* -ROV 13 1909

BX 4921 .G6 1878 Göll, Jaroslav, 1846-1929 Quellen und Untersuchungen zur Geschichte der

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I n 1:l a. 1 t-

Seite

Einleitung i— 6

Das Brüderarcliiv 7—8

Die ältesten apologetischen Schriften der Brüder 9— 16

I. Die ältesten Quellen 17—22

1. Das vierte Schreiben der Brüder an Rokycana (1468) . ." . . 18 20

2. Das fünfte Schreiben der Brüder an Rokycana (1471) .... 20

3. Antwort der alten Brüder „für alle" 20 21

4. Das Schreiben der Brüder in ihrer Bedräng-niss unter K. Georg 21

5. Das Schreiben an Herrn Albrecht 21—22

II. Der Traktat „Wie sich die Menschen gegen die römische

Kirche verhalten sollen" 22—24

III. Quellen, die mit dem Verhör der Brüder im J. 1478 zu- sammenhängen 24—27

1. Korandas Schreiben an Herrn Johann Kostka von Postnpic, 1478 25 26

2. Das Buch der Magister von den 10 Artikeln (die Vertheidigung-

des Glaubens gegen die Pikarden) 26 27

3. Eine Entgegnung der Brüder gegen das Buch der Magister . . 27

IV. Die Schriften a) von der zuversichtlichen Hoffnung, b) von

den Ursachen der Trennung (1496) 28—29

V. Die Streitschrift der kleinen Partei 29—30

Überblick . , 30—38

VI. Lukas von Prag (f 1528) 38—48

1. Apologie oder Confession (1503) 39 41

2. Lukas' Streitschrift gegen Wolfgang (1505) 41—42

3. Lukas' Schrift von der Erneuerung der Kirche (1510) .... 42 44

4. Lukas' Schrift von dem Ursprung der h. Kirche (1522) .... 45

5. Lukas' Schrift vom Ursprung der Unität 45 46

VIL Die älteren gedruckten Confessionen. Die polemische Lite- ratur 48—50

VIII. Joh. Černýš Schreiben an Illyricus (1555) 51—52

Seite

IX. Blalioslavs Summa (1556) 53—56

X. Die haudscliriftliche Historia Fratrum (Ms. Un.). Blaho-

slavs Autorschaft. Spuren von Blahoslavs Geschichte . . 56—61

XI. Das Proemium der lateinischen Confession (1573) .... 61—63

XII. Joachim Camerarius 63—73

XIII. Johannes Lasicius 74—80

XIV. Bruder Jafet 80—84

Beilagen :

A. IV. Schreiben der Brüder an Eokycana 87 90

Čtvrté psaní bratří M. J. Kokycanovi 90 91

B. V. Schreiben der Brüder an Rokycana 92

V. psaní bratří Kokycanovi 92—93

C. Antwort der alten Brüder 93

Odpověď bratří starých 93

D. Schreiben der Brüder in ihrer Bedrängniss unter K. Georg- 94 96

Psaní bratří starých za krále Jiřího v lizkostech 96 97

E. Das Schreiben an H. Albrecht 98

Psaní P. Albrechtovi 98

F. „Wie sich die Menschen gegen die römische Kirche verhalten sollen" 98 102 Jak se lidé mají míti k Římské Církvi 102 104

G. Das Buch der Prager Magister (Vertheidigung des Glaubens gegen die Pikarden) 104—106

H. Apologia (1503) 106—107

Apologia (1503) 108

I. Lukas: Von der Erneuerung der h. Kirche 108 110

Br. Lukáše: 0 obnovení Církve 110 III

K. Lukas: Der Ursprung der Unität III 113

Br. Lukáše: O původu jednoty 113 114

L. Summa quaedam brevissima de Fratrum origine et actis 114—128

M. Blahoslavs Schreiben an Rokyta (1557) ..." 128—129

N. Blahoslavs Schreiben an Georg Israel (1557) 129—132

O. Blahoslavs Geschichte (nach Martinius von Dražov) 132

P. Lasicius: Geschichte der Brüder 133 138

Q. Krasonickýs Traktat gegen Cahera (Nachtrag) 138 140

Quellen und Untersuchungen

zur

Geschichte der Böhmischen Brüder.

Herausgegeben

jlaroslav poll

II.

Peter Chelčicky und seine Lelire.

Druck und

PRAG.

Verlag von 1882.

J. Otto.

PETER CHELCICKÍ ÜND SEINE LEHRE.

Peter Chelčický und seine Lehre.

Das Dunkel, das die Gestalt des Peter Chelčický. seine persönlichen Schicksale und Verhältnisse unseren Blicken entzieht, wird nie voll- ständig weichen. Die erste Generation der Böhmischen Brüder, seine Zeitgenossen, haben nur aufgezeichnet, dass sie mit ihm gesprochen und seine Schriften gelesen haben ; sie haben zugleich gestanden, wie mächtig die Wirkung gewesen sei, die von denselben ausgieng. Aber nur von seinen Schriften sprechen sie, nicht von seiner Person. Und obwohl auch in der Folge die Bekanntschaft mit Peters Schriften bei vielen die wichtigste Strecke des Weges gewesen ist, der sie der ünität zuführte,") so haben auch sie es versäumt, die damals sicher- lich noch lebendige Tradition der Vergessenheit zu entreissen. Nur Lukas von Prag hat in einer seiner späteren Schriften, undankbar

Die Geschichtsforschung hat sich erst in den letzten Jahrzehenten einge- hender mit Peter Chelčický beschäftigt. Zuerst hat ihm Gindely eine Stelle in der geistigen Bewegung des 15. Jahrhuudertes angewiesen, dann hat Palacký seine Bedeutung tiefer erfasst und gewürdigt. Die biographischen Daten, die sich aus Chelcick^'s Schriften ergeben, sind am vollständigsten von J. Jirecek (Rukověť 1875) zusammengestellt worden. Am eingehendsten handelt über Chelčický Ferd. Schulz in der Zeitschrift „Osvěta" 1875. Der Hauptfehler dieses geistvollen Auf- satzes ist, dass in demselben den Ideen Chelčickýs mitunter ein geradezu ^mo- dernes Gepräge gegeben wird. Mit meinen Vorgängern habe ich mich im C. C. M. 1881 auseinandergesetzt. Die hier folgende Darstellung fasst manches kürzer, ist aber ausführlicher namentlich da, wo von Chelčickýs Lehre gehandelt wird.

So bei Lukas von Prag und Laurentius Krasonický. Dieser erzählt: Da es mich in der böhmischen Partei nicht länger litt, in der ich geboren, aufgewachsen und erzogen war, und da ich von beiden Parteien (den Katholiken und Utraqui- sten) vernahm, dass sie, die einen wie die anderen, schlechten Glauben und schlechten Wandel hätten: da ergriff mich Furcht vor der Holle und in meiner Noth flehete ich zu Gott, er möge mich meiner Irrthümer und Sünden wegen nicht verdammen. Und da kamen in meine Hände Bücher unter dem Namen des Mag. Job. Hus. Es waren dies aber die Schriften des P-^ter Chelčický. Besonders seine Postille und dann auch andere. (Krasonickýs^ Schrift gegen Cahera. Einen Auszug nach der Görlitzer Handschrift habe ich im Č. Č. M. 1878 veröffentlicht.)

gegen das Andenken des Mannes, dessen Lehre auch ihm den Weg in die Unität der Brüder gewiesen, einiges aufbewahrt, was ungünstig lautet: Peter habe nämlich, im J. 1443 zum Landtage nach Kutten- berg geladen, seine Schriften verbrennen wollen ; er, der in ihnen ge- predigt, der wahre Christ müsse in die Fussspuren des leidenden Christus eintreten, habe „das Kreuz Christi gefürchtet" ; anderen Ver- söhnlichkeit, die auch dem Feinde mit Liebe entgilt, vorschreibend, habe er selbst einem Priester, der mit ihm in Streit gerieth, bis zu seinem Tode nicht verzeihen wollen ; er habe das Andenken seiner Geg- ner aus Rachsucht in seinen Schriften gebrandmarkt und durch seine Polemik gegen die Taboriten zu ihrem Untergange beigetragen. Lukas bemerkt zwar, er wiederhole nur, was er gehört, ohne selbst es zu behaupten oder in Abrede zu stellen ; aber er hat es doch aufgezeich- net, um in Peter die „kleine Partei" zu treffen, gegen die er nicht minder heftig auftrat, als Chelčický gegen seine Gegner.^) In anderen Kreisen beginnt frühzeitig die Sagenbildung von dem Schuster Chel- čický, die von Henricus Institoris, dem geistesarmen Inquisitor, bis zu dem grossen Slavisten Dobrovský reicht.

Es ist nicht möglich, eine zusammenhängende Lebensgeschichte Chelčickýs zu entwerfen ; nur einiges können wir aus seinen Schriften, fast der einzigen Quelle, die uns zu Gebote steht, errathen. Unbekannt ist uns sein Geburts- und Todesjahr, und über seinen Stand und Le- bensberuf giengen noch unlängst die Ansichten der neueren Geschichts- forscher weit auseinander. Doch hat die Meinung einen entschiede- nen Sieg davongetragen, die in Chelčický einen Laien erblickt.-) Im

Lukas' Schrift geg-en die kleine Partei v. J. 1524: Ich selbst habe seine (Chelčickýs) Schriften gelesen und abgeschrieben, bevor ich mich den Brüdern anschloss . . . Vieles hörte ich auch von den Brüdern, die mit ihm verkehrt hatten, was nicht zu loben wäre, namentlich sei er unversöhnlich und rachsüchtig ge- wesen ; einem Priester, mit dem er in Streit gerathen, habe er bis zu seinem Tode nicht verzeihen wollen; so sagte jener Priester. Die Priester der Taboriten hat er mit Unrecht getadelt, ihnen in seinen Schriften Unrecht gethan, namentlich was den Glauben vom Leibe Gottes betrifft. Er war gerade wie ihr; wer ihm irgend- wie widerstrebte, dessen Namen hat er in seinen Büchern mit Spott überhäuft. Einige sagen, er sei der Urheber des Todes einiger Priester der Taboriten gewe- sen. So heisst es; ich behaupte es nicht.. . Auch sagen jene Gewährsmänner, als der Landtag bei Kuttenberg zusammenkam und er als Angeklagter dort erscheinen sollte, da habe er das Kreuz Christi gefürchtet und hätte aus Furcht lieber alle seine Schriften verbrannt. Das sage ich . . . wie ich es gehört, ohne zu behaupten, noch zu ^widersprechen.

Šafaříks (Nachgelassene Studie über Chelčický Č. Č, M. 1874) Beweis- führung, Peter sei ein Priester gewesen, hat F. Schulz treffend widerlegt. Vgl. den Eingang der Replik gegen Rokycana, wo Chelčický selbst sich als einen Bauer bezeichnet. Und in seinem Schreiben an den Priester Nikolaus sagt Chel- čický, seine (geistige) Armut sei weit entfernt, Priestern Lehren zu ertheilen; in- des könne auch ein Priester etwas von ihm annehmen.

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Dorfe Chelčic im südlichen Böhmen, unweit von Vodnan, hat er wohl die meisten Jahre seines Lebens zugebracht. Jedenfalls stammt sein Zuname von diesem Orte, wo er vielleicht, wie Palacký vermuthet und seine eigenen Schriften zu bestätigen scheinen, einen massigen Grundbesitz inne hatte, der es ihm möglich machte, für einige Zeit die Hauptstadt des Landes aufzusuchen. Man kann Petr Chelčický mit seinem Lands- manne Thomas von Štítné, dem gelehrten Ritter, vergleichen. Doch hat ihn nicht wie diesen die Hochschule nach Prag gelockt; zu den Füssen der Magister ist er wohl nie gesessen. Wie aber der Ritter später aufs innigste sich an Milic, den berühmten Prediger, anschloss, so mag Peter in seiner Heimat die Kunde von jenen Predigten er- reicht haben, die zahlreiche Zuhörer in der Bethlehemskapelle ver- sammelten. Ein tiefes religiöses Bedürfnis hat ihn nach Prag geführt, aber keineswegs das Verlangen nach gelehrter Schulbildung. Auch hätte ihm den Zugang zu den Lehrsälen die Unkenntnis der lateini- schen Sprache verschlossen. Aber die neue Bewegung hatte von An- fang an die Pflege der Volkssprache gefördert : die böhmischen Schrif- ten des Johannes Hus und anderer wird Peter schon damals eifrig gelesen haben, wozu sich persönlicher Umgang mit gelehrten Männern gesellte, mit deren Hilfe er sich einen gewissen Grad von theologi- scher Bildung aneignen konnte.^) Da er später, als er selbst die Feder ergriff, nicht ohne Bücher gewesen ist, so hat er vielleicht schon da- mals sich einen kleinen Vorrath von Handschriften zu verschaffen ge- wusst oder selbst angefertigt, wozu seine gelehrten Freunde Auszüge aus lateinischen Schriften beisteuerten, unter ihnen vorzüglich die Prediger der Bethlehemskapelle, neben denen aber Peter auch von solchen Männern zu lernen nicht anstand, die, wie Mag. Protiva, jenen feindlich gegenüberstanden.

Wenn Chelčický sich von anderen belehren liess, so schlug er doch bald seinen eigenen Weg ein, vielleicht bereits auch ein an Jahren reifer Manu, dessen Geburtsjahr ziemlich weit vor dem An- fange des 15. Jahrhundertes liegen kann. Doch lassen sich darüber nur unsichere Vermuthungen aufstellen, ebenso wie wir die Frage nicht

S. die Replik gegen Nikolaus von Pilgram (Cap. 28.). J. Jirecek geht zu weit, wenn er annimmt, Peter habe die Kirchenväter im Original lesen können. Etwas Latein scheint übrigens Chelčický in Prag gelernt zu haben.

JireČek nimmt an, Chelčický habe auch Hus persönlich gekannt und sei demnach bereits im J. 1410 nach Prag gekommen. Dafür scheint allerdings die wichtige Stelle in der Replik gegen Nikolaus (Cap. 26.) zu sprechen.

Replik gegen Nikolaus (Cap. 28.) nennt Peter ausdrücklich den Martin Volyně. Der dort erwähnte Auszug war wohl zugleich eine Übersetzung.

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ZU beantworten vermögen, wann Chelčickýs Aufenthalt in der Haupt- stadt seinen Anfang genommen und wie lange derselbe gewährt habe. In Prag anwesend war er jedenfalls in der Zeit, da die hussitische Bewegung, mächtig anschwellend, die Dämme durchbrach, um sich zu einem Bürgerkrieg zu gestalten: in den Jahren 1419 und 1420. Es sind dies die ersten und eigentlich die einzigen ganz festen und bestimmten Daten seiner Lebensgeschichte, verbunden mit Nachrich- ten, die bereits die eigenartige Stellung des Mannes kennzeichnen.

Bereits vor Ausbruch des Krieges lassen sich in der hussitischen Bewegung verschiedene Strömungen unterscheiden, aus denen in der Folge die Parteien hervorgiengen. Auch auf die Frage ist verschieden geantwortet worden, ob es erlaubt sei im Streite, der Glauben, Cul- tus und kirchliche Verfassung betrifft, zum Schwerte zu greifen, na- mentlich wenn sich seine Schärfe gegen die höchsten Autoritäten wenden sollte, gegen Kirche und Staat.

Während es in der Hauptstadt der Staatsgewalt noch gelang, blu- tige Tumulte, die sich in der Neustadt Prag gegen die städtische Obrigkeit erhoben, durch einen Vergleich zur Ruhe zu bringen, dem zufolge der König sich mit der Entschuldigung und Abbitte der Gemeinde, in welcher jener Excess stattgefunden, begnügte, dann aber die von ihr gewählten neuen Käthe bestätigte, hatte bereits auf dem Lande eine Bewegung begonnen, welche, die Volksmassen ergreifend, alsbald grossartige Formen annehmen sollte. Noch zu Lebzeiten K. Wenzels fanden jene merkwürdigen Versammlungen unter freiem Him- mel statt, namentlich auf dem Berge Tabor bei Bechyně, wobei die Theilnehmer sich von den Priestern abkehrten, die ihnen in den Pfarr- . > kirchen den Kelch verweigerten. Sie trennten sich von den Gemein- den, denen sie bisher angehört hatten, und sagten sich los nicht allein von den durch die Obrigkeit eingesetzten Hirten, sondern auch von der Autorität, die sie eingesetzt hatte. An deren Stelle traten die- jenigen Priester, die, dem Verbote der Kirche trotzend, dem Volke das Sakrament unter beiderlei Gestalt reichten, und die wohl als die eigentlichen Erfinder und Urheber dieser Versammlungen anzu- sehen sind. Alsbald erschienen bei den Versammlungen auch waffen- kundige Männer, wie Nikolaus von Hus. Wenn wir nun lesen, diese religiösen Meetings hätten K. Wenzel in seinen letzten Lebenstagen die Befürchtung eingeflösst, er werde nicht auf dem Throne seiner Väter sterben, so ist dies durchaus glaubw^ürdig. War es erlaubt, sich

') Vgl. Laur. von Březová. Höfler Ss. II. 1. S. 351.

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von der kirchlichen Obrigkeit zu trennen, wie leicht konnte dieses Beispiel auf dem weltlichen Gebiete zur Auflehnun,ii gegen König und Staat führen, die da waren, um die Kirche gegen ihre Feinde zu schützen und die Ungehorsamen zum Gehorsam zurückzuführen!

Mit dem Tode des Königs brach die Bewegung in Prag wieder los, wobei die ikonoklastische Plünderung der Kirchen und Klöster ein Anzeichen bildete, dass die radikalen Tendenzen, denen der Laien- kelch nur ein Theil des Programms war, auch unter der hauptstädti- schen Menge Wurzel gefasst hatten. Bereits wurden Versammlungen in dem nächsten Umkreise der Hauptstadt veranstaltet. Die dort Ver- sammelten zerstreuten sich nicht, sondern fanden Aufnahme innerhalb ihrer Mauern. Zwar stellte ein Vertrag, den die Stadt mit den Be- satzungen der Prager Burgen und dem Oberstburggrafen. Čeněk von Wartenberg, schloss, die Ruhe wieder her, und wenn das fremde Volk gleichzeitig die Hauptstadt verliess, so ist es wohl dabei als Bedingung vereinbart worden: als aber dann nach kurzer Pause (October 1419) nicht bloss Tumult, sondern offener Kampf begann und zwar zwischen der provisorischen Regierung und der Hauptstadt des Landes, da strömten dieser sofort Bundesgenossen zu, nicht mehr friedliche Pil- ger, sondern bewaffnete Haufen, die Waffen mitgenommen hatten, um. wie Wenzel Koranda gesagt, die Böcke vom Weinberge Christi zu vertreiben. Mit diesen Waffen mussten sie sich den Weg zur Haupt- stadt bahnen. Doch nur um dieselbe alsbald wieder zu räumen, als . zwischen der Regentin, dem Oberstburggrafen und anderen Herreu I einerseits und den Pragern anderseits ein Vertrag (13 November 1419) abgeschlossen wurde, in dem beide Theile sich versprachen, für die Freiheit des Laienkelches einzustehen, während die Prager zugleich zusagten, die Bilderstürmerei innerhalb ihrer Mauern nicht mehr zuzulassen.

Nach Abzug der Fremden ergriff die Hauptstadt eine friedlichere Stimmung und hielt längere Zeit an. Die Gebote Sigismunds, des le- gitimen Erben der Krone, die Ketten und Barrikaden in den Strassen zu entfernen, fanden willigen Gehorsam (Januar 1420) ; geistliche und weltliche Gegner des Kelches wurden zur Rückkehr in die Stadt, aus der sie früher geflohen, aufgefordert, den Mönchen Schutz vor Ver- höhnung und Misshandlung zugesagt, dies alles auf unbestimmte Zu- sage des Königs hin und wahrscheinlich nicht ohne Einfluss des Herrn von Wartenberg, dem bis zur Ankunft Sigismunds anstatt der Königin Sophia die Regentschaft übertragen wurde.

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Jeue Massen waren nach Prag gekommen getragen von fanati- scher Begeisterung, deren Quelle der Chiliasmus bildete, welcher eben damals seinen Höhepunkt erreicht zu haben scheint.

Die Schwärmer*) verkündeten die Nähe der Wiederkunft Christi, nicht des Richters des letzten Weltgerichtes, sondern des Königs des tausendjährigen Reiches, das jenem vorangehen solle. Nur die Erwähl- ten Gottes werden in ihm wohnen : die Verstorbenen, die auferstehen werden, unter ihnen Johannes Hus und von den Lebenden die- jenigen, die den Ruf der Verkündigung gläubig vernehmen. Die Gott- losen dagegen wird, wie einst Sodoma und GomoiTha, ein plötzliches Strafgericht vertilgen, in dem nur diejenigen gerettet werden, die sich auf „die Berge" flüchten, in die „fünf Städte", die allein übrig blei- ben sollen.

Die Genossen des tausendjährigen Reiches werden auf einer hö- heren Stufe der Vollkommenheit stehen, als die Angehörigen der er- sten apostolischen Kirche. Frei von äusserer Verfolgung und Bedräng- nis, werden sie auch die höchste Stufe der inneren Freiheit erreichen, auf der es keiner Zuchtmittel, keiner Belehrung bedarf; die Sonne des menschlichen Verstandes wird nicht mehr leuchten, sondern alle werden Gelehrte Gottes sein, unmittelbar von Gott das innere Licht empfangend. Wenn schon jetzt in den Tagen der Erwartung alle Men- schensatzung fallen und die Bibel allein gelten soll, so wird dann, w^enn die Zeit der Erfüllung kommt, auch die Schrift unnütz werden.'^) Das neue Gesetz, das jeder in seinem Herzen eingeprägt tragen wird, wird viele Bestimmungen des alten, geschriebenen aufheben,^) nament- lich auch da, wo es gebietet, den Königen und der Obrigkeit unter- than zu sein. Der Staat und sein Organismus wird sich auflösen, alle Zinspflicht aufliören, Jagd und Fischerei frei sein. Die Gerechten werden in einem überreichen Überflusse leben, da die Güter der Gott- losen ihnen zufallen sollen. Es wird eine allgemeine Gleichheit herr- schen, ohne König, ohne Unterschied der Stände, denn die Recht- satzungen, die sie gegen einander abgränzen, auch diejenigen, die

Vgl. insbesondere Příbrams Schrift gegen die Priester der Taboriten. (Im Auszug gedr. in der Zeitschrift der kath. Geistlichkeit C. K. Duch. Jahr- gang 1863.)

Koranda predigte in Pilsen, wie Příbram erzählt, die Erwählten Gottes, die übrig bleiben werden, würden keiner Bücher bedürfen. „Ich möchte," so sagte er, „meine Bibel, einige Schock wert, gleich bei einer Höckersfrau für drei Heller verpfänden und sie nie wieder auszahlen."

Sie predigten, alle Gesetze, mögen sie die Fürsten, das Land, die Städte, die Bauernschaft betreffen, würden aufhören, auch gute und nützliche, da sie als Satzungen der Menschen und nicht Gottes aufgehoben werden sollen (Příbram).

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vorläufig noch gut und nützlich sein mögen, werden ihre Giltigkeit verlieren. Es werden ihr Ende finden und aufhören Staat, Kirche und Schule.

Diese Lehren und Erwartungen mussten den höchsten Grad der Spannung und Erregung der Gemüther hervorrufen, der nicht an- dauern konnte. Als das zunächst ersehnte Wunder der Vertilgung der Gottlosen ausblieb, wurde der Vertilgung skampf gegen die Gottlosen verkündet ; ') fortan sollte nicht mehr dem milden, liebreichen Heiland, sondern Christo in seinem Eifer und Zorn nachgeahmt werden. Nicht bloss zur Abwehr, sondern auch zum Angriff sollte das Schwert im Namen Gottes den Feind treifen.'^)

Darin liegt die Bedeutung der chiliastischen Periode der hussiti- schen Bew^egung, dass durch sie Kräfte geweckt wurden, die nicht mehr bewältigt werden konnten. Vorbereitet durch die Volksversamm- lungen unter freiem Himmel, brach die chiliastische Schwärmerei in der zweiten Hälfte des J. 1419 mit grosser Gewalt aus. Aber rasch scheint sich jene Wandlung vollzogen zu haben, ohne Zweifel beför- dert auch durch den Anschluss von Männern wie Nikolaus von Hus und Johann Žižka, die jene Erwartungen der Schwärmer kaum theilten. Den Vertrag vom 15. November nicht anerkennend, trennte sich Žižka von den Pragern und verliess die Hauptstadt mit denjenigen, die um- sonst gekommen waren. Ihren Führern gesellte er sich bei. Jene Städte aber, die das erwartete Strafgericht verschonen sollte und die sich mit einer Menge anfüllten, die, Haus und Hof in der Heimat auf- gebend, ihr fahrendes Gut mitnahmen, wurden nun zu Mittelpunkten des Widerstandes, vor allen Pilsen, wo seit langer Zeit Korandas fanatische Predigt erscholl und wohin sich nun Žižka zunächst be- gab. Als es sich (Anfangs 1420) als unhaltbar erwies, trat an seine Stelle das neu begründete feste Hradiště an der Lužnic, das nach der Stätte der ersten Versammlungen den Namen Tabor empfieng.

Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen der Christ be- rechtigt sei, die geistigen Waffen mit den materiellen zu vertauschen und mit der Schärfe des Schwertes für die Wahrheit einzustehen, hat jene bew^affneten Massen, die der Hauptstadt zu Hilfe gekommen

Příbram sagt: Als es aber nicht eintraf und Gott es nicht that, da fiengen sie an zu predigen : wir sollen es vollführen . . . Und sie sagten, die Zeit der Strafe sei gekommen. Vgl. die zweite Beilage.

■^) Sehr gut bezeichnet Příbram diesen Gegensatz, indem er sagt: Sie ver- warfen den berechtigten und christlichen Kampf und die geheiligten Beweggründe, die zu einem berechtigten und christlichen Kampfe und zur Vertheidigung der Wahrheit gehören, von denen Augustinus schreibt...

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waren, während ihres Aufenthaltes in derselben beschäftigt. Doch ist dieselbe nicht in der allgemeinen Fassung, ob der Christ überhaupt für die Wahrheit kämpfen dürfe und solle, aufgeworfen worden, denn dass diese Verpflichtung eintreten könne, darüber erhob sich kein Zwei- fel : sondern die Umstände erheischten die bestimmte Formulirung : ob die Volksgemeinde das Recht habe, wenn die weltliche Obrigkeit sich in der Vertheidigung der Wahrheit lässig zeige, an ihre Stelle zu treten. Unter den Priestern, die mit dem Landvolke nach Prag gekommen waren, erregte diese Frage Zwist und Streit. Die Bedenken, die ei- nige gegen die Bejahung derselben geltend machten, haben auch die Prager Magister, als ihnen die Schlichtung des Streites übertragen wurde, gebilligt, indem sie der Volksgemeinde nur in der äussersten Noth jenes Recht zuerkennen wollten, wenn nämlich die Obrigkeit der Wahrheit oifen widerstrebt und dadurch ihre Rechte selbst auf- gibt.') Jener Streit, in dem sich der Wendepunkt in der Entwicke- lung der chiliastischen Bewegung ankündigte, sowie die Lösung, die demselben die Prager Magister zu geben versuchten, ist auf den näch- sten Verlauf der Dinge nicht ohne Einfluss geblieben. Die Prager schlössen sich der Obrigkeit wieder an, als sie durch den November- vertrag sich verpflichtete, mit ihnen für den Kelch einzustehen. Ein Umschwung musste aber in dieser friedlichen Stimmung eintreten, als im J. 1420 nach Verkündigung der Kreuzbulle auch vom Standpunkte der Magister der Widerstand als ein legitimer erscheinen konnte. Prag rüstete sich zum Kampfe; bevor es aber die Taboriten herbei- rufen konnte, bot sich ein neuer Bundesgenosse an, Herr Čeněk von Wartenberg, von dem zu erwarten war, er werde den gesammten utraquistischen Adel nach sich ziehen. Aber auch so musste der Bund der Prager mit den Taboriten, die im Süden des Landes unter Žižkas Führung einen siegreichen Angriffskrieg begonnen hatten, früher oder später doch erfolgen; festigte sich ihre Verbindung, dann war ein völliger Umsturz der Dinge im ganzen Lande zu erwarten auf Un- kosten der Kirche, der Ki'one und des Herrenstandes. Um dies zu verhüten, versuchte es Herr Čeněk, die Prager, vor allem aber sich selbst, mit dem Könige zu versöhnen. Die von ihm trotz des Wider- standes einer Partei, die von Sigismund nichts hören wollte, eingeleite- ten Unterhandlungen, wurden auch dann fortgesetzt, als er, den Bund mit den Pragern auflösend, sich dem Könige wieder unterwarf. Fast der ganze höhere Adel, auch diejenigen Herren, die sich bereits für

') Vgl. die erste Beilage.

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den Kelch erklärt, waren dem Könige treu geblieben oder kehrten zum Gehorsam zurück. Sigismund konnte erwarten, Prag werde ent- weder sich unterwerfen oder unterliegen ; schrolf wies er die Gesand- ten der Hauptstadt ab, die zu ihm nach Kuttenberg gekommen waren. Aber eben dadurch erreichte das Schwanken und Zweifeln ein Ende : die Prager riefen die Taboriten herbei. Ihnen folgten andere Zuzüge, eben aus jenen Städten, die in der chiliastischen Erregung als Zu- fluchtsorte gepriesen wurden. Alle, die Prager und die Ankömmlinge, verbanden sich zum gemeinschaftlichen Widerstande gegen König Sigismund so wie gegen alle Widersacher des Gesetzes Gottes und des Kelches.

Das Taboritenweib, das im Kampfe auf dem Zizkaberge mit den Worten fiel: „es geziemt sich einem getreuen Christen nicht vor dem Antichrist zu weichen", hat im Namen jener Kriegspartei gesprochen, die den Krieg als Pflicht proklamirt hatte und jenen zur Hilfe ge- kommen war, die sich nur ein beschränktes Recht zum Kriege zuer- kannten und ohne diese Hilfe wahrscheinlich unterlegen wären.

Mitten in dem Siegesjubel der vereinigten Prager und Taboriten vernehmen wir die Stimme des Peter Chelčický. Er hatte auf die Frage, die die Gemüther aufgeregt hatte, eine andere Antwort gefun- den. Für ihn gab es weder Recht noch Pflicht für die Wahrheit das Schwert zu erheben, da er jedweden Kampf für unchristlich erklärte. Wann hat Gott das Gebot „Du sollst nicht tödten ! " widerrufen? Und dieses Gebot verbietet Mord, Todesstrafe, Kampf und Krieg ohne alle Einschränkung. Judas Makkabäus ist für Chelčický „der grosse Mör- der". Christi Wort und Beispiel gebietet den Feind zu lieben. Dem Feinde der Wahrheit darfst du in dem, was gegen Gott wäre, keinen Gehorsam leisten, darfst aber auch nicht seiner Gewalt dich mit Ge- walt widersetzen, ihn nicht bekämpfen. Auch die Prager Magister be- fanden sich auf Irrwegen, da sie ein beschränktes Recht zum Kampfe einräumten. Dies sagte Peter unumwunden demjenigen, der unter ihnen die erste Stelle einnahm, den er selbst bisher zu seinen Lehrern ge- zählt. Mag. Jakobell, als er mit ihm in dessen Predigerwohnung bei der Bethlehemskapelle zusammentraf. Seine Gründe, die sich auf Aus- sprüche der grossen Kirchenväter stützten, bekehrten ihn nicht, und auch die grossen Erfolge, die die vereinigten Parteien auf dem Schlacht- felde davontrugen, vermochten nicht ihn zum Schweigen zu bringen; als er im J. 1420 nach Sigismunds Niederlage unter dem Vyšehrad noch- mals mit Jakobell sich besprach, scheint er gegen die Magister den Vorwurf erhoben haben, sie seien schuldig an dem vergossenen Chri-

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steublute: sie hätten den Krieg überhaupt unter allen Umständen für unstatthaft erklären sollen.^)

Bald darauf scheint Peter Prag verlassen zu haben. Mit den Pra- ger Magistern verband ihn nichts mehr, ausser etwa die Forderung des Laienkelches, für den er ebenfalls einstand, da niemand daran rühren dürfe, was Christus selbst eingesetzt: eine weitere Bedeutung scheint er der Communion unter beiderlei Gestalt nicht beigelegt zu haben. Wahrscheinlich ist von nun an Chelcic sein bleibender Auf- enthaltsort geworden. Es liegt in einer Gegend, wo von Anfang an im Gegensatze zu Prag die radikale Richtung Wurzel gefasst hatte. Die Taboriten sind Chelčický nach seinem eigenen Geständnisse von Anfang an sympathischer gewesen als die Magister, obwohl ihn von jenen in der Lehre vom Kriege und seiner Berechtigung eine tiefere Kluft schied als von diesen. Als er mit ihnen in persönliche Berüh- rung trat, zeigten sich noch andere Differenzpunkte: vorzüglich in der Abendmalslehre.

Wenn der Hussitismus im Laienkelche sein Symbol fand, so hängt auch dies mit der vorbereitenden Bewegung des 14. Jahrhundertes zusammen. In seinem Eifer für den häufigen Genuss des Abendmals erblickte Matthias von Janov in demselben den Centraiakt des kirch- lichen Lebens.^) Der von ihm ausgegangene Impuls wirkte nach: man wollte das ganze Sakrament geniessen, der Laie sollte darin hinter dem Priester nicht zurückstehen.

Frühzeitig erwachte auch die Spekulation über das Dogma, und damit kam Zweifel und Zwiespalt. Auch Thomas von Štítné ist davon nicht unberührt geblieben, aber er hat doch im Vertrauen auf die Autorität der Kirche an der Transsubstantiationslehre festgehalten. Ihr Gegenstück ist die von Wiclif verfochtene Lehre von der Remanenz des Brotes und der realen Gegenwart Christi im Abendmal, zu der sich einige Zeit auch Männer, wie Stanislaus von Znaym, bekannten, die anfänglich mit Hus giengen, um sich ihm dann desto entschiede-

Die Hauptstelle s. in der Replik ge^en Rokycana. In der Postille schil- dert Chelčický die Drangsale des fünfzehnjährigen Bürgerkrieges, zu denen er auch die Angst des Gewissens rechnet, der viele überfiel und bis zum Wahnsinn peinigte. „Und dies kam durch die falschen Propheten . . . Als sie sahen, dass die Könige der rechten Predigt und dem Kelche sich widersetzen, da erhoben sie den Kampf gegen ihn . .

In seinem Tractat de frequenti commuuione (Ms. Un. 3 A 10) lehrt Janov: quod corpus (et sanguis J. Chr. diese Worte sind vielleicht ein späterer Zusatz) in templo dei in sacramento quiescens principaliter et maxime est adorandum et quod alia omnia, que subducunt vel distrahunt ab adoracione sacramenti, in templo Christi non sunt tolleranda (gegen die Bilderverehrung); quod Jesus crucifixus preeipue in sacramento se dedit nobis.

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ner entgegenzustellen. Auch Hus selbst ist bekanntlich derselben Ab- weichung angeklagt worden: indes auf dem Koncil hat er sich un- zweideutig und rückhaltslos zur Kirchenlehre bekannt.

Peter Chelčický hat bereits während seines Prager Aufenthaltes Partei ergriffen, die Transsubstantiation abgelehnt und sich zu Wiclif bekannt; an diesen Ansichten hat er auch in der Folge festgehalten. Ein „grosser und berühmter Magister der Prager Schule", den er aber nicht nennt, hatte ihn einmal davon abbringen wollen und ihm einen Traktat mitgetheilt, der sich auf Ansichten der grossen Schola- stiker stützte. Aber Peter wollte mehr als Thomas und Scotus dem Apostel glauben, der da spricht: „das Brot, das wir brechen."

Der Zwiespalt blieb auf den Gegensatz von Remanenz und Wand- lung nicht beschränkt; alsbald tauchte eine dritte Lehre auf, die Irr- lehre der „Pikarden", in der Brot und Wein zu blossen Zeichen herabsanken.

