* *nm woman'S COLLEGE. BALTIMORE. & =%k PROGRAMM UND FORSCHÜNGSMETHODEN DER ENTWICKELUNGSMECHANIK DER ORGANISMEN LEICHTVERSTÄNDLICH DARGESTELLT >. VON WILHELM ROUX O. Ö. PROFESSOR DER ANATOMIE UND DIREKTOR DES ANATOMISCHEN INSTITUTS ZU HALLE a/S. ZUGLEICH EINE ERWIDERUNG AUF 0. HERTWIG'S SCHRIFT: BIOLOGIE UND MECHANIK. LEIPZIG VERLAG- VON WILHELM ENGELMANN 1897. Verlag von Wilhelm Eiigelniniiu in Leipzig. Gesammelte Abhandlungen über Entwickelungsmechanik der Organismen von Wilhelm Roux o. ö, Professor der Anatomie und Direktor des anatomischen Instituts zu Halle a/S. Zwei Bände. Gr. 8. 1895. Geheftet Jl 48.—; gebunden Jl 53.—. Erster Band: Abhandlung I— XII, vorwiegend über functionelle-Anpassung. Mit 3 Tafeln und 21 Textfiguren. Zweiter Band: Abhandlung XIII — XXXIII, über Entwickelungsmechanik des Embryo. Mit 7 Tafeln und 7 Textfiguren. = Einzelne Bände werden nicht„abg,eg,eben. =^= Über Yerwachsungsversuche mit Ämphibienlarven von Dr. G. Born a. o. Professor der Anatomie in Breslau. Aus der Entwickelungsgeschichtlichen Abtheilung des Königl. Anat. Instituts zu Breslau. *"• * * * Mit 11 Tafeln, gr. 8. Jl l^r-T >» (Sonderdruck aus Archiv f. EntwickelungsmechanikT IV. Band, 3./4. Heft.) THEORIE DES MESODERMS VON D" CARL RABL o. ö. Professor der Anatomie und Vorstand des anatomischen Instituts der deutschen Universität in Prag. Erster Band: Mit 15 Tafeln und 47 Figuren im Text gr. 8. 1897. geh. Jl 20.—; geb. Jl 22.40. (Separat- Abdruck aus: Morpholog. Jahrbuch. Bd. XV, XIX u. XXIV) 80F*' Ein II. Band, der die „Differenzirnng der höheren Wirbelthiere von den Amphibien aufwärts" behandeln wird, soll im Laufe der nächsten Jahre folgen. "Äl Anleitungen zu den Präparierübungen an der menschlichen Leiche von Georg Rüge o. ö. Professor der Anatomie und Direktor der anatomischen Anstalt zu Amsterdam. Zweite verbesserte Auflage. Mit 51 Figuren in Holzschnitt, gr. 8. 1896. geh. Jl 6.—; geb. Jl 7.20. rt°x & r PROGRAMM UND FORSCHUNGSMETHODEN *££/. DER ENTWICKELUNGSWIECHANIK DER ORGANISMEN LEICHTVERSTÄNDLICH DARGESTELLT VON WILHELM ROUX O. Ö. PROFESSOR DER ANATOMIE UND DIREKTOR DES ANATOMISCHEN INSTITUTS ZU HALLE A/S. ZUGLEICH EINE ERWIDERUNG AUF O. HERTWIG'S SCHRIFT: BIOLOGIE UND MECHANIK. LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 1897. Separatausgabe der Abhandlung: „Für unser Programm und seine Verwirklichung" in dem Archiv für Entwickelungsrnechanik Band V. Inhalt. Seite Einleitung 1 I. Das Ziel und die besonderen Aufgaben der Ent- wickelungsmechanik 3 a. Frühere Darlegungen des Programms 3 b. 0. Hertwig's Kritik und eigene Auffassung 31 c. Die Physik und Chemie kennen keine gestaltenden Kräfte (0. Hertwig) 50 d. Zusammenfassung des ersten Abschnittes 68 e. Anhang: Deskriptive und causale Forschung 73 II. Die Methoden der Entwickelungsmechanik 81 a. Meine früheren Darlegungen über die causalen Forschungsmethoden der Morphologie der Organismen 81 b. Besprechung der Einwendungen 0. Hertwig's und 0. Bütschli's gegen diese Methodik 107 c. Über die Verwendung des »anorganischen« Experiments zu Schlüssen auf die Ursachen »organischer« Gestaltungen 113 d. Zulässigkeit und Bedingungen des Schlusses vom morphologischen Experiment am »lebenden« Organismus auf das normale Gestaltungsgeschehen 117 e. Das causal-analytische morphologische Experiment als die besondere Forschungsmethode der Entwickelungsmechanik . . 132 f. Notwendigkeit einer schärferen Unterscheidung der Begriffe: Kegel, Norm und Gesetz in der Zoobiologie 156 g. Nächste Aufgaben und Aussichten der entwickelungsmechanischen Forschung 167 III. Der Name Entwickelungsmechanik 171 IV. Über 0. Hertwig's Kritik meiner speciellen entwickelungs- mechanischen Untersuchungen 179 V. Zusammenfassung 193 Zusätze 197 Literaturverzeichnis 202 £3^*^ Einleitung. Das Programm der Entwickelungsinechanik erwirbt sich, wie die zahlreichen Autoren des Archivs für Entwickelungsinechanik und ihre werthvollen Arbeiten bekunden, immer mehr werkthätige Anhänger unter den biologischen Forschern. Auch unter Männern, welche andere Forschungsrichtungen pflegen, gewinnt unsere Richtung an Ansehen und Interesse; das zeigt sich sowohl durch Zustimmung wie auch in allmählich laut werdendem Widerspruch. Am meisten haben sich mit den Deutschen die Amerikaner der Vereinigten Staaten und die Italiener erfolgreich an unseren Bestre- bungen betheiligt; fast ganz fehlen noch die Engländer; angefangen haben die Franzosen; die jüngst von zwei berühmten Forschern der- selben: von E. G. Balbiani und L. Ranvier begründeten Archives d' Anatomie microscopique haben auch die Entwickelungsmechanik in ihr Programm aufgenommen. Die Zahl der laut hervortretenden Gegner der Richtung ist noch gering, die Zahl der bloß passiven Widerstand Leistenden dagegen bedeutender. Der Widerstand gegen eine neue Richtung, zumal wenn sie besondere Vorkenntnisse und Methoden erfordert, kann nicht auffallen. Wir freuen uns der Zustimmung und suchen unsere Gegner zu widerlegen und zu bekehren. Der Widerlegung, hoffentlich auch der Bekehrung sollen die nachstehenden Ausführungen dienen; doch ist es zugleich unser Zweck, das Besondere des Programms der Ent- wickelungsmechanik und der zu seiner Verwirklichung nöthigen Methodik durch Gegenüberstellung und Abgrenzung gegen das Her- kömmliche gemeinverständlicher zu machen sowie vorgekommene Roux , Programm. 1 irrthüniliche Auffassungen zu berichtigen. Dabei sollen Programm und Methoden hier in früher noch nicht gegebener Vollständigkeit und Ausführlichkeit dargestellt werden. Wir geben uns der Hoffnung hin, dass nunmehr Jeder, auch der bis jetzt ferner Stehende, welcher diese Schrift mit einiger Aufmerksamkeit gelesen hat, zu vollkommener Klarheit über das Programm der Entwickelungsmechanik und über die zu seiner Verwirklichung nöthige Methodik gelangt sein wird. Wir haben das Programm der Entwickelungsmechanik bisher vielleicht zu sehr für sich dargestellt und es dabei versäumt, die speciflschen Unterschiede desselben von anderen Forschungsrichtungen genügend hervorzuheben. Das soll nun, wenn es der Fall war, hier mit nachgeholt werden. Einer der gegnerischen Autoren, Ose. Hertwig, widmete den entwickelungsmechanischen Bestrebungen jüngst eine 200 Seiten starke Schrift1), in deren erster Hälfte er die Entwickelungsmechanik im Allgemeinen, in der zweiten Hälfte einige Specialarbeiten von mir kritisirt und erstere wie letztere durchweg abfällig beurtheilt. Der Autor hat sich viel Mühe gegeben, die Irrwege, auf denen er mich und die Genossen gleichen Strebens glaubt, zu erkennen und deutlich zu schildern. Nach dem, was ich gelegentlich vernommen habe, glaube ich vermuthen zu dürfen, dass er in dem einen oder anderen Punkte eine gewisse Zustimmung bei manchen anatomischen und zoologischen Kollegen finden wird. Das ist für mich Veranlassung, auf diese Einwendungen näher einzugehen. Hertwig ist, kurz gesagt, der Meinung, dass unser Programm unklar und nicht neu, dass ebenso unsere Arbeitsweise nicht neu ist, dass daher auch der Name Entwickelungsmechanik überflüssig, außer- dem aber unrichtig erscheine; ferner glaubt er, dass auf dem von uns betretenen Wege ein wesentlicher Fortschritt der biologischen Erkenntnis nicht zu erwarten, noch dass ein solcher nach dieser Seite hin überhaupt nöthig ist. Deutlicher kann man einer neuen Richtung ihre Existenzberechtigung allerdings kaum absprechen. Ein anderer Autor, 0. Bütschli (Litt. 3), behandelt nur ein me- thodologisches Bedenken, nämlich die Möglichkeit, oder nach seiner Meinung richtiger die Unmöglichkeit, aus Versuchen am lebenden Objekte auf normales Geschehen zu schließen. *) 0. Hertwig, Zeit- und Streitfragen der Biologie. Heft 2. Mechanik und Biologie. Mit einem Anhang: Kritische Bemerkungen zu den entwickelungs- mechanischen Naturgesetzen von Roux. Jena 1897. 211 Seiten. Da Hertwig das Thema im Ganzen behandelt hat, so ist es angemessen, dass wir uns in unserer Erörterung- mehr an seine Dar- stellung anschließen und die Besprechung des Bedenkens Bütschli's an geeigneter Stelle einfügen. Die Bekämpfung unseres Programms durch Hertwig erinnert in Manchem — si parva licet componere magnis — an die Bekämpfung, welche die Darwin'scIic Descendenzlehre erfuhr, ferner an die Be- kämpfung von Haeckel's Gastraeatheorie, sowie der ersten direkt ursächlich forschenden Bestrebungen His'. Wir lesen jetzt mit Staunen, welchen Angriffen diese Lehren damals, als sie noch neu waren, begeg- neten, und was für absonderliche und missverständliche Einwendungen gegen sie erhoben worden sind. Wir zweifeln nicht, dass die nächste Generation mit derselben Verwunderung die jetzt gegen uns erhobenen Einwendungen lesen wird. Immerhin muss die bessere Einsicht erst allmählich erworben und erkämpft werden. Diesem Zwecke dienen die nachstehenden Ausführungen. I. Das Ziel und die besonderen Aufgaben der Entwickelungsmechanik. Ia. Frühere Darlegungen des Programms. Im Laufe der Jahre sind die Ziele der Entwickelungsmechanik und die nächsten aus ihnen sich ergebenden neuen Aufgaben bei verschiedenen Gelegenheiten von mir erörtert worden; dabei wurde die Formulirung derselben zugleich etwas verbessert. Wir beabsichtigen zunächst, das Wesentliche der früheren Dar- stellungen, so weit sie eine fortschreitende Reihe bilden, zu repro- duciren. Da es das Verständnis schwieriger Gegenstände erleichtert, dieselben in verschiedenen Fassungen behandelt zu sehen, so werden die bei dieser Reproduktion unvermeidlichen, kleinen Wiederholungen in veränderter Form bei dieser für weitere Kreise bestimmten Schrift wohl keinen Anstoß erregen. Unser Gegner hat nach Belieben einzelne Stellen aus den ver- schiedenen Darstellungen zur Verwendung ausgewählt, dabei aber viele wesentliche Theile, ich kann sagen, die wesentlichsten T heile unseres Programms unberücksichtigt gelassen1). l) Wir werden daher, um den Lesern des hier folgenden Wiederabdruckes unserer programmatischen Darstellungen das Verständnis der späteren Dis- kussion zu erleichtern, die wenigen, das Wesen der Sache bezeichnenden Theile, die von Herticig sei es durch wörtliche Citate oder doch inhaltlich benutzt 1* Die erste Fassung und Motivirung wurde im Jahre 1885 in der Einleitung zu meinen »Beiträgen« zur Entwickelungsmechanik des Embryo (Litt. 1, Bd. IL pag. 2 — 4) gegeben. Sie lautet: »Die beschreibende Embryologie ist durch unermüdlichen Fleiß und Scharfsinn vieler Forscher seit dem Ende des vorigen Jahr- hunderts so weit gefördert worden, dass wir fast von jedem Organe der Wirbelthiere und vieler Wirbellosen bis zu einem gewissen Grade der Genauigkeit diejenigen ,Formveränderungen' kennen, unter denen sich dasselbe successive aus dem befruchteten Ei hervorbildet. »Nachdem somit schon ein annähernder Überblick über die formalen Veränderungen, welche während der Entwickelung vor sich gehen, gewonnen ist, ist es wohl berechtigt, noch einen Schritt weiter, nach der Kenntnis der , Vorgänge ' zu streben, durchweiche diese Formwandlungen hervorgebracht werden. »Dieses weitere Ziel lässt sich in zweifacher Weise auf- fassen: einmal wiederum formal, sofern bloß die , formalen ' Vor- gänge erkannt und beschreibend dargestellt werden sollen. Als das letzte Ziel dieses Strebens würde die vollkomme?ie Kenntnis des Weges zu bezeichnen sein, welchen jedes gesonderte Bahnen einschla- gende Theilchen des befruchteten Eies bis zu seiner, des Theilchens, letzten Vemvendung zum Aufbaue des Organismus durchläuft, ver- bunden mit der Kenntnis des Weges aller von außen aufgenommenen und bis zur Vollendung der Entwickelung des Individuums zum Auf- baue irgendioie verwendeten Theile [sowie die Kenntnis der Anordnung aller dieser Theilchen zu einander in jedem Moment der Entwicke- lung] 1). Erst mit der Wiederausscheidung der Theilchen aus dem Or- ganismus würden wir dieselben vor Erreichung des Kulminations- punktes der Entwickelung aus unserer Beobachtung entlassen. Dem Anfange derartiger Betrachtung hätte die Kenntnis der Lagerungs- beziehung aller Theile des seine Entwickelung beginnenden Eies zu einander vorauszugehen. worden sind, durch kursiven Druck, die zur Ergänzung nüthigen, von uns in der Diskussion herangezogenen Sätze dagegen durch gesperrten res]). fetten Druck kenntlich machen. Hertwig's Citate beziehen sich statt auf das Wesen der Sache überwiegend auf unsere Aussprüche über die Neuheit, Wichtigkeit und Schwierigkeit der Entwickelungsmechanik. Aus der nach- stehenden Darstellung ergiebt sich, dass wir auch diese Äußerungen alle voll vertreten, ohne jedoch ihre wörtliche Wiederholung an dieser Stelle für nöthig zu erachten. *) Die in eckige Klammern [] gesetzten Theile bezeichnen gelegentlich der Herausgabe meiner »Gesammelten Abhandlungen« gemachte Zusätze. »Dies wäre die deskriptive Definition der vor uns liegen- den weiteren Aufgabe der Embryologie; kurz gefasst also: die vollkommene Beschreibung aller, auch der kleinsten Ent- wickelung svorg'dnge als ,SubstanzbewegungenL der Theile des Eies und der von ihm aufgenommenen Theile bis zur vollen Entioicke- lung des Individuums, gestützt auf die vollkommene Kenntnis der Anordnung und äußeren Beschaffenheit jedes kleinsten Theilchens des befruchteten Eies: eine , Kinematik der Ent Wickelung ', wenn wir, wie wohl zu empfehlen ist. uns an Ampere's Eintheilung der Be- wegungslehre anschließen. »Wenn wir diese Kenntnisse hätten, so würden wir im Stande sein, die ganze embryonale Entwickelung rein deskriptiv darzustellen uud sie somit als eine deskriptive Wissenschaft zu behandeln [im Sinne Kirchhoff's, welcher die Mechanik als eine beschreibende Wissenschaft bezeichnet und behandelt]. »Wir werden aber dieses Ziel nicht nur nie erreichen, sondern auch nicht einmal uns ihm bloß durch , Beobach- tung' des , normalen' Geschehens erheblich viel weiter zu nähern vermögen, als es bereits geschehen ist. Dies aus dem Grunde, weil sowohl diejenigen Bewegungen der Theilchen, welche gruppenweise die einzelnen, äußerlich sichtbaren Formwandlungen hervorbringen, wie auch die Bewegungen, welche die sogenannten qualitativen Veränderungen hervorbringen, ihrer Hauptsache nach der direkten Beobachtung entzogen sind. »Gleichwohl ist nicht von vorn herein zu sagen, dass wir dauernd auf die Kenntnisnahme von ihnen verzichten müss- ten, denn es giebt noch einen anderen Weg, sie kennen zu lernen, den des induktiven und deduktiven Schließens auf Grund der Causalität. »Es leuchtet ein, dass die Entwickelungsbewegungen der Theil- chen des seine Entwickelung beginnenden Eies nach dem ersten Momente der Entwickelung, wenn überhaupt, so nur einen kleinsten Zeitraum und eine minimalste Strecke hindurch selbständige, d. h. rein dem eigenen Beharrungsvermögen folgende sein werden, dass im nächsten Momente schon gegenseitige Beeinflussungen statt- finden müssen, welche in den dadurch hervorgerufenen Verände- rungen eben die Entwickelung darstellen. »Es leuchtet weiterhin ein, dass, wenn wir die gegenseitige Lagerungsbeziehung aller Theile des Eies im Momente des Entwicke- lungsbeginnes, nebst den Beschleunigungen, die jedem derselben 6 dabei ertkeilt worden sind, und die den Theilchen immanenten Kräfte selbst kennten, wenn somit alle , inneren Ursachen' der Entwickelung eines einzigen Momentes der Entwickelung und weiterhin noch alle von außen hinzukommenden Kom- ponenten während des ganzen Verlaufes der Entwickelung uns bekannt wären, wir daraus die künftigen Entwickelungs- bewegungen aller Theilchen abzuleiten und so die Lücke der direkten Beobachtungen auszufüllen vermöchten. Eine der- artige , ursächliche' Entwicklungslehre würde den Namen , Kinetik' der Entwickelung verdienen. »Wir werden keine von beiden so unterschiedenen Wissenschaften vollendet sehen; aber wir werden immer beide mit einander zu pflegen haben, um auf beiden Wegen uns unserem Ziele zu nähern; der somit nöthigen Vereinigung beider Wissenschaften können wir den Namen ,Entwickelungsmechanik' des Embryo beilegen. Es liegt in der Natur der Verhältnisse, dass von den beiden Theilen, welche dieser Terminus danach umfasst, die Kinematik, die bloß deskriptive Bewegungslehre, von der Kinetik, der , ursächlichen' Bewegungslehre [oder der Lehre von den , Wirkungen der Theile auf einander'] mehr und mehr in die Rolle einer bloßen Hilfswissenschaft gedrängt werden muss. »Es bedarf wohl keiner besonderen Begründung, dass trotz des Lichtes, welches durch die Descendenzlehre auf die jeweiligen geform- ten Resultate der Entwickelungsvorgänge in jeder Phase der- selben gefallen ist, diese Vorgänge selber einer speciellen causalen Untersuchung bedürfen. Niemand wird den Nutzen der eventuellen Früchte darauf gerichteter Untersuchungen in Zweifel ziehen. (Eine leider zu optimistische Auffassung!) Gehen diese doch darauf aus, uns diejenigen Kräfte und Wirkungsweisen kennen zu lehren, denen wir die Entstehung und Erhaltung unserer eigenen Existenz verdanken, und mit deren Erkenntnis auch unser ärzt- liches Handeln ein in viel höherem Maße wissenschaftliches und daher ersprießliches werden wird.« (1, Bd. IL pag. 12.) Der an die Einleitung angeschlossene erste Beitrag zur Entwicke- lungsmechanik des Embryo enthält nun Versuche und Erörterungen zur ersten Orientirung sowohl über die Natur der in der Ontogenese vorliegenden Probleme wie über die Art und Weise, wie diese der Untersuchung zugänglich zu machen sind. Da die bisherige deskriptive Forschung sich mit der Ableitung der Formen aus Biegungen, Faltungen etc. der Keimblätter begnügt hatte, so wurde in einem besonderen Abschnitte dieses Beitrages (pag. 235—240) im Speciellen dargethan, dass ein und dieselbe Formänderung, z.B. eine bestimmte Biegung einer Platte, durch überaus verschiedene Umlagerungen ihrer Theile und durch entsprechend verschiedene ursächliche Wirkungsweisen her- vorgebracht werden kann. Diese Sachlage ist der Grund der Un- möglichkeit, die ursächlichen Vorgänge einer organischen Formänderung aus der bloßen, wenn auch überaus genauen Beobachtung dieser »Formänderung« zu erschließen, da das gestaltende Wirken im Organischen nicht wie bei Biegungen, die wir vornehmen, ein äußeres, sondern ein inneres und in Folge dessen unsichtbares ist. Da diese Sachlage zugleich bedingt, dass die descriptive For- schung überhaupt keine »sicheren« Urtheile über die Ur- sachen der von ihr ermittelten Formänderungen gewähren kann, so wurde dies an dem Beispiele der Biegung einer möglichst einfach gestalteten Platte detaillirt dargethan. Aus dem gleichen Grunde wollen wir diese Darlegung hier im Wesentlichen wieder- holen; hierdurch wird das Besondere der entwickelungsmecha- ni sehen Bestrebungen vielleicht am schärfsten erläutert. Biegung z. B. einer möglichst einfach gestalteten, also allent- halben parallel begrenzten Platte kann erstens rein passiv, somit allein durch Wirkung äußerer Kräfte, geschehen; und zwar können durch verschiedenartige Einwirkungen auch sehr verschiedene Biegungen hervorgebracht werden. Doch können andererseits auch durch an sich verschiedene Kombinationen von Druck- und Zugkräften oder sogar durch Kombinationen bloß von Druckkräften oder bloß von Zugkräften für die äußere Besichtigung die gleichen Biegungen erzeugt werden. So kann eine Platte durch Einspannen des einen Endes in einen Schraubstock und Abbiegen des anderen Endes, — oder durch Einspannen beider Enden in den Schraubstock und Zu- schrauben des Schraubstockes, also allein durch Druck einwirkung, — oder, wie ein Bogen zum Schießen durch seine angespannte Sehne allein durch ausgeübten Zug, — ferner unter querem Auflegen auf den offenen Schraubstock durch Aufschlagen mit dem Hammer gegen den nicht ge- stützten mittleren Theil, — oder umgekehrt unter Auflegen auf den Amboß und Schlagen auf den gestützten Theil in annähernd gleicher Weise gebogen werden. An einer Platte aus ziemlich hartem Materiale werden wir an den feinen Form- und Oberflächenverhältnissen, an den Merkmalen zweiter Ordnung, leicht erkennen können, auf welche der genannten W eisen, also durchweiche »speciellen Wirkungs- weisen« der Druck- und Zugkräfte oder (wie in den beiden letzteren Fällen) bloß der Druckkräfte diese Biegung vorgenommen worden ist, natürlich vorausgesetzt, dass keine nachträgliche Abfeilung statt- gefunden hat. Dagegen würden bei dem uns angehenden weichem Materiale die feinen Form Verschiedenheiten, welche jeder umgestaltend wirkenden biegenden Kombination von Druck- und Zugkräften oder bloß von Druckkräften eigen sind, für uns nicht genügend wahr- nehmbar sein. Wir könnten also aus der Form der Biegung nichts Sicheres über die Angriffspunkte und die Richtung und die Beschaffen- heit der biegenden Kräfte, also auch nichts über die biegende Wir- kungsweise folgern. Diese Biegung rein durch äußere Kräfte ist also passive Ver- änderung der Platte, somit passive Differenzirung der Platte, um einen entwickelungsmechanischen Ausdruck dafür zu gebrauchen; die passive Differenzirung stellt den höchsten Grad der »abhängigen Differenzirung« eines Gebildes dar. Wird der Hammer mit der Hand bewegt, so stammen seine de- formirenden Kräfte, die erst durch die Verhältnisse, unter denen sie zur Anwendung gelangen, zu Druckkräften oder Zugkräften werden sie könnten, wenn man auf einen nicht direkt unterstützten Theil schlägt, auch zu direkten Biegungskräften werden), von den Muskeln her, also aus chemischen Atomkräften; wird der Hammer (z. B. ein Dampfhammer) bloß auf den bearbeiteten Theil fallen gelassen, dann liefert die Schwerkraft die Druckkraft etc., während die als jedesmalige Vorbedingung ihrer Wirkung nöthige Energie der Lage (Hebung des Hammers) durch die Dampf kraft, zunächst also durch Wärmeenergie, hervorgebracht wird. Sollten wir uns nun begnügen, bloß festzustellen, unter welchen »Form Wandlungen« des anfänglichen Eisenstückes und unter welchen Umlagerungen seiner Theile ein Kessel hervorgebracht wird, nicht auch durch welche dieser genannten möglichen »Wirkungsweisen« und unter Anwendung welcher Arten von Energie und woher diese stammen? Ist dies nicht die bei Weitem interessantere, und, wenn es sich, wie stets in unseren Fällen, wesentlich um Selbstgestaltung des gebildeten Theiles handelt, auch die wichtigere Aufgabe1)? l) Anm. : Wir verwenden natürlich bei unseren Ableitungen die zur Zeit verbreitetsten, ausgebildetsten Auffassungen der Physik und Chemie und operiren daher hier mit Atomen und Molekülen und den ihnen zugeschriebenen Kräften. Wenn die sog. »Energetik« mehr ausgebildet sein wird, kann das Gesagte leicht in die Ausdrucksweise dieser Auffassung übersetzt werden. 9 Der Physiker, der etwa in diese Schrift oder in eine meiner früheren Abhandlungen blickt, findet den physikalischen Theil der- selben einfach selbstverständlich ; er wundert sich, dass Jemand solche Sachen heut zu Tage erst noch aus einander zu setzen für nöthig hält; er findet wohl auch, dass die Darstellung an sich nicht auf der Höhe seiner Auffassung und Ausdrucksweisen, sondern zu parterre steht, zu sehr mit populären, also älteren Anschauungen und Ausdrücken arbeitet. — Manche, vielleicht viele biologische Leser dagegen finden, wie mir durch persönliche Mittheilungen bekannt ist, und wie ich aus dem unvollkommenen Verständnis derselben erschließe, dass die- selben Darstellungen schwer verständlich, zu allgemein gehalten sind, dass sie zu viel mit den Lesern nicht geläufigen physikalisch- technischen Ausdrücken arbeiten und zu viel Konkretes als bekannt voraussetzen. Ich habe es mir daher in den neuen Theilen dieser Schrift an- gelegen sein lassen, mich allen biologischen Lesern möglichst ver- ständlich zu machen. Bei einer Platte aus lebendem Material kann außer durch äußere Einwirkung die Biegung zweitens auch durch Kräfte be- wirkt werden, welche, von einem auslösenden Momente abgesehen, durchaus in der Platte selber gelegen sind; dann nennen wir die Biegung der Platte: »Selbstbiegung«, die Veränderung »Selbst- differenzirung der Platte«, weil die Ursachen der specifischen Art der Formenänderung in der Platte selber gelegen sind. Auch diese Art der Biegung kann wieder unter überaus ver- schiedenen Umlagerungen der Theilchen und durch entsprechend verschiedene Wirkungsweisen, also durch verschiedene Ursachen stattfinden. Halten wir uns hier nur an unser aus Zellen gebildetes Material, so kann die Biegung stattfinden durch aktive Vergröße- rung der Platte bloß auf einer Flächenseite; diese Vergrößerung kann durch bloßes Wachsthum der Zellen, oder durch Vermehrung der Zellen verbunden mit Wachsthum, oder durch Hin Wanderung von Zellen gegen und zwischen die anderen Zellen, ferner durch bloße aktive Ausbreitung der Zellen in den Pachtungen der Fläche erfolgen. Jeder dieser formalen Vorgänge beruht auf qualitativ resp. quantitativ anderen Wirkungen, also auf anderen »Wirkungs- weisen«, resp. anderen Größen dieser Wirkungsweisen: also auch auf anderen, diesen Wirkungsweisen zu supponirenden Kräften resp. Kraftgrößen. Die Zell Wanderung kann selber wieder auf verschie- denen Wirkungsweisen beruhen, z. B. nach His auf einfachem 10 Chemotropisinus durch Wanderimg gegen die Oberfläche, von welcher der Sauerstoff eindringt (dann ist diese Biegung also keine »reine Selbstdifferenzirung« der Platte, da eine wesentliche, die Art der Gestaltung bedingende Ursache von außen her kommt), oder auf An- lockung von Zellen durch andere Zellen (Cytotropismus, 4) sowie auf anders vermittelten Arten von Cytotaxis (5). Es können ferner alle die genannten formalen Vorgänge, also auch deren ursächliche Wirkungsweisen sich in verschiedenster Art kombiniren. Aus der Gestaltänderung, aus der Biegung der lebenden Platte können wir also gar nichts Bestimmtes über die ur- sächlichen Wirkungsweisen und die ihnen zu supponirenden Kräfte schließen, welche diese Biegung hervorbringen. Die Reihe der Möglichkeiten ist aber von uns noch gar nicht erschöpft. Diese Biegung kann auch statt durch aktive Vergrößerung einer Plattenseite, wobei passive Umformung der anderen (der kon- kaven) Seite stattfindet, durch aktive Verkleinerung der anderen Fläche unter passiver Deformirung der ersten Seite sich vollziehen; und diese Verkleinerung kann wieder durch sehr verschiedene Wir- kungsweisen hervorgebracht werden, z. B. durch Streckung der Zellen der konkav werdenden Fläche rechtwinkelig zur Fläche, also unter Verkleinerung der anderen Zelldimensionen, ferner durch Schwund sei es ganzer Zellen oder bloß von Theilen vieler Zellen, durch Aus- scheidung von Zellsubstanzen, durch Zellenwegwanderung : alles for- male Vorgänge, von denen jeder wieder seine besonderen ursächlichen Wirkungsweisen haben muss. Es können aber auch sowohl auf der konvex- wie auf der konkavwerdenden Seite gleichzeitig aktive Veränderungen stattfinden, — sowohl solche, welche sich bei der Biegung unterstützen, als auch solche, die sich theilweise in ihren biegenden Wirkungen aufheben, so dass im letzteren Falle trotz starker innerer Umordnungen eine nur geringe äußere Form Wandlung resultirt. Ferner kann die Biegung der Platte durch Kombination innerer und äußerer Wirkungen verschiedener Art sich vollziehen, z. B. indem die Platte der Fläche nach sich auf eine der genannten Weisen vergrößert, aber durch umgebende Theile an der Aus- dehnung in Richtung der Fläche gehindert wird. Das war die von His vielfach zur Ableitung embryonaler Formenbildung verwendete Annahme, die aber, wie wir sahen, bloß einen Specialfall unter sehr vielen möglichen Kombinationen von biegenden A\rirkungsweisen dar- stellt. Es konnte durch das Experiment gezeigt werden, dass nach 11 Ausschneiden der Medullarplatte des Hühnerkeims eine raschere Zu- sammenbiegung derselben eintritt als normal ; so dass also die Biegung der Platte nicht passiv durch Verhinderung ihrer Ausdehnung (somit nicht durch Stauung) gebogen wird, sondern dass sie im Gegentheil aktiv durch in ihr selber liegende Ursachen sich biegt (s. 1, Bd. IL pag. 246). Die Entwickelungsmechanik kann sich daher nicht mit der Fest- stellung zufrieden geben, dass eine neue Form unter einer be- schriebenen »Biegung« einer Platte stattfindet; sondern sie möchte genau ermitteln, auf welche Weise im Einzelfalle diese Biegung hervorgebracht wird. Das heißt hier einmal: auf welche genauere formale Weise, also durch welche formalen Änderungen, wie Um- lagerung, Vermehrung oder Schwund ihrer Theile dies geschieht; außerdem aber besonders: welche von den vielen vorstehend ge- nannten oder sonst »möglichen« »Wirkungsweisen« im Einzelfalle resp. bei den meisten Gestaltungen die thatsächlich wirkenden sind etc. Die stattfindenden Wirkungsweisen sind die Ur- sachen der beobachteten Biegung; somit sind sie im Unterschied von den für uns denkmöglichen Wirkungsweisen die wirklichen, also die »ursächlichen« Wirkungsweisen der einzelnen Biegung; diese sollen ermittelt werden. Die Biegung kann sich also vollziehen durch Zellvergrößerung, Zellvermehrung, aktive Zellstreckung, Zellwanderung etc. Das wären die noch »an sich sichtbaren«, wenn auch oft im konkreten Falle nicht zu sehenden formalen Vorgänge, welche die Biegung hervorbringen. Diese selber sind indess nur die Resultate an sich unsichtbarer Wirkungen, Wirkungsweisen; wir möchten aber auch diese kennen lernen nach ihrer Art, ihrem Sitz, ihrer Richtung, Größe und Zeit. Also: auf welchen Wirkungen beruht dies Wachs- thuin, von woher wird es angeregt, wie seine Größe und Richtung bestimmt? Auf welchen Wirkungen beruht die Zellvermehrung, die Zellenwanderung? Ist letztere einfacher Chemotropismus oder Cyto- tropismus oder eine andere der von mir unterschiedenen Arten der Cytotaxis? Und worauf beruhen diese wieder, wodurch werden sie bewirkt? etc. Wenn solche gestaltenden Wirkungsweisen als beständige er- kannt sind, und wir sie für einfache Wirkungsweisen halten oder wenn wir sie wenigstens trotz unserer Einsicht, dass sie sehr kom- plicirt zusammengesetzt sind, doch, weil wir sie vorläufig nicht zer- legen können, als Einheiten des Geschehens verwenden müssen, so 12 wird ihnen der Bequemlichkeit der Vorstellung und des Ausdrucks halber wohl auch je eine besondere Kraft supponirt; das sind dann also »gestaltende Kräfte«, resp. im vorliegenden Falle meist ge- staltend wirkende »Kombinationen von Kräften«, z. B. von Druck- und Zugkräften, von Wachsthumskräften: Ausdrücke, die ähnlich verwendet werden, wie der Physiker von Centripetalkraft, Centrifugalkraft, Normalkraft, Tangentialkraft redet. Man spricht so von Biegungskräften, Torsionskräften; das sind Zug- oder Druckkräfte, welche derartig z.B. an einen Balken angreifen, dass sie Biegung oder Torsion bewirken. Niemand denkt sich dabei, dass dies »besondere Arten von Kräften« wären; denn ein Pfundgewicht kann je nach der Art seiner Anbringung an einem Balken als reine Zug- oder Druckkraft resp. als Biegungs- oder Torsionskraft wirken. Der direkten Wahrnehmung sind somit bei den organischen Gestaltungen immer nur die groben gestaltenden Folgen der Wirkungsweisen zugänglich. Es wurde an der erwähnten Stelle (1, Bd. IL pag. 240) zugleich ausgeführt, dass .uns etwas weiter als bloß die genaue Verfolgung der äußeren Formänderung die genaue Verfolgung der mit ihr verbundenen Strukturänderung führt, wie das schon aus der vor- stehenden Darstellung von selber hervorgeht, so z. B. durch die genaue Verfolgung der eventuell bei der Formänderung stattfindenden Umänderung der Gestalt der Zellen an der Konvexität und Kon- kavität. Doch nur in wenigen Fällen ist die mit einer äußeren Form- änderung eines Theiles gleichzeitig stattfindende Änderung der Gestalt vieler Zellen eine derartig gleichmäßige, dass man die äußere Form- änderung des Theils aus der gemeinsamen Gestaltänderung der ihn zusammensetzenden Zellen ableiten kann. Wenn dies möglich ist, so ist dann die Frage: Ist diese Gestaltänderung der Zellen eine aktive oder passive etc. ? Da aber auch viele »Selbstbiegungen« möglich sind, die nicht durch »einheitliche Gestaltänderungen« der den Theil zusammensetzenden Zellen bedingt sind, vielmehr durch Wanderung und Vermehrung von Zellen, welche sich wieder mit Gestaltänderungen von Zellen kombi- niren können und häufig kombiniren, so ist auch mit diesem letzten Glied der direkten Beobachtung: der Ermittelung einzelner Stufen von Struktur ander un gen — auch selbst bei gleichzeitiger genauer Berücksichtigung der Stellen stärkster Kernvermehrung und der daraus 13 erschlosseneu Zellenverniekrung — eine sichere Einsicht in das wirkliche gestaltende Geschehen allein durch die Hilfsmittel der direkten Beobachtung* des normalen Geschehens selber nicht zu gewinnen. Was nuu von dem hier erörterten Beispiel einer Biegung gilt, das gilt auch von jeder anderen sichtbaren Formänderung eines aus Zellen zusammengesetzten Theils : immer kann diese Form- änderung durch sehr verschiedene Umlagerungen und Umgestaltungen und sonstige Änderungen, z. B. durch Vermehrung, Wachsthum, Ge- staltänderung der Zellen bedingt sein, was aber die Beobachtung des normalen Geschehens meist nicht einmal zu ermitteln gestattet. Wenn aber auch das an den Zellen stattfindende Geschehen in einzelnen Fällen direkt sichtbar zu machen ist, so gilt dies doch nicht für die Wirkungsweisen, welche dies sichtbare normale Geschehen bewirken. Da wir aber auch diese kennen lernen wollen, so bedürfen wir dazu anderer Methoden als derjenigen der direkten Beobachtung des normalen Geschehens oder der Integration des- selben aus Schnittserien unmittelbar auf einander folgender Ent- wickelungsstadien ; dazu bedürfen wir des Experimentes am lebenden Organismus, worüber im zweiten Abschnitt ausführlich gehandelt wird. Wie weit wir damit kommen, ob wir Alles erreichen können, was wir wünschen, ist eine andere Frage. Bei der Aufstellung des Programms aber müssen wir dies Ziel als erstrebenswerth, ja als erstrebensnöthig bezeichnen. Auf alle Fälle aber ist das Experiment das Mittel, welches uns noch eine gute Strecke weiter führt als die bloße, wenn auch aufs äußerste verschärfte und verfeinerte Be- obachtung des normalen Geschehens. Diese grundlegenden Vorstellungen der ent wickelungsmecha- nischen Forschung sind dann später wiederholt aber in kürzerer Form von mir reproducirt worden. (Auf unseren Opponenten haben sie aber offenbar keinen Eindruck gemacht; denn er ist der Meinung, dass mit der vollständigen Ermittelung und Beschreibung des wenigen wirklich Sichtbaren oder sichtbar zu Machenden vom normalen Ge- staltungsgeschehen und mit den daraus ableitbaren, im Speciellen durchaus unbestimmten ursächlichen Folgerungen die Aufgabe der Wissenschaft vom organischen Gestalten voll gelöst wäre, s. u.) In der Festrede zur Einweihung des neuen k. k. anatomischen Institutes zu Innsbruck im Jahre 1889 über: »Die Entwickelungs- mechanik der Organismen, eine anatomische Wissenschaft der Zukunft«, wird zunächst die Entwickelungsmechanik mit einem 14 Gebäude verglichen und von ihm gesagt (1, Bd. IL pag. 25): *Es fehlt zu ihm noch der Bauplan, und was tvir von ihr zur Zeit haben, ist nicht viel mehr als eine Anzahl regellos gelagerter, zum Theil Ge- hauener, zum Theil unbehauener Steine.« »Aber der Größte unter uns in Vergangenheit, Gegen- wart und weiter Zukunft, Carl Ernst von Baer, hat ihr bereits das Ziel vorbestimint, und dadurch zugleich Direk- tiven über die Fundirung und Anlage des Baues gegeben.« Dieses von v. Baer formulirte Ziel ist: »Die bildenden Kräfte des thierischen Körpers auf die allgemeinen Kräfte oder Lebensrichtungen des Weltganzen zurückzuführen« (6). Es wurde von mir zugleich als fraglich bezeichnet, ob die dieser For- mulirung zu Grunde liegende Auffassung überhaupt vollkommen richtig sei (1, Bd. IL pag. 29). Nach einer Besprechung der vier bisher gepflegten Richtungen der Anatomie: der das Fertige »beschreibenden«, der dasselbe auf seine Funktion deutenden, der beschreibend entwickelungsgeschicht- lichen und der vergleichenden folgen (pag. 27) die Worte: »Wenn wir uns nun in Gedanken in eine zukünftige Ze.it ver- setzen, in der diese vier zur Zeit zünftigen Richtungen der Anatomie am Ziele der Vollendung angelangt sein werden, also in eine Zeit, in der alle typischen Theile und Strukturverhältnisse des Menschen bis zum kleinsten, mit den vervollkommnetsten optischen Hilfsmitteln wahrnehmbaren Gebilde und ihre normalen Variationen fehlerlos be- schrieben wären, in der wir z. B. alle typisch gelagerten Ganglien- zellen und Nervenbahnen des Gehirns und Rückenmarks genau kennten, in der wir ferner den speciellen Nutzen jedes dieser zahllosen Form- gebilde erkannt und auch die Entstehungsweise dieser fast unend- lichen Mannigfaltigkeit von Einzelbildungen erforscht hätten, und in der auch die vergleichende Methode ihr Material vollkommen er- schöpft hat: würde sich dann unser Wissenstrieb bezüglich der organischen Formenbildungen befriedigt fühlen? Wäre die aus diesen vier Richtungen gebildete Morphologie der Organismen dann etwas Vollendetes? »Es könnte so scheinen! Und wohl werden viele gegenwärtige Forscher diese Ansicht vertreten. »Doch ich muss sagen: ,Nein'. Denn noch fehlt uns ein großer Theil, um nicht zu sagen der beste Theil des zur vollen Erkenntnis nöthigen Wissens, es fehlt die Kenntnis der , direkten' Ursachen des Entstehens dieser Gebilde. 15 »Das jedem Menschen, wenn schon dem Einzelnen in sehr verschiedenem Maße angeborene Causalitätsbedürfnis wird auch durch die vergleichende Anatomie nur zum Theil befriedigt. »So weit auch die theoretischen Grundlagen dieser Wissenschaft richtig sind, so werden wir durch sie besten Falles doch bloß er- fahren, welcher Vorgeschichte das Ei und der Samenkörper ihre gestaltenden Eigenschaften verdanken; aber diese selbst bleiben uns in ihrer Beschaffenheit und in ihren , Wirkungsweisen' vollkommen unbekannt. »Wir wissen sodann noch nicht, icelche Kräfte im befruchteten Ei vorhanden sind, und in welcher Anordnung sie sich befinden, dass sie es vermögen, die Entwickelung des Individuums einzuleiten; wir wissen nicht, welche , Kr aftk o mbin atio?i enc im weiteren Ver- laufe die Entwickelung bewirken; kurz, wir wissen nicht, warum aus dem einfach geformten Ei ein hoch komplicirter, typisch gebauter Organismus hervorgeht, und warum der auf diese Weise ausgebildete Organismus trotz stetigen Wechsels des Stoffes lange Zeit sich relativ unverändert zu erhalten vermag. »Erst wenn wir auch diese Fragen richtig beantwortet hätten, wenn wir zu den Thatsachen der vier erstgenannten Richtungen also noch die Kenntnis hinzugefügt hätten, welchen Kräften und wel- chen , Wirkungsweisen* dieser Kräfte jedes Stadium der Ent- wickelung des Individuums und schließlich jedes einzelne Organ in Gestalt, Struktur, Qualität, Lage und Verbindung seine Entstehung und weiterhin seine Erhaltung verdankt, dann würden wir am Ziele unserer bezüglichen Erkenntnis sein und sagen können: Die , Morphologie' in unserem Sinne ist fertig, die vollkommene Kenntnis und Erkenntnis der normalen Formenbildung der Organis- men ist erreicht. »Aber Jeder ) der die causalen Wissenschaften kennt, weiß, dass sie nie das Stadium der Vollendung erreichen, da jede neue Kenntnis von Ursachen neue Fragen nach den Ursachen dieser Ursachen gebiert. Und auch wenn wir von den letzten Ursachen ganz absehen, so ist es doch fraglich, ob wir das von Carl Ernst von Baer gesteckte Ziel: ,Die bildenden Kräfte des thierischen Körpers auf die allgemeinen Kräfte oder Lebensrichtungen des Weltganzen zurückzuführen' (6), je erreichen werden, voraus- gesetzt, dass die zu Grunde liegende Auffassung überhaupt vollkom- men richtig ist. 16 »Doch nicht der Besitz der vollen Erkenntnis, sondern das erfolg- reiche stetige Streben nach Erkenntnis ist es, was uns Befriedigung gewährt. « An späterer Stelle (1, Bd. IL pag. 36) folgt dann: »Wir Mediciner, die wir den höchsten Organismus am genauesten kennen, werden in der Erforschung der Ursachen des Aufbaues desselben und ähnlich gebauter Organismen aus vielen Zellen und der Erhaltungsursachen dieses Aufbaues ein Feld reicher und lohnender Forschung finden ; und es wird auch bei dieser Thätig- keit dem denkenden Beobachter Manches von den wesentlichen allgemeinen Eigenschaften der Zellen sich erschließen, und wahrscheinlich gerade solches, welches dem Protistenforscher weniger nahe liegt oder für ihn weniger leicht festzustellen ist. »Vielleicht ist die von C. E. v. Baer stammende Analyse der organischen Gestaltungs Vorgänge in gestaltliche und qualitative (ge- webliche) Differenzirung zugleich eine causale. »Sicher aber ist dies nicht der Fall bezüglich der gegen- wartigen Ableitung der Formenbildung en von Faltu?igs-, Ausstülpung s-, V er Schmelzung s- , Abschnürung sv or g äng en u. dgl. ; sowie mit der Zurückführung dieser Vorgänge auf Vergrößerung, Verkleinerung, Umgestaltung, Theilung und Umordnung der Zellen. »Diese Unterscheidungen sind bloß ,g est ältliche1' ; wir wissen, dass Jeder' dieser Vorgänge durch zum Theil , verschiedene' Ursachen und verschiedene' derselben durch ,zum Theil gleiche' Ursachen bedingt sein können. »Eine Analyse der organischen Gestaltung svor 'gange nach den ^Ursachen1- und deren ,specifischen Kombinationen' steht noch aus. Wenn diese auch ein Ziel unseres Strebens sein muss, so wird es trotzdem vorläufig auch für die Entwickelungsmechanik sehr nützlich sein, weiterhin die Entwickelungsvorgänge auf Grund des eben erwähnten formal-analytischen Schemas zu zerlegen, weil bei diesem Bestreben die formalen Vorgänge des Genaueren erforscht werden, und weil diese Zerlegung immerhin die Zurückführung einer Vielheit auf eine Minderheit darstellt.« Weiterhin auf pag. 38 u. f. : »Wenn wir nun auch gegenwärtig zumeist die ,specifi sehen Beschaffenheiten' der Ursachen selbst nicht werden er- mitteln können, so werden wir auf Grund unserer Fragestellung durch die Bekanntschaft mit der , Örtlichkeit' der Ursachen vielfach 17 gestaltende Einwirkungen, zum Tkeil weit entfernter T heile auf einander erkennen. »Wir werden damit Faktoren ermitteln, welche normaler Weise die gestaltende Thätigkeit der Zellen und Gewebe , auslösen' oder nach Quantität, Richtung und Qualität alte- riren. Und auch so weit die Veränderungen rein aus in den ver- änderten Theilen selber gelegenen Kräften sich vollziehen, also ,Selbstdifferenzirunge]r darstellen, werden wir die , auslösenden' inneren Momente für jede weitere Veränderung zu ermitteln uns bestreben müssen. »Wir müssen mit der Zeit auf Grund analytischer Betrachtung der ermittelten gestaltenden Reaktionen und Wechselwirkungen möglichst allgemein zur Wirkung gelangende, gestaltende Wirkungsgesetze (nicht bloß Thatsachen- und Formengesetze) ableiten oder, besser gesagt, die zahlreichen Einzelgestaltungen auf eine mit der Zeit immer kleinere Minderheit gestaltender, .konstanter Wirkungsweisen' zurückführ eu. »Danach wird es des Weiteren versucht werden können, die aufgefundenen beständigen gestaltenden Wirkungsweisen des lebenden Substrates selbst wieder von noch allgemeineren Wirkungsweisen abzuleiten, und diese selber schließlich gleich den mechanischen Massenwirkungen auf im Bereiche des Anorga- nischen erkannte Wirkungsarten, resp. auf die ihnen supponirten Kraftformen z u r ü c k z u f ü h r e n. »Ich bin der Meinung (pag. 43 , diese Thatsachen (seil, der Regeneration, Postgeneration und anderer gestaltlicher Selbstregu- lationen) weisen uns auf eine größere Einheitlichkeit unter den Theilen des Organismus hin, als wir trotz der Annahme, dass jede bezügliche Zelle noch einen Theil des »Keimplasma« enthalte, gegenwärtig zu verstehen im Stande sind. »Die Entwickelungsmechanik erhält daher in dem Suchen nach der ursächlichen Vermittelung der die typische Einheit des (ranzen trotz mannigfachen Wechsels der Verhältnisse her- stellenden, erhaltenden und wiederherstellenden Vorgänge eine weitere, große Aufgabe. »Je weiter wir nun gegenwärtig von diesem Ziele entfernt sind (pag. 50), um so dringlicher müssen wir sagen: Es ist an der Zeit, dass die Entwickelun£,'smechanik nicht mehr auf die o-e- legentliche Pflege auf anderen (besonders pathologischen) Gebieten thätiger Forscher angewiesen sei; sie bedarf zur Roux, Programm. •) 18 Lösung* ihrer großen fundamentalen Aufgaben berufsmäßiger Pfleger, und diese werden die Anatomen sowie die entsprechend thätigen Zoologen sein, als diejenigen, weichen auch bisher schon die Aufgabe der Erforschung der organischen Gestaltungen oblag. »Wohl wird es der Entwickelungsmechanik von größtem Nutzen sein, wenn Männer von der exakten, mathematisch-physikalischen Schulung der Physiologen ihr ihre Thätigkeit zuwenden. Dies wird jedoch leider voraussichtlich nur vereinzelt geschehen; denn das Hauptgebiet der physiologischen Forschung stellen die funktio- nellen Leistungen des bereits Gebildeten dar, wogegen das Interesse für die Funktion des Gestaltens, des Bildens zurück- steht. »Doch dem Anatomen, dem ,Morphologen', wie er sich heut zu Tage so stolz nennt, kommt es zu, nach voller Kenntnis und Erkenntnis der organischen Formenbildung zu streben und nicht willkürlich den Begriff des Xöyog auf diesem Gebiete mit der Erörterung der Beziehungen zwischen individueller und phylogenetischer Entwickelung für erschöpft zu halten. »Der Anatom besitzt in den vier bislierigen Richtungen seiner Wissenschaft zugleich die hauptsächlichen Vorkenntnisse für die er- folgreiche Betliätigimg des Strebens nach der fünften 'Richtung hin] und wohl nur dem Nebenunistande der von den Untersuchungsweisen der deskriptiven Forschung abweichenden, für die Entwickelungs- mechanik notwendigen experimentellen Forschungsmethode und des Erfordernisses noch mannigfacher, andersartiger Vorkennt- nisse ist es zuzuschreiben, dass diese Disciplin bisher seitens der Anatomen relativ wenig, fast nur beiläufig gepflegt worden ist. Und sie erscheint selbst manchem ihrer Mitarbeiter noch so neu, dass er selbständig ohne gebührende Beachtung der Leistungen seiner Vorgänger vorgehen und ohne Erwähnung der- selben seine Ergebnisse publiciren zu dürfen glaubt; ein Verhalten, das seltsam absticht gegen die Gewissenhaftigkeit, mit der unsere Zeit z. B. durchweg jeden Urheber der geringsten technischen Ab- änderung einer der beschreibenden Forschung dienenden Unter- suchungsmethode citirt. »Die Entwickelungsmechanik wird den vier bisherigen Rich- tungen das, was sie jetzt und in Zukunft von ihnen als Vor- bedingung ihrer eigenen Leistungen empfängt, reichlich ver- gelten: der beschreibenden Richtung, indem sie die Aufmerk- samkeit auf bisher übersehene formale Eigenschaften lenkt, wie es 19 z. B. schon mit der von den Corrosions-Anatomen übersehenen hydro- dynamischen Gestaltung des Lumens der Blutgefäß Verzweigungen der Fall war (s. 7); der physiologischen Eichtung durch die Er- mittelung sowohl des Wirkungsumfanges der funktionellen Anpassung', wie der ursächlichen Grundlage dieses Principes der , Selbstgestaltung des Zweckmäßigen'. »Auch die (seil, beschreibende) Entwicklungsgeschichte wird wesentliche Förderung von der Entwickelungsmechanik zu ge- wärtigen haben, und zwar einmal, indem gleichfalls mit der ursäch- lichen Fragestellung die Beobachtung nach manchen Richtungen hin verschärft wird, und andererseits, indem durch die Ermittelung des Wesens der einzelnen Bildungsvorgänge richtigere Werth- urtheile gewonnen werden, wonach z. B. Manches, was der rein formalen Betrachtung als sehr erheblich erscheint, wie etwa, ob die Chorda dorsalis zur Zeit ihrer Anlage mit dem äußeren, inneren oder mittleren Keimblatt im Zusammenhange steht, bloß als eine geringe, vorliegenden Falles beim Frosche sogar bloß zeit- liche Variation ursächlicher Verhältnisse erkannt wird (s. 1, Bd. IL pag. 458). »Und selbst die vergleichende Anatomie wird in die Lage kommen, es willkommen zu heißen, wenn ihr in der phylogenetischen Deutung ontogenetischer Bildungen an manchen Punkten nicht voll- kommen sicheres Fundament durch neue causale Stützen ge- festigt oder durch Übernahme der Last auf andere Grundlagen entlastet wird. Es ist bewunderungswürdig, welch hohes Maß von Einsicht selbst bis in die scheinbar speciellsten Organisationsverhältnisse uns die vergleichende Anatomie rein auf Grundlage der einfachen Formvergleichung ge- währt hat. Und dass dies möglich war, ja dass sogar die ge- formten , Endprodukte' im Thierreiche konstanter zu sein scheinen, als die speciellen Arten ihrer Herstellung, ist für die Entwickelungsmechanik von großer Bedeutung (1, Bd. IL pag. 93). Doch haben auch diese Leistungen der vergleichenden Anatomie ihre Grenzen; und ich erinnere nur an die Unsicherheit in der Deutung der Variationen der individuellen Entwickelung, z. B. be- züglich der Hyperdaktylie, Oligodaktylie, abnorm gelagerter Muskeln, Nerven, Knochenkerne etc. Diejenigen dieser Bildungen, welche in ähnlicher Weise bei Thieren, besonders bei den vermutheteu Ascen- denten, vorkommen, werden von Manchen ohne Weiteres als Rück- schläge gedeutet. Von Anderen wird dem zwar widersprochen; 9* 20 doch leiden manchmal beide Auffassungen an einer gewissen Willkür. Vor vielen derartigenEntscheidungen sollte meiner Meinung nach erst noch die Entwickelungsmechanik eingehends zu Eathe gezogen werden. Sie hat uns auf Grund bezüglicher Untersuchungen zu belehren, ob durch eine kleine, so zu sagen zufällige Variation gleich ein ganzer Finger mehr entstehen oder fehlen kann, ob beim Fehlen des fünften Fingers der damit zum Randfinger gewordene vierte Finger zufolge der Entwickelungsmechanismen gleich die Be- schaffenheit eines solchen, also des fehlenden fünften Fingers erlangt, ähnlich wie bei Extrauterinschwangerschaft an dazu nicht bestimmter Stelle gleich eine wohlgebaute Placenta materna und Decidua ent- steht; oder ob im Gegentheil derartige Änderungen, nach der Be- schaffenheit des normalen Bildungsmechanismus zu urtheilen, so vielseitig und typisch begründet sein müssen, dass sie voraussichtlich bloß entstehen können, wenn schon von den Vorfahren her das Keimplasma eine besondere Disposition dazu mitbringt. »Wenn z. B. die ältere Angabe, dass man künstlich die Bildung einer vermehrten Fingerzahl gelegentlich der Regene- ration der abgeschnittenen Hand bei Tritonen veranlassen kann, sich bestätigte1), so erhielten wir dadurch einen Hinweis nicht bloß auf die Natur der bezüglichen Entwickelungsmechanismen, sondern auch für die Deutung der Hyperdaktylie; ebenso wie durch die Beobachtung, dass die Knochen auch in neuen Ver- hältnissen eine funktionelle Gestalt' und , Struktur' er- langen, dass die Sehnen in Abhängigkeit von den Muskeln entstehen, die Deutimg mancher Variationen dieser Organe bestimmt wird. »Drei von den bisherigen Richtungen der Anatomie bedienen sich der beschreibenden Methode; sie werden daher mit der Zeit ihr Material erschöpfen und ein Stadium der Vollendung erreichen oder ihm unter asymptotischer Näherung sehr nahe kommen; auch die physiologische Richtung kann die gleiche Stufe erlangen. »Nur die ,ur sachliche1 Richtung kann nie ihr Material er- schöpfen, und nie wird ihr die Vollendung vergönnt sein\ aber eben darum wird sie auch die ewig frische und ewig produktive bleiben. Es ist der normale Gang der Wissenschaften, dass auf die Erforschung der ,Thatsachen' die Erforschung der jUrsachen' folge. Es wird daher eine Zeit kommen, von der an l) Dies ist D. Barpitrth inzwischen in vorzüglicher Weise gelungen. Auch Tornier gelang neuerdings dasselbe. Siehe Archiv f. Entwickelnngsmechanik. Bd. T und TTT. ' 21 dieser Jetzt von Vielen gering geachtete, scheinbare Nebentrieb am Baume der anatomischen Wissenschaften zum Haupttrieb , zur Fortsetzung des Stammes werden wird. Die Enticickelimgs- mechanik ivird alsdann eitlen Stamm darstellen, welcher rasch in die Höhe strebt und gegemo'ärtig noch nicht geahnte neue Seitenzweige treibt, deren Blätter die vier ersten Äste in ihren Schatten nehmen und Nahrungsstoff zur Entfaltung neuer Knospen für sie bilden werden.« (1, Bd. IL pag. 53.) Aus einem Artikel: Ziele und Wege der Entwickelungs- niechanik (des Jahres 1S92) mögen noch einige Stellen hier Platz finden: »Das Ziel der Entwickelungsmechanik ist eine bestimmte Art der , Erklärung' der Organismen« (1, Bd. IL pag. 58). Nach Aufführung und Charakterisirung der bisherigen drei » Er klär ungs arten« der Organismen, nämlich: dem Nachweise der Zweckmäßigkeit (besser der »Selbstnützlichkeit«) der Or- ganismen, ferner der »formalen« entwickelungsgeschichtlichen Ableitung des Komplicirten aus dem Einfacheren, und schließlich der »allgemeinen« causalen Ableitung der höheren Organis- men von den niederen auf Grund der Descendenz wird auf eine neue Erklärungsart hingewiesen (1, Bd. IL pag. 59). »An diese drei Arten von Erklärung der Organismen hat sich nun eine vierte anzuschließen; die Wissenschaft von den ,wirk- lichen1, Bildungsursachen, von den verae causae, den gestaltenden Kräften und deren Kombinationen, denen das Organismenreich im Ganzen und in jedem Individuum seine Entstehung verdankt: die Entwickelungsmechanik der Organismen. »Das Ziel dieser Wissenschaft ist die Ermittelung der ganzen Reihe nächster, naher und entfernter, resp. specieller und allge- meiner Ursachen jedes organischen Bildungs- und Erhaltungsvor- ganges, einerlei, ob es sich um progressive oder regressive Bildungen oder sogenannte bloße Umbildungen handelt. Je nach der Definition von ,Ursache* oder Jvraft' erhält die specielle Definition dieses Zieles eine andere ,Fassuug', womit aber praktisch nichts gefördert wird; es sei daher an dieser Stelle davon abgesehen, solche ander- weit bereits angedeuteten Fassungen zu reproduciren.« »Andererseits aber wird die Entwickelungsmechanik sich kein Hilfsmittel entgehen lassen dürfen und daher auch aus den bereits ermittelten Thatsachen der vergleichenden Anatomie, z. B. aus den wirklich sehr häufig bloß allmählichen Formwandlnngen der entwickelten Theile während der Phylogenese, sowie aus 22 den Thatsacheu des sogenannten biogenetischen Grundgesetzes Kückschlüsse auf die Natur der Entwickelungsmechanisnien zu ziehen sich bestreben (s. auch 1, Bd. I. pag. 443—447). »Die ablehnende Haltung der Descendenztheoretiker und ver- gleichenden Anatomen gegen die Entwickelungsmechanik beruht auf der Annahme, dass das sogenannte biogenetische Grundgesetz allein schon eine genügende Erklärung der embryonalen Bildung darstelle, und dass in Folge dessen jede weitere ,di- rekte' Ableitung dieser Formen überflüssig sei (pag. 71). »Diese besonders von Haeckel (8) und manchem seiner Schüler vertretene Auffassung beruht meiner Meinung nach auf einer Ver- wechselung der Leistungen zweier ganz verschiedener Er- klär ungsprincip ien. »Das biogenetische Grundgesetz ist bloß der Ausdruck der Wiederholung von typischen Bildungen; es sagt jedoch nichts aus über die , Kräfte', welche diese Wiederholung , vollziehen'. Ohne diese Kräfte kann aber überhaupt nichts geschehen. Es ist nicht recht verständlich, dass es nicht ein erstrebens- werthes Ziel sein soll, diese Kräfte und ihre speciellen Wir- kungsweisen zu erforschen. »Die größte Befriedigung wird aber unser Erkenntnistrieb an sich ohne Bücksicht auf einen , Nutzen' nach anderer Seite hin durch die fortschreiteude Einsicht in die Ursachen der organischen Entwickelung gewinnen. »Der phylogenetischen Eiitwickeluiigsmechanik hat, wie wir oben sahen, eine sehr lange Periode der Pflege der oiitogenetischen Ent- wickehingsmeclianik vorauszugehen. »Unser gegenwärtiges Bestreben richtet sich daher nur auf die Ermittelung der Mechanismen der , individuellen' Ent- wickelung (s. pag. 73). »Dabei werden die Keimplasmata, Ei und Spermatosoma mit allen ihren im Laufe der Phylogenese entstandenen Eigenschaften als gegeben angenommen. Wenn wir dem Gange des onto- genetischen Geschehens folgen müssten, so wäre es nächste Aufgabe der Entwickelungsmechanik, die Eigenschaften dieser Keimstoffe voll- kommen zu erforschen und aus ihnen unter Berücksichtigimg der hinzukommenden äußeren Momente alle Entwickelungsvorgänge der Ontogenesis abzuleiten. Doch würden wir auf diesem Wege nicht vorwärts kommen. »Andererseits kann aber noch mehr gefordert werden, wenn wir 23 die individuelle Entwicklung vollkommen ermitteln wollen; denn dazu ist es nöthig, dass wir nicht erst mit dem fertig* gebildeten Ei und Samenkörper unsere Forschung beginnen, sondern auch die Entstehung dieser beiden aus dem noch indifferenten Keimstoff verfolgen.« Nach Aufstellung und Erläuterung des Begriffes einer Vor- entwickelung des Individuums : einer Periode, welche die Überführung des ursprünglich, z. B. im Stadium der Blastula, vermuthlich noch nicht auf einzelne Wesen angelegten, also noch »unpersönlichen« Keim stoff es (Keimplasson) zu dem die Anlage von Einzelwesen darstellenden Ei und Spermatosoma (Keimplasma) bezeichnet, sagen wir : »Es ist Aufgabe der ontogenetischen Entwickelungs- mechanik, auch alle diese Vorgänge der individuellen Vor- entwickelung zu erforschen; ebenso wie es Aufgabe der phylo- genetischen Entwickelungsmechanik wäre, die Vorgänge der phylogenetischen Vorentwickeluiig : der Bildung des Keimplasson resp. Keimplasma auf dem Wege der Entwickelung des ganzen Organismenreiches vom Anfang des Organischen an bis zur Her- stellung des Keimplasson der jetzt lebenden Organismen zu ermitteln, wenn dies möglich wäre. »Nach der Anzahl der bereits über ursächliche Verhaltnisse der individuellen Enticickelung vorliegenden Angaben wäre die Entivicke- lungsmechanik eine der am meisten gepflegten Wissenschaften und selber bereits auf einer hohen Stufe der Enticickelung ; denn die For- scher auf dem Gebiete der ,be schreibenden1' Entwickelung sgeschichte haben über die Entstehung vieler formaler Bildungen schon recht be- stimmte Urtheile ausgesprochen. Doch diesen Urtheilen fehlt fast ausnalimslos eine genügende sachliche Begründung ; es fehlen die ^Beiceise1, für die Richtigkeit gerade dieser speciellen Auffassung ; wie denn mit den deskriptiven Forschungsmethoden an }nor- malen1 Objekten ,sichere' Beiceise für ursächliche Zusam- menhänge überhaupt glicht1' erbracht werden können. »Es wird übersehen, dass aus konstanten Beziehungen zioischen normalen Erscheinungen oder Vorgängen über die vermittelnde Ur- sache dieser Konstanz desshalb keine sicheren Schlüsse gezogen icerden können, weil toir die Komplicirtheit der normalen Wechselwirkungen noch nicht annähernd übersehen können.«- »Obgleich diese so wichtige, für die Methode der causalen biolo- gischen Forschung bestimmende Sachlage wiederholt hervorgehoben worden ist (1, Bd. IL pag. 30 und 928), so scheint sie doch bei manchen 24 deskriptiven Forsehern nur sehr langsam Verständnis zu finden, denn sie fahren fort, ihre bloß deskriptiven Beobachtungen eausal zu verwerthen und die experimentell gewo?i?ienen Ergebnisse unbeachtet zu lassen, so z. B. 0. Hertwig, J. Kollmann u. A. »Wenn wir (s. pag. 75) zur Zeit unser Augenmerk auf einen konstanten Begleiter eines Vorganges richten und in ihm die Ursache des letzteren erblicken, können wir fast sicher sein, dass außer ihm noch mehrere Faktoren da sind, die wir nur nicht wahrgenommen haben. Es verräth wenig Einsicht in die Vor- gänge der Natur, den augenfälligsten, zuerst bemerkten Begleitungsumstand auch für den wesentlichen, für den ursächlichen zu halten. •»Die causalen Forscher wurden einen Umweg einschlagen und sieh selber ein Armuthszeugnis ausstellen, ivenn sie ihr Werk damit anfangen wollten „ diese mannigfachen nicht bewiesenen Aussprüche deskriptiver Forscher auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Von diesen ganzen Urtheilen ist kaum mehr zu verwerthen als die Einsicht, dass ungleiches JVachsthum eine der nächsten Ursachen der Gestaltbildung ist; aber schon über den ,Sitz' solchen formbestimmenden Wachsthuins bei den , einzelnen' Gestaltungen sind die bisherigen Angaben vollkommen unzuverlässig; geschweige denn, dass sie über die , Ursache' des Wachsthums selber Aufklärung gäben. »Wir haben uns das normale Entwickelungsgeschehen der Organismen als durch so überaus komplicirte, und in Folge dessen von den anorganischen Vorgängen so abweichende Wirkungen bedingt vorzustellen, dass wir jetzt, beim Beginne exakter causaler Forschungen, in keinem Falle sagen können, was für die Natur der einfachere Weg wäre, da wir die vorhandenen, ursächlichen Momente noch nicht ahnen, geschweige denn kennen; und doch be- ruhen die causalen Ableitungen deskriptiver Forscher wesentlich darauf, dass sie glauben, ihre Ableitung stelle den einfachsten Herstellungsmodus der betrachteten Bildung aus der vorhergehenden dar. Schon die Thatsachen, auf denen das biogenetische Grund- gesetz beruht, widersprechen vielfach direkt der Erzeugung der Individuen auf dem formal einfachsten Wege. •»Die einzige ,sicherel causale Forschungsmethode auf organischem Gebiete ist die des Experimentes, und zwar des ,analytischeul Experi?nentes. Diese Tliatsache ist bisher nicht genügend gewürdigt worden.