Absichten verwirklicht, die ein Ausfluß der Intelligenz, nämlich der menschlichen Vernunft sind. Da nun die Pflanzen und Tiere gleichfalls Maschinenstruktur haben, so muß, wie Reinke ausführt, auch hinter den Lebewesen eine trans- zendente Intelligenz, eine kosmische Vernunft verborgen sein und durch diese wurde nach Reinke das Leben geschaffen. II. Die Weltkeime. Aus dieser Ungewißheit glaubte man durch die Annahme herauszukommen, daß das Leben auf unserer Erde gar nicht ent- standen sei, sondern von anderen Weltkörpern durch Meteoriten auf unsere Erde verschleppt wurde. Schon der Franzose Sales- Guyon de Montliveult (1821) nahm an, daß vom Monde Samen auf die Erde gelangt sein sollen; aber erst Prof. Dr. H.E. Richter’) in Dresden gab dieser Idee eine schärfere Fassung. Durch die Lektüre von Flammarions Buch über die Mehrzahl der be- wohnten Welten kam er auf den Gedanken, daß im Weltenraume Keime seit Ewigkeit schweben und daß durch die auf unserer Erde anlangenden Trümmer fremder Weltkörper solche Keime auf die Erde gelangt seien. Er sprach sich 1865 darüber folgender- maßen aus: „Demnach halten wir auch das Dasein organischen Lebens im Weltreich für ewig; es hat immer bestanden und hat in unaufhörlicher Folge sich selbst fortgepflanzt, und zwar in organi- sierter Form, nicht als ein mysteriöser Urschleim, sondern in Ge- stalt lebender Organismen, als Zellen oder aus Zellen zusammen- gesetzte Individuen. Omne vivum ab aeternitate e cellula! Damit erledigt sich die Frage, auf welche Weise die ersten Organismen in die Welt gekommen seien. Da es deren immerdar irgendwo in der Welt gegeben hat, so fragt es sich bloß: Wie sind sie zuerst auf diesen oder jenen Weltkörper, nachdem er bewohnbar geworden, hingelangt? Und da antworten wir kühn: Aus dem Weltraume! .. .“ Nachdem Richter an die in der Erdatmo- 1) Reinke, J., Die Welt als Tat. Berlin 1899, S. 284 und 297. ?) Richter, H. E., Zur Darwinschen Lehre. In Schmidts Jahrb. d. ges. Med. CXXVI, 1865, CXLVIII, 1870 und CLI, 1871. sphäre vorhandenen Pilz- und anderen Keime erinnert hat, fährt er fort: „Wenn nun aber einmal mikroskopische Geschöpfe so hoch in der Atmosphäre der Erde schweben, so können sie ge- legentlich, z. B. etwa unter Attraktion vorüberfliegender Kometen oder Aörolithen, in den Weltraum gelangen und dann auf einem bewohnbar gewordenen, d.h. der gehörigen Wärme und Feuchtig- keit genießenden anderen Weltkörper aufgefangen, sich durch selbsteigene Tätigkeit weiter entwickeln. ... .“ Die Möglichkeit eines solchen Vorganges läßt sich nicht be- streiten und Männer wie Helmholtz und Lord Kelvin haben ihr beigestimmt. Sie hat zur Voraussetzung, daß im Weltenraume schwebende Keime existieren und daß es außer unserer Erde noch andere von Lebewesen bewohnte Welten gibt. Auf Grund der neueren Forschungen wissen wir, daß z.B. auf dem Mars die Bedingungen für Lebewesen gegeben sind. Dieser Planet hat eine Atmosphäre und ungefähr eine Temperatur von 10° C. Während des Winters sammeln sich an seinen Polen weiße Schneemassen, die im Frühling wieder durch Schmelzen verschwinden und sich in Wasser verwandeln. Bei solchen Ver- hältnissen ist Leben ganz gut möglich und yon vornherein ist es eigentlich doch höchst unwahrscheinlich, daß gerade nur unsere Erde, dieser kleine Punkt im Kosmos, Lebewesen tragen sollte. Solche Ansichten waren in der Zeit vor Kopernikus noch einiger- maßen begreiflich, aber nach der Widerlegung der geozentrischen Hypothese und in Anbetracht unserer derzeitigen Kenntnisse über die Natur der Planeten darf man die Annahme des Vorhanden- seins von Lebewesen auf anderen Weltkörpern, die wie Mars und Venus die Bedingungen des Lebens erfüllen, als berechtigt hin- stellen. Gegen die Richtersche Hypothese von den kosmischen Keimen ist eingewendet worden, daß die Meteoriten, sobald sie in den Be- reich der Atmosphäre der Erde gelangen, glühend-heiß werden und daß daher alle Keime, die sich an der Oberfläche der kleinen Welttrümmer befinden, zugrunde gehen müssen. In der Tat würde kein bekanntes Lebewesen die Temperatur einer schmel- zenden, glühend-heißen Meteoritenmasse aushalten, denn die oberen Temperaturgrenzen des Lebens sind recht eng gezogen. Saftreiche Pflanzenteile sterben gewöhnlich schon bei 45—50° C, einzelne thermophile Bakterien überdauern im Wasser Temperaturen von 50o—80°, viele Samen können im trockenen Zustande ı Stunde auf 100° C erhitzt werden und die Dauersporen vom Heubazillus widerstehen, wie wir gehört haben, kochendem Wasser. Aber ‚bei 150° geht jedes Lebewesen, gleichgültig ob Tier oder Pflanze, zugrunde. Das ist die äußerste Grenze. Daher müssen alle Keime, die sich auf der schmelzenden Oberfläche eines Meteoriten be- finden, absterben. Aber man könnte sich wohl denken, daß, wenn der Meteorit sehr große Dimensionen hat, an der inneren Ober- fläche von Spalten und Hohlräumen eventuell vorhandene Keime ganz gut die Reise bis zur starren Erdrinde unversehrt überstehen, nach der Zertrümmerung auf der Erde frei werden und so die Erde besiedeln könnten. Aber wenn dem wirklich so wäre, so ist die Frage nach der Entstehung des Lebens nicht gelöst, sie scheint nur verschoben, denn wir müssen dann weiter fragen: Wie ist das Leben auf dem Mars, der Venus oder einem anderen Welt- körper entstanden? Preyer stellte sich sowohl in Gegensatz zur Hypothese der Urzeugung als zu der der kosmischen Keime und vertritt die paradoxe, phantastische Ansicht: „Das Leben ist nicht aus dem Unorganischen hervorgegangen, sondern umgekehrt das Unorga- nische durch Ausscheidung aus dem Lebenden.“ Er meint, indem er den Begriff des Lebens ganz verschiebt, das Feuer als etwas Lebendes und den feurig-flüssigen Erdball als einen riesigen Orga- nismus auffaßt, daß die anfangslose Bewegung im Weltall Leben ist, daß „das Protoplasma notwendig übrig bleiben mußte, nachdem durch die intensivere Lebenstätigkeit des glühenden Pla- neten an seiner sich abkühlenden Oberfläche die jetzt als an- organisch bezeichneten Körper ausgeschieden worden waren, ohne daß sie wegen fortschreitender Temperaturabnahme der Erdhülle in die nach und nach auch an Masse abnehmenden heißen Flüssig- keiten wieder eintreten konnten!).“ Ich glaube nicht, daß ich bei dieser Hypothese, die kaum mehr als geschichtliches Interesse be- ansprucht, noch weiter verweilen soll. II. Die Ewigkeit des Lebens. Die Bemühungen, die Entstehung des Lebens zu erklären, sind bisher insgesamt gescheitert und das ist der Grund, warum man heute vielfach annimmt, das Leben sei gar nicht ent- standen, sondern sei von Ewigkeit vorhanden gewesen wie die I) Preyer, W., Naturwissenschaftliche Tatsachen und Probleme. Populäre Vor- träge, Berlin 1880, S. 60. Materie überhaupt. Schon H. E. Richter verknüpfte mit seiner Hypothese die Annahme, daß die.Existenz von lebenden Zellen im Kosmos eine ewige sei. Und Helmholtz stellte die Alter- native: „Organisches Leben hat entweder zu irgendeiner Zeit an- gefangen zu bestehen oder, es besteht von Ewigkeit.“ Gegen die Lehre von der Ewigkeit des Lebens hat sich Verworn in seinem ausgezeichneten Buche „Allgemeine Physio- logie“!) ausgesprochen, indem er bemerkt: „Eine allgemeine Be- trachtung, die man über die Abstammung der lebendigen Sub- stanz, vor allem des Eiweißes anstellt, muß daher mit derselben Berechtigung in ihren prinzipiellen Gesichtspunkten auch auf die unorganischen Verbindungen, wie etwa die Mineralien, den Feld- spat, den Quarz usw., angewendet werden können.“ — Wenn man die Ewigkeit der lebenden Substanz annimmt, so müßte man nach Verworn folgerichtig dasselbe auch von den unorganischen Verbindungen, dem Quarz, dem Feldspat und anderen Mineralien voraussetzen. Und alle diese Verbindungen müßten als solche schon fertig aus dem Kosmos auf die Erde gekommen sein. Meiner Meinung nach liegt aber die Sache hier doch anders, denn lebende Substanz zu erzeugen oder spontane Entstehung von Lebendem zu beobachten, ist bisher niemandem gelungen, während die künstliche Erzeugung gewisser Mineralien heute schon eine erfolgreich überwundene Aufgabe erscheint. Man kann sich also ganz gut vorstellen, wie Mineralien aus einfachen Ver- bindungen entstehen, ein Gleiches kann man aber von der leben- den Substanz nicht sagen. Arrhenius?) hat die Lehre von den kosmischen Keimen unter gleichzeitiger Annahme der Ewigkeit des Lebens in neuester Zeit in origineller Weise weiter ausgebaut. Nach dem genannten schwedischen Forscher irren Lebenssamen in den Räumen des Weltalls umher, treffen die Planeten und besiedeln sie,”,wenn es hier Bedingungen des Lebens gibt. Im Gegensatz zu Richter und Lord Kelvin nimmt er aber nicht an, daß das Leben durch Meteo- riten auf die Erde gelangt sei oder gelange, sondern er glaubt, daß die überaus kleinen Lebenskeime, die etwa so klein gedacht werden können wie unsere kleinsten Bakterien, im ganzen Welten- raum schwebend umherirren, durch den Strahlungsdruck der Sonne !) Verworn, M., Allgemeine Physiologie, 2. Aufl. 1897, S. 312. 2) Arrhenius, S., Das Werden der Welten. Leipzig 1908. Derselbe: Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten. ı19II, S. 191. in den Weltenraum hinausgetrieben werden und dadurch zufällig auf Weltkörper, z. B. unsere Erde, gelangen. Das Licht übt einen Druck aus und obwohl er außerordent- lich klein ist, ist er doch durch Versuche von Lebedew gemessen worden. Körperchen, die einen Durchmesser von 0:-00016 mm haben, können vom Strahlungsdruck viel stärker beeinflußt werden als von der Schwerkraft und da die kleinsten bekannten Lebewesen etwa dieser Größe gleichkommen, so könnten diese winzigen Weltkeime von dem Strahlungsdruck tatsächlich bewegt werden. „Wenn also die Sporen der kleinsten Organismen der Erde von dieser loskommen könnten, so würden sie sich nach allen Seiten verbreiten und das ganze Universum würde sozusagen mit ihnen besäet werden.“ Wie aber kommen sie los und wie wird die Schwerkraft überwunden? Zunächst kommen sie durch die Luft- strömungen leicht bis an die äußersten Grenzen der Atmosphäre, also bis etwa ıoo km Höhe. Um nun die Keime über die At- mosphäre in den Weltenraum hineinzubringen, zieht Arrhenius elektrische Kräfte herbei. In ıoo km Höhe treten die strahlenden Erscheinungen des Nordlichtes auf, die auf der Entladung großer Mengen negativ elektrisch geladenen, von der Sonne kommenden Staubes beruhen. Nimmt nun ein Keim bei der elektrischen Ent- ladung negative Elektrizität aus dem Sonnenstaub auf, so kann er durch die Elektrizität der Staubpartikelchen in das Äthermeer gestoßen und vom Strahlungsdruck weiter getrieben werden. „Es ist also wahrscheinlich, daß Samen der niedrigsten uns bekannten Organismen fortwährend von der Erde und anderen von ihnen bewohnten Planeten in den Raum hinausgestreut werden. So wie Samen im allgemeinen, so gehen die weitaus meisten hinausge- förderten Sporen dem Tode entgegen im kalten, unendlichen Welt- raum; aber eine kleine Anzahl fällt auf andere Himmelskörper nieder und ist imstande, dort Leben zu verbreiten, wenn sich günstige äußere Bedingungen finden. In vielen Fällen trifft das nicht zu, manchmal dagegen fallen sie auf. guten Boden. Und wenn es eine oder mehrere Millionen Jahre dauern sollte, von dem Zeitpunkt an, da ein Planet anfangen kann, Leben zu tragen, bis zu dem Augenblick, da der erste Samen auf ihn fällt und aufsprießt, um ihn für das organische Leben in Besitz zu nehmen so bedeutet das wenig im Vergleich mit dem Zeitraum, während dessen das Leben auf dem Planeten dann in voller Blüte steht“). Se Arrbenins, S., |. ce. S.209% Der Umstand, daß der Weltenraum weder Feuchtigkeit noch Luft enthält und eine auffallend niedere Temperatur (— 220° C) besitzt, widerspricht nicht der Annahme von Arrhenius, denn es ist bekannt, daß Bakterien verschiedener Art so niedere Tem- peraturen, wie sie im Weltenraum herrschen, und auch eine so große Trockenheit ertragen. Aber ein Bedenken besteht doch. Becquerel!) machte auf die abtötende Kraft des ultravioletten Lichtes gegenüber Mikroorganismen aufmerksam. Es ist bekannt, daß man mittels ultravioletten Lichtes die im Wasser oder in der Milch vorhandenen Mikroorganismen in kurzer Zeit töten und diese Flüssigkeit steril machen kann. Nun existiert außerhalb unserer Atmosphäre im Weltenraum ein an ultravioletten Strahlen sehr reiches Licht und es entsteht die Frage, ob die kosmischen Keime hiedureh nicht getötet werden. Becquerel untersuchte nun die Wirkung des ultravioletten Lichtes einer Heraeuslampe auf Bakterien, Hefen und Schimmelpilzsporen im trockenen Vakuum und bei tiefen Temperaturen, also unter Bedingungen, wie sie sich im Weltenraum vorfinden, und fand, daß all die genannten Keime in längstens 6 Stunden getötet wurden. Er glaubt, damit der Hypothese von dem kosmischen Ursprung des Lebens den Boden entzogen zu haben. Bevor man jedoch diesen Schluß zieht, wird man doch erwägen müssen, ob nicht vielleicht die im Weltenraum schwebenden Keime, die wir ja vorläufig noch nicht kennen, der ultravioletten Strahlung angepaßt und ihr gegenüber besonders widerstandsfähig sind, denn Unterschiede sind ja in dieser Hin- sicht denkbar. Ich erinnere nur, daß die Bakterien sehr licht- empfindlich sind, daß aber die Purpurbakterien?) im direkten Sonnenlichte gedeihen und in der Natur im Gegensatz zu den meisten anderen Spaltpilzen auf das Sonnenlicht angewiesen sind. So hat sich der nach Aufdeckung der Naturgeheimnisse ringende Menschengeist bisher vergeblich bemüht, den Schleier vom Rätsel des Ursprungs des Lebens zu lüften. Alle die geäußerten Möglichkeiten: das Leben sei durch eine höhere Intelligenz geschaffen worden oder durch Urzeugung entstanden oder sei überhaupt nicht entstanden, sondern sei von Ewigkeit gewesen, lassen sich weder !) Becquerel, P., Die abiotische Wirkung des Ultravioletts und die Hypothese vom kosmischen Ursprung des Lebens. Comptes rendus 1910, S. 80—88. 2) Molisch, H., Die Purpurbakterien usw. Jena 1907. Es wäre wünschens- wert, wenn Becquerels Versuche auch mit Purpurbakterien durchgeführt würden. bestimmt beweisen, noch widerlegen. Daher fühlen sich manche Naturforscher wie z. B. Wiesner!) bestimmt, die Frage nach der Herkunft des Lebens „als derzeit indiskutabel möglichst beiseite zu lassen und das Lebende gleich dem Leblosen als etwas Ge- gebenes zu betrachten, über dessen Anfang und Ende wir uns noch kein Urteil bilden können“. ; Ich habe mich bemüht, die Geschichte unseres Problems nicht etwa von einem Parteistandpunkt, sondern so objektiv als möglich darzustellen, und komme zu dem Ergebnis, daß die Frage nach dem Ursprung des Lebens derzeit unlösbar ist und vielleicht immer bleiben wird. Wir stehen vor einem Welträtsel. Ebenso wie wir heute darüber keine Sicherheit haben, worin das Wesen der Materie und Kraft besteht, wo der Ursprung der Bewegung lag, wie die Zweckmäßigkeit in der Welt der Lebewesen, die Sinnesempfindung, vernünftiges Denken und der Ursprung der Sprache zu erklären ist oder ob es eine Willensfreiheit gibt?), so bleibt auch der Schleier von dem Rätsel des Lebensursprunges ungelüftett.e. Und indem ich exakte Naturforschung und Naturphilosophie im Hinblick auf Schillers geflügelte Worte scheide: „Feindschaft sei zwischen Euch! Noch kommt das Bündnis zu frühe; Wenn Ihr im Suchen Euch trennt, wird erst die Wahrheit erkannt‘, kann ich vom Standpunkt des exakten Naturforschers auf die Frage nach dem Ursprung des Lebens nur antworten: „Ich weiß es nicht“ und von dem des Philosophen: „Vielleicht ist das Leben ewig.“ t) Wiesner, J., Die Elementarstruktur und das Wachstum der lebenden Substanz, 1892, S.277. Vgl. ferner dessen Rektoratsrede in Wiesner, Natur— Geist— Technik, Leipzig 1910, S. 133. 2) Du Bois-Reymond, E., Die sieben Welträtsel, 1880. IX Das Radium und die Pflanze’). I. Einleitung. Die Entdeckung des Radiums durch das Ehepaar Curie be- deutet einen Markstein in der Entwicklung der Naturwissenschaft. Nicht bloß in der Geschichte der Chemie und Physik, sondern der Naturwissenschaften überhaupt. Die Eigenschaften dieses Elements und seiner Verbindungen sind so auffallend, um nicht zu sagen wunderbar, daß sie das Staunen selbst des ruhigsten Naturforschers hervorrufen müssen. Das Radium sendet beständig unsichtbare Strahlen aus, die undurchsichtige Körper von erheb- licher Dicke durchdringen, nach Art der Röntgenstrahlen auf die photographische Platte wirken, einen Zinkblendeschirm und viele andere Körper im Finstern zum Leuchten bringen und die Luft so stark für Elektrizität leitfähig machen (ionisieren), daß man darauf eine der feinsten Messungsmethoden für Radiumstrahlen begründet hat. Körper, die solche Eigenschaften besitzen, heißen radioaktiv?). Es sind deren schon mehrere bekannt: das Uran, Radium, Polonium, Aktinium und das Thor. Obwohl diese Körper beständig Strahlen in Form materieller Teilchen aussenden, läßt sich kein Gewichtsverlust feststellen. Und was besonders be- merkenswert ist: das Radium entwickelt beständig Energie. Alle Radiumpräparate leuchten ununterbrochen, erzeugen Elektrizität und fortwährend so bedeutende Mengen Wärme, daß die Tem- peratur des Präparates die Umgebung um einige Grade über- treffen kann. Ein Gramm Radium gibt pro Stunde ıoo Gramm- kalorien Wärme ab, also eine Wärmemenge, die einen Deziliter !) Vortrag, gehalten am ıı. Dezember 1912 im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Im Verlage dieses Vereines IQI3 zuerst er- schienen. 2) Gruner, P., Kurzes Lehrbuch der Radioaktivität. 2. Aufl., Bern ıg11. Wasser um ı° C zu erwärmen vermag. Damit sind aber die merkwürdigen Eigenschaften des Radiums noch nicht erschöpft. Eine der auffallendsten ist wohl die, daß in der nächsten Um- gebung des Radiums alle Gegenstände radioaktiv werden oder sogenannte induzierte Radioaktivität annehmen. Bringt man in ein geschlossenes Glasgefäß eine Radiumlösung und verschiedene Gegenstände, Papier, Holz, eine Pflanze oder ein Tier, so werden alle diese Objekte radioaktiv, aber nur vorübergehend, nicht dauernd. Wie ein Pendel, in Schwingung versetzt, nach und nach wieder zur Ruhe kommt, so verlieren auch die genannten Körper nach einiger Zeit ihre Radioaktivität. Die Ursache dieser indu- zierten Radioaktivität ist ein Gas — Emanation genannt — das sich in sehr geringen Mengen beständig entwickelt, sich langsam ausbreitet und dann wieder verschwindet. Bis vor kurzem galt es als selbstverständlich, daß ein Element nicht in ein anderes überzugehen vermag. Aber Rutherford und Soddy wagten, um die Erscheinungen der Radioaktivität zu erklären, die kühne Hypothese, daß dies für die radioaktiven Elemente nicht gilt. “Sie haben alle ein sehr hohes Atomgewicht, Uran 238.5, Radium 225.97 und Thor 232-4. Ein derartiges Atom kann aufgefaßt werden als eine Ansammlung einer Unzahl kleiner Korpuskeln (Teilchen), die zwar künstlich nicht von einander getrennt werden können, die aber von selbst zerfallen. Bei diesem Zerfall, der mit Explosionskraft von statten geht, entsteht Licht, Wärme, Elektrizität; Elektronen werden ausgeschleudert, Emana- tion wird gebildet, kurz alle Erscheinungen der Radioaktivität treten zutage. So geht das Radiumatom unter Aussendung körperlicher Strahlungen und Erzeugung neuer Energien einer neuen Gleichgewichtslage entgegen und wandelt sich dabei in andere Elemente um: in Emanation, Helium, dann in einen festen Körper, in die sogenannte induzierte Aktivität, dann in andere Elemente, bis der Zerfallsprozeß mit einem stabilen Gleichgewichts- zustand, d. h. mit einem beständigen Element, vielleicht mit Blei, abschließt. Die vom Radium ausgehenden Strahlen sind von dreierlei Art: a-, f- und y-Strahlen. Durch ein senkrecht zu einem Strahlen- bündel wirkendes Magnetfeld werden die verschiedenen Strahlen in verschiedener Weise abgelenkt, die a-Strahlen relativ wenig, die $-Strahlen sehr stark und die y-Strahlen gar nicht. Das Durch- dringungsvermögen der a-, #- und y-Strahlen z. B. durch Aluminium Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 10 verhält sich ungefähr wie 1:100: 10.000 und ihr Ionisierungsver- mögen wie 10.000:100:1 Die a-Strahlen machen etwa °/,, der gesamten Strahlung aus. Sie setzen sich aus elektrisch geladenen Teilchen zusammen, die mit ungeheurer Geschwindigkeit vom Radium fortgeschleudert werden und die, wenn sie ihre positive Ladung abgegeben haben, Atome des Heliums sind. Ihre Geschwindigkeit beträgt 1/,,—!/ao der Lichtgeschwindigkeit. Sie werden sehr leicht absorbiert. Die 5-Strahlen bestehen aus negativ geladenen Teilchen, die eine dem Lichte etwa gleiche Geschwindigkeit besitzen. Sie haben ein großes Durchdringungsvermögen. Die y-Strahlen ähneln den Röntgenstrahlen und haben ein noch größeres Durchdringungsvermögen als die £-Strahlen. Experimentiert man mit in Glasröhrchen eingeschlossenen Radiumpräparaten, so kommen fast nur f- und y-Strahlen zur Wirkung, da die a-Strahlen das Glas fast nicht und die Emanation das Glas gar nicht zu durchdringen vermögen. Nach dieser orientierenden Einleitung wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, ob denn das Radium, dieser in physika- lischer und chemischer Beziehung so merkwürdige Körper, nicht auch auf die Pflanze eine besondere Einwirkung ausübt. II. Bakterien und Schimmelpilze. Über den Einfluß der Radiumstrahlen auf niedere Pilze liegen bereits von verschiedenen Forschern (Aschkinass, Caspari, Hoffmann, Pfeiffer, Friedberger, Goldberg, Dixon, Wig- ham, Danysz, Dorn, Baumann, Valentiner, Bouchard, Balthazard, Omeliansky, Körnicke u. a.) Untersuchungen vor!). Die Entwicklung der Bakterien wird im allgemeinen durch die Radiumstrahlung gehemmt oder gar zum Stillstand gebracht. Je stärker das Präparat und je länger die Strahlungsdäuer, desto stärker die Wirkung, Der schädigende Einfluß läßt sich be- sonders schön bei Farbstoff- und Leuchtbakterien demonstrieren. Körnicke?) konnte zeigen, daß, wenn ein Radiumröhrchen aus !) London, E.S., Das Radium in der Biologie und Medizin. Leipzig IQII, Akad. Verlagsgesellschaft. Löwenthal, S., Grundriß der Radiumtherapie und der biologischen Radiumforschung. Wiesbaden 1912. 2) Körnicke, M., Über die Wirkung von Röntgen- und ae auf den pflanzlichen Organismus. Ber, d. deutsch. bot. Ges. 1904. Fortsetzung davon ebenda 1905, S. 324 und 404. Glas an seiner Oberfläche mit einer Gelatineschicht überzogen wurde, die mit Leuchtbakterien geimpft war, sich bei aufrechter Stellung im feuchten Raume die Leuchtbakterien zwar überall entwickelten, daß aber nach 2!/, Tagen das Leuchten unten an der Ansamm- lungsstelle des Radiums abnahm und am 3.Tage hier vollständig erlosch. Die erloschenen Bakterien blieben aber lebensfähig, denn als sie wieder unter normale Verhältnisse, auf frische Nährgelatine gebracht wurden, wuchsen und leuchteten sie weiter. Ähnlich wie Bakterien verhalten sich auch Schimmelpilze. Man beachte folgendes Experiment Körnickes. In eine kleine Kristallisierschale, die 2 cm hoch mit einer guten Pilznährlösung beschickt ist, werden die Sporen des Schimmelpilzes Aspergrllus nıger möglichst gleichmäßig ausgesät und knapp über der Ober- fläche wird ein Radiumröhrchen (5 mg Ra Br,) so befestigt, daß die darunterliegenden Sporen von der Strahlung getroffen werden. Nach 2-tägiger Kultur im Finstern hatte sich bei einer Temperatur von 28° C überall reichlich Myzel gebildet, nur unter dem Röhrchen unterblieb die Pilzentwicklung, weil die Strahlen die Keimung der Sporen verhinderten. . Auch nach 33 Tagen hatte sich der Pilz hier nicht entwickelt. . Als Dauphin den Schimmelpilz Mortierella, Mucor u. a. Radiumstrahlen aussetzte, wurde das Wachstum unterbrochen und die Sporenbildung verhindert. :Unter normalen Verhältnissen ent- wickelten sich die bestrahlten Pilze wieder weiter. III. Keimung der Samen. Läßt man Samen im gequollenen oder ungequollenen Zu- stande mit Radium bestrahlen, so tritt in der Regel eine Wachs- tumshemmung ein. Als Körnicke!) Samen von der Saubohne, Vicıa faba mit einem Röhrchen, das ein Radiumsalzgemisch von 0-75 g mit etwa 4% Radium-Baryum-Chlorid enthielt, bestrahlte, keimten die Samen, unter günstige Wachstumsbedin gungen gebracht, bald. Aber schon nach 3 Tagen stellten die Wurzeln ihr Wachs- tum ein. Auch schon eine einstündige Bestrahlung mit 53 mg eines in ein Glasröhrchen eingeschlossenen Radiumbromidpräparates reichte aus, um später Wachstumsstillstand bei den Keimlingen herbeizuführen. Die Hauptwurzeln. solcher Pflanzen blieben im Wachstum entweder stecken oder sie nahmen später das Wachs- 2, Körnicke,’M...2,220: 10% tum wieder auf und entwickelten Seitenwurzeln. Die Spitze der Sprosse, der Vegetationskegel wuchs nicht mehr weiter und an seiner Stelle entwickelten sich in den Achseln der Keimblätter kräftige Seitensprosse. Während sich die Saubohne sehr empfindlich erwies, ver- hielten sich die Samen von Drassica Napus sowohl gegen Röntgen- wie gegen Radiumstrahlen sehr wenig beeinflußbar. Selbst eine 3-tägige Bestrahlung mit ıo mg Radiumbromid wirkte auf die Keimung und die Weiterentwicklung nicht störend ein. Doch ließen gequollene Samen, als sie mit derselben Radiummenge be- strahlt wurden, eine Beschleunigung bei der Keimung, verglichen mit den Kontrollsamen, erkennen. Man könnte daran denken, daß die große Widerstandskraft der Drassica-Samen vielleicht in der derben Samenschale ihren Grund hat, daß sie die Strahlen verschluckt und sie in die tieferen Teile des Samens gar nicht eindringen läßt. Das ist aber nicht der Fall, da auch teilweise geschälte Samen sich ebenso verhielten. Ganz gefeit gegen die Radiumstrahlen sind auch die Drassıca-Samen nicht; denn wenn sie genügend lange, etwa ıo Tage im trockenen Zustande dem Radium (10 mg) ausgesetzt werden, tritt auch hier Keimungsver- spätung und schlechte Entwicklung ein. Sehr anschaulich gestalteten sich analoge Versuche des ameri- kanischen Botanikers Gager!). Auch er erzielte bei Keimlingen der Lupine, des Hafers und des Thimothegrases eine Hemmung, unter gewissen Bedingungen aber eine Beschleunigung der Ent- wicklung. Das letztere traf ein, als in der Mitte eines mit Hafer- früchten besäten Blumentopfes ein Glasröhrchen mit Radium (1*500,000 Aktivität) 5 mm tief in den Boden eingesteckt wurde. Die Samen in diesem Topfe keimten viel früher und die Keim- linge wuchsen rascher. Sie standen in drei konzentrischen Reihen im Topfe. Die in dem äußersten Kreise waren nach,einer be- stimmten Zeit um 5o mm, die in dem mittleren um 46 mm und die dem Röhrchen zunächststehenden Keimlinge um 42 mm größer als die entsprechenden des Kontrollversuchs. Die wachstumshemmende Einwirkung des Radiums auf Keimlinge der Saatwicke (Vrera satıwa) veranschaulicht der folgende Versuch, den ich gelegentlich angestellt habe. In einer mit Erde gefüllten Glaswanne wurden ganz junge Wickenkeim- ') Gager, C. S., Some physiological effects of radium rays.. The American Naturalist 1908. vol. XLII, Nr. 504. linge in einer geraden Linie gepflanzt und, nachdem sie eine Höhe von ı—2 cm erreicht hatten, wurde das Röhrchen (46-2 mg reines Radiumchlorid) in der Mitte der Reihe parallel zu ihr in einer Entfernung von !/, cm in etwa Knospenhöhe aufgestellt. Das Ganze wurde noch mit einem Zinksturz bedeckt. 4 Tage später waren die in nächster Nähe des Röhrchens stehenden Keim- linge nur wenig gewachsen, die außer dem Bereiche des Röhrchens stehenden aber gut, und zwar um so besser, je weiter sie dem Röhrchen entrückt waren. (Fig. 21.) IV. Die Emanation. Wie bereits bemerkt wurde, entwickeln alle Radiumpräparate fort und fort ein farbloses, chemisch völlig indifferentes Gas, die Fig. 21. Wickenkeimlinge /(Vicia sativa) unter dem Einfluß eines Glasröhrchens mit Radium. Die dem Röhrchen zunächststehenden Keimlinge erscheinen im Wachstum außerordentlich gehemmt. Emanation, die schon in 3,86 Tagen auf die Hälfte ihres Anfangs- wertes zerfällt. Bei dem Zerfall sendet die Emanation nur «a-Strahlen aus und verwandelt sich in verschiedene andere Elemente, genannt Radium A, Radium B und Radium C, die die sogenannte induzierte Radioaktivität oder den aktiven Niederschlag bilden. Die Emanation ist, wenn auch nur in Spuren, in der Natur allgemein, im Boden, in der Luft, in Thermalwässern und auch sonst verbreitet. Es‘ erscheint daher von Interesse, zu prüfen, welchen Einfluß die Emanation auf die Pflanze ausübt. Es war, da es sich bei der Emanation um die sehr wirksamen a-Strahlen handelt, von vorn- herein sehr wahrscheinlich, daß die Wirkung eine sehr bedeutende sein dürfte. In der Tat konnte Jansen!) zeigen, daß eine Ober- flächenkultur der roten Farbstoffbakterie Dacıllus prodıgrosus durch eine Emanation von etwa 400 Macheeinheiten pro ı ccm getötet wird. Auch wird die Ausbildung des Farbstoffes sehr gehemmt, oftsin solchem Grade, daß man ganz farblose Kulturen erhält. Bringt man jedoch solche Bakterien wieder unter normale Verhältnisse, so kehrt die Farbstoffbildung wieder zurück. Über die Beeinflussung der höheren Pflanze durch die Emanation habe ich selbst?) eine Reihe von Versuchen durchgeführt, denen ich Fig. 22. Versuchsanstellung mit Emanation. Das Glasgefäß (links) enthält die Radiumlösung, die die Emanation erzeugt. -Aus diesem wird die Emanation durch ein Gebläse in das Versuchsgefäß (rechts) geschafft. folgendes entnehme. Zunächst einige Worte über die*Yersuchs- anstellung, die aus der Fig. 22 zu ersehen ist. Das Gefäß links enthält die Radiumlösung, die die Emanation erzeugt. Durch den Druck auf eine Kautschukbirne wird die Emanation in das Grefäß rechts geblasen, das als Versuchsraum, als Emanatorium dient. Alle 24 oder 48 Stunden wurde das !) Jansen, H., Untersuchungen über die bakterizide Wirkung der Radium- emanation usw. Ztschr. f. Hygiene usw., 19Io, Bd. 67, S. 135. ®2) Molisch, H., Über den Einfluß der Radiumemanation auf die höhere Pflanze. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien, 1912, Bd. CXXI, Abt. I, S. 833. a a! en —— Emanatorium wieder mit Emanation versehen. Es enthielt etwa 1,84 oder 3,45 Millicurie Emanation. Sie wird im folgenden als starke Emanation bezeichnet werden. Ich arbeitete auch mit einer mittelstarken (0,0009 Millicurie) und einer schwachen (0,00012 Milli- curie) Emanation. Für den Kontrollversuch diente ein vollkommen gleicher Apparat, der aber keine Emanation enthielt. a) Keimlinge. Die mit Keimlingen verschiedener Art durchgeführten Ver- suche lehren zunächst, daß die Radiumemanation von einer ge- Fig. 23. Phaseolus multiflorus, Feuerbohne. Links Kontrollexemplar, rechts nach 8. 23 P Einwirkung starker Emanation. Diese hemmt die Entwicklung. wissen Konzentration an auf wachsende Pflanzen einen schädigenden Einfluß ausübt. Die Keimlinge bleiben, gleichgültig, ob ihre Samen oder sie selbst der Emanation ausgesetzt waren, im Wachstum auf- fallend zurück oder hören ganz zu wachsen auf oder gehen nach einiger Zeit zugrunde. Die Schädigung ist meistens eine dauernde. Während Pflanzen, in anderer Weise geschädigt, z. B. durch längeren Aufenthalt in _— 152 _— einer mit Tabakrauch oder Leuchtgas verunreinigten Luft, wieder normal werden, wenn sie in reine Luft gebracht werden, ist dies bei den Emanationspflanzen meist nicht der Fall. Es tritt hier eine physiologische Nachwirkung ein, der zugefügte Insult wirkt weiter. Besonders ist es der Vegetationspunkt, der in Mitleiden- schaft gezogen wird. Dies läßt sich an verschiedenen Keimlingen beobachten. Bei denen von Zichorie (Czchorium intybus), der Sonnenrose (Helianthus annuus), Kürbis (Cucurbrta pepo), der Rübe (Beta vulgarıs) u.a. tritt nach der Einwirkung der Emanation oft noch gutes Wachstum der Keimblätter ein, allein die End- knospe bleibt sitzen und entwickelt sich nicht oder nur sehr langsam Fig. 24. Pisum sativum, Erbsenkeimlinge. Links Kontrollexemplare, rechts nach Einwirkung starker Emanation. Diese hemmt die Entwicklung. weiter. Ähnliches gilt von der Wurzel und ihrer Vegetationsspitze. Keimlinge, die unter dem Einfluß der Emanation stehen oder standen, zeigen noch andere Eigentümlichkeiten: sie str&cken ihre Spitze früher gerade als normale, sie ergrünen langsamer und bilden weniger Anthokyan. Manche, wie Roggen (Secale cereale) und Hafer (Avena satıva), scheiden an ihrer Spitze eine weiße kristallinische Masse aus. Zur Erläuterung sollen einige Versuche mitgeteilt werden. Feuerbohne (Phaseolus multıflorus). Zwei Blumentöpfe wurden mit Samen beschickt und als die Keimlinge den Boden eben zu durchbrechen begannen, wurden sie der starken Emanation durch 4 Tage im Finstern bei einer Temperatur von 20—22° C unterworfen. Die Pflanzen in der Emanationsluft waren im Wachstum bedeutend gehemmt, ihre unter normalen Verhältnissen nach abwärts gekrüämmte Knospen- spitze war fast schon ganz gerade gestreckt und die Ausbildung des roten und gelben Farbstoffes war behindert.” Die Stengellänge betrug bei den normalen Keimlingen nach 4 tätiger Versuchsdauer durchschnittlich 15 cm und bei den Emanationskeimlingen 7 cm (s. Fig. 23). Nach 24 Stunden ergrünten im Warmhaus die Blätter der normalen Pflanzen, während die Emanationspflanzen selbst nach 48 Stunden noch wenig Blattgrün gebildet hatten und daher bleichgrün waren. Sie wuchsen fast gar nicht weiter. Erbse (Prisum sativum). Alles wie vorher. Beginn des Versuches am 20. November ıg1r1. Einwirkung der starken Emanation durch 4 Tage. Auch hier war der Längenunterschied der Stengel in den beiden Kulturen sehr groß. Er verhielt sich nach 4 Tagen wie 10:3. Die Emanation hemmt das Wachstum der Stengel und Wurzeln, die Bildung des gelben Farbstoffes und begünstigt die Geradstreckung der Endknospe. (Fig. 24.) Die Emanation muß aber nicht immer hemmend oder gar tötend auf die Pflanze einwirken, sie kann auch, wenn sie in ge- ringen Mengen geboten wird, eine Förderung der Entwicklung hervorrufen. Das war bei den Keimlingen von Maithrola ıincana (Sommerlevkoje), Cucurbita pepo (Kürbis) und Zelanthus annuus (Sonnenrose) der Fall, bei den beiden letzteren, wenn die Ema- nation auf den Samen und nicht erst auf den Keimling wirkte. Es stellt sich eine gewisse Analogie mit Giften heraus. So wie diese in Spuren fördernd auf gewisse Prozesse einwirken, in grö- ßerer Menge hemmend oder gar tötend, so auch die Emanation. Zur Veranschaulichung des Gesagten mögen folgende Versuche dienen.‘ Kürbis (Cucurbita pepo). Am og. April ı9r2 wurden Kürbissamen. in 3 Blumentöpfe (I, II, III) ausgesät .und dann bei einer Temperatur von 17° im Finstern der Emanation ausgeseszt. I: Kontrollpflanzen, II: schwache Emanation durch 5 Tage, III: starke Emanation durch 5 Tage. Am 26. April kamen die Keimblätter bei I und II aus der Erde hervor. Die Hälfte der Keimlinge jeder Versuchsreihe blieb im Topfe und wurde an einem Südfenster aufgestellt. Die andere Hälfte wurde ins freie Land verpflanzt. Fig. 25. Cucurbita pepo, Kürbiskeimlinge. Links nach Einwirkung starker, in der Mitte nach Einwirkung schwacher Emanation, rechts Kontrollexemplar. Die starke Emanation schädigt hochgradig, die schwache fördert etwas die Entwicklung. a. Die Pflanzen in den Blumentöpfen: am 1ı5.Mai ıgı2 war bei I die durchschnittliche Länge des Stengels 5,ı cm, 10-575; » % ss 8 Be mr IE 5 Pe > Zn Fig. 26. Phaseolus multiflorus, Feuerbohne. Keimlinge links nach Einwirkung starker, Keimlinge in der Mitte nach Einwirkung schwacher Emanation, rechts Kontroll- exemplare. Die starke Emanation schädigt stark, die schwache fördert etwas. Schon der bloße Anblick lehrte, daß die Keimlinge von II größer und üppiger waren als die Kontrollpflanzen, mit anderen Worten, daß die Keimlinge durch schwache Emanation in ihrer Entwicklung gefördert wurden. Hingegen wurde durch die starke Emanation das Wachstum des Stengels, der Wurzel und der Koty- ledonen gehemmt. (Fig. 25.) Die Pflanzen III gingen nach etwa 3 Wochen ein, ohne sichtlich weiter gewachsen zu sein, die von II und I wuchsen gut weiter und gelangten zur Blüte. Die Pflanzen II waren immer etwas stärker als die normalen, unterschieden sich aber sonst nicht von I. ß. Die Pflanzen im freien Lande: III gingen zugrunde, II und I gediehen prächtig bis zur Frucht, ohne irgend merkliche Unterschiede aufzuweisen. Bohne (ZPhaseolus multıflorus). Ein ganz analoger Versuch wurde mit Bohnen gemacht und die Fig. 26 zeigt, daß die schwache Emanation auch hier eine Fig. 27. Matthiola incana, Sommerlevkoje. Keimlinge rechts nach Einwirkung starker, Keimlinge in der Mitte nach Einwirkung schwacher Emanation, rechts Kontroll- exemplare. Die starke Emanation schädigt, die schwache fördert. Förderung und die starke Emanation fast eine Sistierung des Wachtums und schließlich ein Absterben des Pflanzen bewirkt hat. Sommerlevkoje (Mafthrola incana). Wie die Fig. 27 zeigt, war das Ergebnis im wesentlichen so wie im vorigen Experimente, Auch Winkler!) und Stoklasa?) konnten in ihren Versuchen eine Förderung des Wachstums durch Radium dartun: Winkler, !) Winkler, F. F., Über die Wirkung der Radiumemanation. Wiener mediz. Wochenschr., Nr. 4I, 1912, ®) Stoklasa, J., Über den Einfluß der Radioaktivität auf die Entwicklung des Pflanzenorganismus. Öster. Chemiker-Ztg. 1912, S. 301. er 156 DER als er im Wasser mit Emanation Zlodea, Ceratophyllum und die Winterknospen von Myrrophyllum und Hydrocharıs morsus ranae zog, und Stoklasa, als er Uranpecherz von verschiedenem Ge- wichte (0,5—4 g), in Gläschen eingeschlossen, in die Knopsche Nährlösung brachte, wo die Pflanzen kultiviert wurden. Nach z2tägiger Versuchszeit betrug nach Stoklasa das Gewicht von 9 Maispflanzen: Pflanzen normal... =... 2.2, 2 2omwomes R mit 0,5 g Uranpecherz 36,24 „ I OT v 3,98: ar MENT, er 3,20% > Pe KL OJRR = 2D2uR Kleine Mengen bedingen also Förderung, große Hemmung. Stoklasa prüfte auch den Einfluß der frischen, radioaktiven Wässer (300—2000 Macheeinheiten) von Joachimsthal und fand, daß die Samen verschiedener Gewächse, die er in radioaktiven Wässern mazerieren (?) ließ, schon nach 24—36 Stunden keimten, während sie im gewöhnlichen Wasser erst nach 56—ı120 Stunden zu keimen begannen. b) Erwachsene Pflanzen. Die Emanation schädigt nicht bloß die Keimlinge, sondern auch die bereits entwickelten Organe der Pflanzen. So werden Blätter nach ein- bis dreitätigem Einfluß mißfarbig (Aucuba ja- ponica, Fuchsia globosa) oder glasig durchscheinend (Zmpatıens Sultanı). Die Schädigung kann schon im Emanationsraum oder erst später auftreten. c) Laubfall. Überraschend erscheint der Einfluß der Emanation auf den Laubfall. Gewisse Hülsenfrüchtler (Leguminosen) wie Caragana arborescens, Amorpha fruticosa, Robinia pseudacacıa und andere werfen in der Emanationsluft die Blätter viel früher ab als in reiner Luft, und zwar auch schon im Frühjahr, also zu einer Zeit, wenn unter normalen Verhältnissen noch gar nicht die Neigung zum Laubfall vorhanden ist. Als ich je zwei 10—20 cm lange Zweige von Caragana am 22. April im Finstern der starken Ema- nation aussetzte, waren nach drei Tagen bei diesen Sprossen 245 Fiederblättchen abgefallen, während die Kontrollzweige noch ganz intakt waren (Fig. 28). Wie bereits vorhin bemerkt wurde, beeinflußt die Emanation den Sproßscheitel (Vegetationspunkt) in besonders hohem Grade. Der Vegetationspunkt gerät in eine gewisse Starre, entwickelt sich nicht weiter oder wird sonst in irgendeiner andern Weise alteriert. Wenn man die angeführten Versuche überschaut, so wird es nicht unwahrscheinlich, daß die Emanation chemisch auf die Zelle einwirkt, ähnlich wie ein Gift. Stark von der Emanation beeinflußte Keimlinge können, obwohl ihre Reservestoffbehälter von Baumaterial strotzen, nicht oder nur wenig weiter wachsen, weil durch den chemischen Eingriff die Reservestoffe nicht mobi- lisiert werden, wahrscheinlich durch Lahmlegung der Fermente. Mit der Behauptung, die Emanation wirke chemisch, soll nicht Fig. 28. Caragana arborescens-Zweige. Links normal, rechts entlaubt nach ztägiger Einwirkung der Emanation. > gesagt sein, daß die Moleküle nicht auch mechanisch durch das Bombardement der a-Strahlung und durch die Strahlung der Zer- fallsprodukte geschädigt und ihr Atomverband gelockert werden könnten. Die Emanationsmenge, die sich bei Anwendung der starken Radiumlösung im Versuchsraume befand und die auf Pflanzen hochgradig schädigend oder tötend wirkt, war zwar relativ sehr groß, aber dem Gewichte nach eine erstaunlich geringe. Sie be- trug 0,0000063 mg. Es dürfte wenige Gifte geben, die schon in so kleinen Dosen so tiefgreifende Schädigungen hervorzurufen vermögen wie die Radiumemanation. a V. Das Radium, ein Mittel zum Treiben der Pflanzen), - Die Gärtner haben sich schon lange Zeit hindurch bemüht, die Ruheperiode der Pflanzen zu verschieben, abzukürzen oder ganz aufzuheben, und ihre Bemühungen waren nicht ohne Erfolg. In neuerer Zeit haben sich dieser Sache auch Männer der Wissen- schaft angenommen und eine Reihe von ausgezeichneten Methoden ausfindig gemacht, um die Pflanze aus ihrer Ruhe zu erwecken. Ich erinnere nur an das Äther-, Warmbad-, Verletzungsverfahren u. a. Im Laufe der zwei letzten Jahre habe ich gefunden, daß auch das Radium diesem Zwecke dienstbar gemacht werden kann. Wenn man in der zweiten Hälfte November Zweige vom Fig. 29. Syringa vulgaris. Endknospen des Bündels ı -(links) durch 48 Stunden, des Bündels 2 durch 24 Stunden, des Bündels 3 durch ı Stunde, die des Bündels 4 (rechts) gar nicht mit Radium bestrahlt. Die beiden Bündel ı und 2 (links) hahen getrieben. Die beiden anderen (rechts) nicht. Flieder (S'yrınga vulgarıs) abschneidet, auf die Endknospen Glas- röhrchen, in denen Radiumpräparate von bestimmter Stärke ein- geschlossen sind, bis zur Berührung auflegt, hier ı—2 Tage beläßt und dann die Zweige im Warmhause im Lichte weiter kultiviert, so treiben die bestrahlten aus, die unbestrahlten Kontrollknospen aber viel später oder gar nicht. Zum Versuche diente unter anderem ein Röhrchen, das t) Molisch, H., Über das Treiben von Pflanzen mittels Radium. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien, 1912, Bd. CXXI, S. 121. 46,2 mg reines Radiumbromid enthielt. Als am 25. November ıgıo Syringaknospen durch 24 Stunden mit diesem Röhrchen bestrahlt wurden, trieben sie nach einem Monat aus, während an den unbestrahlten Kontrollknospen zu dieser Zeit und auch später kein Treiben zu bemerken war. Den Erfolg eines ähnlichen Ver- suches zeigt Fig. 29. Die Bestrahlung von Knospen mit Radiumröhrchen hat aber insofern einen großen Nachteil, als die Knospen von der Strahlung höchst ungleichmäßig getroffen werden. Die einzelnen Teile der Knospe liegen von der strahlenden Fläche verschieden entfernt, müssen also schon aus diesem Grunde von ungleich intensiver Fig. 30. Einwirkung der Radiumemanation auf Zweige von Flieder (Syringa vulgaris). Bündel ı (links) ist in reiner Luft, Bündel 2 durch 20, Bündel 3 durch 48, Bündel 4 (rechts) durch 72 Stunden in Emanation gewesen. Die Kontrollexemplare (links)- treiben nicht, die anderen um so besser, je länger sie der Emanation ausgesetzt waren. Strahlung getroffen werden, der ungleichen Absorption der Strahlen durch die Knospenschuppen, jungen Blättchen und Blütenanlagen nicht zu gedenken. Es schien mir daher wünschenswert, auch die Wirkung der Radiumemenation auf die Ruheperiode zu untersuchen. Von dieser war von vornherein ein viel gleichmäßigerer Angriff auf die Knospe zu erwarten, da sie die Knospen von allen Seiten be- einflußt und in ihr Inneres zwischen den Knospenblättern hindurch einzudringen vermag. Dieser Gedanke hat sich denn auch als richtig erwiesen und dementsprechend war auch die Einwirkung — 160 — der Emanation auf ruhende Knospen eine viel auffälligere als die der Röhrchen. Als Emanationsraum diente wieder das in Fig. 22 abgebildete Gefäß. Zur Veranschaulichung mögen die beiden folgenden Versuche angeführt sein: Flieder (Syrınga vulgarıs). Versuch am 27. November ıgıı. ı. Zweigbündei in Emanation durch 20 Stunden, 2: = = e} „ 48 E 3: „ „ „ ”„ 12 „ 4. Y stets in reiner Luft (Kontrollversuch). Am ıo0. Dezember treibt Bündel 3, die anderen nicht. Dass hr ;; » 4 nicht, ı mäßig, 2 sehr gut und 3 ausgezeichnet. Am 30. Dezember treibt 4 immer noch nicht, hingegen Kälken alle, die der Emanation ausgesetzt waren, sehr gut getrieben. Die Bündel 2 und 3 am besten. Von dem Aussehen der Zweige am 23. Dezember gibt eine gute Vorstellung die Fig. 30. Roßkastanie (Aesculus Hıppocastanum). Versuch am ı4. Dezember ıgıı. ı. Zweigbündel in Emanation durch ı Tag, 3; 3 E si „.. 