Nach dem Zeugnisse des Geschichtsschreibers der hussitischen Bewegung soll diese Lehre von fremden Ankömmlingen ins Land ge- bracht worden sein.^) Von ihnen, den Begharden, stammt wenigstens der Name, ein Schimpfname, der mit Grauen und Abscheu ausge- sprochen wurde. Das wertvollste Sakrament wurde ja durch diese Ketzerei entehrt, das Mysterium frech entweiht. Noch mehr: zur Zeichenlehre bekannten sich die extremsten Parteien im Lande, bei denen sich zur Schwärmerei entweder ein rationalistischer Zug ge- sellte, oder eine zügellose Entfesselung der Sinnlichkeit, die dem Wahnsinn glich. Innerhalb der Taboritengruppe sind es die Reste der Chiliasten, an der Peripherie der Bewegung, die sich Böhmens bemäch- tigt hatte, die Adamiten.

Der Chiliasmus scheint sich ziemlich rasch verflüchtigt zu haben. Vielleicht von Anfang an nicht von allen getheilt, die zu den Tabo- riten gerechnet wurden, von anderen bald wieder aufgegeben, erhielt sich derselbe, wie es scheint, in abgeschwächter Gestalt, nur bei einem Bruchtheil der ganzen Partei. Zu ihr gehörte der bekannte Priester Martinek Huska, genannt Loquis; er wollte an die Stelle des Sakra- mentes ein Liebesmal setzen. Chelčický hat ihn persönlich kennen ge- lernt, wahrscheinlich im Laufe des Jahres 1421, als er, von Tabor vertrieben, unstet herumirrte. Er bezeugt auch, dass in Martinek noch

')-Vg'l. dagegen Chelčickýs Replik gegen Nikolaus (Cap. 13.). Er scheint die Zeichenlehre als eine folgerichtige Entwickelung der taboritischen Ansicht anzusehen.

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die Flamme des Chiliasmus nicht vollständig erstorben war.') In an- deren Üackerte sie nochmals mächtig auf, um unseren Blicken in un- heimlicher Beleuchtung die letzten Ausläufer der ganzen Bewegung erscheinen zu lassen. Die Adamiten, für welche die Zeit des neuen Reiches bereits gekommen war, bedurften keiner Sakramente. Das Liebesmal wurde ihnen zur Orgie.

Nicht nur die gemässigten Untraquisten sondern auch die Tabo- riten stiessen diese extremen Elemente aus. Der Hussitismus hatte seine Ketzer und gebrauchte gegen sie dieselben Waffen, die die Kirche gegen die Anhänger des Johannes Hus empfahl, das Schwert und die Fackel. Žižka hat beide mit kräftiger Hand geschwungen und dadurch die Kräfte, die das Taboritenthum ins Leben gerufen hatten, jetzt aber mit einem Zersetzungsprozesse bedrohten, wieder gebannt. Gegen die Pikarden waren die Prager Magister und die Priester der Taboriten einig, und doch begannen zwischen beiden alsbald Streitigkeiten über das Sakrament des Leibes und Blutes Christi, die auch Peter Chel- čický veranlassten zum erstenmale, wie es scheint zur Feder zu greifen. Er betheiligte sich an der Polemik nicht im Bunde mit den Taboriten, sondern vermehrte die grosse Menge der Traktate durch Streitschriften, die gegen sie gerichtet waren.

Es ist nicht möglich den Hergang im einzelnen festzustellen. Gewiss ist nur, dass das Haupt der Taboriten, ihr Bischof, Nikolaus von Pilgram, genannt Biskupec, es w^ar, der den Verkehr anbahnte, wahrscheinlich in der Zeit, als die Polemik mit den Prager Magistern, die bald nach der Ausstossung der Pikarden folgte, eben erst begann, und als die Taboriten bemüht waren, ihre eigene Lehre zu fixiren und zugleich nach beiden Seiten hin abzugi'änzen. Da sie als Pikarden nicht gelten wollten und doch von ihren Gegnern zu ihnen gerechnet wurden, so musste* ihnen daran liegen, dass die öffentliche Meinung, von diesen beeinflusst, sich nicht gegen sie erkläre. Als einmal Nikolaus, vielleicht zufällig, in Begleitung eines anderen Taboritenpriesters nach Vodnan kam, schickte er um Peter nach den nahen Chelcic. Biskupec und sein Be- gleiter erwarteten ihn vor der Stadt, auf einem Teichdamme sitzend, und empfiengen ihn, als er kam, mit der Frage: was die Leute von ihrer Abendmalslehre sprächen. Peter antwortete, von den einen werde sie gelobt, von den anderen getadelt. Was darauf Peter, dem die Lehre

Palackýs Ansicht, Martin sei kein Chiliast gewesen, wird durch die Replik gegen Biskupec widerlegt.

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der Taboi'iten bisher nicht genau bekannt war, vernahm, hat seine Billigung gefunden. Als aber nach längerer Zeit der Verkehr, wieder von Biskupec angeregt, sich lebhafter gestaltete Peter kam zu den Taboriten und wurde von ihnen aufgesucht als Chelčický auch die Traktate kennen lernte, die eben erst entstanden, da wurde er ande- rer Meinung. Drei Jahre waren seit jener ersten Begegnung bei Yod- iian verflossen, da richtete Peter an den Taboritenbischof ein Mahn- schreiben, das dieser übel nahm. Chelčický antwortete mit einer Replik ; nur diese hat sich erhalten. In ihr liegt die Sympathie, die ihn mit den Taboriten verband, im Streite mit dem bitteren Gefühl der Ent- täuschung. Später hat er noch einmal zur Feder gegriffen und einen besonderen Traktat „vom Leibe Christi" verfasst, in dem er die Ta- boriten geradezu als „die Pikarden unter dem Kelche" bezeichnet.

Was ist nun die Lehre der Taboriten gewesen?

Sie verwarfen die Transsubstantiation, aber auch die „persönliche und wesentliche" Gegenwart Christi im Sakramente. Persönlich und wesentlich war und ist Christus nur da gegenwärtig, wo sein Leib war und ist: auf Erden, auf dem Kreuze, dann verklärt nach der Auferstehung auf Erden und nach der Himmelfahrt zur Rechten des Vaters. Der verklärte Leib Christi ist zwar „schnell und durchdrin- gend", aber in emem Augenblicke an einen Ovt gebunden. Geistig ist Christus auch nach seiner Himmelfahrt hier auf Erden zugegen und zwar auf verschiedene Weise, vornehmlich aber in den Menschen und mit ihnen, indem er sie mit den Gaben des heiligen Geistes speist, indem er durch seine Macht seine Getreuen schützt, fördert und im Guten wachsen lässt. Derart ist auch Christi Gegenwart im Sakra- mente: Christus ist in demselben zugegen durch seine Gnade, die er dem würdig Genies senden spendet.

Die taboritische Auffassung, wie sie uns namentlich in den Trak- taten des Johannes von Saaz entgegentritt, setzt an die Stelle der wirklichen Gegenwart die wirksame. Und eben dadurch will sie sich auch von der Zeichenlehre der Pikarden unterscheiden, indem das sakramentale Brot für ein näheres Zeichen als der Felsen, der Wein- stock und auch als die Sakramente des alten Bundes erklärt wird. Die Sakramente des neuen Bundes und namentlich das Sakrament des Leibes und Blutes Christi bezeichnen Christus und haben ihn irgendwie gegenwärtig.

•) Palacký stellt dieselbe nicht richtig dar, wenn er sagt (IV, I. S. 471), es sei ein taboritischer Grundsatz, dass Brot und Wein nur Zeichen seien.

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Den Taboriten entgegentretend, sucht Chelčický nachzuweisen, dass der Unterschied zwischen ihrer iVuffassung und der Lehre der Pikarden ein scheinbarer, ein erkünstelter sei. Ihr Sakrament sei doch nur leeres Brot, zweck- und nutzlos zugleich, Christus sei in ihm nicht mehr gegenwärtig als in jedem anderen Objekte. Das Bild des Ge- kreuzigten wäre besser geeignet, das Gedächtnis seines Todes zu er- 'svecken. Die Taboriten hätten kein Recht gehabt, in ihren Verhand- lungen mit den Prager Magistern irenische Formeln zu acceptiren, da sie doch dabei ihre ursprüngliche Lehre sich vorbehielten, obgleich sie dieselbe vor anderen und namentlich vor dem Volke verbürgen. Da sie von ihrer wahren Lehre nur etwas von weitem andeuten, aber alles zu sagen nicht wagen, so sei in ihren Reden überall „ja und nein" enthalten.

Chelčický spricht den Taboriten das Recht ab, sich auf den auch von ihnen hochgeachteten Wiclif zu berufen. Sie hätten ihm vielmehr „Unrecht gethan", ihn miss verstanden. Mit ihm weiss sich dagegen Chelčický selbst in Übereinstimmung, wenn er an der realen Gegen- w'art Christi im Sakramente festhält. Wenn er aber zugleich dieselben Argumente wiederholt, die Wiclif aus der Rüstkammer der Scholastik genommen, um die Lehre von der Wandlung der Elemente aus dem Felde zu schlagen : so ist es seine Meinung nicht, dass auf diesem Gebiete den Künsten der Logik die Entscheidung zufalle. Wie die Menschwerdung, so ist auch Christi Gegenwart im Sakramente ein Mysterium, „eine göttliche Sache" erhaben über die menschlichen Gränzen und nur durch den Glauben erfassbar.

Chelčický erspart ferner den Taboriten einerseits den Vorwurf nicht, sie hätten durch ihre Lehre die damals oft gehörten schreck- lichen Lästerungen des Sakramentes verschuldet, findet es aber ander- seits nicht folgerichtig, dass. sie doch eine „niedere Anbetung" Christi im Abendmal zulassen wollen. Ist Christus im Sakramente gegenwär- tig, so gebührt ihm die volle Anbetung, ist er es nicht, so ist sowol die höhere als auch die niedere Anbetung nicht statthaft. Doch ist seine Absicht keineswegs, die kirchlichen Gebräuche in Schutz zu nehmen, vielmehr verwirft er die Frohnleichnamsfeier, die Ausstel- lung der Monstranz, das Aufbewahren des geweihten Brotes ; aber auch die hussitische Gewohnheit, die Hostie wie eine Fahne vor den Krie- gern in den Kampf zu tragen ist ihm ein arger Missbrauch. Bei Gottes

Ziemlich günstig spricht sich Chelčický in der Eeplik gegen Biskupec über die Ubiquitätslehre aus : wenigstens sei sie von der Wahrheit nicht so weit entfernt, wie die Lehre der Taboriten.

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Einsetzung darf Sinn und Absicht, in der dieselbe geschehen, nicht ausser Acht gelassen werden. Das Sakrament ist nur zum Genüsse eingesetzt. Und so hat es auch die erste Kirche gehalten. In ihr konnte über die Zulässigkeit der Anbetung kein Streit entstehen, da man sich nur zum Genüsse versammelte. Die Aussetzung zur Anbe- tung vor einem Volke, das, ohne geniessen zu dürfen oder zu wollen bloss im Anschauen und in der Anbetung des Nutzens des Leibes Christi theilhaftig zu werden meint, ist ein Abfall von Christo zur Irrlehre des Antichrists. Ist nun das Sakrament zur Anbetung nicht gegeben, so ist doch das Gebet zu Christi im Sakramente statthaft, als Bitte um würdigen Genuss, als Dankgebet, als Erinnerung an Christi Kreuzestod.

Nach dieser Begegnung und Auseinandersetzung mit den Tabo- riten verschwindet Chelčický unseren Blicken für längere Zeit voll- ständig. Er hat sich keiner der bestehenden Parteien angeschlossen, sich an ihren Streitigkeiten nicht betheiligt. An seinen gleich im An- fange des Krieges geäusserten Ansichten hielt er umvandelbar fest. Sein Fortgang hatte ihn eines anderen nicht belehrt, der Ausgang, der Trugschluss desselben, den die Compaktaten bezeichnen, ihn mit der Kirche nicht ausgesöhnt. Das Ende entsprach eben dem Anfange ; hier lag der Fehler, dort zeigten sich die Folgen. Es lässt sich zwar nicht mit Sicherheit behaupten, ist aber doch wahrscheinlich, dass eben dadurch Chelčický angeregt w^orden ist, die Ansichten, die er vom Anfang an gehegt, tiefer und allseitiger zu begründen. Sie ge- stalteten sich in ihm zu einer Kette von Grundsätzen und Folgerun- gen, zu einer Ai't von System: in dieses brachte er nun seine An- sichten von Kirche und Staat und ihrem gegenseitigen Verhältnisse. Indem er dabei von einem Ideal ausgieng, dessen Realität er, aller Schwärmerei abhold, nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangen- heit der ersten Jahrhunderte verlegte, und dieses Ideal mit der Wirk- lichkeit, in der er lebte, verglich, fand er überall nur Verfall und Ver- leitung, deren Bann auch die hussitische Bew^egung nicht gebrochen hatte. Er gieng Ursachen und Symptomen dieses allgemeinen Abfalls von dem wahren Christentume im einzelnen nach, und obgleich die Gegenwart seinen Blicken trostlos erschien, gab er doch nicht alle Hoffnung für die Zukunft auf. Er erwartete kein Eeich der Heiligen auf Erden ; das Reich des Antichrists sollte vielmehr bis an das Ende

Chelčický billigt die Elevation als besonders geeignet, diese Erinnerung zu erwecken. So in der Replik gegen Biskupec. In der Replik gegen Rokycana wird auch die Elevation getadelt.

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der Tage dauern: aber in Chelčickýs Schriften spricht sich doch hie und da die Hoffnung aus, es werde die Zahl der getreuen Christen wieder zunehmen, es würden die Suchenden den Pfad des Heiles wieder finden und im Reiche des Antichrists Gemeinden von Christi wahren Nachfolgern begründen, den ältesten Christengemeinden ver- gleichbar, die unter Heiden entstanden und sich erhielten. Die Samm- lung und Organisation der zerstreuten Elemente zu einem Ganzen durch persönliches Eingreifen, betrachtete er nicht als seine Aufgabe. Chelčický war aller Sektenbildung abhold, und fühlte sich zu diesem Werke nicht berufen und vielleicht als Laie auch nicht berechtigt. Er übte eine systematische zersetzeude Kritik an dem Bestehenden: positive Vorschläge zu einer Neugestaltung fand er nur in seinen Rückblicken auf die bessere Vergangenheit und ihre Mustergiltigkeit.

Desto fleissiger führte er seit dem Ende des Krieges die Feder. So entstand die Postille, sein umfangreichstes Werk. Da er für die würdigste Sonntagsfeier die Anhörung des göttlichen Wortes hielt, die Predigt „getreuer Priester" aber selten geworden war, so wollte er, der Laie, dem Volke in seinem Werke einen Ersatz bieten. Eine ganze Reihe von späteren Schriften findet sich in der Postille gleich- sam in Keimen enthalten, die in der Folge zu besonderen Traktaten sich entfalteten. Einer von ihnen gestaltete sich zu einem Werke, das an Umfang der Postille wenig nachstehend, den Namen erhielt: „Das Netz des Glaubens". Darin hat Chelčický am ausführlichsten seine Gedanken über Kirche und Staat ausgesprochen. Aber es ist nicht möglich, bei diesen Schriften den Zeitpunkt genau zu bestimmen, in dem sie entstanden sind.

Auch über Chelčickýs Verkehr mit Rok}xana fehlen bestimmte Daten.

Während der besiegte Taboritismus seiner Auflösung entgegen- gieng, während ein Theil der Utraquisten vom Schlage Příbrams ausser der Forderung des Laienkelches alles übrige fallen Hess, ohne Berech- tigung nur in diesem einzigen Punkte der Kirche den Gehorsam wei- gernd'): sammelte sich eine mittlere Partei um Rokycana. Im Dogma

In den Sitzungsberichten der k. b. Gesellschaft der Wissenschaften 1878 habe ich nach der Wiener Handschrift einige Stellen aus Příbrams böhmischen Traktat „über den Gehorsam" mitgetheilt. Derselbe ist gegen Wiclif und Peter Payne gerichtet. In ihm bestreitet Příbram die Definition der Kirche als Gemeinschaft der Erwählten. Das Papsttum, sagt Příbram, indem er gegen Wiclif und seine Lehre, die römische Kirche sei die antichristliche Kirche, sich erklärt, sei von Christus begründet und werde bis an das Ende der Tage bestehen. Niemand dürfe von derselben abfallen.

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von der Kirche durch keine unversöhnlichen Gegensätze geschieden, strebte sie die dauernde Begründung einer utraquistischen National- kirche an unter einem besonderen Erzbischof. Dieses konnte auf dop- pelte Weise erfolgen, entweder mit Genehmigung der Kirche oder gegen ihren Willen. Zwischen beiden Richtungen hat diese Partei und der an ihrer Spitze stehende Rokycana geschwankt. Der erwählte Erzbischof zeigt ein doppeltes Gesicht, einerseits bereit sich mit der Kirche zu versöhnen, andererseits mit Elementen in Berührung tre- tend, die von der Kirche sich völlig abkehrten, und in diesen Hoff- nungen erweckend, die er schliesslich doch nicht erfüllte.

Es wäre vom Interesse zu erfahren, wann und wie die Verbin- dung zwischen Peter Chelcickv und Ptokycana angeknüpft worden ist. Nicht ohne innere Wahrscheinlichkeit ist die Yermuthung, der Anfang derselben falle bereits in die Zeit, als Rokycana seit den letzten Tagen König Sigismunds sich gezwungen sah, Prag für lange Zeit (1437 1448) zu meiden. Zwischen beiden Männern fand einmal unter Umständen, die wir nicht kennen, eine Begegnung statt; sie sprachen dabei „von den Menschen, die Priester Messen, und wie gering der Nutzen sei, welchen sie den Menschen brächten" ein Thema dessen Erörterung dann im schriftlichen Verkehr fortgeführt wurde. So entstand die bedeutendste polemische Schrift Chelčickýs, seine Replik gegen Ro- kycana. Chelčický unternahm es, auf jene Frage die Antwort zu geben und konnte dabei nicht umhin, auch die utraquistischen Priester, die Ge- sinnungsgenossen Rokycanas, unter diejenigen zu rechnen, deren Wirk- samkeit keine Früchte bringe. „Es ist schrecklich," so ruft er ihnen zu, „dass ihr nicht bedenkt, ob ihr Christum im Volke auf erbauet oder ob ihr dem Antichrist durch euere Arbeit und Wissenschaft aufhelfen wollet!" Die Replik gegen Rokycana enthält eine Auseinandersetzung Chelčickýs mit den hussitischen Parteien und insbesondere den Utraqui- sten in engerem Sinne des Wortes, so wie mit ihren Führern, auch Mag. Johannes Hus nicht ausgenommen, und kommt einem Absagebriefe an dieselben ziemlich nahe, der indessen einen Bruch mit Rokycana nicht herbeiführte. Denn als später diejenigen Männer, die die Brüderunität begründen sollten, ihren Verkehr mit Chelčický anknüpften, geschah es mit Wissen und mit Billigung des Rokycana.^) Und dieser Ver- kehr ist der letzte Lichtstrahl, der auf die Gestalt Peters fällt.

Dass er die weiteren Folgen dieses Verkehrs, die Begründung der Unität und den Bruch der Brüder mit Rokycana erlebt hat, ist

Darüber wird in der Fortsetzung dieser Untersuchungen mehr zu sagen sein.

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nicht wahrscheinlich. Aber seine geistigen Erben hat Peter Chelčický. noch kennen gelernt.

Die Erbschaft, die Chelčický den Begründern der Unität hinter- liess, ist seine Lehre gewesen. Er hat dieselbe in seinen zahlreichen Schriften niedergelegt, die mitunter an die gelehrten Traktate der Zeit erinnern, gewöhnlich aber die populäre Vortragsweise der da- maligen Postillen einhalten.^) Grosse Kraft und satirische Schärfe ge- winnt Chelčickýs Stil,-) wenn er das falsche Christentum schildert; seine polemischen Ausführungen treifen den Gegner mit wuchtigen Schlägen. Beweisführung und Polemik werden meist durch Schrift- stellen begründet, daneben die ältesten Lehrer der Kirche, wie Diony- sius Areopagita hochgehalten, die Kirchenväter, wie der h. Augustin, manchmal angezogen, nicht selten auch getadelt, die grossen Schola- stiker, wie Thomas von Aquino, verspottet. An die Stelle der letzte- ren tritt Wiclif.

In keiner seiner Schriften trägt Chelčický das Ganze seiner Lehre systematisch vor. Auch haben sie selten ein geschlossenes Thema. Abschweifungen, Wiederholungen kommen überall vor. Wenn in dem Folgenden der Versuch gemacht wird, Chelčickýs Lehre in eine Art von System zu bringen, so geschieht es auf die Gefahr hin, den theo- logisch geschulten Lesern nicht zu genügen, bei anderen aber kein rechtes Literesse an einer Lehre zu erwecken, die dem Kopfe eines Denkers und Grüblers entsprang, w^elcher, im Zeitalter des Humanis- mus lebend, sich zwar den grossen Autoritäten des Mittelalters nicht unterwarf, aber doch seinem ganzen Wesen nach dem Mittelalter an- gehört.^)

Die einzige Quelle des Glaubens ist Gottes Wille. Davon geht Chelčický überall aus. Diesen seinen Willen hat Gott den Menschen einmal endgiltig und erschöpfend kundgegeben, und zwar durch die xipostel, durch die von ihnen verfassten Schriften und die von ihnen begründete Kii'che. Diese entstand, indem sie überall predigend Ge- meinden stifteten, vollkommen im Glauben und tadellos im Wandel, ein Muster für alle Zukunft. Für Chelčický gibt es keine Entwicke-

Postillen in böhmischer Sprache haben vor Chelčický Milic, Hus, Jako- bell verfasst.

2) Vgl. Palacký IV, 1 S. 480.

') Manches Hesse sich in ein modernes Gewand kleiden, wie die Forderung- vollständiger Toleranz und Religionsfreiheit, die Ansichten über das Verhältnis von Kirche und Staat: aber es sind dies dann keine Sätze Chelčickýs mehr. Eine solche Darstellung forraulirt nicht das Wesen der Sache, sondern alterirt es.

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lung zum Besseren; jede Veränderung ist ein Abfall vom Musterbilde, jede menschliche Einrichtung, die das Gesetz zu ergänzen oder gar zu verdrängen sich anmasst, schlecht, auch wenn ihi* Inhalt an sich nicht zu verwerfen wäre. Das Gesetz Gottes ist vollkommen in allem genügend : alles, was neben ihm geschieht oder in anderer Weise, auch w^enn es dem Gesetze nicht widerstreitet, ist verwerflich.

Die ersten Christen lebten unter Heiden, im heidnischen Staate, dem Körper nach seine Unterthanen, die auferlegten Steuern zahlend und in allen billigen Dingen Gehorsam leistend, um ohne Xoth keine Verfolgung hevorzurufen, die sie, wenn dieselbe ohne ihre Schuld entstand, geduldig ertrugen, ohne je Böses mit Bösem zu vergelten. Kein anderes Band verknüpfte sie mit dem Staate und seinen Ein- richtungen. Me sollten die Christen vor die heidnische Obrigkeit treten, um durch ihren Spruch ihre Streitigkeiten zum Austrag zu brin- gen: zwar ist dies anfänglich aus Nachgiebigkeit gegen die mensch- liche Schwäche noch geduldet worden, später ist aber in den christ- lichen Gemeinden auch dieser Mangel verschwunden. Die Christen lebten im Staate, hatten aber an ihm keinen Theil; die christliche Gemeinde bedurfte für ihre Zwecke des Staates nicht.

In diesem vollkommenen Zustande verharrte die Kirche 300 Jahre lang, unter Leiden und Verfolgungen, die aber als ein Zeichen der Vollkommenheit zu betrachten sind. Geduldet haben alle „höchsten Priester" von Petrus angefangen und mit ihnen viele Märtyrer, Prie- ster und Laien, alle durch Ertragung der Leiden ihren Glauben be- zeugend, während die Wehleidigkeit der späteren ein Zeichen ihres Unglaubens ist und des gesunkenen Zustandes der Kirche. Dadurch aber, dass der Verfall kam, ist Christi Gesetz nicht nichtig geworden; es ist vielmehr eben so genügend und mustergiltig geblieben, wie es von Anfang an war.

Der Verfall begann, als sich das Verhältnis der Kirche zum Staate änderte. Wären alle Heiden durch die Taufe wahre Christen gewor- den, so hätte der Staat dadurch aufgehört: sein ganzer Organismus wäre unnöthig und zwecklos geworden. Chelčický will aber dem Staate alle Berechtigung doch nicht absprechen : für die Heiden ist es sogar nothwendig gewesen, w^eil sonst das Menschengeschlecht in einem all- gemeinen Kriege aller gegen alle sich selbst ausgerottet hätte. Der Staat ist demnach, so zu sagen, ein nothwendiges Übel gewesen; das grössere Übel ist aber der christliche Staat, das grösste die staatliche Gewalt in ihrer Vereinigung mit der Kirche. Der Antichrist vermöchte nicht so viel gegen Christentum, wenn ihm die weltliche Macht nicht

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hilfreich zur Seite stände. Dieser Bund wurde nun in den Tagen Con- stantins und Sylvesters geschlossen und dadurch das Gift des Ver- derbens der Kirche eingeflösst. 'Bis dahin lebten Christen unter Hei- den, seitdem leben wahre und gute Christen unter schlechten. Den- noch gilt noch immer das Gesetz Christi, obwol „die letzte Kirche" das Kreuz Christi, das sie hat tragen sollen, abgeworfen hat.

In dieser Vereinigung des Staates mit der Kirche liann man je- nem doch eine gewisse Berechtigung zugestehen, wenigstens insoferne er die von den schlechten Christen immerwährend bedrohte Ruhe und Ordnung scliiitzt und erhält, was schliesslich auch den Guten Nutzen bringt. Und auch dadurch ist die staatliche Gewalt, die Macht der Welt, von Nutzen, dass sie durch ihre Verfolgungen den wahren Chri- sten Gelegenheit bietet, Leid zu tragen und dadurch ihren Glauben zu bethätigen. ')

An sich ist allerdings der christliche Staat ein unlösbarer Wider- spruch, oder vielmehr es gibt keinen christlichen Staat, ausser nur dem Namen nach. Denn zum Wesen des Staates gehört Zwang und Gewalt, um auch das Gute, das er schafft, zu befehlen und zu Stande zu bringen, und zwar der schlechten Christen wegen, die an die Stelle der Heiden getreten sind. Der wahre Christ braucht zum Guten nicht gezwungen zu werden, und darf zum Guten andere nicht zwingen, da Gott das Gute aus freien Stücken verlaugt. Die Strafe, welche die Gesetze des Staates über den Verbrecher verhängen, sind nichts an- deres, als Rache, die zu üben das Gesetz den Christen verbietet. Die Aufleimung gegen den Staat ist zwar ein Übel, aber auch jede Theil- nahme an seiner Gewalt.

Alle Versuche, die mit den Kirchenvätern anfangen auch Au- gustinus hat aus der Schrift Blut statt der Milch gesogen Staat und Christentum zu versöhnen sind eitel ; sie beruhen auf einer Miss- deutung der bekannten Worte des h. Paulus,-) die nur Auflehnung

Der Staat selbst hat dadurch, dass er christlich geworden, nichts g-ewon- nen, denn die herrschsüchtigen Rotten, insbesondere die Geistlichkeit, haben so viel Gut an sich gerissen, dass dem obersten Herrn, dem König, gar wenig geblieben ist. Unter Heiden ist das Königtum besser daran, denn da gibt es keine geistli- chen Herren. (Netz des Glaubens.)

-) Der Apostel hat seine Mahnung an die Römer gerichtet, weil viele glaub- ten, da sie Christus vom Joche des alten Gesetzes befreit habe, so müssten sie auch der staatlichen Macht der Heiden fernerhin nicht untergeben sein. „Auch jetzt könnten viele Menschen gute und böse solche Gedanken von der grossen Freiheit fassen." (Netz des Glaubens.)

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verbieten, da, wo der Staat in seiner Sphäre Gutes schafft,^) aber. auch da, wo er Lasten zu tragen auferlegt, wie Steuern und Frohndienste, die, obgleich an sich nicht berechtigt,'^) ja unter Christen eigentlich unstatthaft, dennoch geleistet werden sollen, da sie zu leisten noch nicht sündigen heisst. Zur Sünde zwingt aber der Staat die Christen, indem er sie zum Kriege aufruft. Da, so wie überall, wo Sünde ge- boten wird, erreicht der Gehorsam seine Gränze, namentlich wenn die staatliche Gewalt im Dienste der Kirche und der Priesterschaft auf- tritt und zum Abfall vom rechten Glauben nöthigt. Wenn überhaupt jeder Glaubenszwang ein Übel ist, so ist derselbe, zu Gunsten der verleiteten Kirche geübt, ein doppeltes. Aber auch dann bedeutet das Recht des Ungehorsams noch kein Recht, selbst Gewalt anzuwenden. Es sündigen sowol diejenigen, die die alte Kirche mit Gewalt schützen, als auch diejenigen, die für die Wahrheit des göttlichen Wortes in den Krieg ziehen, denn beide lügen, wenn sie beten: vergib uns unsere Sünden ....

In dem christlichen Staate und in der christlichen Gesellschaft, wie sie sich seit den Tagen Constantins ausgebildet, gibt es für den w^ahren Christen keine Stelle, ausser in den untersten Schichten, die nur gehorchen, ohne zu befehlen, die dienen, ohne zu herrschen. Jede Herrschaft, jede Ständegliederung verstösst gegen das Gebot der brü- derlichen Gleichheit (Luk. XXII, 24 27) Könige wollen den Christen ihr stolzes Joch auferlegen, da doch alle durch Christi Blut erkauft sind, und verachten die Kreatur, die ihnen ähnlich ist. Niemand kann König und in Wahrheit Christ zugleich sein. Constantin hätte das kaiserliche Diadem niederlegen müssen. Was das alte Gesetz noch gestattet hat, ist in dem neuen durch Christi Gesetz verboten. Ämter im Staate und in der Gemeinde darf der wahre Christ auch deswegen nicht bekleiden, weil er verpflichtet ist, die Gelegenheit zur Sünde zu meiden, die überall ihnen anklebt. Er darf nicht Richter sein, da er sich als solcher der Gefahr aussetzt, sich durch Geschenke beste- chen zu lassen, nach Gunst und Ungunst sein Urtheil zu fällen, un- redliche Zeugen zur Zeugenschaft aufrufend ihres Betruges mitschuldig zu werden, und vor allem, weil die Gesetze, die er handhaben wird, nicht die Besserung, sondern nur die Bestrafung der Schuldigen be-

Nur dass die Macht gebietet und zwingt, während der Glaube dasselbe nur lehrt. Das alte Gesetz hat den Zwang- zugelassen. Im neuen Gesetz sündigt derjenige, der zwingt, aber auch, wer sich widersetzt.

2) Die Worte des Apostels (Rom. XIII.) enthalten kein unter Brüdern gel- tendes Gebot.

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zAvecken, ja den Tod des Sünders fordern. Der Christ soll aber Böses ertragen und mit Gutem vergelten. Auch Handel darf er nicht treiben, da aller Handel mit Übervortheilung anderer, mit absichtlichem oder unabsichtlichem Betrüge verbunden ist. Vor allem sind aber die Städte, in denen sich Handel und Wandel ansammelt, Gefässe des Giftes, in denen der wahre Christ sich unmöglich von der Verführung der Welt frei halten kann. Kain ist ihr Erfinder und Begründer gewesen. Städte und Burgen sind gebaut worden, um in ihnen den gesammel- ten Raub in Sicherheit zu bergen; sie sind der Wehleidigkeit der Menschen entsprossen.^) Unter wahren Christen wären sie unnütz, da die christliche Liebe ihre Graben ausfüllen, ihre Mauern dem Erd- boden gleich machen möchte. Landbau und Handwerk scheint Chel- čický für die einzige mit dem Christentum völlig verträgliche Be- schäftigung gehalten zu haben. Am heftigsten eifert er gegen diejenigen Stände, die von der Arbeit anderer leben, namentlich gegen den Adel. Das Netz des Glaubens, das in seinem 2. Theile „die Rotten", d. h. die verschiedenen Stände schildert, enthält viele Ergüsse seiner de- mokratischen Gesinnung, drastische Schilderungen der „Wappenrotten", der Herren und Ritter, Stellen, die der Literaturhistoriker zur Schäz- zung seines Stils besonders heranziehen wird.^)

Kain ist der wahre Vater des Stadtvolkes. Er hat die ursprüngliche Ein- falt des Lebens in List verwandelt, indem er Mass und Gewalt erfand, während früher das einfältige Volk tauschte, ohne zu messen noch zu wägen. (Netz des Glaubens.)

2) In den Städten müssen alle Gebote übertreten werden, die dem Christen befehlen, ihr Leben nicht zu vertheidigen, die ihm verbieten sich zu rächen. (Netz des Glaubens.)

3) Als Probe mag folgende Stelle aus dem „Netz des Glaubens" genügen: Der Distelstrauch (der Parabel Jud. IX.) mit seinen grausamen Stacheln

ruft: „Da ihr mich zum Herrn wählt, so werdet ihr fühlen, dass ich euer Herr bin : ich werde so herrschen, dass wenigen die Haut heil bleibe. Schinden will ich den Kerl (chlapa) wie eine Linde!"' Und ein anderer ruft ihm zu: „Schinde den Bauer, er schlägt wieder aus, wie die Weide am Bache !" , . . Und der Mensch der Lust mit breitem Fettbauch spricht: „Unser sind sie ja, die Väter haben sie gekauft als ewig Erbgut für uns ; sie stehen in der Landtafel . . Das mag wahr sein, es ist ihr wahres Erbeigentum nach Erbrecht, das die Väter ihnen erworben und durch Verschreibung gesichert. Und die Hölle haben sie euch auch verschrie- ben: dies natürlich Erbtheil habt ihr nach eueren Vätern. Wenn aber die Väter euch Menschen gekauft und Grund und Boden, so haben sie fremdes Gut (Ps. XXIII.) gekauft und auf fremdem Boden. Denn der Herr spricht: Mein ist die Erde . . . Darum rühmt euch nicht dieses Handels, denn wo hat euch Gott Ver- schreibungen gegeben, dass er euch sein Gut überlasse? .. . Einen schlechten Kauf haben euere Väter gekauft. Wer kann den Menschen so ungerecht und unbillig kaufen, dass er ihn misshandle, wie das Vieh, das zum Schlachten bestimmt ist, auf dass er an ihrem Harm sich weide. Seine Hunde hält er besser, als seine Eigenleute. Dem Hund ruft er zu: „Feldmann! Komm her und lege dich aufs Polster!" So willst du Menschen kaufen, du Fetter! Aber sieh, wen du gekauft und wie du gekauft! Die Menschen waren früher Gottes, ehe du sie gekauft...

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Der demokratische Zug des Hussitismus kommt auch bei .Chel- čický zur Geltung, Gleichheit und Brüderlichkeit sind bei ihm For- derungen des göttlichen Gesetzes, da aber dieses Staat und Gesell- schaft nicht regelt, sondern eigentlich aufhebt, so konnte in seiner Lehre ein politisches Programm keine Stelle finden. Die mit der Auf- lösung des Staates gleichbedeutende Reform müsste Chelčickýs Ansicht gemäss von denjenigen ausgehen, die da herrschen und die sich ihrer Rechte und Vortheile freiwillig entsagen müssten. Dies ist aber nicht zu erwarten. Die Revolution kann aber die Reform nie zu Stande brin- gen, da der Christ niemals Gewalt anwenden darf.

Ein Gegenstück zu der Schilderung der weltlichen Stände bildet bei Chelčický in dem Netze des Glaubens das Bild der geistlichen Rotten, vor allem der Mönche.

Alle Orden versündigen sich gegen das Gesetz Gottes, das für alle Christen genügend ist; sie wollen aber etwas besseres gefunden haben, als der Weg ist, den Gott selbst gezeigt hat. Die Begründung der Orden war eine Sünde, der Grundstein des Klosters ist Gottes- lästerung. Die Bettelmönche missachten insbesondere das Wort des Apostels: wer nicht arbeitet, der soll nicht essen. Nirgends, weder im alten noch im neuen Gesetze, ist das Betteln geboten.

