SCHIEFFERENS - Quell enmäss ig < )arlegung der Lehre von der Willensfreiheit b* Thomas v. Aq.

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üuellenmässige Darlegung

der

Lehre von der Willensfreiheit

bei Thomas von Äquin

mit Berücksichtigung derselben Lehre bei Duns Skotus.

Inaugural-Dissertation

zur

Erlangung der Doktorwürde

der

hohoii pbilosophischen Fakultät der Friedrieh-Alexanders-Universität Erlangen,

vorgelegt von

Matthias Schiefferens

(gepr. Kandidat des liüh. Lehramtes^

aus Bettenfeld, Bez. Trier. Tag der mündlichen Prüfung: 4. Juli 1904.

Münster i. W.

Buchdruckerei von Johannes Bredt.

1904.

IHE INSTITUTE OF I^EDIAEVAL STUOIES ^ JIM B^ 10 ELMSLEY PLACE

JL f %y \ TORONTO 6, CANADA; /

THE WSmUTE OF MEDIAEVAL ITl.i .i 10 ELft^SLEY PLACC TORONTO 5, CAnaOA,

Dem Andenken

meiner lieben Eltern

in Dankbarkeit gewidmet.

I.

Die Bedeutung und Wichtigkeit der Frage nach der Freiheit des menschliclien Willens.

Eines der wichtigsten und inhaltreichsten Probleme ist unstreitig die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen ^). „Religion und Moral^ sittliche Erziehung und Charakterbildung, die Möglichkeit einer inneren Erneuerung und Umkehr zum Besseren seitens der Gesunkenen, sittliche und rechtliche Zu- rechnung, Lohn und Strafe und damit die gesellschaftliche Ord- nung, kurz, die wertvollsten, idealsten Güter und erhabensten Forderungen, die unumgänglichsten Bedingungen eines menschen- würdigen Lebens haben den Begriff der Freiheit zur Grundlage und notwendigen Voraussetzung. Daher haben denn auch die Geschichte der Menschheit und das Bedürfnis des Lebens die Freiheit des Willens anerkannt. Alle Kulturvölker hatten und haben Gesetze, verhängten und verhängen Strafe über die Über- treter; wir selbst unterscheiden zwischen „Gut^^ und „Böse'S sprechen Lob und Tadel über die Handlungen unserer Mit- menschen aus, was nur Sinn und Berechtigung hat, wenn man die Willensfreiheit anerkennt.'^

Es ist wohl selbstverständlich, dass ein so wichtiges und bedeutendes Problem des menschlichen Denkens stets in den Bereich wissenschaftlicher, kritischer Forschung gezogen worden ist. Zweifellos musste daher auch das Christentum, seit der Zeit, wo es, durch den Zeitgeist gezwungen, den Fragen

^) Die Freiheit und Unfreiheit des menschlichen Willens vom natur- wissenschaftlichen Standpunkte, Schütz; Einleitung.

1^ o<

der i^liilosophie nicht inelii' fei-ii bleiben konnte, und seine Vertreter auf den Ktunpfpliitz dei" Kritik zur Wehr und Lehr herabsteigen mussteU;, dieser hochwichtigen Frage näher treten.

So kommt es denn auch, dass fast alle christlichen Philo- sophen, schon in den ersten Jahrhunderten, seitdem das Christentum eingeführt worden, auf die Frage nach der Frei- heit des Menschen eingingen. Recht eingehend ist die Lehre von der Willensfreiheit bei Thomas von Aquin und Duns Skotus, zwei hervorragenden Denkern ihrer Zeit, erörtert und behandelt worden.

In vorliegender Arbeit habe ich es nun unternommen, die Lehre von der Willensfreiheit des Menschen, wie sie Thomas von Aquin in seinen Schriften darstellt, quellenmässig und systematisch niederzulegen. Gleichzeitig aber habe ich auch die skotistische Doktrin herangezogen und die Anschauungen beiden einander gegenübergestellt.

In meiner Absicht lag es jedoch nicht, eine vollständige Kritik zu üben, um dann der einen oder andern Anschauung das Wort zu reden.

Ich begnügte mich lediglich, nur an einigen Stellen auf einige kritische Urteile hinzuweisen.

II.

Begriff und Einteilung der Notwendigkeit.

a. Begriff der Notwendigkeit.

Wenn man die Lehre von der Freiheit des Menschen verstehen will, so muss man sich zunächst, wie aus der Natur der Sache erhellt, über den Begriff der Notwendigkeit klar sein; denn bei dieser Frage kommt es doch lediglich darauf an, ob der Wille unter der eisernen Botmässigkeit der Not- wendigkeit steht odei- nicht. In dem Worte „Notwendigkeit^^ liegt ohne Zweifel der Begriff des Nötigens, Zwingens.

Das gotische Wort nauthjan, ahd nottan, notan, naoten, noten mhd noten, noeten, hcisst ja geradezu Not antun, bedrängen,

zwingen. Der Begriff der Notwendigkeit bildet somit einen konträren Gegensatz zum Begriffe der Freiheit, dem Freisein. Man versteht demnach unter Notwendigem das, was nicht im- stande ist, nicht zu sein. „Necessarium est, quod non esse non potest", sagt die Scholastik. Diese Art des Notwendigen trägt auch den Namen absolut Notwendiges. Hiernach trifft der Be- griff der Notwendigkeit in seinem ganzen Umfange und Inhalte nur ein Wesen, Gott. Ihm allein ist es tatsächlich unmöglich, anders zu existieren als er existiert. Wenn man allerdings von diesem Standpunkte aus die realen Dinge betrachtet, so kann man freilich bei ihnen von keiner Notwendigkeit reden, da sie ja stets einer andauernden Veränderung unterworfen sind; sie sind vielmehr zufällig. „Contingens est, quod potest esse et non esse." Gleichwohl treten die Dinge der realen Wirklichkeit je nach ihren Beziehungen zum Leben des Menschen immerhin mit einem gewissen Charakter der Notwendigkeit an uns heran. Diese Art der Notwendigkeit trägt dann den Namen relative Notwendigkeit. Es ist nämlich für jedes Wesen vollständig unmöglich, dass die ihm innewohnenden und in seinem inner- sten Wesen begründeten Kräfte nicht in Tätigkeit übertreten, wenn die notwendigen Bedingungen erfüllt sind. Die Dinge können somit unter einem gewissen Gesichtspunkte stets als notwendige erscheinen, wenn sie auch an und für sich einen kontingenten Charakter tragen. In diesem Sinne schreibt auch Thomas^): „Contingentia dupliciter possunt considerari: uno modo secundum quod contingentia sunt, alio modo, secundum quod in eis aliquid necessarium invenitur, nihil enim adeo est contingens, quin in se aliquid necessarium habeat.'^ Diese letzte Art der Notwendigkeit, die necessitas relativa, kommt natürlich nur in Betracht bei der Frage nach der Freiheit des mensch- lichen Willens.

Gehen wir nunmehr dazu über, die verschiedenen Arten der Notwendigkeit darzulegen.

') S. th. I. 86. 3 c.

b. Die Arten der Notwendigkeit.

Wie es nach den Lehren der Metaphysik verschiedene Seinsursachen gibt, so unterscheiden wir mit Thomas auch mehrere Arten der Notwendigkeit mit Rücksicht auf die Ur- sache, die es mit sich bringt, dass ein Wesen für uns den Charakter der Notwendigkeit hat.

Thomas schreibt hier ^) ; „Nomen quod significat aliquid pertinens ad rationem causae est necessarium; causa enim est, ad quam de necessitate sequitur aliquid."

Die realen Dinge können zunächst infolge äusserer oder innerer Ursachen existieren. Die ersteren Ursachen nennt man in der Scholastik „principia extrinseca". Sie beziehen sich näm- lich nicht so sehr auf die eigentliche Substanz des Dinges, sondern bedingen vielmehr die Accidenzien. Die inneren Ur- sachen führen den Namen „principia intrinseca". Sie konsti- tuieren ja im eigentlichen Sinne die Substanz des Dinges.

Demgemäss unterscheiden wir auch ein äusserlich Not- wendiges und ein innerlich Notwendiges. Unter innerlich Not- wendigem verstehen wir alsdann das, was infolge eines ihm innewohnenden Prinzips, einer inneren Seinsursache, nicht an- deres sein kann als es existiert. Unter äusserlich Notwendigem versteht man demnach das, was infolge einer äusseren Ursache, die mehr die Accidenzien betrifft, nicht anders sein kann als es ist. Diese Art des Notwendigen nennt die Scholastik auch oft „necessarium ex conditione".

Die inneren Seinsursachen zerfallen dann wieder in zwei Unterabteilungen : Man spricht von einer materiellen und einer formellen Ursache. Dementsprechend kann man auch eine materielle und eine formelle Notwendigkeit unterscheiden, je nach dem ein Ding auf Grund seiner Materie oder seiner Form so existieren muss, wie es existiert.

*) Exposit. in 5 Metaph. Arist. lect. Ga.

0

Auch die äusseren Seinsursaclien haben zwei Unterab- teilungen : Wir unterscheiden eine End- oder Zweckursache, causa finalis, und eine wirkende Ursache, causa efficiens.

Dementsprechend teilt man auch die äussere oder hypo- thetische Notwendigkeit in die Notwendigkeit des Zweckes^ necessitas finis^ und die Notwendigkeit der Gewalt^, necessitas coactionis sive violentiae.

Um eine necessitas finis handelt es sich dann, wenn ein Zweck überhaupt nicht, oder doch meistens nicht erreicht werden kann, ohne dass eine bestimmte Tätigkeit geschieht. So ist zum Beispiel a necessitate finis unbedingt das entsprechende Brennmaterial nötig, um ein Feuer zu unterhalten, oder der Genuss von Speise und Trank, um das Leben zu fristen.

Eine necessitatis coactionis liegt dann vor, wenn ein Wesen aus sich nicht im stände ist, diese oder jene Tätigkeit zu unter- lassen, zu der es eine wirkende Ursache drängt. So wird jedes- mal „auf einer schiefen Bahn ein Körper ins Rollen geraten^ wenn ihm der Stützpunkt entzogen ist" ^).

Im ganzen haben wir also eigentlich nur drei Arten der Notwendigkeit: die Naturnotwendigkeit, die Notwendigkeit des Zweckes und die Notwendigkeit der Gewalt. Die Naturnot- wendigkeit betrifft das eigentliche Wesen eines Dinges, während die beiden anderen Arten mehr die Tätigkeit der Dinge be- rühren.