4 Tage au ” stets in reiner Luft (Kontrollversuch). In jedem Bündel waren 4 etwa ı5 cm lange Zweige. Am 4. Januar ı912 begannen dıe Knospen bei ı und 2 sich zu strecken, bei 2 stärker als bei 1. Die Kontrollknospen waren unverändert. Am 15. Januar waren alle Emanationsknospen den Kontrollknospen, die sich eben erst zu strecken begannen, weit vor, besonders die Knospen, die nur 24 Stunden der Emanation ausgesetzt waren. ‘Ihre Länge betrug durchschnittlich 6,5 cm, bei Bündel 2 etwa 4 cm und bei den Kontrollknospen 3 cm. Über die außerordent- liche Wirkung der Emanation vgl. die Fig. 31. Sowohl die Versuche mit festen Radiumpräparaten als auch die mit Emanation gelingen nur in einer gewissen Phase der Ruheperiode, d. h. etwa in der zweiten Hälfte November und im Dezember. Wird die Bestrahlung schon im September oder Oktober, also zu einer Zeit, da die Ruheperiode noch sehr fest ist, vor- genommen, so hat sie keinen Erfolg. Macht man die Versuche im — 108 — Januar oder noch später, wenn die Ruhezeit schon ausgeklungen ist, so zeigt sich entweder kein Unterschied zwischen bestrahlten und unbestrahlten Knospen oder es erscheinen die bestrahlten im Wachstum mehr oder minder gehemmt. Sie verhalten sich dem- nach in dieser Beziehung wie ätherisierte oder in lauem Wasser gebadete Zweige. Die Bestrahlung muß eine gewisse Zeit währen, sie darf nicht zu kurz und nicht zu lang dauern; im ersteren Falle zeigt sich kein Effekt, im letzteren wirkt die Bestrahlung hemmend, schädigend oder sogar tötend. Abgesehen vom Flieder und der Roßkastanie, gelangen die Versuche auch mit den Winterknospen Fig. 31. Einwirkung der Radiumemanation auf Sprosse der Roßkastanie (Aesculus Hippocastanum). Sprosse links in reiner Luft, Sprosse rechts 24 Stunden der Emanation unterworfen. Die Emanationsknospen treiben, die Kontrollknospen aber fast gar nicht. des Tulpenbaumes (Zirzodendron), der Pimpernuß (.SZaphylea) und einigermaßen auch mit denen vom Ahorn (Acer platanoıdes). Da- gegen erhielt ich negative Resultate mit den Knospen von Ginkgo, der Platane, der Rotbuche und der Linde, von denen die beiden letzten bekanntlich auch auf Äther und Warmbad nicht oder nur im geringen Grade reagieren. Der Gärtner wird zunächst fragen, ob die von mir gemachten Beobachtungen für die Praxis der Pflanzentreiberei von Bedeu- tung sind. Darauf antworte ich: derzeit nicht. Bei der außer- ordentlichen Kostspieligkeit des Radiums — ı mg Radiumelement Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 1l — 162 — kostet gegenwärtig (1912) etwa 590 Kronen — ist nicht daran zu den- ken, meine Befunde auch für die Praxis zu verwerten, zumal wir ja jetzt in dem Warmbad ein so gefahrloses, billiges und leicht zu handhabendes Mittel für. die Treiberei der Pflanzen besitzen !), Pflanzenphysiologie und Gärtnerei sind vielfach aufeinander an- gewiesen, und ich meine, der moderne Gärtner soll nicht immer ausschließlich nach dem Nutzen einer Erscheinung fragen, sondern sich auch ein Interesse bewahren für die Erscheinungen des Pflanzenlebens an und für sich. VI. Über Heliotropismus im Radiumlichte?). Die Empfindlichkeit der Pflanze für außerordentlich geringe Lichtintensitäten ist bekanntlich eine überraschend große. In jüngster Zeit wurde sogar der Nachweis gebracht (Fröschel), daß für einen Haferkeimling ein Lichtblitz der Sonne oder einer starken Lampe von nur !'500 Sekunde schon genügt, um eine heliotropi- sche Krümmung nach der Lichtquelle zu veranlassen. Mit Rück- sicht auf diese überaus große Empfindlichkeit für Licht war es von vornherein wahrscheinlich, daß auch das schwache Licht, welches von festen Radiumpräparaten beständig ausstrahlt, für das Zustandekommen des Heliotropismus schon ausreichen würde. Hafer (Avena satıva). Die zum Versuche verwendeten Keimlinge wurden in tiefster Finsternis auf Keimschalen zur Keimung gebracht, dann in eckigen Glaswannen in eine gerade Reihe gepflanzt und, sobald sie eine Länge von etwa ı—ı1, cm erreicht hatten, in der Dunkelkammer vor dem Radiumröhrchen aufgestellt. Das Licht des von mir verwendeten Röhrchens reichte für ein an die Dunkelheit ge- wöhntes Auge nicht aus, um die Taschenuhr abzulesen, und war viel schwächer als das einer Strichkultur von der Leuehtbakterie Pseudomonas lucifera Molisch. Das an einem Holzstäbchen in horizontaler Lage befestigte Radiumröhrchen wurde parallel zu den in einer geraden Reihe gepflanzten Keimlingen in einer Ent- fernung von etwa ı—3 cm so aufgestellt, daß es die Spitzen der Keimlinge etwas überragte. Über das Ganze stülpte ich noch, l) Molisch, H., Das Warmbad als Mittel zum Treiben der Pflanzen. Jena 1909, bei G. Fischer. ®) Molisch, H., Über Heliotropismus im Radiumlichte. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien, ıgıı, Bd. 120, S. 312. — 163 — obwohl der Versuch in einer lichtdichten Dunkelkammer ablief, zur ‘Sicherheit, um ja alles Licht abzuhalten, einen Dunkelsturz. Bei einer Temperatur von 17— 18° C boten die Keimlinge 48 Stun- _ den nach Einleitung des Versuches das in der Figur 32 festge- haltene Bild. Sie waren sämtlich deutlich positiv heliotropisch, d.h. zum Röhrchen hingekrümmt. Die Fig. 33 zeigt einen ähn- lichen Versuch mit demselben Röhrchen, aber von oben gesehen. Aus diesen und anderen Ex- perimenten, die ich mit verschie- denen Keimpflanzen angestellt habe, ergab sich: Die von stark leuchtenden Radiumpräparaten ausgehenden ee. lung (doapa Lichtstrahlen können positiven sativa), 48 Stunden einem leuchtenden : . : Radiumröhrchen ausgesetzt. Alle Keim- Heliotropismushervorrufen. Hafer linge wachsen auf das Licht des Röhr- und Wickenkeimlinge krümmen chens zu, sie sind positiv heliotropisch. sich auf leuchtende Radiumprä- parate in auffallender Weise zu. Da die Lichtintensität der Radium- präparate im allgemeinen eine sehr schwache ist, so gelingen die nn en) An UNS iu Fig. 33. Haferkeimlinge (Avena sativa), wachsen auf das Licht des Radium- röhrchens zu, von oben gesehen. Versuche nur mit heliotropisch empfindlichen Pflanzen. Keimlinge der Gerste und der Sonnenblume, die eine weit geringere helio- tropische Empfindlichkeit besitzen als Wicke und Hafer, wurden durch die mir zur Verfügung stehenden Radiumpräparate niemals LI8 ZE 164 er zu heliotropischen Krümmungen veranlaßt. — Daß der Heliotro- pismus nur von den leuchtenden Strahlen des Radiums hervor- gerufen wird, davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man das Röhrchen mit einem schwarzen Papier umhüllt. Es unterbleibt dann jede heliotropische Krümmung; die Keimlinge wachsen dann gerade aufrecht weiter, da die das Papier durchdringenden f- und y-Strahlen nicht richtend auf die Keimpflanzen einwirken und die a-Strahlen in diesen Versuchen nicht in Betracht kommen, weil sie durch die Glaswand des Röhrchens absorbiert werden. Damit sind aber die Einwirkungen des Radiums auf die Pflanze nicht erschöpft. Es liegen bereits Versuche von Gager vor, die den Beweis liefern, daß durch das Radium die Stärke- bildung im Licht und die Atmung der Pflanze gehemmt und die Gärung der Hefe gefördert wird, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Zukunft uns noch mit einer Reihe anderer Be- ziehungen zwischen der Pflanze und dem Radium bekannt machen wird. Hand in Hand mit den dem unbewaffneten Auge sichtbaren Veränderungen, die die Pflanze durch das Radium erleidet, gehen auch mikroskopische, und es scheint, daß hierbei auch der Zell- kern Veränderungen erleidet. Es wäre nicht unmöglich, daß vielleicht hierdurch der Anstoß zu neuen morphologischen und physiologischen Eigenschaften gegeben wird, doch haben wir vorläufig noch kein Recht, hierzu eine bestimmte Meinung zu äußern, da es an einschlägigen sicheren Tatsachen derzeit fehlt. Der Gegenstand bedarf spezieller Untersuchungen. Immerhin läßt sich jetzt schon sagen, daß das Radium, dieses wunderbare Element, das auf dem Gebiete der Physik und Chemie so revolutionär gewirkt hat und gewisse fundamentale Anschauungen, wie die von der Unwandelbarkeit des Elements und der Unteil- barkeit des Atoms umgestoßen hat, auch auf die Lebewesen ganz überraschende und eigenartige Wirkungen mit seiner unsichtbaren Strahlung ausübt. X. Der Naturmensch als Entdecker auf botanischem Gebiete’). Die Fortschritte auf dem Gebiete der Naturwissenschaften und der Technik haben sich in den letzten 30 Jahren derart gesteigert, daß sie jedermanns Erstaunen erregen müssen. Chemie, Physik, Biologie und Medizin wetteifern geradezu, Entdeckung auf Ent- deckung zu häufen. Manche von ihnen wirken geradezu ver- blüffend und erscheinen im ersten Augenblicke fast wie ein Wunder. Wir photographieren mit den unsichtbaren Röntgenstrahlen durch undurchsichtige Körper hindurch. Das Radium hat uns Erschei- nungen kennen gelehrt, die fundamentale, anscheinend festbegrün- dete Anschauungen über die Materie über den Haufen warfen, ja sogar die Lehre von der Unveränderlichkeit der Elemente erschütterten. Dank den genialen Untersuchungen von Hertz und anderen tauschen wir heute unsere Gedanken über ungeheure Strecken drahtlos aus; mit Hilfe elektrischer Wellen werden ohne jedes Kabel Telegramme zwischen England und Amerika, über den Atlantischen Ozean hinweg, oder zwischen Deutschland und Afrika gewechselt. Der alte Traum des Menschen, sich in die "Lüfte zu erheben und zielbewußt das Luftmeer zu durchfliegen, ist Wahrheit geworden. Heute fliegen Menschen in wenigen Stun- den von Paris nach Berlin, ja bis Petersburg und Konstantinopel, und vor kurzem überflog ein kühner Aeronaut zwischen Marseille und Tunis das Mittelländische Meer. Es klingt wie ein Märchen. Dazu gesellen sich Fortschritte der synthetischen Chemie über Flechtensäuren, Glykoside, Gerbstoffe, Indigo, Kautschuk, selbst die Erzeugung von Eiweiß, diesem so wichtigen Bestandteil alles 1) Vortrag, gehalten am 10. Dezember 1913 im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Im Verlage dieses Vereines I9I4 zuerst er- schienen. — 166 — Lebendigen, erscheint nicht mehr aussichtslos. Auch auf dem Gebiete der Biologie und Medizin und ganz insbesondere auf dem der Chirurgie und Chemotherapie gärt und treibt es, und jedes Jahr bringt große Erfolge. Warum häufen sich die bedeutenden Entdeckungen und Er- findungen des Menschen so auffallend in den letzten Dezennien? Ist der Mensch gescheiter geworden, hat sich seine Intelligenz gesteigert? Das ist sicherlich nicht der Fall. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Mensch stets auf den Errungenschaften seiner Vorfahren weiterbaut und daß die Fundamente der Wissenschaft immer breiter und tiefer werden. Was die Väter ersannen, kommt den Epigonen zugute. Ferner arbeiten jetzt viel mehr wissen- schaftlich gebildete Menschen an den Fragen der Wissenschaft, und damit wächst auch die Wahrscheinlichkeit, daß mehr entdeckt und erfunden wird. Wie klein waren früher die Universitäten, wie gering ihre Zahl, wie klein ihre Laboratorien und wie einfach ihre Hilfsmittel! Heute hat sich die Zahl der Universitäten und technischen Hochschulen, die stets die Pflanzstätten der Forschung waren, wesentlich vergrößert, die wissenschaftlichen Institute ver- fügen über größere Mittel und über viel mehr wissenschaftlich geschulte Personen, die ihre Lebensaufgabe in der Förderung der Wissenschaft erblicken. Ja man errichtet dank der Opferfreudigkeit wissenschaftlicher Mäzene und der Initiative des deutschen Kaisers wissenschaftliche Forschungsstätten, die nicht der Forschung und der Lehre, sondern der Forschung allein zu dienen haben. Es soll darin begabten Naturforschern Gelegenheit geboten werden, sich ganz ungestört und enthoben von Unterrichts- und Verwaltungs- sorgen der Forschung hingeben zu können. In Anbetracht dieser überraschenden Fortschritte der Neu- zeit auf dem Gebiete der Naturwissenschaften und mit Rücksicht auf die großartigen technischen Errungenschaften derrmodernen Kultur erscheint uns der Zustand eines Naturvolkes, naiv und kindlich, und unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf, daß es auch mit der Intelligenz des Naturmenschen nicht besonders bestellt ist, daß seine Beobachtungsgabe gering, seine Sinne stumpf sind und daß ihm die Fähigkeit, Entdeckungen zu machen und der Wissenschaft vorzuarbeiten, abgeht. Ich habe mir heute die Aufgabe gestellt, Ihnen für ein be- stimmt begrenztes Gebiet, für die Botanik, zu zeigen, daß‘ der Naturmensch, der nach unserer berechtigten Auffassung auf einer a 167 ——e noch sehr tiefen Kulturstufe steht und auch vor Jahrtausenden stand, eine Schärfe der Beobachtungsgabe entwickelt, die unser Erstaunen erregen muß. Er hat zahlreiche bewundernswerte Ent- deckungen und Erfindungen gemacht, die später wissenschaftliche Fortschritte angebahnt oder überhaupt erst möglich gemacht haben. Sie werden mich gleich verstehen, wenn ich Ihre Aufmerksamkeit zunächst auf die Entdeckung der Koffeinpflanzen durch die Naturvölker lenke. Nach einer beiläufigen Berechnung wird die Zahl äer heute bekannten Blütenpflanzen auf etwa 150000 Arten geschätzt. Unter diesen sind bisher nur 6 Gattungen bekannt geworden, die das Alkaloid Koffein enthalten: ı. der Kaffeebaum (Co/fea arabıca und andere Arten), 2. der Teestrauch (Zhea mit mehreren Arten), 3. die Kolanuß (Cola acumınala), 4. der Paraguay-Tee oder Mate (//ex-Arten), 5. die Guarana (Samen von Paullınıa Cupana = :P. sorbilis) und 6. der Kakaobaum (T7%eo- broma Cacao). | Cofea. Dieser zu den Rubiaceen gehörige Baum ist auf die Tropen der alten Welt beschränkt. Er ähnelt mit seinen meist karmoisinroten Früchten einem Kirschbaum. Im Fruchtfleisch eingebettet liegen gewöhnlich zwei Samen, die jedermann be- kannten Kaffeebohnen, die im gerösteten Zustande zur Kaffee- bereitung dienen. Der Tee wird von den jungen Blättern und Blattknospen des zu den Ternstroemiaceen gehörigen Teestrauches Thea chinensis L. geliefert. Ursprünglich wahrscheinlich in Assam (Asien) einheimisch, ist er heute eines der verbreitetsten und beliebtesten Volksgenuß- mittel. Der Baum Cola acumınala und verwandte Arten dieser zu den Sterculiaceen gehörigen Gattung, hauptsächlich in Westafrika einheimisch, liefern die als Grenußmittel hochgeschätzten Kolanüsse. Stücke der Nuß werden gekaut. Der Geschmack ist anfangs bitter- lich und nicht besonders angenehm. Später wird er süßlich. Die Wirkung ist ähnlich wie beim Tee und Kaffee und hängt von dem Alkaloidgehalt ab. Der Mate oder Paraguaytee, in Südamerika seit langem gebraucht, stammt von einer Aquifoliacee, dem Baume Zex Para- guayensıs St. Hil. und verwandten Arten dieser Gattung. Die Blätter werden ähnlich wie die Blätter des echten Tees benutzt und haben eine ganz analoge Wirkung. — 168 — Die Guarana wird aus den Samen der Pawullhnıa sorbilıs Mart. bereitet. Dies ist eine im Gebiete des Amazonenstromes heimische Liane, zur Familie der Sapindaceen gehörig. Die Samen werden verrieben, zu einem Teig angemacht und dann in verschiedene Formen gebracht. Die nach Europa gebrachte Guarana hat meist die Form längerer Zylinder. Die Masse wird mit Wasser ange- rührt und hat einen kräftigen bitteren Greschmack. Der Kakaobaum, 7heodbroma Cacao L., ist ein wahrschein- lich in den Küstengebieten des mexikanischen Meerbusens und auf den westindischen Inseln heimischer, zu den Sterculiaceen ge- höriger Baum. Er trägt sogenannte stammbürtige, bis 20 cm lange, gurkenartige Früchte: von gelber oder roter Farbe, die in einem süßlichen Fruchtmus zahlreicheSamen, die bekannten Kakaobohnen bergen. Schon vor der Ankunft der Spanier in Amerika wurde aus den Samen, die Koffein und die damit verwandte Purinbase Theobromin enthalten, von den Indianern Kakao und Schokolade bereitet. £ All die genannten Koffeinpflanzen, von denen Tee, Kola und Kaffee der alten, Mate, Guarana und Kakao der neuen Welt angehören, wurden von den Naturvölkern als nerven- erregende Pflanzen erkannt, obwohl der wirksame Stoff, das Koffein, weder riecht noch einen besonderen Ge- schmack besitzt. Nachdem diese Pflanzen schon seit uralter Zeit bei den Naturvölkern im Gebrauche waren, hat die Chemie in diesen Pflanzen ein und dieselbe Substanz, das Koffein, als wirksamen Stoff erkannt. Hätten die Naturmenschen mit ihrem feinen Spürsinne diese Pflanzen aus dem Heer von anderen Ge- wächsen nicht ausfindig gemacht, so würden wir wahrscheinlich von Koffein und von Koffeinpflanzen noch gar nichts wissen. Arzneipflanzen und technisch verwertete Rohstöfe. Ähnlich wie bei den erwähnten Genußmitteln verhält sich die Sache auch bei den Arzneipflanzen. Die meisten heute bei den Kulturvölkern verwendeten offizinellen Pflanzen stehen scit dem grauen Altertum im Gebrauch, und auf viele der ausge- zeichnetsten Heilmittel aus dem Pflanzenreiche sind wir durch die alten Völker hingewiesen worden. Das Opium, bekanntlich der eingetrocknete Milchsaft der unreifen Fruchtkapseln des Schlafmohnes (Pafaver somniferum), mit seinem schmerzstillenden Morphin und anderen Alkaloiden war schon den Alten bekannt. Das aus der Rinde von Cinchona- bäumen stammende Alkaloid Chinin, das sich bis auf den heutigen Tag als Fieberheilmittel bewährt hat, wäre vielleicht heute noch nicht entdeckt, wenn die Naturvölker Südamerikas die eindringen- den Spanier nicht auf die Fieberheilwirkung der Cinchonarinde aufmerksam gemacht hätten. Dasselbe gilt von anderen Heilalkaloiden, ferner von der Alo&, dem Kampfer, Harzen, Balsamen, ätherischen Ölen und Extrakten. Es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, daß wir die meisten bewährten Arzneimittel aus dem Pflanzenreiche dem Entdeckergeiste des unzivilisierten Menschen und eigentlich nicht, wenigstens nicht in ihrer ursprünglichen Form, moderner, wissen- “ schaftlicher Forschung verdanken. Im beständigen Kampfe mit der Natur, gar oft dem Hunger, Krankheiten, Ungeziefer und den Unbilden der Witterung ausgesetzt, lehrte die Urmenschen die Not beobachten, prüfen und entdecken. „Vielleicht, daß sich bei ihnen hier und da jener Heilinstinkt geltend machte, welcher das Tier treibt, die Fieberhitze in kaltem Wasser zu löschen, die steifen Glieder an der Sonne zu erwärmen, die Wunden der Haut mit dem eigenen Speichel zu befeuchten und bei verdorbenem Magen Gras zu essen, um dadurch Erbrechen zu erregen. Der Organismus reagiert auf reflektorischem Wege gegen die Schmerzen und Leiden, von denen er ergriffen wird, und wählt dazu Mittel, die am, nächsten liegen.“ „In diesem Sinne erscheint die Natur als die erste Lehrerin der Heilkunde“ (Puschmann)!). Barthels sagt von den Naturvölkern: „Sie unterscheiden mit großer Sicherheit giftige und nützliche Gewächse; sie finden bei beiden die Heilwirkungen heraus und verstehen es, sie zweck- mäßig zu verwenden. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir manche wichtige Schätze unserer Pharmakopöe den Me- dizinmännern der Naturvölker zu verdanken haben. Es sei hier nur an die Chinarinde, die Cocablätter, an Strychnos und Curare, an die Carıca fapaya, aber auch an die Ipecacuanha und die Senega erinnert. Mit großer Leichtigkeit ließe sich diese Liste noch erheblich (z. B. durch Sassafras und Quassıa u. a.) vermehren ?).“ t) Zitiert nach Tschirsch, A., Handbuch der Pharmakognosie. Leipzig 1909, S. 451. 2) Bartels, Die Medizin der Naturvölker, 1893. Zitiert nach Tschirsch, Inc S:vA52. Viele von den Naturmenschen entdeckten Gifte wurden später zu Heilmitteln. Ich erinnere an das pflanzliche Pfeilgift Strophanthus, an Akonit, an die Calabarbohne, den Mohn, an die giftigen Solaneen und Umbelliferen. Auch auf die meisten der technisch verwendeten Rohstoffe des Pflanzenreiches haben uns die Naturvölker hingewiesen: auf die Gummiarten, die Harze, Kautschuk, Indigo, Catechu, Fette, Wachs, Stärke, Rinden, Algen, Flechten, Gallen, Hölzer, Fasern, Wurzeln, Blätter, Samen und Früchte. Mit Recht sagt v. Wiesner in seinem bahnbrechenden Werke!) mit Rücksicht auf die Roh- stoffe: „Man darf nämlich nicht vergessen, daß die Auffindung dieser Körper das Resultat einer mehrtausendjährigen Erfahrung ist, an welcher alle Völker der Erde Anteil haben, und daß ge- rade durch den Spürsinn unzivilisierter Völker die bedeutungs- vollsten Entdeckungen in bezug auf die Auffindung von Roh- stoffen zutage gefördert wurden. Es ist — des Tier- und Mineral- reiches nicht zu gedenken — das Grewächsreich in einer so tief- gehenden Weise auf seine Nutzbarkeit durchgeprüft, daß der Forschung zur Auffindung neuer nutzbarer Rohstoffe nur wenig Spielraum gegönnt ist.“ Der Palmwein. Ein glänzendes Beispiel für die scharfe Beobachtungsgabe des Naturmenschen bietet auch die Art und Weise der Gewinnung des Palmweines in den Tropen. Seit alten Zeiten verstehen es die Eingeborenen tropischer Gregenden, aus zahlreichen Palmen zu gewissen Zeiten Zuckersaft (Toddy) abzuzapfen, der, falls nicht Zucker daraus gewonnen wird, entweder direkt oder nach durch- gemachter Gärung als Wein getrunken oder zur Arrakbereitung verwendet wird. Grewöhlich fließt der Saft aus den angeschnit- tenen Stummeln der Blütenspindeln (Cocos) oder des ganzen Blütenstandes (Arenga) in reichlicher Menge hervor. Man dachte früher allgemein, daß das Ausfließen des Saftes auf Wurzeldruck zurückzuführen sei, daß also der im Wurzelkörper entstehende osmotische Druck den Saft bis in die Baumkrone hinaufpresse und hier durch die Wunden zum Ausfließen bringe. Da ich aber gegen diese Auffassung Bedenken trug, nahm ich mir vor, als ich pflanzenphysiologischer Studien halber im Jahre 1897/98 auf Java weilte, die Gewinnung des Palmweines vom wissenschaftlichen !) Wiesner, J. v., Die Rohstoffe des Pflanzenreiches usw., II. Aufl., 1. Bd., S. q. ——— 171 — Standpunkte zu verfolgen. Es sei gleich bemerkt, daß nach meinen an Ort und Stelle durchgeführten Untersuchungen das Ausfließen des Saftes aus den angeschnittenen Palmblütenständen mit dem Wurzeldruck nichts zu tun hat, sondern daß der osmotische Herd, d. h. die Kraft, die den Saft hervorpreßt, im Stamme, und zwar in der Nähe des Blütenstandes seinen Sitz hat. Als ich meine Experimente auf Java begann und die Palmen in der Weise ab- zapfte, wie dies in den Reisebeschreibungen und anderen Büchern angegeben wird, wartete ich vergeblich auf ein Ausströmen von süßem Saft. Erst als ich einen Eingeborenen anwarb, der im Dienste eines Chinesen. stehend, täglich etwa 45 Kokospalmen ab- zuzapfen und den Saft zu sammeln hatte, hatte ich Gelegenheit, die Methode der Palmweingewinnung genau kennen zu lernen. Mein Gehilfe ging in folgender Weise vor: „Er kletterte mit über- raschender Gewandtheit, nur mit Füßen und Händen sich haltend Fig. 34. Junger amputierter Blütenkolben von Cocos nuci/era, von der Scheide befreit, an drei Stellen zusammengebunden. a Basis des Kolbens. b Amputationsstelle, die durchschnittenen Spindeln lassen Zuckersaft abtropfen. c weibliche Blüte, die männ- lichen Blüten sind fortgelassen. Der Blütenstand 7 mal verkleinert. und stützend, die Palme hinauf und suchte in der Krone nach solchen Blütenständen, die in der Scheide noch völlig eingeschlossen, aber dem Aufbrechen nahe waren. Eine solche Scheide ist etwa ı m lang. Ist ein passender Blütenstand gefunden, so schneidet er die Spitze der Spatha ab, führt in dieser von oben bis unten (zur Basis) mit dem Messer einen Längsschnitt und schneidet die Scheide, nachdem er sie aufgeklappt, ab, so daß nun der junge Blütenstand, dessen einzelne Verzweigungen noch der Hauptspindel anliegen, nackt zutage liegt. Nun wird das obere Ende des ganzen Blütenstandes in einer Länge von etwa 6 cm mittels eines Schnittes entfernt, hierauf der zurückbleibende Blütenstand mittels Kokos- blattfiedern an drei Stellen zusammengebunden — siehe die oben- stehende Figur 34 — und unter dem oberen Ende ein Bambus- rohr zum Auffangen des Zuckersaftes befestigt. Jeden folgenden Tag wird dann morgens und abends neuerdings durch einen Schnitt ein etwa !/, cm langes Stückchen von jeder Spindel ab- getragen, und dies wird durch 4—5 Tage fortgesetzt. Dann erst beginnt der Saft zu fließen; vor dem vierten bis fünften Tage bleiben die Schnittflächen der Spindeln entweder trocken oder sie schwitzen nur ein wenig. Ich ließ mir eine Bambusleiter an- fertigen und stieg auf derselben bis zur Krone hinauf, um die Prozedur des Abzapfens selbst kontrollieren zu können. Die Am- putation erfolgte bei einem Blütenstande am 5. Januar. Am 9. tropfte es bereits stark und den nächsten Tag noch stärker. Von jetzt an wurde das Bambusrohr täglich zweimal, nämlich früh und abends entleert, die Menge des ausgeflossenen Zuckersaftes gemessen und bei dieser Gelegenheit die alten Schnittflächen der Blütenspindeln durch Abtragen eines !), cm langes Stückes auch täglich zweimal erneuert!).“ Innerhalb ı4 Tagen lieferte ein Kokosblütenstand gegen 8 Liter süßen Saft. Es kommt also nach der Verletzung des Blütenkolbens nicht gleich zu einer Saftsekretion, sondern erst nach 4—5 Tagen, und zwar nur dann, wenn nach der ersten Amputation täglich je zwei- mal früh und abends von jedem Spindelende wieder ein etwa ı cm großes Stück abgetragen wird. Dieser kontinuierliche Wundreiz ist für das Ausfließen von wesentlicher Bedeutung. Analoges, nur in viel auffallenderem Grade, trifft bei der Zuckerpalme, der Arenga saccharıfera zu. Diese Palme erzeugt riesige Blütenstände. Auch hier genügt es nicht, den Blütenstand einfach abzuschneiden, sondern es ist auf Java üblich, den Kolben- stiel an seiner Basis, da, wo er noch keine Verzweigungen besitzt, vor der Amputation des Blütenstandes zu klopfen. Der Haupt- stiel des männlichen Blütenstandes wird, bevor seine Blüten sich öffnen, —5 Wochen, und zwar jede Woche einmal mit einem Holzhammer ringsherum mäßig stark geklopft und gleich darauf hin- und hergebogen, gewissermaßen massiert. Infolge des Klopfens erhält der Kolbenstiel braune Wundflächen. Sowie die Blüten aufzubrechen beginnen und der Kolben infolgedessen duftet, wird er etwa 30 cm über seiner Basis abgeschnitten, so daß nunmehr bloß der blütenlose Stummel am Baume verbleibt. An einer von mir gemieteten, mit fünf stattlichen Blütenständen versehenen Arenga wurde am 26. Januar ein männlicher geklopfter Blüten- !) Molisch, H., Botanische Beobachtungen auf Java. III. Abh. Die Sekretion des Palmweines und ihre Ursachen. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien, Mathem.-naturwiss. Kl., Bd. CVII, Abt. I, 1898. 77. Mrosle stand gekappt. Die Schnittwunde des Stummels tropfte sofort, in etwa je 2 Sekunden kam ein Tropfen süßen Saftes hervor. Nun wurde ein ausgeräuchertes Bambusrohr darunter befestigt, täglich eine neue Schnittfläche in die Wunde gemacht und der abge- tropfte Zuckersaft täglich zweimal, meist abends und morgens, gemessen. In. einem bestimmten Falle konnten innerhalb ı5; Tagen ı8 Liter Saft aus einem Stummel gesammelt werden. Die Manipulation des Klopfens in Verbindung mit der Er- neuerung der Wundfläche spricht dafür, daß auch hier sowie bei Cocos: ein Wundreiz eine wichtige Rolle spielt, der den im Stamme durch Auflösung der massenhaft ange- häuften Stärke gebildeten Zucker veranlaßt, sich gegen die Wundfläche zu bewegen. Wie aufmerksam muß der Naturmensch die Lebensvorgänge im Blütenstand beobachtet, wie oft muß er mit dem Blütenstand herumprobiert haben, bis er auf die geschilderte Manipulation gekommen ist und gelernt hat, die Palme erfolgreich abzuzapfen! Trinkwasser aus Bäumen. Auf meinen Wanderungen im javanischen Urwald lernte ich von den Eingeborenen ein Verfahren kennen, wie man sich da- selbst tadelloses Trinkwasser aus Pflanzen verschaffen kann!). Schon bei Junghuhn?), kann man lesen: „Sind die Javaner durstig, so hauen sie ihn (den Czss«s-Strang) in einer Höhe von 4—5 Fuß über dem Boden durch und stellen sich mit geöffnetem Munde unter das abgehauene Ende, aus welchem eine solche Menge süßlichen Saftes hervorströmt, daß sie in wenigen Augen- blicken ihren Durst zu löschen vermögen.“ Ich will gleich bemerken, daß bei dem von Junghuhn ge- schilderten Verfahren kein oder so gut wie kein Wasser aus Lianen herausfließt, sondern daß es für das Gelingen des Ver- suches unerläßlich ist, in einiger Entfernung über der gemachten Wundfläche den Stamm nochmals zu durchschneiden. Eine ungemein anschauliche Schilderung von dem Ausfließen !) Molisch, H., Botanische Beobachtungen auf Java. II. Abh. Über das Aus- fließen des Saftes aus Stammstücken von Lianen. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien, Mathem.-naturw. Kl., Bd. CVII, Abt. I, 1898, S. 977. 2) Junghuhn, Java usw., deutsch von Hasskarl, 2. Aufl., Leipzig 1854, H.sAbt,, S; 126: " des Saftes aus Czssws-Stämmen fand ich bei Mohniket). Auf einer Exkursion durch den Wald im Innern des Reiches Pontianak auf Borneo begriffen, sieht sich Mohnike mit seiner Begleitung zu seinem Leidwesen ohne Trinkwasser. „Kaum hatten wir unserem Verdruß darüber, daß ein erfrischender Trunk Wasser nicht zur Hand sei, in Worten Raum gegeben, als auch schon einige unserer malayischen Begleiter sich in das Dickicht des Waldes begaben, um einige Augenblicke später mit einem wohl ıo Ellen langen Stücke eines abgehauenen Czssws-Stranges von Armesdicke, welches auf mich den Eindruck eines. Ankertaues machte, zu uns zurückzukehren. Gegen die Schnittfläche an jedem der Enden dieses Stranges wurde von ihnen, um das Ausfließen des Wassers aus demselben zu verhüten, ein Blatt angedrückt ge- halten. Als sie dieses letztere von dem nach unten gehaltenen Ende entfernten, ergoß sich aus ihm eine solche Menge kühlen und erquickenden Wassers, daß wir wiederholt unsere Feldbecher damit füllen und alle, Europäer wie Malayen, mehr als 30 an Zahl, aus diesem Strange und einem zweiten, später nachgeholten, voll- kommen unseren Durst löschen konnten. Noch oft habe ich später, namentlich in den Urwäldern von Sumatra, mit Vergnügen dieses Wasser aus den Czssws-Strängen getrunken und mich daran gelabt.“ Ich habe mich auf Java von der Richtigkeit dieser Tatsache überzeugt und die Erscheinung wissenschaftlich verfolgt. Auch meinen eingeborenen Begleitern war die Erscheinung wohl be- kannt, und nach meinen eigenen Erfahrungen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß man tatsächlich die Lianenstämme des Urwaldes dazu benützen kann, um mit dem daraus sich ergießenden Wasser den Durst zu stillen. Sorgt man dafür — was übrigens gewöhnlich nicht notwendig ist — daß aus der aufgeschnittenen Rinde nicht verunreinigende Bestandteile, wie Milchsaft, Narz usw. in den Wasserstrom hineingelangen, so erhält man ein außer- ‘ordentlich reines, von Bakterien freies Trinkwasser. Ich habe einige Male solches Lianenwasser getrunken und mich damit öfters im Urwald gelabt. Es wäre wünschenswert, daß die wasser- spendenden Lianen mehr bekannt würden, da keimfreies, reines Wasser, zumal im tropischen Urwald, eine sehr begehrenswerte Substanz ist, die vor mancherlei Krankheit behüten kann. Wenn 1) Mohnike, O., Blicke auf das Pflanzen- und Tierleben in niederländischen Malayenländern. Münster 1883, S. 289. —.175 man davon liest, wie oft Tropenreisende mit Wassermangel zu kämpfen haben und sich nicht selten in lianenreichen Gegenden mit einem Wasser voll Schlamm und Unrat begnügen müssen, so muß man sehr bedauern, daß solchen Reisenden die Lianen als Trink wasserquelle nicht bekannt waren. Wenn man einen etwa 5 cm dicken Stamm einer Liane mittels eines javanischen Hackmessers rasch durchschneidet, so fließt in der Regel weder aus der unteren noch aus der oberen Schnittfläche Wasser heraus. Sobald man aber in einer beträcht- lichen Entfernung, am besten !/),—2 m über der ‚Schnittfläche, den Stamm neuerdings durchhackt und dann das abgetrennte Stammstück lotrecht hält, so strömt Wasser in mehr oder minder großen Mengen, nicht selten in überraschend großen Quantitäten, aus der unteren Schnittfläche hervor. Ein in der angegebenen Weise abgehacktes Zweig- stück von Uncarıa acıda ab — siehe Fig. 35 — von etwa 3 m Länge und 5 cm Dicke, gab 590 ccm Saft, gerade genug, um einen Durstigen zu er- frischen. Diese Art der Trinkquelle entdeckt zu haben, ist ein Verdienst der tropischen Naturvölker. Das Geschlechtsleben der Pflanzen. Es ist auffallend, daß das Geschlechtsleben oder die Sexualität der Pflanzen erst am Ende des ı7. Jahrhunderts von wissenschaftlicher Seite, und Fig. 35. Frisch ab- zwar von Camerarius, Professor an der Uni- ee versität in Tübingen, durch gründliche Beobach- stammes, aus dem tungen und Versuche festgestellt wurde. Er zeigte, an es daß der Fruchtknoten mit dem Griffel das weib- hervorströmt. liche Organ und der Staubbeutel oder die An- there das männliche Organ darstellt. Auch fand cr, daß, wenn man bei Rıcınus, wo die männlichen Blüten von den weiblichen auf derselben Pflanze getrennt sind, die Antheren, bevor sie sich öffneten, beseitigte, man nur taube, d.h. nur samenlose Früchte erhielt. Obwohl die verschiedenen Experimente von Camerarius die Sexualität bei Pflanzen außer Zweifel stellten, bedurfte es dennoch längerer Zeit, bis seine Anschauungen zur Geltung kamen. Mit Rücksicht auf die so späte wissenschaftliche Begründung des pflanzlichen Geschlechtslebens muß es wieder unsere Verwunde- = 176 —— rung erregen, daß schon zu Herodots Zeiten die Babylonier männliche und weibliche Dattelpalmen unterschieden und daß man schon in uralten Zeiten blühende Zweige der männlichen Dattelbäume in der Krone der weiblichen Bäume aufhing, um Früchte zu erzielen. Es fällt dann der Blütenstaub auf die weib- lichen Blüten und befruchtet sie. Auch sprechen unsere Bauern heute noch wie in alten Zeiten, wenn sie die weibliche Hanfpflanze bezeichnen wollen, von der Henne und, wenn sie die männliche bezeichnen, von dem Hahn. Obwohl die Naturvölker von dem eigentlichen Befruchtungsakt der Pflanze keine richtige, ja vielfach eine ganz falsche Vorstellung hatten, so scheinen sie doch wenigstens bei den getrennt-ge- schlechtigen, bei den sogenannten zweihäusigen Pflanzen eine Ahnung davon gehabt zu haben, daß hier eine Art Sexualität vorliegen dürfte. Der Getreiderost und seine Beziehung zur Berberitze. Eine Art Vorahnung bekundete der Naturmensch auch in der Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Gretreiderost und dem Sauerdorn oder der Berberitze (Berberıs vulgarıs). Unter Getreiderost versteht man eine überaus häufige Krankheit der Gräser, insbesondere unserer Gretreidepflanzen. Sie wird durch den Pilz Puccınıa graminıs hervorgerufen. Er erscheint haupt- sächlich an der Oberseite des Blattes in Form rostroter, pulveriger, länglicher oder strichförmiger Häufchen, die die Oberhaut durch- brechen. Diesen Pilz hat man früher Uredo genannt, und seine einzelligen Sporen werden auch heute noch als Uredosporen be- zeichnet. Später entstehen aus demselben Pilz zweizellige anders- gestaltete Sporen, die die Aufgabe haben, den Pilz zu überwintern, und Teleutosporen heißen. Merkwürdigerweise entwickeln sich in der Natur diese Teleutosporen nicht auf den Gräsern weiter, sondern auf den Blättern der Berberitze. Hier erzeugen sie auf der Unterseite der Blätter polsterartig verdickte, gelbe Pusteln, auf denen kleine orangegelbe Becherchen, die Äcidien, entstehen. In diesen werden die Äcidiosporen erzeugt. Man hat dieses Stadium früher für eine eigene Pilzgattung gehalten und Äczdıuım genannt. Wenn die Äcidiosporen auf die Blätter der Getreide- pflanzen gelangen, so keimen sie darauf und erzeugen wieder den (retreiderost. Der Entwicklungskreis des Getreiderostpilzes ist also recht kompliziert. Er umfaßt das Uredostadium mit den — 277 ee Teleutosporen auf den Gräsern und das Äcidiumstadium auf dem Sauerdorn. Mit dem Generationswechsel ist also auch ein Wirtswechsel verknüpft. Was hat das aber alles — so wird vielleicht mancher von Ihnen schon fragen — mit unserem Thema zu tun? Es wird Sie nun sicher überraschen zu hören, daß lange bevor man die Entwicklungsgeschichte des Getreiderostes kannte und bevor man wußte, daß das Uredo- und Teleutosporenstadium mit dem Äcidium der Berberitze entwicklungsgeschichtlich zu- sammenhängt, von den Landleuten immer und immer wieder be- hauptet wurde, daß zwischen dem Getreiderost und der Berberitze eine Beziehung bestehe und daß der Gretreiderost um so häufiger in einer Gegend auftrete, je häufiger der Sauerdorn daselbst vor- komme. Diese landläufige Ansicht wurde vielfach bekämpft, bis die wissenschaftlichen Untersuchungen die einfachen, lediglich auf aufmerksame Beobachtung in der Natur fußenden Ansichten des Landmannes auf das glänzendste bestätigten. Seither wird auch allenthalben empfohlen, Berberitzen in der Nähe von Getreide- feldern nicht zu dulden. Und seitdem die Sauerdornsträucher in Dänemark gesetzlich ausgerottet sind; ist das frühzeitige und ge- fährliche Auftreten des genannten: Rostes sehr selten geworden. Mit der Erklärung des Krieges gegen die Berberitze wird jetzt von Seite der Wissenschaft einer Anschauung das Wort geredet, die im Volke schon seit langem gang und gäbe war. Die Hülsenfrüctler (Leguminosen) als Stickstoffsammler, Wie die scharfe Beobachtung des Praktikers wissenschaft- liche Entdeckungen vorbereiten kann, zeigt auch die Lehre von der Stickstoffassimilation der Leguminosen. Schon im Altertum war es, wie von einzelnen Schriftstellern berichtet wird, bekannt, daß, wenn auf einem Felde Luzerne oder Wicke kultiviert worden ist, eine Düngung dann überflüssig erscheint. Die praktischen Landwirte machten die Beobachtung, daß die Nachfrucht auf solchen Feldern, das Getreide, so gedeiht, als ob vorher gedüngt worden wäre. Später erkannte man, besonders unter dem Ein- flusse der Lehre Liebigs, daß es sich hierbei um eine Verbesse- rung des Bodens durch Stickstoffanreicherung handelt, und man fing an, alle zu den Leguminosen gehörigen Schmetterlingsblütler, die Lupine, Erbse, Bohne, Wicke, Linse und andere als Stick- stoffsammler zu bezeichnen, im Gegensatz zu den Getreide- arten, der Kartoffel und der Rübe, von denen man wußte, daß Molisch, Populäre biologisehe Vorträge. 2. Aufl, 12 — 178 x sie einen Boden rasch seines Stickstoffs berauben und bei fort- gesetztem Anbau immer wieder Stickstoffdüngung ' erfordern. Stickstoffzehrer wurden sie deshalb genannt. Im Jahre 1883 erschien eine bedeutungsvolle Schrift des Rittergutsbesitzers Schultz-Lupitz, in der der Beweis geliefert wurde, daß die Leguminosen deshalb als bodenbereichernde Pflanzen anzusehen sind, weil sie dem Boden Stickstoff zuführen. Er hatte selbst durch ı5 Jahre hintereinander auf seinen Feldern mit Kainit, also ohne Stickstoffdüngung Lupinen gezogen und trotzdem wurde der Boden nicht nur stickstoffärmer, sondern sogar reicher. Dies mußte natürlich auch die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Kreise erregen, und im Jahre 1886 brachten die ausgezeichneten Arbeiten Hellriegels und Wilfahrts insofern die ersehnte Erklärung, als sie zeigten, daß die Leguminosen an ihren Wurzeln kleine, von bestimmten Bakterien bewohnte Knöllchen tragen, die die Pflanzen befähigen, freien Stickstoff zu binden und zu assimilieren. Entnimmt man dem Boden eine Kleepflanze, eine Bohne, Wicke, Linse oder irgendeine andere Leguminose, so bemerkt man an den Wurzeln eigentümliche Knöllchen, je nach der Pflanzenart verschieden in Größe und Gestalt. In den Zellen dieser Knöllchen entdeckte Woronin ı8606 Bakterien, später wurden diese auch außerhalb der Pflanze gezüchtet und gleich- zeitig wurde gezeigt, daß die Knöllchen nur dann entstehen, wenn die Bakterien Gelegenheit haben, die Wurzeln zu besiedeln. In sterilisierten Böden entstehen die Knöllchen nicht. Die schon erwähnten Untersuchungen Hellriegels zeigten dann, daß die Leguminosen an sich nicht die Fähigkeit haben, den freien Stick- stoff zu assimilieren, wohl aber im Verein mit bestimmten Bak- terienarten des Bodens, die sich in ihren Wurzelknöllchen an- siedeln. Obwohl man heute über die Frage, wie die Leguminosen dieses Kunststück fertig bringen, so gut wie nichts weiß, kann an: der Tatsache der Assimilation von freiem atmosphärischen Stickstoff durch die Hülsenfrüchtler nicht mehr gezweifelt werden. Es ist in hohem Grade bemerkenswert, daß auch die praktischen Erfahrungen in alter Zeit der Wissenschaft wertvolle Fingerzeige gegeben haben. Die Festigkeit der Bastfasern. Unter den für den Menschen bedeutungsvollen Nutzpflanzen stehen die Gespinstpflanzen in erster Reihe. Sie liefern den Natur- völkern .seit Jahrtausenden das Rohmaterial für Kleider, Binden und Seile. Wir wissen heute dank. den grundlegenden Unter- suchungen von Schwendener, daß in der höheren Pflanze Zellen vorkommen, die sich durch: eine ganz außerordentliche Festigkeit auszeichnen und zweifellos die Aufgabe haben, der Festigkeit der Pflanze zu dienen, so wie die Knochen in unserem Körper. Es sind das die Holz-, Kollenchym- und Bastzellen. Merkwürdigerweise erscheinen ’diese Zellen in der Pflanze genau so angeordnet, wie es ein theoretisch und praktisch geschulter Ingenieur mit Rück- sicht auf: die Lehren der Mechanik tun würde. Die Bastzellen haben oft ein Tragvermögen, das dem des Schmiedeeisens gleich- kommt, und der Bast mancher Pflanzen ist sogar bezüglich der Festigkeit der guter Stahlsorten ebenbürtig. Diese hochinteressanten Erfahrungen moderner Wissenschaft stehen im Einklang mit ur- alten Erfahrungen der Naturvölker, die seit langem aus dem Stengel verschiedener Pflanzen (Lein, Hanf usw.) gerade die Bastzellen aufgespürt und daraus Binden und Seile gefertigt haben. Nun zeichnen sich gerade die aus Bastfasern gemachten Seile durch großes Tragvermögen aus, der Naturmensch muß also die große Festigkeit der Bastfasern schon frühzeitig erkannt haben. Auch der ganze Garten- und Obstbau beruht großenteils auf alter Erfahrung. Das Veredeln, Okulieren, der Baumschnitt, die Zucht von Form- und Spalierbäumen, die Vermehrung durch Steck- linge, die Zucht von Edelsorten, die Düngung und viele andere im Obst- und Gartenbau angewendete Verfahren und Kunstgriffe reichen vielfach bis ins graue Altertum zurück und wurden nicht in der Stube der Gelehrten entdeckt. Ganz ähnliche Betrachtungen, wie ich sie in meinem heutigen Vortrage für das botanische Gebiet angestellt habe, ließen sich auch für das der Zoologie, Mineralogie, Chemie und Physik an- stellen und man würde dabei zu ganz ähnlichen Schlußfolgerungen gelangen. Überall würden wir dem feinen Spürsinn des Natur- menschen begegnen. Aber trotz dieser natürlichen Begabung würde es der Mensch nicht über eine gewisse Stufe der Erkenntnis gebracht haben, wenn er, auf einer gewissen Kulturhöhe angelangt, nicht angefangen hätte, Wissenschaft zu treiben, d.h. methodisch . die Erscheinungen der Umwelt zu prüfen. Die Methoden in Ver- 12* — 180 — bindung mit glücklich ersonnenen Hypothesen sind es vor allem, die die Naturwissenschaften auf eine so erstaunliche Höhe gebracht haben. Durch sinnreiche Methoden und höchst empfindliche Appa- rate wurden unsere Sinne verfeinert, der ganze sensible Apparat sozusagen mit neuen Sinnesorganen ausgerüstet, und mit solchem wissenschaftlichen Rüstzeug gelangt der moderne Forscher zu den wunderbaren, oft verblüffenden Entdeckungen der Neuzeit, ja auf einzelnen (rebieten haben wir es so weit gebracht, daß sich die Wissenschaft erkühnen kann, Entdeckungen vorauszusagen. Auf solcher Höhe angelangt, soll der moderne Forscher auf .die wert- volle Pionierarbeit des Naturmenschen nicht vergessen, eingedenk der schönen Worte Goethes: „Selbst erfinden ist schön, doch glücklich von andern Gefundenes Fröhlich erkannt und geschätzt, nennst Du das weniger Dein ?