Die Rotte der Pfarrgeistlichkeit verdankt ihren Ursprung Con- stantin, der befahl, Kirchen zu bauen und mit Grund und Boden zu dotiren; dann kam der Zehent hinzu mit anderen Abgaben. Gäbe es kein Kirchengut, so gäbe es auch diese Priester nicht; sie sind Brunnen ohne Wasser, Wolken ohne Regen, aber keine Nachfolger der Apostel, die dadurch ihr Amt antraten, dass sie der Welt ent- sagten. Dann ist auch das Patro natsrecht mit vielen Gefahren für seine Innhaber verbunden. Es ist erst mit dem Kirchengute aufge- kommen, eben so wie die Einrichtung der Kirchenspiele, die Zuthei- lung der Gläubigen an bestimmte Kirchen. Verwerflich sind ferner die gelehrten Rotten, eitel ist die Gelehrsamkeit der Magister der Collegien; sie hat Christi Gesetz verfälscht.

Alle diese Rotten sind das Gefolge von Kaiser und Papst: sie sind mit ihnen, den zwei Walfischen, in das Netz des Glaubens ein- gedrungen. Seitdem ist das Netz durchlöchert. Der Verfall der Kirche gipfelt aber und stellt sich vorzüglich im Papsttum dar. Der Papst empfieng vom Kaiser Ehre und Macht und Reichtum, während die

Und Christus hat sie gekauft, nicht um Gold und Silber, sondern um sein Blut. Beim Gericht wird Gott dir sagen : „Was du dem Geringsten von den Meinigen gethan, hast du mir gethan. Fahre zur Hölle!"

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Vorgänger des Sylvester nach Apostelart in Armut und Demut sich der Arbeit, der Predigt und anderen Dienstbarkeiten widmeten. Dem Kaiser an Macht gleich, ja ihn übertreffend, hat sich der Papst sogar Gottes Macht angemasst, nämlich die Macht die Sünden zu vergeben, das Gesetz Gottes aufzuheben und zu verändern. Er hat den leben- digen Glauben in äussere Gebete und Ceremonien verwandelt, den Gottesdienst der primitiven Kirche, die kein vorgeschriebenes Gebet ausser dem Vaterunser, keine Ornate, keine kirchlichen Gebäude ge- kannt, abgeschafft. Er ist der erste und oberste Antichrist, der Gipfel der Verleitung.^)

Diese Verleitung besteht hauptsächlich darin, dass die Kirche das unmittelbare Verhältnis der Menschen zum Schöpfer und zum Heiland aufheben will. Sie masst sich an, das Heil zu vermitteln, ja zu schaffen, indem sie es von der Erfüllung ihrer Gesetze abhängig macht. Die Kirche begeht dadurch einen Raub am Kreuze Christi. Den gekreuzigten Heiland, den Mittler, will sie verdrängen und an seine Stelle sich und ihre Heiligen setzen. Das Dogma, dass der Sohn Gottes Mensch geworden ist, hat die Kirche unverfälscht bewahrt und gegen Ketzer mit Erfolg vertheidigt: aber ihr Glaube ist blind und todt. Gar schwer sind jedoch die Gefahren der Verleitung zu erkennen und zu meiden, denn die schwersten sind verdeckt unter dem Scheine des Guten, gekleidet in das Gewand des Gesetzes.

Das unmittelbare Verhältnis des Menschen zu Gott wird, wie Chelčický überall lehrt, durch den lebendigen Glauben begründet. Der Glaube, dass Christus, der Sohn Gottes, für uns gestorben, ist überall unter Christen guten und schlechten zu finden : das wahre Christentum bethätigt sich aber in der Nachahmung Christi.') Was gut ist, erkennt der Mensch am sichersten daran, dass es Gott ge- bietet: ohne dieses Kennzeichen könnte er das Gute nicht immer er- kennen. Das Vorbild Christi ist aber ebenso verbindlich wie das Gesetz.

Man darf jedoch nicht glauben, dass diese Auffassung des Chri- stentums als Nachahmung Christi bei Chelčický den ganzen Begriff desselben erschöpft. Christus ist ihm nicht allein Lehrer und Vor-

Chelčický erwartet am Ende der Tag-e weder das tausendjährige Reich noch die Erscheinung des Antichrists. Der Antichrist ist kein bestimmtes Indivi- duum: diese Auffassung bekämpft er ausdrücklich.

Die Gelehrten vertheidigen Christum gegen die Ketzer, sind aber doch weit von ihm entfernt, namentlich „wenn die Wahrheit seiner Armut gepredigt wird und der enge Weg gegen ihren Geiz und ihre Lustbarkeiten" (Postille). Sie sind „die Feinde seines Kreuzes".

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bild, sondern auch Heiland und der einzige Mittler zwischen Kreatur und Schöpfer. Wie den Aussätzigen von der Krankheit, so hat er das Menschengeschlecht durch sein Blut von der Sünde gereinigt und steht als Hohenpriester, als allgenügender Fürsprecher immerwährend vor Gott. Kein Mensch, und wäre er auch so heilig, kann das Heil vermitteln.

Der Menschen Wille ist auch nach dem Sündeufalle frei geblie- ben ; Gutes und Böses steht vor ihm : wähle ! Nur das freigewählte Gute ist wahrhaft gut und wertvoll. Aber dennoch gelangt der Mensch zu dieser Wahl nicht ohne Hilfe Gottes. Die innere Wiedergeburt, kann ohne seine Gnade nicht eingeleitet, der Wille des Menschen dem Willen Gottes nicht gefügig werden. Die innere Wiedergeburt ist es, die dem Menschen ein neues Herz gibt, neue Erkenntnis, neue Ge- danken, neue Werke. Welcher Antheil fällt aber bei diesem Heils- prozesse Gott, welcher dem Menschen zu?-)

Chelčický berührt überall, wo er von Willensfreiheit, von Wieder- geburt, von Gnade spricht, die tiefsten Probleme der theologischen Spekulation.^) Seine Antworten lauten nicht immer gleich, ja er scheint sich mitunter zu widersprechen. Stellen, in denen im Gegensatz zum todten auf den lebendigen, werkthätigen Glauben, auf Werke und ihre Verdienstlichkeit Gewicht gelegt wird, lassen sich andere gegen- überstellen, in denen das Heil von Gottes Gnade allein hergeleitet wird und der Antheil des Menschen an demselben ganz zu schwinden scheint. Die guten Werke sollen vollbracht werden, heisst es in der Postille, doch ohne Zwang, nicht aus blosser Furcht vor der Hölle, sondern aus Liebe zu Gott; aber auch ohne den Eigendünkel, der da meint durch sie das Heil verdienen zu können. Wir können Gott in diesem Leben, so viel Mühe wir uns auch geben, nie vollkommen gefallen. Darum müssen wir bitten, dass er in seinem Sohne, dem

In der Postille wird Christus mit dem Arzte verglichen, der den Kranken die Heilsmittel angibt. Verschmäht sie dieser, so verliert er „freiwillig" das Leben. Gott beabsichtigt alle Menschen zu retten durch den Glanben an seinen Sohn. Wenn jemand nicht glauben will, so ist er schon gerichtet: Gott hat ihm den Weg zum Heile bereitet, er aber will ihn nicht wandeln: es ist seine eigene Schuld.

Von der Wiedergeburt handelt Chelčický in einem besonderen Traktate (Rede des Paulus von den alten Menschen Cor. 5 6.). Es werden zwei Stadien unterschieden. In dem durch Anhörung des Wortes Gottes geweckten lebendigen Glauben stirbt der Mensch der Sünde ab : er wird gerecht d. h. er hat eben auf- gehört zu sündigen, er wird frei von der Schuld der Sünde. Dann folgen gute Werke. Im alten Gesetze gab es Opfer, um die Vergebung der Sünden zu erlan- gen, aber sie vermochten nicht die Sünde im Menschen zu tilgen.

In dem Folgenden ist auch die Antwort erhalten, wie sich Chelčický zu der Praedestinationslehre verhalte.

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gekreuzigten Heiland, uns unsere Gebrechen und Sünden nachsehe, uns durch ilm und in ihm gerecht mache; denn wie durch ihn bei der Hochzeit Wasser in Wein verwandelt worden, so können wir nur durch ihn in unseren Werken genügend gefunden werden. Die Klei- nen, denen Gott seine Geheimnisse offenbart, sind diejenigen, die zu ihm hoffen, er werde sie in seiner Güte retten, und die ihre Hoff- nung nicht auf ihre guten Werke gründen, sondern auf Christi Tod und die Gnade Gottes. Der Kleine erschrickt vor seinen Werken, da er ihre Unzulänglichkeit merkt, ohne den geheimen Rathschluss Got- tes zu kennen, ob er ihm in seinen Werken gefalle oder nicht. In diesem Gefühle demütigt er sich vor Gott, und nur der Glaube, der allein die Seelen reinigt, und die Hoffnung auf Gottes Güte halten ihn aufrecht und erwecken in ihm die Erwartung, Gott könne ihn in seiner Barmherzigkeit und seinem Reichtum wegen seines Glaubens und seiner geringen Werke reich machen und annehmen. Jesus, der vor dem Vater stehend die Unzulänglichkeit der Sünder ergänzt, hält ihn in der rechten Hoffnung aufrecht.

Wird demnach auf die Gnade, auf den Glauben und die Hoff- nung überall mehr Gewicht gelegt, als auf die Werke und ihre Ver- dienstlichkeit, so kommen diese vor Gott doch zur Geltung. Noch be- stimmter spricht sich Chelčickýs Synergismus an einer Stelle seiner Postille aus, die also lautet: „Weder lange noch kurze Arbeit könnte das himmlische Königreich verdienen, nur durch Gottes Gnade kannst du es erlangen. Aber etwas können wir daneben doch verdienen, wenn wir erfüllt sind vom lebendigen Glauben und von Liebe zu Gott und in diesem Glauben und in dieser Liebe uns bemühen und streiten gegen den Leib, gegen die Welt, gegen den Teufel und dabei Gottes AVillen erfüllen. Wer mehr liebt, dem wird mehr verziehen werden und so wird er auch mehr verdienen. Aber alles verdienen kann er nicht. Und so muss er dennoch aus Gnade und nicht aus Verdienst des Königreiches Gottes tlieilhaftig werden."

Lassen sich aber unter diese Formel alle Fälle subsumiren? Chelčický scheint daran gezweifelt zu haben. In der Parabel von den Arbeitern des Weinberges fand er „grosse Geheimnisse" verborgen. Denn wer sind die Murrenden, wer die letzten Arbeiter, die den ersten Lohn empfiengen? In einer besonderen Schrift, deren Grundlinien sich bereits in der Postille finden, hat Peter diese Fragen zu beant- W'orten gesucht, w^obei er zu dem Endergebnisse gelangt, der letzte und tiefste Grund unseres Heils sei die freie Macht Gottes, der die einen frei von aller Sünde schafft, die anderen nach ihrer Wieder-

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geburt frei von Sünde erhält. Aber die meisten müssen ihr Heil durch Busse und Arbeit verdienen. Doch gibt es auch solche, die gute Werke vollführen, ohne ihr Heil dabei zu finden, da sie die Mur- renden — nur auf ihre äussere Gerechtigkeit bauen, während dagegen offenbare Sünder durch ihre Demut Gnade finden, ja noch in der letzten Stunde, ohne Werke, nur durch ihre bussfertige Gesinnung ge- rettet werden. Gott kann für nichts viel geben. So hat der Schä- cher, der unter allen der letzte an Christus geglaubt hat, zuerst den Lohn empfangen.

Zum Schächer am Kreuze kehrt Chelčický nochmals zurück in seiner Erklärung der Passion Christi nach dem Evang. Joh. Sie ist unter seinen Schriften vielleicht die tiefsinnigste. Wenn er in der- selben dem Opfertode Christi die Macht beilegt, die Schuld der Mensch- heit zu tilgen,*) obgleich es unter den Menschen keinen gab, der es verdient hätte ; wenn er den Glauben des Schächers dem Glauben des Blinden vergleicht, der bloss auf seinen Glauben hin gesund ward; wenn er die Quelle des Heils nur in Gottes Gnade und Barmherzig- keit sucht, die durch des Menschen Werk nicht bestimmt werden: so scheint auf Seite des Menschen allein der Glaube übrig zu blei- ben, in dem er vor Gott zwar nicht gerecht wird, aber doch als ge- recht angenommen werden kann. Allein das Heil ohne Werke und durch den Glauben allein ist so zu sagen nur ein Ausnahmsfall; denn wie die Gnade Gottes in der Regel dem Menschen, der gerettet wird, nicht allein die Schuld erlässt sondern auch die Sünde in ihm tilgt, die Wiedergeburt in ihm einleitet, ihn, wenn er beharrt, nicht allein rechtfertigt, sondern auch gerecht macht: so finden auch seine Werke Gnade vor Gott, der den guten Willen, aus dem sie hervor- gehen, schätzend, ihre Unvollkommenheit übersieht. Die Unterlassung der Werke, wo sie geübt w^erden können, die leichtfertige Verzöge- rung der Busse bis zum Tode der Schächer am Kreuze tröstet uns in der Verzweiflung und warnt zugleich führen zur Verdammung. Der rechte Glaube leitet den Menschen zur Arbeit an in Werken, die ihm den ewigen Lohn gewährleisten.

Beruht auch das Heil auf dem unmittelbaren Verhältnisse des Menschen zu Gott, so gibt es doch auch besondere Heilsmittel, Sa- kramente, von Christus eingesetzte Zeichen einer heiligen Sache, die

') Das Blut Christi ist das wahre Purgatorium, das die Gebrechen tilgt, die auch in Gerechten noch bleiben; stirbt er, so werden sie ihm nicht zugerechnet. (Vom Ursprung- des menschlichen Gesetzes.)

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die Gnade mittheilen. Von dieser Ansicht ausgehend, erkennt Chel- čický, streng genommen, von den kirchlichen Sakramenten nur zwei als solche an, während die übrigen sich mit jenem Begriffe nicht decken und zu Gebräuchen herabsinken, die indes, von falschen Zu- thaten gereinigt, nicht zu tadeln sind. Chelčický geht vielfach auf Ansichten zurück, die in den früheren Jahrhunderten des Mittelalters noch galten. So hält er bei der Busse die Beichte für entbehrlich, auch könne dieselbe vor einem guten Laien abgelegt werden.'^)

Welcher Art ist aber die Wirksamkeit der Sakramente und an welche Bedingungen ist sie geknüpft? Sie vermehren die Gnade Got- tes, setzen aber ihr Vorhandensein im Empfänger voraus; ohne die Erw^ählung Gottes, ohne die durch seine Gnade eingeleitete Wieder- geburt geht ihr Nutzen verloren. Darum wäre es besser nach Art der alten Kirche nur Erwachsene zu taufen, die durch ihre Werke ihren ■Glauben bereits bethätigen können: aber die Kindertaufe verwirft darum Chelčický nicht, wenngleich er fordert, es soll nur Kindern frommer Eltern, die selbst den lebendigen Glauben besitzen, dieses Sakrament ertheilt werden, ebenso wie er überall auf die Ausschlies- sung der Sünder von dem Genüsse des Abendmals dringt.

Gibt es aber nicht auch Bedingungen auf Seiten des die Sakra- mente verwaltenden Priesters? Chelčický verweigert den lösen Prie- stern überall den Gehorsam, da wo sie das göttliche Gesetz durch Menschenerfindung verfälschen ; er räth, die bösen Priester zu fliehen, weil ihr Beispiel verleite, weil ihre Lehre vom Herzen nicht komme und zum Herzen nicht dringe, weil ihre Mahnung nicht fähig sei, den Sünder zu bekehren, dem Büssenden den rechten Weg zu weisen : aber er wagt es doch nicht, hinzuzufügen : weil die Wirksamkeit des Sakramentes von der moralischen Qualität des Priesters abhänge, weil der böse Priester nicht consekrire.

Es soll nach apostolischer Einrichtung einen Priesterstand geben. Der gute Priester ist derjenige, den Gott erwählt hat. Nur ein guter Mensch kann ein guter Priester werden. Darum sollte die Gemeinde, der Chelčický das Wahlrecht vindicirt, nur diejenigen zum Priester- stande berufen, bei denen ihren Wandel nach, die Wahl Gottes vor-

') In der Replik gegen Biskupec sagt Chelčický, die taboritische Abendmals- lehre entleere die Sakramente. Die Wirkung derselben bestehe in der V rmehrung des Glaubens und der Liebe ; auch werde durch ihren Empfang der Glaube be- zeugt. Der Empfang der Sakramente dürfe nicht absichtlich vernachlässigt werden.

2) In der Postille sagt Chelčický, die Priester des neuen Bundes hätten keine grössere Gewalt, als die des alten, welche nur erklärten, der Aussätzige sei rein geworden, aber selbst nicht reinigten. Nur Gott allein vergebe die Sünden.

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ausgesetzt werden kann. Gibt es keine geeigneten Personen, so wäre es für die Christen besser ohne Priester zu bleiben. Aber auch in diesem Falle soll der gute Laie sich das Priesterrecht nicht anmassen : er kann andere belehren, er darf aber nicht consekriren. Dieses Vorrecht will Chelčický selbst dem bösen Priester nicht absprechen, so schwer es ihm auch fällt, den Judas darin dem h. Petrus gleich- zustellen. Wie es aber komme, dass Dorne Trauben tragen können, ist ein göttliches Mysterium, dessen Lösung indessen Chelčický mit anderen dann findet, dass er in Gott den wahren Urheber des Sakramentes erblickt, dem Priester aber das dienstbarliche Thun allein zuschreibt. Wird demnach das Zustandekommen der Sakramente als unabhängig von der moralischen Qualität des Priesters aufgefasst, so hängt diese Ansicht ebenso mit der Abendmalslehre Chelčickýs zu- sammen, wie der Umstand, dass er an der manducatio impiorum festhält. Es gibt aber doch eine Bedingung auf Seiten des Priesters: der rechte Glaube. Diejenigen, die der Zeichenlehre anhängen, die sich zur Transsubstantiationslehre bekennen, consekriren nicht.

Welche Stelle gebührt Peter Chelčický in der geistigen Bewegung des 15. Jahrhundertes ? Was ist sein Eigentum, was hat er von anderen übernommen und woher stammt es?

Es ist kaum möglich, bei jedem Grundgedanken, den er aus- gesprochen, die Provenienz festzustellen. Wenn Chelčický den Verfall der Kirche von der Zeit Constantins und Sylvesters datirt, so weiss man, dass er diesen Satz nicht zuerst aufgestellt hat. Arnold von Brescia, Dante, Wiclif haben dasselbe ausgesprochen, die Waldenser haben dasselbe gelehrt, das Mittelalter hat an die Schenkung Constantins geglaubt und an dieselbe Argumente geknüpft, sei es um die Macht und Herrschaft der Kirche zu vertheidigen, sei es um sie anzugreifen. Diejenigen, die in dem Reichtum und in der weltlichen Macht das Gift erblickten, das die Kirche zerstörte, mussten zu der Ansicht gelangen, die Wiederherstellung derselben sei durch das Auf-

Die Anhörung der Beichte durch einen Laien fällt unter diesen Gesichts- punkt.

Vgl. den Traktat von den Sakramenten. Dass auch die Anhcänger der Trans- substantiationslehre nicht consekriren, sagt Chelčický in dem Traktate vom Leibe Christi. Sie seien daran erkennbar, dass sie sich dem Kelche widersetzen und sollen nicht minder gemieden werden als „die Pikarden unter dem Kelche". Dies alles folgt bei Chelčický aus dem Grundsatze, die Sakramente seien nur bei stif- tungsmässiger Verwaltung wirksam. Auch bei denjenigen sei der Leib Gottes nicht zu finden (sie consekriren nicht), die die geweihte Hostie zur Anbetung ausstellen.

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geben des Reichtums, durch die Rückkehr zu den ersten reinen Jahr- hunderten zu erreichen. Dies hat Arnold von Brescia, dies hat Wiclif gelehrt. Auch Kaiser Fridrich IL hat ein ähnliches Programm auf- gestellt, 0 uiid die Hussiten haben in dem Artikel von der weltlichen Herrschaft des Clerus dasselbe gefordert. Die Idee der christlichen Vollkommenheit hat das Mittelalter oft mit der Armut in Verbindung gebracht, und die Kirche selbst, obwol sie für das Ganze diesen Gedanken ablehnte, hat ihn doch innerhalb ihrer Sphäre in den Bettelorden geduldet. Dass aber diese Idee schliesslich doch zur Opposition gegen die Kirche und ihre Machtstellung führen musste, beweist eben die Geschichte der Bettelorden. Es wird demnach kaum möglich sein, zu sagen, woher Chelčický eine Ansicht genommen, die überall zu ňnden war. Auch ist die Thatsache nicht charakteristisch, dass er sie aufgenommen, sondern darauf kommt es an, welche Be- deutung er ihr gab, welche Consequenzen er aus ihr zog, welche Stellung er ihr in seiner Lehre anwies.

Man kann behaupten, dass die Gestalt Chelčickýs aus dem Rah- men der hussitischen Bewegung nicht herausfällt. Alle Einflüsse, welche diese hervorgerufen haben, können auch ihn, der sie in allen Fasen miterlebt hat, berührt haben. Nicht alle in gleichem Masse : aber dieses Mass festzustellen, ist äusserst schwierig.

Unter den sogenannten Vorläufern des Johannes Hus ist einer, Matthias von Janov, gleichsam auch als ein Vorläufer Chelčickýs be- zeichnet worden. Ich finde dagegen, dass bei aller Ähnlichkeit, welche bei beiden namentlich da zu finden ist, wo das Wesen des wahren Christentums im Gegensatz zum falschen dargelegt wird, ein Einfluss des Janov auf Peter sich nicht nachweisen lässt. Was eben jenen charakterisirt, das fehlt bei diesem gänzlich, nämlich die my- stische Auffassung des Christentums. Chelčický ist herb und nüchtern.^)

Habemus nostre conscientie puritatem, ac per consequens Deum nobiseutn : cujus testimonium iiivocamus, quia semper fuit nostre voluntatis iutentio olericos cujuscunque ordinis ad hoc inducere, et precipue maximos ad illum statum re- ducere, ut tales perseverent in fitie, quales fuerunt in ecclesia primitiva, aposto- licam vitam ducentes, et humilitatem Dominicam imitantes . . . Talibus (der schlech- ten Geistlichkeit) igitur subtrahere nocentes divitias, quibus damnabiliter oneran- tur, opus est charitatis. (Huillard-Bréholles VI. 1. p. H93.) Vgl. Jireceks Rukověť. 3) Vgl. De Hypocrisi (Ms. Un. 5 F 7 fol. 5G): Regule, que demonstrant Chri- stianům non esse hypocritam, sunt he. Prima est: perfecte abicere se ipsum usque ad odium proprie anime propter J. Christum. Secunda est: totaliter se conferre ad J. Christum et donare se ipsum sibi usque ad dileccionem ipsius unius ac sulius. Tercia est: perfecte amare criicem Christi et ignominiam passiunis eius et per vitam imitari. Quarta est: omnia facta et fienda a dileccione domini J. in-

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Die eigentlichen Urheber der hussitischen Bewegung haben ohne Zweifel direkt auf Chelčický eingewirkt: er ist ein Zuhörer ihrer Predigten gewesen, er hat mit ihnen persönlichen Umgang gepÜogen. Aber er steht ihnen frei gegenüber, beugt sich vor ihrer Autorität nicht, widerspricht ihnen: sein Tadel trifft auch den Johannes Hus und noch mehr denjenigen, der später seine Stelle einnahm, den Ja- kobell von Mies. Diese selbstständige Stellung zeigt sich auch darin, dass er sich in seinen Schriften auf frühere Freunde und spätere Gegner des Hus beruft, deren Andenken damals, als er schrieb, in den hussitischen Kreisen gewiss verpönt war. Dies sind Stanislav von Znaym und namentlich Johannes Protiva. Chelčický citirt mit einer gewissen Vorliebe, die auf intime persöhnliche Beziehungen schliessen lässt, Protivas Schriften, die wir leider nicht kennen. Wenn wir aber auch nicht im Stande sind, ihre Einwirkung auf Chelčický bestimmt zu bemessen, so kehrt doch in jenen Citaten überall der- selbe Grundgedanke wieder, dass nämlich das göttliche Gesetz höher stehe als das menschliche und dass es genügend sei, die Kirche zu begründen und zu regieren. Und aus den Citaten lässt sich unschw^er erkennen, dass beide Männer zwar in diesem 'Gedanken zusammen- trafen, aber dann doch in entgegengesetzter Richtung auseinander- giengen. Denn Protiva scheint von der Superiorität des göttlichen Gesetzes ausgehend, die Herrschaft der Kirche über den Staat ver- fochten zu haben, während Chelčický Staat und Kirche trennt, jenen in der Idee zwar vernichtet, aber doch nicht der Kirche unterwirft. Protiva verficht die bestehende Kirche, Chelčický greift sie an.

Die Gegner der Hussiten haben diese oft Wiclifisten genannt; und nicht mit Unrecht, denn wie der Hussitismus überhaupt unter Wiclifs Einfluss steht, so gilt dies namentlich von seinen radikalen Elementen. Auch von Peter Chelčický. Wenn er in der Schrift das allgenügeude und allgemein verbindliche Gesetz Gottes findet, wenn

cipere et ad ipsam terminare. Chelčický nennt Matthias von Janov in seinen Schriften nur einmal (in der Replik g-eg-en Rok^-cana) und zwar, um ihn zu tadeln. Replik gegen Rokycana.

Johannes Protiva (vgl, Jireceks Rukověť) war der erste Prediger an der Bethlehemskapelle (1391 6), später Pfarrer bei S. Clemens in Pořič (Prag), tjber seine Beziehungen zu Hus s. Palacký Docum. 164 ff. Die Citate finden sich im Netz des Glaubens und in dem Traktate vom Ursprung der menschlichen Ge- setze. In diesen wird aber dem Protiva ein Citat zugeschrieben, das in der Re- plik gegen Rokjcana Wiclif in den Mund gelegt wird, eine Verwechslung, die wol dadurch zu erklären ist, dass Chelčický lateinische Schriften nur mit frem- der Hilfe benutzen Jvonnte, die aber keinen zureichenden Grund bietet für die von G. Anněnkov (Č. Č. M. 1880) aufgestellte Annahme, Chelčický citire überall unter Protivas Namen den Johannes Wiclif.

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er in Christo das Musterbild, dem der Christ namentlich in seiner Demut, Sanftmut und Armut nachstreben soll, so wie den beständigen Mittler und Fürbitter erblickt, wenn er nur die freie Erfüllung der Gebote als wertvoll und verdienstlich erklärt und dabei neben der Gnade auch den Werken einen Wert vor Gottes Barmherzigkeit zugesteht, wenn er den Heiligenkultus verwirft: so sind dies alles Sätze, die an Wiclif erinnern. An ihn lehnt sich Chelčický an in seiner Sakrament- lehre, ihm verdankt er seine Abendmalslehre. Die Transsubstantiations- lehre bekämpft er mit Wiclifs Argumenten, den Taboriten gegenüber weist er nach, dass sie mit Unrecht ihre Lehre mit seiner Autorität decken. Mit Wiclif theilt Chelčický die radikale Opposition gegen die bestehende Kirche. ^} Und doch findet diese Übereinstimmung eine Gränze.

Sein Verhältnis zu Wiclif hat Chelčický selbst in der Replik gegen Rokycana ganz bestimmt und treffend ausgesprochen. „Ich achte Wiclif," so lauten seine Worte, „vorzüglich deswegen, da ich von ihm höre, nie- mand unter den alten und auch unter den jetzigen Doktoren habe so gut gesprochen und geschrieben gegen das Gift, das der h. Kirche eingeflösst ist, und aus dem der oberste Antichrist entsprossen ist . . . Aber der h. Petrus hat die Christen gelehrt, Christus habe für uns gelitten und uns ein Beispiel hinterlassen, auf dass wir eintreten in seine Fussspiiren . . . Das habe ich mit dem Glauben erfasst, und käme jetzt Petrus vom Himmel und geböte, es solle das Volk unter die Waffen treten, um durch die weltliche Macht die Wahrheit zu vertheidigen und das Gesetz Gottes zu befreien : ich glaubte ihm nicht mehr..." Die Lehre von der weltlichen Macht, die Lehre vom Staate in seinem Verhältnis zur Kirche ist der Punkt, an dem die Übereinstimmung Chelčickýs mit Wiclif und auch das Bewusstsein dieser Übereinstimmung aufhört. Nach Wiclif soll zwischen Kirche und Staat Harmonie bestehen, nach Chelčický soll es zwischen bei- den kein Verhältnis geben. Und das ist, wenn ich nicht irre, das Eigenartige des Mannes. Es ist nicht da zu finden, wo er mit Wiclif, wo er mit den Hussiten und unter ihnen namentlich mit den radikalen Taboriten übereinstimmt, sondern das charakterisirt ihn, worin er

') Citirt wird Wiclif in der Replik gegen Biskupec, in dem Traktat von den Sakramenten; in der Replik gegen Rokycana.

In dem Traktate von dem dreifachen Volke bekämpft Chelčický die An- sicht eines Taboriten, die (streitende) Kirche habe drei Bestandtheile : den Clerus, die Krieger (d. h. den Staat) und das Volk. Diese Ansicht geht offenbar zurück auf Wiclifs Traktat De Christo et suo adversario Antichristo. (Ausgabe von R. Buddensieg. Gotha 1880.)

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von ihnen abweicht, ihnen sogar widerspricht. Das wahre Christentum verträgt sich um es zu wiederholen nach Chelčický weder mit der Kirche noch mit dem Staate, wie sich beide im Laufe des Mittel- alters entwickelt haben, am wenigsten aber mit dem Verhältnisse bei der zu einander, das die reformatorischen Ideen des 14. und 15. Jahr- hundertes nicht aufheben wollten, wenn sie es auch anders auffassten, indem sie an die Stelle der Pflichten, die die Kirche des Mittel- alters dem christlichen Staate auferlegte. Rechte setzten.

Aber auch diese Ideen, die Staat und Kirche vollständig scheiden, die Kirche, Staat und Gesellschaft einer vernichtenden Kritik unter- werfen, sind dem Mittelalter vor Peter Chelčický nicht vollständig fremd gewesen. Sie sind vielmehr bei einer Sekte zu finden, die die Kirche ausstiess und der Staat im Dienste der Kirche verfolgte : bei- der Sekte der Waiden ser. Es wäre aber gewagt, sofort zu behaupten, Chelčický habe die Prämissen seiner Lehre von der Waldensern er- halten, da bei aller Ähnlichkeit, die sich bei näherer Vergieichung herausstellt, auch eine parallele Entwickelung angenommen werden könnte. Wir müssen zurückgreifen auf die oft berührte Frage, ob sich Beziehungen zwischen den Waldensern und der hussitischen Be- wegung überhaupt nachweisen lassen.

Böhmische Waldenser lassen sich in keiner Zeit mit Bestimmt- heit nachweisen, ich meine Gemeinden der Waldenser, die sich durch Generationen im Lande erhalten hätten. Dagegen erfahren wir mit vollständigster Sicherheit, dass es in einem Nachbarlande, Österreich, seit dem 13. Jahrhunderte ununterbrochen Gemeinden der Waldenser gegeben habe, und wir kennen auch ihre Lehre, wie dieselbe im letzten Jahrzehnte des 14. Jahrhundertes durch die Inquisitoren in Artikel gebracht worden ist.

Palacký, tJber die Beziehungen der Waldenser zu den Secten in Böhmen. Prag" 1870. v. Zezschwitz, Die Katechismen. S, 151-. Ich mache einen Unter- schied zwischen Gemeinden der Waldenser und Anhängern ihrer Lehre unter der einheimischen Bevölkerung-, ohne läugnen zu wollen, dass gewiss auch fremde Waldenser nach Böhmen kamen. Nur mit diesem Vorbehalt kann ich Wilhelm Pre- gor beipflichten, der in seinen wichtigen Beiträgen zur Geschichte der Waldesier (München 1875." S. 51) sagt, dass es in Böhmen zahlreiche Waldenser unmittel- bar vor dem Auftreten des Hus gegeben habe. Der früher fälschlich dem Peter von Pilichdorf zugeschriebene Traktat vom J. 1395, auf den sich W. Pregor be- ruft, ist auch in böhmischen Handschriften zu finden. So in Ms. Un. 13 E 5, wo- nach Höfler (Ss. IH S. 167) zu berichtigen ist, der Andreas de Broda als den Verfasser annimmt. Die Schlussbemerkung: Beprobacio Waldensium haereticorum finita a. d. 1428 in Egra rührt vom Abschreiber her.

■^) Hier kommen in Betracht: Der Traktat vom J. 1395. Der Bericht des Inquisitors Petrus über die österreichischen Waldenser v. J. 1398 (bei Pregor). Mit derselben Inquisition hängen zusammen : a) Refutatio errorum, Max. Bibl. XXV

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Die österreichischen Waldenser verwarfen den Heiligenkultus, die Lehi-e vom Fegefeuer, die Todtenmessen, allen Prunk, ja alle äussere Ausstattung des Gottesdienstes, indem ihnen eine geweihte Kirche nicht heiliger galt als jeder andere Ort. Für überflüssig und eitel er- klärten sie die Ornate, das Glockengeläute, den Kirchengesang, die Orgelmusik: bei der Messe genüge die Consekrationsformel und das Vaterunser. Bei der Taufe hielten sie den Gebrauch des ungeweihten Wassers für zulässig, verwarfen die Firmung als Sakrament und wollten dieselbe durch die Handauflegung ersetzen. Sie verwarfen jeden Eid und von dem absoluten Verbot des Tödtens ausgehend, ver- dammten sie Könige und Obrigkeiten, die in ihren Gesetzen und Urtheilen die Todesstrafe verhängten. Aus demselben Grunde hielten sie jeden Krieg für sündhaft, auch die Kreuzzüge gegen Heiden und Ungläubige. Sie verwarfen die im Staate und in der Kirche gelten- den Gesetze,-^) das weltliche und das kanonische Recht, so wie seine Lehrstätten, die Universitäten.

Die Kirche galt ihnen als verdorben und verleitet seit den Tagen Sylvesters: den Papst nannten sie das Haupt der Ketzer. Den Ge- setzen der Kirche wollten sie keine grössere Bedeutung zugestehen als anderen IMenschensatzungen ; den Schriften der Kirchenväter schrieben sie nur eine bedingte Autorität zu : eine unbedingte Gel- tung gebühre einzig dem Neuen Testamente nach seinem Wortsinn.

p. 303 sq. Im Eingange wird der Inquisitor Petrus genannt; b) Index errorum a, a. O. p. 307 sq. Die p. 309 abgedruckte Abschwörungsformel lautet in Ms. Un. 13 E 7 also: Ich N. swere ein ayd got dem almechtigen, mein herrn von ^^ra^ und den gegenwertigen herrn an seiner stat . . .

non credunt confirmacionem sanctam esse sacramentum, sed loco eius habent manuum inposicionem. (Bericht des Petrus Art. 14.)

Item dampnant et reprobant imperatores, reges et principes, marchiones, lantgravios, duces, barones, iusticiarios, iuratos, iudices et scabinos propter quod- cunque homicidium, quamc-unque iudicialiter et iuste factum. (Bericht Art. 72.)

^) Item dampnant et reprobant dominum apostolicum mittentem bellatores contra sarracenos et crucem dantem vel predicantem contra quoscunque paganos. (Bericht Art. 73.) Um so mehr musste ihnen jeder Krieg zwischen Christen für sündhaft gelten.

*) Item leges imperiales et sanciones canonicas. (Bericht Art. 77.)

^) Item dampnant et reprobant omnia studia privilegiata. (Bericht Art. 70.) Item universitates scholarum Parisiensem, Pragensem, Viennensem et aliarum re putant inutiles et temporis perditionem. (Index errorum Art. 18.)

^) Septimo dicunt: quod ea, quae constituuntur ab episcopis et ecclesiae praelatis, non sunt servanda, eo quod sint traditiones hominum, non dei. (Refu- tatio errorum.)

') Item dicta sanctorum nihil curant, nisi quantum pro secta eorum confor- tanda retinent; sed tantum novum Testamentům ad literám observant. (Index errorum Art. 21.)