Vielfach macht man jedoch heutzutage eine andere Ein- teilung der Notwendigkeit. Man unterscheidet dann eine phy- sische, metaphysische und moralische Notwendigkeit. Diese drei Arten decken sich mit den oben angeführten. Unter der physischen Notwendigkeit versteht man dasselbe wie unter der Notwendigkeit des Zwanges oder der Gewalt. Physisch not- wendig ist nämlich alles das^ was einem physischen Einflüsse seine Notwendigkeit verdankt.

^) Schütz, Freiheit oder Unfreiheit des menschl. Willens vom naturwissenschaft.l. Standpunkte.

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Die metaphysische Notwendigkeit fällt zusammen mit der Naturnotwendigkeit. Alles was in der Natur eines Dinges be- gründet ist, ist metaphysisch notwendig.

Unter dem Einflüsse einer moralischen Notwendigkeit handelt derjenige Mensch, der infolge eines ihn mächtig be- stimmenden Zweckes nicht anders kann, eine bestimmte Tätiir- keit zu vollziehen.

Er handelt also dann, wie die meisten Menschen in dem Falle handeln müssten.

Dieser letzteren Art der Notwendigkeit kann nur ein mit Vernunft begabtes Wesen unterstehen. Wenn auch die übrigen Lebewesen bei ihren Funktionen von Zwecken bestimmt wer- den, so wissen sie und kennen sie doch nicht die Zweckmässig- keit ihres Handelns; sie verrichten ihre Tätigkeit nur ad finem, während ein mit Verimnft begabtes Wesen propter finem handelt.

III.

lliitersuchiiiii», ol) und iinvieferii uaeh Tliomas von Aquiii der Wille einer Notwendigkeit unterstellt.

Nach der vorangehenden Darlegung bestehen also tat- sächlich drei Arten der Notwendigkeit, die der Sache nach sowohl bei Thomas als auch bei den neueren Philosophen identisch sind.

1. Verhältnis des Willens zur Notwendigkeit des Zweckes, necessitas finis.

Es erhebt sich nunmehr die Frage, ob, und fiu- den Fall der J>ejahung, inwiefern unser Autor den Willen einer Bot- mässigkeit unterstellt.

Bei der Beantwortung dieser Frage spielt die necessitas finis nach der thomistischen Doktrin nur eine Nebenrolle. Thomas geht nur gelegentlich darauf ein. Er erwähnt sie nicht einmal

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dort, wo er die Frage aiifwirft^): ,,Utriim voluntas quippiam de necessitate velit^^ und unterscheidet nur die beiden anderen Arten der Notwendigkeit, indem er schreibt i): „Duplex est necessitas, sciUcet coactionis .... et necessitas naturalis in- clinationis.^^

Was nun aber das Verhältnis des menschlichen Willens zur Notwendigkeit des Zweckes angeht, so untersteht ihr nach Thomas der Wille nicht. Bei Betrachtung der menschlichen Tätigkeit kann man allerdings leicht zu der Annahme kommen, der Mensch unterstehe mit seinen Willensakten der necessitas finis. Wenn er nämlich ein Ziel erreichen will, so muss er sich doch nach zweckdienlichen Mitteln umsehen. „Wer den Zweck will, muss auch die Mittel wollen'', sagt ein altes Sprüch- wort. Es gibt imn aber auf der Welt kein Ziel und keinen Zweck, das oder den der Mensch erstreben muss. Auch mit Rücksicht auf die zweckdienlichen Mittel ist der Mensch frei. Wenn es allerdings nur ein zweckdienliches Mittel gibt, so muss er es zwar anwenden, um das so bedingte Ziel zu erreichen; allein er will doch auch durch die freiwillige Wahl des be- treffenden Zieles sich der Notwendigkeit hinsichtlich der An- wendung des Mittels unterstellen ; „Causa causae, causa causati'^ Der Mensch nötigt sich also selbst durch Setzung des Zweckes zum Gebrauche des Mittels. In diesem Sinne schreibt daher Thomas^): „liberum arbitrium est causa sui motus, quia homo per liberum arbitrium se ipsum movet ad agendum'^ Noch klarer tritt nach Thomas dieses Freisein von einer necessitas finis hervor, wenn der Mensch unter den zweckdienlichen Mitteln wählen kann. Er schreibt ^^): „Den Willen zieht es nicht mit Notwendigkeit zu demjenigen hin, was Mittel zum Zweck ist, wenn der Zweck ohne es sein kann".

') De verit 22 5 c. 2) S. th. I. qu. 83 a. 1.

^) Voliiiitas aiitom non ex necessitate fertur in ea, quae sunt ad finem, si finis f^ine his esse j)()ssit. S. c. gent. 1. 81,

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Um mm diesen Punkt noch anschaulicher und klarer zu gestalten, führt er ein Beispiel an^): „Ein Arzt", sagt er, „hat in der Unterstellung, dass er heilen kann und will, nicht nötig, einem Kranken jene Heilmittel zu verordnen, ohne welche der betreffende Kranke ebenfalls gesund werden kann".

2. Verhältnis des Willens zur Notwendierkeit des Zwanges, necessitas coactionis sive violentiae.

Um die thomistische Lehre von dem Verhältnis des menschlichen Willens zur Notwendigkeit des Zwanges richtiger verstehen zu können, müssen wir hier zunächst noch eine Unterscheidung machen zwischen einer violentia compulsiva sive absoluta und einer violentia impulsiva sive conditionata. Erstere nennt man physischen Zwang oder Gewalt schlechthin. Der Zwang ist ein physischer, wenn den Menschen ein rein äusserer Faktor zum Handeln bestimmt, ähnlich wie der Dampf den Kolben der Dampfmaschine hin- und herbewegt. Ihm unterstehen nicht nur die lebenden Wesen, sondern erst recht die leblosen.

Anders verhält es sich mit dem moralischen Zwange. Von einem moralischen Zwange kann man nur dann sprechen, wenn der Faktor, der den Druck, den Zwang oder die Furcht anregt und die daraus entstehenden Folgen erkannt werden; denn nur so entseht der Affekt der Furcht.

A. Die Willensakte des Menschen.

Bevor wir nun zu der Untersuchung schreiten^ ob nach der thomistischen Lehre der Mensch mit seinem Willen der necessitas coactionis nach Art des physischen oder moralischen Zwanges, oder gar nach beiden Kichtungen hin unterworfen ist, müssen wir die Willensakte des Menschen noch an sich betrachten.

^) Non enini Mcdicus, ox suppositione voliintatis, quam habet de sanando, illa niedicamenta adbibere infirmo sine quibiis potest nihilominus infirmnm Ranarci.

S. c. gent. I. 81.

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Thomas teilt die Willensakte in actus imperati und actus eliciti. 1)

Unter actus eliciti versteht er solche Willen säusserungen^ die vom Willen als ihrem eigentlichen und unmittelbaren Aus- gangsprincipe ausgehen. Solche Akte sind zum Beispiel die Akte des Liebens, des Hassen s.

Actus imperiiti nennt er solche Tätigkeiten^ die ebenfalls zwar unter dem Einflüsse des Willens als der eigentlichen Ur- sache^ aber von einem besonderen Vermögen vollzogen werden. Hierher gehören zum Beispiel die Akte des Gehens, Laufens, Ruhens.

B. Definition des Voluntarium und des I n V o 1 u n t a r i u m.

Die Akte des Willens zusammengefasst nennt Thomas ein voluntarium. Unter einem voluntarium versteht er dann die Tätigkeit des Menschen, die in einem ihm innewohnenden Principe ihren Ursprung hat, auf das Erstreben oder Begehren eines Objektes gerichtet ist und mit bewusster Erkenntnis des angestrebten Zieles vor sich geht.

Hiernach sind die Funktionen der vegetativen Kräfte nach Thomas vom Begriffe des voluntarium ausgeschlossen. Ferner muss noch erwähnt werden, dass Thomas unter bewusster Erkenntnis eines angestrebten Zieles die vollkommene Art des Erkennens versteht. Er unterscheidet nämlich eine doppelte Art der Erkenntnis -) : „Die Erkenntnis des Zieles", sagt er, „ist eine doppelte, eine vollkommene und eine unvollkommene. Vollkommen ist die Erkenntnis, wenn nicht nur die Sache, die das Ziel ausmacht, erkannt und erfasst wird, sondern auch ihre Zweckdienlichkeit sowie ihre Beziehung zu dem, was auf das Ziel als Mittel hingeordnet ist. Unvollkommen dagegen ist die Erkenntnis des Zieles, welche sich nur auf das Ziel erstreckt.

') S. theol. I. II. 6. 4c. 2) S. theol. I. II, 6. 2 c.

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ohne die Zweckdienlichkeit zu erfassen noch auch die Beziehung zwischen dem Streben und deni Ziele. Diese Erkenntnis be- sitzen auch die Tiere zufolge ihres sinnlichen Erkennens und ihres tierischen Instinktes".

Im Gegensatze zum voluntarium unterscheidet Thomas noch ein involuntartum und ein non voluntarium. Das involnn- tarium bildet das konträre^ das non voluntarium das kontra- diktorische Gegenteil zu dem voluntarium. Ein In voluntarium stellt somit eine Tätigkeit des Menschen dar^ welche der Regung des Willens widerstreitet.

„Qnod est contra voluntatem^ dicitur esse involuntarium"^).

Unter dem Non voluntarium versteht Thomas jene mensch- liche Tätigkeit, die sich ohne jegliche Beteiligung und Äusserung des Willens vollzieht. Thomas gibt den obwaltenden Unter- schied in folgenden Worten ^) :

„Differt nolo et non volo, quia cum dicitnr non-volo negatur actus et ideo opponitur sicut negatio ad affirmationem. Sed in hoc verbo nolo et in toto cond(^clinio eins remanet actus voluntatis afficinatus et negatio fertur ad nolitum unde sensus est nolo hoc^ id est^ volo hoc non esse".

C. Verhältnis des Willens zum physischen

Z w a n g e.

Nach diesen vorausgeschickten Erörterungen wird es nun zunächst unsere Aufgabe sein zn untersuchen, ob nach der thomistischen Doktrin die Willenstätigheit des Menschen der Botmässigkeit des physischen Zwanges untersteht oder nicht.

Nach Thomas ist der Wille v'ollständig frei vom Joche des physischen Zwang(^s. Bisweilen macht man zwar die Be- obachtnng, dass Handlungen, die gewöhnlich allerdings unter dem P^influsse des Willens von verschiedenen Vermögen des Menschen verrichtet werden, durch (4ne äussere zwingende Ge-

') S. thcol. r. II. (), 5c.

'^) S 1 seilt, dist. VII. expos. tcxt.