“* XI Der Scheintod der Pflanze’). „Die organische Maschine stirbt also nicht jedes mal, wenn sie vollkommen stille steht, so wenig wie die Uhr jedesmal zerbricht, wenn das Pendel nicht mehr schwingt.‘ Preyer. I. Tritt der Tod momentan ein ? Im Kreise der Laien erscheint vielfach die Meinung verbreitet, es sei in jedem einzelnen Falle leicht, rasch zu entscheiden, ob ein Tier oder eine Pflanze lebt oder tot ist. Auch glaubt man, es sei leicht möglich, den Zeitpunkt genau festzustellen, in welchem der Tod eintritt. Stirbt eine berühmte Persönlichkeit, ein Kaiser oder König, so pflegt man die Zeit des Eintrittes des Todes auf die Minute anzugeben, und diese Tatsache erweckt im Laien den Ge- danken, daß der Tod momentan eintritt und daß zwischen Leben und Tod eine scharfe Grenze besteht. Gewöhnlich bezeichnet man einen Menschen dann als tot, wenn die Atmung dauernd stille steht. Ist das der Fall, so konstatiert und bescheinigt der Arzt den eingetretenen Tod. Doch ist das eigentlich nur eine konventionelle Vereinbarung, in Wirklichkeit kann bei dem „toten“ Menschen noch manches leben. Wird ein Mensch enthauptet oder gehenkt, so stellt der Arzt nach durchgeführter Hinrichtung den Tod fest. Allein wird einige Minuten nach der amtlichen Feststellung des Todes der „tote“ Mensch seziert, so zucken die Muskeln beim Durchschneiden zu- sammen, die Gedärme kriechen in lebhafter peristaltischer Bewe- gung durcheinander und bei Eröffnung des Herzbeutels beginnt das Herz in Berührung mit dem Sauerstoff der Luft von neuem mehrere Minuten, ja bis zu einer Viertelstunde zu pulsieren. Kommt es zum Stillstand, so genügt ein Nadelstich, um eine oder mchrere !) Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1914 im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Im Verlage dieses Vereins 1915 zuerst er- schienen. — ı82 — Herzpulsationen auszulösen. 2—4 Stunden nach dem „Tode“ tritt auf Reizung der Nerven Zuckung der zugehörigen Muskeln ein. Kubialkot) gelang es sogar, in Herzen von Kinderleichen Pulsationen der Vorhöfe und Herzohren bis 30 Stunden nach dem „Lode“ zu erzielen, indem er sie mit Ringerscher Lösung durch- strömte. Das die innere Oberfläche der Luftwege, des Kehlkopfes, der Luftröhre und der Bronchien auskleidende Flimmerepithel zeigt seine rhythmische Schlagbewegung an der Leiche noch tage- lang nach dem Stillstand des Herzens in ausgezeichneter Weise. Die Flimmerepithelbewegung konnte an der Schleimhaut eines operierten Nasenpolypen, wenn die Aufbewahrung bei 4—6° C stattfand, ı2, ı4, ja in einem Falle ı8 Tage nach der Operation beobachtet werden (Busse), wie ich einem interessanten Artikel Pütters?) entnehme. Auch die farblosen Blutkörperchen und die Spermatozoiden des Menschen können "lange sÜDeREBERTN, Analoge Tatsachen bietet auch die Pflanze. Georginen pflegen schon beim ersten stärkeren Herbstfrost zu erfrieren. Sowie die Sonne die gefrorenen Blätter trifft, tauen sie auf, schwärzen sich und hängen schlaff von den Zweigen herab. Jeder wird das Blatt nach seinem Aussehen als tot. bezeichnen. Als ich jedoch vor Jahren solche erfrorene Blätter mikroskopisch untersuchte®), fand ich allerdings fast alle Zellen abgestorben, allein die Schließzellen der auf der Unterseite des Blattes in großer Zahl befindlichen Spaltöffnungen erwiesen sich in der Mehrzahl als lebend. Die Schließzellen sind gegen Kälte und andere schädliche Einflüsse viel widerstandsfähiger als die anderen Blattzellen. Wenn wir also ein solches erfrorenes Blatt als tot bezeichnen, so ist dies nur zum Teil richtig, eigentlich können wir nur sagen, ein: der- artiges Blatt ist als Ganzes nicht mehr lebensfähig und zum größten Teil tot. Der Tod braucht daher ein Be nicht durch Be: durch momentan zu erfassen, er schreitet allmählich vor. l) Kubialko, Zentralblatt für Physiologie, Bd. 16, 1902, S. 330. 2). Pütter, A., Die Chronologie des Zelltodes bei Warmblütern. Die Natur- wissenschaften . 1914, S. 628. 3) Über den Scheintod der Tiere vergleiche hatpkeachliekt W.Preyer, Natur- wissenschaftliche Tatsachen und Probleme, Berlin 1880, S. ı;: Verworn, M., Er meine Physiologie, Jena 1897, S. 129. *) Molisch, H., Untersuchungen über das Erfrieren der Pflanzen, TR am Ss. 30. = 183 en II. Der Begriff des Scheintodes. Sowie es Schwierigkeiten bereitet, genau den Zeitpunkt für den Eintritt des Todes bei einem höheren Lebewesen anzugeben, so ist es in vielen Fällen auch nicht leicht, durch bloßes Ansehen und ohne genauere Prüfung zu entscheiden, ob ein Lebewesen, ein Gewebe oder eine Zelle lebt oder tot ist. Ein lufttrockenes Getreidekorn, das hier am Tische liegt, verrät keinerlei Lebenserscheinungen. Es wächst nicht, es assimi- liert nicht, es bewegt sich nicht, kurz, es gibt kein Lebenszeichen von sich. Erst wenn es, in feuchte Erde und auch sonst unter günstige Wachtumsbedingungen gebracht, keimt, Wurzel, Stengel und Blätter bildet, dann kann ich sagen: Dieses Gretreidekorn war nicht tot, sondern lebend. Im trockenen Zustand aber unterscheidet es sich, soweit es das Auge beurteilen kann, nicht von einem toten. Ein Lebewesen, gleichgültig ob Pflanze oder Tier, das keine merkbaren Lebenszeichen von sich gibt, aber doch lebensfähig ist, bezeichnet man als scheintot. Das Ge- treidekorn, dem, obwohl es keine Lebenszeichen aufweist, doch die Fähigkeit zum Leben, zum Keimen innewohnt, ist scheintot. Erst wenn es die Lebensfähigkeit einbüßt, ist es tot. III. Lebensreaktionen. Für den Physiologen erscheint es in vielen Fällen von großer Wichtigkeit zu wissen, ob eine Zelle lebt oder tot ist. Häufig wird auch die Entscheidung darüber keine Schwierigkeiten bieten, z. B. wenn man in der betreffenden Zelle Plasmaströmung oder Kernteilung vor sich gehen sieht. Aber so auffallende Lebens- . erscheinungen lassen sich nur in den seltensten Fällen feststellen, und daher hat man von verschiedenen Seiten gewisse Methoden, sogenannte Lebensreaktionen empfohlen, die es wenigstens sehr häufig ermöglichen, in zweifelhaften Fällen Lebendes vom Toten zu unterscheiden und von denen vier hier angeführt werden sollen. ı. Eines der besten Mittel, um sich vom Leben einer Pflanzen- zelle zu überzeugen, ist die Plasmolyse. Wird eine lebende Zelle, z. B. eine Oberhautzelle des Blattes von Zradescantia oder eine Moosblattzelle in eine ıoprozentige Kochsalzlösung gelegt, so wird der. Zelle Wasser entzogen, das Plasma hebt sich, wie dies in der Fig. 36 ersichtlich ist, von der Zellhaut ab, schrumpft und ballt sich in der Zelle zusammen. Dieses Abheben des Plasmas — 184 — von der Wand infolge wasserentziehender Mittel nennt man Plasmo- lyse. Eine Zelle, bei der sich Plasmolyse hervorrufen läßt, wird als lebend angesprochen, denn tote Zellen zeigen diese Erschei- nung nicht. Obwohl diese Lebensreaktion ganz ausgezeichnete Dienste leistet, läßt sie doch nicht selten im Stiche, weil die Zelle entweder zu klein oder ihr Hohlraum zu schmal oder mit Reserve- stoffen so vollgepfropft ist, daß eine Schrumpfung gar nicht recht eintreten kann. 2. Auch elektrische Induktionsschläge können zum Nach- weis des Lebens herangezogen werden. Das lebende Protoplasma zieht sich auf solche Schläge momentan zu- sammen oder es wird in seinem Bau zer- stört. Diese Methode liefert aber im Ver- gleich zur Plasmolyse viel weniger gute Resultate, weil sie in vielen Fällen versagt. 3. Loew und Bokorny!) haben die “ Silberreaktion als Mittel für unsere Zwecke empfohlen. Sie fanden, daß lebende Zellen in ihrem Innern aus sehr verdünnter schwach alkalischer Silberlösung Silber re- duzieren. Werden lebende Zellen von ‚S%zro- gyra, Zygnema oder anderen Pflanzen in eine verdünnte alkalische: Silberlösung für 6—ı2 Stunden gebracht, so schwärzt sich Fig. 36. Vier Zellen aus das Plasma infolge der eingetretenen Silber- einem Moosblatt (Mmum). eduktion. Getötete Zellen geben diese Nach Behandlung mit Kochsalz- ? x ; \ lösung zieht sıch das Plasma von Reaktion nicht und deshalb erblicken die hr a Men ee beiden Forscher darin eine brauchbare Lebensreaktion. Leider gelingt die Reaktion, wie die beiden Genannten selbst schon gefunden haben, nicht mit allen lebenden Zellen, und daher ist die Anwendbarkeit dieser Reaktion auch nur beschränkt. 4. Das lebende Plasma hat die Fähigkeit, gewisse Farb- stoffe, z.B. den im Pflanzenreich so weit verbreiteten blauen violetten oder roten Farbstoff vieler Blüten, das Anthokyan nich durchzulassen, während das tote ihn nicht bloß durchtreten läßt, sondern auch speichert. Man kann sich leicht davon durch folgendes Experiment überzeugen. Ich schneide aus einer leben- !) Loew, O., und Bokorny, Th., Die chemische Kraftquelle im lebenden Protoplasma, München 1882, den roten Salatrübe zwei gleich große Würfel heraus und lege den einen sofort in ein Glas Wasser, den zweiten aber erst, nach- dem er in einem Luftbad bei 60° C getötet wurde. In dem ersten Gefäß, wo die lebende Rübe liegt, tritt der Farbstoff nicht aus, das Wasser bleibt ganz farblos, in dem zweiten aber, wo sich die abgetötete Rübe befindet, kommt der Farbstoff aus dem Gewebe reichlich heraus und färbt das Wasser stark rot. Auch diese Eigentümlichkeit des Plasmas, im lebenden Zu- stande für gewisse Stoffe undurchlässig zu sein, kann man als Lebensreaktion benützen. Wenn man von keiner dieser Methoden einen allgemeinen Gebrauch machen kann, so wird man trachten müssen, sich nicht mit einer Lebensreaktion zu begnügen, sondern möglichst viele heranzuziehen und miteinander zu kombinieren, um zu einer halb- wegs sichern Entscheidung zu gelangen. Die sicherste Probe auf Leben liegt wohl in der Feststellung der Weiterentwicklung. Entwickelt sich eine Zelle, ein Gewebe oder ein Keim weiter, dann kann an seinem Leben und seiner Lebensfähigkeit nicht gezweifelt werden. 4. Vorkommen des Scheintodes. Eines der bekanntesten Beispiele für Scheintod gibt das Bärentierchen Macrobrotus Hufelandır! ab. Dieses milbenartige, zu den Tardigraden gehörige Tier lebt gewöhnlich in Moosrasen und da diese sich auch häufig auf Schindeldächern vorfinden, so gelangen sie von dort auch in Dachrinnen, können hier zurück- bleiben und in den eingetrockneten Resten des Staubes leicht ge- funden werden. Diese Bärentierchen sind in der Natur häufig dem Austrocknen ausgesetzt, stellen ihre Bewegungen mehr und mehr ein und schrumpfen schließlich zu einem winzigen Klümp- chen, das keine Lebenserscheinungen mehr verrät, zusammen. In diesem Zustande, in diesem Scheintod kann das Tierchen lange Zeit verharren; wenn es aber nach einem Regen wieder Grelegen- heit hat, Wasser aufzunehmen, beginnt es sich zu strecken und zu recken und nimmt seine gewöhnliche Lebenstätigkeit wieder auf. Ähnlich wie die Bärentierchen verhalten sich auch die zu den Würmern (Nematoden) gehörigen Kleisterälchen, die in kranken Weizenkörnern leben, viele Infusorien, Flagellaten und zahlreiche Rädertierchen. — 136 — Einen ganz besonders interessanten Fall von Scheintod stellen gewisse Rädertierchen (Callıdına) dar, die in den Blattröhrchen eines auf Baumstämmen häufig vorkommenden Lebermooses Frullanıa dılatata leben. In den wie Kappen aussehenden Blatt- öhrchen halten sich mit Vorliebe die Rädertierchen Calhdına symbrotica und €. Zertgebri auf, wahrscheinlich weil sie hier günstige Ernährungsbedingungen finden. Trocknet das Moos aus, so ver- fallen die Tierchen in den Scheintod; sowie die Moosrasen aber vom herabrieselnden Regenwasser befeuchtet werden, erwachen die vorher geschrumpften Rädertierchen zu neuem Leben und lassen gleich darauf ihre Räderorgane lebhaft spielen. Solche Rädertierchen, die jahrelang mit dem Moos in einem Herbar lagen, können nach Befeuchtung mit einem Tropfen Wasser aus ihrem latenten Leben wieder zu aktivem zurückkehren. Das Pflanzenleben bietet eine reiche Fülle von Scheintodbeispielen!), von denen einige der wichtigsten und interessantesten hier be- sprochen oder erwähnt werden sollen. Lebermoose. Manche dem Austrocknen in der Natur häufig unterworfene Lebermoose erhalten sich im trockenen Zustande lange am Leben. Schröder beobachtete, daß Corsınıa marchan- tıordes, das 7 Monate im Herbar aufbewahrt war, unter normale Verhältnisse gebracht, wieder weiter wuchs. Laubmoose. In weit höherem Grade als bei Lebermoosen erscheint die Austrocknungsfähigkeit bei Laubmoosen ausgebildet. Sie kommt hauptsächlich jenen Laubmoosen zu, die in der Natur auf trockenen Standorten vorkommen. und die sich daher dem Wechsel von Benetzung und Austrocknung angepaßt haben. Solche Moose sind außerordentlich lebenszäh.. So ertrug eine auf einem Stück Kalktuff gewachsene Darbula ungurculata über zwanzig Wochen Lufttrockenheit und durch Schwefelsäure noch verstärkte Trockenheit. Nach dem Anfeuchten erwiesen sich alle*Zellen als lebend, und die Stämmchen wuchsen weiter. Im allgemeinen kann man sagen, daß nach Schröder auch die an extreme: Austrocknung gewöhnten Arten nach einigen Jahren — die äußerste Grenze sind .; Jahre — abgesehen von ihren Sporen absterben. Diese aber können noch viel länger im !) Schröder, G., Über die Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. Arbeiten des Tübinger Institutes, II. Bd., 1886, S. ı. Vgl. auch Irmscher, E., Über die Resistenz der Laubmoose gegen Austrocknen und Kälte. Pringsheims Jahrb. f. wiss. Bot. 1912, Bd:250, 52387. — 187 23 Scheintod verharren. So fand W. Schimper, daß Moossporen, die 5o Jahre im Herbar gelegen hatten, ebenso keimten, als wenn sie von frischen Pflanzen genommen worden wären. Algen. Während viele Algen das Austrocknen überhaupt ‚nicht vertragen, zeichnen sich andere gerade dadurch aus. Die letzteren findet man besonders in der Familie der Palmellaceen. Der den grünen Anflug an der Nordwestseite vieler Baumstämme bildende Pleurococcus vulgarıs erwies sich nach 20 Wochen langem, scharfem Trocknen als lebend. | Pilze. Viele Bakterien ertragen das Austrocknen nicht, andere in hohem Grade. Erstaunlich lange können gewisse: Erd- bakterien in Trockenstarre verharren, um dann wieder zu neuem Leben zu erwachen. -» Nestler!), der in einwandfreier Weise aus einem sehr alten Moosherbar der den Moosrasen anhaftenden Erde Bakterien ent- nahm und auf ihre Lebensfähigkeit prüfte, kam zu dem interessanten Ergebnis, „daß einige sporenbildende Bakterien — Bacıllus vul- gatus, B. mycordes und B. subtılıs — eine jahrzehntelange Aus- trocknung bei gewöhnlicher Temperatur vertragen und sich durch mindestens 92 Jahre lebensfähig erhalten können.“ Die Austrocknung des Vegetationskörpers höherer Pilze ist gerade nicht häufig, hingegen gibt es viele Sporen, die diese Eig- nung in hohem Grade besitzen. Brefeld erhielt aus 6 Jahre alten Sporen von dem Schimmelpilz Aspergıllus Aavus nach dem Auskeimen neue Pflänzchen. V. Liebenberg untersuchte die Sporen von Brandpilzen, die verschieden lange im Herbar trocken aufbewahrt worden waren. „Erhalten war die Keimkraft der Sporen noch bei Zzlletıa carıes nach 8'/, bei Usiilago carbo nach 7'/, bei Usztilago Kolaczkıt, Cramer! und destruens nach 53'/, bei Ustilago Tulasneı nach 61/, Jahren und scheint es nicht zweifelhaft zu sein, daß diese Zeiträume noch verlängert werden können, ohne daß dadurch die Keimkraft dieser Sporen wesentlich beeinträchtigt wird?).‘“ Samen. So wie die Austrocknungsfähigkeit bis zur völligen Lufttrockenheit bei blütenlosen Pflanzen ohne Einbuße der Lebens- fähigkeit ganz besonders bei Sporen zutage tritt, so findet sich diese Eigenschaft bei den Blütenpflanzen nur mehr in ausgezeich- I) Nestler, A., Zur Kenntnis der Lebensdauer der Bakterien. Ber. d. deutschen bot. Ges. 1910, Bd.:28;:S._7:.:: ; 2) Zitiert nach-Schröder, ]. c., S. 35. — 188 — neter Weise ausgebildet bei den Samen. Diese verhalten sich aber darin sehr verschieden. So keimen nach den Untersuchungen von Hildebrand die Samen von Sauerklee, Oxalis rubella und O.lancifolia und deren Verwandten gleich nach dem Aufspringen der Frucht und werden durch Austrocknen getötet. Die Keimungsfähigkeit der Weidensamen bleibt nur wenige Tage erhalten. Aber abgesehen von diesen und einigen anderen Fällen behalten die meisten Samen ihre Keimfähigkeit jahrelang bei. Genaue einschlägige Versuche über Getreidefrüchte ver- danken wir Burgerstein!). Darnach keimen die Früchte von Gerste, Weizen und Hafer nach zehnjähriger Aufbewahrung (mit Papier umhüllt in einer Schublade) noch zu etwa 70—90°/,, während beim Roggen die Keimkraft nach ıo Jahren erlischt. Andere Samen bleiben noch viel länger keimungsfähig; es gehören hierher die Samen vieler Schmetterlingsblütler (Papilionaceen), kürbisartiger Pflanzen (Cucurbitaceen), ferner die vom Liebesapfel, Zichorie und Raps. Die längste Keimfähigkeitsdauer kommt, soweit bekannt, den Samen der bekannten Sinnpflanze Mimosa pudıca zu. Diese können noch nach sechzigjährigem Scheintod wieder aufleben und keimen. Die Samen von Cassıa biapsularıs sogar noch nach 85 Jahren. | Allerdings wird in der Literatur heute noch manchmal hervor- gehoben, daß aus altägyptischen Mumiengräbern stammender Weizen, dem also ein mehrtausendjähriges Alter zukommt, noch keimfähig sei. Allein solche Angaben entbehren der tatsächlichen Grundlagen und sind durch verschiedene Beobachtungen längst widerlegt. So teilte Münter?) am ıo. Mai 1847 in der Gesellschaf naturforschender Freunde mit, daß Weizen und sechszeilige Gerste aus ägyptischen Mumien ihre Keimkraft völlig eingebüßt hat. „Ich brachte aus Theben“ — schreibt Unger?) über Mumien- weizen — „in einer wohl verschlossenen Tonflasche eine ziemliche !) Burgerstein, A., Beobachtungen über die Keimkraftdauer von ein- bis zehn- jährigen Getreidesamen. Verhandlungen d. k. k. zool.-bot. Ges. in Wien, Jahrg. 1895. 2) Münter, Berliner Archiv 116, Regensburger Flora 30 (1847), S. 478. Zitiert nach Kochs, siehe weiter unten. 3) Unger, F., Botanische Streifzüge auf dem Gebiete der Kulturgeschichte. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Kl., Bd. 38, Jahrg. 1859, S. 99. ig BE 89 _. Menge nach Europa. Die am besten und vollsten erscheinenden Körner hatte Herr Direktor Schott die Güte anzubauen, sie keimten jedoch nicht, ungeachtet aller darauf verwendeten Sorgfalt.“ Und an einer anderen Stelle!): „Ich schließe hieran noch die Bemerkung, daß ich wie früher schon einmal mit Gerstenkörnern aus Mumien- gräbern, nun abermals mit einigen dieser Samen, die mir am besten erhalten schienen, den Versuch machte, sie auf ihre Keimfähigkeit zu untersuchen. Es fand dies sowohl mit Weizen als mit Phalaris paradoxa statt. Der Erfolg war derselbe: selbst unter die günstig- sten Verhältnisse gebracht, trat statt der Entwicklung nur Fäulnis ein.“ Schließlich sei noch auf die einschlägigen Erfahrungen Witt- macks hingewiesen, über die er bemerkt: „Die Versuche, welche ich mit Mumienweizen anstellte, der in einem Sarkophage aus der griechischen Epoche im alten Memphis gefunden war und den das landwirtschaftliche Museum vom Kommissär der ägyptischen Regierung auf der Pariser Ausstellung ı876 Dr. Figar Bey, also sicher echt, erhalten hatte, mißlangen trotz aller Vorsicht unter den mannigfachsten Modifikationen vollständig. Die ursprünglich schon braunen Samen, von mumienartigerın Geruch, zergingen zu- letzt wie Lehm im Wasser. Ähnlich verhielt es sich mit den Samen der Mumiengerste?).“ Die vorstehenden Angaben haben das alte, immer wieder von neuem aufgetischte Märchen von der Keimung altägyptischen Mumienweizens zunichte gemacht. Wenn derlei Experimente wirklich glückten, so handelte es sich nicht um echten alten, sondern um unterschobenen frischen Weizen, der den Reisenden gegen gute Bezahlung von Betrügern auch heute noch ange- boten wird. . Es ist schon oft bemerkt worden, daß an einem bestimmten Orte mit einer plötzlichen Veränderung der Bodenoberfläche sich auch rasch die Zusammensetzung der Pflanzendecke ändert. Wenn in einem Walde, auf Äckern oder Weiden eine tiefere Umgrabung erfolgt, so erscheinen oft Pflanzen, die sich früher hier nicht oder nicht in so großer Zahl befanden. Woher stammen sie’? Man könnte der Meinung sein, daß die Samen durch Wind, Wasser, Tiere oder den Menschen hierher verschleppt wurden oder daß die Samen in der Erde ruhten und nun durch das Umgraben ) Derselbe: Ebenda, 54. Bd., I. Abt., Jahrg. 1866, S. 56. ?2) Wittmack, L., Gras- und Kleesamen. Berlin 1873, S. 15. ——. DO Zen unter günstige Keimungsbedingungen gebracht wurden. Genaue Versuche von Peter!) haben geiehrt, daß das letztere der Fall ist. Er entnahm mitten im Walde unter besonderen Vorsichten einer pflanzenlosen quadratischen Stelle von 30 cm Seitenlänge den ganzen Boden bis 8 cm tief, dann eine ebenso tiefe Lage und schließlich noch ein drittes Mal wieder so eine tiefe Schichte und beobachtete im Gewächshause, ob und welche. Pflanzen auf den drei Bodenschichten erschienen. Alle untersuchten Waldböden enthielten verborgene lebende Pflanzenkeime, „ruhende“ Samen, die, als der Boden gelockert, befeuchtet und belichtet wurde, sich _ oft bis zur Samenbildung weiter entwickelten. Bodenproben aus Wäldern, die seit jeher Wald waren, lieferten nur Waldpflanzen (Erdbeere, Himbeere, Tollkirsche usw.), Proben aus gepflanzten Beständen, auf ehemaligem Acker- oder Weideland ergaben, von. vereinzelten Waldpflanzen abgesehen, vorwiegend Acker- .oder. Weidepflanzen (Täschelkraut, Hirtentasche, Ackersenf, Hartheu, Wegerich usw.). Solche Resultate wurden mit Böden aus gepflanzten Wäldern, deren Ausforstung vor 20--46 Jahren erfolgt-war, gewonnen, und‘ daraus: schließt Peter, daß die noch keimfähigen Samen etwa ebenso lange in der Erde ruhten und sich lebensfähig er- hielten. Über die Ursache dieses langen Scheintodes im Boden spricht sich Peter nicht ‚aus, es erscheint mir aber möglich, daß der Boden einen konservierenden Einfluß auf die Samen ausübt. Der Gegenstand würde eine spezielle Untersuchung verdienen. V. Die völlige, zeitweise Unterbrechung des Lebens. Der Scheintod der Samen, Sporen, Bakterien und anderer Einzelliger wird in der Regel durch Austrocknen herbeigeführt, aber die Lebenserscheinungen können auch noch durch andere Faktoren, z. B. durch niedere Temperatur unterbunden werden. Viele Pflanzen können beinhart gefrieren, ja manche, wie unsere hochalpinen Gewächse oder die Nadelhölzer Sibiriens, verbleiben im vollständig gefrorenen Zustande monatelang, ohne daß sie dabei ihr Leben einbüßen. Sobald die Temperatur genügend hoch ansteigt, treten die Lebenserscheinungen wieder auf. Abgesehen !) Peter, A., Kulturversuche mit ruhenden Samen. Nachrichten von der kgl. Ges. d. Wissensch. zu Göttingen 1893, S._ 671. — 191 — davon, daß beim Gefrieren infolge der niederen Temperatur die chemischen Vorgänge auf ein Minimum herabgesetzt werden, ist mit der Eisbildung in der Pflanze auch ein kolossaler Wasserent- zug verknüpft, der gleichfalls zu einer Hemmung des aktiven Lebens -führt!). Es entsteht nun die Frage, ob während des Scheintodes, sei es durch Austrocknen, sei es durch Gefrieren, sei es durch beides, die Lebenserscheinungen vollständig unterbrochen sind oder ob eine Spur Leben, eine vita .minima übrig -bleibt. Kochs?) hat diese Frage aufgeworfen und, um sie zu ent- scheiden, sich bemüht, trockne keimfähige Samen an der Atmung völlig zu behindern, indem er sie in luftleeren, mit Phosphorsäure- anhydrid versetzten Röhren längere Zeit trocknete und dann in einer zugeschmolzenen Vakuumröhre aufbewahrte, die mit einer Geißlerschen Röhre verbunden war, wie sie zur spektroskopischen Untersuchung der Gase benützt zu werden pflegt. Eine genaue Prüfung ergab nun, daß nach Monaten keine Spur von Kohlen- säure gebildet wurde. Und dennoch keimten die Samen, wenn sie unter günstige Bedingungen gebracht worden waren. Daraus schließt Kochs, „daß die so behandelten Samen bis auf etwaige innere Umlagerungen scheintot waren“, . Während er bei entwickelten Tieren und Pflanzen einen wirklichen Scheintod leugnet, gibt er ihn für Sporen und Samen zu.. Von Wichtigkeit für unsere Frage erscheinen besonders die neueren Untersuchungen von Becquerel®). Er trocknete, um die Erhaltung der Keimfähigkeit bei Schimmelpilzsporen zu prüfen, die Sporen von Mucor Mucedo, M. racemosus, Rhızopus niger, ‚Aspergillus glaucus u.a. zunächst in kleinen, sterilisierten Glas- röhren bei Gegenwart von Ätzbaryt ı4 Tage lang. bei 350.6 Hierauf wurden die Röhren luftleer gemacht und zugeschmolzen. Die Röhren wurden dann vom Februar 1908 bis Mai 1909 auf-, bewahrt und im Februar 1909 3 Wochen der Temperatur der flüssigen Luft (— 180° C) und hierauf 77 Stunden der Temperatur des flüssigen Wasserstoffs (—235° C) ausgesetzt. Am g. Mai 1909 1) Molisch, %.]® c. S. 138 ?2) Kochs, W., Kann die Kontinuität der Lebensvorgänge zeitweilig völlig unter-" brochen werden? Biolog. Zbl. 1890, Bd. 10, S. 673. oe ®) Becquerel, P., Experimentaluntersuchungen über das latente Leben der Sporen der Mucorineen und Ascomyceten. Comptes rendus 1910, t. 150, p. 1437—1439. Re feriert in der Naturw. Rundschau 1910, S. 434. =. 192 —— wurden dann unter genauen Vorsichtsmaßregeln zur Verhinderung des Anfliegens fremder Keime die Sporen herausgenommen und auf sterile Nährmedien geimpft. Schon nach ı6 Stunden keimten alle Sporen der Mucorineen und innerhalb dreier Tage auch die Sporen der genannten anderen Schimmelpilze. Analoge Versuche!) mit Samen führten zu ähnlichen Ergebnissen. Becquerel schließt aus seinen Versuchen, daß bei Samen und Sporen das Leben unter den von ihm geschaffenen Bedin- gungen: Trockenheit, Luftleere und abnorm niedere Temperatur nicht etwa bloß verlangsamt, sondern völlig unterbrochen ist. Nach diesen Experimenten wird man wohl zugeben müssen, daß unter künstlichen Bedingungen nahezu sicher bei ge- wissen Samen und Sporen ein wirklicher, echter Schein- tod eintritt, daß also das Leben vollständig unterbrochen und nach längerer Zeit wieder in Gang gesetzt werden kann. Wenn es einmal gelingen sollte, Samen, Bakterien und Sporen bis auf den absoluten Nullpunkt, d. h. auf —273° C abzukühlen, wo jede Bewegung der Moleküle aufhört und damit auch jede chemische Reaktion unterbrochen wird, so wird, vorausgesetzt, daß auch dann die Sporen und Samen noch keimen, was mir sehr wahrscheinlich ist, die eben gezogene Schlußfolgerung nur noch an Sicherheit gewinnen. Sowie eine Lokomotive durch eine einfache Hebelbewegung zum vollständigen Stillstand und durch eine entgegengesetzte wieder in Tätigkeit gebracht werden kann; sowie der Strahl eines Spring- brunnens durch das Auf- und Absperren eines Hahnes momentan losgelassen oder abgestellt wird; oder sowie eine Kerze durch Anzünden zur Verbrennung, durch Auslöschen wieder zu chemischer Ruhe gelangt, so kann auch das Lebensrad in gewissen Fällen auf Monate, ja Jahre unterbrochen und dann wieder m Betrieb gesetzt werden. Vom aktiven Leben, von höchster Lebensfülle bis zum wirk- lichen Scheintod gibt es tausende Übergänge. Der sprossende, blühende und fruchtende Baum erscheint uns in vollem Leben, allein wenn er im Herbste seine Blätter abgeworfen und den Win- ter blattlos überdauert, macht er den Eindruck des Starren, Schein- !) Becquerel, P., Sur la suspension momentane&e de la vie chez certaines graines. Comptes rendus, Paris 1909, t. 148, p. 1052. toten, und trotzdem ist der das Leben bildende Stoffwechsel nicht unterbunden, sondern nur äußerst verlangsamt. Erst durch künst- liche Eingriffe, wie wir sie eben geschildert haben, kann der Stoffwechsel bei Samen, Sporen und anderen Zellen vollständig unterbrochen und das Leben, wie die Bewegung einer Maschine durch einen Hebelgriff, vollends aufgehalten werden. In der Natur aber finden in der Bakterienzelle, in der Spore und im Samen, wenn sie scheintot sind, doch kleine chemische Veränderungen statt, die bei hinreichender Dauer sich summieren und zu nicht mehr gutzumachenden Störungen und schließlich vom bloßen Scheintod zum wirklichen Tode führen. Welcher Art diese Änderungen sind, ist vorläufig unbekannt. Man wird wohl kaum mit der Annahme fehlgehen, daß es sich hier um chemische Vorgänge handelt und daß die Eiweißkörper und Fermente, die im Lebewesen eine so vorherrschende Rolle spielen, mit dem Alter der Zelle chemisch -physikalische Ände- rungen erleiden, die es ihnen unmöglich machen, auch weiterhin das Leben zu unterhalten. Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 13 XI. Die Verwertung des Abnormen und Pathologischen in der Pflanzenkultur). I. Einleitung. Wer heute eine moderne Gartenbauausstellung durchwandert und in kleinem Raume. die. herrlichen Blumen, die vielfarbigen Blattpflanzen und die verschiedenen Gemüserassen in üppigster Kultur vor sich sieht, der wird sich des Staunens kaum erwehren können. Aber er wird nicht nur staunen, sondern er wird beim Anblick vieler dieser Herrlichkeiten zweifellos auch einen ästhe- tischen Genuß empfinden, obwohl zahlreiche Objekte, die unsere Bewunderung und unser Gefallen erregen, abnormer oder sogar pathologischer Natur sind. Daß es sich hier aber in vielen Fällen um Abnormes und Krankhaftes handelt, kommt den meisten, die über solche Dinge nicht unterrichtet sind und sich darüber nicht den Kopf zerbrechen, gar nicht zum Bewußtsein. In der Tat spielt die Verwertung des Abnormen und Patho- logischen in der Pflanzenkultur eine sehr bedeutende Rolle. Dies näher zu begründen, soll die Aufgabe meines heutigen Vor- trages sein. Bevor ich darauf näher eingehe, will ich zunächst ausein- andersetzen, was man unter „abnorm“ und „pathologisch* wersteht. Abnorm ist das, was von der Norm oder Regel ab- weicht. Wenn wir auf einem Kleefelde unter vielen tausenden dreiblättrigen Kleeblättern ein vierblättriges finden, so nennen wir dieses ein abnormes Kleeblatt, weil es eben von den gewöhn- lichen Kleeblättern abweicht. I) Vortrag, gehalten am ı5. Dezember 1915 im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Im Verlage dieses Vereins 1916 zuerst er- schienen. Ist „abnorm“ und „pathologisch“ identisch? Nein. Etwas Abnormes kann pathologisch, muß es aber nicht sein. Das Ab- norme wird erst dann pathalogisch, wenn es der Pflanze schadet, sei es ihrer Entwicklung, sei es ihren Leistungen, ihrer Lebensdauer, ihrer Selbsterhaltung usw. Das vierblättrige Klee- blatt betrachte ich als abnorm, aber nicht als pathologisch, denn selbst wenn wir eine Kleerasse züchten, die nur Blätter mit je 4 Fiederblättchen erzeugt — und eine solche Rasse gibt es bereits —, so werden wir keinerlei Schädigungen, die durch die Eigenschaft „Vierblättrigkeit“ hervorgerufen werden, erweisen können. Ja man könnte sich sogar vorstellen, daß die vierblättrige Rasse einen Vorteil der normalen gegenüber voraus hat, weil die Blattober- fläche des vierblättrigen Blattes größer ist und daher stärker assi- milieren kann. Die gefüllten Blüten aber sind nicht bloß abnorm, sondern auch pathologisch. Die Füllung der Blüten kann auf verschiedene Weise zustande kommen, sehr häufig dadurch, daß die Staubblätter und mitunter sogar auch die Fruchtblätter sich in Blumenblätter umwandeln. Eine normale Rosenblüte hat nur 5 Blumenblätter, eine gefüllte aber 20—30 und mehr. Bei manchen gefüllten Blüten, z. B. bei Levkojen (Maithiola), sind alle Staubblätter und Fruchtblätter in Blumenblätter umgewandelt, daher solche Blüten keine Früchte und Samen hervorbringen können. Pflanzen dieser Art bleiben unfruchtbar und würden, sich selbst überlassen, alsbald aussterben müssen. . Die Füllung ist also nicht nur eine abnorme, sondern auch eine pathologische Erscheinung, denn sie gefährdet, indem sie zur Unfruchtbarkeit führt, die Erhaltung der Art. Der Gegenstand wird noch viel klarer werden, wenn ich das Gesagte durch eine Reihe von Beispielen näher ausführe und . weiter begründe. II. Beispiele für die Verwertung des Abnormen und Pathologischen. ı. Die Panaschierung der Pflanze. Unter unseren Kulturpflanzen gibt es zahlreiche, die nicht rein grüne, sondern mehr oder minder gescheckte Blätter haben. Die Blätter sind entweder weißgrün gebändert oder weiß gerändert oder weißgrün oder gelbgrün gescheckt; in allen diesen Fällen ist das Chlorophyll oder Blattgrün nicht gleichmäßig über die ganze Fläche des Blattes verteilt, sondern stellenweise gar nicht 13* ga oder nur mangelhaft ausgebildet. Man nennt solche Pflanzen panaschiert, und die Gärtner fügen ihrer Artbezeichnung noch die Worte „Jollis varıegatıs‘“ bei. Panaschierte Gewächse entstehen plötzlich als Varietäten aus unbekannten Gründen aus den grünen Arten und können bisweilen aus Samen oder gewöhnlich. durch Stecklinge fortgepflanzt werden. Wir besitzen bereits von zahlreichen Gehölzen (Ahorn, Buche, Buchs, Kornelkirsche, Pfaffenhütchen, Holunder, Ulme, Aucuba usw.) . und von vielen krautigen Pflanzen (Pelargonium, Panıcum, Phalarıs, Aspıdistra, Abutilon, Tradescantıa, Selaginella usw.) panaschierte Formen, und die Japaner und Chinesen haben seit jeher solche Variationen mit Vorliebe kultiviert, ja ein nicht geringer Bruch- teil panaschierter Formen, die gegenwärtig in Europa gezogen werden, wurden uns aus dem „Lande der aufgehenden Sonne“ übermittelt. Der grüne Farbstoff der Blätter, das Chlorophyll, spielt bei der Ernährung der Pflanze, und zwar speziell bei der Assimilation der Kohlensäure, eine ungemein wichtige Rolle. Nur das grüne Blatt oder, genauer gesagt, nur die grüne, chlorophylihaltige Zelle vermag im Sonnenlichte Kohlensäure aufzunehmen und daraus unter Abscheidung von Sauerstoff organische Substanz gewöhn- lich in Form von Zucker und Stärke zu bereiten. Hat ein Blatt daher an mehr oder minder großen Stellen das Chlorophyll ein- gebüßt, so wird es weniger assimilieren und daher für die Er- nährung weniger beitragen als ein normal grünes. Das ist ja auch der Grund, warum panaschierte Pflanzen im allgemeinen viel langsamer wachsen als die grünen gleicher Art, von denen sie abstammen. Es kommt auch vor, daß einzelne Sprosse an panaschierten Gewächsen gar kein Chlorophyll enthalten und daher rein weiß sind. Solche Zweige, als Stecklinge gezogen, können sich wegen des fehlenden Blattgrüns nicht mehr selb- ‚ständig ernähren und gehen, sobald die Reservestoffe aufgebraucht sind, zugrunde. Bei der Panaschüre müssen wir zwei Fälle unter- scheiden, die voneinander wesentlich abweichen. Die eine Art, welche wohl die meisten Panaschierungen umfaßt, beruht auf ganz unbekannten Ursachen, ist meist samenbeständig und nicht in- fektiös. Neben dieser Art gibt es eine andere, die nicht samen- beständig ist und durch Pfropfung auf rein grüne, gesunde Pflanzen übertragen werden kann. i Eines der bekanntesten Beispiele der letzteren Art der Pana- schierung geben die Malvaceen ab, insbesondere Abutılon Thompsoni. Wenn auf eine rein grüne Adutrlon-Art ein Sproß oder auch nur ein Blatt der gelbgrün gescheckten Form gepfropft wird, so bleiben zwar die schon vorhandenen Blätter der Unterlage grün, aber die nach eingetretener Verwachsung sich aus den Knospen neu entwickelnden Blätter werden panaschiert. Man nimmt heute allgemein an, daß in dem panaschierten Abutılon ein Giftstoff, ein Virus, vorhanden ist, der auf die gesunde Pflanze übertragen wird, sie ansteckt und panaschiert macht. Die infektiöse Panaschüre wurde in letzter Zeit auch für Cytisus laburnum, Sorbus, Ptelea, Fraxinus, Evonymus und Zıgus- Zrum von E. Baur mit Sicherheit festgestellt?). Der Gärtner züchtet daher durch Propfung eine ausgesprochene Krankheit und auch, wenn er die nicht infektiöse Panaschierung entweder durch Samen oder durch die Stecklinge weiter züchtet, stellt er etwas Pathologisches, der Pflanze Schädliches in den Dienst der Kultur. 2. Das Etiolement oder die Vergeilung der Pflanze. Für die meisten grünen Pflanzen ist das Licht zur normalen Entwicklung unbedingt notwendig. Kartoffelknollen, die im fin- steren Keller austreiben, bilden bekanntlich überverlängerte, elfen- beinweiße Triebe mit kleinen gelben Blättchen. Zieht man Bohnen vergleichsweise im Lichte und im Finstern, so bilden die Lichtkeimlinge normale, gedrungene Stengel und große grüne Blätter, die Finsterkeimlinge hingegen entwickeln überaus lange Triebe und verkümmerte, gelbe Blätter. Dadurch erhalten die bei Abschluß von Licht gezogenen Pflanzen ein eigen- artiges, unnatürliches Aussehen, das man mit dem Ausdruck Etiolement oder Vergeilung bezeichnet. Im Finstern bildet sich kein Chlorophyll. Da aber dieser Farbstoff, wie wir vorhin gehört haben, für.die Ernährung der Pflanze durch Kohlensäure von fundamentaler Bedeutung ist und ohne Chlorophyll keine Neubildung von organischer Substanz statt- findet, so zehrt die Pflanze im Finstern von ihren Reservestoffen und geht, sobald diese aufgebraucht sind, langsam dem’ Hunger- tode entgegen. !) Baur, E., Pfropfbastarde. Biol. Zbl. 1910, S. 514; derselbe, Ber. der deutsch. bot. Ges. I9O6, 1907, 1908. IR. 198 —— Trotzdem macht der Gärtner von dem Etiolement zum Schaden der Pflanze und zu seinem eigenen Nutzen häufig Ge- brauch, besonders in der Gemüsekultur. Verschiedene unserer (remüsearten werden, beim Abschluß von Licht kultiviert, nicht nur bleich, sondern auch äußerst zart, weich und schmackhaft und das entspricht den Wünschen des kaufenden Publikums. Ich will dies durch einige Beispiele näher begründen. „Die im Frühjahr aus dem Boden kommenden Spargel- sprosse (Asparagus offcınalıs) werden gleich nach ihrem Er- scheinen mit Tonglocken bedeckt, um sie vor Licht zu schützen. So kultiviert, etiolieren sie vollständig, werden lang, bleich und so weich, daß man sie gekocht ganz verspeisen kann. Bei dem Endiviensalat (Czchorum Endivia) wird ’ die Blattmasse, sobald sie ziemlich entwickelt und das ‚Herz‘ gut aus- gebildet ist, an zwei oder drei Stellen mit Bast fest zusammen- gebunden. Hierdurch werden die inneren Blätter infolge des Lichtmangels gebleicht, das Gewebe erreicht einen hohen Grad von Zartheit und Weichheit und damit ist der Zweck der Prozedur erreicht. Ähnlich verfährt man auch mit dem Römersalat (Lactuca satıva var. romana), ausgezeichnet durch längliche, stark gerippte, sich meistens nicht zum Kopfe zusammenschließende Blätter und mit den Blattstielen und Blattrippen der Cardy (Cymara Scolymus). Von der Sellerie (Afrum graveolens) gebraucht man nicht bloß die Wurzelknollen, sondern von gewissen Sorten auch die langen und breiten Blattstiele, die wegen ihres milden, aromati- schen Geschmackes geschätzt werden. Je fleischiger und zarter diese Blattstiele sind, desto höher im Werte stehen sie. Indem man die Blattstiele mit Stroh zusammenbindet und die Stauden ı5—2o cm hoch behäufelt, erhält man durch Vergeilung Blattstiele von den gewünschten Eigenschaften. In England bedient man sich zu diesem Zwecke auch ı5 cm weiter und 30 cm langer Drainröhren, die, sobald man sie im Boden befestigt und die Blätter durchgezogen hat, mit Erde gefüllt werden. Im Laufe der Zeit haben die Gärtner durch künsiehe Aus- lese Rassen von Gemüse gezüchtet, die das Etiolement gewisser- maßen an sich selbst normal vollziehen. Der Kopfsalat (Zaciuca satıva var. capıtata), bekanntlich dadurch ausgezeichnet, daß die Blätter, sich gegenseitig bedeckend, zu einem mehr oder minder festen Kopfe (Häuptel) zusammenschließen, ist ein glänzendes Bei- spiel dafür. Die den Kopf bildenden Blätter verdunkeln sich in- folge ihrer Lage gegenseitig und werden hierdurch, weil halb etioliert, zart und bleich. Ein anderes Beispiel ist der Kopfkohl (Brassica oleracea var. capıtata) mit den verschiedenen Sorten des Krautes. Die Züchtung hat es bei einzelnen Rassen so weit ge- bracht, daß die den Kopf bildenden Blätter fast ganz weiß sind!).“ Die eigentümliche Lage der jüngeren Blätter beim Kopfkohl, Kraut und Häuptelsalat ist ganz abnorm und widerspricht völlig der Funktion der Blätter. Das Blatt ist als Ernährungsorgan auf das Licht angewiesen. Nun verdunkeln sich die Blätter, soweit sie den „Kopf“ bilden, gegenseitig so stark, daß sie ihrer natür- lichen Aufgabe, Kohlensäure zu assimilieren, zum großen Teil ent- zogen werden, und gerade wegen dieser Abnormität werden die genannten Gemüsearten seit Jahrhunderten aufs eifrigste kultiviert. 3. Trauerbäume. Jedermann weiß, daß die Hauptachse der Bäume gewöhnlich lotrecht steht. Der Hauptstamm einer Fichte wendet sich kerzen- gerade nach aufwärts und die Hauptwurzel nach abwärts; beide stehen im Sinne des Lotes also vertikal. Dies gilt nicht bloß für unsere Gegenden, sondern für jeden Punkt der Erdoberfläche. Überall steht die Hauptachse der Bäume vertikal, und die Ursache dieser zwar lange bekannten, aber erst vor etwa 100 Jahren auf- geklärten Erscheinung ist die Schwerkraft. Merkwürdigerweise sind unter unseren Bäumen im Laufe der Zeit auch Varietäten aufgetreten, deren Zweige das Bestreben haben, nicht nach aufwärts, sondern gegen alle Erwartung nach abwärts zu wachsen. Dies ist bekanntlich bei den in Parkanlagen und auf Friedhöfen so häufig verwendeten Trauerbäumen der Fall. Man kennt solche Rassen von der Birke, Buche, Esche, Pappel, Ulme, Sophore, Weide, Caragana und anderen. Die Trauerformen entstehen als sprungweise auftretende Varia- tionen der normal wachsenden Mutterarten, sei es, daß ein einzelner Zweig am Baume, sei es, daß ein Sämling unter tausenden nor- malen die Abweichung zeigt. Obwohl die Trauerbäume ihren Hängewuchs manchmal auch durch den Samen vererben, macht der Grärtner dennoch davon !) Molisch, H., Pflanzenphysiologie als Theorie der Gärtnerei. 4. Aufl. jenar 7927, 3.130, = ie200,,— keinen Gebrauch, sondern pfropft zum Zwecke der Fortpflanzung ein Auge oder einen Sproß auf den Stamm einer normalen Form. Wenn er nicht so vorgehen, sondern die Trauerform entweder aus Samen oder aus Stecklingen ziehen würde, so bekäme er eine niedrige Pflanze, deren Äste sich bald zur Erde beugen und dann auf ihr liegend weiterwachsen würden. In einem solchen Falle würde man deutlich erkennen, daß die Natur, die sonst in hohem Grade zweckmäßig arbeitet, hier etwas sehr Unzweckmäßiges ge- schaffen hat. Die auf dem Boden liegenden Zweige würden bald von anderen Pflanzen überwuchert, be- schattet werden und so im Kampfe ums Dasein unterliegen. Trauerbäume müß- ten, sich selbst über- lassen, alsbald aus- sterben und ver- schwinden und können nur durch die Fürsorge des Gärtners durch Pfropfung erhalten und vor dem Unter- Fig. 37. gange gerettet wer- den. Obwohl also die Trauerbäume mit Rücksicht auf die Selbsterhaltung der Rasse als etwas höchst Unzweckmäßiges angesehen werden milssen, ent- sprechen sie doch dem Kulturzweck des Menschen. Er fühlt sich bei ihrem Anblick auch ästhetisch befriedigt und sieht in ihnen ein Symbol der Trauer. 