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Was wir von Waldensern anderer Gegenden und anderer Zeiten erfahren, gilt auch von diesen: sie hatten ihre Prediger, denen sie das Recht zur Predigt ohne Autorisation der Kirche zuerkannten. ') Sie hielten sie für von Gott berufen und, da sie in evangelischer Armut lebten, für wahre und echte Nachfolger Christi und der Apostel : sie achteten sie ihres reinen Lebenswandels wegen mehr als die Priester der Kirche. In geheimen Versammlungen hörten sie ihre Predigten und beichteten ihnen lieber als den Priestern der Kirche. Und dennoch nahmen sie Theil an dem kirchlichen Gottesdienste und empfiengen die Sakramente aus den Händen der Priester. Dies gilt namentlich von den Gläubigen der Sekte (credentes), während unter ihren Predigern, wie es scheint, die Ansichten auseinandergiengen : einige von ihnen hielten sich für berechtigt, zur Osterzeit sich unter- einander zur Consekration und Communion zu versammeln, andere dagegen mischten sich mit ihren Gläubigen unter die Kirchenbesucher ; andere endlich enthielten sich nicht nur der selbstständigen Verwel- tung des Sakramentes, sondern hielten sich auch frei von der Theil- nahme an der kirchlichen Abendmalsfeier,

Das war die Lehre der österreichischen Waldenser, die auch in Böhmen nicht unbekannt blieb. Gewisse Ansichten galten daselbst in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhundertes als specifisch walden- sisch, wie die absolute Ablehnung des Eides und die Läugnung der Fegefeuers. "^) Die Lehre der Waldenser fand in Böhmen auch

') Primo habent . . . suos confessores puros laycos heresiarchas. Item cre- dunt illos a solo deo, non a domino papa vel aliquo episcopo catholico potesta- tem habere predicandi verbum dei. (Bericht Art. 1, 2.)

Secundo dicunt, sacerdotes ecclesiae . . . ideo non esse veros et legitimos successores discipulorum Christi, quia possident propria . . . Tertio quia vident in pluribus presbyteris ecclesiae mala exempla superbiae, avaritiae, incontinentiae . . . et aliorum vitiorum, ideo plus credunt suis haeresiarchis praebentibus eis exempla bona humilitatis, largitatis, castitatis ... et aliarum virtutnm . . . (Refutatio errorura.)

Item credunt suos hereticos a peccatis posse absolvere melius quam sa- cerdotes ecclesie . . . (Bericht Art. 5.)

Item licet presbyteris confiteantur, Christi corpus ab eis accipiant, sectam tamen ipsorum ipsis nullatenus manifestant. (Bericht Art. 6.) Item sacramentum confirmationis non credunt, licet plurimi eorum se confirmari faciant, ne notentur. (Index errorum Art. 10.)

Index errorum.

Dies sagt Mag. Joh. Hus. (Vgl. Documenta p. 185.) ') Laurentius von Březová (p. 397) sagt von den Taboriten: item purgato- rium animarum esse post hanc vitam ctim Waldensibus negabant. Palec sagt in seinem Traktat „Utrum de necessitate salutis sit hominera confiteri solis presby- teris sua peccata tam mbrtalia quam venalia." (Ms. Un. IV. H 7): error Walden- sium dicens, confessionem posse fieri eque Ordinate layco bono sicut presbytero, non sustinendus, quia heresis.

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Aullänger, die das Auftreten der Johannes Hus sympathisch be- grüssten.

Es ist eine beachtungswerthe Thatsache, dass fast unmittelbar vor dem Ausbruche der Hussitenkriege sich in Böhmen Anhänger derselben Lehren und Ansichten finden, zu denen sich die österreichi- schen Waldenser bekannten, und zwar im südlichen Böhmen^ wohin jene Lehren und Ansichten unschwer über die Gränze des Landes gelangen konnten. Gerade dort, wo sich alsbald Tabor erheben sollte, haben Laien ohne kirchliche Weihe und Autorisation Predigten ge- halten und Beichte gehört, das Sakrament der Taufe mit ungeweihtem Wasser gespendet. Mit Verachtung der Kirchen, „der Höhlen der Räuber", wurden in Scheuern gottesdienstliche Versammlungen abge- halten und daselbst die Messe in der einfachsten Art und Weise celebrirt. Wenn wir weiter hören, dass nur den guten Priestern die Macht zu consekriren vindicirt wurde, d. h. solchen, die einen reinen Lebenswandel führten und der Lehre der Mag. Johannes Hus bei- pflichteten, so sieht man, dass die Bewegung bereits jene Gränze über- schritt, an der die Waldenser schwankend stehen geblieben waren. Gegen diese und ähnliche Lehre erhoben alsbald die Prager Magister ihre Stimme. Bereits im J. 1417^) mussten sie die Lehre vom Fege- feuer, den Cultus der Heiligen, die kirchlichen Gebräuche, Weihun- gen und Ceremonien in Schutz nehmen; ein Jahr später (1418) sahen sie sich gezwungen, den Grundsatz zu bekämpfen, nur das, was die Schrift ausdrücklich lehre, sei anzunehmen, so wie die Con- sequenzen dieses absoluten Schriftprinzips : die unbedingte Vertverfung des Eides und der Todesstrafe^ ferner die Lehren : nur der gute Priester habe die Macht, die Sakramente zu spenden; der schlechten Obrigkeit im Staate und in der Kirche sei es erlaubt, den Gehorsam vollständig zu kündigen.

Ähnliche Lehren wurden auch nach dem Zeugnisse des Laurentius von Březová auf den grossen Versammlungen unter freiem Himmel

Vgl. Palacký tíber die Beziehungen S. 33. -) S. Articuli Michaelis de Causis (1414), Docum. p. 198. Vgl. Palacký a. a. O. S. 20.

Anonymi relatio de delictis, quae in arce Kozí et civitate Ustie super Lužnic committuntur. Doc. p. 636.

*) Aus der Relatio geht nicht hervor, dass Laien sich auch die Macht zu consekriren angemasst hätten, Doc. p. 654.

Articuli XXIII. a magistris cleroque Pragensi . . . publicati (Doc. p. 677) ein wichtiges Stück auch der Concessionen wegen, die bei jedem Artikel gemacht werden.

A. a. O. Art. 7, 8. Vgl. v. Bezold, Zur Geschichte des Hussitentums. S. 21.

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verbreitet, in denen auf Grund des absoluten Schriftprinzips die Ver- einfachung der Gottesdienstes, die Abschaffung der Bilder u. s. w. gefordert, die Lehre vom Fegefeuer bekämpft, gegen die Verbindlich- keit der Ohrenbeichte geeifert und der Grundsatz verfochten wurde, die Reformation der Kirche sei durch die Rückkehr des Clerus zur evangelischen Armut zu erreichen. Dagegen hören ivir nichts mehr von der Veriverfung des Eides und der Todesstrafe.

Als dann die Bildung der Parteien sich vollzog, finden wir vieles, was an die Lehre der Waldenser erinnert, bei den Taboriten wieder, die ihr radikales Programm mit Gewaltmitteln ins Werk setzten. Auch Anhänger des Kelches mussten ihrer gewaltsamen Reformation wei- chen, die sich namentlich gegen den dotirten Clerus wandte. Wenn wir aber denjenigen beipflichten, die den Einfluss der Waideuser auf die hussitische Bewegung überhaupt und auf die Entstehung des radikalen Taboritismus insbesondere als einen Faktor in Rechnung bringen,^) so dürfen wir nicht vergessen, dass es noch eine andere Quelle gab, aus der die der Waldenserlehre verwandten Ansichten herkommen konnten und gewiss auch hergekommen sind, nämlich Wiclifs Schriften. Was oben über ihre nachhaltende Einwirkung na- mentlich unter den radikalen Hussiten gesagt wurde, soll durch jene Annahme nicht abgeschwächt werden. Beide Strömungen konnten neben einander und einander verstärkend bestehen, die von Wiclif ausgehende unter den Theologen^ die von den Waldensern herrührende unter dem Volke. Im Hussitismus haben Zeitgenossen*) und neuere Geschichtsforscher^) beide Faktoren gefunden.

Am vollständigsten ist die Zusammenfassung jener zwei Faktoren bei Peter Chelčický zu finden. Bei ihm tritt uns auch dasjenige ent- gegen, was wir bei den Taboriten vermissen, was bei Wiclif nicht zu finden ist, das absolute Verbot des Tödtens; und zwar so, dass er diesem waldensischen Überschuss in seiner Lehre eine massgebende Stelle anwies. Die nächsten Consequenzen dieses Grundsatzes sind bereits in den Artikeln zu finden, die durch die Inquisition kurz vor 1400 formulirt worden sind, die weiteren hat Peter Chelčický ge- zogen. Diese sind es, die ihn er selbst sagt es in seinen Schrif-

') A. a. O. p. 389, 392. A. a. O. p. 398, 443.

Diese Meinung hat bereits Dieckheif ausgesprochen. (Die Waldenser im Mittelalter S. 72, 272.)

Andreas de Broda (Höfler Ss. II. 336.) ^) Preg-or a. a. O. S. 55.

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ten von Hus, ') von den Hussiten, von dem sonst so hochgeschätzten Wiclif scheiden.

Die bisherigen Erörterungen über den Einfluss des Waldenser- tums auf die Entstehung der hussitischen Bewegung liefern zwar keinen eigentlichen Beweis, lassen aber doch die Annahme zu, welche Palacký mit den Worten ausgesprochen: „Ich bezweifle jetzt nicht mehr, dass Peter Chelčický frühzeitig . . . eine umfassende Kenntnis der Waldenserlehre besass und daran Gefallen fand." '^) Aber Palacký setzt hinzu: „obwol er sich dazu nie ausdrücklich bekannte," eine Thatsache ebenso auffallend wie unerklärlich,^) die aber doch nicht ge- eignet sein dürfte, die für Palackýs Annahme sprechenden Gründe zu entkräften.

In der Replik gegen Rokyeana wirft Chelčický in schroffer Weise dem Johannes Hus vor, er weiche von dem Gesetze Gottes ab insbesondere dnrin, was er vom Morde, vom Eide, von den Bildern geschrieben. Dies ist die einzige Stelle, wo Chelčický vom Eide spricht.

Wir dürfen dies wol weiter ausführen und sagen, Chelčický sei aus dem südlichen Böhmen als ein Anhänger der Waldenserlehre nach Prag gekommen, und habe in der Folge immer an ihr festgehalten.

Die Erklärung, welche Palacký a. a. O. S. 33. gibt, kann nicht genügen.

Chelčický nennt die Waldenser nirgends, auch da nicht, wo man es am ehesten erwarten sollte, wie in der Postille, wenn er sagt, in den deutschen Ge- genden und überall mehre sich unter den Menschen die Kenntnis von der Schlech- tigkeit der Geistlichkeit und der durch sie verschuldeten Verführung. Einmal er- wähnt Chelčický den Petrus Waldus, in der Replik gegen Rokyeana, wo es heisst : „Erst hatten Sylvester und Petrus der Waldenser sich vor dem reissenden Thiere in Wäldern und Gruben geborgen, als aber Sylvester es in den Glauben aufnahm, da hat der Kaiser den Sylvester auf ein Maulthier gesetzt und in Rom herumge- führt.«

Albert Ritsehl, dessen Hypothese von dem Zusammenhange des Peter Chel- čický und der Brüderunität mit den Spirituálen ich nicht beipflichten kann (Prole- gomena zu einer Geschichte des Pietismus Georg Witzeis Abkehr vom Luther- tum — Zeitschrift für Kirchengeschichte 1878.) sagt: „Die Stelle scheint in den Worten „und Petrus Waldus" eine Interpolation darzubieten, da nachher nicht von Ehren die Rede ist, welche Constantin auch dem Petrus Waldus erwiesen hätte." Diese Begründung ist kaum zutreffend, denn wenn wir etwas vermissen, so ist es eher die Bemerkung, Petrus Waldus habe sich von Sylvester getrennt, er habe vom Kaiser keine Ehren empfangen. Eine spätere Interpolation wird übrigens auch durch den Umstand wahrscheinlich, dass in Chelčickýs Schriften die Sylvester- legende sehr oft erwähnt, Petrus Waldus aber neben dem Papste sonst nirgends genannt wird, ausser eben in der Replik gegen Rokyeana. Sind die Worte „und Petrus Waldus" keine Interpolation, so müsste man annehmen, Chelčický habe die Walduslegende erst spät kennen gelernt. Was Johannes Aquensis in seinen Locustarium (Dudik, Iter rom. I, p. 279) sagt, verdient keine Berücksichtigung. Die epištola Petri Chelczicensis ad Rokycanam, in der jener den Petrus Wal- densis als den „primus inventor" der Begardi d. h. der Brüder bezeichnet haben soll, ist wol nichts anderes als die Replik. Übrigens ist Johannes Aquensis ein ebenso alberner Schwätzer wie Jakob Lilienstein, auf den er sich auch beruft. (Vgl. Quellen und Untersuchungen I. S. 49.)

Einen Zusammenhang zwischen Chelčickýs Schriften und der Literatur der Waldenser vermag ich nicht nachzuweisen. Die Anklänge, die sich in dem Wal- densertraktat vom Antichrist vorfinden, beweisen keinen direkten Znsamnienhaiig.

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(Vgl. Quellen und Untersuchungen I.) Es gibt aber bei ChelČický manches, was an die Inquisitionsartikel erinnert. Postille: Kirchen sind Häuser Gottes, aber wir sind nicht verbunden in geweihten Kirchen zu beten. Es ist uns die Freiheit ge- geben, an jedem passenden Orte zu beten. Netz des Glaubens: „In der primi- tiven Kirche wurde die Messe ohne Ornate, ohne Altäre, ohne Kirchen celebrirt, das blosse Vaterunser genügte zum Gottesdienst." An die Waldenser mahnt es, wenn Chelčický besonders drastisch gegen den Kirchengesang eifert, wenn er alle Feiertage, den „heiligen Sonntag" ausgenommen, verwirft, wenn er der Polemik gegen das Fegefeuer und den Heiligenkultus in seinen Schriften viel Raum gönnt, wenn er gegen Universitäten und die „Rotten der Collegien" sich erklärt, wenn er besonders eindringlich vor der Beichte bei einem schlechten Priester warnt. Die Ansicht der Waldenser, der Hochmut sei die Wurzel der Sünden, ist auch Chelčický nicht fremd. In der Replik gegen Rokvcana wird das Verbot des Töd- tens in ähnlicher Weise begründet, wie es auch die Waldenser thaten. (Replik: Gott allein kann die Seele des Menschen erschaffen und mit dem Leibe verbinden u. s. w. Vgl. Index errorum Art. 23 : sicut nos non posse viviticare, sie nec de- bere occidere.) An die Waldenser mahnt es endlich, dass Chelčický, trotzdem er die bösen Priester zu meiden räth, ihnen die Macht zu consekriren doch nicht ab- zusprechen wagt. Das Ideal eines guten Priesters, wie es Chelčický vorschwebt, mahnt an den waldensischen Wanderprediger; von den Waldensern weicht Peter aber darin ab, dass er dem Priester nicht nur evangelische Armut, sondern auch Händearbeit auferlegt.

Dies und anderes mag aus waldensischer Quelle stammen, beweist aber noch keinen unmittelbaren Verkehr Chelčickýs mit Waldensern. Ein solcher ist zwar an sich nicht unwahrscheinlich, aber wir besitzen darüber keine bestimmten An- haltspunkte. Dagegen stehen uns ganz bestimmte Zeugnisse zu Gebote über den Verkehr der Waldenser mit den Taboriten, wobei vor allem diejenigen Schriften der Waldenser in Betracht kommen, die aus taboritischen Quellen geflossen sind und die jene nicht erst von den Brüdern bekommen haben, da diese die taboriti- schen Traktate als ihre eigenen Bekenntnisschriften nicht anerkannten. Unter den übrigen Zeugnissen nehmen die erste Stelle die Nachrichten ein, die über den Aufenthalt Friedrich Reisers in Böhmen (vgl. Quellen und Untersuchungen I, S. 27.) berichten. Bei ihrer Berührung mit dem (entwickelten) Taboritismus erscheinen die Waldenser als der empfangende Theil. Friedrich Reiser ist nicht der einzige gewesen, der sich in Böhmen Anregungen zu einer missionsartigen Thätigkeit in Deutschland geholt hat. Wenn z. B. im J. 1430 zu Freiburg i. U. die Waldenser gestanden, dass ihre „Apostel" aus Deutschland und Böhmen kämen, so sind unter diesen sicherlich keine eigentlichen Hussiten zu verstehen. (S. G. Ochsenbein, Der Inquisitionsprozess wider die Waldenser zu Freiburg i. U. im Jahre 1430. Bern 1881. S. 384.)

BEILAGEN.

I. Zur Frage von der Berechtigung des Krieges.

Die Frage, ob und iiuter welchen Bedingungen der Christ Waffen führen und gebrauchen dürfe, ist nicht erst im 15. Jahrhunderte auf- geworfen worden. Die Kirche des Mittelalters hat dem Geistlichen die Theilnahme am Kriege verboten; er sollte auch darin vollkommen und so zu sagen christlicher sein als der Laie. Auf demselben Stand- punkte stand auch Mag. Johannes Hus. als er gegen die päpstliche Kreuzbulle auftrat. Der Aufruf zum Kriege gegen Christen schien ihm der Theilnahme am Kriege gleichzukommen.

Am Anfange des Hussitenkrieges gewann die Frage, ob und wie das Christentum mit der Kriegsführung verträglich sei, eine grosse Bedeutung (vgl. o. S. 8 ff\), und auf den weiteren Fortgang der Be- wegung hat die Ai*t und Weise, wie sie von verschiedener Weise be- antwortet wurde, einen nicht unwesentlichen Eintluss ausgeübt. Auch hängt mit derselben Frage eine nicht geringe Menge von Traktaten zusammen. Vor allem das oben S. 12 berühi*te Gutachten der Magi- ster (A.). Wie und wann es entstanden sei, darüber berichtet nur ein Zeitgenosse, Nikolaus von Pilgi-am, der in seiner Taboritenchro- nik (Hötler Ss. II, 481) erzählt, anfangs habe man die Wahrheit ohne Krieg (sine bellicis difficultatibus) vertheidigen woUen, später habe aber das Volk notgedrungen (ex necessitate, non voluntate) den Krieg, aber bloss um die W^ahrheit gegen Angriff zu vertheidigen begonnen, und zwar infolge eines Beschlusses sowol der Prager Magister als auch anderer Priester (consilio magistrorum Pragensium et aliorum sacerdotum pro tunc populum gubernantium). Die Erzählung des Ni- kolaus stammt aus der Apologie der Taboriten v. J. 1431 (a. a. 0. S. 687), der sie wörtlich entnommen ist, und aus der zugleich her- vorgeht, dass die anderen Piiester eben die der Taboriten waren, oder vielmehr die geistlichen Führer der Scharen, aus denen bald darauf die Taboriten hervorgehen sollten. (B ellum erectum est ex magistrorum

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et nostro simultaueo consilio.) Zugleich erfahren wir, dassjenerBeschluss in Prag selbst gefasst worden sei und zwar, als der Krieg den Anfang nehmen sollte (in principio illorum bellorum . . . rautua simul con ma- gistři s habentes consilia). Diese Darstellung ist nicht vollständig richtig, denn aus jenem Beschlüsse selbst d. h. aus dem von Christann von Pracha- tic und Jakobeil verfassten Gutachten geht hervor, dass dem Beschlüsse, den der Verfasser der Taboritenchronik als einmütig rühmt. Streit vorhergegangen sei, und zwar, wie ich annehme, zwischen ihm selbst und Wenzel Koranda. Dieser Streit ist nun in der Art geschlichtet worden, dass beide ihre Streitfragen, von denen zwei die Berech- tigung des Krieges betrafen, den genannten Schiedsrichtern vor- legten, die dann im Einverständnisse mit anderen Magistern den Schiedsspruch fällten. Vorausgesetzt nun, die Streitenden seien Niko- laus von Pilgram und Wenzel Koranda gewesen: worin giengen ihre Ansichten auseinander? Ich glaube zu der Annahme berechtigt zu sein, der letztere habe die Berechtigung des Krieges für die Wahrheit be- dingungslos verfochten, der erstere dagegen durch gewisse Bedingungen eingeschränkt. Das Gutachten der Magister wäre dann im Sinne der gemässigten Ansicht ausgefallen, doch w^ahrscheinlich so, dass es sich mit derselben nicht vollkommen deckte, namentlich was den Haupt- punkt des Streites betrifft, nämlich die Berechtigung der Volksge- meinden den Krieg anzufangen, ohne von der legitimen Obrigkeit dazu aufgerufen zu sein. Denn, wie aus den den Schiedsrichtern vor- gelegten Fragen und ihrer Beantw^ortung hervorgeht, darüber scheint sich kein Streit erhoben zu haben, ob der Krieg für die Wahrheit Gottes überhaupt berechtigt sei, sondern darüber giengen die An- sichten auseinander, aus welchen Bedingungen jenes Recht und jene Pflicht hervorgehe und hauptsächlich, iver berechtigt sei, das Schwert zu führen. Den allgemein anerkannten Grundsatz, die weltliche Obrig- keit sei verpflichtet, die Kirche zu vertheidigen, finden wir hier wie- der, doch so, dass an die Stelle der Kirche die Wahrheit des Ge- setzes Gottes tritt. Was sollte aber geschehen, wenn die Obrigkeit sich in Erfüllung ihrer Pflicht saumselig erweist? Hat dann die Ge- meinde das Recht an Stelle der Obrigkeit für die Wahrheit einzu- treten? Schwere Bedenken standen entgegen, der Gemeinde ohne Obrigkeit dies Recht, das ihr wahrscheinlich Koranda bedingslos vin- dicirte und auch Nikolaus nicht absprach, zuzuerkennen. Das Gut- achten spricht der Gemeinde ohne Obrigkeit das Recht eher ab als zu. Sehen wir indessen näher zu, so ist es in demselben doch ent- halten und die Bedingungen, die es von allen Seiten einschränken,

gelten weniger für das Volk, das verpfliclitet ist, das Schwert zu ergreifen, wenn die Obrigkeit ruft, als für die Priesterschaft, die an die Stelle der felilenden Obrigkeit treten und den Ruf an das Volk ergehen lassen könnte. Davor warnt eben das Gutachten, und es ge- schieht dies in Ausdrücken und Wendungen, die eigentlich den Chri- sten jedweden Krieg verbieten, so dass es fast als ein Widerspruch erscheint, wenn auch dem Volke das Recht mit „körperlichen Waffen" die Wahrheit zu vertheidigen nicht bestimmt und offen abgesprochen wird, da ja, auch wenn alle Bedingungen erfüllt sind, der bessere und sichere Weg, den die Christen das Beispiel des Heilands und der Märtyrer lehre, verlassen wird. Ich kann daher der Ansicht Pa- lackýs nicht beipÜichten, das Gutachten habe Žižka befriedigt. Eher das Gegentheil ist anzunehmen. Während die Prager im November 1419 vom Kampfe wieder abstanden, als in Folge des damals mit der Obrigkeit geschlossenen Vertrags die Berechtigung zum Kampfe den Grundsätzen das Gutachten gemäss wieder zu scliAvinden schien, trennte sich Žižka von ihnen, um denjenigen beizutreten, die trotzdem den Kampf fortsetzten.

Palacký bezeichnet ferner Žižka und Nikolaus von Hus als die Fragesteller, die jenes Gutachten der Magister provocirt hätten. Dies stimmt aber mit dem, was jenes Gutachten selbst berichtet, nicht überein. Erst viel spätere Quellen, denen Palacký folgt, stellen in dieser Weise Žižka in den Vordergrund, die ja überhaupt, wie es scheint, viel zu früh ihn als den Führer betrachten. Zuerst findet sich in einer Schrift des Lukas von Prag vom Jahre 1527 die Erzählung, Žižka habe, als die Verfolgungen anhüben, sich mit den Magistern und denjenigen Priestern, die der Lehre des Mag. Johannes Hus an- hiengen, berathen und sie befragt, „ob es erlaubt sei, die Verfolgun- gen durch die w^eltliche Macht im Kampfe abzuwehren, und darauf die Antwort empfangen, es sei statthaft ; auch hätten sie Schriftstellen, die sich darauf beziehen, gesammelt und ihm gegeben.

Es erübrigt noch die Frage zu berühren, ivann das Gutachten verfasst worden sei. Sowol Palacký als Tomek versetzen es in die ersten Tage des Oktober, als diejenigen Scharen, die sich am 30. Sep- tember in der Nähe von Prag versammelt hatten, in die Hauptstadt kamen. Mir scheint es eher in den folgenden Monat (November) zu fallen, der Lage der Dinge entsprechend, welche eintrat, als die be-

Von der Entstehung- der Uuität. Allerdings scheinen Lukas' Schrift in diesem Theile ältere Vorlagen zu Grunde liegen.

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waífneten Scharen unter Břeněk von Švihov in Prag eintrafen (6. No- vember), um an dem Kampfe theilzunehmen. ') Aber bald nach ihrer Ankunft sind Unterhandlungen angeknüpft worden, die durch den Vertrag von 13. November, der ihr Ergebnis bildete, Prag mit der Regentin und den auf ihrer Seite stehenden Baronen aussöhnten und beide Theile zur Vertheidigung des Gesetzes Gottes verbinden sollten. Im Widerspruch gegen diese Unterhandlungen mag Koranda seine Stimme erhoben haben. Das Gutachten wandte sich gegen ihn, bahnte den Weg zu dem Vertrage mit der Obrigkeit und verzögerte auch in der nächsten Zeit den Anschluss Prags an die Kriegspartei. Die Stim- mung, die während derselben in Prag die Oberhand behielt, geben, wenn ich nicht irre, zwei Traktate wieder, ein Aufruf, der an den Patriotismus sich wendet und vor einem Bürgerkrieg zwischen An- gehörigen derselben Nation warnt (B), während in einem anderen Auf- satz (C) der Widerspruch, der sich bereits in dem Gutachten der Magister vorfindet, noch greller hervortritt. Den Verfasser des letzteren trennt nur noch . ein Schritt von dem Standpunkte, den Peter Chelčický einnahm. Einen anderen Ton schlägt ein dritter Traktat (D) an, in dem alle möglichen Gründe gesammelt werden, aus denen die Be- rechtigung des Kampfes für die Wahrheit und für das Vaterland hervorgehe.

Die Frage, innerhalb welcher Gränzen der Krieg berechtigt sei, taucht auch in der Folge wieder auf. (Vgl. die Beschlüsse der tabo- ritischen Synoden v. 1422 und 1423, die auch dadurch bemerkens- wert sind, dass sie den Priestern den Gebrauch der Waffen und die thätige Theilnahme am Kampfe verbieten.) Die Prager Magister haben den Taboriten nicht selten vorgeworfen, dass sie jene Gränzen zu weit stecken, und die Bedingungen, durch die der Krieg gerechtfer- tigt werde, nicht beobachten. So bildete jene Frage auch in der Folge einen Diiferenzpunkt zwischen den hussitischen Parteien.

Vgl. auch die allerdings sehr summarische Darstellung des Nikolaus von Pilgram, der sagt, die am 30. September nach Prag gekommene Menge habe die Absicht noch nicht gehabt, für die Wahrheit das Schwert zu ergreifen. (S. 479.). Erst die bald darauf anfangenden Verfolgungen hätten jenen Beschluss hervor- gerufen (S. 481).

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A.

(Ms. Capituli Prag. O. 13)

Salus Christi fideiibus, ad quos pervenerint ista scripta,

Quia iüter discretos viros, Nicolaum parte ex una et Wen. parte ex altera, sacerdotes predicantes, orte sunt qiiedam materie litium iu auditorio populo provocative, tandem predicti sacerdotes parte ex utra- que coram raultitudine populi super dictarum materiarum disceptacione sese ad nostram videlicet magistři Cristani de Prachaticz et magistři Jacobi de Misa informacionem evocarunt, et quicquid salubriter in ma- teriis, in quibus habent controversias, eos docuerimus, accipere promise- runt. Nos igitur consilio plurium magistrorum advocato quatuor articu- lorum summarie sentenciam discucientes ad tollendas contrarietates odiosas de medio et ad caritatem inserendam in Christi populo per hec scripta taliter respondemus :

Ad primum articulum, cuius sentencia est, an domini seculares tenentur gladio materiali defendere legis veritatem, dicimus, quod sie, quoniam dlcit apostolus: non sine causa gladium scilicet dominus secu- laris portat, sed ad laudem bonorum, vindictam vero malorum. Ideo enim et tributa accipiunt, ut inquietos corripiant, bonos exaltando, sem- per tamen caritate servata quoad deum et proximura, prout decet.

Ad secundimi, cuius sentencia est hec: si domini seculares ad tantum sint desides, quod nolunt veritatem gladio accepto defendere, an communitates fideles suhiecte possint et deheant eam gladio defen- dere materiali, adversantes videlicet corporaliter perimendo, taliter respondemus: Quia cum simus Christiani, Christus autem nobis tamquam precessor et legifer noster dicit: ego sum via, securius est nobis per pa- cienciam veritatem christianam protegere quam per accionem repercuciendo, quoniam dicit Christus : in paciencia vestra possidebitis animas vestras. Imo ad talem pacienciam nobis verbo et opere exemplavit, eciam in causa dei vel propria, quod discipulis volentibus, ut ignis de celo de- scendat et Samaritauos nolentes hospitari dominum consumat, commina- torie ait : nescitis, cuius spiritus estis ; filius hominis non venit animas perdere sed salvare. Et Petro volenti evangelii conditorem gladio materiali defendere dicebat: converte gladium tuum in vaginam. Quomodo autem noster legifer Christus coram Pilato velud agnus mansuetus stabat, po- testatem, quam desuper Pilato esse datam dicebat, pacienter usque ad mortem crucis sustinendo, est Christi fideiibus indubie manifestum. Hanc viam securissimam, tutissimam apostoli sequebantur. Nam Petrus, qui sequebatur vestigia eins usque in patibulum crucis, in suis epistolis Christi fideles ammonet dicens: Christus passus est pro nobis, nobis relinquens exemplum, ut sequamur vestigia eins. Sic alii apostoli et marti- res in hoc mundo pressuras paciebantur sine repercussione et remurmu- racione et hoc idem verbo et facto communitates fideles edocebant secun- dum illud dictum ecclesie catholicura : ceduntur gladiis more bidencium, non murmur resonat, non querimonia, sed corde tacito mens bene conscia

*

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conservat pacienciam. Grave autem et periculosum videtur consulere commuuitatibus ad pugnandum corporaliter, et inter omneš artes ars ista pugnaudi cum hoc, quod servetur Caritas, est difíicillima, quod opor- tet quemlibet hominem habere de necessitate salutis iuxta illud apostoli : si Unguis homiuum loquar et augelorura etc. Eciam quia belli auctoritas atque cousilium videtur esse penes principes et potestates seculares secun- dum illud Rom. 13.: omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit. Et ad idem videtur esse Augustinus libro contra Faustum. Ex qua seu- tencia patet, quod non cuilibet de populo licet bella suscitare. Imo uulli, cuius adest facultas habendi aliuude secundum legem divinam vel humanam iusticie complemeutum. Ad belli namque rectificacionem videntur tria esse necessaria, videlicet iusta vendicacio, licita auctorisacio et recta intencio. Ex primo patet, quod oportet bellantem esse in gracia et habere iusticiam, quia aliter non esset vendicacio iusta. Ex secundo patet, quod deficiente iuris suffragio, sic videlicet quod aliunde non posset haben iusticie complementum, tunc ex auctoritate priucipis consulto domino esset bellaudum. Ex tercio claret, quod oportet intencionem cuiuscunque bellantis purgari a putredine vane fame, a libidine dominandi et zelo propriam iniuriam vindicandi. Ne tamen ignaris quibusdam videamur nimis disgredi a proposito, concedimus, quod domini seculares possent tantum deo resistere et eius legi, quod per ipsuni deum potestate eorum ahlata liceret commtinitaťibus a deo ad hoc opus admissis re- aliter et non fantastice defendere evangelicam veritatem, servato tamen semper ordine debito et consono legi Christi, divino instiuctu vel čerta revelacione sive evidencia non fallente ad hoc monente. Cavendum autem est, ne quis frontose et nimis precipitanter potestatem dominorum eis ablatam asserat, quia nolunt coudescendere cuicunque indifferenter vento nimis levi. Possunt autem communitates veritatem defendere et debent suos domiuos adiuvando. Securum autem nou est neque iustum videtur, quod communis populus acceptet opus sibi impertinens, presertim ubi talis populus habet dominos, in quibus non est defectus tam evidens et notabilis aut incorrigibilis, quod aliunde fieri non possit iusticie com- plementum, nisi ipse populus opus aggrederetur, satis arduum, periculis et laqueis involutum. Et ergo, sicut supra dictum est, securior via in hac causa pugnandi Christi et suorum sanctorum est amplectenda, via ambigua dimissa, hec est via paciencie, quam Christus docuit et implevit. Hac enim via sancti induti virtute ex alto quondam ecclesiam edificave- runt, que facit diligere inimicos et non solum non occidere, sed nec irasci, ut patet Mat. 5. Sic enim ad hanc viam apostolus hortatur com- munitates fideles dicens : imitatores mei estote. fratres, sicut et ego Christi! Qui provocans ad alia arma 2 Cor. 10 dicit: arma, inquit, nostre milicie non sunt carnalia. Ex lege igitur Christi patet, quod nemo pronus sit exhortari ad pugnam ambiguam et perplexam, sed tucius est crehrius prohibere cuilibet sacerdoti evangelico, quantum in eo est, tam peri- culosum modům pugnandi. Sic enim quodammodo esset cum Petro gla- dium in vaginam convertere. Quod securitatis est, teneant magis fideles, quod ambiguum et difficile, pretermittant et declinent.

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Ad tercium, cuius sentencia est, an fideles deheant et possint con- gregari tempore persecucionis, dicimus, quod mistice et spiritualiter congregari tenentur fideles in domino Jesu, sic videlicet quod eorum sit anima una et cor unum. Congregari vero corporaliter Christi fideles ad certas civitates materialiter intellectas, sub quinquenario numero, ut dicitur, contentas non videtur nobis cadere sub precepto generaliter pro communitatibus tamquam necessarium ad salutem, cum lex non reddit ad se homines perplexos. Hoc autem faceret, si expresse obligaret ad quinque civitates materiales, et tamen non exprimeret neque determi- naret eas, que esseut ille distiucte ; tunc enim fideles valde essent per- plexi et ambigui nescientes, ad quas deberent confugere, ad quam per- plexitatem populum inducere sacerdotes debent sibi summe precavere, sicut debent cavere, ne presemptuoso spiritu populo predicent, quod iam infra breve tempus Ventura est plaga horribilissima super populo, pri- vate tempus assignando et populum culpabiliter tenentes in suspenso, nulla super hoc habita čerta revelacione divina. Fugám tamen inire christianis tempore persecucionis licet prudenter exemplo Christi, quando scilicet ex fuga ipsorum, ut est verisimile, non sequetur fidei irrisio et iusticie depressio, sed probabiliter coniecturatur, quod alibi ex tali fuga maior sit utilitas ecclesie quam ex remansione, ex qua sequeretur occisio ministrorum ecclesie sine fructu salutifero animarum.

Ad quartum, cuius sentencia hec est, an mulier fidelis propter Christum et eins evangelium potest relinquere viriim infidelem, si ei defenderet verbum dei audire et sacram suscipere communionem, ta- liter respondemus : quod mulieri non licet consentire viro suo in malo contra salutem anime sue, et tali modo et forma ipsum relinquere sci- licet virum licet sibi, videlicet in illicitis non consenciendo. Et ad tan- tum posset vir uxori sue irasci, quod liceret sibi volenti iram sedare mariti ab eo localiter discedere ad tempus, circumscripta tamen omni simulacione in hac parte, que si affuerit, illum recessum inficiet undi- quaque, ex quo tamen recessu nullus sane mentis presumat asserere, quod vivente marito priori licet ipsi mulieri alteri viro matrimonialiter copulari aut quod non teneatur curam habere filiorum, quos peperit viro suo. Hoc enim asserere pertinaciter esset heresis contradicens sentencie Christi et sui apostoli s. Pauli.