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walt zustande kommen i). Gleichwohl ist aber nach Thomas dennoch unmöglich, dass ein Willensakt durch äussere phy- sische Gewalt gesetzt wird. Die hierher zielende Stelle lautet also "-) : „Was den eigentlichen Akt des Willens betrifft, so kann ihm keine Gewalt angetan werden. Der Grund davon liegt in dem Umstände, dass der Akt des Willens nichts anderes ist als ein gewisses Hinneigen, welches aus dem Wesen eines mit Vernunfterkenntnis begabten Princips hervorgeht, ebenso wie das sinnliche Begehren in einer Art von Hinneigung besteht, welche ihr Princip im Inneren eines vernunftlosen Wesens hat; was aber infolge eines Zwanges oder einer äusseren Gewalt geschieht, stammt von einem äusseren Principe. Es wider- spricht also dem Wesen des Willensaktes, dass er durch Ge- walt zustande komme, wie es ebenfalls dem Begriff der natür- lichen Bewegung eines Steines widerstrebt, dass er aus sich in die Höhe fliege. Es kann zwar der Stein in die Höhe ge- schleudert werden, aber dass diese Bewegung dann aus einem ihm natürlichen Principe herrühre, ist unmöglich. Gerade so kann auch der Mensch mit Gewalt fortgerissen werden, aber dass dies dann aus dem Willen herrühre, widerspricht dem Begriffe von Gewalt".

Nach Thomas ist es sogar Gott selbst unmöglich, einen Willensakt durch äussere physische Gewalt zu erzwingen.

In diesem Sinne schreibt er^): „Gott kann nicht bewirken, dass konträr einander Entgegengesetztes zugleich wahr sei. Nun steht aber das voluntarium dem violentum konträr gegen- über, weil das violentum nur ein Species des non voluntarium ist. Also ist es unmöglich für Gott zu bewirken, dass der Wille gezwungen etwas wolle, und so kann er den Willen nicht zwingen".

^) Per violentiam exteriora membra irapediri possunt, ne iniperium voluntatis exsequantur.

S theol. I. ir. 6. 4 c.

-) S. theol. I. 82. Ic; I. II. 9. 6c.

3) De verit. 22. 8 c.

IG

Hiermit will Thomas jedoch nicht sagen, dass Gott über den Willen überhaupt keine Gewalt habe. Ein gewisses Ab- häuoiokeitsverhältnis lässt er wohl bestehen. Gott kami nach seiner Lehi*e wohl auf den Willen einwirken^ dass er sich entschliesst, aber der Wille entschliesst sich dann aus sich heraus zu einer Tätigkeit. „Gott", schreibt er^ „kann freilich auf den Willen so ehi wirken^ dass er sich mit Notwendigkeit ändert, trotzdem kann er ihn nicht zwingen. Wie sehr auch nämlich der Wille auf irgend etwas umgeändert und um- gestinunt wird, so kann man doch nicht behaupten, dass er dazu gezwungen werde. Denn das Wollen irgend eines Dinges ist ein Hinneigen zu ihm, während der Zwang und die Gewalt der Neigung jener Sache, welche gezwungen wird, konträr entgegengesetzt ist. Wenn nun Gott den Willen des Menschen umstimmt, so bewirkt er einfach dies, dass auf eine voraus- gehende Neigung desselben eine andere folgt, dass an Stelle der ersten die letztere tritt, immer also eine Neigung in ihm fortdauert. Daher ist denn dasjenige, wozu er den Willen bestimmt und antreibt, dessen eigentlicher Neigung nicht ent- gegengesetzt, sondern derjenigen, welche vorher da war, und deshalb liegt auch keine Gewalt oder Zwang vor. So wohnt auch dem Steine infolge seiner Schwere das Streben nach der Tiefe inne, und es wird ihm deshalb, solange ihm das Streben inne wohnt, Gewalt angetan, wenn er in die Höhe geworfen wird. Wenn Gott aber dem Steine die Schwere nähme und ihm dafür die Fähigkeit und Beweglichkeit des Leichten gäbe, so wäre es für ihn nichts Gewaltsames mehr, in die Höhe getrieben zu werden. Die veränderte Bewegung käme völlig ohne Gewalt zustande. So ist es auch zu verstehen, dass Gott den menschlichen Willen umändert, ohne ihm Gewalt anzutun'^^) Zum l^elege, dass nach '^FhouKis trotz des Kinwirkens Gottes dennoch die Handinngen des Menschen fi-ei sind, sei noch folgende Stelle angeführt: „Dens est prhna causa movens

') De vcrit. 22. 8c.

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et naturales causas et voluntarias. Et sicut naturalibus causis movendo eas iion aufert^ quin actus earum sint naturales, ita movendo causas voluntarias non aufert, quin actiones earum sint voluntariae, sed potuis hoc in eis facit, operatur enim in unoquoque secundum eins proprietatem." ^)

Anmerkung 2): In welcher Weise sich aber die immu- tatio des Willens durch Gott vollzieht, erhellt aus folgender Stelle: „Immutat voluntatem dupliciter: Uno modo movendo tantum , quando scilicet voluntatem movet ad aliquid volendum sine hoc^ quod aliquam formani imprimit voluntati sicut sine oppositione alicuius habitus quandoque facit, ut homo velit hoc, quod prius non volebat; alio vero modo imprimendo aliquam form am in ipsam voluntatem. Sicut enim ex ipsa natura, quam deus voluntati dedit, inclinatur voluntas ad aliquid volendum, ita ex aliquo superaddito, sicut est gratia vel virtus, inclinatur ulterius ad volendum aliquid aliud, ad quod prius non erat determinata uaturali inclinatione. Sed haec quidem inclinatio quandoque est perfecta, quandoque imperfecta. Quandoque est perfecta, facit necessariam inclinationem in id, ad quod determinat, sicut per naturam de necessitate inclinatur voluntas in appetendum finem, sicut contingit beatis, in quibus Caritas perfecta inclinat sufficienter in bonum, non solum quantum ad finem ultimum, sed et quantum ad ea, quae sunt ad finem. Aliquando vero forma superaddita non est usquequaque per- fecta, sicut est in viatoribus, et tum ex forma superaddita voluntas inclinatur quidem, sed non ex necessitate.

C. 1. Der Wille und der physische Determinismus.

Im Anschlüsse an die Darstellung der thomistischen Doktrin hinsichtlich des Verhältnisses des Willens zum phy- sischen Zwange ist es angebracht, näher auf den physischen Determinismus einzugehen. Nach dieser Lehre wird der Mensch

») S. th. I. 83. 1 ad 3. -j De verit. 22. 8 c.

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in seinem Tnn und Lassen stets von einer höheren Gewalt geleitet. Hierher gehört ziinäehst der Glaube an das j,Fatuni'^, das eine unwiderstehliche Gewalt über den Menschen haben soll. Ferner ist zu erwähnen der astrologische Determinismus, wonach die Stellung der Sterne bei der Geburt des Menschen dessen Schicksal beeinflussen soll. Endlich gehört auch hier- her der pantheistische Determinismus, wonach jede Tätigkeit des Menschen sich mit physischer Notwendigkeit vollzieht, da nach dieser Lehre, Gott ja in allen Dingen selbst tätig ist. Schon aus dem Umstände, dass nach Thomas der menschliche Wille frei ist von jedem physischen Zwange, er- hellt, dass Thomas jeglichen physischen Determinismus ver- wirft, der ja nur eine Folge des physischen Zwanges sein kann. Näher legt Thomas seine Ansicht noch hinsichtlich des astrolo- gischen Determinismus dar. Er spricht den Gestirnen nicht jeglichen Einfluss auf die Funktionen des Menschen ab; dass sie tatsächlich Einfluss haben, beweist ja der Somnam- bulismus — dieser Einfluss ist aber seiner Ansicht nacli nur ein sehr indirekter, der einen Willensentschluss nicht beein- flussen kann.

„Sciendum est", schreibt er, „quod indirecte et per accidens impressiones corporum coclestium ad intellectum et voluntatem pertinere possunt, in quantum scilicet tam intellectus quam voluntas aliquo modo ab inferioribus viribus accipiunt, quac organis corporeis alligantur." ^)

D. Verhältnis des Willens zum moralischen Zwange.

Treten wir nunmehr an die Frage heran, wie es denn nach der thomistischen Doktrin um die menschliche Willens- tätigkeit gegenüber dem moralischen Zwange bestellt ist.

Die tägliche Erfahrung lehrt, dass anscheinend sehr viele Handlungen unter dem p]influsse der Furcht, des moralischen Zwanges, zustande kommen. Hieraus sollte man doch den

') S. theol. 115, 4c.

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Grundsatz folgern, dass der Wille des Menschen einem morali- schen Zwange unterstellt sei, und dass derartige Handlungen unfrei sein müssten. Eine derartige Folgerung ist jedoch nach Thomas falsch.

Solche Handlungen nämlich, sagt er, können unter doppeltem Gesichtspunkte betrachtet werden^): Erstens mit Rücksicht auf die Umstände^ welche die Handlungen begleiten, das heisst schlechtweg wie die Tätigkeit sich eben vollzieht, simpliciter; zweitens kann man bei solchen Handlungen von den begleitenden Umständen Abstand nehmen, secundum quid.

Wenn man nun solche Handlung simpliciter betrachtet, so wird sie als ein voluntarium gelten, da sie ja die eigentliche Ursache im Willen selbst hat; sie ist immerhin gewollt, ist ein voluntarium simpliciter. Fasst man aber eine solche Tätigkeit secundum quid ins Auge, die Umstände also nicht berück- sichtigt, so ist sie unfreiwillig, sie ist ein in voluntarium secun- dum quid, weil sie ja dem Willen immerhin widerspricht, und auch nur verrichtet wird, da eben die Furcht obwaltet. „Illud'^, sagt Thomas, „quod per metum agitur, absque conditione est voluntarium, id est secundum quod actu agitur, sed in volun- tarium est sub conditione, id est si talis nietus non immineret'^).

Nach der Ansicht der thomistischen Schule sind also solche Handlungen, die meist den Namen operationes mixtae tragen, in ihrem ganzen Umfange dennoch freiwillige Hand- lungen. Sie kommen eben zustande, weil der Mensch mit eigener freier Entschliessung seiner ersten Willensregung folgt.

Der Grundsatz des thomistischen Systems lautet also: „Der Wille des Menschen muss sich niemals unter das Joch der Furcht beugen. Für die Willenstätigkeit existiert ebenso- wenig ein moralischer Zwang, als eine rohe physische Gewalt."

') Unumquodquc^ eiiim simpliciter, esse dicitur, secundum quod est in actu, secundum quod autem est in sola apprchensione, non est simpliciter, scd secundum quid.

S. Theol. I. II. 6. (3 c.

-) S. Th. I. II. 6. 6 c ad 3.

2*

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E. Verhältnis des Willens zur n e c c s s i t a s naturalis.

Es erübrig-t nun noch zu untersuchen, ob wir der thomistischen Lehre zufolge etwa für den Willen eine necessitas naturalis anerkennen müssen.

