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THE UNIVERSITY OF BRITISH COLUMBIA

1% Regierung und Volkswille

Eine akademiſche Vorleſung N bon

Hans Delbruͤck. EN,

EN

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Verlag von Georg Stilke, Berlin NW. 7 Hofbuchhaͤndler Sr. Kaiſerl. u. Koͤnigl. Hoheit des Kronprinzen 1914

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. Copyright 1914 by Georg Stilke, Berlin.

Vorwort.

Vor etwa zwei Jahren wurde ich einmal von Studenten gebeten, eine Spezialvorleſung über „Parteien und Partei— regierung“ zu halten. Ich kam dieſem Wunſche in einigen Stunden nach und fand dabei, daß der Gegenſtand ſich eigne, zu einer vollſtändigen Vorleſung für ein Semeſter er— erweitert zu werden. Dieſe Vorleſung habe ich im Sommer 1913 gehalten, und indem ich ſie begann, machte ich mir klar, daß, was ich vorzutragen gedachte, auch geeignet ſein möchte, in den Druck gegeben zu werden. Ich ließ alſo die Vor— leſung nachſtenographieren und lege ſie nunmehr vor, nach— dem ich ſie hier und da überarbeitet, ergänzt und auch den Titel geändert habe. Es ſind die Ideen und Tendenzen, die ich ſeit 29 Jahren in den „Preußiſchen Jahrbüchern“ vertrete, pſychologiſch analyſiert und breiter fundamentiert durch die Ergebniſſe meiner hiſtoriſchen Werke und Studien; auch manche Berichtigung hergebrachter Anſchauungen, über die meine Unterſuchungen noch nicht veröffentlicht ſind, iſt ein— geflochten.

Wie man auch theoretiſch über das Verhältnis des Hiſtorikers zum Politiker urteile, bei mir hängen beide jedenfalls in der Weiſe zuſammen, daß meine politiſche Stellungnahme durchaus beherrſcht iſt durch meine Auf— faſſung als Hiſtoriker und nicht umgekehrt. Ganz gewiß

4 Vorwort.

iſt es nicht das Weſen und der Zweck der Geſchichte, aus ihr Lehren zu ziehen für das praftifche Handeln. Das Weſen der echten Geſchichtsſchreibung iſt die reine Betrachtung. Es gibt keine Geſetze der Geſchichte, und man kann keine Verhaltungsregeln aus ihr ableiten. Das ſchließt aber nicht aus, daß eine klare Einſicht in den Urſprung und das Werden der Zuſtände, in denen wir leben, ein un— ſchätzbares Hilfsmittel iſt, die Gegenwart zu verſtehen, und das beſſere Verſtändnis der Gegenwart, wenn es auch noch keine Prophetengabe für die Zukunft verleiht, ſchärft doch den politiſchen Blick. Nicht minder werden wir das von der Einſicht in das Werden und Vergehen anderer Völker erwarten dürfen. Wenn es wahr iſt, daß Politik Voraus— ſehen verlangt, ſo hat ſchon hierdurch die echte Geſchichts— kenntnis ihren hohen Wert für die Politik, wenn ſchon ihr eigentlicher Zweck darin nicht liegt. Das Vorausſehen in der Politik erleichtert des weiteren ihre praktiſche Aufgabe, die Zielſetzung, der dann endlich der Wille zur Tat in der praftifchen Staatskunſt das volle Leben verleihen muß. Nationale Geſinnung verlangen wir heute von jedem, aber auch wenn die Geſinnung ſich paart mit der Willenskraft, kann ſie den nationalen Staat doch nur dann gedeihlich fuͤhren, wenn ſie die wohl überlegende und durchgebildete Einſicht an der Spitze hat.

In dieſem Sinne ſind Wiſſenſchaft und Politik in den „Preußiſchen Jahrbüchern“ von je verbunden geweſen, und was dort nach den Forderungen des Tages gegeben wird, habe ich nun hier, freilich nur in der flüſſigen Form einer Vorleſung, verſucht ſyſtematiſch zu entwickeln. Die „Preußiſchen Jahrbücher“ haben ſich oft dem Strom der öffentlichen Meinung entgegengeſtemmt, zuweilen auch bei guten Freunden Widerſpruch erregt. Ich gebe mich der

Vorwort. 5

Hoffnung hin, daß dieſe zuſammenhängende Darftellung manchen Widerſpruch, der mehr auf Mißverſtändnis als auf ſachlichem Gegenſatz beruht, überwinden, auch manchen wirklichen Gegner ſtutzig machen und ſchließlich dieſen meinen Anſchauungen neue Anhänger gewinnen wird.

Unſere Regierung rühmt ſich über den Parteien zu ſtehen. Auch die Wiſſenſchaft ſteht über den Parteien. Die menſch— liche Unzulänglichkeit wird es ſelten zulaſſen, daß dieſer hohe Standpunkt tatſächlich erreicht und innegehalten wird. Aber ſchon daß er erſtrebt wird, gibt eine große Überlegen— heit über jeden Parteiſtandpunkt. Der praktiſche Staats— mann ſieht zunächſt, wie er ſich mit den Parteien aus— einanderſetze. Aber auch was die Wiſſenſchaft ſagt, iſt beſonders in Deutſchland immer ſehr beachtet worden, und es möchte ratſam ſein, daß man das auch fürderhin wohl in Obacht nehme.

Berlin-Grunewald, den 11. November 1913.

Hans Delbruͤck.

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http://www.archive.org/details/regierungundvolk00delb

„Regierung und Volfssoille” ift ein einzelnes Kapitel aus dem Gebiete der Politik, das ſich zur Spezialbehandlung be— ſonders eignet, da die Frageſtellungen, die damit verbunden ſind, ſo recht in die Mitte aller der Probleme führen, die heute unſer Volk wie alle Völker bewegen, viel mehr, als wenn man etwa über Monarchie und Republik oder über Liberalis— mus, Klerikalismus und Sozialismus ſprechen wollte.

Man verlangt heute allenthalben, daß das Volk ver— möge der abwechſelnden Parteien ſich ſelbſt regiere. Der Volkswille ſoll zum Ausdruck gebracht werden und den Staats— willen beſtimmen. Da wollen wir beginnen mit der Frage: Was iſt das Volk, nach deſſen Willen man ſich richten ſoll? Was iſt das deutſche Volk? Zum deutſchen Volk gehören nicht bloß die Reichsdeutſchen, ſondern auch die deutſchen Oſterreicher, die deutſchen Schweizer, die vielen Millionen von Deutſchen in Ungarn, Rußland und Amerika. Von vornherein müſſen wir den Begriff des deutſchen Volkes auf die Reichsdeutſchen einſchränken. Sofort aber erkennen wir dann, daß zu dem deutſchen Volk in dieſem Sinne auch viele Millionen Polen, Dänen und Franzoſen gehören. Es gibt in Elſaß⸗Lothringen auch Deutſchſprechende, die fort— während den Willen bekunden, daß ſie dem deutſchen Volke politiſch anzugehören ablehnen. Sehen wir von dieſen immerhin ſehr erheblichen Unſtimmigkeiten ab und erblicken im deutſchen Volk in unſerem politiſchen Sinne die Ein— wohnerſchaft des deutſchen Reichs mögen gewiſſe Bruch—

Volksregierung.

Was iſt ein Volk?

Sind die Elſaß⸗ Lothringer ein Volk?

2 Was iſt ein Volk?

teile damit einverſtanden ſein oder nicht ſo haben wir damit freilich eine Einheit, aber keineswegs eine von der Natur gegebene, ſondern eine durch die geſchichtlichen Er— eigniſſe unter tauſend Zufälligkeiten gebildete.

Als vor einigen Jahren dem Reichslande Elſaß-Lothringen eine Verfaſſung gegeben wurde, die dieſes Gebiet den anderen Gliedſtaaten des Reiches gleichſtellte, wurde vielfach verlangt, daß gemäß dem Prinzip des Selbſtbeſtimmungsrechts der Völker die Elſaß-Lothringer ſelber zugezogen werden und ihre Verfaſſung beſtimmen ſollten. In dieſem Verlangen, das von vielen Liberalen mit Lebhaftigkeit befürwortet wurde, waren alſo die Elſaß-Lothringer als ein Volk vorausgeſetzt, das einen eigenen Willen produzieren kann. Wer ſind die Elſaß⸗Lothringer? Der Abſtammung nach zum Teil Alemannen, zum Teil Franken, zum Teil Franzoſen. Der Geſchichte nach gehörten einige Teile dieſes Gebiets zu Frankreich ſeit dem Jahre 1552, andere ſeit 1648, ſeit 1681, 1735, 1801; bis dahin zu Deutſchland; Muͤlhauſen gehoͤrte bis 1794 zur Schweiz. Die von militäriſchen Erwägungen beſtimmten und inſoweit durchaus willkürlichen Feſtſetzungen einerſeits des Friedens von Paris (1815), andererſeits des Frankfurter Friedens (1871) haben alle dieſe verſchiedenen Territorien und Stammesfragmente zu einer Einheit zuſammengefügt. Bilden nun die Bewohner dieſer geographiſchen Einheit ein Volk? Kann man dieſem Volk einen Willen zufprechen, und wie ver—⸗ hält ſich dieſer Wille zum Willen der Geſamtheit des deutſchen Volkes? Es iſt doch offenbar unmöglich, daß jeder einzelne, beliebig herausgeſchnittene Bruchteil eines Volkes ein Selbft- beſtimmungsrecht habe. Sprechen wir es den Elſaß— Lothringern im Ganzen zu, weshalb nicht jedem der drei Stämme, Schwaben, Franken und Franzoſen? Und weshalb nicht ſchließlich jeder einzelnen Gemeinde? Es iſt möglich,

Die Elſaß⸗Lothringer. 3

daß aus den Elſaß-Lothringern mit der Zeit einmal innerhalb des deutſchen Volkes eine gewiſſe Einheitlichkeit des Emp— findens erwächſt, ſo wie bei den Preußen oder Bayern. Die Forderung aber, daß das elſaß⸗-lothringiſche Volk jetzt ſeine eigene Verfaſſung beſtimme, war in doppelter Weiſe ſinnwidrig: Erſtens, weil die Elſaß-Lothringer in ihrem Empfinden noch gar keine organiſche Einheit darſtellen, und beſonders weil ſie nur ein Teilſtück des deutſchen Volkes find, fo wie fie bis 1870 ein Teilſtück des franzöſiſchen Volkes waren. Mit Recht hat deshalb die Entſcheidung über die Abtretung des Gebiets zwiſchen Rhein und Vogeſen der franzöſiſche Staat als Ganzes, die Volksvertretung in Bordeaux, gegeben und nicht eine irgendwie organiſierte Willenskundgebung der abzutretenden Gebiete ſelbſt, und mit demſelben Recht hat jetzt die Geſetzgebung des deutſchen Reiches dieſem Gebiete eine Verfaſſung gegeben.

Haben wir ſchon den Begriff des deutſchen Volkes ein— ſchränken müſſen auf die Einwohner des deutſchen Reiches, ſo müſſen wir den Begriff noch weiter einengen durch die Feſtſtellung, daß wir es auch in dem weiteren Begriff „deutſches Volk“ nicht mit einem von der Natur gegebenen, ſondern mit einem durch den Lauf der Geſchichte geſchaffenen Gebilde zu tun haben. Man pflegt das deutſche Volk zu behandeln als die einfache Fortſetzung jenes Volkstums, das vorher Germanen genannt wurde. Das iſt nicht richtig. Es iſt gar kein Zweifel, daß nur ein geringer Teil des heutigen deutſchen Volkes, nämlich die Bewohner von Hannover, Weſtfalen, Braunſchweig, Oldenburg in der Hauptſache Germanen ſind. Sämtliche Deutſche aber am Rhein wie ſüdlich des Main find ſehr ſtark gemiſcht mit Kelten, Rhätiern und anderen romaniſierten Voͤlkern, alle Gebiete öſtlich der Saale und Elbe wiederum mit Slaven,

Das deutſche Volk.

4 Miſchraſſen.

Preußen und Lithauern. Wie ſtark der Beiſatz von fremdem Blute iſt, iſt im einzelnen nicht zu berechnen. In manchen Gegenden geht er unzweifelhaft ſehr weit, noch weit über die Hälfte hinaus.

Ganz ebenſo wie die Deutſchen ſind auch alle die anderen großen Kulturvölker die Engländer, Franzoſen, Spanier, Italiener Miſchraſſen, durch den Gang der geſchichtlichen Ereigniſſe miteinander verſchmolzene Beftandteile der aller— heterogenſten Stämme, und es iſt ein Beweis der Herrſchaft des Geiſtes über die Natur, daß die Einheit, die ſie darſtellen, aus phyſiſch ſo disparaten Elementen auf— gebaut iſt. Selbſt dann, wenn, was wir ſelten genug finden, der Volkseinheit eine phyſiſche Stammes-Einheit zugrunde liegt, ſo iſt doch das Weſen des Volkstums nicht in der gemeinſamen Abſtammung, ſondern in ſeiner geiſtigen Einheit zu ſuchen. Die Wiſſenſchaft iſt hierüber völlig einig, und Treitſchke hat ſogar den Satz aufgeſtellt, daß gerade die ſtaatsbildenden Völker ſtets ſtark gemiſcht geweſen ſeien, wie die Römer und die Engländer. Die Araber und Juden ſeien beſonders reinen Blutes, und von ihnen könne man nicht behaupten, daß fie vorzüglich ftants- bildend gewirkt hätten; ihre Kraft liege auf ganz anderen Gebieten. „Freilich,“ fügt er hinzu, „faſt alle edlen Völker, wie die Athener, nannten ſich ſelber autochthon; aber faſt alle mit Unrecht.“ Noch heute könne man erkennen, wo in Deutſchland die Mädchen die Laſten auf dem Kopfe tragen, da ſeien einmal die Römer geweſen. Die Schwaben im Mittelalter, die Preußen in der Neuzeit, ſeien die ſtaats⸗ bildenden Träger des Deutſchtums geweſen, und gerade ſie ſeien beſonders ſtark gemiſcht. Ich möchte mir dieſen Schluß, daß Blutmiſchung hervorragend befähigt mache zur Staatsbildung, nicht aneignen. Die erſten Staatsbildner in

Abkunft der Deutſchen. 5

Deutſchland waren doch die Sachſen unter Heinrich J. und Otto J. und waren nicht gemiſcht, und ſchließlich die Nieder: lande ſind doch auch eine ſehr bedeutſame germaniſche Staatsbildung und getragen von ungemiſchten Germanen. Das Richtige und Wertvolle in dieſer Betrachtung iſt aber, daß wir wiederum den Begriff „Volk“ nicht als etwas Ge⸗ gebenes erkennen, ſondern als etwas in den Kämpfen der Geſchichte Gewordenes. Von wo an können wir nun dieſem Werdenden, von dem wir eben erfahren haben, daß es aus ganz verſchiedenen und entgegengeſetzten Elementen zuſammen⸗ geſchmolzen iſt, einen Willen zuſprechen? Seit dem gemein⸗ ſamen Siege über die Ungarn auf dem Lechfelde im Jahre 955 haben ſich die Stämme der Sachſen, Franken, Schwaben und Bayern allmählich in einem Einheitsgefühl als deutſches Volk zuſammengeſchloſſen, aber noch im Jahre 1815 vermeinte jede Landſchaft, z. B. Neu⸗Vorpommern und Altpommern eine beſondere „Nation“ zu fein“) und auf dem Wiener Kongreß widerſprach der württembergiſche Geſandte „der Abſicht, aus verſchiedenen Völkerſchaften, z. B. Preußen und Württembergern, ſozuſagen, eine Nation zu bilden.“ In der Tat wuͤrden ja auch der pommerſche und der württembergiſche Bauer, wenn ſie in ihrer Mutterſprache ſprechen, ſich untereinander nicht verſtändigen können. Nur indem man ſie in der Volksſchule künſtlich die hochdeutſche Schriftſprache lehrt, ſchafft man die für das Weſen eines einheitlichen Volkes unentbehrliche Spracheinheit.

In noch größere Verlegenheit geraten wir, wenn wir nun von dem heute trotz dieſer Vorbehalte in einer großen nationalen Einheit daſtehenden Volke der Deutſchen abſehen und etwa zu den Sſterreichern oder Ungarn gehen. Wo iſt

*) Treitſchke, Deutſche Geſch. II., 196 ff.

6 Kulturvolk und Staatsvolk.

das öſterreichiſche oder ungariſche Volk? Zehn verſchiedene Nationalitäten, meiſt auch nur wieder Bruchſtücke von größeren Stämmen, ſind hier zu einer politiſchen Einheit vereinigt. In Ungarn herrſchen die Magyaren, die nach ihrer eigenen Zählung gerade die Hälfte der Einwohnerſchaft des Königreichs ausmachen, nach der Meinung der Kenner lange noch nicht einmal die Hälfte, etwa Millionen von 20. Wo iſt hier der ungariſche Volkswille zu ſuchen?

Um den Begriff „Volk“ überhaupt ſtaatsrechtlich wieder— zugeben, müſſen wir von dem eigentlichen Sinne der nationalen oder Kultureinheit, oder wie man ſie ſonſt nennen will, abſehen und die Geſamtheit der Bürger— ſchaft eines wie auch immer zuſammengeſetzten und be—

Zum Volk ge- grenzten Staates darunter verſtehen. Das deutſche Volk in on dieſem Sinne find alſo die Bürger des deutſchen Reiches. Kinder. Sind es aber bloß die Männer? Gehören nicht auch die Frauen zum deutſchen Volk? Es gibt bekanntlich ſogar viel

mehr Frauen als Männer. Von welchem Lebensjahr an

gehört ein Deutſcher zu demjenigen Teil der Deutſchen, die

berufen ſind, den Volkswillen darzuſtellen? Gehört zur Konſtituierung eines Volkswillens die direkte Abſtimmung

über eine beſtimmte Frage? Kann man zu dem Volkswillen

gelangen auch durch Repräſentanten? Wie ſollen dieſe Repräſentanten gewählt werden? Das iſt von der aller⸗

höchſten Bedeutung. Wir werden noch davon hören. Denn

durch die Art der Abſtimmung kann es ſehr leicht geſchehen,

Majorität und daß die Majorität in eine Minorität verwandelt wird. In⸗ Minorität. wiefern hat überhaupt die Majorität das Recht, ſich für das Ganze auszugeben und den Willen der Minorität zu

mißachten oder auszuſchalten? Gehört die Minorität nicht

auch zum Volk? Vor kurzem hat Herr Woodrow Wilſon

Majoritaͤt und Minoritaͤt. 7

das Amt als Präſident der Vereinigten Staaten von Amerika angetreten; anſcheinend als der Erwählte der Majorität der amerikaniſchen Staatsbürger. In Wirklichkeit hat ihn nur die Minorität gewählt.

hat 58157800 Stimmen, dagegen Rooſevelt .. 3928000 Stimmen, e, ,, 3370000 dee Shaping 27322161000 1 zuſammen 8139000 Stimmen.

Die Gegenkandidaten zuſammen haben alſo volle 2 Millionen Wähler mehr hinter ſich gehabt als Herr Wilſon. Das iſt möglich geweſen, weil die Wahl nicht direkt war, ſondern durch Wahlmänner vollzogen wurde, die in den einzelnen Staaten gewählt wurden. Der Zufall wollte es nun, daß Herrn Wilſons Wahlmänner mehrfach nur mit ganz kleiner Majorität gewählt wurden, daß große Minoritäten ſeiner Gegner alſo ausfielen, während dieſe umgekehrt viel— fach Wahlmänner mit großen Majoritäten hatten, Wilſon dort alſo nur kleine Minoritäten verlor. Überdies gilt bei der Wahl der Wahlmänner in den meiſten Staaten bloß die relative Majorität. Die Spaltung der Republikaner zwiſchen Taft und Rooſevelt verſchaffte alſo in vielen Staaten Wilſon die Stimmen der Wahlmänner, obgleich er nur die Minorität der Wähler auf ſeiner Seite hatte.

Iſt es ſchon ſehr bedenklich, die Majorität ohne weiteres für das Ganze zu ſubſtituieren und die Minorität aus— zuſchalten, ſo wird das Bedenken noch ſehr verſtärkt da— durch, daß ja erfahrungsmäßig ſehr viel Bürger ſich über— haupt an den Abſtimmungen nicht beteiligen. Der Politiker hilft ſich mit dem alten Satz: qui tacet consentire videtur.

Verbürgt an⸗ nähernde Ein⸗ ſtimmigkeit den Volkswillen?

8 Die Herrſchaft der Napoleons.

Aber der Satz genügt hier offenbar nicht. Denn zuſtimmen kann man nur einem Beſchluß, den man kennt. Hier muß angenommen werden, nicht ſowohl, daß die Nicht— wähler zuſtimmen, als daß ſie ſich unterwerfen, was auch immer das Ergebnis der Abſtimmung ſei.

Bei der Wahl des Präſidenten Wilſon haben überdies drei Millionen ſtimmberechtigte amerikaniſche Bürger ſich der Stimme enthalten, fo daß die jetzige amerikaniſche Re: gierung tatſächlich nur von einem Drittel der Bürgerſchaft eingeſetzt worden iſt. Ja, wir haben ſehr häufig in demo— kratiſch regierten Staaten den Fall, daß nur etwa die Hälfte der Berechtigten, oft noch weniger, an der Abſtimmung teil— nimmt. Die Majorität dieſer Hälfte macht alſo unter Um— ſtänden wenig über ein Viertel aus. Kann man im Ernſte behaupten, daß die Kundgebung eines Drittels oder eines Viertels der vorhandenen Bürger den Volkswillen darſtelle?

Vielleicht gibt man zu, daß es nur ein Notbehelf iſt, wenn man in ſolchen Fällen vom Volkswillen ſpricht, aber wenn ſich nun Einmütigkeit oder ſo gut wie Einmütigkeit bei einer Abſtimmung kundgibt, dann wird man doch wohl von einem Volkswillen ſprechen können? Sehen wir zu. Es iſt tatſächlich nicht ganz ſelten geſchehen, daß ein großes Volk in einer allgemeinen Abſtimmung nahezu einſtimmig ſeine Meinung kundgegeben hat, z. B. bei der Wahl der beiden Bonapartes zu Herrſchern der Franzoſen. Kaiſer Napoleon III. hat im Jahre 1868, als ſein Herrſcherrecht bereits anfing, ſtark angefochten zu werden, eine Schrift verfaſſen laſſen oder ſelber verfaßt: „Les titres de la dynastie Napolèonienne“ („Die Rechtstitel der Napeleoniſchen Dynaſtie“). Der Schrift iſt das Motto vorgeſetzt: „Vox populi vox Dei“. Hier iſt hiſtoriſch ganz richtig feſtgeſtellt, daß im Jahre 1799 die Konſulatsverfaſſung, die den General

Die engliſche Volksvertretung. 9

Bonaparte als erſten Konſul an die Spitze von Frankreich berief, angenommen wurde mit mehr als 3 Millionen Stimmen gegen eintauſendfünfhundert. Die Abſtimmung wurde im Jahre 1804 wiederholt, als der Konſul ſich zum Kaiſer proklamieren ließ, und ergab Millionen Ja gegen 2500 Nein. Napoleon III. wurde am 10. Dezember 1848 zum Präſidenten gewählt mit 5430000 Stimmen gegen Cavaignac mit 1448000 Stimmen, am 2. Dezember 1851 zum Präſidenten auf zehn Jahre mit Millionen gegen 650000; am 2. Dezember, als er zum Kaiſer gewaͤhlt wurde, waren die Nein auf 253000 geſunken. Hat nun die Geſchichtsſchreibung und namentlich die demokratiſche Geſchichtsſchreibung anerkannt, daß hier wirklich der Wille des franzöſiſchen Volkes, den man als ſolchen zu reſpektieren habe, zum Ausdruck gekommen ſei? Im Gegenteil. Man ſieht die Herrſchaft der beiden Napoleons ganz und gar nicht als Ausdruck des Volkswillens, ſondern als Gewaltherrſchaft, ein „Säbelregiment“, eine „Tyrannis“ an.

Halten wir dieſe verſchiedenen Zahlen und hiſtoriſchen Erfahrungen zuſammen, fo ergibt ſich, daß in der Konz ſtruktion eines Volkswillens vermöge einer allgemeinen Ab— ſtimmung irgendwelche Elemente ſtecken müſſen, die wir noch nicht ans Licht gezogen haben. Denn auf der einen Seite finden wir, daß der Amerikaner ſich ohne jeden Wider— ſpruch heute einem Präſidenten unterordnet, der nur die Minorität der Wählenden hinter ſich gehabt hat, und auf der anderen Seite, daß die Herrſchaft der Napoleons an— gefochten wurde, obgleich gerade ſie wirklich von der un— geheuren Maſſe getragen worden ſind.

Prüfen wir aber die Frage, ob Verſammlungen, die in Repräfentiert der Geſchichte als Volksvertretungen bezeichnet werden, wirk— e lich den Volkswillen darſtellten, noch weiter an der Ge- Voltswillen?

10 Die engliſche Volksvertretung.

ſchichte von England. Das engliſche Unterhaus iſt bereits gebildet worden im 14. Jahrhundert, aber ſehr lange hat es neben dem Oberhauſe nichts bedeutet. Erſt nach den Revolutionen des 17. Jahrhunderts kann man die Begriffe des Parlamentarismus im modernen Sinne auf die engliſchen Inſtitutionen anwenden. Das Unterhaus wurde gewählt teils von den Grafſchaften, teils von den Städten. In den Städten war das Wahlrecht ſehr mannigfaltig geſtaltet. In manchen von ihnen hatte ſich das Gewohnheitsrecht gebildet, daß die Magiſtrate die Abgeordneten ernannten; in andern wählten die ſämtlichen Hausbeſitzer, in noch anderen die Gilden. Sehr häufig hatten ganz kleine Städte das Recht, Abgeordnete zu ſenden, Staͤdtchen, die ganz und gar in der Hand des umliegenden Großgrundbeſitzes und ſogar eines benachbarten Großgrundbeſitzers waren. Zum Beiſpiel der Herzog von Neweaftle war in einem ſolchen mit dem Wahl— recht begnadeten Städtchen der Beſitzer der ſämtlichen Häuſer. Als nun einmal die Bürger Abgeordnete gewählt hatten, die ihm nicht genehm waren, ſetzte er ſie ſamt und ſonders aus ihren Wohnungen hinaus und ließ ſie mit Weib und Kind ſechs Wochen im freien Felde biwakieren. Man nannte dieſe Städte, die ihre wirtſchaftliche Bedeutung mit der Zeit eingebüßt, das Wahlrecht aber behalten hatten, rotten boroughs. Im Jahre 1793 wurde berechnet, daß 172 Mit⸗ glieder des Unterhauſes für England und Wales direkt vom Miniſterium oder von Individuen ernannt wurden und 137 unter einem ſolchen Einfluß gewählt. 45 ſchottiſche Mit⸗ glieder wurden durch 35 Perſonen ernannt; von den 100 iriſchen wurden 71 von 55 Perſonen ernannt. Das Haus hatte im ganzen nach der Union mit Irland 658 Mitglieder. Von dieſen 658 Mitgliedern waren alſo im ganzen 424 durch Ernennung oder Empfehlung von 252 Perſonen ein

Die engliſche Volksvertretung. 11

geſetzt. Lord Lonsdale ernannte 9, der Herzog von New— caſtle, der Herzog von Buckingham und andere je 6. Die Stadt Edinburg hatte nur 33 Wähler. Das berühmteſte von den rotten koroughs ift ein Flecken, der ehedem am Meer gelegen hatte, aber bei einer Sturmflut von den Wellen verſchlungen worden war. Die Wahl vollzog ſich hier ſo, daß ein Rechtsanwalt in einem Boot auf den Fleck fuhr, wo das Städtchen ehedem geſtanden, und dort das Protokoll über die Ernennung der beiden Abgeordneten aufnahm. Dieſen Flecken hatte ſich William Pitt als ſeinen Wahlſitz ausgeſucht, um völlig unabhängig von jeder Wählerſchaft zu ſein. Die rotten boroughs waren durch den Beſitz des Wahlrechts zu einem geſuchten Handelsartikel geworden, und wenn jemand in Indien Reichtümer erworben hatte, nach Hauſe, wie man es nannte, als „Nabob“ zurückkehrte und nun eine geſellſchaftliche Stellung anſtrebte, jo war das einfachſte Mittel, ein rotten borough zu kaufen und ſich ins Unterhaus waͤhlen zu laſſen. Es brauchte das nicht einmal ein bloß der Eitelkeit gebrachtes Opfer zu ſein, ſondern konnte auch eine ganz gute Kapitalsanlage werden. Denn das Mandat als Abgeordneter wurde wiederum aufs Kraͤftigſte ausgenutzt, um von der Regierung irgendwelche Zuwendungen zu empfangen oder auch zu erpreſſen. Im beſonderen wurden die Beamten ausſchließlich auf Emp— fehlung ernannt, Empfehlung von den Abgeordneten, die als Mitglieder der Majorität die Regierung ſtützten und ihr unentbehrlich waren. Die große Maſſe der Abgeordneten beſtand demgemäß aus den Söhnen, Vettern, Neffen und Schützlingen der großen Herren, die ſelber im Oberhaus ſaßen. Dadurch erklärt es ſich, daß wir in dieſer Zeit faſt niemals von einem Konflikt zwiſchen Oberhaus und Unter— haus hören. Es ſind eben dieſelben Schichten her Geſell—

Delbrück, Regierung und Volkswille.

12 Die englifche Volksvertretung.

ſchaft, die in beiden Häuſern vertreten ſind, und die Parteien, die damals um die Regierung kämpften, die Whigs und Tories, ſind, die eine ſo gut wie die andere, ariſtokratiſchen Charakters“). Das Unterhaus entbehrt nicht völlig eines gewiſſen Zuſatzes von Mitgliedern, die unter dem Einfluß der öffentlichen Meinung ſtehen. Aber dieſe wirklichen Wahlelemente haben im Laufe des 18. Jahrhunderts von ihrer Macht allmählich mehr und mehr eingebüßt.

War dieſes engliſche Unterhaus eine Volksvertretung? An dieſe Korporation knüpft ſich der hohe Ruhm des eng— liſches Parlamentarismus. Dieſes ſo konſtituierte Parlament hat erſt den Kampf gegen Ludwig XIV., dann von neuem den Kampf gegen Frankreich im Bunde mit Friedrich dem Großen im ſiebenjährigen Kriege, dann ſchließlich den un: geheuren Kampf gegen die franzöſiſche Republik und Napoleon durchgefochten. Zuweilen hatte es in dieſem Kampf die öffentliche Meinung auf feiner Seite, aber keines— wegs immer. Namentlich in dem 23 jährigen Kriege gegen die Republik und Napoleon (17931815), der den Eng⸗ ländern zwar ſchließlich unermeßlichen Gewinn gebracht hat, ihnen aber auch ungeheure Laſten auferlegte, iſt die öffent— liche Meinung öfter verzweifelt und hat von der Regierung die Herſtellung des Friedens gefordert. Im Jahre 1809 war ſelbſt die City von London ſo weit, zu petitionieren, daß Wellington mit ſeinem Heer aus Spanien zurück— gerufen werden möge. Zum Heil Englands und der Welt iſt die Regierung, die die große Majorität des Unterhauſes hinter ſich hatte, feſt geblieben. Sie feſſelte die Mitglieder des Hauſes an ſich durch die Wohltaten, die ſie ihnen er—

) Vgl. meinen Aufſatz „Whigs und Tories“ in der Sammlung meiner „Hiſtoriſchen und politiſchen Aufſätze“.

Die engliſche Volksvertretung. 13

wies, ſowie dieſe wieder bei den Neuwahlen durch alle Mittel, namentlich aber durch einfachen Stimmenkauf, die Wähler für ſich gewannen. Dieſe doppelte Korruption wurde als ein unvermeidliches Mittel angeſehen, um auf dem ſchwankenden parlamentariſchen Boden eine feſte Regierung aufzubauen, und bis tief ins 19. Jahrhundert hinein findet man die Spuren davon. Gentz, das literariſche Mundſtück des Fürſten Metternich, führte die Unvermeidlichkeit der Korruption immer als Hauptargument ins Feld, um die Nachahmung der engliſchen parlamentariſchen Inſtitutionen auf dem Feſtlande zu bekämpfen. Noch im Jahre 1869 iſt es vorgekommen, daß ein Kandidat 6400 Mark in Silber am Wahltag in ſeinem Wahlort auf die Straßen ſtreuen ließ. Die Wahl wurde angefochten, aber ſchließlich doch für gültig erklärt, weil nicht bewieſen werden konnte, daß der Kandidat den Wählern Geld gegeben hatte. Es konnten ja irgend— welche andere Mitbürger geweſen ſein, die das Geld von der Straße aufgerafft hatten.

Der Notwendigkeit einer Wahlreform verſchloß man ſich bereits im 18. Jahrhundert nicht. Ein Herzog von Richmond beantragte ſogar einmal im Oberhaus die Einführung des allgemeinen gleichen Stimmrechts. Auch Pitt hatte eine Reform in Aus ſicht genommen. Um aber den rotten boroughs, die nun einmal die Wahlbefugnis als ihr wohl— erworbenes Recht anſahen, kein Unrecht zu tun, hatte er die uns grotesk anmutende Idee, ihnen dieſes Recht, aus dem ſie bisher einen ſo ſchönen Nutzen gezogen, für 1 Million Pfund Sterling bar abzukaufen. Aber ehe dieſer Plan noch zur Reife gediehen war, kam die franzöſiſche Revolution. Schon 1790 ließ Burke den erſten Warnungsruf ertönen, und Pitt erklärte, als er die revolutionäre Bewegung jen— ſeits des Kanals immer weiter um ſich greifen ſah, daß er

2 *

14 Die engliſche Volksvertretung.

nach wie vor von der Notwendigkeit der Parlamentsreform in ſeinem Heimatlande durchdrungen ſei, daß er es aber nicht an der Zeit halte, ſo gewagte Experimente vorzunehmen angeſichts der Bewegung in Frankreich. Auch in England war in den Maſſen eine ungeheure Gärung. Die Fran— zoſen ſandten Geld und Agenten herüber und rechneten bereits mit Sicherheit darauf, daß es ihnen gelingen werde, in England ganz wie in Frankreich eine Volkserhebung hervorzurufen. Allenthalben wollten ſie ja die Völker auf— rufen zur Freiheit und zum Kampf gegen die Tyrannei. Eine Revolution in England hätte ihnen in dem aus— gebrochenen Kriege den Sieg gegeben. Die Engländer aber hielten die revolutionären Zuckungen mit Gewalt nieder, und als im Jahre 1809 der Abgeordnete Burdett es wagte, im Unterhauſe einen Antrag auf Parlamentsreform zu ſtellen, erzielte er dafür nicht mehr als 15 Stimmen.

Noch lange nach dem Friedensſchluß hielt dieſe durch den Krieg gegen die Franzoſen erzeugte Stimmung an, und erſt im Jahre 1832 kam eine Parlamentsreform zuſtande, die den Charakter des Unterhauſes ſo gründlich veränderte, daß wir von neuem die Frage aufwerfen müſſen, ob Eng— land wenigſtens von dieſem Jahr an eine Volksvertretung hatte, von der man annehmen kann, daß ſie wirklich einen Volkswillen repräſentiere. Die Reform war eine doppelte. 56 rotten boroughs mit 111 Mitgliedern wurde das Wahl— recht entzogen; 30 wurden von zwei auf einen Abgeordneten herabgeſetzt. Die ſo gewonnenen Stimmen wurden auf die in den letzten Jahrhunderten emporgekommenen großen Induſtrie- und Handelsſtädte verteilt. Das früher ge— wohnheitsrechtlich ſo verſchieden geſtaltete Wahlrecht wurde jetzt auf Grund eines Zenſus durch das ganze Land gleich— mäßig normiert. Das Wahlrecht wurde gegeben allen den—

Die engliſche Volksvertretung. 15

jenigen, die in den Städten wenigſtens 200 Mark Miete bezahlten, oder auf dem Lande 200 Mark Einkommen aus Landeigentum oder lebenslänglicher Pacht, oder 1000 Mark Einkommen aus einfacher Pacht, nachweiſen konnten. Früher waren auf dem Lande alle Pächter, auch die mit lebens— länglichen oder erblichen Pachtrechten vom Wahlrecht aus— geſchloſſen geweſen. Im Jahre 1867 trat eine neue Reform ein, mit der die allzu großen Ungleichmäßigkeiten in den Wahlkreiſen etwas ausgeglichen und der Wahlzenſus er— mäßigt wurde. 1872 wurde die geheime Abſtimmung ein— geführt. 1884 fand eine abermalige Herabſetzung des Zenſus ſtatt. Aber bis auf den heutigen Tag ſind die Wahlkreiſe ſehr ungleichmäßig (z. B. Durham hat 2600 Wähler, Romford 53000), und es ſind auch noch immer ſehr viele erwachfene Staatsbürger vom Wahlrecht aus: geſchloſſen. Man hat die Ausgeſchloſſenen neuerdings auf mehr als 4 Millionen berechnet, während umgekehrt noch erheblich über eine halbe Million Wähler exiſtieren, die, weil ſie in verſchiedenen Wahlkreiſen einen Beſitz haben, oder aus ſonſtigen Gründen ein doppeltes oder ſogar mehr— faches Stimmrecht ausüben können. Das iſt praktiſch nicht ohne Bedeutung, da die Wahlen in England nicht, wie bei uns, alle an einem Tage ſtattfinden.

Will man ſtrikte an dem Satz feſthalten, daß zur Herſtellung eines Volkswillens eine irgendwie organifierte, aber gleichmäßige Abſtimmung ſämtlicher Staatsbürger, oder zum wenigſten aller männlichen Staatsbürger, er— forderlich iſt, ſo müſſen wir zugeſtehen, daß das vielgerühmte Mutterland des Parlamentarismus, England, ſelbſt heute noch keine wahre Volksvertretung beſitzt.

Recht merkwürdig iſt die Geſchichte dieſer Frage auch in Parlament und Italien. Als das Königreich Sardinien-Piemont von 1889 Volt in Statten.

16 Wahlrecht in Italien.

an allmählich die anderen Landſchaften von Italien mit ſich vereinigte, wurde jedesmal die Bevölkerung befragt und entſchied ſich dafür in einer allgemeinen Abſtimmung. Aber man hütete ſich ſehr wohl, eben die Staatsbürgerſchaft, deren Willen man für die Errichtung des Staates ſelber herangezogen hatte, nun auch an der Regierung des Staates teilnehmen zu laſſen. Das Wahlrecht blieb vielmehr für das neugeſchaffene Königreich Italien ſo, wie es bisher im Königreich Sardinien geweſen war, nämlich gebunden an eine jährliche direkte Steuerleiſtung von wenigſtens 40 Lire 32 Mark. Infolgedeſſen beſaßen bei der Armut der Italiener das Wahlrecht noch keine 2½¼%/ der Bürgerſchaft. Im Jahre 1882 wurde der Zenſus von 40 auf 19,80 Lire herabgeſetzt und uͤberdies das Wahlrecht allen Bürgern er— teilt, die leſen und ſchreiben konnten; auch dadurch wurde die Zahl der Wähler von etwa 600000 doch auf nicht mehr als Millionen gebracht, da die Kunſt des Leſens und Schreibens, ſo leicht man auch das Examen darin ge— ſtaltete, doch in weiten Provinzen noch recht ſelten war. Gerade jetzt in den letzten Wochen hat eine neue Wahl— reform ſtattgefunden, deren Träger der Miniſter Giolitti iſt. Sie verleiht das Wahlrecht allen Bürgern, die 21 Jahre alt ſind und leſen und ſchreiben können oder ihre Militär— pflicht erfüllt haben, ſowie allen Bürgern, die 30 Jahre alt ſind, auch wenn ſie nicht leſen und nicht ſchreiben können. Durch dieſe Beſtimmung wird die Zahl der Wähler von rund 3 auf rund 8 Millionen erhöht, und etwa 80% der volljährigen Bürger werden in Zukunft wahlberechtigt ſein, während es bisher nur 32% waren. Dem Antrag, ſofort das allgemeine gleiche Stimmrecht einzuführen, hat ſich Giolitti widerſetzt: Der Sprung würde zu groß ſein; man ſolle zunächſt einmal einen Übergang ſchaffen. Auch

Unentbehrlichkeit der Parteien. 17

das Frauenſtimmrecht lehnte er vorläufig ab: Die plötzliche Vermehrung der Zahl der Wähler, wenn man auch die Frauen zulaſſe, würde gar zu groß ſein.

Weder von England noch von Italien wird man leugnen wollen, daß ſie Regierungen haben und ſeit langer Zeit haben —, die ſich mit dem Volkswillen im weſentlichen im Einklang gehalten haben. Der Gang der Geſchichte hat es bewieſen. Aber ebenſo iſt uns jetzt bewieſen, daß dieſer Begriff eines Volkswillens von der Forderung der Majorität der erwachſenen Männer ſehr weit abliegt, ja, gar nichts mit ihm zu tun haben braucht.

Die Erfahrung der Jahrtauſende lehrt, daß die un- unentbehrlichkeit geheure Mehrzahl der Menſchen am Staate nicht fo viel un Anteil nimmt, um ganz aus eigenem Antrieb ſich eine Meinung über Perſonen- oder Geſetzesvorlagen zu bilden und demgemäß abzuſtimmen“). Um größere Mengen in poli— tiſche Bewegung zu bringen, bedarf es eines Mittelgliedes zwiſchen dem Staat und den Einzelnen, das iſt die Partei. Die Parteien bringen die Wahl zuſtande, indem ſie die Einzelnen mit Anſichten erfüllen und zur Abſtimmung führen. Der Kraftunterſchied zwiſchen den Parteien iſt meiſtens nicht ſehr groß; die Entſcheidung liegt in dem oft nur kleinen Vorſprung, den die eine Partei vor der anderen gewinnt, und dieſer Vorſprung hängt ab von der Organi— ſation, der Agitation, den Geldmitteln, die von beiden Seiten

*) In dem mir erſt nachträglich bekannt gewordenen Buch „Human nature in politics“ von Graham Wallas (London, Conſtable & Co. 1910) S. 232 wird die Anſicht vertreten, daß ſelbſt in einem Lande ſo alter politiſcher Erziehung wie England keine Grafſchaft exiſtiere, in der die Zahl der tatſaͤchlich in der Politik taͤtigen Perſonen auch nur 10% der Waͤhlerſchaft erreiche. Dies Buch iſt von hohem Wert fuͤr alle politiſche Pſychologie. Von deutſchen Verhaͤltniſſen hat der Verf. freilich recht wunderliche Vorſtellungen.

Weſen der Majorität.

18 Weſen der Majoritaͤt.

aufgewendet werden. Wem es gelingt, noch einen Haufen ganz Gleichgültiger durch irgendwelche Mittel zur Wahlurne zu ſchleppen, der gewinnt. Iſt es alſo das Volk, deſſen Wille durch den Wahlakt zur Erſcheinung gebracht wird? Wir ſind in einem offenbaren Dilemma. Exiſtieren keine Parteien, ſo wird die Wahlbeteiligung ſo klein bleiben, daß von einer Volksaktion nicht die Rede ſein kann. Haben wir aber Parteien, ſo zerren ſie zwar das Volk auf die Bühne, aber die Entſcheidung fällen Mächte, die Meinungsloſe zur Ab: gabe ihres Zettels zu beſtimmen verſtehen.

Wie iſt die Menſchheit uͤberhaupt dazu gekommen, der Majorität das Recht der Regierung über die Minorität ein⸗ zuräumen? Hat die Idee der Majorität einen tieferen ſitt⸗ lichen Grund? So fundamental heute das Majoritätsprinzip iſt, ſo findet man in der ſtaatswiſſenſchaftlich-philoſophiſchen Literatur doch ſehr wenig darüber, und zwar aus dem durch— ſchlagenden Grunde, daß ſich wirklich nicht viel darüber ſagen läßt. Daß auf ſeiten der Majorität immer die größere Klugheit ſein muß, läßt ſich nicht wohl behaupten. Der einzige Grund für ihre Herrſchaft iſt, daß die größere Maſſe auch die größere Macht darſtellt.

Es iſt ein rein praktiſches Prinzip. Wenn man Bürger⸗ kriege vermeiden will, läßt man die regieren, die bei einem Kampfe auf jeden Fall die Oberhand haben würden, und das find die Meiſten“). Da es nun auch noch andere Mächte

) G. Simmel, Soziologie, S. 186 ff., hat verfucht, das Majoritaͤts⸗ prinzip pſychologiſch tiefer zu begruͤnden, m. E. ohne Erfolg und auch nicht ohne hiſtoriſche Fehler.

Gierke, „uͤber die Geſchichte des Majoritaͤtsprinzips“ (S. 320), macht darauf aufmerkſam, daß das Majoritaͤtsprinzip bei uns in der Tat zuerſt im Kampfe zur Anwendung kam; die Gerichtsurteile mußten noch einſtimmig ſein, als beim gerichtlichen Zweikampf bereits die Regel galt, daß, wenn Sieben gegen Sieben kaͤmpften, die Siegermehrheit entſcheide.

Fehler im Majoritaͤts⸗Syſtem. 19

im Staate gibt, als die Maſſe, ſo iſt es nur natürlich, daß das Majoritätsprinzip, auch wo man es formell aufgeſtellt hat, doch ſehr häufig umgangen worden iſt, beſonders aber, daß manche Epochen der Geſchichte es gar nicht gekannt haben. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Schon in dem Augenblick, wo man in England durch die zweite Parlamentsreform (1867) dem Ideal einer demo— kratiſchen Volksrepräſentation nahegekommen war und man vorausſetzen konnte, daß das noch Fehlende in abſehbarer Zeit nachfolgen würde, wurde man ſtutzig und warf die Frage auf, ob auf dem Wege der Wahl von Abgeordneten durch eine Majorität der Wille des Volkes überhaupt zum Ausdruck gebracht werde. Die beiden hervorragendſten Ver— treter des demokratiſchen Stimmrechts in England waren der Philoſoph Stuart Mill und der Hiſtoriker Grote, deſſen umfaſſende griechiſche Geſchichte noch heute einen gewiſſen wiſſenſchaftlichen Wert hat. Gerade in dieſer ſeiner griechiſchen Geſchichte hatte er ſeine demokratiſche Weltauffaſſung am anſchaulichſten zum Ausdruck gebracht und hatte ſich ſchließlich mit ihr, man kann ſagen: überſchlagen, ſo daß er Perikles verwarf und Kleon für den wahrhaft idealen demokratiſchen Staatsmann erklärte“). Beide aber, Mill wie Grote, waren ſcharfblickend und unbefangen genug, um ſchließlich zu er— kennen, daß das, was ſie zu erreichen beſtrebt geweſen waren, die Emanzipation und die Herrſchaft der Individuen, durch das Syſtem ſelbſt, durch die Herrſchaft der Majorität, aufs ſchwerſte gefährdet war. Er habe ſeinen Glauben überlebt, ſagte Grote von ſich ſelbſt, denn eine Majorität könne gerade ſo tyranniſch ſein wie ein Deſpot, etwa wie

) Über die Verkehrtheit dieſer Auffaſſung vgl. meinen Artikel „Bebel, der Demagog“ in den Preuß. Jahrb. Sept.-Heft 1913.

Aufkommen des Proporz⸗ Gedankens.

20 Proportional-Wahl.

ein Napoleon. Man ſann nach, wo der Fehler ſtecken könne, und Mill ſuchte endlich die Rettung in dem Prinzip der Proportionswahl, für die eben Hare das erſte Syſtem aus— arbeitete. Das Repräſentativſyſtem leidet ja an dem funda— mentalen Fehler, daß der Wähler ſeinen Vertrauensmann doch immer nur nach einer oder einigen beſtimmten, gerade im Augenblick beſonders hervorſtechenden Eigenſchaften oder Tendenzen zu beſtimmen vermag, während er vieles andere, der eine dies, der andere das, nicht vertreten findet, oder ſogar, obgleich ſeinen Wünſchen widerſprechend, in den Kauf nehmen muß. Beſonders wenn die Repräſentation ſich auf eine Reihe von Jahren erſtreckt, kann es nur zu leicht vor— kommen, daß ſich Wähler und Gewählte immer mehr von— einander entfernen. Schon Rouſſeau hat dieſen Fehler des Wahlrepräſentativſyſtems richtig erkannt und es deshalb im „Contrat social“ ausdrücklich verworfen. Er kennt nur das Volk, das unmittelbar ſelbſt regiert. Freilich, ſagt er, daß das wohl nur bei ſehr kleinen Gemeinweſen ausführbar iſt. Aber weiter als bis zur Frageſtellung iſt er nicht ge— langt. Er hat das Problem geſehen, aber keine Löſung dafür gefunden und deshalb die Frage ſtillſchweigend fallen laſſen. Mill ging in ſeinem Zweifel nicht einmal ſo weit, ſondern blieb ſtehen bei dem noch mehr zutage liegenden Einwurf, daß ja in ſämtlichen Wahlkreiſen des Landes die Minoritäten bei dem beſtehenden Syſtem völlig ausgeſchaltet und mundtot gemacht ſeien. Dieſe Minoritäten konnten ja der Majorität oft ganz nahe kommen, ſo daß der Ausgang der Wahl für das ganze Land ſchließlich dem Zufall anheimgegeben iſt, wie ſich die Anhängerſchaft der verſchiedenen Parteien über die verſchiedenen Wahlkreiſe verteilt. An der Wahl des Präſidenten Wilſon haben wir ja ſchon ein Beiſpiel dafür kennen gelernt.

Proporz. 21

Mill glaubte, dieſe Schwierigkeiten durch das Pro— portionalwahlſyſtem überwinden zu können, und der Gedanke hat ſeitdem immer mehr Anklang gefunden. Die einfachſte Methode iſt die Minoritätenvertretung, indem man Wahlkreiſe mit drei Abgeordneten bildet und nicht alle drei der Majorität gibt, ſondern einen davon der Minorität, falls dieſe eine gewiſſe Stimmenzahl erlangt hat. Aber damit iſt nicht durchzukommen, da es ja auch mehr als zwei Parteien geben, und der Ausfall durch den Zufall beſtimmt werden kann, wie ſich die Stimmen auf die beiden hier vorausgeſetzten Kandidaten der Majorität verteilen. Man hat ſeitdem zahlloſe verſchiedene Syſteme für die Proportionalwahl ausgeführt (d'Hondt ein Belgier Hagenbach, Kantorowicz, Siegfried und viele andre). Not— wendig ſind dabei immer große Wahlkreiſe mit mehreren Kandidaten. Aber noch kein Syſtem hat allgemeinen Beifall gefunden. Sie ſind alle unſicher in der Wirkung und hängen z. B. davon ab, daß die Parteien ihre Stärke richtig einſchätzen und ihre Stimmen ſo verteilen, daß keiner der ihrigen zuviel Stimmen erhält. In der Schweiz, in einigen Staaten von Nordamerika, in Hamburg und in Württemberg iſt dieſe oder jene Art der Pro— portionalwahl heute bereits in Kraft. Der Name „Proporz“ iſt dafür im Jahre 1890 in Baſel zuerſt mit einem ſpöttiſchen Beiklang aufgekommen. Das dort bis dahin beſtandene Syſtem der Majoritätswahl wurde „Majorz“ genannt. Beſonders wichtig iſt, daß heute in Frankreich die Einführung des Proporzes anſtelle der einfachen Majoritätswahl mit Eifer betrieben wird. Die franzöſiſche Republik hat ſeit 1871 bereits dreimal ihr Wahlſyſtem geändert: 1875, 1884, 1889. Aber das franzöſiſche Volk iſt dauernd ſehr unzufrieden mit den Ergebniſſen ſeiner

Auftreten des Proporz⸗

gedankens in Frankreich.

22 Üble Wirkungen der Wahl⸗Regierung

eigenen Abſtimmungen. „Die Republik war ſchön,“ hat man geſagt, „unter dem Kaiſerreich.“ Man beſchuldigt die Deputierten des Mißbrauchs ihrer Gewalt, und der Name „Panamiſt“, der ſich für parlamentariſche Korruption als techniſcher Ausdruck in der Weltliteratur eingebürgert hat, ſtammt von rieſigen Beſtechungen, durch die einſt die Panamakanal-Geſellſchaft die franzöſiſche Deputiertenkammer mehrfach zu Anderungen des Geſetzes über dieſe Geſellſchaft veranlaßte. Die Deputierten haben ſich vor einigen Jahren ihre Diäten von 9000 Franks jährlich auf 15000 erhöht und ſchließlich auch noch 6000 weitere Franks als Gehalt für einen Privatſekretär hinzugefügt. Der Spitzname für einen Deputierten iſt deshalb „Un quinze mille“. Vor einiger Zeit ging einmal eine Anekdote durch die Zeitungen, ein Deputierter habe auf einem Omnibus Streit bekommen, ſeine Autorität herauskehren wollen und ſich als Mitglied des geſetzgebenden Körpers bekannt. Aber ſtatt damit Eindruck zu machen, habe ſich das Publikum fofort gegen ihn gewandt: „Un quinze mille! Un quinze mille! A la porte! A la portel“ und ihn hinausgeworfen. Anatole France, der genialſte Schriftſteller des heutigen Frankreich, hat in einem ſeiner reizenden ſymboliſchen Romane, in denen er die Geſchichte Frankreichs perſifliert, von dem Staate, den er dem Leſer vorführt, geſagt, man nenne dort die Erwählten des Volkes mit verſchiedenen Namen: „De— putierte“, „Abgeordnete“, „Geſetzgeber“, „Volksvertreter“, oder auch dieſer Name ſei aber weniger beliebt „Gauner“. Dergleichen Geſchichtchen ſind natürlich keine Beweiſe. Aber der Kampf um den Proporz hat Stimmen laut werden laſſen, die uns nicht daran zweifeln laſſen können, daß das bisherige Wahlſyſtem in der Tat recht üble Früchte gezeitigt hat. Der Vorkämpfer für die Einführung

in Frankreich. 23

der Proportionalwahl ift feit Jahren kein geringerer als der nunmehr zum Präſidenten der Republik Frankreich erwählte Raymond Poincaré. Poincaré war Advokat und Journaliſt von Beruf; ſeit 1893 abwechſelnd Unterrichts-, Finanz- und Auswärtiger Miniſter. Er kennt alſo das innere Getriebe der franzöſiſchen Verfaſſung und Verwaltung ganz genau. Schon im Jahre 1909 (19. September) ſagte er: „Ich habe ſeit langer Zeit eine feſtgewurzelte Anſicht: Ich bin überzeugt, daß wir den Abgrund immer weiter hinuntergleiten, wenn wir uns nicht entſchließen, unſer Wahlſyſtem von Grund auf zu ändern, die Abſtimmungs— baſis zu erweitern, die Unzuläſſigkeit des Majoritäts— verhältniſſes zu vernichten und ehrlich in der franzöſiſchen Vertretung ein getreues Abbild aller franzöſiſchen Meinungen zu ſuchen. Mögen alle Republikaner, die heute noch dieſer unumgänglichen Löſung widerſtreben, ſich ihr anſchließen, bevor die Wahlkorruption ihr verderbliches Werk vollendet hat und Kataſtrophen unvermeidlich macht.“ Und nachher ſchrieb er: „Die ſchlechteſte Verhältniswahl iſt in meinen Augen immer noch beſſer als die beſte Majoritätswahl. Es iſt freilich nicht weniger wahr, daß die meiſten Ver— hältniswahlſyſteme ungenügend ſind. Wir müſſen ein ein— faches, leicht verſtändliches und gerechtes Syſtem haben.“

Das Übel, das Herr Poincaré bekämpfen will durch den Proporz, iſt nicht ſowohl die Korruption im Parlament ſelbſt als die von dem jetzigen Wahlſyſtem ausgehende Verderb— nis in der Verwaltung. „Die Wahlreform,“ ſagte er darüber (25. Juni 1912), „hat den Zweck, dem Regime des Favo— ritismus und der Empfehlungen, das die normale Tätigkeit der Verwaltungen fälſcht, ein Ende zu machen.“ Als darüber in der Kammer von den Gegnern gemurrt wurde, fuhr er mit erhöhter Stimme fort: „Ich ſage es laut heraus, was

Schäden der Verwaltung infolge der Majoritäts⸗ Wahlen.

24 Parlamentarismus

jo viele im Innern denken: In den kleinen Wahlkreiſen hat der Wähler eine zu große Furcht, um ſich immer der Herr— ſchaft gewiſſer Intereſſen, die mit den allgemeinen Intereſſen im Widerſpruch ſtehen, entziehen zu können. Die Wahl— reform müßte die Vorrede zu einer Verwaltungsreform werden.“ Herr Poincaré hat nichts Demagogiſches an ſich; er iſt eine durchaus ernſte Perſönlichkeit, und wir werden fein Zeugnis gelten laſſen müſſen. Seit 1906 hat ſich auch die Wählerſchaft wiederholt zugunſten des Proporzes aus— geſprochen. Nicht weniger als ſechs Regierungen hintereinander ſind dafür öffentlich eingetreten. Aber die Gegner haben bisher alle Anſtrengungen zu durchkreuzen vermocht. Die Gegner ſind eben die jetzigen Inhaber der Gewalt. Der Abgeordnete eines Bezirks, ſei es in der Deputiertenkammer, ſei es im Senat, iſt in dieſem Bezirk der abſolute Herr. Die Beamten gehorchen ſeinem leiſeſten Wink, vom Präfekten an abwärts. Denn wenn ſie den Unwillen des Deputierten erregen, würde dieſer ſich beim Miniſter beſchweren können, und da der Miniſter wieder von den Stimmen der Depu— tierten abhängig iſt, ſo wäre es um den ſteifnackigen Beamten bald geſchehen. Nach der Empfehlung des Depu— tierten werden die Anſtellungen vollzogen. Nach den Emp— fehlungen des Deputierten werden die Staats- und Gemeinde⸗ lieferungen vergeben. Ein Deputierter weiß Aufſchub zu erlangen oder zu verhindern, handle es ſich um eine Strafe, oder ſei es bei der Aushebung, Urlaub zu verſchaffen und ſogar Gerichtsurteile zu beeinfluffen*). Beſonders verhängnisvoll hat ſich dieſe Abhängigkeit der franzöſiſchen Verwaltung von

*) Sehr eingehend iſt der verderbliche Einfluß des Parlamentarismus auf die Verwaltung juͤngſt geſchildert in den beiden Baͤndchen von Emile Faguet: „Le culte de PIncompetence und l’Horreur de la Responsabilité“. Paris. Bernh. Graſſet.

in Frankreich. 25

den Erwählten des Volkes ſchon lange in der Militär: verfaſſung gezeigt. Die Franzoſen hatten verſucht, nach dem deutſchen Muſter das Inſtitut der Einjährig-Freiwilligen einzuführen. Aber zu dieſer Einrichtung gehört ein Examen von einer gewiſſen Strenge, damit der einjährige Dienſt nicht einfach das Privilegium der Wohlhabenden werde. Dieſes Examen hat ſich in Frankreich nicht halten laſſen, da die Protektionswirtſchaft die Examina zu einer Farce machte. Die Franzoſen haben alſo, als fie die zweijährige Dienſtzeit einführten, dieſe für alle Ausgehobenen gleich— zeitig obligatoriſch gemacht. Nunmehr ſind ſie im Begriff, zur dreijährigen Dienſtzeit überzugehen. Iſt es für die Intelligenz eines Landes bereits kaum zu ertragen, wenn die jungen gebildeten Männer volle zwei Jahre hinter— einander aus ihren Studien oder aus ihrer Kunſtübung herausgeriſſen werden, ſo iſt es klar, daß gar ein Dienſt von drei Jahren wahrhaft verwüſtend auf das höhere Er— ziehungsweſen des franzöſiſchen Volkes wirken muß. Nur durch ein ſehr weitgehendes Urlaubsſyſtem, das wiederum der Willkür und damit der Korruption weite Gefilde er— ſchließt, wird das Geſetz haltbar gemacht werden können.

Wie Sie ſehen, iſt es von Wichtigkeit, ob ein Land eine ſachliche, zuverläſſige, unabhängige Verwaltung hat oder nicht, und dazu wünſchen die ehrlichen Reformer es in Frankreich wieder zu bringen. Die Panamiſten aber, und was weiter dazu gehört, wünſchen die ſüßen Früchte des jetzigen Syſtems, das den einmal im Beſitz Befindlichen eine ziemlich ſichere, dauernde Stellung gibt, immer weiter zu genießen, und ihr beſter Bundesgenoſſe iſt, daß, wie ja auch Poincaré angedeutet hat, ein wirklich befriedigendes Syſtem der Proportionalwahl nicht zu finden iſt. Die Er— fahrungen, die man hier und da damit gemacht hat, bringen

26 Proporz.

immer neue unerfreuliche Erſcheinungen hervor. Daß der Proporz eine Verfeinerung und inſofern eine Verbeſſerung des Repräſentativſyſtems enthält, iſt unleugbar. Aber gerade dieſe Verfeinerung, die den perſönlichen Wünſchen und Be— ſtrebungen des Einzelnen gerecht werden will, führt nun wieder zu einer Herauskehrung einzelner Wünſche, die mit dem Wohl des Ganzen, auf das doch die Wahl gerichtet ſein ſoll, nichts mehr zu tun haben und ihm direkt ent— gegenwirken. In Hamburg bildete ſich bei einer Wahl aus irgendeinem beſtimmten Anlaß eine beſondere Gruppe der Schneider, die durch Häufung ihrer Stimmen auf einen beſonderen Kandidaten ihr beſonderes Intereſſe wahrzu— nehmen trachteten. Dieſe Schneider aber waren wohl mehr Konfektionäre und die Vereinigung hatte einen jüdiſchen Charakter. Sofort trat ihnen wieder als eine beſondere Gruppe die Vereinigung der antiſemitiſchen Schneider ent— gegen. In Württemberg hat man geklagt, daß der Proporz die Hoffnung, die ganze Maſſe der Bürger an die Wahl: urne zu führen, ſich nicht erfüllt habe; nicht mehr als etwa 60% der Wähler ſeien gekommen. Mit allerhand Kunſt— ſtücken aber ſuchten die Kandidaten Intereſſenten für ſich einzufangen, indem ſie beſondere Liſten drucken ließen, auf denen ihr Name mit dem irgendeiner derartigen Intereſſenten— gruppe verbunden war. An die Hundebeſitzer zum Beiſpiel, die ja nicht bloß wegen der Steuer, ſondern auch wegen des Maulkorbs ein beſonderes Intereſſe haben, wurde ein eigener Aufruf gerichtet, um ihr Wohlwollen für einen be— ſtimmten Kandidaten zu gewinnen.