B.

(Ms. Cap. 0. 18.)

Bellandl materiam concernit infra scriptum.

Primo notanda sunt, que bellum rectificant iustum. Prima enim con- dicio rectificans bellum iustum est iusta vendicacio, iuxta quam condi- cionem oportet bellantem esse in gracia et habere iusticiam ad damnum vel iniuriam vindicandum secundum iura divina vel humana in ipso fun- data . . . Secunda est licita auctorizacio, propter quam condicionem patet, quod nulli persone licet bellum suscitare, cui aliunde adest facultas

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habendi iusticie coraplementura. Sed quando deficit iuris suffragium, tunc ex auctoritate principis consulto domino est bellandum . . . Tercia con- dicio est intencio recta . . . Sine istis condicionibus non licet cuiquam proximum debellare, et per consequens oportet causam, pro qua quis pugnat aut saltem pugnare debeat, esse dei misteria et nou bona tempo- ralia. Nemo namque debet se bello exponere, quod est periculum mortis, nisi in causa, qua mortuus foret martir. Necesse est ergo intencionem bellantis purgari a putredine vane fame, a libidine dorainandi et zelo propriam iniuriam vindicandi et ira culpabili, postposita autem cupiditate temporalia perquirendi ... Ex qua sentencia patet, ipsos insipientes esse et non habentes fidem vivacem caritate formatam, qui se mortis periculo exponunt in causa, quam ignorant esse dei iusticiam. propter stipendia magiia, ducti magis cupiditate insaciabili quam zelo iusticie, quorum merces temporalis, cum affuerit damnacio perpetua pro perpetrato faci- nore, eis non proficiet sed nocebit. Que enim maior stulticia, quam Boemum gentem suam debellare propriam causa racionabili non habita propter temporale commodum, quo quesito et obtento et occiso suo pro- ximo sibi dominabitur aliena nacio, que, si posset, ipsam non solum bonis privaret fortuně, sed, ut verisimile est, evisceraret, misericordia postposita qualicunque. Adverte ergo, o gens boemica, tempestive, ne cecitate ducta tuam conculces culpabiliter et iniuste propriam nacionem! Si enim vix licet Christianům in iudicio bona sua repetere, quomodo plus distat a lege Christi pugnare, ubi causa non subest racionabilis, sed stipendium solum, quod facile perpenditur, temporale . . .

Nulli . . . christiano licet dubitare. quin debeat sub pena peccati mortalis servare mandata domini nunquam persequendo fratrem per se vel per alium, nisi propter caritatem fraternam, diligendo ipsum plus, quam omne bonum fortuně, pro quo prosequitur. Scribitur namque Mat. 5 : audistis, quod dictum est antiquis, non occides etc. Ubi commuuiter in textu ira illicita erga fratrem est prohibita, sicut verbum derisorium, irracionabile, obprobriosum, contumeliosum aut aliter irritativum non sub quacunque pena, sed sub pena dampnacionis perpetue. Caritatem autem servare fraternam preservaudo se ab ira lege dei prohibita sub pena, que premittitur, valde difficlle Boemis invadere saltem volentibus homines proprie nacionis, quia inter omnes artes videtur, quod cum arte bellandi stat de difficillimo observancia caritatis, quam tarnen oportet omnem hominem habere de necessitato salutis. Et sie neminem licet suum fra- trem invadere nisi propter amorem et commodum sie invasi, cum aliter ibi deesset intencio caritatis . . . Sic Boemi^ quibus non desunt inimicicie, quadam, ut apparet, cecitate moti, aliis inimicis ex hoc gaudentibus et finem expectantibus eis valde prosperum, proprios, ut videtur, culpa- biliter et saltem imprudenter velud talpe subterranee lucem odientes volunt invadere indiscrete. Ad cuius nutum, consilium vel mandátům faciunt hec, deus novit ! Sed hoc ex scriptura cognosco, quod Joab facinora perpetrans Salomonis precepto ad altare occissus est. Et indubitanter estimo, quod idem eveniet ipsis, qui se legis evangelice pretendunt ze- latores et tarnen simplices proprie nacionis invadunt, pretermissis con-

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siliis homiňum discreforum, quales indubie hahent in propria nacione ! O magna cecitas, o grandis perversitas ! Ubi est hec scriptura cordi impressa : Omnis qui odit fratrem suum, homicida est . . .

C.

(Ms. Cap. O. 13.)

Noverint universi modům et viam bellandi in causa dei duplicem. Prima est quam habuit noster dux belli dominus Jesus et sui apostoli atque martires in hoc suum dominum imitantes ceterique sancti ipsum sequentes . . .

Secunda via in causa dei bellandi est, in qua plus periculi salutis imminet, per quam sublimoribus potestatibus sive brachio seculari, cui datus est a deo gladius sive potestas illa secularis, licet armis materia- libus pugnare in causa dei et defendere prudenter legem et ordinacionem Christi et ad vindicacionem malorum . . .

Audio, cum contra perctissores allegatur illud apostoli: non vosmet ipsos defendentes, karissimi! dicunt enim se in peccatis excusando, tarnen nos non defendimus nos, sed legem dei. Attendunt Machabeos, qaoniam ipsi pro lege veteri et in veteri pugnaverunt. Ideo monent, ut libri Mach, populo declarentur. Sed contra hoc pro responsione ad dicta eorum primo notari potest, quod lex vetus respectu nove legis grácie et amoris erat valde imperfecta et sie eis erat via imperfecta bellandi in causa dei contra inimicos dei et suos, . . . que quidem via sie imper- fecta adhuc est permissa et concessa potestatibus sublimioriibtis propter eorum imperfeccionem. Quia autem lex nova gracie est perfeccior multo amplius quam vetus, ita alia via est evangelice preliandi in causa dei longe perfeccior, presertim sacerdotibus evangelicis et cetero populo christiano perfecciori et spirituali ... Ad primam autem viam imperfec- tam, ubi plus imminet periculi, ubi Caritas periclitatur sicut castitas in deliciis, non ita cautum sacerdotibus evangelicis populum concitare, cum homines ex natura infecta proni sunt ad iram et sediciones, percussiones atque ex hoc ad sanguinis effusiones, nec sie ad illam viam imperfectam veteris Machabeorum obligamur. Et non oportet, quod sacerdos evange- licus per gesta Machabeorum ad talia bella incerta et periculosa usque ad effusionem sanguinis concitet, nisi forte velit dicere populo, quod illa carnalia bella fuerunt figure spiritualium preliorum sacerdotum Christi et ecclesie sue legis futurorum . . . Sed notandum est, quod pars Christi, cum preliatur prelia domini contra dei adversarios et contra peccatum et regnum diaboli, tunc ibi currit iniuria dei simul et iniuria nostra vel partis Christi; communiter multi ergo heu in causa dei pug- nantes sub pretextu cause dei et iniurie dei nimis graviter ferunt in- iurias proprias et inordinato zelo accenduntur ... Sic ex tali zelo . . . Petrus servo pontificis amputavit auriculam et correptus est, quamvis

') Diese Worte enthalten wol eine Anspielung auf das Gutachten der Magister.

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corpus Christi in eius vita mortali voluisset defendere. Sic Luce 9 Ja- cobus et Johannes adhiic imperfecti et fragiles inordinato zelo accepto contra gentem Samaritanorum dixerunt: domine, vis, dicamus, ut ignis descendat de celo et cousumat illos. Et conversus Jesus increpavit illos et dixit: Nescitis, cuias spiritus estis, filius hominis non venit animas perdere sed salvare. Ideo et hodie hec timeo faciunt, qui sub pretextu cause et iniurie dei ex magno zelo inordinate palliato quasi dei zelo vindicant proprias iniurias et semet ipsos defendentes dicunt: tarnen nosmet ipsos non defendimus ...

D.

(Ms. Cap. D. 53). De bello.

Cum in istis periculosis temporibus undique bella strepant et cras- setur plus solito gladius fratrum contra fratres et geucium contra geutes, ideo ne ex iguurancia legis dei fervor belli involvat multos ad gehen- nam, dicenda sunt aliqua bellum humanum rectificaucia et ab iniustis bellis revocancia veros Christi bellatores.

Primo, in quo dicitur, quod ad iustum bellum hominum requiritur persona, que sit caritate et gracia dei regulariter disposita et ab omni crimine penitus absoluta . . .

Secundo ad iustum bellum requiritur, ut persona sit ad bella licen- ciata legitime, hoc vero dupliciter accidit, vel deo auctore in bella co- gente, vel homine superiore legitima potencia imperante . . .

Tercio ad iustum bellum requiritur, ne quis procedat ad bellum et OS domini non interroget sine assidua oracione usque ad revellaciouem sive in legis dei meditacione aut inquisicioae usque ad informacionem . . .

Quarto requiritur, ut bellum sit ex re pctenda, hoc est, ut sit causa iusta, pro qua est bellandum . . . lusta autem causa est causa dei, causa iidei, causa legis et causa veritatis. Et pro hac quilibet miles Christi debet certare et agonizare usque ad mortem iiixta dictum apostoli, qui militibus dicit, quod non in vauum gladium portant. Dei enim iusticie minister est, viudex in ira ei, qui male facit . . .

Quinto ad iustum bellum requiritur, quod sit iustum ex modo. Et primo ex modo recte intencionis, nara intencio mala licitum bellum facit illicitum . . . Recta autem intencia est, que pure honorem dei intendit, salutem proximi et commodum patrie. Sed cum talia potissime fiunt per legem dei, patet, quod intencio bellantis tota esse debet ex lege dei per legem dei et propter legem dei. Et milites huius condicionis sunt milites Christi, qui non eunt in prelia propter stipendia . . . Alii sunt milites Antichristi, qui . . . propter nudum stipendium concurrunt ad bellandum et sanguinem iustum et iniustum effundendum. Et tales, sive reges, sive milites, sive clientes fueriut, sunt servi diaboli . . .

Sexto iustum bellum rectificatur ex fine laudabili, propter quem solum pugnandum est, ut non propter honores, famam et divicias aut ambicionem amplectendam . . .

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Septimo bellum rectiíicatur ex iusto imperante, sicut iniustificatur ex iniusto contra veritatem intendente, ut si quis instauraret bellum in christianos contra aliquod punctum legi divine abolendum. nuUatenus est sibi parendum, sed modestia caritatis salva pocius resistendum . . .

Octavo ad iustum bellum requiritur defendere veritatem tenentes et promovere innocentes. NuUa enim mundi causa veritas debellauda est et innocencia opprimenda. Qui autem non defendit veritatem, proditor est veritatis . . . Sicut sacerdos debitor est, ut veritatem, quam a deo au divit, libere predicet, sic laycus debitor est, ut veritatem, quam audivit a sacerdotibus, probatam quidem in scripturis sauctis, defendat fiducia- liter, quod si non fecerit, prodit veritatem. Ideo satis consone dixit Ambrosius, quod populus aliquis suscitatur ad punienda peccata perver- sorum. Sicut enim ecclesiastici possunt papám iudicare et dampnare, si a fide erraverit, sic et populus fortassis possit quoad suos prefectos, qui fidem molirentur destruere christianam . . . Attendere eciam veri et iusti bellatores debent illum fortissimum Mathatbiam Machabeum . . .

Nouo ad iustum bellum )-equiritur, ut non sit ad iniustam destruc- cionem, sed ad defensionem patric et fratrum iustorum compatriotarum adversus exteros patriam destuere volentes . . .

II. Zuř Geschichte der chiliastischen Schwärmerei,

Ich habe (S. 22) zwei Stadien in der Entwickelung der chilia- stischen Schwärmerei unterschieden: erst erwartete man das Wunder der Vertilgung der Gottlosen ohne Kamjyf^ später wurde dagegen der Kampf gegen die Feinde der Wahrheit als Pflicht proklamirt. Unterstützt wird diese Annahme, \velche dem Chiliasmus eine wichtige Stelle in der Geschichte der hussitischen Bewegung anweist, durch polemische Schreiben des Jacohellus gegen Mag. Johannes Jicin^ aus denen ich einige Stellen mittheile. Auch in ihnen spiegelt sich die Stimmung, die in Prag nach Abschluss des Vertrags v. November 1419 herrschte.

A.

(Ms. Cap. 0. 13.)

Gracia et veritas per dominum Jesum Christum, care in Christo frater. Nolens omnino scripta et petita tua sub silencio pertransire, sed utcunque perstringens pro responso videtur mihi, quod illud Jeremie 51 : fugite de medio Babilonis, ut salvet unus quisque animam suam ; simi- liter et illud Isaie decimum nonum: in die illa erunt quiuque civitates in terra Egipti loquentes linguam Canaan etc. et alia dicta propbetarum

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similia . . . non intelliguntur ad literám de materiali Babilon et corpora- libus ac materialibus quinque civitatibus manu et arte homiuum ediíicatis, ut de civitate solis materiali . . . (Es folgen Citáte aus Origines und Augu- stinus) ... Ex quibus patet, quod Christi íideles ... in quacunque civi- tate . . . salvabuntur . . . Ergo sive in Praga, sive in Pieska, sive in Plzna iustus malo non consenciens contra evangelium, dum moritur, salvabitur . . . lustus nec in Praga nec alibi . . . debet timere dampnacionera ex hoc solo, quod in Praga manet vel alibi, sicut nec ex hoc solo speranda est Salus alicui, quod in Plzna vel in Pieska moratur, et patet, quod pro- phecia Isaie vel Jeremie ad sensum cariialem incertum, ut videtur, inde- bite applicatur, et in termino prefixio in carnisprivio, ut scribitur pro- phecia talium, sic implebitur vel non implebitur, patebit clarius veritas vel falsitas, ut eventus rei probabit. Fateor tarnen, ut concipio, si non fallor, quod multe erunt tribulaciones electis ad salutem, reprobis ad dampuacionem, nam apropinquant loco et tempore non a me vel ab homine, sed a deo coguitis et prefinitis. Ex istis ulterius timeo, ne nostri sacerdotes agiteutur spiritu erroris secundum altitudinem sathane ad pe- riculose scindondum et dementandum pauperculum et simplicem populum Christianům, unde sicut olim Jeremias prophetabat populo Israel quod transirent ad Babilouiam et ibi manereut annis 70, alii autem prophe- tabant falše quidem ex parte dei, quod deberent exire cicius filii Israel de Babilone, sic unus spiritus prophetat, quod rex Babilonis id est rex Uugarie veniet de cubili suo et de terra sua et destruet Babilouem id est Pragam, alius spiritus prophetavit et dixit, quod predictus rex nuUo- modo venit ad Boemiam sive ad Pragam. Cui ergo est credeudum? Re vera est populum dei reddere perplexum : bonům esset igitur evangelico sacerdoti evangelice vivere et sic populum docere et peccata in populo destruere, dimissis talibus propriis presumpcionibus. De hoc autem, quod communis populus arripit carnalia et secularia arma concitatus per sacer- dotes, ut scribitis, contra inimicos, ubi agitur periculum homicidii et effusionis sanguinis et odia generantur, per que exciditur a caritate ob- mittendo arma spiritualia Efes. 6 : contra quod audiamus apostoli securum consilium Rom. 12: karissimi, nou vosmet ipsos defendentes . . . Patet, quod via pugnandi in causa dei instar apostolorum et primitive eccle- sie est secura via, sed via aliter pugnandi non conformiter primitive ecclesie, sed longe difformiter, cum alio spiritu et aliis armis ... est periculosa. Sacerdotis ergo evangelíci est suadere pugnam in causa dei evangelicam secundum evangelicum et catholicum sensum cum armis spiri- tualibus instar primitive ecclesie Christi apostolorum. Concedo tamen, quod bella possunt licite íieri a sublimioribus potestatibus secularibus, ut dicitur Rom. 13, cui datus est gladius ad vindictam malorum. Caveat subditus populus, ne usurpet sibi illum gladium a sublimioribus potesta- tibus iuordiuate contra dominum non habendo certam et specialem reve- lacionem. Potestates autem sublimiores possunt licite bellare, sed peri- culum ibi magnum animarum currunt. Ideo secundum apoštolům multa licent, que non expediunt, et sacerdotes non oportet cousulere ad omnia, que licent íieri cum magnis periculis, sed debent suadere omnia, que ex- pediunt, ut prelia domini contra vicia cum armis spiritualibus agantur.

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Istis autem condicionibus adhibitis potestates sublimiores licite possunt bellare, primo quod sit causa dei, pro qua bellum committitur, 2^ iutencio recta, 3^ instinctus divinus ad sic bellaudum, quem olim David in causa dei bellando solebat habere, 4" quod tanta sit Caritas puguautis, quod velit parate cessare a preliaudo, adversario se volente reddere tamquam reum. Nullus tarnen frontose presumat, se habere iustinctum divinum ad taliter bellandum ex collisione alicuius spiritus erroris et simulate fan- tasie, occasione cuius moneat populum ad insurgendum contra personam aíiquam inordinate eius sanguinem effundendo. Et hec ad vestra scripta et quesita respondere sufficiat pro presenti, et si in istis aliquo modo essem devius, a quocunque volo corrigi et melius edoceri.

B.

(Ms. Cap. 0. 13.)

Gracia tibi et pax in mortuorum primogenito et principe regum terre, frater karissime. Quia in tua epištola mihi transmissa circa prin- cipium dicitur, quod in mea epištola, quam petitus et requisitus ad partes misi sacerdotibus, videntur multa poni contra dominum deum, prophetas eius atque dominum Jesum Christum cum apostolis ipsius, unde circa istud punctum ego magister Jacohus magistro Johanni Giczin respon- dendo protestor, quod non intendi nec iutendo per dei graciam aliquid dicere, predicare, per epistolas scribere vel consulere contra dominum deum . . .

Secundo subiungit Giczin contra me, sie: Et primum posuisti, ut videtur, solummodo spirituálem Babilonem, animam, que confuuditur, que turbatur, que pace deserta bella sustinet etc. Et contra hoc subdit sua verba dicens : Non solum anima peccatrix dicitur esse spiritualis Babilon, sed eciam preláti moderni viventes secundum hunc mimdum a maximo papa usque ad minimum sacerdotem adversantem veritatibus legis dei dicendum esse Babilon misticatur. Et a maximo rege malo sectante hoc seculum usque ad minimum laicum infidelem dicuntur Babilon. (Pro re- sponsione ad istas obiecciones est notandum : ... Alle Getreuen [omnes fideles] sind ein Körper, ein Geist, eine Braut Christi, ein geistiges Je- rusalem, alle Bösen ein Babylon, ut sunt preláti, papa, episcopi, simo- maci, totusque clerus cupiditatis lepra contaminatus et omnes magni reges, principes, potentes, divites huius seculi capti amore Babilonis et seculi. Aber es ist dies ein mystisches, unsichtbares, immaterielles Babylon.)

Sequuntur verba Giczin: Et non tantum, inquit, illi preláti prefati, sed omnia edificia sumptuosa, alta, ampla, superba dicuntur esse babilo- nica. Et vestes preciose, süperbe, superflue, pompatice, coccinee, inaurate dicuntur esse babilonice . . . (Es folgt eine Entgegnung.)

Post hec magister Johannes dicit, quod omnia iam dicta sunt simul casura tempore ulcionis. Ideo dicit Joh. in Apokal. 18: cecidit, cecidit Babilon magna etc. Et ideo ne participes sint Christi fideles delictorum eius et de plagis eorum ne accipiant, mandat dominus exire eisdem in diebus ulcionis . . . (Aber auch diese Flucht ist mystisch zu fassen. Multi

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iusti in medio maloruin habitantes salvantur, dum tarnen ex mistica et spirituali exeunt Babilone.)

. . . Non . . . oportet, si Christus fugit in Egiptum cum Joseph et matre, quod ergo nunc fideles debeant in illam Egiptum desceudere, morale tarnen fateor fidelibus fragilibus esse exemplum relinquendum sic scilicet, quod immiuente persecucione maxima et tribulacione, ne fran- gantur a fide et bono proposito, adlierencia quoque veritatis, possunt cedere ad locum. ubi non est tauta tribulacio. Nonne vero aliqui ad con- silium aliorum de Fraga exientes sine persecucionihus invadimt in trihiilaciones et persecuciones et pericida corporum et animarum? Adliuc siquidem electi dei in Prag a tantam novissímam trihidacionem non paciuntur, et futura non scitur pro certo. Et tarnen vos scripsistis ad Pragam ad sexiim femineiím, ut cito exeant de Praga, cum alibi occurrunt et peccatores sicut in Praga. Insuper, ut mihi scriptum est^ nominastis certum tempus carnisprivii inter tempus Scolastice et Va- lentini, puto quod tempore illo plaga horribilissima super malos debuisset venire. Quare autem illa omnia in scripto vestro non notatis ad plenům inteucionem vestram exprimendo, ut eo melius possemus vos funditus con- cipere? Quis, rogo, potest cognoscere, qui sunt predestinati et qui pre- sciti, ut relinquendo omneš prescitos exiret ad solos predestinatos ? , . .

. . . De hoc autem, quod populus ex vestris predicacionibus, ut dicitur, et periculosis scripture interpretacionibus arripit arma bellica carnalia et relinquit consuetum laborem manuum suarum et ociose vivit de substancia et rapina aliorum jyroximorum, et occidunt, effun- dunt quoque sanguinem: hec enim magna inconveniencia multi contra vos clamant, qui sunt fide digni, cum, ut spero, sunt amorem dei pre oculis habentes, vocitantes vos sacerdotes sanguineos, a quibus, dicunt, nemo fidelium deberet sacramenta divina percipere. Nonne prius predi- castis contra occisionem, et quomodo iam res sit versa in oppositam qualitatem ! Et puto, quod hec non latent vos, quam multi simplices fideles et pusilli scandalizantur. Cur ergo hec sciendo dici de vobis tacetis ? Cur te non excusas, si reus non es? Cur non tollis scandala? Cur non scribis ad magistros et scabinos Pragenses pro tui expurgacione ? Si autem es in aliquo reus, non queras excusaciones in peccatis, sed humiliter con- fiteri debes rei veritatem, in quo es reus, et in quo non, alias tacondo, que tibi asscribuntur, videaris approbare . . . Yerum tamen simplicem po- pulum in articulo necessitatis congregarí in bono salutis et in Christo Jesu non audeo reprobare.

III. Zur taboritischen Abendmalslehre.

Die taboritische Abendinalslehre wird gewöhnlich unrichtig oder wenigstens unvollständig dargestellt. Wenn man sagt, die Taboriten hätten die Transsubstantiation abgelehnt, so wird dadurch ihre Lehre nur von der negativen Seite charakterisirt. Ihren positiven Inhalt gewin-

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nen wir aus Traktaten, von denen uns leider die meisten nur dadurch bekannt sind, dass der Hauptgegner dei* Taboriten, Mag. Johannes Pribram, aus ihnen Artikel zu polemischen Zwecken ausgezogen hat. (Ms. Cap. D. 49.) Diese Traktate hat auch Peter Chelčický gekannt, als er gegen die Abendmalslehre der Taboriten auftrat.

Ein Traktat des Nicolaus von Filgram begann mit den Worten: ad magnificationem . . . derselbe, gegen den Přibram in der grossen Disputation auf Konopišť im Jahre 1423 auftrat. Nur der böhmische Text dieses Traktats hat sich in einer Handschrift der Görlitzer Stadt- Bibliothek erhalten und dient zur Controle der von Přibram dem lateinischen Texte entnommenen Artikel, von denen ich einige folgen lasse (A.). Eine Reihe von anderen Artikeln hat Pribram einem anderen Trak- tate desTaboritenbischofs entnommen, der mit den Worten begann: ütrum secundum legem evangelicam fideles uecessitantur Christum in sacra- mento eukaristie adoracione latrie adorare. Unter B. ist ein Theil derselben abgedruckt ; ' j einen dritten endlich hat er zur Belehrung des Peter Chelčický geschrieben. (C. Vgl. Höfler Ss. H, 822—823.)

Als die taboritische Hauptschrift bezeichnen sowol Chelčický als Přibram den Traktat des Johannes von Saaz des Deutschen, dessen Anfangsworte lauteten: cum spiritus veritatis odiens omne menda- cium . . . (Articuli Johannis de Zacz Teutonici, Höfler Ss. H, 824 827.) Ausserdem kennt Chelčický noch einen taboritischen Traktat von den vier Daseinsformen Christi (o čtyřech bytech), dessen böhmi- scher Text enthalten ist in Ms. Cap. D. 82. Aus diesen Schriften kann man die Abendmalslehre der Taboriten besser erkennen als aus den mit den Magistern vereinbarten ii'enischen Formeln, in denen der wahre Sinn verdeckt und verschleiert wird.

A.

Utrum Christus post suam in celum ascensionem sit alicubi hic in terris substancialiter, corporaliter et essencialiter in illo corpore et in illa magnitudine, in quo et in qua resurrexit a mortuis et videntibus eius apostolis celum ascendit. reprobat et uegat ... sie dicens : Quilibet credere debet, quod Christus hie in terris est cum sanctis et in sanctis spiritualiter per fidem, per spiritum sanctum, per caritatem, graciam, virtutem et veritatem . . . Non tamen possiint probare nee ille scripture hoc pretendunt. quod ex illis fideles credere debeant, quod Christus post suam in celum ascensionem sit hic alicubi in terris substancialiter, cor- poraliter, essencialiter et personaliter . . .

Ähnliche Ansichten, wie in denselben, finden wir auch bei Wiclif. Vgl. Lechler S. 626.

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Ideo videre debent Christiani et diligenter advertere alias scripturas, (]ue evidenter ostendunt Christum post suam ascensionem substancialiter, corporaliter, essencialiter et personaliter esse in celo et inde de celo non descendere usque ad diem indicii, sicut hoc nobis manifeste osten- dunt iste divine scripture infra citande. (Es folgt eine lange Reihe von Citaten.)

Christus suo corpore naturali et glorificato, quo ascendit in celum, est in uno certo loco corporaliter et personaliter, et non est pro eodem iustanti personaliter ubique aut in locis pluribus localiter a se distantibus, dicente angelo : surrexit, non est hic !

B.

In sacramento virtute verborum Christi panis non desinit esse panis sicut uec Johannes virtute verborum Christi desiit esse Johannes, licet per Christum dictus est Hellas.

Remissiores ydolatrie fuerunt, qui quondam adoraverunt talpas et vespertiliones et scrpentes, quam pontifices Romani illum panem ut deum adorantes.

Panis sacramentalis in sua natura, cum sit res inanimata, minoris ^ est condicionis quam talpe etc. animata.

Quanto panis sacramentalis aliis quibuscunque rebus est natura sua inferior, tanto peccatum sie adorancium est sceleracius et summe iusticie displicencius.

Pauciorem multitudinem sacerdotes Baal quam predicti ad ydolat- randum seduxerunt. Et utinam septingenti viri in totali secta Romaue ecclesie inveniantur, qui non sunt illa ydolatria maculati. (Ecce blasphemat totam ecclesiam Romanám!)

Ve sacerdotibus illam perfidiam ecclesie Romane sequentibus, si spiritus domini haue ydolatriam populo notificabit . . .

Quantum patres legis veteris cavebant colere ymagines tamquam deum, tantum debet christianus cavere, ne colat illum panem sacramen- talem tamquam ydemptice corpus Christi.

Sicut ille ymagines non poterant se vel suos cultores iuvare, sie nec dictus panis potest.

In quolibet electo multo realius est Christus quam in eukaristie sacramento.

Dens, qui est maior corpore Christi, est multo realius in quacunque re mundi, quia essencialiter et substancialiter, quam Christi corpus in sacramento.

NuUa creatura ex dei mandato debet erigi, ut in ea deus adoretur.

Nullibi lex evangelica precipit Christum in sacramento latria adorare, nec apostoli alicubi ipsum sacramentum ad hoc, ut in eo Christus ado- retur, erexerunt, aut ad faciendum hoc aliquid in scripturis relinquerunt, nec ecclesia primitiva hoc docuit aut observavit.

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Adhuc hodie ecclesia greca sacramentum ad adorandum non expo- nit, nec sacramentum summunt flectentes.

Multi uimis male et ad suam dampnaciouem conbusserunt homines nolentes hoc sacramentum aut Christum in eodem latria adorare. (Hoc ille. Hic želat pro sociis suis hereticis coubustis).

Ista sentencia de non adoracione Christi in sacramento non est reti- ' čenda coram laicis, ne stulta pietate infideliter in ydolatriam precipiteutur.

Pro quanto quilibet tenetur Christum diligere, pro tanto tenetur pro destruccione adoracionis Christi in sacramento usque ad mortem laborare.

Inter omneš hereses nuUa est sic callide per diabolum et in maius vivencium dampnum in ecclesiam introducta quam heresis de sacramento scilicet erigendo et adorando.

Ista veritas evangelica de non adoracione Christi in sacramento potest ad tempus in plateis corruere et per iniurias Antichristi modicum reticeri, sed exstiugui non potest . . .

C.

Articuli eiusdem episcopi de tractafu siio, quem scripsit Petro in

Chelczicz in vulgari.

Circa sacramentum eukaristie multi currebant et currunt errores usque in diem hodiernum, de quibus apostolus : „necesse est hereses esse."

Doctores loquentes de sacramento eukaristie non concordant, sed diversimode locuntur ab apostolis, ymo sibi ipsis contradicunt, nec suos sermones intelliguut. Et quomodo in eis potest se quis fundare? Nam sunt sicut domus debilis indigens reformacione.

lUa verba Christi : „hoc est corpus meum" quatuor modis a di- versis iutelliguntur. Primi dicunt, quod Christus ita panem dicit esse corpus suum, quod nihil de pane materiali remaneat, sed totus transit in corpus Christi : et hii dicunt, quod accidencia stant sine substanciis. Et ita tenuit et tenet ecclesia Romana et clerus eins cantans : „non est panis, sed est deüs." Et ita panem illum ut deum adorant.

Alii specialiter negant verba Christi, nuUatenus volentes concedere, quod panis ille sit corpus Christi, sed quod in hoc pane est corpus Christi verum, naturale, corporaliter et cum membris suis, prout sedet ad dexteram patris. Propter quod cauunt: „ibi sunt res mystice, corpus, sanguis cum ossibus, venis et cum crinibus." Et hii adorant Christum in sacramento adoracione latrie.

Alii dicunt non negando verba Christi sicut secundi, uec sicut primi dicunt, quod desinat panis, sed tenent sicut secundi, quod in illo pane est verum corpus Christi, ibidem adorandum cultu latrie.

Et isti omnes tres sensus reprobandi sunt et reprobantur, quia non recte senciunt putantes se devorare integrum corpus Christi, sicut cetus integrum et vivum Jonam. Et ab hiis tota inordinacio adoracionis illius

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vel coram illo sacramento processit. Nou peusautes scripturas, qiiod Christus illo vero corpore recessit a nobis ad celuni et nou est alicubi super terram uec erit ad diem iudicii.

lsti eciara omues uou bene considcraut, quod Cliristus nou dixit ,boc" adverbialiter, id est „iu hoc', hoc est: in pane isto; uec dixit: ibidem est Christus, sed dixit „hoc" id est: panis est corpus meum. Et illi doctores male cousiderautes immiscuerunt nobis illos seusus : hoc est corpus Christi, ibidem est corpus Christi vel sub hoc est corpus Christi.

Sunt igitur alii quarti proprius cousiderautes illa verba Christi, con- cedeutes et tenentes, quod Christus illum panem nominat corpus suum, sed nou in sensu primorum.

Et isti dicunt, quod in eodem sensu Christus dicit illum panem esse corpus suum, in quo sensu scriptura vocat petram Christum et Jo- haunem Heliam, hoc est, quod ille panis significat corpus Christi et est corpus Christi in figura, uec propter hoc ille panis desiuit esse panis, sicut uec Johannes desiit esse Johannes propter verba Christi vel hoc, quod prius fuit.

Et isti conceduut, quod in illo pane est corpus Christi aliquo modo sed non illud naturale, quomodo conceduut secundi et tercii, quoniam néc est nec erit ad diem iudicii super terram.

Et isto modo discipuii erraveruut, credentes, quod daret eis corpus suum illud naturale ad manducandum, quibus dixit : non est sie, alioquiu quid manducaretis, cum videritis filium hominis ascendentem in celum, ubi fuit prius ; spiritus est qui vivificat, caro non prodest quidquam.

Et ad hunc sensum loquitur Ambrosius dicens, Christum dedisse nobis carnem, non illam animalem seu corporalem, sed spirituálem, quod est benediccio, sanctificacio, misericordia, veritas, iusticia, pax in hac vita in sacramento et sine vita corporali Christi, sicut radius solis est hic sine corpore solis.

IV. Die Schriften des Peter Chelčický.

Nur bei einigen Schriften Chelcicky's ist es möglich Vermuthun- gen über die Zeit ihrer Abfassung auszusprechen. Es sind dies die Replik gegen Biskupec, die Postille, das Netz des Glaubens, die Re- plik gegen Rokycana, eben seine Hauptschriften. Wahrscheinlich sind sie auch in dieser Reihenfolge entstanden. An zwei von ihnen, die Postille und die Replik gegen Rokycana, lehnen sich Gruppen von Traktaten an, die ihrem Inhalte nach mit ihnen im inneren Zusammen- hange stehen, indem in ihnen dieselben oder ähnliche Themata be- handelt werden und verwandte Gedankenreihen einen auch in der Form verwandten Ausdruck finden. Sie sind w^ol auch bald nach jenen niedergeschrieben worden.

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Zwei von Chelčickýs Hauptwerken sind im 16. Jahrhunderte ge- druckt worden, die Postille und das Netz des Glaubens; die übrigen Schriften haben sich in Handschriften erhalten.

1. Chelčickýs Replik gegen Nikolaus von Pilgram. Dieselbe setzt ein verlorenes Schreiben Chelčickýs voraus, auf das eine Antwort des Nikolaus folgte. Von dieser kennen wir nur die von Příbram formu- lirten Artikel. Die Replik ist verfasst drei Jahre nach Peters erster Begegnung mit Biskupec. Bei dieser kannte Chelčický die taboritische Abendmalslehre nur vom Hörensagen (vgl. o. S. 16); er wusste von ihr nichts mehr als davon, „was jetzt der Papst in Rom thue." Das ist auch der Hauptgrund, warum ich mit F. Schulz den Verkehr Chelčickýs mit Biskupec in den Anfang der zwanziger Jahre versetze. -) Später nach Jireček in den Jahren 1443 1445 hätte er gleich bei der ersten Begegnung von der Lehre der Taboriten unterrichtet sein müssen. Es lässt sich aber der ganze Verlauf dieses Verkehrs von der ersten Besprechung bis zum Bruche mit den Tabo- ritenbischofe nicht im einzelnen verfolgen, wie Ferd. Schulz es ver- suchte. Auch ist seine Darstellung der Ansichten Peters und des Biskupec unrichtig und dadurch wird fast alles, was er über den Verkehr beider Männer zu erzählen weiss, unhaltbar.

2. Mit den Taboriten setzt sich Chelčický auseinander auch in dem Traktat „von dem dreifachen Volke" (o trojím lidu) (vgl. o. S. 36.), in dem die Ansicht von den drei Bestandtheilen der streitenden Kirche bekämpft wird. Auch dieser Traktat ist ein Bruchstück einer polemischen .Correspondeuz mit einem Taboritenpriester. Chelčický sagt an einer Stelle desselben: „Seit Anfang des Krieges habe ich die Schriften der Priester der Taboriten und der Prager Magister fieissig geprüft und alles erwogen, was sie in ihnen über die Berech- tigung der Macht gesagt haben und noch sagen."

3. Postille. (Kniha výkladuov na čtenie nedělní. Buch der Erklärungen der Sonntagsevangelien.) Druck v. J. 1522. Wenn Chel- čický beim zweiten Adventsonntag des „gi*ausamen Krieges" gedenkt, der, durch die Magister verschuldet, 15 Jahre lang gewährt hat, so

Die wichtigsten sind : die Olmützer Handschrift (Replik gegen Nikolaus von Pilgram, die Schriften N. 4 6, 14—17); die Pariser Handschrift (Replik ge- gen Rokycana und das Schreiben an den Priester Nikolaus; das letztere auch in Br. A. I.); Ms. Cap. D 82, von der die erste Nachricht sich in meinem Aufsatze in Č. Č. Mus. 1881 findet. ÍN. 2 N. 8—12.)