Zunächst müssen wir hierbei berücksichtigen^ dass nach der Scholastik der Wille ein appetitives Vermögen darstellt, durch das der Mensch sich als Subjekt nach dem Objekte hin- wendet. Demgemäss muss auch jedem Willensakte infolge seiner Natur ein dieser mehr oder weniger entsprechendes Gepräge aufgedrückt sein. „Ex ipsa natura, quam Dens voluntati dedit, inclinatur voluntas ad volendum^)"^, sagt drum Thomas.

Es verhält sich sonach mit dem Willen wie mit den übrigen Vermögen des Menschen. Wie diese gleichsam aus der Natur als ihrem eigentlichen Quell hervorsprudeln, so hat auch der Wille eine von Natur in sich selbst begründete Wesenheit, die bei jeder Tätigkeit zum Durchbruche kommen muss.

Der Wille besitzt somit nach Thomas eine gewisse Nei- gung, inclinatur voluntas ad volendum, und diese inclinatio naturalis, die ilnii ja, nach obiger Stelle^ von Natur aus anhaftet, bildet für den Willen eine dringende, unausweich- bare Notwendigkeit, eine Gewalt. Der Mensch ist somit stets einer necessitas naturalis inclinationis bei seinen Willensakten unterstellt.

Dieser Umstand bildet nach Thomas für den Willen jedoch keine ünvollkommenheit.

„Non pertinet ad impotentium voluntatis", schreibt er, „si naturali inclinatione de necessitate in aliquid feratur, sed ad eius virtutem, sicut grave tanto est virtuosius, quanto maiori necessitate deorsum feratur; pertineret autem ad eius infirmi- tatem, si ab alio cogcretur" '-).

M Do verit. 22. 8 c.

^) Do verit. 22. 5. ad 2. in contrar.

21

Aus dem Gesagten ergibt sich die Frage, nach welchen Objekten der Wille mit der necessitas naturalis inclinationis strebt. Wir antworten mit Thomas ^) : nach solchen Objekten, die den Willen konvenieren, ihm als gute und dienliche erscheinen.

Wenn auch bisweilen jemand nach einem schlechten, ver- werflichen Objekte strebt, so geschieht auch dies nur sub ratione boni von seinem Standpunkte aus. Das Gute ist allerdings nur ein scheinbares, ein bonum apparens.

Weiterhin müssen wir festlegen, dass es nach Thomas gleichzeitig nicht mehrere Güter geben kann, inbezug auf welche eine determinatio a necessitate naturalis inclinationis für den Willen obwaltet. „Ex hoc dicitur", schreibt er, „aliquid esse necessarium quod est immutabiliter determinatum ad unum"^). Nun lehrt aber auch die Erfahrung, dass es unter allen Erdengütern kein einziges Gut gibt, wonach der Mensch mit zwingender Notwendigkeit hinstrebt. Die Dinge an und für sich können somit nicht die Objekte unseres Strebens sein. Wir erstreben sie nur, insofern sich darin das Gutsein kund gibt, insofern sie an der Güte des einen Gutes, des bonum universale, teil nehmen. In diesem Sinne sagt auch Thomas^): „Voluntas ipsam bonitatem appetit primo et principaliter, vel utilitatem aut aliquid huiusmodi; haue vero rem vel illam appetit secundario, inquantum est praedictae rationis par- ticeps". An einer anderen Stelle lesen wir ^) : „Semper naturae respondet unum proportionatum naturae ; naturae enim in genere respondet aliquid unum in genere et naturae in specie acceptae unum in specie, naturae autem individuatae respondet aliquid unum individuale. Cum igitur voluntas sit quaedam vis

^) Considcrandum est, quod obiectum movens voluntatcm est bonum conveniens apprehcnsum ; unde si aliquod bonum proponatur, quod appre- hendatur in ratione boni, non autem in ratione convenientis, non movebit voluntatem. Demalo 6. 1 c.

-) De verit. 22. Gc.

=^) De verit 25. 1. c.

^) S. th. I. II. 10. 1 ad 3

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mimnterialis sicut et mtellectus, respondet ei iiaturaliter aliquod uiium commune, scilicet bomim, sicut etiam intellectui ali(|Uod unum commune^ scilicet verum vel eus vel quidquid est huius- modi. Sub bono autcm communi multa particularia bona con- tinentur, ad quorum nulluni voluntas determinatur".

Um noch eine klarere Vorstellung von dem einen Guten zu erhalten^ das wir mit Naturnotwendigkeit erstreben^ müssen wir auf sein Verhältnis zu den übrigen Dingen achten. Diese sind die Mittel ^ jenes der Zweck ^ das Ziel. Sie werden darum auch fines medii, dieses finis ultimus genannt, Endziel, das stets nur seiner selbst wegen begehrt wird. Dabei wird natürlich vorausgesetzt, dass es keine unendliche Reihe von Gütern gibt, von denen das eine bald seiner selbst willen, bald eines anderen willen erstrebt wird. Schreibt in dieser Hinsicht doch Thomas selbst 1) :

,,An und für sich ist es unmöglich, in der Folge der Zwecke nach ii'gend einer Seite hin ins Unendliche zu gehen.

Überall nämlich, wo Dinge aufeinander geordnet sind, müssen^ wenn ihr Erstes beseitigt wird; auch die übrigen wegfallen.

Nun gibt es unter den Zwecken der Menschen eine doppelte Ordnung, die Ordnung der Absicht, ordo intentionis, und die Ordnung der Ausführung^ ordo executionis, und in beiden muss sich ein Erstes finden. Das Erste in der Ordnung der Absicht ist so zu sagen das Princip, welches das Streben an- regt, sodass, wenn es wegfiele, nichts mehr da wäre, was das Streben anrege. Das Erste aber in der Ordnung der Ausfüh- rung ist dasjenige, bei dem die Tätigkeit beginnt. Daher würde niemand zu wirken anheben, wenn dieses Erste weggenommen würde. Erstes bei der Intention ist der Endzweck und Erstes bei der Ausführung das Erste von demjenigen, was als Mittel zum Zwecke dient. Auf diese Weise werde es also nacli keiner Seite hin möglich, ins Unendliche zu schreiten, weil, für den

') ö. th. I. II. 1. 4 c.

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Fall, dass es keinen Endzweck gibt, nichts erstrebt werde, keine Tätigkeit beendigt werde und das Streben des Handelnden niemals aufhöre; und weil es, falls sich unter den Mitteln zum Zwecke kein Erstes fände, Niemand zu handeln anfangen werde, auch keine Überlegung betreffs des zu ergreifenden Mittels ihr Ende erreichte, sondern ohne Ende fortdauerte".

Hieraus ergibt sich der Schluss, es muss einen finis ultimus geben und dieser finis ultimus ist in dem einen Gute zu suchen, zu dem es den Menschen mit Notwendigkeit hin- zieht. So schreibt denn auch Thomas i): „Appetibile, quod naturaliter appetitur, est aliorum appetibilimn principium et fundamentum. In appetibilibus autem finis est fundamentum et principium eorum, quae sunt ad finem, cum, *quae sunt propter finem, non appetantur nisi ratione finis. Et ideo quod voluntas de necessitate vult quasi naturali inclinatione in ipsum determinata, est finis ultimus".

Dieser finis ultimus, worauf das Streben des Menschen gerichtet sein muss, kann nach der Lehre des Thomas nur in der Glückseligkeit, beatitudo, bestehen. Hier gibt es für den Menschen keine Unvollkommenheit, keinen Mangel. Sie ist für ihn der Inbegriff alles Guten und Zweckdienlichen, und darum muss er sie erstreben.

„Sic proponatur", lesen wir, „aliquod obiectum voluntati, quod sit universaliter bonum et secundum omnem conside- rationem, ex necessitate voluntas in illud tendit, si aliquid velit; non enim poterit velle oppositum. Et quia defectus cuiuscum- que boni habet rationem non boni, ideo illud solum bonum quod est perfectum et cui nihil deficit, est tale bonum, quod voluntas non potest non velle, quod est beatitudo. 2)

Thomas führt noch einen zweiten Beweis für seine Be- hauptung, der menschliche Wille strebe mit Notwendigkeit nach seiner Glückseligkeit. Er fusst darauf, dass zwischen

M De verit. 22. 5 c. 2) S. th. I. II. 10. 2 c.

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der Glückseligkeit und den übrigen Gütern dasselbe Verhältnis bestehe, wie zwischen dem finis ultinuis und den dahin führenden Mitteln. Die Glückseligkeit wird gleich dem finis idtimus imi ihrer selbst willen begehrt, während die anderen Güter gleich den Mitteln nur mit Rücksicht auf ihr Verhältnis zum bonum universale, zur beatitudo, erstrebt werden. Daraus schliesst nun Thomas, können der finis ultimus und die beatitudo dem Wesen nach nicht verschieden sein i).

Wenn so nun festgelegt ist, dass das eine Gut, nach dem wir mit Naturnotwendigkeit streben, die Glückseligkeit aus- macht, so folgt daraus gewissermassen auch, dass wir mit der- selben necessitas naturalis inclinationis auch alles das erstreben, was die beatitudo konstituieren hilft, oder als unerlässlicher Umstand, als conditio sine qua non, sie bedingt. Diese Folge- rung zieht auch Thomas, wie aus folgenden Stellen hervorgeht-):

„In beatitudine includuntur cognitio veritatis et alia huius modi".

„Sine quibus ultimus finis haberi non potest sunt esse et vivere et alia huius modi"^).

Um nun die Vorstellung der mit Naturnotwendigkeit erstrebten Glückseligkeit zu vollenden, sucht Thomas den Begriff näher zu erörtern.

W^ie nach seiner Lehre jeder andere Zweck, so lässt sich auch der Endzweck unter doppeltem Gesichtspunkte betrachten: das eine Mal im Sinne eines objektiven Zweckes, finis qui seu finis cuius, das andere Mal im Sinne eines subjektiven Zweckes, finis quo ^). Die Glückseligkeit vom subjektiven Gesichtspunkte

^) Est quüddaiii bonum, qiiod est proptcr se appotibile, sicut fehcitas, quae habet ratioiiem ullimi finis, et liuius modi bono ex necessi- tate inhaeret voluntas ; naturali enim quadani necessitate omncs ai)i)ctiint esse felices.

Expos, c. 1. de inter])r. Arist. Icct. 14 f.

2) De verit. 22. oc.

=') ^. th. I. II. 10. 2 ad 3.

■') fini.s dupliciter dicitnr scilicct cuius ot quo, id est ipsa res, in (pia ralio l)()iii irivciiiliir , et usus sivc adeptio illius. S. tlicol. I. II. ISc.