Dem Geiſte des Proporzes widerſpricht das keineswegs. Es iſt ja gerade die Abſicht dieſes Inſtituts, alle im Volke vorhandenen Beſtrebungen auch wirklich in der Volksver— tretung zur Geltung kommen zu laſſen. Aber daß dieſe Art,

Proporz. 27

den Einzelintereſſen das Recht des Mitredens zu verleihen, dem Staatsganzen nicht zum Heil dienen kann, leuchtet ebenſo ein. Der Abgeordnete ſoll ja gerade nicht Einzel— intereſſen vertreten, ſondern allein den Staat als Ganzes im Auge haben. Man iſt deshalb ſchon ſoweit gegangen, das Kumulieren der Stimmen, d. h. daß der Wähler alle Stimmen, die er abzugeben hat, auf einen Kandidaten vereinigt, zu verbieten; man hat verboten, daß ein Kandidat ſich in mehr als einem Wahlkreiſe aufſtellen läßt; man hat verboten, daß der einzelne Wähler ſich überhaupt einen Wahlzettel nach ſeinem Gutdünken zuſammenſtelle, ſondern verlangt, daß er ſich voll, ſei es dieſer, ſei es jener Partei, anſchließe; er ſoll nicht etwa einen oder den anderen Namen, der von dem Parteivorſtand vorgeſchlagen wird, verwerfen, ihn ausſtreichen und einen anderen auf die Liſte ſetzen dürfen, vielleicht gar von beiden Parteien ſich die beſten Männer nebeneinander erküren; man hat deshalb ſchließlich das Wählen von Perſonen überhaupt ausſchalten und an die Stelle die Erklärung für eine beſtimmte Partei ſetzen wollen. Das Problem muß wirklich verzweifelt ſchwierig ſein, wenn man, um das Wählen zu retten, das doch den Willen des einzelnen zum Ausdruck bringen ſoll, zu Vorſchriften kommt, die das freie Wählen des einzelnen unterbinden, aufheben und ihn unter Vormundſchaft ſtellen.

Man mag den Proporz geſtalten, wie man will, viel— leicht wird man dadurch erreichen, daß die Kirchturmsinter— eſſen, wie man ſagt, ausgeſchaltet werden, aber mit ihnen zugleich auch die perſönlichen Beziehungen zwiſchen den Wählern und den zu Wählenden und damit auch der wirk— liche Wille der Wählenden. Über einen einzelnen Kandidaten, der ſich den Wählern in den Wahlverſammlungen der ein— zelnen Ortſchaften perſönlich vorſtellt, mag ſich 5 einzelne

Delbrück, Regierung und Volkswille.

Proporz und Volkswille.

Referendum.

28 Proporz.

Wähler, auch der kleine Mann, ein gewiſſes perſönliches Urteil bilden. Über eine Liſte von vielleicht ſechs, zehn oder noch mehr Kandidaten gibt es ſchlechterdings kein eigenes Urteil mehr. Der Proporz entzieht alſo die Wahl ſozuſagen dem Volke und gibt ſie in die Hand der Wahlorganiſationen der Parteien, das heißt ihrer Führer. Der einzelne Ab— geordnete iſt nicht mehr der Herr, ſondern wird dienendes Glied in der Parteiorganiſation. Damit verliert er auch jenen verderblichen Einfluß auf die lokalen Verwaltungs— behörden, vor dem Poincaré ſein Volk zu bewahren wünſcht. Man ſieht, die Reform iſt in der Tat von erheblicher Trag— weite. Aber die Vorſtellung, daß der Wille des Volkes ver— möge des Proporzes beſſer zum Ausdruck kommt, erweiſt ſich ſofort wieder als eine Illuſion. Das gerade Gegenteil iſt der Fall. Nicht die Demokratie wird auf dieſem Wege vollendet, ſondern die Herrſchaft eines gewiſſen, ſich ſelbſt ergänzenden Kreiſes von Berufspolitikern wird damit or— ganiſiert.

Die Erkenntnis der Mängel des Repräſentativſyſtems hat neben der Idee der Proportionalvertretung noch ein anderes Korrektiv hervorgelockt, das man das Referendum nennt, d. h. die unmittelbare Abſtimmung des Volkes über einen beſtimmten Geſetzvorſchlag. Der Sache nach fanden ſolche Abſtimmungen ſchon in der großen franzöſiſchen Re— volution ſtatt. Die Verfaſſungen von 1791 und 1793 wurden ebenſo wie nachher die Wahl des Generals Bona— parte durch allgemeine Abſtimmung gutgeheißen. Auch die Volksabſtimmung bei der Konſtituierung des Königreichs Italien, von der wir geſprochen haben, können wir ja als Beiſpiel des Referendum nennen. Heute iſt das Referendum feſt eingebürgert in der Schweiz, ſowohl im Bunde, wie in Kantonen, wie in Gemeinden. Die erſte Einführung fand

Referendum. 29

ſtatt im Jahre 1875 in Baſel. Auch in einigen Staaten Amerikas und in letzter Zeit auch in der Bundesrepublik Auſtralien iſt es eingeführt worden. In der Schweiz iſt Erfahrungen in das Referendum ſehr populär. Aber freilich, die Vorſtellung, ein, daß nun auf dieſem Wege ganz ſicher der Volkswille zur Erſcheinung gebracht werde, hat ſich wiederum als Illuſion erwieſen. Auch bei dem Referendum bleibt ſtets ein ſo großer Teil der Bürger der Abſtimmung fern, daß von den 41 Bundesgeſetzentwürfen, die von 1874 bis 1898 dem Referendum unterworfen worden ſind, kein einziger von der Mehrheit der Wähler angenommen worden iſt. In den Kantonen beteiligen ſich manchmal nur 28% der Be— rechtigten an der Abſtimmung. Beſonders markant iſt nun aber, wie oft das Referendum einen Zwieſpalt zwiſchen den Anſichten der Regierenden, dem gewählten Vertretungs— körper, und den Anſichten der Wahlberechtigten zutage bringt. Nicht ſelten ſind Vorlagen verworfen worden, die von den regierenden Räten und ſogar von allen Parteien und von der Preſſe einmütig empfohlen waren, und häufig be— ſchäftigen ſich die Zeitungen nach einem Referendum mit der Frage, weshalb denn nun eigentlich das Volk dagegen entſchieden habe. Ein beſonderer Mangel der ſchweizeriſchen Verfaſſung iſt das Fehlen eines Penſionsgeſetzes für die Beamten. Der Beamte ſoll ſich nach Vorſtellung der Schweizer Bürger von ſeinem Gehalt ſoviel ſparen, daß er in ſeinen alten Tagen, wenn er dienſtunfähig geworden iſt, davon leben kann. Da nun aber die Gehälter ohnehin recht mäßig ſind, ſo geſchieht das nicht, und die Behörden, vor der Frage, ob ſie einen im Dienſt ergrauten Beamten, wenn er nichts mehr leiſten kann, brotlos machen ſollen, pflegen das nicht übers Herz zu bringen, ſondern ſchleppen den alten Mann mit durch, was natürlich für die Leiſtungen 3 *

30 Referendum in der Schweiz.

des Beamtentums im ganzen ein ſchweres Hemmnis iſt. Das iſt ſo klar, daß man ſich endlich entſchloß, ein Penſions— geſetz einzubringen. Aber im Referendum wurde es mit großer Majorität verworfen. Der Bürger und Bauer ſieht es ſchlechterdings nicht ein, warum ein Beamter oder ein Offizier eine Penſion erhalten ſolle, da ihm doch auch niemand eine ſolche gibt. Auch mir iſt in Deutſchland in Wahlverſammlungen dieſe Auffaſſung öfter entgegengehalten worden. In Vertretungskörpern kann man ſich mit ſolchen kurzſichtigen Selbſttäuſchungen auseinanderſetzen. Man kann auf die Einwendungen eingehen, ihnen eventuell durch Kon— zeſſionen entgegenkommen oder ſie in Kompromiſſen über— winden. Mit dem Volk kann man nicht verhandeln, ſon— dern muß inſtinktiv ſuchen, die Vorlagen ſo zu geſtalten, daß ſie keinen Anſtoß erregen. Im Jahre 1882 wurde in der Schweiz auch ein Epidemiegeſetz mit großer Majorität verworfen. Denn mit ſolchen Vorbeugungsgeſetzen ſind mancherlei läſtige Verbote und Einſchränkungen für den einzelnen verbunden. Die Gefahr der Epidemie iſt fern; die Schikane der Vorbeugungen iſt nahe. Weiter ſieht die Maſſe der Bürger nicht. Beſonders ſchmerzlich war es für die Schweizer Patrioten, als im Jahre 1900 ein vortreffliches Kranken- und Unfallverſicherungsgeſetz, das nach dem Muſter der deutſchen Sozialgeſetzgebung ausgearbeitet war, im Referendum abgelehnt wurde. Erſt im Jahre 1912 iſt es dann dem erneuten Anlauf gelungen, ein ſolches Geſetz durchzubringen, auch nur mit 287565 Stimmen gegen 241416 bei 63% Beteiligung. Die Mehrheit bildeten alſo von den Berechtigten nur etwa 38%,

Das Referendum wirkt konſervativ. Das Volk wünfcht keine Veränderung, wenn ihm nicht das Übel etwa ſchon auf der Haut brennt. Eben deshalb iſt das Referendum

Referendum in Deutſchland? 31

in der Schweiz populär und wird nicht wieder abaefchafft werden. „Mag es auch im einzelnen ſich als Hemmſchuh erwieſen haben,“ ſchrieb die Neue Züricher Zeitung 1910, „im großen und ganzen hat es doch die fortſchrittliche Ent— wicklung der Schweiz nicht aufgehalten.“ Das iſt immerhin ein etwas elegiſch klingendes Lob.

Als eine beſondere geſteigerte Form des Referendums Initiative. mag die Initiative gelten, vermöge welcher auch Geſetz— entwürfe aus dem Volke heraus, nicht aus der Hand der Regierungsbehörden zur Abſtimmung gebracht werden können.

Für uns iſt es nicht notwendig, darauf einzugehen.

Ganz wie in der Schweiz hat auch in Auſtralien das das Referendum Referendum hemmend gewirkt. Erſt jüngſt find dort zwei "raten Geſetze, die von den beiden Häuſern des Bundesparlaments angenommen waren, mit großer Majorität im Referendum verworfen worden. Beide Geſetze waren, wie wir es heute nennen, ſtaats-ſozialiſtiſcher Natur.

Stellen wir uns vor, daß wir in Deutſchland ein Referendum in Referendum hätten, fo unterliegt es gar keiner Frage, daß uam! die Geſetze, die für unſer Daſein in jüngſter Zeit den größten Fortſchritt bedeuten, und die man, wenn ſchon unter mancherlei Kämpfen, glücklich durch den vom allgemeinen, gleichen Stimmrecht gewählten Reichstag gebracht hat, bei einem Referendum abgelehnt worden wären. Ich meine den ganzen Komplex der Sozialpolitik, die Kolonialpolitik und ſchließlich die für unſere nationale Zukunft entſcheidende Schaffung der deutſchen Kriegsflotte. Die eigentliche Grundlage für Bei der eine auf Großmachtverhältniſſe zugeſchnittene Flotte wurde Tee ja erſt unter Caprivi gelegt, und die Entſcheidung dafür wurde im Reichstag gegeben durch die Stimmen der Polen.

Man erinnert ſich jetzt ungern daran, wie lange es gedauert hat, bis dem deutſchen Volk das Verſtändnis für den

32 Die deutſche Flotte.

Flottenbau aufgegangen iſt. Nicht gehoben von der Welle einer nationalen Bewegung iſt das große Werk geſchaffen worden, ſondern durch geſchickte parlamentariſche Diplomatie. Caprivi hatte bereits die Ausſichtsloſigkeit der ſogenannten Oſtmarkenpolitik erkannt und war den Polen in den beſonders drückenden Beſtimmungen der Schulgeſetzgebung etwas ent— gegengekommen. Aus Dankbarkeit bewilligten ſie dem deutſchen Volk die deutſche Flotte, als die große Majorität der Deutſchen ſelber noch nichts davon wiſſen wollte. Die hiſtoriſchen Erſcheinungen ſind manchmal komplizierter, als es uns auf den erſten Blick ſcheinen möchte. Bei dem zweiten Anlauf, unter dem Kanzlertum des Fürſten Hohenlohe, gelang es dann, eine gewiſſe nationale Bewegung für die Flotte hervorzurufen. Dabei gab es einen Zwiſchenfall, der auch hierher gehört und wohl verdient, der Vergeſſenheit entriſſen zu werden. Die konſervative Partei hatte zwar den erſten Schiffsforderungen zugeſtimmt, aber, wie die Polen, mehr aus parlamentariſcher Taktik als aus innerer überzeugung. Im Grunde war man in dieſen Kreiſen noch der Meinung, daß Deutſchland von der Natur zu einer Landmacht beſtimmt ſei, und daß es eine Abirrung ſein würde, die deutſche Politik auf das Weltmeer hinausführen zu wollen. Nicht den Export, ſondern den inneren Markt, meinten viele Konſervative, ſolle man pflegen; und es iſt richtig, daß das agrariſche Intereſſe mit dem Großhandels— intereſſe, das über die Ozeane führt, in einem gewiſſen Widerſpruch ſteht. Durch eine Indiskretion wurde bekannt, das einer der Führer der Agrarier (da es allgemein in den Zeitungen geſtanden hat, iſt es jetzt keine Indiskretion mehr, es zu wiederholen), Herr Dr. Chriſtian Diedrich Hahn, geſprächsweiſe beim Zentrum verſucht hatte, gegen die Bewilligung der Schiffe Stimmung zu machen und

Die deutſche Flotte und die Arbeiter. 33

dabei den Ausdruck „die gräßliche Flotte“ gebraucht hatte.

Wenn nun das agrariſche Intereſſe in der Tat dem der Flotte etwas entgegengeſetzt iſt, ſo iſt es einleuchtend, daß die Induſtrie, die auf den Welthandel angewieſen iſt, mit ihr in einer naturgemäß guten Beziehung ſteht. Mit der Induſtrie, ſollte man meinen, auch die Induſtrie-Arbeiterſchaft, um ſo mehr, als dieſe ſich ja ſagen kann, daß bei weitem der größte Teil aller Bewilligungen für die Flotte wieder in Arbeitslohn umgeſetzt wird. Bewilligung einer Kriegsflotte bedeutet: Schaffung einer neuen, umfaſſenden Arbeits— gelegenheit. Bei dieſer Lage faßte damals eine Anzahl Patrioten in Berlin die Idee, in ſozialdemokratiſche Ver: ſammlungen zu gehen und den Verſuch zu machen, der Arbeiterſchaft klar zu legen, welch große Entſcheidung jetzt in ihre Hand gegeben ſei. Wie ganz anders hätte ſich die innere Geſchichte Deutſchlands entwickeln müſſen, wenn es dabei geblieben wäre, daß die agrariſchen Konſervativen gegen die Flotte ſtimmten, und die ſozialdemokratiſchen Arbeiter ſie bewilligten! Im beſonderen kam noch in Betracht, daß ja nach einer zwar nicht abſolut unangreifbaren, aber auch ſchwer umzuſtürzenden parlamentariſchen Praxis diejenigen Parteien, die eine Bewilligung machen, auch das moraliſche Recht haben, die dafür notwendigen Steuern zu beſtimmen. Nun kam damals der Vorſchlag auf, auch in Deutſchland Erbſchaftsſteuern einzuführen, wie ſie ja in England und Frankreich ſeit langem beſtehen und große Erträge bringen. Man konnte alſo der Arbeiterſchaft ſagen, daß, wenn ſie die Flotte bewillige, ſie nicht einmal eine Laſt dafuͤr auf ſich nehmen würde, da ſie die Bedingung ſtellen dürfe, daß die Mittel durch Erbſchaftsſteuern aufgebracht werden ſollten. Auf dieſem Boden kam es wirklich zu einer Volks—

Bei der Sozial⸗ geſetzgebung.

34 Flotte und Arbeiter.

verſammlungsaktion. Die Sozialdemokraten nahmen es an, daß in einer Reihe von Verſammlungen über die Flotte diskutiert werden ſolle. Ich ſelber habe in einer großen Verſammlung gegen Herrn Paul Singer gefochten und kann nur ſagen, er benahm ſich durchaus höflich und loyal und erkannte mit beſonderer Betonung immer wieder an, daß auf unſerer Seite eine ehrliche patriotiſche Überzeugung obwalte. Weniger manierlich benahm ſich die Verſammlung ſelber, die doch wohl nicht von der Vorſtellung loskonnte, in mir einen Vertreter des ausbeutenden Kapitalismus vor ſich zu haben. In anderen Verſammlungen disputierten andere, namentlich unſer ſtets tapferer Adolf Wagner gegen Bebel; die einen brachten mehr das Argument mit der Schaffung der Arbeitsgelegenheit in den Vordergrund, ein Argument übrigens, deſſen Beweiskraft ich mir ſelber nicht ſo ganz aneignen möchte —, die anderen mehr das Argument der Erbſchaftsſteuer. Einer aber berichtete, damit ſei er vollkommen abgefallen; denn ſein ſozialdemokratiſcher Gegner habe ihm das Wort zugeſchleudert: „Was hilft uns denn die Erbſchaftsſteuer? Wir haben ja nichts zu vererben!“ Gegen ſolche Logik war nicht aufzukommen. Die Be— wegung blieb erfolglos, und das deutſche Volk iſt zu ſeiner Flotte gekommen, nicht vermöge des Volkswillens, ſondern auf dem Wege der parlamentariſchen Taktik, der es gelang, die konſervativen Stimmen zu gewinnen.

Noch frappanter iſt dieſelbe Erſcheinung auf dem Gebiet der ſozialpolitiſchen Geſetzgebung. Hier hatte Fürſt Bismarck hauptſächlich zu kämpfen gegen die Vorſtellung, daß die ſoziale Fürſorge des Staates ſchwächend und lähmend auf die Charakterkraft des einzelnen wirke. Wenn man es dem einzelnen Arbeiter überlaſſe, für ſich ſelber zu ſorgen und fich zu dieſem Zweck mit feinen Genoſſen zuſammen⸗

Arbeiterverſicherung und Sozialdemokratie. 35

zuſchließen, ſo ſei damit eine moraliſche Hebung des Arbeiterſtandes gegeben, die viel mehr wert ſei als die materielle Fürſorge durch eine Staatsgeſetzgebung. Die konſervative Partei lehnte von vornherein dieſe liberale Doktrin ab und kam der Sozialreform mit Sympathie entgegen; für das Unfallverſicherungsgeſetz wiederum wurde der dem Zentrum ſympathiſche Genoſſenſchaftsgedanke zu Hilfe gerufen, ſo daß Bismarck abwechſelnd bald mit Hilfe des Zentrums, bald der Nationalliberalen, die erſten Geſetze durchbrachte. Auf des Meſſers Schneide aber ſtand die Entſcheidung über das größte und wichtigſte dieſer Geſetze, die Alters- und Invaliditätsverſicherung. Gerade die beiden demofratifchen Parteien, die Sozialdemokraten und die Freiſinnigen, opponierten mit der größten Leidenſchaft und wußten auch in den Maſſen eine gewiſſe Erregung dagegen hervorzurufen. Das Geſetz gibt bekanntlich jedem nicht mehr arbeitsfähigen, verſicherten Arbeiter, in welchem Alter er auch ſtehe, eine Invalidenrente, jedem Siebzigjährigen aber auf jeden Fall eine Altersrente, mag er noch ſeine Arbeitsfähigkeit haben oder nicht. Gleich im erſten Jahr wurden 133000 Altersrenten bewilligt und bis zum Jahr 1909 find 1748 137 Invalidenrenten verliehen worden. In allen Volksverſammlungen wurde aber von den Arbeitern das Geſetz verworfen, immer wieder mit der Argumentation „70 Jahre alt werden wir ja gar nicht!“ und wenn man ſagte, daß ja die Hauptſache die Invaliden— rente ſei, ſo hieß es „ja, wer weiß, wann man die Invalidität bei uns anerkennen wird“. Gegen dieſes von der Agitation gefliſſentlich genährte Mißtrauen war ſchlechterdings nicht aufzukommen, und da nun auch ſehr viele Arbeitgeber ſchon anfingen, ſich auszurechnen, wie große Laſten das Geſetz ihnen einmal auferlegen würde, ſo wäre bei allgemeiner

36 Abftimmung über die Invaliditäts-Verficherung.

Abſtimmung der Entwurf unzweifelhaft mit erdrückender Majorität zurückgewieſen worden. Im Reichstag gewann er ſchließlich noch eine Majorität von zehn Stimmen, indem Bismarck perſönlich im Reichstag erſchien und das ganze Gewicht ſeiner Autorität in die Wagſchale warf. Aber zehn Nationalliberale ſtimmten aus liberalem Doktrinarismus dagegen, und die Majorität kam ſchließlich nur dadurch zuſtande, daß 13 Mitglieder des Zentrums, unter Führung des Freiherrn von Franckenſtein, ſich von der Majorität der Fraktion loslöſten, Windthorſt den Gehorſam aufſagten und mit Ja votierten. Ich erinnere mich noch heute der un— geheuren Spannung, mit der das Ergebnis der Abſtimmung, das bis zum letzten Augenblick ſchwankend blieb, erwartet wurde. Die namentlichen Abſtimmungen im Reichstag werden ja nach dem Alphabet vorgenommen, und der Zufall wollte, daß der Buchſtabe L, der zuletzt an die Reihe kam, lauter Ja brachte.

Wäre das Geſetz damals gefallen, ſo wäre es für alle Zeit in Deutſchland mit dieſer Politik vorbei geweſen. Denn die Laſten, die es auferlegt, ſind nicht gering, und je länger man über das Geſetz in der Preſſe und in den Ver— ſammlungen diskutierte, deſto weiteren Kreiſen wurde es klar, was ſie auf ſich zu nehmen hatten, und deſto ſtärker wurde alſo die Oppoſition. Nicht mit, ſondern gegen den Volkswillen iſt, ſo kann man mit Beſtimmtheit ſagen, dieſes Geſetz, das ſeitdem allen Völkern der Welt zum Muſter geworden iſt, geſchaffen worden. Ein Referendum hätte es unweigerlich zu Falle gebracht.

Das Nach dem Geſagten wird es nicht mehr wundernehmen, re in daß es in England die Konfervativen geweſen find, die das Reeferendum in Vorſchlag gebracht haben. Jahrhundertelang

ſind Oberhaus und Unterhaus als gleichberechtigte Faktoren

Referendum in England. 37

der Geſetzgebung betrachtet worden, nur daß das Unterhaus die alleinige Entſcheidung über Finanzfragen hatte. Mit Hilfe dieſes Rechts hat nun im Laufe des 19. Jahrhunderts das Unterhaus das Oberhaus allmählich aus ſeiner gleich— berechtigten Stellung herausgedrängt und es endlich im Jahre 1911 auf ein bloßes ſuſpenſives Veto, ſuſpenſiv für zwei Jahre, beſchränkt. Durch direkte Drohung mit der Revolution, die zwei Miniſter, Herr Aſquith und Lord Crewe, dem König vortrugen, wurde auch dieſer zur Zuſtimmung gezwungen, ſo daß man dieſe Verfaſſungsreform wohl als eine Art Staatsſtreich bezeichnen kann. Als letzte Hilfe in der Not ſchlugen die Konſervativen das Referendum vor für den Fall, daß zwiſchen Ober- und Unterhaus eine ſonſt nicht beizulegende Differenz entſtehen ſollte. Nichts ſcheint demo— kratiſcher zu ſein als eine ſolche direkte Volksentſcheidung. Aber die Liberalen lehnten den Vorſchlag ab. Sie führten dagegen zunächſt ins Feld, daß er immer nur zugunſten der Konſervativen wirken würde, da anzunehmen ſei, daß der etwa zu ſchlichtende Konflikt ſich niemals zwiſchen einem konſervativen Unterhaus und einem liberalen Oberhaus, ſondern ſtets nur umgekehrt abſpielen könne. Des weiteren erhoben ſie den Einwand, daß dadurch das parlamentariſche Syſtem umgeſtuͤrzt würde. Denn was ſoll werden, wenn die Majorität des Unterhauſes hinter dem Miniſterium ſteht, das Volk aber im Referendum einen Geſetzesvorſchlag dieſes Miniſteriums und dieſer Majorität verwirft? Sollte das Miniſterium abgehen, ſo würde das folgende keine Majorität im Unterhauſe haben. Sollte es aber bleiben, ſo wäre durch das Referendum ſeine moraliſche Autorität ſo ſehr geſchwächt, daß es ſchwerlich die Regierung mit Erfolg weiter führen könne. Schließlich aber, ſagte man, ſei ein Refe— rendum auch keineswegs ſo demokratiſch, wie es ſcheine; im

Indirekte Wahlen.

38 Gründe gegen das Referendum.

Gegenteil, es ſei undemokratiſch. Denn der einzelne Bürger ſei ſchlechterdings außerſtande, große Geſetze von vielleicht vielen hundert Paragraphen, die ihm vorgelegt würden, auch wirklich zu ſtudieren und zu verſtehen. Er ſei ganz und gar angewieſen auf das, was ihm die Führer oder etwaige Demagogen darüber ſagten. Miſter Smith und Miſter Jones würde man immer ſoviel politiſche Einſicht zutrauen, um ſich nach ihren Wünſchen und Beſtrebungen eine Partei auszuſuchen und einen oder zwei Abgeordnete zu wählen. Aber die Einzelheiten der Geſetzgebung an ſie zu bringen, ſei nicht Durchführung der Volksregierung, ſondern ihre Aufhebung.

Man wird allen dieſen Gründen eine gewiſſe ſachliche Berechtigung nicht abſprechen können. Bei dem letzten freilich leuchtet ein, daß er bedenklich viel mehr beweiſt, als er be— weiſen will. Wenn Miſter Smith und Miſter Jones bei der Wertung eines beſonderen Geſetzes ſo ganz und gar in Abhängigkeit von Führern und Demagogen geraten, ſollte dieſe Abhängigkeit nicht auch einigermaßen ſich geltend machen, wenn ſie ihre Partei wählen und ihre Abgeord— neten küren?

Aber wie dem auch ſei, die Vorſtellung, daß der Bürger wohl imſtande ſei, Vertrauensmänner zu wählen, aber nicht unmittelbar ſelber Geſetze zu geben, iſt nicht erſt hier auf— getaucht, ſondern ſchon, ſeitdem das Repräſentativſyſtem überhaupt aufgekommen iſt. An vielen Stellen, in Amerika wie in Preußen hat man eben aus dieſem Grunde das Syſtem der indirekten Wahl angenommen, das ſchon bei der Wahl zur franzöſiſchen Nationalverſammlung (1789) angewandt worden iſt. Dem Wähler wird nicht zugetraut, daß er ſelber einen Abgeordneten ausſuchen könne, ſondern er ſoll einen Mann aus ſeiner wirklichen Bekanntſchaft, aus

Indirekte Wahl. 39

feiner Nachbarfchaft ſuchen, dem er vertraut, und dieſe fo gewählten Wahlmänner erſt ſollen dann den Volksvertreter beſtimmen. Dieſes Syſtem hat die darauf geſetzten Hoff— nungen allenthalben, wo es eingeführt worden iſt, enttäuſcht. Die Wahlmänner in Preußen ebenſo wie die Elektoren in Amerika ſind zu bloßen Briefträgern geworden, denen von vornherein keine andere Aufgabe zufällt, als einem beſtimmten Mann ihre Stimme zu geben. Nur ganz ſelten, etwa wenn nachträglich Kompromiſſe geſchloſſen werden, haben die Wahlmänner eine gewiſſe ſelbſtändige Bedeutung gehabt, und daneben hemmt dieſer Wahlmodus, wenn er mit kleinen Urwahlbezirken verbunden iſt, ziemlich ſtark die Wahl— agitation und wirkt deshalb mittelbar konſervativ.

In der Verzweiflung, durch irgendwelche Konſtruktious— kunſtſtücke auf dem Wege des Wählens zu einem wirklichen und vernünftigen Volkswillen zu gelangen, kommen Theo— retiker immer von Zeit zu Zeit wieder auf den alten Stände— Gedanken zurück. Auch Bismarck hat zuweilen damit ge— ſpielt. Man will das ganze Volk nach Ständen gruppieren, oder, anders ausgedrückt, man will die natürlich vorhandenen ſtändiſchen Differenzen organiſieren und jedem dieſer Stände dann eine beſtimmte Zahl der Abgeordneten zuweiſen. Der Erfolg würde ſein, daß dann derjenige Stand oder diejenigen Stände, die die Majorität haben, ſtets die Laſten auf die Minorität legen würden. Alles hängt alſo davon ab, wie die Vertreterzahl der einzelnen Stände normiert wird. Die heftigſten Gegner des ſtändiſchen Gedankens ſind natürlich die Sozialdemokraten. Aber wenn man von den 397 Mandaten des Reichstags der Arbeiterſchaft von vorn— herein 200 zuweiſen wollte, ſo würden auch ſie ſich vielleicht mit dem ſtändiſchen Gedanken befreunden. Deſto weniger die anderen. Hier iſt ſchlechterdings kein Ausgleich möglich,

Ständiſche Vertretung.

Recht der Obſtruktion.

40 Staͤndiſche Vertretung. Obſtruktion.

vielmehr umgekehrt: Der Ausgleich der tatſächlich vorhandenen entgegengeſetzten Intereſſen der verſchiedenen Stände wird darin gefunden, daß beim allgemeinen gleichen Wahlrecht jeder Stand und jedes Intereſſe den Spielraum hat, ſich nach ſeiner Maſſe und ſeinen inneren Kräften geltend zu machen.

Freilich, ob eine auf dieſem Wege gefundene Majorität wirklich den Volkswillen vertritt und geeignet iſt, das Beſte des Staates wahrzunehmen, dagegen haben wir mancherlei Bedenken gefunden, und auch in der allgemeinen Meinung greifen dieſe Bedenken immer mehr um ſich. Kann eine Majorität nicht ebenſo tyranniſch ſein wie ein Einzelner? Die Abwehr einer derartigen Majoritätstyrannei iſt die parlamentariſche Obſtruktion. Unter Obſtruktion verſteht man das Stillegen der ganzen parlamentariſchen Maſchinerie durch mißbräuchliche Anwendung irgendwelcher geeigneter Beſtimmungen der Geſchäftsordnung: Die Minorität ver— hindert die Majorität zum Beiſpiel, zur Abſtimmung zu kommen, indem die Redner nicht aufhören, zu ſprechen (es ſind ſchon Reden von 24 Stunden Länge vorgekommen), oder aber, wenn die Majorität mit dem Reden Schluß macht, ſo ſtellt die Minorität ſoviel Einzelanträge und immer neue Einzelanträge, daß man zur Schlußabſtimmung überhaupt nicht kommt. Oder aber, wenn die Minorität ſehr ſtark iſt, ſo verläßt ſie im entſcheidenden Moment den Saal und macht das Parlament beſchlußunfähig. Dieſe Kunſtſtückchen ſind im engliſchen Parlament angewendet worden, ſpielen aber jetzt eine ganz beſondere Rolle in Sſterreich und in Ungarn. Man ſieht hier die Obſtruktion ſogar als ein ganz legales Mittel des parlamentariſchen Kampfes an, obgleich es auf der Hand liegt, daß mit dieſer Anerkennung das Prinzip der Repräſentation und der Majorität ſich ſelber

Ausſpruͤche Napoleons und Hegels. 41

aufgehoben hat. Wäre es wahr, daß eine gewählte Re— präſentation in ihrer Majorität den Volkswillen darſtellt, ſo hätte die Erſcheinung der Obſtruktion ſich nicht wohl einſtellen können. Wir haben in ihr alſo einen Beweis, wieder von einer anderen Seite, daß die Herſtellung eines Volkswillens auf dem Wege der Abſtimmung, wie man ſie auch drehe und wende, wie man ſie auch organiſiere, eine Fiktion iſt. Der Volkswille iſt Geiſt, reiner Geiſt, der phyſiſch weder Was iſt greifbar noch darſtellbar iſt. „Das Volk iſt wie das Waſſer,“ ſagte Napoleon J., Ausſprüche „das die Geſtalt jedes Gefäßes annimmt, in das man es ges. hinein tut; tut man es aber überhaupt in kein Gefäß, ſo fließt es ziel⸗ und zwecklos auseinander.“ Noch gewaltiger aber erdröhnt der Ausſpruch Hegels: „Das Volk iſt derjenige Teil des Staates, der nicht weiß, was er will.“ Wie ſchnöde klingt uns dieſer Ausſpruch! Aber er iſt nicht ſo ſchnöde. Iſt nicht, zu wiſſen, was man will, ſelbſt für den einzelnen oft die allerſchwerſte Aufgabe? Ein Volk aber kann gar nicht wiſſen, was es will, weil die Summe der einzelnen nicht im Beſitz eines Organs iſt, durch das es ſeinen Willen zum Ausdruck bringen könnte. Von welcher Seite wir auch immer an den Begriff „Volk“ herangetreten ſind, immer wieder haben wir dieſelbe Tatſache feſtgeſtellt. Wer gehört zum deutſchen Volk? Auch die Deutſchen außer— halb des Reichs? Auch die Polen, Franzoſen und Dänen innerhalb des Reichs? Auch die Frauen und Kinder? Wenn abgeſtimmt werden ſoll, von welchem Lebensjahr an? Wie ſoll zum Zweck der Abſtimmung das Volk eingeteilt werden? Wie ſoll der Wille der Minorität zum Ausdruck kommen? Welches Wahlſyſtem ſoll gelten? Wer organifiert die Wahlen?

42 Das Volk in idealem

Wer ſchleppt die Läſſigen zur Wahlurne? Wer beſtimmt die Kandidaten? Wer endlich hat den entſcheidenden Einfluß bei der Bearbeitung der Wähler, der Bildung der öffent— lichen Meinung? Exiſtiert wie in Frankreich unter Napoleon II. eine Regierung, die die Preſſe, Vereins- und Verſammlungs— freiheit unterbindet und die Beamtenſchaft anweiſt, die Wähler zur Wahlurne zu führen, ſo liegt die Entſcheidung nicht beim Volk, ſondern eben bei dieſer Regierung. Exiſtiert wie heute in den meiſten demokratiſchen Staaten neben dem Wahlſyſtem freie Preſſe, freies Vereins- und Verſammlungs⸗ recht, ſo entſcheidet wieder nicht das Volk, ſondern die Parteiorganiſation, die Demagogie und das Geld.

Je weiter wir mit unſeren Betrachtungen vordringen, deſto mehr ſehen wir, daß ſich ein breiter, breiter Spalt auftut zwiſchen dem idealen Begriffe „Volk“ und dem, was wir in der Politik und im Staatsrecht „Volk“ und „Volks— vertretung“ nennen. Beide haben kaum etwas miteinander zu tun. Das deutſche Volk im idealen Sinne iſt ein ſtaats— rechtlich unformulierbarer Begriff.

Zum deutſchen Volk im idealen Sinne gehören auch die Frauen und Kinder, die Vergangenheit und die Zukunft, die großen Perſönlichkeiten wie die Maſſe. Die Größe eines Volkes ſind ſeine großen Perſönlichkeiten; aber dieſe ſind nicht denkbar ohne den Mutterboden der Menge. Ohne die großen Perſönlichkeiten iſt das Volk Pöbel; ohne den Wider— klang in der gleichſprachigen Menge könnte der Genius nicht nur nicht wirken, ſondern nicht einmal werden. Zum deutſchen Volk gehören Barbaroſſa und Luther, Goethe und Gneiſenau, wie die Erhebung der Geſamtheit im Jahre 1813. Von dem breiten Fundament der Maſſe hinauf bis zu den Heroen führt eine unendliche Stufenleiter von Mittelgliedern in— tellektueller und moraliſcher Tüchtigkeiten, und ebenſo von

und in politiſchem Sinne. 43

den Heroen herab bis zu der Maſſe. In dieſer Einheit, die auf der Vergangenheit aufbaut und nicht nur der Gegen— wart lebt, ſondern in dieſer Gegenwart arbeitet für unab— ſehbare ferne Zukunft, haben wir das wahre Weſen eines Volkstums, das wir verehren als ein Heiliges. Was hat das deutſche Volk in dieſem wahren und tiefen Sinne zu tun mit jener Verſammlung von 397 Männern, die den deutſchen Reichstag bilden? 110 Sozialdemokraten, 100 Mann Zentrum, 25 Polen, Dänen und Franzoſen und eine Anzahl kleinerer und größerer Gruppen Konſervative, Agrarier, Antiſemiten, Freikonſervative, Nationalliberale, Freiſinnige, das ſoll das deutſche Volk ſein?

Die Demokratie ſelbſt weiß ſehr gut, daß in dieſem Sinne zwiſchen „Volk“ und „Volk“ ein Unterſchied iſt; denn auch fie erkennt den Satz: „Volkswille Gottes: wille“ nur an, wenn er ihr günſtig iſt, geradeſo wie fie den Reaktionären das Sprüchlein zuſchreibt: „Und der König abſolut, wenn er uns den Willen tut.“

Die Wahl der beiden Napoleons iſt niemals als Aus— druck des Volkswillens anerkannt worden, obgleich fie nahe: zu einſtimmig war.

Auch der Begriff der Volksſouveränität, der hiſtoriſch eine ſo große Wirkung gehabt hat, iſt hiermit als eine bloße Fiktion dargetan. Wenn das Volk in ſtaatsrecht— lichem Sinne keinen Willen hat, kann es auch nicht die Souveränität, d. h. den höchſten, nur ſich ſelbſt Schranken ſetzenden Willen haben.

Wer mir bis hierher gefolgt iſt, hat vielleicht den Eindruck, daß ich damit das Grundprinzip der Demokratie habe bekämpfen und verwerfen, ja, geradezu als abſurd habe nachweiſen wollen; formell ja ſachlich nein. Wie wäre

es möglich, daß die Idee der Demokratie in der Welt— Delbrück, Regierung und Volkswille. 4

Volks⸗ ſouveränität.

Staat und Volk.

44 Volksſouveraͤnitaͤt.

geſchichte eine ſo ungeheure Rolle ſpielte, immer wieder unermeßliche Wirkungen ausübte, wenn ſie nichts als eine Abſurdität wäre?

Freilich, die Vorſtellungen von der Volksſouveränität und vom Volkswillen haben ſich in der Tat bei genauerem Zuſehen als unvollziehbar, d. h. als abſurd erwieſen. Aber das mögen ja nur falſche und ungenügende theoretiſche Formulierungen ſein fuͤr Wahrheiten, die ſich beſſer formulieren laſſen. So iſt es in der Tat.

Verzichten wir darauf, die Volksvertretung mit feierlichem Klange als fleiſchgewordenen Volkswillen zu proklamieren, und halten uns einfach daran, daß durch die Wahlen und Ab— ſtimmungen, in welcher Art und Begrenzung ſie ſich auch immer vollziehen, eine große Maſſe, ja vielleicht die Geſamt— heit der Staatsbürger in eine unmittelbare Willens beziehung zum Staat und ſeinen Zwecken geſetzt werden. Zum Weſen des Staats gehört eine ſolche Beziehung zwiſchen ihm und den einzelnen Bürgern nicht. Es hat Staaten gegeben, die von dem Bürger nichts verlangten als Gehorſam; wie er ſich innerlich zum Staate ſtellte, ob er ſeine Steuern mit Freude oder mit Ärger bezahlte, ob er Jubel oder Trauer hatte bei ſeinen Niederlagen oder Siegen, war ihm gleichgültig; wenn nur eben die Steuern pünktlich bezahlt wurden, und die für den Kriegsdienſt Beſtimmten dieſen Dienſt pflichtgemäß leiſteten. Ein ſolcher Staat war noch das Preußen Friedrich Wilhelms I. und Friedrich des Großen. Wenn alſo nach der Schlacht bei Jena der Gouverneur von Berlin proklamierte: „Ruhe iſt jetzt die erſte Bürgerpflicht!“, ſo kam damit der Geiſt des altpreußiſchen Staates, zwar in einer unendlich philiſterhaften, aber doch nicht unrichtigen Weiſe zum Ausdruck. Eben die Schlacht bei Jena hat aber auch gezeigt, wie ſchwach ein Staat iſt, der es noch

Staat und Staatsbürger. 45

nicht verſtanden hat, ſich auch in eine innere Beziehung zu ſeinen Bürgern zu ſetzen. Freilich, Friedrich der Große hat trotzdem den ſiebenjährigen Krieg beſtanden. Aber was in der neu herangekommenen Epoche verlangt wurde, war mehr. Das Heer, das bei Jena und Auerſtädt ge— ſchlagen wurde, war im ganzen nicht etwa ſchlechter als die Heere Friedrichs, ſondern ſogar in vieler Beziehung beſſer. Auch in der Führung war man keineswegs ſo ganz jeden guten Geiſtes bar, wie es dargeſtellt zu werden pflegt. Wer war der Generalſtabschef des Herzogs von Braunſchweig bei Auerſtädt? Scharnhorſt. Wer komman— dierte die Kavallerie bei Auerſtädt? Blücher. Freilich, in der eigentlichen oberen Führung fehlte es vollkommen; und deshalb ging die Niederlage gleich bis ins Bodenloſe. Aber ein Sieg über Napoleon wäre mit den Mitteln des alten Staates auch einem Friedrich unmöglich geweſen.

1813 wurde er möglich, und der Unterſchied des Preußens von 1806 und des Preußens von 1813 beruht darauf, daß in der Zwiſchenzeit der Wille jedes einzelnen Staatsbürgers zur Unterſtuͤtzung des Staatswillens angerufen und wirklich in Bewegung geſetzt worden war.

Dieſe Willensbeziehung des Einzelnen zum Staate iſt der reale Inhalt deſſen, was insgemein mit einem Ausdruck, den wir als myſtiſch erkannt haben, Volkswille genannt wird. Der Kampfruf, unter dem allenthalben im Altertum wie in der Neuzeit dieſer Volkswille wir mögen das Wort, nachdem wir uns über ſeinen wahren Inhalt klar geworden ſind, beibehalten für die Regierung des Staates angerufen wurde, war immer die Freiheit. Ob die Freiheit wirklich in jeder Beziehung bei der Einſetzung dieſer Art von Regierungen gewonnen und nicht auch manches verloren

hat, wollen wir vorläufig dahingeſtellt ſein laſſen, auf jeden 4 *

Mängel der Volks⸗ regierungen.

Korruption in Amerika.

4 Staͤrke oder Schwaͤche der Volksregierungen.

Fall iſt die enge Beziehung des Staates zum Willen der einzelnen Staatsbürger von ſolchem Wert und ſolcher Be— deutung, daß, wie ſchon die antiken Republiken darauf auf: gebaut waren, jo auch im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr und mehr Staaten zu einer Verfaſſung mit gewählten Volks— vertretungen übergegangen find und, wo ſolche ſchon exiſtierten, das Stimmrecht erweitert worden iſt.

Sehr zufrieden iſt man nun aber, wie wir geſehen haben, mit den Ergebniſſen doch nicht. Schon das alte Athen iſt nach kurzer Blüte an der Unmöglichkeit, mit einer regierenden Volks— menge Großmachtpolitik zu treiben, zugrunde gegangen. Die modernen Demokratien haben im 19. Jahrhundert ſehr ſchwere Proben entweder noch nicht zu beſtehen gehabt oder ſich ihnen nur mangelhaft gewachſen gezeigt. Die großen Kämpfe gegen Frankreich hat das alte ariſtokratiſche England geführt und die amerikaniſche Republik hat einen furchtbaren fünfjährigen Bürgerkrieg nicht zu vermeiden vermocht, im beſonderen aber klagt man in faſt allen dieſen Staaten, beſonders in Amerika, Frankreich und Italien über die den Wahlregierungen imma— nente Korruption.

Am allerlauteſten ſind die Klagen darüber heute in Amerika. Der neue Präſident, Wilſon, ſprach in ſeiner Inaugurationsrede von dem „vielfachen Mißbrauch der Regierung, die zu einem Werkzeug des Böſen gemacht wurde“. In einer amerikanischen Enzyklopädie“) (erſchienen 1908) iſt die Korruption als ſoziales Phänomen in einem beſonderen Artikel behandelt. Es exiſtieren dafür befondere Organiſationen, deren Haupt der „Boß“ genannt wird, der die Wahlen macht und die Amter vergibt. In den in— duſtriellen Staaten werden etwa 28% der Stimmen gekauft;

*) The new Encyclopedia of Social Reform. Bliss, New York.

Korruption. 47

ein Neger- Votum wird mit 2 Dollar, ein weißes mit 3 Dollar bezahlt, in der Stadt New Pork aber ſteigt der Preis bis zu 25 Dollar. Das Geld bringen teils die großen Erwerbs⸗Geſellſchaften auf, die dafür Gefälligkeiten von der Geſetzgebung erwarten, teils die Beamten, die Stellenjäger. Für eine Stelle im höchſten Gericht find ſchon 50000 bis 100 O00 Dollar bezahlt worden. In St. Louis wurde eine Konzeſſionsbill mit 30000 Dollar über das Veto des Gouver— neurs hinweg durchgebracht und ein Jahr darauf für 1250000 Dollar weiter verkauft. Beſonders ſchlimm iſt die Korruption im Staate Pennſylvanien, weil hier die republi— kaniſche Partei ſowohl in Stadt wie Staat regiert, während anderswo die Parteien ſich gegenſeitig etwas in Schach halten. Im allgemeinen, auch nach der Anſicht von Andrew White, gelten die Bauern für weniger angefault als die Stadt— bürger, von New Pork aber ſagt Prof. Jenks, es ſei kein Unterſchied in der Käuflichkeit. James Bryce in ſeinem Buche American Commonwealth meint, daß gegen ein Fünftel beider Häuſer des Kongreſſes ziemlich ſicher korrupt ſeien und eine viel größere Zahl in dem Verdacht ſtände. Neuerdings hat ein Mann, der als Oberagent zehn Jahre an der Spitze einer Fabrikanten-Vereinigung ſtand, Mulhall, eine Liſte derjenigen Politiker, auch Arbeiterführer, veröffent— licht, die „Bargeld“ von ihm nahmen. Der Senator Lorimer von Illinois war der erſte, der im vorigen Jahre (1912) wegen nachgewieſener Beſtechungen bei der Wahl aus dem Senat ausgeſchloſſen wurde. In ſeiner Verteidi— gungsrede, die nicht weniger als 20 Stunden dauerte, fragte er, wer denn von den Kollegen nicht für ſeine Wahl bezahlt und das Geld dazu von den Truſts bekommen hätte. Lorimer gab zu, daß Taft wie Rooſevelt ſich von ihm losgeſagt hätten; weshalb aber, rief er aus. „Ich bin doch in Chicago

Korruption in der Schweiz.

48 Korruption.

dabei geweſen, wie die Freunde Tafts die Stimmen der Delegaten kauften und wie die Rooſevelt-Leute dasſelbe ver— ſuchten, aber erfolglos blieben, weil die anderen mehr Geld hatten.“

Ein bemerkenswerter ſtatiſtiſcher Beweis für die Unzu— verläſſigkeit der Verwaltung in den Vereinigten Staaten iſt der Penſionsfonds für die Veteranen und Hinterbliebenen des Sezeſſionskrieges. Obgleich jetzt 48 Jahre ſeit der Beendigung dieſes Krieges verfloſſen ſind, iſt die Zahl der Rentenempfänger noch immer geſtiegen und die Penſionen verſchlingen 175 Millionen Dollars, gleich 700 Millionen Mark jährlich.

Auch in der alten Eidgenoſſenſchaft war die Korruption ſehr groß; ſowohl in den ariftofratifchen wie in den demofratifchen Kantonen. In erſteren wurden viele Amter ſo gut wie erblich, in den letzteren kam man zu den Amtern durch Spenden und Beſtechungen. Schon im 16. Jahr— hundert wurden ſie verboten, aber die Mißbräuche waren ſo unausrottbar, daß man ſie geſetzlich regelte, indem man die zu Amtern und Dienſten Beförderten Auflagen bezahlen ließ, welche teils zu öffentlichen Zwecken verwendet, teils unter alle ſtimmberechtigten Landleute verteilt wurden. Die Landvögte, die in der Regel nur auf zwei Jahre für die unterworfenen Gebiete gewählt wurden, mußten ſuchen durch Erpreſſungen ihre Koſten wieder einzubringen. In den Landsgemeinde-Kantonen wurde endlich alles einfach zur öffentlichen Verſteigerung gebracht, die Vogteien, die Ausübung der Juſtiz, die höchſten Amter im Staat, die— jenigen der Ratsherren und ſelbſt des Landammanns, oder man verloſte die Amter und wer das Amt nicht wollte, verkaufte das gewonnene Los“).

) Nach Hasbach, Moderne Demokratie. S. 80 ff.

Mängel der Demokratie, 49

Die heutige Schweiz ſowie das heutige England find frei von Korruption. Weshalb ſie ſich in dieſem Punkt von den anderen demokratiſch regierten Staaten ſo ſehr zu ihrem Vorteil unterſcheiden, iſt nicht leicht zu ſagen. Aber wenn auch gerade dieſes Übel ausgerottet ſcheint, ſo klagt man über andere. In der Schweiz fürchtet die ſtädtiſche Intelligenz zwiſchen den Bauern auf der einen, den Fabrikarbeitern auf der anderen Seite eingequetſcht und zerrieben zu werden“) und auch in England, wo man ſich ja noch immer im Übergangsftadium von der Ariſtokratie zur Demokratie befindet, ſieht man mit großer Beſorgnis die neue Demokratie heraufziehen. Die Konſervativen, die ſchon jetzt über die drückende Höhe der Einkommen-, Be— ſitz- und Erbſchaftsſteuern Stein und Bein klagen, fürchten ſozialiſtiſche Erperimente. Früher, ſagen ſie, hätten die— jenigen das Parlament gewählt, die die Laſt des Staates getragen und die Steuern bezahlt hätten; heute wählten die, die vom Staate etwas haben wollten. Das Kapital iſt ſchon fo eingeſchuͤchtert, daß es ſich ins Ausland zieht“). Namentlich aber bezweifelt man, ob die Demokratie der auswärtigen Politik, der Behauptung und Beherrſchung des ungeheuren Welt-Imperiums gewachſen ſein wird.

Alle dieſe Regierungen, dürfen wir ſagen, ſind zwar ſtark durch die innere Teilnahme und den guten Willen breiter Maſſen der Staatsbürger, aber es fehlt ihnen gar zu leicht an der für die Lenkung der Staaten unentbehr— lichen Ehrlichkeit, Weisheit und Feſtigkeit. Alle Wünſche 9 Has bach, Die moderne Demokratie. S. 340.

) Dies wurde mir bei meinem juͤngſten Aufenthalt in England von verſchiedenen Seiten beſtaͤtigt. Beſonders der Niedergang der engliſchen Landwirtſchaft ſoll zum Teil daher ruͤhren, daß man ſich aus Furcht vor der

Enteignung nicht mehr getraut, dem Boden das genuͤgende Kapital zu— zuwenden.

Der beſte Staat.

50 Der Ideal⸗Staat.

und Verſuche, durch beſonders ſinnig erfundene Wahlſyſteme dieſem Übel abzuhelfen, ſind offenbar hoffnungslos. Wie iſt aus dem Dilemma herauszukommen?

Ehedem haben die Philoſophen ſich viel Mühe gegeben, den beſten Staat zu konſtruieren. Dieſe Verſuche ſind aus der Mode gekommen und mit Recht. Den idealen Staat kann es ſo wenig geben wie die idealen Menſchen. Aber als heuriſtiſches Prinzip mit dem Bewußtſein, daß das Er— gebnis nur eine Konſtruktion ſein ſoll, iſt die Frageſtellung immerhin brauchbar, und wir wollen ſie einmal anwenden und nachſehen, was mit dem Ergebnis anzufangen iſt.

Wir vermißten in den demokratiſchen Repräſentativ— regierungen die rechte Ehrlichkeit und Weisheit. Halten wir uns alſo einmal an Plato, der verlangte, daß die Philoſophen, d. h. die Weiſen, d. h. modern geſprochen, die Gebildetſten regieren ſollen, die Beſterzogenen, denen man auch Redlichkeit zutrauen kann. Wie müßte das gemacht werden? Zunächſt ein ausgezeichnetes Schulſyſtem, in dem die Knaben, die aus gebildeten Familien ſtammend ſchon etwas mitbringen, zu— ſammen mit den Talentvollſten aus der großen Maſſe ſorgſam unterrichtet und ſtreng erzogen werden. Am Ab— ſchluß der Schule, ſagen wir mit dem 18. oder 19. Jahr, ein ſtrenges Examen, das alle Untauglichen ausſcheidet. Dann ein mehrjähriges Studium an einer Hochſchule, wiederum mit einem ſtrengen Schlußeramen. Dann Ein: ſtellung der ſo vorgebildeten und fein durchgeſiebten jungen Männer in die beſtehende Regierung zu praktiſcher Aus— bildung. Nachdem ein drittes Examen den Mann auch als praktiſch tüchtig gezeigt hat, Berufung in eine der verſchiedenen regierenden, richtenden oder lehrenden Be— hörden, die ſtufenweiſe aufgebaut ſein müſſen, ſo daß in die höheren Inſtanzen immer die Tüchtigſten und Bewähr⸗

Preußen nach 1815. 5]

teften befördert werden, und ſchließlich an der Spitze des Staates ein kleines Kollegium von älteren, durch eine lange Erfahrung geſchulten Staatsmännern, das beſonders darauf achtet, daß immer die Tüchtigſten in den unteren Stellen herausgefunden werden und zu den leitenden Poſten aufrücken.

Hat es ein ſolches Staatsweſen jemals gegeben? Wir brauchen nicht weit zu ſuchen. Laſſen wir die Gegenwart aus dem Spiel und ſagen: „Preußen nach 1815“. Die fürchterliche ſiebenjährige Kriſe nach 1806 war durch das preußiſche Beamtentum und das preußiſche Offizierkorps hindurchgegangen wie ein reinigendes Gewitter. Die ſchwäch— lichen und unbrauchbaren Perſönlichkeiten waren durch die Gewalt der Ereigniſſe maſſenhaft ausgeſchieden. An der Spitze des Staates ſtand in der Perſon des Staatskanzlers Fürſten Hardenberg ein Staatsmann, zwar nicht großen Stils, aber doch ein feiner und durchaus vorurteilsloſer Geiſt und voller Hingabe an ſein Amt. Er iſt es geweſen, der Scharnhorſt, Gneiſenau und Blücher an die Spitze der Armee gebracht hat. Er ſetzte durch, daß nach dem Friedensſchluß einer der beſten Schüler Scharnhorſts, Boyen, das Kriegs miniſterium erhielt. Neben ihm der bedeutendſte Kopf in der Regierung und 1819 auch im Miniſterium war Wilhelm von Humboldt. Etwas ſpäter erhielt das Finanzminiſterium der geniale Motz, dem nachher der eben— falls ſehr bedeutende Maaßen folgte. Altenſtein, ein philoſophiſch gebildeter Mann, der ſorgſame Pfleger des preußiſchen Bildungsweſens, der Univerſitäten und Gymnaſien, wurde Kultusminiſter. Auch unter den Oberpräſidenten ſind nicht wenige, die in der preußiſchen Geſchichte einen bedeutenden Namen hinterlaſſen haben. Schön in Preußen, Sack in Pommern, Zerboni in Poſen, Merckel in Schleſien,

Preußen nach 1815.

32 Preußen nach 1815.

Vinke in Weſtfalen. Man darf annehmen, daß eine Re— gierung mit ſolchen Spitzen auch in den unteren Inſtanzen für tüchtige Perſönlichkeiten geſorgt hat, und wirklich hat ſie auch Ungeheures geleiſtet. Unter den mannigfachen Ver— dienſten Treitſchkes werden auf die Dauer vielleicht ſeine Forſchungen und Feſtſtellungen über die Verdienſte der zweiten Friedensperiode Friedrich Wilhelms III. von 1815-1840 den erſten Rang behaupten. Preußen war durch die Pariſer Friedensſchlüſſe und den Wiener Kongreß auf das Doppelte ſeines Umfanges von 1813 vergrößert worden. Stücke von nicht weniger als neun verſchiedenen Staatsgebieten waren den alten Provinzen zugeſchlagen worden: Die Republik Danzig, ein Stück des Großherzogtums Warſchau, die Hälfte von Sachſen, Schwediſch--Pommern, das Großherzogtum Berg, geiſtliche Fürſtentümer, die zum Königreich Weſtfalen gehört hatten, das linke Rheinufer, das zu Frankreich gehört hatte: Alle kamen ſie gezwungen, gegen ihren Wunſch und Willen zu Preußen. Im Laufe einer Generation iſt aus dieſer ſo buntſcheckig und zufällig zuſammengeſetzten Maſſe durch Armee und Beamtentum eine Staatsgeſinnung herangezogen worden, die imſtande war, die Stürme des Revolutions— jahres von 1848 zu überſtehen und nachher die Schlacht bei Königgrätz zu gewinnen.

Wir ſuchten nach dem Idealſtaat, der Regierung der Weiſen, der Philoſophen, wie ſie Plato entworfen hat, und plötzlich waren wir mitten in Preußen. Habe ich Ihnen etwa ein Taſchenſpielerkunſtſtückchen vorgemacht? Preußen nach 1815, das Preußen Friedrich Wilhelms III., das bei Mit⸗ und Nachwelt ſo wenig Anſehen genoſſen hat, das ſoll der Staat der reinen Intelligenz, der Idealſtaat ge— weſen ſein? Es hat freilich ſchon damals Leute gegeben, die es ſo auffaſſen wollten, aber ich will mich nicht länger

Preußen als Partikularſtaat. 53

dem Verdacht einer Paradoxie ausſetzen und gleich feſtſtellen, daß es nicht richtig iſt.

Der damalige Staat Preußen entſprach wirklich den Prinzipien des Platoniſchen Ideal-Staates und war es doch nicht.

Warum nicht? Der Staat Preußen war damals in einem Widerſpruch mit ſich ſelbſt. Er war angelegt darauf, der deutſche Staat zu ſein und war doch ein bloßer Par— tikularſtaat, dazu ein Partikularſtaat, dem die Hälfte der Staatsbürger gegen ihren Willen mit Gewalt zugefügt war. Unmöglich konnte die Staatsidee von allen dieſen neuen Bürgern, den Mußpreußen, ſchon begriffen werden. Aber auch die Altpreußen befriedigte ſie nur zum Teil. Denn die Idee, die man angerufen hatte zur Durchführung des großen Kampfes, aus dem dieſer Staat hervorgegangen war, das war ja die nationale Idee, und die nationale Idee gefiel dieſem preußiſchen Staat nicht nur nicht, ſondern er bekämpfte fie jetzt ſogar. Das Deutſchtum, die Anrufung der Idee des deutſchen Einheitsſtaates, galt für ein geſetz— widriges Vergehen. Damit war es von vornherein un— möglich, daß in dieſem Staat die Regierung mochte ſo gut oder ſo ſchlecht ſein, wie ſie wollte irgendeine Be— friedigung herrſchte. Warum bekämpfte denn der preußiſche Staat damals die deutſche Idee, die doch ſeine eigene Zukunft bedeutete? Nun, aus dem einfachen Grunde, weil er ſie nicht erfüllen konnte. Solange Preußen die Zeit nicht reif fand, den deutſchen Staat ſelber zu ſchaffen, mußte es ihn bekämpfen, und konnte auch all die wahr— haften Patrioten Ernſt Moritz Arndt an der Spitze nicht als ſeine unbedingten Freunde anſehen, weil ſie die Gefahr heraufbeſchworen, Preußen in einen Konflikt hinein— zureißen, den es ſich damals noch nicht fähig fühlte, zu

Das Manko Preußens in der Epoche 1815-1848.

54 Die Demagogen⸗Verfolgung.

beſtehen. Ob man beſſer aus dieſem Konflikt hätte heraus⸗ kommen, ob man früher hätte herauskommen können, dar: auf haben wir jetzt nicht einzugehen. Nur das ſehen wir, daß in dieſem Staate damals in der Tat ein peinlicher innerer Widerſpruch lebte, ein Widerſpruch, der ſich nun auf das Allerwiderwärtigſte geltend machte in der Dema— gogenverfolgung, die ja vielfach gerade die allerbeſten Patrioten traf.