« 25 Zuletzt wurde in der Einleitung* zum Archiv für Ent- wickelungsmechanik das Programm nochmals dargelegt, aus welcher Ausführung hier noch einige wichtige Punkte nachgetragen werden müssen. Die Entwickelungsmechanik wurde zunächst kurz als »die Lehre von den Ursachen der organischen Gestaltungen« bezeichnet, somit als »die Lehre von den Ursachen der Entstehung, Erhaltung und Rückbildung dieser Gestaltungen«. Weiterhin wurde gesagt (2, pag. 2): »Da man die Ursachen jedes Geschehens Kräfte resp. Energien nennt, so kann man als das allgemeine Ziel der E?itwickelungsmechanik die ^Ermittelung der gestaltenden Kräfte oder Energien^ be- zeichnen. In so fern uns jedoch die Kräfte s. Energien nur durch ihre , Wirkungen', d. h. jede Art derselben durch ihre besondere Wirkungsweise bekannt werden, so lässt sich diese Aufgabe auch als die ,Ermittelung der gestaltenden Wir- kungsweisen' d e f i n i r e n. »Eine , allgemeine', nicht quantitative, sondern (zunächst nur) , qualitative' ursächliche Erklärung besteht dem entsprechend stets in der Zurückführung des betreffenden Geschehens auf allge- meiner gültige, d. h. auch bei vielen anderen Vorgängen vorkom- mende, beständige, also unter gleichen Umständen an jedem Orte und zu jeder Zeit in gleicher Weise stattfindende Wirkungsweisen. »Diese aus den Eigenschaften der Komponenten folgenden, also mit Notwendigkeit sich ergebenden geständigen Wirkungs- weisen' werden gewöhnlich mit dem Namen , Naturgesetze' be- zeichnet; bei Annahme dieser letzteren Bezeichnungsweise wäre es die Aufgabe der Entwickelungsmechanik, die Gestaltungs vorgänge der organischen Entwickelung auf die ihnen zu Grunde liegende u Naturgesetze' zurückzuführen. »Es ist aber wohl zu empfehlen, wenigstens in den Fällen, in welchen der Ausdruck , beständige Wirkungsweise' bezeich- nender wirkt, ihn statt des auf anthropomorphen Vorstellungen von der Natur beruhenden Ausdruckes ,Naturgesetz' zu verwenden. Zumal bei dem Betreten eines neuen großen, ganz besondere Schwierigkeiten einschließenden Forschungsgebietes scheint es ange- messen, das, was ermittelt werden soll, direkt selber zu nennen, statt einen dem Wesen der Sache fremden Ausdruck dafür zu gebrauchen. »Da ferner alle der Causalität unterliegenden Wirkungsweisen, 26 also alle Wirkungsweisen, welche Gegenstand unserer Erforschung sein können, ^beständige s. gleichförmige' sind, so kann dieses Beiwort für gewöhnlich weggelassen werden, und es genügt, statt , Naturgesetz* einfach , Wirkungsweisen' zu sagen. Statt von dem Brechungsgesetz des Lichtes können wir von der , Wir- kungsweise' bei der Lichtbrechung reden; statt der , Gesetze' der funktionellen Anpassung sagen wir die , Wirkungsweisen' der funktionellen Anpassung z. B. der Muskeln. Diese Bezeichnungs- weise macht zugleich eine in der Biologie sehr verbreitete, unrichtige Anwendung des Wortes , Gesetz' unmöglich, nämlich die Anwendung des Wortes Gesetz zur Bezeichnung von Thatsachen, von Resul- taten, statt von Wirkungen, wie es z. B. in der üblichen Be- zeichnung ,BELL'sches Gesetz' geschieht. Versucht man dafür ,Bell- sche Wirkungsweise' zusagen, so tritt sogleich hervor, dass diese Bezeichnung auf die ,Thatsache' der motorischen Natur der vorderen und der (angeblich) rein sensiblen Natur der hinteren Nervenwurzeln nicht anwendbar ist. »Definiren wir nunmehr die allgemeine Aufgabe der Entwicke- lungsmechanik auf die am wenigsten geheimnisvolle Begriffe einschließende, also einfachste, und zugleich dem unmittelbaren Vorgehen am meisten sich anschließende Weise, so haben wir die organischen Gestaltungsvorgänge auf die wenigsten und einfachsten ^Wirkungsweisen' zurückzuführen. Letzteres schließt schon ein, dass für jede dieser Wirkungsweisen der einfachste (also der das Wesen bezeichnende) Ausdruck gesucht werde. »Die organische Entwickelung (s. 2, pag. 4) besteht in der Produktion wahrnehmbarer, , typisch gestalteter' Mannig- faltigkeit. Sehen wir an dieser Stelle von den Bedingungen der Wahrnehmbarkeit ab, so sind zur Entstehung , typischer' Mannig- faltigkeit selbstverständlich besondere .typische' Kombinationen von Ursachen s. Energien nöthig. Für die gestaltete' Natur dieser Mannigfaltigkeit sind besondere, gestaltend wirkende' Kom- binationen von Ursachen erforderlich, welche die eben er- wähnten gestaltenden Komponenten oder Faktoren' darstellen. Wenn nun diese gestaltenden Komponenten nach ihrer Art, Größe und Anordnung in vollkommen typischer Weise producirt werden, so ist selbstverständlich, dass beim Fernbleiben äußerer Störung auch die von ihnen hervorgebrachte gestaltliche Mannigfaltigkeit eine voll- kommen typische werden muss. » Im , Speciellen ' haben wir demnach jeden einzelnen 27 Gestaltungsvorgang auf die ihn bedingenden besonderen Kombinationen von Energien resp. auf die Wirkungsweisen derselben zurückzuführen, und zwar ist jede dieser Wirkungs- weisen nach ihrer Örtlichkeit, Zeit, Richtung, Oröfse und Qualität zu ermitteln. Oder umgekehrt können wir streben, von jeder an der Entwickelung eines Organismus als betheiligt erkannten Wir- kungsweise ihren speciellen Wirkungsantkeil an den einzelnen Ge- staltungen festzustellen. »Diese Wirkungsweisen, in die wir die organischen Gestaltungs- vorgänge zerlegen, und daher auch die sie bedingenden Energien können einmal dieselben sein wie die des anorganischen s. physikalisch-chemischen Geschehens. »Da es nicht Aufgabe des Biologen ,als solchen' ist, die Wirkungsweisen des , anorganischen' Geschehens weiter zu erforschen und zu zerlegen, als die Physiker und Chemiker, so nehmen wir diese Wirkungsweisen als gegeben hin und können sie, so weit wir sie bei dem organischen Geschehen be- theiligt finden, als , einfache Komponenten' oder einfache Wir- kungsweisen dieses Geschehens bezeichnen, so räthselhaftauch ihr , Wesen' an sich sein mag, und wenn sie auch früher oder später von den Physikern und Chemikern weiterhin zerlegt werden ; sobald Letzteres geschehen ist, werden wir uns dieser weiteren, noch einfacheren Komponenten bedienen. »Neben dem Bestreben der Ermittelung solcher , einfacher Wir- kungsweisen' muss der entwickelungsmechanische Forschungsweg von Anfang an durch die Einsicht bestimmt werden, dass die orga- nische Gestaltung sich zumeist durch Vorgänge von vorläufig unüber- sehbarer Komplicirtheit vollzieht, für welche ich den Namen Kom- plexe Komponenten' oder komplexe Vorgänge vorgeschlagen habe.« (S. 1, Bd. IL pag. 82. Ich habe in den folgenden Citaten das Wort »komplexe Komponenten« der leichteren Vorstellbarkeit halber mehr- fach mit den Bezeichnungen komplexe Vorgänge oder komplexe Wir- kungsweisen vertauscht und statt Komponenten auch das identische Wort Faktoren abwechselungshalber gebraucht.) » ObscJwn es unsere?' immittelbaren Auffassung entspricht, dass auch diese Wirkung sioeisen in letzter Instanz auf anorganischen, also ,einfachenl Wirkungsweisen beruhen, so verleiht doch die Komplicirtheit ihrer Zusammensetzung diesen Komponenten Eigenschaften, welche von denen der anorganischen Wirkungsweisen oft so erheblich verschieden sind, dass sie den Leistungen dieser nicht nur sehr unähnlich sind, 28 sondern ihnen zum Theil geradezu zu widersprechen scheinen; solches bekundet z. B. die Nichtexosrnose der Salze der lebenden, im Wasser liegenden Fischeier, die Nichteintrocknung lebender kleiner Insekten im Sonnenlichte; während nach dem Tode dieser Gebilde sofort im ersteren Falle Diosmose, im zweiten Eintrocknung stattfindet; ferner die Absonderung des Drüsensekretes in einem Raum mit höherem Druck, als er in den Blutkapillaren der Drüse sich findet. Diese Vorgänge bekunden, dass in den ersteren Fällen die Salze resp. das Wasser nicht frei, sondern gebunden, beschäftigt vorhanden sind; während letzteren Falles besondere aktive Leistungen unter ent- sprechendem Aufwand von Energie seitens der Epithelzellen vor- liegen. »Es muss daher unsere zweite Hauptaufgabe sein, diese wenn auch komplexen, so doch beständigen, d. h. unter gleichen Verhältnissen stets gleich wirkenden Komponenten zu ermitteln, das heißt, die organische Gestaltung ist auf solche an sich unverständliche, aber konstante Wirkungsweisen zurückzuführen. »Jede ,komplexe Wirkungsweise ' stellt also bloß die Resultante unübersehbarer Einzelwirkungen dar. Aus ersteren aber resultiren die meisten der von uns wahrgenommenen Gestaltungsvorgänge; es ist daher unsere Aufgabe, das Chaos innerer Wirkungen in eine möglichst geringe Zahl solcher Wirkungsweisen zu zerlegen. »Solche , komplexen Wirkungsweisen' sind zunächst die elementaren Zellfunktionen: die Assimilation, die Dissimilation, die Selbstbewegung der Zelle im Allgemeinen, die Selbstthei- lung der Zelle als eine bestimmte Koordination von Selbstbewegungen; dazu kommen die typische formale Selbstgestaltung und die qualitative Selbstdifferenzirung der Zelle, als noch höher zu- sammengesetzte Wirkungen. »Dagegen stellt das Massenwachsthum der Zellen vielleicht bloß die Resultanten gleichzeitig verlaufender Assimilations- und Dissimilationsvorgänge dar; und dasselbe kann unter Berücksiclitigui ig äußerer Druckwirkung auch vom Massenschwund der Zelle gelten. Lokales Wachsthum dagegen kann außer auf Massenwachsthum am bezüglichen Orte bereits vorhandener Zellen auch auf Hinwande- rung von Zellen, also auf anderen komplexen Komponenten wie Chemotropismus und Cytotropismus beruhen. , Ausschließlich dimensionales Wachsthum (d. h. Vergrößerung ohne Vermehrung der lebenden Masse, s. 1, Bd. TL pag. 81) kann dagegen auf aktiver Umformung von Zellen beruhen. Andere, gleichfalls die Bewegungs- 29 richtung einzelner Zellen oder mehrzelliger Lebewesen bestimmende komplexe Wirkungsweisen sind der Galvano-, Helio-, Hydro-, Thigmotropismus. »Die einstellende Wirkung der , Gestalt' der, noch nicht geweblich differenzirten, Furchungszelle auf die Richtung der Kernspindel, so die Einstellung der Kernspindel in die größte durch den Massenmittelpunkt des Protoplasmas der Zelle legbare Dimension der Zelle; die trophische Wirkung der funktionellen Reize (auf welche alle die außerordentlich mannigfaltigen Erschei- nungen der funktionellen Anpassung zurückzuführen sind); die tro- phische Wirkung der Ganglienzellen auf ihre Nervenfasern und bezüglichen Endorgane sind weitere bereits festgestellte kom- plexe Wirkungsweisen, durch welche viele Gestaltungen vermittelt werden; ebenso die Wirkung verstärkter Blut zufuhr auf die Vermehrung des Bindegewebes der betreffenden Theile etc. »Diese komplexen Wirkungsweisen erscheinen noch relativ einfach im Verhältnis zu anderen, mit deren Aufstellung wir die Analyse mancher Formbildungen zu beginnen genöthigt sind. (Hier folgt in größerer Ausführung als Beispiel eine Ableitung der Umwandlung des anfänglichen Schlauchdrüsentypus der Säugethierleber in den Fachwerktypus von nachträglicher multipolarer Differenzirung der anfänglich bipolaren Leberzellen.) »Sehr viele solcher beständigen Wirkungsweisen werden zuerst noch zu ermitteln sein, und alle müssen weiterhin in einfachere und noch verbreiteter vorkommende komplexe Komponenten zerlegt werden. Bei diesem Bestreben wird es wohl manchmal gelingen, auch zugleich eine , einfache Komponente' aus den komplexen Kom- ponenten abzuspalten. »Auf die Ermittelung einer oder mehrerer Wirkungsweisen kann dann die Ermittelung der Wirkuugsgröfsen folgen; auf die qualitative Sonderung der Wirkungen die mathematische Be- handlung derselben; nicht umgekehrt, wie einer der jüngeren Autoren, H. Driesch, für richtig zu halten scheint (s. 1, Bd. IL pag. 83). »Zunächst wird bei diesem Bestreben, wie bei jeder Analyse, statt einer Yereinfachung eine Komplikation ge- wonnen, indem ein scheinbar einfacher Vorgang in zwei oder mehr Komponenten zerlegt wird. Die vereinfachende Wirkung der Analyse tritt erst hervor, wenn die Zerlegung auf viele Vorgärige ausgedehnt wird und sich dabei oft dieselben Komponenten ergeben. 30 »Diese vereinfachende Wirkung- zeigt sich schon jetzt: Alle die außerordentlich mannigfaltigen Formenbildimgen der mehrzelligen Lebewesen können wir auf die wenigen komplexen Wirkungs- weisen des Zellwachsthums resp. Zellschwundes, der Zelltheilung, der Zellwanderung, der aktiven Zellgestaltung, der Zellausscheidung und der qualitativen Zellveränderung zurückfuhren; gewiss eine an- scheinend sehr einfache Ableitung. Es bleibt aber nun die unendlich schwierigere Aufgabe, nicht nur den speciellen Antheil jedes dieser Vorgänge an den einzelnen Gestaltungen zu ermitteln, sondern auch diese komplexen Wirkungen selber in ihre weiteren und immer weiteren Komponenten zu zerlegen. »Außer den Wirkungsweisen resp. Energien der Entwicke- lung sind ebenso die Wirkungsweisen resp. Energien der Erhaltung und der Rückbildung der organischen Formen und ihrer Träger, der Elementartheile, besonders zu erforschen; wennschon es wahr- scheinlich ist, dass die , Erhaltung' oft bloß den ,Gleickgewichts- falP verschiedenartiger, auch bei der ,Entwickelung' thä- tiger gestaltender Wirkungsweisen darstellt, und dass bei der nachfolgenden , Rückbildung' dies Gleichgewicht zu Gunsten der alterirenden, vernichtenden Komponenten gestört ist. Neben der Aufsuchung solcher Verhältnisse ist aber andererseits noch zu prüfen, ob nicht doch jeder dieser Stufen noch be- sondere, ihr eigenthümliche gestaltende Wirkungsweisen zukommen. »Entsprechend ferner der doppelläufigen, phyletischen und onto- genetischen Entwickelung muss die Entwickelungsmechanik die Ur- sachen resp. Wirkungsweisen jeder dieser beiden Entwickelungs- arten zu erforschen suchen; und es ist danach eine onto genetische und eine phylogenetische Entwickelungsmechanik auszubilden (siehe auch 1, Bd. IL pag. 60). »Da die ontogenetische Entwickelungsmechanik rasch in unserer Gegenwart ablaufendes Geschehen zum Gegenstande ihrer Forschung hat, so wird sie naturgemäß weitaus ergiebiger werden als die phylogenetische, deren Geschehen größtentheils der Vergangen- heit angehört und, so weit es jetzt noch stattfindet, zumeist nur äußerst langsam sich vollzieht. Doch werden, in Folge des innigen Causalnexus beider, viele Ergebnisse der ontogenetischen Forschung Folgerungen auch auf phylogenetische Vorgänge zu ziehen gestatten und daher Licht auch auf diese werfen; außerdem ist auch die Phylogenie innerhalb ihrer jetzt sich vollziehenden Vorgänge der 31 causalen Forschung* nicht ganz unzugänglich; zumal kann auf ex- perimentellem Wege mancher ursächliche Zusammenhang ermittelt werden, wie dies z. B. durch künstliche Zuchtwahl bereits ge- schehen ist. »Die Komponenten s. Faktoren, mit denen die Phylogenie bis jetzt ausschließlich gearbeitet hat, die Variation (Anpassung Haeckel's) und die Vererbung, sind noch komplicirter als die oben genannten komplexen Wirkungsweisen. Doch repräsentirt diese Unterscheidung gleichwohl die Analyse einer außerordentlich großen Mannigfaltig- keit auf zwei, allerdings im Speciellen ihrer Wirkungsweise selber außerordentlich mannigfache, also nicht geständige* Komponenten. Das Wort , Variation' ist in noch viel höherem Maße als das Wort .Vererbung' ein Sammelname für in gewisser Hinsicht gleichartige Resultate, welche aber auf sehr verschiedenen Wirkungsweisen beruhen können. Es wird daher eine weitere Aufgabe der Ent- wickelungsmechanik sein, die mannigfachen beständigen Unterkom- ponenten der so bezeichneten Wirkungen und danach wiederum deren ursächliche Wirkungsweisen aufzusuchen. »Auch damit ist schon ein erfreulicher Anfang gemacht. Stellte Darwin's Zuchtwahllehre allein Aufspeicherungsursachen gegebener Eigenschaften auf Grund des Ubrigbleibens, des Nichtzugrimdegehens dar, so gewährt die neue Metamorphosen- lehre Julius von Sachs' bereits einen Einblick in wirklich thätige, also direkte Bildungsursachen, in gestaltende Wirkungsweisen der Vorgeschichte der Organismen.« Ib. 0. Hertwig's Kritik und eigene Auffassung. Hertwig kommt zu dem Ergebnis, dass das vorstehend geschil- derte Programm nichts Neues enthält und enthalten kann, und dass daher auch kein Grund vorliegt, von einer neuen oder jungen causalen Forschungsrichtung in der Zoologie und menschlichen Anatomie zu reden. Der Aiitor begründet seine Ansicht in folgender Weise: Die oben auf pag. 4 zunächst formulirte Aufgabe, die Be- wegungen, also die Bahnen, Drehungen und Geschwindigkeiten aller Theile des Eies und Embrvos zu erforschen und a-enau zu be- schreiben, ist unausführbar; denn wir können diese Theile nicht einzeln unter dem Mikroskop verfolgen, theils weil sie von der Ober- fläche zeitweilig in die Tiefe gelangen, theils weil die kleinsten geson- derte Bahnen einschlagenden Theilchen überhaupt unsichtbar sind. 32 Außerdem würde nach 0. Hertwig diese genaue Beschreibung und die mathematische Berechnung dieser Verhältnisse einen im Verhältnis zu der aufgewendeten Mühe nur sehr geringen Werth haben; wie man denn vielerlei mathematisch berechnen könne, ohne dass es den geringsten Werth habe, wie z. B. die Berechnung der Bahnen eines Mückenschwarms (pag. 38). Letzteres Beispiel ist wohl an dieser Stelle nicht gut am Platze, da es sich bei den Be- wegungen der Theile des Eies resp. Embryos normaler Weise um typische, also bei allen Eiern derselben Art in gleicher Weise vorkommende, somit normirte Bewegungen handelt, deren mathe- matisch genaue Ermittelung einen unvergleichlich höheren Werth hat als die Berechnung der Bahnen eines Mückenschwarms. Im Übrigen wissen die Leser des vorstehenden Programmes aus pag. 5, dass Hertwig in dieser angeblich gegen mich gerichteten und mit allerhand komischen Übertreibungen ausgestatteten Aus- führung gleichwohl im Wesentlichen nur meine Ansichten vertritt. Ich selber habe diese Aufgabe nur als die Weiterführung der rein »deskriptiven« Forschung charakterisirt und dabei nicht von einer neuen Wissenschaft gesprochen; außerdem aber wurde sogleich beigefügt, dass wir allein auf dem Wege der direkten Beobach- tung in dieser Beziehung nicht weit kommen werden. Immerhin müssen wir aber nach meiner Meinung streben, auch nach dieser Richtung hin unsere Kenntnisse möglichst zu vervollständigen. Bezüglich der mathematischen Berechnung habe ich schon bei viel einfacheren biologischen Aufgaben ausgesprochen, dass diese über unsere Fähigkeiten hinausgehen (s. 1, Bd. I. pag. 672); und außerdem wurde von mir (siehe oben pag. 29) gegenüber H. Driesch, der in einer seiner ersten Schriften diese Aufgabe als nächste bezeichnet hatte, eingewandt, dass eine solche Aufgabe (abgesehen von eventueller bloß heuristischer Verwendung^ überhaupt erst nach annähernder Durchführung der qualitativen causalen Analyse in Angriff zu nehmen sei. Hertwig richtet auch hier seine Reproduktion meiner Ansichten anscheinend berichtigend an meine Adresse. Diese neue Kenntnis würde aber selbst bei ihrer Vollendung nach meiner Meinung aus den oben (s. pag. 6 und 10) dargelegten Gründen keine genügende causale Erkenntnis gewähren; wohl aber würde dies, wie wir sehen werden, für Hertwig der Fall sein. Sie fällt aber für ihn als nicht erwerbbar weg. Dagegen wurde von mir (s. o. pag. 5) betont, dass, wenn wir auch die kleinen Theile nicht in ihren Bahnen direkt beobachten können, 33 wir darum doch noch nicht vollkommen auf die Ermittelung solcher Bahnen zu verzichten genötkigt sind, da uns noch ein zweiter Weg ihrer Erforschung offen steht, derjenige der Er- mittelung durch Schließen auf Grund der Causalität. Der Autor wendet sich nun, wie er meint, zu unserem eigentlichen Programm, also nach unserer Auffassung zur : »exakten« Erforschung der »direkten« Ursachen der organischen Gestaltungen, in welchem wir selber das Neue erblicken. Hertwig kann jedoch darin nichts Neues finden, da er von diesem Programm das hier durch die Worte: exakte Erforschung der direkten Ursachen Bezeichnete nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hat. Das Ziel selber im Allgemeinen: die Erforschung ursächlicher Verhältnisse der organischen Gestaltungen ist natürlich nicht neu. Um dies auszudrücken, habe ich C. E. v. Baer als einen Autor citirt, der dasselbe sogar schon in ziemlich specieller Fassung aufgestellt hat (s. o. pag. 14 und 16). Hertwig lässt dies aus und bringt dasselbe Citat später von seiner Seite als gegen mich gerichtet. Schon bei Caspar Friedr. Wolff finden wir diese Aufgabe ähnlich formulirt. Das Programm »rerum cognoscere causas« ist noch erheblich älter. Auch bei Cartesius und Aristoteles findet sich die Erforschung der Ursachen der Organismen als wünschenswerthes Ziel aufgestellt. Das Ziel hat also schon sehr Vielen vorgeschwebt. Aber weniger darum handelt es sich, als um die anhaltende, von Erfolg begleitete Arbeit nach demselben. Hertwig sagt dem entsprechend (pag. 8): »Neu ist ein Ziel, wenn es wesentlich verschieden von den Zielen ist, welches die Forscher bisher verfolgt haben.« Unter »bisher« versteht er im vorliegenden Falle: bis zur Aufstellung meines Programmes. Er weist nun seinerseits darauf hin, dass die bisherige beschreibende Erforschung der während der Entwickelung des Individuums aus dem Eie ablaufenden normalen Formänderungen bereits causale Erkenntnis darstellt, da jedes frühere Stadium die Ursache des folgenden ist. Das bestreitet wohl Niemand. Da wir jetzt zu dem Kernpunkt unserer Differenz kommen, so seien Hertwig's Ansichten hier unter Verwendung seiner eigenen Worte reproducirt. (pag. 36) »Eine lebende Froschkeimblase ist der Grund, welcher mit unfehlbarer Notwendigkeit zur Entstehung einer Froschgastrula als Folge führt, wenn sonst die äußeren Ursachen oder die Bedingungen zur weiteren Entwickelung erfüllt sind. Für die Worte Grund und Roux , Programm. 3 34 Folge kann man ebenso gut auch die Worte Ursache und Wirkung setzen. Daher stellt die entwickelungsgeschichtliche For- schung, welche die Uniwandlung der Froschkeimblase in die Gastrula , beschreibt^ ein ursächliches Verhältnis und, sofern sie das für alle Stadien der Entwickelung des Frosches aus dem Ei thut, das Entwickelungsgesetz des Frosches dar. »In dieser Richtung hat die Forschung seit fünfzig Jahren die wichtigsten causalen Erkenntnisse zu Tage gefördert. Ist nicht causal die Erkenntnis, dass die Eier und Samenfäden einfache Elementarorganismen oder Zellen sind, und dass sie schon als solche, wenn die geeigneten Bedingungen erfüllt sind, alle Ursachen (von den causae externae abgesehen) in sich vereinigen, welche zur Ent- stehung des neuen Geschöpfes erforderlich sind und sie sofort auch in Wirksamkeit treten lassen? Ist nicht causal die Erkenntnis, welche uns zeigt, in welcher Weise Stufe für Stufe Ursachen und Wirkungen (Zellvermehrung, ungleiches Wachsthum, Einfaltung, Ausstülpung etc.) sich in gesetzmäßiger Weise ab- spielen und eine Entwickelungsform nach der anderen ins Dasein treten lassen; dass der Entwickelungsprocess in seinen ersten Gründen auf der fast ins Unendliche fortschreitenden Ver- mehrung der Eizelle auf dem Wege der Selbsttheilung beruht, dass die Zellen sich nach festen Gesetzen zu Keimblättern zusammenordnen, dass fast alle noch so komplicirt gebauten Organe des erwachsenen Thieres nach einigen wenigen, einfachen Wachsthumsprincipien durch Einfaltung und Ausstülpung der Keimblätter oder durch Aus- wanderung von Zellen aus dem epithelialen Verbände formal entstanden sind?« Unsere Leser wissen, dass wir diese Kenntnis auch für nöthig halten und hochschätzen, dass sie uns aber noch nicht causal be- friedigt. (pag. 38) »Die hier vorgetragene Ansicht, welche in der Ent- wickelung eines Organismus ein System ursächlich verbundener Erscheinungen erblickt und daher nicht zögert, die über sie handelnde Wissenschaft auch eine causale zu nennen, weil sie Erscheinungen in ihrem nothwendigen Causalnexus darzustellen hat, will Roux nicht gelten lassen. Er will die gegenwärtige Ableitung der Formbildungen von Faltungen und Ausstülpungen einer Zellenmembran (soll wohl heißen : aus Zellen gebildeten Membran, Ref.) von Verschmelzungs- und Ab- schnürungsvorgängen u. dgl. nicht «als eine causale Analyse anerkennen, ebenso wenig die Zurüekführung der genannten Vorgänge ,anf Ver- 35 größerung, Verkleinerung-, Umgestaltung-, Theilung und Uniordnung* der Zellen'. Roux nennt diese Unterscheidungen bloß gestaltliclie; eine , Analyse aber der organischen Gestaltungsvorgänge nach den Ursachen und deren specifischen Kombinationen' lässt er noch ausstehen.« Ich erinnere hierzu an unsere Ausführungen auf pag. 9, in denen gezeigt wurde, dass z. B. Zellwanderung' durch sehr verschieden- artige Wirkungsweisen hervorgebracht werden kann, und in denen es als wünschenswerth bezeichnet wurde, die wirklichen ursäch- lichen Wirkungsweisen der Vorgänge, z. B. der Vergrößerung, Ver- kleinerung, Umgestaltung und Theilungen der Zellen zu ermitteln. Hertwig fährt fort: »Derartige und andere höchst unklare Urtheile von Roux finden ihre Erklärung hauptsächlich darin, dass er dem Begriff , Ursache' eine falsche Fassung gegeben hat. Für ihn ist Ursache gleich Kraft. ,Da man die Ursachen jeden Ge- schehens Kräfte resp. Energien nennt', bemerkt er, ,so kann man als das allgemeine Ziel der Entwickelungsmechanik die Ermittelung der gestaltenden Kräfte oder Energien' bezeichnen. In diesem einen Satze liegt wegen der aus ihm abgeleiteten Konse- quenzen die Quelle vieler Irrthümer und Selbsttäuschungen, liegt die ganze Unklarheit und eitle Selbstüberhebung des Roux'schen Standpunktes. Daher hat hier unsere Kritik an erster Stelle einzusetzen!« (pag. 43) »Mit Schopenhauer, Lotze u. A. nennen wir causal die Forschung und die Wissenschaft, welche uns die Erscheinungen dieser Welt in ihren ursächlichen Zusammenhängen darstellt, das heißt: uns nachweist, dass Erscheinungen in notwendigem Verhältnis von Ursache und Wirkung zu einander stehen. Wir nennen es daher, wie schon früher erwähnt wurde, ein causales Verhältnis erforschen und erklären, wenn gezeigt wird, ,wie' sich die Gastrula , durch Einfaltung' aus einer Keimblase, das Rückenmark , durch Zusammenfalten' einer Zellenplatte zum Rohr anlegt etc.« Aus diesen Citaten ersehen wir, was 0. Hertwig wirklich meint: Die formale Ableitung des späteren Stadiums aus dem früheren Stadium ist ihm nicht bloß ein und zwar ein nur sehr allgemeines, im Speciellen unbestimmtes causales Verhältnis, sondern sie ist ihm das causale Verhältnis %glt tSoyrrjv, das genügende causale Ver- hältnis; die Ableitung der Organe aus einem Keimblatt durch 3* 36 Biegung. Faltung, Abschnürung ist ihm die genügende cau- sale Ableitung. Doch gleich an das letzte Citat schließt er eine Äußerung an, die dieser Selbsteinschränkung zu widersprechen scheint, denn er sagt: »So weit die Dinge, welche dem Causalitätsgesetz unterliegen, der , sinnlichen' Welt angehören, lassen sich ihre ursächlichen Zusammenhänge auch beschreibend darstellen. Wir denken daher von einer deskriptiven Wissenschaft, welche in ihrer Vollendung- gedacht, den Causalnexus der Erscheinungen vollkommen beschreibt, sehr hoch und sind der Meinung von Schopenhauer: ,Was wir aus seinen Ursachen verstehen, das verstehen wir, so weit es überhaupt für uns ein Verständnis der Dinge giebt.' « Abgesehen von der anfänglichen, nicht richtigen Begründung stimmen wir dem zu. Auch wir würden von einer deskriptiven Wissenschaft, welche in ihrer Vollendung gedacht, den Causalnexus der Erscheinungen vollkommen beschreibt, sehr hoch denken! Hertwig fährt fort (pag. 44): »In diesem Sinne bezeichnet Kirchhoff die Mechanik selbst, welche doch allgemein als der am meisten vollendete Zweig der Naturwissenschaft und als das Vorbild aller übrigen Zweige gilt, ,als eine beschreibende Wissenschaft'. Er stellt als die Aufgabe der Mechanik hin, die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben1). Er will damit sagen, dass es sich nur darum handeln soll, anzugeben, welches1) die , Erscheinungen' sind, die stattfinden; dagegen will er den Begriff , Kraft', wegen der ihm an- haftenden Unklarheit, dabei ganz aus dem Spiel lassen.« »Wie die Begriffe ,Ursache und Wirkung' ist jetzt auch der Be- griff , Kraft', welcher in der Definition der Entwickelungs- mechanik eine so verhängnisvolle Rolle spielt, noch einer genaueren Analyse zu unterwerfen.« Dass sich auch die Causalzusaniinenhänc-e der sinnlichen Welt beschreibend darstellen lassen, wird wohl gleichfalls Niemand bezweifeln; und Hertwig hätte erwähnen können, dass ich selber (1, Bd. IL pag. 3) auf diese Äußerung Kirchhoff's hingewiesen habe. Aber Hertwig übersieht dabei das Wesentlichste der Sache: Ehe wir die Causalzusammenhänge »beschreiben« können, müssen wir sie selber erst ermittelt haben. r; Diese Wörter sind vom Autor in dieser Weise hervorgehoben. 37 Hertwig sagt: »Er (Kirchhoff) will damit sagen, dass es sich nur darum handeln soll, anzugeben, welches die Erscheinungen sind, die stattfinden.« Das Unangenehme bei unserer Aufgabe ist jedoch, dass die ontogenetischen Vorgänge selber uns eben größtentheils »nicht erscheinen«, dass wir, wie Eingangs dargestellt wurde, bloß die groben formalen Kesultate derselben wahrnehmen können. An dieses Unvermögen knüpft aber Hertwig nicht an; er fragt nicht: Wie können wir diese für uns unsichtbaren Vorgänge er- mitteln? Wenn er danach fragte, würde er auf unser Programm kommen. Es giebt aber außer den Vorgängen, welche bloß zufolge ungünstiger Umstände für uns nicht sichtbar sind, auch noch solche, welche überhaupt nicht sichtbar sind. Auch diese möchten wir möglichst weit erforschen, können sie theilweise erforschen und dann beschrei- bend (!) darstellen; das sind die Wirkungsweisen, auf denen das formale Geschehen beruht, durch welche es hervorgebracht wird. Nach diesen fragen die rein deskriptiven Forscher und mit ihnen Hertwig in ihrem Programm nicht; es wird im Gegentheil von vorn herein auf dieses Streben nach Vollständigkeit der causalen Erkenntnis verzichtet, und man begnügt sich mit der Erforschung des »Scheins«, der wirklichen »Erscheinung«, das heißt dessen, was wir sei es direkt als Vorgang oder an fixirten Stufenreihen sehen können: mit der Erforschung der Form Wandlungen von Ei und Embryo, mit der Zurückführung dieser Formwandlungen aui Faltung, Biegung, Abschnürung, sichtbare Zellenwanderung u. dgl. Desshalb konnte Hertwig, da er sich mit dem direkt Wahrnehmbaren und den aus ihm ableitbaren unbestimmten Folgerungen vollkommen zufrieden und am Ende des für ihn zu Erstrebenden wie des zu Erkennenden fühlt, auch (pag. 67) sagen: »In dem Eiitwickeliingsprocess eines Thieres legt die Natur dem Forscher ihre Geheimnisse offen vor, bietet ihm die Quelle unermesslicher Erkenntnis, die nicht erst durch das Ex- periment erschlossen zu werden braucht.« Das ist der Punkt unserer Differenz. Unser Ziel existirt gar nicht für ihn. Ich habe in meiner ersten Orientirungsarbeit (s. o. pag. 7) gezeigt, dass schon eine einfache Biegung einer Platte durch außerordentlich verschiedene innere Vorgänge und durch entsprechend verschiedene ursächliche Wirkungs- weisen bewirkt werden kann, und dass es daher nöthig ist, im 38 Einzelfalle die wirklichen Vorgänge und deren ursächliche Wir- kungsweise zu ermitteln. Ich bitte den Leser, diesen für das Ver- ständnis alles Folgenden wichtigen Abschnitt auf pag. 7 — 12 jetzt noch einmal zu lesen. Alle diese Kenntnis ist für Hertwig überflüssig; er begnügt sich mit dem formalen »Schein« und ahnt gar nicht, dass diese seine »Genügsamkeit« die Ursache unserer Differenz ist. Wer solches causales Bedürfnis nicht empfindet, der kann auch leicht über »das in letzter Zeit , plötzlich' gesteigerte Causalitäts- bedürfnis« witzeln. Hertwig's Auffassung ist im Wesentlichen noch diejenige des uns Beiden gemeinsamen Lehrers Ernst Haeckel. Dieser erklärt (von der Caenogenesis abgesehen, deren Ursachen er als zu erforschen nöthig bezeichnet) das sogen, biogenetische Grundgesetz für die voll- kommen zureichende »Erklärimg« der Ontogenese; auch er ist mit der vollständigen Beschreibung der Formwandlungen vollkommen zufrieden und kann nicht zugestehen, dass es nöthig sei, ja dass es überhaupt einen Werth habe, genau zu ermitteln, durch welche • * Wirkungen resp. Kräfte diese sichtbaren Änderungen selber hervor- gebracht werden: — eine Einschränkung der Aufgabe, die ich schon als sein Schüler nicht habe verstehen können. Etwas mehr und schon etwas detaillirtere und zuverlässigere causale Erkenntnis als die bloße Beobachtung der normalen Ent- wickelung eines Einzelwesens gewährt die vergleichende Be- trachtung des normalen gestaltenden Geschehens, sowohl die onto- genetische wie die phylogenetische. Auf der so gewonnenen causalen Erkenntnis ist die Descendenzlehre errichtet worden, die ja gleich- falls eine sehr wichtige, wenn auch wieder in Bezug auf das Einzel- geschehen unbestimmte Causalität bezeichnet. Die causale Erkenntnis, welche die vergleichende Anatomie und die vergleichende Embryologie gewähren, steht etwa in der Mitte zwischen der nur ganz allgemeinen, das heißt in Bezug auf das Specielle der Lokalisation und der Wirkungsweisen ganz unbestimmten, causalen Erkenntnis, welche die nicht vergleichende Entwickelungslehre des Normalen bietet, und der von uns erstrebten, in jenen Beziehungen viel bestimmteren und in diesem Sinne »exakten« causalen Kenntnis. Es lässt sich aber zwischen der causalen vergleichenden Erforschung des normalen gestaltenden Geschehens der Organismen und der von uns erstrebten keine scharf zu bestimmende Grenze ziehen. Desshalb folgert Hertwig (pag. 22), 39 es bestehe überhaupt »keine wesentliche Verschiedenheit« zwischen den beiderlei causalen Bestrebungen. Das würde also be- deuten: weil man nicht weiß, auf welchem Stadium ein Kahlkopf beginnt, wo seine Grenze ist, so besteht auch kein Unterschied zwischen einem Kahlkopf und einem Kopf mit dichtem Haarschopf; oder weil man zwischen Roth und Gelb hundert gleichmäßig graduirte Zwischenfarben einschalten kann, existirt kein Unterschied zwischen Roth und Gelb. Die vergleichenden Erforschungen des normalen Geschehens lehren uns, wenn sie auch schon manche wichtigen gestaltenden Korrelationen einander naher oder entfernter Theile des Organismus vermuthen lassen, doch überwiegend nur »formale« Gestaltungsweisen, das heißt, sie lehren die sichtbaren Gestalt- änderungen kennen, aber nicht (oder doch nur vermuthungsweise) die Vorgänge, welche diese Gestaltänderungen hervorrufen. Dabei ist daran zu denken, dass jede sichtbare Gestaltänderung in Wirklichkeit das Resultat sehr vieler, verschiedener, zu- nächst unbekannter Vorgänge sein kann, dass daher eine solche Vermuthung wenig Aussicht hat, gleich das Richtige zu treffen. Wir dagegen wollen gerade diese besonderen ursächlichen Vorgänge ihrer Qualität und Lokalisation nach kennen lernen, was nur durch eine besondere Forschungsmethode möglich ist. Hertwig begründet seine Auffassung, dass die Entwickelungs- mechanik kein neues Programm habe, noch damit, dass sie und die bisherige Forschung beide das »Wie« der Bildung eines entwickelten Organismus kennen lernen wollen. Letzteres ist richtig. Die Erforschung des »Wie«, also der Art und Weise des Bil- dungsgeschehens, ist eine gemeinsame Bezeichnung für unsere im Speciellen von einander sehr verschiedenen Bestrebungen. Das »Wie« ist aber ein überaus weiter und vielseitiger Begriff, den man daher auch sehr verschieden auffassen kann ; wir aber möchten, dass es bei dem uns interessirenden Geschehen möglichst voll- ständig erfasst werde. Das »Wie« umfasst in unserem Sinne auch das Warum, denn erst wenn wir letzteres kennen, ist unsere Kenntnis des Ersteren vervollständigt. Dem entsprechend ist die Frage nach dem »Wie« zu verschie- denen Zeiten und von verschiedenen Autoren auch in sehr verschie- dener Ausdehnung gefasst worden. Meinerseits wurde ihm Ausdruck verliehen, indem ich sagte: wir müssen die ursächlichen Wirkungs- weisen jedes ontogenetischen Geschehens ermitteln, während 40 0. Hertwig schon zufrieden ist, wenn das für uns sichtbare Wie des Geschehens ermittelt ist, wenn die Bildung der Organe auf Faltung-, Abschnürung von Keimblättern etc. zurückgeführt ist. Das ist, um an ein früher gebrauchtes Gleichnis anzuknüpfen (1, Bd. IL pag. 142), ähnlich, als wenn Jemand von einem Luft- ballon aus 4000 m Höhe die Anlage und Ausbildung eines großen industriellen Etablissements, etwa einer Kanonenfabrik, beobachtet, Alles, was er von diesem entfernten Standpunkt aus sieht, voll- ständig beschreibt: die erste Anlageform und die erkennbare Struktur derselben, dann die weitere Ausdehnung dieser Anlage, ihre Ver- breiterung, die Bildung von Strängen in der Anlage (Geleise), das gruppenweise Auftreten von viereckigen Gebilden (Arbeiterwohnungen) etc., und wenn dann auf Grund dieser Beobachtungen und Beschrei- bungen der Autor glaubt, das unten stattfindende Geschehen vollkom- men erkannt zu haben. Hertwig hat also, wie wir sahen, in Folge des ungelösten alten Problems vom »Kahlkopf« oder vom »Haufen« keinen Unterschied zwischen den bisherigen und unseren neuen Zielen auffinden können. Dagegen ist es ihm, entsprechend dem von uns oben auf pag. 35 gegebenen Citat, seiner Meinung nach gelungen, die Ursache auf- zufinden, warum wir irrthümlicher Weise glauben, ein sol- ches Ziel zu haben. Sie besteht darin, dass wir zwar, wie er glaubt, gleich der bisherigen Forschung die Ursachen des organischen Bildungsgeschehens ermitteln wollen, aber eine falsche Vorstellung von »Ursache« haben; dazu kommt, dass wir auch von der Ermitte- lung von Kräften sprechen, obschon die Philosophen längst festgestellt haben, dass Kräfte nichts Besonderes für sich, sondern etwas Ge- dachtes, den Erscheinungen Untergelegtes sind. Die freundlichen Leser der obigen, hauptsächlich zu diesem Zwecke vorgenommenen umfangreichen Reproduktionen meiner früheren Äußerungen wissen zwar, dass ich unter den verschiedenen Formulirungen unseres Forschungszieles besonders die Ermittelung der Wirkungsweisen in den Vordergrund gestellt und weiterhin gesagt habe (s. o. pag. 17): »Es sind die aufgefundenen beständigen gestaltenden Wir- kungsweisen des lebenden Substrates selbst wieder von noch all- gemeineren Wirkungsweisen abzuleiten, und diese selber schließ- lich gleich den mechanischen Massenwirkungen auf im Bereiche des Anorganischen erkannte Wirkungsarten, resp. auf die Ihnen supponirten Kraftforiuen zurückzuführen.« 41 »Je nach der Definition von Ursache und Kraft erhält die specielle Definition unseres Zieles eine andere Fassung, womit aber praktisch nichts gewonnen ist (s. o. pag. 21). »In so fern uns jedoch die Kräfte resp. Energien nur durch ihre besonderen Wirkungen, d. h. jede Art derselben durch ihre be- sondere Wirkungsweise bekannt werden, so lässt sich unsere Aufgabe auch als die Ermittelung der gestaltenden Wirkungs- weisen definiren.« Diese Stelle folgt, wie ein Blick oben auf die vorstehende pag. 25 zeigt, in unmittelbarem Anschluss auf die- jenige Stelle von den Kräften, an welche Hertwig seine ganze, irrthümliche Polemik knüpft ; und im Anschluss daran wird dann im Original von mir auf sieben Seiten eingehend über diese »Wirkungs- weisen« gesprochen. Nach Empfehlung möglichster Einschränkung in der Anwendung des auf anthropomorpher Auffassung beruhenden Ausdruckes »Natur- gesetz« und seiner Eliminirung aus der Definition unserer Aufgaben, heißt es dann in der Einleitung des Archivs für Entwickelungs- mechanik weiter: »Definiren wir nunmehr die allgemeine Aufgabe der Entwicke- lungsmeclianik auf die am wenigsten geheimnisvolle Begriffe einschließende, also einfachste und zugleich dem unmittel- baren Vorgehen am meisten sich anschließende Weise, so haben wir die organischen Gestaltungsvorgänge auf die wenigsten und einfachsten Wirkungsweisen zurückzuführen. Letzteres schließt schon ein, dass für jede dieser Wirkungsweisen der einfachste Aus- druck gesucht werde.« Hätte unser Kritiker sich an diese von mir als die beste be- zeichnete und weiterhin allein verwendete Definition gehalten, so würde seine missverständliche Auffassung unmöglich ge- wesen sein; oder hätte er sie nur in seinen Citaten mit verwendet, so würden die Leser seiner Einwendungen das Unrichtige derselben sogleich erkannt haben. Letzterem hat Hertwig dadurch vorgebeugt dass er alle die zahlreichen Stellen, in welchen die Ermitte- lung der gestaltenden Wirkungsweisen als unsere Aufgabe be- zeichnet wird, konsequent ausgelassen hat. Außerdem aber unter- stellt er mir willkürlich falsche Begriffe von Ursache und Kraft. Mit dem Hinweis auf diese Definitionen unserer Aufgabe wird dem ersten, 60 Druckseiten umfassenden und reich mit Citaten aus philosophischen Schriftstellern ausgestatteten Abschnitt von Hertwig's Buch der Boden entzogen. 42 Aus meinen Darlegungen ergiebt sich wohl deutlich, dass gestrebt wurde, nicht nur den Ausdruck Naturgesetz, sondern auch den Begriff der Kraft aus den Definitionen unserer Aufgabe möglichst zu eliminiren und statt dessen dasjenige, was wir ermitteln können, also die beständigen Wirkungsweisen zu nennen. Immerhin habe ich, da diese Betonung der Wirkungsweisen neu, also den Lesern noch fremd ist, um an Bekanntes anzuknüpfen, immer noch dazwischen Formulirungen mit Verwendung des Kraftbegriffes und des Energiebegriffes angeführt. Ich eliminirte auch den Kraft- begriff nicht, weil er nicht brauchbar wäre, sondern weil er eine Komplikation der Vorstellung repräsentirt und nicht unbedingt nöthig ist. Desshalb habe ich auch meinen Lesern keine aus einem Philo- sophen entlehnte Definition desselben dargeboten. Kräfte sind bequeme Hilfs begriffe, die mit Vorliebe dann verwendet werden, wenn man sich die Ursache einer Erscheinung, also das der Erscheinung vorhergehende, sie hervorbringende Ge- schehen nicht deutlich vorstellen kann. Auch den Energiebegriff habe ich in meinen Definitionen etwas zurückgedrängt oder, wie vielleicht Andere sagen werden, vernachlässigt. Dies geschah desshalb, weil ich das Aufsuchen des Specifischen des organischen Gestaltungsgeschehens, also der gestaltenden Wirkungsweisen als das Wesentlichste hin- stellen wollte. Für die Erledigung dieser allgemeinen Aufgabe: der Ermitte- lung der die specifischen organischen Gestaltungen hervorbringenden Wirkungsweisen, ist es nebensächlich, wo die Energievorräthe zu dem bezüglichen Geschehen lagern oder herkommen: ob sie als Nahrungsdotter schon zu einem großen Theil im Ei enthalten sind oder alle von außen her, sei es in Form von flüssiger, gas- förmiger Nahrung, sei es als Wärme, Licht zugeführt werden. Diese Agentien sind ja für viele sehr verschieden gebaute Thiere nach Lokalisation und Beschaffenheit dieselben; also wird die specifische, typische Verschiedenheit der Gestalt und Struktur dieser Thiere nicht durch die Nahrung hervorgebracht oder auch nur bedingt; sondern die Verwendung der Nahrung zur Produktion typisch verschiedener Gestaltungen hängt wesentlich von der Beschaffenheit des thätigen Eies, also von seiner physikalisch -chemischen Struktur ab. Aus diesem Grunde ist die selbstverständlicher Weise gleichfalls nöthige Erforschung dieser Verhältnisse in dem Programm nicht besonders erwähnt worden. 43 Auch werden die gestaltenden Wirkungsweisen inner- halb sehr großer Organismengruppen im Wesentlichen die- selben sein, und die Unterschiede der producirten Gestal- tungen wesentlich auf quantitativen, lokalen und zeitlichen Unterschieden in der Bethätigung dieser Wirkungsweisen beruhen. Die »allgemeine Entwickelungsmechanik« kann also die genannten Verhältnisse etwas vernachlässigen. Dagegen werden sie für die »specielle Entwickelungs- mechanik« von größerer Bedeutung sein, obschon z. B. auch viele Thiere mit gleich großem und gleich gelagertem Nahrungsdotter sehr verschiedene Gestalt ausbilden. Unter specieller Entwickelungsmechanik wird man die Lehre von der besonderen Verwendung zu verstehen haben, die im Einzelfalle von den allgemeinen gestaltenden Wirkungsweisen gemacht wird. Dabei werden auch die Lokalisation der Nahrung als der Energievorräthe, sowie die Bahnen, die sie zu ihrer Verwen- dung und bei ihrer Verwendung einschlagen, von großem Interesse sein. Doch sind über die Bahnen der Energie bei ihrem Wirken selbst die Physiker trotz der einfacheren Verhältnisse ihrer Unter- suchungsobjekte manchmal noch im Zweifel. Ursache eines Geschehens ist ein diesem Geschehen voraus- gehendes Geschehen, aus welchem das ersterwähnte Geschehen mit Nothwendigkeit folgt. Häufig besteht das vorausgehende Ge- schehen aus mehreren zusammenwirkenden Theilen, den soge- nannten Komponenten oder Faktoren, von denen ein oder mehrere schon lange vorher bestehen, also einen Zustand dar- stellen, während nur eine Komponente unmittelbar vorher neu hinzukommt; diese Komponente stellt also das letzte der Wirkung vorhergehende Ereignis dar. Populärer Weise bezeichnet man ge- wöhnlich nur dieses letzte Ereignis als die Ursache des Geschehens. So bezeichnet man z. B. bei der Explosion einer Pulvermine gern den Funken als die Ursache der Explosion, während doch das Pulver ebenso nöthig dazu ist; nur war dieses vielleicht schon lange vorher da, während erst mit dem Hinzukommen des Funkens die Explosion stattfand. Ebenso ist die Ursache eines rollenden Billardballes nicht bloß der mit dem Queue gegebene Stoß, sondern auch der Billardball. Die Ursache einer fliegenden Kanonenkugel ist nicht bloß der Funken, das Pulver und die Kugel, sondern auch das Kanonenrohr; diese alle zusammen bilden die Komponenten des Fliegens einer Kanonenkugel. Eine in dieser Weise angegebene 44 Ursache eines Geschehens heißt die »vollständige Ursache« des Geschehens. In diesem Sinne haben wir gesagt, dass kein Geschehen »einseitig« bedingt sein kann, dass kein Geschehen bloß eine Komponente, sondern mindestens zwei Komponenten, s. Fak- toren, z. B. den Billardball und das bewegte, ihn stoßende Queue haben mnss. Alle Komponenten einer Wirkung müssen vor- her »existiren«, sie brauchen aber nicht alle unmittel- bar vorher »anzufangen«, heißt es daher in der Logik. Von diesen unseren Ausführungen ist Hertwig anscheinend nichts bekannt. Man betrachtet üblicher Weise das Geschehen auch auf eine andere einseitigere Art, indem man ihm eine Kraft unterlegt und dann die Kraft als die Ursache des Geschehens bezeichnet. An diese nicht philosophische, aber den Physikern geläufige, z. B. auch von Kirchhoff (23, Vorrede pag. III) erwähnte Definition habe ich der Mehrseitigkeit der Darstellung halber neben der zumeist bevor- zugten philosophischen Definition des Begriffes Ursache auch einmal angeknüpft (s. o. pag. 25). Hertwig ist der Gebrauch dieser De- finition unbekannt, weil die Philosophen der Vereinfachung halber den Kraftbegriff aus ihrer Definition der Ursache eliminiren. Daran klammert er sich nun und bringt seitenlange philosophische Citate dagegen. Es ist ihm somit auch nicht bekannt, dass die Zeit, zu welcher die Naturforscher noch in der von den Philosophen gerügten und bekämpften falschen Vorstellung von den »Kräften« befangen waren, schon lange vorüber ist. Wenn er statt Philosophen, und zwar meist älterer Philosophen, moderne Naturforscher, besonders Physiker, ge- lesen hätte, so hätte ihm das nicht entgehen können. Was er erst noch durch seine Citate zu erkämpfen für nöthig hält, ist sogar be- reits schon populär geworden; und wir haben uns dem entsprechend ausgedrückt (s. o. pag. 40). Nach den reichen philosophischen Lesefrüchten folgt dann eine Darstellung von Hertwig's eigenen Auffassungen, der wir einige Aufmerksamkeit zu widmen- Veranlassung haben. Er erwähnt zunächst (pag. 45) die bekannte Thatsache, dass die Kräfte bloß von uns den Erscheinungen untergelegte Begriffe sind: »Die Physik beschäftigt sich daher streng genommen nicht mit der Erforschung der magnetischen und elektrischen Kraft etc., vielmehr mit der Erforschung von Erscheinungen, welche für 45 unser Denken etwas Gemeinsames haben, das wir unter dem ab- strakten Begriff der magnetischen, der elektrischen Kraft etc. oder des Magnetismus und der Elektricität zusammenfassen.« »Mit vollem Kechte hat daher Kirchhoff, wie oben erwähnt wurde, als die Aufgabe der Mechanik bezeichnet: die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben, und hat daher die Mechanik als die Wissenschaft von der Bewegung bezeichnet« (pag. 46). So weit können wir dem Autor im Wesentlichen zustimmen. Nun aber folgt Hertwig's eigene Interpretation. Er fährt fort: »Denn über das Wesen der für das Zustandekommen der Be- wegungen angenommenen Grimdkräfte in der Mechanik kann uns die Forschung nicht mehr ,lehren', als es die auf die einfachste Weise gegebene Beschreibung' von den Bewegungen der Körper thut« (pag. 46). Und er fährt unmittelbar fort: »Angesichts der Aussprüche von Roux und manchen anderen Forschern, wrelche die Erforschung der gestaltenden Kräfte oder Energien, der verae causae, als die wahre Aufgabe der Biologie hinstellen, scheint es uns an der Zeit diese Verhältnisse wieder einmal klar zu legen.« Obgleich wir uns nicht besonders für die Kräfte, sondern direkt für die Wirkungsweisen engagirt haben, wollen wir uns doch den Sinn dieser Äußerung Hertwig's klar machen. Derselbe ist offenbar der, dass die Forschung über die Kräfte uns nichts mehr lehren kann als es die auf die einfachste Weise gegebene Beschreibung thut; und Hertwig überträgt diese Auffassung von der Massenmechanik, welche es ja mit leicht übersehbaren Vorgängen zu thun hat, durch seinen Nachsatz sogleich auf die Biologie, speciell auf die Entwickelungsmechanik. Hertwig ahnt offenbar nicht, dass das, was Kirchhoff unter NB. vollständiger und einfachster Beschreibung versteht, etwas ganz Anderes ist, als was er selber sich dabei denkt. Es handelt sich nicht, wie er glaubt, um einfache, das heißt kurze und klare sowie vollständige Beschreibung des unmittelbar Wahrnehmbaren einer einzelnen Bewegung; sondern erst die auf Grund überaus vielseitiger Beobachtungen, in schwierigen Fällen auch auf Grund besonderer Experimente, gewonnene Einsicht vom Wesentlichen dieser Vorgänge ermöglicht die von Kirchhoff gemeinte vollständige und einfachste, das heißt »mit den wenigsten und allgemeinsten Annahmen auskommende« Beschreibung des wirklichen Geschehens, nicht bloß seines äußeren Scheins. 46 In diesem Sinne sagt Kirchhoff selber auf der ersten Seite seines Buches (23) unmittelbar nach der von Hertwig citirten De- finition der Mechanik Folgendes: >Es soll die Beschreibung der Bewegung eine vollständige sein. Die Bedeutung dieser Forderung ist vollkommen klar: es soll eben keine Frage, die in Betreff der Bewegungen gestellt werden kann, unbeantwortet bleiben. »Nicht so klar ist die Bedeutung der zweiten Forderung, dass die Beschreibung die einfachste sei. Es ist von vorn herein sehr wohl denkbar, dass Zweifel darüber bestehen können, ob eine oder die andere Beschreibung gewisser Erscheinungen die einfachere ist; es ist auch denkbar, dass eine Beschreibung gewisser Erscheinungen, die heute unzweifelhaft die einfachste ist, die man geben kann, später, bei weiterer Entwickelung der Wissenschaft durch eine noch einfachere ersetzt wird. Dass Ahnliches stattgefunden hat, dafür bietet die Geschichte der Mechanik mannig- faltige Beispiele dar.« Da Hertwig auch der Meinung ist, Kirchhoff bediene sich nicht des Begriffes Kraft, so sei noch ein weiterer Satz dieser ersten Seite des Buches citirt: », Bewegung' ist die Änderung des Ortes mit der Zeit; was sich bewegt, ist die Materie. Zur Auf- fassung einer Bewegung sind die Vorstellungen von Raum, Zeit und Materie nöthig, aber auch hinreichend. Mit diesen Mitteln muss die Mechanik suchen ihr Ziel zu erreichen, und mit ihnen ,muss' sie die Hilfsbegriffe konstruiren, die sie dabei nöthig hat, z. B. die Begriffe der Kraft und der Masse.« Kirchhoff erwähnt noch besonders (Vorrede pag. IV), dass man auch auf dem von ihm eingeschlagenen Wege es mit dem Begriffe Kraft zu thun hat, der aber keine Unklarheit zur Folge hat, »da die Einführung der Kräfte hier nur ein Mittel bildet, um die Ausdrucksweise zu vereinfachen, um nämlich in kurzen Worten Gleichungen auszudrücken, die ohne Hilfe dieses Namens nur schwerfällig durch Worte sich würden wiedergeben lassen.« In verschiedenen Ab- schnitten handelt dann Kirchhoff auf seine Weise von Kräften im Speciellen. Herr Kirchhoff hat wohl nicht geahnt, was sein Ausspruch über die »vollständige und möglichst einfache Beschreibung« der Massen- bewegungen, also über das an sich schon einfachste, am leichtesten zu beobachtende und vorzustellende Geschehen durch eine den Sinn seiner Worte nicht erfassende Deutung und durch rein mechanische, 47 anpassungslose Übertragung- auf ein anderes, der direkten Beobachtung viel weniger zugängliches Gebiet für Verwirrung anrichten würde. Die Mechanik ist überhaupt nicht bloß auf »be- schreibende« Weise entstanden, sondern unter Anstellung von zahllosen scharfsinnigen, analytischen Experimenten, die über ein Jahrhundert in Anspruch nahmen. Erst so ist die Einsicht gewonnen worden, die zu deduktiver und mathematischer Bearbeitung die Möglichkeit bot; und dann endlich konnte nach über zweihundert Jahren ein Kirchhoff daran gehen, diese Vorgänge auf die »einfachste« und (möglichst) »voll- ständige« Weise zu »beschreiben«. Bei dieser Forschungsarbeit sind viele Hypothesen gemacht und wieder verworfen, oder allmählich verificirt worden. Hertwig glaubt auch, Newton habe keine Hypothese ge- macht. Er interpretirt daher den Satz: »hypotheses non fingo« als: »ich mache keine Hypothesen«. Newton war aber Vertreter der Emanationshypothese des Lichtes und der auf diese gegründeten Theorie. Der Nachdruck in jenem Satze ist also wohl weniger auf hypotheses als auf fingo zu legen; und so bedeutet der Satz: Ich erdichte keine Hypothesen, sondern ich leite sie aus den Thatsachen selber ab. Auch hat Newton mancherlei analytische Experimente gemacht, bis er unter Benutzung dieser und mit Verwerthung der Beobachtung des unmittelbaren Naturgeschehens zu seiner einfachen, allerdings sehr vorsichtig ausgesprochenen »Hypothese« kam, dass die Massen so auf einander wirken, als ob von ihnen selber (von ihren Mittel- punkten) die sichtbaren Näherungswirkungen ausgingen. Die andere, neuerdings wieder von einigen Autoren vertretene Auffassung, dass die bezüglichen Wirkungen nicht von den sich nähernden Massen selber ausgehen, sondern durch äußere Ein- wirkungen auf diese Massen hervorgebracht werden, ist in der That iel komplicirter !). Newton's Auffassung gestattet daher die »ein- fachste« Beschreibung des Geschehens. Helmholtz sagt so, unserer Auffassung wohl entsprechend, in *) Wie durch primär abstoßende Wirkungen zweier Gebilde Näherung derselben in direkter Richtung hervorgebracht werden kann zeigt auf das Schönste mein Versuch der Selbstkopulation von Chloroformtropfen, welche auf gesättigter wässeriger Karbolsäure schwimmen (1, Bd. II. pag. 34). 48 seinem Vorwort zu Hertz's Prineipien der Mechanik (28) pag. XX: »Erst Newton kam zum Begriff der Fernkraft. Es ist bekannt, wie sehr Anfangs ihm selbst und seinen Zeitgenossen der Begriff un- vermittelter Fernwirkung widerstrebte« (das ist eine Fernwirkung, ohne dass in dem zwischenliegenden Medium irgend eine Veränderung vor sich geht, im Unterschied von elektrischer Wirkung. Ref.). »Die allgemeinen principiellen Sätze der Mechanik haben sich alle entwickelt unter der Voraussetzung von Newton's Attributen der konstanten, also auch konservativen Anziehungskräfte zwischen materiellen Punkten und der Existenz fester Verbindungen zwischen denselben. Sie sind ursprünglich nur unter der Annahme solcher gefunden und bewiesen worden. « Erst die durch Vergleichung und Analyse vieler, zum Theil künstlich hervorgebrachter Fälle verschiedener Art gewonnene, das Wesentliche des Geschehens erfassende Einsicht gestattet die von Kirchhoff gemeinte vollständige und einfachste Beschrei- bung des mechanischen Geschehens. Da es sich somit nicht, wie Hertwig meint, um einfache Be- schreibung des Gesehenen nach seinem äußeren Schein handelt, so hat dieser Autor bei seinem Ausspruch noch ein Zweites, fast noch wichtigeres Moment übersehen. Das bezügliche Ge- schehen muss nämlich überhaupt erst auf die von uns ge- nannte Weise vollständig »erforscht« sein, ehe wir es voll- ständig und auf diese einfachste Weise beschreiben können. Die »Beschreibung« kann uns von diesem Wissen nichts »lehren«, was wir nicht zuvor auf nicht bloß das Gesehene beschreibende, sondern auf eine das Wesentliche aus wieder zum Theil experi- mentell erzeugten Fällen abstrahirende Weise erforscht haben. Was so erforscht worden ist, das können wir dann auch be- schreibend darstellen. Das ist nun auch auf den schönen Ausspruch Naegeli's anzu- wenden: »Einen Naturvorgang begreifen heißt gleichsam nichts Anderes als ihn denkend wiederholen, ihn in Gedanken hervor- bringen.« Dies ist sehr richtig, aber es genügt nicht, sich seinen sichtbaren Ablauf, also seinen äußeren Schein, denkend zu wiederholen; sondern es ist zuvor meist vieljährige und mannig- fache experimentelle Forschung nöthig, bis wir einen Vorgang so weit erkannt haben, dass wir ihn selber, also das bei ihm statt- findende wirkliche Geschehen und Wirken uns annähernd vorstellen und daher »denkend wiederholen« können. So vollständig haben 49 wir noch gar keinen Vorgang erkannt, um ihn vollständig in Ge- danken wiederholen zu können. Wir schreiten aber fortwährend weiter in solcher causaler Erkenntnis; das muss uns Trost und Genugthuung sein. Das »Wie«, das eigentliche Wesen des Wirkens ist uns zwar in letzter Instanz immer unbekannt. Aber wir kennen doch schon recht verschiedene Wirkungsweisen im Bereiche des Anorga- nischen und Organischen; desshalb habe ich als unsere praktische, mit Erfolg angreifbare Aufgabe formulirt, das so überaus mannig- faltige organische gestaltende Geschehen jederzeit auf eine möglichst kleine Anzahl beständiger, das heißt sich stets gleich bleiben- der Wirkungsweisen zurückzuführen. Diese Zahl beständiger Wirkungsweisen wird zunächst ziemlich groß werden; aber sie wird durch weitere Zerlegung allmählich vermindert werden; und immer mehr werclen wir später auf Wirkungsweisen kommen, die vom anorganischen Geschehen her bekannt sind. Mag sich stets die folgende Generation bemühen, die Zahl der ihr überlieferten noch komplexen aber beständigen Wirkungsweisen zu vermindern und somit die er- kannten Wirkungsweisen zu verallgemeinern. Hertwig fasst dann sein Urtheil über unser Programm in die, wie wir sahen, nicht sachlich begründeten Worte zusammen (pag. 55) : »In seinen (seil. Roux's) Schriften begegnet uns auf Schritt und Tritt die von Schopenhauer und Lotze getadelte Verwendung der Begriffe , Ursache und Kraft/. In ihnen erhält ferner der Begriff der Causalität eine solche Fassung, dass man nicht weiß, was man auf dem Gebiete der Biologie überhaupt noch eine , ur- sächliche Forschung' nennen soll. Denn wenn Roux als solche ,die Ermittelung der gestaltenden Kräfte oder Energieen' bezeichnet, so stellt er der Entwickelungsmechanik eine Aufgabe, welche, streng- genommen, die Naturwissenschaft überhaupt nicht erforschen kann, und trägt in ihre Definition gleich alle die Unklarheiten hinein, welche dem Begriff der Kraft anhaften. Bei solcher Unklarheit kann es uns fürwahr nicht Wunder nehmen, wenn Roux von der gewaltigen Größe der Aufgabe seiner Entwickelungsmechanik mit einer gewissen ehrfurchtsvollen Scheu redet, als dem schwierigsten' Unternehmen, ,an welches sich der Menschengeist gewagt hat'. »Die Schwierigkeit besteht eben darin, dass Niemand aus den genauer dargelegten Gründen näher angeben kann, was denn nun eigentlich erforscht werden soll. Es ist genau derselbe Zustand, der eintreten würde, wenn Jemand als die Aufgabe der Roux, Pro gr amm . 4 50 gesammten Naturwissenschaft die Erforschung der welt- bildenden Kraft angeben wollte.« Also es kann Niemand angeben, was nach meiner Meinung nun eigentlich erforscht werden soll. Ich darf wohl hoffen, dass die Leser unseres vorstehend reproducirten Programms anderer Meinung sind; sie werden noch weiter darüber aufgeklärt sein, wenn sie auch den zugehörigen zweiten, über die Forschungsmethoden handelnden Abschnitt gelesen haben werden. Diese ganze Expektoration Hert- wig's hat zur Vorbedingung die von ihm streng durchgeführte Verschweigung des Wesentlichsten meines Programms, der Erforschung der gestaltenden Wirkungsweisen; und sie beruht andererseits auf der unrichtigen Auffassung Hertwig's über meine Vorstellungen von Ursache und Kraft. Ic. »Physik und Chemie kennen keine gestaltenden Kräfte«: 0. Hertwig. Vor dem eben citirten Endurtheil über das Programm der Ent- wickelungsmechanik fügt Hertwig noch einen längeren Exkurs über die »gestaltenden Kräfte« ein, da wir gelegentlich der zu er- forschenden gestaltenden Wirkungsweisen auch von den ihnen zu supponirenden gestaltenden Kräften gesprochen haben. Die Bezeichnung »gestaltend« wurde von mir angewendet zur Unter- scheidung von den keine Gestaltungen oder nicht bleibende, sondern rasch vorübergehende Gestaltungen producirenden Funktionen, welche die derzeitige thierische Physiologie zu ihrem Forschungsgegenstande macht. Die Organismen vollziehen bekanntlich außer den die Gestaltung bewirkenden Gestaltungsfunktionen noch andere die Erhaltung des Gestalteten bewirkende Funktionen: die Erhaltungsfunktionen. In der ersten Periode des individuellen Lebens treten die Gestaltungs-, in der zweiten Periode die Erhaltungsfunktionen in den Vordergrund. Doch kommen den Erhaltungsfunktionen in Folge des Vermögens der »funktionellen Anpassung« unter gewissen Verhältnissen auch bleibende, »gestaltende« Wirkungen in unserem Sinne zu; auch findet während der scheinbaren alleinigen Erhaltung gleichwohl durch innere Regeneration (Ausbesserung und Ersatz abgenutzter oder zu alter [?] Bestandteile) auch Produktion bleibender Gestaltung statt. Immerhin verlaufen die reinen Erhaltungsfunktionen an sich zumeist ohne Bildung neuer bleibender Gestaltung. Die den Morphologen interessirenden Gestaltungen sind aber 51 während der embryonalen Ent Wickelung großenteils scheinbar nicht bleibende, da sie durch die weiterschreitende Ent Wickelung rasch unigeändert werden. Sie stellen dabei aber doch nothwendige Vorstufen nachfolgender bleibender Gestaltungen dar und gehören in diesem Sinne zu den »bleibenden« Gestaltungen. Auch handelt es sich überhaupt nicht um lebenslängliches Bleiben (wir erinnern nur an die wieder rückgebildeten Organe), sondern um die wichtigere Unter- scheidung der »Dauergestaltungen« von den rasch vorübergehenden und immer in wesentlich gleicher Weise wechselnden Gestaltänderungen, die die Vollziehung der Erhaltungsfunktionen bedingt, wie z. B. die Gestaltänderungen bei der Thätigkeit der Muskeln oder der Drüsen- zellen. Diese beiderlei Gestaltungen müssen wir unterscheiden, so wie man die bleibende Struktur einer Maschine von den wechselnden Zu- ständen derselben zu unterscheiden hat, die sie bei ihrer Thätigkeit durch die Drehung der Räder, Bewegung von Hebeln etc. fortwährend und in gleicher Weise sich wiederholend erfährt. Es muss also Kräfte und Kräftekombinationen geben, welche allein oder vorzugsweise diese bleibenden Gestaltungen bewirken; wie es andererseits Kräfte und Kräftekorubinationen geben muss, welche das Gestaltete in seinem Stoffwechsel erhalten und die Er- haltungsfunktionen des Ganzen vollziehen Es giebt auch in der Physik viele Vorgänge (also Wirkungen von Kräften), die keine bleibenden, sondern rasch vorübergehende Gestaltungen hervorbringen; so das ruhige Fließen des Flusses in seinem Bette oder der Elektricität im metallischen Leiter, die Be- leuchtung von Gegenständen. Mit relativ geringer gestaltender Wirkung im Verhältnis zur Krystallisation, oder zur zerstörenden Wirkung des Sturmwindes, eines abnorm angeschwollenen Flusses, oder der einen Felsen sprengenden Mine ist ferner z. B. die bloße Erwärmung eines Körpers verbunden. Dauernde oder vorübergehende Gestaltungen, sowie Vor- gänge mit geringer oder starker Produktion von Gestaltung: das sind für die Physik im Allgemeinen untergeordnete Unterschei- dungen; für uns als Morphologen aber sind es fundamentale Unterscheidungen. Daher habe ich die die organischen Gestal- tungenbewirkenden Kräfte und Kräftekombinationen als »gestaltende Kräfte« und »gestaltend wirkende Kombinationen von Kräf- ten« besonders bezeichnet. Von diesen gestaltenden Kräften resp. gestaltenden Kom- binationen von Kräften finden sich in meinen Arbeiten allge- 4* 52 meinen wie speciellen Inhalts viele Beispiele gegeben, die ich mir erlaube, Hertwig zur Lektüre zu empfehlen. Es sei zunächst wieder an das Eingangs (pag. 7 — 12) ausführlich citirte Beispiel von den Biegung bewirkenden Kräften erinnert, da die Biegung einen generellen Grundvorgang der embryonalen Form- bildung darstellt. Ferner sei der Nachweis erwähnt (1, Bd. I. pag. 75), dass die Gestalt der Lichtung der Blutgefäße eine Anpassung an die Selbst- gestaltungstendenz des Blutstrahles, also an die Kesultirenden der im Blutstrahl wirkenden Propulsions- und Seitendruckkräfte darstellt; ferner die Ableitung der in neuen statischen Verhältnissen ent- stehenden, diesen aufs »Zweckmäßigste« angepassten Knochenstruktur von der Verkeilung der Druck- und Zugkräfte, die also dabei ge- staltend wirken ; weiterhin denken wir daran , - dass G. Berthold, 0. Bütschli, Quincke u. A. die Kohäsionskraft der Oberflächen- schicht von Tropfen zur Ableitung vieler Zellgestaltungen verwandt haben, wie auch ich neuerdings diese Kraft zur Ableitung der Selbst- ordnungsvorgänge der Furchungszellen herangezogen habe. Mithin sind die verschiedenen Biegungskräfte, die hämodyna- mischen Kräfte, die im Knochen fortgepflanzten Druck- und Zug- kräfte, die verschieden großen Kohäsionskräffce der Oberfläche von Tropfen sowie noch fast flüssiger Zellenenoberflächen solche mehr oder weniger »bleibende« Gestaltungen veranlassende, also gestal- tende Kräfte. Aus dem Bereiche des Anorganischen sei noch der Krystalle gedacht, welche durch die supponirten Molekularkräfte ihre specifische Gestaltung empfangen, ferner der vielfältigen Gestaltung der Gebirge, die durch die ungleiche Festigkeit der Gesteine (also wieder durch Molekularkräfte), wie andererseits durch herabfließendes Wasser, durch Frost (d. h. durch die Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren), durch Wirkung der Kohlensäure etc. bedingt ist; weiterhin der Ge- stalt der Thäler, der Flussläufe und der sie bewirkenden Kombi- nationen von verschiedenen Kräften. Wir möchten nun auch womöglich wissen, welche Kombinationen der im Anorganischen erkannten physikalisch-chemischen Kräfte bei den organischen gestaltenden Grundvorgängen: so beim Wachsthum (der Assimilation), bei der Zellwanderung, Zellstreckung, Zelltheilung etc. betheiligt sind, und wie, d. h. durch welche Arten von Wirkungs- weisen diese Leistungen hervorgebracht werden etc. Nach Hertwig dagegen giebt es überhaupt keine gestaltenden 53 Kräfte; er leitet sogar aus einer philosophischen Definition des Begriffes der Kräfte ab, dass die Kräfte nicht gestaltend wirken können. Wir wollen seinen Exkurs hier in toto verbotenus, also ohne jede Auslassung abdrucken, um der Einwendung vorzubeugen, seine Auffassung wäre durch unvollständige Wiedergabe entstellt worden. Denn wenn wir auch diese Auffassung durchaus nicht theilen, so charakterisirt diese eigene Darlegung Hertwig's seine physikalischen und chemischen Ansichten besser als irgend eine Schilderung von fremder Seite dies zu thun vermöchte. Die Leser gewinnen vielleicht dabei auch gleich mir eine Aufklärung darüber, warum 0. Hertwig meine vielfach wiederholten Darstellungen unserer Aufgaben nicht verstanden hat und nicht verstehen konnte. Er sagt (pag. 56): »Was sollen wir uns, bei Lichte besehen, unter Ermittelung von gestaltenden Kräften vorstellen? Physik und Chemie keimen solche vor der Hand nicht!