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betrachtet, bezeichnet jenen Zustand des Menschen, welcher ihm volle Befriedigung seiner seelischen Bedürfnisse gewährt. In diesem Sinne schreibt Thomas ^) : „Appetere bcatitudinem nihil aliud est, quam appetat ut satietur voluntas". In diesem Sinne trachten alle Menschen nach der Glückseligkeit, sogar diejenigen, denen der klare Begriff vom Wesen der Glück- seligkeit fehlt. Das ist ja der Endzweck, wonach die gesamte Menschheit mit Notwendigkeit strebt. Betrachten wir nun aber die Glückseligkeit vom objektiven Standpunkte aus, so versteht man darunter jenes Objekt, das dem Menschen Be- friedigung im vollsten Umfange gewährt. Da nun aber den Menschen in ihrer gesellschaftlichen Ordnung verschiedene Lebensberufe zufallen, so schlagen auch sie beim Aufsuchen ihrer Glückseligkeit die verschiedensten Wege ein. Der eine strebt nach Reichtum und Macht, der andere nach Wissen- schaft oder auch beschaulicher Frömmigkeit-). Dazu kommt noch, dass die menschliche Erkenntnis an sich sehr unvoll- kommen ist, zumal wenn sie sich in den Bereich des Über- sinnlichen erhebt.

So erhellt denn auch, dass es unter den erkennbaren, irdischen Dingen keinen Gegenstand gibt, der für den Menschen als objektives Endziel gelten könnte und den man mit Natur- notwendigkeit erstreben müsste, da ja sonst alle Menschen nach demselben Endziele trachten müssten. Das Wesen ^ das alle Bedürfnisse in seiner Kraftfülle stillt, kann dann nur Gott sein. Er bildet somit für jeden Menschen den finis ultimus, die erste Ursache, nach der die Wirkung immer hinzielt. Da aber die Erkenntnis des bonum universale bei den Menschen stets unvollkommen ist, so liegt also nach der thomistischen Doktrin dennoch die Möglichkeit vor, dass die

') I. II. 5. 8 c.

^) Omni gustui delectabile est dulce, sed quibusdam maxime delectabilis est dulcedo vini, quibusdam dulcedo melis aut alicuius talium, illud tarnen dulce oportet simpliciter esse melius delectabile, in quo maxime dclectatur qui habet Optimum gustum. S. theol. I. II. 1. 7. c.

^6

Menschen trotz des natürlich notwendigen Strebens den Willen ablenken und ihn einem Geschöpfe zuwenden. Sobald aber der Mensch eine volle und klare Erkenntnis vom Wesen Gottes gewonnen hat, dann fällt jene Möglichkeit zusammen. Alsdann muss der Mensch mit seinem Willen infolge der ihm inne- haftenden Neigung mit voller Naturnotwendigkeit zu Gott, dem finis ultimus, dem bonum universale et perfectum, streben.

F. Verstand und Wille; Thomas und seine Gegner, insbesondere Duns Skotus.

Wie aus dem Vorigen hervorgeht, spielt in dem thomistischen System bei jedem Willensakte die Vernunft, intellectus, eine nicht unbedeutende Rolle. Thomas lässt immerhin ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis bestehen zwischen dem Intellekte und dem Willen. Dieser Punkt im thomistischen System bietet darum auch seinen Gegnern eine Gelegenheit, ihn anzufechten. Diese Gegner zerfallen in zwei Klassen: Die einen läugnen, als ausgesprochene Deterministen, über- haupt jede Willensfreiheit und suchen nun nachzuweisen, dass auch Thomas, wenn auch unbewusst und unbeabsichtigt, den Determinismus predige; eben mit Rücksicht auf den Einfluss, den er bei jedem Willensakte dem Intellekte einräumt, suchen sie Thomas als Anhänger des sogenannten intellektuellen Determinismus darzustellen. Die anderen treten dagegen mit allen Kräften für die Willensfreiheit ein. Ihre Lehre stimmt in den wesentlichen Punkten mit der des Thomas überein. Nur von einer Einwirkung des Verstandes bei einem Willens- akte wollen sie nichts wissen. Nach ihrer Lehre ist der Wille durch und an sich selbst ursachlose Selbstbestimmung. Diese Lehre trägt den Namen „absoluter Indeterminisnms'*. Einer ihrer ersten Verfechter ist Duns Skotus.

1. Thomas und Skotus. Skotus lebte in der Zeit, wo sich eine gewisse Reaktion gegen daa thomistische System überhjuipt geltend machte. Wie

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die Träger der sich entspinnenden Polemik^ so entstammte auch er dem Franziskanerorden. Auf der Hochschule zu Oxford ge- noss er seine wissenschaftliche Ausbildung. Hier sog er den Geist des Widerspruchs gegen Thomas ein, da ja fast alle seine Lehrer der Oppositionspartei angehörten. Seine intellektuellen Kenntnisse waren sehr hervorragend. Mit Rücksicht auf seinen Scharfsinn und seine Unterscheidungsgabe nannten ihn seine Zeitgenossen ^,doctor subtilis". Diese Polemik zwischen den Anhängern und Gegnern des Thomas brachte jenen Vorteil, „dass die strittigen Punkte allseitig untersucht und kritisch beleuchtet wurden. Es mussten die Begriffe scharf bestimmt und abgegrenzt, es musste das Für und Wider genau unter- sucht und abgewogen, es mussten die einschlägigen Beweise mit aller Gründlichkeit entwickelt und, wo notwendig, mit weiteren Beweisen vermehrt und verstärkt werden, wenn man den Zwecken der Polemik genügen wollte und das konnte im allgemeinen für die Förderung der spekulativen Erkenntnis nur günstig wirken^^ ^).

Die Einwürfe des Duns Skotus sind in seinem Werke, das in der Lyoner Ausgabe zwölf Bände füllt, niedergelegt. Einer der Punkte, wo er gegen Thomas Front machte ist wie oben erwähnt, die Lehre von der Willensfreiheit.

Duns Skotus ist durchaus Indeterminist. Der Wille bestimmt sich nach ihm zu jedem Akte selbst. Er ist die Totahu^sache seiner Tätigkeit. Unter Freiheit des Willens versteht er ursachlose Selbstbestimmung, das Freisein von allen und jeden Bestimmungsgründen, ein Wollen und End- wollen ohne alle Motive. Der Wille bestimmt sich selbst, durchaus unbeeinflusst vom Verstände, ungebunden und will- kürlich, in dem Sinne, dass er unterschiedslos und ohne Ein- schränkung was immer wollen kann. Ein Einfluss des Ver- standes auf den Willen, wie ihn Thomas lehrt, ist demnach

*) Dr. A. «töckl: Gesch. der Philos. des Mittelalters. Bd. II.

§ 210. S. 778.

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nach Skotiis vollständig verwerflich; denn, so schliesst Skotns, wenn der Wille von einem Objekte beeinflusst wird, insofern es vom Verstände erkannt ist, dann ist eben auch der Wille durch dieses Objekt als durch eine bestimmende Ursache deter- miniert. Damit ist dann aber auch die Willensfreiheit tatsächlich aufgehoben. Wenn auch ein Mensch, so argumentiert er weiter, imstande ist, bald eine Tätigkeit zu wollen oder nicht zu wollen, so können diese Tätigkeiten doch nie von einem Objekte hervorgerufen werden, da ja jedes Objekt als naturaliter agens nicht zwei entgegengesetzte Wirkungen haben kann. Das Ob- jekt kann somit den Willen nicht determinieren, er muss sich selbst bestimmen.

„Agens naturale'^, schreibt er, „non potest esse per se causa contrariorum circa idem passum, ut excludatur per hoc instantia de dissolutioue glaciei et constrictione lucis, sed in potestate nostrae voluntatis est habere et noUe et velle, quae sunt contraria respectu unius obiecti; ergo illa non possunt fieri ab agente naturaliter, ergo non ab obiecto, quia est agens naturaliter. Esto igitur quod obiectum esset causa ipsius velle, oportet tamen esse aliud quod esset causa ipsius nolle; sed illud aliud a voluntate, non potest esse nisi malum'^ i).

Wollte man aber, so führt Skotus weiter aus, ein Ab- hängigkeitsverhältnis zwischen Verstand und Wille bestehen lassen, der Verstand zeige also jedesmal das zweckdienlichste der Objekte an, so müsse man auch annehmen, dass dann der Wille innner das zweckdienlichste der Objekte erstrebe. Oft aber mjicht man gerade die entgegengesetzte Beobachtung. Somit kann der Verstand den Willen nicht beeinflussen-'): „Non autem", schreibt er, „bonitas alicpia obiecti causat necessario assensum voluntatis, sed voluntas libere assentit cuilibet bono et ita libere assentit maiori bono sicut minori^^

Der Verstand kommt also nach seiner Lehre nicht als einwirkendes Moment beim Willensakte in J>etracht. Skotus

^) Ip libr. seilt. 2. dist. 25. qu. I. G. ^j In libr. scnt. 1. dist. I (jii. 1. lO.

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schreibt ihm höchstens die Rolle der conditio sine qua non zu, insofern der Mensch ja nur mit seinem Willen auf bekannte Objekte hinzielt.

,,Quantum ad primum'^^, lesen wir, „non videtur quod subit imperio voluntatis, quia omnis volitio requirit necessario intel- lectionem naturaliter priorem" i).

Aus dem Ganzen erhellt also immer gewissermassen als Fundamentalsatz die These: „Der Wille ist an und in sich selbst absolute Selbstbestimmung und unabhängig von jedem Einflüsse in sich auch Selbstursache bei jedem Akte^^ Zum Belege sei nachfolgende Stelle angeführt'): „Ideo merito circa secundum quaesitum quaero sine argumentis: Utrum voluntas creata sit totalis causa et immediata sui velle, ita quod deus respectu illius non habeat aliquam efficientiam immediatam sed tantum mediatam et potest dici quod voluntas est totalis causa et immediata respectu suae volitionis, quod probatur per rationem. Primo, quia aliter ipsa non esset libera. Secundo, quia aliter nihil contingenter causare posset. Tertio, quia aliter non posset peccare. Quarto, quia aliter omnino nullam actionem habere posset. Quinto ex comparatione ad alias causas".

Hieran schliesst Duns Skotus dann auch die Fra^e hin- sichtlich des Vorranges von Verstand und Wille. Nach Thomas nimmt der Verstand den ersten Platz ein, während Skotus entgegengesetzter Meinung ist. Der Verstand, sagt er, ist zwar zeitlich zuerst in Tätigkeit, jedoch der Wille ist der eigentliche Gebieter. Dazu kommt noch folgender Umstand. Der Ver- stand hat das Wahre zum Objekte, während das konvenierende Objekt des Willens das Gute ausmacht. Der Verstand ver- einigt nicht so vollkommen mit dem Erkannten als der Wille mit dem Gewollten. Darum gebührt auch dem Willen der Vorrang vor dem Verstände. „Ex hoc argus ad oppositum", schreibt er, „illud est perfectius simpliciter, quod habet ultimum perfectum modo perfectiori ex parte illius obiecti perfecti, id

') In libr.sent. 2. dist. 42. qu. 43. 2) In libr. 2 sent. dist. 37. qu. 2.