Wir haben in Deutſchland zwei Vaterlandslieder: „Was iſt des Deutſchen Vaterland“ von Ernſt Moritz Arndt und „Deutſchland, Deutſchland über alles“ von Hoffmann von Fallersleben. Welch eine peinliche Erinnerung in unſerer Geſchichte, daß die beiden Dichter, beide deutſche Profeſſoren, beide von der preußiſchen Regierung verfolgt und ihrer Lehrtätigkeit für Deutſchlands Jugend enthoben worden ſind!

Indem der preußiſche Staat nach dem Jahre 1815 ſich zur deutſchen Idee in Gegenſatz ſtellte, kamen auch die Mächte des alten Staates, die durch die Stein-Scharn⸗ horſt-Hardenbergſche Reform außer Kraft geſetzt worden waren, wieder empor, und indem Preußen eine abſolut regierte Monarchie bleibt, ſehen wir es doch erfüllt von einem überaus heftigen, oft gehäſſigen Parteikampf, der die wahre Natur des Staates, die Regierung durch die politiſch erzogene Intelligenz ſo ſehr verdeckte, verdunkelte und verzerrte, daß ſie für die Zeitgenoſſen überhaupt nicht mehr erkennbar war.

Es war eine Art von tragiſcher Verwicklung, daß der Staat die Ziele, die er ſich hätte ſetzen müſſen, die damals auch ſchon von vielen erkannt wurden, ſich nicht nur nicht ſetzen konnte, ſondern im Gegenteil immer Kräfte anrufen mußte, die eigentlich ſeiner Zukunft entgegenſtanden. Eine

Der König und der Staatsgedanke. 55

Regierung, die von ſolchem Geiſt erfüllt war, konnte nicht nur bei den Zeitgenoſſen keine Befriedigung hinterlaſſen, ſondern auch hinterher noch, auch als man den Zuſammen— hang erkannt, die Schwierigkeiten herausgefunden hatte, ſich trotzdem der Hochſchätzung als eine Regierung der Weiſen im idealen Sinne keineswegs erfreuen.

Weiter haben Sie vielleicht vermißt in dieſem Aufriß des Staates, den ich Ihnen vorgeführt habe, daß die haupt: ſächlichſte Stelle, der König, noch gar nicht genannt iſt. Ich habe den Staat aufgebaut vom Staatskanzler an auf die Miniſter, die Beamtenſchar, die ganze Beamtenhierarchie; aber der letzte entſcheidende Wille liegt doch nicht an irgend einer dieſer Stellen, ſondern beim König. Wo iſt er ge— blieben? Die Antwort iſt: Der König regiert nicht nach ſubjektiven Einfällen oder wenn er es tut, ſo iſt es jedesmal ein Fehler ſondern gemäß dem objektiven, mit Hilfe feiner Berater feſtgeſtellten Staatsintereſſe, und er kann damit ſo ſehr hinter dieſem objektiven Staats— intereſſe verſchwinden, daß Hegel, als er jetzt vor faſt 100 Jahren von dieſem Katheder das Weſen des Staates im allgemeinen und des preußiſchen Staates im beſonderen entwickelte, das Wort wagen konnte: „Der König iſt das Tüpfelchen auf dem i.“ Es wurde Friedrich Wilhelm III. einmal gemeldet, daß hier, unmittelbar ſeinem eigenen Wohnhaus gegenüber, einer ſeiner Profeſſoren den König bloß für das Tüpfelchen auf dem i erkläre. Aber Friedrich Wilhelm III. gab nicht viel auf Theorien, da er ja doch die Macht beſaß. Er antwortete einfach: wenn er es nun nicht macht? Damit hatte er ſich ſeine königliche Gewalt genügend vorbehalten. Er faßte tatſächlich ſein könig— liches Amt ſo auf, daß der König die Staatsidee ſo in ſich verkörpere, ſich ſo mit dem Staate identifiziere, daß nichts

Stellung des! Königs.

56 Friedrich Wilhelm II.

als der organiſierte Staatswille in ſeinem ſubjektiven Willen in die Erſcheinung trete.

Als er Stein in der bekannten grob-ungnädigen Weiſe im Januar 1807 entließ, berief er ſich in feinem Entlaſſungs— ſchreiben darauf, daß er ſich von jeher beſtrebt habe, „nicht nach perſönlichen Launen die Diener des Staates zu wählen, ſondern nach vernünftigen Gründen.“ Dem Rate ſolcher „nach vernünftigen Gründen“ gewählter Staatsdiener wird dann auch der König ſich ſo leicht nicht entziehen, oder wie es ehedem ein Miniſterialdirektor einmal etwas burſchikos ausgedrückt hat: „über den König kommt man weg, über den Referenten im Miniſterium kommt man nicht weg!“

Die letzte Entſcheidung hat Friedrich Wilhelm III. für alle Zeit, vor 1806, während der ganzen Reformbewegung, während und nach der Erhebung immer wieder ſelbſt ge— geben, oft unter einem furchtbaren Druck, gegen ſeinen eigenen inneren Wunſch, gegen ſeine Natur, aber ſtets in dem Bewußtſein, nicht der gewählte, aber der geborene Repräſentant des Staates zu ſein. Er war der anſpruch— loſeſte Menſch und ſtellte durchaus nicht etwa für ſich die Forderung, daß ſeine höhere königliche Eingebung als ſolche den Staat regieren müſſe, ſondern er nahm nur das für ſich in Anſpruch, daß er eben als König die höchſte Ver— antwortung trage, mehr als irgendein anderer von dem Staatsgedanken erfüllt fein müſſe. Aber natürlich war das ſchlechterdings nicht von ſeiner Subjektivität zu ſcheiden, einer Subjektivitaͤt, die für eine Epoche umwälzender Re— formen und gewaltiger Entſcheidungen, um das ausdrücklich hinzuzufügen, ſehr wenig geeignet war. Hierdurch und ſpäter noch mehr durch die ſtarke Subjektivität Friedrich Wilhelms IV. iſt verdeckt worden, was eigentlich damals das Weſen des

Die preußiſche Verfaſſung. 57

Staates war: daß er durch die ſich ſelbſt ergänzende, organiſierte politiſche Intelligenz regiert wurde.

Aber in dem Staat Friedrich Wilhelms III. fehlt nun doch noch etwas, was wiederum das Urteil der Mit- und Fehlen einer Nachwelt ſehr ungünſtig beeinflußt hat und beeinfluſſen in ane mußte. Bei der Neubildung des Staates lebte von An- Preußen. fang an, bei Stein, Hardenberg und allen ihren Mit— arbeitern die Idee, daß das abſolute Königtum an ſeiner Seite eine Volksvertretung haben müſſe. Das eigentliche Dokument, welches den Ausdruck und den Rechtstitel für dieſe Volksvertretung in der Hiſtorie bildet, iſt der „Aufruf an mein Volk“, obgleich darin von einer Volksvertretung nicht die Rede iſt. Friedrich der Große hätte niemals einen ſolchen Aufruf erlaſſen können und hat niemals daran ge— dacht, auch nicht in allen Nöten des ſiebenjährigen Krieges. Von einer ſolchen Beziehung des Staates zur Geſamtheit der Staatsbürger wußte er noch nichts. Dieſe iſt erſt er— wachſen aus dem Staat, der durch ſeine eigenen Taten und ihren Ruhm mit einem ganz anderen Bewußtſein erfüllt wurde, als es überkommen war. Der Staat hat 1813 nicht anders gerettet werden können, als indem der König appellierte an den guten Willen jedes einzelnen Mannes. Dadurch hat er den Krieg gewonnen. Aber indem er dieſen Appell ausſprach, alſo jene Verbindung ſchuf zwiſchen dem Staat und den Staatsbürgern, die ſeine Vorgänger noch nicht gekannt hatten, lag darin auch, daß der Staat, der die geſamte Staatsbürgerſchaft aufrief, ſich mit dem Speer in der Hand in ſeinen Dienſt zu ſtellen, dann auch in Übereinſtimmung mit ihr ſich befinden mußte, daß der Wille des Königs, wenn auch noch ſo objektiv geltend gemacht, zur Lenkung des Landes nicht genüge, ſondern daß in irgendeiner Form eine Volksvertretung neben das König—

58 Das Dreiklaſſen-Wahlrecht.

tum treten mußte. Das wurde damals nicht bloß in Preußen, ſondern in aller Welt offen bekannt und gefordert, und in einer Verordnung, die Hardenberg vom Wiener Kon greß aus 1815 verkündete, poſitiv in Ausſicht geſtellt und nicht erfüllt. Warum nicht? Eben aus dem Grunde, den ich vorhin ſchon angab, war damals eine Verfaſſung un— möglich. Eine bloße preußiſche Volksvertretung war ein Un— ding in ſich; die preußiſche Volksvertretung mußte trachten, die deutſche Volksvertretung zu werden. Mit der Schaffung einer preußiſchen Verfaſſung mußte notwendig die deutſche Frage ins Rollen kommen. So wirkte die nationale Frage hemmend auf die Bildung einer Verfaſſung in Preußen und damit zugunſten der Reaktionäre. Das Produkt der ponderierenden Kämpfe, die darüber entſtanden, iſt das Zwiſchending zwiſchen einer ſtändiſchen Vertretung und einer allgemeinen Volksvertretung, das Dreiklaſſenwahlrecht, das in Preußen noch heute beſteht, von Bismarck aber für das Deutſche Reich fallen gelaſſen und durch das allgemeine gleiche Stimmrecht erſetzt worden iſt, um die öffentliche Meinung in ganz Deutſchland für das große Ziel eines preußiſch-deutſchen Nationalſtaates zu gewinnen. Denn das preußiſche Königtum, fo ſtark es war allein konnte es das Ziel der deutſchen Einigung unter dem ſchwarz-weißen Banner nicht erreichen. Bismarck wollte deshalb die Maſſe mit auf— nehmen, die Maſſe heranziehen mit ihrer ungeheuren Wucht. Er hoffte, ihre Unterſtützung zu erlangen, indem er ihr die Volks— vertretung gab. Dem Schwarzweiß fuͤgte er das Rot zu. Im Frühjahr 1866 verkündigte er, er wolle eine Verfaſſung mit einer Volksvertretung auf Grund des allgemeinen gleichen Stimmrechts vereinbaren. So iſt der Norddeutſche Reichs— tag gewählt worden, mit dem die Verfaſſung vereinbart und dann auf das Deutſche Reich erweitert worden iſt.

Parlamentarismus und Konſtitutionalismus. 59

Der Reichstag iſt geſchaffen worden nicht gegen die Re— gierung, ſondern zur Unterſtützung der Politik der Regierung. Die Schöpfung des Reichstages iſt die Entſtehung und Vollendung der Politik, die mit dem „Aufruf an mein Volk“ im Jahre 1813 begann. Die Schöpfung des Reichs— tages iſt die Verkörperung deſſen, was in dem „Aufruf an mein Volk“ erſt als Idee in die Erſcheinung getreten war.

In allen anderen Staaten, wo ähnliche Volksvertretungen exiſtieren, im beſonderen in England, Frankreich, Amerika, find fie zur Macht gelangt, indem fie die überlieferte Re— gierung entweder beiſeite gedrängt oder ganz geſtürzt haben. In Deutſchland iſt die Volksvertretung entſtanden, indem die Regierung ſie berief und neben ſich ſtellte.

Daß zwiſchen den Parlamenten in England, Frankreich, Amerika, Italien, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien auf der einen Seite und Deutſchland auf der anderen ein tiefgreifender Unterſchied beſtehe, iſt eine anerkannte Tat— ſache. Man nennt wohl das eine das Syſtem des Parlamentarismus, das andere des Konſtitutionalismus, oder aber bei denjenigen, die den Parlamentarismus für das einzig richtige und berechtigte halten, des Schein— konſtitutionalismus. Der Reichstag ſei nichts als das Feigen— blatt des nackten Abſolutismus, erklärte ſchon 1867 der Abgeordnete Liebknecht. Wir werden alſo zu unterſuchen haben, ob der Einfluß des Reichstages in Deutſchland wirklich ſo gering iſt, daß man ihn als einen bloßen Schein bezeichnen darf. Richtig iſt, daß jene anderen Parlamente eine viel größere Gewalt haben als unſer Reichstag. Jene Parlamente beſtimmen ſelber die Re— gierung; das Miniſterium beſteht aus den Führern der Majorität. Auch in Italien iſt es ſo, obgleich das piemonteſiſche Königtum urſprünglich ſtärker war. Aber

Delbrück, Regierung und Volkswille. 5

Unterſchied zwiſchen den verſchiedenen Parlamenten.

Etellung de3 deutſchen Reichstages.

60 Macht des deutſchen Reichstags.

dieſer Kern war im Verhältnis zur Maſſe Italiens zu klein, und ſo iſt man auch dort in den Parlamentarismus hinübergeglitten. Davon kann in Deutſchland nicht die Rede ſein. Der deutſche Reichstag übt entſprechend ſeinem ganz anderen Urſprung nur Einfluß auf die Regierung. Einfluß kann größer oder geringer ſein. Suchen wir ihn auf dem Wege der Feſtſtellung von Tatſachen abzumeſſen.

Daß der Reichstag bei der Ausarbeitung und Geſtaltung der Geſetze ſehr eingreifend mitwirkt, daß er auch eigene Ideen durchſetzt, daß er wichtige Vorlagen der Regierung ablehnt und dadurch dauernd verhindert, das liegt alles zu— tage und braucht nicht beſonders belegt zu werden. Aber ſein Einfluß geht noch weiter. Der Reichskanzler Fürſt Bülow mußte zurücktreten, als ihm der Reichstag die Erbſchaftsſteuer ablehnte.

Diejenigen, die glauben, daß wir auf dem Wege ſind, eine parlamentariſche Regierung mit der Zeit in Deutſchland einzuführen, haben geſagt, der Sturz des Fürſten Bülow ſei die erſte Etappe hierzu geweſen. Denn hier habe der Reichstag den Kanzler gezwungen, abzugehen und das ſei ja das Weſen der parlamentariſchen Regierung, daß das Haupt der Beamtenregierung ſich nicht behaupten könne gegen den Willen des Reichstages. Das iſt aber doch noch etwas anderes, als wenn die Regierung aus dem Willen des Reichs— tags hervorgeht. Es dürfte zutreffen, daß Bülow ſchließlich deswegen, weil er die Erbſchaftsſteuer nicht bewilligt bekam, hat zurücktreten müſſen. Falſch iſt aber die Vorſtellung, daß es hier zum erſtenmal geweſen ſei, daß ein Kanzler dem Reichstag habe weichen müſſen. Von Caprivi und Hohenlohe will ich nicht reden; da liegen die Dinge nicht ganz ſo klar. Aber das Entſcheidende iſt, daß es gar keiner Frage mehr unterliegen kann, daß auch Bismarck im Jahre

Ruͤcktritt Buͤlows und Bismarcks. 61

1890 dem Reichstag gewichen iſt. Noch heute wundern Der Rücktritt ſich die Leute oft darüber, weshalb Bismarck eigentlich 2 0 entlaſſen worden ſei. Die meiſten begnügen ſich dann mit der Wendung: „Ja, ein junger Kaiſer und ein alter Miniſter vertragen ſich eben nicht!“ „die Naturen gingen auseinander,“ „das verſchiedene Temperament“ uſw. Das war aber keineswegs der Zuſammenhang. Warum ſollen ſich ein junger und ein alter Mann nicht vertragen? Auch verſchiedene Temperamente ſind ſchon oft lange miteinander ausgekommen. Fürſt Bismarck und Kaiſer Wilhelm der Alte ſtimmten auch ſehr oft nicht überein. Mag nun im einzelnen die Zukunft noch manche Aufklärung bringen, jedenfalls eins ſteht feſt: Es war ein Reichstag gewählt worden, in dem eine geſchloſſene Majorität gegen den Kanzler ſtand. Dieſe Majorität beſtand in den Sozial: demokraten, der freiſinnigen Partei unter Führung von Eugen Richter, mit dem keine Vereinbarung möglich war, und aus dem Zentrum. Solche Majorität war ſchon manchmal geweſen, und in den ganzen 80er Jahren hatte Bismarck unausgeſetzt ſchwere Kämpfe; doch immer war es ihm noch möglich geworden, einen Kompromißweg zu finden. Aber jetzt waren die Dinge ſo weit gediehen, daß er keine Ausſicht mehr dazu hatte. Wenn er auf dieſe Weiſe hätte weiter regieren wollen, hätte er ſich ganz und gar von dem Führer des Zentrums, Windthorſt, abhängig machen müſſen. Das wollte er nicht, und wir wiſſen es nunmehr mit Beſtimmtheit, daß er ſich mit dem Plan ge— tragen hat, ſich von dieſem Reichstag zu befreien auf dem Wege der Gewalt. Er ſelbſt hatte den Reichstag geſchaffen, aber jetzt ſchien es ihm unmöglich, mit fo viel intranfigenten Elementen das Reich zu regieren. Ich ſelbſt bin im Be—

ſitze eines Briefes des damaligen Führers der Konſervativen 5*

62 Bismarcks Staatsſtreich-Plan.

im Reichstag, v. Helldorff, der Fürſt habe ihm im höchſten Ernſt geſagt, er wolle die letzten Jahre ſeines Lebens daranſetzen, den größten Fehler ſeines Lebens, die Schaffung des allgemeinen gleichen Wahlrechtes, wieder gutzumachen. Es iſt keine Frage, daß das, was darüber in den Hohenlohe— ſchen Memoiren ſteht, daß er dem Kaiſer bereits direkt Vortrag über zu erwartende blutige Kämpfe gehalten habe, richtig iſt. Wir können jetzt auch aus einer Reihe von Außerungen und Erſcheinungen mit Sicherheit entnehmen, was er gewollt hat. Schon am Schluß ſeiner „Gedanken und Erinnerungen“ ſtehen Andeutungen darüber, daß das deutſche Volk einmal, wenn es notwendig ſein ſollte, die Kraft und den Mut haben würde, ſich von dem allgemeinen, gleichen, geheimen Stimmrecht wieder zu befreien, An— deutungen, die klar darauf berechnet ſind, einmal wieder— geleſen zu werden, wenn ſeine damaligen Pläne an die Offentlichkeit kommen wuͤrden. Was wollte er alſo? Es war von weither vorbereitet. Er hatte die letzten zwölf Jahre ſeiner Regierung den Reichstag ſtets in der Hand gehabt vermöge des Sozialiftengefeges. Nach dem Attentat auf den alten Kaiſer Wilhelm, in der furchtbaren Aufregung im Volk, hatte er ein Ausnahmegeſetz gegen die Sozialiſten durchgebracht, das immer auf 2—3 Jahre gegeben und dann verlängert wurde. Es herrſchte die allgemeine Vor— ſtellung, das Sozialiſtengeſetz ſei unentbehrlich, um die Revolution niederzuhalten. Mit Hilfe dieſer Vorſtellung hat er auch die Sozialpolitik gemacht, weil die höheren Kreiſe, die Unternehmerkreiſe, durch das Sozialiſtengeſetz ebenſo wie durch die Schutzzollgeſetzgebung an ihn gebunden waren und ſeiner Direktion folgen mußten. Die große Majorität des Reichstages war bereit, das Geſetz noch weiter zu verlängern und ſogar dauernd zu machen unter

Bismarcks Staatsſtreich⸗Plan. 63

Beſeitigung einiger Beſtimmungen, die ſich nach allgemeiner, auch von vielen Konſervativen geteilter Meinung nicht be— währt hatten. Herr von Helldorff fuhr nach Friedrichsruh und erbat ſich von dem Fürſten Inſtruktion, ob die Fraktion für dieſes neue Sozialiſtengeſetz ſtimmen ſolle oder nicht. Ein Wort, ein bloßer Wink des Fürſten hätte genügt und das Geſetz war angenommen. Aber er ſprach dieſes Wort nicht; er gab überhaupt keine Antwort, woraus Herr von Helldorff mit Recht ſchloß, der Fürſt möchte zwar die direkte Verantwortung für die Ablehnung nicht über— nehmen, wünſche ſie aber. So kam es zu Fall durch die Stimmen der Konſervativen, das heißt mit anderen Worten: der Kanzler wünſchte, daß Konfliktsſtoff geſammelt werden ſolle. Er rechnete darauf, daß ohne ein Ausnahme— geſetz, wenn er den Reichstag auflöfe, die Sozialiſten Unruhen erregen würden, die mit Gewalt niederzuſchlagen ſeien. Wenn dann die Bürgerſchaft durch die Straßenkämpfe genügend in Schrecken geſetzt ſei, wollte er erklären oder durch den Kaiſer erklären laſſen: Unter dieſen Bedingungen laſſe ſich das deutſche Reich nicht regieren; der König von Preußen lege hiermit die Kaiſerkrone nieder. Dieſer Akt war bereits vorbereitet durch einen im Jahre 1884 vom Bundesrat gefaßten und feierlich verkündeten Beſchluß, daß das deutſche Reich eine freie Föderation der Fürſten ſei, die auch wieder auf— gelöft werden könne. Gleichzeitig mit der Niederlegung der Kaiſerkrone aber hätte der König von Preußen ſämtliche Bundesfürſten aufgefordert, das Reich wieder aufzurichten unter all den alten Geſetzen und Beſtimmungen, mit der einen Ausnahme des allgemeinen Stimmrechts, das auch nicht prinzipiell abgeſchafft, ſondern nur durch eine Aus— nahmebeſtimmung eingeſchränkt werden ſollte. Dieſes neue Sozialiſtengeſetz würde vermutlich ſo gelautet haben, daß

64 Bismarcks Staatsſtreich⸗Plan.

durch einen eigenen Gerichtshof jedem, der revolutionärer Geſinnung überführt ſei, das aktive und paſſive Wahlrecht entzogen werden ſolle. Um das beſſer kontrollieren zu können, ſollte zugleich an die Stelle der geheimen die öffent— liche Abſtimmung treten“).

So zweifellos es mir iſt, daß ein ſolcher Staatsſtreich, der mit der Verleugnung des Reichsgedankens hätte be— ginnen müſſen, uns zum Verderben gereicht haben würde, fo möchte ich doch nicht unterlaſſen einzuſchieben, daß Bismarck perſönlich darum keineswegs kleiner erſcheint. Denn ehe man genau ſeinen eigentlichen Plan kannte, glaubte man, daß er überhaupt keine poſitive Idee mehr gehabt habe; daß der Recke alt geworden, ſeine Kraft erſchöpft geweſen ſei. Vielleicht gibt es auch manche, die ſagen, die Zeit werde noch kommen, wo man es bereuen werde, daß 1890 nicht nach ſeinem Rat gehandelt worden iſt, als es noch Zeit war. Ich fürchte nun nichts dergleichen und ſtelle nur hiſtoriſch feſt, daß Bismarck abgehen mußte, weil der Kaiſer es ablehnte, ſich auf den Staatsſtreichge— danken einzulaſſen. Einige andere Differenzen kamen noch dazu, beſonders in der auswärtigen Politik, da Bismarck mehr zu Rußland, der Kaiſer mehr zu Ofterreich neigte, aber dieſe Differenzen waren geringfügig im Vergleich zu den Gegenſätzen, die hierin früher zwiſchen dem alten Kaiſer und Bismarck entftanden und überwunden worden waren. Der entſcheidende Punkt war der Staatsſtreich-Plan. Weil der Reichstag dem Kanzler mit ſolcher Feindſeligkeit gegen— überſtand, daß dieſer glaubte, mit friedlichen Mitteln nicht länger durchkommen zu können, darum hat er zurücktreten müſſen. Mit anderen Worten: Der Reichstag hat eine un—

*) Das Naͤhere uͤber dieſe Vorgänge: Preuß. Jahrb. Bd. 147, S. 1, S. 341; Bd. 153, S. 121.

Der Reichstag und Bismarck. 65

geheure Einwirkung auf unſere inneren Zuſtände gehabt und hat den Gründer des Reichs und ſeinen eigenen Schöpfer ſchließlich am Abend ſeines Lebens zum Rücktritt gezwungen. Seine Nachfolger konnten mit dem Reichstag weiter regieren, weil ihnen nicht die Summe von Haß, Leidenſchaft und Argwohn entgegengetragen wurde, die in ſeiner 27 jährigen Amtsverwaltung Bismarck durch die unabläſſigen Kämpfe, die er nach allen Seiten zu führen hatte, gegen ſich auf— geregt hatte. Eine geſchloſſene, unbedingt zuverläſſige Majorität hat er ja in der ganzen Zeit niemals hinter ſich gehabt und noch nach ſeinem Abgang verſagte der deutſche Reichtstag dem, der ihn ins Leben gerufen, den einfachen menſchlichen Glückwunſch zum 80. Geburtstag. Die frei— ſinnige Partei kam aber nunmehr Caprivi und nachher Hohenlohe ſoweit entgegen, daß immer wieder, wenn auch nach wiederholten Auflöſungen, für die entſcheidenden Forderungen der Regierung, auch beim allgemeinen gleichen Wahlrecht, Majoritäten haben gefunden werden können.

Ich bin auf dieſe Geſchichte der Entlaſſung Bismarcks heute deshalb eingegangen, weil ſie noch immer von vielen Seiten beſtritten wird, im beſonderen aber, weil wir in ihr das ſtärkſte Zeugnis dafür haben, daß die Vorſtellung, der Reichstag ſei bei uns eigentlich nur eine Dekoration, grundfalſch iſt. Gewiß iſt es der Kaiſer geweſen und konnte nur der Kaiſer ſein, der den Fürſten ſchließlich entlaſſen hat, aber die moraliſche Autorität des Mannes, der das deutſche Reich geſchaffen und 27 Jahre an der Spitze der Regierung geſtanden hatte, war ſo ungeheuer, daß es für den Kaiſer, der noch ſo wenig Regierungserfahrung hatte, eine moraliſche Unmöglichkeit geweſen wäre, ſich von ihm zu trennen, wenn nicht eben der Kanzler durch ſein Verhältnis zur Majorität des Reichstages ſich in eine unhaltbare Poſition gebracht hätte.

Dualismus.

66 Reichstag und Regierung.

Wir kennzeichnen alſo unſer Regierungsſyſtem am beſten, wenn wir es ein dualiſtiſches nennen. Der Kaiſer mit den Bundesfürſten repräſentiert eine in ſich ſelbſt ruhende, hiſtoriſche Gewalt, die legitime Obrigkeit, die Obrigkeit „von Gottes Gnaden“, ausgewirkt zu dem regierenden Organismus des Beamtentums und des Offizierkorps, und neben dieſer ſpezifiſchen, organiſierten Regierungsgewalt ſteht als über— aus mächtiges Organ der Kontrolle und der Kritik, deſſen Zuſtimmung nicht zu entbehren iſt, die Volksvertretung, der Reichstag. Im Unterſchied davon ſind die parlamentariſchen Staaten nicht dualiſtiſch, ſondern einheitlich aufgebaut, indem die Regierung direkt beſtimmt wird vom Parlament, von ihm eingeſetzt und jeden Augenblick abrufbar. Deshalb macht auch der deutſche Reichstag einen ganz anderen Ein— druck als ein engliſches oder franzöſiſches Parlament. Vor allen Dingen eins: Es iſt eigentlich noch niemals gegen den deutſchen Reichstag der Vorwurf der Korruption er— hoben worden, während dieſer Vorwurf doch in den Parlamentsſtaaten faſt allenthalben immer wieder laut wird. Dahingegen iſt es ganz klar, daß an poli- tiſchen Talenten, an Stärke und Bedeutung der Perſön— lichkeiten die anderen Volksrepräſentionen den deutſchen Reichstag überragen. Man ſteht bei ſeinen Debatten, wenn auch viele tüchtige, kluge, eifrige, geſchäftskundige Maͤnner darunter ſind, doch häufig unter dem Eindruck „kleine Leute“. Nicht ſelten iſt geſagt worden, der Reichstag habe einen ſubalternen Zug. Ganz natürlich; Leute von ganz großen Dimenſionen laſſen ſich ungern in den Reichstag wählen. Es wird zuviel unfruchtbare Zeit da verbracht, und es iſt keine Karriere. In Frankreich liegen die Verhältniſſe ganz anders; ein junger Mann, der politiſches Talent in ſich fühlt und das Glück hat, in die Deputiertenkammer zu kommen, iſt dort ſicher, daß

Reichstag und Minifter. 67

er in ein paar Jahren Miniſter oder zum wenigſten Unter— ſtaatsſekretär fein wird. Er wird es nur auf einige Zeit, aber er wird es doch, und das befriedigt nicht bloß den Ehrgeiz, ſondern gibt auch im Dienſt wie außer Dienſt vielfache Gelegenheit zu Erwerb. Ein Mitglied der franzö— ſiſchen Deputiertenkammer zu ſein, iſt immer etwas, das unendliche Perſpektiven eröffnet. Mitglied des deutſchen Reichstages zu ſein, iſt ehrenvoll, bringt aber keinen Gewinn. Es iſt nicht die Vorſtufe für einen Miniſter, überhaupt nicht für eine hohe Stellung. Es kommt ja vor, daß ein Abgeordneter „etwas wird“; ſo war Miquel Abgeordneter, bevor er Miniſter wurde. Aber er hat dann ſeine Ver— gangenheit als Abgeordneter ſo viel wie möglich verleugnet, und ein ſo bedeutender Mann wie Bennigſen hat es bei uns niemals zum Miniſter bringen können. Umgekehrt aber die abgehenden Miniſter, die in den parlamentariſchen Staaten die ſachkundigſten und gefährlichſten Kritiker ihrer Nachfolger ſind, laſſen ſich bei uns faſt niemals in den Reichstag wählen. Hier ſcheint ja nun die Kluft etwa zwiſchen Frankreich und Deutſchland unendlich. Hier eine berufsmäßige Regierung mit einer Volksvertretung als eine Art Kontrollſtation neben ſich, dort die gewählte Volks— regierung. Aber wie iſt es mit der „Volksregierung“? Wir haben ja geſehen, daß der Begriff „Volksvertretung“ eine optiſche Täuſchung iſt. Das „Volk“ hat ja in Wirklichkeit die Deputierten gar nicht gewählt. Läßt ſich der Volkswille aber auch auf eine andere Weiſe beſtimmen, als durch Ab— ſtimmen und Wählen? Als man in der großen franzöſiſchen Revolution die neue Verfaſſung ausarbeitete, die Freiheit und Gleichheit begründen ſollte, war man dieſer An— ſicht. Es heißt da (Titel 3 Abſchnitt 2): „Das Volk, welches die Quelle aller Gewalt iſt, kann dieſe nur durch

Die wahre Natur gewählter Volksvertreter.

Literatur.

68 Der Koͤnig als Vertreter des Volkes.

Stellvertreter ausüben. Die franzöſiſche Verfaſſung iſt repräſentativ; ihre Repräſentanten find der geſetzgebende Körper und der König.“ Alſo auch der erbliche König wird als ein Repräſentant des Volkswillens angeſehen. Wenn man Volkswillen und Staatswillen gleichſetzt, ſteckt darin eine unzweifelhafte Wahrheit, eine Wahrheit, die an Gewicht zunimmt, je mehr man ſich klar macht, wie wenig Wahrheit in der Darſtellung des Volkswillens durch ge— wählte Vertreter ſteckt.

Wer regiert denn nun aber in den Staaten, in denen die obrigkeitliche Gewalt bei gewählten Kammern iſt?

Nachdem wir negativ feſtgeſtellt haben, daß es das „Volk“ nicht iſt, müſſen wir jetzt poſitiv dieſe Frage beant— worten.

Für die öffentliche Meinung ſcheint ſie noch gar nicht aufgeworfen zu ſein; ſie begnügt ſich mit dem Schönklang des Wortes „Volk“. Aber in der ſtaatswiſſenſchaftlichen Literatur iſt darüber bereits vollkommen Aufklärung ge— ſchaffen und ich will die wichtigſten Werke an dieſer Stelle nennen und überhaupt einige Worte über die einſchlagende Literatur einfügen.

Nicht gerade viel zu entnehmen iſt aus der oft be— nutzten „Allgemeinen Staatslehre“ von Georg Jellinek (2. Aufl. 1905). Es iſt ein ſehr ſcharfſinniges juriſtiſches Werk, aber ohne hiſtoriſchen Sinn und oft ſogar ohne die nötigen hiſtoriſchen Kenntniſſe. Mehr ergibt für unſere Zwecke das jüngſt (1912) erſchienene ſehr umfangreiche Werk von Wilh. Hasbach: „Die moderne Demokratie“. Es bietet Stoff in Hülle und Fülle, auch objektiv der Sache nach, wenn fchon der Verfaſſer im Ton öfter eine ſtarke Ab— neigung gegen die Demokratie blicken läßt. „Die Ent— wicklung des Wahlrechts in Frankreich ſeit 1789“ von

Literatur. 69

Adolf Tecklenburg iſt eine wertvolle Monographie. J. Unold „Politik im Lichte der Entwicklungslehre“, iſt eine journaliſtiſche Arbeit mit treffenden und hübſchen Be— merkungen im einzelnen, aber ohne wirkliches Wiſſen. Über England nenne ich das etwas breit darſtellende, aber im Wiſſen und Urteil ſehr hoch ſtehende Buch von Lowell, The constitution of England. Das „Handbuch der Politik“ erſchienen im Verlage von W. Rothſchild, hat zwar viele angeſehene Namen unter ſeinen Mitarbeitern, der Wert der einzelnen Beiträge aber iſt ſehr ungleichmäßig. Von durch— ſchlagender Kraft aber iſt Oſtrogorski „La démocratie et organisation des partis politiques“ 1903; jüngſt (1912) in einer zweiten verkürzten Auflage erſchienen. Es enthält ſehr viel vorzüglich geordnetes und zuverläſſiges Material *). Dann iſt vor kurzem die zweite Auflage eines Büchleins herausgekommen: Belloc and Chesterton „The party system“, eine leidenſchaftlich einſeitige Arbeit. DBelloc war ſelbſt Mitglied des Unterhauſes und Mitglied der liberalen Partei, iſt aber erfüllt von Zorn über den Druck der Partei— diſziplin, die er hat auf ſich nehmen müſſen. Er iſt infolge— deſſen vielfach verblendet, ſo daß das Buch nur mit Vorſicht benutzt werden darf. Aber deutſchen Schwärmern für das Syſtem der Parteiregierung iſt die Lektüre ſehr zu empfehlen. Belloc trägt das Wichtigſte zuſammen, was ſich dagegen ſagen läßt.

Auch von konſervativer engliſcher Seite iſt jüngſt eine Schrift erſchienen von Mac Kechnie“ ), „Die neue Demokratie und die Verfaſſung“, die ganz ebenſo wie die vorhergehende

) Verlag von Calmann-Lévy, Paris. Die zweite Auflage hat einen ſehr intereſſanten Nachtrag.

**) William Sharp Mac Kechnie The new democracy and the constitution. London, John Murray, 1912. XII u. 211 S. 86.

70 Waͤhler und Gewaͤhlte in England.

klagt über die Tyrannei der Parteiherrſchaft, aber während Belloc hofft, dieſe Tyrannei zu überwinden durch die Fort— bildung der Demokratie, ſieht Mac Kechnie gerade in der Demo— kratie die Beſchwerde der Gegenwart und die Gefahr der Zukunft“). ö

Wer alſo wählt in der modernen Demokratie die ſoge— nannte Volksvertretung?

Vetrachten wir zunächſt England.

In der Mitte der 60 er Jahre wurde ein ſehr populäres Buch über das engliſche Regierungsſyſtem von Bagehot geſchrieben, das auch in Deutſchland viel geleſen worden iſt und viel Einfluß gehabt hat. Dort wird geſagt, daß das Volk gewohnt ſei, bei der Wahl nicht einen Mann ſeinesgleichen zu wählen, ſondern einen höherſtehenden. Denn aus der alten ariſtokratiſchen Zeit war man gewohnt, ſich von den beiden vorhandenen Parteien die auszuſuchen, die man haben wollte, und verlangte nicht, daß der Repräſentant genau das repräſentiere, was der Wähler wollte, ſondern nahm an, daß er ſeinen eigenen Verſtand und ſeine eigene Tendenz zum Ausdruck bringe. Das iſt wunderſchön von dem großen Staatsmann Burke ſchon 1791 zum Ausdruck gebracht worden, der als der erſte die verhängnisvolle Wirkung der franzöſiſchen Revolution unter den europäiſchen Staatsmännern vorausgeſehen hat, und zu ſeinen Wählern ſagte: „Euer Vertreter ſchuldet Euch nicht nur ſeine Arbeit, ſondern auch ſein Urteil, und er verrät Euch, anſtatt Euch zu dienen, wenn er es Eurer Meinung zum Opfer bringt.“ Es ſoll alſo den Vertreter

) Die Gneiſtſchen Werke uͤber engliſche Verfaſſung nenne ich nicht mehr, da ſie, bei allem Verdienſt, das ſie ihrerzeit hatten, heute als veraltet angeſehen werden muͤſſen. Vgl. meine Beſprechung Preuß. Jahrb. Bd. 55 S. 104 (1885).

Wahlbeteiligung. 7]

fein eigener Verſtand führen, auch wenn es gegen die Meinung ſeiner Wähler iſt, womit freilich die Vorſtellung von einem Volkswillen, der regiert vermöge der Wahl, hin— fällig wird.

Dieſer Reſpekt vor dem Unterhaus iſt nach der ein— ſtimmigen Meinung aller neueſten Beobachter heute, nachdem das Wahlrecht ſo ausgedehnt worden iſt, ge— ſchwunden. Die Wähler ſetzen bei ihren gewählten Ver— tretern voraus, daß ſie genau nach der Angabe der Partei— führer und nach dem Parteiprogramm und nach nichts anderem, etwa gar nach ihrer eigenen Einſicht, abſtimmen. Dieſe Erſcheinung würde dem demokratiſchen Gedanken völlig entſprechen, wenn wirklich die regierende Majorität vom Volke oder wenigſtens von den Wählern gewählt würde.

Im alten England wurden die Wahlen beſtimmt durch die Patronage oder durch die maßgebenden Perſönlichkeiten in den Wahlkreiſen, geſtützt auf ihren Einfluß und nach— helfend durch Geld. Seit den 70er Jahren find an die Stelle der einzelnen Perſönlichkeiten die Wahlvereine ge— treten, entweder lokale Vereine oder Landesorganiſationen, die mit einem amerikaniſchen Ausdruck der „Kaukus“ ge— nannt werden. Eine Wählerſchaft als Wählerſchaft iſt ja gar nicht fähig, ſich zu einer Wahl zu vereinigen, ſondern es iſt dazu notwendig irgendeine Organiſation. Dieſe muß den Kandidaten ausſuchen, muß ihn den Wählern vorführen und muß namentlich die ungeheure Maſſe der Gleichgültigen oder Unſchlüſſigen oder Unaufgeklärten heran— bringen. Wenn das nicht wäre, würde immer nur ein ganz kleiner Teil der Wähler bei den Wahlen erſcheinen. Bei uns, ſelbſt in der ungeheuren Aufregung nach dem Krieg 1870/71, find nur 51% ũ der Wähler zur Wahl: urne gekommen. Das hat ſich in den 70—8 er Jahren

Die Wahl⸗ maſchinerie in England.

12 Selbftergänzung der Megierenden.

auf einige 600/, erhöht, in allerlegter Zeit auf etwas über 80%; es fehlen alſo ſelbſt heute immer noch ein gutes Sechſtel? ). Ohne Wahlorganiſation und die damit zuſammenhängende Agitation iſt überhaupt eine Wahl, die einigermaßen die Maſſen repräſentiert, nicht durchzuführen. Das wird von keinem Erfahrenen und keiner Partei beſtritten werden. Sofort aber ergibt ſich daraus, daß nun diejenigen Perſönlichkeiten, die die Wahl— organiſation in der Hand haben und die Agitation be— treiben, auch ſchließlich die Wahl beſtimmen. Dem Volke wird der Kandidat ſuggeriert und dann wird durch die Organiſation die Wahl durchgeführt. Die Wahl— organiſationen find natürlich in der Hand der Parteiführer und ihrer zuverläſſigſten Anhänger. Dieſe ſorgen dafür, daß immer wieder nur ihre Anhänger entweder ins Parla— ment oder in die leitenden Stellen der Wahlorganiſation kommen. Die anſcheinende Volkswahl iſt alſo in Wirklich— keit eine Selbſtergänzung der im Laufe der geſchichtlichen Entwicklung einmal zur Gewalt gelangten Gruppen, und das iſt auch der Grund, weshalb die Selbſtändigkeit der Abgeordneten faſt völlig aufgehört hat und ſie in ſtrengſter Diſziplin verpflichtet ſind, ſo zu ſtimmen, wie es die Parteileitung, die Frontbank, wie es in England heißt, vor— ſchreibt ).

) Lowell II, 73 ſtellt die Stimmzahlen fuͤr die engliſchen Wahlen zuſammen. Die Beteiligung ſchwankt bedeutend. In England ſtimmten im Jahre 1906 etwa 80°), 1895 ſtieg die Beteiligung in den walliſiſchen Städten auf 86,6% und ſank 1900 wieder auf 72,3 %,. Die geringſte Beteiligung hatten bei dieſen Wahlen die walliſiſchen Grafſchaften mit 62,8% und London mit 65,1%.

% Lowell J, p. 534 ſtellt feſt, daß der Kaukus einſt gegruͤndet wurde, um ein wahrhaft demokratiſches Regiment zu organiſieren. Der große Volksverein ſollte den Liberalismus im Volke repraͤſentieren und

Wahre Natur des engliſchen Unterhauſes. 73

Belloc behauptet auch, es ſei Illuſion zu ſagen, daß das heutige engliſche Parlament nicht mehr ſo korrupt fei wie im 18. Jahrhundert; nur die Form der Korruption ſei anders geworden. Es geſchehe freilich nicht mehr mit wirklichen Beſtechungen, aber doch ſo, daß die große Maſſe der Gewählten irgendwelche Vorteile von der Regierung zu erwarten habe. Er teilt die Vertreter in drei Gruppen: 1. reiche Leute in ihren Wahlkreiſen, die Ehrgeiz beſitzen und ſich durch die Teilnahme an der Regierung einen Namen machen wollen; 2. reiche Leute irgendwoher, die ſehr große Summen in einen geheimen Wahlfonds ſtiften; 3. Rechtsanwälte und Geſchäftsleute, die ihre Parlaments: mitgliedſchaft irgendwie benutzen, um günſtige Verhältniſſe auszukundſchaften und auszunützen für die Geſchäfte, die ſie betreiben.

Ich möchte mir erlauben, eine vierte Gruppe hinzuzu— fügen, nämlich die ehrlichen Patrioten, an denen es auch in England, wie anderswo, nicht fehlt, und ſchließlich werden dieſe Gruppen ſich nicht ſo ſcharf voneinander ſondern, ſondern vielfach ineinander übergehen. Es iſt aber richtig, daß die geſchloſſenen Parteien zuſammengehalten werden eben durch die Wahlmaſchinerie und zum großen Teil auch durch den direkten Vorteil, der vielen von den Mitgliedern winkt. Das würde ja nun gegen die Vorſtellung, das Volk ſei es, das zum Unterhaus wählt und dadurch regiert, noch nichts beſagen, wenn das Volk es wäre, das die Wahlorganiſationen beherrſchte, aber da ſetzt nun Belloes Hauptargument ein: In Wirklichkeit iſt die Führerſchaft jetzt ſo geſchloſſen, daß man ſagen kann, das demokratiſche das Volk ſelbſt in ihm die Politik beſtimmen. Das iſt voͤllig geſcheitert.

Die Verſammlungen ſind mehr und mehr ſtreng auf die Akklamation und vorher von den Fuͤhrern feſtgeſtellte Reſolutionen beſchraͤnkt worden.

74 Kooptation der Regierenden.

England hat eine regierende, ſich ſelbſt ergänzende Ariſto— kratie. Dieſer Kreis von Familien, die häufig unter ſich verwandt ſind, beſtimmt durch den Wahlkaukus und die Einzelwahlorganiſationen die Wahlkandidaten, und durch die Gewählten werden ſie wieder ſelbſt gewählt, ſo daß eine Art Wechſelwirkung beſteht und tatſächlich eine Re— gierung exiſtiert, die ſich ſelbſt kooptiert und eventuell durch eine zweite Gruppe, die ſich ebenſo durch Kooptation er— gänzt, erſetzt werden kann. Der Einfluß der Wählerſchaft iſt darauf befchränft, daß die regierenden Kreiſe, ſich ſelber ergänzend, doch gezwungen ſind, auf die Volks— ſtimmungen und -ſtrömungen Rückſicht zu nehmen. Sie er— gänzen ſich nicht willkürlich, nicht ausſchließlich nach Vetter— ſchaft und Freundſchaft, ſondern ſie ergänzen ſich auch möglichſt durch Talente, mit denen ſie hoffen, ihre Partei und ihre Gruppe zu verſtärken. Wenn ſie das nicht täten, würde ein Teil der Wähler übergehen zur anderen Partei, und dann wären ſie aus der Regierung heraus.

Ob dieſes Syſtem gut oder ſchlecht wirkt, davon ſprechen wir jetzt nicht. Wir ſprechen nur davon, ob es Wahrheit oder Illuſion iſt, daß das engliſche Unterhaus vom Volk gewählt wird, und wir haben nun gefunden: Es iſt in der Tat eine Illuſion; aber doch keine vollſtändige, wie die modernen Kritiker behaupten, weil und inſofern die re— gierenden Gruppen fortwährend genötigt ſind, auf das Volk Rückſicht zu nehmen. Es iſt nicht eigentlich die Wahl, die dem Volke Geltung verſchafft, ſondern die Fühlung, die die regierenden Parteien immer mit dem Volk aufrecht er— halten müſſen. Sehr ſorgfältig wird aber die Illuſion am Leben erhalten, als ob wirklich in den Volkswahlen ein Volkswille zum Ausdruck komme, und obgleich es ſo leicht kein Unterhausmitglied wagen darf, anders zu ſtimmen,

Fiktion eines regierenden Unterhauſes. 75

als der Parteiführer angibt, ſo wird doch auch da die Fiktion der Selbſtändigkeit aufrecht erhalten dadurch, daß große Debatten ftattfinden, Anfragen an das Miniſterium gerichtet werden, Mißtrauensvoten beantragt werden uſw. Aber die Freiheit, die ſich darin zeigt, beſchränkt ſich in Wahrheit auf die beiden Frontbänke, d. h. die Parteiführer hüben und drüben. Als das Buch von Belloc herauskam, be— ſtätigte auch die „Frankfurter Zeitung“, die doch ein extrem demokratiſches Organ iſt, die Behauptung Belloes, daß die Interpellationen und Anfragen beim Miniſterium, die das Mitregieren der Abgeordneten zum Ausdruck bringen ſollen, ganz wertlos ſeien, ſei vollſtändig wahrheitsgemäß. Die Anfragen, ſchrieb der Korreſpondent, werden entweder ironiſch oder ausweichend beantwortet, und wenn das fragende Mitglied näher darauf eingehen will, ſchneidet ihm der Sprecher das Wort ab: Die Frage ſei bereits genügend beantwortet.

Dieſer Zuſtand wird immer mehr als ein ſchwer zu die Abhängig— ertragender und beinah unwürdiger Druck empfunden. Es „geerbte iſt deshalb ſchon der merkwürdige Vorſchlag gemacht von ihrer Partei worden, es ſollten im Unterhaus die Abſtimmungen geheim ſtattfinden, weil der einzelne Abgeordnete ſich jetzt nicht trauen kann, mit ſeiner wirklichen Überzeugung herauszu— kommen. Auf der anderen Seite will man gerade um— gekehrt die Oligarchie in der Partei dadurch bekämpfen, daß man der Wählerſchaft das Recht geben will, jeden Augenblick einzugreifen und den Vertreter abzuberufen.

Den Gedanken, daß das engliſche Parlament, und in Frankreich, Amerika naturgemäß ganz ähnlich, tatſächlich eine ſich ſelbſt ergänzende Oligarchie darftellt, können wir noch auf ein anderes Gebiet verfolgen, wo es uns noch mehr

angeht, und wo dieſelbe Erſcheinung noch viel en iſt. Delbrück, Regierung und Volkswille.

Die Oligarchie in der deutſchen Sozial⸗ demokratie.

76 Robert Michels.

Ich mache Sie aufmerkſam auf das Buch von Robert Michels, Profeſſor in Turin: „Zur Soziologie des Partei— weſens in der modernen Demokratie“ 1911. Michels iſt ein deutſcher Gelehrter, der einmal den Verſuch gemacht hat, obgleich er Sozialdemokrat war, ſich in Jena zu habilitieren. Es wurde ihm aber bedeutet, daß in Jena Privatdozenten zur Habilitierung der Beſtätigung der Re— gierung bedürfen, und dieſe ihm ſchwerlich zuteil werden würde. Er iſt darauf nach Italien gegangen und iſt jetzt Profeſſor in Turin. Das war ein ſehr bedauerlicher Zwiſchen— fall im deutſchen Univerſitätsleben. Die Freiheit der Wiſſen⸗ ſchaft verlangt, daß unbedingt alle Parteien zur Habi— litation zugelaſſen werden. Die Fakultäten haben nichts zu konſtatieren als die wiſſenſchaftliche Qualifikation und die moraliſche Unbeſcholtenheit und ſich dann darauf zu verlaſſen, daß Parteianſichten vermöge der nie raſtenden Selbſtkritik der Wiſſenſchaft ihre Korrektur finden. Im vor— liegenden Falle freilich iſt es eine Art Glück, daß Michels in Deutſchland von den regierenden Kreiſen ſchlecht be— handelt worden iſt: Nun iſt er wenigſtens vor dem Ber: dacht geſichert, etwa das, was wir gleich hören werden, aus gouvernementaler Liebedienerei geſchrieben zu haben.

Michels hat nämlich ſein Buch dem eingehenden Nach— weis gewidmet, daß ſogar innerhalb der ſozialdemokratiſchen Partei tatſächlich die Demokratie bereits völlig aufge— hoben und durch eine regierende Oligarchie erſetzt iſt. Er ſagt gleich in der Vorrede: Die Demokratie beſteht in einer Oligarchie. Eine Parteivertretung bedeutet eine Herrſchaft der Vertretenden über die Vertretenen.

Der Mangel an geiſtigem Kontakt in der großen Maſſe, führt er weiter aus, mache es ganz unmöglich, daß die Maſſe ſelber einen direkten Willen kundgebe. Auch die

Oligarchie in der Sozialdemokratie. 11

Notwendigkeit, in dem politiſchen Parteikampf ſchnell Be: fehle zu erteilen, Direktiven zu geben, alles das verlange Führer, und weiter verlange das Leben der Partei eine Organiſation mit einem Beamtenapparat und zwar einem bezahlten Beamtenapparat.

Der Sozialdemokratie leiſten oft Mitglieder mit großem Eifer freiwillige Dienſte im Zettelaustragen u. dgl., aber ſolche Vorgänge ſtellen nur die Ausnahme von der in der Sozialdemokratie herrſchenden Regel dar, daß jede ihr geleiſtete Arbeit, von der kleinſten Zeitungsnotiz bis zur längſten Verſammlungsrede, honoriert wird. Dieſes Syſtem, das im ganzen vom Heroismus und Enthufiasmus abftrahiert und auf ſpontane Freiwilligendienſte Verzicht leiſtet, dafür aber die Arbeitsfähigkeit der Parteimitglieder in ſeinen geregelten und beſoldeten Dienſt ſtellt, verleiht der Partei eine unge— meine innere Geſchloſſenheit, eine Macht über ihr eigenes Menſchenmaterial, die zweifelsohne häufig der Elaſtizität, der Initiative, endlich auch dem Geiſt des Sozialismus Abbruch tut, gleichzeitig aber eine ihrer wichtigſten und un— entbehrlichſten Grundlagen bildet.

Wir ſehen unſere Sozialdemokratie in einer doppelten Organiſation vor uns: 1. die eigentliche Parteiorganiſation, 2. die Gewerkvereine. Die Gewerkvereine ſind ja prinzipiell nicht Parteiorganiſationen, praktiſch aber ſind ſie es dennoch. Es iſt ja das Wort geprägt worden: „Gewerkſchaft und Sozialdemokratie ſind eins.“ Nun ſind die Gewerkvereine ſehr viel ſtärker und zahlreicher als die Partei, und da ſie praktiſche Zwecke verfolgen, haben fie viel größere Mittel. Sie ſind aber ganz ſcharf zentraliſtiſch organiſiert. Der Gewerkſchaftsvorſtand ernennt die Vorſtände der Lokal— organiſationen. Die Lokalorganiſationen wählen Abgeordnete, die wieder den Gewerkſchaftsvorſtand bilden. Das ſcheint

6 *

78 Oligarchie in der Sozialdemokratie.

durchaus demokratiſch. In Wirklichkeit aber dirigieren die vom Zentralvorſtand ernannten Beamten die Wahlen, der ſich alſo dadurch in ſeinen eigenen Wählern gefügige Werk— zeuge ſchafft. Auch wo die in dieſer Art organiſierten Gewerk— ſchaften nicht die politiſchen Wahlen machen, werden ſie gemacht, nicht von der Maſſe ſelbſt, ſondern von irgend— einer Organiſation. (Michels S. 51.)

In den großen Städten ſondert ſich durch den Prozeß ſpontaner Selektionen ein enger Kreis von regelmäßigen Verſammlungsbeſuchern und Teilnehmern an den Beſchlüſſen der Organiſation von der organiſierten Maſſe ab. Dieſer ſetzt ſich, den Bigotten in der Kirche vergleichbar, aus Pflichtbewußten und aus Gewohnheitsläufern zuſammen. Der Kreis iſt in allen Ländern ein enger, die Mehrzahl der Organiſierten bringt der Organiſation dieſelbe Gleichgültig— keit entgegen wie die Mehrheit der Wählerſchaft den Parlamenten.

Die Aufſtellung der Parteikandidaten zu den Parlaments: wahlen hängt faſt ſtets von einer kleinen, durch die lokalen Ober- und Unterführer gebildeten Clique ab, welche dem Gros der Parteigenoſſen die ihr genehmen Kandidaten ſuggeriert. Häufig wird der Wahlkreis geradezu als Familien— gut betrachtet. Im demokratiſchen Italien iſt es nicht ſelten, daß beim Ableben oder Verhindertſein des Vaters, älteren Bruders uſw. der Wahlkreis ohne weiteres auf den Sohn, jüngeren Bruder uſw. übergeht, alſo in der Familie bleibt.

Der Marxismus geht von dem Satze aus, daß mit der Zeit alles Beſitztum ſich in einigen wenigen Händen kon— zentrieren muß, und nun ſchleudert ihm einer der Partei— genoffen den Satz entgegen (S. 125): „Die Machtkonzen— tration in der marxiſtiſchen Partei iſt offenſichtlicher als die Kapitalskonzentration im Wirtſchaftsleben. Nicht die

Demagogen als Höflinge des Volkes. 79

Wählerſchaft entſcheidet über die Kandidaten, ſondern die Vorſtände der Parteien.“ Mit den ſchärfſten Mitteln und Drohungen, z. B. jede Hilfe in der Agitation zu verweigern, würden mißliebige Perſönlichkeiten aus der Kandidatur ent— fernt. Die Folge ſei Byzantinismus und Kadavergehorfam, Als Beiſpiel für dieſen Gehorſam führt Michels S. 137 an, daß gemäß dem erteilten Wink das Gros der Delegierten auf dem Parteitag 1904 den Generalſtreik als Generalunſinn verwarf, ihn 1905 proklamierte und ihn 1906 in die Kinder: ſtube der Utopien zurückwies.

Mit der Bildung des Führertums zugleich beginnt durch die langjährige Amtsdauer ſein kaſtenmäßiger Abſchluß. Nur wenn die herrſchende Klaſſe den Bogen gar zu ſehr überſpannte, könnte einmal die Parteimaſſe revolutionieren und aktiv dagegen auftreten.

Die Verehrung und Nachahmungsſucht der Maſſen, ſagt Michels, gegenüber den Führern ſei ganz ähnlich wie in der höfiſchen Geſellſchaft; ſie würde, wie jemand von dem Hofe Ludwig XIV. geſagt hat, in komplette Idololatrie ausarten, wenn die Führer ſich auch noch einfallen laſſen ſollten, gute Menſchen zu ſein. Aber wie am Hofe ſeien die Führer in einem fortwährenden ſtillen Kampf unter— einander um die Führerſtellen. „Daher in allen modernen Volksparteien jener tiefe Mangel an wahrhaft brüderlichem Geiſt, an menſchlichem Vertrauen.“ Die Führer der Gewerk— ſchaften geſtänden auch das Streben nach einer oligarchiſchen Regierung ſchon offen zu (S. 141).

Dasſelbe iſt übrigens vor etwa 20 Jahren ſchon in Frankreich einmal geſagt worden. 1884 erſchien ein Buch „Handbuch des Demagogen“ von Raoul Frary, über: ſetzt von Oſtmann, worin das ganze Parteiweſen Frankreichs geſchildert und geſagt wird: Der moderne Demagog iſt

Franz Mehring.

80 Franz Mehring.

der Höfling der Maſſe. Genau mit denſelben Mitteln der Schmeichelei, der Beſchönigung, dem Zuwillenſein, wie die Höflinge den König für ſich zu gewinnen ſuchen, um dann durch ihn und über ihn zu herrſchen, ſo ſucht der Demagog die Maſſen für ſich zu gewinnen; und wir haben in Michels jetzt das Zeugnis, wie weit es damit tatſächlich ſchon ge— kommen iſt. Je mehr die Maſſenorganiſation wächſt, deſto mehr, ſtellt Michels mit Bedauern feſt, verliert ſie an revo— lutionärer Dynamis; man vermeide ängſtlich, den Staat gar zu ſehr zu reizen, damit er die koſtbare Parteiorganiſation, die fo vielen Leuten Brot gebe, nicht etwa gar zerſtöre.

Es iſt ja auch von anderer Seite längſt vorausgeſagt worden, daß, je größer eine ſolche Revolutionspartei wird, ſie ihrem Ziel einer wirklichen Revolution nicht näher kommt, ſondern ſich innerlich von ihm entfernt.

Geſtatten Sie mir hier wieder eine kleine perſönliche Reminiſzenz einzuflechten. Ich hielt im Jahre 1912 die Feſtrede in der Univerſitätsaula und hatte mir das Thema gewählt: „Geiſt und Maſſe in der Geſchichte“. (Abgedr. im Febr.⸗Heft d. Preußiſchen Jahrbücher 1912), worin ich nach— zuweiſen verſuchte, daß die Maſſe als ſolche nicht aktions⸗ fähig iſt, ſondern daß es erſt die Organiſation, d. h. der Geiſt iſt, der die Maſſe aktionsfähig macht, ſo daß die An— titheſe: Maſſe gegen Geiſt falſch iſt; wo Maſſe in Bewe— gung iſt, muß Geiſt ſein; ſonſt iſt die Maſſe tot. Ich ging aus von den Maſſenheeren in der Geſchichte und legte den ſo feinen wie gewaltigen Organismus dar, der notwendig iſt, um dieſe Maſſen zu bewegen. Darauf kam eine Antwort in der Leipziger Volkszeitung, zweifellos aus der Feder von Franz Mehring (es hatte unmittelbar vorher die Reichstagswahl mit dem großen Sieg der Sozialdemo— kraten und ihren 110 Mandaten ſtattgefunden). Dieſe

Mehring. 81

Rede von Delbrück, ſagte etwa Mehring, den ich, beiläufig bemerkt, für den bei weitem befähigtſten wiſſenſchaftlichen Kopf in der Sozialdemokratie halte, dieſe Rede iſt gleich— ſam eine Antwort auf unſeren Wahlſieg. Es iſt zwar nicht ausgeſprochen, aber es iſt ſo gemeint. Indem ich dargelegt hätte, wie kraftlos die Maſſen an ſich ſeien, meint Mehring, hätte ich zu verſtehen geben wollen, daß wir uns nicht vor ihnen zu fürchten brauchten. Denn mit der Organiſation könne man ſich einmal auseinanderſetzen; mit den Führern ließe ſich auf dieſe oder jene Weiſe irgend— ein Abkommen treffen. Ich habe dieſe Schlüſſe nicht ge— zogen, kannte auch damals das Buch von Michels noch nicht, aber in der Tat, Mehring hatte nicht ſchlecht in meiner Seele geleſen. Ich war begierig, wie der Artikel enden würde, wie er den von ihm ſelbſt gezogenen, ſozuſagen in mich hineinprojizierten Schluß wieder aufheben, wie er ihm entgehen würde. Mehring hofft, daß infolge der außerordentlichen Steigerung der Produktivität der Arbeit im Zukunftsſtaat eine Geſellſchaft ohne Ausbeutung ent— ſtehen werde. Wo aber die Ausbeutung fehle, fehle auch die Herrſchaft einer ausbeutenden Klaſſe; da fehle alſo auch das Monopol der geiſtigen Bildung, und dieſe würde zum Allgemeingut werden. Wenn aber erſt die Maſſe dieſelbe Bildung habe, wie die Führer, dann bedürfen ſie auch keiner Führer mehr, ſondern führen ſelbſt. Mit dieſer Maſſe gäbe es dann auch kein Paktieren und keine Kom— promiſſe, ſondern bloße Übergabe.