4. Die japanischen Zwergbäumchen. Die Gärtnerei, Land- und Forstwirtschaft arbeitet darauf hinaus, die in Kultur befindlichen Pflanzen tunlichst gut zu er- nähren, um möglichst üppig wachsende, reichblühende und stark fruchtende Individuen zu gewinnen. —u 0 1 — Im Gegensatz hierzu strebt man bei den japanischen Zwerg- bäumchen auffallenderweise das Gegenteil an; man sucht nicht eine üppige, sondern eine recht ausgehungerte und wenn möglich auch gleichzeitig verkrüppelte Pflanze zu erziehen. Der Japaner ist ein großer Blumenfreund. Selbst der Ärmste zieht auf kleinstem Raume, auf dem Fensterbrett oder in einer Tonschale ein paar Gewächse, ja auf einem Quadratmeter Boden- fläche wird oft ein Gärtchen en miniature mit Bäumchen, Beeten, Bächen, Teichen, Brücken, Wegen und Laternen angelegt. Diese Freude an Kleinem mag den Japaner vielleicht auch dahin geführt haben, Mittel und Wege zu ersinnen, eine Pflanze zum Zwerge zu machen. So haben die Japaner es dahin gebracht, Kirsch-, Ahorn-, Pflaumen-, Eichen-, Kaki- und Nadelholzbäumchen viele Jahrzehnte in kleinen Blumentöpfen in Zwergform zu ziehen; 100—200 Jahre alte Zwergbäumchen von ı Meter Höhe sind in Japan, wie ich mich selbst in Kioto, Nikko und Yokohama über- zeugte, etwas Grewöhnliches. Je älter der Zwerg und je kleiner, desto wert- voller erscheint er in den Augen der Japaner. Die Fig. 37 stellt das Zwergbäum- chen einer Föhrenart, das ein sehr hohes Alter erreicht hat, dar, obwohl es zeit- lebens im Blumentopf stand und kaum ı Meter Höhe erreicht hat. Die Fig. 38 ist ein Beispiel eines zwergigen und mißgestalteten Föhrenbäumchens. Die Wurzeln wurden allmählich immer mehr von Erde entblößt, so daß das Bäumchen schließlich wie auf Stelzen steht und von seinen eigenen Wurzeln getragen wird. Einen groteskeren Krüppel in Baum- gestalt kann man sich kaum vorstellen. Um Zwergbäumchen heranzuziehen, pflanzt man möglichst kleine Samen in winzige Blumentöpfe, die festgestampfte und nähr- stoffarme Erde enthalten. Begossen wird nur gerade so viel, als unbedingt notwendig ist. Nebenbei bedient man sich noch ver- ii 202 schiedener Kunstgriffe,. um das Wachstum und die Entwicklung tunlichst zu verlangsamen. Man entfernt die Hauptwurzel, köpft die Hautachse, ersetzt sie durch eine Nebenachse, schneidet die Zweige häufig zurück, biegt, dreht, ringelt sie, entblößt die Wurzeln zum Teil von Erde und macht sie, wie dies auch aus der Fig. 38 zu ersehen ist, gewissermaßen zum Stamm. Durch planmäßiges Hungernlassen gelangt man schließlich zu den sonderbaren Zwergen, die das Auge des Japaners seit Jahrhunderten erfreuen. Hunger und Durst werden hier zu Kultur- faktoren, und das Pathologische wird hier zum Ziel gärtnerischer Fertigkeit. 5. Die Fasziation oder Verbänderung. Während wir im vorhergehenden Abschnitt eine Erscheinung kennen lernten, die auf mangelhafter Ernährung beruht, soll nun- mehr ein Phänomen besprochen werden, das durch Überernährung begünstigt wird: die Verbänderung oder Fasziation. Es kommt mitunter vor, daß ein unter normalen Verhältnissen stets zylindrisch gebauter Stengel infolge mächtiger Verbreiterung der Endknospe bandförmig ausgebildet ist. Blatt- und Blüten- organe erscheinen dabei oft vermehrt und regellos verschoben. Die Verbänderung wird verhältnismäßig oft bei Korbblütlern z. B. beim Löwenzahn (7araxacum) und Chrysanthemum, ferner beim Spargel, bei der Schachblume, bei verschiedenen Grehölzen, z. B. bei Erlen, Weiden, Eschen, Holunder, Föhren und anderen beobachtet. Der verbreiterte Zweig macht häufig den Eindruck, als ob mehrere Zweige miteinander verwachsen wären, es handelt sich aber in der Regel nicht um eine Verwachsung, sondern um einen Zweig, dessen Spitze (Vegetationspunkt) nicht, wie dies ge- wöhnlich der Fall ist, kegelförmig, sondern kammartig flach ist. Die eigentliche Ursache der Verbänderung kennt man nicht, doch dürfte die Überernährung dabei entweder als Ursache oder als Begleiterscheinung eine Rolle spielen, denn es gelingt mit- unter, aus Knospen durch plötzliche Zufuhr großer Mengen pla- stischer Stoffe verbänderte Zweige zu erhalten. Wenn man bei jungen Keimlingen der Feuerbohne (Phraseolus multiflorus) oder der Saubohne (Vrera Faba) den Keimstengel (das Epikotyl) kappt, so treiben die Achselknospen der Keimblätter aus und entwickeln dann wenigstens die erste Zeit hindurch infolge der plötzlichen Nahrungszufuhr verbänderte Sprosse. Die Verbänderung läßt sich durch Pfropfen (Erle, Holunder usw.) und bei dem Hahnenkamm, Celosia crıstata, sogar durch Samen fortpflanzen. Die Celos:a, eine einjährige Amarantacee aus Ostindien, zeigt die Verbänderung, und zwar am Blütensproß in typischer Form, und gerade wegen dieser Eigentümlichkeit wurde der Hahnen- kamm zu einer beliebten Zierpflanze. Es gibt bereits zahlreiche Spielarten davon; der hahnenkammartige Blütenstand ist bald flach, gefaltet oder gekraust und seine Farbe bald blutrot, amarantrot, purpurn, violett oder bunt. Wir sehen hier eine ausgesprochene Mißbildung in den herrlichsten Farben prangend und diese haben zweifellos beigetragen, diese Abnormität in Kultur zu nehmen. 6. Die Jungfernfrüchtigkeit oder Parthenokarpie. Wenn aus einer Eizelle ein Embryo entstehen soll, so bedarf es der Befruchtung. In seltenen Fällen kann aber auch ohne den Einfluß einer männlichen Geschlechtszelle ein Embryo zustande kommen — eine Erscheinung, die man als Jungferngeburt oder Parthenogenese bezeichnet. Sie wurde bei Farnen, Marsilia-Arten, Wickstroemia, Antennarıa, Alchemilla und noch anderen Pflanzen beobachtet. Es ist nun in hohem Grade interessant, daß sich auch Früchte ohne vorhergehende Befruchtung zu normaler Größe ent- wickeln können, allerdings ohne keimfähige Samen. Diese Er- scheinung, die man bereits für Gurken, Bananen, manche Stachel- beersorten, Birnen, Äpfel und die kernlose Mispel kennt, wird Parthenokarpie oder Jungfernfrüchtigkeit genannt!). Durch die Untersuchungen von H. Müller-Thurgau, insbe- sondere aber von Ewert, der als erster das weitverbreitete Vor- kommen der Jungfernfrüchtigkeit für verschiedene Äpfel- und Birnensorten nachwies, wurde unsere Kenntnis parthenokarper Pflanzen bedeutend vermehrt. Bei manchen Birnen- und Apfelrassen besteht eine besondere Neigung, auch ohne Befruchtung Früchte zu bilden. So ist es bei der Apfelsorte „Cellini“ und der Birnensorte „Clairgeau“. Die Fig. 39 zeigt den Apfel „Cellini“, rechts als Jungfern- frucht, links als normale, durch Befruchtung gewonnene Frucht. !) Vgl. darüber: Molisch, H., Pflanzenphysiologie, 1. c. S. 268. Hier auch die einschlägige Literatur. Der reife, kernlose Celliniapfel — die Jungfernfrucht — ist im allgemeinen höher gebaut, hat eine tiefere Kelchhöhle und eine verschmälerte Kernkammer im Vergleich zu dem normalen, durch Befruchtung hervorgegangenen Apfel. \ Welche praktische Bedeutung hat nun die Erscheinung der Parthenokarpie für die Obstkultur? Die Ansichten sind darüber geteilt. Müller-Thurgau verspricht sich für den praktischen Obst- bau nicht viel, Ewert hingegen hält die Sache für sehr aussichts- un ig. 39. Apfel Cellini. I Normale Frucht, durch Befruchtung (Fremdbestäubung) gewonnen. Kernhaus und Samen gut ausgebildet. II Jungfernfrucht, ohne Befruchtung gewonnen. Kernhaus verengt, kernlos.. Nach Ewert. nv reich. Ich selbst habe mich darüber folgendermaßen ausge- sprochen: „Von vornherein würde es der Mensch freudig begrüßen, wenn es gelänge, kernlose Kirschen, Mispeln, Trauben, Äpfel, Birnen und andere Früchte zu züchten. Dies würde einen Triumph der Obstkultur bedeuten. Bei der Banane ist dieses ideale Ziel erreicht, denn abgesehen von der Fruchtschale ist die ganze. Frucht genießbar, sie zerschmilzt förmlich zwischen Zunge und Gaumen. Beim Apfel und der Birne aber sind wir vom Ideal noch etwas weit entfernt. Die Amerikaner haben zwar die Kern- losigkeit des „Spencerapfels“ geschäftlich auszunutzen versucht, allein sie hatten doch nicht den gewünschten Erfolg, weil mit den Samen noch nicht das bei dem Genuß unangenehme, pergamentartige Kernhaus verschwunden ist. Bei der Birne steht die Sache schon insofern günstiger, weil das Kernhaus weicher ist, weniger stört und bei Jungfernfrüchten mitunter ganz fehlt. Ewert hofft bei Birnen durch systematische Züchtung schließlich nicht nur zu kern- losen, sondern auch zu kernhauslosen Früchten zu kommen und durch Kreuzung von Rassen, die zur Jungfernfrüchtigkeit neigen, schließlich die Kernlosigkeit dauernd zu fixieren. Noch mehr wäre es natürlich zu begrüßen, auch beim Stein- obst Kern und Stein allmählich zum Verschwinden zu bringen, ein Ideal, das noch in weiter Ferne liegt. Die vom Amerikaner Burbank gezüchtete sogenannte kernlose Pflaume enthält leider noch einen weichen Stein mit einem gut entwickelten Samen. Die Apfel- und Birnblüten würden, wenn das Wetter trüb und regnerisch ist, der Bienenflug unterbleibt und die Bestäubung daher nicht stattfindet, keine Früchte ansetzen. Sind die Sorten aber jungfernfrüchtig, so bedarf es keiner Befruchtung und doch entstehen Früchte. Das ist für die Obstzucht zweifellos ein Vorteil!).“ Jedenfalls werden schon jetzt gewisse Obstsorten, die partheno- karpische Neigungen bekunden, mit Vorliebe kultiviert. Für den Menschen bedeuten sie einen Vorteil, obwohl die Jungfernfrüchtig- keit für die Selbsterhaltung der Pflanze verderblich ist und ohne die Hilfe des Züchters zum Aussterben der Sorte führen muß. ” 7. Die Durchwachsung. Bei Rosen kann man zuweilen die Beobachtung machen, daß aus der Mitte der Blüte eine zweite hervorwächst, indem sich die Blütenachse fortsetzt. Diese Erscheinung — Durchwachsung oder Prolifikation genannt — findet sich nicht nur bei der Rose, sondern auch bei anderen Pflanzen vor, bei der Nelke, Ranunkel, Primel u.a. ja es gibt sogar zwei Pflanzenrassen, die, weil sie Durchwachsung regelmäßig zeigen, eben wegen dieser Eigentüm- lichkeit in Kultur genommen worden sind. Es ist dies eine Rasse von Arabis alpına?) und Reseda odorata. 1) Molisch, H., l.c. S. 272. 2) Gartenflora, Jahrg. 51. — 206 — Arabıs alpıina var. flore pleno zeichnet sich dadurch aus, daß aus der Blüte regelmäßig noch eine zweite, ja mitunter eine dritte, in seltenen Fällen sogar noch eine vierte hervorsproßt, so daß eine kleine Kette von Blüten entsteht. Hand in Hand damit kann auch eine Vermehrung der Blumenblätter und eine Entartung der weiblichen und männlichen Organe erfolgen und dies ist der Grund, warum diese Pflanze keine tauglichen Samen hervorbringt und immer wieder durch Stecklinge vermehrt werden muß. Etwas ganz ähnliches, nur noch in bedeutend verstärktem Maße, hat man an einer Rasse der Reseda odorata festgestellt'). Diese Sorte, genannt Reseda odorata var. prolifera ‚alba, trat plötzlich unter nor- malen Sämlingen in einer englischen Gärtnerei auf und fiel durch ihre mehr- fach durchwachsenen Blüten auf. Die Achsenspitze jeder Blüte wächst hier zu einer neuen Blüte aus, und indem sich dieser Vorgang mehrmals wieder- holen kann, stehen die Blüten wie die Perlen in einer Kette aneinander ge- reiht. Dazu kommt, daß aus einer Blüte oft zwei Sprosse entspringen, die regel- mäßig wieder Blütendurchwachsungen zeigen, und dieser Umstand führt schließ- lich zur Ausbildung eines oft fußlangen, rispenartigen Blütenstandes, von dem ein Zweig in der nebenstehenden Fig. 40 abgebildet ist. Auch diese Pflanze bleibt unfruchtbar und wird durch Stecklinge vermehrt, 117. Es wäre nicht schwer, die angeführten Beispiele noch be- deutend zu vermehren, allein ich glaube, daß das Gesagte völlig genügen wird, zu beweisen, daß das Abnorme und Pathologische tatsächlich in der Pflanzenkultur eine große Rolle spielt. Zum Schaden der Pflanze und zum Nutzen des Menschen. Bei unseren !) Henslow, G., Note on a Proliferous Mignonette. The Journ. of the Linn. Society, Botany, Vol. XIX, 1882, p. 214— 216. i Betrachtungen muß man scharf unterscheiden zwischen den Be- dürfnissen der Pflanze und denen des Menschen. Der Mensch fragt bei der Kultur und Züchtung der Pflanzen nicht darnach, ob die Heranzüchtung einer bestimmten Eigenschaft einer Pflanze nützt oder schadet, denn in der Regel ist der rein egoistische Standpunkt maßgebend. Sein Vorteil entscheidet. Grenau so ist es ja auch bei der Tierzucht. Ja hier geht der Egoismus so weit, daß der Mensch selbst vor der Grausamkeit nicht zurückschreckt und die Tiere verstümmelt, Funden Ohren und Schwanz abschneidet, die Tiere durch Mästung krank macht, sie entmannt, Singvögel blendet oder die Tiere sonstwie schädigt, alles nur, um seine egoistischen Ziele zu befriedigen. — Merkwürdig ist, daß den meisten Menschen das Abnorme und Krankhafte an vielen unserer Kultur- und Zier- pflanzen gar nicht zum Bewußtsein kommt und daß sie das für die Pflanze Pathologische sogar schön finden. Man kann auch gar nicht behaupten, daß unsere in herr- lichen Farben prangenden, köstlich duftenden Rosen wegen ihrer Füllung unschön sind. Im Gegenteil, sie haben den Menschen seit jeher entzückt. Das, was den Menschen an den Rosen ästhe- tisch befriedigt, ist ja gerade bis zur höchsten Vollendung groß gezüchtet worden. Goethe hatte nicht so ganz unrecht, als er, gegen den Mißbrauch des Schlagwortes „krankhaft“ sich wendend, voll Unmut ausrief: „Das ist Überspannung, krankhaftes Wesen, heißt es da, als wenn Überspannung, Krankheit nicht auch ein Zustand der Natur wäre.“ Die gefüllte Rose, der aromatisch duftende, saftfleischige Calvilleapfel, der melancholisch wirkende Trauerbaum lehrt uns, daß die Natur auch auf dem Wege des Pathologischen zum Schönen gelangen kann. Nicht nur das Schöne, sondern auch das Absonderliche, ja Groteske kann Gegenstand der Kultur werden, wie die japanischen Zwergbäumchen und Formbäume zeigen. Wenn auch die Zwerg- bäumchen unserem Geschmacke nicht entsprechen, so dürfen wir die Japaner deshalb nicht allzu scharf kritisieren, denn das Ab- norme, Pathologische und Groteske hat in der Kultur, Kunst und Literatur zu allen Zeiten bei allen Völkern sowohl bei den Wilden als auch bei den höchststehenden Kulturvölkern eine sehr be- deutende Rolle gespielt. — 2089 — Losgelöst vom Menschen, erscheint die Kulturpflanze in vielen Fällen nicht veredelt in ihrem Sinne, sondern dekadent und dem Aussterben näher gebracht. Und Unger hatte voll- ständig recht, wenn er sagte: „Die Kulturpflanze ist also nur für den Menschen ein veredeltes Wesen, an und für sich nicht, — im Gegenteil von ihrer normalen, lebenskräftigen Höhe herunter- gestiegen und unedler geworden. Wir verehren in ihr keineswegs den großen Gesetzgeber der Natur, sondern das selbstgeschaffene goldene Kalb!).“ I) Unger, Fr., Über die physiologische Bedeutung der Pflanzenkultur. Wien 1860. XI. Biologie des atmosphärischen Staubes (Aöroplankton)). Vor 53 Jahren hielt der berühmte österreichische Geologe Eduard Suess in diesem Vereine einen gehaltvollen Vortrag „Über den Staub Wiens und den sogenannten Wiener Sandstein®“). Ihm war es dabei hauptsächlich darum zu tun, zu zeigen, daß dieser Sandstein wegen seiner leichten Zersetzlichkeit die Haupt- quelle des über Wien so reichlich fallenden Staubes ist und nicht so sehr das Wiener Granitpflaster. Ich habe mir heute eine andere Aufgabe gestellt. Nicht die mineralischen Bestandteile, sondern das Leben im atmosphärischen Staube, seine Keime und die Beziehungen zu den Menschen sollen uns beschäftigen. Wenn man durch ein kleines Loch eines Fensterladens ein Bündel direkter Sonnenstrahlen in ein finsteres Zimmer leitet, so sieht man im Strahle Millionen von Sonnenstäubchen, bei ruhiger Luft sich langsam bewegend, bei bewegter in raschem Wirbeltanz. Die weitaus überwiegende Mehrzahl dieser Stäubchen besteht nach meinen Erfahrungen aus Nebeltröpfchen, eine sehr große Menge aus mineralischen Teilchen, eine geringere aus Gewebeteilchen von Pflanzen, Tierhaaren, Ruß, Stärkekörnchen und, was von besonderer Wichtigkeit ist, aus Bakterien, Sproßpilzen, Kiesel- algen oder Diatomeen und Pollenkörnern. So wie man die im Wasser schwebenden Organismen als Hydroplankton bezeichnet, !) Vortrag, gehalten den 6. Dezember 1916 im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Im Verlage dieses Vereins 1917 zuerst er- schienen. ?) Suess, E., Verein z. Verbr. naturw. Kenntn. in Wien, Jahrg. 1863/64, Wien 1865, S. 269. Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 14 I ae — so kann man die in der Luft schwebenden passend als A&öro- plankton!) zusammenfassen. Die Anwesenheit von niederen Lebewesen und Keimen von solchen in der Luft hat man früher nicht gekannt, erst durch die wichtigen Untersuchungen Pasteurs wurde die für die Frage der Urzeugung und für die moderne Hygiene so wichtige Tatsache festgestellt, daß in der atmosphärischen Luft sich stets Keime der verschiedensten Art .vorfinden, die sich in eingetrocknetem Zu- stande lange lebend erhalten und sich, wenn auf günstigen Boden fallend, weiter entwickeln und ins Unendliche vermehren können. Pasteur hat große Mengen Luft durch Schießbaumwolle filtriert, diese in Äther gelöst und den Rückstand schließlich mikroskopisch geprüft. In diesem Rest befanden sich neben vielen mineralischen Stäubchen auch zahlreiche Mikroorganismen. In sehr einfacher Weise kann man heute die Anwesenheit lebender Keime in der Atmosphäre durch folgende Methode nachweisen. Einfangen der Keime. Man beschickt eine Reihe von übereinander klappbaren Doppel- schalen, sogenannten Petrischalen, mit einem bei gewöhnlicher Tem- peratur starren, für Bakterien, Schimmel- oder Hefepilze günstigen Nährsubstrat und sorgt dafür, daß im Innern der Schale alles frei von lebenden Keimen ist. Dann setzt man, indem man die Schale öffnet, ihren Inhalt 5—ı5 Minuten lang der atmosphärischen Luft aus, schließt hierauf die Schale und bringt sie schließlich an einen für die Entwicklung günstigen, finsteren und warmen Ort. Nach einigen Tagen beobachtet man, daß aus den eingefallenen Keimen sich Kolonien gebildet haben, und aus ihrer Zahl und ihrem Aus- . sehen kann man einen Schluß auf die Menge und die Art der in der Luft vorhandenen Keime ziehen‘). Es ist interessant, solche Versuche vergleichend zy machen, z. B. mit der Luft in einem feuchten Gewächshaus, im Wohn- zimmer, auf dem Dache eines Großstadthauses, im Walde, über dem Meere, im Tale oder auf einem Bergesgipfel. Schon durch solche rohen Versuche kann man sich, vorausgesetzt, daß man in !) Molisch, H., Vortrag über „A&roplankton“. Mitteilungen des naturwissen- schaftlichen Vereines der Universität Wien 1912, S. 8. ?) Nestler, A., Städtische Anlagen und Stadtluft. Sammlung gemeinnütziger Vorträge des deutschen Vereines zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag, Nov. 1905, S. I53. —— ZI I den vergleichenden Experimenten stets dasselbe Nährstoffmedium verwendet und dieses gleichlange Zeit der atmosphärischen Luft, am besten ruhiger Luft, aussetzt, eine beiläufige Vorstellung von ‘ dem Aöroplankton machen. Die Fig. 4ı zeigt eine Petrischale, die 5 Minuten in der Luft eines feuchten, warmen Gewächshauses im Wiener pflanzenphysio- logischen Institut ausgesetzt wurde. Die Zahl der Kolonien, die sich in diesem Versuche ausbildeten, ist eine auffallend geringe. Dies darf nicht wundernehmen, da in einem solchen Gewächs- hause der Fußboden, die inneren Fenster- teile, die Parapete ungemein feucht sind und ‘die Luft‘ mit Wasserdampf ziem- lich gesättigt' er- scheint. In solcher Luft gibt es sehr wenig Staub und da- her auch sehr wenig Keime. Solche Luft ist sehr rein. DieFig.42 zeigt denselben Versuch, jedoch mit der Luft eines Hörsaales des- selben Institutes. Die Zahl der hier aufge- Fig. 41. Petrischale, die 5 Minuten der Luft eines : Gewächshauses ausgesetzt worden war. Nachher haben sich kommenen Kolonien 2 Bakterien- und 2 Schimmelpilzkolonien entwickelt. Orig. erscheint viel größer, weil die Luft in einem Hörsaale viel mehr Staub und daher auch viel mehr Keime enthält. Die Fig. 43 endlich zeigt eine Schale, die ebensolange wie die Schalen ı und 2 der Luft in einer der verkehrsreichsten Straßen Wiens, der Alserstraße, ausgesetzt wurde. In dieser Schale haben .sich eine Unzahl von Kolonien entwickelt, ein Beweis, daß die Straßenluft viele lebende Keime birgt. Es muß jedoch bemerkt werden, daß sich nicht alle Keime, die auffliegen, auch entwickeln, weil ein bestimmtes Nährsubstrat nicht für alle Mikroorganismen taugt. Bakterien lieben im allge- 14* A meinen ein alkalisch reagierendes, Schimmel- und Hefepilze ein saures Substrat. Auch die Zusammensetzung des Nährmediums spielt eine wichtige Rolle. Arbeitet man mit Brühe von Kartoffeln, gelben Rüben, Zitronen oder Fleisch, so erhält man oft sehr ver- schiedene Pilze, weil es eben auf die Zusammensetzung des Mediums sehr ankommt. Bonnier‘) und seine Mitarbeiter erhielten bei ver- gleichenden Versuchen mit der Luft eines Hochwaldes auf Bouillon der gelben Rübe 1804, der Zuckerrübe 336, der Topinambur 204 und der Zitrone o Kolonien von Schimmelpilzen. Grenauer wer- den die Versuche, wenn man anstatt der Petrischalen Röhren verwendet, deren Innenwand mit Nähr- gelatine oder Nähr- agar ausgekleidet ist und durch die man dann ein bestimm- tes Luftvolum sehr langsam durchsaugt und die Kolonienzahl stets auf dieselbe Luftmenge bezieht. Derlei Unter- suchungen sind, ab- gesehen vom rein Fig. 42. Petrischale, die 5 Minuten der Luft eines Hör- : > saales der Wiener Universität ausgesetzt worden war. Nach- wissenschaftlichen her haben sich über 20 Bakterienkolonien gebildet. Orig. Gesichtspunkte, auch von dem der prakti- schen Hygiene, Medizin und der Gärungsindustrie von graßem Inter- esse. Daher hat man schon frühzeitig dem atmosphärischen Staub große Aufmerksamkeit geschenkt. Ehrenberg hat sich schon im Jahre 1830 mit den im Staub von Berlin vorhandenen Organismen be- schäftigt. Der Botaniker F. Unger‘) hat den Staub von Graz, P.Mi- 1) Bonnier, G., Matruchot, L., et Combes, R., Sur la dissemination des germes de champignons dans l’atmosphere. Societe nation. d’agriculture de France, Paris 1911. Extrait du bulletin de seances, n° de Mars. °®) Unger, F., Mikroskopische Untersuchung des Staubes von Graz. Sitzungs- quel!) den von Montsouris und Paris, K. Saito?) den von Tokio in Japan, A. Hansen?) den von Carlsberg’in Dänemark, Selander‘) den der Festung Vaxholm, Nestler’) den von Prag und G. Bon- nier den von verschiedenen Orten in Frankreich untersucht. Meiner Meinung nach sollte jede größere Stadt nicht bloß eine genaue biologische Prüfung des Trinkwassers, sondern auch eine solche des atmosphärischen Staubes veranlassen, weil das in mehrfacher Beziehung und nicht zuletzt auch in hygienischer von Bedeutung ist. Schon jetzt las- sen sich einige inter- essante Ergebnisse aus solchen Studien ableiten. Zahl der Keime in Abhängigkeit von äußeren Umständen. Die Menge der in der atmosphäri- schen Luft befind- lichen Stäubchen ist enorm. Nach Aitken enthält ı ccm atmo- sphärischer Luft nach einem ergiebigen Regen noch durch- Fig. 43. Petrischale, die 5 Minuten in einer der verkehrs- schnittlich 3200, bei reichstenStraßen Wiens exponiert worden war. Es haben sich klarem Wetter aber nachher eine Unzahl von Bakterienkolonien gebildet. Orig. 130 000 Staubteil- berichte der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, math.-naturw. Kl., 1849, IN Bd.,S. 230. !) Miquel, P., Les organismes vivants de l’atmosph£re, Paris 1883. ?2) Saito, K., Untersuchungen über die atmosphärischen Pilzkeime. Journ. of the college of science university Tokyo, Japan, I. u. II. Mitteilungen 1904 und 1908. ®) Hansen, A., Recherches sur les organismes etc. Ref. im Bot. Zbl. 1882, NE Sa7. *) Selander, N. E., Luftuntersuchung bei der Festung Vaxholm. Sv. Vet. Ak. Bih., Band 13, 1888, Nr. 9. Ref. in Just., Bot. Jahresber. 1888, I, S. 231. °) H. Molisch, Vortrag über „Aeroplankton“. Mitteilungen des naturwissen- schaftlichen Vereines der Universität Wien 1912, S. 8. chen; aus der Mitte eines Zimmers entnommen, ergab ı. ccm ı 860000 und aus der Deckenhöhe sogar 5420000 Teilchen. Selbstverständlich machen die lebenden Keime unter dem Heer der Staubpartikelchen nur einen sehr kleinen Bruchteil aus. Mac Fadyen!)untersuchte die Londoner Luft auf Staub- und Bakterien- gehalt und fand pro ı ccm 300000—500000 Staubteilchen. Auf 38300000 Staubpartikelchen im Freien und auf 184000000 in der Zimmerluft kam erst ı Bakterium. Die Zahl der Mikroben unterliegt je nach den äußeren Um- ständen großen quantitativen und qualitativen Schwankungen. Schon Miquels Untersuchungen haben für die Luft von Paris er- geben, daß sowohl die Zahl der Individuen als auch die Zahl der Arten in der Luft wechselt, so zwar, daß die Keimzahl der Schimmel- pilze in warmen und feuchten Jahreszeiten am größten, in kalten und trockenen hingegen am geringsten ist. Saito führte ein ganzes Jahr statistische Untersuchungen über die in der Luft von Tokio enthaltenen Schimmelpilzkeime und Bakterien aus und konnte Miquels Ergebnisse mehrfach bestätigen. Gartenluft enthielt in den warmen und feuchten Jahreszeiten, besonders im Juli, die zahl- reichsten Schimmelpilzkeime, in den kalten und trockenen Zeiten dagegen viel weniger, die wenigsten im März. Straßenluft verhält sich ähnlich, doch kommen darin mehr lebende Schimmelpilzkeime vor als in der Gartenluft. Bakterienkeime hingegen nehmen bei kaltem und feuchtem Wetter ab. Die Regenmenge beeinflußt bei sonst gleichen meteorolo- gischen Verhältnissen die Monatsmittel der Keime. Starker Regen- und Schneefall reinigt die Luft und vermindert die Keimzahl. Wind bringt oft eine große Zahl von Keimen herbei. Während die Luft am Meeresstrande noch viele Keime führt, erreicht die Keimzahl über dem Meere ein Minimum. Mit zunehmender Höhe nimmt die Zahl der Sftaubkörnchen und Keime ab. Doch ist die Verteilung durchaus keine gleich- mäßige, da sie vielfach durch auf- und absteigende Luftströmungen beeinflußt wird. Da z.B. Luftströmungen im Sommer höher auf- steigen als im Winter, ist auch die obere Keimgrenze im Sommer höher. Sie liegt zu dieser Zeit bei etwa 3000 m Höhe, im Winter hingegen bei 1700 m. Daß die Keimzahl mit der vertikalen Er- hebung abnimmt, geht auch aus Bonniers Untersuchungen deutlich !) Fadyen, A. Mac, Bakteria and dust in air. Transactions of prevent. medic. I. ser. London 1897. p. 142. Ref. in Botan. Jahresber., Jahrg. 1898, I, S. 75. hervor. Die Bakterien nehmen mit der Höhe rascher ab als die Schimmelpilzkeime. So konnten pro 50 1 Luft bei schönem Wetter im Monat August 1909 nachgewiesen werden in Meter Höhe Schimmelpilze Bakterien 260 226 4ı 1020 184 2 1125 170 o 2190 64 o Sogar in frisch fallendem Schnee, der unter allen Vorsichten auf dem Pic du Midi der Pyrenäen 2860 m hoch aseptisch aufgefangen wurde, konnten zahlreiche lebende Keime festgestellt werden. Nach Bonnier beeinflußt auch die Art der Umgebung in hohem Grade die Zahl der Keime in der Luft. So war die Waldluft stets reicher an Mikroorganismen als die Luft an felsigen Orten, die von Gehölzen nicht bedeckt waren. So z.B. betrug die Zahl der Keime am 22. August ıg0g bei trockenem Wetter pro 5o 1 Luft Schimmelpilze Bakterien Tem vome Walde tree. 55 4 am W.aldrander nn al. 88 8 mitten im Walde . . . & 3200 13 Dieses Resultat ist auffallend, weil gerade die Waldluft so viel Keime enthält und wir besonders die Waldluft für relativ staub- arm halten. Bonnier gibt keine Erklärung dafür. Seine Beobach- tung, als richtig vorausgesetzt, könnte man sich so erklären, daß zwar die absolute Staubmenge im Walde verhältnismäßig gering, die Zahl der Keime aber relativ sehr groß ist. Dies wäre aber auch begreiflich, wenn man bedenkt, daß in dem faulenden, auf dem Waldboden liegenden Laub und in dem Waldhumus eine Unmasse von Schimmelpilzen und Bakterien haust, die von hier aus durch den Wind leicht in die Waldluft gelangen können. Die Zahl der Arten von Mikroorganismen im atmo- sphärischen Staube ist sehr groß. Am reichlichsten traten in Saitos Untersuchungen von Schimmelpilzen ziemlich häufig auf: Clado- sporium herbarum, Penıcıllum glaucum, Eptcoccum purpurascens, darnach Asfergrllus glaucus, A. nıdulans, Catenularıa fulıginea, Mucor racemosus, Rhızopus nıgrıcans, Macrosporium cladosporrordes, Montha-Arten und seltener Mucor Mucedo, Dematıum pullans, Botrytis cınerea, Verticıllium glaucum, Fusarium roseum u. a. Von Bakterien konnten im ganzen 72 Arten aus dem Luft- staub von Tokio isoliert werden, darunter sogar 18 neue. — 216 — Die häufigsten Bakterien waren: Dacıllus subtulıs, B. vulgatus, B. mycoides, Sarcına candıda, S. aurantiaca, Mhrcrococcus luteus und J/. roseus, ferner zahlreiche andere Arten, die roten und gelben Farbstoff bilden. Die meisten dieser Schimmelpilze und Bakterien sind wohl unschädlich, denn wären sie für den Menschen gesundheitsschäd- lich, so wäre das Menschengeschlecht schon längst ausgestorben. Dennoch wissen wir nur zu genau, daß der lange Aufenthalt in stauberfüllter Luft schädlich wirkt. Die scharfkantigen, splitterigen, mineralischen Bestandteile des Staubes greifen die Lunge mecha- nisch an, reizen die Schleimhäute und rufen Katarrhe und Husten hervor. Derartig gereizte Schleimhäute können, besonders bei sonstiger günstiger Disposition, einen gedeihlichen Boden für den Tuberkelbazillus abgeben, der sich wohl häufig auch im atmo- sphärischen Staube befindet. Daß noch andere krankheiterregende Bakterien, z. B. Cholera und Typhus durch die Luft verbreitet werden können, möchte wohl niemand bezweifeln. Andere organisierte Bestandteile. Abgesehen von Pilzkeimen gibt es aber noch andere zelluläre Objekte im atmosphärischen Staub, die unser Interesse zu erregen vermögen.. Von der Anwesenheit solcher Partikelchen kann man sich leicht überzeugen, wenn man eine kleine Glasplatte mit einem Glyzerintropfen versieht und dann der atmosphärischen Luft, sei es im Zimmer, vor dem Fenster, in der Straße, im Garten oder sonstwo, Minuten, Stunden oder Tage lang aussetzt. Das Glyzerin hat die angenehme Eigenschaft, daß es nicht verdampft und alle anfliegenden Staubkörnchen durch seine etwas klebrige Beschaffen- heit festhält. In solchen Glyzerintropfen findet man oft, zumal wenn man sie der Stadtluft aussetzt, nach einiger Zeit Rußteilchen, Stücke von Baumwoll-, Leinen- und Schafwollfasern, die zumeist von unseren Kleidern herrühren, ferner Stärkekörnchen, Fetzen von Pflanzengeweben, Pflanzenhaare, Kieselalgen und, was ich be- sonders hervorheben möchte, Blütenstaub. Man betrachte die Fig. 44. Sie stellt einen Teil der Ober- fläche eines Glyzerintropfens dar, der eine Stunde mitten in der Stadt der atmosphärischen Luft ausgesetzt wurde. Er zeigt, welche gröberen Staubpartikelchen eingefangen wurden: r Rußteilchen. An solchen ist in der Stadtluft, wo tausende. Rauchfänge und Fabrikschlote in Tätigkeit sind, kein Mangel. Wieviel davon zu Boden fällt, läßt sich im Winter nach einem Schneefall leicht beobachten. Der Schnee wird vom Ruß bald grau und schwärzlich. Ferner sieht man in der Figur: d eine Baumwollfaser, / eine Leinenfaser und s eine Schafwollfaser. Diese Fasern rühren großenteils von unseren Kleidern her, die im Gebrauche und beim Abbürsten beständig Fasern verlieren. Überdies sehen wir Stärkekörnchen s, die aus der Küche, aus Mühlen und aus mit Mehlsäcken beladenen Wagen, die durch die Straßen fahren, herrühren mögen, » zeigt uns einen winzigen Nadelholzfetzen und 7 ein Gewebefragment einer Getreidespelze, vielleicht aus dem zerstäubten Kot eines Zugtieres her- rührend, 5/ einen Blattfetzen, £ ein Nadelholzpollenkorn, sp Sporen und s/einen Mineralsplitter. Blütenstaub oder Pollen. Zu gewissen Zeiten ent- hält der Staub ge- wisse Bestandteile in bedeutenden Men- gen! Um dies’ zu veranschaulichen, will ich hier ein kleines Erlebnis ein- Fig. 44. Glyzerintropfen mit verschiedenen angeflogenen Staubpartikelchen. Nach Nestler. flechten, das zu einer interessanten Beobachtung führte. Ich saß eines Tages — es war am 25. Mai 1904 — im Gartenhäuschen meines Ver- suchsgartens in Prag an einem Tische und bemerkte, daß die Tischoberfläche mit einem äußerst feinen gelben Staubpulver be- deckt war. Mit der Lupe erkannte ich sofort an der charakteri- stischen Gestalt der gelben Stäubchen, daß es sich um den Blüten- staub von Nadelhölzern handelte. Die mikroskopische Betrachtung bestätigte den Lupenbefund. Der Pollen mußte, da ich wußte, daß ich tags zuvor den Tisch sauber abgewischt hatte, kurz vorher niedergefallen sein. Mich interessierte sofort die Frage, ob solcher Pollenregen nur kurze Zeit, nur zu gewissen Tageszeiten, längere — 218 — Zeit oder nur bei bestimmter Windrichtung erfolgt, und ich be- gann gleich darauf systematisch die gestellten Fragen zu ver- folgen. Schon der erste Glyzerintropfen, den ich der Luft im Garten oder vor dem Fenster meines Arbeitszimmers aussetzte, zeigte, daß sich schon nach ganz kurzer Zeit im Tropfen mehrere Pollen von der Föhre und der Fichte nachweisen ließen. Bereits nach 5 Minuten konnte ich ı—ıo Pollenkörner einfangen. Die Fig. 45 zeigt einen Teil eines Tropfens, der mehrere Stunden zu dieser Zeit vor dem Fenster der Luft exponiert war. Dieselben Resultate erhielt ich auch in der näheren und wei- teren Umgebung von Prag. Dieser Nadel- holzpollen war in größerer Menge bis etwa 15. Juni nach- zuweisen. Während dieser Zeit muß die Luft in und um Prag — und dasselbe gilt, wie ich später fest- stellte, auch für die Luft von Wien — durch etwa 3 Wochen buchstäblich von Billionen Pollenkör- Fig. 45. Glyzerintropfen mit angeflogenen Pollen- nern der Nadelhölzer körnern von Nadelhölzern. Orig. erfüll. sen Bl reg- nete förmlich Pollen. Das ist die Zeit der Blüte der Koniferen. Die Nadelhölzer erzeugen bekanntlich wie viele ande?e Pflanzen mit stäubendem Pollen überaus große Mengen Blütenstaub, der vom Winde leicht fortgetragen wird und an fernen Orten später nieder- fällt. Die Bauern sagen dann, es habe „Schwefel“ geregnet. Um die Mitte Juni hört das Blühen der Nadelhölzer auf und damit verschwindet der Nadelholzpollen auch in der Luft. An seine Stelle tritt aber, sowie die Roggen- und Weizenfelder zu blühen beginnen, der Pollen der Getreidearten; die Luft bleibt durch 2 bis 3 Wochen damit erfüllt, wird aber wieder davon gereinigt, sobald das Getreide zu blühen aufgehört hat. Er E Heufieber. Zur Zeit, wenn die Luft mit dem Blütenstaub der Gräser, insbesondere aber mit dem vom Roggen /‚Secale cereale) erfüllt ist, leiden viele Menschen an einer mit Niesen, Husten und reichlicher Absonderung von Nasenschleim verbundenen Krank- heit, die als „Heufieber“, „Heuschnupfen“ oder als „Bostocksche Krankheit“ bezeichnet wird, weil der Londoner Arzt Bostock!) zuerst die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat. Die Heufieberkranken haben ein Gefühl der Hitze und leiden an einer Schwellung in den Augen, verbunden mit Rötung, Jucken, Tränenträufeln, Niesanfällen, Nasenschleimabsonderung, Brustbeklemmen, Atembeschwerden, profusen Schweißaus- brüchen und großer Mattigkeit. Es ist dies eine von jenen Krankhei- ten, an der man zwar nicht stirbt, die aber trotzdem sehr lästigist. Ich selbst leide seit etwa 6 Jahren dar- unter. Regelmäßig gegen Ende Mai stellt sich die Krankheit ein; sie hältetwa 2—3 Wochen an, sie kann sich aber auch später bemerkbar machen, wenn Gelegenheit zur Ein- atmung von Graspollen geboten wird. So befiel mich das Heu- fieber im August ıgı4 in Seeboden am Millstättersee, als ich meine Sommerferien in einer Villa verbrachte, die an ein blühendes Maisfeld grenzte. Dunbar?), dem wir eine interessante Schrift über das Heu- fieber verdanken, hat die bisherige Literatur einer kritischen Prüfung unterzogen und auf Grund zahlreicher neuer Versuche gezeigt, daß alle Umstände auf den Gräserblütenstaub als Ursache. Fig. 46. 1) Bostock, J., Medico-chirurg. Transactions, Vol. X, I, S. 161. 2) Dunbar, Zur Ursache und spezifischen Heilung des Heufiebers. München und Berlin 1903. Aus d. staatl. hygien. Institut in Hamburg. u ZANDER des Heufiebers hinweisen. Die Krankheit tritt gewöhnlich in der Zeit von Ende Mai bis Mitte Juli auf, am häufigsten, wenn der Patient sich in der Nähe von blühenden Kornfeldern bewegt. Dunbar, der selbst an dem Heufieber litt, sagt von einer Eisen- bahnfahrt: „Beim Durchfahren von Kornfeldern traten bei geöff- netem Kupeefenster sofort die beschriebenen Symptome seitens der Augen und der Nasenschleimhäute auf, die sich unter unauf- hörlichem Niesen bald so weit steigerten, daß fieberhaftes Gefühl und völlige Abgespanntheit eintrat. Sobald der Zug durch Wal- dungen oder Heideflächen fuhr, trat eine Linderung der Sym- ptome ein. Wenn man aber wieder in die Nähe von Kornfeldern oder Wiesen kam, verschlimmerte sich der Zustand An einzelnen Regen- tagen wurden Anfälle selbst beim Passieren blühender Korn- felder und Wiesen bei geöffnetem Kupee- fenster nicht aus- gelöst. Sobald die Sonne aber wieder Fig. 497. Schwellung des linken Armes und der ” £ ich linken Hand infolge von Einspritzung von Roggen- schien, zeigte sic pollengift. Nach Dunbar. innerhalb weniger Stunden die Luft mit der irritierenden Substanz wieder erfüllt“ (S. 11 —ı2). Ich selbst habe an mir ähnliche Erfahrungen gemacht. Stets wurde mein Heuschnupfen heftiger, löste Tränen, intensives Niesen und Nasenschleimabsonderung aus, sobald ich im Sonnenscheine an blühenden Roggenfeldern oder Wiesen vorbeiging. "* Dunbar hat, indem er bei Personen, die der Krankheit zu- gänglich, also nicht immun waren, Roggenpollen entweder auf die Augenbindehaut oder in die Nase brachte oder einatmen ließ, so- fort alle charakteristischen Erscheinungen des Heufiebers hervor- rufen können. Die Fig. 46 zeigt das Aussehen der Roggenpollen. Das in den Roggenpollenkörnern vorhandene Heufiebergift läßt sich mit physiologischer Kochsalzlösung oder mit Blutserum aus- ziehen und mit Alkohol fällen. Wird dieser Niederschlag auf Heufieberpatienten verimpft, z. B. unter die Haut des Armes ein- ==. 2217 —= gespritzt, so löst er alsbald die charakteristischen Symptome des Heufiebers aus und außerdem eine bedeutende Anschwellung und Entstellung des betreffenden Armes (Fig. 47). Mit der Erkenntnis, daß das Heufieber auf die Einwirkung des Roggenpollens zurück- zuführen ist, steht auch die Tatsache im Einklang, daß man sich vor dem Heuschnupfen dadurch bewahren oder ihn rasch loswerden kann, indem man sich zur kritischen Zeit beständig in geschlossenem Zimmer oder in einer Gegend aufhält, die frei von Graspollen ist, z. B. auf Helgoland. Von vornherein war auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß nicht nur der Roggenpollen, sondern auch der anderer Gräser und der noch anderer Familien Heufieber hervorrufen könnte. Dunbar hat auch diese Frage geprüft. Von ı8 untersuchten Gräserarten erwiesen sich alle ohne Ausnahme wirksam, hingegen alle anderen, die nicht zu den Gramineen ge- hören, als unwirksam. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eine Tatsache auf- merksam machen, die vielleicht für den Mediziner von Wert ist. Ich habe schon durch 7 Jahre die Beobachtung gemacht, daß ich und auch andere Personen bereits um den ıo. Mai an Heu- schnupfen litten, wenn die Getreidefelder der Umgebung noch nicht blühten und Roggenpollen in der Luft noch fast gar nicht nachweisbar war. Wohl war aber zu dieser Zeit die Luft mit dem Pollen der Koniferen dicht erfüllt. Wenn das Heufieber auf die Einwirkung des Grasblütenstaubes zurückzuführen ist — und daran ist ja jetzt nicht mehr zu zweifeln —, so könnte im Mai der Pollen der Frühjahrsgräser oder vielleicht auch der der Koniferen daran schuld sein. Leider hat Dunbar gerade den Pollen der Nadel- hölzerf nicht in seine Untersuchungen einbezogen. Ich möchte daher diese Gelegenheit benützen, die Aufmerksamkeit der Ärzte speziell auf den Koniferenpollen zu lenken, denn es wäre nicht unmöglich, daß auch dieser Blütenstaub Heufieber veranlassen könnte. Dunbar stellt es als sehr wahrscheinlich hin, daß die in den Pollenzellen des Roggens vorkommenden Stärkekörnchen das Heufiebergift repräsentieren oder wenigstens enthalten. Dies er- scheint mir nicht wahrscheinlich, da wir die Stärke, obwohl sie zu den verbreitetsten Stoffen in der Planzenwelt zählt, niemals als Gift kennen gelernt haben. Ferner gibt es, abgesehen von den Gräsern, zahlreiche Pollen, die reichlich Stärke enthalten und a doch keinen Heuschnupfen hervorrufen. Da das Roggenpollen- gift nicht kristallisiert und auch sonst keine charakteristischen mikrochemischen Reaktionen gibt, so müssen wir uns vorläufig damit bescheiden zu sagen: Wir kennen die Natur des Pollen- giftes derzeit noch nicht. Platanenhusten. In der Zeit von Mitte Mai bis Mitte Juni trifft man im atmosphärischen Staub häufig sternartig ver- zweigte Haare der Platane, die die Veranlassung zu Husten und Augenentzündungen geben können. Ich will darüber einiges mit- teilen, weil die Tatsache, obwohl seit langem sichergestellt, selbst in Medizinerkreisen vielfach unbekannt geblieben ist und in Hand- büchern der Hygiene nicht berührt wird. Der „Schwäbische Merkur“ vom 24. Februar und 23. März ı888 brachte mehrere Aufsätze, wonach die Schädlichkeit der Platane schon den Ärzten des Altertums bekannt war. Diese wurde in neuerer Zeit mehrfach bestätigt, ja in der Schweiz und im Elsaß wurde sogar ein behördliches Verbot der Anpflanzung in der Nähe von Schulen und Krankenhäusern erlassen. Als Ursache der Schädlichkeit werden die auf den Blättern als feiner Wollfilz (Platanenstaub) erzeugten Haare, nach einigen Angaben auch die Fruchthaare bezeichnet. Wie ich aus einem Artikel der „Gartenflora“!) entnehme, soll der „Platanenhusten“ schon Dioscorides bekannt gewesen sein, und Galenus sagt wörtlich: „Man hat sich zu hüten vor dem Staube von den Platanenblättern, weil er, durch den Atem ein- gezogen, die Luftröhre belästigt, indem er sie stark austrocknet und rauh macht und die Stimme schädigt, wie er denn auch dem Gesicht und Gehör schadet, wenn er in die Augen oder Ohren hineingerät.“ Und Dioscorides sagt im 107. Kapitel seiner „Materia medica“ über die Platane: „Der Staub der Blätter und der KügelChen ver- letzt, wenn er auffällt, Gehör und Gesicht.“ Die Blätter der Platane, und zwar sowohl die von ?. orıentalıs als auch die von P. occidentalıs, erzeugen ober- und unterseits einen rostfarbigen Wollfilz, der sich aus sternartigen oder baumartig verzweigten Haaren zusammensetzt (Fig. 48). Von diesem wolligen Überzug bleiben die Blätter in ihrer Jugend bis etwa Mitte Mai bedeckt, dann aber wird er nach und nach abgestoßen, wodurch eine große !) Gartenflora, 27. Jahrg., S. 187, Berlin 1888. 