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est in re; sed in modo habendi voluntas habet perfectiori modo; perfectio enim modi maior est, in quantum vokintas eonjungitur per se isti obiecto perfecto, quam sit perfectio in habondo intellectualiter a parte obiecti, quia res habet esse diminutum in intellectu, in re autem habet esse perfectum^^ ^).

Auch hinsichtlich des höchsten Grades der Glückseligkeit weicht Duns Skotus von Thomas ab. Thomas lehrt, die höchste Glückseligkeit besteht im Erkennen des bonum universale. Nach Scotus jedoch besteht die Glückseligkeit in der Vereini- gung mit dem Gute, wie sie in der Lieüe, einem Akte des Willens herbeigeführt wird. „Beatitudo, sagt er, est frui summo^ bono sed actus fructionis est in sola vohmtate" ^).

Und weiter lesen wir"^): ,,Dico igitur ad quaestionem, quod beatitudo simpliciter est essen tialiter et formaliter in actu voluntatis, quo simpliciter et solum attingitur bonum Optimum, quo perfruatur.'^'^

Fragen wir nunmehr, ob denn überhaupt ein solcher absoluter Indeterminismus die richtige Auffassung von der Freiheit des menschlichen Willens in sich birgt. Mach hat in seinem Werk die Gründe für und wider geprüft und kommt zu dem Resultate, der absolute Indeterminismus ist ebenso verwerflich wie der starre Determinismus. Er sucht dies, wie folgt, zu beweisen^): „Vor allem, sagt er, ist es unpsycho- logisch und erfahrungswidrig, das menschliche Wollen gleichsam auf sich selbst zu stellen, es aus sich selbst schöpfen zu lassen, da es ein W^ollen ohne Erkennen, ohne Vorstellung des Ge- wollten, ohne den erfahrungsmässigen gegebenen Inhalt nicht gibt. Die Vorstellung des Gewollten gehört dem Ich als dem Inbegriff der Regsamkeit aller vorhandenen Vorstellungsmassen. Daher gibt es kein Wollen, das vom Ich unabhängig wäre und

') In libr, sent. 1 c. ii. 19. -) Rei)ert. IV. dist. 49. •'') rv.ei)crt. IV. (list. 49 qu. 2. 20.

'*) Die Willensfreiheit des Menschen von Vr. .1. Mach, Paderborn und Münster 1887. S. 20.

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sich mit diesem nicht auseinandergesetzt hätte. Das Endwollen, der Entschhiss, kann von diesem Gesetze keine Ausnahme machen, da es eben auch ein Wollen ist, ein solches nämlich, das den Prozess des Wollens zum Abschlüsse bringt. Der Schein des unabhängigen Endwollens entsteht lediglich aus der häufigen Dunkelheit der dem Wollen zugrunde liegenden Vor- stellungen.^^

An einer anderen Stelle schreibt derselbe Gewährsmann i) : „Und wie der absolute Indeterminismus unpsychologisch ist, so ist er auch unlogisch und denkwidrig, weil er, indem er die Möglichkeit und Wirklichkeit eines Wollens ohne eine ihm zugrunde liegende Vorstellung, in welcher es fusst, behauptet, sich mit dem Denkgesetze ^ der ratio sufficiens in Widerspruch stellt, dasselbe ignoriert und negiert. Ein völlig motivloses Wollen behaupten^ heisst eine Wirkung ohne zureichende Ur- sache annehmen, was absurd ist.'^

2. Thomas und der intellektuelle Determinismus.

Die zweite Klasse der Gegner des Thomas behauptet, wie oben erwähnt, das thomistische System lehre den intellek- tuellen Determinismus. Nach dieser Lehre hängt der Mensch bei all seinen Willensentschlüssen ganz und gar von dem Grade der Erkenntnis seiner Vernunft ab, das heisst von den Motiven, welche der Intellekt ihm jedesmal vorhält. Das als stärker erkannte Motiv hat dann immer die Oberhand und determiniert den Willen zu der betreffenden Handlung. Es findet also nach dieser Doktrin zwischen dem Willen des Menschen und den Motiven, die durch den Intellekt erkannt, auf ihn ein- wirken, dasselbe Verhältnis statt, wie zwischen einer physischen Kraft und den Bedingungen, woran ihre Tätigkeit geknüpft ist. Wenn wir unter diesem Gesichtspunkte das thomistische System prüfen, so erhellt aus mehreren Stellen, dass Thomas von einem derartigen Zwange, den der Intellekt auf den Willen

^) Mach. a. a. O.

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ausüben soll , nichts wissen will. So schreibt er ^) : ,,Radix libertatis est voluntas sicut subiectum ; secl causa utique finalis est ratio. Ex hoc enim voluntas libere potest ad diversa ferri, quia ratio potest habere diversas conceptiones boni''.

Und weiter schreibt Thomas-): „Liberum arbitrium est causa sui motus, quia homo per liberum arbitrium se ipsum movet ad agendum'^

Ferner gehören hierher folgende Stellen''): „Judicium igi- tur intellectus de agibilibus non est determinatum ad unum tantum", und^): ^Jmperium est actus rationis^ praesupposito tamen actu voluntatis".

Wie haben wir uns die Art des Einflusses^ den der In- tellekt auf den Willen ausübt, zu denken?

Der Einfluss der Vernunft auf den Willen kann unter doppeltem Gesichtspunkte betrachtet werden. Er kann statt- finden nach Art eines physischen Zw^anges, per modum causae agentis sive efficientis^ oder per modum causae finalis, als Zwecksursache. Dieser Unterschied ist von der einschneidend- sten Bedeutung. Eine Einwirkung auf physischem Gebiete per modum causae efficientis hat statt zwischen dem Feuer und einem Eisenstab, den das Feuer durchglüht und ihn so sich ähnlich macht. Ganz anders gestaltet sich die Einwirkung, die sich per modum causae finalis vollzieht. Eine solche findet zum Beispiel statt zwischen einem Jäger und seinem Ziele. Das Ziel ist stets massgebend. Jedoch es steht nie in der Macht des Zieles, den Pfeil abzuschnellen. Dies ist nur Aufgabe des Jägers, der dem Pfeile die Richtung auf das Ziel gibt. Ohne sein Zutun erreicht der Pfeil sein Ziel niemals. Genau so verhält es sich nach der Lehre des Thomas mit dem Begehrungsvermögen und den Objekten. Die Objekte helfen zwar, dass sich die Willensneigung, die dem Menschen

') 8. tbcol I. II. qii. 17. a. 1,

2) S. th. I. qu. 83 a. 1.

•'') C. gent. 48, ani))lius.

') S. th. I. II. qu. 17a. 1.

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angeboren ist, äussert, aber sie bilden nicht die bewegende Ursache eines Willensentschkisses.

Nicht durch sie, sondern um ihretwillen macht sich das Hinneigen, das Streben bemerkbar. Die Ursache für die Nei- gung des Strebens liegt in der natürlichen Beschaffenheit des Willens, wonach derselbe nach vorhergegangener Überlegung mit Freiheit zur Tätigkeit übergeht. Es prüft also gewisser- massen mit seinem Intellekte der Mensch, ob er der sich regenden Neigung folgen soll oder nicht. Das Erkenntnis- vermögen beschränkt sich lediglich darauf, dem Begehrungs- vermögen das ihm konvenierende Objekt vorzuhalten. „In- tellectus", sagt Thomas, „movet voluntatem sicut praesentans ei obiectum"!).

Die wirkliche Einwirkung des Intellektes geschieht nach Thomas nur per modum causae finalis. Ausdrücklich geht diese Ansicht aus folgenden Stellen hervor: „Intellectus movet voluntatem per modum, quo finis movere dicitur, in quantum scilicet praeconcipit rationem finis et eam voluntati proponit; sed movere per modum causae efficientis est voluntatis et non intellectus" ^^).

„Intellectus non secundum modum causae efficientis, sed secundum modum causae finalis movet voluntatem proponendo sibi suum obiectum, quod est finis" •^).

IV.

Die yerschicdeuen Arten der Freiheit des menschlichen

Willens.

1. Die Arten der Freiheit. Wie in dem vorhergehenden Kapitel dargelegt ist, streben nach der Lehre des Thomas die Menschen mit Naturnotwendig- keit nur nach ihrer Glückseligkeit. Keine andere Art der

0 S. theol. I. II. qu. 9 Ic. 2) De verit. qu. 22 a 11 u. 12. ^) S. c. gent. I 72.

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Notwendigkeit übt auf den menschlichen Willen einen zwingen- den Einfliiss aus. Da es nun aber auf Erden kein Gut gibt, das alle Bedürfnisse des Menschenherzens befriedigen kann, zudem auch noch die menschliche Erkenntnis hinsichtlich des Verständnisses vom Inbegriff ihres Glückes verdunkelt ist^ so liegt die Vermutung nahe, dass der Wille sich auch hier noch mit Freiheit bewegt. Dass sich solche Freiheit nicht unmittelbar auf das Endziel beziehen kann^ steht fest, da ja nach Thomas hiernach der Mensch mit Naturnotwendigkeit strebt. Nur solche Mittel können hier in Betracht kommen, die mehr oder weniger mit dem finis ultimus zusammenhängen. Und tatsächlich strebt auch nach ihnen, wie Thomas lehrt, der Mensch mit Freiheit. Er schreibt^): „Particularia bona, in quibus humani actus consistunt, non sunt talia nee sub ea ratione comprehenduntur, ut sine quibus felicitas esse non possit, puta comedere hunc cibum vel illum, aut abstinere ab eo, habent tamen in sc, unde moveant appetitum, secundum aliquod bonum considerandum in eis, et ideo voluntas non ex neccssitate inducitur ad haec eligenda.'*^

Da nun aber bei Betätigung der Freiheit inbezug auf solche Objekte die „electio'^^, wie Thomas sagt, eine Rolle spielt, so kann man von einer Wahlfreiheit des Willens sprechen. Die Scholastik nennt diese Freiheit auch libertas indiffcrentiae, weil der Wille sich allen Objekten gegenüber indifferent ver- hält, das heisst keine von Natur ihm innewohnende Deter- mination besitzt -).

Eine Determination überhaupt kann hier nur aus seinem Inneren hervorgehen. In diesc^n Sinne schreibt Thomas''): „Sed natura, id est, natura rationalis, quae est deo vicinissima.