Seien wir Mehring zunächſt dankbar für den Blick, den er uns in den ſonſt ſo ängſtlich hinter dem Schleier des Geheim— niſſes verwahrten Zukunftsſtaat hat tun laſſen. Daß der Reichtum der Menſchheit dann ins Unermeßliche ſteigen werde, iſt fchon früher zuweilen verſichert worden. Während man

82 Der Zukunftsſtaat.

ſonſt annimmt, daß gerade der Kapitalismus mit ſeinem Lohn für Fleiß und Intelligenz die Vervollkommnung der Technik und die ungeheure Steigerung der Produktion hervorgerufen habe, ſoll in Zukunft ohne ſolchen Lohn für den Einzelnen und bei viel geringerer Arbeit der Maſſe die Produktion noch viel mehr ſteigen. Unterdruͤcken wir unſere Zweifel und hören, was der Reichtum für Bildungsfolgen haben wird. Alle Menſchen werden der gleichen, höchſten Bildung teilhaftig werden. Alle Volksſchulen alſo werden in Gymnaſien verwandelt und dann ſtrömen die Maſſen, Männlein wie Fräulein in die Univerſitäten. Was würden die Auditorien da voll werden! Wo aber iſt geſagt, daß die Menſchen, wenn fie erſt gebildet genug find, keiner Organifation und keiner Führer mehr bedürfen? Sollte Mehring wirklich den Genoſſen haben ſagen wollen, daß ſie ihrer heutigen Führer nur bedürften, weil ſie ſelber noch zu dumm ſeien? Ein erfahrener Mann dürfte ſagen, daß ganz umgekehrt die Gebildeten erſt recht der Organiſation und der Führer bedürfen, um einen einheitlichen Willen herzuſtellen, weil jeder einzelne ſich zur Selbſtändigkeit berufen wähnt. Die Gebildeten des Zukunftſtaats mögen vielleicht anders ſein aber für unſere Frage handelt es ſich ja gar nicht um den Zu— kunftsſtaat, ſondern um die Gegenwart, um die Frage, ob in den nächſten zehn, zwanzig, dreißig Jahren die Führer der Sozialdemokratie für Kompromiſſe zu haben ſein werden oder nicht. Für dieſe Übergangszeit, wie wir ſie Mehring zu Gefallen einmal nennen wollen, ehe wir die gymnaſiale und akademiſche Maſſenbildung durchgeführt haben, bedarf es ja auch nach ihm der Organiſation und alſo auch der Führer, und ob dieſe Führer ihre Macht benutzen werden, die Revolution zu machen und einen allgemeinen Umſturz herbeizuführen auf die Gefahr hin, nicht den beſtehenden

Methode der Geſetzgebung in England. 83

Staat und die beſtehende Geſellſchaft, ſondern ſich ſelbſt zugrunde zu richten, oder ob ſie vorziehen werden von Fall zu Fall Kompromiſſe zu ſchließen, das iſt die Frage, deren zweite Eventualität Mehring als verkehrt und ausgeſchloſſen nachweiſen wollte. Hat er das getan? Wir duͤrfen das ge— troſt verneinen und halten dafür das Zugeſtändnis feſt, das auch dieſer Vertreter der radikalſten Sozialdemokratie wenigſtens mittelbar nicht hat vermeiden koͤnnen, daß das Volk im politiſchen Sinne, wie es jetzt iſt, immer nur aktiv werden kann in Organiſationen, und wir fuͤgen hinzu, daß ſogar die ſozialdemokratiſche Partei, die demokratiſchſte, die es gibt, ſich eine Organiſation gegeben hat, die ihre Anhängerſchaft aus den Entſcheidungen tatſächlich aus— ſchaltet und das Regiment ganz und gar in die Hände einer ſich ſelbſt ergänzenden Führerſchaft legt.

Nachdem wir nunmehr das Weſen der repräſentativen Regierungen auch nach der poſitiven Seite aufgehellt haben, können wir uns der Frage zuwenden, ob bei dem engliſchensss ift der Ein- Syſtem des Parlamentarismus oder bei dem deutſchen f n 56 Syſtem des Konſtitutionalismus das Volk einen größeren Regierung am Einfluß auf die Geſetzgebung hat. Wir wollen uns das Geben gleich mit einer ganz konkreten Erſcheinung beantworten. Im Burenkrieg beantragte am 5. März 1900 die Regierung in London, die Koften des Krieges aufzubringen durch eine Erhöhung der Einkommenſteuer auf 7%, ͤ einen ſehr hohen Satz, durch neue Stempelſteuern, Bierſteuer, durch eine Spiritusſteuer, durch eine Tabakſteuer, durch einen Teezoll. Namentlich der letztere belaſtet die große Maſſe in England ſehr ſtark. Am 5. März wurde das Geſetz im Unterhaus eingebracht, am 7., ohne ein Wort daran zu ändern, an— genommen und am nächſten Tage in Kraft geſetzt. Ebenſo im April 1901 für die weiteren Kriegskoſten nochmals Er—

84 Methode der Geſetzgebung

höhung der Einkommenſteuer um faſt 1%è und ein Zucker⸗ zoll. (Zucker wird in England ſehr viel konſumiert). Dazu kam, nach einer eigentümlichen neuen Idee, ein Kohlenaus— fuhrzoll, über den ſich nicht nur von finanzieller, ſondern auch vom wirtſchaftlichen Standpunkt aus ſehr viel ſagen läßt. Am 18. April wurde das Geſetz eingebracht, ange— nommen, eingeführt, ohne daß das Unterhaus gegen dieſe koloſſalen wirtſchaftlichen Laſten und die Art der Verteilung wie die Organiſation irgendwelche Einſprüche erhoben hãtte.

Soeben haben wir das Gegenſtück bei uns erlebt. Alle Welt iſt erſtaunt, daß der Reichstag binnen wenigen Wochen eine ganz außerordentlich große Steuervorlage direkter wie indirekter Steuern bis zur Geſetzesreife ge— bracht hat, und zwar hat er nicht die von der Regierung eingebrachten Vorlagen einfach angenommen, ſondern ſie durch und durch umgearbeitet. Jeder Paragraph iſt in der Kommiſſion durch zwei oder drei Leſungen durchge— hechelt worden, oft find die gefaßten Beſchlüſſe wieder ver: worfen, wieder neue Verhandlungen geführt worden; noch zwiſchen der zweiten und dritten Leſung iſt Weſentliches ge— ändert worden. 1909 ſind ſogar vom Reichstag ganz neue Prinzipien aufgeſtellt, ganz andere Steuern, als von der Regierung beantragt, erdacht und beſchloſſen worden. Ganz ſo war es bei vielen anderen Geſetzen, beſonders bei der Sozialgeſetzgebung. Jede einzelne Beſtimmung dieſes Kom— plexes von Geſetzen iſt mit der geſamten Volksvertretung bis ins einzelne durchgearbeitet worden. Und das iſt nicht etwa ein Ausnahmefall, ſondern wird bei uns als das Natürliche und Notwendige angeſehen. Auch die Oppoſitions— parteien geben ſich doch alle Mühe, Geſetze, die ſie im ganzen verwerfen, wenigſtens im einzelnen fo verſtändig wie mög⸗

in Deutſchland. 85

lich zu geſtalten, und oft werden ihre Verbeſſerungs— anträge angenommen. Selbſt im Plenum werden die Geſetze ſo eingehend beraten, daß ſich ein großer Teil auch der politiſch intereſſierten Staatsbürger in Deutſchland ab— gewöhnt hat, die Reichstagsverhandlungen zu leſen, wenigſtens ſehr genau zu leſen, weil die Details den einzelnen nicht intereſſieren.

Wer hat dieſe Geſetze beſchloſſen? Immer anders kom- Regierung und binierte Majoritäten. Vor Jahren wurden drei große Kerl Geſetze ziemlich gleichzeitig zum Abſchied gebracht, eins im preußiſchen Landtag, zwei im Reichstag. Im Landtag wurde das Feuerbeſtattungsgeſetz angenommen mit Hilfe eines Teils der Konſervativen, der Freikonſervativen, der Nationalliberalen, der Freiſinnigen und der Sozialdemokraten. Die Majorität war ſo gering, daß die ſechs Sozialdemokraten den Ausſchlag gaben gegen das Gros der Konſervativen, das Zentrum und die Polen. Gleichzeitig wurde die neue Verfaſſung für die Reichslande Elſaß-Lothringen im Reichs: tag beſchloſſen gegen einen Teil der Konſervativen, einen Teil der Freikonſervativen, die Antiſemiten und Polen, mit Hilfe eines anderen Teils der Freikonſervativen, des Zentrums, der Nationalliberalen, der Freiſinnigen und wieder der Sozial— demokraten. Derſelbe Reichstag ſchuf gleichzeitig das Rieſen— werk der Reichsverſicherungsordnung. Das Geſetz wurde angenommen in einem Zuſammengehen der Konſervativen, der Freikonſervativen, des Zentrums, der Nationalliberalen und eines kleinen Teils der Freiſinnigen gegen das Gros der Freiſinnigen und die Sozialdemokraten. Sie ſehen alſo, daß die Majorität nicht nur ganz verſchieden zuſammen— geſetzt war, ſondern daß gleichzeitig verſchiedene Majoritäten in Bewegung geſetzt wurden. Man kann alſo bei uns von Freunden und Gegnern der Regierung ſchlechthin gar nicht

86 Einfluß des Volkes in England.

ſprechen, was in England immer der entſcheidende Punkt iſt. Bei uns ſtimmen alle Parteien zeitweilig für, zeit— weilig gegen die Regierung. Geſtern haben wir das bei— nahe ungeheuerliche Bild gehabt, daß eine große Steuer angenommen wurde mit allen Stimmen, die Sozialdemo— kraten eingeſchloſſen, gegen die Konſervativen und die Polen.

Kommen wir nun auf die Frage: Wo hat die Volks— vertretung eine ſtärkere Einwirkung auf die Geſetzgebung, in London oder in Berlin? Man müßte ſagen, in London, ſolange man daran feſthält, daß die Regierung dort nichts iſt als der Ausdruck des Volkswillens. Der Dualismus exiſtiert ja nicht, ſondern die Führer der Majorität bringen die Geſetze ein und ihre Gefolgſchaft nimmt ſie an, ſolange ſie ſich gegen ihre Führer nicht auflehnt. Es wäre alſo alles in Ordnung, wenn es wahr wäre, daß das Unterhaus den Volkswillen repräſentiert. Wir wiſſen ja aber, daß das nur mit großer Modifikation gilt. Es repräſentiert nicht das Volk, es repräſentiert nicht einmal die Wähler— ſchaft, es repräſentiert auch häufig nicht einmal die Majo— rität der Wählerſchaft, ſondern, wie wir wiſſen, handelt es ſich in Wirklichkeit um ein Gremium von Politikern, das ſich in freier Weiſe ſelbſt ergänzt und nur in dauernder Fühlung mit einem größeren oder kleineren Teile des Volkes iſt. Wenn die herrſchende Partei dauernd an der Regierung bliebe, würde die Minorität, vielleicht ſogar die Majorität der Wähler dauernd ausgeſchloſſen ſein. Aber indem die Regierung wechſelt, die Parteien bald dieſe, bald jene das Ruder in die Hand nehmen, ſo kann man doch wohl ſagen, daß das geſamte Volk, wenn es auch nicht gleichzeitig, wie bei uns, mitwirkt, doch eben in der Abwechſlung ſtark auf die Regierung einwirkt. Ob ſtärker, das iſt die Frage, weil man es nicht abmeſſen

Einfluß des Volkes in Deutſchland. 87

kann, wie weit wirklich der Wille der Millionen einzelner Wähler bei den Wahlen den Ausſchlag gibt. Die radikalen Kritiker ſind ja, wie ich vorgetragen habe, ſo weit gegangen, zu behaupten, daß das Volk überhaupt ausgeſchaltet ſei; in Wirklichkeit ſei das Wählen die Mache von Demagogen, die dem Volk einen blauen Dunſt vormachten. Das iſt offenbar zu viel behauptet. Denn immerhin müſſen dieſe Demagogen ſo geſchickt ſein, daß ſie die Maſſen bei den Wahlen hinter ſich herziehen, und immer muß darauf Rückſicht genommen werden, daß, wenn man die Maſſen gegen ſich erregte, ſie zu der konkurrierenden Partei über⸗ gehen würden. Darum beſteht, um es zu wiederholen, in England die ſtärkſte Einwirkung, die das Volk ausübt, nicht ſowohl in der Abgabe der Wahlzettel als in der Beſorgnis der regierenden Männer, die aus Ehrgeiz, des Vorteils wegen und auch aus Überzeugung die Regierung zu behalten wünſchen und nach ihren Ideen den Staat lenken wollen. Wenn ſie eine ſtarke Stimmung gegen ſich erregen, werden viele Wähler aus ihrer Partei übergehen in die andere, und ſomit würde die Regierung in andere Hände kommen. Es handelt ſich, wie wir geſehen haben, um gar nicht viele, die bei einem ſolchen Wechſel den Aus⸗ ſchlag geben. Ich gebe alſo auf die Frage, wo das Volk einen ſtärkeren Einfluß auf die Geſetzgebung hat, in Eng— land oder bei uns, keine poſitive Antwort. Es hat ihn offen⸗ bar in England; es hat ihn offenbar auch bei uns. Wenn im allgemeinen die Meinung herrſcht, daß England ein mehr populares Regiment habe als Deutſchland, ſo iſt darin etwas Wahres, aber nicht eigentlich in bezug auf die Ge— ſetzgebung. Dieſe Meinung iſt in der Hauptſache darauf zurückzuführen, daß der ganze Staatsorganismus in Eng⸗ land viel lockerer iſt als bei uns. Wir haben den ungeheuer

Geſchichtliche

Analogien.

Die Verfaſſung des alten Athen.

88 Straffheit und Lockerheit des Staats⸗Organismus.

ſtraffen Aufbau unſeres ganzen Staatsweſens, von der all: gemeinen Wehrpflicht und allgemeinen Schulpflicht an, während drüben alles viel läſſiger, breiter iſt. Nicht bloß in England, auch in anderen Staaten kommt derſelbe Unter— ſchied in Betracht. Dieſes Verhältnis wird es hauptſächlich ſein, was die Vorſtellung erweckt, daß das Regiment über— haupt dort populärer ſei. Wenn wir uns aber in die Wirkſamkeit der Arbeitsmaſchine der Geſetzgebung verſetzen, dann ſehen wir, wie außerordentlich bedeutend, weil auf die Einzelheiten wirkend, gerade bei uns die gewählten Volksvertreter tatſächlich ſind.

Die Frage, die ich hier aufgeſtellt habe, lautet wohl— gemerkt nicht: „Wo iſt ein beſſeres Regierungsſyſtem?“, ſondern fie lautet: „Wo hat das Volk eine ſtärkere Ein: wirkung auf die Regierung?“ Die Fragen ſind nicht iden— tiſch, was natürlich nicht ausſchließt, daß ich ſpäter auch noch zu entwickeln ſuche, welche Vorzüge das eine Syſtem und welche das andere hat.

Ehe wir aber dazu ſchreiten, lade ich Sie ein zu einem Spaziergang durch die Weltgeſchichte. Ich werde Ihnen eine Reihe von Abſchnitten vorführen, in denen die jetzt gewonnenen Begriffe vom Weſen der Repräſentation, der Wahl, der Majorität im Verhältnis zur Regierung, in früheren Epochen ſchon bemerkbar wurden. Wir wollen unſere Kenntniſſe zu erweitern und zu vertiefen ſuchen, weil das uns helfen wird, zuletzt ein Schluß- und Endurteil zu fällen. Ich will gleich hinübergehen bis in die aller— älteſte Zeit, bis in das klaſſiſche Athen.

Das klaſſiſche Athen erhielt ſeine Verfaſſung, wie Sie ſich erinnern wollen, nach der Vertreibung des Tyrannen Hippias, nur 20 Jahre vor der Schlacht bei Marathon. Nach einigem Schwanken wurde eine rein demokratiſche

Athen. 89

Verfaſſung eingeführt durch den Alkmäoniden Kleiſthenes, alſo durch den Sohn eines der vornehmſten ariſtokratiſchen Geſchlechter Athens, der ſich an die Spitze der Demokratie geſtellt hatte. Wie ſieht nun dieſe Demokratie aus? Die entſcheidende Behörde iſt die allgemeine Volksverſammlung. Die allgemeine Volksverſammlung iſt aber bis auf einen gewiſſen Grad eine Fiktion. Die atheniſche Bürgerſchaft wird damals etwa 25000 Männer ſtark geweſen ſein. So viel können auf einem Fleck überhaupt nicht zuſammenkommen und von einer Stelle nicht gleichmäßig angeſprochen werden. Schon zu 10000 Menſchen gleichzeitig zu ſprechen, erfordert eine ganz gewaltige Stimme, und es läßt ſich kaum eine längere Rede zu einer ſo großen Menge halten. Schon zu 4—5000 in einer längeren Auseinanderſetzung zu ſprechen, iſt ſehr ſchwer, und daß die Menge mehrere Stunden einer Diskuſſion folgt, iſt nahezu ausgeſchloſſen. Sie wird ſchon zu unruhig, um zu verſtehen. Eine Volksverſammlung von 3000 Perſonen iſt ſchon ſehr groß. Wenn alſo einfach die Souveränität auf die Volksverſammlung in Athen über: tragen wurde, ſo war da von vornherein die Vorausſetzung, daß immer nur ein kleiner Teil, nicht entfernt auch nur die Hälfte der Bürgerſchaft, ſich dazu einfand. Es war auch geographiſch unmöglich, daß ſie ſich alle verſammelten. Denn die Grenzorte von Attika find 5—6 Meilen von der Hauptſtadt entfernt. Man wird nicht erwarten können, daß der kleine Weinbauer oder Köhler einen oder zwei Tage lang marſchiert, und dort mal die Hand aufzu— heben, für dies oder jenes zu ſtimmen um dann wieder nach Hauſe zu pilgern. Eine Verfaſſung, die der Verſammlung in der Hauptſtadt die Entſcheidung gibt, legt ſie alſo ganz vorwiegend in die Hand der Staatsbürger, die in der Hauptſtadt wohnen. Um das auszugleichen und dem Gros

90 Athen.

der Bürger, die draußen im Lande wohnten, ihren Einfluß zu ſichern, ſchuf man neben der Volksverſammlung den Rat von 500 Mitgliedern, die Boule. Um den Rat zuſammen— zuſetzen, wird das Volk in zehn Phylen geteilt, jede Phyle zu drei Dritteln, die nicht beieinander liegen, ſondern ſo, daß ein Drittel in der Stadt liegt, eins mehr am Meer für die Seebevölkerung und eins mehr im Lande, alſo ganz künſtlich. Dieſe ſo künſtlich aus drei auseinandergezogenen Dritteln zuſammengeſetzte Phylen ſind die Grundlage für die Organiſation der Regierung. Aus jeder Phyle kommen 50 Bürger zuſammen, alſo in Summa 500, die die Re— gierung bilden. Und nun würden wir einſetzen und ſagen: „Alſo gewählt von den Bürgern.“ Keineswegs. Hier fehlt der Repräſentativ- und der Wahlgedanke, ſondern es wurde ftatt deſſen eine Liſte angelegt von denjenigen, die ſich zur Boulé meldeten, und aus dieſen wurden die Mitglieder ausgeloſt. Das iſt die wahre, extrem demokratiſche Ver— faſſung. Ein Bürger iſt ſo gut wie der andere. Wenn ſich zuviel melden, wird geloſt, und von dieſen erloſten 500 find 50, eine Phyle, immer verſammelt, um für alle Fälle ſofort Entſcheidungen treffen zu können, und werden auf Staatskoſten geſpeiſt. Es galt als eine beſondere Ehren— bezeugung, wenn Bürger das Recht erhielten, an dem Frei— tiſch der Abgeordneten im Prytaneum teilzunehmen. Heute iſt der Freitiſch verloren gegangen; Robespierre aber pries es in ſeinen Reden an die Franzoſen noch gern als die höchſte Ehre, die einem Manne zuteil werden könne.

Die Vorausſetzung dieſes Regierungsmodus iſt, daß in der ganzen Bürgerſchaft eine einheitliche Geſinnung herrſcht, nicht feſte Parteien einander gegenüberſtehen. Bei uns, wo es auf Majorität und Minorität ankommt, könnte dieſes Syſtem überhaupt nicht funktionieren.

Athen. 91

Um nun zu verhindern, daß ganz Unwürdige in die Ehrenſtellen kämen, gab es einen eigenen Prozeß gegen ſolche, die ſich gemeldet hatten und aus irgendeinem Grunde für unwürdig erachtet wurden. Wer nicht angefochten wurde, kam zum Los und kam dann auch in die Boulé. Die Boulé hat neben der Funktion, die eigentliche Verwaltung zu führen, die Vorbereitungen und Vorberatungen für die Beſchlüſſe der Volksverſammlung zu treffen. Allmählich ſind auch alle die anderen Amter losbar geworden. Nur bei einem ging allerdings das Loſen nicht nämlich bei den Generalen. Einen General durch das Los zu be— ſtimmen, iſt doch für jeden einzelnen Bürger, der ſich ſeiner Führung anvertrauen ſoll, äußerſt bedenklich; da alſo, wo das unmittelbare Intereſſe des atheniſchen Bürgers in Frage kommt, wo er, der den Speer in die Hand nehmen ſoll, es auszubaden hat, wenn die Sache ſchief gehen ſollte, überläßt man das Amt nicht dem Loſe, ſondern über— weiſt jeder Phyle die Wahl eines Strategen.

Da haben wir eine Spur von dem, was uns der natür— liche Repräſentationsgedanke fein würde, aber nur eine ſehr ſchwache. Nach allem, was wir gehört haben, erkennen wir deutlich, warum für die Boulé und für die Regierung über: haupt ein Wahlſyſtem nicht eingeführt wurde. Wahlen hätten eben keineswegs die Tüchtigſten, ſondern die lauteſten Schreier und die Demagogen in den Rat gebracht. Da iſt man alſo in der Vorausſetzung der abſolut gleichen Geſinnung in der Bevölkerung auf jenes Loſungsſyſtem gekommen. Ideal gewirkt hat es freilich nicht. Schon Sokrates hat ſeinem Spott darüber Ausdruck gegeben, daß man die Männer, die berufen ſein ſollen, den Staat zu regieren, durch das Los beſtimme. Aber bei allem Reſpekt vor Sokrates (ich

halte durchaus daran feſt, daß die Tradition über ſeine Delbrück, Regierung und Volkswille. 7

92 Rom.

Größe berechtigt iſt) iſt er doch auch in den Fehler ver— fallen, der uns allen ſo naheliegt: zu kritiſieren, ohne etwas beſſeres an die Stelle ſetzen zu können. Denn ob es in Athen beſſer geweſen wäre, wenn die Regierung gewählt worden wäre, muß zum wenigſten ſehr bezweifelt werden. Für uns iſt es aber ein ſchönes Beiſpiel dafür, daß der Repräſentativgedanke nicht fo natürlich gegeben iſt, wie es uns und unſerer Umwelt erſcheint.

Gehen wir von Athen hinüber nach Rom. Da finden wir ja nun von vornherein ganz andere Verhältniſſe. Die römiſche Geſchichte wird dauernd beſtimmt durch den tief— gehenden Gegenſatz von Patriziern und Plebejern, der dann allmählich übergeht in den Gegenſatz von Nobilität und Maſſe. Die erſte Frage iſt alſo, woher dieſe tiefe ſtändiſche Differenzierung gekommen iſt. Mommſen iſt der Meinung geweſen, daß die Patrizier die Urgemeinde waren und die Plebejer die Einzöglinge, die ſich auf dem Grund und Boden, der der Urgemeinde gehörte, angeſiedelt hatten. Mommſen geſteht aber auch zu, daß dieſe ſeine Auffaſſung den Quellen nicht entſpricht. Er glaubte aber, keine andere Löſung finden zu können. Ich glaube nun doch, im Zu— ſammenhang mit meinen kriegsgeſchichtlichen Studien eine beſſere Löſung geben zu können.

Die Patrizier ſind nach meiner Meinung die alten Häuptlingsfamilien, ungefähr fo wie in der urgermanifchen Geſchichte die Prinzipes, von denen uns Cäſar und Tacitus berichtet haben. Dieſe Häuptlinge, vergleichbar etwa den Helden von Troja, Hektor und Achill, haben ein ritterliches Kriegertum hervorgebracht, während die große Maſſe von den kriegeriſchen Eigenſchaften allmählich mehr und mehr verlor. Es reflektiert ſehr ſchön in der Ilias, wie un— kriegeriſch die Maſſe der Bürger iſt gegenüber den wenigen

Das roͤmiſche Patriziat. 93

Helden. Das iſt wohl eine Hyperbolie, aber doch nicht bloß poetiſche Fiktion, um die Kraft und die Vorzüge der Ritter mehr hervortreten zu laſſen, ſondern es iſt wirklich der Niederſchlag der hiſtoriſchen Tatſache.

Dieſe kriegeriſchen Häuptlingsfamilien, die urſprünglich natürlich in ihrem Stamm geſeſſen haben, haben ſich durch einen Vorgang, der uns vielfach aus dem Altertum unter dem Namen Synoikismos berichtet wird, an eine Stelle, eben nach Rom, zuſammengezogen, und es hat ſich nun ein weiterer Kreis entwickelt durch das ſtädtiſche Leben und den damit verbundenen Kapitalismus. Es iſt nicht richtig, wie z. B. ein ſo hervorragender Gelehrter wie Eduard Meyer meint, daß die niedere Schicht des Volkes, die Armen, zuerſt angefangen haben, ſich mit Handel abzugeben. Um Handel zu treiben, dazu muß man Kapital haben, muß Waren haben, die man austauſcht, muß Schiffe haben, muß Mannſchaften haben, die Schiffe zu beſetzen, muß Vorſchüſſe geben koͤnnen. Wenn fremde Händler an die Küſte Griechenlands gekommen ſind, haben ſie nicht mit den kleinen Leuten gehandelt, um ihnen Purpurzeug oder Waffen oder Schmuck zu liefern, ſondern haben ihre Waren den Häuptlingen angeboten. Und dieſe wiederum, die zu Hauſe nichts zu tun fanden, ſind auf das Meer hinaus— gefahren, Handel zu treiben oder auch Seeraub. Krieg, Handel und Piraterie dreieinig ſind ſie, nicht zu trennen. Der alte Handel iſt immer mit Seeraub verbunden, wie ja auch in der Odyſſee ganz harmlos gefragt wird: „Biſt du Kaufmann oder Seeräuber?“ Vom Kauf zum Seeraub iſt nur ein Schritt; vom Kauf zum Krieg iſt es auch gar nicht ſo weit, wie man denken ſollte. Neben den Häupt— lingsfamilien kamen noch andere empor, die durch Talent, Kühnheit und Glück ebenfalls zu Wohlſtand gelangt waren,

7 *

94 Die römische Bauernſchaft.

die ſozialen Gewohnheiten jener annahmen und in ihren Kreis eintraten. Die Anzahl blieb aber immer klein. Der Wohlſtand dieſer Familien beſtand aus Vorräten, Edel— metall und namentlich auch Sklaven, die für ſie arbeiteten, und der Wohlſtand, der in der Stadt geſchaffen wurde, ging nun weiter ſehr bald aufs Land hinaus. Zu der Zeit, wo die Stadt ſich bildete, da löſt ſich auch der urſprünglich vorauszuſetzende Agrarkommunismus auf, von dem im ſpäteren römiſchen Staat noch einige Spuren zu finden ſind. Sobald durch Auflöſung des Agrarkommunismus der kleine Bauer geſchaffen iſt, zeigt ſich die beſondere Schwierigkeit, ihn ſelbſtändig zu erhalten. Eine Feuers— brunſt, ein Viehſterben, ein Einfall des Feindes, eine Waſſers— not, ein Hagelſchlag, eine Dürre, machen ihn ſofort voll— kommen mittellos; er ſteht vor dem Hungerstod. Bei Agrarkommunismus hilft man ſich untereinander; der kleine Bauer aber mit Privateigentum an ſeinem Acker iſt auf ſich angewieſen. So kommt im Laufe der Jahre unzweifelhaft immer irgendein Moment, wo er mit ſeiner Familie nicht beſtehen kann, wo er verhungern muß, wenn ihm nicht geholfen wird. Wir haben in unſerer Zeit einen außerordentlich künſtlichen Aufbau geſchaffen, um ein ſelbſtändiges kleines Bauerntum zu erhalten: Feuer— verſicherung, Verſicherung für die Schweine und anderes Vieh, Hagelverſicherung, Lebensverſicherung; namentlich aber Darlehns- und Hypothekenbanken, ſo daß der Bauer, wenn er mal in Not iſt, für wenige Zinſen einen Vorſchuß be— kommt, den er in einigen Jahren abarbeiten kann. Noch vor 30 40 Jahren iſt in ſolchen Fällen der Bauer das Opfer von Wucherern geworden. Was ſollte er machen? Er war ganz und gar in den Händen des Kapitaliſten, von dem ihn erſt die Geſetzgebung und Wirtſchaftsordnung

Roͤmiſcher Kapitalismus. 95

unſerer Tage befreit hat. Verſetzen Sie ſich mit dieſer Anſchauung von Agrarverhältniſſen in das alte Rom, ſo erkennen Sie, daß dieſe kleinen Bauern ſchließlich in Ab— hängigkeit kommen mußten von den Familien in der Stadt, die reich genug waren, Vorſchüſſe zu geben. Die römiſchen Legenden zeigen uns den römiſchen Patrizier immer wieder nicht bloß als einen vornehmen Mann, ſondern als einen Mann, dem der Plebejer etwas ſchuldig iſt. Der Patrizier— ſtand iſt durch einen ganz unabweislichen Wirtſchaftsprozeß Herrſcher über die Plebs geworden.

Rom liegt vier Meilen vom Ausfluß der Tiber an der Stelle, wohin damals noch die Seeſchiffe gerade gelangen konnten. Alle großen Handelsſtädte liegen ja nicht unmittelbar am Meer, nicht Hamburg, nicht Bremen, nicht Stettin, nicht London, ſondern immer ſo weit im Lande, daß die Schiffe von der See noch hinkommen können. Rom iſt der große Umſchlags⸗ platz, das natürliche Emporium für ganz Mittelitalien. Auf der Tiber konnten in kleinen Nachen die Sabiner bis nach Rom kommen, um dort einzutauſchen, was ſie brauchten. Rom iſt das hat Mommſen von Anfang an mit Scharfblick erkannt, obgleich die Tradition dagegen ſpricht und immer von Rom als reiner Landmacht ſpricht Rom iſt in Wahrheit von Anfang an eine Handelsſtadt geweſen; Handel iſt immer mit Kapital verbunden, und mit dieſem Kapital machten ſich die kapitaliſtiſchen Familien zu Herren der Bauernſchaft. Warum ließ ſich die Bauern⸗ ſchaft das gefallen? Warum griff ſie nicht zum Schwert, um ihre Freiheit zu verteidigen? Dieſe Wucherer waren doch ihre Stammesgenoſſen? Die Antwort haben wir bereits gegeben: weil die Wucherer gleichzeitig die Häupt⸗ linge, die Vorkämpfer, die ritterliche Kriegerſchaft waren. Es iſt nicht eine rein kapitaliſtiſche Herrſchaft, aber auch

96 Roͤmiſche Verfaſſung.

nicht eine rein feudale, ſondern es iſt beides zuſammen. Die Patrizier ſind urſprünglich nichts abſolut Geſchloſſenes; wir finden jüngere und ältere Geſchlechter. Später galt es für eine Unmöglichkeit, daß ein Plebejer Patrizier werden könne. Die deutſche Geſchichte kennt denſelben Vorgang. Im alten Reich war es möglich, durch Standes erhöhung in den fürſtlichen Hochadel einzutreten. Heute iſt das nicht mehr möglich. Der Kaiſer hat nicht die Befugnis, das Recht der Ebenbürtigkeit zu verleihen; der Kreis der eben— bürtigen Familien hat ſich geſchloſſen. Auch in Rom wurden die Zwiſchenheiraten zwiſchen Plebejern und Patriziern ver— boten. Die Patrizier bildeten einen Stand höherer Art, der von den Göttern abſtammte, allein die wahren Kult— handlungen vollziehen konnte, die richtigen Augurien beob— achten, und natürlich dadurch auch von Gottes Gnaden berufen war, die Maſſe zu regieren. Militäriſche, wirt— ſchaftliche, ſchließlich auch religiöfe Momente wirken zus ſammen, daß aus der urſprünglich gleichen Raſſe, dem gleichen Stamme, ſich eine ſolche Oberſchicht als regierende herausgebildet hat, und ich zweifle nicht, daß das Eupatriden— tum in Athen ganz dasſelbe geweſen iſt, wie das Patrizier— tum in Rom. Warum iſt es in Athen zugrunde ge— gangen? Wir haben da die extreme Demokratie gefunden. Warum hat die Ariſtokratie ſich in Rom allezeit gehalten?

Ich habe darüber eine Vermutung, die aber viel Wahr— ſcheinlichkeit für ſich hat. Rom iſt noch viel kriegeriſcher, als irgend ein griechiſcher Kanton, vielleicht ausgenommen Sparta. Sparta aber iſt keine Handelsſtadt, hat keine wirtſchaftlichen Kräfte. Rom war eine Stadt mit einer Bauernſchaft latiniſchen Blutes, die in der unmittelbaren Nachbarſchaft einer fremden Raſſe, der Etrusker ſaß und unausgeſetzte Kriege auch mit den anderen ſtammverwandten

Weſen des Rittertums. 97

Kantonen zu führen hatte. Erinnern Sie ſich nun, daß in der Ilias das Reitpferd noch nicht als Kriegswaffe be— nutzt wird. Im 10. Buch kommt es einmal vor, daß es zum Reiten benutzt wird; ſonſt wird es nur vor den Wagen geſpannt. Der Kampf zu Pferde verſtärkt nun ganz un— gemein die Möglichkeit der Bildung eines Heroentums, einer Ritterſchaft. Es iſt uns zunächſt etwas fremdartig, wenn wir Hektor und Achill als Ritter betrachten ſollen. Der Ritter iſt aber nicht bloß der Reiter, ſondern der Krieger, der kraft ſeiner perſönlichen Eigenſchaften, Kraft, Schnellig— keit, Ehrgefühl als Einzelkrieger weit über die Maſſen heraus— ragt. Setzt er ſich noch zu Pferde, wird der Wert aller dieſer Eigenſchaften vervielfältigt. Es ſind alſo die Patrizier eine Ritterſchaft und Kaufmannſchaft zugleich. Das iſt verwiſcht dadurch, daß ſpäter, als die Patrizier ſich ganz als Stand abgeſchloſſen hatten, ſich bloß als Herrſcher fühlten, ſich vom Handel und Gewerbe zurückzogen, ſich unter ihnen wieder eine neue Kaufmannſchaft bildete, die von den alten Geſchlechtern nicht als gleichwertig und nicht als gleichberechtigt anerkannt wurde. Den Beweis für die ganze Hypotheſe zu führen, iſt hier nicht unſere Aufgabe; man muß dazu meine „Geſchichte der Kriegskunſt“ ſtudieren, nicht bloß den erſten Band, der vom Altertum handelt, ſondern namentlich auch den dritten, der die Urſachen der Überlegenheit der mittelalterlichen Ritterſchaft über das Volk aufzeigt. Welches aber auch immer der Werdegang geweſen ſei, jedenfalls haben wir in der kleinen Kommune Rom eine Herrſchaftskaſte, die militäriſch, religiös und wirt: ſchaftlich die Maſſe beherrſcht. Der Kanton Rom, wie wir ihn in der älteſten Zeit kennen, iſt ungefähr ſo groß, wie unſere Inſel Rügen. Die Stadt mag etwa 12000, der ganze Kanton 60000 Seelen gezählt haben. Es waren

98 Urſprung der Legionen.

alſo kleine Verhältniſſe und darin eine kleine Anzahl von vorherrſchenden Familien, nach der Überlieferung 134. Dieſe Ariſtokratie übt ihre Herrſchaft aus, indem ſie einen von ſich mit der abſoluten Macht auf Lebenszeit be⸗ kleidet, den König, der beraten wird von den Häuptern der vornehmen Familien, die vereinigt ſind im Senat. Der König hat, abgeſehen von dieſem Rat der Senatoren, unbeſchränkte Macht, auch Macht über Leben und Tod, und er hat dieſe Macht benutzt, dem Volke eine neue Kriegsver— faſſung zu geben. Im Grunde beruht, wie wir geſehen haben, das Patriziat auf ritterlichem Kriegsweſen; es iſt eine kleine Schar von Elitekriegern. Neben dieſer römiſchen Ritterſchaft finden wir in der Überlieferung die Legionen, d. h. ein Aufgebot des Fußvolks in der Form der Phalanx, wie wir ſie auch in Griechenland kennen; eine Infanterie mit blanken Waffen, die in feſten Reihen und Gliedern geordnet, zu einem taktiſchen Körper zuſammen— geſchloſſen iſt. Wie eine ſolche geſchloſſene Infanterie gegen Ritterſchaft kämpft und ſie überwindet, das können wir erkennen im hellen Lichte der Geſchichte an der Art, wie ſich aus demjenigen Teil des deutſchen Schwabenſtammes, der im Hochgebirge wohnt, die ſchweizeriſchen Gevierthaufen bildeten und erſt Sſterreichs, dann Burgunds Ritterſchaft aufrieben. Von dieſer Beobachtung bin ich einſt ausge— gangen bei meinen Studien in der Kriegsgeſchichte. Meine erſtere größere Arbeit auf dieſem Gebiet hat den Titel: „Die Perſerkriege und die Burgunderkriege, zwei kombinierte kriegsgeſchichtliche Unterſuchungen“, wo ich die Beobachtung, daß ſich in dieſen beiden Kriegen die gleichen Waffen: gattungen gegenüberſtanden, quellenkritiſch verwertete und ausarbeitete. Das Heer der Perſer beſtand aus Bogen— ſchützen und Reitern, die Burgunder ſind ebenfalls Ritter

Ritter und Fußvolk. 99

und Bogenſchützen oder Armbruſtſchützen, neben einigen Feuergewehren. Drüben die Griechen beſtanden aus der Phalanx, d. h. dem taktiſchen Körper ſchwer bewaffneten Fußvolks mit dem Spieß, die Schweizer beſtanden auch aus Fußvolk mit Spieß oder Hellebarde. Es iſt alſo genau die— ſelbe Gegenüberſtellung, und ſo ließen ſich aus dem Gang der Schweizer- und Burgunderſchlachten Rückſchlüſſe gewinnen über das Zuſammenſtoßen einſt der Perſer und der Griechen bei Marathon und Platää; und davon auch auf die Römer, die in der älteſten Zeit zweifellos dieſelbe kriegeriſche Phalanx gehabt haben. Die Legionar-Phalanx war notwendig ge— worden aus demſelben Grunde, der zuerſt die außerordentlich ſtarke Ritterſchaft geſchaffen hatte, nämlich weil die Römer einen unverſöhnlichen Feind, einen Raſſenfeind, die Etrusker, in ihrer unmittelbaren Nähe hatten. Sie find ja auch zeit: weilig unter der Herrſchaft der Etrusker geweſen, haben ſie aber wieder abgeſchüttelt. In dieſem Kampfe genügte die Ritterſchaft nicht, ſondern ſie mußte ſich ergänzen durch ein geordnetes Fußvolk. Fußvolk war freilich wohl auch früher dabei, aber in der Weiſe, wie die Trojaner und Achäer Hector und Achill unterſtützten, oder die begleitenden Knappen im Mittelalter die Ritter. Über das Verhältnis von Fuß— volk und Reiterei haben wir zwei Ausſprüche von Ariſtoteles und Friedrich dem Großen, die faſt wörtlich übereinſtimmen, obgleich Friedrich den Ausſpruch von Ariſtoteles ſicher nicht gekannt hat. Sie ſagen beide“): „Fußvolk taugt erſt etwas, wenn es feſt zuſammengeſchloſſen iſt; iſt es aufgelöſt, fo genügt eine ſchwache Abteilung Kavallerie, es zu vernichten.“ Die römiſchen Könige haben alſo mit ihrer großen politiſchen Autorität die des Kriegertums halb entwöhnte latiniſche Bauernſchaft zu einem feſten, geſchloſſenen diſziplinierten ) Geſchichte der Kriegskunſt II, 424.

100 Abſchaffung des Koͤnigtums in Rom.

Haufen zuſammenzufaſſen und damit eine brauchbare Krieger— ſchaft zu Fuß zu ſchaffen verſtanden. Mit dieſer Schaffung der Legionar⸗-Phalanr kommt nun ein Gegenſatz in die Ver— faſſung des römiſchen Staats. Das römifche Volk iſt bis dahin völlig einflußlos geweſen. Es lebte in der Furcht des Herrn. Die Überordnung der gottbegnadeten Familien des Patriziats und die ſtrenge Gewalt des Königs, der immer mit den Liktoren mit Beil und Ruten hinter ſich einherging und jedem Befehl unbedingten Gehorſam ver— ſchaffte, hatte das Volk mit dem Geiſt des Gehorſams bis in das letzte Nervenbündelchen erfüllt. Nun aber iſt dieſe Bauer- und Kleinbürgerſchaft wieder zu kriegeriſcher Tüchtig— keit heraufgebildet worden. Wird dieſe Kriegerſchaft ſich weiter dauernd ſo unter das gottbegnadete Regiment des Patriziats und ſeiner Führer unterordnen? Dieſe Spannung iſt aber nicht die einzige, die den Staat bewegt. Indem die Patrizierſchaft einen von ſich mit jener furchtbaren Autorität bekleidete, um die Maſſen in Ordnung zu halten und zu bändigen, hat ſie damit dem König ja auch über ſich ſelbſt Gewalt gegeben, und namentlich, die Überlieferung zeigt davon gewiſſe Spuren, liegt in dem Königtum eine natürliche Tendenz, ſich erblich zu machen. Dieſe Neigung der einmal exiſtierenden Gewalt, ſich erblich zu machen, und überhaupt die Möglichkeit für den regierenden König, das Mitregiment des Senats beiſeite zu ſchieben, hat von je zwiſchen dem König und ſeiner Genoſſenſchaft einen Gegenſatz hervorgerufen, neben den nun die zweite Spannung tritt, zwiſchen dem Patriziat und dem militärifch organifierten Plebejertum. Das hat dann unter Umſtänden, die uns nur rein legendär berichtet ſind, endlich zur Abſchaffung des Königtums geführt; d. h. ſtatt des einen lebens— länglichen Oberbeamten wurden von jetzt an zwei gewählt

Konſular⸗Verfaſſung. 101

und dieſe nur auf ein Jahr; fie wurden Konſuln (urfprüng: lich Prätoren) genannt. Im übrigen aber bleibt die höchſte Gewalt, was ſie iſt, nur beſchränkt dadurch, daß ſie ſich zwiſchen zwei teilt, von denen jeder das Recht hat, dem anderen eine Interzeſſion anzuſagen, d. h. eine Amts— handlung zu verhindern, und mit der Verpflichtung, am Schluß des Jahres das Amt zugunſten eines Nachfolgers niederzulegen. Dieſe beiden Konſuln ſollten gewählt werden durch das Heer, d. h. alſo, durch das militäriſch organifierte Volk, durch die Plebs.

Mit der Konſulatsverfaſſung kommt in die römiſche Verfaſſung, die bisher rein ariſtokratiſch-monarchiſch iſt, das demokratiſche Element als unausweichliche Folge der kriege— riſchen Organiſation des Volkes, die auf die Länge not— wendig eine politiſche Geltendmachung hervorbringt. Wir haben von nun an in der römiſchen Verfaſſung ein Doppel— ſpiel: Das hohe Beamtentum, das Konſulat, das ſich nachher noch in weitere Amter differenziert, und die Volks— verſammlung, die dieſe Konſuln wählt, beſſer ausgedrückt: deſigniert. Denn das römiſche Staatsrecht beſagt nicht etwa, daß der, den das Volk gewählt hat, nun Konſul iſt, wie bei uns ein Reichstagsabgeordneter gewählt iſt an dem Tage, wo der Wahlkommiſſar feſtgeſtellt hat: die Mehrheit iſt für ihn geweſen ſondern der Konſul tritt in ſein Amt erſt dadurch, daß der Vorgänger ihm unter ge— wiſſen heiligen Zeichen und Kulthandlungen ſeine Gewalt übergibt. Wenn der vorige Konſul nicht niederlegte, ſo könnte der neue nicht antreten, dann hätte er nicht den heiligen Charakter und die wahre Autorität ſeines Amtes. Wir haben alſo in Rom eine ſich ſelbſt fortpflanzende, von den Göttern, nicht vom Volke, ſtammende, höchſte obrigkeitliche Gewalt in Wechſelwirkung mit einer Demo—

102 Die Servianiſche Verfaſſung.

kratie, inſofern, als die Männer, die die Gewalt gerade ausüben ſollen, von der Maſſe der Wähler beſtimmt werden. Die Fabel von Das Bild, das ich Ihnen hier vorgeführt habe, ſteht erſaſteng. in einem ſtarken Widerſpruch zu dem, was Sie wohl alle in der Schule und noch ſpäter auf der Univerſität gelernt haben, das iſt die ſervianiſche Verfaſſung. Der König ſoll hiernach nicht das Volk in ſeiner Maſſe zur Wahl be— rufen, ſondern es erſt künſtlich in fünf Klaſſen eingeteilt haben nach dem Vermögen und dadurch nicht, wie ich es Ihnen vorgeführt habe, ein Nebeneinander von Ariſtokratie und Demokratie, ſondern eine Herrſchaft des Mittelſtandes eingeführt haben. Das wäre allerdings etwas durchaus Anderes. Aber es verträgt ſich nicht mit dem ganzen Gang der römiſchen Geſchichte, die nie etwas von einem ſolchen Mittelſtand zeigt. Nachdem mir ſchon lange der Verdacht aufgegangen war, daß hier in der Überlieferung ein Fehler ſtecken müſſe, hat einer von meinen Schülern, Francis Smith, daraufhin die römiſchen Quellen noch einmal genau durchgeforſcht, und was hat er feſtgeſtellt? Dieſe berühmte ſervianiſche Verfaſſung iſt eine Erfindung der Catoniſchen Zeit, und zwar eine Tendenzerfindung. Der alte Cato, der Cenſor, als er ſah, daß das römiſche Staatsweſen degenerierte, hat den Verſuch einer, wie wir es heute nennen, Mittel— ſtandspolitik gemacht, und um das dem Volke plauſibler und genehm zu machen, da entdeckte ein kluger Antiquar eines Tages ein Blatt mit der ſervianiſchen Verfaſſung. Nicht vermoͤge einer Neuerung, ſondern unter Wieder— herſtellung der alten Sitte der Väter ſollte das Volk nicht mehr nach allgemeinem gleichen Stimmrecht abſtimmen, ſondern in Klaſſen eingeteilt werden. Das geſchah im Jahre 179, wie es uns Livius berichtet, welche Stelle man früher nicht zu verſtehen vermochte. Den Vorfall, daß eine an⸗

Analogien zur Servianiſchen Verfaſſung. 103

geblich gefundene alte Urkunde benutzt wird, um eine irgendwie reformierte oder ſonſtwie neugeſchaffene Politik damit zu begründen, haben wir im Altertum wenigſtens drei- bis viermal. Als bei den Juden die Frommen den Jahvedienſt durchführen und gegen alle bisherigen Anfechtungen ſichern wollten, da wurde unter König Joſias, etwa im Jahre 600 v. Chr., ein Stück Geſetzbuch gefunden, das wir heute im fünften Buch Moſes haben. Und als wiederum die Juden zurück— kamen aus der babyloniſchen Verbannung und nun das Volk in den feſten Formen der theokratiſchen Verfaſſung zuſammengehalten werden ſollte, da fand man abermals eine heilige Schrift, den Prieſter-Kodex, der heute einen großen Teil des Pentateuch ausmacht. Als die Ariſto— kraten in Athen einen Verfaſſungsumſturz machen wollten, im Jahre 411, da fand man die Verfaſſung des Drakon. Als in Sparta eine Reformgeſetzgebung gemacht werden ſollte, fand man die Geſetzgebung des Lykurg.

Alle dieſe Geſetzgebungen ſind alſo Fiktionen einer ſpäteren Zeit, die einer beſtimmten Tendenz dienen ſollten und ſo geſchickt gemacht waren, daß ſie die Jahrhunderte wirklich genasfuͤhrt haben. Sobald aber einmal erkannt iſt, daß in Rom niemals ein Mittelſtand als politiſche

Potenz hervortritt, ſondern immer nur ariſtokratiſche

Magiſtratur auf der einen, Demokratie auf der anderen Seite, kommt man bald zu dem Schluß, daß auch die vielgerühmte Verfaſſung des Königs Servius Tullius in die Sammlung dieſer frommen Täuſchungen gehört.

Die römiſchen Staatsrechtslehrer haben den Grundſatz aufgeſtellt, daß die Souveränität beim Volke ſei, d. h., wie wir es jetzt beſſer ausdrücken, da uns der Begriff „Volk“ zu myſtiſch iſt, bei der Wählerſchaft. Es iſt vor— gekommen, daß eine Volksverſammlung ſich über die

Der römiſche Dualismus.

104 Ariſtokratie und Demokratie in Rom.

beſtehenden Geſetze und ſtaatsrechtlichen Bedenken hinweg— geſetzt hat kraft der dem Volk zuſtehenden Souveränität. Danach wäre Rom eine reine Demokratie geweſen. Un— mittelbar daneben aber finden wir, daß die hohen Amter, die Magiſtratur, nicht vom Volk vergeben werden, ſondern ſich ſelbſt fortpflanzen, und daß das Volk nur die Träger dazu deſigniert, und zwar das Volk in ſeiner militäriſchen Organiſation. Kompagnieweiſe, centurienweiſe treten die Wähler an und geben offen ihre Stimme vor dem höchſten Vor— geſetzten zu Protokoll. Wir haben alſo eine Demokratie unter be⸗ hördlicher Autorität, und wo die militäriſche Autorität nicht genügte, da half die prieſterliche nach. Man beobachtete bei den Römern immer mit großer Aufmerkſamkeit den Vogel— flug, der den Alten Unglück oder Glück bedeutete, wie wir ſchon aus der Ilias wiſſen, wo Hektor ſich dagegen auf: lehnt. Wenn ein Konſul vor der Volksverſammlung ſteht und merkt, daß die Volksverſammlung nicht ſo arbeitet, wie er es wünſcht, ſo kann es geſchehen, daß er plötzlich am Himmel unheilverkündende Vögel erblickt. Sie waren zwar fchon weg; aber er hatte fie geſehen und mußte zu ſeinem Bedauern die Volksverſammlung wieder nach Hauſe ſchicken. Oder wenn es zur Schlacht gehen ſollte und es darauf ankam, daß der Soldat Vertrauen zum Siege habe, ſo hatte man dafür heilige Vögel mit in einem Käfig. Wenn die heiligen Huͤhner die Körner, die ihnen vorgeworfen wurden, begierig aufpickten, dann war das ein gutes Zeichen, und der Augenblick für die Schlacht günſtig. Wenn ſie aber keinen Appetit hatten und das Korn nicht aufnahmen, ſo war das ein deutliches Zeichen, daß keine günſtige Ge— legenheit zur Schlacht war. Ein Konſul Claudius ſoll einmal bei einer Seeſchlacht, als die Vögel nicht freſſen wollten (der Vogelwärter hatte vielleicht die Anweiſung des

Die Volkstribunen. 105

Konſuls über die Fütterung mißverſtanden) gerufen haben: „Wenn ſie nicht freſſen wollen, ſo mögen ſie ſaufen!“ und warf ſie über Bord. Er verlor aber auch die Schlacht. Um ſo beſſer wußte nun das römiſche Volk, von welchem Nutzen die Religion für den Staat ſei, und wählte gern ſeine Obmänner aus den Familien, die von den Göttern ſtammten oder ſich doch mit den Göttern in einen wunderbaren Rapport zu ſetzen verſtanden und von ihnen die Zukunft erfuhren, und gehorchte ihnen.

Imperium und Augurium, wie Cicero es ausdrückt, oder wie wir heute ſagen, die Blauſchwarzen regierten das römiſche Volk, und wenn es hierbei geblieben wäre, fo hätte, obgleich das Volk die Magiſtrate wählte, die Demo— kratie in Rom wenig zu bedeuten gehabt. In langen Kämpfen ſchuf ſie ſich deshalb neben der ſtaatlichen Wahl— und Abftimmungsorganifation, den Centuriat-Komitien, eine eigene Organiſation der Plebs in den Tribut-Komitien, mit den Volkstribunen an der Spitze. Dieſe haben aber ur— ſprünglich keine obrigkeitlichen Befugniſſe, ſondern nur Be— fugniſſe etwa vergleichbar einer modernen Volksvertretung; ihnen gegenüber ſteht die Magiſtratur, die die Staatshoheit als ſolche repräſentiert. Das tun die Volkstribunen nicht. Die Doppeltheit des römiſchen Staates prägt ſich vortreff— lich aus in der bekannten Formel, ich möchte ſie die Staats— formel nennen, „Senatus Populusque Romanus“. Was iſt der Senat? Der Senat ift in der älteften Zeit die Ver: einigung der Patrizier. Er wird jetzt zur Vereinigung aller hohen Beamten. Alle, die einmal Konſul, Prätor, Aedil geweſen ſind, die bilden zuſammen den Senat. Alſo wenn wir einen Senat heute in unſeren Verhältniſſen in Preußen bilden wollten, ſo wären es nicht die Mitglieder des Ab— geordnetenhauſes, nicht die des Herrenhauſes, ſondern ein

Die Volks⸗ tribunen.

106 Der Senat.

Senat im römiſchen Sinne würde entftehen, wenn wir die ſämtlichen Regierungspräſidenten, Oberpräſidenten, Gerichts— präſidenten, General⸗Superintendenten, Biſchöfe, Generale in und außer Dienſt (der römiſche Konſul vereinigt ja alles das in ſich; er hat auch prieſterliche Funktionen) zu einem großen Staatsrat vereinigen würden. Was würde eine ſolche Verſammlung für eine gewaltige Autorität ausüben, wo alle politiſche Intelligenz vereinigt iſt, und um ſo mehr war ſie das in Rom, als mit der Zeit die ſtrengen Kreiſe des Patriziertums ſich auflöſten, das Plebejertum das Recht ge— wann, auch in die hohen Ämter gewählt zu werden und damit der Unterſchied zwiſchen Patriziertum und Plebejertum ſich allmählich verwiſchte! Aber das Patriziertum hält ſich ſo lange, daß die neu aufkommende Oberſchicht des Plebejer— tums ebenfalls ariſtokratiſchen Charakter annimmt. Man nennt dieſe neue Ariſtokratie Nobilität. Die Nobilität bilden alſo diejenigen großen Familien, die die hohen Amter gewohnheitsmäßig innehaben. Sie haben ſich zu dieſem Zweck längſt von Handel und Wandel, Induſtrie und Vermoͤgens— gewinnung auf kapitaliſtiſchem Wege losgelöſt und leben nur dem Staat aber auch vom Staat. Der Kern der Nobilität iſt der Senat. Man fragt ſchließlich gar nicht mehr, ob ein Mann Patrizier oder Plebejer iſt, wenn er in ein hohes Amt kommt. Der Unterſchied zwiſchen Patrizier und Plebejer verſchiebt ſich ſo ſehr, daß der typiſche Vertreter der ſtolzen römiſchen Ariſtokratie in der Tradition ein Plebejer iſt, nämlich Cato. Die Porcier ſind ein plebejiſches Geſchlecht, das aber im Laufe der Generationen ganz in den Kreis der regierenden Familien eingetreten iſt. „Senatus Populusque Romanus“ iſt deshalb die Staatsformel, etwa wie wir ſie jetzt brauchen, wenn es heißt: „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden

Die Wahl⸗Maſchinerie in Rom. 107

König von Preußen verordnen mit Zuſtimmung beider Häuſer des Landtags.“ Der Dualismus der römiſchen Verfaſſung bringt es mit ſich, daß die inneren Kämpfe niemals aufhören. Immer wieder ſuchen die Volkstribunen ihre Macht zu erweitern und bei den Wahlen auch ihre Freunde ins Konſulat zu bringen. Die Nobilität wehrt ſich dagegen vermöge ihres Anſehens, ihres Reichtums und ihrer Klientel meiſt mit Erfolg. Unter dieſer Verfaſſung iſt Rom nicht nur groß geworden, ſondern hat es die Welt erobert. Die Verfaſſung funktionierte trotz der dauernden inneren Spannung und der ewigen Streitigkeiten ſogar ſehr gut, ſo lange der Kanton Rom klein war. Wie nun aber Rom wächſt, allmählich über ganz Italien hinaus, wächſt auch die römiſche Bürgerſchaft, und zwar wächſt ſie ganz beſonders ſchnell, weil in dieſem Punkt, vielleicht dem einzigen, der römiſche Senat außerordentlich liberal iſt, nämlich in der Erteilung des Bürgerrechts. Die atheniſche Demokratie war darin ſehr kleinlich und wünſchte nicht, daß andere Griechen, die in Athen einwanderten, gleich das atheniſche Bürgerrecht bekämen. Aber in Rom ent: ſcheidet als höchſte Verwaltungsbehörde der Senat, und dem iſt es gerade recht, daß er ganze Gemeinden und ganze Stämme ſchließlich in das römiſche Bürgerrecht aufnehmen kann. Denn je größer die Maſſe der Bürger wird, deſto leichter iſt ſie zu manipulieren, deſto leichter ſind die Wahlabſtimmungen zu machen. Wie können denn überhaupt all die Bürger, vielleicht 250000, auf dem Marsfeld zuſammenkommen und abſtimmen? Das Aoſtimmungs— iſt der reine Spott, wo doch der größte Teil der Bürger "dus in Rom. ſchaft weit ab, bis ans Adriatiſche Meer, bis an den Po, wohnt. Was iſt überhaupt dieſe Abſtimmung für die Bürger, die mehr als einen Tagemarſch weit von Rom Delbrück, Regierung und Volkswille. 8

108 Roͤmiſche Wahlen.

wohnen? Dieſem Hindernis kam man von Anfang an dadurch entgegen, daß nicht nach Köpfen abgeſtimmt wurde, ſondern nach Tribus oder nach ihren Unterabteilungen, nach Centurien“), d. h. alſo, nicht ſoviel tauſend Nein gegen ſoviel Ja, ſondern ſoviel Tribus reſp. Centurien für und ſoviel gegen. Die Centurien oder Tribus der Stadt Rom haben alſo nicht mehr zu bedeuten, als eine Tribus etwa oben bei den Umbriern oder unten in Lukanien, von denen nur ein kleiner Teil der Bürger zufällig in Rom iſt und ſeine Stimme abgibt.

Die letzte Tribus iſt errichtet worden zwiſchen dem erſten und zweiten punifchen Kriege, das war die 35. Später ſind keine mehr errichtet worden, ſondern neue Bürger wurden den ſchon beſtehenden Tribus zugeteilt. Man erkennt, daß nunmehr die Abſtimmung ganz und gar davon abhängt, wie die Wahlorganiſation Leute hinein— bringt in die Tribus, die nicht in Rom anſäſſig ſind. Wie dieſe Wahlorganiſation, der Kaukus, in Rom organiſiert geweſen iſt, und wie er funktioniert hat, davon wiſſen wir leider nichts. Er muß aber in ganz durchgreifender Weiſe exiſtiert haben. Denn die führenden Familien haben ein großes Intereſſe daran, wer in das Konſulat kommen ſoll. Dem Volk wird es ziemlich gleichgültig geweſen ſein, wer gewählt wurde, ob ein Fabius oder ein Claudius, ein Cornelius oder ein Cäcilius; aber dieſen Familien lag ſehr viel daran, ob ſie die richtige Zahl der Centurien manipuliert hatten. Denn der Gewählte hatte für das nächſte Jahr ein hohes und zugleich, wenn es Krieg gab, durch die Beute, ſpäter beſonders durch die Verwaltung der Provinzen im

) Daß die Centurien nichts als Unterabteilungen der Tribus find,

glaube ich in der zweiten Luflage der „Geſchichte der Kriegskunſt“ nachgewieſen zu haben.

Roͤmiſcher Bundesgenoſſenkrieg. 109

Prokonſulat, auch äußerſt einträgliches Amt. Wir haben freilich einen Brief des Quintus Cicero an ſeinen Bruder Marcus, wie man das Konſulat in Rom erwerben müſſe. Aber gerade von den Geheimniſſen der Wahlmache iſt in dem Brief ganz und gar nicht die Rede, ſondern es wird immer nur von der Ehre und dem Glück, Konſul des welt— beherrſchenden Rom zu ſein, geſprochen. Gewiß war dieſe Ehre ſehr groß, aber die Demokratie wird in dieſer Aus— geſtaltung eigentlich zum Spott ihrer ſelbſt. Sie kann gar nicht mehr demokratiſch funktionieren, und wir ſehen ſofort, warum. Es fehlt ein Gedanke, der ja uns in einer ſolchen Lage auf der Zunge ſchweben würde: die Repräſentation. Weshalb müſſen die Bürger aus dem ganzen Reich jedes— mal perſönlich in Rom abſtimmen? Warum wird nicht durch Wahlen im ganzen Land eine Repräſentation des römiſchen Volkes gegenüber dem Senat geſchaffen? Dieſe Frage wiederholt ſich noch intenſiver, wenn wir ſehen, wie die Teile Italiens, denen das römiſche Bürgerrecht vorent— halten wird, endlich dagegen rebellieren. Allmählich waren auch die Römer engherzig geworden, wollten Andere nicht an ihren Vorteilen teilnehmen laſſen und verſagten auch langbewährten Bundesgenoſſen das Bürgerrecht. In der Empörung darüber wollten die Bundesgenoſſen die Herr— ſchaft Roms abſchütteln, und ſchufen einen eigenen Staat mit der Hauptſtadt Corfinium. Wir haben Münzen, die dort geprägt ſind, worauf das Wahrzeichen Italiens, ein Stier, einen Wolf, das iſt das Wahrzeichen Roms, mit ſeinen Hörnern niederſtößt. Wir wiſſen auch, wie dieſe neue Republik ihre Verfaſſung geſtalten wollte. Sie war ganz einfach der römiſchen nachgeſchrieben. Auch hier wurde verlangt, daß der Bürger, der ſein bürgerliches Recht ausüben wollte, zur Abſtimmung in die Hauptſtadt pilgerte. Es iſt lange ſchon 8 *

Fehlen des Repräſentativ⸗ Gedankens in Rom.