7 — 223 —. Menge dieses „Platanenstaubes“ in die Luft kommt. Die Haupt- menge fällt in der zweiten Hälfte Mai bis etwa Mitte Juni ab. Zweige, die zu dieser Zeit im Zimmer hingestellt werden, lassen den Abfall besonders bei Erschütterung leicht erkennen. Wenn nun diese Haare mit der atmosphärischen Luft eingeatmet werden, so können sie, zumal sie mit zahlreichen Spitzen besetzt sind und sich leicht zu kleinen Flöckchen zusammenballen, die Atmungs- organe und Schleimhäute reizen und dadurch Husten und Ent- zündungen hervorrufen. Drude!) äußert sich über die Frage der Gesundheitsschäd- lichkeit der Platane auf Grund seiner botanischen Untersuchungen in folgender Weise: „Fine wirkliche Ge- fährdung der Ge- sundheit kann aber meiner Meinung naclı nur dann eintreten, wenn besonders emp- findlichke Menschen große Mengen dieses ‚Platanenstaubes‘ ein- atmen oder sich, wie es bei gärtnerischen Arbeiten in Alleen geschehen kann, größere Ballen der Sternhaarflöckchen in die Augen reiben. Es sollte daher das Fig. 48. Platanenhaare, miteinander verankert. Orig. Arbeiten an Platanen und unter dichten Platanengruppen in der genannten ‚Flugzeit der Flöckchen‘ von gärtnerischer Seite eingestellt und auch sonst dafür gesorgt werden, daß die Rolle der Platanen durch weise Beschränkung auf günstige Plätze eine ungefährdete für Park- anlagen und Stadtalleen bleibt.“ Die im Herbste reifenden Früchte, die zu kugeligen Fruchtständen angeordnet sind, sind von Borsten- haaren umhüllt, die sich im Frühjahr in großer Menge ablösen und in die Luft gelangen. Ob auch diese Haare gesundheits- l) Drude, O., Der Haarfilz der Platanenblätter und seine vermutete Gesund- heitsschädlichkeit. Ebenda, 28. Jahrg. S. 393, Berlin 1889. — 224 — schädlich wirken, weiß ich nicht, doch scheint es mir mit Rücksicht mwf ihre Größe nicht sehr wahrscheinlich, da sie alsbald zu Boden fallen. Bei diesem Sachverhalt wird es sich in Zukunft empfehlen, Platanen in Gärten und in Parkanlagen der Städte nicht anzu- pflanzen, zumal ja an anderen schönen und ganz unschädlichen Baumarten gerade kein Mangel ist. Staubregen. Von Zeit zu Zeit fallen aus der Atmosphäre größere Mengen von Staub, die zumeist eine rötliche Farbe haben. Solche Staubregen hat besonders Ehrenberg!) von den ältesten Zeiten bis zu den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts re- gistriert, auf ihre Zusammensetzung mikroskopisch geprüft und darin eine Menge Mikroorganismen, insbesondere Kieselalgen und Protozoön (Urtiere) verschiedener Art nachgewiesen. Woher diese Staubregen kommen, weiß man nicht; die vielfach geäußerte Ver- mutung, daß ein Teil kosmischen Ursprungs sei, erscheint nicht wahrscheinlich. Es sei erwähnt, daß sich am 14. Oktober 1885 in Klagenfurt in Kärnten ein solcher Staubfall?) erreignete, über den F. Seeland sich folgendermaßen äußert: „Es war ein Gußregen, der ganz ähnlich prasselte wie bei einem Graupelfall und mich aus dem Schlafe weckte. Der Türmer, welcher auf dem äußeren Gange des Klagenfurter Stadtpfarrturmes die Feuerwache hält, hat ihn beobachtet und mir über den Schlammregen zur Nachtzeit be- richtet. Leider hat er am ı5. morgens den putzpulverähnlichen Staub, der den Gang und das Gitter bedeckte, abgekehrt. „Als ich auf den Turm kam, um mich von der Sache zu überzeugen, war in den Eisenvertiefungen des Ganggitters und in den Falznuten der Blechdächer Klagenfurts von dem gelben Staub, ungeachtet des vielen nachfolgenden Regens, noch ziemlich viel zu sehen. ... . Ich sammelte Muster des Staubes, der höchst fein und von gelber, ockerähnlicher Farbe ist. Es ist.das genau derselbe Staub, welchen uns am 253. Februar 1879 ein Südoststurm über Lesina herauf, wo er auch beobachtet wurde, nach Klagen- furt brachte und welcher damals den massenhaft fallenden Schnee rot färbte. Seine Heimat ist vermutlich die Wüste Sahara.“ M. Schuster?) hat diesen Staub besonders nach der minera- !) Ehrenberg, Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über das von der Atmosphäre unsichtbar getragene, reiche organische Leben. Abhandl. der kgl. Akad. d. Wissensch. zu Berlin 1871, S. ı. ?) Schuster, M., Resultate der Untersuchung des nach dem Schlammregen vom logischen Seite genau untersucht und ich selbst konnte darin ver- hältnismäßig häufig Diatomeen, Pflanzenhaare und vegetabilische Gewebebruchstücke nachweisen. Mitunter werden durch Orkane bei Gewitterregen ganz sonderbare Objekte, z. B. die Wurzelknöllchen vom feigwurzeligen Hahnenfuß, Ranunculus ficarıa, auf weite Strecken davongeführt und dann irgendwo zum Staunen der Bevölkerung abgesetzt. Es ist das der sogenannte „Kartoffelregen“. Zum besseren Verständnis sei erwähnt, daß diese Frühlingspflanze nach dem Blühen ihre Blätter alsbald vertrocknen und ihre Knöllchen, zumal bei trockenem Wetter, über dem Erdboden erscheinen läßt, so daß sie vom Winde leicht erfaßt werden können. Als ich Gymnasiast in Brünn war, fielen nach einem heftigen, vom Sturme begleiteten Gewitterregen in einem Teile der Stadt ziemliche Mengen Samen vom Johannisbrot (Boxhörndeln), Cera- fonıa 'sılıgua, nieder. Woher die Samen, die wohl zweifellos irgendwo angehäuft waren und vom Sturme erfaßt wurden, her- rührten, konnte nicht festgestellt werden. Kosmische Keime. Die Astrophysiker schätzen die Dicke der atmosphärischen Hülle auf 100—400 Kilometer. Wenn wir auch wissen, daß die Zahl der Staubteilchen mit der vertikalen Erhebung im allgemeinen abnimmt, so dürften doch aller Wahr- scheinlichkeit nach Keime von der Größe der Bakterien durch Luftströmungen bis zu der äußersten Grenze der Atmosphäre ge- langen. Ob auch über diese Grenze hinaus in den Kosmos? Oder sollte der Weltenraum vielleicht selbst von Keimen durchsetzt sein? Sicheres wissen wir darüber nicht. Der schwedische Physiko- chemiker S. Arrhenius!) nimmt, um die Frage nach der Herkunft des Lebens auf unserem Planeten zu erklären, tatsächlich an, daß der Kosmos seit Ewigkeit her von überaus kleinen schwebenden Keimen durchsetzt sei, die, vom Strahlungsdruck des Lichtes ge- trieben, zufällig auf einen Weltkörper gelangen und zum Aus- gangspunkt einer neuen Lebewelt werden können. Ausführlicher habe ich mich darüber in meinem Vortrag: „Über den Ursprung des Lebens“?) geäußert und den ganz hypothetischen Charakter der gemachten Annahme betont. 14. Oktober 1885 in Klagenfurt gesammelten Staubes. Sitzungsber. der kais. Akademie d. Wissensch. in Wien, 1886, I. Abt., S. 81. !) Arrhenius, S., Das Werden der Welten. Leipzig 1908, S. 191. 2) Molisch, H., Über den Ursprung des Lebens. Dieses Buch S. 130. Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 15 — 226 — So haben unsere Betrachtungen uns wieder gelehrt, daß das Leben auch dort seinen Einzug gehalten hat, wo wir es von vorn- herein gar nicht vermuten würden. So wie der Polarforscher sogar in der Region des ewigen Eises eine Fülle von Leben ent- deckte; so wie der Tiefseeforscher in den tiefsten Tiefen des Ozeans, wo kein Lichtstrahl mehr eindringt und pechschwarze Nacht herrscht, eine neue, eigenartige Tierwelt fand: so hat das mit dem Mikroskop bewaffnete Auge des Biologen auch in der Atmosphäre eine reiche Kleinwelt nachgewiesen, die in Form von Keimen bis zu den äußersten Grenzen des Luftgürtels, ja vielleicht sogar über diesen hinaus, den Raum durchsetzt. XIV. Die Wärmeentwicklung der Pflanze). 1. Die Atmung. Der Schleier, der über dem Geheimnis des Lebens liegt, ist noch ziemlich dicht. Aber je tiefer man in das Getriebe des Lebens eindringt,. desto deutlicher zeigt sich immer mehr und mehr, daß ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Pflanze und Tier nicht besteht — auch nicht in der Atmung. Wenn das Tier atmet, so nimmt es Sauerstoff auf und verbrennt damit organische Substanz zu Kohlensäure und Wasser. Heute kann man noch in manchen Büchern lesen, daß der Pflanze angeblich eine umgekehrte Atmung zukomme: während das Tier bei der Atmung Sauerstoff aufnimmt und Kohlensäure abgibt, soll die Pflanze umgekehrt Kohlensäure aufnehmen: und Sauerstoff entbinden. Dies beruht auf einem Irr- tum. Die Pflanze atmet so wie das Tier, aber in der grünen Pflanze geht während der Belichtung noch ein anderer Prozeß, die Kohlensäure-Assimilation, vor sich und diese ist durch einen der Atmung entgegengesetzten Gaswechsel charakterisiert. Die Kohlensäure- Assimilation geht nur in den grünen Teilen der Pflanze und nur im Lichte vor sich. Die Atmung hingegen spielt sich in jedem Teil der Pflanze ab, gleichgültig ob beleuchtet oder verdunkelt, gleichgültig ob grün oder nicht grün. Zwei einfache Versuche sollen uns darüber belehren, daß die Pflanze bei der Atmung Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure entwickelt. Versuch I. Ich nehme zwei Glaszylinder — Fig.4g — und fülle den einen mit einer Handvoll keimender Erbsensamen, den andern lasse ich leer. Beide werden durch gut eingeriebene Glas- stöpsel von der äußeren atmosphärischen Luft abgeschlossen und l) Vortrag, gehalten am ı2. Dezember 1917 im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Im Verlage dieses Vereines 1918 zuerst er- schienen. 15* — 228. — in einem warmen Zimmer finster aufgestellt. Taucht man nach etwa 24 Stunden in das Erbsengefäß ein brennendes Kerzchen, so erlischt es sogleich, aber in den leeren Kontrollzylinder einge- führt, brennt es dauernd weiter. Das Erlöschen des Kerzchens in dem ersten erfolgt, weil die keimenden Erbsen den in dem ab- gesperrten Luftraum vorhandenen Sauerstoff verbraucht haben. Damit ist aber jenes Glas, das die Verbrennung unterhält, entfernt. Versuch II. Um den Beweis zu liefern, daß bei der Atmung Kohlensäure entwickelt wird, genügt es, wieder zwei gleiche Glas- zylinder zu nehmen, beide mit etwas klarer Ätzkalklösung zu füllen und den einen mit einem lebenden, beblätterten Sproß, z.B. des Flieders oder der Linde, so zu versehen, daß der Sproß sich über der Kalklösung befindet. Der zweite Zylinder dient zur Kontrolle. Schon nach einigen Stunden, sicher nach einem Tage, hat sich die früher klare Ätzkalk- lösung in dem (sefäße mit dem Sproß infolge der Bildung von Kohlensäure, beziehungsweise von kohlensaurem Kalk, getrübt, während in dem Kontrollgefäß ohne Zweig die Flüssigkeit sich klar erhalten hat, da keine Kohlen- säure gebildet wurde. Fig. 49. Verbrauch des Sauerstoffs bei ä u a a der Atmung. (Original.) ist bei verschiedenen Grewächsen sehr verschieden. Kakteen, Haus- wurz, überhaupt Pflanzen, die man wegen ihrer fleischigen oder dicklichen Blätter oder Stämme als Fettpflanzen oder Sukkulente bezeichnet, und Schattenpflanzen atmen schwach oder mäßig. Pilze, Keimlinge und Blüten dagegen atmen stark. Nimmt man die Menge der gebildeten Kohlensäure, bezogen auf das Frischgewicht, als Maß für die Intensität der Atmung an, so läßt sich leicht erkennen, daß keimende Samen oder rasch wachsende und sich vermehrende Pilze ebenso oder noch intensiver atmen als der Mensch. Wenn die Atmung einen Oxydationsvorgang, also eine Ver- brennung darstellt, dann muß dabei Wärme entstehen. Dem scheint aber die gewöhnliche Erfahrung zu widersprechen, denn wenn man im Waldesschatten die Blätter berührt, so erscheinen sie nicht wärmer als die Luft der Umgebung, sondern eher kühler. Der Grund liegt darin, daß die durch die Atmung erzeugte Wärme durch zwei Vorgänge wieder rasch entführt wird: durch die Wärmeausstrahlung und die Transpiration. Jeder Körper strahlt Wärme aus, und zwar um so mehr, je größer seine Oberfläche ist. Die der Pflanze ist meistens sehr groß, die Blätter sind ja zumeist flächenartig entwickelt und des- halb geben sie die Wärme auch leicht ab. Wärme entführend wirkt auch die Transpiration, d. i. die Abgabe von Wasser in Form von Dampf durch die Oberfläche der Pflanze. Legt man auf den Handteller einen Tropfen einer rasch verdampfenden Flüssigkeit, z. B. Alkohol oder Äther, so hat man sofort die Empfindung der Kälte. Zur Umwandlung von Flüssigkeit in Dampf ist eben Wärme notwendig und diese liefert die Hand, daher die Empfindung der Kälte. Wenn nun ein Blatt Wasser verdampft, so wird ihm gleichfalls Wärme entzogen; es bildet sich Verdunstungskälte und diese bewirkt zusammen mit der Wärmeausstrahlung, daß die in der Pflanze erzeugte Atmungs- wärme nicht zum Vorschein kommt. Ja die Verdunstungskälte läßt die Pflanze sogar häufig kühler erscheinen als die Luft der nächsten Umgebung. Sorgt man aber dafür, daß die beiden wärme- entziehenden Erscheinungen nahezu oder völlig ausgeschlossen werden, so ist es leicht, auch die Wärmeentwicklung der Pflanze mit Sicherheit zu erweisen, Stark atmende Blüten, Keimlinge und auch frische Laubblätter eignen sich ganz besonders zu Versuchen über Selbsterwärmung. 2. Die Selbsterwärmung von Laubblättern. Die Atmungsgröße der Blätter hat man lange Zeit unter- schätzt, aber ich!) konnte mich überzeugen, daß gerade die Laub- blätter vieler Gewächse sich stark zu erwärmen vermögen, wofern die Versuche in folgender Weise angestellt werden: Ein Weidenkorb. von etwa 4o cm Höhe und 30 cm mittlerer Breite wird mit frisch gepflückten Blättern, z.B. von der Hain- buche, Birne oder der falschen Akazie, gefüllt, was etwa einem ı) Molisch, H., Über hochgradige Selbsterwärmung lebender Laubblätter. Botanische Zeitung, 1908, S. 211. — 230 — Frischgewicht von 3—5 Kilogramm Blätter gleichkommt. Die obere freie Korbfläche wird mit Pappendeckel bedeckt, ein Thermo- meter mitten in die Blattmasse eingeführt, der Korb in eine Holz- kiste gestellt und der Raum zwischen Kiste und Korb mit einem schlechten Wärmeleiter, mit Holzwolle ausgefüllt. Um die Wärme- ausstrahlung und Wärmeleitung möglichst zu verhindern, wird das Granze noch mit einem Tuche mehrfach umhüllt. Unter diesen Umständen erwärmen sich die Blätter vieler Gehölze schon innerhalb eines Tages sehr bedeutend, oft bis zur oberen Temperaturgrenze des Lebens, wie folgende Tabelle zeigt: Tsıff- Temperatur- Frisch gepflückte Blätter von temperatur Peg Be nm 0C in dC Pirus comMMmUnzSs: (Bine) Er. wn 15 59 27 Carpinus betulus (Hainbuche) . . . 23 51,5 15 Robinia pseudacacia (Akazie) . . . 24 5I 13 Tglen. sp ul Tändel... Ser Ver ait tor 18 50,8 27,5 Juglans vegia (Walnuß) . » .. >. 15 49,7 4355 Salixz capvrea (Sahlweid) . -. .... 15 47;1 22 Cytisus laburnum (Goldregen) . . . 18 45,6 18,5 Vitis vinifera (Weinstock). . . ... *7 4353 28 Einen genaueren Einblick in den Verlauf des Temperatur- anstieges gibt der folgende mit den Blättern der Hainbuche an- gestellte Versuch. (Siehe Tabelle auf nächster Seite.) Beginn des Experiments am 27. Juni 1907, Ende am ı1. Juli 1907. Frischgewicht der Blätter 3,5 kg. Die Tabellen zeigen, daß die Blätter sich schon innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit, nämlich innerhalb 9 Stunden, von 22° auf 43,9° und innerhalb ı5 Stunden auf 51,50 erwärmten; daß dann während der nächsten 37 Stunden wieder ein langsames Ab- fallen der Temperatur auf 33,70 zu verzeichnen war und daß hierauf die Temperatur wieder zu einem zweiten, aber etwas kleineren Maximum von 47,2° anstieg, um schließlich wieder nach und nach fast bis zur Lufttemperatur zu sinken. Es kommt also zu zwei Gipfelpunkten der Temperatur 51,5 und 47,2. Das erste Maxi- mum ist auf Rechnung der Atmung der lebenden Blätter zu setzen. Dabei erwärmen sich die Blätter so hochgradig, daß sie in der von ihnen selbst erzeugten Wärme absterben. Nach dem Eintritt des Todes hört die Atmung auf und die Temperatur sinkt. a al, Bel de 5#| 5° Datum R = = Ö Datum s# | 8 Ö l | 27. VI.’ zhp.m 23.102 1. VII, 6hp.m. 24,5 | 46,9 Zr, 23 25 Io’, 24,5:| 47,2 + 23 28 2. VII. 4h.a.m. 245 [47 Ga 23 30 Br 24,5 | 46,8 7 ” 23 33»7 10 ” 24,5 46,5 RER 23 35,5 ıh p. m. 24,5 | 46,2 BE 23 35»7 Ss 24,5 45,9 10 ” 23 41,4 9 ” 24,5 45,1 IR 23 43,9 BRIF, Zu a 24. 023,2 28.VI. 5ha.m. 22,5 | 51,5 NEE 24 41,9 ER 2251 598 ıh p. m. 24 41,6 Bei 22 50 Gr 23 40,7 N. 22 49,2 eccas 23 40 ro ' Aare DAS.B 10; 3% 23 39,8 1 I RE | 22 46,8 4 VERSCRa.m, 22 36 zh p. m. | 2 44,6 Fos. z 22 35 5 22 43 I2 „» 22 345 a 22 141,6 6h p. m. 22 32,2 Ehe 22 40,7 GABEL. ch’a-ım)n . A a ei Ph 22 39,9 ıh p. m. 27,5 | 30,1 Re 22 38 RR 21,5 29,5, 29. VI. 5zha.m. 22 34,9 30: 21,5 | 29 Eu 22 34 6. VII. sh a. m. 23 29 Sn 22 34 24 &. 23 28,9 zo, 22 33:9 ıoh p. m. 23 29,3 ıh p.m. 226 6.33,7 7. VII. 6ha.m. 23,5 |. 29,3 Age 22.,5:.1438,3 6h p. m. 23,5 | 29 30. VI. ırLh a. m. 22,5 | 394 rose 23,5 | 28,8 Bay iz 22,5 | 39,6 8. VII. aha.m. 23 28,6 ıh p.m. 22,5 | 40,1 6h p. m. 23 26,9 Sa 22,5 12227 ONE 23 26,7 I. VII. ah a. m. 23,3 | 43:9 9. VII. sha.m. 23 26,7 60%, 23,37 1002,2 zb p.m. 23 26,4 83» 23,3 | 447 I 22, 26,3 ss 23,3 NAS2 10. VII. sha.m 22,5 28 KEN. 655 23,5 WARE zb p.m. 22,5 | 25,6 BALn . 23,5 | 46 SE VII. Se Sum. 22,5 | 25,6 2hp. m. 24,1 | 46,7 gEp.m 22,5 02553 5» 24,5 | 46,8 Auf der toten Blattmasse beginnen sich nun die Bakterien und Schimmelpilzkeime, die auf den Blättern in spärlicher Zahl vor- handen waren und auf der toten organischen Substanz außer- ordentlich günstige Entwicklungsbedingungen finden, rasch zu ver- mehren. Das Heer der neuentstandenen Kleinwesen atmet sehr intensiv und entwickelt bei der Atmung so viel Wärme, daß die Temperatur wieder zu steigen beginnt und sich schließlich bis zum zweiten Maximum erhebt. Damit ist auch der Höhepunkt in der Entwicklung der Mikroorganismen erreicht, und sowie diese zurückzugehen beginnt, sinkt auch wieder die Temperatur. Steckt man in eine derartig er- hitzte Blattmasse die Hand, so fühlt man die Wärme sofort, und legt man Kakaobutter, welche einen niedrigen Schmelzpunkt hat, hinein, so schmilzt sie alsbald. Die überaus große Selbst- erhitzung lebender Blätter läßt sich auch durch einen hübschen Schul- versuch einem größeren Zuhörerkreis veranschaulichen, indem man Äther durch die Blattwärme zum Sieden bringt. Man bedient sich zu diesem Zwecke des in der nebenstehenden Figur 5o abgebildeten go cm langen Glasrohres, das unten geschlossen, oben ballonartig aufgeblasen und zum Fig. 50. Versuch: Das Sieden des Teil mit durch Alkannım gefarbremn Äthers durch die von den Blättern oder Ather gefüllt ist. Wird die bis etwa a name zu einem Drittel gefüllte Glasröhre Glasrohr mit gefärbtem Äther. mit ihrem geschlossenen Ehde in die Blattmasse, deren Temperatur etwa 45°—50° oder darüber ist, eingesenkt, so fängt der Äther, dessen Siedepunkt bei 35,5° liegt, alsbald zu sieden an, was von einem großen Auditorium auf ziemliche Entfernung hin deutlich gesehen werden kann. Die Blätter verschiedener Pflanzen verhalten sich bezüglich der Selbsterwärmung recht verschieden. Stark erwärmen sich die in der Tabelle auf Seite 230 genannten, schwach hingegen die von Canna, Tradescantıa vırıdıs, Bergenia, die des Epheus, der Tanne und des Krautkopfes. Desgleichen zeigen auch die Knollen der Kartoffel, die Birnen- und Ligusterfrüchte nur geringe Erwärmung. 3. Die Selbsterwärmung in Dewar- Gefäßen. Die vorher beschriebene Methode des Nachweises der Wärmebildung von Blättern in einem von schlechten Wärme- leitern umgebenen Korbe läßt an Ein- fachheit und Sicherheit nichts zu wün- schen übrig. Sie hat aber auch eine große Schattenseite: sie erfordert viel Material. Um 3—5 Kilogramm frischer Blätter zu beschaffen, benötigt man schon ein ansehnliches Bäumchen oder einen großen Strauch. Es sei daher darauf aufmerksam gemacht, daß die als Thermoflaschen so vielfach verwen- deten Dewar-Gefäße ein ausgezeichnetes Mittel an die Hand geben, um die Selbst- erhitzung von wenig (100— 150 Gramm) Blättern, Blüten oder Samen in eleganter Weisezudemonstrierent). Ein Dewar-Ge- fäß (Fig. 5 ı) ist ein doppelwandiges, zylin- drisches Glasgefäß, dessen äußerer Hohl- raum möglichst ausgepumpt ist. Seine in- nere Oberfläche ist zur Verminderung der Wärmeausstrahlung versilbert. Wird der innere Hohlraum des Dewar-Gefäßes — dasselbe wurde seinem Erfinder, dem bekannten englischen Chemiker Dewar zu Ehren benannt — mit einer heißen oder kalten Substanz gefüllt, so behält diese ihre Temperatur längere Zeit so ziemlich bei, da durch den luftfreien Mantel die Wärme fast nicht oder nur äußerst langsam abgeleitet wird. Die im Handel befindlichen Thermoflaschen, Fig. 51. Dewar-Gefäß im Durch- schnitt mit Vakuummantel a und innerem Hohlraum. Stark ver- kleinert. Fig. 52. Dewar-Gefäß montiert, um die Selbsterwärmung‘ von Pflanzen zu zeigen. Stark ver- kleinert. D Glasgefäß mit leerge- pumptem Hohlmantel m, T Ther- mometer, 5 Baumwolle, 7 Holz- fuß. (Original.) 1) Molisch, H., Über die Selbsterwärmung von Pflanzen in Dewar-Gefäßen. Zeitschrift für Botanik, 6. Jahrg., 1914, S. 305—335. dazu bestimmt, Speisen und Getränke warm oder kalt zu erhalten, sind im wesentlichen Dewar-(refäße. Die von mir verwendeten Dewar-Gläser ruhen in einer Holz- hülse. Unmittelbar vor Beginn des Versuchs werden die Pflanzen gesammelt und frisch (nicht naß!) eingefüllt. Auf die Pflanzen kommt eine kreisrunde, genau in das Gefäß passende Scheibe von Glimmer, um die Transpiration möglichst zu verringern, und da- rauf eine 2—4 cm hohe Schicht Baumwolle. Schließlich wird ein feingeteiltes Thermometer so eingeführt, daß der Quecksilberbe- hälter etwa in die Mitte der Pflanzenmasse zu liegen kommt: Fig. 532». Ob man nun mit Laubblättern oder mit Blüten arbeitet, stets tritt schon innerhalb eines Tages eine bedeutende Wärme- entwicklung ein, und zwar ergeben sich, wie bei den früher ge- schilderten Korbversuchen, wieder zwei Gipfelpunkte der Tempe- ratur, wovon der eine wieder auf Rechnung der Atmung der Blätter oder Blüten und der andere auf die Atmung der Bak- terien und Schimmelpilze, die sich auf den schließlich in ihrer hohen Eigenwärme abgestorbenen Pflanzenteilen entwickeln, zu stellen ist. | Die folgende Tabelle gibt die Endresultate verschiedener Versuche mit Blüten in übersichtlicher Zusammenstellung: I _ = A | oo 4 | J oO ES |s28<| P<>|gäse seta, |SE, sljeseega Bass SEE W: Be Sa Name EB % < v5 | Sa EZ Se =! Se EUdsı „EHER ges er anze =525 De a3 8 s’sE „se. a|l32e2 . jee 22a re Se HH (Ha | ge TE. des. Bs55 Asse 25 Ms = mn" Chrysanthemum leucanthemum . 47:3 29,5 56,6 39,6 DIAUCUSBCRTOR Fr ee 46,9 28,9 55 38,8 Trifolium pratense. . . . . 47 28 55 38 Achillea millefolium . . . . 43,6 25 52,8 337 Anthcmis IDemSis "I En 41,6 20,2 48 28,1 Pa ns, 2 208 45 24,5 — — Philadelphus coronarius . . . 40,1 16,1 47 25 Rosa (Gartenhybrid) . . . . 40,4 18,5 37,6 15,5 Clematis vitalba . . » » . .» 45,4 23,4 50 29 Calendula offieinalis . ». .» - 36,4 15,4 40 18,5 INymp haea alba a Wa 27,4 8,3 —— — 4. Die Selbsterwärmung gewisser Blüten und Blütenstände. Obwohl man gewöhnlich in der Natur von der Wärmeent- wicklung höherer Pflanzen nichts merkt, gibt es doch einige Fälle, in denen Pflanzen soviel Wärme bilden, daß man sie mit der Hand direkt fühlt. Die erste Nachricht darüber verdanken wir dem Zoologen und Naturphilosophen Lamarck, der bereits im Jahre 1777 die Tatsache feststellte, daß sich die blühenden Kolben von Arum ılalıcum warm anfühlen. Diese höchst auffallende und interessante Erscheinung ist aber nicht auf die erwähnte Aroidee be- schränkt, sondern wurde später noch für Arun maculatum, einein unseren Auen viel verbreitete Pflanze, Colocasıa odora und Phulodendron Pinnatıfıdum, nachgewiesen. Die ziemlich großen Blütenstände der Pandanaceen, Scitamineen, Cy- cadeen und die der Palmen entwickeln gleich- falls bedeutende Wärmemengen. Durch die Untersuchungen von G. Kraus!) wurde die Er- scheinung genau studiert. Bei Arwn ztalicum wurde im Vergleich zur umgebenden Luft eine Temperaturhebung bis zu 17,6° C beobachtet, und wenn fünf Kolben zusammengelegt und mit einem Tuch umgeben werden, so kann die Temperatur auf 51,3° ansteigen bei einer Luft- temperatur von 15,4°. Es gibt eine aus Indien stammende Aroidee, Sauromatum guttatuwm, deren Knollen die merk- würdige Eigenschaft besitzen, am Tische liegend, SE Ca eye . ohne jede Zufuhr von Wasser, sich nicht bloß * Knollen, S Schei- frisch zu erhalten, sondern auch den Blüten- een kolben auszutreiben (Fig. 53). Dieser besteht Stark verkleinert. auseinem auffallend gefärbten, purpurngefleckten reizen Scheidenblatt und dem eigentlichen Blütenstand, der in seiner unteren Hälfte die weiblichen, darüber die männlichen Blüten trägt und in seiner oberen in ein etwa fingerdickes pur- purnes Anhängsel übergeht. Wenn das Scheidenblatt sich öffnet, kommt das Anhängsel zum Vorschein und erwärmt sich so be- deutend, daß man es mit der Hand direkt fühlen kann. In einem l) Kraus, G., Über die Blütenwärme bei Arum italicum. Abhandl. d. naturf. Ges. zu Halle, Bd. 16, 1883— 1886, ı. Teil, S. 37—76, 2. Teil, S. 259—358. „— 236 . bestimmten Falle!) setzte die Erwärmung früh morgens um 6 Uhr ein, erreichte gegen 8 Uhr oben am Anhängsel ein Maximum von 34° und fiel dann bis 7 Uhr abends auf die Lufttemperatur herab. Am nächsten Tag war die Erwärmung ganz minimal, nur ı° über der Temperatur der Luft. Bei anderen Aroideen läßt sich eine scharf ausgeprägte Periodizität der Wärmebildung nachweisen. So ist nach den Untersuchungen von Leick?) der Temperatur- verlauf durch drei Maxima ausgezeichnet. Das am ersten Tage sich einstellende Maximum ist das kleinste, das des zweiten Tages ist das größte und das des dritten Tages pflegt das des ersten Tages nur um ein geringes zu übertreffen. Die mächtigen Blütenstände der Cycadeen, Palmen und die große Blüte der durch ihre riesigen Schwimmblätter ausgezeichneten Vıctoria regia zeigen gegenüber der l.uft eine Temperaturerhöhung von 5—ıo° und darüber und bei der Vze/oria-Blüte gibt es sogar bestimmte Blütenteile, die sich ganz besonders erwärmen und ebenso wie. das Anhängsel des Blütenkolbens gewisser Araceen geradezu als Heizkörper bezeichnet werden können. Die hochgradige Selbsterwärmung der Araceen, Pandaneen- und Palmenblütenstände muß auf den ersten Blick unsere Ver- wunderung erregen, da sie im auffallenden Gegensatz zu der Tatsache steht, daß die meisten Pflanzen unter gewöhnlichen Um- ständen im Schatten keine höhere Temperatur als die Luft be- sitzen, da die gebildete Wärme rasch entführt wird. Wie kommt es nun, daß gerade gewisse Blütenstände von dieser Regel in so auffallender Weise abweichen und daß hier eine Atmung von ganz besonders starkem Stoff- und Kraftaufwand einsetzt? Nach den Ausführungen von Delpino und Kraus kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß es sich hier um eine blütenbiologische Sonderanpassung handelt, die der Begün- stigung der Kreuzbefruchtung durch Anlockung von Insekten, ins- besondere von Fliegen dient. So wie in anderen Fällen Duft- und Farbstoffe der Lockung von Insekten angepaßt erscheinen, ist es hier die Wärmebildung. Insekten gehen bekanntlich gerne der Wärme nach, Fliegen setzen sich mit besonderer Vorliebe auf warme, von der Sonne beschienene Flächen. Daher sehen wir verschiedene Fliegenarten zunächst das warme Kolbenende der !) Molisch, H., Pflanzenphysiologie als Theorie der Gärtnerei. Jena 1916, S. 116. °) Leick, E., Untersuchungen über die Blütenwärme der Araceen. Greifswald 1910, S. 52. Hier auch ausführliche Literaturangaben. Araceen aufsuchen, das dann wie eine Leitstange. die Insekten zu den männlichen und weiblichen Blüten führt und sie auf diese Weise durch Übertragung des Blütenstaubes die Befruchtung vollziehen läßt. Kraus!) faßt diesen Gedanken in die Worte: „Und so bin ich denn auch geneigt, in den vorstehenden Fällen (es handelt sich um verschiedene Araceen, Cycadeen und Palmen) ‘die Erwärmung der Blütenstände, wenn nicht überall und ausschließ- lich (Palmen?), so doch jedenfalls in hervorragendem Maße als ein Anlockungsmittel für Tiere in Anspruch zu nehmen. An sich genommen, muß es zweifellos für die Insektenwelt verlockend er- scheinen, auffallend warme Stellen des Aufenthaltes zu finden, zumal am Abend und Morgen, wo die Temperaturdifferenz zwischen Luft und Blüte besonders hervortritt. Auch erscheint es für die Pflanze gewiß keine kostspieligere Leistung und Arbeit, eine ge- wisse Masse Leibessubstanz in kürzester Zeit einfach zu verbrennen, als dieselbe zu ebenso vorübergehendem Gebrauch in höchst kom- plizierte, morphologische Gebilde umzugestalten. Einrichtungen letzterer Art erspart sich ja die Pflanze ohnehin gerade bei Blüten- ständen mit Wärmebildung.“ 5. Die Selbsterhitzung organischer Abfälle durch Bakterien und Schimmelpilze. Es ist in hohem Grade merkwürdig, daß die alltäglichsten Dinge, die uns auf Schritt und Tritt begegnen und seit uralter Zeit bekannt sind, erst verhältnismäßig spät die Aufmerksamkeit erregen und aufgeklärt werden. Wie oft hat man gesehen, wie Haufen von Pferdemist selbt an kalten Wintertagen so viel Wärme entwickeln, daß sie förmlich dampfen! Um sich darüber Rechen- schaft zu geben, begnügte man sich zu sagen, daß rein chemische Umsetzungen, die im Pferdemist vor sich gehen, die Wärmebildung veranlassen. Baumwolle. Aufklärend hat bezüglich solcher Erscheinungen F. Cohn gewirkt. Als ihm mitgeteilt wurde, daß zu Augsburg in Greewächshäusern Beete, mit schmutzigen Baumwollabfällen gefüllt, sich bedeutend erhitzen, machte er verschiedene Versuche, um über diese Selbsterwärmung ins Klare zu kommen. Er füllte einen Kasten mit 3—5 Pfund angefeuchteter schmutziger Baum- !) Kraus, G., Physiologisches aus den Tropen. III. Über Blütenwärme bei Cycadeen, Palmen und Araceen. — Ann. du jardin bot. de Buitenzorg, Bd. 13, 1896, S. 217—275. zum 238 — wolle und beobachtete, daß, wenn die Wolle vorher durch heißen Wasserdampf von lebenden Keimen befreit, d.h. sterilisiert wurde, keine Erwärmung eintrat, hingegen eine sehr bedeutende, wofern die Sterilisierung unterlassen wurde. Im letzteren Falle „stieg die Temperatur sofort, erst langsam, stündlich o,ı°, dann rascher (0,2, 0,3° in der Stunde); nach 5—6 Stunden rapid (stündlich 2°, 3° bis 4°); 24—30 Stunden später war das Maximum (67,2% beobachtet)’ erreicht; von da ab sank die Temperatur langsam, aber stetig, so daß nach etwa 6 Tagen die Masse wieder Lufttemperatur (21 bis 23°) zeigte.“ Bei der mikroskopischen Untersuchung solcher heiß- gewordener Baumwolle zeigte es sich, daß sie ganz durchsetzt von unzähligen Bakterien war, die hier auf der schmutzigen, noch mit Samenresten und Schmierölen verunreinigten Baumwollmasse höchst günstige Entwicklungsbedingungen fanden und infolge intensiver Atmung reichlich Wärme erzeugten. Daß Bakterien tatsächlich die starke Wärmeentwicklung veranlassen, kann leicht bewiesen werden, denn wenn sterile Baumwolle, die keine Spur von Selbst- erwärmung zeigte, mit schmutziger, nicht sterilisierter Wolle ge- impft und so mit lebenden Bakterien angesteckt wurde, begann die Temperatur bald auf etwa 67° zu steigen. So sehen wir denn, daß die Selbsterhitzung organischer Ab- fälle, z. B. der Baumwolle, nicht eine rein chemische, sondern eine biologisch-chemische Erscheinung darstellt, hervorgerufen durch Mikroorganismen. Heu. Seit langem ist bekannt, daß sich gemähtes Gras, in großen Haufen zusammengeschichtet, bald sehr stark erhitzen kann. Genaue Angaben darüber verdanken wir Miehet). Er zeigte, daß selbst in nicht sehr großen Heuhaufen die Temperatur auf etwa 68° steigen kann. Auch hier handelt es sich wieder um einen biologisch-chemischen Prozeß. Keimfreies, durch heißes Wasser steril gemachtes Heu erhitzt sich nicht. Wird es aber mit etwas keimführendem Heu versetzt, so tritt nach kurzer Zeit normale Selbsterhitzung ein. Der genannte Forscher hat auch die Pilze, die die Erwärmung bedingen, rein kultiviert und darunter auch neue gefunden: eine Varietät des sonst im Darm lebenden bacıllus coli, Bacıllus calfactor, Thermomyces lanugınosus, Actino- myces monosporus, Thermordrum sulfureum und Thermoascus auran- fracus. Alle diese Pilze können als wärmeliebende oder thermophile !) Miehe, H., Die Selbsterhitzung des Heues. Jena 1907. — 239 — bezeichnet werden, denn sie leben bei relativ hoher Temperatur; ja sie entwickeln sich vielfach erst bei so hohen Wärmegraden, bei denen gewöhnliche Pilze oder grüne, saftreiche Pflanzen rasch absterben. Es ist dies von großem physiologischen Interesse, weil hier eine wunderbare Anpassung an extrem hohe Temperaturen vor- liegt, wie man sie kaum für möglich halten möchte. Ist hier ein besonderes Eiweiß im Plasma vorhanden, das der Koagulation oder sonstigen tiefgreifenderen Veränderungen widersteht, oder sind hier besondere Schutzeinrichtungen für das Eiweiß getroffen, so daß es sich trotz so hoher Temperatur unversehrt erhält? Bevor wir die Selbsterhitzung des Heus verlassen, soll hier auch ganz kurz der vielbesprochenen Frage nach der Selbstent- zündung des Heus gedacht werden, da ja an der Richtigkeit der Tatsache wohl nicht mehr zu zweifeln ist. : Man hat zu wiederholten Malen die Beobachtung Seh daß große Heuhaufen, die die Selbsterwärmung durchgemacht haben und noch erhitzt sind, wenn sie plötzlich auseinandergerissen . werden, an verschiedenen Stellen zu glimmen und schließlich zu brennen anfangen. Die dabei sich abspielenden Vorgänge bedürfen noch eines genaueren Studiums, vorläufig läßt sich nur folgendes mit großer Wahrscheinlichkeit behaupten. Die Selbsterwärmung des feuchten Heus erfolgt durch die Atmung der Mikroorganismen. Dabei steigt die Temperatur auf etwa 70° und gleichzeitig erfährt die Heumasse durch chemische Prozesse eine Veränderung in eine kohlige, poröse Substanz, die beim Auseinanderreißen des Heuhaufens, ähnlich wie Platinmoor, den nun reichlich zufließenden Sauerstoff der Luft in großer Menge absorbiert, verdichtet ‘und sich bis zum Entzünden erhitzt. Die Bakterien selbst haben direkt mit dem Selbstentzündungsvorgang nichts zu tun, sie sind nur an der Selbsterwärmung des Heus beteiligt, die zur Entzündung noch lange nicht ausreicht, und an der Verwandlung des Heus in eine kohlige, poröse Masse. Die Selbstentzündung aber beruht auf rein physikalisch-chemischen Vorgängen, im besonderen aber auf der raschen und intensiven Aufspeicherung von Luftsauerstoff. Pferdemist und Gerberlohe. Ähnlich wie Heu verhält sich auch Pferdemist. Es ist leicht festzustellen, daß größere Pferdedüngerhaufen sich bis 70 und 80° erhitzen können. Auch hier sind Kleinwesen, vornehmlich Bakterien und Schimmelpilze, von maßgebender Bedeutung. Ich habe mir oft Reinkulturen von Mistbakterien verschafft und darüber gestaunt, wie solche thermophile Bakterien in dampfen- den Nährlösungen, in die man den Finger höchstens nur einen Augenblick halten könnte, sich wohl fühlten und in heißen dampfen- den Wassertropfen unterm Mikroskop hin und her schossen. Die Gärtner bedienen sich der organischen Abfälle, um Mist- beete oder Warmbeete im Gewächshause zu heizen. Für die letzteren verwenden sie auch mit Vorliebe Gerberlohe, die in den Lederfabriken ihre Schuldigkeit bereits getan hat, um damit die Beete !/,—ı Meter hoch zu füllen und tropische Pflanzen mit den Töpfen einzusenken: Farne, Pandanus, Dracaena,, Freus, Ardısıa, Palmen und andere. Die Lohe erhitzt sich infolge der reichlichen Entwicklung von Bakterien und Hefen, teilt die Wärme der Blumen- topferde und den Wurzeln mit und begünstigt durch diese Boden- wärme in hohem ‘Grade das Pflanzenwachstum. Ähnlich wie die erwähnten organischen Abfälle können sich auch andere Pflanzenobjekte ziemlich erwärmen: Schnupftabak, Tabakblätter im Zustande der Fermentation (Gärung), Preßrück- stände verschiedenartiger pflanzlicher Objekte u. a. Wenn wir die Temperaturen der Pflanze thermometrisch oder thermoelektrisch messen, erhalten wir in jedem Falle nur ein Bild über die Höhe der Temperatur, über die Wärmemenge aber geben solche Beobachtungen keinen Aufschluß. Die bloße An- gabe der Temperatur genügt eben nicht, um die Wärmeerschei- nungen quantitativ beschreiben zu können. Daher muß es das Ziel physiologischer Forschung sein, die Wärme auch der Menge nach zu bestimmen. Man versteht bekanntlich unter der Wärme- einheit oder einer Kalorie jene Wärmemenge, die notwendig ist, ı kg Wasser von 14,5° auf 15,5°, also um ı° zu erwärmen. Es hat einen großen Wert, wenn die von der Pflanze ge- bildete Wärme in Wärmeeinheiten angegeben wird, Wenn erst dann ergibt sich ziffernmäßig eine deutliche Anschauung von dem durch das Lebewesen erzeugten Wärmequantum. Nur so läßt sich zeigen, ob die in die Pflanze durch die Nahrung eingeführte Energie ganz oder nur teilweise als Wärmeenergie erscheint und wiesich verschiedene Pflanzen oder verschiedene biologische Gruppen in der Wärmeerzeugung quantitativ unterscheiden. Es soll nicht verschwiegen werden, daß derartige Beob- achtungen erst in geringer Zahl vorliegen und daß sie mit großen Schwierigkeiten und häufig auch mit Ungenauigkeiten verbunden sind, so daß wir bezüglich der Wärmemessung der Pflanze noch am Anfange stehen. Immerhin läßt sich schon jetzt sagen, daß die von der rasch wachsenden Pflanze produzierte Wärmemenge mit der des höheren Tieres, ja sogar des Menschen, wetteifern kann, denn nach Bonniers mit ganz jungen Gerstenkeimlingen durchgeführten Versuchen wurde bei ı6° pro Kilo Pflanzensub- stanz und pro Stunde eine Wärmemenge von 3,72 Kalorien fest- gestellt, während ein erwachsener Mensch unter denselben Ver- hältnissen nur 1,4 Kalorien bildet. Die Wärme der Pflanze resultiert wohl der Hauptsache nach aus der Atmung, und daher dürfen wir uns nicht wundern, daß alle jene Umstände, die die Atmung erhöhen oder verringern, wie Temperatur, Gifte, Sauerstoff, Verletzung und anderes, auch dem- entsprechend die Wärmebildung beeinflussen. Es sei ein in dieser Beziehung ganz besonders interessantes Beispiel hier erwähnt. Von Böhm!) wurde die Entdeckung gemacht, daß Ver- letzungen der Kartoffel eine Steigerung der Atmung und eine damit Hand in Hand gehende Steigerung der 'Wärmebildung hervorrufen.: Die Atmung geschälter oder mit Einschnitten ver- sehener Kartoffeln ist bedeutend intensiver als die unverletzter. Ein Beispiel: Kartoffelknollen geben im unversehrten Zustande pro Kilo und Stunde 7 mg Kohlensäure ab; werden sie in je vier Stücke zerschnitten, so entwickeln sie am ersten Tage nach dem Zerschneiden 63 mg, am zweiten Tage 46 mg, am vierten Tage ıo mg und am sechsten Tage 7 mg Kohlensäure. Später haben Stich und Richards die weite Verbreitung dieser Erscheinung nachgewiesen und genauer untersucht. Mit dieser Erhöhung der Atmung nach Verletzung geht nun auch eine Steigerung der Wärmebildung Hand in Hand. Sie kann leicht durch thermoelektrische Messung nachgewiesen _ werden. :Die Zunahme beträgt bei der Kartoffel dicht hinter der Schnittfläche etwa o,21°, in ıs mm Abstand aber nur 0,05° und in 2o mm Entfernung war keine Temperaturerhöhung mehr wahr- zunehmen. Dagegen macht sich bei der Küchenzwiebel der wärme- steigernde Wundreiz auf viel weitere Strecken geltend. Wir haben hier wieder ein schönes Beispiel dafür, wie gleiche Ursachen nicht ı) Böhm, J., Über die Respiration der Kartoffel. Botanische Zeitung, 1887,S.671. Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 16 bloß im Menschen und Tier, sondern auch in der Pflanze gleiche Wirkungen auslösen, denn es ist ja seit langem bekannt, daß Ver- wundung bei Tier und Mensch eine erhöhte Atmung und damit zusammenhängend auch eine höhere Körpertemperatur veranlassen kann. So hat das Wundfieber des Menschen auch sein Analogon in der Pflanze gefunden. Je weiter wir in der Geschichte der Biologie zurückblicken, desto größer erscheint die Kluft, die zwischen Pflanzen- und Tier- reich scheinbar bestand. Je mehr wir uns aber der (regenwart nähern, desto mehr Brücken werden über diese Kluft geschlagen und endlich werden beide Reiche des Lebens miteinander so ver- knüpft, daß die Kluft schon an manchen Stellen verschwindet. Im mikroskopischen Bau der Tier- und Pflanzenzelle erkennen wir denselben Grundplan, die Grunderscheinungen des Lebens sind hier wie dort die gleichen, die Reizbarkeit der lebenden Substanz zeigt oft überraschende Ähnlichkeiten und auch der Verbrennungs- prozeß, den wir Atmung nennen, ist im wesentlichen derselbe, gleichgültig ob er sich im hochentwickelten Menschen, im win- zigen Infusor oder in einer duftenden Rose abspielt. m Über die Herstellung von Photographien in einem Laubblatte'). Einer der wichtigsten chemischen Vorgänge, der sich im grünen, lebenden Laubblatte abspielt, ist die Kohlensäureassimila- tion. Im grünen Blatte entsteht aus der Kohlensäure der Luft und aus Wasser im Lichte organische Substanz, zumeist in Form von Stärke. Macht man durch ein Laubblatt, z. B. durch ein Buchen- blatt, einen Querschnitt und betrachtet ihn mikroskopisch, so er- kennt man, daß die grüne Farbe des Blattes von kleinen grünen Körnchen, den Chlorphylikörnern herrührt, die einen großen Teil der Blattzellen erfüllen. Die Chlorophylikörner sind für die Er- nährung der Pflanzen von größter Wichtigkeit, denn nur in ihnen spielt sich die Kohlensäureassimilation ab. Und nur in den be- lichteten Chlorophylikörnern entsteht Stärke. Das Chlorophylikorn ist — von wenigen Ausnahmen abge- sehen — der einzige Ort, wo in der Natur aus rein mineralischer Substanz, aus Kohlensäure und Wasser, organische Körper ent- stehen. Von diesen leiten sich alle anderen organischen Stoffe aus denen die Pflanze besteht, ab; alle nicht grünen Pflanzen und Pflanzenteile, alle Tiere und der Mensch sind in ihrer Ernährung von dem Kohlensäureassimilationsprozeß abhängig, weil sie ins- gesamt wegen Mangel an Chlorophyll nicht imstande sind, orga- nische Substanz zu erzeugen. Wenn man ein grünes Blatt durch Einhüllen mit schwarzem Papier verfinstert, so verschwindet innerhalb ı—2 Tagen alle vor- handene Stärke, das Blatt wird entstärkt. Im Lichte bildet es 1) Vortrag, gehalten in der Plenarversammlung der k. k. Photographischen Gesell- schaft in Wien am 10. November 1914. Erschienen in der „Photographischen Korrespon- denz“. Wien u. Leipzig. Dez. 1914. 16* wieder Stärke. Legt man auf ein stärkefreies Blatt ein kleines Stückchen schwarzes Papier oder Stanniol, setzt das ganze dem direkten Sonnenlichte aus, am besten vom Morgen bis Abend, und unterwirft man dann das abgeschnittene Blatt der Jodprobe — Stärke färbt sich mit Jodlösung blau —, so erscheint das Blatt nach einiger Zeit an der Stelle, wo das Papier lag, hell-, an allen übrigen Stellen dunkelblau. Auf diese Weise läßt sich leicht zeigen, daß nur dort, wo das Blatt beleuchtet war, Stärke entsteht, an den unbelichteten Stellen aber nicht. Es läßt sich dies noch in anschaulicherer Weise demonstrieren, wenn man den eben beschriebenen Versuch mit der Abänderung ausführt, daß man das Blatt anstatt mit schwarzem Papier mit einer Blechschablone bedeckt, in der Buchstaben, z.B. in Form des Wortes „Stärke“, ausgestanzt sind. Das Licht dringt dann da, wo die Buchstaben sind, in das Blatt ein, nur hier wird Stärke er- zeugt, und nach Ausführung der Jod- probe erscheint das Wort „Stärke“ in blauer Schrift. Die Stärkeprobe wird zweckmäßig in folgender Weise ausgeführt: Das Blatt, in dem die Stärke nachgewiesen werden soll, wird abgeschnitten, rasch ı—2 Minuten in siedendem Wasser ab- Fig. 34. gebrüht, in warmen Alkohol zur Ent- fernung des Chlorophylifarbstoffes ein- gelegt und dann in verdünnter, bierbrauner Jodtinktur unter- getaucht. Wo Stärke war, färbt sich das Blatt blau, und zwar entsprechend der Stärkemenge schwarzblau, blau, violett oder lila. Ich habe mich vor längerer Zeit überzeugt, daß man zu dem eben beschriebenen Versuch einer Blechschablone gar nicht bedarf, sondern daß schon ein grobbedrucktes Zeitungspapier genügt, um zu zeigen, daß nur im Lichte Stärke entsteht. Die Fig. 54 zeigt ein Blatt von. der indianischen Kapuzinerkresse, 7ropaeolum majus, auf das ein Stückchen weißes Papier gelegt wurde, auf dem das Wort „Hauptfach“ in schwarzen Lettern gedruckt war. Nachdem das Blatt mehrere Stunden dem direkten Sonnenlichte ausgesetzt war, wurde es vom Mutterstocke abgeschnitten, und als es gleich darauf der Jodprobe unterworfen wurde, erschien das Wort „Haupt- fach“ hell auf dunklem Grunde. Als ich die Buchstaben bei diesem Experimente so überaus scharf hervorkommen sah, kam mir der Gedanke, es könnte durch passende Versuchsanstellung viel- leicht sogar erreichbar sein, im Laubblatte mit der Stärkereaktion Photographien zu erzeugen. Obwohl ich anfangs mit ver- schiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, waren meine Be- mühungen nach Ausmerzung ver- schiedener hindernder Umstände schließlich von ausgezeichnetem Erfolge gekrönt. Ein für unser Experiment sehr geeignetes Blatt ist das der indianischen Kapuzinerkresse, Tropaeolum majus. Das Blatt ist Fig. 55. eben, fast kahl, dünn und eignet sich, weil es nach Entfernung des Chlorophylis ganz weiß wird, ausgezeichnet für die Jodprobe. Um in einem grünen Blatte eine Photographie zu erzeugen, verfährt man in fol- gender Weise‘): Man legt auf ein stärkefreies 77o- peeolum-Blatt ein kontrast- reiches Negativ dicht auf, sorgt dafür, daß das Blatt mat den? „Negativ (nicht verschoben wird und setzt das ganze bei wolken- losem Himmel von früh bisabend oder wenigstens mehrere Stunden dem di- rekten Sonnenlichte aus. Nachher wird das Blatt abgeschnitten und in der angegebenen Weise der Fig. 56. Photographien im Blatte von der Ka- puzinerkresse, Tropaeolum majus. Her- vorgerufen durch die Jodstärkereaktion. Fig. 56 zwei Knaben, Fig. 55 das Bild des Verfassers. ‘) Genaueres über das ganze Verfahren findet man in meiner Abhandlung: „Über die Herstellung von Photographien im Laubblatte“. Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, 1914. er 246 _— Jodprobe unterworfen. Schon wenige Minuten nach der Behandlung mit Jod taucht, falls der Versuch gelungen ist, das Positiv des angewandten Negativs oft mit einer ganz überraschenden Schärfe im Blatte auf. Die Figuren 55 und 56 stellen auf diese Weise hergestellte Photographien dar. Eigentlich dient hier das Blatt, falls das Bild mit Hilfe eines Negativs hergestellt wurde, als Kopierpapier, allein es ist klar, daß im Blatte, wenn es an Stelle einer photographischen Platte in der Kamera befestigt wird und von den Strahlen eines beleuch- teten Außenobjektes längere Zeit getroffen wird, nach der Ent- wicklung mit Jod gleichfalls das entsprechende Bild erscheinen würde. Ich bediente mich jedoch lieber gleich des Negativs, da das Verfahren bequemer ist und im Blatte gleich das entsprechende Positiv erzeugt wird. Von vornherein war die Wahrscheinlichkeit, daß Photo- graphien von solcher Schärfe im Blatte herauskommen werden, nicht sonderlich groß, da ja eine Reihe von Umständen der Klar- heit des Bildes entgegenarbeiten: Das Geäder (die Nervatur) des Blattes, die verschiedenen Inhaltsstoffe, die Luft zwischen den Zellen, die Zerstreuung des Lichtes durch die Blattzellen und einiges andere. Trotz dieser im Wege stehenden Hindernisse erscheint das Bild doch so deutlich, daß man an dem Bilde sofort die zugehörige Person erkennt. Derartige Photographien verdienen ein großes wissenschaft- liches Interesse, weil sie zeigen, mit welcher Genauigkeit der Sonnenstrahl im lebenden Chlorophyllapparat chemisch arbeitet, und weil sie ad oculos deutlich dartun, daß die Stärke entsprechend der Intensität des Lichtstrahles quantitativ entsteht. Denn nur so ist es möglich, daß die Lichter und Schatten in ihren Kontrasten und feinen und feinsten Übergängen, wie sie eine Photographie erfordert, im Blatte zu- tage treten. Nach dem Gesagten kann man das Blatt bis zu einem ge- wissen Grade als eine photographische Platte auffassen: dem empfindlichen Silbersalz entspricht der sensible Chiorophyllapparat, dem Silberkorn das Stärkekorn und dem Entwickler das Jod. NS: Über die Kunst, das Leben der Pflanze zu verlängern’). I. Die Lebensdauer der Pflanze. Von allen Lebewesen weiß nur der Mensch allein, daß ihm der Tod bevorsteht. Alle Menschen müssen sterben. Da den meisten der Tod als etwas Unwillkommenes, ja vielen geradezu als etwas Furchtbares und Schreckliches erscheint, so hat man sich bereits von alters her bis auf die neueste Zeit bemüht, Mittel und Wege zu finden, das menschliche Leben zu verlängern, um den Tod möglichst hinauszuschieben. Der mythische Unsterblich- keitstrank der Chinesen, die Lebenselixiere berühmter Zauberer und Ärzte, die auf allemeinen und ärztlichen Erfahrungen be- ruhende Makrobiotik Hufelands?) und die auf biologische Tat- sachen sich stützenden Vorschläge E. Metschnikoffs?) gehören hierher. Der Mensch hängt eben an dem Leben, und von dieser Sehnsucht nach dem Leben war auch der Dichter und große Lebenskünstler Goethe erfüllt, wenn er sagt: „Süßes Leben! Schöne freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens! — von dir soll ich scheiden?“ Das Problem der Lebensverlängerung des Menschen ist also praktisch in Angriff genommen und in neuerer Zeit auch wissenschaftlich erörtert worden. Merkwürdigerweise wurde aber die Lebensverlängerung der Pflanze bisher im Zusammenhange ausführlicher noch nicht be- !) Vortrag, gehalten am 15. Januar 1919 im Vereine zur Verbreitung naturwissen- schaftlicher Kenntnisse in Wien. Im Verlage dieses Vereines I9gIg zuerst erschienen. ®) Hufeland, C. W., Makrobiotik oder die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern. 5. Aufl. Wien 1832. ®) Metschnikoff, E., Beiträge zu einer optimistischen Weltauffassung. München 1908. — 243 — handelt, in den größeren Werken über Pflanzenphysiologie nimmt dieses in allgemein biologischer Hinsicht so wichtige Problem nur einen auffallend geringen Raum ein, obwohl darüber bereits mancherlei Beobachtungen vorliegen. Bei dieser Sachlage schien es mir wünschenswert, dieses interessante Problem auf Grund bisher bekannter Tatsachen und eigener Erfahrungen für sich allein in einem Vortrage darzustellen und vielleicht der allgemeinen Biologie einen kleinen Dienst zu leisten. Die Lebensdauer der Pflanze ist, abgesehen von den Ein- zelligen, stets beschränkt. Eine Bakterie, die nur aus einer Zelle besteht, teilt sich in zwei Hälften, jede Hälfte wächst dann zur Größe der ursprünglichen Mutterzelle heran, teilt sich wieder und so schreitet die Fortpflanzung unbegrenzt fort, ohne daß eine Leiche zurückbleibt. Die Bakterie ist also, um mit Weismann!) zu sprechen, unsterblich. Anders liegt aber die Sache bei der mehr- und vielzelligen oder sagen wir bei der höheren Pflanze, denn ihre Lebensdauer erscheint beschränkt und schließlich verfällt sie dem Tode, die eine früher, die andere später. Wie in den meisten Erscheinungen des Lebens zeigt sich auch in der Länge der Lebensdauer eine große Verschiedenheit. Zu den leicht vergänglichen Gewächsen gehören viele Pilze. Wird Pferdekot mit einer Glasglocke bedeckt, so überzieht er sich schon nach kurzer Zeit mit einem Wald eines Schimmelpilzes, der Gattung Mucor, der rasch Fruchtträger er- zeugt und dann abstirbt. Ihm folgt alsbald ein anderer höchst zierlicher Schimmelpilz, der Pilobolus, der die merkwürdige Eigen- schaft hat, seine Sporenbehälter auf viele Zentimeter weit abzu- schleudern, und dann zugrunde geht. Die Lebensdauer beider Schimmelpilze beträgt nur einige wenige Tage. Die Sonnenrose, das Springkraut, das Stiefmütterghen und andere sogenannte einjährige Pflanzen leben nur eine Vegetations- periode hindurch, andere leben zwei Jahre und endlich gibt es (rewächse, die viele, hundert, tausend, ja sogar mehrere tausend Jahre leben, mithin ein Alter erreichen, das das des Menschen und der langlebigsten Tiere weit übertrifft. Als die ersten Forschungsreisenden die Kanarischen Inseln im ı5. Jahrhundert entdeckten, fanden sie auf Teneriffa einen !) Weismann, A., Über die Dauer des Lebens. Vortrag. Jena 1882. Über Leben und Tod. Jena 1884. — 249 = Drachenblutbaum, den die Eingeborenen wegen seiner Größe und seines hohen Alters bewunderten und als Schutzgeist verehrten. Diesen Baum sah A. v. Humboldt gegen Ende des ı8. Jahr- hunderts. Zu dieser Zeit betrug der Stammumfang ı5 m (Fig. 57). Fig. 57. Dracaena draco, der angeblich etwa 6000 Jahre alte Drachenblutbaum von Orotava auf Teneriffa. (Nach einer Originalzeichnung von J. Selleny.) Im Jahre 1868 wurde dieser Baum durch einen heftigen Sturm niedergeworfen und für immer vernichtet; da er zu den Einkeim- blätterigen oder Monokotylen gehört und daher keine Jahresringe besitzt, so ließ sich sein Alter nicht genau bestimmen, er wird aber auf mehrere tausend, von einzelnen auf 6000 Jahre geschätzt. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden in Nord- amerika die im Yellowstone-Park und in Kalifornien vorkommen- den Mammutbäume (Sequoia oder Wellingtonia) entdeckt, die wegen ihres Alters und ihrer Größe allgemeine Bewunderung er- Fig. 58. Sequoia sempervirens, Mammutbaum, etwa 9 m im Durchmesser und 90 m hoch. Der Stamm ist unten hohl und gestattet einem Wagen bequem die Durchfahrt. regten. Als ich im Jahre 1898 in Kalifornien weilte, versäumte ich nicht, die in der Nähe von Santa Cruz wachsenden Mammut- bäume zu besuchen. Da.es sich um eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges handelt, veranstaltet man in Amerika Ausflüge dahin. Man erreicht von San Francisco aus in 31, Eisenbahnstunden die Station ’ „Big Trees“ (Riesenbäume) und betritt nach Zahlung eines Ein- trittsgeldes von 25 Zent. einen Wald von Sequoia sempervirens. Ich werde, obwohl ich mich an die Baumriesen tropischer Ur- wälder bereits vorher gewöhnt hatte, niemals den erhabenen Ein- druck vergessen, den der Anblick dieser Baumgiganten auf mich ausübte. Man gerät in ein andächtiges Staunen und glaubt einen Blick in vorsündflutliche Zeiten zu machen. Die beiden Figuren 58 und 59 geben eine beiläufige Vorstellung von den Fig. 59. Seguoia sempervirens, Mammutbaum-Querscheibe, etwa 7 m im Durchmesser. gewaltigen Dimensionen dieser Baumriesen. Einer von diesen, „Greneral Fermont“ genannt, erhebt sich kerzengerade etwa 100 m; der unterste Teil des Stammes ist hohl, so daß zehn Personen bequem in der Stammhöhle Platz finden. Gleich daneben steht noch ein größeres Exemplar, noch höher und breiter, sein Umfang mißt 20 m. Durch einzelne solcher hohler Bäume können mit Pferden bespannte Wagen bequem durchfahren. Das sind aber keineswegs die größten unter diesen Riesengestalten, denn es gibt solche, die bis ı4a2 m hoch werden und ein Älter von mehreren tausend Jahren erreicht haben. Sequoia gigantea wurde im Jahre 1850 von dem englischen Botaniker Lobb 5000’ über dem Meere in dem sogenannten Mammuthaine im Quellgebiete des Stanislaus und St. Antonio (38%.n. Br) entdeckt. Der Stamm mißt durchschnittlich 2 50'— 330’ Höhe, bei einem Durchmesser von ı5—30’. Einer, der „Vater des Waldes“, war 450’ hoch und hatte am Grunde ı10’ Umfang und eine 22 Zoll dicke Rinde. In seinem gestürzten Stamme konnte man ı80’ weit hineinreiten und durch ein Astloch wieder hervorsteigen. Wenn vielleicht die Angabe, daß solche Bäume bis 6000 Jahre alt werden können, übertrieben sein dürfte, so kann es doch auf Grund der Zählung der Jahresringe keinem Zweifel unter- worfen sein, daß sie sicher 2000—4000 Jahre ausdauern können. In der Größe werden die Sequoien noch von den in Australien vorkommenden Eucalyptus-Bäumen übertroffen, denn E.amygdalina kann ı5o m Höhe und 30o m Umfang erreichen. Vor einem solchen Baumriesen stehend, dürfen wir aber nicht glauben, daß alles an ihm so alt ist wie das Individuum selbst. Die Vergänglichkeit der Blätter und Blüten spricht schon dagegen. Mit Hilfe des Mikroskops läßt sich auch leicht zeigen, daß nur ein Bruchteil der Gewebe noch aus. lebenden Zellen besteht. Der größte Teil des Holzes setzt sich aus toten Zellen zusammen und diese bilden die Hauptmasse des Stammes. Nur die äußersten Lagen des Holzes bestehen aus lebenden Zellen. Während das Holz allmählich von innen nach außen abstirbt, ist es bei der Rinde gerade umgekehrt. Die ältesten Teile befinden sich hier außen, die jüngsten innen; von außen schuppt sich die Rinde oder die Borke ab und so entledigt sich der Baum des alten, unnütz gewordenen Gewebes, während es von innen wieder durch neues ersetzt wird. Der alte Baum ist mit einer Ruine zu vergleichen, in der nur verhältnismäßig kleine Räume bewirtschaftet werden, denn nur ein geringer Bruchteil besteht noch aus lebender Masse, der größte Teil ist bereits’tot. Schließlich stirbt die Pflanze, nachdem sie ein gewisses Alter erreicht hat, vollends ab; ob aus inneren Ursachen oder, wie die meisten Biologen annehmen, nur aus äußeren, sei an diesem Orte nicht weiter berührt. g Nach dieser kurzen Abschweifung kehren wir nun wieder zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen zurück und fragen: Ist es möglich, die Lebensdauer einer Pflanze zu verlängern? Die Antwort auf diese Frage lautet bejahend, denn es gibt sehr ver- schiedene Mittel, die eine Lebensverlängerung ermöglichen, und diese Mittel sind die folgenden. II. Die Verlängerung der Lebensdauer. ı. Die möglichste Abhaltung aller Schädigungen. Wenn von der Lebensverlängerung der Pflanze die Rede ist, so kann zweierlei gemeint sein: entweder es handelt sich um eine möglichste Hinausschiebung des Todes innerhalb der normalen Lebenszeit oder um eine Verlängerung über die normale Dauer hinaus. Der erste Fall ist von geringerem Interesse, denn es versteht sich eigentlich von selbst, daß durch sorgfältige Abwehr von Schäden, also durch Gesunderhalten das Leben der Pflanze bis zum normalen Ende erhalten werden kann. Schädigungen, die die Lebensdauer der Pflanze zu verkürzen geeignet sind, gibt es genug. Ich erinnere nur an den Mangel an Nahrung, Licht, Wasser, reiner Luft, an die zahllosen Parasiten aus dem Pflanzen- und Tierreiche, extreme Kälte und Hitze, an Blitzschlag, Orkane, Überschwemmungen und vieles andere. Alle diese Umstände können die Lebensdauer verkürzen und ihre Fernhaltung kann sie verlängern. In diesem Sinne kann man ebensogut von einer Makrobiotik der Pflanze sprechen, wie man seit Hufeland von einer Makrobiotik des Menschen redet. Aber neben dieser Kunst, die Pflanze innerhalb ihrer normalen Lebenszeit bis zu ihrem natürlichen Ende gesund zu erhalten, interessiert uns bei weitem mehr diejenige, die darauf abzielt, das Leben über die gewöhnliche Dauer auszudehnen, da sie geeignet ist, einen tieferen Einblick in verschiedene Erscheinungen des Pflanzenlebens, unter anderen auch in den Prozeß des Alterns und der Altersschwäche zu gewähren. 2. Die zeitweise Entziehung unumgänglich notwendiger Lebensbedingungen. Das aktive Leben vollzieht sich nur dann, wenn bestimmte äußere Bedingungen erfüllt sind: Sauerstoff, eine gewisse Tem- peratur und Nährstoffe. Fehlt eines dieser Lebenserfordernisse, so steht das aktive Leben still und die Pflanze fällt, falls sie diesen abnormen Zustand längere Zeit zu überdauern vermag, in den Scheintod!). Ein lufttrocken gewordenes Getreidekorn wächst nicht, assimiliert nicht, bewegt sich nicht und zeigt auch sonst kein Lebenszeichen. Wird es aber in feuchte Erde gesteckt und hat es Gelegenheit, bei günstiger Temperatur Wasser aufzunehmen, so keimt es, wächst, die daraus entstehende Pflanze blüht, fruchtet und stirbt noch im selben Jahre ab. Hätte ich das Korn länger, vielleicht mehrere Jahre vor Zufuhr von Wasser behütet, so hätte ich das Leben dieses im Samen befindlichen Embryo dement- sprechend um Jahre verlängert. Die Keimfähigkeit des Samens dauert nur eine gewisse Zeit. So keimen Früchte von Gerste, Hafer und Weizen nach ıojähriger trockener Aufbewahrung noch zu 70 bis go Prozent und die Samen der Sinnpflanze, Mimosa pudica, sogar noch nach 60 Jahren. Unter normalen Verhältnissen würde der Embryo des Getreidesamens im feuchten Boden seine Ent- wicklung alsbald beginnen, im selben Jahre vollenden und als In- dividuum sterben. Durch die Verhinderung der Keimung aber infolge von Wasserentzug kann die Entwicklung auf Jahre hinaus- geschoben und das latente Leben des Embryos um ein Bedeutendes verlängert werden. So wie der Gang der Uhr durch Stillhalten des Pendels unterbrochen werden kann, ohne daß die Uhr dabei zerbricht, so kann auch das Leben fast vollständig sistiert und nach längerer Zeit wieder durch Einwirkenlassen der notwendigen Lebensbedingungen in Gang gesetzt werden. So ist es auch bei zahlreichen Bakterien, Pilzsporen, Moosen, Zwiebeln, Brutknospen und Wurzelstöcken. Sie alle können das Austrocknen Monate, ja oft viele Jahre vertragen und dann, unter günstige Lebensbedingungen versetzt, aus dem Scheintod erwachen und ihre Lebensbahn vollenden. ‚Nach Nestlers?) Untersuchungen können einige sporen- bildende Bakterien, Bacillus vulgatus, B. mycoides und B. subtilis, eine jahrzehntelange Austrocknung überdauern und sich durch mindestens 92 Jahre lebensfähig erhalten. So wie durch Wasserentzug kann auch durch Ausschluß anderer Grundbedingungen des Lebens die Entwicklung hinaus- !) Molisch, H., Der Scheintod der Pflanze. Dieses Buch S. 181. ®) Nestler, A., Zur Kenntnis der Lebensdauer der Bakterien. Ber. d. deutsch. bot. Ges. 1910, Bd. 28, S. 7. geschoben werden, z. B. durch Kälte, Sauerstoff- oder Nährstoff- mangel. Wenn ein Fliederbäumchen im Herbste nach dem Laubfall in einen Eiskeller eingestellt und hier bei niederer, knapp über dem Eispunkt liegender Temperatur ein ganzes Jahr aufbewahrt wird, so wird das Austreiben verhindert, die Vegetation künstlich zurückgehalten und die Lebensdauer der in den Knospen einge- schlossenen Blütenanlagen, die sich unter normalen Verhältnissen schon im Frühjahr entwickelt hätten und nach der Blütezeit in einzelnen Teilen wie Blumenkronen und Staubgefäße abgestorben wären, bis zu der Zeit verlängert, in der ich das Austreiben durch Überführung der Pilanze in günstige Temperatur gestatte. In allen diesen Fällen handelt es sich um eine Einschaltung einer latenten Lebensperiode in den Entwicklungskreis der Pflanze, wodurch das Leben der Pflanze oder einzelner ihrer Teile verlän- gert wird. 3. Die Verhinderung des Blühens und Fruchtens. In unseren Gewächshäusern wird häufig eine Pflanze ge- zogen, der man den Namen „die hundertjährige Alo&‘ gegeben hat. Mit Unrecht, denn sie ist keine Aloe, sondern heißt richtig Agave americana und wird gewöhnlich auch nicht 100 Jahre alt. Sie spielt in ihrer Heimat Mexiko eine wichtige Rolle, weil sie nach dem Ausschneiden der ganz jungen Blütenstandsanlage massenhaft süßen Saft aus der Wunde. ausscheidet, der nach durchgemachter Gärung das Nationalgetränk der Mexikaner, die „Pulque“, liefert. In Mexiko wird die Pflanze nach 8 bis ıo Jahren blühreif, fruchtet und stirbt dann ab. In einem für sie ungünstigen Klima aber, z.B. an der italienischen, französischen Riviera oder an der dalmati- nischen Küste, wo die Pflanze sich akklimatisiert hat, oder in unseren mehr nördlichen Gewächshäusern benötigt sie, je nach der ihr gebotenen Licht- und Wärmesumme 20, yo bis 50, ja vielleicht bis 100 Jahre, bis sie sich anschickt, ihren gewaltigen Blütenstand zu entwickeln, zu fruchten und dann abzusterben. Dies ist wohl der Grund, warum man ihr den Namen der „ıoojährigen“ ge- geben hat. Es gibt bekanntlich Pflanzen, die nur einmal in ihrem Leben blühen und fruchten und dann ihren Lebenslauf abschließen: Vogel- miere, Stellaria media, Ehrenpreis, Veronica hederifolia, Bingel- kraut, Mercurialis annua, und dann solche, die zweimal, mehrmals - Ze 256 sc oder vielmals fruchten, bevor sie dem Tode anheimfallen, wie die meisten Gehölze. Die ersteren hat Hildebrand!) die einmal fruch- tenden (monokarpischen), die letzteren die mehrmals fruchtenden (polykarpischen) genannt. Bei den monokarpischen Gewächsen — und dazu gehört auch die Agave — tritt nach der Blüten- und Fruchtbildung eine totale Erschöpfung ein. In der vor der Blüte der Agave ablaufenden Periode werden durch die mächtigen Blätter beständig Baustoffe erzeugt, die, sobald die Pflanze ihre endgültige Größe erreicht hat, als Reservestoffe für den künftigen, gewaltigen Blütenstand aufge- stapelt werden. Bevor nicht die dazu nötige Menge einmagaziniert ist, blüht die Pflanze nicht. In ihrer Heimat wird dieses Ziel schon verhältnismäßig früh, schon nach 8 bis ıo Jahren, in unseren Ge- wächshäusern erst viele Jahre später erreicht, da unter den hier obwaltenden ungünstigeren klimatischen Verhältnissen die Assimila- tion viel langsamer vor sich geht und daher die für den Blüten- und Fruchtstand erforderliche Baustoffmenge erst in viel längerer Zeit beschafft werden kann. Mit dem Hinausschieben der Blütezeit geht aber Hand in Hand auch die Verlängerung des Lebens dieser Pflanze, denn ihr Lebensende ist ja an die Fruchtbildung und die damit verbundene gänzliche Erschöpfung der Vegetationsorgane geknüpft. Alle jene Umstände, die die Blütenbildung hinausziehen, helfen auch mit, das Leben der Agave zu verlängern. Die in unseren Gärtnereien so häufig gezogene Reseda odorata schließt unter den dargebotenen Bedingungen innerhalb einer Vegetationsperiode ihren Entwicklungskreis ab. Wird sie zeitlich im Frühjahr ausgesät, so kommt sie im Sommer zur Blüte und Frucht und stirbt im Herbste ab. Unterdrückt man aber die Blütenbildung, so kann man die Pflanze als«Kronen- bäumchen 2—3 Jahre am Leben erhalten. Um dies zu be- werkstelligen, werden schon bei dem jungen Sämling alle Seiten- triebe und eventuell auftauchende Blütenanlagen sofort entfernt. Infolgedessen wird der Hauptstengel viel länger als gewöhnlich, er kann je nach Wunsch 1/,—2 Meter hoch werden; sobald er die gewünschte Höhe erreicht hat, kneipt man den Endsproß ab, läßt die Seitentriebe, aber nicht die Blüten, zur Entwicklung 1) Hildebrand, F., Die Lebensdauer und Vegetationsweise der Pflanzen, ihre Ursachen und ihre Entwicklung. Englers Botan. Jahrbuch f. Systematik, Pflanzengeschichte *" und Pflanzengeographie. 1882, II. Bd., S. 56 f. kommen und fährt damit so lange fort, bis sich eine dicht ver- zweigte Krone gebildet hat. Es hängt nun ganz von dem Ex- perimentator ab, ob er die Pflanze zur Blüte kommen lassen will oder nicht, unterdrückt er die Blütenbildung durch fortgesetztes Auskneipen der erscheinenden Knöspchen, so kann das Leben der gewöhnlich einjährigen Pflanze auf mehrere Jahre ausgedehnt werden. Bei dieser Art der Kultur, die ich oft selbst durchgeführt habe, wächst der Stamm beträchtlich in die Dicke, er verholzt und paßt sich seiner Aufgabe, die immerhin beträchtliche Krone mit Wasser und Nährsalzen zu versehen, nach Möglichkeit an. Fig. 60. Lobelia erinus. Verlängerung der Lebensdauer durch Verhinde- rung des Blühens. Die Pflanze links starb im August nach dem Blühen vollends ab, die Pflanze rechts wurde, um das Blühen zu verhindern, während des Sommers zweimal mit der Schere kurz geschoren und war im Dezember noch am Leben. Um eine schöne Rasenfläche durch mehrere Jahre zu erhalten, ohne neue Samen auszusäen, wird der Rasen bekanntlich mehr- mals im Jahre geschoren. Dadurch werden die Gräser, z. B. das Raigras, am Blühen verhindert, zum Austreiben neuer Seiten- sprosse gezwungen, die wieder, bevor sie zur Blüte gelangen, durch Scheren beseitigt werden, und durch dieses fortgesetzte Verfahren erreicht man ein viel längeres, mehrjähriges Vegetieren des Rasens. Auf ähnliche Weise konnte ich das Leben von Drabda verna, Veronica arvensıs, Petunia und Lobelia erinus verlängern. Die genannte Lobelia ist eine wegen ihrer massenhaft er- zeugten blauen Blüten sehr beliebte Teppichpflanze. Wird die als „Kaiser Wilhelm“ bekannte Spielart im Januar gesät, im März pikiert und dann ins Freiland übertragen, so blüht sie im Juni bis Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 17 en 258 se Juli, wird dann gelb und stirbt ab. Wird sie aber vor der ersten Blüte geschoren, so macht sie neue Sprosse, und wenn diese vor ihrer Blüte neuerdings geschoren werden, so halten sich solche Pflanzen blühend bis zum Herbst. Bei gewissen Lobeliasorten läßt sich das Leben auf diese Weise sogar bis über den Winter verlängern. Ebenso verhält sich nach meinen Erfahrungen Petunia und ich zweifle nicht, daß noch andere einjährige Gewächse durch Unterdrückung der Blütenbildung mit der Schere und entsprechende Kultur zu zwei- und sogar zu mehrjährigen Pflanzen umgemodelt werden könnten. In dem zwar alten, aber an Erfahrungen reichen Buche von Reichart!) finde ich folgende auf den Wiener Goldlack bezug- nehmende Stelle: „Wenn man einen Stock, der von Natur nicht zu Seitentrieben geneigt ist, im zweiten Jahre nicht zur Blüte kommen läßt, sondern diese immer wieder ausschneidet: so treibt er an der Spitze beblätterte Seitenzweige. Läßt man von diesen bloß die stärksten stehen und schneidet die Blüte, in die er treiben will, ebenfalls aus, indem man bloß den stärksten Trieb an der Spitze. fortwachsen läßt, so kann man auf diese Weise einen an- sehnlichen Baum ziehen, dem, wenn er im dritten Jahre oder noch später blühen soll, die Seitentriebe gelassen werden müssen, welche dann mehrere schöne Blütentrauben liefern.“ Es gibt eine Reihe von Pflanzen, die gewöhnlich in einer Vegetationsperiode ihre Entwicklung abschließen und dann ab- sterben. Säet man sie aber im Herbst aus und überwintert sie, so blühen sie erst im Jahre nach der Aussaat und werden auf diese Weise zu sogenannten zweijährigen Gewächsen. Die Sommer- Levkoje (Matthrola), Cinerarıa cruenta, Calceolarıa-Arten und andere gehören hierher. Also: in all den angeführten Fällen wird durch dig Verzöge- rung der Blütenbildung auch das Absterben hintangehalten und dadurch das lL.eben verlängert. 4. Die Verhinderung der Bestäubung und Befruchtung. Im Vorhergehenden war stets die Rede von der Lebensver- längerung ganzer Individuen, es läßt sich aber leicht zeigen, daß auch die Lebensdauer einzelner Organe verkürzt oder verlängert werden kann. Durch die Befruchtung .treten an der Blüte Ver- t) Reichart, Chr., Land- und Gartenschatz. 6. Aufl., Grätz, 1821, 5. Teil, S. 114. änderungen auf, die schließlich zur Ausbildung der Frucht führen. Die Eizelle entwickelt sich zum Embryo, die Samenanlage zum Samen und das anschwellende Fruchtknotengehäuse zur Frucht- wandung. Sobald die Blüten ein gewisses Alter. erreicht haben, welken sie oder sie werfen Blumenblätter und Staubgefäße ab. Bei den Blüten gewisser Pflanzen treten diese Erscheinungen sehr rasch, ja manchmal in überraschend kurzer Zeit nach der Bestäubung oder Befruchtung ein. Die Dauer der Blüte kann also eine sehr verschiedene sein, durch die Bestäubung kann sie verkürzt, durch Hinausschiebung der Bestäubung aber verlängert werden. Oft bemerkt wurde diese Erscheinung bei gewissen Orchideen. Cattleya-Blüten welken schon einen Tag nach der Bestäubung und trocknen dann ab. Es tritt dies besonders bei solchen Orchi- deen auffallend hervor, deren Blüten eine lange Lebensdauer haben, wie bei Phalenopsis und anderen. Während unbestäubte Blüten ı—2 Monate frisch bleiben, welken bestäubte schon nach ı—2 Tagen. Lehrreiche Beispiele fand Fitting!)., Empfängnis- fähige Blüten vom Storchschnabel, Geranium pyrenaicum, ent- blätterten sich infolge der Bestäubung nach der überraschend kurzen Zeit von durchschnittlich ı—ı!/, Stunden, die von Ero- dium Manescavi sogar nach 40—60 Minuten. Blüten vom Boretsch, Borago, sah Fitting 2!/,—7 Stunden nach der Be- stäubung abfallen. Andererseits kann aber durch die Befruchtung die Lebens-. dauer mancher Organe verlängert werden, so die der Fruchtknoten, der Samenanlagen und der Blütenstielee Denn wenn die Blüten nicht bestäubt und befruchtet werden, fallen die ganzen Blüten ab. 5. Die längere Funktionsdauer. In manchen Fällen gelingt es, ein Organ über die gewöhn- liche Zeit hinaus in Funktion und eben dadurch viel länger am Leben zu erhalten, als dies normal der Fall wäre. Das Blatt von Begonia rex wird in unseren Gewächshäusern gewöhnlich nicht älter als ein Jahr. Es ist mir aber mehrmals gelungen, den Blattstiel 2—3 Jahre in folgender Weise vor dem Absterben zu bewahren. Ein entwickeltes Blatt mit möglichst ) Fitting, H., Untersuchungen über die vorzeitige Entblätterung von Blüten. Jahrb. f. wissensch. Botanik, 49. Bd. (1g11), S. 187. 17° — 260 — langem Blattstiel wird mit der Basis des Stiels in feuchten Sand gesteckt und so lange darin belassen, bis er sich bewurzelt hat. Sodann wird der Blattsteckling in einen Blumentopf gepflanzt, der Blattstiel an einem aufrechten Stäbchen befestigt und dann sorgfältig weiter kultiviert. Nach einiger Zeit bilden sich aus der Blattspreite Sprosse, einer davon, am besten der, der in der Nähe der Einmündung des Blattstiels hervorbricht und gewissermaßen den Blattstiel fortsetzt, wird für die weitere Entwicklung aus- gewählt, die anderen aber werden entfernt. Unter diesen Ver- hältnissen übernimmt der Stiel des Mutterblattes die Rolle des Stammes. Der junge Sproß saugt Wasser und Nährsalze empor, diese müssen den Blattstiel durchwandern, der Blattstiel wird da- durch gut ernährt, leistungsfähig erhalten und bleibt infolgedessen viel länger am Leben, als wenn er nur Träger der Blattspreite geblieben wäre. Auch Knyt!) hat schon bei derselben Pflanze den Stiel eines isolierten Blattes zum Träger eines beblätterten Individuums gemacht und überdies gefunden, daß die Leitbündel dieses Stieles im Vergleich zu einem normalen Blattstiel wesentlich an Umfang zugenommen hatten. Derselbe Versuch gelang Winkler?) mit der Scrophulariacee Torenia asiatica. Die Blätter dieser beliebten Gewächshauspflanze bilden, wenn sie mit ihrem Stiel in feuchten Sand gesteckt werden, nach der Bewurzelung alsbald mehrere bis viele Sprosse, die ent- weder an der Basis des Blattstiels, an diesem selbst oder an be- liebigen Punkten der Blattspreite entstehen können. Werden nun alle vorhandenen Sprosse bis auf einen einzigen, auf der Blatt- lamina befindlichen entfernt, so gelingt es leicht, den Blattstiel in das Verzweigungssystem so einzuschalten, daß er als basales Achsenstück des Triebes dient. Bei geeigneter Kultur konnte Winkler auf dem Blatte dichtbeblätterte buschige Exemplare von 30—4o cm erziehen. Ein Individuum trug an Haupt- und Seitenachsen im ganzen 36 wohl- ausgebildete Blattpaare und viele Blüten, von denen viele mit zahlreichen, gut keimfähigen Samen lieferten. Diese interessante Kultur einer verhältnismäßig mächtigen Pflanze mit Blüten und Früchten auf einem Blattstiel als Basis ) Kny, H., Über die Einschaltung des Blattes in das Verzweigungssystem der - Pflanze. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 3, 1904, S. 369— 374. 2) Winkler, H., Über die Umwandlung des Blattstiels zum Stengel. Jahrb. f. wissensch. Botanik. 45. Bd. (1907), Heft ı. — 261 — führt zu zwei wichtigen Folgeerscheinungen: der Blattstiel erfährt weil er in dauernder Funktion erhalten bleibt, eine höchst auf- fallende anatomische Umwandlung, er wird zum Stamm, und seine Lebensdauer wird weit über das Normale hinaus verlängert. Winkler erblickt in der erhöhten Inanspruchnahme der Gefäße durch die Wasserleitung die Ursache der vermehrten Kambium- tätigkeit und der übernormalen Lebensdauer der benachbarten Zellen. Wir behandelten :jetzt zwei :Beispiele, an denen Blätter von ihrer Blattspreite aus Sprosse zu entwickeln vermögen. Solche Fälle sind ziemlich selten. Häufig kommt es aber vor, daß sich Blätter bloß bewurzeln, aber keine Sprosse treiben können. Blätter von Efeu, Aucuba, Camellia, Piper und anderen entwickeln ein starkes Wurzelsystem und, da sie fortwährend assimilieren, die Assimilate aber nicht ganz aufbrauchen, so werden sie auffallend - dick und werden auch älter, als sie an ihrem natürlichen Orte, d. h. im Verbande mit dem Mutterstocke, geworden wären. Knight pflanzte Kartoffelblätter im Juli und August in Töpfe unter Glas. Sie bildeten Knollen und lebten bis zum Winter. Mer konnte Blattstecklinge vom Efeu 4—5z Jahre und Carriere ein Blatt der Wachsblume, Hoja carnosa, 7 Jahre am Leben er- halten. Einen interessanten Fall von verlängerter Lebensdauer be- schrieb de Vries!). Ein Blütenstandstiel von Pelargonium zonale entwickelte ausnahmsweise an seinem Gipfel eine Laubknospe und wurde, obwohl sonst einjährig, dazu bestimmt, jahrelang weiter zu leben und ein kräftiges Dickenwachstum zu zeigen. Zu diesem Zwecke schnitt de Vries den Stamm unmittelbar über dem An-. satz des Stieles ab, kultivierte ihn weiter und konnte ihn 3 Jahre am Leben erhalten, also dreimal solange, als er unter nor- malen Verhältnissen gelebt hätte. Während dieser ver- längerten Lebensdauer wurde der Stiel viel dicker, umgab sich ringsum mit Kork und erlitt auch sonst anatomische Veränderungen, die es ihm ermöglichten, die Rolle eines Stammes zu spielen. — Derselbe Forscher hat auch darauf aufmerksam gemacht, daß Gallen, die auf Blütenständen und Blättern vorkommen, infolge _ des Nahrungsstromes, dessen sie zu ihrer Entwicklung bedürfen !) Vries, H. de, Über abnormale Entstehung sekundärer Gewebe. Jahrb. f. wissensch. Botanik. 22. Bd. (1891), S. 35. — 262 — und den sie aus den benachbarten Teilen an sich reißen, die be- fallenen Organe zu erhöhter Tätigkeit und stärkerem Dicken- wachstum zwingen. Die männlichen Kätzchen der Stieleiche fallen nach dem Verblühen alsbald ab. Enthalten die Kätzchen aber Gallen von Andricus-Arten (Gallwespen), so bleiben sie viel länger am Leben. An den männlichen Kätzchen der Weide (Salix alba) treten häufig infolge der Einstiche von Blattläusen und Milben Miß- bildungen in Form von Vergrünungen ein. Solche vergrünte Kätzchen werden oft ıo cm lang, tragen dicht behaarte Blätter und ihre Spindeln, die stark verholzen, fallen nicht ab. Die Spindeln männlicher Blütenstände verschiedener Pflanzen bleiben, wenn sich zufällig darin auch einzelne weibliche Blüten entwickeln und diese befruchtet werden, viel länger am Leben, nämlich so lange als die weiblichen Blütenstände, während die Achsen normaler männlicher Blütenstände gleich nach der Ver- stäubung absterben. So bei Carex, Hopfen, Brennessel, Mais u.a. Über einen Sommer reicht die Dauer des Lebens allerdings nicht hinaus. 6. Verschiedenes. Schließlich sei angeführt, daß noch durch folgende Kunst- griffe das Absterben mancher Pflanzenteile oder ganzer Pflanzen einige Zeit hinausgeschoben werden kann. Es gibt Obstbäume, die zwar oft blühen und auch mitunter kleine Früchte ansetzen, die aber vor der Zeit Blüten und Früchte abwerfen. Werden solche Bäume geringelt, d.h. wird am Stamm oder Ast die Rinde in Form eines Ringes abgetragen, so werden die in den Blättern gebildeten organischen Stoffe bei ihrem Herabwandern an der Ringelwunde gestaut, sie können nicht weiter und häufen sich daher oberhalb der Wunde an. Dies führt zu einer überaus günstigen Ernährung der Blüten und jungen Früchte und ver- hindert ihr Abfallen. Hier wirkt die gute Ernährung lebens- verlängernd. Auch die Pfropfung kann von Einfluß auf die Lebensdauer werden. Die Pistazie, Prstacıa vera, erreicht als Sämling ein Alter von höchstens ı50 Jahren, auf P. Terebinthus veredelt, ein Alter von 200 und auf lentiscus nur eines von etwa 4o Jahren. Ein normaler Apfelbaum, Pirus malus, kann 200 Jahre, auf Malus paradisiaca gepfropft aber nur ı5— 25 Jahre alt. werden. — 263 = Durch Versuche von Lindemuth!) wurde auch dargetan, daß einjährige Sprosse von Stauden und einjährigen Pflanzen durch Verwachsung mit Gehölzen länger lebensfähig erhalten werden können. Besonders interessant in dieser Hinsicht war der Versuch, .indem er auf den einjährigen, krautigen Stengel der Malvacee Modiola caroliniana einen Sproß des ausdauernden Abutilon Thompsoni veredelte. Das Abutilon-Reis trieb nach der Verwachsung so üppig, daß es bald an die Glasscheiben des Ge- wächshauses stieß und wiederholt gekürzt werden mußte. Der strauchartige Abutilon lebte im Verbande mit der Modiola, dem für gewöhnlich einjährigen Kraute, 3 Jahre und 5 Monate! Die Lebensdauer der einjährigen Modiola wurde also um etwa 2!/, Jahre erhöht! Es wäre wünschenswert, daß dieser Versuch in größerer Zahl wiederholt würde, um festzustellen, ob Hand in Hand mit: dieser Verlängerung der Lebenszeit auch ana- tomische Veränderungen des Stengels vor sich gehen und ob es bei vorsichtiger Kultur nicht gelänge, die einjährige Modiola als Pfropfunterlage noch länger am Leben zu erhalten, als es in dem geschilderten Versuche der Fali war. i III. Rückblick. Aus unseren bisherigen Betrachtungen geht zweifellos her- vor, daß sich: das Leben der Pflanze und auch das ihrer einzelnen Teile in vielen Fällen durch verschiedene Mittel verlängern läßt. Und nun wollen wir. uns fragen, welche Ursachen eigentlich zu einer Verlängerung des Lebens führen und ob die auf so ver- schiedene Weise erzielte Lebensverlängerung sich nicht in letzter Linie nur auf einige wenige Ursachen zurückführen läßt. Bei. der Ausdehnung des Lebens durch Unterbindung des aktiven Lebens, ‚wie sie bei der Versetzung der Pflanze in den :Scheintod gegeben ist, liegt wohl die Sache klar; hier wird das Leben einfach..auf einige Zeit unterbrochen und durch Wieder- 'einführung der ausgeschalteten Lebensnotwendigkeit wieder in Gang gesetzt. Die aktiv lebende Pflanze gleicht einer gehenden, -die scheintote einer aufgezogenen, aber arretierten Uhr. Bei nur einmal fruchtenden Pflanzen hängt das Alter, das die Pflanze schließlich erreicht, mit der Blütezeit auf das innigste ') Lindemuth, H., Das Verhalten durch Kopulation verbundener Pflanzen- arten. Ber. d.-deutsch.. botan. Ges. - 19. Bd. (1901), S. 526. te zusammen. Unter normalen Verhältnissen schiebt ein solches Ge- wächs die Blüten- und Fruchtbildung so lange hinaus, bis es durch die Tätigkeit seiner Blätter einen genügenden Vorrat an plastischen Stoffen erzeugt und aufgespeichert hat. Nach der Fruchtbildung geht es durch Aufbrauch dieser Reservestoffe zugrunde. Wenn man aber die Blütenbildung durch irgendwelche Ein- griffe, sei es durch mangelhafte Belichtung, durch bestimmte Temperatur, sei es durch größere Feuchtigkeit des Bodens und der Luft verhindert, bewahrt man die Pflanze vor dem Tode und schiebt ihn hinaus. Sobald sie aber blüht und fruchtet, werden die organischen Speicher vollständig ausgeleert und aufgebraucht, oft ist damit auch eine Vergilbung der Blätter oder der ganzen Pflanze verknüpft, die Chlorophylikörner werden zerstört und ihr Eiweiß wandert nach den Samen aus. Der Chlorophylikörner nunmehr beraubt, kann das gelbgewordene Blatt nicht mehr normal fungieren und als Ernährungsorgan dienen, und daher geht die Pflanze nach der Reife der Samen zugrunde. Der Fall, daß ein funktionslos gewordenes Organ dem Tode verfällt, läßt sich ja auf Schritt und Tritt beobachten. Ein Blatt- stiel seiner Spreite beraubt, ein Blütenstiel von seiner Blüte ge- trennt, stirbt oder fällt ab; eine Ranke, der es nicht glückt, eine Stütze zu fassen, verkümmert, Blätter, die nicht beleuchtet und ihrer natürlichen Bestimmung entzogen werden, gehen zugrunde, mit anderen Worten: Organe, die ihrer natürlichen Bestimmung nicht nachgehen können, sterben früher ab. Wenn aber ihre Funktionsdauer durch künstliche Eingriffe über das Normale aus- gedehnt oder sogar gesteigert wird, so wird, worauf auch schon de Vries aufmerksam gemacht hat, ihr Leben verlängert. So ist es bei dem in das Zweigsystem eingeschobenen Blütenstiel, be- ziehungsweise Blattstiel von Pelargonium, Begonia, Torenia, bei den knospenlosen Blattstecklingen und bei den gallentfagenden männlichen Blütenspindeln der Brennessel, des Hopfens und des Mais. Und wenn in manchen Fällen mit der Pfropfung einer mehrjährigen Pflanze auf eine einjährige (Abutilon auf Modiola) die einjährige mehrjährig wird, so handelt es sich auch hier um eine dem einjährigen Modiolastengel aufgezwungene Funktions- dauer. Das Abutilonreis zieht durch den Stengel der Modiola das Wasser und die darin gelösten Mineralsalze hindurch und zwingt. ihn, seine Aufgabe länger als gewöhnlich fortzusetzen. Mit dieser Steigerung und Verlängerung der Funktion ist Pa 265 pen auch eine reichlichere Ernährung verknüpft. Eine solche wird auch beim Ringeln oberhalb der Ringelwunde in dem Greäste erzielt, und durch die Anhäufung von wertvollem plastischen Material wird das vorzeitige Abfallen der Früchte verhindert. Schlechte Ernährung hingegen verkürzt das Leben, denn hungernde Blätter vergilben bald und verfallen einem früh- zeitigen Tode. In der Kunst, das Leben der Pflanze zu verlängern, stehen wir, obwohl bereits mannigfache Erfahrungen vorliegen, allerdings erst am Anfange. Je mehr aber die Wissenschaft vorschreitet, desto mehr lernen wir durch das Experiment die Pflanze be- herrschen, und somit ist begründete Aussicht vorhanden, daß auch die Makrobiotik der Gewächse große Fortschritte, aber nur bis zu einem bestimmten Grade, machen wird, denn schließlich ver- nichtet, abgesehen von den Einzelligen, der Tod auch jedes Pflanzen- leben, mag es sich nur um eine nur einen Tag währende Blüte, um ein einjähriges Kraut oder um einen mehrtausendjährigen Baumriesen handeln. In der auf- und absteigenden Entwicklung stellt auch der Tod nur einen Abschnitt dar: Das Ende. Die Worte Jakob Grimms in seiner gedankenreichen Rede über das Alter: „Alles was begonnen hat, muß auch aufhören, der Stab, den du oben fassest, unten geht er zu Ende“, gelten auch für die Pflanze. XVIL Botanische Paradoxa’). Ein Säugetier, das einen Entenschnabel hat und Eier legt, wie das in Australien einheimische Schnabeltier, in paradoxus, erscheint uns sonderbar. Ein Kugelkaktus, der keine Blätter bildet und, die Form eines runden® Kuchens besitzt, erscheint unter normalen beblätterten Pflanzen wie ein Sonderling. Wenn Gefäße von verschiedener Gestalt, aber gleicher Höhe und gleichgroßem Boden, vollends mit Flüssigkeit gefüllt, trotz der ungleichgroßen Flüssigkeitsmengen einen gleichgroßen Boden- druck erleiden, so kommt uns dies scheinbar widersinnig vor. — In all diesen Fällen beobachten wir Erscheinungen, die von (dem Normalen, Grewohnten abweichen oder wider Erwarten aus- fallen und die wir als paradox zu bezeichnen pflegen. Eine Naturerscheinung restlos aufzuklären, ruft im Forscher einen hohen Grad von Befriedigung hervor. Dies ist schon bei nach der Norm verlaufenden Phänomenen der Fall, noch mehr aber bei den wider die Erwartung ausfallenden, und daher haben die paradoxen Dinge seit jeher die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Vor mir liegt W. Hampsons°) Buch „Paradoxes of nature and science“, das sich die Aufgabe stellt, jene Erscheinungen, die mit der täglichen Erfahrung im Widerspruch zu stehen scheinen und die dem Gebiete der Physik, Chemie, Biologie und Physiologie angehören, zusammenfassend darzustellen. Botanische Paradoxa habe ich aber darin nicht vorgefunden, und so könnte man vielleicht auf den Gedanken kommen, daß es in der Botanik überhaupt keine Paradoxa gebe. Es ist meines Wissens bisher niemals der 1) Vortrag, gehalten am Io. Dezember 1919 im Vereine zur Verbreitung natur- wissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. ?