« (Von physikalischen gestaltenden Kräften haben wir vorher eben gesprochen; es sei daher hier in Bezug auf die gestaltende Wirkung chemischer Kräfte nur noch an die Stereochemie er- innert, die jetzt ihre Triumphe feiert und die auf der Annahme be- stimmt ordnender, also gestaltender Atomkräfte beruht.) Unser Autor begründet nun sofort die ausgesprochene Behaup- tung, indem er (pag. 56) fortfährt: »DeDn der Begriff ,Kraft' zielt, wenn er mit Nutzen verwandt werden soll, immer auf das Allgemeine der Erscheinungen, auf allgemeine Eigenschaften der Materie; daher er am meisten in der Physik, schon weniger in der Chemie gebraucht wird und in der Biologie ohne Schaden entbehrt werden könnte. Die Verbindung der beiden Worte ,gestaltende Kraft' insbesondere schließt eine natur- wissenschaftlich brauchbare Verwendung des Kraftbegriffes geradezu aus. Denn Gestalt ist stets etwas Besonderes, etwas Kon- kretes, wodurch ein Ding sich vor einem anderen Ding auszeichnet. Der Ausdruck gestaltende Kraft' ist wissenschaftlich ebenso werthlos wie die , Lebenskraft', welche Lotze durch seine mechanischen Lehren hatte beseitigen wollen.« Die Kräfte bewirken somit nach Hertwig bloß »Allgemeines«; Gestalten aber sind etwas zu »Besonderes«, als dass sie durch Kräfte bewirkt werden könnten; daher kann es keine gestaltenden Kräfte, somit logischer Weise doch wohl auch keine Gestaltungs- 54 Vorgänge, denen wir diese Kräfte supponiren könnten, also auch keine Gestalten geben ? Das übertrifft noch die kühnsten Erwartungen, die man in Bezug auf Negation des Thatsächlichen von einem »reinen Theoretiker« hegen darf. Dagegen ist die Jahrhunderte dauernde Verleugnung der Meteoriten, »weil im Himmel keine Steine sind und also auch keine aus ihm herunterfallen können«, noch empirische Exaktheit; denn der Meteoritenfall ist doch, vom Ende August ab- gesehen, eine nicht allzu häufige Erscheinung, die auch nicht Jeder zu sehen bekommt, wie die Gestaltänderungen von Berg und Thal und die Krystallbildungen etc. Hertwig- fährt fort: »Eine genauere Analyse des Begriffes , gestaltende Kraft oder Energie' wird uns zeigen, wie wenig er leistet und wie wenig einer Erkenntnis durch ihn gedient wird. »Wer von gestaltenden Kräften redet, kommt in die Lage, so viele einzelne Gestaltungskräfte annehmen zu müssen, als es verschiedene Gestalten giebt. Eine Kraft, welche einen Koehsalzkrystall erzeugt, muss von der Kraft, welche einen Krystall von Glaubersalz schafft, ebenso verschieden sein, als das auskrystalli- sirte Kochsalz sich in seinen Eigenschaften vom auskrystallisirten Glaubersalz unterscheidet. Und Gleiches gilt von jeder tkie- rischen, von jeder pflanzlichen Gestalt. An Stelle des Heeres der organischen Gestalten erhalten wir auf diese Weise nur ein Heer von gestaltenden Kräften.« Also die Krystalle werden von Hertwig doch als gestaltete Ge- bilde angesehen; sie können bloß nicht durch »gestaltende Kräfte« hervorgebracht worden sein. Der Autor fährt fort: »Im Organismenreich zerfällt uns aber der Begriff , gestaltende Kraft' unter unseren Händen noch weiter. Jede organische Gestalt entwickelt sich, wie wir wissen. Im Entwickelungsprocess eines Thieres folgen sich zahlreiche Gestaltungen auf einander, die sich eine in die andere gesetzmäßig umwandeln. Folglich müssen wir wenn wir die Besonderheit einer Gestalt als das Ergebnis einer ge- staltenden Kraft bezeichnen, konsequenter Weise auch so viele verschiedene gestaltende Kräfte, als es Formstufen in der Entwickelung giebt und eine Umwandlung derselben in einander annehmen; wir müssen zum Exempel der Froschblastula eine Froschgastrula bildende Kraft und dieser wieder eine Neurula bildende Kraft zuschreiben und so weiter jedem Entwickelungsstadium . 55 eine Kraft, welche sich in dem Nachfolgenden verwirklicht. Es wird Jeder einsehen, dass wir auf diesem Wege mit dem Kraftbegriff ins Gedränge gerathen und dass hier für unsere Erkenntnis nichts ge- wonnen wird, wenn wir ,die Welt der Erscheinungen in die Welt der Kräfte' übersetzen.« »Doch vielleicht hilft uns ein anderer Weg. Vielleicht haben wir mehr Glück, wenn wir, wie Koux auch1) vorschlägt, die Kraft, welche eine zusammengesetzte Gestalt erzeugt, in einzelne Kompo- nenten, in Kombinationen von Energien (?) zerlegen. Roux ge- braucht dafür auch die Ausdrücke ,gestaltliche Mannigfaltigkeit pro- ducirende Komponenten' oder , komplexe Komponenten von vorläufig unübersehbarer Komplicirtheit' oder besondere , gestaltend wir- kende Kombinationen von Ursachen'. ,Da die organische Entwickelung in der Produktion wahrnehmbarer, typisch gestalteter Mannigfaltigkeit bestehe', heißt es, ,so seien zur Entstehung typischer Mannigfaltigkeit selbstverständlich auch besondere typische Kom- binationen von Ursachen (s. Energien) nöthig.' , Vermöge der Komplicirtheit ihrer Zusammensetzung müsse man diesen Komponenten Eigenschaften zuertheilen, welche von denen der anorganischen Wirkungsweisen oft so erheblich verschieden seien, dass sie den Leistungen dieser nicht nur sehr unähnlich seien, sondern ihnen zum Theil geradezu zu widersprechen scheinen.' Hierzu fügt Roux noch hinzu, dass es allerdings seiner unmittelbaren Auffassung entspreche, dass auch diese Komponenten in letzter Instanz auf anorganischen Wirkungsweisen beruhen.« Hertwig fährt fort (pag. 58): »Eine Zerlegung des Begriffes gestaltende Kraft' in Komponenten lässt sich wohl am bequemsten in der Weise erreichen, dass man die organische Gestalt in ihre ver- schiedenen Theile zerlegt und für diese die gestaltenden Kräfte setzt. Man erhält dann anstatt der allgemeinen Gestaltungs- kraft eine Schar besonderer gestaltender Kräfte, wie muskel- bildende, nervenbildende, leber-, knochenbildende Kraft etc. Auf dem betretenen Wege noch weiter schreitend kann man alle Elementartheile, welche man durch anatomische Analyse und Me- thode dargestellt hat, als Träger gestaltender Kräfte bezeichnen und dadurch noch eine weitere Zerlegung in besondere gestaltende Kräfte !) Dieses »auch« ist nicht zutreffend; denn ich habe die vorher erwähnte Auffassung nicht vertreten. Diese bleibt unbestrittenes Eigenthuni Hertwig's. 56 herbeiführen. In dieser Weise könnte man von einer gestaltenden Kraft der Zelle, des Kerns und der wieder im Protoplasma unter- scheidbaren Elementarkörncken sprechen (Roux's Isoplassonten, Auto- kineonten, Automerizonten, Idioplassonten).« Also nach Hertwig »lässt sich eine Zerlegung des Begriffes , gestaltende Kraft' in Komponenten wohl ,am bequemsten' in der Weise erreichen, dass man die organische , Gestalt' in ihre verschiedenen Theile zerlegt und für diese die gestaltenden Kräfte setzt«. Auf die Bequemlichkeit kommt es uns bei der Forschung weniger an als auf die Richtigkeit, auf die Wahrheit. Wir erfahren aus dieser Ausführung Hertyvig's, wie er sich eine wissenschaftliche »Analyse« vorstellt. Nach dieser Probe sind unsere Auffassungen darüber so verschieden, dass wir uns kaum in dieser Hinsicht verständigen werden. Er sieht aber selber ein, dass bei dieser (seiner) Art der Analyse der gestaltenden Kräfte nichts Brauchbares herauskommt, denn er fährt fort: »Wird auf diesem Wege etwas gewonnen? Liegt nicht klar auf der Hand, dass der causale Forscher hier nichts Anderes thut, als nur die Ergebnisse des deskriptiven Forschers in eine andere Sprache zu übersetzen und seinen durch Analyse gewonnenen Erscheinungen das Wörtchen , Kraft' unterzuschieben?« Dem stimmen wir vollkommen zu; auf diese von Hertwig angegebene Weise wird allerdings nichts gewonnen. »Roux selbst hat eine Zerlegung der gestaltenden Kraft in Komponenten in der konsequenten Weise, wie wir es hier gethan haben , um den Gedanken durchzudenken , nicht ausgeführt. Da- gegen spricht er, abgesehen von den schon oben angeführten, all- gemeinen Redewendungen, von Energien der Entwickelung, der Erhaltung, der Rückbildung der Zellen und ihrer Elementartheile. Als komplexe Komponenten führt er auf die elementaren Zell- funktionen: die Assimilation, die Dissimilation, die Selbstbewegung, Selbsttheilung, die Selbstdifferenzirung der Zelle etc., lauter Dinge, welche der deskriptive Anatom auf Grund seiner Beobachtungen den Zellen als Eigenschaften beigelegt hat. Erfahren wir etwa hier- aus, was für eine Naturkraft denn nun eigentlich die , ge- staltende Kraft' ist, was eine Kombination von Energien, was eine komplexe und was eine einfache Komponente von ihr ist? Namen, leere Namen und nichts weiter! Auf festen Hoden gelangen wir nur da, wo Roux sich der Ergebnisse und 57 Ausdrucks weisen der von ihm so gering geschätzten (? Ref.) , deskriptiven Biologie' bedient.« Die von Hertwig hier allein citirten komplexen Komponenten des organischen gestaltenden Geschehens sind, wie ich gesagt habe, noch erste Nothbehelfe; immerhin bezeichnen sie doch beständige Wirkungsweisen von gestaltender Bedeutung. Doch habe ich außer diesen bereits von der deskriptiven Forschung erkannten kom- plexen Komponenten auch schon andere von mir erkannte aufgeführt, die Hertwig allerdings auslässt, da sonst sein Schlusssatz nicht anwendbar gewesen wäre, dass nur, so weit wir bei der deskriptiven Forschung Anleihen gemacht haben, etwas Brauchbares herausge- kommen sei. Es sei daher an die trophische Wirkung, das heißt Knochen-, Knorpel-, Binde-, Muskelgewebe bil düng auslösende Wirkung der bezüglichen funktionellen Reize erinnert, eine komplexe Kompo- nente, auf welche sich meine Millionen specieller Gestaltungen er- klärende Theorie der funktionellen Anpassung stützt; ferner an die direkte Näherungswirkung, welche Furchungszellen auf einander aus- üben können (Cytotropismus), an andere Arten von Cytotaxis, ferner an den (trotz Hertwig) zuerst von mir erbrachten Nachweis, dass die »Gestalt« der Furchungszelle die Theilungsrichtung derselben be- stimmt und besonders an die durch eine Reihe ausgezeichneter Unter- suchungen von Mitarbeitern des Archiv für Entwickelungsmechanik, wie Driesch, Morgan, 0. Schultze, Zoja ermittelte Wirkung der Gestalt der ersten Furchungszellen dahingehend, dass sie bestimmt, ob ein halber oder ein ganzer Embryo aus ihr hervorgeht, eine Thatsache, welche nie durch Beschreibung des normalen Geschehens hätte ermittelt werden können. Das sind einige Beispiele von kom- plexen Wirkungsweisen, resp. von ihnen zu supponirenden, unüber- sehbar komplicirten Kombinationen von Kräften. Der Leser wird ferner bemerkt haben, dass Hertwig statt des von mir verwendeten Plurals »gestaltende Kräfte« und statt der ge- staltend wirkenden Kombinationen von Kräften es vorzieht, in seinen Ausführungen unrichtiger Weise immer im Singular von »der« ge- staltenden Kraft zu sprechen; so fragt er auch: »Erfahren wir, was für ,eine' Naturkraft denn nun eigentlich , die' gestaltende Kraft ist?« und fügt hinzu: »Namen, leere Namen und nichts weiter!« Diese letztere Charakterisirung wendet er auch, wie wir sahen, auf Kombinationen von Kräften, sowie auf komplexe und einfache Komponenten an. 58 Nun ich hoffe, dass diejenigen freundlichen Leser, welche meine Eingangs reproducirten früheren Äußerungen mit einigem Nachdenken gelesen haben, und noch mehr solche, welche auch Kenntnis von meinen Specialarbeiten besitzen, anders darüber denken werden als Hertwig. Wir wussten schon seit Langem, dass unsere Erörterungen für ihn bloß »Worte, leere Worte« sind, dass er ihren Inhalt nicht zu appercipiren vermag. Man würde nach den vorstehenden Ausführungen noch glauben können, dass Hertwig bloß gegen meine »Bezeichnung« »gestaltende Kräfte« opponire, weil er sich, wie wir gesehen haben, irrthümlicher Weise darunter immer für jede specielle Gestalt eine besondere Kraft, eine Kraft von besonderer, bleibender Qualität denkt; und dass daher unsere Differenz der Meinungen mit der Auf klärung verschwände, dass es sich bei mir bloß um die bereits als bekannt angenommenen physikalisch-chemischen Kräfte und zwar meist um besondere Kom- binationen dieser Kräfte handelt, denen dann auch besondere ge- staltende Wirkungen zukommen; dass wir also darunter keine beson- deren Kräfte, sondern, entsprechend den zahlreich gegebenen Bei- spielen, nur die gewöhnlichen physikalisch -chemischen Kräfte uns denken, die aber in Kombinationen thätig sind, welche zur Produktion der organischen Gestaltungen sich eignen. Doch auch diese Aufklärung unserer Differenz ist un- möglich. Hertwig eliminirt diese Möglichkeit und bleibt dabei, dass es auch keine gestaltenden Kombinationen von Kräften geben könne, indem er fortfährt (pag. 59): »Noch ein dritter Weg bleibt zu versuchen, die gestaltende Kraft direkt in die Grundkräfte der Physik zu zerlegen und die organischen Gestalten direkt aus komplexen Komponenten von Schwerkraft, Kohäsionskraft, chemischen, elektrischen, mag- netischen Kräften zu erklären. »Dass dieser Weg ebenfalls nicht der rechte ist, braucht kaum einer näheren Darlegung. Zwar sind die Grundkräfte der Natur wie in den unorganischen Körpern auch in den Organismen wirk- sam und können, wo sie sich in Erscheinung zeigen, untersucht werden, aber wir können keine gestaltende Kraft' durch Kombination von Schwerkraft, Kohäsionskraft, chemischer, elektrischer Kraft kons truiren oder durch Vereinigung von ein bischen Schwerkraft, chemischer Kraft, Kohäsionskraft zur Symbiose ä la Dreyer organische Gestalt produciren.« Hertwig hätte hinzufügen können, dass dieser von ihm gleich- 59 falls als unmöglich bezeichnete Weg derjenige ist, den ich fin- den richtigen halte, den auch schon Baer und Kaspar Friedrich Wolff bezeichnet haben, und den ich in verschiedenen Special- arbeiten, wie ich hoffe, nicht ganz erfolglos betreten habe. Ich erlaube mir als Beispiel nochmals an meine Ableitung der trajektoriellen neuen Knochenstruktur nach Heilung von Knochen- brüchen und bei Ankylosen zu erinnern; es gelang mir, diese wunderbar zweckmäßigen gestaltlichen Anpassungen an ganz neue Verhältnisse von einer einfachen und einer komplexen Kom- ponente abzuleiten : nämlich von der Fortpflanzung des Druckes und Zuges in der Knochensubstanz und von der trophischen, d. h. Knochen- bildung anregenden Wirkung der bei der Einwirkung des Druckes und Zuges stattfindenden Erschütterung resp. Spannung auf die Osteoblasten. Also »wir können keine , gestaltende Kraft' durch Kom- bination von Schwerkraft, Kohäsionskraft, chemischer, elektrischer Kraft konstruiren!« Das müssen wir uns wohl zur Nachachtung unverlierbar einprägen und bei unseren For- schungen stets gegenwärtig halten? Da müssen wir doch die Frage aufwerfen: wodurch sind denn nach Hertwig die Gestaltungen der anorganischen und orga- nischen Natur entstanden, wenn es keine einfachen »gestaltenden Kräfte«, also keine AVirkungsweisen , denen wir solche Kräfte sup- poniren können, giebt, und wenn auch keine Kombinationen von Kräften besondere Gestaltungen hervorzubringen vermögen? Dann bleibt kein anderer Schluss übrig als: es giebt auch keine Gestaltungen; also Berge, Thäler, Felsen, Krystalle, Organismen existiren nicht, da sie (nach Hertwig's Voraussetzungen) nicht entstehen konnten. Nunmehr haben wir keine Veranlassung mehr, uns zu wundern, dass für Hertwig auch meine Halbembrvonen, die ich bereits auf drei Versammlungen von Naturforschern und in einigen naturwissen- schaftlichen Gesellschaften demonstrirt habe, nicht existiren, noch weniger darüber, dass für ihn auch der von mir entdeckte, subtilerer Beobachtung bedürfende Cytotropisrnus nicht existirt. Es ist Hertwig nicht bekannt, dass jede einzelne dieser von ihm genannten Kräfte schon für sich »gestaltend« wirkt, sofern diese ihre Wirkung nicht durch andere Kräfte aufgehoben wird. Wenn z. B. die Schwerkraft oder die magnetische oder elek- trische Kraft zwei Theile einander nähert, so ist das schon die Pro- duktion neuer Gestaltung, wenn auch nur sehr einfacher Gestaltung. 60 Verschieden starke Wirkungen einer und derselben Kraft (oder wieder, wie wir vorziehen zu sagen: einer und derselben Wirkungsweise) können schon überaus mannigfaltige Gestal- tungen hervorbringen. Allenthalben gleich starke Kohäsion in der Oberflächenschicht eines Tropfens macht ihn kugelrund. So- fern aber durch äußere oder innere Einwirkungen die Kohäsion an verschiedenen Stellen verschieden stark wird, so entstehen Fortsätze von verschiedener Gestalt, die in großer Zahl und Mannigfaltigkeit auftreten können. Sind das keine Gestaltungen? Ist die Ko- häsionskraft also keine gestaltende Kraft? Haben nicht von solchen Wirkungen Berthold, Quincke u. A. viele den Zellgestalten ent- sprechende Gestaltungen abgeleitet? Kann nicht, um Hertwig's Ausdruck zu gebrauchen, »das All- gemeine«, wenn es in quantitativen Verschiedenheiten vorkommt, dann entsprechend Verschiedenes, also Besonderes hervorbringen? Noch mannigfaltiger in der Art der Wirkungen sind nun Kombinationen verschiedener Kräfte resp. ihrer Wirkungsweisen. Wir lassen der Vollständigkeit halber noch Hertwig's Schluss- urtheil hier folgen (pag. 60): »Somit fassen wir denn diese ganze Erörterung dahin zu- sammen, dass es sich mit dem Begriff der »gestaltenden Kraft« oder »Energie« in einer Beziehung genau so verhält, wie mit dem älteren Begriff der Lebenskraft; so wenig wie diese ist sie eine allgemeine Naturkraft, da es keine allgemeine Gestalt, sondern nur besondere Gestalten giebt. Weder die eine noch die andere lässt sich mit den Kräften der Physik vergleichen. Letztere sind wissenschaftlich brauchbare Begriffe, sie lassen sich in ihrer Bedeutung genauer definiren; mit dem Begriff »gestaltende Kraft« lässt sich in der Naturwissenschaft ebenso wenig anfangen, als mit den unzähligen besonderen Kräften, die man im gewöhn- lichen Leben jedem Dinge beilegen kann, wenn man von einem aktiven Zustand desselben reden will (Verdauungskraft des Magens' und Darmes, Nerven- und Muskelkraft, Kaufkraft des Geldes, Wider- standskraft eines Heeres etc.). Daher ist es naturwissenschaftlich richtiger, von den Erscheinungen, die sich, so weit die Beobachtung reicht, genau definiren lassen, als von gestaltenden Kräften zu sprechen, die doch immer nur für jeden einzelnen Fall besondere sind, da die Gestalt oder Form stets etwas Konkretes ist, durch welches sich ein Ding von anderen unterscheidet. 61 »Wenn irgendwo, so trifft für die Verwerthung des Begriffes Kraft in der causalen Morphologie von Roux, der schon früher citirte Ausspruch von Kuno Fischer zu: ,In der That findet sich im Gebrauch des Begriffes Kraft eine Täuschung, die wir einleuchtend machen und zerstören müssen. Man übersetzt die Erscheinung in die Kraft, die ihr gleichkommt, dann übersetzt man diese Kraft zurück in die Erscheinung und meint jetzt, die letztere erklärt zu haben/ »Darum müssen wir das von Roux aufgestellte Ziel der Entwickelungsmechanik — die Erforschung der gestaltenden Kräfte oder Energien der Organismen — als ein unklares und wissenschaftlich nicht genauer definirbares bezeichnen, als ein Ziel, bei dessen Bestimmung namentlich gegen den Gebrauch des Begriffes Kraft sich schwerwiegende Bedenken erheben.« Wir sehen also: Nicht bloß meine Arbeiten, sondern auch die- jenigen vieler anderer Forscher sind von vorn herein verfehlt, weil die Philosophie Hertwig gelehrt hat, dass »der Begriff der Kraft auf das Allgemeine der Erscheinungen zielt«, »Gestalt aber etwas Be- sonderes, etwas Konkretes ist, wodurch ein Ding sich von einem anderen unterscheidet«. Desshalb kann es keine gestaltenden Kräfte und keine gestaltenden Wirkungen geben. Ja, die Philosophie! Nachdem wir die Äußerungen unseres Autors vollkommen re- producirt und dazu genügend Stellung genommen haben, wollen wir die Frage nach den gestaltenden Kräften der Organismen noch ein wenig weiter behandeln. Wo kommen nun die von uns angenommenen typisch gestaltenden physikalisch- chemischen Kräfte, resp. die typischen Kombina- tionen von Kräften her? Die jetzigen Kombinationen stammen immer von früheren ty- pischen Kombinationen her, und so zurück bis zu einer anfäng- lichen typischen Kombination. Die erste anfängliche typische Kombination denken wir uns aber entsprechend der Descendenz- theorie viel einfacher als die Mehrzahl der jetzigen; wir nehmen also an, dass später successive neue gestaltend wirkende Kräfte- kombinationen dazu erworben worden sind, und zwar in einer über- tragbaren, also selbsterhaltungsfähigen und selbstwiedererzeugungs- fähigen Art (Vererbung). Die erste organische typische Gestaltung ist nach meiner 62 Hypothese, welche die erste Entstehimg* des Lebens durch »suc- cessive Züchtung der ,Grundfunktionen' des Lebens aus zu- fälligen Variationen« des irdischen Geschehens erklärt, die zur Assimilation nöthige Struktur (s. 1, Bd. I. pag. 409 — 416, Bd. IL pag. 85). Diese Struktur konnte allmählich vervollkommnet werden bis zur Erlangung qualitativ vollkommener Assimilation, womit zugleich die erste und vielleicht die einzige thatsächlich existirende Vererbungsweise erworben war. Dann oder damit gleichzeitig wurden wohl die gestaltenden Kräftekombinationen zur sogenannten Selbstbewegung, darauf die zur Selbsttheilung (einer festen Koordination von Selbstbewegungen) durch Auslese aus zufälligen Variationen erworben; zum Theil damit zugleich, meist erst danach die Fähigkeiten zu sehr vielen Special- gestaltungen von Charakteren, die vielleicht ähnlich waren denen der heutigen Protisten; dann oder zugleich wurden wohl die Eigen- schaften zum Zusammenbleiben der durch Theilung einer Zelle entstandenen Zellen erlangt, wozu Kräftekombinationen zur Wieder- produktion der aus mehreren Zellen gebildeten Strukturen, also zur typischen Anordnung dieser Zellen während und nach ihrer Bildung nöthig waren. Und so weiter zu den immer komplicirteren, typisch reproducirten Gestaltungen (1, Bd. IL pag. 306). Wenn die angenommenen ersten Lebensgestaltungen niederster Art, also die zur Assimilation, dann die zur Selbstbewegung und Selbstheilung nöthigen, sowie die allmählich neu hinzugekommenen specielleren übertragbaren (vererbbaren) Gestaltungen nicht durch Zu- fall entstehen konnten, was wir aber vorläufig nicht wissen, so müssten sie also etwas von anderer Seite her Gegebenes darstellen. Das meint vielleicht Driesch (19), da er schon das allereinfachste anorganische Gestaltete als etwas Unverständliches, Gegebenes ansieht. Das ist eine Auffassung, die wir nicht theilen, da wir Ge- staltungen in größter Mannigfaltigkeit sich fortwährend aus zufäl- ligen Bedingungen erzeugen sehen, eben z. B. durch ungleiche Kohäsion der Oberfläche eines Tropfens, u. dgl. Beim Organischen aber liegt das Schwierige, das Neue in der Übertragung der spe- cifischen Gestaltung, in der Vererbung. Aber vor dieser Schwierig- keit dürfen wir nicht gleich zurückschrecken. Durch die Assimi- lationsfähigkeit dieser Übertragungssubstanz und durch die nie unterbrochene Kontinuität dieser Substanz (nach Aug. Weismanx, J. von Sachs u. A.) erscheint auch diese Leistung möglich. Immer aber ist und bleibt, wie ich früher (1, Bd. IL pag. 79 und 1021) schon 63 gesagt habe, die Assimilation specifisch und hochgradig komplicirt strakturirter Gebilde nicht bloß die erste, sondern zugleich auch die höchste, das soll heißen, die am schwierigsten zu verstehende gestaltliche Leistung des Organischen; wesswegen ich auch für ihre Entstehung die größten Zeiträume in Anspruch nehme, eine Auffassung, die aber noch Niemand zu theilen scheint. Diejenigen organischen gestaltenden Kräfte, welche uns gegen- wärtig als nächste Objekte der causalen Forschung interessiren, sind die den gestaltenden Zellleistungen zu supponirenden, also die Kräfte, welche das Wachsthum (Assimilation) sowohl an sich, wie seine Größe, eventuell auch seine Richtung bestimmen (wenn letztere nicht erst nachträglich, nach der Bildung der neuen Substanz be- stimmt wird); ferner die Kräfte, welche die Zelltheilung an sich, wie deren Zeit, Ort und Richtung, ferner die aktive Zellgestaltung, sowie die Ortsveränderung der Zellen, die qualitative Ver- änderung der Zellen (gewebliche Differenzirung) bestimmen. Theil- weise geschieht dies durch innere Kräfte der einzelnen Zellen, theil- weise durch äußere Einwirkungen auf die Zellen, d. h. meist durch Einwirkung der Zellen auf einander. Es braucht aber natürlich nicht, wie Hertwig glaubt, für jede einzelne dieser besonderen Leistungen eine Kraft von besonderer Qualität angenommen zu werden, sondern bloß eine besondere Kombination von Kräften, sei es gleicher resp. verschiedener Art, wobei die meisten formalen Verschiedenheiten nur durch quanti- tative Verschiedenheiten der Kräfte einer und derselben Kombi- nation hervorgebracht werden können, ähnlich wie durch Druck ver- schieden gerichteter, verschieden lokalisirter und verschieden starker Kräfte (z. B. mit demselben Hammer) Millionen verschiedener Formen (etwa aus Kupferblech) hervorgebracht werden können, oder wie lokale Änderungen der Kohäsionsgröße an der Oberfläche eines Tropfens Millionen verschiedener Formen desselben bewirken können. Die Assimilation und mit ihr das Massenwachsthum der lebensthätigen Substanz (da Wachsthum der lebensthätigen Sub- stanz nur einen Überschuss der Assimilation über die Dissimilation darstellt, s. 1, Bd. IL pag. 81) werden vielleicht am längsten eine für uns nicht zerlegbare Komponente des organischen Gestaltens dar- stellen, da diese Leistung einen so überaus komplicirten und in sich fest geschlossenen Komplex von Wirkungen darstellt, nach dessen geringster Zerlegung, z. B. Änderung bloß einer Komponente desselben, vielleicht schon die ganze Thätigkeit des Komplexes aufhört. 64 So weit diese überaus komplicirte erste Grundfunktion des Organischen auch zugleich an der typischen gestaltlichen Verwendung der von ihr producirten Masse betheiligt ist, kann ich daher den jetzt wieder so beliebten Vergleich des organischen Gestaltens mit der Kristal- lisation, also mit der einfachen geordneten Aneinanderlagerung einander gleicher Theile, nicht für passend erachten. Vielleicht aber kommen auch im Organischen den Vorgängen bei der Kristallisation ähnliche bloße Zusammenlagerungen derTheile durch in ihnen selber liegende Kräfte vor; vielleicht ist ihnen sogar die Cytotaxis zu- zurechnen? Nach alledem muss aber erst geforscht werden; wir können es nicht von vorn herein annehmen. Wenn wir auch die Assimilation (incl. Wachsthum) als komplexe Komponente behalten werden, so können wir doch vielleicht äußere z. B. von Nachbarzellen ausgehende Ursachen ermitteln, welche ihre Thätigkeit auslösen und ihre Größe sowie die Anlagerungs- richtung der neugebildeten lebensthätigen Substanz bestimmen. Außerdem wird dadurch, dass wir die Assimilation nicht zer- legen können, uns noch nicht das übrige Feld der Erforschung des organischen gestaltenden Geschehens verschlossen. Dem Verständnis der sogenannten Selbstbewegung sind wir auf der Spur; einer ersten Einsicht in die Vorgänge der Selbst- th eilung nähern wir uns schon jetzt immer mehr. Das sind die drei primären, elementarsten Funktionen, die bekannten Minimal- funktionen eines Lebewesens (abgesehen von der regressiven Funk- tion der Dissimilation), zu welchen nach meiner Auffassung noch die Selbstregulation in der Vollziehung dieser Funktionen als neuer wesentlicher Erwerb hinzugekommen ist. Alles Weitere: die typische komplicirte Gestaltung der ein- und mehrzelligen Wesen kann den niedersten aber selbständigen Organismen fehlen; sie ist also erst ein zu dem aus diesen drei Funktionen gebildeten organischen Grundstock Hinzugekommenes und ist daher auch wohl für sich erforschbar, ist analysirbar, selbst wenn diese drei Grundfunktionen jede noch nicht analysirt sind. Wenigstens kann die Analyse so weit gehen, als sie sich auf intercellulare Wirkungen und auch von intracellularen Wirkungen auf Wirkungen der sichtbaren konstanten Zelltheile: Zellleib, Zellkern, Centrosoma bezieht. Können wir uns nun wenigstens im Allgemeinsten dieses orga- nische gestaltende Geschehen bereits als durch die uns bekannten Wir- kungsweisen des anorganischen Geschehens resp. durch die ihnen sup- ponirten Kräfte bewirkt vorstellen? Oder um bescheidener zu fragen: 65 Welches kann zunächst der allgemeine Antheil der bekannten anorganischen Wirkungsweisen an diesen Gestaltungen sein? Ein Vergleich der Wirkungsweisen und gestaltlichen Leistungen der zur Zeit bekannten Kräfte und Energien mit den gestaltlichen Leistungen der Organismen giebt auf den ersten Blick vielleicht kein sehr ermuthigendes Resultat. Als Wirkungen der der Materie zugeschriebenen, ihr unveränder- lich immanenten Kräfte haben wir: chemische Wirkungen (der supponirten chemischen Atomkräfte), Kohäsionswirkungen incl. Krystallisationswirkungen (der Kohäsionskräfte) der Molekel (für die Krystallisation treten diese in Kombination mit der Gestalt der Mole- kel), elastische Wirkungen (der supponirten elastischen Kräfte der Molekel) und die Anziehungswirkungen der Schwerkraft, von denen allen wir bloß die gestaltenden Wirkungen der letzteren im Orga- nismus bei Pflanzen und Thieren ein wenig kennen. Der größte Antheil kommt wohl Kombinationen von Kohäsions- wirkungen und chemischen Wirkungen zu; solche Wirkungen müssen die primären Wirkungen der die Vererbungsstruktur des Keimplasma bildenden Theile sein, wenn wir auch vom Speciellen ihrer Wirkungs- weisen noch keine Ahnung haben. Im anorganischen Geschehen sind ihre gestaltenden Wirkungen als typischer Bau der Atome, als typische Gestalt und Ordnung der Molekel (Krystalle), als die mannig- fachen gestaltenden Wirkungen der Kohäsion in flüssigen Oberflächen, sowie als Wirkungen der Diosmose bekannt. Von den Energien, zu denen wir nun übergehen, kann der Elektricität, besonders wohl der statischen, im kleinen und kleinsten Geschehen vielleicht ein bedeutender gestaltender Einfluss zu- kommen; für das größere: intercelluläre Geschehen habe ich in dem ersten Beitrag (s. Bd. IL pag. 149) gezeigt, dass auf einen Antheil freier Elektricität an der Gestaltung nicht zu rechnen ist; im Beitrag (s. 1, Bd. IL pag. 320, 545 Anm. 3, 556, 571, 583) wurde dasselbe für das Gröbere des intracellulären Geschehens wenigstens in Bezug auf die Theilungsrichtung des Kernes und Zellleibes nach- gewiesen. Die Wärme kann ihrer Natur nach bloß vorhandene Gestaltung alterirend und gestaltende Mechanismen in Thätigkeit setzend wirken. Dasselbe gilt wohl vom Licht, besonders für die Pflanzern Die Energie der chemischen Trennung hat für die Bestimmung der »groben« Gestaltung der thierischen Organismen wohl wenig Be- deutung, denn wie ich in einem Versuche des dritten Beitrages (s. 1 , R o u x , Programm. 5 66 Bd. IL pag. 322) an in Glasröhren eingeschlossenen Eiern beobachtet habe, ist die Lagerung der Organe ganz unabhängig von der Zutritts- stelle des Sauerstoffs; es werden nicht bestimmte Organe an dieser Zutrittsstelle angelegt. Etwas größer ist die Abhängigkeit der frühen embryonalen Gestaltung von einer fest gegebenen Zufuhrstelle der festen und flüssigen Nahrung : von der Lagerung des Nahrungsdotters, da der Entoblast immer dem Nahrungsdotter anliegt. Bezüglich der feineren Gestaltungen wurde die Energie der chemischen und mole- kularen Trennung bereits gelegentlich der Besprechung der dabei wirksamen Atom- und Molekularkräfte verwendet. Dagegen ist von sehr großer gestaltender Bedeutung die Energie bewegter Massen, deren gestaltende Wirkungen ich als Massen- korrelationen der Theile des Organismus bezeichnet habe (s. 1, Bd. IL pag. 240). Sie wirkt durch gegenseitigen Druck unter stellen- weiser Umsetzung in Zug allenthalben modellirend auf die Gestalt der Zellen, der Muskeln (s. 1, Bd. IL pag. 270), Sehnen, Bänder, Knochen (s. 1, Bd. IL pag. 701), der Eingeweide (s. 1, Bd. IL pag. 268). Dies geschieht im Embryo in Folge der Raumerfüllung, also des Raum- mangels schon dann, wenn die Bewegungen nur in Wachsthumsbe- wegungen oder Zellwanderungen und Zellendifferenzirungen bestehen. Dazu kommt dann zunächst die Herzbewegung; von ihr stammt her die gestaltende Energie des bewegten Blutes, die die hämodynamische Gestalt der Blutgefäße im Verlauf und an den Verästelungsstellen derselben, sowie die Dicke der Gefäßwandimg bestimmt (s. 1, Bd. I. pag. 75, 97). Bald danach tritt hinzu die Energie der Bewegung seitens der übrigen Muskeln. Doch sind die Hauptmomente der Gestaltung meist schon vorher in der relativen Lagerung der Theile gegeben; und diese Lagerung- bestimmt dann die gestaltende Wirkung der Massenkorrelation. Die Muskeln freilich ordnen sich durch die Massenkorrelation so, dass sie einander möglichst wenig drücken, wodurch dann auch der Ort und die feinere Lagerung der Sehnen bestimmt wird (s. 1, Bd. I. pag. 270, 621). Gewiss kommt diesen Wirkuugsweisen der Massenkorrelation auch innerhalb der Zelle schon ein großer gestaltender Antheil zu. Die typische Gestaltung wird aber zunächst durch die Atom- und Molekularkräfte der die typische Struktur, die Vererbungs- struktur des Keimplasmas bildenden Materie bewirkt, sobald diese Gestaltungsmaschine aktivirt ist. Die Energie zur Gestaltungsarbeit wird geliefert außer durch 67 Wärmezufuhr uud eventuell durch Lichtzufuhr von der aufgespeicher- ten Nahrung (Nahrungsdotter) oder durch von außen aufgenommene festweiche, flüssige und gasförmige Nahrung; ein sehr erheblicher Theil dieses Materials wird zugleich als Baumaterial zurBildung von Maschinentheilen verwendet, natürlich unter Mitwirkung der eigenen Energie der Lage der Massentheile bei der Strukturbildung. Wir brauchen nicht zu denken, dass die bekannten physikalisch- chemischen Kräfte, wenn wir auch vom Speciellen ihrer Wirkung in den Organismen noch sehr wenig wissen, schon im Allgemeinen viel zu armselig, zu einfach seien, um all die mannigfaltige organische Struktur hervorbringen zu können. Diese wenigen Wirkungsweisen können durch quantitative Abstufungen und mannigfache Kombi- nationen unendliche Mannigfaltigkeit bewirken. Welche unendliche Mannigfaltigkeit wird allein mit der Energie bewegter Massen durch ihre Umsetzung in Druckkräfte (z. B. Arbeit mittels des Hammers, der Presse etc.), in Zugkräfte (Arbeit mittels Winde und Zange etc.), scherende Kräfte (durch Feile) in allen Zweigen der Technik hervorgebracht? Alle Maschinen entstehen so zugleich unter Benutzung der Wärme, sei es zum Schmelzen der Metalle (für den Guss) oder zum Betrieb der Werkzeug- und anderen Arbeitsmaschinen. Wer hier einwendet, dass die Mannigfaltigkeit in diesen Bei- spielen nur durch Hilfe des Geistes entsteht, dessen Blick lenken wir nochmals auf die Mannigfaltigkeit der anorganischen Natur in den Gebirgen, Thälern, Flüssen, Wolken, in der Struktur der Ge- steine, Krystalle etc. zurück. Diese anorganische gestaltliche Mannigfaltigkeit ist zwar (von den Krystallen abgesehen) atypisch (das heißt sie wiederholt nicht eine vorher gegebene Form); aber wenn vollkommen typische Aus- gangswirkungen gegeben sind und nichts Atypisches zugeführt wird, dann müssen auch typische Produkte die Folge sein. Und dies ist eben in den Organismen durch die typische Struktur des Keimplasma, durch die Selbstdifferenzirung desselben und durch die Selbstregu- lationen, unter deren Hilfe die Entwickelung stattfindet und alterirende äußere Einwirkungen meist kompensirt werden, der Fall. Den Inhalt der vorstehenden Ausführungen zusammenfassend, haben wir erkannt: einmal, dass alle der Materie zur Zeit zuge- schriebenen Kräfte entweder Gestalt erhaltend oder neue Gestaltung producirend wirken, also gestaltende sind. Dies ist ja selbstver- ständlich, da alle diese Kräfte Bewegung produciren, dabei also die 5* 68 Anordnimg, somit die innere oder äußere Gestalt eines Systems ändern, also neue Gestalt produciren, so lange sie an der bewegen- den Wirkung nicht durch Gegenkräfte gehindert sind. Werden sie dagegen gehindert, so erhalten sie eine Gestaltung, die anderen Falles sonst geändert würde (wie die Gestalt eines gespannten Bogens nach Durchschneidung seiner Sehne sich ändert). Die typische Vererbungsstruktur des Keimplasma stellt die typisch gestaltete und nach ihrer Aktivirung gestaltend wirkende, neue Formen producirende Ausgangsmaschine des Individuums dar. Die organischen Gestaltungen sind in erster Linie als die Pro- dukte der in der typischen Vererbungsstruktur des Keimplasmas gegebenen typischen Kombinationen der Molekular- und Atomkräfte desselben aufzufassen; sie bestimmen das Typische des Geschehens, die Selbstdifferenzirung des Eies und Embryos. Zusammenfassend können wir sagen: die von außen zugeführte oder vorher aufgespeicherte festweiche, flüssige, resp. gasförmige Nahrung dient theils direkt als Baumaterial, indem sie von den typisch gestalteten Theilen aus verwendet wird (primäre Gestaltung); theils dient sie zur Produktion von Energien der Beweguug. Die daher stammenden oder die direkt von außen zugeführten Ener- gien der Bewegung (Wärme, Licht, Elektricität, Massenbewegung) können in zweierlei Weise gestaltend wirken: einmal direkt (aber nur sekundär) gestaltend, indem sie die genannten primären Ge- staltungen ändern, und indirekt, indem sie die gestaltende Maschine in Betrieb setzen und erhalten. übrigens ist bei allen gestaltlichen Ableitungen daran zu den- ken, dass nicht alles typische große Geschehen aus vollkommen typischem kleinsten Geschehen integrirt zu werden braucht; sondern dass das typische Großgeschehen als Resultat des mehr variablen und zwar nach verschiedenen, sich zum Theil aufhebenden Richtungen variablen kleinsten Geschehens möglich ist und dass es daher konstanter als letzteres sein kann und auch häufig ist. Es wird vielfach das kleine Geschehen rückwärts vom größeren regulirt werden (s. 1, Bd. I. pag. 220). Id. Zusammenfassung des ersten Abschnittes. Blicken wir auf das Ergebnis des ganzen Abschnittes zurück, so sehen wir, dass Hertwig sich bezüglich der Causalität mit der allgemeinsten Causalität begnügt, mit der Ermittelung, dass die späteren Stadien der Ontogenese mit den früheren in einem 69 ursächlichen Zusammenhang stehen und dass Specialformen durch Biegung, Faltung, Abschnürungen und sichtbare Zellwanderungen aus den einfacheren Formen des Keimblattes hervorgehen. Die sichere Ermittelung, welche einzelnen der vielen gleich- zeitigen Änderungen eines früheren Stadiums mit den einzelnen Änderungen des späteren Stadiums in Causalzusammenhang stehen, fällt schon nicht mehr in den engen Rahmen der Aufgaben, die f ü r ihn allein existiren; noch weniger strebt er danach, die Wir- kungsweisen oder die ihnen zu supponirenden physikalisch- chemischen Kräfte zu ermitteln, welche diese gestaltlichen Ände- rungen hervorbringen. Er begnügt sich also mit der Erkenntnis einer sehr allgemeinen, aber im Einzelnen unbekannten Cau- salität, während wir nach Erkenntnis einer specialisirten, das einzelne Geschehen betreffenden Causalität streben. Er hält die Aufgabe der Morphologie mit der vollkommenen Beschreibung des Sichtbaren, des direkt wahrnehmbaren, formalen Geschehens und mit den aus ihm ableitbaren unbestimmten Folgerungen für beendet; und andererseits hält er die Erforschung des an sich Unsichtbaren wie auch des nur durch besondere Umstände für uns Unsichtbaren überhaupt nicht für möglich. Für uns dagegen ist dasjenige, was auf erstere »deskriptive« Weise ermittelt worden ist, das Funda- ment, auf welches wir den Hebel zu weiterem Eindringen in die Erkenntnis des Geschehens stützen wollen. Gestaltende Kräfte giebt es für Hertwig überhaupt nicht. Nach ihm vermögen weder einzelne physikalische Kräfte noch Kombinationen solcher gestaltend zu wirken. Manche Biologen übertragen jetzt philosophische Sätze ohne Prüfung ihrer Anwendbarkeit auf die biologische Forschung. Das geschieht seitens Hertwig's mit dem Satz, dass wir das eigent- liche Wirken überhaupt nicht zu erkennen vermögen. Diese Auffassung bezieht sich aber auf das letzte, elementarste Wirken. Der Satz wird von ihm in dem Sinne auf das biologische Ge- schehen angewandt, dass wir außer dem sichtbaren Geschehen überhaupt nichts zu erforschen vermöchten. Da wir als Biologen uns aber als Höchstes nur die Aufgabe gestellt haben, das biologische Geschehen womöglich ganz auf die im Bereiche des Anorganischen vorkommenden, bereits erkannten Wirkungsweisen zurück- zuführen, so ist diese Übertragung des philosophischen Satzes durchaus unangebracht. Sofern es uns nicht gelingt, diese Aufgabe vollkommen zu lösen, so hat dies keine erkenntnis- theoretischen, 70 sondern rein praktische Gründe, die auf der Kleinheit und Kom- plikation des Geschehens sowie auf rein optischen Verhältnissen beruhen. Ein Anderes ist es, ob diese Formulirung unserer Aufgabe überhaupt das Organische ganz erschöpft Der specifische Theil unseres Programms beginnt daher gerade da, wo Hertwig und seine Gesinnungsgenossen zu- frieden aufhören, und wo Hertwig Weiteres theils für nicht existirend, theils für principiell unerforschbar hält. Das ist der Grund, warum wir nach seiner Meinung kein besonderes Programm haben. Da er von dem besonderen Inhalt unseres Programms trotz der mehr- fachen detaillirten Darstellung desselben nichts appercipirt hat, so meint er, wir erstrebten auch nichts Besonderes. Da schon lange nach der allgemeinen Causalität geforscht worden ist, wir aber nach einer speciellen, exakteren Causalität streben, welche für ihn nicht existirt, so meint er, wir erstreben nichts Neues. Die Ent- wickelungsmechaniker können dazu mit Goethe sagen: Schon gut, wir wollen es ergründen: In Deinem Nichts hoff' ich das All zu finden. Hertwig genügt es ferner schon, dass Lotze und viele an- dere Philosophen, sowie viele Naturforscher die Überzeugung aus- gesprochen haben, dass alles organische Geschehen schließlich und allein auf physikalisch-chemischem Geschehen beruhe. Diese Über- zeugung oder richtiger diese Hoffnung wird auch von mir getheilt. Aber von dem Aussprechen einer solchen Vermuthung bis zu ihrem Nachweise ist noch ein sehr weiter Weg, der wohl noch sehr viel Arbeit kosten wird, der aber einmal wirklich zurückgelegt werden muss. Die Überzeugung einiger bedeutender Philosophen und einer ganzen Generation von Forschern kann den wirklichen Nach- weis nicht ersetzen. Hertwig fragt (pag. 10): »Wo sind denn die Forscher, welche sich bisher mit Entwickelungslehre beschäftigt haben, welche nicht von dem Satze ausgingen, dass, wie alle Naturprocesse, so auch die thierische Entwickelung allein dem Gesetze der Causalität unter- liege, und dass die Forschung nach den Ursachen der Formbilduug eine ihrer Hauptaufgaben ist?« Wir fragen dagegen: Wie heißen denn die Forscher, die vor- dem unser Ziel: die Erforschung der ursächlichen Wirkungs- weisen, deren Produkte die Formbildungen sind, verfolgt, also bewusster Weise ihm zugestrebt und eine Eeihe von Untersuchungen mit geeigneter Methode zu diesem Zwecke angestellt haben; und wo 71 sind ihre Arbeiten und welches sind die Erkenntnisse, die sie nns dargebracht haben? Wilhelm His hat wohl einen Theil unseres Programms bearbeitet, ja »verfolgt«; doch hat er sich allein der be- schreibenden Forschung des normalen Geschehens bedient; darum zeigen seine causalen Ableitungen die oben dargelegte Unbestimmtheit. Während des Suchens in dem letzten Decennium sind bereits in der Litteratur einige Arbeiten aufgefunden worden, welche causale Erkenntnis der von uns erstrebten Art gewähren ; es sind aber nur ver- einzelt dastehende Arbeiten, nicht bloß in der Litteratur, sondern auch in der Keihe der Arbeiten eines und desselben Autors1). Wahrscheinlich würde Ludwig Fick, der Verfasser zweier schöner experimenteller Untersuchungen über die Ursachen der normalen Knochenformen unser Ziel »verfolgt« haben, wenn ihn der Tod nicht so früh dahingerafft hätte. In dem Abschnitt über die »besondere Methode der Entwicke- lungsmechanik« werden wir auf das hier bloß berührte Thema zurückkommen. Hertwig meint ferner, weil wir noch nicht wissen, was in Wirklichkeit unseren Vorstellungen von »Kräften« zu Grunde liegt, so sei unser auf die Ermittelung der die Entwicklung des Indivi- duums vollziehenden Kräfte gerichtetes Ziel unklar und inhaltsleer. Dieser Vorwurf kann wohl nur bedeuten, dass wir nach 0. Hertwig's Auffassung erst dann nach Erforschung irgend welcher Kräfte streben dürften, wenn wir das Wesen der vorläufig den Er- scheinungen von uns untergelegten Kräfte selber schon vollkommen kennen. Woher aber sollen wir dies Wesen je kennen lernen, wenn wir es nicht zuvor zum Ziele unserer Forschung machen? Trotzdem die Physiker heute noch nicht wissen, was Kraft »wirklich« ist, obgleich sie also seit Jahrhunderten »unklare Ziele« verfolgt haben, haben sie doch bei ihrem Bestreben, die Kräfte zu erforschen, bereits recht erfreuliche Kesultate erreicht, und nicht wenig von den einzelnen Kraftformen und in letzter Zeit auch von dem ihnen Gemeinsamen erforscht, *) Es wird mich freuen, wenn Hertwig, durch diese Frage angeregt, alle jetzt versteckten und verlorenen causalanaly tischen morphologischen Experi- mente aufsucht oder aufsuchen lässt und gesammelt uns vorlegt, denn ich bin leider sehr wenig historisch veranlagt. Herr B. Solger hatte bereits die Güte, zu ermitteln, wer im vorigen Jahrhundert einmal eine ähnliche Idee über die Knochenspongiosa im Unterschenkel des Pferdes ausgesprochen hat, wie ich in diesem Jahrhundert, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Ich hoffe, dass er diese verdienstlichen litterarischen Forschungen fleißig fortsetzt. 72 Wir Biologen könnten überaus zufrieden sein, wenn wir nur je so weit kämen, die Vorgänge der individuellen Entwickelung durchaus auf solche »unklaren Kräfte« zurückzuführen. Es kann überhaupt nicht Aufgabe des Biologen als solchen sein, die physikalisch-chemischen Begriffe weiter zu analysiren als es seitens der Physiker und Che- miker geschehen ist. AVenn wir einmal so weit sein werden, um auch nur die Hauptvorgänge der Ontogenese auf die Wirkungsweisen der jetzt bekannten Kraftformen zurückzuführen, werden die Physiker und Chemiker sicher schon außerordentlich viel weiter gelangt sein; und die zu jener fernen Zeit existirenden Kulturnationen können dann gleich von diesen weiteren Fortschritten Gebrauch machen. Vorläufig aber können wir gleich den gegenwärtigen Physikern weiterhin mit dem herkömmlichen und bequemen Begriffe Kraft arbeiten und können danach streben, die Kräfte zu erkennen, welche an der Selbstgestaltung der Organismen betheiligt sind; dabei können wir den Vorwurf der Unklarheit seitens 0. Hertwig's ruhig ertragen. Ich selber aber habe bereits seit Jahren in den Fällen, in denen es gut ausführbar ist und »wo es einfacher wirkt«, die Ausdrücke Wir- kungsweisen und Wirkungsgrößen den Bezeichnungen: Kraftformen, Kraftgrößen und Naturgesetze vorgezogen und so die Erforschung der »gestaltenden Wirkungsweisen« als das Ziel der »all- gemeinen« Entwickelungsmechanik hingestellt. Hertwig verkennt ferner bei seinem Vorwurf der unklaren Ziele, dass »Forschungen« immer »unklare« Ziele haben, da die Forschung nicht auf Bekanntes, sondern auf Unbekanntes gerichtet ist. Wenn das Ziel schon ganz »klar« wäre, brauchten wir es nicht erst zu erforschen. Wer dagegen beabsichtigt, Bekanntes gut darzustellen, der kann und muss ein »klares Ziel« haben. Beim Forschen haben wir bloß eine bestimmte Erscheinung oder einen Komplex von Erscheinungen vor Augen, die, resp. den wir ergründen wollen. Zu welchem Resultat jedoch diese Forschung führen wird, wissen wir vorher nicht; und wir kommen dabei sogar oft auf einen ganz anderen Weg, als wir vorher gedacht oder auch nur vermuthet haben. Wie haben sich unsere Auffassungen der Forschungsziele: was ist Elektricität , was ist Licht, Tuberkulose, Diphtherie, Nervus sympathicus, im Laufe der Forschung verändert? Sicher bekannt ist dem Forscher bloß die nächste Aufgabe, die er sich gestellt hat; wohin ihre Verfolgung ihn führen wird, ist 73 unklar. Darin liegt nicht, wie Hertwig meint, ein Vorwurf, sondern etwas Selbstverständliches. Je klarer schon das Endziel ist, um so weniger ist noch zu erforschen. So sei denn unser von Hertwig gar nicht erkanntes, ja trotz unserer vielfachen speciellen Darstellungen von ihm nicht einmal geahntes neues Ziel nochmals dargestellt: als Fortsetzung der durch die deskriptive Erforschung der normalen Gestaltungsvorgänge ge- wonnenen allgemeinsten, das heißt in Bezug auf das Besondere der Wirkungsweisen und ihrer Lokalisation sehr unbestimm- ten, ja meist überaus defekten causalen Erkenntnis, welche uns zudem die Vorgänge bloß in formaler Hinsicht: als zusammen- hängende sichtbare Gestaltänderungen beschreibt oder sie gar bloß aus lückenhaften Stadienreihen durch Interpolation integrirt, soll in Zukunft allmählich eine exakte causale Kenntnis treten, das heißt, eine die qualitativ einfachen Wirkungsweisen und deren Lokalisation, Wirkungszeit und -Größe genau bestimmende Kenntuis; also die Zurückführung jeder neuen Form und Struktur nicht mehr wie bisher nur auf eine Reihe von Form Wandlungen, sondern auf möglichst einfache Wirkungsweisen. Hier taucht der causal-analy tische Begriff der Einfachheit wieder auf, den Hertwig, wie wir sahen, fälschlich als einen rein deskriptiven auffasste, indem er ihn auf die Einfachheit der Beschreibung als solcher bezog, statt auf die Analyse bis auf die einfachsten und daher allgemeinsten Komponenten und auf die in Folge dessen »einfachste«, das heißt, das »Wesen« des Geschehens darstellende Beschreibung. Ie. Anhang: Deskriptive und causale Forschung. Nach der so gewonnenen Einsicht sind wir nun im Stande, die Frage Hertwig's zu beantworten : »Was ist deskriptive, was causale Forschung, was sind deskriptive, was causale Forscher?« Da die deskriptive Forschung auch causale Erkenntnis gewähren kann, so ist Hertwig, wie er sagt, nicht im Stande, diese Frage selber zu beantworten, was uns nicht mehr wundern kann, da wir ihn vorher schon einmal über das alte Problem des »Kahlkopfes« fallen sahen. Ich denke, die Benennung wird auch hier, wie so oft, wo eine fließende, also keine scharfe Grenze, sondern ein allmählicher Über- gang zwischen zwei verschiedenen Sachen vorhanden ist, unter An- wendung des Principes: a potiori fit denominatio, gegeben. 74 Danach ist ein deskriptiver Forscher ein solcher, der ausschließ- lich oder fast ausschließlich deskriptiv forscht ; ein causaler, wer dies überwiegend in causaler Weise thut ; dem entsprechend ist deskriptive Forschung solche Forschung, die überwiegend deskriptive Kenntnis, causale Forschung ist eine solche, die überwiegend ursächliche Kenntnis gewährt. Danach ist nun noch zu erörtern, was hier »deskriptiv«, also »beschreibend« bedeuten soll, denn wir haben ja gesehen, dass jede Kenntnis und Erkenntnis »beschrieben« werden, beschrei- bend dargestellt werden kann und muss. »Deskriptive Anatomie« ist ein historischer Begriff, dessen wirk- liche Geschichte durch besonderes Studium ermittelt werden muss. Ich gebe daher hier nur meine subjektive Auffassung. Was man in jedem Einzelfall direkt sehen und also zunächst und sogleich beschreiben kann, ist die sichtbare Form und die sicht- bare Bewegung, also die Formänderung. Die Beschreibung dieser ist also wohl die ursprüngliche, die primäre; darauf ist daher der Name deskriptiv jedenfalls zuerst angewandt worden und desshalb daran haften geblieben, also an der Beschreibung des Sichtbaren. Da- gegen müssen die ursächlichen Wirkungsweisen dieser Form- änderungen auf ganz andere Weise »ermittelt« werden; sie können nur nach umständlichen vergleichenden oder nach besonderen experimentellen Forschungen erschlossen werden; erst dann, und in dem Maße als dies geschehen ist, können sie auch beschrieben werden; das ist also eine sehr sekundäre Beschreibung. Aber schon vor dieser erst in letzter Zeit in der Biologie aktuell gewordenen Art der Beschreibung, der Beschreibung der Wir- kungen als Folge von Wirkungsweisen, wurde der deskriptiven Anatomie eine andere gegenübergestellt, die vergleichende Ana- tomie. Bei ihrem Auftreten als besondere Disciplin musste sie das Bestreben haben, um sich in ihrer Eigenart zu kennzeichnen und so sich besser zur Geltung zu bringen, sich einen eigenen Xamen beizu- legen; wie dies jetzt aus dem gleichen Grunde die direkte causale Forschung gethan hat. Der Name »vergleichende Anatomie« ist nach der besonderen Forschungsmethode gegeben worden. Als Gegensatz oder auch nur zur Unterscheidung von der »deskriptiven« Anatomie ist er aber in so fern nicht richtig, als die vergleichende Anatomie ihrem Wesen nach selber beschreibend vorgeht; sie be- schreibt gleichfalls, was sie an den normalen Organismen direkt sieht. Nur hält sie sich nicht an die einzelne Art von Lebewesen, 75 wie die sogenannte deskriptive Forschung, sondern vergleicht unter verschiedenen Arten. Wir kommen daher nochmals zum Begriff des Deskriptiven zurück. Es wird historischer Weise noch ein besonderer Gebrauch von dem Namen der deskriptiven Anatomie gemacht. Amtlich ver- steht man bekanntlich in Deutschland und Österreich darunter unzu- treffender Weise nur die systematische Anatomie, die Schilderung der Körpertheile nach den einheitlichen Systemen, und unterscheidet sie so von der topographischen Anatomie, von der Anatomie der Lage der Theile zu einander und im Ganzen; das geschieht, obgleich diese Anatomie ebenfalls oder eigentlich noch mehr rein deskriptive, bloß das Gesehene beschreibende Lehre ist, ohne dass dabei etwas Besonderes zu denken ist, sofern sie nicht, wie es aber meist geschieht, zugleich als angewandte Anatomie behandelt wird, die auf specielle chirurgische und sonstige praktische Bedürfnisse und Erfahrungen Rücksicht nimmt. Ich glaube also : unter » deskriptiv « versteht man bloße Be- schreibung des direkt Wahrgenommenen oder direkt Wahrnehm- baren, und zwar zunächst des Einzelfalles. Eine etwas höhere Art der deskriptiven Thätigkeit wird entfaltet, wenn von mehreren gleichartigen Objekten, z. B. von mehreren erwachsenen Menschen, das Gemeinsame und damit das Wesentliche aus dem vielen Zufälligen speciell herausgenommen und dargestellt wird. Die »de- skriptive Anatomie« besteht dem entsprechend von den »Varia- tionen« abgesehen) in der Beschreibung des Wesentlichen, der fertigen, normalen (also für die betreffende Species »typischen«) Gestaltungen. Eine noch »höhere« Art der Beschreibung, um diesen nach Hertwig freilich für die andere Art »beleidigenden« Ausdruck zu gebrauchen, ist die Darstellung des Gemeinsamen und des Unterscheidenden, und die darauf gegründete Heraushebung des im eben erörterten Sinne Wesentlichen derselben Organe ver- schiedener Lebewesen, z. B. die Schilderung der wesentlichen Eigenschaften von allen Säugethier- oder allen Wirbelthierherzen, wie sie die vergleichende Anatomie erstrebt. Auf fast dieselbe Stufe gehört auch die Schilderung des Wesentlichen, Gemeinsamen und Unterscheidenden verschiedener Ent wickeln ngsstufen desselben Organs eines Thieres, wie sie die sogenannte »deskriptive Entwicke- lungsgeschichte«, die ja eben auch schon vergleicht, bei guter Aus- führung darbietet. Die »deskriptive Entwickelungsgeschichte« besteht daher (von den »Variationen« abgesehen) in der Beschreibung 76 des Wesentlichen der normalen (also für die betreffende Species »typischen«) Gestalt- und Strukturänderungen der sich ent- wickelnden Organismen. Noch höher steht dann weiter die Ver- gleichung der Entwickelungsstadien desselben Organs bei verschie- denen Thieren, die als vergleichende Entwickelungsgeschichte y.cct l^oyjiv bezeichnet wird. Sehr häufig freilich kann auch die sogenannte deskriptive Entwickelungsgeschichte sich nicht mit dem einfachen Zusehen und mit der Darstellung des Gesehenen begnügen, da sich die im Inneren stattfindenden formalen Vorgänge der direkten Beobachtung entziehen. Es müssen also einzelne Stadien konservirt und mikro- tomirt werden etc.; dann muss aus den gewonnenen Bildern durch Vergleichung der sichtbaren Befunde die wesentliche Verschieden- heit der Stadien ermittelt und der formale Umbildungsvorgang, durch den diese Änderungen hervorgebracht worden sind, durch Denken zu ermitteln gesucht, also der Beobachtung untergelegt werden. Dabei werden dann natürlich oft sehr verschiedene Auf- fassungen geäußert, und es ist äußerst schwierig, allmählich die richtige Auffassung als solche zu erweisen. Es sei nur an die Lehre von der formalen Entstehungsweise des mittleren Keimblattes, sowie an die Spermatogenese er- innert. Auch hierbei muss, wie bei jeder Forschung, oft der — sit venia verbo — naturwissenschaftliche Instinkt: die zur Zeit noch nicht zu beweisende subjektive Auffassung vorläufig aushelfen. Aber das eigentliche Ziel ist hier wieder die Ermittelung der Vorgänge bloß als Änderungen oder Bewegungen geformter T heile, nicht die Ermittelung der Wirkungsweisen. Wenn diese Art der Forschung aber ihr Ziel auf causale Verhältnisse richtet und sich dabei nicht bloß auf ursächliche Zusammenhänge allge- meinster Art beschränkt, so überschreitet sie die in ihr selber gelegenen Grenzen zuverlässiger Arbeit. Selbst die reine Beschreibung des Einzelfalles bedarf all- bekannter Weise schon häufig der Unterstellung und Interpolation, der Ergänzung durch Schließen, sofern sie nach Vollständigkeit der Beschreibung strebt ; denn auch ihr wird die Vollständigkeit der Beobachtung häufig unmöglich gemacht. Da sich oft feine Theile, z. B. Nervenfasern, der Wahrnehmung entziehen und selbst die besten Färbungen uns im Stiche lassen, so muss zeitweise das nicht Sicht- bare zunächst nach Analogien erschlossen werden. Die im Sinne der obigen Definitionen vergleichenden Wissen- 77 ■ Schäften des normalen Geschehens dagegen gewähren schon erheb- liche causale Kenntnis, aus Gründen, die im Abschnitt über Methodik erörtert werden. Die rein deskriptive Untersuchung des fertigen Einzelfalles ge- währt für sich keine causale Kenntnis; denn daraus, dass immer dasselbe gebildet wird, kann nicht auf die Art seiner bildenden Ursache, sondern nur auf eine Konstanz der ursächlichen Verhält- nisse geschlossen werden. Erst wenn Änderung eintritt und immer zwei Änderungen zugleich auftreten, können wir schließen, dass sie in causalem Zusammenhang stehen. Erst großen B einen solcher Beobachtungen kommt diese Wirkung zu, wobei dann immer schon Vergleich ung zur Beschreibung hinzutritt. Aber auch bei der Vergleichung des »normalen« Geschehens ist die causale Ausbeute, wie wir früher sahen, im Verhältnisse zur deskriptiven Leistung noch relativ gering; und die Schlüsse auf die ursächlichen Wirkungsweisen sind in Bezug auf die Qualität, Lokalisation, Zeit und Größe dieser Wirkungsweisen sehr unbe- stimmte. Anders ist es nun bei der von uns als direkte oder exakte causale Forschung bezeichneten Eichtung, deren Hilfsmittel das causalmorphologische, insbesondere das analytische Experiment ist, über welches im zweiten Abschnitt ausführlich gehandelt wird. Hier gestattet nicht selten ein einziges, mehrmals mit demselben Erfolg wiederholtes, richtig angestelltes und gut gelungenes Experiment einen sicheren Schluss auf ursächliche Beziehungen bestimmter Theile und zwar auf Wirkungsweisen, die wir auf Grund auch der sorgfältigsten deskriptiven und vergleichenden Beobachtung des normalen Geschehens nie erfahren haben würden. Ich erinnere an die Ermittelung, dass die Richtung der Medianebene des Frosch- embryo im Ei durch den künstlich bestimmbaren Befruchtungs- meridian bestimmt werden kann, dass es von der Gestalt und An- ordnung des Dotters einer isolirten der beiden ersten Furchungs- zellen abhängt, ob ein halber oder ganzer Embryo aus dieser einzelnen Zelle entsteht. Die weitere Begründung dieser Sachlage wird in dem Abschnitt über die Methodik erfolgen. Wir können nun auch eine weitere Frage Hertwig's, die er wieder nicht selber lösen konnte, beantworten, die Frage: Wie steht die Entwickelungsgeschichte zur Entwickelungsmechanik? 