') Exp. in 1. de interpr. Arist. lect. 14. f.

^) rropriuin liberi arbitrii est electio. Ex hoc enim lil)(Ti arbitrii es.se dicimur, quod possunuis umim recij)ere alio recusato, quod est eligere; et ideo naturam liberi arbitrii ex ehx-lione considerarc oportet. S. thcol. I. 83. 8 c.

^) De verit. 22. 4 c.

85^

iion soliim habet iiiclinatioiieiii in aliqiüd, sicut habent inani- mata, nee movens hanc inclinationem quasi aliunde eis deter- minatam, sicut natura sensibilis, sed ultra hoc habet in potestate ipsam inclinationem^ ut non sit ei necessarium inclinari ad appetibile apj^rehensum ^ sed possit inclinari vel non inclinari; et sie ipsa inclinatio non determinatur ei ab alio^ sed a se ipsa''^.

Diese von Thomas dem Willen des Menschen zugesprochene Freiheit kann man nun im Anschlüsse an seine Doktrin unter dreifachem Gesichtspunkte betrachten ^) : „Invenitur'^^ schreibt er^ ^,indeternimatio voluntatis respectu trium, sciUcet respectu obiecti, respectu actus et respectu ordinis in finem^^

Indem er nun diese Punkte näher erörtert ^ fährt er fort 2) : ^,Cum vokmtas dicatur libera, inquantum necessitatem non habet, libertas in tribus considerabitur, scilicet quantum ad actum, inquantum potest velle vel non velle, et quantum ad obiectum, inquantum potest velle hoc vel illud et eins oppositum et quantum ad ordinem finis, inquantum potest velle bonum vel malum'^.

Thomas unterscheidet also deutlich drei Arten der Frei- heit. Er spricht von einer Freiheit, inquantum potest velle vel non velle, welche Freiheit man libertas controndictionis nennt; dann führt er eine iVrt an, inquantum potest velle hoc vel illud et eins oppositum. Diese Freiheit trägt den Namen libertas specificationis.

An dritter Stelle erwähnt er dann noch eine Art, in quantum potest velle bonum vel malum; diese Freiheit neimen wir libertas contrarietatis.

Aus oben angeführter Stelle ist es leicht, die Begriffe der drei Arten der Freiheit zu definieren. Unter der libertas contradictionis will Thomas jene Freiheit verstanden wissen, vermittels derer unser Wille imstande ist, jedes beliebige Objekt ebensogut zu wollen, als auch nicht zu wollen, den Akt des

') De verit. 22. 6 c. 2) De verit. 22. 6 c.

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Begehrens ebensogut zu vollziehen, als auch zu unterlassen, einen Akt vorzunehmen, als auch sein kontradiktorisches Gegenteil.

Die libertas specificationis, die nach Thomas der Wille geniesst, ermöglicht es ihm^ ganz nach Belieben bald dieses bald jenes Objekt zu erstreben. Sie trägt den Namen libertas specificationis, weil der Wille durch das angestrebte Objekt jedesmal specifiziert wird. Es erhält eine gewisse Form und Species. „Obiectum movet determinando actum ad modum principii formalis, a quo in rebus naturalibus actio specificatur sicut calefactio a calore" ^).

Die dritte Art der Freiheit ist die libertas contrarietatis. Ihr zufolge besitzt der Wille des Menschen die Möglichkeit, sich auf konträr entgegengesetzte Weise zu betätigen. Der Mensch braucht also beim Streben nach Glückseligkeit nicht immer bestimmte, nicht immer förderliche Mittel anzuwenden, sondern er kann auch solche wählen, die ihn ablenken. Der Wille kann gute und schlechte Mittel und Objekte erstreben, ohne nach der einen oder anderen Art hin eine Determination zu besitzen.

Vielfach wird auch die libertas contrarietatis und die libertas specificationis zusammengefasst als Unterarten einer übergeordneten Art der Freiheit. Demgemäss unterscheidet man denn auch nur zwei Arten der Freiheit: die libertas contra- dictionis und die libertas, welche der libertas contrarietatis und specificationis übergeordnet ist. Diese Zweiteilung deutet auch schon Thomas an, wenn er schreibt -) : „Voluntas movetur dupliciter: uno modo, (juantum ad excrcitium actus, alio modo, quantum ad specificationem actus, quae est ex obiecto".

Dass er hier unter dem Objecte nicht nur die Sache im physischen Sinne fasst, sondern gemäss ihrer (Qualität und Beziehung zum finis ultimus, erhellt aus folgender Stelle^):

1) S. theol. I. IL Ü. Ic.

2) S. thool I. IL 10. 2 c. «) 8. theol. I. IL 18. Gc.

37

„In Actu voliintario invenitur duplex actus^ scilicet actus interior voluntatis et exterior. Et uterque horum actuum habet suum obiectum. Finis autem proprie est obiectum interioris actus voluntarii; id autem^ circa quod est actio exterior, est obiectum eius. Sicut igitur actio exterior accipit speciem ab obiecto^ circa quod est, ita actus interior voluntatis accipit speciem a fine sicut a proprio obiecto. Id autem, quod est a parte voluntatis, sc habet ut formale ad id, quod est ex parte exterioris actus, quia voluntas utitur membris ad agendum sicut instru- mentis, neque actus exteriores habent rationem moralitatis, nisi inquantum sunt voluntarii. Et ideo actus huaiani species formaliter consideratur secundum finem, materialiter autem secundum obiectum exterioris actus^^

2. Der Wille und die drei Arten der Freiheit.

Nachdem so die verschiedenen Arten der Freiheit erörtert sind, ergibt sich die Frage, inwiefern der menschliche Wille nach der Lehre des Thomas die Freiheit geniesst.

Betrachten wir zunächst die libertas contradictionis. Um hier zu beweisen, dass der Mensch bei keinem Willensakte mit einer Determination behaftet ist, geht Thomas von der Fähigkeit des Menschen aus, bei jedem Akte zu überlegen. Ehe nämlich der vernünftige Mensch einen Entschluss fasst, geht er mit sich zu Rate, wie er etwaige Schwierigkeiten über- winden kann, auf welche Weise er sich den höchsten Ge- nuss des erstrebten Gutes verschaffen kann. Der Mensch ist somit einer Überlegung fähig. Er steht im Gegensatz zu den übrigen Dingen. Während hier alle Kräfte der Natur in aktive Tätigkeit übergehen, wenn die nötigen Bedingungen erfüllt sind, steht es ganz in der Hand des Menschen, einen entsprechenden Willensakt vorzunehmen oder zu unterlassen, sich für eine Tätigkeit zu entscheiden oder das kontradiktorische Gegenteil zu wählen. Aus dieser Fähigkeit des Menschen zum Überlegen folgert nun Thomas die Freiheit und zwar besonders die libertas

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contradictionis. Er sagt^): „Consilium non est de his, quae sunt ex necessitate, sed solum de contingentibiis, quae possunt esse et non esse".

In gleicher Weise eignet nach Thomas dem Menschen die libertas specificationis , das heisst die Fähigkeit und Frei- heit, nicht mit Notwendigkeit eine bestinmite Art von Objekten zu erstreben, sondern unter den Objekter auswählen zu können. Zum Beweise zieht Thomas hier einen Vergleich zwischen dem Menschen und den übrigen Wesen. Er sagt-): „Diversa ani- malia habent diversos actus et operationes, quamvis omnia jmi- malia unius speciei habent similes motus et operationes; in specie autem humana inveniuntur diversi habentes diversos motus et operationes".

Der Mensch steht also hiernach ebenfalls zu den Dingen in einem Gegensatze. In der untermenschlichen Welt verrichten die Individuen der einzelnen Art dieselben Funktionen. Sie kennen keine Wahlfreiheit. Hier vollzieht sich alles nach einer bestimmten, festgelegten Ordnung. Die Menschen aber sind in ihren Bestrebungen nicht gleich. Oft ist sogar die Tätigkeit des einen der Tätigkeit des anderen direkt entgegengesetzt. „Quot capita tot sensus." Ein gleichartiges Streben der Menschen zeigt sich nur inbezug aufs Endziel. Der Mensch, so folgert drum Thomas, muss also mit der libertas specifi- cationis ausgestattet sein. Dieser Ansicht huldigt auch Duns Skotus, wenn er schreibt •'^) : „Voluntas in quantum est actus primus, libera est ad oppositos actus, libera etiam est mediantibus illis actibus oppositis ad opposita obiecta, in quae tendit, et ulterius oppositos effectus, quos producit". Einen weiteren Jjeleg, der sowohl für die libertas specificationis als auch für die libertas contradictionis spricht, finden wir bei Skotus, w(*nn er schreibt '): „Ex isto secundo patet tertium scilicet distinctio

') Expos, in 1. de intorj)r. Arist. loct. 14a. ^) Expos, in 3. ethic. Arist. lect. 13a. 3) In 1. seilt. 1. dist. 39 qn. f). 15. *) In hbr. 1. scnt. dist. 39 qu. 5. 17.

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huius propositionis , voluntas volens A potest non velle; haec enim in sensu compositionis falsa est^ ut significetur possibilitas huius compositionis, voluntas volens A, non vult A; verum autem est in sensu divisionis, ut significetur possibilitas ad opposita successive, quia voluntas volens pro A potest non velle pro B. Sed si etiam accipiamus propositionem de possibili unientem extrema pro eodem instanti, puta istam; voluntas non volens aliquid pro A, potest velle illud pro A. Ad hoc ista est distingenda secundum compositionem et divisionem, et in sensu compositionis est falsa, scilicet quod si sit possibilis, (|uod ipsa sit simul volens pro A et non volens pro A.

Sensus vero divisionis est verus scilicet ut significetur, quod illi voluntati, cui inest velle pro A, possit inesse non velle pro A, sed non sie simul stabit, scilicet istud non velle, quia tunc velle non inesset'^

Endlich sei noch nachgewiesen, dass nicht minder die dritte Art der Freilieit, die libertas contrarietatis , nach Thomas dem Menschen zukommt als besondere Eigenschaft. Nach früheren Ausführungen muss dieselbe dann dem Menschen zu- kommen, wenn er imstande ist, ebensowohl solche Dinge zu erstreben, die in der Richtung nach seinem Endziel hin als auch solche, die in entgegengesetzter Richtung liegen. Solche Mög- lichkeit besteht nach unserer Quelle für den Menschen. Für ihn existiert eine volle indeterminatio respectu ordinis in finem. Der Mensch kann trotz klarer Erkenntnis zweckwidrig handeln. Er besitzt die Fähigkeit, sich bald für das Vernunftgemässe, bald für das Vernunftwidrige zu entscheiden; er kann wählen zwischen konträr entgegengesetzten Handlungen. In diesem Sinne lesen wir bei Thomas ^) : „Tertio est indeterminatio volun- tatis respectn ordinis ad finem, inquantum voluntas potest appetere id, quod secundum veritatem in finem debitum ordinatur vel secundum apparentiam tantum. Et haec indeter- minatio ex duobus contingit, scilicet ex indeterminatione circa

') S. theol. I. ri. qu. 13 a. 6.