110 Zentraliſation in der Stadt Rom.

die Frage aufgeworfen worden, warum wenigſtens hier nicht ein Repräſentativſyſtem organiſiert wurde; aber eine Antwort iſt darauf bisher kaum gegeben worden. Einen der weſentlichſten Gründe haben wir im Eingang dieſer Betrachtungen kennen gelernt: daß nämlich die Schöpfung eines Volkswillens auf dem Wege einer Repräſentation eine Illuſion iſt. Das Fiktive einer ſolchen Einrichtung war den Alten von vornherein ſo klar, daß ſie es gar nicht erſt damit verſucht haben, um ſo mehr, da ihnen ja die techniſchen Mittel, zwiſchen Wählern und Gewählten einen Rapport, eine Kontrolle zu unterhalten, beſonders die Offentlichkeit vermöge einer weitverbreiteten Preſſe, noch fehlten. Die Repräſentation war des weiteren unmöglich, weil keine genügend einheitliche Geſinnung in dieſem Ge— miſch verſchiedener Stämme auf italieniſchem Boden exiſtierte. Hätte man in den einzelnen Landſchaften wählen laſſen, jo wäre ſofort die Gefahr entftanden, daß fie wieder zu ihrer Selbſtändigkeit zurückzukehren wünſchten. Nur durch die ſchärfſte Zentraliſation der Wahl in der einen Stadt wurde die Einheit aufrecht erhalten. Wir wollen uns aber darein nicht vertiefen, ſondern nur feſtſtellen, daß das Altertum den Repräſentativgedanken nicht gekannt hat, ſondern nur die direkte Bürger-Abſtimmung mit der eigen— tümlichen kleinen Konzeſſion der Abſtimmung nach Tribus oder Centurien ſtatt nach Köpfen. Wir wiſſen ja jetzt, daß auch unter den heutigen Verhältniſſen die Repräſentation ein ſehr dürftiger Gedanke iſt, wo Ausführung und Idee ſehr weit auseinander klaffen. Im Altertum hielt man es mit Recht für unmöglich, auch nur ſo weit zu gehen. Auch in Athen war uns die Feſtſtellung von Intereſſe, daß die Boulé keine Wahlrepräſentation iſt, ſondern durch das Los aus dem Volke beſtimmt wird.

An der Umöglichkeit, die Demokratie zu organiſieren,

Untergang der Republik in Rom. 111

iſt ſchließlich die römiſche Republik zugrunde gegangen. Die Verfaſſung, die im Stadtſtaat funktioniert hatte, verſagte

in dem jetzt durch die Eroberungskriege geſchaffenen ge—

waltigen Flächenſtaat. Die Maſchine fängt an zu ſchleudern;

ſie arbeitet nicht mehr. Man ſtürzt aus einer Revolution

in die andere, aus einem Staatsſtreich in den anderen. Die

Macht geht endlich über auf einen Feldherrn, den Imperator,

der ſich nicht König nennt, auch nicht König iſt, ſondern

ſeinen Titel nimmt von dem erſten Inhaber der Gewalt,

Cäſar. Das Cäſartum oder Kaiſertum, das dauernd mehr

den Charakter eines Amtes als eines erblichen Königtums ge—

habt hat, iſt der Erbe der römiſchen Demokratie. In der ganzen 5 e römiſchen Imperatorepoche iſt nur dreimal ein Sohn auf der römiſchen den Vater gefolgt. Das Kaiſertum ſucht allmählich die Demokratie. ganze Staatsgewalt an ſich zu ziehen, nachdem es anfäng—

lich noch dem Senat weſentliche Funktionen überlaſſen hat.

Zu einem wirklich organiſchen Zuſammenwirken zwiſchen Imperator und Senat, wie einſt zwiſchen der Volksver— ſammlung etwa und der Magiſtratur, iſt es nicht gekommen.

Unſer Ergebnis iſt: Rom iſt groß geworden mit einer 1 dualiſtiſchen Verfaſſung, einer Verfaſſung, in der es niemals e zum Ausgleich zwiſchen zwei entgegengeſetzten Prinzipien ge— gekommen iſt, nie zu der Entſcheidung der Frage, wo eigentlich die Souveränität liegt. Wenn auch die Staats: rechtslehrer ſagen, wie wir gehört haben, das Volk iſt ſouverän, ſo haben wir geſehen, daß eine dauernd heilig gehaltene Praxis dem direkt widerſpricht. Auch heute im deutſchen Reich zerbrechen ſich die Staatsrechtslehrer die Köpfe, wo eigentlich die Souveränität liegt, ob bei den einzelnen Bundesfürſten, ob beim Reich, ob beim Kaiſer, ob bei der Gemeinſchaft der Fürſten. Die Frage iſt un- lösbar. Das römiſche Beiſpiel mag uns darüber tröſten,

Das Frankenreich.

112 Die Merowinger.

wenn das deutſche Volk nur im übrigen erfolgreich geführt wird. Eine ſtarke Autorität von Gottes Gnaden und der Wille der großen Maſſe, die beide fortwährend aufeinander einwirken, dauernd in einem ſchwebenden Gleichgewicht bleiben, das machte die Stärke Roms und hat ihm die Herrſchaft erſt über den latiniſchen Stamm, dann über Italien, dann über die Welt gegeben.

Vom römiſchen Kaiſertum wollen wir übergehen zu den germaniſchen Reichen auf römiſchem Boden, und zwar ſofort zu demjenigen von ihnen, das allein dauernden Be— ſtand gehabt hat, zu dem Frankenreich. Alle anderen ger— maniſchen Reiche auf römiſchem Boden ſind gegründet worden durch wandernde, erobernde Völker. Das Frankenreich dagegen iſt gegründet worden durch einen erobernden König. Chlodwig und ſeine Söhne brachten zuerſt eine Reihe von kleineren fränkiſchen Stämmen unter ihre Oberhoheit und unter- warfen dann das ganze noch römiſche Gallien, indem von den Franken ſelbſt nur ein geringer Teil den heimiſchen Boden verließ und einige Gebiete an der Grenze in Beſitz nahm, in der Hauptſache aber das römiſche Land als unter— worfenes Gebiet behandelt und mit der dünnen Schicht eines neuen regierenden germanifchen Krieger: und Herren⸗ ſtandes überzogen wurde. Die einzige Einheit in dieſem Staat war alſo die Dynaſtie. Der bei weitem größere Teil der Volksmaſſe war romaniſch, und ſelbſt die germa— niſchen Teile hatten unter ſich ſehr wenig Berührung und wenig Gemeinſames.

Die Dynaſtie hatte den Staat gemacht, und infolgedeſſen behandelte ſie ihn auch als ihr Eigentum. Wäre die Dynaſtie fortgenommen worden, ſo wäre gar kein Zuſammenhalt mehr in dem Staat geweſen. Der König alſo ſieht ſein Reich an wie ein Gut; verteilt es je nach der Zahl der

Die erſte Magna Charta. 113

Söhne, die er gerade hat, unter fie als Erbe. Es kann keinen ſtärkeren Beweis von der Urgewalt des König— tums geben, als daß es den Staat behandelt wie einen Privatbeſitz. Die erſten 100 Jahre der Merowingiſchen Herrſchaft ſind deshalb auch eine Epoche des allerextremſten Deſpotismus. Obgleich die alten germaniſchen Begriffe, daß das Heer neben und über dem König ſteht und ſeinen Willen kundgibt und das Heer iſt das Volk weiter be— ſtehen, ſo können ſie doch gar keine praktiſche Wirkung haben, da ja in dem rieſigen Frankenſtaat, vom Ozean bis an die mittlere Donau, von der Nordſee bis an die Pyrenäen, immer nur ein ganz minimaler Teil des wirklichen Heeres oder der heerfähigen Krieger zuſammenkommen kann. Über hundert Jahre haben ſich die Franken dieſen Deſpotismus gefallen laſſen; endlich aber empören ſie ſich dagegen und die Dynaſtie gibt ihnen dazu die Möglichkeit durch ihre Familienzwiſtigkeiten.

Als König Clothar II., der Sohn der Fredegunde, die Feindin ſeiner Mutter, die Königin Brunhilde in ſeine Gewalt gebracht und zu einem gräßlichen Tode (ſie wurde von einem wilden Pferde zu Tode geſchleift) verurteilt hatte, mußte er den Franken, die ihm zu dem Siege verholfen hatten, ein verfaſſungsmäßiges Verſprechen geben, deſſen Hauptbeſtimmung war, daß er in Zukunft zu Grafen nur eingeſeſſene Großgrundbeſitzer ernennen würde. Dieſes Edikt von Paris vom Jahre 614 iſt die erſte der zahllofen Ur: kunden in der romaniſch-germaniſchen Geſchichte, für die 600 Jahre fpäter in der engliſchen Geſchichte der Name „Magna Charta“ gebraucht worden iſt, und die alle be— ſtimmt ſind, die Gewalt des Königs irgendwie einzuſchränken. Wieviel Großgrundbeſitzer wird es in einer Grafſchaft geben, die die Qualifikation haben, die Grafſchaft zu verwalten?

Das Edikt von 614.

114 Den mittelalterlihen Staaten

Indem der König gebunden iſt, nur einen von dieſen zum Grafen zu ernennen, gibt er einen weſentlichen Teil der Gewalt an dieſen Stand ab, und das Grafenamt umfaßt alles, die Verwaltung, das Gericht, das militäriſche Kommando. Von dieſem Edikt von 614 an entwickelt ſich in den germaniſch-romaniſchen Ländern wieder eine Art Dualismus in der Staatshoheit, wie wir ihn im republikaniſchen Rom kennen gelernt haben, eine Doppelgewalt, die ſich gegen— ſeitig einſchränkt.

Im römiſchen Imperium iſt es zu einer ſolchen Ein—

A des ſchränkung des Kaiſertums durch den Senat nicht gekommen römiſchen Kaiſer⸗und konnte dazu nicht kommen, obgleich es angeſtrebt tums und des wurde. Denn der Kaiſer iſt der Herr der gewaltigen diſzi—

deutſchen Könige „, 8 8 tums. plinierten Söldnerarmee und des Prätorianerkorps in Rom, das ihm unbedingt gehorcht, ihn, wenn es nicht mit ihm zufrieden iſt, vielleicht umbringt; aber, ſolange es ihn als Kaiſer anerkennt, alles ausführt, was er befiehlt. Was will jede konſtitutionelle Beſtimmung, jede andere Gewalt gegen ein ſolches Söldnerheer? Gegen eine aus Germanen

beſtehende Leibwache?

Das gibt es im Frankenreich nicht; denn es gibt kein ſtehendes Heer, es gibt kein diſzipliniertes Heer. Das römiſche diſziplinierte Heer iſt zuſammengebrochen bereits im dritten Jahrhundert, und damit iſt das römiſche Reich dem Barbarentum ausgeliefert. An die Stelle der römiſchen diſziplinierten Legionen treten zuerſt die barbariſchen Soldaten, dann kommen barbariſche wandernde Völker, und endlich bemächtigen ſich dieſe der Herrſchaft. Denn der Barbar iſt der natürliche Krieger. Der zivilifierte

Aut Menſch verliert notwendig von den kriegeriſchen Eigen: militäriſchen ſchaften, je höher ſeine Kultur ſteht, und nur durch das Disziplin. Kunſtgebilde der Difziplinierung, iſt die kriegeriſche Kraft

fehlt die Armee. 115

gleichzeitig wieder herzuſtellen und mit der Kultur in Ver— bindung zu halten. Darum hat Scharnhorſt das ſchöne Wort geſprochen, daß das ſtehende Heer die Grundlage jeder Ziviliſation ſei, weil es die höher gebildeten Völker be— fähige, ſich gegen die roheren zu behaupten.

Das römiſche Reich hat es ſchon erfahren: als es kein diſzipliniertes Heer mehr hatte, war es dem Barbarentum ausgeliefert, und die barbariſchen Krieger haben ſich als Kriegerſtand des größten Teils des römiſchen Reichs be— mächtigt und dort neue Staatsweſen aufgerichtet. Was hatten fie für eine Kriegsverfaſſung? Ein dilzipliniertes Heer gibt es nicht mehr, kann auch nicht mehr aufgeſtellt werden, weil ſeit dem dritten Jahrhundert die Welt aus der Geldwirtſchaft zurückgeſtürzt iſt in die Naturalwirtſchaft. Zu einem diſziplinierten Heer gehört eine regelmäßige Geld— wirtſchaft, eine regelmäßige Steuererhebung und regelmäßige Soldzahlung. Weit über 1000 Jahre iſt die Kulturwelt in der Naturalwirtſchaft geblieben, und damit läßt ſich kein ſtehendes Heer vereinigen. An deſſen Stelle tritt nun zu— erſt der barbariſche Kriegerſtand, der in das Reich eindringt und es ſich unterwirft, und der ſich dann umſetzt in den Feudalkriegerſtand, indem der König, die Grafen, auch einzelne Großgrundbeſitzer und ſpäter auch Biſchöfe und Abte auf ihren Gütern Krieger erhalten. Dieſe Verfaſſung bekommt dann die breitere Grundlage durch das Lehns— weſen. An den Höfen können immer nur wenige Krieger unterhalten werden, und der Krieger, dem der König um ihn zu halten, ein erbliches Gut gibt, verbauert. In ein bis zwei Generationen iſt er kein brauchbarer Krieger mehr. Darum ſchuf das fränkiſche Reich die Form des Lehnsweſens, d. h. die Überlaſſung eines Gutes an einen Krieger auf Lebzeiten; es fällt an den Thron oder an den

FJeudal⸗ verfaſſung.

116 Beſchraͤnkung der

ſonſt Vergebenden zurück, wenn der Mann ſtirbt. Es muß immer von neuem verliehen werden, braucht alſo nur an ſolche verliehen zu werden, die die rechte Gegenleiſtung bieten, nämlich einen brauchbaren Krieger.

Dieſe Lehnsverfaſſung wiederum gibt dem König nicht die ſtarke Hand des diſziplinierten Heeres, ſondern nur inſofern Gewalt, als die Lehnsritterſchaft, die in mehreren Stufen ſich aufbaut, dem Kriegsherrn wirklich folgt. In— dem nun in Franken von Clothar II. ab der König einen weſentlichen Teil der Staatsgewalt an die Großgrundbefiger, die auch Lehnsleute Vaſallen halten können, abgibt, da entſteht jener Dualismus, den der König nicht wieder beſeitigen kann, weil ihm die Machtmittel dazu fehlen. Umgekehrt aber wird auch durch dieſe Beſchränkung das Königtum in ſeinem Beſtande geſichert. Einen römiſchen Kaiſer konnte man durch keinerlei Verſprechungen wirklich binden, denn er hatte die Söldnerarmee; der fränkiſche König blieb tatſächlich gebunden, denn die, denen er das Verſprechen gegeben, waren ſelbſt der weſentliche Teil der bewaffneten Macht. Sie brauchten den Herrſcher nicht um— zubringen, wenn ſie mit ihm unzufrieden waren, ſondern konnten ſich mit ihm ſchlagen und auch wieder vertragen. Es bildet ſich der fundamentale Grundſatz der Legitimität. Die Franken erkennen keinen anderen König an als einen Merowinger. Sie können gar keinen anderen anerkennen, denn die Dynaſtie hat den Staat gegründet, hält allein den Staat zuſammen. Auch wenn ſie ſich gegen den König empören und ihn los ſein wollen, können ſie die Königs— krone doch nur einem aus demſelben Geſchlecht geben. Sie können ſich aber mit dem König auch wieder vertragen und ihn wieder anerkennen, weil ſein Recht von keiner Seite angefochten wird. Das iſt der Unterſchied zum

Monarchie durch den Feudalismus. 117

römiſchen Kaiſertum. Das Kaiſertum iſt entſtanden durch Taten der Gewalt und iſt immer weiter ausgebaut worden durch Taten der Gewalt. Das germaniſche König— tum iſt ein erbliches. Nur dreimal, wie ich ſchon geſagt habe, iſt im ganzen römiſchen Imperium ein Sohn auf den Vater in der Herrſchaft gefolgt. Die merowingiſche Dynaſtie hat ſich ein Vierteljahrtauſend hindurch behauptet. Ein erbliches Königtum, das in ſeinem Recht ſo ſicher iſt, kann ſich Beſchränkungen gefallen laſſen. Dem römiſchen Imperium, das nur eine faktiſche Macht iſt, iſt jede Be— ſchränkung ſeiner Gewalt gefährlich. Der fränkiſche König kann auf eine gewiſſe Abgabe ſeiner Gewalt eingehen, ohne ſich in ſeiner Exiſtenz zu gefährden, und ſo bildet ſich ein Wechſelſpiel verſchiedener Gewalten und ſetzt ſich fort in hundertfacher Geſtalt durch das ganze Mittelalter und alle mittelalterlichen Staaten. Der Repräſentant der Freiheit im Mittelalter iſt der trotzige Vaſall, der gleichzeitig ſeinem Herrn Treue gelobt und hält, aber auch immer bereit iſt, gegen ihn an ſein Schwert zu greifen, wenn er ſich in ſeinen Rechten verletzt fühlt. Die mittelalterliche Ge— ſchichte bewegt ſich in dieſem Gegenſatz, daß man zwiſchen der fürſtlichen Gewalt und der ſtändiſchen Beſchränkung immer aufs neue Ausgleiche ſucht, und dieſe Beſtrebungen komplizieren ſich mit dem Gegenſatz zwiſchen Kirche und Staat und wiederum der Rivalität der großen Reiche untereinander.

Bis ins 16. und 17. Jahrhundert haben wir allenthalben die ſtändiſche, dualiſtiſche Verfaſſung. Dann hält ſie nicht länger vor, und zwar iſt das neue Moment, das inet, erer, das Neuaufkommen der ſtehenden Heere. Indem im 16. faſſung durch und 17. Jahrhundert ſtehende Heere geſchaffen werden, “ende ere. wächſt den Fürſten ein Inſtrument in die Hand, mit dem

Kein Majoritäts⸗ prinzip.

118 Staͤndiſche Verfaſſungen.

ſie jeden Augenblick in der Lage ſind, dem ſtändiſchen Mit⸗ regiment ein Ende zu machen. Das Heer iſt deshalb in den ſtändiſchen Kämpfen das eigentliche Streitobjekt. Wer dieſes nicht mehr zu entbehrende ſtehende Heer in der Hand haben ſoll, darum wird gekämpft. In England hat es damit geendet, daß das Königtum niedergeworfen, der König aufs Schafott geſchickt und das Schwergewicht der Staatsgewalt den bisherigen Ständen übertragen wurde. Auf dem Kontinent allenthalben hat es damit geendet, daß die ſtändiſche Mitregierung beſeitigt und auf Grund der ſtehenden Armee das abſolute Königtum errichtet wurde. Um die 1000 Jahre hat alſo der ſtändiſche Dualismus beſtanden und immer wieder in dieſer Epoche wird ver— langt und geſchieht es, daß der Fürſt in irgendwelcher Be— ſchränkung regiert mit dem Rate ſeiner Getreuen. Wie weit unterwirft er ſich dem Rat? Wer ſind die Getreuen, die ihm den Rat zu geben haben? Dafür gibt es unend— liche Formen. Aber eins iſt ſicher. Eins kennt man nicht, wo die Getreuen ſtehen oder die Fürſten zuſammenkommen, um den Kaiſer zu beraten. Das iſt die Majorität. So, wie dem Altertum der Repräſentativgedanke unbekannt war, fo iſt dem Mittelalter unbekannt der Majoritätsgedanke. Zuerſt wacht er auf bei der Papſtwahl. Als es ſich durch— geſetzt hatte, daß die Kardinäle berechtigt ſeien, den Papſt zu wählen, wird unter Papſt Alexander III., dem großen Gegner des großen Barbaroſſa, feſtgeſetzt, daß Zwei Drittel Majorität notwendig ſei, um einen Papſt rechtmäßig zu wählen. Alſo wohl gemerkt, auch jetzt nicht der einfache Majoritätsgedanke. Bis dahin wird immer feſtgehalten an dem Grundſatz der Einſtimmigkeit, Einmütigkeit, wie man wohl beſſer ſagt; denn es wird überhaupt nicht abge: ſtimmt.

Kein Majoritaͤtsprinzip. 119

Das berüchtigte polniſche liberum Veto iſt urſprünglich allen ſtändiſchen Verfaſſungen gemein. Als auch bei der Wahl der deutſchen Könige das Wahlrecht auf ein kleines Kollegium von ſieben bevorrechtigten Kurfürſten beſchränkt wurde, galt anfänglich auch noch das Prinzip der Ein— mütigkeit und ſolange das herrſchte, hatte das Kurfürſten— recht gar keine ſehr große Bedeutung. Denn wenn die Kurfürſten alle einig waren, war anzunehmen, daß auch unter den anderen Fürſten keine weſentliche Oppoſition ſein würde, und wenn ſie nicht einig waren, gab es einen Bürgerkrieg und da zählten die Truppen anderer Fürſten fo gut wie die der Kurfürſten. Erſt durch die goldene Bulle Karls IV. iſt bei der Königswahl das Majoritäts— prinzip eingeführt worden, und damit erſt eigentlich der Wert des kurfürſtlichen Wahlrechts geſchaffen.

Der Dualismus, der alle romaniſch-germaniſchen Staaten beherrſcht, nimmt im 17. Jahrhundert, wie wir geſehen haben, ein Ende. In England in der Weiſe, daß das alte Königtum, das legitime Königtum der Stuarts, geſtürzt wird. Aber im engliſchen Volk hatte ſich eine Richtung gebildet, die ſo erfüllt iſt von dem Gedanken an die Heilig— keit der höchſten Gewalt, ſo erfüllt iſt von Furcht vor den Gefahren, in die das Volk geſtürzt wird, wenn es ſich losreißt von ſeiner Geſchichte und aus ſich heraus eine obrigkeitliche Gewalt ſchaffen will, daß es nicht möglich war, nach der Vertreibung der Stuarts eine Republik oder ein Wahlkönigtum zu errichten, ſondern es blieb ſchließlich nichts anderes übrig, als einen Kompromiß zu finden zwiſchen der eigentlich ſtändiſchen Partei und der konſer— vativen Partei, die ſo ſehr als irgend möglich an der Über— lieferung feſthalten wollte. Für die eine Partei hat ſich der Spitzname „Whigs“, für die andere „Tories“ ge—

Urſprung der jetzigen eng⸗ liſchen Verfaſſung.

120 Die engliſche Verfaſſung

bildet“). Der konſervative Gedanke ſtützt ſich vornehmlich auf die Kirche. Die Tories ſind die ſtaatskirchliche, die angli— kaniſche Partei, die ſich freilich von König Jakob II. hat trennen müſſen ganz gegen ihren eigenen Wunſch und innere Überzeugung weil König Jakob das Land wieder katholiſch machen wollte. Da widerſetzt ſich die veligiöfe Überzeugung und zwingt die Tories, mit den Whigs zuſammenzuarbeiten, um König Jakob II. zu entfernen, und es iſt nun ſehr merkwürdig, wie die beiden Parteien von Punkt zu Punkt nach Kompromiſſen ſuchen, um das legitimiſtiſche und das revolutionäre Prinzip zu vereinigen. Man machte die Fiktion, daß König Jakob (abgeſetzt konnte er nicht werden, da er von Gottes Gnaden war) freiwillig dem Thron entſagt und das Land zu ver— laſſen habe, und mit ähnlichen Fiktionen wurde immer weiter gearbeitet und die Krone endlich übertragen nicht an irgend jemand, der dem Parlament gerade zuſagte, ſondern an den nächſten Verwandten, der wenigſtens ein eventuelles Erbrecht hatte und nicht katholiſch war, Wilhelm III. Noch heute gilt im engliſchen Staatsrecht der Grundſatz, daß das Erbrecht begrenzt iſt durch Nichtzugehörigkeit zur katholiſchen Kirche, weil die Erfahrung gelehrt habe, in welch ungeheure Gefahren die Verbindung zwiſchen König und katholiſcher Kirche das Land ſtürzen könne. An die Stelle des eigentlichen legitimen Königtums tritt ein anderes, das nun nicht mehr das abſolute Recht der Legitimität des Königtums von Gottes Gnaden für ſich in Anſpruch nehmen kann, und dadurch wird auch ein Ausgleich mög— lich in der Armeefrage. Denn dieſem neuen König, dem

) Über die „Whigs und Tories“ wie uͤberhaupt über die Verfaſſungs⸗ entwicklung Englands vergleiche meine Unterſuchungen in meinen „Hiſtoriſchen und politiſchen Aufſaͤtzen“.

feit 1688. 121

kann man die Armee anvertrauen. Warum? Weil er ſie nicht mißbrauchen kann, weil er nicht an ſein Schwert ſchlagen kann und ſagen: „Gott und mein Recht!“ und damit die Freiheit Englands über den Haufen werfen. Denn er hat ja nur ein beſchränktes Recht; ſeine Macht iſt nicht legitim, nicht getragen durch die Überzeugung der Millionen, daß er ein von Gott gegebener König ſei, ſondern er iſt nur durch ein gewiſſes Unrecht auf den Thron ge— langt, und um ſich zu behaupten, darf er keinen Konflikt mit dem Lande hervorrufen. Er iſt, gerade weil er nicht legitim iſt, bei weitem für die öffentliche Freiheit nicht ſo gefährlich, wie es der legitime König hätte ſein können. Und ſo iſt es den Engländern gelungen, trotz zweier großer Revolutionen und trotz der Vertreibung des erſten Königs— geſchlechts die hiſtoriſche Kontinuität ihres Verfaſſungslebens einigermaßen aufrecht zu erhalten. Das neue Königtum brachte zuerſt für England große Ungelegenheiten, weil es durch Wilhelm III. in Perſonal-Union mit Holland kam und ſpäter, ſeit Georg J., in Perſonal-Union mit Hannover, was England in feſtländiſche Händel verwickelte, mehr als ihm lieb war. Aber man wollte von dem Geburtsrecht nicht weiter abweichen, als es abſolut notwendig war, und ſo iſt es wirklich gelungen, einen großen Teil des alten engliſchen Staatsrechts trotz des großen Bruchs bis in die heutige Zeit hinüberzunehmen, und die bloß quaſi-legitimen Könige haben immer noch eine recht bedeutende Stellung eingenommen im ganzen 18. Jahrhundert. Obgleich eigent— lich mit der Vertreibung Jakobs II. das begründet iſt, was wir heute den Parlamentarismus nennen, daß nämlich das Schwergewicht der Macht im Parlament liegt, hat es Gene— rationen gedauert, bis auch nur theoretiſch dieſer neue Zu— ſtand erkannt worden iſt. Noch als Montesquieu, der doch

Frankreich.

122 Der Abſolutismus in Frankreich.

wirklich einen ſcharfen Blick für politiſche Dinge hatte, im Jahre 1748 über die engliſche Verfaſſung ſchrieb, wußte er nichts von Majoritätsregierung und hat ſogar gewarnt davor, weil es Tyrannei fein würde, wenn die Majorität im Parlament regiere. Tatſächlich iſt die parlamentariſche Regierung auch erſt durchgeführt und die Macht des König⸗ tums ſo gut wie völlig ausgeſchaltet worden im Laufe des 19. Jahrhunderts, nämlich ſeit der Reformierung des Wahl— rechts im Jahre 1832, und in jüngſter Zeit ſind auch dem Oberhaus die Funktionen, die es früher ausgeübt hat, zum großen Teil genommen worden.

Wie war es nun in Frankreich? Dort, haben wir ge— ſehen, hat umgekehrt der Abſolutismus geſiegt, und zwar hat er geſiegt deshalb, weil auch hier wieder ganz aͤhnlich, wie wir es von Chlodwig geſagt haben, die Monarchie es iſt, die die Einheit des Staates vertritt. Die Könige, die urſprünglich nur Herzoge von Isle de France waren, haben im Laufe der Jahrhunderte alle die anderen Land— ſchaften ererbt, erheiratet, erworben, erhandelt, erobert und ſo allmählich Frankreich national geeinigt. In noch ſtärkerem Maße haben wir dasſelbe in Sſterreich und in Preußen. Preußen iſt durch die Familienpolitik der Hohenzollern, durch ihre Erwerbungs- und Eroberungspolitik zuſammen— gebracht worden. Die Dynaſtie hat den Staat geſchaffen, und deshalb ſiegte auch die Dynaſtie im Kampfe mit den Ständen. Die Stände ſuchen immer nur Schaden abzu— wenden von ihrer Landſchaft, aber den einigen Staatsge— danken vermögen ſie nicht zu faſſen. In Preußen leuchtet das auf den erſten Blick ein. Aber auch in Frankreich iſt es tat— ſächlich ſo, und das iſt der Grund für den Sieg des Ab— ſolutismus, nicht etwa, daß die Franzoſen weniger Freiheits— bedürfnis gehabt und den Deſpotismus weniger bekämpft

Die Revolution in Frankreich und England. 123

hätten als die Engländer ſie haben ſich aufs äußerſte da— gegen gewehrt; aber ſchließlich mußten ſie ſich unterwerfen, weil allein das Königtum den nationalen Gedanken reprä— ſentierte. Als nun die Zeit kam, wo man mit dieſer Regierung durch das abſolute Königtum nicht mehr zu— frieden war, und man die alte ſtändiſche Beſchränkung, dieſen uralten germaniſch-romaniſchen Gedanken des Dualis— mus wieder hervorholte, zeigte ſich die neue Verfaſſung als nicht brauchbar. Ludwig XVI. wurde gefangen ge— nommen, die Republik erklärt, der König auf das Schafott geſchickt und in Frankreich der Zuſammenhang mit der Vergangenheit abgeſchnitten. Zwölf Verfaſſungen hat Frank— reich ſeitdem gehabt, und das Ende iſt geweſen, daß nach rein demokratiſchem Prinzip Frankreich als Republik or: ganiſiert iſt.

In England haben wir noch gewiſſe, wenn auch ſehr unbedeutende Reſte des Dualismus, wie wir ihn kennen gelernt haben, beſonders in der Form. Wer auf die wirk— liche Macht ſieht, der findet, daß ſie in England, ebenſo wie in Frankreich ruht in einer, wenn auch nicht von der Geſamtheit, ſo doch von einem großen Teil des Volkes ge— wählten Verſammlung. Weder in England noch in Frank— reich ſind es aber die Maſſen geweſen, die Majorität des Volkes, die die Revolutionen durchgeführt haben. Die Engländer hätten nicht die Kraft gehabt, durch eigenen In England wie Willen König Jakob II., den Stuart, zu vertreiben, (er hatte en renten bereits eine bedeutende Armee aufgeſtellt), ſondern es kam gegen, nicht durch ihnen zu Hilfe Wilhelm III. mit der krieggeübten holländiſchen e Armee. Und warum ſollte und wollte nun er den Engländern helfen? Weil ganz Europa England brauchte zum Kampf Ludwig XIV., weil Europa ohne England ſeine Freiheit gegen die Franzoſen nicht hätte verteidigen können, die Stuarts

Delbrück, Regierung und Volkswille. 9

124 Die auswärtige Politik und die Revolutionen.

aber im Solde Ludwig XIV. ſtanden. So war es eine all: gemeine europäiſche Bewegung, die in England den Ständen zum Siege verhalf. Auch der Große Kurfürſt beteiligte ſich, indem er ſeine Soldaten nach Holland ſchickte. In England aber war die neue Regierung des Volkes durchaus nicht ſicher.

Als das Parlament, in dem beide Parteien einig ge— weſen waren, König Jakob zu entfernen, nun die neuen Verfaſſungsbeſtimmungen alle fertiggeſtellt und Wilhelm II. gewählt hatte, da traute man ſich doch nicht gleich ein neues Parlament wählen zu laſſen, weil man fürchtete, die öffent— liche Meinung würde ſofort wieder umſchlagen und den echten König, was er ſich auch hatte zuſchulden kommen laſſen, wieder zurückverlangen. Gegen die Maſſe alſo iſt die Revolution gemacht worden durch führende Schichten. Und genau ſo iſt es in Frankreich geweſen. Auch die fran— zöſiſche Revolution iſt ganz und gar nicht durch die große franzöſiſche Maſſe bewirkt worden. Die wollte wohl Reformen und Beſchränkung, aber keinen Sturz des Königtums, und die Verſammlung, die das Königtum abgeſchafft hat, wurde gewählt wieder im Zuſammenhang mit der auswärtigen Politik, weil Frankreich in Konflikt geraten war mit Europa. Es iſt nicht richtig, daß die europäiſchen Mächte ausgezogen ſeien, die neue franzöſiſche Freiheit zu erwürgen. Man hatte Frankreich nur diplomatiſch bedroht, nicht mehr, und der wirkliche Krieg war von Frankreich ausgegangen. Aber wie auch immer dieſer Krieg entſtanden war, das franzöſiſche Volk hatte die Empfindung, daß das Herz ihres Königs im Lager der Feinde ſei. Das verträgt kein Volk. Das Weſen des Königtums beruht darauf, daß es durch und durch ſich eins fühlt mit ſeinem Volk. Wenn das nicht wäre, könnte ein Volk niemals Vertrauen haben zu ſeiner Dynaſtie. Wir haben geſehen, die meiſten Dynaſtien ſind

Entſcheidung der franzoͤſiſchen Revolution durch die Armee. 125

ſogar die Schöpfer der Staaten; die Zukunft und der Ruhm der königlichen Familie hängt zuſammen immer mit der glücklichen Führung des Staates. Und nun war man in Frankreich dahin gekommen, daß als, die Preußen heran— zogen, König Ludwig XVI. darauf hoffte, ſie ſollten nach Paris kommen, um ihn von dem Mitregiment des Volkes zu befreien. Das war eine moraliſche Unmöglichkeit, und die Armee, derjenige Teil des Volkes, der bei auswärtigen Konflikten am ſtärkſten erfüllt ſein muß von dem Gedanken der Macht und der Sicherheit des Vaterlandes, fiel von Ludwig XVI. ab und ſtellte ſich in den Dienſt des Konvents. Dadurch iſt Ludwig XVI. geſtürzt worden. Nachdem der auswärtige Feind zurückgeſchlagen war, erfolgte eine ſtarke Reaktion in Frankreich. Faſt das ganze Land war gegen den Konvent; man wollte die Republik nicht. Nicht bloß die Vendee, ſondern nicht weniger als 60—70 von den 83 Departements waren gegen den Konvent im Aufſtand, und ſie ſind niedergeworfen worden durch die Guillotine, indem hinter dieſer die Truppen ſtanden. So hat ſich der Konvent immer wieder gegen das Volk (von 1792 99 gab es unausgeſetzt Revolutionen) behauptet, und ſeine Siege wurden immer wieder entſchieden durch die Armee. Der Konvent traut ſich nicht, ſich aufzulöſen und die Entſcheidung über die Regierung dem Volke zu überlaſſen; dann würden ganz andere Leute gewählt worden ſein. Es kam aber, daß ſchließlich die Armee ſich ſagte: Dann können wir auch ſelber regieren, wenn wir bloß für Andere die Ordnung herſtellen ſollen, und ihren Liebling, den General Bonaparte an die Spitze des Staates brachte, dem ſofort das ganze Volk, glücklich den einſt von ihm ſelbſt gewählten Konvent los zu ſein, mit Begeiſterung zufiel. 9 *

Verſchieden⸗ heiten in den modernen Staaten.

126 Das preußiſche Dreiklaſſen-Wahlrecht.

In England allmählich, in Frankreich plötzlich und radikal, iſt der Bruch mit der Vergangenheit vollzogen und die reine parlamentariſche Majoritätsregierung eingeführt worden. Wir wollen das nun nicht durch alle Staaten hindurch verfolgen. In jedem herrſcht eine etwas andere Färbung, ſei es in Dänemark, oder in Norwegen, oder in Holland, oder in Belgien, oder Italien, oder Spanien, oder Portugal, oder in Amerika allenthalben iſt mehr oder weniger vollſtändig eine einheitliche Regierungsgewalt geſchaffen worden und der Dualismus überwunden. Selbſt in Italien, wo das Königtum eine bedeutende Stellung hat, kann es doch gegen den Parlamentarismus nicht auf— kommen. In Sſterreich-Ungarn aber, in Rußland, auch in Schweden und in Deutſchland, ſteht es anders. Die Ver— hältniſſe in Oſterreich-Ungarn find zu kompliziert, um fie hier zu behandeln; Rußland kann überhaupt noch nicht als ein wahrer Verfaſſungsſtaat angeſehen werden. Das eigent— liche normale Gegenſtück zu den parlamentarifchen Staaten bildet Deutſchland. Hier iſt es gelungen, den uralten germaniſch-romaniſchen Verfaſſungstypus auf dualiſtiſcher Grundlage wieder zu erneuern. In Preußen bildet das Dreiklaſſenwahlrecht neben dem Herrenhaus noch ein Mittel— ding zwiſchen der alten Ständeverfaſſung und der modernen Volksvertretung. Im Reich aber iſt die Kombination voll zogen zwiſchen dem monarchiſchen und dem demokratiſchen Gedanken. Nicht gegen die Regierung aber iſt dieſe volks— tümliche Verfaſſung geſchaffen worden, wie wir geſehen haben, nicht um jener möglichft die Gewalt zu entreißen, ſondern ſie iſt geſchaffen worden ihr zur Hilfe, mit der Gegen— leiſtung, daß das Volk an der Regierung beteiligt werde.

Daran werden wir die Frage knüpfen können: Haben wir zu erwarten, daß wir auch in Deutſchland allmählich

Abwechſelnd regierende Parteien. 127

in eine Verfaſſungsform hinübergleiten, die jenen parla- Wird auch mentariſchen ähnlich iſt, oder liegen die Dinge fo, daß wir nenn im Gegenteil erwarten können, daß die neue politiſche Form werden? (kompliziert durch den bundesſtaatlichen Charakter des deutſchen Reiches) in der Weltgeſchichte ſich als etwas Dauerndes behaupten werde?

Gibt es eine Art natürlicher Fortentwicklung vom konſtitutionellen zum parlamentarifchen Syſtem? Von zwei Seiten wird heute nicht ganz ſelten dieſe Behauptung auf: geſtellt, erſtens von der äußerſten Linken, die darauf hofft, und zweitens von der äußerſten Rechten, die es der Regie— rung zum Vorwurf macht, daß ſie ſich nicht genügend dagegen ſtemme.

Um ein parlamentariſches Regiment zu haben, iſt Vorausſetzung, daß die Parteien trotz ihres Gegenſatzes ſich ziemlich nahe ſtehen. In Amerika gibt es die demokratiſche und die republikaniſche Partei. Wie ſchon die beiden Namen zeigen, iſt ein ſehr weſentlicher Unterſchied zwiſchen ihnen nicht. Die einen ſind mehr unioniſtiſch, die andern ſind mehr föderaliſtiſch. In England haben wir die Whigs und Tories, jetzt überſetzt in Liberale und Konſervative. Die Unterſchiede ſind ſo wenig tief, daß ſehr häufig die eine Partei wichtige Programmpunkte von der anderen übernommen hat. Beide Parteien zuſammen haben einſt die Stuartkönige vertrieben und die Wahlreform von 1867 wurde von den Konſervativen gemacht“). Solche Parteien können leicht, ohne den Staat aus dem Gleichgewicht zu bringen, in ſeiner Leitung abwechſeln. Nicht möglich iſt es aber, Parteien abwechſeln zu laſſen, die etwa ſo weit

) Daß die beiden engliſchen Parteien trotz der ſtaͤndigen Be⸗

kaͤmpfung ſich innerlich ſehr nahe ſtehen, wird von vielen neueren Beob— achtern, beſonders auch von Belloe und Lowell betont.

128 Wo ift wechſelndes Parteiregiment möglich?

einander entgegenſtehen, daß die eine monarchiſtiſch und die andere republikaniſch iſt. Wenn man in Frankreich wieder eine Majorität monarchiſch Geſinnter hätte, und dieſe die Monarchie wieder einführte, und nach einer Reihe von Jahren käme eine republifanifche Majorität und führte die Republik wieder ein, und ſo fort im lieblichen Wechſel, ſo müßte der Staat daran zugrunde gehen.

Wenn man das auf Deutſchland überträgt, was würde aus Deutſchland werden, wenn wir abwechſelnd eine klerikale und eine ſozialdemokratiſche Regierung hätten? Die klerikale Regierung, die vor allem das Schulweſen, bei der Volks— ſchule angefangen bis zur Univerſität, unter kirchlichen Ein— fluß zu ſtellen ſucht, und wenn ſie das glücklich erreicht und die Lehrerſchaft in orthodoxem Sinne erzogen hat, dann eine ſozialdemokratiſche Majorität, die den Zukunftsſtaat einführt? Bei der erſten Majorität wiſſen wir doch un— gefähr, was ſie uns bringen wird; bei der zweiten wiſſen wir das nicht einmal. Nur das eine iſt ganz klar: eine Abwechſlung zwiſchen dieſen beiden „Idealen“ iſt ſchlechter— dings unmöglich. In Frankreich iſt ja noch immer eine ziemlich bedeutende monarchiſtiſche Minorität. Sie hat ſogar auch in der Republik einmal wirklich die Majorität gehabt, und zwar in den erſten Jahren nach 1871. Sie konnte nur deshalb nicht zu ihrem Ziele kommen, weil ſie in ſich geſpalten war, weil ſie drei Könige zu vergeben hatte. Der erſte war der legitime Erbe der alten Bourbonen, der Graf von Chambord, der zweite der Prinz von Orléans, Graf von Paris, und drittens die Bonapartes, die ja nach der Niederlage von Sedan ausſchieden. Aber die beiden anderen waren ernſthafte Kandidaten, und es war ſehr nahe daran, daß der Graf Chambord zum König berufen wurde; er wollte nur nicht die Bedingungen annehmen, die man

Parteiregierung in Frankreich. 129

ihm bot. Seitdem ſind nun, da ſie zu einer Monarchie nicht kommen konnten, die Monarchiſten in Frankreich eine bloße Oppoſitionspartei geworden. Aber was iſt die Folge davon? Daß ſie in der Lage ſind, jede Regierung zu ſtürzen, ſobald dieſe nicht einen ſehr großen Teil der Republikaner hinter ſich hat. Es iſt ſchon die Forderung aufgeſtellt worden, daß die Regierung nicht bloß die Majorität der Kammer, ſondern auch die Majorität der Republikaner hinter ſich haben müſſe. Bald hält man ſich an dieſen Grundſatz, bald nicht, z. B. das Geſetz über die Wiedereinführung der dreijährigen Dienſtzeit iſt ſoeben nur angenommen mit Hilfe der Monarchiſten gegen einen ſehr weſentlichen Teil der Linken. Ob auf die Weiſe ein ſo großes Geſetz ſich wirklich durchführen läßt, muß ſich zeigen. Jedenfalls iſt das Zweiparteienſyſtem, wie es in England und auch in Amerika herrſcht, in Frankreich dadurch ausgeſchloſſen, daß ein ſehr großer Teil des Volkes die Republik überhaupt nicht wünſcht, ſie innerlich gar nicht anerkennt. Die Folge iſt der völlige Mangel an Stabilität in der Regierung. Wenn gegenüber den Monarchiſten alle anderen eine Partei bildeten, würde die ja immer regieren müſſen. Das wäre aber ganz unerträglich. Das Partei: regiment iſt ja nur dadurch volkstümlich, daß die Parteien abwechſeln. Wenn eine immer die Regierung hätte, würde es eine Deſpotie werden. Alſo die Folge davon, daß die Monar— chiſten für die franzöſiſche Regierungsbildung ausſcheiden, iſt, daß die anderen auch nicht zuſammenhalten, ſondern immer Vietheit der neue Gruppierungen ſich bilden. Man zählt etwa neun Parteien in Fraktionen in der franzöſiſchen Kammer, die Royaliſten, ne die Rechte, die konſervativen Republikaner, die bürgerlichen Republikaner, die demokratiſchen Republikaner, die ſozialiſtiſch angehauchten Republikaner, die wirklichen Sozialdemokraten

130 Die Parteien in Deutſchland.

und die intranfigenten Sozialdemokraten. Aus denen werden immer neue Gruppen zuſammengeſetzt, und immer neue Majo⸗ ritäten komponiert. Dieſelbe Vielheit der Parteien wie in Frank- reich haben wir auch in Deutſchland. Im erſten Reichstag (1867) gab es acht Fraktionen: Konſervative, Freikonſervative, Alt⸗ liberale, bundesſtaatlich Konſtitutionelle (in dieſer Fraktion waren u. a. vereinigt Windthorſt, Hänel, der Führer der Frei— ſinnigen, und Guͤnther, ein Sachſe, der nachher mein Partei— genoſſe geworden iſt in der Reichspartei), dann die National⸗ liberalen, dann die Freiſinnigen, dann die eigentliche Linke, dann die Polen. Wer aufmerkſam der Liſte gefolgt iſt, die ich eben vorgetragen habe, wird bemerkt haben, daß zwei Parteien damals noch fehlten, von denen wir uns heute kaum denken können, daß ſie nicht im Reichs⸗ tag waren, nämlich das Zentrum und die Ssozialdemo— kraten. Beide Parteien haben ſich erſt ſpäter gebildet. Die Sozialdemokratie war damals noch zu ſchwach, um eine Fraktion zu bilden, und das Zentrum iſt erſt 1871 gebildet worden; beide Parteien aber haben nun natürlich auf die Umwandlung der anderen auch den ſtärkſten Einfluß gehabt. Es iſt ſehr unwahrſcheinlich, daß ſich jemals im deutſchen Reichstag eine Partei bilden wird, die für ſich die Majorität hat. Ja es iſt unwahr⸗ ſcheinlich, daß ſich auch nur eine Kombination bilden ließe von einiger Dauer, die die Majorität hat. Das kommt von der konfeſſionellen Spaltung des deutſchen Volkes. Die Zerſplitterung der Parteien iſt nichts Willkürliches, auch nichts dem deutſchen Volkscharakter Eigentümliches, ſondern etwas durch unſere Geſchichte notwendig Gegebenes. Zum wenigſten fünf Gruppen müſſen auf abſehbare Zeit bei uns notwendig exiſtieren: Konſervative, Liberale, Zentrum, Sozia⸗ liſten, Polen. Bildet ſich noch eine gemäßigt⸗-konſervative,

Das Zentrum. 1

eine gemäßigt⸗liberale und vielleicht auch einmal eine ge— mäßigt⸗ſozialiſtiſche Gruppe, ſo haben wir acht. Ob das Zentrum mehr zur Rechten oder mehr zur Linken gehört, ſteht dahin. Im Grunde iſt es eine demokratiſche Partei, aber das ſtarke Autoritätsprinzip der Fatholifchen Kirche und das Feſthalten an den überlieferten Glaubensformen verbindet es mit den Konſervativen. Alle unſere Zeitungen waren voll von dem natürlichen Zuſammengehen des Zen— trums mit den Konſervativen, dem ſchwarz-blauen Block, aber jetzt haben wir geſehen, daß ſie ſich bei der fundamental wichtigen Einführung des Vermögenszuwachs-Steuergeſetzes im Reichstag gegeneinander gekehrt haben. Der viel zitierte „ſchwarzblaue Block“ iſt eine Fabel, war nichts als eine vorübergehende Kombination.

Die Vielheit der Fraktionen, von denen keine die Majorität hat, ſchließt einen wirklichen Kampf gegen die monarchiſche Regierung, um an deren Stelle die Parteien zu ſetzen, aus. Damit haben wir aber das Weſen der Dinge, die Frage, weshalb in Deutſchland nicht die Parteien re— gieren, noch keineswegs erſchöpft. Weshalb regieren denn in England, Frankreich und den anderen parlamentariſchen Staaten die Parteiorganiſationen? Sie regieren, weil ſie gewiſſe Maſſen hinter ſich haben. Weshalb regieren die Maſſen? Weil ſie weiſe ſind? Die Frage haben wir ſchon einmal aufgeworfen. Es gibt ja erfahrene Leute, die ſagen, wofür die große Maſſe iſt, das wird immer das Verkehrte ſein. Das wollen wir nicht gerade annehmen. Aber daß, wo die große Menge iſt, immer die große Weisheit iſt, daran werden heute auch nur noch wenige glauben. Die Maſſe regiert, nicht, weil ſie weiſe iſt, ſondern weil ſie Macht iſt.

Der jüngſt verſtorbene Philoſoph Gompertz in Wien hat hieraus eine ungünſtige Folgerung für das Frauen—

Maſſe und Macht.

132 Frauen⸗Wahlrecht.

Maſſenregierung ſtimmrecht gezogen. Sieht man in dem Parlament eine

und Frauen⸗

Wahlrecht.

Das Geld.

Volksvertretung, ſo iſt das Frauenſtimmrecht konſequenter— weiſe zuzugeſtehen, denn die Frauen gehören ganz gewiß ebenſo zum Volk wie die Männer. Erkennt man aber, daß dies Geſetz der Majorität nichts anderes bedeutet, als daß in friedlicher Weiſe ſtets die größere Macht regieren ſoll, ſo iſt das Frauenſtimmrecht abzulehnen, zum wenigſten für Deutſchland. Denn in Deutſchland gibt es, obgleich mehr Knaben als Mädchen geboren werden, doch über 800000 Frauen mehr als Männer und mit der Einführung des Frauenſtimmrechtes würde alſo die geſetzliche Herrſchaft von den Männern auf die Frauen übergehen. Sind die Frauen aber vermöge ihrer Mehrzahl auch ſtärker als die Männer? Schwerlich. Käme es zum Kampfe zwiſchen der männlichen und der weiblichen Partei, ſo würden die modernen Amazonen vermutlich am Ende ebenſo unterliegen wie die antiken. Die ſtärkere Stimmenzahl iſt, ſobald die Frauen dabei ſind, nicht mehr die ſtärkere Macht. Das Majoritätsprinzip hätte mit der Einführung des Frauen— ſtimmrechtes ſeinen inneren Sinn verloren und damit ſeine Berechtigung. Form und Inhalt des Staates geraten in Widerſpruch zueinander. Das muß zu Konvulſionen, Revolutionen führen; wer ſie vermeiden will, ſuche die Frauen von dem Kampfboden der Politik fernzuhalten.

Wie es ſich nun auch mit dieſer Argumentation ver— halte, erſchöpft iſt das Problem jedenfalls damit nicht. Denn vor allem, und darauf müſſen wir jetzt kommen, es gibt noch andere Mächte als die Maſſe. Da ſind z. B. die verſchiedenen Kirchen und da iſt das Geld, oder modern ausgedrückt, das angeſammelte Geld, das Kapital. Das Kapital hat ſich urſprünglich gegen die Regierung der Maſſen, als ſie allmählich aufkam, geſträubt, ſich aber

Geld, Kirche, Armee. 133

ſchließlich damit abgefunden aus einem ſehr einfachen Grunde, weil das Geld ja nirgends beſſer ſeine eigene Macht in Anwendung bringen kann als gerade bei der Einwirkung auf die Maſſe.

Wie viele haben ſchon geſagt, in Wirklichkeit habe Amerika gar keine Demokratie, ſondern eine Plutokratie. Die Wahlen werden gemacht mit dem Gelde. Jedenfalls ſpielt das Geld eine große Rolle es ſind nicht bloß direkt Be— ſtechungen damit gemeint, ſondern die ganze Wahlorganiſation, von der wir geſehen haben, daß ohne ſie überhaupt keine wirklichen Maſſenwahlen zuftande zu bringen find, kann es nicht geben ohne Geld, und fie iſt deſto wirkſamer, je mehr Geld ihr zur Verfügung ſteht“). Wer das meiſte Geld auf: wendet und aufbringen kann, hat jedenfalls eine ſehr ge— wichtige Stimme bei der Bildung der Majorität, und mehr braucht ja das Geld nicht. Aus ähnlichen Gründen haben ſich auch die Kirchen, insbeſondere die katholiſche mit ihrem ungeheuren Einfluß auf die Maſſen, mit der Majoritäts- und Maſſenherrſchaft abgefunden.

Aber es gibt ja noch andere Kräfte außer den Maſſen und den Kirchen, und vor allem eine, die immer an letzter Stelle den Ausſchlag gibt. Wo liegt zuletzt die wahre Macht? Sie liegt in den Waffen. Die entſcheidende Frage für den inneren Charakter eines Staates iſt deshalb immer: Wem gehorcht die Armee? In Frankreich und England gehorcht ſie heute der parlamentariſchen Majorität. In England iſt das ſo gekommen, daß der rechtmäßige König (wir müſſen immer wieder daran erinnern) Jakob II., Stuart, geſtürzt wurde und an ſeine Stelle ein nicht berechtigter

) Juͤngſt wurde veröffentlicht, daß die Nachwahl im Kreiſe Ragnit— Pillkallen der nationalliberalen Partei 140000 Mk. gekoſtet habe. Das iſt ein Wahlkreis von 397.

Die Kirche.

Die Armee.

Die Armee in England.

134 Meuterei⸗Bill.

König, erſt Wilhelm III., dann Anna, dann das Haus Hannover auf den Thron berufen wurden. Zu dieſen Königen hatte die engliſche Armee, klein wie ſie war, keine innere Beziehung, und die engliſchen Verfaſſungsgeſetze, die damals gegeben wurden, ſorgten dafür, daß auch eine ſtaatsrechtliche Form das zum Ausdruck brachte. Das geſchah in der ſogenannten Meuterei-Bill, d. h. dem Geſetze, das die Diſziplin der Armee begründete. Es gibt keine Armee ohne diſziplinariſche Gewalt. Wenn der gemeine Mann ſich herausnähme, ſeinem Hauptmann eine Ohrfeige zu verſetzen und dieſer müßte dann hingehen ans Schöffen— gericht und jenen verklagen, dann würden wir ſagen, die Armee exiſtiert nicht mehr. Die Armee als ſolche kann nur exiſtieren vermöge einer befonderen in der Kommando— gewalt verkörperten, organifierten Diſziplin. Nun machte man in England ein Geſetz über militäriſche Meutereien, das dieſe wirkliche Gewalt ſchuf. Aber dieſes Meuterei— geſetz galt nur für ein Jahr und mußte jedes Jahr er— neuert werden. Damit glaubte der Parlamentarismus ſich die Macht geſchaffen zu haben, dem König jedes Jahr, wenn er ihm gefährlich zu werden ſchien, die Macht ent— reißen zu können, indem er die Meuterei-Bill nicht ver— längerte, und Staatsrechtslehrer möchten daraus die Folge— rung ziehen, das ſei der Weg, wie man das Königtum, wenn es deſpotiſch zu werden drohe, ohnmächtig mache. Ein ſolches Geſetz iſt aber doch nur eine juriſtiſche Form. Eine Armee, die einmal diſzipliniert iſt, die bleibt auch in der Hand des Offizierkorps, mag das Parlament Meuterei⸗ geſetze geben oder nicht, und wenn alſo der König das Offizierkorps hinter ſich hat, dann hat er auch die Armee hinter ſich, und dann helfen keine Meutereigeſetze. Aber eben der wahre König exiſtierte ja in England nicht mehr. Es iſt jetzt

Die Armee in Frankreich. 135

nur ein quaſilegitimes Königtum, daß durch die Revolution geſchaffen iſt, dem die innere Beziehung zur Armee fehlt, und ſo konnte ein ſolches Meutereigeſetz, wenn es auch an ſich nicht ſo ſehr viel zu bedeuten hatte, doch die Form darſtellen, die die Armee in die Hand des Parlamentes legte.

Auch in Frankreich gehorcht die Armee heute der Majo— rität der Kammer. Aber mit Knirſchen. Ein Volksredner, ein Sozialdemokrat, ein Journaliſt, ein Börſenmakler, ein Rechtsanwalt ſind abwechſelnd in Frankreich Kriegsminiſter geweſen und haben darüber zu befinden gehabt, wer von den Regimentskommandeuren zum General avanciert, wer ſchließlich und wann er den Abſchied bekommt. Wie kann eine Armee, die die Tradition des großen Napoleon mit all ihren Siegen, mit all ihrem Ruhm hat, ſich einer ſolchen Regierung unterwerfen? Weil ſie die Beſiegte von Sedan iſt! Darum muß ſie jetzt in Frankreich den Advokatenregierungen Gehorſam leiſten. Aber laßt ſie einmal wieder ſiegen, wirklich ſiegen, dann iſt es mit dem parlamentariſchen Regiment in Frankreich auch vorbei. Der General, der etwa in Berlin eingezogen wäre und von Berlin nach Paris zurückkäme, der gehorchte nicht mehr einem Kriegsminiſter, der heute von dieſer und morgen von jener parlamentariſchen Majorität eingeſetzt wird. Aber weil die Armee nicht mehr imſtande war, den alten Ruhm aufrecht zu erhalten, darum mußte ſie auch von der Regierung zurücktreten. Die Regierung Napoleons III. war ja eine Volksregierung; denn mit ungeheurer Majorität hat in all— gemeiner Abſtimmung das franzöſiſche Volk dafür ent— ſchieden, ihn erſt zum Präſidenten, dann zum Kaiſer zu machen. Aber ſie war gleichzeitig eine militäriſche Regierung. Wenn das Volk nicht fo geſtimmt hätte, vielleicht hätte

Die Armee in Frankreich.

Die Armee in Deutſchland.

136 Das deutſche Offtzierkorps.

Napoleon III. ſich doch zum Kaiſer gemacht, weil er eben die Armee hinter ſich hatte, weil die Armee an ihre Nieder— lagen von 1813 und 15 noch nicht endgültig glauben wollte und auch nicht endgültig zu glauben brauchte, weil in ihr noch eine ſolche Gewalt war, daß ſie hoffen konnte, wenn wieder ein Mann, der ganz mit ihrem Geiſt einig war, an der Spitze Frankreichs ſtände, daß ſie mit ihm regieren und den ehrenvollen Platz, der ihr gebührt in der Ordnung der Stände, einnehmen würde. So iſt es ja auch gekommen. Zunächſt erwarb die Armee im Krimkrieg, dann in dem italieniſchen 1859, wenn auch nicht ſehr großartige, fo doch neue ehrenvolle Siege, bis ſie 1870 zuſammenbrach.

Nun übertragen wir das einmal auf Deutſchland-Preußen. Stellen wir uns ein parlamentarifches Regiment vor und nehmen, wen Sie wollen aus dem Abgeordnetenhaus oder Reichstag und laſſen ihn bei uns Kriegsminiſter ſein. Wer auch nur die geringſte Fühlung mit unſerem Offizierkorps und unſerer Generalität hat, weiß, daß das eine Unmög— lichkeit iſt, daß unſere Armee auch erſt ein Sedan von der anderen Seite erlebt haben müßte, um das über ſich ergehen zu laſſen. Wer iſt die Armee? Die Armee beſteht aus drei Teilen: aus den Berufsſoldaten, die ihr Leben dem Waffendienſt gewidmet haben, das ſind die Offiziere; aus zwei Jahrgängen des ganzen Volkes, fortwährend wechſelnd, das ſind die Mannſchaften; und aus dem Unter— offizierkorps, das zwiſchen beiden eine Mittelſtellung ein— nimmt. Den Geiſt der Armee beſtimmt natürlich nicht der wechſelnde Teil, ſondern der dauernde, das Offizierkorps, das die Mannſchaft in ſeinem Geiſte erzieht und vermöge des Diſziplinargeſetzes in ſeinem Geiſte regiert.