78 Entwicklungsgeschichte bezeichnet, das Wort in seiner vollen Bedeutung genommen, die vollständige Lehre vom Ent- wickelungsgeschehen; sie ist somit der allgemeinere, umfassendere Begriff als Entwickelungsmechanik, sofern wir letztere, um ihr Spe- cifisches hervorzuheben, allein als die causale Entwicklungslehre bezeichnen, wobei wir aber von meiner ersten Definition abweichen, welche auch die Beschreibung aller Bewegungen als solcher mit um- fasste (s. o. pag. 6). Nur ist dabei die Hauptsache nicht zu tibersehen, dass die »Entwicklungsgeschichte« »historischer« Weise bisher den »engeren« Begriff darstellte, da sie nicht voll genommen, nicht als die vollständige Lehre alles Entwickelungs- geschehens, sondern bloß als die vollständige Lehre vom Sichtbaren des normalen Entwickelungsgeschehens, als die Lehre von den äußereu und inneren Formwandlungen aufgefasst worden ist. Doch ist dem früher Gesagten noch beizufügen, dass auch die deskriptive entwickelungsgeschichtliche Forschung, in ihrer neueren feineren Art der Untersuchung zum Theil schon eine wichtige Frage beantworten hilft, die von uns als eine nächste Vorfrage der causalen Forschung bezeichnet worden ist: nämlich die Frage nach genauerer Lokalisation der Ursachen. Sie thut dies, in so fern sie z. B. die Keimbahnen während der Ontogenese möglichst genau verfolgt, oder bei Formbildungen, welche unter lokalem Wachsthum stattfinden, indem sie durch Beobachtung der Kern- theilungsstadien festzustellen sucht, an welchen Stellen dabei die Zelltheilungen vor sich gehen, also welche Stellen die aktiven (NB. aber nur in Bezug auf Zelltheilung die aktiven) sind. Dabei kann freilich die Formbildung außerdem zugleich durch Zellenzu- wanderung oder -Fortwanderung sowie durch Änderung der Zell- gestalten bedingt sein. Immerhin gewährt uns hier die deskriptive Forschung wieder eine wichtige Hilfe, wesshalb wir solche, die un- mittelbaren Vorfragen der »qualitativen« causalen Forschung behandelnde Untersuchungen gern in das Archiv für Ent- wickelungsmechanik aufnehmen. In der Einleitung dieses Archivs habe ich diese ganze Sach- lage und den Nutzen der anderen biologischen Disciplinen für die Entwickelungsmechanik auf pag. 24 — 36, also ziemlich ausführlich behandelt. Hertwig hat daraus nur eine minimale Auslese getroffen, sagt aber gleichwohl, ich hätte die anderen Disciplinen als inferior zurückgewiesen. Im Gegensatz zu dieser Unterstellung wurde diese Einleitung 79 mit der Ausführung geschlossen (2, pag\ 38), class die Entwickelungs- meclianik nur in »steter Symbiose« mit allen« anderen biologischen Disciplinen in dauernd Erfolg versprechender Weise gepflegt werden kann. 0. Bütschli hat jüngst (3, pag. 13) in Erinnerung gebracht, dass er bereits im Jahre 1876 auf die causale Unvollständigkeit der allein auf die vergleichende Anatomie gegründeten »Morphologie« (11) hingewiesen hat, wobei er zugleich die von uns als direkte bezeichnete causale Forschung postulirte. Der Autor, sagt: »Diese Morphologie begreift nur eine Seite des ge- sammten Wesens organischer Gestalten, da diese auch einzeln für sich, aus den gegebenen Grundlagen und Bedingungen ihres Hervorgehens sich erklären lassen müssen. Nur diese Auffassung der Morphologie der organischen Wesen, jetzt noch ein nebelhafter Traum der fernsten Zukunft, würde das leisten können, was sich die heutige Morphologie meiner Ansicht nach mit Unrecht zuschreibt: nämlich die causale mechanische Erklärung der or- ganischen Gestalten. Denn wenn auch gezeigt worden wäre, dass eine organische Form sich aus einer anderen herleitet, und wenn selbst, was heute kaum in einem Falle möglich gewesen ist, die Bedingungen des Eintretens dieser Umwandlungen dargelegt worden wären, so würde dennoch nur das Material gegeben sein, an welchem eine causal-mechanische Erklärung sich künftig zu versuchen hätte; gerade wie Jemand, der, ohne Kenntnis der Einrichtung und der wirk- samen Kräfte in einer abgefeuerteu Kanone, durch vielfache Be- obachtung zu der sicheren Überzeugung gelangt wäre, dass die Thätigkeit des Kanoniers die Ursache des Hervorschießens des Ge- schosses sei, nun auch damit eine causal-mechanische Erklärung der wirklichen Entstehung der Geschossbewegung gefunden zu haben glaubte.« Hertwtg stellt mir schließlich die Aufgabe, anzugeben: »welchen Bestandtheilen der vergleichenden Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte nun die Ehre der Aufnahme im Archiv für Entwickelungsmechanik zu Theil werden soll«. Die bezügliche Ausführung am Schlüsse der Einleitung des Archivs scheint ihn also nicht befriedigt zu haben. Andere Autoren dagegen haben mich gerade unter Bezugnahme auf diese Stelle dazu be- glückwünscht, dass es mir gelungen sei, das Gebiet der Entwicke- lungsmechanik so gut abzugrenzen. Ich erlaube mir daher zur 80 Ergänzung diese Stelle hier noch zu reproduciren, ohne eine weitere Hinzufügung für nöthig zu halten. Sie lautet (2, pag. 36): »Wie die Entwickelungsmechanik sich aller Methoden, welche ursächliche Erkenntnis gewähren, und aller biologischen Disciplinen für ihre Zwecke bedient, so unifasst auch [ihr Forschungsgebiet alle Lebewesen von den niedersten Protisten bis zu den höchsten thierischen und pflanzlichen Organismen. »Demgemäß wird dieses Archiv ursächliche Abhandlungen aus allen biologischen Disciplinen aufnehmen. Da dasselbe jedoch nicht beabsichtigt, den Fachzeitschriften dieser anderen Eichtungen auf ihrem speci eilen Gebiete Konkurrenz zu machen, so werden bloß solche Arbeiten dieser Richtung aufzunehmen sein, welche , direkt' ein causales Ziel verfolgen (handele es sich um die Ortlichkeit, Zeitlichkeit, Größe oder Qualität der Ursache) und welche diesem Zwecke entsprechend ihr Forschungs- material gesammelt und bearbeitet haben. »Deskriptive Arbeiten dagegen, welchen bloß gelegentlich einige causale Yermuthungen eingefügt sind, ohne dass versucht wird, durch Vergleichung von entsprechend verschiedenen Thatsachen diese Annahmen zu stützen, fallen daher nicht in den Rahmen dieses Archivs. »Vergleichend anatomische Abhandlungen, welche die Ge- stalten der behandelten Objekte ausschließlich auf die Faktoren der Variation und Vererbung zurückführen, ohne nach der weiteren Analyse dieser komplexen Komponenten zu streben, liegen gleich- falls außerhalb des Gebietes unseres Archivs, da diese erstere Analyse ebenso wie der Nachweis der Abstammung das eigenste Forschungsgebiet der vergleichenden Anatomie darstellt.« 81 II. Die Methoden der Entwickelungsmechanik. Da auch über die Methodik der Entwickelungsmechanik Zweifel und irrthümliche Auffassungen entstanden und geäußert worden sind, so wollen wir uns auch mit dieser hier nochmals befassen. Es sei zunächst das Wesentlichste meiner früheren Darstellungen reproducirt ; dabei sollen auch hier wieder, wie im ersten Abschnitt, die von Hertwig verwendeten Theile unserer Äußerungen kursiv, die zu ihrer Ergänzung nöthigen Theile gesperrt gedruckt werden, so dass der Leser gleich bei der ersten Lektüre erkennen kann, welche Art von Auslese seitens dieses Autors getroffen worden ist. Diese Art der Vorführung gestattet, die spätere Besprechung durch Hinweise sehr zu kürzen. II a. Meine früheren Darlegungen über die causalen Forschungsmethoden der Morphologie der Organismen. Die älteste meiner von Hertwig herangezogenen Äußerungen über die für die Entwickelungsmechanik nöthige Methodik findet sich in einem kleinen Keferate vom Jahre 1883 über die reichen causalen Ergebnisse, welche Wilhelm Müller (9) in seiner Untersuchung der Massenverhältnisse des menschlichen Herzens bei normalen und pathologischen Zuständen des Körpers gewonnen hatte. Es ward bei dieser Gelegenheit in der Hauptsache (also von Nebensächlichem abgesehen) richtig Folgendes ausgeführt (1, Bd. IL pag. 21—23): »Die menschliche Anatomie ist gegenwärtig gerade so weit ge- fördert, um ihrem Vertreter zu gestatten, gestützt auf das vorliegende reiche deskriptive Kenntnismaterial dieser am besten gekannten Roui, Programm. 6 82 Species, von höheren Gesichtspunkten aus die Untersuchung des Menschen mit Aussicht auf eine reiche Ernte noch einmal von Grund aus beginnen zu können. Nach annähernder Erschöpfung der rein deskriptiven Methode, ferner des bisher nur innerhalb eines beschränkten Aussichtskreises verwertheten physio- logischen Gesichtspunktes und nach einem Überblick vom ver- gleichenden Standpunkte aus sind wir wohl genügend mit Vor- kenntnissen ausgerüstet, um mit einiger Aussicht auf Erfolg nach dem alle anderen überschauenden causalen Gesichtspunkte emporzustreben, von welchem aus nicht bloß mannigfache neue Thatsachen zu erkennen sein werden, welche von den anderen Gesichtspunkten aus nicht wahrnehmbar waren, sondern von welchem aus auch noch ein Einblick in das , wirkliche' morphogenetische Geschehen an sich, in das Zusammenwirken der die normalen Formen gestaltenden Kräfte gewonnen werden kann. »Die Ausübung dieser causalen Forschung ist keineswegs an eine Vervollkommnung der , technischen' Methodik gebunden. Im Gegentheil, manche der älteren Methoden wird dabei wieder zu Ehren kommen, und die gegenwärtig das allgemeine Interesse be- herrschende Farbenschale in Verbindung mit dem Mikrotom sinken zu Hilfsmitteln neben vielen anderen herab ; sie stehen gleichwerthig neben Pincette und Skalpell, neben Schere und Schraubstock, neben AVage und Maßstab; und zu diesen werden sich noch Volumenometer und Aräometer, Goniometer und Planimeter, Glühtiegel und Bürette und andere Instrumente aus den Laboratorien des Physikers und Chemikers zu gesellen haben. Die »U?iive?'salmethode« des causalen Anatomen wird . ehenso toenig die Anwendung des Messers tvie des Farhstoffes oder des Maßes, sondern einzig die Geistesanatomie, das analytische, causale Denken sein. »Das Thema der vorliegenden Arbeit (W. Müller's) ist eines der häufigst bearbeiteten ; und kaum wohl hätte man erwartet, durch eine erneute Untersuchung viel Neues zu erfahren. Da außer dem Sujet auch die technische Methode der Untersuchung nicht von den früher verwandten Methoden abweicht, so muss die Gewinnung der neuen Kesultate von dem, was der Aiitor von sich aus hinzu thun kann, abhängig gewesen sein. Dies ist in der That der Fall. Un- ermüdlicher, jahrelang auf dasselbe Thema verwandter Fleiß, kritische Schärfe in der Wahl und Verwerthung des Materials sowie in der Erörterung der Ergebnisse, besonders aber eine dem Beginne der Arbeit vorausgehende, bis in die letzten bekannten (oder 8 o zu vermutheriden) Komponenten fortgesetzte Analyse sind die Faktoren, welchen wir die Bereicherung* unseres Wissens durch die vorliegende Arbeit zu danken haben.« Von diesem causal'en analytischen Denken wird dann in der Einleitung zu meinen Beiträgen zur Entwickelungsmechanik (im Jahre 1885) gesagt (1, Bd. II. pag. 14): ■»Dieses aber muss nothivendig einer solche?! Arbeit voraus- gehen, wenn sie nicht auf Abwege führen und nach der Ausbeutung eines vielleicht zufällig gemachten Fundes stehen bleiben, sondern stetig weiter führen soll. Nachdem ich mich dieser analytischen Arbeit unterzogen habe, liegt eine gewisse Versuchung darin, die theoretischen Ergebnisse derselben schon jetzt mitzutheilen ; und ich würde ihr vielleicht nachgeben, wenn ich nicht wüsste, dass der Mehrzahl der Fachgenossen weniger an der Erkenntnis selber, als bloß an den mit ihrer Hilfe gewonnenen neuen konkreten Kennt- nissen gelegen ist. Daher werde ich mich begnügen, den Leser successive, mit den greifbaren Früchten zugleich, von den Ergebnissen der Analyse zu unterrichten. »Diese letztere zeigte viele causale Fragen auf, welche der experimentellen Methode schon jetzt zugänglich sind. Fast alle aber führten im Weiterverfolgen zu einer und derselben großen Vorfrage, zu einer Alternative, von welcher aus die causale Auffassung fast aller Bildungsvorgänge in zwei wesentlich verschie- dene Bahnen gelenkt wird. Dies ist die Frage : Ist die Entwickelung des ganzen befruchteten Eies resp. einzelner Theile desselben ,Selbstdifferenzirimg' dieser Gebilde resp. Theile oder das Pro- dukt von ,Wech sei Wirkungen mit ihrer Umgebung, also abhängige Differeiiziriuig-? Eventuell, welches ist der Antheil jeder dieser beiden Differenzirungsarten in jeder Entwickelungsphase des ganzen Eies und seiner einzelnen Theile? »In der Beantwortung dieser Frage liegt meiner Ein- sicht nach der Schlüssel zur causalen Erkenntnis der em- bryonalen Entwickelung.« Unter Selbstdifferenzirung eines (abgegrenzten oder abge- grenzt gedachten) sich verändernden Theiles ist zu verstehen eine Veränderung, welche ihrer speci fischen Art nach rein durch Kräfte oder Wirkungen bestimmt und bewirkt wird, die in dem veränderten Theile selber liegen resp. stattfinden. Wenn dagegen äußeren Einwirkungen auf einen Theil ein wesentlicher, die specifische Art seiner Veränderung bestimmender, also nicht bloß (3* 84 die Veränderung »auslösender« Antheil zukommt, so wird diese Veränderung als »abhängige Differenzirung« des Theiles be- zeichnet, »Bezüglich , bestimmter Theile' des Eies oder des Embryos können wir also fragen, ob ihre Entwicklung Selbstdifferenzirung oder abhängige Differenzirung ist. Statt aber so die Gebiete von vorn herein willkürlich räumlich zu umgrenzen und nach der inneren oder äußeren Lage ihrer Differenzirungsursachen zu forschen. können wir auch umgekehrt (NB. in Gedanken) die Systeme , ur- sächlich' abgrenzen, derart, dass jedes System alle zu einem Diff er enzirungs vorgange beitragenden Ursachen umfasst; danach fällt die obige Alternative aus und die Aufgabe wird: die Gewinnung der Topographie der zusammenwirkenden Differenzirungs- ursachen für jeden einzelnen Entwickelungsvorgang. Aus dem Vergleiche dieser Topographie der Ursachen mit der Topographie des von ihnen geschaffenen Differenzirungsproduktes würde dann die obige Alternative von selber ihre Lösung finden. »Jeder Forscher, der sich eingehend mit Entwickelungsmechanik befassen wird, wird finden, dass er bei der causalen Beurtheilung jedes sichtbaren Entwickelungsgeschehens immer wieder zunächst auf diese Frage stößt; und keine specielle Untersuchung, welche wir auf diesem Gebiete vornehmen können, kann uns wirklichen causalen Aufschluss geben, wenn sie nicht wenigstens bis zur Lösung dieser Frage in Bezug auf den untersuchten Vorgang fortgeführt worden ist. Wenn aber im Laufe der nächsten Jahre durch Lösung einer größeren Anzahl derartiger Einzelfragen der AVirkungsumfang jedes dieser beiden Principien annähernd festgestellt ist, dann werden wir schon tief eingedrungen sein in den jetzt noch geschlossen vor uns liegenden Komplex unbekannter, eng unter einander verketteter Probleme (1, Bd. IL pag. 16). »Schließlich aber können Selbstdifferenzirung und ab- hängige Differenzirung der Theile und damit Evolution und Epigenesis sich wie im organischen Geschehen in mannig- fachem Zusammenwirken kombiniren [eine Art des Geschehens, welche ich als gemischte Differenzirung', differentiatio mixta, be- zeichnen will]; und es wird dann unsere Aufgabe sein, bei der Deutung unserer Beobachtungen doppelte Vorsicht und doppelten Scharfsinn aufzuweisen, um die Antheile jedes beider Principien richtig von einander zu sondern (1, Bd. IL pag. 20). »Es ist wohl nicht nöthig, nochmals hervorzuheben, dass jede 85 Differenzirung, au sich betrachtet, das Produkt von Wech- selwirkung ist; uud dass es uns bei der Unterscheidung von selb- ständiger und abhängiger Differenzirung immer nur darauf ankommt, zu ermitteln, ob die specifischen Ursachen einer Veränderung in dem Bezirke der wahrnehmbaren Veränderung selber oder außer- halb desselben gelegen ist.« (1, Bd. IL pag. 254.) In dem zur Orientirung über die Natur der vorliegenden Pro- bleme dienenden ersten Beitrag (vom Jahre 1885) wird unter An- derem die Frage aufgeworfen und experimentell behandelt (1, Bd. II. pag. 187): »ob der Embryo vielleicht in den frühesten Phasen ein aus der Lagerung aller Theile zu einander resultirendes, auf ge- heimnisvolle Weise vermitteltes ,fonuales; Gesainmtleben führe, so dass die Lebensfähigkeit des Embryos aus der , typischen' Gesammtanordnung , aller' Theile resultire, und dass daher in diesem Stadium der Form an sich eine wesentliche funktionelle Bedeutimg zukomme«. Die Möglichkeit dieser Art Leben wird im selben Beitrag wie noch nebenbei in späteren Abhandlungen experi- mentell sehr eingeschränkt. Immerhin haben die Versuche der letzten Jahre gezeigt, dass diese Möglichkeit für die zwei und vier ersten Furchungszellen in Bezug auf die gestaltlichen Leistungen größten- teils zutrifft. Es scheint mir nicht überflüssig, die Begründung, eigentlich die »Entschuldigung«, die ich damals für nöthig hielt, hier zu reproduciren ; sie lautet (pag. 188): »Ich bin überzeugt, dass manchem meiner Leser diese Vorstellung ebenso mystisch wie von vorn herein unwahrscheinlich erscheinen wird. Indess, wenn man vor einem geschlossenen Komplex un- bekannter Probleme steht, ist es schwer zu sagen, was wahrschein- lich, was unwahrscheinlich ist. Es ist nicht ohne Prüfung von vorn herein zurückzuweisen, dass in der Komplikation der Ver- hältnisse während der embryonalen Entwicklung, wo wir Leistungen vor sich gehen sehen, die sonst in ähnlicher Weise in der Natur nicht vorkommen und von uns leider auch nicht künstlich nachge- macht werden können, dass da auch besondere Arten von Energien entstehen, für welche außerhalb dieser Processe und auch selbst in dem späteren funktionellen Leben' des Individuums, außer bei der Regene- ration, keine Gelegenheit mehr gegeben ist ; Energien, welche ebenso sehr in ihren Wirkungen von den uns zur Zeit bekannten Arten der Energie verschieden sind, wie es die Elektricität von den übrigen Energien ist; und die Elektricität ist lange genug unbekannt ge- blieben, obgleich ihre Erzeugungsbedingungen relativ einfache sind. 86 »Wer nicht blind das, was als höchstes Eesultat unserer Untersuchungen erst gewonnen werden niuss, in Form der allerdings sehr gebräuchlichen petitio principii als selbstverständ- lich und keines Beweises bedürftig von vorn herein an- nimmt, der wird sich bei den causalen Untersuchungen der embryo- nalen Entwicklung immer unsere Eventualität vor Augen zu halten und sich zu fragen haben, ob die von ihm beobachteten Vorgänge sich unter die Leistungen bekannter Kraftformen subsummiren lassen, oder ob sie zur Annahme besonderer , Wirkungsweisen', wie differenzirender Fernwirkungen u. dgl., und damit zur An- nahme besonderer Energien nöthigen. »Da es uns überhaupt nicht um Wahrscheinlichkeit, sondern um dereinstige Gewissheit zu thun ist, ist es gut, das Gebiet der , Möglichkeiten' möglichst in Gedanken zu erschöpfen, um so die Augen für alle eventuellen Vorkommnisse zu öffnen. Denn bekanntlich ist es mit dem Sehen wie mit dem Hören: Es nimmt auch mit den Augen Jeder bloß das wahr, was er versteht und wie er es versteht.« (s. 1, Bd. IL pag. 188.) Diese Stelle ist von meinem Herrn Gegner sehr falsch gedeutet worden (siehe unten pag. 290). Auf diese Citate aus dem ersten Beitrag zurEntwickelungsmechanik mögen nun einige Theile aus der schon im ersten Abschnitt erwähnten Rede : Die Entwickelungsmechanik der Organismen, eine anatomische Wissenschaft der Zukunft (vom Jahre 1889) folgen (s. 1, Bd. IL pag. 30— 32): »Auf welchem Wege sollen wir nun die Kenntnis der Ursachen der Entwickelungsvorgänge gewinnen? »Zunächst wurde auch zur Lösung dieser Aufgabe der Weg der einfachen, aber möglichst genauen Beobachtung des ,normalen' Geschehens eingeschlagen, und mit Hilfe des inductiven und de- duktiven Schließens wurde aus dem Beobachteten mancher ursächliche Zusammenhang abgeleitet. Balfour, Ed. v. Beneden, V. v. Ebner, Waldeter, Weismann, Rauber, Kleinenberg, Strasser, Al. Goette, G. Schwalbe u. A., vor Allen aber Wilh. His haben sich dieser Methode mit Erfolg bedient ; und letzterem Autor verdanken wir eine ganze Reihe wichtiger ursächlicher Ableitungen. Doch ist nicht zu verkennen, dass die Anwendbarkeit dieser Methode für ursächliche Ableitungen eine sehr beschränkte ist, und dass die auf diese Weise gewonnenen Schlüsse vielfach nicht die für so fundamentale Fragen wünschenswertlie Sicherheit darbieten. Es giebt in jedem einzelnen 87 Falle eine ganze ReiJie von Möglichkeiten und oft keine sicheren Argumente für die Auswahl bloß einer einzigen von diesen; denn das dabei verwendete Argument, dass das Einfachste auch das Wahrscheinlichste sei, lässt uns hier oft im Stich, schon desshalb. weil wir die organischen Grestaltungsprincipien vielfach nicht genügend kennen, um zu verstehen, was für sie das »Einfachste« sei. »Und selbst die Benutzung der ^vergleichenden1, Betrachtimg von Verschiedenheiten der normalen Entwicklung bei einander nahestehenden Thierklassen vermag uns, meiner Meinung nach, nicht vollkommene Sicherheit über die Ursachen dieser Verschiedenheiten zu geben, auch wenn bei , Variationen' eines Faktors ein anderer Faktor wiederholt in derselben Weise geändert sich zeigt. So schien selbst einer der besten der mit dieser Methode abgeleiteten Schlüsse noch zweifelhaft, nämlich die Deutung Balfour's, dass die bloß partielle Furchung der nahrungsdotterreichen Eier verschiedener Wirbelthiere : der Haifische, Knochenfische und Vögel, in der Art durch die große Menge des aufgespeicherten Dotters bedingt sei, dass der Bildungsdotter und damit die theilenden Kräfte für diese Menge quantitativ zu gering seien. Denn im normalen gegenwärtigen Entwickelungsgeschehen ist Alles durch Jahrmillionen lange Ver- besserung so eingerichtet, dass es vollkommen dem Bedürfnis genügt; und wenn ein Bedürfnis zur Durchtheilung vorhanden ge- wesen wäre, würden sicher auch die Kräfte dazu nicht fehlen. »Man könnte umgekehrt die Vermuthung hegen, die anfängliche Furchung bloß eines Theils des Dotters sei direkt funktionell bedingt, indem eine weitere Zerlegung zunächst nicht nöthig, vielleicht sogar störend für den Ablauf der ersten Entwickelungsvorgänge wäre. »Sicherer führt uns schon die ursächliche Deutung des Zusammenhanges stets zusammen vorkommender ,Varietäten, der Entwicklung des Individuums. Wenn z. B., wie bereits in mehreren Fällen sich gezeigt hat, beim Fehlen des langen Kopfes des Musculus biceps brachii stets auch der Sulcus intertubercularis, in welchem die Sehne dieses Kopfes normaler Weise liegt, fehlt, so werden wir mit Sicherheit auf eine ursächliche Beziehung zwischen beiden Bildungen schließen dürfen; und schon unsere heutige geringe entwickelungsmechanische Einsicht lässt uns des Weiteren folgern, dass nicht die Sehne fehlt, weil ihre Verlaufsfurche nicht angelegt ist, sondern dass der Causalnexus der umgekehrte sein muss. 88 »Durch die Verwerthung solcher Vorkommnisse hat auch die vorstehend erwähnte Deutung Balfour's ein höheres Maß von Wahr- scheinlichkeit gewonnen; indem ich nämlich, allerdings erst in einigen Fällen, beobachtete, dass beim Froschei, welches normaler Weise der totalen Furchung unterliegt, im Falle abnorm großer Einlagerung von Nahrungsdotter, an Kieseneiern vom Achtfachen des normalen Volumens zunächst bloß partielle Furchung eintrat. »Doch der Hauptweg , der uns zu sicherer Erkenntnis der Ursachen führt \ ist der des Experiments, dieses großen Hilfs- mittels des Menschen, mit dem er die Natur zwingt, auf seine Fragen Antwort zu geben, und dem er die riesenhaften Fortschritte in der Erkenntnis der Natur und in der Dienstbarmachung ihrer Kräfte verdankt. •»Aber das Experimentiren an sich giebt noch nicht die Gewähr j dass wir dadurch vorwärts schreiten in der Erkenntnis, ebenso wenig als die zahllosen, Jahrhunderte lang fortgesetzten Experimente der Alchemisten uns in der Erkenntnis der Natur wesentlich gefördert haben. Der rasche Fortschritt der Chemie seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts, ebenso wie schon vorher der- jenige der Physik beruhten auf einer besonderen Art des Ex- periments, auf dem analytischen Experimente; und um dieses anstellen zu können, niuss ihm das analytische Denken vor- ausgegangen sein. »Der Zerlegung der Entwickelungsvorgänge in ursächliche Komponenten werden wir uns nur allmählich nähern können, und zwar durch Beantwortung einiger Vorfragen, welche meiner Ansicht nach zunächst in Angriff zu nehmen sind, nämlich der Fragen nach der Zeit der ursächlichen Bestimmung einer Gestaltung und nach dem Ort der Ursachen derselben. Durch die Beantwortung der ersteren Frage erfahren wir, in welcher Periode der Entwicke- lung, durch die der letzteren, an welchem Orte wir die Ursachen eines Vorganges zu suchen haben (1, Bd. IL pag. 37). »War es für die Pathologie von Nutzen, dass die Pathologen seit Morgagni zunächst nach dem Sitze und dann erst nach den Ursachen der Krankheit forschten, so haben wir wohl einen gleichen Nutzen von demselben Gange der Untersuchung auch für die Ermittelung der normalen Entwickelungsursachen zu ge- wärtigen. Wir erfahren so z. B., ob die Ursachen eines Gestaltungs- vorganges in den durch ihn umgestalteten Theilen selbst gelegen sind, ob der Vorgang also als ,Selbstdifferenzirung' zu betrachten 89 ist, oder ob äußere Theile au der betrachteten Umgestaltung- mit- wirken. « Eiu dem Reiche des Anorganischen entnommenes Beispiel mag- den Nutzen der Kenntnis der Ortlichkeit der Ursache demonstriren: Wir sehen in der Entfernung eine geschlossene Reihe von Wagen dahinfahren, können aber, wenn keine, durch besondere, uns in ihrer Bedeutung bekannte Gestalt ausgezeichnete Lokomotive zu sehen ist, nicht wissen, ob der vorderste Wagen alle anderen zieht (wobei sie in zugfester Verbindung unter einander stehen müssen), oder ob der hinterste sie alle schiebt (was Einrichtungen zu druckfester Ver- bindung voraussetzt), oder ob ein mittlerer Wagen oder jeder einzelne Wagen ein Motorwagen ist etc. Wenn wir aber diese örtliche Frage gelöst haben, sind wir der Einsicht in das Geschehen doch schon näher gekommen. Durch bloßes Zusehen beim normalen Geschehen, also beim Fahren der geschlossenen Wagenreihe, werden wir aber nichts davon ermitteln können; wohl aber durch Beobachtung von Variationen: so wenn beim Bergabwärtsfahren einzelne vordere AVagen vorauseilen, oder beim Bergauffahren hintere zurückbleiben; am besten durch das Experiment: durch Ausschaltung des vor- dersten, hintersten Wagens etc. Daher wurde loco cit. gefolgert: »Mit diesen Vorkenntnissen über die ursächlichen Ver- hältnisse werden wir auch dem Wesen der Ursache selbst schon ein wenig näher kommen. »Auf diesem Wege war es mir z. B. möglich, zu ermitteln, dass die Richtung der Mittelebene des Frosches im Ei schon zwei Tage vor der ersten, diese Richtung bekundenden Organanlage bestimmt ist, dass jedoch im unbefruchteten Ei diese Bestimmung noch nicht getroffen ist, sondern dass diese Lage gerade während der Be- fruchtung normirt wird. Durch diese Einsicht wurde dann die Vermuthung nahegelegt, dass diese Bestimmung vielleicht durch die Befruchtung erfolge; und die daraufhin angestellten, lange Zeit erfolglosen Versuche ergaben nach Ermittelung der geeigneten Me- thode die Richtigkeit dieser Vermuthung. Zugleich zeigte sich, dass wir es vermögen, die Befruchtungsrichtung und damit auch die Lage des Thieres im Ei beliebig zu bestimmen, und fernerhin, dass diejenige Seite des Eies, an welcher wir den Samenkörper eindringen lassen, zur hinteren Körperhälfte des Thieres wird, während aus derjenigen Eihälfte, in welcher zur Zeit der Befruchtung der weibliche Zeugungs- theil, der Eikern liegt, die Kopfhälfte des Thieres hervorgeht.« 90 Nachdem darauf hingewiesen worden war, dass wir bisher das Meiste an causaler Kenntnis der organischen Gestaltungen den Pathologen verdanken, wurde die Anwendbarkeit patholo- gischer Ergebnisse zu Rückschlüssen auf die normalen Gestaltungsweisen und Vorgänge (s. 1, Bd. IL pag. 45) erörtert: »Die Anwendbarkeit auch der nicht bloß auf Ausfallerschei- nungen beruhenden pathologischen Erfahrungen auf die normalen Verhältnisse, die Zulässigkeit des Rückschlusses von den in pathologischen' Verhältnissen beobachteten Gewebsreak- tionen auf die , normalen' Gewebsleistungen beruht auf der weiteren (NB. an den Säugethieren gemachten) Erfahrung, dass die Eigenschaft der Gewebsreaktion so wenig von der Eigen- schaft der veranlassenden äußeren Ursache, so sehr dagegen von den Eigenschaften des reagir enden Substrates abhängt, dass diese Ursache fast bloß als das , auslösende' Moment für das in Thätigkeittreten des specifischen, an sich sehr stabilen Gewebs- mechanismus zu betrachten ist. Die progressiven' abnormen Leistungen sind meist bloß gesteigerte oder anachronistische Bethätigungen der , normalen' Eigenschaften [die regressiven Leistungen, wie Degeneration, Schwund, interessiren uns hier nicht]. »Diese Stabilität der produktiven Reaktionsweisen der Gewebe beraubt uns leider der Möglichkeit, aus den Reaktionen auf verschiedenartige Einwirkungen einen Schluss auf die inneren Eigenschaften des reagirenden Substrates zu machen, wie wir es wohl vermöchten, wenn verschiedenartige Einwirkungen wesentlich verschiedenartige Reaktionen zur Folge hätten. »Immerhin wird bei der Verwerthung , pathologischer' Erfahrungen zu Rückschlüssen auf die , normalen' Vorgänge mit Vorsicht zu verfahren sein. So dürfen wir z. B. aus dem interessanten Ergebnis der Untersuchungen Thoma's über die kom- pensatorische Verdickung der innersten Haut (an umschriebener Stelle) zu weit gewordener Blutgefäße nicht ohne besondere daraufgerichtete Untersuchungen annehmen, dass auch die normale, der eigenen Ge- stalt des Flüssigkeitsstrahles angepasste Gestaltung der Lichtung der Blutgefäße auf diese Weise hergestellt werde. »Dagegen konnten wir aus der Beobachtung Julius Wolfp's u. A., dass auch in abnormen Verhältnissen, z. B. bei schief geheilten Knochenbrüchen, eine dieser neuen Form angepasste, äußerst zweck- mäßige Knochenstruktur entsteht, sofort schließen, dass auch die normale Struktur der Knochen durch wesentlich dieselben Mechanismen 91 der den Knochen zusammensetzenden Gewebe hergestellt werden kann, dass diese Struktur also nicht nothwendig in ihren zahl- losen zweckmäßigen Einzelbildungen uns vererbt zu werden braucht. »Ebenso gestatten die vielfachen Veränderungen, welche die Muskeln, Knochen und Bänder nach dem Schwund der Ganglien- zellen der sogenannten Vorderhörner des Eückenmarks bei der spinalen Kinderlähmung erfahren, eine ganze Keihe von Schlüssen auf gestaltende Einwirkungen, welche auch normaler Weise zur Ausbildung und Erhaltung nöthig sind; während aus der That- sache, dass zwischen öfter bewegten Bruchenden eines Knochens ein Gelenk sich ausbildet, nicht zu folgern ist, dass auch die normale Gelenkbildung auf entsprechende Weise veranlasst wird.« Xach Besprechung der vielen früheren verfehlten orthopä- dischen Behandlungsmethoden wird (pag. 48) gesagt: »Wir müssen sagen : Diese Umwege hätten schon vor Jahrzehnten, schon seitdem eine richtige Unterscheidung der Gewebe gewonnen war, durch methodisch angestellte, analytische Thierversuche ver- mieden werden können. Aber freilich erst jetzt, durch die aseptische Wundbehandlungsmethode, sind wir in den Stand gesetzt, der Ortho- pädie durch exakte experimentelle Erforschung der gestaltenden Reaktionsweisen der Gewebe und ihrer auslösenden Ur- sachen eine analvtische, für die Praxis verwerthbare Grund- läge zu geben. Doch diese Aufgabe wird selber nur auf der Basis entwickelungsmechanischer Einsicht zu lösen sein« l). Über das Specielle unserer Methodik wird in dem Artikel »Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik« ausführlicher gehan- delt (1, Bd. IL pag. 87 u. f.): »Um aus den vielen gleichzeitig auftretenden Verände- rungen eines Embiyos die wesentlichen ursächlichen Beziehungen eines der Untersuchung unterzogenen Bildungsvorganges zu ermitteln, haben wir ein nicht unerhebliches, wenn auch nur negatives Hilfs- mittel in der vergleichenden Betrachtung der Nebenumstände desselben Bildunffsvorffan^es bei verschiedenen Thier^attungen oder *) Im Interesse der »funktionellen Orthopädie« (s. l.Bd.I. pag. 731, 766) sei auf einen dieser Stelle angeschlossenen Hingeren Exkurs über die wissen- schaftliche Erforschung und die darauf zu gründende Behandlung der Deformi- täten der Wirbelsäule durch analytische, die Eeaktionen der einzelnen dabei betheiligten Gewebe: Knorpel-, Knochen-, Binde- und Muskelgewebe, so- wie deren Ursachen ermittelnde Versuche hingewiesen. 92 Klassen. Denn nur die allen Wiederholungen desselben Vorganges gemeinsamen Umstände werden wesentliche sein; dabei ist aber nicht zu übersehen, dass sie darum noch nicht nothwendig auch wesentlich sein müssen. »Immerhin ist der Nutzen solcher vergleichender Beobachtung zumal jetzt bei dem Anfange (NB. exakten) causalen Strebens ein sehr erheblicher. Unsere Vorstellungen und Vermuthungen werden durch diese Vergleichung oft von einer falschen Bahn abgehalten und auf den richtigen Weg geführt werden. »Der Forscher auf dem Gebiete der Entwickelungsmechanik muss sich daher bei seinen aus praktischen Gründen oft längere Zeit an ein einziges Objekt gebundenen Forschungen stets bestreben, größere ontogenetische Entwickelungsreihen zu überblicken ; ja wenn es möglich wäre, sollte er die ganze beschreibende thierische und pflanzliche (onto- wie phylogenetische) Entwicklungs- geschichte kennen und bei seinen Ableitungen berücksich- tigen. »Außer den Veränderungen, die durch das hünstliclie Experiment gesetzt werden, kommen als Missbildungen oder als bloße Varia- tionen oder als Folgen von Erkrankungen nicht selten Veränderungen der Organismen vor, die denen des analytischen Experiments an ihnen annähernd oder ganz entsprechen und daher in ähnlicher Weise wie dieses zu causalen Ableitungen zu verwerthen sind (Natur- experimente). »Noch weit mehr als bei den stets mit weniger Komponenten arbeitenden Versuchen an anorganischen Objekten ist bei der An- stellung und besonders bei der Deutung von Experimenten an Organismen ein geiuisses Maß vorausgreif ender eigener Ein- sicht unerlässlich nöthig. Wer sich solche nicht angeeignet hat, der wird vielfach sehr irrthümliche Schlüsse aus seinen Experimenten, oder aus denen Anderer ziehen; dem kann es sogar geschehen, dass sich ihm die unbekannte Komplicirtheit der organischen Verhältnisse in solchem Maße ausdehnt, dass er aus den Folgen eines Experiments überhaupt keinen speciellen Schluss zu ziehen sich getraut. »So hat ein Autor gegen ein vom Ref. angestelltes Experiment, in welchem Froscheier einen Tag länger als normal in ihrer an- fänglichen Einstellung mit der weißen Seite nach unten erhalten wurden, und somit die sonst in dieser Zeit eintretende Aufwärtsdrehung der unteren Seite des Eies verhindert worden war (wobei sich zeigte, dass die Medullarwülste unter bilateralem Herabschieben von 93 Material auf dieser ursprünglich weißen Unterseite des Eies zur Anlage kommen), den Einwand erhoben, dies Experiment gestatte keinen Schluss auf die normalen Verhältnisse, da das Ei in abnorme Bedingungen gebracht worden sei; unter ganz normalen Bedingungen würde nach diesem Autor das Medullarrohr auf der Mitte der von vorn herein schwarzen Oberseite entstanden sein. »Wenn nun wohl kein mit der Sachlage Vertrauter diesem spe- cialen Urtheile zustimmen wird, so müssen wir uns gleichwohl stets gegenwärtig halten, dass wir die bei jedem organischen Bildungs- vorgange betheiligten Komponenten wahrscheinlich noch nicht an- nähernd übersehen imd daher nicht sicher zu beurtheilen vermögen, wie viel und welche Komponenten wir auch bei einem möglichst analytischen Experimente alteriren. Wir können daher erst dann sicher sein, die Ergebnisse eines Experiments richtig ge- deutet zu haben, wenn die Ergebnisse zweier oder mehrerer verschiedenartiger Experimente über denselben Vorgang auf die gleichen Zusammenhänge oder Vorgänge hindeuten (1, Bd. IL pag. 89). »In dem soeben citirten Falle hatte Ref. desshalb zugleich das Ergebnis des angeführten Experiments durch Versuche mit tief greifenden lokalen Defekten als Marken kontrollirt; und diese ganz anderen Versuche hatten zu demselben Schluss über die frühere Lage des Materials des Medullarrohres oberhalb neben dem Äquator des Eies geführt. »Drittens gelang es durch starke Pressung der Froscheier zwischen parallelen senkrechten Glasplatten, das erschlossene nor- male seitliche Herabwachsen der Urmundlippen ganz zu ver- hindern; die später gebildeten Medullarwülste formirten dabei einen den Äquator des Eies rings umziehenden Gürtel; es zeigte sich also die für diesen Fall vorausgesagte ,Asyntaxia me- dullaris totalis' (Eoux). »Der aus diesen ,drei verschiedenen' Experimenten folgende Schluss, dass die Gastrulation des Frosches durch bilaterale Epibolie und Konkrescenz auf der Unterseite des Eies erfolgt, und dass die Außenseite der Urmundränder die An- lagestelle der Medullarwülste ist, ist daher ein so sicherer, dass er weder durch die an sich erfreuliche nachträgliche Zustimmung von Seiten deskriptiver Forscher [v. Davidoff, 0. Hertwig, Keibel u. A.] an Sicherheit etwas gewinnen konnte, noch durch den Widerspruch derselben hätte etwas einbüßen können; vielmehr müssen ^derartig' ermittelte Thatsachen als die ersten festen Grundsteine unserer 94 Kenntnis von den ,Vorg'dngenL der Entioickelung betrachtet werden, derart zugleich, dass alle solche A?isichten, tcelche mit diesen Thatsachen wirklich unvereinbar sind, mit Sicherheit als unrichtig bezeichnet werden können 1). »Die Mntimchelungsmechanih muss sich, wie jede neue Hichtung in der Wissenschaft, die ihr gebührende Stellung erst nach und nach erwerben. Aber gleichwohl wird es unsere Nachkommen wohl be- fremden, dass die jetzt herrschende deskriptive Kichtung diese sicheren Angaben der Entwickelungsinechanik so lange ignorirt hat, bis deskriptive Forscher zu denselben Ansichten gelangten, und besonders, dass sie diesen letzteren Angaben mehr Werth beilegt als ersteren. Dies wird ein bleibendes Zeugnis für das ungenügende Verständnis der betreffenden Forscher von dem Werthe des Experi- ments sein (s. 1, Bd. IL pag. 89). »Solche Experimente müssen aber wirklich gemacht sein, und die Natur muss darauf entsprechend reagirt haben. Es ist eine nicht zu billigende Auffassung, wenn Rauber [Zoolog. Anz. 1886. pag. 170] nach einem Experiment, welches, wie zu erwarten, sogleich mit dem Tode der Objekte endete, die Meinung äußert: ,Es wird aber für die Meisten schon hinreichend sein, auch nur in Ge- danken das genannte Experiment [Vertauschung der Furch ungskerne eines Kröten- und eines Froscheies] auszuführen, um zu der Über- zeugung (!) zu gelangen, dass aus jenem Froschei keine vollständige Kröte, aus dem Krötenei kein vollständiger Frosch hervorgegangen sein würde.' »Dies Gedankenexperiment ist durchaus nicht, wie er meint, überzeugend dafür, dass auch dem Protoplasma Vererbungstendenz innewohnt. »Die Analyse scheint es mit sich zu bringen, dass die ent- ]) Hertwig citirt von diesen drei zusammengehörigen Experimenten allein die Asyntaxia medullaris und giebt (pag. 75) als meine Auffassung an, dass die Asyntaxia für sich allein den Grundstein des Urtheils bilden solle, der fester sei als die rein deskriptiv gewonnenen Argumente; während der Sinn der obigen Erörterung doch wohl deutlich der ist, dass dreierlei ganz verschiedenartige Experimente zu demselben Schluss führten und dass daher ihrem gemeinsamen Ergebnis eine sehr große Sicherheit zu- komme. Dagegen bezeichnet Hertwig dann seinerseits, anscheinend meine Auffassung berichtigend, die Zusammenfassung aller bezüglichen, auch der normalen Thatsachen über denselben Vorgang als nothwendig. Dieses Beispiel ist, wie schon aus den Darlegungen unseres ersten Abschnittes hervorging, typisch für die in Hertwig's Polemik konsequent angewandte Methode. 95 wickelungsmechanische Forschung bei den einfachsten Lebewesen, den Protisten, beginnen müsste; und gewiss können manche wichtigen Causalverhältnisse an diesen niedersten Lebewesen leichter und sicherer als an Metazoen, ja zum Theil nur an ersteren ermittelt werden. Es sei hier nur an die überaus lehrreichen Ex- perimente von E. G. Balbiani, M. Nussbaum, A. Grüber, Bruno Hofer über die besonderen Leistungen des Zellkerns und des Zell- leibes erinnert. »Es ist aber darauf hinzuweisen, dass andererseits die höheren Organismen in manchen Beziehungen günstigere Verhältnisse für die analytische' Forschung darbieten; einmal weil bei ihnen durch die weitgehende Arbeitsth eilung die Fähigkeiten der einzelnen Gewebe weniger vielseitige sind, und zweitens desshalb, weil das Vermögen der Kegenerationsfähigkeit bei ihnen viel geringer ist, als bei den niederen Organismen und wir daher bei ersteren den Mechanismus der normalen, sive typischen Entwickelung reiner für sich studiren können (s. 1, Bd. IL pag. 90). »Mit der Zurückführung organischer Gestaltungen auf anorganische, physikalische Komponenten ist schon ein sehr erfreulicher Anfang gemacht, so von Berthold, Errera u. A. in Bezug auf pflanzliche, ferner von Bütschli, Quincke, Dreyer u. A. in Bezug auf thierische Gestaltungen. Die Schlüsse sind jedoch bis jetzt größtentheils bloß Analogieschlüsse; es haftet ihnen daher noch eine große Unsicherheit an. Die Urtheile dieser Autoren beruhen darauf, dass an anorganischen Objekten auf experimentellem Wege den organischen ähnliche resp. gleiche Formbildungen hervorgebracht wurden, woraus auf eine Gleichheit der Ursachen geschlossen wurde. »Trotz des Nutzens dieser Versuche und der wohl theilweisen Eichtigkeit der aus ihnen gezogenen Schlüsse, scheint es doch, dass man sich dabei manchmal die organischen Verhältnisse zu einfach vorstellt. Wir kommen damit leicht in die Gefahr, dass sich auf morphologischem Gebiete ähnliche Irrthümer wiederholen, wie sie vor 30 — 20 Jahren unter den Physiologen ähnlichen Strebens vorgekommen sind. Da waren Ernährung und Sekretion bloße Diffusions- und Filtrationsvorgänge, Wachsthum war bloße Quellung, Bildung einer Xiederschlagsmembran um einen Tropfen war Zellbildung. »Bei den Übertragungen der Ursachen anorganischer Gestal- tungsvorgänge auf ähnliche organische Gestaltungen wird leicht der 96 Wirkungsantheil der experimentell geprüften Komponenten an den organischen Gestaltungen überschätzt, indem sie als alleinige oder als die formbeherrschende anfgefasst wird. Dabei wird dann übersehen, dass fast jede Komponente im Organischen durch andere ent- gegenwirkende Kräfte mehr oder weniger, ja derart in ihrem Antheile an der schließlichen Resultante beschränkt werden kann, dass ihr Antheil gar nicht mehr erkennbar ist. Im Bereiche an- organischer Blasen z. B. herrschen bei äußerer Ruhe die Plateau- schen Gesetze der Blasenspannung; im Bereiche der Organismen kann ihnen durch aktive Leistungen, durch Spannungen und Kon- traktionen, also unter Kraftaufwand, vollkommen Widerstand ge- leistet werden ; ebenso wie der Diffusion durch lebende Wände aktiv widerstanden werden und Flüssigkeit entgegen den Gesetzen der Filtration nach der Seite des Überdruckes abgeschieden werden kann. Die Salze des Fischeies unterliegen erst nach dem Tode desselben der Diffusion; und kleine Insekten leben längere Zeit in einer Luft, in der sie nach ihrem Tode in wenigen Minuten ein- trocknen. »Die bei solchen Übertragungen verwendete Umkehr des Satzes: , gleiche Ursachen geben gleiche Wirkungen' in: , gleiche Wirkungen beruhen auf gleichen Ursachen' ist uns meiner Meinung nach auf organischem Gebiete zur Zeit nicht gestattet; ich habe das früher schon an manchen Beispielen dar- gelegt. So z. B. sind die Aste der Bäume an ihrem Ursprünge sehr ähnlich kegelförmig gestaltet, wie das Lumen der Blutgefäße am Astursprunge ; auch findet beim Ursprünge eines relativ dicken Astes am Baume eine Ablenkung des Stammes nach der anderen Seite statt, wie dies bei den Blutgefäßen auch geschieht; gleichwohl be- ruhen diese beiderlei Gestaltungen auf wesentlich anderen Ursachen. »Der Schluss: , gleiche Wirkungen haben gleiche Ur- sachen' ist bloß bei , vollkommener' Übereinstimmung dieser Wirkungen gestattet; er setzt also für uns die vollkommene Kenntnis der Wirkungen voraus, die wir zur Zeit auf organischem Gebiete in keinem Falle haben und selbst auf anorganischem Gebiete oft entbehren (1, Bd. IL pag. 92). »Wir können z. B. an einem in bestimmter Richtung laufenden Billard balle nicht erkennen, ob er diese Bewegung macht, weil er in dieser Richtung einen centralen Stoß erhalten hat, oder weil gleichzeitig oder nach einander zwei Stöße entsprechend verschiedener Richtungen auf ihn gewirkt haben. Wenn wir aber nicht bloß von 97 seiner sichtbaren Massenbewegung, sondern auch von der bei dem Anstoße stattgefundenen Änderung seiner Molekularverhältnisse voll- kommene Kenntnis hätten, wenn wir also die stattgehabte , Wir- kung' , vollkommen' kennten, würden wir diese Ursachen richtig erschließen können. Ist die Kugel aus weniger elasti- scher und weicherer Substanz, so werden die beiden Stöße äußerlich sichtbare Eindrücke hinterlassen, und bei genauer Berücksichtigung dieser Nebencharaktere werden die Ursachen des Vorganges richtiger zu beurtheilen sein. »Wir müssen uns stets gegenwärtig halten, dass dieselbe Form auf sehr verschiedene Weise und durch entsprechend ver- schiedene Ursachen hervorgebracht werden kann. Derselbe Gegenstand kann bildlich in gleicher Größe mit vollkommen gleichen Kontouren und Schatten durch Holz- und Steinschnitt, durch Stahl- und Kupferstich, in Photographie und Lichtdruck etc. hergestellt sein; trotzdem ermöglicht uns die Berücksichtigung der Cha- raktere , zweiter' Ordnunng, diese Art seiner Herstellung zu erkennen. »Da wir kaum je vollkommene Kenntnis eines organischen Bildungsvorganges gewinnen werden, so ist es nöthig, um trotzdem auf seine Ursachen schließen zu können, bewusst und sorgfältig die Merkmale zweiter, ja dritter Ordnung aufzusuchen, welche an sich schon, besonders aber in ihren Variationen oft ziemlich zuverlässige Schlüsse auf die Ursachen gestatten. »Doch giebt es auch Fälle, in denen selbst die Merkmale zweiter Ordnung zwischen organischen und anorganischen Gestaltungen über- einstimmend erscheinen, obwohl die beiderlei Vorgänge nicht auf denselben Ursachen beruhen. Das ist z. B. bei der künstlichen Nach- ahmung der Kopulation der Geschlechtskerne durch die Selbst Ver- einigung zweier Chloroformtropfen, die auf alte, gestandene, wässerige Karbollösung gethan worden sind (s. 1, Bd. II. pag. 34), der Fall. Hierbei findet außer der aktiven Näherung eine pracht- volle große Radiation in der Flüssigkeit statt; gleichwohl beruht der Vorgang auf Wirkungsweisen, die im Ei nicht mög- lich sind. »Die organische Natur bietet oft gerade das Gegentheil zu dem Satze: , gleiche Wirkungen haben gleiche Ursachen' dar (indem verschiedene Ursachen die gleichen Gestaltungen hervorbringen). Diese Thatsache berechtigt zu dem Ausspruche, dass die organischen Formen vielfach konstanter sind, als die R o u x , Prograni m . 7 98 Arten ihrer Entstehung-, also auch konstanter, als ihre un- mittelbaren Bildungsursacken. Die vergleichende Entwick- lungsgeschichte hat dafür bekanntlich viele Beispiele geliefert. Hier nur eines: die Gattung Peneus z. B. durchläuft in ihrer Ontogenese ein Naupliusstadium; das Endprodukt aber ist eine Garneele; wäh- rend die übrigen Garneelen des Naupliusstadiuins ganz entbehren. »Die Entstehung Desselben auf verschiedenem Wege gilt aber nicht bloß für Thiere verschiedener Arten und Gattungen; sondern auch für Thiere derselben Art, ja für ein und dasselbe Individuum. Es sei zunächst an diejenigen Organismen erinnert, die sich normaler Weise auf zweierlei Art: sowohl durch die äußerlich nicht differen- zirten Eizellen, wie durch Selbsttheilung des entwickelten Individuums vermehren. Ferner gehört hierher die Re- und Post- generation: Ein rechter oder ein vorderer halber Froschembryo producirt die fehlende Hälfte nach, wobei die Entwickelungsvorgänge zum Theil wesentlich andere sein müssen, als bei der normalen Entwickeluug. »Diese Verschiedenheit der Bildungsweisen derselben End- produkte, die bei manchen Regenerationen sogar unter denselben äußeren Formwandlungen verläuft wie die Entwickelung aus dem Ei, gab mir Veranlassung zur Unterscheidung zweier verschiedener Ent- wickelungsarten: der typischen (bei den höheren Thieren der allein , normalen') Entwickelung aus dem ganzen Ei, und der atypischen sive regulatorischen Entwickelung, oder derjenigen Entwicke- lung, welche nach Selbsttheilung oder nach künstlicher Theilung des entwickelten Individuums, sowie auch bei Störungen der normalen Entwickelung, z. B. bei sehr hochgradigen Deformationen der Eier etc. statt hat.« (1, Bd. IL pag. 94.) In der Einleitung zu dem Archiv für Entwickelungs- mechanik ist dann die Methodik der entwickelungsmechanischen Forschung ausführlich (auf pag. 10 — 24) dargelegt, wovon indess unserem Kritiker wieder nur wenig bekannt ist; daraus sind hier, das Vorstehende ergänzend, noch einige Stellen nachzutragen, welche für die Diskussion über Hertwig's Einwendungen von Bedeutung sind. Die Notwendigkeit des causal-analytischen Experi- ments als des Hauptmittels causaler Forschung wird in folgender Weise begründet (2, pag. 10): »Das gestaltende Wirken findet im Organismus in »un- sichtbarer« Weise statt; wir können nicht sehen, wie die Ganglien- zellen der Vorderhörner auf die Ausbildung der Muskeln wirken, wie 99 die vermehrte Aktivität das Wacbsthuni der Organe anregt, wie etwa von Zellen ausgeschiedene Stoffe auf andere Zellen chemotropisch anlockend wirken; ja nicht einmal, dass Zellen beim Wachsthum sich drücken und so passive Formbildung der betreffenden Theile veranlassen. Alles dies Wirken können wir nur , erschließen'. »Die Ermittelung dieser Wirkungsverhältnisse wird ferner da- durch wesentlich erschwert, dass das eigentliche gestaltende Wirken im Verhältnis zum Verlauf der sichtbaren Änderung so rasch sich vollzieht, dass selbst bei Produktion größerer Umge- staltungen das ursächliche Wirken, das Antecedens der Wirkung, also der Folge, in jedem Momente quantitativ fast immer nur um ein Differential voraus ist, derart, dass man z. B. selbst bei eventuellen passiven Deformationen nach His (wie ich experi- mentell ermittelt habe, s. 1, Bd. IL pag. 248) diesen Vorgang nicht durch Entfernung der drückenden Theile feststellen kann, weil die durch Pressung hervorgebrachte Form jederzeit bereits fast vollkom- men im inneren Gleichgewicht ist und in jedem Moment nur ein letztes Minimum der Anpassung noch fehlt, so dass ein passiv de- form irtes Gebilde nach der Entfernung der drückenden Theile nicht, gleich einem gebogenen Gummischlauch nach dem Aufhören der biegenden Kraft sogleich in seine frühere, erste Ausgangsform zurück- kehrt (2, pag. 11). »Da ferner bei der normalen Entwickeluno; des Individuums jederzeit viele Veränderungen gleichzeitig stattfinden, so können wir aus den Beobachtungen dieser Veränderungen bloß schließen, dass die ,Gesammtheit' der früheren Veränderungen die , Ur- sache' der Gesammtheit der ihr folgenden Veränderungen ist oder sein kann; wir sind aber nicht im Stande zu schließen, von , welcher' der früheren Veränderungen Jede einzelne' der späteren Veränderungen abhängig ist (2, pag. 11). »Die aus vergleichenden Beobachtungen der normalen onto- genetischen und phylogenetischen Gestaltungen geschöpften causalen Ableitungen gewähren nie , volle' Sicherheit, weil der be- obachtete Zusammenhang von Erscheinungen kein .direk- ter' zu sein braucht, sondern auf den Wirkungen dritter, noch unbekannter Komponenten beruhen kann. Denn die organischen Vorgänge der typischen s. normalen Entwicklung der Organismen sind so unübersehbar mannigfach und räthselvoll, dass wir, zumal jetzt am Anfange exakter ursächlicher Forschungen, nie mit Sicherheit das Vorhandensein solcher gemeinsamer 7* 100 dritter und weiterer Komponenten verneinen können; um so weniger, als stets nur ein kleiner Theil des sekun- dären oder tertiären Geschehens in den Bereich unserer Beobachtungsfähigkeit fällt, während alles primäre Ge- schehen der organischen Gestaltung unserer Wahrnehmung entzogen ist. Durch vergleichende Beobachtung des normalen Ge- schehens können daher Wirkungsweisen wohl ,ermitfelt\ aber nicht ,bewiese?ii werden.« (Unter »ermittelt« ist hier, wie aus der Gegen- überstelluug »bewiesen« hervorgeht, bloß gemeint: »als vielleicht betheiligt erkannt« ; Hertwig ist es nicht gelungen, dies zu verstehen, sondern er hat beide Ausdrücke als identisch aufgefasst.) »Dies müssen wir uns stets gegenwärtig halten; wir dürfen bloß aus Beobachtungen des typischen, normalen Geschehens er- schlossene Wirkungen nie für vollkommen gesichert halten, sondern müssen uns bestreben, noch direkte Beweise für sie zu erbringen« (2, pag. 12; siehe auch oben pag. 87). », Sicherheit1 über ursächliche Ableitung vermag allein das Experi- ment zu geben, sei es das ^künstliche Experiment1, oder das y Natur experiment1 als Variation, Missbildung oder anderes patho- logisches Geschehen; solche Sicherheit ist aber auch hierbei noch nur unter Berücksichtigung mannigfacher, oft schwierig einzuhaltender Vorsichtsmaßregeln zu gewinnen (2, pag. 13). »In dem Experiment wird oder ist besten Falles bloß ,eine', und zwar eine uns bekannte Komponente verändert; und wir er- kennen an den Folgen dieser Änderung diejenigen Erscheinungen, die mit dieser Komponente in Zusammenhang stehen. »Erfahrungsgemäß liegt aber die Sache nicht so einfach; sondern wir haben bei organischen Objekten auch nach dem künstlichen, analytischen Experiment oft die größten Schwier igkeiteny die Folgen auf die richtigen Ursachen zurückzuführen; wir müssen zunächst das betreffende Experiment oft wiederholen, um konstante Resultate zu erzielen, und es dann noch »mannigfach modifi- ciren«, um die richtigen Ursachen ermitteln zu können. Dies rührt wieder daher, dass auch hier noch die Verhältnisse so komplicirt liegen, dass wir die primär alterirten Komponenten selbst beim künstlichen Eingriff oft nicht genügend kennen^ weil, wenn wir bloß eine einzige Komponente geändert zu haben glauben, durch zufällige äußere oder innere Umstände oder durch unbeabsichtigte Nebenwirkungen unseres eigenen Eingriffes deren mehrere alterirt worden sind. Aber nur wenn wir die sichere Überzeugung haben 101 dürfen, dass wirklich keine andere als die von uns berücksichtigte eine Komponente geändert worden ist, können wir schon aus einem einzigen (NB. oft wiederholten) Experiment einen sicheren causalen Schluss ableiten* (2, pag. 14). »Diese Überzeugung resp. Einsicht werden wir aber nur sehr selten bei Experimenten an Organismen haben. Die Folge davon ist, dass so häufig, wenn wir glaubten, unter ganz gleichen Um- ständen und in gleicher Weise wie früher experimentirt zu haben, gleichwohl verschiedene Resultate sich ergaben. So lange wir nicht wenigstens bei vielfachen Wiederholungen desselben Ex- periments dasselbe Resultat erhalten, dürfen wir also überhaupt keinen Schluss ziehen. Und jetzt, beim Anfang unserer Forschungen, wo wir noch keinen Überblick über die vorkommenden , Wir- kungsweisen' haben, wird es oft unentbehrlich sein, dieselbe Frage auf mehrere, möglichst verschiedene Weisen experi- mentell in Angriff zu nehmen; und erst, wenn diese ver- schiedenen Experimente auf denselben ursächlichen Zu- sammenhang hinweisen, dürfen wir als erwiesen annehmen, dass dieser der richtige ist. (Genaueres siehe oben pag. 93.) »Mit Hilfe solcher Experimente vermögen wir einmal die durch , vergleichende' Beobachtungen der , normalen' Gestaltungen (NB. vermuthungsweise) ermittelten Beziehungen zu prüfen, wie andererseits auf viele neu aufgestellte Fragen uns Antwort zu verschaffen, Antwort zu erzwingen.« Über den gewöhnlichen drang unserer causalen Untersuchungen wird dann ausgeführt (2, pag. 15): »Ehe wir die ursächlichen Wirkungsweisen ihren Eigenschaften nach bestimmen können, müssen wir zunächst feststellen, zwischen welchen Theilen überhaupt gestaltende Wirkungen statt- finden; das heißt, wir müssen die , Örtlichkeit' der gestaltenden Wirkungen feststellen (2, pag. 15). »Nach oder schon gleichzeitig mit der wirklichen Ermittelung solcher , örtlicher' Verhältnisse der gestaltenden Ursachen werden wir uns zu bestreben haben, Momente aufzusuchen, welche die ,Gröfse' und ,Richtung' der gestaltenden Vorgänge bestim- men; gleichzeitig oder schon vorher kann weiterhin die ,Zeit; der Normirung mancher dieser Gestaltungen ermittelt werden; denn es ist nicht nöthig, dass diese Gestaltverhältnisse erst mit dem sicht- baren Auftreten der betreffenden Gestaltungen selber bestimmt werden. »Im Gegentheil, bei vollkommen normalem, d. h. vollkommen 102 typischem Verlaufe der individuellen Entwickelung niüssten ,alle4 typischen Gestaltungen spätestens bereits im befruch- teten Ei, sei es implicite in ihren anfänglichsten Komponenten oder schon explicite in bereits sichtbaren Gestaltungen, irgendwie bestimmt sein. Doch ist anzunehmen, dass es (vielleicht) voll- kommen ,typische' Entwickelung überhaupt nicht giebt (s. 1, Bd. IL pag. 980), sondern dass im Laufe jeder individuellen Entwickelung kleinere oder größere Störungen vorkommen, welche durch Akti- virung von Regulationsmechanismen ausgeglichen werden. Es wäre also genau genommen in zeitlicher Hinsicht nur zu ermitteln, innerhalb welcher früheren Entwickelungsphasen später sichtbar werdende Gestaltungen auch durch sonstige störende Einwirkungen nicht mehr variirt werden können; und in formaler Hinsicht: von , welchen' früheren, sichtbaren oder unsichtbaren Gestal- tungen jede betrachtete spätere Gestaltung bestimmt wird, so wie z. B. normaler Weise die Medianebene des Embrvos durch die erste Furche und diese durch die Kopulationsrichtung des Eikerns und des Spermakerns bestimmt wird (2, pag. 18). »Später werden wir dann den ursächlichen Wirkungsweisen selber näher zu treten suchen, indem wir uns bestreben, ihre Qualität zu ermitteln und die allgemeineren Wirkungsweisen nachzuweisen, von deren Kombination diese Wirkung selber nur ein Fall ist. »Das .analytische' Experiment giebt uns zu alle dem reich- liche Gelegenheit. Durch Isolation, Verlagerung, Zerstörung, Schwächung, Reizung, falsche Verbindung, passive Deformation, Anderimg der Ernährung und der Funktionsgröße von Theilen des Eies, Embryos oder weiter ausgebildeten Individuums, sowie durch besondere Einwirkung von Agentien, wie Licht, Wärme, Elektricität und chemischen Verbindungen oder Elementen auf Organismen und andererseits durch Entziehung gewohnter Einwirkungen wird es uns möglich sein, vielerlei gestaltende Wirkungen der Theile der Organismen auf einander kennen zu lernen. So werden wir z. B. durch Durchschneidung und vertauschte Vernähung der Ansatz- sehnen des M. biceps und triceps brachii bei sehr jugendlichen Thieren den möglichen Einfluss der Muskeln auf die Ge- staltungsverhältnisse der Gelenkenden und der Gelenkkapsel, durch quere keilförmige Excision aus langen Knochen kombinirt mit Krappfütterung die Vorgänge der funktionellen Anpassung der Knochenstruktur und damit die Art ihrer nächsten Vermittelung kennen lernen (2, pag. 19). 103 »Durch solche künstlichen Eingriffe werden wir zunächst das Bestehen von , abhängigen Differenzirungen', also von diffe- renzir enden Wechselwirkungen vieler Theile feststellen können, welche genügend weit von einander entfernt sind, um sie mit unseren groben Hilfsmitteln von einander isoliren zu können, ohne durch die schädigende Nähe der Verletzungsstelle ihre Lebensfähigkeit aufzuheben. »Schon jetzt aber weisen manche Ergebnisse darauf hin, dass bei normalem Entwickelungsverlauf die ,specifischen' Ursachen vieler Differenzirungen ganz oder fast ganz in den veränderten Theilen, selbst schon in sehr kleinen Theilen liegen; so dass also selbständige Differenzirungsbezirke in früher Zeit eine oder wenige Zellen umfassen können. So eng lokalisirte Differenzirungsvorgänge bieten der Erforschung viel größere Schwierigkeiten dar; und da auch die gestaltenden Grundvorgänge: die Assimilation, das Wachsthum, die Selbstbewegung und die qualitativen Differenzirungen der Zellen ganz oder doch zunächst im Bereiche des unsichtbar Kleinen sich vollziehen, so werden wir zur Aufhellung dieser Gestaltungsvorgänge in gleicher oder noch weiter gehender Weise von der Hypothese ausgedehnten Gebrauch machen müssen, wie die Physik und Chemie es bezüglich der Grundvorgänge der ihr zugehörigen Wirkungen zu thun genöthigt sind. Dabei werden auch wir gleich den Forschern dieser Gebiete diejenigen Annahmen, welche die meisten Thatsachen erklären und neue Thatsachen mit Erfolg vorauszusagen gestatten, als die der Wahrheit am nächsten kommen- den betrachten; und ceteris paribus werden wir dabei auch der scheinbar einfacheren* Erklärung zunächst den Vorzug geben, ohne indess vergessen zu dürfen, dass wir uns in dieser Hinsicht aus den oben angegebenen Gründen leicht wesentlich irren können (2, pag. 19). »Das Experiment an Lebewesen hat aber eine beson- dere, Gefahren einschließende Eigenschaft dadurch, dass es in manchen Fällen, wie bei Defekten und gewissen Störungen der Anordnung von Theilen gegen einander, Verhältnisse setzt, in denen der Organismus nicht mit den gestaltenden Mechanismen der typischen oder normalen Entwickelung, sondern mit den Regulations- und Regenerationsmechanismen der atypischen s. regulatorischen Entwickelung, z. B. der Regeneration, reagirt (s. I, Bd. II. pag. 811). »Die atypische Entwickelung vollzieht sich in hohem Maße unter regulirenden Wechselwirkungen vieler oder, wie wohl 104 bei größeren Defekten und Störungen niederer Thiere, sogar zeit- weilig aller Theile des Organismus. Sie unterscheidet sich dadurch wesentlich von der normalen s. typischen Entwickelung des befruchteten Eies, welche beim Ausbleiben jeder Störung (oder auch nach Störungen noch eine geringe Zeit lang) stattfindet und vielfach unter hochgradiger Selbstdifferenzirung umgrenzter Bezirke sich vollzieht (wobei aber natürlich die Veränderung innerhalb dieser Bezirke auf Wechselwirkung der Theile derselben beruht) (2, pag. 20). »Die Wirkungsweisen jeder dieser beiden Entwicke- lungsarten müssen erforscht werden. »In der Aktivirung der Mechanismen der atypischen s. regulatorischen Entwickelung liegt aber eines der größten Hindernisse für die Erforschung der Gestaltungsweisen der normalen s. typischen Entwickelung. »Bei denjenigen , niederen1 Organismen, bei welchen die Regeneration nach einem Defekt oder nach einer Störung der Anordnung der Theile , rasch' einsetzt, ist daher der Werth des Experiments für die Erforschung der , normalen' Entwickelungsweisen sehr verringert. Dagegen ist es ein großer Vorzug der , höheren' Organismen, dass bei ihnen diese Regulationsmechanismen, besonders auf späterer Ent- wicklungsstufe, viel geringer an Leistungsfähigkeit und zum Theil auch schwerer, d. h. erst später nach der störenden Ein- wirkung aktivirbar sind, als bei den niederen Thieren.« Diese geringere Leistung der regulatorischen Entwickelung bei Menschen und Säugethieren wird durch das Vorkommen von großen Defekt- bildungen an ganz oder fast ganz reifen Früchten bewiesen, z. B. durch das Vorkommen eines fast ganz reifen, aber nur die vordere Hälfte eines Kalbes darstellenden Fötus (Hemitherium anterius, s. 1. Bd. IL pag. 446, 828); beim Menschen durch die Geburt von Kindern mit fehlenden Extremitäten, ja mit fast fehlendem Rumpf bei leidlich normal entwickeltem Kopf oder umgekehrt mit Fehlen des Kopfes, während schon bei Amphibien und abwärts davon in Folge der raschen Regeneration und Postgeneration solche Defektbildungen nicht als entwickelte Missbildungen vorkommen. »Dieser günstige Umstand gestattet, gerade bei den uns am nächsten stehenden Organismengruppen der Säugethiere die Vorgänge der , normalen' Entwickelung mit Hilfe des , Experiments' eingehend zu studiren.« » Wir dürfen uns nicht verl chlen, claas die cauaalc Erforschung 105 der Organismen eine der schwierigsten, wenn nicht die schwierigste Aufgabe ist, an die der Menschengeist sich geivagt hat; und dass sie, wie jede causale Wissenschaft, nie das Stadium der Vollendung er- reichen wird, da jede Ermittelung einer Ursache neue Fragen nach den Ursachen dieser Ursache gebiert. »Da viele Aufgaben der Entwickelungsmechanik für die experimentelle Forschung fast oder ganz unlösbar sein werden, so ist es nöthig, dass die Entwickelungsmechanik alle Arten und Wege der causalen Erforschung der Organismen und ihre Ergebnisse für ihre Zwecke zu verwenden suche, so weit dies irgend möglich ist, also keine biologische Dis- ciplin dünkelhaft zurückweise, und dass sie außerdem fast noch mehr als die Ermittelung , einfacher Komponenten' die Zerlegung der Gestaltungsvorgänge in beständige , komplexe Komponenten' pflege.