^) Als Příbram am Ende desselben Jahrzehentes seine polemischen Traktate gegen Peter Payne und die Taboriten schrieb, kannte er bereits die von Nikolaus für Chelčický verfasste Schrift.

5

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lässt sich bestimmt erkennen, dass die Postille nach 1434 verfasst ist. Ob bereits vor 1436, wie Jirecek und Schulz aus einer anderen Stelle schliessen, muss dahingestellt bleiben.

An die Postille lehnen sich an (vgl. o. S. 30 31) die Traktate:

4. vo7n alten Menschen (o. S. 29).

5. von den Arbeitern des Weinherges,

(). Erldänmg der Passion Christi nach dem Evangelium Joh.

7. Als Chelčický mit der Postille beschäftigt war, schwebte ihm bereits auch sein drittes Hauptwerk in den Gedanken vor, das Netz des Glauhens (Sit víry. Druck v. Jahre 1521). In jener sagt nämlich Chelčický „aus der Erzählung des Evangeliums vom wunderbaren Fischlange liesse sich manche nützliche Lehre schöpfen, wenn er der Verfasser der Postille nur die nöthigen Kenntnisse und das erforderliche Geschick besässe, um alles aufzuschreiben." Dass Chel- čický das Netz des Glaubens bald nach der Postille, in der königs- losen Zeit, die nach Albrechts Tode folgte, und zwar zu Anfang der vierziger Jahre M verfasst hat, und nicht, wie Šafařík, J. Jirecek und ' F. Schulz annehmen, in den Jahren 1455 1456, habe ich in Č. Č. M. 1881. nachgewiesen.

8 12. An den im Netze des Glaubens angeschlagenen Ton erinnern vier unter einander zusammenhängende kürzere Traktate, in denen die Verleitung des Antichrists und der Abfall vom Christentum mit Anknüpfung an Stellen aus den Episteln des Apostels Johan- nes geschildert werden. Der erste Traktat hat keinen bestimmten Titel, die übrigen handeln insbesonders von der brüderlichen Liebe und der Verdammung im Herzen (1 Joh. 3.); von der Prüfung und Unterscheidung der Geister (1 Joh. 4.); von den Merkmalen des Antichrists. In die königslose Zeit fällt auch, wie es scheint, der Traktat von den Sakramenten. Chelčický sagt an einer Stelle, in der Ehe sei die Monogamie ebenso nothwendig, wie im Staate die Mon- archie. ;;Und wenn im Lande diese Ordnung fehlt, tvie es ja jetzt der Fall ist, so wird der Arme herrschen wollen über den Ange- seheneu, wer etwas hatte, wird nichts haben, wer nicht arbeitet, wird geniessen." In diesen Traktaten finden sich auch polemische Ausfälle gegen die Magister und so bilden dieselben zugleich den Übergang zu

Dies nimmt auch Palacký an, doch ohne Angabe von Gründen. Derselbe hält dafür, alle Schriften Chelčickýs seien innerhalb eines Jahrzehentes (1433 1443) entstanden.

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13. Chelčickýs Replik gegen Rokycana (vgl. o. S. 21). Dieselbe setzt einen schriftlichen Verkehr beider mit einander voraus, dessen Ausgangspunkt wir, wenn ich nicht irre, besitzen. Der zweite Band des Brüderarchivs enthält nämlich ein Schreiben, das also anfängt: Wir hatten eine Unterredung mit einander, warum die Menschen, so Priester heissen, dem Volke mit ihrer Lehre keinen Nutzen bringen. " Es sind dessen viele Ursachen . . . Ihnen fehlt der wahre Beruf, da sie weder Christus gesandt, noch die Kirche gewählt hat ; sie haben ihr Amt durch Simonie von Simonisten erkauft; ihre Lehre ist falsch, ihr Wandel schlecht. Sie machen die Menschen zu Christen mittels des Wassers, aber nicht durch das Wort Gottes. Der wahre Christ sollte sie meiden. Die Schrift droht mit Strafen denjenigen, die aus Furcht es nicht wagen, die Wahrheit zu bekennen, die die Menschen mehr fürchten, als Gott. „Du aber, mein Bruder, fürchte Gott mehr, als die Menschen. Denn wer Gott fürchtet, wird niemand anderen fürchten, wie die Schrift sagt, wer aber Gott nicht fürchtet, wird die Menschen fürchten". Im Brüder- archiv folgt zum Schluss die Bemerkung „Johann Rokycan an Peter von Chelčic", die aber, wie ich vermutlie, irrig ist. Haben wir es nicht vielmehr mit einem Schreiben Peters an Rokycana zu thun? Wie wäre dieser dazu gekommen, einen Chelčický vor Gemeinschaft mit schlechten Priestern zu warnen V Ob Rokycana auf dieses Schreiben jene Antwort gegeben hat, der unmittelbar die Replik folgte, möchte ich nicht bestimmt behaupten. Doch ist das Schreiben des Brüdei*- archivs derart, dass es als erstes Glied jenen Schriftwechsel hervor- rufen konnte, der in der Replik gipfelt.

Wann dieselbe verfasst worden ist, ^eht aus ihr selbst nicht hervor. Nur beiläufig lässt sich eine Vermuthung aufstellen, wenn wir die Replik in Zusammenhang mit einer Gruppe von Schriften bringen, in denen, wie in ihr, ein polemischer Ton gegen die Kirche und zu- gleich gegen die Utraquisten angeschlagen wird. Es sind dies

14 - 17. vier in der Olmützer Handschrift enthaltene Traktate, die durch Inhalt und Form der Replik nahe kommen. Über ihre Reihenfolge und den Zusammenhang, der unter ihnen besteht, s. das Nähere in Č. Č. M. 1881. Auch diese Traktate schildern den anti- christUchen Verfall und zwar ist der erste derselben wahrscheinlich nichts anderes, als eine kurze Einleitung zu den übrigen, so dass sein Titel ^^Vom Thier e und dessen Bildnis" auch auf die ganze (n-uppe bezogen werden kann: dann folgt der S. 17 berührte Traktat vom Leihe Christi, der die bei diesem Sakramente drohenden Gefahren des Heils behandelt und in seinem zweiten Theile auf die unter dem

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Scheine der göttlichen Gesetze heinitückisch verborgenen Fallstricke des Antichrists übergeht, so dass wir diesen zweiten Theil als einen besonderen Traktat vom Antichrist unterscheiden können. Der vierte Traktat endlich schliesst sich an den vorigen mit den Worten an: „ich habe bereits einiges gesagt von den Widerwärtigkeiten des Antichrists." Sein besonderes Thema besagt der Titel, der lautet: „von der Grundlage der menschlichen Gesetze". Gerade dieser letzte Traktat der ganzen Gruppe deckt sich an sehr vielen Stellen mit der Replik gegen Rokycana, an die auch Chelčický deutlich anspielt, wenn er sagt: „Dies alles wird hier dargelegt, auf dass es deutlich werde, mit welchen Gründen die Magister und die ganze Rotte des Antichrists das Fegefeuer zu beweisen suchen. Was dagegen gesagt werden muss, habe ich den Magistern geschrieben^ sie haben es aber nicht ange- nommen..." Es ist demnach die Replik älter als der Traktat von der Grundlage der menschlichen Gesetze und wol auch als die ganze Gruppe, zu der derselbe gehört. In dieser findet sich nun wenigstens eine Stelle, welche die Zeit der Abfassung errathen lässt und zwar in dem Traktat vom Antichrist, wo Chelčický der Vorgänge gedenkt, welche sich in Böhmen vor 40 Jahren abgespielt haben, als nach Verkündigung des päpstlichen Ablasses die Menschen, um denselben zu gewinnen, in die Kirchen strömten, dabei aber Geld und Seelen verloren. AVenn damit Chelčický, wie ich annehme,^) die von Johannes XXIII. (am 2. Dezember 1411) erlassene und im J. 1412 in Böhmen verkündete Ablassbulle und ihre Folgen meint, so fällt die Abfassung der besprochenen Traktatengruppe in den Anfang der fünfziger Jahre. Kehren wir nun zu der Replik zurück, so wii*d durch das Resultat dieser Untersuchung J. Jirečeks Annahme bestätigt, der Verkehr Chelčickýs mit Rokycana habe vor der Rückkehr des letzteren nach Prag (1448) seinen Anfang genommen. Ich vermuthe ferner, dass die Replik nach Rokycanas Rückkehr entstand, als nämlich dem erwählten Erzbischofe wieder die Oberleitung des gesammten utra- quistischen Klerus zufiel, denn Chelčický wendet sich an ihn, als an denjenigen, „der viel in sich trägt und von dem grosse Dinge end- giltig besiegelt werden sollen."

In der Olmützer Handschrift kommt dieser Theil zweimal vor, einmal ver- bunden mit denjenig-en Kapiteln, die vom Leibe Christi handeln, das anderemal unmittelbar hinter dem kurzen einleitenden Traktat.

J. Jirecek und F. Schulz erblicken darin eine Anspielung auf die Wal- fahrten, die im J. 1405 entstanden und die Johannes Hus in dem Traktate „de sanguine Christi" bespricht.

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18 19. Auch in zwei Schreiben Chelčickýs kehren dleselbeu Gedanken zurück, denen wir in der Replik gegen Rokycana ') und in den Traktaten der Ohnützer Handschrift begegnen. Das erste richtet an die Priester Nikolaus und Martin (Br. A. II.) die Er- mahnung, den moralischen Zustand ihrer Gemeinden zu prüfen, um zu erkennen, ob ihre Wirksamkeit rechter Art sei. Die beiden Priester waren offenbar mit Chelčický bekannt und er hatte von ihnen eine gute Meinung; aber was er auch sonst vermisste, das fehlte in ihren Gemeinden ebenfalls, nämlich eine geregelte Kirchenzucht. Von den Ermahnten hat der eine, Nikolaus, an Peters Worten Gefallen ge- funden, um weitere Belehrung gebeten und so das zweite Schreiben (vgl. 0. S. 6.) empfangen. Dasselbe erklärt, worin die wahre Busse bestehe und bekämpft die kirchliche Lehre vom Fegefeuer.

20. Ähnliche Gedanken wie in der Replik und der nach der- selben angeführten Schriften, kommen auch in einem anderen kurzen Traktat vor, eine Erklärung des ersten Kap. des Ev. Joh. (Ms. Un.).

21. Von Chelčickýs Schrift „von den böhmischen Rotten" d. h. Religionsparteien hat Br. Jafet in „die Stimme des Wächters" ein Bruchstück aufgenommen.

V. Auszüge aus einigen Schriften des Peter Chelčický.

A.

Replik gegen Nikolaus von Pilgram.

Mein Gruss und meine Bitte haben bei dir eine schlechtere Auf- nahme gefunden, als wenn ich offen gescholten hätte : deswegen mag es unterbleiben .... Wenn mein Gruss dir so viel galt, wie der Gruss des Judas und des Joab und meine Bitte, das, was ich geschrieben, ruhig anzuhören, wie die Bitte des Henkers: so fühle ich in meinem Gewissen, dass ich jenen nicht gleich bin . . . Der Henker nimmt Geld und köpft oder henkt, er bittet den Menschen um Verzeihung: ich aber habe kein Geld empfangen . . . und wetze kein Schwert, auch drohe ich dir nicht mit anderen Menschen, sondern habe deswegen mein Schreiben verfasst, weil andere drohen . . .

Kap. 2. Wenn du ferner sagst, eher hättest du dich des Todes versehen, als dessen, dass ich mit anderen von uns (já s jinými z nás) so listig jene Schriften dir entlockt hätte: so wisse, dass diese List in meinem Herzen nicht zu finden war . . . Erinnere dich, dass ich es nicht gewesen bin, von dem unsere Freundschaft ihren Anfang genommen,

') und auch in dem angeblichen Schreiben Rokycanas an Chelčický.

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sondern, dass du es gewesen bist. Und ich weiss noch heute nicht, warum du es getlian, ich glaube, drei Jahre sind seitdem verflossen. Damals bist du mit dem Priester Lukas in Vodnan gewesen und da liabt ihi- um mich geschickt. Und als ihr da auf dem Teichdamme sasset, da fragtet ihr, was die Leute von euerer Abendmalslehre sprächen, ich antwortete, die einen sagten, sie wäre gut, die anderen schlecht. Du aber meintest, nie wärest du gegen die- rechte Lehre aufgetreten, sondern hättest nur getrachtet, von dem Sakramente dasjenige fernzuhalten, was die Menschen fälschlich hinzugefügt. Darüber wurde manches gesagt, und was du sagtest, gefiel mir. Später nach lamjer Zeit hast dit abermals zu mir (jesandt, ich möchte zu euch kommen. Und wieder hast du in ähnlicher Weise viel geredet: du weisst, bei wem und mit wem. Was ihr geredet, hat mir gefallen ; und ich hat., ihr möchtet es aufschreiben, jedoch nicht in der Absicht, um es gegen dich zu wenden . . . Ich habe mich daran nicht gestossen, bevor ich nicht noch andere deine Schriften erhalten . . . Und diese habe ich nicht von dir gefordert, sondern eine gabst du uns, als du zu uns kamst, von freien Stücken, und andere, von deiner Hand geschrieben, gaben mir andere, die gleichsam deine Hausgenossen sind . . . Als ich aber in diesen Schriften anderes las, als du früher bekannt hattest, da glaubte ich ein Recht zu besitzen, es zu sagen . . .

Kap. 9. Brüder Priester! seit langer Zeit (z dávna) hielt ich Freund- schaft mit euch und stimmte mit euch überein in vielen Stücken unseres Glaubens, aber keineswegs in dem Glauben vom Sakramente des Altars . . . Und auch jetzt möchte ich mich mit euch gerne besprechen, von Ange- sicht zu Angesicht, wie es Christen geziemt, aber ich sehe, dass es nicht sein kann . . . Weil ich die alte Freundschaft nicht zerstören will wenn sie fernerhin wird bleiben können! und da ich sehe, dass ihr durch das Zeugnis anderer nicht gerichtet werden wollt obgleich mir seit langer Zeit über euch das Zeugnis vieler euerer Parteigenossen aus Prag, aus Tabor und von audersher zukommt so bitte ich euch, nehmet ge- duldig von mir auf euere eigenen Worte, die Schriften euerer Hand und desjenigen, dem ihr das Zeugnis ausgestellt, er sei der erste, der er- leuchteteste unter euch gewesen an Verstand und Wandel und der Urheber eueres Streites, dessen Schrift also anfängt: ^Da der Geist der Wahrheit gewaltig der Lüge widerstreitet" (Johannes von Saaz).

Kap. 13. . . Ihr sagt: es sei eine schwere Gotteslästerung, wenn einige das Sakrament lästern und geringachten, indem sie sagen, es sei kein Unterschied zwischen dem sakramentalen und dem gewöhnlichen, materiellen Brote und Weine. Dazu sage ich: Brüder Priester! wenn es ein« Sünde ist . . ., so muss euch vor allen anderen Angst erfassen. Denn in diesen Tagen sind früher in Böhmen diese Lästerungen nie gehört worden, bevor ihr nicht „das Zeichen", „den Götzendienst" unter das Volk gebracht. Seitdem bis heute führen viele die Worte im Munde: „Schmetterling, Schlacke, Abgott". Und diese Lästerer haben sich von dem todten Zeichen, dem Abgott, abgewendet und einer abscheulichen, zügel- losen Unzucht zugewendet; noch heute wissen wir davon und kennen

0 Vgl. Palacký IV, 1 S. 471.

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sie . . . Und sie loben euch vor uns, ihr wäret noch die standhaften Priester, die gegen den päpstliclien Abgott predigen, nur dass ihr es wol nicht frei thun dürfet, der Teufelsknechte und Götzendiener wegen ; dürftet ihr, so würdet ihr den Getreuen zeigen, wo die Verführung stehe an heiligere Stätte . . .

Kap. 14. ... Ich will noch mehr von den Lästerungen sagen . . . denn für eine Lästerung halte ich es, wenn ihr sagt: Da das sakramen- tale Brot als eine leblose Sache weniger gilt als andere Objekte, welche lebendig sind, darum ist um so grösser die Sünde derjenigen, die dem sakramentalen Brote die Gott gebührende Ehre geben, je niedriger das- selbe seiner Natur nach steht, als der Maulwurf, die Fledermaus, die Schlange. . . . Ihr klügelt das heraus durch die Kunst der Logik . . . und so könntet ihr auch den Teufel höher schätzen, denn er ist ein vernünftiges Wesen, ja viel vernünftiger als der Mensch .... Auch hat einer von euch, euer Genosse, bei euch in der Kirche vor dem Volke gesagt: „Eher möchte ich vor dem Teufel niederknien, als vor diesem Sakrament!" ... Ihr habt dies unter das Volk gebracht..., jenes Volk, gottlos und voll von Mord und Raub. Und nachdem solche genug ge- mordet und genug das Sakrament gelästert, haben sie sich in abscheu- licher Wollust in Wälder und andere Schlupfwinkel geflüchtet; und einige sind auf der Insel -) und an anderen Orten hingeschlachtet worden. Andere lästern noch, das Sakrament die Fledermaus, den Schmetterling, den Abgott scheltend, einige aber haben das Essen des Leibes Christi in Vnmcht vertvandelt und nehmen das Weissbrot als Zeichen. Wenn sie von der Unzucht reden wollen, so sprechen sie nur von dem Weiss- brot und so verstehen sie einander...

Kap. 21. . . . (Martinek, der Prof et der Taboriten [prorok Táborsk>^] und Sigismund von Kepan erklärten die Worte Christi in Ev. Joh. IV. also): „Wenn ihr den Leib des Menschensohnes nicht gemessen werdet" d. h. wenn ihr seine Werke nicht thun werdet, die der Menschensohn im Leibe gethan ; „wenn ihr sein Blut nicht trinken werdet" d. h. wenn ihr die Kraft und die Ursachen seiner Werke nicht erkennen werdet, die gethan worden sind, damit wir nachfolgen, und so wie der Sohn mit dem Vater eins ist, mit dem Vater und dem Sohne eins werden. Weiter spriclit Martinek viel von den guten Werken und sagt, das Abendmal des Herrn sei gegründet auf Liebe, von der der Herr gesprochen und die er in sichtbaren Werken gezeigt hat, zur Nachahmung, damit sie einander die Füsse waschen. Und nach diesem Beispiele haben sich die ersten Heiligen gerichtet: wenn ein Wanderer oder Prediger zu ihnen kam, so haben sie aus Liebe zu ihm seine Füsse gewaschen. Und noch viel mehr sagt er von Liebe und von Werken, auf ihnen das Abendmal des Herrn be- gründend. Und nachdem er viel auf der Liebe und den Werken herum- geritten (povrtev se), sagt er: Die Apostel haben bei dem Male des Herrn die Art beobachtet, die sie in der Wüste bei ihm gesehen, wo er zweimal das Volk gespeist ... So haben auch sie das Volk sich setzen

0 Vgl. o. S. 61.

2) Durch Žižka 1421.

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lassen und, wie sie es bei ihm gesehen, herumgereicht. Diese Ordnung des Mals beschreibt er. Und noch mehr: die Christen sollen an den Festtagen zusammenkommen und nach gemeinschaftlicher Arbeit im Worte Gottes gemeinschaftlich essen und gleichsam ein Festmal halten. So lange er lebte, konnte er eine bessere Ordnung nicht ausfindig machen . . . Und viele halten diese Ordnung und tafeln und verspotten Gottes Gebot. .

Kap. 24. . . . Martinek war kein einfältiger Mensch (prostuý) und war nicht bereit, gern um Christi willen Leid zu tragen, weder er noch ihr. Wir haben mit ihm viel gesprochen davon und von anderen Dingen, wobei er in unserer Gegenwart sagte, ein neues Königreieh der Heiligen tverde auf Erden errichtet tverden, in dem die Guten kein Leid tragen würden. Und wenn für immer den Christen bestimmt wäre, solches Leid zu erdulden, so wollte er ein Diener Gottes nicht sein. So sprach er . . . Und bei dieser Gesinnung hatte er kein Recht, die Worte Christi so gewaltsam zu deuten und aus ihnen zu nehmen, was sie nicht enthalten. Er hat aber Christi Anordnung beschimpft und sie das Mal des Papstes und der Ketzer genannt. Er wollte das lebendige Brot deuten als Arbeit in den Werken, da es doch besser war zu sagen : Christi Leib verbunden mit der Gottheit ist das lebendige Brot zur Stärkung für diejenigen, die in guten Werken arbeiten . . .

Kap. 26. . . . Vor nicht langer Zeit hat jemand, der zu euch gehört, in Hradišť uns belehrt, was ihr glaubet, und dass ihr alles das, was ihr von den Zeichen vorbringt, aus Wiklef schöpft, aus seinen zwei Büchern vom Leibe Christi. Ich will eucli nun seine Worte nicht ent- gegenhalten, als ob ich seine Schriften vollständig gelesen hätte, das sage ich nicht : etwas habe ich gelesen, aber mehr kennen gelernt in Gesprächen mit getreuen Böhmen, die vom Herzen Gott lieben und die Wahrheit, welche Wiklef lehrt in den zwei Büchern vom Leibe Christi; die sowol das berücksichtigen, was er sagt, als auch dasjenige, was seine eigentliche Absicht dabei gewesen. Wie da gewesen ist guten und heiligen Andenkens Magister Johannes Hus, Magister Jakobell, die besser als andere Böhmen Wiklef verstanden haben. Sie und andere Böhmen sagen, Wiklef habe gut und richtig gelehrt, das Brot sei zum Zeichen des Leibes, aber es habe wesenhaft den Leib gegenwärtig, dessen Zeichen es ist;... und dass bei diesem Sakrament eine doppelte Substanz an- genommen werden muss, eine göttliche und eine irdische . . . Magister Martin von Bethlehem, genannt Volyně, hat für mich ein Stück aus Dionys' Schriften ausgeschrieben (vypsal) und mir gegeben... So hat Wiklef ge- lehrt, fassend auf der Lehre der ersten Christen, wie alle Böhmen be- zeugen, die seine Schriften verstehen . . .

Kap. 28. . . . Ich glaube, dies muss euch lieb sein wie Salz in die Augen. Denn da ihr euch meist auf Wiklef stützt, so habe ich es aus

Vgl. Articuli e Martinconis (Höfler Ss. II 828). Über Sigismund von Kepan vgl. den Laurentius von Březová.

2) Vgl. Palacký IV, 1. S. 451.

3) Tábor.

Vol. Palacký IV, 1. S. 467.

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Wiklef genommen. Doch haben mich die getreuen Böhmen belehrt, dass der Sinn, den ihr seinen Schriften entnehmet, ihnen entnommen werden kann, obgleich unrichtig . . . Namentlich gilt es von vielen lateinischen Ausdrücken ; diejenigen, die seine Bücher lesen, sagen, er habe sie in einer schwerverständlichen, kurzen Sprache verfasst. Ich selbst kann von Latein wenig aussagen^ aber ich habe Erklärungen des Mag. Hus und anderer, besonders darüber was ihr lateinisch nennt „sacramentaliter". . .

Kap. 34. . . . Deswegen muss ich schreiben, weil ich nicht mehr vom Herzen mit euch mich besprechen darf. So möget ihr es wenigstens lesen. Euch habe ich immer mehr geliebt, als andere Priester, darum beklage ich euch mehr als andere. Und auch das einfältige Volk dauert uns, denn ihr versteht es anders, und das Volk weit anders . . . Unerhört ist es, dass das Volk anders davon denken soll, worin es sein Heil sucht, und der Priester anders davon, was er spendet, ohne zu sagen, was seine Gesinnung sei. Darum möget ihr erkennen, das euere Lehre nicht die Wahrheit ist. Denn wäre es der Fall, so hätte euch Gott damit gesandt, und er hätte euch gesandt den Menschen zu Nutzen, auf dass ihr es ihnen offenbaret. Und sollte jemand Hand an euch legen, so wäret ihr zum Tode bereit. Denn so hat jeder thun müssen, den Gott gesandt hat . . . Ihr aber sprecht nur von weitem und in Gleichnissen . . . Bis zum jüngsten Tage wird es das Volk von euch nicht erfahren, ausser wenn ihr je- manden unter vier Augen euere Lehre mittheilt . . .

B.

Erklärung der Passion Christi nach dem Evangelium Joh.

... In den Worten und Thateu Christi und des Schachers liegt ein Trost für die Sünder, die Gottes Gnade sich erbitten, und eine Grube für diejenigen, die, schlecht im Herzen, Freiheit der Sünde suchen, um sagen zu können: Gott ist barmherzig, er ist dem Schächer gnädig ge- wesen in der Stunde des Todes. . . . Die Getreuen aber finden da eine Stütze für ihre Hoffnung, wenn sie auf diese so wunderbare und uner- wartete Tln.t blicken, wie gnädig sich Jesus dem Schächer erwiesen, der an die Sün .e gewohnt war und in ihr bis zum Tode verharrte. In seinem ganzen Leben findet sich nichts gutes, was ihm die Gnade Gottes ver- schaffen konnte, sondern nur schlechtes . . . Nur das findet sich, dass er seine Sünde bekannte und bat, Christus möge sich seiner erinnern . . . Aber dieser freigiebige Bischof wollte eben nicht allein dies wenige schenken . . .

Ein grosses Glück ist dem Schächer zu Theil geworden, zu sterben mit diesem erhabenen Herrn . . . Eine wunderbare Gesellschaft, zu sterben mit dem, der allen Leben spendet, mit dem, der den Tod besiegt durch sein Sterben: der ungerechte Schächer stirbt mit dem, der sterbend denen, die an ihn glauben, die Gerechtigkeit wiedergibt. In diesem Tode der beiden einander so ungleichen Personen, ist Grosses enthalten auf beiden Seiten für den, der es recht fasst. Aber vor allem sollen wir erwägen, wie barmherzig sich Gott dem Schächer erwiesen, auf dass diese barm-

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lierzige That Gottes unsere Hoffnung erwecke. Denn Gott hat es uns zur Stärkung gethan, unser furchtsames Herz zu trösten und zu erfreuen, wenn viele Sünden unser Gewissen belasten. Wie ein scheues, unge- zährates Wild wird unser Gemüt durch die Last der Sünden geängstigt und flieht die wahre Hoffnung auf Gott, da der Teufel, der Feind, uns ängstigt . . . und uns in Verzweiflung stürzen möchte. Aber jene barm- herzige That. . . vernichtet das Werk des Teufels, auf dass die Menschen mit Zuversicht zur Gottes Barmherzigkeit Zuflucht haben, nach dem Beispiele des Schachers, der, aller guten Thaten bar, nur das Verlangen hatte, Christus möge seiner gedenken . . . Wir müssen beherzigen, dass er diesen Schächer, der sich so spät bekehrte, Gnade erwiesen, nicht wegen dessen Würdigkeit, sondern vermöge seiner Güte. Er ist nicht barmherzig für den, der es durch seine Güte aufwiegen, durch seine guten Thaten oder seine Unschuld verdienen könnte, sondern seine Barm- herzigkeit ist grösser, da sie nicht dem Reichtum und dem Überflusse dessen entspricht, dem sie zu Theil wird . . .

Vergeltung wäre keine Barmherzigkeit. Und wenn Gott unsäglich barmherzig ist, so zeigt er sich in seiner Barmherzigkeit vorzüglich dann, wenn der Mensch so tief gefallen ist, . . . dass seine Seele an der Möglichkeit des Heils verzweifelt . . . Das hat der barmherzige Heiland an dem Schächer gezeigt . . . Und er hat, was er damals für alle Sünder that, auch ihm zugesagt, denn in jener Stunde hat er für alle Sünder ihre Schuld getilgt ohne Zwang; auch gab es keinen, der es verdient hätte, dass er für ihn hätte also leiden sollen, sondern jeder hätte verdient, ein solches Leid zu tragen. Und als er in seiner Noth und Pein, für alle die Schuld tilgend, dem Vater seine Unschuld für unsere Schuld hingab, da konnte sein liebreiches Herz dem Schächer keine andere Antwort geben .... Ebenso hatte er den zwei Blinden gesagt : Glaubet ihr, dass ich es thun kann? Er fordert nichts von ihnen, sondern fragt nur, ob sie es glauben können; und dies nimmt er an statt alles Verdienstes . . . Und das alles hat er gethan, uns Sündern zum Trost, auf dass wir dem Teufel nicht unterliegen. Wenn wir aber auf die Güte Gottes blicken, der dem Schächer gnädig war ohne gute Werke-, so sollen wir diese weder unterlassen, kleine und grosse, wenn wir sie verrichten können, noch dieselben geringschätzen, da wir wissen, dass Gott der guten Werke wegen weder das Heil gibt, noch verdammt. Wenn sie gross und zahlreich sind, so werden sie Gott doch nicht überwinden, dass er dafür den Menschen das Heil als gleichsam rechtmässig verdient geben müsste, und sind sie nicht vorhanden, so wird deswegen Gottes Barm- herzigkeit doch nicht leer werden, dass er deswegen den Menschen nicht retten könnte. Und ich sage es ausdrücklich: mögen die Werke noch so gross sein, allein genügen sie nicht, dem Menschen das ewige Leben zu verdienen, aber durch Gottes Barmherzigkeit und durch <iie Zugabe der Werke wird der Mensch das ewige Leben erlangen; wenn sie aber gar nicht vorhanden sind, wenn sie der Mensch nicht vollbringen konnte in seiner Ohnmacht und Schwäche oder wegen anderer Ursachen, sofern er nur einen guten Willen hat, den wird Gott retten in seiner Güte und wegen des guten Willens. Wenn er endlich die Werke versäumt, da

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er sclilecht gelebt und Gott niclit gekannt; wenn er aber dann zu ihm sich bekehrt im guten Willen und mit Reue, und so stirbt: den wird er retten nach seiner Barmherzigkeit . . . Deswegen sollen wir aber die guten Werke niclit geringschätzen. Gott rettet ohne Werk, doch nicht den, der auf seine Güte blickend säumig ist, da er Zeit, Kraft, Verständnis und Gottes Gaben besitzt. Denn da zeigt sich die erste Barmherzigkeit Gottes, wenn der Mensch die Kenntnis Gottes erhält, seine Gaben und Zeit und Kraft . . . Die zweite Barmherzigkeit ist es, wenn Gott rettet ohne Werke . . . Wenn aber die erste Barmherzigkeit dem Menschen zu Theil geworden ist und er in Hinblick auf die zweite säumt, da verachtet er Gottes Barmherzigkeit, da er sie blindlings geniessen möchte. Der Getreue freut sich der Barmherzigkeit, und thut Gutes nach Kräften, und ist er gleich klein und schwach, Gott gefällt es, . . . Wenn er aber das Geringste ver- säumt in seiner Saumseligkeit, da hat er Gott schon verachtet . . .

C.

Von den Sakramenten.

Es beginnt die Lehre von den Sakramenten auf Grund der Schrift des Neuen Bundes, von allen der Reihe nach. Mit Gottes Hilfe will ich davon etwas gutes sagen und zwar zuerst von der Taufe, der die erste Stelle gebührt, da der Mensch dies Sakrament zuerst nöthig hat. Vor allem ist aber zu bemerken, was der Herr sagt und welche Worte er vor- aussendet, vor diesem Sakramente, nämlich da er, die Jünger schickend, sprach : Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur. Und wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden ; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden . . . Olfen und klar ist die Rede des Gottessohnes : erst spricht er vom Glauben, dann von der Taufe . . . Und da wir diese Lehre in Evangelium finden, so sollen wir sie auch jetzt halten. Aber die Priester irren gewaltig darin, dass sie die grosse Menge taufen. Und niemand wird gefunden, weder alt noch jung, der Gott kennt und seiner Schrift glaubt. Und das erkennt man an ihren Werken . . . Trotzdem werden alle ohne Wahl getauft und empfangen Christi Leib und Blut . . . Wir sollen aber daran festhalten, dass die Taufe denjenigen gebühre, die Gott erkennen und seiner Schrift glauben. Haben solche Kinder, so soll ihren Kindern in ihrem Gewissen die Taufe ge- spendet werden. Warum wird aber die Taufe vor den anderen Sakra- menten gespendet? Deswegen, weil das Gebrechen, das auf allen Menschen lastet, die Erbsünde ist; und dieses ist derart, dass es die Seele des Lebens der Gnade beraubt und der Wahrheit aller Tugenden, und sie geneigt macht zu jeglicher Sünde . . . Und der Name ist „Erbsünde", weil sie von den ersten Menschen stammt . . . Die Taufe ist die zweite Geburt im h. Geiste. Die Schriften des Dionysius und der ersten Christen enthalten darüber eine vollkommene Belehrung. Damals standen die Kinder unter der Obhut guter Lehrer; sie wurden entweder erst belehrt und dann getauft, oder

Die nicht eingeklammerten Sätze sind wörtlich übersetzt.

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von der Taufe an im Glauben unterrichtet. Die Magister und Priester betrügen die Menschen, da sie die Taufe verkaufen und da die Menschen die Kinder sobald als möglich taufen lassen, sich aber sonst um ihr Heil nicht kümmern. (Die Taufe befreit uns von der Schuld der Erbsünde, aber die Erbsünde ist zugleich die Wurzel der Sünden, die im Leibe bleibt, so lange dieser währt. Diese beständige Sünde kann nur durch die Gnade des h. Geistes überwunden werden, sonst fruchtet nichts die Reinwaschung von der Schuld. Diese Gnade wird aber niemand zu Theil, der den alten Menschen in sich nicht kreuziget. Um die Taufe in Wahr- heit zu empfangen, muss der Mensch den Willen haben, der Sünde zu sterben. Darum soll der Täufling geprüft werden, ist er erwachsen, er selbst, sonst durch den Glauben der Eltern und Pathen. Aber die Priester begnügen sich mit der äusseren Taufe; weder sie, noch die Eltern und Pathen haben den lebendigen Glauben.) Es gibt noch einen anderen Grund, warum die jetzigen Priester allen Kindern ohne Unterschied die Taufe zu spenden sich beeilen, obgleich sie weder verlässlichen Bürgen für sie haben, noch die Gewissheit besitzen, es werde später jemand sie behüten. Sie meinen nämlich, jeder, der getauft wird, sei zum Sohne Gottes erwählt und werde sein Heil finden. Darum sind sie . . . bereit, jedes Kind zu taufen, auf dass es im Falle des Todes gerettet werde. Und forderte ein Heide die Taufe für sein Kind, auch von diesem haben sie die gleiche Meinung. Aber einige unter den Doktoren und auch den jetzigen Magistern sprechen die Aussicht aus, es gebe einen Unterschied zwischen der Erwählung, durch die einige Menschen Söhne Gottes werden, und den Sakramenten, die in sichtbaren und sinnlichen Zeichen bestehen und von schlechten Priestern Guten und Schlechten ohne Unterschied gespendet werden. Aber die Erwählung Gottes wird nur einigen zu Theil und zwar sehr wenigen. Und diese Erwählung kann derjenige, dem sie geworden, nicht verlieren ; fällt er auch zeitweilig in Sünden, so verliert er doch nicht die Erwählung, denn der Erwählte wird schliesslich . . . , Busse thun für seine Sünden. Wenn aber die Taufe allein zur Erwählung genügen sollte, so könnte kein Christ verdammt werden; fällt er auch nach der Taufe in Sünden, so müsste jeder vor seinem Tode rechte Busse thuen. Aber die Erfahrung lehrt deutlich, die übergrosse Anzahl der Christen habe weder Gott erkannt noch Christum, weder nach der Taufe, noch vor dem Tode : bis zum Tode verharren sie in schrecklichen Sünden. Und die sind nicht erwählt." (Wenn getreue Christen die Taufe für ihre Kinder verlangen, so kann es nicht getadelt werden. Doch sollen sie diese dann so halten, wie es heiligen Menschen geziemt, die gerettet werden wollen, sie selbst und ihre Kinder, durch gute Werke. Sicherer ist eben die Taufe bei denjenigen, die bereits verständig sind.) Manche sagen, die Wassertaufe sei unnöthig, wenn jemand den h. Geist empfangen kann ohne dieselbe; oder auch: die Kinder der Heiligen seien selbst heilig. Aber das ist ein unrichtiges Gerede, das Gottes Wort für sich nicht hat. Auch die Kinder der Heiligen sind ihrem verderbten Leibe entsprossen. Die Erbsünde kann durch Busse nicht getilgt werden, sondern muss in der Taufe abgewaschen werden. Wer in seiner vermeintlichen Gerechtigkeit, die Taufe geringschätzt, schätzt gering den Tod Christi

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und wird wegeu dieser Geringschätzung nicht gerettet. (Die verschiedenen Gebräuche bei der Taufe - ausser der Begiessung sind Zeichen, die wol eine Bedeutung haben mögen, die aber keine Macht besitzen. Christus hat sie nicht eingesetzt. Sie sind schädlich, weil die blinden Menschen sie als zum Sakramente gehörig betrachten.)