Verſenken wir uns etwas in den Geiſt des Offizierkorps, wie er bei uns ſchon ſeit Jahrhunderten lebt und früher

Das Offizierkorps als Gefolgſchaft. 137

auch in allen anderen romaniſch-germaniſchen Staaten lebendig war. Die ſtehenden Armeen ſind gebildet worden bei uns im 17. Jahrhundert; in Brandenburg-Preußen durch den Großen Kurfürſten, der eine Reihe zerſplitterter Landſchaften geerbt hatte, von Preußen bis zum Rhein, und nun einen Staat errichtete vermöge eines einheitlichen Beamtentums und einer einheitlichen Armee. Auch ſeinem Sohn, Friedrich Wilhelm J. und Friedrich dem Großen dienten die Offiziere, wie die Mannſchaften nicht als dem Landesherrn, ſondern als ihrem Kriegsherrn. Es kommt dabei nicht darauf an, ob einer Preuße oder Brandenburger oder Pommer oder aus ſonſt einer Landſchaft iſt, er braucht gar nicht einmal ein Deutſcher zu ſein, ſondern er tritt in den Dienſt irgend— eines großen Kriegsherrn, in dieſem Falle des branden— burgiſch-preußiſchen, und widmet ſich ihm durch ein Treu— gelöbnis, ihm, nicht dem Staat. Zum Staat hat der Soldat des 17. und 18. Jahrhunderts nur eine mittelbare Be— ziehung, weil nämlich ſein Kriegsherr auch der Souverän dieſer oder jener Landſchaft iſt. Aber der, dem die Armee dient, das iſt der, dem ſie die Treue geſchworen hat, und was er auch immer für politiſche Ziele verfolge, die gehen die Armee nichts an. Dieſen perſönlichen Kriegsdienſt wird man noch beſſer verſtehen, wenn man ihn noch weiter durch die Jahr— hunderte der deutſchen Geſchichte verfolgt. Wir können zurückgehen bis in die Urzeiten, wo uns Cäſar und Tacitusckermaniſche Ge— ſchildern, daß der deutſche Fürſt umgeben iſt von einem G Gefolge beſonders tapferer Krieger, die ihn in die Schlacht begleiten, bei denen das Geſetz gilt, daß es die größte Schande iſt, aus der Schlacht zurückzukehren, wenn der Fürſt gefallen iſt. Das Gefolge kämpft für den Fürſten, der Fürſt für den Sieg. Dieſes eigentümliche Kriegertreu— verhältnis, das wir übrigens nicht bloß bei den Germanen,

138 Die Gefolgſchaft.

ſondern auch bei anderen Völkern, z. B. auch bei den Japanern finden, bei den Römern und Griechen aber nicht, wenigſtens nicht in dieſer Art, das iſt der Ausgangspunkt des mittelalterlichen Staats geworden. Dieſe Gefolgſchaft, die dem Fürſten zu perſönlicher, unverbrüchlicher Treue ſich verpflichtet hat (in pace decus, in bello praesidium), der als letztes und höchſtes Geſetz gilt, die Treue zu halten, pflanzt ihren Geiſt fort. Das Verhältnis wird im Mittel— alter hinübergeleitet in das Vaſallitätsverhältnis der Ritter— ſchaft zu ihrem Lehnsherrn mit derſelben Auffaſſung, und es ſetzt ſich heute fort in unſerem Offizierkorps. Der König iſt noch heute das Haupt ſeines Gefolges; er iſt der Kamerad ſeiner Offiziere und zu ihm als ihrem Kriegsherrn halten ſie ſich, und das iſt das Fundament unſeres Staatsweſens. In der preußiſchen Verfaſſung ſteht nur, der König führe den Oberbefehl über das Heer, und ebenſo ſteht es in der deutſchen Reichsverfaſſung. Ich laſſe hier aus die Kom— plizierung, die eintritt durch die Eigenſchaft Deutſchlands als Bundesſtaat. Wie weit iſt der Kaiſer Kriegsherr auch der kleineren Kontingente ſeit 1867 geworden? Ich habe darüber in den Preußiſchen Jahrbüchern (Maiheft 1913) einen Aufſatz veröffentlicht; wer ſich näher darüber infor— mieren will, mag es dort nachleſen.

Machen wir uns für jetzt klar, daß ein Verhältnis exiſtiert, das zwar in keinem Verfaſſungsparagraphen irgendwie for— muliert iſt, aber doch die ſtärkſte Gewalt iſt, die wir im ganzen deutſchen Reich überhaupt haben, unzerbrechlich von innen heraus, von außen wäre ſie nur zu zerbrechen durch die allerfurchtbarſte der Niederlagen. Ja, ſelbſt die furchtbarſte der Niederlagen hat es ja überſtanden. Der König von Preußen, als er bei Jena und Auerſtädt beſiegt wurde, konnte fliehen bis in die letzte Stadt ſeines Reiches, bis

Friedrich Wilhelm in Memel, Napoleon in Sedan. 139

nach Memel: König von Preußen und Kriegsherr blieb er doch. Sein Volk verehrte in ihm den angeſtammten König, und ſeine Armee in den kleinen Reſten, die noch da ge— blieben waren, hielt zu ihm, und aus ihr iſt durch das Genie Scharnhorfts und Gneiſenaus die neue Armee gebildet worden, indem die ganze Jungmannſchaft des Landes dem Offizierkorps zur militäriſchen Erziehung übergeben wurde.

Vergleichen wir einmal, welche unmittelbaren Folgen es auch für die Kriegführung haben kann, ob ein ſolches Treu⸗Verhältnis zwiſchen Fürſt und Volk eriftiert oder nicht. Als die Franzoſen 1870 in den großen Schlachten bei Metz geſchlagen waren, und die Bazaineſche Armee nach Metz hineingeworfen war, da ſahen Napoleon und der Marſchall Mac Mahon wohl ein, daß es das Rich— tigſte ſei, mit der anderen geretteten Hälfte der Armee nach Paris zurückzugehen. Wäre die Armee nach Paris zurückgegangen, dann iſt eigentlich nicht abzuſehen, wie wir Frankreich, wenigſtens ſo vollſtändig wie wir es nach— her geſehen haben, hätten beſiegen können. Es kam aber anders durch die Kaiſerin und die Regierung in Paris, die flehentlich baten, nicht nach Paris zu gehen; denn wenn der Kaiſer ſo weit zurückweichen müſſe, dann ſei die Revolution ſicher und das Kaiſertum verloren, und darauf— hin, aus dieſem innerpolitiſchen Grunde, nahm die Armee die Richtung nach Norden, in der Hoffnung, von dort aus Bazaine in Metz zu Hilfe zu kommen. Sie wurde ſtatt deſſen von der deutſchen Armee beſiegt und bis auf den letzten Mann gefangen genommen. Wenn dieſe bei Sedan gefangene Armee in Paris zur Verteidigung geblieben wäre, hätten wir die Stadt nicht einſchließen können. Der Grund der völligen franzöſiſchen Niederlagen alſo war, daß Napoleon kein ſicheres Verhältnis zu ſeinem Volk hatte, wie ja auch

Delbrück, Regierung und Volkswille. 10

Sedan.

Die preußiſche Armee 1848.

140 Das preußiſche Offizierkorps

ſchon Napoleon I. darüber geſtürzt iſt, daß in dem Augen⸗ blick, wo die Verbündeten in Paris einzogen, ſeine Marſchälle von ihm abfielen. Weder die Öfterreicher, noch die Preußen, noch die Ruſſen waren von ihrem Herrſcher abgefallen, als der Feind die Hauptſtadt genommen hatte. Dieſe Beziehung des Volkes zum angeſtammten Herrſcher hat nun ihre höchſte Potenz in der Beziehung des Offizierkorps zum Souverän in ſeiner Eigenſchaft als Kriegsherr. Wir haben ja den Fall, daß dieſe Beziehung grundſätzlich gelockert werden ſollte, in unſerer Geſchichte tatſächlich gehabt. Im Jahre 1848 beſchloß das Parlament, das in Frankfurt die neue Verfaſſung zu ſchaffen befliſſen war, daß alle Bundes— kontingente dem Reichsverweſer huldigen ſollten. Reichs— verweſer war der Erzherzog Johann von Sſterreich; alſo auch die preußiſche Armee ſollte dem Erzherzog huldigen. Welche erſtaunliche Verkennung des Preußentums! In Königsberg kommandierte ein Graf Dohna, Schwieger— ſohn Scharnhorfts; in Stettin kommandierte der General von Wrangel, der ſchon als 23 jähriger 1814 ein Küraſſier⸗ regiment führte. Als er an dem Unglückstage von Vauchamps⸗ Etoges (14. Februar) rings eingeſchloſſen ſchien und der franzöſiſche Parlamentär, der ihn zur Übergabe aufforderte, ſich herausnahm, direkt die Mannſchaft anzuſprechen, rief Wrangel ſeinem Wachtmeiſter zu: „Schieß ihn tot!“ nahm das Regiment zuſammen und brach durch.

In Münſter kommandierte Graf Gröben, der 1812, als die Preußen mit den Franzoſen gegen die Ruſſen ziehen mußten, zu denjenigen gehört hatte, die beim Abſchied— nehmen Gneiſenau zugerufen hatten, er ſolle an die Spitze der Patrioten treten, damit „Hermann in ſeinen Enkeln lebe!“ In Breslau kommandierte Graf Brandenburg, der in der Neujahrsnacht 1814 als Erſter den Rhein über⸗

und der König. 141

ſchritten hatte. Dieſe Leute follten dem vom Parlament als Reichsverweſer eingeſetzten öſterreichiſchen Erzherzog huldigen? Was war das für ein Verſtändnis für das Weſen der preußiſchen Armee, in der noch die Sieger von 1813 lebten! Und wenn jetzt die Träger des Eiſernen Kreuzes von 1870 in der Armee allmählich ausſterben, der Geiſt lebt weiter. Es iſt ſchlechthin unmöglich, daß eine ſolche Armee ſich von ihrer Vergangenheit losreißt und ſie verleugnet. An dieſem Felſen branden alle Wogen vergebens. Weder läßt ſich die preußiſche Armee von ihrem König, noch der König von ſeiner Armee losreißen. Wie ſehr irren ſich jene Staatsrechtslehrer, die da glauben, das Staatsleben aus den Paragraphen der Verfaſſung ableſen zu können! Wie die lebendigen Kräfte des Parlaments in den Parteien ſtecken, von denen in der Verfaſſung kein Wort zu finden iſt, ſo beruht das Weſen des Königtums nicht in den Funktionen, die ihm die Verfaſſung zuweiſt, ſondern in Kräften, die weit jenſeits aller formalen Rechtsſätze in den Jahrtauſenden wurzeln, in den Beziehungen zum Heer. Neben dem Offizierkorps ſteht das Beamtentum. Es Das iſt zwar nicht fo unmittelbares Inſtrument der Macht wie enam. die Armee, aber doch Inſtrument für die Ausübung der Macht. Das Beamtentum, das dem König ebenſo gehorcht wie die Armee, das ſeinen Organismus über das geſamte Volk ausbreitet, verlegt am letzten Ende jede politiſche Ent— ſcheidung in die Hand des Königtums. Wie doktrinär muß man ſein, davor die Augen zu verſchließen! Kann dagegen die Macht, die die Maſſen in ſich tragen, aufkommen? Freilich auch hier iſt Macht und ſie iſt nicht zu verachten. Aber dieſe Macht, die im Reichstag zu ihrem Ausdruck kommt, iſt nicht der meichstag. einheitlich. Sie iſt ihrer Natur nach, wie wir ſchon geſehen haben, geſpalten. Wir haben im deutſchen Reichstag zur Zeit 10*

142 Dualismus in Rom und in Deutfchland.

nicht weniger als ſieben Fraktionen, die alle das politifche Ziel von einem beſonderen Geſichtspunkt aus anſehen, und von denen jede es ſich überlegen kann, ob ſie ſchließlich ihr Ziel nicht beſſer erreicht, indem ſie ſich mit der Regierung Foaliert und durch Entgegenkommen und Kompromiſſe ihre Freundſchaft gewinnt, als wenn ſie ſich bemüht, ſelber das Steuerruder in die Hand zu bekommen. Wenn wir das alles zuſammenhalten, ſo ſehen Sie, daß von einem Hinüber— gleiten in eine parlamentariſche Regierung bei uns, weder im peſſimiſtiſchen noch im optimiſtiſchen Sinne, die Rede ſein kann. Sondern, ſoweit Menſchenaugen vorauszuſehen vermögen, werden wir in Deutſchland ein dualiſtiſches Regierungsſyſtem behalten, für das wir ja nun auch das große welthiſtoriſche Vorbild gefunden haben, nämlich in Rom. Es iſt durchaus nicht notwendig, daß ſich ſchließlich aus dem ewigen Streit um die Macht eine Partei als Siegerin herausarbeite, ſondern es kann geſchehen, daß in vielen Jahrhunderten ewigen Widerſtreits doch immer wieder ein Sichverſtehen gefunden wird, eine Harmonie, bei der bald die eine, bald die andere Macht mehr im Vorder— grund ſtehen mag, aber die letzte Entſcheidung, wer regiert, niemals getroffen wird. Es gibt deshalb auch keine prin— zipielle Grenze, bis wohin der parlamentariſche Einfluß gehen darf, oder umgekehrt; ſondern das iſt immer nur eine praktiſche Frage von Fall zu Fall. Von Beginn des Reichstags an war ſtets Streit und ſtets die Neigung, möglichſt viel von der Macht für die eine oder für die andere Seite zu erraffen, und immer wieder hat man ein— geſehen, daß man ſich beſſer verträgt als ſchlägt. Es iſt auch falſch, zu meinen, daß etwa die heutige Regierung dem Reichstag mehr nachgäbe, als es ſeinerzeit Bismarck ge— tan hat. Bismarck hat die ungeheure Macht, die der Reichstag

Macht des Reichstages. 143

ausübt, voll anerkannt und anerkennen müſſen. Namentlich haben ja die Parlamente immer das eine große Inſtrument in der Hand, die Geldbewilligung, und in dieſem Punkte hat Bismarck die allergrößten Konzeſſionen machen müſſen. Als wir das Schutzzollſyſtem einführten, da brachte das dem Reich ſo viel Geld ein, daß es auf lange Zeit finanziell unab— hängig geweſen wäre. Aus wirtſchaftlichen, nicht aus finan— ziellen Gründen war die Mehrheit des Reichstages dafür. Aber damit die Regierung nicht unabhängig würde, wurde die Klauſel Frankenſtein erfunden, die beſtimmte, daß das Geld, das einkomme, über eine beſtimmte Summe hinaus nicht in der Reichskaſſe bleiben dürfe, ſondern an die Einzel— ſtaaten verteilt werden müſſe, damit der Reichstag es immer neu zu bewilligen hätte. Und als der Schutzzoll ſpäter erhöht wurde und noch viel mehr Geld einkam, da war die Furcht noch viel größer, die Regierung möchte zu unabhängig werden, und es wurde beſchloſſen, in Preußen ein Geſetz zu geben (Lex Huene), daß auch die preußiſche Regierung das ihr zufließende Geld nicht behalten dürfe, ſondern es mußte an die Kreiſe verteilt werden. Zu dieſem Zwecke wurde in einer wahrhaft grotesken Weiſe Seelenzahl und Quadrat- meilenzahl der Kreiſe miteinander multipliziert und nach dieſem feſten Schlüſſel der Ertrag jährlich verteilt. Manche Kreiſe brauchten das Geld gar nicht, ſondern bauten für ihre Landräte prächtige Dienſtwohnungen davon. Aber der Zweck, die Macht der Geldbewilligung für die Reichstags— fraktionen zu erhalten, wurde erreicht und Bismarck mußte ſich dem unterwerfen. Das Reich wurde künſtlich in Geld— not verſetzt, damit der Reichstag den Knopf auf dem Beutel halte und immer wieder ſeine Bewilligung machen mußte. Natürlich, der geniale Erfinder dieſes Syſtems war der Führer des Zentrums, Windthorſt.

Bismarck und der Reichstag.

Heutige Finanz⸗ politik des Reichstages.

144 Macht des Reichstages.

Im übrigen wurde womöglich gar kein Geld bewilligt. Steuervorlagen, wie das Tabaksmonopol, das Branntwein— monopol uſw. wurden immer wieder vom Reichstag abge— lehnt. Was ſich darin geändert hat, und worüber jetzt die Leute klagen, iſt, daß der Reichstag ſich ſelber Steuern ausdenkt. Unzweifelhaft hat er dabei bereits ſchwere Fehler gemacht (Fahrkartenſteuer, Grundwertzuwachsſteuer), aber prinzipiell iſt es für das Reich ein Fortſchritt, wenn der Reichstag nicht bloß immer Steuern ablehnt, ſondern, wenn er gewiſſe Steuern nicht will, andere dafür an die Stelle ſetzt. Und da kommen die Klageweiber und vergießen Ströme von Tränen, daß nun der Parlamentarismus ge— kommen ſei, weil der Reichstag dem Bundesrat Steuern aufoktroiere. Ich laſſe mir vom Standpunkt des Reichs, der wirtſchaftlichen Zukunft und Geſundung der Finanzen es gern gefallen, daß der Reichstag die Steuern macht, wenn ihm die, die die Regierung vorſchlägt, nicht paſſen. Ich bin ſogar feſt überzeugt, daß der Reichstag die Steuervorlagen in dieſem Jahr ſachlich ſehr weſentlich verbeſſert hat. Um ſo lieber erkenne ich an, daß ſeine Macht eine durchaus berechtigte iſt, und es kann keinen ungerechteren Vorwurf geben, als einen Reichstag, der der Regierung die gewaltige Armeeverſtärkung und die dazu gehörige gewaltige Steuerbelaſtung bewilligt hat, die der einzelne vielfach hart empfinden wird, zu be— ſchuldigen, er treibe Machtpolitik und ſtrebe zu einer parlamentariſchen Regierung. Die Vorgänge der letzten Wochen bezeugen uns nur wieder von neuem, wie geſund und kräftig das dualiſtiſche Syſtem bei uns arbeitet.

Unſere Betrachtung, ob anzunehmen ſei, daß Deutſchland mit der Zeit zum parlamentariſchen Syſtem hinübergleiten werde, leitet uns über zu der anderen Frage nach den be— ſonderen Vorzügen oder Nachteilen des einen und anderen

Verantwortungsgefuͤhl der Parteien. 145

Regierungsſyſtems. Die Frage iſt ja nicht identiſch mit jener anderen, ob anzunehmen iſt, daß wir von dem einen Syſtem zu dem anderen übergehen. Es könnte ein Über— gang zum Schlechteren, könnte auch ein Übergang zum Beſſeren ſein.

Sehen wir erſt einmal auf gewiſſe Schwächen unſeres deutſchen Syſtems. Da iſt das erſte, daß den Parteien, da ſie nur die Regierung kontrollieren, aber ſie nicht ſelbſt führen, leicht das volle Gefühl der Verantwortung abgeht. Infolgedeſſen hatte Deutſchland bis auf unſere Tage eine überaus ſchlechte Finanzpolitik. Wir haben es ja fertig gebracht, in 40 jährigem Frieden 7000 Millionen Mark Schulden zu machen, weil der Reichstag ſich nicht entſchließen konnte aus Rückſicht auf die lieben Wähler, die ungern zahlen, im rechten Augenblick die notwendigen Steuern zu bewilligen. Im Jahre 1909 berechnete der Nationalökonom Profeſſor Schanz in Würzburg, daß, wenn man im Jahre 1877 nur 70 Millionen Mark bewilligt hätte (etwa die Bierſteuer, wie ſie heute exiſtiert), das Reich ſchuldenfrei ſein würde. Nun haben wir an Zinſen und Amortiſation jährlich an 200 Millionen mehr aufzubringen als ſonſt nötig wäre. In dieſem Punkt iſt ja nun gerade jetzt eine weſentliche Beſſerung zu berichten. Der Reichstag hat ſich in dieſem Jahr endlich entſchloſſen, den Satz aufzuſtellen: Keine Ausgaben ohne Deckung, und hat damit etwas geleiſtet, was keiner ſeiner Vorgänger jemals fertig gebracht hat gerade der Reichstag mit den 110 Sozialdemokraten! Was wurden die Patrioten alle blaß, als im Februar 1912 dieſes Wahlreſultat bekannt wurde! Ich darf wohl ſagen, daß ich mich nicht ſo habe täuſchen laſſen. Wer es will, mag es nachleſen in den Preußiſchen Jahrbüchern, wo ich damals ſchon geſchrieben habe, der neue Reichstag habe eine

Schwächen des dualiſtiſchen Syſtems.

146 Schlechte Finanzpolitik in Deutſchland.

ſo günſtige Zuſammenſetzung, wie wir ſie noch gar nicht er— lebt hätten, und wie ſie Bismarck niemals beſchieden ge— weſen ſei. Dieſe optimiſtiſche Auffaſſung iſt heute durch die Ereigniſſe beſtätigt. Die Parteien ſind jetzt alle mehr oder weniger in die Stellung eingerückt, die Vorlagen der Regierung ſachlich zu prüfen und ihre Entſcheidung letzten Endes nicht ausſchließlich vom Partei- und Fraktionsintereſſe, ſondern auch unter Berückſichtigung des Staatswohles zu finden. Nichts deſtoweniger bleibt die prinzipielle Gefahr, daß das Verantwortungsgefühl der Reichsboten zu ſchwach iſt, beſtehen. Wir wiſſen ja nicht, ob die jetzige Stimmung anhält, ob der Reichstag nicht einmal in den alten Fehler zurückfallen wird. Die Natur der Dinge leitet eigentlich darauf hin der Reichstag hängt einmal von den Wählern ab, iſt bernfen, die Regierung zu kritiſieren, aber nicht ſie zu führen, und das ſchwächt das Pflichtgefühl dem Staate gegenüber ab.

Eng hiermit hängt der zweite Nachteil unſeres Regierungs— ſyſtems zuſammen, nämlich die ſtets verärgerte Volksſtimmung, weil niemand ſo ganz befriedigt iſt, ſondern immer Kom— promiſſe geſchloſſen werden müſſen, die immer auf beiden Seiten eine gewiſſe Mißſtimmung hinterlaſſen. Im 18. Jahr⸗ hundert ſchrieb einmal ein engliſcher Staatsmann, der draußen angeſtellt war und von Zeit zu Zeit mal in ſeine Heimat zurückkam: Wenn er nach Haufe komme und öffne die Augen und ſchließe die Ohren, ſo ſcheine ihm das Land in der ſchönſten Blüte. „Schließe ich aber meine Augen und öffne meine Ohren, ſo höre ich, daß England das elendeſte Land auf der ganzen Welt iſt.“ So ungefähr hätte ſeit vielen Jahren man auch wohl in Deutſchland urteilen können. Die ganz Naiven tröften ſich damit, es ſei erſt fo ſeit Bis— marcks Abgang; zu Bismarcks Zeiten, da ſei man zufrieden

Unzufriedene Stimmung. 147

geweſen; ſeitdem aber herrſche die fortwährend fteigende un— zufriedene Stimmung. Daran iſt ſo viel wahr, daß die Anhänger Bismarcks zufrieden waren, oder wenigſtens ihre Unzufriedenheit nicht laut äußerten, aber deſto unzufriedener waren die Sozialdemokraten, die Klerikalen und die Frei— ſinnigen, die in der allerſchärfſten Oppoſition waren. Das hat ſich ja nun ſehr ausgeglichen. Zentrum und Freiſinnige ſind in ein poſitives Verhältnis mit der Regierung ein— getreten; ſelbſt die Sozialdemokraten haben ſo viel mit ſich reden laſſen, daß ihnen eine gewaltige Oppoſition in ihren eigenen Reihen daraus erwachſen iſt. Aber in demſelben Verhältnis, wie dieſe Parteien beſchwichtigt ſind, iſt die Mißſtimmung bei den anderen gewachſen, während auch jene doch keineswegs befriedigt ſind. Man brummt alſo jetzt ringsum, und namentlich von links wird ja tagtäglich ver— kündigt und geklagt, daß Deutſchland ein zurückgebliebener Polizei: und Klaſſenſtaat fei.

Vergleichen wir einmal das deutſche Reich mit den anderen Ländern. Deutſchland iſt derjenige Staat, der zuerſt von allen europäiſchen Großſtaaten das allgemeine, gleiche, geheime Stimmrecht, verbunden mit freiem Ver— ſammlungs- und Vereinsrecht, eingeführt hat. Frankreich hat das Stimmrecht ſeit 1851, aber ohne Verſammlungs- und Vereinsrecht, das erſt 1871, nach dem Sturz Napoleons III., eingeführt wurde. England, Italien, Belgien, Holland, haben heute noch nicht das allgemeine, gleiche Stimmrecht. Deutſchland iſt das Land, daß die weitgehendſte und in den meiſten Gebieten früheſte, organiſche Sozialpolitik gehabt hat, wodurch für die unteren Stände eine Fürſorge ge— troffen iſt, die man jetzt anfängt, in anderen Ländern einigermaßen nachzuahmen. Deutſchland hat ſeit undenk— licher Zeit die Schulpflicht, die allgemeine Volksſchule und

Das Demokra⸗ tiſche im deut⸗ ſchen Reich.

148 Das ſozialdemokratiſche Ideal.

ſeit lange den unentgeltlichen Schulunterricht. Deutſchland hat auch ein höheres Schulweſen, das es den begabten Söhnen kleiner Leute ungemein erleichtert, bis in die höchſte Bildungsſchicht aufzuſteigen. Deutſchland hat die demo— kratiſcheſte aller Inſtitutionen, demokratiſcher als das all: gemeine Wahlrecht, das iſt die allgemeine Wehrpflicht, die den höheren Klaſſen, obgleich ſie einige Erleichterungen haben, viel ſchwerere Laſten in wirtſchaftlicher und ſonſtiger Be— ziehung auferlegt als den breiten Maſſen.

Von dieſem Staat behauptet die radikale Linke, daß er ein zurückgebliebener Klaſſenſtaat ſei! Freilich, manchmal finden die Sozialdemokraten ja jetzt auch Gutes bei uns; namentlich die Sozialpolitik, die ſie ſeinerzeit aufs Schärfſte bekämpft haben, findet jetzt eine gewiſſe Anerkennung. Wenn man ihnen vorhält: „Seit 30 Jahren ſeid ihr eine große Partei und habt ſchlechterdings nichts geleiſtet,“ dann berufen ſie ſich darauf, daß ſie indirekt dieſe Sozialpolitik gemacht haben, eigentlich die geiſtigen Urheber waren. Wie ſich das auch verhalte, auf alle Fälle haben ſie damit zugegeben, daß dieſer Staat ſelbſt für die Anſprüche der extremſten demokratiſchen Partei außerordentliches geleiſtet hat. Nichtsdeſtoweniger iſt die ſozialdemokratiſche Partei eine intranſingente; intran⸗ ſingent in dem Sinne, daß die Regierung ſich mit ihr über etwas Praktiſches nicht oder nur ganz ausnahmsweiſe ver— tragen kann. Viele ſtellen ſich vor, es ſei die Partei der weitliegenden idealen Zukunft, der man ſich ſchrittweiſe naͤhere. Wer ſich uͤber ſie luſtig machen will, kann das gerade Gegenteil feſtſtellen. Es iſt von allen unſeren Parteien die reaktionärſte. Unſere Feudal-Konſervativen, unſere Klerikalen, haben ein ungewiſſes, verſchwommenes Ideal im Mittelalter. Das Ideal der Sozialdemokratie liegt noch viel weiter zurück; es lebte in den Urzeiten. Vergleichen

Wirkung der Intranſigenz der Sozialdemokraten. 149

wir einmal die Forderungen, die im Erfurter Programm geftellt werden, mit den urgermanifchen Zuſtänden. „Ver— geſellſchaftung der Produktionsmittel“ Produktionsmittel waren damals Grund und Boden; die gehörten dem Volk; privaten Grund und Boden gab es nicht. „Direkte Geſetz— gebung durch das Volk“ eine andere Geſetzgebung gab es nicht. „Rechtſprechung durch das Volk“ ebenſo. „Wahl der Regierung durch das Volk“ die Fürſten wurden vom Volke gewählt. „Allgemeines Volksheer“ jeder Germane war ein Krieger. Entſcheidung über Krieg und Frieden durch das Volk. Fügen wir ſchließlich hinzu, daß es kein ſtehendes Heer und keine Steuern gab, ſo haben wir einen ſozialdemokratiſchen Idealſtaat, daß das Erfurter Programm verblaßt dagegen. Wir brauchen jetzt nicht mehr ſo ſehr nach dem Zukunftsſtaat zu ſuchen und zu fragen, wir können ihn wirklich in der Hiſtorie finden. Ob wir ihn dann noch einführen wollen, iſt eine andere Frage, eine Frage, die ich dem Einzelnen und der Zukunft überlaſſen will.

Praktiſch aber entſteht an dieſer Stelle die Schwierig— keit für das gute Funktionieren des dualiſtiſchen Regierungs— ſyſtems. Wenn alle Parteien, wie es in dieſem Augenblick bis auf einen gewiſſen Grad der Fall iſt, bereit ſind, über jede neu auftretende Forderung zu verhandeln, dann iſt es gar nicht ſchwer, ſo oder ſo eine Majorität zuſammen zu bringen. Wenn aber eine große, ganz intranſingente Partei da iſt, dann kann es allerdings ſehr ſchwer werden. Das ſind heute höchſtens noch die Sozialdemokraten. Bismarck hatte es darin noch ſehr viel ſchwerer. Es gab damals noch die ſogenannte deutſch-freiſinnige Partei unter der Führung des Abgeordneten Eugen Richter, mit der ſo gut wie gar nicht zu verhandeln war (Bismarck hat einigemale Verſuche ge—

Caprivi und die Freiſinnigen.

150 Die Kriſis von 1892.

macht, die aber abgewieſen wurden), und das Zentrum, deſſen Hilfe nur um ſehr hohen Preis zu haben war. Es iſt überaus ſchwer für Parteien, die einmal in der radikalen Oppoſition ſind, in eine poſitive Stellung hineinzurücken.

Ich kann da wieder eine Erinnerung aus meinem eigenen Parlamentsleben einflechten. Die deutſch-freiſinnige Partei hatte ſich gebildet im Jahre 1884, etwa 100 Mitglieder ſtark, durch die Vereinigung der alten Fortſchrittspartei mit einer Abſonderung von den Nationalliberalen, vielen höchſt bedeutenden Leuten darunter. Nun war Bismarck abge— gangen. Caprivi ſuchte mit der Linken ein beſſeres Ver— hältnis. Die Ruſſen hatten ſchon in den 80er Jahren begonnen, die drohende Stellung gegen uns einzunehmen, die ſie heute noch feſthalten. Es war eine große Ver— ſtärkung der Armee notwendig, und da bot im Jahre 1892 Caprivi der Linken die Konzeſſion, um die fie 30 Jahre vergeblich gefochten hatte, die zweijährige Dienſtzeit. Kaiſer Wilhelm der Alte hielt es ſchlechterdings für unmöglich, die Armee auf dem hohen Stand der Ausbildung zu halten ohne die dreijährige Dienſtzeit; darüber war im Jahre 1861 der Konflikt mit dem Abgeordnetenhauſe ausgebrochen. Jetzt bot Caprivi, natürlich gegen Kompenſation, gegen eine ſtarke Erweiterung der Aushebung, die ja weit hinter dem zurück— bleibt, was wirklich geleiſtet werden könnte (auch heute ſind wir noch immer in der Lage, daß bei weitem nicht alle Männer, die tatſächlich geeignet ſind, eingezogen werden), dieſe Konzeſſion der zweijährigen Dienſtzeit. Die Verkürzung der Dienſtzeit brachte alſo keine Erſparnis, ſondern koſtete etwas, und daraufhin machte die freiſinnige Volkspartei dieſem Vorſchlag Oppoſition.

Mir ſchwebte damals ſchon jenes Ideal vor, daß der Fürſt Bülow für einen Moment durchgeführt hat im ſo—

Intranſigenz der Freiſinnigen. 151

genannten Block, das Zuſammengehen der Konſervativen mit den Liberalen. Ich hatte einige Beziehungen zu angeſehenen Liberalen und ging hin zu Virchow und zu Hänel, die neben Richter die hervorragendſten Führer der alten Fort— ſchrittspartei waren. Von den ehemaligen Nationalliberalen war anzunehmen, daß ſie ohnehin geneigt ſeien, ſich mit Caprivi zu vertragen. Ich ging alſo zu Hänel und Virchow und legte ihnen dar, wie doch die ganze Zukunft des Libe— ralismus jetzt auf dem Spiel ſtehe, wenn ſie dieſes Angebot der Regierung nicht annähmen, und nach einiger Unter— redung brachte ich ſie (Hänel ging gleich darauf ein, zoͤgernder auch Virchow) fo weit, daß fie ja ſagten. Ich ließ mich abends um 10 Uhr noch bei Caprivi melden: „Ich bringe Ihnen Virchow.“ Antwort: „Es iſt zu ſpät; morgen wird auf— gelöſt.“ Es wurde doch noch nicht gleich am anderen Tag aufgelöſt, die Dinge blieben noch einen Moment in der Schwebe. Aber der Führer der Konſervativen, Hammerſtein, Redakteur der Kreuz-Zeitung, erzwang die ſofortige Ab— ſtimmung, weil er nicht wollte, daß die Regierung ſich mit den Freiſinnigen vertrage, und ſchnitt dadurch weitere Verhand— lungen ab. So wurde die Sache der Verſtaͤndigung nicht reif. Die Freiſinnigen ſtimmten zum großen Teil gegen die Vorlage. Der Reichstag wurde aufgelöſt. Die Partei trennte ſich in zwei Teile, wurde vollkommen geſchlagen, und ſeitdem führt ſie bis auf den heutigen Tag ein mehr oder weniger ſchatten— haftes Daſein. Einige Jahre ſpäter trat einmal der Intimus von Eugen Richter, der Abgeordnete Hermes, an mich heran und ſagte: „Ich habe ja damals auch gehört von Ihrem Vermittlungsverſuch und habe zu Richter geſagt: Wollen wir nicht darauf eingehen?“ Darauf habe ihm Richter ge— antwortet: „Dann ſind wir keine Volkspartei mehr.“ Wie unendlich charakteriſtiſch iſt dieſer Ausſpruch! Dieſer Partei—

152 Vorteil der Oppoſition.

führer lehnte es grundſätztlich ab, eine poſitive Politik zu machen. Er wollte in der Oppoſition bleiben; denn in der Oppoſition ſein, iſt volkstümlich. Wer Poſitives leiſtet, namentlich aber wer von den Bürgern verlangt, daß ſie Steuern zahlen ſollen, iſt ein ſehr zweifelhafter Volksmann; es ſei denn, daß er es ſo eingerichtet hat, daß die Andern die Steuern zahlen. Aber an dieſer Überlegung: „Dann ſind wir keine Volkspartei mehr,“ daran iſt damals das Einſchwenken geſcheitert, das endlich die Natur die Dinge doch herbeigeführt hat, aber erſt im Jahre 1907, als es für den Liberalismus bereits zu ſpät war. Zufällig gerade heute las ich übrigens in der Frankfurter Zeitung (Nr. 207), daß die Dinge noch weiter geweſen ſein ſollen. Da ſteht nämlich, der Kaiſer ſei bereit geweſen, die Freiſinnigen an der Regierung teilnehmen zu laſſen. Ob das wirklich wahr iſt, weiß ich nicht. Ich würde es damals dann wohl er— fahren haben. Im Weſen kommt es ja auf das hinaus, was ich geſagt habe. Denn ein ſolches Vertragen mit der Regierung, wenn es auch nicht gerade Miniſterpoſten be— deutet, bedeutet doch immerhin einen ſehr weſentlichen Ein— fluß auf die Geſetzgebung. Aber es iſt ſchwer, eine ſolche Stellung zu gewinnen, wenn man eine ganze Generation lang das Volk daran gewöhnt hat, ſich vorzuſtellen, daß die Regierung nichts als Böſes treibe und Ungehöriges verlange, und jeden, der zu der Regierung in Beziehung tritt, als Höfling, „Wadenſtrümpfler“, wie man es damals nannte, verdächtigt hat. In dieſer ſtets kritiſchen Negation hat die Oppoſition eine große Stärke. Denn für den Menſchen gibt es keine größere ſeeliſche Luſt, als ſchimpfen zu können, oder wie Goethe das in ſeiner erhabeneren Weiſe ausdrückt: „Der Handelnde hat immer unrecht; der Be— trachtende hat immer recht.“ Sich in die Bruſt des Beſſer—

Urſache der Vorherrſchaft der Agrarier. 153

verſtehens, der Überlegenheit werfen, kritiſieren, zeigen, wie und wo Erſparniſſe gemacht werden können, die Ge— rechtſame des Volkes verteidigen, den Gewalthabern die Wahrheit ſagen, das alles kann man dann nicht mehr ſo frei, wenn man ſelbſt an der Regierung teilnimmt. Darum finden Sie, daß in Frankreich und England, wo doch auch viel Unzufriedenheit herrſcht, fie doch nicht fo ſtark hervortritt wie bei uns. Namentlich nicht in England; weil dort die eine Hälfte der Maſſe immer in der Regierung iſt und ſich Mühe geben muß, zu verſtehen, was die Miniſter machen, und es einigermaßen verteidigen. Bei uns herrſcht ſtatt deſſen der Mittelweg, daß jede Richtung der fog. bürgerlichen Parteien immer etwas mitwirkt, aber nie ganz, während eine ſehr große Partei, die ſozialdemokra— tiſche, faſt ſtets ganz draußen ſteht. Das reizt natürlich die Stimmung ſtets zur Kritik und dieſe wird zur Nörgelei. Schließ— lich ſchadet das nicht ſo ſehr viel; in großen Momenten kommt man darüber hinweg. Wichtiger iſt aber, daß durch die Eriftenz intranſigenter Parteien eine naturgemäße den großen Tendenzen der Entwicklung konforme Regierung ver— ee hindert werden kann. Wir haben jetzt den eigentümlichen en Zuſtand, daß wir einen fcharf agrariſchen Reichstag und eine agrariſche Regierung haben, obgleich nach der letzten Volks— zählung vom Jahre 1907 nur 28,6% der Geſamtbevölke— rung landwirtſchaftlich ſind. Im Jahre 1895 waren es noch 38,7%. So rapide iſt der Anteil der land wirtſchaftlichen Bevölkerung am Geſamtwirtſchaftsleben im Rückgang. Da jetzt wieder ſechs Jahre verfloſſen ſind, iſt noch kaum ein Viertel, oder wenig mehr als ein Viertel der Bevölke— rung agrariſch. Trotzdem haben die Agrarier die Majorität, eine große Majorität, im Reichstag. Freihändleriſch ſind nur die Sozialdemokraten und die freiſinnige Partei. Das

Die Agrarzölle.

154 Die Agrarzoͤlle.

kommt einerſeits von der veralteten Wahlkreiseinteilung, die die volksſchwachen Kreiſe bevorzugt, indem ſie die ſeit 1867 emporgekommenen großen Induſtrieſtädte noch nicht mit Mandaten bedacht hat. Aber das erklärt noch nicht eine ſo koloſſale Unterbilanz, ſondern die kommt daher, daß die Regierung und die Parteien, die zu ihr halten, unter keinen Umſtänden mit den Sozialdemokraten poſitive Politik machen können. Alſo wo es gilt, einen Vertreter einer poſitiven Politik zu wählen, da ſind auch Anhänger einer gemäßigten Wirtſchaftspolitik in ſehr vielen Fällen gezwungen, mit den Agrariern zu gehen, weil die immer den Kern der Gegen— truppe gegen die Sozi bilden. Da ſind es alſo meiſt die Großgrundbeſitzer, die den Ausſchlag geben, wenn man nicht die Sozialdemokratie heranlaſſen will. Nun halte ich das durchaus für kein Unglück; ich bin ſelbſt ein Stück von einem Agrarier. Ich bin zwar bei den Agrariern ſehr wenig beliebt, weil ich ihnen zuweilen etwas harte Wahr— heiten geſagt habe. Aber nichtsdeſtoweniger, die agrariſche Schutzzollpolitik halte ich bis heute im weſentlichen für gerechtfertigt und für wohltätig, und zwar unter dem Ge— ſichtspunkt, daß ſie die Preiſe der agrariſchen Produkte nicht erhöht hat, ſondern nur das Sinken unter den früheren Durchſchnitt verhinderte. Das iſt tatſächlich der Fall. Mit Ausnahme weniger Jahre hat ſich trotz unſerer enormen Zölle der Preis für Roggen, Weizen und andere Landwirtſchaftsprodukte meiſtens unter dem Durchſchnitt der Jahre 1851 —80 gehalten, und ihn nur in wenigen Jahren überſchritten“). Solange das der Fall iſt, ſind die Zölle

) In den Jahren 1851 bis 1880 war der Durchſchnitt des Weizen⸗ preiſes 209,6 für die Tonne. Dieſer Preis iſt nur 1891 (mit 224,2) und 1909 (mit 233,09) uͤberſchritten worden; heute ſteht er (Nov. 13) auf 178. Der Roggen koſtete im Durchſchnitt 1851 bis 1880 163,7, hat

Herrſchaft der Konſervativen durch die Hilfe der Sozi. 155

gerechtfertigt. Denn wenn die Zölle nicht gekommen wären oder plötzlich aufgehoben würden, würde ein ungeheurer wirtſchaftlicher Zuſammenbruch auf dem Lande ſtattfinden, der tatſächlich nicht nur alle ländlichen Familien, ſondern das ganze Wirtſchaftsleben ſo ſtören würde, daß auch der reine Konſument, der kaufende Arbeiter, in Mitleidenſchaft gezogen würde. Die agrariſche Schutzzollpolitik verliert aber dieſe Berechtigung, ſobald die Preiſe weſentlich und dauernd über das überlieferte Maß hinaus ſteigen, und es iſt ſehr leicht möglich, daß das jetzt kommt, und dann müſſen wir die Zölle abbauen.

Aber ich will mich nicht in Zukunftsüberlegungen ein— laſſen, ſondern nur eine Begründung geben zu dem Satz, daß die agrariſche Schutzzollpolitik auch von jemand, der weder Ar noch Halm beſitzt, als nicht nur gerechtfertigt, ſondern auch als ſegensreich angeſehen werden kann, daß wir alſo den Sozialdemokraten für ihre intranfingente Stellung, die den Agrariern die Herrſchaft in Deutſchland gibt, noch dankbar ſein müſſen. Im übrigen freilich iſt von höheren Geſichts— punkten aus dieſes Verhalten einer großen Partei natür— lich das Schädlichſte und Verkehrteſte, was es geben kann, aber es iſt ſehr ſchwer, davon los zu kommen, wie wir das an der Geſchichte der freiſinnigen Partei kennen gelernt haben. Mögen die Sozi ſehen, wie fie damit fertig werden. Für uns iſt das erfreuliche Ergebnis, daß die Schwierigkeit, mit einem Reichstag mit intranſingenten Parteien durch— zukommen, ſich bisher überwindbar gezeigt hat, und ſie

dieſen Durchſchnitt bis 1909 ſechsmal uͤberſchritten, iſt aber auch 1896 trotz

Zoll bis auf 118,8 geſunken. Heute ſteht er auf 153. Der Konſum

von Roggen iſt ſeit 1878 pro Kopf der Bevoͤlkerung etwa derſelbe ge—

blieben; gleichzeitig aber der Verbrauch von Weizen ganz gewaltig ge:

ſtiegen, die Geſamternaͤhrung durch Brotfruͤchte alſo ungeheuer verbeſſert. Delbrück, Regierung und Volkswille. 11

Die organiſierte Intelligenz.

156 Unzulaͤnglichkeit der organiſierten Intelligenz.

wird ſich auch in Zukunft als überwindbar erweiſen, hilft uns ſogar, die konſervativen Elemente und Grundlagen des Staates zu erhalten.

Aber ich muß jetzt auf einen anderen, ziemlich dunklen Punkt eingehen. Wir haben uns den idealen Aufriß gemacht, daß eigentlich zwei Potenzen bei uns im Lande regieren: die organiſierte politiſche Intelligenz im Beamtentum und die Maſſe, die im Reichstag ihre verſchiedenen Inſtinkte kund gibt. Nun iſt es aber mit der Organiſation der Intelligenz eine eigene Sache. Wir haben geſehen, daß es eine pſychologiſche Täuſchung iſt, im Reichs— tag den Volkswillen zu ſehen, weil der Volkswille ſich gar nicht organiſieren läßt. Der demokratiſche Reichstag iſt im heutigen deutſchen Reich etwas Unentbehrliches, aber die ideale Forderung, den Volkswillen darzuſtellen, die kann er nicht erfüllen. Bei der organifierten Intelligenz im Beamtentum iſt es etwas Ahnliches. Wenn man Intelligenz organiſiert, gerinnt ſie, wird ſtarr und ſteif, und es entſteht die Bureau— kratie oder die Hierarchie. Was für einen unerfreulichen Nebenklang haben dieſe Worte, und mit welch nieder— ſchmetternder Charakteriſtik haben gerade unſere größten Staatsmänner eben dieſes preußiſche Beamtentum bedacht, von dem wir uns klar gemacht haben, daß es den eigent— lichen Aufbau unſeres Staates bildet, und wie unendlich viel wir ihm verdanken. Stein ſprach nie anders als im verächtlichſten Tone von den „bezahlten Offizianten“, und in Bismarcks Augen waren die Beamten Drohnen, die Geſetze machen und ſich dafür vom Volke ernähren laſſen; ja, er hat ſogar das ſchnöde Wort geprägt von jenem „Extrakt von Dummheit und Bosheit, den man in Preußen den Geheimen Rat nennt“. Ein Beiſpiel, daß man ein in der Laune einmal ausgeſprochenes Urteil auch von den allergrößten

Bureaukratie und Kommiß. 157

Politikern nicht als objektive, hiſtoriſche Charakteriſtik an— nehmen darf. Aber wahr iſt es, daß im Beamtentum ſich trotz der höchſten Sachkunde und Intelligenz eine Verknöcherung des Denkens und Verengung des Geſichts— kreiſes nur zu leicht herausbildet. Pedanterie, Forma— lismus, Hochmut, Kleben am Überlieferten, Strebertum, Unfähigkeit, ſich in neue Aufgaben und Ausnahme— zuſtände zu finden, das ſind Eigenſchaften, die ſich nur zu häufig zeigen und die uns den Zorn von Männern wie Stein und Bismarck wenigſtens erklärlich machen. Beim Militär nennt man dieſelbe Erſcheinung „Kommiß“!

Wir haben ſicherlich ein fo tüchtiges und fo hoch: ſtehendes Beamtentum, wie nur irgendwo, aber daß es gewiſſen Aufgaben nicht gewachſen iſt, dafür haben wir nun ein ſehr bedeutendes und ſehr bedauerliches Beiſpiel, das ich etwas näher ausführen will. Das iſt die Polen— frage. Im modernen Nationalſtaat iſt es eine ganz be— ſonders ſchwierige Aufgabe, wenn weſentliche Elemente einer fremden Nationalität eingeſchloſſen ſind. Wie ſoll ſich ein Staat der Deutſchen, der doch ganz und gar auf das lebendige Bewußtſein des deutſchen Volkes aufgebaut iſt, damit abfinden, daß er nicht weniger als 4 Millionen Polen, und daneben noch Dänen im Norden, Franzoſen im Weſten, in ſeinem Reichs- und Staatskörper hat? Eine reine Löſung dieſes Problems kann es wohl niemals geben. Man pflegt zu ſagen und wird immer mit einem gewiſſen Recht ſagen: die Polen ſind ſchließlich nur Preußen auf Kündigung. Sie leiſten den Eid auf die Verfaſſung, tun ihre Pflicht, arbeiten auch an den poſitiven augenblicklichen Aufgaben des Staates den polniſchen Stimmen verdanken wir ja im Reichstag die deutſche Flotte und die Armee—

reform von 1893 und trotzdem, wenn man ſich vorſtellt, 11*

Die preußiſche Polenpolitik.

158 Polen⸗Frage.

daß die Weltgeſchichte, oder, wie die Polen es ausdrücken, „wenn es Gottes Wille iſt“, einmal die Möglichkeit der Herſtellung eines polniſchen Nationalſtaates zeigt, ſo werden ſie das als ein höheres Geſetz anſehen und ſich dieſem Staate zuwenden. Wie ſoll man ſich mit einem ſolchen Teil des Volkes abfinden? Entſchloſſene meinen, man müßte ſie germaniſieren. Das wurde denn auch vor 25 Jahren in Angriff genommen. Wir haben ja die Volksſchule, den deutſchen Schulmeiſter. Vom ſechſten Jahre an lernen die polniſchen Kinder das Deutſche, und was ſie in der Schule gelernt haben, wird vollendet in der Armee; die polniſchen Rekruten werden unter die deutſchen Regimenter verteilt. Die ganze Verwaltung iſt deutſch, die Amtsſprache deutſch, alle höheren Beamten deutſch. Außerdem ſind ungeheure Mittel aufgewendet, polniſchen Grundbeſitz aufzukaufen und ſtatt deſſen deutſche Bauern anzuſiedeln. Wenn man das ſo hört, möchte man ſagen: Ja, das muß ja wohl auf die Dauer helfen, um ſo mehr, als ja die Polen auf vier ver— ſchiedene Provinzen verteilt find; wir haben 1,2 Million in Oberſchleſien, in Poſen ungefähr Millionen, ½ Million in Weſt⸗, und ½ Million in Oſtpreußen, immer gemiſcht mit Deutſchen; wir haben nirgends großes, geſchloſſenes polni- ſches Gebiet, auch nicht einmal einen einzigen rein polniſchen Kreis. Wenn nun dies ohnehin gemiſchte Gebiet noch mehr mit Deutſchtum überzogen und ein kräftiges, deutſches Bauerntum, wenn auch mit großen Opfern, hineingeſetzt wird, ſo ſollte man meinen, daß der Erfolg auf die Dauer nicht fehlen könne. Nun, wenn Sie heute mit jemand darüber ſprechen, der einigermaßen unbefangen iſt, und dort die Verhältniſſe kennt, ſo ſagt er Ihnen: „In den 25 Jahren ift kein Fortſchritt gemacht worden. Im Gegenteil.“ Zwar ſucht die amtliche Statiſtik hier und da ein paar tauſend

Polen⸗Frage. 159

Deutſche mehr herauszurechnen; es ſind bei weitem noch nicht ſo viel, wie an deutſchen Bauern hingeſchafft worden iſt. Aber die Eingeſeſſenen ſind ſehr ſkeptiſch inbezug auf dieſe Statiſtik, und wahrſcheinlich iſt das Deutſchtum in den vier Provinzen ſogar im Rückgang. Wie neulich ein Großgrund— beſitzer von der Poſenſchen Grenze in den Preußiſchen Jahrbüchern ſchrieb (Märzheft 1913): Während wir Bauern anſetzen, poloniſieren die Polen die Städte. Früher waren die Städte weſentlich deutſch, wobei das Judentum allerdings zu den Deutſchen gerechnet iſt, wie es auch deutſch ſprach und ſich zu den Deutſchen hielt. Im ganzen Oſten, im alten Königreich Polen, waren die Städte ehedem zum großen Teil deutſch und daneben jüdiſch. Aber dieſe deutſche Bevölkerung iſt im Abzug begriffen, und der ſtädtiſche Hausbeſitz, das Handwerk, das Krämertum, Apotheker, Buchhändler, Landmeſſer, was alles früher deutſch war, wird polniſch. Wenn man eine Zeitlang darüber ge— ſprochen hat, pflegt ſchließlich immer die letzte Zuflucht zu ſein: „Ja, wenn wir aber unſere Oſtmarkenpolitik nicht gehabt hätten, ſo wäre es noch viel ſchlimmer.“ Das iſt immerhin ein ſehr fragwürdiger Troſt, aber jedenfalls der Beweis, daß dieſe 25jährige Politik, wenn überhaupt etwas, fo doch ſehr wenig geleiſtet hat. Einer der klügſten Politiker im Reichstag in der Bismarckſchen Zeit war der Abgeordnete von Kardorff, damals einer der Führer der freikonſervativen Partei, und auch ganz im Vertrauen Bismarcks. Der hat eine Aufzeichnung hinterlaſſen (ich habe fie abgedruckt im 140. Band der Preußiſchen Jahrbücher), worin er bekennt, daß, als Bismarck die erſte Vorlage dieſer Art im Abge— ordnetenhaus einbrachte, er ihm vertraulich geſagt habe, die Sache würde nicht gehen, und darauf habe Bismarck ihm geſagt, er teile im Grunde ſeine Auffaſſung, aber aus ge—

160 Bismarck und die Polenfrage.

wiſſen Gründen der auswärtigen Politik, um feine Autorität, die man in dieſem Augenblick im Reichstag ſtark ange— griffen hatte, zu ſtärken, müſſe er die Sache machen. Kardorff endet dieſe ſeine Aufzeichnungen: „Aber leider haben meine derzeitigen Bedenken ſich nach den heute ge— machten Erfahrungen als völlig berechtigt erwieſen. Die polniſche Bewegung iſt nicht zurückgegangen, ſondern weſent— lich geſtärkt. Der Angriff hat einen Gegendruck hervorge— rufen und vorläufig nur zur Kräftigung der großpolniſchen Agitation nicht allein in Poſen, ſondern auch in Weſtpreußen und ſelbſt in dem niemals doch dem Königreich Polen zu— gehörigen Oberſchleſien geführt.“ Neben dem Zeugnis von Kardorff, verweiſe ich Sie auf die erſt in dieſem Jahr er— ſchienene Schrift eines früheren Landrats im Poſenſchen, des Kammerherrn Baron Puttkamer „Die Mißerfolge in der Polenpolitik“, die ganz dasſelbe beſagt. Alſo die Germani— ſierungspolitik, das ſieht man jetzt abgeſehen von den fanatiſchen Hakatiſten ziemlich allenthalben ein, hat Bankerott gemacht. Sie hat das Polentum numeriſch nicht geſchwächt und es moraliſch ungeheuer geſtärkt. Vor ein paar Jahren traf ich einmal in Scheveningen einen polniſchen Grafen aus dem Warſchauiſchen. Ich kam mit ihm in ein Geſpräch. Er erzählte mir, auf der Herreiſe habe er Station in Poſen gemacht, das erzbiſchöfliche Palais beſucht, und dort ſeiner Verwunderung Ausdruck gegeben, daß er Bauern und gemeine Leute habe Zeitungen leſen ſehen; das kenne man in Ruſſiſch-Polen gar nicht. Da ſei ihm geantwortet worden: „Das verdanken wir alles den Preußen; ſie haben uns wohlhabend gemacht, ſie haben uns gebildet gemacht, jetzt machen ſie uns auch noch zu Patrioten.“ Jetzt machen ſie uns auch noch zu Patrioten nämlich zu polniſchen! Welch ein blutiger Hohn! Wie geht

Die deutſche Schule in den Oſtmarken. 161

das zu? Warum iſt dieſe Politik, die durch ein ſo macht— volles Beamtentum, mit fo ungeheuren Mitteln (es find allmählich nahezu eine Milliarde Mark aufgewendet worden) durchgeführt wird, unter Zuſtimmung eines ſehr großen Teiles des deutſchen Volkes, wie iſt es gekommen, daß ſie ſo vollſtändig Bankerott gemacht hat“)?

Das vornehmſte Mittel der Germaniſierung ſollte die Volksſchule fein. Wie ſieht es in ihr aus? Da find vielleicht Die Voltsſchule. 25 deutſche Kinder und 40 —60 polniſche. Der Lehrer weiß, daß der Kreisſchulinſpektor auf nichts mehr Wert legt, als daß die polniſchen Kinder deutſch ſprechen lernen, und ſie lernen wirklich etwas. Ich habe es anfänglich nicht für möglich gehalten, aber unſere Volksſchullehrer ſind ſo aus— gezeichnet, die Methode ſo durchgebildet und ſchließlich

) Auch viele Hakatiſten geben jetzt zu, daß die Oſtmarkenpolitik keinen Erfolg gehabt hat. Im Gegenſatz dazu ſoll Geheimrat Witting in einer Rede in Bremen (Taͤgl. Rundſchau v. 7. November d. J.) geſagt haben: „Unwahr oder erlogen iſt es, daß die poſitive Oſtmarkenpolitik im Sinne Bismarcks und Buͤlows verſagt habe.“ Als ehemaliger Buͤrgermeiſter von Poſen koͤnnte Herr Witting einige Autorität beanſpruchen. Aber es iſt feſtzuſtellen, daß er in einer Broſchuͤre „Das Oſtmarkenproblem“ 1907 ſich erheblich anders ausgedruͤckt hat. An ein Mißverſtaͤndnis, meiner: ſeits kann ich nicht glauben, denn eben finde ich auch in einem ſehr leſenswerten Artikel von Karl Jentſch uͤber die Polenpolitik den Satz: „Daß der Germaniſierungsverſuch voͤllig geſcheitert iſt und alle dahin ge— richteten Beſtrebungen ausſichtslos ſind, bekennt auch Herr Witting, der zudem den Mißbrauch der Schule fuͤr politiſche Zwecke als einen Frevel brandmarkt.“ Dieſer Artikel ſteht in „Der Zukunft“ (4. Oktober 1913), die von dem Bruder Herrn Wittings, Herrn Harden herausgegeben wird, und es iſt wohl kaum anzunehmen, daß Harden eine voͤllige Um— kehrung der Anſichten ſeines Bruders in ſeiner Zeitſchrift haͤtte durchgehen laſſen. Jedenfalls ſieht auch Herr Witting auf die Erfolge unſerer Oſt— markenpolitik mit ſolchem Zweifel, daß er den Vorſchlag einer großen Enquete gemacht hat, einen Vorſchlag, den ich nur billigen kann.

162 Die deutſche Schule

der Wortſchatz der Kinder ſo klein, daß es wirklich möglich iſt: ſie lernen deutſch. Die deutſchen Kinder aber lernen ſo gut wie gar nichts, da zunächſt einmal die Polen ſo weit gebracht werden müſſen, mit den Deutſchen dem Unterricht folgen zu können. Wenn die Kinder aus der Schule kommen, ſind die deutſchen dumm geblieben, die Polen haben wohl einiges gelernt, ſind aber zugleich erfüllt von der bitteren Erfahrung der Fremdherrſchaft, denn eine tiefere Kränkung des Nationalbewußtſeins gibt es ja gar nicht, fragen Sie darüber unſere Landsleute in Ungarn und Rußland —, als wenn eine Schulſprache erzwungen wird, die nicht die Sprache von Vater und Mutter iſt. Die Polenkinder ſind alſo erſtens mit Nachhilfe des Beichtvaters alle zu polniſchen Patrioten erzogen. Zweitens, kommen ſie aus der Schule, ſo haben ſie ſo viel gelernt, um allenthalben die Deutſchen zurückzudrängen. Denn der Zweiſprachige iſt ja immer ſtärker als der Einſprachige. Jeder Krämer, der einen Lehrling für ſeinen Laden braucht, muß einen ſuchen, der beide Sprachen kann, und ſelbſt in dem kleinen Beamten— tum braucht man Anwärter, die mit den Leuten, die nicht deutſch ſprechen können, ſich zu verſtändigen vermögen. Das Aufzwingen der Sprache hat ſich alſo nicht als ein Mittel erwieſen, die polniſche Bevölkerung dem Deutſchtum zuzu— führen, ſondern im Gegenteil, ſie auszuſtatten mit Kräften, um dies deſto intenſiver zu bekämpfen. Das Aufzwingen der deutſchen Volksſchule iſt echte und rechte Bureaukraten⸗ Politik, die ſich einbildet, mit ihrem Reglement alles machen zu können, was ſie ſich vorſetzt, dieſer Beamtenhochmut, der gar nicht ſieht, daß es auch noch andere Kräfte gibt auf der Welt, die ſtärker ſind als die ſeinigen. Der eigent— liche Schöpfer dieſer Volksſchulpolitik war ein Miniſterial⸗ direktor im Kultusminiſterium, Kügler, einer der befähigtſten

in den Oſtmarken. 163

Beamten, die Preußen gehabt hat, und ein hochſtrebender, aufgeklärter Mann. Mit welcher Sicherheit hat er mir, als ich ſchon damals meine Einwendungen ausſprach, zuge— ſchworen, ich ſolle ihm und ſeiner Erfahrung vertrauen, wenn man nur feſt bleibe, werde man mit Hilfe der Volks— ſchule die Polen deutſch machen! Wo ſind, nachdem das Syſtem nunmehr eine Generation in Wirkung geweſen iſt, die germaniſierten Polenkinder? Ein Gymnaſiallehrer in Poſen ſagte mir einmal, ſein Beruf ſei wirklich tragiſch, denn je mehr er das Gefühl habe, Erfolg zu haben bei ſeinen polniſchen Schülern, deſto mehr habe er auch das Bewußtſein, Feinde des eigenen Volkstums heranzuziehen und ſie mit Kräften zur Bekämpfung dieſes Volkstums aus— zuſtatten. Wie kann es anders ſein? Dieſe Methode, durch die Schule germanifieren zu wollen übrigens wird fie amtlich geleugnet; das wolle man gar nicht, man lehre nur die Polen das Deutſche, weil ſie in einem deutſchen Staate lebten alſo dieſe Methode, durch die Schule einen Aus— gleich der Nationalitäten herbeizuführen, iſt ein rechtes Zeug— nis für jene Eigenſchaften der Bureaukratie, die ich vorhin geſchildert, und in der Provinz Poſen iſt auch nur eine Stimme darüber, wie unermeßlich dieſe deutſche Volksſchule das Deutſchtum ſchädigt“). Aber nun verlangen Sie mal von unſeren Lande, Schul-, Regierungs- oder Geheimen Räten, daß fie zugeſtehen, ſeit 25 Jahren etwas Verkehrtes ge— macht zu haben, um es nun zu ändern. Das iſt gerade, wie wenn man von den Sozialdemokraten verlangt, daß ſie Militärausgaben bewilligen ſollen!

) Sehr gut iſt dieſe verderbliche Wirkung der deutſchen Volksſchule dargelegt in dem Buche „Von einem unbekannten Volk in Deutſchland“ von Ernſt Seefried Gulgowski. Mit einem Geleitwort von Heinr. Sohnrey, 1911. Vgl. Preuß. Jahrbuͤch. Bd. 143 S. 374.

Beamtentum.