« (Hertwig sucht, unter Verschweigung der vorstehenden und ähnlicher Stellen sowie durch tendenziöse Auslese aus meinen Schriften darzu- thun, dass ich alle anderen biologischen Disciplinen als inferior und für die »hohe neue Wissenschaft« als unbrauchbar beurtheilt hätte.) Die Leser der Einwendungen Hertwig's werden aus den vor- stehenden Citaten ersehen haben, dass die von ihm erhobenen Be- denken, welche die Schwierigkeiten und Gefahren des biologischen Experiments betreffen, vorher schon von mir erkannt und bereits mehr ins Einzelne gehend erörtert und gewürdigt worden sind, als von ihm, und dass dieser Autor, wie schon bei anderer Gelegenheit, es nicht für angemessen gefunden hat, sich auf meine Ausführungen zu be- ziehen; meine Leser wissen, dass von mir auch ein gutes Mittel gegen diese Fehlerquellen angegeben worden ist, welches Hertwig aber für gut befunden hat zu verschweigen, um statt seiner etwas ganz Falsches zu berichten (s. oben pag. 94 Anm.). Übrigens müssen Hertwig die Schwierigkeiten erheblich geringer erscheinen als mir, weil es nach seiner Meinung die zwei von mir unterschiedenen und charakterisirten Arten der Entwickelung: die typische und atypische, gar nicht giebt, sondern weil nach ihm nur eine Art der Entwickelung existirt. Aber gerade die zwei ver- schiedenen Entwickelungsarten sind es, welche uns die Schlüsse vom Experiment auf das normale Geschehen erschweren. Zum Glück sind aber, wie erwähnt wurde, bei den höheren Thieren die Leistungen der atypischen Entwickelung sehr gering, wesshalb den an diesen, z. B. schon den am Frosche angestellten Experimenten in mancher Hin- sicht der Vorzug vor den an niederen Thieren (Seeigeln) angestellten 106 Versuchen zu geben ist; eine Sachlage, die noch jetzt von vielen Autoren nicht genügend gewürdigt wird. An Hertwig und einige andere Forscher waren dann die fol- genden Worte gerichtet (2, pag. 23): »Die am wenigsten fruchtbare Art, Entwickelungs- mechanik zu treiben, ist es aber wohl, jetzt am Anfange exakter bezüglicher Forschungen auf Grand des geringen Thatsachenmaterials sich bereits in ausgedehnten und zahlreichen Abhandlungen über dieLeistungen unseres Erkenntnisvermögens auf diesem Gebiete sowie über den Antheil entgegengesetzter Gestaltungsprin- cipien (Evolution, Epigenesis) an den Entwickelungsvorgängen zu ergehen. »Wohl war es zum Eindringen in die vorliegenden Probleme nöthig, die alten Gegensätze der Evolution und Epigenesis in vertiefter Weise zu begründen und sie aufs Neue aufzu- stellen (s. 1, Bd. IL pag. 5), aber nicht behufs endloser theoretischer Erörterungen, sondern um als Unterlage für exakte Forschungen zu dienen. Immerhin ist es noch als nützlich zu bezeichnen, dass danach versucht worden ist, für jede der möglichen Auffassungen das zu ihrer Stütze geeignete Thatsachenmaterial zusammenzustellen. Fortgesetzte Diskussionen aber, sowie die vorzeitige Abgabe und Vertretung abschließender, einseitiger Urtheile über diese noch un- bekannten Verhältnisse können die junge causale Richtung nur in ihrem Ansehen schädigen und. ziehen außerdem die ohnehin noch spärlichen, ihr sich widmenden Kräfte von fruchtbarerer Thätigkeit ab. »Die bisherigen Richtungen der Biologie : die beschreibendeZoo- logie, Anatomie und Embryologie sowie die Physiologie stel- len die unerlässlichen Vorbedingungen der Entwickelungs- mechanik dar; denn sie lehren uns die Thatsachen an Formen und Vorgängen, deren ursächliche Erklärung die Aufgabe der letzteren ist. »Auf Grund der , Formvergleichung' produciren aber Anatomie und Embryologie auch causale Erkenntnis, welche so weit geht, als die Vergleichung das Experiment zu er- setzen vermag. »Es sind oben die logischen Gründe dargelegt worden, aus denen sich ergiebt, dass dieser Ersatz kein vollkommener sein kann. Immer- hin ermitteln sowohl die vergleichende Anatomie, wie die vergleichende Embryologie viele gestaltende Beziehungen unter den Theilen der Organismen, welchen, sofern sie auf genügend mannigfachem Be- obachtungsmaterial beruhen, zur vollen Gewissheit nur noch der 107 direkte Beweis durch das künstliche oder natürliche Experiment fehlt. So weit diese Disciplinen ursächliche Erkenntnis zu Tage fördern, so iceit sind sie selber Entwickelungsmechanik ; und da sie dies in aus- giebigem Maße ihun und gethan haben, so stellen sie nur historisch von letzterer gesonderte Disciplinen dar (2, pag. 24). »Die Entwickelungsmechanik wird als die Lehre von den Ur- sachen der organischen Gestaltungen dereinst die gemeinsame Grund- lage aller anderen biologischen Disciplinen abgeben und, in steter Symbiose mit ihnen, einen hervorragenden Antheil an der Lösung der Probleme des Lebens nehmen (2, pag. 38). IIb. Besprechung der Einwendungen 0. Hertwig's und eines Bedenkens 0. Bütschli's gegen diese Methodik. Da wir im ersten Abschnitt gesehen haben, dass Hertwig das Wesentliche, das Neue unseres Programms gar nicht erkannt hat, weil es auf einer Denkweise beruht, die heterogen von der seinigen ist, so erscheint es selbstverständlich, dass wir nach seiner Auffassung auch keiner besonderen Methodik benöthigen. Er beabsichtigt nun außerdem noch darzulegen, dass wir auch keine besondere Methodik haben, was die Leser der vorstehenden Rekapitulation wohl etwas überraschen wird. Seine Auffassung erklärt sich einfach dadurch, dass er auch in dieser Hinsicht wieder das AVesentliche unserer Ansichten, als seinem Denken heterogen, gar nicht appereipirt hat. Er schreibt zwar in den wörtlichen Citaten das Wort analytisches causales Experiment mit ab, geht aber an keiner Stelle auf dieses AVesentliche Moment mit einer Silbe ein. Wie sollte auch Jemand, für den es keine gestaltend wirkenden Kräfte und Kräftekombi- nationen giebt (s. oben pag. 58), und für welchen diese Kombi- nationen daher auch nicht in die einfachen, elementaren gestaltenden Kräfte zerlegbar sind, die Gestaltungen selber denkend causal analysiren und die so gewonnenen Hypothesen durch analytische Experimente prüfen können? Die Methodik der Entwickelungsmechanik besteht nach dem in extenso Berichteten kurz bezeichnet: erstens in der Zusammen- fassung aller causale Erkenntnis und der die nöthigen Vorkenntnisse gewährenden biologischen Disciplinen: der deskriptiven Anatomie und Entwickelungsgeschichte, der Zoologie, der vergleichenden Anatomie und vergleichenden Entwickelungsgeschichte, ferner mancher Theile der Physiologie, besonders aber der Pathologie, Chirurgie, Ortho- pädie etc., und zweitens in der konsequenten Anwendung einer 108 besonderen Art des Experiments auf die Probleme der Ursachen der normalen Gestaltungen der Organismen: des causal-analy- tischen morphologischen Experiments. Leider steht die Gesammtheit dieser Kenntnisse und Leistungen nirgend in Personalunion; und es kann daher nur durch das Zusammenwirken vieler Autoren diese nöthige Gesammtheit, diese Zusammenfassung producirt werden; und es ist ein wenn auch bis jetzt in Folge Mangels an Referenten noch nicht erreichter Hauptzweck des Archivs für Entwiekelungsmechanik, durch Referate auch eine lokale Vereinigung alles Dessen, was diesen so ver- schiedenen Gebieten zu entlehnen ist, abzugeben. Hertwig citirt zunächst als Motto unsere Bemerkung: »Die Universalmethode des causalen Anatomen wird ebenso wenig die Anwendung des Messers wie des Farbstoffes oder des Maßes, sondern einzig die Geistesanatomie, das analy- tische, causale Denken sein.« Er kritisirt diese Äußerung durch die Bemerkung: »Was dieser sonderbare Ausdruck .Geistesanatomie' bedeuten soll, entzieht sich unserem Verständnis; denn wie soll eine Zer- gliederung des Geistes eine Methode sein, um unsere Erkenntnis der Ursachen des organischen Entwickelungsprocesses zu fördern?« Der Genitivus auctoris ist Hertwig also nicht bekannt. Nach dieser Interpretation würde der gleich danach von ihm selber ge- brauchte Ausdruck: »Messeranatomen« somit Anatomen bezeichnen, die das Messer zerlegen; also die Messer- und Scherenschleifer1). Volksstimme bedeutet also nach Hertwig nicht die Stimme, welche vom Volke ausgeht, sondern eine Stimme, welche zum Volke spricht, Zellwachsthum bedeutet, dass die Zelle passiv vergrößert wird, statt dass sie diese Thätigkeit selber ausübt, Zellwanderung, dass die Zelle durch etwas Anderes fortbewegt wird. Hertwig erklärt dann pag. 65 nur für die Erforschung der anorganischen Natur das Experiment für »nöthig«, weil diese sich, wie er meint, so wenig verändert, indem sie verhältnismäßig unveränderlich ist, und weil die Dinge nur, so weit sie sich verändern, Gegenstand causaler Erkenntnis sein können. Anders ist dies bei der organischen Natur. Da diese sich fortwährend verändert, so ist es nach ihm nicht nöthig, die Ver- 1 Solcher Deutungen meiner Worte bringt Hertwig mehrere; wir be- gnügen uns mit der Reproduktion dieser einen Probe, da wir glauben, dass er den guten Geschmack des biologischen Publikums zu gering beurtheilt. 109 änderungen zum Zweck causaler Untersuchung erst künstlich her- vorzurufen. Er sagt wörtlich (pag. 66): »Im Organismenreich ist es gar nicht nothwendig, erst einen spröden Stoff durch das Experiment gewaltsam zu , Veränderungen4 zu zwingen : man braucht ,nur' die Veränderungen, die der Lebens- process seihst am Körper von Pflanzen und Thieren fortwährend hervorruft, zu ,beobachten' und ,in ihren ursächlichen Zusammen- hängen zu hegreifen'. Daher ,kann' die Biologie in ausge- dehnterem Maße eine ,nur unmittelbar beobachtende' Wissen- schaft sein. Auch ohne Experiment fehlt es ihr nie an würdigen Gegenständen zur Erforschung.« Seine Auffassung wird noch deutlicher durch die diesem Passus folgende Äußerung (pag. 67): »Im Entwickelungsprocess eines Thieres legt die Natur dem Forscher ihre Geheimnisse , offen' vor, bietet ihm eine Quelle un- ermesslicher Erkenntnis, die nicht erst durch das Experiment erschlossen zu werden braucht.« Darüber sind wir nun freilich der entgegengesetzten Ansicht: Wir sagen: Im sichtbaren Entwickelungsprocess eines Thieres legt die Natur dem Forscher nur die Resultate ihrer verborgensten geheim- nisvollsten Vorgänge vor, deren Erkenntnis zum größten Theil nur durch das künstliche Experiment in Kombina- tion mit dem Naturexperiment erschlossen werden kann. Hertwig meint weiterhin (pag. 68): »Mau vergesse nicht, dass das Experiment nur ein Hilfsmittel der Beobachtung bildet und keineswegs den zahlreichen anderen Hilfsmitteln über- legen ist, mit denen der Naturforscher zählend, wägend und messend, vergrößernd und zerlegend in die Erscheinungswelt tiefer einzu- dringen sucht.« Meine Leser wissen, dass ich für das Allgemeine der Forschung diesem Satze zustimme, dass aber für exakte causale Erkenntnis ich dem Experiment den Vorzug vor allen anderen Hilfsmitteln zu- erkenne, ohne letztere desshalb für entbehrlich zu halten; freilich gebührt dieser Vorzug nur einer besonderen Art des Experiments, welche Hertwig in ihrer Besonderheit ganz entgangen ist: dem analytischen causalen Experiment. Übrigens ist es selbstverständlich, dass ein Autor, der sich mit der Erforschung bloß der allgemeinsten unbestimmtesten Causalzu- sammenhänge zufrieden giebt, des Experiments nur in viel geringerem 110 Umfange benöthigt, als derjenige, welcher, wie wir, die speci eilen Ursachen des einzelnen Geschehens etc. ermitteln möchte. Bei seinen geringen cansalen Ansprüchen braucht Hertwig in derThat das Experi- ment nicht als die causale Forschimgsmethode /.av l§o/J;v aufzufassen. Übrigens erkennt der Autor an, dass manches biologische Ge- schehen durch das Experiment erforscht werden könne; indess be- schränkt er dieses Anerkenntnis, durch die Ansicht (pag. 74): »Ex- perimentelle Eingriffe in den Entwickelungsgang liefern im Großen und Ganzen nur Material zur Pathologie der Ent- wicklung; sie tragen so namentlich zur Erklärung der durch natürliche Zufälligkeiten erzeugten Missbildungen bei. Dagegen müssen wir entschieden in Abrede stellen, dass das Experi- ment das erfolgreichste Mittel für eine causale Erklärung des nor- malen Entwickelungsprocesses sein soll.« (Pag. 77.) »Die , normale' Entwickelung will durch sich selbst erklärt werden und nicht durch Artefacte und Monstrosi- täten. Wenn daher das Studium der normalen Entwicke- lung zu anderen Ergebnissen führt, als das Studium der Missbildungen, so liegt die größere Beweiskraft auf der Seite des ersteren.« (Pag. 78.) »Warum aber die Thatsache, welche das von Menschen künstlich oval geformte Ei lehrt, lehrreicher sein und einen be- weiskräftigeren Schluss gestatten soll, als die Thatsachen, welche die Natur uns lehrt, indem sie den Eiern verschiedener Thierarten ungleiche Formen und manchen auch eine ovale Form gab, kann ich nicht einsehen. Mir ist die Natur ein wenigstens ebenso zuverlässiger Lehrmeister als der experimentirende Anatom. Ich möchte sogar dem Verfahren der Natur, welches uns in den verschiedenen, sich gegenseitig ergänzenden Naturobjekten und ihren Veränderungen entgegentritt, weil es stets absolut gleichartig ausfällt (? Ref.) und die strengste Gesetzmäßigkeit zeigt, einen höheren Werth als den menschlichen Experimenten bei- legen, deren Ergebnisse immer geringe Variationen darbieten.« Da wir diese Frage früher schon wiederholt behandelt und die Gründe unserer Auffassung ausführlich dargelegt haben, bitte ich die Leser die bezüglichen Stellen auf den vorstehenden pagg. 87, 91. 96, besonders 99 nochmals nachzulesen. (Pag. 80.) »Es giebt gewiss viele Fragen, denen man nur mit Hilfe des Experiments auch in der Biologie näher treten kann; diesen aber einen höheren Erkenntniswerth beizumessen, 111 als Fragen, auf welche uns schon ,die Beobachtung* der (seil, normal gestaltenden, Ref.) Natur' mit anderen Methoden Auskunft giebt, liegt kein logischer Grund vor. Die Art des Hilfsmittels, mit welchem eine Entdeckung gemacht wird, ent- scheidet nicht über ihren größeren oder geringeren Erkenntniswerth. « Sofern die »Entdeckung« wirklich sicher gemacht ist, trifft Letzteres zu. Nur giebt es eben sehr viele Fragen, und sie bilden gerade die Mehrzahl der uns angehenden, auf welche die »Beobach- tung der Natur«, das soll heißen des normalen Bildungsgeschehens, eben keine bestimmte sichere Auskunft giebt, während wir doch eine solche wünschen und sie auch in einer bis jetzt noch gar nicht zu übersehenden Zahl von Fällen mit Hilfe des analytischen Ex- periments erzwingen können. Es ist kein Hinderungsgrund, dass dazu oft eine ganze Reihe »verschiedenartiger« Versuche nöthig sein wird. Der Autor führt ferner aus, dass man bei der Untersuchung eines Gegenstandes, z. B. einer Fabrik, mit dem Experiment allein nichts ausrichten kann, dass zuerst möglichst genaue Kenntnis des Baues nöthig ist etc. : Es sind dies bereits von anderen Autoren wie von mir geäußerte Selbstverständlichkeiten, die aber hier als gegen mich gerichtete Neuheiten vorgetragen werden. Ebenso erwähnt Hertwig die oben von mir rekapitulirten sowie lange vor mir schon von verschiedenen Autoren betonten besonderen Schwierigkeiten der Deutung des biologischen Experiments. Ihm eigen ist dagegen erstens, dass er aus diesen Schwierigkeiten keinen Ausweg findet und desshalb dem Ex- periment den größten Theil seines Werthes abspricht, und zweitens der Satz, dass man aus dem Experiment am Organismus keine Schlüsse auf das »normale« Bildungsgeschehen ziehen, sondern aus ihnen nur das Entstehen von Missbil- dungen erklären könne. 0. Schultze hat schon lange vor Hertwig diesen letzteren Ein- wand erhoben; und meine oben (pag. 93) reproducirte Darlegung von der Nothwendigkeit der Anwendung mehrfacher verschieden- artiger Versuche zur Erforschung desselben Vorganges bezog sich auf die Ausführungen dieses Autors; derselbe hat den gleichen Einwand auch neuerdings noch auf dem Anatomenkongress zu Berlin vertreten (Verhandlgn. 1896. pag. 120). In anderer Form hat ein ähnliches Bedenken 0. Bütschli (3) geäußert, indem er sagte: 112 »Ob zwar gerade das Streben der Entwickelungsmechanik, den Entwicklungsgang durch Einführung neuer Keize zu beeinflussen, das gewünschte Resultat herbeiführen wird, scheint mir etwas zweifel- haft, indem hierdurch eine noch größere Komplikation ge- schaffen wird, aus der erfolgreiche Schlüsse doch meist nur dann gezogen werden könnten, wenn die Mechanik des nor- malen Entwicklungsganges in den Grundzügen bekannt wäre. Letztere daher möglichst aufzuklären, erschiene mir das vor Allem erstrebenswerthe Ziel.« Dagegen möchten wir daran erinnern, dass unsere Experimente nicht immer in Einführung neuer Keize bestehen, und dass durch das Experiment am Lebenden auch nicht immer eine noch größere Kom- plikation geschaffen wird ; so bei Elimination von einem oder mehre- ren Faktoren (z. B. Tödtung einer Furchungszelle), sofern dadurch nicht regulatorische Wirkungen ausgelöst werden. Aber auch wenn wir durch das Experiment am Lebenden immer nur erst noch größere Komplikationen schaffen würden, so könnten wir desselben doch auch schon von vorn herein nicht entbehren, um »die Mechanik des normalen Entwickelungsganges in den Grund- zügen zu ermitteln«. Um uns diesem, wie Bütschli zutreffend sagt: vor Allem erstrebenswerthen Ziele zu nähern, bedarf es nach unserer Meinung eben durchaus der Experimente am lebenden Organismus. Denn der andere, von Bütschli selber u. A. eingeschlagene experimentelle Weg: der künstlichen Nachahmung organi- scher Vorgänge und Gestalten mit anorganischem Mate- rial e, ist, wie ich gelegentlich einiger eigenen solchen Versuche (1, Bd. IL pag. 35 und 10, pag. 40) dargethan habe, für sich allein, also ohne die Ergänzung durch das Experiment am lebenden Or- ganismus, zu causalen Ableitungen organischer Gestaltungen im Allge- meinen wenig sicher und erscheint mehr nur von heuristischem Werthe; ganz abgesehen davon, dass dieser Weg überhaupt nur auf sehr beschränktem Gebiete zu Erfolgen führt. Es ist mir nicht bekannt, ob Bütschli sich bei seinen Worten diesen Weg als Er- satz des Experiments am Lebenden gedacht hat; ich vermuthe es nur, einerseits weil wir gerade ihm auf diesem Wege eine Anzahl sehr wichtiger und die Anwendung auf das organische Geschehen (auf die Protoplasmabewegung und -Gestaltung) in der That sehr nahelegen- der Ergebnisse (12) verdanken; und andererseits, weil er selber früher (s. oben pag. 79) das Unzureichende der allein durch Ver- gleichung des Normalen gewonnenen ursächlichen Erkenntnis 113 derart betont hat, dass bei Ausschließung auch des Experiments am Lebenden kein anderer Weg causaler Forschung verbleibt. Wissen wir auch nicht, ob Bütschli seinen Ausspruch also ge- meint hat, so stellt doch diese Art des Experimentes trotz des ihr anhaftenden Mangels ein wichtiges Hilfsmittel der causalen Er- forschung der Organismen dar. Wir haben daher die mögliche Ver- werthung derselben hier mit zu erörtern. IIc. Über die Verwendung des »anorganischen« Experiments zu Schlüssen auf die Ursachen »organischer« Gestaltungen. Die bereits von M. Traube (13) im Jahre 1867 mit Glück zur Herstellung seiner angeblichen »künstlichen Zelle« angewandte Art des Versuches ist im letzten Decennium aufs Neue und mit Ausdauer und entsprechend weitgehendem Erfolge in Verwendimg gezogen worden, um Aufklärung über die Ursachen einfacherer allgemeinerer organischer Gestaltungsvorgänge zu gewinnen. Diese Methode be- steht in der künstlichen Hervorbringung von den organischen mög- lichst ähnlichen Gestaltungen durch rein anorganische Wirkungen, Mit anderen Worten ist es der Versuch, den organischen möglichst ähnliche Gestaltungen und Vorgänge durch anorganische Kräfte sich selber bilden zu lassen (s. 10, pag. 72). Wir erinnern an die schönen Experimente von G. Berthold (14), 0. Bütschli, G. Quincke (15) über dem Protoplasma ähnliche Struktur an Massen, die sogar mit den Protoplasmabewegungen sehr ähnliche Bewegungen zeigen; ferner an meine Selbstkopulation von Tropfen (1, Bd. IL pag. 34), an M. Heidexhain's Modell der Zelltheilung (16), an Khumbler's bezügliche Versuche (17), ferner an meine künstliche Bildung der verschiedenen Furchungsschemata aus Oltropfen (10) u. A. Der Vorzug dieser Versuche besteht darin, dass wir die ge- staltenden Kräfte hierbei von der Phvsik und Chemie her kennen, oder sie doch relativ leicht ermitteln können; der Nachtheil aber ist der, dass es selbst bei sehr vollkommener Übereinstimmung der anorganischen mit den organischen Gestaltungen doch überaus schwer ist, von den Ursachen des anorganischen Geschehens mit Sicher- heit auf diejenigen des organischen Geschehens zu schließen. Ich sagte daher in dieser Hinsicht, nachdem ich in einer Special- untersuchung eine auffallende Übereinstimmung zwischen der An- Ordnung und Gestaltung koncentrisch zusammengepresster Oltropfen mit den typischen oder als Variationen auftretenden Anordnungen und Gestaltungen von Furchungszellen der Eier des Frosches und Koux, Programm. 8 114 vieler anderer Thiere erwiesen hatte (10, pag. 40): Es liegt uns nun ob, zu ermitteln, wie weit diese Übereinstimmung der Gestaltungen auf einer Übereinstimmung der Ursachen beruht. Da über solche Schlüsse wiederholt Unklarheit zu Tage ge- treten war, so wurde der hier im Speciellen vorliegenden und durch besondere Experimente am lebenden Objekt zum Theil gelösten Auf- gabe eine allgemeiner gehaltene Einleitung vorausgeschickt, die hier noch Platz finden möge (10, pag. 40 — 42). »Es muss unser Bestreben sein, das organische Geschehen nicht bloß auf denkbare, möglich erscheinende oder wahr- scheinliche, auch nicht nur auf einfachste Ursachen, sondern auf seine wirklichen Ursachen zurückzuführen. »Daher ist es nach der Erkenntnis einer .möglicherweise' be- theiligten Komponente, nach dem Nachweise, dass sie solche ge- staltenden Wirkungen, wie sie in dem untersuchten organischen Geschehen vorliegen, hervorzubringen vermag, stets unsere zweite, meist schwierigere, aber auch weit wichtigere Aufgabe, zu ermitteln, ob diese Ursache in den von uns studirten organischen Gestaltungsvorgängen auch die thatsäc blich , wirksame' ist. »Ohne diesen Nachweis haben unsere Ableitungen bloß den Werth von Vermuthungen. Wenn wir solche Vermuthungen mit Gewissheiten verwechseln und mehrere derartige Schlüsse auf ein- ander setzen, so errichten wir ein Phantasiegebäude, welches von der Gefahr bedroht ist, bei der ersten genauen empirischen Prüfung zusammenzufallen. »Diese Sachlage wird zur Zeit von manchen Biologen causalen Streb ens nicht genügend gewürdigt. »Wenn z. B. gezeigt worden ist, dass eine anorganische Komponente ähnliche oder anscheinend gleiche Wirkungen hervor- zubringen vermag, als sie im Bereiche organischen Geschehens be- obachtet werden, so wird von Manchem ohne Weiteres, von Anderen ohne genügende Prüfung, angenommen oder gar behauptet, diese Komponente sei auch die wirkliche Ursache der ähnlichen orga- nischen Gestaltungen. Auf die Unzulässigkeit solcher Folgerungen habe ich wiederholt hingewiesen (1, Bd. IL pag. 33, 93, 1019), jedoch ohne den gewünschten Erfolg; denn man fährt fort auf Grund einiger formaler Ähnlichkeiten Identitäten der Ursachen zu folgern; und doch vermögen sehr verschiedene Ursachen 115 anscheinend denselben Effekt hervorzubringen; und das organische Geschehen ist meist so komplicirt, dass wir seine Kom- ponenten noch nicht annähernd zu überschauen vermögen. •»Da ein weiteres Beharren in solchem Vorgehen die junge, causale Richtung der Biologie soivohl in ihren Leistungen wie in ihrem Ansehen aufs Schwerste schädigen muss, so sei hier aufs Neue auf die Mängel dieses Verfahrens hingewiesen. »Ehe aus der Ähnlichkeit der Wirkungen einer anorga- nischen Komponente mit organischen Gestaltungen mit Sicher- heit auf eine Identität der Ursachen geschlossen werden darf, sind noch zweierlei Nachweise zu erbringen. »Erstens der Nachweis der wirklichen Übereinstimmung in allen besonderen, d. h. für die angenommenen Ursachen charak- teristischen Wirkungen bis in die Merkmale zweiter und ev. dritter Ordnung. Diese Übereinstimmung ist nicht mir in nor- malen Verhältnissen , sondern besonders auch in anderen , von uns experimentell hervorgebrachten Verhältnissen, in denen die Wirkung der angenommenen Komponente abgeschwächt oder verstärkt sein müsste, zu prüfen. »Zweitens ist der Nachweis des Bestehens der soo-e- nannten , Vorbedingungen' der entsprechenden Wirkung dieser Komponente, also richtiger bezeichnet, der Nachweis des Vorhanden- seins auch der anderen Komponenten, die zur bezüglichen Wirkung der ins Auge gefassten , Hauptursache' mit nöthig sind, zu erbringen. »Somit ist die gleichzeitige Erforschung mehrerer Komponenten nöthig, da die organischen Gestaltungsvorgänge meist durch mehrere Komponenten bedingt sind. »Da ferner die Wirkung der einen Komponente durch andere Komponenten alterirt und erstere so der charakteristischen Merkmale ihres Einzelwirkens oder ihres vorherrschenden Wirkens beraubt werden kann, und daher solches Wirken nur da oder dort theilweise zum Vorschein kommt, wir aber alle Ursachen zu ermitteln streben, so liegt wiederum Veranlassung vor, gleichzeitig nach zwei oder mehr Ursachen zu forschen. »Da dies oft auf direktem Wege nicht in genügendem Maße möglich ist, so ist zum Ersatz weiterhin zu prüfen, ob nicht andere Faktoren ebenso weit die gleichen Wirkungen hervorbringen können, als von uns die thatsächliche Überein- stimmung der beiderseitigen Erscheinungen festgestellt wurde. Er- scheint dies möglich, dann ist nach den noth wendig unterscheidenden 8* 116 * Merkmalen der Wirkung dieser beiderlei Faktoren zu suchen, sei es im normalen Geschehen, sei es auf experimentellem Wege. »Ist es nicht möglich, diese Nachweise in genügendem Maße zu erbringen, sind sie also nicht genügend erbracht, so müssen wir uns gegenwärtig halten, dass auch der Schluss auf die angenommenen Ursachen ein noch unsicherer, unzuverlässiger ist; und wir haben ihn so lange als solchen mit entsprechender Vor- sicht und Beschränkung zu verwerthen, bis durch weitere, oft auf scheinbar ganz entlegenen Gebieten gemachte Beobachtungen, neue genügende Sicherungen gewonnen sind. »Diese Unsicherheit wird jetzt, beim Beginne exakter causaler Untersuchungen auf dem Gebiete der Zoobiologie lange Zeit den meisten unserer causalen Ableitungen an- haften; und wir werden in Folge der überaus großen Komplicirt- heit des organischen Geschehens überhaupt zunächst erst ein- mal eine größere Anzahl von causalen Erfahrungen erwerben müssen, ehe wir durch die gegenseitige Kon- trolle und Stütze dieser Erfahrungen zu einiger Sicherheit in unseren Ableitungen gelangen.« Nachdem wir dann durch besondere Experimente am lebenden Material erkannt hatten, dass trotz bester Übereinstimmung der von uns aus Oltropfen hervorgebrachten Konfigurationen mit den beim Froschei beobachteten Furchungsschematen gleichwohl im Ei zu einem wesentlichen Theil andere Ursachen diese Konfiguration bestimmen, und nach Anführung ähnlicher Beispiele schließen wir mit der Folgerung (10, pag. 72): »Gleichwohl haben die hier angestellten »anorganischen« Experi- mente auch ein positiv nützliches Ergebnis geliefert, in so fern wir erst durch den genauen Vergleich der anorganischen mit den ähnlichen organischen Gestaltungen die Eigenschaften der letzteren genau genug erkannten, um zu richtigeren Schlüssen über die nächsten Ursachen dieser Gestaltungen befähigt zu werden. Dies wird sich auch in vielen anderen Fällen als der erste Nutzen solcher , anorganischer' Versuche erweisen. « Damit ist wohl diese Sachlage gekennzeichnet und der Weg zu einer allmählich von Irrthümern frei werdenden Verwendung dieser Art des Experiments genügend angedeutet. 117 II d. Zulässigkeit und Bedingungen des Schlusses vom mor- phologischen Experiment am »lebenden« Organismus auf das »normale« Gestaltungsgeschehen. Um die Schwierigkeiten, die der richtigen Deutung des am lebenden Organismus angestellten causal- morphologischen Experi- ments entgegenstehen, zu überwinden, wurde früher schon ein Mittel an die Hand gegeben (s. o. pag. 93), das in der Anwendung ver- schiedenartiger Experimente zur Ermittelung und Prüfung der- selben Frage besteht. Es wurde dies an einem Beispiel mit drei verschiedenen Experimenten dargethan, von denen Hertwig jedoch bloß das eine Experiment erwähnte, so dass es fälschlich scheint, als hätte ich dies Experiment für sich allein als die feste Grundlage des Urtheils bezeichnet. Während dieser Autor wegen der Schwierigkeiten der Deutung des Experiments am Lebenden diesem Hilfsmittel nur geringen Werth beilegt, geschieht meinerseits trotz derselben das Gegen- theil; ich sehe gar nicht mit Sorge oder Resignation auf diese Schwierigkeiten, zumal da bereits andere biologische Disciplinen wie die Physiologie und die experimentelle Pathologie sie erfolg- reich zu bekämpfen gelernt haben. Allein den Forschern auf dem Gebiete der »normalen« Morphologie sind diese Schwie- rigkeiten neu und schrecken, wie es scheint, die noch nicht mit ihnen Vertrauten ab. Auf dem Gebiete der anorganischen Forschungen waren früher ähnliche, zum Theil nicht geringere Schwierigkeiten zu überwinden; und dies ist mit gutem Erfolg geschehen. Man denke an die ersten Analysen und Synthesen der Chemiker resp. der Alchemisten. Das streng analytische Denken und das entsprechende Experiment haben, nachdem man einmal bis zu dieser Methode fortgeschritten war, rasch Klarheit in dies Chaos gebracht. Obschon uns unsere Sinne nur Schein zuführen, der absolut verschieden ist von dem wirklichen Geschehen, haben wir doch auf diese Weise ermittelt, dass z. B. die rothe Farbe an sich gar nicht Roth ist, sondern dass sie Schwingungen von 625 — 800 uu Länge darstellt. Das ist wohl ein herrlicher, durch Kombination verschiedenartiger Experimente gewonnener Triumph. Da wir Biologen das organische Geschehen bloß auf die von den Physikern und Chemikern bereits ermittelten Wirkungsweisen resp. auf die ihnen supponirten Kräfte zurück- führen wollen, so ist also wenigstens in dieser Hinsicht die Auf- gabe für uns einfacher. 118 Freilich haben wir in anderer Hinsicht viel größere Schwierig- keiten vor uns, da wir sehr häufig einen noch geschlossenen Kom- plex unübersehbar mannigfaltiger Wirkungsweisen zu bearbeiten haben, den wir nicht in einzelne Komponenten zerlegen können, ja aus dem wir nicht einmal wie der Physiker eine Komponente iso- liren und allein zur Prüfung verwenden können; wohl aber können wir in manchen Fällen eine Komponente oder eine Gruppe von Komponenten allein alteriren und auf diese Weise in ihren Wir- kungen erforschen. Dem entsprechend habe ich mich früher folgendermaßen geäußert: So weit die Ontogenese Selbstdifferenzirung der einzelnen Zell- theile ist, so weit bildet sie geschlossene Komplexe, welche wir wohl nur wenig erforschen können; so weit aber differenzirende Wechselwirkungen zwischen Zellen und Zellkomplexen, oder auch nur zwischen den Zelltheilen, die von uns gesonderten Verände- rungen unterworfen werden können, wie Zellleib, Zellkern und Cen- trosoma an der Entwicklung Antheil nehmen, so weit vermögen wir zunächst diese differenzirenden Wirkungsweisen zu erforschen. Das betrifft z. B. manche Ursachen der Wachsthums- anregung, also der Wachsthumsgröße, ferner der Wachsthums- richtung der Zellen, der Zellenwanderung, Zellengestaltung, gestal- tender AVirkungen zwischen Zellleib und Zellkern, sowie zwischen dem Centrosoma und den beiden anderen genannten Zelltheilen etc. Aber es ist nun behauptet worden, dass man aus dem Experi- ment am Lebenden überhaupt nicht auf das »normale« Geschehen schlief seil könne, einmal weil man durch das Experiment »ab- norme« Verhältnisse setze, also pathologische Reaktionen erhalte [0. Schultze, Hertwig]; zweitens, weil die Organismen inkonstant reagiren, indem in gleicher Weise beeinflusste In- dividuen von gleicher Entwickelungsstufe und derselben Species ver- schiedene Resultate ergäben [Driesch (18), Hertwig (pag. 71 u. 72)]. Um mit dem letzteren Einwände zu beginnen, so kann uns der Umstand, dass bei biologischen Versuchen sehr oft scheinbar in gleicher Weise angestellte Experimente verschiedene Resul- tate ergeben, nicht veranlassen, das Experimentiren einzustellen, sondern nur es zu verbessern. Dieses Ergebnis ist auch keineswegs dem Experiment am Lebenden eigenthümlich, sondern es kommt bei physikalischen Experimenten häufig in gleicher Weise vor; aber dem einsichtigen, dem sogenannten »guten« Experimentator gelingen seine Experimente, -1®S* weil er die vielen kleinen Nebenumstände, die zum Gelingen nöthig sind, zu ermitteln und auch die störenden Momente fern zu halten versteht. V*2 V Das ist schon jetzt bei vielen biologischen Versuchen gleich- falls möglich, wenn auch meist viel schwieriger zu erreichen; . es wird successive bei immer mehr Versuchen gelingen. Jetzt können wir schon nach Belieben aus einem halben Froschei einen halben oder einen ganzen Embryo machen, und zwar letzteres auf zwei ganz verschiedene Weisen: entweder nachträglich aus einem halben Embryo den ganzen oder sogleich von vorn herein. Die Physiologen, Pathologen und Pharmakologen lassen sich durch diese Komplikationen nicht abhalten; sie sind, wenn sie etwas ganz Neues erforschen wollen, darauf gefasst, dass sie erst eine große Reihe erster Orientirungsversuche machen müssen, ehe sie dahin gelangen, ihre specielle Absicht mit Erfolg ausführen zu können. Es ist auch keine neue Einsicht, dass die Individuen der- selben Art einander nicht ganz gleich sind, und dass auch ihre Reaktionen auf dieselben äußeren Agentien, wie Kälte, Hitze, gleiche Nahrungs- und Arzneimittel oft erheblich verschieden sind. Dies hat aber zunächst für »unsere« Forschungen kaum eine Be- deutung; denn um so specielle Dinge handelt es sich bei unseren Aufgaben vorläufig nicht; sondern nur um das AH er allgemeinste, um die gestaltenden Wirkungsweisen, welche kleine oder auch große Theile des Körpers aufeinander ausüben. Wir stehen ja, von Hert- wtig abgesehen, dem »die Natur in dem Entwickelungsprocess eines Thieres ihre Geheimnisse ,offen' vorlegt«, jetzt erst am Anfange exacter causaler Erkenntnis organischer Gestaltungen, und haben daher nur nach dem Allgemeinen zu streben, also nach einer ersten Übersicht der Arten des Gescnehens wie sie den Inhalt der »all- gemeinen Entwickelungsmechanik« bilden können. Später, beim Ausbau einer »speciellen Entwickelungsmechanik« mag man sich auch um die feineren qualitativen sowie um die quantitativen Verschiedenheiten des Wirkens, welche die besondere Individualität bedingen, kümmern. Dann werden unsere Nachfolger aber auch bereits über die Wirkungsweisen im Allgemeinen schon mehr unter- richtet sein. Die Aufgabe, die vor uus liegt, ist ähulich der Interpretation eines großen Geisteswerkes z. B. der Bibel: man niuss erst das Ganze annähernd überblicken, um ein richtiges Verständnis des 120 Einzelnen zu gewinnen; von jeder neuen Einsicht in das Einzelne aber wird auch wieder die Auffassung des Ganzen beeinflusst und alterirt. So wird auch in der Entwickelungsmechanik oft die vielleicht bereits für feststehend angenommene Deutung vieler früherer Versuche durch das Ergebnis eines neuen Experiments wieder in Zweifel gezogen werden; und es muss eine neue geistige, oft auch experi- mentelle Nachprüfung der bereits für sicher gehaltenen Schlüsse stattfinden. So werden wir durch fortwährende gegenseitige Berich- tigungen, wenn auch immer von Irrtimm umfangen, uns doch im Großen und Ganzen stetig der Wahrheit nähern. Dies nur ist erreichbares Ziel, nicht aber die reine, absolute Wahrheit selber: »Im Weiterschreiten find' er Qual und Glück, Er, unbefriedigt jeden Augenblick.« In diesem zunächst zu erforschenden Hauptsächlichsten des Geschehens müssen die Eier und Embryonen derselben Art und Entwickelungsstufe sich in gleicherweise verhalten, sofern sie in gleicher Weise beeinflusst werden. Letzteres ist aber bisher oft nicht der Fall gewesen. Eier, deren eine der beiden ersten Furchungs- zellen durch Schütteln, also durch zahlreiche in verschiedenen Eich- tungen wirkende Stöße zerstört war, wurden für gleich beeinflusst an- gesehen, wie Eier, denen die eine Zelle durch Anstich getödtet worden war; die überlebenden Zellen solcher Eier wurden für einander gleich gehalten, obschon im ersten Falle die Zelle durch zahlreiche Stöße in ihrer Gestalt und in ihrem Innern alterirt war, während im anderen Fall mechanische Insulte fast fehlten. Wenn bei einigen Thieren trotzdem in beiden Fällen dasselbe Resultat sich ergab, um so besser; dann war es ein Beweis dafür, dass bei diesen Thieren diese Verschiedenheit der Einwirkung nicht von gestaltender Bedeu- tung wurde, dass bloß die Isolation das Bestimmende war. Bei anderen Thieren aber ergaben sich bei diesen beiderlei Behandlungen sehr verschiedene Resultate; ja sogar bei ein und derselben Behand- lung bloß durch Schütteln erhielt man verschiedene Resultate: Waren wirklich in diesen letzteren Fällen die Insulte der verschieden re- agirenden Eier gleich gewesen? AVer kann das behaupten? Man hat auch Eier, die in einer Schale in mehreren Lagen dicht gedrängt über einander lagen, als in gleicher Weise durch Luftmangel be- einflusst angesehen, obschon doch die oberen Schichten mehr Luft erhielten als die unteren; dann wurde (18) aus der Verschiedenheit der Reaktionen geschlossen, dass überhaupt die Art der Reaktion nicht von der Art des Eingriffes abhängig sei. da bei gleicher 121 Einwirkung so verschiedene Reaktionen stattfänden. Es wurde schon an anderer Stelle auf das Irrthümliche dieses Schlusses hingewiesen (5, pag. 428). Wir kommen nun zu dem zweiten Einwände gegen das Ex- periment am Lebenden: dass durch das Experiment am Leben- den »abnorme« Verhältnisse gesetzt werden, und dass daher die Reaktion »abnorm«, somit nicht für Schlüsse auf das »normale« Geschehen geeignet sei. Dieser Einwand erscheint unwiderleglich; und doch ist er glück- licher AVeise in Bezug auf die für unsere Forschung wesentlichsten Aufgaben, auf die Erforschung der gestaltenden Wirkungsweisen, also für das Qualitative des Geschehens unzutreffend; nur für quantitative Verhältnisse ist ihm eine wesentliche Bedeutung nicht abzusprechen. Das Unzutreffende in qualitativer Beziehung beruht darauf, dass, so viel wir bis jetzt wissen, und wie besonders R. Virchow hervor- gehoben hat, die Reaktionen, die gestaltenden Reaktions- weisen des Organismus immer nur die normalen Gewebstypen reproduciren. Denn die pathologische Forschung an Menschen und Säugethieren hat ergeben (s. oben pag. 90), dass alle progressiven krankhaften Leistungen (Tumoren, Hyperplasien, Hypertrophien, die durch produktive Entzündungen gelieferten Bildungen) keine neuen Gewebstypen hervorbringen, also keine Gewebe, die nicht im normalen Leben vorkommen, sondern nur Fibrome, Lipome, Myxome, Sarkome, Osteome, Enchondrome, Chordome, Epitheliome, Myome, Neurome, Gliome, Granulome etc., die geweblich alle ihre nor- malen Vorbilder haben; diese pathologischen Produkte sind noch an die Abkunft von ihnen selber gleichen Geweben oder deren normalen Vorstufen gebunden. Das Pathologische be- steht hierbei also nur darin, dass solche an sich normale Gewebebildung in abnormer Größe, am unrechten Ort resp. zu unrechter Zeit stattfindet. Es handelt sich dabei natürlich nur um die ganzen Gewebs typen; im Einzelnen können die Zellen, Fasern etc. etwas variirte Größe, Gestalt und Anordnung zeigen etc. Selbst die regressiven Veränderungen haben zum Theil ihre normalen Vorbilder, wie die Atrophie (Schwund), trübe Schwellung, Fettinfiltration, fettige, hyaline Entartung sowie Pigmentosis und Ver- kalkung; nur wenige regressive Metamorphosen, wie colloide und amyloide Entartung, liefern Produkte ohne physiologische Vorbilder, also qualitativ ganz abnorme Produkte. 122 Aus dieser Konstanz der »progressiven«, also neue lebende Produkte liefernden Reaktions weisen folgt für uns nun Zweierlei: Erstens, dass wir aus den Reaktionen auf verschiedene äußere Einwirkungen keine so besonderen Schlüsse auf die inneren Eigen- schaften des reagirenden Substrates ziehen können, wie es wohl mög- lich wäre, wenn verschiedenartige Einwirkungen wesentlich verschie- denartige Reaktionen zur Folge hätten (siehe oben pag. 90). Es ist aber noch die Frage, ob überhaupt direkt, durch unsere Mittel progressive Reaktionen ausgelöst werden, also auch, ob überhaupt die Art und Weise des Eingriffes einen Einfluss auf die Art der Re- aktion haben könne. Carl Weigert (27) vertritt nämlich die An- sicht, dass alle progressiven Reaktionen nur durch das Absterben anderer Theile, durch den Defekt »ausgelöst« werden, wonach denn in der That die Natur der Einwirkung an sich für die Art der progressiven Reaktionen ganz gleichgültig sein muss, da sie nur dadurch, dass sie Tod lebender Theile, Defekt verursacht, die Bildung neuer Theile veranlasst. Diese Stabilität der progressiven Gewebsreaktionen hat aber noch eine zweite Seite, und diese ist für unsere Forschung förder- lich. Da überhaupt keine abnormen, d. h. qualitativ neuen lebenden Gebilde hervorgebracht werden, so können wir aus den Reaktionen auf abnorme Eingriffe auf die »normalen« pro- gressiven Reaktionsweisen schließen. Diese Thatsache haben unsere Gegner übersehen. Sie bezieht sich aber nur auf die Ge- webebildung als solche, nicht auf die Gestaltung von For- men und Strukturen aus diesen Geweben. Es bleibt nun weiterhin die Frage: wie ist es, von den Geweben abgesehen, mit den anderen gestaltenden Mechanismen, zumal mit den Gestaltungsmechanismen, die am Anfang und in den nächst- folgenden Stadien der individuellen Entwicklung thätig sind? Sind die gestaltlichen Leistungen hier auch schon stabil, oder können auf so früher Stufe außer den normalen auch noch andere, qualitativ abweichende Gestaltung^ Vorgänge stattfinden; können etwa durch äußere Einwirkungen, welche Störungen der Anord- nung im Ei hervorbringen, ganz neue Gestaltungsmechanismen entstehen, die ganz absonderliche neue, etwa gar in sich mehr oder weniger harmonische organisirte Gestaltungen produciren? Nach der frühereu Lehre von den Missbildungen konnte solches in ausgedehntem Maße angenommen werden; denn da wurden von 123 menschlichen Müttern Kinder mit Hunde-, Schaf-, Froschgestalt geboren; Enten wuchsen an Bäumen. Die neuere Teratologie hat alle diese Berichte in das Gebiet der Fabel verwiesen. Trotz dieser Richtigstellung fehlte uns aber noch die Kenntnis von der Wirkung direkter Störungen der inneren Anordnung der Theile des Eies. Die Frage, ob durch solche Störungen etwa ganz neue Bildungsmechanismen entstehen könnten, war natürlich für die Anwendung der experimentellen Forschung auf den sich entwickelnden Organismus überaus wichtig. Dies war der Grund, dass ich mit ihrer Beantwortung im Jahre 1S82 meine Experimente begann (1, Bd. IL pag. 154) und im ersten Beitrag, der die Orientirungs- v er su che über die vorliegenden Probleme enthält, diese Frage inner- halb gewisser Grenzen zu einer Entscheidung brachte. Davon scheint keiner meiner geehrten Gegner Kenntnis zu haben. Es wurden einmal Eier vor, während und nach der Furchung angestochen, wobei einerseits Theile von Dotter austraten, und anderer- seits durch diesen Austritt die Anordnung der zurückbleibenden Theile stark gestört werden musste; bei der Gastrula und dem jungen Embryo wurden große Spaltungen vorgenommen oder ganze Stücke entfernt. Ich wartete nun, ob nach diesen Eingriffen ganz absonder- liche Gebilde hervorgehen würden. »Vor Beginn der Versuche hatte ich daran gedacht, dass durch die- selben vielleicht einige Unordnung unter den Organen entstehen könnte, oder dass sogar ganz heterogene, wunderbare, nicht auf einfache Weise von den Störungen ableitbare Formbildungen die Folge der Eingriffe sein würden. Dass nichts Derartiges geschah, ist hochbedeutsam.« »Statt so allgemeiner Wirkung der Störung ergab sich viel- mehr, dass ,circumscripte Defekte* der Eisubstanz häufig ,circumscripte Defekte* oder ,circumscripte Verbildungen' an dem im Übrigen wohlgestalteten Embryo zur Folge hatten; zweitens zeigte sich, dass wesentlich dieselbe Wirkung ent- stand, einerlei in welchem Stadium der Furchung die Ver- letzung vorgenommen war; dass also die Eingriffe in den früheren Perioden der Entwickelung nicht nothwendig allgemeinere, auf größere Bezirke des Embryo ausgedehnte und stärker von der normalen Bildung abweichende Folgen hervorbrachten als die gleichen Eingriffe in den späteren Stadien der Furchung: zwei für die Auf- fassung der Entwickelungsvorgänge hochbedeutsame Thatsachen.« (1, Bd. IL pag. 180.) Das Genauere dieser Versuche niuss im Ori- ginal nachgesehen werden. 124 Wir haben also gelernt, dass auch bei Störungen in den ersten Stadien der Entwickelung keine heterogenen Bil- dungen entstehen: Auch das Ei liefert bei Störungen ent- weder Bildungen seiner typischen Art oder nichts, es ver- mag nicht »qualitativ« Neues zu produciren. Dagegen kamen viele quantitative Abnormitäten: sogen. »Verbildungen« vor, in Form von Auswüchsen, Schrumpfungen, von denen erstere zumeist später wieder ausgeglichen wurden. Das ist also eine für die experimentelle Forschung sehr wichtige Erkenntnis. In den ersten Entwickelungsstadien aber, speciell in denen der ersten beiden Furchungen, zeigte sich später bei anderen Versuchen doch eine überraschende Eeaktion auf bestimmte äußere Einwirkungen, in so fern es nämlich künstlich veranlasst werden konnte, dass aus einer der zwei (bei einigen Thieren sogar aus einer der vier) ersten Fur- chungszellen statt eines halben resp. Viertel-Embryo ein ganzer Embiyo gebildet wurde, oder auch dass aus den beiden ersten Furchungs- zellen zusammen eine unvollkommene Doppelbildung entstand. Den Mechanismen dieser Bildungen sind wir bereits auf der Spur. Doch schließen auch sie nichts qualitativ Neues ein. Weiterhin wurde oben schon erwähnt, dass in der ersten Orien- tirungsarbeit auch über die Wirkung der äußeren Umgestaltung des Eies auf seine Entwickelung berichtet worden war (1, Bd. IL pag. 188 — 192, 204) mit dem Ergebnis, dass durch solche Umge- staltung gleichfalls nichts qualitativ Neues entstand, sondern dass im Gegentheil die hervorgehenden hochgradig de formirten Embryo- nen mit ihren Organen sogar in solcher Weise gebildet waren, als wenn sie unter »normalen« Formverhältnisseu entstanden und erst nach der Organbildung äußerlich de- formirt worden wären (1, Bd. IL pag. 891, 905, 926). Es kann also durch morphologische Eingriffe am Ei gar nichts »qualitativ« Neues, kein neues Gewebe, kein quali- tativ neues Organ etc. hervorgebracht werden. Es entstand außer dem Normalen theils Gehemmtes, z. B. bei Pressung der Eier zwischen senkrechten Platten, wobei die Gastrulation ganz gehemmt wurde und die Medullarwülste 180° von einander entfernt bleiben (s. 1, Bd. IL pag. 89, 526, 922); es entstanden häufig auch Tumoren, also zu starkes Wacksthum einiger Zellen oder Zellen- gruppen, die wohl aus ihrer normalen Verbindung gekommen waren, ferner Defektbildungen und bei Deformation in den frühesten Stadien Doppelbildungen. 125 Wir können also sowohl aus Versuchen am Ei, wie auch aus solchen am wachsenden und am erwachsenen Individuum auf die »normalen« gestaltenden »Wirkungsweisen« Schlüsse ziehen, denn es ist nicht möglich, durch irgend welche Eingriffe qualitativ neue, progressiv gestaltende Wirkungsweisen hervorzu- rufen; vielmehr sind (von den regressiven, degenerativen Verände- rungen abgesehen) alle abnormen Reaktionen und Bildungen nur die Produkte quantitativer, lokaler und zeitlicher Störungen derThätig- keit der normalen Wirkungsweisen1). Die schönen Versuche von C. Herbst (20) über typische Ver- bildungen in Folge der Einwirkung von Salzlösungen sind durch du Bois-Reymoxd irrthümlicher Weise in dem Sinne gedeutet worden, dass dabei ganz neue Organismen entstanden seien. Um- stülpung des Darmblattes nach außen, Fehlen der Kalknadeln etc. sind aber doch keine qualitativen Neubildungen. Wir schließen also: Die progressiv gestaltenden »Wirkungs- weisen« der Organismen und daher auch die Qualität ihrer Produkte sind der Hauptsache nach konstant. Ob es nicht doch wenigstens kleine qualitative Abweichungen giebt, außer den oben erwähnten Variationen der Gestalt und Größe der Zellen, die wir zu den quanti- tativen rechneten, muss natürlich erst noch genauer ermittelt werden. Der Hauptsache nach aber dürfen wir zufolge dieser That- sache aus den gestaltenden Reaktionen des Eies, des Embryos, des wachsenden und erwachsenen Individuum auf experimentelle Eingriffe auf die »normalen« gestaltenden Wirkungsweisen schließen. Vorläufig kennen wir bloß die Konstanz der Wirkungsweisen. Wir werden diese Erfahrung verallgemeinern und sehen, wie weit wir damit kommen; dies so weit, bis wir die Grenze finden, und müssen nach ihrer Überschreitung, also nach der Entdeckung von Abweichendem, die ganzen früheren Versuche aufs Neue und zwar auf ihre exaktere Bedeutung prüfen. 1 Nach den bisherigen Beispielen von Hertwig's Berichterstattung über meine Äußerungen (s. o. pag. 41, 94 Anm., 105i und den nachstehend noch kennen zu lernenden [s. unten pag. 184, 189, 197) ist zu erwarten, dass dieser Autor über die hier gebrachte Darlegung in der Weise berichtet, ich hätte gesagt: »es gäbe überhaupt keine abnormen Bildungen«. Er wird dann beifügen: »Man braucht nur an die mannigfachen vorkommenden Missbildungen, Geschwülste, Knochenverkrümmungen zu erinnern, um das Irrthümliche einer solchen Auf- fassung zu kennzeichnen.« 126 Die verschiedenen neuen speciellen Strukturen aber, welche pathologischer Weise aus den nicht neuen Gewebstypen producirt werden, lassen uns manche wichtige Schlüsse auf die Ursache der Gestaltungen aus diesen Geweben ziehen. Dies gilt z. B. von der neuen Struktur in den Knochen, Fascien und Muskeln bei hochgradig rhachitisch verkrümmten Individuen (s. 1, Bd. I. pag. 712, 359, 464, 616 ; ferner gilt es von einer von mir gefundenen periostitischen Auflagerung an der unteren Hälfte des Humerus, welche auf das Schönste die Tor- sionstrajectorien zeigte, weil die Torsion durch die abwechselnde Thätigkeit (der inneren und äußeren Gruppe der Yorderarmmuskeln) am stärksten an der Oberfläche wirkt (s. 1, Bd. I. pag. 762), ferner von der radiären Struktur mancher Geschwülste. Ähnliche Folge- ruugen auf die Ursachen gestatten die pathologischen Produk- tionen mancher Gewebe, z. B. die Bildung ernährender Blutgefäße für einen Echinococcus, für einen metastatischen Tumor, die Ver- mehrung des Bindegewebes durch chronische Hyperämie etc. Es ist ferner zu vermuthen, dass bei allen T liieren derselben Klasse, ja wohl noch viel größerer Abtheilungen, die »hauptsäch- lichen« gestaltenden Wirkungsweisen dieselben sind, wenigstens so weit nicht qualitativ verschiedene Gewebe gebildet werden. Es werden ja aus anscheinend gleichen Geweben ganze Thiere wie einzelne Organe von sehr verschiedenen typischen Gestaltungen gebaut; und wir haben keine zureichende Veranlassung zu der An- nahme, dass z. B. die typisch verschiedenen Gestalten der Säugethiere unter einander durch die geringen Verschiedenheiten ihrer Gewebe be- dingt sind; sondern wir werden diese Verschiedenheiten hauptsächlich von örtlichen und zeitlichen quantitativen Verschiedenheiten der Verwendung der Gewebe ableiten, also von quantitativen Ver- schiedenheiten in der Bethätigung der gestaltenden Wirkungsweisen. Aber eine wichtige Einschränkung müssen wir doch gleich dem Satze von der Konstanz der gestaltenden Wirkungsweisen folgen lassen, die von mir selber ausgegangen ist und gerade von einigen meiner Gegner bestritten wird. Diese Einschränkung beruht auf der Unterscheidung von zweier- lei ontogenetischen Entwickelungsarten; einer typischen oder nor- malen (diese beiden Ausdrücke sind annähernd aber nicht vollkom- men identisch, worüber die Originalien einzusehen sind, s. 1, Bd. IL pag. 450, 520, 811, 843, 981), und einer atypischen oder regula- torischen Entwickelungs weise der Organismen, welche beide dieselben Endprodukte liefern (s. oben pag. 98). 127 Diese Zwiefaltigkeit der Bildungsweisen erschwert natürlich die Deutung der Versuehsergebnisse überaus; doch immer neue und variirte Versuche unter Zuhilfenahme neuer Thierarten. bei denen die regulatorische Entwicklung geringer ist, werden allmählich auch hier Sicherheit bringen. Wir können nicht verlangen, auf einem neuen und so schwierigen Gebiete immer gleich ganz Sicheres und Richtiges zu erringen. Außer der erwähnten Art von progressiv gestaltenden Re- aktionen können wir aber durch das künstliche Experiment oder durch das Xaturexperiment auch direkt normale gestaltende Korrelationen der Theile des Organismus ermitteln. Das ist wieder schon in reichem Maße seitens der Pathologen geschehen, wie ich früher unter Anführung von manchen Beispielen ausgeführt habe (s. 2, pag. 31). Um hier wenigstens ein Beispiel zu bringen. so schließen wir aus dem nach Zerstörung der Ganglienzellen der Vorderhörner des Rückenmarks stattfindenden Schwund der zu diesen Ganglienzellen gehörigen Muskeln, dass zwischen diesen Ganglien- und Muskelzellen normaler Weise eine erhaltende Wirkung statt- findet; wir folgern aber nicht, wie die Autoren, welche als Folge des Experiments nur pathologische Vorgänge gelten lassen, thun müssen, dass die absterbenden Ganglienzellen einen zerstörenden Einfluss auf die Muskeln ausüben. Denn umgekehrt wissen wir auch, dass nach Amputation des Armes die zugehörigen Ganglien- zellen im Rückenmarke schwinden. Sollte nun wohl, statt dass nor- maler Weise schon irgend ein, sei es direkter oder indirekter tro- phischer, erhaltender Zusammenhang beider Organe stattfindet, eine abnorme zerstörende Wirkung, wenn auch nicht mehr von dem abge- schnittenen Arm auf die früher ihm zugehörigen Ganglienzellen, so doch von den zurückgebliebenen absterbenden Nervenstümpfen aus stattfinden? Es kommen noch eine ganze Anzahl von Beobachtungen hinzu, die gegen die letztere und für die erste Auffassung sprechen. Es giebt viele sekundäre Degenerationen und sonstige sekundären Veränderungen, die nach eingehender Prüfung der be- sonderen Verhältnisse auf die Aufhebung oder Änderung schon normaler Weise vorhandener trophischer oder sonstiger gestalten- der Beziehungen unter Theilen des Organismus zurückgeführt werden; z. B. die gestaltende Wirkung der Kastration von Frauen und Männern, die funktionelle Anpassung in allen Organen. Hierbei erstrecken sich die sekundären Veränderungen auf ganz bestimmt 1 o k a 1 i s i r t e und vom Herd der primären Störung oft w e i t abgelegene 128 Theile; auch läuft oft die Vernichtung des primären Theils (z. B. im Centralnervensy stem) in wenigen Tagen oder Wochen ab, während die sekundären Veränderungen jahrelang dauern. Dieses ganze, von mir wiederholt verwerthete Thatsachengebiet scheint Hertwig nach seiner Auffassung von der Bedeutung des Experiments am Lebenden noch vollkommen fremd zu sein. Aber es giebt im Unterschied zu diesen Verhältnissen auch sekundäre Störungen, die durch die abnorme Einwirkung des zuerst pathologisch veränderten Theils bedingt sind; dahin gehört z. B. die Krebskachexie durch Toxine, die vom Tumor producirt werden, ferner die direkten Druckwirkungen auf die Nachbarschaft mit oder ohne Kompression der Blutgefäße u. dgl. Diese sekundären Störungen sind dem entsprechend anders lokalisirt als die der ersterwähnten Art. In Folge der Konstanz der geweblichen Reaktionsweisen habe ich von Anfang an besonderen Werth auf die progressiv gestal- tenden Reaktionen des Organismus gelegt, die dem Pathologen vorkommen1); desshalb und wegen der Möglichkeit, aus vielen patho- logischen Vorkommnissen auf normale gestaltende Korrelationen zu schließen, habe ich auch die Pathologen in der Einleitung des Archivs für Entwickelungsmechanik ersucht, ihr reiches bezügliches Material auch mit Rücksicht auf diese sich bekundenden, normalen gestaltenden Reaktionsweisen und Beziehungen zu verwer- ten, und solche Arbeiten oder Berichte über ihre Ergebnisse in dem Archiv mitzuth eilen. In dem Jahresbericht von Hofmann und Schwalbe habe ich früher schon einen Anfang mit der Kompilation solcher Ergebnisse gemacht; und da die diesbezüglichen Arbeiten das uns Interessirende nur nebenbei darboten, so sind denn die mannigfachsten Titel in diesen Referaten zu finden, deren Buntheit auf Hertwig, da er (aus den Titeln) den inneren Zusammenhang nicht erkennen konnte, nur belustigend gewirkt hat (pag. 20) 2). Da die progressiv gestaltenden Reaktionen so feste, unveränder- 1 Das eine der von mir vorgeschlagenen Themata zu meiner Antrittsvor- lesung als Privatdocent im Jahre 1880, dasjenige, welches von der Fakultät acceptirt wurde, handelte über »die gestaltenden Reaktionen des Or- ganismus«; der Inhalt dieses Vortrages wurde dann in die Schrift über den »Kampf der Theile im Organismus« aufgenommen. 2) Außerdem habe ich hierbei das Material, welches auf Selbstdiffe- renzirung von Theilen hinweist, sowie alles für unsere Arbeit als Vor- stufe nöthige Material, so weit es von den deskriptiven Referenten gewohn- heitsmäßig vernachlässigt zu werden pflegte, zusammengetragen, wodurch denn die Mannigfaltigkeit der Titel noch erhöht wurde. 129 liehe, normale sind, so stellen sie also stabile, in sieb geschlossene komplexe Komponenten des organischen Geschehens dar. in die wir vorläufig nicht eindringen, die wir nicht zerlegen können. Ihre Aktivirang ist bloß Auslösung eines uns an sich unbekannten Mechanismus (s. oben pag. 90). Es wäre der größte Triumph und würde ein jetzt gar nicht zu übersehendes Gebiet neuer Forschung eröffnen, wenn es gelingen sollte, diese jetzt noch geschlossenen komplexen Komponenten zu zerlegen, ohne dass die Lebensthätigkeit gleich aufhört. Wir haben keine Veranlassung, dies jetzt schon, »am Anfange«, als dauernd unmöglich anzusehen. Erforschen wir zunächst nur möglichst weit und möglichst voll- ständig diese geweblichen und anderen gestaltenden Wir- kungsweisen in ihren Resultaten und nach ihren auslösenden Ursachen, sowie die gestaltenden Korrelationen der größeren und kleineren Theile bis zum Zellkern und Centrosoma herab. Das ist jedenfalls das zunächst Mögliche; und lassen wir die Sorge über das fernere Thun den kommenden Generationen. Die unendliche Aufgabe wird durch diese erste Arbeit dann wieder neue angreifbare Seiten erhalten haben. Dagegen kann das »Quantitative« des gestaltenden Ge- schehens durch Experimente leicht zeitlich und örtlich alterirt werden; und dasselbe gilt wohl von der Richtung des gestaltenden Geschehens. Daher sind zur Erkennung der Entstehung auf ihm beruhender Formverhältnisse immer Experimente verschie- dener Art nöthig, die sich gegenseitig kontrolliren; und deren Er- gebnisse sind wieder mit den Ergebnissen der direkten Beobachtung des normalen Entwickelungsgeschehens in Verbindung zu setzen, wie ich dies seit Langem betont habe (s. oben pag. 93). Auch ist stets auf die Ergebnisse der vergleichenden Entwicklungsgeschichte gebührende Rücksicht zu nehmen. Die Bedeutung der Ergebnisse dieser letzteren Methode wird aber jetzt manchmal überschätzt. Dies gilt z. B. bezüglich der Gastru- lation des Froscheies. Nach den übereinstimmenden Ergebnissen unserer oben (pag. 93) erwähnten drei verschiedenartigen Experi- mente vollzieht sich die Gastrulation des Froscheies durch Uber- wachsung der von Anfang an nach unten sich einstellenden NB. weißen) Seite des Eies von einer etwa dem Äquator des Eies entsprechenden Stelle aus und durch sekundäre Vereinigung der ursprünglich zumeist um etwa 180° von einander gesonderten Anlagen der beiden Medullarwülste. Eoux, Programm. 9 130 Die feineren Mechanismen dieses Geschehens können je nach dem Sitz der Kräfte, nach der Herkunft und den Bahnen des herab- gelangenden und des nach innen kommenden Materials dabei sehr verschieden sein; darüber haben wir nichts ermittelt. Da jedoch unsere obige Angabe nicht in Übereinstimmung mit dem an Fischen beobachteten Verhalten steht, folgern einige deskriptive Autoren ein- fach, meine Beobachtungen mtissten unrichtig sein. Das ist für diese Autoren bequemer als sich zu bemühen, eine den beiderlei Thatsachen Kechnung tragende Ableitung aufzufinden und setzt sie auch nicht mit dem Dogma in Widerspruch, dass derselbe gestaltende Hauptvorgang bei allen Wirbelthierklassen in »formal« möglichst gleicher Weise sich zu vollziehen habe. (Wir selber haben dagegen oben [pag. 121] etwas ganz Anderes: eine annähernde qualitative Konstanz der gestaltenden Wirkungsweisen vertreten; ein Unterschied, der, um Miss Verständnissen vorzubeugen, hier sogleich betont sei.) Ebenso unzutreffend ist der Einwand, dass der eine der genann- ten drei Versuche nichts für das normale Geschehen beweise, weil ich vom Blastula Stadium an das Ei, also die Gastrula, an ihrer normalen Drehung mit der Unterseite nach aufwärts verhindert habe. Der Autor dieser Auffassung, 0. Schultze (29), meint, dass ent- sprechend der früheren Auffassung das Material des Medullarrohres beim Froschei von vorn herein auf der oberen Seite der Froschblastula liege, und dass die rechte und linke Anlage von vornherein in ganzer Länge in der Medianlinie mit einander in Berührung stehen, wäh- rend letzteres nach meinen Versuchen nur an der Kopf- und Schwanz- seite der Fall ist und die dazwischen liegenden Theile des Materials der Medullarwülste ringförmig um den Äquator (genauer etwas ober- halb vom Äquator) liegen und daher erst durch eine große Verschie- bung in totale Kontinuität mit einander gelangen. 