(Das zweite Sakrament der h. Kirche ist Christi Leih und Blut. Es wird gesagt „ein Sakrament der h. Kirche", weil diejenigen, die die h. Kirche bilden, durch dieses Sakrament geheiligt werden. Dies ist die Bedeutung des lateinischen Wortes sacramentum, das Zeichen einer h. Sache, einer unsichtbaren Gnade, ein Zeichen und zugleich die Wahrheit des Zeichens. Vieles wird ein Sakrament der h. Kirche genannt, aber wir sollen unser Augenmerk darauf richten, was Christus eingesetzt hat und wozu er es eingesetzt hat. Das erste Sakrament ist die Taufe. Das zweite ist eingesetzt für diejenigen, die bereits im Glauben stehen, um durch dasselbe Gnade zu erlangen, und zwar in dem Masse, als der Mensch es würdig ist. In dieser Fülle der Gnade hat Christus nicht viele Sakra- mente eingesetzt. Aber von diesem Sakramente ist an anderen Orten viel geschrieben worden. Hier nur von den Irrtümern. Es folgt eine Polemik gegen die Zeichenlehre, gegen die Transsubstantiationslehre. Die Unwürdigen sollen zum Genüsse des Sakramentes nicht zugelassen werden. Dagegen Verstössen die Magister. Sie haben das Sakrament allen zu- gänglich gemacht, wie eine Hökersfrau ihren Laden. Sie sind darin dem Dionysius ähnlich, wie ein Igel der Nachtigall.)

Das dritte Sakrament der h. Kirche ist die Busse, ohne die, wenn der Mensch in Sünden fällt, die Gnade nicht erlangt werden kann. (Einige unterscheiden drei Theile: die Selbstprüfung oder Reue, die Genug- thuung, die Beichte. Die Reue ist der Beginn jeder wahren Busse. Die Genugthuung bezieht sich auf die Menschen oder auf Gott. Jene soll geleistet werden, wenn es auch nicht immer leicht ist. Noch schwieriger ist die Geaugthuung gegen Gott. Fasten, Gebete, Almosen sind gut und werden von Gott angenommen. Mehr bedeutet es, wenn der Mensch die Leiden und Mühseligkeiten des Lebens gern und geduldig trägt. Aber thun wir auch alles, was wir im Stande sind, so kommt es doch auf unsere gerechten Werke nicht an, sondern Gottes Barmherzigkeit ist es, die uns rettet. Wir sind aber verpflichtet zu thun und zu leiden, was wir nur können. Die Beichte dem Priester halten viele für die Haupt- sache. Die obligatorische Beichte hat Innocenz III. eingeführt. Wer aber beichtet, soll einen guten Priester ausfindig machen: auch kann er jedem guten Christen beichten. Jakob von Bethlehem [Jakobell von Mies] hat manches gute darüber geschrieben; unter anderem, dass wir nicht verpflichtet sind, einem schlechten Priester zu beichten.)

Das vierte Sakrament der h. Kirche ist die Ordination der Priester. Und darüber ist sehr schwer zu sprechen ; denn einerseits könnte man viel loben, anderseits aber so viel tadeln, dass man kaum noch die Ordi- nation als ein Sakrament der h. Kirche bezeichnen dürfte. Es müsste vielmehr heissen : Sünde, Greuel und Schandfleck der h. Kirche ; so dass die h. Kirche glücklich wäre, wenn dieses Sakrament sich auf Erden nie gezeigt hätte . . . (Wenn wir nur die falschen Lehren, die darüber auf-

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gestellt werden, vermeiden, können wir behaupten, die Ordination sei doch ein Sakrament, aber nicht absolut nothwendig zur Heiligung der h. Kirche, da es Zeiten gibt, in denen keine Priester da sind oder nur böse. Die guten Priester gereichen zur Heiligung aus bestimmten Ursachen, durch das Beispiel, das sie geben, durch ihre Lehren, durch den Dienst ihres Amtes.) Und in dieser Beziehung sind wir verpflichtet zu glauben, es solle eine Priesterordnung geben. Von den Aposteln sind Priester eingesetzt worden in den Gemeinden des getreuen Volkes. Aber um ein guter Bischof, Priester, Diakon zu werden, dazu ist Gottes Erwählung uothwendig. Wenn diese nicht vorausgeht, so gibt es keinen guten Bischof. Priester, Diakon. Seine Wahl wählt nur gute und ist unabhängig von der Wahl der Menschen. Aber auch die menschliche Wahl ist nach der apo- stolischen Ordnung aus bestimmten Ursachen nothwendig und sie ist guten und bösen gemeinschaftlich. Und dabei werden drei Dinge gefordert: Gebete, Fasten und eifrige Erforschung der Würdigkeit desjenigen, der gewählt werden soll. Nun sollte die Wahl der Menschen mit der Wahl Gottes immer zusammenfallen, da dies aber nicht immer geschieht, so müssen wir sagen, dass einige Gott allein wählt, andere die Menschen mit Gott: und das ist die rechte Wahl. Die meisten werden aher gewählt von den Menschen allein. Die rechte Wahl durch Gott und durch die Menschen mit Gott lernen wir kennen an den Aposteln und in ihrer Schrift, jetzt ist aber dieser Weg verlassen. (Ein Priester soll die übrigen in allen Dingen übertreifen, er soll dem Volke voranleuchten durch sein Beispiel und gekleidet sein in das Gewand der Weisheit Gottes. Er ist dem Magen zu vergleichen. Ist der Magen gesund, so ist es auch der Körper. Wie der Priester beschaffen sein soll, sagt der Apostel Paulus ; und nur solche sollen von den Menschen mit Gott ge- wählt werden. Hätten wir nicht diese Anleitung, so könnten wir überhaupt die Priester nicht wählen, sondern müssten die Wahl Gott allein über- lassen, der auch die Apostel allein berufen hat. Gibt es keine geeigneten Personen, so mag die Wahl unterbleiben. Gute Priester sind ein Sakrament im Zeichen und in der Wahrheit. Sie sind ein Zeichen des obersten Priesters, der sein Volk geheiligt hat und heiligt, und sie helfen bei der Heiligung dienstbarlich durch äussere Zeichen. Gibt es keine gu- ten Priester, so steht doch vor Gottes Angesicht der oberste Bischof, stets zur Fürbitte bereit. Durch gute Priester wird aber immer die Fülle der Gaben Gottes im Volke gemehrt.) Was aber hier gesagt wird von der Wahl Gottes und der Menschen, davon ist nichts unter uns zu finden ; auch linde ich niemand, der es verstände. Es gibt nur eine Wahl durch Menschen allein. (Es gibt nur eine äussere Priesterorduung. Die Menschen trachten nach dem Priestertum der äusseren Vortheile wegen.) Seit langer Zeit sind viele Menschen vorhanden, die dafür halten, es gebe keinen guten Priester mehr und es könne einen solchen nicht geben, und noch mehr: die Menschen könnten nicht gerettet werden, ausser wenn sie sich von all der Priesterschaft trennen, die von ihrem Haupte kommt, dem Papste. (Dies wäre richtig, wenn man dafür halten müsste. dass der Papst allein das Heil vermittelt, dass Gott wegen der Schlechtigkeit des Papstes sein Recht an der Menschheit verloren hat. Aber aus der Schrift

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werden wir belehrt, dass auch zur Zeit der Herrschaft des Papstes Gott seine Erwählten habe, Priester und Volk. Grösser kann die Schlechtigkeit des Papstes nicht mehr werden, als sie jetzt ist, und dennoch können wir nach ihren Werken einige gerechte Menschen und Priester erkennen, die Gott auch in dieser ärgsten Zeit erwählt hat. Es kann ein Priester die äusserliche Weihe vom Papste empfangen, aber zugleich auch die Weihe des h. Geistes zum Priester Christi, so dass er dann das falsche päpstliche Priestertum bekämpfen wird.) (Es gibt keine höhere Er- wählung als die Erwählung zum Heile. Und ist sie bei einem Priester vorhanden, so ist auch die geringere Erwählung zum Priestertum da. Seit jeher wählt Gott solche, damit sie die Irrtümer des Papstes offen- baren. Solche gibt es immer nur wenige und mitunter sind keine zu finden. Nicht immer leitet Gott sein Volk durch heilige Priester, er lässt manchmal zur Kenntnis der Wahrheit gelangen ohne Priester.) Und auch jetzt ist es deutlich zu sehen; wenn Gott selbst in seiner übergrossen Güte, in dieser schrecklichen Zeit der Versuchung einige Menschen nicht bewahrte und ihnen die Kenntnis der Wahrheit gäbe, so könnte ich dreist sagen, dass in Böhmen seit sechs 'Jahren wegen der Leitung und Waltung der Priester kein Mensch errettet werden könnte oder nur sehr wenige.^) Es wäre noch zu sprechen von den Schwierigkeiten, die da entstehen unter den Menschen im Bezug auf die Consekration des Leibes und Blutes Christi . . . Und dies ist eine grosse Schwierigkeit, dem mensch- lichen Verstände unfassbar. Ich habe von beiden Seiten die Gründe vernommen, die aus der Schrift geschöpft werden. Die einen sagen, dass die bösen Priester nicht consekriren und belegen es aus der Schrift; die anderen behaupten, dass sie consekriren. Aber etwas sicheres kann niemand sagen. Die eine Partei sagt, auch der schlechteste Priester con- sekrire so gut wie der beste. Und diese fördern sehr die schlechten Priester. Denn die Menschen, die sich zum würdigen Genüsse nicht vorbereiten, die achten nicht darauf, dass der Priester böse ist, wenn er ihnen nur so gut den Gott schafft wie der gute. Und der Priester wird dann in der Schenke ihre Trunkenheit nicht tadeln und sich selbst be- trinken. Und das kommt daher, weil das Volk au seiner Consekration nicht zweifelt. Zweifelten sie mit Rücksicht auf seine offenbaren Sünden, so würde der Zweifel mehr nützen, als der grosse Glaube. Denn dieser hat zur Folge die Genossenschaft in den Sünden ohne alle Rüge: sie rügen den Priester nicht, er rügt sie nicht. Und so werden sie gemein- schaftlich in die Hölle gelangen. Und dort was hilft jener Glaube ? Sagt man aber: der Priester cousekrirt nicht seiner offenbaren Sünden wegen, dann kann es auch heissen : also auch nicht seiner geheimen Sünden wegen ; denn weder jene noch diese können Gott getallen . . . Also käme das Sakrament selten zu Stande . . . Wenn es sich aber so verhält, dann ist unter den Bösen das Sakrament überhaupt niclit zu finden und die Bösen können nie schuldig werden des Leibes und Blutes. Also dürfen wir es nicht behaupten, obgleich es schwer fällt dem Judas...

Wäre es möglich, diese Stelle richtig- zu erklären, so besässeu wir ein ganz bestimmtes Datum für die Abfassungszeit des Traktats.

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dasselbe einzuräumen wie dem h. Petrus. Christus hat das Opfer seines Leibes und Blutes für seine erwählten Schafe eingesetzt, wir wissen aber nicht, ob es zu Stande komme nur durch heilige, dazu erwählte Priester oder auch durch böse. Da wir aber sehen, dass auch dort, wo es schlechte Priester gibt, gute Menschen leben, und dass diese, wofern jene nicht consekriren, Christi Leib und Blut nicht empfangen können : so folgt, dass, obgleich beide Parteien sich bekämpfen, sie doch nichts sicheres beweisen können . . . (Wir müssen vor allem auf Christi Einsetzung sehen, die nichts erschüttern kann. Was er eingesetzt, geschieht nicht durch Menschen, sei er böse oder gute ausser nur dienstbarlich. Von ihm kommt die Einsetzung, ursprünglich und auch jetzt. Er allein bringt das Opfer zu Stande in der dienstbarlichen That des Priesters.) Wenn ich die Bosheit der Priester sehe und in der Schrift lese: „wie kann man von Dornen Trauben lesen?" so wird mir bange. Aber dennoch darf ich es nicht behaupten, dass der Dorn die Trauben nicht trage. (Das Werk selbst kommt Christo zu, der äussere Dienst dem Menschen. Auch der gute Mensch vermag nicht mehr.) Darum durfte ich niemals sagen und darf es auch jetzt nicht, der böse Priester sei deswegen zu meiden, weil er nicht consekrire, denn dies ist ein grosses Geheimnis für die Menschen. Böse Priester sind zu meiden, nämlich solche, welche lehren, Christi Leib sei im Sakramente wesentlich nicht gegenwärtig; diese consekriren nicht; nach ihrer Lehre gibt es ja überhaupt keine Consekration, wenn Brot und Wein blosse Zeichen sind. Andere stecken in grossen Sünden und diese fürchten sich zu consekriren, weil sie die Nacht zuvor der Lust gefröhnt: sie zeigen dem Volke nur ungeweihtes Brot. (Schlechte Priester überhaupt sind zu meiden, weil ihre Lehre oder ihr Beispiel irreführt und verleitet. Nicht einmal bei ihrer Messe soll man zugegen sein. Unti es gibt wenige, die nicht gemieden werden sollten.)

Es gibt noch einen andern Streitpunkt, der sich auf die Consekration bezieht. Die einen sagen, jeder gerechte Christ könne consekriren, die anderen aber bestreiten es : den Priestern allein sei diese Macht gegeben. Und da kann beiderseits eine grosse Überhebung zu Grunde liegen. (Dieser Streit ist überflüssig. Die Mysterien des Glaubens gebühren dem Priestertum. Sind die Priester schlecht, so darf der Nichtpriester sich das Priestertum nicht anmassen.) Wenn nirgends getreue Priester zu finden sind, so sollen wir, in Demut verharrend, unser Augenmerk auf den obersten Bischof, den ewigen Priester, richten, der in Ewigkeit retten kann und nicht aufhört ein Opfer zu sein vor dem Vater für die Seinigen. Obgleich er sich im Sakrament zum gegenwärtigen Opfei* macht und uns beglückt durch dieses Opfer, sobald dazu würdige Diener da sind, und das Opfer dem Vater oft dargebracht wird für das, was uns noth thut: so können wir doch auch dann den Weg zum Vater finden durch den, der zu seiner Rechten steht und fürbittet, wenn unserer Sünden wegen würdige Diener nicht vorhanden sind.

(Das fünfte Sakrament der h. Kirche ist die Ehe. Aber in Wahrheit ist die Ehe kein Sakrament, sondern nur das Zeichen einer h. Sache, nämlich der Verbindung Christi mit der Kirche, wenn diejenigen, die

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die Ehe schliessen, selbst heilig sind. Die Ehe ist zum zeitlichen Wohle förderlich. Sie ist älter als das Christentum und besteht auch bei Juden und Heideo. Es gibt solche, welche die Jungfräulichkeit höher schätzen und die Ehe verachten. Aber ohne Grund. Denn oft ist die Enthalt- samkeit die Folge ihrer kalten Xatur oder ihrer Kränklichkeit. Hat der Mensch aber die Lust in sich überwunden, so soll er sich nicht damit brüsten, denn die Hoffart verträgt sich nicht mit der Tugend.)

(Das sechste Sakrament ist die Firmung. Christus hat die Sendung des h. Geistes versprochen; die Apostel haben den Getauften die Hände aufgelegt und diese empfiengen den h. Geist. Was die Magister unter Firmung verstehen, ist aber etwas anderes. Wenn Christus jene sieben Sakramente eingesetzt hätte, so müsste sich von allen ein Zeugnis in der Schrift finden, wie es der Fall ist von der Taufe, wie von dem Sakra- mente des Leibes und Blutes. Es folgen polemische Ausführungen gegen die Prager Magister wie in der Taboritenconfession. Die Firmung hat keine Begründung in der h. Schrift, sondern wurde, lange Zeit nach den Aposteln, auf einer Versammlung der Bischöfe eingesetzt. Und es wurde immer mehr Prunk hinzugethan bis zum heutigen Tage.) Ich habe über die Confirmation nichts sicheres erfahren weder aus der Schrift noch von den Menschen; ich weiss nur etwas von einem Magister, der berühmt war und einen grossen Namen hatte er an der Prager Schule, Stanislav genannt.'^) (Als dieser einmal sah, wie leichtsinnig die Firmung ertheilt und empfangen wurde, so meinte er, die alten Christen hätten eine gute Gewohnheit der Confirmation gehabt. Die Eltern haben nämlich damals ihre erwachsenen Kinder dem Bi- schöfe vorgestellt und dieser belehrte sie über die Pflichten eines Christen. Wenn sie dann gelobten, alles zu halten, so bekräftigte sie der Bischof darin mit guten Worten. Und dann berührte er ihre Wange zum Zeichen, sie sollten Leiden geduldig ertragen. Wenn aber jemand sich zu all' dem, was ihm gesagt worden, nicht bereit erklären wollte, so that er es nicht, sondern verstiess ihn als einen Widersacher des Glaubens. So weit jener Magister.) Eine solche Confirmation erkläre ich für recht. Hätte auch in vergangenen Zeiten dieselbe niemals bestanden und führte sie jetzt jemand ein, so geschähe es nach dem Willen Gottes. (Eben deswegen, weil jetzt die Taufe allen ohne Wahl ertheilt wird, wäre es gut und erspriesslich.)

„Das siebente Sakrament der h. Kirche ist die letzte Ölung. Aber darüber ist schwierig etwas zu sagen." (Die Worte des Jacobus be- gründen kein Sakrament, sondern nur ein Werk der Barmherzigkeit. Es folgt dasselbe Citat aus Wiclif wie in der Taboritenconfession.) Unter Umständen kann es gut sein, die Lehre des Apostels zu befolgen, aber diese Umstände können auch fehlen. So z. B. wenn er jetzt an die Böhmen schriebe. Wo gibt es da gute Priester? Es gibt aber eine Fülle von Blut- priestern, denen an der Gesundheit der Kranken nichts gelegen ist. Sie sind vielmehr voll von Mord der Gesunden und Gott hört das Gebet

') In der Postille wird die Jungfräulichkeit höher angeschlagen. ') d. h. ich weiss von ihm, dass er so gesprochen habe.

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derjenigen nicht, deren Hände und Zunge voll sind von Blut. (Auch die Worte des Dionysius begründen kein Sakrament),

D.

Chelčickýs Replik gegen Rokycana.

Den Wunsch alles guten dem Magister Johannes, unserm Freund, zuvor .... Wisse, ') was ich dir geschrieben habe, das war nicht aus freiem Antrieb, sondern in Folge vofi vielem Mahnungen anderer: und mit Zagen habe ich es gethan, denn es ist mir nicht verborgen, wie weit ich anderen nachstehe, da ich spät anfange und vergangene Dinge verfolge, und zwar nicht um zu beruhigen, sondern eher um Unfrieden und Un- sicherheit zu stiften, gleichsam einem Schatten nachjagend, der vor mir flieht. Doch jetzt davon, was du mir entgegnet hast. Mein Sinn hat etwas eigenes: das kennt Gott in mir. Was du mir aber geantwortet hast, darüber hätte ich viel zu sagen: jedoch die Entfernung, die uns trennt, lässt es nicht zu : auch hättest du nicht Müsse genug, meine Reden zu hören. Darum bitte ich dich, ertrage meine Einfalt mit Nachsicht und Geduld, wenn ich auf dasjenige, was du geautw^ortet, wieder entgegne. Thue dies, da dir ja bekannt sein muss, die Meisterschaft und Wissen- schaft des Menschen werde nach seiner Geduld erkannt . . . Wenn daher der Bauer, so zu sagen, mit der Keule einen tauben Schlag führen sollte, so soll sich deine Meisterschaft daran nicht stossen, denn ich will mit der Tinte Dinge aufs Papier schmieren, in denen ich dir widersprechen werde, dir einem nicht kindischen Menschen, sondern einem Manne, stark in grossen Dingen; dir, von dem ich weiss, wie viel in dir ist, wie viel du in dir trägst und dass grosse Dinge von dir endgiltig besiegelt werden sollen. Eben deswegen lastet schwer auf meinem Geiste dasjenige, was du in dir trägst und was du in deiner Antwort berührt hast. Denn solche Satzungen, von altersher aus der Schrift gezogen oder auf der Schrift auf menschliche Art begründet, sind ein Werk des Antichrists . . . Daher kommt es, das ihr viel arbeitet und dass euere Arbeit doch keinen Nutzen bringen kann . . . Und schrecklich ist es und w underbar zugleich, dass ihr nicht bedenket, für wen ihr arbeitet, ob ihr Christum im Volke auferbauet oder ob ihr durch euere Arbeit und Wissenschaft dem Anti- christ aufhelfen wollet. Oder glaubt ihr nicht, dass er unter diesen Decken steckend und den Kopf emporstreckend am meisten den Christen schadet? Ist euch nicht erinnerlich, dass er kommen sollte in der Fülle der Verführung zum Bösen, sich über alles erhebend, was Gottes ist?...

Ich will aber zuerst darüber sprechen oder schmieren, was du vom Stuhle Moysis behauptest ... Du folgerst, dass den Prälaten oder Ober- hirten die Macht zustehe, ihren Untergebenen alles zu befehlen, was ihnen beliebt; und diese sollen alles halten und erfüllen, Avas sie ihnen sagen . . . Aber ich glaube, dass du es, obgleich du es mir geschrieben, vor Gott nicht beweisen könntest . . . Christus hat gewusst,

•) Vgl. Palacký IV, 1. S. 470.

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dass sie auch schlecht lehrten und schlechtes geboten und unerträgliche Bürden auf die Schultern der Menschen legten; darum hat er sie auch getadelt, sie und die Schriftgelehrten . . . Wenn er also das Volk vor ihnen gewarnt, so kann er es nicht wiederum zum unbedingten Gehorsam verpflichtet haben, dass sie oder die jetzigen nach Belieben befehlen könnten . . . Eine solche Freiheit im Befehlen wirst du, Meister, aus Christi Worten für die Prälaten nicht gewinnen, da sie das Volk in nichts unterrichten sollten, ausser in den Worten, die aus dem Munde Gottes gekommen ... Es hat Gott weder unter dem alten noch unter dem neuen Gesetze den Prälaten etwas anderes zu lehren erlaubt, als einzig und allein seine Gebote. Eher könnte noch von den Prälaten des alten Bundes das Wort gelten: „Thuet und bewahret alles, was sie sagen" . . . denn das alte Gesetz war körperlich, und musste dem Buch- staben gemäss beobachtet werden : wo es hiess : eine Taube, da galt es eine Taube, wo ein Sündenbock, da war es ein Bock . . . Und der Priester hat dem Bauer das Gesetz genau angegeben, da er wusste, das beste Stück gehöre ihm. Anders ist das neue Gesetz: es ist geistig und in kurzen Worten eingeschlossen, in denen aber ihrer Bedeutung nach gar grosse Dinge enthalten sind. Wenn du daher dieses Gesetz einem Priester zur Waltung übergibst, der selbst ohne Licht ist, wie ein Blinder, der an der Wand dahintastet, wie wird er demselben gerecht werden?... Und da er selbst im Finstern steckt, wie wird er die Geheimnisse der Schrift eröffnen und den Blinden das Licht erschliessen? Da er selbst ein Fremdling ist, ohne Glauben und die Rede Gottes nicht versteht, so wird er sich fremde Bücher verschaffen, in denen irgend jemand irgendeinmal etwas gesagt hat und dies wird er durch seine Unwissenheit noch mehr verwirren . . . Wenn aber ein weiser Meister bestellt wird, erfüllt von der Weisheit des Leibes und der Welt, beseelt vom Geiste des Anti- christs, wird er der Schrift gerecht w^erden?. .. Wird er nicht vielmehr sein wie ein Wolf? Wo er das lebendige Thier mit den Zähnen berührt, da wird sein Fleisch schwarz ! . . . Wie ein Mensch, der mit den Füssen in eine reine Quelle tritt? ... Es ist offenbar, dass von diesen die Worte Christi nicht gelten noch das Gebot: „Was sie euch sagen werden, das haltet und thuet!" ... Christi Gesetz ist ein Gesetz des Geistes und hat nichts mit Menschen gemein,, die Gottes Weisheit nicht besitzen und den Geist Christi ; solche können seiner nicht walten . . .

Du hast mir ferner auf Wiklef hingewiesen, der zwar gegen die menschlichen Gesetze und Satzungen viel geschrieben habe, aber doch sage, eine lobenswerte kirchliche Gewohnheit solle bewahrt werden, wofern dieselbe in der Schrift, wenn auch nicht ausdrücklich geboten, so doch stillschweigend enthalten sei. Da du, Meister, den Wiklef anführst und keinen anderen Doktor, so scheinst du ihn höher zu achten als andere : oder hast du vielleicht eben ihn als Gewährsmann angeführt, da du glaubst, ich stütze mich vorzüglich auf ihn, da ich die Menschensatzungen ver- werfe, und schätze andere Doktoren gering? Wisse, da^s ich alle Lehrer, die heiligen und die jetzigen, insoweit annehme, als ule mir durch ihre Wissenschaft den Weg zeigen konnten und das Verständnis eröffnen alles dessen, was Gott in seinem Gesetze mir gebietet . . . Allerdings achte

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ich Wiklef vorzüglich deswegen^ da ich von ihm höre, niemand unter den alten und auch unter den jetzigen Doktoren habe so gut gesprochen und geschrieben gegen das Gift, das der h. Kirche eingeflösst ist und aus dem der oberste Antichrist entsprossen ist mit seinen Widerwärtigkeiten mit denen er Christum unterdrückt hat und sein Gesetz ; auch hat Wiklef mit den Wurzeln ausgerissen seine Rotten...^) Darin gefällt er mir vor anderen. Aber der h. Petrus hat die Christen gelehrt, Christus habe für uns gelitten und uns ein Beispiel hinterlassen, auf dass wir eintreten in seine Fussspuren: da man ihn gescholten, hat er nicht wieder gescholten, da er gelitten, hat er nicht mit Bösem Böses vergolten. Das habe ich mit dem Glauben erfasst, und würde jetzt Petrus vom Himmel kommen und gebieten, es solle das Volk unter Waffen treten, um durch die weltliche Macht die Wahrheit zu vertheidigen und das Gesetz Gottes zu befreien: ich glaubete ihm nicht mehr, denn so lehrt der h. Paulus: Aber so auch wir oder die Engel vom Himmel euch würde anders predigen, der sei verflucht! Da also auch einem Apostel und Engel, da das Gesetz bereits gegeben, der Glaube nicht gebührt, um so weniger will ich einigen Doktoren glauben, die die Rotten in der Christenheit geschaffen und die Welt in Blut begründet, weder ihnen, noch den Neuerungen, die da ent- standen sind nach Verkündigung des Gesetzes vom Sohne Gottes durch die Apostel.

Was aber die Worte Wiklef s betrifft, ein lobenswerter Gebrauch der Kirche solle bewahrt werden, so weiss ich nicht, welche Kirche ihr meint, ob die römische oder diejenige, die aus Stein gebaut ist. Wenn ihr die römische Kirche die Kirche nennt, w^elche lobenswerten Gebräuche sind in ihr zu finden?,.. Nur diejenigen können sie und ihre Gebräuche loben, die ihre Söhne sind und ihre Schmach und Gräuel zudecken. Wenn ihr aber eine Kirche von Stein meint, so mögen auch dort einige lobenswerte Gebräuche zu finden sein, gewöhnlich aber sind dort simonistische Gepflogen- heiten und eine Menge von Lügen, das Volk zu verführen, mehr als auf dem Marktplatze . . .

Wenn ferner gesagt wird, die Gewohnheiten seien im Gesetze Gottes eingeschlossen, so frage ich dich, Meister, wer sie eingeschlossen hat, ob der, welcher glaubt, das Gesetz Gottes sei genügend ohne sie, oder der- jenige, der dem Gesetze Gottes nicht glaubt, es aufhebt und seine Gesetze an dessen Stelle setzt? . . . (Es folgen Citate aus Wiclifs Schriften über das Thema: das Gesetz Gottes war genügend, die Kirche zu begründen und ist genügend, sie zu regieren.) ... Es ist zu ersehen, dass dadurch, dass die Menschensatzung dem göttlichen Gesetze sich anschloss, die Kirche durch sie nicht gebessert, sondern vergiftet und das wahre Leben in ihr ertödtet worden ist. Die Beimengung der Menschensatzung hat die Wissenschaft des göttlichen Gesetzes nicht erhöht, sondern vielmehr der Verachtung preisgegeben, so dass das Recht nach Menschensatzung ge- sprochen wird und das Gesetz Gottes vor der Thüre steht . . . und die Menschen ihre Zwistigkeiten in den Rathhäusern entscheiden lassen und

Vgl. Wiclifs Traktat De Christo et suo adversario Antichristo.

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bei den Priestern sich Rath erbitten, durch sie ihr Heil suchend. Es ist merkwürdig und doch wahr, dass ihr Magister, obgleich euch gute Bücher und die sichere Wahrheit zu Gebote steht, doch euch dabei nicht be- ruhigt . . . Das bringt euch keinen Nutzen, dass ihr auch in geringen Dingen auf die Welt achten müsst und dass ihr unter einander zerissen seid durch die Schriften der alten Heiligen, auf denen der h. Geist geruht hat und die anders gesprochen und anders gewesen, als Wiklef spricht. Deswegen, weil die Meinungen der Doktoren euch zerrissen haben, so könnt ihr, obgleich euch Wiklef gut zu sein scheint, getränkt durch den alten Trank, an dem neuen doch nicht Gefallen finden . . .

Wiklef sagt, das geistliche Gesetz sei von den Prälaten der Kirche gegeben worden und verkündet, um die Widerspenstigen zu beruhigen nach besondern Gesetzen. - Auf diese Weise sind Glaubensartikel durch die h. Concilieu und Versammlungen verfasst worden. Die aus der Schrift geschöpften Gesetze und Wahrheiten, erschlossene und verschlossene, sind zwar nicht gegen dieselbe, aber doch in anderer Art und Weise durch die Kirche verlautbart w^orden. So ist es zu verstehen, wenn mau sagt, die Menschensatzung sei in dem göttlichen Gesetz verschlossen. Denn die von den Prälaten gegebenen Gesetze sind aus der h. Schrift geschöpft. Darum heissen sie aber Menschensatzung, weil sie auf Menschenart in Regeln gebracht worden sind und w^eil auf den Concilieu viele Berathun- gen gehalten werden mussten, um die Welt zum Glauben zu bringen. Regeln sind aber aus der Schrift deswegen gezogen worden, um die Widerspenstigen durch Gewalt zwingen und ahnden zu können nach den Satzungen durch Bann, Ladungen und andere Zwangsmittel . . . Was die Päpste, Bischöfe und Magister in den Concilieu von Glaubensartikeln oder Ordnungen und Dienstbarkeiten dem Sinne der Schrift gemäss be- schlossen haben, das verwerfe ich nicht . . . Dass sie aber die Schrift in Regeln gefasst und besondere Artikel und Gesetze aus ihr gebildet, das muss einen besonderen Grund haben.

Den wahren Sinn der Schrift sollten die Prälaten allerdings finden, auf dass die Menge dieselbe dem wahren Glauben gemäss verstehe. Aber auf Concilieu Gesetze aus der Schrift bilden, das heisst die Menschen mit Gewalt von der wahren Güte abbringen, da sie doch, über das, was recht ist, aus der Schrift belehrt, es freiwillig thun sollen. Das musste aber geschehen, als das Volk von der wahren Güte, die dem Gesetz Gottes entspricht, abgefallen war und als man die ganze Welt der Sünder unter den Glauben aufgenommen hatte ... Da aber eine solche Menge von Sündern Gott zu dienen weder versteht noch fähig ist, so mussten die Prälaten für sie besondere Regeln und Gesetze aufstellen, die diese so fassen könnten, wie sie es fähig wären, nämlich in leiblicher Weise, auf dass alle des Glaubens theilhaftig werden und das Heil erhoffen könnten: die Henker, die Schergen, die Blutmenschen des Rathhauses, die Gewaltmenschen der Burgen und Festen, die sich von dem Blut und Schweiss des arbeitenden armen Volkes nähren, selbst den Leib pflegend und den Lüsten nachgehend. Sie und die gesammte Rotte, die von Gottes Gesetz abgefallen, kann nach Ausmass jener Gesetze im Glauben leben und aller Sakramente theilhaftig werden, die die Kirche verwaltet. Nie

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kann aber das göttliche Gesetz von Bösen aus Zwang zu ihren Heil er- füllt werden, und nur die erfüllen es mit Nutzen, die sich aus Liebe und freiwillig zu ihm bekennen und Gott dadurch Gehorsam und Ehre erweisen wollen; auch ruft er keine anderen als diejenigen, die es gern und freiwillig thun, sich selbst verläugnend, um ihm nachzufolgen. Des- wegen haben Christi Apostel, die die Schlüssel besassen, aus der Schrift keine solchen Gesetze für die Sünder gemacht, sondern dieselbe nur ge- lehrt und mit Verständnis erklärt, damit diejenigen, die aus Liebe es thun wollten, die Schrift erfülleten . . . Wer aber der Lehre der Apostel gemäss die h, Schriften nicht befolgen wollte, den haben sie ausge- schlossen . . . Solche haben sie alsogleich von sich getrennt, ihnen das himmlische Reich verschlossen und keinen anderen Weg eröffnet durch dieselbe Schrift, der jene in Wahrheit nicht genug thun wollten. Aber die jetzigen, die sich zu Nachfolgern der Apostel aufwerfen, die durch Glauben und Schrift mit den Sündern dieser Welt in Gemeinschaft ge- treten sind, haben keinen Grund, ihnen den Himmel zu schliessen diese ehrenwerten Männer, die in grossen Häusern sitzen, diese Purpur- männer in schönen Mänteln mit weiten Kaputzen, - mit hohen Mützen und mit fettem Bauche: sie handhaben mit grossem Ruhme die göttlichen Ordnungen und erfüllen die ganze Schrift nach den Satzungen der Con- cilien. Ihr erfüllet ja aufs beste alles, was im alten und neuen Testa- mente steht, nach den Bestimmungen der Doktoren, der Bischöfe, der Concilien, und dazu habt ihr Missale, Viatiken, Agenden, Canzionale, und nicht einmal ein Vaterunser wird an einer anderen Stelle recitirt, als bestimmt ist. Alles ist genau der Zeit und der Gewohnheit angepasst... und in mannigfaltige Lieder gebracht . . . nach Noten, einmal traurig mit tiefer, ein anderesmal freudig mit hoher Stimme. So erfüllet ihr die Schrift nach den Satzungen . . . Aber Gott befiehlt nicht die Schrift durch Anstimraung von süssen Liedern zu erfüllen, denn er hat dieselbe ge- geben, auf dass die Menschen gute Werke vollbringen . . . Welche Menge von prächtigen Lektionen durchsingt ihr und durchmurmelt ihr aus den Büchern mit dem Munde... aber wo bleiben die AVerke?...

... Es pflegte einst dein Meister Jacobus zu sagen: „Ach, wir armen Priester! wir schreien hinter unseren Pulten wie die Priester Baals, aber das Opfer entbrennt nicht." Und der heilige Hieronymus sagt, das Bellen der Hunde sei besser als der Gesang der stolzen und wollüstigen Geistlichkeit. Der h. Bernhard rügt auch nachdrücklich den Kirchengesang mit seinen hohen und niedrigen Weisen . . .

Aus all' dem, was gesagt worden, kann jeder ersehen, wie wenig die besonderen Gesetze fruchten, die man der Schrift entnommen hat . . . Was nützt dem Mönche seine Armut, da es heisst : Selig sind die Armen im Geiste ! Da ihre Armut ein Geiz ist, dem kein Almosen, keine Dotation befriedigt, bodenlos, unersättlich: so kann die Seligkeit auf ihre unersättliche Armut sich nicht gründen. Und ihr selbst, befolgt ihr denn die Schrift in anderen Geboten, deren ihr gar viele hersagt?...