®, Natur-Paradoxa, bearbeitet von C. Schäffer, 2. Aufl. Leipzig, Berlin ıgıı, N 267 — Versuch unternommen worden, botanische Versuche vom Stand- punkte des Paradoxen zu behandeln. Ich habe mir daher vorge- nommen, heute an einer Reihe von Beispielen zu zeigen, daß ebenso, wie in der Physik und Chemie, sich auch in.der' Botanik Paradoxa finden, die unser größtes Interesse zu erregen im- stande sind. I. Ist es möglich, durch mehrere Zentimeter dickes Holz das Licht der Sonne oder einer Lampe zu sehen ? Als im Jahre 1895 Röntgen die nach ihm benannten un- sichtbaren Strahlen entdeckte, die das Vermögen haben, undurch- sichtige Körper zu durchdringen und auf die photographische Platte zu wirken, machte dies, wie nicht anders zu erwarten war, allgemeines. Aufsehen. Damals kam ein Physiker zu mir, teilte mir, ganz begeistert von der großartigen Entdeckung, die Er- gebnisse der Forschungen Röntgens mit und fügte hinzu: „Ja, wer hätte gedacht, daß es Strahlen gibt, die dickes Holz, Leder, Kleiderstoffe, ja sogar den menschlichen Körper durchsetzen und dann noch die photographische Platte beeinflussen.“ Darauf :be- merkte ich scherzend: „Nun, was das Holz anbelangt, so zeige ich schon seit Jahren in meinen Vorlesungen einen einfachen Schul- versuch, der beweist, daß durch 3—8 cm dickes Holz Lichtstrahlen durchtreten, ja daß man durch dieses das Licht der Sonne oder einer Kerze direkt sehen kann.“ Um meinen etwas erstaunten Kollegen von der Richtigkeit des Gesagten zu überzeugen, empfahl ich ihm folgenden Versuch: Nimm ein 3—8cm langes Stück von einem spanischen Rohr, halte es vor das Auge und blicke der Länge nach durch dasselbe nach der Sonne oder einer starken künstlichen Lichtquelle. Du wirst dann gegen alle Erwartungen eine Art Sieb sehen, durch welches das Licht einfällt. Der Laie, der den anatomischen Bau des verwendeten Holz- stückes nicht kennt, wird von dem Ausfall dieses 'einfachen Ver- suches aufs höchste überrascht sein, etwas weniger schon der, der mit dem Bau des Objektes vertraut ist. Das spanische Rohr ist bekanntlich der Stamm einer Palme (Calamus Rotang) und ist von verhältnismäßig breiten Röhrchen, den sogenannten Holz- gefäßen auf weite Strecken in gerader Linie durchzogen, so daß das Licht ungehindert hindurchtreten und direkt ins Auge ge- langen kann. Ein dünner Querschnitt durch das spanische Rohr — 268 — erscheint, gegen das Licht gehalten, wie ein Sieb, in dem die hellen Maschen die Querschnitte der Holzröhren darstellen. II. Durch dickes Holz läßt sich Leuchtgas und Tabakrauch leicht hindurchblasen. Obwohl es bekannt ist, daß die vorhin erwähnten Holzgefäße dem Holz eine gewisse Porosität verleihen, muß es doch in hohem Grade auffallen, daß man durch dickes Holz Leuchtgas und Rauch schon bei schwachem Druck hindurchpressen kann. Verbindet Fig. 61. Leuchtgas läßt sich durch ein 20 cm langes spanisches Rohr leiten und am Ende des Rohres anzünden. (Original.) man einen Gashahn durch ein kurzes Stückchen Kautschuk- schlauch luftdicht mit einem ı0—20 cm langen spanischen Rohr und öffnet man den Gashahn, so tritt das Leuchtgas durch die Holzröhren rasch hindurch und läßt sich am Ende des Rohres anzünden. Oder wenn man durch ein ı—2 m % Fig. 62. Tabakrauch läßt sich durch ein I—2 m langes spanisches Rohr blasen. (Original.) nn langes spanisches Rohr mit den Backen gewaltsam Tabakrauch einbläst, so kommt dieser am anderen Ende in Wolken hervor. (Fig. 61 und 62.) Für das Gelingen aller dieser Versuche ist es notwendig, die Querenden des Rohres mit einem sehr scharfen Messer glatt und eben zuzuschneiden. Der Versuch mit Tabakrauch gelingt auch sehr gut mit Eichenholz. Ich konnte noch durch einen zylindrisch zugehobelten Eichenholz- stab von 2 cm Durchmesser und 10—4o cm Länge Rauch von Zigarettentabak der Länge nach mit den Backen durchblasen, ein Ergebnis, das die Porosität des Holzes und Offensein der Holz- — 269 — gefäße in ganz besonderem Grade darlegt, da ja der Tabakrauch, d. h. das, was wir am Rauche sehen und was uns den Rauch sichtbar macht, aus Flüssigkeitströpfchen besteht. Wären die Holzröhren in gewissen Zwischenräumen durch geschlossene Quer- wände unterbrochen, dann würde weder Leuchtglas noch Rauch hindurchtreten, da durch geschlossene Pflanzenhäute sich Gase nicht durchpressen lassen und in der Luft schwebende Wasser- tröpfchen schon gar nicht. All die angeführten Versuche liefern den deutlichen Beweis, daß die das Holz durchsetzenden Holzgefäße verhältnismäßig weite Röhrchen darstellen, die auf viele Zentimeter offen sind. III. Ein im Wasser untergetauchter Sproßgipfel wird welk. Jedermann weiß, daß gepflückte, beblätterte Zweige, an der Luft liegend, bald welken, mit ihrer Basis aber ins Wasser gestellt, lange frisch bleiben. Wenn der Zweig mit seinem unteren Ende in Wasser eintaucht, so saugen die in die Luft ragenden Blätter, weil sie fortwährend Wasser in Form von Dampf abgeben (trans- pirieren), das Wasser nach und erhalten sich auf diese Weise frisch. Es muß daher in hohem Grade auffallen, daß unter Umständen ein Sproßgipfel, wenn er gezwungen wird, unter Wasser zu bleiben, ganz schlaff wird. j Sehr schön und sicher gelingt der Versuch nach Wiesner mit einem etwa ı—2 m langen, beblätterten Sproß der Weinrebe, der Jungfernrebe, der Georgine oder der Kürbispflanze, der vom Mutterstocke abgeschnitten wird und dann mit Ausnahme des etwa ıo cm langen Sproßgipfels, der ins Wasser taucht, an der Luft verbleibt. Bei warmem Wetter, insbesondere im Sonnenschein, transpirieren die an der Luft befindlichen Blätter sehr stark, saugen Wasser an, entnehmen es, da sie von der Wurzel abgetrennt sind, aus dem Stengel und schließlich ausdem Sproßgipfelin so starkem Grade, daß auch dieser, obwohl unter Wasser befindlich, ganz schlaff und welk wird. Er gibt sein Wasser an die transpirierenden Blätter ab, kann es aber aus dem ihn umgebenden Wasser nicht ersetzen, da seine Oberhaut für eine genügende Wasseraufnahme ungeeignet ist. So muß das Sproßende, trotzdem es vom Wasser all- seitig umgeben ist, erschlaffen. Für gewöhnlich bewegt sich das Wasser im Stamm von unten nach aufwärts. Unser Experiment aber zeigt, daß auch das Umgekehrte, also ein umgekehrter Saftstrom stattfinden kann, und dieser entzieht dem Sproßgipfel das Wasser und macht ihn schlaff. IV. Trockenblüter oder „Wunderpflanzen“, die ohne Wurzeln und ohne Wasserzufuhr doch blühen. In den „Fliegenden Blättern“ erschien im Inseratenteile viele Jahre. hindurch eine sonderbare Ankündigung. Sie zeigte eine sitzende Buddha-Figur, die in den gefalteten Händen eine Knolle hielt, von der berichtet wird, daß sie ohne Erde und ohne Wasserzufuhr zu treiben und einen mächtigen Blütenstand zu ent- wickeln vermag. In der Tat, auf den ersten Blick sehr merkwürdig und anscheinend ganz rätselhaft, denn man betrachtet es ja als selbst- verständlich, daß eine Pflanze, die wachsen und zur Blüte gelangen soll, mit Wurzeln versehen sein muß oder doch wenigstens von außen mit Wasser versehen wird. Es handelt sich bei dieser „Wunderpflanze“ um die Knolle einer aus dem Himalayagebiete stammenden Aroidee, Sauromatum guttatum. Die Knolle wird etwa so groß wie eine Kartoffel, ist kreisrund, aber unten und oben abgeflacht und sanft gewölbt. In der Mitte der oberen Knollenfläche ragt eine kegelförmige Knospe (Keim) hervor. g Im Winter werden die Knollen von Gärt- a nern häufig in den Handel gebracht, so daß k Knollen, S Sche- man sich mit den Eigentümlichkeiten dieser in ee vieler Hinsicht höchst interessanten Pflanze Stark verkleinert. vertraut machen kann. in an Wird eine solche Knolle X während der Wintermonate auf den Schreibtisch eines warmen Zimmers gelegt, so entwickelt sich nach und nach aus der vorher erwähnten Knospe ein ganz eigenartiger, etwa 3o cm langer Blütenstand, der dem unseres einheimischen Aronstabes in manchen Punkten ähnelt, aber noch viel auf- fallender erscheint (Fig. 63). Er besteht aus einem Kolben und einem eigenartig gefärbten, purpurgefleckten Scheidenblatt s. Der Kolben trägt an seiner von der Scheide dütenartig umschlossenen Basis die weiblichen, in einiger Entfernung darüber die männ- lichen Blüten und läuft in einen purpurgefärbten, zylindrischen, langen Anhang a aus, der sich am Tage des Öffnens der Scheide infolge intensiver Atmung bis auf 34°, also so stark erwärmt, daß man die Selbsterwärmung schon durch Berührung mit der Hand deutlich merkt. (rleichzeitig entwickelt der Blütenstand einen aas- artigen Geruch. Diese beiden Umstände, die Wärme und der Ge- stank, locken am natürlichen Standorte Kot- und Schmeißfliegen an, den Blütenstand zu besuchen, wobei sie, begünstigt von be- stimmten Blüteneinrichtungen, auf die hier nicht eingegangen werden soll, in die Lage kommen, die Kreuzbefruchtung zu ver- mitteln. Da ein so ausgiebiges Wachstum, wie es für die Entwicklung eines so großen Blütenstandes nötig ist, ohne Wasser kaum möglich erscheint, so wird jeder den ganzen Vorgang höchst auffallend finden. Die Sache klärt sich aber sofort auf, wenn ich mitteile, daß die Knolle nicht bloß ein Stärke-, sondern auch ein Wasserreservoir darstellt, aus dem die treibende Pflanze ihren Bedarf an Nährstoffen und Wasser deckt. Das die Knolle aufbauende Gewebe besteht aus sehr saftreichen Zellen, unter anderem gefüllt mit Stärke und Wasser. Der Wassergehalt macht ungefähr 80 Prozent aus. Während sich der Blütenstand entwickelt, wird der Knolle beständig Wasser entnommen; man sieht ihr das auch schon äußerlich an, da sie etwas zusammen- schrumpft. Bringt man die Knolle nach dem Abblühen in feuchte Erde, so bildet sie oben. in der Umgebung des Blütenschaftansatzes rasch Wurzeln und entwickelt in der Regel ein einziges großes, geteilt schirmartiges Blatt, dessen Stiel eidechsenartig gefleckt er- scheint, weshalb die Pflanze auch „Eidechsenpflanze“ genannt wird. Das Blatt verbleibt bis zum Herbste, vergilbt, fällt zusammen, und die zurückbleibende Knolle vermag im nächsten Winter wieder einen neuen Blütenstand zu bilden, vorausgesetzt, daß die Pflanze gut ernährt wurde und reichlich direktes Sonnenlicht genossen hatte. | | Die Tatsache, daß aus einem unterirdischen Organ, sei es Knolle oder Zwiebel, ohne äußere Zufuhr von Wasser, Blätter oder sogar Blüten hervorkommen, steht nicht vereinzelt da. So ent- wickelt der mit Sauromatum. verwandte Amorphophallus Rivieri aus der Knolle, an der Luft liegend, einen meterhohen Blüten- kolben, die Herbstzeitlose, Colchicum autumnale, manche Liliaceen bilden Blüten, die Kartoffelknolle (Solanum tuberosum), der Sauer- klee, Oxalis lasiandra, und die Meerzwiebel, Scilla maritima, er- zeugen, in der Luft hängend, Blätter und Sprosse. V. Einleitung von Wachstum durch Kälte. Die alltägliche Erfahrung lehrt, daß das Wachstum durch Wärme gefördert wird. Wenn im Frühjahr die Knospen auf- brechen und sich zu belaubten Sprossen oder Blüten entwickeln, so hängt dies in erster Linie mit der zunehmenden Temperatur in dieser Jahreszeit zusammen. Wenn der Gärtner gewisse Pflanzen früher zum Blühen oder Fruchten bringen will, so bedient er sich dazu warmer Mistbeete oder Gewächshäuser, weil er eben weiß, daß die Wärme das Wachstum begünstigt. Nach dieser Sachlage erscheint es geradezu paradox, wenn jemand sich anschicken würde, das Wachstum der Pflanzen durch Kälte anzuregen. Und dennoch ist. dies möglich. Es gibt Gewächse, die ununterbrochen wachsen. Die in Gemüse- und Weingärten als lästiges und un- ausrottbares Unkraut vorkommende Sternmiere (.Siellarıa medıa) gehört hierher. Die aus dem Samen erwachsende Pflanze blüht, fruchtet, der aus der Frucht entfallende Same keimt sogleich wieder, der Keimling entwickelt sich weiter zur blühenden und fruchtenden Pflanze, und käme nicht der Winter, so würde sich dieses rhythmische Spiel ununterbrochen fortsetzen. Das ist aber nicht bei allen Pflanzen der Fall, denn es gibt viele, die nach einer Periode des aktiven Lebens im Wachstum innehalten und eine Art Ruhezeit eingehen. Dies gilt z. B. von der Kartoffel. Wird im Herbst die erntereife Knolle ausgegraben und sofort unter sehr günstige Wachstumsbedingungen gebracht, so keimt sie gewöhn- lich nicht, auch nicht im Oktober, vielleicht — es ist dies, bei ver- schiedenen Sorten nicht gleich — auch nicht im Dezember; erst im Januar und später erfolgt glattes Treiben. Unter normalen Verhältnissen geht also die Kartoffelknolle im Herbste eine Ruhe- periode ein und erst, wenn diese ausgeklungen ist, stellt sich wieder Wachstum ein. — Ganz gegen alle Erwartung ist es aber gelungen, die Ruheperiode dadurch aufzuheben, daß man die im Herbste ausgegrabenen Kartoffelknollen so- fort in einen Eiskeller bringt, wo sie durch ı4 Tage bei einer Temperatur von etwa + ı bis 3° C verbleiben. Werden sie dann eingepflanzt und ins Warmhaus ge- bracht, so treiben sie alsbald aus und, wenn man das-eben besprochene Experiment mit Frühkartoffeln macht, so kann man durch Auslöschung der Ruheperiode sogar zwei Ernten innerhalb eines Jahres gewinnen. Wie ist es zu erklären, daß die niedere Temperatur im Keller das Wachstum anregt? Die Antwort, die Hermann Müller (Thurgau) auf diese Frage gab, lautet ungefähr folgendermaßen: In der Kartoffelknolle laufen zwei Vorgänge nebeneinander ab, die Atmung und die Verzuckerung der Stärke durch das Ferment Diastase. Ist die Temperatur niedrig, so ist die Atmung sehr gering, die Zuckerbildung geht aber trotzdem ziemlich rege vor sich. Bei der Atmung wird hauptsächlich Zucker verbrannt; wenn nun die Atmung infolge der niederen Temperatur herabgesetzt wird, so wird zwar Zucker gebildet, aber nur wenig davon ver- atmet. Der Zucker häuft sich daher so an, daß die Kartoffel süß wird. Mit der Aufnahme des Zuckers wird ein wichtiger Baustoff verfügbar und daher vermag die Kartoffel wieder zu keimen und Sprosse zu bilden. h Auch unsere Holzgewächse sind einer Ruheperiode unter- worfen. Unmittelbar nach dem herbstlichen Laubfall treibt eine Linde, ein Weinstock oder Kirschbaum unter günstigen Wachs- tumsbedingungen nicht. Erst nach einer gewissen Ruheperiode, die sich bei manchen Holzgewächsen (Buche) bis zum Februar erstrecken kann, erfolgt neues Wachstum. Je länger der Baum oder Strauch der Winterkälte ausgesetzt war, desto williger und rascher treibt er hernach. Wird ein eingetopftes Fliederbäumchen nach dem Laubfall in ein Zimmer gestellt und vor Frost geschützt, ein sonst gleiches aber bis etwa Mitte Dezember im Freien be- lassen, wo es eine Reihe von Frösten oder noch besser schon länger andauernde Kälte genießt, und werden dann beide ins Warmhaus gestellt, so treibt der der Kälte ausg’esetzt ge- wesene Stock viel früher und gleichmäßiger als der, der sich in verhältnismäßig warmem Raume befand. Noch viel beweiskräftiger und anschaulicher wird der Versuch, wenn er mit einem Grabelzweig zur Zeit des Vorwinters in der Weise gemacht wird, daß der eine Ast ins Freie, der andere aber ins Gewächshaus reicht. Wenn, sobald der ins Freie ragende Zweig reichlich Kälte genossen hat, der ganze Gabelzweig in die ' Wärme gebracht wird, dann eilt der Kältezweig dem Wärme- zweig im Austreiben und Wachstum weit voraus. Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 13 VI. Eine Pflanze, die erst im Tode duftet. Zu den bekanntesten Teppichpflanzen unserer Gärten und Parkanlagen gehört die aus Texas stammende, wegen ihrer blauen Blüten überaus beliebte Komposite, Ageratum mexicanum. — So- lange diese Pflanze lebt, besitzt sie keinen besonderen Duft. Wenn sie aber getötet wird, sei es, daß sie vollständig vertrocknet oder gefriert, oder in einem Luftbade von etwa 60° C kurze Zeit erhitzt wird, so entwickelt sie einen ungemein angenehmen Duft nach Kumarin, jenem Stoff, der auch dem Waldmeister, Asperulad odorata, dem Ruchgras, Anthoxanthum odoratum und dem Weichselrohr, Prunus cerasus, seinen charak- teristischen Geruch verleiht. Die lebenden Blätter des Ageratum enthalten kein Kumarin, sondern dieses entsteht erst nach ihrem Tode. Stoffe, die in der lebenden Pflanze räumlich getrennt sind, prallen im Momente des Todes und nachher aufeinander und geben zur Bildung neuer Stoffe und hier bei Ageratum zur Entstehung von K.umarin Veranlassung, Es ist wie mit verschiedenen Säuren und Alkalien, die in einem chemischen Laboratorium auf einem Tische stehen. Solange die Flüssigkeiten getrennt aufbewahrt werden, bleiben sie als solche erhalten; werden sie aber miteinander vermengt, so entstehen durch gegenseitige Einwirkung aufeinander neue Reaktionen und damit neue Körper. Ähnliches geschieht beim Übergang der Zelle vom Leben zum Tode und so können neue Stoffe sich bilden, die früher nicht vorhanden waren. Der Fall von Ageratum steht nicht vereinzelt da. Ich erinnere daran, daß die ihres köstlichen Aromas wegen so hochgeschätzte Vanillefrucht, die ihren Duft dem Vanillin verdankt, in erntereifem Zustande, . wie ich mich in Vanilleplantagen Javas selbst überzeugt habe, nur einen schwachen, kaum bemerkbaren Geruch besitzt, den wunderbaren Vanilleduft aber erst nach dem Absterben erhält, indem sich aus einer bisher unbekannten Muttersubstanz erst nach dem Tode das köstlich duftende Vanillin bildet. — Nun wird man auch verstehen, wie es kommt, daß das Heu einen Duft aushaucht, der dem frischen Grase noch fehlt oder wenigstens nicht in dem Grade eigentümlich ist. Es beruht dies gleichfalls darauf, daß sich in den abgestorbenen Gräsern früher voneinander getrennte Stoffe nunmehr mischen, neue Reaktionen einleiten und dadurch zur Bildung neuer Stoffe, wie Kumarin und anderer, dem Heu eigentümlicher Duftstoffe, Veranlassung geben. VII. Schneckenkleefrüchte, stundenlang gekocht, keimen teilweise noch. Die Früchtchen: vieler Schneckenkleearten (Medicago) bleiben mit Hilfe zahlreicher, oft hakenartig gekrümmter Stachelchen in * der Wolle vorbeistreifender Schafe hängen. Diese als „Wollkletten“ bekannten Früchte verfilzen sich derart mit den Wollfäden, daß sie nach der Schafschur mit der exportierten Schafwolle in den Handel kommen und dann in der Wollweberei dadurch zu un- liebsamen Betriebsstörungen Anlaß geben, daß sie oft ein Zer- reißen des Wollfadens verursachen. Die Textilindustrie hat sich mit diesem Umstande viel beschäftigt und ist schließlich, um die Wolle von den Wollkletten zu befreien, auf das Karbonisierungs- verfahren gekommen, das bekanntlich darin besteht, die Wolle mit verdünnter Schwefelsäure zu behandeln und die Wollkletten dadurch zu zerstören, ohne die Wolle zu schädigen. Namentlich die überseeische Wolle enthält viel Wollkletten und wird schon nach ihrer Ankunft in Hamburg einer vorläufigen Reinigung unterworfen, indem sie mit einer Sodalösung behandelt und dann getrocknet wird. Nachher wird sie in der Fabrik ge- färbt, wobei sie durch mehr als ı!/, Stunden in siedendem Wasser, dem nach und nach größere Mengen von Salmiakgeist, Essig- säure, Alizarin-Chromfarben, Schwefelsäure und Chromnatron zu- gesetzt werden, verbleibt. Die auf diese Weise gereinigte und gefärbte Wolle wird dann getrocknet. — Da geschah es eines Tages, daß die Wolle nicht gleich getrocknet wurde, sondern einige Tage feucht liegen blieb und — siehe da — die darin verfilzten Medicagofrüchtchen keimten, obwohl sie so lange kochten und mit verschiedenen Chemikalien behandelt worden waren, massen- haft und die jungen Keimlinge hoben sich durch ihre helle Farbe von der schwarzgefärbten Wolle in auffallender Weise ab. Dieser sonderbare Fall von eigenartiger l.ebenszähigkeit bewog den Botaniker Schneider-Orellit), die Widerstandsfähig- keit der Medicagosamen gegen Kochhitze zu untersuchen. — Daß Samen verschiedener Art eine Temperatur von 100° C in trockenem Zustande aushalten, ist lange bekannt und bietet nach all unseren Erfahrungen nichts Besonderes. Das Überraschende bei den Wollkletten liegt aber darin, daß sie der Siedehitze im Wasser widerstehen und daß ihnen auch die dem Wasser zuge: I) Schneider-Orelli, D., Versuche über die Widerstandsfähigkeit gewisser Nledicago-Samen (Wollkletten) gegen hohe Temperaturen. Flora 1910, S. 305. 18* — 276 — setzten Chemikalien nicht schadeten. Der Grund dieser paradoxen Erscheinung liegt im Bau der Samenschale, die einem für Wasser undurchdringlichen Panzer gleicht. Während andere Samen, z.B. die von Erbsen, Bohnen, Roggen, ins Wasser gelegt, dieses rasch aufnehmen und quellen, verhalten sich zahlreiche Samen von Hülsenfrüchtlern nicht so. Sie quellen häufig nur vereinzelt und manche können jahre-, ja manchmal jahrzehntelang im Wasser liegen, bevor sie endlich dem Wasser den Eintritt gestatten und aufquellen. Ich nenne als Beispiele die Samen der falschen Akazie (Robinia pseudacacia), den Christusdorn (Gleditschia triacanthos), die Acacia lophanta, den Hornklee (Tetragonobolus siliquosus) u. a. Werden solche Samen vorsichtig angefeilt oder verletzt, wie. dies beim Rotklee im großen mit Ritzmaschinen geschieht, so wird dadurch das Quellungshindernis beseitigt, das Wasser dringt durch die verletzte Stelle ein, der Same quillt und keimt. Auch durch Behandlung mit heißem Wasser kann der Quellungswider- stand beseitigt werden. Beim Stechginster (Ulex europaeus) genügt schon eine ı—5 Sekunden währende Einwirkung siedenden Wassers, um die Quellung zu ermöglichen. Bei Medicagosamen aber ist die Widerstandsfähigkeit gegen hohe Wassertemperatur infolge der Härte der Samenschale nach Schneider-Orelli eine ganz unerwartete. Es handelt sich um die Samen von Medicago hispida, M. arabica und M. minimä. In einem bestimmten Versuch wurden ı00 solcher Samen in Wasser 7‘/, Stunden gekocht. Nach dieser Zeit war ein großer Teil voll- ständig verkleistert, also zerstört, etwa 5o waren nur gequollen und ein einziger war unverändert. Bei keinem trat Keimung ein. Als aber der unveränderte hierauf angefeilt und ins Wasser gelegt wurde, keimte er. Die Samen behalten also, solange sie ihre Hartschaligkeit bewahren und dem Eindringen des heißen Wassers widerstehen, ihre Lebensfähigkeit. Das war bei dem einen Samen trotz des 7!/,stündigen Kochens der Fall und dieser liefert den Beweis, daß die Natur mit der harten, eigen- artig gebauten Schale einen Verschluß des lebenden Samens erzielt, der fast ans Wunderbare grenzt. VII. Scheinbare Urzeugung. Seit den ältesten Zeiten hat die Menschheit die Frage be- schäftigt: Wie ist das Leben auf unserer Erde entstanden? Ist es durch eine höhere Intelligenz, durch Gott auf der Erde geschaffen 277 worden? Oder ist es durch Meteorite von anderen Weltkörpern übertragen worden? Oder ist es von selbst aus leblosem Stoff, also durch Urzeugung entstanden oder ist es überhaupt nirgends und niemals entstanden, sondern von Ewigkeit her gewesen? Insbesondere hat die Frage nach der Urzeugung die Natur- forscher lange beschäftigt und namentlich die ebenso genauen wie einfachen Versuche Pasteurs haben es höchstwahrscheinlich gemacht, daß eine Urzeugung derzeit wohl nicht nachweisbar ist. Lebendes entwickelt sich nur aus Lebendem. Wo Lebendes ent- steht, waren auch früher die dazu gehörigen lebenden Keime schon vorhanden. Das geflügelte Wort „omne vivum ex vivo“ kennt bisher keine Ausnahme. z Diesem Gesetze scheint nun folgender Versuch zu wider- sprechen. Werden Glaskölbchen mit Nährlösungen, die sich für die Entwicklung von Bakterien, Hefen, Schimmelpilzen oder Infu- sorien eignen, beschickt, mit Wattepfropfen verschlossen und ı bis 2 Stunden gekocht, so entwickeln sich, weil etwa vorhandene Keime in der Siedehitze getötet werden, keine Lebewesen und die Flüssigkeit bleibt jahrelang steril. Wird aber der Wattepfropf auf etwa ı Stunde von dem Kölbchen abgehoben, so daß aus dem atmosphärischen Staub lebende Keime hineinfallen können, und dann wieder mit der Watte verschlossen, so beginnt sich die Nährlösung infolge massenhafter niederer Lebewesen zu trüben. Wird dieser Versuch aber mit einem Heuinfus gemacht, d.h. wird Heu abgekocht, der Extrakt in Kolben gefüllt und dieser mit Watte verschlossen, durch ı Stunde im Sieden erhalten und dann bei etwa 30° aufgestellt, so bildet sich nach einigen Tagen eine weiße Haut, die aus einer Reinkultur einer Bakterie, nämlich des Heubazillus, Bacillus subtilis, besteht. Dieses von Pouchet herrührende Experiment machte seiner- zeit großes Aufsehen, denn es schien auf den ersten Blick nicht bloß der Pasteurschen Ansicht zu widersprechen, sondern geradezu einen Fall von Urzeugung darzustellen. Es wurde ja der Heu- extrakt samt den darin vorhandenen Keimen gekocht und doch entwickelte sich darin der Heubazillus.. Durch eine gründliche Erforschung der Lebensgeschichte der genannten Bakterie hat sich das Rätsel befriedigend aufgeklärt. Der Heubazillus pflanzt sich auf zweierlei Weise fort, durch Teilung, wie alle anderen Bakterien und durch Dauersporen. Wenn der Heubazillus an — 2738 — Nahrungsmangel zu leiden beginnt oder dem Austrocknen entgegen- geht, so verdichtet sich an einem Ende der Bakterie das Proto- plasma zu einem stark lichtbrechenden Kügelchen, zu einer Dauerspore und diese ist es, die aus unbekannten Gründen eine einstündige Kochhitze erträgt, ohne abge- tötet zu werden. Eine solche Widerstandsfähigkeit, die übrigens nicht bloß den Dauersporen der Heubakterie, sondern auch denen verschiedener anderer Bakterien zukommt, war von vornherein nicht wahrscheinlich, weil ja alle unsere Erfahrungen, abgesehen von dem schon erwähnten, die Schneckenkleesamen betreffenden Fall, dafür sprachen, daß längere Kochhitze alles Lebende ver- nichtet. Eine Ausnahme aber bilden die Dauersporen gewisser Bakterien, doch ist auch ihre Widerstandsfähigkeit gegen Hitze beschränkt, denn bei einer Erhitzung von 1ı50°C finden auch sie den Tod. Rückblick. Alle die angeführten Beispiele liefern den Beweis, daß es auch in der Botanik nicht an Paradoxen fehlt; ich behalte mir vor, an anderer Stelle noch mehr davon bekanntzumachen. Sie alle haben für den Naturfreund etwas ungemein Anziehendes, da sie auf den ersten Blick widersinnig erscheinen, bei genauerer Betrachtung aber sich den anderen Erfahrungen und Naturgesetzen vollends einfügen. Darauf beruht ihr eigentümlicher Reiz, der die Aufmerksamkeit immer von neuem auf die Paradoxa lenkt. Hätte sich wohl sonst (der paradoxe Trugschluß des griechischen Philosophen Zeno „Achilles holt die Schildkröte bei einem Wett- lauf nicht ein“, den er 5oo Jahre vor Christus ersonnen hat, bis auf den heutigen Tag erhalten können? Und wenn der von spielenden Knaben gepeitschte Kreisel nicht umfällt und sich, auf seiner Spitze stehend, dreht, als ob es keine Schwerkraft gebe; wenn der vom Australneger geworfene Bumerang in weiter Schleife zum Ausgangspunkt wieder zurückkehrt; oder wenn der einbeinige Invalide Schmerzen im Fuß zu spüren glaubt, den er gar nicht mehr besitzt: was verblüfft uns da so gewaltig? Es ist der Reiz des Wunderbaren, der jedes Paradoxon umgibt. XVII. Goethe, Darwin und die Spiraltendenz im Pflanzenreiche!). Die letzte botanische Arbeit, die Goethe etwa ı Jahr vor seinem Tode veröffentlichte, führte den Titel: „Über die Spiral- tendenz der Vegetation‘“?). Sie reicht in ihrer Bedeutung keines- wegs an seine Schrift „Die Metamorphose der Pflanze“ heran, aber sie liefert uns den Beweis, wie Goethe fast bis zu seinem Lebens- ‚ende Botanik getrieben?) und wie die bedeutenden Ideen, die damals in der Morphologie der Pflanze auftauchten, ihn fesselten und ihn zu eigenen Untersuchungen anspornten. Wieder war es die Morphologie, die ihn anzog. er Damals machte die Aufdeckung der geometrischen Verhält- nisse der Blattstellung in der Blüte durch v. Martius‘) großes Auit- sehen, ja man kann sagen, die schraubige Anordnung der Blätter stand damals und kurz nach Goethes Tode im Brennpunkte der botanischen Forschung. Da dieser Gegenstand mit unserem Vor- tragsthema innig zusammenhängt, muß hier darauf kurz einge- gangen werden. Bei der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in München (1827) und Berlin (1828) hat der ausgezeichnete Pflanzen- systematiker v. Martius je einen Vortrag über die Architektonik der Blüten gehalten, in denen er unter anderem nachdrücklichst . auf die spirale Anordnung der Blütenblätter hinweist. !) Auszug eines populären Vortrags, gehalten im Wiener Goethe-Verein am 17. Mai 1920. ?) Goethes Werke, II. Abt., 7. Bd. Weimar 1892, Naturw. Schriften 7. Bd. Zur Morphologie I. Teil. - 3) H.Molisch, Goethe als Naturforscher. Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. Jena 1922. S. dieses Buch, S. 1. 4) v. Martius, Über die Architektonik der Blüten. Isis, Jahrg. 1828, S. 522 und Jahrg. 1829, S. 333. — 280 — Die schraubige Anordnung läßt sich unter anderem an den Blütenblättern der Polycarpicae beobachten, ja diese Ordnung von Blütenpflanzen scheint geradezu durch dieses Merkmal ausgezeich- net zu sein. An den großen Blüten der Seerosen (Nymphaeaceen), der Magnolien, Ranunculaceen und anderen fällt die einer Schrauben- linie folgende Stellung der Perianth-, Staub- und Fruchtblätter besonders auf. v. Martius hielt diese Verteilung fälschlich für ein sek, also für allgemein verbreitet, allein dies war ein Irrtum, denn die Stellung der Blütenblätter kann auch sehr oft in Kreisen erfolgen, mithin wirtelig sein. Er erläuterte seine Ansicht auch durch ein Modell, „worin er auf der Achse mehrere Umläufe befestigt hatte und womit er nach den verschiedenen Stellungen und Reduktionen, welche er mit den Blättern der Umläufe vornahm, verschiedene Pflanzenfamilien darstellt“ (S. 529 d. Jg. 1828). Ein solches Modell machte v. Martius Goethe zum Geschenk, es ist dasselbe, das sich derzeit im Besitze des Wiener Goethe-Vereins befindet und das in einem interessanten Artikel Prof. Zellners!) eingehend be- sprochen und auch abgebildet ist. Goethe nahm an den einschlägigen Forschungen des Münchener Botanikers lebhaften Anteil, er erwähnte auch, daß v. Martius, von Berlin kommend, ihm die Spiralstellung der Blütenblätter durch Wort und Zeichnungen erläuterte und fügte hinzu: „Die in der Isis, Jahrgang 1828 und 1829 abgedruckten Aufsätze wurden mir zugänglicher, und die Nachbildung eines an jenem Orte vorge- wiesenen Modells ward mir durch die Geneigtheit des Forschers und zeigte sich zur Versinnlichung, wie Kelch, Krone und die Befruchtungswerkzeuge entstehen, höchst dienlich?).“ Wie Goethe über die schraubige Anordnung der Blätter einer Blüte, die windenden Pflanzen und den schraubigen, Verlauf mancher Pflanzenteile dachte, sei mit seinen eigenen Worten ge- geben: „Hat man den Begriff der Metamorphose vollkommen gefaßt, so achtet man ferner, um die Ausbildung der Pflanze näher zu erkennen, zuerst auf die vertikale Tendenz. Diese ist anzu- sehen wie ein geistiger Stab, welcher das Dasein begründet und solches auf lange Zeit zu erhalten fähig ist. Dieses Lebensprinzip !) J. Zellner, Zur Spiraltendenz der Vegetation. (Mit einem ungedruckten Briefe von K. v. Martius an Goethe.) Chronik d. Wiener Goethe -Vereins. 26. Bd (1912), S. qı. 2) Goethes Werke, 1. c. S. 38. — 281 — manifestiert sich in den Längsfasern, die wir als biegsame Fäden zu dem mannigfaltigsten Gebrauch benutzen; es ist dasjenige, was bei den Bäumen das Holz macht, was die einjährigen, zweijährigen aufrechterhält, ja selbst in rankenden, kriechenden Gewächsen die Ausdehnung von Knoten zu Knoten bewirkt. Sodann aber haben wir die Spiralrichtung zu beobachten, welche sich um jene herumschlingt. Das vertikal aufsteigende System bewirkt bei vegetabilischer Bildung das Bestehende, seiner Zeit Solideszierende, Verharrende; die Faden bei vorübergehenden Pflanzen, den größten Anteil am Holz bei dauernden. Das Spiralsystem ist das Fortbildende, Vermehrende, Fr- nährende, als solches vorübergehend, sich von jenem gleichsam isolierend. Im Übermaß fortwirkend, ist es sehr bald hinfällig, dem Verderben ausgesetzt; an jenes angeschlossen, verwachsen beide zu einer dauernden Einheit als Holz oder sonstiges Solide!).“ Diese Stelle zeigt so recht, wie sehr Goethe im Banne der Naturphilosophie Hegels und Schellings stand, und wie hier das Tatsächliche in ein rein spekulatives Gewand gekleidet wird, das nicht mehr fern von Mystik liegt und im einzelnen auch an Unklarheit grenzt. Den Gipfelpunkt des Phantastischen erreicht wohl die luftige Spekulation, wenn er das vertikal- und spiralstrebende System in der lebendigen Pflanze innig verbunden erklärt, jenes als männlich und dieses als weiblich ansieht und noch hinzufügt: „So können wir uns die ganze Vegetation von der Wurzel auf androgynisch insgeheim verbunden vorstellen; worauf denn im Verfolg der Wand- lungen des Wachstums die beiden Symptome sich im offenbaren Gegensatz auseinander sondern und sich entschieden gegeneinander überstellen, um sich in einem höheren Sinne wieder zu vereinigen?).“ Mit solchen Gedanken vermag die Wissenschaft nichts an- zufangen. Hätte Goethe einfach gesagt, der Stengel wächst verti- kal aufwärts und zeigt häufig eine spiralige Anordnung der Blätter und nicht selten einen schraubigen Verlauf, so wäre dem Tatsäch- lichen Genüge getan, alles andere aber ist Phantasie. Ob Goethe unter Spiraltendenz, wie es im Worte liegt, ein Streben, also etwas Psychisches gemeint hat, geht aus seiner Schrift nicht mit Sicherheit hervor. Hansen?), der sich jahrelang 1) Goethes Werke, 1. c. S. 39. 2) Goethes Werke, 1. c. S. 68. 3) A.Hansen, Goethes Metamorphose der Pflanzen. Gießen 1907, I. Teil(Text), S.319. — 282 — in Goethes botanische Untersuchungen am meisten liebevoll vertieft hat, glaubt bestimmt, daß Goethe unter Tendenz Richtung ver- standen hat, in ähnlicher Weise, wie auch der Physiker von dem Bestreben der Körper zu fallen oder von ihrer Trägheit spricht, ohne an psychische Vorgänge zu denken. So aufgefaßt, können wir mit Gooethe tatsächlich von einer Spiraltendenz sprechen, denn diese ist in der organischen Natur häufig verwirklicht und darauf hat auch Goethe in zahlreichen Beispielen, in denen er sich auf einschlägige Angaben von Don, Lindley, Dutrochet, von v. Martius und seine eigenen Beobachtungen stützt, hingewiesen. So auf die im Stranggewebe der höheren Pflanzen vorhandenen, durch schraubige Verdickung ausgezeichneten Spiralgefäße, auf die in Schraubenlinien schwingenden Algen (Öscillarien), auf den die Stütze schraubig umschlingenden Windling (Convolvulus), auf die sich korkzieherartig einrollenden Ranken, auf den Drehwuchs der Bäume, auf die schraubige Deckung der Blütenblätter in der Knospe, auf die Spiralstellung der Blätter von Pandanus, auf die durch Drehung zustande kommende Einseitswendigkeit der Blüten von Ophrys spiralis u.a. Er erwähnt ferner die spiralige Drehung der Hülsen von Bohnen und Platterbsen beim Austrocknen, die Drehung der Fruchtschnäbel vom Storchschnabel, Erodium gruinum, und die schraubige Einrollung des weiblichen Blütenstiels der bekannten Aquariumpflanze Vallisneria spiralis. Wenn Goethe heute die Ergebnisse botanischer Forschung in dieser Richtung überblicken könnte, würde er angenehm über- rascht sein über das große Tatsachenmaterial, das über die Schraubenlinie im Pflanzenreiche vorliegt. Siehe Fig. 64. Von den niedersten Gewächsen aufwärts bis zu den höchsten, von der einfachen Zelle bis zu kompliziertesten Organen kennen wir bereits eine Fülle von Beispielen spiraliger Anordngpg und Bewegungen. Schon unter den niedersten und kleinsten Pflanzen, unter den Bakterien, finden wir solche, die einem schraubig gewundenen Faden gleichen. Spirillum und Spirochäte sind solche Schräub- chen. Die Samenfäden der Farne, der Cycadeen und die Sperma- tozoiden des japanischen Gingkobaums zeigen gleichfalls schrau- bige Windungen, obwohl sie ebenfalls nur aus einer Zelle bestehen. Die aus Zellfäden bestehende Blaualge Spirulina, die einer Acht gleichende Kieselalge Surirella spiralis, das aus schraubig ange- ordneten Zellen bestehende Desmidium Swartzii und die gleich einer Wendeltreppe gestaltete Rotalge Vidalia verkörpern 'gleich- falls die Schrauben- linie. Selbst inner- halb der Zelle kön- nen einzelne Or- gane schraubigen Verlauf aufweisen wie die Chlorophyli- körper der Algen Spirogyra und Spi- rotaenia. Es sei ferner an die Drehung vieler Blätter, wie man sie in jedem Gretreide- volubilis feld leicht beob- achten kann, er- innert. Zahlreiche Grasblätter sind 2- bis 3mal gedreht. Auch die Blätter des . Rohrkolbens (Typha), des Kal- mus (Acorus), der Schwertlilie (Iris) u. a. sind häufig ı—amal ı80° um ihre Achse gedreht. Auf eine Fülle von Beispielen hat Goebel!) in neue- sterZeitaufmerksam gemacht. Es geht daraus hervor, daß !) RK. Goebel, Die Ent- faltungsbewegungen der Pflanzen usw. Jena 1920. Fig. 64. Beispiele für das Vorkommen der Schraubenlinie im Pfianzenreiche. ı. Spirillum undula, eine Schraubenbak- terie. 2. Spirochaete pallida, die Syphilisbakterie. 3. Sperma- tozoide eines Farnkrauts. 4. Spermatozoid einer Alge (Chara). 5. Frucht von Erodium “eicutarium, dem Storchschnabel. 6. Streifung der Membran von Holzzellen. 7. Chiorophyll- band einer Spirogyrazelle. 8. Elaterenzelle aus einer Leber- mooskapsel (Marchantia). 9. Spermatozoid einer Cycadee (Zamia floridana). 10. Diagramm der ?/, Blattstellung. Die Blätter ihrer genetischen Aufeinanderfolge nach mit Zahlen versehen. II. Spore von Equisetum mit schraubigen Elateren. 12. Euglena tripteris. 13. Phacus longicaudus. 14. Schrauben- gefäß von Impatiens balsamina. Vergrößerungen bei (I) 1500, (2) 2000, (4) 1000, (6) 460, (7) 300, (8) 400, (9) 140, (14) 120 gezeichnet und dann verkleinert. Die Abb. 3, II, 12, 13 stark vergrößert. Die Abb. 4, 9, IO frei nach Straßburger, ı2 und 13 frei nach France, die übrigen original. us 284 au: Drehungen und schraubiger Wuchs in der Pflanzenwelt viel häufiger vorkommen als man bisher angenommen hat. Er zeigt auch, daß diese Drehungen auf einen von vornherein asymmetrischen Bau zurückzuführen sind, der dann entweder von selbst oder infolge äußerer Kräfte die Drehung oder die Schraube bedingt. Diese asymmetrische Struktur spielt bei den Entfaltungsbewegungen der Pflanzenorgane eine große Rolle und liegt, wie Goebel mit Recht betont, den noch später zu erwähnenden Zirkumnutationen zugrunde (S. 233). Kurz nach Goethes. Tode eröffneten die glän- zenden Forschungen K.F. Schimpers und Alex. Brauns einen tiefen Einblick in die schraubige Anordnung der Blätter an den Laubsprossen und schufen damit eine neue Stütze für Goethes Ideen von der Spiraltendenz. Schon Caesalpin und Bonnet beobachteten, daß die Blätter am Stengel in bestimmter Weise angeordnet sind, aber erst K.F. Schimper und Alex. Braun blieb es vorbehalten, die gesetz- mäßige Verteilung der Blättter in allgemeiner, umfassender Weise darzutun. Die Blätter stehen am Stengelknoten entweder einzeln, zu zweien oder zu mehreren. Im ersteren Falle spricht‘ man von wechselständiger, im zweiten von gegenständiger und im letzten Falle von wirteliger Blattstellung. Die wechselständige Blattstellung zeigt uns die Blätter nicht regellos, sondern nach ganz bestimmten Gesetzen angeordnet. Man kann sich davon leicht überzeugen, wenn man die Anord- nung der Blätter an einem aufrechten Sproß mit allseitig ausge- breiteten Blättern in einem Grundriß schematisch einzeichnet, wie dies die Abb. 64 (10) versinnlicht. In diesem Diagramm entspricht jeder Kreis einem Stengel- knoten, an dem je ein Blatt befestigt ist. Bezeichnet "aan das Blatt, von dem man ausgeht, mit ı und die gegen den Stamm- scheitel folgenden mit 2, 3, 4, 5, 6 usw., so zeigt sich, daß das 6. Blatt schon wieder über den ersten steht, und daß jedes Blatt von dem nächsten um ?/, des Stammumfanges entfernt ist. Dieser Winkel, der die Entfernung zweier unmittelbar aufeinander folgen- der Blätter angibt, heißt der Divergenzwinkel oder kurz die Divergenz. | Untersucht man in der freien Natur die Divergenzen verschiede- ner Pflanzen, so findet man, daß es deren sehr zahlreiche gibt, am häufigsten ‚aber die Reihe 1), 1, °/:®/. hs Zope nee ee ee Be PSeNEN| 285 RATES Sie stehen in einem sehr merkwürdigen Verhältnisse zu- einander; denn die Zähler und Nenner jedes dieser Brüche werden durch die Summierung der Zähler und Nenner der beiden vorher- gehenden gewonnen oder mit anderen Worten: die einzelnen Divergenzbrüche entsprechen den Partialwerten eines unendlichen Kettenbruches von der Formel Werden die Ansatzstellen der im Alter aufeinander folgen- den Blätter auf dem kürzesten Wege durch eine Linie miteinander verbunden, so erscheinen die Blätter in einer Schraubenlinie oder sog. Grundspirale angeordnet. Will man wissen, welche Blattstellung an einem Sproß vor- kommt, so geht man zweckmäßig von einem bestimmten Blatte aus, bezeichnet es mit Null und zählt der Grundspirale folgend, bis man zu dem genau über dem Null-Blatt stehenden Blatte ge- langt. Die Zahl der Blätter, die man auf diesem Wege begegnet, geben den Nenner und die Zahl der dabei vollführten Umläufe den Zähler des Divergenzbruches. Die genau übereinander stehen- den Blätter stehen in geraden Reihen, Orthostichen genannt. Bei !