0. Schultze glaubt, ohne diese letztere Thatsache zu bestreiten, dass dies bloß abnormer Weise, in Folge des Experiments der Fall sei. Da aber in der Froschblastula die Zellen schon specificirt sind, wie meine AnschneiduDgsversuche an der Blastula und Gastrula ergeben haben, indem trotz großer Spalten die Differenzirung normal weiter schritt und die Medullarwülste sich bis an die Schnittränder ausbildeten 's. J, Bd. IL pag. 190); da ferner bei einem anderen Versuche: nämlich bei so geringer Eintrocknung der Gallerthülle des Eies, dass sie gerade die Rotation des Eies verhindert, die Gestalt des Eies normal bleibt, insbesondere nirgend ein Aufplatzen der Blastula oder Gastrula statt- 131 findet, die Medullarplatte aber in toto auf der Unterseite des Eies liegt, so muss wohl eine solche alterirende Wirkung der Verhinderang der Drehung des Eies, wie sie 0. Schültze annimmt, als unmöglich angesehen werden (s. 1, Bd. IL pag. 532). Andererseits kann es den deskriptiven Forschern wohl sehr nützlich sein, wenn sie sich über die Ergebnisse unserer experimentellen Untersuchungen unterrichten. So beschreiben deskriptive Beobachter manchmal Ge- staltungen als normal, die von uns bereits als abnorme erkannt sind. Zum Beispiel findet sich die beim Absterben der jungen Ent- wickelungsstufen der Blastula, Gastrula und junger Embryonen vor- kommende Lösung des epithelialen Verbandes der Zellen und die Rundung derselben, die von mir als Zeichen des herannahenden Todes erkannt und mit dem Namen Framboisia embryonalis finalis (s. 1, Bd. IL pag. 151, 198) belegt wurde, wiederholt als normale Bildung des äußeren, mittleren oder inneren Keimblattes dargestellt. Um noch einen anderen Fall anzuführen, so sah R. Fick (26) bei seiner Untersuchung über die Befruchtung des Axolotleies die Pigmentstraße des Samenkörpers im Ei eine spitzwinkelige Knickung machen und sogar noch die Spitze ausgezogen sein, was auf eine rückläufige Bewegung des Samenkörpers schließen lässt. Solches war bereits von mir an künstlich in geringer Zwangs- lage gehalteneu Froscheiern beobachtet und aus der bei dieser ab- normen Einwirkung, nach Born's Ermittelung, stattfindenden inneren Strömung des Dottermaterials abgeleitet worden. Da Fick aber die befruchteten Axolotleier der Kloake des Thieres, also dem normalen Orte, entnommen hatte, glaubte er sie als vollkommen normal ansehen zu müssen und daher auch dem von ihm beobachteten Verhalten eine besondere, noch räthselhafte Be- deutung für die normale Entwicklung beilegen zu müssen. Es ist nun aber nach meinen Erfahrungen wohl als möglich anzusehen, dass die Natur hier für sich allein ein »entwickelungsmecha- nisches Experiment« angestellt hat. Wenn man zur »Regel« alles Das, was oft vorkommt, rechnet, so kann Zwangslage des Eies mit der oben erwähnten Folge bei den Eiern mancher Thierarten mit zur Regel gehören, ohne dass man sie desshalb als normal bezeichnen dürfte1). In jedem Laich- 1 Genaueres hierüber siehe unten im Abschnitt II f, pag. 156 u. f. 9* 132 ballen von gewöhnlicher Größe befinden sich die centralen Eier des Ballens während der Befruchtung und zum Theil sogar noch während der ersten Furchung in Zwangslage, weil die Quellung der Gallert- hülle im Centrum des Ballens zu langsam stattfindet. Ich habe nun gefunden, dass selbst einzeln liegende Froscheier, die nach der Besamung statt in Wasser in X/A- bis V2%ige Kochsalzlösung gelegt worden waren, die erste Stunde noch in Zwangslage sich befanden; also gerade noch zu der Zeit, in der der Samenkörper den Dotter durchsetzt und die Pigmentstraße ihre Knickung bildet. Da die Axolotleier zu dieser Zeit in der Kloake weilen, also nicht im freien Wasser sich befinden, so ist somit ohne besondere vorherge- gangene Prüfung nicht zu sagen, ob bei ihnen nicht auch normaler Weise eine geringe Zwangslage vorhanden ist und die Ursache der zugespitzten Knickung der Pigmentstraße abgiebt, zumal wenn die Lage des Eies nachträglich geändert wird (siehe auch pag. 184). Auf Grund des häufigen Vorkommens solcher und anderer Stö- rungen habe ich die Idee ausgesprochen, dass eben dadurch die Mechanismen der gestaltenden Selbstregulation, also der regu- latorischen s. atypischen Entwickelung auf niederer Stufe schon gezüchtet und auf höherer Stufe erhalten resp. den hier vorkommenden besonderen Störungen entsprechend modificirt worden sind (s. 1, Bd. IL pag. 911 und 980). Ferner streiten sich deskriptive Beobachter über formale Ver- schiedenheiten als über wichtige Abweichungen in Fällen, in denen von uns gezeigt werden konnte, dass sie nur durch kleine Anachronismen in den Bildungsvorgängen bedingt sind; wir sahen, dass letzteres Moment sogar Änderungen der sogenannten »Abstammung« von den Keimblättern, z. B. der Chorda statt vom Entoblast vom Meso- oder Ektoblast zur Folge haben kann (s. 1, Bd. IL pag. 458). Man ersieht aus diesem Beispiele wohl wenigstens, dass auch bei rein deskriptiven Forschungen dem Autor einige Fühlung mit den Ergebnissen der Entwickelungsmechanik nicht nachtheilig sein wird. He. Das »causal-analytische« morphologische Experiment als die »besondere« Methode der Entwickelungsmechanik. Wir haben im vorigen Abschnitt erkannt, dass es wohl mög- lich ist, von den Ergebnissen des Experiments am Lebenden, also von dem Verhalten des Organismus in neuen, von uns gesetzten Ver- hältnissen, auf die normalen gestaltenden Wirkungsweisen, also 133 • auf das Qualitative des Geschehens, ja sogar bei Berücksichtigung mancher Vorsichtsmaßregeln, auf das so leicht zu alterirende Quan- titative des normalen Geschehens, welches die einzelnen Ge- staltungsvorgänge und so die speciellen Gestaltungen bedingt, zu schließen. Es ist nun noch die Frage zu beantworten: wie sind diese, unseren causal-morphologischen Zwecken dienenden Ex- perimente anzustellen? Haben sie eine Eigenart, und eventuell, worin besteht dieselbe? Hertwig sagt im Allgemeinen richtig: »Um zu einem neuen Ziel zu gelangen, werden auch neue Wege, die zu ihm hinführen, gezeigt werden müssen; dessgleichen die Hilfsmittel und Methoden, die uns auf den neuen Wegen vorwärts und zum Ziel zu kommen ermöglichen. « Er kommt dann zu dem Ergebnis, dass die Entwickelungs- mechanik, wie seiner Meinung nach kein neues, das heißt nicht schon von den früheren Forschern verfolgtes Ziel, so auch keine neue, nicht auch von den früheren morphologischen Forschern ausge- dehnt angewendete Methode habe. Wir sind dagegen der Meinung, dass die Entwickelungsmechanik der thierischen Organismen eine besondere Forschungsmethode als Hauptmethode habe, und dass diese Methode von früheren Ana- tomen und Zoologen nur ganz vereinzelt in Anwendung gezogen worden ist1). Das »Experiment am lebenden Objekt« ist bekanntlich schon lange und zwar zu verschiedenen Zwecken wie in sehr verschiedener Weise zur Erforschung der Lebewesen verwendet worden. Das Experiment, dessen wir für unsere Zwecke der Erforschung der normalen Gestaltungsursachen benöthigen, ist eine Unter- abtheilung dieses »biologischen Experiments überhaupt«, spe- ciell eine Abtheilung des »morphologischen Experiments«, denn es will die »Gestaltungsverhältnisse« erforschen; es ist aber keineswegs identisch mit dem »morphologischen Experiment im Allgemeinen«, denn es soll nicht irgend welche gestaltlichen Vorgänge, z. B. rein formale Verhältnisse als solche, sondern die ursächlichen Verhältnisse der gestaltlichen Vorgänge erforschen. Dazu bedarf es l) Von den Verhältnissen auf dem Gebiete der causalen Pflanzen- forschung, die von vorn herein andere waren siehe unten Abschnitt III, pag. 174), sehen Hertwig und ich in unserer Diskussion ab. 134 auch einer besonderen Art des Experiments: statt des früher schon mehrfach ausgeführten »formal-analytischen Versuchs« nämlich des »causal-analytischen Versuchs«. Dieses besondere Experi- ment der Entwickelimgsineckanik ist daher auch nicht, wie jetzt von Vielen geglaubt wird, einfach das »Experiment amEmbryo«, und sein Ergebnis die »experimentelle Embryologie« ; sondern es er- streckt sich auch auf den erwachsenen Organismus; wie anderer- seits auch nicht jedes Experiment am Embryo ein »entwickelungs- mechanisches« ist. Die Entwickelungsmechanik verwerthet alle Experi- mente am Lebenden; die pathologischen, physiologischen, pharma- kologischen und die morphologischen im Allgemeinen. Aber »das entwickelungsmechanische Experiment xaz iZoyjjv« ist eine besondere Species des morphologischen Experiments, welche sowohl auf das Ei, wie auf den Embryo, wie auf den erwachsenen Organismus anzuwenden ist: das »causal-analytische« morpho- logische Experiment. Was diese Bezeichnung bedeutet, ist unserem Gegner Hertwig gar nicht zum Bewusstsein gekommen. Da es nach seiner Meinung »keine gestaltenden Kräfte«, also auch keine gestaltenden Kombinationen solcher Kräfte, somit auch nicht gestaltende Wirkungsweisen derselben giebt (s. oben pag. 53), so konnte er allerdings auch nicht die Analyse der gestaltendem Wirkungen in einzelne beständige ursächliche AVirkuugsweisen resp. Kräfte als eine Aufgabe unseres Strebens nach Erkenntnis, also auch nicht als Aufgabe des Experiments erkennen. Wir wollen uns nun einen kurzen Überblick über die verschie- denen Arten des Experiments am Lebenden zu verschaffen suchen. Es ist aber nicht der Zweck unserer flüchtigen Darstellung, eine Geschichte dieses Experiments oder auch nur des »morpho- logischen Versuchs« zu schreiben; sondern es sollen hauptsächlich nur die verschiedenen Unterarten des biologischen Versuchs charakterisirt und durch Beispiele verständlich gemacht werden. Die Physiologen machen schon lange Versuche, um die Er- haltungsfunktionen des erwachsenen Individuums, sowie aller- hand Reaktionen, welche auf Reize : auf elektrische, thermische, che- mische und mechanische Reize rasch wechselnde Gestaltungen pro- duciren, zu ermitteln. Es ist bekannt, wie große Erfolge sie trotz vielfacher, zeitweilig untergelaufener Irrthümer mit diesem »physio- logischen Experiment« gehabt haben, und wie viel an Eiusicht in die normalen Lebensvorgänge wir ihnen bereits verdanken. In letzter 135 Zeit sind diese Versuche von ihnen auch auf den Embryo ausgedehnt worden; so wurde eine Physiologie des Embryo angebahnt (21 . Aber man hat sich auch letzteren Falles wieder fast bloß auf die Er- haltungsfunktionen des jeweilig bereits Gebildeten beschränkt unter fast gänzlicher Übergebung der Funktionen des Bildens, des Gestalten s. Die Erforschung dieser Funktionen wird von den modernen Physiologen, einige wenige Autoren rühmlich ausgenommen, den »Mo rp ho logen« (Anatomen und Zoologen) überlassen. Ferner haben die Pathologen schon seit Langem fruchtbare Versuche am lebenden Organismus ausgeführt: das »pathologische Experiment«. Dieses wurde von ihnen natürlich zumeist angewandt, um die Erkenntnis der krankhaften Veränderungen zu fördern. So wurden die Reaktionen auf störende resp. zerstörende Einwirkungen: die Folgen der Embolie, also einer Art des Blutabschlusses, die Folgen der Einführung von Giften, Bakterien etc. studirt, um die durch diese Einwirkungen bedingten Störungen, Degenerationen etc. kennen zu lernen, oder andererseits, um die Ausgleichsvorgänge und Heilungsvorgänge, also die reparativen, progressiven Reak- tionen zu erkennen. Dies letztere ist das Gebiet, welches, wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, auch für uns von direktester Bedeutung ist, da die vorkommenden progressiv gestaltenden, also Zellen und Gewebe bildenden Wirkungsweisen an sich nur die nor- malen sind, und bloß das Quantitative, Zeitliche und Ortliche dabei abnorm ist. Dazu kommen ferner diejenigen experimentell ermittelten sekundären Degenerationen, so wie viele andere sekundäre formale Veränderungen, welche auf Störung normaler gestaltlicher, z. B. trophischer Beziehungen zwischen den Theilen hinweisen. Hier ernten wir »Morphologen der normalen Gestaltung« auf einem Ge- biete, welches großen Theils nicht für uns bebaut wurde; wir müssen nur zum Theil das Einernten selber vornehmen. Aber die Ergebnisse unseres Stoppellesens auf diesem Gebiete sind überaus reiche und noch lange nicht erschöpft. Es finden sich leider bis jetzt nur Wenige, die sich an diesem Ernten betheiligen, die das zu Schlüssen auf das normale Gestaltungsgeschehen Verwendbare aus den pathologischen Ergebnissen auslesen und diese Verwendbarkeit aufweisen. Früh schon, wenn auch nur ganz vereinzelt, sind bereits Ver- suche am Lebenden zu dem Zwecke gemacht worden, um »nor- male« Gestaltungsvorgänge als solche genauer kennen zu lernen, mehr als es durch die direkte Beobachtung des normalen Gestaltens und durch die Besichtigung verschiedener, durch Tödtung 136 fixirter Stadien dieses Geschehens möglich ist. Sie repräsentiren die erste Abtheilung des zur Erforschung- des Normalen verwendeten »morphologischen Experiments«. Wir erinnern hier an die berühmten Versuche aus dem Jahre 1 742 von Duhamel, sowie seiner Nachfolger Ollier, Flourens, Guddex, Jül. Wolff u. A., über die Lokalisation des Knochenwachsthums, die angestellt wurden, um zu ermitteln, ob die Knochen durch (äußere resp. innere) Auflagerung (durch Apposition) auf den bereits vor- handenen Knochen oder durch Einlagerung neuer Knochentheile in die bereits vorhandene Substanz, also interstitiell wachsen. Der Zwek war also, die Lokalisation des Knochenwachs- thums festzustellen. Das war eine schöne, aber leider ziemlich vereinzelt gebliebene morphologische Versuchsreihe des »formal- analytischen« Versuchs. Andere Versuche bezogen sich auf die Transplantation (Huxter), und die Regeneration. Es war letzteren Falles die Ab- sicht, beschreibend zunächst die groben Thatsachen und später die feineren normalen Gestaltungsvorgänge der Regeneration mög- lichst genau festzustellen Nussbaum, Barfurth, Balbiani u. A.). Sie bezogen sich jedoch bloß auf die Vorgänge als äußere und innere Formwandlungen, also nur auf die formale Analyse dieser Vorgänge, nicht aber auf die Ursache derselben; darum gehören auch sie zum formal-analytischen Experiment. Diese Versuche bringen uns aber schon der ursächlichen Kenntnis nahe, oder wenigstens näher, indem wir durch sie die Stätten des direkt gestaltenden Geschehens und damit zum Theil auch die »Örtlichkeit der Ursachen« desselben kennen lernen. Hierher gehören auch die schönen Versuche von Nussbaum, A. Gruber, Balbiaxi, Hofer u. A. über die Notwendigkeit des Kerns zu der Gestaltung und Regeneration der Protisten u. dgl. Direkt auf die speciellen »Ursachen« der Gestaltung be- zügliche: »causal-analytische« Experimente sind dagegen bis vor wenigen Jahren mir spärlich und ganz vereinzelt bekannt geworden. Vielleicht werden nunmehr noch eine ganze Reihe einzelner bezüglicher Arbeiten aufgefunden, da es üblich und nützlich ist, dass nach jeder Aufstellung von etwas dem generellen Zeitbewusstsein Neuen seitens der mehr historisch als produktiv veranlagten Autoren eine sorgfältige litterarische Nachlese nach früheren Spuren davon veranstaltet wird. Was bis jetzt von bezüglichen Experimenten bekannt geworden ist, stammt, wie oben schon erwähnt, wesentlich als Nebenprodukt von 137 den Versuchen der Pathologen her. Der Antheil der Vertreter der normalen Anatomie sowie der Zoologen war ganz vereinzelt. Hier ist zunächst der bereits in den Jahren 1857 und 1858 von dem Anatomen Ludwig Fick (22) angestellten Versuche über die Ursachen der Knochenformen zu gedenken. Dieser Autor exstirpirte jungen Thieren die Kaumuskeln einer Seite, ein Auge, um die folgenden Abänderungen der Knochenformen zu erkennen. Die Versuche fielen indess in eine noch nicht genügend vorbereitete Zeit; denn die Histo- logie des Knochens war damals noch nicht weit genug ausgebildet. So konnte der Autor trotz vielen aufgewandten Scharfsinnes seine Ver- suche im Speciellen noch nicht richtig deuten; von weiterem eigenen Forschen rief ihn ein früher Tod hinweg. Später folgten Versuche von Gudden und Anderen über sekundäre Aplasie z. B. von Gehirn und Rückenmarkstheilen junger Thiere nach Ausschneidung der zugehörigen peripheren Organe etc.; ferner Versuche über kom- pensatorische Hypertrophie von Organen, wie der Nieren und Gefäße (Ribbert, Nothnagel u. A.). Hierbei handelt es sich um die Ursachen der Wachsthums- größe, um zurückbleibendes oder verstärktes Wachsthum bereits angelegter, ja bereits differenzirter und weit ausgebildeter Organe; sie lehrten uns wichtige Komponenten kennen, von denen die nor- male Wach st hu ms große abhängig ist. In früher Zeit wurden auch schon Versuche am Ei und an frühen Stufen seiner Entwickelung gemacht. Valentin, Leuckart, Schrohe begannen mit einzelnen Versuchen ; dann folgten die zahlreichen Versuche von Dareste, Panum, L. Gerlach, Prevost, Dumas, Lombardini, Maggiorani, A. Rauber u. A. über die Pro- duktion künstlicher Missbildungen durch Versetzen des Eies in ab- norme äußere Bedingungen etc. ]). Sie haben uns die im damaligen Stadium der Wissenschaft wichtige Erkenntnis gebracht, dass durch äußere Momente, wie Erschütterung, einseitige Erwärmung, Be- schränkung des Luftzutrittes etc. überhaupt Missbildungen hervor- gebracht werden können, dass also die embryonale Bildung künstlich gestört und alterirt werden kann, und dass damit nicht gleich alle Lebensthätigkeit aufhört, sondern dass viele Bil- dungsvorgänge noch weiter gehen können. Genaue Einzelkenntnisse über die Ursachen oder auch nur 1 Genaueres über diese Versuche findet sich in: Leo Gerlach, Die Ent- stehung der Doppelbildungen bei den höheren Wirbelthieren Stuttgart 1882), auf pag. 90 — 115 berichtet. 138 über den Sitz der Ursachen der Bildungs Vorgänge sind durch diese Versuche von ihren Autoren nicht abgeleitet und damals, von der Absicht, künstliche Doppelbildungen zu produciren, abgesehen, wohl überhaupt noch nicht erstrebt worden, obschon einige Versuchs- ergebnisse bereits in dieser Weise verwerthet werden können. Die DARWix'sche Zeit war, außer den Züchtungsversuchen, ex- perimentellen Forschungen unserer Art nicht günstig, weil sie so viel neues Licht über andere Verhältnisse verbreitete, dass fast alle jugendlichen Kräfte sich dieser Art der Forschung widmeten, einer Forschung, die wesentlich auf der Verwendung der allgemeinen Prin- cipien der Vererbung und Anpassung beruhte und ontogenetisch vorzugsweise mit dem biogenetischen Grundgesetz, resp. mit Störungen desselben (Cänogenesis) arbeitete. Gleichwohl warf ein junger vergleichender Anatom, G. Born (24), gegen Ende der siebziger Jahre die Frage nach den Ursachen der Bestimmung des männlichen und weiblichen Geschlechts auf und nahm ihre experimentelle Prüfung energisch in Angriff. Aber trotz der von ihm und danach auch von E. Pflüger aufgewandten Mühe und Sorgfalt und trotz mancher sonstiger interessanter Ergebnisse ihrer Versuche mussten die Autoren erkennen, dass sie eine Frage in Angriff genommen hatten, die der Lösung noch widerstand. Meiner Meinung nach war dies desshalb der Fall, weil wir noch nicht so weit waren (und NB. auch noch lange nicht so weit kommen werden), um einen der- artigen Vorgang in seine wahren Komponenten analysiren zu können. Danach habe ich in den achtziger Jahren die Forderung nach genauerer Kenntnis der Ursachen, der ursächlichen Wir- kungsweisen der einzelnen Entwickelungs Vorgänge des Individuums, als sie die direkte Beobachtung des normalen Geschehens und die vergleichende Forschung gewähren können, auf- gestellt. Um dieser Forderung zu entsprechen, musste der » causa 1- analytische Versuch« nicht bloß gelegentlich, sondern methodisch angewendet werden. Ich versuchte daher erstens den experimen- tellen Eingriff bestimmt zu lokalisiren, unf den Effekt auf die Änderung bestimmter Theile beziehen zu können. Aus dieser Forderung ergab sich das bestimmt lokalisirte Experiment am Ei und Embryo. Es musste aber ein entsprechender Effekt auch wirklich eintreten und von uns genau erforscht werden. Dies war bei einigen bereits von früheren Forschern angestellten Ver- suchen nicht der Fall gewesen. 139 So hatte Leo Gerlach durch specielle Lokalisirung der, von Dareste und Panum in allgemeinerer Weise angewandten, Firnissung des Hühnereies künstliche Doppelbildungen hervorzubringen beab- sichtigt; er glaubte auch in der That, solche hervorgebracht zu haben, erkannte dies aber später selber als Irrthum (s. 1, Bd. II. pag. 517). Mir war es von vorn herein als unmöglich erschienen, die Diffusion von der Eischale aus derartig gegen den Keim hin zu lokalisiren, dass das Wachsthum so kleiner Theile von da aus entsprechend lokalisirt werden könnte. Außerdem aber hielt ich die bei diesem Experiment als Voraussetzung angenommene Wir- kungsweise, dass die Anlage stelle der embryonalen Achsentheile und die Anlage dieser Theile selber durch die Sauerstoffzufuhr bewirkt werde, nicht für zutreffend (s. 1, Bd. IL pag. 323). Ebenso hatte A. Rauber (25) einen solchen Versuch beabsichtigt, indem er gegen den Keimring von Forelleneiern einen Stift andrückte; auch er glaubte irrthümlicher Weise dadurch eine Doppelbildung hervor- gebracht zu haben. Nach früher (während meiner Studienzeit im Jahre 1S74) ange- stellten anderen Versuchen an Hühnereiern (s. 1, Bd. IL pag. 153) wandte ich zuerst im Jahre 1882 den »bestimmt lokalisirten An- stich des Eies«, später die Tödtung ganzer Furchungszellen mit der heißen Nadel, außerdem, auf späterer Stufe der Entwickelung, das Aufschneiden der Blastula, Gastrula und des jungen Embryo, sowie das Ausschneiden von Stücken des letzteren an. Die Lokalisation des Eingriffes am Ei resp. am Embryo wurde auf eine Zeichnung des Gebildes eingetragen und der Gang der Entwickelung der so beeinflussten Eier wurde theils durch äußere Besichtigung, theils durch Mikrotomirung vieler Eier, welche nach möglichst gleichen Eingriffen auf verschiedenen Stadien der Entwickelung aufgehoben waren, beobachtet. Daher konnte auch die Reihe der formalen Folgen des Eingriffes ermittelt und direkt auf den Eingriff bezogen werden, wodurch zunächst eine Orientirung über die Natur einiger Hauptprobleme der embryonalen Entwickelung gewonnen wurde. Außerdem wurden im Jahre 1883 durch andere Versuche auch einige specielle Fragen von mir in Angriff genommen, so die Fragen nach der Zeit und Ursache der Richtungsbestimmung der Median- ebene des künftigen Embryo im Ei. In demselben Frühjahre stellte Pflüger seine bekannten Versuche über die Wirkung der Schwer- kraft auf das Ei an, mit welchen er zugleich eine neue wichtige Versuchsmethode, die künstliche Zwangslage des Eies, einführte. 140 Seit dieser Zeit sind die causal- analytischen morphologischen Versuche in der embryologischen Forschung zu sehr verbreiteter Anwendung gekommen; dies theilweise auch bei Forschern, welche nicht die Absicht aussprachen, Entwickelungsmechanik treiben zu wollen, letztere aber gleichwohl förderten. AVir erinnern promiscue an die bedeutenden experimentellen Arbeiten von Gr. Born, D. Bar- FURTH, ChABRY, M. NUSSBAUM, Br. HOFER, A. GRUBER, H. DRIESCH, K. Fiedler, C. Herbst, E. G. Balbiani, T. H. Morgan, Boveri, 0. SCHULTZE, G. WOLFF, P. MlTROPHANOW, SEELIGER, J. LOEB, E. Zoja, A. Herlitzka, U. Kossi, H. E. Crampton, E. B. Wilson, H. Endres, W. W. Norman, C. B. Davenport u. A. Daneben sind zugleich auch die anderen Arten des »morphologischen Experiments« erfreulicher Weise wieder mehr in Aufnahme gekommen. Da der causal-analytische morphologische Versuch für die Entwickelungsmechanik, für die Lehre von den Ursachen der organischen Gestaltungen, die ihr eigene speci fische For- schungsmethode darstellt, obschon sie auch die Ergebnisse aller anderen Experimente, sowie der vergleichenden und deskriptiven Forschungen möglichst für sich verwerthet und ihrer bedarf, so haben wir nun nach dem eigentlichen Wesen dieses Versuchs zu fragen. Das Wesen des causal-amalytischen morphologischen Versuchs besteht darin, dass eine einfache oder komplexe ursächliche Komponente (oder auch eine eng verknüpfte ganze Gruppe solcher Komponenten) des organischen Gestaltungsgeschehens verändert wird, und dass wir einerseits sowohl die dadurch bewirkte Abänderung des normalen Gestaltungsgeschehens vollständig beobachten, wie anderer- seits auch die von uns abgeänderten ursächlichen Komponenten wenigstens so weit ermitteln, um die Änderungen der Gestaltung auf diese Ursachen beziehen zu können. Um einen solchen Versuch anzustellen, ist Mancherlei zugleich erforderlich. Dazu gehört zunächst, dass bei allen Wiederholungen desselben Versuchs nach Art und Ausdehnung ganz die gleichen Ausgangsänderungen von uns vorgenommen resp. hervorgebracht werden; was häufig sehr schwer zu erreichen wie zu kontrolliren ist. Zweitens ist diese Ausdehnung und Art der durch unsere Ein- Wirkung veranlassten Änderung von Gestaltungsursachen sicher, zu ermitteln; dies ist oft gleichfalls eine sehr schwierige Aufgabe. Durch letzteres wird der Versuch erst zu einem »bestimmten«, auf eine bestimmte, also uns bekannte Ursache zu beziehenden und damit erst zu einem analytischen, das heißt zu einem Versuch, . 141 der zu einer Analyse des normalen Gestaltungsgeschehens in seine einzelnen ursächlichen Wirkungsweisen führen kann. Letzteres ist jedoch erst dann der Fall, wenn, drittens, die Folgen dieser Einwirkung richtig- und vollständig* ermittelt worden sind; wiederum eine oft sehr schwierige Aufgabe. Diese Aufgabe ist meist nicht durch die in der deskriptiven Forschung gebräuchliche »Konser- virung von Entwickelungsstadien« in genügendem Maße zu erreichen; sondern sie macht außerdem kontin uirliche Beobachtung nöthig. Um alle diese Aufgaben zu lösen, sind häufig sogar Variationen, und zwar sehr weitgehende Variationen des Versuchs nöthig. Auch diese müssen bewusste, von uns gekannte sein, damit wir wieder die Änderungen des Resultates auf Änderungen des Eingriffes beziehen können. Das heißt also, es müssen oft, um ein Experi- ment richtig zu deuten, mehrere Experimente etwas verschiedener Art angestellt werden, damit ihre Deutungen sich gegenseitig kontrol- liren und sichern. Haben wir von vorn herein, also schon beim Beginne des Ver- suchs eine gestaltliche Komponente im Auge, die wir abzuändern streben, so ist der Versuch ein »analytisch geplanter«. Dabei ist uns also die abzuändernde Komponente schon als solche bekannt, oder sie wird wenigstens vermuthet. Aus unserer Absicht und unserem Bestreben folgt aber keineswegs, dass die Ausführung des Versuchs auch wirklich gerade diese Komponente trifft ; wir können oft nicht erreichen, dass die Einwirkung sie vollständig, sie allein, ja manchmal kaum, dass sie sie überhaupt trifft. Ob dies wirklich geschehen ist, muss erst entsprechend dem obigen zweiten Erfordernis sorgfältig geprüft und ermittelt werden. Gelingt es uns wirklich, die Folgen unseres Eingriffes auf die richtigen, also auf die wirklich abgeänderten ursächlichen Kompo- nenten zu beziehen, somit die Gesammtheit der bei der Einwirkung betheiligten Komponenten zu ermitteln und ihren Antheil an dem neuen Resultat richtig abzuschätzen, ohne den eventuellen Antheil anderer Komponenten zu übersehen, so ist der Versuch ein »analytisch durchgeführter«. Dies zu erreichen, muss das Ziel jedes causalen Versuchs sein. An nicht gelungener resp. überhaupt nicht versuchter »analytischer Durchführung« sind die bereits in früherer Zeit, von den auf pag. 1 37 genannten Autoren ausgeführten morphologischen Experimente am Ei und Embryo wenigstens in dem Sinne gescheitert, dass sie keine für die »exakte« causale Forschung- verwendbaren Ergebnisse geliefert haben, obschon sie zur Rubrik der »causal-morphologischen Versuche« gehören. Sie stellen 142 keine »causal-analytischen«, sondern nur »causal-unbe- stimnite« Versuche dar. Das Ziel des analytischen Versuchs kann auch erreicht werden, wenn der Versuch von vorn herein nicht »analytisch geplant« ist, sondern selbst, wenn bloß ein zunächst »unbestimmter Versuch« beabsichtigt wurde. Dies kann in der Art geschehen, dass man statt im Voraus bestimmte Theile eines Eies oder Embryo abzuändern, die Eier resp. Embryonen einer allgemeinen, gleichmäßigen Ande- rung von Verhältnissen, z. B. der Änderung der Wärme (oder des Salzgehaltes, des Sauerstoffgehaltes etc.) des umgebenden Mediums aussetzt, sofern sich hierbei ergiebt, dass durch diesen allgemeinen Eingriff in Wirklichkeit bloß einige ursächliche Komponenten ab- geändert werden, und sofern es uns gelingt, diese zu ermitteln, und also den Erfolg auf die Abänderung dieser Komponenten zu beziehen. Der erste Versuch war also dabei gleichsam bloß ein Orientirungs- versuch; die »analytische Prüfung des Ergebnisses« machte ihn nachträglich zu einem analytischen. Bei solcher Prüfung müssen aber gewöhnlich selber wieder viele neue Versuche angestellt werden. Es ist also zu einem analytischen Versuche nicht nöthig, dass er von vorn herein analytisch geplant war; sondern das analytische Versuchsstadium kann auch zu jeder späteren Zeit erst beginnen, sobald wahrgenommen wird, dass mit einer bestimmten, das heißt, uns ihrem Ort und ihrer Art nach bekannten Einwirkung bestimmte, das heißt immer dieselben und von uns ermittelten Folgen verknüpft sind; danach können dann beide, Einwirkung und Folgen, genauer ermittelt werden. Hat man dagegen von vorn herein ein bestimmtes Ziel, die ursächliche Erforschung eines bestimmten Gestaltungs- » Vorgang es« im Auge, dann muss man auf Mittel sinnen, diesem speciellen Zwecke nahe zu kommen ; dann muss man von vorn herein analytisch planen; und es ist die Hauptsache, die wirklichen nicht bloß die vermuthungsweise) diesen Vorgang bestimmenden Ursachen aufzufinden. Bei diesem Aufsuchen muss dann zumeist nach dem oben mitgetheilten analytischen Schema verfahren werden; es sind zunächst die Ursachen der Zeit, des Ortes und eventuell der Größe des Geschehens zu ermitteln, ehe die Erforschung der Ursachen der Qualität des Vorganges mit Erfolg in Angriff genommen werden kann Beispiel s. 1, Bd. II. Nr. 16, 20 und 21). Um nun einen solchen analytischen Versuch planen zu können, muss ihm nothwendig das analytische Denken voraus- 143 gegangen sein; und um ihn als solchen durchführen zu können, muss dieses Denken ihn stetig, das heißt in jeder Phase des Ver- suchs und bei jeder einzelnen Beobachtung begleiten. War die Voranalyse und die auf sie gegründete heuristische causa] e Hypothese falsch, so wird auch die erste In-Ängriff- Nahme in Bezug auf den speciellen Zweck des Versuchs eine falsche sein. Das schließt aber noch nicht aus, dass der Versuch selber nicht nachträglich doch ein »analytischer« wird, nämlich dann, wenn es durch sorgfältige Beobachtung, durch erneute analytische Prüfung und durch entsprechende Variationen des Versuchs gelingt, die bei dem Versuchsergebnis betheiligten Komponenten aufzufinden, und ihren Antheil an der beobachteten, vom Normalen abweichenden Wirkung richtig zu beurtheilen. Das analytisch durchgeführte, also das gelungene »analytische, causal-morphologische Experiment« ist der Zauberstab, mit dem Licht in yiele jetzt dunkle und Vielen sogar unerforschlich scheinende Geheimnisse der bildenden organischen Natur gebracht werden wird. Und die wenigen bis jetzt, sei es zufälliger Weise oder in Folge strenger Durchführung gelungenen solchen »causal- analytischen« morphologischen Versuche sind es, denen wir das Wesentliche unserer jetzigen speciellen ursächlichen Einsicht in die Vorgänge der organischen Gestaltung ver- danken !). Es wurde schon angedeutet, dass das Ziel eines analytischen Experiments oft nicht gleich vollkommen erreicht werden kann, dass der Experimentator sich sowohl über den unmittelbaren Wirkungs- umfang eines vorgenommenen Eingriffes, wie über die wesentliche, durch ihn veränderte Komponente zunächst täuscht; und dass trotz beabsichtigter gleicher Wiederholungen doch verschiedene Ein- wirkungen vorkommen; alsdann wird auch der Erfolg bei den einzelnen Versuchen am gleichen Objekt verschieden ausfallen. Nicht selten werden daher öftere, ja jahrelange, wohldurchdachte oder auch zufällig in günstigerer Weise variirte Wiederholungen der Versuche nöthig sein, bis eine Versuchsanordnung gefunden wird, bei welcher kon- stante Eesultate sich ergeben; womit dann auch für richtige Folge- rungen aus den Resultaten wenigstens der Grund gelegt ist. Trotzdem 1 Jüngst sind zwei werthvolle, eng an unsere Richtung sich anschließende Werke erschienen: C. B. Davexport's »Experiniental morphology « und soeben Thom. H. Morgan's: »The developinent of the frog's egg, an introduction to experimental embryology«, welche verschiedene Abtheilungen des biologischen Experiments zusammenfassen. 144 werden Irrthtimer auch dann noch nicht ausbleiben; und durch neue andersartige Versuche wird oft die Bedeutung früherer Ver- suche geändert werden, und Nachprüfungen der letzteren durch neue Variationen derselben werden sich in Folge dessen als nöthig erweisen. Wir wollen uns das Wesen solches causal-analytischen Versuchs an einem bis in's Specielle verfolgten Beispiele noch etwas klarer machen und dazu ein Beispiel nehmen, welches einen von unserem Gegner Hertwig angefochtenen Fall betrifft. Nachdem durch meine ersten, im Jahre 1882 begonnenen An- stichversuche am Froschei ermittelt worden war, dass durch den dadurch bewirkten Defekt am Eimaterial und durch die Störung der Anordnung des Materials keine neuen Arten von Bildungen ver- anlasst werden, sondern dass im Gegentheil normal gestaltete Em- bryonen mit bloß lokalen Defekten und lokalen Störungen ent- stehen (1, Bd. IL pag. 180), strebte ich zu ermitteln, ob jede der beiden ersten Furchungszellen des Eies, von denen die eine ihrer Lage und ihrem Mater iale nach der rechten, die andere der linken Körperhälfte des späteren Embryo entspricht, für sich allein auch die Kräfte also Wirkungsfähigkeiten zur Bildung eben dieser Körperhälfte enthält, oder ob im Gegentheil das Zusammenwirken beider Hälften zur Entwickelung des Embryo nöthig ist. Ich suchte daher die eine von beiden Zellen durch Anstich mit einer heißen Nadel ganz zu tödten und so diese, allerdings an sich sehr komplexe Komponente des Entwickelungsgeschehens ganz aus diesem Geschehen auszuschalten. Dieser analytische Versuch gelang oft recht gut; und es zeigte sich, wie wohl genügend bekannt ist, daß aus der überlebenden der beiden ersten Furchungs- zellen ein rechter resp. linker halber Froschembryo her- vorging. Die Methode dieser Versuche ist von mir in allen wesent- lichen Theilen angegeben worden. Hertwig hat dann einige Jahre später diese Versuche nachzu- machen versucht ; aber im Gegensatz zu mir hat er bei seinen Versuchen angeblich das Resultat erhalten, dass aus einer der beiden ersten Furchungszellen des Froscheies nach Tödtung der anderen stets ein ganzer wohlgebildeter Embryo mit nur einigen kleinen Störungen resp. Defekten am hinteren Körperende entstand. Größer können die Gegen- sätze der Ergebnisse nicht gut sein. Woran lag diese Verschiedenheit? Daran, dass Hertwig's Nachversuche nicht analytisch angestellt, durchgeführt und gedeutet waren; denn er hatte die andere Furchungs- zelle nicht ganz ausgeschaltet; sondern in dem Maße als mehr denn ein halber Embryo gebildet worden war, hatte (wie man unmittelbar aus 145 seinen Abbildungen ersehen kann) auch mehr als die Hälfte des Eies dazu Verwendung gefunden. Diesen Thatbestand hat Hertwig über- sehen. Weil er mit der heißen Nadel in die eine Zelle hineingestochen hatte, hat er ohne Weiteres angenommen, dass dasjenige, was danach entstand, nur von dem Material der nicht operirten Furchungs- zelle herstamme; obschon die Massenverhältnisse das Gegentheil zeigten, und obschon ich eingehend die oft sehr früh schon, nämlich bereits nach den ersten Furchungen der normalen Hälfte erfolgende Mitverwendung von Material der operirten Eihälfte geschildert hatte. 0. Hertwig hat überhaupt bei seinen Nachversuchen die Be- obachtung und Prüfung aller derjenigen Momente unterlassen, die nöthig sind, um den Versuch zu einem analytischen zu machen. Erstens hat er nicht bald nach der Operation, sowie am Tage da- nach sich überzeugt, dass wirklich eine ganze Eihälfte und zwar die ganze, der Operirten Furchungszelle entsprechende Ei- hälfte an der Entwickelung unbetheiligt blieb. Da wir den Effekt der Nadel nicht genau genug mit der Hand reguliren können, muss und kann aber auch die nachher ige baldige und wiederholte prüfende Auslese aus den vielen operirten Eiern diesen Mangel ausgleichen. Es kommt ferner vor, dass die Wirkung der heißen Nadel sich an einer Stelle etwas auf die andere Furchungszelle erstreckt; und man erhält in Folge dessen manchmal Embryonen, die erheblich weniger als eine Hälfte darstellen, indem besonders an der Bauchseite und hinten ein Defekt ist (der Mechanismus der Entstehung dieser Art von Defektbildung ist erst noch zu erforschen). Andererseits ist es sehr häufig, dass die operirte Furchungszelle nicht in toto unverwendbar gemacht worden ist1) und daher manchmal sehr frühzeitig mit in J) Es ist am Anfang der Laichperiode sehr schwer, eine der beiden ersten Furchungszellen des Froscheies ganz zu tödten, ohne die andere Zelle mit zu schädigen. Leichter gelingt dies am Ende der Laichperiode, also zu einer Zeit, in der viele Eier schon etwas gelitten haben. Und bei den letzten noch entwickelungsfähigen Eiern der im Laboratorium getrennt aufbewahrten brünstigen Frösche, also bei starker Verzögerung der Laichung, entstehen sogar nicht selten durch spontanes Absterben einer der beiden ersten Furch ungszellen die schönsten Hemiembryonen ganz ohne unser Zuthun; operirt man in diesem Stadium, so erhält man sehr viele reine und alte Halb- bildungen, da die zersetzte andere Eihälfte nur durch den sehr langsamen »dritten« Reparationsmodus und daher erst spät und nur unvollständig mit in Verwendung gezogen werden kann. Es sei noch erwähnt, dass es mir auch gelungen war, durch Postgeneration der zuerst gebildeten Halbbildungen, und zwar selbst ohne Verwendung von Material der anderen Eihälfte, »nachträglich« ganze Embryonen, somit aus bloß halben Eiern entstehen zu lassen (1, Bd. II. pag. 797). Roux, Programm. jQ 146 Verwendung gezogen wird, so dass sich ein Theil derselben bloß einige Stunden später furcht als die andere Eihälfte. Durch Kombination dieser beiden Yersuchsrnängel ist es bedingt, dass man manchmal Bildungen erhält, die eine Zeit lang halbe oder wenig mehr als halbe Embryonen darstellen, welche aber nicht mit der Medianebene abschneiden, sondern welche z. B. beide Medullarwülste (somit auf der dorsalen Seite zu viel) haben, während auf der Bauchseite zufällig ein, annähernd oder ganz entsprechend großes Stück fehlt, wodurch sie sich deutlich von den bloß aus einer Furchungszelie abstammenden Halbbildungen unterscheiden. Weiterhin grenzen sich Hertwig's »fast ganze Embryonen« mit ihrem äußeren Keimblatt auch nicht gegen die an der Ent- wicklung nicht bet heiligte Dottermasse ab; sondern so weit mehr vorhanden ist, als zum halben Embryo gehört, umschließt der Ektoblast die zweite Eihälfte, liegt somit auf der äußeren, also freien, gegen die Gallerthülle des Eies gewendeten Oberfläche des nicht in Zellen zerlegten Dotters: wieder ein Beweis, dass das Plus des Ektoblast nicht der ersten, sondern der zweiten Eihälfte zugehört. Alle diese Verhältnisse, deren Erkennung und richtige Deutung das analytische Wesen des Versuchs ausmachen, hat Hertwig bei seinen Kachversuchen übersehen und auch in seiner jetzigen Schrift, trotz meiner ihm darüber bereits gemachten Vorhaltungen, nicht zu würdigen vermocht. So ist denn statt des von mir ausgeführten analytischen Versuchs über die Frage, was eine von der Natur selber abge- grenzte Eihälfte für sich allein zu bilden vermag, von Hertwig bloß mein allererster Orientirungsversuch nachgemacht worden, ohne dass Hertwig diesen fundamentalen Unterschied bemerkt hätte. Sein Ergebnis war dem entsprechend ganz dasselbe als bei meinem Orientirungsversuch: nach lokalen Defekten am Ei können wohlgebildete, fast ganze und nur mit einem lokalen Defekte behaftete Embrvonen entstehen1). 1) Außer diesem missglückten Nackversuch hat Hertwig, wie vorher viele deskriptive Beobachtungen Anderer, in letzter Zeit auch mehrere Versuche von anderen Autoren und von mir nachgemacht, so die Anwendung der Platten- und Kührenpressung*, der ScHULTZE'schen Umkehrung, der Salzlösungen und der Centrifuge auf Eier, zuletzt an anderem Materiale Born's Verwachsungs- versuche. Davon sind ihm einige, die sich in einfacheren Verhältnissen bewegen, besser geglückt; aber auch bei ihrer Durchführung und Deutung macht sich der Mangel »causalen, analytischen Denkens« Fehler bildend be- merkbar. 147 Gleichwohl bezeichnete Hertwig auf Grund seiner Versuche meine Angaben als falsch, indem er behauptete, ich hätte, wie er, ganze Embryonen nur mit vielleicht etwas größerer Störung der Organanlagen auf der einen Hälfte gehabt als er; er that dies, obschon mitgetheilt worden war, dass bei vielen meiner Eier der Dotter der ganzen zweiten Eihälfte zersetzt und gar nicht in Zellen zerlegt war, wie ich dies auch abgebildet und auf mehreren Versammlungen (Naturforscher- und Anatomenversammlungen) de- monstrirt habe. Da Hertwig versäumt hatte, genügend oft (auch Nachts) zu be- obachten, um den wirklichen formalen Bildungsgang seiner Em- bryonen zu kennen, behauptete er, die von mir beschriebene Post- generation, welche den halben Embryo nachträglich ergänzen kann, existire gleichfalls nicht, sie existire ebenso wenig, wie nach seiner Meinung die halben Embryonen. Man muss also bei einem analytischen Versuche streng prüfen, ob er in seiner Anstellung, Durchführung und Deutung auch wirklich ein analytischer ist, d. h. ob wirklich bloß diejenigen Komponenten, auf deren Änderung wir die Änderung des gestaltenden Geschehens beziehen, ganz aufgehoben resp. allein geändert waren; ob nicht vielmehr zugleich noch andere Komponenten des Geschehens auf- gehoben oder alterirt worden sind. Das ist nicht immer, ja wohl nur selten in so vollkommenem Maße direkt zu erkennen, wie in dem hier als Beispiel aufgeführten Versuche. Nicht selten werden wir daher erst später einsehen, dass ein Versuch, den wir als analytisch durchgeführt und gedeutet beurtheilt haben, es doch nicht ganz gewesen ist. Diese Vermuthung ist auch für den soeben erörterten Versuch noch nachträglich aufgetaucht, wie zur Vervollständigung und zur Belehrung über die auf unserem Gebiete bestehenden Schwierigkeiten noch näher mitgetheilt sei. Bei den Anstichversuchen mit der heißen Nadel an Frosch- eiern tritt überhaupt nur wenig Dotter aus dem Ei aus (wenn J/6 des Eidotters oder mehr austritt, sterben nach meinen Erfahrungen die Froscheier ab). Es liegt also neben der unverletzten Zelle die Masse der angestochenen Zelle, nur um Weniges vermindert; und beide Massen werden durch die enge, sie gemeinsam umschließende Dotterhaut gegen einander gepresst. Die bestenfalls ganz todte Eihälfte wirkt daher doch noch etwas abplattend auf die lebende Hälfte. Mannigfache neuere schöne Versuche von Driesch, Zoja, 10* 148 T. H. Morgan u. A. haben nun ergeben, dass die abgeplattete Ge- stalt, die *Halbeig estalt« der Furcbungszelle als ein wesentliches Moment für die erste Auslösung der Bildung eines halben Em- bryo aus dieser Furchungszelle anzusehen ist, wenn auch danach (also nach der Auslösung) die ganze Halbentwickelung selber »selbständig« stattfindet; letzteres bedeutet: es werden Tausende von Einzelheiten nur bloß einer Körperhälfte entsprechend gebildet, ohne dass irgend eine weitere gestaltende Einwirkung von der anderen Eihälfte her nöthig wäre, im Gegensatz zu Hertwig's Behauptung, dass die Entwickelung nur unter steter gestaltender Zusammen- wirkung aller Theile des Ganzen, also auch nur zu einem Ganzen vor sich gehen könne. Ich habe damals in meiner ausführlichen Mittheilung des Jahres 1888 (s. 1, Bd. IL pag. 451) bereits die »halbkugelige Gestalt« des Dotter materials und deren einstellende Wirkung auf die eventuell verschiedenen Kernbestandtheile als eventuelle Ursache der Produktion der Halbbildung mit in Erwägung gezogen; doch sprach zu jener Zeit noch keine Erfahrung für eine solche Wirkung. Auch ist, was meine Opponenten übersehen haben, die Notwendig- keit dieser abplattenden Wirkung der todten Hälfte für die Bildung der halben Froschembryonen nicht erwiesen. Denn ich beob- achtete, dass nach Herausspülung des Inhalts der einen von beiden Furchungszellen aus der Eihülle, die andere Zelle noch kurze Zeit ihre Abplattung etwa ebenso weit behielt, wie eine isolirte Seeigel- blastomere, die sich zu einer Semiblastula entwickelt. Selbst wenn sich die Froscheizelle noch etwas mehr gerundet hätte, so wäre noch nicht erwiesen, dass dieser Grad der unvollkommenen Abrundung schon genügte, um statt einer Halbbildung sogleich eine Ganzbildung »auszulösen«. Bei diesem Versuche platzt nach wenigen Sekunden stets die ganz isolirte erste Froschblastomere in der Nähe der Mitte der früheren Trennungsmembran beider Zellen auf, wohl weil die Mem- bran an dieser Stelle noch nicht fest genug gebildet ist. Wenn somit auch vielleicht die »Anwesenheit« der todten Eihälfte nicht zur Erhaltung derjenigen abgeplatteten Gestalt nöthig ist, durch welche die Auslösung einer »Halbbildung« bedingt wird, da die Rand theile der Grenzlamelle schon fest genug sind, um diese Form genügend zu erhalten; so ist sie doch wenigstens eine kurze Zeit lang zur Leistung des Gegendruckes nöthig, um dem Aufplatzen der neugebildeten Grenzschicht und damit dem Absterben 149 so lange vorzubeugen, bis letztere Schicht dick genug ist, um sich selber zu erhalten; welch letzteres beim Froschei eben erst während der nächsten Theilungen geschieht. Man sieht, wie subtil die causalen Beziehungen sind, und wie vielseitige Versuche nöthig sind, bis das wahre Ergebnis eines an- scheinend sehr gut gelungenen analytischen Versuchs bis in alle an ihm betheiligten Komponenten erkannt ist; auch ist bei der speciellen Deutung dieses Versuchs immer noch Vieles dunkel. Über die Art des gleichfalls, und zwar durch besondere äußere Einwirkungen, möglichen Zustandekommens sofortiger Ganzbildung aus halben Froscheiern bestehen zur Zeit noch entgegengesetzte Auffassungen. Trotzdem einige Autoren bereits glauben, diese Ver- suche ganz richtig gedeutet zu haben, werden zur wirklichen Ent- scheidung darüber, durch welche Wirkungsweisen von Zellleib und Zellkern in sich sowie auf einander diese Bildungen hervorgebracht werden, noch überaus viele, zum Theil auf ganz anderen Gebieten angestellte Versuche nöthig werden; da die bestimmenden Verhält- nisse hier durchaus innere, zum wesentlichen Theile unsichtbare sind, und da bei diesen Gestaltungen auch wohl verschiedene universelle Gestaltungsprincipien betheiligt sind. Hätte aber je durch die Beobachtung des normalen Geschehens ermittelt werden können, dass die gestaltenden Wirkungsweisen und die Kräfte zur Bildung einer Körperhälfte in je einer der beiden ersten Furchungszellen enthalten sind? Dass die Gestalt und Anord- nung des Dotters dieser Zellen bewirkt, ob eine Halb-, Ganz- oder Mehr-als-halb-Bildung entsteht? Wie hat sich die frühere Gene- ration vergeblich über die Ursachen der Doppelbildungen abgemüht, von denen wir jetzt viele Arten und zwar auf verschiedene Weise (z. B. primär: von vorn herein oder sekundär: unter Betheiligung von Postgeneration) künstlich hervorbringen können? In Folge aller der erwähnten Schwierigkeiten ist auch ein erheb- licher Theil der zur Zeit im Interesse der Entwickelungsmechanik an- gestellten Versuche noch nicht in die Rubrik des »analytischen Ver- suchs« im vollen, oben definirten Sinne gehörig aufzufassen; ganz abgesehen davon, dass manche Experimentatoren dies überhaupt nicht erstrebt haben, sondern nur »unbestimmte« Versuche, also Versuche ohne speciellen analytischen Zweck, und ohne analytische Durch- führung anzustellen beabsichtigten, ähnlich wie solche früher schon von Dareste und Paxum u. A. angestellt wurden. Dahin gehört zum Theil die neuerdings wieder in Aufnahme gekommene, aber nunmehr 150 genauere Ermittelung der gestaltenden Folgen der »gleichmäßigen« Abänderung allgemeiner äußerer Umstände, wie die Bebrütung bei etwas subnormaler Temperatur, die Prüfung der Wirkung von partiellem Sauerstoffmangel, von Koklensäureanhäufung, von Salz- lösungen als Medium statt reinen Wassers etc., in so weit es dabei noch an der genügenden Analyse der Ergebnisse bis auf die ge- änderten speciellen gestaltlichen Komponenten fehlte; was allerdings bei solchen Versuchen, die meist mehrere »Komponenten« zugleich ändern, auch recht schwierig sein kann. Doch können durch Variationen der Versuche, durch sehr sorg- fältige Verfolgung der Änderungen und durch scharfsinnige Deutung die besonderen Folgen dieser verschiedenen Faktoren zum Theil ermittelt werden. Wir erinnern hier an die wichtigen Folge- rungen, welche Cürt Herbst (20) aus seinen Lithiumlarven der Seeigel gezogen hat. Es ist sehr zu bedauern, dass der Autor diese von ihm mit so schönem Erfolge angewandte und zum Theil bereits bis zur analytischen Methode durchgeführten, und daher weitere reiche Ergebnisse versprechenden Versuche vorzeitig, das heißt, bevor diese Ernte von ihm eingeheimst ist, verlassen hat. Dass man auch bei Abänderung allgemeiner Umstände, wie des ganzen das Ei direkt umgebenden Mediums rein zufälliger Weise zu einem analytischen Versuch kommen kann, habe ich selber einmal erfahren. Die Räume der alten Anatomie zu Breslau, in denen ich arbeitete, waren so feucht, dass ich bei meinen Anstich- und einigen anderen Versuchen einen steten Kampf gegen die Ver- schimmelung der Eier zu führen hatte, damit die Eier nicht schon vor der Ausbildung der Medullarwülste abstarben. Nachdem sich gezeigt hatte, dass Karbolsäure auch bei Anwendung einer sehr schwa- chen Lösung und bei nur einmaliger Abspülung der Eier doch als töd- liches Gift wirkte1), wandte ich im Frühjahr 18S9 probeweise Lösungen von Borsäure zum Abspülen an. Danach beobachtete ich, außer einer geringen Schutzwirkung gegen Schimmelbildung, dass bei vielen Eiern die ganze Medullarspalte grau wurde und die Zellen der- selben abfielen, bei zunächst normaler äußerer Beschaffenheit des übrigen Ektoderms. Die diffuse Einwirkung hatte also anscheinend 1 Die Grallerthüllen der Froscheier werden auch nach einmaliger An- wendung sehr schwacher Karbolsäurelösung zum Abspülen trotz häufigen Nach- spielens mit reinem Wasser innerhalb 24 Stunden violett und danach allmählich dunkelbraun , so dass die Substanz der Gallert hülle ein sehr feines Reagens auf Karbolsäure darstellt. 151 nur eine einzige Organ an läge, diese aber in toto zerstört, wie man es nicht schöner wünschen konnte. Der Versuch wurde daher nun sogleich absichtlich erneuert und durch Anwendung verschiedener Koncentrationen variirt, um Embryonen ohne Centralnerven- sy stem zu erhalten und so zu erkennen, welche Organanlagen und Formbildungen bei diesem Defekte möglich seien. Die Me- dullarfurche wurde überwachsen und geschlossen. Bei der Mikro- tomirung zeigte sich auch der Hohlraum des Rückenmarkkanals dicht mit abgestorbenen abgefallenen Zellen erfüllt; aber leider waren an der Wand neue Zellen entstanden, die ein neues Medullarrohr, wenn auch erst mit abnorm dünner Wandung, formirten, so dass unsere Hoffnung zu nichte geworden war. Immerhin zeigten jüngere und ältere Stadien noch manche andere interessante Befunde wie Framboisia interna, Hervorwachsen der Xasengruben statt nach innen, nach außen (Teleskopform der Nase) (s. 1, Bd. IL pag. 887 Anm.). Aus der großen Zahl der seit vielen Jahren angestellten biolo- gischen Experimente sind es eben die wenigen, sei es durch Scharf- sinn und Ausdauer, oder zufälliger Weise gelungenen analy- tischen Experimente, denen wir unsere bisherigen exakten Kennt- nisse über die erhaltenden und gestaltenden Lebensvorgänge sowie über deren Ursachen verdanken. In der Schwierigkeit, das Experiment am Lebenden zu einem anaiv tischen zu machen, liegt der Grund von Jon. Müller's reser- virtem, ja abfälligem Urtheil über das Experiment am Lebenden, ein Urtheil, das von Hertwig weit über Gebühr bewerthet und ausge- dehnt wird. Es ist mit dem Experimentiren ähnlich wie mit dem Schießen: das Schießen an sich, das Schießen ins Blaue ist sehr leicht, aber das Treffen eines bestimmten Zieles ist weniger leicht; letzteres ist aber die Hauptsache. Meiner oben erwähnten Formulirung der Notwendigkeit, dass dem analvtischen Versuch das analvtische Denken und auf Grund desselben die Aufstellung causaler Hypothesen vorausgegangen sein muss; und dass dieses Denken den Versuch in jeder Phase des- selben und bei jeder Beobachtung begleiten muss, stellt Hertwig in für ihn bezeichnender Weise heut zu Tage noch den Ausspruch Johanxes Mlller's als selbstverständlich richtig und allgemein giltig gegenüber (pag. 82): »Entweder experimentirt man ins Gerathewohl und fängt hinter- her zu betrachten an; oder zum Wohl einer vorgefassten Meinung 152 wird so lange experimentirt, bis die Erfahrung, wie man sich aus- zudrücken pflegt, mit der Theorie zusammenstimmt.« Das Letztere trifft allerdings bei Hertwig's Anstichversuchen und ihrer Interpretation vollkommen zu; sonst hätte er nicht alle wesentlichen Momente dieses Versuchs übersehen können. Für uns besteht eine solche Alternative, »vorher und nach- her« nicht, sondern wir folgen darin einem anderen Ausspruch Joh. Müllers: »Beobachten ist ja selbst die wichtigste physiologische Operation; was ist Beobachten Anderes, als das Wesentliche in den Veränderungen, das dem Beweglichen Immanente von dem Zufälligen zu trennen.« Wenn man, wie ich forderte (s. o. pag. 86), »alle verschiedenen« Denkmöglichkeiten vorher erschöpft hat, um für alle die Augen offen zu haben, müsste man nach Hertwig's Ausspruch also über dieselbe Sache das Verschiedenste, sich Widersprechende »finden«. Jeder erfahrene Experimentator weiß zudem, dass, selbst wenn man vorher alle Möglichkeiten des zu behandelnden Falles erschöpft zu haben glaubt, während der Prüfung am Objekt gewöhnlich eine große Anzahl neuer Möglichkeiten auftaucht, weil sich die Verhältnisse zum Theil als andere erweisen als wir sie uns vorher gedacht hatten. Man muss daher scharf beobachten, sofort das neu Erkannte denkend verarbeiten, um nach Joh. Müller das Wesentliche desselben zu erfassen und es auf seine mögliche Bedeutung zu prüfen, damit man das operirte, sich vor unseren Augen entwickelnde Ei etc. auf die neu aufgetauchten Möglichkeiten hin neuerdings beobachten und eventuell die letzten Eier der Laichperiode für neue, der geänderten Sach- lage angepasste Experimente verwenden kann, um nicht bis zur nächsten Laichperiode, also ein Jahr, mit der Weiterführung der Untersuchung warten zu müssen. Was im einzelnen Momente bei dem raschen Ablauf der embryo- nalen Entwicklung übersehen oder verpasst ist, wenn z. B. ein für die Deutung des formalen Endergebnisses (welch letzteres wir ja meist fixirt aufbewahren können) wichtiges Zwischenstadium, weil es in die Nacht oder in die Mittagessenszeit fiel, nicht gesehen worden ist, oder weil man die besondere Bedeutung eines Zwischenstadiums nicht erfasst hat, ist bei unseren Untersuchungen oft im selben Jahre nicht wieder einzubringen; dies besonders desshalb, weil man nicht ahnt, dass inzwischen etwas für die Deutung Wichtiges geschehen war. Man muss also bei unseren Versuchen immer anwesend und immer frisch genug sein, um keine einzige, sei es auch anscheinend 153 nur kleine Besonderheit des Geschehens zu übersehen und das Be- obachtete gleich auf seine specifische Bedeutung- zu prüfen. Solche experimentelle Forschung ist daher nicht so angenehm wie die rein beschreibende und vergleichende Forschung, bei der man alle wichtigen Stufen konservirt vor sich liegen hat, die Be- obachtung jeder Zeit abbrechen und wiederholen kann, und noch in letzter Stunde vor dem Abschluss einer Untersuchung Alles nochmals am vorliegenden Materiale zu prüfen, eventuell noch zuletzt eine neue wichtige Beziehung zu erkennen und das Ganze daraufhin umzuarbeiten vermag. In manchen Fällen ist solches ja auch bei unseren Unter- suchungen möglich; doch ist es stets besser, man verfolgt auch den einzelnen Fall selber kontinuirlich, statt bloß verschiedene Stadien von demselben Experiment zu konserviren oder gar, wie Hertwig nach seiner Angabe, durch den Präparator zu vorher angegebener Zeit fixiren zu lassen. In vielen unserer Versuche aber ist das, was in einem Moment des Geschehens verpasst oder nicht gleich als von Bedeutung erfasst worden ist, für lange Zeit verloren, zumal wenn solches in einem Stadium der Untersuchung vorkommt, in dem erst noch nach der günstigsten Versuchsweise gesucht wird. Solches Versehen kann den Gang der Untersuchung sowie die Deutung wesentlich irre leiten. Für die zur causalen Forschung somit nöthige Voranalyse habe ich für unser Gebiet zunächst ein allgemeines analytisches Aufgabenschema entworfen, bestehend in den Fragen nach dem Ort der Ursachen eines Gestaltungsvorganges (Selbstdifferenzirung oder abhängige Differenzirung des geformten Theiles), ferner nach der Zeit der Bestimmung der Gestaltungsvorgänge, sowie nach den besonderen Ursachen der Größe und Kichtung des Geschehens, um erst zuletzt an die schwierigste Frage nach der »Art« der Ur- sache, nach der ursächlichen Wirkungsweise selber zu gelangen. Bei der Inangriffnahme einer speciellen Aufgabe muss natürlich nun die Analyse der speciellen Verhältnisse in ihre Komponenten hrnzu- gefügt werden. Die erste Frage, diejenige nach dem Ort der Ursachen für die aus dem Ei hervorgehenden typischen Gestaltungen, erhielt eine angenehme Begrenzung durch den zunächst gelieferten Nachweis, dass äußere gestaltende Einwirkungen für die typische Entwickelimg des Froscheies »nicht nöthig« sind, dass also alle die typische Gestaltung »bestimmenden« Kräfte im befruchteten Ei selber gelegen sind (nicht aber die sämmtlichen, die Gestaltung voll- ziehenden Kräfte). 154 Ein diesem Aufgabenscheina entsprechendes methodisches Ar- beiten ist aber, wie ich wohl eingesehen habe, nicht Jedermanns Sache. Viele ziehen es vor, sich nicht auf die analytische Arbeit eines Vorgängers zu stützen, sondern wollen sich höchstens an ein früheres Experiment anlehnen, dies modificiren oder dasselbe auf ein anderes Objekt anwenden. Das ist auch ein fruchtbarer, immer- hin aber doch mit einer erheblichen Vergeudung von Kraft und Arbeit verbundener Weg; denn sie müssen dabei Vieles sich neu erringen, sich selber erarbeiten, was von anderer Seite bereits ge- wonnen war. Freilich ist andererseits auch nicht zu verkennen, dass Jeder an dem Ende anfangen muss, welches seinem Denken am nächsten liegt, und auf diejenige Weise, welche seinen individuellen Anlagen am meisten entspricht ; ein Umweg ist schon zu verschmerzen wenn nur tüchtig gearbeitet wird. Auf dem c au sal- analytischen morphologischen Versuch beruhen die der Entwickelungsmechanik qualitativ eigenthümlichen, sie von den Resultaten der anderen Forschungsrichtungen unterscheidenden Ergebnisse; und der »neue Weg«, nach dem Hertwig fragt, ist durch die konsequente Anwendung des causal- analytischen Denkens und Experimentirens auf die Morphologie der Organismen angezeigt. Ein einziges gelungenes analytisches causal-morphologisches Experiment am Lebenden wird oft mehr und besonders sicherere »causale« Erkenntnis bringen als viele große und ausgezeichnete vergleichend anatomische oder vergleichend entwickelungsgeschicht- liche Arbeiten, welche sich allein auf die normalen Gestaltungen stützen; dabei ist es möglich, dass unter ersteren Erkenntnis sein wird, die auf Grund der vergleichenden Forschungsweisen nicht einmal geahnt werden konnte oder, in anderen Fällen, wenigstens nicht geahnt worden ist; wenn auch letzteren Falles vielleicht hinterher die so erkannte Wirkungsweise mannigfache Anwendung auf das von jener Seite her beobachtete normale Geschehen finden wird, so dass man sich sagen wird: das hätte man eigentlich nach den bereits vorliegenden Befunden »vermuthen« können. Oft wird aber, wie wir ja wiederholt betont haben, das Ver- hältnis auch das umgekehrte sein, nämlich derartig, dass die An- regung zu einer experimentellen Arbeit Vermuthungen entstammt, welche auf dem Wege der Vergleichung des normalen Geschehens gewonnen worden sind. Unser Gegner 0. Hertwig freilich hat, wie wir gesehen haben, schon das Specifische unserer Aufgaben der Entwicke- 155 lungsmechanik nicht verstanden. Das, was er von dem Pro- gramm verstanden hat, ist in der That »nicht neu«; sondern es ist nur das von uns bereits Vorgefundene, also dasjenige, an welches wir anknüpften. Dasselbe gilt nun auch von der speci fischen Methodik der Entwickelungsmechanik: vom causal- analytischen morphologischen Experiment. Daher höhnt er auch über den Ausspruch, dass die Entwicke- lungsmechanik die schwierigste biologische Disciplin sei. Er meint, dass die Entwickelungsmechanik desshalb nicht schwer sei, weil sie nichts Besonderes, von den Aufgaben der deskriptiven Forschung Verschiedenes zu erforschen habe, da das letzte Ge- schehen überhaupt nicht erforschbar sei, und meint dabei, dass über das direkt Sichtbare oder sichtbar zu Machende hinaus nichts zu ermitteln sei. Dass noch ein großes Gebiet des Erforschbaren zwischen diesem Sichtbaren und dem an sich unerforschbaren »letzten« Geschehen existirt, ist ihm nicht bekannt. Dieses zwischen- liegende Gebiet ist aber gerade das specifische Arbeits- feld der Entwickelungsmechanik, zu dessen Erforschung sie des causal-analytischen Experiments bedarf. Ihm, Hertwig, selber ist also jedenfalls das Speci- fische der Entwickelungsmechanik so neu, ja so heterogen, dass er es gar nicht in sein Bewusstsein aufgenommen, es nicht appereipirt hat. Aber er steht damit, wie ich vermuthe, nicht ganz allein; und zu einem wesentlichen Theil beruht wohl auch die stillschweigende Aversion, der passive und aktive Widerstand mancher deskriptiven und vergleichenden Forscher auf dieser Ursache. Zum mindesten deutet dies Verhalten darauf hin, dass ihnen die entwicke- lungsmechanische Forschung nicht sympathisch ist. Auch empfinde ich als Herausgeber des Archivs für Entwicke- lungsmechanik, welches alles Causale aus den verschiedenen Gebieten der biologischen Forschung in Referaten zusammenzufassen beabsich- tigt, schwer den Mangel an Referenten, also an einer größeren Zahl von Mitarbeitern der verschiedenen biologischen Specialgebiete: der vergleichenden Anatomie und Entwickelungs- geschichte, der Variationslehre, der Physiologie, der pathologischen Anatomie, Teratologie, Chirurgie, Orthopädie etc., somit an Referenten, welche bei ihren eigenen besonderen Forschungen zugleich die Interessen der Entwickelungsmechanik im Auge haben. Denselben Mangel spüren zur Zeit die Herausgeber von Jahres- berichten und sonstigen referirenden Organen, wie auch von populär- 156 wissenschaftlichen Zeitschriften. Ich zweifle jedoch nicht, dass sich diese Beferenten noch finden werden, wenn erst die Ziele und Auf- gaben der Entwickelungsmechanik der jüngeren Generation bekannter geworden sind und einen wesentlichen Bestandtheil ihres wissen- schaftlichen Denkens ausmachen werden, wozu diese Schrift hoffent- lich beitragen wird. Ilf. Notwendigkeit einer schärferen Unterscheidung der Begriffe: Begel, Norm und Gesetz in der Zoobiologie. Die Begel ist der Ausdruck eines Häufigkeits Verhältnisses des empirischen Vorkommens; sie bezeichnet das Geschehen von mindestens mehr als 50°/0 der »beobachteten vorkommenden Fälle«. Eine »gute« Begel umfasst 90 und mehr Procent der »Fälle«. Was beim organischen Geschehen in mehr als 50% der Fälle vorkommt, wird gewöhnlich als das Normale bezeichnet; meist aber macht dieses Geschehen über 90% der Fälle aus. Die anderen Fälle stellen Abweichungen von der Norm dar, die je nach ihrer Häufigkeit und Größe wieder in verschiedener Weise: als Varietäten, Abnormitäten, Missbildungen bezeichnet werden. Damit ist für die deskriptive Forschung der Begriff des Nor- malen erschöpft und die Anwendung des Begriffes Begel bezeichnet. Diese Anwendung wird jetzt auch auf die entwickelungsmechanische Forschung tibertragen, indem dabei zugleich der Begriff Naturgesetz für identisch mit dem Begriff Regel angesehen wird. Letzteres ist jedoch durchaus unzulässig; denn ein Naturgesetz bezeichnet eine »Wirkung« angegebener Komponenten; und da alle Wirkungen beständige sind, das heißt an allen Orten und zu jeder Zeit unter gleichen Verhältnissen in gleicher Weise vor sich gehen, so muss jedes Naturgesetz ausnahmslos gelten; es lässt keine einzige Aus- nahme zu, oder es ist falsch. Dagegen ist es für die Bichtigkeit des Gesetzes vollkommen bedeutungslos, wie »oft« es angewandt »vorkommt«, das heißt also, wie oft die genannten Komponenten allein ohne Betheiligung anderer, die Wirkung alterir ender Kom- ponenten vorkommen, ob dies in 90%, 50%? 