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obiectum in Ins, qiiae sunt ad finem, et itorum ex indeter- minationc apprehensionis, quae potest esse recta et non recta. Et ex hoc sequitur indetermiiiatio voluntatis, quae bonum potest vel malum appetere".

3. Untersuchung, ob diese drei Arten der Freiheit zum Wesen der Willensfreiheit gehören. Es tritt jetzt noch die Frage an uns heran, ob denn auch tatsächlich jede der drei Arten der Willensfreiheit als wesent- licher Bestandteil zur Willensfreiheit gehört. Auch über diesen Punkt finden wir Näheres im thomistischen System. Wenn wir nun berücksichtigen^ dass das Dispositionsrecht den eigent- lichen Kern der Willensfreiheit ausmacht^, so erhellt sofort, dass die libertas contradictionis sicherlich zum Wesen der Freiheit als integrierendes Moment gehören muss, weil ja hier die Fähigkeit des Willens, sich selbst zu bestimmen, am meisten offenbar wird. Darum schreibt auch Thomas ^) : „Hoc est essentiale libero arbitrio, ut possit facere vel non facere". Das Gleiche gilt auch von der libertas specificitionis. Diese Art der Willensfreiheit wäre ja nur dann hinfällig, wenn die Objekte zu einander in strenger Unter- und Uberordnung stünden. In Wirklichkeit aber stehen die Mittel, die Objekte, zum Ziele nur in Nebenordnung:. Somit muss nach dem thomistischen System auch die libertas specificationis als Wesensmoment der Willensfreiheit gelten. Anders verhält es sich mit der libertas contrarietatis. In ihr liegt für den Menschen die Möglichkeit begründet, solche Objekte zu er- streben, die dem eigentlichen Zwecke nicht entsprechen. Thomas betrachtet sie deshalb auch nur als accidentellen Bestjuidteil, wie aus seinen Worten hervorgeht 2) : „Velle malum nee est libca'tas nee pars libertatis, quamvis sit quoddain sigiuun libertatis".

') In 2. sent. 22. 1. Ic. -) De verit. 22. Oc.

u

4. Die Freiheit des Willens und die Affekte und

Leidenschaften.

Ehe wir jedoch die Lehre von der Willensfreiheit ab-- schliessen, müssen wir noch untersuchen^ welche Stellung Thomas gegenüber einigen Einwürfen einnimmt.

Zunächst kann man gegenüber der Willensfreiheit den Einfluss geltend machen, den die Leidenschaften auf die Tätig- keit des Menschen ausüben. Oft scheint es doch, als ob sie den Willen vollständig ins Schlepptau nähmen und die Freiheit aufhöben. Um den Standpunkt des Thomas in dieser Beziehung zu verstehen^ muss man berücksichtigen, dass die Scholastik unterscheidet zwischen Leidenschaften, die im sinnlichen Be- gehrimgsvermögen wurzeln und nur einen mittelbaren Einfluss auf den Willen haben, und zwischen Leidenschaften, die den Willen unmittelbar berühren.

Die ersteren Leidenschaften üben ihren mittelbaren Ein- fluss auf den Willen aus, indem sie das Licht der Vernunft verdunkeln. Da nun aber, wie früher erörtert ist, nach der thomistischen Lehre nicht einmal die Vernunft fähig ist, den Willen zu beherrschen, so können auch diese Leidenschaften die Freiheit nicht aufheben. Etwas anders liegt die Sache hinsichtlich jener Leidenschaften, die den Willen unmittelbar berühren. Sie beeinflussen nach Thomas den Menschen in etwa, wenigstens dann, wenn er ohne Bedenkzeit handeln muss. „Consuetudo", schreibt er, „facit necessitatem non simpli- citer, sed in repentinis praecipue ; nam ex deliberatione quan- tumcumque consuetus potest contra consuetudinem agere"^).

Ahnlich verhält es sich mit den Affekten. Auch ihren Einfluss kann man gegen die Willensfreiheit ins Feld führen. Selbstverständlich handelt es sich nur um Affekte, die dem Willen vorausgehen. Auch die Affekte beruhen nach Thomas auf dem sinnlichen Begehrungsvermögen. „Passio est motus

0 De malo 6. 1. ad 24.

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appetitus sensitivi; appctitiis auteiii sensitivus potest se habere ad liberum arbitrium et aritecedeiiter et consecpienter . . .

Non enini potest valuiitas intense moveri in aliqiiid, (juiii excitetur aliqua passio in appetitu sensitive" ^).

Demgemäss bedürfen, um ihren Einfluss geltend zu machen, auch die Affekte eines Mediums. Dies ist die Vernunft. Da nun Thomas selbst der Vernunft die Befugnis abspricht, den Willen zu beherrschen, umsoweniger müssen dann die Affekte diese Macht besitzen.

Da kann man aber noch einwenden, wie es sich dann verhält, wenn die Affekte mit solcher Gewalt auftreten, dass der Mensch für den Augenblick im Gebrauche der Vernunft gestört oder völlig gehemmt wird. In solchen Fällen kommt nach Thomas gar keine Willenstätigkeit zustande, und es kann somit auch nicht von einer unfreien Handlung gesprochen werden. In diesem Sinne schreibt er 2): „Passio quandocum- que est tanta, quod totaliter aufert usum rationis, sicut patet in his, qui propter amorem vel iram insanniut". Und er fährt dann fort^): „De talibus, id est hominibus, quibus per passionem rato totaliter ligatur^ ita quod usum rationis non habent, eadem est ratio, sicut et de animalibus brutis^ quae ex necessitate sequuntur impetum passionis; in his non est aliquis rationis motus, et per consequens nee voluntatis".

5. Die Freiheit und Unfreiheit des Willens.

Thomas lässt also, wie im Verlaufe der Abhandlung klar ist, die Freiheit und Unfreiheit des Willens nebeneinander bestehen.

Es fragt sich also, wie er sich diese Tatsache denkt? Die Betrriffe schliessen sich doch aus.

Die Naturnotwendigkeit, welche den Willen beeinflusst, gelangt, wie früher erörtert ist, nur soweit zum Ausdrucke,

') S. theol. I. IL 77. 6 c. 2) S. thcol. 1. II. 7 c. °) ö. thcol. I. IL 10. 3 c.

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als sie ihn von erkannten Übeln abhält, so dass, falls sich ein Begehren äussert^ immer nur ein wirkliches oder scheinbares Gut das Ziel des Strebens bilden kann. Der Wille wird zu keinem Gute mit zwingender Notwendigkeit getrieben, weil keines das eigentliche, dem finis ultimus kongruente Objekt enthält. Der Wille bewegt sich, um das oft angewandte Bild zu gebrauchen, auf einer Kreislinie. Infolge der necessitas naturalis strebt er zum Mittelpunkt. Es ist ihm jedoch frei- gestellt, auf welchem Radius er sich bewegt, um sich dem Ziele zu nähern. Thomas gebraucht ein ähnliches Bild^): „Er sagt, da die Akte des Willens nur in einzelnen Dingen, von denen keines seiner universalen Tendenz adäquat entspricht, zustande kommen, so bleibt der in ihm haftende Trieb, die natürliche Inklination, immer indifferent. Es verhält sich mit ihm wie mit einem Baumeister, der den Plan zu einem Hause nur in allgemeinen Umrissen entworfen hat, so dass die verschiedensten Hausformen dazu passen, der darum auch zu dem Entschluss übergehen kann, ein eckiges oder rundes, oder ein ganz anderes Haus zu bauen".

^) De malo 6. 1 c.

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Literatur.

a. Quellen:

1. Divi Thomao Aquinatis opera, editio altera Veneta, Venetiis 1774/87, 4^ 28 Bde.;

2. Duns Skotiis, opera omnia, Liigduni 1639.

b. Hilfsmittel:

1. Freiheit des Willens und Einheit der Naturgesetze, B. C. Fischer, Leipzig 1858;

2. Über die Grenzen der mechanischen Naturerklärung, Freih. v. Hert- ling, Eom 1875;

3. Die Willensfreiheit dos Menschen, Mach, Paderborn u. Münster 1887 ;

4. Die Unfreiheit und Freiheit des menschlichen Willens vom natur- wissenschaftlichen Standpunkt, Dr. L. Schütz, Würzburg 1875.

5. Die Willensfreiheit und ihre Gegner, Gutberiet, Fulda 1893;

6. Die Willensfreiheit, Kneib, Mainz 1898;

7. Thomaslexikon, Dr. L. Schütz, II. Aufl., Paderborn 1895;

8. Stöckl, Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Bd. IL

Lebenslauf.

Geboren bin ich, Matthias Schiefferens, am 12. April 187G, zu Bettenfeld, Bez. Trier, katholischer Konfession, als der einzige Sohn des Landwirtes Peter Schiefferens und seiner am 31. März 1890 verstorbenen Frau Anna Maria Schiefferens geborene Thies. Durch Privatunterricht vorgebildet, besuchte ich von Ostern 1893 ab das Gymnasium zu Prüm, Bez. Trier, woselbst ich am 21. Febr. 1898 das Zeugnis der Reife erlangte. Alsdann widmete ich mich von Ostern 1898 bis Herbst dieses Jahres im Seminarium Giemen tinum zu Trier philosophisch -theologischen Studien, trat jedoch schon Herbst aus genannter Anstalt aus und studierte an der Universität zu Münster i. W. vornehmlich germanische und romanische Philo- logie und Philosophie. Am 24. April 1903 bestand ich daselbst vor der Königl. wissenschaftlichen Prüfungskommission die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen. Ich stellte mich hierauf dem Königl. Provinzialschulkollegium zu Breslau zur Verfügung und wurde durch Verfügung vom 4. Mai 1903 dem pädagogischen Seminar am Königl. Gymnasium zu Hirschberg i. Schlesien zur Ableistung des Seminarjahres überwiesen, gleichzeitig aber mit der Verwaltung einer etatsmässigen wissenschaftlichen Hilfslehrerstelle am Königl. Gymnasium zu Patschkau, Kreis Neisse, betraut; an dieser Anstalt unterrichtete icli bis Ostern 1904. Alsdann wurde ich durch Verfügung des Königl. Provinzialschulkollegiums vom 7. April 1904 dem Königl. Kath. Gymnasium zu Glogau a. d. Oder überwiesen zur Ableistung des Probejahres mit voller Lehrbeschäfti- gung, in welcher Stellung ich zur Zeit tätig bin.

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