164 Die deutfchen Beamten und Offiziere.

Der Germaniſierung der Volksſchule parallel ging die allmähliche Germanifierung des ganzen höheren Beamten: ſtandes. Während früher im höheren Beamtenſtand, auch im Offizierkorps, zahlreiche Polen waren, ſind ſie allmählich ſo gut wie ganz daraus verſchwunden. Was iſt die Folge davon geweſen? Den Polen iſt eine Menge leidlich bezahlter Poſten nicht mehr recht zugänglich; aber in Wirklichkeit haben wir ihnen, wie man es ausdrücken kann, die Staatslaſt abgenommen. Machen wir uns das an einem Beiſpiel klar. Stellen wir uns zwei Ritterguts— beſitzer vor, einen deutſchen und einen polniſchen; ſie ſind Nachbarn, von demſelben Wohlſtand, beide haben drei Söhne. Bei dem deutſchen übernimmt einmal der ältefte das Gut, der zweite wird Regierungs- oder Gerichts— aſſeſſor, der dritte wird Offizier; die Töchter verheiraten ſich dementſprechend. Der Vater iſt belaftet bis an fein Ende mit hohen jährlichen Zulagen, und wenn einmal geteilt wird, muß der Erbe große Hypotheken aufnehmen. Bei dem Polen ift es fo: der eine Sohn bekommt das Gut, der zweite ver- waltet die Brennerei, Zucker- oder Stärkefabrik oder was fonft Techniſches auf dem Gute iſt, der dritte geht in die Stadt und wird dort Kaufmann oder Direktor einer landwirtſchaftlichen Genoſſenſchaft; die Töchter verheiraten ſich dementſprechend. In der nächſten Generation iſt die größte Wahrſcheinlichkeit, daß der Deutſche in der Lage iſt, ſein Gut verkaufen zu müſſen, und der Pole in der Lage, es zu kaufen. Der Staatsdienſt iſt bei aller Ehre, die er bringt, eine Laſt. Er wird doch nur ſehr mäßig bezahlt, ſo daß bei Familien, die ihre Söhne dorthin geben und ihre Töchter in dieſe Kreiſe verheiraten, das Vermögen, wenn welches vorhanden war, allmählich verbraucht zu werden pflegt. Diejenigen Schichten des Volkes, die ſich ausſchließlich dem Wirtſchaftsleben

Kolonifation in den Oſtmarken. 165

widmen, profperieren am meiften, und auf dieſes haben wir die Polen gezwungen, ſich zu konzentrieren: ein weſentliches Moment, warum der Reichtum in den polniſchen höheren Ständen in der letzten Generation ſo außerordentlich ge— wachſen iſt.

Nun das Hauptmittel der Germaniſierung der Oſtmarken, die deutſche Bauernanſiedelung. Wir haben da im ganzen über 120000 deutſche Bauern (Seelenzahl) angeſiedelt und dadurch ein wirklich bedeutendes Stück Deutſchtum geſchaffen. Ja es iſt ſogar den Polen durch ein eigenes Geſetz ſehr erſchwert, ſich ſelber in ihrer Heimat anzuſiedeln. Kauft ein Pole ein Stück Land und will ein Haus bauen, ſo kann es ihm verboten werden. Dieſes ſo tief in das Privat— eigentum eingreifende Ausnahmegeſetz iſt wirklich in ſeiner ganzen Härte ſehr oft angewendet worden. Trotzdem haben die Polen ſo viel deutſchen Grundbeſitz erworben, daß die ganze ſtaatliche Koloniſation dadurch wieder wettgemacht iſt, ja die Polen ſogar noch gewonnen haben ſollen. Gerade der Druck, der die Polen gezwungen hat, ſich dem Wirt— ſchaftsleben zuzuwenden, hat die „polniſche Wirtſchaft“ ver: ſchwinden machen, und von der ungeheuren Menge Geld, die über die Provinz ausgeſtreut worden, iſt auch ein großer Teil den polniſchen Familien zugute gekommen. Einer der Führer des Oſtmarkenvereins ſagte einmal von Poſen ſehr richtig: „Wenn dort die Sonne ſcheint, ſcheint ſie immer über einen Deutſchen und zwei Polen.“ Die Polen haben von der künſtlichen Hochtreibung der Preiſe für Grund und Boden den größten Vorteil gehabt, und namentlich iſt der Überſchuß der beſſeren polniſchen ländlichen Bevölkerung in die Städte gegangen, und als Gegenwirkung gegen die Überziehung eines gewiſſen Teiles des Landes mit deutſchen Bauern ſind die Städte poloniſiert worden. Der Miniſter

Koloniſation.

166 Niedergang des Deutſchtums in den Städten.

v. Rheinbaben hat es einmal als Ideal aufgeſtellt, um alle Poſenſchen Städte einen Kranz deutſcher Bauerndörfer zu legen; dadurch würden die Städte germaniſiert werden. Wie ſtellt man ſich nun einen ſolchen Kranz vor? Die Provinz hat beinah 180 Städte. Wenn wir nun einen Kranz von einer Meile ringsherum nehmen, ſo ergibt das gegen 600 Quadratmeilen, das iſt mehr als die ganze Provinz, die nur 525 Quadratmeilen umfaßt. Ein Kranz um alle Städte, heißt alſo, die ganze Provinz mit deutſchen Bauern beſiedeln. Daß das helfen würde, iſt gar keine Frage. Man ſetzt ſämtliche Polen hinaus und Deutſche hinein. Wozu dann aber die umſtändliche Redeweiſe mit dem Kranz deutſcher Dörfer? In Wirklichkeit ſteht es gerade umge— kehrt, daß die deutſchen Dörfer die Polen in die Städte gedrängt und dieſe, die ehedem vorwiegend deutſch waren, poloniſiert haben.

In der Schicht der ſelbſtändigen Gewerbetreibenden der Pro= vinz haben die Deutſchen von 1895 ſchon bis 1907 um faſt 7% abgenommen, die Polen um faſt 6% zugenommen. Unter den ſelbſtändigen Handeltreibenden haben ſich die Polen um 46% vermehrt, die Deutſchen ſind um etwa 10% zuruͤckge— gangen. In der Hochburg des Deutſchtums, in Bromberg ſtellten die Polen im Jahre 1887 8% des Handswerks, heute 24,2%.

Man berufe ſich nicht darauf, daß dieſes große Koloni— ſationswerk, an ſich ein ſehr großes Kulturwerk, von Bismarck ausgegangen ſei, und ſich auf ſeine Autorität ſtütze. Ich erinnere Sie an jene Aufzeichnung von Kardorff, durch die feſtgelegt iſt, daß Bismarck durchaus innerlich dagegen ge— weſen iſt und nur, von den Parteien gezwungen, ſich dazu bereit gefunden hat. Auch ſpäter, bis an ſein Lebensende, hat er in einer Reihe von öffentlichen Außerungen die Anſiedlung immer als etwas ganz Verfehltes verworfen,

Das polniſche Nationalgefuͤhl. 167

ja ſogar die polniſchen Bauern als zuverläſſige preußiſche Untertanen in Schutz genommen!).

Alle die ungewollten Folgen der ſchlecht durchdachten Germaniſierungs-Maßregeln, der deutſchen Volksſchule, des deutſchen Beamtentums, der deutſchen Koloniſationen treffen nun in einem Brennpunkt zuſammen: der Aufreizung des polniſchen Nationalgefühls. Das polniſche Nationalgefühl war früher bekanntlich außerordentlich ſchwach und gelähmt durch den berüchtigten polniſchen Parteigeiſt. Die Maſſe des Volks, der Bauernſtand war völlig ſtumpf oder erfüllt von einer Art dumpfer Dankbarkeit gegen das preußiſche Koͤnigtum, dem es Befreiung aus der Hörigkeit und Eigen— tum verdankte. Heute iſt das alles ganz anders: der Partei— geiſt iſt unterdrückt, und in gefeſtetem Nationalbewußtſein hält das ganze Volk einmütig zuſammen. Was für ein Feld für geſchickte Agitatoren iſt die deutſche Koloniſation! Wie ſoll ſich der Bauer dem entziehen, wenn ihm geſagt wird: dem Deutſchen wird dieſe Wohltat gegeben; er be— kommt das Gut zum halben Wert von der Anſiedelungs— kommiſſion. Dein Vater hat auch 1866 für den König von Preußen mitgefochten, dein Onkel iſt in der Schlacht bei

) Ich habe die Beweiſe, daß Bismarck bis an ſein Lebensende die Bauernkoloniſation als Mittel der Germaniſierung der Oſtmark ver— worfen hat, zuſammengeſtellt im „Neuen Deutſchland“ vom 30. No— vember 1912. L. Raſchdau hat darauf erwidert mit einem laͤngeren Nachweis, daß Bismarck amtlich mehrfach fuͤr die Koloniſation ein— getreten ſei. Das bedurfte freilich keines Beweiſes, aber es ſoll ſchon öfter vorgekommen fein, daß ein Staatsmann amtlich anders ſpricht als privatim, und in dieſem Falle wiſſen wir ja aus der Aufzeichnung von Kardorffs (Bd. 140 d. Preußiſchen Jahrbuͤch. Seite 374), aus welchen taktiſchen Gründen Bismarck es in einem gewiſſen Moment für geraten hielt, die Koloniſation zuzulaſſen und amtliche Denkſchriften in dieſem Sinne anfertigen zu laſſen.

Polniſches Nationalgefühl.

Der Boykott.

168 Der Boykott.

Wörth gefallen, du haft ſelber deine Zeit treulich gedient und biſt dennoch von der Gleichberechtigung, die doch in der Verfaſſung verbürgt iſt, ausgeſchloſſen; ja, wenn einer von euch ſich mit ſeinem Schweiß etwas erworben und erſpart hat, ein Ackerchen gekauft und ſich ein Haͤuschen darauf bauen will, ſo wird es ihm von der Regierung verboten. Nehmen Sie dazu die tägliche Reizung durch die Volks— ſchule, den peinlich empfundenen Zwang, vor Gericht und in der Verwaltung in fremder Sprache verhandeln zu müſſen, endlich den geiſtigen Rückhalt, den die katholiſche Kirche dem Polentum gewährt, ſo wird keine Verwunderung mehr dar— über ftatthaben, weshalb die Polen nicht nur eine fo ſtarke Defenſivkraft, ſondern ſogar Offenſivkraft zeigen.

Die Offenſive beſteht in dem ſog. wirtſchaftlichen Boykott, der die deutſchen Geſchäftsleute und Handwerker brotlos macht und aus dem Lande treibt. Dieſer Boykott iſt be— reits ſehr alt, aber ſeine volle Kraft hat er erſt als Gegen— zug gegen den Hakatismus in der letzten Generation ge— wonnen. Hausfrauen gehen im allgemeinen dahin, wo ſie glauben am beſten und billigſten kaufen zu können, und kümmern ſich nicht um Politik und Partei. Es gehörte die täglich erneute Reizung des Nationalitätenkampfes dazu, um das Wort „Jeder zu den Seinen“ zur Wahrheit werden zu laſſen. Dabei find die Deutſchen naturgemäß unterlegen; ſie ſind die Minderzahl und ſaßen an der Stelle, die an— gegriffen wurde, in den ſtädtiſchen Gewerben. Der Boykott ſchafft dem wachſenden polniſchen Wohlſtand, der wirtſchaft— lichen Betriebſamkeit, dem Zug vom Lande in die Stadt die Möglichkeit der Ausbreitung und Feſtſetzung, die Kund— ſchaft, von der der Handwerksmann und der Krämer ſich nährt.

An alle ſolche Folgen hat unſere Bureaukraten-Politik,

Das Schloß in Poſen. 169

als fie den neuen Kurs in der Polen: Politik inaugurierte, nicht gedacht.

Von diefen großen Maßregeln wenden wir den Blick noch zu einer Reihe von kleineren, die auch ganz dieſelbe Kurzſichtigkeit der Bureaukratie zeigen.

Da hat man ein wundervolles Schloß in Poſen gebaut, ein Art Zwingburg, um den Polen immer vor Augen zu halten, daß ſie unter preußiſcher Herrſchaft ſeien. Nun iſt das Schloß fertig und könnte bezogen werden. Seine natürliche Beſtimmung wäre, daß ein preußiſcher Prinz in Poſen eine militäriſche Funktion übernähme und in dem Schloſſe wohnte. Aber in dem Augenblick, wo man über eine ſolche Möglichkeit in Erwägungen eingetreten iſt, haben die Hakatiſten ſich auch klar gemacht, daß ſie ſich damit ſelber ins Fleiſch ſchneiden würden. Ein junger preußiſcher Prinz und faſt mehr noch die Frau Prinzeſſin könnten doch nicht immer bloß mit den Exzellenzen-Damen und Herren der Regierung und Garniſon verkehren. Die natürliche Stellung eines Prinzen, der zeitweilig in einer Provinz reſi— diert, iſt, daß er mit den vornehmen eingeſeſſenen Familien in geſellſchaftliche Beziehungen tritt, mit den Herrſchaften auf den Schlöſſern, wo Jagden und Bälle gegeben werden. Das ſind in Poſen die großen polniſchen Adelsfamilien, die ihre berühmte Gaſtfreundſchaft pflegen, deren Töchter die beſten Tänzerinnen der Welt ſein wollen. Aber was wird aus dem Hakatismus, wenn ein Vertreter des Königs— hauſes mit den polniſchen Grafenfamilien ſolche Beziehungen pflegt? Entweder die Polen weigern ſich, überhaupt auf den Verkehr einzugehen, ſolange Geſetze beſtehen, die ſie von ihrer heimatlichen Scholle vertreiben ſollen, oder aber, wenn ſie es tun, ſo werden ſie damit einen Einfluß gewinnen, der die Durchführung der bisherigen Politik bald mehr und

Das Schloß.

Akademie und Bibliothek in Poſen.

170 Akademie und Bibliothek.

mehr abdämpfen wird. An ſolche Folgen hat unſere Oſt— markenpolitik nicht gedacht, als ſie die vielen Millionen für den Bau der Trutzburg in Poſen forderte und bewilligte.

Dann iſt in Poſen eine Akademie gegründet worden, und kann nicht leben und nicht ſterben. Einige Semeſter haben die Poſener Deutſchen die Vorleſungen, die ihnen geboten wurden, mit Vergnügen gehört. Jetzt iſt das Inter: eſſe erſchöpft, und die Profeſſoren haben keine Zuhörer. Eine Univerſität kann man aus der Akademie nicht machen; eine deutſche geht nicht, eine polniſche will man nicht. Schon der berühmte Miniſterialdirektor Dr. Althoff hat ſich vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, wie er dem verkrüppelten Ding zu irgendeinem vernünftigen Daſein verhelfen könne.

Da iſt außer der Akademie mitten in der Stadt eine herrliche Bibliothek errichtet worden, zu der einſt alle deutſchen Buchhändler im patriotiſchen Sinne ihre Verlags— werke zu ſtiften aufgefordert wurden. Wie oft aber kommt ein Gelehrter nach Poſen und fordert Bücher? Gewiß iſt in der Provinz und in der Haupſtadt immer auch ein ges wiſſer Gelehrtenbedarf; aber der Hauptvertrieb iſt doch, wie auch die amtlichen Berichte dartun, die moderne Belletriftif*), oder mit anderen Worten, wie die Poſener in mokantem Ton ſagen: „Es iſt die Leihbibliothek für unſere jungen Mädchen.“ Für ſolche Zwecke haben die preußiſchen Steuer— zahler Millionen und aber Millionen aufbringen müſſen, waͤhrend fuͤr die preußiſchen Univerſitaͤtsbibliotheken und ſelbſt fuͤr die Koͤnigliche Bibliothek in Berlin die wenigen

) Mir liegt der amtliche Bericht über das Jahr 1908 vor. Aus: geliehen wurden 27000 Bände wiſſenſchaftlicher Natur neben 69000 Baͤn⸗ den volkstuͤmlicher Natur, und dieſe 69000 Bände wurden hauptfächlich beſtritten mit nicht mehr als 5000 6000 Bänden der neueren Literatur.

Aufriß einer anderen Polenpolitik. 171

Hunderttauſende, die für die allerdringendſten wiſſenſchaft— lichen Beduͤrfniſſe von unſerer Gelehrtenwelt verlangt wurden, nicht zu beſchaffen waren.

Ein öſterreichiſcher Staatsmann hat einmal über gewiſſe öſterreichiſche Maßregeln geſagt, es ſei nächſt der Fabel der Zauberflöte die größte Dummheit der Weltgeſchichte. Wer weiß, wie zukünftige Staatsmänner dieſes Wort einmal variieren werden! Unſere Polenpolitik gleicht dem Manne, der ſchwimmen wollte und ſich dabei erſaͤufte, weil er die Schwimmblaſen an die Füße band, da er den Kopf ja ohnehin oben halte.

Da wir uns nun einmal ſo weit auf unſere Polen— politik eingelaſſen haben und zu dem Ergebnis gekommen ſind, daß ſie dem Deutſchtum nicht nur nichts genützt, ſondern trotz eines erheblichen Gewinnes durch die Bauern— anſiedelung, im ganzen genommen ſehr weſentlich geſchadet hat, ſo darf ich auch wohl nicht ganz die Frage umgehen, wie man es hätte anders machen ſollen.

Zunaͤchſt iſt ganz abzuweiſen der Satz: Da wir dieſe Polenpolitik einmal angefangen hätten, müßten wir ſie auch durchführen. Konſequenz ſei die Hauptſache, vor allem keinen Zickzackkurs. Das ift etwa ebenſo weiſe, wie wenn jemand einen Berg hinauffahren will, ſeinen Wagen aber immer weiter hinuntergleiten ſieht und ſich zuruft: „Nur immer weiter ſo endlich werden wir doch oben ankommen.“

Das Ziel einer richtigen Polenpolitik kann natürlich Aufriß einer niemals fein, was man nennt, die Polen zu verſöhnen. beſſeren Polen— Die Polen als Ganzes kann man niemals verſöhnen; ein 55 radikal nationaler Teil wird immer übrig bleiben, der ſich bewußt iſt, daß gerade der Kampf für das Polentum das Nützliche iſt, der deshalb unter allen Umſtänden weiter kämpft und immer wieder ſuchen wird, uns von neuem

Delbrück, Regierung und Volkswille. 12

172 Divide et impera.

in den Fehler des nationalen Kampfes hinein zu reizen und zu verlocken. Eine richtige deutſche Politik muß diefer Verſuchung widerſtehen und ftatt deſſen den Grundſatz „Divide et impera“ ins Auge faſſen. Indem man darauf verzichtet, die Polen als Ganzes ſowohl zu bekämpfen als auch zu gewinnen, muß man darauf ausgehen, Verhältniſſe zu ſchaffen, die das Entſtehen einer preußiſch-polniſchen Partei ermöglichen. Die Ausſichten für die Bildung einer ſolchen Partei unter unſeren Polen ſind auch heute noch nicht ſchlecht. Es braucht nicht jedem Volke beſchieden zu ſein, daß es einen großen Nationalſtaat bildet. Auch wir Deutſche haben ja dieſes Ziel inſofern nur teilweiſe erreicht, als ganz gewaltige Bruchteile unſeres Volkstums, in Öfter- reich und der Schweiz, außerhalb des Reichs bleiben müſſen und vermutlich für alle Zeiten bleiben werden. Realpolitiſch denkende Polen mögen ſich darein finden, daß ſie verſchiedenen Staatsweſen angehören, wenn ſie nur innerhalb der fremden Staatsweſen nicht in ihrer Nationalität und in ihrer Reli⸗ gion gekränkt werden“). Unſere Polen haben nirgends ein geſchloſſenes Gebiet, ſondern ſind mit ihren vier Millionen auf vier verſchiedene preußiſche Provinzen, unter etwa acht Millionen Deutſchen, verteilt. Entſtünde ein polniſches Nationalreich und ſuchte auch die preußiſchen Polen an ſich zu ziehen, fo wäre es geographiſch gezwungen, auch viele Millionen Deutſche mit hinein zu nehmen; mit anderen Worten: die Herſtellung eines ſolchen polniſchen National— reichs iſt nur denkbar unter der Vorausſetzung einer völligen Zerſtörung des deutſchen Reichs. Daß darauf keine Aus— ſicht iſt, ſehen auch ſehr viele Polen ein. Sie ſehen es

) In Oſterreich hat dieſer Gedanke die praktiſche Probe bereits beſtanden. Vergleiche den hoͤchſt inſtruktiven Aufſatz von E. Zwey— bruͤck, Zur oͤſterreichiſchen Polenpolitik. Preuß. Jahrb. Bd. 140 S. 115.

Die polnifchen Stände. 173

nicht nur ein, ſondern fie wünſchen die Zerſtörung gar nicht mal, da fie ja mit Hilfe der Ruſſen erfolgen müßte und ihnen die preußiſche Herrſchaft doch immer noch beſſer ſcheint als die Herrſchaft der ruſſiſchen Knute. Die Forderung, daß ſie ſich als Polen der deutſchen, d. h. der abendländiſchen Kultur anſchließen ſollen, iſt für ſie keineswegs eine kränkende Zumutung, ſondern etwas Selbſtverſtändliches; ſeit 1000 Jahren leben ſie darin. Sie wollen weder mit Moskowi— tismus noch Panſlawismus etwas zu tun haben.

Das polniſche Volk zerfällt in vier Stände, und von dieſen vier Ständen ſind drei von vornherein für ein ver— ſtändiges Zuſammenleben mit den Deutſchen disponiert. Da iſt der Adel, der ſich ſo ſehr danach ſehnt, wieder die Beziehungen zum Hofe aufnehmen zu können und ſeine Söhne wieder dem Offizierſtand zuzuführen. Zu Bismarcks Zeiten, als die Polen noch auf eine Herſtellung ihres Nationalreichs durch die Franzoſen hofften, hatte der Adel die Führung der ſeparatiſtiſchen Tendenzen. Heute, ſeit Frankreich ſich auf Gedeih und Verderb mit Rußland ver— bunden hat, iſt es gerade der Adel, der ſich ſo gern mit dem preußiſchen Staate ausſöhnte. Da iſt weiter die Geiſt— lichkeit, deren höchſter Glaubensſatz iſt, daß ſie zur latei— niſchen, weſtlichen Kirche und Kultur gehöre, und daß ihr böſeſter und gefährlichſter Feind und Verfolger die ruſſiſche Orthodoxie ſei. In Deutſchland ſpielt die katholiſche Kirche eine wir wiſſen es ja alle nur gar zu bedeutſame Rolle in der Regierung. Ganz natürlich, daß auch der polniſche Klerus ſich zu einem zu ſo großem Teil katholiſchen Reiche hingezogen fühlt. Endlich der Bauer ſieht, wie vor— trefflich in Deutſchland für alle agrariſchen Bedürfniſſe und Forderungen geſorgt iſt, und hat auch heute noch nicht ver— geſſen, wieviel er den preußiſchen Königen verdankt. Das

12°

174 Polen und Katholiken.

iſt ein Punkt, den auch Bismarck in ſeinen Reden immer wieder betont hat und weshalb er die Koloniſation in Poſen eigentlich nicht gewollt, ſondern ihr nur mit innerem Wider— ſtreben zugeſtimmt hat. Der vierte polniſche Stand iſt der erſt in unſeren Tagen aufgeblühte und gerade ver— möge unſerer falſchen Politik zur Entfaltung gebrachte bürgerliche Mittelſtand, und dieſer bildet den wirklich unver— ſöhnlichen Teil des polniſchen Volkstums. Er lebt davon, daß er den deutſchen Bürger aus der Provinz verdrängt. Ihn zu gewinnen, wird wohl für alle Zeiten ausſichts— los ſein.

Auch die verſöhnten Polen bleiben natürlich in der Idee, wie wir es ausgedrückt haben, „Preußen auf Kündigung“. Das iſt nicht zu ändern, da ſie einmal keine Deutſchen ſind, und es kein Mittel gibt, ſie zu Deutſchen zu machen. Es kommt nur darauf an, eine Politik zu verfolgen, die die ideell mögliche Kündigung niemals zu einer faktiſchen werden läßt. Alle Wahrſcheinlichkeit ſpricht dafür, daß es ſo kommen wird. Auch im Kulturkampf wurden wir immer wieder darauf hingewieſen, daß unſere Fatholifchen Mitbürger keine zuverläſſigen Staatsbürger ſeien, da ja nach ihrem Dogma der Papſt ſie in jedem Augenblick vom Eide der Treue entbinden könne. Das iſt ideell vollkommen richtig; das Dogma beſteht. Aber die Wahrſcheinlichkeit, daß der Papſt jemals von der Befugnis bei uns Gebrauch machen werde, iſt ſo gering, daß kaum jemand überhaupt noch daran denkt, und die einſt auf Grund ihrer kirchlichen Anſchauungen als „Reichsfeinde“ verfolgten Anhänger des Zentrums ſtehen heute im Zentrum der gouvernementalen Parteien geſchart um die Regierung.

Die hakatiſtiſche Politik hat dem Deutſchtum in Poſen ſchwere Wunden geſchlagen; ſie hat es numeriſch geſchwächt

Polen und auswärtige Politik. 173

und das Polentum geſtärkt; fie hat das Deutſchtum auch der Hatatismus moraliſch ſchwer geſchädigt, da, was es davon noch in 11 den Oſtmarken gibt, zum nicht geringen Teil aus Perſön— f lichkeiten beſteht, die nach nationalen Trinkgeldern ſchnappen

und die unlauterſten Mittel anwenden, um ſich ihren Grund—

beſitz möglichſt teuer von der Anſiedelungs-Kommiſſion ab—

kaufen zu laſſen, und dann die Provinz zu verlaſſen. Die hakatiſtiſche Politik hat uns endlich auch im Auslande außerordentlich geſchädigt. Es iſt von hoher Bedeutung

für jede auswärtige Politik, welches Anſehen ein Volk bei

den anderen großen Kulturvölkern genießt. Das deutſche

Volk iſt, darüber darf man ſich keiner Täuſchung hingeben,

von allen das unbeliebteſte, und es iſt keineswegs bloß der

Neid der anderen Völker, wie man ſich gern entſchuldigt,

der ſie ſo ſcheel auf uns ſehen läßt. Es iſt zum nicht ge—

ringen Teil unſere falſche Nationalitätenpolitik, die uns allenthalben ſo verhaßt gemacht hat. Die Polen und Dänen

haben mit Eifer dafür geſorgt, daß jede einzelne Härte, die vorgekommen, durch die ganze Welt getragen worden iſt.

Immer wieder haben ſie bis nach Amerika hin gegen den barbariſchen preußiſchen Polizeiſtaat gehetzt und aufs Sorg—

ſamſte verſchwiegen, wieviel ſie uns trotz allem doch auch

verdanken.

Der Schade, der uns ſo nach allen Richtungen durch die falſche Politik zugefügt worden iſt, iſt unabſehbar und wird niemals wieder ganz ausgeglichen werden können. Trotzdem möchte ich es doch nicht ſchlechthin bedauern, daß der Verſuch, die fremden eingeſprengten Nationalitäten mit Gewalt niederzuhalten und fie womöglich zu germaniſieren, einmal gemacht worden iſt. Denn auch, wenn man ein— mal zu einer vernünftigen Politik gelangt, ſo wird darum der nationale Streit, wie ich ſchon ſagte, niemals ganz

176 Fortdauer des Kampfes.

aufhören. Immer wird es Unverſöhnliche geben, die weiter kämpfen, und dann wird auch immer wieder die Forderung erhoben werden, es einmal mit Gewaltmaßregeln im großen Stil zu verſuchen. Wenn man es ſo theoretiſch anſieht, müßte man ja meinen, dem preußiſchen Staat mit ſeinen unge— heuren Mitteln könnte es ſchließlich nicht fehlen, die fremden Fragmente ins Deutſchtum überzuführen. Darum mußte einmal der praktiſche Verſuch gemacht werden und mag nun meinetwegen ſo lange dauern, bis auch der Unbe— kehrbarſte eingeſehen hat, daß dieſe Politik keinen Erfolg gehabt, daß ſie Fiasko gemacht hat. Das ſichert uns dann wenigſtens für die Zukunft vor der Wiederkehr ſolcher un— ſeligen Experimente, wie wir fie nun dieſe 25 Jahre erlebt haben.

Ich habe dieſes Kapitel der Polenpolitik etwas breiter ausgeführt, erſtens weil es mir beſonders am Herzen liegt, wo ſich eine Gelegenheit dazu bietet, das deutſche Volk immer von neuem darauf hinzuweiſen, wie ſehr es ſich hier gegen ſein eigenes Wohl verſündigt hat. Seit dem Jahre 1887 habe ich dieſer Politik widerſprochen, ihre Er— folgloſigkeit und ihre unglückſeligen Rückwirkungen voraus— geſehen und vorausgeſagt, und mancher gute Patriot hat ſich gewundert, daß gerade eine Zeitſchrift, die ſich die „Preußiſchen Jahrbücher“ nenne, einer ſolchen, wie die guten Leute glaubten, echt preußiſchen und echt deutſchen Politik widerſpreche. Jetzt greift ja die Anſicht, daß man ſich auf einem Irrweg befunden, allmählich mehr und mehr um ſich “).

*) Namentlich in den Oſtmarken ſelbſt hat die große Mehrzahl der Deutſchen das laͤngſt eingeſehen. Als Zeugnis diene ein von einem eifrigen

Hakatiſten geſchriebener Artikel in den „Grenzboten“ (1913; 3. Quartal S. 357): „Jedem Kenner der poſenſchen und oſtmaͤrkiſchen Verhaͤltniſſe

Hakatismus und Bureaukratie. 177

Ich bin aber noch aus dem zweiten Grunde auf die

Nationalitätenpolitik eingegangen, weil ſie ja weſentlich Bureaukratenpolitik iſt, und ich zeigen mußte, wo die Grenzen für die Leiſtungen auch der beſten Beamtenpolitik liegen. Faſt der Hauptgegenſtand dieſer meiner Vorleſung iſt es ja, die Verdienſte unſeres Beamtentums als des eigentlichen Trägers der Staatsidee ins rechte Licht zu ſtellen. Aber auch ein Verherrlicher braucht darum kein blinder Lobredner zu ſein, und ſo iſt es nichts anderes als die Wahrheit, die mich zwang, auch den ſchwachen und wohl ſchwächſten Teil in der politiſchen Geſchichte unſeres Beamtentums mit in meine Betrachtungen hineinzuziehen.

Nachdem wir uns nunmehr dieſer unerfreulichen Auf— gabe entledigt haben, gehen wir über zu der abſchließenden prinzipiellen Vergleichung der Vorteile unſeres, wie ich es genannt habe, dualiſtiſchen Regierungsſyſtems mit den parlamentariſchen Syſtemen.

Vergegenwärtigen wir uns zunächſt, daß fie ſich in ge- Verſteckte wiſſer Beziehung viel näher ſtehen, als es auf den erben e 5 Blick erſcheint. Wir haben in Deutſchland den Dualismus, moniſtiſchen beruhend auf dem Zuſammenwirken, wie ich es aus- taats-Syſteme. gedrückt habe, einer organiſierten politiſchen Intelligenz mit den breiten Schichten des Volkes, die im Reichstag vertreten ſind. Drüben in Frankreich, Amerika, England haben wir den Aberglauben, daß das Volk ſich ſelbſt

iſt es bekannt, daß hinter dieſer Politik in den Anſiedelungsprovinzen im weſentlichen nur eine Anzahl von Beamten und Lehrern mit ihrem Anhang ſowie ganz wenige Großgrundbeſitzer und Angehoͤrige der freien Berufe ſtehen. Dieſe Kreiſe hat der Oſtmarkenverein zu einer ziemlich einflußreichen Drganifation zuſammengefaßt. Die Mehrzahl aber der eingeſeſſenen deutſchen Landwirte, Gewerbetreibenden, Arzte und Anwaͤlte ſteht dieſer Politik leider mit Mißtrauen gegenuͤber.“

Fehler der Partei⸗ regierungen.

178 Berufspolitiker huͤben und druͤben.

regiere, ausgekehrt, die einſt ſo viel gerühmte Regierung mit dem Volk, für das Volk, durch das Volk (nach einem Ausdruck des Präſidenten Lincoln), und haben uns ſtatt deſſen klar gemacht, daß auch dort gewiſſe Korpora— ationen von Politikern regieren, die ſich tatſächlich ſelbſt ergänzen, indem ſie dabei mit breiten Schichten des Volkes Fühlung halten. Der Unterſchied iſt alſo, daß es bei uns eine geſchloſſene Körperſchaft unter monarchiſcher Spitze iſt und drüben freie, hiſtoriſch gebildete Gruppen, die in der Regierung miteinander abwechſeln“); in England und Amerika im weſentlichen nur zwei, in Frankreich ſehr viele. Die Folge iſt, daß das individuelle Wollen und Mögen im engliſchen und amerikaniſchen Parlamentsleben überaus beſchränkt iſt. Man muß entweder in die eine oder in die andere Gruppe hinein. Als ein amerikaniſcher Politiker einmal einem Wähler abraten wollte, doch nicht ſo blind ſeinen gedruckten Wahlzettel abzugeben, es könne ja der Teufel drauf ſtehen, antwortete der Mann: „Auch dann gebe ich ihn ab.“ So muß man ſich drüben unter allen Um: ſtaͤnden zu ſeiner Partei halten, in Frankreich freilich nicht ganz jo ſtreng wie in Amerika oder England. Denn bei der Viel— heit der Parteien hat die Individualität dort einen größeren Spielraum. Aber dieſe Vielheit iſt ja auch das Verderben. Sie bringt den Mangel an Stabilität in die Regierung;

) Die Ahnlichkeit zwiſchen dem deutſchen und engliſchen Syſtem wird inſofern allmaͤhlich immer groͤßer, als auch druͤben das fachmaͤßig gebildete, außerhalb der Parteien ſtehende Beamtentum fortwährend zu⸗ nimmt. Im alten parlamentariſchen Staat wurden alle Beamtenſtellen einfach durch Patronage beſetzt; gegen heftigen Widerſtand, auch der Königin Viktoria, wurden ſtatt deſſen Examina eingeführt, 1855, wie bei uns, und auch beſoldete Beamte an Stelle von bloßen Ehren⸗ beamten geſchaffen. Graham Wallas, Human Nature in Polities p. 249 ff.

Verhältnis der Parteien zum Staat. 179

durch die leiſeſte Schwankung in der Volksſtimmung, durch jede Intrige des Führers einer Gruppe, wird das Land von einer Regierung zur anderen getrieben. Das iſt nur deshalb noch nicht ſo ſehr ſchädigend, weil die Parteien, die tatſächlich abwechſeln, ſich ſo ſehr nahe ſtehen. Der Unter— ſchied zwiſchen ihnen iſt manchmal kaum zu ſehen. Aber nichts deſtoweniger, die Unſicherheit bleibt.

Die Parteien ſind ja nicht bloß Teile des Volkes, ſo daß man, einfach alle Parteien zuſammenfaſſend, das Volk in feiner Geſamtheit hätte, ſondern jede Partei iſt eine Organiſation, erfüllt von einem beſonderen Geiſt, regiert von allgemeinen Prinzipien, die nicht unbedingt der Staats- idee untergeordnet ſind. Alle Parteien haben eine gewiſſe Verwandtſchaft und deshalb Sympathie mit ausländiſchen Parteien, die ähnlichen Ideen huldigen. Die Konſervativen in Deutſchland lieben naturgemäß die engliſchen Tories mehr als die Whigs, und bei manchen Parteien geht das ſo weit, daß ſie als international bezeichnet werden können oder ſich ſogar ſelbſt ſo nennen. Man ſpricht von einer ſchwarzen, roten und goldenen Internationale. Der Parteibegriff ſteht alſo ſtets in einer gewiſſen Spannung mit dem nationalen Begriff. Man ſpricht wohl bei uns von den „nationalen Parteien“, aber dieſer Begriff hat doch nur eine relative Wahrheit. Der einzelne Parteimann kann unbedingt national ſein, die Partei als ſolche hat immer ihr eigenes Intereſſe, was mit dem natio— nalen Intereſſe nicht unbedingt zuſammenfällt. Der Begriff der „nationalen Parteien“ in Deutſchland iſt deshalb auch ſehr unſicher abgegrenzt: manche rechnen das Zentrum und die Freiſinnigen dazu, manche nicht; manche behaupten, daß auch die meiſten Sozialdemokraten im Herzen ſehr gute Deutſche ſeien, und zuweilen behaupten dieſe es ſogar ſelber.

Weſen der Parteien.

180 Die Parteien in Öfterreich.

Es kann alſo nicht anders ſein, als daß jede Partei— regierung die Gefahr mit ſich bringt, daß der Staat nicht ganz nach ſeinem eigenen inneren Bedürfnis, ſondern nach einem in tiefſtem Grunde abweichenden regiert wird, und der Wechſel in dieſer Abweichung, indem er dieſen Fehler korrigiert, erzeugt doch gleichzeitig einen anderen und bringt dazu noch die Unſicherheit, die eben im Wechſel ſelber liegt.

Die höchſte Potenz dieſes Zwieſpalts zwiſchen der Partei— idee und der Staatsidee ſehen Sie jetzt in Oſterreich. Hier ſind die Parteien ſelbſt weſentlich nach Nationalitäten orientiert und die Folge iſt, daß ſie, ihre Idee über die Staatsidee ſtellend, die Staatsmaſchine ſelbſt zum Stillſtand gebracht haben. Hier hat das Syſtem der parlamentariſchen Partei— regierung in völligem Bankerott geendet und nur der Ab— ſolutismus, die monarchiſche Beamtenregierung kann den Staat retten.

Man laſſe ſich nicht durch den Ausdruck täuſchen, daß die Regierungen in England, Frankreich und Amerika wechſelten je nach der Entſcheidung des Volkes. Selbſt wenn bei Neuwahlen eine andere Majorität in der Kammer erſcheint, ſo iſt es nicht das Volk, das anders gewählt hat, ſondern ein kleiner Bruchteil, der von einer Seite zur anderen übergegangen iſt, und oft gewiß gar nicht einmal ein beſonders wertvoller Beſtandteil des Volkes.

Die Parteien ſelber find nichts Konftantes, fo daß es etwa zu allen Zeiten und bei allen Völkern eine liberale und eine konſervative Partei gegeben hätte oder geben müßte. Nur das äußerlich Formale, daß z. B. eine Partei erhalten, die andere etwas ändern will, wiederholt ſich naturgemäß immer wieder. Es hat aber auch ſtockkonſervativ demokratiſche Parteien gegeben, und die Jakobiner ſind in erſter Linie nicht ſowohl die Partei des ſtädtiſchen Proletariats, als die

Beamtentum und Sozialpolitik. 181

Patrioten⸗ und Kriegspartei bis zum äußerſten. Parteien ſind immer ſpezifiſche Produkte ihrer Zeit und ihres Volkes. Immer aber muß ihnen eine gewiſſe Einſeitigkeit in der Auffaſſung der Staatsaufgabe notwendig anhaften, ſonſt wären ſie keine Parteien, und das legt der von ihnen ge— leiteten Politik ſtarke Beſchränkungen auf.

Von allen dieſen Schwaͤchen und Einſeitigkeiten iſt das monarchiſche Regierungsſyſtem frei und das gibt ihm einen

Vorzüge des deutſchen Syſtems.

großen Vorſprung. Wie iſt es gekommen, daß Deutſchland in

der Sozialpolitik allen anderen Ländern ſoweit voraus geweſen iſt? Zuerſt natürlich, weil wir einen Staatsmann wie Bismarck hatten, der einen ſolchen Gedanken durchführen konnte, weiter aber, weil das Beamtentum in unſerem Staate einen Indifferenzpunkt bildet, weil der Beamte zwiſchen allen Ständen und Intereſſen ſteht und darauf angewieſen iſt, das Wohl des Ganzen im Auge zu haben. Dahin— gegen eine Partei kann nie unparteiiſch fein. Sie können in England, Amerika, Frankreich, die Dinge immer nur unter einem gewiſſen beſchränkten Geſichtspunkt anſehen und nicht ſo unbedingt unter dem Geſichtspunkt des Ganzen. Ohne eine Art von unparteiiſchem Schiedsrichtertum, wie es dem König und ſeinen Beamten zwiſchen den ſtreitenden Intereſſen der verſchiedenen Klaſſen naturgemäß innewohnt, iſt es kaum möglich, zu einer guten Sozialpolitik zu kommen. Dann gibt ja die Sozialpolitik auch eine gewiſſe Gewalt in die Hand der Regierung. Die kann man nicht in die Hand einer Partei geben. Wir ſehen das an einem der wichtigſten Punkte, dem Eiſenbahnſyſtem, der Frage der Staats- oder Privatbahnen. Das Staatsbahnſyſtem iſt nicht nur deshalb das beſſere, weil es den Gewinn aus den Bahnen der Geſamtheit zuführt und nicht in der Hand von einzelnen läßt, ſondern weil die Eiſenbahn eine große

Truſts.

182 Beamtentum und Eiſenbahnen.

wirtſchaftliche Macht iſt, eine ſo große, daß man das ganze Wirtſchaftsleben damit einigermaßen regulieren kann. Unſer Beamtentum ſteht unparteiiſch genug zwiſchen den verſchiedenen Intereſſen, zwiſchen Export und Import, Induſtrie, Handel und Landwirtſchaft, Oſten und Welten, Süden und Norden, um die Tarife verſtändig und gleichmäßig anzuwenden. England, Frankreich, Amerika können das Staatsbahnſyſtem nicht einführen, weil dann diejenige Partei, die die Eiſen— bahn in die Hand bekommt, ſich ſo befeſtigen würde, daß ſie gar nicht wieder zu ſtürzen wäre, jedenfalls einen unge— heuren Druck auf ihre Gegner ausüben würde. Wir haben jetzt in Deutſchland, durch unſer ausgebildetes Syſtem der Staatsverwaltung, etwa 1350000 Beamte, das iſt etwa der zehnte Teil der Zahl aller Reichstagswähler, deren wir im Jahre 1907 13 300000 gehabt haben. Alſo allein ſchon in ihrer Stimmenzahl werfen die Beamten ungeheuer viel in die Wagſchale. Aber noch viel bedeutender iſt die Beherrſchung des Wirtſchaftslebens, die das Beamtentum ausübt.

Das wird für die zukünftigen Generationen noch wichtiger werden als für die vergangenen. Es iſt ja ganz klar, daß ſich allenthalben die ungeheure Konzentration von wirt— ſchaftlicher Macht bildet, für die der Name „Truſt“ auf— gekommen iſt. In Amerika iſt man damit ſchon am weiteſten. Die Truſts beherrſchen nicht nur das Wirt— ſchaftsleben, ſondern durch ihr Geld auch in hohem Grade die Wahlen und die Volksvertretungen. Es iſt völlig hoffnungslos, gegen die Truſts zu kämpfen, alle Geſetze haben gar keinen Erfolg gehabt, ſo daß Präſident Rooſevelt ſchon das Programm aufgeſtellt hat, nicht gegen die Truſts zu kämpfen, ſondern zu verſuchen, ſie unter Staatskontrolle zu nehmen. Das läßt ſich aber in Staaten mit Partei⸗

Konfervativer Charakter des Beamtentums. 183

regiment nicht machen, weil man einer Partei eine ſo un— geheure Macht nicht anvertrauen kann. Wir hingegen brauchen vor den Truſts keine Furcht zu haben, obgleich ſich ja bei uns ſchon ſtarke Anſätze dazu bilden. Aber unſer Staat könnte ſchon durch ſeine Eiſenbahn, verbunden mit der Zollgeſetzgebung, einen ſo großen Druck ausüben, daß die Truſts nie eine ſo große Gewalt bei uns bekommen werden wie etwa in Amerika.

Vielleicht wendet man ein, es ſei eine Fiktion, daß unſer Beamtentum außerhalb der Parteien ſtehe; es ſei viel— mehr konſervativ. Daran iſt etwas Wahres. Ganz abgeſehen von dem naturgemäß konſervativem Zug, der dem Beamten— tum immer innewohnen muß, weil es berufen iſt, den Staat als ſolchen zu erhalten, wird das Konſervative gerade in unſerem Beamtentum noch durch zwei beſondere Motive verſtärkt: erſtens, daß unſer Staat ſich aus feudaliſtiſchen Verhältniſſen hiſtoriſch entwickelt hat und daher im Beamtentum eine Tradi— tion herrſcht, die den Zuſammenhang mit den reaktionären Mächten bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz abgeſtreift hat; zweitens infolge unſerer parlamentariſchen Einrichtungen, die die Regierung oft mehr, als ihr ſelbſt lieb iſt, darauf anweiſen, mit den konſervativen, agrariſchen und kirchlichen Kreiſen ſo gut wie möglich zu ſtehen, um ſich gegen den Anſturm der radikalen Demokratie zu behaupten. Inſofern hat wirklich unſer Beamtentum einen Zug von Parteinahme für alles Konſervative. Trotzdem iſt meine Charakteriſtik prinzipiell richtig, und der Beweis iſt, daß, wenn die Libe— ralen klagen, die Beamten ſeien grundfäglich konſervativ, die Konſervativen, zwar nicht ſo ſehr öffentlich, aber ſehr ſtark im ſtillen auf den Liberalismus der Beamten ſchelten. Schon der alte Marwitz hat ja immer von neuem ver— kündigt, die wahren Jakobiner ſeien nicht die Demagogen,

Das Konſer— vative des Be⸗ amtentums.

Vorteil einer Parteiregierung.

184 Geſamtleiſtung des Beamtentums.

ſondern dieſe ſäßen in der Kanzlei des Staatskanzlers. Was Marwitz jakobiniſch nannte, was auch der junge Bismarck in ſeiner feudalen Zeit noch häufig wütend „bonapartiſtiſch“ nannte, das iſt eben das, was wir das außerhalb der Parteien ſtehende Beamtentum nennen, und die moderne Probe auf dieſes Beamtentum iſt eben die Sozialpolitik.

überhaupt dürfte, wenn man die Leiſtungen der Geſetz— gebung ſeit der Begründung des deutſchen Reiches zu— ſammenſtellt, ſich ergeben, daß bei weitem das Meiſte und Beſte darin von der Regierung, vom Monarchen und vom Beamtentum ausgegangen iſt, oft nur mit Mühe beim Reichs— tag durchgeſetzt. Aber deſſen bloße Exiſtenz wirkte im höchſten Grade anregend und treibend auf die Regierung, und im einzelnen hat er auch viel verbeſſert und zuweilen auch ſelbſt gute Gedanken und Anregungen hervorgebracht.

Neben den ſehr ſchwerwiegenden Nachteilen hat das Parteiregierungsſyſtem auch einen Vorteil, den wir nicht über— ſehen wollen. Weil das ganze politiſche Weſen lockerer iſt als bei uns mit dem ſtreng hierarchiſchen Aufbau des Beamtentums, iſt es auch leichter möglich, daß politiſche Talente hochkommen. Das ſcheint ja nur für wenige wirklich bedeutend zu ſein, iſt aber doch für das geſamte öffentliche Leben eine ſehr wichtige Sache. Es iſt bei uns durch ein ſtrenges Beförderungsſyſtem im Beamtentum auch für den talentierten Mann unmöglich, in jungen Jahren, mit einer gewiſſen jugendlichen Friſche an die Spitze zu kommen. In allen parlamentariſchen Staaten iſt das viel eher möglich. Das iſt ein Vorzug, den ich ſehr hoch anrechne, der ganz gewiß hauptſächlich das Ver— dienſt hat, daß trotz der großen Mängel des Parteiregierungs— ſyſtems es doch noch immer das ſeinige leiſtet, ja ſogar gewiſſer Vorzüge vor dem unſrigen ſich rühmt.

Mängel der Parteiregierung. 185

Aber nun betrachten wir eins: Vor eine wirklich große Probe, in einen großen Konflikt, iſt noch keiner dieſer Staaten geſtellt worden. England hat die großen Kämpfe gegen das Frankreich des 18. Jahrhunderts unter dem alten ariſtokratiſchen Parlament durchgefochten. Das 19. Jahr— hundert hat nicht entfernt folche Anforderungen geſtellt wie das 18. bis zum Jahre 1815. Frankreich wartet noch immer auf die große Probe, die es einmal beſtehen ſoll.

Die Amerikaner haben, ſo ſtolz ſie auch auf ihre Ver— faſſung ſind, den großen Bürgerkrieg doch nicht vermeiden können, und wenn ſie in die imperialiſtiſche Politik einmal eintreten, ſie tun es ja immer noch zögernd dann iſt die Frage, ob dieſes Staatsweſen mit dem Mangel einer einheitlichen, ſicheren Spitze und eines unbedingt feſten Rückgrats ſolchen Aufgaben gewachſen ſein wird. Da können wir wieder auf den Vergleich mit dem alten Rom zurückgreifen. Rom iſt allen anderen Staaten überlegen geweſen, weil es in ſeiner Magiſtratur und ſeinem Senat den feſten Mittelpunkt der politiſchen Autorität und der politiſchen Tradition hatte, und daneben in der Demokratie das populäre Element, das dem Staate Saft und Kraft gibt. Auch die reine Demokratie kann zeitweilig eine gute auswärtige Politik machen, wenn gerade ein Mann von wirklicher Einſicht und Talent in die Leitung gekommen iſt. Aber große Politik auf die Dauer erfordert immer weite Vorbereitungen und häufig in hohem Maße die Tugend der Geduld. Und das beides iſt natürlich in Staaten, die in ſoviel höherem Maße auf die Popularität und auf die Zuſtimmung von größeren Maſſen angewieſen ſind, ſehr ſchwer zu erreichen, und gar bei irgendeinem Rückſchlag, den doch auch das Genie erlebt, iſt die Maſſe gar zu ſehr geneigt, die Schuld auf den leitenden Mann zu werfen und ihn

Parteiregierung und auswärtige Politik.

186 Die deutſche Verfaſſung von

zu beſeitigen. Die öffentliche Stimmung iſt ja heute bei uns mit großer Ungeduld erfüllt und will verzweifeln, ob überhaupt irgendwelche Ziele verfolgt werden. Nun iſt aber das eine ſicher, daß, wenn man ſolche Ziele wirklich hat, ſie darum doch nicht immer von heute auf morgen erfüllt werden können, daß dafür nicht bloß die Rüſtungen aus— reichen müſſen, ſondern daß vor allem der rechte Augen— blick abgewartet werden muß, und daß dieſe Politik leichter durchführbar iſt, wenn, wie bei der unſrigen, die Autorität an einer Stelle liegt, die die Dinge weit vorausſieht und nicht aller Welt mitteilt, das leuchtet ja ohne weiteres ein.

Ohne die Augen zu verſchließen vor den inneren Mängeln, die auch unſerem Regierungsſyſtem anhaften, muß ich doch ſagen, daß ich in ihm eine weit höhere und beſſere Form der politiſchen Geſtaltung ſehe als in irgendeinem anderen Staate der Gegenwart. Aber wohlgemerkt, immer indem beide Momente der Regierung anerkannt werden und ihr Recht ausüben. Die Anträge, welche von der Volksvertretung eingebracht werden, die Kontrolle, die das Volk ausübt, die Notwendigkeit, ſich vor der Volksvertretung zu rechtfertigen, mit ihr zu verhandeln, bald mit dieſem, bald mit jenem Teil ſich auseinanderzuſetzen, auch Kompromiſſe zu ſchließen, das Volk wenigſtens in ſeiner Mehrheit auf einen Punkt zuſammenzuführen, das macht die Eigentümlichkeit unſerer Kraft und gibt uns das ſichere Gefühl, daß unſerem Volke noch eine große Zukunft beſchieden iſt. Sonſt würde man ſich ja leicht auf den Gedanken zurückziehen können: das Beamtentum iſt die politiſche Intelligenz, ihm und dem König, der für ſich und ſeine Familie am beſten ſorgt, wenn er für das Wohl des Staates ſorgt, ihnen wollen wir uns anvertrauen. Aber die Rechnung würde nicht ſtimmen, weil die Organiſation der politiſchen Intelligenz

allen beſtehenden die befte. 187

im Beamtentum immer nur in einem gewiſſen Maße wirk— lich durchgeführt ſein kann, und der Monarch immer den zufälligen Schranken ſeiner Subjektivität unterliegt. Des— halb iſt der ſtete Antrieb und die Kontrolle der öffentlichen Meinung, ausgeprägt in den Wahlen der breiten Maſſen zu einer Volksvertretung unentbehrlich. Wollte man den Reichstag unterdrücken oder ihn durch gewaltſame Anderung des Wahlrechtes entſeelen, ſo würde das dem deutſchen Reich ebenſo zum Verderben gereichen, wie wenn der Reichs— tag die Befugniſſe einer ſogenannten parlamentariſchen Regierung gewönne. Wenn aber beide zuſammen wirken, Regierung und Reichstag, dann können ſie das höchſte er— reichen, mehr jedenfalls als die Staaten, die immer wieder darauf angewieſen ſind, bald dieſer bald jener Partei zu folgen, das heißt alſo die Politik nicht vom Standpunkt des Ganzen, ſondern vom Standpunkt eines Teiles des Ganzen zu treiben. Sieht man die deutſche Politik unter dieſem Geſichtspunkt, ſo ſieht man manches, was einen am Tage ärgert, mit viel größerem Gleichmut an. Gewiß, gegen Fehler ſind wir ebenſowenig geſchützt, wie irgend— ein anderes Volk. Es iſt nicht notwendig, daß immer gerade die Volksvertretung der Regierung hilft, Fehler zu vermeiden, im Gegenteil, ſie treibt ſie auch oft in Fehler hinein. Aber das Vermeiden von Fehlern iſt nicht das Entſcheidende. Das Entſcheidende für die Wirkſamkeit und die Erfolge einer Staatsverfaſſung iſt, daß die hiſtoriſch gebildeten Kräfte im Volke, indem ſie miteinander ringen, doch ſchließlich immer für den Staatszweck möglichſt umfaſſend zuſammenwirken. In je höherem Grade das erreicht wird, mit um ſo mehr Recht kann man ſagen, daß im Staatswillen, in der Regierung der Volkswille zum Ausdruck komme. Delbrück, Regierung und Volkswille. 13

Regiſter.

Abgeordnetenhaus, preußiſches. ͤKon— flikt 1861. 150. Dreiklaſſen⸗ wahlrecht 58. Staͤndiſches Element 126. Indirekte Wahl 38-39. Unſelbſtaͤndigkeit der Wahlmaͤnner 39. Feuer⸗ beſtattungsgeſetz 85. Finanz politik 143.

Abſolutismus und Reaktion 43. Der A. und fein Verhältnis zum Volk 44—45. Entftehung des Abſolutismus in der Neu: zeit 117—18. Verhältnis zum ſtehenden Heer 117-18. Sturz des A. in England, 119 bis 21, 123-26. A. in Oſter⸗ reich 122. In Preußen 55—57, 122. In Frankreich 122 26.

Achill als Anfuͤhrer 92. Als Ritter 97, 99.

Aedil in Rom, Anteil am Senat 105.

Amterkauf in Amerika 47—48. Schweiz 48.

Agrarier in Deutſchland. Ab⸗ neigung gegen die Flotte 33. Ihr Einfluß 153—56. Gegen: ſatz gegen die Sozialdemokraten 153—56.

Agrarkommunismus in Rom 94. —- In Urgermanien 149. Im ſozialdemokr. Zukunftsſtaat 149.

Akademie, Poſener 170.

Alemannen in Elſaß-Lothringen 2.

Alexander III. u. d. Papſtwahl 118.

Alldeutſche, ihre Stimmung 185 bis 86

Allgemeines Stimmrecht, Gedanke des, in Deutſchland 40. 58,

61-65, 147. England 13, 147. Frankreich, Italien, Belgien, Holland 147.

Allgemeine Wehrpflicht, Verhaͤltnis zum allg. Stimmrecht 57—59. In Preußen 45. 139. In Deutſchland 88. 148, nicht voll verwirklicht 150.

Altenſtein, Kultusminiſter 51.

Altersverſicherung, Deutſche 35.

Altertum. Regierung und Volks⸗ wille 45, 88 112. Finanzieller und militärifcher Zuſammenbruch 114-15.

Althoff u. d. Poſener Akademie 170.

Amerika. Proporz21. Referendum 29. Indirekte Wahl 38—39. Bürgerkrieg 46. 185. Kor: ruption 46—48. 182, New Encyclopedia of Social Reform 46. Wahlmache 46—48. 133. 178. 182. Wahl: modus 7—8.— Wahlbeteiligung 8. Praͤſidentenwahl 7—8. Negerſtimmrecht 47. Truſts und Wahlen 47. 132. Richter: ftellen kaͤuflich 47. Veteranen: Fürforge und Korruption 48. Bauern weniger beftechlih als Städter 47. Prinzipielle Stel: lung des Parlaments z. Regierung 59, 126. Kaukus 71. Die fuͤhrenden Parteien 127. „Plutokratie“ 133. Parteidiſzi⸗ plin 178. Eiſenbahnen 181 bis 83. Verfaſſung und Imperialismus 185.

Analphabeten in Italien 16.

Regiſter.

Anfragen beim Miniſter im eng⸗ liſchen Parlament 75.

Anglikaner in England 120.

Anna, Koͤnigin von England 134.

Anſiedlungspolitik, Deutſche, unter den Polen 158 —59. 164-67. 174—75. Rheinbabens An: ſicht 166. Bismarcks Anſicht 159—61. 166 - 67. 174.

Antiſemiten. Verfaſſung fuͤr Elſaß⸗ Lothringen 85.

Araber als reine Waffe 4.

Arbeiterſchaft, Deutſche, und die Flotte 33—34. Soziale Geſetz⸗ gebung 34.

Arbeitgeber und Sozialpolitik 36.

Ariſtoteles uͤber Infanterie 99.

Armin, Groeben uͤber ihn (1812) 140.

Arndt, E. M., der Regierung miß⸗ liebig 53 54. Asquith und die Parlamentsreform 1911. 37. Athen. Volk autochthon? 4. Verfaſſung 88—92. Bürger: zahl und Gebiet 89. Eupatri⸗ dentum 96. Gottesgnadentum 96. Verfaſſung Drakons ge⸗ faͤlſcht 103. Bürgerrecht 107.

Attika, Umfang 89.

Aufloͤſung des Reichstags 1892. 150.

Aufruf „An mein Volk“ (1813) 9.

Augurien in Rom 96. 104 05.

Auſtralien, Referendum 31.

Babyloniſche Verbannung der Juden 103.

Bagehot uͤber Wahlen in Eng⸗ land 70.

Bankweſen und Landwirtſchaft 94.

Barbaroſſa, ſeine nationale Be⸗ deutung 42. Gegenſatz zu Alex⸗ ander III. 118.

Baſel, „Majorz“ u. „Proporz“ 21.

Bauernſtand in Deutſchland 153. Polen 173—74. Schweiz 49. Amerika 47. Im roͤmiſchen Reich 94. Modernes,

189 landwirtſchaftliches Verſiche⸗ rungsweſen 94.

Bayern (Stamm) im alten Reich 5.

Bazaine (1870) 139.

Bebel der Demagog 19. Flotten⸗ frage 34.

Belgien, Parlament und Regierung 59. 126. Kein allgemeines gleiches Stimmrecht 147.

Belloc und Chesterton, party system 69—70. Über Kor: tuption in England 73. Eng⸗ liſche Parteidiſziplin 75. Ber:

aͤltnis zwiſchen Wighs und ories 127.

Bennigſen, ſeine Laufbahn 67.

Beſitzſteuer in England 49.

Bibliotheken, preußiſche 170—71.— In Poſen 171.

Bierſteuer in England 83. In Deutſchland 145.

Bismarck. Sozialpolitik 84 —36, 62-64. 181. Schutzzollge⸗ ſetzgebung 62. Staͤndiſche Volksvertretung 39—40. Kaiſer Wilhelm I. 61. 64. Kaiſer Wilhelm II. 61-66. Neigung zu Rußland 64. B. u. d. oͤffentliche Meinung 146—47. Polenfrage 159 bis 61, 166-67, 174. Kardorff 15960. Über Bureaukratie 156. Über fortfchrittliches Beamtentum 183—84. Seine Kraft im Alter 64. Stellung zur Reichsverfaſſung 61—66. Zum allg. Stimmrecht 58. 61 bis 65. Staatsſtreichplaͤne 61 bis 66. Entlaſſung 60-66. Verhaͤltnis zum Reichstag 60 bis 66, 142-43. 146. 14950. Seine Entlaſſung u. d. Sozial⸗ demokraten, Freiſinnigen, Eugen Richter, Zentrum 61. Stellung zu den Konſervativen 61—63, den Freikonſervativen 159, den Sozial⸗ demokraten 61 66. 147, Zentrum 147, Freiſinnigen 147. 149— 50.

13*

190

Helldorf 61-63 80. Ge: burtstag 65.

Block, ſchwarzblauer, in Deutfch land 131.

Bluͤcher bei Auerſtaͤdt 45. Ver⸗ haͤltnis zu Hardenberg 51.

Bonapartes als jetzige franzoͤſiſche Praͤtendenten 128.

„Bonapartismus“ im Sinne Bis⸗ marcks 183— 84.

Bordeaux, franz. Nationalverſamm⸗ lung 1871 3.

„Boß“, Wahlmacher in Amerika 46.

Bouls (Athen) 90 92.

Bourbonen im gegenwaͤrtigen Frankreich 128.

Boyen, Verhaͤltnis zu Hardenberg 51

Boykott, Kampfmittel der Polen 168. Brandenburg, Graf, 1814 u. 1848

140. Brantweinmonopol in Deutſch⸗ land 144.

Braunſchweig, reingermaniſches Blut 3.

Braunſchweig, Herzog von (1806) 45.

Bremen, Geographiſche Lage 95.— Rede Wittings 161.

Breslau (1848) 140.

Bromberg, Zunahme der Polen 166.