10% oder bloß 1% der »beobachteten« Fälle geschieht. Unsere deskriptiven Forscher und selbst manche derzeitigen Anhänger der Entwickelungsmechanik glauben, ein »Gesetz« wäre falsch, wenn das durch dies Gesetz bezeichnete Geschehen nicht in mehr als 50% der Fälle in einer ganz diesem Gesetz entsprechenden Weise »vorkommt«. Wie oft diese Komponenten allein vorkommen, 157 hat aber nicht die geringste Bedeutung für ihr Wirken auf einander- sie selber wirken immer in der gleichen, durch das Gesetz be- zeichneten Weise aufeinander; nur wird das Resultat geändert, wenn noch andere Komponenten mit betheiligt sind. Die Gesetze der Physik bezeichnen meist Geschehen, welches in der freien Natur gar nicht genau in der durch das Gesetz bezeichneten Weise vorkommt. Diese Gesetze wären also im Sinne unserer Morphologen »falsch«, obschon sie in »Wirklichkeit« richtig sind. Nie fällt in der freien Natur etwas streng nach dem »Fallgesetz«, nie beschrieb ein Geschoss eine »Parabel«, da der Luftwiderstand. beides unmöglich macht, nie pflanzt sich im Bereiche der Erdsphäre das Licht eine größere Strecke weit in einer vollkommen geraden Bahn fort, da dies nur bei voll- kommen gleich dichtem Medium möglich ist, ein solches aber auf der Erde in größerer Ausdehnung nicht vorkommt. Die mathematischen Gesetze der Hydraulik haben alle zur Voraussetzung eine reibungslose Flüssigkeit; da diese nicht existirt, sind darum alle diese Gesetze falsch? Das sogen, biogenetische Grundgesetz Müller-Haeckel's, dass die Ontogenese eine rasch ablaufende Wiederholung der Phylogenese ist, hat zur Voraussetzung, dass die Ontogenese unter denselben »gestaltenden Verhältnissen« wie die Phylogenese stattfinde. Da dies uie der Fall ist, weicht das reale Geschehen von dem phylogene- tischen Gestaltungsgeschehen ab; es wäre also auch dieses biologische Gesetz »falsch« im Sinne der genannten Forscher. Diese Verhältnisse sind bereits in meiner Schrift über den Kampf der Theile erörtert worden (s. 1, Bd. IL pag. 211); das gänzliche Missverstehen der Bedeutung der von mir aufgestellten Gestaltungs- gesetze seitens deskriptiver wie auch seitens der Entwickelungs- mechanik obliegender Forscher veranlasst mich, die Darlegung hier zu wiederholen und etwas weiter auszuführen. Naturgesetze sind also etwas ganz Anderes als Naturregeln. Letztere bezeichnen »Majoritäten« der Arten oder' der Resultate des beobachteten Naturgeschehens. Naturgesetze sind ursächliche Ab- leitungen, sie bezeichnen die Wirkung zweier (oder mehrerer) Komponenten auf einander. Wie häufig diese zwei Komponenten in der Natur »vorkommen«, bezeichnet bloß den Umfang ihrer empi- rischen Anwendung oder Geltung; für ihr Wirken an sich ist dies aber unwesentlich; ebenso ist es unwesentlich, ob sie allein oder zugleich mit anderen Komponenten verbunden thätig sind; da« beeinträchtigt Alles ihre Richtigkeit nicht. 158 Wohl aber ist es für uns wichtig, zu ermitteln, wie oft sie bei dem von uns untersuchten Geschehen »allein« zur Wirkung gelangen und unter welchen Verhältnissen dies der Fall ist. Aber selbst wenn sie nie allein zur Anwendung ge- langen, so ist darum doch das ihre Wirkung bezeichnende Gesetz nicht falsch. Eine Flaumfeder oder sonst ein specifisch leichter Gegenstand von großer Oberfläche fällt im Freien in einer Weise, dass Niemand das Fallgesetz daran entdecken oder das entdeckte Gesetz daran bestätigen könnte. Trotzdem nimmt kein Physik -Kundiger an, das Fallgesetz erleide hier eine Ausnahme, das Gesetz sei »aufge- hoben«; sondern wir wissen, dass hier die Erde und die Feder in derselben Weise auf einander wirken, wie die Erde und eine Bleikugel; nur dass ersteren Falles die in der freien Natur vorhandene Luft als dritte bei dem Geschehen betheiligte Kompo- nente in Folge der relativ großen Oberfläche der Feder im Verhältnis zu deren Gewicht so stark zur Geltung kommt, dass nicht bloß alles Quantitative der Fallgesetze, sondern sogar die Fallrichtung ver- wischt wird. Im luftleeren Cylinder dagegen, also in einem Falle, der in der freien Natur nie »vorkommt«, fallen Feder und Bleikugel in gleicher Weise. Dieser causal- analytische Versuch musste gemacht werden, um die nöthige Einsicht zu gewinnen, um das Fallen einer Feder in der Luft richtig und auf die einfachste Weise »beschreiben« zu können (s. o. pag. 45). Wenn wir dies Ge- schehen dagegen ä la Hertwig nur nach dem bloßen Schein, also das beobachtete wirkliche Fallen als solches beschreiben wollten, hätten wir unendlich viele verschiedene und überaus kom- plicirte Fälle, jeden einzelnen »möglichst einfach und vollständig zu beschreiben«; wir kämen aber nie zu der wirklich »einfachsten Beschreibung«, die auf der causalen Analyse des Geschehens in die Wirkung der gegenseitigen Anziehung und die Wirkung der ruhenden resp. bewegten Luft beruht. Diese das Wesen des Ge- schehens bezeichnende Beschreibung, die in einigen mathematischen Formeln ausgedrückt wird, umfasst dann alle möglichen Fälle und ist die »wirklich einfachste« ; sie ist aber keine deskriptive, sondern eine causale Beschreibung. Also die Naturgesetze sind causal-analytische Formuliruugen; sie bezeichnen das an sich ausnahmslose Wirken von Kompo- nenten, und zwar der bereits erkannten, und in ihrem Wirken mathematisch genau zu bestimmenden Komponenten des empirischen 159 Geschehens. Bei diesem Geschehen sind aber meist noch andere Kom- ponenten betheiligt, die man noch nicht so genau formuliren kann. Daher spricht man von Annäherungen verschiedenen Grades an die Wirklichkeit, also an die empirische Wahrheit. Die mathe- matische Physik in ihrer praktischen Verwendung steht meist noch bei den Annäherungen ersten Grades, da sie bloß diejenigen Kom- ponenten, welche die speci fischen Charaktere des behandelten Geschehens bestimmen, in mathematische, also analytische Formeln zu bringen vermocht hat, unter vorläufiger Vernachlässigung der anderen Komponenten, welche kleine oder größere »Abweichungen« bewirken. So vernachlässigt sie, wie gesagt, bei der Hydrodynamik die Reibung und die Wärme. Die angewandte Physik natürlich darf sich, da sie es mit der Erfassung des realen Geschehens zu thun hat, nicht mit der Ermittelung und mathematischen Formulirung dieser zumeist haupt- sächlich das Geschehen bestimmenden Faktoren begnügen. Sie be- stimmt daher empirisch, durch den Versuch, die Wirkungsgröße dieser anderen Komponenten und fügt sie als sogenannte Koefficienten in die mathematischen Formulirungen der Wirkungen der speci- fi sehen Komponenten des Geschehens ein. Auf diese Weise wird eine vorläufige Annäherung zweiten Grades an das wirkliche Geschehen erreicht. Wenn dieselbe auch noch keine genaue Ein- sicht in das Wirken dieser anderen Komponenten gewährt, so gewährt sie uns doch eine annähernde Beurtheilung der Wirkungs- größe derselben. Die Forscher auf dem Gebiete des gestaltenden Geschehens im lebenden Organismus haben denselben Gang einzuschlagen, wenn auch schon die ersten mathematischen Formulirungen sehr weit hinauszuschieben sein werden. Auch wir müssen zunächst nach den Annäherungen ersten Grades streben; müssen also auf Grund causaler Analyse die Wirkungsweise der speeifischen Komponen- ten, der Hauptkomponenten des Geschehens ermitteln. Dann können wir ermitteln, wie häufig dies Geschehen für sich allein vorkommt, wie häufig durch Mitwirkung anderer, weiterer Kom- ponenten dieses Geschehen alterirt wird; danach mögen wir dann die »Regel«, die sogenannte »Xorm« bestimmen, die aber für die »Richtigkeit« des Gesetzes der Wirkung der einzelnen Kompo- nenten mit einander nicht die geringste Bedeutung hat. Wenn diese Wirkung nur ein einziges Mal, wenn auch gar nicht in einem freien Fall der Natur, sondern nur in einem künstlichen Versuch, sicher festgestellt ist, also auf die richtigen Komponenten bezogen 160 worden ist, dann ist sie richtig* für immer, da alle Wirkungsweisen beständige sind, d. h. unter gleichen Verhältnissen immer in gleicher Weise stattfinden. Da ich diese Verhältnisse als von dem Physikunterricht her genü- gend bekannt voraussetzte, habe ich sie in meinen früheren Schriften zwar wiederholt berührt, aber stets nur kurz angedeutet, um mich auf sie als nothwendige Glieder zu beziehen. Die Missdeutung meiner Gesetze hat aber gezeigt, dass diese Verhältnisse meinem Publikum doch nicht ganz so bekannt sind, als ich glaubte; daher schien mir diese breitere Darlegung hier angemessen. Die vorstehend dargestellten Auffassungen sollen an einigen von mir formulirten, von Anderen angefochtenen Wirkungsgesetzen er- läutert werden. Julius Wolff hat zuerst erkannt, dass die Knochen in ab- normen statischen Verhältnissen (nach falsch geheilten Frakturen u. dgi.) eine neue, diesen Verhältnissen entsprechende statische sive funktionelle Struktur ausbilden. Das ist von verschiedenen Pathologen und Klinikern, sowie von mir an vollkommen beweisendem Material bestätigt worden. Ich habe für diese »wunderbar zweckmäßige«, im Einzelnen außer- ordentlich verschiedene Strukturen ausbildende Leistung eine ein- fache Theorie aufgestellt, die wir oben schon berührt haben (siehe pag. 52 u. 57), und habe auch gesagt, dass diese Anpassungswirkung nicht bloß in abnormen Verhältnissen, sondern auch nach dem Auf- hören der vererbten typischen Selbstdifferenzirung der Skelet- theile hervorragend an der normalen inneren und äußeren Ausge- staltung, also au der Ausbildung der normalen »funktionellen Gestalt und Struktur« betheiligt ist. Die ganze Lehre von der funktionellen Gestalt und Struktur der Knochen wird nun neuerdings durch einen Autor, welcher sich seit mehreren Jahren mit Untersuchungen über die Knochen befasst hat, von B. Solger (30), als falsch bezeichnet; dies desshalb, weil beim Erwachsenen diese Struktur nicht in allen Theilen diesen statischen Gesetzen entspricht, und weil die funktionelle Gestalt, wie von mir schon bei der Formulirung des Gesetzes hervor- gehoben wurde, an sehr vielen Stellen nicht vorhanden ist. Die Abweichungen von der funktionellen Struktur sind von mir einerseits auf die fortwährend stattfindende Zerstörung alten und Bildung neuen Knochens, andererseits auf die etwas langsame Wirkung der Inaktivitätsatrophie als die ursächlichen Komponenten zurückgeführt worden; vielleicht sind auch noch andere, zur Zeit 161 imbekannte Komponenten daran betheiligt. Andererseits wurden die Abweichungen von der rein funktionellen Gestalt vieler Knochen auf den Druck anliegender Weichtheile wie Muskeln, Ar- terien etc. zurückgeführt. Diese unzweifelhaften Abweichungen können aber nicht auf- heben, dass an Millionen anderer Stellen sich die funktionelle Struktur und an vielen Stellen auch die funktionelle Gestalt bis in überaus feine Merkmale ausgebildet zeigt. In diesen Gestaltungen bekundet sich auf das Deutlichste die entsprechende gestaltende Reaktionsweise des Knochengewebes auf die Art seiner funktionellen Beeinflussung (s. 1, Bd. I. pag. 720, 810). Wenn wir B. Solger's Schlussweise von den an der Knochen- gestaltung betheiligten Wirkungsweisen auf die Wirkungen beim Falle specifisch leichter Körper übertragen, würde sie also lauten: da ein Celluloidball oder eine Feder nicht den Fallgesetzen »entsprechend« fällt, ist das von den Physikern aufgestellte Fallgesetz falsch. Demselben Missverstehen, wie im vorstehenden Falle ein Gesetz der funktionellen Anpassung, begegnen nun auch andere meiner Wirkungsgesetze, z. B. diejenigen über die Bestimmung der Hauptrichtungen des künftigen Embryo im Froschei. Dieses Missverstehen findet sich nicht nur bei deskriptiv denkenden Autoren, sondern auch bei Forschern, welche der Entwickelungsmechanik obliegen, so promiscue bei A. Rauber, 0. Hertwig, 0. Schultze, wohl auch bei H. Driesch1) u. A. Dies bekundet sich darin, dass sie diese Gesetze, jedenfalls in Folge falscher Auffassung ihres Werthes und ihrer Bedeutung, ganz verschweigen oder sie bei ihrer Erwähnung unrichtig beurtheilen. In der Abhandlung über die halben Embryonen vom Jahre 1888 berichtete ich auf Grund meiner früheren Mittheilungen zusammen- fassend (1, Bd. IL pag. 425) über folgende auf die genannten Be- stimmungen bezügliche »Regeln« des normalen Geschehens: »Nach meinen bisherigen Untersuchungen sind beim Froschei , normaler' Weise folgende Gestaltungen in ihrer ,Lage' durch die beliebig wählbare ,Lage' der Befruchtungsstelle bedingt: 1) Der Samenkörper nimmt eine typisch geknickte Bahn inner- halb der durch die Sameneintrittsstelle hindurchgehenden vertikalen Meridianebene: innerhalb der , Befruchtungsebene'. *) Siehe Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. V. pag. 133. Roux, Programm. H 162 2) Die Kopulation der beiden geschlechtlichen Kerne erfolgt innerhalb der Befruchtungsebene. 3) Auf derjenigen Seite des Eies, welche der ,Befruchtungs- seite' gegenüber liegt, hellt sich bei Kana fusca die dunkle Hemisphäre in Forin eines, der weißen Hemisphäre anliegenden, halbmondförmigen grauen Saumes auf. Dieser Saum ist symmetrisch zu dem , Befruchtungsmeridian' orientirt. Beim grünen Frosch ver- schiebt sich gleichfalls, wenn vielleicht auch auf etwas andere Weise [durch innere Dotterunilagerung , welche eine Drehung des Eies bewirkt?], das Pigment derart, dass auf der gleichen Seite die helle Eirinde weiter heraufreicht. 4) Die erste Furchung erfolgt in der Ebene des Befruchtungs- meridians. [4 a. Die erste Furch ung beginnt oben am Ei und zwar zumeist deutlich an der der Befruchtungsseite gegenüberliegenden Seite des Eies, um von da zunächst oben gegen die Befruchtungsseite fortzu- schreiten.] 5) Die erste Anlage des Urmundes erfolgt im Befruchtungs- meridian, und zwar 6) auf der der Befruchtungsseite gegenüberliegenden Hälfte des Eies, also auf derjenigen Seite (siehe 3), wo die helle resp. aufgehellte Eirinde höher heraufreicht und zwar bei Eana fusca ungefähr an der oberen Grenze des nachträglich aufgehellten Saumes. 7) Die seitlichen Urmundslippen entwickeln sich symmetrisch zum Befruchtungsmeridian. 8) Die beiden Medullarwülste und der ganze spätere Embryo werden symmetrisch zum , Befruchtungsmeridian' angelegt, also die Ebene des Befruchtungsmeridians wird zur , Medianebene' des Thieres. 9) Die ,Befrucrfftungsseite' des Eies wird zur caudalen Seite des Thieres.« »Um Einblick in die dieser vielfachen Koincidenz zu G runde liegenden Causalzusammenhänge zu gewinnen, habe ich mich, und zwar mehrfach mit Erfolg, bemüht, durch abnorme Bedingungen künstliche Trennungen dieser Koin- cidenzen hervorzubringen (s. pag. 325, 408); ich werde nicht unterlassen, anderweit darüber zu berichten.« (S. 1, Bd. IL pag. 962.) Durch Schaffung abnormer Verhältnisse: durch Zwangsinge oder, durch Pressung der Eier in Röhren oder zwischen Platten habe ich solche Abweichungen von dem unter normalen Verhältnissen 163 stattfindenden Geschehen bezüglich aller dieser Regeln hervorge- bracht und theils vorher schon, theils gleichzeitig in dieser selben Arbeit, theils später mitgetheilt. Das Bedingende liegt also hier in dem Begriff »normaler« Weise oder unter »normalen« Verhältnissen. Dieser Begriff aber ist es, der von meinen Herren Gegnern, die denselben deskriptiv, nicht aber causal-analy tisch nehmen, in einer von der meinigen abweichenden Weise aufgefasst wird. Für sie ist »normal« das Xatur geschehen, wie es ohne menschliches Zuthun abläuft, oder wie es sich ihnen bei der auch von ihnen angewandten künstlichen Befruchtung darbietet, wenn sie dieselbe »ohne irgend welche besonderen Cautelen« aus- führen1). Was sie unter diesen Verhältnissen in der Mehrzahl der Fälle beobachten, ist ihnen die Regel, die Norm. Für uns dagegen ist, wie an den betreffenden Stellen angegeben wurde, die normale Bildungs- weise hier diejenige, bei welcher die Eier sich nicht in Zwangslage befinden, sondern baldigst durch die Schwerkraft mit ihrer Eiachse *) Wenn ini Freien ein Eiballen groß ist, so befinden sich die central ge- lagerten Eier desselben in Folge zn langsamer Quellung der Gallerthüllen während der ersten Stunde nach der Ablage und länger, also gerade w ä h r e n d d e r B e f r u c h- tung, in Zwangslage, somit nach meiner Auffassung in »abnormen« Verhält- nissen. Dasselbe ist der Fall, wenn bei künstlicher Befruchtung die Eier in die Samenschale geworfen werden und in ihr mehrere Lagen über einander bil- den, oder wenn sie eine einzige Lage bilden, aber dicht gedrängt zusammen- liegen, wie es fast immer der Fall ist, wenn man nicht besondere Sorgfalt darauf verwendet, dies zu vermeiden. Ich nehme daher die Samenflüssigkeit bloß etwa 2 mm hoch, damit sich die Eier beim Einwerfen und sofortigen einmaligen Umrühren gleich zu einer einfachen Schicht ausbreiten, gieße nach 5 — 10 Minuten den Samen ab. ersetze ihn durch Wasser Brunnen- oder Leitungs- wasser; so hoch, dass es einige Millimeter über den Eiern übersteht und löse nach weiteren 10 Minuten mit einem Spatel die Eier vom Boden des Gefäßes ab, damit sie sich beim Quellen nicht so drängen und sie auch von unten her quellen können. Bei Musterversuchen ohne jede Zwangslage werden die Eier einzeln mit der Lanzette dem Uterus entnommen und einzeln, mit der Eiachse senkrecht, also den hellen Pol ganz nach unten gewendet, aufgesetzt; es wird rings herum Samen mit dem Pinsel zugegeben und nach 5 Minuten Wasser bis zum Überstehen über die Eier zugegossen und die oben entstehende trichter- förmige Einziehung der Wasseroberfläche mit der Pincette entfernt (s. 1, Bd. II. pag.361). Das ist die für zwanglos aufgesetzte, nach meiner Meinung »in nor- maler Weise« behandelte Eier nöthige Technik. Vorausgesetzt ist natürlich weiter- hin, dass die Eier selber normal beschaffen sind, also insbesondere, dass sie nicht durch Verzögerung der Laichung gelitten haben, da dabei die normale An- ordnung der Dottersubstanzen gestört wird und die Bildungskräfte alterirt werden. 11* 164 so eingestellt werden, wie es der inneren Anordnung" ihrer ungleich specifisch schweren Dottertheile entspricht; so dass »keine Uniordnungen des Dotters durch die Schwer- kraft« veranlasst werden, wie solche stattfinden, wenn die Eier länger als die erste halbe Stunde in Zwangslage sich befinden. Bei dem unbefruchteten Eie von Eana fusca ist der Dotterbau in allen durch die Eiachse legbaren Meridianebenen der gleiche; oder, wenn er, wohl in Folge der Wirkung der Schwerkraft wegen der Zwangslage der Eier im Mutterleibe, davon abgewichen ist, so ist es, wie ich ge- zeigt habe, die erste Wirkung der Berührung des Samenkörpers auf das Ei, dass diese gleichmäßige Anordnung wieder hergestellt wird (1, Bd. II. pag. 289 — 295). Bei der normalen Entwickelung werden die symmetrischen Abweichungen der Dotteranordnung von diesem, zu Anfang der Befruchtung vorhandenen, in allen durch die Eiachse legbaren Meridianebenen gleichen Dotter bau allein durch den Samenkörper bedingt. Da nur für diesen Fall meine Gesetze über die Wirkung der Bahn des Samenkörpers sich verwirklichen, so ist es ein Beweis dafür, dass diese Wirkung von der Anordnung des Dotters abhängt, welche der Samenkörper hervorbringt; was ich denn auch betont und bei den speciellen Formulirungen zum Ausdruck gebracht habe. Bei Zwangslage dagegen entstehen, wie ich gleichfalls mit- theilte, alle die eben erwähnten Abweichungen l). Meine Gegner dagegen verschweigen, dass ich dies sogleich mitgetheilt habe; stellen die Sach- lage vielmehr so dar, als hätten sie entdeckt, dass die Abweichungen häufig vorkommen, während ich selber sie auf 66 % gesteigert habe; sie machen ferner einen Theil der Versuche nach, ohne dafür zu sorgen, dass die Froscheier baldigst aus der nach der Besamung vorhandenen Zwangslage gebracht werden, und folgern dann aus den auf diese Weise erhaltenen Ergebnissen die Unrichtigkeit meiner tatsächlichen Angaben und der aus ihnen abgeleiteten Gesetze2). Sie urtheilen *) Dazu gehören auch die Abweichungen von dem von mir aufgestellten »normalen« Furch ungsschema. Manche Autoren beschreiben neuerlich solche Abweichungen, aber ohne jede Berücksichtigung dieser sie bedingenden causalen Verhältnisse, und glauben, damit meine Norm als unrichtig bezeichnet zu haben. 2) Den bezüglichen Opponenten vermag ich nur zu rathen. sie mögen die Versuche über die Wirkung der Befruchtungsstelle des Eies auf die Kichtung der ersten Furche etc. genau nach meinen Vorschriften, also analytisch nachmachen; dann werden sie sich von der Eichtigkeit meiner Angaben überzeugen. Ich kann von diesen Ergebnissen leider ihnen zu Liebe 165 also wieder in der obigen Weise: Weil die bewegte oder ruhende Luft Abweichungen der fallenden Feder von dem Fallgesetz be- dingt, ist das Fallgesetz falsch! Ein Anderes wäre es, wenn sie sagten: Wir bezweifeln nicht die Richtigkeit der Beobachtungen, aber wir halten die Versuchsan- ordnimg nicht für eine normale, denn sie ist eine künstliche, die dem Naturgeschehen oft nicht entspricht. Dann dreht sich die Diffe- renz nur um die Definition des »Normalen« im vorliegenden Falle. Dazu möchte ich bemerken: Ich habe auf zweierlei Weise: durch langsame Rotation und durch zwanglose Haltung der Eier, er- mittelt, dass die Entwickelung des Froscheies möglich ist, dass sie wirklich stattfindet, auch wenn bei und nach der Befruchtung die Schwerkraft nicht ordnend auf den Dotter wirkt, also ohne dass sie Umordnungen der Dottersubstanzen gegen einander hervor- bringt. Da die Entwickelung dieses Eies also ohne gestaltende Betheiligimg solcher äußerer Einwirkung vor sich gehen kann, so ist sie in diesem Sinne Selbstdifferenzirung des Eies; dasselbe gilt in Bezug auf andere gestaltende äußere Einwirkungen, auch solche sind »nicht nöthig« (s. 1, Bd. IL pag. 276, 422). Andererseits aber ist die Entwickelung des gleichen Eies auch möglich, wenn in Folge von Zwangslage der Eier (in schiefer Stellung der Eiachse bei Rana fusca, oder bei nicht der inneren An- ordnung entsprechender schiefer Zwangslage des Eies von Rana esculenta) die Schwerkraft auf die Dottermasse umordnend wirkt; wobei sie die ordnende Wirkung der Bahn des Samenkörpers auf den Dotter abändert, bei genügender Schiefstellung überkompensirt und dann ihrerseits alle die genannten Gestaltungen bestimmt. Bei meiner Verwendung des Begriffes »normal« wird der er st er e Fall als der normale aufgefasst; und ich würde bei dieser Auffassung vielleicht sogar bleiben, wenn dieser Fall in der freien Natur gar nicht oder nur ganz vereinzelt, sondern wenn er nur im Experimente vorkäme, weil in der freien Natur die Verhältnisse derartig seien, dass z. B. die Grallerthülle immer »zu langsam« (s. o. pag. 163 Anm.) quellen würde. Ich stütze mich bei dieser Auffassung erstens darauf, dass die Selbstdifferenzirung, die ein wesentliches Charakteristikum der nichts herunterlassen; denn normal beschaffene Froscheier verhalten sich nun einmal in dieser Weise, wenn der so leicht stattfindenden umordnenden Wirkung der Schwerkraft auf den Dotter vorgebeugt wird. 166 Entwicklung des thierischen Eies darstellt, im zweiten Falle aufge- lioben ist, indem wichtige gestaltende Bestimmungen von außen her getroffen werden, obschon dies nach Fall 1 gar nicht nöthig ist: denn unser Fall 1 zeigt, dass diese selben Bestimmungen durch intraovale und zwar bei jeder Entwickelung dieses Eies statt- findende Wirkungen, nämlich durch die Wirkungen des Samen- körpers auf den Dotter etc. getroffen werden können und (sofern nicht die abändernden äußeren Einwirkungen eintreten] auch wirklich getroffen werden. Für unsere Auffassung spricht dann zweitens, dass bei dieser gestaltenden äußeren Einwirkung, wie erwähnt, die durch die Befruchtung bewirkte, also doch normale, ihrerseits weitere Gestaltungen bestimmende Dotteranordnung abgeändert wird und tiberkompensirt werden kann; ferner dass dabei außerdem (wie ich an Hunderten von Fällen konstatirt habe [1, Bd. IL pag. 327, 340, 927]) sehr oft auch der pigmentirte Rindendotter des Eies während der zweiten Furchung nachträglich symmetrisch zu der bei Zwangslage durch die Schwerkraft bestimmten Richtung der ersten (resp. zweiten) Furchungsebene umgeordnet wird. Dies stellt eine nachträgliche Umordnung der vorgebildeten normalen Dotter- anordnung, eine Selbstregulation in Anpassung an die stattge- habte äußere Einwirkung dar, welche bei der Entwickelimg ohne Zwangslage nicht vorkommt. Aus den obigen Regeln habe ich folgende Gesetze abgeleitet (1, Bd. IL pag. 414): »J) Die erste Theilungsrichtung des ,Furchungskems' wird , normaler' Weise , durch' die Kopulationsrichtung der Vorkerne, und zwar in der Weise bestimmt, dass sie mit ihr zusammenfällt. 2) Damit wird auch die erste Theilungs- richtung des , Dotters' durch die Kopulationsrichtung, und zwar in der Weise bestimmt, dass sie ihr parallel steht oder eventuell mit ihr zusammenfällt. 3) Die spezielle Lage des Embryo im Ei wird normalerweise , durch' die Befruchtungsrichtung des Eies bestimmt, und zwar wird diejenige Seite des Eies, durch welche der Samen- kürper eingedrungen ist (die Befruchtungsseite), zur caudalen Seite des Embryo.« Die durch das erste Gesetz bezeichnete Wirkung ist uns in ihren Ursachen noch unbekannt, wir haben bloß ihren Nutzen diskutirt (1, Bd. IL pag. 413, § 6). Die Ursache der zweiten Bestimmung kann darauf beruhen, dass durch die Befruchtung allein keine so starke 167 Abweichung von der Rotationsaliordnung des Dotters entsteht, dass sie (wie dies bei Zwangslage geschieht) drehend auf den Furchungs- kem wirkt (s. 1, Bd. II. pag. 415, § 15), sofern ausnahmsweise die Penetrationsbahn und Kopulationsbahn nicht in dieselbe Meridianebene fallen. (Genaueres siehe unten auf pag. 183.) Die im dritten Gesetz ausgesprochene Wirkung dagegen habe ich von dieser, durch die Befruchtung bewirkten Dotteranordnung ab- geleitet, da bei Zwangslage eine ähnliche Anordnung das bestimmend Wirkende ist (1, Bd. IL pag. 416, § 19). Diese Gesetze sind also richtige Wirkungsgesetze, um diesen Ausdruck zur Unterscheidung von dem bei den Biologen üblichen unrichtigen Gebrauch des Wortes Gesetz für bloße Thatsachen, also statt des Wortes Regel, hier anzuwenden. Als solche gelten sie aus- nahmslos, bestimmen sie ausnahmslos die genannten Gestaltungen, sofern sie erstens ihrerseits ganz richtig (das heißt die wirklichen Komponenten bezeichnend) formulirt sind ( — was wir keineswegs behaupten, denn um dies zu beweisen, wären noch mancherlei bestätigende Experimente nöthig; wir behaupten bloß, dass unsere ihnen zu Grunde liegenden Beobachtungen, nicht aber die Deu- tungen, richtig sind ; aber gerade diese Beobachtungen sind es, welche zur Zeit nicht für richtig gehalten werden, weil oft andere, fremde Komponenten alterirend einwirken — ), und sofern zweitens keine andere, genügend umordnend auf den Dotter wirkende Kraft zur Wirkung gelangt. Da ich auch diese fremden Wirkungen dargelegt hatte, so hätte die wahre Sachlage und die Bedeutung meiner Gesetze wohl auch schon ohne die obige Erörterung Jedem einleuchten können. Auf Grund dieser letzteren aber gebe ich mich der Hoffnung hin, dass nun bald die Zeit kommen wird, in der auch für diesen Theil meiner Arbeiten das richtige Verständnis sich bilden wird. II g. Nächste Aufgaben und Aussichten der entwickelungs- mechanischen Forschung. Unsere schwierigste Aufgabe wird die Erforschung der rein intra- cellulären Wirkungen sein, dies wegen der Kleinheit ihrer Wir- kungsbezirke. Doch sind gerade durch die Experimente der letzten Jahre schon fundamentale gestaltende Wirkungen zwischen Leib und Kern der ersten Furchungszellen ermittelt worden, indem sich z. B. e ab, dass von der Gestalt des Leibes dieser Zelle, genauer von der Anordnung seiner Hauptbestandtheile, die Bildung eines halben 168 oder mehr als halben oder ganzen Embryo ausgelöst wird. Fort- gesetzte, wohlüberlegte Versuche an den vielgestaltigen Protisten ver- sprechen uns viele neue und specielle Erkenntnis über gestaltende Wechselwirkungen zu der bereits errungenen Vorkenntnis, dass ohne den Zellkern keine typisch gestaltende Regeneration stattfindet. Auch sind wir, Dank der Experimente T. H. Morgan's, Th. Boveri's u. A. schon auf dem Wege zum Verständnis der Bildung der Centrosomen. Universelle Aufgaben bietet die Erforschung der drei organischen gestaltenden Grundfunktionen: der Assimilation, Selbstbewegung und Selbsttheilung. Bezüglich ersterer kann es jetzt wohl frag- lich erscheinen, ob wir je diesen elementarsten Lebensvorgang, also die durch die Assimilation dargestellte komplexe Komponente werden zerlegen können. Aber wer vermöchte andererseits dies jetzt schon als definitiv unmöglich zu bezeichnen? Dagegen kommen wir schon manchen Ursachen der Größe der »Assimilation« und damit Ursachen des »Wachsthums«, ferner manchen Ursachen der Zeit (Dauer) des Wachsthums und der Wachsthums r ichtun gen, ebenso der Wirkungsweisen der anschei- nenden Selbstbewegung der Zellen, sowie denen der Selbstthei- lung allmählich etwas näher. Was es alles für qualitative und formal differenzirende, sowie ordnende Wechselwirkungen der Zellen auf einander, also für intercellulare Wirkungen, giebt, vermögen wir vorläufig noch gar nicht abzuschätzen; auf ihnen beruht größtentheils die Gestaltung des vielzelligen Organismus, sowie insbesondere auch die Ein- heitlichkeit desselben. Diese Wirkungen aber werden wir in mehr oder weniger hohem Grade experimentell ermitteln können; dies gilt vielleicht auch zum Theil von deü weiteren Wirkungsweisen, auf denen sie zunächst beruhen. Von diesen gestaltenden Wirkungen suchen wir, so weit der Gang der Untersuchungen systematisch geregelt werden kann, zuerst die Ursachen der Zeit, der Größe, der Richtung, zuletzt der Qualität zu ermitteln. Wer könnte jetzt, am Anfange der methodischen Anwendung des »analytischen« causal-morphologischen Experiments schon sagen, wie viel und welche Experimente uns gelingen, welche nicht gelingen werden, — von welcher Art die ersteren und ihre Ergebnisse sein werden, — wo die definitive Grenze der erfolg- reichen Anwendung liegen wird? Denn für die beschränkte Auf- gabe, die wir gestellt haben, für die Zurückführung der Gestaltungs- vorgänge des Lebens auf die bereits ermittelten physikalisch- 169 chemischen Wirkungsweisen, liegt, wie wir oben sahen, die Schranke nicht in den Grenzen unseres Erkenntnisvermögens über- haupt, sondern sie hat nur praktische Gründe. Von diesen können wir nie im Voraus wissen, ob sie durch neue Entdeckungen nicht in vorher ungeahnter Weise verändert werden, so dass die Forschungs- grenze viel weiter hinausgeschoben wird. Es wird wohl Niemand, der sonst zu exakter causaler Forschung neigt, sich von solcher Thätigkeit durch einen Autor abhalten lassen, dem exaktes causales Denken etwas Unverständliches ist, nach dessen Meinung die Physik und Chemie überhaupt keine ge- staltenden Kräfte, also keine gestaltenden Wirkungsweisen kennen, denen solche Kräfte supponirt werden könnten, dem das analytische Experiment ein Begriff ohne Inhalt ist, und für den es überhaupt hinter dem sichtbaren Geschehen nichts Erforschens- werthes und Erforschbares giebt. Arbeiten wir unbeeinflusst durch Einwendungen von so wenig •kompetenter Seite stetig und energisch auf unsere Weise weiter, aber in steter Fühlung und Symbiose mit den Ergebnissen der anderen biologischen Disciplinen; alsdann dürfen wir sicher sein, allerhand theoretische Bedenken durch thatsächliche Feststellungen widerlegen zu können. Das streng durchgeführte causal-analytische morphologische Ex- periment sei, wie gesagt, der Zauberstab, der mit steigender Geschick- lichkeit der Anwendung allmählich das kaum zu Wagende, vielleicht manchmal . sogar das unmöglich Scheinende und das jetzt nicht Ge- ahnte durch Generationen lange Forschungen möglich machen wird. Auf dem Gebiete der deskriptiven entwickelungsgeschichtlichen Forschung wird nun schon fast drei Generationen lang ein und die- selbe große Hauptfrage als wichtigste bearbeitet: die Frage nach der formalen Bildungsweise des mittleren Keimblattes, ohne dass darüber bereits vollkommene Einigung und Sicherheit erzielt worden wäre; solche Unsicherheit besteht hier noch, obschon die Aufgabe im Verhältnis zu den uns vorliegenden Problemen relativ einfach ist. Lassen wir uns diese Konsequenz und Ausdauer der auf ein und dieselbe Frage gerichteten Arbeit ein Vorbild sein. An Mannigfaltig- keit der Arbeit wird es uns selbst bei Behandlung ein und derselben causalen Frage nicht fehlen, da jede causale Frage, wie wir gesehen haben, mit den verschiedensten Methoden bearbeitet werden muss. Haben wir nur den Muth, trotz des Bewusstseins, dass wir auch bei Aufbietung aller Vorsicht zeitweilig irren werden, kräftig vorwärts 170 zu streben. Dann werden wir, indem wir gegenseitig einander rekti- ficiren, und indem jede kommende Generation die Ergebnisse der früheren neu prüft, verbessert und vermehrt, auch stetig, wenn auch wohl oft auf Umwegen, uns unserem Ziele nähern. Unser Ziel ist wie das Ziel jeder Forschung, d. h. das Ziel der Ermittelung von Unbekanntem, noch unklar:, wir wissen auch nicht, ob wir es erschöpfend formulirt haben; doch je näher wir ihm kommen, um so deutlicher wird es uns in seiner wahren Gestalt und Eigenart erscheinen. Auf diese Weise wird die Entwickelungsmechanik , wie wir früher sagten, allmählich »der Haupttrieb am Baume der biologischen Wissenschaften werden, welcher gegenwärtig noch nicht geahnte neue Seitenzweige treibt, deren Blätter die anderen Aste in ihren Schatten nehmen und von ihnen Nahrung empfangend ihrerseits wieder Nahrungsstoff zur Bildung neuer Knospen für sie bilden werden«. Die vorige Generation hat durch die Vergleichung und die Descendenztheorie Außerordentliches geleistet. Wir haben dies mit Bewunderung hingenommen. Doch als die Grenzen der qualitativen Leistungen dieser Forschungen erkennbar wurden, sahen wir, dass noch viel Gebiet des Forschens hinter dem bereits bearbeiteten liegt; und auf dieses richteten wir unser Streben. Wir erkannten zugleich, dass dieses Gebiet nicht allein durch weitere Verfolgung der ver- gleichenden Forschung zu bearbeiten ist, sondern dass es einen be- sonderen, sicherer und rascher auf ihm vorwärts führenden Weg giebt: den des causal- analytischen Experiments. Wir nahmen das Gebiet daher mit Hilfe dieser Methode in Angriff1). *) Obgleich mit dieser Art der Forschung eben erst ernstlich angefangen worden und daher noch sehr wenig im Verhältnis zur Größe des Gebietes von demselben erforscht ist; obgleich wir daher auch die Grenzen des mit den Hilfs- mitteln aller biologischen Disciplinen zusammen Erforschbaren noch nicht er- kennen können, ergehen sich gleichwohl bereits einige Genossen unseres Strebens darüber in Klagen, dass voraussichtlich nicht Alles werde erforscht werden können. Wir halten es für besser, wenn sie ihre ganze Kraft der erfolgreichen Arbeit des empirischen Forschens auf dem Gebiete zuwenden würden. Diese Autoren verhalten sich wie Kolonisten eines neu entdeckten frucht- baren und an Schätzen reichen Landes, die, statt die Schätze desselben zu erforschen, sich dienstbar zu machen und den fruchtbaren Boden zu bepflanzen. in dem steilen Grenzgebirge des Gebietes herumklettern und darüber klagen wollten, dass hier die weitere Aussicht versperrt scheint. Wir haben für Jahrhunderte reiche Erfolge versprechende Erkenntnis- arbeit vor uns. Wenn diese annähernd erledigt ist dann wird es an der Zeit sein, ernstlich zu überlegen: WTie kommen wir weiter? 171 IM. Der Name Entwickelungsmechanik. Auch der Naine Entwickelungsmechanik ist und zwar von ver- schiedenen Seiten bemängelt worden. Einmal indem man sagte, die Entwickelungsmechanik sei bloß ein Theil der Entwicklungsge- schichte; zweitens: sie sei die Entwickelungspkysiologie ; drittens, der Name Mechanik habe hier eine unzulässige Anwendung gefunden. Wir wollen daher die Gründe für die von uns getroffene Wahl in vollständigerer Weise, als es bisher geschehen ist, darlegen. Das Wort Entwickelungsgeschichte bezeichnet seinem vollen Inhalte nach die ganze, also die vollständige Lehre vom Entwickelungsgeschehen, somit auch die causalen Verhältnisse dieses Geschehens. Doch hat, wie schon oben erwähnt wurde, die wirk- liche Bearbeitung der thierischen Entwickelungsgeschichte dieser Wortbedeutung bisher nicht entsprochen. Denn die Entwickelungs- geschichte war nicht mit Rücksicht auf die Vollständigkeit der Ermittelung des Entwickelungsgeschehens, sondern bloß in engerem Eahmen gepflegt worden; sie erstrebte nur Vollständigkeit der Er- mittelung des sichtbaren Theiles dieses Geschehens, nämlich der äußeren und inneren Form- resp. Struktur Wandlungen und zog nur die aus diesen Beobachtungen ableitbaren, wenigen lind in Bezug auf das Specielle überaus unbestimmten und unsicheren ursächlichen Folgerungen. In den vorstehenden beiden Abschnitten haben wir ersehen, dass die neu hinzugekommene, mit dem Namen Entwickelungs- mechanik belegte, causale Forschungsrichtung der Zoobiologie ein von diesen früher üblichen Forschungsrichtungen verschiedenes Ziel und entsprechend verschiedene, besondere Aufgaben verfolgt, und dass sie außer der Benutzung aller anderen, causale Erkenntnis gewährenden biologischen Forschungsweisen und -Wege auch noch ein eigenes Hilfsmittel in die zoobiologische Forschung als Haupt- methode eingeführt hat: das causal-analytische morphologische Experiment; dass diese Art des Experiments die specifische Methode der direkten, exakten causalen Forschung ist, wenn schon die Ent- wickelungsmechanik sich daneben auch aller anderen Arten von Experimenten bedient. Da unsere Forschungsrichtung besondere Aufgaben verfolgt und 172 auch eiue besondere Methode verwendet , so hat sie auch die Be- rechtigung, sich einen besonderen Namen beizulegen. Schon viel weniger verschiedene, weniger vom vorher Gepflegten abweichende Forschungsrichtungen haben sich besondere Namen beigelegt, um sich von dem Herkömmlichen auch äußerlich zu unterscheiden, um auf diese Weise leichter kenntlich zu sein und leichter anerkannt zu werden. Die Entwickelungsmechanik wird sich daher als eine Abtheilung der Entwicklungsgeschichte in dem durch sie selber erweiterten vervollständigten Sinne der letzteren darstellen, als ein Theil aber, welcher nach unserer Meinung allmählich der Haupttheil der ganzen Disciplin werden wird. Der Einwand, dass die Entwickelungsmechanik bloß ein Theil der Physiologie sei, würde kein Hindernis sein, diesen Theil be- sonders zu benennen. Wir haben aber oben gesehen, dass die Physiologie in ihrer früher dem Worte (NB. ohne jede etymologische Berechtigung) untergeleg- ten Bedeutung, zwar die ganze Lehre vom Lebensgeschehen um- fassen soll, dass aber in Bezug auf die zoobiologische Forschung die Sachlage historisch eine andere geworden ist, indem die Physiologen seit Langem sich lediglich um die Erhaltungsfunktionen des Gebildeten bemüht haben, nicht aber um die Funktionen des Bildens, des Gestaltens selber. Diese letzteren Funktionen haben sie, von wenigen Autoren abgesehen, als etwas Morphologisches gänzlich vernachlässigt ; und ihre Erforschung den Morphologen (Ana- tomen und Zoologen) überlassen; letztere haben das Gebiet seit lange eifrig bearbeitet. Daher theilen auch anatomische Lehrbücher die Biologie in Morphologie und Physiologie, und erstere wieder in Ana- tomie und Entwickelungsgeschichte ein. Dieser beschränkteren Bedeutung des Wortes Physiologie als der Lehre bloß von den Erhaltungsfunktionen des Gebildeten ent- sprechend ist auch bereits eine »Physiologie der Ent Wickelung« angebahnt und dann in W. Preyer's (21) Buch über die »Specielle Physiologie des Embryo« zusammenhängend bearbeitet worden. In diesem Buche wird der »morphologischen Entwickelungs- geschichte« die »physiologische Entwickelungsgeschichte« gegenübergestellt; und letztere wird als eine von der ersteren geson- derte Disciplin behandelt. Es handelt sich auch in dieser »physio- logischen Entwickelungsgeschichte« nicht um die Physiologie des gestaltlichen Entwickeins, sondern bloß um die Lehre von der successiven Entwickelung der Erhaltungsfunktionen. Der Name 173 »Entwickelungsphy siologie« würde also, wenn auf die »ursächliche Gestaltimgslehre« der Organismen augewandt, fortwährend zu Ver- wechselungen mit dieser eingeengten »physiologischen Entwicklungs- geschichte« geführt haben. Aber noch ein anderer, wenn auch mehr praktischer als wissen- schaftlicher, so doch gleichfalls für das Gedeihen unserer Disciplin wichtiger Grund ließ mir die Annahme der Bezeichnung Entwicke- lungsphysiologie für dieselbe als nicht günstig erscheinen. Mit der Gründung ordentlicher Professuren für Physiologie in der medicinischen Fakultät, unter Abzweigung dieser Disciplin von der Anatomie, war die erwähnte Beschränkung des Forschungsgebietes der ersteren auf die »Erhaltungsfunktionen« eingetreten; seitdem ist die Physiologie in dieser Fakultät ein besonderer Berufszweig mit einem vollkommen auf die Thätigkeit innerhalb dieses begrenzten Gebietes eingeschränktem Avancement der Aspiranten geworden. Ein »Entwickelungsphysiologe«, der hauptsächlich in unserem »morphologischen« Sinne geforscht hat, würde bei der jetzigen Generation nicht auf einen Lehrstuhl der > Physiologie « berufen werden. Andererseits würde dieser Name wohl schon genügen, dem betreifenden Forscher bei derselben Generation auch die Lehrstühle der Anatomie zu verschließen; denn es würde gegen ihn der Ein- wand erhoben werden: »der Mann ist ja Physiolog, wir brauchen einen Anatomen«. Es ist zu bezweifeln, ob es möglich sein würde, den in der früheren Auffassung aufgewachsenen Vertretern der seiner Thätigkeit ferner stehenden, praktischen medicinischen Lehr- fächer genügend darzulegen, dass die von diesem Autor gepflegte » Entwickelungsphy siologie « trotz ihres Namens eine morpholo- gische, also eine vielmehr an die Arbeits-, Denk- und Unterrichts- weise der Anatomie als der derzeitigen Physiologie sich anschließende Disciplin ist. Wenn aber ein neues Gebiet, so lange, bis es allgemein aner- kannt ist, seinen Bearbeitern keine Stellung zu bieten vermag, finden sich naturgemäß auch nur sehr wenige Pfleger für dasselbe; und die Übergangszeit, bis diese Arbeit anerkannt und lohnend wird, dehnt sich außerordentlich in die Länge. Aus diesen Gründen wurde die Annahme der von mir zunächst erwogenen (und jüngst von H. Driesch empfohlenen) Bezeichnung »Entwickelungsphy siologie« für das Gebiet der jetzigen Entwickelungs- mechanik von mir bei Seite gelassen; dies geschah also in Folge historisch begründeter, zur Zeit bestehender Verhältnisse. 174 Auf dem Gebiete der pflanzlichen Forschung dagegen war und ist die Sachlage aus äußeren und inneren Gründen eine andere. Hier existirt eine Arbeitstheilung in Professuren für die Erhaltungs- funktionen und in solche für die morphologischen Leistungen der Pflanzen nicht; ebenso wenig war hier die allein deskriptive Behand- lung der Entwickelungsgeschichte üblich; letzteres wohl in Folge des Unistandes, dass die Pflanzen gestaltung viel mehr von den äußeren Umständen wie Schwere, Licht, Wärnie, Feuchtigkeit ab- hängt, also nicht so sehr Selbstdifferenzirung ist wie die Ent- wiokelunff der thierischen Lebewesen. Dadurch war man von vorn herein mehr auf die Erforschung ursächlicher Verhältnisse hinge- wiesen, und hat in Folge dessen mit der Erforschung der nor- malen gestaltenden Wirkungen der »äußeren Umstände« die causale Forschung begonnen; und diese ist bereits ziem- lich weit fortgeführt. Wir dagegen hatten von Anfang an unsere causalen Bestrebungen auf die Erforschung der inneren Ursachen der thierischen Ontogenese gerichtet, nachdem wir zunächst ermittelt hatten, dass zur typischen thierischen Entwickelung eines Wirbel- thieres gestaltende äußere Einwirkungen »nicht nöthig« sind (s. 1, Bd. IL pag. 422). Auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie, deren Vertreter bekannt- lich auch die Pflanzenanatomie lehren, bestand also keine solche Veranlassung zu besonderer Einführung und Benennung einer direkten oder exakten causalen morphologischen Forschungsrichtung, wie auf den Gebieten der zoobiologischen Forschung: der menschlichen Ana- tomie und Physiologie sowie der Zoologie. Für den neuen Theil dieses zoobiologischen Gebietes bedurfte es dagegen einer neuen Bezeichnung. Zunächst wandte ich für unser Gebiet die Bezeichnung causale Morphologie an, um die bezüglichen Bestrebungen von der zur damaligen Zeit herrschenden »Morphologie« zu unterscheiden. Denn unter dem Worte Morphologie verstand man damals, nicht ohne will- kürliche Beschränkung des universellen Wortbegriffes /.oyog, aus- schließlich die Erklärung der organischen Formen mit Hilfe der Vergleichung; da die vergleichende Anatomie dieses Wort, wel- ches die gesammte Formenlehre umfasst, in diesem Sinne specialisirt hatte. Allerdings hat sie dabei den zu ihrer Zeit vorgefundenen historischen, rein deskriptiven Wortinhalt zugleich sehr wesentlich erweitert. In der Bezeichnung »causale Morphologie« fehlte aber die 175 Bezeichnung der Entwickelung, welche doch den Haupttkeil des Gestaltungsgeschehens ausmacht, gegen den die bloße Erhaltung des Entwickelten untergeordnet scheint. Zudem glaubte und glaube ich, dass Wirkungsweisen, welche die Entwickelung, wenigstens die letzte Periode derselben, bedingen, auch größtenteils die struk- turelle Erhaltung des Entwickelten vermitteln. Es schien daher an- gemessen, diese, als das Wesentlichste, in dem Namen mit zum Ausdruck zu bringen. Aus diesem Grunde wählte ich als Titel eines in der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau am 15. Februar 1884 erstatteten Berichtes über die später im ersten Beitrag zur Entwickelungsmechanik mitgetheilten Experimente die Überschrift: »Vorläufige Mittheilung über causal-ontogenetische Experimente«; und ich gedachte damals die beabsichtigte Reihe von Untersuchungen unter dem Titel: »Beiträge zur causalen Ontogenie« zu veröffent- lichen, da ich voraussichtlich nicht über causale Phylogenie arbeiten würde. Dieser, aus zwei AVorten gebildete Name schien mir aber bei weiterer Überlegung keine rechte Aussicht auf allgemeine Verbreitung zu haben. In diesem Stadium besprach ich mich mit dem berühmten Physiologen Rudolf Heidexhaix; und dieser schlug mir die Be- zeichnung »Entwickelungsmechanik« vor. Dieses Wort sprach mich sehr an. Ich fühlte zwar sogleich, dass dabei das Wort Mechanik in einem weiteren Sinne gebraucht werden müsse als in der Schulphysik. Die höhere theoretische Physik hatte ja den Begriff der Mechanik schon sehr erweitert. So sagt z. B. H. Hertz in der Einleitung zu seinem Buche über die Prin- cipien der Mechanik rückschauend (28): »Alle Physiker sind einstimmig darin, dass es die Aufgabe der Physik sei, die Erscheinungen der Natur auf die einfachen Gesetze der Mechanik zurückzuführen.« Da aber die Entwickelungsmechanik, so weit sie exakte Wissen- schaft ist oder sein kann, nur eine angewandte Wissenschaft, nämlich Anwendung der Mutterwissenschaften: Physik, Chemie und Mathematik auf die Gestaltungsvorgänge des Lebens ist, so haben wir uns dieser bekannten Auffassung aller Physiker von vorn herein angeschlossen. Alles physikalische und chemische »Geschehen« ist »Änderung«, muss sich also auf »Bewegung« zurückführen lassen. Die Bewegungslehre oder die Mechanik unifasst im weitesten 176 Sinne genommen also »alles Geschehen«, auch das thermische, optische, elektrische sowie das chemische Geschehen, denn Alles beruht auf Bewegung von Ponclerablein oder Imponderablem. Eine davon abweichende Auffassung müsste annehmen, dass es Geschehen geben könne, welches nicht in Bewegung besteht. Wir als empirische Forscher rechnen nicht mit dieser Annahme. Die Entwickelung besteht in formalen incl. strukturellen und sogen, qualitativen (chemischen) Änderungen; diese fassen wir als Be- • ■ wegungen auf, auch die chemischen Änderungen. Entwickelumrsmechanik bedeutet also die Lehre von den »Ent- wickelungsbewegungen«. Die Mechanik ist überwiegend unter Zu- grundelegung von Ursachen betrieben worden; erst spät hat Ampere eine Zerlegung derselben in zwei Abtheilungen, in eine die Bewegungen bloß beschreibende (Kinematik) und in eine mit dem Ursachenbegriff arbeitende Abtheilung (Kinetik) eingeführt. Der universellen Auffassung der Mechanik entsprechend bestrebte sich H. Hertz (28, pag. XXIV) eine derartige Zusammen- stellung der Gesetze der Mechanik zu geben, dass es »keine natürliche Bewegung geben soll, welche ihren Forderungen nicht gehorcht«; wie sie andererseits »auch keine Bewegung zu- lassen soll, deren Vorkommen in der Natur schon nach dem Stande unserer heutigen Erfahrung ausgeschlossen ist«. Diese »universelle Mechanik« der Physiker entspricht zu- gleich der gleichfalls von mir herangezogenen, von den Philosophen begründeten »mechanischen Naturansicht« im allgemeinsten Sinne des Wortes. Das Princip 'dieses Mechanismus besteht nach Herm. Lotze (31, pag. 69) in Folgendem: »Alles Geschehen in der Natur beruht auf realen Elementen, welche, wenn sie auch nicht Eines Stoffes sind, sich doch als Modifikationen eines einzigen, d. h. als ver- gleichbare Massen ansehen lassen. Welches auch die inneren Zustände sein mögen, in welche diese Elemente durch ihre Wechsel- wirkung gerathen, immer sind die bewegenden Kräfte, in welchen dieselben sich äußern, unter einander vergleichbar und die Änderungen derselben an bestimmte mathematische Bedingungen (der Lage, Entfernung etc.) geknüpft.« »In jedem Augenblick also, in welchem zwei Wesen a und b in irgend einer Beziehung C sich befinden, liegt in diesem Umstand der vollständige Grund zu einer und nur zu einer Folge x\ und überall, weun entweder a oder b oder C oder alle zusammen sich ändern, lässt sich nach einem 177 konstanten Gesetz die damit nothwendig verknüpfte Änderung- der Folge x in % berechnen. Das heißt mit anderen Worten: jeder augenblickliche Zustand eines Wesens, in Verbindung mit einer be- stimmten Summe äußerer Umstände, kann immer nur Eine be- stimmte Wirkung hervorbringen, und umgekehrt: jede ent- stehende Wirkung ist das, was aus jenen gegebenen Be- dingungen mit Notwendigkeit fließt.« Es wird wohl kaum Jemand in Abrede stellen, dass diese Auf- fassung auch in vollem Sinne für das Geschehen auf dem von uns mit dem Namen Entwickelungsmechanik bezeichneten Gebiete der »causalen Entwickelungslehre« gilt1). H. Driesch erhebt jedoch den Einwand (dies Archiv. Bd. V. pag. 133), dass bei dieser allgemeinen Deutung des Wortes Eut- wickelungsmechanik, das Wort zu inhaltsleer sei, »denn der ,Causa- lität unterstehendes Geschehen' würden die Lebensphänomene auch dann sein, wenn es sich als nöthig erweisen sollte, an Stelle einer , Maschinentheorie des Lebens' eine Theorie des Vitalismus zu be- gründen«. In diesem Einwurf sehe ich im Gegentheil eine Anerkennung meiner Absicht; denn diese ging dahin, das Gebiet von vorn herein möglichst weit: alles Causale umfassend, abzustecken, wenn ich auch die nächsten Aufgaben ziemlich eng umgrenzt habe. Aus diesen Gründen halten wir die Bezeichnung »Ent- wickelungsmechanik« für das von uns abgegrenzte Gebiet für angemessen und bezeichnend. Aber selbst wenn die Be- zeichnung weniger passend wäre, so würde dies an sich noch kein Grand sein, sie desshalb nachträglich abzuändern, sofern nicht eine Bezeichnung vorgeschlagen wird, die so gut ist, dass sie nach ihrem Auftauchen ganz von selber sich ausbreitet; denn anderen Falls führt jede nachträgliche Namensänderung Verwirrung herbei. Die von Driesch angewendeten Bezeichnungen: Entwickelungs- analvse und Variationsanalyse scheinen mir brauchbare Unterbezeich- nungen zu sein; ich glaube aber nicht, dass sie sich eignen, die *) Der Vollständigkeit halber sei noch bemerkt, was aber wohl jedem unbefangenen Leser bereits genügend klar geworden ist, dass wir bei den Ausdrücken »causales Denken« resp. »causale Forschung« nicht jene principielle erkenntnistheoretische Feststellung im Auge haben, nach welcher die »Causalität« eines der integrirenden Elemente allen Denkens darstellt, sondern ein Denken (resp. Forschen), welches speciell und in jedem Falle auf die Ursache der beobachteten Thatsachen, auf ihr Auf- und Ausein- ander, auf ihren »Causalnexus« gerichtet ist also die cogitatio causarumj. Roux, Programm. ] 2 178 Bezeichnung ontogenetische und phylogenetische Entwickelungsniecha- nik zu ersetzen. Es ist überhaupt viel wichtiger, dass für ein bestimmtes Gebiet ein Käme gegeben und bestimmt definirt ist, als wie er selber lautet. Daher sei daran erinnert, dass sehr viele Namen in der Wissenschaft in einem Sinne gebraucht werden, der dem etymo- logischen Wortinhalt nicht entspricht. Um einige Beispiele anzuführen, so erinnern wir zunächst an das Wort Entwickelung. Dieser Name passt streng genommen nur für das letzte Stadium der Blüthen- und Blattbildung, also für die Entfaltung. Gleichwohl wird er auf die Bildung aller Lebewesen im Einzelnen und des ganzen Reiches derselben sowie auf vieles geistige Geschehen widerspruchslos angewendet. Wer protestirt gegen: die Entwickelung des Geistes, der Volkswirtschaft, der Krystalle (obschon letzteren Falles nur immer gleiche Aneinanderlegung einander gleicher Theile stattfindet?) Unter Naturrecht versteht der Jurist ungefähr das Gregentheil von dem, was sich der Laie darunter denkt. Unter Naturgesetz 7 O versteht man etwas, das nie »festgesetzt« worden ist, sondern was in jedem Falle von selber mit Nothwendigkeit aus den Eigen- schaften der betheiligten Faktoren sive Komponenten sich ergiebt; dies ist der Grund für meinen Vorschlag, so weit es einfacher wirkt, dafür die Bezeichnung beständige Wirkungsweise zu gebrauchen (s. 1, Bd. I. pag. 803 und 2, pag. 2). Das Wort Ursache ist gleichfalls eine unzutreffende Bezeich- nung; denn wir verstehen darunter nicht ein Ding, eine Sache, son- dern stets ein Geschehen, ein Wirken; darauf beruht die Formu- lirung des qualitativen Theiles unserer causalen Aufgabe als die Ermittelung der gestaltenden Wirkungsweisen. Statt Ursache wäre also besser zu sagen: Urvorgang, Urgeschehen. Unter Angiologie (von ccyyslop, Gefäß, Behältnis) versteht man bloß die Lehre von den Blut- und Lymphgefäßen, nicht aber von den Harn- und Gallengefäßen. Die Venen heißen noch »Blutadern« und die Schlagadern werden immer noch Arterien 'Luftröhren, von aiJQ) die Luft) benannt, obgleich beide Blut führen. Chirurgie (von yeio, und eqyew, thun) bedeutet das Hand- werk, das Werk der Hände, also nicht bloß das Handwerk in der Heilkunde; und in dieser wird es wieder nicht für alles Thun mit der Hand, z. B. nicht für die Palpation gebraucht. Chemie (von /m/6/«) ist ursprünglich die Lehre von den 179 Säften; das Specifische des jetzigen Wortinhaltes ist erst nachträg- lich hineingelegt worden; denn Physik (von cpwig, die Natur; ÜsLOQia cpvGixrj, die Naturlehre) umfasst an sich auch diesen Theil mit. Physiologie bedeutet an sich ganz dasselbe wie Physik; dass darunter bloß die Lehre von den Lebens Vorgängen verstanden wird, ist in keiner Weise etymologisch begründet. Und schließlich das ans speciell angehende Wort Mechanik (von iirf/avr^ das Werkzeug dies von firj%og, das Mittel, Hilfsmit tej^- bezeichnet an sich nicht die Bewegungslehre, sondern als fUj/arr/Jj Ttyvrj die Kunst, Werkzeuge oder Maschinen zu erfinden und zu- sammenzusetzen und als [uy/avcri] &ewQia die Lehre davon, also etwa unsere heutige theoretische Maschinenlehre. Man sieht also, dass sehr häufig das Specifische, das wir jetzt mit einem wissenschaftlichen Terminus verbinden, gar nicht im Wort- inhalte desselben enthalten war, sondern erst nachträglich durch den Gebrauch hineingelegt worden ist Zugleich erkennen wir wohl aus diesen Beispielen, dass die von uns angenommene Verwendung des Wortes Entwickelungmechanik sich, im Verhältnis zu vielen anderen Terminis, sogar recht leicht an das Vorgefundene anschließt, dass eigentlich nichts vollständig Neues dem vorgefundenen Inhalt zugefügt worden, sondern bloß eine bereits von den modernen Physikern gemachte Anwendung desselben auf ein Specialgebiet übertragen worden ist. IV. Über 0. Hertwig's Kritik meiner speciellen entwickelungs- mechanischen Untersuchungen. In der zweiten, größeren Hälfte seiner Schrift, behandelt Hert- wig, wie er sagt, als »Ergänzung« des ersten, allgemeinen Theiles, einige meiner Specialuntersuchungen unter dem Titel: Kritische Bemerkungen zu den entwickelungsmechanischen Naturgesetzen von Roux. Wenn wir ebenso ausführlich sein wollten, wie Hertwig, so hätten wir jetzt die Geduld unserer Leser noch mit über 100 Seiten in Anspruch zu nehmen. Da jedoch dieser zweite Theil bloß Specialarbeiten von mir, also nur specielle Ausführungen kleiner Theile unseres Programms betrifft, so hat er weniger allgemeine Bedeutung; wir werden uns schon aus diesem Grunde hier kürzer fassen können. Auch werden wir, wenn eine irreführende Wirkung von Hertwig's Ausführungen dies 12* ISO als nöthig erweisen sollte, das hier Unterlassene jeder Zeit nach- holen können. Da wir aber bereits aus den vorstehenden Darlegungen sowohl die wenig vertrauenswürdige Methode seiner Polemik, wie sein nicht ausreichendes Verständnis für causale Dinge kennen gelernt haben, so können wir uns auch aus diesem Grunde hier auf Weniges be- schränken. Dieser zweite Theil des HERTWiG'schen Buches besteht aus vier »Studien«, von denen eine bloß theoretische Definitionen von mir behandelt. Indem wir diesen Theil übergehen, begnügen wir uns, von jedem der drei anderen Theile die hauptsächlichsten Unrichtig- keiten nachzuweisen. In der ersten Studie führt Hertwig gegen meine Mosaik- theorie neben Wiederholung alter, längst widerlegter Einwen- dungen jetzt als neues Argument an, dass nach meiner eigenen Mittheilung die Mehrzahl der (im Jahre 1887) auf der Naturforscher- versammlung in Wiesbaden demonstrirten noch nicht mikrotomirten Hemiembryonen so hart gewesen sei, dass die später ange- fertigten Schnitte großentheils nicht gut waren. Er folgert daraus pag. 126, dass mein Beobachtungsmaterial überhaupt so schlecht sei, dass es nichts beweise, und unterlässt, dazu mit- zutheilen, dass ich dem Anatomenkongress zu Wien (1892) wie der pathologischen Sektion der Naturforscherversammlung zu Wien (1892) tadellose Schnitte von Hemiembryonen demonstrirt habe, sowie dass auch Barfurth, H. Exdres und T. H. Morgan solche Embryonen aus Amphibieneiern erhalten haben1). Für Hertwig existiren diese Hemiembryonen, deren Schnitte nun schon weit über zweihundert Fachmänner gesehen haben, noch immer nicht, da sie seine Theorie umstoßen würden. *) Wenn schon meine Präparate nach Hertwig's Meinung, der sie aller- dings nicht gesehen hat so mangelhaft sein sollen, obwohl sie bereitwilligst drei Kongressen von Fachmännern, einigen naturwissenschaftlichen Vereinen und •i Arzteversammlungen (zu Innsbruck und Halle;, sowie zahlreichen persönlichen Gästen von mir demonstrirt worden sind, so liegt wohl die Frage nahe: wie mögen 0. Hertwig's Präparate sein, der keinem Kongress von Fachmännern Präparate über die wichtigeren seiner Arbeiten demonstrirt hat, nachdem auf der Naturforscherversammlung zu Freiburg Niemand aus seinen Präpa- raten den Beweis für seine auf Grund der exakten Beobachtungen von Hat- schek (übrigens richtig) erschlossene Abstammung des mittleren Keimblattes des Frosches zu entnehmen vermocht hatte? Hat z. B. Jemand die seine Dar- legungen beweisenden Ascaris-Präparate gesehen? 181 £9 Dass eine rund gewordene, also ihrer Halbeigestalt beraubte, ö1 0 < isolirte erste Furchungszelle von vorn herein einen ganzen Embryo bilden kann, glaubt Hertwig als mir neu mittheilen und gegen mieii- / g verwenden zu können, während ich diese Ansicht selber vertrete» \ habe (s. 1, Bd. IL pag. 932—938; 34, pag. 148; 35, pag. 597). '^ Dann schlägt der Autor plötzlich die Volte und giebt pag. 128 zu, dass er selber bei seinen Versuchen Hemiembryones laterales, »allerdings nur in geringer Anzahl«, erhalten habe. Ich konnte ihm nach seiner früheren Mittheilung nur einen solchen Hemiembryo oktroyiren. Diese Hemiembryonen werden dann von ihm auf die einfachste Weise, wie er glaubt, für die Mosaiktheorie beseitigt, indem er meint, es seien Asyntaxien, also Embryonen mit offenbleibendem Urmund und entsprechender NichtVereinigung der Medullaranlage (von der aber hier eben die eine Hälfte ganz fehlt! Ref.). Er deutet sie folgen- dermaßen: ein außerordentlich weiter Urmund, der sich in Folge einer - lokalisirten Schädlichkeit nicht hat schließen können und da- her (!) einen Hemiembryo lateralis bilden musste. Letztere Stelle lautet wörtlich: »so muss1) ein Hemiembryo lateralis zu Stande kommen, wenn der angelegte Theil des Urmundrings sich in Chorda und ,halbe' Medullarplatte weiter zu differenziren beginnt«. Ja, wenn! Aber warum thut er das, was so ganz meinen Auffassungen ent- spricht und Hertwig's Auffassungen widerspricht; und warum gerade ein Hemiembryo lateralis, nicht anterior oder posterior oder 3/s rechts und Y8 links? Zudem verfüge ich über Hemiembryones laterales, in denen die andere Eihälfte gar nicht in Zellen zerlegt ist, also nicht eine »lokalisirte Schädlichkeit« »hindernd« wirkte. Nach Hertwig ist ja überhaupt das Ganze, die Zusammenwirkung aller Theil e zur Differenzirung der einzelnen Theile nöthig; während nach meiner Auffassung die durch die Furchung abgegrenzten Hälften und Viertel des Eies selbständig sich entwickeln können, so wie es hier bei meinen und Hertwig's Hemiembryonen auch geschehen ist. Darauf bringt noch Hertwig einige bereits von mir gemachte Schilderungen über Postgeneration als seine eigenen Beobachtungen. Weiter verwendet Hertwig die Ergebnisse an während der Furchung deformirten, gepressten Eiern gegen mich, indem er, wie früher, immer noch als selbstverständlich annimmt, dass die Ent- wickelungs Vorgänge auch bei starker Deformation der Eier die *) Vom Referenten im Druck hervorgehoben. 