/, Stellung treten 2, bei 13 3 Orthostichen auf, der Nenner der Divergenz gibt also auch die Zahl der Orthostichen an. Stehen die Blätter sehr dicht nebeneinander, wie die Blätter der Hauswurz (Sempervivum), die Blüten der Sonnenrose oder die Schuppen des Tannen- oder Föhrenzapfens, so erscheinen anstatt der Orthostichen Schraubenlinien, die als Parastichen oder Schrägzeilen bezeichnet werden. Müssen wir die Ursachen der Schraube in letzter Linie in die Struktur der Pflanze und des Plasmas verlegen und damit auch zugeben, daß wir eine kausale Erklärung darüber nicht geben können, so ist es immerhin möglich, die Bedeutung der Spiralrichtung für die Pflanze festzustellen. In vielen Fällen bleibt auch dies ein Rätsel, in einigen läßt sich aber doch, ohne sich gewagten Spekulationen hinzugeben, der „Zweck“ ermessen. Daß die geometrische Anordnung der Bätter in einer Schraubenlinie, wie sie in der Hauptreihe der Blattstellung ver- wirklicht erscheint, es ermöglicht, unter möglichst geringem Auf- wand von Material den Stengel gleichmäßig zu belasten und die — 286 — Blätter günstigster Beleuchtung auszusetzen, leuchtet wohl ohne weiteres ein. Das durch die spiralige Stellung der Blätter am Stamme zustande kommende Blattmosaik läßt, namentlich von oben betrachtet, die überaus vorteilhafte Verteilung der Blätter, die gleichzeitig dem Beschauer einen A Genuß gewährt, mit einem Blick erkennen. Der Nutzen, den windende il durch das schraubige Umwachsen einer Stütze genießen (Fig. 65), liegt auf der Hand. Ihr schlaffer Stengel würde ohne Stütze am Boden verbleiben, so aber vermag er durch die Schrauben- bewegung sich an der Stütze emporzustrecken und dem günstigsten Lichte zuzuwenden. Oder wenn die Ranke des Weinstocks mit ihrer Spitze kreisende Bewegungen vollführt, wächst in hohem Grade die Wahrscheinlichkeit, eine Stütze zu erfassen. Die Zellhaut einer Pflanzenfaser, die aus schraubig angeordneten Fibrillen besteht, wird eine größere Festigkeit aufweisen, als eine mit geraden Fibrillen, ebenso wie ein gedrehtes Blatt fester sein wird als ein ebenso gebautes, aber gerades. Daneben gibt es eine Reihe von Fällen, wo.die Zweckmäßigkeit der Drehung nicht ohne weiteres einleuchtet. Dient z. B. die Einröllung der Schnecken- kleefrüchte der besseren Verbreitung oder der Ver- ringerung der Oberfläche, oder soll die Öffnung der Hülse erschwert werden, wer könnte heute diese ee Frage exakt beantworten? der Trichter- Im Jahre 1880 bescherte uns Charles Darwin winde, Ipomoca cin insbesondere die Pflanzenphysiologen inter- purpurea. R essierendes Werk: „Das Bewegungsvermäügen der Pflanze“!). Diesem Buche liegt eine Idee zugrunde, die die Spiral- linie in der Natur wieder von einer neuen Seite beleuchtet. Seit langem kennt man eine physiologische Gruppe von Pflanzen, die einen aufrechten Stab in einer Schraubenlinie um- wachsen und die man als windende bezeichnet. Der Windling, die Feuerbohne und der Hopfen gehören hierher. Das Ende des wachsenden Sprosses erscheint nach der Seite geneigt und wendet sich aus inneren, uns unbekannten Gründen, indem stets eine 1) Ch. Darwin, The power of movement in plants. London 1880. Deutsche Übersetzung von J. V. Carus, Das Bewegungsvermögen der Pflanze. Stuttgart 1881. in A — De es A re he u ee ee A eher ee ee ee Zee ee. a Te Zn 287 = äußere, aber fortwährend wechselnde Kante stärker wächst als die ihr gegenüberliegende im Kreise, oder besser gesagt, weil die Spitze sich ja auch verlängert, in einer Schraubenlinie um die Stütze herum (Abb. 65). Die Mehrzahl der windenden Pflanzen windet nach links, die wenigsten nach rechts (Hopfen) oder bald nach rechts oder links. Man spricht von Linkswindern, wenn der Sproßgipfel sich im umgekehrten Sinne des Uhrzeigers bewegt, im entgegengesetzten Falle von Rechtswindern. In Darwins Denkweise spielte der Entwicklungsgedanke eine führende Rolle. So auch hier. Er fragte sich, wie ist es zu dieser für die windenden Pflanzen so nützlichen, von ihm als Zirkumnutation genannten Bewegung gekommen? Trat sie plötz- lich in dieser Gruppe von Gewächsen auf oder ist sie nicht viel- leicht bei den anderen nicht windenden Pflanzen auch, wenngleich mehr versteckt und verschleiert, vorhanden ? Diese Frage wird auf Grund zahlreicher und umfassender Versuche von Darwin bejaht. Nach ihm zirkumnutiert jeder wachsende Pflanzenteil beständig, wenn auch im geringen Maße. Die Wurzel, der Stengel und das Blatt vollführen beständig kreisende oder schraubige Bewegungen. Gewöhnlich sind sie so klein, daß es feinerer Beobachtung bedarf, um sie wahrzunehmen. Wenn man z. B. an der Spitze eines Kohlkeimlings einen Glasfaden schief anklebt und die mit Lack geschwärzte Spitze dieses Zeigers, der nun die Bewegung des Stengelchens ziemlich vergrößert wiedergibt, beobachtet, auf einer über den Keimling horizontal befestigten Glasplatte die jeweilige Lage der Zeiger- spitze durch Tuschepunkte markiert und die aufeinander folgen- den Punkte durch gerade Linien verbindet, so läßt sich aus dem so gewonnenen Diagramm (Fig. 66) erkennen, daß die Stengel- spitze unregelmäßige Kreise, Ellipsen oder Spiralen beschreibt, also im Sinne von Darwin zirkumnutiert. So wie sich der Stengel dieses Kohlkeimlings verhält, so verhält sich jedes wachsende Organ. Stellt man sich diese Bewegung an den Tausenden von Sprossen, Blättern und Wurzelspitzen eines großen Baumes im vergrößerten Maßstab und daher in stärkerer Ge- schwindigkeit vor, etwa im Geiste gesehen durch das Mikroskop, so gewährt uns ein solcher Baum ein höchst interessantes Bild, das weit entfernt ist von jener Ruhe und Starrheit, die der Laie der Pflanze im allgemeinen zuzuschreiben geneigt ist. — 283 — Die Zirkumnutation faßt Darwin als eine der Pflanze in- härente Urbewegung auf, von der die anderen als Tropismen und Nastien bekannten Bewegungen sich ableiten und durch Modi- fikation entstanden sind. Schon ein Jahr nach dem Erscheinen von Darwins Werk erschien eine kritische Studie Wiesners!), in dem er sich unter anderem gegen Darwins Ansicht von der allgemeinen Verbreitung der Zirkumnutation als Urbewegung im Pflanzenreiche wendete. Nach Wiesner ist, abgesehen von den windenden Pflanzen, die von Darwin als Zirkumnutation auf- gefaßte Bewegung eigentlich keine krei- sende, sondern eine ganz unregelmäßige, durch Störungen im Längenwachstum oder durch kombi- nierte . Bewegungen verschiedener Art hervorgerufen. Essei von vornherein nicht sehr wahrscheinlich, daß die Stamm- oder Fig. 66. Quercus (Amerikanische Sp.): Zirkumnutation Wurzelspitze mit eines jungen Stammes, an einer horizontalen Glasplatte von mathematischer Ge- 12,50 p. m., 22. Febr., bis 12,50 p. m., am 24., aufge- nauigkeit in einer zeichnet. Bewegung des Lacktropfens zuerst bedeutend, gegen Greraden wachse, son- dern viel wahrschein- licher,daßsieunregel- mäßig im Raume um- hertaumele, da sich ja das Wachstum eines solchen Organes aus ver- schieden großen und eigenartig gebauten Zellen zusammensetzt, die, weil fest miteinander verwachsen, beim Wachstum Spannungen hervorrufen. Diese werden ruckweise ausgelöst und führen zu unregelmäßigen Bewegungen. Auch durch kombinierte Wirkung von zwei spontanen und durch äußere Kräfte hervorgerufene Bewegungen kann nach Wiesner Zirkumnutation vorgetäuscht werden. In vielen Fällen mag die Zirkumnutation, wie Wiesner das Ende der Beobachtung nur unbedeutend, im Mittel un- gefähr 1omal vergrößert. Nach Darwin. !) J. Wiesner, Das Bewegungsvermögen der Pflanzen. Wien 1881. — 289 — es sich denkt, zustande kommen, und seine Versuche haben cs wohl sehr zweifelhaft gemacht, daß die Zirkumnutation eine allgemein verbreitete Urbewegung ist. Er hat aber meiner Mei- nung nach auch über das Ziel geschossen, wenn er die Zirkum- nutation im Sinne Darwins nur den windenden Pflanzen zuschreibt und anderen Organen überhaupt nicht. Ist es doch bekannt, daß die Ranken vieler Gewächse (Wein- stock usw.) echte Zirkumnutation zeigen und habe ich mich doch wiederholt überzeugt, daß auch die kreisenden Bewegungen der Keimstengel mancher Pflanzen, die in der Natur keine Stütze um- fassen und einen geraden Stamm entwickeln, wie z. B. die Sonnen- rose, so auffallend sind, daß man sie nicht gut auf bloße Störungen des Wachstums zurückführen kann. Ob die verschiedenen Bewegungen der Pflanze sich aus der Zirkumnutation entwickelt haben, was Darwin behauptet, Wiesner aber entschieden bestreitet, soll hier nicht erörtert werden; hier sei nur betont, daß die Zirkumnutation, d.h. das Wachstum in einer Schraubenlinie im Pflanzenreiche, wenn auch nicht allgemein ver- breitet, so doch recht häufig ist. So sehen wir denn, daß die Schraube in der Natur tatsächlich von den niedersten bis zu den höchsten Gewächsen in der ver- schiedensten Art verwirklicht ist. Wenn die Geißel einer Bakterie einer Schiffsschraube gleich um ihre Achse wirbelt und der Bakterie das Schwimmen ermöglicht; wenn die Wimpern eines Gingko-Spermatozoids in einer Spirale befestigt erscheinen und eine Schwimmbewegung veranlassen; wenn in einer Bastzelle die Zelluloseteilchen der Wand in Schraubenlinien angeordnet wurden und dadurch die schief verlaufende Streifung veranlassen oder der Hopfen- stengel um seine Stütze windet — — immer tritt uns die Schraubenlinie in eigenartiger, wechselnder Form von neuem entgegen. Und so wie die Drehung der Polarisationsebene des Licht- strahles durch die Natur und den Bau des Kristalls begründet ist, so liegt auch die letzte Ursache all der erwähnten Schrauben in der Konstitution der lebenden Substanz und nicht in äußeren Verhältnissen. Der Goethesche Gedanke von einer Tendenz im Sinne eines Strebens zur Spirale kann allerdings nicht angenommen Molisch, Populäre biologische Vorträge. 2. Aufl. 18) werden, aber sein Hinweis auf das häufige “Vorkommen der Spirale in der Vegetation im Sinne einer bestimmten Richtung hat in der weiteren Entwicklung der Botanik und durch Dar- wins Werk über das Bewegungsvermögen der Pflanze eine vielfache Erweiterung erfahren. Und so hat sich wieder gezeigt, daß der gottbegnadete Dichter hier noch kurz vor seinem Tode seinen Blick auf eine Erscheinung des Pflanzenreichs gelenkt hat, die die Botanik noch weiter beschäftigt hat und auch noch ferner beschäftigen wird. ER. Das lebende Reagens’). Das Lebewesen, gleichgültig ob Pflanze oder Tier, steht als Chemiker noch immer unerreicht da. Daher dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Organismen, als lebende Reagentien verwendet, oft empfindlicher reagieren als die leblosen Stoffe der Chemie. Ein Rückblick auf die Geschichte der Naturwissenschaften lehrt, daß die Forschung zwar unaufhaltsam, aber im allgemeinen langsam vorschreitet. Zwar scheint es oft, als ob die Entdeckungen Schlag auf Schlag kämen und sich zu gewissen Zeiten häufen würden, allein wenn man die geschichtliche Entwicklung einer bestimmten Frage für sich betrachtet, so sieht man alsbald, daß die Wissenschaft nicht rennt, sondern kriecht. Ihr Fortschritt be- ruht hauptsächlich auf guten Hypothesen, Theorien, auf neuen Entdeckungen und nicht zuletzt auf neuen Methoden. Die exakten Wissenschaften, allen voran die Astronomie, Physik und Chemie haben uns im Laufe der Zeit eine so fein ausgearbeitete Methodik beschert, daß wir ihr unsere Bewunderung nicht versagen können. So, wenn der Physiker uns mit Hilfe der Spektralanalyse lehrt, daß die meisten irdischen Elemente auch in der Sonne vorkommen, oder wenn er die Temperatur der Sonne, die Lichtgeschwindigkeit, die Wellenlänge für Rot, Grün oder Blau mißt oder wenn er mit Hilfe elektrischer Wellen drahtlos seine Gedanken mit den Antipoden tauscht. So, wenn der Chemiker die stoffliche Zu- sammensetzung der Körper bis in die feinsten Einzelheiten er- kennt oder wenn er, über das Sichtbare hinaus, die Zahl der Atome im Molekel, ihre gegenseitige Bindung, ja sogar ihre Stellung im Raume erschließt. Oder wenn er, dem Beispiele Wöhlers folgend, organische Substanzen, die das Lebewesen erzeugt, aus anorganischen Stoffen aufbaut und Körper wie Indigo, !) Vortrag gehalten in der dtatutenmäßigen Jahressitzung der Akademie der Wissenschaften in Wien am I. Juni 1921. 19* — 292 — Alizarin, Kautschuk, Alkaloide, Flechtenfarbstoffe, Gerbstoffe und als Krone des Ganzen die Vorstufen des Eiweißes, die Polypeptide, im Glase darstellt. Die Glanzleistungen eines Emil Fischer lassen die Hoffnung aufkommen, daß selbst die Synthese der Eiweißkörper nur eine Frage der Zeit ist, also jener Körper, von denen wir annehmen, daß sie einen wesentlichen Teil der lebendigen Substanz aus- machen. Das modern eingerichtete Laboratorium des Chemikers mit seinen verschiedenen Hilfsmitteln und Leistungen flößt uns Be- wunderung ein, aber selbst wenn es von dem Geiste eines Lavoisier oder Liebig in Bewegung gesetzt und geleitet würde, steht es doch weit zurück hinter dem Laboratorium, das uns das Lebewesen verkörpert, gleichgültig ob Pflanze, Tier oder Mensch. Was der Chemiker oft nur mit Gewaltmitteln, mit starken Säuren, Alkalien, unter hohem Druck, bei hoher Temperatur und auf mannigfachen Umwegen mühsam zustande bringt, das voll- führt ‘das Lebewesen gleich einem Zauberer in verblüffend ein- facher Weise. So wird es verständlich, wenn die Physiologie uns von Tag zu Tag neue Beweise schafft, daß das Lebewesen der Chemie ein wertvoller Helfer geworden ist, dadurch, daß der Biologe die Pflanze und das Tier als Mittel zum Nachweis oder zur Erzeugung von Stoffen benützt. Es ist keine Übertreibung, sondern eine leicht zu beweisende Tatsache, daß die biologische Methode in: der chemischen Analyse häufig mit den besten ge- wöhnlichen chemischen und physikalischen nicht nur zu wetteifern vermag, sondern sie nicht selten an Genauigkeit und Empfindlich- keit sogar übertrifft. An Beispielen ist kein Mangel. Jede grüne Pflanze zerlegt im Sonnenlichte Kohlensäure, bildet daraus organische Substanz, Zucker, Stärke und scheidet dabei Sauerstoff aus. Macht man den Versuch mit einer Hand- voll Wasserpflanzen in kohlensäurehaltigem Wasser, so sieht man die entbundenen Sauerstoffblasen mit freiem Auge aus den Pflanzen herausperlen. Man kann das Gas auffangen und einen glimmen- den Span darin entzünden. Wenn wir aber den von einer einzigen Zelle im Lichte entbundenen Sauerstoff nachweisen wollen, dann reichen selbst die besten chemischen Sauerstoffreaktionen nicht aus, den aus der Zelle hervorspringenden Sauerstoff zu ‚erkennen. Engelmann aber hat uns einen biologischen Weg gewiesen, der uns den Nachweis so fabelhaft kleiner Sauerstoffmengen, wie Da 45 We sie eine einzige grüne Zelle, ja sogar ein einziges Chlorophylikorn im Sonnenlichte erzeugt, ermöglicht. Er erinnerte sich, daß es bewegliche Bakterien gibt, die mit der merkwürdigen Fähigkeit ausgestattet sind, zwischen sauerstoffreichen und sauerstoffarmen Orten zu unterscheiden. Erzeugt man unterm Deckglas in einem Bakterientropfen ein mikroskopisch kleines Luftbläschen, so sam- meln sich die früher gleichmäßig zerstreuten Bakterien alsbald um das Bläschen in so dichten Massen an, daß man die Ansammlung oft schon mit freiem Auge wahrnimmt. Sobald die Bakterien den in der Luftblase vorhandenen Sauerstoff veratmet haben, verlassen sie sie und schwimmen wieder zu sauer- stoffreicheren Orten. Ver- wendet man in demselben Versuch anstatt des Luft- bläschens eine lebende chlorophylihaltige Zelle, so wandern die Bakterien, so- bald die Zelle belichtet wird, sofort zu ihr, weil sie im Lichte Sauerstoff entbindet \ ; : Fig. 67. Cocconema sp., eine Kieselalge, (Fig. 67). Wird die Zelle entwickelt im Lichte Sauerstoff und dieser lockt schwimmendeBakterien (Spirillum Undula) in großer verfinstert, so hört die Sauer- Menge an. (Vergr. 300.) stofferzeugung auf und die Bakterien zerstreuen sich. „Die Empfindlichkeit des Reagens“, sagt Engelmann, „ist so groß, daß Sauerstoffmengen von zuverlässig weit weniger als einem Hundertbillionstel Milligramm noch bequem nachgewiesen werden können, Es ist selbst nicht unwahrschein- lich, daß die kleinsten mit Sicherheit nachweisbaren Sauerstoff- mengen innerhalb der Grenzen liegen, welche die theoretische Physik auf verschiedenen Wegen für das Gewicht des Sauerstoff- moleküls zu berechnen gestattet“ (S. 441). Annähernd von derselben Feinheit für den biologischen Nach- weis geringer Sauerstoffspuren sind die Leuchtbakterien. Sie haben als die einzigen unter den Bakterien die Fähigkeit, Licht zu entwickeln, jedoch nur bei Gegenwart von Wasser und Sauer- stoff. Schon die geringsten Mengen dieses Gases genügen, wie insbesondere die Versuche Beijerincks und Molischs bewiesen haben, dazu. Füllt man in eine etwa ı m lange, unten geschlossene Glasröhre eine Nährlösung mit Leuchtbakterien, so erscheint die — 294 ,— ganze Flüssigkeitssäule in der Dunkelkammer leuchtend. Einige Zeit darauf erlischt das licht, da die Bakterien den in der Flüssig- keit gelösten Sauerstoff veratmen. Kehrt man die Röhre nun um und sorgt man dafür, daß ein kleines Luftbläschen, sich auf- wärts bewegend, die Bakterien wieder mit Sauerstoff versorgt, so - beginnt die ganze Flüssigkeit wieder zu leuchten; man glaubt, während die Luftblase sich erhebt, eine im Finstern ans auf- steigende Rakete zu sehen. Oder wenn man eine Glasröhre mit leuchtender Bakterien- bouillon füllt, etwas von dem Grereibsel, das man durch Zerquetschen eines frischen Kleeblattes mit Wasser erhält, hinzufügt und in der Dunkelkammer stehen läßt, o erlischt gleichfalls die anfangs leuchtende Flüssigkeitssäule. Zündet man jetzt ein Zündhölz- chen an, so beginnen die in der Röhre vorhandenen noch unver- sehrten Chlorophylikörner im Licht sofort Sauerstoff zu entbinden und dieser freigewordene Sauerstoff, obwohl nur in Spuren vor- handen, genügt, um die Leuchtbakterien wieder zur Licht- entwicklung zu befähigen. An die Seite dieser Beispiele darf auch der biologische Nach- weis des Arsens gestellt werden. Gewisse Schimmelpilze und Spaltpilze haben, wenn sie auf einer Unterlage wachsen, die ar- senige Säure, Arsensäure oder deren Alkalisalze und ein freies Kohlehydrat enthält, die auffallende Fähigkeit, nach Knoblauch riechende Gase zu entwickeln, darunter eine organische Verbin- dung, die sich als Diäthylarsin As H (C,H,), entpuppt hat. Gosio hat sich mit Vorteil der Schimmelpilze Penicillium crustaceum, Aspergillus glaucus und Mucor mucedo bedient, spätere Beobachter erkannten in dem Penicillium brevicaule eine für. den Arsennachweis besonders geeignete Art. Zieht man diesen Pilz auf Brotscheiben und bringt man in den üppig wachsenden Pilz- | rasen ein kleines Stückchen einer arsenhaltigen Tapete, so gibt sich schon nach einigen Stunden, spätestens am nächsten Tage, ein deutlicher Knoblauchgeruch kund. Diese Probe ist empfind- licher als alle anderen Arsenproben, sie gibt noch sichere Ergeb- nisse, wo andere im Stich lassen, und läßt noch 0,0001 mg Arsen erkennen. “In mehrfacher Richtung von großem Interesse sind jene Er- scheinungen, die der Botaniker v. Nägeli entdeckte und die er als oligodynamische bezeichnete. Wird ein Stück blankes Kupfer in ein Glas Wasser, das die lebende Alge Spirogyra enthält, gelegt, so stirbt die Alge in kurzer Zeit ab. Diese höchst auffallende Tatsache brachte den genannten Forscher auf den Gedanken, nach einer noch unbekannten Kraft zu suchen, die vielleicht hier im Spiele sein könnte, allein eine planmäßige Verfolgung der in Betracht kommenden Umstände führte schließlich zu einer voll- ständig befriedigenden Erklärung. Das in reines Wasser, welches etwas Sauerstoff und Kohlensäure enthält, gelegte Kupferstück ist nicht, wie man erwarten möchte, völlig unlöslich, sondern löst sich in außerordentlich kleinen Spuren. Kupfermolekel trennen sich von dem Kupferstück ab, wandern in das Wasser, in die Alge, endlich zur Glaswand, werden hier festgehalten, und dieser Vorgang dauert so lange, bis eine gewisse Sättigung eingetreten ist. Die Kupfermengen, um die es sich hier handelt und die die Alge töten, sind außerordentlich klein; schon ein Teil Kupfer in 1000 Millionen Teilen Wasser schadet oder tötet. Wie groß die Empfindlichkeit der lebenden Zelle gegen Spuren von Kupfer ist, geht wohl schlagend daraus hervor, daß ein Glas, in dem eine Kupfermünze einige Zeit lag, seine Gift- wirkung noch beibehält, weil Spuren von Kupfer an der Glasfläche haften bleiben, die sich dann ablösen und in die Zelle eindringen. Nägelis Befunde sind später nicht nur für Kupfer, sondern auch für verschiedene andere Metallspuren wie Quecksilber, Silber und Blei, sowie für Pflanzen verschiedener Art nachgewiesen worden, und ich selbst konnte mich überzeugen, daß Algen bei Kultur in Nickelgefäßen sich nicht entwickeln, weil Spuren von Nickel in Lösung gehen und die Zellen töten. Pasteur gebührt das Verdienst, als erster die biologische Methode zur Sonderung schwer trennbarer isomerer Verbindungen eingeführt zu haben. Die Weinsäure existiert bekanntlich in vier Abarten, von denen die Rechts- und Linksweinsäure optisch aktiv, die Traubensäure und Mesoweinsäure aber optisch inaktiv sind. Die Traubensäure entsteht unter anderem durch Vermischen von Rechts- und Linksweinsäure und kann, wie Pasteur gezeigt hat, durch die vegetative Tätigkeit des Pinselschimmels Penicillium glau- cum wieder optisch aktiv und gespalten werden, weil der Pilz hauptsächlich die Rechtsweinsäure als Nahrung verbraucht, assi- miliert, dadurch zum Verschwinden bringt und die Linksweinsäure übrig: läßt. Auch von der Milchsäure gibt es isomere Formen, die in ihrem chemischen Verhalten vollständig übereinstimmen, sich physikalisch zen 296 BER sehr ähneln, aber optisch unterscheiden: die Rechts- und die Links- milchsäure, die die Polarisationsebene ihrem Namen entsprechend drehen, und die aus diesen beiden bestehende optisch inaktive Gärungsmilchsäure. Penicillium assimiliert, wenn ihm diese geboten wird, die Linksmilchsäure und läßt die Rechtsmilchsäure zurück: gewisse Bakterien machen es umgekehrt. Spätere Untersuchungen ver- schiedener Forscher zeigten, daß nicht bloß Penicillium, sondern auch Aspergillus niger und A. flavus die Rechtsform der Wein- säure mehr angreifen als die Linksform und inzwischen wurde das ‚biologische Verfahren der Spaltung auch für zahlreiche andere organische Stoffe mit Erfolg benützt, und zwar nicht bloß mit Schimmelpilzen, son- dern auch mit Hefe- und Spalt- pilzen. Die bakteriologische Me- thode spielt überhaupt bereits eine sehr bedeutungsvolle Rolle in der Chemie, wie aus Ome- lianskys Schrift deutlich her- vorgeht. Eine ganz überraschende Empfindlichkeit bekundet die Fig. 68. Einfluß des Tabakrauches auf Bohnenkeimlinge. ( Phaseolus vulgaris.) Rechts in reiner Luft; links in Luft, der am Beginn des Versuches einmal Tabakrauch (3 Zigarettenzüge pro 41% Liter Luft) beigemischt wurde. Versuchsdauer II Tage. Man beachte die Längen- und Dicken- unterschiede der Stengel und die Längen- unterschiede der Wurzeln. Der Versuch er- folgte bei Abschluß von Licht. Pflanze gegenüber Tabakrauch. Er übt auf viele Pflanzen einen höchst auffallenden schädigen- den Einfluß aus. Keimlinge der Wicke, Erbse, Bohne, des Kürbis und anderer (rewächse nehmen im Tabakrauch ein abnormes Aus- sehen an (Fig. 68). Wickenkeimlinge geben darin bei Lichtabschluß ihre normale Wachstumsrichtung auf, ihre Stengel wachsen hori- zontal oder schief, bleiben kurz, verdicken sich aber bedeutend. Die Versuche wurden in der Weise ausgeführt, daß zu den unter einer Glasglocke befindlichen Keimlingen (Wasserkulturen) einmal etwa drei Züge Tabakrauch eingeblasen wurden. Es genügt — 297 — auch ein einziger. Ja, noch mehr! Wenn man die Glocke mit einer Tabakrauchwolke füllt, mit Wasser absperrt, einen halben Tag stehen läßt, dann die Glocke mit reiner Luft füllt und nun über die Keimlinge der Wicke stülpt, so genügen die Abdun- stungen der auf der inneren Oberfläche des (Glases befindlichen, flüchtigen Kondensationsprodukte des Rauches, um den ge- schilderten Einfluß in zwar schwacher, aber doch noch deutlich merkbarer Form hervorzurufen. Aber nicht nur Keimpflanzen, sondern auch viele erwachsene Pflanzen werden vom Tabakrauch bedeutend geschädigt. Die krank- hafte Entwicklung äußert sich in Verkrümmungen der Blätter, den Wucherungen der Rindenporen, in dem oft schon nach 2—3 Tagen eintretenden Laubfall und der verminderten Ausbildung des roten Farbstoffs. Mikroorganismen antworten auf Tabakrauch noch viel auf- fallender als höhere Pflanzen, denn Bakterien, Amöben, Flagel- laten und Infusorien werden nicht bloß geschädigt, sondern häufig schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit getötet. Empfindliche Amöben sterben schon nach einer halben Stunde, manche Bak- terien nach einer Stunde. Die auffallende, vielleicht narkotisierende Wirkung des Tabakrauchs läßt sich in besonders auffälliger Weise durch folgenden Versuch mit Leuchtbakterien veranschaulichen. Ein auf Filtrierpapier ausgebreiteter Tropfen von Leuchtbouillon mit Pseudomonas lucifera erlischt, in Tabakrauch gebracht, binnen einer 1/,—ı Minute, leuchtet aber gleich darauf, in reines Meer- wasser gebracht, nach zwei Minuten wieder auf. Mit der schäd- lichen Wirkung des Tabakrauchs hängen auch die bösen Erfah- rungen zusammen, die man mit der Kultur von Pflanzen in ver- unreinigter Luft, besonders in der sogenannten „Laboratoriumsluft“ gemacht hat. (Richter.) Die darin als Verunreinigung vorkommenden Gase und Dämpfe, wie Spuren von Leuchtgas und verschiedenen Chemikalien, wirken ganz ähnlich wie Tabakrauch, und die darüber gemachten Erfah- rungen machen es dem Pflanzenphysiologen zur gebieterischen Pflicht, seine Versuche in möglichst reiner Luft zu machen, um sich vor Irrtümern zu bewahren. Darauf wurde in früherer Zeit viel zu wenig geachtet, weil man die Empfindlichkeit des leben- den Reagens stark unterschätzt hat. Indes nicht nur die Botaniker, auch die Tierphysiologen, Pharmakologen und Ärzte machen bereits vielfach Gebrauch von — 298 — dem biologischen Verfahren, und es ist keinem Zweifel unter- worfen, daß das lebende Reagens in den einschlägigen Wissens- zweigen in Zukunft noch eine viel bedeutendere Rolle spielen wird als jetzt. Fühner hat in einem wertvollen Buche die ein- schlägigen Erfahrungen insbesondere darüber, wie das Tier und sogar der Mensch als Versuchsobjekt zum Nachweis von Giften herangezogen werden kann, gesammelt, bereichert und die Brauch- barkeit der biologischen Methode auf diesem Gebiete dargetan. Für gewisse Pflanzenstoffe kennen wir überhaupt keine chemischen Nachweise; hier setzt das biologische Verfahren mit Erfolg ein. Solche Körper sind: das in den Samen von Ricinus communis vorkommende höchst giftige Ricin, das in den Pater- nostersamen (Abrus precatorius) befindliche Abrin, das Crotin der Crotonsamen und das Robin in der Rinde der falschen Akazie. Alle haben das Vermögen, die Blutkörperchen bestimmter Tiere zu agglutinieren, das heißt zu verkleben oder zusammenzuballen. Nach Stillmark wird durch Ricin Kaninchenblut in einer Kon- zentration von 1:40000 vollständig, in einer Verdünnung von ı:160000 nur noch wenig, Meerschweinchenblut in einer Kon- zentration von 1:160000 völlig und in einer von 1:600000 noch schwach zusammengeballt.e. Die genannten Gifte zeigen unter- einander abgestufte oder besondere Unterschiede, indem sie sich - entweder durch die Stärke der Agglutinationswirkung unter- scheiden oder nur auf das Blut bestimmter Tiere wirken. Manche Gifte rufen Hämolyse der Blutkörperchen hervor, das heißt sie verursachen das Austreten des Blutfarbstoffs aus den Blutzellen, und diese Erscheinung kann zur Erkennung gewisser Blutgifte herangezogen werden. Sie eignet sich besonders zum Nachweis der Saponine. Wird die hämolytische Methode unter dem Mikroskop ausgeführt, so genügen natürlich schon außer- ordentlich kleine Mengen von Saponin zur Hämolyse; gibt die Probe ein positives Ergebnis, dann ist zur weiteren Kennzeichnung als Saponin seine Entgiftung durch Cholesterin festzustellen. Santonin, der wirksame Stoff einer Artemisiaart, der „flores cinae“, vertreibt die Spulwürmer aus dem Darm des Menschen, ohne die Würmer zu töten. Eines der gebräuchlichsten Bandwurmmittel ist ein Auszug aus dem Wurzelstock des Wurmfarns (Aspidium filix mas), und zu seiner Wertbestimmung kann mit Vorteil der leicht be- schaffbare Regenwurm verwendet werden. Er stirbt schon nach 6 / bis 8 Stunden, auch wenn ihm nur !/,, mg Filixsäure eingespritzt wird. Granz besonders charakteristisch erscheint das Vergiftungsbild, das der Frosch nach Vergiftung mit dem zentral erregenden Strychnin, Pikrotoxin und Nikotin darbietet. Wird der Frosch mit Strychnin vergiftet, so streckt er in- folge hervorgerufener Krämpfe seine Hinterbeine gerade in der Richtung seiner Längsachse aus. (Fig. 69.) Erfolgt die Vergiftung durch Pikrotoxin, so streckt der Frosch Vorder- und Hinterbeine mehr oder minder senkrecht zur Längsachse von sich. Das Tier stützt sich nicht mehr auf seine Vorderbeine und hält seine Hinter- „beine vornehmlich in Beugestellung. (Fig. 70.) Vergiftet man durch Einspritzung mit Nikotin- lösung, so zieht der Frosch schon nach wenigen Minuten in sitzender Stellung die Hinterbeine über den Rücken in die Höhe, wobei er die Fersen ein- ander manchmal bis zur Berührung nähert und die Hinterbeine sogar über dem Rücken kreuzt. Keinem anderen nahestehenden Gifte kommt eine solche Wirkung zu: (Fig. 71.) Hier gibt uns das biologische Verfahren durch die charakteristischen Stellungen des Frosches Er- kennungsmittel für Gifte an die Hand, die selbst- verständlich den leblosen Reagentien versagt sind. Zahlreiche ähnliche Beispiele könnten noch an- geführt werden: So das biologische Verfahren zur _ x Wertbestimmung der Digitalisblätter und Digitalis- rn präparate am Froschherzen, der Nachweis des über- stellung. Nach aus giftigen Aconitins durch Hervorrufung von Herz- ur .krämpfen beim Frosche, durch Verkürzung und Starre des Muskels und vieles andere. Im Grunde genommen beruht ja die ganze Arzneimittellehre und die experimentelle Pharmakologie im weitesten Sinne auf Reaktionen der Lebewesen gegenüber gewissen Stoffen. Ja, die alltägliche Erfahrung bringt es uns gar nicht mehr so recht zum Bewußtsein, daß wir selbst auf Schritt und Tritt als lebende Rea- gentien wirken. Werden uns doch oft gerade die wichtigsten und charakteristischen Eigenschaften der Körper erst bekannt, wenn wir sie am eigenen Leibe prüfen. Erst mit Hilfe unseres Ge- schmacksinnes stellen wir fest, daß der Zucker, das Glyzerin und das Saccharin süß, der Essig sauer, das Strychnin bitter und das Kochsalz salzig schmeckt. Der Geruchsinn belehrt uns, daß die Rose nach Rosenöl, der Waldmeister nach Cumarin und die Va- nillefrucht nach Vanillin duftet. Der Naturmensch hat seine Umgebung, die Steine, Pflanzen und Tiere mit einem förmlichen Raffinement mit Hilfe seiner Sinne untersucht und so unse- re wichtigsten und er- probtesten Arzneimittel, Rio. 707° Erosch, Pikrotoxinstellung. Gifte und Nahrungs- ; A mittel entdeckt. Hier kam die biologische Methode in ihrer ursprünglichsten Form zu allgemeiner Anwendung. Die Umwelt war das Agens, der Mensch als Lebewesen das Reagens. Einen wahren Triumph feier- te das biologische Verfahren auf dem (Grebiete der Immunitäts- forschung, denn sie beruht in letzter Linie auf der prompten Reaktion des Lebewesens auf die Einführung gewisser Gifte. Wird einem für ein Bakterien- gift empfänglichen Säugetier eine kleine‘ Menge des Giftes (Toxin) in die Blutbahn eingespritzt, so- erzeugt es ein Gegengift (Anti- toxin), und wenn die Impfung Fig. 71. Frosch, Nikotinstellung. mehrmals wiederholt wird, so Nach Fühner. vermag das Tier schließlich Giftmengen schadlos zu ertragen, die am Beginne des Ver- suchs tödlich gewesen wären. Das Tier wird auf diese Weise künstlich immunisiert. Die Einführung eines pflanzlichen oder tierischen körperfremden Stoffes ruft überhaupt die Bildung spezifischer Reaktionsprodukte hervor, die derzeit chemisch nicht definierbar und vorläufig als Antikörper bezeichnet werden. Dazu gehören die Antitoxine, Hämolysine, Agglutinine, Präzi- pitine u. a. Von besonderer Bedeutung für die Erkennung der Verwandt- schaft von Pflanzen und Tieren sind die Präzipitine geworden. Wird das Eiweiß einer Pflanze, zum Beispiel einer Erbse, in die Blutbahn eines Kaninchens eingeführt, so erhält nach wieder- holter Einspritzung das Serum dieses Blutes die besondere Eigen- schaft, nur mit dem Erbseneiweiß und seinen nächsten Verwandten, den Leguminosen, einen Niederschlag (Präzipitin) zu geben, nicht aber mit den im System fernstehenden Pflanzen, den Gräsern. Besonders haben Magnus, Friedenthal, Mez und seine Schüler die biologische Verwandtschaftsreaktion in den Dienst der phylogenetischen Forschung gestellt und man kann wohl, unter der Voraussetzung, daß die mit dem neuen Verfahren verbundenen Fehlerquellen sorgfältig berücksichtigt werden, jetzt schon sagen, daß der serumdiagnostische Versuch bei der Feststellung der Ver- wandtschaft der Pflanzen gute Dienste geleistet hat und leisten wird, insbesondere auch da, wo die Morphologie infolge von An- passung der Gewächse an sehr verschiedene Lebensbedingungen oder infolge ‘von Konvergenz bei der Erkennung der Verwandt- schaft im Stiche läßt. Dasselbe gilt auch vom Tierreich. Auf diesem (rebiete hat Uhlenhuth die ersten grundlegenden Versuche gemacht, indem er zunächst einen spezifischen Nachweis von Eiereiweiß auf bio- logischem Wege erbrachte. Spritzt man Hühnereiereiweiß in die Bauchhöhle eines Kaninchens ein, so bilden sich in dem Serum des Tieres Stoffe, die bei Zusatz zu Hühnereiereiweiß eine Trübung oder einen Niederschlag erzeugen. Diese Reaktion tritt nur mit Eieralbumin ein, nicht aber mit den zahlreichen anderen geprüften Eiweißarten. Selbst bei einer so großen Verdünnung von ı g Eiweiß auf ıoo Liter Wasser fällt die Probe noch positiv aus, während die gebräuchlichen chemischen Eiweißreaktionen bei einer Verdünnung von ı g Eiweiß auf ı Liter Wasser in der Regel schon im Stiche lassen. Demselben Forscher gelang es auch, die Eiweißstoffe der verschiedenen Vogeleier — abgesehen von denen ganz nah verwandter Vogelarten — voneinander zu unterscheiden. Noch bedeutungsvoller gestaltete sich die Heranziehung der serumdiagnostischen Methode zum experimentellen Nachweis der Blutsverwandtschaft zwischen Menschen- und Affengeschlecht. Die Abstammung höherer Lebewesen aus niederen gilt wohl unter Naturforschern als eine feststehende Tatsache, wenngleich auch die Ansichten über das „Wie“ dieser Entwicklung noch vielfach geteilt sind. Auch darüber, daß der Mensch als letztes Glied der Entwicklungsreihe an die Spitze der Säugetiere zu stellen ist und daß er den Affen am nächsten steht, herrscht wohl kaum ein Zweifel, denn die Anatomie, Morphologie, Ent- wicklungsgeschichte, Paläontologie und Phylogenie weisen alle darauf hin. Es ist nun von höchstem Interesse, daß durch Uhlenhuth ein neuer biologisch-chemischer Beweis für die nahe Verwandt- schaft zwischen Menschen und Affen erbracht wurde, der an Feinheit wohl nichts zu wünschen übrig läßt. Er geht dabei von einem Versuche aus, in dem das Blut eines Kaninchens, dem mehrmals Hühnerblut einverleibt wurde, bei Zusatz zu einer Hühnerblutlösung einen starken Niederschlag gibt, während alle zur Kontrolle verwendeten Blutlösungen der verschiedensten Tiere nach Hinzumischen dieses Serums völlig klar blieben. So kann man Hühnerblut von allen anderen Blutarten unterscheiden, und in analoger Form konnte Schweine-, Hunde-, Katzen- und auch Menschenblut erkannt werden — eine Methode, die von ver- schiedenen Kulturstaaten in die gerichtsärztliche Praxis eingeführt und in der Kriminalistik bereits wertvolle Aufschlüsse gegeben hat. Mit diesem Verfahren wurde schließlich von Uhlenhuth der wichtige Nachweis geliefert, „daß das Serum eines mit Menschen- blut vorbehandelten Kaninchens auch im Affenblut, sonst aber in keiner anderen Blutart einen Niederschlag erzeugt“ (S. 84). Damit war die Blutsverwandtschaft zwischen Menschen und Affen er- wiesen und, wenn man bei Versuchen mit verschiedenen Affen die Mengen des Niederschlags in Betracht zieht, so ergibt sich, daß der Mensch den Menschenaffen (Orang-Utang, Gorilla, Schim- panse) näher steht als den Hundeaffen, Meerkatzen und den Affen der neuen Welt, was ja auch sonst mit den auf ganz anderem Wege gewonnenen Auffassungen übereinstimmt. Zum Schlusse noch die Frage: Wie kommt es, daß uns das Lebewesen als chemisches Reagens oft wertvollere Aufschlüsse für die chemische Analyse gibt als das leblose Reagens der Chemie? Betrachten wir zunächst den einfachsten Fall, das einzellige Lebewesen, so zeigt eine nähere Überlegung, wie außerordentlich — 3053 _— günstig schon hier die Verhältnisse für chemische Reaktionen liegen. Schon in dem mikroskopisch kleinen Raume der dem freiem Auge unsichtbaren Zelle liegt eine große Summe ver- schiedener Stoffe bereit, nicht etwa kunterbunt durcheinander gemischt, sondern räumlich gesondert, aber doch auf dem Wege der Diffusion und Osmose einander zugänglich. Lösungen ver- schiedener anorganischer Körper, Säuren, Alkalien, Glykoside, Fette, Eiweißkörper, Fermente und noch viele andere Stoffe liegen auf einem mikroskopisch kleinen Punkt zusammengedrängt bei- sammen und überdies noch durch den kolloidalen Charakter der Zelle mit einer riesigen Oberfläche ausgestattet. So wie in einem - unsichtbaren Radiumatom eine gewaltige Energiemenge aufge- speichert ist, so erscheint hier in dem Mikrokosmos der lebenden Zelle ein mikrochemisches Laboratorium von wunderbarer Zu- sammensetzung .und Leistungsfähigkeit gegeben. Bei dem höheren Organismus kommt noch die chemische und Hand in Hand damit die physiologische Arbeitsteilung in Betracht; beim Tier treten spezifische Gewebe, Muskel, Nerven und Organe auf, die ihrerseits wieder mit so eigenartigen Reiz- barkeiten ausgestattet sind, daß das lebende Reagens die Natur der Stoffe durch ganz neue, dem leblosen Reagens fehlende Ausdrucksmittel verrät: zum Beispiel, wenn der Frosch auf ge- wisse Gifte durch ganz bestimmte Stellungen seiner Glieder ant- wortet und so ein höchst eigenartiges Vergiftungsbild darbietet; wenn das pulsierende Froschherz nach Einführung von Herzgiften, wie Digitalin urid Strophantin, stillesteht; wenn das Koffein den Skelettmuskel des Frosches in den Zustand der Verkürzung und Starre versetzt oder wenn das Atropin, in kleinster Menge angewendet, die Pupille des Katzen- und Menschenauges auf- fallend erweitert und das Physostigmin, Muskarin und Nikotin es verengt. In allen diesen Fällen spielt die Reizbarkeit der lebenden Substanz eine wichtige Rolle und sie ist es unter anderem, die dem Lebewesen in seiner chemischen Reaktionsfähigkeit gegen- über der Außenwelt einen so gewaltigen Vorsprung gewährt, daß es. die leblosen Reaktionsmittel in vielen Fällen nicht nur über- trifft, sondern sogar noch Aufschluß gibt, wo diese völlig ver- sagen. 17 [977 in 6. - IO. II. ee Literatur. . Fischer, E., Untersuchungen über Aminosäuren, Polypeptide und Proteine (1899 — 1906). Julius Springer, Berlin 1906. Vgl. auch Oppenheim, €.: Handbuch d. Biochemie, I. Bd., S. 406. . Engelmann, Th. W., Neue Methode zur Untersuchung der Sauerstoffausscheidung pflanzlicher und tierischer Organismen. Bot. Ztg., 1881, S. 441. . Beijerinck, M. W., Les bacteries lumineuses dans leur rapports avec l’oxygene. Extrait des Archives Neerlandaises. T. XXIII, S. 416—427 (1889). . Molisch, H., Leuchtende Pflanzen. 2. Aufl.,, Jena ıgı2, S. 125—126. — Über Kohlensäure-Assimilationsversuche mittels der Leuchtbakterienmethode. Bot. Ztg., 1904. . Gosio, B., Arch. Ital. de Biologie, 1892. Bd. ı8, S. 253. Die übrige Literatur in F. Lafar’s Handbuch der technischen Mykologie, I. Bd., S. 294—295. Nägeli, C. v., Über oligodynamische Erscheinungen in lebenden Zellen. Denk- “schrift d. schweizer. naturforschenden Ges. Bd. XXXIH. I. 1893. S. auch Bot. Ztor, LIEGT . Czapek, F., Biochemie der Pflanzen. 2. Aufl., 1913, Bd. I, S. 178 ff. Molisch, H., Die Ernährung der Algen. I. Abhand. Sitzber. d. k. Akad. d. Wissensch. in Wien. Mathem.-naturw. Kl. Bd. CIV, Abt. I, 1895, S. 789. . Pasteur, L., Compt. rend. de l’Acad. 1858, Bd. 46, S. 615; 1860, Bd. 51, S. 298. Vgl. auch Lafar, F.: Handbuch d. techn. Mykologie. I. Bd., S. 430, Jena 1904— 1907. Omeliansky, W., De la methode bacteriologique dans les recherches de chimie, Extrait des „Archives des sciences biologiques“. T. XII, Nr. 3, 1906. Molisch, H., Über den Einfluß des Tabakrauches auf die Pflanze. I. Teil. Sitzber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien. Bd. CXX. Abt. I. ıgı1. S. 3. I. Teil ebenda, S. 813. ‚ Richter, ©., Über den Einfluß verunreinigter Luft auf Heliotropismus und Geo- tropismus. Ebenda 1906. Bd. 115, S. 265 und ıgı2, Bd. 121, S. 1183. . Fühner, H., Nachweis und Bestimmung von Giften auf biologischem Wege. Berlin, Wien 1911. . Mez,C. u. Gohlke, K., Physiologisch-systematische Untersuchungen über die Ver- wandtschaften der Angiospermen. Beitr. z. Biologie d. Pflanzen. XI. Bd., 1914, S. 155. Vgl. auch das Referat darüber von Magnus, W., Zeitschr. f. Botan., 1914. S. 849. ;: Uhlenhuth, Das biologische Verfahren zur Erkennung und Unterscheidung von Menschen- und Tierblut usw. Jena 1905. - Autoren-Verzeichnis. Abbe 94. Apelt 127, 129. Aristoteles 130. Arrhenius, S. 140, I4I, 225. Aschkinaß 146. Balthasard 146. Bardeleben, K. v. 8. Bartels 169. Bartetzko 127, 129. Bary, de 106. "Baumann 146. Baur, E. 94, 197. Becquerel, P. 142, I9I, 192. Beijerink 293. Bernard, C. 74. Boehm, J. 241. Bokorny, Th. 184. Bonnet 284. Bonnier, G. 212, 213, 241. Bostock, J. 219. Bouchard 146. Braun, A. 284. Brücke, E. v. 102. Bruyn, de 103. Burbank 205. Burgerstein, A. 188. Caesalpin 284. Camerarius 175. Carriere 261. Caspari 146. Caspary 125. Gohn, ER. 16,105, 237: Combes, R. 212. Collon, A. 9ı. Curie 144. Czapek 304. Danysz 146. Darwin, Ch. bis 289. 102, 279, 286 Molisch, Populäre biologische Vorträge. Dauphin 147. Delpino 236. Detmer 121. Dioscorides 222. Dixon 146. Dan 232. Dorn 146. Dove 130. Drude 223. Dubois, R. 62. Du Bois-Reymond 143. Dunbar 219. Dusch 132. Dutrochet 282. Ehrenberg 104, 105, 212, 224. Engelmann 292—293. Errera, L. 99, 100. Ewert 203, 204, 205. Fayden, A. Mac 214. Fischer, H. W. 129. Fischer, E. -292. Fitting, H. 259. Flammarion 137. Friedberger 146. Friedenthal 301. Frosch 93, 94. Fühner 298. Gager 148. Gaidukov, N. 96, 97, 103, 104. Goebel 283, 284.. Goethe, W.v. I, 279. Göppert 12I, 125. Goldberg 146. Goring 87. Gosio 294. 2. Aufl. Grimm, J. 265. Gruner, P. 144. Häckel, E. 100, 135. Hampson, W. 266. Hansen, A. 213. 281. Harvey, N. E. 62. Hegel 281. Heidenhain, M. 102. Helmholtz, H. v. 4, 138, 140. Hellriegel 178. Helmont, v. 131. Henslov, G. 206. Hertwig, ©. 102. Hildebrand 188, 256. - Hoffmann 146. Hooke, R. 131. Hufeland, C. W. 247, 253. Humboldt, A. v. 64, 249. Hunger 95. Irmscher 186. Jäger 103. Jansen 150. Johannsen, W. 74, 75, 84. Junghuhn 173. Kalvin 138, 140. Knight 261. Kny, L. 260. Koch, R. 10. Kochs, 191 Körnicke 146, 147. Krausı@r 235, 236,237. Kreidl, A. 108. Kubialko 182. Lamarck 235. Lavoisier 292. Leeuwenhoek 99, I31, 132. 20 Leick, E. 236. Liebenberg, V. v. 187. Liebig 292. Lindley 282. Lindemuth 94, 263. Lobb 252. Loew, O. 184. Löffler 93, 94- Löwenthal 146. London 146. Magnus 301. Martius, v. 279,-280, 282. Matruchot, L. 212. Matsamura 47. Metschnikoff, E. 247. Mer 261. Meyer, O.C. 103. Mez 127, 128, 301. Miehe, H. 238. Migula 106. Miquel, P. 213. Mohnike 174. Molisch, H. 20, 69, 75, 84, 92, 128, 142, 150, 158, 162,072, 278,182, 101, 199, 203, 205, 210, 225, 229, 233, 236, 245, 254, 279, 293: Mouton, H. 91. Müller, HB. 74, 203,0720441273. Müller, J. 11. Münter 188. Myioshi 47. 1220126, Nägeli, C. v. 100—-104, 125, 135, 136 294, 295. Needham 132, Nestler, A. 187, 210, 213, 237 254. Neumann, A. 108, 306 Newton, J. 9, IO. Nocard 93. Omeliansky 146, 296. Pasteur 133—135, 210,277, 295. Peter, A. 190, Pfeffer, W. 126, 128. Pfeiffer 93, 146. Pflüger 136. Pouchet 277. Preyer, W. 139, ı81, 182. Pritchard 87. Pütter, A. 182, Queckett, J. 87. Radziszewski 61. Raehlmann, E. 96, 97. Reichart, Chr. 258. Reichert, K. 88, 105, 106. Treinke,j.2137- Richards 241. Richter, H.E, 137, 140. Richter, ©. 297. Röntgen 267. Rutherford 145. Roux 93, IO2. Sachs, J. v- III, 120, 125. Saito, K. 213. Sales-Guyon de Montliveult 137: Schaffnit 126, 127, 129. Schelling 281. | Schimper, K. F. 284. Schneider-Orelli, D. 275, 276. Schröder, G. 186, 187. Schröder 132. Schultz-Lupitz 178. .————o Schulze 132. Schuster, M. 224. Schwann 132. Selander, N. E. 213. Siedentopf, H., 86—88, 96. Soddy 145. Spalanzani 132. Spencer 102. Stich 241. Stillmark 298. Stöhr, A. 130. Stoklasa 155, 156. Sueß, E. 109. Theophrast 131. Tieghem, v. 106, Tschirch, A. 169. Uhlenhuth 301, 302. Unger, F. 188, 208, 212. Valentiner 146. Verworn 140, 182, Virchow, R. 9. Voigtländer 127, 129. Vries, H. de 102, 261. Wallace, A.R. 21. Warming 105. Weismann, A. Io2, 248. Wiesner, J. [102—104, 143, 170, 238, 269, 289. Wigham 146, Wilfarth 178. Winkler, F. 155. Winkler, H. 260. Wittmack, L. 189. Woronin 178. Zellner 280. Zeno 278, Zsigmondy, R. 86, 96. Seite 4, ” 9, 18, 19, Berichtigungen. Zeile ı9 von oben: statt Meta lies Meta- 13 4 “ 16 „ et , „ unten: statt Meterologie lies Meteorologie statt Mammuth lies Mammut statt schöner Blüten lies: an schönen Blüten statt Kopfhaare, wie dies sonst in China allgemein üblich ist, nicht rasieren, lies: Kopfhaare nicht, wie diessonst in China - allgemein üblich ist, rasieren. statt weise lies weiße statt nnd lies und statt zadica lies zudıca statt Eis lies Wasser statt trockne lies trockene Im 3 5185 B EB RHR RE ; ERBERE gr If: AnRRERET ANtriSHRH h : ae Aue Fehr Alecat ft E ar De a kei HERR ! x } i AH ' ai E Bi Bir r { : Pak ir Kr Bil HRE Hu Ki HE Ka ni ze . AHEHIR HE HERE Hi A East _ ir! } ; HH Kt Ey i Han Hr Kir Hareintgin Bil [% i EHE Hi er ee rt nenne ET, IH ie 5 He Aaragıger Ana! PART eh hen