Sieh den Glauben vom Leibe Gottes!... Unter den Aposteln und ihren Nachfolgern konnten die Gläubigen täglich im Glauben und aus Liebe den Leib Christi geniessen und sein Blut trinken . . . Aber unter den

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Päpsten, da hiess es dreimal im Jahre . . . und dann . . . einmal unter Strafe des Bannes . . . Sieh, wie die Sünder genöthigt werden, zu geniessen sich zum Gerichte ! . . .

Wer sonst konnte dies bestimmen, wenn nicht der Antichrist?... Und so kommt es, dass sie durch ihre Satzungen das Volk im Glauben in keiner höheren Weise regieren, sondern nur wie der Magistrat das Volk durch das Stadtrecht . . .

. . . Die Folgen lehren, dass diese Satzungen nichts Gutes gebracht haben; so die Bestimmung, man soll den Leib Gottes in der Elevation zeigen, ausstellen, auf Strassen, Marktplätzen, im Freien, auf Schlacht- feldern herumtragen ; dies alles hat nur dem Wahne der Bösen Vorschub geleistet, damit sie, obgleich unwürdig zu geniessen, ja selbst anzusehen, zu dem Schauspiel eilen könnten. Der ganze Dienst besteht für sie darin, dass sie mit einem Blick sich begnügen und schnell wie Hunde sogleich wieder davonlaufen, erfüllt vom Aberglauben wie Zauberer: wenn sie nur den Leib Gottes gesehen, so könne ihnen an dem Tage nichts schlimmes widerfahren . . . Und die Fasttage, in welcher Weise bessern diese die Übertreter des göttlichen Gesetzes?... Die Feiertage endlich sind nur das Thor, durch das diejenigen Sünden Einlass finden, die sonst der Arbeit wegen nicht eindringen könnten . . . Die Concilieu glaubten, eine grosse Wolthat dem Volke zu erweisen. Aber sie haben den Gipfel der Thorheit erstiegen, indem sie Gottes Gesetz verpönten und abschafften und wegen des göttlichen Gesetzes Gerechte zum Tode verurtheilten. Hat doch Matthias vom Basler Concil nach Pisek geschrieben, die Kirche habe dort ausgesagt, auch wenn der Genuss des Leibes und Blutes Christi unter beiderlei Gestalt eine Anordnung Christi wäre was sie nicht sei so hätte sie doch das Recht es zu ändern ... Da ist doch offenbar, dass der Antichrist in dem, worin er Christo widerstreitet, den Gipfel erreicht hat . . . Zur Zeit der Apostel übte er das Böse nur im Geheimen, als er aber aufwachsend gross geworden war, da hat er mit der kirchlichen und weltlichen Macht im Bunde sich in der Mitte des Tempels wie ein Gott niedergelassen und verurtheilt Gott und sein Ge- setz, verbrennt Gottes Diener und lässt sie in Kerkern verschmachten, verdammt und verflucht ; und Hesse es Gott zu, so bliebe kein Mensch am Leben, der aus dem Kelche trinkt . . .

Wenn ihr den Glauben richtig fasst, so dürft ihr den auf Erden Pil- gernden keinen Weg zum Fegefeuer weisen. Gott hat hiernieden Mittel bereitet, genügend zu jedweder Gerechtigkeit und zur vollständigen Rei- nigung . . . Ihr leistet nur dem Teufel Vorschub und seinem Sohne, dem Antichrist, der allerwegs die wahre Reinigung unterdrückt und auf- hebt, die in Christo ist, überall selbst eindringt und sich längst die Macht angemasst hat, alle Sünden zu vergeben. Auf mannigfaltige Weise schafft er Heiligung, Reinigung und Gerechtigkeit . . . Christum hat er ganz verworfen und seine Reinigung, dafür aber die eigene Reinigung weit ausgebreitet. Und wem dies alles nicht genügt, für den hält er das Fegefeuer in der Hölle bereit, dadurch kann er die ganze Welt reinigen. Wie viel in das Fegefeuer eintritt, um so viel ist Christi Kreuz beraubt. Darum sehet euch vor, wem ihr helfet . . .

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Du tadelst mich ferner, ich hätte den Dionysius gering geachtet... Wären die Gebote, die er beschreibt, noch heute üblich, ich wollte nicht widersprechen . . . Wie kannst du mir vorwerfen, ich hätte ihn gering geachtet und sein Todtengebet, da ihr euch mit der ganzen Rotte des Antichrists darauf, auf die Gebete für die Heiligen, nicht hält. . . Für die Sünder zu beten hat Gott den Priestern untersagt, da er sprach : denn ich höre dich nicht. So beschaffen ist das Gebet des Dionysius für die Todten, dass es sich nicht vereinigen lässt mit dem Gebete jenes grossen Mörders, dessen Name MaJckabäus ist, der die simonistischen Todten- gebete begonnen . . . Euere Gebete sind ein Theil seines Gebetes. Ihr habt einen Bund geschlossen mit den Sündern der Welt durch euere Gebete und Dienstbarkeiten, auf dass kein Sünder leer ausgehe. Die ärgsten Strassenräuber, Mörder, Wucherer, Trunkenbolde, Fettbäuche : ihnen wird der prächtigste Dienst zu Theil . . . Wie ihr den Sündern der Welt alle Sakramente spendet, ebenso haltet ihr ihnen nach ihrem Ab- leben ein feierliches Todtenamt, damit jedweder Unterschied zwischen dem Heiligen und dem Verdammten schwinde. Euere Schlüssel sind im Munde des heil. Geistes rostig geworden und passen nicht mehr zum Schlosse ... Du berufst dich auch auf unsere Meister, die behauptet hatten, es gebe ein Fegefeuer, auf Hus^ auf Jacobus, auf Matthias von Paris. Allerdings hat Magister Hus in der Auslegung des Glaubens die Meinung des Mönches Thomas angeführt . . . Aber er hat zugleich spitze und gestählte Pfeile gegen das Fegefeuer losgelassen ; träfen sie, so müsste es dahinsiechen. Hus hat wacker gesagt: „Durch gutes Leben könnten die Menschen das Fegefeuer aufheben..." Dann sagst du, du hättest den Jacobus sagen gehört, wenn auch ein Concilium beschliesseu sollte, es gebe kein Fegefeuer, er würde nicht beistimmen. Ich aber habe in mein Buch angemerkt, er habe in der Predigt, da er befragt wurde, geantwortet: der Christ sei nicht so zu glauben verbunden, wie durch andere Artikel des Glaubens. Und wiederum als er in Miličín war, wurde er befragt von dem Volke, das dort versammelt war. Und er sagte : die Seele, die den Leib verlässt, habe keine Schmerzen zu erleiden, aber sie empfinde eine grosse Scham, da sie sich und ihre Makel erkenne; und dadurch werde sie gereinigt. Das sind also drei Erklärungen, eine von der anderen verschieden. Und wo ist die Belehrung, wo die Beständigkeit des apostolischen Mannes? Auch sagst du, ich scheine nicht dafür zu halten, der Leib Gottes könne denjenigen Nutzen bringen, die in der Hölle sind ; Matthias aber schreibe, dieses Sakrament sei die Freude Gottes, der Engel, der Menschen und der Seelen im Fegefeuer. War ich aber früher unklug, da ich an jenen Nutzen zweifelte, so muss ich jetzt sagen: Mag. Matthias und ihr haltet immer etwas Neues bereit, um die Hölle damit zu bereichern. Schon längst hat der Leib Gottes mit seinen Früchten in die Hölle wandern müssen. Denn es wird ge- predigt und unter das Volk gebracht, es sei eine grosse Gabe der gött- lichen Barmherzigkeit, dass niemals die Messe gelesen werden kann ohne zwei Dinge : nämlich ohne Bekehrung eines Sünders und ohne Er- lösung wenigstens einer Seele. Der Teufel wird froh sein, wenn er ver- nimmt, der Altar Gottes werde zu ihm übertragen, und viele werden

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dahin zur Kirchweih eilen . . . Mag. Matthias sagt, die Seelen in der Hölle empfänden Freude am Leibe Gottes. Also leiden sie nichts, sondern beten in Frieden und loben Gott? . . . Wenn ihr soviel der Hölle zutheilt und den Ruhm des Leibes Gottes hinein verlegt, so werdet ihr noch aus ihr ein Kloster machen . . . Ihr hättet das, was ihr sagt, besser bedenken sollen . . . Was jedoch deine Berufung auf unsere Magister betriift, so stimme ich ihnen bei, so weit sie mich im Glauben dem Gesetze Gottes gemäss bekräftigen. Das haben sie mich selbst gelehrt. So viel sage ich von ihnen : ich bin für ihre Wolthaten nicht undankbar, die sie im Namen Gottes erwiesen haben durch ihre Predigten und in anderen guten Dingen. Aber ich sage ferner: auch sie haben von dem Weine der grossen Hure getrunken . . . Denn auch sie haben in ihren Schriften Dinge ge- schrieben, die vom göttlichen Gesetze ableiten, und besonders Mag. Hus darin, was er vom Morde, vom JEide, von den Bildern geschrieben . . . Das kann ich nicht billigen, was in ihren Schriften den Stein des An- stosses bildet, zum Ärgernis für viele, die jene Bücher so verachten, als ob sie heidnisch wären, während andere durch sie im Morden be- kräftigt werden: käme ein Engel uns anders zu lehren, sie glaubeten ihm nicht, sondern nur dem Mag. Hus . . . Nur Gott allein kann die Seele des Menschen erschaffen, mit dem Leibe verbinden und der Sünde wegen vom Leibe wieder trennen. Aber der Mörder, der Mensch, masst sich die Rache an, . . . die Gott allein zukommt.

Die Gesetze der zweiten Tafel zeigen, wie wir den Nächsten lieben sollen, nichts aber widerstreitet der Liebe so sehr, wie der Todtschlag: wäre Hus dabei geblieben, ohne es anders zu deuten, welch gute Erb- schaft hätte er uns hinterlassen!... Könnte ich mündlich mit dir sprechen, so möchtest du wohl sagen, Hus habe nach der Anleitung der h. Doktoren über die Ritter geschrieben. Das weiss ich allerdings, dass er, der sich selbst freiwillig zum Märtyrertum vorbereitete, aus eigenem Antriebe Kampf und Krieg nicht als berechtigt hingestellt hätte, wenn er es in der breiten Lehre der Doktoren nicht vorgefunden hätte. Aber ich frage dich, welche Ritter meinet ihr, die zum Kampfe berechtigt sind?...')

. . . Siehe nur, wie Hus mit den anderen Menschenblut mit vollen Zügen trinkt und den Abfall lobt von der Wahrheit der ersten h. Kirche. Erst gibt er zu, diese hätte in der Zeit der grossen Verfolgungen keinen Schutz von der Macht der Welt begehrt, dann aber findet er durch die Worte der Psalmisten Zugang zur königlichen Macht und lehrt, dass von ihr in der Zeit der Bedrängnisse Schutz gefordert werden soll. Und sobald er sich den Königen zugesellt, fällt er ab von den Werken der Apostel . . . und es scheint ihm, als ob die Christen fernerhin nicht ver- bunden wären den Aposteln und der ursprünglichen h. Kirche in der Duldsamkeit nachzuahmen, da doch die Könige unter ihnen seien. Aber die ursprüngliche Kirche ist 320 Jahre lange den Aposteln in ihrer Duldsamkeit nachgefolgt, ohne zur Zeit der grossen Verfolgungen unter den Heiden die weltliche Macht zu besitzen, sie hat vielmehr von der heidnischen Macht gelitten bis auf Constantin. Als dieser nach vielen

') V^l. Palacký IV, 1. S. 478.

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Grausamkeiten . . . unter die Christen sich eindrängte mit seiner heidni- schen Herrschergewalt und als der Priester, der sich in Elend vor ihm geborgen in Gruben und Wäldern, von ihm kaiserliche Ehre und Herr- schaft in Empfang nahm und vom Glauben abfiel: als diese argen Dinge geschahen, da ist die Stimme gehört worden: „heute ist das Gift ge- gossen in die h. Kirche." Hat aber um der zwei reichen Herren willen, des weltlichen und des geistlichen, der Glaube aufhören sollen?... Dann haben die Doktoren Schriftstellen des alten und neuen Bundes zum frommen des weltlichen Herrn gesammelt . . . und ihm gerathen, die h. Mutter Kirche zu befriedigen und zu schützen, auf dass sie nach Be- lieben ruhig schlafen könnte, sie haben ihm gerathen, Gott mit der frommen Schärfe des Schwertes zu dienen, und sollten auch ganze Ge- genden in Asche gelegt werden und tausende dahin sinken bei ihrer scharfen Arbeit ; darum haben die Doktoren gelehrt, die Kirche besitze zwei Schwerter . . . Und da sie das Gebot und das Beispiel Christi ver- schmäht haben, so badet sie sich im Blute und vergilt Böses mit Bösem. Auch habe ich deinem Meister Jacobtis, als er mich einen Ketzer ge- heissen der Macht wegen, in seinem Zimmer in Bethlehem gesagt: „Wenn die Macht, wie du sagst, recht im Glauben begründet ist, wo ist in der Schrift die Anleitung zu lesen zu ihren Werken, zum Kampfe und anderen Grausamkeiten?" Und er sagte: „Nirgends, aber die alten Heiligen sagen es." Und als der König von Prag abgezogen war, nachdem auf beiden Seiten viele gefallen waren, entschuldigte er die Schlächter und sagte : „Ich kann ihnea daraus kein Gewissen machen, denn das wäre eine Geringschätzung des Ritterstandes." Aus welcher Quelle trinkt dies dieser Mann milden Geistes und heiliger Gestalt? . . . Die Doktoren haben grösseren Ablass ertheilen dürfen, als Christus selbst, der da spricht: Ihr habet gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht tödten; wer aber tödtet, der soll des Gerichtes schuldig sein. Ich aber sage euch : Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichtes schuldig. Hier aber bleibt nach dem Morde kein Vorwurf im Gewissen und der Schlechte benöthigt keiner Busse und keiner Reinigung, so dass das alte Testament des Mordes halber härter strafte, als die Nachsicht der Dok- toren . . . Wie hart hätte dein Meister Jacobus denjenigen angefahren, der am Freitag eine Blutwurst genossen hätte : aber das Vergiessen von Menschenblut beschwert das Gewissen nicht! Wer hat ihm sein Gewissen genommen, wenn nicht die alten Heiligen, die da voll sind des heiligen Geistes . . . Sie haben das Gift den Christen eingeflösst, sie, die im Rathe des armen Jesu nicht sassen . . . Aber darum ist der Glaube und das Gesetz nicht aufgehoben worden und die Menschen sind noch immer verbunden, Christo gehorchend, die Freunde zu lieben und ihnen Gutes zu thun . . .

Du sagst ferner, ich tadle es, wenn die Priester sagen: bekehret euch, zeiget euch, beichtet! Da hast du mich weit gefehlt, denn ich tadle keineswegs die Beichte an denjenigen, die sich zu Gott bekehren und wahre Busse thun . . . Ich wünsche nichts so sehr, als dass die ganze Welt dem vernünftigen Priester beichte, der zu beichten versteht, zu Gott sich bekehre und in Busse bis zum Tode beharre Aber wisse, ich

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widerstrebe euerer Bekehrung, in der ihr den Sündern dieser Welt ein Gesetz errichtet, damit sie hinken könnten, wie sie auf beide Füsse zu hinken gewohnt sind, indem ihr ihnen eine Frist gönnt um Gott, und eine Frist, um dem Teufel zu dienen . . . Aber die "Wurzel des Bösen bleibt in ihnen . . . Unter den Aposteln bestand nicht das Gesetz des wiederkehrenden Bekehrens, sondern der Hingabe und Liebe, in der die Seele ein unauflösliches Band mit Gott besitzt... Ihr aber habt mit dem abtrünnigen Volke bei diesen Bekehrungen viel leere und unnütze Arbeit, zu der Gott nicht verbindet, die aber den reichen Priestern passt, die in Burgen und Städten sitzen, die niemals den Staub ihrer Füsse auf die abschütteln werden, die an Gott nicht glauben und zur Busse sich nie entschliessen . . . Das gehört zur wahren Beichte, den Menschen auf den Weg der wahren Busse zu stellen; wer es aber nicht vermag, der segnet ohne Segen und mit Lug und Trug . . . Wenn der Priester es vermag . . ,, so ist die Beichte gut, wo nicht, schlecht. Es ist aber schwer dies bei weltlichen Menschen zu bewerkstelligen . . . Diese Macht besitzt der Priester nicht in seinen Worten, die er flüstert, ausser er wäre im Stande, den Willen des Menschen zu verändern und ihn mit dem wahren Lichte zu erleuchten, damit er verstehe, was er thut, wenn er beichtet und der Busse sich unterwirft. Du sagst freilich: wir ermahnen sie fleissig, die Gesetze zu befolgen, und sie versprechen es zu thun. Wer verspricht? Ein Thier ohne Gott, das verspricht, was es nicht weiss, und dessen nicht mächtig ist, was es verspricht: es ist an die Welt wie mit Ketten durch böse Gewohnheiten gebunden . . . Merket auf die That, die dem Versprechen folgt . . . Und auch in den Priestern hegt die Ohn- macht, wenn sie Gottes Weisheit nicht besitzen. Recht und Unrecht zu scheiden, wenn sie die Schlüssel nicht besitzen, wenn sie selbst die Gebote übertreten . . . Wenn du fragst, ob es besser wäre, alles bleiben zu lassen, so sage ich : was dasjenige betrifft, worin das Heil des Men- schen beruht, wenn es nicht so geschehen kann, dass daraus das Heil wirklich und mit Sicherheit erfolge, so ist es besser, es bleiben zu lassen, denn ohne Zweifel, wenn es nicht wirklich geschieht, so ge- schieht es zum Schein und mit Trag, und besser ist es, es bleiben zu lassen, als zu betrügen ... Es bringt einen noch grösseren Schaden, die Wunde zu heilen, in der das Geschoss stecken geblieben. . . . und die grösste Schädigung ist es, wenn derjenige heilen will, der die Macht nicht besitzt, da er den Willen in demjenigen nicht ändern kann, den er heilen will . . . und er doch nicht dadurch allein zu heilen vermag, indem er eine kurze Weile etwas flüstert. Gott allein vermag es zu be- wirken, dass der Mensch durch seine Gnade das Böse lässt, wenn er das reine Wort Gottes hört, aus demselben das richtige Verständnis schöpft und so das gebesserte Herz ihm zuwendet . . . Denn das einzige Heil- mittel unserer Gebrechen ist das Wort Gottes . . .

Du sagst ferner, dass du die Missbräuche, die ich aufzähle und deren es noch mehr gibt, ebenfalls verwirfst und verabscheuest. Siehe dich vor, ob es in der That so ist; denn es kann jemand die bittere Frucht des Strauches verabscheuen und doch der Wurzel vergessen und dessen, der sie gepflanzt... Möchtet ihr nur das reine Wort Gottes predi-

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gen und im Volke bekräftigen ohne Zuthat des Giftes ... so wäret ihr au den Missbräuchen nicht schuld und könntet sie mit Recht verabscheuen. Denn aus dem Gesetze Gottes könnten sie nicht hervorgehen, diesem könnte sich nur höchstens eine äussere Gegnerschaft entgegenstellen von solchen, die . . . sich ihm äusserlich widersetzten, im Heidenthum ver- bleibend, ohne sich in den Glauben einzuschleichen . . .

Es werden ferner die Worte des Apostels angeführt, um aus ihnen die Macht der Fürsten mit dem Schwerte abzuleiten und unter den Glauben zu brin- gen : nicht umsonst trage er das Schwert, denn er sei ein Diener Gottes. Woraus gefolgert wird, der Fürst sei ein Beamter der Kirche und solle sie Kraft seines Amtesbe schützen. Da ist zu merken, dass ein Beamter von je- manden angestellt und dass ihm ein Amt angewiesen werden muss. So hat der Sohn Gottes den h. Petrus seiner Herde vorgestellt und ihm sein Werk zugewiesen, als er sprach: „Petrus, wenn du mich, liebst, so weide raeine Schafe!" Aber von den Fürsten haben wir keine derartigen si- cheren Belege, dass Christus mit ihnen einen Vertrag geschlossen, sie angestellt und ihnen seine Kirche befohlen hätte, sie kraft seines Amtes gegen ihre Feinde zu schützen . . . Ich finde es nirgends in dem neuen Bunde ... Im alten Bunde gab es ein solches Gesetz ... Im Gesetze Christi hat der Apostel das Joch der Fürsten dem Volke nicht auferlegt, auch war es nicht ohne König, sein König war Christus. Es ergieng unter Kaiser Augustus das Gebot, dass alle Welt geschätzt würde ; woraus ersichtlich ist, dass die heidnische Kaisermacht die ganze Welt umfasste. Und ihre Herrschaft dauerte in derselben Weise bis auf Con- stantin, den Sylvester hinterlistig in den Glauben aufnahm ohne Änderung seines heidnischen Lebens und mit seiner heidnischen Herrschaft und dem heidnischen Rechte. Aber weder Sylvester noch sonst jemand konnte dieser Macht . . . einen anderen Weg zum Heile im Glauben Christi weisen, ausser dem engen und herben, die Welt zu verachten und ihre Lust. Aber die falsche Priesterschaft hat den Heiden und den Fürsten einen anderen Weg gezeigt, da sie von ihnen Gut annimmt und von ihrem Gute sich nährt. Darum versichert sie sie hinterlistig des Heils und zeigt ihnen einen Weg, der durch Kampf geht, durch Rache und Gericht nach dem Gesetze der Juden, dem Rechte der Kaiser und der Länder. Sie berufen sich auf Johannes, der die Ritter mahnte, sich mit ihrem Solde zu begnügen. Aber Johannes lebte unter dem Volke, das dem Gesetze unterworfen war und konnte es von demselben nicht befreien, bevor das neue Gesetz nicht gegeben war durch den, der nach ihm es geben und einsetzen sollte. Christus selbst hat in solchen Dingen das Volk nicht losgebunden, denn obgleich er selbst die Aussätzigen reinigte, so hat sie doch bei den Reinigungen angewiesen, das zu thun, was das alte Gesetz gebietet. Als aber Christus, der das Ende des Gesetzes ist, für die Menschen ge- storben war und den Aposteln den h. Geist gegeben hatte, da haben diese die Aussätzigen nicht mehr zu den Priestern des alten Bundes gesen- det . . . Das alte Gesetz, das nichts vollkommenes hatte, war aufge- hoben . . . Auch ist zu bedenken, warum Gott die Macht in dem Volke, das ausserhalb des Glaubens Gottes stand, uranfänglich eingesetzt hatte, nämlich zur Handhabung der Gerechtigkeit und zur Aufrechthaltung des

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Friedens, welche Gerechtigkeit und welcher Friede jenem Volke noth- wendig war, auf dass sie ihr Leben behalten und im Besitze des Gutes verbleiben könnten, das jeder erworben hatte . . . Diese Gerechtigkeit konnte durch die Liebe und das Gesetz Gottes nicht bewahrt werden . . . Darum hat Gott, zur Aufrechterhaltung des zeitlichen Wohles diesem unvernünftigen Volke die Zwangsgewalt mit dem Schwerte gegeben . . . Denn sonst hätten sie nicht bestehen können und hätten sich aufgerieben, wenn sie die Macht nicht gebändigt hätten . . . Und nicht allein zur Wahrung der äusseren Gerechtigkeit hat Gott die Macht eingesetzt, sondern auch um böse Dinge und böse Menschen zu vertilgen und seine Rache an den Bösen zu üben . . . Das ist aber zu merken : die Übung der Macht ist an sich keiue vollkommene Gerechtigkeit, wie die Übung der Liebe zu Gott und dem Menschen an sich gut ist . . . Die Übung der Macht kann in einer Beziehung gut, . . . kann für den, der sie übt, manchmal eine Tugend sein, . . . aber in der Regel und gewöhnlich ge- reicht sie zum Falle und besteht in der Übung des Bösen . . .

Wenn aber augeführt wird, es stehe geschrieben, nicht umsonst trage das Schwert der Diener Gottes, so ist zu merken, an wen die Epistel gerichtet ist, nämlich nicht an den römischen Regenten, denn die Heiden haben damals geherrscht. Der Apostel schrieb unter Nero, der die ganze Welt beherrschte, auch die Juden, und in allen seinen Städten Regenten hatte. Diesen konnte Paulus nicht gebieten. Auch hat er die Epistel an eine ganze Stadt nicht gerichtet, denn nicht ganze Städte haben sich zum Glauben bekehrt, sondern nur einige in ihnen und an diese Gläubigen hat er geschrieben und sie gelehrt, der Macht unterthan zu sein... Und wenn er sagt: Diener Gottes, so heisst nicht ein jeder Diener also der kindlichen Liebe gemäss... Denn jedes Ge- schöpf dient Gott in seiner Art . . . Auch den Nabuchodonossor nennt Gott seinen Diener . . .

Ferner sagt der Apostel : So seid aus Not unterthan, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen. Dies ist, wenn wir alle seine Aussagen berücksichtigen, so zu verstehen: weil Gott durch die Macht gute und lobenswerthe Dinge schafft, die den Gerechten jetzt und künftig nützlich sein können, besonders aber zur Förderung ihres zeitlichen Wohlergehens. Wenn aber jemand in seiner Bosheit diese guten Dinge zerstören will, so hat Gott gegen ihn die Macht aufgerichtet . . . Auch lastet schwer des Fürsten Zorn auf dem Menschen, denn sie haben Gewalt über Leben und Tod ... Es gieng ferner die Rede des Apostels, ihren Zorn zu meiden, diejenigen, an die sie gerichtet war, näher an als uns, denn sie lebten in Rom unter der Herrschaft der grausamen Heiden . . . und leicht konnten diese zum Wüthen gegen sie und ihren Glauben gereizt werden und dann alle Chri- sten ermorden. Darum mahnt er die Christen an den Zorn der Heiden, sich vor ihnen um des Glaubens willen zu hüten, und ihren Zorn, so lange Gott eine Versuchung nicht zulässt, durch Unklugheit nicht zu reizen. Auch sind nicht lange nach diesem Schreiben die Apostel, da sie den Glauben in Rom predigten, von Nero hingerichtet worden. Ebenso haben andere Heilige ihre Wut erduldet und das Blut für den Glauben

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vergossen, bis Sylvester den Zorn der Heiden besänftigte. Denn bis auf Constautin haben die gerechten Menschen sich vor den grausamen Kai- sern in Wäldern und in Gruben unter der Erde geborgen, und mau zählt 320 Jahre von der Verkündigung des Glaubens durch die Apostel bis auf die Ausstattung der Geistlichkeit mit Reichtümern. Dann gab es in Rom keine Märtyrer mehr. Das reissende Thier ist zahm geworden, als der Priester es in den Glauben einliess und ihm segnend Antheil an Christo zusprach : Der Priester hat den wüthigen Löwen gebändigt, um mit ihm an einer Tafel sitzen zu können. Vorher haben Sylvester und Peter der Waldenser sich vor ihm in Wäldern und Gruben geborgen^ aber als Sylvester das Thier in den Glauben aufnahm, da hat der Kaiser den Sylvester auf ein Maulthier gesetzt und in Rom herum- geführt. Sylvester hat dem Kaiser in dessen Heidentum hinterlistig Antheil an Christo verschafft und der Kaiser dem Priester an der Welt und ihm ihren Reichtum und ihre Pracht unterthänig gemacht. Um so eifriger umkreist der falsche Priester das Thier und besänftigt es, auf dass es gegen ihn nicht aufstehe, und gewährt ihm Antheil an heiligen Diugen und verspricht ihm den Segen Gottes. Und unter Gebeten und Segenssprüchen der Priester und Mönche mästet sich das Thier an Hoffart und Geiz, an Lüsten und Grausamkeit und am Blutvergiessen, so dass es im Heidentum nicht so fett gewesen ist. Die Apostel Constantins, die von niemand gesendet werden können, als von seinen Nachfolgern, haben erst hinter der Macht sich einen sicheren Stand bereitet . . . und zieren dieselbe mit Schriftstellen und beziehen auf sie die Lehre des Apostels, da doch dieser von der heidnischen Macht spricht, als ob er vor dem Fürsten geredet hätte, die Christi Glauben angenommen haben . . .

Die Magister pflegen zu Gunsten der Macht einige Doktoren anzu- führen, aber von denen, die gegen das Schwert sprechen, schweigen sie; wie von Origenes, von S. Bernard an Eugenius, und von St. Johannes Chrysostomos . . . Die Worte des Origenes beweisen, dass denjenigen, die Christi Blut erkauft hat, das Schwert genommen ist . . . Seine Worte widerstreiten dem Augustinus, der durch die Schrift das Schwert dem Volke zur Wehr gewinnen möchte, das unter Christi Glauben lebt. Und ich kauQ mich nicht genug wundern, dass die Magister und die anderen Priester beide Doktoren als grosse Heilige preisen : gross sei Augustin und gross der alte Origenes . . .

Christus, der Sohn Gottes, und seine Apostel kennen den rechten Weg Gottes und zwingen nicht durch Gewalt, ihn zu betreten . . . Petrus hat in Rom den Ungläubigen keinen Zwang angethan, sondern durch Ver- kündigung des Wortes Gottes gemahnt, freiwillig sich zur Wahrheit zu bekeunen. Auch die anderen Apostel, die die h. Kirche in ihrem Blute pflanzten, haben zum Dienste Christi nicht mit Gewalt gezwungen, sondern sind von den Ungläubigen von Stadt zur Stadt vertrieben worden . . .

Gar arg und gegen allen Glauben ist das, was man bei den Ma- gistern und Priestern antrifft, die zu euerer Partei gehören, und auch bei den Priestern der Taboriten, nämlich die Herabwürdigung des Sakra- mentes des Leibes und des Blutes Christi. Merke, was sie thun; dass sie nämlich dieses Sakrament so gemein gemacht, so gemein, wenn man

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es sagen darf, wie eine Hökersfrau, die auf dem Markte sitzt, und Pflaumen verkauft. Und noch mehr. Denn das Sakrament ist jedermann zugänglich, der es nur haben will, während die Hökersfrau einen Preis angibt und Bezahlung fordert; die Priester aber fragen nicht nach dem Gewissen und dem Wandel des Menschen. Die Hökersfrau besieht die Münze und zeigt sie, wenn sie ihr unbekannt ist anderen und frägt den, zu dem sie Vertrauen hat. Aber jene wollen nichts wissen und fragen nicht nach dem Gewissen und dem Wandel derjenigen, denen sie das Sakrament reichen. Sie reichen es jedermann ohne Unterschied, sie tragen es in den Krieg, wo Mord und Raub herrscht und bedienen Mörder und Räuber. Und daheim bleibt das Sakrament ohne Unterlass ausgestellt für die ärgsten Sünder und sie spenden es Räubern, Dieben, Wucherern. Trunkenbolden, Gewaltthätern und allerhand mächtigen Menschen ohne Wahl ; nur wenn sie jemanden ihretwegen zürnen, wenn jemand ihnen irgendwie widerstrebt, den werden sie vielleicht ausschliessen . . . Aber den Mördern spenden sie und belasten nicht ihr Gewissen. Denn es ist bekannt, dass die Magister als mit ihnen darüber gesprochen wurde, wie sie es mit den Mördern halten wollen, die im Kampfe morden, sagten, sie dürften deswegen das Gewissen dieser Mörder nicht belasten. Und von Räubern, die im Kriege rauben, sagten sie, dadurch werde der Feind mürbe gemacht und zur schnellen Unterwerfung vermocht. Und diesen Ausflüchten der Magister gemäss, morden und rauben die Prager und die Taboriten. Ich aber frage: hat Gott sein Gebet widerrufen, das lautet: „Du sollst nicht tödten! Du sollst nicht stehlen! Du sollst nicht des Nächsten Gut begehren und wegnehmen!" Wenn er es nicht widerrufen, so rauss es in Prag und in Tabor erfüllt werden, und die Magister und Priester bethören das Volk, wenn sie die Übertretung der Gebote ent- schuldigen und den Übertretern Christi Leib und Blut reichen, denn die Mörder werden doch schuldig des Leibes und Blutes Christi . . . Auch du, Bruder, sieh dich vor, dass du diese Dinge nicht leicht nehmest und dich und andere nicht verführest, wenn du jedermann zulässest und niemand prüfest, um sein Gewissen kennen zu lernen. Denn die Menschen irren gar schwer in vielen Dingen und sind allzeit bereit, zum Altar zu treten, als ob sie gerecht wären. Viele wissen es selbst nicht, wie sehr sie die Welt lieben mit ihrer Ehre und Pracht, nach ihrem Reich- tum trachten und Gefallen finden in der Schönheit und Zierlichkeit der Kleider von ausgewählten Farben und von grossem Werthe, . . . wie eifrig sie Gut zu erwerben bestrebt sind im schlechten Handel ... Da nun die Magister und andere Priester sagen, ihre Ordnungen und Dienst- barkeiten der Sakramente seien den Ordnungen der ersten apostolischen Kirche gemäss, so wird ihnen Glauben geschenkt . . . Wie sehr sie aber davon entfernt sind, beweisen die Worte des Dionysius, auf den sie sich zumeist berufen, und anderer alten Christen . . .

Sieh, Bruder, das Zeugnis derjenigen, die die apostolische Ordnung bei dem Dienste der Sakramente kannten, dass nur die dabei zugelassen wurden, die der Sakramente würdig waren. Die übrigen aber wurden aus- geschlossen von Anblick und Genuss der Sakramente, und die Priester, die die Wissenschaft der Schlüssel besassen, fragten und erfuhren, welche

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rein waren, und die Unreinen haben sie ausgeschieden und entfernt, auf dass sie dabei nicht zugegen wären. Darum war das Sakrament des Leibes und Blutes nicht allen zugänglich zum Anblick und Genuss, am wenigsten den Unwürdigen, und wurde nicht zum anderen Tage auf- bewahrt . . . Wie weit sind wir von den Aposteln und ihren Schülern abgewichen ! . . . Das ist aber nicht das Werk der Priester Christi, sondern derjenigen, die es zu sein vorgebend, ihre Dinge suchen und die Welt lieben. Sie halten es mit den h. Dingen, wie es die Welt will; und darum leben sie in Frieden mit den Bösen in Städten und Burgen, wo das Böse seine Stätte hat . . . Würden sie aber in Prag, in den Städten und Burgen der Prager, und auch der Taboriten, die Menschen auf den engen Weg Christi weisen, so müssten sie von ihnen leiden Einkerkerung, Tödtung und Austreibung.

... Es gibt Priester, die vorher einen Vertrag schliessen über den Lohn, den sie empfangen sollen jede Woche oder jedes Jahr. Ein solcher kümmert sich wenig, wie der Glaube des Volkes sei . . . Es gibt aber auch Priester anderer Art, die sich viel Mühe geben, indem sie predigen und den Dienst der Sakramente leisten . . . Aber darin scheint jetzt die apostolische Güte zu bestehen, dass alle ohne Urtheil zugelassen wer- den . . . Nach solchen Priestern bleibt kein Werk zurück, das des Lohnes würdig wäre, wenn sie auch zwei bis drei Jahre harte Arbeit verrichtet haben . . .

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Peter Chelčický und seine Lehre 5—43

Beilagen :

I. Zur Frage nach der Berec-htig-ung- des Krieges 47

A. Das Gutachten der Magister 51

B. Bellandi materiam concernit infra scriptum 53

C. Noverint universi 55

D. De hello 56

II. Zur Geschichte der chiliastischen Schwärmerei 57_60

A. B. Schreiben Jakobells gegen Jičín.

III, Zur taboritischen Abendmalslehre 60 64

A. C. Artikel- aus Schriften des Nikolaus von Pilgram.

IV. Die Schriften des Petar Chelčický 64—69

V. Auszüge aus einigen Schriften des Peter Chelčický.

A. Replik gegen Ni*:olaus von Pilgram 69

B. Erklärung der Passion Christi 73

C. Von den Sakramenten 75

D. Chelčickýs Replik gegen Rokycana 82

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