Brotpreis in Deutſchland 15455.

Brunhilde (Merowingerin) 113.

Bryce, J. über amerik. Korruption47.

Buckingham, Herzog von 11.

Bülow, Fuͤrſt, und d. Reichstag 69. Sein „Block“ 150. Sein Ruͤcktritt 60. Polenfrage 161.

Bureaukratie ſiehe Beamtentum.

Buͤrgerrecht, atheniſches 107. Roͤmiſches 10709.

Bundesgenoſſenkrieg gegen Rom 109-10.

Bundesratsbeſchluß uͤber d. foͤde— rativen Charakter des Reichs (1884) 63.

Bundesſtaatlicher Reichs 63. 138.

Charakter des

Regiſter.

Burdett, Plan einer Parlaments⸗ reform 1809 14.

Burenkrieg u. d. engliſchen Steuern 83—84

Burgund, Kampf gegen die Schweiz im Mittelalter 98 —99. Heer: weſen 98-99.

Burke (1790) 13. uͤber Wahlen (1791) 70. Franzoͤſiſche Re⸗ volution 70.

Byzantinismus in der Sozialdemo⸗ kratie 79.

Caeſar uͤber germaniſche Fuͤrſten 92. Schöpfer der Caeſarengewalt 111. Über germaniſche Gefolg: ſchaft 137.

Caprivi in d. Flottenfrage 31—32 In der Oſtmarkenpolitik 32. Verhaͤltnis zum Reichstag 60. Zu den Freiſinnigen 65. 150 bis 52. Zweijaͤhrige Dienſt⸗ zeit 150.

Cato der Altere. Mittelſtands⸗ politik 102. Aus plebejiſchem Geſchlecht 106.

Caub (1814) 140.

Centuriateomitien in Rom 105.

Centurien in Rom, Unterabteilungen der Tribus 108.

Chambord, Graf v., franzoͤſiſcher Praͤtendent 128.

Chaplin geg. Wilſon unterlegen 7.

Chicago, Wahlbeſtechungen 4748.

en feine Staatsgruͤndung

1

112

Chlotar II. (Merowinger) 113. 116.

Cicero. „Imperium et augurium“ 105. Sein Bruder uͤber die Wahlen 109.

Claudius, Appius Cl. Pulcher (249 a. C.) 104—05.

Contrat social (Rouſſeau) 20.

Corfinium im Bundesgenoſſenktieg 109.

Crewe, Lord, u. d. Parlaments⸗ reform 1911 37.

Dänemark, Parlament u. Regierung 59. 126.

Regiſter.

ar 1. 157. Val. Polenpolitik 157—77. Die Dänen und Deutſchl. Ruf im Auslande 175.

Danzig faͤllt an Preußen 1815 52.

Darlehnsbanken u. Landwirtſchaft 94

Dauerreden 40.

Debs gegen Wilſon unterlegen 7.

Demagogenverfolgung in Preußen 3-59

Deutfche außerhalb des Reichs, in Oſterreich 1. 192. In Ungarn. In der Schweiz 1. 172. In Rußland und Amerika 1.

Deutſcher Bund, ſein Heerweſen 140-41.

Deutſches Reich. Raſſenmiſchung 3-4. Späte Einigung der Nation 5. Nation. Bedeutung d. Schriftſprache 5. National- verſammlung 1848 140 Heer⸗ weſen d. Deutſchen Bundes 140 bis 141. Reichsgruͤndung 53 bis 59. Dualiſtiſche Verfaſſung 66-68. 111—12. 126. 144. 177-87. Wo liegt d. Sou⸗ veraͤnitaͤt? 111. Das Kaiſer⸗ tum, militaͤriſch 136 141, be: ſonders 138. Bundesſtaatl. Charakter d. Reichs 127. 138. Gottesgnadentum 55—59. 66. 106—07.— Offizierkorps 66. 136 bis 41.—Unteroffizierkorps 136.— Beamtentum ſ. unter Preußen. Zahl der Beamten u. Zahl der Reichstagswaͤhler 182. Bis⸗ marck u. Reichsverfaſſung 61 —66. Bedeutung des allg. Stimm⸗ rechts fuͤr Deutſchland 58. 147. Allgem. Wehrpflicht 88. 148. Heeresvermehr. 1892 149-53. 1913 144. Konfeſſion. Spal⸗ tung u. Parteiweſen 130. (Vgl. „Kirche“ u. „Zentrum“.) Viel⸗ zahl der Parteien 130—31. Wahlmache 133. Wahlbetei: ligung 71—72. Veraltete

191

Wahlkreiseinteil. 154. Frauen⸗ ſtimmrecht 131—32. Reichs— tag ſiehe dort. Deutſchland als „zuruͤckgebliebener Polizei- u. Klaſſenſtaat“ 147—48. De: mokratiſche Elemente der Reichs verfaſſung 147 —48.— Verſamm⸗ lungs- und Vereinsrecht 147. Schulweſen 88. 147—48. Sozialpolitik 34 6. 147. 181.

183-84. Finanzpolitik 84. 14346. Schutzzollſyſtem 143. 15356. Zoͤlle und

innere Politik 183. Agrarier 153—56. Kolonialpolitik 31. Flottenfrage 31—34. Die Oppoſition und ihre Rolle 183. Das Großkapital u. feine politiſche Rolle 182 - 83. Preuß Polenpolitik 157 —77. Nationale Parteien 179.— Eiſen⸗ bahn 181—83. Volksſtimmg. 146 47. 185— 86. Deutſch⸗ lands Ruf im Ausland 175.

Deutſches Volk das unbeliebteſte 175.

Deutſch-franzoͤſiſcher Krieg 1870/71. Zuſammenbruch d franz Armee 136. Innere Politik Frankreichs 139 40. Eiſernes Kreuz 141.

Deutſch-Freiſinnige, ſ „Freiſinnige“.

Deutſchland, Werden der nationalen Idee 53—59.

Diaeten in Frankreich 22.

Difziplin und Ziviliſation 114—15.

Dohna, Graf (1848) 140.

Drakon, ſeine Verfaſſung gefaͤlſcht

103.

Dreijaͤhrige Dienſtzeit in Frankreich 129. In Deutſchland 150.

Dreiklaſſenwahlrecht in Preußen, ein Überreft ſtaͤndiſch. Weſens 126.

Drepana, Schlacht (249 a. C.) 104 bis 105.

Dualismus im alten Rom 103 bis 112. 142. 185. In der ſtaͤndiſchen Verfaſſung vom 7. bis 17. Jahrh. 114-19. In

192 Regiſter.

Deutſchland 66-68. 111-12. 126. 144. 17787. Geſamt⸗ kritik 17787.

Durham, Wahlkreis 15.

Dynaſtie, ihre Bedeutung in Rom 100. 111. 116-17. Franken⸗ reich 112-17. Frankreich bis 1789 122. England 119—21. Oſterreich 122. 140. Rußland 140. Preußen 122. 140. Kämpfe mit den Ständen in der teuzeit 117 - 18.

Edikt von Paris (614) 113-14.

Edinburg, Wahlrecht 11.

Einjaͤhrig⸗ Freiwillige in Frank⸗ reich 25.

Einkommenſteuer in England 49. 83—84.

Eiſenbahnfragen in Deutſchland, England, Frankreich, Amerika 181-83. Staatsbahnen oder Privatbahnen? 181—83.

Eiſernes Kreuz, uͤberlebende In— haber 141.

Elektoren in Amerika 39.

Elſaß⸗Lothringen. Stimmung der Bevoͤlkerung 1. Politiſche An⸗ ſpruͤche 2. Die neue Ver: faſſung 85.

Encyclopedia of Social Re- form 46.

England. Blutmiſchung im Volke 4. Parlamentariſches Vorbild fuͤr den Kontinent 13. Magna Charta 113. Parlament, Ge: ſchichte 10—15. 70-75. Entſtehung der gegenwaͤrtigen Verfaſſung 119—26. Sturz des Abſolutismus 119— 26. Legitimitaͤtsgedanke 119—21. Gottesgnadentum 120. Wil⸗ helm III. 120—24. Perſonal⸗ union mit Holland und Han⸗ nover 121. Das neue Koͤnig⸗ tum und ſeine Stellung zur Armee 133. Der Koͤnig und die Parlamentsreform von 1911. 37. Zur Wehrverfaſſung 88,

120-21, 133-35. Das Parlament verfuͤgt uͤber das Heer 135. Volkswohlfahrt und Volksſtimmung im 18. Jahr⸗ hundert 146. Montesquieu über England 121 —22. Das Oberhaus und ſeine Entwicklung im Verhaͤltnis zum Unterhaus 11. 13. 36 38. Jetziger Zuſtand 122. Wighs und Tories: Urſprung 119-20. Ihr Verhältnis zuein⸗ ander 12. 127. Ihre Stellung zum Referendum 36—38. Jetzige Sorgen der Tories 49. Ge: ſchichte d. Wahlrechts 10—15. Deſſen jetzige Ausdehnung 15. Jetziger Wahlmodus 70—75. Proporzgedanke 19—20. Gedanke d. allg. Stimmrechts 13. 147. Wahlbeteiligung 17. Korruption 11—14. 73-74; heute verſchwunden 49. Kau⸗ kus 72-74. Parlamentsreform von 1832 14-15. 122. Von 1867 15. 19. 127. Von 1872 u. 1884 15. Von 191137. 122 Suspenſives Veto 37. Obſtruktion 40. Parteidis⸗ ziplin 68. 71—75. 178. Inter⸗ pellationen und Anfragen beim Miniſter 75. Geſetzgeberiſche Leiſtungsfaͤhigkeit d. Parlaments 83-84. Macht d. Parl. 59. 86—88. Charakter d. Oppo⸗ ſition 153. Die neue Demo: kratie und ihre Fuͤhrer 19. 73 bis 75. Demokratie u. auswärtige Politik 49. Abaͤnderung des Kapitals, Enteignungspraxis, Niedergang d. Landwirtſchaft 49. Eiſenbahn 182. Kirche 120. Beamtentum 178. Steuern: Erbſchaftsſt. 33.49. Einkommenſt. 49. 83— 84. Beſitzſt. 49. Stem⸗ pelſt., Bierſt., Spiritusſt. 83. Teezoll, Zuckerzoll, Kohlenausfuhr⸗ zoll 83. Kampf geg. Frankreich bis z. franz. Revolution 12. 46. 123

Regiſter.

bis 124. Einwirkung d. franz. Revolution 13— 14. 46. 70. Napoleon 12. 46.

Enquete uͤber d. Polenfrage 161.

Enteignungspraxis in England 49.

Epidemiegeſetz in d. Schweiz 30.

Equites in Rom 97.

Erbrecht, fuͤrſtliches, ſiehe Dynaſtie.

Erbſchaftsſteuer in Deutſchland 33 bis 34. Buͤlows Ruͤcktritt ihret⸗ wegen 60. In England u. Frankreich 33.

Erbteilungen des Frankenreichs 116 bis 117.

Erfuxter Programm d. ſozialdemokr. Partei 149.

Erzherzog Johann als Reichsver⸗ weſer 140 —41.

us (1814), Haltung Wrangels 14

Etrusker, Verhältnis zu Rom 96 bis 97. 99.

Eugenie, Kaiſerin (1870) 139.

Fabrikarbeiter in d. Schweiz. 49

Faͤlſchungen hiſtor. Urkunden 103.

Faguet uͤber d. franz. Parlamen⸗ tarismus 24.

Fahrkartenſteuer i. Deutſchland 144.

Fasces in Rom 100.

Feudalkriegertum des Mittelalters 115-17.

Feuerbeſtattungsgeſetz u. d. Frak⸗ tionen in Preußen 85.

Feuerverſicherung, moderne 94.

Finanzieller Zuſammenbruch des Roͤmerreichs 115.

Finanzpolik, deutſche. Die Reform im Reichstags 84. Prinzi⸗ pien des Reichstags 14346. Preußen: Lex Huͤne 143.

Flottenfrage in Deutſchland 31 —34.

Fortſchrittspartei, ihr Aufgehen in d. Deutſch⸗Freiſinnigen 150.

Fraktionen. Ihre Anzahl in der franzöfifhen Kammer 129. Im norddeutſchen Reichstag von 1867 130. Im gegenwaͤrtigen Reichstag 43. 142. Bedeutung

193

der Vielzahl 130—31. Ihre Eigenart 141—56.

France, Anatole, uͤber die Depu⸗ tierten 22.

Franckenſtein und Sozialpolitik 36.

Franken in Elſaß⸗Lothringen 2. Im alten Reich 5.

Frankenreich 112 —17.

Frankenſtein, Klauſel 143.

Frankfurt. Nationalverſammlung (1848) 140.

Frankfurter Frieden i. J. 1871 2.

Frankfurter Zeitung uͤber engliſche Parteidiſziplin 75.

Frankreich. (Vgl. „Frankenreich “). uͤberblick uͤber die Entwicklung 122-26. Univerſales Macht: ſtreben im 17. Jahrh. 124— 25. Koͤnigtum 6768. Deſſen Untergang 123 26. Ne volution: König als Nepräfentant d. Volkswillens aufgefaßt 67 bis 68. Traͤger d. Revolution 124 bis 26. Haltung d. Armee 125. Antike Republiken als Vorbild 90. Einwirkung auf England 13 bis 14. 46. 70. Kaͤmpfe gegen England 12. 46. 123—24. Napoleon J. und III. ſiehe dort. Volksabſtimmungen fuͤr d. Bonapartes 8—9. Geſch. d. Wahlſyſtems 21. Indirekte Wahl 1789 38-39. Wahl: reformen von 1875. 1884. 1889 21. Proporzgedanke 21—28. Referendum 8—9. 28. Diaͤten 22. Soziale Stellung d. Deputierten 22. Parlamen⸗ tariſche Korruption 23—28. Allg. Stimmrecht 147. Prin⸗ zipielle Stellung der Kammer zur Regierung 59. Eigenart des franz. Parlamentarismus 129 bis 31. Parlamentarismus und Beamtenkarriere 66 67. Charakter der Oppoſition 153. Vielheit der Fraktionen in d. Kammer 129—31. Rolle dei

194

Monarchiſten 128 129. Jetzige Praͤtendenten 128. Parteidiſziplin 178. Wahlbe⸗ teiligung 8. Verſammlungs⸗ und Vereinsrecht 147. Die Demokratie u. ihre Fuͤhrer 75. Heerweſen: Dienſtzeit 25. 129. Einjaͤhrig⸗Freiwilligen⸗Inſtitut abgeſchafft 25. Die Kammer verfügt uͤber das Heer 135—36. Die letzten Kriegsminiſter 135. Das Heer in der Revolution 125. Unter Napoleon III. 139 bis 40. Eiſenbahn 181—83.— Erbſchaftsſteuer 33. Verhaͤlt⸗ nis zu Polen u. zu Rußl. 173.

Franzoſen als deutſche Reichsange⸗ hoͤrige 1. 157.

Frary, R., uͤber d. franzoͤſiſche De⸗ mokratie 79—80.

Frauen, ihre politiſche Rolle 6. uͤber ihr Stimmrecht Gompertz 13132. Deutſchland 131 bis 32. Italien 17.

Fredegunde (Merovingerin) 113.

Freihandel in Deutſchl. 153 —56.

Freiheit als volkstuͤml. Poſtulat

45 46.

Freiheit der Wiſſenſchaft in Deutſch⸗ land 76.

Freiheitskriege, Nachwirkung in Deutſchland 42. 57 —59. 141. Nachwirkung in Frankreich 136.— Die preuß. Armee 45. Ver⸗ haͤltnis zur Konſtitution 57—59.

Freikonſervative Partei. Stellung zu Bismarck 159 160. Feuerbeſtattung 85. Verfaſſung f. Elſaß⸗Lothrigen 85. Reichs⸗ verfaſſungsordnung 85.

Freiſinnige Partei und Sozialpolitik 36. Freihaͤndler 153 156. Unter Bismarck 147. 149 —50. Bei ſeiner Entlaſſung 61. Stellung zu Caprivi u. Hohen⸗ lohe 65. Feuerbeſtattung 85. Verfaſſung für Elſ.⸗Lothr. 85. Reichsverſicherungsordnung 85.

Regiſter.

Gegenwaͤrtige Stellung zur Regierung 147. Kriſe von 1892 149—153. Stellung zum Kaiſer 1892 152.

Friedrich I. König v. Preußen, als Kriegsherr 137.

Friedrich d. Gr., ſein abſolutes Regiment 44—45. 57. Über Infanterie 99. Als Kriegs⸗ herr 137.

Friedrich Wilhelm, d. Große Kur⸗ fürft unterſtuͤtzt Wilhelm III. von Oranien 124. Gruͤndet Armee und Beamtentum 137.

Friedrich Wilhelm J., ſein abſolutes Regiment 44. Als Kriegs: herr 137.

Friedrich Wilhelm III. 180613. 138. Nach 1815 50—58.— Kritik Hegels 55.

Friedrich Wilhelm IV., ſeine Re⸗ gierungsweiſe 56—57.

Frontbank, ihre Bedeutung in England 72. 75.

Fuͤrſtenrang im alten und neuen Deutſchen Reich 96.

Gefolgſchaft, germaniſche 137—38.

„Geheimrat“ nach d. Definition Bismarcks 156.

Geldwirtſchaft, Untergang der an⸗ tiken, 115.

Generalſtreik auf d. Parteitagen 79.

Gentz uͤber d. engl. Parlament 13.

Georg J. von England 121.

Germanen, Die alten. Ihre Fuͤr⸗ ſten 92. Urverfaſſung 113. Gefolgſchaft 137—38. Heerweſen 137—38. 149. Ver⸗ gleich mit dem ſozialdemokr. Zu⸗ kunftsſtaat 148—49. Agrar⸗ kommunismus, Geſetzgebung, Rechtſprechung, Fuͤrſtenwahl 149.

Germaniſches Blut in Deurſchl. 3.

Gewerlvereine, Verhältnis zur So: zialdemokratie 77 —79.

Gierke über d. Majoritaͤtsprinzip 18.

Giolitti und d. Wahlrecht 16 17.

Gneiſenau, ſeine nationale Be⸗

Regiſter.

deutung 42. Verhaͤltnis zu Hardenberg 51. Heeresreform 139. Im Jahre 1812 140.

Gneiſt uͤber engliſche Verfaſſung 70.

Goethe 42. 152.

Goldene Bulle (1356) 119.

Gompertz uͤber Frauenſtimmrecht 131-32.

Gottesgnadentum in Athen 96. Rom 96. 100. 101. 104 06. 112. England 120. Preußen⸗ Deutſchland 55—59. 66. 106 bis 107.

Grafenamt im Frankenreich 113 bis 114.

Griechenland. Handel 93. Heer⸗ weſen 138. Vgl. Athen, Sparta, Homer.

Griechiſch⸗Katholiſch, Gegenſatz gegen Roͤmiſch⸗Katholiſch 173.

Groeben, Graf (1812 u. 1848) 140.

Großer Kurfuͤrſt unterſtuͤtzt Wil⸗ helm III. von Oranien 124. Gruͤndet Armee und Beamten: tum 137.

Grote (Hiſtoriker) Vertreter des demokr. Gedankens 19 —20. Grundwertzuwachsſteuer in Deutſch⸗

land 144.

Guillotine 125.

Gutgowski über d. Polenfrage 163.

Haenel u. d. Heeresvorlage 1892 151.

Hagelverſicherung, moderne, 94.

Hagenbach, ProporzSpftem 21.

Hahn, Di., u. d. Flottenfrage 33.—

Hakatismus 157 —77.

Hakatiſtiſche Politik u. d. Ausland 175.

Hamburg, Proporz⸗Syſtem 21. 26. Geographiſche Lage 95.

Hammerſtein, Kriſis von 1892 151.

Handelspolitik u. Flotte in Deutſch⸗ land 33.

Hannover, reingermaniſches Blut 3. Perſonialunion mit Eng: land 121. 134.

Harden und die Polenfrage 161.

195

Hardenberg. Seine Bedeutung 51. Verhaͤltnis zu Scharnhorſt, Gnei⸗ ſenau, Bluͤcher, Boyen 51. Anteil an den Reformen 54. 57. Auf d. Wiener Kongreß 58.

Hare, Vertreter des Proporz⸗Ge⸗ dankens 20.

Hasbach, Moderne Demokratie 4

9. 68.

Hector als Anführer 92. Als „Ritter“ 97. 99. Gegen den Vogelflug als Omen 104.

Heereszahlen in der Geſchichte 80.

Heerweſen. Trojaniſcher Krieg 92 bis 93. 97. 99. 104. Perſer 9899. Griechen 99. 138. Athen 91. Sparta 96. Rom 92—112. 114—15. 138. Germanen 113. 137—38. 149. Frankenreich 114—77.— Lehnsweſen 115—17. 138. Stehendes Heer und feine Be⸗ ziehung zum Abſolutismus 117. bis 118. 137. Schweiz im Mittelalter 9899. Burgund 98—99. England 88. 120 bis 121. 133-35. Frankreich 25. 129. 135—36. 139—40. Holland 17. Jahrh. 123. Deutſcher Bund 140— 41. Deutſches Reich und Preußen 51—57. 66. 136—41. 143—53.

157.

Hegel uͤber den Volkswillen 41. Uber das preußiſche Koͤnigtum 55.

Heinrich J., Kaiſer 5.

Helldorf und Bismarck 61— 63. ermann (Armin), Groeben uͤber ihn (1812) 140.

Hermes, Freund E. Richters 151.

Herrenhaus in Preußen, ſein ſtaͤn⸗ diſcher Charakter 126.

Hippias, Tyrann von Athen 88.

Hiſtoriſche Urkunden, gefaͤlſchte 103.

Hochdeutſche Schriftſprache, ihre Bedeutung, 5.

Hoffmann von Fallersleben der Regierung mißliebig 54.

196

Hohenlohe (Reichskanzler) u. d. Flottenfrage 32. Verhaͤltnis zum Reichstag 60. Seine Memoiren uͤber Bismarck 62. Die Freiſinnigen 65.

Hohenzollern, die 1 der preuß. Koͤnigsmacht 1

Holland, ae Blut 5.

Perſonalunion mit England 121. Armee im ſpaͤteren 17. Jahrhundert 123. Parlament und Regierung 59. 126. Kein allgemein. gleiches Stimmrecht 147.

Homer, Odyſſee 93. Ilias 92 bis 93. 97. 99. Vogelflug. 104

Hondt, D', Proporz⸗Syſtem 21.

Huͤhner, heilige, d. Roͤmer 10405.

Huͤne, Lex 143.

Humboldt, Wilh. v., als Miniſter 51.

W und Landwirtſchaft

Jahwe Dienſ, Durchfuͤhrung bei den Juden 103.

Jakob II. von England. Sein Sturz 120-21. 123-24. 133. Ber: haͤltnis zu Frankreich 123—24.

Jakobiner 180. Nach Marwitz 183-84.

Japaner, Gefolgstreue 138.

„Idealſtaat“ 50—53.

Jellinek, G, Allgem. Staatslehre 68.

Jena u. Auerftädt. ie preußifche Armee 44—45. Überwindung der Folgen 138— 39. Ber: gleich mit Sedan 139-40.

Jena, Univerfität 76.

Jenks, Prof., über Korruption in Newyork 47.

Jentſch, K., uͤber d. Polenfrage 161.

Ilias 9293. 97. 99. 104.

Illinois, Korruption 47.

Indirekte Wahl 38—39.

Induſtrie und Flotte in Deutſch⸗ land 33.

Infanterie, Weſen der, 99.

Initiative zur Geſetzgebung aus dem Volk 31.

Regiſter.

Internationale, goldene 179.

Interpellation im engliſchen Par⸗ lament 75.

Interzeſſion in Rom 101.

Invalititaͤtsverſicherung, 35.

ſchwarze, rote,

Deutſche

Johann, 40 db, als Reichsver⸗ weſer 140—41.

Joſias, Koͤnig der Juden, fein Ge: ſetzbuch gefaͤlſcht 103.

Irland im Jahre 1793. 10

Isle de France, Herzland Frank: reichs 122.

Italieniſcher Krieg 1859, Leiſtungen der Franzoſen 136.

Italien, Geſchichte des Wahlrechts 15—17. Parlamentsreformen von 1882 u. 1913 16. Allg. Stimmrecht u. Frauenſtimmrecht 1913 abgelehnt 17. 147. An⸗ alphabeten 16. Erbliche Wahl⸗ ſitze 78. Koͤnigstum durch Volksabſtimmung gewaͤhlt 15 bis 16. Sein Verhaͤltnis zum Parlament 59 —60. 126.

Juden als reine Raſſe 4. Heilige Geſchichte 103. Faͤlſchungen ihrer Geſetzbuͤcher 103. Polen⸗ frage 159.

Kadavergehorſam in der Sozial⸗ demokratie 79.

Kaiſer, der deutſche, kann nicht Fuͤrſtenrang verleihen 96.

Kaiſertum, Deutſches, ſeine inner⸗ politiſche Stellung, militaͤriſche 136—41, beſonders 138. Geſamtkritik 177 87. Der: gleiche Dualismus, Deutſchland, Preußen.

Kaiſertum, roͤmiſches. Eigenart ſeiner Gewalt 111-12. Flle: gitimer Charakter 116-17.

Kantorowicz, Proporz⸗Syſtem 21.

Kapital. Abwanderung aus Eng⸗ land 49.

Kapitalismus in Rom 95—96.

. und Maſſenregierung 132

Regiſter.

bis 133. Seine innerpolitiſche Macht 132—33. Einfluß auf d. Parlamentarismus in Ame⸗ rika 18283. Kardorff, Verhaͤltnis zu Bismarck u. zur Polenfrage 159—160. Karl J. v. England, ſein Tod 18. Karl IV. Kaiſer, und d. Goldene Bulle 119.

Katholiken, Deutſche, ihre Stellung in der Nation 174 179.

Kaukus, Herkunft des Wortes 71.

Keltiſches Blut in Deutſchland 3.

Kirche u. Kultus. Roͤmiſches Reich 96. 101. 10406. Kirche u. Staat im Mittelalter 117. England 120. Gegenſatz der roͤmiſch⸗katholiſchen und griechifch- katholiſchen Kirche 173. Ka: tholizismus u. Polenfrage 162. 168. 173. Stellung zu Ruß⸗ land 173. Zu Deutfchland 173. Verhältnis zwiſchen Zentrum und kath Kirche 174. Einfluß d. Papſtes in Deutſch⸗ land 174. Kirche u. Maſſen⸗ regiment, die Kirche als innerpolitiſche Macht 132—33.

Kleiſthenes, Verfaſſung des, 89 bis 92.

Kleon nach Grotes Urteil 19.

Koalitionskriege, wer beginnt ſie? 124.

Kohlenausfuhrzoll in England 84.

Koloniſation, Deutſche, in polniſchen Gebieten 158—59. 164-67. 174—75. Rheinbabens An⸗ ſicht 166. Bismarcks Anſicht 159-61. 166—67. 174.

Kommiß, Vergleich mit Bureau⸗ kratismus 157.

Koͤniggraͤtz 52.

Koͤnigsberg (1848) 140.

Koͤnigtum in Rom 98100.

Kongreß, amerikaniſcher, ſeine Kor⸗ ruption 47.

Konſervative, ihre Haltung in der Flottenfrage 33. Ihr Einfluß

197

in Deutſchland 153—56. Ihr mittelalterliches Ideal 148. Verhaͤltnis zum Beamtentum 183-84. Zu Bismard61—63. Sozialpolitik 3436. So: zialiſtengeſetz 62—63. Feuer⸗ beſtattung 85. Verfaſſung fuͤr Elſaß⸗Lothringen 85. Reichs- verſicherungsordnung 85. Ver: moͤgenszuwachsſteuer 86. 131. Stellung zum Zentrum 131.

Konſtitution, Entſtehung der preu— ßiſchen, 57 —59.

Konſtitutionalismus, Gegenſatz zum Parlamentarismus 59.

Konſuln in Rom. Hoͤchſte Beamte 101. Anteil am Senat 105. Ihre Funktionen 106.

Konvent als Fuͤhrer der franzoͤſi⸗ ſchen Revolution 12425.

Kornpreis in Deutſchland 154—55.

Krankenverſicherungsgeſetz in der Schweiz 30.

Krieg 1870/71, ſiehe Deutſch-fran⸗ zoͤſiſcher Krieg.

Kriegsminiſter, franzoͤſiſche 135.

Krimkrieg, franzöfifche Leiſtungen im, 136.

Kuͤgler und die Polenfrage 163.

Kulturkampf 174.

Kultus, ſiehe Kirche.

Kurfuͤrſtenkollegium, 119.

Landammannpoſten in der Schweiz kaͤuflich 48.

Landraͤte, ihre Dienſtwohnungen 143.

Landvoͤgte in der Schweiz 48.

Landwirtſchaft und Verſicherungs⸗ weſen 94.

Lebensverſicherung und Landwirt⸗

ſchaft 94.

Lechfeld, Schlacht auf dem, 5.

Legionen in Urrom 98. Ihre Entſtehung 99. Ihr Unter⸗ gang 114.

Legitimitaͤt der Fuͤrſtenherrſchaft, ſiehe Dynaſtie.

Wahlmodus

198

Lehnsweſen des Mittelalters 115 bis 117. Vaſallitaͤt und Offizier: korps 138.

Leipziger Volkszeitung über Demo⸗ kratie u. d. Zukunftsſtaat 81 —83.

Liberale u. Sozialpolitik in Deutfch: land 34-86.

Liperum veto u. ſtaͤndiſches Weſen 119

Liktoren in Rom 100.

Liebknecht (Vater) über den Neiche: tag 59.

Lincoln uͤber Parlamentarismus 178.

Literatur uͤber Parlamentarismus und Demokratie 70, 76.

Lithauer 4.

Livius über die ſervianiſche Ver— faſſung 102.

London i. J. 1809 12. Geo: graphiſche Lage 95.

Lonsdale, Lord 11.

Lorimer, Senator, ſeine Beſtechungen

47. Los entſcheidet uͤber Amter in Athen 90

Lowell, Conſtitution of England 69. Verhaͤltnis zwiſchen Wighs und Tories 127.

Ludwig XIV. und ſein Hof 79. Univerſales Machtſtreben 123-24.

Ludwig XVI., ſein Tod 123. Verhaͤltnis zum Ausland waͤhrend der Revolution 124— 25.

Luther 42.

Lykurg, ſeine Geſetze gefaͤlſcht 103.

Maaßen, ſeine Bedeutung 51.

Mae Kechnie, Neue Demokratie 69-70.

Mac Mahon (1870) 139.

Magna Charta (1215) 113.

Magyaren in Ungarn 6.

Majoritaͤtsprinzip im Mittelalter 118. Bei der Papſtwahl 118. Bei der Kaiſerwahl 119. Theoretiſcher Begriff 18 19.

„Majorz“ in Baſel 21.

Marathon, Schlacht 88. 99.

Marwitz Uber Beamte 183—84.

Regiſter.

Marxismus und Kapitalismus 78.

Maſſenheere in der Geſchichte 80.

Mehring, Franz, uͤber den Zukunfts⸗ ſtaat 80 83.

Menzel (1807) 139.

Merckel, Oberpraͤſident 51.

Merovinger 112-17.

Metternich, Verhaͤltnis zum engl. Parlament 13.

Metz (1870) 139.

Meutereibill, englifche 134—35.

Meyer, Eduard, über Altrom 93.

Michels, R., über d. moderne Demo: kratie 76 - 80.

Mill, Stuart, Vertreter d. demokr. Gedankens 19 - 20.

Miniſter, abgehende 67.

Miquel, fruͤherer Abgeordneter 67.

Miſchraſſen, Charakter der, 5.

Mittelalter, Regierung und Volks— wille 112-19.

Mommſen uͤber roͤmiſche Patrizier 92. Roms Handel 95.

Monarchiſten im gegenwaͤrtigen Frankreich 128 29.

Montesquieu uͤber England 121.

Moſes, fuͤnf Buͤcher 103.

Motz, ſeine Bedeutung 51.

Muͤlhauſen im Elſaß, fruͤher ſchwei⸗ zeriſch 2.

Muͤnſter (1848) 140

Mulhall uͤber amerik. Korruption 47.

Napoleon J., Volksabſtimmungen für ihn 8-9. Ausſpruch uͤber den Volkswillen 41. Sieg. über Preußen 45. Von d. Armee emporgetragen 125. Mad): wirkung in Frankreich 135.— Seine treuloſen Marſchaͤlle 140. Kampf gegen England 12.

Napoleon III., Volksabſtimmungen für ihn 8-9. Deſpotismus 42. Durch Armee geſtuͤtzt 135— 35. Verhältnis zu Heer und Volk 1870/71 139-40.

„Nationale Parteien“ in Deutfch- land 179.

Nationalliberale Sozialpolitik 35

Regiſter.

bis 36. Feuerbeſtattungsgeſetz 85. Verfaſſung fuͤr Elſ.Lothr. 85. Reichsverſicherungsord—⸗ nung 85. Ihre Wahlkoſten 133. Abſchwenken zu den Freiſinnigen (1884) 150. Nationalverſammlung (1848) 140. Naturalwirtſchaft des Mittelalters 115. Neger, ihr Stimmrecht 47. Neweaſtle, Herzog von, 10— 11. Newyork, Wahlkorruption 47. Niederlande rein germaniſch 5. Perſonialunion mit England 121. Armee im ſpaͤteren 17. Jahr: hundert 123. Parlament und Regierung 59, 126. Kein allgemeines gleiches Stimmrecht

Nobilitaͤt in Rom, ihre Ent— ſtehung 106.

Norddeutſcher Reichstag 58 59.

Norwegen, Parlament und Re— gierung 59. 126.

Obſtruktion, parlamentariſche 40 bis 41.

ae 93.

Offentliche Meinung in Deutſch— land, gegenwärtige 146-48. Zu Bismarcks Zeit 146-47.

Oſterreich, Nationalitaͤtenmiſchung 5-6. 181. Eigenart der Parteien 180. Verhaͤltnis zu Kaiſer Wilhelm II. 64. Kampf gegen die Schweiz im Mittelalter 98. Bedeutung der Dynaſtie und Epoche des Abſolutismus 122. In d. Jahren 1805, 1809 140. Polenpolitik 172. Bankerott der Parteiregierung 180. Notwendigkeit der Be: amtenregierung 126. 180. Obſtruktion 40.

Offizierkorps, Deutſches 136 41. Polen, ihr Eintritt 164. 173.

Oldenburg, reingermaniſches Blut?.

Orleans, Familie, im gegenwaͤrtigen Frankreich 128.

199

Oſtmarkenpolitik, ſiehe Polenpolitik.

Oſtmarkenverein 177.

Oſtrogorsky, Demoeratie et partis politiques 69.

Otto J., Kaiſer 5.

Panamiſt,Panama⸗Skandal22, 25.

Panſlavismus in Preußiſch-Polen 173.

Papſt, ſein gegenwaͤrtiger Einfluß in Deutſchland 174.

Papſtwahl und Majoritaͤtsgedanke 118.

Paris, Graf von, franzöfifcher Prä- tendent 128.

Paris (1870/71) 139.

Pariſer Frieden 1814 52. 1815: 2. 52. Edikt 614: 113-14.

Parteidiſziplin in England 69. 71 bis 75. 178. Amerika 178. Frankreich 178.

Parteien, Produkte ihrer Zeit 180.

Parteiidee im Gegenſatz zur Staats: idee 179.

Parteitage der Sozialdemokratie. Generalſtreik 79. Zukunfts- ſtaat 149.

Patrizier in Rom, ihr Gegenſatz zur Plebs 92— 106. Mommſens Anſicht von ihnen 92. Zahl der Patrizier 98.

Pennſylvania, Korruption 47.

Penſionsgeſetz i. d. Schweiz 2930.

Pentateuch teilweiſe gefaͤlſcht 103.

Perikles nach Grotes Urteil 19.

Perſerkriege und Heerweſen der Perſer 98-99.

Phalanx d. Griechen u. Roͤmer 99.

Phylen (Athen) 90— 92.

Piemont, Koͤnigtum durch Volks⸗ abſtimmung auf Italien erweitert 15-16. Sein Verhaͤltnis zum Parlament 59—60.

Pitt, William, der Juͤngere. Sein Wahlkreis 11. Plan einer Parlamentsreform 13. Ver⸗ haͤltnis zur franzoͤſiſch. Revolution 13—14

platäd, Schlacht 99.

200

Platos Idealſtaat 50—53,

Plebiszit ſiehe Referendum.

Poincaré, Wahl: und Verwaltungs⸗ reformer 23 —28.

Polen, Koͤnigreich. Liberium veto 119

Polen, Fraktion. Flottenfrage 31 bis 32. 157.— Feuerbeſtattung 85. Verfaſſung fuͤr Elſ.⸗Lothr. 86 Vermoͤgenszuwachsſteuer

Yolenpotiti preußiſche 157— 77. Verteilung der Polen in Deutfch: land 1. 158. 172. Weſt⸗ preußen und Schleſien 160. Deutſche Koloniſation 158 —59. Städte 159. 16566. 168. 174. Judentum 159. Bismarcks Auffaſſung 159—61. 166—67. 174. Schule u. Sprachenfrage 160-63. Germaniſierung des Beamtenſtandes 164—65. BR Kirche 162. 168. 173.

often der Polenpolitif 161.— Wachſender Reichtum der Polen 164—65. Ihr Nationalgefuͤhl 167—68. Boykott 168. Polen im Offtzierkorps 164. 173.— 17 5 5 Adel 173. Kardorff

159. Puttkamer 160. Witting 161. Jentſch 161. Bülow 161. Harden 161. Kügler 162. Gutgowski 163. 5 163. Rheinbaben 166 Raſchdau 167. Zweibrücken 172. Vorſchlag einer Enquete 161. Beſſerungs⸗ vorſchlag 171-74. Der miß⸗ verſtandene Verſoͤhnungsgedanke 171—74. Polen und Ruſſen 160. 173. Polen, u. d. Pan⸗ ſlavismus 173. Oſterreichiſche Polenpolitik 172. Polen und Franzoſen 173. Der polniſche Bauer 173. Mittelſtand 174. Deutſchlands Ruf im Aus: land und die Polen 175.

Regiſter.

Pommern als „Nation“ 5.

Portugal, Parlament u. Regierung

Poſen, Schloß 169 —70, Akademie 170, Bibliothek 170. Vgl. Polen⸗ po litik.

Praͤſidentenwahl in Amerika 7—8.

Praͤſidentenwahl in Frankreich 128.

Prätoren in Rom. Alter Name für Konſuln 101. Anteil am Senat 105.

Praͤtorianer, roͤmiſche 114.

Preſſe, ihr Fehlen im Altertum 110. Ihre Rolle bei den Wahlen! 10.

Preußen. Altpreußen, Abſolutismus, Bedeutung der Dynaſtie 44 bis 45. 55—57. 122. Gottes⸗ gnadentum 55—59. 106—07. 166. Koͤnigtum und Armee 136—41. Beamtentum vom Großen Kurfuͤrſten gegründet 137. Organiſierte Intelligenz 51 bis 57. Organ d. Krone 66. 141. Kritik 156— 77. In der Oſtmark 164-65. Innerpolitiſche Farbe 181-87. Verhaͤltnis zur Kon: ſervativen Partei 183 —84. Offizierkorps 51—57. 136—41. Landtag ſiehe Abgeordneten⸗ haus und Herrenhaus. Die Epoche 1806-13 und ihre Ne: formen 45. 51. 54. 57. 139—40. Allg. Wehrpflicht 45 —46. ae der Konftitution 57—59. Demagogenverfol⸗ gung u Verhältnis zu Deutschland ſeit 1815 53-59. Hegel und Friedrich Wil⸗ helm III. 55. Revolution 1848 52. Konflikt 1861 150. Polenpolitik 157 —77. Biblio: theksweſen 170—71. Raſſen⸗ miſchung 4.

Preußen (Volksſtamm) 4.

Preußiſche Jahrbuͤcher. Vorwort u. Seite 176.

Prieſter⸗Koder der Juden 103.

Regiſter.

Privatbahnen oder Staatsbahnen 181—83.

Profonfulat in Rom einträglich 108—09.

Proporz, Proportionalwahl 19—28. In Engl. 19-20. Schweiz 21. Amerika 21. Ham: burg 11. 26. Württemberg

21. 26. Entſtehung des Namens 21. In Frank⸗ reich 28.

Prytaneum (Athen) 90. Puttkammer uͤber die Mißerfolge der Polenpolitik 160. „Quinze mille“, Spitzname für Deputierte 22. Ragnit⸗Pillkallen, Nachwahl in 133. Raſchdau uͤber d. Polenfrage 167. Raſſe, rein oder gemiſcht 5. Ratsherrenſtellen kaͤuflich in der Schweiz 48. Reaktion u. Abſolutismus 43. Rechtſprechung in Urgermanien 149. Referendum 28—38. In der franzoͤſ. Revolution 28. Fuͤr die Bonapartes 8-9. In Amerika 29. In Italien. 16. In der Schweiz 23—31. In Baſel 29. In Auſtralien 31

Reform in Preußen 1806 13.45.51.

Reichsgruͤndung 53—59.

Reichsſchuld, ihr Urheber der Reichs⸗ tag 145.

Reichstag. Seine Entſtehung 58 bis 59. Politiſche Stellung 59 bis 67. Einfluß auf Geſetz⸗ gebung 60-67, 87—88. Die Fraktionen 141—56. Mehr: heitsbildungen 85—86. Die Oppoſition 145—56. Fehlen des Verantwortungsgefuͤhles 145 bis 46. Keine Korruption 66. Subalterner Zug 66-67. Große geſetzgeberiſche Arbeits— kraft 84-85. Ausfuͤhrlichkeit der Verhandlungen 84. Die Rechte des Abgeordneten fließen

201

allein aus der Wahl 101. Finanzpolitik 84. 143—46. Verhaͤltnis zu den Miniſtern 60 —67.— Bismarcks Entlaſſung 60—66. Stellung zu Caprivi, Hohenlohe, Buͤlow 60. Kriſis 1892 150-52. Wahlen 1912 146. Zahl der Waͤhler 182. Vgl. Flottenfrage, Erſchafts⸗ ſteuer uſw.

Reichsverſicherungsordnung im Reichstag 85.

Reichsverweſer Erzherzog Johann 140-41.

Reiterei, ihre Entſtehung 97.

Reitpferd noch nicht in der Ilias 97.

Repraͤſentationsgedanke. Sein Feh⸗ len im Altertum 110. In Athen 90 - 92. In Rom 109 bis 110.

Revolutionsjahr 1848. Parlament in Frankfurt 140 —41. Der Reichs verweſer 140. Die Folgen in Preußen uͤberwunden 52

Rhaͤtiſches Blut in Deutſchland 3.

Rheinbaben uͤber Anſiedelungen in der Oſtmark 166.

Rheinuͤbergang (1814) 140.

Rheinufer, linkes (1815) 52.

Richmond, Herzog von, beantragt allg. Stimmrecht (18. Jahrh.) 13.

Richter, Eugen, u. Bismarcks Ent⸗ laſſung 61. Heeresvorlage von 1892 149-53.

Richterſtellen kaͤuflich in Amerika 47. Schweiz 48.

Richterſtand in Rom 97.

Rittertum als militärifcher Begriff 97. Im Mittelalter 97. 99.

Robespierre, ſein antikes Vorbild 90.

Roggenpreiſe in Deutſchland 154 bis 155.

Rom. Verfaſſungsentwicklung 92 bis 112. Gegenſatz Patrizier⸗ Plebs 92— 106. Entſtehung der Nobilitaͤt 106. Ihr Ver: haͤltnis zum Plebs 107. Agrar⸗

202

kommunismus 94. Bauern: ſtand 94. Koͤnigtum 98 - 100. Liktoren 100. Kapitalis⸗ mus 95—96. Handel 93. 95. Equites (Ritterſtand 97. Raſſe 4. 96. Geographiſche Lage 95. Kultus 96. 101. 104-06. Gottesgnadentum 96. 100—01, 104-06. 112. Heerweſen 92 bis 112. 114—15. 138. Le⸗ gionen 98. 99. 114. Verhaͤlt⸗ nis zu den Etruskern 96—97. 99. Urſpruͤnglicher Umfang und Volkszahl 97. Konſuln 101. 105. Praͤtoren 101. Senat 98. 100. 105—07. 111. 114. Interzeſſion 101. Demo— krariſches Element 101— 11. Volksverſammlung 101. 105. 107-08. Servianiſche Ver: faſſung gefaͤlſcht 102— 03. Mittelſtand 102 —03. Dualis⸗ mus 103-12. 142. 185. Volksſouveraͤnitaͤt? 103 —04. 111. Imperium et augurium 105. Centuriatkomitien 105. 107 bis 108. Tributkomitien 105. Senatus Populusque Ro- manus 105-07. Buͤrger⸗ recht und Wahlrecht 107 08. Centurien 108. Tribus als Stimmkoͤrper 108. Wahl— modus 101. 104-05, 107-08. Kaukus 108 —09. Prokonſulat

108-09. Bundesgenoſſen⸗ krieg 109 —10. Kaiſertum 111—12, 114. 116—17.

Roms Untergang 110 —12. 114 bis 15. Nachwirkung in Deutſchland 4.

Romford, Wahlkreis 15.

Rooſevelt gegen Wilſon unterlegen 7. Seine Wahlbeſtechungen 47 —48. Stellung zu den Truſts 182.

Rothſchild, W., Handbuch der Politik 69.

„rotten boroughs“ 10—15.

Regifter.

Rouſſeau, Anfiht über Wahl: tepräfentation 20.

Rußland in Bismarcks letzter Politik 64. J. Jahre 1812 140. Jetziges Verhaͤltnis zu Deutſch⸗ land 150. Polenfrage 160. 173. Freundſchaft mit Frank⸗ reich 173. Kirche 173. Parlament und Regierung 126.

Sachſen (Stamm), ſeine Bedeutung fuͤr Deutſchland 5.

Sack, Oberpraͤſident 51.

Sardinien- Piemont, Koͤnigtum durch Volksabſtimmung auf Italien erweitert 15—16. Sein Verhaͤltnis zum Parlament 5960.

Schanz, Profeſſor, uͤber die Reichs⸗ chuld 145.

Scharey uͤber die Polenfrage 163.

Scharnhorſt bei Auerſtaͤdt 45. Verhältnis zu Hardenberg 51. Seine Reformen 54. Über Wert der ſtehenden Heere 115. Heeresreform 139. Sein Schwiegerſohn 140.

Schleſien, Polenfrage 160.

Schoͤn, Oberpraͤſident 51.

Schottland i. J. 1793 10.

Schuldentilgung im Reich 145.

Schulenburg⸗Kehnert (1806) 44.

Schulweſen in Deutſchland, Ten— denz der Klerikalen 128. Hohe Entwicklung 14748. Polen⸗ frage 160-63.

Schutzzollſyſtem 62. 143. 183. Kritik 153 56.

Schwaben (Stamm), feine Be: deutung für Dentſchland 4. 5. Schweden, Parlament u. Regierung

126.

Schweiz. Proporz 21. 29. Wahl⸗ beteiligung 29—30. Penſions⸗ geſetz fuͤr Beamte, Epidemiegeſetz, Krankenverſicherung, Unfallver⸗ ſicherung 29 —30. Deutſche Sozialgeſetzgebung als Vorbild 30. Referendum 29—31.

Megifter,

Frühere Korruption 48—49. Ariſtokratiſche u. demokr. Kantone 48. Landvoͤgte 48. Städt. Intelligenz zwiſchen Bauern u. Arbeitern 49. Kriegsweſen im Mittelalter 98—99. Kampf gegen Oſterreich u. Burgund 98 bis 99

Sedan, Schlacht bei, Nachwirkung in Frankreich 135. Zuſtande⸗ kommen 139—40.

Seeraub im Altertum 93.

Senat in Rom. Rat des Koͤnigs 98. Korporation der Nobilitaͤt 105-07. Im Kaiſerreich 111. 114.

Senatus populusque Romanus 105-07.

Servianiſche Verfaſſung 102-03.

Sezeſſionskrieg. Veteranen und Hinterbliebene 48.

Siebenjähriger Krieg 45. 57.

Siegfried, Proporz⸗Syſtem 21.

Simmel uͤber die Majoritaͤts⸗ prinzip 18.

Singer und das Flottenfrage 34.

Slaviſches Blut in Deutſchland 3.

Smith, Francis, über Servianiſche Verfaſſung 102.

Sokrates 91—92.

Soldatenkaiſer in Rom 114.

Souveränität in Rom 103. 111. In Deutſchland 111—12.

Sozialdemokraten, 110 im deutſchen Reichstag 145—46. Ent: ſtehung der Fraktion 130. Zuknnftsſtaat 81—83. 128. 148. Vergleich mit urgarmaniſchen Zuftänden 14849. Er⸗ furter Programm 149. Oppo⸗ ſitionspartei 149 —50. frei: händler 153—56. Stellung zu den Agrariern 153—56. Wirkung ihrer Intranſigenz 153 bis 56. Sind ſie eine natio⸗ nale Partei? 179. Unter Bis⸗ marck 147. Seine Entlaſſung 61-64. Gegenwaͤrtige Stel:

Delbrück, Regierung und Volkswille.

203

lung zur Regierung 147. Ihr Parteileben 76—83. Bildung 81—83. Verhaͤltnis zu den Gewerkvereinen 77—79. By: zantinismus und Kadavergehor⸗ ſam 79. Macht der Fuͤhrer 76—83. Ihre Beamten 77 bis 83. Sozialpolitik 35—36. 148. Flotte 34. Erbſchafts⸗ ſteuer 33—34. Gedanke einer ſtaͤndiſchen Volksvertretung 39. Generalſtreik 79. Feuer⸗ beftattung 85. Verfaſſung f. Elſ.Lothr. 85. Reichsver⸗ ſicherungsordnung 85. Ver⸗ moͤgenszuwachsſteuer 86.

Sozialiſtengeſetz 62—63.

Sozialpolitik. Deutſchlands führende Stellung 30. 147. 181. Das Verdienſt gehört der Beamten: ſchaft 3436. 183—84.. Sozialpolitik u. Volksſtimmung. 31

Spanien, Parlament u. Regierung 126

Sparta, mit Rom verglichen 96. Berfaffung Lykurgs gefauͤlſcht 103

Spiritusſteuer in England 83,

Sprachenfrage in der Polenpolitik 161—63.

Staatsbahnen oder Privatbahnen 181— 83.

Staatsdienſt, feine wirtfchaftlichen Laſten 164.

Staatsſtreichsplaͤne Bismarcks 61 bis 66.

Städte, ihre Rolle in der Polen: frage 159. 165-65. 168. 174.

Staͤnde, ihre Rolle in Mittelalter und Neuzeit. Kampf mit den Dynaſtien 117—18. Das Majoritaͤtsprinzip 118—19.

Staͤndiſche Volksvertretung 39 40.

Stehendes Heer. Im Zeitalter des Abſolutismus 117—18. 137. Ausſpruch Scharnhorſts 115. Vgl. „Heerweſen“.

14

204

Stein. Seine Reformen 54. 57. Seine Entlaſſung (1807) 56. uͤber Bureaukratie 156.

Stellenjaͤger in Amerika 47.

Stempelſteuer in England 83.

Stettin. Geographiſche Lage 95. Im Jahre 1848 140.

Steuerpolitik in Deutſchland 144 bis 145.

St. Louis, Korruption 47.

Stuarts, Sturz der, 119—21, 123 bis 124. 133.

Suſpenſives Veto in England 1911 37

Synoikismos 93.

Tabakſteuer in England 83. Monopol in Deutſchland 144. Tacitus uͤber germaniſche Fuͤrſten 92. Germaniſche Gefolgſchaft

137-38. Taft gegen Wilſon unterlegen 7. Seine Wahlbeſtechungen 47 48. Tecklenburg, A., Wahlrecht in Frankreich 68 69. Teekonſum und Zoll in England 83. Tiber, ſeine Schiffbarkeit 95. Tories. Urſprung 119 20. Verhältnis zu den Wighs 12. 127 Stellung zum Referendum 3638. Mice Sorgen 49. Treitſchke über Miſchraſſen 4 —5. Über Preußen 1815 40. 52. Tribus in Rom. Stimmkoͤrper 108. Tributeomitien in Rom 105. Trojaniſcher Krieg ſiehe Ilias. Truſts und Wahlmache 47. 182 bis 83. Ihre politiſche Rolle in Amerika 182—83. In Deutſchland 182—83. Rooſe— velts Maßnahmen 182. Turin, Univerſitaͤt 76. Unfallverſicherungsgeſez in der

Schweiz 30. Deutſchland 35-36. Ungarn, Nationalitaͤtenmiſchung

5—6. Parlamentariſche Ob: ſtruktion 40. Univerſitaͤten, Deutſche 76.

Regiſter.

Unold, J., Politik und Entwick⸗ lungslehre 69.

Unteroffizierkorps, Deutſches, 136.

Urkunden, hiſtoriſche, gefaͤlſcht 103.

Vaſallitaͤt des Mittelalters 115 bis 17. Verhaͤltnis zum Offizier⸗ korps 138.

Vauchamps (1814),

Wrangels 140.

Vendee, Aufſtand waͤhrend der franzoͤſiſchen Revolution 125. Vereinsrecht in Deutſchland und

Frankreich 147.

Vermoͤgenszuwachsſteuer im Reichs⸗ tag 85. 131.

Verſammlungsrecht, in Deutſch⸗ land und Frankreich 147.

Veteranenfuͤrſorge in Amerika 48.

Viktoria, Koͤnigin, u. d. engliſche Beamtentum 178.

Viehverſicherung, moderne, 94.

Vinke, Oberpraͤſident 52.

re u. d. Heeresvorlage 1892. 151.

Vogelflug, religioͤſe Bedeutung im Altertum 104.

Volk. Begriff des Deutſchen V. 1-4. Das V. überhaupt 1-6. Volkswille wiſſenſchaft⸗ lich aufgefaßt 41—50. Aus⸗ ſpruͤche Napoleons und Hegels. 41.

Volksſchule, deutſche, vorbildlich 14748. 161. Polenfrage 160-63.

Volksſouvernitaͤt, Begriff der 43 bis 44. In Rom 103. 111.

Volkstribun in Rom 105. 107.

Volksverſammlung, ihr moͤglicher Umfang 89.

Wadenſtruͤmpfer (Höfling) 152.

Wagner, Adolf und die Flotten⸗

Haltung

frage 34. Wahl, indirekte 38 —39. Wahlbeteiligung in Deutſchland 71272. England Schweiz 29. Amerika 8. Frankr. 9. Allgem. 17. Wahlmaͤnner in Preußen 39.

Regiſter.

Wales im Jahre 1793 10.

Wallas, G., Human nature in politics 17. 178.

Warſchau, Großherzogtum 52.

Weizenpreiſe in Deutſchland 154 bis 155.

Weizenverbrauch in Deutſchland ge— ſtiegen 154— 55.

Wellington in Spanien 12.

a sage uͤberblick 88 bis

Weſtfalen, reingermaniſches Blut 3.

Weſtfalen, Koͤnigreich 52.

Weſtpreußen, Polenfrage 160.

White, A., uͤber amerikaniſche Kor— ruption 47.

Wiener Kongreß. Deutfche innere Gegenſaͤtze 5. Haltung Wuͤrttembergs 5. Preußens Gebietszuwachs 52. Verſprechen einer preußiſchen Volksvertretung

wighs, Urſprung 119—20. Ver⸗ haͤltnis zu den Tories 12. 127. Stellung zum Referendum 37—28.

Wilhelm J., Deutſcher Kaiſer. Ver: haͤltnis zu Bismarck 61. 64. Attentat auf ihn 62. Zwei⸗ jährige Dienſtzeit 150.

Wilhelm II., Deutſcher Kaiſer. Bismarcks Entlaſſung 61-66. Stellung z. Reichstag 61-66. Bundesgenoſſenſchaft mit Oſterreich 64. Kriſis von 1892 152. Stellung zu den Freiſinnigen 152.

Wilhelm III. von Oranien in Eng⸗ land 120—21. Grund ſeines Eingreifens 123. Engliſche Volksſtimmung uͤber ihn 124. Verhaͤltnis zur engl. Armee

134.

Wilſon, Praͤſident, ſeine Wahl 6

bis 8. Über Korruption 46.

205

Windthorſt u. Sozialpolitik 36. Bismarcks Entlaſſung 61. Finanzpolitik 143.

Wiſſenſchaft, ihre Deutſchland 76.

Witting Über die Polenfrage 161.

Wrangel, Feldmarſchall (1814 und 1848) 140.

Wuͤrttemberg auf dem Wiener 1 5. Proporz⸗Syſtem

Zentrum. Die Fraktion gebildet 1871 130. Konfeſſionelle Spaltung Deutſchlands 130. Mittelalterliches Ideal des 3. 148. Stellung zur kathol. Kirche 174. 179. Kulturkampf 174. Unter Bismarck 147. Deſſen Entlaffung 61. Kriſe 1892 150. Gegenwaͤrtige Stellung zur Regierung 147. 174. Demokratiſcher Grund: charakter 131. Stellung z d. Konſervativen 131. Schul: weſen 128. Finanzpolitik 143. Flottenfrage 32—33. Sozial⸗ geſetzgebung 35—36. Feuer- beſtattung 85. Verfaſſung fuͤr Elſ.⸗Lothr. 85. Reichsver⸗ ſicherungsordnung 85. Ver⸗ moͤgenszuwachsſteuer 131.

Zerboni, Oberpraͤſident 51.

Zölle ſiehe Deutſchland u. England.

Zollgeſetzgebung und innere Politik in Deutſchland 183.

Zuckerkonſum und Zoll in England 84

Freiheit in

„Zukunft“ uͤber die Polenfrage 161. Zukunftsſtaat der Sozialdemokraten 8183. 128. 148.

Zweijaͤhrige Dienſtzeit in Frankreich 25. In Deutſchland 150. Zweybruͤck über Oſterreichs Polen⸗

politik 172.

Druck von Wilhelm Hecker in Gräfenhainichen.

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Hans Delbrück.

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Die Preussischen Jahrbücher

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Ehedem von Heinrich Treitschke, jetzt von Hans Del- brück herausgegeben, sind die Preussischen Jahrbücher seit ihrer Begründung im Jahre 1853 eine

Zentralzeitschrift des geistigen Lebens in Deutschland

gewesen, tonangebend in Politik, Wissenschaft, Literatur und Kunst.

Die politischen Ereignisse werden freimütig nach oben und unten, unabhängig von allen Parteirücksichten behandelt. Wer sich unabhängig von den bie Un und Partei- Vorurteilen eine eigene Meinung bilden, wer mit den vor- waltenden und fortschreitenden Ideen der Wissenschaft Fühlun halten und selbst mit fortschreiten will, findet Führung un reiches Material in den „Preussischen Jahrbüchern“.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.

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= zugleich eine militärisch-politische Darstellung der ganzen Epoche der 22 —— preussischen Reform und, der Freiheitskriege. „Gneisenau ist stra- =

22 tegisch der eigentliche Überwinder Napoleons; von allen Feldherren, 22 ss die mit dem Gewaltigen gerungen haben, ist er der einzige gewesen, en = der den Geist und die Kraft der napoleonischen Kriegsführung ganz in —— =. sich aufgenommen, den Korsen mit seinem eigenen Feldherrnschwerte an = geschlagen hat. Es musste darum in seiner Biographie der strategische u. SL und darum auch der politische Zusammenhang der Befreiungskriege ss 3 vollständig vorgeführt werden. So begegnet uns also in seiner Bio- 32 —— graphie die ganze Zeit der Erhebung und des Kampfes gegen den —— französischen Weltherrscher mit ihren tiefgehenden Gegensätzen in der 88 22 inneren und äusseren Politik. Die Liebe und Wärme, mit der das m Charakterbild Gneisenaus gezeichnet worden ist, die Sorgfalt, mit der

der Charakter aller derjenigen skizziert worden ist, die mit Gneisenau 33

0

in Berührung gekommen sind, formvollendete Darstellung und Gedanken- 88 reichtum machen diese Biographie überaus wertvoll und empfehlen sie en jedem, der sich ein klares Bild der gewaltigen Zeit verschaffen will.“ =

Als Grundlage zur Darstellung der Freiheitskriege im Unterricht 82 und in Vereinen ist dies Werk vor anderen geeignet. Wir weisen auch ss auf die vortrefflichen und übersichtlichen Kartenskizzen hin. Die An- 22 schaffung des Werkes für Bibliotheken sowie zu Geschenkzwecken kann daher dringend empfohlen werden.

Herr Gymnesialdirektor Dr. Rassow schreibt darüber in der 22 „Täglichen Rundschau“: . . Delbrücks „Gneisenau“ ist das Buch, in 2 dem die strategischen Verhältnisse der Freiheitskriege am richtigsten 2 dargestellt werden; zugleich bildet es für jeden Erwachsenen, ob jung 88 oder alt, eine herzerquickende und erhebende Lektüre: die, vielen ab- gedruckten Briefe Gneisenaus zeigen, dass der geistige Uberwinder

22 Napoleons einen Stil von Goethescher Plastik und Feinheit geschrieben hat. 2 E

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Ganz besondere Beachtung verdienen die Ausführungen über 22 Volkseinkommen und Volksvermögen. Auf Grund von Berech- 22 nungen und sachkundigen Schätzungen wird unter Anwendung verschiedener Methoden das deutsche Volkseinkommen und Volks- vermögen statistisch zu erfassen gesucht.

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