1S2 normalen seien; während ich annehme, dass dabei auch die Vorgänge der Furchung alterirt und Eegulationsvorgänge ausgelöst werden. Diesen, von mir wiederholt dargelegten Kernpunkt unserer Differenz (s. 1, Bd. IL pag. 885, 887, 1014) verschweigt Hertwig auch hier wieder konsequent. Bei dieser Regulation nehme ich keine für diese Fälle qualitativ neuen, sondern nur die auch für die »Regeneration durch Umdifferenzirung« nöthigen Wirkungsweisen an. Dadurch wird meine Annahme, welche für die Furchung allein betrachtet, kompli- cirter erscheint, als die meiner bezüglichen Gegner, doch wieder ver- einfacht, da diese die Entstehung der Heiniembryonen nicht genügend ableiten können. Für normale Fälle habe ich neben Pflüger und nach Xewport (Hertwig nennt hier wie gewöhnlich an Stellen, wo er gegen von mir und Anderen ermittelte Thatsachen opponirt, bloß mich) die Koincidenz der ersten Furche und der Medianebene des Froschembryo erwiesen ; zugleich habe ich gezeigt, dass mit jeder Stunde nach der Anlage des Urrnuncles die vorher beobachtete Koincidenz durch nachträgliche Dre- hung der Eier vermindert wird, so dass nach wenigen Stunden keine Spur der früheren Koincidenz mehr erkennbar ist. Daher nahm ich au, dass die in guten Versuchsreihen auch zur Zeit der Anlage des Urmunds noch bei 10 °/o der Fälle vorhandenen Abweichungen in Größen von wenigen Graden auch schon durch solche, aber etwas früher statt- gefunder e Drehungen bedingt seien, und dass die in den 90 % anderen Fällen sich bekundende Regel auch für diese Fälle gelte. Die zweite »Studie« handelt über »Die Kopulations- bahn«. Sie beginnt mit dem als Motto vorausgesetzten Ausspruch von mir, dass die causalen Forscher ihre Arbeit nicht damit begiunen können, die nicht bewiesenen und nach meiner Meinung durch Be- obachtung des normalen Geschehens nicht beweisbaren causalen Aussprüche deskriptiver Forscher auf ihre Richtigkeit zu prüfen, son- dern, dass sie besser da anfangen, wo die eigene Analyse sie hinführt. Hertwig zerreißt den Zusammenhang zweier Sätze von mir und setzt beide Male (pag. 132 und pag. 145) statt diese (das heißt die causalen) Aussprüche deskriptiver Forscher allgemein: >die Aus- Sprüche deskriptiver Forscher«, was meiner Äußerung allerdings eine wesentlich andere, wenig; besTündete und stark verletzende Bedeutung giebt. Über die Sache selber ist Folgendes zu sagen: Es war zur Zeit meiner Versuche bezüglich der Amphibien eier nichts darüber be- kannt, ob eine unsichtbare Mikropyle vorhanden sei oder 183 nicht, ob also das Ei von einem im Voraus schon bestimmten Meridiane aus befruchtet wird oder nicht. Ich zeigte durch künstliche lokalisirte Befruchtung*: erstens dass man das Froschei von jedem beliebigen Meridian aus befruchten kann; zweitens dass unter nor- malen Verhältnissen, das heißt, wenn das Ei nicht in schiefer Zwangslage seiner Eiachse sich befindet und auch selber normal beschaffen ist, die erste Theilungsebene durch diesen von uns be- stimmten senkrechten Meridian geht, drittens dass der »Befruchtungs- meridian« zur Medianebene des Embryo wird, und viertens dass diejenige Hälfte des Eies, welche vom Samenkörper durchsetzt ist, zufolge dabei bewirkter Anordnung der verschiedenen Dotter- bestandtheile zur »caudalen« Hälfte des Embryo wird. Das war doch immerhin wissenswerth ? (s. o. pag. 162 — 166.) * Hierbei, also unter ganz normalen Verhältnissen, fallen der erste und zweite Theil der intraovalen Bahn des Samenkörpers: die Penetrationsbahn und die Kopulationsbahn in die senkrechte Meridianebene der Eintrittsstelle des Samenkörpers. Unter nur wenig abnormen Verhältnisseu, nämlich bei Zwangs- lage des Eies in geringer Schiefstellung der Eiachse, war dagegen die Bahn des Samenkörpers im Ei aus dieser Meridianebene etwas herausgebogen; die erste Theilung des Eies erfolgte nun in der Richtung der letzteren Bahnstrecke: der Kopulationsbahn. Diese letztere Strecke ist also ursächlich das Wesentlichere; und der erstere Fall, dass die erste Theilungsebene durch den senkrechten Meridian der Eintrittsstelle des Samenkörpers in den Eileib geht, ist somit bloß dadurch bedingt, dass unter normalen Verhältnissen (das heißt hier, wenn das Ei die der Anordnung seiner verschieden specifisch schweren Dottertheile entsprechende Einstellung seiner Eiachse gegen die Horizontale hat) die ganze Bahn des Samenkörpers in der durch die Eintrittsstelle bezeichneten senkrechten Meridianebene gelegen ist. Aus dieser Ebene kann die Bahn aber durch innere Strömungen im Dotter, wie sie bei erzwungener, dem ungleichen spe- edtischen Gewichte der verschiedenen Theile nicht entsprechender Ein- stellung des Eies in Folge von Einwirkung der Schwerkraft ent- stehen, leicht abgelenkt werden. Dies hat wohl nichts Verwunder- liches an sich. Bei starker Zwangslage, das heißt bei Fixation des Eies in starker Schiefstellung der Eiachse, finden nun durch Wirkung der Schwerkraft auf die ungleich specifisch schweren Dottertheile stärkere innere Strömungen statt, welche die normale, um die Eiachse nach 184 allen Richtungen hin ziemlich gleiche, Anordnung der verschiedenen Dottersubstanzen des Froscheies (s. o. pag. 302), wie Borx gezeigt hat, in eine ausgesprochen bilateral-symmetrische Anordnung umändern. Hierbei wird die erste Theilungsrichtung des Eies überwiegend durch diese neue, differente, nicht mehr allseitig gleiche Anordnung be- stimmt, indem die erste Furche zumeist, aber nicht immer, entweder ganz oder annähernd parallel oder rechtwinkelig zu dieser Symmetrieebene steht. Ich habe geschlossen, dass dabei die kopulirten Kerne gedreht werden, ähnlich, wie es nach L. Auerbach, bei dem auch äußerlich schon länglichen Ei von Ascaris nigrovenosa geschieht. Auf das Genauere und auf die bei Abweichungen davon stattfindende nachträgliche Umordnung des Eindenpigmentes symmetrisch zur ersten (resp. zweiten) Furche kann hier nicht eingegangen werden (s. o. pag. 163 — 165). Hertwig verschweigt in seinem Bericht wieder alles zu einem richtigen Verständnis Wesentliche. Da ihm ferner, wie wir oben pag. 161 — 167) schon erfahren haben, der Unterschied von »Regeln« und »(Wirkungs-) Gesetzen« nicht bekannt ist, so bezeichnet er meine, diesen verschiedenen Wirkungen entsprechenden Formulirungen als »Verwandlungen« meiner Ansichten, obgleich sie alle in derselben Abhandlung von mir vertreten werden. Das sind aber keine Wandlungen meiner Ansichten, sondern ver- schiedene feststehende Thatsachen, die beobachtet sind und von denen jede stets unter den angegebenen Verhältnissen statt- findet. Sie beziehen sich auf die Theilungsrichtung des Eile ib es; und diese hängt also von sehr verschiedenen Verhältnissen ab, die wir durch meine Versuche kennen lernten. Hertwig meint da- gegen, die Ergebnisse widersprächen sich, so dass die ersteren Er- gebnisse unrichtig sein müssten (!) (pag. 146). Diese am Froschei durch die experimentelle Methode gewonnenen Ergebnisse habe ich dann diskutirt, und bin dabei zu dem Besultat gekommen, dass sie in Bezug auf den Kern mit bezüglichen früheren Beobachtungen deskriptiver Forscher an anderen Eiern gut übereinstimmen, und habe diese Übereinstimmung unter direkter Bezugnahme anf van Bexedex's berühmte Arbeit konstatirt. Hertwig verschweigt letzteres und macht sogar seine Leser glauben, ich hätte mir vax Bexeden's Verdienste anzueignen versucht. Hertwig beruft sich danach auf R. Fick's am Axolotlei ge- wonnene, von denen des ganz normalen Froscheies abweichende Befunde hinsichtlich der Richtung der Pigmentstraße (26). Diese 185 Befunde Fick's entsprechen aber den von mir bei Zwangslage der Froscheier erhaltenen Ergebnissen. Fick hat diese, für seine Eier mindestens diskutable Möglichkeit gar nicht berücksichtigt (s. oben pag. 269) und sie daher auch nicht sachlich geprüft; er hat vielmehr stillschweigend angenommen, dass die Verhältnisse seiner Eier ganz denen normaler Froscheier entsprächen, und hat daher eine auffällige Differenz unser beider Befunde konstatiren zu können geglaubt, aus welcher Hertwig sogleich den Schluss zieht, dass meine Beobachtungen unrichtig seien. Dieser Schluss wäre aber durchaus unzulässig, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass bei Axolotleiern, welche von vorn herein mit der Eiachse zwanglos eingestellt waren, diese von Fick be- schriebenen Biegungen der Bahn des Samenkörpers vorkämen; denn eine bei dem einen Thier sicher konstatirte Thatsache kann nicht durch Beobachtungen an einem anderen Thiere umgestoßen werden. Xoch rechtzeitig, um ihre Besprechung hier einfügen zu können, erhalte ich eine unter Hertwig s Leitung gemachte Dissertation von L. Michaelis über »die Eichtungsbestimmung der ersten Furche des Eies«. Der Autor berichtet, dass er bei allen seinen neun Fällen von zur Zeit der ersten Furche noch vorhandener Pigmentstraße des Samenkörpers im Ei von Rana fusca kein Zusammenfallen der ersten Furche weder mit der Penetrationsbahn noch mit der Kopulationsbahn gefunden habe; nur in einem Falle ging die Furche durch die Ein- trittsstelle des Samenkörpers, wich aber dann von der Pigment- straße ab. Der Autor zieht daraus den Schluss, dass meine Angaben über das Zusammenfallen und die daraus abgeleitete Folgerung unrichtig seien1). Ich bedaure dem widersprechen zu müssen, halte vielmehr 1 Wir wollen wünschen, dass 0. Hertwig für die wichtigeren seiner späteren, nicht mehr unter dem Einflüsse Gegexbaur's gemachten Abhandlungen, welche meist unter sehr geschickter Verwendung und Deutung der exakten Be- obachtungen anderer Autoren verfasst sind, ebenso gute und beweisende Präparate habe, als ich für diese nach ihm nicht existirende Bestimmung der Bichtung der ersten Furche des Froscheies durch die Lage der Befruchtungsstelle desselben. Siehe auch oben pag. ISO Anm. Mir wird es ein Vergnügen sein, auch diese meine, jetzt angefochtenen Präparate, für die sich bisher Niemand interessirte, jedem Kollegen, der es wünscht, hier zu demonstriren. Halle liegt ja sehr central, so dass man oft durchreist; es bedarf nur der vorherigen Benachrichtigung durch eine Postkarte und des Überschlagens eines Zuges, um die Gelegenheit zu dieser Besichtigung zu haben. 186 meine Angaben vollkommen aufrecht; da das von mir gesehene Zusammenfallen der Richtung der ersten Furchungsebene mit der Penetrationsbahn und Kopulationsbahn bei etwa 70 %, für die Kopu- lationsbahn allein bei 90% cler geprüften Eier zutraf. Selbst bei Kana esculenta, wo die Pigment Straße innerhalb des Eies zur Zeit der ersten Furche nur selten noch zu sehen ist, kann man, wenn — wie es gegen Ende der Laichperiode häufig der Fall ist, — ein »Samenfleck« am Ei Born) erkennbar ist, überwiegend häufig wahrnehmen, dass die erste Furche ihn theilt oder dicht neben ihm einschneidet, sofern die Eier von vorn herein vollkommen zwanglos gehalten waren. Leider berichtet Hertwig's Schüler über die Auf Setzung und Zwano-loshaltuno: der Eier, also über den für diesen Versuch wich- tigsten Umstand, der den Versuch erst zu einem analytischen macht, kein Wort; er scheint ihm also keine besondere Aufmerksamkeit zugewendet zu haben. Für solchen Versuch setzt man s. o. pag. 163), um sicher zu gehen, die Eier einzeln auf und zwar gleich mit dem weißen Pol ganz nach unten, und setzt bald (5 Minuten) nach der Besamung viel Wasser zu. Mindestens aber ist dafür zu sorgen, dass die Eier derartig in der Schale vertheilt werden, dass sie einzeln liegen, dass die Samen- flüssigkeit (der kein Salz zugesetzt ist) von Anfang höher steht als die Eier, und dass auch nach dem Abgießen des Samens das zuge- setzte Wasser die Eier übersteigt. Die einzige von Michaelis ge- machte Angabe, die, dass die übrigen Eier des Weibchens »normale Embryonen lieferten« beweist nichts für normalen Verlauf des Anfanges der Entwickelung. also der Vorgänge vor und bei der ersten Furchung. Haben dagegen in den Schalen von Hertwig-Michaelis die Eier während der ersten Stunde nach der Besamung, wie es bei der künstlichen Befruchtung zumeist geschieht, in einer Schicht dicht gedrängt, oder gar in zwei Schichten aufeinander oder in Klumpen gelegen, so ist bei vielen Eiern Zwangslage während des Be- fruchtungsaktes vorhanden gewesen, selbst wenn sich die Eier mit nur geringer Verzögerung »gedreht« , also nur wenig verspätet mit ihren hellen Polen nach unten gewendet haben J 1 Auch in dieser Arbeit ist, wie immer bei Hertwig. die Konstatirung der Übereinstimmungen seiner Befunde und Auffassungen mit den meinen, früheren aufs Äußerste beschränkt oder ganz unterlassen. Daliin gehört hier z. B.. dass ich (schon 1885) die Bestimmung der Richtung der ersten Furche für das ziemlich »runde« Froschei (in welchem auch Hertwig IST Weiterhin berichtet 0. Hertwig's Schüler auch nichts über die ungefähre Größe der Winkel, um welche in seinen Fällen die Eintrittsstellen des Samenkörpers an der Eiperipherie von den ersten Furchungsebenen entfernt waren, also nichts über die >Vertheilung« der Abweichungen auf die Winkel von 0 — 90°. Wir damals noch keine »Kichtung der größten Protoplasmainasse « vor der ersten Furchnng angenommen hatte, welche nach ihm die Kichtung der ersten Furche bestimmen könnte, s. u. pag. 339) von der bilateralsymmetrischen Anordnung der verschiedenen Dottersubstanzen ableitete; ferner dass schwim- mende befruchtete Eier sich nach dem Umstoßen viel rascher zurückdrehen als schwimmende unbefruchtete (s. 1, Bd. II. pag. 261, 291;; wie denn auch die jetzt von ihm verwendete Schiefstellung der Eiachse für Eana esculenta von mir ermittelt und erklärt worden ist 1, Bd. II. pag. 295 . Hertwig -Michaelis verwenden aber bei ihrer bloß für Rana fusca ge- gebenen Ableitung eine angeblich normale Schief einstell ung der Eiachse dieser Species um 45°; dies geschieht unter Berufung auf 0. Schultze's frühere Angaben. Dieser Autor hat jedoch auf Grund meiner Widerlegung 1, Bd. II. pag. 25S diese Angabe auf der Anatomenversammlung zu Straßburg zurückge- zogen und meiner Aufklärung zugestimmt, dass er durch die von mir ermittelte typische nachträgliche Aufhellung auf einer Hälfte der Unterseite getäuscht worden sei. An diese, zu seiner Auffassung nicht passende Aufhellung glaubt jedoch Hertwig wieder nicht. Da unserem Gegner HERTWKr. wie wir früher bereits und hier wieder aufs Neue erkannt haben, das Wesen des »analytischen« Versuchs noch unbekannt ist. er aber meine Versuche, nachdem das seinerseitige jahre- lange Verschweigen derselben keinen genügenden Erfolg gehabt hat, außer wie bisher zumeist nur mit der Feder, nunmehr auch durch Nachmachen widerlegen will, so werden wir wohl auch bald lesen, dass er oder einer seiner Schüler die »künstlich lokalisirte Befruchtung«, die er jetzt schon Michaelis, pag. 15) als »wohl nicht ausführbar« bezeichnet hat, »als unmöglich nachgewiesen« habe, dass er keinen Cytotropismus der Furchungszellen habe sehen können (was entschieden leichter ist, als ihn zu sehen, dass er die normale Koincidenz der Medianebene des Embryo mit der ersten Furchungsebene als »irrthümlich erwiesen« habe etc. etc. Da nach Hertwig gleiche Einwirkungen auf dieselbe Species von Lebe- wesen verschiedene Folgen geben 's. o. pag. 256), so könnte ich mich leicht damit über diese voraussichtlichen Ergebnisse Hertwig's und seiner Schüler trösten. Ich ziehe es jedoch vor, auf solchen allzu wohlfeilen Trost zu ver- zichten, und stütze mich lieber im Gegentheil auf das von mir vertretene Princip, dass auch bei denselben Organismen gleiche Einwirkungen der Hauptsache nach gleiche Folgen geben s.o. pag. HS), sowie andererseits auf die Erwartung, dass es doch noch in von mir erlebter Zeit mehreren Autoren gelingen wird, die den meinigen gleichen Versuchsbedingungen herzustellen und dann auch dasselbe zu erhalten. Ich warte gern noch weitere zehn Jahre. Oder sollte es vielleicht dieser Schrift gelingen, Hertwig selber mit dem Wesen des analytischen Versuchs so vertraut zu machen, dass er in Zu- kunft meine Versuche richtig, das heißt, ohne wie bisher immer das Wesent- liche derselben zu übersehen, wird nachmachen können? ISS erfahren somit nicht, ob auf jede Dekade von 0 — 90° einer seiner neun Fälle kam, so dass also vollkommene Unabhängigkeit der Lage der ersten Furche von der Eintrittsstelle des Samenkörpers daraus hervorginge; oder ob, wie ich vermuthe, die große Mehrzahl der Abweichungen in die Winkel der beiden ersten Dekaden, also zwischen 1 — 20° fiel, woraus bereits eine bestimmende Wir- kung der Sameneintrittsstelle auf die Richtung der ersten Furche sich ergeben würde. Diese Schätzung und Bericht- erstattung ist ganz unterblieben, obschon sie doch unerlässlich nöthig für die Beurtheilung derartiger Wirkungen ist, und obschon ich auf diese Notwendigkeit ausdrücklich hingewiesen habe (1, Bd. IL pag. 961 Aura.). Unsere Autoren dagegen sind vollkommen damit zufrieden, ein »Nichtzusammenfallen« konstatirt zu haben, und folgern daraus ohne Weiteres, dass keine Beziehung zwischen der Lage der Eintritts- stelle des Samenkörpers und der Lage der ersten Furche bestehe. Die dritte »Studie« Hertwig's behandelt einige Definitionen von mir. Nach dem, was unser Autor schon bei der Schilderung und Be- urtheilung der von mir ermittelten Thatsachen an Falschem in der Wiedergabe und Interpretation geleistet hat, werden wir uns nicht wundern, dass er bei der Behandlung von Theoretischem darin noch viel weiter o*eht. Wir gehen daher hier nicht auf eine Besprechung der von ihm geschaffenen Irrthümer ein; sondern überlassen es denjenigen Lesern, die sich dafür interessiren, sich aus unseren bezüglichen Schriften selber zu informiren (in den gesammelten Abhandlungen liegen die- selben vereinigt vor; durch ein sehr specialisirtes Sachregister ist das Auffinden des jeweilig Gesuchten sehr leicht gemacht). Die vierte und letzte »Studie« handelt über den von mir ent- deckten Cytotropismus der Furchungszellen. Diese »Studie« ist ein wahres Kabinetts tück an Verschwei- gung des Wesentlichen bei Anwendung reichlicher wört- licher Citate. Der Naine Cytotropismus (32) bezeichnet die von mir beobach- tete Näherung zweier isolirter, in einem indifferenten, nicht rasch schädlich wirkenden Medium liegender und nicht über Größe der Zelldurchmesser von einander entfernter . Furchungszellen gegen einander, und zwar die Näherung in »direkter Richtung«, das heißt in Richtung der Verbindung ihrer Massenmittelpunkte. Diese Beobach- tung geschieht bei »vollkommener äußerer Ruhe« um die Zellen. Diese Ruhe wurde in den letzten, mit allen Cautelen angestellten 1S9 Versuchen dadurch erreicht, dass die Zellen auf einem wagerechten Deckglas lagen, welches in einer feuchten Kammer sich befand, die in einen dicken Objektträger eingeschritten war und durch ein großes, tibergelegtes, den Tropfen berührendes Deckglas vollkommen ab- geschlossen wurde; natürlich zugleich unter sorgfältiger Ver- meidung jeder äußeren Erschütterung. Weil ich bei den früheren Versuchen auf dem Boden fixirte Zellen durch starke Erschütterung (vermittels Anblasens) freigemacht habe, glaubt Hertwig, ich hätte die Zellen »zusammengeblasen« und dies Geschehen für aktive Selbstnäherung genommen. Schon diese Annahme ist für unseren Kritiker bezeichnend. Bis die so freige- machten Zellen wieder neu gezeichnet und ihre Abstände gemessen waren, war diese passive Bewegung schon zur Euhe gekommen; und dann dauerte es noch 5 — 10 Minuten oder mehr, bis die Zellen sich zur Berührung näherten. Hertwig verschweigt den Lesern die Hauptmomente meiner Versuche: die Näherung in »direkter Richtung«, die »vollkommen« geschlossene Kammer sowie die »vollkommene äußere Ruhe« und berichtet bloß von meinen früheren, ohne Kammer angestellten, mir selber noch Zweifel lassenden Versuchen. Gleichwohl sagt er schließlich: »Wenn ich jetzt alle von Roux beschrie- benen Erscheinungen Revue passiren lasse, so kann ich nichts an ihnen entdecken, was uns berechtigte, den Furchungszellen ein neues besonderes Vermögen beizulegen« etc. Er meint, dass die von mir ge- schilderten Erscheinungen theils durch Erschütterung oder Strömung in der Flüssigkeit, theils durch zufällige Berührung in Folge amöboider Bewegungen, nicht aber, wie ich vertrete, durch Näherungs Wir- kungen, die von den betheiligten Zellen auf einander ausgeübt werden, bedingt seien. Bei der Ableitung von amöboider Bewegung theilt er zwar mit, dass ich solche Fälle selber geschildert habe, erwägt aber nicht, dass dabei doch nur ausnahmsweise Näherung in direkter Rich- tung stattfinden könnte, wie er ja überhaupt dieses wesentlichste Charakteristikum der Sache nicht erwähnt hat. Daher erfahren die Leser auch nicht, dass die cytotropisch sich nähernden Zellen, wie ich angebe, trotz der manchmal vorhandenen geringen Zuspitzung der Zellen gegen einander, oft fast rund erscheinen (32, pag. 59 und 186), indem ihre wagerechten Durchmesser etwa wie 10 zu 11 sich ver- halten; so dass also von amöboiden Bewegungen, die zufällig zur Berühruug fahren, nicht die Rede sein kann. 190 Weiterhin verschweigt der Autor auch die wichtigen Kontroll- versuche, die darin bestanden, dass ganz die gleichen Versuche wie sonst auch mit den Zellen von Eiern angestellt wurden, welche vorher kurze Zeit auf 4S° C. erwärmt waren, so dass sie selbst vielleicht 44 bis 46° C. warm geworden waren. Sie lieferten das Ergebnis, dass bei diesen Zellen nie die geringste Näherung zu beobachten Avar, was doch leicht hätte geschehen müssen, wenn äußeren Einwirkungen der Zellen auf einander, wie Erschütterungen und Strömungen, ein Antheil an den Resultaten zugekommen wäre. Trotz des Yerschweigens gerade aller derjenigen Momente, welche mich veranlassten, eine direkte Wirkung von Zelle zu Zelle als Ursache dieser Näherungen anzunehmen, wagt es Hertwig seinen Lesern schließlich mit den bereits citirten Worten zu kommen: »Wenn ich jetzt alle von Eoux beschriebenen Erscheinungen Revue passiren lasse, so kann ich an ihnen nichts finden, was uns berechtigte, den Furchungszellen ein neues Vermögen beizu- legen« etc.1). Wir meinen: Er konnte in der ihm gewohnten Weise sagen, er glaube diese Angaben nicht, wie er ja auch an meine Hemiembiyonen nicht »glaubt«. Dann waren die Leser orientirt und vermochten sich ihr Theil dabei zu denken; aber er durfte diese Argumente nicht ganz unerwähnt lassen. Ich erinnerte in meiner Abhandlung zugleich an die Möglich- keit, dass diese Näherungswirkung chemotropisch vermittelt sein könne, ohne mich irgend wie im Speciellen für diese Art der Ableitung fest zu engagiren, da vorläufig keine Thatsachen vorliegen, die eine besondere Deutung auf die diese Näherungsbewegungen vermit- telnde Wirkungsweise zulassen. Dem Cytotropismus kommt aber, wie zur Strassen (33) und ich bereits gezeigt haben, ein erheblicher Antheil an der normalen Gestaltung zu. Der Cytotropismus ist also eine typisch gestaltende Wirkungsweise der embryonalen Ent- wickelun^. Hertwig wundert sich auch über die von mir geäußerte Ver- muthung, dass zwischen anderen Zellen liegende Zellen cytotropische l] H. Driesch erwähnt iin vorigen Hefte dieses Archivs (Bd. V. pag 133), dass er Hertwig's vorstehend mitgetheilten und von uns beleuchteten Urtheilen über die genannten Specialuntersuchungen am Froschei »im Großen und Ganzen« zustimmt. Er wird wohl nicht verfehlen, die Gründe dieser Zustimmung kund zu geben. Man k;mn dieselben nicht ohne "Weiteres vermuthen. da er selber keine Versuche über das Froschei publicirt hat. 191 Wirkungen unter letzteren, also wenn diese um mein* als einen Durehmesser von einander entfernt sind, vermitteln können; er ver- schweigt dabei, dass ich, wenn auch erst in einem Falle, bei solcher Sachlage »direkte« Näherung von zwei Zellen gesehen habe, welche um den dreifachen Durchmesser der kleineren Zelle von einander entfernt waren (5, pag. 422 und 456). Der Cytotropismus kann, wie ich schon anderweit ausgeführt habe (4, pag. 186; 5, pag. 457 und 32, pag. 480) nicht ausschließlich auf Kapillarität (Oberflächenspannung) beruhen, obschon dies Driesch wiederholt vertreten hat, und obschon ich selber der Kapillarität »ver- muthungs weise« einen wesentlichen Antheil bei der Ausführung der Näherung zugesprochen habe, indem ich erörterte, dass die Wirkung, welche von der einen Zelle auf die andere ausgeht, lokal die Ober- flächenspannung der Zelle herabsetze. Es fehlt bei »ausschließlicher« Ableitung von der Oberflächenspannung aber noch die von der einen Zelle auf die Nachbarzelle und umgekehrt ausgehende Wirkung, welche diese Änderung der Oberflächenspannung veranlasst. Diese Wirkung ist an sich wohl noch nichts so ganz Besonderes, denn 0. Bütschli sagt bezüglich der von ihm künstlich producirten Schaumtropfen (12, pag. 35): »Eigenthümlich ist es, wenn zwei Tropfen gegen einander laufen. Benachbarte Tropfen scheinen hierzu geneigt zu sein; sie stoßen mit den Ausbreitungscentren auf einander, worauf die Strömung in beiden Tropfen viel stärker wird.« Leider war mir diese interessante Beobachtung Bütschli's zur Zeit der Abfassung meiner Abhandlung nicht bekannt. Da jeder Tropfen nach Bütschli nach der Seite seines Ausbreitungscentrums wandert, so müssten sich also die Tropfen in Bezug auf die Lage dieser Centren, wohl in Folge ihres großen Salzgehaltes, der nach außen diffundirt, gegenseitig beeinflussen; die Tropfen würden dabei, entsprechend der von mir erwähnten Möglichkeit (32, pag. 185) nach der Bichtung geringster Abnahme der Koncentration wandern. Daneben wäre noch die andere Möglichkeit zu erwägen, dass die Nähe- rung durch von den Tropfen aus im Medium erzeugte Strömungen entstanden wäre, also vielleicht auf ähnliche Weise, wie die direkte Zu- sammenführung in meinem Versuche der Selbstkopulation 4 — 6 cm weit von einander (aber auf der Oberfläche des Mediums schwimmender) Chloroformtropfen (s. o. pag. 47 Anm.). Es sei daher daran erinnert, dass bei den cytotropisch wirkenden Furchungszellen trotz besonderer, darauf gerichteter Aufmerksamkeit keine Strömung, weder in der Oberfläche der Zelle noch im Medium zu sehen war; freilich dauerte 192 ja auch die Zurücklegung selbst der geringen Entfernung von einem Zellradius meist lange Zeit: i/i — 1 Stunde. Also principiell, das heißt, in Bezug auf die Art des Ge- schehens, auf die vermittelnde Wirkungsweise ist »vielleicht« solche direkte Selbstnäherung von Zellen gegen einander nicht so schwer vorstellbar; dies wird sie aber sofort, wenn dadurch bestimmte ypische Gestaltungen hervorgebracht werden sollen. So haben wir denn nach den allgemeinen Einwendungen Hert- wig's gegen die Entwickelimgsmechanik auch die speciellen, gegen einige meiner Arbeiten gerichteten kennen gelernt und gesehen, dass auch in dem letzten Falle der größte Theil seiner Polemik und deren Wirkung auf den Leser, neben sehr gewandter Darstellung, in sach- licher Beziehung wesentlich darauf beruht, dass Hertwig das We- sentlichste der Thatsachen, Argumente und Auffassungen des von ihm bekämpften Gegners ganz verschweigt oder in der Hauptsache ganz unrichtig darstellt. Wenn auch bei Besprechung ausgedehnter Materien und bei großen Meinungsverschiedenheiten Missverständnisse, ja selbst gelegentlich einmal das Übersehen eines hauptsächlichen Momentes der Ansichten des Gegners vorkommen kann, so ist dies hier bei Hertwig doch in einem ganz ungewöhnlichen Maße der Fall. Jedenfalls werden meine Leser erkannt haben, dass sie in Zu- kunft Mittheilunffen und Kritiken 0. Hertwig's über Entwickelndes- mechanik im Allgemeinen, wie über meine Arbeiten im Besonderen nur mit größtem Misstrauen aufnehmen und nichts in ihnen ohne eigene sorgfältige Kontrolle, auch schon seiner angeblich that- sächlichen Mittheiluugen, glauben dürfen. Die ganze Wirkung eines wissenschaftlichen Autors auf seinen Leser beruht auf der selbst- verständlichen Voraussetzung, auf dem Vertrauen, dass der Eeferent oder Kritiker weni erstens die Thatsachen und Anschauungen des Gegners in der Hauptsache richtig, und im Wesentlichsten vollständig mittheile, nicht aber dem Leser das Wesentlichste und zu seiner Information Nöthiirste vorenthalte. Dieses Vertrauen ist von Hertwig in dieser Schrift vollkommen getäuscht worden1); l) Bei diesem Verhalten unseres Gegners war es immerhin gut, dass ich von befreundeter Seite zeitig auf die Existenz dieser gegen die Entwickelungs- mechanik und gegen mich gerichteten Schrift aufmerksam gemacht worden biu, um ihr zeitig genug entgegentreten zu können, ehe sich seine unwahren 193 und er hat sich dabei als ein Meister der »unrichtigen Dar- stellung* bei Anwendung reichlicher wörtlicher Citate« er- wiesen (s. o. pagg. 41, 94 Anm., 105, 184, 189, 197). Wenn es ihm möglich sein* sollte, sich doch noch mit Verständnis in unsere Materie einzuarbeiten, so könnte er als ein ausgezeichneter Stilist für die Ausbreitung der Entwickelungsmechanik sehr förder lieh wirken. Doch ist nicht zu tibersehen, dass über ein neues und überaus schwieriges Gebiet, auf welchem über die Bedeutung der meisten Thatsachen noch sehr verschiedene Auffassungen mit anscheinend gleichwerthigen Argumenten vertreten werden, auch ein Meister der Darstellung nur dann leichtfasslich und elegant schreiben kann, wenn er sich nicht durch ein Bestreben, exakt zu sein, d. h. jedes Verhältnis bloß dem Grade unserer derzeitigen Gewissheit, richtiger unserer Ungewissheit, entsprechend darzustellen, beengen lässt, sich also nicht durch die Bande der Exaktheit gefesselt fühlt. Wie denn 0. Hertwig bekanntlich sogar auf dem durch die Arbeit eines ganzen Jahrhunderts an sicheren Thatsachen und Deutungen so reichen Ge- biete der deskriptiven Entwickelungsgeschichte, und selbst in seinem für Studenten geschriebenen Lehrbuche, von dieser Fessellosigkeit einen ausgedehnten Gebrauch macht V. Zusammenfassung. Die allgemeine Aufgabe der Entwickelungsmechanik ist die Erfor- schung der Ursachen, auf denen die Entstehung, Erhaltung und Rückbil- dung der organischen Gestaltungen beruht. Die Entwickelungsmechanik hat daher die ursächlichen Wirkungsweisen (resp. die ihnen zu supponirenden Kräfte) zu ermitteln, durch welche diese gestaltenden Wirkungen hervorgebracht werden; dazu gehört auch die Erforschung der nöthigen Bedingungen dieser Wirkungsweisen, also der ge- staltenden Beziehungen der Theile des Körpers unter einander und mit der Außenwelt. Für jede einzelne Gestaltung wären alle diese Momente zu erforschen. Die rein deskriptive, noch mehr die vergleichende Erforschung Darstellungen im Gedächtnis der Zeitgenossen festsetzen konnten. Andererseits wird die von unseren Lesern gemachte Erfahrung gestatten, dass wir uns zukünftig bei ähnlicher Art der Polemik dieses Autors mit kurzen Hinweisen auf die »Wiederholung« der hier von ihm angewandten Taktik begnügen dürfen. Itoux, Programm. 13 194 des normalen Gestaltungsgeschehens gestatten bereits Schlüsse auf solche ursächlichen Beziehungen und Wirkungsweisen, doch nur Schlüsse allgemeinerer, in Bezug auf die Lokalisation und Art der Wirkungen sehr unbestimmter Art (s. pag. 7 — 12, 38). Die neue, die besondere Aufgabe der Entwickelungsmechanik beginnt daher da, wo die Leistungsfähigkeit dieser anderen For- schungsweisen aufhört. Doch müssen zur möglichsten Lösung der Aufgaben der Entwickelungsmechanik die causalen Leistungen aller biologischen Forschungsrichtungen zu gegenseitiger Unterstützung, An- regung und Berichtigung zusammengefasst werden. Zur Lösung dieser besonderen Aufgaben hat die Entwickelungs- mechanik der thierischen Organismen eine besondere, von den histo- rischen Forschungsmitteln der anderen morphologischen Disciplinen der Zoobiologie abweichende Methode, die in einer besonderen Art des biologischen, des morphologischen, noch enger in einer besonderen Art des causal-morphologischen Experiments besteht. Diese Methode ist das »analytische« causal-morphologische Experiment (im Unterschied zu dem »unbestimmten« causal-morphologischen Experiment einerseits und zu dem formal- analytischen Experiment andererseits, welche beide auch früher schon mannigfach von Morpho- logen angewandt wurden und auch jetzt noch angewandt werden, s. o. pag. 132 u. f.). Das causal-analy tische Experiment ist das große Hilfsmittel, dem auch auf den anderen Gebieten ursächlicher Forschung: der Physik, Chemie, Physiologie etc. alle exakte Einsicht in ursächliche Verhältnisse zu verdanken ist. Die anderen Arten von Experimenten gestatten nur unbestimmtere ursächliche Ableitungen, welche aber die Entwickelungsmechanik, wie jedes causale Ergebnis, gleichfalls mit verwerthet. Obgleich das Experiment am lebenden Organismus abnorme Verhältnisse schafft, so ist es doch möglich, aus den gestaltenden Reaktionen, mit denen der Organismus auf diese Eingriffe antwortet, Schlüsse auf die »normalen« gestaltenden Wirkungsweisen, also auf die normalen qualitativen Verhältnisse des gestaltenden Geschehens zu ziehen. Diese Möglichkeit beruht auf der Konstanz der progressiv gestaltenden Reaktionsweisen der Organismen (pag. 121). Um dagegen aus dem Experiment am Lebenden auf quantitative Verhältnisse von Leistungen des normalen Gestaltungsgeschehens zu schließen, ist die Kombination verschiedenartiger Experi- mente über ein und denselben Vorgang nöthig, da die quantitativen Verhältnisse des Geschehens sehr leicht alterirt werden (pag. 93). 195 Der Name Entwickelungsmechanik für diesen neuen ur- sächlichen Zweig* der Zoobiologie schließt sich, wie wir sahen (pag. 171), gut an den bisherigen Wortinhalt der dabei verwendeten Worte an. Viele anderen wissenschaftlichen Termini werden anstands- los in einem Sinne gebraucht, der viel weniger mit dem etymolo- gischen Wortinhalt übereinstimmt. Bezüglich der Auffassungen unseres Gegners 0. Hertwig ergab sich, dass er immer das Wesentliche, Besondere unserer Ausführungen sowohl über das Programm wie über die besondere Methode der Ent- wickelungsmechanik nicht verstanden und gar nicht in sein Bewusst- sein aufgenommen, es nicht appercipirt hat. Daher kam er zu dem Sehluss, dass die Entwickelungsmechanik keine besonderen Aufgaben and keine besondere Methode habe. Dies erklärt sich weiterhin da- durch, dass der Autor glaubt, mit dem Gebiete des Sichtbaren und des aus ihm zu Erschließenden höre auch das Gebiet der Forschung auf (s. o. pag. 36 u. 45); und indem er sagt: »In dem Entwickelungsprocess eines Thieres legt die Natur dem Forscher ihre Geheimnisse , offen' vor, bietet ihm die Quelle unermesslicher Erkenntnis, die nicht erst durch das Experiment erschlossen zu werden braucht« (pag. 37). Wenn dies beides richtig wäre, dann wäre auch die Be- hauptung Hertwig's, »dass die Entwickelungsmechanik kein beson- deres Programm habe«, zutreffend; und natürlich brauchte sie dann auch keine besondere Methode. Diese Prämisse ist aber nicht richtig. Daher fängt das Specifische der entwickelungsmechanischen Forschung gerade an der Grenze an, an welcher für ihn mit dem Glauben, dass alles Erstreb enswerthe und Erreichbare auch erreicht sei, die Forschung aufhört. Er interpretirt G. Kirchhofe irrthümlich in dem Sinne, dass alles Forschen bloß das sichtbare Geschehen, die Erscheinungen »als solche« zu ermitteln und möglichst vollständig und einfach zu beschreiben habe. Wir vertreten dagegen die Auffassung, dass auch das unsichtbare Geschehen mit Hilfe des Experiments möglichst in seinen Ursachen und Wirkungs- weisen zu erforschen sei, und dass alsdann auf Grund der dadurch gewonnenen, und nur auf diese Weise gewinnbaren, möglichst voll- ständigen Einsicht das bezügliche Geschehen möglichst vollständig und möglichst »einfach«, das heißt das Wesen des betreffenden Ge- schehens bezeichnend, zu beschreiben sei (pag. 48). Da die Entwickelungsmechanik als exakte Forschung das orga- nische Gestaltungsgeschehen möglichst weit nur auf die jeweilig be- kannten physikalisch-chemischen Wirkungsweisen resp. Kräfte zurück- 13* 196 zuführen sich bestrebt, so hat sie es nicht mit dem unerforschbaren »Wirken an sich«, nicht mit der metaphysischen Seite des Wirkens zu thun. Die Auffassung Hertwig's, dass die Physik und Chemie keine gestaltenden Kräfte kennen (s. o. pag. 53), und dass weder ein- zelne Kräfte noch Kombinationen von Kräften Gestaltungen hervorzubringen vermögen (s. pag. 58), da Kräfte sich immer auf das Allgemeine beziehen, Gestalten aber das Besondere sind (s. pag. 53), wird von uns nicht getheilt. Diese Auffassung macht es aber begreiflich, dass Hertwig unsere Ableitungen und Bestrebungen nicht verstehen konnte. Wir haben ersehen, dass alle der Materie zugeschriebenen Kräfte gestaltend wirken, also gestaltende sind, und dass auf typischen, quantitativ und qualitativ verschiedenen Kombinationen dieser Kräfte resp. ihrer Substrate in erster Linie die verschiedene typi- sche Gestaltung der Organismen beruht; dass in zweiter Linie auch die »zugeführten« Energien der Bewegung gestaltenden Antheil nehmen können: einen direkten, indem sie die durch die Kräfte der organisirten Materie aus letzterer aufgebauten Gestaltungen ändern können, und einen indirekten, indem sie die »organische Gestaltungsmaschine« in Betrieb setzen und erhalten (pag. 65). Es brauchen aber nicht alle Kombinationen von Kräften und Energien sogen, bleibende Gestaltungen zu liefern, wie es die von uns Morph ologen untersuchten Gestaltungen sind. Sondern die gestal- tenden Wirkungen der Kräfte können rasch vorübergehende und fortwährend sich wiederholende sein, wie bei einer arbeitenden Ma- schine; das ist bei den Kombinationen von Kräften und Energien der Fall, auf denen die bloßen Erhaltungsfunktionen der Organismen beruhen, welche den Forschungsgegenstand der Physiologen bilden. Dieses Unterschieds wegen haben wir diejenigen Kombinationen von Kräften resp. Energien, welche bleibende Gestaltungen pro- duciren, als gestaltende /.ax lioy^v bezeichnet (pag. 50). Bezüglich der Beurtheilung der speciellen Einwendungen 0. Her t- wig's und der wenig vertrauenswürdigen Art seiner Berichterstattung und Polemik sei auf die Specialzusammenfassungen und auf die ihnen vorausgegangenen Darlegungen verwiesen (s. pag. 41, 94, 105, 184, 189, 197). Dagegen schien uns Hertwig's klare Darlegung seiner eigenen Auffassungen und Tendenzen geeignet, unsere Auffassungen und Be- strebungen deutlich dagegen abzugrenzen. Wir nehmen aber nicht 197 an, dass Hertwig wirklich der Vertreter des mittleren Niveaus der Auffassungen der derzeitigen deskriptiven und vergleichend -anato- mischen Forscher ist; auch sind Vertreter dieser Richtungen bekannt, denen eine weit tiefere Einsicht eigen ist. • Schließlich erscheint es mir für die morphologische Wissenschaft der Organismen ersprießlicher, wTenn die Gegner unserer Richtung sich zunächst erst einmal gründlich mit dem Studium unserer Schriften, als sogleich mit der Opposition gegen diese ihnen nicht vertraute Materie befassen würden ; und wenn sie nach dieser Information, statt durch Polemik und phantastische Hypothesen, uns durch exakte empirische Arbeit ihrer Art zu bekämpfen und vor dem Forum der Wissenschaft in den Schatten zu stellen versuchen würden. Wem nicht unser Fortschreiten an sich genügt, sonderu wen es drängt, zu ermitteln, welche Forschungsrichtung am meisten zur Vermehrung unserer Erkenntnis beigetragen hat, der kann alle zehn Jahre eine Übersicht der Hauptergebnisse der Forschungen der verschiedenen Richtungen anfertigen. Bei gleichzeitiger Berück- sichtigung der Zahl der Arbeiten und der Zahl der Arbeiter jeder Richtung, wird er dann auch erkennen, welche Richtung ceteris paribus die morphologische Erkenntnis der Lebewesen am meisten zu be- reichern geeignet ist. Ein auf diese Weise und in Hinsicht auf das letztgenannte Ziel geführter Wettkampf wird jedenfalls förderlicher sein, als die heftigste und ausgedehnteste Polemik. Halle a. S., April 1897. Zusätze. Von den der Schrift Hertwig's angefügten »Zusätzen« wollen wir hier noch einiges Thatsächliche richtig stellen. 1 Hertwig rügt auf pag. 201) scharf, dass ich in meinen gesammelten Abhandlungen auf pag. 204 gelegentlich der Zusammenfassung früherer Resultate die damals (1883, 1884^ erhaltenen halben Embryonen, für die ich erst später (in Beitrag VII) den Namen Hemi embryones laterales und anteriores einführte, gleichwohl einfach mit letzterem Namen nenne, ohne auf dieser Seite diese Benennung durch Einschluss in eckige Klammern als »nachträgliche« kenntlich zu machen. Er erwähnt jedoch nicht, dass an dieser Stelle auf die zwei früheren Stellen (pag. 174 und pag. 161) verwiesen wird, wo das eine Mal der eine Name fett gedruckt in eckigen Klammern, das andere Mal als Anmerkung in eckigen Klammern beigefügt ist, z. B. : [Diese Art von Missbildung wurde später als Hemiembryo lateralis von mir bezeichnet (s. Nr. 22. pag. 129)]. 198 Er hätte auch wohl mit hinzufügen sollen, dass ich in dieser ersten Schrift statt des späteren Ausdruckes Hernie nibryo lateralis den Namen Hemicormus lateralis 1. Bd. II. pag. 174 anwandte. Wenn beides von ihm mitgetheilt worden wäre, so wäre dann wohl sein Vorwurf hinfällig oder kleinlich erschienen und seinen daran geknüpften, ihn charakterisirenden In- sinuationen der Boden entzogen worden. Letztere veranlassen mich noch Folgendes zur Redaktion meiner gesam- melten Abhandlungen zu bemerken, was ich nicht versäumt haben würde, noch in der Vorrede zu erwähnen, wenn ich bei ihrer Abfassung an solche Ge- sinnung eines Lesers gedacht hätte. Ich habe, inkonsequenter Weise, diejenigen nachträglichen Anmerkungen, welche ihrem Inhalte nach, das heißt, da in ihnen das Wort »später« vor- kommt oder da auf eine Arbeit mit angegebener späterer Jahreszahl Bezug genommen wird, sich selber als nachträgliche Zusätze charakterisiren. die eckigen Klammern weggelassen. Es wäre wohl besser gewesen, das Princip der mechanischen Charakterisirung aller nachträglichen Zusätze durch eckige Klammern streng durchzuführen. Auch habe ich einige Mal einen guten Ausdruck oder eine recht be- zeichnende Eedewendung, die in einer Arbeit erst an späterer Stelle sich fand, in derselben Abhandlung auch an früherer Stelle bereits in Gebrauch genommen und dasselbe dann gelegentlich auch in späteren Abhandlungen gethan; und außerdem wurden, wie bereits in der Einleitung pag. XI) mitge- theilt ist, auch sonst manche bloß stilistische Verbesserungen vorgenommen. Denjenigen Lesern, denen es auf möglichst leichte Kenntnisnahme vom Inhalte meiner Abhandlungen ankommt, werden diese, das Verständnis erleich- ternden stilistischen Verbesserungen willkommen sein. Wem aber mehr daran gelegen ist, am Einzelnen zu mäkeln, dem wird allerdings eine weniger gute und daher hier und da auch leichter zu missdeutende Stilisirung genehmer sein. Trotzdem bin ich auch diesem, wohl nur von wenigen, missgünstigen Zeitgenossen vertretenen Zweck in so fern entgegengekommen, indem allent- halben die Originalpaginirung eingeführt wurde, so dass jede gerade wichtige Stelle leicht verglichen werden kann, was ohne dieses Hilfsmittel wohl sehr mühsam wäre und daher vielleicht unterbleiben würde. Ich habe auch bereits bei dem eigenen Gebrauch meiner gesammelten Abhandlungen außer manchen, z. B. auch mir nachtheiligen Druckfehlern (— es sei hier gleich berichtigt, dass auf pag. 942 Anm. des II. Bandes statt H. G. Ziegler, F. Keibel als der Autor zu nennen ist, auf dessen Anregung Dr. Ekdres meine Anstichversuche am Froschei mit Erfolg nachmachte — ), bereits zwei Stellen aufgefunden, an denen zu meinem Erstaunen die eckigen Klammern um eine Einschaltung im Texte fehlten; zum Glück sind es Stellen nebensächlichen In- haltes; es lässt sich nicht mehr feststellen, ob ich dies, eben in Folge seiner Nebensächlichkeit, übersehen habe, oder ob der Abschreiber oder der Setzer die Schuld trägt. Doch wird wohl kaum ein Autor den Druck von 1900 Seiten besorgen, ohne manchen Druckfehler und sonstigen Irrthum zu übersehen. 2) Auf den pagg. 199 u. f. bringt Hertwig wieder allerhand kleine, aber in ihrer Gesammtheit doch bedeutsame chronistische Irrthümer über das Zeit- liche mehrerer meiner Versuche. Es sei daher hier noch Einiges darüber in Erinnerung gebracht. Mein Beitrag I zur Entwickelungsmechanik , der in der Zeitschrift für Biologie. Bd. XXL 1885 erschien, und in welchem zuerst über Anstich versuche 199 am Ei ausführlich berichtet wurde, bezieht sich, wie ich daselbst angegeben habe, nicht auf Versuche aus dem Jahre 1885, sondern aus den Jahren 18S2 — 1884. Die Hauptergebnisse wurden in der »Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur« zu Breslau am 15. Februar 1884, also vor dem Beginn der Laich- periode des Jahres 188 4, mitgetheilt, woraus wohl hervorgeht, dass sie spätestens aus dem vorhergehenden Jahre 1883 stammen müssen, da die Laich- periode der Frösche in Deutschland vom März bis Mai dauert. Die ausführ- liche Abhandlung wurde, wie auch aus der Unterschrift der Arbeit hervorgeht, bereits am Schlüsse des Jahres 1884 Herrn Geh. Rath Kühne zur Veröffentlichung übersandt; das Latenzstadium war in jener Zeitschrift damals ein etwas langes so dass die Arbeit erst am Anfang Juli oder Ende Juni erschien. Beitrag III zur Entwickelungsmechanik , abgedruckt in der Breslauer ärztlichen Zeitschrift vom 28. März 1885, enthält gleichfalls Versuche des vorher- gehenden Jahres 1884; und nur ein bei der Laichung des Frühjahres 1885 im März eben frisch gewonnenes Resultat über künstliche lokalisirte Befruchtung konnte noch in Form einer Anmerkung als vorläufige Mittheilung bei der Kor- rektur zur Ergänzung von früher Gesagtem eingefügt werden, wie 1 , Bd. II pag. 301 mitgetheilt worden ist. Die anderen, ausführlich mitgetheilten Ver- suche, darunter die mit Deformation von Eiern durch Aspiration in Glasröhren, stammen aus dem Jahre 1884, nicht von 1885, wie Hertwig annimmt. Zugleich findet sich in dieser Abhandlung 1, Bd. II. pag. 325) die Be- merkung, »dass in diesem Jahre (1884, siehe daselbst sieben Zeilen weiter oben alle meine Eier behufs Verwendung der Mehrzahl derselben zu anderen Versuchen, sich wenigstens einige Stunden lang, von der Besamung an in Zwangslage befanden«. Diese anderen Versuche waren, wie die nachträgliche Anmerkung auf derselben Seite der gesammelten Abhandlungen besagt, die Anstich versuche; hier wurde schon 1884 die Methode der genauenLokali- sation des Anstiches angewandt, von der Hertwig pag. 124 sagt, dass ich sie ;1894; »bloß beschrieben« hätte. Ich habe übrigens nach meiner ersten Publikation nicht erst wieder im Jahre 1887, sondern auch schon in den Jahren 1885 und 1886 neben anderen Versuchen auch Froscheier operirt ; leider verschimmelten sie aber zumeist am zweiten oder dritten Tage, so dass ich damals mit meinen Schalen alle in den Osterferien disponiblen Räume der alten Anatomie zu Breslau durch- wanderte, um eine günstigere Lokalität zu finden (s. 1, Bd. II. pag. 356;. Da ich die nachstehend erwähnte Taktik eines Gegners nicht ahnte, so habe ich leider verabsäumt, die Thatsache der früheren Gewinnung einiger weiterer Halbbildungen bei Anwendung der kalten Nadel mitzutheilen. weil letztere gegenüber der großen Zahl von über 100 Stück der durch Anstich mit der heißen Nadel gewonnenen Hemiembryonen des Frühjahres 1887 ganz un- erheblich waren. In diesem Frühjahre hatte ich in Folge starken Heizens des verwendeten kleinen Zimmers zur Beschleunigung der Froschentwickelung nicht so unter Schimmel zu leiden. Auf meine anerkennende Bemerkung darüber, dass Hertwig auf Grund meiner Berichtigung über die von ihm irrthümlicher Weise Chabry zuge- schriebene Priorität der An stich versuche an Eiern seinen Irrthum sogleich zurückgenommen habe 37, pag. 458,, stellt jetzt Hertwig diese Zurücknahme in Abrede und sagt pag. 202 : »Ich muss daher Roux ersuchen, durch Angabe der Stelle, 200 welche er bei seiner Bemerkung im Auge hat, meinem Gedächtnis nachzuhelfen.« Dem wollen wir gern entsprechen. In seiner nächsten, nach meiner Berichtigung erschienenen Abhandlung: Über den Einfluss äußerer Bedingungen auf die Entwickelung des Froscheies fSitzungsber. d. königl. preuß. Akad. d. Wiss. zu Berlin. 1894. XVII. Gesammt- sitznng vom 5. April. Sep. -Abdruck) findet sich auf pag. 2 der Passus: »So kommen oft verschieden geformte Theilbildungen zu Stande, ähnlich denen, welche man erhält, wenn der Experimentator in der von Eoux zuerst ge- übten Weise das Ei während des Furchungsprocesses mit einer erwärmten Nadel ansticht und eine von den beiden oder von den vier ersten Furchungszellen ganz oder theilweise abtödtet.« Seitdem ist es Hertwig gelungen, nachträglich noch eine Auffassung zu finden, auf Grund deren er diese Priorität mir doch noch entwinden und Chabry zuwenden zu können glaubt. Hertwig verschmäht, wie bei anderer Gelegenheit, so auch hier aber selbst die kleinsten Mittel nicht, um seinen Zweck zu erreichen. So citirt er in Bezug auf meine zweite Abhandlung wiederholt statt Roux's Ab- handlung von 1888 oder Roux's Versuche von 1887: Roux's Versuche von 1888, obschon er weiß, dass die durch diese Versuche erhaltenen Embryonen im September 1887 auf der Naturforscherversammlung zu Wiesbaden demonstrirt worden sind, also aus dem »Frühjahr« 18 8 7 stammen müssen, und dass die Abhandlung im December 1887 abgeschlossen wurde. Durch diese kleine Ab- weichung von der Wahrheit gewinnt jedoch Chabry's Arbeit eine augen- fällige Versuchspriorität von einem Jahre vor dem Inhalt meiner zweiten Abhandlung. Doch handelt es sich bei der Beurtheilung einer Priorität wohl nicht um die zweite, sondern um die erste Abhandlung über denselben Gegenstand. Chabry selber gedenkt in seiner Arbeit vom Jahre 1887 meiner zwei Jahre vorher publicirten und schon ziemlich umfänglichen Untersuchung mit keinem Worte, sondern sagt, wie ich vorher in meiner Arbeit auch: er habe mit diesen Anstichversuchen der Forschung ein neues Gebiet erschlossen. Chabry's Material, Ascidien, deren Entwickelung Chabry nach seinen Angaben unter Pouchet im Sommer 1885 studirte, hat den Vortheil, dass je de in beliebiger Weise angestochene Furchungszelle von selber in toto abstirbt; während man beim Froschei die größte Mühe hat, eine ganze Zelle der ersten beiden Furchungszellen todt zu bekommen, ohne die Nachbarzelle mit zu verletzen. Wie wesentlich dieser günstige Zufall ist, hat Niemand deutlicher er- fahren, als Hertwig; denn wenn sich auch beim Froschei das Wesentliche, das Analytische des Versuchs nach dem einfachen Anstechen wie bei den Ascidien so von selber machte, wäre es ihm wohl nicht misslungen, meinen analytischen Versuch nachzumachen 's. o. pag. 145). Chabry hat in Folge dieser Gunst des Materials vielleicht (?) eher als ich eine ganze der beiden »ersten« Furchungszellen getödtet, aber gerade nach Driesch's und Hertwig's Deutung dabei überhaupt keine Hemiembryonen erhalten; während ich einige Jahre vorher schon (1883 und 1884) ein halbes E i durch Anstechen getödtet und dadurch Hemiembryonen erhalten hatte, und zwar zweimal nach Anstich kurze Zeit vor der »ersten« Furchung l,Bd. II. pag. 161), in anderen Fällen nach der vierten und fünften Furchung (1, Bd. II. pag. 174). 201 Auf Grund dieses Unterschiedes will jetzt Hertwig Chabry die Priorität dieser »Forschungsniethode « zuschreiben; er verwendet dabei selbst den Umstand, dass Chabry jetzt todt ist, sich also nicht mehr selber aussprechen kann. Doch wird dieser Umstand, von 0. Hertwig abge- sehen, wohl für Niemanden etwas an dem klaren Thatbestand ändern, dass ich vor Chabry diese »Metho de« anwandte, dass meine erste Arbeit 18 85, die Chabry's 1887 erschienen ist, und dass in der meinigen bereits über künst- liche, durch Anstich erhaltene, seitliche und vordere halbe Em- bryonen berichtet wird, während Chabry in seiner Arbeit selber mittheilt, dass er seine Untersuchungen überhaupt erst im Jahre 1885 begonnen habe. Das Urtheil darüber, wer danach diese Forschungsmethode früher ange- wendet und mit ihr gewonnene Ergebnisse publicirt hat, sowie überhaupt über diese Bestrebungen 0. Hertwig's, bleibe den Lesern überlassen. 3) Auf pag. 109 berichtet Hertwig, ich hätte (1, Bd. II. pag. 972) meine Beobachtungen, dass Eier sich in einer der Regel Hertwig's, von der »Ein- stellung der Kernspindel in die Richtung der größten Protoplasmamasse«, widersprechenden Weise gefurcht haben, als auf Irrthum beruhend berichtigt. Das ist durchaus unrichtig. Ich habe bloß mitgetheilt, dass dies Vorkommnis nicht so häufig ist, als ich früher glaubte; hierbei lag eine be- sondere, von mir quantitativ unterschätzte optische Täuschung vor. Die That- sache dieser Abweichungen selber habe ich (pag. 973) für eine geringere Zahl von sicheren Fällen ausdrücklich aufrecht erhalten und anderen Orts (1, Bd. II. pag. 866) noch neue Beispiele dazu aufgeführt. Übrigens sei zugleich nochmals (s. 1, Bd. II. pag. 974 und 975) betont, dass Hertwtig's Formuliiung: Einstellung der Kernspindel in »die« Richtung der »größten Protoplasmamasse«, nichtssagend, also unrichtig ist; es muss heißen: Einstellung in die »größte Richtung der dicht zusammengeschlossenen Protoplasmamasse«; denn auch die dabei gemeinte, von Nahrungsdotter fast freie Hauptmasse des Protoplasmas hat natürlich unendlich viele Richtungen; trotzdem wird diese widersinnige Fassung von Vielen zustimmend reproducirt. Die Regel müsste also lauten: die Kernspindel stellt sich in die größte Rich- tung der in sich dicht zusammengeschlossenen Protoplasmamasse (Hertwig) oder aber anderen Falls auch, wie ich bei bilateral symmetrischer Ge- staltung gefunden habe, rechtwinkelig dazu (Roux); auch kann schiefe Stellung dazu eintreten, wobei dann nachträgliche Um Ordnung der peri- pheren Protoplasmatheile stattfinden kann Roux) (1, Bd. IL pag. 327, 340, 402 und 928). Da aber nicht immer diese ganze Protoplasmamasse bei solcher Einstellung aktivirt ist (z. B. bei der Bildung der Richtungskörper), so habe ich später eine mehr dynamische Fassung für die Einstellungsursache der Kern- spindel gegeben (1, Bd. IL pag. 975). 4) Nachträgliche Zufügung. Anlässlich der oben auf pag. 2 des zuerst ausgegebenen ersten Theiles angekündigten (auf pag. 111 erfolgten) Besprechung der Einwendung Prof. 0. Bütschli's gegen den Nutzen des »Experiments am Lebenden« für die Entwickelungsmechanik theilt uns der Autor mit, dass er schon bald nach ihrer vorjährigen Aussprache ihre nur theilweise Berechtigung erkannt hat. Prof. Bütschli vertritt zugleich dieselbe Einschränkung, die wir ihr oben haben folgen lassen, so dass statt einer Differenz eine sehr erfreuliche Übereinstimmung unserer bezüglichen Ansichten besteht. 202 Literaturverzeichnis. 1) Wilh. Koux, Gesammelte Abhandlungen über Entwickelungsmechanik. Leipzig 1895. Bd. I u. IL 2) Derselbe, »Einleitung« zum Archiv für Entwickelungsmechanik der Orga- nismen. Dies Archiv. Bd. I. pag. 1 — 38. 1894. 3) 0. Bütschli, Betrachtungen über Hypothese und Beobachtung. Verhandl. d. Deutsch. Zool. Ges. 1896. pag. 7—16. 4) Wilh. Eoux, Über den Cytotropismus der Furchungszellen des Grasfrosches (Rana fusca). Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. I. 1894. 5) Derselbe, Über die Selbstordnung (Cytotaxis) sich berührender Furchungs- zellen des Froscheies durch Zellenzusammenfügung, Zellentrennung und Zellengleiten. Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. III. 1896. 6) Carl Ernst v. Baer, Über Entwicklungsgeschichte der Thiere, Beobach- tung und Reflexion. Theil I. 1828. pag. 22. 7) Wilh. Roux, Über die Verzweigung der Blutgefäße des Menschen. Jenaische Zeitschr. f. Naturwiss. Bd. 12. 1S78 und Bd. 13. 1879. 8) Ernst Haeckel, Anthropogenie. 4. Aufl. 1891. 9) Wilhelm Müller, Die Massenverhältnisse des menschlichen Herzens. Ham- burg 1883. Das erwähnte Referat steht in der Breslauer ärztlichen Zeit- schrift. 1883. Nr. 15. pag. 164 u. f.; es ist zum Theil wieder abgedruckt in meinen gesammelten Abhandlungen. Bd. IL pag. 21 — 23. 10) Wilh. Roux, Über die Bedeutung »geringer« Verschiedenheiten der rela- tiven Größe der Furchungszellen für den Charakter des Furchungsschemas nebst Erörterung über die nächsten Ursachen der Anordnung und Gestalt der ersten Furchungszellen. Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. IV... pag. 1—74. 1896. 11) 0. Bütschli, Vorwort zu den Studien über die ersten Entwickelungsvor- gänge der Eizelle, die Zelltheilung und die Konjugation der Infusorien. 1876. 12) Derselbe, Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Proto- plasma. Versuche und Beobachtungen zur Lösung der Frage nach den physikalischen Bedingungen der Lebenserscheinungen. Leipzig 1892. Sowie mehrere frühere und spätere bezügliche Abhandlungen. 13) M. Traube, Archiv f. Anat. u. Physiol. u. wiss. Med. 1867. 14) G. Berthold, Studien über Protoplasmamechanik. Leipzig 1886. 15) G. Quincke, Über periodische Ausbreitung von Flüssigkeitsoberflächen und dadurch hervorgerufene Bewegungserscheinungen. Ann. d. Physik u. Chemie. 1888. Bd. 35. 16) M. Heidenhaln, Cytomechanische Studien. Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. I. 1895 und Verhandl. d. anat. Ges. zu Berlin. 1896. 17) L. Rhumbler, a) Versuch einer mechanischen Erklärung der indirekten Zell- und Kerntheilung. Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. III. 1896. b) Stemmen die Strahlen der Astrosphäre oder ziehen sie? 1. c. Bd. IV. 1897, 18) H. Driesch, Über den Antheil zufälliger individueller Verschiedenheiten an ontogenetischen Versuchsresultaten. Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. III. pag. 295—300. 1896. 19 Derselbe, Analytische Theorie der organischen Entwicklung. Leipzig 1894. 203 20) Curt Herbst, Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss der ver- änderten chemischen Zusammensetzung des umgebenden Mediums auf die Entwicklung der Thiere. I u. II in den Mittheilungen aus d. Zool. Station zu Neapel. Bd. XI; III — VI in dem Archiv f. Entwickelungs- mechanik. Bd. IL 1896. 21) W. Preyer, Specielle Physiologie des Embryo. Leipzig 1885. 638 Seiten. 22) Ludw. Fick, Über die Ursachen der Knochenformen. Experimentalunter- suchungen. Marburg 1857 u. 1858. 23) Gust. Kirchhoff, Vorlesungen über mathematische Physik: Mechanik. Leipzig 1876. 24) Gust. Born, Experimentelle Untersuchungen über die Entstehung der Ge- schlechtsunterschiede. Breslauer ärztl. Zeitschr. 1881. Nr. 3 u. 4. 25) A. Rauber, Die Theorien der excessiven Monstra. Zweiter Beitrag. Vir- chow's Archiv. Bd. 74. 1878. pag. 117. 26) Rud. Fick, Über die Reifung und Befruchtung des Axolotleies. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1893. Bd. 56. pag. 576. 27) C. Weigert, Neue Fragestellungen in der pathologischen Anatomie. Vor- trag, geh. auf d. Naturf. -Vers, zu Frankfurt. 1896. Deutsch, med. Wochen- schrift 1896. Nr. 40. 28) Heinr. Hertz, Die Principien der Mechanik, in neuem Zusammenhange dargestellt. Mit einem Vorwort von H. von Helmholtz. Leipzig 1894. (Gesammelte Werke. Bd. III.) 29) 0. Schultze, Über die Entwickelung der Medullarplatte des Froscheies. Zeitschr, f. wiss. Zool. 1882. Bd. 47. 30) B. Solger, Der gegenwärtige Stand der Lehre von der Knochenarchitektur. 1 Taf. Untersuch, z. Naturl. d. Menschen u. d. Thiere. 1S96. Bd. 16. H. 1 2. pag. 187—318. 31) Hermann Lotze, Grundzüge der Metaphysik. Leipzig 1883. 32) Wilh. Roux, Zu H. Driesch's »Analytischer Theorie der organischen Ent- wickelung«. Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. IV. 1896. pag. 480. 33) O. zur Strassen, Embryonalentwickelung der Ascaris megalocephala. Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. III. 1896. 34) Wilh. Roux, in: Verhandl. d. anat. Ges. zu Straßburg. 1894. pag. 147 — 149. 35) Derselbe, Über die verschiedene Entwickelung isolirter erster Blastomeren. Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. I. 1895. pag. 597 u. f. Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig. Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig. Festschrift zum siebenzigsten Geburtstage von Carl Gegenbaur am 21. August 1896. 3 Bände in gr. 4°. Erster Band: Mit 15 Tafeln und 77 Abbildungen im Text. 1896. 50 Jf. Inhalt: Haeckel, Ernst, Die Amphorideen und Cystoideen. Beiträge zur Morphologie und Phylogenie der Echinodermen. Mit fünf Tafeln und 25 Figuren im Text. 20 dl. — Maurer, Dr. F., Die ventrale Rumpfmuskulatur einiger Reptilien. Eine vergleichend-anatomische Untersuchung. Mit vier Tafeln. 16 dl. — Klaatsch, Dr. Hermann, Die Brustflosse der Crossopterygier. Ein Beitrag zur Anwendung der Archipterygium-Theorie auf die Gliedmaßen der Landwirbel- thiere. Mit vier Tafeln und 42 Figuren im Text. # 12 dt. — Göppert, Dr. E., Die Morphologie der Amphibienrippen. Mit zwei Tafeln und 10 Figuren im Text. 10 dt. Zweiter Band: Mit 18 Tafeln und 85 Abbildungen im Text. 1896. 56 JL Inhalt: Boas, Dr. J. E. V., Über Neotenie. 1 dl 20 Sp. . — Hertwig, Dr. Richard, Über die Entwicklung des unbefruchteten Seeigeleies. Ein Bei- trag zur Lehre von der Kerntheilung und der geschlechtlichen Differenzirung. Mit drei Tafeln. 9 dl. — Hertwig, Dr. Oskar, Experimentelle Erzeugung thierischer Missbildungen. Mit einer Tafel und 7 Figuren im Text. 4 dl. — Corning, Dr. H. K., Merocyten und Umwachsungsrand bei Teleostiern. Mit zwei Tafeln. 6 dl. — v. Davidoff, Dr. M., Über die Entstehung des Endokard- epithels bei den Reptilien. Mit einer Tafel. 3 dl. — Hubrecht, Dr. A. A. W., Die Keimblase von Tarsius. Ein Hilfsmittel zur schärferen Definition gewisser Säugethierordnungen. Mit einer Tafel und 15 Figuren im Text. 7 dt. — Solger, Dr. B., Über den feineren Bau der Glandula submaxillaris des Menschen mit besonderer Berücksichtigung der Drüsengranula. Mit zwei Tafeln. 8 dl. — v. Koch, Dr. G., Das Skelett der Steinkorallen. Eine morphologische Studie. Mit einer Tafel und 23 Figuren im Text. (Nicht apart zu haben.) — van Bern- m-elen, Dr. J. F., Bemerkungen über den Schädelbau von Dermochelys coriacea. Mit einer Tafel. 3 dl. — Rosenberg, Dr. Emil, Über die Wirbelsäule der Myrmecophaga jubata Linne. Mit drei Tafeln und 2 Figuren im Text. 8 dt. — Scott, W. B., Die Osteplogie von Hyracodon Leidy. Mit drei Tafeln. 6 dl. — Seydel, Dr. med. O., Über die Nasenhöhle und das Jacobson'sche Organ der Land- und Sumpfschildkröten. Eine vergleichend-anatomische Untersuchung. Mit 38 Figuren im Text. 8 dt. Dritter Band: Mit 17 Tafeln und 98 zum Theil farbigen Ab- bildungen. 1897. 75 Jl. Inhalt: Gor ono witsch, Dr. N., Der Trigemino- Facialis -Komplex von Lota vulgaris. Mit zwei Tafeln. 7 dl. — Haller, Dr. B., Der Ursprung der Vagusgruppe bei den Teleostiern. Mit vier Tafeln und 1 Figur im Text. 10 dl. — Leche, Dr. Wilhelm, Untersuchungen über das Zahnsystem lebender und fossiler Halbaffen. Mit einer Tafel und 20 Figuren im Text. 5 dl. — Weber, Dr. Max, Vorstudien über das Hirngewicht der Säugethiere. 2 dl. — Semon, Dr. Richard, Das Exkretionssystem der Myxinoiden in seiner Bedeutung für die morphologische Auffassung des Urogenitalsystems der Wirbelthiere. Mit zwei Tafeln. 4 dl. — Rüge, Dr. Georg, Über das peripherische Gebiet des Nervus facialis bei Wirbelthieren. ..Mit 76 zum Theil farbigen Figuren im Text. 20 dl. — Fürbringer, Dr. Max, Über die spino-occipitalen Nerven der Selachier und Holocephalen und ihre vergleichende Morphologie. Mit acht Tafeln u. 1 Figur im Text. 40 dl. Verlag von Wilhelm Engelmaim in Leipzig. Die Biologie als selbständige Grundwissenschaft. Eine kritische Studie von Hans Driesch. 8. 1893. Jl 1.20. Analytische Theorie der organischen Entwicklung von Hans Driesch. 8 Textfiguren. 8. 1894. Jl 3.—. GRUNDRISS DER ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DES MENSCHEN UND DER SÄUGETHIERE. FÜR STUDIRENDE UND ARZTE VON De. med. OSCAR SOHÜLTZE A. 0. PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT WÜRZßüRG. BEARBEITET UNTER ZUGRUNDELEGUNG DER 2. AUFLAGE DES GRUNDRISSES DER ENTWICKLUNGSGESCHICHTE VON A. KOELLIKER. MIT 301 ABBILDUNGEN IM TEXT UND G TAFELN', gr. 8. geh. Jl 11.— ; geb. Jl 13.50. Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie mit Einschluss der vergleichenden Histologie und Histogenie von Dr. Hermann Fol Direktor des enibrj'ologischen Instituts und o. ö. Professor an der Universität Genf. Mit 220 zum Theil farbigen Figuren im Text und einem ausführlichen Register. gr. 8. 1896. Geh. Jl 14.— ; geb. Jl 16.—. Die Epidermis und ihre Abkömmlinge von Prof. Dr. Fr. Maurer, Prosektor in Heidelberg. Mit 9 Tafeln und 28 Figuren im Text, gr. 4. Jl 24.—. Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.